Logik: Versuch einer Theorie der Wahrheit [Aus dem Ungarischen übersetzt. Reprint 2020 ed.] 9783112330982, 9783112330975


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German Pages 302 [308] Year 1929

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INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG. Begriff, Aufgabe, Einteilung und Methode der Logik
Erster Teil: REINE LOGIK
Zweiter Teil: ANGEWANDTE LOGIK
Namenregister
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Logik: Versuch einer Theorie der Wahrheit [Aus dem Ungarischen übersetzt. Reprint 2020 ed.]
 9783112330982, 9783112330975

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LOGIK Versuch einer Theorie der Wahrheit von

Ä K O S VON P A U L E R o. ö. P r o f e s s o r der P h i l o s o p h i e an der U n i v e r s i t ä t Budapest

Aus dem Ungarischen ü b e r s e t z t von

Dr. Joseph Somogyi

19 2 9 W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. vormals G. J. Gösdien'sche Verlagshandlung s ]. Guttentag, Verlagsb u c h h a n d l u n g • Georg R e i m e r • Karl J . T r ü b n e r x Veit & Comp. B E R L I N UND L E I P Z I G

D r u c k v o n G e r h a r d S t a l l i n g , O l d e n b u r g i. O.

INHALTSVERZEICHNIS.

1. 2. 3. 4. 5. 6.

7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22.

EINLEITUNO. Begriff, Aufgabe, Einteilung und Methode der Logik. Die Definition der Logik Die Erweiterung dieser Definition Die Einteilung der Logik Die Methode der Logik Der Ausgangspunkt und der Endpunkt der logischen Reduktion Das Verhältnis der Logik zu den anderen Wissenschaften . . Erster Teil: REINE LOGIK. 1. D i e S u b s i s t e n z d e r W a h r h e i t . Die zeitlose Permanenz der Wahrheit Ein Einwand Existenz und Gültigkeit Der Gegenstand der weiteren Auseinandersetzung Die Wahrheiten bilden ein einheitliches System Die Richtungen der Wahrheit: positive, negative und limitative Wahrheiten Jede Wahrheit enthält alle drei Richtungen Es gibt unendlich viele Wahrheiten Die Wahrheit enthält immer eine Universalität Die Wahrheit kann sich auf allerlei Gegenstände beziehen . . Die Definition der Wahrheit Die Wahrheit und das Denken Der Psychologismus Ein Einwand Das Verhältnis der Wahrheit und des Existierenden: 1. Die Wahrheit als die Voraussetzung des Existierenden . . . 2. Die Wahrheit als das Ideal des Existierenden

II. D i e S t r u k t u r d e r 23. Das Problem

Seile

1 2 3 3 5 7

9 10 10 11 12 12 14 15 17 17 19 19 20 22 23 25

Wahrheit.

1. D i e F a k t o r e n d e r W a h r h e i t . 24. Die Form, der Inhalt, der Gegenstand der Wahrheit und das Verhältnis derselben 25. Die verschiedenen Formen der Wahrheit: das Logisma, die These und der Syllogismus 26. Die verschiedenen Gegenstände der Wahrheit: die Wirklichkeit, die Relation und die Klasse 26a. Der Inhalt der Wahrheit 27. Die verschiedenen Momente der Gültigkeit

26

26 28 28 30 30



IV



2. D i e l o g i s c h e n G r u n d s ä t z e . 28. Die Bestimmungen der logischen Grundsätze 29. Der Grundsatz der Identität 30. Ein Einwand 31. Der Grundsatz des Zusammenhanges 32. Das Verhältnis des Grundsatzes des Zusammenhanges zum Grundsatz der Identität 33. Das principium rationis sufficientis 34. Der Grundsatz der Klassifikation 35. Das Verhältnis des Grundsatzes der Klassifikation zu den beiden anderen logischen Grundsätzen 36. Der Grundsatz der Klassifikation in der Ideenlehre Piatons und im „dictum de omni et nullo" 37. Zusammenfassung. Die Korollarien der logischen Grundsätze 38. Der Satz der Reihe 39. Der Satz der Korrelativität 40. Der Satz des Systems 40a. Der Satz der Gleichheit 41. Zusammenfassung 42. Die Problematik der Wissenschaft 43. Fortsetzung 44. Die Problematik der Logik 45. Geschichtliche Obersicht 3. D a s L o g i s m a . 46. Einleitung 47. Das Entstehen des Begriffes des Logismas 48. Das Wesen des Logismas 49. Der Begriff und das Logisma 49a. Die Wahrheit des Logismas 50. Die Bestandteile des Logismas 51. Die Einteilung der Logismen nach dem Gegenstande . . . . 52. 1. Die ontologischen Logismen 53. 2. Die Relationslogismen 54. 3. Die prinzipiellen Logismen 55. Die Einteilung der Logismen nach dem Inhalt 56. 1. Die hyletischen Logismen 57. 2. Die schematischen Logismen 58. 3. Die formalen Logismen 59. Die Einteilung der Logismen nach dem Umfang 60. 1. Die singulären Logismen 61. 2. Die pluralen Logismen 62. 3. Die universalen Logismen 63. Die Logismenverhältnisse 64. Die Fälle der Identität 65. Die Fälle der Koordination 66. Die Fälle der Subordination 67. Ein Einwand 68. Das Schema der Logismenverhältnisse 69. Die Bedeutung 70. Die Beziehung

Seite

31 33 35 36 37 38 39 40 41 43 43 45 49 51 51 52 53 55 56 62 62 63 64 65 65 66 67 67 70 71 71 71 72 72 72 73 74 75 76 77 78 81 81 83 84



V

-

71. Die systematische Stelle 72. Das Logisma und die platonische Idee 4. D i e T h e s e . 73. Die These und das Urteil 74. Das Wesen der These 74a. Das Kriterium der wahren These 75. Die Bestandteile der These 76. Die Faktoren der These 77. Die Thesearten nach dem Gegenstand des S 78. Die Thesearten nach dem Inhalt des S 79. Die Thesearten nach dem Umfang des S 80. Die Thesearten nach dem Gegenstand des P 81. Die Thesearten nach dem Inhalt des P 82. Die Thesearten nach dem Umfang des P 83. Die Thesearten nach dem Modus der Ergänzung 84. Die Thesearten nach der Bedingung 85. Die Thesearten nach dem Grade der Gültigkeit 86. Die Thesearten nach der Dependenz 87. Die Thesearten nach der Struktur 88. Die Thesearten nach dem Objektiv 89. Die Thesearten nach der Richtung 90. Die Kombination der Thesearten 91. Das Problem der Thesenverhältnisse 92. Die komplementären Thesen 93. Die Kompatibilität und die Inkompatibilität in der traditionellen Logik 94. Die Transfigurationen der These 95. Die Konversion 96. Die Transformation 97. Die Transmutation 98. Die Kompatibilität und ihre Stufen 99. Die vollkommene Kompatibilität 100. Die teilweise Kompatibilität 101. Die vollständige Inkompatibilität 102. Der letzte Grund der Gesetze der Konversion, der Transfiguration und der Kompatibilität 103. Das Problem des Absolutums in der Theorie der These. Die autonomen und die heteronomen Thesen 104. Die Systematik der These. Obergang zur Syllogistik 105. 106. 107. 108. 109. 110. 111. 112. 113.

5. D e r S y l l o g i s m u s Die Grundfragen Die Bestandteile des Syllogismus Das Wesen des Syllogismus Die weiteren Bestandteile des Syllogismus Die drei möglichen Formen des Syllogismus Die drei Figuren des Syllogismus Die allgemeinen Gesetze des Syllogismus Der Modus . . Die Modi der ersten Figur

Seite

85 86

87 88 89 89 90 91 93 94 95 96 96 98 99 100 101 103 104 107 108 110 112 113 114 115 116 119 120 121 123 124 125 126 127 127 127 128 129 130 131 132 135 136



VI

— Seite

114. 115. 116. 117. 118! 119. 120. 121. 122.

Die Modi der zweiten Figur Die Modi der dritten Figur Der Wert der Modi Die homologen Syllogismen Der Sorites Die komplementären Syllogismen Die Tabelle der Syllogismusverhältnisse Die kategorischen, hypothetischen und disjunktiven Syllogismen Der Zusammenhang dieser Syllogismen mit den logischen Grundsätzen 123. Die problematischen, assertorischen und apodiktischen Syllogismen 124. Geschichtliche Obersicht

138 140 142 142 144 145 147 147 149 151 153

Zweiter Teil: ANGEWANDTE LOGIK. 125. 126. 127. 128. 129. 130. 131. 132. 133. 134. 135. 136. 137. 138. 139. 140. 141. 142. 143. 144. 145. 146. 147. 148. 149. 150. 151. 152. 153. 154. 155. 156.

I. D e n k l e h r e Die Aufgabe Das assoziative und das apperzeptive Denken Erkenntnis und Wahrheit Die Funktionen der Apperzeption Das logische Denken Die logischen Regeln Das Urteil Die Negation und die Limitation Die Regeln des richtigen Urteilens Die erste Regel Die zweite Regel Die dritte Regel Der Begrifi Der konkrete und der abstrakte Begriff Die Begriffsbildung als Wesenserkenntnis Die erste Regel der richtigen Begriffsbildung Die zweite Regel Die dritte Regel Der Schluß Die erste Regel des Schlusses Die zweite Regel Die dritte Regel Die Erkenntnis Die Intuition und die Erkenntnis Die echte Erkenntnis Das Wissen Die Gewißheit Der Glaube und das Wissen Das Steigern der Erkenntnis zum Wissen Die Etefinition Die Grenze der Definition Die Arten der Definition aus dem Gesichtspunkt des genus proximum

168 169 170 171 172 174 175 176 177 178 178 179 180 183 183 187 187 187 188 189 190 191 193 194 195 195 197 198 200 200 201 202



VII — Seite

157. Die Arten der Definition aus dem Gesichtspunkt der differentia specifica 158. Die Arten der Definition aus dem Gesichtspunkt der identifizierenden Funktion 159. Der Wert der Definition 160. Die Regeln der Definition 161. Das Wesen der Explikation 162. Die Explikation aus den Bestandteilen 163. Die Relationsexplikation 164. Die klassifizierende Explikation 165. Die Regeln der Explikation 166. Das Wesen der Klassifikation 167. Das Kategorisieren 168. Das Sammeln 169. Die Bestimmung der Klassenverhältnisse 170. Die natürliche und die künstliche Klassifikation 171. Die Klassifikation und die Partition 172. Die Regeln der Klassifikation 173. Der Beweis 174. Die Bedingungen des Beweises 175. Die Hauptregel des Beweises

188. 189. 190. 191. 192.

II. W i s s e n s c h a f t s l e h r e . A. W i s s e n s c h a f t l i c h e S y s t e m a t i k . Der Begrifi der Wissenschaft Der Begrifi der Wissenschaft und die Natur der Wahrheit . . Die Grundeinteilung der Wissenschaften Die Wirklichkeitswissenschaft Die Mathematik Die Philosophie . Der Grund der weiteren Einteilung Die Teile der Wirklichkeitswissenschaft Die Geschichte Die beschreibende Wissenschaft Die Gesetzeswissenschaft Die Naturwissenschaft, die Psychologie und die Geisteswissenschaft Die letzte Voraussetzung der Wirklichkeitswissenschaft . . . . Der Wert der Welt Die Teile und die Voraussetzung der Mathematik Die Teile und die Voraussetzung der Philosophie Zusammenfassung

193. 194. 195. 196. 197. 198.

