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German Pages 304
Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte Band 36
Wolfgang Albrecht
Die Logik der Logistik Zweite, unveränderte Auflage
Duncker & Humblot · Berlin
Wolfgang Albrecht
D i e L o g i k der L o g i s t i k
Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte Band 36
Die Logik der Logistik
Von Wolfgang Albrecht
Zweite, unveränderte Auflage
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Unveränderter Nachdruck der 1. Auflage von 1954 Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Ubersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5200 ISBN 3-428-11918-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Θ Internet; http://www.duncker-humblot.de
Meinen Eltern
Vorwort Die Frage nach der Verantwortlichkeit der Mitglieder des Aufsichtsrats für aufgetretene Missstände wird häufig gestellt. Neben der ethischen und moralischen Komponente, die zur Zeit im strafrechtlichen Gewand des „MannesmannProzesses" mitschwingt, bestimmt der Ruf nach verstärkter zivilrechtlicher Haftung die Diskussion. Im Jahr 2002 wurde der Deutsche Corporate Governance Kodex und die auf die darin enthaltenen Verhaltensgrundsätze bezogene „Entsprechenserklärung" in das System des deutschen Aktienrechts eingefügt. Den damit hinsichtlich der Schadenersatzhaftung von Aufsichtsratsmitgliedern verbundenen rechtlichen Konsequenzen widmet sich die Arbeit. Sie wurde von der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg im Wintersemester 2003/2004 als Dissertationsschrift angenommen. Rechtsprechung und Literatur sind bis Oktober 2003 berücksichtigt. Prof. Dr. Kort gilt mein Dank fur die Betreuung der Arbeit und rasche Fertigung des Erstgutachtens. Dankbar bin ich auch Prof. Dr. Möllers, der das Zweitgutachten erstellt hat. Besonderer Dank gebührt meinen Eltern, die mich stets ermutigten, unterstützten und nicht zuletzt die mühevolle Arbeit des Korrekturlesens auf sich nahmen. Meiner Frau Krike danke ich für ihre Liebe, aber auch ihre mannigfaltigen sprachlichen Anregungen und wertvollen inhaltlichen Überlegungen aus Sicht der Richterin. Ferner danke ich meinen Mitpromovenden und „Skatbrüdern" Michael Gottschalk und Florian Strobel. Die Gummersbacher Kanzlei Bertrams Rechtsanwälte gewährte mir logistische Unterstützung und die zeitlichen Freiräume, um die Arbeit fertigstellen zu können. Für die Unterstützung bei der Formatierung danke ich Frau Kerbs.
Gummersbach im März 2004
Helge Bertrams
Inhaltsverzeichnis Einleitung
19 1. Kapitel DCGK und Entsprechenserklärung
A. Entstehung des Deutschen Corporate Governance Kodex I.
23 23
Bedeutung und Herkunft des Regelungsinstruments „Corporate Governance Kodex 4 ' 1. Begriff „Corporate Governance"
23 23
2. Kein global einheitliches Modell von „Corporate Governance" 25 3. Anglo-amerikanische Herkunft des Regelungskonzepts „Verhaltenskodex" 26 a) Rechtstradition 27 b) Externe und interne Corporate Governance 27 c) Anglo-amerikanische Kodizes als Folge des dortigen Regelungssystems 28 II. Neuere Entwicklungen als Anlass fur den Deutschen Corporate Governance Kodex und die Entsprechenserklärung 1. Änderung der äußeren Bedingungen a) Spektakuläre Unternehmenszusammenbrüche b) Unternehmensfinanzierung c) Zusammensetzung des Aktionärskreises, Globalisierung der Finanzmärkte d) Internationalisierung 2. Wirkung dieser Veränderungen a) Wettbewerb b) Internationale Regelungsmuster c) Verstärkung des „Prinzipal-Agent"-Konflikts III. Ausarbeitung privater Kodizes in Deutschland IV. DCGK und Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG 1. Empfehlungen der Ztawms-Kommission 2. Cromme-Kommission und das Transparenz- und Publizitätsgesetz a) Arbeit der Cromme-Kommission b) Transparenz- und Publizitätsgesetz c) Doppelte Zielsetzung des Konzepts
30 30 30 31 31 32 33 33 33 37 38 40 40 42 42 44 45
aa) Informations- bzw. Kommunikationsfunktion
45
bb) Ordnungs- bzw. Regulierungsfunktion
46
10
nsverzeichnis V. Beschreibung des weiteren Untersuchungsgegenstands
47
B. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung
47
I.
Kategorisierung und Aufbau des Kodex 1. Gesetzeswiederholungen
47 48
2. Empfehlungen 3. Anregungen
48 49
4. Inhaltsübersicht II. Entsprechenserklärung nach § 161 AktG
50 51
1. Vergleich der Erklärungspflicht von Kodex und § 161 AktG 2. Änderungen der Formulierung des § 161 AktG im Gesetzgebungsver-
52
fahren 3. Übergangsvorschrift des § 15 EG AktG
54 55
III. Weitere gesetzliche Flankierung IV. Adressatenkreis des Deutschen Corporate Governance Kodex und der Entsprechenserklärung 1. Kodex
56 57 57
a) Unterscheidung börsennotierter und nicht notierter Gesellschaften b) Keine Differenzierung nach der Größe der Gesellschaft 2. Entsprechenserklärung V. Rechtsnatur des Deutschen Corporate Governance Kodex 1. Formelles Gesetz oder Verordnung 2. „Mittlere Regelungsebene" 3. Vergleich mit Insiderhandels-Richtlinien, Übernahme-Kodex, Vertragsrecht 4. Vergleich mit „Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung" (GoB) 5. Handelsbrauch i.S.v. § 346 HGB 6. Handelsgewohnheitsrecht 7. „Soft law" C. Zusammenfassung
57 59 59 61 61 62 65 67 67 72 72 74
2. Kapitel Überblick über die Haftungstatbestände A. Unterscheidung von Innen- und Außenhaftung B. Die einzelnen Haftungstatbestände I.
Haftung aus §§ 93 Abs. 2, 116 AktG
II. Erklärungs- und Vertrauenshaftung 1. Haftung aus § 311 Abs. 2 BGB (culpa in contrahendo) 2. Bürgerlichrechtliche Prospekthaftung 3. Spezialgesetzliche Prospekthaftung
75 75 76 76 77 77 77 77
nsverzeichnis III. Haftung aus Tatbeständen des Deliktsrechts
11 78
1. Haftung aus § 117 AktG 2. Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB
78 79
3. Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz
79
4. Haftung aus § 826 BGB IV. Konzernrechtliche Haftungstatbestände
80 80
C. Zusammenfassende Bewertung der Tatbestände
81
3. Kapitel Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
82
A. Einführung zur Haftung aus §§93 Abs. 2, 116 AktG
82
B. Pflichtverletzung
82
I.
Pflichtverletzung durch Verstoß gegen die Pflicht zur Abgabe der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG 1. Zeitlicher Bezugsrahmen der Entsprechenserklärung a) Vergangenheitsbezug b) Zukunftsbezug aa) Argumente gegen einen Zukunftsbezug bb) Argumente für einen Zukunftsbezug cc) Bewertung und Ergebnis 2. Kompetenzverteilung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand a) Unterscheidung von Erklärungspflicht und Entscheidungszuständigkeit b) Umfang der Entscheidungszuständigkeit des Aufsichtsrats aa) Empfehlungen an den Aufsichtsrat bb) Empfehlungen an einzelne Mitglieder des Aufsichtsrats cc) Empfehlungen an den Aufsichtsratsvorsitzenden dd) Empfehlungen an den Vorstand ee) Empfehlungen an die Hauptversammlung c) Differenzierung nach Vergangenheits- und Zukunftserklärung d) Konsultationspflicht des entscheidungsbefugten Organs e) Zusammenfassung der Entscheidungskompetenzen 3. Unterscheidung von Erklärung im Außenverhältnis und interner Beschlussfassung der Verwaltungsorgane a) Keine Pflicht zur gemeinsamen Verlautbarung der Erklärung nach außen b) Keine Pflicht zur gemeinsamen internen Willensbildung 4. Übertragung der internen Willensbildung des Aufsichtsrats über den Inhalt der Erklärung an einen Ausschuss? a) Meinungsstand
84 84 85 85 85 86 88 90 91 93 94 96 97 99 102 103 105 106 107 107 111 112 113
12
nsverzeichnis b) Differenzierende Überlegungen c) Schlussfolgerung 5. Verletzung der Pflicht zur Abgabe der Entsprechenserklärung a) Verstoß gegen formale Voraussetzungen aa) Adressaten der Erklärung bb) Äußerliche Form der Erklärung cc) Dauerhaftes Zugänglichmachen gem. § 161 S. 2 AktG b) Verstoß gegen inhaltliche Voraussetzungen aa) Unterlassen jeglicher bzw. nicht rechtzeitige Erklärung bb) Unvollständige Abgabe der Erklärung
113 114 115 115 117 118 118 124 124 129
( 1 ) Keine Prüfungspflicht der rechtlichen Richtigkeit der Kodexformulierung
129
(2) Erklärung über vergangenes und zukünftiges Verhalten (3) Inhalt und Umfang der positiven Entsprechenserklärung
131 132
(4) Inhalt und Umfang der Negativerklärung
132
cc) Wahrheitswidrige Erklärung 135 (1) Verpflichtung aus § 161 AktG zur Abgabe inhaltlich richtiger Erklärung (2) Erklärungspflicht für geringfügige Einzelabweichungen (a) Kein Abstellen auf die Häufigkeit einer Abweichung (b) Keine „Wesentlichkeitsschwelle"
135 138 138 138
c) Erforderlichkeit einer Korrekturerklärung 140 aa) Abweichungen von der Zukunftserklärung 140 (1) Argumente für und wider eine Korrekturverpflichtung 141 (2) Bewertung und Ergebnis 144 (3) Einzelheiten der Korrekturerklärung 145 (a) Zuständigkeit zur Abgabe der Korrekturerklärung 145 (b) Form der Korrekturerklärung 146 (c) Inhaltliche Anforderungen 147 (d) Zeitspanne zur Abgabe der Korrekturerklärung 150 (aa) Unzulässigkeit einer „Vorab-Korrekturerklärung" durch den Vorstand 152 (bb) Einberufung einer Sondersitzung des Aufsichtsrats .... 155 (cc) Delegation an einen Ausschuss 158 bb) Abweichung von der Vergangenheitserklärung 160 cc) Änderung des Kodexinhalts 161 d) Organisationspflichten als Folge des Auseinanderfallens von Erklärungs-und Entscheidungskompetenz 161 aa) Organisationspflichten in Hinblick auf die turnusgemäße Erklärung 162 (1) Empfehlungen an Aufsichtsrat und Hauptversammlung (2) Empfehlungen an einzelne Mitglieder des Aufsichtsrats
163 163
nsverzeichnis
13
(3) Empfehlungen an den Vorstand bb) Organisationspflichten in Hinblick auf unterjährige Korrekturer-
165
klärungen 6. Zusammenfassung II. Pflichtverletzung durch Verstoß gegen in Satzung oder Geschäftsordnung des Aufsichtsrats konkretisierte Kodexbestimmungen
166 167
III. Pflichtverletzung durch Verstoß gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht nach §§ 93 Abs. 1 S. 1, 116 AktG 1. Sorgfaltsanforderungen an die Entscheidung über generelle An- oder (teilweise) Nichtanwendung der Kodexempfehlungen
167 169 170
a) Unternehmerische Entscheidung b) Ermessensspielraum und dessen Grenzen
171 172
c) Übertragung auf die Entscheidung über die Kodexbefolgung
173
2. Konkretisierung des allgemeinen Sorgfaltsmaßstabs
177
a) Kein Haftungsausschluss bei tatsächlicher Befolgung der eigenen Entsprechenserklärung b) Konkretisierung von Sorgfaltspflichten unabhängig von der eigenen Entsprechenserklärung aa) Vergleich mit § 342 HGB und den GoB
177 178 181
bb) Wiedergabe „tatsächlicher Übung"
186
cc) Vergleich mit technischen Regelwerken privater Sachverständigengremien
190
(1) Ähnlichkeiten und Unterschiede von Kodex-Bestimmungen und DIN-Normen (2) Einfluss von DIN-Normen auf zivilrechtliche Sorgfaltsmaßstäbe (a) Keine Bindung der Gerichte (b) Gründe für die Zuerkennung rechtlicher Relevanz (c) Rechtliche Wirkung von Normbefolgung und Normabweichung (d) Zusammenfassung (3) Verfahrensgrundsätze bei Erstellung der DIN-Normen (4) Übertragung auf die Kodexregelungen (a) Fachkompetenz (b) Verfahrensgrundsätze als „prozederale Richtigkeitsgewähr" (aa) Transparenz und Publizität (bb) Repräsentanz (cc) Revisibilität (dd) Zwischenergebnis (c) Ansehen der Kodexregelungen und empirisch nachweisbare Schadensminimierung
191 196 196 198 198 200 201 202 203 203 204 204 206 208 209
14
nsverzeichnis (d) Ergebnis des Befundes unter Berücksichtigung der Beweislastregel der §§93 Abs. 2, 116 AktG (5) Keine beweisrechtliche Wirkung für Organmitglieder nicht börsennotierter Gesellschaften (6) Exkurs: Verfassungsrechtliche Bedenken 3. Überwachungspflicht bei (eingeschränkt) positiver Entsprechenserklärung 4. Zusammenfassung
210 212 213 216 219
C. Rechtswidrigkeit
219
D. Verschulden
220
E. Schaden und haftungsausfüllende Kausalität
223
I.
Schadensbegriff und denkbare Schadenspositionen
II. Kausalität
224 229
F. Durchsetzung des Ersatzanspruchs
230
G. Zusammenfassung
232
4. Kapitel Außenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder A. Vertrauens- und Prospekthaftung I. § 311 Abs. 2 BGB (culpa in contrahendo, c.i.c.) 1. Fallgruppe der „Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens 44 2. Fallgruppe des „eigenen wirtschaftlichen Interesses44 II. Allgemeine zivilrechtliche Prospekthaftung 1. Prospektbegriff 2. Prospektvollständigkeit 3. Anwendbarkeit außerhalb des „grauen Kapitalmarktes 44? 4. Anwendbarkeit auf dem Sekundärmarkt? 5. Stellungnahme und Entscheidung III. Haftung für Inanspruchnahme von „Marktvertrauen 44 B. Deliktische Haftung I. Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB IL Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz 1. Kodex als Schutzgesetz 2. § 161 AktG als Schutzgesetz 3. § 331 Nr. 1, 2 HGB als Schutzgesetz 4. § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG als Schutzgesetz C. Zusammenfassung und Ausblick
233 233 235 235 236 237 239 241 242 244 245 250 251 251 254 254 255 256 258 259
Inhaltsverzeichnis 5. Kapitel Ergebnis der Untersuchung
15
260
Anhang: Empfehlungen mit Bezug zum Aufsichtsrat
263
Literaturverzeichnis
269
Stichwortverzeichnis
298
Abkürzungsverzeichnis a. Α. a. a. Ο.
anderer Ansicht am angegebenen Ort
a. E. AG
am Ende Aktiengesellschaft; Die Aktiengesellschaft
AktG AR
Aktiengesetz Aufsichtsrat
BB BFuP
Betriebs-Berater Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis
BGB BGBl.
Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt
BGH
Bundesgerichtshof
BGHZ
Entscheidungen des Bundesgerichtshof in Zivilsachen (Amtliche Sammlung)
Bl. Blatt BT-Drucks. Bundestags-Drucksache BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Amtliche Sammlung) CalPERS CEO DAX DB DBW DCGK ders. dies. DIN Diss. DSW DZWiR Einl. EU e. V. EWiR f., ff. FAZ
California Public Employees Retirement System Chief Executive Officer Deutscher Aktienindex Der Betrieb Die Betriebswirtschaft Deutscher Corporate Governance Kodex derselbe dieselbe Deutsches Institut für Normung Dissertation Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e. V. Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Einleitung Europäische Union eingetragener Verein Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht und die folgende(n) Seite(n) Frankfurter Allgemeine Zeitung
Abkürzungsverzeichnis Fn.
Fußnote
FS
Festschrift
GAAP
Generally Accepted Accounting Principles
GCCG
German Code of Corporate Governance
17
GG
Grundgesetz
GmbH
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
GmbHG
Gesetz betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung
GmbHR
Rundschau für GmbH, Monatsschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Handelsrecht Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung
GoB grds.
grundsätzlich
GuV HGB
Gewinn- und Verlustrechnung Handelsgesetzbuch
h. L.
herrschende Lehre
h. M.
herrschende Meinung
HS
Halbsatz, Halbsätze
i. d. F. i. d. R.
in der Fassung in der Regel
i. d. S. IDW i. e. S.
in diesem Sinne Institut der Wirtschaftsprüfer im engeren Sinne
i. S. v. i. V. m. IWF i. w. S.
im Sinne von in Verbindung mit Internationaler Währungsfond im weiteren Sinne
JA JR
Juristische Arbeitsblätter Juristische Rundschau
Jura JuS JZ
Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung
KAGG KG KGaA KonTraG KoR
Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich Zeitschrift für kapitalmarktorientierte Rechnungslegung
KWG
Kreditwesengesetz
LG MDR
Landgericht Monatsschrift für Deutsches Recht
Mio. MitbestG
Millionen Mitbestimmungsgesetz
Mrd. m. w. N.
Milliarden mit weiterem Nachweis
18
Abkürzungsverzeichnis
η. F.
neue Fassung
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NuR
Natur und Recht, Zeitschrift für das gesamte Recht zum Schutze der na-
o. ä.
türlichen Lebensgrundlagen und der Umwelt oder ähnliches
OECD
Organisation for Economic Cooperation and Development (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung)
o. g.
oben genannt(es)
OHG OLG
Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht
ο. V. RIW
ohne Verfasser Recht der Internationalen Wirtschaft — Betriebs-Berater International —
RG RGZ
Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen (Amtliche Sammlung)
Rn. s. a.
Randnummer siehe auch
s. o. str.
siehe oben streitig
st. Rspr.
ständige Rechtsprechung
TransPuG u. a. u. U. v.
Transparenz- und Publizitätsgesetz unter anderem unter Umständen versus
WiSt
Wirtschaftswissenschaftliche Studien
WM
Wertpapier-Mitteilungen, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht
WpHG WuW ZfB ZfbF ZfhF ZfKrW ZGR ZHR
Wertpapierhandelsgesetz Wirtschaft und Wettbewerb Zeitschrift für Betriebswirtschaft Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht (bis Band 123; Zeitschrift für das gesamte Handels- und Konkursrecht) Ziffer, Ziffern Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis
Ziff. ZIP ZPO
Zivilprozeßordnung
ζ. T. z. Zt.
zum Teil zur Zeit
Einleitung Der Aufsichtsrat ist ein zentraler Bestandteil des dualen Verwaltungssystems deutscher Aktiengesellschaften 1. Seine mangelnde Funktionsfahigkeit wird jedoch seit langem und zum Teil heftig beklagt2. Anlass gaben eine Reihe spektakulärer Unternehmenspleiten und Skandale wie zuletzt bei der Bankgesellschaft Berlin, der Philipp Holzmann AG oder der Niedergang des Neuen Marktes 3. Der Gesetzgeber reagierte auf die anhaltende Reformdiskussion Anfang der neunziger Jahre durch drei kleinere Reformwerke 4, die in ihrer Zielrichtung überwiegend begrüßt, aber als nicht weitgehend genug kritisiert wurden 5. In Nachwirkung des Falls Holzmann berief der Bundeskanzler im Juni 2000 unter Leitung von Baums die Regierungskommission „Corporate Governance: Unternehmensfuhrung — Unternehmenskontrolle — Modernisierung des Aktienrechts" 6 (ßtfwms-Kommission) 7, um mögliche Defizite des deutschen Systems aufzuzeigen und Reform Vorschläge auszuarbeiten8.
1 Die Baums-Kommission erkennt im Aufsichtsrat das für „gute Corporate Governance eines Unternehmens zentrale (...) Organ (...)", vgl. Baums, Bericht, Rn 48. S. 91. 2 Vgl. nur Bernhardt, ZHR 159 (1995), 310, 311 ff.; Hommelhoff in: Picot, Corporate Governance, S. 1, 2 f f ; Lutter, ZGR 2001, 224, 227 ff; ders., ZHR 159 (1996), 287, 294 ff; ders., NJW 1995, 1133, 1133; Roller, AG 1994,333,333. 3 Vgl. zu Skandalen als Anlass von Reformdiskussionen: Bernhardt, ZHR 159 (1995), 310, 311 ff.; Claussen, DB 1998, 177, 177; Götz, AG 1995, 337, 344; Holl, Reform des Aufsichtsrats, S. 31 ff. (Darstellung der Fälle „Metallgesellschaft", „Bremer Vulkan", „Balsam AG"); Lutter, ZHR 159 (1995), 287, 289 ff.; Wittkowski, ZHR 167 (2003), 130, 132 ff. 4 „Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts" v. 2.8.1994, BGBl. I 1961; Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) v. 27.4.1998 BGBl. I 768; Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung (NaStraG) v. 18.01.2001, BGBl. I 123. 5 Zum „Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts" Hoffmann-Becking ZIP 1995, 1, 1 ff.; Hommelhoff AG 1995, 529, 529 f f ; Lutter,, AG 1994, 429, 429 f f ; Priester, BB 1996, 333, 333 f f ; zum KonTraG Claussen, DB 1998, 177, 177 ff.; Hommelhoff/Mattheus, AG 1998, 249, 249 ff.; Zimmer, NJW 1998, 3521, 3521 ff.; zum NaStraG Grumann/Soelke, DB 2001, 576, 576 f f ; Noak, ZIP 2001, 57, 57 f f ; Seibert, ZIP 2001, 53, 53 ff. 6 Vgl. dazu den Abschlussbericht der Kommissionsarbeit, Bericht — Unternehmensführung, Unternehmenskontrolle, Modernisierung des Aktienrechts —, Bericht v.
20
Einleitung
Die „Aktienrechtsreform in Permanenz"9 fand nun, basierend auf entsprechenden Empfehlungen der itawms-Kommission10, mit dem „Transparenz- und Publizitätsgesetz" (TransPuG) 11 und der Erstellung des „Deutschen Corporate Governance Kodex" 12 (im folgenden Kodex/ DCGK) ihre Fortsetzung. Der Kodex wurde durch eine unter Vorsitz von Cromme eingesetzte Expertenkommission, der Regierungskommission „Deutscher Corporate Governance Kodex" {Cromme-Kommission) 13, nach knapp sechsmonatiger Ausarbeitung am 26.02.2002 an die Bundesministerin der Justiz übergeben. Er stellt nach seiner Präambel „wesentliche gesetzliche Vorschriften zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften (...) dar und enthält international und national anerkannte Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensfuhrung". Mit dem TransPuG wurde, u.a., § 161 AktG neu in das Aktiengesetz eingefügt. Danach sind die Verwaltungsorgane der Aktiengesellschaft verpflichtet, die sogenannte „Entsprechenserklärung" 14 abzugeben und sich darin zur Anwendung des Kodex zu äußern. Die Neuregelung steht von ihrer gesetzlichen Ausrichtung her ganz im Zeichen der Förderung von Transparenz und des Anlegervertrauens in die Funktionsfahigkeit des deutschen Systems15. Da die Entsprechenserklärung (neben 10.07.2001, BT-Drucks. 14/7515 v. 14.08.2001, S. 32; in Buchform: Baums, Bericht, Rn. 16 f., S. 61 f.; im Internet abrufbar unter: http://www.otto-schmidt.de oder http:// www.ovs.de (Stand: 15.10.2003). 7 Z.T. auch als „Kommission I" bezeichnet. 8 Vgl. dazu das Einsetzungsschreiben des Bundeskanzlers v. 29.05.2000, zitiert bei Baums, Bericht, S. 1. 9 Zurückgehend wohl mi Zöllner, AG 1994, 336, 336. 10 Baums, Bericht, Rn. 10, S. 54, Rn. 17, S. 61 f. 11 Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität vom 19.07.2002, BGBl. 2002,1, S. 2681 f f ; vgl. auch Regierungsentwurf (RegE TransPuG), abgedruckt in: NZG 2002, 213 f f ; Referentenentwurf (RefE TransPuG), abgedruckt in: NZG 2002, 78 ff. 12 Abgedruckt in: AG 2002, 236 ff. = ZIP 2002, 452 ff. = NZG 2002, 273 ff. (Ursprungsfassung v. 26.02.2002); bisherige Änderungen abgedruckt in: ZIP 2002, 2276 (Fassung vom 7.11.2002); ZIP 2003, 1316 ff. (Fassung vom 21.05.2003); stets aktualisierte Fassung im Internet abrufbar unter: http://www.corporate-governance-code.de; im neuen elektronischen Bundesanzeiger unter: http://www.ebundesanzeiger.de (Stand: 15.10.2003). 13 Z.T. auch als „Kommission II" oder „Kodex-Kommission" bezeichnet. 14 In Anlehnung an das anglo-amerikanischen Vorbild (vgl. nachfolgende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. I. 3.) wird die Erklärung auch als „Compliance-Erklärung" bezeichnet. 15 Vgl. Präambel Abs. 1 S. 2 DCGK; BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 2 1 B a u m s , Bericht, S. 1.
Einleitung dem Vorstand) vom Aufsichtsrat abzugeben ist und die Verhaltensregeln des Kodex schwerpunktmäßig seinen Aufgabenbereich fokussieren, steht im Falle eines Fehlverhaltens automatisch auch die Frage der persönlichen Haftung der Aufsichtsratsmitglieder im Raum. Die praktische Bedeutung der Aufsichtsratshaftung hat in der jüngeren Vergangenheit merklich zugenommen 1 6 , was nicht zuletzt an der zunehmenden Praxis deutscher Aktiengesellschaften deutlich wird, nach anglo-amerikanischem V o r b i l d Vermögensschadenhaftpflichtversicherungen (D&O-Versicherungen) 1 7 nicht nur für Mitglieder des Vorstands, sondern auch für die Mitglieder des Aufsichtsrats abzuschließen 18 . Fraglich ist, ob die Haftungsrisiken der Aufsichtsratsmitglieder durch Schaffung des Kodex und korrespondierender Verpflichtung zur Abgabe der Entsprechenserklärung steigen, ob also und gegebenenfalls wie Mitglieder des Aufsichtsrats haften, wenn sie gegen § 161 A k t G oder Kodexbestimmungen verstoßen. Die dazu im Vorfeld und nach Veröffentlichung des Kodex vertretenen Meinungen reichen von der Annahme der haftungsrechtlichen Irrelevanz 1 9 bis hin zur Warnung vor „unglaublichen Haftungsrisiken" 2 0 .
16 Vgl. Ihlas, Organhaftung und Haftpflichtversicherung, S. 96, mit umfangreichem Rechtsprechungsverzeichnis (Fn. 96). Vgl. dazu aber das Wort des ehemaligen Vorstandssprechers der Deutschen Bank AG, Herman Josef Abs: „Ein Aufsichtsratsmitglied zur Haftung bringen zu wollen, sei so, wie wenn man versuchte, ein eingeseiftes Schwein am Schwanz festzuhalten!" (zitiert nach Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, Rn. 982 (dort Fn. 130)). 17 Abgeleitet von „Direktors' and Officers' Liability Insurance". Vgl. zum gesamten Fragenkreis der D&O-Versicherungen Ihlas, Organhaftung und Haftpflichtversicherung; Henssler, in: Henze/Hoffmann-Becking, Gesellschaftsrecht 2001, RWS-Forum 20, S. 131 ff.; Kästner, AG 2000, 113, 113 f f ; Kiethe, BB 2003, 537, 538 ff.; Lange, DStR 2002, 1626, 1626 ff.; Sieg, DB 2002, 1759, 1759 ff. 18 Befurchtet wird teilweise eine mit dem Abschluss einer D&O-Versicherung verbundene Verringerung der mit einer persönlichen Haftung verbundenen Präventivwirkung, vgl. Baums, Bericht, Rn. 75, S. 114 f.; Hopt, GroßkommAktG, §93 Rn. 519; Kästner, AG 2000, 113, 122; a.A. Henssler, in: Henze/Hoffmann-Becking, Gesellschaftsrecht 2001, RWS-Forum 20, S. 131, 141 f.; Kollmann,, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 13. Um dem entgegenzuwirken, empfiehlt Ziffer 3.2 Abs. 2 DCGK die Vereinbarung eines angemessenen Selbstbehalts; vgl. zur nur zurückhaltenden Anwendung gerade dieser Empfehlung v. Werder, Executive Summary, S. 2, 4; zur Problematik der Bestimmung der „Angemessenheit" Lange, DB 2003, 1833, 1835 mit dem Hinweis, dass die Versicherungswirtschaft inzwischen wie bereits von vermutet {Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 394 (dort Fn. 592)) mit Entwicklung einer „D&O-Selbstbehalts-Versicherung" auf die Kodexempfehlung reagiert hat. 19 Baums, FAZ v. 23.02.2002, S. 17. 20 Lutter, FAZ v. 22.02.2002, S. 20.
22
Einleitung
Der Untersuchung soll zunächst in einem einfuhrenden Kapitel eine kurze Darstellung der wesentlichsten Entwicklungslinien, die zur Einführung des Kodex und der Entsprechenserklärung in das deutsche System führten, sowie ein Überblick über Aufbau, Inhalt und der Versuch einer rechtlichen Charakterisierung des neuen Regelungsinstruments vorangestellt werden. Überleitend zum eigentlichen Schwerpunkt der Untersuchung schließt sich ein Abriss über die in Betracht kommenden Haftungstatbestände und ihrer jeweiligen Praxisrelevanz an. Die sich anschließende Untersuchung der Innenhaftungsansprüche konzentriert sich ganz auf die zentrale Haftungsnorm der §§ 93, 116 AktG und dort auf die Ausmessung des objektiven Pflichtenkreises. Es wird zunächst die Frage untersucht, welche Pflichten den Aufsichtsratsmitgliedern durch die gesetzliche Erklärungsverpflichtung gem. § 161 AktG auferlegt werden. Zunächst ist zu klären, auf welchen Zeitraum sie sich bezieht und wie die Kompetenz zwischen den Verwaltungsorganen Aufsichtsrat und Vorstand hinsichtlich der Abgabe und inhaltlichen Bestimmung der Entsprechungserklärung verteilt ist. Neben Überlegungen zu den formalen und inhaltlichen Voraussetzungen der Erklärung kommt der Frage des Bestehens einer AktualisierungsVerpflichtung durch Abgabe einer Korrekturerklärung im Falle zwischenzeitlicher Änderungen hervorgehobene Bedeutung zu. Auch gilt es, sich möglicherweise als Annex aus der Erklärungspflicht ergebende Organisationspflichten herauszuarbeiten. Im Anschluss stellt sich die Frage, ob der Kodex selbst, also unabhängig von § 161 AktG oder gesellschaftsinterner Transformation, Einfluss auf den allgemeinen Sorgfaltsmaßstab der Aufsichtsratsmitglieder haben kann. Unterschieden wird zwischen der Entscheidung über die Abgabe eines bestimmten Erklärungsinhalts und dem späteren tatsächlichen Handeln. Im Rahmen des zweitgenannten Fragenkreises bietet sich ein Vergleich der Kodexregeln mit anderen durch private Gremien erstellten Regelwerken wie den GoB oder DIN-Normen an. Nach Überlegungen zu denkbaren kausalen Schadenspositionen, die aufgrund der Neuartigkeit des Konzepts nur prognostizierender Art sein können, richtet sich der Fokus auf die Untersuchung einer möglichen Außenhaftung der Organmitglieder wegen Abgabe einer unzutreffenden Entsprechenserklärung. In den Blickpunkt rückt dabei wegen der hohen subjektiven Anforderungen bzw. beschränkten Begehungsformen weniger ein deliktischer Anspruch, sondern vor allem der Gesichtspunkt der Vertrauenshaftung, der über die Grundsätze der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung Ansprüche von Anlegern gegen Mitglieder des Aufsichtsrats begründen könnte.
1. Kapitel
D C G K und Entsprechenserklärung A. Entstehung des Deutschen Corporate Governance Kodex Mit dem Regelungsinstrument eines privat erstellten Kodex und dessen gesetzlicher Anknüpfung durch die Entsprechenserklärung wurde eine seit mehreren Jahren andauernde Debatte um die Verbesserung der Organisation, Zielsetzung, Leitung und Kontrolle der Gesellschaft aufgegriffen. Sie wird etwa seit Mitte der neunziger Jahre in Deutschland unter dem Lehnwort „Corporate Governance" geführt und zielt auf eine Anpassung des deutschen Aktienrechts an neuere Entwicklungen ab1. I. Bedeutung und Herkunft des Regelungsinstruments „Corporate Governance Kodex" 1. Begriff,, Corporate Governance " Für den Begriff „Corporate Governance" 2 gibt es auch nach mehreren Jahren intensiver Diskussion zu dem unter diesem Titel geführten Thema keine angemessene deutsche Übersetzung 3. Er bezeichnet nach internationalem Verständnis Fragestellungen der Unternehmensleitung und -kontrolle 4 .
1 Vgl. zur Diskussion Hopt, FS Mestmäcker, 1996, S. 909, 910 ff.; ZHR-Symposium 1995 mit Beiträgen von Lutter, Bernhardt, Hoffmann-Becking Martens, ZHR 159 (1995), 287 ff. und 567 ff.; Symposium für Hopt zum 60. Geburtstag „Corporate Governance — Europäische Perspektiven" mit Beiträgen von Lutter, Davies, Hommelhoff Wymeersch,, ZGR 2001, 224 f f ; vgl. auch Behrens, FS Drobnig, S. 491, 491 („modisches Schlagwort"). 2 Wörtlich übersetzt: Unternehmensfuhrung, Unternehmensleitung, Unternehmensstruktur, auch Herrschafts- oder Verwaltungsstruktur, vgl. Dietl/Lorenz, Wörterbuch, 5. Auflage 1990; dagegen nach intensivierter betriebs- und rechtswissenschaftlicher Diskussion in der nächste Auflage (6. Aufl. 2000) übersetz als: „{angemessene) Unternehmensorganisation {zur Optimierung der Unternehmensfuhrung und -kontrolle).
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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung
Der Begriff stammt aus dem anglo-amerikanischen Rechtsraum. Dort w i r d er nicht einheitlich mit einem bestimmten Bedeutungsinhalt verwendet 5 . So werden mit dem Begriff meist die rechtliche Entscheidungsorganisation im Unternehmen durch Vorgabe der Zuständigkeiten und Aufgaben der obersten Leitungsorgane 6 , das Beziehungsgeflecht zwischen Unternehmen, Kapitalmarkt und anderen Stakeholdern (Arbeitnehmer, Lieferanten, Kunden und sonstiger Interessengruppen) 7 , aber auch die Kombination beider Aspekte bezeichnet 8 . Damit beinhaltet der Begriff mehr als nur die Beschreibung der rechtlichen Strukturen der Entscheidungs- und Überwachungsorganisation im Unternehmen 9 .
3 Berrar, Corporate Governance, S. 24 f.; Lutter, Jura 2002, 83; v. Werder/Minuth, Internationale Kodizes, S. 1. 4 Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1199. s Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 2; Peltzer, Deutsche Corporate Governance, Rn. 7; Bassen, ZBB 2002, 430, 430; Schneider, DB 2000, 2413; 2413; Schneider/Strenger, AG 2000. 106, 106. 6 Dieser Ansatz komme im britischen „Cadbury-Report" zum Ausdruck, in dem es heißt: „ Corporate Governance is the system by which companies are run. (...) Corporate Governance is the system or matrix of responsibilities of directors and shareholders by which companies are governed and controlled vgl. Report of the Committee on the Financial Aspects of Corporate Governance (Cadbury Report), London 1992, S. 3 7 Exemplarisch heißt es im britischen „ Hampel "-Report: „ Good Governance ensures that constituencies (stakeholders) with a relevant interest in the companie 's business are fully taken into account Final Report of the Committee on Corporate Governance, London 1998. Vgl. zur inhaltlichen Anreicherung des Begriffsverständnisses nach US-amerikanischem Verständnis, wenngleich tendenziell stärker auf die Interessen der „shareholder" als Eigentümer der Gesellschaft ausgerichtet Assmann, AG 1995, 289, 289; Hess, in: Feddersen/Hommelhoff/Schneider, Corporate Governance, S. 9, 10; Berrar, Corporate Governance, S. 26. Vgl. zur Auseinandersetzung um die Interessenausrichtung auf „shareholder-" und/ oder „stakeholder-value" Busse von Cölbe, ZGR 1997, 271 ff.; Groh, DB 2000, 2153, 2153 ff.; Hommelhoff FS Lutter, S. 95, 102 ff.; Kubier, FS Zöllner, S. 321 ff.; Mülbert, ZGR 1997, 129, 129 ff.; Ulmer, AcP 202 (2002), 142, 155 ff., v. Werder, ZGR 1998, 69, 69 f f ; Zimmermann/Wortmann, DB 2001, 289, 289 ff. 8 Eine umfassende Definition legt die OECD zugrunde: „Die Corporate GovernanceStrukturen umfassen die Wechselbeziehungen zwischen allen unmittelbar und mittelbar an der unternehmerischen Entscheidungsfindung beteiligten Akteuren und werden durch die institutionellen Rahmenbedingungen sowie durch das Regulierungsumfeld geprägtOECD, Wirtschaftsberichte, Deutschland, 1995, S. 152; ähnlich dies., Principles Of Corporate Governance, 1999, S. 13; ähnlich Frigge, in: Comparative Corporate Governance, S. 946 f. 9
Schneider/Strenger,
AG 2000, 106, 107.
Α. Entstehung des Deutschen Corporate Governance Kodex
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Das dem anglo-amerikanischen Rechtsraum zu entnehmende Begriffsverständnis findet bei seiner Adaption in die deutsche Rechtssprache ihren Niederschlag10. Auch in Deutschland hat sich keine allgemein gültige Definition von Corporate Governance herausgebildet 11. Im Kern geht es um die Setzung möglichst idealer Rahmenbedingungen für effiziente unternehmerische Entscheidungen12. Die itawtfw-Kommission legte ihren Untersuchungen ein relativ enges Begriffsverständnis zugrunde und definierte „Corporate Governance" als „Verhaltensmaßstäbe für Unternehmensleitung und Unternehmensüberwachung" in der Aktiengesellschaft^. Unter Hinzufügung einer bestimmten Zielsetzung versteht die wohl überwiegende Meinung in Deutschland im auch nach internationalem Verständnis akzeptierten Kern unter dem Begriff die Leitung und Kontrolle in Unternehmen, deren Ziel eine langfristige Wertschöpfung im Interesse der Anleger („Shareholder") und der anderen an der Wohlfahrt des Unternehmens Interessierten („Stakeholder") ist 14 . 2. Kein global einheitliches Modell von „ Corporate Governance" Mit Ausnahme der internationalen Übereinstimmung in den grundsätzlichen Zielen gibt es bei der inhaltlichen Ausgestaltung kein global einheitliches Modell der Coiporate Governance. Vielmehr hat jedes Land sein eigenes Modell entwickelt, das den nationalen Besonderheiten Rechnung trägt. Entscheidend für eine effektive Corporate Governance sind nicht nur die rechtlichen Vorgaben, sondern auch das institutionelle Umfeld, die Praxis der Kapitalmärkte und
10 Vgl. zum Einfluss von Anglizismen in der deutschen Rechtssprache im Sinne einer Rückwirkung der mit dem Begriff im Ausland verbundenen juristischen Inhalte: Schulze-Osterloh, ZIP 2001, 1433 ff.; satirisch Hackelmacher, WPg 1995, 147, 147. 11 Peltzer, Deutsche Corporate Governance, Rn. 8; Hucke/Ammann, DStR 2002, 689; Ρ eitzer, NZG 2002, 10, 11. n Grundmann/Mülbert, ZGR 2001, 215; ähnlich Fey, DStR 1995, 1320, 1320; Peltzer/v. Werder, AG 2001, 1, 1. 13 Baums, Bericht, Rn. 5, S. 49. Vgl. zur Kritik am nur auf die Unternehmensverfassung ausgerichtete Begriffsverständnis unter Außerachtlassung des Einflusses weiterer Faktoren (Arbeitnehmermitbestimmung, Verfassung der Arbeitsmärkte, Rolle der Banken, Ausgestaltung der Börsen, Kapitalmärkte und des Marktes allgemein) Hopt, Beiheft ZHR 71, S. 27,30. 14 Vgl. Hüffer, AktG, §76 Rn. 15a; Peltzer, Deutsche Corporate Governance, Rn. 9 ff.; Claussen/Bröcker, AG 2000, 481, 481; G rundmann/Mülbert, ZGR 2001, 215; Hopt, ZGR 2000, 779, 782; Schneider/Strenger, AG 2000, 106, 107; Schulze-Osterlohe, ZIP 2001, 1433, 1434; Steiger, M & A review 2002, 120, 120 f.; ähnlich Bassen, ZBB 2002, 430, 431; v. Werder, DB 2000, 1573, 1573.
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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung
die jeweilige Unternehmens- und Wirtschaftskultur 15. Aufgrund der von Land zu Land unterschiedlichen Rahmenbedingungen rechtlicher und tatsächlicher Art bedarf die Transformation einzelner Bestandteile der Corporate Governance des einen in das Regelungssystem eines anderen Landes einer sorgsamen Abwägung ihrer Wirkung unter jeweiliger Berücksichtigung nationaler Besonderheiten 16 . Die Abwägung kann zu dem Ergebnis fuhren, dass nationale Lösungen guter Corporate Governance so aufeinander und das Umfeld abgestimmt sind 17 , dass sich eine Änderung durch Übernahme systemfremder ausländischer Komponenten ohne gleichzeitige Änderung anderer Komponenten effizienzmindernd bzw. zumindest nicht effizienzsteigernd auswirkt 18 . 3. Anglo-amerikanische Herkunft des Regelungskonzepts „ Verhaltenskodex" Der Inhalt des Deutschen Corporate Governance Kodex ist nicht staatlich vorgegeben, sondern stellt ein Mittel der Selbstregulierung des betroffenen Verkehrskreises dar. Das Konzept eines durch private Gremiumsarbeit erstellten Verhaltenskodex anstelle einer gesetzlichen Regelung ist dem angelsächsischen Rechtskreis entnommen19. Die Entstehung von Kodizes 20 gerade im angelsächsischen Rechtsraum erklärt sich aus strukturellen Unterschieden der dortigen Rechtsordnung im Vergleich zu den kontinental-europäischen Rechtssystemen. Das spiegelt sich auch im jeweiligen Aktienrecht wieder.
15 Berrar, Corporate Governance, S. 27; Hopt, Beiheft ZHR 71, S. 27, 30; Schneider/Strenger, AG 2000, 106, 107; vgl. amüsante und treffliche Darstellung der Deutschen Corporate Governance bei Hackelmacher, Gouvernante, S. 15 f f , zum Aufsichtsrat S. 69 ff. 16 Schneider/Strenger, AG 2000, 106, 107; Seibert, AG 2002, 417, 417. 17 Vgl. zu dieser sogenannten Pfadabhängigkeit („path dépendance") der jeweiligen nationalen Corporate Governance, also des Zusammenspiels der historischen, rechtlichen und kulturellen Rahmenbedingungen: Hommelhoff ZGR 2001, 238, 263. 18 Grundmann/Mülbert, ZGR 2001, 215, 218; vgl. zum Konfliktpotential des internationalen und europäischen Konvergenzprozesses mit dem deutschen System Wiesner, BB 2003, 213, 213 ff. 19 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 18. 20 Vgl. von Beseler/Jacobs-Wüstefeld, Law Dictionary: (engl.) codex = Gesetzes-, Handschriftensammlung.
Α. Entstehung des Deutschen Corporate Governance Kodex
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a) Rechtstradition Das anglo-amerikanische Recht basiert stark auf allgemeinen Rechtsprinzipien wie Fairness, Treuepflicht und Loyalität, ohne dass die aus diesen Prinzipien erwachsenden Rechte und Pflichten im einzelnen gesetzlich festgelegt sind. Die Konkretisierung einzelner Verhaltenspflichten erfolgt nach der angelsächsischen Rechtstradition durch Richterrecht und damit maßgeblich aus der ex postPerspektive 21. Der Tradition des Fehlens gesetzlicher Vorgaben folgend genießen die Kapitalgesellschaften im anglo-amerikanischen Rechtsraum bei der Ausgestaltung ihrer Unternehmensleitung und -kontrolle weitgehende Satzungsfreiheit 22 und sind nur wenigen staatlichen Vorgaben unterworfen 23. Demgegenüber bestehen in Kontinentaleuropa, geprägt durch die römisch-rechtliche Rechtstradition, umfassend kodifizierte Regelwerke, die den Unternehmen häufig bis ins einzelne die Ausgestaltung der Corporate Governance großteils zwingend (vgl. § 25 AktG) vorgeben 24. Die Konkretisierung einzelner Verhaltenspflichten ist damit in ungleich höherem Maße durch staatliche Vorgaben bestimmt. b) Externe und interne Corporate Governance Entsprechend der unterschiedlichen Regelungsdichte lässt sich eine unterschiedliche Ausrichtung der jeweiligen Corporate Governance-Grundkonzepte gegenüberstellen 25. Die USA und Großbritannien vertrauen weitgehend auf eine externe Steuerung der Unternehmenskontrolle durch den Kapitalmarkt. Dieser 21
Erhard/Nowak,, AG 2002, 336, 337. Berg/Stöcker, W M 2002, 1569; Davies, ZGR 2001, 268, 276; Ρ luta, WPgSonderheft 2001, 114; Schneider, DB 2000, 2413, 2415; Schneider/Strenger, AG 2000, 106, 107; Seibert, BB 2002, 581. 23 Berrar, Corporate Governance, S. 117 f.; Hess, in: Feddersen/Hommelhoff/ Schneider, Corporate Governance, S. 9, 11 f.; Schneider/Strenger, AG 2000, 106, 107. Insbesondere das Gesellschaftsrecht des US-Bundesstaates Delaware ist sehr wenig restriktiv und gibt den Unternehmen ohne weitere Regelungen lediglich vor, dass ein board die Angelegenheiten der Gesellschaft regeln soll. Diese weitgehende Gestaltungsfreiheit ist Grund für die Eintragung einer sehr großen Zahl an Publikumsgesellschaften in diesem Bundesstaat. Vgl. aber zur Zunahme der Regelungsintensität durch den Sarbanes-Oxley Act Gruson/Kubicek, AG 2003, 337 f f , 393 ff. 22
24 Schneider, DB 2000, 2413, 2415; vgl. zum darauf fußenden unterschiedlichen Bedürfnis nach Kodizes Kronke, FS Lutter, S. 1449, 1460. 25 Berrar, Corporate Governance, S. 38 f.; Hopt., ZGR 2000, 779, 780 ff.; Lutter, Jura 2002, 83, 86; Schmidt./Grohs, in: Grundmann, Systembildung, S. 145, 149; Teichmann, ZGR 2001 645, 646; kritisch hinsichtlich der Unterschiedlichkeit der Systeme in der gelebten Praxis Seibert, AG 2002, 417.
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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung
Ansatz setzt auf die Marktkräfte. Er zielt damit in erster Linie auf die Unternehmen, die an der Börse gehandelt werden, wo verschiedene Steuerungsmechanismen (Aktienoptionsprogramme, Übernahmedrohung u.a.) Wirkung entfalten 26 . Demgegenüber haben die meisten kontinentaleuropäischen Länder gesetzliche Systeme einer Unternehmens internen Struktur der „checks and balance" geschaffen 27. Die Kontrolle der Unternehmensfuhrung ist weniger auf einen gut funktionierenden Kapitalmarkt als vielmehr auf interne Mechanismen, insbesondere Großaktionäre, Hausbanken und andere personelle Verflechtungen angewiesen28. In Deutschland fußt das interne System maßgeblich auf der zwingenden Existenz des Aufsichtsrats, der die Interessen der Anteilseigner und anderen „stakeholder" gegenüber der Geschäftsleitung zu wahren hat 29 . c) Anglo-amerikanische Kodizes als Folge des dortigen Regelungssystems Mangels gesetzlicher Vorgaben im anglo-amerikanischen Rechtsraum und der damit gewonnen Flexibilität fehlt es an konkreten Vorgaben für die Leitungs- und Kontrollfunktionen im einstufigen „board of directors". Es muss eine anderweitige Regelung der Aufgabenverteilung getroffen werden; zugleich erscheint aus Sicht der Anleger eine gewisse (Selbst-)Bindung zweckmäßig30. Um den Unternehmen detailliertere Anleitungen für die Ausgestaltung ihrer Corporate Governance an die Hand zu geben, wurden Verhaltenskodizes durch private Gremien aus dem betroffenen Verkehrskreis selbst erstellt 31. In einem System 26 Berrar, Corporate Governance, S. 38; Mülber ti Birke, W M 2001, 705, 707; Teichmann, ZGR 2001,645,647. 27 Vgl. aber zu der zunehmenden Ausrichtung des deutschen Gesellschafitsrechts hin auf ein Kapitalmarktrecht Möllers, AG 1999, 433, 434 f f ; ausfuhrliche Darstellung der Entwicklungslinien ders, ZGR 1997, 334 ff. 28 Berrar, Corporate Governance, S. 38. 29 Teichmann, ZGR 2001, 645, 647. 30 Schulze-Osterloh, ZIP 2001, 1433, 1436. 31 Vgl. mit Blick auf Großbritannien: „Cadbury-Report" (Report of the Committee on the Financial Aspekts of Corporate Governance, London, 1992); „Hampel-Report" (Final Report of the Committee on Corporate Governance, London, 1998); „TurnbullReport" (Institute of Chartered Accountants in England and Wales, Internal Control: Guidance for Direktors on the Combined Code, London, 1999), im Intenet abrufbar unter: http://www.icaew.co.uk/internalcontrol (Stand: 15.10.2003); zuletzt auf Vorschlag des „Hampel-Reports" der die Ergebnisse des „Cadbury-" und „Greenburry-Reports" zusammenfassende „Combined Code" (The Combined Code: Principles of Good Governance and Code of best Practice derived on the Committe on Corporate Governance from the Commitee's Final Report and from the Cadbury and Greenburry-Reports, London, June 1998). Vgl. dazu Davies, ZGR 2001, 268, 269 ff.; Pohle/von Werder , in:
Α. Entstehung des Deutschen Corporate Governance Kodex
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mit weitgehend dispositivem Gesellschaftsrecht besteht also ein strukturbedingt größeres Bedürfnis nach mehr oder weniger verbindlichen Vorgaben guter Corporate Governance 32, als es aufgrund der höheren Regelungsdichte in Kontinentaleuropa der Fall ist3^. Die auf eine externe Kontrolle ausgerichtete Corporate GovernancePhilosopie des anglo-amerikanischen Rechtsraumes begünstigt die dortige Entwicklung privat erstellter Verhaltenskodizes als wirksames Regelungsinstitut. Der in den USA und Großbritannien traditionell stark entwickelte Kapitalmarkt sanktioniert ein Verhalten, dass nach Auffassung der Anleger gegen Grundsätze einer erfolgversprechenden Corporate Governance verstößt 34. Diese Sanktion, die auf dem freien Entschluss der Anleger hinsichtlich des Erwerbs oder der Veräußerung von Anteilen basiert, erfolgt unabhängig davon, ob die Grundsätze auf staatlich vorgegebenen Gesetzen oder privat erstellten Regelwerken beruhen. Ausschlaggebend ist allein die Akzeptanz des Regelwerkes als Verhaltenskanon „guter" Corporate Governance auf dem Kapitalmarkt. Findet ein privat erstellter Verhaltenskodex bei den Anlegern die gleiche oder sogar noch höhere Akzeptanz als gesetzliche Vorgaben, ist ein solcher Kodex als Regelungsinstitut ebenso gut bzw. sogar besser geeignet. Sind die Strukturen eines funktionierenden Kapitalmarktes demgegenüber nicht so gut entwickelt wie in den USA und Großbritannien, vermag der Kapitalmarkt bei Verstößen gegen private Kodizes keinen entsprechenden Druck zur Einhaltung der Verhaltenspflichten auf die Unternehmen auszuüben35.
Fuffner, Corporate Governance, S. 735, 741 f. Vgl. zur Erstellung der Regelwerke als Reaktion auf aufgetretene Missstände Davies, ZGR 2001, 268, 270; vgl. mit Blick auf die USA als Reaktion auf die Fälle Enron und WordlCom Erstellung des „SarbanesOxley Act" v. 30.07.2002, im Internet abrufbar unter: http://www.thomas.loc.gov.com (Stand: 15.10.2003); dazu und zu den Auswirkungen für deutsche Aktiengesellschaften eingehend Gruson/Kubicek,, AG 2003, 337 f f , 393 ff. 32
Baums, Bericht, Rn 5, S. 50; Schulze-Osterloh, ZIP 2001, 1433, 1436. Erhardt/Nowak, AG 2000, 336, 337; Sünner, AG 2000, 492, 492; einen Verhaltenskodex für das deutsche Rechtssystem deshalb ablehnend Hüffer, AktG, § 76 Rn. 15b. 34 Vgl. etwa Kronke, FS Lutter, S. 1449, 1459. 35 Vgl. dazu beispielhaft die unterschiedlichen Erfahrungen Deutschlands und Großbritanniens mit den (jeweils freiwilligen) Übernahmekodizes: Während das Konzept in GB fruchtete, wurde es hierzulande mit dem am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen „ Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen" und dem in dessen Art. 1 enthaltenen Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) durch eine gesetzliche Regelung ersetzt, BGBl. I, S. 3822 ff., vgl. dazu Hirte, in: KölnKommWpÜG, Einleitung, Rn. 42 ff. 33
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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung
II. Neuere Entwicklungen als Anlass für den Deutschen Corporate Governance Kodex und die Entsprechenserklärung Lässt sich die Entstehung privater Kodizes im anglo-amerikanischen Rechtsraum mit den dortigen Rahmenbedingungen erklären, ist eine Übernahme des Regelungsinstruments in das System der deutschen Corporate Governance nur dann angeraten und erfolgversprechend, wenn es auch hierzulande positive Wirkung zu entfalten vermag. Das gilt insbesondere auch für die viel kritisierte Tätigkeit der Aufsichtsräte. Das deutsche System der aktienrechtlichen Unternehmens Verfassung hat sich unter landesspezifischen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen herausgebildet. Unter diesen Bedingungen wurden in der Vergangenheit mit dem Konzept weitgehend zwingenden Gesetzesrechts beachtliche Erfolge erzielt. In den letzten Jahren ist jedoch ein Wandel der bisherigen Rahmenbedingungen zu verzeichnen, der nicht ohne Einfluss auf die deutsche Corporate Governance ist. 1. Änderung der äußeren Bedingungen Bei genauerer Betrachtung der rechtstatsächlichen äußeren Bedingungen zeichnet sich eine Reihe von teilweise kurzfristigen Einflüssen, teilweise jedoch auch langfristigen Veränderungen ab, die den Ruf nach weiteren Reformen nicht verstummen lassen. a) Spektakuläre Unternehmenszusammenbrüche Auslöser 36 fur die intensivierte Diskussion um eine Verbesserung der Corporate Governance waren die einleitend erwähnten spektakulären Unternehmenszusammenbrüche. Man mag es bedauern, dass Reformen im Gesellschaftsrecht meist skandalgetrieben sind. Dieser Befund deckt sich aber mit internationalen Erfahrungen, wie die Entstehungsgeschichten des „Cadbury Report" 37 in Großbritannien ausweislich seiner ausdrücklichen Bezugnahme auf die Max-
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Huecke/Ammann, DStR 2002, 689; Ulmer, ZHR 163 (1999), 290, 292. Report of the Committee on the Financial Aspects of Corporate Governance (Cadbury Report), London 1992, Preface. jl
Α. Entstehung des Deutschen Corporate Governance Kodex
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well-Affäre oder des „Sarbanes-Oxley Act" 3 8 in den USA aus Anlass der Pleiten von Enron und WorldCom illustrieren. b) Unternehmensfinanzierung Mit Blick auf hintergründigere Entwicklungen lässt sich feststellen, dass zuletzt in Deutschland ein Wandel in der Unternehmensfinanzierung zu verzeichnen ist. Fremdfinanzierung und Innenwachstum verlieren, Eigenkapitalbeschaffung über die Kapitalmärkte gewinnt an Bedeutung39. In den zurückliegenden Jahrzehnten wurden Eigenkapitalemissionen selten und allenfalls von einigen wenigen, sehr großen und etablierten Gesellschaften durchgeführt. Die Finanzierung erfolgte im wesentlichen über einbehaltene Gewinne oder über die Hausbanken durch Fremdkapital. Anfang der 90er Jahre setzte ein Umdenken ein. Der Kapitalbedarf wurde mehr und mehr durch Aktienemissionen bestehender Aktiengesellschaften, vermehrt auch Neuemissionen befriedigt 40 . Diese Entwicklung wird nicht zuletzt durch den starken zahlenmäßigen Zuwachs der Gesellschaftsform Aktiengesellschaft dokumentiert. Deren Zahl belief sich jahrzehntelang stabil bei etwa zweitausendfunfhundert bis dreitausend Gesellschaften und hat sich ab Mitte der 90er Jahre auf nunmehr etwa zehntausend Gesellschaften erhöht 41. c) Zusammensetzung des Aktionärskreises, Globalisierung der Finanzmärkte Das Bedürfnis der Gesellschaften nach Kapital korrespondiert angesichts sinkender Inflationsraten und fallender Zinsen mit einem erhöhten Interesse an Aktieninvestitionen auf Seiten der Anleger und führte zu einem starken Anstieg der Anzahl an Aktionären 42 . Insbesondere steigt der von institutionellen Investoren wie Versicherungsund Kapitalanlagegesellschaften, Pensions- und Investmentfonds gehaltene 38 Vgl. dazu etwa Gruson/Kubicek, AG 2003, 337 f f , 393 ff.; Lanfermann/Maul, DB 2002, 1725 ff. 39 Peltzer, Deutsche Corporate Governance, Rn. 7; Lutter, Jura 2002, 83, 85; Seibert, AG 2002, 417, 418; ders. W M 1997, 1, 1. 40 Lutter, Jura 2002, 83,85. 41 Hansen, AG-Report 2001,67, 67. 42 Seibert, AG 2002,417,418.
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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung
Anteil am Aktienbesitz stark an 43 . So belief sich Ende 1999 der Anteil institutioneller Anleger an den Aktien inländischer börsennotierter Gesellschaften auf durchschnittlich ca. 45 %, bei DAX-Gesellschaften sogar auf ca. 60 bis 80 % . Gleichzeitig ging der Anteil der in Deutschland traditionell vorherrschenden Großaktionäre (sog. „blockholder") wie Familien, Banken, Versicherungen und wechselseitige Beteiligungen tendenziell zurück 45 . Durch diese Entwicklung hat sich die Zusammensetzung der Anteilseigner deutlich verändert. Die Folge ist eine sehr viel stärkere Streuung des Aktienbesitzes, wie es in den USA und Großbritannien traditionell schon immer der Fall war 46 . d) Internationalisierung Der Aktionärskreis wird im Zuge der Globalisierung der Finanzmärkte immer internationaler. Der Auslandsbesitz an deutschen börsennotierten Aktiengesellschaften, insbesondere DAX-Gesellschaften, erreicht häufig Werte von 30 bis über 50 % 4 7 . Gerade anglo-amerikanische Publikums- und Pensionsfonds 48 verfügen über für den deutschen Kapitalmarkt kaum vorstellbare Kapitalmen-
43 Vgl. zu den Folgen der Institutionalisierung Schneider, AG 1990, 317, 318 f f ; Ulmer, ZHR 163 (1999), 290, 322. 44 Deutsches Aktieninstitut, DAI-Factbook 2000, TZ. 09.1-3-b und Tz. 08.5-1, S. 33 ff. 45 Deutsches Aktieninstitut, DAI-Factbook 2000, Tz. 08.1-3-c. Vgl. zu den Gründen wie Relativierung des Vollmachtsstimmrechts der Banken durch das NaStraG, Umstrukturierungsprozesse der Unternehmen mit Konzentration auf das Kerngeschäft und einhergehender Veräußerung von Beteiligungen an anderen Gesellschaften, zunehmende Betonung des „Shareholder-Value"-Konzepts; Drohpotential feindlicher Übernahmestrategien für Vorstandsmitglieder der Zielgesellschaft, u.a. Grumann/Soelke, DB 2001, 576, 576; Kronke, FS Lutter, S. 1449, 1460; MülbertfBxxte, W M 2001, 705, 707; Ν oak, ZIP 2001, 57, 57; Seibert, ZIP 2001, 53, 53; Teichmann, ZGR 2001, 645, 647; Ulmer, AcP 202 (2002), 143, 145; Wymeersch, ZGR 2001, 294, 299. 46 Teichmann, ZGR 2001, 645, 651. Nach einer dort wiedergegebenen Untersuchung der „European Corporate Governance Network" vereint in Großbritannien der bedeutendste Aktionär nur selten mehr als 10 %, in den USA sogar nur selten mehr als 6 % der Stimmen auf sich. Vgl. Gegenüberstellung der Struktur des Anteilsbesitzes verschiedener europäischer Länder bei Wymeersch, AG 1995, 299, 302 ff. 47 DAI-Factbook 2000, Tz. 08.5-1 S. 33 ff. (Deutsches Aktieninstitut). 48 Genannt seien an dieser Stelle US-amerikanische Pensionsfonds wie CalPERS (California Public Retirement System) oder TIAACREF (Teachers Insurance and Annuity Association College Retirement Equities Fund). Vgl. dazu Monks, in: Feddersen/Hommelhoff/Schneider, Corporate Governance, S. 331, 334 ff.
Α. Entstehung des Deutschen Corporate Governance Kodex
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gen und damit über herausragenden Einfluss auf die internationalen Kapitalströme 49. 2. Wirkung dieser Veränderungen a) Wettbewerb Die deutschen Gesellschaften stehen in ihrer Nachfrage nach Kapital im weltweiten Wettbewerb mit alternativen Anlageformen. Sie müssen nicht nur die deutschen Anleger, die wesentlich weiter international streuen und stärker diversizifieren als früher, von Investitionen in inländische Gesellschaften überzeugen, sondern auch die infolge ihrer Finanzkraft besonders interessanten internationalen institutionellen Anleger. Letztere sind allerdings die international üblichen anglo-amerikanischen Standards und Regelungsmuster gewohnt. Die nach Auffassung dieser Anleger wichtigen Faktoren gewinnen im Wettbewerb der Unternehmen um Risikokapital deshalb besonderes Gewicht 50 . b) Internationale Regelungsmuster Es lässt sich feststellen, dass ausländische Investoren sich nicht stets die Mühe machen, das durch positive Normen stark kodifizierte und über mehrere Gesetze verteilte deutsche Aktienrecht zu studieren, um das System der deutschen „Corporate Governance" zu verstehen. Das vom anglo-amerikanischen System mit einstufigem „board of directors" und Darstellung der firmeneigenen Unternehmensverfassung in Kodizes abweichende deutsche Regelungsmodell der Zweistufigkeit von Vorstand und Aufsichtsrat („two tier system")51, ausgeprägter gesetzlicher Kodifizierung mit hoher Abstraktion, echter Mitbestimmung durch das MitbestG 1976 und weitgehender Satzungsstrenge (§23 Abs. 5 AktG) erscheint fremd. Dem deutschen System wird teilweise mit Misstrauen, teilweise mit Desinteresse begegnet52. Weiter ist die Praxis gerade der großen
49 Im Jahr 2000 wurde das weltweite Anlagevolumen der Publikumsfonds auf ca. 12,2 Billionen Dollar (Quelle: Investment Company Institute, 1. Quartal 2000), das der Pensionsfonds auf rund 14 Billionen Dollar (Quelle: Studie der Dresdner Bank, Bedeutung von Pensionsfonds — ein internationaler Vergleich, 2000) geschätzt (zitiert nach Schneider, DB 2000, 2414). 50 Claussen/Bröcker, AG 2000, 481, 481; Lutter, Jura 2002, 83, 85; Strenger, Die Mitbestimmung 6/2002, 17, 17 f. 51 Vgl. dazu Kort, in: GroßkommAktG, § 76 Rn. 21 ff. 52 Schneider, DB 2000, 2413, 2415; Schneider/Strenger, AG 2000, 106, 108; Schuppen, DB 2002, 1117, 1117; Seibert, BB 2002, 581: ders. AG 2002, 417, 418.
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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung
amerikanischen Pensions- und Kapitalanlagefonds zu berücksichtigen, ihre Anlageentscheidung nicht ausschließlich von guten Finanzergebnissen abhängig zu machen, sondern zunehmend i m Rahmen einer „ganzheitlichen Betrachtung" auf „soft factors" wie die Umsetzung einer anspruchsvollen „Corporate Governance" abzustellen 53 . Danach w i r d die Corporate Governance für (ausländische) institutionelle Investoren ein wesentliches Kriterium bei der Auswahl eines Unternehmens im Rahmen der Investitionsentscheidung 54 . Nach den i m anglo-amerikanischen Rechtskreis bekannten Regelungsmuster ist eine gute Corporate Governance in einem entsprechenden Kodex der Gesellschaft niedergelegt 5 5 . Deren Umsetzung zahlt sich für die Gesellschaft insoweit aus, als dass nach Studien von M c K i n s e y 5 6 Marktteilnehmer dann bereit sind, höhere
53 Kort, in: GroßkommAktG, vor § 76 Rn. 35; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 18; Baums, Bericht, Fn. 5, S. 49; Breuer, Die Bank 2001, 544, 545; Davies, ZGR 2001, 268, 279 (in Bezug auf den „Combined Code"); Köstler/Müller, Die Mitbestimmung 3/2002, 50, 50; Schneider, DB 2000, 2413, 2415; Schwarz/Holland, ZIP 2002, 1661, 1661; Strenger, Die Mitbestimmung 6/2002, 17, 17 f.; Volk, DStR 2001, 412, 416. 54 In den USA erachten nach einer Umfrage bei über 200 institutionellen Anlegern 50 % der Befragten eine transparente Unternehmensführung, die über einen entsprechenden Kodex erzeugt wird, bei der Anlageentscheidung als genau so wichtig wie die Unternehmenszahlen; für 7 % ist die Corporate Governance sogar wichtiger als eine gute Performance, in Westeuropa sei das sogar bei 15 % der Investoren der Fall (zitiert nach WirtschaftsWoche Nr. 30 v. 18.07.2002, „Corporate Governance — Gute Unternehmensführung zahlt sich aus", S. 77); zu einer nationalen Studie vgl. Bassen, ZBB 2002, 430, 430 ff. 55 In den USA gibt es zwar keinen allgemein anerkannten „Corporate Governance Kodex", doch haben etwa die unternehmenseigenen Kodizes von General Moters oder Campbell Soup einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht, vgl. Ρ eitzer, Deutsche Corporate Governance, Rn. 12. 56 Vgl. Studie McKinsey & Company (Ed.), Global Investor Option Survey on Corporate Governance, July 2002, im Internet abrufbar unter: http://www.mckinsey.com/ practices/CorporateGovernance/index.asp (Stand: 15.10.2003), sowie Studie aus Juni 2000, im Internet abrufbar unter: http://www.207.237.113.94/features /investoroptionindex.html (Stand: 15.10.2003); vgl. zu ältere Untersuchungen, nach denen Investoren zwischen 11 % und 16 % mehr zu zahlen bereit waren Felten/Hutnut/Van Heeckeren, in: The McKinsey Quarterley, 1996, Nr. 4, S. 170; vgl. auch Studie der US-Uni versitäten Harvard und Wharton von 24 Corporate Governance-Elementen bei 1500 Unternehmen über einen Zeitraum von 10 Jahren, wonach Gesellschaften mit „sehr guter" gegenüber denen mit schlechter Governance um 8,5 % besser abschnitten, vgl. Gompers, Paul A./Ishii, Joy L./Metrick, Andrew, Corporate Governance and Equity Prices, NBER Working Paper No. 8449, August 2001 (zitiert nach Strenger, Die Mitbestimmung 6/2002, 17, 17 (dort Fn. 3).
Α. Entstehung des Deutschen Corporate Governance Kodex
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Preise zu zahlen, was sich in Prämien auf den Aktienkurs von bis zu 20 % 5 7 niederschlage 58. Wegweisend in Europa war Großbritannien, wo aufbauend auf den CadburyReport 1992 im Jahr 2000 von einem privaten Gremium der „Combined Code" als von den an der Londoner Börse notierten Unternehmen zu beachtender Mindeststandard veröffentlicht wurde 59 . Dem Beispiel folgend wurden in vielen anderen europäischen Ländern, so in Frankreich 60, Belgien, Spanien, den Niederlanden und Italien 61 ebenfalls Verhaltenskodizes entwickelt 62 . Zudem legte die OECD 63 im Jahr 1999 ihren Bericht 64 über Grundsätze der Corporate Governance vor, der die Auffassung der Mitgliedstaaten über gute Corporate Governance-Praktiken wiedergibt 65 . Aus der Unkenntnis internationaler Investoren über den eigentlichen Inhalt des deutschen Systems und deren Erwartung, dass es sich in einem Kodex wiederfindet, resultiert ein Wettbewerbsnachteil deutscher Unternehmen bei der Nachfrage nach Kapital zur Eigenfinanzierung. Der Nachteil ist rein faktischer Art und besteht unabhängig davon, ob nun das kontinentale deutsche oder das anglo-amerikanische System der Corporate Gov-
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Vorzitierte Studie aus Juni 2000, S. 16. Vgl. zur Entwicklung Fey, WPg 2000, 1097, 1100; Schwarz/Holland, ZIP 2002, 1661; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 169. 59 Vgl. Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 18; Schneider, DB 2000, 2413, 2415. 60 Hellebuyck Commission on Corporate Governence, „Recommendations on Corporate Governance" (AFG), Association Française de la Gestion Francière: Paris, June 1998, ergänzt 2001, im Internet abrufbar unter:: http://www.ecgi.org/codes/country _documents/france/afg_asfff_amendet_2001.pdf (Stand: 15.10.2003); dazu Thüsing, ZGR 2003, 450, 461 ff. 61 „Code of Conduct", Oktober 1999. 62 Baums, in: Bericht, Rn. 5, S. 50; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 18; Vgl. Liste der weltweiten Projekte vgl. Veröffentlichung der European Corporate Governance Network unter: http://www.ecgn.ulb.ac.be/ecgn/codes.htp (Stand: 15.10.2003); Überblick über weltweit bestehende „Principles of Best Practice" vgl. Veröffentlichung der Weltbank unter: http://www.worldbank.org/html/fpd/privatesector/cg/codes.htm . (Stand: 15.10.2003). 63 Organisation for Ecomomic Cooperation and Developement. 64 Abgedruckt in: AG 1999, 340 ff.; dazu Hommelhoff, ZGR 2001, 238 ff.; Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 4; Seibert, AG 1999, 337, 337 ff. 65 Diese „OECD-Principes of Corporate Governance" richten sich dabei weniger an die westlichen Industrienationen, sondern vorrangig an die aufstrebenden Länder in Asien, Osteuropa und Lateinamerika, vgl. dazu Hommelhoff, ZGR 2001, 238, 239; Schneider/Strenger, DB 2000, 2413, 2414; Seibert, AG 1999, 337, 339; Pohle/v. Werder, in: Ruffner, Corporate Governance, 735, 740 f. 58
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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung
ernance „besser" oder „effektiver" ist 66 . Um das Risiko voneinander abweichender Regelungssysteme67 zu reduzieren, fordern internationale Investoren die Befolgung der von den führenden Finanzmärkten gesetzten Standards und lehnen andere Konzepte allein wegen ihrer Abweichung zunehmend ab. Aufgrund der Dominanz der nordamerikanischen Märkte gewinnt die Erfüllung der dort herrschenden Standards im Gesamtsystem der internationalen Investitionen mehr und mehr an Bedeutung68. Eine „gute" Corporate Governance beeinflusst über die vorstehend dargelegten Wirkungsmechanismen hinaus nicht nur die Eigen- 69 , sondern zunehmend auch die Fremdkapitalkosten der Unternehmen, nachdem die führenden anglo-amerikanischen Rating-Agenturen wie Standart & Poor's, Moodey und Finch die Analyse der Corporate Governance von Unternehmen zu einem Teil des Bewertungsprozesses gemacht haben70. Diese Entwicklung dürfte durch die Verabschiedung der neuen Eigenkapitalvereinbarung des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht („Basel II") verstärkt werden. Danach sind Kredite nicht mehr wie bisher nur mit acht Prozent Eigenkapital zu unterlegen, sondern die Eigenkapitalanforderungen richten sich stärker an der Bonität des jeweiligen Kreditkunden aus71. Die Banken werden deshalb bei jeder Kreditvergabe zur Einschätzung der Ausfallwahrscheinlichkeit ein Rating durchführen. Offen ist,
66 Nach überwiegender Ansicht hat sich keines der Organisationssysteme für Unternehmen als signifikant besser erwiesen. Beide Modelle haben ihre jeweiligen Vor- und Nachteile, illustriert durch die in beiden Systemen aufgetretenen spektakulären Unternehmenszusammenbrüche. Vgl. dazu Berrar, Corporate Governance, S. 50 f. ; Davies, ZGR 2001, 268, 289 f.; Dörner/Oser, DB 1995, 1085, 1088; Lutter, ZHR 1995, 287, 297; ders., AG 1994, 176, 176; Möllers, ZIP 1995, 1725, 1727; Roller, AG 1994, 333, 333; Schiessel', AG 2002, 593, 593; Seibert, W M 1997, 1, 2; Teichmann, ZGR 2001, 645, 650; a.A. Kaplan, Corporate Governance 1996, 195, 203 (leichte Bevorzugung des US-amerikanischen Modells); ausfuhrlicher Systemvergleich bei Potthoff, BFuP 1996, 253, 253 ff. 67 Vgl. zu Schaffung der „Societas Europaea" als gemeinschaftsrechtlicher Rechtsform der EU Hirte, NZG 2002, 1, 1 ff. 68 Wymeersch, ZGR 2001, 294, 312. 69 Vgl. zu entsprechenden statistisch abgesicherten Erkenntnissen die in Kooperation mit der Deutschen Börse AG erstellte Studie der WHU — Otto-Beisheim-Hochschule — (zitiert nach Dr obetz/Schillhof er, FAZ v. 13. Januar 2003, Nr. 10, S. 20). 70 Däubler, NJW 2003, 1096 f. Strenger, FAZ v. 26.10.2002, Nr. 249, S. 21; vgl. zur Art und Weise der Durchführung des Rating-Verfahrens und den rechtlichen Rahmenbedingungen Deipenbrock, BB 2003, 1849, 1849 f.; Everling/Heinke, in: Gerke/Steiner, HWF, S. 1757 ff. 71 Vgl. umfassend Paul/Stein, Rating, passim.
Α. Entstehung des Deutschen Corporate Governance Kodex
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inwieweit dabei eine „gute" Corporate Governance Berücksichtigung finden wird 72 . c) Verstärkung des „Prinzipal-Agent"-Konflikts Folge der weiter gefächerten Streuung der Aktien auf eine Vielzahl von Privatanlegern mit kleinerem Beteiligungsbesitz bzw. auf institutionelle Anleger mit oft sehr kurzfristigen Investitionen ist eine zunehmende Fluktuation der Anleger und ein Rückgang langfristigen Beteiligungsbesitzes. Das deutsche Kontrollsystem basiert jedoch maßgeblich auf dem Vorhandensein einflussreicher Großaktionäre und Banken, die ihren Einfluss über einen längeren Zeitraum über Ämter im Aufsichtsrat oder Stimmen in der Hauptversammlung geltend machen und so den Vorstand überwachen können 73 . Befinden sich mehr und mehr Aktienanteile in (internationalem) Streubesitz, hat die geringere Bündelung der Verftigungsmacht der Anteilseigner einen Verlust an Einfluss zur Folge. Es kommt zu einer Vergrößerung der Distanz zwischen Eigentum und Verfügungsmacht („Principal-Agent-Konflikt") 74 mit dem Risiko eines Überwachungs-Freiraums 75. Die Kontrolllücke wird auch nicht durch den großen Anteilsbesitz und daraus resultierenden Einfluss institutioneller Anleger wettgemacht, da trotz des faktisch hohen Stimmgewichts in der Hauptversammlung die Verbindung zu Vorstand und Aufsichtsrat nicht so eng ist wie bei Innehabung eines Sitzes im Aufsichtsrat. Eine Mitgliedschaft im Kontrollgremium Aufsichtsrat wird von institutionellen Anlegern aus sehr verschiedenen Gründen (Einsatz von Mitteln 76 ,
72 Kritisch zur Berücksichtigung des Kodex beim Rating Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 17. So ist der Beitrag der Corporate Governance auf den Gesamtertrag einer Aktie streitig, vgl. Kort, in: GroßkommAktG, vor § 76 Rn. 36; Wymeersch, ZRG 2001, 294, 314 m.w.N. 73 Berrar, Corporate Governance, S. 38; Davies, ZGR 2001, 268, 290 f., 293; Teichmann, ZGR 2001, 645, 653. 74 Der Begriff bezeichnet die Konfliktsituation, in der das Unternehmen nicht vom Eigentümer („principal"), sondern durch externe Geschäftsführer („agents") geleitet wird, die zwar rechtlich auf das Unternehmensinteresse verpflichtet sind, faktisch aber auch zum Teil divergierende eigene Interessen verfolgen. Vgl. grundlegend JensenJMeckling, in: Journal of Financial Economics, 3 (1976), S. 305, 308, 312 ff.; dazu Kort, in: GroßkommAktG, vor § 76 Rn. 37; Berrar, Corporate Governance, S. 28 f. m.w.N.; Teichmann, ZGR 2001, 645, 646. 75 Seibert, AG 2002, 417, 418; ders. W M 1997, 1, 2. 76 Davies, ZGR 2001, 268, 279; Hopt, in: Comparitive Corporate Governance, S. 227, 252.
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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung
rechtliche 77 und politische Risiken, Problem von Interessenkonflikten) ebenso wie eine allzu aktive Einflussnahme auf den Gang der Hauptversammlung durch Ausübung von Stimmrechten nicht angestrebt 78. Der Einfluss institutioneller Anleger vollzieht sich eher indirekt und kann hinsichtlich seiner Relevanz als Kontrollinstrument nur schwer eingeschätzt werden 79. III. Ausarbeitung privater Kodizes in Deutschland Als Reaktion auf die vorstehend dargestellten, unter den Oberbegriffen Globalisierung und Internationalisierung geführten Veränderungen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, setzte sich in Deutschland die Auffassung durch, die bei grundsätzlicher Beibehaltung des deutschen Systems für eine Formulierung ergänzender Corporate-Governance-Standards plädierte 80 . Die erarbeiteten privaten Kodex-Konzepte nahmen sich zum einen zum Ziel, die aus Sicht ausländischer Investoren unübersichtliche deutsche Gesetzeslage in verständlicher Form zusammenzufassen und damit den Zugang zum Verständnis des bestehenden deutschen Corporate Governance Systems zu erleichtern. Zugleich sollte der internationalen — zunehmend auch nationalen — Erwartung der Existenz eines Kodex als Zeichen guter Corporate Governance entsprochen werden 81. Den Anfang machte im Januar 2000 die Grundsatzkommission Corporate Governance 82 (abgeleitet vom Sitz der Universität des Vorsitzenden Baums im 77 Z.B. könnten die gesetzlichen Vorschriften zum Insiderhandel die Freiheit der institutionellen Anleger zum Handel mit den Anteilen beschränken, vgl. Davies, ZGR 2001, 268, 280; Teichmann, ZGR 2001, 645, 655; Wymeersch, ZGR 2001, 294, 317. 78 Davies, ZGR 2001, 268, 279, 290; 79 Ulmer, ZHR 163 (1999), 290, 322. 80 Lutter, ZGR 2000, S. 1, 18; Potthoff, DB 1995, 163, 163 f.; Sünner, AG 2000, 492, 498; Wiese, DB 2000, 1901, 1903; zur Entwicklung in Deutschland Kort, in: GroßkommAktG, vor § 76 Rn. 38. 81 Breuer, Die Bank 2001, 544, 546. 82 Der Kommission gehörten an (Unterstreichung bei späterer Mitgliedschaft in der Baums-Kommission; kursiv bei späterer Mitgliedschaft in der Kodex-Kommission): Prof. Dr. Theodor Baums (Universität Osnabrück); Prof. Dr. Dieter Feddersen (Rechtsanwalt und Notar); Dr. Ulrich Hartmann (Vorsitzender des Vorstands VEBA AG, jetzt E.on AG); Robert Köhler (Vorsitzender des Vorstands SGL Carbon AG); Ulrich Hocker (Hauptgeschäftsführer Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz); Prof. Dr. Dieter Nonnenmacher (Mitglied Vorstand KPMG Deutsche Treuhand-Gesellschaft); Prof. Dr. Rüdiger von Rosen (Geschäftsführendes Vorstandsmitglied Deutsches Aktieninstitut e.V.); Kim Schindelhauer (Kaufmännischer Vorstand AIXTRON AG); Prof. Dr. Uwe H. Schneider (Universität Darmstadt/ Mainz); Christian Strenge r (Mitglied des Aufsichtsrats DWS-Investment GmbH).
Α. Entstehung des Deutschen Corporate Governance Kodex
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folgenden bezeichnet als Frankfurter Grundsatzkommiss ion) mit den von ihr erarbeiteten „Corporate Governance Grundsätzen (Code of best practice) für börsennotierte Gesellschaften" 83. Im Juni des selben Jahres folgte der „German Code of Corporate Governance (GCCG)" 84 des Berliner Initiativkreises* 5. Beiden Konzepten gemeinsam war die Zielvorstellung, mit den erarbeiteten Kodizes als „Marketing-Instrument" die Wettbewerbsfähigkeit deutscher börsennotierter Gesellschaften bei der Nachfrage nach Risikokapital an den internationalen Märkten zu verbessern 86. Sie unterscheiden sich aber in ihrem Detaillierungsgrad und der schwerpunktmäßigen Ausrichtung auf unterschiedliche Organe der Aktiengesellschaft. So ging der Berliner Initiativkreis weit über die Vorschläge der Frankfurter Grundsatzkommission hinaus und formuliert eine Vielzahl sehr konkreter Verhaltenspflichten. Zudem sah der Berliner Initiativkreis das Problem der deutschen Corporate Governance eher auf Seiten des Vorstands und war primär betriebswirtschaftlich ausgerichtet 87. Demgegenüber problematisierte die Frankfurter Grundsatzkommission vorrangig die Rolle des Aufsichtsrats 88. Nachfolgend veröffentlichten einige Gesellschaften wie Deutsche Bank AG 8 9 , SAP AG 9 0 , Metro AG 9 1 und MLP A G 9 2 speziell für das eigene 83 Abgedruckt in: AG 2000, 109 ff.; dazu Kort, in: GroßKommAktG, vor §76 Rn. 38; Berrar, Corporate Governance in Deutschland, S. 178 f f ; Claussen/Bröcker, AG 2000, 481, 586; v. Rosen, in: Ruffner, Corporate Governance, S. 589, 603 ff.; Schneider, DB 2000, 2413, 2413 ff.; Schneider/Strenger, AG 2000, 106, 106 ff.; Volk, DStR 2001,412,413,415. 84 Abgedruckt, in: AG 2000, 6 ff.; dazu Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 38; Bernhardt/v. Werder, ZfB 2000, 1269, 1269 f f ; Berrar, Entwicklung der Corporate Governance in Deutschland, S. 197 f.; Peltzer/v. Werder, AG 2000, 1, 1 ff.; Pohle/v. Werder, DB 2001, 1101, 1102 ff.; Volk, DStR 2001, 412, 414 ff.; Wiese, DB 2000, 1901, 1904. 85 Dem Initiativkreis gehörten an (kursiv bei späterer Mitgliedschaft in der KodexKommission): Prof Dr. Axel von Werder (Sprecher; Technische Universität Berlin); Prof. Dr. Wolfgang Bernhard (Industrieberater und Honorarprofessor an der Universität Leipzig); Heinz Dürr (Vorsitzender des Aufsichtsrats der Dürr AG); Dr. Clemens Grosche (Geschäftsführender Vorstand der Matrix Gesellschaft für Unternehmensentwicklung mbH); Heinrich Augustinus Graf Henkel von Donnersmarck (Unicorn Consultants GmbH); Norbert Nelles (Vorstandsmitglied Karstadt/ Quelle Holding AG); Dr. Martin Peltzer (Rechtsanwalt und Notar); Prof. Dr. Klaus Pohle (Stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der Scherung AG und Honorarprofessor an der Technischen Universität Berlin); Dr. Ernst Schröder (persönlich haftender Gesellschafter der Dr. Oetker AG); Dr. Alfons Titzrath (Vorsitzender des Aufsichtsrats der Dresdner Bank AG). 86
Vgl. Ziffer I des Code of Best Practice; Präambel des GCCG. Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 38. 88 Baums, in: Bericht, Fn. 6, S. 51; Volk, DStR 2001, 412, 415; Pellens/Hillebrandt/Ulmer, BB 2001, 1243, 1245. 89 Im Internet unter: http://ircontent.db.com/ir/data/corpgovernance_de.pdf , dazu: Breuer, Die Bank 2001, 544, 546 ff. 87
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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung
Unternehmen erarbeitete Verhaltensgrundsätze 93 . Zudem legte die Deutsche Vereinigung fur Finanzanalyse und Assetmanagement ( D V F A ) ihre sogenannte „Scorecard for German Corporate Governance" 9 4 vor. I V . D C G K und Entsprechenserklärung gemäß § 161 A k t G 7. Empfehlungen
der Baums -Kommission
Die Entwicklung privater Kodizes beeinflusste 95 auch die Arbeit der BaumsKommission 96. Die Kommission befragte mittels eines Fragebogens Experten und Verbände zum Bedürfnis nach einem deutschen „Code o f practice" 9 7 und
90 Im Internet unter: http://www.sap.com/germany/aboutSAP/cgovernance/ cgdocumente.asp (Stand: 15.10.2003). 91 Im Internet unter: http://www.metro.de/servlet/PB/show/1002808/UnternCorpgover-02-06-1 l.dt.pdf (Stand: 15.10.2003). 92 Im Internet unter: http://www.mlp.de/de/unternehmen/investor/berichte/CGG_ d_030402.pdf (Stand: 15.10.2003). 93 Vgl. zu Vorteilen unternehmenseigener Codizes nach Veröffentlichung des DCGK Hütten, BB 2002, 1740, 1740 ff.; dagegen Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1278; differenzierend Sem/er, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 139 f 94 Im Internet unter: http://www.dvfa.de/pdf/scorecard.pdf (Stand: 15.10.2003). 95 Baums, Bericht, Rn. 6, 7, S. 50 f. 96 Der (23-) 22-köpfigen Kommission gehörten neben (unterstr./kursiv vgl. Fn. 82) Prof. Dr. Dr. h.c. Theodor Baums als Vorsitzendem an (Unterstreichung bei späterer Angehörigkeit der Kodex-Kommission): Dr. Paul Achleitne r (Finanzvorstand Allianz AG); Hans Martin Bury (Staatsminister beim Bundeskanzler); Dr. Karl Georg Eick (Finanzvorstand Deutsche Telekom AG); Andrea Fischer (MdB, Bundesministerin a.D. seit 19.04.2001); Dr. Hansjörg Geiger (Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz); Dr. h.c. Hartmann (Vorsitzender des Vorstands E.on AG); Prof Dr. Herbert Henzler (Chairman Europe, McKinsey); Ulrich Hocke r (Hauptgeschäftsführer Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz); Ciao Κ. Koch-Weser (Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen); Hilmar Kopper (Vorsitzender des Aufsichtsrats Deutsche Bank AG); Prof. em. Dr. Dr. h.c. Marcus Lutte r (Zentrum für europäisches Wirtschaftsrecht der Universität Bonn); Prof Dr. Rolf Nonnenmacher (Vorstandmitglied KPMG Deutsche Treuhandgesellschaft); Heinz Putzhamme r (Mitglied des geschäftsführenden DGB-Bundesvorstands); Kim Schindelhauer (Kaufmännischer Vorstand Aixtron AG); Gerhard Schmidt (Vorstandsvorsitzender MobilCom AG); Hubertus Schmold (Vorsitzender des geschäftsführenden Hauptvorstands der IGBCE); Dr. Werner G. Seifert (Vorstandsvorsitzender Deutsche Börse AG); Ludwig Stiegler (MdB); Christian Strenger (Mitglied des Aufsichtsrats DWS Investment GmbH); Dr. Alfred Tacke (Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie); Margareta Wolf (MdB, bis Februar 2001); Klaus Zwickel (1. Vorsitzender der IG Metall). 97 Vgl. zum Begriff Dietl/Lorenz, Dictionary: (engl.) code of practice = Verhaltensregeln.
Α. Entstehung des Deutschen Corporate Governance Kodex
41
erhielt nahezu ausnahmslos Stellungnahmen, die sich — in unterschiedlicher Intensität — fur einen Kodex aussprachen. Mehrheitlich wurde die Existenz nur eines einzigen Kodex befürwortet, da die gewünschte „Marketingfunktion" eines Kodex durch die nachteilige Konkurrenz verschiedener Kodizes konterkariert werde 98 . Der Kodex solle allerdings als „Modellkatalog" den einzelnen Unternehmen ausreichenden Spielraum zur Darstellung ihrer eigenen Verhältnisse belasse99. Unter Berufung auf das Ergebnis der Befragung sprach sich die ßawms-Kommission für einen deutschen Corporate-Governance-Kodex für börsennotierte Gesellschaften aus, der zum einen das bereits bestehende gesetzliche Regelungssystem wiedergebe („Kommunikationsfunktion") 100 und zugleich darüber hinausgehende, unverbindliche Verhaltens-"Empfehlungen" formuliere („Ordnungsfunktion"), von denen die Gesellschaften abweichen können sollten 101 . Die Gesellschaften müssten den Kapitalmarkt allerdings jährlich über die Kodexeinhaltung informieren 102 und Abweichungen begründen („comply or explain") 103 . Der Vorteil einer solchen Regelung liege in einer Deregulierung und Flexibilisierung des deutschen Governance-Systems und biete die Chance des zukünftigen Abbaus bestehender bzw. zumindest der Vermeidung neuer zwingender aktienrechtlicher Vorschriften 104 . Die Ztawws-Kommission erachtete eine gesetzliche Erklärungspflicht gegenüber dem Kapitalmarkt als ausreichende Sicherstellung der Kodexeinhaltung 105 . 98 Hopt, Beiheft ZHR 71, S. 27, 47; Seibert, in Henze/Hoffmann-Becking, Gesellschaftsrecht 2001, RWS-Forum 20, S. 361, 381 f.; v. Wartenberg, W M 2001, 2239, 2139; dagegen Bernhardt, DB 2002, 1841 unter Verweis auf die Existenz einer Vielzahl verschiedener (Firmen-)Kodizes in den USA als Ausdruck des freien Spiels der Marktkräfte und harscher Kritik am „Einheitskodex4' der „Deutschland AG". 99 Baums, Bericht, Rn. 6, 8, S. 51, 53. 100 Baums, Bericht, Rn. 6, S. 51 f. 101 Baums, Bericht, Rn. 1, S. 52. Im Gegensatz zur nahezu einhellig begrüßten „Kommunikationsfunktion" waren die Stellungnahmen zur „Ordnungsfunktion", die von völliger Unverbindlichkeit bis zu strikter Verbindlichkeit reichten, sehr viel widersprüchlicher, vgl. Baums, Bericht, Rn. 8, S. 53. 102 Baums, Bericht, Rn. 8, S. 53. 103 Baums, Bericht, Rn. 10, S. 54: „Bei der Abgabe der Entsprechenserklärung sind Abweichungen von den im Corporate Governance Kodex enthaltenen Empfehlungen zu begründen". 104 Baums, Bericht, Rn. 7, S. 51; BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21. 105 So sei eine Anbindung an die Börsenzulassung nach dem Vorbild der Zulassungsregeln der britischen Börsenaufsicht (UKLA) nicht angezeigt und ließe sich darüber hinaus strukturbedingt auch nur schwerlich durchführen: Die Zulassungsregeln in Deutschland (abgesehen von wenigen privaten Marktsegmenten) seien öffentlichrechtlich organisiert, die Börsenzulassungsbehörden für Kontrollen weder personell noch sachlich gerüstet und ein Entzug der Börsenzulassung als Sanktion letztlich unver-
42
1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung
Entscheidend sei, dass sich Vorstand und Aufsichtsrat aufgrund ihrer Verpflichtung zur Abgabe der Entsprechenserklärung mit den Empfehlungen des Kodex inhaltlich auseinander setzten und der Kapitalmarkt — bei unterstellter Richtigkeit der Erklärung — über die Kodexeinhaltung informiert werde 1 0 6 . Für die inhaltliche Ausarbeitung des Kodex empfahl die ßaw/ras-Kommission die Einsetzung einer weiteren K o m m i s s i o n 1 0 7 . Deren Besetzung dürfe nicht privater Initiative überlassen bleiben. Dem vorgeschlagenen einheitlichen Kodex komme „weitreichende Wirkung" zu und seine Regeln seien mit einer gesetzlichen Erklärungspflicht verknüpft. Der „ausgewogenen und repräsentativen Besetzung" und „Legitimation des Gremiums" sei deshalb erhebliche Bedeutung beizumessen 1 08 .
2. Cromme-Kommission und das Transparenza) Arbeit der
und Publizitätsgesetz
Cromme-Kommission
Unter Bezugnahme auf die Empfehlung der Ztaw/iw-Kommission wurde am 06. September 2001 die Cromme-Kommission 109 zur Ausarbeitung eines ein-
hältnismäßig, weil nur gerechtfertigt, wenn ein ordnungsgemäßer Börsenhandel auf Dauer nicht mehr gewährleistet sei und sich i.E. zu Lasten der Anleger auswirkte, deren Interessen der Kodex gerade dienen soll, weil sie der Handelbarkeit ihrer Anteile beraubt und damit erst recht geschädigt wären, Baums, Bericht, Rn. 9, S. 54. Vgl. auch Hopt, Beiheft ZHR 71, S. 27, 53 f.; Tielmann, WPg-Sonderheft 2001, S. 25, 28. 106 Baums, Bericht, Rn. 9, 12, S. 54, 56; zustimmend Schiessl, AG 2002, 593, 594; ebenso Schneider, DB 2002, 2413, 2416 mit weiteren Argumenten. 107 Hinsichtlich der Besetzung des Gremiums fordert die /ta^ms-Kommission die Mitgliedschaft „anerkannt(er) und fachlich geeignet(er)" Personen, insbesondere Personen mit „Erfahrungen und Kenntnissen in der Unternehmensleitung und -Überwachung in- und ausländischer börsennotierter Gesellschaften, (...) institutionelle und private Anleger, Arbeitnehmervertreter, Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder, (...) Unternehmensberater und Wissenschaftler", Baums, Bericht, Rn. 17, S. 61 f. 108 Baums, Bericht, Rn. 16, S. 59 f. 109 Der Kommission gehören an (Unterstreichung bei vorheriger Angehörigkeit der /tawms-Kommission): Dr. Gerhard Cromme (Vorsitzender der Kommission; Aufsichtsratsvorsitzender der ThyssenKrupp AG), Dr. Paul Achleitne r (Finanzvorstand Allianz AG), Dr. Rolf -Ε. Breuer (Sprecher Deutsche Bank AG), Dr. Hans Friedrich Gelhausen (Vorstand PwC Deutsche Revision AG), Ulrich Hocke r (Hauptgeschäftsführer Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz), Max Dietrich Klei (Stv. Vorsitzender BASF AG). Prof. Dr. Dr. h.c. Marcus Lutte r (Universität Bonn), Volker Potthoff (Vorstand Deutsche Börse AG), Heinz Putzhamme r (Mitglied Geschäftsfuhrender Vorstand DGB), Peer Michael Schatz (Finanzvorstand Quiagen AG), Christian Strenge r (Aufsichtsrat DWS Investment GmbH), Prof. Dr. Axel v. Werder (Technische Universität Berlin), Dr. Wendelin Wiedeking (Vorstandsvorsitzender Porsche AG).
Α. Entstehung des Deutschen Corporate Governance Kodex
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heitlichen Kodex guter Corporate Governance eingesetzt. Anders als die Ztawws-Kommission war sie nicht mit Mitgliedern aus Bundesministerien, Bundestag oder anderen Politikern besetzt110. Sie arbeitete nach eigenem Bekunden weitgehend unabhängig vom Bundesjustizministerium, das sich auf die „Vorgabe des rechtlichen Rahmens beschränkt" habe 111 und stellte so „in einem Akt der Selbstorganisation" Verhaltensregeln guter Corporate Governance „von der Wirtschaft für die Wirtschaft" auf 112 . Inhaltlich folgte die Gromme- Kommission weitgehend den Empfehlungen der ßawtfw-Kommission und bezog auch die Vorarbeiten der Frankfurter Grundsatzkommission und — wenngleich in geringerem Maße — des Berliner Initiativkreises in seine Überlegungen mit ein 113 . Mach Veröffentlichung eines ersten Diskussionsentwurfs am 18. Dezember 2001 1 1 4 — mit Stellungnahmefrist für jedermann bis zum 18.01.2002 — wurde am 26. Februar 2002 der Deutsche Corporate Governance Kodex der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Cromwe-Kommission ist als Standing Commission eingesetzt und wird den Kodex in regelmäßigen Abständen aktuellen Entwicklungen der deutschen Corporate Governance in Gesetzgebung und Praxis anpas115
sen . Die erste Fassung wurde inzwischen bereits zweimal verändert. So erfolgte wegen der neuen gesetzlichen Vorschrift § 15a WpHG eine Umformulierung der zuvor noch in Ermangelung gesetzlicher Regelung als Empfehlung formulierten „Direktors Dealings", Ziffer 6.6 Abs. 1 DCGK (Fassung v. 07.11.2002) und anlässlich der ersten jährlichen Evaluierung des Kodexinhalts erfolgten um-
110
Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 39. Das wird von Seibert, ZIP 2001, 2192, 2192 als „besonders bemerkenswert" hervorgehoben. 111 Cromme, Veröffentlichung Kodexentwurf, S. 3; Seibert, DB 2002, 581, 582. 112 Cromme, Übergabe Kodex, S. 2. 113 Cromme, Veröffentlichung Kodexentwurf, S. 4. Dies erklärt sich ersichtlich nicht zuletzt aus der Mitgliedschaft von fünf vorherigen Mitgliedern der itowms-Kommission (Achleitner, Hocker, Lutter, Putzhammer, Strenger), zwei davon zuvor ebenfalls Mitglieder der Frankfurter Grundsatzkommission (Hocker, Strenger), und eines ehemaligen Mitglieds des Berliner Initiativkreises (v. Werder). Zudem erzielte der Kodex der Frankfurter Grundsatzkommission gegenüber den Grundsätzen des Berliner Initiativkreises nach einer vor Erstellung des DCGK durchgeführten Umfrage ungleich höhere Akzeptanzwerte, vgl. Pellens/Hillebrandt/Ulmer, BB 2001, 1243, 1250. 114 Abgedruckt in: NZG 2002, 75 ff.; dazu: Peltzer, NZG 2002, 10 ff. 115 Präambel, Abs. 9 DCGK; vgl. Kort, in: GroßkommAktG, vor § 76 Rn. 39; Ringleb, in: Ringleb/ Kremer/Lutter/v. Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 33; Seibt, AG 2003, 465, 465.