Der Die Die Die Die Die

176. 177. 178. 179. 180. 181. 182. 183. 184. 185. 186. 187.

B. W i s s e n s c h a f t l i c h e Begriff der Methode drei Grundmethoden Induktion historische Induktion . klassifizierende Induktion Gesetzesinduktion

203 204 205 206 208 209 209 209 209 210 212 213 213 214 216 217 218 219 220

221 222 222 223 224 225 225 226 226 230 233 235 236 239 240 241 242

Methodenlehre.

.

.

242 243 244 244 246 247



VIII



199. 200. 201. 202. 203. 204. 205. 206. 207. 208. 209. 210. 211. 212. 213. 214. 215. 216. 217.

Das Experiment und die Beobachtung Die Voraussetzungen der Induktion Die Induktionstheorie John Stuart Mills W. Hamilton Stanley Jevons Fries E. F. Apelt Lotze Sigwart, B. Erdmann, Lachelier Die Theorie der Deduktion Die Arten der Deduktion Das Wesen der Reduktion Die Arten der Reduktion Die Schritte der Reduktion Zur -Geschichte der Reduktion Die Hilfsmittel der methodischen Forschung Die Hypothese Die Fiktion Die Theorie

218. 219. 220. 221. 222. 223. 224.

III. E r k e n n t n i s k r i t i k . Die Probleme der Erkenntniskritik Die Grenzen der Erkenntnis Die Weisen der Erkenntnis Die Schranken der Erkenntnis Die Widersprüche des logischen Relativismus Die Erkenntnis als eine Form der Liebe Aristoteles, Leibniz und Kant

Namenregister

Seite

250 250 252 255 256 259 . 260 263 265 267 268 269 271 275 276 277 278 279 280 281 282 283 285 286 287 289 . . .

293

EINLEITUNG. Begriff, Aufgabe, Einteilung der Logik.

und

Methode

1. Die Aufgabe, den Begriff einer Wissenschaft zu bestimmen, heißt den eigentümlichen Gegenstand und Kreis der betreffenden Disziplin darlegen, der außer dieser keine andere Wissenschaft beschäftigt. Gibt es solch ein eigentümliches Gebiet für die Logik? Die konventionelle Auffassung, die die Logik als die Wissenschaft von den Regeln des r i c h t i g e n Denkens bezeichnet, weist zweifellos auf einen Problemkreis hin, der ausschließlich der Logik zukommt. Wir erwarten aber von der Bestimmung der Logik nicht bloß eine scharfe und genaue Trennung des eigentümlichen Gegenstandskreises dieser Wissenschaft von demjenigen anderer Wissenschaften, sondern dieser Gegenstandskreis muß auch in solcher Weise charakterisiert werden, daß er für die Logik g r u n d l e g e n d sei, d. h. ihren Gegenstand in seinem tiefsten Wesen erfasse. Dies haben wir erst dann erreicht, wenn unser Gegenstandskreis sich auf kein anderes Objekt mehr stützt, das in höherem Maße elementar und grundlegend ist. Dies kann aber von der obenerwähnten Bestimmung der Logik nicht gesagt werden. Bezeichnen wir nämlich die Logik als die Wissenschaft von den Regeln des richtigen Denkens, so haben wir den Begriff des „richtigen Denkens" schon v o r a u s g e s e t z t , ohne es bestimmt zu haben. Aber — frage ich — wie können wir die Regeln des richtigen Denkens feststellen, wenn wir kein Kennzeichen haben, wodurch das „richtige" Denken vom „unrichtigen" unterschieden wird? Zur Bestimmung des eigentümlichen Gegenstandskreises der Logik muß man also tiefer greifen. Wir tun den ersten Schritt in dieser Richtung dadurch, daß wir nach demjenigen Moment forschen, d e s s e n B e a c h t u n g die Richtigkeit und dessen Nichtbeachtung die Unrichtigkeit unseres Denkens verursacht. Das richtige Denken ist offenbar jenes, das eine W a h r h e i t ausdrückt, wogegen das unrichtige Denken keine Wahrheit, sondern einen Irrtum enthält. Wir werden also die Kri1 v. P a u l c r , Logik



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terien und so die Regeln des richtigen Denkens erst dann angeben können, wenn wir vorher die Natur der Wahrheit ins rechte Licht gestellt haben. D i e L o g i k i s t a l s o i h r e m i n n i g s t e n W e s e n nach die W i s s e n s c h a f t von der Natur der Wahrheit. 2. Diese Bestimmung bedarf aber noch einer weiteren Erklärung. Was ist unter der „Natur" der Wahrheit zu verstehen? Es gibt zweifellos sehr viele Wahrheiten, die inhaltlich verschieden sind. Forschen wir aber nach der Natur der Wahrheit ü b e r h a u p t , so wollen wir dasjenige Moment feststellen, das über diese Verschiedenheiten hinaus in jeder Wahrheit g e m e i n s a m ist. Solch ein Moment, das die Wahrheiten überhaupt, die sich auf die verschiedensten Gegenstände beziehen, charakterisiert, ist d i e f o r m a l e S t r u k t u r d e r W a h r h e i t . Diese können wir in der Form gewisser F o r d e r u n g e n ausdrücken, die für j e d e Wahrheit gültig sind, die also jedes menschliche Denken beachten muß, indem es einen Anspruch auf die Wahrheit macht. Dies wird sogleich durch einige Beispiele erklärt werden. Jede Wahrheit hat die Eigenschaft, daß sie sich selbst nicht widerspricht und ebensowenig keiner anderen Wahrheit widerstreitet. Deshalb ist der Satz „ein Dreieck ist durch vier Gerade begrenzt" nicht wahr und deshalb kann 2 X 2 = 4 und 2 X 2 = 5 nicht gleich wahr sein. Eine jede Wahrheit von beliebigem Inhalt besitzt also eine derartige formale Struktur, wonach sie sich selbst nicht widersprechen, d. h. das Prädikat das Subjekt nicht ausschließen kann und dabei sie zu keinem wahren Satze im Gegensatze stehen kann. Dasjenige Etwas, das wir Wahrheit nennen, hat also eine gewisse charakteristische Struktur, die wir als f o r m a l e bezeichnen, eben deshalb, weil sie für jede Wahrheit von j e d e m b e l i e b i g e n Inhalt gültig ist. Diese Struktur hat aber z w e i e r l e i Bedeutung. Wir erfordern nämlich von einem jeden Satze, der einen Anspruch auf die Wahrheit erhebt, nicht nur eine gewisse formale Struktur, sondern auch eine G ü l t i g k e i t . Wenn wir aber einen Satz gültig, d. h. wahr nennen, wir bezeichnen damit eine gewisse Art seiner S u b s i s t e n z , d. h. seines Bestehens, die sich — wie wir sehen werden — von den anderen Arten des Bestehens, z.B. von der Existenz, unterscheidet. Die Logik bedarf auch der näheren Bestimmung dieses Bestehens, sonst kann sie die Natur der Wahrheit nicht von jeder Seite beleuchten. Wir müssen also unsere vorerwähnte Bestimmung der Logik folgendermaßen ergänzen: D i e L o g i k i s t d i e



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W i s s e n s c h a f t der f o r m a l e n a l l g e m e i n e n Bes t i m m u n g e n der W a h r h e i t , und sie hat die S t r u k t u r und S u b s i s t e n z a r t der W a h r h e i t zu untersuchen. 3. Auf diesem Grunde ergibt sich nun der ganze Problemkreis der Logik. Wir nennen die Logik als Wahrheitslehre r e i n e L o g i k , die also nicht das menschliche Denken, sondern die formalen Bestimmungen des Gegenstandes des richtigen Denkens, d. h. der Wahrheit untersucht. Wollen wir dann daraus gewisse Lehren, d. h. zu befolgende Regeln und Bestimmungen für die allgemeinen Bedingungen des Erkennens ziehen, dann sind wir auf dem Gebiet der a n g e w a n d t e n L o g i k . Da sind die Probleme aus dem Gesichtspunkte des menschlichen E r k e n n e n s zu gruppieren. Und weil das Erkennen ein s u b j e k t i v e s Verfahren ist, das sich auf O b j e k t e richtet, so sind seine Bedingungen sowohl subjektiv, als auch objektiv. Die s u b j e k t i v e Bedingung des Erkennens ist das r i c h t i g e D e n k e n . Die Regeln des letzteren werden durch die D e n k l e h r e dargelegt, die sich einerseits mit den zum Erfassen der Wahrheit geeigneten Denkformen beschäftigt (Formlehre), andererseits untersucht, wie wir mittels dieser Formen systematisches Erkennen erreichen können (Wissenschaftslehre, Epistemologie). Der Gegenstand der letzteren sind teils das Wesen und die Einteilung der Wissenschaften (Systemlehre), teils die zu befolgenden Methoden der wissenschaftlichen Forschung (Methodenlehre). Die o b j e k t i v e n Bedingungen des Erkennens werden durch die E r k e n n t n i s k r i t i k (Kriteriologie) untersucht. Das volle System der logischen Wissenschaften ist also das folgende:

,

*

Logik Reine Logik

Subsistenzlehre der Wahrheit (Hyparchologie der Wahrheit)

Strukturlehre der Wahrheit (Statik der Wahrheit)

/

—.

Angewandte Logik Denklehre |

Erkenntniskritik (Kriteriologie)

*

Formlehre Wissenschaftslehre Systemlehre (Systematik)

Methodenlehre (Methodologie)

4. Die Logik geht, wie jede andere Wissenschaft, in ihren Forschungen auf einem bestimmten Wege und nach einer bestimmten Weise, d. h. nach der aus ihrem Wesen und aus ihren i*



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Zwecken folgenden M e t h o d e vor. Diese Methode kann nicht die der empirischen Forschung, also nicht die Induktion sein. Die Induktion ist nämlich — wie wir es später eingehender erklären werden — nichts anderes als ein 1 o g i s c h organisiertes Erfahren. Daraus folgt naturgemäß, daß die Logik, die mit ihren Vorschriften das Erfahren zu einer Induktion organisiert, nicht selbst ein Ergebnis der Induktion sein kann. Wir wollen nämlich nur eine solche Lehre als e m p i r i s c h e annehmen, d i e s c h o n l o g i s c h i s t . Das Erfahren baut also auf die Logik und nicht die logischen Einsichten bauen auf die Erfahrung. Zwar werden die logischen Einsichten durch die auf unser eigenes Denkverfahren gerichtete Erfahrung a u s g e l ö s t , dies bedeutet aber noch gar nicht, daß auch die G ü l t i g k e i t der so entdeckten logischen Sätze auf der Erfahrung beruht. Es steht mit der Sache eben umgekehrt: jede Verwendung des empirischen Inhalts zum Zwecke des Erkennens, so z. B. das Urteilen, die Begriffsbildung, die Folgerung ist schon ein logisches Verfahren, das die Gültigkeit der logischen Sätze v o r a u s s e t z t , das sich also eben auf diese Sätze stützt, als aus der Erfahrung eine bestimmte Lehre und nicht die entgegengesetzte gezogen wird. E s l i e g t a l s o n i c h t d i e E r f a h r u n g der L o g i k , s o n d e r n die Logik der Erf a h r u n g z u g r u n d e , wenn wir unter „Zugrundeliegen" dasjenige Verhältnis verstehen, kraft dessen eine Behauptung sich auf der Gültigkeit einer anderen Behauptung erbaut. Beachten wir aber die z e i t l i c h e R e i h e n f o l g e unserer Erkenntnis, so ist es zweifellos, daß wir v o r h e r Erfahrungen haben und erst d a n n die logischen Grundsätze und Regeln erkennen. Die Menschheit hat schon viele Jahrtausende hindurch Erfahrungen gesammelt, bevor jemand die Regeln der Logik dargelegt hatte, ja der überwiegende Teil der Menschheit erfährt gar vieles, ohne irgendeine Kenntnis von der Logik als von einer Wissenschaft zu haben. Es sind also die l o g i s c h e Aufeinanderfolge der Bedingtheit und das p s y c h o l o g i s c h e Nacheinander des Erkennens ganz verschieden: jene nennen wir mit dem Terminus des Aristoteles rporspov irXiü? (prius simpliciter), dieses tootsoov i r p o ? r , j i 5 ; (prius quoad nos). Die Logik muß also — hinsichtlich ihres zeitlichen Anfangs — ohne Zweifel von gewissen E r f a h r u n g e n ausgehen. Man muß aus sich selbst erfahren, d a ß man denkt, irrt, forscht, bevor man sich der Quellen des Irrtums, der Operationen des richtigen Denkens, der zweckdienlichen Mittel der Forschung



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besinnen könnte. Wie geschieht der Übergang aus diesen Erfahrungen zu der Erkenntnis gewisser logischer Grundsätze und Regeln? Die Feststellung der M e t h o d e d e r L o g i k hängt davon ab, wie wir auf diese Frage antworten. Die Antwort haben wir eigentlich schon gegeben. Die Regeln der Logik und dann die denselben zugrunde liegenden allgemeinsten logischen Grundsätze werden auf solche Weise festgestellt, daß man erkennt, welche Regeln die Gedanken, die man für r i e h t i g hält, als gültige v o r a u s s e t z e n und in welchen allgemeinen logischen Grundsätzen wieder diese Regeln gründen. Die Logik geht also in der Darlegung ihrer Sätze derart vor, daß sie aus einem Gedankenerlebnis, dessen Richtigkeit man einsieht, auf diejenigen Regeln, beziehungsweise auf diejenigen Grundsätze z u r ü c k s c h l i e ß t , deren Gültigkeit wir schon vorausgesetzt haben, als wir unseren Gedanken für richtig, für wahr erkannt haben. Dieses Verfahren ist keine Induktion, weil es keine U r s a c h e n , sondern logische G r ü n d e ermittelt. Es ist aber auch keine Deduktion, weil diese legt ihrem Wesen nach die F o l g e n und n i c h t d i e V o r a u s s e t z u n g e n gewisser Sätze dar. Die eigentümliche Methode der Logik besteht also darin, daß sie aus den für richtig gehaltenen Behauptungen auf die Gültigkeit derjenigen Regeln z u r ü c k s c h l i e ß t , die das richtige Denken voraussetzen muß. Aus diesen Regeln schließt sie dann wieder auf diejenigen immer allgemeineren Grundsätze zurück, deren Gültigkeit diese Regeln voraussetzen. Dieses Rückschließen nennt man seit S i g w a r t 1 ) R e d u k t i o n . Wir halten dieses Verfahren für eine eigenartige selbständige M e t h o d e , die der Induktion und der Deduktion vollkommen gleichgestellt ist. Wir finden in dieser Reduktion die selbständige Methode einer jeden philosophischen Disziplin gegenüber der Deduktion der Mathematik und der Induktion der Wirklichkeitswissenschaften 2 ). 5. Daß wir den Gang der logischen Forschung noch deutlicher sehen, müssen wir den A u s g a n g s p u n k t und den E n d p u n k t der logischen Forschung eingehender bebrachten. Der letztere bedeutet zugleich auch die G r e n z e der logischen Forschung. *) Logik. 4. Aufl. 1911, B. II. S. 310. Übrigens bezeichnet schon der hl. B o n a v e n t u r a die regressive Methode als „Reduktion", vgl. E. G i 1 s o n , La philosophie de Saint Bonaventura. Paris 1924. S. 380. 2 ) Vgl. des Verfassers „Grundlagen der Philosophie". Berlin und Leipzig 1925. W. de Gruyter et Co. S. 13.



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Der Ausgangspunkt der logischen Forschung ist das als richtig erkannte Gedankenerlebnis. Was heißt es, einen Gedanken als richtigen zu erkennen? Wir können es am zweckmäßigsten an einem konkreten Beispiel veranschaulichen. Höre ich das Urteil: „1 + 1 = 2 " , so ist mir die Richtigkeit dieser Behauptung sogleich einleuchtend. Lese ich dagegen, daß „3 + 5 = 7", so erkenne ich gleichfalls sofort die Unrichtigkeit dieser Behauptung. In beiden Fällen e r k e n n e i c h e t w a s in dem Urteil und dieses Erkennen bedeutet ein P l u s gegenüber dem bloßen V e r s t e h e n der Behauptung. Dieser Unterschied wird durch den Umstand bewiesen, daß wir eine Behauptung v e r s t e h e n k ö n n e n ohne hinsichtlich ihrer Gültigkeit oder Ungültigkeit Stellung zu nehmen. Lese ich z. B. den Satz: „Die Zusammensetzung des Planktons besteht aus einigen Pflanzendivisionen" — so verstehe ich den Satz, wenn ich entsprechende naturwissenschaftliche Kenntnisse habe. Dabei ist es aber möglich, daß ich nicht weiß, ob ich mit einem richtigen oder unrichtigen Satze zu tun habe und deshalb nehme ich betreffs seiner Gültigkeit keine Stellung ein (M e i n o n g sehe „Annahme"). Es fragt sich nun, was ist der Unterschied zwischen dem bloßen V e r s t e h e n und dem F ü r w a h r h a l t e n ? Wir können zweifellos nur dasjenige als wahr erkennen, was wir verstanden haben. Umgekehrt steht es aber nicht: was wir verstanden haben, halten wir noch nicht notwendig für wahr, wie wir an dem vorigen Beispiel gesehen haben. Wir können ja sogar auch eine unsinnige Behauptung verstehen, d. h. wir können erkennen, was derjenige, der sie aussagt, ausdrücken will, — gleichzeitig können wir aber diese Behauptung mißbilligen, d. h. ihre Ungültigkeit behaupten. Das Fürwahrhalten bedeutet eigentlich, daß ich die Behauptung teils mit gewissen I n h a l t e n , teils mit gewissen F o r m e n übereinstimmend finde. Dieser Inhalt kann Erfahrungen bedeuten. Ich halte z. B. die Behauptung: „Die Farben der fernliegenden Gegenstände sind dunkler als die der naheliegenden Gegenstände" deshalb für wahr, weil ich selbst unzähligemal erfahren habe, daß es so ist. Ebenso kann ich etwas auch auf Grund durch die Wissenschaft bestätigter fremder Erfahrungen für wahr halten: so bin ich z. B. von der Existenz solcher Weltteile überzeugt, die ich selbst noch nie gesehen habe. Es ist aber auch möglich, daß ich einem Satze gar nicht auf Grund gewisser Erfahrungen beistimme, sondern ihn nach dialektischen Beweisführungen für wahr halte. Solche Fälle bieten die mathe-



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matischen, metaphysischen, werttheoretischen usw. Sätze. Aber die logische Zustimmung enthält auch die Überzeugung, daß eine Behauptung darum gültig ist, weil sie gewissen f o r m a l e n Erfordernissen entspricht. Halten wir eine Behauptung für wahr, so geschieht das in jedem Falle auf die Weise, daß wir, nachdem wir eine Behauptung verstanden haben, sie teils mit gewissen I n h a l t e n (Erfahrungen, dialektisch festgestellten Behauptungen), teils mit gewissen F o r m e n (logischen Regeln, Grundsätzen) v e r g l e i c h e n . Auf Grund dieser Vergleichung mit Formen halten wir die betreffende Behauptung für l o g i s c h ; die Logik hat eben die Bedingungen dieser Logizität festzustellen. Auch die wissenschaftliche Logik geht von dem erwähnten komplexen Erlebnis der logischen Billigung oder Mißbilligung aus und ihr Verfahren besteht darin, daß sie d e n j e n i g e n f o r m a l e n V o r b e d i n g u n g e n nachforscht, deren Gültigkeit die logische Billigung bzw. Mißbilligung schon voraussetzt. So gelangen wir nach und nach zur Kenntnis der für das logische Denken charakteristischen formalen Bedingungen, endlich zur Fassung der allgemeinsten Bestimmungen der Wahrheit. Diese Reduktion setzen wir so lange fort, bis wir auf solche formalen Bestimmungen der Wahrheit treffen, die wir als die allgemeinsten und grundlegendsten erkennen. Damit erreichen wir die Grenze der logischen Reduktion, was auch der Umstand zeigt, daß eine jede weitere Reduktion die Gültigkeit der schon gefundenen formalen Bestimmungen bereits v o r a u s s e t z t — zum deutlichen Beweise, daß wir die tiefste Schicht der Struktur der Wahrheit nunmehr erreicht haben. Ist es uns z. B. gelungen, das sogenannte Identitätsprinzip zu formulieren (s. unten § 29), so können wir schon nicht mehr dieses Prinzip auf einen noch grundlegenderen Satz zurückführen, d. h. dieses Prinzip hat schon keine weitere Voraussetzung mehr. Dies wird eben durch den Umstand bewiesen, daß eine jede Forschung nach einer weiteren Voraussetzung, d. h. ein jeder Versuch, das Identitätsprinzip zu beweisen schon notwendigerweise die Gültigkeit des Identitätsprinzips voraussetzt. Wir erkennen daraus, daß unsere Reduktion ihre äußerste Grenze erreicht hat. 6. Auf Grund der bisherigen Ausführungen können wir schon das Verhältnis der Logik zu den anderen Wissenschaften in großen Zügen feststellen. Die Subsistenz der Wahrheit und die Gültigkeit gewisser formaler Kriterien der Wahrheit ist die

Voraussetzung e i n e r j e d e n W i s s e n s c h a f t und so kann die Logik keine sogenannte F a c h w i s s e n s c h a f t sein, die nur mit einem gewissen Teil der Erkenntnisobjekte zu tun hat, sondern sie ist notwendigerweise eine p h i l o s o p h i s c h e D i s z i p l i n , denn sie untersucht die Voraussetzungen eines j e d e n möglichen Erkenntnisobjekts: die Natur der Wahrheit. Wenn wir die Logik als die philosophische Grundwissenschaft erkannt haben, auf welche jede andere Disziplin gründet, stellt sich die Verschrobenheit jenes Standpunktes auf einmal heraus, der die Logik als eine Erfahrungswissenschaft ansieht, die ihre Sätze der „Induktion" entnimmt, oder sie auf Grund gewisser oberflächlicher Ähnlichkeiten für einen Teil der Mathematik hält. Jede induktive und jede mathematische Wissenschaft hat doch den Charakter der Fachdisziplin, die die Sätze der Logik schon v o r a u s s e t z t , auf sie gegründet ist, die also nicht die Grundsätze der Logik begründen kann. Das wissenschaftliche Erfahren, wie auch die mathematische Schlußfolgerung besteht aus l o g i s c h e n Schritten. Ich muß schon die Grundsätze der Logik gelten lassen, daß ich überhaupt das Aufbauen eines empirischen oder mathematischen Satzes in Angriff nehme. Zwar haben das Verfahren der Logik und der Mathematik einige Ähnlichkeiten miteinander, indem beide ihre Sätze auf nichtempirischem Wege entwickeln, doch sind Logik und Mathematik nicht identisch. Die Logik ist die Voraussetzung auch der Mathematik und eine umfangreichere Disziplin als die letztere, denn sie beschäftigt sich nicht bloß mit den Präsuppositionen der mathematischen Sätze. Das Verhältnis der Logik zu den Fachwissenschaften wird in der wissenschaftlichen Systemlehre eingehender erklärt werden.