44
1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung
fangreichere weitere Änderungen, insbesondere zur Vergütung, Ziffer 4.2 DCGK (Fassung v. 21.05.2003) 116 . b) Transparenz- und Publizitätsgesetz Durch das inhaltlich ebenfalls weitgehend auf Empfehlungen der BaumsKommission basierende 117 Transparenz- und Publizitätsgesetz (TransPuG) wurde, u.a. 118 , der Deutschen Corporate Governance Kodex gesetzlich mit dem Aktienrecht verknüpft. Der neu in das AktG eingefügte § 161 verpflichtet Vorstand und Aufsichtsrat börsennotierter Aktiengesellschaften zur Abgabe der sogenannten „Entsprechenserklärung" („Compliance-Erklärung"). Inhalt der Erklärung ist die Einhaltung bzw. Nichteinhaltung der Empfehlungen des Kodex. Als Veröffentlichungsplattform des Kodex dient der Bundesanzeiger für die Bekanntmachung von Unternehmensmitteilungen 119. Er wird nunmehr nach Modifizierung von § 25 S. 1 AktG durch seine bloße Erwähnung im Gesetz nicht mehr in Papier-, sondern in elektronischer Form geführt 120 . Das TransPuG ist weitestgehend am 26. Juli 2002 in Kraft getreten 121. Der elektronische Bundesanzeiger steht ab 30. August 2002 zur Verfügung 122 .
116
Vgl. dazu Dokumentation unter Hervorhebung der Änderungen in: ZIP 2003,
1316 ff. 117 Baums, Bericht, Rn. 10, S. 54; vgl. auch Hirte, NJW 2003, 1090, 1092; vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. IV. 1. 118 Vgl. Übersicht über den Inhalt bei Schiessl, AG 2002, 593, 593. 119 Im Internet abrufbar unter: http://www.ebundesanzeiger.de (Stand: 15.10.2003). 120 Nach § 25 S. 1 AktG-RefE, abgedruckt in: NZG 2002, 78, 78 f., sollte zunächst eine Wahlmöglichkeit von „Papier- 44 und „elektronischem 44 Bundesanzeiger bestehen. Die Alternativität wurde nach Kritik am Nebeneinander zweier Medien, die zur Folge hätte, dass die Lektüre eines Mediums nicht mehr mit Sicherheit die vollständige Information vermittelt hätte, zugunsten der Einheitlichkeit des Bekanntmachungsinstituts „Bundesanzeiger 44 nicht in den späteren Regierungsentwurf übernommen, vgl. BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 11; zustimmend Noak, AG 2003, 537, 538; für ein Nebeneinander Mimberg, ZGR 2003, 21, 27; Zöllner, NZG 2003, 354, 358. Damit bleibt der Bundesanzeiger — bei Änderung der Darstellungsform, nicht des Inhalts oder Umfangs — das amtliche Bekanntmachungsorgan der Bundesrepublik Deutschland (Gesetz über Bekanntmachungen vom 17.05.1950, BGBl. I, 183). Vgl. dazu Heckscher, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 3. Kapitel, Rn. 18; Seibert, NZG 2002, 608, 609.
Α. Entstehung des Deutschen Corporate Governance Kodex
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c) Doppelte Zielsetzung des Konzepts Mit dem Kodex und der Entsprechenserklärung wird das Konzept der doppelten Zielsetzung von Kommunikations- und Ordnungsfunktion aufgegriffen, das schon Grundlage der aus privater Initiative heraus erstellten Kodizes (Frankfurter Grundsatzkommission, Berliner Initiativkreis, unternehmenseigene Kodizes) und des Vorschlags der itaw/ws-Kommission war. Anleger sollen über die nach deutschem Aktienrecht geltenden Grundsätze der Corporate Governance informiert und darüber hinaus soll der gesetzliche Zustand durch „best practice" Verhaltensregeln in Erwartung deren Befolgung aufgrund entsprechenden Kapitalmarktdrucks verbessert werden 123 . Mit dieser Zielsetzung wird ein weiterer Schritt hin zu einer zunehmenden Verzahnung von Gesellschaftsrecht und Kapitalmarktrecht getan 124 . aa) Informations- bzw. Kommunikationsfunktion In Praxis und Wissenschaft wird der Kodex als „Marketinginstrument" zur Information der Anleger 125 weitgehend übereinstimmend begrüßt 126 . Teilweise
121 Vgl. BGBl. Teil I Nr. 50 vom 25. Juli 2002, S. 2681 ff. Um dem Bundesanzeiger und den betroffenen Kreisen eine ausreichende Übergangszeit einzuräumen, ist die Änderung des § 25 S. 1 AktG allerdings neben einigen wenigen anderen Änderungen erst am 01. Januar 2003 in Kraft getreten, vgl. dazu BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 11). 122 Im Internet unter: http://www.ebundesanzeiger.de (Stand: 15.10.2003). Das in Art. 1 Ziff 1 i.V.m. Art. 5 TransPuG genannte Datum des Inkrafttretens erst am 01 01.2003 bezieht sich erkennbar auf die in § 25 AktG genannten Fallgestaltungen, vgl. Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 968. 123 Baums, Bericht, Rn. 7, S. 51 f.; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 5 f.; Schüppen, DB 2002, 1117, 1117; Seibt, AG 2002, 249, 250; Seibert, BB 2002, 581, 581; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 151; ders., AcP 202 (2002), 143, 167. Das Konzept begrüßend Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 48. 124 Vgl. allg. zu der Tendenz zunehmender Ausrichtung des Gesellschaftsrechts hin auf ein Kapitalmarktrecht Möllers, AG 1999, 433, 434 ff.; ders., ZGR 1997, 334, 336 ff. 125 Diesem Zweck dienend liegt der Kodex in englischer, französischer, italienischer und spanischer Übersetzung vor und dient damit als „Verständigungspapier", Cromme, Übergabe Kodex, S. 3.; vgl. Berg/Stöcker, W M 2001, 1569, 1579; Seibt, AG 2002, 249, 250; Seibert, BB 2002, 581, 581; Ulmer, AcP 202 (2002), 143, 167; v. Werder, DB 2002, 801,801 f. 126 Vgl. Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 36, 45; Bundesverband deutscher Banken, W M 2001, 1737, 1738.
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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung
wird allerdings kritisch angemerkt, als Konsequenz der angestrebten leichten Verständlichkeit und einhergehender Komprimierung 127 resultierten Ungenauigkeiten in der Darstellung und dadurch Zweifel bei der Abgrenzung zwischen zwingenden gesetzlichen und freiwilligen privaten Regeln 128 . bb) Ordnungs- bzw. Regulierungsfunktion Die Meinungen über den Erfolg der zweiten Zielsetzung des Kodex als neues regulierendes Element des deutschen Corporate Governance Systems gehen deutlich auseinander 129. Tatsächlich ist festzustellen, dass die bisherigen deutschen Erfahrungen mit selbstregulierenden Kodizes wenig erfolgreich waren 130 . Die vormaligen Insiderrichtlinien 131 und der Übernahmekodex 132 sind in der Praxis gescheitert und wurden durch gesetzliche Regelungen ersetzt 133 . Jedenfalls wurde mit dem Kodex und dem Prinzip des „comply or explain" ein Schritt in Richtung der „externen" Kontrollstruktur der anglo-amerikanischen Länder und ihres Vertrauens auf die regulierende Kraft der Kapitalmärkte gemacht. Ob die kapitalmarktorientierte Systemkomponente auch unter den speziellen nationalen Besonderheiten Deutschlands die erhoffte positive Wirkung entfaltet oder
127 Vgl. Cromme, Vorwort zum Deutschen Corporate Governance Kodex: „Auch dort, wo der Kodex geltendes Recht beschreibt, gibt er dem Ziel leichter Verständlichkeit den Vorrang vor juristischer Präzision. Er erhebt nicht den Anspruch, die geltenden Gesetze umfassend und in allen relevanten Facetten darzustellen.", vgl. Seibert, BB 2002,581,582. 128 Hüffer, AktG, § 76 Rn. 15 c; Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 46. 129 Ablehnend Hüffer, AktG, § 76 Rn. 15 b, c; Bernhardt, DB 2002, 1841, 1841 ff.; kritisch Baumbach/Hueck, GmbHG, vor §35 Rn. 11 („mit viel Wasser gekocht"); Großfeld, NZG 2003, 841, 843 („Leider bietet der Kodex namentlich Juristen die Chance, vor der ihnen oft fremden Rechnungslegung auszuweichen und weitere Einzelheiten in Randbereichen zu vertiefen"); kritisch gegenüber der Kontrolle durch den Kapitalmarkt Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1 Rn.13; zurückhaltend auch Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1200 f.; a.A. Kort. in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 37, 45: Schneider, DB 2002, 1413, 2413. 130 Hierzu Hopt, ZGR 2000, 779, 788; ders., Beiheft ZHR 71, S. 27, 47 f. 131 Insiderhandels-Richtlinien i.d.F von Juni 1998, abgedruckt bei: Baumbach/H opt, HGB, 29. Auflage 1995, unter (16) Insiderhandel-Ri. 132 Übernahmekodex der Sachverständigenkommission beim Bundesministerium der Finanzen vom 14. Juli 1995 i.d.F vom 28.11. 1997, abgedruckt bei: Baumbach/ Hopt, HGB, unter ( 18) Übernahmekodex. 133 Vgl. zur unterschiedlichen Ausgangslage des Kodex gegenüber diesen gescheiterten Regelwerken Erhardt/Nowak, AG 2002, 336, 343 f.; Schneider, DB 2002, 2413, 2416.
Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung
47
sich als „path dependend" herausstellt, wird sich mit einiger Gewissheit erst in Zukunft beurteilen lassen. Erste empirische Untersuchungen in der Praxis deuten zumindest auf eine nicht unerhebliche Anwendung der Kodexempfehlungen hin 1 3 4 . V. Beschreibung des weiteren Untersuchungsgegenstands Ohne auf das fur und wider der Auswirkungen des Kodex auf das gesamte System der deutschen Corporate Governance weiter eingehen zu wollen 135 , soll nachfolgend allein die Rolle des Aufsichtsrats herausgegriffen werden. Dabei beschränkt sich die Untersuchung auf die Frage der mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex und der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG verbundenen Haftungsrisiken für Mitglieder des Aufsichtsrats. B. Aufbau und Inhalt von D C G K und Entsprechenserklärung Die rechtliche Bedeutung des Kodex und der Entsprechenserklärung für die Haftung der Mitglieder des Aufsichtsrats hängt davon ab, welchen Inhalt der Kodex hat und worauf sich die Erklärung bezieht. I. Kategorisierung und Aufbau des Kodex Der Kodex ist in drei Kategorien unterteilt. Diese sind nicht systematisch oder drucktechnisch, sondern sprachlich voneinander getrennt 136. Die sprachliche Differenzierung wird in der Präambel des Kodex erläutert 137.
134 Vgl. V. Werder, Executive Summary, S. 2 f f ; Oser/Orth/Wader, DB 2003, 1337, 1338 ff.; Towers/ Perrin, Corporate Governance 2003, S. 16 ff. 135 Nach einer vereinfachenden Zusammenstellung von Seibert, AG 2002, 417, 418 besteht das deutsche System im Wesentlichen aus den Komponenten Vorstand, Aufsichtsrat, Mitbestimmung, Abschlussprüfer, Aktionäre in der Hauptversammlung, Großaktionäre, Depotbanken, Aktionärsvereinigungen, institutionelle Anleger, Kleinaktionäre, Analysten, Rating-Agenturen und Wirtschaftsjournalisten. 136 Vgl. zur Kritik an der teils nicht hinreichend deutlichen Trennung der Regelungsarten Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 56. 137 Präambel Abs. 6 S. 1, 5, 6 DCGK; vgl. entsprechende Empfehlung der BaumsKommission, Baums, Bericht, Rn. 8, S. 53.
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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung
1. Gesetzeswiederholungen Die erste Kategorie bilden Hinweise auf das unabhängig vom Kodex geltende und schon deshalb für die Gesellschaften obligatorische Gesetzesrecht 138. Die gesetzeswiederholenden Passagen des Kodex, die mit Blick auf dessen „Kommunikationsfunktion" der verständlichen Darstellung des bereits bestehenden deutschen Corporate Governance Systems dienen und insoweit als bloßer „Informationsteil" 139 bezeichnet werden können, sind im Indikativ formuliert und ansonsten sprachlich nicht hervorgehoben 140. 2. Empfehlungen Die zweite Kategorie der sogenannten „Empfehlungen" stellt das eigentliche Zentrum des Kodex dar. Die Empfehlungen sind durch Verwendung des Wortes „soll" kenntlich gemacht. Anders als die gesetzlichen aktienrechtlichen Bestimmungen sind sie nicht zwingend, sondern es kann von ihnen abgewichen werden. Die Gesellschaft ist jedoch nach der Präambel des Kodex „verpflichtet, dies jährlich offenzulegen" 141. Ergänzt wird die Offenlegungspflicht durch die „Empfehlung" der Ziffer 3.10 DCGK, wonach ,,eventuelle(...) Abweichungen von den Empfehlungen" der „Erläuterung" bedürfen 142. Damit werden die „Empfehlungen" dem System des von der £awtfis-Kommission vorgeschlagenen und dem britischen Combined Code entliehenen „entsprich oder erkläre" („comply or explain") unterworfen 143.
138 Lutter , FS Druey, 463, 465; Schüppen, DB 2002, 1117, 1117; Semler/Wagner, NZG 2002, 553, 553; Seibert, BB 2002, 581, 582; v. Werder, DB 2002, 801, 802; vgl. auch BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21. 139 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 153; vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. IV. 2. c) aa). 140 Vgl. Präambel Abs. 6 S. 6 DCGK. 141 Vgl. Präambel Abs. 6 S. 1, 2 DCGK; vgl. dazu auch Wortlaut des § 161 AktG. 142 Vgl. Ziffer 3.10 S. 1, 2 DCGK: „Vorstand und Aufsichtsrat sollen jährlich im Geschäftsbericht über die Corporate Governance des Unternehmens berichten. Hierzu gehört auch die Erläuterung eventueller Abweichungen von den Empfehlungen dieses Kodex." 143 Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 39, 42; Baums, Bericht, Rn. 8 ff., S. 53 f.
Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung
49
3. Anregungen Die dritte Kategorie bilden die sogenannten „Anregungen". Die Anregungen sind durch Verwendung der Begriffe „sollte" oder „kann" gekennzeichnet144. Von ihnen kann ohne jede Offenlegung oder Erläuterung abgewichen werden 145 , so dass an ihre Befolgung die geringsten Anforderungen gestellt werden 146 . Die beiden Kategorien „Empfehlungen" und „Anregungen" sollen gemäß der mit dem Kodex verfolgten doppelten Zielsetzung dessen „Ordnungsfunktion" erfüllen und in einem Akt der „Flexibilisierung und Selbstregulierung" auf die Anerkennung über den gesetzlichen Zustand hinausgehender, anerkannter Standards guter Corporate Governance hinwirken 147 . Wie am Fehlen einer Offenlegungs- oder Begründungspflicht für Abweichungen von Anregungen erkennbar, gilt das für beide Regelungsarten nicht in gleichem Maße 148 . Diese „feinsinnige" 149 Differenzierung zwischen Empfehlungen und Anregungen, die im Rahmen des Vorschlags der Ztawws-Kommission, der insgesamt nicht drei, sondern nur zwei Arten von Regelungen vorsah 150 , nicht getroffen worden war, verdeutlicht die intensive Diskussion innerhalb der CrommeKommission über die Bedeutung der einzelnen Verhaltensstandards für eine gute Corporate Governance. In den „Anregungen" können proaktive Anstöße für die weitere Entwicklung der Corporate Governance in Deutschland gesehen werden, die sich im Gegensatz zu den „Empfehlungen" in der Praxis bzw. bei den Mitgliedern der Cromme-Kommission noch nicht auf breiter Front als „best practice" Standards durchgesetzt haben 151 . Erst wenn das der Fall sei, kommt nach Auffassung der Crowm^-Kommission anlässlich der nach der Präambel
144
Vgl. Präambel Abs. 6 S. 5 HS. 2 DCGK. Vgl. Präambel Abs. 6 S. 5 Halbs. 1 DCGK. 146 Lutter, FS Druey, 463, 465 f.; v. Werder, DB 2002, 801, 802. 147 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. IV. 2. c) bb). 148 Vgl. aber die Erweiterung der Ziffer 3.10 DCGK um Satz 3 (Fassung vom 21.05.2003), der nunmehr i.S.d. des terminus technicus anregt, dass anlässlich der empfohlenen Erläuterung der Abweichung von Kodexempfehlungen nach S. 2 auch zu den Anregungen Stellung genommen werden „kann". Damit erfährt die Regelungskategorie der Anregungen eine gewisse Aufwertung. Dennoch bleiben beide Kategorien in ihrer „Wertigkeit" als Regulierungsinstrument deutlich abgestuft. 149 Schuppen, DB 2002, 1117, 1117. 150 Baums, Bericht, Rn. 8, S. 53. 151 BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21; Cromme, Übergabe Kodex, S. 4; vgl. auch Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1201; Schüppen, DB 2002, 1117, 1117; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 152; v. Werder, DB 2002, 801, 802 f. 145
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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung
Abs. 9 D C G K geplanten jährlichen Überprüfung des Kodexinhalts eine Aufnahme von Anregungen in den Katalog der Empfehlungen in Betracht 1 5 2 . 4. Inhaltsübersicht Die Kategorien der Empfehlungen und Gesetzeswiederholungen (Informationsteil) machen gegenüber den Anregungen vom Umfang her den mit großem Abstand überwiegenden Teil des Kodextextes aus. Nach der hier vorgenommenen Zählweise 1 5 3 beinhaltet der K o d e x 1 5 4 66 Gesetzesdarstellungen, 67 Empfehlungen sowie 17 Anregungen 1 5 5 . Augenfällig ist dabei, dass sich dabei 42 Empfehlungen 1 5 6 auf den Aufsichtsrat beziehen. Zwei D r i t t e l 1 5 7 der die „Ordnungsfunktion" des Kodex ausmachenden Empfehlungen beschäftigen sich mit der Verbesserung der Aufgabenerfüllung des Aufsichtsrats 1 5 8 . Damit ist der K o dex klar auf den Aufsichtsrat fokussiert; die Verbesserung seiner Überwachungsaufgaben steht i m Zentrum der Empfehlungen des K o d e x 1 5 9 . Hieran wird 152 Vgl. BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21. Vgl. dazu erste Evaluierung des DCGK zum 21.05.2003, unter Hervorhebung der Änderungen dokumentiert in ZIP 2003, 1316 ff. 153 Eigenständige Charakterisierung jedes einzelnen sprachlich selbständigen Satzes. Keine inhaltliche Bündelung mehrerer sprachlich selbständiger Sätze zu nur einer „Regelung". 154 Kodex in der Fassung vom 21.05.2003 (2. Fassung). 155 Bezogen auf die erste Fassung des Kodex v. 28.02.2002 erkennen „rund 60 Empfehlungen" v. Werder, DB 2002, 801, 810 und Peltzer, DB 2002, 2580, 2580; ders., Deutsche Corporate Governance, Rn. 325 (dort 58 Empfehlungen, mit Auflistung im Anhang, a.a.O., S. 125 ff.). Lutter, ZHR 166 (2002) 523, 525; Seibert, BB 2002, 581, 583; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 151 zählen dagegen „rund 50 Empfehlungen". Nach Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1199; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 6; Steiner, in: AnwK-AktienR, Kap. 1 § 161 Rn. 2 beinhalte der Kodex zu 50 % wiederholendes Gesetzesrecht, zu 40 % Empfehlungen und zu 10 % Anregungen. Nach Ruhnke, AG 2003, 371, 372 beinhaltet der Kodex unter Verweis auf IDW, EPS 345. Anhang 1 59 Gesetzeswiederholungen, 61 Empfehlungen und 17 Anregungen. Bezogen auf den Kodex in der Fassung v. 07.11.2002 zählt Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 249 f. 63 Empfehlungen, davon 34 an den Aufsichtsrat gerichtet, und 17 Anregungen. 156 Vgl. tabellarische Zusammenstellung im Anhang. 157 Nach anderer Zählart ist der Quotient nicht ganz so hoch, in jedem Fall aber überwiegt der Anteil der den Aufsichtsrat betreffenden Empfehlungen mit großem Abstand. 158 Da die „Anregungen" im Rahmen der Arbeit keine nennenswerte Rolle spielen, kann auf eine genauere Zuordnung ihres Inhalts unterbleiben. Auch sie beschäftigen sich schwerpunktmäßig mit Fragen, die mit der Tätigkeit des Aufsichtsrats zusammenhängen. 159 Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1202; Ulmer, ZHR 166 (2002) 150, 155.
Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung
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wiederum deutlich, dass Defizite im System der deutschen Corporate Governance vornehmlich im Zusammenhang mit der Stellung des Aufsichtsrats gesehen werden 160 . Inhaltlich ist der Kodex — in erster Linie der besseren Übersichtlichkeit wegen 161 — in sieben Abschnitte untergliedert: (1) Präambel, (2) Aktionäre und Hauptversammlung, (3) Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat, (4) Vorstand, (5) Aufsichtsrat, (6) Transparenz, (7) Rechnungslegung und Abschlussprüfung 162. Dabei sind die an den Aufsichtsrat gerichteten Empfehlungen großteils (rund 20), aber nicht ausschließlich in dem diesem Organ gewidmeten fünften Abschnitt verortet. Sie finden sich mit Ausnahme des zweiten in sämtlichen Abschnitten des Kodex, wobei insbesondere dem siebten Abschnitt mit rund zehn Empfehlungen besonderes Gewicht zukommt 163 . II. Entsprechenserklärung nach § 161 AktG Die Regelung des Kodex wird vor allem durch § 161 AktG gesetzlich „flankiert". Nach § 161 AktG haben Vorstand und Aufsichtsrat jährlich zu „erklären", dass den „vom Bundesministerium der Justiz im amtlichen Teil des elektronischen Bundesanzeigers 164 bekannt gemachten" Verhaltensempfehlungen des Kodex „entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden" 165 . Nach dem eindeutigen Wortlaut ist damit einzig maßgebliche Grundlage der Erklärung die im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichte Fassung des Kodex. So hat das Bundesministerium der
160 Baums, in: Bericht, Fn. 6, S. 51; Volk, DStR 2001, 412, 415; Pellens/Hillebrandt/Ulmer, BB 2001, 1243, 1245. 161 Olmer, ZHR 166 (2002) 150, 153. 162 Vgl. dazu im einzelnen Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 44; Semler, in: MünchKommAktG, §161 Rn. 247 ff.; Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, KodexKommentar, passim; Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1201 ff.; v. Werder, DB 2002, 801, 803 ff. 163 Ulmer, ZHR 166 (2002) S. 150, 155. 164 Einsehbar unter: http://www.ebundesanzeiger.de (Stand: 15.10.2003); vgl. zu ersten praktischen Erfahrungen mit dem elektronischen Bundesanzeiger Deilmann/Messerschmidt, NZG 2003, 616, 616 ff. 165 Vgl. die mit § 3 Nr. 5 BGB-InfoV bereits Anfang des Jahres 2002 in das deutsche Zivilrecht eingefügte und der Entsprechenserklärung ähnliche Erklärungspflicht von Unternehmern gegenüber ihren Kunden im elektronischen Geschäftsverkehr bezüglich Informationen nach § 312e Abs. 1 S.l Nr. 2 BGB i.V.m. Art. 241 EGBGB. Danach hat der Unternehmer den Kunden „über sämtliche einschlägigen Verhaltenskodizes, denen (er) sich unterwirft", zu informieren, „sowie die Möglichkeit eines elektronischen Zugangs zu diesen Regelwerken" zu gewährleisten.
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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung
Justiz am 30.08.2002 den DCGK in der Ursprungsfassung vom 26.02.2002, am 14.11.2002 den DCGK i.d.F. vom 07.11.2002 und am 04.07.2003 den DCGK i.d.F. vom 21.05.2003 im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlicht 166 . Angesichts der dynamischen jährlichen Weiterentwicklung des Kodexinhalts 167 stellt sich die Frage, ob sich die Erklärung auf den Kodex in der jeweils aktuell (dynamische Verweisung) oder zum Zeitpunkt der Abgabe (statische Verweisung) geltenden Fassung bezieht. Die erstgenannte Auslegungsalternative würde aber die gesetzlich geforderte jährliche Abgabe einer neuen Erklärung überflüssig machen 168 . Zudem bezweckt die Erklärungspflicht, dass sich die Organmitglieder inhaltlich mit den einzelnen Kodexempfehlungen auseinandersetzen 169 . Das wird mit einer nur nach einmaliger Beschäftigung mit dem Kodex erklärten dynamischen Verweisung auf den Kodex gleich welchen Inhalts und anschließender unreflektierten Umsetzung nicht erreicht. Die Entsprechenserklärung bezieht sich deshalb nicht auf nach ihrer Abgabe vorgenommene Änderungen des Kodexinhalts 170 . /. Vergleich der Erklärungspflicht
von Kodex und §161 AktG
Mit der gesetzlichen Verankerung wird die mit dem Kodex und der Empfehlung der Ztawms-Kommission verfolgte Linie des „comply or explain" nicht vollständig aufgegriffen 171. Der Kodex, Präambel Abs. 6 S. 2 DCGK, und § 161 AktG stimmen darin überein, dass nur Abweichungen von Empfehlungen offenzulegen sind. Abweichungen von Anregungen sind übereinstimmend nicht offenzulegen und die gesetzeswiederholenden Passagen sind ohnehin nicht dispositiv. Demgegenüber verlangt die Formulierung des § 161 AktG anders als der Kodex mit der Empfehlung in Ziffer 3.10 S. 2 keine Begründung fur Abwei-
166 Aktualisierte Fassung einsehbar unter http://www.ebundesanzeiger.de (Stand: 15.10.2003); Ursprungsversion abgedruckt etwa in ZIP 2002, 452 ff.; erste Änderung abgedruckt in ZIP 2002, 2276; Fassung v. 21.05.2003 unter Hervorhebung der Änderungen abgedruckt in ZIP 2003, 1316 ff. 167 Vgl. zur jährlichen Evaluierung des Kodexinhalts Präambel Abs. 9 DCGK. 168 Gelhausen/Hönsch, AG 2003, 367, 368. 169 BegrRegE TransPuG, BT- Drucks. 14/8769, S. 21. 170 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 64; BMJ, ZIP 2003, 1176; Gelhausen/Hönsch, AG 2003, 367, 369; vgl. zur Formulierung der Erklärung zur Vermeidung von Missverständnissen nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 5. a) cc). 171 Ihrig/Wagner, BB 2002, 791; Lutter, FS Druey, 463, 466; v. Werder/Ringleb, in: Ringleb/Kremer/ Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 413.
Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung
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chungen 172 . Der Gesetzgeber verzichtete damit bewusst auf eine zusätzliche Erläuterungspflicht, wie sie noch von der itawws-Kommission in ihrem Abschlussbericht vorgesehen worden war 173 . Auch die Cromme-Kommission verstand die gesetzliche „Erklärungspflicht" ohne das eigentliche „explain"Erfordernis 174 , da Ziffer 3.10 S. 2 DCGK anderenfalls als Gesetzeswiederholung im bloßen Indikativ ohne „soll"-Form formuliert worden wäre. Insoweit kann bei § 161 AktG begrifflich eher von einem Modell des „comply or declare/disclose^ 15 gesprochen werden, also einer reinen Offenlegungspflicht ohne das dem Modell des „comply or explain " eigentlich immanente Begründungselement176. Zur Begründung wurde angeführt, die Gesellschaften müssten nicht durch Gesetz zu etwas gezwungen werden, was ohnehin aus Eigeninteresse getan werde 177 . Von einem Interesse der Gesellschaft, die Kapitalmarktteilnehmer von der Vernünftigkeit eventueller Abweichungen zu überzeugen, kann ausgegangen werden 178 . Über die gesetzliche Entsprechenserklärung ist sichergestellt, dass die von den Gesellschaften umworbenen Kapitalmarktteilnehmer über Abweichungen von den als Maßstäbe „guter" Corporate Governance anerkannten Kodexempfehlungen unterrichtet werden. Die anknüpfende Erwartung, dass Abweichungen, insbesondere solche ohne inhaltliche Darlegung der dafür ausschlaggebenden, unternehmensspezifischen Beweggründe, das Marktvertrauen in die Corporate Governance der Gesellschaft erschüttern und zu negati172 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 492 (zumindest missverständlich unter Rn. 55: ,,(...)ob sie den Empfehlungen des Kodex gefolgt sind, folgen werden und wo und warum sie abgewichen sind"); Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 353; Steiner, in: AnwK-AktienR, Kap. 1 § 161 Rn. 4; Seiht, AG 2002, 249, 252; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 171 f.; vgl. BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21: „Eine gesetzliche Begründungspflicht besteht nicht."; undeutlich Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 19: „Grund und (Dauer-) Charakter der Abweichung sind ebenso offenzulegen wie die (möglichst zu beziffernde) Konkrete Kodexbestimmung, von der abgewichen wurde." bzw. dann zutreffend deutlich unter 1, Rn. 21: „Nach dem Gesetz nicht geschuldet ist eine Begründung, warum man eine einzelne Empfehlung nicht befolgt." 173 Baums, Bericht, Rn. 10, S. 54. 174 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 172. 175 Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1572; zustimmend Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 531. 176 Das deutsche Modell unterscheidet sich insoweit von dem britischen Vorbild, wo nach den Zulassungsregeln der britischen Börsenaufsicht (UKLA) Abweichungen vom „Combined Code" zu begründen sind. 177 BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21; zustimmend Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 791; Seibert, BB 2002, 581, 583. 178 Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1573; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 531; Seiht, AG 2002, 249, 252; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 172; v. Werder/Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 413.
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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung
ven Reaktionen führen werden 1 7 9 , ist unausgesprochene Voraussetzung des M o dells 1 8 0 . Unter dieser Prämisse reicht es zur Sicherstellung der ausreichenden Informationsversorgung des Marktes aus, dass nur der Kodex selbst unter Ziffer 3.10 S. 2 eine Begründung „empfiehlt". Durch diese „Empfehlung" wird eine abweichende Praxis Gegenstand der gesetzlichen Entsprechenserklärung des § 1 6 1 A k t G : Wer eine Abweichung von Empfehlungen nicht begründet, weicht — gem. § 161 A k t G offenlegungspflichtig — von einer weiteren Empfehlung (Ziffer 3.10 S. 2 D C G K ) a b 1 8 1 . Überdies weist Ulmer zu Recht daraufhin, dass eine gesetzlich verankerte Begründungspflicht eine die Schlüssigkeit der Begründung überprüfende Instanz erfordert hätte 1 8 2 . 2. Änderungen
der Formulierung
des §161
AktG
im Gesetzgebungsverfahren Die Formulierung des § 161 A k t G wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens mehrfach abgeändert 1 8 3 . So unterscheidet sich § 161 A k t G vom Wortlaut des Referenten- und Regierungsentwurfs (§§ 161 A k t G - R e f E 1 8 4 bzw. A k t G -
179 Vgl. zur Bedeutung der Corporate Governance für die Kursentwicklung vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. II. 1. b); teilweise wird deshalb auch von einer „faktischen Bindungs- bzw. ΖwangsWirkung" der Kodexempfehlungen gesprochen, vgl. Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 172; Wolf ZRP 2002, 59, 60. 180 Schuppen, ZIP 2002, 1269, 1271. 181 Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 791; Schuppen, ZIP 2002, 1269, 1271 (dort F. 21); Pfitzer/Oser/Wader, DB 2002, 1120, 1121; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 172; a.A. Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 21, der dies für einen „Zirkelschluss" erachtet. Eine Abweichung von der Empfehlung der Ziffer 3.10 S. 2 DCGK, also das Unterlassen einer Begründung anderer Abweichungen, ist selbstverständlich nicht ihrerseits zu erläutern, da für eine Begründungspflicht nach Nichtbefolgung der entsprechenden Empfehlung keine Grundlage mehr besteht. Eine „Begründung für die Nichtbegründung" muss also nicht abgegeben werden, vgl. Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 791 (dort Fn. 26). 182 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 171; zustimmend Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 531; zu den insoweit bestehenden Unterschieden zwischen Deutschland und Großbritannien vgl. Baums, Bericht, Rn. 9, S. 54. 183 Vgl. zur Entstehungsgeschichte Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 11 ff. 184 „Vorstand und Aufsichtsrat der börsennotierten Gesellschaft erklären jährlich, dass den im Bundesanzeiger elektronisch bekannt gemachten Verhaltensregeln der Kodex-Kommission zur Unternehmensleitung und -Überwachung entsprochen wurde und wird oder welche Verhaltensregeln nicht angewendet werden. Die Erklärung ist den Aktionären zugänglich zu machen.", (Hervorhebung der Abweichungen vom verabschiedeten Wortlaut durch den Verfasser), abgedruckt in: NZG 2002, 78, 79.
Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung
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RegE 185 ) insoweit, als dass es dort noch übereinstimmend hieß, Vorstand und Aufsichtsrat hätten zu erklären, dass den Verhaltensempfehlungen des Kodex „entsprochen wurde und wird oder welche Verhaltensregeln nicht angewendet werden." Anders als die Entwürfe stellt der Wortlaut von § 161 AktG jetzt durch die Formulierung „(...) oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden" 186 eindeutig klar, dass auch in der Vergangenheit liegende Abweichungen von den Verhaltensempfehlungen des Kodex offenzulegen sind. Ebenso erst in der verabschiedeten Fassung des § 161 AktG wurde klargestellt, dass die Bekanntmachung des Kodex durch das Bundesministerium der Justiz erfolgt, und zwar im amtlichen Teil des durch seine gesetzliche Erwähnung ins Leben gerufenen 187 elektronischen Bundesanzeigers 188. Bereits mit § 161 S. 2 AktG-RegE wurde in Abänderung der Formulierung des entsprechenden Referentenentwurfs ausdrücklich bestimmt, dass die Erklärung den Aktionären nicht nur zugänglich, sondern dauerhaft zugänglich zu machen ist. 3. Übergangsvorschrift
des §15 EG AktG
Zu erwähnen ist noch die Übergangsvorschrift § 15 EGAktG 189 . Danach konnte sich die im Jahr 2002 abzugebende Entsprechenserklärung darauf beschränken, dass den Empfehlungen des Kodex „entsprochen wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet werden" 190 . Folglich unterschied sich der inhaltliche Umfang der erstmaligen Entsprechenserklärung von den Erklärungen der Folgezeit, da die Verwaltungsorgane nicht erklären mussten, dass den Empfehlungen entsprochen wurde oder welche Empfehlungen nicht angewendet
185 Vorstand und Aufsichtsrat der börsennotierten Gesellschaft erklären jährlich, dass den im elektronischen Bundesanzeiger bekannt gemachten Verhaltensempfehlungen der Kodex-Kommission zur Unternehmensleitung und -Überwachung entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet werden. Die Erklärung ist den Aktionären dauerhaft zugänglich zu machen.", (Hervorhebung der Abweichungen vom verabschiedeten Wortlaut durch den Verfasser), BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21. 186 Hervorhebung durch Verfasser. 187 Vgl. Seibert, NZG 2002, 608, 611. 188 So auch schon nach § 161 AktG-RegE. 189 Die Übergangsvorschrift ist auf eine Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zurückzuführen, vgl. BT-Drucks. 14/9079, 13 ff. 190 Ohne diese Übergangsvorschrift hätte eine vollständige Entsprechenserklärung erstmals zum 01.01.2003 abgegeben werden müssen, weil der elektronische Bundesanzeiger (§ 25 AktG), auf den das Gesetz Bezug nimmt, gemäß Art. 5 TransPuG an diesem Tag den Betrieb aufnimmt, vgl. Steiner, in: AnwK-AktienR, Kap. 1 § 161 Rn. 5.
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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung
wurden. Abweichungen der Vergangenheit mussten demnach in der ersten Entsprechenserklärung nicht offengelegt werden 191 . Diese Befreiung von der Erklärungspflicht über die Einhaltung der Empfehlungen in der Vergangenheit war nicht daran gebunden, dass die Gesellschaft die Empfehlungen zum Zeitpunkt der ersten Erklärung vollständig einhielt und deshalb eine positive Entsprechenserklärung abgeben konnte. Die entgegenstehende Auffassung, die Befreiung von der Offenlegungspflicht über zurückliegende Abweichungen sei an die Bedingung geknüpft, dass sich die Gesellschaft bis zur Abgabe der ersten Entsprechenserklärung auf die Befolgung des Kodex eingestellt habe 192 , findet im Wortlaut keine Stütze 193 . Die erstmalige Erklärungsverpflichtung ist gleichermaßen bezüglich der An- wie der Nichtanwendung der Kodexempfehlungen nur im Präsens formuliert und lässt die Vergangenheit damit außer Betracht. Anderes ist auch nach Sinn und Zweck der Übergangsvorschrift nicht geboten. Sie sollte es den Gesellschaften ermöglichen, durch möglichst weitgehende Umstellungen ihrer internen Strukturen bis zum Zeitpunkt der ersten Erklärung eine möglichst positive Entsprechenserklärung abgeben zu können 194 . Werden nun von einer Gesellschaft bis zur ersten Erklärung die Empfehlungen immerhin größtenteils angewendet, einige wenige, womöglich als besonders problematisch erachtete Empfehlungen aber nicht 195 , müssten nach der Gegenauffassung auch alle zurückliegenden Abweichungen, obwohl inzwischen befolgt, offengelegt werden. Das ist mit Sinn und Zweck der Vorschrift nicht zu vereinbaren. III. Weitere gesetzliche Flankierung Als weitere gesetzliche Begleitmaßnahmen des Kodex dienen die ebenfalls im Rahmen des TransPuG 196 neu in das HGB eingefugten Verpflichtungen, im Anhang zum Jahres- bzw. Konzernabschluss Angaben zur Abgabe der Entspre191 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 46; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 244; Seibert, NZG 2002, 608, 611. 192 Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2509. 193 I.E. ebenso Seibert 9 NZG 2002, 608, 611. 194 So auch Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2509. 195 Vgl. hierzu eine erste empirische Untersuchung zur Anwendung der Kodexempfehlungen, nach der zum Zeitpunkt der Erhebung (14.02.2003) nur vier DAX 30- und drei der (alten) MDAX 70-Unternehmen alle Empfehlungen einhielten, v. Werder, Executive Summary, S. 2 f. Eine andere Studie stellt hingegen eine geringere geringeren Befolgungsquote von nur 35-46 % fest, vgl. Towers/Perrin, Corporate Governance 2003, S. 16 ff. 196 Art. 2 TransPuG v. 19.07.2002, BGBl. I S. 2681.
Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung
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chenserklärung zu machen (§ 285 Nr. 16 HGB, § 314 Abs. 1 Nr. 8 HGB) und die Erklärung zum Handelsregister einzureichen (§ 325 Abs. 1 S. 1 HGB). Auch diese Vorschriften stehen im Zeichen der gesetzgeberischen Intention, dem Kodex mittelbar durch die Pflicht zur Offenlegung von Abweichungen gegenüber den Aktionären und der Öffentlichkeit Nachdruck zu verleihen 197 . IV. Adressatenkreis des Deutschen Corporate Governance Kodex und der Entsprechenserklärung Haftungsrelevante Wirkungen gegenüber den Mitgliedern des Aufsichtsrats können den Kodexbestimmungen oder der Verpflichtung zur Abgabe der Entsprechenserklärung nur dann zukommen, wenn die Mitglieder des Aufsichtsrats Adressaten der jeweiligen Verhaltensanforderungen sind, da durch den Adressatenkreis gleichzeitig der Kreis der potentiellen Haftungsverpflichteten umgrenzt wird. /. Kodex a) Unterscheidung börsennotierter und nicht notierter Gesellschaften Hinsichtlich der Adressaten des Kodex ist zwischen börsennotierten und nicht börsennotierten Aktiengesellschaften 198 zu differenzieren. Der Kodex richtet sich nach seiner Präambel „in erster Linie an börsennotierte Gesellschaften", stellt wesentliche gesetzliche Vorschriften „deutscher börsennotierter Gesellschaften" zusammen und will das Vertrauen in die Leitung und Überwachung „deutscher börsennotierter Aktiengesellschaften" fordern 199 . Unzweifelhaft sind deutsche börsennotierte Aktiengesellschaften also Adressaten der Verhaltensregeln des Kodex. Auf der anderen Seite enthält der Kodex „anerkannte Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung", die demnach für alle Gesellschaften unabhängig von ihrer Börsenno-
197 BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21; Schuppen, ZIP 2002, 1269. 1271; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 157. 198 Darüber hinaus betreffen diejenigen Regeln des Kodex, die den Begriff „Unternehmen" anstelle von „Gesellschaft" verwenden, nicht nur die Gesellschaften selbst, sondern auch ihre Konzern unternehmen (vgl. Präambel des DCGK, S. 2). Der Konzernbezug des Kodex und die sich daraus ergebenden Auswirkungen sollen dabei an dieser Stelle nur kurz erwähnt werden, ohne im Rahmen der weiteren Bearbeitung weiter problematisiert zu werden. 199 Präambel Abs. 1 DCGK.
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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung
tierung gelten, weshalb seine Beachtung auch den nicht notierten Gesellschaften nahegelegt wird 2 0 0 . Daraus folgert, dass sich der Kodex grundsätzlich an alle Gesellschaften richtet, in der Gewichtung jedoch deutlich zwischen börsennotierten („in erster Linie") und nicht börsennotierten Gesellschaften unterscheidet 201 . In der klar abgestuften Ausrichtung auf notierte und nicht notierte Gesellschaften ist die verfolgte Kompromisslinie zwischen der jeweiligen Gestaltung der Frankfurter Grundsatz- und der Empfehlung der Ztawws-Kommission auf der einen sowie derjenigen des Berliner Initiativkreises auf der anderen Seite deutlich zu erkennen. Während sich erstere ausschließlich an börsennotierte Aktiengesellschaften wendeten 202 , schloss der Berliner Initiativkreis geschlossene Gesellschaften, denen ein eigener Abschnitt mit Verhaltensgrundsätzen gewidmet wurde 203 , als Adressaten seiner Empfehlungen mit ein. Die (vorrangige) Ausrichtung auf börsennotierte Gesellschaften wird mit der unterschiedlichen Interessenlage der jeweiligen Anteilseigner begründet. Bei geschlossenen Gesellschaften, insbesondere bei personalistischen oder konzernangehörigen Gesellschaften, bestünden andere Möglichkeiten der Informationsversorgung der Anteilseigner als in börsennotierten Unternehmen mit der dortigen Besonderheit der Kommunikation zwischen kapitalnachfragendem Unternehmen und anonymer Anlegerschaft. Zudem würden viele auf große Unternehmen zugeschnittene Regelungen gerade bei kleineren, nicht börsennotierten Gesellschaften nicht passen und deshalb zu vermeidbaren Kostenbelastungen führen 204 . Allerdings empfehle sich aufgrund entsprechender Erwartungen des Kapitalmarktes gerade für die einen Börsengang planenden Gesellschaften bzw. wegen der Anforderungen vieler Rating-Agenturen bei der Kreditvergabe 205 auch für nicht vor einem Börsengang stehende Gesellschaften eine Kodexanwendung.
200
Präambel Abs. 8 DCGK. Vgl. dazu Baums, Bericht, Rn. 13, S. 57; diese „Binnendifferenzierung" begrüßend Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 42; kritisch Hawreliuk/StraussWieczorek, Die Mitbestimmung 6/2002, 20, 21 f.; vgl. zu Auswirkungen des Kodex auf die Haftung nicht börsennotierter Gesellschaften nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, B. III. 2. b) cc) (5). 202 Baums, Bericht, Rn. 13, S. 57. 203 Vgl. Ziffer VII. des German Code of Corporate Governance, abgedruckt bei: Peltzer/v. Werder, AG 2001, 6, 13. 204 Baums, Bericht, Rn. 13, S. 57; ähnlich Ziffer VII. 1., 2. des German Code of Corporate Governance, abgedruckt bei: Peltzer/v. Werder, AG 2001, S. 6, 13. 205 Vgl. diesbezüglich vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, A. II. 2. a). Vgl. auch Stichwort „Basel II". 201
Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung
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Deshalb sei eine faktische „Ausstrahlungswirkung" der Kodexregeln auch auf nicht notierte Gesellschaften zu erwarten 206 . b) Keine Differenzierung nach der Größe der Gesellschaft Nicht zu unterscheiden ist zwischen den großen DAX-Gesellschaften einerseits sowie kleineren und mittleren Aktiengesellschaften andererseits, wenngleich die Gleichsetzung aller börsennotierten Gesellschaften verschiedentlich kritisiert wird 2 0 7 . Den kritischen Stimmen ist zuzugeben, dass die ausweislich des umfangreichen Informationsteils und der Entwicklungsgeschichte zum Ausdruck kommende Auslandsorientierung 208 des Kodex für kleinere Aktiengesellschaften, die nicht im Portefeuille amerikanischer Pensionsfonds enthalten sind, weniger bedeutsam ist. Auch liegen die Kosten neuer Regelwerke für diese Aktiengesellschaften prozentual sehr viel höher als für große (Dax-)Gesellschaften und die im Kodex enthaltenen Regelungen behandeln keine ausgesprochenen mittelstandstypischen209 Probleme 210 . Andererseits stellt eine Notierung etwa am NASDAQ-Markt auch für kleinere Aktiengesellschaften eine wichtige Alternative zur Deckung von Eigenkapitallücken dar. Angesichts des stark geschwundenen Vertrauens der inländischen Kapitalmarktteilnehmer nach den Kurszusammenbrüchen gerade am Neuen Markt wird der Corporate Governance auch im Inland immer größere Bedeutung zugemessen211. Die nicht vorgenommene Differenzierung erscheint deshalb letztlich gerechtfertigt. 2. Entsprechenserklärung Die Entsprechenserklärung richtet sich ausschließlich an Vorstand und Aufsichtsrat börsennotierter Gesellschaften i. S. d. Legaldefinition des § 3 Abs. 2 AktG. Aus dem Wortlaut ergibt sich, dass die Erklärungspflicht nicht die Gesellschaft, sondern die Verwaltungsorgane als solche trifft und damit, wie z.B. 206 Baums, Bericht, Rn. 13, S. 57 f.; Berg/Stöcker, W M 2001, 1569, 1571; ähnlich Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 16 ff. 207 Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1200. 208 Vgl. vorstehende Ausführungen zu Ziffer 1. Kapitel, Α. II. 1. c), d). 209 Als solche erscheinen nach Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1200 eher fehlendes Managementwissen, fehlendes Eigenkapital, überpositive Unternehmensbewertung, fehlende Kredite, fehlende Marktakzeptanz etc. 210 Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1200; Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 16. 211 Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1,S. 1, 16 f.; i.E. ebenso Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1200; vgl. auch vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. II. 2. a).
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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung
die Rechnungslegungs- (§ 264 Abs. 1 HGB) oder die Insolvenzantragspflicht (§ 92 Abs. 2 AktG), eine persönliche Pflicht der Organmitglieder darstellt 212 . Organe von Gesellschaften, deren Aktien im Freiverkehr gehandelt werden, sind nicht erfasst 213. Teilweise wird vertreten, bei Bestehen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages (§291 Abs. 1 AktG) „infiziere" ein börsennotiertes Tochterunternehmen seine beherrschende Muttergesellschaft dergestalt, dass diese ihrerseits auch dann eine Entsprechenserklärung abgeben müsse, wenn sie selbst nicht an der Börse notiert oder nicht einmal in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft geführt sei 214 . Es mag zwar zutreffen, dass wegen des Ausgleichsanspruchs nach § 304 Abs. 1 AktG die wirtschaftliche Lage des herrschenden Unternehmens auch auf den Börsenkurs der Tochter abstahlt. Gegen eine solche Ausweitung der Erklärungspflicht spricht jedoch nicht nur der klare Wortlaut des § 161 AktG. Auch hat der Gesetzgeber den Konzernbezug erkannt und durch die Angabepflicht nach § 314 Abs. 1 Nr. 8 HGB gelöst. Zuletzt ist der Kodex in vielerlei Hinsicht allein auf börsennotierte Aktiengesellschaften zugeschnitten, so dass eine Erklärungspflicht anders geführter Muttergesellschaften keinen Sinn machte. Auch Gedanken an eine teleologische Reduktion der Erklärungspflicht nach Beschluss einer börsennotierten Gesellschaft über den Ausschluss von Minderheitsaktionären gemäß § 327a Abs. 1 S. 1 AktG (squeeze out) 215 ist eine Absage zu erteilen. Allein der zum Ausdruck gebrachte Wille, sich der „Kontrolle des Kapitalmarktes" entziehen zu wollen 216 , kann bei Fortbestehen der Börsennotie-
212 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 22; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 491; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 73; Schiessl, AG 2002, 593, 594; Peltzer, NZG 2002, 593, 595; Seibt, AG 2002, 249, 252 f.; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 554. Vgl. zu der damit verbundenen Kompetenzproblematik nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel Β. I. 2. 213 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 27; Schuppen, in: Hirte, Transparenz- und Kapitalmarktrecht, 2, Rn. 4; Pfitzer/Oser/Wader, DB 2002, 753, 755; zur Kritik und Anregung, § 3 Abs. 2 de lege ferenda auszuweiten, Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, S. 9 f., Rn. 27. Den nicht notierten Gesellschaften (oder auch GmbHs) steht es aber frei, sich — etwa in Hinblick auf einen geplanten Börsengang — freiwillig zur Einhaltung zu äußern, Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 28 f.; Schuppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 5. 214 So Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 33. 215 So Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 31. 216 So Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 31.
Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung
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rung angesichts des klaren Wortlauts des § 161 AktG die gesetzliche Erklärungspflicht nicht aushebeln217. Da es sich bei § 161 AktG um eine Vorschrift des Aktienrechts handelt, trifft die Erklärungspflicht mangels Verortung in das BörsG nur die Organe deutscher börsennotierter Gesellschaften 218, nicht auch die einer an einer deutschen Börse zugelassenen ausländischen Kapitalgesellschaft. Anderenfalls machte die Darstellung des geltenden Aktienrechts im Kodex auch keinen Sinn 219 . V. Rechtsnatur des Deutschen Corporate Governance Kodex Die Haftungsrelevanz von Verhaltensregeln hängt nicht zuletzt von deren Rechtscharakter ab. Bei dem Kodex und seiner gesetzlichen Anbindung über §161 AktG handelt es sich allerdings um ein dem bisherigen deutschen Rechtssystem weitgehend unbekanntes Regelungsinstitut. Ließen sich aber Parallelen und Ähnlichkeiten zu bereits bekannten Rechtskategorien herausarbeiten, könnte die Beurteilung potentieller Haftungsrisiken auf gesicherterer dogmatischer Grundlage vorgenommen werden. /. Formelles Gesetz oder Verordnung Es handelt sich bei dem Kodex nicht um ein formelles Gesetz oder eine Rechtsverordnung 220. Es fehlen sämtliche dafür erforderlichen formellen Voraussetzungen221 und die Entwicklung gerade nicht-gesetzlicher Verhaltensmaßstäbe als nichtstaatliches, selbst geschaffenes „Recht" der Wirtschaft war bestimmendes Motiv für die Ausarbeitung des Kodex 222 . Das gilt für den Inhalt 217 Vgl. zur nicht fortbestehenden Erklärungsverpflichtung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zutreffend Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 32. 218 Anders demgegenüber der US-amerikanische Sarbanes-Oxley Act (SO Act), der in Aufkündigung der bislang geübten internationalen Anerkennung der verschiedenen Corporate Governance Systeme des jeweils ausländischen Emittenten diese nun über die weite Definition „issuer" des § 2 (a) (7) SO Act dem nationalen Recht unterwirft, vgl. dazu Gruson/Kubicek, AG 2003, 337, 339. 219 Lutter, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 972; vorausgesetzt bei Seibt, AG 2003, 465, 466: a.A. Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1204. 220 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 29; Abram, NZG 2003, 307, 308; Claussen/Bröcker, DB 2002, 199, 1199; Seibt, AG 2002, 249, 250; ders., AG 2003, 465, 470; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 158; ders., AcP 202 (2002), 143, 168; Schuppen, ZIP 2002, 1269, 1278; Steiner, in: AnwK-AktienR, Kap. 1 § 161 Rn. 2. 221 Vgl. dazu nur Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rn. 7 ff. 222 Baums, Bericht, Rn. 5 ff., S. 49 ff.
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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung
des Kodex insgesamt, betrifft also nicht nur die Empfehlungen und Anregungen, sondern gleichermaßen die das Gesetz wiedergebenden Passagen. Stimmen diese inhaltlich mit dem Gesetz überein, haben sie ausschließlich wiederholenden Charakter. Weichen sie ab, bleiben sie ohne Relevanz. 2. „ Mittlere Regelungsebene " Im Rahmen der Diskussion über Reformmöglichkeiten des deutschen Corporate Governance Rahmens sprach sich Hommelhoff für die Einführung einer „mittleren Regelungsebene" in das deutsche aktienrechtliche System aus 223 . Das Modell sei zwischen zwingendem staatlichen Gesetzesrecht und unverbindlicher Satzungskompetenz der Gesellschaften zu verorten 224 . Die Entscheidung über die inhaltliche Ausformung der Corporate Governance der Gesellschaften bliebe nach diesem Regelungsmodell nicht mehr nur „zweistufig" dem Gesetzgeber auf der einen und innerhalb des so gesetzten gesetzlichen Rahmens den Gesellschaften auf der anderen Seite vorbehalten, sondern es käme ein dritter „Regulator" hinzu. Diesem könne der Gesetzgeber einen Teil seiner Regelungsverantwortung — insoweit auf eine mittlere Ebene zwischen eigener zwingender Gesetzgebung und der Überantwortung in die Satzungsautonomie der Gesellschaften — übertragen 225. So könne imperatives Staatshandeln durch kooperatives Staatshandeln in Form des Zusammenwirkens von Staat und in privaten Gremien gebündelten gesellschaftlichen Kräften ersetzt werden, wie es teilweise schon in anderen Bereichen der gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Steuerung, insbesondere dem Umwelt- und Technikrecht 226 , praktiziert werde 227 . Allerdings dürfe sich der Gesetzgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen 228 seiner Verantwortung für die ihm anvertraute Rechtsmaterie nicht begeben. Er müsse sicherstellen, dass die der „mittleren Regelungsebene" überantwortete 223
Hommelhoff ZGR 2001, 238, 245; zustimmend Lutter, ZGR 2001, 224, 237. Vgl. Hommelhoff ZGR 2001. 238, 244 f.; Lutter, ZGR 2001, 224, 237; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 158. 225 Hommelhoff ZGR 2001, 238, 245. 226 Vgl. Marburger, Regeln der Technik, S. 195 f f ; Denninger, Normsetzung, Rn. 67 ff. 227 Hommelhoff/Schwab, FS Kruse, 693, 694 f.; Brennecke, Normsetzung durch private Verbände, S. 24, 117 ff.; Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 303; HoffmannRiem, DÖV 1997, 433, 435, 440 f. 228 Vgl. entsprechende Erwägungen zum Bilanzrecht: Hommelhoff/Schwab, BFuP 1998, 38, 42 ff.; Hommelhoff FS Odersky, 1996, 779, 790 ff.; Hellermann, NZG 2000, 1097, 1100 ff.; zu § 292a HGB Heintzen, BB 1999, 1050 ff.; aus öffentlich-rechtlicher Sicht Kirchhoff, ZGR 2000, 681, 682 ff.; ders., NJW 2001, 1332, 1333; Moxter, DB 2001,605, 606. 224
Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung
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Regelungsmaterie nicht gänzlich seinem Zugriff entzogen sei 229 . Erforderlich sei ein staatliches Anerkennungsverfahren 230, dessen Ausarbeitung und Durchführung in den Händen der demokratisch legitimierten Ministerialbürokratie liege 231 , wenn nicht sogar darüber hinaus ein auf Anerkennung gerichtetes Tätigwerden des Bundestages (Parlamentsvorbehalt) 232. Nur staatliche Anerkennung könne die von privater dritter Seite erstellten Regeln in Rechtssätze „härten" 233 . Der Kodex mit seiner gesetzlichen Anbindung über § 161 AktG könnte mit diesem im Vorfeld seiner Entstehung angedachten Modell vergleichbar ist. Die Erstellung des Kodex durch ein privates, jedoch staatlich eingesetztes Gremium und die gesetzliche Bezugnahme auf diesen Kodex durch § 161 AktG lässt zumindest Parallelen erkennen. Als „Anerkennungsakt" des Normgebers könnte die Veröffentlichung des Kodex im elektronischen Bundesanzeiger 234 angesehen werden. Der Bereich des rein Privaten ist aufgrund dieser staatlichoffiziellen „Absegnung" sicherlich überschritten 235. Nach Ulmer verbiete sich jedoch unabhängig von den aus staatsrechtlichen Erwägungen an eine formell und materiell rechtmäßige Rechtssetzung des Gesetzgebers zu stellenden Anforderungen 236 jede Charakterisierung des Kodex
229 Vgl. Di Fabio , NuR 1991, 353, 355; Denninger, Normsetzung, Rn. 121; ders., DÖV 1997, 433, 435 f.; Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, S. 177; SchmidtPreuß, VVDStRL 56 (1997), 160, 176; Voelzkow, Private Regierungen, S. 68. 230 Vgl. zur weiteren Anforderungen an eine solche Rechtssetzung bei: Hommelhoff/Schwab, FS Kruse, 693, 700 ff. (Verantwortlichkeit des Gesetzgebers für die Besetzung des Gremiums, das von diesem anzuwendende Verfahren und die Finanzierung der Gremiumsarbeit). 231 Vgl. unter Verweis auf Ausführungen der EU-Kommission (EU-Dokument KOM (2000) 359 vom 13.06.2000) zur internationalen Rechnungslegung Hommelhoff, ZGR 2001,238, 246. 232 Hommelhoff, ZGR 2001, 238, 246. Vgl. vertiefend zur angedachten staatliche Anerkennung zur Wahrung der staatsrechtlichen Vorgaben für eine rechtmäßige Rechtssetzung Hommelhoff/Schwab, FS Kruse, S. 693, 712; Schuppert, in: König/Benz, Privatisierung, S. 539, 550 ff.; König/Benz, in: Benz/König., Privatisierung, S. 606, 610 f f ; Schwab, Politikberatung, S. 425 ff. 233 Hommelhoff, ZGR 2001, 238, 246. 234 Bundesanzeiger v. 30.08.2002, S. 1-8. 235 Schuppen, ZIP 2002, 1269, 1278; Wolf, ZRP 2002, 59, 60. 236 Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1199, verneinen aus verfassungsrechtlichen Gründen generell die Zulässigkeit einer Ebene zwischen Gesetz und Unverbindlichkeit. Auf die öffentlich-rechtliche Problematik der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Modells der „mittleren Regelungsebene" soll jedoch an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden.
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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung
als Regelung „mittlerer Ebene" 237 . Das hätte vorausgesetzt, dass es sich bei den Kodexempfehlungen letztlich um staatlich gesetztes Recht mit allerdings nicht zwingendem Charakter handele. Notwendige Voraussetzung einer solchen Einordnung sei jedoch, dass der Gesetzgeber überhaupt den Willen gehabt habe, mit den Verhaltensregeln des Kodex über die bloße Erklärungspflicht hinaus staatliches Recht zu setzen. Anhaltspunkte hierfür gebe es aber nirgends 238 . Vielmehr unterscheide sich der Kodex von einem Regelwerk „mittlerer Ebene" durch seinen bloßen Empfehlungscharakter 239. In der Tat verfolgte der Normgeber nicht das Ziel, der Cromme-Kommission die Formulierung materiell-rechtlicher Rechtssätze zu überantworten. So kann selbstverständlich nicht bereits in der Einsetzung der Kommission zur Ausarbeitung des Kodex der gesetzgeberische Wille erblickt werden, das Ergebnis der Kommissionsarbeit als staatliches Recht zu billigen 240 . Auch dem Inhalt des Kodex selbst ist kein Hinweis auf ein solches Funktionsverständnis zu entnehmen 241 . Im Gegenteil wird von Seiten des zuständigen Referenten des Bundesjustizministeriums wie der Cromme-Kommission von „echter Selbstorganisation der Wirtschaft" 242 bzw. „Regeln der Wirtschaft für die Wirtschaft" 2 4 3 gesprochen. Insbesondere bezieht § 161 AktG nicht im Sinne einer dynamischen Verweisung den Inhalt des Kodex mit ein, sondern es wird nur die Pflicht zur Abgabe der Entsprechenserklärung — gerade ohne Verpflichtung zur inhaltlichen Erfüllung des Kodex — gesetzlich festgeschrieben 244. Damit billigt der in § 161 AktG zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wille dem Kodex lediglich die Funktion zu, den Umfang der gesetzlichen Erklärungspflicht zu bestimmen. Allein in der Aufgabenübertragung an die Cromme-Kommission, den Katalog derjenigen Verhaltensempfehlungen zusammenzustellen, der anschließend im Bundesanzeiger veröffentlicht wird und Grundlage der gesetzlichen Entsprechenserklärung ist, ist nicht ein Wille zur Übertragung tatsächlicher Regelungs237 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 159; ders., AcP 202 (2002), 143, 169; zustimmend Bachmann, W M 2002, 2137, 2138. 238 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 159; vgl. auch Ausführung der BaumsKommission: „Die Setzung von Verhaltensstandards, von denen abgewichen werden kann, ist auch nicht etwa mit der Setzung dispositiven Gesetzesrechts zu vergleichen", Baums, Bericht, Rn. 17, S. 60 f. 239 Ulmer, AcP 202 (2002), 143, 169. 240 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 159. 241 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 159; weitere Überlegungen über die anderenfalls anzunehmende Unbeachtlichkeit solcher Kodexpassagen erübrigen sich deshalb. 242 Seibert, ZIP 2001, 2192, 2192. 243 Cromme, Übergabe Kodex, S. 2. 244 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 159.
Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung
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Verantwortung zu sehen, der dem Modell der „mittleren Regelungsebene" zugrunde liegt. Deren Grundidee war es, den „Regulator der mittleren Regelungsebene" anstelle des Gesetzgebers materiellrechtliche Bestimmungen entwerfen zu lassen und den Gesetzgeber diesbezüglich auf eine „Überwachung durch Verfahren" zu beschränken 245, um notfalls die Regelungsverantwortung wieder an sich ziehen zu können. Damit ist weder dem Kodex selbst noch § 161 AktG der gesetzgeberische Wille zu entnehmen, die Verhaltens Vorschriften des Kodex in Rechtssätze „härten" zu wollen. Diesem Befund steht auch nicht entgegen, dass der Staat an der Entstehung des Kodexinhalts selbst wie auch bei dessen Veröffentlichung im elektronischen Bundesanzeiger mitwirkt(e), selbst wenn diese Mitwirkung den Anforderungen entspräche, die von einem Teil der Literatur an eine aus staatsrechtlicher Sicht rechtmäßige Übertragung von Rechtssetzungskompetenzen an Private gestellt werden 246 . Nur weil die Voraussetzungen eines nach dem Modell der „mittleren Regelungsebene" erforderlichen Anerkennungsakts (möglicherweise) erfüllt wären, folgt nicht im Umkehrschluss, dass es sich deshalb bei der staatlichen Mitwirkung auch um einen solchen Anerkennungsakt handelt. Ausschlaggebend ist der — nicht vorhandene — entsprechende Wille des Gesetzgebers 247. Die Verhaltensempfehlungen werden somit auch über das Denkmodell einer „mittleren Regelungsebene" nicht zu staatlichem Recht. 3. Vergleich mit Insiderhandels-Richtlinien, Übernahme-Kodex, Vertragsrecht Allein die Bezeichnung als Deutscher Corporate Governance Kodex drängt einen Vergleich mit den früher in Deutschland bekannt gewordenen Kodizes wie Insiderhandels-Richtlinien 248 und Übernahme-Kodex 249 auf. Inhaltlich haben der DCGK und die beiden vorgenannten Regelwerke jedoch nichts gemein. 245
Hommelhoff ZGR 2001, 238, 248. Vgl. Nachweise zu vorstehenden Fn. 248 ff. 247 Ähnlich Bachmann, W M 2002, 2137, 2138 beim Vergleich mit § 342 HGB. I.E. ebenso Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 29. 248 Insiderhandels-Richtlinien in der Fassung von Juni 1988, abgedruckt bei Baumbach/Hopt/Duden, HGB, 29. Aufl. 1995, unter (16) Insiderhandels-Ri. 249 Übernahmekodex der Sachverständigenkommission beim Bundesministerium der Finanzen vom 14. Juli 1995 in der Fassung vom 28. November 1997, abgedruckt bei Baumbach/Hopt, HGB, unter (18) Übernahmekodex; ersetzt durch das am 1. Januar in Kraft getretene „ Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübemahmen" und dem in dessen Art. 1 enthaltenen Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG), BGB. I, S. 3822 ff. 246
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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung
So unterscheidet sich der Kodex als umfassendes Regelwerk von den beiden vorherigen „punktuellen" Kodizes 250 . Deren freiwillige Verhaltensregeln erlangten nur dann Rechtswirkungen 251, wenn Unternehmen sie durch private Verträge anerkannten bzw. diese sich ihnen durch Unterzeichnung unterworfen hatten 252 . Das ist beim Kodex nicht der Fall 253 . Eine Einordnung des Kodex als Vertragsrecht (Anerkennung) scheidet schon mangels Vertragsparteien aus 254 . Die zivilrechtliche Anerkennung bzw. Unterwerfung in toto ist für den DCGK auch nicht vorgesehen. Im Gegenteil ist die Möglichkeit der Abweichung von Empfehlungen und Anregungen ausdrücklich in der Präambel, Abs. 6 S. 2, 5 DCGK hervorgehoben. Auch die nach § 161 AktG abzugebende Erklärung ist nicht auf die generelle Anwendung der Kodexbestimmungen gerichtet, sondern erlaubt die Nichtbefolgung einzelner oder auch aller Empfehlungen; das gilt erst recht fur die nicht erwähnten Anregungen 255. Insoweit kann zur begrifflichen Unterscheidung nicht wie bei Insiderhandels-Richtlinie und Übernahmekodex von einer „Opt in"-, sondern eher einer „Opt out"-Lösung gesprochen werden 256 . Der Kodex gibt keinen Inhalt vor, zu dessen Einhaltung sich die Gesellschaften verpflichten bzw. dem sie sich unterwerfen sollen. Er erlangt durch einen Verzicht von Vorstand und Aufsichtsrat auf ein mit der Entsprechenserklärung offengelegtes „Opt-out" seine — wie auch immer geartete und nachfolgend zu untersuchende — Maßgeblichkeit 257 .
250
Schuppen, ZIP 2002, 1269, 1278 (Fn. 85). Vgl. für die Insiderhandels-Richtlinien Baumbach/H opt!Duden, 29. Aufl., (16) Einl. Rn. 4; ftir den Übernahmekodex Baumbach/ Ήopt, 30. Aufl., (18) Einl. 4; eingehend zu darin begründeten Funktionsdefiziten Kirchner/Ehricke, AG 1998, 105, 105 ff. 252 Vgl. zum früheren Streitstand in Bezug auf den Übernahmekodex: fur vertragliche Anerkennung und damit gerichtliche Durchsetzbarkeit Assmann, AG 1995, 563, 564; Thoma, ZIP 1996, 1725, 1725 f.; abwägend Hopt, ZHR 161 (1997), 368, 400 ff.; für Unterwerfung und damit mangels schuldrechtlicher Pflichten nicht justiziablen „Satz von Spielregeln" Groß, DB 1996, 1909, 1909 f.; Kirchner/Ehricke, AG 1998, 105, 107 m.w.N. 253 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 34. 254 Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1199; Seibt, AG 2003, 465, 470. 255 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Β. I. 256 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 159; ders., AcP 202 (2002), 143, 168; a.A. Bachmann, W M 2002, 2137, 2138 (dort Fn. 12). 257 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 34; Ulmer, AcP 202 (2002), 143, 168. 251
Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung
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4. Vergleich mit „ Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung " (GoB) Parallelen lassen sich auch zwischen den Kodexregelungen und den „Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung" (GoB) erkennen 258, doch ließen sich aus einem Vergleich keine weiteren Hinweise über die Rechtsnatur des Kodex bzw. seiner Empfehlungen gewinnen, da auch die Rechtsnatur der GoB nicht abschließend geklärt ist. Vertreten wird deren Einordnung als Gewohnheitsrecht, Handelsbrauch, Verkehrssitte oder auch als Normbefehl in Form unbestimmter Rechtsbegriffe 259. Näheren Aufschluss über den Rechtscharakter des Kodex kann deshalb nur sein Vergleich mit diesen Rechtskategorien bieten. 5. Handelsbrauch i.S.v. § 346 HGB In Betracht kommt weiterhin eine Charakterisierung der Kodexempfehlungen als „im Handelsverkehr geltende Gewohnheiten und Gebräuche", auf die gemäß § 346 HGB Rücksicht zu nehmen ist und im Verkehr unter Kaufleuten eine das Gesetz ergänzende Rechtsquelle für die Beurteilung der Rechtsfolgen von Handlungen und Unterlassungen darstellen 260. Handelsbräuche sind im Kapitalmarktrecht ebenso wie in anderen Rechtsgebieten zu beachten261. Wäre der Kodex als Handelsbrauch zu charakterisieren, besäße sein Inhalt über § 346 HGB rechtliche Bedeutung für das Handeln der Aufsichtsräte aller börsennotierten Gesellschaften, ohne dass es darauf ankäme, ob die einzelne Gesellschaft gemäß § 161 AktG eine positive oder negative Entsprechenserklärung abgäbe262 oder die Regeln sogar durch Übertragung in Satzung oder Geschäftsordnung verankerte 263. 258 Vgl. nachfolgend zu Parallelen und Unterschieden von Kodex und Entsprechenserklärung zu § 342 HGB und den GoB nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, B. III. 2. b) aa). Vgl. zu den betriebswirtschaftlich entwickelten Grundsätzen ordnungsgemäßer Unternehmensführung (GoF), Unternehmensleitung (GoU), Überwachung (GoÜ), Abschlussprüfung (GoA) und Datenverarbeitung (GoDV) Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 37 m.w.N. 259 Vgl. dazu Baumbach/Hopt, HGB, § 238 Rn. 11; AT. Schmidt, Handelsrecht, § 15 I 4a) m.w.N.; W. Müller, FS Claussen, S. 707, 709, 711; Semler, FS Peltzer 2001, S. 489, 493. 260 Baumbach/Hopt, HGB, § 346 Rn. 1; Kort, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 346 Rn. 1 ; Κ Schmidt, in: MünchKommHGB, § 346 Rn. 6; Wagner, in: Röhrich/Graf v. Westphalen, HGB, § 346 Rn. 5; BGH BB 1973, 635, 636; NJW 1966, 502, 502 f. 261 Bachmann, W M 2001, 1793, 1796, 1798. 262 Vgl. dazu nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 263 Vgl. dazu nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. II.
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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung
Während Hopt es als „nicht ganz ausgeschlossen" erachtet, dass sich ein rechtlich unverbindlicher Kodex zu einem Handelsbrauch entwickeln könne 264 , scheint Ρ eitzer schon zum jetzigen Zeitpunkt davon auszugehen, dass der Kodex als „Quelle kaufmännischer Übung, also als Handelsbrauch" heranzuziehen sei, da er bereits den vor seiner Veröffentlichung erstellten und in Konkurrenz zueinander stehenden Kodizes 265 eine solche Wirkung zusprach. Dabei komme demjenigen der verschiedenen Kodizes „besondere Autorität" zu, dessen Verhaltensregeln von „mehrere(n) oder gar eine Vielzahl" börsennotierter Gesellschaften eingehalten werde 266 . Damit hinge die Charakterisierung des Kodexinhalts als Handelsbrauch lediglich vom Ergebnis einer entsprechenden empirischen Untersuchung des Verhaltens der börsennotierten Gesellschaften nach Veröffentlichung des Deutschen Corporate Governance Kodex ab 267 . Es dürfte aber davon auszugehen sein, dass Ρ eitzer zur Bejahung eines Handelsbrauchs nicht ausschließlich auf den Grad der Einhaltung des Kodex abstellen wollte 268 . Er dürfte eher dahingehend zu verstehen sein, dass den Vorgängern bzw. dem Kodex eine faktische Standardsetzung innewohne, die möglicherweise in der Zukunft zur Herausbildung eines entsprechenden Handelsbrauchs führen kann. Schließlich bedarf es zur Begründung eines Handelsbrauchs nach ständiger Rechtsprechung 269 und allgemeiner Meinung in der Literatur 270 nicht nur einer tatsächlichen Übung im Verkehr der beteiligten Kreise (Verkehrssitte), sondern Handelsbräuche sind nur solche Sitten, die „seit alters her" unter Kaufleuten gelten 271 . Erforderlich ist also nicht nur eine tatsächliche Übung, sondern zusätzlich eine längere, gleichförmige Ausübung derselben und
264
Hopt, Beiheft ZHR 71, S. 27, 52; Seibt, AG 2003, 465, 470. Angesprochen sind der „Code of best practice" der Frankfurter Grundsatzkommission (abgedruckt in: AG 2000, 109 ff), der „German Code of Corporate Governance" des Berliner Initiativkreises (abgedruckt in: AG 2000, 6 ff.) sowie die OECDGrundsätze (abgedruckt in: AG 1999, 340 ff.). 266 Ρ eitzer, NZG 2001, 10, 11. 267 Vgl. Studien bei v. Werder, Executive Summary, S. 2 ff.; Oser/Orth/Wader, DB 2003, 13371338 ff.; Towers/ Ρ errin, Corporate Governance 2003, S. 16 ff. 268 So verstanden aber von Bachmann, W M 2002, 2137, 2138 (dort Fn. 14); ähnlich Seibt, AG 249, 251 (dort Fn. 16); Hopt, Beiheft ZHR 71, S. 27, 52 (dort Fn. 106). 269 RGZ 110, 47, 48; BGH NJW 1952, 257, 257; W M 1973, 677, 678; W M 1984, 1000, 1002; NJW 1994, 659, 660. 270 Baumbach/Hopt, § 346 Rn.l; Achilles/Schmidt, in: Ernsthaler, GK-HGB § 346 HGB Rn. 10; Hefermehl, in: Schlegelberger, HGB, § 346 Rn.l; Horn, in: Heymann, HGB, § 346 Rn. 1; Kort, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 346 Rn.l; Ruß, in: HKHGB, § 346 Rn. 3; Κ . Schmidt, in: MünchKommHGB, § 346 Rn. 1; Wagner, in: Röhricht/Graf von Westphalen, HGB, § 346 Rn. 1, 11 ff. 271 Wagner, in: Röhricht/Graf von Westphalen, HGB, § 346 Rn. 1. 265
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weiterhin eine Zustimmung des betroffenen Verkehrskreises, sich dieser Übung unterwerfen zu wollen 272 . Selbst wenn unterstellt wird, dass die Verhaltensregeln des Kodex auf weitestgehende Zustimmung stoßen und entsprechend umgesetzt werden sollten und damit das Merkmal der tatsächlichen kaufmännischen Übung vorläge 273 , könnte der erst im Februar 2002 veröffentlichte Kodex dem fur eine Anerkennung als Handelsbrauch erforderlichen Zeitmoment keinesfalls gerecht werden. Zwar gelten für Dauer und Beständigkeit der Ausübung keine festen Maßstäbe, doch ist in jedem Fall eine gewisse Kontinuität erforderlich 274 . Liegen nicht ausnahmsweise gänzlich ungewöhnliche Umstände275 vor, setzt die Ausprägung eines Handelsbrauchs eine gleichmäßige Übung über einen längeren Zeitraum voraus 276 . Ein Einfluss des Kodex als nach § 346 HGB zu beachtender Handelsbrauch auf die Haftung des Aufsichtsrats scheidet somit jedenfalls zur Zeit bis auf weiteres aus 277 . Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, ob zu erwarten ist, dass der Kodexinhalt in Zukunft, also bei Erreichen der notwendigen Zeitspanne, zu einem Handelsbrauch erstarken könnte. Dazu wäre zunächst erforderlich, dass sich das im Kodex niedergelegte Verhalten zu einer tatsächlichen Übung der Gesellschaften verfestigt, also gleichmäßig und einheitlich praktiziert wird.
272 Baumbach/Hopt, § 346 Rn.l; Hefermehl, in: Schlegelberger, HGB, § 346 Rn.l; Horn., in: Heymann, HGB, § 346 Rn. 22; Kort, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 346 Rn.8; Κ Schmidt, Handelsrecht, § 1 III 3. a). 273 Bachmann, W M 2002, 2137, 2138; Ulmer, ZHR 166 ( 2002), 150, 159 f.; vgl. zum Grad der Kodexbefolgung nach ersten empirischen Untersuchungen v. Werder, Executive Summary, S. 2 ff. sowie Towers/Perrin, Corporate Governance 2003, S. 16 ff.; vgl. auch Seibt, AG 2003, 465, 465 f. 274 Kort, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 346 Rn. 8; Κ Schmidt, in: MünchKommHGB, § 346 Rn.13; Wagner, in: Röhricht/Graf von Westphalen, HGB, §346 Rn. 11. 275 Beispielsweise Krisen- oder Notsituationen, vgl. Hefermehl, in: Schlegelberger, HGB, § 346 Rn. 9; Kort, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 346 Rn. 8; Κ Schmidt, in: MünchKommHGB, § 346 Rn.13; Wagner, in: Röhrich/Graf v. Westphalen, HGB, § 346 Rn. 12. Die Veröffentlichung des Kodex stellt keine solche Ausnahmesituation dar. 276 BGH NJW 1952, 257, 257; RGZ 110, 47, 48; 118, 139, 140; nach Wagner, NJW 1969, 1282, 1283, handelt es sich dagegen bei dem Zeitmoment nur um eine „Beweiserleichterung" für das Vorliegen der beiden anderen genannten Voraussetzungen. 277 Fischer zu Cramburg, in: AnwK-AktienR, Kap. 5 Rn. 3; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 33; Bachmann, W M 2002, 2137, 2138; Seibt, AG 2002, 249, 251; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 160.
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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung
Die Herausbildung einer einheitlichen Übung erscheint allenfalls für den Empfehlungsteil des Kodex denkbar. Der nur angeregte Teil der Regelungsmaterie wird momentan auch nach Auffassung der aus Mitgliedern des angesprochenen Verkehrskreises gebildeten Cromme-Kommission noch nicht als allgemein akzeptierte „Best Practice" angesehen278. Es ist deshalb nicht zu erwarten, dass dieses Verhalten von den Gesellschaften einheitlich umgesetzt werden wird, zumal der über § 161 AktG erzeugte Marktdruck mangels Erklärungspflicht das nur angeregte Verhalten nicht erfasst. Bei den Empfehlungen deutet die mit Kodexerstellung und Verpflichtung zur Abgabe der Entsprechenserklärung verfolgte Ziel Vorstellung, die Gesellschaften über den Druck des Kapitalmarktes zur weitgehenden Einhaltung des empfohlenen Verhaltens zu bewegen, auf die Herausbildung einer darauf bezogenen einheitlichen Übung hin. Teilweise wird sogar von einer „faktischen Zwangslage" der Gesellschaften zur Einhaltung des Kodex gesprochen 279. Andererseits wird den Gesellschaften ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, von den Kodex-Regeln abzuweichen, wenn sie das für sinnvoll und geboten halten 280 . Da, soweit ersichtlich, abschließende empirische Erkenntnisse noch nicht vorliegen, sind Mutmaßungen über die künftige Einhaltung des Kodex notwendigerweise spekulativ. Erste Untersuchungen weisen zwar auf eine nicht unerhebliche Einhaltung der Kodexempfehlungen hin 2 8 1 . Erfasst sind aber zum einen nur die DAX-30 und MDAX-70 Unternehmen 282 und nur in einem Fall auch kleinere börsennotierte Unternehmen 283 und damit nicht der ganze maßgebliche Verkehrskreis aller börsennotierten Gesellschaften. Außerdem geht aus der Untersuchung hervor, dass gerade bestimmte Empfehlungen von sehr vielen Gesellschaften nicht angewendet werden 284 .
278 Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1576; vgl. Regierungsbegründung zum TransPuG, abgedruckt bei: NZG 2002, 213, 225. 279 Wolf, ZRP 2002, 59, 60; a.A. Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 45. 415. 280 BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21 f. 281 Vgl. Oser/Orth/Wader, DB 2003, 1337, 1338 ff.; Towers/ Ρ errin, Corporate Governance 2003, S. 16 ff. v. Werder, Executive Summary, S. 2 ff. 282 Oser/Orth/Wader, DB 2003, 13371338 ff.; Towers/ Perrin, Corporate Governance 2003, S. 16 f f ; ν. Werder, Executive Summary, S. 2 ff. 283 Vgl. Berücksichtigung von 42 an der Frankfurter Wertpapierbörse notierte Gesellschaften, die innerhalb der letzten 12 Monate vor der Untersuchung den geringsten Börsenumsatz hatten („AGM-42") Oser/Orth/Wader, DB 2003, 1337, 1338 ff. 284 So insbesondere Selbstbehalt von Vorstand und Aufsichtsrat bei D&OVersicherungen, Berücksichtigung von Vorsitz und Mitgliedschaft in Ausschüssen bei der Aufsichtsratsvergütung; erfolgsorientierte Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder,
Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung
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Selbst wenn sich jedoch eine einheitliche Übung der Gesellschaften zur Befolgung der Empfehlungen herausstellte, spricht die konzeptionelle Ausrichtung des Kodex als flexibles Instrument der Corporate Governance gegen die Erwartung einer zukünftigen Kontinuität der Praktizierung. Die Flexibilität manifestiert sich eben nicht nur in der Abweichungsmöglichkeit von Regelungen des Kodex, sondern gerade auch in der Flexibilität seines Inhalts. Die gegenüber einer gesetzlichen Regelung ungleich einfachere Modifizierbarkeit des Regelungsinhalts war vor dem Hintergrund der dynamischen Entwicklung der Regelungsmaterie tragender Gesichtspunkt fur die Schaffung des Kodex 285 . Dementsprechend heißt es im Kodex, er werde „in der Regel einmal jährlich vor dem Hintergrund nationaler und internationaler Entwicklungen überprüft und bei Bedarf angepasst", Präambel Abs. 9 DCGK. Es ist also zu erwarten, dass der Kodexinhalt sich im Rahmen der jährlichen Revisionen durch Umschreibung bisheriger Anregungen zu Empfehlungen oder Einfügung gänzlich neuer Verhaltensempfehlungen verändern wird 2 8 6 . Damit ist dem Kodex als zusammenhängendes Regelwerk eine inhaltliche Kontinuität abzusprechen. Folglich ist eine Verhaltensübung, die sich am sich veränderndem Inhalt des Kodex ausrichtet, ebenfalls nicht als andauernde und beständige Ausübung eines bestimmten Verhaltens 287 anzusehen. Damit ist selbstverständlich nicht ausgeschlossen, dass sich einzelne Verhaltensvorgaben, die im Kodex — sei es als Anregung oder Empfehlung — enthalten sind, nach den allgemeinen Regeln zur Bestimmung eines Handelsbrauchs zu einem solchen herausbilden. Maßgeblich ist dann jedoch nur das — womöglich durch den Kodex motivierte — Einzelverhalten, ohne dass die Existenz des Kodex als zusammenfassendes Regelwerk in die Überlegungen mit einzubeziehen wäre 288 . Im Ergebnis wird der Kodex deshalb in toto, also als Regelwerk in seiner Gesamtheit, auch in Zukunft keinen direkten rechtlichen Einfluss über den Umweg des § 346 HBG auf die Haftung der Mitglieder des Aufsichtsrats ausüben.
Veröffentlichung des Konzernabschlusses binnen 90 Tage nach Geschäftsjahresende, Veröffentlichung von Zwischenberichten binnen 45 Tagen. Bei den meist kleineren Unternehmen des M D A X 70 kommen weitere nur selten angewendete Empfehlungen hinzu; vgl. v. Werder, Executive Summary, S. 2 ff. 285 Baums, Bericht, S. 62, Rn. 17; Cromme, Veröffentlichung Kodexentwurf, S. 3. 286 Vgl. entsprechende Änderung des DCGK zum 21.05.2003. 287 Kort, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 346 Rn. 8; Wagner, in: Röhrich/Graf v. Westphalen, HGB, § 346 Rn. 11 f. 288 I.E. ebenso Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 33.
72
1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung
6. Handelsgewohnheitsrecht Eine Einordnung des Kodex als handelsrechtliches Gewohnheitsrecht scheidet nach Verneinung der Charakterisierung als Handelsbrauch erst recht aus 289 . Zusätzlich zu den vorstehend dargestellten und nicht erfüllten Voraussetzungen von Handelsbräuchen setzt das Handelsgewohnheitsrecht über die freiwillige Billigung als das im Handelsverkehr Übliche hinaus einen Rechtsgeltungswillen voraus und wird erst damit zu einer Rechtsquelle wie das geschriebene Recht (Art. 2 EGBGB) 2 9 0 . Tragender Gesichtspunkt fur die Schaffung des Kodex war hingegen, mit diesem flexiblen, gerade nicht zwingendem Regelungsinstrument den Gesellschaften weitgehenden Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung ihrer Corporate Governance zu belassen und gesetzliche Regelungen entbehrlich zu machen. Ausweislich dieser Zielvorstellung sind die Gesellschaften weder davon überzeugt, dass es sich bei den Empfehlungen, noch weniger den Anregungen des Kodex, um „Recht" handelt, noch gewillt, sie als geltendes Recht anzuwenden291. 7. „Soft
law"
In der Literatur besteht im Ergebnis letztlich Einigkeit, dass es sich bei dem Kodex und seiner gesetzlichen Anbindung über § 161 AktG um ein der deutΛΛΛ
ΛΛΟ
sehen Rechtsquellenlehre bisher unbekanntes Regelungsinstitut handelt" . In Ermangelung anderer Bezeichnungen wird häufig der terminus technicus „soft
289 So auch Claussen/Bröcker, DB 1199, 1199, ohne dabei zwischen Handelsbräuchen und Handelsgewohnheitsrecht zu unterscheiden; zustimmend Steiner, in: AnwKAktienR, Kap. 1 § 161 Rn. 2. 290 Achilles/Schmidt, in: Ernsthaler, GK-HGB § 346 Rn.5; Hefermehl, in: Schlegelberger, HGB, § 346 Rn.l; Horn, in: Heymann, HGB, § 346 Rn. 15 f.; Kort, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 346 Rn. 4; Κ Schmidt, in: MünchKommHGB, § 346 Rn. 16; ders., Handelsrecht, § 1 III 3 a). 291 Vgl. Baums, Bericht, Rn. 8, S. 53, wonach sich nur eine Minderheit der vor Ausarbeitung des Kodex eingeholten Stellungnahmen für eine Verbindlichkeit eines Kodex aussprach. 292 Vgl. dazu Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhoff, Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, § 61 Rn. 5 ff., 19 ff.; Röhl, Allgemeine Rechtslehre, §§ 64 — 66. 293 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 28: Hopt, Beiheft ZHR 71, S. 27, 52, 67; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 525; Schuppen, ZIP 2002, 1269, 1278; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 554; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 160; auf die Parallele zu § 3 Nr. 5 BGB-InfoV verweisend Abram, NZG 2003, 307, 307; ders., ZBB 2003, 41, 42.
Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung
73
law" verwandt 294 . Wie Olmer zutreffend hervorhebt, ist eine nähere rechtliche Eingrenzung mit dieser Begrifflichkeit nicht erreicht 295 . Vielmehr verdeutlicht der seinerseits interpretationsbedürfitige Anglizismus die bestehende Unsicherheit bei der rechtlichen Charakterisierung des aus dem anglo-amerikanischen neu in den Deutschen Rechtsraum eingefügten Rechtsinstituts des „comply or explain" im Zusammenhang mit einem privat erstellten Verhaltenskodex. Obwohl dem Kodex keine rechtliche Verbindlichkeit, sondern nur ein Empfehlungscharakter zugedacht ist und seine Nichtanerkennung gemäß Vorschlag der £aw/7w-Kommission auch nicht etwa durch Ausschluss vom amtlichen Börsenhandel zu ahnden sein sollte 296 , scheidet eine Einordnung des Kodex als bloße Information über die deutsche Corporate Governance aus. Dem steht die doppelte Zielsetzung des Kodex entgegen, nicht nur eine Kommunikations-, sondern auch eine Ordnungsfunktion zu erfüllen, die sich in der Verschiedenartigkeit seiner Regelungen manifestiert 297. Der gesetzeswiederholende Teil ist sicherlich als bloße Information über die für deutsche Unternehmen geltende gesetzliche Lage einzuordnen 298. Zumindest der Empfehlungsteil des Kodex — mit Abstrichen auch der Anregungsteil — geht aber über ein rein beschreibendes Moment hinaus, da er gerade auf eine Verbesserung und damit Veränderung der bestehenden Corporate Governance abzielt 299 . Dass sich eine Nichtbefolgung des Kodex negativ auf eine Gesellschaft auswirken kann, dürfte außer Frage stehen300. Der prognostizierte Erwartungsdruck des Marktes wird sich
294 Vgl. Fischer zu Cramburg, in: AnwK-AktienR, Kap. 5 Rn. 3; Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 37; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 28; Steiner, in: AnwK-AktienR, Kap. 1, § 161 Rn. 1; Hommelhoff, ZGR 200 L 238, 246 (vor Kodexerstellung zur „mittleren Regulierungsebene"); Kronke, FS Lutter, 2000, S: 1449, 1458 f. (zu Beispielen in den USA); Lutter, ZGR 2000, 1, 18 (zu den OECD-Principles); ders., ZGR 2001, 224, 225; Schuppen, ZIP 2002, 1269, 1278; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 554; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 161; ders., AcP 202 (2002), 143, 168; v. Wartenberg, W M 2001, 2239, 2139; bereits zuvor Kronke, FS Lutter, S. 1449, 1450. 295 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 161. 296 Baums, Bericht, Rn. 9, S. 54; vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, A. IV. 1. 297 Ulmer, AcP 202 (2002), 143, 167; ders., ZHR 166 (2002), 150, 153; vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. IV. 2. c). 298 Lutter, FS Druey, 463, 465; Seibert, BB 2002, 581, 582; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 153; vgl. auch Präambel Abs. 1 S. 1, Abs. 6 S. 6 DCGK. 299 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 151, 160. 300 Baums, Bericht, Rn. 17, S. 61; Davies, ZGR 2001, 268, 278 f.; Wymeersch, ZGR 2001, 294, 314 f.; vgl. auch vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. II. 2.
74
1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung
umso deutlicher auswirken, je mehr sich eine Befolgung des Kodex und allgemeine Anerkennung der Gewichtigkeit seines Inhalts durchsetzt 301. C. Zusammenfassung Der privat erstellte Kodex nicht zwingender Verhaltenspflichten wurde als Konsequenz der Globalisierung der Kapitalmärkte zur Information der Anleger und als dem deutschen System neues, flexibles, auf die mittelbar sanktionierende Kraft des Marktes vertrauendes Regelungsinstrument geschaffen. Die Regelungsfunktion des Kodex soll durch die über die gesetzliche Verpflichtung zur Abgabe der Entsprechenserklärung erzeugte Publizität erfüllt werden. Börsennotierte Gesellschaften müssen mit der Erklärung Abweichungen von den als „Empfehlungen" formulierten Verhaltensstandards des Kodex offen legen.
301
Ulmer, AcP 202 (2002), 143, 170.
2. Kapitel
Überblick über die Haftungstatbestände Stehen im Zusammenhang mit dem Kodex und der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG negative Folgen fur die Gesellschaften im Raum, stellt sich die Frage nach den Konsequenzen für die dafür verantwortlichen Personen. Pflichtverletzungen von Aufsichtsratsmitgliedern können eine Reihe unterschiedliche Sanktionen nach sich ziehen. So kann ihnen gesellschaftsintern die Entlastung verweigert werden (§ 120 AktG) 1 , sie können durch das jeweilige Wahlorgan (§ 103 Abs. 1 u. 2 AktG, §23 MitbestG, § 11 MontanMitbestG, § 10m MitbestErgG) oder gerichtlich (§ 103 Abs. 3 AktG) aus dem Amt abberufen werden 2 oder sich gegenüber der Gesellschaft oder Dritten schadensersatzpflichtig machen. Nur letzteres soll im Anschluss untersucht werden. A. Unterscheidung von Innen- und Außenhaftung Bei der Haftung der Aufsichtsratsmitglieder ist zwischen der Innenhaftung und der Außenhaftung zu unterscheiden. Bei der Innenhaftung geht es um gesellschaftsinterne Ansprüche, also die Schadensersatzpflicht einzelner Mitglieder des Organs Aufsichtsrat gegenüber der Gesellschaft 3. Die Außenhaftung betrifft hingegen die persönliche Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern gegenüber Dritten. Während dabei eine Haftung gegenüber Gesellschaftsgläubigern, Wettbewerbern oder Arbeitnehmern von geringer praktischer Relevanz ist4, besitzt die Frage einer Schadenersatzpflicht gegenüber Aktionären der Gesell1
Schiippen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 6. Mit der Abberufung ist insbesondere die „politische Verantwortlichkeit" des Aufsichtsrats angesprochen. Abgesehen vom Gesichtspunkt des persönlichen Reputationsverlusts ist die Sanktion aus finanzieller Sicht für das betroffene Aufsichtsratsmitglied wenig gravierend (vergleichsweise geringe Vergütung; Abführungspflichten der Arbeitnehmerseite); vgl. zur Neuordnung der Aufsichtsratsvergütung Ziff. 5.4 DCGK; vgl. auch v. Rosen., BB 2003, Heft 31, S. I. 3 Thümmel, Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, Rn. 11. 4 Thümmel, Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, Rn. 17; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 865. 2
2. Kapitel: Oberblick über die Haftungstatbestände
76
schaft oder dem anlagewilligen Publikum — zumal im untersuchten Zusammenhang — hervorgehobene Bedeutung5. B. Die einzelnen Haftungstatbestände I. Haftung aus §§ 93 Abs. 2,116 AktG Unmittelbar mit der Organstellung des Aufsichtsrats verbunden ist der zentrale aktienrechtliche Haftungstatbestand der §§93 Abs. 2, 116 AktG. Nach §116 AktG ist der für den Vorstand geltende § 93 AktG sinngemäß auf den Aufsichtsrat anzuwenden, so dass Aufsichtsratsmitglieder unter den Voraussetzungen des § 93 Abs. 2 AktG der Gesellschaft gegenüber schadensersatzpflichtig sind6. Danach haften Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft als Gesamtschuldner, wenn sie schuldhaft ihre Pflichten verletzen und daraus der Gesellschaft ein Schaden entsteht7. Dabei liegt gemäß §§93 Abs. 2 S. 2, 116 AktG die Beweislast für die angewendete Sorgfalt und das Verschulden nicht bei der Aktiengesellschaft, sondern beim Aufsichtsrat 8. Nach dieser Haftungsgrundlage könnte eine Verletzung der Erklärungspflicht nach § 161 AktG Schadenersatzansprüche der Gesellschaft zur Folge haben9 oder auch der Kodexinhalt selbst Pflichten des Aufsichtsrats im Sinne der §§93, 116 AktG begründen, konkretisieren oder anderweitig beeinflussen 10.