Erster

Teil.

REINE LOGIK. I. DIE SUBSISTENZ DER WAHRHEIT. 7. Es ist eine Voraussetzung jeder Erkenntnis, daß die Wahrheit irgendwie „subsistiert", d. h. daß sie auf irgendeine Weise „besteht". Wir wollen nämlich mit einer jeden Erkenntnis e b e n d i e W a h r h e i t erkennen, der wir irgendeine Subsistenz schon unbewußt zuschreiben müssen, b e v o r w i r s i e e r k a n n t h ä t t e n . Die eigentümliche Subsistenzart der Wahrheit nennen wir G ü l t i g k e i t und wir unterscheiden diese — besonders seit B o 1 z a n o und L o t z e — von der Existenz im engeren Sinne. Gültigkeit und Existenz s t i m m e n d a r i n ü b e r e i n , daß beide irgendeine P e r m a n e n z bedeuten. Sage ich: „Die Sonne existiert" und (a + b) 2 = a 3 + 2ab + b 2 , so halte ich den Gegenstand beider Urteile für irgendwie bestehend, permanent. Die P e r m a n e n z ist also ein gemeinsamer Charakterzug sowohl der Existenz als auch der Gültigkeit. Was wirklich gültig, d. h. wahr ist (diese zwei Ausdrücke werden wir von nun an in demselben Sinne gebrauchen), das ist unverändert wahr, also hört es nie und unter keinen Umständen auf, wahr zu sein. Die „veränderliche Wahrheit" ist keine echte Wahrheit und selbst diejenigen Denker, die davon reden, setzen neben der „veränderlichen" Wahrheit wenigstens e i n e unveränderliche Wahrheit voraus, die sie selbst für die einzig w i r k l i c h e Wahrheit halten. Halten wir nämlich jede Wahrheit für veränderlich, so halten wir wenigstens jene e i n z i g e Wahrheit für unveränderlich wahr, d a ß es veränderliche Wahrheiten gibt (St. Augustinus). Was unveränderlich ist, das ist zugleich zeitlos, denn die Zeit ist die Form der Veränderung. Die Gültigkeit bedeutet also eine z e i t l o s e P e r m a n e n z und wahr ist derjenige Inhalt, dessen Subsistenz eine solche Gültigkeit hat. Die zeitlose Permanenz wird aber E w i g k e i t genannt: erkennen wir also eine Wahrheit, sd erkennen wir etwas Ewiges. Qui novit veritatem, novit aeternitatem — behauptete gleichfalls St. Augustinus.



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8. Es könnte aber jemand einwenden, daß eine Wahrheit, die sich auf einen veränderlichen Inhalt, z. B. auf ein vergängliches zeitliches Geschehnis bezieht, nicht permanent und unveränderlich sein kann. Der Satz: „jetzt schreibe ich" ist nur s o l a n g e wahr, b i s ich schreibe, dann hört er auf wahr zu sein. Da haben wir also mit einer veränderlichen, vergänglichen Wahrheit zu tun. Dieses Mißverständnis können wir aber leicht vermeiden, indem wir einen genaueren sprachlichen Ausdruck benützen. Der Satz: „jetzt schreibe ich" bedeutet eigentlich, daß „ich schreibe in Paris den 2. Januar 1926. um 4 Uhr 6 Minuten nachmittags". D i e s e r Satz bleibt aber ewig wahr, selbst wenn ich mit dem Schreiben aufgehört habe und es war von Ewigkeit her wahr, daß ich an diesem Tage zu der genannten Zeit schreiben werde. Die Wahrheit, d. h. Gültigkeit unseres Satzes ist also in der Tat zeitlos, unabhängig vom Vergehen seines Gegenstandes. Selbst eine geschichtliche Wahrheit ist also permanent und zeitlos und so haben wir keinen Grund unsere Feststellung zu ändern, daß die Subsistenz der Wahrheit eine zeitlose Permanenz bedeutet. 9. Diese Zeitlosigkeit bedeutet schon einen gewissen Unterschied gegenüber der Existenz, indem wenigstens ein Teil der existierenden Dinge veränderlich und so zeitlich ist. Da wir aber auch von einem unveränderlichen Existierenden sprechen können, eignet sich dieses Moment allein noch nicht, die Existenz von der Gültigkeit definitiv abzusondern. Was die Existenz bedeutet, das erleben wir am unmittelbarsten a n u n s e r e r e i g e n e n E x i s t e n z . Auf diesem Grunde bezeichnen wir als Existenz dasjenige, das eine W i r k u n g ausübt, d. h. in der Erfahrungswirklichkeit eine unaufhörliche V e r ä n d e r u n g hervorruft. Daß ich selbst bin, dies weiß ich daher, daß ich Veränderungen hervorrufe. Solch eine Veränderung ist z. B., daß ich meinen Leib antastend seines Widerstandes bewußt werde, daß ich fähig bin, Gegenstände in Bewegung zu bringen, daß ich durch meine seelische Tätigkeit den Inhalt meines Bewußtseins verändern kann usw. — mit einem Worte, unter meiner eigenen Existenz verstehe ich, daß ich e i n b e s t ä n d i g e r F a k t o r der Veränderungen der Wirklichkeit bin. Ich kann auch die Existenz anderer Gegenstände nur auf Grund dieses Kriteriums feststellen. Daß z. B. irgendein Himmelskörper existiert, kann ich deshalb behaupten, weil dieser Himmelskörper solche unaufhörlichen Wirkungen ausübt, d. h. auf anderen Existierenden solche Veränderungen hervorruft, welche



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im Falle der Nichtexistenz dieses Himmelskörpers vollkommen unverständlich wären. Die Existenz bedeutet für uns ein unaufhörliches Wirken, d. h. das Hervorrufen von Veränderungen; sie ist also eine Quelle beständigen Wechsels in kausalem Sinne. Demgegenüber übt die Gültigkeit keine Wirkung aus, d. h. sie ist keine Quelle irgendeiner Tätigkeit oder Veränderung. Sie ist also k e i n F a k t o r des Weltlaufes, d. h. sie ist k e i n e S u b s t a n z , sondern sie b e z i e h t s i c h in einer eigentümlichen Weise auf die Substanzen. Wir werden die volle Charakteristik dieser Beziehung erst dann geben, wenn wir d i e W a h r h e i t a l s e i n e U n i v e r s a l i t ä t ins Auge fassen werden (s. unten § 15.); vorläufig wissen wir nur soviel, daß die Gültigkeit keine Wirkungsquelle ist, d. h. sie ist keine Substanz, sondern sie bedeutet eine t ä t i g k e i t s l o s e S u b s is ten z Wir müssen jedoch an diesem Punkte einen Unterschied machen. Die Gültigkeit, also die Wahrheit kann doch i n e i n e r H i n s i c h t als die Quelle der Wechsel der Existierenden wirken, indem sie der Zweck und das Ideal der menschlichen Bestrebungen, etwa der Gegenstand menschlicher Sehnsucht sein kann. Die Wahrheit als Ideal begeistert, regiert, zieht uns an und insofern löst sie Bestrebungen und Tätigkeiten aus; sie bewirkt also sehr wohl Veränderungen im konkreten menschlichen Leben, im Verlaufskreis der existierenden Welt. Aber—um mit dem Ausdruck des Aristoteles zu reden — die Wahrheit bewegt, wie das Geliebte denjenigen, der es liebt: xtvsi 8k w; ¿puSiievov — nichtaberdadurch,daßsieeineTätigkeitausü b t . Unsere Sehnsucht nach der Gültigkeit, d. h. nach der Wahrheit wird durch ihre bloße Subsistenz erweckt, bzw. dadurch, daß wir die Wahrheit e r k e n n e n — sie ist also in einem ganz anderen Sinne Quelle gewisser Veränderungen, als wir es bei den existierenden Dingen finden, die den Weltlauf durch ihre T ä t i g k e i t e n modifizieren. 10. Daß wir im weiteren an die Erkenntnis der eigentümlichen Bestehensart der Wahrheit noch einen Schritt näher heranrücken, müssen wir den Umstand näher ins Auge fassen, daß es n i c h t e i n e Wahrheit, sondern m e h r e r e Wahrheiten gibt. Im Anschluß daran müssen wir noch v i e r auffallende Eigenschaften der Wahrheit genauer erklären, nämlich 1. jenen Umstand, daß, obgleich es m e h r e r e W a h r h e i t e n gibt, alle Wahrheiten die Glieder d e s s e l b e n S y s t e m s sind, 2. daß die Wahrheit d r e i R i c h t u n g e n hat: positive, nega-



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tive und limitative Richtungen, 3. daß die Zahl der Wahrheiten unendlich ist und, 4. daß jede Wahrheit kraft ihres Wesens U n i v e r s a l i e n enthält. 11. Daß es mehr als eine Wahrheit gibt, dies bedarf kaum eines eingehenderen Beweises. Der Pythagoreische Lehrsatz und die Behauptung, daß Karl der Kahle im Jahre 877 gestorben ist, sind gleicherweise Wahrheiten, die voneinander verschieden sind und so bilden sie n i c h t e i n e Wahrheit, sondern z w e i Wahrheiten. Und zwar deshalb, weil ihre Gegenstände verschieden sind: jener drückt eine geometrische Relation, diese das Geschehen eines historischen Ereignisses aus. Fragen wir nun aber, ob die Verschiedenheit der Gegenstände mit absoluter Genauigkeit feststellbar ist — da stoßen wir auf gewisse Schwierigkeiten. Bei den vorigen Beispielen bleibend ist der Tod Karls des Kahlen an einem Punkte des Raumes geschehen, für welchen Raum der Pythagoreische Lehrsatz gültig ist. Also ist der Gegenstand dieser zwei Wahrheiten von anscheinend vollkommen verschiedenen Gegenständen n i c h t a b s o l u t v e r s c h i e d e n , d. h. neben ihren verschiedenen Gegenständen haben sie a u c h g e m e i n s a m e s O b j e k t . U n d s o s t e h t e s m i t j e d e n b e l i e b i g e n W a h r h e i t e n : wenn nichts anderes, so sind wenigstens gemeinsame Gegenstände diejenigen Züge, welche in jedem möglichen Gegenstand a l s G e g e n s t a n d zu finden sind. Aus diesem Gesichtspunkte kann man neben dem Satze, daß es mehr als eine Wahrheit gibt, mit gleichem Rechte auch den anderen Satz behaupten, daß e s n u r eine W a h r h e i t g i b t und jede W a h r h e i t nur ein T e i l d i e s e r e i n z i g e n W a h r h e i t i s t . Den anscheinenden Gegensatz dieser zwei gleich berechtigten Sätze können wir in der neuen Feststellung aufheben, das s ä m t liche Wahrheiten die Glieder desselben g r o ß e n W a h r h e i t s s y s t e m s s i n d . Daß wir dieses grundlegende Moment der Wahrheit deutlich verstehen, müssen wir zuvor d e n B e g r i f f d e s S y s t e m s näher erklären. Darauf werden wir aber erst später kommen1), denn der Begriff des Systems kann nur auf Grund der Struktur der Wahrheit dargelegt werden. Vorläufig können wir nur konstatieren, daß die Wahrheit i n e i n e m S y s t e m b e s t e h t . 12. Ein weiterer Charakterzug jeder Wahrheit ist, daß sie eine R i c h t u n g hat. Wir nennen R i c h t u n g der Wahrheit i ) Vgl. § 40.