5
Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 862, 864. Allg. Meinung, statt aller Hüffer, AktG, § 116 Rn. 8, § 93 Rn. 11 ff. 7 Die in Bezug auf die Vorstandshaftung aufgrund eines unterschiedlichen dogmatischen Verständnisses des Haftungsgrundes des § 93 Abs. 2 AktG umstrittene Frage, ob neben § 93 Abs. 2 AktG ein Anspruch aus positiver Forderungsverletzung nach § 280 BGB des Anstellungsvertrages in Betracht kommt (vgl. zum Meinungsstand statt aller Hiiffer, AktG, § 93 Rn. 11 m.w.N), spielt für den Aufsichtsrat, dessen Tätigwerden gerade nicht von einem Nebeneinander organschaftlicher Bestellung und schuldrechtlichem Anstellungsverhältnis geprägt ist (vgl. zum Streitstand statt aller Hüffer, AktG, § 101 Rn. 2 m.w.N.), mangels Anstellungsverhältnis keine Rolle. 8 Vgl. zum Streitstand, ob die Beweislastregelung nur das Verschulden oder auch das Vorliegen einer objektiven Pflichtverletzung erfasst, statt aller Hüffer, AktG, § 93 Rn. 16 m.w.N. 9 Vgl. dazu nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 10 Vgl. dazu nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. II., III. 6
Β. Die einzelnen Haftungstatbestände
77
II. Erklärungs- und Vertrauenshaftung /. Haftung aus § 311 Abs. 2 BGB (culpa in contrahendo) Nach den nun in § 311 Abs. 2 BGB gesetzlich niedergelegten Grundsätzen der culpa in contrahendo wäre eine Haftung von Mitgliedern des Aufsichtsrats auch gegenüber den Anlegern der Aktiengesellschaft für schuldhaft in Anspruch genommenes enttäuschtes Vertrauen durch Abgabe einer fehlerhaften Entsprechenserklärung denkbar. Nach den von der Rechtsprechung zur Vertrauenshaftung entwickelten Fallgruppen erfordert eine Haftung dabei ein besonderes wirtschaftliches Interesse an einem Vertragsschluss 11 oder die Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens 12. 2. Bürgerlichrechtliche
Prospekthaftung
Nicht an ein persönliches, sondern an ein „typisiertes" Vertrauen anknüpfend hat die Rechtsprechung für verschiedene Anlageformen zu Gunsten der Anleger eine Haftung für Vollständigkeit und Richtigkeit von Werbeprospekten entwickelt, die Gründer, Gestalter und Initiatoren einer Gesellschaft persönlich trifft, die diese Prospekte wissentlich in den Verkehr gebracht haben13. Auch diese Haftungsgründe sind möglicherweise auf die Abgabe der Entsprechenserklärung durch den Aufsichtsrat übertragbar, was eine Außenhaftung der Mitglieder des Organs zur Folge haben könnte 14 . 3. Spezialgesetzliche Prospekthaftung Nicht zu vergessen sind die verschiedenen spezialgesetzliche Tatbestände, die eine Haftung gegenüber Anlegern für die Veröffentlichung unzutreffender Prospekte oder Unternehmensberichte begründen können, §§44 ff, 55 BörsG, §20 KAGG, § 12 AuslInvestmG und § 13 VerkProspG 15. In den einzelnen
11
Vgl. nur Palandt/Heinrichs, BGB, § 311 Rn. 61 f. Vgl. nur Palandt/Heinrichs, BGB, § 311 Rn. 63 f. 13 Vgl. umfassend Assmann, in: Assmann/Schütze, Hdb-KapitalmarktR, § 7 Rn. 1 ff.; Eyles, in: Vortmann, Prospekthaftung, § 2; Palandt/Heinrichs, § 280 Rn. 54 ff.; Hopt, in: 50 Jahre BGH, Festgabe aus der Wissenschaft, 2000, S. 497, 525 f f ; ders., in: Baumbach/Hopt, HGB, Anhang nach § 177a Rn. 59 ff. 14 Vgl. nachfolgende Ausführungen unter 4. Kapitel, Α. I., II. 15 Vgl. zur spezialgesetzlichen Prospekthaftung etwa Hauptmann, in: Vortmann, Prospekthaftung, § 3 Rn. 1 ff.; Groß, Kapitalmarktrecht, §§ 45, 46 BörsG, § 13 Verk12
78
2. Kapitel:
berblick über die Haftungstatbestände
Spezialgesetzen sind jedoch die den Haftungstatbeständen unterliegenden Prospekte bzw. Berichte explizit im Einzelnen aufgeführt 16. Eine Haftung nach den Spezialgesetzen kommt damit nur in Betracht, wenn die Entsprechenserklärung Bestandteil einer der gelisteten Unterlagen wäre. Das ist allenfalls auf freiwilliger Basis bei Neuemissionen denkbar 17. Aufsichtsratsmitglieder, die dann im Prospekt als Verantwortung übernehmende Personen aufgeführt wären, hafteten gem. §§44 Abs. 1 Nr. 1 BörsG, § 14 BörsZulVO. Die Haftung wäre dann nicht weiter problematisch 18, so dass sich eine weitere Erörterung der Vorschriften erübrigt. III. Haftung aus Tatbeständen des Deliktsrechts 1. Haftung aus § 117 AktG Der Haftungstatbestand des § 117 AktG ist bereits den deliktischen Anspruchsgrundlagen zuzurechnen 19. Eine Haftung kommt zum einen in Betracht, wenn ein Aufsichtsrat den mit dem Mandat verbundenen Einfluss zu einer vorsätzlichen Schädigung benutzt, § 117 Abs. 1 AktG 2 0 , zum anderen, wenn sich ein Aufsichtsratsmitglied, kumulativ zu den Voraussetzungen der §§93 Abs. 2, 116 AktG, pflichtwidrig schädigenden Einflüssen Dritter beugt, § 117 Abs. 2 AktG 2 1 . Die Bedeutung der Vorschrift liegt darin, dass Aufsichtsratsmitglieder nicht nur der Aktiengesellschaft, sondern unter den Voraussetzungen des § 117 Abs. 1 S. 2 AktG auch den Aktionären verpflichtet sein können. Aufgrund des erforderlichen Schädigungsvorsatzes betrifft die Norm jedoch nur äußerst krasse Fälle des Fehlverhaltens von Aufsichtsratsmitgliedern 22; der praktische AnProspG; Baur, Investment^ Bd. 1, Teil 2 § 20 KAAG, Bd. 2, Teil 3 § 12 AusllnvestmG; Hopt, in: FG 50 Jahre BGH, S. 497, 525 ff.; Kort, AG 1999, 9 ff. 16 §§ 13 ff. BörsZulV; § 1 VerkProspG; ; § 3 KAGG; § 19 AuslInvestmG. 17 Abram , ZBB 2003, 41, 43; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1582; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 357. 18 Bachmann, W M 2002, 2137, 2140. Vgl. dazu den auf dieser Unkompliziertheit basierenden Vorschlag de jure ferenda, eine spezialgesetzliche Haftung für den Verstoß von Organmitgliedern gegen Publizitätspflichten mit Kursrelevanz, u.a. § 161 AktG, in Anlehnung an §§ 44 ff. BörsG zu schaffen, Abram , NZG 2003, 309, 311 f. 19 Vgl. BGH W M 1992, 1812, 1819; Kropff in: Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropff, AktG, § 117 Rn. 5; Mertens, in: KölnKommAktG, § 117 Rn. 9. 20 Vgl. BGH NJW 1980, 1629, 1629 f.(„Schaffgotsch"); Hüffer, AktG, §117 Rn. 3 ff.; Ulmer, NJW 1980, 1603, 1606; eingehend Brüggemeier, AG 1988, 93, 94 ff. 21 Hüffer, AktG, § 117 Rn. 10. 22 Vgl. BGH ZIP 1985, 607, 607 ff.; BGH NJW 1980, 1629, 1629 f. („Schaffgotsch"); Wiesner, in: MünchHdbAG, § 27 Rn. 1; Hübner, Managerhaftung, S. 16.
Β. Die einzelnen Haftungstatbestände
79
Wendungsbereich der Norm ist gering 23 . In Betracht kommen könnte bei Vorliegen eines Schädigungsvorsatzes eine Haftung wegen Abgabe einer falschen Entsprechenserklärung oder Nichtbeachtung des Kodexinhalts ohne Grund. Solche Fälle sind — bei Nachweisbarkeit des Schädigungsvorsatzes — juristisch jedoch nicht problematisch und eine Haftung weder unbillig noch unkalkulierbar 24 . Die Anspruchsgrundlage soll deshalb bei der weiteren Untersuchung außer Betracht bleiben. 2. Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB Da § 823 Abs. 1 BGB nicht das Vermögen als Ganzes schützt, ist der Anwendungsbereich des § 823 Abs. 1 BGB beschränkt auf Verletzungen absoluter Rechtsgüter 25 der Aktiengesellschaft durch den Aufsichtsrat. Allgemein anerkannt ist, dass die Mitgliedschaft in einer Kapitalgesellschaft als absolutes Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB anzusehen ist 26 . Ob Aktionäre der Aktiengesellschaft jedoch bei pflichtwidrigem Verhalten des Aufsichtsrats Schadenersatz wegen Verletzung ihres Mitgliedschaftsrechts geltend machen können, ist umstritten 27. Nur soweit das bejaht werden kann, wäre eine Schadensersatzverpflichtung wegen Verstoß gegen § 161 AktG oder den Kodex vorstellbar. 3. Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i. V.m. einem Schutzgesetz Im Gegensatz zu Abs. 1 der Vorschrift schützt § 823 Abs. 2 BGB bei Verletzung eines Schutzgesetzes das Vermögen als Ganzes28, auch gegenüber Aktionären oder Anlegern der Gesellschaft. Als Schutzgesetze in Betracht kommen der Kodex selbst, § 161 AktG oder § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG bzw. 331 Nr. 1 HGB 2 9 .
23
Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 823. Bachmann, W M 2002, 2137, 2U\\Seibert, BB, 2002, 581, 584. 25 Vgl. nur Palandt/772owoy, BGB, § 823 Rn. 1. 26 BGH NJW 1990, 2877, 2878 (Verein); Hopt, in: GroßkommAktG, §93 Rn. 440 ff.; Palandt/TTzornas, BGB, § 823 Rn. 27. 27 Vgl. zum Streitstand etwa Hopt, in: GroßkommAktG, § 93. Rn. 440 ff.; Mertens, in: KölnKommAktG, § 93 Rn. 172; eingehend Habersack, Die Mitgliedschaft, passim, vgl. nachfolgende Ausführungen unter 4. Kapitel, Β. I. 28 Palandt/77zomas, § 823 Rn. 1. 29 Vgl. nachfolgende Ausführungen unter 4. Kapitel, Β. II. Nach einer äußerst umstrittenen Entscheidung des LG Augsburg soll § 88 BörsG a.F. (im wesentlichen jetzt § 20a WpHG, vgl. zu den Änderungen Möller, W M 2002, 309, 311 ff.) als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB anzusehen, LG Augsburg (v. 25.9.2001, -3 Ο 4995/00-), W M 24
2. Kapitel:
80
berblick über die Haftungstatbestände 4. Haftung aus § 826 BGB
In Fällen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung der Aktiengesellschaft durch ihre Aufsichtsratsmitglieder kommt neben § 117 A k t G auch eine Haftung aus dem allgemeinen deliktischen Tatbestand des § 826 B G B in Betracht, der ebenfalls das Vermögen als Ganzes zu Gunsten der Aktionäre oder sonstiger Dritter schützt 3 0 . Hinsichtlich der praktischen Relevanz und möglichen Bedeutung für den untersuchten Zusammenhang gilt das zu § 117 A k t G gesagte 31 . I V . Konzernrechtliche Haftungstatbestände Neben den allgemeinen aktien- und bürgerlich-rechtlichen können spezielle konzernrechtliche Tatbestände zu einer persönlichen Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern führen. Z u nennen sind § 310 A k t G 3 2 und § 318 Abs. 2 A k t G 3 3 . Diese Haftungsnormen wurden jedoch unter dem speziellen Gesichtspunkt des Konzernrechts geschaffen, spielen bei der mit Kodex und Entsprechenserklä-
2001, 1944, 1945; Rodewald/Siems, BB 2001, 2437, 2439 f.; a.A. BVerfG, ZIP 2002, 1986, 1988 f. (Metabox); OLG München, ZIP 2002, 1989, 1989 ff. (Infomatec II); LG München I, W M 2001, 1948, 1948 ff. (Infomatec) LG Augsburg (v. 9.1.2002, -6 Ο 1640/01), W M 2002, 592, 593 f; LG Kassel, DB 2002, 2151, 2151; Kumpel, in: Assmann/Schneider, WpHG, § 15 Rn. 186; Groß, W M 2002, 477, 484; Rützel, AG 2003, 69, 72 f.; Thümmel, DB 2001, 2331, 2332 f.; Schwark, EWiR 2001, 1049, 1050; auch zur Nachfolgenorm § 20a WpHG ablehnend Abram , ZBB 2003, 41, 46; Barnert, W M 2002, 1473, 1477 ff.; Maier-Reimer/Webering, W M 2002, 1857, 1864. Selbst wenn die absolute Mindermeinung des LG Augsburg zuträfe, erforderte eine Haftung direkten Einwirkungsvorsatz, vgl. Schwark, BörsG, § 88 Rn. 11. Das wird in den allermeisten Fällen nicht der Fall sein, so dass weitere Ausführung auch in Anbetracht der absolut h.M. unterbleiben können. Ein Eingehen auf die unzweifelhaft Schutzgesetze darstellenden Straftatbestände der §§ 264a, Abs. 1, 263 Abs. 1 StGB soll aus den durch das Vorsatzerfordernis begründeten Praxisferne entsprechend den Ausführungen zu § 117 AktG unterbleiben. Beide Vorschriften werden i.d.R. im der Arbeit zugrundeliegenden Zusammenhang auch schon objektiv nicht erfüllt sein, vgl. dazu Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 214 f.; Abram, ZBB 2003, 41, 47; Ettinger/Grützedieh, AG 2003, 353, 360. 30
Statt aller Hüffer, AktG, § 117 Rn. 14. Vgl. Schuppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2 Rn. 20; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 220; ausführlich Abram, ZBB 2003, 41, 47 ff.; Bachmann, W M 2002, 2137, 2141; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 360; Seibt, AG 2002, 249, 256; eingehend Reichert/Weller, ZRP 2002, 49, 52 ff. 32 Vgl. zur Aufsichtsratshaftung Emmerich/Sonnenschein, Konzernrecht, § 18 III. 3.; Wellkamp, W M 1993, 2155, 2158; zum Zusammenspiel mit § 93 Abs. 4 S. 1 AktG Canaris, ZGR 1978, 207, 208 ff. 33 Vgl. Emmerich/Sonnenschein, Konzernrecht, § 22 III. 1. 31
C. Zusammenfassende Bewertung der Tatbestände
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rung zusammenhängenden Haftung des Aufsichtsrats keine besondere Rolle und werden an dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber erwähnt. C. Zusammenfassende Bewertung der Tatbestände Ordnet man die vorstehend im Überblick dargestellten potentiellen Haftungstatbestände nach ihrer Relevanz für die Innen- bzw. Außenhaftung, können im Rahmen der Untersuchung der Innenhaftung sämtliche deliktischen Ansprüche mangels Praxisrelevanz in den Hintergrund treten 34. Der Anspruch aus §§93, 116 AktG erscheint aufgrund der Beweislastregel des § 93 Abs. 2 AktG unabhängig von der Frage ihres Umfangs als ungleich wirkungsvollere Grundlage zur Begründung von Schadenersatzforderungen 35. Die Untersuchung der Innenhaftung kann sich deshalb auf die §§ 93, 116 AktG beschränken. Eine möglicherweise einschlägige Vertrauenshaftung kann per se nur im Rahmen der Außenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber Anlegern der Gesellschaft eine Rolle spielen. Daneben können in dieser Rechtsbeziehung unter Umständen deliktische Tatbestände praxisrelevante Ansprüche begründen.
34 Vgl. zu den geringen Erfolgsaussichten deliktische Klagen Hübner, Ulrich, Managerhaftung, S. 22 f.; Theissen, DBW 53 (1993), 295, 301. 35 Obgleich diese Haftungsnorm ein „scharfes Schwert" zur Ahndung von Sorgfaltsverstößen der Organmitglieder ist, wurden gerade in Bezug auf Aufsichtsratsmitglieder nur sehr wenige Fälle von der Rechtsprechung entschieden, vgl. BGH NJW 1980, 1629, 1629 (Schaffgotsch I); BGH W M 1983, 957, 957 ff. (Schaffgotsch II); LG Bielefeld, ZIP 2000, 20, 20 ff. (Balsam); LG Stuttgart AG 2000, 237, 237 ff. (ASS); dazu Kort, EWiR 1999, 1145 f.
3. Kapitel
Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder A. Einführung zur Haftung aus §§ 93 Abs. 2 , 1 1 6 A k t G Ohne dass (soweit erkennbar) aufgrund der erst im Jahr 2002 erfolgten Veröffentlichung des Kodex und Schaffung des § 161 AktG bereits auf praktische Fälle aus der Rechtsprechung oder empirische Untersuchungen zurückgegriffen werden kann, ist ohne weiteres vorstellbar, dass einer Aktiengesellschaft durch ein mit Kodex und Entsprechenserklärung zusammenhängendes Verhalten ihrer Aufsichtsratsmitglieder Nachteile erwachsen. Hätten Kodex und Entsprechenserklärung keine negativen Auswirkungen irgendeiner Art fur zuwiderhandelnde Gesellschaften, wäre die als zweite Zielsetzung neben der Information des Marktes bezweckte Ordnungsfunktion des Kodex 1 gänzlich verfehlt. Wie die vorangestellten Überlegungen gezeigt haben, bilden die §§93 Abs. 2, 116 AktG die entscheidende Haftungsgrundlage für Innenansprüche. Deren erste Voraussetzung ist das Tatbestandsmerkmal der Pflichtverletzung. Zentrale Frage für die Beurteilung potentieller Haftungsrisiken für Mitglieder des Aufsichtsrats gegenüber der Gesellschaft im Zusammenhang mit Kodex und Entsprechenserklärung nach § 161 AktG ist damit, inwieweit durch die Publizitätspflicht oder den Kodex selbst Verhaltenspflichten fur die Organmitglieder begründet, konkretisiert oder anderweitig beeinflusst werden 2. B. Pflichtverletzung Der Aufgaben- und damit auch Pflichtenkreis des Aufsichtsrats ergibt sich aus verschiedenen Quellen. Zum Ersten bestimmt er sich nach den zahlreichen und teilweise weit verstreuten gesetzlichen Vorschriften, die sich insbesondere auf die Überwa-
1 Baums, Bericht, Rn. 7, S. 51 f.; vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, A. IV. 2. c). 1 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 189; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1575; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 526.
Β. Pflichtverletzung
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chungs- und Beratungsfìinktion des Aufsichtsrats beziehen3. Eine Pflichtverletzung im Sinne der §§ 93 Abs. 2, 116 AktG ist stets zu bejahen, wenn ein Aufsichtsratsmitglied gegen seine in gesetzlichen Vorschriften normierten Pflichten verstößt 4. Dem Katalog der gesetzlich normierten Pflichten wurde mit § 161 AktG eine weitere Verhaltenspflicht des Aufsichtsrats hinzugefügt 5. Die Verpflichtung zur Abgabe der Entsprechenserklärung unterscheidet sich vom Rechtscharakter nicht von anderen gesetzlichen Verpflichtungstatbeständen. Verstöße stellen sich als schadenersatzauslösende Pflichtverletzung dar, so dass es gilt, den genauen Inhalt der Verpflichtung zur Abgabe der Entsprechenserklärung abzustecken. Im Gegensatz dazu enthält der Kodex keine originären gesetzlichen Verhaltenspflichten 6. Sein Informationsteil gibt nur die allein maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen wieder und ist selbst ohne rechtlichen Belang7. Zum Zweiten richten sich die Pflichten der Mitglieder des Aufsichtsrats nach der Satzung und einer möglicherweise 8 bestehenden Geschäftsordnung. Werden Bestimmungen des Kodex in die Satzung der Gesellschaft oder die Geschäftsordnung des Aufsichtsrats aufgenommen, könnten entgegenhandelnde Aufsichtsratsmitglieder ihre Pflichten verletzen. Zum Dritten bemessen sich die Pflichten nach dem allgemeinen Verhaltensstandard des § 93 Abs. 1 i.V.m. § 116 AktG, der nach ganz herrschender Auffassung eine Doppelfunktion in dem Sinne wahrnimmt, als dass nicht nur ein
3 Vgl. Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 63 f f , 94; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1575. Zu nennen sind diesbezüglich neben der sicherlich „zentralen" aktienrechtlichen Vorschrift des § 111 AktG die §§ 33; 58 Abs. 2; 59
Abs. 3; 77 Abs. 2; 78 Abs. 3; 84; 86; 87; 88; 89;'90; 105 Abs. 2; 110, 112; 114; 115;
116; 124 Abs. 2; 170; 171; 172; 204 Abs. 1; 245 Nr. 5; 268 Abs. 2; 308 Abs. 3 S. 2; 314; 337 AktG. Vgl. Auflistung von Scheffler, ZGR 1993, 63, 66 f.. 4 Hopt, in: GroßkommAktG, § 93 Rn. 222 ff., Hüffer, AktG, § 93 Rn. 13; Mertens, in: KölnKommAktG, § 93 Rn. 27. 5 Im Zuge des TransPuG wurde mit § 116 Abs. 2 AktG die Verpflichtung zur Verschwiegenheit über erhaltene vertrauliche Berichte und vertrauliche Beratungen gesetzlich normiert, die aber nach allgemeiner Auffassung auch schon zuvor bestand, vgl. Baums, Bericht, Rn. 66 f., S. 105 f.; Hüffer, AktG, § 116 Rn. 6; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 248 ff. Zur Kritik an der weiterhin objektiven Beurteilung der Vertraulichkeit vgl. Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 12. 6 Abram, NZG 2003, 307, 308; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1578; Claussen/ Bröcker, DB 2002, 1199, 1205; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 168. 7 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 55; vgl. auch vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Β. I. 1. 8 Vgl. Ziffer 5.1.3 DCGK, die dem Aufsichtsrat empfiehlt, sich eine Geschäftsordnung zu geben.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Verschuldensmaßstab formuliert, sondern zugleich als Generalklausel eine objektive Verhaltenspflicht begründet wird, aus der sich bei fehlender anderweitiger tatbestandlicher Umschreibung Einzelpflichten konkretisieren können9. Danach ist ein Aufsichtsratsmitglied zu dem Verhalten verpflichtet, das der allgemeinen Sorgfaltspflicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsmanns entspricht, dem ein Aufsichtsratsmandat anvertraut ist 10 . Zu untersuchen ist, ob und gegebenenfalls der Kodex als „soft law" — trotz ungeklärten Rechtscharakters und fehlender Rechtsverbindlichkeit 11 — Verhaltenspflichten für den Aufsichtsrat konkretisieren und so im Falle von Verstößen Einfluss auf die Haftung des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft gewinnen kann. I. Pflichtverletzung durch Verstoß gegen die Pflicht zur Abgabe der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG Als Pflichtverletzung im Sinne der §§ 93, 116 AktG gegen die in § 161 AktG gesetzlich normierte Verpflichtung, die Entsprechenserklärung über die Einbzw. Nichteinhaltung der Empfehlungen des Kodex abzugeben, kommen — abhängig vom zeitlichen Bezugsrahmen der Erklärung und der Kompetenz- und Aufgabenverteilung der Verwaltungsorgane — verschiedene Varianten in Betracht: Ein Verstoß gegen die formalen Voraussetzungen der Erklärungsabgabe, eine unterlassene, unvollständige oder wahrhe its widrige Erklärung, ein Unterlassen einer möglicherweise erforderlichen nachträglichen Offenlegung von Kodexabweichungen und zuletzt eine Nichtwahrung von Organisationspflichten. 1. Zeitlicher Bezugsrahmen der Entsprechenserklärung Es wurde bereits erläutert, dass sich die Erklärung ausschließlich auf die „Empfehlungen" des Kodex und nicht auch auf die Anregungen oder den Informationsteil bezieht12. Genauer zu untersuchen ist der Zeithorizont, auf den die Erklärung gerichtet ist. Nach dem Wortlaut des § 161 AktG hat sich die Er-
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Hüffer, AktG, § 116 Rn.l, §93 Rn.3 m.w.N.; Hefermehl in: Geßler/Hefermehl, AktG, § 93 Rn. 9; Mertens, in: KölnKommAktG, § 93, Rn. 6 f.; Koppensteiner, in: Rowedder, GmbHG, §43 Rn. 1, 7; a.A. Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, §43 Rn. 11 f. 10 Schilling, in: GroßkommAktG, § 116 Rn. 1; Thümmel, Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, Rn. 194. 11 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Β. V. 12 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Β. I.
Β. Pflichtverletzung
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klärung darauf zu beziehen, ob den Kodexempfehlungen „entsprochen wurde und wird" oder welche Empfehlungen nicht angewendet „wurden und werden". a) Vergangenheitsbezug Aus der Formulierung geht hervor, dass die Erklärung das Verhalten in der Vergangenheit und Gegenwart umfasst 13. Die in Bezugnahme vergangener Nichtanwendungen von Kodexempfehlungen wird auch durch die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens vorgenommenen Formulierungsänderungen des § 161 AktG 1 4 und durch die im Gegensatz zu § 161 AktG die Vergangenheit gerade nicht umfassende Formulierung der Übergangsvorschrift des § 15 EG AktG 1 5 deutlich. b) Zukunftsbezug Umstritten ist hingegen, ob sich die Erklärung auch auf die Zukunft bezieht und damit auch eine Aussage über die zukünftige Einhaltung oder Nichteinhaltung der Kodexempfehlungen trifft. aa) Argumente gegen einen Zukunftsbezug Teilweise wird ein Zukunftsbezug bereits unter Verweis auf den Wortlaut des § 161 S. 1 AktG verneint, da es sich bei dem Wort „wird" um eine Präsensund keine Futur-Form handele16. Richtigerweise schließt allein die unstreitige Verwendung des Präsens17 einen Zukunftsbezug hingegen nicht aus, da im allgemeinen Sprachgebrauch diese Zeitform auch zur Bezeichnung künftiger Ereignisse als verkürzte Futurform verwandt wird 18 . Der Wortlaut ist somit offen.
13 Allg.M., vgl. Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 53; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 572; Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2509; dies., BB 2002, 798, 791; Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 7; Krieger, FS Ulmer, 365, 367; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 529; Seibert, BB 2002, 581, 582; Seibt, AG 2002, 249, 250; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 554. 14 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Β. II. 2. 15 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Β. II. 3. 16 Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 7; Seibt, AG 2003, 465. 467. 17 Vgl. Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 791; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 366; Seibert, BB 2002, 581, 583; Seibt, AG 2002, 249, 251. 18 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 41; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 366.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Weiter w i r d rechtsvergleichend auf die nur vergangenheitsbezogene englische Vorbildregelung und die entsprechende Rechtslage in der Schweiz verwiesen 1 9 . Außerdem w i r d vertreten, Sinn und Zweck des Regelungszusammenhangs von Kodex und Entsprechenserklärung sprächen gegen die Einbeziehung zukünftigen Verhaltens 2 0 . Die Folge wäre eine Selbstbindung der Gesellschaft, die es erschwere, möglicherweise nach Abgabe der Erklärung für notwendig erachtete Änderungen der Unternehmenspraxis in die Tat umzusetzen 21 , da die Gesellschaft anderenfalls als „wortbrüchig" erscheine 22 . Ein Zukunftsbezug diene damit nicht den Interessen der Anleger 2 3 . Dem Informationsinteresse der Anleger über das zukünftige Verhalten genüge die Kombination von Vergangenheits- und Gegenwartsbezug, aus der sich eine Tendenz auch für die Zukunft herleiten lasse 24 . bb) Argumente für einen Zukunftsbezug Überwiegend w i r d die gegenteilige Auffassung vertreten 25 . Sie kann sich zunächst schon auf den erklärten W i l l e n des Gesetzgebers stützen 26 , der in der
19 Vgl. Seibt, AG 2003, 465, 468 unter Verweis auf Art. 12.43A der Listing Rules 2002 der Financial Service Authorithy, im Internet abrufbar unter http://www.fsa.gov. uk/ukla/l_listinginfo4.html (Stand: 15.10.2003) und Ziffer 8 der schweizer Corporate Governance Richtlinien. 20 Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 7; Seibt, AG 2002, 249, 251; im Ergebnis ebenso Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273. 21 Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 7; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273; Seibt, AG 2002, 249, 251. 22 Vgl. zu entsprechenden Befürchtungen im Vorfeld DAV-HRA, NZG 2002, 115, 118. 23 Seibt, AB 2002, 249, 251. 24 Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273. 25 Fischer zu Cramburg, in: AnwK-AktienR, Kap. 5 Rn. 19; Hirte, in: ders., Transparenz· und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 41; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 492 f f ; Peltzer, Deutsche Corporate Governance, Rn. 331; Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 1014; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 54; Steiner, in: AnwK-AktienR, Kap. 1 § 161 Rn. 11; Abram, ZBB 2003, 41, 42; Berg/Stöcker. W M 2002, 1569, 1572 f.; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 354; Gelhausen/Hönsch, AG 2002, 529, 534; dies., AG 2003, 367, 368; Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2509 f.; dies., BB 2002, 789, 791; Kiethe, NZG 2003, 559, 561; Knigge, W M 2002, 1729, 1735; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 366; Lutter, FS Druey, S. 463, 467; ders., ZHR 166 (2002), 523, 529 f.; Peltzer, NZG 2002, 593, 594; Pfitzer /Oser /Wagner, DB 2002, 1120, 1121; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 170 f.; Seibert, BB 2002, 581, 583; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 554; vorausgesetzt von Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1205; kritisch DAV/HRA, NZG 2002, 115, 118; a.A. Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 7; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273;
Β. Pflichtverletzung
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amtlichen Begründung ausfuhrt, die Entsprechenserklärung sei „vergangenheitsund zukunftsbezogen" 27 und als Text einer positiven Entsprechenserklärung die Formulierung vorschlägt: „Den Verhaltensempfehlungen (...) wurde im Berichtsjahr entsprochen und soll auch künftig entsprochen werden" 28 . Hinsichtlich der Zukunft könne die Erklärung nur „unverbindliche Absichtserklärung" sein und Vorstand und Aufsichtsrat gingen „keine Verpflichtung für alle Zeiten ein", sondern die Erklärung könnte Jederzeit korrigiert oder zurückgenommen" werden 29. Aus diesen Ausführungen gehe hervor, dass das zukünftige Verhalten für die Erklärung zumindest nicht ohne Belang sein solle, ohne jedoch zu einer unabänderlichen Bindung zu führen 30. Der Zukunftsbezug ergebe sich auch aus einer bewertenden Betrachtung des Zusammenspiels von Imperfekt und Präsens der Formulierung „ entsprochen wurde und wird". Werde durch die Vergangenheitsform der Zeitraum bis zur Abgabe der Erklärung abgedeckt, bestehe für eine nochmalige Bekräftigung für den unmittelbaren Erklärungszeitpunkt über die Gegenwartsform kein eigenständiges Bedürfnis 31. Die Gegenwartsform würde nur die „logische Sekunde" der unmittelbaren Abgabe der Erklärung erfassen und brächte damit keinen zusätzlichen Informationswert. Das werde durch Sinn und Zweck des § 161 S. 2 AktG bestätigt, wonach die Erklärung den Aktionären „dauerhaft zugänglich" zu machen ist. Ihr wohne damit der Charakter einer „sich selbst repetierenden Dauererklärung" j2 inne. Dies führe — bis zu einer Änderung oder Rücknahme der dauerhaft veröffentlichten Erklärung — zu einer zukunftsgerichteten Selbstbindung des Aufsichts-
Seibt, AG 2002, 249, 251; ders., AG 2003, 465, 567 f.; offengelassen bei Schüppen, in: Hirte, Transparenz und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 23. 26 Krieger, FS Ulmer, 365, 366; ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2509; dies., BB 2002, 789, 791; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 529; zurückhaltender Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1573; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 170 f. (die amtliche Begründung sei „ambivalent"). 27 BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 22. 28 BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21. 29 BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 22. 30 Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1573. 31 Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 530. Die Worte „und wird" seinen deshalb in der Futur-Form als „und werden wird" zu lesen. Zustimmend Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 354. 32 Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2509; Seibert, BB 2002, 581, 583.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
rats (und des Vorstands) 33. Hiergegen könnte aber sprechen, dass die Erklärung wegen § 325 Abs. 1 S. 1 HGB zumindest auch in körperlicher Form abgegeben werden muss34 und sich diese datierte Erklärung nicht stetig „repetiert" 35 . Auch Sinn und Zweck des § 161 S. 1 AktG, der durch die Entstehungsgeschichte bestätigt wird, weise auf die Miteinbeziehung der Zukunft hin. Die gesetzliche Erklärungspflicht sei unstreitig auf eine entsprechende Empfehlung der Ztaw/ws-Kommission zurückzufuhren 36. Nach deren Auffassung sollte sich mit dem Informationsmedium der Entsprechenserklärung eine „Kommunikation zwischen börsennotierter Gesellschaft und Kapitalmarkt" etablieren 37. Zweck des Informationsaustausches sei, die Corporate Governance durch die externe Kontrolle des Kapitalmarktes zu verbessern 38. Das setze voraus, dass den Kapitalmarktteilnehmern via Entsprechenserklärung die für ihre Anlageentscheidung relevanten Informationen über die Einhaltung der Kodexempfehlungen zur Verfügung stünden39. Die Entscheidung über Erwerb oder Veräußerung von Aktien hänge jedoch nicht nur vom zurückliegenden Verhalten bis zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung ab, sondern die auf der Hoffnung zukünftiger Wertsteigerung basierende Anlageentscheidung erfordere insbesondere zeitlich korrespondierende Informationen über das zukünftige Verhalten 40. Der Anleger sei damit möglicherweise sogar primär an der künftigen Gestaltung der Corporate Governance des Unternehmens interessiert 41. ccj Bewertung und Ergebnis Insgesamt sprechen nach dem Normzweck die besseren Gründe für die letztgenannte Auffassung. Da die Intention des Gesetzgebers zur Einbeziehung der 33 Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2509. Seibert, BB 2002, 581, 583 spricht unter Verweis auf den Zusammenhang von Dauererklärungs-Charakter und Präsens-Form von einem geglückten „semantischen Trick" der Gesetzesformulierung. 34 Vgl. dazu eingehend nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 5. a) cc). 35 Kiethe, NZG 2003, 559, 561; einschränkend Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 534, der den Charakter einer sich selbst repetierenden Dauererklärung nur bejaht, wenn die Erklärung im Internet veröffentlicht wird. Vgl. zu den Anforderungen von § 161 S. 2 AktG nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 5. a) cc). 36 Vgl. Baums, Bericht, Rn. 10, S. 54; vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. IV. 1. 37 Baums, Bericht, Rn. 17, S. 60. 38 Vgl. dazu vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. IV. 2. c). 39 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 171 f. 40 Berg/Stöcker, W M 1569, 1573; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 530. 41 Kiethe, NZG 2003,569, 561.
Β. Pflichtverletzung
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Zukunft ausweislich der Gesetzesbegründung eindeutig ist, fuhren rechtsvergleichende Überlegungen nicht weiter. Die von der Gegenauffassung hervorgehobene Gefahr der Selbstbindung vermag den Ausschluss jeglichen Zukunftsbezugs nicht zu begründen. Zwar liefe eine echte (Selbst-)Bindung in der Tat dem Ziel des Regelungszusammenhangs von Kodex und Entsprechenserklärung entgegen, im Zeichen der „Flexibilisierung 42 " den Gesellschaften die Entscheidung über die Befolgung der Verhaltensempfehlungen zu überlassen. Die Heraufbeschwörung der Gefahr einer an die Einbeziehung der Zukunft gekoppelten Selbstbindung ist lediglich eine Behauptung. Beide Fragenkreise sind zu unterscheiden und getrennt voneinander zu beurteilen 43. So verweist denn auch die Gegenmeinung nicht auf eine „echte", also rechtliche, sondern eine „faktische" Selbstbindung44. Richtig ist, dass ein rechtlicher Zwang nicht besteht, da die zukunftsgerichtete Absichtserklärung jederzeit durch eine geänderte Erklärung ersetzt werden kann 45 , wenn die Gesellschaft ihre Unternehmenspraxis abweichend von der zuvor veröffentlichten Erklärung neu gestalten will 4 6 . Aber auch faktisch droht keine untrennbar mit einem Zukunftsbezug verknüpfte Selbstbindung der Gesellschaft. Gibt es für eine Neugestaltung gute Gründe, wird der Kapitalmarkt die entsprechend geänderte Erklärung nicht als „Wortbruch" missverstehen, sondern als Offenlegung begrüßen. Die gegenteilige Reaktion steht nur zu befürchten, wenn keine überzeugenden Argumente für die Änderung der Unternehmenspraxis benannt werden können. In diesem Fall entfalteten jedoch die mit dem Instrument der Erklärungspflicht bezweckten Kontrollmechanismen 47 Wirkung, die zu einer Verbesserung der Corporate Governance führen sollen. Insbesondere würde die Ausklammerung eines Zukunftsbezuges das auch von der Gegenauffassung grundsätzlich anerkannte Interesse der Kapitalmarktteilnehmer an Informationen über die zukünftige Kodexeinhaltung vernachlässigen. Dem Kapitalmarkt muss — so weit wie ohne Beschränkung der betriebswirtschaftlichen Handlungsfreiheit der Gesellschaft möglich — eine gesicherte Tatsachengrundlage über die Dauerhaftigkeit der erklärten Kodex-Entsprechung
42
Baums, Bericht, Rn. 7, S. 52; Gelhausen/Hönsch, AG 2003, 367, 367. Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1573. 44 Vgl. Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 7; Schuppen, ZIP 2002, 1269, 1273; Seibt, AG 2002, 249, 251. 45 Von der Möglichkeit zur Abgabe einer abweichenden Erklärung zu unterscheiden ist die Frage, ob bzw. inwiefern eine Pflicht zur Abgabe einer geänderten Erklärung besteht. Vgl. diesbezüglich nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 5. c). 46 Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1573. 47 Vgl. dazu vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. IV. 2. c) bb). 43
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
zur Verfügung stehen. Da ein Zukunftsbezug — wie ausgeführt — nicht zu einer Einschränkung der Gestaltungsfreiheit führt, genügt keine nur aus der Vergangenheit ablesbare „Tendenz", sondern nur die Miteinbeziehung des zukünftigen Verhaltens der gebotenen Befriedigung des Informationsbedürfnisses der Anleger 48 . 2. Kompetenzverteilung
zwischen Aufsichtsrat und Vorstand
Nicht nur der Aufsichtsrat, sondern auch der Vorstand ist Adressat der Verpflichtung zur Abgabe der Entsprechenserklärung 49. Damit handelt es sich um eine Pflicht beider Gesellschaftsorgane, die anders als die Erklärungspflicht des Aufsichtsrats beim jährlichen Aufsichtsratsbericht (§171 Abs. 2 AktG) bzw. die des Vorstands beim Lage- (§§ 264 Abs. 1 S. 1, 289 HGB) und Abhängigkeitsbericht (§312 AktG) nicht nur ein Organ, sondern beide Verwaltungsorgane trifft 50 . Die Erklärungspflicht umfasst dabei den gesamten Kodexinhalt, obwohl sich die Kodexempfehlungen an sehr verschiedene Adressaten richten, so an den Aufsichtsrat 51, den Vorstand 52 und die Hauptversammlung 53 als jeweiliges Gesamtorgan, aber auch an den Aufsichtsratsvorsitzenden 54 und die einzelnen Mitglieder von Aufsichtsrat 55 und Vorstand 56 . Damit ist die umfassende Erklärungspflicht von Aufsichtsrat und Vorstand nicht auf den jeweiligen eigenen aktienrechtlichen Kompetenz- und Einflussbereich beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf den des jeweils anderen Organs bzw. auf den der Hauptversammlung 57.
48 Ähnlich Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 41; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1573; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 171. 49 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Β. IV. 2. 50 Vgl. eingehend Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 67 ff. 51 Vgl. ζ. Β. Ziffern 3.8, 3.10, 4.2.1, 4.2.3, 5.1.2, 5.1.3, 5.2, 5.3.1, 5.3.2, 5.4.1, 5.4.6, 5.5.3,5.6, 7.2.1,7.2.3. 52 Vgl. ζ. B. Ziffern 2.3.1, 2.3.2, 2.3.3, 3.10, 4.2.1, 4.2.4, 5.1.2, 6.3, 6.4, 6.5, 6.6, 6.7, 6.8, 7.1.1,7.1.2, 7.1.4, 7.1.5. 53 Vgl. ζ. B. Ziffern 3.3, 3.8, 5.4.2, 5.4.5. 54 Vg. ζ. B. Ziffer 5.2. 55 Vgl. ζ. B. Ziffern 5.5.2, 6.6. 56 Vgl. ζ. B. Ziffern 3.6, 4.3.4, 4.3.5, 5.4.3, 6.6. 57 Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2511; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 493; missverständlich Lutter, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 980, wonach „der Vorstand nur für sich und implizit für seine angesprochenen Einzelmitglieder die Entsprechung (erkläre); im Übrigen (sei) die Erklärung vom Aufsichtsrat zu verantworten".
Β. Pflichtverletzung
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a) Unterscheidung von Erklärungspflicht und Entscheidungszuständigkeit Die den gesamten Kodexinhalt abdeckenden Erklärungspflicht beider Organe könnte zur Folge haben, dass Aufsichtsrat und Vorstand jeweils auch die Kompetenz zur Entscheidung über die Befolgung oder Nichtbefolgung sowie den Inhalt der Erklärung zugewiesen ist. Das ist für die Beantwortung der Frage einer möglichen Haftung von Mitgliedern des Aufsichtsrats insoweit entscheidend, als dass nur derjenige, dem entsprechende Kompetenzen und damit rechtliche Möglichkeiten der Einflussnahme zustehen, durch Fehl- oder Nichtausübung dieser Kompetenzen seine Pflichten verletzen und sich schadensersatzpflichtig machen kann 58 . Die Zuweisung einer der Erklärungspflicht entsprechenden Entscheidungskompetenz lässt sich dem Wortlaut des § 161 AktG nicht entnehmen. Die Norm regelt nur die Erklärungspflicht hinsichtlich der Empfehlungen des Kodex unter Außerachtlassung ihres Inhalts im Einzelnen. Auch aus der im Kodex unter Ziffer 3.10 DCGK niedergelegten Erläuterungsempfehlung lassen sich keine Rückschlüsse ziehen, wem nach Auffassung der Cromme-Kommission die Entscheidungskompetenz über die Befolgung oder Nichtbefolgung der Empfehlungen zugewiesen sein soll 59 . Teilweise wird der Gesetzesbegründung entnommen, der Gesetzgeber sei von einem „Gleichlauf von Erklärungspflicht und Entscheidungskompetenz ausgegangen60. In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, die Entsprechenserklärung könne „im Falle einer Änderung (...) der Entscheidungsträger" abgeändert werden 61. Zum einen betrifft diese Äußerung des Gesetzgebers aber nur den speziellen Fall der unterjährigen Abänderung der Entsprechenserklärung 62 und lässt sich nicht ohne weiteres auf die generelle Kompetenzzuweisung übertragen. Zum anderen ist die vorstehende Formulierung viel zu vage, um auf
58 Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 554; vgl. auch Peltzer, Deutsche Corporate Governance, S. 63 f.; ähnlich anlässlich der Erörterung einer Außenhaftung de lege ferenda Baums, ZHR 167, (2003), 139, 172 f. 59 Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 790. Überlegungen, ob die Auffassung der KodexKommission überhaupt relevant wäre, erledigen sich deshalb. 60 So Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 790; i.E. aber anderer Auffassung, vgl. Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2511. 61 BegrRegE TransPuG, BR-Drucks. 14/8769, S.22. 62 Vgl. zu diesem Themenkreis nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 5. c).
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
einen gesetzgeberischen Willen von so weitreichender Konsequenz schließen zu lassen. Wie Ulmer überzeugend nachweist, betrifft die Erklärungspflicht aus § 161 AktG nur das externe Verhältnis zwischen Gesellschaft und Öffentlichkeit. Mit der jeweiligen umfassenden Erklärungspflicht von Aufsichtsrat und Vorstand ist noch keine Aussage darüber getroffen, wem die gesellschaftsinterne Entscheidungskompetenz über Einhaltung oder Nichteinhaltung einzelner oder aller Kodexempfehlungen zukommen soll 63 . Die externe Erklärungspflicht ist deshalb von der internen Entscheidungskompetenz über die Kodexbefolgung zu unterscheiden64. Hinsichtlich dieser internen Kompetenzverteilung besteht keine Veranlassung, von den allgemein geltenden Grundsätzen abzuweichen, so dass sich die Entscheidungskompetenz über die Anwendung oder Nichtanwendung der einzelnen Verhaltensempfehlungen nach allgemeinem Aktienrecht zu richten hat 65 . Anderenfalls würde über den kalten Weg der Erklärungspflicht das zwingende aktienrechtliche Kompetenzgefüge umgeformt. Das ließe sich mit dem Zweck des § 161 AktG, den Kapitalmarkt über die Corporate-GovernanceStruktur zu informieren, nicht rechtfertigen 66. Folgt also die Entscheidungsbefugnis des jeweiligen Organs über die tatsächliche Anwendung oder Nichtanwendung der Empfehlungen den allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätzen, muss das selbe auch hinsichtlich der Entscheidungsbefugnis über den darauf bezogenen Inhalt der Erklärung gemäß § 161 AktG gelten. Anderenfalls könnte die Entscheidungsbefugnis über die tatsächliche Anwendung durch eine abweichende Erklärung des nach allgemeinen Grundsätzen nicht entscheidungsbefugten Organs zumindest beeinflusst, wenn
63 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 173; i.E. auch ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 790; dies., BB 2002, 2509, 2511; Krieger, FS Ulmer, 365, 370; zustimmend Pfitzer/Oser/ Wader, DB 2002, 1120, 1121. 64 So auch Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 24; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 74; Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2511; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 554. 65 So auch Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2511; angedeutet bereits dies., BB 2002, 789, 790; Krieger, FS Ulmer, 365, 370; Pfitzer/Oser/Wader, DB 2002, 1120, 1121; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 555; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 173; im Ergebnis auch Seibt, AG 2002, 249, 253; wohl ebenfalls i.d.S., obwohl von „Erklärungszuständigkeit" sprechend, Peltzer, NZG 2002, 593, 595 („Die Empfehlungen sind (...) darauf abzuklopfen, für wen Handlungs- und Unterlassungspflichten begründet werden und für dieses Organ — bzw. Organe — ist dann die Erklärungszuständigkeit gegeben."). Vgl. allg. zur Abgrenzung der Vorstands- und Aufsichtsratszuständigkeit Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 21 ff. 66
Krieger, FS Ulmer, S. 365, 369.
Β. Pflichtverletzung
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nicht gar präjudiziell werden 67. Es versetzte Vorstand und Aufsichtsrat in die Lage, in weitem Umfang auf Angelegenheiten des jeweils anderen Organs durch Abgabe einer diese Angelegenheiten berührenden Erklärung einzuwirken. Die Entscheidungskompetenzen über die Befolgung des empfohlenen Verhaltens und die über den entsprechenden Erklärungsinhalt sind untrennbar miteinander verknüpft. Daraus folgt, dass externe Erklärungs- und interne, den Inhalt der Erklärung betreffende Entscheidungskompetenz des Aufsichtsrats (vice versa des Vorstands) divergieren, soweit es um eine Kodexempfehlung geht, über die er sich nach § 161 AktG erklären muss, ohne nach allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätzen über die tatsächliche Befolgung des empfohlenen Verhaltens entscheiden zu dürfen 68. Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass es zur Bestimmung des Erklärungsinhalts, aus der allgemeinen aktienrechtlichen Kompetenzverteilung resultierend, für bestimmte Verhaltensempfehlungen einen „Entscheidungsvorrang" des Aufsichtsrats, für anderer einen solchen des Vorstands gibt und dann jedes Organ den Entschluss des anderen zu respektieren hat. Für andere Verhaltensempfehlungen gibt es einen solchen Vorrang nicht 69 . b) Umfang der Entscheidungszuständigkeit des Aufsichtsrats Im Anschluss gilt es zu klären, bei welchen Empfehlungen ein Entscheidungsvorrang des Aufsichtsrats, des Vorstands bzw. keines der beiden Verwaltungsorgane besteht. Aufgrund der Maßgeblichkeit der allgemeinen aktienrechtlichen Kompetenzverteilung vertritt Seibt die Auffassung, die Entscheidung über die Befolgung der Kodexempfehlungen sei eine geschäfitspolitische Entscheidung. Sie unterfalle damit grundsätzlich gemäß § 76 Abs. 1 AktG als Maßnahme der Geschäftsführung der Entscheidungskompetenz des Vorstands. Ausgenommen seien allerdings diejenigen Verhaltenspflichten, die in den Kernbereich der Organ67
Ähnlich Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 173. Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 24; Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 790; ähnlich Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 83, 87; i.E. ebenso Schiessl, AG 2002, 593, 594. 69 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 88; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 370; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 555;' Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 173; von einer stets vorrangigen Entscheidungskompetenz eines der Organe ausgehend offenbar Schiessl, AG 2002, 593, 594. Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 24 spricht bezüglich dieser Empfehlungen von einer „Bemühenszusage", d.h. das erklärende Organ müsse sich innerhalb der ihm gesetzlich zustehenden Möglichkeiten um Einwirkung auf das zuständige Organ „bemühen". 68
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
kompetenz des Aufsichtsrats fielen, sich unmittelbar an einzelne Aufsichtsratsmitglieder richteten, eine solche Bedeutung besäßen, dass die Entscheidung über sie nach den internen Regularien einem Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG unterläge oder über deren Befolgung ein Beschluss der Hauptversammlung erforderlich sei 70 . Dieses Regel-AusnahmeVerhältnis von grundsätzlicher Zuständigkeit des Vorstands erscheint aber aufgrund der eindeutigen Ausrichtung des Kodex auf den Aufsichtsrat 71 wie auch der inhaltlichen Weite der genannten Ausnahmen nicht angebracht. Es ist im einzelnen je nach Art des Empfehlungsinhalts und weiterer Begleitumstände zu differenzieren. aa) Empfehlungen an den Aufsichtsrat Ein Großteil der Kodexempfehlungen richtet sich unmittelbar an den Aufsichtsrat. Sie befassen sich schwerpunktmäßig mit der nach allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätzen in der Kompetenz des Aufsichtsrats liegenden Überwachung des Vorstands (§111 Abs. 1 AktG), der Besetzung des Vorstands (§ 84 AktG) und der inneren Ordnung des Aufsichtsrats 72. Diesbezüglich ist der Aufsichtsrat nicht an die Auffassung des Vorstands gebunden, sondern hat einen Entscheidungsvorrang, der vom Vorstand zu respektieren ist 73 . Fraglich ist jedoch, ob die Hauptversammlung nicht den Aufsichtsrat 74 in seiner Entscheidung über die Befolgung oder Nichtbefolgung des Kodex durch
70
Seibt, AG 2002, 249, 253. Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Β. I. 4. 72 Z.B. Ziffern 3.4 (Informationspflichten Vorstand), 3.8 (Selbstbehalt fur D&OVersicherung Vorstand), 3.10 (Erläuterung von Kodexabweichungen), 4.2.1 (Geschäftsordnung des Vorstands), 4.2.2 (Struktur der Vorstandsvergütung), 4.2.3 (variable Vergütungsbestandteile Vorstand), 4.3.4 (Koppelung wesentlicher Geschäfte des Vorstands an Zustimmung des Aufsichtsrats), 5.1.2 (Nachfolgeplanung des Vorstands), 5.1.3 (Geschäftsordnung für Aufsichtsrat), 5.2 (Unterrichtung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden), 5.3.1 (fachlich qualifizierte Aufsichtsratsausschüsse), 5.3.2 (Prüfungsausschuss), 5.4.1 (Wahlvorschläge Aufsichtsratsmitglieder), 5.4.5 (Zusammensetzung und Veröffentlichung der Aufsichtsratsvergütung), 5.4.6 (Bericht über regelmäßige Teilnahme an Aufsichtsratssitzungen), 5.5.3 (Offenlegung Interessenkonflikte gegenüber Hauptversammlung, Mandatsbeendigung), 5.6 (regelmäßige Effizienzprüfung), 7.2.1 (Einholung von Informationen über Unabhängigkeit Abschlussprüfer), 7.2.3 (Berichtspflicht des Abschlussprüfers über wichtige Feststellungen bei Gelegenheit der Prüfung) DCGK. 71
73 Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 790; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 373; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 173; im Ergebnis ebenso Seibt, AG 2002, 249, 253. 74 Die entsprechende Fragestellung stellt sich hinsichtlich des Vorstands gem. § 77 Abs. 2 AktG.
Β. Pflichtverletzung
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entsprechende Bestimmungen in der Satzung beschränken kann. Das könnte den Verlust der Entscheidungsprävalenz zur Folge haben. In Betracht kommen insbesondere Regelungen von Einzelfragen der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats durch die Satzung75. Die Kompetenzen über den Erlass der Geschäftsordnung für den Aufsichtsrat sind gesetzlich nicht geregelt. Die Zuständigkeit des Aufsichtsrats folgt aus der Funktion der Geschäftsordnung als wichtiges Instrument seiner Selbstorganisation 76 . Solange dessen grundsätzliche Autonomie, insbesondere bei der Ausschussbildung als gesetzlich gewährleisteter Organisationsautonomie 77, nicht angetastet wird, kann die Hauptversammlung über die Satzung Fragen der Geschäftsordnung regeln, an die der Aufsichtsrat dann gebunden ist 78 . Nach diesen Grundsätzen ist es der Hauptversammlung nicht möglich, den Aufsichtsrat durch eine entsprechende Regelung in der Satzung generell auf die Einhaltung der Kodexempfehlungen zu verpflichten 79. Das beschränkte die in den Ziffern 5.3.1 DCGK (fachlich qualifizierte Ausschüsse) und 5.3.2 DCGK (Einrichtung Prüfungsausschuss) empfohlene Aufgabendelegation des Aufsichtsrats auf Ausschüsse und griffe in die gesetzlich zugewiesene Selbstorganisationshoheit in allen Fragen der Bildung und Besetzung der Ausschüsse ein, § 107 Abs. 3 S. 1 AktG 8 0 . Auch die Satzungsstrenge des § 23 Abs. 5 AktG streitet für dieses Ergebnis 81 . Zwingende gesetzliche Normen wie solche, die den Zuständigkeitsbereich der Organe regeln, können nicht durch abweichende Satzungsbestimmungen er-
75
Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 790. Hüffer, AktG, § 107 Rn. 23; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 533; kritisch zur praktischen Relevanz noch Geßler, in: Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropff, AktG, § 107 Rn. 58; vgl. Ziffer 5.1.3 DCGK („Der Aufsichtsrat soll sich eine Geschäftsordnung geben."). 77 BGHZ 83, 106, 115 (Siemens); BGHZ 122, 342, 355; Hoffmann-Becking , in: MünchHdbAG, § 32 Rn. 14; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 533; Mertens, in: KölnKommAktG, § 107 Rn. 90. 78 Geßler, in: Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropff, AktG, § 107 Rn. 58; Hüffer, AktG, § 107 Rn. 23; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 533; Mertens, in: KölnKommAktG, § 107 Rn. 163. 79 Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 790; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 378; Seibt, AG 2002, 249, 259; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 174 f.; a.A. Hirte, in: ders., Transparenzund Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 25. 80 BGHZ 83, 106, 115 (Siemens); Η off mann-Becking , in: MünchHdbAG, §32 Rn. 14; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 533; Mertens, in: KölnKommAktG, § 107 Rn. 90; einschränkend Lehmann, DB 1979, 2117, 2121. 81 Krieger, FS Ulmer, S. 365, 378; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 175. 76
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
setzt werden 82. Die Satzungsstrenge schließt aus, über das Satzungsrecht auf die Funktionsausübung der Organe Aufsichtsrat und Vorstand einzuwirken. Könnte die Hauptversammlung über eine Satzungsregelung Aufsichtsrat und Vorstand zur Einhaltung aller Kodexempfehlungen verpflichten, stellte sich die Zuständigkeit der Organe für die Abgabe der Erklärung nach § 161 AktG nur als Hülle ohne Kern dar und wäre letztlich vollständig von der Satzung bestimmt 83 . Der satzungsgebenden Hauptversammlung steht es dagegen frei, von Kodexempfehlungen berührte Einzelfragen, etwa über die Geschäftsordnung, verbindlich festzulegen 84, solange damit nicht die grundsätzliche Organisationsautonomie des Aufsichtsrats in Frage gestellt wird. In diesem Fall stünde dem Aufsichtsrat kein Entscheidungsvorrang mehr gegenüber dem Vorstand zu (und vice versa). bb) Empfehlungen an einzelne Mitglieder des Aufsichtsrats Fraglich ist, ob ein Entscheidungsvorrang des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand auch für solche Empfehlungen anzuerkennen ist, die sich an die einzelnen Mitglieder des Aufsichtsrats richten 85 . Grundsätzlich unterliegt dieses Verhalten der Entscheidung des einzelnen Mitglieds, es sei denn, es könnte verbindlich für ihn festgelegt werden. Anders als bei den einzelnen Vorstandsmitgliedern existiert aber kein Anstellungsvertrag, über den die Amtsführung geregelt werden könnte. In Betracht kommt nur ein Beschluss der Mitglieder des Aufsichtsrats. Nach allgemeiner Auffassung kann ein Mehrheitsbeschluss des Aufsichtsrats einzelne Mitglieder nicht auf eine bestimmte Art und Weise der persönlichen Amtsführung verpflichten; diesbezüglich fehlt dem Gesamtorgan die Be-
82 Hüffer, AktG, § 23 Rn. 35 f.; Timm, DB 1980, 1201, 1204 (zur Zuständigkeitserweiterung des Aufsichtsrats zu Lasten der Hauptversammlung); Kraft, in: KölnKommAktG, § 23 Rn. 84; Wiesner, in: MünchHdbAG, § 6 Rn. 10. 83 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 175. 84 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 25; Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 790; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 378. In Betracht kämen beispielsweise Regelungen über die Einhaltung der Ziffern 5.2 DCGK (Aufgaben und Befugnisse des Aufsichtsratsvorsitzenden), 5.4.6 DCGK (Berichte über die Teilnahme an Aufsichtsratssitzungen), 5.6 DCGK (regelmäßige Effizienzprüfung) oder auch 4.3.4 DCGK (Koppelung wesentlicher Geschäfte des Vorstands an die Zustimmung des Aufsichtsrats). 85 Zu nennen ist beispielsweise Ziffer 5.5.2 (Offenlegung Interessenkonflikte gegenüber Aufsichtsrat) DCGK.
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schlusskompetenz86. Daraus folgert eine Literaturstimme, die Geschäftsordnung könne deshalb grundsätzlich nur die Form der organinternen Zusammenarbeit ausgestalten und keine Individualpflichten für Mitglieder des Aufsichtsrats begründen 87. Eine Beschlussfassung des Organs scheide somit aus88. Eine Entscheidungsprävalenz des Aufsichtsrats für die an die einzelnen Mitglieder gerichteten Empfehlungen käme damit nicht in Betracht. Richtigerweise spricht allerdings vorgenannte Argumentation nur gegen die Zulässigkeit eines Mehrheitsbeschlusses89. Mit Zustimmung aller Aufsichtsratsmitglieder können auch persönliche Pflichten auferlegt werden. Es kann deshalb ein einstimmiger 90 Beschluss aller Mitglieder zur Transformation der Empfehlung in die Geschäftsordnung gefasst werden, der im Falle eines Mitgliedschaftswechsels durch einen neuen Beschluss bzw. Beitritt des neuen Mitglieds zum alten Beschluss bestätigt werden muss91. Daraus folgt, dass dem Aufsichtsrat im Falle einer nach vorstehenden Kriterien durchgeführten Aufnahme von an seine einzelnen Mitglieder gerichteten Kodexempfehlungen in die Geschäftsordnung gegenüber dem Vorstand eine Entscheidungsprävalenz zukommt. Der Entscheidungsvorrang endet, wenn der Beschluss bei einem Mitgliedswechsel nicht erneuert wird. Das selbe gilt natürlich, wenn eine Aufnahme in die Geschäftsordnung erst gar nicht erfolgte. cc) Empfehlungen an den Aufsichtsratsvorsitzenden Wie verhält es sich aber mit den an den Aufsichtsratsvorsitzenden gerichteten Empfehlungen? 92 Der Vorsitzende ist kein Organ der Aktiengesellschaft,
86 Krieger, FS Ulmer, S. 365, 374; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 536; Seibt, AG 2002, 249, 259. 87 Vgl. Krieger, FS Ulmer, S. 365, 375 unter Verweis auf Mertens, in: KölnKommAktG, § 77 Rn. 39 zur Rechtslage innerhalb des Vorstands; das selbe gelte auch für den Aufsichtsrat. 88 Krieger, FS Ulmer, S. 365, 374 f.; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 495. 89 Lutter, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 992. 90 Das Einstimmigkeitsprinzip in allen Fragen der Geschäftsordnung folgt für den Vorstand aus § 77 Abs. 2 S. 3 AktG. 91 Lutter, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 992; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 537; Seibt, AG 2002, 249, 258 f.; von der Zulässigkeit einer Aufnahme in die Geschäftsordnung ausgehend Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 14; offengelassen bei Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2512, dort Fn. 20. 92 Zu nennen ist beispielsweise Ziffer 5.2 (Befugnisse des Aufsichtsratsvorsitzenden) DCGK.
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sondern übt als besonders hervorgehobenes Mitglied des Aufsichtsrats kraft gesetzlicher Einzelzuweisungen und Gewohnheitsrecht besondere Funktionen im Organ aus, die einem Vorsitzenden eines Gremiums üblicherweise zustehen93. Schwerpunkt ist die Koordination und Leitung des Aufsichtsratsverfahrens 94. Schließlich muss jemand für das Zusammentreten des Gremiums, die vorbereitende Organisation des Ablaufs und anschließende ordnungsgemäße Durchführung der Sitzung verantwortlich sein 95 . Fraglich ist nun, ob das Plenum — gegebenenfalls nach Ingangsetzung des Verfahrens — die Möglichkeit hat, verfahrensleitende Anordnungen des Vorsitzenden abzuändern oder außer Kraft zu setzen. Wäre das der Fall, käme dem Organ aktienrechtlich die Entscheidungskompetenz zu. Für eine Bindung an die Mehrheitsmeinung spricht, dass die Stellung des Vorsitzenden nicht so hervorgehoben ist, dass ihm die Befugnis zur Entscheidung über die Amtsausübung gegen den Willen der Aufsichtsratsmehrheit zuzusprechen wäre, weshalb teilweise ein prinzipieller Vorrang der Plenumsentscheidung befürwortet wird 96 . Die wohl herrschende Meinung stellt die Kompetenz des Vorsitzenden zur Verfahrens- und Sitzungsleitung zwar gleichfalls grundsätzlich unter den Vorbehalt einer abweichenden Mehrheitsmeinung 97. Sei dem Vorsitzenden aber wie zum Beispiel durch § 109 Abs. 2 AktG eine verfahrensleitende Maßnahme gesetzlich zugewiesen98 oder der autonome Aufgabenbereich des Vorsitzenden betroffen, die Rechtmäßigkeit des von ihm geleiteten Verfahrens und der Entschei-
93 Vgl. Hoffmann-Becking , in: MünchHdbAG, §31 Rn. 18; Hüffer, AktG, § 107 Rn. 5 f.; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 553; a.A. Ρ eus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 27 ff. 94 Vgl. zu den anderen Aufgabenbereichen (Repräsentation gegenüber Vorstand und Hauptversammlung, Vertretung der Gesellschaft bezüglich verschiedener Handelsregistererklärungen) entsprechende Untergliederung bei Ρ eus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 16 f f ; ähnlich Hoffmann-Becking, in: MünchHdbAG, § 31 Rn. 15; Semler, in: Semler, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, Rn. F 35. 95 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 554; Mertens, in: KölnKommAktG, § 107 Rn. 36. 96 So Ρ eus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 54 ff.; ähnlich Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 231. 97 Hoffmann-Becking, in: MünchHdbAG, §31 Rn. 75; Mertens, in: KölnKommAktG, § 107 Rn. 36; Kindl, Die Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung, S. 89, 104 ff. 98 Geßler, in: Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropff, AktG, § 109 Rn. 23; Mertens, in: KölnKommAktG, § 109 Rn. 20; Godin/Wilhelmi, § 109, Rn. 7; Meyer-Landruth, in: GroßKommAktG, § 109 Rn. 5; Semler, AG 1988, 60, 65.
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düngen des von ihm geleiteten Organs sicherzustellen", habe der Vorsitzende die alleinige Entscheidungsbefugnis 100. Die Streitfrage muss für die untersuchte Problemstellung allerdings nicht entschieden werden. Der umstrittene Bereich wird durch den Kodex nicht berührt, da sich die den Aufsichtsratsvorsitzenden betreffende Empfehlung der Ziffer 5.2 DCGK nicht mit den umstrittenen Verfahrensfragen oder Entscheidungen des Gremiums, sondern mit dem Informationsaustausch zwischen Vorstand und Aufsichtsratsvorsitzendem und anschließender Unterrichtung des Aufsichtsrats (Ziffer 5.2 Abs. 3 S. 1, 3 DCGK) sowie seiner Amtsführung (Ziffer 5.2 Abs. 2 S. 1 DCGK) befasst. Regelungen, die etwa das Recht des Vorsitzenden betreffen, dem Ausschuss nicht angehörenden Mitgliedern des Aufsichtsrats unter Berufung auf § 109 Abs. 2 AktG die Teilnahme an einer Ausschusssitzung zu versagen, sind nicht Inhalt des Kodex. Der Aufsichtsratsvorsitzende ist deshalb hinsichtlich der Einhaltung der Kodexempfehlungen an ein Mehrheitsvotum gebunden. Da das Aufsichtsratsplenum somit entscheiden kann, kommt ihm bezüglich der Entsprechenserklärung für die den Aufsichtsratsvorsitzenden betreffenden Empfehlungen gegenüber dem Vorstand ein EntscheidungsVorrang zu 1 0 1 . dd) Empfehlungen an den Vorstand Darüber hinaus ist der Aufsichtsrat auch für einen Teil der — relativ wenigen — an den Vorstand gerichteten Kodexempfehlungen nach allgemeinen Grundsätzen vorrangig zuständig 102 . Außerdem ist es dem Aufsichtsrat möglich, über § 77 Abs. 2 S. 1 AktG 1 0 3 die Einhaltung solcher Empfehlungen, welche die innere Ordnung des Vorstands wie Sitzungsmodalitäten, Vertretungsregelungen, Informationsabläufe oder auch das Zusammenwirken mit dem Aufsichtsrat 104 betreffen, über die Kompetenz zum Erlass einer Geschäftsordnung vorzugeben 105. Diese Möglichkeit des 99
Mertens, in: KölnKommAktG, § 107 Rn. 37. A.A. Pens, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 79 ff., 114 f. 101 I.E. ebenso Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 494; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 375. 102 Vgl. ζ. B. Ziffern 4.2.2, 4.2.3 DCGK (Zusammensetzung Vergütung), § 87 AktG; vgl. zu den Einzelheiten Lutter, ZIP 2003, 737, 739 ff. 103 Vgl. Hüffer, AktG, § 77 Rn. 19, 21; Kort, in: GroßKommAktG, § 77 Rn. 65. 104 Vgl. Ziffer 4.2.1 DCGK. 105 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 25; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 92; Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 790; Krieger, FS Ul100
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Aufsichtsrats wird zwar unter Hinweis darauf, dass die Geschäftsordnung nur organisatorische Fragen der Zusammenarbeit, nicht hingegen materielle Entscheidungsrichtlinien für den Vorstand aufstellen dürfe, teilweise in Zweifel gezogen 106 . Dem liegt wohl die Auffassung zugrunde, dass die Entscheidung über die Einhaltung oder Nichteinhaltung der Kodexempfehlungen und die entsprechende Erklärung eine inhaltliche und keine organisatorische Komponente der Vorstandsarbeit sei. Richtigerweise allerdings bleibt die Entscheidung über Kodexempfehlungen, die Organisationsabläufe des Vorstands betreffen, im Kern weiter eine eben diese Organisation betreffende Regelung und wird nicht allein durch das Hinzutreten der Erklärungspflicht nach § 161 AktG zu einer materiellen Entscheidung des Vorstands. Überdies hat der Aufsichtsrat oder ein betrauter Ausschuss (§ 107 Abs. 3 S. 2 AktG) aufgrund seiner Personalkompetenz über §§ 84 Abs. 2, 112 AktG 1 0 7 die Möglichkeit, Verhaltensempfehlungen des Kodex, die persönliche Verpflichtungen einzelner Vorstandsmitglieder beschreiben 108, über Regelungen der Dienstverträge für diese verbindlich zu machen 109 . Bestehende Verträge können selbstverständlich nur einvernehmlich ergänzt werden. Ob der Aufsichtsrat eine Abweichung des Vorstands von den Empfehlungen des Kodex über § 111 Abs. 4 S. 2 AktG generell von seiner Zustimmung abhängig machen kann, erscheint dagegen zweifelhaft 110 . Wäre das möglich, könnte sich der Aufsichtsrat über diese aktienrechtliche Zuständigkeit auch die umfassende Entscheidungskompetenz über den Inhalt der Entsprechenserklärung sichern. Die Baums-Kommission ging ohne weitere Problematisierung von der rechtlichen Zulässigkeit eines so weitgehenden Zustimmungsvorbehalts aus, weshalb sich der erörterte Vorschlag einer entsprechenden gesetzlichen Regelung erüb-
mer, S. 365, 373; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 537 f.; Pfltzer/Oser/Wader, DB 2002, 1120, 1121; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 173. 106 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 494. 107 Statt aller Hüffer, AktG, § 84 Rn. 12. 108 Vgl. ζ. B. Ziffern 4.3.4 DCGK (Interessenkonflikte/Abschluss wesentlicher Geschäfte nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats), 4.3.5 DCGK (Nebentätigkeit). 109 Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 536; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 558; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 173. 110 Unproblematisch nach Seibt, AG 2002, 249, 253 („Entscheidung über abstraktgenerelle Befolgung ... (unterliegt) regelmäßig ... einem Zustimmungsvorbehalt"); ebenso Baums, Bericht, Rn. 11, S. 55; a.A. Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 91; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 375; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 555.
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rige . Hiergegen wendet Krieger ein, bei der Erklärung nach § 161 AktG handele es sich — vergleichbar der Beschlussvorlage des Vorstands an die Hauptversammlung, der Aufstellung des Jahresabschlusses oder der Erstellung des Abhängigkeitsberichts — um eine dem Vorstand speziell zugewiesene Aufgabe, die als solche in ihrer Gesamtheit nicht Gegenstand eines Zustimmungsvorbehalts sein könne. Nur einzelne Geschäftsfuhrungsmaßnahmen des Vorstands zur Umsetzung der Empfehlungen könnten einem Zustimmungsvorbehalt unterworfen werden 112 . Die Richtigkeit der Überlegung von Krieger ergibt sich auch aus einem weiteren Gesichtspunkt. Die Anordnung einer Zustimmungspflicht darf nicht so weit gehen, dass der Aufsichtsrat entgegen § 111 Abs. 4 S. 1 AktG die Geschäftsführung an sich ziehen kann und entgegen § 76 Abs. 1 AktG die Befugnisse des Vorstands zur autonomen Leitung der Geschäfte im Kern berührt werden 113 . Das Zustimmungserfordernis nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG muss deshalb hinreichend bestimmt und umgrenzt sein. So verstieße es gegen das Bestimmtheitserfordernis, wenn etwa „alle bedeutsamen Geschäfte" generalklauselartig fur zustimmungspflichtig erklärt würden oder der Katalog der zustimmungspflichtigen Angelegenheiten so weit gefasst würde, dass er sich letztlich auf einen zumindest wesentlichen Teil der Vorstandsaufgaben erstreckte. Dem Vorstand muss stets ein Kernbereich seiner Leitungsverantwortung verbleiben 114 . Die Entscheidung über die Anwendung der Kodexempfehlungen ist aufgrund der allseits erwarteten Auswirkungen auf den Kapitalmarkt 115 als grundsätzlich bedeutsame Angelegenheit anzusehen116. Ein Zustimmungsvorbehalt für „alle Abweichungen vom Kodex" wäre zwar nach allgemeinen Merkmalen bestimmbar und insoweit keine Generalklausel im engeren Sinn. Aufgrund der Weite des Kodex, der eine Vielzahl von Regelungen aus dem Aufgabenbereich des
111 112
Vgl. Baums, Bericht, Rn. 11, S. 55; zustimmend Seibt, AG 2002, 249, 253. Krieger, FS Ulmer, S. 365, 375; i.E. ebenso Semler/Wagner, NZG 2003, 553,
555. 113 Hüffer, AktG, § 111 Rn. 18; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 112; Mertens, in: KölnKommAktG, §111 Rn. 66; vgl. zur notwendigen Trennung zwischen Leitung durch den Vorstand und Überwachung durch den Aufsichtsrat Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 9. 114 Geßler, in: Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropff, AktG, §111 Rn. 65 ff.; Hoff mann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rn. 304; Hüffer, AktG, § 111 Rn. 18; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 112; Mertens, in: Kölner Komm AktG, § 111 Rn. 65 ff.; Ulmer, in: Hanau/Ulmer, MitbestG, § 25 Rn. 62; enger Götz, ZGR 1990, 633, 640 ff. 115 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. IV. 2. c) bb). 116 Seibt, AG 2002, 249, 253.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Vorstands betrifft 117 , bezöge sich der Vorbehalt aber auf einen nicht unbedeutenden Teil der Vorstandsarbeit. Ein so weitgehender Zustimmungsvorbehalt ist aber unzulässig118. Darüber hinaus ist der Katalog der den Vorstand berührenden Kodexempfehlungen nicht endgültig festgelegt, sondern kann und soll jährlich neueren Entwicklungen angepasst werden, Präambel Abs. 9 DCGK. Ein generelles Zustimmungserfordernis stellte sich als dynamische Verweisung auf den sich — wie zuletzt durch Neufassung vom 21.05.2003 geschehen — möglicherweise wandelnden und den Vorstand unter Umständen stärker in die Pflicht nehmenden Kodexinhalt dar. Damit hinge der Umfang des ZustimmungsVorbehalts, jedenfalls bis zu seiner Abänderung durch den Aufsichtsrat, zumindest teilweise von der Entscheidung der Cromme-Kommission und nicht von der des Aufsichtsrats ab. Ist ein generelles Zustimmungserfordernis deshalb aus den genannten Gründen unzulässig, spricht dagegen nichts gegen die Möglichkeit des Aufsichtsrats, die Abweichung des Vorstands von einzelnen, bestimmten Empfehlungen von seiner Zustimmung abhängig zu machen 119 , solange der Zustimmungskatalog nicht so weit geht, dass er einem umfassenden Zustimmungspflicht gleichkommt. Wird diese Grenze gewahrt, kommt dem Aufsichtsrats auch die entsprechende Entscheidungskompetenz zu 1 2 0 . ee) Empfehlungen an die Hauptversammlung Der Kodex umfasst auch Empfehlungen, deren Regelungsgegenstand grundsätzlich der Kompetenz der Hauptversammlung unterworfen ist 121 . Außer Frage steht, dass weder Aufsichtsrat noch Vorstand bindende Entscheidungen für die Hauptversammlung treffen, sondern allenfalls durch Beschlussvorschläge gemäß § 124 Abs. 3 AktG auf eine bestimmte Entscheidung hinwirken können 122 .
117 Vgl. ζ. B. Ziffern 2.3.1, 2.3.2, 2.3.3, 3.10, 4.2.1, 4.2.4, 5.1.2, 6.3, 6.4, 6.5, 6.6, 6.7, 6.8, 7.1.1,7.1.2, 7.1.4, 7.1.5. 118 Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 555. 119 So auch Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 91. 120 A.A. aber Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 89, wonach bei der Entscheidung über den Zuständigkeitsbereich Möglichkeiten einer mitwirkenden Entscheidung des anderen Organs unberücksichtigt bleiben und es nur darauf ankommt, welches Organ zur „ersten Entscheidung" berufen ist. 121 Vgl. ζ. B. Ziffern 3.3 (nach Wortlaut Gesetz, nicht Empfehlung) 3.8, 5.4.2, 5.4.5. 122 Lutter/Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 1033; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 96.
Β. Pflichtverletzung
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Dabei handelt es sich nicht um einen gemeinsamen, sondern von jedem Organ eigenständig eingebrachten Vorschlag 123 , der sich allerdings in der Regel entspricht. Aus diesem Grund kann fur die nach ihrem Regelungsgegenstand der Entscheidung der Hauptversammlung unterworfenen Empfehlungen kein Organ einen Entscheidungsvorrang beanspruchen 124. c) Differenzierung nach Vergangenheits- und Zukunftserklärung Es fragt sich im Anschluss, ob die vorstehend dargestellte Kompetenzverteilung zusätzlich dadurch beeinflusst wird, dass die Entsprechenserklärung nach der hier vertretenen Auffassung zugleich einen Vergangenheits- (und zu vernachlässigenden Gegenwarts-) wie einen Zukunftsbezug aufweist 125 . Es gilt sich dabei folgendes zu vergegenwärtigen: Grund der teilweisen Zuweisung einer vorrangigen Entscheidungskompetenz über die An- oder Nichtanwendung der Kodexempfehlung und über den Inhalt der korrespondierende Erklärung nach Maßgabe des allgemeinen Aktienrechts war die Erwägung, dass anderenfalls in Grundstrukturen der aktienrechtlichen Kompetenzordnung eingegriffen würde. Auf der Grundlage dieser Wertung erscheint es zweifelhaft, ob die vorgenannte Verteilung der Entscheidungskompetenz auf den vergangenheitsbezogenen Teil der Erklärung übertragbar ist. Teilweise wird eine Abweichung von dem als maßgeblich angesehenen allgemeinen aktienrechtlichen Kompetenzkatalog unter dem Gesichtspunkt des Vergangenheitsbezugs ohne weitere Argumentation nicht in Erwägung gezogen 126 . Im Unterschied zur Zukunftserklärung, bei der es sich um eine Absichtserklärung über das zukünftige Verhalten handelt, beinhaltet die Vergangen123 Eckhardt, in: Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropff, AktG, § 124 Rn. 27; Hüffer, AktG, § 124 Rn. 12; Semler, in: MünchHdbAG, § 35 Rn. 53; a.A. v. Falkenhausen, BB 1966, 337, 339, nach dessen Auffassung beide Organe „- im Zweifel: gemeinsame — Vorschläge 44 vorzulegen haben. 124 Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2511; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 373 f.; wohl ebenso Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 555; ähnlich zur inhaltlichen Auslegung von Empfehlungen Seibt, AG 2003, 465, 473. 125 So Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1572 f.; Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2509 f.; dies., BB 2002, 789, 791; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 366; Lutter, FS Druey, S. 463, 467; ders., ZHR 166 (2002), 523, 529 f.; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 492 ff.; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 170 f.; Seibert, BB 2002, 581, 583.; a.A. Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 7; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273; Seibt, AG 2002, 249, 251; vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. l.b). 126 Seibt, AG 2002, 249, 253, der sich auch gegen einen Zukunftsbezug der Erklärung ausspricht, vgl. ders., AG 2002, 249, 251.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
heitserklärung allerdings nicht mehr als die Aussage, inwieweit der Kodex im zurückliegenden Berichtszeitraum eingehalten wurde 127 . Dieses vergangene Verhalten ist als Tatsache für beide Organe grundsätzlich vollumfänglich nachprüfbar. Die Äußerung der Organe ist deshalb eine bloße Wissenserklärung 128. Beide Organe sind imstande, sich die für die Erklärung notwendige Tatsachengrundlage durch Einholung der entsprechenden Informationen zu verschaffen 129 , ohne damit den allgemeinen aktienrechtlichen Kompetenzbereich des anderen Organs zu tangieren. Das in der Vergangenheit liegende Verhalten ist abgeschlossen, so dass es nicht mehr durch eine Erklärung beeinflussbar ist. Ein nachträglicher Eingriff in den Kompetenzbereich des anderen Organs ist nicht möglich. Damit fehlt gerade das Moment, das zu einer Präjudizierung des Verhaltens des anderen Organs führen könnte. Aufsichtsrat und Vorstand haben deshalb ohne Rücksicht auf den aktienrechtlichen Kompetenzkatalog gleichberechtigt zu prüfen und dann auch zu erklären, inwieweit den Empfehlungen in der Vergangenheit entsprochen wurde. Insoweit entsprechen sich hier Erklärungspflicht und Entscheidungskompetenz. Für den Entscheidungsvorrang eines der Organe ist kein Raum 130 . Demgegenüber ist bei der Zukunftserklärung zu differenzieren: Ist der Aufsichtsrat nach allgemeinen Grundsätzen nicht zuständig, kann er auch in der Zukunftserklärung nur offenbaren, was er über die Absicht des anderen Adressaten (Hauptversammlung, Vorstand, Aufsichtsratsmitglieder) zur An- oder Nichtanwendung der jeweiligen Kodexempfehlungen weiß. Ein Entscheidungsvorrang gegenüber dem Vorstand besteht auch für diese Empfehlungen nicht 131 . Bei Empfehlungen, die nach allgemeinen Grundsätzen in der Kompetenz des Aufsichtsrats liegen oder die er in zulässigem Umfang seiner Kompetenz unterworfen hat, ist die Zukunftserklärung dagegen keine Wissenserklärung über vergangenes, sondern eine Absichtserklärung über noch nicht abgeschlossenes künftiges Verhalten. Dieses zukünftige Handeln kann durch eine Erklärung des nach allgemeinen Grundsätzen unzuständigen Organs beeinflusst werden, da sich das zuständige Organ genötigt sehen könnte, der abgegebenen Absichtser127
Insoweit wohl unstreitig, vgl. nur Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 554. Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 251; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 493; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 371; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 554. 129 Vgl. zu den Anforderungen nachf Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 5. d). 130 Vgl. Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 251 ; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 493; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 371; a.A. Seibt, AG 2002, 249, 253. 131 So auch Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2511. 128
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klärung zu entsprechen. Gerade die Befürchtung dieser mittelbaren Druckssituation diente wie dargelegt teilweise als Argument, sich generell gegen einen Zukunftsbezug der Entsprechenserklärung auszusprechen 132. Auch wenn die Intensität der Beeinflussung des zukünftigen Verhaltens nicht zu einer echten „Bindung" des anderen Organs fuhrt und nicht so nachhaltig ist, daraus die Notwendigkeit einer Außerachtlassung des beabsichtigten Verhaltens bei der Bestimmung des Erklärungsinhalts abzuleiten 133 , schließt das die Existenz eines „Beeinflussungspotentials" nicht aus. Der zwingende Kompetenzkatalog verbietet es aber generell, das Handeln des zuständigen Organs überhaupt zu insinuieren. Es kann nicht in der Kompetenz eines für das tatsächliche Handeln nicht zuständigen Organs liegen, eine Stellungnahme über das nach eigener Vorstellung angebrachte zukünftige und damit noch nicht abgeschlossene Handeln des anderen Organs abzugeben134. Damit greifen hier die Wertungsgesichtspunkte ein, die für die Zuerkennung einer vorrangigen Entscheidungskompetenz des nach dem Kompetenzkatalog des AktG zuständigen Organs sprechen. Dem Aufsichtsrat kommt deshalb korrespondierend zu seiner aktienrechtlichen Zuständigkeit die Entscheidungsprävalenz über den Inhalt der Zukunftserklärung zu. d) Konsultationspflicht des entscheidungsbefugten Organs Ist dem Aufsichtsrat aus vorstehend dargelegten Gründen teilweise eine vorrangige Entscheidungsbefugnis für einzelne Kodexempfehlungen zuzuerkennen, erscheint zweifelhaft, ob er damit ohne jede Rücksicht auf die Auffassung des Vorstands den Erklärungsinhalt zu diesen Punkten bestimmen kann. Damit würde der Grundsatz der Wahrung des aktienrechtlichen Kompetenzkataloges überspannt und das Zusammenspiel von teilweise divergierender Entscheidungskompetenz und umfassender Erklärungspflicht außer Acht gelassen. Der Schutz der Organkompetenzen verlangt, dass abschließend der Erklärungsinhalt veröffentlicht wird, der die Meinung des vorrangig zuständigen Organs wieder-
132 So Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 7; Schuppen, ZIP 2002, 1269, 1273; Seibt, AG 2002, 249, 251; im Vorfeld DAV-HRA, NZG 2002, 115, 118; vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 1. b) aa). 133 Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1572 f.; Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2509 f.; dies., BB 2002, 789, 791; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 366; Lutter, FS Druey, S. 463, 467; ders., ZHR 166 (2002), 523, 529 f.; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 492 ff.; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 170 f.; Seibert, BB 2002, 581, 583, vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 1. b), cc). 134 Ähnlich Krieger, FS Ulmer, S. 365, 369; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 555; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 173.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
gibt. Gleichzeitig wird mit der Entsprechenserklärung der Zweck verfolgt, dass sich beide Organe zu allen Punkten des Kodex eine eigene Meinung bilden 135 . Das kommt gerade auch durch die umfassende Erklärungspflicht des § 161 AktG zum Ausdruck. Insoweit wird dem nicht entscheidungsbefugten Organ abverlangt, sich unter Umständen entgegen der selbst gebildeten Auffassung zu äußern. Der Zusammenhang lässt es gerechtfertigt erscheinen, hieraus eine Konsultationspflicht des entscheidungsbefugten Organs vor Veröffentlichung der Erklärung abzuleiten, also die Verpflichtung, die Meinung des anderen Organs zumindest einzuholen und im Falle von Divergenzen die zugrundeliegenden Erwägungen zu diskutieren 136 . e) Zusammenfassung der Entscheidungskompetenzen Im Ergebnis kann der Aufsichtsrat hinsichtlich der zurückliegenden Einhaltung der Kodexempfehlungen keinen Entscheidungsvorrang für sich in Anspruch nehmen. Beide Organe sind gleichberechtigt. Demgegenüber ist für den zukunftsgerichteten Erklärungsteil nach allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätzen wie folgt zu differenzieren: Kein Entscheidungsvorrang des Aufsichtsrats besteht bezüglich der Empfehlungen, die - der Kompetenz der Hauptversammlung unterfallen oder - sich an einzelne Aufsichtsratsmitglieder richten und nicht durch einstimmigen Beschluss aller Mitglieder in die Geschäftsordnung aufgenommen wurden. Eine Prävalenz des Aufsichtsrats besteht hinsichtlich derjenigen Empfehlungen, die gerichtet sind - unmittelbar an ihn als Organ oder - an seine Mitglieder, soweit sie durch einstimmigen Beschluss in die Geschäftsordnung aufgenommen wurden, oder - an den Aufsichtsratsvorsitzenden. 135
Vgl. BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21; Baums, Bericht, Rn. 12,
S. 56. 136 Krieger, FS Ulmer, S. 365, 373; vgl. zum möglichen Ablauf in Anlehnung an das Verfahren des Zusammenwirkens von Vorstand und Aufsichtsrat an der Feststellung von Jahres- und Konzernabschluss Lutter, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 983 ff.
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Das selbe gilt auch fur die an den Vorstand gerichteten Empfehlungen, wenn der Aufsichtsrat - fur das in ihnen niedergelegte Verhalten nach allgemeinen Grundsätzen zuständig ist oder - deren Einhaltung (in zulässigem Umfang) durch Erlass von Geschäftsordnungsvorschriften fur den Vorstand bzw. dienstvertraglichen Klauseln geregelt hat oder - deren spezielle Nichtbefolgung gem. § 111 Abs. 4 S. 2 AktG von seiner Zustimmung abhängig gemacht hat. Ein Entscheidungsvorrang besteht wiederum nicht mehr, wenn - die Hauptversammlung (in zulässigem Umfang) den Aufsichtsrat durch Satzungsregelungen zur Beachtung oder Nichtbeachtung bestimmter Empfehlungen verpflichtet hat oder - ein einstimmiger Aufsichtsratsbeschluss zur Aufnahme einer an einzelne Mitglieder des Organs gerichteten Empfehlung in die Geschäftsordnung nach einem Mitgliedswechsel nicht erneuert wurde. 3. Unterscheidung von Erklärung im Außenverhältnis und interner Beschlussfassung der Verwaltungsorgane Im Anschluss stellt sich die Frage, ob die Differenzierung der Entscheidungskompetenzen bei gleichzeitiger umfassender Erklärungspflicht dazu fuhrt, dass im Falle unterschiedlicher Auffassungen über die Anwendung derjenigen Empfehlungen, fur die kein Entscheidungsvorrang eines der Organe besteht, auch zwei voneinander abweichende Erklärungen zulässig sind oder eine gemeinsame Erklärung abzugeben ist. Zu unterscheiden ist dabei die Verlautbarung der Erklärung im Außenverhältnis von der internen Meinungsbildung über den Erklärungsinhalt 137. a) Keine Pflicht zur gemeinsamen Verlautbarung der Erklärung nach außen Der Wortlaut des § 161 AktG ist offen und aus der Gesetzesbegründung lässt sich ein bestimmter Wille des Gesetzgebers nicht herleiten. Für den Willen des Gesetzgebers, es sei eine gemeinsame Erklärung abzugeben, könnte allenfalls 137
Semler/Wagner,
NZG 2003, 553, 554; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 173.
3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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sprechen, dass in der Gesetzesbegründung bezüglich der Erklärung nur im Singular gesprochen wird, sich die Empfehlungen „an die Verwaltung insgesamt richten" und die Erklärung in „einem" gesonderten Bericht abgegeben werden soll 138 . Es spricht jedoch ebensoviel dafür, dass die Verwendung der SingularForm nur rein sprachliche Gründe hatte, ohne dass damit eine weitergehende Aussage getroffen werden sollte, so dass aus der Gesetzesbegründung keine weiteren Schlüsse zu ziehen sind 139 . Fest steht nur, dass sich beide Organe erklären sollen, weshalb unstreitig ist, dass jedes Organ im Grundsatz eine eigene Erklärung abgibt 140 . Das gilt umso mehr, als dass eine gemeinsame Willensbildung von Aufsichtsrat und Vorstand dem Aktiengesetz unbekannt ist 1 4 1 . Auch widerspräche eine bloße Zustimmung des einen Organs zur Erklärung des anderen der Intention der Regelung, dass sich beide Organe mit den Kodexempfehlungen inhaltlich auseinandersetzen sollen 142 . Teilweise wird allerdings aus § 161 AktG die Verpflichtung abgeleitet, nach gesellschaftsinterner Abgabe zweier unabhängiger Erklärungen von Aufsichtsrat und Vorstand seien diese „notwendigerweise" bei der Veröffentlichung zu einer „gemeinsamen" Erklärung zusammenzufassen. Es bestehe ein „Einigungszwang", der Einzelerklärungen unterschiedlichen Inhalts nicht zulasse143. Zur Begründung wird auch auf die typischerweise von Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam unterbreiteten Beschlussvorschläge an die Hauptversammlung ver144
wiesen . Nach anderer Auffassung wird im Falle abweichender Vorstellungen beider Organe auch nach außen die Abgabe zweier unterschiedlicher Einzelerklärun138
Vgl. BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21. Ebenso Krieger, FS Ulmer, S. 365, 369. 140 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 23; Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 790; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 369; Seibt, AG 2002, 249, 253. 141 Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 790; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 369. 142 Vgl. BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21: „Die Pflicht zur (...) Erklärung gewährleistet, dass Vorstand und Aufsichtsrat sich (...) inhaltlich mit dieser Frage auseinandersetzen." Vgl. auch nahezu wortgleiche Ausführung bei Baums, Bericht, Rn. 12, S. 56. 143 Seibt, AG 2002, 249, 253. 144 Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1271; abweichend auch ders., in: Hirte, Transparenzund Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, 14 f. Die gemeinsame Unterbreitung von Beschlussvorschlägen ist zudem sehr umstritten, vgl. Hüffer, AktG, § 124 Rn. 12 m.w.N. Gegen eine entsprechende Verpflichtung sprich etwa, dass der Gesetzgeber mit § 27 WpÜG gerade ein gesondertes Stellungnahmerecht des Aufsichtsrats zu einem (Übernahme-) Angebot eingeführt hat, vgl. Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 22. 139
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gen als zulässig erachtet. Gründe für einen Einigungszwang seien weder genannt noch seien solche ersichtlich 145 . Krieger begründet die Zulässigkeit abweichender Erklärungen allerdings unter anderem damit, es komme anderenfalls zu einer Aufweichung der aktienrechtlichen Kompetenzen, da ein Einigungszwang den Organen erlaubte, in den Angelegenheiten des jeweils anderen Organs mitzuentscheiden146. Hierbei verkennt er, dass der Gesichtspunkt der Aufrechterhaltung des aktienrechtlichen Kompetenzkataloges gerade fur bestimmte Teile des Kodex die Zuerkennung eines Entscheidungsvorrang eines der Organe bedingt 147 . Das entscheidungsbefiigte Organ kann deshalb bei manchen Empfehlungen den Erklärungsinhalt auch fur das andere Organ verbindlich festlegen, so ein „Mitentscheiden" des anderen Organs unterbinden und eine „Einigung" erzwingen. Auch wenn nur die Abgabe einer gemeinsamen Erklärung zulässig wäre, bliebe die aktienrechtliche Kompetenzordnung gewahrt. Für die rechtliche Zulässigkeit der Abgabe zweier Erklärungen spricht vielmehr die Existenz solcher Empfehlungen, die keinen Einfluss auf den allgemeinen aktienrechtlichen Kompetenzkatalog haben und deshalb auch kein Organ den auf sie bezogenen Inhalt der Erklärung vorgeben kann. Im Aktienrecht existieren keine rechtlichen Regelungsmechanismen, wie bei unversöhnlich aufeinanderprallenden Auffassungen ohne Vorrang eines der Organe eine Einigung herbeigeführt werden könnte 148 . Bestünde ein rechtlicher Zwang zur Abgabe einer gemeinsamen Erklärung, könnte im Fall unterschiedlicher Auffassungen der Organe über die Anwendung von Empfehlungen, für die nach dem vorstehend dargestellten Kompetenzkatalog keine Entscheidungsprävalenz besteht, insoweit überhaupt keine Erklärung abgegeben werden. Das Unterlassen einer Er-
145 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 22; Lutter/ Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 491; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 83 f., 88; Steiner, in: AnwK-AktienR, Kap. 1 § 161 Rn. 10; Gelhausen/Hönsch, AG 2002, 529, 533; Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 790; dies., BB 2002, 2509, 2512; Kiethe, NZG 2003, 559, 560; ungenau Lutter, ZIP 2003, 737, 738 („gemeinsame Linie zu den rund 60 Empfehlungen des Kodex"); Krieger, FS Ulmer, S. 365, 369 f.; Pfitzer/Oser/Wader, DB 2002, 1120, 1121. 146 Krieger, FS Ulmer, S. 365, 369. 147 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 2. 148 Vgl. als Resultat dieses Fehlens die von der Struktur her ähnliche Berechtigung von Vorstand und Aufsichtsrat, der Hauptversammlung nach § 124 Abs. 3 S. 1 AktG unterschiedliche Beschlussvorschläge vorzulegen; dazu Eckhardt, in: Geßler/Hefermehl/ Eckhardt/Kropff, AktG, §124 Rn. 27; Hüffer, AktG, §124 Rn. 12; Semler, in: MünchHdbAG, § 35 Rn. 53; a.A. v. Falkenhausen,, BB 1966, 337, 339, ohne sich allerdings zur praktischen Handhabung zu äußern.
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klärung wäre allerdings mit dem Telos des § 161 AktG nicht zu vereinbaren 149. Trotz fortbestehender Divergenzen müssen beide Organe ihrer Pflicht zur vollumfänglichen Erklärung nachkommen. Entscheidend ist, dass Sinn und Zweck des § 161 AktG, die Anleger zur Erzeugung von Marktdruck über die Corporate-Governance-Struktur zu informieren 150 , es unbedingt erfordern, tiefgreifende unterschiedliche Vorstellungen der beiden Organe offenzulegen 151. Dem widerspräche es, wenn die Organe rechtlich gezwungen würden, nach außen hin Einigkeit zu demonstrieren, obwohl intern so gravierende Differenzen bestehen, dass sie sich durch Überzeugungsarbeit nicht überwinden lassen. Unterschiedliche Erklärungen werden allerdings wegen dann zu erwartender harscher Reaktionen des Kapitalmarktes eher theoretischer Natur sein 152 ; das wäre das deutlichste Zeichen, dass die Corporate Governance der Gesellschaft im argen liegt. So ist zu erwarten, dass beide Organe den Erklärungsinhalt vor der jeweiligen Beschlussfassung gemeinsam ausarbeiten, wobei dann bezüglich der Teile des Kodex, für die nach vorstehenden Ausführungen eine Prävalenz besteht, die „redaktionelle Leitung" dem jeweiligen Organ zukommt, dem der Vorrang gebührt 153 . Kann bei den Empfehlungen, bei denen kein Entscheidungsvorrang eines der Organe besteht, intern keine Einigung über die Befolgung erzielt werden, wird in der Entsprechenserklärung die Nichteinhaltung offengelegt werden 154 . Es wird so regelmäßig nur zur Abgabe einer einheitlichen Erklärung beider Organe kommen. Insoweit mag jedoch allenfalls von einem tatsächlichen, keinesfalls einem rechtlichen „Einigungszwang" gesprochen werden. Damit realisiert sich einmal mehr die Zielvorstellung, auch ohne rechtlich verbindliche Pflichten die Corporate Governance der deutschen Aktiengesellschaften auszugestalten155.
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Krieger, FS Ulmer, S. 365, 369. Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. IV. 2. c). 151 Krieger, FS Ulmer, S. 365, 370; zustimmend Kiethe, NZG 2003, 559, 560. 152 Vgl. Peltzer, Deutsche Corporate Governance, Rn. 120; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 83; Kiethe, NZG 2003, 559, 560; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 554. 153 Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 790. 154 Lutter, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 986; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 555. 155 Regulierungsfunktion, vgl. vorst. Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. IV. 2. c) bb). 150
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b) Keine Pflicht zur gemeinsamen internen Willensbildung Die vom Aufsichtsrat nach außen abzugebende Erklärung gemäß § 161 AktG erfordert die Herausbildung eines entsprechenden Organwillens. Es handelt sich damit nach dem Verständnis des Aktiengesetzes um eine Entscheidung156, über die wie auch bei anderen vom Aufsichtsrat als Organ abzugebenden Erklärungen 157 ein (Mehrheits-)Beschluss zu fassen ist, § 108 Abs. 1 AktG 1 5 8 . Entsprechend dem Fehlen einer gemeinsamen Erklärungsverpflichtung der Verwaltungsorgane besteht auch keine Verpflichtung zu einer gemeinsamen internen Beschlussfassung. Ein aus beiden Verwaltungsorganen zusammengesetztes Beschlussorgan ist dem deutschen Aktienrecht darüber hinaus fremd. Es führte zudem zu einer Lähmung der Beschlussfähigkeit, weil aufgrund des Fehlens gesetzlicher Vorschriften nur einstimmige Beschlüsse möglich wären, die erfahrungsgemäß, zumal mit zunehmender Größe eines Gremiums, kaum zu erreichen sind 159 . Die Folge wäre stets die Abgabe von negativen Entsprechenserklärungen 160, was der Intention der gesetzlichen Regelung widerspräche. Beide Organe haben deshalb getrennt über den Erklärungsinhalt zu beschließen 161 . Formal ist der Beschluss des Aufsichtsrats nach dem allgemeinen Formerfordernis der Niederschrift (§ 107 Abs. 2 AktG) schriftlich zu verfassen und durch den Vorsitzenden zu unterzeichnen 162. Teilweise wird unter Verweis auf das Formerfordernis beim Bericht über den Abschluss eines Unternehmensvertrags und beim Abhängigkeitsbericht vertreten, dass der Beschluss über die Entsprechenserklärung von allen Mitgliedern des Aufsichtsrats unterzeichnet werden müsse, da die Erklärung als Wissenserklärung keiner Vertretung zugänglich
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Vgl. Hüffer, AktG, § 108 Rn. 2; Mertens, in: KölnKommAktG, § 108 Rn. 6. Vgl. ζ. Β. Erklärungen nach §§ 59 Abs. 3, 88 Abs. 1, 89 Abs. 2 und Abs. 5 AktG. 158 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 22; Lutter/ Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 497; Steiner, in: AnwK-AktienR, Kap. 1 § 161 Rn. 10; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 376; Seibt, AG 2002, 249, 253. 159 Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 554. 160 Vgl. zu Inhalt und Umfang einer Negativerklärung nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, I. 5. b) bb) (4). 161 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 88; Schiippen, in: Hirte, Transparentund Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, 15; Gelhausen/Hönsch, AG 2003, 367, 368; Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2511 f.; Pfitzer/Oser/Wader, DB 2002, 1120, 1121; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1271; Seibt, AG 2002, 249, 253; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 555. 162 Gelhausen/Hönsch, AG 2002, 529, 533; Semler/Wagner, NZG 2003, 533, 555 f. 157
112
3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
sei 163 . Andere begründen die Notwendigkeit der Unterschrift mit der Erforderlichkeit der Dokumentation des Zustandekommens der Erklärung 164 . Für eine Pflicht zur Unterzeichung durch alle Mitglieder des Aufsichtsrats ermangelt es jedoch im Gegensatz zu den genannten Vergleichsbeispielen (bzgl. Unternehmensvertrag § 293 a Abs. 1 S. 1 AktG; bzgl. Abhängigkeitsbericht wegen gesamtschuldnerischer Haftung arg ex §§ 318 Abs. 1, 407 Abs. 1 S. 1 AktG) einer gesetzlichen Grundlage 165 . Das Gesetz bestimmt, dass über Sitzungen des Aufsichtsrats eine Niederschrift anzufertigen ist, die allein der Vorsitzende zu unterzeichnen hat 166 . Zudem werden die Dokumentationsbedürfnisse (insbesondere der Wirtschaftsprüfer) durch die Signatur des Vorsitzenden gewahrt. 4. Übertragung der internen Willensbildung des Aufsichtsrats den Inhalt der Erklärung an einen Ausschuss?