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diejenige Eigenschaft der Wahrheit, daß diese ihren Gegenstand entweder durch ein u n m i t t e l b a r e s H i n w e i s e n , oder durch Hervorheben eines M a n g e l s oder aber durch eine A b g r e n z u n g bedeutet. Demnach unterscheiden wir p o s i t i v e , n e g a t i v e und 1 i m i t a t i v e Wahrheiten. Wir wollen dies jetzt näher erklären. Die Wahrheiten von der Art, wie „Jetzt ist es Tag", „Der Schlaftrieb ist eine periodische Äußerung des biologischen ¿jn a\n

(

^ ) = j^r beziehen sich u n m i t t e l b a r auf ihre Gegenstände, d. h. sie bedeuten ihren Gegenstand nicht dadurch, daß sie dessen Verhältnis zu anderen Gegenständen ausdrücken, sondern sie bezeichnen, was ihr Gegenstand i n s i c h s e l b s t ist, was sich an ihm v o r f i n d e t . Dies ist der Sinn der P o s i t i v i t ä t d e r W a h r h e i t . „P o s i t i v e W a h r h e i t" ist also jene Wahrheit, die ihren Gegenstand in seinem A n s i c h s e i n , im Vorhandensein seiner Bestimmungen auf unmittelbarem Wege ausdrückt. Dagegen wird die „ n e g a t i v e W a h r h e i t " eben dadurch charakterisiert, daß sie ihren Gegenstand etwa auf einem U m w e g ausdrückt: nicht durch das Hervorheben dessen, was sich im Gegenstand v o r f i n d e t , sondern durch die Bezeichnung dessen, was an ihm f e h l t . Darum ist die Negation wirklich der Gegensatz der Position. Wir können dies auch so ausdrücken: die positive Wahrheit — wie wir gesehen haben — bezeichnet den Gegenstand i n s i c h s e l b s t , während die negative Wahrheit bezeichnet den Gegenstand durch eine eigentümliche Beziehung zu anderen Gegenständen, indem im Gegenstand der Mangel eines anderen Gegenstandes ausgedrückt wird. Nehmen wir z. B. die Wahrheit: „Der Mensch ist nicht unfehlbar", oder „Ein Staat kann nicht bloß auf Gewalt gegründet werden" — so konstatieren wir einen M a n g e l , behaupten wir das N i c h t s e i n von irgend etwas im Menschen bzw. im Staate. Unsere Wahrheit charakterisiert also ihren Gegenstand eben durch das Hervorheben des Nichtseins (privatio, crrspijoi;). Bei diesen negativen Wahrheiten wird eigentlich die B e z i e h u n g des Menschen zur Unfehlbarkeit, bzw. des Staates zur bloßen Gewalt hervorgehoben. Allein auch eine positive Wahrheit kann die Beziehung der Gegenstände zueinander ausdrücken, z. B. „Die englische Magna Charta ist älter als die ungarische goldene Bulle". In diesem Falle ist aber die ausgedrückte Beziehung k e i n M a n g e l , sondern eine zeitliche



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Priorität. Die Behauptung, daß die negative Wahrheit die Beziehung ihres Gegenstandes zu anderen Gegenständen ausdrückt, muß also derart beschränkt werden, daß diese Beziehung die Relation des M a n g e l s ist. Näher bestimmt, bedeutet der Mangel, daß ein Ding irgendeines akzidentalen Momentes (einer Beschaffenheit, eines Wirkens, bzw. eines Leidens) e n t b e h r t . Diese Bestimmung ist besonders wichtig, wenn wir die negative Wahrheit von der limitativen Wahrheit abgrenzen wollen. Die 1 i m i t a t i v e Wahrheit — z. B. „Der Mensch ist kein Gott", „Die Wärme ist kein Körper" — drückt ihren Gegenstand dadurch aus, daß sie ihn von anderen Gegenständen a b g r e n z t . Im Gegensatze zur positiven Wahrheit bezeichnet auch die limitative Wahrheit ihren Gegenstand indirekt, denn sie drückt aus, was der Gegenstand im Verhältnis zu a n d e r e n Gegenständen ist und nicht, was er i n s i c h s e l b s t ist. Es besteht jedoch ein wesentlicher Unterschied zwischen den negativen und den limitativen Wahrheiten. Dies hat schon Kant richtig gesehen, der den Begriff der Limitation zum erstenmal aufgestellt hat. Wir können diesen Unterschied so ausdrücken, daß während die Negation den M a n g e l irgendeines akzidentalen Momentes in einem S u b j e k t ausdrückt, grenzt die Limitation irgendein S u b j e k t von a n d e r e n S u b j e k t e n ab, sie bedeutet also k e i n e n M a n g e l , sondern eine A b grenzung. Nachdem wir diese dreifache Richtung der Wahrheit festgestellt haben, entsteht sogleich ein Problem, gegenüber welchem wir eine Stellung einnehmen müssen. Dieses Problem ist die Frage, w a s f ü r e i n e B e z i e h u n g zwischen der Position, Negation und Limitation besteht. 13. Es ist kein Zweifel, daß d i e v o l l e B e d e u t u n g jederWahrheitalledreiRichtungenderWahrh e i t e n t h ä l t . Dies bedeutet soviel, daß jede Wahrheit zugleich eine positive, negative und limitative Wahrheit ist und nur so ihren Gegenstand vollständig bezeichnet. Um dies näher zu erklären, wollen wir je eine positive, negative und limitative Wahrheit betrachten. „Die Erde dreht sich um die Sonne", dies scheint bloß eine positive Wahrheit zu sein. Und doch kann diese Wahrheit auch folgendermaßen ausgedrückt werden: „Die Erde dreht sich ni c h t um einen anderen Körper, als um die Sonne." Die vorige positive Wahrheit kann also auch in einer negativen Form ausgedrückt werden — zum deutlichen Beweise, daß der vollen Bedeutung dieser Wahrheit auch die



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negative Richtung zukommt. Die positive Wahrheit: „Die Erde dreht sich um die Sonne" kann aber ebenso auch in der Form einer limitativen Wahrheit ausgedrückt werden, indem auch der folgende Satz mit dem vorigen Äquivalent ist: „Die Erde ist nicht ein Himmelskörper, der sich um einen von unserer Sonne verschiedenen anderen Himmelskörper dreht". Es ist also klar, daß j e d e W a h r h e i t z u g l e i c h p o s i t i v , n e g a t i v u n d l i m i t a t i v i s t . Dies bedeutet aber durchaus nicht, daß die Positivität, Negativität oder Limitativität der Wahrheit bloß zur grammatischen Form des menschlichen Ausdrucks der Wahrheit gehört — denn aus den Obigen folgt nur, daß wir in unserer menschlichen Auffassung, offenbar aus denkökonomischen Gründen, gewöhnlich nur d i e e i n e R i c h t u n g der Wahrheit denken, und zwar jene Richtung, die wir in unserem Gedankengang besonders zu betonen wünschen. 14. Es ist eine andere merkwürdige Eigenschaft der Subsistenz der Wahrheit, daß e s u n e n d l i c h v i e l e W a h r h e i t e n g i b t . Diesen Satz hat zuerst B o 1 z a n o in seiner „Wissenschaftslehre" (1837) aufgestellt, er hat aber die Gültigkeit dieses Satzes — wie wir sogleich sehen werden — nur aus e i n e m Gesichtspunkt erblickt. Unserer Meinung nach hat aber dieser Satz d r e i e r l e i Bedeutung. Z u e r s t b e d e u t e t e r , d a ß jede W a h r h e i t der A u s g a n g s p u n k t e i n e r unendlichen Wahrheitenreihe ist, nämlich d a d u r c h , daß auch der Satz, der die W a h r h e i t e i n e r W a h r h e i t a u s d r ü c k t , s e l b s t w a h r i s t . Ist es nämlich wahr, daß 2 X 2 = 4 (was wir der Kürze halber als Wahrheit A, bezeichnen), so ist auch der Satz wahr, d a ß A, tatsächlich eine Wahrheit ist (welchen Satz wir mit A2 bezeichnen). Aber in diesem Falle ist es auch wahr, daß A 2 wahr ist usw. Auf diese Weise ist jede Wahrheit offenbar die Quelle einer unendlichen Wahrheitenreihe: sie enthält i n s i c h unendlich viele Wahrheiten. Z w e i t e n s gibt es deshalb unendlich viele Wahrheiten, weil der Satz, daß es nur e i n e e i n z i g e Wahrheit gibt, nur in dem Falle wahr sein kann, wenn zugleich auch der andere Satz wahr ist, daß es außer dieser einzigen Wahrheit keine andere Wahrheit gibt. B o 1 z a n o legt diesen Beweis folgendermaßen dar. (Wissenschaftslehre § 32.) Behauptet jemand, daß es nur e i n e Wahrheit gibt, z. B. „A est B", so muß er wenigstens n o c h e i n e Wahrheit zugeben, nämlich die, daß außer dieser Wahrheit „A est B" sonst keine andere Wahrheit subsistiert.