über
Streitig ist, ob die interne Meinungsbildung innerhalb des Aufsichtsrats auf einen Ausschuss167 übertragen werden kann. Das könnte insoweit Auswirkungen auf die Haftung der Mitglieder des Aufsichtsrats haben, als dass die nicht im Ausschuss vertretenen Mitglieder des Aufsichtsrats bei sorgfältiger Auswahl und Kontrolle des mit der Aufgabe betrauten Ausschusses nicht pflichtwidrig bzw. nicht schuldhaft handelten, wenn nur den Ausschussmitgliedern eine Pflichtverletzung anzulasten ist 168 .
163 Seibt, AG 2003, 465, 471; ders., AG 2002, 249, 253 unter Verweis mi Hüffer, AktG, § 293a Rn. 10, § 312 Rn. 2; fur die Unzulässigkeit einer Vertretung auch Abram, ZBB 2003, 41, 52. 164 Gelhausen/Hönsch, AG 2002, 529, 533. 165 Krieger, FS. Ulmer, S. 365, 376. 166 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 126. 167 Eine Delegation der Entscheidung an den Aufsichtsratsvorsitzenden scheidet dagegen, soweit überhaupt erwogen, nach allgemeiner Meinung aus, da er den Aufsichtsrat zwar nach außen repräsentieren und teilweise nach außen Erklärungen abgeben kann, aber nicht zur Meinungsfindung berufen ist, vgl. Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2513 f. 168 Vgl. zur Verantwortlichkeit und Haftung bei Delegation einer Aufgabe an einen Ausschuss Geßler, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, § 108 Rn. 84; Hüffer, AktG, § 116 Rn. 9; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 841; Mertens, in: KölnKommAktG, § 107 Rn. 16; vgl. zu den Anforderungen ordnungsgemäßer Überwachung der Ausschüsse Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 57 f f ; Schwark, FS Werner, S. 841, 846 f.; Hoffmann-Becking, in: MünchHdbAG, §32 Rn. 21; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 628; Ulmer, in: Hanau/Ulmer, § 25 Rn. 120, 130.
Β. Pflichtverletzung
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a) Meinungsstand Für die Möglichkeit der Delegation wird ins Feld gefuhrt, dass die Entscheidung über die Entsprechenserklärung nicht in den Katalog der nicht auf einen Ausschuss übertragbaren Aufgaben (§ 107 Abs. 3 S. 2 AktG) aufgenommen worden ist. Der Katalog sei abschließend und es gebe keine Hinweise auf ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers im Zuge der Implementierung der Erklärungspflicht in das Aktiengesetz 169. Andere Stimmen in der Literatur erachten trotzdem eine Delegation als generell nicht zulässig, da der Kodex selbst viele Fragestellungen beinhalte, die ihrerseits nach dem Katalog des § 107 Abs. 3 S. 2 AktG nicht auf einen Ausschuss übertragbar, sondern vom Plenum zu entscheiden seien. Das betreffe beispielsweise die Empfehlungen des Kodex, die sich mit der Vorstandsbesetzung (Ziffer 4.2.1 DCGK), der inneren Ordnung des Aufsichtsrats wie dem Erlass einer Geschäftsordnung (Ziffer 5.1.3 DCGK), der Bildung von Ausschüssen (Ziffern 5.3.1, 5.3.2 DCGK), Wahlvorschlägen fur Aufsichtsratsmitglieder (Ziffer 5.4.1 DCGK) oder Berichten an die Hauptversammlung über Interessenkonflikte (Ziffer 5.5.3 DCGK) befassten 170. b) Differenzierende Überlegungen Letztgenannter Argumentation könnte entgegengehalten werden, dass die Entsprechenserklärung zu keiner rechtlichen Bindung fuhrt und damit keine irreversiblen Entscheidungen über das Aufsichtsratshandeln getroffen werden. Damit unterscheidet sich eine Delegation der Erklärungsbefugnis von einer Delegation der Entscheidung über das tatsächliche Handeln. Allerdings besteht auch hier die Gefahr, dass die Erklärung zu einer faktischen Beeinflussung des zukünftigen, tatsächlichen Handelns des Gesamtorgans fuhrt. Auch ein Ausschuss darf nicht in die Lage versetzt werden, eine Erklärung über solche im Kodex enthaltene Fragen abzugeben und so das Aufsichtsratsplenum in dessen Handeln faktisch zu beeinflussen, deren tatsächliche Durchführung nach § 107 Abs. 3 S. 2 AktG nicht auf einen Ausschuss übertragen werden darf. Was zur
169
Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2513. Lutter, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 990; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 497; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 376; i.E. ebenso Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 23; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 93; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 555; ebenso unter Verweis auf das Delegationsverbot beim Abhängigkeitsbericht Seibt, AG 2002, 249, 253. 170
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Wahrung des allgemeinen aktienrechtlichen Kompetenzkataloges zwischen den Organen gilt, muss gleichermaßen für die allgemeinen aktienrechtlichen Kompetenzen innerhalb des Verwaltungsorgans Aufsichtsrat Beachtung finden. Es entspricht auch in anderem Zusammenhang einhelliger Auffassung, dass tatsächliche Zusammenhänge dazu fuhren können, dass Entscheidungen, die für sich betrachtet rechtlich dem Kompetenzbereich eines Aufsichtsratsausschusses unterfallen, aufgrund ihrer faktisch vorgreifenden Wirkung auf zwingend im Kompetenzbereich des Gesamtaufsichtsrat liegende Entscheidungen nur vom Aufsichtsratsplenum getroffen werden können 171 . Soweit aber die vorstehenden Überlegungen ergeben, dass die Entscheidung über die Erklärung zu einzelnen Kodexempfehlungen diejenigen tatsächlichen Belange nicht präjudizieren darf, die nach § 107 Abs. 3 S. 2 AktG nicht delegationsfahig sind, ist daraus nur der Schluss zu ziehen, dass eine Delegation der Entscheidung nur für diejenigen speziellen Empfehlungen ausgeschlossen ist, die den Inhalt der aufgezählten Belange berühren. Eine Vielzahl von Empfehlungen steht hingegen in keinerlei Zusammenhang mit den nicht übertragbaren Aufgaben. In Anbetracht des Enumerationsprinzips des § 107 Abs. 3 S. 2 AktG kann deshalb nicht allgemein auf eine Delegationsunfähigkeit der Entscheidung über die Entsprechenserklärung insgesamt geschlossen werden 172 . c) Schlussfolgerung Im Ergebnis folgt daraus zweierlei: Zunächst muss berücksichtigt werden, dass nur ein bestimmter Teil der Erklärung der Entscheidungsprävalenz des Aufsichtsratsplenums unterworfen ist. In dem nicht dem Entscheidungsvorrang des Aufsichtsrats unterworfenen Bereich stehen einer Delegation auf einen Aufsichtsratsausschuss keine Bedenken entgegen173. Nur wenn der seiner aktienrechtlichen Zuständigkeit unterfallende Bereich betroffen ist, können inhaltlich
171 Vgl. BGHZ 79, 38, 42 f.; Β GHZ 83, 144, 150; Β GHZ 89, 48, 56 (zur mitbestimmten GmbH); Bauer, DB 1992, 1421 f.; Fleck W M 1981, Sonderbeil. Nr. 3, S. 1, 10; Henze HRR-AktR, Rn. 561; differenzierend Hoffmann-Becking FS Stimpel, 1985, 589, 594 ff.; Hüffer, AktG, § 107 Rn. 18, § 84 Rn. 38; Mertens, in: KölnKommAktG, § 107 Rn. 138; Meier/Pech, DStR 1995, 1195, 1196; Säcker, BB 1979, 1321, 1322 jeweils zur faktischen Präjudizierung der Entscheidung des für die Bestellung/Abberufung der Geschäftleitung zuständigen Aufsichtsrats (bzw. Verwaltungsrats) durch vorherigen Abschluss bzw. vorherige Kündigung/Aufhebung des Anstellungsvertrages durch einen Ausschuss des Gesamtorgans, weshalb von einer „akzessorischen Regelungskompetenz" des Ausschusses auszugehen sei. 172 So aber Krieger, FS Ulmer, S. 365, 376, Seibt, AG 2002, 249, 253. 173 Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2513.
Β. Pflichtverletzung
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Kompetenzen des Gesamtaufsichtsrats berührt und deshalb eine Delegation auf einen Ausschuss ausgeschlossen sein. Im Anschluss ist innerhalb des der Entscheidungsprävalenz des Gesamtaufsichtsrats unterworfenen Bereichs weiter zu differenzieren: Eine Delegation ist auch dort ausgeschlossen, wenn es sich konkret um eine Erklärung über Kodexempfehlungen handelt, die Maßnahmen beschreiben, die nach § 107 Abs. 3 S. 2 AktG nicht delegationsfähig sind. Anderenfalls ist eine Kompetenzübertragung möglich. Da die jährlich abzugebende Entsprechenserklärung nach § 161 AktG sich jedoch nicht in verschiedene „Teile" aufgliedern lässt, sondern nur einheitlich und umfassend zu allen Empfehlungen des Kodex abgegeben werden kann, sind stets auch nicht delegierbare Bereiche berührt 174 , so dass die Differenzierung für die turnusmäßige jährliche Erklärung 175 keine praktische Relevanz entfaltet. Die Entscheidung über den Inhalt der regelmäßigen Entsprechenserklärung ist deshalb nicht auf einen Ausschuss übertragbar. 5. Verletzung der Pflicht zur Abgabe der Entsprechenserklärung a) Verstoß gegen formale Voraussetzungen Fraglich ist zunächst, in welcher äußeren Form die Verlautbarung der Erklärung im Außenverhältnis abzugeben ist. Die Entsprechenserklärung ist „den Aktionären dauerhaft zugänglich" zu machen, § 161 S. 2 AktG. Die Verlautbarung der zuvor von den beiden Verwaltungsorganen durch getrennte Beschlüsse intern abgegebenen Erklärungen 176 nach außen stellt einen reinen Publizitätsakt dar. Er ist nichts anderes als eine bloße Umsetzungsmaßnahme der gesellschaftsinternen EntscheidungsVorgänge. Wie alle sonstigen rein tatsächlichen Handlungen oder Tätigkeiten 177 unterfällt die Abgabe der Erklärung nach außen damit als Geschäftsfiihrungsmaßnahme der Kompetenz des Vorstands, §§ 76 Abs. 1, 77 Abs. 1 AktG 1 7 8 . Mithin entscheidet der Vorstand 174
Vgl. ζ. B. Ziffern 4.2.1, 5.1.3, 5.3.2, 5.4.1, 5.5.3. Vgl. aber zu den Auswirkungen der Differenzierung i.R.d. (str.) Pflicht zur unterjährigen Korrekturerklärung, die sich womöglich nur auf einen bestimmten Teil des Kodex beziehen kann, nachf. Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 5. c) aa) (3) (d) (cc). 176 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, B. 3. b). 177 Hüffer, AktG, §77 Rn. 3; Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl/Eckhard/Kropff, AktG, §77 Rn. 1; Kort, in: GroßKommAktG, §77 Rn. 3; Mertens, in: KölnKommAktG, § 77 Rn. 2. 178 Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 554. 175
116
3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
darüber, wie die intern abgegebenen Erklärungen der Verwaltungsmitglieder „dauerhaft zugänglich gemacht" werden 179 . Die an die Form der Entsprechenserklärung zu stellenden Voraussetzungen sind jedoch für den Aufsichtsrat nicht ohne Belang, da die Geschäftsführung Gegenstand seiner Überwachungspflicht ist, § 111 Abs. 1 AktG 1 8 0 . Die Kontrolle erstreckt sich (u.a.) auf die Legalität der Geschäftsführung durch den Vorstand 181 und folglich auch auf die Einhaltung des § 161 S. 2 AktG. Da im Anhang zum (Konzern-) Jahresabschluss vermerkt werden muss, dass eine Entsprechenserklärung abgegeben wurde (§§ 285 Nr. 16, 314 Abs. 1 Nr. 8 HGB), ist — im Gegensatz zur inhaltlichen Richtigkeit — deren formal ordnungsgemäße Abgabe Gegenstand der Abschlussprüfung 182. Der Aufsichtsrat kann sich zur Erfüllung seiner Überwachungspflicht des Prüfberichts bedienen183. Durch die Berichtsvorlage wird der Aufsichtsrat in seiner Prüfungsaufgabe jedoch nur unterstützt. Wegen des Prinzips selbständiger Prüfung und Urteilsbildung wird eine eigene Prüfung des Aufsichtsrats nicht ersetzt. Zwar kann er sich im Wesentlichen auf eine Plausibilitätskontrolle beschränken. Ergeben sich aber Bedenken, ist der Aufsichtsrat zur weiteren Prüfung verpflichtet 184 . Da die Form der Abgabe der Entsprechenserklärung mithin der Überwachungspflicht des Aufsichtsrats unterfällt, ist zu untersuchen, welche Voraussetzungen vom Vorstand bei der Verlautbarung der Entsprechenserklärung zu beachten sind, also für wen die Erklärung bestimmt ist, wie sie verfasst sein muss und mit welchen Publikationsmitteln den Anforderungen des dauerhaften Zugänglichmachens entsprochen werden kann.
179 Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 554 unter Hinweis auf Hüffer, AktG, § 124 Rn. 12 mit der Unterscheidung der Beschlussfassung des jeweiligen Organs über die zu unterbreitenden Vorschläge an die Hauptversammlung von der als reine Geschäftsführungsaufgabe in der alleinigen Kompetenz des Vorstands liegenden Entscheidung über die rein tatsächliche Art der Bekanntmachung dieser Beschlüsse. 180 Hüffer, AktG, § 111 Rn. 1 f.; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 61. 181 Hüffer, AktG, § 111 Rn. 6; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 72. 182 Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1574; Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 791; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1272; Seibt, AG 2992, 249, 257; Seibert, BB 2002, 581, 584; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 175. 183 Der Prüfbericht ist dem Aufsichtsrat auf Anforderung durch den Abschlussprüfer vorzulegen, § 321 Abs. 5 S. 2, 1. HS. HGB. 184 Hüffer, AktG, § 171 Rn. 5, 9 m.w.N.
Β. Pflichtverletzung
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αα) Adressaten der Erklärung Nach dem Wortlaut des § 161 S. 2 AktG sind nur die Aktionäre als Adressaten der Erklärung benannt. Richtet sich die Erklärung aber tatsächlich ausschließlich an die tatsächlichen Anteilseigner oder darüber hinaus auch an die potentiell zukünftigen Erwerber von Anteilen? Nach solcherart erweitertem Verständnis des Adressatenkreises würde die Vorschrift die Regelungen der kapitalmarktrechtlichen Publizität ergänzen, die im Zeichen des Marktbedürfnisses nach Transparenz eine weitestgehende Vermeidung von Informationsdefiziten der Kapitalmarktteilnehmern zum Ziel haben. In Abgrenzung zur aktienrechtlichen Rechnungslegung bezweckt die kapitalmarktrechtliche Publizität nicht nur die Unterrichtung der Anteilseigner (und Gläubiger) der Aktiengesellschaft, sondern auch das sonstige Anlagepublikum soll so informiert werden, wie es für eine fundierte Erwerbs- oder Veräußerungsentscheidung notwendig erscheint 185. Gegen eine solche Zuordnung der Entsprechenserklärung könnte eingewandt werden, § 161 AktG sei systematisch in den Fünften Teil des Ersten Buches über die Rechnungslegung der Aktiengesellschaft eingebettet, was gegen einen Kapitalmarktbezug spricht. In die andere Richtung weist jedoch der in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers, durch die Vorschrift den „Kapitalmarktteilnehmern" die Informationen zur Verfügung stellen zu wollen, ob und inwieweit eine Gesellschaft, die „den Kapitalmarkt in Anspruch nimmt", die Kodexempfehlung beachtet186. Das deckt sich mit dem Telos der Norm, die Informationsfunktion des Kodex durch die Offenlegungsverpflichtung zu verstärken und so gerade auch potentielle ausländische Anleger 187 zu einer positiven Anlageentscheidung zu veranlassen. Angesprochen ist damit das Anlagepublikum insgesamt und nicht nur die Aktionäre der Gesellschaft zum Erklärungszeitpunkt 188.
185 Schwark, ZGR 1976, 271, 294; Wiedemann , BB 1975, 1591, 1593; Kumpel, in: Assmann/Schneider, WpHG, § 15 Rn. 2. 186 Vgl. auch BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21. 187 Genannt seien an dieser Stelle insbesondere die anglo-amerikanischen Pensionsfonds etc, vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. II. 1. c), d). ls *Hopt, Beiheft ZHR Nr. 71, S. 27, 55; Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2510; Kiethe, NZG 2003, 559, 560; ähnlich Lutter, FS Druey, S. 463, 469 f.; Seibt 9 AG 2003, 465, 474 („kapitalmarktrechtliches Instrument der Informationsoffenlegung"); Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 171 („Mitteilung an den Kapitalmarkt"); ebenfalls den Kapitalmarktbezug betonend Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 47.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
bb) Äußerliche Form der Erklärung Bereits erörtert wurde die rechtlich mögliche, praktisch aber nicht zu erwartende Zulässigkeit der Abgabe zweier getrennter Erklärungen durch die Verwaltungsorgane 189. Zu untersuchen bleibt, in welche äußere Form die Erklärung zu kleiden ist. Die Gesetzesbegründung spricht lediglich davon, die Erklärung solle in einem „gesonderten Bericht" erfolgen 190 . Die Notwendigkeit einer gesonderten Erklärung lässt sich dem Gesetzeswortlaut des § 161 AktG hingegen nicht entnehmen. Das spricht dafür, dass die Entsprechenserklärung nicht nur in Form eines separaten Berichts, sondern auch als Teil des Lageberichts (§§ 264 Abs. 1 S. 1, 289 HBG) oder des Berichts des Aufsichtsrats (§171 Abs. 2 AktG) zulässig abgegeben werden könnte 191 . Andererseits ließe sich aus dem Wortlaut des § 325 Abs. 1 S. 1 HBG, der die Entsprechenserklärung gesondert neben Lage- und Aufsichtsratsbericht erwähnt, ein Hinweis auf die Erforderlichkeit eines eigenständigen Berichts entnehmen192. Die Formulierung des § 325 HGB erklärt sich jedoch daraus, dass es keine Verpflichtung zur Aufnahme der Entsprechenserklärung in einen der beiden vorgenannten Berichte gibt, weshalb der Gesetzgeber um die eigenständige Auflistung der Erklärung im Katalog der mit dem Jahresabschluss beim Handelsregister einzureichenden Unterlagen nicht umhin kam. Ein gesonderter Bericht ist deshalb aus rechtlichen Gründen nicht erforderlich. Die Frage dürft allerdings nicht von praktischem Belang sein, da unter Berücksichtigung der englischen Erfahrungen längere Ausführungen über die Kodexeinhaltung zu erwarten sind, die aus Gründen der Übersichtlichkeit die Verortung in einem gesonderten Bericht empfehlenswert erscheinen las-
cc) Dauerhaftes Zugänglichmachen gem. § 161 S. 2 AktG Die formalen Anforderungen an die Entsprechenserklärung werden maßgeblich durch das Tatbestandsmerkmal des dauerhaften Zugänglichmachens bestimmt.
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Vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 3. a). BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21; vgl. entsprechende Formulierung der Ztawms-Kommission, Baums, Bericht, Rn. 10, S. 55. 191 Seibt, BB 2002, 249, 251 unter Verweis auf DAV-HRA, NZG 2002, 115, 118; ebenso Fischer zu Cramburg, in: AnwK-AktienR, Kap. 5 Rn. 19. 192 Daraufhinweisend Seibt, AG 2002, 249, 251 (Fn. 25); ebenso Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 7 (Fn. 47). 193 Seibt, AG 2002, 249, 251. 190
Β. Pflichtverletzung
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Nach einem sehr engen Verständnis könnte man das Merkmal nur dann als erfüllt erachten, wenn jedem Aktionär die Erklärung in körperlich gegenständlicher Form, also als schriftliche Einzelmitteilung, ausgehändigt würde. Der dafür anfallende ungeheure organisatorische und finanzielle Aufwand ist hingegen nach Sinn und Zweck der Vorschrift weder erforderlich 194 , noch ist eine körperlich gegenständliche Information praktisch möglich, da der Gesellschaft bereits nicht alle ihre Aktionäre, erst recht nicht potentielle Erwerber von Anteilen namentlich bekannt sind. In Ermangelung einer zwingenden gesetzlichen Bestimmung kann das dauerhafte Zugänglichmachen damit sowohl in elektronischer als auch in schriftlich-gegenständlicher Form erfolgen 195 . Wie in anderen Bereichen des Aktiengesetzes reicht demnach eine kontinuierliche Veröffentlichung der Erklärung auf der unternehmenseigenen Website aus 196 . Dabei darf das Merkmal der Dauerhaftigkeit nicht dergestalt überspannt werden, dass ein technischer Zugriff auf die Website jederzeit zu garantieren sei. Die Einsehbarkeit unter normalen Umständen gereicht zur Gewährleistung der erforderlichen Kontinuität 197 . Somit ist die Veröffentlichung nur in elektronischer Form ohne Verstoß gegen § 161 AktG möglich. Die im Internet zugänglich gemachte Erklärung sollte dabei zweckdienlicherweise datiert und mit einem Hinweis auf die genaue Fassung des Kodex, auf den sie sich bezieht, versehen werden. Anderenfalls könnten sich Unklarheiten ergeben, wenn der Kodex nach Abgabe der Erklärung neu gefasst wird 1 9 8 . Obwohl die erste Fassung des Kodex nicht mehr im elektronischen Bundesanzeiger eingestellt ist und deshalb wohl auch in Zukunft vergangene Versionen nicht einsehbar gehalten werden dürften — auch wenn das sinnvoll wäre, um den Adressaten der Entsprechenserklärung die Überprüfung der in194 195
Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 528.
Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 34; Gelhausen/Hönsch, AG 2002, 529, 534; Schuppen, ZIP 2002, 1269, 1272. 196 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 34; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 162; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 354; Ihrig/Wagner, BB 2002, 798, 791; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 528; Schuppen, ZIP 2002, 1269, 1272; BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 22. Vgl. Ziffer 6.4 DCGK: „Zur zeitnahen und gleichmäßigen Information der Aktionäre und Anleger soll die Gesellschaft geeignete Kommunikationsmedien, wie etwa das Internet, nutzen." 197 BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 22; Hirte, in: ders., Transparenzund Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 35; Gelhausen/Hönsch, AG 2002, 529, 534; Lutter, ZHR 166 (2002), 523,528. 198 Vgl. entsprechenden Hinweise des Bundesministeriums der Justiz, abgedruckt in ZIP 2003, 1176; vgl. auch Gelhausen/Hönsch, AG 2003, 367, 369; Seibt, AG 2003, 465, 477. Vgl. zur möglichen Korrekturbedürftigkeit nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 5. c) cc).
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
haltlichen Richtigkeit vergangener Erklärungen zu erleichtern — kann nicht gefolgert werden, die alte(n) Version(en) des Kodex müsste(n) stattdessen von den einzelnen Gesellschaften vorgehalten werden 199 . Für eine Verpflichtung zum dauerhaften Zugänglichmachen der Kodexfassung ermangelt es aber einer tragfähigen rechtlichen Grundlage, zumal die zurückliegenden Fassungen des Kodex auch in allgemein zugänglichen Printmedien wiedergegeben worden sind 200 . Zudem ist festzuhalten, dass § 161 S. 2 AktG nur die aktuelle Entsprechenserklärung erfasst. Soweit Hirte dem Tatbestandsmerkmal des „dauerhaften" Zugänglichmachens entnimmt, darüber hinaus seien auch die Erklärungen der vergangenen Jahre abrufbar zu halten, weil dies den Kapitelmarktteilnehmern die Feststellung von Abweichungen von früheren Erklärungen erleichtere 2 0 1 , geht das jedenfalls aus dem Wortlaut des § 161 S. 2 AktG nicht hervor. Dagegen spricht nicht nur der eindeutige Wille des Gesetzgebers, die Erklärung seien nur „in ihrer jeweiligen Fassung" dauerhaft zugänglich zu machen und ausdrücklich Jährlich zu erneuern" 202. Auch genügt den Interessen der Kapitalmarktteilnehmern die letzte Erklärung, weil darin alle Abweichungen des Berichtszeitraums — und nur darum geht es der Erklärungspflicht — benannt werden müssen203. Unabhängig von der Erfüllung der Anforderungen des § 161 S. 2 AktG durch Veröffentlichung der Entsprechenserklärung im Internet scheidet die elektronische Form als alleinige Veröffentlichung allerdings faktisch wegen § 325 Abs. 1 S. 1 HGB aus 204 . Der Verpflichtung aus § 325 Abs. 1 S. 1 HGB, die Erklärung zum Handelsregister einzureichen, kann nur durch die Schriftform entsprochen werden, da die Handelsregisterpublizität bezüglich der in den Sonderbänden beim Registergericht geführten Schriftstücke und Unterlagen die elektronische Form nicht kennt 205 .
199
So aber Gelhausen/Hönsch, AG 2003, 367, 369. Vgl. etwa Dokumentation in ZIP 2002, 452 ff.; ZIP 2002, 2276; ZIP 2003, 1316 ff. Auch sind die Alt-Fassungen zur Zeit im Internet unter http://www.corporategovernence-code.de/ger/archiv/index.html (Stand: 15.10.2003) weiter einsehbar. 201 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 35. 202 BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 22. 203 I.E. ebenso Seibt, AG 2003, 465, 477. 204 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 34; Schüppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 12; ders., ZIP 2002, 1269, 1272. 205 Baumbach/Hopt, HGB, § 9a Rn. 1. 200
Β. Pflichtverletzung
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Wird nicht der Weg über die Veröffentlichung auf der unternehmenseigenen Website gewählt, fragt sich, welche Publikationsmittel alternativ zur Verfugung stehen. So genügt beispielsweise eine bloße Pressemitteilung den formalen Anforderungen der Dauerhaftigkeit keinesfalls 206 . Möglich wäre aber ein Abdruck in Printmedien wie den Gesellschaftsblättern oder in einem Börsenpflichtblatt 207 . Im Raum steht auch eine Veröffentlichung im jährlichen „Geschäftsbericht" der Gesellschaft 208. So empfiehlt Ziffer 3.10 DCGK, dort über die Corporate Governance des Unternehmens einschließlich der Erläuterung eventueller Abweichungen von den Empfehlungen des Kodex zu berichten 209 . Der Begriff des Geschäftsberichts ist dem Gesetz zwar nicht mehr bekannt, doch fungiert er für nahezu alle Gesellschaften weiterhin als freiwilliges Medium zur Kommunikation mit Anlegern und anderen Stakeholdern 210. Auch wird vertreten, es reiche aus, im Anhang zum Jahresbericht nicht nur die Angaben nach § 285 Nr. 16 HBG zu machen, sondern die Erklärung selbst in den Anhang 211 des Jahresabschlusses aufzunehmen 212. Die Formulierung des § 285 HGB zeigt zwar, dass es sich bei der Erklärung selbst nicht um eine Pflichtangabe handelt, doch schließt das richtigerweise eine freiwillige Angabe nicht aus 213 . Selbst wenn die Erklärung nicht in den Anhang aufgenommen, 206
Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 528. Gelhausen/Hönsch, AG 2002, 529, 534. 208 Vgl. BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 22; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 498; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 163; Baums, Bericht, Rn. 10, S. 55; Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 791; Lutter, ZHR 166 (2002), 523,528. 209 Soweit die Gesellschaft also (ausnahmsweise) keinen Geschäftsbericht erstellt, kann der Empfehlung der Ziffer 3.10 DCGK damit erklärungspflichtig nicht vollständig nachgekommen werden, vgl. v. Wer der/Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 407. 2,0 Vgl. Hütten, Geschäftsbericht, S. 6, 8. Der „Geschäftsbericht" fasst in der Praxis Anhang, Lagebericht, weitere freiwillige Angaben, Bilanz und GuV in einem einheitlichen Schriftstück zusammen, vgl. Hüttemann, in: Staub, GroßKommHGB, § 284 Rn. 3. 211 Vgl. hierzu die Überlegungen der itawms-Kommission, die sich wegen unterschiedlicher Zielrichtung gegen eine Einbeziehung der Erläuterungen zur Corporate Governance in den Lage- bzw. Konzernlagebericht aussprach, Baums, Bericht, Rn. 10, S. 55. 212 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 498; DAV-HRA, NZG 2002, 115, 118; wohl auch Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn.34. 213 Baums, Bericht, Rn. 10, S. 55; DAV-HRA, NZG 2002, 115, 118; Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 791. Vgl. zu möglichen Haftungsrisiken wegen § 331 HGB, § 400 AktG nachfolgende Ausführungen unter 4. Kapitel, Β. II. 3., 4. Vgl. in diesem Zusammenhang 207
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
sondern nur zusammen mit dem Jahresabschluss gemäß § 325 Abs. 1 S. 1 HGB zum Handelsregister eingereicht würde, könne die Erklärung gemäß § 161 S. 2 AktG als dauerhaft zugänglich gemacht angesehen werden 214 . Nach anderer Auffassung reiche allerdings eine ausschließlich durch die Handelsregisterpublizität gewährleistete Möglichkeit der Information durch Einsichtnahme in die Registerakten nach Wortlaut, Wille des Gesetzgebers und Telos des § 161 AktG nicht aus 215 . Dem Wortlautargument 216 kann nicht gefolgt werden. Der Begriff des dauerhaften Zugänglichmachens beinhaltet nur die Eröffnung einer Einsichtnamemöglichkeit, die nicht schon nach einer bestimmten Zeitspanne endet. Diesem Wortsinn wird durch die Handelsregisterpublizität entsprochen, die gem. § 9 Abs. 1 HBG jedermann auch ohne Nachweis etwa eines berechtigten Interesses 217 Einsicht in die im Register enthaltenen Unterlagen gewährt. Auch der Verweis auf den entsprechenden Willen des Gesetzgebers überzeugt nicht. Zwar bezeichnet der Gesetzgeber die Veröffentlichung nach § 325 HGB als Instrument „Weitere(r) Publizität" 218 , woraus geschlossen werden könnte, dass die handelsrechtliche Publizität etwas anderes darstellen müsse als die nach § 161 AktG 2 1 9 . Die Formulierung kann jedoch ebenso gut den gesetzgeberischen Willen zum Ausdruck bringen, die Gewährleistung der Publizität zweifach normativ abzusichern. Problematisch ist allerdings, ob nicht Sinn und Zweck der Vorschrift mehr als nur die grundsätzliche Ermöglichung der Einsichtnahme im Register forauch den Aktionsplan der Europäischen Kommission vom 21.05.2003 als Konsequenz der Vorschläge der Hochrangigen Expertengruppe für Gesellschaftsrecht (WinterGruppe), wonach bis 2005 über das Rechtsinstrument einer Richtlinie bzw. Änderungsrichtlinie zwingend eine Corporate-Governance-Erklärung im Jahresabschluss enthalten sein soll. Damit wäre eine Geschäftsfuhrungsprüfung durch den Abschlussprüfer verbunden. Vgl. dazu und zur Kritik Wiesner, ZIP 2003, 977, 978 f.; auch Maul, DB 2003, 27, 27 ff. 214 Seibt, AG 2002, 249, 257; a.A. Gelhausen/Hönsch, AG 2002, 529, 534 unter Hinweis auf den zeitlichen Ablauf der Prüfung. 215 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 37; Schüppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 12; ohne Begründung ders., ZIP 2002, 1269, 1272; Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1204 („Außerdem ist die Entsprechenserklärung in die Website der AG einzustellen"). a.A. Seibt, AG 2002, 249, 257. 216 Vgl. Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1272. 217 Unabhängig davon wäre ein berechtigtes Interesse der Aktionäre aufgrund ihres Mitgliedschaftsrechts an der Aktiengesellschaft zu bejahen. 218 BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 22. 219 So Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 37.
Β. Pflichtverletzung
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dem. Sie ist stets mit einem gewissen Aufwand — der Fahrt zum Registergericht nebst dortiger Einsichtnahme und eventueller Abschrift — verbunden, da keine fernmündlichen oder schriftlichen Auskünfte an Private erteilt werden 220 . Im Raum steht damit die Frage nach der Zumutbarkeit des für die Informationsbeschaffung erforderlichen (Zeit-) Aufwands. Berücksichtigt man die Besonderheit des aktienmäßigen Anteilsbesitzes, diesen sehr kurzfristig veräußern oder erwerben zu können, könnte es geboten erscheinen, parallel dazu auch die Information über die Entsprechenserklärung ohne zeitliche Verzögerung zugänglich zu machen. Das wäre der kapitalmarktorientierten Zielsetzung des § 161 AktG am meisten förderlich 221 . Eine so weitgehende Verpflichtung lässt sich aus § 161 AktG jedoch nicht ableiten. Sinn und Zweck der Norm erschöpfen sich darin, den Kapitalmarktteilnehmern, speziell den Anteilseignern, die Möglichkeit der Informationsverschaffung einzuräumen und ihnen damit ein Beurteilungskriterium über die Corporate Governance der Gesellschaft an die Hand zu geben 222 . Dem wird durch die Handelsregisterpublizität entsprochen. Es kann keinen Unterschied machen, ob die Erklärung im Handelsregister eingesehen werden muss oder deren schriftlich-körperlicher Ausdruck in den Räumen der Gesellschaft „zur Abholung bereit" liegt 223 . Der zeitliche Aufwand des interessierten Kapitalmarktteilnehmers zur Einsichtnahme ist nahezu identisch. Soweit die technischen Mittel zur einfacheren und schnelleren Informat ions Vermittlung via Internet 224 nicht genutzt werden, mag das Kapitalmarktteilnehmer von Investitionen abhalten. Eine aus § 161 AktG abzuleitenden Verpflichtung zur „bestmöglichen" Informationsbeschaffung besteht jedoch nicht, sondern es bestehen die vorbeschriebenen unterschiedlichen Veröffentlichungsalternativen 225. Damit ist der
220
Baumbach/Hopt, HGB, § 9 Rn. 1, 3. Ähnlich Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 37. 222 Baums, Bericht, Rn. 8, S. 53; BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21. 223 Letzteres im Gegensatz zur Handelsregisterpublizität als ausreichen erachtend Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 38, für beide Veröffentlichungsmöglichkeiten Schuppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 8 mit dem Hinweis, diese beiden Veröffentlichungsformen könnten sich sogar anbieten, wenn die Begrenzung der „Öffentlichkeitswirkung" der Erklärung (wegen weitgehender Ablehnung des Kodex) angestrebt werde. 224 Vgl. Empfehlung, das Internet für Information zu nutzen, Ziffer 6.4 DCGK. 225 I.E. ebenso Fischer zu Cramburg, in: AnwK-AktienR, Kap. 5 Rn. 22; Lutter/ Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 498; Schuppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 8; DAV-HRA, NZG 2002, 115, 118; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 528; Seibt, AG 2002, 249, 257; a.A. Schuppen, ZIP 2002, 1269, 1272. 221
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Vorstand in der Auswahl der verschiedenen Verlautbarungsarten (Internet, Geschäftsbericht, Börsenpflichtblatt, Handelsregister) nicht beschränkt 226. b) Verstoß gegen inhaltliche Voraussetzungen aa) Unterlassen jeglicher bzw. nicht rechtzeitige Erklärung Das vollständige Unterlassen einer Erklärung zum Kodex innerhalb des gesetzlich vorgeschriebenen Zeitrahmens stellt unproblematisch eine Pflichtverletzung der Mitglieder des Aufsichtsrats dar 227 , zumal der Abschlussprüfer dann die Abgabe nicht testieren (§ 322 HGB) und sie dem Registergericht nicht mitgeteilt werden kann (§ 325 HGB) 2 2 8 . Fraglich kann nur sein, wann der gesetzlich eingeräumte Zeitraum zur Abgabe der Erklärung endet und damit die Erklärung als nicht abgegeben gilt. Nach dem Wortlaut des § 161 S. 1 AktG hat sich der Aufsichtsrat Jährlich" über die Entsprechung der Kodexempfehlungen zu erklären. Nach der Formulierung der Übergangsvorschrift des § 15 EG AktG ist die Erklärung nach § 161 „erstmals im Jahr 2002" abzugeben. Aus dem Wortlaut beider Vorschriften folgt zum einen, dass vom Grundsatz her eine Erklärung pro Jahr ausreicht. Zum anderen ergibt das Abstellen des § 15 EG AktG auf das Kalenderjahr 2002, dass zumindest die erstmalige Entsprechenserklärung theoretisch bis zu dessen Ablauf, also bis zum 31. Dezember 2002, möglich war 229 . Wird damit für die erste Erklärung unzweifelhaft auf das Kalenderjahr 2002 Bezug genommen,
226 Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 554 unter Hinweis auf Hüffer, AktG, § 124 Rn. 12 mit der Unterscheidung der Beschlussfassung des jeweiligen Organs über die zu unterbreitenden Vorschläge an die Hauptversammlung von der als reine Geschäftsführungsaufgabe in der alleinigen Kompetenz des Vorstands liegenden Entscheidung über die rein tatsächliche Art der Bekanntmachung dieser Beschlüsse. 227 Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 41; Peltzer, Deutscher Corporate Governance Kodex, Rn. 331; Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, KodexKommentar, Rn. 54; Schüppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 6; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 197; Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1205; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 353; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 527; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1272; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 165; ders., AcP 202 (2002), 143, 171. 228 Vgl. etwa Lutter, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 1058. 229 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 39; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 244; Abram, ZBB 2003, 41, 53: Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1272; Seibert, NZG 2002, 608, 611.
Β. Pflichtverletzung
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folgt daraus jedoch nicht unmittelbar, dass Entsprechendes auch für die nachfolgenden Erklärungen gilt 2 3 0 . Nach Auffassung von Seibert ist auch der Wortlaut des § 161 S.l AktG eindeutig, da die Gesetzessprache bei Verwendung des Begriffs Jährlich" stets kalenderjährlich bedeute, soweit sich aus dem Gesetz nichts anderes ergebe 231. Der Verweis auf eine nur behauptete Stringenz der Gesetzesformulierung vermag hingegen nicht zu überzeugen. Der Wortlaut des § 161 S. 1 AktG ist insoweit mehrdeutig, als dass mit der Jährlichen" Verpflichtung zur Abgabe der Erklärung auch das zeitliche Intervall zwischen vorausgegangener und nunmehriger Erklärung gemeint sein könnte, also der Abstand zwischen den jeweiligen Erklärungen nicht mehr als 365 Tage betragen dürfte 232 . Dann hinge der für die Abgabe der nach Einführung des § 161 AktG zweiten Erklärung maßgebliche späteste Zeitpunkt vom Datum der ersten Erklärung im Jahre 2002 ab. Näheren Aufschluss über den gesetzgeberischen Willen ist auch der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen233. Für die Maßgeblichkeit des zeitlichen Abstandes zwischen den jeweiligen Erklärungen spricht, dass nach Sinn und Zweck der Erklärungspflicht die Kapitalmarktteilnehmer regelmäßig über die Einhaltung oder Nichteinhaltung der Kodexempfehlungen informiert werden sollen 234 . Dem stünde es entgegen, wenn eine Gesellschaft ihrer Verpflichtung äußerstenfalls in der Weise nachkommen könnte, die „erste" Erklärung am 31. Dezember 2002 und die „zweite" am 01. Januar 2003 abzugeben, um sich dann erst wieder nach Ablauf von 24 Monaten am 31. Dezember 2004 erklären zu müssen235. Bei diesem Beispiels-
230
Schüppen,, ZIP 2002, 1269, 1272. Seibert, BB 2002, 581, 584; zustimmend Seibt, AG 2002, 249, 257. 232 So W. Müller, NZG 2002, 752, 753 („mindestens ein 12-Monats-Rhythmus"); ebenso Gelhausen/Hönsch, AG 2003, 367, 368 („Der Zeitraum zwischen zwei Erklärungen darf demnach zwölf Monate grundsätzlich nicht überschreiten"); ähnlich, aber undeutlich IDW, Auswirkungen des Deutschen Corporate Governance Kodex bei der Abschlussprüfung, EPS 345 (Entwurf für den Prüfungsstandard 345, der die Auswirkungen des DCGK auf die Wirtschaftsprüfung behandelt), IdW-FN 2002, S. 73, Tz. 19, abgedruckt in WPg 2002, 1379 ff. (zeitlicher Abstand von „etwa einem Jahr"). 233 Vgl. Begründung zum Regierungsentwurf zum TransPuG, abgedruckt in NZG 2002, 213, 225: „Die Erklärung ist jährlich zu wiederholen. Die Pflicht zur jährlich erneuerten Erklärung (...) gewährleistet, dass Aufsichtsrat und Vorstand sich jährlich wiederkehrend inhaltlich mit dieser Frage auseinandersetzen." 234 BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21 f.; Baums, Bericht, Rn. 8. S. 53 f. 235 Mit gleichem Beispiel, eine solche Abgabemöglichkeit aber bejahend auch Schüppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 9; a.A. W. Mül231
1
3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
fall handelt es sich allerdings um einen Extremfall theoretischer Natur, der sich in der Praxis zumindest als offenkundiger Umgehungsversuch der gesetzlichen Vorschriften darstellte und durch den Kapitalmarkt, unabhängig von der Frage der rechtlichen Zulässigkeit, abgestraft würde. Zudem wäre der Zeitpunkt der Abgabe der nachfolgenden Erklärungen auch bei einem Abstellen auf einen zwischen den Erklärungen liegenden Zeitraum in gewissem Maße manipulierbar 236 , wollte man nicht darüber hinaus fordern, das zeitliche Intervall von einem Jahr dürfe auch nicht w^terschritten werden, stelle also eine fixe Zeitspanne dar. Damit würde jedoch den Gesellschaften die Möglichkeit genommen, zwischenzeitlich ihre Praxis in Bezug auf die Erfüllung der Kodexempfehlungen zu ändern und der Öffentlichkeit durch Abgabe einer (veränderten) neuen Erklärung kundzutun 237 . Das stünde dem mit Einführung von Kodex und Entsprechenserklärung maßgeblich verfolgten Ziel der Flexibilität konträr entgegen. Darüber hinaus besteht zwar keine entsprechende Verpflichtung 238 , doch erscheint es zweckmäßig, einen gewissen Gleichlauf von Abgabe der Entsprechenserklärung und externer Rechnungslegung herzustellen 239. Nach § 285 Nr. 16 HGB ist nunmehr im Anhang zum Jahresabschluss anzugeben, dass die Entsprechenserklärung abgegeben und den Aktionären zugänglich gemacht worden ist 2 4 0 . Auch ist die Entsprechenserklärung mit dem Jahresabschluss und den anderen genannten Unterlagen zum Handelsregister einzureichen, § 325 Abs. 1 S. 1 HGB. Damit besteht zwar kein unmittelbarer Zusammenhang zwi-
ler, NZG 2002, 752, 753; dagegen aber richtigerweise Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 40. 236 Wurde die erste Erklärung nach § 15 EGAktG beispielsweise am 31.12.2002 abgegeben, müsste nach einem „Zwischenschieben" einer weiteren Erklärung ζ. B. am 01.06.2003 die eigentlich am 31.12.2003 abzugebende Erklärung erst ein halbes Jahr später am 01.06.2004 abgegeben werden. Auch so könnte die Gesellschaft den jeweiligen Abgabezeitpunkt also bestimmen. Im Unterschied zum Beispielsfall bliebe hingegen sichergestellt, dass der Turnus zwischen den Erklärungen nie mehr als ein Zeitjahr betrüge. 237 Vgl. zur unterjährigen Aktualisierung nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 5. c). 238 So aber Fischer zu Cramburg, in: AnwK-AktienR, Kap. 5 Rn. 21. 239 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 40; v. Werder/Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 408; Schüppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 11; Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 791; Pfltzer/Oser/Wader, DB 2002, 1120, 1121; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1272; Seibert, BB 2002, 581, 584; a.A. Fischer zu Cramburg, in: AnwK-AktienR, Kap. 5 Rn. 21. 240 Die entsprechende Verpflichtung findet sich in § 314 Abs. 1 Nr. 8 HGB bezüglich des Konzernanhangs für die Erklärung der darin einbezogenen börsennotierten Unternehmen.
Β. Pflichtverletzung
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sehen Jahresabschluss und Entsprechenserklärung. Die Möglichkeit, Angaben zur Erklärung im Jahresabschluss zu machen bzw. sie zum Handelsregister einzureichen, ist nur davon abhängig, dass irgendwann im Laufe des Geschäftsjahres die Entsprechenserklärung abgegeben wurde. Dem würde auch entsprochen, wenn man die Einhaltung eines jährlichen Abstands zwischen den Entsprechenserklärungen forderte. Das erscheint jedoch letztlich systemwidrig. Handelsrechtlich ist Bezugsgröße des Jahresabschlusses das abgelaufene Geschäftsjahr. Aufgrund der Möglichkeit der Festsetzung eines abweichenden Stichtags stimmt es zwar nicht zwangsläufig, aber in den allermeisten Fällen mit dem Kalenderjahr überein 241 . Dem Geschäftsjahr entspricht nach § 4 a EStG auch das steuerrechtliche Wirtschaftsjahr. Hier ist der Bezug zum Kalenderjahr über die Praxisüblichkeit hinaus insoweit enger, als dass dann, wenn durch Festsetzung eines vom Ablauf des Kalenderjahres abweichenden Stichtages das Geschäftsjahr und damit auch das Wirtschaftsjahr nicht mehr mit dem Kalenderjahr übereinstimmt, diese Umstellung bei im Handelsregister eingetragenen Gewerbetreibenden des Einvernehmens des Finanzamtes bedarf 242 . Dieselbe regelmäßige Bezugsgröße (Kalenderjahr) sollte als klar umgrenzter Zeitraum aus Gründen der Übersichtlichkeit auch für die Abgabe der Erklärung nach § 161 AktG gelten. Hierfür spricht auch, dass durch die Jahresabschlusspublizität nun die Abgabe der Erklärung nach § 161 AktG wie alle anderen Pflichtangaben Gegenstand der Prüfung des Anhangs nach § 317 HGB ist 243 . Inhalt der Prüfungspflicht ist dabei die Vollständigkeit der in den Anhang aufzunehmenden Erklärungen. Überprüft wird damit zwar nicht deren inhaltliche Richtigkeit, ob also die tatsächliche Übung der Gesellschaft der Erklärung entspricht, sondern die Prüfung erstreckt sich nur auf die „formelle" Vollständigkeit der Erklärung 244 . Die Nichtabgabe jeglicher Erklärung ist dabei die schärfste Form der Unvollständigkeit. Einer Nichtabgabe steht es gleich, wenn die Erklärung zu spät abgegeben wird. Deshalb gehört die Rechtzeitigkeit der Abgabe zum Prüfungsgegenstand des § 317 HGB. Diese Prüfung erfordert auch anders als die der inhaltli241
Baumbach/Hopt, HGB, § 240 Rn. 6. Baumbach/Hopt, HGB, § 243 Rn. 11. 243 Ebke, in: MünchKommHGB, § 317 Rn. 8; zur Abschlussprüfung und Entsprechenserklärung vgl. Überblick bei Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1573 ff. 244 Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1574; Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 791; Seibert, BB 2002, 581, 584; Seibt, AG 2002, 249, 257; Tielmann, WPg-Sonderheft 2001, S. 25, 29; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 175; ders., AcP 202 (2002), 143, 173. Vgl. zur Begründung Baums, Bericht, Rn. 12, S. 56; Seibert, BB 2002, 581, 584; zur Kritik Hopt, Beiheft ZHR 71, S. 27, 54; Anregungen de lege ferenda Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 176 f.; ders., AcP 202 (2002), 143, 173 f. 242
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
chen Richtigkeit der Erklärung nur einen geringen Aufwand und „überfordert" den Abschlussprüfer deshalb nicht 245 . Das gilt aber nur, wenn sich die Prüfung ausschließlich auf die „formelle" Existenz einer Erklärung im laufenden Geschäfts- bzw. Kalenderjahr bezieht, nicht hingegen, wenn die Überprüfung der materiellen Wahrung einer Jahresfrist erforderlich wäre, deren Ablauf jeweils vom Zeitpunkt der vorherigen Erklärung abhinge. Dagegen will Seibt aus dem Zusammenhang von § 161 AktG und Rechnungslegungspublizität die Verpflichtung ableiten, dass die Entsprechenserklärung auf den Bilanzstichtag und innerhalb der gesetzlichen Frist zur Aufstellung des Jahresabschlusses erfolgen müsse246. Der Zusammenhang ist jedoch nicht so eng, dass sich daraus die Verpflichtung eines korrespondierenden Stichtages herleiten ließe 247 . Es mag sinnvoll und zweckmäßig sein, die Erklärung etwa zum 31. Dezember oder gelegentlich der Feststellung des Jahresabschlusses abzugeben248. Zweckmäßigkeitserwägungen allein begründen jedoch keine Verpflichtung, so dass die Bestimmung des konkreten Erklärungszeitpunkts innerhalb des Kalenderjahres der Gesellschaft überlassen bleibt 249 . Im Ergebnis ist der Aufsichtsrat deshalb verpflichtet, die Erklärung zumindest einmal im Kalenderjahr abzugeben250, so dass die Mitglieder des Aufsichtsrats durch eine gänzlich unterlassene bzw. erst nach Ablauf des Kalenderjahresabgegebene Erklärung ihre sich aus der Organstellung ergebenden gesetzlichen Pflichten verletzen 251 .
245 Vgl. zu Bedenken gegen eine zu weit gefasste Prüfungspflicht Tielmann, WPgSonderheft 2001, S. 25, 26 , 28 f. 246 Seibt, AG 2002, 249, 257. 247 Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 527. 248 Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1272. 249 Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 528. 250 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 40: v. Werder/Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 408; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 354; Kiethe, NZG 2003, 559, 560; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 528; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1272; Seibert, BB 2002, 581, 584; vgl. auch BMJ, ZIP 2003. 1176. 251 Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 15; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1272.
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bb) Unvollständige Abgabe der Erklärung Die Mitglieder des Aufsichtsrats würden auch durch Abgabe einer nicht umfassenden Erklärung ihre sich aus § 161 AktG ergebenden Pflichten verlet-
(1) Keine Prüfungspflicht der rechtlichen Richtigkeit der Kodexformulierung Die Erklärungspflicht bezieht sich auf alle Empfehlungen des Kodex, womit sich der Aufsichtsrat über die Einhaltung aller als Empfehlung formulierter Verhaltensregeln äußern muss. Eine Offenlegung der Ein- oder Nichteinhaltung der Anregungen oder des gesetzeswiederholenden Informationsteils ist nicht erforderlich 253 . Letzteres ist jedoch insoweit mit einem Fragezeichen versehen, als es durchaus Passagen des gesetzesdarstellenden Teils des Kodex gibt, bei denen es zumindest zweifelhaft ist, ob das zwingende Gesetzesrecht stets zutreffend dargestellt wurde 254 . Bezüglich der Aufgaben des Aufsichtsrats sei beispielsweise Ziffer 3.7 Abs. 2 S. 1 DCGK genannt. Nach der Formulierung entspricht es der Gesetzeslage, dass der Vorstand einer Zielgesellschaft nach bekannt werden eines Übernahmeangebots gegen dieses ohne Zustimmung des Aufsichtsrats (oder Ermächtigung der Hauptversammlung) keine Handlungen „außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsgangs" vornehmen darf. Richtigerweise dürfte der Vorstand nach § 33 Abs. 1 WpÜG aber unabhängig von einer Zustimmung des 252 Abram , NZG 2003, 307, 308; Lutter , ZHR 166 (2002), 523, 528 ff.; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1272. 253 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Β. I. 1., 3. 2S4 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 20; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 60 f.; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 366; Seibt, AG 2003, 465, 472. Vgl. dazu die Äußerung des zuständigen Referenten im BJM Seibert, BB 2002, 581, 582, die Kodex-Kommission habe „möglicherweise ihre Aufgabe weniger in letzter juristischer Präzision als in einer überzeugenden Darstellung und Werbung für das deutsche System" gesehen und Formulierungen seien „vielleicht auch mit Blick auf die spätere Übersetzung und Verständlichkeit im Ausland" gewählt worden. Der diametrale Widerspruch einer solchen Einstellung zum Selbstverständnis des Kodex, den Kapitalmarkt zutreffend über die Corporate Governance in Deutschland zu informieren, ist offensichtlich. Brisant wäre es zudem, wenn neu in den Kodex eingefugte Empfehlungen der geltenden oder möglicherweise neuen Gesetzeslage widersprächen und die Gesellschaften zur Meidung von Gesetzesverstößen gezwungen wären, eine Negativerklärung abzugeben, vgl. Kiethe, NZG 2003, 559, 560; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1278. Es bleibt nur das Vertrauen in die zweifellos vorhandene juristische Kompetenz der Kommission.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Aufsichtsrats zur Vornahme auch ungewöhnlicher Handlungen berechtigt sein, solange diese von einem ordentlichen Kaufmann auch ohne das Übernahmeangebot vorgenommen worden wären 255 . Ohne auf diese (sehr umstrittene) Frage im Einzelnen weiter einzugehen, könnte aus einer solchen zumindest bestehenden Unsicherheit gefolgert werden, dass sich die Entsprechenserklärung auch auf solche Passagen des Kodex beziehen müsste, die zwar als Gesetzeswiedergabe formuliert, jedoch richtigerweise über diese hinausgehen und deshalb den Gehalt einer „Empfehlung" in sich tragen könnten. Die Folge wäre, dass die Erklärung nach § 161 AktG auch die Einhaltung oder Nichteinhaltung dieser Verhaltensregeln umfassen müsste256. Eine sich dazu nicht äußernde Erklärung wäre dann unvollständig 257 . Hierfür könnte sprechen, dass der Kapitalmarkt erst recht ein Interesse an der Offenlegung von Abweichungen von vermeintlich gesetzesdarstellenden Teilen des Kodex hätte, wenn eine Darstellungspflicht schon bei Abweichungen vom Empfehlungsteil bestünde. So werden die Gesellschaften teilweise unter Abstellen auf die in der Entsprechenserklärung zu erblickende „Inanspruchnahme von Marktvertrauen" und daraus fließende „kapitalmarktfreundliche Einstellung" in Zweifelsfragen der richtigen Zuordnung von Verhaltensregelungen des Kodex als verpflichtet angesehen, sich auch über nicht „Empfehlung" formulierte Verhaltensregeln zu erklären 258 . Damit würde dem Aufsichtsrat (und Vorstand) jedoch die Pflicht zur Prüfung der rechtlichen Richtigkeit des gesamten Kodex aufgebürdet, obwohl eine möglicherweise bestehende Fehlinformation allein den Verfassern des Kodex und nicht der Gesellschaft bzw. ihren Organen anzulasten ist. Aufgabe der Verwaltungsorgane ist nicht die rechtliche Überprüfung des Kodex, sondern die Beurteilung der Zweckmäßigkeit der Verhaltensempfehlungen aus betriebswirtschaftlicher Sicht „unter Berücksichtigung der Unternehmens- und branchenspezifischen Bedürfnisse" 259. Darüber hinaus 255 Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 93; Schwennicke, in: Geibel/Süßmann, WpÜG 2002, §33 Rn. 45; Röh, in: Haarmann/Riehmer/Schüppen, WpÜG, §33 Rn. 114 f.; Drygalla,, ZIP 2001, 1861, 1866; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 6 f.; vgl. auch BegrRegE WpÜG, BT-Drucks. 14/7034, S. 58; a.A. Steinmeyer/Häger, WpÜG, §33 Rn. 17. 256 Darauf hinweisend Krieger, FS Ulmer, S. 365, 366 f; Seibt, AG 2003, 465, 472 f. 257 Vice versa bestehen ebenso teilweise Unklarheiten, ob als Empfehlungen formulierte Verhaltensvorgaben teilweise materiell nichts anderes als Wiedergabe zwingenden Rechts sind. Vgl. ζ. B. Ziffer 5.2 Abs. 3 DCGK, wonach der Aufsichtsratsvorsitzenden regelmäßigen Kontakt mit dem Vorstand pflegen soll, was aber schon geltender Gesetzeslage entsprechen dürfte und sich eine Nichtbeachtung deshalb als Gesetzesverstoß darstellte, vgl. Krieger, FS Ulmer, S. 365, 378. 258 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 62. 259 Krieger, FS Ulmer, 365, 367; vgl. Präambel Abs. 6 S. 3 DCGK.
Β. Pflichtverletzung
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ist solchen unzutreffend formulierten Kodexpassagen allein dadurch, dass sie über die tatsächliche gesetzliche Lage hinausgehen, nicht zwangsläufig der Charakter einer „Empfehlung" beizumessen. Auch die „Anregungen" erfüllen dieses Kriterium und so bliebe unklar, welcher der beiden Kategorien die Verhaltensregelung zuzuordnen wäre 260 . Die mit einer Auslegung verbundene Rechtsunsicherheit kann nicht zu Lasten der mit der Formulierung der Regeln nicht befassten Gesellschaften gehen. Zudem widerspräche eine unterschiedliche Auslegung der verschiedenen Gesellschaften der Intention der einheitlichen Information des Kapitalmarktes. Im Ergebnis bezieht sich die Erklärung nach § 161 AktG deshalb unabhängig von der rechtlichen Richtigkeit der darin vorgenommenen Kategorisierung ausschließlich auf die als „Empfehlung" formulierten Verhaltensregeln 261. (2) Erklärung über vergangenes und zukünftiges Verhalten Da die Erklärungspflicht nach § 161 AktG nicht nur einen Vergangenheitsund Gegenwarts-, sondern auch einen Zukunftsbezug aufweist 262 , verletzte der Aufsichtsrat bei einer nicht auch das beabsichtigte zukünftige Verhalten umfassenden Erklärung seine gesetzliche Verpflichtung zur vollständigen Erklärung über die Einhaltung oder Nichteinhaltung der Kodexempfehlungen 263. Abweichungen vom Kodex müssen schon ex ante und nicht erst ex post offengelegt werden 264 . Der die Vergangenheit betreffende Berichtszeitraum deckt sich mit dem Zeitraum, auf den sich die Entsprechenserklärung bezieht, also dem zu-
260 A.A. Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 61 („Kommission hätte eine Empfehlung formuliert, wenn sie derselben Rechtsauffassung wie die Gesellschaft gewesen wäre"); ähnlich Seibt, AG 2003, 465, 472 f. unter Nennung der von den Gesellschaften anzuwendenden Auslegungsmethoden und Zuständigkeiten (u.a. „Prinzip der Autointerpretation"). 261 Krieger, FS Ulmer, 365, 367. 262 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 1. 263 Vgl. aber Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 111, wonach die Gesellschaft die vergangenheitsbezogene und zukunftsweisende Erklärung innerhalb des Berichtszeitraums sowohl zum gleichen Zeitpunkt als auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten bekannt geben kann. 264 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 492; Abram , ZBB 2003, 41, 42; Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2509; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1572; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 366; Lutter, ZHR 166 (2002). 523, 529; ders., FS Druey, S. 463, 467; Seibert, BB 2002, 581, 583; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 170 f.; a.A. Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 7; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273; Seibt, AB 2002, 249, 251.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
rückliegenden Kalender- bzw. Geschäftsjahr 265. Dabei bezieht sich die Erklärung stets nur auf die Fassung des Kodex zum Abgabezeitpunkt. Sie enthält keine dynamische Verweisung auf den Kodex in jeder künftigen Form 266 . Anderenfalls wären die Gesellschaften nach jeder Änderung zur Abgabe einer neuen Erklärung gezwungen, obwohl nach dem Wortlaut des § 161 AktG vom Grundsatz her nur eine Erklärung pro Jahr abzugeben ist 267 . (3) Inhalt und Umfang der positiven Entsprechenserklärung Inhalt und Umfang der sogenannten positiven Entsprechenserklärung 268, die abgegeben werden kann, wenn im zurückliegenden Berichtszeitraum von keinen Empfehlungen des Kodex abgewichen wurde und auch zukünftig keine Abweichungen beabsichtigt sind, werfen keine besonderen Probleme auf. In Hinblick auf die Formulierung schlägt die Gesetzesbegründung die Erklärung vor: „Den Verhaltensempfehlungen der von der Bundesregierung eingesetzten CrommeKommission zur Unternehmensleitung und -Überwachung wurde im Berichtsjahr entsprochen und soll auch künftig entsprochen werden." 269 Aufgrund der möglichen Weiterentwicklung des Kodex sollte jedoch zur Meidung von Unklarheiten unbedingt das Datum der in Bezug genommenen Fassung des Kodex benannt werden 270 . (4) Inhalt und Umfang der Negativerklärung Im Gegensatz zur positiven ergeben sich in Hinblick auf die sogenannten negative Entsprechenserklärung einige Unklarheiten. Aus dem Wortlaut des § 161 AktG und dem Vergleich mit der Formulierung der Erklärungspflicht des Kodex unter Ziffer 3.10 DCGK folgt zunächst — wie einleitend bereits darge-
265 v. Werder/Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 409; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 354; Kiethe, NZG 2003, 559, 560; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 528; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1272; Seibert, BB 2002, 581, 584. 266 Vgl. BMJ, ZIP 2003, 1176. Es empfiehlt sich deshalb zur Klarstellung die Datierung von Erklärung und in Bezug genommener Kodexfassung. 267 Vgl. zu der davon zu unterscheidenden Verpflichtung zur Abgabe einer Korrekturerklärung nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 5. c). 268 Vgl. Terminologie bei v. Werder, DB 2002, 801, 810 („Übernahmemodell") und Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 132 („Einverständniserklärung"). 269 BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21. 270 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 15; Pfltzer/Oser/Wader, DB 2002, 1120, 1121.
Β. Pflichtverletzung
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stellt 271 —, dass die gesetzliche (positive oder negative) Entsprechenserklärung kein Begründungselement enthält 272 . Eine nicht erläuterte negative Erklärung verstößt nicht gegen § 161 AktG 2 7 3 . Grundfall der negativen Entsprechenserklärung ist die Benennung derjenigen Empfehlungen, die nicht eingehalten wurden und werden („eingeschränkt negative Entsprechenserklärung") 274. Den weiteren Überlegungen voranzustellen ist die Feststellung, dass die Zulässigkeit von Abweichungen zugleich beinhaltet, dass eine Gesellschaft gemäß § 161 AktG grundsätzlich auch alle Empfehlungen des Kodex unbeachtet lassen kann, wenn sie das offen legt 275 . Wie verhält es sich aber, wenn die gänzliche Nichtanwendung (uneingeschränkt negative Entsprechenserklärung") 276 erklärt wird, obwohl Empfehlungen tatsächlich teilweise umgesetzt werden? Zumindest der Informationsgehalt der Erklärung wäre unvollständig. Fraglich könnte deshalb sein, ob in der negativen Erklärung im einzelnen angegeben werden muss, welche Empfehlungen angewendet werden und welche nicht, oder ob unabhängig vom wirklichen Umfang der Abweichungen die bloße Erklärung ausreicht, dem Kodex werde nicht entsprochen. Der Wortlaut des § 161 AktG gibt keinen Aufschluss. Danach ist nur die Offenlegung der nicht angewendeten, nicht die gleichzeitige Aufzählung der erfüllten Verhaltensregeln erforderlich. Durch die Erklärung der gänzlichen Nichtanwendung werden alle nicht umgesetzten Empfehlungen miteinbezogen. 271
Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Β. II. 1. Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 492; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 148; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1573; Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 791; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 530; Seibt, AG 2002, 249, 252; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 171 f. 273 Vgl. zur Frage eines möglichen Verstoßes gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht aus §§ 93 Abs. 1 S. 1, 116 AktG, die Gesellschaft vor Schaden zu bewahren, nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, B. III. Für eine entsprechende Verpflichtung Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 148. 274 Vgl. Terminologie bei v. Werder, DB 2002, 801, 810 („Selektionslösung") und Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 135 („Abweichungserklärung"). 275 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 492; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1573; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 172; Seibt, AG 2002, 249, 252. Vgl. BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21: „Anzugeben sind nur negative Abweichungen, also Unterschreitungen des empfohlenen Verhaltensstandards oder gänzliche Nichtanwendungen." 276 Vgl. Terminologie bei v. Werder, DB 2002, 801, 810, der bei uneingeschränkt negativer Erklärung, je nachdem, ob ein unternehmenseigener Kodex erstellt wurde, von „Alternativlösung" bzw. „Ablehnungsmodell" spricht; ebenso Hirte, in: ders., Transparenz· und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 16, 19. Semler, in: MünchKommAktG, §161 Rn. 138, 133 spricht von „Qualifizierter Abweichungserklärung" bzw. „Ablehnungserklärung". 272
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Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Zwar scheint der Gesetzgeber bei Abweichungen vom Kodex von der Abgabe einer eingeschränkt negative Entsprechenserklärung ausgegangen zu sein, wenn es in der Gesetzesbegründung heißt, die Information müsse sich dann darauf erstrecken, „wie diese Abweichung aussieht" 277 . Jedoch wird kurz darauf ausgeführt, anzugeben seien nur „negative Abweichungen, also Unterschreitungen oder gänzliche Nichtanwendung" 278 . Die denkbaren Erklärungsalternativen werden also gleichwertig nebeneinander gestellt. Die zweite Alternative kann auch nicht nur für den Fall genannt sein, dass eine Gesellschaft tatsächlich keine einzige Empfehlung befolgt. Angesichts des weiten Regelungsbereichs des Kodex, der das Verhalten der verschiedensten Organe und Organmitglieder tangiert, erscheint es kaum vorstellbar, dass nicht eine der anerkannte „good practice" wiederspiegelnden Verhaltensempfehlungen befolgt wird. Die Gesellschaften sollten nach Vorstellung der £aw/ws-Kommission und des Gesetzgebers auch unternehmenseigene Kodizes aufstellen können 279 . Es erschiene als unnötiger Formalismus, wenn sie dann einzelne nicht befolgte Empfehlungen des Kodex aufzählen müssten280. Eine uneingeschränkt negative Erklärung bedingte allerdings, dass sie keine Rückschlüsse auf die Tragweite der Abweichung vom Kodex erlaubte 281 . Die Gesellschaft erschiene gegenüber der Öffentlichkeit in einem schlechteren Licht, als es der Realität entspricht. Sie würde deshalb möglicherweise heftiger als aufgrund der tatsächlich praktizierten Unternehmensverfassung gerechtfertigt „abgestraft". Das berührt allerdings nicht den Schutzzweck des § 161 AktG 2 8 2 . Dessen Ansinnen ist es, den Kapitalmarkt über solche Gesellschaften zu informieren, die nach Auffassung der Cromme-Kommission vom Grundsatz her eine unzureichende Corporate Governance aufweisen und über den so erzeugten Druck die Gesellschaften zur Änderung ihrer internen Strukturen zu bewegen (Informations- und Regulierungsfunktion) 283. Durch eine zu weitgehende Negativerklärung wird nicht gegen diesen Zweck verstoßen, sondern er wird im Gegenteil eher übererfüllt. Eine Gesellschaft ist somit — etwa bei zulässiger 284 Erstellung eines vom Kodex abweichenden eigenen Regelwerks —
277
BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21. BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21. 279 BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21; Baums, Bericht, Rn. 7, 10, S. 51,55. 280 Bachmann, W M 2002, 1569, 1573. 281 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 167. 282 Krieger, FS Ulmer, S. 365, 371. 283 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. IV. 2. c). 284 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 172. 278
Β. Pflichtverletzung
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aus rechtlichen Gründen nicht gemäß § 161 AktG 2 8 5 gehindert, den Kodex en bloc abzulehnen, selbst wenn die Empfehlungen teilweise angewendet wer-
cc) Wahrheitswidrige
Erklärung
(1) Verpflichtung aus § 161 AktG zur Abgabe inhaltlich richtiger Erklärung Nach dem Wortlaut fordert § 161 AktG nur die Abgabe der Entsprechenserklärung, ohne dabei auf ihre inhaltliche Richtigkeit abzustellen. Teilweise wird argumentiert, die Norm sei deshalb ein reiner Formaltatbestand 287. Eine falsche Erklärung verstieße demnach nicht per se gegen § 161 AktG. Insoweit in Obereinstimmung mit der Gegenauffassung erkennt diese Literaturstimme zwar an, es könne als selbstverständlich vorausgesetzt werden, dass der Gesetzgeber prinzipiell von der Abgabe einer inhaltlich zutreffenden Erklärung ausging. Daraus folge jedoch, dass nur vorsätzlich falsche Erklärungen trotz Erfüllung des formalen Tatbestandes als Gesetzesverstoß und damit als Pflichtverletzung anzusehen seien 288 . Richtigerweise ist jedoch schon aus der bereits erwähnten, unzweifelhaft bestehenden Annahme des Gesetzgebers mit der wohl herrschenden Meinung in der Literatur der Schluss zu ziehen, dass eine falsche Erklärung unabhängig von einer subjektiven Komponente gegen § 161 AktG verstößt und deshalb eine
285 Vgl. aber zur Frage eines möglichen Verstoßes gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht aus §§93 Abs. 1 S. 1, 116 AktG nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, B. III. 286 Zustimmend Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 492; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1573; Schüppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 7; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 371; Seibt, AG 2002, 249, 252; i.E. ebenso Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 172 unter Erörterung einer en bloc Ablehnung nebst Erstellung eines unternehmenseigenen Kodex. In der Praxis dürfte allerdings wegen der bereits eingehend erörterten „faktischen Zwangswirkung" des Kodex eine nicht begründete und uneingeschränkte Negativerklärung kaum jemals vorkommen; vgl. dazu v. Werder, Executive Summary, S. 2 f., wonach nach Auswertung der ersten abgegebenen Entsprechenserklärungen von Anfang 2002 keine der untersuchten Gesellschaften keine einzige der Empfehlungen einhält. Allerdings ist Schüppen, in: Hirte, Transparenz· und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 6 der Auffassung, „unter Haftungs- und Imagegründen" sei eine uneingeschränkte Negativerklärung gegenüber einer umfangreich eingeschränkten Negativerklärung vorzugswürdig. 287 Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1272. 288 Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1272.
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Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Pflichtverletzung i m Sinne der §§ 93, 116 A k t G darstellt 2 8 9 . Der Vorsatz ist erst im Rahmen der Haftungsnorm von Bedeutung 2 9 0 . Dafür spricht ferner, dass die Gesellschaft durch ihre Organe verpflichtet ist, Abweichungen offenzulegen. W i r d eine Empfehlung tatsächlich nicht befolgt und dies wahrheitswidrig verschwiegen, stellt das einen Verstoß gegen die gesetzliche Offenlegungspflicht d a r 2 9 1 . Die Pflicht zur Abgabe der Entsprechenserklärung umfasst das Gebot zur „gewissenhaften und getreuen Rechenschaft", das den Verwaltungsorganen die Einhaltung der Grundsätze der Wahrheit, Vollständigkeit, Klarheit und Übersichtlichkeit abverlangt 2 9 2 . Auch widerspräche ein anderes Verständnis der Zielvorstellung von Kodex und Erklärungspflicht, dem Kapitalmarkt die zur
2 9 * Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 41; Lutter, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 1061; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 832; Peltzer, Deutscher Corporate Governance Kodex, Rn. 331; Abram , ZBB 2003, 41, 42; Berg/Stöcker, W M 2002, 1269, 1277; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 354; Kiethe, NZG 2003, 559, 562; Kollmann,, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 15; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 531; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 556; Ulmer ZUR 166 (2002), 150, 165; ders., AcP 202 (2002), 143, 171; wohl auch Bachmann,, W M 2002, 2137, 2141; grundsätzlich zustimmend, aber unter Hervorhebung einer „gewollten" Bekundung der Unwahrheit Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1205; a.A. Schüppen, ZIP 2002,1269, 1273. 290 In der Sache unterscheiden sich beide Auffassungen deshalb bezüglich der Haftung der Aufsichtsratsmitglieder wegen der Beweislastumkehr des § 93 Abs. 2 AktG. Ein gravierender Unterschied beider Auffassungen zeigt sich insbesondere im Rahmen der Wirtschaftsprüfung. Zwar ist die inhaltliche Prüfung der Entsprechenserklärung nicht Gegenstand des Prüfauftrags, vgl. Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 44; Baums, Bericht, Rn. 12, S. 56; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1574; IDW, EPS 345.17; Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 791; Ruhnke, AG 2003, 371, 373; Schüppen,, ZIP 2002, 1269, 1272; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 175 f. Den Prüfer trifft aber eine interne Redepflicht, wenn ihm bei Gelegenheit der Prüfung Unregelmäßigkeiten auch außerhalb seines Prüfungsauftrags auffallen, § 321 Abs. 1 S. 3 HGB a.E., vgl. Hense/Poullie, in: Beck'scher Bilanzkommentar, § 321 Rn. 20 f f ; Baumbach/Hopt, HGB, § 321 Rn. 2; Verstieße tatsächlich nur ein vorsätzliches Verhalten gegen § 161 AktG, hätte das für die Prüfer den „Vorteil", nur bei Aufdeckung dieser Handlungsform auf die Divergenz von Erklärung und Wirklichkeit hinweisen zu müssen, vgl. Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1272. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Ziffer 7.2.3 DCGK, nach der auch im Prüfungsauftrag eine „Pflicht zur Rede" vereinbart werden soll; vgl. zur frei vereinbarten Prüfungsleistung Ruhnke, AG 371, 376 f. 291 Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1577. 292 Seibt, AG 2002, 249, 254 unter Verweis auf die Grundsätze beim Abhängigkeitsbericht gem. § 312 Abs. 2 AktG; vgl. dazu Hüffer, AktG, § 312 Rn. 31 f.; Krieger, in: MünchHdbAG, § 69 Rn. 83; Kropff in: Geßler/Hefermehl/Eckhart/Kropff, AktG, § 312 Rn. 33, 34 ff., 39 f.; Koppensteiner, in: KölnKommAktG, § 312 Rn. 16 ff.; Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 312 Rn. 31 f.
Β. Pflichtverletzung
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Beurteilung der Corporate Governance benötigten objektiv richtigen Informationen zu Verfugung zu stellen und so das Marktvertrauen zu stärken 293. Die Pflicht zur wahrheitsgetreuen Erklärung betrifft den vergangenheits- und zukunfitsgerichteten Teil der Erklärung gleichermaßen 294. Bei der Beurteilung der Richtigkeit der Vergangenheitserklärung ergeben sich aufgrund des Tatsachencharakters keine besonderen Schwierigkeiten 295. Die Zukunftserklärung hingegen bezieht sich nicht auf äußere Tatsachen, sondern auf ein beabsichtigtes Verhalten. Sie stellt sich deshalb nicht eine Wissens-, sondern eine Willensäußerung dar 296 . Dieser Teil der Erklärung ist falsch, wenn ein solcher Wille tatsächlich nicht existiert. Abzustellen ist dabei auf den Willen des entscheidungsbefugten Organs/ Organmitglieds 297 . Lutter differenziert zwischen beiden Teilen der Erklärung. Die Zukunftserklärung sei nur falsch und deshalb nur dann pflichtwidrig, wenn eine nicht der Wahrheit entsprechende Absicht vorgespiegelt werde 298 . Auch damit wird aber eine subjektive Komponente eingeführt, die nicht bei der Frage der Pflichtwidrigkeit durch Verstoß gegen § 161 AktG, sondern erst auf der Ebene des Verschuldens im Sinne der §§ 93, 116 AktG zu erörtern ist 299 . Gibt der Aufsichtsrat eine Erklärung über die zukünftige Einhaltung einer bestimmten Empfehlung ab, deren Inhalt falsch ist, weil das nach dem vorstehend dargestellten System der Entscheidungsprävalenzen entscheidungsbefugte Organ/ Organmitglied im Erklärungszeitpunkt tatsächlich ein anderes Verhalten beabsichtigt, verstoßen die Aufsichtsratsmitglieder gegen die Wahrheitspflicht des § 161 AktG" 500 . Sie handeln damit im Grundsatz objektiv pflichtwidrig, selbst wenn der Aufsichtsrat
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Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 530. Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 198 f. 295 Vgl. zur Problematik der Auslegung des inhaltlichen Umfangs von Kodexregelungen als Grundlage der Prüfung, ob das tatsächliche Verhalten vom Empfehlungsinhalt abweicht, ausfuhrlich Seibt, AG 2003,465, 471 ff. 296 Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2511; BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 22: „Absichtserklärung"; Vgl. auch vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 1. 297 Vgl. zur Entscheidungskompetenz vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, B. I. 2. 298 Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 532; ähnlich Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 792; ungenau Kiethe, NZG 2003, 559, 563 f., wonach ein Verstoß gegen § 161 AktG vorliege, wenn „bewusst wahrheitswidrig falsche Absichten vorgespiegelt" werden, aber „im Einzelfall (...) eine Haftung auch bei fahrlässiger Abgabe einer unrichtigen Absichtserklärung" bestehen könne. 299 Vgl. dazu nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, D. 300 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 198. 294
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
als Organ zur Willensbildung über diesen Punkt gar nicht befugt ist. Ob die Mitglieder des Aufsichtsrats die Erklärung in gutem Glauben auf ihre Richtigkeit abgaben, spielt in Bezug auf die Pflichtwidrigkeit zunächst301 keine Rolle. (2) Erklärungspflicht für geringfügige Einzelabweichungen Es bleibt zu untersuchen, ob die Erklärungspflicht Einzel- und Dauerverletzungen des Kodex gleichermaßen erfasst und ob auf die Erheblichkeit der Abweichung abzustellen ist. (a) Kein Abstellen auf die Häufigkeit einer Abweichung Der Wortlaut des § 161 AktG unterscheidet nicht zwischen verschiedenen Abweichungsformen. Die Argumentation, dem Wortlaut könne möglicherweise entnommen werden, Einzelverletzungen, deren Wiederholung mittelfristig ausgeschlossen erscheine, müssten nicht angegeben werden 302 , basiert auf der zur Zeit der Äußerung vorliegenden Formulierung des § 161 AktG-RegE 303 . Dort war die negative Entsprechenserklärung ausschließlich im Präsens formuliert. Im weiteren Verlauf des GesetzgebungsVerfahrens wurde jedoch auch für die Negativerklärung die Vergangenheitsform in § 161 AktG eingefügt 304 . Aus dem Wortlaut des § 161 AktG lassen sich somit keine Hinweise darauf entnehmen, dass die Erklärungspflicht von der Häufigkeit der Abweichung abhängen könnte. Mit der Gesetzesbegründung sind deshalb auch einmalige Abweichungen vom Kodex offenzulegen 305. (b) Keine „Wesentlichkeitsschwelle" Damit ist noch nicht geklärt, ob auch geringfügige (Einzel- oder Dauer) Verletzungen zu offenbaren sind. Dem Wortlaut ist wiederum nichts zu ent-
301 Vgl. aber zur Frage fehlender objektiver Pflichtwidrigkeit bei Wahrung der dem Organ möglichen Organisationspflichten nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 5. d).
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Seibt, AG 2002, 249, 252. Vgl. Seibt, AG 2002, 249, 252.
Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Β. II. 2. Schüppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 29; Baums, Bericht, Rn. 10, S. 55; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 529; ebenso auch Seibt, AG 2002, 249, 252; vorausgesetzt von Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 791; vgl. BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21. 305
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nehmen. Die Gesetzesbegründung hingegen scheint marginale Abweichungen von der Erklärungspflicht ausnehmen zu wollen. Danach könne eine positive Entsprechenserklärung abgegeben werden, wenn die Verhaltensempfehlungen „allgemein eingehalten" worden seien und es „keine ins Gewicht fallenden Abweichungen" gegeben habe. Die Erklärungspflicht erstrecke sich zwar auf „Abweichungen im Einzelfall, vor allem aber auch auf generelle Abweichungen", die in Satzung, Geschäftsordnung, Vertrag niedergelegt seien oder einer dauernden Übung entsprächen 306. Nach diesem Verständnis hinge die Erklärungspflicht also von der Gewichtigkeit der Abweichung ab, die regelmäßig bei generell-abstrakten Abweichungen, sowie, jedoch seltener, bei (schwerwiegenden) Einzelverletzungen gegeben sei 307 . Nach teilweise vertretener Auffassung streite zudem für eine Wesentlichkeitsschwelle die Absicht des Gesetzgebers, den Kapitalmarktteilnehmern die wichtigen Informationen über die Anwendung der Kodexempfehlungen zur Verfügung zu stellen 308 . Dabei könne in Hinblick auf die positive Entsprechenserklärung allerdings auf die Sicht eines durchschnittlichen objektiven Anlegers abgestellt werden, der unwichtige von wichtigen Abweichungen zu unterscheiden wisse 309 . Müsse ausnahmslos jede Abweichung offengelegt und nach Ziffer 3.10 DCGK begründet werden, gerate der Normzweck, gemeint ist wohl die Regelungsfunktion des Kodex, in Gefahr 310 . Dem Abstellen auf die Gewichtigkeit der Abweichung stünde allerdings die mit Kodex und Entsprechenserklärung verfolgte Zielsetzung von Transparenz und dadurch erzeugtem Marktvertrauen diametral entgegen311. Selbst wenn man der Gegenauffassung folgen wollte, müsste die „Erklärungsschwelle" zumindest deutlich unter derjenigen der Kursrelevanz gemäß § 15 Abs. 1 WpHG anzusetzen sein j12 . Gegen jegliches Abstellen auf den unbestimmten Rechtsbegriff ei306
BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21. Vgl. Seibt AG 2002, 249, 252 („Einzelverletzungen (seien) eher als „unwesentliche Abweichungen" zu qualifizieren (...), die für die Abgabe der positiven Entsprechenserklärung nicht schade(te)n"); zustimmend Steiner, in: AnwK-AktienR, Kap. 1 § 161 Rn. 4; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 354; ähnlich Gelhausen/Hönsch, AG 2002, 529, 534; i.E. ebenso Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 790 f., allerdings widersprüchlich dies., BB 2002, 2509, 2509 ff., wo im Rahmen der Fallgruppenbildung (zur Korrekturerklärung) nicht nach einer „Wesentlichkeit" o.ä. unterschieden wird. 308 BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21. 309 Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 1005; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 354. 310 Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 1005. 311 Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 529; ähnlich Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 19. 312 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 15; Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 19. 307
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
ner „Wesentlichkeit" spricht allerdings der Gesichtspunkt der Rechtsklarheit. Vor allem soll die Bewertung der Gleichwertigkeit von Abweichungen dem Kapitalmarkt überlassen bleiben 313 . Das betrifft in gleichem Maße die Bewertung der Art wie der Gewichtigkeit einer Kodexabweichung. Es obliegt den Kapitalmarktteilnehmern die Entscheidung, ob sie ihr Vertrauen in die Unternehmensverfassung einer Gesellschaft schon durch eine Einzelverletzung, möglicherweise auch nur objektiv geringen Ausmaßes erschüttert sehen oder erst durch gravierende, fortdauernde oder sogar gesellschaftsintern fixierte (Satzung, Geschäftsordnung, Vertrag) Abweichungen vom Kodex. Es sind deshalb ohne Ansehung ihrer Art und Gewichtigkeit grundsätzlich alle Abweichungen vom Kodex offenzulegen 314. c) Erforderlichkeit einer Korrekturerklärung aa) Abweichungen von der Zukunftserklärung Nachdem die Entsprechenserklärung nach dem bisherigen Ergebnis der Untersuchung in Übereinstimmung mit der überwiegenden Literatur 315 auch einen Zukunftsbezug aufweist, stellt sich die Frage, ob sich daraus unter Umständen eine Verpflichtung zur Abgabe einer Korrekturerklärung ergibt 316 . Damit ange-
313 BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21; entsprechende Formulierung bei Baums, Bericht, Rn. 10, S. 55; ebenso Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 19; ähnlich Hopt, Beiheft ZHR 71, S. 27, 55. 314 Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 529; wohl auch Ulmer, ZGR 166 (2002), 150, 171; ähnlich Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 19. 315 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 41; Abram , ZBB 2003, 41, 42, Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1572 f.; ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2509 f.; dies., BB 2002, 789, 791; Knigge, W M 2002, 1729, 1735; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 366; Lutter, FS Druey, S. 463, 467; ders., ZHR 166 (2002), 523, 529 f.; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 492 ff.; Peltzer, NZG 2002, 593, 594; Pfitzer/Oser/Wader, DB 2002, 1120, 1121; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 170 f.; Seibert, BB 2002, 581, 583; offengelassen bei Bachmann, W M 2002, 2137, 2140; a.A. Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 7; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273; Seibt, AG 2002, 249, 251; ders, AG 2003, 465, 467 f. 316 Bejahend Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 492; Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 54; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 198 Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 354; Gelhausen/Hönsch, AG 2002, 529, 534; dies., AG 2003, 367, 367; Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 791, dies., BB 2002, 2509, 2510; Kiethe, NZG 2003, 559, 564; Knigge, W M 2002, 1729, 1735; Lutter, FS Druey, S. 463, 476; ders. ZHR 166 (2002), 523, 534; Peltzer, NZG 2002, 593, 595; Pfitzer/Oser/Wader, DB 2002, 1120, 1121; Seibert, BB 2002, 581, 583; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 555; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 171; verneinend Bachmann, W M 2002, 2137, 2141; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273; Seibt,
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sprochen sind die Fälle, in denen Aufsichtsrat und Vorstand entweder eine uneingeschränkt positive oder — insoweit über die Verpflichtung aus § 161 AktG hinausgehend317 — eine die Abweichungen im Einzelnen benennende und damit eingeschränkt negative Entsprechenserklärung abgegeben haben. Nach allgemeiner Auffassung bedingt die Absichtserklärung keine Pflicht zu späterem erklärungskonformen Verhalten 318 . Ändert die Gesellschaft nach Abgabe der Erklärung ihre verlautbarte Auffassung und beschließt, erstmals oder in einem weiteren Fall von einer Kodexempfehlung abzuweichen, stimmt der seinerzeit wahrheitsgemäß offenbarte Erklärungsinhalt nachträglich nicht mehr mit der tatsächlichen Unternehmenspraxis überein. Die Erklärung ist unrichtig geworden. (1) Argumente für und wider eine Korrekturverpflichtung Überlegungen über eine Verpflichtung aus § 161 AktG zur Abgabe einer Korrekturerklärung verbieten sich konsequenterweise aus Sicht der Stimmen in der Literatur, die entgegen der hier vertretenen Auffassung der Erklärung jeglichen Zukunftsbezug absprechen 319. Ein tragfähiger Aussagegehalt über die Zeit nach Abgabe der Erklärung als unabdingbare Grundlage einer möglichen Aktualisierungspflicht bestünde dann schon vom Ansatz her nicht. Ein Vertrauen in die Richtigkeit könnte wie bei Lage-, Abhängigkeits- oder jährlichen Auf'ίΛ 1
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Gegen eine Aktualisierungspflicht wird teilweise auch die Formulierung des §161 AktG ins Feld geführt, die Erklärung sei Jährlich" und damit in diesem AG 2002, 249, 254; in Konsequenz wohl ebenso Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 7; bei Unterstellung eines Zukunftsbezuges bejahend nun auch Schüppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 25. 317 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 5. b) bb) (4). 318 Lutter, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 1018; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 592; Bachmann, W M 2002, 2137, 2141; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1573; Gelhausen/Hönsch,, AG 2002, 529, 534; Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 791, dies., BB 2002, 2509, 2510; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 533; ders., FS Druey, S. 463, 467; Seibert, BB 2002, 581, 583; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 554; vorausgesetzt bei Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 170 f. 319 Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 7; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273; Seibt, AG 2002, 249, 251. 320 Vgl. dazu statt aller Hüffer, § 312 Rn 6, 9. 321 Seibt, AG 2002, 249, 254; in Konsequenz wohl ebenso Bachmann, W M 2002, 2137, 2140; Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 7; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Zeitraum auch nur einmalig abzugeben322. Damit umreißt der Wortlaut allerdings nur die zeitliche Mindestvoraussetzung, ohne die Zulässigkeit oder mögliche Verpflichtung zur Abgabe weiterer Erklärungen auszuschließen. Die Gesetzesbegründung ist hinsichtlich einer Aktualisierungspflicht ambivalent. So geht der Gesetzgeber ohne weiteres von der Möglichkeit der Abgabe einer unterjährigen Korrekturerklärung aus 3 2 \ Es lassen sich aus der Zulässigkeit einer Korrekturerklärung zwar keine Rückschlüsse auf eine möglicherweise bestehende Verpflichtung ziehen, doch heißt es im Anschluss, dass „eventuelle Haftungsgefahren (...) dann ausgeschlossen" seien 324 . Da eine Mitteilungspflicht über § 15 WpHG erst im Anschluss an diese Aussage erörtert wird, muss sich das angesprochene Haftungsrisiko auf die Verletzung einer aus § 161 AktG folgenden Aktualisierungspflicht beziehen. Daraus ist allerdings nur ersichtlich, dass der Gesetzgeber sich mit der Frage einer möglichen Haftung auseinandergesetzt hat, ohne dass damit sein Wille für das Bestehen einer Korrekturverpflichtung zum Ausdruck käme 325 . Manche Stimmen in der Literatur befürworten unter Hinweis auf die Parallelität der auch an den Kapitalmarkt gerichteten Entsprechenserklärung nach §161 AktG 3 2 6 zu den ebenfalls eine Aktualisierungspflicht enthaltenen Vorschriften zum Börsenzulassungs- und Börsenverkaufsprospekt (§ 52 Abs. 2 BörsZulVO, § 11 VerkProspG) eine Pflicht zur Abgabe einer Korrekturerklärung 327 . Dem ist entgegenzuhalten, dass es sich bei diesen Normen um Sonderbestimmungen für den speziellen, gesetzlich geregelten Fall der Prospekthaftung handelt, die nicht zu verallgemeinern sind. Die meisten Stimmen in der Literatur, die sich gegen eine Aktualisierungspflicht aussprechen, begründen ihre Auffassung damit, dass nach der bestehenden Gesetzeslage selbst nicht jede sogar kursrelevante Frage eine Offenlegungspflicht auslöse. Nur Tatsachen mit so wesentlichem Kursbeeinflussungs-
322 Seibt, AG 2002, 249, 254; dem Wortlautargument folgend, im Ergebnis aber a.A. Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 534. 323 BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 22: „Die Absichtserklärung kann jederzeit korrigiert oder zurückgenommen werden. Dazu dient die dauerhaft zugängliche Entsprechenserklärung". 324 BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 22. 325 A.A. Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 556 (dort Fn.40); nicht entscheidend auf die Gesetzesbegründung abstellend aber Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 114. 326 Vgl. dazu vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Β. IV. 2. 327 Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2510.
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potential, das den (hohen) 328 Voraussetzungen des § 15 WpHG genüge, verpflichte zur Veröffentlichung einer entsprechenden Ad hoc-Mitteilung 329 . Aus der gesetzessystematischen Gesamtsschau wird somit im Umkehrschluss gefolgert, dass unterhalb der Schwelle des § 15 WpHG keine Verpflichtung zur aktuellen Information des Kapitalmarktes bestehe. Die Stichhaltigkeit dieser Argumentation setzte allerdings voraus, dass § 15 WpHG die aktuelle kapitalmarktrechtliche Publizität abschließend330 regelte und deshalb eine ergänzende Informations Verpflichtung über § 161 AktG ausschiede331. Wie bereits dargelegt bezweckt die aktienrechtliche Erklärungspflicht nach § 161 AktG die Ergänzung der regelmäßigen kapitalmarktrechtlichen Publizität 332 . Sie überschneidet sich insoweit in ihrer Zielrichtung teilweise mit den entsprechenden turnusmäßigen kapitalmarktorientierten Publizitätsvorschriften („Standardpublizität" 333 ), stellt aber hinsichtlich der Information über die Einhaltung der Kodexempfehlungen die speziellere Vorschrift dar. Ebenso verhält es sich bei der jeweiligen Ad hoc-Publizität („anlassbezogene Publizität" 3 3 4 ). Mit der Ergänzung der regelmäßigen jährlichen Rechnungslegung (§ 325 HGB) und obligatorischen unterjährigen Zwischenberichterstattungen (§ 40 BörsG) durch die allgemeine Ad hoc-Publizitätsvorschrifl des § 15 WpHG 3 3 5 ist keine abschließende Regelung über die besondere, die aktuelle Einhaltung des Kodex betreffenden OffenlegungsVoraussetzungen getroffen. Von der Spezialität abgesehen soll die Ad hoc-Publizität des § 15 WpHG nicht nur — insoweit übereinstimmend mit § 161 AktG 3 3 6 — als kapital328
Vgl. zu den Anforderungen Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 118, wonach die Veränderung des Akzeptanzumfangs geeignet sein müsse, den Börsenpreis der zugelassenen Wertpapiere wesentlich zu beeinflussen. 329 So wohl Bachmann, W M 2002, 2137, 2141; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273; Seibt, AG 2002, 249, 254; ebenfalls nur eine Ad hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG ansprechend Steiner, in: AnwK-AktienR, Kap. 1 § 161 Rn. 11. 330 Zusammen mit der Meldung wesentlicher Beteiligungen (§ 21 WpHG) und der direktor's dealings (§ 15a WpHG). 331 Vgl. aber allg. zu der Tendenz zunehmender Verzahnung aktien- und kapitalmarktrechtlichen Anlegerschutzes Möllers, AG 1999, 433, 434 ff.; ders., ZGR 1997, 334, 336 ff. m.w.N. 332 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Β. IV. 2. 333 Vgl. Hopt, ZHR 167 (2003), 139, 144. 334 Vgl. Hopt, ZHR 167 (2003), 139, 144. 335 Vgl. Kümpel, in: Assmann/Schneider, WpHG, § 15 Rn. 21; Geibel, in: Schäfer, WpHG, § 15 Rn. 6; Hopt, ZHR 159, (1995), 135, 148; Wölk, AG 1997, 73, 76; vgl. auch BegrRegE Börsenzulassungs-Gesetz, BT-Drucks. 10/4296, S. 16. 336 Vgl. Präambel Abs. 1 DCGK; Lutter, Jura 2002, 83, 85 f., Seibt, AG 2002, 249, 250.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
marktrechtliche Informationsnorm vermeiden, dass wegen mangelhafter Informationen unzutreffende Marktpreise entstehen. Die Vorschrift soll insbesondere auch als insiderrechtliche Maßnahme Wirkung entfalten und dazu beitragen, dass die mit dem offenzulegenden Sachverhalt vertrauten Insider ihre Kenntnis nicht zum Nachteil unwissender Anleger ausnutzen können 337 . Letztgenannte Zielrichtung ist der Erklärungspflicht des § 161 AktG fremd. Die Schutzzwecke beider Vorschriften stimmen also nicht vollumfänglich überein. Dem Nebeneinander einer aus § 161 AktG und § 15 WpHG folgenden Pflicht zur Ad hocPublizität stehen damit letztlich keine durchgreifenden Bedenken entgegen338. (2) Bewertung und Ergebnis Vermögen schon die gegen eine Verpflichtung zur Abgabe einer unterjährigen Korrekturerklärung angeführten Bedenken nicht durchzugreifen, sprechen mit der wohl überwiegend 339 vertretenen Auffassung die besseren Gründe für eine solche Pflicht. Dafür streitet letztlich ausschlaggebend die bereits mehrfach angesprochene Intention des § 161 AktG, durch die mit der Erklärung vermittelte Corporate Governance-Informationen das Marktvertrauen zu stärken. Soweit der Gesellschaft im Zeichen der Flexibilität die Möglichkeit eröffnet wird, bei unvorhergesehenen oder unbedachten Entwicklungen von der publizierten Verhaltensabsicht abzuweichen, würde die mit der Erklärung bezweckte Vertrauensbildung konterkariert, wenn die Abweichung dann bis zur nächsten re337 Kleinmann, Ausgestaltung der Ad-Hoc-Publizität, S. 36; Kumpel, in: Assmann/Schneider, WpHG, § 15 Rn. 7, 18 ff.; Geibel, in: Schäfer, WpHG, § 15 Rn. 1. 338 I.E. ebenso Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 41; Schüppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 28; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 118; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 535; Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2514; Schiessl, AG 2002, 593, 594; Seibert, BB 2002, 581, 583; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 555; vgl. auch Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 171, der eine aus § 161 AktG folgende Pflicht zur Ad hoc-Publizität bejaht, ohne die Existenz des § 15 WpHG zu problematisieren. Vgl. auch BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 22, wonach bei Kursrelevanz im Sinne des WpHG „zusätzlich" zu einer korrigierten Entsprechenserklärung eine Ad hoc-Erklärung abzugeben sei. 339 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 41; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 492, 832; Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 54; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 117, 198, 200; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 354; Gelhausen/ Hönsck, AG 2002, 529, 534; dies., AG 2003, 367, 367; Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 791, dies., BB 2002, 2509, 2510; Kiethe, NZG 2003, 559, 564; Knigge, W M 2002, 1729, 1735; Lutter, FS Druey, S. 463, 476; ders. ZHR 166 (2002), 523, 534; Peltzer, NZG 2002, 593, 595; Pfitzer/Oser/Wader, DB 2002, 1120, 1121, Schiessl, AG 2002, 593, 594; Seibert, BB 2002, 581, 583; Semler/W agner, NZG 2003, 553, 555; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 171.
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gelmäßigen jährlichen Erklärung „im Dunkeln" gelassen werde dürfte 340 . Die Pflicht zur dauerhaften Zugänglichmachung gemäß § 161 S. 2 AktG bedingt den Rückschluss, dass auch dauerhaft richtige Angaben veröffentlicht werden müssen j41 . Ein Sinneswandel ist deshalb grundsätzlich durch eine korrigierte Erklärung zu offenbaren 342. (3) Einzelheiten der Korrekturerklärung Besteht somit eine Verpflichtung zur Korrekturerklärung, stellt sich nun die Frage, durch wen, in welcher Forai, im Falle welcher Abweichungen und innerhalb welcher Zeitspanne sie abzugeben ist. (a) Zuständigkeit zur Abgabe der Korrekturerklärung Wie die turnusgemäße Erklärung ist auch die Korrekturerklärung von Vorstand und Aufsichtsrat abzugeben343. In beiden Fällen ändert die sich nach allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätzen bestimmende Entscheidungskompetenz für einzelne Empfehlungen nichts an der allumfassenden Erklärungskompetenz des § 161 AktG. Deshalb muss sich der Aufsichtsrat auch dann unterjährig äußern, wenn sich die Aktualisierungserklärung nur auf die Einhaltung sol340 Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2510; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 534; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 171; ähnlich unter Verweis auf die entsprechende Verpflichtung bei § 27 WpÜG Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 41. 341 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 117; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 354; 342 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 41; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 492, 832; Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 54; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 117, 198, 200; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 354; Gelhausen/ Hönsch, AG 2002, 529, 534; dies., AG 2003, 367, 367; Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 791, dies., BB 2002, 2509, 2510; Kiethe, NZG 2003, 559, 564; Knigge, W M 2002, 1729, 1735; Lutter, FS Druey, S. 463, 476; ders. ZHR 166 (2002), 523, 534; Peltzer, NZG 2002, 593, 595; Pfitzer/Oser/Wader, DB 2002, 1120, 1121, Schiessl, AG 2002, 593, 594; Seibert, BB 2002, 581, 583; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 555; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 171; a.A. Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273; Seibt, AG 2002, 249, 253 f.; offengelassen ders., AG 2003, 465, 468 unter Auflistung einer Reihe von Aktualisierungserklärungen der Praxis (dort Fn.31). 343 Allgemeine Meinung der Literatur, die eine Verpflichtung zur Abgabe einer unterjährigen Korrekturerklärung bejaht, vgl. Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 41; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 492; Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2511; Lutter, FS Druey, S. 463, 476 (bezüglich der Außenhaftung); ders. ZHR 166 (2002), 523, 534 f.; vorausgesetzt bei Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 171.
3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
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eher Empfehlungen bezieht, die der Entscheidungskompetenz des Vorstands unterfallen 344 . Dasselbe gilt, wenn (ausnahmsweise) beide Organe zuvor getrennte Erklärungen abgegeben haben und nur die „Einzelerklärung" des Vorstands korrekturbedürftig ist. Der Aufsichtsrat mag dann zwar den Inhalt der Korrekturerklärung nicht bestimmen können. Das ändert aber nichts daran, dass er sich über den gesamten Kodex erklären muss. (b) Form der Korrekturerklärung Aus Sinn und Zweck der Korrekturverpflichtung folgt zunächst, dass sie ebenso wie die turnusgemäße Erklärung „dauerhaft zugänglich" gemacht werden muss. Anderenfalls könnte sie nicht ihre Funktion erfüllen, die fehlerhaft gewordene Information der jährlichen Erklärung richtigzustellen. Fraglich ist, ob die Offenlegungsform der Aktualisierungserklärung von der zu korrigierenden Erklärung abhängt. Während teilweise auch bei vorheriger Publikation in Printmedien die Veröffentlichung der Korrekturerklärung im Internet als ausreichend erachtet wird j 4 5 , fordern andere die Verlautbarung der Berichtigung in gleicher Weise wie die zugrundeliegende Erklärung 346 . Für letztgenannte Auffassung spricht zwar, dass so am besten sichergestellt wird, dass Kapitalmarktteilnehmer, die sich mittels der turnusmäßigen Erklärung über die Corporate Governance einer Gesellschaft informiert haben, auch Kenntnis von der zwischenzeitlich eingetretenen Änderung erhalten. Jedoch stünde dann stets nur eine einzige Veröffentlichungsform zur Verfügung, wohingegen die an weitaus strengere Voraussetzungen gebundene kapitalmarktrechtliche Ad hoc-Publizität mehrere Publikationsformen kennt, § 15 Abs. 3 WpHG 3 4 7 . Warum aber sollte die Auswahl möglicher Verlautbarungsformen enger begrenzt sein als bei der turnusgemäßen Erklärung? Auch dort wird nicht vertreten, die Gesellschaft müsse die Erklärung jedes Jahr stets wieder in gleicher Weise zugänglich machen. Außerdem würde anderenfalls eine Veröffentlichung der turnusmäßigen Erklärung etwa im Geschäftsbericht praktisch unmöglich werden, da potentielle Abweichungen unterjährig nicht an gleicher Stelle zeitnah offengelegt werden könnten 348 .
344
Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2512. Gelhausen/Hönsch, AG 2002, 529, 534. 346 Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 556. 347 Vgl. etwa KiiïTipel, in: Assmann/Schneider, WpHG, § 15 Rn. 155 ff. 348 Da davon auszugehen ist, dass die Gesellschaften die regelmäßige Erklärung zumindest auch im Internet veröffentlichen, dürfte der Streit in der Praxis keine Relevanz entfalten. 345
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(c) Inhaltliche Anforderungen Aktualisiert offenzulegen ist im Grundsatz jede nachträgliche objektive Abweichung vom Inhalt der zuvor abgegebenen Absichtserklärung. So ist es eine objektive Abweichung vom vorherigen Erklärungsinhalt, wenn sich die Absicht der Verwaltungsorgane zur Befolgung der Empfehlungen ändert 349 . Ebenso verhält es sich, wenn es bereits zu tatsächlichen Abweichungen gekommen ist 3 5 0 . Hierbei ist allerdings zu bedenken, dass die Aktualisierungsbedürftigkeit Folge des in die Zukunft gerichteten Teils der Erklärung ist 3 5 1 . Dieser Teil der Erklärung muss auch nach den eingetretenen Änderungen die Zukunft zutreffend beschreiben. Aus diesem Zukunftsbezug könnte aber gefolgert werden, dass nur solche Abweichungen korrekturbedürftig sind, die auch noch nach dem Zeitpunkt der unterjährigen Erklärung weiterhin Aktualität besitzen. So vertreten manche Stimmen, bei einer nach Abgabe der regelmäßigen Erklärung erfolgten Einzelabweichung sei diese nicht außerplanmäßig offenzulegen, solange sich die verlautbarte Absicht nicht geändert habe 352 . Andere verneinen eine Korrekturbedürftigkeit nur dann, wenn sich die Abweichung als einmaliger Vorfall darstelle und eine Wiederholung ausgeschlossen erscheine 353. Zu bedenken ist, dass auch Informationen über Einzelabweichungen von Interesse für den Kapitalmarkt sein dürften. Die erstgenannte Auffassung erscheint deshalb als zu weit, eröffnet sie den Gesellschaften doch die Möglichkeit, unter Verweis auf die bloße Behauptung einer fortbestehenden Absicht unter Umständen mehrfach von der Entsprechenserklärung abzuweichen, ohne das publizieren zu müssen. Demgegenüber ist durch die einschränkenden Kriterien gewährleistet, dass die Gesellschaft die Empfehlung, von der singulär abgewichen wurde, in Zukunft einhalten wird und somit die Absichtserklärung
349
Ihrig/Wager, BB 2002, 2509, 2510. Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2510. 351 Vgl. Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 492 f f ; Peltzer, Deutsche Corporate Governance, Rn. 331; Abram , ZBB 2003, 41, 42, Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1572 f.; Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2509 f.; dies., BB 2002, 789, 791; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 366; Lutter, FS Druey, S. 463, 467; ders., ZHR 166 (2002), 523, 529 f.; Seibert, BB 2002, 581, 583; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 170 f.; a.A. Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1. S. 1, 7; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273; Seibt, AG 2002, 249, 251. 352 Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 556. 353 Genannt wird beispielsweise eine einmalige Abweichung von Ziffer 5.5.2 DCGK (Offenlegung eines Interessenkonflikts durch ein Aufsichtsratsmitglied gegenüber dem Aufsichtsrat), vgl. Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2511. Ähnlich Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 556. 350
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
zumindest fur die Folgezeit richtig bleibt. Der Schutz der Kapitalmarktteilnehmer erscheint damit hinreichend gewahrt 354 . Müsste ausnahmslos jede tatsächliche Abweichung unverzüglich offengelegt werden, würde darüber hinaus jegliche turnusmäßige Erklärung entbehrlich und der Jahresturnus unterlaufen 355. Die regelmäßige Entsprechenserklärung fasste ohne eigenen Informationsgehalt nur noch den Inhalt vorheriger Ad hoc-Erklärungen zusammen. Das widerspräche letztlich schon dem Wortlaut des § 161 AktG 3 5 6 . Erledigte, punktuelle Durchbrechungen 357 sind deshalb anders als fortbestehende Abweichungen erst im Rahmen der nachfolgenden jährlichen Entsprechenserklärung offenzulegen 358 . Wie aber verhält es sich, wenn eine Abweichung noch nicht tatsächlich eingetreten, sondern nur absehbar ist? Die Fallkonstellation kommt in Betracht, wenn die Befolgung oder Nichtbefolgung einer Empfehlung sich nicht uno actu, sondern nach mehrstufigen Handlungs- 359 oder Entscheidungsprozessen360 vollzieht 361 . In beiden Fällen mögen die Verwaltungsmitglieder ein bestimmtes Verhalten anstreben, doch kann die Erfüllung Zweifeln ausgesetzt sein oder eine Prognose sogar auf eine Abweichung hindeuten. So spricht sich ein Teil der Literatur im Rahmen der ad hoc-Publizität des WpHG für eine Veröffentlichungspflicht aus, wenn der Eintritt einer Tatsache einen gewissen Wahrscheinlichkeitsgrad erreicht 362 . Unter entsprechendem Abstellen auf eine Wahr354
Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2511; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 556. Ihrig/Wagner, BB 2002, 1509, 2511 ; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 556. 356 Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 556. 357 Vgl. so benannte Fallgruppe bei Ihrig/Wagner, BB 2002, 1509, 2511. 358 Ihrig/Wagner, BB 2002, 1509, 2511; weniger eng Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 555. 359 Z.B. Ziffer 7.1.2 S. 2 DCGK: Die Einhaltung der für den Konzernabschluss oder die Zwischenberichtserstattung empfohlenen Fristen erfordert die Vorlage umfangreichen Unterlagenmaterials verschiedener Stellen (nachgebildet Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2510 f.). 360 Z.B. Ziffern 5.4.5 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 1 DCGK: Eine Änderung der Vergütungspraxis der Aufsichtsräte erfolgt durch entsprechende Änderung der Satzung oder einfachen Beschluss der Hauptversammlung, was jedoch auf einem entsprechenden Beschlussvorschlag der Verwaltung fußt. Gleiches gilt z. B. bezüglich der Zusammensetzung des Aufsichtsrats gemäß der Empfehlung der Ziffer 5.4.2 DCGK. 355
361 Vgl. zur vergleichbaren Situation im Rahmen von § 15 WPHG Geibel, in: Schäfer, WPHG, § 15 Rn. 33, 63; Happ/Semler, ZGR 1998, 116, 130; Kiem/Kotthoff, DB 1995, 1999, 2003; Kümpel, AG 1997, 66, 68; ders., W M 1996, 653, 654; Wölk, AG 1997, 73,78. 362 Vgl. Caspari, in: Baetge, Insiderrecht, S. 65, 77 („Stadium, in dem die Möglichkeit (s)eines Eintritts in eine hohe Wahrscheinlichkeit des Eintritts umschlägt"), Kiem/Kotthoff, DB 1995, 1999, 2003 („im normalen Geschehensablauf gerechnet wer-
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scheinlichkeitsprognose vertritt eine Literaturstimme auch in Bezug auf die Korrekturerklärung nach § 161 AktG die Auffassung, die Schwelle einer Aktualisierungsverpflichtung sei überschritten, wenn eine Abweichung „bereits absehbar" sei, dagegen noch nicht, wenn nur die konkrete Möglichkeit einer Abweichung bestehe, die sich nach Überzeugung der Verwaltungsmitglieder jedoch nicht realisiere 363. Anders als die kapitalmarktrechtliche Ad hoc-Publizität nach § 15 WpHG hängt die aktienrechtliche Aktualisierungspflicht nach § 161 AktG aber nicht von ihrer Eignung zur Kursbeeinflussung ab, die unter Umständen schon Folge von sich nur hinreichend deutlich abzeichnenden Entwicklungen sein kann. Sie ist Resultat des Anlegervertrauens in die inhaltliche Richtigkeit des in die Zukunft gerichteten Teils der Entsprechenserklärung. Dieses Vertrauen ist nicht schon bereits dann enttäuscht, wenn eine nicht beabsichtigte Abweichung droht, sondern erst, wenn eine Abweichung erfolgen wird. Jede Wahrscheinlichkeitstheorie sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, nicht justiziabel zu sein. Jede Prognose, ob etwa die Hauptversammlung stets alle Beschlussvorschläge 364 „durchwinkt", ist gewagt. Die Skepsis des Gesetzgebers gegenüber hypothetischen Abläufen offenbart sich in § 243 Abs. 4 AktG, in dem Mutmaßungen über ein potentielles Verhalten der Hauptversammlung oder von Aktionären als unerheblich charakterisiert werden 365 . Der Begriff der „Absehbarkeit" ist zu unscharf, um das pflichtwidrige Unterlassen einer Korrektur hinreichend deutlich definieren zu können. Erst wenn sich die Zweifel zur Gewissheit verdichten, dürfen sich die Aufsichtsratsmitglieder nicht mehr auf eine weiter bestehende Verhaltensabsicht berufen, sondern müssen den Tatsachen ins Auge sehen und die sichere Abweichung offen legen 366 .
den kann"), Kumpel, W M 1996, 653, 654 („infolge des hohen Wahrscheinlichkeitsgrades hinreichen sichere und auch auf Lebenserfahrung beruhende Realisierungserwartung"), Wölk, AG 1997, 73, 78 („überwiegender Wahrscheinlichkeit mit der Realisierung .. zu rechnen ist"); a.A. Happ/Semler, ZGR 1998, 116, 130 f., die auf das Ergebnis bei Abschluss des mehraktigen Geschehens abstellen. 363 Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2510 f. 364 Vgl. etwa obige (Fn. 694) Beispielsfälle zu Ziffern 5.4.5 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 1; 5.4.2 DCGK. 365 Vgl. zu § 15 WpHG Happ/Semler, ZGR 1998, 116, 130 f. 366 In dem oben (Fn. 693) zu den Fristen der Ziffer 7.1.2 S. 2 DCGK genannten Beispielsfall ist deshalb eine Aktualisierung erst dann vorzunehmen, wenn sicher ist, dass etwa die benötigten Unterlagen nicht rechtzeitig zur Verfugung stehen.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
(d) Zeitspanne zur Abgabe der Korrekturerklärung Umstritten ist, zu welchem Zeitpunkt die Korrekturerklärung abgegeben werden muss. Nach einem sehr engen Verständnis spricht sich Lutter für eine laufende Selbstbindung der Organmitglieder zur Befolgung der von ihnen abgegebenen Erklärung bis zu deren „Aufkündigung" durch einen in gleicher Art und Weise wie die vorherige Erklärung veröffentlichten förmlichen Gegenbeschluss aus. Bis dahin sei ein früher abweichendes Verhalten Pflichtverletzung 367 . Diese Auffassung steht jedoch nicht nur in Widerspruch zu seinen eigenen Ausführungen an anderer Stelle^68, sondern lässt unberücksichtigt, dass die Verpflichtung zur Aktualisierung über § 161 AktG dann engere Maßstäbe anlegte als die des von seinen Voraussetzungen eigentlich weitaus strengeren 369 § 15 WpHG. Die im Zeichen der Flexibilität eingeräumte Möglichkeit der unterjährigen Abweichung wäre über Gebühr zugunsten einer vorzeitigen Information der Anleger eingeschränkt. Als unmittelbare Folge der Wahrheitspflicht muss die Korrekturerklärung dennoch zeitlich unmittelbar mit der objektiven Abweichung vom Erklärungsinhalt verbunden sein. Zur näheren Eingrenzung des Zeitmoments sollte an den in langjähriger Rechtsprechung näher ausgeformten Begriff der „Unverzüglichkeit" im Sinne der §§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB, 15 WpHG angeknüpft werden, so dass die Korrekturerklärung „ohne schuldhaftes Zögern" 370 erfolgen müsste371. Wie bei der kapitalmarktrechtlichen Ad hoc-Mitteilungspflicht ist bei der Ausfüllung des Rechtsbegriffs auf der einen Seite das besondere Eilbedürfnis im Zusammenhang mit kapitalmarktrelevanten Informationen, auf der anderen Seite die Erforderlichkeit eines gewissen Zeitraums zur Prüfung des Vorgangs
367
Lutter, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 1065. Vgl. Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 534 f. („umgehende Offenlegung"); ders., FS Druey, S. 463, 467 (Abknüpfung an unverzügliche Bekanntmachung wegen §15 WpHG). 369 So auch Lutter, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 1065 (dort Fn. 1194). 370 Vgl. Geibel, in: Schäfer, WpHG, § 15 Rn. 53. 371 Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 54; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 492; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 121; Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2510; Lutter, FS Druey, S. 463, 467 (wegen § 15 WpHG); Seibert, BB 2002, 581, 583 („umgehend"); Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 555; vgl. aber Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 171, der sich für eine „ex ante"-Erklärung ausspricht. 368
Β. Pflichtverletzung
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nebst anschließender praktischer Durchführung der für die Veröffentlichung erforderlichen Organisationsmaßnahmen zu berücksichtigen 372. Besonders der erstgenannte Gesichtspunkt bestimmt aufgrund der erheblichen Kursrelevanz der meldepflichtigen Tatsache maßgeblich das für die kapitalmarktrechtliche Mitteilungspflicht geltende Zeitmoment 373 . Vergleicht man die an Tatsachen im Sinne des § 15 WpHG gestellten Voraussetzungen mit der Wirkung der Entsprechenserklärung, dürfte deren Kursbeeinflussungspotential nicht stets die notwendige Intensität innewohnen. Ein gewisser Einfluss der Entsprechenserklärung auf den Kapitalmarkt ist zwar unabdingbare Voraussetzung des Regelungsmodells und ein solcher wird auch allseits erwartet 374 . Ob ein den Anforderungen des § 15 WpHG entsprechender Einfluss der Erklärung allerdings „in der Regel" zu- und nur ausnahmsweise bei geringfügigen Abweichungen abzusprechen ist 3 7 5 , darf hingegen bezweifelt werden. Es ist zwar davon auszugehen, dass die Entsprechenserklärung wegen ihrer Auswirkungen auf die Vermögens- oder Finanzlage oder den allgemeinen Geschäftsverlauf grundsätzlich das Potential besitzen kann, im Sinne des § 15 Abs. 1 S. 1 WpHG den Börsenpreis der Wertpapiere erheblich zu beeinflussen. Ob das der Fall ist, dürfte indes nur für den Einzelfall und nicht im Sinne einer Regelaussage zu beantworten sein 376 . Das rechtfertigte es, zugunsten des eingangs erwähnten zweiten Gesichtspunktes ein gegenüber § 15 WpHG großzügigeres Zeitmoment für die Aktualisierung der Entsprechenserklärung genügen zu lassen377. Dennoch ist der zur Verfügung stehende Zeitraum zur Veröffentlichung der Korrekturerklärung knapp bemessen. Daraus resultieren eine Reihe von Problemen, da der Aufsichtsrat anders als der Vorstand nicht in die täglichen Ge-
372 Vgl. zu § 15 WpHG Geibel, in: Schäfer, WpHG, § 15 Rn. 53 f.; DAV-HRA, NZG 1998, 136, 141 \ Happ/Semler, ZGR 1998, 116, 129. 373 GeibeU in: Schäfer, WpHG, § 15 Rn. 54. 374 Vgl. Baums, Bericht, Rn. 7, S. 51 f.; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 151; ders. AcP 202 (2002), 143, 167; Schüppen,, DB 2002, 1117; Seibt, AG 2002, 249, 250; Seibert, BB 2002, 581. 375 So Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 534; ähnlich ders., FS Druey, S. 463, 467. 376 Vgl. Seibert, BB 2002, 581, 583 („In seltenen Fällen"); Schüppen, ZIP 2002. 1269, 1273 („höchst ausnahmsweise"); beispielhaft für Abweichung von vorheriger Erklärung zu Ziffer 7.1.2 S. 2 DCGK (Zwischenberichterstattung) bejahend Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2513. Genauere Aussagen werden sich wohl erst nach empirischen Untersuchungen zu Kursauswirkungen der Entsprechenserklärung treffen lassen, die, soweit erkennbar, z.Z. noch nicht vorliegen. j77 Das berührt selbstverständlich nicht die Frage, ob möglicherweise parallel nach § 15 WpHG der Kapitalmarkt nach den hierfür maßgeblichen zeitlichen Kriterien „unverzüglich" informiert werden muss.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
schäftsabläufe involviert und folglich nicht ständig präsent ist, sondern regelmäßig entsprechend dem gesetzlichen Mindestturnus nur zwei mal im Kalenderhalbjahr tagt, § 110 Abs. 3 S. 1 AktG. Das ist für die turnusgemäße Entsprechenserklärung kein Problem, da deren Abgabezeitpunkt längere Zeit vorher feststeht und deshalb ohne Schwierigkeiten ein Sitzungstermin eingerichtet werden kann. Die normale Sitzungsfrequenz des Aufsichtsrats schließt jedoch aus, dass der Aufsichtsrat im Fall des Falles in der Lage ist, zeitnah eine Korrekturerklärung abgeben zu können 378 . Es fragt sich deshalb, wie der Konflikt von umfassender Erklärungskompetenz des Aufsichtsrats zum Aktualitätsbedürfnis der Korrekturerklärung gelöst werden kann. (aa) Unzulässigkeit einer „Vorab-Korrekturerklärung" durch den Vorstand Es wurde bereits festgestellt, dass es sich bei der turnusgemäßen Entsprechenserklärung nach allgemeiner Meinung rechtlich um zwei eigenständige Erklärungen handelt 379 , die nach zutreffender Auffassung bei unversöhnlich voneinander abweichenden Auffassungen der Verwaltungsorgane sogar inhaltlich differieren können 380 . Diese rechtliche Eigenständigkeit der Erklärungen bietet nach einer Literaturansicht den Ansatzpunkt für die Lösung des vorgenannten Spannungsverhältnisses. So wie es zulässig sei, dass sich die Einzelerklärungen teilweise 381 inhaltlich unterschieden, müsse es auch zulässig sein, dass ihr Abgabezeitpunkt zeitlich auseinanderfalle. Das ermögliche es — im Regelfall — dem Vorstand, unmittelbar auf eine zwischenzeitlich eingetretene Änderung der Kodexbefolgung zu reagieren und eine eigene „Einzel"-Korrekturerklärung schon zu einem Zeitpunkt abzugeben, zu dem der Aufsichtsrat sich mit der Problematik aus zeitlichen Gründen noch nicht habe befassen können. Der Vorstand als ständig
378 Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 555 erachten eine Korrekturerklärung erst bei der nächsten ordentlichen Sitzung für ausreichend. Ähnlich Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 121 unter Abstellen auf die „Relevanz" der Berichtigung. 379 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 491; Steiner, in: AnwK-AktienR, Kap. 1 § 161 Rn. 10; Gelhausen/Hönsch, AG 2002, 529, 533; Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 790; dies., BB 2002, 2509, 2512; Kiethe, NZG 2003, 559, 560; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 369 f.; Pßtzer/Oser/Wader, DB 2002, 1120, 1121; Seibt, AG 2002, 249, 253. 380 Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 790; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 369; a.A. Seibt, AG 2002, 249, 253. Vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 3. a). 381 Ein Abweichen ist nur hinsichtlich der Empfehlungen zulässig, die nicht dem Entscheidungsvorrang eines der Organe unterworfen sind, vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 2.
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in der Gesellschaft präsentes Organ könne also mit der Abgabe der Korrekturerklärung „in Vorlage" treten und der Aufsichtsrat müsse sich dieser Erklärung „alsbald anschließen"382. Da die Anleger bereits durch die vorgezogene Erklärung informiert seien, gereiche es den zeitlichen Anforderungen, wenn die Anschlusserklärung in der nächsten regelmäßigen Sitzung erfolge 383 . Dem stehen jedoch schwerwiegende Bedenken entgegen. Es bleibt unzureichend berücksichtigt, dass die umfassende Erklärungspflicht beide Organe gemeinsam trifft. Die Kapitalmarktteilnehmer sind über die Auffassung beider Organe zu informieren 384 . Eine vorgezogene Einzelkorrekturerklärung des Vorstands offenbarte den Anlegern jedoch nur dessen Vorstellung, während die Meinung des Aufsichtsrats unklar bliebe, bis er sich in seiner nächsten Sitzung äußert. Das kann möglicherweise Monate dauern, zumal dem halbjährlichen Mindestturnus von zwei Sitzungen (§110 Abs. 3 S. 1 AktG) auch bei deren Durchführung innerhalb eines Quartals entsprochen wird 3 8 5 . Die Anlieger würden damit zwar zeitnah, aber nicht ausreichend informiert. Dieses erhebliche Informationsdefizit lässt sich nicht allein mit den organisatorischen Schwierigkeiten einer außerplanmäßigen Aufsichtsratssitzung rechtfertigen. Der Aufsichtsrat ist zur Abgabe der Korrekturerklärung verpflichtet und muss seine Sitzungsfrequenz so gestalten, dass er seinen Pflichten nachkommen kann. Die Mindestfrequenz genügt nur, wenn keine weiteren Sitzungen zur ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung erforderlich sind 386 . Bei entsprechendem Bedarf gehört es sogar zu den Amtspflichten des Aufsichtsratsvorsitzenden wie auch der einzelnen Mitglieder 387 , außerplanmäßige Sitzungen einzuberufen
382
Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2512. Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2513. 384 Steiner, in: AnwK-AktienR, Kap. 1 § 161 Rn. 10; Gelhausen/Hönsch,, AG 2002, 529, 533; Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 790; dies., BB 2002, 2509, 2512; Kiethe, NZG 2003, 559, 560; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 369 f. 385 Vgl. nur Hüffer, AktG, § 110 Rn. 10; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 465. Die frühere Sollvorschrift, einmal im Quartal zusammenzukommen, ist bei der Neufassung des § 110 Abs. 3 AktG durch das TransPuG entfallen. 386 Hüffer, AktG, § 110 Rn. 10; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 567; Hoffmann-Becking, in: MünchHdbAG, § 31 Rn. 30. 387 Vgl. hierzu die im Rahmen des TransPuG erfolgte Änderung des § 110 Abs. 2 AktG, wonach nun auch ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied nach erfolglosem Einberufungsverlangen gegenüber dem Vorsitzenden ein Recht zur Selbsteinberufung hat. Vgl. zu den Voraussetzungen der Selbsteinberufung Hüffer, AktG, § 110 Rn. 8; Geßler, in: Geßler/Hefermehl/Eckard/Kropff, AktG, § 110 Rn. 28 ff.; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 574 f.; Mertens, in: KölnKommAktG, § 110 Rn. 18 f f ; Hoffmann-Becking , in: MünchHdbAG, § 31 Rn. 38 f. 383
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
bzw. deren Einberufung zu verlangen 388 . Von einer solchen Amtspflicht ist auszugehen, wenn der Aufsichtsrat ansonsten seine Pflicht zur zeitnahen Abgabe der Korrekturerklärung nicht erfüllen könnte. Das gilt umso mehr, als dass durch die Neufassung des § 110 Abs. 3 AktG in Abkehr vom bisherigen Wortlaut („zusammentreten") nun nur noch davon die Rede ist, der Aufsichtsrat müsse die Sitzungen „abhalten". Soweit dadurch selbst für die gesetzliche Mindestzahl der Sitzungen zum Ausdruck kommen soll, dass nicht in allen Fällen die körperliche Anwesenheit aller Mitglieder erforderlich und zumindest in begründeten Ausnahmefällen eine Sitzung in Form einer Telefon- oder Videokonferenz möglich sei 389 , gilt das erst recht für über die Mindestzahl des § 110 Abs. 3 AktG hinausgehende Sondersitzungen 390. Bei der Abgabe der Korrekturerklärung handelt es sich um eine Angelegenheit, die der eiligen Erörterung und Beschlussfassung des Aufsichtsrats bedarf 9 1 , weshalb eine außerplanmäßige Sitzung in Form einer Video- oder sogar Telefonkonferenz zulässig ist 3 9 2 . Das verringert den organisatorischen und finanziellen Aufwand einer kurzfristig angesetzten Sondersitzung erheblich. Zuletzt steht der Zulässigkeit einer „Voraberklärung" des Vorstands entgegen, dass die Korrekturerklärung solche Empfehlungen betreffen kann, die dem Entscheidungsvorrang des Aufsichtsrats unterfallen. Über deren Ein- oder Nichteinhaltung darf sich der Vorstand nach dem System der Entscheidungsprävalenzen nicht anders als der Aufsichtsrat erklären. Dies gilt für die turnusgemäße wie die Ad hoc-Erklärung in gleichem Maße. Hat sich der Aufsichtsrat aber noch gar nicht entschieden, geschweige denn erklärt oder mit dem Vor-
388 Hüffer, AktG, § 110, Rn. 10; Geßler, in: Geßler/Hefermehl/Eckard/Kropff, AktG, §110 Rn. 37; Hoffmann-Becking , in: MünchHdbAG, §31 Rn. 30; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 572 f.; Mertens, in: KölnKommAktG, § 110 Rn. 2, 24. 389 Vgl. BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 17; DAV-HRA, BB 2003, Beilage Nr. 4, S. 3; a.A. unter Verweis auf den Telos der Mindestanzahl an Sitzungen Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 568; kritisch Baums, Bericht, Rn. 57, S. 99. Vgl. zum Meinungsstand vor Neufassung: gegen Zulässigkeit von Telefon- und Videokonferenzen Baums, Bericht, Rn. 57, S. 99; Kindler, NJW 2001, 1678, 1689; Casper , ZHR 165 (2001), 219, 221; a.A. bezüglich Videokonferenz Mertens, in: KölnKommAktG, § 108 Rn. 16; Wagner, NZG 2002, 57, 59 f.; Kindl, ZHR 166 (2002), 335, 344 ff. 390 Allgemeine Meinung und weitgehend auch schon vor der Neufassung anerkannt, vgl. Baums, Bericht, Rn. 57, S. 99; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 569; vgl. auch BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 17. 391 Vgl. zu dieser Einschränkung Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 568. 392 Ebenso Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 41.
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stand abgestimmt, griffe der Vorstand der Entscheidung des Aufsichtsrats unzulässigerweise vor. Die Folge wäre eine Situation der faktischen Beeinflussung, die durch das System der Entscheidungsprävalenzen gerade vermieden werden sollte. I m Ergebnis ist ein zeitliches Auseinanderfallen der Korrekturerklärungen von Vorstand und Aufsichtsrat deshalb nicht zulässig 3 9 3 . (bb) Einberufung einer Sondersitzung des Aufsichtsrats Aufgrund der vorstehenden Erwägungen und der Notwendigkeit der zeitnahen Abgabe einer Korrekturerklärung durch Vorstand und Aufsichtsrat ist so schnell wie möglich eine Beschlussfassung des Aufsichtsrats über die Korrekturerklärung erforderlich. Soweit nicht zufällig unmittelbar eine regelmäßige Sitzung ansteht, ist eine Sondersitzung einzuberufen 3 9 4 . Z u beachten ist, dass die bei der Einberufung zu wahrende Frist nicht beliebig kurz sein darf. Den Aufsichtsratsmitgliedern muss eine nach den Umständen des Einzelfalls angemessene Zeit zur Vorbereitung auf den Termin verbleiben 3 9 5 . Es fragt sich nun, ab wann eine Frist für die Einberufung einer Sondersitzung zwecks Abgabe der Korrekturerklärung zu kurz und deshalb nicht mehr angemessen i s t 3 9 6 .
393 I.E. wohl ebenso, weil bei der Erörterung der Problematik der zeitnahen Aktualisierung eine Voraberklärung des Vorstands nicht ansprechend Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 41. 394 Ebenso Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 41. 395 Hüffer, AktG, § 110 Rn. 3; Geßler, in: Geßler/Hefermehl/Eckard/Kropff, AktG, §110 Rn. 7; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 569. 396 Die Rechtsfolgen einer nicht angemessenen Einberufungsfrist sind streitig. Während nach einer Meinung ein daraufhin ergangener Beschluss grundsätzlich nichtig, aber in minder schweren Fällen unter Umständen nicht vom Rechtsschutzinteresse umfasst oder verwirkt ist (BGHZ 122, 342, 346 ff. ; BGHZ 124, 111, 115 (Siemens); Hüffer, AktG, § 108 Rn. 19; Schneider, in: Scholz, GmbHG § 52 Rn. 311; Semler, in: ders., Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, S. 38 ff.; Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG § 52 Rn. 56; Kindl, AG 1993, 153, 155 f f ; ist er nach anderer Auffassung je nach Fallgruppe differenziert nichtig oder nur anfechtbar Ulmer in: Hanau/Ulmer, MitbestG, § 25 Rn. 36 ff.; Kittner/Köstler/Zachert, Aufsichtsratspraxis, Rn. 344; Lutterl Hommelhoff GmbHG, § 52 Rn. 50 ff.; Mertens, in: KölnKommAktG, § 108 Rn. 82; Baums, ZGR 1983, 300, 305 ff. Im Ergebnis werden beide Auffassungen zu denselben Ergebnissen gelangen (vgl. Hoffmann-Becking , in: MünchKommAktG, §31 Rn. 97; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 611 ff.). So wäre nach der zweitgenannten Auffassung eine Verletzung der Einberufungsfrist lediglich anfechtbar (vgl. Ulmer, in: Hanau/Ulmer, MitbestG, § 25 Rn. 40; Hoffmann-Becking, in: MünchHdbAG, § 32 Rn. 99; Baums, ZGR 1983, 300, 313 f.; Götz, FS Lüke, S. 167, 183) und dürfte nach der Gegenmeinung mangels Rechtsschutzinteresse oder wegen Verwirkung nur eingeschränkt nichtig sein, da die Aufsichtsratsmitglieder auf die Ein-
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Unabhängig von den spezifischen Umständen der Korrekturerklärung ist schon grundsätzlich für den Fall der Einberufung durch den Vorsitzenden auf Verlangen (§110 Abs. 1 S. 1 AktG) gesetzlich geregelt, dass die Frist nicht länger als zwei Wochen sein darf, § 110 Abs. 1 S. 2 AktG 3 9 7 . Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass eine zweiwöchige Frist jedenfalls nicht unangemessen und auch eine kürzere Frist zur ausreichenden Vorbereitung angemessen sein kann 398 . Die genauere Bestimmung der unteren Grenze der Angemessenheit im Einzelfall bestimmt sich danach, ob sie die Teilnahme an der Sitzung unter normalen Unständen zulässt. Es muss den Aufsichtsratsmitgliedern unter Berücksichtigung des oder der Gegenstände der Tagesordnung möglich sein, über die Notwendigkeit ihrer Teilnahme zu entscheiden, sich auf die behandelten Fragen vorzubereiten und gegebenenfalls die Anreise zu organisieren 399. In Eilfällen darf die Teilnahme eher erwartet und deshalb die Frist abgekürzt werden 400 . Wie bereits festgestellt wurde, steht eine Korrekturerklärung nur an, wenn eine Abweichung vom bisherigen Erklärungsinhalt beabsichtigt ist oder in der Vergangenheit erfolgte, ohne dass eine Wiederholung ausgeschlossen werden kann. In beiden Fällen handelt es sich bei dem Gegenstand der Sitzung nicht um eine komplexe Problematik, deren Beurteilung im Vorfeld der Sitzung eine besonders vertiefte Vorbereitung erforderte. Zudem ist der organisatorische Auf-
haltung der Ladungsfrist verzichten können (vgl. Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 613). 397 Soweit umstritten ist, ob abgesehen von diesem Sonderfall Satzung oder Geschäftsordnung des Aufsichtsrats auch eine längere Frist zwischen Einladung und Sitzung vorsehen können {Hüffer, AktG, § 110 Rn. 3) oder dies wegen § 110 Abs. 1 S. 2 AktG unverbindlich wäre (.Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 569), muss dieser grundsätzliche Streit für den Sonderfall der Einberufung zur Abgabe der Korrekturerklärung nicht entschieden werden. Unabhängig von der in § 110 Abs. 1 S. 2 AktG genannten Frist gebietet es der Schutzzweck des § 161 AktG, die Anleger unverzüglich über Abweichungen vom Inhalt der zuvor abgegebenen Entsprechenserklärung zu unterrichten. Dies erfordert eine kurze Einberufungsfrist. Eine Frist von mehr als zwei Wochen verstieße gegen das im Telos des § 161 AktG enthaltene Aktualitätsbedürfnis, so dass eine entsprechende Regelung in Satzung oder Geschäftsordnung den Fall der Einberufung einer Aufsichtsratssitzung zwecks Abgabe der Korrekturerklärung nicht verbindlich erfassen würde. Es empfiehlt sich, dies in der entsprechenden Klausel klarzustellen. 398 Baums, ZGR 1983, 300, 313. In der Satzung oder Geschäftsordnung des Aufsichtsrats wird in der Praxis meist eine 14-tägige Einberufungsfrist bestimmt, vgl. Hoffmann-Becking, in: MünchHdbAG, § 31 Rn. 32. 399 Mertens, in: KölnKommAktG, § 110 Rn. 4; Baums, ZGR 1983, 300, 313. 400 Baums, ZGR 1983, 300, 313.
Β. Pflichtverletzung
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wand bei Abhaltung einer Video- oder Telefonkonferenz gering 401 . Aus diesen Gründen erscheint jedenfalls eine Einberufungsfrist von einer Woche 402 , unter Berücksichtigung der besonderen Eilbedürftigkeit aber auch von 24 oder 48 Stunden403 angemessen. Ist die Ansetzung einer so kurzen Einberufungsfrist rechtlich und auch praktisch möglich, stellte es sich als schuldhafte Verzögerung der Offenlegung dar, wenn sich die Aufsichtsratsmitglieder auf eine längere Frist beriefen. Das Informationsbedürfnis der Anleger widerspricht jedem länger als erforderlichen Zuwarten 404 . Die Frist beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der Zugang der Einladung unter normalen Umständen erwartet werden kann 405 . Die Modalitäten der Einberufung sind nicht gesetzlich vorgeschrieben. Es empfiehlt sich aus Gründen der Beschleunigung eine fernmündliche oder per Fax übermittelte Einladung 406 . Da die meisten Satzungen oder Geschäftsordnungen des Aufsichtsrats die Schriftform oder Form des eingeschriebenen Briefes vorsehen 407, müssten die entsprechenden Regelungen für den Fall einer Korrekturerklärung als Gegenstand der Sondersitzung modifiziert werden. So könnte der Aufsichtsrat innerhalb von ein bis zwei Tagen über die Korrekturerklärung beschließen. Damit werden die Anleger nur unwesentlich später informiert, als es bei Zuerkennung einer Voraberklärung des Vorstands möglich wäre, doch bietet die Erklärung beider Or-
401 Zu beachten ist jedoch, dass eine solche Beschlussfassung ohne Sitzung nur möglich ist wenn bis zur Abstimmung oder innerhalb einer vom Vorsitzenden zu bestimmenden angemessenen Frist keines der Aufsichtsratsmitglieder zu dieser Verfahrensweise Widerspruch erhebt, § 108 Abs. 4 AktG. Vgl. zum Meinungsstand zur Zulässigkeit von Beschlüssen durch Stimmabgabe teils präsenter, teils sich schriftlich oder via Telefon- oder Videokonferenz äußernder nicht präsenter Aufsichtsratsmitglieder Geßler, in: Geßler/Hefermehl/Eckhard/Kropff, § 108 Rn. 66; Ulmer, in: Hanau/Ulmer, MitbestG, §25 Rn. 33; Hoffmann-Becking , in: MünchKommAktG, §31 Rn. 81; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 605; Mertens, in: KölnKommAktG, § 108 Rn. 16; zweifelnd Hüffer, AktG, § 109 Rn. 16. 402 Vgl. Einberufungsfrist für die Gesellschafterversammlung einer GmbH, § 51 Abs. 1 S. 2 GmbHG: „Frist von mindestens einer Woche". 403 Vgl. Befürwortung dieser kurzen Einberufungsfrist für eine Mitwirkung des Aufsichtsrats bei einer Veröffentlichung nach § 15 WpHG bei Happ/Semler, ZGR 1998, 116, 131; kritisch Kiem/Kotthoff DB 1995, 1999, 2003 f. 404 Die vorgenannte kurze Einberufungsfrist sollte deshalb für den Fall einer Korrekturerklärung auch in der Satzung oder Geschäftsordnung des Aufsichtsrats aufgenommen werden. 405 Vgl. BGHZ 100, 264, 267 f.; Hüffer, AktG, § 110 Rn. 3; Hüffer, in: Hachenburg GmbHG, § 51 Rn. 15 m.w.N. zum Meinungsstand; ebenso nun auch Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 569. 406 Vgl. zur Zulässigkeit Baums, ZGR 1983, 300, 313; Hüffer, AktG, § 110 Rn. 3. 407 Vgl. Hoffmann-Becking, in: MünchHdbAG, § 31 Rn. 32.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
gane im Gegenzug den vollen Informationsgehalt. Bei Einhaltung des vorstehend dargestellten Zeitplans werden die Anleger damit ohne schuldhaftes Zögern vollumfanglich informiert. (cc) Delegation an einen Ausschuss Der mit einer zeitnahen Einberufung einer Sondersitzung des Gesamtaufsichtsrats verbundene finanzielle und organisatorische Aufwand sowie die Unwägbarkeiten der Rechtzeitigkeit der Einberufung ließen sich verringern, wenn die Abgabe der Korrekturerklärung an einen Ausschuss delegiert werden könnte. Es wurde bereits festgestellt, dass eine Delegation nur dort ausscheidet, wo die Erklärung eine Verhaltensempfehlung betrifft, die erstens der vorrangigen Entscheidungsbefugnis des Aufsichtsrats unterworfen ist und zweitens eine Maßnahme beschreibt, deren Durchführung nach § 107 Abs. 3 S. 2 AktG nicht auf einen Ausschuss übertragen werden darf 408 . Eine Delegation ist also nur für einen Teil der Kodexempfehlungen ausgeschlossen409. Die der Entscheidungskompetenz des Aufsichtsrats unterstellten Empfehlungen wurden bereits an anderer Stelle zusammengestellt410, so dass daraus nun diejenigen „herauszufiltern" sind, die auch das zweitgenannte Merkmal erfüllen. Der in § 107 Abs. 3 S. 2 AktG enthaltene Katalog nicht delegierbarer Aufgaben ist abschließend gemeint und nur durch das ungeschriebene Verbot einer Übertragung der Entscheidung über die organisatorische Gestaltung und Arbeitsweise des Aufsichtrats zu ergänzen 411. Gerade die Selbstorganisation ist allerdings Regelungsgegenstand einer ganzen Reihe von in der Entscheidungskompetenz des Aufsichtsrats liegenden Empfehlungen 412. Daneben werden auch
408
Vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 4. c). Vgl. dazu auch Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 41, der im Rahmen der regelmäßigen Entsprechenserklärung eine Delegation kategorisch ausschließt (1, Rn. 23), im Rahmen der Aktualisierungspflicht aber eine Ermächtigung eines Ausschusses oder sogar des Vorsitzenden (!) zur unverzüglichen Vorab-Offenlegung einer Abweichung von der Vergangenheits^rklärung bis zur nächsten Sitzung des Gesamtaufsichtsrats erwägt. 409
410
Vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 2. e). Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 623; HoffmannBecking, , in: MünchHdbAG, § 32 Rn. 3; Mertens, in: KölnKommAktG, § 107 Rn. 152; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 17 f., 23 ff.; Semler, AG 1988, 60, 61; a.A. Dose, ZGR 1973, 300, 306 ff. 412 Ziffer 5.1.3 DCGK (Geschäftsordnung des Aufsichtsrats); Ziffern 5.2 Abs. 2 S. 1; 5.2 Abs. 3 S. 1; 5.2 Abs. 3 S. 3 DCGK (Aufgaben des Aufsichtsratsvorsitzenden); Ziffer 411
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die in § 107 AktG benannten Aufgaben wie der Erlass einer Geschäftsordnung für den Vorstand (§ 77 Abs. 2 S. 1 AktG) 4 1 3 , die Benennung, Wiederbestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder (§ 84 Abs. 1, 3, Abs. 2, Abs. 3 S. 1 AktG) 4 1 4 , die Begründung eines Zustimmungsvorbehalts (§111 Abs. 4 S. 2 AktG) 4 1 5 sowie die Prüfung des Jahresabschlusses und der Berichterstattung über das Ergebnis der Prüfung (§171 AktG) 4 1 6 durch Empfehlungen näher beschrieben. Damit ist aber die Entscheidung über nicht mehr als insgesamt etwa 20 Empfehlungen 417 des Kodex nicht auf einen Ausschuss übertragbar. Gerade in diesem Bereich wird es auch tendenziell nicht zu für den Aufsichtsrat überraschenden plötzlichen Abweichungen vom bisherigen Erklärungsinhalt kommen, da der Aufsichtsrat das zugrundeliegende Verhalten selbst steuern und so eine Abweichung bis zur nächsten regelmäßigen Sitzung herausschieben kann. Eine Aktualisierungserklärung durch das dann zügigst zu einer Sondersitzung einzuberufenden Aufsichtsratsplenum dürfte deshalb nur in den seltensten Fällen erforderlich werden. Es verbleibt damit eine nicht unerhebliche und zudem hinsichtlich der Korrekturbedürftigkeit besonders brisante Anzahl von Empfehlungen, bei denen im Fall von Abweichungen die Kompetenz zur Abgabe der Korrekturerklärung an einen Ausschuss delegiert werden kann. Ein für diesen Teil der Empfehlungen eingesetzter Ausschusses könnte rasch und mit überschaubarem Aufwand auf eingetretene Änderungen reagieren und damit Haftungsrisiken wegen zu später Unterrichtung der Anleger minimieren 418 .
5.3.1 S. 1 DCGK (Bildung von Ausschüssen); Ziffer 5.3.2 S. 1 DCGK (Einrichtung Prüfungsausschuss); Ziffer 5.6 DCGK (Selbstevaluierung). 413 Ziffer 3.4. Abs. 3 S. 1 DCGK (Nähere Festlegung der Informations- und Berichtspflichten des Vorstands), Ziffer 4.2.1 S. 2 DCGK (Geschäftsordnung des Vorstands). 414 Ziffer 4.2.1 S. 1 DCGK (Zusammensetzung Vorstand), Ziffer 5.1.2 Abs. 1 S. 2 DCGK (Nachfolgeplanung); Ziffer 5.1.2 Abs. 2 S. 2 DCGK (Wiederbestellung vor Ende Bestellungsdauer); Ziffer 5.1.2 Abs. 2 S. 3 DCGK (Altersgrenze). 415 Ziffer 4.3.4 S. 3 DCGK (Zustimmungsvorbehalt bei wesentlichen Geschäften); Ziffer 4.3.5 DCGK (Nebentätigkeit nur bei Zustimmung des Aufsichtsrats). 416 Ziffern 7.2.1 Abs. 1 S. 1, 2 DCGK (Auswahl Abschlussprüfer); Ziffer 7.2.1 Abs. 2; 7.2.3 Abs. 1; 7.2.3 Abs. 2 DCGK (Vereinbarungen mit dem Abschlussprüfer). 417 Vgl. Auflistung der den Aufsichtsrat betreffenden Empfehlungen des DCGK im Anhang, S. 212 ff. Dort sind die Empfehlung, bei denen die Entscheidung nicht delegierbar ist, mit * gekennzeichnet. 418 Ähnlich Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2513, die aber von der Delegationsunfähigkeit der Korrekturerklärung zu allen der Entscheidungskompetenz des Aufsichtsrats unterfallenden Empfehlungen ausgehen und nicht mehr zusätzlich danach differenzie-
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
bb) Abweichung von der Vergangenheits er klärung Soweit bei Abweichungen von der Zukunftserklärung eine Pflicht zur Abgabe einer Korrekturerklärung besteht, stellt sich die Frage, ob das selbe auch für den vergangenheitsbezogenen Teil der Entsprechenserklärung gilt. Ist die Gesellschaft also zur unverzüglichen Offenlegung verpflichtet, wenn sie erst nach (pflichtgemäßer) Abgabe der Entsprechenserklärung feststellt, dass es zuvor, anders als seinerzeit erklärt zu Abweichungen gekommen ist? Wie schon hinsichtlich des zukunftsbezogenen Teils geben Wortlaut und Gesetzesbegründung keinen Aufschluss und die Ad hoc-Mitteilungspflicht des § 15 WpHG schließt eine nach § 161 AktG bestehende Korrekturverpflichtung nicht aus 419 . Dagegen spricht der Telos der Norm, die Kapitalmarktteilnehmer zutreffend über die Corporate Governance-Struktur der Gesellschaft zu informieren, nicht anders als im Rahmen der Erörterung der Absichtserklärung 420 klar für eine Aktualisierungsverpflichtung. Das gilt erst recht, weil die Entsprechenserklärung bei Fehlerhaftigkeit der Vergangenheitsaussage schon bei Abgabe, also von Anfang an wahrheitswidrig war und nicht erst nachträglich fehlerhaft geworden ist. Die Verwaltungsorgane sind deshalb zur nachträglichen Berichtigung der Entsprechenserklärung verpflichtet, wenn sie von deren Unrichtigkeit Kenntnis erlangen 421. In Hinblick auf Zuständigkeit, Form und Zeitspanne gilt das zur Zukunftserklärung Gesagte422. Anders als dort 423 sind bei Abweichungen von der Vergangenheitserklärung aber auch erledigte, punktuelle Durchbrechungen unverzüglich offenzulegen 424. Vorgenannte Einschränkung rechtfertigt sich bei der Absichtserklärung, weil sie bei einer singulären Abweichung in ihrer Aussage für die weitere Zukunft richtig bleibt und anderenfalls die turnusmäßige Erklärung jeglichen Inhalts entleert würde. Beides trifft bei der Vergangenheitserklärung nicht zu. Sie war und bleibt unwahr und ohne Korrekturerklärung müsste die vergangene Abweichung nie mehr offengelegt werden, weil sich der Berichts-
ren, ob eine Empfehlung einen Bezug zu einer Maßnahme i.S.d. § 107 Abs. 3 S. 2 AktG aufweist. 419 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 5. c) aa) (1). 420 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 5. c) aa) (2). 421 Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 556; vorausgesetzt bei Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 41a.E. 422 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 5. c) aa) (3) (a), (b), (d). 423 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 5. c) aa) (3) (c). 424 Ohne Einschränkung auch Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 556.
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Zeitraum der nächsten regelmäßigen Erklärung nicht mehr auf die Zeit der vergangenen Abweichung erstreckt. cc) Änderung des Kodexinhalts Keine Korrekturbedürftigkeit besteht vom Grundsatz her in den Fällen, in denen sich der Kodexinhalt nach Abgabe der Erklärung ändert. Da sich die Absichtserklärung nur auf die Fassung des Kodex zum Erklärungszeitpunkt bezieht 425 , fehlt es einer Aktualisierungspflicht jeglicher Grundlage 426. Etwas anderes gälte nur dann, wenn die Erklärung einer Gesellschaft über die gesetzlichen Anforderungen des § 161 AktG hinaus freiwillig eine dynamische Verweisung auf die jeweils geltende Fassung des Kodex enthielte 427 . Wie aber verhält es sich, wenn die Erklärung zwar keine ausdrückliche dynamische Verweisung beinhaltet, aber mangels Datierung dem Adressatenkreis nicht erkennbar ist, auf welche Fassung des Kodex sie sich bezieht? Teilweise wird die Auffassung vertreten, nach dem als maßgeblich erachteten Verständnis des Adressatenkreises sei eine mit einem Datum versehene Entsprechenserklärung als statische, eine solche ohne Datum hingegen als dynamische Verweisung anzusehen428. Richtigerweise dürften die Kapitalmarktteilnehmer einer undatierten Erklärung einen so weitgehenden Erklärungsinhalt aber nicht beimessen. Vielmehr ist unklar, auf welche Version die Erklärung Bezug nimmt 429 . Soweit nicht ersichtlich ist, wann die Erklärung abgegeben wurde oder welche Kodexfassung maßgeblich ist, können die Adressaten der Erklärung mangels anderweitiger Hinweise nur davon ausgehen, dass die letzte im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichte Fassung in Bezug genommen wurde. Ist das tatsächlich nicht der Fall, sind die Verwaltungsorgane unverzüglich entweder zur Klarstellung oder „Aktualisierung" ihrer Entsprechenserklärung verpflichtet. d) Organisationspflichten als Folge des Auseinanderfallens von Erklärungs- und Entscheidungskompetenz Bei der Beurteilung der Pflichtwidrigkeit durch Abgabe einer nicht wahrheitsgemäßen Erklärung oder das Unterlassen einer objektiv erforderlichen 425
Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Β. II. Gelhausen/Hönsch, AG 2003, 367, 369; Seibt, AG 2003, 465, 477. 427 Gelhausen/Hönsch, AG 2003, 367, 369. 428 Gelhausen/Hönsch, AG 2003, 367, 369. 429 Vgl. Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 63; Seibt, AG 2003, 465, 477 mit der Empfehlung einer ausdrücklichen Bezugnahme. 426
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Aktualisierungserklärung darf das in § 161 AktG angelegte teilweise Auseinanderfallen von umfassender Erklärungs- und begrenzter Entscheidungskompetenz nicht außer Betracht bleiben. aa) Organisationspflichten
in Hinblick auf die turnusgemäße Erklärung
Soweit sich der Aufsichtsrat turnusgemäß über die zukünftige Einhaltung derjenigen Empfehlungen erklären muss, die sich an seine einzelnen Mitglieder, die Hauptversammlung oder ausschließlich und nicht beschränkbar an den Vorstand richten, verfugt er über keine weiteren Erkenntnisquellen, als über das, was ihm über deren Absichten bereits bekannt ist bzw. mitgeteilt wird. Auch hinsichtlich der zurückliegenden Einhaltung dieser Empfehlungen ist der Aufsichtsrat auf Informationen angewiesen, da es sich dabei zwar um die Aufklärung von Tatsachen handelt, die grundsätzlich auch ohne Mitwirkung der seinerzeitigen Entscheidungsträger nachweisbar sein können, dies aber häufig in der Rechtswirklichkeit nahezu unmöglich ist 430 . Ein Unterschied besteht somit nur im Grad der Abhängigkeit des Aufsichtsrats von der Informationsweitergabe durch das entscheidungsbefugte Organ(-mitglied), da sich Fakten leichter ermitteln lassen als Absichten. In beiden Fällen muss sich der Aufsichtsrat über Umstände erklären, über die er bzw. die Gesamtheit seiner Mitglieder aus eigener Wahrnehmung nur begrenzte Kenntnis haben kann. Unternimmt nun der Aufsichtsrat das ihm mögliche, die ihm über das eigene Wissen hinaus sonst zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen auszuschöpfen, wurde alles getan, um der Wahrheitspflicht des § 161 AktG zu entsprechen. Eine trotz Wahrung dieser Vorkehrungen mangels Kenntnisnahmemöglichkeit falsch abgegebene Erklärung kann den Mitgliedern des Aufsichtsrats dann schon objektiv nicht als Verletzung der Wahrheitspflicht des § 161 AktG angelastet werden 431 . Aus der Verpflichtung des § 161 AktG zur umfassenden und wahrheitsgemäßen Erklärung resultiert deshalb aufgrund der gleichzeitig nur begrenzten Kenntnis der zu offenbarenden Materie die weitere Pflicht, sich über die inhaltliche Richtigkeit der Erklärung soweit als möglich eine gesicherte Erkenntnisgrundlage zu schaf-
430 Zu denken ist beispielsweise an einen zurückliegenden Verstoß eines Aufsichtsratsmitglieds gegen Ziffer 5.5.2 DCGK (Offenlegung eines Interessenkonflikts gegenüber dem Aufsichtsrat). Die Empfehlung trägt gerade dem Umstand Rechung, dass ohne Offenlegung der Interessenkonflikt in den meisten Fällen nicht zur Kenntnis des Aufsichtsrats gelangt. 431 Vgl. zur fehlenden Haftbarkeit für unmögliches Verhaltens den römischen Rechtssatz „impossibilium nulla obligatio est"; zur Heranziehung der Rechtsregel (in der Alternativformulierung „ultra posse") als Grenzen der an den Aufsichtsrats zu stellenden Sorgfaltsanforderungen Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 227.
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fen. Der Aufsichtsrat hat die zu seiner Information notwendigen Organisationsmaßnahmen durchzufuhren 432. (1) Empfehlungen an Aufsichtsrat und Hauptversammlung Die der Entscheidungskompetenz des Aufsichtsrats selbst unterstellten Empfehlungen bereiten keine Schwierigkeiten, da die Gesamtheit der Mitglieder des Organs das eigene vergangene und beabsichtigte Verhalten kennt 433 . Das selbe gilt fur die der Kompetenz der Hauptversammlung unterstellten Empfehlungen, soweit es sich um das vergangene Verhalten handelt, da dies unproblematisch vom Aufsichtsrat selbst ermittelt werden kann 434 . In Bezug auf die Zukunft ist der Aufsichtsrat darauf angewiesen, aufgrund der ihm bekannten Tatsachen einzuschätzen, wie sich die Hauptversammlung in Zukunft verhalten wird. Dazu gehört nicht nur die Einbeziehung der Vergangenheit, aus der sich eine gewisse Tendenz für das zukünftige Verhalten ableiten lässt 435 , sondern insbesondere auch die Berücksichtigung eigener (geplanter) Beschlussvorschläge an die Hauptversammlung 436. (2) Empfehlungen an einzelne Mitglieder des Aufsichtsrats Schwieriger sind die Organisationspflichten bei Empfehlungen zu bestimmen, die sich an einzelne Mitglieder des Aufsichtsrats richten. Viele dieser Empfehlungen betreffen gerade die Offenlegung (verborgener) Interessenkonflikte der Organmitglieder. Die Einhaltung der Empfehlung in der Vergangenheit, erst Recht die beabsichtigte Einhaltung in der Zukunft, ist für das Aufsichtsratsgremium ohne Information des betroffenen einzelnen Mitglieds nur schwerlich bzw. gar nicht beurteilbar. Soweit einige Stimmen in der Literatur, die sich mit dieser Frage auseinandergesetzt haben, ebenso wie bei den an die
432 Ähnlich Kiethe, NZG 2003, 559, 561 mit Vorschlägen zur praktischen Durchführung der Befragung. Vgl. allg. zu der aus Verkehrsschutzgesichtspunkten fließenden Pflicht zur Organisation unternehmensinterner Kommunikation Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 162. 433 Vgl. Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 1041. 434 Krieger, FS Ulmer, S. 365, 370. Vgl. beispielsweise Ziffer 5.4.5 DCGK (Berücksichtigung von Vorsitz/ Mitgliedschaft in Ausschüssen für Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder), vgl. zur Umsetzung der Empfehlung Mutter, ZIP 2002, 1230, 1230 f. 435 Vgl. zu dieser Tendenz als Argument für das Ausreichen eines reinen Vergangenheitsbezugs der Erklärung Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273. 436 Ähnlich Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2511
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Hauptversammlung gerichteten Empfehlungen nur eine Einschätzung des künftigen Verhaltens unter Berücksichtigung der bekannten Tatsachen fordern 437 , wird verkannt, dass das Organ nicht nur irgendwelche, sondern hinreichende Vorkehrungen zur eigenen Informationsversorgung treffen muss. Gegenüber den eigenen Mitgliedern verfugt der Aufsichtsrat über mehr Möglichkeiten, an die benötigten Informationen zu gelangen, als gegenüber der Hauptversammlung. So trifft den Aufsichtsrat eine Selbstorganisationspflicht zur sachgerechten Erfüllung seiner Aufgaben 438 . Hierzu gehört auch die Einrichtung eines funktionsfähigen internen Informations- und Kontrollsystems durch das Aufsichtsratsplenum 439. Wie alle anderen in die Plenarkompetenz fallenden Tätigkeiten ist diese Aufgabe durch den gesamten Aufsichtsrat und damit durch jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied zu leisten 440 . Wenn in Erfüllung der den Aufsichtsrat als Gesamtorgan treffenden Pflicht zur Abgabe einer wahrheitsgemäßen Entsprechenserklärung die hierfür notwendigen Organisationsmaßnahmen (individuelle Befragung 441 , Aufforderung zur Mitteilung, einstimmige Beschlussfassung über Aufnahme in die Geschäftsordnung 442) getroffen werden, ist jedes Organmitglied als Teil seiner Amtspflicht verpflichtet, sich an der sachgerechten Erledigung zu beteiligen. Die Aufsichtsratsmitglieder haben deshalb eigene zurückliegende bzw. — was allerdings eher unwahrscheinlich sein dürfte — beabsichtigte Abweichungen gegenüber dem Gesamtorgan offenzulegen 443. Verschweigt ein Organmitglied trotz vorstehend skizzierter Organisationsmaßnahmen ein eigenes Abweichen, kann nur ihm, nicht jedoch anderen Mitgliedern des Aufsichtsrats im Falle einer dann objektiv falschen Entsprechenserklärung der Vorwurf pflichtwidrigen Verhaltens gemacht werden. Die anderen Mitglie-
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Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2511. Mertens, in: KölnKommAktG, § 116 Rn. 11; Ρotthoff/Trescher, Das Aufsichtsratsmitglied, S. 305 ff. 439 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 534; Semler, in: Arbeitshandbuch fur Aufsichtsratsmitglieder, Rn. A 28. 440 Mertens, in: KölnKommAktG, § 116 Rn. 9, 11 ; Hommelhoff, ZHR 143 (1979), 288, 299. 441 Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 1034. 442 Vgl. zur Zulässigkeit und den zu beachtenden Voraussetzungen vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 2. b) bb); zustimmend Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 1034. 443 Vgl. Krieger, FS Ulmer, S. 365, 372, 375; Seibt, AG 2003, 465, 470 f.; ähnlich Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 496, wonach von der Mehrheitsmeinung dissentierende Mitglieder des Aufsichtsrats dies durch Protokollerklärung klarstellen müssen. 438
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der dürfen dann mangels objektiver Kenntnisnahmemöglichkeit ohne Sorgfaltsverstoß davon ausgehen, dass es keine Abweichungen gab 444 . (3) Empfehlungen an den Vorstand Bei den Empfehlungen, die sich an den Vorstand und seine Mitglieder richten, folgt nach den erarbeiteten Grundsätzen aus dem System der Entscheidungskompetenzen eine Verpflichtung der Organe zur gegenseitigen Konsultation 4 4 5 . Allgemein beruht das Verhältnis von Vorstand und Aufsichtsrat auf gegenseitigem Vertrauen 446 . Die Vorstandsmitglieder sind dem Aufsichtsrat zur unbedingten Offenheit verpflichtet, wie sich aus § 90 AktG und ergänzenden Bestimmungen ergibt 447 . Daraus folgt, dass sich der Aufsichtsrat darauf verlassen können muss, dass sich der Vorstand bzw. seine Mitglieder so verhalten und auch in Zukunft verhalten werden, wie sie es zum Ausdruck bringen 448 . Eine im Rahmen der Konsultation der Organe verlautbarte Haltung des Vorstands zum Kodex wirkt deshalb solange fort, bis er den Aufsichtsrat explizit über eine gewandelte Einstellung unterrichtet. Bei unterbliebener Information des Vorstands kann der Aufsichtsrat deshalb davon ausgehen, dass es keine Abweichungen gab und keine geplant sind 449 . Verschweigt der Vorstand im Rahmen des Abstimmungsprozesses einen bereits zu diesem Zeitpunkt gebildeten Willen, sich in Zukunft anders als in der Absichtserklärung geäußert verhalten zu wollen, verstoßen die eine dann objektiv unwahre Erklärung abgebenden Mitglieder des Aufsichtsrats nicht gegen § 161 AktG.
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So in Bezug auf die Vergangenheitserklärung Krieger, FS Ulmer, S. 365, 372. Vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 2. d). 446 BGHZ 13, 188, 192; BGHZ 20, 239, 246. 447 Hüffer, AktG, § 90 Rn. 3. 448 Vgl. BGHZ 20, 239, 246 zur Verpflichtung eines Vorstandsmitglieds zum offenen Widerspruch, wenn es einer (unrechtmäßigen) Beanstandung des Aufsichtsrats nicht Rechnung tragen will, weshalb es eine zur Abberufung berechtigende Pflichtverletzung darstelle, wenn das Vorstandsmitglied Bezüge, die ihm vorenthalten werden sollen, stillschweigend weiterbezieht. Vgl auch Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn. 158. 449 Ähnlich Krieger, FS Ulmer, S. 365, 372 (zur Vergangenheitserklärung), wonach ein Vertrauen auf die zurückliegende Einhaltung davon abhänge, dass die Einhaltung „zuvor als Absicht erklärt" worden sei. Dies führte jedoch dazu, dass für die erstmals abzugebende Erklärung eine tragfahige Vertrauensgrundlage nicht bestünde. 445
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
bb) Organisationspflichten in Hinblick auf unterjährige Korrektur er klärungen Die Verpflichtung zur aktuellen Offenlegung objektiver Abweichungen erfordert eine kontinuierliche Überprüfung, ob der Inhalt der dauerhaft zugänglich gemachten Erklärung weiterhin der tatsächlichen Unternehmenspraxis entspricht 450 . Entsprechend der Problematik bei der turnusgemäßen Erklärung gelangen aufgrund des teilweisen Auseinanderfallens von Erklärungs- und Entscheidungskompetenz nachträgliche Abweichungen nicht immer zur Kenntnis der Aufsichtsratsmitglieder. Zur Meidung des Vorwurfs pflichtwidrigen Verhaltens durch Unterlassen einer objektiv erforderlichen Korrekturerklärung sind deshalb die vorstehend angesprochenen Organisationsmaßnahmen451 zur Sicherung der Informationsversorgung zu ergreifen. Problematisch ist aber, dass der Aufsichtsrat über keinen eigenen organisatorischen Unterbau verfügt und auch nicht am Vorstand vorbei auf das Personal der Gesellschaft zurückgreifen darf 452 . Die teilweise im Schrifttum in Anlehnung an den Erfahrungsschatz mit Compliance-Beauflragten der Finanzdienstleister 453 oder Umweltschutzbeauftragten 454 angeregte Benennung eines Corporate Governance-Beauftragten 455 erscheint dabei wenig hilfreich, da sich die Kontrolltätigkeit eines vom Vorstand eingesetzten Beauftragten nicht auf den Aufsichtsrat und seine Mitglieder erstrecken kann 456 . Geeigneter erscheint die Einrichtung eines Corporate Governance-Kontrollausschusses. Die Aufgabenübertragung der Überwachung einzelner Teilgebiete auf einen Ausschuss ist zulässig, soweit es nicht um „die Überwachung" des Vorstandshandelns insge-
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Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2510. Vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 5. d) aa). In Hinblick auf die an einzelne Mitglieder des Aufsichtsrats gerichteten Empfehlungen sind die Mitglieder insbesondere aufzufordern, Abweichungen von der erklärten Absicht umgehend mitzuteilen, 452 Mertens, in: KölnKommAktG, § 111 Rn. 21. 453 Vgl. dazu Risele, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, BankR-Hdb., § 109, Rn. 91 ff. 454 Vgl. dazu Kloepfer, Umweltrecht, Rn. 321 ff. 455 So, allerdings nicht mit Blick auf eine Aktualisierungspflicht, die abgelehnt wird, sondern zur Sicherstellung der Einhaltung der Kodexempfehlungen Seibt, AG 2002, 249, 254; ders.; AG 2003, 465, 469 f.; Peltzer. DB 2002, 2580 f.; ebenso Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 355; Kiethe, NZG 2003, 559, 561. 456 Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 1042; für den Aufsichtsrat so einschränkend auch Seibt, AG 2002, 249, 254; ders., AG 2003, 465, 469. 451
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samt geht 457 . Ein solcher Kontrollausschuss könnte nicht nur zur Ermittlung der inhaltlicher Grundlage der Korrekturerklärung das Verhalten einzelner Aufsichtsratsmitglieder kontrollieren 458 , sondern dürfte bei einstimmigem Beschluss oder Zustimmung aller Organmitglieder bei Erkennen eines Aktualisierungsbedarfs in vielen Fällen die Korrekturerklärung auch abgeben459. Werden die vorstehend angesprochenen Organisationsmaßnahmen befolgt und wird trotz nachträglicher tatsächlicher Abweichung keine Korrekturerklärung abgegeben, handeln die Aufsichtsratsmitglieder mangels objektiver Kenntnisnahmemöglichkeit nicht pflichtwidrig. 6. Zusammenfassung Die Entsprechenserklärung erfasst Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie muss von beiden Verwaltungsorganen, notfalls in getrennten Erklärungen, durch Beschluss abgegeben werden. Die jeweils umfassende Erklärungsverpflichtung kollidiert teilweise mit einer nur teilweise gegebenen Entscheidungskompetenz über den Inhalt der Erklärung, die sich an allgemeinen aktienrechtlichen Regeln je nach Inhalt der einzelnen Empfehlung bestimmt. Daraus resultieren verschiedene Organisationspflichten zur Eingrenzung der Haftungsgefahr wegen falscher Erklärungen. Die Wahl der Veröffentlichungsform der Entsprechenserklärung ist als Geschäftsführungsmaßnahme Aufgabe des Vorstands und unterliegt der Rechtmäßigkeitskontrolle des Aufsichtsrats. Die Erklärung ist kalenderjährlich, vollständig und objektiv wahrheitsgemäß abzugeben. Bei Abweichungen von der turnusmäßigen Erklärung muss unverzüglich, nach Einberufung einer Sondersitzung, in engen Grenzen auch durch Delegation an einen Ausschuss, durch Beschluss eine Korrekturerklärung publiziert werden. II. Pflichtverletzung durch Verstoß gegen in Satzung oder Geschäftsordnung des Aufsichtsrats konkretisierte Kodexbestimmungen Die Pflichten der Mitglieder des Aufsichtsrats bestimmen sich nicht nur aus Gesetzesnormen, sondern auch nach der Satzung der Aktiengesellschaft oder 457 Mertens, in: KölnKommAktG, § 107 Rn. 99, 133; Meyer-Landruth, in: GroßkommAktG, § 107 Rn. 16; Ulmer, in: Hanau/Ulmer, MitbestG, § 25 Rn. 130 f.; Hommelhoff FS Werner, S. 315, 324; Janberg, AG 1966, 1, 4; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 28. 458 Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 355; Seibt, AG 2002, 249, 254. 459 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 5. c) aa) (3) (d) (cc).
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Regelungen der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats 460. Der Kodex kann aus diesem Grund Einfluss auf den Pflichtenkanon der Mitglieder des Aufsichtsrats gewinnen, wenn seine Bestimmungen (teilweise) in eines dieser Regelwerke aufgenommen werden. Ein Verstoß gegen eine transformierte Kodexbestimmung stellte eine Pflichtverletzung im Sinne der §§93 Abs. 2 S. 1, 116 AktG dar 461 . Der Kodex beinhaltet eine Reihe von Verhaltensgrundsätzen, die häufig Regelungsgegenstand von Satzungen oder Geschäftsordnungen sind 462 . Soweit Kodexregelungen eher technische Fragen der Aufsichtsratsarbeit betreffen, liegt eine Aufnahme in die Geschäftsordnung nahe 463 . Bei anderen grundsätzlichen Regelungen bietet sich eine Implementierung in die Satzung an 464 . Eine solche gesellschaftsinterne Verankerung der Regelungen in abstrakt-genereller Form in der Satzung der Gesellschaft oder der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats fuhrt zu einer Konkretisierung der allgemeinen Sorgfaltspflicht der Aufsichtsratsmitglieder aus §§ 93 Abs. 1 S. 1, 116 AktG 4 6 5 . Wird ein solcher Affirmationsakt vollzogen, spielt die im Kodex vorgenommene Unterscheidung von Anregun-
460
Vgl. Hopt, in: GroßKommAktG, § 93 Rn. 78, 224; Lutter, ZHR 166 (2002), 523,
535. 461 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 195; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1575; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 355; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 536; Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, SA. 14; W. Müller, WPg-Sonderheft 2001. 129, 131; Schiessl, AG 2002, 593, 595; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 557; vorausgesetzt bei Baums, Bericht, Rn. 17, S. 61; zu weitgehend Lutter, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 368, der offenbar die Abgabe einer positive Entsprechenserklärung als Aufnahme der Empfehlungen in die Geschäftsordnung des Aufsichtsrats interpretieren will, so dass jeder anschließende Verstoß eine Pflichtverletzung wäre. 462 Typischerweise in Anstellungsverträgen (von Vorstandsmitgliedern) enthaltene Regelungen berühren den Pflichtenkanon der Aufsichtsratsmitglieder nur insoweit, als dass der Aufsichtsrat möglicherweise verpflichtet sein könnte, Kodexempfehlungen in zukünftige Verträge zu implementieren (§112 AktG), um die Einhaltung der Empfehlung sicherzustellen, vgl. dazu nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, B. III. 3. 463 Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 537; Seibt, AG 2002, 249, 258 f. Vgl. ζ. B. die Kodexempfehlungen der Ziffern 5.2; 5.3.1; 5.3.2; 5.4.6; 5.6 DCGK, evt. auch Ziffer 5.5.2 DCGK. Vgl. zur wirksamen Implementierung von an einzelne Mitglieder des Aufsichtsrats gerichteten Empfehlungen in die Geschäftsordnung vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 2. b) bb). 464 Vgl. ζ. B. Kodexempfehlungen der Ziffern 4.2.1; 4.3.4; 5.4.2; 5.4.5 DCGK. 465 Baums, Bericht, Rn. 17, S. 61; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1575; Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 14; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 536 ff.; W. Müller, WPg-Sonderheft 2001, 129, 131;vgl. zur Umsetzung Seibt, AG 2002, 249, 258 f.
Β. Pflichtverletzung
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gen und Empfehlungen 466 keine Rolle 467 . Durch Aufnahme in Geschäftsordnung oder Satzung könnte auch eine frei formulierte Verhaltensregel ebenso wie die Einbeziehung einer Empfehlung oder Anregung des Kodex Sorgfaltspflichten der Aufsichtsratsmitglieder festlegen 468. Bei der Entscheidung über eine interne Pflichtenkonkretisierung ist allerdings zu berücksichtigen, dass hierdurch ein gewisser Widerspruch zur freien Widerruflichkeit der Zukunftserklärung begründet wird. Sollte sich unterjährig eine Situation herauskristallieren, die es geboten erscheinen lässt, im Interesse der Gesellschaft von Empfehlungen abzuweichen, ist die Abweichung bei unverzüglicher Abgabe einer Korrekturerklärung 469 zwar ohne Verstoß gegen § 161 AktG, nicht aber ohne Verstoß gegen die gesellschaftsinterne Pflichtvorgabe möglich 470 . Ein Abweichen machte also zuvor eine Modifikation der Geschäftsordnung oder sogar der Satzung erforderlich 471 . I I I . Pflichtverletzung durch Verstoß gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht nach §§ 93 Abs. 1 S. 1,116 AktG Die Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder bemessen sich außerdem nach dem allgemeinen Verhaltensstandard der §§93 Abs. 1 S. 1, 116 AktG 4 7 2 . Die Aufsichtsratsmitglieder sind zu dem Verhalten verpflichtet, das der allgemeinen Sorgfaltspflicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsmannes entspricht, dem ein Aufsichtsratsmandat anvertraut ist 473 . Im Zusammenhang mit 466 Gesetzeswiederholende Passagen sind unproblematisch, da ohnehin nur deklaratorisch und aufgrund der zugrundeliegenden gesetzlichen Normen verbindlich. 467 Zumindest missverständlich Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 536, der in diesem Zusammenhang nur eine Konkretisierung der Kodexempfehlungen erörtert; zutreffend insoweit Schiessl, AG 2002, 593, 595. 468 Vgl. zum möglichen Umfang und den Voraussetzungen einer Aufnahme von Kodexregelungen in Satzung, Geschäftsordnung oder Dienstverträge Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 101 ff. 469 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 5. c). 470 Vgl. Lutter, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 999 (bzgl. Vorstand); ders., ZHR 166 (2002), 523, 540. 471 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 65, 100; vgl. zur Berücksichtigung dieses Umstands i.R.d. Entscheidung über die entsprechende Umsetzung nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, B. III. 3. 472 Vgl. zur Doppelfunktion des § 93 Abs. 1 S. 1 AktG nach h.M. Hüffer, AktG, § 116 Rn.l, §93 Rn.3 m.w.N.; Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl, AktG, §93 Rn. 9; Mertens, in: KölnKommAktG, § 93, Rn. 6 f.; Koppensteiner, in: Rowedder, GmbHG, § 43 Rn. 1, 7; a.A. Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 11 f. 473 Schilling, in: GroßkommAktG, § 116 Rn. 1; Thümmel, Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, Rn. 194.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Entsprechenserklärung und Kodex könnte der allgemeine Sorgfaltsmaßstab in dreierlei Hinsicht Bedeutung erlangen 474. Zunächst könnten sich daraus die Sorgfaltsanforderungen ergeben, die von den Aufsichtsratsmitgliedern im Rahmen ihrer notwendigerweise vor Abgabe der Entsprechenserklärung erforderlichen Entscheidung zu beachten sind, ob sie die Kodexempfehlungen anwenden oder (teilweise) nicht anwenden wollen. Daneben stellt sich die Frage, ob die Verhaltensregeln des Kodex — unabhängig von der Offenlegung etwaiger Abweichungen gemäß § 161 AktG — die generalklauselartige Umschreibung der allgemeinen Sorgfaltspflicht gem. §§93 Abs. 1 S. 1, 116 AktG näher konkretisieren und so einen Maßstab für das tatsächliche Verhalten der Aufsichtsratsmitglieder vorgeben könnten. Beide vorgenannten Problemkreise werden häufig in der Literatur nicht hinreichend deutlich voneinander abgegrenzt. Eine Differenzierung ist aber erforderlich, da auch nach sorgfaltsgemäßer Entscheidung über den Inhalt der Erklärung noch nicht darüber entschieden ist, ob damit das dieser Erklärung entsprechende tatsächliche Verhalten den an ein pflichtgemäßes Organhandeln zu stellenden Anforderungen gerecht wird. Als dritter Prüfungspunkt steht die Frage im Raum, ob die Verwaltungsmitglieder zur Überwachung der Einhaltung ihrer (eingeschränkt) positiven Entsprechenserklärung verpflichtet sind. 7. Sorgfaltsanforderungen an die Entscheidung über generelle An- oder (teilweise) Nichtanwendung der Kodexempfehlungen Die Aufsichtsratsmitglieder kommen nicht umhin, sich Gedanken über das Maß der Einhaltung der Kodexempfehlungen zu machen. Die Organe sind im Grundsatz frei, vom Kodex ganz oder teilweise, möglicherweise auch zugunsten eines alternativen, unternehmenseigenen Kodex abzuweichen475. Das erfordert aber eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Kodex. Diese Beschäftigung mit den einzelnen Bestimmungen ist nicht nur Wunschvorstellung des Konzepts
474 Um einen anderen Fall handelt es sich, wenn die Befolgung einer als Empfehlung formulierten Verhaltensregelung unabhängig vom Kodex bereits als Pflicht angesehen wird, die durch die organschaftliche Sorgfaltspflicht des Aufsichtsratsmitglieds bedingt ist. Die bei einem Entgegenhandeln vorliegende Pflichtverletzung begründet sich dann ausschließlich aus der Verletzung der allgemeinen Sorgfaltspflicht, ohne dass die Verletzung der Kodexempfehlung eine Rolle spielte, vgl. Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 192. 475 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 18; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 492; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 167, 172.
Β. Pflichtverletzung
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von Kodex und Erklärung 476 , sondern notwendige Voraussetzung, um die Entsprechenserklärung überhaupt abgeben zu können. Das Wahrheitsgebot des §161 AktG verlangt, dass sich die Aufsichtsratsmitglieder vor der Erklärung mit den Kodexempfehlungen im einzelnen auseinandersetzen. Der Vergangenheitsbezug der Entsprechenserklärung erfordert zwar nur eine nachträgliche Sachverhaltserforschung, doch verlangt die gleichfalls zu offenbarende Absichtserklärung die entsprechende gestalterische Entscheidung, wie in Zukunft zu verfahren sein soll. Der von den Aufsichtsratsmitgliedern bei der Entscheidung über die zukünftige generell-abstrakte Anerkennung oder Nichtanerkennung einzelner oder aller Kodexempfehlungen zu beachtende Entscheidungsmaßstab bedarf der Ausfüllung durch entsprechende Kriterien. a) Unternehmerische Entscheidung Bei der Entscheidung über die Befolgung der Kodexempfehlungen als Grundlage der Entsprechenserklärung handelt es sich um die Wahrnehmung einer unternehmerischen Aufgabe 477 . Eine solche ist dadurch gekennzeichnet, dass die erfolgreiche Führung eines Unternehmens nicht nur eine grundsätzlich richtige Vorgehensweise kennt 478 . Vielmehr fuhren oft die verschiedensten Strategien zum Ziel. Erfolgreiche Unternehmensfuhrung kann auch in einem bewussten Eingehen geschäftlicher Risiken bestehen und jeder noch so verantwortungsbewusste Unternehmensleiter ist der Gefahr von Fehlbeurteilungen und Fehleinschätzungen ausgesetzt479. Wie stets dann, wenn die Beantwortung einer unternehmerischen Fragestellung nicht nur ein im voraus berechenbares Richtig oder Falsch kennt, sondern eine Abwägung von nur schwer kalkulierbarem Für und Wider erfordert, beinhaltet auch die Entscheidung über die fakultative 480 Anwendung des Kodex die Prognose, ob nun die Ein- oder (teilweise) Nichteinhaltung nebst ihrer jeweiligen Veröffentlichung dem Unternehmen größeren Nutzen bringt. Bei Befolgung einzelner oder aller Empfehlungen mögen sich aus bestimmten unternehmensspezifischen Gründen verschiedene negative Folgen abzeichnen, andererseits bei Nichtbefolgung möglicherweise eine „Abstrafung" durch den Kapitalmarkt drohen. Zwar wurde verschiedentlich behauptet, aufgrund einer „faktischen Zwangswirkung" des Kodex fehle in der
476 477 478 479 480
Vgl. Bachmann, W M 2002, 2137, 2139; v. Werder, DB 2002, 801, 810. Krieger, FS Ulmer, S. 378 f.; Lutter, ZHR 166, 542 f.; Seibt AG 2002, 249, 253 f. Semler, FS Ulmer, S. 627, 627. Vgl. BGHZ 135, 244, 253 (ARAG ./. Garmenbeck). Vgl. Präambel Abs. 6 S. 2 DCGK und Wortlaut des § 161 S. 1 Alt. 2 AktG.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Praxis der für die Abwägung notwendige Handlungsspielraum 4 8 1 , erste empirische Untersuchungen haben allerdings gezeigt, dass die Gesellschaften durchaus von der Möglichkeit der Nichtanwendung von Kodexempfehlungen Gebrauch machen 4 8 2 . b) Ermessensspielraum und dessen Grenzen U m dem mit jeder unternehmerischen Tätigkeit verbundenen Risiko einer Fehlprognose gerecht zu werden, billigt die Rechtsprechung in weitgehender Übereinstimmung mit der Literatur den Entscheidungsträgern von Unternehmen in Hinblick auf die von ihnen zu treffenden Unternehmerentscheidungen einen weiten, sich an den aus dem amerikanischen Gesellschaftsrecht bekannten Grundsätzen der „business judgement r u l e " 4 8 3 orientierenden Ermessensspielraum z u 4 8 4 . Die Handlungsfreiheit der unternehmerisch handelnden Organmitglieder ist letztlich allein dadurch begrenzt, dass sich ihr Verhalten uneigennützig am W o h l des Unternehmens zu orientieren hat, die Entscheidung auf sorgfältig ermittelter Grundlage fußen muss und nicht aufgrund eines Gesetzes- oder Satzungsverstoßes pflichtwidrig sein darf 4 8 5 . Soweit dem Aufsichtsrat per Ge-
481
Vgl. Wolf, ZRP 2002, 59, 60. Vgl. v. Werder, Executive Summary, S. 2 ff.; noch weitgehendere Nichtbefolgung feststellend Towers/Perrin, Corporate Governance 2003, S. 16 ff.; besonders starke Abweichung bei kleinen börsennotierten Gesellschaften feststellend Oser/Orth/Wader, DB 2003, 1337, 1338 f f ; vgl. auch Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, KodexKommentar, Rn. 45, 415, der sich gegen die Unterstellung „unternehmerischen Kleinmuts" der Organmitglieder verwahrt. 483 Vgl. American Law Institute , „Principles of Corporate Governance: Analysis and Recommendations" (1994), S. 139, sub § 4.01 (c): „ A director or officer who makes a business judgement in good faith fulfils the duty under this section (i.e. duty of care) if the director or officer: (1) is not interested in the business judgement; (2) is inform with respect to the subject of the business judgement to the extent the director or officer reasonably believes to be appropriate under the circumstances; and (3) reasonably believes that the business judgement is in the best interest of the corporation.", zitiert bei Fleischer , FS Wiedemann, S. 827, 833. 484 Vgl. dazu auch Vorschlag der itawms-Kommission, in § 93 Abs. 2 AktG klarzustellen, dass eine reine Erfolgshaftung der Organmitglieder gegenüber der Gesellschaft ausscheide, also im Sinne der „business judgement rule" für Fehler im Rahmen des unternehmerischen Ermessens nicht gehaftet werde, Baums, Bericht, Rn. 70, S. 107 f.; vgl. auch 10-Punkte Programm der Bundesregierung „Unternehmensintegrität und Anlegerschutz" v. 25.02.2003, abgedruckt in: wistra 4/2003, S. V ff.; zustimmend Seibert, BB 2003, 693, 694. 485 BGHZ 135, 244, 255 ff. (ARAG ./. Garmenbeck); Hüffer, AktG, § 93 Rn. 13a; Kort, in: GroßKomm-AktG, § 76 Rn. 51; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 827. 482
Β. Pflichtverletzung
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setz eine unternehmerische Entscheidung übertragen ist und er mit oder neben dem Vorstand eine unternehmerische Tätigkeit entfaltet, hat er an dieser Haftungsbeschränkung Anteil 4 8 6 . Er handelt damit nur dann pflichtwidrig im Sinne der §§93 Abs. 2, 116 AktG, wenn die getroffene Entscheidung wegen Überschreitung der vorgenannten Ermessensgrenzen als nicht mehr vertretbar erscheint 487 . c) Übertragung auf die Entscheidung über die Kodexbefolgung Den Aufsichtsratsmitgliedern ist durch § 161 AktG die Erklärung über die zukünftig Anwendung oder Nichtanwendung der Kodexempfehlungen und damit auch die entsprechende unternehmerische Entscheidung aufgetragen. Damit ist ihnen der mit einer solchen Entscheidung einhergehende Ermessensspielraum einzuräumen 488. Das bedeutet, dass die Aufsichtsratsmitglieder dann nicht pflichtwidrig handeln, wenn sie sich zum ersten bei ihrer Entscheidung über die Befolgung der Kodexempfehlungen nicht von eigenen Interessen leiten lassen 489 , sich zum zweiten über mögliche rechtliche und tatsächliche Folgen, die tatsächliche Unternehmensverfassung etc. ausreichend informieren 490 und zum
486
Clemm/Dürrschmidt,
FS W. Müller, S. 67, 83 ff.; Reichert/Weller,
ZRP 2002, 49,
50. 487 Vgl. zur Ermessensentscheidung und Pflichtwidrigkeit bei Überschreiten der Ermessensgrenzen BGHZ 135, 244, 253 ff. (ARAG ./. Garmenbeck); dazu Dreher, JZ 1997, 1074, 1074 ff.; Heermann,, AG 1998, 201, 203 ff.; Herne, NJW 1998, 3309, 3310 f.; Horn, ZIP 1997, 1129, 1133 f f ; Kindler, ZHR 162 (1998), 101, 104 ff.; Raiser, NJW 1996, 552, 553 f.; Sünner, ZHR 163 (1999), 364, 368 f.; Thümmel, DB 1997, 1117, 1118 f.; vgl. auch Kort, DZWir 1995, 520, 521 f.; grundsätzlich Hopt, in: GroßkommAktG, § 93 Rn. 81 (m.w.N. in Fn. 230); Hüffer, AktG, § 93 Rn. 13a; Wiesner, in: MünchHdbAG, § 19 Rn. 18; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 827; eingehend Mutter, Unternehmerische Entscheidungen und Haftung, passim; Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, passim; Semler, FS Ulmer, S. 627, 639 ff.; Ulmer, ZHR 163 (1999), 290, 297 f.; Fleischer, FS Wiedemann, S. 827, 828 ff.; Wirth, RWS-Forum 20, S. 99, 110 ff. 488 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 18; Abram, NZG 2003, 307, 308; ders., ZBB 2003, 41, 56; Gelhausen/Hönsch, AG 2003, 367, 367; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 378 f.; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 542 f.; Seibt, AG 2002, 249, 253 f.; i.E. ebenso Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 167. 489 Pflichtwidrig wäre z. B., bei der Entscheidung über Ziffern 5.4.2, 5.5.2, 5.5.3 DCGK (Interessenkonflikte) mögliche eigene Verflechtungen mit zu berücksichtigen. 490 Pflichtwidrig wäre z. B., bei der Entscheidung die von einer (unbeschränkten) Negativerklärung erwarteten negativen Auswirkungen auf dem Kapitalmarkt nicht zu bedenken.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
letzten nicht gegen die Satzung oder Gesetze verstoßen 491 bzw. aus sonstigen Gründen pflichtwidrig handeln 492 . Aus dem in seiner Präambel zum Ausdruck kommenden Selbstverständnis des Kodex, seine Befolgung entspreche „international und national anerkanntein) Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung" 493, resultiert keine Reduzierung des Ermessens „auf Null", denn an anderer Stelle nimmt schon der Kodex selbst jeden Anspruch auf Wiedergabe einer generell besten Unternehmensverfassung durch Einräumung der Möglichkeit zur Abweichung von den Empfehlungen zurück 494 . Was für die eine Gesellschaft gut ist, kann für die andere aus verschiedensten Unternehmensspezifika oder unternehmerischen Bewertungen schlecht sein 495 . Allerdings ist v. Werder der Auffassung, eine uneingeschränkte Negativerklärung ohne gleichzeitige Veröffentlichung eines unternehmenseigenen Kodex 4 9 6 überschreite den eingeräumten Handlungsspielraum, da ein solches Vorgehen unter Berücksichtigung des Sanktionspotentials des Marktes „kaum im wohlverstandenen Interesse eines Unternehmens liegen" könne 497 . In der Tat stellt sich die Gesellschaft dann nach außen negativer dar, als es der Wirklichkeit entspricht, denn kaum eine Gesellschaft wird tatsächlich keine einzige der
491 Z.B. Verstoß gegen die aus § 161 AktG folgende Wahrheitspflicht oder Widerspruch zu einer in der Satzung oder Geschäftsordnung des Aufsichtsrats transformierten Empfehlung. 492 Krieger, FS Ulmer, S. 365, 380; Seibt, AG 2002, 249, 253 f. 493 Vgl. Präambel Abs. 1 S. 1 DCGK. 494 Vgl. Präambel Abs. 6 S. 2, 3 DCGK: „Die Gesellschaften können hiervon abweichen, (...). Dies ermöglicht den Gesellschaften die Berücksichtigung branchen- oder unternehmensspezifischer Bedürfnisse." 495 Krieger, FS Ulmer, S. 365, 379; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 542, i.E. ebenso Abram , NZG 2003, 307, 308; ähnlich wohl Bachmann, W M 2002, 2137, 2139, wonach die Aufsichtsratsmitglieder gehalten seien, sich „über die hauseigene CorporateGovernance-Politik vor dem Hintergrund des Kodex Gedanken zu machen"; angedeutet bei Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1577, wonach keine Haftung drohe, wenn „sachliche Gründe" bestünden, doch erfolgt die Argumentation nicht in Bezug auf die Art und Weise der Entscheidungsfindung zum Inhalt der Erklärung, sondern im Zusammenhang mit der Erörterung von Haftungsrisiken für tatsächliches Verhalten, vgl. dazu aber nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, B. III. 2. 496 Sog. „Ablehnungsmodell", v. Werder, DB 2002, 801, 810; Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 16. 497 v. Werder, DB 2002, 801, 811; dagegen Schüppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn.7, der eine uneingeschränkte Negativerklärung gegenüber einer umfangreich eingeschränkten Negativerklärung unter „Haftungs- und Imagegründen" präferiert.