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Bestehen aber diese zwei Wahrheiten, so müssen wir außer diesen n o c h e i n e d r i t t e Wahrheit annehmen, nämlich, daß es außer diesen zwei Wahrheiten sonst keine andere Wahrheit gibt. Es liegt auf der Hand — sagt Bolzano —, daß diese Schlußweise ins Unendliche fortsetzbar ist und so ist es zweifellos, daß es unendlich viele Wahrheiten gibt, d. h. der Begriff der endlich vielen Wahrheiten sich selbst widerspricht. Wir können den so bewiesenen Satz kurz in der Form ausdrücken: Es g i b t u n e n d l i c h v i e l e W a h r h e i t e n , w e i l die positive Wahrheit immer auch eine negative W a h r h e i t z u i h r e r E r g ä n z u n g e r f o r d e r t , d. h. weil jede W a h r h e i t eine Relation mit weiteren W a h r h e i t e n ins U n e n d l i c h e voraussetzt. Es gibt aber auch eine d r i t t e Bedeutung unseres Satzes. Jede Wahrheit erfordert nicht nur eine negative, sondern auch eine entsprechende limitative Wahrheit zu ihrer Ergänzung, was gleichfalls den Bestand unendlich vieler Wahrheiten voraussetzt. Ist nämlich „A est B" wahr, so können wir den Satz auch so ausdrücken: „A gehört zur Klasse jener Dinge, für die B als Prädikat gültig ist." Dieser Satz erfordert aber zu seiner Ergänzung den 1 i m i t a t i v e n Satz, daß A n i c h t zur Klasse jener Dinge gehört, für die B als Prädikat u n g ü l t i g ist. Sind aber beide Sätze wahr, so ist wenigstens noch der d r i t t e Satz wahr, daß „diese zwei Sätze einander ergänzen". Dieser verlangt wieder eine Ergänzung durch den limitativen Satz: „Diese zwei Sätze gehören n i c h t zu jenen Sätzen, die einander n i c h t ergänzen." Dieser Satz stellt aber schon einen v i e r t e n Satz vor. Dieser vierte Satz ist aber wieder durch einen f ü n f t e n limitativen Satz zu ergänzen: „Der Satz, wonach die vorigen zwei Sätze nicht zu den Sätzen gehören, die einander n i c h t ergänzen, gehört n i c h t zu den nichtwahren Sätzen." Dieser Gedankengang geht aber offenbar ins Unendliche und so können wir das folgende behaupten: E s g i b t unendlich viele W a h r h e i t e n , denn jeder Satz e r f o r d e r t eine E r g ä n z u n g d u r c h einen ents p r e c h e n d e n limitativen Satz ins Unendliche. Es liegt also auf der Hand, daß es deshalb unendlich viele Wahrheiten gibt, weil die Wahrheit eine Ergänzung in allen drei (positive, negative und limitative) Richtungen ins Unendliche erfordert. Wie dieser Umstand auch mit der Struktur der Wahrheit zusammenhängt, das werden wir im folgenden Kapitel erklären.



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15. Ein anders weittragendes Moment, bezüglich des Bestandes der Wahrheit ist es, daß j e d e W a h r h e i t e i n e U n i v e r s a l i t ä t e n t h ä l t . Es ist nicht schwer, dies an einigen Beispielen zu veranschaulichen. Nehmen wir eine Wahrheit, die einen anscheinend vollkommen individuellen, jeder Universalität baren Gegenstand hat, z. B. „Petöfi ist wahrscheinlich in der Schlacht bei Segesvár gefallen." Auch dieser Satz enthält aber schon Universalien: die Momente der „Wahrscheinlichkeit" und der „Schlacht", die a b Universalien v o r a u s g e s e t z t sind, denn es kann ja nicht bloß in diesem e i n z i g e n Falle von Wahrscheinlichkeit, bzw. von Schlacht gesprochen werden. Auch „Petöfi" und „Segesvár" präsupponieren i n i h r e r v o l l k o m m e n e n B e d e u t u n g Universalien. Petöfi ist nämlich ein „Dichter", und zwar ein „lyrischer Dichter", außerdem ist er ein „Mensch", ein „Jüngling" und ein „Ungar", — Segesvár ist eine „Stadt", eine „Gemeinde"; ein „geographischer O r t " usw. Und weil ein jedes Ding — wie wir darauf später zurückkommen werden (s. § 34) — seinem Wesen nach zu einer K l a s s e gehört, so ist es notwendig mit einer Universalität eng verbunden: E i n z e l n e s u n d A l l g e m e i n e s s i n d u n t r e n n b a r e K o r r e l a t e . Eine Wahrheit — möge sie sich auf irgendwelchen individuellen Gegenstand beziehen —, die in ihrer vollkommenen Bedeutung (wie die Wahrheit in der reinen Logik zu betrachten ist) keine Universalien enthalten würde, ist also unmöglich. 16. Endlich muß noch der wichtige, schon von Bolzano (Wissenschaftslehre, § 76) betonte Umstand hervorgehoben werden, daß d i e W a h r h e i t s i c h s o w o h l a u f e x i stierende, als auch auf nichtexistierende G e g e n s t ä n d e b e z i e h e n k a n n . Das heißt: der mögliche Gegenstandskreis der Wahrheit ist größer, als der Kreis der existierenden Dinge. Z. B. die Wahrheit: „Der ideale Staat von Piaton ist erhabener, als der von Morus," behauptet etwas von n i c h t e x i s t i e r e n d e n Gegenständen, d. i. von bloßen Idealen. Zwar könnte jemand einwenden, daß auch die Staatsideale existieren. Sie sind nämlich existierende G e d a n k e n der Menschen, die etwas von ihnen behaupten oder leugnen; und beziehen sich insofern „in modo obliquo" auf etwas, das wirklich existiert1). Es ist aber nicht schwer auszuweisen, daß diese Behauptung auf einem Irrtum beruht. Wenn von den Staats1 ) So F. Brentano: Von der Klassifikation der psychischen Phänomene. 1911. S. 149.

T. P a n i e r , Logik

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idealen gesprochen wird, so sind nicht die auf sie bezüglichen menschlichen Gedanken, sondern die G e g e n s t ä n d e dieser Gedanken: die Staatsideale selbst gemeint. Der menschliche Gedanke b e d e u t e t sie nur, ist aber nicht mit ihnen identisch. Würde das Staatsideal sich auf die menschlichen Gedanken beziehen, so müßten wir auch den Verlauf dieser Gedanken, die psychologischen Verhältnisse ihres Entstehens und Verschwindens berücksichtigen, w o diese doch ganz gleichgültig sind, wenn es auf G e g e n s t ä n d e menschlicher Gedanken und nicht auf diese Gedanken selbst abgesehen ist. Der Gedanke und sein Gegenstand sind immer verschieden, selbst dann, wenn dieser Gegenstand ein Nichtexistierendes oder Unmögliches ist 1 ). Der „goldene Berg", das „viereckige Dreieck" u n t e r s c h e i d e n s i c h von den Funktionen des menschlichen Denkens, das sie denkt. Gedanke und Gegenstand sind miteinander nicht im Verhältnis der I d e n t i t ä t , sondern im Verhältnis des „B e d e u t e n s" d. h. in der B e z i e h u n g (Intention), wonach der Gedanke einen Gegenstand bezeichnet. Denn wären sie identisch, so könnte vom goldenen Berg oder von den Eigenschaften des viereckigen Dreiecks unabhängig vom Denken nicht gesprochen werden, obgleich auch von diesen Gegenständen wenigstens die einzige Wahrheit gültig ist, daß sie Absurditäten sind. Es sind aber auch andere Wahrheiten von solchen „idealen" Gegenständen gültig. Vom goldenen Berge ist es z. B. wahr, daß er kein silberner Berg ist, daß er eventuell mehr Gold enthält, als ein anderer Goldberg usw. Es liegt auf der Hand, daß die Wahrheit sich auf jeden Gegenstand beziehen kann, unabhängig davon, ob dieser Gegenstand existiert oder nicht, oder auf irgendeine andere Weise subsistiert? Dies wird alles nicht nur durch den Bestand derjenigen Wahrheiten bewiesen, die sich auf Fiktionen beziehen. Sämtliche l o g i s c h e n Wahrheiten, also all diejenigen, deren Gegenstand selbst die Natur der Wahrheit ist, beziehen sich nicht auf e x i s t i e r e n d e , sondern auf g ü l t i g e Gegenstände. Ähnlicherweise haben auch die e t h i s c h e n Wahrheiten einen bloß idealen Gegenstand, z. B. die Wahrheit: „Die ethischen Ideale sind wertvoller, als das Ideal des individuellen Glücks." Es ist aber bei den m a t h e m a t i s c h e n Wahrheiten am meisten auffallend, daß sie sich nicht auf die existierende Welt, sondern 1

) Vgl. dazu Twardowski: Zur Lehre vom Inhalt und Gegenstand der Vorstellungen. Wien ; 1894. S. 29 ff. Höfler: Logik. 2. A. 1922. S. 34. Linke: Grundfragen der Wahrnehmungslehre. 1918. S. 79—96 ff.



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auf andere Objekte beziehen, wie wir es unten (s. § 53) ausführlicher darlegen werden. All dies macht es zweifellos, daß der Kreis der Wahrheitsgegenstände w e i t e r ist, als der Kreis der existierenden Gegenstände, und so können diese zwei Gegenstandskreise überhaupt nicht identifiziert werden, um so weniger, weil die Wahrheit ihrem Wesen nach u n v e r ä n d e r l i c h ist (vgl. § 7), die Welt der Existenz aber einer ununter-gebrochenen V e r ä n d e r u n g unterworfen ist. Nach A s k 1 e p i o s ' ) wurde schon P 1 a t o n eben durch diesen Umstand veranlaßt, die Welt der Ideen anzunehmen. Wir können also in keiner Weise die Ansicht derjenigen Denker annehmen, die den Bestand der W a h r h e i t vom Bestand der e x i s t i e r e n d e n W e l t abhängig machen 2 ). Auf diesem Standpunkte wäre es ganz unverständlich, daß nur e i n (relativ kleiner) Teil der Wahrheiten sich auf die existierende Welt bezieht. 17. Wir haben nunmehr die Daten und die Richtlinien, auf deren Grund eine z u s a m m e n f a s s e n d e D e f i n i t i o n d e r W a h r h e i t versucht werden kann. Wir brauchen diese Definition, um das Wesen der Wahrheit klar zu sehen, denn wir sind nur in diesem Falle imstande, die Untersuchungen bezüglich der Struktur der Wahrheit auf richtigen Grundlagen einzuleiten. Als Resultat der bisherigen Untersuchungen können wir die folgende Definition aufstellen: D i e W a h r h e i t i s t ein S y s t e m , d a s a u s u n e n d l i c h v i e l e n , Un i v e r salität involvierenden, möglicherweise sow o h l auf e x i s t i e r e n d e w i e a u c h auf n i c h t e x i s t i e r e n d e Objekte sich r i c h t e n d e n Gliedern besteht, deren jedes sowohl positiven wie negativen und limitativen Charakter besitzt undderenSubsistenzinderGültigkeitbesteht. 18. Wollen wir nun den so gefunden Wahrheitsbegriff mit den Eigenschaften des m e n s c h l i c h e n D e n k e n s über die Wahrheit vergleichen, so können wir sehr tiefgehende Unterschiede konstatieren. Die Wahrheit besteht aus u n e n d l i c h vielen Gliedern, das menschliche Denken kann aber nur e n d l i c h viele Momente umfassen. D i e S u b s i s t e n z der ') In Metaph. Arist. (Scholia in Aristotelem, coli. Chr. A. Brandis Berol. 1836. p. 563 a. 23). 2 ) So z. B. H e r b e r l z , nach dem die Wahrheit nichts anderes, als „ein Sachverhalt am Wirklichen" ist (Prolegomena zu einer realistischen Logik. 1916. S. 94.) Ähnlich M . H e i d e g g e r : Sein und Zeit 1927. S. 227.