Β. Pflichtverletzung
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Empfehlungen befolgen 498 . Auch eine pauschale Ablehnung des Kodex dürfte aber nicht stets pflichtwidrig sein 499 , so beispielsweise nicht, wenn die Aufsichtratsmitglieder die Risiken fehlerhafter eingeschränkt negativer bzw. positiver Entsprechenserklärungen nach eingehender Erörterung des Für und Wider höher einschätzen als prognostizierte Nachteile bei der Kapitalbeschaffung 500. Das gilt um so mehr, als dass in allen Fällen einer nicht uneingeschränkten Negativerklärung jede Abweichung von der erklärten Absicht die Notwendigkeit der Abgabe einer Korrekturerklärung mit dem damit verbundenen finanziellen und organisatorischen Aufwand zur Folge hat und damit Haftungsrisiken in sich birgt 501 . Gerade für kleinere Gesellschaften mag sich wegen der dort überproportional hohen Kosten der Berichterstattung und Kontrolle der Kodexbeachtung eine Totalablehnung anbieten502. Vorstellbar wäre eine „Ermessensreduzierung" allenfalls dann, wenn nahezu alle Gesellschaften den Kodex befolgten und der Kapitalmarkt „Abweichler" unbesehen möglicherweise bestehender guter Gründe extrem negativ beurteilte 503 . Das ist jedoch — soweit erkennbar — zumindest zur Zeit (noch) nicht der Fall bzw. zumindest nicht nachgewiesen. Lutter spricht zwar nicht von einer Ermessensreduzierung, doch will er der Anerkennung bzw. Ablehnung des Kodex zumindest eine gewisse Vermutungsoder Indizwirkung für bzw. gegen die Annahme sorgfaltsgemäßen Verhaltens bei Ausübung der entsprechenden Entscheidung zuerkennen 504. Damit käme es jedoch zu einer Einschränkung der Grundsätze der business judgement rule auf beweisrechtlicher Seite. Der Grund für die Zubilligung des Ermessensspielraums bei unternehmerischen Entscheidungen, das Risiko von Fehleinschätzungen, ohne das unternehmerisches Handeln schlechterdings nicht vorstellbar ist, liegt bei der Prognose der Auswirkungen einer An- oder Nichtanerkennung von Kodexempfehlungen aber ebenso vor wie bei anderen Geschäftsführungsent498 Vgl. dazu die empirische Untersuchung bei v. Werder, Executice Summary, S. 2 f., wonach keine einzige der analysierten DAX 30- und (alten) M D A X 70Gesellschaften den Kodex in seiner Gesamtheit ablehnt. 499 I.E. ebenso Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 16; Bachmann, W M 2002, 2137, 2139; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1573; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 543; Pfitzer/Oser/Wader, DB 2002, 1120, 1121; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 157, 159, 167, 172 f. 500 Ähnlich Schüppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn.6; i.E. wohl ebenso Seibt, AG 2002, 249, 253 f. 501 Vgl. dazu vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 5. c). 502 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 16, 42; Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1200. 503 Krieger, FS Ulmer, S. 365, 379; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 542; Seibt, AG 2002, 249, 254; enger v. Werder, DB 2002, 801, 810. 504 Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 542.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Scheidungen. Damit unterscheidet sich die (abstrakte) Entscheidung über die Anerkennung von Empfehlungen von der nachfolgend untersuchten Problematik, ob der Kodex das konkrete Handeln der Aufsichtsratsmitglieder unabhängig vom Inhalt der Entsprechenserklärung beeinflussen kann 505 . Dort handelt es sich um eine konkrete Handlungssituation, die keine Prognose erfordert. Zudem sollten Kodex und Entsprechenserklärung das deutsche Aktienrecht flexibilisieren 506 . Eine Einschränkung des Ermessensspielraums der Verwaltungsorgane war nicht beabsichtigt507. Somit handeln Aufsichtsratsmitglieder nicht (indiziert) pflichtwidrig, wenn sie nach den vorstehend dargestellten rationalen Kriterien der business judgement rule entscheiden, ob sie die Kodexempfehlungen ganz oder zum Teil anwenden wollen oder nicht 508 . Die Haftungsbefreiung verlangt im Krisenfall allerdings, dass die Aufsichtsratsmitglieder die Einhaltung der Grundsätze der „business judgement rule" darlegen und im Zweifel beweisen können. Eine Haftung des einzelnen Organmitglieds setzt stets eine individuelle Pflichtverletzung voraus, eine Pflichtverletzung „des Aufsichtsrats" reicht also nicht aus 509 . Fraglich ist, ob ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied seine abweichende Haltung öffentlich machen kann. Solange damit nicht gegen allgemeine gesellschaftsrechtliche Grundsätze wie insbesondere die Verschwiegenheitspflicht nach §§93, 116 S. 2 AktG verstoßen wird oder das Gesamtorgan eine Veröffentlichung nicht gestattet, dürfte dies ähnlich wie bei § 27 WpÜG zulässig sein 510 . Soweit eine Veröffentlichung ausscheidet, ist den Organmitgliedern dringend anzuraten, die tragenden Erwägungen ihrer Entscheidung vorsorglich anderweitig zu dokumentieren 511. Geeignet erscheint insbesondere eine Aufnahme in das Sitzungsprotokoll 512. Erachtet ein Organmitglied die Art und Weise der Entscheidungsfindung oder deren Ergebnis als ungenügend, tut es gut daran, seine Haltung zum Beschluss des Organs
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Vgl. dazu nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, B. III. 2. Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. IV. 2. 507 Ulmer, ZHG 166 (2002), 150, 167. 508 I.E. ebenso Bachmann, W M 2002, 2137, 2139; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 543; wohl auch Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 167; Seibt, AG 2002, 249, 253 f. 509 Geßler, in: Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropff, AktG, § 116 Rn. 21; Mertens, in: KölnKommAktG, § 116 Rn. 2. 510 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 23; a.A. Schüppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, RN. 16 (stets Verstoß gegen Verschwiegenheitspflicht); Seibt, AG 2002, 249, 253. 511 Vgl. Bachmann, W M 2002, 1537, 1539. 512 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 22; Schüppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, RN. 16; Seibt, AG 2002, 249, 253. 506
Β. Pflichtverletzung
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ausdrücklich zu Protokoll zu geben 513 . Die Dokumentation dient allerdings nur der „Beweissicherung". Ein Unterlassen stellt keine Pflichtverletzung dar, sondern erschwert nur die Beweissituation der Aufsichtsratsmitglieder bezüglich der Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt 514 . 2. Konkretisierung
des allgemeinen Sorgfaltsmaßstabs
Die vorstehend dargestellte unternehmerische Entscheidung über die generelle zukünftige Anwendung oder Nichtanwendung von Kodexempfehlungen im Rahmen der abzugebenden Entsprechenserklärung unterscheidet sich von der Frage, ob die spätere Befolgung oder Nichtbefolgung der offengelegten Erklärung, also das anschließende tatsächliche Verhalten, sorgfaltswidrig ist. Inhaltlich beschreibt der Kodex Verhaltensformen, die nicht in den Bereich von Geschäftsführungsentscheidungen, sondern in den der Loyalitätspflichten der Organmitglieder fallen 515 . Damit ist den Aufsichtsratsmitgliedern bei der Beurteilung, ob sie in bestimmten Situationen Kodexbestimmungen befolgen oder gegen sie verstoßen sollten, kein sich an den Regeln der business judgement rule orientierender Ermessensspielraum zuzubilligen 516 . Es gelten vielmehr die uneingeschränkten allgemeinen Beurteilungskriterien sorgfältigen Aufsichtsratshandelns. a) Kein Haftungsausschluss bei tatsächlicher Befolgung der eigenen Entsprechenserklärung Fraglich ist zunächst, ob ein der pflichtgemäß zustande gekommenen Erklärung entsprechendes tatsächliches Verhalten der Aufsichtsratsmitglieder auf513 Vgl. zum Meinungsstand über Recht des einzelnen Mitglieds auf wörtliche/sinngemäße Protokollierung von Erklärungen nur bei Haftungsrelevanz, sonst bloßer Widerspruch Mertens, in: KölnKommAktG, § 107 Rn. 73; Hoffmann-Becking , in: MünchHdbAG, § 31 Rn. 91; Siebel , in: Semler, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratmitglieder, Rn. D 123; enger Ulmer, in: Hanau/Ulmer, MitbestG, § 25 Rn. 23 (nur Recht auf Widerspruch, wenn haftungsrelevanter Sachverhalt). 514 Bachmann, W M 2002, 2137, 2139; dessen Hinweis auf angeblich a.A. von Seibt, AG 2002, 249, 254 verkennt, dass dort die Befürwortung einer Dokumentationspflicht nicht im Zusammenhang der Entscheidung über die Befolgung des Kodex erfolgt, sondern gelegentlich der Erörterung einer Pflicht zum internen Controlling bezüglich der anschließenden tatsächlichen Einhaltung der Erklärung. Vgl. zur Pflicht eines internen Controlling-Systems nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, B. III. 3. 515 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 167. Vgl. etwa Ziffer 5.5.2 DCGK zur Offenlegung möglicherweise bestehender Interessenkonflikte. 516 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 167.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
grund der vorherigen Offenlegung noch gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht der Organmitglieder verstoßen kann 517 . Wären die Aufsichtsratmitglieder aber bei jedwedem erklärungskonformen tatsächlichen Verhalten stets vor dem Vorwurf pflichtwidrigen Verhaltens gefeit, eröffnete die Entsprechenserklärung letztlich eine „Freizeichnungsmöglichkeit" auch für Verhaltensweisen, die unabhängig von der Existenz des Kodex möglicherweise als sorgfaltswidrig anzusehen wären. Das führte zu einer Einschränkung der Sorgfaltspflichten im Sinne der §§ 93, 116 AktG und verstieße gegen das Verzichtsverbot des § 93 Abs. 4 AktG 5 1 8 . Die tatsächliche Erfüllung der eigenen Erklärung begründet für die Verwaltungsmitglieder deshalb keinen „safe harbour". Auch nach sorgfaltsgemäßer Abgabe einer positiven bzw. ein- oder uneingeschränkt negativen Entsprechenserklärung ist noch nicht darüber entschieden, ob damit das dem Erklärungsinhalt entsprechende tatsächlich ausgeübte Verhalten den an ein pflichtgemäßes Organhandeln zu stellenden Voraussetzungen gerecht wird 5 1 9 . b) Konkretisierung von Sorgfaltspflichten unabhängig von der eigenen Entsprechenserklärung Scheidet ein Haftungsausschluss aus, fragt sich, ob der Kodexinhalt nicht auf andere Weise Einfluss auf den allgemeinen Sorgfaltsmaßstab gewinnen könnte. So kommt in Betracht, dass über ihn die allgemeinen Sorgfaltspflichten gem. §§ 93 Abs. 1 S. 1, 116 AktG näher konkretisiert werden und so der tatsächlichen Befolgung bzw. Nichtbefolgung einzelner Kodexregelungen ein bestimmter Beweiswert zukäme 520 . Die Antwort hängt davon ab, inwieweit die Regelun517 Vgl in Bezug auf die Negativerklärung Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 167; ebenso Lutterl Krieger, Rechte und Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder, Rn. 832. 518 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 167. 519 Bachmann, W M 2002, 2137, 2139; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 167; W. Müller, WPg-Sonderheft 2001, S. 129, 131 in Hinblick auf die Beibehaltung der Beweislastverteilung des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG. 520 So Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 42 f.; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1575 ff.; Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1205; Hopt, Beiheft ZHR 71, S. 27, 52; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 542; Lutterl Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 832; W. Müller, WPg-Sonderheft 2001, S: 129, 131 f.; Seibt, AG 2002, 249, 250 f.: ders., AG 2003, 465, 470; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1271; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 163 f., 166 f.; ders., AcP 202 (2002), 143, 170 f.; zu privaten Kodizes vor Schaffung des DCGK angedeutet bei Peltzer, NZG 2002, 10, 11; ungenau Steiner, in: AnwK-AktienR, Kap. 1, § 161 Rn. 2 („Auslegungshilfe unbestimmter Rechtsbegriffe"); offengelassen bei Fischer zu Cramburg, in: AnwK-AktienR, Kap. 5 Rn. 3; a.A. Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 193 f.; Bachmann, W M 2002, 2137, 2138 f.; Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 14 f.; ebenso wohl Bernhardt, DB 2002, 1841, 1846.
Β. Pflichtverletzung
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gen ein Verhalten beschreiben, das den Sorgfaltspflichten eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsrats entspricht. Es gilt ein objektiv-abstrakter Sorgfaltsmaßstab 521 . Dieser ist nicht fest umgrenzt, sondern er ist gleich den anderen generalklauselartigen Umschreibungen von Sorgfaltsstandards 522 von den Gerichten 5 2 3 durch Anknüpfung an Besonderheiten der jeweiligen Situation, den Geschäftstypus und die typischerweise Beteiligten für den Einzelfall zu bestimmen 5 2 4 . Z u diesem Zweck könnte möglicherweise auf die Kodexregelungen zurückgegriffen werden 5 2 5 . Teilweise w i r d in diesem Zusammenhang die Auffassung vertreten, der K o dex werde den Sorgfaltsmaßstab der §§ 93, 116 A k t G für den inhaltlich geregelten Bereich „definieren" 5 2 6 . Das liefe wiederum auf die Zubilligung eines „sicheren Hafens" hinaus, wenngleich im Gegensatz zu vorstehend abgelehnter „Freizeichnungsmöglichkeit" 5 2 7 nicht auch bei Nichtanwendung, sondern nur bei Erfüllung der Kodexbestimmungen. Andersherum gewendet würden aber Aufsichtsratsmitglieder per se sorgfaltswidrig handeln, wenn sie entsprechend
521 Hüffer, AktG, § 93 Rn. 4; Mertens, in: KölnKommAktG, § 93 Rn. 7; Wiesner, in: MünchKommAG, § 26 Rn. 5; Dorait , in: Semler, Arbeitshandbuch, M Rn. 5. 522 Vgl. ζ. B. §§ 276 Abs. 1 S. 2, 823 Abs. 1 BGB, §§ 347, 429 HGB, § 43 Abs. 1 GmbHG, § 34 GenG, § 60 Abs. 1 S. 2 InsO. 523 Vgl. allgemein zur Rolle der Gerichte bei der Ausfüllung gesetzlicher Generalklauseln und unbestimmter Rechtsbegriffe Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 63 f f ; Werner, Generalklauseln und Richterrecht, S. 11 f f ; Esser, Grundsatz und Norm, S. 65, 150 f f ; Kruse, Richterrecht als Rechtsquelle, S. 7 ff. 524 Battes, in: Erman, BGB, Bd. 1, § 276 Rn. 23; Vollkommer, in: Jauernig, BGB, § 276 Rn. 29; Palandt/Heinrichs, B G ß / § 276 Rn. 16; vgl. allgemein zur Rolle der Gerichte bei der Konkretisierung ausfullungsbedürftiger Begriffe Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 162 f.; grundlegend Teubner, Standards und Direktiven in Generalklauseln, passim. 525 Vgl. zur Berücksichtigung einer Kodexempfehlung (Ziff. 5.4.5 DCGK) bei der Auslegung einer unbestimmten Rechtsnorm (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG) Urteil des OLG Schleswig v. 19.9.2002, NZG 2002, 176, 179: „(...) eine (...) gesteigerte Hineinnahme des Aufsichtsrats in Verantwortung — und letztlich auch Haftung — (...) ist (...) generell nunmehr durch das TransPuG insoweit anerkannt, als nach § 161 AktG Vorstand und Aufsichtsrat (...) zu erklären haben, ob und in welcher Weise den Empfehlungen der „Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex" entsprochen wurde. Mag damit (mit Ziff. 5.4.5 DCGK) auch noch keine Aussage über den konstitutiv einzuschlagenden Weg (...) verbunden sein, so muss doch die gesetzliche Anerkennung des Corporate Governance Kodex durch nunmehr § 161 AktG auf die Interpretation anderer Vorschriften des Aktienrechts zurückwirken." 526 Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1205; vgl. auch Deutscher Notarverein, NZG 2001, 185, 187: „.. wird der Code stets den nach §§93, 116 AktG anzuwendenden Sorgfaltsmaßstab definieren" (Hervorhebung durch Verfasser). 527 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, B. III. 2. a).
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3. Kapitel: Innenhafìtung der Aufsichtsratsmitglieder
einer veröffentlichten negativen Erklärung Kodexregelungen tatsächlich nicht befolgten. Damit verkäme die „Flexibilität" des Kodex zur Farce. Zudem entspricht es gefestigter Rechtsprechung und herrschender Literatur, dass privaten Regelwerken — zumal in grundrechtsrelevanten Bereichen — nur Empfehlungscharakter 528 beigemessen werden kann und sie der vollen Überprüfung der Gerichte unterworfen bleiben 5 2 9 . In Betracht kommt somit nur die Zuerkennung einer Indiz- oder Vermutungswirkung bezüglich der Erfüllung bzw. Verletzung der allgemeinen Sorgfaltspflicht 5 3 0 . In diesem Sinne erwägt namentlich Ulmer, den Kodexempfehlungen eine der Regelung des § 342 Abs. 2 H G B entsprechende Wirkung beizumessen 531 . Andere Stimmen gehen von einer Konkretisierung der Sorgfaltsanforderungen durch Herausbildung einer durch den Kodex begründeten tatsächlichen Übung aus 5 3 2 . Die meisten Literaturstimmen stützen sich auf einen Vergleich mit der Konkretisierungswirkung der D I N - N o r m e n 5 3 3 , vereinzelt auch auf Sportregeln oder Branchenrichtlinien 5 3 4 . Dagegen vermag der Kodex nach anderer Auffas528 Die entsprechende Diktion des Kodex dürfte nicht zuletzt auf diesem Gesichtspunkt basieren. 529 Vgl. BVerfGE 33, 125, 156 ff. (Facharztverband); BVerfGE 76, 171, 184 ff. (Standesrichtlinien); BGHZ 139, 16, 17, 19 f.; 114, 273, 276; 103, 338, 341 f.; Palandt/Heinrichs, BGB, § 276 Rn. 18; Kloepfer, Umweltrecht, S. 142 ff.; Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 400 ff. 530 Ebenso, i.E. aber ablehnend Bachmann, W M 2002, 2137, 2138; i.d.S. wohl auch Schiessl, AG 2002, 593, 595: „(...) können für die Definition des Sorgfalts- und Pflichtenmaßstabs relevant werden" wenn „die Gerichte bei der Interpretation der §§ 93, 116 AktG mehr und mehr auf den Kodex zurückgreifen." 531 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 164; vgl. auch Borges, ZGR 2003, 508, 518 ff.; ablehnend Bachmann, W M 2002, 2137, 2138. 532 W. Müller, WPg-Sonderheft 2001, S. 129, 131 f.; Seibt, AG 2002, 249, 250 f.; angedeutet bei Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1271; sogar die Erfüllung der Voraussetzungen eines Handelsbrauchs gem. § 346 HGB andeutend Peltzer, NZG 2002, 10, 11; vgl. aber vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Β. V. 5.; grundsätzlich ablehnend Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 14 f. 533 Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1576 f.; Hopt, ZHR Beiheft 71, S. 27, 52; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 166 f.; ders., AcP 202 (2002), 143, 170; angedeutet bei Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1271; ablehnend Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 36; Bachmann, W M 2002, 2137, 2138 f.; eine mögliche Konkretisierungswirkung kritisierend Hüffer, AktG, § 76 Rn. 15 c. 534 Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1576 unter Verweis auf FIS-Regeln des Internationalen Skiverbandes und Richtlinien der Spitzenverbände des Bankgewerbes. Vgl. zu letzteren etwa hinsichtlich des Umgangs mit Derivatgeschäften z. B. Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, Richtlinien für das Risikomanagement im Derivatgeschäft, 1994; Group of Thirty (Global Derivates Study Group), Derivates: Practices and Principles, 1993; Institute of International Finance (IIF), A Primilary Framework for Public Disclosure of Derivates Activities and Related Credit Exposures, 1994; Bundesaufsichtsamt
Β. Pflichtverletzung
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sung über die Erklärungsverpflichtung hinaus gar keinen Einfluss auf die von den Organmitgliedern allgemein zu beachtenden Sorgfalt auszuüben535. aa) Vergleich mit § 342 HGB und den GoB Zu untersuchen ist zunächst, ob Kodex und Entsprechenserklärung der Regelung des § 342 HGB und deren Bezugnahme auf „Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung" (GoB) 5 3 6 so nahe kommen, dass eine den GoB über § 342 HGB entsprechende Vermutungswirkung in Betracht zu ziehen wäre 537 . Bei Befolgung der Kodexempfehlungen würde dann ein sorgfaltsgemäßes Handeln „vermutet". Gemäß § 342 HGB 5 3 8 kann das Bundesministerium der Justiz einem privaten Rechnungslegungsgremium bestimmte enumerativ aufgezählte Aufgaben übertragen, insbesondere die Entwicklung von „Empfehlungen" zur Anwendung der Grundsätze über die Konzernrechungslegung, § 342 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HGB 5 3 9 . Die erforderliche vertragliche Anerkennung des Gremiums ist an explizit aufgeführte Voraussetzungen gebunden, so die satzungsrechtlich gesicherte Unabhängigkeit und Fachkunde der Gremiumsmitglieder und die verfahrensmäßige Einbeziehung der fachlich interessierten Öffentlichkeit in den Ausarbeitungsprozess der Empfehlungen, § 342 Abs. 1 S. 2 HGB. Werden die nach diesem Verfahren erstellten Empfehlungen vom Bundesministerium der Justiz bekannt für das gesamte Kreditwesen, Verlautbarung über die Mindestanforderungen an das Betreiben von Handelsgeschäften der Kreditinstitute, 1996. 535 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 193; Bachmann, W M 2002, 2137, 2138 ff; Kollmann., W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 14 f.; ähnlich, jedoch eine Indizfunktion zubilligend Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 355; i.E. auch Berg/Stöcker, W M 2002, 1237, 2139; Claussen/Bröcker, BB 2992, 1199, 1205. 536 Vgl. zu anderen, vorrangig von der Betriebswissenschaft entwickelten „Grundsätzen" (GoF; GoU; GoÜ; GoA; GoDV) Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 37. 537 Soweit Bachmann, W M 2002, 2137, 2138 (dort Fn. 23, 27) auf eine angeblich bejahende Auffassung von Ulmer verweist, beruht das m.E. auf einer Fehlinterpretation. Ulmer leitet aus dem Vergleich nicht eine analoge Anwendung der Vermutungswirkung des § 342 Abs. 2 HGB auf die Kodexempfehlungen her, sondern untersucht, ob sich § 342 HGB als Regelungsvorbild für einen verfassungsrechtlichen Mindeststandard eignet, wenn dem Kodex aus sonstigen Gründen Rechtswirkungen bei der Ausfüllung von Sorgfaltspflichten zufließen, vgl. Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 162, 164. 538 In das HGB eingeführt durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) vom 27.04.1998, BGBl. I 1998, 786. 539 Die beiden weiteren übertragbaren Aufgaben nach § 342 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2, 3 HGB betreffen Beratungs- und Repräsentationsbefugnisse des Gremiums um Verhältnis zum Bundesministeriums der Justiz und sind im hier interessierenden Zusammenhang nicht von Bedeutung.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
gemacht, wird gesetzlich „vermutet", dass eine den Empfehlungen entsprechende Konzernrechnungslegung den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung entspricht. In Ausfüllung der Norm wurde das „Deutsche Rechnungslegungs Standards Committee" (DRSC) durch „Standardisierungsvertrag" 540 am 03.09.1998 vom Bundesministerium der Justiz anerkannt 541. Bei einem Vergleich mit dem Kodex und § 161 AktG fallen zwar sofort einige Gemeinsamkeiten ins Auge, doch überwiegen die deutlichen Unterschiede 542. Sowohl durch Einsetzung der Cromme-Kommission als auch im Falle der Anerkennung des DRSC nutzt das Bundesministerium der Justiz die fachliche Kompetenz eines privaten Gremiums zur Ausarbeitung von Verhaltensgrundsätzen543. Es ist jeweils in übereinstimmender Diktion Aufgabe der Gremien, „Empfehlungen" zu erarbeiten, deren Inhalt sich zugleich — ob nun bezüglich Standards der Konzernrechnungslegung oder der Einhaltung guter Corporate Governance — auf das Handeln von Unternehmensorganen bezieht 544 . Auch weist die Berufung der Cromme-Kommission durch das Bundesministerium der Justiz 545 Parallelen zu der vertraglichen Anerkennung des DRSC durch dasselbe Ministerium auf 546 . In beide Fällen erklärt sich das Bundesministerium — wenngleich in unterschiedlicher Intensität — mit der Existenz und Besetzung des jeweiligen Gremiums einverstanden: durch nachträgliche vertragliche Anerkennung eines bereits zusammengesetzten Rechnungslegungsgremiums einerseits bzw. vorher ansetzende aktive Einflussnahme auf die Bildung der Cro/wwe-Kommission andererseits. Es liegt jeweils in der Hand des Ministeriums, das jeweilige Gremium zu „akzeptieren". Ähnlichkeiten werden auch bei einem Vergleich des Verfahrensgangs zur Ausarbeitung der „Empfehlungen" deutlich. So ist für die GoB gesetzlich vorgeschrieben, es sei sicherzustellen, dass die Empfehlungen unabhängig547, zur
540 im Internet abrufbar unter: http://www.drsc.de/ger/gasc/_tasks.html (Stand: 15.10.2003). 541 Baumbach/Hopt, HGB, § 342 Rn. 1. 542 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 35; Borges, ZGR 2003, 508, 519; Ulmer, ZGR 166 (2002), 150, 163 f. 543 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 163. 544 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 163. 545 Cromme, Veröffentlichung Kodexentwurf, S. 3. 546 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 163. 547 Vgl. hierzu Herrmann, in: Heymann, HGB, § 342 Rn. 5; Ebke, in: MünchKommHGB, § 342 Rn.10; kritisch Hommelhoff/Schwab, in: GroßkommHGB, § 342 Rn. 45 ff.; Ebke, ZIP 1999, 1193, 1197 ff.; Schildbach DB 1999, 645, 647; vgl.
Β. Pflichtverletzung
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Gewährleistung des notwendigen Sachverstands ausschließlich von „Rechnungslegern" 548 und nur unter Anhörung der fachlich interessierten Öffentlichkeit 5 4 9 erarbeitet werden, § 342 Abs. 1 S. 2 HGB. Diese Verfahrensgrundsätze finden sich ebenfalls im Verlauf der Erarbeitung des Kodex wieder. Mehrfach wurde betont, der Kodex sei unabhängig von Weisungen des Bundesministeriums der Justiz „von der Wirtschaft für die Wirtschaft" 550 durch die mit allseits anerkannten Fachleuten551 in ausgewogener Besetzung552 gebildete CrommeKommission und erst nach Veröffentlichung eines ersten Kodex-Entwurfs mit Stellungnahmemöglichkeit für „alle Interessierten" 553 erarbeitet worden. Schlussendlich ist übereinstimmend gesetzlich vorgesehen, dass die vom jeweiligen Gremium erarbeiteten „Empfehlungen" vom Bundesministerium der Justiz im (elektronischen) Bundesanzeiger 554 veröffentlicht werden sollen 555 . Damit wird dem Bundesministerium der Justiz jeweils die Möglichkeit an die Hand gegeben, alle „Empfehlungen" inhaltlich zu überprüfen 556 und damit einer „Rechtskontrolle" zu unterziehen 557.
auch § 9 Abs. 1 S. 2 DRSC-Satzung; § 1 Abs. 1 DRSC-GeschO, § 1 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 Standardisierungsvertrag. 548 Vgl. zum Begriff des „Rechnungslegers" Herrmann, in: Heymann, HGB, § 342 Rn. 5; Hommelhoff"/Schwab, in: GroßkommHGB, § 342 Rn. 44; Ebke, in: MünchKommHGB, § 342 Rn.4. 549 Vgl. zu den Voraussetzungen der Anhörung Herrmann, in: Heymann, HGB, § 342 Rn.6; sehr ausfuhrlich Hommelhoff/Schwab, in: GroßkommHGB, § 342 Rn. 60 ff. 550 Seibert, Β Β 2002, 581,582. 551 Baums, Bericht, Rn. 16 f., S. 59, 61; Seibert, BB 2002, 581, 581 f.; 552 Baums, Bericht, Rn. 16, S. 59; Seibert, BB 2002, 581, 582 553 Cromme, Veröffentlichung Kodexentwurf, S. 13; Seibert, BB 2002, 581, 582. 554 Die Veröffentlichung im Bundesanzeiger ergibt sich bezüglich der Empfehlungen des DRSC zwar anders als für die Kodexempfehlungen (in § 161 AktG) zwar nicht direkt aus dem Gesetz, sondern sie werden nach dem Wortlaut des § 342 Abs. 2 HGB ohne weitere Vorgabe „bekanntgemacht(e)". Die Bekanntmachung im Bundesanzeiger folgt aber aus dessen Funktion als „dem Bekanntmachungsmittel der Bundesrepublik Deutschland". 555 Vgl. Zusammenstellung der bislang bekanntgemachten Standards des DRSC (im Internet unter: http://www.drsc.de/ger/standards/index.html) (Stand: 15.10.2003). 556 Zu der umstrittenen Frage einer Verpflichtung des BMJ zur inhaltlichen Überprüfung der GoB vgl. Ebke, ZIP 1999, 1193, 1195; Hommelhoff/Schwab, in: GroßkommHGB, § 342 Rn. 94 ff.; Hommelhoff/Schwab, BFuP 1998, 38, 51; Beisse, BB 1999, 2180, 2185 f.; Moxter, DB 1998, 1425, 1427. 557 Unter Bezugnahme auf den Kodex Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 965; Seibert, BB 2002, 581, 582; ders., NZG 2002, 608,
611.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Der augenfälligste Unterschied besteht indes darin, dass an die Kodexempfehlungen — weder im Regelwerk selbst noch in § 161 AktG — anders als an die Konzernrechnungsempfehlungen des DRSC über § 342 Abs. 2 HGB, keine ausdrückliche Vermutungswirkung geknüpft wird 5 5 8 . Das markiert einen deutlichen Funktionsunterschied zwischen den Empfehlungen von CrommeKommission und denen des DRSC 559 , der unabhängig von der (streitigen) Frage besteht, ob es sich bei der Vermutung des § 342 Abs. 2 HGB um eine Tatsachen- oder eine Rechtsvermutung 560 oder nur eine prozessuale Beweislastregel ähnlich normkonkretisierender VerwaltungsVorschriften 561 handelt. Damit ist eine entsprechende Vermutung zwar nicht ausgeschlossen, aber aus Entstehungsgeschichte562 und Gesetzesbegründung560 geht eindeutig hervor, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit einer Vermutungswirkung bedacht und willentlich nicht angeordnet hat. Die Parallelen zu § 342 HGB wurden erkannt 564 und bewusst nicht umgesetzt565. Es besteht keine unbedachte Regelungslücke. Auch die systematische Verortung des § 161 AktG außerhalb des Vierten Teils des AktG („Verfassung der Aktiengesellschaft") in dessen Fünftem Teil („Rechnungslegung") spricht gegen einen vom Gesetzgeber beabsichtigten materiellen Einfluss auf die Ausfüllung von Sorgfaltspflichten 566. Mit gemäß § 342 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 oder 3 HGB vergleichbaren Aufgaben ist die Crowwe-Kommission gleichfalls nicht betraut 567 . Auch wurde bereits erwähnt, dass trotz sehr ähnlichem tatsächlichem Verfahrensgang eine entspre-
558 Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 50; Bachmann, W M 2002, 2137, 2138; Baums, Bericht, Rn. 17, S. 60, Borges, ZGR 2003, 508, 520. 559 Baums, Bericht, Rn. 17, S. 60; Borges, ZGR 2003, 508, 520. 560 Für (widerlegbare) Rechtsvermutung Ebke, in: MünchKommHGB, § 342 Rn. 22; ders., ZIP 1999, 1193, 1202 f.; Spanheimer, WPg 2000, 997, 1005; Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 48. 561 So Budde/Steuber, DStR 1998, 1181, 1184; Hellermann, NZG 2000, 1097, 1098 ff.; Baumbach/Hopt, HGB, § 342 Rn. 2; Hommelhoff/Schwab, in: GroßkommHGB, § 346 Rn. 84, 89; Schwab, BB 1999, 731, 732; Hommelhoff/Schwab, BFuP 1998, 38, 42; Moxter, BB 1998, 1425, 1427 Fn. 23 m.w.N. 562 Vgl. Baums, Bericht, Rn. 17, S. 60 f. 563 Vgl. BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 10, wo ausdrücklich hervorgehoben wird, dass § 161 AktG auf der entsprechenden Empfehlung des Abschlussberichts der Bawms-Kommission beruht. 564 Vgl. Baums, Bericht, Rn. 17, S. 60 f. 565 Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 50; Bachmann, W M 2002, 2137, 2138. 566 Bachmann, W M 2002, 2137, 2138. 567 Baums, Bericht, Rn. 17, S. 60.
Β. Pflichtverletzung
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chende gesetzliche Verpflichtung fur die Kodexerstellung nicht existiert 568 , sondern das Verfahren von der Crowrae-Kommission autonom bestimmt werden konnte und darüber hinaus in Zukunft im Rahmen der jährlichen Evaluierung werden kann. Des weiteren unterscheiden sich die einfache Einberufung der Cromme-Kommission einerseits und der Vertragsschluss mit dem DSCR andererseits deutlich in der Intensität der damit jeweils zum Ausdruck gebrachten „Anerkennung". Zuletzt dient die Veröffentlichung im Bundesanzeiger unterschiedlichen Zwecken. Während im Fall der Bekanntmachung nach § 342 Abs. 2 HGB diejenigen Empfehlungen des DRSC hervorgehoben werden, denen inhaltlich die — im Umfang streitige — Vermutungswirkung der Einhaltung ordnungsgemäßer Konzernrechnungslegungsgrundsätze zuteil wird 5 6 9 , soll durch die Bekanntmachung nach § 161 AktG klargestellt werden, auf welche Empfehlungen sich die Erklärungspflicht bezieht 570 . Dahinstehen kann deshalb die im einzelnen umstrittene Frage, ob bzw. in welcher Intensität der Staat aus verfassungsrechtlichen Gründen private Regelwerke verfahrensrechtlich regeln und überwachen muss 571 , und ob der tatsächliche staatliche Einfluss auf Kodexentstehung und Veröffentlichung diese Voraussetzungen erfüllt. Alle staatliche Mitwirkung bewirkt nicht, dass damit gegen den Willen des Gesetzgebers gesetzliche Vermutungswirkungen erzeugt werden. Staatliche Mitwirkung ist „notwendige, nicht hinreichende Bedingung" einer § 342 Abs. 2 HGB entsprechenden Rechtswirkung 572. Eine mit der Befolgung der GoB über § 342 HGB vergleichbare Vermutungswirkung besteht bei Befolgung der Kodexempfehlungen deshalb nicht 573 .
568
Baums, Bericht, Rn. 17, S. 60. Herrmann, in: Heymann, HGB, § 342 Rn.9; Hommelhoff/Schwab, in: GroßkommHGB, § 342 Rn. 94. 57 0 Baums, Bericht, Rn. 17, S. 61. 571 Vgl. dazu exkursorisch nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, B. III. 2. b) cc) (6). 57 2 Bachmann, W M 2002, 2137, 2138; i.E. ebenso Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 49. 57 3 Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 50; Semler, in: MünchKommAktG, §161 Rn. 35; Bachmann,, W M 2002, 2137, 2138; Baums, Bericht, Rn. 17, S. 60; Borges, ZGR 2003, 508, 521. 569
18
3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
bb) Wiedergabe „tatsächlicher Übung" Die Kodexbestimmungen könnten nach teilweise vertretener Auffassung aber dann Einfluss auf den allgemeinen Sorgfaltsmaßstab der Aufsichtsratsmitglieder gewinnen, wenn sie eine in der Praxis ausgeübte tatsächliche Übung wiedergäben 574 . Da die in §§ 93, 116 AktG formulierte allgemeine Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsrats normativ zu bestimmen ist 5 7 6 . hängt sie zwar grundsätzlich nicht davon ab, was in einem Verkehrskreis oder einer Branche üblich ist 577 . „Eingerissene Verkehrsunsitten" können den Sorgfaltsmaßstab nicht beeinflussen 578. Allerdings betont die Rechtsprechung etwa bei der Bestimmung des zur Bemessung der zivilrechtlichen Fahrlässigkeit anzulegenden objektiven Sorgfaltsmaßstabs, dass die tatsächliche Übung des maßgeblichen Verkehrskreises zwar nicht verbindlich ist 5 7 9 , aber auch nicht außer Acht gelassen werden darf 580 . Ähnliches gilt für die nähere Konkretisierung der zivilrechtlichen Verkehrssicherungspflichten, zu deren Ermittlung auf Verkehrsgewohnheiten zurückgegriffen werden kann, soweit darin Sicherheitserwartungen umschrieben werden, die dem Urteil besonnener und gewissenhafter Angehöri-
574 So W. Müller, WPg-Sonderheft 2001, S. 129, 131 f.; Seibt, AG 2002, 249, 250 f.; angedeutet bei Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1271; nicht ausgeschlossen von Hopt, ZHR Beiheft 71, S. 27, 52; ablehnend Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 14 f.; sogar Handelsbrauch andeutend Peltzer, NZG 2002, 10, 11. 57 5 Hüffer, AktG, § 93 Rn.4, § 116 Rn. 1; Lutterl Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 822; Schilling, in: GroßkommAktG, § 116 Rn. 1; Dorait, in: Semler, Arbeitshandbuch, M Rn. 5 f.; Thümmel, Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, Rn. 194. 57 6 Hüffer, AktG, § 93 Rn. 4; Wiesner, in: MünchHdbAG, § 26 Rn. 5. An dieser Stelle soll nicht darauf eingegangen werden, inwieweit innerhalb des Aufsichtsrats die einzelnen Mitglieder ein individuell differenzierte strengerer Sorgfaltsmaßstab trifft, so Dorait, in: Semler, Arbeitshandbuch, M Rn. 12; H off mann-Becking, in: MünchHdbAG, § 33 Rn. 46; kritisch zu einer Differenzierung Κ Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28 III 1. d), S. 828 f. 577 Vgl. Grundmann, in: MünchKommBGB, § 276 Rn. 60; Vollkommer, in: Jauernig, BGB, § 276 Rn. 29. 578 Vgl. BGHZ 30, 7, 15; 8, 138, 140; 5,318,319. 579 BGH NJW 1990, 906, 907; NJW 1986, 1099, 1100; NJW 1981, 50, 51; NJW 1956, 1834, 1834; BGHZ 8, 138, 140; Vollkommer, in: Jauernig, BGB, § 276 Rn. 29; Wolf, in: Soergel, BGB, § 276 Rn. 86. 580 BGH NJW 1975, 2245, 2246; NJW 1970, 1963, 1963 f.; NJW 1965, 1075, 1075; NJW 1990, 906, 907; Paitmdt/Heinrichs, BGB, § 276 Rn. 16; Grundmann, in: MünchKommBGB, § 276 Rn. 57, 60; a.A. Battes, in: Erman, BGB, § 276 Rn. 23, der eine Berufung auf übliche Verhaltensweisen generell nicht zulässt.
Β. Pflichtverletzung
ger dieses Kreises entsprechen 581. Ist eine bestimmte Übung besonders verbreitet, müssen triftige Gründe vorliegen, um das Verkehrsverhalten im Rahmen der Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabs für unerheblich zu erklären 582 . Zwar kann die Einhaltung der Verkehrsübung hinter dem erforderlichen Maß zurückbleiben und „entlastet" deshalb nicht vom Vorwurf sorgfaltswidrigen Verhaltens 583. Andersherum gewendet ist eine tatsächliche Übung des Verkehrskreises aber geeignet, Mindestanforderungen für ein sorgfältiges Handeln zu umreißen, denn sie beeinflusst den berechtigten Erwartungshorizont und das berechtigte Vertrauen der Verkehrsteilnehmer 584. Gäbe der Kodexinhalt also das verkehrsübliche Handeln von Aufsichtsräten wieder, könnte die Ein- oder Nichteinhaltung in vorbeschriebener Weise im Rahmen der Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabes Berücksichtigung finden. Zur näheren Bestimmung, wann ein bestimmtes Handeln als „verkehrsüblich" anzusehen ist, könnte auf den für den Verkehrskreis der Kaufleute entwickelten und näher ausgeformten Begriff der „Handelsübung" 585 zurückgegriffen werden. Dieser knüpft an tatsächlich bestehende Gewohnheiten und Gepflogenheiten unter Kaufleuten an und beschreibt nach allgemein anerkanntem Verständnis ein bereits praktiziertes Verhalten der beteiligten Verkehrskreise, welches sich im Rahmen vernünftiger kaufmännischer Anschauung hält 586 . Dabei
581
Mertens, in: MünchKommBGB, § 823 Rn. 216; Steffen, in: RGRK, § 823 Rn. 413
m.w.N. 582
BGH, VersR 1982, 1138, 1139. Grundmann, in: MünchKommBGB, § 276 Rn. 60; zum aktienrechtlichen Sorgfaltsmaßstab Hüffer, AktG, § 93 Rn. 4. 584 Grundmann, in: MünchKommBGB, § 276 Rn. 60; weitergehend Wolf in: Soergel, BGB, § 276 Rn. 86, nach dessen Auffassung eine Verkehrsübung Mindestanforderungen an sorgfältiges Handeln enthalte, die grundsätzlich von jedem einzuhalten seien und deshalb Unterschreitungen im Regelfall einen Sorgfaltsverstoß begründeten; vgl. auch Mertens, in: KölnKommAktG, § 93 Rn. 53, wonach zur Bestimmung sorgfältiger Unternehmens/e/tattg auch auf die Einhaltung der „branchenüblichen Vorsichtsregeln" zurückgegriffen werden könne. 585 Diese Begrifflichkeit wird nicht einheitlich verwandt. Zum Teil wird vom Begriff der Handelsübung der Begriff der „Handelsüblichkeit" unterschieden, der nicht im Zusammenhang mit positiven Verhaltenserwartungen, sondern im Sinne der Rechtsprechung zu §§ 1 Abs. 2 d ZugabeVO, 7 Abs. 1, 9 Nr. 1 RabattG (inzwischen aufgehoben durch Gesetze v. 23.07.2001, BGBl. I 1661 bzw. BGBl. I 1663) als negative Abgrenzung von Verbotstatbeständen zu verwenden sei (so K. Schmidt, in: MünchKommHGB, § 346 Rn. 22). Diese Differenzierung wird überwiegend jedoch nicht angestellt (vgl. Kort, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 346 Rn. 3; Achilles/Schmidt, in: Ernsthaler, GK-HGB, § 346 Rn. 6; Wagner, in: Röhrich/Graf von Westphalen, HGB, § 346 Rn. 25). 586 BGH, NJW 1964, 1274, 1275; Kort, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, §346 Rn. 3; Wagner, in: Röhrich/Graf von Westphalen, HGB, § 346 Rn. 25. 583
3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
kommt es nicht darauf an, dass es — wie beim Handelsbrauch — von einer allgemeinen Billigung getragen wird oder — wie beim Handelsgewohnheitsrecht — sogar von einem Rechtsgeltungswillen umfasst ist 5 8 7 . Eine Handelsüblichkeit setzt zudem im Vergleich zum Handelsbrauch insoweit früher an, als dass nicht eine allgemeine und bereits geltende Gewohnheit erforderlich ist, sondern es ausreichen kann, dass entsprechende Gepflogenheiten in vergleichbaren anderen Fällen bestehen588. Würden die Verhaltensempfehlungen des Kodex also bei einem Großteil der Gesellschaften auf weitgehende Zustimmung stoßen und aufgrund ihrer Umsetzung im maßgeblichen Verkehrskreis tatsächlich praktiziert, käme den Empfehlungen die vorbeschriebene Wirkung bei der Ausfüllung des Sorgfaltsmaßstabes zu, auch wenn die Übung sich noch nicht zu einer gleichmäßigen dauernden Übung verfestigte, wie es neben der Zustimmung des betroffenen Verkehrskreises für die Entstehung eines Handelsbrauchs im Sinne des § 346 HGB erforderlich wäre 589 . Der Kodex beinhaltet nach seiner Präambel international und national anerkannte Standards guter Corporate Governance 590 und widerspricht damit sicherlich nicht vernünftigen kaufmännischen Erwägungen. Dies betrifft verstärkt die Kodexempfehlungen und dürfte weniger für die Anregungen gelten, die auch nach Meinung der Mitglieder der Cromme-Kommission noch nicht allgemein als „best practice" akzeptiert sind 591 . Aber auch letztere widersprechen jedenfalls nicht rationalen Erwägungen, sonst wären sie nicht als „proaktive" Vorschläge guter Corporate Governance in den Kodex integriert worden. Entscheidender Faktor bei der Herausbildung einer tatsächlichen Übung durch den Kodex ist damit, in welchem Umfang die jeweiligen Regelungen tatsächlich in der Praxis umgesetzt werden, was bei den Empfehlungen, allerdings wohl eher aufgrund der Erklärungspflicht denn der größeren Akzeptanz, ungleich wahrscheinlicher als bei den Anregungen ist 5 9 2 .
587 Achilles/Schmidt, in: Ernsthaler, GK-HGB, § 346 Rn. 6; Horn, in: Heymann, HGB, § 346 Rn. 19. 588 BGH NJW 1964, 1274, 1275 (zu § 1 ZugabeVO). 589 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Β. V. 5. 590 Präambel Abs. 1 S. 1 DCGK. 591 Vgl. BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21 mit Verweis auf entsprechendes Meinungsbild der Kodex-Kommission; Schüppen, ZIP 2002, 1117, 1117; Ulmer,, ZHR 166 (2002), 150, 152; v. Werder, DB 2002, 801, 802. 592 I.E. ebenso Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1576. Die Kategorie der Anregungen kann in diesem Zusammenhang zudem schon deshalb unberücksichtigt bleiben, weil sie im Rahmen der jährlichen Überprüfung des Kodex umgehend zu Empfehlungen umformuliert werden dürften, wenn sie in der Praxis auf weitgehende Zustimmung stoßen sollten, vgl. Präambel Abs. 9 DCGK; Cromme, Übergabe Kodex, S. 4.
Β. Pflichtverletzung
189
Hängt jegliche Mitberücksichtigung von Kodexregelungen bei der Ausfüllung der Sorgfaltspflicht aber vorrangig von der Art und Weise ihrer — dem Entscheidungsermessen der Organe unterliegenden — Umsetzung in den deutschen Aktiengesellschaften ab, kommt ihnen letztlich keine eigenständige Funktion zu. Vielmehr wirken sie nur als eine Art „Katalysator", der die Entstehung bestimmter VQvhdXtemübungen begünstigt und fördert. Es hängt also von den Gesellschaften und ihren Organe selbst ab, ob die Nichtanwendung von Kodexempfehlungen als „Unterschreiten gemeinhin erwarteter Mindestanforderungen" angesehen werden könnte. Eine weitgehende Befolgung ist aber zumindest für einen nicht unbedeutenden Teil der Empfehlungen zu erwarten. Nach einer ersten methodisch abgesicherten Untersuchung über die Befolgung der Empfehlungen 593 bis Februar 2003 zeigte sich, dass nach der nächsten anstehenden Hauptversammlungssaison bei den DAX-30 Gesellschaften nur drei und bei den (alten) MDAX-70 Gesellschaften nur neun Kodexempfehlungen nicht von mindestens 90 % der erhobenen Unternehmen befolgt werden. Das in diesen Zahlen deutlich werdende hohe Maß an Zustimmung steigt dabei tendenziell mit der Größe des Unternehmens 594. Sollte sich entsprechend der bereits jetzt erkennbaren Tendenz in nächster Zeit eine allgemeine Übung zur Befolgung bestimmter einzelner Kodexempfehlungen oder sogar des Kodexinhalts insgesamt herauskristallisieren, deutete eine Nichtanwendung auf einen Sorgfaltsverstoß hin, soweit nicht triftige Gründe dargelegt werden können, die die Abweichung rechtfertigen. Es reichte also nicht mehr aus, dass die Entscheidung der Organe im Sinne der business judgement rule lediglich sachlich motiviert war, sondern für das tatsächliche Handeln müssten überzeugende Gründe vorliegen. Können solche aber benannt werden, indiziert eine Nichteinhaltung der durch die Formulierung von Verhaltensregeln geförderten „Verkehrsübung" keinen Sorgfaltsverstoß 595. Dieses Ergebnis deckt sich mit der Auffassung der Cromme-Kommission, wonach „gut begründete Abweichungen vom Kodex keinen Makel" bilden sol593 Die Umsetzung der Anregung wurde mangels Erklärungspflicht und entsprechend schwierigerer Recherchierbarkeit nicht untersucht; vgl. hierzu die im Zuge der KodexEvaluierung im Mai 2003 erfolgte Ergänzung der Ziffer 3.10 DCGK um die „Anregung", auch zu den Kodex-Anregungen Stellung zu nehmen. 594 v. Werder, Executive Summary, S. 3 ff., im Internet als PDF-Datei abrufbar unter http://www.bccg.tu-berlin.de/main/publicationen/Executive_Summary_DCGK.PDF (Stand: 15.10.2003). 595 I.E. ähnlich Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. NR. 1, S. 1, 14 f.; aus anderen Gründen („betriebswirtschaftliche Erkenntnisse) eine „gewisse Beschränkung" des Handlungsermessens (des Vorstands) wegen des Zusammenspiels von § 161 AktG und Kodex andenkend Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 38.
190
3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
len 596 . Letztlich steht die Wechselbeziehung einer möglichen (eingeschränkten) Konkretisierungswirkung durch Herausbildung einer allgemeinen Übung mit dem Ausmaß der — grundsätzlich im Ermessen der Organe stehenden — Entscheidung zur Umsetzung durch die deutschen Aktiengesellschaften auch ganz im Zeichen der von Gesetzgeber und Cromme-Kommission beabsichtigten „Deregulierung und Flexibilisierung" 597 . cc) Vergleich mit technischen Regelwerken privater Sachverständigengremien Unabhängig von einer tatsächlichen Übung steht darüber hinaus im Raum, dass den Kodexregelungen ähnlich den durch private Sachverständigengremien erstellten Regelwerken eine den Sorgfaltsmaßstab konkretisierende Wirkung zukommen könnte. Insbesondere im privaten Haftungsrecht werden Sorgfaltsmaßstäbe solchen Regelungen entnommen598, geben „Regeln der Technik" doch durchaus den Standard des Berufskreises und damit auch der objektivtypisierten Sorgfalt vor 5 9 9 . Zu verweisen ist insbesondere auf die sogenannten „überbetrieblichen technischen Normen" 600 wie DIN-Normen 601 , VDEVorschriften 602 oder DVGW-Regeln 603 sowie Unfallverhütungsvorschriften 604
596
Cromme, Übergaben Kodex, S. 4. Vgl. BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21; Präambel Abs. 5 DCGK. 598 Battes, in: Erman, BGB, Bd. 1, § 276 Rn. 23; Vollkommer, in: Jauernig, BGB, § 276 Rn. 29; Hanau, in: MünchKommBGB, § 276 Rn. 93; Palandt/Heinrichs, BGB, § 276 Rn. 16; Wolf, in: Soergel, BGB, Bd. 2, § 276 Rn. 83. 599 Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 442. 600 Vgl. Marburger, VersR 1983, 597, 598; Scholz, FS Juristische Gesellschaft Berlin, S. 691, 696. Vgl. zur Terminologie auch DIN 820 Teil 3 „Normungsarbeit; Begriffe", abgedruckt in: DIN-Normenheft 10. 601 DIN Deutsches Institut für Normung e.V.; vgl. umfangreiche Rechtsprechungsübersicht bei Marburger, VersR 1983, 597, 601 (dort Fn. 36); BGHZ 103, 338, 341 f.; kritisch zur Rezeption von DIN-Normen Battis/Gusy, Technische Normen, Rn. 516 f.; Kypke, Technische Normung, S. 165 f.; Lübbe-Wolff, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAssmann, Konfliktbewältigung, S. 87, 103. 602 Vorschriftenwerk des Verbandes Deutscher Elektrotechniker (VDE) e.V.; vgl. umfangreiche Rechtsprechungsübersicht bei Marburger, VersR 1983, 597, 601 (dort Fn. 36). 603 Regelwerke Gas und Wasser des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW) e.V.; vgl. umfangreiche Rechtsprechungsübersicht bei Marburger, VersR 1983,597, 601 (dort Fn. 36). 604 BGH NJW 1957, 499, 499; BGH VersR 1967, 133, 134; 1967, 752, 753; 1974, 780, 782; 1978, 869, 869f. 597
Β. Pflichtverletzung
191
und sogar Sportregeln 605. Gerade die DIN-Normen werden besonders häufig zur Konkretisierung herangezogen, weshalb sich die weitere Untersuchung auf sie konzentrieren soll. (1) Ähnlichkeiten und Unterschiede von Kodex-Bestimmungen und DIN-Normen Sowohl bei den Kodex-Bestimmungen als auch den DIN-Normen handelt es sich um nicht verbindliche Verhaltensempfehlungen eines privaten, nicht hoheitlichen Fachgremiums, das sich aus Experten des betroffenen Verkehrskreises zusammensetzt606. Beide Gremien nehmen fur sich in Anspruch, mit den ausformulierten Regelungen fachwissenschaftlich zutreffende Festlegungen zu treffen. Diese beziehen sich bei den Normen des DIN e.V vorrangig auf die fachlich richtige Lösung technischer Fragen 607 , während der Kodex nach dem Selbstverständnis der Cromme-Kommission „international und national anerkannte Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung" 608 enthält und damit nach Auffassung der Gremiumsmitglieder den heutigen Stand der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften auf dem geregelten Gebiet wiedergibt 6 0 9 . In beiden Fällen kommt dem Staat durch die Ausformulierung der Ver-
605 Vgl. BGHZ 63, 140; BGH NJW 1976, 957 (Fußball); BGHZ 58, 40, 43; BGH NJW 1972, 627, 628; NJW 1985, 620, 621 (FIS-Regeln des Internationalen Skiverbandes); BGH NJW 1976, 2161 (Basketball); vgl. detailliert Steffen, in: RGRK, §823 Rn. 356 ff. m.w.N. 606 Zu den DIN-Normen Brohm, in: Isensee/Kirchhoff, Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, § 36 Rn. 26; Marburger, VersR 1983, 597, 600; ders., Die Regeln der Technik im Recht, S. 201; Schmidt-Preuß, in: Kloepfer, Selbst-Beherrschung im technischen und ökologischen Bereich, S. 89, 90; Scholz, FS Juristische Gesellschaft Berlin, S. 691, 694; vgl. auch Ziffer 6.1 Abs. 1 S. 1 DIN 820 Teil 1 („Normungsarbeit, Grundsätze"), in: DIN-Normenheft 10, S. 83: „Die Normen des Deutschen Normenwerkes stehen jedermann zur Anwendung frei."; zum Kodex Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1575; Borges, ZGR 2003, 508, 518 ff.; Hopt, Beiheft ZHR Nr. 71, S. 27, 52; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 166; 607 Vgl. Ziffer 6.1 Abs. 3 DIN 820 Teil 1 („Normungsarbeit, Grundlagen"), abgedruckt in: DIN-Normenheft 10, S. 83: „Die Normen bilden einen Maßstab für einwandfreies technische Verhalten; dieser Maßstab ist auch im Rahmen der Rechtsordnung von Bedeutung". 608 Präambel Abs. 1 S. 1 DCGK. 609 Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1576.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
haltensempfehlungen der „geballte Sachverstand", die Flexibilität und Eigenverantwortung der Gremien sowie die Entlastung eigener Ressourcen zugute 610 . Teilweise wird als Unterschied hervorgehoben, bei den DIN-Normen handele es sich vielfach um technische Mindeststandards, die die Untergrenze der einzuhaltenden gesetzlichen Sorgfalt markierten 611 . Die Kodexempfehlungen, noch weniger die Anregungen, stellten hingegen keine Mindeststandards fur gewissenhafte und ordentliche Geschäftsleitung dar, da sowohl § 161 AktG als auch der Kodex selbst 612 den Gesellschaften die Möglichkeit der Abweichung einräume 613 und dann „Unterschreitungen" der empfohlenen Verhaltensweisen nur anzuzeigen seien 614 . Dem ist insoweit zuzustimmen, als dass es sich bei den Kodexbestimmungen deshalb nicht um Mindeststandards handeln kann. Das gilt jedoch bis auf wenige Ausnahmen auch für die technischen Normen 615 . Auch Abweichungen von technischen Normen sind nicht stets mit einem Verstoß gegen die gesetzliche Sorgfaltspflicht gleichzusetzen, so nicht bei Abweichungen „nach oben" sowie bei Alternativlösungen, die im konkreten Fall den gleichen oder sogar einen geringeren, aber beispielsweise aufgrund einkalkulierter (Sicherheits-)Toleranzen der technischen Normen ausreichenden Standard bieten 616 . Nur in Ausnahmefällen enthalten technische Normen so elementare Festlegungen, dass eine Abweichung jeglicher Art nicht in Betracht kommt 617 . Ein kategorischer Unterschied zwischen den Empfehlungen des DIN e.V. und denen der Cromme-Kommission besteht insoweit nicht 618 .
610 Vgl. Brennecke, Normsetzung durch private Verbände, S. 118 f.; Battis/Gusy, Technische Normen, S. 40; Schmidt- Ρreuß, in: Kloepfer, Selbst-Beherrschung, S. 89, 95. 611 Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1576 unter Verweis auf BGH NJW 1984, 801, 802 (Einshockey-Puck); vgl. auch OLG Köln, W M 1990, 1963, 1963 (Richtlinien für das Bankgewerbe); ähnlich Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 35. 612 Präambel Abs. 6 S. 1, S. 5, Ziffer 3.10 S. 2 DCGK. 613 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 36; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1576 f. 614 Vgl. BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21. 615 Marburger, VersR 1983, 597, 603; ders., Die Regeln der Technik im Recht, S. 472; letztlich auch Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1576. 616 Marburger, VersR 1983, 597, 603. 617 Vgl. Marburger, VersR 1983, 597, 603 mit Fallbeispiel der Ziffer 3.2.6 DVGW G 600 „Technische Regeln für Gas-Installationen" (DVGW-TRGL 1972), wonach Gasleitungen nicht als Ableitet in Blitzschutzanlagen dienen dürfen; weitere Beispiele bei Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 471. 618 I.E. ebenso Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1577; a.A. Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 36.
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Ein weiterer Unterschied könnte darin gesehen werden, dass der Gesetzgeber vor allem im öffentlich-rechtlichen Umwelt- und Technikrecht häufig durch Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe wie „Stand der Sicherheit und Technik" die konkretisierende Wirkung der den entsprechenden Bereich abdeckenden technischen Normen im Rahmen der „Generalklauselmethode" 619 nicht nur im Auge hat, sondern deren indirekte Rezeption gerade beabsichtigt620. Demgegenüber sollte sich nach dem Willen des Gesetzgebers die Wirkung der Kodexregelungen auf den durch die Offenlegungspflicht erzeugten Marktdruck beschränken und gerade kein darüber hinausgehender (in)direkter Einfluss auf den rechtlichen Sorgfaltsmaßstab der Organe ausgeübt werden 621 . Allein der fehlende Wille des Gesetzgebers vermag zwar einer gesetzlichen Vermutungswirkung analog § 342 Abs. 2 HGB 6 2 2 , nicht aber einer auf sonstigen Gründen basierenden Wirkung privat erstellter Regelwerke entgegenzustehen. Es ist aber zu bedenken, dass die Kommission, wie bereits im Rahmen der Gegenüberstellung mit dem DRSC erwähnt, durch das Bundesministerium der Justiz eingesetzt wurde, ohne dass eine weitere Einflussmöglichkeit des Staates oder ein einzuhaltendes Ausarbeitungsverfahren festgeschrieben wurde 623 . Demgegenüber wurde zwischen der Bundesrepublik, vertreten durch das Bundesministerium der Wirtschaft, und dem DIN e.V. ein sogenannter „Normungsvertrag" geschlossen. Darin erkannte die Bundesregierung den DIN e.V als zuständige Normungsorganisation an und stellte darüber hinaus die Bereitstellung finanzieller Mittel in Aussicht 624 . Im Gegenzug verpflichtete sich der DIN e.V, das Öffentliche Interesse zu berücksichtigen, sicherte behördliche Beteiligung, Informationsübermittlung und die Möglichkeit zur Mitgliedschaft in Lenkungsgremien der Normenausschüsse zu. Insbesondere verpflichtete er sich, die vereinsinternen Verfahrensregelungen für die Ausarbeitung von Normen einzuhal-
619
Vgl. Marburger, in: Müller-Graff, Technische Regeln, S. 27, 34 ff. Schmidt-Preuß, in: Kloepfer, Selbst-Beherrschung, S. 89, 95. 621 Vgl. BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 22; vgl. auch Baums, Bericht, Rn. 17, S. 60: „insbesondere soll ihren Empfehlungen keine Wirkung entsprechend § 342 Abs. 2 HGB beigelegt werden" (Hervorhebung durch Verfasser). Mit dieser Formulierung wird jeder Vermutungs- oder Indizwirkung im Rahmen der Sorgfaltspflichten eine Absage erteilt. 622 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, B. III. 2. b) aa). 623 Bachmann, W M 2002, 2137, 2139; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 355. 624 Vgl. § 1 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem DIN Deutsches Institut für Normung e.V. vom 05.06.1975, abgedruckt in: DIN-Normenheft 10, S. 43. 620
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
ten 625 . Im Gegensatz zur Kodexausarbeitung ist das Normungsverfahren des DIN e.V. 6 2 6 in dessen Verfahrensordnung, der DIN 820 627 , detailliert geregelt. Damit stehen dem Staat im Rahmen der Ausarbeitung der DIN-Normen nicht nur rein „rechtlich" sehr viel stärkere Zugriffsmöglichkeiten 628 auf die inhaltlich Gestaltung zur Verfügung, als dies bei den „Regeln der Wirtschaft für die Wirtschaft" 629 des Kodex der Fall ist, sondern auch die Einhaltung eines bestimmten Verfahrensablaufs ist rechtlich zwingend nur für die DIN-Normen vorgeschrieben. Außer Betracht gelassen wird aber der tatsächliche Einfluss des Staates und das unabhängig von einer Verfahrensordnung tatsächlich durchgeführte Verfahren. So war und ist der reale Einfluss des Staates auf den Inhalt des Kodex trotz der allseits hervorgehobenen Unabhängigkeit vom Bundesjustizministerium 630 von beträchtlichem Umfang. Das liegt schon daran, dass sich die Entsprechenserklärung nach § 161 AktG nur auf die in dessen amtlichem Teil bekannt gemachten Verhaltensempfehlungen der Cromme-Kommission bezieht. Die Entscheidung über die Veröffentlichung im elektronischen Bundesanzeiger liegt in den Händen des Bundesministeriums der Justiz 631 , das sich eine inhaltliche Prûfung der Kodexbestimmungen ausdrücklich vorbehält und den Kodex damit seiner „Rechtskontrolle" 632 unterwirft. Im Rahmen der Prüfung kann nicht nur die Vereinbarkeit der Kodexregelungen mit dem Gesetzesrecht, insbesondere Verfassungsrecht, und die Ausarbeitung in einem fairen Verfahren unter Beteiligung der betroffenen Kreise, sondern auch die „inhaltliche Ausgewogenheit"
625 Vgl. § 1 Abs. 2 S. 1, 2 Abs. 1, Abs. 2, 3 S. 1, 5 Abs. 1 S. 1 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem DIN Deutsches Institut für Normung e.V. vom 05.06.1975, abgedruckt in: DIN-Normenheft 10, S. 43 f. 626 Die anderen privaten Normenorganisationen wie VDE, V D I oder DVGW verfügen über im wesentlichen übereinstimmende Regelwerke, vgl. VDE 0023 Teil 1/4. 78 „Grundsätze für die Arbeit am VDE-Vorschrifitswerk"; V D I 1000 „Richtlinienarbeit; Grundsätze und Anleitungen"; DVGW GW 100 „Das DVGW-Regelwerk; Grundsätze". 627 Abgedruckt in: DIN-Normenheft 10, S. 81 ff.; vgl. auch die „Richtlinie für Normenausschüsse im DIN Deutsches Institut für Normung e.V.", abgedruckt in: DINNormenheft 10, S. 66 ff.; vgl. zum Normungsverfahren etwa Reihlen, in: Kloepfer, Selbst-Beherrschung, S. 75, 77 ff. 628 Vgl. zur Bedeutung der Steuerungsmöglichkeiten des Staates auf private Regelungen aus staatsrechtlicher Sicht nachfolgend exkursorische Ausführungen unter 3. Kapitel, B. III. 2. b) cc) (6). 629 Cromme, Übergabe Kodex, S. 2. 630 Cromme, Veröffentlichung Kodexentwurf, S. 3. 631 Vgl. BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21. 632 Ringleb in Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 965; Seibert, BB 2002, 581, 582; ders. NZG 2002, 608, 611.
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der Verhaltensempfehlungen untersucht werden 633 . Insbesondere der letztgenannte Punkt eröffnet Raum fur die vollständige Zugriffsmöglichkeit auf den Kodexinhalt im einzelnen, da die inhaltliche Ausgewogenheit eines Regelwerkes ein reiner Wertungsbegriff ohne nähere Kennzeichnungskraft ist. Die Möglichkeit der Einwirkung erstreckt sich zudem nicht nur auf die nachträgliche „(Rechts-)Kontrolle" im Rahmen der Entscheidung über die Veröffentlichung im elektronischen Bundesanzeiger, sondern auch die Ausarbeitung des Kodex selbst war trotz des allseits hervorgehobenen Fehlens von Mitgliedern der Bundesregierung oder anderer politischer Mandatsträger 634 in der Cromme-Kommission nicht frei von staatlichem Einfluss. Sieben der dreizehn Mitglieder der Cro/w/we-Kommission rekrutieren sich aus vormaligen Mitgliedern der £aw/ws-Kommission635. Im Gegensatz zur Cromme-Kommission war die Ztazms-Kommission zu einem Drittel politisch mit Mitgliedern des Bundestages oder der Exekutive besetzt 636 entsprechend beeinflusst 637. Die Mitglieder der Cro/wme-Kommission wussten schon aufgrund dieser personellen Verflechtung, was politisch gewollt bzw. zumindest akzeptiert war und welchen Vorgaben starker politischer Widerstand entgegenstehen würde. Zudem wurden sie nicht nur vom Bundesministerium der Justiz in Absprache mit dem Kanzleramt ausgewählt, sondern auch in ihrer Arbeit vom Bundesministerium der Justiz „betreut und beraten" 638 . Durch den so gestalteten Ablauf wurde letztlich sichergestellt, dass der veröffentlichte Kodex nur solche Verhaltensempfehlungen enthält und bei zukünftigen Abänderungen erhalten wird, die im Ergebnis vom Bundesministerium der Justiz gutgeheißen werden. Das erklärt etwa die völlige Ausklammerung der Mitbestimmungsproblematik 639 oder die im Zuge der Evaluierung des Kodex im Mai 2003 zur Verhinderung „angedrohter" gesetzlicher Regelungen in den Kodex integrierten Empfehlungen zur individualisierten Offenlegung der Vorstands- und Aufsichtsrats Vergütung, Ziffern 4.2.4 S. 2, 5.4.5
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Seibert, BB 2002, 581, 582. Seibert, ZIP 2001, 2192, 2192. 635 Dr. Paul Achleitner; Ulrich Hocker, Prof. Dr. Marcus Lutter, Heiz Putzhammer, Christian Strenger, andere Mitglieder der Kodex-Kommission entstammen dem selben Unternehmen wie Mitglieder der Kodex-Kommission (Dr. Rolf -Ε. Breuer/ Hilmar Kopper für die Deutsche Bank AG; Volker Potthoff/ Dr. Werner G. Seifert für die Deutsche Börse AG). 636 Hans Martin Bury; Andrea Fischer, Dr. Hansjörg Geiger:; Ciao Κ. Koch-Weser, Ludwig Stiegler, Dr. Alfred Tacke; Margareta Wolf 637 Wolf, ZRP 2002, 59, 60. 638 Seibert, BB 2002, 581, 582. 639 Vgl. Baums, Bericht, Rn. 3, S. 6, 46; zur Kritik Bernhardt, DB 2002, 1841, 1842; Bundesverband deutscher Banken e. V, W M 2001, 1737, 1738. 634
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3. Kapitel : Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
DCGK 6 4 0 . Unter dem Strich ist die tatsächliche Zugriffsmöglichkeit des Staates auf die Kodexregelungen deshalb im Tatsächlichen sehr viel ausgeprägter, als es im Rahmen von DIN-Normungsverfahren durch Geltendmachung von Rechten aus dem „Normungsvertrag" je der Fall war. Auch das von der Oowwe-Kommission tatsächlich durchgeführte Ausarbeitungsverfahren entsprach — wie im einzelnen nachfolgend dargestellt werden wird 6 4 1 — in weitem Umfang dem in DIN 820 vorgesehenen Verfahren für die Erstellung von DIN-Normen. Ein Unterschied besteht damit weniger durch das Fehlen „materieller", tatsächlich durchgeführter Sicherungsvorkehrungen, sondern nur wegen des „formellen" Fehlens verbindlich festgeschriebener Einflussmöglichkeiten und Verfahrensabläufe. Damit ist der weitere Prüfungsablauf vorgegeben: Es gilt zu untersuchen, ob die Kriterien, die von Rechtsprechung und Literatur mit Blick auf die technischen Normen und deren Rolle bei der Konkretisierung von Sorgfaltsmaßstäben entwickelt wurden, trotz der bestehenden Unterschiede auf die Kodexregelungen übertragbar sind. Zu prüfen ist also, ob die Gründe, die Rechtsprechung und Literatur veranlassen, den technischen Normen wie denen des DIN e.V. Bedeutung bei der Konkretisierung von Sorgfaltspflichten beizumessen, auch bei den Kodexregelungen vorliegen. Wäre das der Fall, könnt ihnen auch eine entsprechende oder zumindest vergleichbare Wirkung im Rahmen der §§ 93, 116 AktG zukommen. (2) Einfluss von DIN-Normen auf zivilrechtliche Sorgfaltsmaßstäbe Welchen Einfluss üben nun aber DIN-Normen im einzelnen auf die Konkretisierung von Sorgfaltsmaßstäben aus und auf welchen Argumenten gründet dies? (a) Keine Bindung der Gerichte Es entspricht allgemeiner Meinung, dass die zur Ausfüllung der Sorgfaltspflichten herangezogenen privat erstellten Regelwerke wie die DIN-Normen für das richterliche Urteil mangels Rechtsnormcharakters nicht bindend sind, son640 Vgl. dazu auch Thüsing, DB 2003, 1612, 1613; Binz/Sorg, BB 2002, 1273, 1277; zur „angedrohten" gesetzlichen Regelung durch das 10-Punkte Programm der Bundesregierung „Unternehmensintegrität und Anlegerschutz" v. 25.02.2003 abgedruckt in: wistra 4/2003, S. V ff.) Seibert, BB 2003, 693, 695; kritisch dazu Kiethe, BB 2003, 1573, 1574 ff.. 641 Vgl. nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, B. III. 2. b) cc) (3), (4).
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dem es sich um grundsätzlich unverbindliche normative Regelungen mit Empfehlungscharakter handelt 642 . Die Existenz der Regelungen entbindet das Gericht nicht von der Prüfung, ob im konkreten Fall trotz Verstoß gegen die Regel die gesetzlich erforderliche Sorgfalt gewahrt bzw. trotz Einhaltung der Regel die Sorgfalt nicht gewahrt wurde oder die Regel sogar grundsätzlich nicht als Maßstab der anzuwendenden Sorgfalt taugt 643 . Die Gerichte können sich aber an den Normen orientieren und werden das in den allermeisten Fällen auch tun, wenn sich aufgrund der Besonderheiten des konkreten Einzelfalles nicht eine andere Bewertung aufdrängt. Den technischen Normen kommt damit nach vor allem im öffentlich-rechtlichen Schrifttum weit verbreiteter Diktion die Funktion eines „antizipierten Sachverständigengutachtens" zu, womit zum Ausdruck kommt, dass es sich um tatsächliche Beurteilungsmaßstäbe handelt, die bestimmte Vermutungswirkungen auslösen können, nicht hingegen um normative Sollenssätze644. In der zivilrechtlichen Spruchpraxis, die in der Literatur weitgehende Zustimmung findet 645, wird die Anwendung 646 oder Nichtanwendung647 einschlägiger technischer Regeln im Rahmen der Beweiswürdigung über die Erfüllung der objektiven und subjektiven Sorgfaltspflichten herangezogen. 642 In Hinblick auf das öffentlich-rechtliche Sicherheits- und Umweltrecht Brohm, in: Isensee/Kirchhoff, Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, §36 Rn. 26 f., 31 ff.; SchmidtPreuß, in: Kloepfer, Selbst-Beherrschung, S. 89, 95; grundsätzlich Herschel, NJW 1968, 617, 620 f.; zur zivilrechtlichen Bedeutung Grundmann, in: MünchKommBGB, § 276 Rn. 64; Wolf, in: Soergel, BGB, Bd. 2, § 276 Rn. 84 f.; Marburger, VersR 1983, 597, 600; ders.; Die Regeln der Technik im Recht, S. 429 ff.; ders., in: Müller-Graff, Technische Regeln, S. 27, 32 f.; a.A. Nicklisch, BB 1981, 505, 509 ff., der technische Standards als den Rechtsanwender bindende Verweisung auf die Mehrheitsauffassung der Naturwissenschaftler und Techniker deutet. 643 BGH NJW 1984, 801, 802 (Eishockey-Puck); Mertens, in: MünchKommBGB, § 823 Rn. 30; vgl. auch Schmidt-Preuß, in: Selbst-Beherrschung, S. 89, 95. 644 Vgl. die Spruchpraxis der Verwaltungsgerichte etwa bei der Beurteilung von „Technikklauseln", wonach eine (widerlegbare) Vermutung dafür spreche, dass die privaten Regelwerke sachverständiger Gremien den vom Gesetzgeber vorausgesetzten technischen Standard ausfüllen, Brohm, in: Isensee/Kirchhoff, Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, § 36 Rn. 27 m.w.N.; Scholz, FS Juristische Gesellschaft Berlin, S. 691, 969, 705. 645 Battes, in: Erman, BGB, Bd. 1, § 276 Rn. 23; Vollkommer, in: Jauernig, BGB, § 276 Rn. 29; Grundmann, in: MünchKommBGB, § 276 Rn. 64; Wolf, in: Soergel, BGB, Bd. 2, § 276 Rn. 83; Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 441 f.; ders., VersR 1983, 597, 602 ff. 646 Vgl. umfangreichen Rechtsprechungsnachweis bei Marburger, VersR 1983, 597, 600 f. (Fn. 33). 647 Vgl. umfangreichen Rechtsprechungsnachweis bei Marburger, VersR 1983, 597, 601 (Fn. 36); ders., Die Regeln der Technik im Recht, S. 469 ff.; Herschel, NJW 1968, 617, 619; ders., Rechtsfragen der technischen Überwachung, S. 124; Lipps, NJW 1968, 279, 282.
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(b) Gründe für die Zuerkennung rechtlicher Relevanz Ihre Begründung findet diese Spruchpraxis zum einen in der besonderen Fachkompetenz und Autorität des das Regelwerk ausarbeitenden Gremiums, zum zweiten in der Art und Weise der Regelaufstellung in einem geordneten Verfahren und unter ausgewogener Beteiligung der sachverständigen und interessierten Kreise 648 , das der Fachöffentlichkeit die Möglichkeit der Stellungnahme gibt und auf umfassende Erörterung und ausgewogene Interessenvertretung gerichtet ist 649 . So heißt es in einer richtungsweisenden Entscheidung des Reichsgerichts zu VDE-Bestimmungen, dass diese in gemeinsamer Zusammenarbeit nicht bloß der betroffenen Unternehmen und der diesen nahestehenden Industrie, sondern auch beteiligter Behörden, wissenschaftlicher Institute u.a. abgefasst und aufgestellt worden seien und „daher nicht etwa bloß Anschauung beteiligter Kreise, sondern eine über diesen Kreis hinausreichende, eine gewisse überparteiliche Autorität genießende Bearbeitung der im Interesse der Allgemeinheit erforderlichen, aber auch im allgemeinen genügenden Maßnahmen auf diesem Gebiet" darstellten 650. Darüber hinaus wird zum dritten auf das hohe Ansehen der technischen Regeln in der Praxis verwiesen sowie auf die teilweise empirisch nachgewiesene Tatsache, dass eine Regelbeachtung Schäden vorbeugt 651 . (c) Rechtliche Wirkung von Normbefolgung und Normabweichung Richtigerweise spricht aufgrund dieser Erwägungen ein starker Erfahrungssatz dafür, dass eine Normbefolgung die objektiven Sorgfaltsanforderungen erfüllt 6 5 2 . Dabei soll an dieser Stelle dahinstehen, ob dieser Erfahrungssatz nun
648 Kritisch zur ausgewogenen Besetzung der DIN-Normenausschüsse wegen Überrepräsentanz von Vertretern der Industrie Kypke, Technische Normung, S. 165 f.; Lübbe-Wolff in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Assmann, Konfliktbewältigung, S. 87, 103. 649 Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 464; ders., VersR 1983, 597, 602; vgl. zur „prozederalen Richtigkeitsgewähr" Schmidt-Preuß, in: Kloepfer, SelbstBeherrschung im technisch-ökologischen Bereich, S. 89, 96; Marburger, in: MüllerGraff, Technische Regeln, S. 27, 37; Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rn. 81. 650 RG JW 1932, 745, 746; vgl. zu DIN-Normen etwa BGH VersR 1960, 855, 856; 1975, 799, 799 f. 651 Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 464; ders., VersR 1983, 597,
602.
652 Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 464; ders., VersR 1983, 597, 602. Vgl. zur effektiven Gefahrvermeidung durch präventive unternehmensinterne Informationserhebung nach Maßgabe eines Qualitätssicherungssystems nach DIN (EN) ISO 9000-9004 Möllers, Rechtsgüterschutz, S. 212 f.; ders.; DB 1996, 1455, 1460 f.
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einen primae-facie-Beweis, also eine tatsächliche Vermutung im Rahmen der Beweiswürdigung zur Folge hat, oder im Ergebnis von einer widerleglichen Vermutung, also einer Beweislastregel 653 gesprochen werden kann. Angesichts der hohen Anforderungen, die an die Erschütterung des Anscheinsbeweises gestellt werden und im Ergebnis dem Vollbeweis sehr nahe kommen, fuhren beide Auffassungen in der Praxis nur zu kaum wahrnehmbaren Unterschieden 654. Selbst wenn der Erfahrungssatz im konkreten Einzelfall objektiv unzulänglich ist, handelt mangels besonderer Umstände nicht subjektiv vorwerfbar, wer sich auf die Richtigkeit einer DIN-Norm verlässt 655. Der Normunterworfene darf auf die Richtigkeit vertrauen, da die Regeln auf wissenschaftlicher Anerkennung und praktischer Bewährung beruhen und ihm meist die fachliche Qualifikation zur Beurteilung fehlt 656 . Allerdings entbindet das nicht von der Verpflichtung, selbständig zu prüfen, ob nicht weitere Maßnahmen erforderlich sind 657 . Erfasst die Regel aber den einschlägigen Sachverhalt und besteht keine (erkennbare) besondere Gefahrenlage, wird bei Beachtung des Regelwerks die objektive Sorgfalt gewahrt bzw. zumindest nicht fahrlässig-schuldhaft gehandelt 658 . Große praktische Bedeutung geht hiervon allerdings nicht aus, da im Normalfall der Geschädigte ohnehin die Beweislast für die Verletzung der Sorgfaltspflicht durch den Schädiger trägt. Nur bei abweichender Beweislastverteilung (§ 93 Abs. 2 S. 2 AktG 6 5 9 ) kann eine widerlegliche Vermutung zu einer Beweislastumkehr führen 660 . Anders verhält es sich bei einer Regelabweichung. Hier ist streitig, ob ebenfalls generell eine tatsächliche bzw. widerlegbare Vermutung auf einen Verstoß gegen die objektive Sorgfalt schließen lässt 661 , oder vielmehr je nach Art der
653 Lenckner, FS Engisch, S. 490, 498; Herschel, Rechtsfragen der technischen Überwachung, S. 123 f. 654 Zöller, ZPO, Vor § 284 Rn. 29. 655 BGH NJW 1971, 92, 93; BGH VersR 1974, 771, 773 (Unfall verhütungsvorschrift); Marburger, VersR 1983, 597, 603; Eberstein,, BB 1969, 1291, 1293 f.; Herschel, Rechtsfragen der technischen Überwachung, S. 123 f.; ders., NJW 1968, 617, 619; Lenckner, FS Engisch, S. 490, 504. 656 Marburger, VersR 1983, 597, 603. 657 BGH VersR 1975, 823, 823; BGH NJW 1981, 2250, 2250; Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 473; ders., VersR 1983, 597, 602 f. 658 Marburger, VersR 1983, 597, 601; ders., Die Regeln der Technik im Recht, S. 467. 659 Vgl. dazu nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, B. III. 2. b) cc) (4) (d). 660 Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 465. 661 Herschel, NJW 1968, 617, 619; Lipps, NJW 1968, 279, 282.
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Abweichung von der Norm beweisrechtlich zu differenzieren ist 6 6 2 . Für letztgenannte Auffassung spricht, dass im konkreten Einzelfall bis auf wenige Ausnahmen auch nicht regelkonforme Lösungen zur Gefahrsteuerung ebenso oder sogar besser geeignet sein mögen und selbst bei Unterschreitung des Regelniveaus die rechtlich gebotene Sicherheit noch ausreichend gewährleistet sein kann 663 . Die mit Unterschreitungen des normierten Sicherheitsniveaus bzw. mit technischen Alternativlösungen verbundene Gefahrerhöhung über das „gewöhnliche" Maß hinaus lässt eine Verlagerung der Beweislast für die Einhaltung der gesetzlichen Sorgfalt bzw. die gleiche Eignung der Alternativlösung zur Gefahrvermeidung auf den Abweichenden gerechtfertigt erscheinen 664. Soweit gar keine alternativen Vorkehrungen getroffen werden oder elementarste Sicherheitsvorkehrungen außer Acht gelassen werden, die (ausnahmsweise) keinerlei Abweichung zulassen, ist das gleichbedeutend mit einer Verletzung der gebotenen Sorgfalt 665 . Lässt sich eine Fallgestaltung jedoch — wie häufig der Fall 6 6 6 — nicht in eine der vorstehenden Fallgruppen einordnen, fehlt für eine Beweislastregel oder einen primae-facie-Beweis jede Grundlage und die Abweichung kann allenfalls im Rahmen der Beweiswürdigung als bloßes Indiz verwertet werden 667 . (d) Zusammenfassung Zusammengefasst fußt die Bedeutung technischer Normen bei der Konkretisierung allgemeiner Sorgfaltsmaßstäbe auf der Anerkennung des Erfahrungssatzes, dass die technische Norm zumindest im Regelfall zutreffend beschreibt, welches Verhalten objektiv sorgfaltsgemäß ist und welches Handeln sich — zumindest in vielen Fällen — als gefahrerhöhend darstellt. Als Argumentationsfundament dienen vor allem zwei Gesichtspunkte: besondere Fachkompetenz und eine verfahrensmäßige Komponente zur Sicherung der Objektivität der
662 Marburger, VersR 1983, 597, 603 f.; ausführlich ders., Die Regeln der Technik im Recht, S. 469 ff. 663 Marburger, VersR 1983, 597, 603. 664 Vgl. im einzelnen Marburger, VersR 1983, 597, 603; ders., Die Regeln der Technik im Recht, S. 472. 665 Marburger, VersR 1983, 597, 603; ders., Die Regeln der Technik im Recht, S. 470 f.; A. Brunner, Technische Normen in Rechtssetzung und Rechtsanwendung, S. 168 f. 666 So wird meist schwer feststellbar sein, ob eine abweichende Lösung den gleichen, einen geringeren oder einen höheren Standard verwirklicht. 667 Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 473.
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Gremiumsarbeit. In geringerem Maße werden auch ein hohes Ansehen des Gremiums und empirische Erkenntnisse herangezogen 668. (3) Verfahrensgrundsätze bei Erstellung der DIN-Normen Die beiden besonders maßgeblichen Gesichtspunkte (Fachkompetenz, Verfahrensablauf) sind Regelungsgegenstand der DIN 820, der Verfahrensordnung des DIN e.V. 669 für die Erstellung von Normen 670 . Deren allgemeiner Grundsatz ist „die planmäßige, durch die interessierten Kreise gemeinschaftlich durchgeführte Vereinheitlichung (...) zum Nutzen der Allgemeinheit" und dient einer „sinnvollen Ordnung und der Information" auf dem geregelten Gebiet 671 . Die fachliche Arbeit wird in aus Fachleuten der interessierten Kreise gebildeten Fachausschüssen672 geleistet, in denen die Kreise in angemessenem Verhältnis vertreten sein sollen 673 . Der jeweilige Ausschuss erarbeitet einen NormEntwurf, der zunächst nach seiner Bekanntmachung in für jedermann erhältlichen Publikationsmitteln (DIN-Anzeiger) der Öffentlichkeit mit einer bestimmten Frist zur Stellungnahme vorgelegt wird 6 7 4 . Nach Fristablauf berät der Ausschuss unter Anhörung der Stellungnehmenden erneut. Im Falle unterbliebener Abhilfe eines Einspruchs gegen den Entwurf kann sich ein Schlichtungsund Schiedsverfahren anschließen675. Anschließend wird der Entwurf, soweit er
668 Vgl. Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 464; ders., VersR 1983, 597, 602 669 Die anderen privaten Normenorganisationen wie VDE, V D I oder DVGW verfugen über im wesentlichen übereinstimmende Regelwerke, vgl. VDE 0023 Teil 1/4. 78 „Grundsätze für die Arbeit am VDE-Vorschriftswerk"; VDI 1000 „Richtlinienarbeit; Grundsätze und Anleitungen"; DVGW GW 100 „Das DVGW-Regelwerk; Grundsätze". Vgl. dazu Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 208 ff. 670 Abgedruckt in: DIN-Normenheft 10, S. 81 f f ; vgl. zum Νormungsverfahren etwa Reihlen, in: Kloepfer, Selbst-Beherrschung, S. 75, 77 ff.; Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 200 ff. 671 Ziffer 2 Abs. 1, 3 DIN 820 Teil 1 „Normungsarbeit, Grundsätze", abgedruckt in: DIN-Normenheft 10, S. 81. 672 Z.Z bestehen 78 Normenausschüsse mit insgesamt rund 3700 Arbeitsausschüssen, Quelle: http://www.normung.din.de (Stand: 15.10.2003). 673 Ziffer 3.3 Abs. 1, Ziffer 3.4 Abs. 2, 3 DIN 820 Teil 1 „Normungsarbeit, Grundsätze", abgedruckt in: DIN-Normenheft 10, S. 81; kritisch zur hinreichenden Repräsentanz Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 202 f. 674 Ziffer 5.3 Abs. 2 DIN 820 Teil 1 „Normungsarbeit, Grundsätze", Ziffer 2.4.2, 2.4.3 Abs. 1, 2 DIN 820 Teil 4 „Normungsarbeit, Geschäftsgang", abgedruckt in: DINNormenheft 10, S. 82, 333. 675 Ziffer 2.4.5, Ziffer 2.4.7 DIN 820 Teil 4 „Normungsarbeit, Geschäftsgang", abgedruckt in: DIN-Normenheft 10, S. 333.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
nicht ersatzlos zurückgezogen wird, gegebenenfalls in veränderter Fassung erneut veröffentlicht, endgültig verabschiedet und als gedrucktes Regelblatt im verbandseigenen Fachverlag allgemein zugänglich gemacht676. In regelmäßigen Zeitabständen von spätestens fünf Jahren werden die Regeln geprüft und gegebenenfalls überarbeitet oder zurückgezogen 677. Auf Norm-Entwürfe und verabschiedete Normen wird zudem gemäß § 9 des „Normenvertrages" 678 im Bundesanzeiger hingewiesen. (4) Übertragung auf die Kodexregelungen Fraglich ist, inwiefern diese Grundsätze bei der Ausarbeitung der Kodexregeln durch die Cromme-Kovcwüssion zur Anwendung kommen. In Anlehnung an Überlegungen aus dem öffentlich-rechtlichen Schrifttum zur „prozederalen Richtigkeitsgewähr" privater Regelungen679 können die Verfahrensgrundsätze zur Sicherung hinreichender Objektivität der Gremiumsarbeit in die vier Komponenten Transparenz, Publizität, Repräsentanz und Revisibilität untergliedert werden. Es lässt sich der Schluss ziehen, dass umso mehr von einer inhaltlichen Richtigkeit der privaten Regelung ausgegangen werden kann, je mehr die genannten prozederalen Merkmale erfüllt werden. Gerade diese „Richtigkeit" ist Grundlage des Erfahrungssatzes, der im Rahmen der Konkretisierung von Generalklauseln die dargestellten rechtlichen Wirkungen nach sich zieht 680 . Demnach taugen die vier Kriterien der Transparenz, Publizität, Repräsentanz und Revisibilität — neben Fachkompetenz, Regelansehen und empirischer Schadensminimierung — als allgemeine Messlatte für die Beurteilung, ob privaten Regelungen eine den DIN-Normen vergleichbare Wirkung zukommen kann. Je mehr also die Kodexempfehlungen ähnlich wie DIN-Normen die genannten Voraussetzungen für die Anerkennung eines hinreichenden Erfahrungssatzes erfüllen, desto mehr könnten sie vor Gericht zur Konkretisierung sorgfältigen Aufsichtsratshandelns im Sinne der §§ 93, 116 AktG herangezogen werden.
676 Ziffer 2.4.10, Ziffer 2.4.11 Abs. 1, Ziffer 2.5.1 Abs. 1, Ziffer 2.6.2 DIN 820 Teil 4 „Normungsarbeit, Geschäftsgang", abgedruckt in: DIN-Normenheft 10, S. 334. 677 Ziffer 4 Abs. 1 DIN 820, Teil 4, abgedruckt in: DIN-Normenheft 10, S. 335. 678 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem DIN Deutsches Institut für Normung e.V. vom 05.06.1975, abgedruckt in: DIN-Normenheft 10, S. 43 ff. 679 Vgl. etwa Schmidt-Preuß, in: Kloepfer, Selbst-Beherrschung, S. 89, 96 sowie nachfolgende exkursorische Ausführungen unter 3. Kapitel, B. III. 2. b) cc) (6). 680 Vgl. Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 464 ff.; vgl. auch vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, B. III. 2. b) cc) (2).
Β. Pflichtverletzung
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(a) Fachkompetenz Ohne Zweifel war und ist die Cromme-Kommission ein hochqualifiziert besetztes Gremium von Fachleuten aus Wirtschaft und Wissenschaft 681. Die Nutzbarmachung der besonderen Fachkompetenz der Mitglieder der CrommeKommission war eine der tragenden Beweggründe, die inhaltliche Ausarbeitung des Kodex einem privaten Gremium zu über antworten 682 . Die zur Herausbildung eines tauglichen Erfahrungssatzes fur eine dem heutigen Stand der Wissenschaft entsprechende gute Unternehmensfuhrung und -kontrolle erforderliche besondere Fachkompetenz kann damit grundsätzlich bejaht werden 683 . Die Hervorhebung verantwortungsbewussten Verhaltens bezieht sich jedoch nach ungeteilter Gremiumsmeinung nur auf die Kodexempfehlungen, da die Anregungen — wie bereits mehrfach erwähnt — (noch) nicht allgemein als „best practice" akzeptiert sind 684 , sich also eine mit dem Inhalt der Anregungen übereinstimmende allgemeine Fachmeinung noch nicht gebildet hat 685 . Eine beweisrechtlich relevante Wirkung der Anregungen scheidet deshalb aus. (b) Verfahrensgrundsätze als „prozederale Richtigkeitsgewähr" Auch das Verfahren bei der Ausarbeitung der Kodexempfehlungen müsste so ausgestaltet sein, dass die hinreichende Gewährleistung der Objektivität und Gemeinnützigkeit gesichert ist. In den Blickpunkt gerät damit die prozederale Komponente der „Richtigkeitsgewähr" privater Regelwerke. Nur bei deren Erfüllung können die Gerichte davon ausgehen, dass die Kodexempfehlungen inhaltlich akzeptabel und deshalb zur Konkretisierung gesetzlicher Sorgfaltsmaßstäbe geeignet sind 686 .
681 Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1271; Seibert, BB 2002, 581, 582; auch Bernhardt, BB 2002, 1841, 1842. 682 Vgl. Baums, Bericht, Rn. 16, S. 59, wonach die Entwicklung eines einheitlichen deutschen Kodex nur durch „eine Kommission mit anerkannten und fachlich qualifizierten Mitgliedern geschehen" könne. 683 Vgl. Kort, in: GroßKommAktG, § 76 Rn. 38 (Kodexregelungen beruhen „in hohem Maße auf den jeweils neuen betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen"). 684 Vgl. BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21 mit Verweis auf entsprechendes Meinungsbild der Kodex-Kommission; Schüppen, ZIP 2002, 1117, 1117; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 152; v. Werder, DB 2002, 801, 802. 685 Im Ergebnis ebenso Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1579. 686 Vgl. Schmidt-Preuß, in: Kloepfer, Selbst-Beherrschung, S. 89, 95; Schulte, in: Rengeling, Umweltnormung, S. 165, 180; kritisch Feldhaus, in: Rengeling, Umweltnormung, S.137, 152 f.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
(aa) Transparenz und Publizität Die hierfür zunächst notwendige Transparenz und Publizität setzte eine möglichst frühzeitige Bekanntgabe des genaueren Regelungsvorhabens und Veröffentlichung oder zumindest Verfügbarkeit des ersten Regelungsentwurfs sowie der abschließenden Fassung voraus 687 . Die Arbeit der Cromme-Kommission basierte zu einem nicht unerheblichen Teil auf entsprechenden Vorüberlegungen der itawws-Kommission 688 , die sämtlich im Bundesanzeiger 689 sowie in Buchform 690 veröffentlicht wurden. War die Öffentlichkeit damit schon über den Regelungsgegenstand der anstehenden Beratungen der Cromme-Kommission vertraut gemacht 691 , wurde der interessierten Öffentlichkeit am 18. Dezember 2001 der Entwurf des Kodex vorgestellt 692 . Die endgültige Fassung des Kodex wird in ständig aktualisierter Form im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlicht 693 . Die Öffentlichkeit war und ist damit über Vorhaben, Entwürfe und die gültige Fassung im Sinne der Grundsätze von Transparenz und Publizität ausreichend informiert. (bb) Repräsentanz Die Kommission müsste auch repräsentativ besetzt sein. So gemahnte die itawtfw-Kommission mit Blick auf die von ihr empfohlene Bildung der Cromme-Kommission, diese müsse die „Erfahrungen und Interessen der Kapitalmarktteilnehmer und Unternehmensbeteiligten wiederspiegeln", da wegen den Wirkungen des Kodex einer „ausgewogenen und repräsentativen Beset-
687 Vgl. in Bezug auf technische Normen Schmidt-Preuß, in: Kloepfer, SelbstBeherrschung, S. 89, 96; vgl. auch Ziffern 3.7, 5.3 DIN 820 Teil 1 („Normungsarbeit, Grundsätze"), abgedruckt in: DIN-Normenheft 10, S. 82. 688 Cromme, Veröffentlichung Kodexentwurf, S, 4. 689 BT-Drucks. 14/7515 vom 14.08.2002. 690 Baums, Bericht, S. 21 ff. 691 Vgl. Ziffer 5.3 Abs. 1 S. 1 DIN 820 Teil 1 („Normungsarbeit, Grundsätze"), abgedruckt in: DIN-Normenheft 10, S. 82: „Der Öffentlichkeit muss die Möglichkeit gegeben werden, sich über die Normungsarbeit des DIN zu unterrichten." 692 Abgedruckt in: NZG 2002, 75, 75 ff.; vgl. dazu die entsprechende Regelung unter Ziffer 5.3 Abs. 2 S. 1 DIN 820 Teil 1 („Normungsarbeit, Grundsätze"), abgedruckt in: DIN-Normenheft 10, S. 82: „Die vorgesehene Fassung einer Norm muss vor ihrer endgültigen Festlegung der Öffentlichkeit zur Stellungnahme vorgelegt werden, im allgemeinen durch Veröffentlichung eines Norm-Entwurfs." 693 Im Internet abrufbar unter: http://www.ebundesanzeiger.de ; Veröffentlichung zudem unter http://www.corporate-governance-code.de (Stand: 15.10.2003).
Β. Pflichtverletzung
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zung" erhebliche Bedeutung zukomme 694 . An diesem Punkt sind Zweifel angezeigt. So wurde verschiedentlich die Überrepräsentanz von Vertretern der DAX-30 Unternehmen beklagt 695 und der zu Tage tretende Korporatismus scharf kritisiert 696 . Die Aktionärsinteressen („Principals") rückten zwangsläufig in den Hintergrund, weil die Mehrheit der Kommissionsmitglieder aufgrund ihres beruflichen Hintergrundes eher den Interessen der Vorstände und Aufsichtsräte („Agents") verbunden und deshalb eine interessengerechte Schlichtung des Principal-Agent-Konflikts 697 nicht möglich sei 698 . In Frage steht damit die angemessene Repräsentanz des Gremiums in Hinblick auf den betroffenen Verkehrskreis, der eben nicht nur aus den größten deutschen Aktiengesellschaften des DAX-30 besteht. Der Kodex stellt ebenso wenig wie § 161 AktG nicht auf die Größe der Gesellschaft ab, sondern richtet sich an alle börsennotierten und zudem — anders als § 161 AktG — auch an geschlossene Gesellschaften, wenngleich in geringerer „Intensität" 699 . Ist der Kodex damit nicht nur für die „Großunternehmen" von Bedeutung, muss das auch in der personellen Zusammensetzung des Gremiums zu Tage treten. Trotz der eingangs erwähnten Kritik kann die Besetzung der Cromme-Kommission jedoch als ausgewogener Spiegel der Interessen börsennotierter Unternehmen angesehen werden 700 , gehören dem 13-köpfigen Gremium doch Repräsentanten börsennotierter Gesellschaften verschiedenster Wirtschaftszweige 701 unterschiedlicher Größe 702 , institutioneller 703 wie privater Anleger 704 , Wirtschaftsprü-
694
Baums, Bericht, Rn. 16, S. 59; vgl. auch Hommelhoff/Schwab,
FS Kruse, S. 693,
701. 695
Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1200. Bernhardt,, DB 2002, 1841, 1842. 697 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. II. 2. c). 698 Bernhardt,, DB 2002,1841, 1842 f. 699 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Β. IV. 1. a). 700 Seibert, BB 2002, 581, 582; ebenso Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 42, der aber an gleicher Stelle davor warnt, die Kommission dürfe sich nicht in Richtung des zu einseitig die Unternehmensinteressen wahrnehmenden USamerikanischen Business Roundtable fortentwickeln, da die Repräsentanz dann in Frage stünde. 701 Stahl (Dr. Gerhard Cromme! ThyssenKrupp AG), Pharma, Chemie, Biotechnologie (Max Dietrich Kley! BASF AG; Peer Michael Schatz! QUIAGEN), Automobil {Dr. Wendelin Wiedeking/ Porsche AG), Kredit- und Versicherungswirtschaft (Dr. Paul Achleiter! Allianz AG; Dr. Rolf -Ε. Breuer! Deutsche Bank AG). 702 Peer Michael Schatz/ QUIAGEN; Dr. Wendelin Wiedeking! Porsche AG. 703 Christian Strenger! DWS Investment GmbH. 704 Ulrich Hocke! Deutsche Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz. 696
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
fer 705 , Arbeitnehmer 706 , der Wissenschaft 707 und auch der Börse 708 an. Es fehlen demgegenüber Vertreter nicht börsennotierter Gesellschaften 709. (cc) Revisibilität Zuletzt erfordert der Grundsatz der Revisibilität, dass jedermann gegen die beabsichtigten Verhaltensregelungen Einspruch erheben kann 710 . In Hinblick auf diesen Grundsatz erhielt jeder Interessierte mit monatlicher Frist zum 18.01.2002 die Möglichkeit, zu dem Diskussions-Entwurf des Kodex vom 18.12.2001 Stellung zu nehmen 711 . Erst nach deren vollständiger Auswertung wurde die endgültige Fassung des Kodex veröffentlicht 712 . Im Vergleich zum DIN-Verfahren, das eine regelmäßige Stellungnahmefrist von vier Monaten vorsieht 713 , ist die Monatsfrist zwar kurz. Angesichts der nach langjähriger wissenschaftlicher Diskussion über Sinn oder Unsinn der enthaltenen Verhaltensregelungen und der Vorarbeit der Bawws-Kommission bekannten Materie stand den interessierten Kreisen jedoch eine ausreichende Zeitspanne zur sachlichen Auseinandersetzung mit dem Entwurf zur Verfügung 714 . Die Stellungnahmen konnten allerdings nur schriftlich abgegeben werden, ohne dass die Stellungnehmenden ihre Auffassung persönlich vor dem Gremium vertreten konnten, wie es in der Verfahrensordnung des DIN e.V. vorgesehen ist. Bei der Möglichkeit zur persönlichen Vorsprache handelt es sich aber
705
Dr. Hans-Friedrich Gelhausen/ PwC Deutsche Revision AG. Heinz Putzhammerl DGB. 707 Prof. Dr. Axel y on Werderl TU Berlin; Prof Dr. Dr. hc. Marcus Lutterl Universität Bonn. 708 Volker Potthoffl Deutsche Börse AG. 709 Vgl. zu den Konsequenzen nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, B. III. 2. b) cc) (5). 710 Schmidt-Preuß, in: Kloepfer, Selbstbeherrschung, S. 89, 96. 711 Cromme, Veröffentlichung Kodexentwurf, S. 13. Vgl. entsprechende Ziffern 2.4.2 DIN 820 Teil 4 („Normungsarbeit, Geschäftsgang"), abgedruckt in: DIN-Normenheft 10, S. 333: „Jedermann kann zum Inhalt des Norm-Entwurfes Zustimmungen, Einsprüche, Änderungs- und Ergänzungsvorschläge (.."Stellungnahmen" ..) mit Begründung bei dem auf dem Norm-Entwurf genannten zuständigen Normenausschuss einreichen." 712 Cromme, Veröffentlichung Kodexentwurf, S. 13; Seibert, BB 2002, 581, 582. 713 Ziffer 2.4.3 Abs. 1 DIN 820 Teil 4 („Normungsarbeit, Geschäftsgang"), abgedruckt in: DIN-Normenheft 10, S. 333. 714 Ob der als Grund der kurzen Frist genannte anstehende Bundestagswahlkampf 2002 als Begründung taugte, steht auf einem anderen Blatt. 706
Β. Pflichtverletzung
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nur um eine Empfehlung und nicht um einen zwingenden Verfahrensablauf 715, so dass dieser Unterschied für sich gesehen nicht erheblich ist. Hinzu kommt allerdings, dass bei der Ausarbeitung des Kodex zwar alle Stellungnahmen ausgewertet und im Rahmen der abschließenden Sitzungen der Kommission erörtert wurden. Der Kodex wurde aber am 26.02.2002 veröffentlicht, ohne dass die Stellungnehmenden die Möglichkeit hatten, ihre Interessen gegebenenfalls erneut zu artikulieren, wenn sie mit der Entscheidung der Kommission nicht einverstanden waren. Demgegenüber enthält fur diesen Fall DIN 820 detaillierte Regelungen über ein durchzuführendes Schlichtungs- und Schiedsverfahren. Danach wird die endgültige Entscheidung über den Inhalt einer Norm möglicherweise erst nach Durchführung eines Schlichtungs- und Schiedsverfahrens durch einen Schiedsausschuss getroffen, der sich aus dem Vorsitzenden des Normenausschusses und jeweils zwei vom Stellungnehmenden bzw. dem betroffenen Normenausschuss benannten Mitgliedern zusammensetzt716. Fraglich ist, ob diese gegenüber den DIN-Normen geringere verfahrensmäßige Einflussmöglichkeit der interessierten Öffentlichkeit auf die Entscheidung der Cromme-Kommission so gewichtig ist, dass dies die Aberkennung der „prozederalen Richtigkeitsgewähr" rechtfertigte. Zur Beantwortung gilt es sich zu vergegenwärtigen, dass der Grundsatz der Revisibilität nicht ein ganz bestimmtes Verfahren vorschreibt. Verlangt wird nur, dass eine Entscheidung gegebenenfalls erneut einer Prüfung ihrer „Richtigkeit" unterzogen werden kann. Das Verfahren muss deshalb nicht zwangsläufig entsprechend dem des DIN e.V. ausgestaltet sein. Ohne Zweifel kann festgehalten werden, dass mit zunehmender Anzahl der Instanzen und Unabhängigkeit der Entscheidungsgremien die Gewähr für die „Richtigkeit" der abschließenden Entscheidung zunimmt. Doch kann daraus nicht gefolgert werden, aufgrund des Fehlens einer zusätzlichen zweiten Überprüfungsinstanz verbiete sich jegliche Schlussfolgerung auf eine „Richtigkeit" des Kommissionsergebnisses. Schließlich wurde der Entwurfsinhalt des Kodex vor dem Hintergrund der eingegangenen Stellungnahmen, wenngleich durch das Ausgangsgremium und nicht durch eine weitere Instanz, ein weiteres mal überprüft. Außerdem werden die Kodexregeln alljährlich erneut vor dem Hintergrund nationaler und internationaler Entwicklungen überprüft und bei Bedarf
715 Vgl. entsprechende Ziffer 2.4.5 S. 2 DIN 820 Teil 4 („Normungsarbeit, Geschäftsgang"), abgedruckt, in: DIN-Normenheft 18, S. 333: „Zu dieser Beratung (über die Stellungnahme) sollen die Stellungnehmenden eingeladen werden, damit sie ihre Stellungnahme vor dem Arbeitsausschuss vertreten können." 716 Vgl. entsprechende Ziffer 2.4.7 DIN 820 Teil 4 („Normungsarbeit, Geschäftsgang"), abgedruckt in: DIN-Normenheft 18, S. 333.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
angepasst717. Die Verfahrensordnung des DIN e.V. sieht im Falle fortbestehender Divergenzen zwar die Überprüfung und Entscheidung durch eine weitere „Instanz", den Schiedsausschuss, vor 7 1 8 . Denkbar wäre aber auch entsprechend dem gerichtlichen Instanzenzug ein dreistufiges Entscheidungsverfahren, das einen noch höheren Schutz der Interessen Betroffener gewährleistete. Mit dem Schiedsausschuss gem. DIN 820 entscheidet zudem auch keine vollkommen unabhängige „zweite Instanz". Schließlich handelt es sich gemäß Ziffer 2.4.7 DIN 820 Teil 4 („Normungsarbeit; Geschäftsgang") 719 bei dem im Zweifel entscheidungserheblichen fünften Mitglied des DIN-Schiedsausschusses um den Vorsitzenden des Ursprungsausschusses, der sich in den seltensten Fällen anders als zuvor entscheiden dürfte und deshalb die nach Erörterung der Stellungnahmen getroffene Entscheidung des Normenausschusses meist bestehen bleiben wird. (dd) Zwischenergebnis Es kann damit festgehalten werden, dass das Verfahren der DIN 820 zwar aufgrund der stärker ausgeprägten Revisibilität eine höhere „Richtigkeitsgewähr" als der im Rahmen der Ausarbeitung des Kodex angewandte Ablauf bietet. Nichts desto trotz war und ist aber auch das Verfahren der Kodexerstellung prozederal dennoch so ausgestaltet, dass die normanwendende Rechtsprechung daraus durchaus taugliche Rückschlüsse auf die Wahrung der fachlichen Richtigkeit, Gemeinwohl Verträglichkeit und Objektivität der Empfehlungen schließen kann. Aufgrund der geringeren Intensität der prozederalen Sicherungsmaßnahmen sind diese Rückschlüsse allerdings größeren Vorbehalten ausgesetzt und erfordern von den auf den Kodex zurückgreifenden Gerichten im Sinne eines Abstufungsverhältnisses eine kritischere Hinterfragung des Ergebnisses der Kommissionsarbeit, als dies bei den DIN-Normen angezeigt ist 720 .