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W a h r h e i t kann also nicht darin bestehen, daß s i e v o n M e n s c h e n g e d a c h t w i r d , im G e g e n t e i l , w i r k ö n n e n in d e r T a t k e i n e e i n z i g e W a h r h e i t v o l l s t ä n d i g d u r c h d e n k e n . Sowohl das Denken des menschlichen Individuums, als auch das Denken des ganzen Menschengeschlechtes fängt in der Zeit an und endet auch in der Zeit. Das Individuum hört nämlich mit der Zeit auf zu denken, d. h. stirbt und auch die ganze Menschheit wird einst aussterben, wenn die Lebensbedingungen auf unserer Erde aufhören werden. Möge man also noch so lange darin fortfahren, die unendliche Wahrheitsreihe zu denken, deren logischen Bestand wir oben nachgewiesen haben (s. § 14), man kann damit nie zu Ende kommen. Jede einzelne Wahrheit enthält unendlich viele Wahrheiten und so kann die Gültigkeit der Wahrheit nicht mit dem Gedachtsein derselben durch die einzelnen Menschen oder durch die ganze Menschheit identisch sein. Mit diesem Umstand hängt es zusammen, daß während die Gesamtheit der Wahrheiten e i n a b s o l u t v o l l s t ä n d i g e s S y s t e m r e p r ä s e n t i e r t , das menschliche Denken nur e i n e n T e i l des vollständigen Wahrheitssystems umfassen kann. Das System der Wahrheiten ist nämlich nur dann vollständig, wenn e s e i n e j e d e W a h r h e i t enthält: e i n e j e d e Wahrheit kann aber der menschliche Verstand weder erkennen, noch durchdenken. Daher kann unser Denken auch den Z u s a m m e n h a n g aller Wahrheiten nicht umfassen. Es liegt also auf der Hand, daß der Bestand, d. h. die Gültigkeit der Wahrheit nicht mit dem Gedachtsein derselben identisch ist. D e s h a l b ist es für die Gültigkeit der Wahrheit gleichgültig, ob sie von den Menschen anerkannt wird oder nicht. Deshalb kann die Wahrheit nicht durch eine Abstimmung entschieden werden, und der „consensus gentium" kann nicht die erforderliche logische Begründung ersetzen. Der Bestand der Wahrheit bedeutet also durchaus nicht das Gedachtsein derselben durch irgendein Wesen, sondern eben ihre Gültigkeit. IQ. Die als „Psychologismus" bezeichnete Richtung in der Logik besteht eben in der Verneinung dieses Unterschiedes. Nach dieser Richtung besteht die Wahrheit nur im Gedachtsein durch Menschen, und sie verändert sich, entwickelt sich m i t d e m m e n s c h l i c h e n D e n k e n . Daher gibt es keine absolute, von dem menschlichen Geiste unabhängig bestehende, ewige und unveränderliche Wahrheit, sondern jede Wahrheit ist veränderlich, also relativ. Dieser Relativismus widerspricht aber



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sieb selbst, denn geht man nicht davon aus, daß wenigstens die logischen Grundsätze, wie z. B. der Grundsatz der Identität und die negative Form desselben, der Grundsatz des Widerspruches, nicht nur relativ, sondern absolut wahr sind, so kann man weder etwas behaupten, noch verneinen. Etwas behaupten oder verneinen heißt nämlich das Entgegengesezte bestreiten. Jedes Behaupten oder Verneinen setzt also wenigstens die zweifellose Gültigkeit des Satzes vom Widerspruch voraus. Mit dem Behaupten oder Verneinen bekennen wir aber wenigstens die logischen Grundsätze nicht nur als zweifellos, sondern auch als absolut gültig, und so erkennen wir schon implicite auch den Bestand absolut gültiger Wahrheiten. Und selbst der Psychologismus stützt sich — zwar unbewußt und unwillkürlich — auf die absolute Gültigkeit der logischen Grundsätze, als er sein Recht behauptet. Denn behauptet der Psychologismus die Richtigkeit seines Standpunktes gegenüber dem logischen Absolutismus (den wir kurz „Logismus" nennen wollen), so erkennt er seine Lehre als absolut wahr. Würde er dies nicht tun, so könnte er nicht behaupten, daß die menschliche Wahrheit i m m e r veränderlich ist und ihr Bestand i m m e r ihr Gedachtsein durch Menschen bedeutet. Der Psychologismus erachtet seine eigentümliche Lehre gegenüber derjenigen des Logismus als b e w i e s e n , und zwar eben d e s h a l b , weil er nur seinen Standpunkt für l o g i s c h begründet hält, d. h. für einen solchen, der mit den logischen Grundsätzen übereinstimmt. Diese Grundsätze hält also selbst der Psychologist für unzweifelhaft und i m m e r gültig, sonst könnte er nicht auf Grund derselben behaupten, daß j e d e Wahrheit relativ, veränderlich ist und bloß für das menschliche Denken besteht. Der Psychologismus setzt also notwendigerweise wenigstens e i n i g e absolute und unveränderliche Wahrheiten, d. h. logische Grundsätze voraus und so steht er mit sich selbst in Widerspruch. Er stürzt nämlich seinen eigenen logischen Relativismus um, indem er auf solche Voraussetzungen baut, die selbst dem Psychologismus widerstreiten. Wir können aber den inneren Widerspruch des Psychologismus auch in einer anderen Beziehung ausweisen. Behauptet nämlich der Psychologist, daß die Wahrheit menschlich relativ ist, d. h. daß sie von der psychologischen Konstitution des Menschen abhängt und mit der Veränderung der letzteren selbst verändert, so hält er schon die Behauptung, d a ß der Mensch e b e n e i n e s o l c h e psychologische Konstitution hat, und



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d a ß diese Konstitution s i c h w i r k l i c h verändert, nicht mehr für relativ, sondern für absolut wahr. Im entgegengesetzten Falle würde offenbar das ganze Gebäude des Psychologismus erschüttert werden. Ist es nämlich nicht z w e i f e l l o s w a h r , daß der Mensch einen Organismus von einer bestimmten Natur h a t , und ist es nicht u n b e d i n g t w a h r , daß der Organismus s i c h v e r ä n d e r n k a n n , so ist selbst die Wahrheitstheorie des Psychologismus nicht unbedingt wahr und er hat kein Recht, seine Theorie gegenüber dem Logismus für unbedingt wahr zu halten. Es wiederholt sich also der vorerwähnte Widerspruch: selbst der Psychologismus baut zur Begründung seines eigenen logischen Standpunktes auf den Logismus. 20. Hier kann aber eingewendet werden: Eine jede Beweisführung gegenüber dem Psychologismus beruht darauf, daß wir auf eine gewisse Weise denken m ü s s e n , nämlich so, daß wir auf den Standpunkt des Logismus kommen. Also selbst dann, wenn wir gegenüber dem Psychologismus das Recht des Logismus behaupten, tun wir dies darum, weil wir kraft der p s y c h o l o g i s c h e n Natur unseres menschlichen Denkens g e z w u n g e n s i n d , diejenigen Widersprüche zu erkennen, die der Psychologismus enthält. Die Beweisführung des vorigen Paragraphen kann also umgekehrt werden: sie kann auch zum Beweis dienen, daß eben der Psychologismus recht hat, denn auch jede Beweisführung des Psychologismus entsteht aus dem Zwang, daß wir gewisse Dinge gegenüber anderen für wahr halten müssen, weil es unser subjektives Denken infolge unserer menschlichen psychophysischen Natur so mit sich führt. Dieser Einwand beruht aber auf dem vollständigen Verkennen des psychologischen Verlaufes unseres menschlichen Erkennens. Wenn wir etwas für wahr halten, sind wir nicht dessen bewußt, daß unser subjektives Denken seiner subjektiven Natur folgt, sondern, daß unsere Feststellung r i c h t i g , d. h. objektiv g ü l t i g ist. Wenn ich eine Wahrheit ausdrücke, so beiiaupte ich etwas n i c h t v o n m i r s e l b s t , sondern v o n d e m G e g e n s t a n d . Eben deshalb sind wir im Erlebnis des Erkennens keines Zwanges bewußt. (Brentano.) Das Erlebnis des Fürwahrhaltens enthält keine Anspielung auf das Denken als solches: das Hervorheben des Denkens als eines subjektiven psychologischen Verlaufes und seine Gegenüberstellung mit seinem Gegenstand ist schon das Ergebnis einer psychologischen Reflexion, das im Erlebnis des Erkennens als solchen noch gar nicht enthalten ist. Dies letztere ist durch und durch gegenständ-



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licher Natur: es ist Intention, d. h. Gerichtetsein auf den Gegenstand. Wir halten also etwas n i c h t d e s h a l b für wahr, weil die subjektive Natur unseres Denkens dies uns aufzwingt, sondern, w e i l w i r e s e r k e n n e n , daß unsere Behauptung von objektiver Geltung ist. Darum ist unsere obige Beweisführung nie für den Psycbologismus, sondern nur für den Logismus verwertbar. Der Bestand der Wahrheit kann also auf keine Weise mit dem Gedachtsein der Wahrheit identifiziert werden, d. h. er bedeutet eine von jedem psychologischen Moment und von jedem Erkanntsein unabhängige Permanenz. Das können wir mit anderen Worten so ausdrücken, d a ß e s a u c h n i c h t e r kannte tnd nicht gedachte Wahrheiten geben k a n n . Und da es unendlich viele Wahrheiten gibt, der Mensch aber nur endlich viele Wahrheiten erkennen kann, so wird es sogar innrer Wahrheiten geben, die für die Menschheit unbekannt sind. 21. Wir haben über die Bestandsweise der Wahrheit festgestellt, daß sie nicht Existenz, sondern G ü l t i g k e i t bedeutet (s. o. § 9). Zwar gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischei diesen zwei Subsistenzarten, es besteht jedoch ein strenges Verhältnis zwischen ihnen, das wir jetzt näher betrachten wollen. Dieses Verhältnis besteht einerseits darin, daß die Wahrheit mit den existierenden Dingen p a r a l l e l besteht, andererseits repräsentiert sie das I d e a 1 der Dinge, dessen möglichst vollkommene Verwirklichung das Ziel eines jeden Existierenden ist. Betrachten wir diese Punkte nacheinander. Das Verhältnis des Parallelismus zwischen dem Existierenden und der Wahrheit bedeutet k e i n o n t o l o g i s c h e s Verhältnis, es repräsentiert also nicht die Relation zweier Existierenden, d. h. Wirkung ausübenden Momente. Die Wahrheit, die sich auf ein Existierendes bezieht, ist k e i n e U r s a c h e des betreffenden Existierenden, aber auch das Existierende ist keine Ursache, kein Schöpfer der sich darauf beziehenden Wahrheit; Wenn Sokrates spaziert, so ist die verwirklichende Ursache dieses Geschehens nicht die Wahrheit, d a ß „Sokrates spaziert". Es kann aber auch nicht gesagt werden, daß die Wahrheit „Sokrates spaziert" wahr ist deshalb, w e i l Sokrates wirklich spaziert. Sokrates spaziert in Wirklichkeit darum, weil gewisse U r s a c h e n (Erlebnisse), die alle Glieder des realen Weltlanfes sind, endlich sein Spazieren als Wirkung zur Folge hatten. Aber der Satz, daß „Sokrates spaziert", ist deshalb wahr, weil