717 Präambel Abs. 9 DCGK, vgl. demgegenüber die fünfjährige Überprüfungsfrist für bestehende DIN-Normen, Ziff. 4 Abs. 1 DIN 820 Teil 4 („Normungsarbeit, Geschäftsgang"), abgedruckt in: DIN-Normenheft 18, S. 335. 718 Vgl. auch DVGW GW 100 Nr. 5.2.4., wonach der Berufungsfuhrer gegen eine Regel des DVGW die Entscheidung eines Berufungsausschusses beantragen kann, der sich aus sieben Fachleuten, von denen einer vom Einsprechenden benannt wird, zusammensetzt. 719 Abgedruckt in: DIN-Normenheft 10, S. 334. 720 Vgl. Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 179, der in Hinblick auf die „Schwachstelle" des Kodex, die unzureichende Absicherung des Empfehlungsteils gegen verfassungsrechtliche Bedenken (vgl. Transparenz, Publizität, Repräsentanz, Revisibilität!) anspricht, die Gerichte könnten es aufgrund dieser Unzulänglichkeit ablehnen, „den Ko-
Β. Pflichtverletzung
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Außerdem muss berücksichtigt werden, dass die nach der ersten Fassung des Kodex aus dem Jahr 2002 durch Sitzung der Cromme-Kommission am 21. Mai 2003 neu in den Kodex eingefügten Empfehlungen (insbesondere ζ. B. Ziff. 4.2, 5.4.5 DCGK mit individualisierter Offenlegung der Vorstands- und Aufsichtsratsvergütung) 721 vor ihrer Einfügung in den Kodex nicht veröffentlicht wurden und keine formliche Stellungnahmemöglichkeit für im Gremium nicht vertretene Personen oder Interessengruppen bestand. Es war lediglich, aber nur „inoffiziell" bekannt, dass die Regelungsmaterie Gegenstand der Kommissionsarbeit sein werde. Mit Ausnahme der Repräsentanz wurden die Voraussetzungen der prozederalen Richtigkeitsgewähr damit bei Ausarbeitung der neuen Empfehlungen in geringerem Maße als bei der Ursprungsfassung erfüllt. Aus diesem Grund ist der Inhalt der „neuen" Empfehlungen von den Gerichten besonders aufmerksam zu hinterfragen. (c) Ansehen der Kodexregelungen und empirisch nachweisbare Schadensminimierung Hinzu kommt, dass anders als bei den DIN-Normen auch die eingangs weiter erwähnten Anknüpfungspunkte für die Herausbildung eines mit privaten Regeln übereinstimmenden Erfahrungssatzes, ein hohes Ansehen der Regeln und ein empirisch nachweisbarer Zusammenhang von Regelbefolgung und Schadensmeldung, in Hinblick auf den Kodexinhalt (noch) nicht erkennbar sind. Erste Untersuchungen zum Umfang der Kodexbefolgung weisen zwar in Richtung auf ein nicht unerhebliches Maß an Zustimmung 722 , doch bleibt offen, ob die dokumentierte Befolgung wirklich auf die Überzeugung von der inhaltlichen Richtigkeit der Regeln oder nicht eher auf die Furcht vor negativer Kursbeeinflussung zurückzuführen ist. Empirische Erkenntnisse über eine Schadensvermeidung oder auch nur -minderung durch Entsprechung der Kodexempfehlungen fehlen erst recht.
dexempfehlungen Einfluss, sei es auch nur mittelbarer Art, auf die Anwendung zivilund aktienrechtlicher Haftungsnormen zuzuerkennen." 721 Vgl. Hervorhebung der Änderungen in ZIP 2003, 1316 ff. 722 Vgl. v. Werder, Executive Summary, S. 3 f f , im Internet abrufbar unter http://www.bccg.tuberlin.de/main/publicationen/Executive_Summary_DCGK.PDF (Stand: 15.10.2003), eine geringere Befolgungsquote von 35-46 % feststellend Towers/Perrin, Corporate Governance 2003, S. 16 f f ; vgl. auch vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, B. III. 2. b) bb).
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
(d) Ergebnis des Befundes unter Berücksichtigung der Beweislastregel der §§93 Abs. 2, 116 AktG Fraglich ist, welchen Einfluss eine Befolgung oder Nichtbefolgung der Kodexempfehlungen nach vorstehenden Ausführungen auf die Beweisregelung gemäß §§93 Abs. 2 S. 2, 116 AktG hat. Durch diese gesetzliche Regelung wird den Organmitgliedern nach ganz herrschender Literaturauffassung 723 und im Ergebnis wohl auch Rechtsprechung 724 die Beweislast nicht nur für fehlendes Verschulden, sondern auch für die fehlende Pflichtwidrigkeit ihres Handelns aufgebürdet. Wären die für die DIN-Normen existenten primae-facie- bzw. Beweislastregelungen auf die Kodexempfehlungen analog übertragbar, beinhaltete eine Befolgung der Empfehlungen im Ergebnis eine echte Beweislastumkehr zu Gunsten der Mitglieder des Aufsichtsrats, während es bei einer Nichtbefolgung bei der für die Organmitglieder nachteiligen Beweislastverteilung des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG, allerdings bei deutlicher Erschwerung des Entlastungsbeweises, verbliebe. Tatsächlich wird dem Kodex unter pauschaler Erwähnung konkretisierender Einflüsse privater Normen auf die Ausfüllung von Generalklauseln teilweise eine solche Wirkung zugesprochen 725. Die Fachkompetenz des Gremiums steht außer Frage 726 . Wie die voranstehende Untersuchung gezeigt hat, kann jedoch von einem dem Inhalt der DINNormen entsprechenden gesicherten Erfahrungssatz, dass die Normbefolgung im Regelfall einen Schadenseintritt vermeidet bzw. ein Verstoß — zumindest häufig — die Gefahr der Schadensentstehung vergrößert, aufgrund der herausgearbeiteten Defizite der Revisibilität und der darin begründeten deutlich gerin723 Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropff, AktG, § 93 Rn. 32; Hüffer, AktG, § 93 Rn. 16; Hopt, in: GroßKommAktG, § 93 Rn. 285 ff. (m.w.N. in Fn. 949); Mertens, in: KölnKommAktG, § 93 Rn. 102; Wiesner, in: MünchHdbAG, § 26 Rn. 9; Goette, ZGR 1995, 648, 672 f; Frels, AG 1960, 296, 298. 724 Dies jedenfalls, soweit die zuvor Gesellschaft eine möglicherweise in Betracht kommende Pflichtverletzung dargelegt und bewiesen hat. Dem Organ obliegt dann der Gegenbeweis, vgl. hierzu eingehende Analyse der nicht ganz einheitlichen Rechtsprechung bei Goette, ZGR 1995, 648, 649 ff.; entgegenstehend (für den BGH) aber v. Gerkan, ZHR 154 (1990), 39, 49 f. 725 Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1271; Seibt, AG 2002, 249, 251; ders., AG 2003, 465, 470(„Art Safe Haven", „in Praxi Umkehrung der Beweislast") a.A. Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 37 ff., 193 f.; Bachmann, W M 2002, 2137, 2138 f.; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 355. 726 Vgl. Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 39 („Kommissionsmitglieder, die sämtlich Sachverständige auf dem Gebiet der Unternehmensführung und -Überwachung sind").
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geren „prozederalen Richtigkeitsgewähr" 727 nicht ausgegangen werden. Das gilt um so mehr, als dass auch die beiden weiteren Anknüpfungspunkte eines tauglichen Erfahrungssatzes, hohes Regelansehen und empirische Nachweise einer mit der Regelbefolgung verbundenen Schadensverringerung, nicht gegeben sind. Das alles hat zur Folge, dass die beweisrechtlich relevante Wirkung der Kodexempfehlungen nicht denen der DIN-Normen gleichkommen kann. Die Zuerkennung einer den DIN-Normen entsprechenden primae-facie- oder Vermutungswirkung scheidet deshalb aus. Es mangelt an der hierfür erforderlichen tragfähigen Grundlage 728 . Die rechtliche Wirkung der Kodexempfehlungen für börsennotierte Gesellschaften ist damit aber nicht vollkommen irrelevant 729 . Schließlich wurden auch die Empfehlungen der Ursprungsfassung des Kodex, in geringerem Maße auch die nachfolgenden Änderungen, in einem durchaus als geordnet anzusehenden Verfahren erarbeitet, das im Vergleich zu den DIN-Normen nach Art der tatsächlichen Ausarbeitung den Geboten der Publizität, Transparenz und Repräsentanz weitestgehend und dem Gebot der Revisibilität zumindest teilweise entsprach. Dadurch übersteigt die „Richtigkeitsgewähr" dieser Empfehlungen diejenige reiner „Regeln der Klugheit" anderer (Selbstregulierungs-) Organisationen 730 , die ohne prozederale Sicherung der Objektivität und Gemeinnützigkeit ausschließlich das Beratungsergebnis von Expertengruppen zu bestimmten Fragestellungen wiedergeben. Schon solchen „Klugheitsregeln" wird die Fähigkeit zuerkannt, als Referenzpunkte einer Sorgfaltsbestimmung dienen zu können 731 . Einhergehend mit ihrer gesteigerten prozederalen Komponente vermögen die
727 Vgl. zum Einfluss nicht ausreichender Verfahrensabläufe auf die entsprechend geringere Beweiswirkung technischer Normen Marburger, in: Hosemann, Risiko, S. 119, 146. 728 I.E ebenso Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 36; Bachmann, W M 2002, 2137, 2138 f.; Ettinger/Grützediek,, AG 2003, 353, 355. 729 So aber Bachmann, W M 2002, 2137, 2139; differenzierter Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 39 („allgemeine, nicht fallbezogene Sachverständigenaussage" kann durch „andere Sachverständigenaussage oder sonstige Beweismittel widerlegt werden"); Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 355. 730 Vgl. zu den Richtlinien für das Risikomanagement im Derivatengeschäft für das Kreditwesen v. Randow, ZGR 1996, 594, 625 ff.; zum Risikomanagement allgemein die Standards des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW), IDW RS HF A 1, IDW PS 350, abgedruckt in: WPg 1998, 652, 653 ff., 663 ff.; IDW PS 340, abgedruckt in: WPg 1998, 927, 927 ff.; dazu Pahlke, NJW 2002, 1680, 1684. Vgl. auch die in Parallelität zu den GoB entwickelten „Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensfuhrung" (GoU) und der Versuch deren Systematisierung bei v. Werder, ZfbF-Sonderheft 36 (1996), S. 27, 34 ff.; vgl. auch Mertens, in: KölnKommAktG, § 93 Rn. 45. 731 v. Randow, ZGR 1996, 594, 625.
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3. Kapitel : Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Kodexempfehlungen erst recht Hinweise auf die Ein- oder Nichteinhaltung der gesetzlich erforderlichen Sorgfalt im Sinne der §§93 Abs. 1 S. 1, 116 AktG zu geben. Ihnen kommt damit eine Indizfunktion im Rahmen der normalen richterlichen Beweiswürdigung unter Beibehaltung der gesetzlichen Beweislastverteilung zu. Während ein empfehlungskonformes Verhalten also die — zumindest nach der Gesetzeskonstruktion — sehr stark zu Lasten der Organmitglieder wirkende Beweislastregelung des § 93 Abs. 2 AktG abmildert 732 , weist ein Entgegenhandeln in Verstärkung der Beweislastregel auf eine Sorgfaltswidrigkeit hin 7 3 3 . (5) Keine beweisrechtliche Wirkung für Organmitglieder nicht börsennotierter Gesellschaften Die vorstehenden Ergebnisse der Untersuchung können allerdings nicht auf die Eingrenzung der allgemeinen Sorgfaltspflicht von Organmitgliedern nicht börsennotierter Gesellschaften übertragen werden. Zum einen waren und sind geschlossene Gesellschaften gar nicht im Gremium repräsentiert. Es ermangelt deshalb an jeglicher „prozederal" gesicherten Berücksichtigung ihrer Interessen. Zum zweiten verbietet sich eine Berücksichtigung schon vom Ansatz, weil sich die im Kodex als eines seiner Wesensmerkmale angelegte abgestufte Adressierung an notierte wie nicht notierte Gesellschaften 734 nicht in der Haftungsnorm
732
Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 42. I.E. ebenso Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 832; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1576 f.; Borges, ZGR 2003, 508, 521; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 355; Hopt, Beiheft ZHR 71, S. 27, 52; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 167; ders., AcP 202 (2002), 143, 170 f.; ebenso in Bezug auf die Entscheidung über die generelle Anerkennung bzw. Abweichung vom Kodex als Grundlage der Entsprechenserklärung Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 542; ähnlich wohl auch (noch zum „Code of Best Practice" und „German Code of Corporate Governance") Pahlke, NJW 2002, 1680, 1684; i.E. ähnlich auch Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 39 („nicht fallbezogene Sachverständigenaussage" kann durch „sonstige Beweismittel widerlegt werden"); angedeutet bei Peltzer, Deutsche Corporate Governance, Rn. 331; ders., NZG 2002, 10, 11; offengelassen bei Fischer zu Cramburg, in: AnwK-AktienR, Kap. 5 Rn. 3; Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 53; W. Müller, WPg-Sonderheft 2001, S. 129, 131; a.A. (für Vermutungswirkung und damit Beweislastumkehr zugunsten der Organmitglieder) Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1271; Seibt, AG 2002, 249, 251; zu weitgehend Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1205 (Kodex „definiert" Sorgfaltspflichten); a.A. (gegen jegliche rechtliche Wirkung); Bachmann, W M 2002, 2137, 2139. 733
734
Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Β. IV. 1. a).
Β. Pflichtverletzung
213
der §§ 93, 116 AktG wiederfindet, die alle Aktiengesellschaften ohne Ansehung der Börsennotierung in gleichem Maße erfasst 735. (6) Exkurs: Verfassungsrechtliche Bedenken Nicht unerwähnt bleiben soll, dass eine Literaturstimme unter Verweis auf die geringere „Steuerungsmöglichkeit" des Staates und nicht gegebene rechtliche Absicherung eines bestimmten Ausarbeitungsverfahrens dem Kodex jegliche Eignung abspricht, Vermutungswirkungen vergleichbar denen der DINNormen zu erzeugen. Ohne solche Sicherung dürften private Regelungen, wie sachverständig auch immer, keinerlei rechtliche Folgen nach sich ziehen 736 . Damit zielt diese Auffassung letztlich darauf ab, dass ohne festgeschriebene verfahrensmäßige Sicherungen jegliche mit privaten Regelwerken verknüpfte rechtliche Wirkung verfassungswidrig wäre 737 . Tatsächlich ist in der Literatur die Verfassungsmäßigkeit des Kodex nicht unumstritten. So wird teilweise von einem mangels gesetzlicher Regelung nicht demokratisch legitimierten faktischen Zwang der Unternehmen zur Akzeptanz des Kodex gesprochen 738. Andere schließen verfassungsrechtliche Probleme aus, da die Unternehmer die gesetzliche Möglichkeit zum begründungsfreien „Opt-out" hätten und eine sich trotz dieser Möglichkeit einstellende Akzeptanz des Kodex nicht auf dem sonst unterstellten „Kleinmut" der Unternehmer, sondern der Qualität der Regeln beruhten 739 . Unabhängig von der Frage eines Anwendungszwangs vermag insbesondere das Fehlen gesetzlicher Regelungen zu Bildung und Zusammensetzung der Cromme-Kommission sowie zum Verfah-
735 Claussen/Bröcker, BB 2002, 1199, 1201 (dort Fn. 18); i.E. ebenso Abram , NZG 2003, 307, 308. 736 Bachmann, W M 2002, 2137, 2139 unter Berufung auf Denninger, Normsetzung, Rn. 155: „Ein goverment of men and not of law widerspricht dem Grundgedanken des Rechtsstaates auch dann, wenn die men höchst sachverständig sind."; zustimmend Ettinger/Gr ützediek, AG 2003, 353, 355. 737 Vgl. Bachmann, W M 2002, 2137, 2139, 2142; ähnlich Wolf ZRP 2002, 59, 60; a.A. Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1276; tendenziell auch Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 40. 738 Wolf ZRP 2002, 59, 60; zweifelnd wegen der bewussten Absicht des Gesetzgebers, einem privaten Gremium inhaltliche Ausgestaltungen zu überantworten, deren Nichtbeachtung Sanktionen nach sich ziehen soll, Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1 Rn.l3 a.E. 739 Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 45, 414; ähnlich Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 42 f.
214
3. Kapitel : Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
rensablauf 740 schon in Hinblick auf die aufgeführten Parallelen zur Regelung des § 342 HGB Zweifel an der Einhaltung verfassungsrechtlicher Mindeststandards zu nähren 741 . So ist die Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 342 HGB aufgrund der darin enthaltenen Verweisung auf die GoB mit Blick auf grundrechtliche Schutzpflichten des Staates oder Art. 20 GG (Demokratieprinzip, Gesetzesvorbehalt) nicht unumstritten 742, obwohl dort der Verfahrensablauf fur die Erstellung der „Empfehlungen" gesetzlich geregelt ist 743 . Zweifel sind deshalb auch bei den Kodexregelungen geboten, weil an eine Nichtbefolgung der Empfehlungen de facto die genannten Indizwirkungen auch zu Lasten der Normadressaten von Kodex und § 161 AktG verbunden sind 744 . Der Verzicht des Gesetzgebers auf eine § 342 HGB entsprechende Regelung ist nicht zuletzt deshalb verfassungsrechtlich zumindest bedenklich 745 . So wird im Schrifttum mit guten Gründen die Auffassung vertreten, der Staat dürfe sich im Rahmen selbstregulatorischer Prozesse nicht privaten Partikularinteressen ausliefern. Je mehr sich der Staat zugunsten selbstregulativer Regelungen zurücknehme und je größer die damit verbundenen Risiken seien, desto stärker treffe ihn gerade in grundrechtsrelevanten Bereichen eine „Gewährleistungsverantwortung", weshalb er sich eine Zugriffsoption auf die privat erstellten Gestaltungsmodelle für den Fall „privater Schlechterfüllung" erhalten müs-
740 Das war nach Auffassung der Ztawms-Kommission wegen der unterschiedliche Funktion beider Gremien nicht erforderlich, vgl. Baums, Bericht, Rn. 17, S. 60. 741 So Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 162 ff.; ähnlich Kort; in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 40; zweifelnd auch Seibt, AG 2002, 249, 259; für Verfassungswidrigkeit Wolf, ZRP 2002, 59, 60. 742 Für Verfassungswidrigkeit des § 342 Abs. 2 HGB Hommelhoff/Schwab, in: GroßkommHGB, § 342 Rn. 89; a.A. Heintzen, KoR 2001, 150, 153 f., zweifelnd Hellermann, NZG 2000, 1097, 1101 f. Vgl. allgemein zur verfassungsrechtlichen Problematik von Regelwerken privater Gremien Kirchhoff, ZGR 2000, 681, 685; Denninger, Normsetzung, Rn. 144; Heintzen, BB 1999, 1050, 1050 f f ; Hommelhoff FS Odersky, 1996, 779, 784 f.; Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rn. 80 m.w.N.; Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 390 ff.; Voelzkòw , Private Regierungen, S. 35 ff., 55 ff., 219 f f , 309 ff. m.w.N. 743 Vgl. zu den verfahrensmäßigen Anforderungen an private Regelwerke Denninger, Normsetzung, Rn. 83 ff. 115 ff., 144, 171 ff.; Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rn. 81; Homme l hoff/Schwab, in: Staub, GroßkommHGB, § 342 Rn. 17 ff. m.w.N.; SchmidtAssmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Assmann/ Schuppert, Reform, S . l l , 44; Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160, 172 ff. 744 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 162 ff; vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, B. III. 2. b) cc) (4) (d). 745 Vgl. zu entsprechenden Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der KodexEmpfehlungen Heckscher, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 3. Kapitel, Rn. 2; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 163 ff.; Seibt, AG 2002, 249, 259.
Β. Pflichtverletzung
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se 746 . Dies könne durch institutionelle und eventuell auch finanzielle Steuerung in Form der Repräsentanz des Staates in den privaten Gremien bzw. durch zur Verfugungstellung finanzieller Mittel geschehen747. Während es darüber hinaus nach einer teilweise vertretenen Meinung aus verfassungsrechtlichen Gründen für erforderlich erachtet wird, dass der Gesetzgeber Verfahren und Besetzung der privaten Gremien im einzelnen regeln müsse748, lassen es andere Stimmen genügen, dass die Gerichte die Möglichkeit haben, die privat erstellten Regeln zu verwerfen und so ihre Korrektur zu induzieren 749 . Da nach letztgenannter Auffassung den Gerichten bei ihrer Entscheidung eine Überprüfung der „fachlichen Richtigkeit" abverlangt würde, könnten diese hilfsweise auf die Art und Weise des Zustandekommens der privaten Regeln — häufig als „prozederale" 7 5 0 Komponente bezeichnet — abstellen: Je mehr den Geboten der Transparenz 751 , Publizität 752 , Repräsentanz 753 und Revisibilität 754 genüge getan werde, könnten die Gerichte davon ausgehen, dass die privaten Regelwerke den Normalfall fachlich richtig bewerten 755 . Damit hätten es die privaten Regelgeber 746 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhoff, Handbuch des Staatsrecht, Band V, § 111 Rn. 86 f f ; Stern, Staatsrecht, Bd. I I I / l , S. 984 ff.; Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/ Schneider, Verfahrensprivatisierung, S. 9, 24 ff.; Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rn. 80; Schmidt-Aß mann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert, Reform, S. 11, 43 f.; Schmidt-Preuß, in: Kloepfer, Selbst-Beherrschung, S. 89, 94; ders., VVDStRL 56 (1997), 160, 173 m.w.N. Für die Möglichkeit einer Übertragung sogar staatlicher Überwachungsaufgaben auf unternehmensexterne Private bei Beschränkung des Staates auf deren Kontrolle im Arzneimittel-, Umwelt- und Produktsicherungsrecht Möllers, Rechtsgüterschutz, S. 333 ff. 747 Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160, 203 ff.; ders., in: Kloepfer, SelbstBeherrschung, S. 89, 94 f.; ähnlich Denninger, Normsetzung, Rn. 117, 127. 748 Hommelhoff/Schwab, in: Staub, GroßkommHGB, § 342 Rn. 19, 55, 79; Schwab, BB 1999, 731, 733 ff. (zu den Rechnungslegungsgrundsätzen des DRSC); grundlegend ders., Politikberatung, S. 395 ff. 749 Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160, 203 f f ; ders., in: Kloepfer, SelbstBeherrschung, S. 89, 94 f.; sogar für volle Unterwerfung privater Normen wie etwa der DIN unter Art. 20 GG etwa Denninger, Normsetzung, Rn. 117, 127. 75 0 Kloepfer, Umweltrecht, §3 Rn. 81; Schmidt-Preuß, in: Kloepfer, SelbstBeherrschung, S, 89, 96; Marburger, in: Hosemann, Risiko, S. 119, 135 ff. 751 Dazu Salzwedel, N V w Z 1987, 276, 278 f.; v. Lersner, NuR 1990, 193, 196. 752 Vgl. v. Lersner, NuR 1990, 193, 196; Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 408 ff. 753 Vgl. hierzu auch Hommelhoff/Schwab, FS Kruse, S. 693, 701; Schwab, Politikberatung, S. 410 ff. 754 Dazu v. Lersner, NuR 1990, 193, 195 f.; Marburger, in: Hosemann, Risiko, S. 119, 145 f. 75 5 Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rn. 81; v. Lersner, NuR 1990, 193, 195 ff.; Marburger, in: Hosemann, Risiko, S. 119, 146; Schmidt-Preuß, in: Kloepfer, SelbstBeherrschung, S, 89, 96; zum Publizitätserfordernis Marburger, Die Regeln der Technik
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
selbst in der Hand, durch entsprechende Verfahrensgestaltungen fur eine „prozederale Richtigkeitsgewähr" des Regelwerks und die damit einhergehende Rezeption der Regeln in den gerichtlichen Entscheidungen zu sorgen 756 . Jedenfalls solange die Kodexregelungen — insbesondere die Empfehlungen — nicht den Rahmen des geltende Aktienrechts sprengen und einzig der Auslegung der lex lata dienen, dürfte der Kodex nicht verfassungswidrig sein 757 . Zudem dürfte allein ein im Einzelfall möglicher wirtschaftlicher Druck nicht zu einem verfassungsrechtlichen Legitimationsdefizit führen 758 . Auf die im Raum stehende verfassungsrechtliche Problematik soll allerdings im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht weiter eingegangen, sondern unterstellt werden, dass die (eingeschränkte) Indizfunktion der Kodexempfehlungen im Rahmen der Beurteilung der allgemeinen aktienrechtlichen Sorgfaltspflicht nicht gegen Demokratieprinzip oder Gesetzesvorbehalt verstößt 759 . 3. Überwachungspflicht bei (eingeschränkt) positiver Entsprechenserklärung Schließlich stellt sich die Frage, ob die Aufsichtsratsmitglieder verpflichtet sind, die Einhaltung der durch Abgabe einer (teilweise) positiven Entsprechenserklärung beschlossenen Befolgung von Kodexempfehlungen mittels entsprechender Organisationsmaßnahmen sicherzustellen und zu überwachen. Nach manchen Stimmen in der Literatur ergibt sich eine solche Verpflichtung zum „internen Controlling" als Folgepflicht des Wahrheitsgebots des § 161 AktG 7 6 0 bzw. aus der allgemeinen Sorgfaltspflicht, §§93 Abs. 1 S. 1, 116 AktG 7 6 1 .
im Recht, S. 408 ff.; Salzwedel, NVwZ 1987, 276, 278 f.; grundsätzlich Denninger, Normsetzung, passim. 75 6 Schmidt-Preuß, in: Kloepfer, Selbst-Beherrschung, S. 89, 96; ders., VVDStRL 56 (1997), 160, 205. 75 7 Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 40. 75 8 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 44 f. 759 So Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 44 f.; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1276; tendenziell ebenso Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 40. 760 Seibt, AG 2002, 249, 254; wohl auch Schüppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 24. 761 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 18; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 832; Kiethe, NZG 2003, 559, 564; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 541; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 556.
Β. Pflichtverletzung
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Nach allgemeiner Auffassung ist es Aufgabe des Vorstands, den Unternehmenserfolg im Rahmen der Gesetze, der Satzung und verbindlichen Beschlüsse von Aufsichtsrat und Hauptversammlung zu fordern und Schaden von der Gesellschaft abzuwenden762. Er muss deshalb für eine ordnungsgemäße Organisation Sorge tragen. Unter anderem gehört dazu auch die Einrichtung eines seit dem KonTraG auch in § 91 Abs. 2 AktG 7 6 3 geregelten Frühwarn- und Überwachungssystems764. Der Aufsichtsrat wiederum hat gemäß § 111 Abs. 1 AktG das Vorstandshandeln, also auch dessen Risikoerkennung, zu kontrolliere 765 . Daneben treffen die Aufsichtsratsmitglieder in eigenen Angelegenheiten interne Überwachungspflichten bezüglich der Rechtmäßigkeit des Handelns der anderen Organmitglieder 766 . Da zu erwarten ist, dass eine publizierte Einhaltung von Empfehlungen bei tatsächlich fehlender Umsetzung der Beschlussinhalte der Gesellschaft zum Nachteil 767 gereichen kann, muss der Aufsichtsrat auch überwachen, ob der Vorstand durch entsprechende Organisationsmaßnahmen dafür Sorge trägt, dass die Erklärung von den jeweiligen Adressaten befolgt wird 7 6 8 .
762 Mertens, in: KölnKommAktG, § 93 Rn. 29; Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl/ Eckhardt/Kropf, AktG, § 93 Rn. 13; Hüffer, AktG, § 93 Rn. 3; Wiesner, in: MünchHdbAG, § 25 Rn. 3; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn. 8 f., der im Gegensatz zu vorstehenden Nachweisen die Vorstandspflichten nicht aus § 93 Abs. 1 AktG, sondern aus § 76 Abs, 1 AktG herleitet, ohne dass sich dabei im Ergebnis eine Änderung ergibt, vgl. Hüffer, AktG, § 93 Rn. 3. 763 Mit dieser Norm besteht keine Pflicht zur Einrichtung eines umfassenden Risikomanagements, sondern nur eines zur Früherkennung bestandsgefährdender Entwicklungen geeigneten Systems und dessen Überwachung, vgl. zum Meinungsstand Hüffer, AktG, § 93 Rn. 8 f.; Lutterl Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 82; Pahlke, NJW 2002, 1680, 1681 ff.; zur Auswirkung der Ziffern 5.2 S. 4, 5.3.2 DCGK Theisen, BB 2003, 1426, 1426 ff. 764 Wiesner, in: MünchHdbAG, § 25 Rn. 5; vgl. Ziffer 4.1.4 DCGK, vgl. zur Übereinstimmung mit § 91 Abs. 2 AktG Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 465 ff. 765 Hoffmann-Becking , in: MünchHdbAG, § 33 Rn. 47; Lutterl Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 82, 210; Claussen/Korth, FS Lutter, S. 327, 329 f f ; Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rn. 102.1; Pahlke, NJW 2002, 1680, 1684; Thümmel, DB 1999, 885, 886. 766 Mertens, in: KölnKommAktG, § 116 Rn. 11 f. 767 Von einem „den Fortbestand der Gesellschaft gefährdenden" Risiko i.S.d. § 91 Abs. 2 AktG wird man dann zwar noch nicht sprechen können, doch lässt sich auch unterhalb dieser Schwelle aus der allgemeinen Geschäftsführungsaufgabe eine Pflicht zum Risikomanagement herleiten, vgl. Pahlke, NJW 2002, 1680, 1683 f.; in diesem Sinne wohl auch Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 541. 768 So Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 541; Semler/Wagner, NZG 2003, 533, 557.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Feste Grundsätze bestimmter Organisations- oder Dokumentationspflichten existieren jedoch weder allgemein 769 , noch weniger in Bezug auf das Erkennen von Kodexabweichungen 770 . So ist etwa dem Vorstand die Einfuhrung eines Kontrollsystems immer dann nicht möglich, wenn er nach allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätzen nicht über die das kontrollierte Handeln betreffende Entscheidungsbefugnis verfügt 771 . Auch besteht letztlich eine Wechselwirkung des Kontrollaufwands mit der Entscheidung über die Anerkennung einer Empfehlung. Sind unverhältnismäßige organisatorische Maßnahmen erforderlich, kann unter Umständen eine Anerkennung den bei der Entscheidung zu berücksichtigenden Interessen der Gesellschaft entgegenstehen und damit pflichtwidrig sein 772 . A u f die Einhaltung der anerkannten Empfehlungen könnte durch gesellschaftsinterne Umsetzung (Satzung, Geschäftsordnung/Anstellungsverträge der Vorstandsmitglieder) hingewirkt werden 773 . Erfolgt eine solche Transformation, stellt sich ein Entgegenhandeln des jeweils betroffenen Organmitglieds unzweifelhaft als schadensersatzbewehrter Pflichtverstoß dar 7 7 4 und eignet sich zur Prävention abweichenden Handelns. Lässt sich die abgegebene Erklärung aber schon unter Beibehaltung der vorhandenen Organisationsstrukturen einhalten, sind weitere Umsetzungen entbehrlich 775 . Das gilt umso mehr, als durch eine Transformation die Flexibilität der Gesellschaft, aufgrund möglicherweise neu aufgetretener Unternehmensspezifika oder sonstiger Entwicklungen vom zunächst publizierten Verhalten abzuweichen, deutlich eingeschränkt wird. Ist oh769
Claussen/Korth,
FS Lutter, S. 327, 330 f f ; Pahlke, NJW 2002, 1680, 1683 ff.
m.w.N. 77 0 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 157; Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 18 („(...) kann (...) die Einrichtung eines internen Controlling systems erforderlich machen, um die Korrektheit (...) sicherzustellen."); Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 556; a.A. offenbar Seibt, AG 2002, 249, 254 unter Verweis auf die Darstellung der Dokumentations- und Organisationspflichten beim Abhängigkeitsbericht bei Hüffer, AktG, § 312 Rn. 32 AktG. 771 Ähnlich Seibt, AG 2002, 249, 254; unberücksichtigt bei Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 541; vgl. zum Problemkreis vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 2. 772 Vgl. zum Sorgfaltsmaßstab bei der Entscheidung über den Inhalt der Erklärung vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, B. III. 1. 773 Vgl. Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 158, Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 556. 77 4 Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1575; Ettinger/Grützediek,, AG 2003, 353, 355; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 536; Kollmann,, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 14; W. Müller, WPg-Sonderheft 2001, 129, 131; Schiessl, AG 2002, 593, 595; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 557; vorausgesetzt bei Baums, Bericht, Rn. 17, S. 61; vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. II. 77 5 Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 557.
C. Rechtswidrigkeit
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ne Transformation ein Abweichen nach Abgabe einer entsprechenden Korrekturerklärung unproblematisch möglich 776 , müsste bei Einarbeitung der entsprechenden Empfehlung(en) in Satzung oder Geschäftsordnung die betreffende Regelung zunächst wieder aus dem gesellschaftsinternen Regelwerk entfernt werden. Eine gesellschaftsinterne Verankerung empfiehlt sich demnach nur, wenn die Gesellschaft eine bestimmte Verhaltensnorm endgültig als Teil ihrer Corporate Governance übernehmen will 7 7 7 . Grundsätzlich sind bei der Beurteilung der Notwendigkeit von Organisationsmaßnahmen atypische Abläufe, auf deren Eintritt nichts hindeutet, nicht in die Überlegungen mit einzubeziehen778. Es besteht demnach keine generelle Verpflichtung zur Überwachung der Einrichtung eines bestimmten Kontrollsystems oder zur Transformation akzeptierter Empfehlungen, sondern nur die allgemeine und ohne Berücksichtigung der speziellen Strukturen der Gesellschaft nicht näher eingrenzbare Pflicht zur sorgfältigen Überprüfung, ob die Empfehlungen bei gewöhnlichem Geschäftsbetrieb eingehalten werden 779 . 4. Zusammenfassung Die Entscheidung über den Inhalt der Entsprechenserklärung unterliegt den Ermessensgrenzen der business judgement rule. Die Beurteilung der Sorgfaltsmäßigkeit des tatsächlichen Handelns der Aufsichtsratsmitglieder wird von der Erklärung nicht berührt. Stellt sich aber eine allgemeine Übung zur Befolgung einzelner Kodexempfehlungen ein, deutet eine Nichtanwendung ohne Darlegung überzeugender Gründe auf eine Sorgfaltswidrigkeit hin. Darüber hinaus konkretisieren die Kodexempfehlungen allein aufgrund ihres Ausarbeitungsverfahrens in begrenztem Umfang den allgemeinen aktienrechtlichen Sorgfaltsmaßstab und indizieren im Rahmen der normalen richterlichen Beweiswürdigung dessen Ein- oder Nichteinhaltung.
C. Rechtswidrigkeit Eine Schadensersatzhaftung erfordert auch die Rechtswidrigkeit des Handelns. Sie ergibt sich im Regelfall aber schon aus der aktienrechtlichen Pflicht-
776 77 7 77 8 77 9
Vgl. zu den Voraussetzungen vorst. Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 5. c). Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 100 ff. Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 557. Semler/Wagner, NZG 2003, 533, 557.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Widrigkeit des Aufsichtsratshandelns und ist deshalb zu vernachlässigen 780, soweit nicht ausnahmsweise Rechtfertigungsgründe eingreifen 781 . In diesem Zusammenhang dürfte allein hervorzuheben sein, dass ein Hauptversammlungsbeschluss nach § 93 Abs. 4 AktG die Rechtswidrigkeit des vom Beschluss gedeckten Handelns unberührt lässt und lediglich einen Haftungsausschluss beinhaltet 782 . Der Tatbestand besitzt bezogen auf den Aufsichtsrat ohnehin „eher theoretische Bedeutung" 783 und dürfte allenfalls fur die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegenüber dem Vorstand in Betracht kommen, § 147 Abs. 1 AktG 7 8 4 .
D. Verschulden Die Aufsichtsräte haben nach dem allgemeinen Grundsatz der Schadensersatzanbindung an das Verschuldenserfordernis im deutschen Zivilrecht nur fur schuldhafte Pflichtverletzungen einzustehen785. Maßstab des Verschuldens ist gleich der Pflichtverletzung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds 786. Es gilt ein typisierter Verschuldensmaßstab für alle Aufsichtsratsmitglieder, so dass mangelnde Fähigkeiten und Kenntnisse, die dem verlangten Standard nicht genügen, keinen Entschuldigungsgrund darstellen 787 . Gelegentliche Versuche im Schrifttum, der individuellen Verschiedenheit 780
Vgl. etwa fehlende Erwähnung bei Hüffer, AktG, § 93 Rn. 12 ff. Mertens, in: KölnKommAktG, § 93 Rn. 7, 102; Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl/ Eckhardt/Kropff, § 93 Rn. 32. 782 Geßler, in: Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropff, AktG, § 116 Rn. 22. 783 Theissen, DBW 1993, 295, 301 (im Zusammenhang mit der Aufsichtsratshaftung nur denkbar bei Ersetzung einer Aufsichtsratszustimmung für ein bestimmtes zustimmungsbedürftiges Geschäft des Vorstands durch die Hauptversammlung gem. § 111 Abs. 4 S. 3 und 4 AktG); in Bezug auf den Kodex ebenso Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 355. 784 Geßler, in: Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropff, AktG, § 116 Rn. 22. 785 BGH NJW 1980, 1629, 1629; Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropf, § 93 Rn. 29; Hopt, in: GroßkommAktG, § 93 Rn. 252; Hüffer, AktG, § 93 Rn. 14; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 846; Mertens, in: KölnKommAktG, § 93 Rn. 98. 786 Dorait , in: Semler, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, Rn. M. 40; Hüffer, AktG, § 93 Rn. 3; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 846; Mutter, Unternehmerische Entscheidungen und Haftung des Aufsichtsrats, S. 283. 787 Dorait , in: Semler, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, Rn. M. 41; Hüffer,, AktG, § 93 Rn. 14; Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropf, § 93 Rn. 29; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 846; Mertens, in: KölnKommAktG, §93 Rn. 98 f.; Schwark, FS Werner, S. 841, 851 f.; Wiesner, in: MünchHdbAG, § 26 Rn. 7. 781
D. Verschulden
221
der Aufsichtsratsmitglieder, insbesondere mit Blick auf die Arbeitnehmervertreter, durch Anlegung subjektiv geringerer Sorgfaltsmaßstäbe abzuhelfen 788, sind mit dem Grundsatz der Gleichheit aller Aufsichtsratsmitglieder nicht in Einklang zu bringen, so dass alle Organmitglieder an einem objektiven Mindeststandard zu messen sind 789 . Liegt eine Pflichtverletzung vor, sind damit kaum Situationen denkbar, in denen es am Verschulden fehlt 790 . Der Einwand eines in Anspruch genommenen Aufsichtsratsmitglieds, sich über den genauen Pflichtengehalt des § 161 AktG nicht im klaren gewesen zu sein, weil die Vorschrift und deren Bezugnahmen auf einen privat erstellten Kodex neu und die rechtliche Auslegung nicht abschließend geklärt sei, wäre somit unabhängig von seinem persönlichen Kenntnisstand unbeachtlich. Jedes Organmitglied hat sich im Rahmen des Zumutbaren über eine neue Rechtslage durch Einholung fachkundigen Rats zu informieren 791 . Dazu standen auch für die im Jahre 2002 erstmals abzugebende Erklärung mehrere Monate zur Verfügung, zumal die wissenschaftliche Diskussion bereits vor Veröffentlichung des Kodex und Verabschiedung des § 161 AktG eingesetzt hatte. Andererseits können jenseits dieser von allen Mitgliedern zu fordernden Mindestkenntnisse und -fähigkeiten für einzelne Mitglieder (wie auch schon i.R.d. Pflichtverletzung) 792 erhöhte Anforderungen gelten, so bei der Übernahme besonderer Funktionen wie die Mitgliedschaft in einem Spezialausschuss oder des Aufsichtsrats Vorsitzes 793. Richtet der Aufsichtsrat zur Optimierung seiner Arbeitsleistung mit Spezialisten besetzte Ausschüsse ein 794 , gilt dort, zu788 So Geßler, in: Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropf, § 116 Rn. 10, 12; Schilling, in: GroßkommAktG, § 116 Rn. 5, 7. 789 Vgl. zur heute ganz h.M. BGHZ 85, 293, 295 f. (Hertie); Dorait , in: Semler, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, Rn. M. 42; Hüffer, AktG, § 116 Rn. 2; Lutter/Krieger; Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, RN. 846. 790 Hopt, in: GroßKommAktG, § 93 Rn. 255. So will Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 529 „kleinere" Pflichtverletzungen von Organmitgliedern wie ζ. B. „unwesentliche" Abweichungen von der Entsprechenserklärung auf der Ebene des Verschuldens lösen. 791 Vgl. BGH, DB 1985, 1173, 1174 (Einholung eines Rechtsgutachtens); Hefermehl in: Geßler/Hefermehl/Eckhard/Kropff, AktG, § 93 Rn. 29; Hopt, in: GroßKommAktG, § 93, Rn. 255; Wilhelmi, in: Godin/Wilhelmi, AktG, § 93 Rn. 6. 792 Vgl. dazu Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 839 f f , 848. 793 Vgl. BGH W M 1993, 1330, 1336 zur Notwendigkeit erweiterter Spezialkenntnisse bei der Mitgliedschaft im Kreditausschuss einer Bank (allerdings ablehnend bzgl. Mitgliedschaft im Personalausschuss, str.); Hoffmann-Becking , in: MünchKommAG, §33 Rn. 46; Hüffer, AktG, § 116 Rn. 3; Ulmer, in: Hanau/ Ulmer, MitbestG, §25 Rn. 120; Dreher, FS Boujong, S. 71, 84 ff.; Schwark, FS Werner, S. 841, 848. 794 Vgl. Ziffer 5.3.1, 5.3.2 DCGK.
222
3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
mindest wenn es zu einer hinreichenden Verfestigung eines erhöhten Anforderungsprofils gekommen ist 7 9 5 , fur alle Mitglieder ein vom Anforderungsprofil des Gesamtaufsichtsrats zu lösender bereichsspezifischer (subjektiver) Sorgfaltsmaßstab 796. Wer die für die Ausübung der jeweiligen besonderen Funktion erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht besitzt, darf die Position nicht übernehmen, anderenfalls trifft ihn ein Übernahmeverschulden 797. Diese Grundsätze verschärfter Haftung griffen auch ein, wenn der Aufsichtsrat einen „Corporate Governance-Kontrollausschuss" zur Überwachung der Einhaltung der Entsprechenserklärung einrichtete 798 . Das gilt insbesondere auch für Mitglieder des durch Ziffer 5.3.2 DCGK empfohlenen „Audit Committees" 799 . Auch gibt es kein einheitliches Anforderungsprofil an Aufsichtsräte quer durch alle Aktiengesellschaften, sondern es ist nach Art und Größe der Gesellschaft zu differenzieren 800, weshalb an den Aufsichtsrat einer Geschäftsbank 801 andere und im Ergebnis höhere Anforderungen gestellt werden können als etwa an den einer kleineren Immobilienaktiengesellschaft 802. Zudem stellt sich die Frage, ob eine besondere individuelle Leistungsfähigkeit sich unabhängig von der Ausübung einer speziellen Funktion haftungsintensivierend auswirken kann. Dagegen spricht, dass sich erhöhte individuelle Fähigkeiten und Kenntnisse nicht haftungsbegründend auswirken dürfen sowie
795
So einschränkend Κ Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28 III 1. d), S. 829. Schwark, FS Werner, S. 841, 848. 797 Wohl allg.M., vgl. H off mann-Becking, in: MünchHdbAG, § 33 Rn. 46; Hüffer, AktG, § 116 Rn. 3; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 849; Ulmer, in: Hanau/Ulmer, MitbestG, § 25 Rn. 120; Dreher, FS Boujong, S. 71, 80; Eisenhardt, Jura 1982, 289, 299; Schwark, FS Werner, S. 841, 848. 798 Vgl. dazu vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, B. III. 3. 799 Für Mitglieder des Audit Committee (vgl. Ziffer 5.3.2 DCGK) dürfte es in Hinblick auf die Anforderungen des Sarbannes Oxlex-Act (Section 407 SOA) an die dem Ausschuss angehörenden Bilanzexperten auch zu der teilweise verlangten hinreichenden Verfestigung eines erhöhten Anforderungsprofils gekommen sein, vgl. Mutter/Gayk, ZIP 2003, 1773, 1775. 800 Diese Differenzierung ist auch in Ziffer 5.4.1 DCGK angelegt, vgl. Kremer, in: Ringleb/Lutter/Kremer/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 706 ff. 801 Vgl. sehr weitgehende Anforderungen an den Aufsichtsrat einer Bank durch den österreichischen OGH, AG 1983, 81, 82; zustimmend Semler, AG 1983, 82, 83. 802 Hüffer, AktG, § 116 Rn. 3; Ulmer, in: Hanau/Ulmer, MitbestG, § 25 Rn. 118; Schwark, FS Werner, S. 841, 849; Mutter, Unternehmerische Entscheidungen und Haftung des Aufsichtsrats, S. 290; für den Vorstand Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl/ Eckhardt/Kropff, AktG, § 93 Rn. 12. 796
E. Schaden und haftungsausfüllende Kausalität
223
der Grundsatz der Gleichheit aller Aufsichtsratsmitglieder 803. Auf der anderen Seite werden Aufsichtsratsmitglieder gerade wegen ihrer besonderen Fertigkeiten auf bestimmten Gebieten in den Aufsichtsrat berufen, um dem Unternehmen dieses Wissen zu erschließen, so dass es unbefriedigend wäre, wenn diese ohne Schuldvorwurf hinter ihren persönlichen, über das Normalmaß hinausgehenden Möglichkeiten zurückbleiben dürften und das eigentlich vorhandene Kontrollniveau nicht erreicht würde 804 . Der Meinungsstreit braucht an dieser Stelle jedoch nicht entschieden zu werden, da die im Zusammenhang mit Kodex und §161 AktG in Betracht kommenden Handlungen keine speziellen Fertigkeiten etwa als Bankier, Wirtschaftsprüfer oder Jurist etc. voraussetzen. Notwendig ist im Wesentlichen eine sorgfältige Sachverhaltserforschung 805, die Abgabe einer formgerechten, rechtzeitigen und inhaltlich wahren Erklärung 806 sowie die Kenntnis der gesellschaftsinternen Regelwerke 807 und des Kodexinhalts 808 . All das sind Fähigkeiten, die auch von einem durchschnittlichen Aufsichtsratsmitglied erwartet werden können und müssen. Überlegungen über eine Erhöhung des Verschuldensmaßstabs sind aus diesem Grund im untersuchten Zusammenhang nicht relevant.
E. Schaden und haftungsausfüllende Kausalität Die durch § 93 Abs. 2 S. 2 AktG vorgegebene Beweislastverteilung bedingt, dass den Merkmalen des Schadens und der Kausalität besondere Bedeutung im Rahmen der Geltendmachung von Haftungsansprüche zuwächst. Soweit die Gesellschaft die Schadensverursachung und ein möglicherweise pflichtwidriges Verhaltens des in Anspruch genommenen Aufsichtsratsmitglieds dargelegt und bewiesen hat 8 0 9 , muss das Organmitglied dann darlegen und beweisen, pflicht803 Hüffer, AktG, § 116 Rn. 3; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28 III ld); Schwark, FS Werner, S. 841, 850 f., 853 f. 804 Dorait, in: Semler, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, Rn. M. 44; Hoffmann-Becking, in: MünchHdbAG, § 33 Rn. 46; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 849; Mertens, in: KölnKommAktG, § 116 Rn. 57; Dreher, FS Boujong, S. 71, 78 f f ; Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 228. Vgl. zu gesteigerten persönlichen Anforderungen aus der Rechtsprechung OLG Düsseldorf, W M 1984, 1080, 1085; RGZ 144, 348, 355. („Konnte er (der AR) die Pflicht eines Aufsichtsrats nicht erfüllen, musste er die Annahmen des Amtes ablehnen.") 805 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 5. d); 3. Kapitel III. 3. 806 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 5. a), b). 807 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, B. II. 808 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, B. III. 1. 809 Hüffer, AktG, § 93 Rn. 15; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 850; Wiesner, in: MünchHdbAG, § 26 Rn. 9; Goette, ZGR 1995, 648, 672 f.;
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
gemäß, rechtmäßig oder zumindest nicht schuldhaft gehandelt zu haben 810 . Der von der Gesellschaft nachzuweisende Schaden richtet sich nach den allgemeinen Regeln, §§ 249 ff. BGB 8 1 1 . Im Bereich gesellschaftsrechtlicher Pflichtverletzungen wird regelmäßig ein Schaden nicht gegenständlich, sondern nur vermögensmäßig eingrenzbar sein und besteht vom Grundsatz her in der Differenz zwischen dem Stand der Aktiengesellschaft vor und nach der schädigenden Pflichtverletzung. Dabei bleibt die Vermögenslage der Aktionäre außer Betracht 812 . Dieser Schaden muss adäquat kausal verursacht worden sein 813 . I. Schadensbegriff und denkbare Schadenspositionen Besteht bis hierher vom Grundsatz her Einigkeit, divergieren die Auffassungen, soweit es um die nähere Bestimmung des Schadensbegriffs geht. Während manche nach allgemeinen Grundsätzen unter einem Schaden jede Minderung des Vermögens der Gesellschaft verstehen (weiter Schadensbegriff) 814, sind andere der Auffassung, ein Schaden im Sinne der § 93 Abs. 1 AktG liege nur bei einer dem Unternehmenszweck widersprechenden Beeinträchtigung des Gesellschaftsvermögens vor (enger Schadensbegriff) 815. Begründet wird diese Einschränkung im Wesentlichen damit, dass die Geschäftsleitungsorgane im Rahmen des pflichtgemäßen unternehmerischen Ermessens nicht allein auf Ge-
Heermann, ZIP 1998, 761, 768; Herne, HRR-AktR, Rn. 434, 436; a.A. (volle Beweislastumkehr) OLG Hamm, ZIP 1995, 1263, 1265; OLG Düsseldorf, W M 1984, 1080, 1084; Mertens, FS Lange, S. 561, 562. 810 Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropff, AktG, § 93 Rn. 32 ff.; Hüffer, AktG, § 93 Rn. 16; Mertens, in: KölnKommAktG, § 93 Rn. 102, § 116 Rn. 59; Wiesner, MünchHdbAG, § 26 Rn. 9; Mertens, FS Lange, S. 561, 562; a.A. (nur Verschulden) Frels, AG 1960, 296, 296. 811 OLG Düsseldorf, AG 1997, 231, 237; Dorait , in: Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, Rn. M. 38; Hopt, in: GroßKommAktG, § 93 Rn. 261; Hüffer, AktG, § 93 Rn. 15; Mertens, in: KölnKommAktG, § 116 Rn. 60; Horn, ZIP 1987, 1225, 1230. 812 Hopt, in: GroßkommAktG, § 93 Rn. 265; Mertens, in: KölnKommAktG, § 93 Rn. 24; Horn, ZIP 1987, 1225, 1230 f. 813 Statt aller Hüffer, AktG, § 93 Rn. 15. 814 Hüffer, AktG, § 93 Rn. 15; Hopt, in: GroßkommAktG, § 93 Rn. 263; Koppensteiner in: Rowedder, GmbHG, § 43 Rn. 22 m.w.N.; Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 159 f.; Meyer-Landruth, in: Meyer-Landruth/Miller/Niehus, GmbHG, § 43 Rn. 15; Heermann, ZIP 1998, 761, 767, Mutter, Unternehmerisches Ermessen und Haftung des Aufsichtsrats, S. 299 f. 815 Mertens, in: KölnKommAktG, § 93 Rn. 23; Wiesner, in: MünchHdbAG, § 26 Rn. 6; ähnlich Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropff, AktG, § 93 Rn. 28; Mertens, FS Lang, S. 651, 652 f.; zur GmbH Mertens, in: Hachenburg, GmbH, § 43 Rn. 57; Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 14.
E. Schaden und haftungsausfüllende Kausalität
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winnmaximierung festgelegt seien 816 . Folglich rechtfertige nicht jede, sondern nur eine typischerweise auf eine Pflichtwidrigkeit hinweisende Vermögensminderung, den Organmitgliedern die Beweislast fehlender Pflichtwidrigkeit aufzubürden 817 . Unabhängig davon, ob damit nicht zum Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit gehörende Überlegungen in den Schadensbegriff einflössen, die Differenzierung nicht zu unscharf und der letztlich in der Beweislastverteilung wurzelnden Problematik nicht besser durch einschränkende Auslegung des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG zu begegnen sei 818 , kann der Meinungsstreit im Rahmen der Arbeit offen bleiben. Jeder Verstoß gegen die gesetzliche Erklärungspflicht oder auch den Kodex wäre — zumindest nach den bisher geäußerten Erwartungen — unabhängig von der Frage einer Pflichtwidrigkeit mit einem Imageverlust der Gesellschaft in der Öffentlichkeit verbunden 819. Soweit damit sogar eine bezifferbare Vermögensminderung der Gesellschaft einhergeht, ist daraus anders als etwa bei sozial, politisch oder kulturell motivierten Handlungen auch im Sinne des engen Schadensbegriffs schon typischerweise ein pflichtwidriges Verhalten zu entnehmen. Die besondere Schwierigkeit im untersuchten Zusammenhang liegt also nicht in der Frage des Begriffsverständnisses, sondern darin, einen Schaden überhaupt der Höhe nach beziffern zu können 820 . Nicht jeder Nachteil ist ein erstattungsfähiger Schaden821. Ein bloßer Image- und öffentlicher Vertrauens Verlust 822 lässt sich nicht oder nur schwerlich mit hinreichender Genauigkeit vermögensmäßig erfassen. Ein „Imageschaden"823 lässt sich also leicht behaupten, aber kaum erfolgreich darlegen 824 . 816 Genannt werden soziale, politische und kulturelle Ziele, die unter rein pekuniärer Betrachtung das Gesellschaftsvermögen mindern, sich aber dennoch ohne weiteres im Rahmen pflichtgemäßen Leitungsermessens bewegen können, vgl. Mertens, in: KölnKommAktG, § 93 Rn. 23; vgl. eingehend zur Interessenpluralität und Interessenhierarchie bei der Leitung der Gesellschaft Kort, § 76 Rn. 52 ff. 817 Mertens, in: KölnKommAktG, § 93 Rn. 103; Wiesner, in: MünchHdbAG, § 26 Rn. 6; Mertens, FS Lang, S. 651, 652. 818 Hüffer, AktG, § 93 Rn. 15, 17; Mutter, Unternehmerische Entscheidungen und Haftung des Aufsichtsrats, S. 299. 819 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. IV. 2. c) bb). 820 Bachmann,, W M 2002, 2137, 2142; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1577; Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1205; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 526; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1272; Seibert, BB 2002, 581, 584; Seibt AG 2002, 249, 255. 821 Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 526. 822 Das unterstellend Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273; Seibert, BB 2002, 581, 584. 823 Vgl. Schüppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 6; ders., ZIP 2002, 1269, 1273. 824 Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 362.
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Als messbarer Schaden in Betracht kommen Kursverluste. Solche werden zwar allseits erwartet und stellen nach Vorstellung der Kommissionen und des Gesetzgebers die eigentliche Sanktion auf Pflichtwidrigkeiten im Umfeld von Entsprechenserklärung und Kodex dar 825 . Ein Kurseinbruch allein ist jedoch noch kein Schaden der Gesellschaft, da nur das Vermögen der Anteilseigner, nicht aber das der Gesellschaft unmittelbar beeinträchtigt ist 826 . Die Vermögenslage der Aktionäre bleibt aber für die Ermittlung des Schadens der Gesellschaft außer Betracht 827 . Selbst wenn sogar sehr wichtige (institutionelle) Anleger — womöglich mit Blick auf einen sie selbst treffenden Rechtfertigungsdruck — von einer Investition absähen, schädigte das noch nicht unmittelbar das Gesellschaftsvermögen 828. Der Gesellschaft selbst entsteht nur dann ein Schaden, wenn sie selbst im Rahmen der kapitalmarktrechtlichen Haftung über § 44 BörsG oder §§ 37b, 37c WpHG 8 2 9 gegenüber Anlegern für deren Kursverluste haftet 830 . Soweit das nicht der Fall ist, muss ein durch den Kursverlust untrennbar verbundener Vermögensnachteil oder ein nach allgemeinen Regeln ebenfalls erstattungsfähiger entgangener Vorteil 8 ^ 1 der Gesellschaft hinzutreten. Zu denken ist dabei insbesondere an eine fest eingeplante Emission von Aktien zur Kapitalbeschaffung 832. Wird im Vorfeld dieser Kapitalbeschaffungsmaßnahme be-
825 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. IV. 1.; 2. c) bb). Vgl. zur Sanktionierung durch den Kapitalmarkt BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21. 826 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 43; Ettinger/Grützediek,, AG 2003, 353 362; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1577 (dort Fn. 133); Seibt, AG 2002, 249, 255; Seibert, DB 2002, 581, 584; sinngemäß auch Bachmann, W M 2002, 2137, 2142; allein die Kausalitätsproblematik ansprechend Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1205. 827 Hopt, in: GroßKommAktG, § 93 Rn. 265; Mertens, in: KölnKommAktG, § 93 Rn. 24; Horn, ZIP 1987, 1225, 1230 f. 828 Ettinger/Grützediek,, AG 2003, 353, 362; Seibt, AG 2002, 249, 255; ähnlich Berg/Stöcker, AG 2002, 1569, 1577 (dort Fn. 133); Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 15. 829 Dazu Fleischer, BB, 2002, 1869, 1869 ff.; Maier-Reimer/Webering, W M 2002, 1857, 1857 ff.; Groß, W M 2002, 477 ff. 830 Bachmann, W M 2002, 2137, 2142; ausführlich Ettinger/Grützediek,, AG 2003, 353, 362, 364; zum Rückgriff (auf den Vorstand) bei einer Haftung nach §§ 37b, 37c WpHG Maier-Reimer/Webering, W M 2002, 1857, 1864. 831 Hopt, in: GroßKommAktG, §93 Rn. 264; Wiesner, in: MünchHdbAG, §26 Rn. 6; Seibt, AG 2002, 249, 254. 832 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 190; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353 362; Kiethe, NZG 2003, 559. 564; Seibt, AG 2002, 249, 254; ähnlich Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1 Rn. 43 („steigende Finanzierungskosten").
E. Schaden und haftungsausfüllende Kausalität
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kannt, dass der Aufsichtsrat unrichtige Entsprechenserklärungen abgegeben oder notwendige Korrekturerklärungen unterlassen oder — möglicherweise gerade in Hinblick auf die geplante Kapitalbeschaffung — über Gebühr verzögert hat, verringert sich unter Umständen der erzielbare Emissionspreis der auszugebenden neuen Aktien. Dadurch verringerte sich unmittelbar das der Gesellschaft zufließende, sicher geglaubte Kapital. Zumindest könnte sich der Kapitalzufluss verzögern, wenn sich etwa nach Auffassung des Emissionskonsortiums 833 der Börsengang als zur Zeit undurchführbar darstellt 834 . Das könnte zusätzliche bzw. vergeblich aufgewendete Vorbereitungskosten für die Kapitalerhöhung oder (weitere) Verluste bzw. entgangene Gewinne wegen zwischenzeitlich zurückgestellter Investitionen mangels anderweitiger Finanzierungsmöglichkeiten nach sich ziehen 835 . Ein unmittelbarer Schaden könnte der Gesellschaft auch dadurch erwachsen, dass die Art und Weise der „Corporate Governance", deren Bewertung — gerade aus der Perspektive ausländischer Betrachter — maßgeblich durch den Kodex und die entsprechende Erklärung der Gesellschaft geprägt werden dürfte, auch Einfluss auf die Fremdkapitalkosten der Unternehmen gewinnen könnte. Führenden anglo-amerikanischen Rating-Agenturen wie Standard & Poor's, Moodey und Finch haben etwa die Analyse der Corporate Governance schon zu einem Teil des Bewertungsprozesses gemacht8^6. Das hat aufgrund der internationalen Verflechtung der Finanzmärkte Einfluss auf die Fremdkapitalbeschaffung deutscher Unternehmen, obwohl die deutschen Banken die Bewertung der Unternehmensführung entgegen diesem weltweiten Trend bisher kaum in die Analyse der Kreditvergabekriterien mit einfließen lassen837. Würde die Einhaltung des Kodex oder der Umgang mit der Entsprechenserklärung als Standardfaktor Eingang in das Bewertungssystem der Rating-Agenturen finden, führte
833
Vgl. zur Fremdemission Hüffer, AktG, § 182 Rn. 4 f. Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 362. 835 Kiethe, NZG 2003, 559, 564. Zur Schadensverursachung vgl. auch Kronke, FS Lutter, 1449, 1459. 836 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, A. II. 2. 837 Vgl. hierzu Däubler, NJW 2003, 1096 f.; Strenger, FAZ v. 26.10.2002, Nr. 249, S. 21; vgl. aber die durch die DVFA entwickelte sog. „Scorecard for German Corporate Governance", im Internet abrufbar unter: http//:www.dvfa.de (Stand: 15.10.2003), anhand derer Investoren, Analysten und die Unternehmen selbst die Einhaltung der Kodexbestimmungen überprüfen können. 834
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
ein so bedingtes schlechteres Ranking einer Gesellschaft unmittelbar zu höheren, bezifferbaren Fremdkapitalkosten 8 3 8 . Als weitere denkbare Schadensposition w i r d der Fall der unterlassenen A b gabe der Entsprechenserklärung genannt, die zur Folge hätte, dass der A b schlussprüfer i m Rahmen der vorzunehmenden rein formellen Vollständigkeitsprüfung 8 3 9 den Bestätigungsvermerk einschränken, § 322 Abs. 4 S. 1 H G B , und m i t der Einschränkung zum Handelsregister einreichen müsste, § 325 H G B 8 4 0 . Eine verspätete Abgabe der Entsprechenserklärung trotz des klaren Zeitrahmens (Kalenderjahr) 8 4 1 , erst recht die Weigerung der Aufsichtsrats, überhaupt eine Entsprechenserklärung abzugeben, dürfte jedoch in der Praxis die Ausnahme sein 8 4 2 . Relevanter erscheint ein Verstoß gegen die Voraussetzungen des „Zugänglichmachens" i m Sinne des § 161 S. 2 A k t G , deren Erfüllung durch den Vorstand v o m Aufsichtstat zu überwachen ist. Ein Verstoß zöge
838 Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353 362; Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1 Rn. 43 („steigende Finanzierungskosten' 4); Schüppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 6 („höhere Kapitalkosten"). 839 Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1574; Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 791; Seibert, BB 2002, 581, 584; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 175. Vgl. eingehend zur Frage der Verpflichtung des Abschlussprüfers, eine bei Gelegenheit seiner Tätigkeit festgestellte inhaltliche Unrichtigkeit der Erklärung dem Aufsichtsrat gem. § 321 Abs. 1 S. 3 AktG intern mitzuteilen Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1574. 840 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1 Rn. 43; Lutter, in: KodexKommentar, Rn. 1058; Schüppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 6; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 170; Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 791; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1272; Seibt, AG 2002, 249, 257. 841 Vgl. dazu vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 5. b) aa). 842 Beachtenswert ist aber, dass eine anlässlich der Untersuchung der Aufsichtsratsvergütung durchgeführte Untersuchung feststellte, dass 84,6 % der insgesamt 123 analysierten DAX-, MDAX-, A M A X - und NEMAX-Gesellschaften bis zum 10.01.2003 überhaupt keine Entsprechenserklärung abgegeben hatten oder weder im Internet publizierten und sie auch nicht auf Anfrage erhältlich war oder sie so allgemein war, dass daraus keine Rückschlüsse auf den Untersuchungsgegenstand der Aufsichtsratsvergütung zu ziehen waren, vgl. Heibig, in: v. Werder, Studien des deutschen Aktieninstituts, Heft 20, S. 20 f. Auch wenn die dritte Alternative (zu allgemeine Erklärung) nicht unbedingt eine Pflichtverletzung darstellt, wird mit den beiden erstgenannten Alternativen gegen die Erklärungspflicht des § 161 AktG ausweislich der Quote von bis zu 15,4 % in nicht unerheblichem Maße verstoßen! Dabei unterscheidet sich die „Einhaltungsquote" deutlich je nach untersuchtem Marktsegment, (DAX= 100%; M D A X = 88,2 %, SMAX= 81 %; N E M A X = 76,1 %), vgl. Heibig, in: v. Werder, Studien des deutschen Aktieninstituts, Heft 20, S. 102; Vgl. auch Studie von Oser /Orth/Wader, DB 2003, 1337 f., nach der zwar alle DAX-30 die erste Entsprechenserklärung bis zum 31.12.2002 abgegeben, von den MDAX- und noch kleineren „AGM-42"-Unternehmen sogar nach dem 01.04.2003 noch 1,4 % bzw. 16,7 % gar keine Erklärung abgegeben haben.
E. Schaden und haftungsausfüllende Kausalität
229
ebenfalls die Einschränkung oder Verweigerung des Bestätigungsvermerks nach sich 843 . II. Kausalität Nicht nur die Darlegung eines bezifferbaren unmittelbaren Schadens der Gesellschaft, sondern insbesondere die von der Gesellschaft ebenfalls nach den allgemeinen Grundsätzen zu beweisende adäquate Kausalität 844 zwischen konkretem Verhalten des Aufsichtsratsmitglieds und Schadensentstehung wirft große Probleme auf* 45. Soweit es um einen Schaden im Zusammenhang mit Kursschwankungen geht, müsste zunächst die dem Regelungskonzept zugrundeliegende grundsätzliche Erwartung des Bestehens eines Zusammenhangs zwischen Handlungen im Zusammenhang mit Entsprechenserklärung und Kodex und Kursausschlägen nachweisbar sein 846 . Allein ist dieser Nachweis bis jetzt noch nicht geführt, zumal empirische Untersuchungen im Ausland 847 nicht ohne weiteres auf den deutschen Kapitalmarkt übertragen werden können, da die deutschen Anleger anders als ausländische Investoren mit Kodizes (noch) nicht vertraut sind 848 . Auch wenn der Nachweis gelingt, wird es meist an einer Monokausalität fehlen. Vielmehr wird es sich regelmäßig um Fälle kumulativer Kausalität 849 handeln, da der Kursverlauf nicht nur von einem einzelnen Ereignis abhängt, sondern vielfältigen und kaum abschätzbaren Wechsel- und Rückwirkungen unterschiedlichster Faktoren unterliegt 850 . Sinkt etwa der Börsenkurs kurz vor der Emission neuer Aktien in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang
843 844
Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1 Rn. 43. Hopt, in: GroßKommAktG, § 93 Rn. 266; Mertens, in: KölnKommAktG, § 93
Rn. 23. 845 Bachmann, W M 2002, 2137, 2142; Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1205; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 526; Seibt, AG 2002, 249, 255; ähnlich schon Eisenhardt, Jura 1982, 289, 299. 846 Vgl. Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 169; ähnlich (zur Außenhaftung) Abram, ZBB 2003, 41, 48 ff.; Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1205; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 363. 847 Vgl. etwa Studie von CalPERS oder MCKinsey & Companie Investor Opinion Survey on Corporate Governance aus Juni 2000. 848 Daraufhinweisend Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1205; Seibt, AG 2002, 249, 255; vgl. aber einen eventuellen Einfluss der von der DVFA entwickelten „Scorecard for German Corporate Governance" als Hilfsmittel für Analysten, die ihre Bewertung an das Ausmaß der Kodexentsprechung knüpft, im Internet abrufbar unter: http://www.dvfa.de (Stand: 15.10.2003). 849 Zum Begriff Lange, Schadensersatz, S. 158 f. 850 Vgl. Möllers/Leisch, W M 2001, 1649, 1655 f.
230
3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
ζ. B. mit dem bekannt werden einer fehlerhaften Entsprechenserklärung rapide um 20 %, ließe sich das im Sinne der conditio sine qua non-Formel und Adäquanztheorie 851 sicherlich auf das Fehl verhalten zurückfuhren. Fraglich bleibt jedoch, ob nicht auch andere Faktoren wie beispielsweise schlechte Unternehmenszahlen, allgemein negative Kursentwicklungen oder Konjunkturprognosen oder bloßes „Parkettgeflüster" mit dazu beigetragen haben und wenn ja in welchem Umfang 852 . Für teilweise zur Verhinderung des Unaufklärbarkeitsrisikos angedachte Überlegungen einer Übertragung des Rechtsgedankens aus § 830 Abs. 1 S. 2 BGB bleibt angesichts der speziellen aktienrechtlichen Regelung dieses Risikos über § 93 Abs. 2 S. 2 AktG kein Raum 853 . Weniger Schwierigkeiten machte dagegen ein Kausalitätsnachweis, soweit Kreditinstitute in Zukunft ein Fehlverhalten bei der Abgabe der Erklärung als negatives Bewertungs-Kriterium ansähen. Die durch eine Abstufung im KreditRating anfallenden höheren Kosten beruhten dann in eindeutig bezifferbarem Umfang auf dem schadensstiftenden Ereignis. Im Ergebnis zeigt die vorstehende Auflistung möglicher Fallbeispiele, dass sich in der Praxis nur in den seltensten Fällen ein bezifferbarer Schaden auf das Fehlverhalten des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit der Abgabe der Entsprechenserklärung nachweisbar zurückführen lassen wird 8 5 4 .
F. Durchsetzung des Ersatzanspruchs Die Geltendmachung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Aufsichtsratsmitglieder ist gemäß § 78 AktG Sache des Vorstands 855 . In entsprechender Anwendung der Grundsätze, die der Bundesgerichtshof in der Entscheidung ARAG ./. Garmenbeck 856 hinsichtlich der Verfolgung von Schadens851 Vgl. zur eher großzügigen Rechtsprechung deren Darstellung bei Lange, Schadensersatz, S. 89 ff. 852 Vgl. zur Kausalitätsproblematik Abram , ZBB 2003, 41, 48f. (zu § 826 BGB); Groß, W M 2002, 477, 486; Hutter/Leppert, NZG 2002, 649, 655; Möllers/Leisch, W M 2001, 1648, 1655 f. Überlegungen über eine entsprechende Anwendung der Beweislastumkehr der Vorschrift des § 45 Abs. 2 Nr. 2 BörsG im Rahmen des § 249 BGB scheiden aufgrund der speziellen aktienrechtlichen Regelung des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG aus. 853 Vgl. Mutter, Unternehmerische Entscheidungen und Haftung des Aufsichtsrats, S. 300 ff. 854 Entsprechende Einschätzung bei Bachmann, WM 2002, 2137, 2142; Ettinger/Grützediek,, AG 2003, 353 362; Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 15; Seibert, BB 2002, 581, 584; Seibt, AG 2002, 249, 255. 855 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 854. 856 BGHZ 135, 244 ff.
F. Durchsetzung des Ersatzanspruchs
231
ersatzansprüchen der Gesellschaft gegen den Vorstand durch den Aufsichtsrat aufgestellt hat, ist auch der Vorstand verpflichtet, im umgekehrten Fall erfolgversprechende Schadensersatzansprüche durchzusetzen 857. Beiden Konstellationen gemeinsam ist die Frage der effektiven Rechtsdurchsetzung, da das jeweils zur Anspruchsverfolgung zuständige Organ zugleich meist eigenes Fehlverhalten offenbaren müsste858. Damit angesprochen sind die Fälle, in denen Schadensersatzansprüche gegen Aufsichtsratsmitglieder wegen mangelhafter Überwachung der Vorstandstätigkeit im Raum stehen. In Zusammenhang mit Entsprechenserklärung und Kodex liegt der Schwerpunkt der möglichen Pflichtverletzungen des Aufsichtsrats hingegen weniger im Bereich der Kontrolltätigkeit als im Rahmen der sonstigen Befugnisse des Aufsichtsrats 859. Unabhängig davon verbleibt es aber auch dort bei der Interessenverwebung beider Organe, schließlich belangte der Vorstand ein ansonsten ihn kontrollierendes Organ (-mitglied). Zudem sind die Mitglieder beider Organe häufig aufgrund langjähriger Zusammenarbeit einander persönlich verbunden 860. Um das naheliegende „Kartell des Schweigens" zu durchbrechen, sieht das Aktiengesetz in der seit dem KonTraG geltenden Fassung einzig 861 die Möglichkeit der Erzwingung einer Geltendmachung von Ersatzansprüchen durch einfache Mehrheit der Hauptversammlung oder eine qualifizierte Minderheit am Grundkapital von 10 % bzw. einen anteiligen Betrag von 1.000.000 Euro vor; bei Nichterreichen dieser Schwelle kann eine Minderheit von 5 % des Grundkapitals bzw. Aktionäre mit einem anteiligen Betrag von 500.000 Euro bei Gericht beantragen, besondere Vertreter zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen zu bestellen, § 147 AktG 8 6 2 . Diese unter anderem aus Angst vor erpresserischen Aktionärsklagen 863 bestehenden recht hohen Hürden fuhren aber zu einer weitgehenden Irrelevanz der Regelung in der Praxis. Deshalb plädieren die 857
Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 854. Vgl. Peltzer, W M 1981, 346, 348; Lutter/Krieger, Rechts und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 854. 859 Vgl. zur Kontrolltätigkeit allein vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 5. a); d) aa) (3); III. 3. 860 Peltzer, W M 1981, 346, 348 („Bisssperre"). 861 Eine Anspruchsverfolgung durch einzelne Aktionäre scheidet deshalb aus, vgl. Hüffer, AktG, § 147 Rn. 5; Wiesner, in: MünchHdbAG, § 26 Rn. 22; Krieger, ZHR 163 (1999), 343, 344 f.; Zöllner, ZGR 1988, 392, 408; a.A. Wellkamp, DZWiR 1994, 221, 223 f. (vor Einführung von § 143 Abs. 3 AktG). 862 Zur Kritik Lutter, Jura 2002, 83, 85; Ulmer, ZHR 163 (1999), 290, 291 ff.; vgl. zur Wirkung drohender Schadensersatzprozesse auf das Handeln der Organmitglieder auch Götz, AG 1997, 219, 220 ff. 863 Vgl. Seibert, W M 1997, 1, 5; allgemein Hüffer, AktG, § 245 Rn. 22 ff.; Κ Schmidt, in: GroßkommAktG, § 245 Rn. 49 f f ; Ulmer, ZHR 166 (1999), 290, 327 ff. 858
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3. Kapitel: Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Reformempfehlungen der itawws-Kommission und das sogenannte 10-Punkte Programm „Unternehmensintegrität und Anlegerschutz" der Bundesregierung (u.a.) für eine weitere Absenkung der Mindestnennbeträge (1 % Grundkapital oder Börsen- oder Marktwert von 100.000 Euro), verbunden mit einem Klagezulassungsverfahren und anschließender Bekanntmachung der Klageerhebung im elektronischen Bundesanzeiger 864.
G. Zusammenfassung Die Pflicht zur Abgabe der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG begründet eine Reihe von Pflichten für den Aufsichtsrat. Das gilt auch für Regelungen des Kodex, wenn sie gesellschaftsintern transformiert werden. Die Entscheidung über die Anwendung der Empfehlungen unterfällt dem pflichtgemäßen Ermessen der Mitglieder der Verwaltungsorgane. Die Kodexempfehlungen können in begrenztem Umfang zur Konkretisierung der allgemeinen Sorgfaltspflichten der Aufsichtsratsmitglieder beitragen. Kausal auf Pflichtverletzungen beruhende, bezifferbare Schadenspositionen werden aber nur ausnahmsweise darzulegen und zu beweisen sein. Zudem stehen einer Anspruchsdurchsetzung die bekannte Problematik der hohen Hürde des § 147 AktG entgegen. Das tatsächliche Innenhaftungsrisiko der Organmitglieder ist deshalb eher gering.
864 Vgl. „Maßnahmenkatalog der Bundesregierung zur Stärkung der Unternehmensintegrität und des Anlegerschutzes", v. 25.02.2003, im Internet abgedruckt unter www.bmj.bund.de/ger/service/presse-mitteilungen/10000668/index_fs . html (Stand: 15.10.2003); sowie mit Kommentierung bei Seibert, BB 2003, 693, 693 ff.; vgl. zuvor Baums, Bericht, Rn. 72 f., S. 109 ff.; Ulmer, ZHR 163 (1999), 290, 329 ff., 341 f.; Bayer, NJW 2000, 2609, 2618 f.; Lutter, ZGR 1998, 190, 210; ders., JZ 2000, 837, 841.
4. Kapitel
Außenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder A. Vertrauens- und Prospekthaftung Wenngleich sich die juristische Diskussion vor allem mit der Auslotung der für die Innenhaftung relevanten Pflichten aus § 161 AktG befasst, beherrschte zur Zeit der Veröffentlichung des Kodes und der gesetzlichen Verankerung der Erklärungspflicht die Frage möglicher Haftungsrisiken der Organmitglieder gegenüber den Aktionären oder Anlegern wegen enttäuschten Vertrauens die kontrovers geführte Debatte in der Öffentlichkeit 1. Führte die Abgabe einer unzutreffenden Entsprechenserklärung oder ihre Nichteinhaltung ohne Korrekturerklärung tatsächlich zu einer Außenhaftung wegen enttäuschten Vertrauens, erhöhte das die Haftungsrelevanz der Erklärungspflicht des Kodex unerhört, da die Organmitglieder dann auch nach außen für einfache Fahrlässigkeit hafteten. Weil nur die Entsprechenserklärung als Anknüpfungspunkt einer denkbaren Vertrauenshaftung dient, lässt sich der Gegenstand der Untersuchung schon insoweit eingrenzen, als dass die Anregungen oder der Informationsteil keinen Einfluss gewinnen können. Beide sind von der Erklärung nicht erfasst; von den Anregungen kann ohne weiteres abgewichen werden, während sich bei den Gesetzeswiederholungen die Haftungsfolgen nur nach dem Gesetz richten 2. Im Fokus der Untersuchung verbleiben damit allein die Empfehlungen des Kodex J . Nach Auffassung von Lutter scheidet zudem auch der vergangenheitsbezogene Teil der Erklärung über die Einhaltung der Empfehlungen bereits grundsätzlich als Grundlage haftungsrelevanten Vertrauens aus. Das Geschehen sei abgeschlossen und könne folglich keinen Einfluss auf die Kauf- oder Verkaufsent-
1 Einerseits Baums, FAZ v. 23.02.2002, S. 17 („haftungsrechtliche Bedeutungslosigkeit"), andererseits Lutter, FAZ v. 22.02.2002, S. 20 („unglaubliche Haftungsrisiken"). 2 Vgl. nur Lutter, FS Druey, S. 463, 466. 3 Lutter, FS Druey, S. 463, 467; ähnlich Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 45.
234
. Kapitel:
enhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Scheidung des sich an der Erklärung orientierenden Anlegers gewinnen4. Gewinnt die Kodexeinhaltung aber überhaupt neben der Ertragslage der Gesellschaft Einfluss auf die Entscheidung der Investoren, dann macht es auch einen Unterschied, ob die Gesellschaft die Empfehlungen in der Vergangenheit und wenn ja in welchem Umfang eingehalten hat. Trifft es zu, dass eine den Empfehlung entsprechende „gute Corporate Governance" der Gesellschaft den Interessen der Anteilseigner dient, so hat auch die Einhaltung in der Vergangenheit einen Aussagegehalt für die Zukunftsprognose kauf- oder Verkaufs williger Anleger. Schließlich wirken Strukturen der Vergangenheit in die Zukunft fort. So würde auch niemand behaupten, von der Gesellschaft bekannt gemachte gute Unternehmenszahlen des vergangenen Geschäftsjahres besäßen im Gegensatz zur Gewinnprognose keine Relevanz. Der weiteren Untersuchung vorausgeschickt werden kann, dass eine wie auch immer beschaffene rechtsgeschäftlich begründete Haftung ausscheidet5. Es fehlt schon an der Annahme eines Vertragspartners, so dass keine Verpflichtung erwachsen kann, § 311 Abs. 1 BGB 6 . Aufsichtsratsmitglieder (wie auch der Vorstand) sind an den Rechtsgeschäften der Investoren über den Kauf von Aktien nicht beteiligt 7 . Soweit eine Selbstverpflichtung einer Gesellschaft durch Abgabe einer „in die Weite des Kapitalmarktes hineingesprochenen Erklärung" etwa in Anlehnung an das zivilrechtliche Institut der Auslobung, §§ 657 ff. BGB 8 , überhaupt angedacht wird 9 , scheidet dieser Gedanke für die Entsprechenserklärung schon deshalb aus, weil sich die Aktiengesellschaft durch die Erklärung
4 Lutter, FS Druey, S. 463, 467; a.A. Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 45, der beide Zeithorizonte der Erklärung in seine Überlegungen einbezieht und hinsichtlich der Zukunftsaussage sogar vorsätzliches Handeln verlangt. 5 Bachmann, W M 2002, 1237, 2140 f.; Lutter, FS Druey, S. 463, 468 f.; Rützel, AG 2003, 69, 70. 6 Bachmann, W M 2002, 1237, 2140; Lutter, Jura 2002, 83, 86; ders., FS Druey, S. 463, 468. 7 Lutter, FS Druey, S. 463, 479. 8 Vgl. zu den (rechtshistorischen) früheren Versuchen, Fälle enttäuschten Vertrauens über die Lehre von der „Erklärung an die Öffentlichkeit" zu lösen Canaris, Vertrauenshaftung, S. 153 ff. mit umfangreichen Nachweisen und ablehnender Stellungnahme. 9 Peltzer, NZG 2002, 10, 11 in Anschluss an Schneider, ZIP 1989, 619, 624. Vgl. zur Befürwortung haftungsrechtlicher Relevanz von Patronatserklärung in den Geschäftsberichten der Banken Habersack, ZIP 1996, 257, 259 f.; Pesch, W M 1998, 1609, 1610 ff.; Stein, FS Peltzer, S. 557, 562 ff.; a.A. LG Frankfurt a.M., NJW 1995, 2641, 2642 (bloße „Unterrichtung der Öffentlichkeit"); Larenz! Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Band II/2, § 64 V 2 a), d).
Α. Vertrauens- und Prospekthaftung
235
gerade nicht bindet und auch nicht binden will 1 0 . In Betracht kommen kann damit allenfalls eine Haftung wegen rechtsgeschäftsä/w//c/zer Pflichten. I. § 311 Abs. 2 BGB (culpa in contrahendo, c.i.c.) Eine Haftung von Personen, die außerhalb der eigentlichen Vertragsbeziehungen stehen, könnte sich zunächst aus der von Rechtsprechung und Literatur zu den Grundsätzen der culpa in contrahendo entwickelten Vertreter- und Sachwalterhaftung ergeben 11. Sie ist nunmehr über § 311 Abs. 2 BGB in den Gesetzeswortlaut des BGB aufgenommen worden, ohne dass sich jedoch die Rechtslage dadurch änderte 12. Die Grundsätze sind auch auf Anleger übertragbar 13 . 1. Fallgruppe der „ Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens " Zur Vertreter- und Sachwalterhaftung zählt zum einen die Fallgruppe der Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens. Sie ist jetzt in §311 Abs. 3 S. 2 BGB als Regelbeispiel ausdrücklich erwähnt und liegt vor, wenn eine über das „normale Verhandlungsvertrauen" hinausgehende persönliche Gewähr für Seriosität und Vertragstreue übernommen wird 14 . Das besondere Maß an persönlichem Vertrauen muss gerade in der Person des Dritten, sprich des Aufsichtsratsmitglieds liegen. Ein solches Vertrauen wird aber durch die in Erfüllung der gesetzlichen Pflicht des § 161 AktG abgegebene Erklärung nicht begründet 15. Mit der Erklärung mögen die Organmitglieder (teilweise) eine 10 So i.E. auch Peltzer, NZG 2002, 10, 11; ähnlich Bachmann, W M 2002, 2137, 2140; Lutter, FS Druey, S. 463, 469. 11 Vgl. nur Pzìanàtì Heinrichs, BGB, § 311 Rn. 52 ff.; im Zusammenhang mit der Verwendung von „Prospekten" und daran anknüpfendes besonderes persönliches Vertrauen oder vertragliche bzw. quasi-vertragliche Aufklärungspflichten in Abgrenzung zur allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung „im engeren Sinn" als Prospekthaftung „im weiteren Sinn" bezeichnet, vgl. Assmann, in: Assmann/Schütze, HdbKapitalanlageR, § 7 Rn. 100; Eyles, in: Vortmann, Prospekthaftung, § 2 Rn. 5; Siol, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, BankR-Hdb, § 45 Rn. 40; Kiethe, ZIP 2000, 216, 216 f f ; Kort, DB 1991, 1057, 1057 f. 12 Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 162; ?&\mdtf Heinrichs, BGB, § 311 Rn. 54. 13 Vgl. BGHZ 83, 222, 227; Eyles, in: Vortmann, Prospekthaftung, § 2 Rn. 3 („Prospekthaftung im weiteren Sinne"). 14 Vgl. BGHZ 126, 181, 189; Psi&ndt/Heinrichs, BGB, § 311 Rn. 63 m.w.N. 15 Soweit erkennbar allg.M., vgl. Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 230; Abram, ZBB 2003, 41, 43; Bachmann, W M 2002, 2137, 2141; Berg/Stöcker, W M 2002,
236
. Kapitel:
enhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Aussage über ihr eigenes Verhalten abgeben. Soweit Lutter daraus aber folgert, sie gäben sich damit selbst ein „Gütesiegel", um „bewusst und gewollt" und in Hinblick auf einen Beteiligungserwerb das Vertrauen von Anlegern „auf sich" zu ziehen16, wird das mit Kodex und Erklärungspflicht verbundene Motiv der Vertrauensbildung überstrapaziert. Den Organmitgliedern wird eine Intention unterstellt, die allenfalls beiläufig vorhanden ist. Mit einer positiven Entsprechenserklärung übernehmen die Aufsichtsratsmitglieder nur ein von der Cromme-Kommission als „best practice" bezeichnetes Verhalten 17. Die Abgabe der Erklärung ist unausweichliche gesetzliche Folge ihrer organschaftlichen Stellung. Damit üben die Aufsichtsratsmitglieder nur ihre Funktion als Mitglied des Gremiums aus, ohne dass damit eine Hervorhebung eigener persönlicher Qualitäten eine Rolle spielte18. 2. Fallgruppe des „ eigenen wirtschaftlichen
Interesses "
Des weiteren in Erwägung zu ziehen ist die auch ohne ausdrückliche Erwähnung in § 311 Abs. 3 S. 2 BGB weiter Wirkung entfaltende 19 Fallgruppe des eigenen wirtschaftlichen Interesses des Dritten am Abschluss und an der Durchführung des Vertrages, der damit zugleich „in eigener Sache" tätig wird 20 . Ein nur mittelbares Interesse wie ζ. B. die Aussicht auf Provision oder das Interesse eines Geschäftsführers am Erfolg des Unternehmens genügt allerdings nicht 21 . Selbst wenn die Aufsichtsratsmitglieder also am Ergebnis ihrer Erklärung mittelbar ein finanzielles Interesse an einer positiven Resonanz des Kapitalmarktes auf die Erklärung haben könnten, weil sie — was im Vergleich zu den Vor-
1569, 1580; Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1205; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 357; Kiethe, NZG 2003, 559, 565; Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 15; Seibert, BB 2002, 581, 584; Seibt, AG 2002, 249, 256 f.; offengelassen bei Hopt, ZGR Beiheft 71, 27, 55, 56; wohl in Hinblick auf das gewünschte Ergebnis der anschließenden Untersuchung zunächst nur zweifelnd, im Ergebnis aber ablehnend Lutter, FS Druey, S. 463, 472 f. 16 Vgl. Lutter, FS Druey, S. 463, 472. 17 Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1580. 18 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 230; Bachmann, W M 2002, 2137, 2141; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1580; Rützel, AG 2003, 69, 70 (zu § 15 WpHG); im Ergebnis ebenso Lutter, FS Druey, S. 463, 471; allgemein Hüffer, AktG, § 93 Rn. 21; Mertens, in: KölnKommAktG, § 93 Rn. 180; Lutter, FS Druey, S. 463, 471; vgl. zum GmbH-Geschäftsführer BGHZ 126, 181, 189.; Medicus, FS Steindorf, S. 725, 737. („... also etwas tut, was über seine Tätigkeit als Geschäftsführer hinausgeht.") 19 Vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, § 311 Rn. 60. 20 Vgl. BGHZ 56, 81, 84; Palandt/Heinrichs, BGB, § 311 Rn. 61 m.w.N. 21 BGH W M 1989, 1923; BGHZ 126, 181, 183 ff.
Α. Vertrauens- und Prospekthaftung
237
standsmitgliedern seltener der Fall sein wird, aber durch die entsprechende Empfehlung der Ziffer 5.4.5 Abs. 2 S. 1 DCGK gefördert werden dürfte — neben der festen auch eine erfolgsabhängige Vergütung erhielten, erfüllten sie mit der Erklärung unmittelbar nur ihre gesetzliche Pflicht und verfolgten keine besonderen wirtschaftlichen Eigeninteressen 22. II. Allgemeine zivilrechtliche Prospekthaftung Die aus den Regeln der culpa in contrahendo und den börsenrechtlichen Haftungstatbeständen von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung („im engeren Sinn") 23 knüpfen nicht an ein bestimmten Personen entgegengebrachtes persönliches, sondern ein typisiertes Vertrauen der Anleger auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der von den Prospektverantwortlichen gemachten Angaben an 24 . Anlass der Rechtsprechung war der über die spezialgesetzlichen Vorschriften nicht gewährleistete Schutz von Anlegern vor unrichtigen oder unvollständigen Werbeprospekten bei Publikums-Kommanditgesellschaften 25 und wurde auf bestimmte Bauherren- und Erwerbermodelle 26, deren Mischformen 27 und Aktien außerhalb geregelter Märkte 28 ausgeweitet29. Für den Prospektinhalt einstehen müssen die für die Herausgabe des Prospekts verantwortlichen Personen, also die das Management bildenden Initiatoren und Gründer der Gesellschaft sowie diejenigen, die sonst auf die Herausgabe besonderen Einfluss haben30.
22 Ebenfalls, soweit erkennbar, allg.M., vgl. Abram , ZBB 2003, 41, 43; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1580; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 357; Kiethe, NZG 2003, 559, 565; Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 15; Seibert, BB 2002, 581, 584; vgl. allgemein BGHZ 126, 181, 183 ff. 23 Vgl. zu den Auswirkungen der Abgrenzung von der Prospekthaftung „im weiteren Sinn" auf die Verjährung Kort, DB 1991, 1057 ff. 24 Eyles, in: Vortmann, Prospekthaftung, § 2 Rn. 4; Hamann, in: Schäfer, WpHG, §§ 45, 46 a.F. BörsG, Rn. 23; Möllers/Leisch, in: Gerke/Steiner, HWF, S. 1735, 1742; Siol, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, BankR-Hdb, § 45 Rn. 31. 25 Grundlegend BGHZ 71, 284, 287 ff. 26 BGHZ 111, 314, 316 ff.; kritisch Kort, DB 1991, 1057, 1057 ff. 27 BGHZ 115, 213, 217 ff. 28 BGHZ 123, 106, 109; BGH W M 1985, 1520, 1521. 29 Vgl. zur Entstehungsgeschichte Assmann in: Assmann/Schütze, Hdb. Kapitalanlage^ § 7 Rn. 1 ff.; Siol, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, BankR-Hdb, § 45 Rn. 26 ff.; Assmann, FG Kübler, S. 317, 337 ff.; Hopt, FG 50 Jahre BGH, S. 497, 529 f. 30 BGHZ 71, 284, 287; 111, 314, 318; 115, 213, 217 f.; ausführliche Darstellung der Prospekthaftpflichtigen bei Assmann, in: Assmann/Schütze, Hdb-KapitalanlageR, § 7 Rn. 102 ff.; Baumbach/Hopt, HGB, Anh. § 177a, Rn. 63; Möllesr/Leisch, in: Ger-
238
. Kapitel:
enhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Es stellt sich nun die Frage, ob Aufsichtsräte nach diesen Grundsätzen für eine unrichtige bzw. unvollständig abgegebene Entsprechenserklärungen nach § 161 AktG haftbar gemacht werden können. Im Gegensatz zur letztlich einhelligen Ablehnung des Eingreifens der c.i.c. gehen die Meinungen über die Möglichkeit einer Haftung nach den Grundsätzen der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung auseinander 51. So führt nach Auffassung von Hopt bei Ausbleiben einer entsprechenden spezialgesetzlichen Regelung32 an der allgemeinen Prospekthaftung „kaum ein Weg vorbei" und auch Ulmer erachtet eine Übertragung der Prospekthaftungsgrundsätze als „nicht fernliegenden" rechtlichen Ansatz für Ansprüche von Anlegern 33. Bei der Entsprechenserklärung handele es sich um eine öffentliche Erklärung an Aktionäre und Kapitalmarktanleger, auf deren Richtigkeit vertraut werden dürfe. Die Relevanz der Entsprechenserklärung für die Anlageentscheidung liege dem Regelungskonzept zugrunde. „Gute" Corporate Governance werde nach aus- und teilweise auch inländischen empirischen Untersuchungen durch Kursaufschläge honoriert 34 , so dass enttäuschtes Vertrauen in die Richtigkeit der mit der Erklärung publizierten Corporate Governance Struktur betroffene Anleger schädigen könne 35 . Namentlich Lutter spricht sich bei unrichtigen Entsprechenserklärungen für das Eingreifen der allgemeinen Prospektke/Steiner, HWF, S. 1735, 1742; Siol, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, BankR-Hdb, § 45 Rn.32; Hopt, FG 50 Jahre BGH, S. 497, 529. 31 Zustimmend Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 864; Lutter, FS Druey, 463, 467 ff.; eine Haftung erwägend Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 45; Hopt, ZGR Beiheft 71, 27, 55, 56; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 169; ablehnend Schüppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 5 (im Gegenschluss zur angedachten Haftung bei Abgabe einer freiwilligen Entsprechenserklärung durch nicht notierte Gesellschaften); Abram, ZBB 2003, 41, 44; Baums, Bericht, Rn. 186; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1580 f.; Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1205; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 357 f.; Kiethe, NZG 2003, 559, 565; Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 15; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273; Seibert, BB 2002, 581, 584; Seibt, AG 2002, 249, 256 f.; offengelassen bei Peltzer, Deutsche Corporate Governance, S. 110, 112 (Rn. 329, 332 f.). 32 Vgl. zu Überlegungen über eine Außenhaftung der Organmitglieder für fehlerhafte Kapitalmarktinformationen de lege ferenda die Empfehlung der Baums-Kommission, Baums, Bericht, S. 201; ebenso 10-Punkte Programm der Bundesregierung „Unternehmensintegrität und Anlegerschutz" v. 25.02.2003 abgedruckt in: wistra 4/2003, S. V ff., kommentiert bei Seibert, BB 2003, 693, 694 f. 33 Hopt, Beiheft ZHR 71, S. 27, 56; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 168; ähnlich Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 45. 34 Verwiesen wird auf eine vielzitierte McKinsey-Studie, McKinsey investor opinion survey, 1999-2000, vgl. Hopt, Beiheft ZHR 71, S. 27, 52 (dort Fn. 108). 35 Hopt, Beiheft ZHR 71, S. 27, 56 f.; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 168 f.
Α. Vertrauens- und Prospekthaftung
239
haftung aus. Eine Haftung sei schon deshalb geboten, weil das Werben um das Vertrauen von Investoren Sinn und Zweck der „ganzen Veranstaltung Corporate Governance Kodex und mithin auch der Erklärung" der Verwaltungsorgane
/. Prospektbegriff Eine Haftung nach den Grundsätzen der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung setzte allerdings zunächst voraus, dass die Entsprechenserklärung sich unter den Prospektbegriff subsumieren ließe. Eine abschließende höchstrichterliche Entscheidung, an welche Voraussetzungen die Bejahung eines Prospekts im einzelnen gebunden ist, steht aus. Die bislang ergangenen Urteile befassten sich stets mit umfassenden Werbeprospekten zu Kapitalanlagen, bei denen die Prospekteigenschaft an sich nicht in Frage stand37. In der Literatur wird übereinstimmend eine Schriftlichkeit vorausgesetzt 38. Bei der weiteren Begriffsbestimmung werden unterschiedliche Akzente gesetzt. Nach einem zur Vermeidung von Umgehungsmöglichkeiten durch Wahl anderweitiger Werbe- und Informationsmittel sehr weiten Verständnis sind unter einem Prospekt grundsätzlich alle schriftlichen Vertriebsangaben gleich welcher Form zu verstehen 39. Nach diesem Begriffsverständnis lässt sich die Entsprechenserklärung von der Art ihrer Publikation und ihres Adressatenkreises unproblematisch unter den Prospektbegriff subsumieren 40. Die Erklärung liegt in schriftlicher Form vor (§ 325 HGB). Auch wird das Gebot der Schriftlichkeit aufgrund der technischen Entwicklung auf Internetangaben zu erweitern sein 41 ,
36
Lutter, FS Druey, S. 463, 469. Vgl. entsprechender Befund bei Assmann, in: Hdb-KapitalanlageR, § 7 Rn. 57; Hamann, in: Schäfer, WpHG, §§ 45, 46 BörsG a.F. Rn. 25; Siol, in: Schimansky/Bunte/ Lwowski, BankR-Hdb, § 45 Rn. 46. 38 Assmann, in: Assmann/Schütze, § 7 Rn. 57; Baumbach/Hopt, Anh. § 177a, Rn. 59; Eyles, in: Vortmann, Prospekthaftung, § 2 Rn. 57 f.; Hamann, in: Schäfer, WpHG, §§ 45, 46 a.F. BörsG, Rn. 25; Schwark, BörsG, § 44 Rn. 11 f.: Assmann, FG Kübler, S. 317, 337; Hopt, Verantwortung der Banken, Rn. 151; ders., FG BGH, 497, 528 unter Ausdehnung auch auf Internet-Angebote. 39 Baumbach/Hopt, HGB, Anh. § 177a, Rn.59; Hopt, FG 50 Jahre BGH, S. 497, 528, ders., Verantwortung der Banken, Rn. 151. 40 So ausdrücklich Lutter, FS Druey, S. 463, 474; ebenso Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1580; wohl auch Seibt, AG 2002, 249, 257. 41 Baumbach/Hopt, HGB, Anh. § 177a, Rn.59; Eyles, in: Vortmann, Prospekthaftung, § 2 Rn. 59; Hopt, FG 50 Jahre BGH, S. 497, 528. 37
240
. Kapitel:
enhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
so dass auch die Publikation der Erklärung auf der Homepage bzw. Website der Gesellschaft im Internet erfasst wäre. Nach wohl herrschender Auffassung liegt in Anlehnung an das Begriffsverständnis des § 264a StGB ein Prospekt jedoch nur bei einer marktbezogenen, das heißt an eine unbestimmte42 Zahl von Personen gerichteten Erklärung vor, die für die Beurteilung der Anlage erhebliche Angaben enthält oder den Eindruck eines solchen Inhalts erwecken soll 43 . Ob die Entsprechenserklärung auch diese Voraussetzungen erfüllt, erscheint fraglich. Lässt man die eigentlich durch die Formulierung des „Marktbezugs" zum Ausdruck kommende Kausalität 44 außer Betracht und orientiert sich allein an den Merkmalen des unbestimmten Adressatenkreises und einer Erheblichkeit für die Anlageentscheidung, kann die Erklärung nach § 161 AktG aber auch unter die engere Definition subsumiert werden. Sie richtet sich an alle Aktionäre und Kapitalmarktanleger 45 und beinhaltet zumindest nach der Zielvorstellung der Regelung für die Beurteilung einer Gesellschaft nicht unerhebliche Angaben 46. Eine andere Literaturauffassung stellt schon beim Begriffsverständnis eindeutig auf den Vertriebszweck ab und verlangt, dass es sich bei einem Prospekt um eine „Verkaufsofferte" an Anleger handeln muss, in der bereits die wesentlichen Vertragsbedingungen nicht verhandelbar vorformuliert sind 47 . Folgte man dieser Auffassung, schiede eine Prospekthaftung für fehlerhafte Entsprechenserklärungen schon begrifflich aus.
42 Die Formulierung „bestimmte Zahl" bei Assmann, in: Assmann/Schütze, HdbKapitalanlageR, § 7 Rn. 58 ist insoweit ein Druckfehler; gemeint war „unbestimmte", also „nicht im voraus bestimmte" Zahl, vgl. Klarstellung bei Assmann, FG Kübler, 317, 338 (dort Fn. 95). 43 Assmann, in: Assmann/Schütze, § 7 Rn. 57; Groß, Kapitalmarktrecht, § 48 BörsG Rn. 5; Hamann, in: Schäfer, WpHG, §§ 45, 46 BörsG a.F. Rn. 25; Siol, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, BankR-Hdb, §45 Rn. 47; Abram, ZBB 2003, 41, 44; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1580; vgl. Prospektbegriff § 264a StGB nach BTDrucks. 10/318, S. 23: Als Prospekt gilt Jedes Schriftstück, das für die Beurteilung der Anlage erhebliche Angeben enthält oder den Eindruck eines solchen Inhalts erwecken soll." Stärker auf den Kausalität anstellend Schwark, BörsG, § 44 Rn. 12 („Beurteilung von Vermögensanlage ermöglichen soll", Hervorhebung durch Verf.). 44 Vgl. dazu Groß, W M 2002, 477, 479, der synonym den Terminus „Absatzförderung" verwendet. 45 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Β. IV 2. 46 Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1580; Lutter, FS Druey, S. 463, 475; a.A. Ettinger/ Grützediek, AG 2003, 353, 357 f. 47 Eyles, in: Vortmann, Prospekthaftung, § 2 Rn. 57 f.
Α. Vertrauens- und Prospekthaftung
241
2. Prospektvollständigkeit Der Prospektbegriff wird ergänzt durch die Anforderung an den notwendigen Prospektinhalt, mithin dem Gebot der Prospektvollständigkeit 48. Soweit im Interesse eines weitreichenden Anlegerschutzes ein weiter Prospektbegriff zugrundegelegt wird, ist der Grundsatz der Prospektvollständigkeit zu relativieren. Abhängig von der Art der Information sind eigene angemessene Maßstäbe zur Beurteilung der „Prospektvollständigkeit" heranzuziehen, damit einerseits nicht jeder Kurzhinweis unvollständig ist, andererseits aber nicht unrichtig ohne Haftungsfolge sein darf 49 . Fraglich ist damit, ob ein Eingreifen der Grundsätze der allgemeinen Prospekthaftung daran scheitert, dass die Entsprechenserklärung weder den Eindruck erweckt, noch erwecken soll, eine zutreffende Gesamtschau über alle anlageentscheidenden Faktoren, die zur objektiven Beurteilung der Risiken eines Aktienerwerbs erforderlich sind, zu vermitteln. Es handelt sich vielmehr um eine Einzelangabe zur Corporate Governance. So muss nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ein Prospekt nicht die umfassend einzige, aber doch „die wichtigste Informationsquelle (sein), die den Anleger in die Lage versetzt, die Anlage objektiv zu beurteilen und sein Risiko richtig einzuschätzen"50. Darauf abstellend lehnen einige Stimmen in der Literatur das Eingreifen der allgemeinen Prospekthaftung für falsche Entsprechenserklärungen ab, da die Erklärung nur Aufschluss über die Corporate Governance, nicht aber über die für die Anlageentscheidung ungleich bedeutsameren „harten" Unternehmenszahlen gebe und deshalb kein vollständiges Bild über die Chancen und Risiken der Kapitalanlage vermittle 51 . Für einen großzügigeren Maßstab spricht dagegen der von der Rechtsprechung bisher herausgearbeitete weite Anwendungsbereich der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung 52, zumal instanzgerichtliche Entscheidungen etwa Anzeigen in Magazinen oder Tageszeitungen eigentlichen „Werbeprospek-
48
Assmann, in: Assmann/Schütze, Hdb-KapitalanlageR, § 7 Rn. 59. Assmann, in: Assmann/Schütze, Hdb-KapitalanlageR, § 7 Rn. 59; Hamann, in: Schäfer, WpHG, §§ 45, 46 BörsG a.F. Rn. 25; Hopt, Verantwortlichkeit der Banken, Rn. 151. 50 BGHZ 115, 214, 218; ähnlich BGHZ 111, 314, 317. 51 So auf die fehlende Prospektvollständigkeit abstellend Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 223; Abram , ZBB 2003, 41, 44; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1581; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 357 f.; Kiethe, NZG 2003, 553, 565. 52 Darauf verweisend Baums, Bericht, Rn. 186; Lutter, FS Druey, S. 463, 474; Seibt, AG 2002, 249, 257. 49
242
. Kapitel:
enhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
ten" gleichgestellt haben53. Auch solche Erklärungen können nicht alle maßgeblichen Anlagegesichtspunkte ansprechen. Sollen Teilinformationen aufgrund gesetzlicher Publizitätspflichten mit Lutter nicht schon per se am Gebot der Prospektvollständigkeit scheitern, sondern lässt man es ausreichen, dass über den Teilbereich scheinbar vollständig, wenn auch inhaltlich unrichtig, informiert wird, ist die Anwendung der Prospekthaftung bei fehlerhaften Entsprechenserklärungen nicht ausgeschlossen54. Nach dem Grundgedanken des Regelungskonzepts von Kodex und Erklärungspflicht handelt es sich bei der Unternehmensstruktur um einen nicht unbedeutenden Anlagefaktor. Damit enthält sie zwar nicht sämtliche anlagerelevanten, aber doch die die „Unternehmensleitung und -kontrolle" betreffenden Informationen. Für das mit dem Teilbereich der Corporate Governance verbundene Risiko ist die Erklärung das wichtigste Informationsmittel, was nach weiterer Auslegung der Prospektvollständigkeit ausreichte. 3. Anwendbarkeit außerhalb des „grauen Kapitalmarktes "? Über die zweifelhafte Prospektvollständigkeit hinaus ist fraglich, ob nicht schon grundsätzlich eine Anwendbarkeit der allgemeinen Prospekthaftungsgrundsätze im gesamten Regelungsbereich der spezialgesetzlichen Prospekthaftungsbestimmungen ausgeschlossen ist. Ohne Zweifel können die allgemeinen Grundsätze erst dort beginnen, wo die Spezialgesetze enden55. Zweifelsfrei nicht in Betracht kommt deshalb ein Eingreifen bei Prospekten und Berichten im Sinne des BörsG, VerkProspG, KAAG und AuslInvestmG. Nicht per se ausgeschlossen ist damit aber eine Anwendung auf diejenigen freiwilligen oder obligatorischen Veröffentlichungen, die unter den allgemeinen Prospektbegriff fallen, ohne als Publikationsform in den spezialgesetzlichen Bestimmungen aufgeführt zu sein und gleichwohl als Werbe- und Vertriebsmittel genutzt werden 56 . So lassen einige Stimmen in der Literatur die bürgerlich-rechtlichen Haftungsgrundsätze auch bei Veröffentlichungen wie Zwischenberichten (§ 40
53 Vgl. Verweis auf unveröffentlichte Entscheidung des OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 29.02.1982 (21 U 296/81), S. 8 bei Assmann, in: Assmann/Schütze, HdbKapitalanlageR, § 7 Rn. 57 (dort Fn. 127); Kiethe, ZIP 2000, 216, 219. Vgl zur Entwicklung der Rechtsprechung Assmann, FG Kübler, S. 317, 337 ff. 54 Lutter, FS Druey, S. 463, 475; vgl. allg. zu gesetzlichen Publizitätspflichten und der Bestimmung der Prospektvollständigkeit Haman, in: Schäfer, WpHG, §§ 45, 46 BörsG a.F., Rn. 25 a.E. 55 Möllers/Leisch, JZ 2000, 1085, 1091. 56 Assmann, in: Assmann/Schütze, Hdb-KapitalanlageR, § 7 Rn. 94 f.
Α. Vertrauens- und Prospekthaftung
243
BörsG) seltener auch bei Ad-hoc-Mitteilungen (§ 15 WpHG) eingreifen 57, um alle marktbezogenen und für die Anlageentscheidung potentiell maßgeblichen Publikationen einer Richtigkeits- und Vollständigkeitskontrolle unterziehen zu können. Mit entsprechender Begründung spricht sich Lutter auch bezüglich der Erklärung nach § 161 AktG für ein Eingreifen der allgemeinen Prospekthaftungsansprüche aus58. Die Rechtsprechung hat sich dagegen bislang — soweit erkennbar — jeglicher Anwendung außerhalb des sogenannten grauen Kapitalmarktes 59 enthalten. Die Beschränkung auf den grauen Kapitalmarkt tritt recht deutlich in einem dictum des Bundesgerichtshofes zu Tage, die allgemeinen Grundsätze seien bei Emissionen von Aktien allenfalls im Falle des Vertriebes außerhalb der geregelten Märkte anwendbar 60. Die Rechtsprechung scheint damit eine Haftung für Vertriebsinformationen solcher Kapitalanlageformen, für die spezialgesetzliche Haftungsbestimmungen existieren, als durch diese abschließend geregelt zu erachten61. Eine Anwendung der allgemeinen Prospekthaftung schiede damit im gesamten Anwendungsbereich der börsengesetzlich geregelten Haftung (amtlicher und geregelter Markt, Freiverkehr) generell aus62. Die damit einhergehende Haftungsprivilegierung erscheint auch nicht ungerechtfertigt 63. Schließlich bedingt ein Auftreten am organisierten Markt die Unterwerfung unter die dort gängigen Verfahrensabläufe, was die Legitimität des Handelns erhöht 64. Da die 57 Hamann, in: Schäfer, WpHG, §§ 45, 46 BörsG a.F., Rn. 25, 29 f.; Schwark, BörsG, § 44 Rn. 13 (einschränkend bei Ad-hoc-Mitteilungen); Brondics/Mark, AG 1989, 339, 346; Krause, ZGR 2002, 799, 828 f f ; Schäfer, ZIP 1987, 953, 958 (nur Zwischenbericht); Schwark, NJW 1987, 2041, 2045 („Zwischenbericht und sonstige durch das Börsenrecht vorgeschriebene Publikationen"); offengelassen bei Assmann, in: Assmann/Schütze, Hdb-KapitalanlageR, § 7 Rn. 50, 95; a.A. ausdrücklich (zum Prospektbegriff des § 264a StGB) LG München, W M 2001, 1948, 1953; Ettinger/ Grützediek, AG 2003, 353, 358; Groß, W M 2002, 477, 480; Ratzel, AG 2003, 69, 70 f. 58 Lutter, FS Druey, S. 463, 475; a.A. Bachmann, W M 2002, 2137, 2140. 59 Vgl. zum Begriff Kümpel, Bank- und Kapitalmarkt, Rn. 8.39. 60 BGHZ 123, 106, 109; vgl. auch BGH W M 1985, 1520, 1521; OLG Frankfurt a.M., W M 1988, 1161, 1162. 61 Zustimmend Assmann, FG Kübler, S. 317, 339; ders., AG 1996, 508, 512; Gerber, Prospekthaftung nach dem Dritten Finanzmarktförderungsgesetz, S. 169 f.; Waldeck/ Süßmann, W M 1993, 361, 367. Vgl. zu Zeichnungs- und Bezugsaufforderungen BGH, W M 1982, 867, 867 f.; Assmann, in: Assmann/Schütze, Hdb-KapitalanlageR, § 7 Rn. 49, 96. 62 Kümpel, Bank- und KapitalmarktR, Rn. 9.349; Barnert, W M 2002, 1473, 1482; Kiethe, BB 1999, 2253, 2253; ders., NZG 1999, 858, 861; Kort, AG 1999, 9, 19. 63 So aber zur Anspruchskonkurrenz Grundmann, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, BankR-Hdb., § 112 Rn. 47 ff; Grundmann/Selbherr, W M 1996, 985, 989. 64 Kort, AG 1999, 9, 19.
244
. Kapitel:
enhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Erklärung nach § 161 AktG nur von börsennotierten Gesellschaften abgegeben wird, unterlägen somit falsche Entsprechenserklärungen ausschließlich den (im Regelfall nicht einschlägigen)65 börsenrechtlichen Haftungsnormen 66. 4. Anwendbarkeit auf dem Sekundärmarkt? Überdies ist die zivilrechtliche Prospekthaftung eher dem Primärmarkt zuzuordnen. So lassen sich Ansprüche von Folgeerwerbern mangels Sonderbeziehung schwerlich begründen, wenn man berücksichtigt, dass die Rechtsprechung das Institut der Prospekthaftung aus der Verletzung vertraglicher oder vorvertraglicher Aufklärungspflichten fortentwickelt hat 67 . Die Rechtsprechung hat sich aber mit dieser Frage naturgemäß mangels Handelbarkeit der von ihr bislang allein der Prospekthaftung unterworfenen Anlagen des grauen Kapitalmarktes noch nicht beschäftigt 68. Teilweise wird in der Literatur jedoch eine Erstreckung der Prospekthaftung auch auf Zweiterwerber befürwortet, da die fehlerhaften oder unvollständigen Prospekte auch nach der Emission weiter in Umlauf seien69. Nur wenn man letztgenannter Meinung folgte, käme eine Haftung für die hier in Frage stehenden börsennotierten Gesellschaften weiter in Betracht 70 , da die Haftung für „Prospekte" im Zusammenhang mit Emissionen börsennotierter Unternehmen, an die allein sich § 161 AktG richtet, zumindest seit dem Dritten Finanzmarktförderungsgesetz 71 abschließend (§47 Abs. 2 BörsG) 72 spezialgesetzlich geregelt ist. Anderenfalls blieben die Beschränkungen der Börsenprospekthaftung gegenstandslos73. Es erscheint aber systemwid-
65
Vgl. vorstehende Ausführungen unter 2. Kapitel, Β. II. 3. So Bachmann, W M 2002, 2137, 2140; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1581; Ettinger/Grützediek„ AG 2003, 353, 358. 67 Assmann, in: Assmann/Schütze, Hdb-KapitalanlageR, § 7 Rn. 12; Groß, W M 2002, 477, 479. 68 Vgl. Assmann, in: Assmann/Schütze, Hdb-KapitalanlageR, § 7 Rn. 136; Hopt, FG 50 Jahre BGH, S. 497, 528. 69 Eyles, in: Vortmann, Prospekthaftung, § 2 Rn. 55; i.E. ebenso Krause, ZGR 2002, 799, 829. 70 Der Gegenmeinung folgend und deshalb die allgemeine Prospekthaftung ablehnend Bachmann., W M 2002, 2137, 2140; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 358; offengelassen bei Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1581. 71 BGBl. I 1998, S. 529. 72 Entspricht § 48 Abs. 2 BörsG a.F., durch das 4. Finanzmarktförderungsgesetz neu verortet, BGBl, ί 2002, S. 2010. 73 OLG Frankfurt a.M., NJW-RR 1997, 749, 750 (Sachsenmilch); Kümpel, Bankund KapitalmarktR, Rn. 9.349; Schwark,, BörsG, §§ 45, 46 Rn. 43; Bachmann, W M 2002, 2137, 2140; Groß, AG 1999, 199, 209; Kort, AG 1999, 9, 19; zweifelnd Kübler, 66
Α. Vertrauens- und Prospekthaftung
245
rig, die allgemeine Prospekthaftung innerhalb der geregelten Märkte nicht bei Erst-, aber bei Folgepublikationen zur Anwendung zu bringen 74 . 5. Stellungnahme und Entscheidung Selbst wenn man die Grundsätze der allgemeinen Prospekthaftung entgegen den vorstehend dargestellten erheblichen Zweifeln ungeachtet der spezialgesetzlichen Regelungen auch auf den geregelten Sekundärmarkt und dort auch auf solche (Teil-) Informationen ausdehnen wollte, zu deren Publikation eine Gesellschaft aufgrund nicht mit einer Emission zusammenhängenden gesetzlichen Vorschriften verpflichtet ist, sprechen weitere gewichtige Gründe gegen eine darauf gestützte Haftung für falsche oder unvollständige Entsprechenserklärungen. So mag es durchaus sein, dass mit Einführung des Kodex und § 161 AktG um das Vertrauen der Anleger geworben werden sollte und sich gewonnenes Vertrauen nicht nur auf dem Primär-, sondern auch dem Sekundärmarkt auswirkt bzw. auswirken kann 75 . Nicht jedes Vertrauen ist aber haftungsrechtlich geschützt76. Nicht nur, dass sich Sinn und Zweck der „Veranstaltung Corporate Governance Kodex und Entsprechenserklärung" nicht in der Vertrauensbildung erschöpft 77. Die Erklärung ist auch nicht als Werbemittel für die einzelnen Gesellschaften konzipiert, sondern wurde aus gesamtwirtschaftlichen Erwägungen in das deutsche System eingeführt 78. Die Prospekthaftung wurde demgegenüber nicht zum allgemeinen Schutz des deutschen Kapitalmarktes, sondern zum Schutz einzelner Anleger entwickelt, die ihre Anlageentscheidung auf zu Vertriebszwecken erstellte, aber fehlerhafte oder unvollständige Publikationen stützen 79 . So wird zur dogmatischen Begründung der allgemeinen Prospekthaftung in der Literatur gerade der werbende und vertriebsfordernde Charakter von Prospekten betont 80 .
Gesellschaftsrecht, 5. Auflage 1999, S. 401; vgl. auch Baumbach/ Ηopt, HGB, (14) § 45 BörsG Rn. 2. 74 Rützel, AG 2003, 69, 71 (zu § 15 WpHG). 75 So Lutter, FS Druey, S. 463, 469 f. unter Verweis auf die Präambel des Kodex. 76 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 225. 77 Vgl. zur Regelungs- und Informationsfunktion Ausführungen unter 1. Kapitel, A. IV. 2. c). 78 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. II. 79 Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 358; vgl. Assmann, in: Assmann/Schütze, Hdb-KapitalmarktR, § 7 Rn. 3. 80 Köndgen, AG 1983, 85, 89.
246
. Kapitel:
enhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Die Entsprechenserklärung wird von den Organen der Gesellschaft auch nicht als (freiwilliges) Marketinginstrument wie etwa Vertriebsangaben oder andere zur Absatzförderung erstellte Veröffentlichungen 81, sondern primär in Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtung des § 161 AktG abgegeben82. Ein allenfalls mittelbar damit verbundener Werbeeffekt stellt die Erklärung nicht auf eine Stufe mit Publikationen, die zur Gewinnung neuer Anleger nur zu Vertriebszwecken erstellt und veröffentlicht werden. Es handelt sich bei der Erklärungsabgabe eben nicht um eine Werbe- oder Verkaufssituation 83. Es fehlt der unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Veröffentlichung der Entsprechenserklärung und der Veräußerung von Aktien, der für die Prospekthaftung erforderlich ist 84 . Die Entsprechenserklärung ist jährlich wiederkehrend völlig unabhängig etwaiger Emissionsabsichten abzugeben85. Eine nur beiläufige Verkaufsförderung, die letztlich bei jeder dem Kapitalmarkt zur Verfügung gestellten Information vorliegt, vermag den Anwendungsbereich der allgemeinen Prospekthaftung nicht zu eröffnen 86. Anderenfalls müsste jeder Unternehmensleiter stets eine persönliche Inanspruchnahme fürchten, wenn er, zumal wie bei §161 AktG obligatorisch und ohne weitere (Vertriebs-)Absicht, den Markt informiert 87 , was letztlich einer abzulehnenden Durchgriffshaftung gleichkäme88. Eine Prospekthaftung käme, unter Außerachtlassen der dargestellten grundsätzlichen Bedenken jeglicher Anwendbarkeit im geregelten Kapitalmarkt, allenfalls dann in Betracht, wenn die Entsprechenserklärung über den gesetzlich geforderten Inhalt hinaus werbend ausgeschmückt und durch extensive Veröf-
81 Vgl. Eyles, in: Vortmann, Prospekthaftung, § 2 Rn. 1; Groß, W M 2002, 477, 479; Hopt, FG 50 Jahre BGH, S. 497, 527 f. 82 Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 358; Kiethe, NZG 2003, 559, 565; Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 16; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273. 83 Abram , ZBB 2003, 41, 44; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1581; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 358; Groß, W M 2002, 477, 480 (zu Ad-hocMitteilungen); Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 16; a.A. Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 45 mit dem Hinweis, auch Prospektangaben oder die strafbewehrten Angaben des Jahresabschlusses beruhten auf „gesetzlichen" Pflichterklärungen. 84 Abram , ZBB 2003, 41, 44; Groß, W M 202, 477, 479 f.; a.A. Lutter, FS Druey, S. 463, 475. 85 Ettinger/Grützediek, AG 2002, 353, 358. 86 Abram, ZBB 2003, 41, 44; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1581; Kiethe, NZG 2003, 569, 565; Groß, W M 2002, 477, 480 (zu Ad-hoc-Mitteilungen); a.A. Lutter, FS Druey, S. 463, 475 zur Problematik der nur mittelbaren Verkaufsförderung recht knapp: „Das genügt." 87 Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1581. 88 Vgl. Baumbach/Hopt, HGB, (14) BörsG, § 45 Rn. 4 (zu § 45 Abs. 1 BörsG).
Α. Vertrauens- und Prospekthaftung
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fentlichung, die über das bloße „Zugänglichmachen" hinausgeht, als Werbeinstrument eingesetzt wird 8 9 . Nur dann würde der Bereich verlassen, der untrennbar mit der Organstellung der für die Erklärung verantwortlichen Aufsichtsratsmitglieder verbunden ist. Der Schritt hinüber zu einem rein werbenden Außenauftritt mag etwa dann getan sein, wenn eine nicht notierte Gesellschaft mit Blick auf einen geplanten Börsengang freiwillig erklärt, die „höherwertigen" Verhaltensempfehlungen des Kodex zu befolgen. Die Erklärung erfolgt dann nicht aufgrund gesetzlicher Verpflichtung, sondern unmittelbar zu Vertriebszwecken. Ein Eingreifen der allgemeinen Grundsätze der Prospekthaftung mag dann im Raum stehen90. Bei börsennotierten Gesellschaften wäre aber selbst bei Unterstellung eines solchen Handelns nicht erklärlich, dass mit dem Vierten Finanzmarktförderungsgesetz91 bei Veröffentlichung unwahrer Tatsachen eine Schadensersatzpflicht nur des Emittenten, nicht hingegen der Organmitglieder persönlich gesetzlich angeordnet wurde (§ 37c WpHG), die Aufsichtsratsmitglieder aber für eine „Werbeveröffentlichung" im Kleide einer Entsprechenserklärung haften sollten 92 . Der lapidare Hinweis, es hänge oft nur vom Zufall ab, ob eine Haftung der Gesellschaft oder den Organmitgliedern persönlich auferlegt werde 93 , vermag die schwerwiegenden Bedenken nicht zu zerstreuen. Die Zweifel wiegen umso stärker, als dass es gegen die Wertung der spezialgesetzlichen § 44 Abs. 1 BörsG, §§ 37b, 37c WpHG verstieße, die nur eine Haftung für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit begründen, über das Institut der allgemeinen Prospekthaftung eine schärfere Haftung für lediglich fahrlässig falsche Angaben vorzusehen 94 . Soweit Lutter eingangs seiner Überlegungen zur Vertrauenshaftung ausführt, eine rechtliche Irrelevanz der Erklärung sei „gewiss nicht gewollt" 95 , berücksichtigt er nicht ausreichend das mit Kodex und Entsprechenserklärung ver89 Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 16; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273; ähnlich ders., in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 26; vgl. zur Erforderlichkeit über die Organstellung hinausgehender qualifizierter weiterer Umstände Assmann, in: Assmann/Schütze, Hdb-KapitalmarktR, § 7 Rn. 108; Eyles, in: Vortmann, Prospekthaftung, § 2 Rn. 41. 90 Schüppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 5. 91 BGBl. 12002, S. 2010 ff. 92 Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1581. 93 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 45 a.E. 94 Abram, ZBB 2003, 41, 44; Bachmann, W M 2002, 2137, 2140; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1581; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273; ohne weitere Begründung a.A. Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 24. 95 Lutter, FS Druey, S. 463, 468.
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. Kapitel:
enhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
folgte Schwerpunktziel. Wie die vorstehenden Ausführungen zur potentiellen Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder gezeigt haben, ist § 161 AktG haftungsrechtlich keinesfalls bedeutungslos. Auch wenn es rechtspolitisch gute Gründe geben mag, die Haftung für Falschangaben über die Emission hinaus zu erstrecken 96, kann ein möglicherweise zu erkennender Haftungsbedarf nicht dazu führen, das Institut der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung, das — wie vorstehende Überlegungen gezeigt haben — vor anderem Hintergrund entwickelt wurde, bei der gesetzlichen Verpflichtung der Organe zur Abgabe der Entsprechenserklärung zur Anwendung zu bringen. Das gilt um so mehr, weil eine Sanktion für Verstöße gegen § 161 AktG nicht gesetzlich geregelt wurde, obwohl die Frage der Haftung gegenüber Aktionären ausweislich verschiedener Stellungnahmen der seinerzeitigen Justizministerin, des zuständigen Referenten des Ministeriums und von Mitgliedern der Ztaw/ws-Kommission erwogen und abschlägig beschieden wurde 97 . Ob die allgemeine Prospekthaftung, die nach den Ausführungen des Bundesgerichtshofes einen „vom Gesetzgeber als regelungsbedürftig nicht vorhergesehenen, aber ausfüllungsbedürftigen Bereich" 98 voraussetzt, angesichts dieser Überlegungen überhaupt zur Anwendung kommen kann, erscheint mehr als fraglich 99 . Im Ergebnis sprechen somit mit der wohl überwiegend vertretenen Auffassung die besseren Gründe gegen eine Haftung der Mitglieder des Aufsichtsrats gegenüber Aktionären nach den Grundsätzen der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung 100. 96 Vgl. dazu insbesondere Fleischmann, Gutachten F, F 62 ff., 96 ff.; vgl. auch Abram, NZG 2003, 309, 310 f f ; Bachmann, W M 2002, 2137, 2142 ff. 97 Vgl. Däubler-Gmelin, Handelsblatt v. 27.02.2002, S. 4; Seibert, BB 2002, 581, 584; Baums, Börsen-Zeitung v. 14.03.2002, S. 5. Vgl. demgegenüber den Vorschlag der Baums-Kommission, bezüglich falscher Ad-hoc-Mitteilungen einen allgemeinen Haftungstatbestand einzuführen, Baums, Bericht, Rn. 186; vgl. auch Vorschlag der Einfuhrung einer persönlichen Außenhaftung verantwortlicher Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder bei Fleischer, Gutachten F, F 103 ff. 98 BGHZ 79,337, 341. 99 Abram, ZBB 2003, 41, 44; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1581; Seibt, AG 2002, 249, 257; vgl. auch Baums, Bericht, Rn 186. 100 Schüppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 5 (im Umkehrschluss); Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 223; Abram , ZBB 2003, 41, 44; Bachmann, W M 2002, 2137, 2140; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1581; Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1205; Ettinger/Grützediek, AG 2002, 353, 358; Kiethe, NZG 2003, 559, 565; Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 15; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273; Seibert, BB 2002, 581, 585; Seibt, AG 2002, 249, 257; a.A. Lutter, FS Druey, S. 463, 473 f f ; eine Haftung erwägend Hirte, in: ders., Transparenzund Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 24; ähnlich Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 169; Hopt, Beiheft ZHR 71, S. 27, 55 f.
Α. Vertrauens- und Prospekthaftung
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Nicht zuletzt wegen der namhaften Gegenstimmen ist aber nicht gänzlich auszuschließen, dass möglicherweise instanzgerichtlich eine Haftung bejaht werden könnte. Der Praxis ist deshalb auch mit Blick auf eine mögliche Außenhaftung die — im Rahmen der Innenhaftung erörterte — sorgfältige Überwachung der Einhaltung der Entsprechenserklärung und gegebenenfalls deren unverzügliche Aktualisierung anzuraten. Teilweise wird alternativ empfohlen, die Entsprechenserklärung mit einem „Disclaimer" zu versehen, und so die Entstehung eines Vertrauenstatbestandes und damit eine mögliche Außenhaftung zu vermeiden 101 . Es wird folgende Formulierung empfohlen: „Diese Erklärung wird zum [Datum der Beschlussfassung] abgegeben. Sie bezieht sich auf den Zeitraum seit [Datum der Abgabe der letzten Entsprechenserklärung] und die gegenwärtige Corporate Governance Praxis der Gesellschaft; sie enthält jedoch keine Aussagen zur künftigen Beachtung der Kodexempfehlungen 102 . Der Gesetzgeber schreibt vor, dass diese Erklärung jährlich abgegeben wird. Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass sich im Zeitraum bis zur nächsten Erklärung Veränderungen ergeben können, die sich bis zum Zeitpunkt unserer nächsten Erklärung nicht in einer Veränderung des vorliegenden Textes niederschlagen werden." 103
Es erscheint aber fraglich, ob mit einer solchen Einfügung ein Eingreifen der zivilrechtlichen Prospekthaftung — so sie denn entgegen der hier vertretenen Auffassung grundsätzlich bejaht würde — verhindert werden könnte. Da die Erklärung in Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtung des § 161 AktG abgegeben wird, geht ein Vertrauen der Anleger dahin, dass der Norm auch in vollem Umfang entsprochen wird. Wie ausgeführt beinhaltet die Entsprechenserklärung aber entgegen dem vorstehenden FormulierungsVorschlag sowohl einen Zukunftsbezug wie die Verpflichtung zur Abgabe einer Korrekturerklärung 104. Die Berufung auf eine gesetzliche Verpflichtung unter gleichzeitiger Negierung ihrer Erfüllung ist widersprüchlich und würde deshalb die Entstehung eines Vertrauenstatbestandes, der nach der Gegenauffassung zur hier vertretenen Meinung zur Prospekthaftung führen kann, nicht verhindern.
101 Schüppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 27; Seibt; AG 2003, 465, 468. 102 Diese Formulierung widerspricht damit der nach hier vertretener Auffassung notwendigen Einbeziehung des zukünftigen Verhaltens. Vgl. zum Gesichtspunkt der mit einem „Disclaimer" verbundenen „Belastung des wirtschaftlichen Werts" der Entsprechenserklärung und Vereinbarkeit mit den Sorgfaltspflichten der Organmitglieder Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 235. 103 Schüppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 27. Vgl. auch Entsprechenserklärung der BASF AG v. 3./19.12.2002: „Wir weisen daraufhin, dass diese Erklärung keine umfassende Bindungswirkung für das kommende Geschäftsjahr hat und nach unserer Auffassung auch nicht haben darf." 104 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 1.; 5. c).
250
. Kapitel:
enhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
I I I . Haftung für Inanspruchnahme von „Marktvertrauen" Im Rahmen der Erörterung möglicher Haftungsfolgen privater Kodizes erwägt Peltzer eine Haftung für die Inanspruchnahme von Marktvertrauen. Zwar werde durch eine „Selbstverpflichtung", einen Verhaltenskodex zu befolgen oder befolgen zu wollen, keine rechtsgeschäftliche Verpflichtung gegenüber einer bestimmten Person „im zivilrechtlichen Sinne" eingegangen. Eine Haftung ergebe sich aber daraus, dass „Markvertrauen und damit ein Wettbewerbsvorteil" erstrebt werde 105 . Die von Peltzer in Bezug genommenen Erwägungen einer Haftung für „Erklärungen an die Marktöffentlichkeit" bezogen sich jedoch ausdrücklich nicht auf gesetzlich vorgeschriebene Kundgebungen. Deren Inhalt und Aussagegehalt sei abschließend gesetzlich festgeschrieben, weshalb eine Grundlage für darauf zu gründendes Vertrauen fehle 106 . Schon deshalb verbietet sich eine Übertragung auf die Entsprechenserklärung nach § 161 AktG. Darüber hinaus bezieht sich Peltzer nicht auf den Kodex und die Entsprechenserklärung, sondern auf die Vorgängerkodizes der Frankfurter Grundsatzkommission und des Berliner Initiativkreises, bei denen eine „Anerkennung" oder „Unterwerfung" nach Art des Übernahme-Kodex oder der Insiderhandels-Richtlinien im Raum stand 107 . Ungeachtet der Tatsache, dass bei der Entsprechenserklärung schon gar nicht von einer entsprechenden „SelbstVerpflichtung" — wem auch immer gegenüber — gesprochen werden kann, weil von der erklärten Absicht abgewichen werden kann, ist ein Abstellen auf den vollkommen unbestimmten Begriff des „Marktvertrauens" viel zu unscharf, um daraus Haftungsfolgen ableiten zu können 108 . Auch auf die mit der Schuldrechtsreform in das Bürgerliche Gesetzbuch
105 Peltzer, NZG 2002, 10, 11 unter Bezugnahme auf Überlegungen von Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 284 ff. und Stein, FS Peltzer, S. 557 ff.; a.A. Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 228. 106 Stein, FS Peltzer, S. 557, 561; Bachmann, W M 2002, 2137, 2141. 107 Vgl. zur Unterscheidung dieser Regelungskonzepte vom Konzept des „comply or explain" vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Β. V. 3. 108 Vgl. Bachmann, W M 2002, 2137, 2141, der eine Haftung wegen beanspruchten Marktvertrauens treffend als „vagen Topos" bezeichnet. Zu weitgehend Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 284 ff., 295 ff., dessen Überlegungen keine hinreichende Trennschärfe zur Unterscheidung haftungsbegründender und haftungsirrelevanter Werbeaussagen bieten.
Β. Deliktische Haftung
251
eingeführten Haftung für bestimmte Werbeaussagen (§ 434 Abs. 1 S. 3 BGB) 1 0 9 kann eine umfassende kapitelmarktrechtliche Haftung nicht gestützt werden 110 .
B. Deliktische Haftung I. Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB Nach allgemeiner Meinung ist die Mitgliedschaft in einer Aktiengesellschaft ein von § 823 Abs. 1 BGB geschütztes absolutes Recht 111 . Wegen der Anbindung an die Mitgliedschaft ist ein Anspruch nur für Anleger denkbar, die bereits zum Zeitpunkt der schädigenden Handlung Aktieninhaber waren 112 . Fraglich ist nun, ob Aktionären der Gesellschaft über den deliktischen Schutz ihres Mitgliedschaftsrechts bei einem Fehlverhalten von Mitgliedern des Aufsichtsrats bei der Abgabe der Entsprechenserklärung oder Abweichungen vom Kodex Ansprüche gegen die Organmitglieder zustehen können. Nach wohl herrschender Meinung schützt § 823 Abs. 1 BGB lediglich den rechtlichen Bestand des Mitgliedschaftsrechts und den Kernbestand der damit verbundenen Rechte, bietet aber keinerlei Schutz vor dessen wirtschaftlicher Entwertung 113 . Demnach schiede ein Schadensersatzanspruch von Aktionären im untersuchten Zusammenhang schon grundsätzlich aus 114 . Nach der Gegenauffassung ist ein eigener Schadensersatzanspruch der Aktionäre, der nicht zugleich Bestandteil des Schadens der Gesellschaft ist, nicht generell ausgeschlossen. Zwar werde das Mitgliedschaftsrecht unstreitig nicht schon durch einen bloßen mit der Minderung des Wertes der Aktiengesellschaft mittelbar ein109 Vgl. dazu Büdenbender, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring, AnwKom-BGB, § 434 Rn. 10 („dogmatisches Neuland"). 1,0 Bachmann, W M 2002, 2137, 2141. 111 RGZ 100, 274, 278 (zur GmbH); 158, 248, 255; BGHZ 83, 122, 133 ff. (Holzmüller); OLG München, ZIP 2002, 1989, 1993; Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropff, AktG, § 93 Rn. 94; Hopt, in: GroßKommAktG, § 93 Rn. 470 ff.; Mertens, in: KölnKommAktG, § 93 Rn. 173; Palandt/77zo/ms, BGB, § 823 Rn. 27; Wilhelmi, in: Godin/Wilhelmi, AktG, § 93 Rn. 8; Bayer, NJW 2000, 2609, 2611 f.; eingehend Habersack, Mitgliedschaft, S. Ì17 f f , 139 ff. 112 Abram, ZBB 2003,41,44. 113 RGZ 158, 248, 255; vgl. zu den Argumenten im einzelnen Hopt, in: GroßkommAktG, § 93, Rn. 470 ff.; Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropff, § 93 Rn. 94; Wiesner, in: MünchHdbAG, § 26 Rn. 29; Eickhoff, Die Gesellschafterklage, S. 53 f.; Zöllner, ZGR 1988, 392, 320. 114 Abram, ZBB 2003, 41, 44 f.; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1578; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 358; so auch Seibt, AG 2002, 249, 255 f.; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 168.
252
. Kapitel:
enhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
hergehenden Wertverlust der Anteilsscheine beeinträchtigt. Ein Anspruch könne aber dann bestehen, wenn in das Substrat der durch Gesetz und Satzung ausgeformten Mitgliedstellung eingegriffen werde. Das sei namentlich bei einer gesetzlich oder satzungsmäßig nicht gerechtfertigten Verringerung der aus der Mitgliedschaft fließenden Einflussmöglichkeiten der Fall 1 1 5 . Ohne die vorgenannte Streitfrage zu entscheiden folgern manche Stimmen in der Literatur, dass den Aktionären nach den Überlegungen der Gegenauffassung ein eigener deliktischer Schadensersatzanspruch gegen Organmitglieder zustehen könne. Durch fehlerhafte Abgabe der Entsprechenserklärung werde in den durch § 161 AktG gesetzlich umschriebenen Bestand und bei Zuwiderhandeln gegen in die Satzung transformierte und inhaltlich die Mitgliedschaft betreffende Regelungen in satzungsrechtlich geschützte Bereiche des Mitgliedschaftsrechts eingegriffen 116. Ersteres setzte aber voraus, dass die Erklärungspflicht nach § 161 als tatsächliche Ausprägung des Mitgliedschaftsrechts der Aktionäre anzusehen wäre. Mit der gesetzlichen Offenlegungspflicht hatte der Gesetzgeber jedoch nicht die Stärkung der Einflussmöglichkeiten der Anteilseigner, sondern der Vertrauensbildung aller Anleger im Blick 1 1 7 . Die die Corporate Governance betreffenden Informationen sollen dem gesamten Kapitalmarkt zur Verfügung gestellt werden, um daran die Kauf- oder Verkaufsentscheidung ausrichten zu können. Die Information der bereits Anteile besitzenden Anleger ist damit bloßer Reflex der Information des ganzen Marktes, deren Teil sie sind, nicht Substrat ihres Mitgliedschaftsrechts. Ein Verstoß gegen § 161 AktG begründete damit auch nach der Gegenmeinung keinen Schadensersatzanspruch 118. Der zweitgenannte Fall betrifft sachlich lediglich die Empfehlungen der Ziffern 2.3 DCGK (Einladung zur Hauptversammlung, Minderheitenrechte) und
115 Lutter/Krieger, Rechts und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 862; Mertens, in: KölnKommAktG, § 93 Rn. 172; ders., in: MünchKommBGB, § 823 Rn. 152; Habersack, Mitgliedschaft, S. 258 ff.; Mertens, FS Fischer, S. 461, 471 f.; ders., AG 1978, 309,310. 116 Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1578; a.A. Abram, ZBB 2003, 41, 44 f.; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 358; Seibt, AG 2002, 249, 256. 117 BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21, ebenso Abram, ZBB 2003, 41 45. 118 Ebenso Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 205; Abram, ZBB 2003, 41, 45; JJlmer, AcP 202, 143, 171; auf die fehlende spürbare Beeinträchtigung der Mitgliedschaft abstellend Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 358; a.A. Berg/Stöcker, WM 2002, 1569, 1578 (i.E. aber eine Haftung offenlassend).
Β. Deliktische Haftung
253
6.3 DCGK (Information der Aktionäre) 119 sowie die Anregung der Ziffer 3.7 Abs. 3 DCGK (Einberufung zur außerordentlichen Hauptversammlung bei Übernahmeangebot), da nur diese Regelungen inhaltlich mit der Mitgliedstellung der Aktionäre in Zusammenhang zu bringen sind 120 . Zu einer Transformation der Bestimmungen in die Satzung ist die Gesellschaft zwar nicht verpflichtet und ohne Aufnahme in die Satzung sind die Anregungen und Empfehlungen nach allgemeiner Auffassung rechtlich unverbindlich 121 . Wird eine Regelung aber freiwillig in die Satzung aufgenommen, kann sie ebenso wie gesetzliche Vorschriften Einflussmöglichkeiten der Aktionäre begründen. Auch richten sich die genannten Kodexregelungen zwar inhaltlich nicht an den Aufsichtsrat, doch könnte sich eine Pflichtverletzung von Aufsichtsratsmitgliedern aus der Vernachlässigung ihrer Überwachungspflichten ergeben 122. Eine rechtswidrige Nichtbeachtung123 einer transformierten Verhaltensregel des Kodex könnte sich deshalb nach der teilweise vertretenen Gegenmeinung als schadensersatzbegründender Eingriff in das Substrat des Mitgliedschaftsrechts darstellen 124. Der Sache nach unterscheidet sich aber eine Implementierung vorgenannter Kodexbestimmungen nicht von völlig unabhängig vom Kodex in die Satzung eingefügten beliebigen anderen, ebenfalls die Mitgliedschaft betreffenden Regelungen. Der vorstehende Meinungsstreit wirkt sich damit nicht in besonderer Weise auf die im Rahmen dieser Arbeit untersuchten haftungsrechtlichen Auswirkungen von Kodex und Entsprechenserklärung aus und soll deshalb hier nicht weiter vertieft und entschieden werden. Es reicht die Feststellung, dass eine fehlerhafte Erklärungsabgabe keinesfalls eine deliktische Haftung nach sich zieht; soweit die Ziffern 2.3., 6.3., 3.7. DCGK in die Satzung implementiert und missachtet werden, droht äußerstenfalls nach der zum Schutzumfang des Mitglied-
119 Vgl. Wiedergabe des allgemeinen Gleichbehandlungsgebots, § 53a AktG, in Ziffer 6.3 S. 1 DCGK. 120 So auch Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1578; zustimmend Abram , ZBB 2002, 41, 45; auf Ziffern 6.3 und 6.5 DCGK abstellend, aber wegen gleicher Behandlung aller Aktionäre im Falle der Nichtbefolgung mangels individueller Benachteiligung (§ 53a AktG) einen Eingriff ablehnend Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 168. 121 Darauf abstellend und deshalb auch bei unterstellter Befolgung der den deliktischen Schutz weiter ziehenden Meinung eine Haftung verneinend Abram , ZBB 2003, 41,45. 122 Vgl. Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 862. 123 Vgl. Mertens, in: KölnKommAktG, § 93 Rn. 172. 124 So i.E. Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1578; a.A. Abram , ZBB 2003, 41, 45.
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. Kapitel:
enhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
schaftsrechts vertretenen Mindermeinung 125 eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB 1 2 6 . II. Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz Eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB setzt den Verstoß gegen ein Schutzgesetz voraus. Schutzgesetze sind Normen, die nicht nur den Schutz der Allgemeinheit, sondern gerade auch den Schutz des Einzelnen oder einzelner Personenkreise gegen die Verletzung eines Rechtsguts bezwecken127. Als solche kommen der Kodex bzw. seine einzelnen Bestimmungen, § 161 AktG sowie § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG bzw. § 331 Nr. 1, 2 HGB in Betracht 128 . 1. Kodex als Schutzgesetz Einzig Hopt erachtet es als „nicht ganz ausgeschlossen", dass auch ein „rechtlich unverbindlicher" Kodex als Schutzgesetz angesehen werden könnte 1 2 9 . Mit der rechtlichen Un Verbindlichkeit ist allerdings nur die fehlende Normqualität des Kodex 130 , nicht der eigentliche Inhalt des zur Zeit der vorzitierten Äußerung von Hopt noch nicht ausgearbeiteten DCGK angesprochen. Ohne dass es auf die Rechtsqualität des Kodex 131 ankäme, fehlt es den Kodexregelungen bereits inhaltlich an der für ein Schutzgesetz erforderlichen Verbindlichkeit. Von den Empfehlungen, erst recht den Anregungen, kann ohne Begründung abgewichen werden, Präambel Abs. 9 DCGK, so dass ein Abwei-
125 Es stellte sich dann aber die Problematik der Bezifferung eines durch die Beeinträchtigung des Mitgliedschaftsrechts verursachten Schadens. Vgl. zur denkbaren Schadenspositionen einer Wertminderung einer Schachtelbeteiligung Mertens, in: KölnKommAktG, § 93 Rn. 172; ders., AG 1978, 309, 310, was nach einer Übernahme unter Missachtung der Anregung Ziffer 3.7 Abs. 2 DCGK vorstellbar sein könnte. 126 Abram , ZBB 2003, 41, 44 f.; Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 15; Seibt, AG 2002, 249, 256; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 168; ders., AcP 202, 143, 171; vorausgesetzt bei Bachmann, W M 2002, 2137, 2142; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273; Seibert, BB 2002, 581, 584; differenzierend Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1578. 127 Statt aller ?a\mdÜThomas, § 823 Rn. 141 m.w.N. 128 Vgl. zur nach ganz h.M. fehlenden Schutzgesetzqualität des § 93 Abs. 2 AktG statt aller Hüffer, AktG, § 93 Rn. 19 m.w.N.; zur i.d.R. fehlenden Erfüllung des objektiven Tatbestands der Schutzgesetze §§ 264a Abs. 1, 263 Abs. 1 StGB Abram, ZBB 2003, 41, 47 m.w.N.; Seibt, AG 2002, 249, 256. 129 Hopt, Beiheft ZHR 71, S. 27, 52. 130 Schon aus diesem Grund einen Schutzgesetzcharakter ablehnend Seibt, AG 2002, 249, 256; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 168. 131 Vgl. dazu vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Β. V.
Β. Deliktische Haftung
255
chen nicht gegen den Kodex verstößt 132 . Der Informationsteil ist rein deklaratorisch, so dass eine Nichteinhaltung unabhängig vom Kodex nur zur Haftung fuhren kann, wenn das jeweils zugrundeliegende Gesetz als Schutzgesetz anzusehen ist 133 . Das Regelwerk des Kodex ist deshalb kein Schutzgesetz134. 2. § 161 AktG als Schutzgesetz Allerdings könnte § 161 AktG ein Schutzgesetz i.S.d § 823 Abs. 2 BGB sein. Dazu müsste sich die Norm zunächst an einen abgrenzbaren Personenkreis wenden1"55. Angesichts der Bezugnahme auf den Kodex, der sich an alle in- und ausländischen Anleger richtet, Präambel Abs. 1 S. 3 DCGK, dürfte das gesamte Anlagepublikum zwar als weiter, aber hinreichend bestimmbarer Adressatenkreis anzusehen sein 136 . Zusätzlich müsste die Norm zumindest auch gerade deren Schutz beabsichtigen und darf sich nicht als bloßer Reflex von Belangen der Allgemeinheit darstellen 137. Entscheidend abzustellen ist auf den Inhalt und Zweck des Gesetzes und die Intention des Gesetzgebers 138. Dem Wortlaut der Vorschrift ist ein Schutzinteresse in Hinblick auf das Vermögen der Anleger nicht zu entnehmen139. Eigentliches Anliegen der Offenlegungspflicht des § 161 AktG ist ausweislich der Regierungsbegründung die über die Publizität der Kodexeinhaltung erstrebte Stärkung des deutschen Kapitalmarktes durch Förderung des Vertrauens gerade ausländischer Investo-
132 Abram, ZBB 2003, 41, 45; Bachmann, W M 2002, 2137, 2142; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1578; Seibt, AG 2002, 249, 256; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 168. 133 Abram , ZBB 2003, 41, 45; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1578 f.; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 359. 134 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 45; Schüppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 20; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 208; Abram , ZBB 2003, 41, 45; Bachmann, W M 2002, 2137, 2142; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1578; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 358 f.; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273; Seibert, BB 2002, 581, 584; Seibt, AG 2002, 249, 256; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 168; ders., AcP 202 (2002), 143, 171. Vgl. ausdrücklich in Bezug auf technische Normen Mertens, in: MünchKommBGB, § 823 Rn. 182. 135 Statt aller Faitmdt/Thomas, BGB, § 823 Rn. 141. 136 Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1579; Abram, ZBB 2003, 41, 45. 137 Paiandt/Thomas, BGB, § 823 Rn. 141; Steffen, in: BGB-RGRK, § 823 Rn. 540 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung. 138 Palandt/Thomas, BGB, § 823 Rn. 141; Steffen, in: BGB-RGRK, § 823 Rn. 544. 139 Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 359; Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 15; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273.
256
. Kapitel:
enhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
ren 140 . Daneben soll der Kapitalmarkt steuernde Wirkung zur Verbesserung der Corporate Governance entfalten 141 . Die Absicht, darüber hinaus auch auf den Schutz des Vermögens der Anleger abzielen zu wollen, wird nirgends deutlich 1 4 2 . Dafür spricht auch die fehlende Strafbewehrung 143. Soweit der Kodex Aktionäre nur beiläufig und mittelbar schützt, genügt das den an ein Schutzgesetz zu stellenden Anforderungen nicht 144 . Ohne dass es noch darauf ankäme, ob eine Haftung für leicht fahrlässige Verstöße gegen § 161 AktG dem bestehenden haftungsrechtlichen Gesamtsystem bei Verletzung kapitalmarktbezogener Informationspflichten zuwiderliefe 145 , ist die Vorschrift kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB 1 4 6 . 3. § 331 Nr. 7, 2 HGB als Schutzgesetz Gemäß § 331 Nr. 1, 2 HGB macht sich ein Aufsichtsratsmitglied strafbar, wenn es die Verhältnisse der Gesellschaft oder des Konzerns in der aufgezählten Rechnungslegung, u.a. im Jahres- oder Konzernabschluss, unrichtig wiedergibt oder verschleiert. Die Vorschrift ist Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB auch zugunsten der Aktionäre der Gesellschaft 147.
140
BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21. Angedeutet in BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21: „Die Gleichwertigkeit solcher Abweichungen zu bewerten, bleibt dem Kapitalmarkt überlassen"; vgl. Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 359: „Die Anleger sind (...) nicht Schutzobjekt, sondern das Mittel, den inländischen Kapitalmarkt als Ganzes zu fordern." 142 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 210; Abram , ZBB 2003, 41, 45; Bachmann, W M 2002, 2137, 2142; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1579; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 359; Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 15; Seibt, AG 2002, 249, 256. 143 Kollmann,, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 15; Schüppen., ZIP 2002, 1269, 1273. 144 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 210 ff.; Seibt, AG 2002, 249, 256. 145 Darauf abstellend Berg/Stöcker, W M 2002, 1269, 1279; Ettinger/Grützediek,, AG 2003, 353, 359 (dort Fn. 81) Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 15; a.A. Abram , ZBB 2003, 41, 45 f. 146 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 210 ff.; Abram , ZBB 2003, 41, 45; Bachmann, W M 2002, 2137, 2142; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1579; Ettinger/Grützediek,, AG 2003, 353, 359; Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 15; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273; Seibert, BB 2002, 581, 584; Seibt, AG 2002, 249, 256; offengelassen bei Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 45. 147 Allg.M., vgl. Dannecker, in: Staub, HGB, § 331 Rn. 1; Quedenfeld, in: MünchKommHGB, § 331 Rn. 2. 141
Β. Deliktische Haftung
257
Im Anhang zum Jahres- bzw. Konzernabschluss muss nunmehr gemäß §§ 285 Nr. 16, 314 Abs. 1 Nr. 8 HGB angegeben werden, dass die Entsprechenserklärung abgegeben und den Aktionären zugänglich gemacht wurde. Allerdings wird damit die Erklärung nach allgemeiner Auffassung nicht selbst Teil des Anhangs. Erforderlich und vom Prüfungsumfang des Abschlussprüfers umfasst ist nur die Mitteilung ihrer Abgabe und Zugänglichmachung148. Eine Haftung kommt also nur in Betracht, wenn diese Mitteilung vorsätzlich 149 falsch abgegeben wird 1 5 0 . Die fehlende handelsrechtliche Verpflichtung schließt es allerdings nicht aus, dass die Erklärung, etwa zum Zwecke des dauerhaften Zugänglichmachens, freiwillig in vollem Umfang in den Anhang aufgenommen wird 1 5 1 . Dann darf diese Angabe auch inhaltlich nicht vorsätzlich falsch sein. Die Haftung nach § 331 HGB erfährt aber insoweit eine Einschränkung, als dass nach wohl herrschender Meinung gegen die Weite des Begriffs der „Verhältnisse", der alle Umstände erfasst, die für die Gesellschaft in irgendeiner Form bedeutsam sein können, verfassungsrechtliche Bedenken in Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot in Art. 103 Abs. 2 GG geltend gemacht werden. Es sei deshalb eine restriktive Auslegung geboten und nur solche Umstände von der Vorschrift umfasst, die zur Beurteilung der wirtschaftlichen Lage und des Erscheinungsbildes relevant sein können 152 . Treffen die Erwartungen, die allgemein in den regulierenden Einfluss des Kapitalmarktes zur (weitgehenden) Einhaltung des Kodex gesetzt werden, nur halbwegs zu, wird man aber, entgegen einigen Stimmen in der Literatur 150 , auch im Sinne der restriktiven Auslegung eine falsche Angabe über die Abgabe der Erklärung oder ihre Zugänglichmachung bzw. im Fall der freiwilligen inhaltlichen Einfügung der Erklärung in den
148 BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 25; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 219; Baums, Bericht, Rn. 10, S. 55; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1579; DAV-HRA, NZG 2002, 115, 118; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 253, 359; Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 791. Vgl. aber den Aktionsplan der EU-Kommission zur Corporate Governance und Gesellschaftsrecht, wonach bis 2005 eine Verpflichtung zur Einfügung einer Corporate-Governance-Erklärung in den Jahresabschluss durch Richtlinie legislatorisch zwingend eingeführt werden soll, vgl. zur Kritik Wiesner, ZIP 2003, 977, 979. 149 Vorsatz i.S.d. dolus eventualis, statt aller Dannecker, in: Staub, HGB, §331 Rn. 55 m.w.N. 150 Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1579; zustimmend Abram, ZBB 2003, 41, 46. 151 Lutter, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 498; Baums, Bericht, Rn. 10, S. 55; DA V-HRA, NZG 2002, 115, 118; Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 791. 152 Dannecker, in: Staub, HGB, § 331 Rn. 37; Ouedenfeld, in: MünchKommHGB, § 331 Rn. 40; a.A. Fuhrmann/Schal, in: Rowedder, GmbHG, Vorb. §§ 82-85 Rn. 25. 153 Abram, ZBB 2003, 41, 46; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1580; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 359 f.
258
. Kapitel:
enhaftung der Aufsichtsratsmitglieder
Anhang deren inhaltliche Unrichtigkeit durchaus als die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft betreffenden Umstand ansehen müssen154. In der Regel wird eine Haftung in der Praxis aber ausscheiden, weil die beiden genannten Begehungsformen, zumal vorsätzlich, in den seltensten Fällen erfüllt sein werden 155 . 4. § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG als Schutzgesetz Ist § 331 Nr. 1 HGB nicht einschlägig, können sich Aufsichtsratsmitglieder nach dem insoweit subsidiären § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG strafbar machen, wenn sie Verhältnisse der Gesellschaft u.a. in Vorträgen oder Auskünften in der Hauptversammlung unrichtig wiedergeben oder verschleiern. Die Norm ist zwar ebenso wie § 331 HGB ein Schutzgesetz156 und der Begriff der „Verhältnisse" anders als in § 331 Nr. 1 HGB unstreitig nicht auf die der Vermögenslage der Gesellschaft beschränkt 157. Die Veröffentlichung des Kodex gemäß § 161 AktG etwa auf der Website der Gesellschaft fällt aber nicht unter die in § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG genannten Begehungsformen 158. Eine Haftung kommt folglich nur in Frage, wenn ein Aufsichtsratsmitglied im Rahmen der Hautversammlung das Wort ergriffe und vorsätzlich unrichtig über die Befolgung der Empfehlungen oder die Abgabe der Entsprechenserklärung ausführte 159. Diese Begehungsform ist damit — gerade für Aufsichtsratsmitglieder — eher theoretischer Natur 160 ,
154 I.E. ebenso wohl Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 15; Schüppen,, ZIP 2002, 1269, 1273; a.A. Abram , ZBB 2003, 41, 46; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1580; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 359 f. 155 Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 219; zustimmend Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 15. Zur weiteren Problematik der Schadenskausalität und des Doppelschadens Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 202 f. 156 Bernsmann, in: AnwK-AktienR, Kap.l §400 R n . l ; Fuhrmann, in: Geßler/ Hefermehl/Eckhardt/ Kropff, AktG, 1994, § 400 Rn. 3; Geilen, in: KölnKommAktG, § 400 Rn. 3; Otto, in: GroßkommAktG, § 400 Rn. 2, 4; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 217. 157 Otto, in: GroßkommAktG, § 400 Rn. 28 m.w.N.; Fuhrmann, in: Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropff, AktG, § 400, Rn. 13. 158 Vgl. etwa die Begehungsform nicht problematisierend Semler, in: MünchKommA k t G ^ 161 Rn. 218. 159 Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1579; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 360; Seibt, AG 2002, 249, 256 (zum noch eher denkbaren Handeln des Vorstands). 160 Abram, ZBB 2003, 41, 47; Bachmann, W M 2002, 2137, 2141; Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 15; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273; Seibt, AG 2002, 249, 256; vgl. allg. zur geringen Praxisrelevanz Reichert/Weller, ZRP 2002, 49, 53 f.
C. Zusammenfassung und Ausblick
259
weshalb auf die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen nicht mehr eingegangen werden soll 1 6 1 .
C. Zusammenfassung und Ausblick Die Einführung der Verpflichtung zur Abgabe der Entsprechenserklärung hat de lege lata — abgesehen von „pathologischen Fällen" vorsätzlich schädigenden Verhaltens über § 826 BGB oder § 823 Abs. 2 i.V.m. § 331 Nr. 1, 2 HGB bzw. § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG — keinen Einfluss auf die Außenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder. Eine Vertrauenshaftung, allenfalls nach den Grundsätzen der allgemeinen Prospekthaftung denkbar, scheidet aus. Dieses Ergebnis mag zurecht als unbefriedigend empfunden werden, doch ist die Lösung nur de lege ferenda zu suchen. In der rechtswissenschaftlichen Diskussion, die im 10-Punkte Programm „Unternehmensintegrität und Anlegerschutz" der Bundesregierung ihren Niederschlag gefunden hat 162 , befindet sich insbesondere die Einfuhrung einer allgemeinen gesetzlichen Außen- oder Direkthaftung der fur fehlerhafte Kapitalmarktinformationen verantwortlichen Organmitglieder, die je nach Art ihrer Umsetzung eine persönliche Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern für wahrheitswidrige Entsprechenserklärungen begründen könnte16^.
161
Vgl. dazu Abram, ZBB 2003, 41, 47. Vgl. „Maßnahmenkatalog der Bundesregierung zur Stärkung der Unternehmensintegrität und des Anlegerschutzes" v. 25.02.2003, abgedruckt in: wistra 4/2003, S. V ff.), dazu Seibert, BB 2003, 693, 694. 163 Vgl dazu Baums, Bericht, Rn. 186, S. 198 ff.; Beschlüsse des 64. DJT, 2002, Abteilung Wirtschaftsrecht, 1. Block sub e); zum Für und Wider zustimmend Abram , ZBB 2003, 41, 56 ff.; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 364; Fleischer, Gutachten F, S. F 101 ff.; Horn,, FS Ulmer, S. 817, 823; Hutter/Leppert, NZG 2002, 649, 654; Merkt/ Gothel, RIW 2003, 23, 31 f.; Reichert/Weller, ZRP 2002, 49, 54 ff.; Seibert, BB 2003, 693, 694; Veil, ZHR 167 (2003), 365, 392 ff.; ablehnend Mülbert, JZ 2002, 826, 831 f.; kontrovers Baums, ZHR 167 (2003), 139, 171 ff.; Fleischer/Meyer, ZRP 2002, 532, 532. 162
. Kapitel
Ergebnis der Untersuchung Das Konzept eines privat erstellten Kodex nicht zwingender Verhaltenspflichten entstammt dem anglo-amerikanischen Rechtsraum und dient dort als Mittel der „externen" Kontrolle des Kapitalmarktes. Motiviert durch Veränderungen des tatsächlichen Umfeldes (Globalisierung der Kapitalmärkte) und in der Hoffnung auf die Vorteile einer gegenüber gesetzlichen Vorschriften flexibleren Regelung soll der neu in das deutsche System eingeführte Deutsche Corporate Governance Kodex, der sich dogmatisch nicht den bisher bekannten Rechtsquellen zuordnen lässt, eine doppelte Funktion wahrnehmen (Informations» und Regelungsfunktion). Der Kodex stellt zur Information der (internationalen) Anleger wesentliche gesetzliche Vorschriften der deutschen Corporate Governance zusammen und enthält zudem darüber hinausgehende „anerkannte" Verhaltensstandards („Empfehlungen", „Anregungen"). Er richtet sich in erster Linie an börsennotierte Gesellschaften und legt anderen nur eine Beachtung nahe. Seine regelnde Funktion soll er mittels der „Empfehlungen" erfüllen, deren An- oder Nichtanwendung den Gesellschaften freigestellt, aber gem. § 161 AktG von Aufsichtsrat und Vorstand aller börsennotierter Gesellschaften zwingend offenzulegen ist. Ober den mit dieser Publizität erzeugten Marktdruck sollen die Gesellschaften mittelbar zur Einhaltung der Empfehlungen bewegt werden. Die Entsprechenserklärung nach § 161 AktG bezieht sich nicht nur auf den zurückliegenden Berichtszeitraum und die Gegenwart, sondern erfasst auch das zum Erklärungszeitpunkt beabsichtigte zukünftige Verhalten, ohne dass die Gesellschaft an die Einhaltung der Absichtserklärung im rechtlichen Sinne gebunden wäre. Die Entsprechenserklärung muss von Aufsichtsrat und Vorstand unter Einbeziehung des gesamten Kodexinhalts durch Beschluss abgegeben werden. Die umfassende Erklärungskompetenz deckt sich beim vergangenheitsbezogenen Teil der Erklärung mit der entsprechenden Entscheidungskompetenz über den Inhalt der Erklärung. Können sich beide Organe nicht auf einen gemeinsamen Inhalt einigen, sind notfalls zwei sich unterscheidende Erklärungen abzugeben. Demgegenüber ist der Aufsichtsrat bei der Entscheidung über den Inhalt der
5. Kapitel: Ergebnis der Untersuchung
261
zukunftsgerichteten Absichtserklärung befugt, den Inhalt der Erklärung über die Ein- oder Nichteinhaltung bestimmter Empfehlungen für den Vorstand verbindlich vorzugeben. Dieser Entscheidungsvorrang gebührt dem Aufsichtsrat immer dann, wenn das in der betreffenden Empfehlung beschriebene tatsächliche Verhalten nach allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätzen in seinen Zuständigkeitsbereich fallt. Die Wahl der Publikationsform durch den Vorstand unterliegt der Rechtmäßigkeitskontrolle des Aufsichtsrats. Die Erklärung ist vom Aufsichtsrat grundsätzlich einmal im Kalenderjahr, vollständig und ohne Abstellen auf eine „Wesentlichkeitsschwelle" wahrheitsgemäß abzugeben. Aus dem Wahrheitsgebot folgt die Verpflichtung zur unverzüglichen Abgabe einer unterjährigen Korrekturerklärung, wenn entgegen der turnusmäßig erklärten Absicht von Kodexempfehlungen Abweichungen geplant sind oder wenn abgewichen wurde und es sich dabei nicht um ein erledigtes, punktuelles Zuwiderhandeln handelt. Die Aktualisierungsverpflichtung besteht auch, sobald die Unrichtigkeit der Vergangenheitserklärung bekannt wird. Der Aufsichtsrat muss zwecks Beschlussfassung über die Aktualisierungserklärung schnellstmöglich eine Sondersitzung einberufen. Ausschließlich für den Fall, dass eine Abweichung eine Empfehlung betrifft, die der vorrangigen Entscheidungskompetenz des Aufsichtsrats unterliegt und keine im Katalog des § 107 Abs. 3 S. 2 AktG aufgeführten Bereiche berührt, kann die entsprechende Beschlussfassung auch an einen Ausschuss delegiert werden. Aus dem Auseinanderfallen von umfassender Erklärungs- und teilweise nicht gegebener Entscheidungskompetenz resultieren verschiedene Organisationspflichten des Aufsichtsrats, um die Richtigkeit der abzugebenden Erklärung so weit wie möglich auf gesicherte Sachverhaltskenntnis stützen zu können. Geben Aufsichtsratsmitglieder trotz Durchführung dieser Maßnahmen für sie nicht erkennbar eine unrichtige Entsprechenserklärung ab, handeln sie nicht pflichtwidrig. Kodexbestimmungen können in die Satzung oder Geschäftsordnung des Aufsichtsrats transformiert werden; ein Zuwiderhandeln ist dann pflichtwidrig. Die Entscheidung über die An- oder Nichtanwendung der Kodexempfehlungen im Rahmen der Entsprechenserklärung unterliegt als unternehmerische Entscheidung dem sich an den Grundsätzen der business judgement rule orientierenden Ermessen der Aufsichtsratsmitglieder. Liegt die Entsprechenserklärung im Rahmen der Ermessensgrenzen, so besagt das noch nicht, ob auch das der Erklärung entsprechende tatsächliche Handeln der Aufsichtsratsmitglieder sorgfaltsgemäß ist.
262
5. Kapitel: Ergebnis der Untersuchung
Sollte sich in Zukunft aber eine allgemeine Übung zur Befolgung bestimmter, einer Vielzahl oder sogar aller Kodexempfehlungen einstellen, deutete ein Abweichen von dieser „Übung" auf eine Sorgfaltswidrigkeit hin, wenn nicht triftige Gründe für das abweichende Handeln benannt werden können. Der allgemeine aktienrechtliche Sorgfaltsmaßstab wird darüber hinaus unabhängig von einer „Verkehrsübung" in begrenztem Umfang durch die Empfehlungen des Kodex konkretisiert. Die beschränkte Konkretisierungswirkung resultiert aus der Art und Weise des Ausarbeitungsverfahrens der Empfehlungen. Je mehr das Verfahren der Cromme-Kommission insbesondere den Geboten der „prozederalen Richtigkeitsgewähr" (Transparenz, Publizität, Repräsentanz, Revisibilität) genügt, desto mehr kommt den Empfehlungen eine Indizfunktion im Rahmen der normalen richterlichen Beweiswürdigung unter Beibehaltung der gesetzlichen Beweislastverteilung zu. Eine empfehlungskonformes Handeln mildert also die zu Lasten der Aufsichtsratsmitglieder wirkende Beweislastregelung des § 93 Abs. 2 AktG ab, während ein abweichendes Handeln in Verstärkung der Beweislastregel auf eine Sorgfaltswidrigkeit hindeutet. Der Aufsichtsrat muss überprüfen, ob die Einhaltung der Entsprechenserklärung unter Berücksichtigung der Unternehmensspezifika sichergestellt ist; eine Pflicht zur Einrichtung eines bestimmten Überwachungssystems besteht nicht. Ein kausal auf der Verletzung einer der genannten Pflichten beruhender bezifferbarer Schaden dürfte nur in den seltensten Fällen nachweisbar sein. Daher ist unabhängig von der bekannten Problematik der Durchsetzung von Ersatzansprüchen (§147 AktG) das tatsächliche Risiko einer Innenhaftung der Organmitglieder nur gering. Nach der lex lata kommt eine Außenhaftung im Zusammenhang mit einer wahrheitswidrigen Entsprechenserklärung nur bei sehr begrenzten Begehungsformen und unter hohen subjektiven Voraussetzungen in Betracht. Eine Vertrauenshaftung, die allenfalls im Kleid der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung in Betracht kommt, ist abzulehnen.
Anhang: Empfehlungen mit Bezug zum Aufsichtsrat *
Entscheidung bei Korrekturerklärung nicht auf Ausschuss delegierbar.
kursiv
Kodexinhalt seit Neufassung DCGK v. 21.05.2003. Bezug zum Aufsichtsrat über seine aktienrechtliche Zuständigkeit.
Nr.
Ziff. DCGK
Text
1
3.4 Abs. 3S. 1*
Der AR soll die Informations- und Berichtspflichten des V näher festlegen
2
3.8 Abs. 2
Schließt die Gesellschaft fur V und AR eine D&O Versicherung ab, so soll ein angemessener Selbstbehalt vereinbart werden
3
3.10 S. 1
V und AR sollen jährlich im Geschäftsbericht über die Corporate Governance des Unternehmens berichten.
4
3.10 S. 2
Hierzu gehört auch die Erläuterung eventueller Abweichungen von den Empfehlungen des Kodex.
5
4.2.1 S. /*
Der Vorstand soll aus mehreren Personen bestehen und einen Vorsitzenden oder Sprecher haben.
6
4.2.1 S.2*
Eine Geschäftsordnung soll die Geschäftsverteilung und die Zusammenarbeit im Vorstand regeln.
7
4.2.2 Abs. 1*
Das AR-Plenum soll auf Vorschlag des Gremiums, das die Vorstandsverträge behandelt, über die Struktur des Vergütungssystems des Vorstands beraten und soll sie regelmäßig überprüfen.
8
4.2.3 S. 1
Die Gesamtvergütung der Vorstandsmitglieder soll fixe und variable Bestandteile umfassen.
9
4.2.3 Abs. 2, S. 2
Aktienoptionen und vergleichbare Gestaltungen sollen auf anspruchsvolle, relevante Vergleichsparameter bezogen sein.
10
4.2.3 Abs. 2, S. 3
Eine nachträgliche Änderung der Erfolgsziele oder der Vergleichsarameter soll ausgeschlossen sein.
264 11
12
Anhang: Empfehlungen mit Bezug zum Aufsichtsrat 4.2.3 Abs. 2 S. 4
Für außerordentliche, nicht vorhergesehene Entwicklungen soll AR eine Begrenzungsmöglichkeit (Cap) vereinbaren.
4.2.3 Abs. 3 S. 1
Die Grundzüge des Vergütungssystems sowie die konkrete Ausgestaltung des Aktienoptionsplans oder vergleichbarer
Gestaltungen für Komponenten mit langfristiger Anreizwirkung und Risikocharakter sollen auf der Internetseite der Gesellschaft in allgemein verständlicher Form bekannt gemacht und im Geschäftsbericht erläutert werden. 13
4.2.3 Abs. 3 S. 2
Hierzu sollen auch Angaben zum Wert von Aktienoptio-
nen gehören.
14
4.2.3 Abs. 4
Der Vorsitzende des AR soll die Hauptversammlung über die Grundzüge des Vergütungssystems und deren Veränderung informieren.
15
4.2.4 S. 2
Die Angaben (zur Vergütung der V) sollen individualisiert erfolgen.
16
4.3.4 S. 3*
Wesentliche Geschäfte sollen der Zustimmung des AR bedürfen
17
4.3.5*
Vorstandsmitglieder sollen Nebentätigkeiten, insbesondere AR-Mandate außerhalb des Unternehmens, nur mit Zustimmung des AR übernehmen
18
5.1.2 Abs. 1 S. 2*
Er (AR) soll gemeinsam mit dem Vorstand für eine langfristige Nachfolgeplanung sorgen.
19
5.1.2 Abs. 2S. 2*
Eine Wiederbestellung (des V) vor Ablauf eines Jahres vor dem Ende der Bestellung soll nur bei Vorliegen besonderer Umstände erfolgen.
20
5.1.2 Abs. 2 S. 3*
Eine Altersgrenze für V-Mitglieder soll festgelegt werden.
21
5.1.3*
Der AR soll sich eine Geschäftsordnung geben.
22
5.2 Abs. 2 S. 1*
Der AR-Vorsitzende soll zugleich Vorsitzender der Ausschüsse sein, die die Vorstandsverträge behandelt und die AR-Sitzungen vorbereiten.
23
5.2. Abs. 3 S. 1*
Der AR-Vorsitzende soll mit dem V insbesondere mit dem Vorsitzenden bzw. Sprecher des Vorstandes, regelmäßig Kontakt halten und mit ihm die Strategie, die Geschäftsentwicklung und das Risikomanagement des Unternehmens beraten.
Anhang: Empfehlungen mit Bezug zum Aufsichtsrat 24
5.2 Abs. 3 S. 3*
Der AR-Vorsitzende soll sodann den AR unterrichten und erforderlichenfalls eine außerordentliche AR-Sitzung einberufen.
25
5.3.1 S. 1*
Der AR soll abhängig von den spezifischen Gegebenheiten des Unternehmens und der Anzahl seiner Mitglieder fachlich qualifizierte Ausschüsse bilden.
26
5.3.2 S. 1*
Der AR soll einen Prüfungsausschuss (Audit Committee) einrichten, der sich insbesondere mit Fragen der Rechnungslegung und des Risikomanagements, der erforderlichen Unabhängigkeit des Abschlussprüfers, der Erteilung des Prüfungsauftrags an den Abschlussprüfer, der Bestimmung von Prüftingsschwerpunkten und der Honorarvereinbarung befasst.
27
5.4.1 S. 1
Bei Vorschlägen zur Wahl von AR-Mitgliedern soll darauf geachtet werden, dass dem AR jederzeit Mitglieder angehören, die über die zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und fachlichen Erfahrungen verfugen und hinreichend unabhängig sind.
28
5.4.1 S. 2
Ferner sollen die Internationale Tätigkeit des Unternehmens, potentielle Interessenkonflikte und eine festzulegende Altersgrenze für AR-Mitglieder berücksichtigt werden.
29
5.4.2 Teil 1
Eine unabhängige Beratung und Überwachung des V durch den AR wird auch dadurch ermöglicht, dass dem AR nicht mehr als zwei ehemalige Angehörige des V angehören sollen (...Fortsetzung nächste Spalte als eigene Empfehlung)
30
5.4.2 Teil 2
(Fortsetzung nach Teil 1...) und dass AR-Mitglieder keine Organfunktionen oder Beratungsaufgaben bei wesentlichen Wettbewerbern des Unternehmens ausüben sollen.
31
5.4.3 S. 2
Wer dem Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft angehört, soll insgesamt nicht mehr als fünf AR-Mandate in konzernexternen börsennotierten Gesellschaften wahrnehmen.
32
5.4.5 Abs. 1 S. 3
Dabei (Vergütung) sollen der Vorsitz und der stellvertretende Vorsitz im AR sowie der Vorsitz und stellvertretende Vorsitz in den Ausschüssen berücksichtigt werden.
Anhang: Empfehlungen mit Bezug zum Aufsichtsrat
266 33
5.4.5 Abs. 2, S. 1
Die Mitglieder des AR sollen neben einer festen eine erfolgsorientierte Vergütung erhalten.
34
5.4.5 Abs. 3, S. 1
Die Vergütung der AR-Mitglieder soll im Anhang des Konzernabschlusses individualisiert, aufgegliedert nach Bestandteilen ausgewiesen werden.
35
5.4.5 Abs. 3 S. 2
Auch die vom Unternehmen an die Mitglieder des AR gezahlten Vergütungen und gewährten Vorteile für persönlich erbrachte Leistungen, insbesondere Beratungs- und Vermittlungsleistungen, sollen individualisiert im Anhang zum Konzernabschluss gesondert angegeben werden.
36
5.4.6
Falls ein Mitglied des AR in einem Geschäftsjahr an wenige als der Hälfte der Sitzungen des AR teilgenommen hat, soll dies im Bericht des AR vermerkt werden.
37
5.5.2
Jedes AR-Mitglied soll Interessenkonflikte, insbesondere solche, die aufgrund einer Beratung oder Organfunktion bei Kunden, Lieferanten, Kreditgebern oder sonstigen Geschäftspartnern entstehe können, dem AR gegenüber offen legen.
38
5.5.3 S. 1
Der AR soll in seinem Bericht in der HV über aufgetretene Interessenkonflikte und deren Behandlung informieren.
39
5.5.3 S. 2
Wesentliche und nicht nur vorübergehende Interessenkonflikte in der Person eines AR-Mitglieds sollen zur Beendigung des Mandats fuhren.
40
5.6
Der AR soll regelmäßig die Effizienz seiner Tätigkeit überprüfen.
41
6.6 Abs. 2. S. 2
Der Aktienbesitz einschließlich der Optionen sowie der sonstigen Derivate des einzelnen V- oder AR-Mitglieds sollen auch dann angegeben werden, wenn er direkt oder indirekt größer als 1 % der von der Gesellschaft ausgegebenen Aktien ist.
42
6.6 Abs. 2 S. 3
Übersteigt der Gesamtbesitz aller V- und AR-Mitglieder 1 % der von der Gesellschaft ausgegebenen Aktien, soll der Gesamtbesitz getrennt nach V und AR angegeben werden.
43
7.1.1 S. 1
Der Konzernabschluss wird vom V aufgestellt und vom Abschlussprüfer sowie vom AR geprüft. (Informationsteil)
Anhang: Empfehlungen mit Bezug zum Aufsichtsrat i.V.m. Der Konzernabschluss und der Zwischenbericht sollen
7.1.1 S. 2
unter Beachtung international anerkannter Rechnungslegungsgrundsätze aufgestellt werden. 44
45
7.1.2 S. 1
Der Konzernabschluss wird vom V aufgestellt und vom
i.V.m.
Abschlussprüfer sowie vom AR geprüft. (Informationsteil)
7.1.3
Der Konzernabschluss soll konkrete Angaben über Aktienoptionsprogramme (fur V und AR) und ähnliche wertorientierte Anreizsysteme der Gesellschaft enthalten
7.1.2 S. 1
Der Konzernabschluss wird vom V aufgestellt und vom
i.V.m.
Abschlussprüfer sowie vom AR geprüft. (Informationsteil) Im Konzernabschluss sollen Beziehungen zu Aktionären
7.1.5
erläutert werden, die im Sinne der anwendbaren Rechnungslegungsvorschriften als nahestehende Personen zu qualifizieren sind. 46
7.2.1 Abs. 1 S. 1*
Vor Unterbreitung des Wahlvorschlags soll der AR bzw. der Prüfungsausschuss eine Erklärung des vorgesehenen Prüfers einholen, ob und ggf. welche beruflichen, finanziellen oder sonstige Beziehungen zwischen dem Prüfer und seinen Organen und Prüfungsleitern einerseits und dem Unternehmen und seinen Organmitgliedern andererseits bestehen, die Zweifel an seiner Unabhängigkeit begründen können.
47
7.2.1 Abs. 1 S. 2*
Die Erklärung soll sich auch darauf erstrecken, welchen Umfang im vergangenen Geschäftsjahr andere Leistungen für das Unternehmen, insbesondere auf dem Beratungssektor, erbracht wurden bzw. fur das folgende Jahr vertraglich vereinbart sind.
48
7.2.1 Abs. 2*
Der AR soll mit dem Abschlussprüfer vereinbaren, dass der Vorsitzende des AR bzw. des Prüfungsausschusses über während der Prüfung auftretende mögliche Ausschluss· oder Befangenheitsgründe unverzüglich unterrichtet wird, soweit diese nicht unverzüglich beseitigt werden.
49
7.2.3
Abs.
1* Der AR soll vereinbaren, dass der Abschlussprüfer über alle für die Aufgaben des AR wesentlichen Feststellungen
268
Anhang: Empfehlungen mit Bezug zum Aufsichtsrat und Vorkommnisse unverzüglich unterrichtet, die sich bei der Durchführung der Abschlussprüfung ergeben.
50
7.2.3 Abs. 2*
Der AR soll vereinbaren, dass der Abschlussprüfer ihn informiert bzw. im Prüfungsbericht vermerkt, wenn er bei Durchführung der Abschlussprüfung Tatsachen feststellt, die eine Unrichtigkeit der von V und AR abgegebenen Erklärung zum Kodex ergeben.
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trtverzeichnis
Adressatenkreis 57 ff.
-
„Disclaimer" 249
-
der Entsprechenserklärung 59 f.
-
-
des Kodex 57 ff.
Entsprechenserklärung als Werbeinstrument 247 f.
-
nicht börsennotierte Aktiengesellschaften 57 f., 59 f.
-
grauer Kapitalmarkt 242 f.
-
Prospektbegriff 239 f.
-
Prospektvollständigkeit 241 ff.
allgemeine Sorgfaltspflicht
82 ff., 169 ff.
-
Ausschuss siehe dort
-
Sekundärmarkt 244 f.
-
bereichsspezifischer Sorgfaltsmaßstab siehe Ausschuss
-
Vertriebszweck 245 ff.
-
Beweislast
Anregungen 48 f., 60, 65, 71, 129 f., 167
-
DIN-Normen siehe dort
-
-
Entscheidung über Inhalt der Erklärung 167 f., 170 ff.
Abgrenzung zu anderen Regelungsarten 47 ff.
-
Formulierung 48
-
Entscheidung über tatsächliches Verhalten 167 f., 177 ff.
-
Konkretisierung des allgemeinen Sorgfaltsmaßstabs siehe dort
-
Ermessensspielraum
-
-
Haftungsausschluss siehe dort
Konkretisierung in Satzung/ Geschäftsordnung 167
-
Konkretisierung durch den Kodex siehe dort
-
„audit committee" 216, 22 I f .
-
private Sachverständigengremien 190 ff.
-
bereichsspezifischer Sorgfaltsmaßstab 221 ff.
-
„safe harbour" siehe Haftungsausschluss
-
Corporate-Governance-Kontollausschuss 166, 222 f.
-
tatsächliche Übung 186 ff.
-
-
Unternehmerische Entscheidung 171 f.
Delegation der Korrekturerklärung 158 ff.
-
-
Vergleich Kodex mit den GoB siehe GoB
Übertragung der inneren Willensbildung 112 ff.
198 f., 210 ff.
172 f.
allgemeine zivilrechtliche Prospekthaftung 77, 237 ff.
Ausschuss 112 ff., 158 ff.
Außenhaftung 75 f., 77 ff., 233 ff. -
deliktische Haftung siehe dort
Stichwortverzeichnis -
Vertrauens- und Prospekthaftung siehe dort
Basel II 36 Baums-Kommission 40 ff. -
Empfehlungen der Kommission 40 ff.
-
Entstehung 40 f.
business-judgement-rule 219
-
Informations-/ Kommunikationsfunktion/ Gesetzeswiederholung siehe dort
-
Konkretisierung der allgemeinen Sorgfaltspflicht siehe dort
-
Konkretisierung durch Satzung/ Geschäftsordnung siehe dort
-
prozederale Richtigkeit des Kodex siehe dort
-
Rechtsnatur siehe dort
-
Regelungsfunktionfunktion
-
und Entsprechenserklärung n. § 161 AktG 40 ff., 51 f.
171 f f , 190,
Code of best practice 28, 38
299
46 f.
Combined Code 34, 45
DIN-Normen
Corporate Governance 23 ff.
-
Auswirkungen auf Beweislast
-
Begriff 23 f.
-
„Generalklauselmethode"
-
Herkunft 26 f.
-
Gründe der rechtlichen Relevanz 198
-
Zielsetzung 45 f.
-
Konkretisierungswirkung
-
Mindeststandards siehe dort
-
prozederale Richtigkeitsgewähr 203 ff.
-
Verfahrensgrundsätze
-
Vergleich mit Kodex-Bestimmungen 191 ff.
Cromme-Kommission 42 f.
deliktische Haftung 78 f., 251 ff. -
Anspruchsgrundlagen 78 f.
-
praktische Relevanz 78 f.
-
Schutzgesetze siehe dort
Deutscher Corporate Governance Kodex 47 ff., 57 ff., 61 ff., 169 ff. -
Adressatenkreis siehe dort
-
Akzeptanz/ Umsetzung in der Praxis 36, 65, 69 ff., 173, 187, 209 f.
-
Anregungen siehe dort
-
Aufbau und Inhalt 47 f.
-
Baums-Kommission siehe dort
-
Cromme-Kommission siehe dort
-
Empfehlungen siehe dort
-
Herkunft des Regelungsmodells 26
190 ff. 198 ff.
191
196 ff.
201 f.
D&O-Versicherung 21
Empfehlungen 48, 93 ff., 170 ff., 202 ff. -
Abgrenzung zu anderen Regelungsarten 48
-
Aufsichtsrat
-
Aufsichtsratsmitglieder
-
Aufsichtsratsvorsitzender
93 ff. 96 f. 97 ff.
-
Formulierung 48
-
Hauptversammlung 102
-
Konkretisierung des allgemeinen Sorgfaltsmaßstabs siehe dort
trtverzeichnis
300 -
Vorstand 99 ff.
Entscheidungskompetenz 90 ff., 106 f., 162 ff., 166 f. -
Abgrenzung zur Erklärungskompetenz 90 ff.
-
bei der Korrekturerklärung 158 f.
-
bei der Vergangenheitserklärung 103 ff., 106
-
bei der Zukunftserklärung
-
Konsultationspflicht
-
Organisationspflichten siehe dort
-
Übersicht
-
Übertragung auf Ausschuss siehe Ausschuss
-
und allgemeine aktienrechtliche Zuständigkeit 93 ff.
-
Vorrang des Aufsichtsrats/ Vorstands 93 ff., 106 f.
145 f.,
103 ff.
105 ff.
106 f.
Entsprechenserklärung 51 f f , 84 ff., 107 ff., 112 ff., 115 ff., 233 f f , 237 ff., 250 f. -
Abgrenzung Umfang nach Kodex und §161 AktG 51 ff.
-
Abgrenzung zur Entscheidungskompetenz 91 f.
-
Erklärungspflicht beider Verwaltungsorgane 91 ff., 107 ff.
-
Organisationspflichten siehe dort
-
Willensbildung 110 f., 112 ff.
formale Voraussetzungen der Erklärungsverpflichtung 115 ff. -
äußerliche Form 118
-
dauerhaftes Zugänglichmachen, § 161 S. 2 AktG 118 ff.
-
Handelsregister 56, 118, 120 f.
-
Internet/website
-
Pressemitteilung 121
118 ff.
German Code of Corporate Governance 38 GoB 67, 181 ff.
Haftung 75 ff., 82 f f , 233 ff. -
Außenhaftung 233 ff.
Absichtserklärung 85 f f , 103 ff.
-
Innenhaftung 82 ff.
-
Adressatenkreis siehe dort
-
Überblick 75 ff.
-
Begründungspflicht
-
51 ff., 256 f. individuelle Leistungsfähigkeit des Aufsichtsratsmitglieds 220 ff.
-
Inhalt 51 f.
-
Kompetenzverteilung
-
negative 132 ff., 140 ff.
-
Pflichtverletzung siehe dort
-
positive 132
-
Vergangenheitsbezug 85
inhaltliche Voraussetzungen der Erklärungsverpflichtung 124 ff.
-
Zukunftsbezug 85 ff.
-
geringfügige Einzelabweichungen 138 ff.
-
Inhalt der Negativerklärung
siehe dort
Erklärungskompetenz 91 ff., 112 f f , 145 ff.
Informationsteil/ Gesetzeswiederholung 45 f. -
rechtliche Richtigkeit
129 ff.
132 ff.
Stichwortverzeichnis -
Inhalt der positiven Erklärung 132
-
Korrekturerklärung siehe dort
-
Organisationspflichten des Aufsichtsrats siehe dort
-
rechtliche Richtigkeit der Kodexformulierung 129 ff.
-
Abweichen von Zukunftserklärung 140 ff.
-
Änderung Kodexinhalt
-
Ausschuß siehe dort
161 f.
-
Form 146 f.
-
Inhalt 147 ff.
-
Sondersitzung des Aufsichtsrats 155 ff.
-
unterlassene Erklärung
-
unvollständige Erklärung
-
wahrheitswidrige Erklärung 135 ff.
-
„Vorab"-Korrekturerklärung
-
zeitliche Bezugsgröße der Erklärung 124 ff.
-
Zeitspanne zur Abgabe 152 ff.
-
Zuständigkeit zur Abgabe 145 f., 158 ff., 162 ff.
-
124 ff.
301
129 ff.
Zeitraum zur Abgabe der Erklärung siehe dort
Innenhafitung 75 f., 82 ff.
Kapitalmarktbezug
152 ff.
Mindeststandard 210 f., 220
129 ff., 138, 140 ff.
Kausalität 223 ff. Kompetenzverteilung und Entsprechenserklärung siehe Entscheidungskompetenz, Erklärungskompetenz
-
DIN-Normen als 192
-
Kodexregeln als 34
-
Sorgfaltsanforderungen Organmitglieder 220
-
Verfassungsrechtliche
213 f.
Konkretisierung der allgemeinen Sorgfaltspflicht durch den Kodex 177 ff.
Organisationspflichten des Aufsichtsrats
-
Auswirkung auf Beweislast 210 ff.
-
-
Auswirkungen auf nicht börsennotierte Gesellschaften 212 f.
Auseinanderfallen Erklärungs- und Entscheidungskompetenz 162 ff.
-
Compliance-Beauftragter
-
kein „safe harbour"/ Haftungsausschluss 177 f.
-
Corporate-GovernanceKontrollausschuss 167, 216 ff.
-
prozederale Richtigkeitsgewähr des Kodex siehe dort
-
Dokumentationspflichten 216 ff.
-
Wirkung der Anregungen
-
Einhaltung Korrekturerklärung
-
Wirkung der Empfehlungen 202 ff.
-
Einhaltung turnusgemäße Erklärung 162 ff.
-
Informationsbeschaffung über Vergangenheit 162
-
Überwachung der Einhaltung der publizierten Erklärung 162 ff.
-
und Erklärungskompetenz
129, 202 f.
Konkretisierung des Kodex durch Satzung/ Geschäftsordnung 167 f. Konzernhaftung 80 Korrekturerklärung -
140 ff.
Abweichen von Vergangenheitserklärung 160 f.
166 f.
176 f., 166 f.
162 ff.
trtverzeichnis
302 Pflichtverletzung 82 ff. -
allgemeine Sorgfaltspflicht
-
Aufsichtsratsausschuss siehe dort
-
Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung (GoB) 67, 181 ff.
-
Handelsbrauch 67 ff.
-
Handelsgewohnheitsrecht
siehe dort
72
-
Form der Erklärungsabgabe durch die Verwaltungsorgane 107 f., 115 ff.
-
„mittlere Regelungsebene" 62 ff.
-
formale Voraussetzungen der Erklärungsverpflichtung siehe dort
-
Schutzgesetz siehe dort
-
„Soft Law" 72
-
inhaltliche Voraussetzungen der Erklärungsverpflichtung siehe dort
-
Vertragsrecht 65 f.
-
Konkretisierung des Kodex durch Satzung/ Geschäftsordnung siehe dort
Sarbanes-Oaxley-Act 25, 62
-
Konsultationspflicht über Inhalt der Erklärung 105 f.
-
Willensbildung der Verwaltungsorgane 107, 111 ff., 162 ff.
Prospekthaftung 77, 233 ff. -
allgemeine zivilrechtliche siehe dort
-
spezialgesetzliche 77
prozederale Richtigkeitsgewähr des Kodex 203 ff. -
Ansehen der Regelungen 209
-
Auswirkung auf Beweislast 210 ff.
-
der DIN-Normen siehe dort
-
Fachkompetenz der CrommeKommission 203 f.
-
Repräsentanz des Gremiums 204 f.
-
Revisibilität 206 ff.
-
Transparenz- und Publizität 202
-
Vergleich mit Verfahrensordnung des DIN e.V. 191 ff.
Schaden 223 ff. -
Fremdkapitalkosten 226 f.
-
geplante Emission/ Kapitalbeschaffung
226 -
51,183,192,
Rechtsnatur des Kodex 61 ff. -
formelles Gesetz 61
Imageverlust 225
-
Kursverlust 226 f.
-
Rating 227 f.
Schutzgesetz 254 ff. Soft Law siehe Rechtsnatur Kodex
Transparenz- und Publizitätsgesetz 44 f., 54 f. unternehmerische Entscheidung 171 f f , 232
Verfassungsrechtliche Bedenken 213 ff. Verschulden 220 ff. -
subjektiv erhöhte Anforderungen 221 ff.
-
typisierter Maßstab 220 f.
Rechtsdurchsetzung 230 ff. Rechtskontrolle des BMJ 232
Begriff 223 f.
-
Vertrauenshaftung 77, 233 ff. -
allgemeine zivilrechtliche Prospekthaftung siehe dort
303
Stichwortverzeichnis -
culpa in contrahendo 235 ff.
Zeitraum zur Erklärungsabgabe 124 ff.
-
Marktvertrauen 250 f.
-
Geschäftsjahr
127 ff.
-
spezialgesetzliche Prospekthaftung 77
-
Kalenderjahr
125 f.