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gewisse logische Prämissen, R a t i o n e n diesen Satz logisch begründen, d. h. als wahr ergeben. Unter diesen Rationen sind auch die logischen Grundsätze, die aus formaler Hinsicht jeden wahren Satz als wahr ergeben. Also der Satz: „Sokrates spaziert" ist wahr, weil er z. B. sich selbst nicht widerspricht. Seine Wahrheit ist aber nicht nur die Folge seines formalen Charakters, d. h. seiner L o g i z i t ä t , sondern dieser Satz ist auch deshalb wahr, w e i l e r a u s d e n W a h r h e i t e n f o l g t , die sich auf die dem Spazieren vorangehenden Erlebnisse Sokrates beziehen. Aus diesem Gesichtspunkte ist der Satz „Sokrates spaziert" d e s h a l b w a h r , weil er die logische Konklusion jener Sätze ist, die sich auf den dem Spazieren vorangehenden Zustand beziehen. Solch ein Satz ist z. daß „Sokrates von der Arbeit erschöpft ist und im Spazieren Erholung sucht", oder „Sokrates muß auf ärztliche Verordnung spazieren, und diese Verordnung ist ihm eingefallen" usw. Es liegt also auf der Hand, daß — mag dies noch so paradox lauten — der Satz „Sokrates spaziert" nicht deshalb wahr ist, w e i l Sokrates wirklich spaziert, sondern, weil dieser Satz eine Konklusion jenes großen Syllogismus ist, den die auf das Leben des Sokrates bezüglichen Wahrheiten bilden. Das Verhältnis der Wahrheit und der Existenz besteht aus diesem Gesichtspunkte seinem Wesen nach im P a r a l l e l i s m u s : jedem Moment und jedem Geschehen der existierenden Welt e n t s p r i c h t eine Wahrheit. Dem Zusammenhang der U r s a c h e n , die die Wechsel der existierenden Welt bestimmen, entspricht der Zusammenhang nach den R a t i o n e n (logischen Gründen) in der parallelen Welt der Wahrheiten. Der Zusammenhang der Ursachen ist z e i t l i c h e n C h a r a k t e r s , d. h. die Ursachen verwirklichen einen z e i t l i c h e n V e r l a u f . Der Zusammenhang nach der logischen Begründung ist aber offenbar n i c h t v o n z e i t l i c h e m C h a r a k t e r , er verläuft ja in einer zeitlosen Dauer: in der G ü l t i g k e i t . Die Gültigkeit des Identitätssatzes geht der Gültigkeit des Satzes 2 X 2 = 4 n i c h t z e i t l i c h voran, sondern ) Anal. Prior. I. 2. p. 24a. 17.



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bezeichnen. Eine solche ist z. B. „große Männer sind einander geistig ähnlich", d. h. zwischen den großen Männern b e s t e h t die Relation der geistigen Ähnlichkeit. 3. Das Prädikat der These kann aber auch ein solches Logisma sein, das weder eine Existenz, noch das Bestehen einer Relation bedeutet, sondern bloß eine G ü l t i g k e i t ausdrückt, d. h eine solche Art der Subsistenz bedeutet, die wir in ihrer Eigentümlichkeit schon charakterisiert haben (s. § 9). Solche sind z. B. die folgenden Thesen: „Die logischen Grundsätze haben eine absolute Gültigkeit." „Die Feststellungen des Thukydides über den peloponnesischen Krieg sind größtenteils richtig." Da ist der Gegenstand der Prädikate immer irgendeine Gültigkeit, und zwar ist diese Gültigkeit im ersten Beispiel unbeschränkt, im zweiten nur beschränkt. 81. Wollen wir nun den I n h a l t des als Prädikat fungierenden Logismas beachten, so erhalten wir folgende Thesearten, die zuerst von W u n d t berücksichtigt wurden 1 ). 1. Enthält das das P repräsentierende Logisma ein z e i t l i c h e s Moment, so haben wir es mit einer e r z ä h l e n d e n These zu tun, z B. „Brasidas ist mit seinem Heer zum Meer und zur Stadt Megara näher gezogen." In diesem Falle ist das Prädikat der These ein solches hyletisches Logisma, das das Geschehen irgendeiner Veränderung ausdrückt. 2. Es kommt aber auch vor, daß der Inhalt des Prädikats eine Q u a l i t ä t ist, durch die das Subjekt ergänzt wird. In diesem Falle entsteht die b e s c h r e i b e n d e These, die eben dadurch charakterisiert wird, daß sie als Prädikat irgendeine Q u a l i t ä t des Subjekts hervorhebt. Eine solche These ist z. B. die folgende: „Der Himmel ist blau." Diese enthält kein zeitliches Moment, solche Thesen behaupten etwas vom Subjekt in einer ewigen Gegenwart. 3. Drückt das Prädikat der These aus, zu welcher K l a s s e das Subjekt gehört, so entsteht die k l a s s i f i z i e r e n d e These, z. B. „Die Erde ist ein Himmelskörper", „Die Gleichheit ist eine Relation". 82. Den U m f a n g des Prädikats hat die aristotelische Logik nicht beachtet. Nach einigen Initiativen haben H a m i l t o n , T h o m p s o n und D e M o r g a n die Lehre der „Quantifikation des Prädikats" im XIX. Jahrhundert fast gleichzeitig i) Logik, 3. Aufl. 1906. I. S. 173.



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dargelegt 1 ); doch finden wir ihre Grundzüge auch bei I. B e n t h a m. Demnach ist nicht nur der Umfang des Subjekts, sondern auch der Umfang des Prädikats bei dem Urteil, bzw. bei der These in Betracht zu nehmen, und so entstehen die folgenden Figuren (das Zeichen II repräsentiert die negative Form): 1. x in toto = y ex parte 2. x in toto II y ex parte 3. x in toto = y in toto 4. x in toto II y in toto 5. x ex parte = y ex parte 6. x ex parte II y ex parte 7. x ex parte = y in toto 8. x ex parte II y in toto. Grammatisch pflegt man nicht den Umfang des Prädikats auszudrücken. Man sagt z. B. nicht: „Alle Menschen sind manche Sterbliche" (was der Figur x in toto = y ex parte entspricht), sondern einfach: „Alle Menschen sind sterblich." Aus dem Gesichtspunkt des U r t e i l s könnte man einwenden, daß wir bei dieser Einteilung der Urteile auch ein solches Moment — nämlich den Umfang — des Prädikats berücksichtigen, worauf wir nicht denken, wenn wir das Urteil fällen. Haben wir aber eine These vor Augen, so gehört alles zu ihrer logischen Struktur, was ihre Bestandteile l o g i s c h enthalten, unabhängig davon, ob wir es denken oder nicht, weil in der These die von ihr bedeutete W a h r h e i t und nicht ihr g e d a c h t e r I n h a l t berücksichtigt wird. In der reinen Logik ist also die Lehre der „Qualifikation des Subjekts" jedenfalls begründet. Ein jedes Logisma kann aber dreierlei Umfang haben, indem das Logisma universal, plural und Singular sein kann. So können die Thesearten nach dem Umfang des Prädikats folgendermaßen eingeteilt werden: 1. Es gibt solche Thesen, bei denen das P und das S den g l e i c h e n Umfang haben. Diese bezeichnen wir als Ä q u a t i o n s t h e s e n . Unter diesen können wir naturgemäß dreierlei Arten unterscheiden, und zwar: a) U n i v e r s a l - u n i v e r s a l e Thesen sind diejenigen, in denen sowohl das P als auch das S universale Logismen sind, bzw. die Umfange des S und des P verwechselt werden können. Z. B.: „Alle Planeten sind (alle) um eine Sonne ro') Vgl. L. Liard: Les logiciens anglais contemporains. 3. ed. Paris, 1890. S. 38. v. P a u l e r , Logik

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— 98 — tierende Körper." Es ist nämlich nicht nur dasjenige wahr, daß „alle Planeten um eine Sonne rotierende Körper sind," sondern auch, daß „alle um eine Sonne rotierende Körper Planeten sind." b) P l u r a l - p l u r a l e Thesen sind diejenigen, in denen das P und das S gleichfalls p l u r a l e Logismen sind. Z. B . : „Manche Menschen sind (manche) Kranke." Es ist nämlich klar, daß das „manche Menschen sind krank" ebenso wahr ist, als daß „manche Kranken Menschen sind". Es gibt nämlich auch solche kranke Wesen (Tiere und Pflanzen), die keine Menschen sind. c) S i n g u l ä r - s i n g u l ä r e Thesen sind diejenigen, bei denen das S und das P gleichfalls singulare Logismen sind. Z. B . : „Goethe ist der größte deutsche Dichter." In dieser These bezieht sich sowohl das S als auch das P auf einen e i n z e l n e n Gegenstand, darum ist mit dieser These auch die folgende gleichwertig: „Der größte deutsche Dichter ist Goethe." 2. I n ä q u a t i o n s t h e s e n sind diejenigen, in denen das P und das S nicht den gleichen Umfang haben, z. B . : „Sokrates ist sterblich." 83. Nach dem Modus der Ergänzung unterscheiden wir: 1. I n h ä r e n z t h e s e n , bei denen das P ein B e s t a n d t e i l des S ist. Z. B . : „Ein wesentliches Organ des Staates ist die Exekutivgewalt." Diese These wird dadurch charakterisiert, daß ihr Prädikat ein solches Logisma ist, das zum Subjekt als ein Teilmoment desselben g e h ö r t . Ein solches Verhältnis besteht z. B. zwischen der Substanz und ihren Eigenschaften. 2. E s ist aber auch möglich, daß das S und das P nicht im Verhältnis des Ganzen und seiner Bestandteile stehen, aber doch irgendeine beständige E i n h e i t auf Grund der zwischen ihnen bestehenden R e l a t i o n bilden. Dies geschieht, wenn z. B. die These behauptet, daß das S das P h a t (z. B. in juristischem Sinne besitzt). Z. B . : „X besitzt dieses Haus." Solche Thesen bezeichnen wir als k o p u l a t i v e Thesen. Ähnlicherweise bedeuten auch solche Thesen ein Verhältnis zweier selbständiger Dinge: „A ist größer als B " , oder „Wien liegt westlich von Budapest". Solche Thesen sind von den Inhärenzthesen genau zu unterscheiden 1 ). Ihre Eigentümlichkeit gegenüber den Inhärenzthesen ist, daß das Prädikat nicht irgendein konstitutives Moment des Subjekts, sondern das Verhältnis zweier oder ») Dies hat meines Wissens zuerst L a c h e 1 i e r erwähnt: Éludes sur le syllogisme. Paris, 1907. S. 44.



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mehrerer selbständiger Dinge ausdrückt. Darum bezeichnen wir solche Thesen als V e r b i n d u n g s-(k o p u 1 a t i v e)T h e s e n. 3. Die These kann endlich den Tatbestand ausdrücken, daß mit der Veränderung des S auch das P sich verändert. In diesem Falle drückt die These das Verhältnis einer F u n k t i o n zwischen S und P aus, darum bezeichnen wir sie als f u n k t i o n a l e These. Solche sind natürlich sämtliche mathematische Thesen, die ein funktionales Verhältnis behaupten. Eine solche These ist auch die folgende: „Mit der Zusammensetzung des Meerwassers verändert sich auch seine Dichte." 84. Die B e d i n g u n g e n der Gültigkeit der These können in verschiedener Weise zum Ausdruck kommen. 1. Der einfachste Fall ist, daß die Bedingungen der Gültigkeit in der These überhaupt n i c h t angedeutet werden. So entsteht die unbedingte oder k a t e g o r i s c h e These. Solche sind z. B.: „Es ist besser Überflüssiges zu wissen, als nichts." „Mit all dem, was heilsam ist, müssen wir uns oft beschäftigen, damit es uns nicht nur bekannt sei, sondern sich auch bereit halte." „Die Ströme des Mittelländischen Meeres sind im allgemeinen schwach und selten." 2. Werden auch die B e d i n g u n g e n der Gültigkeit der These angegeben, ohne aber erwähnt zu werden, daß es m e h r e r e Möglichkeiten geben kann, so entsteht die bedingte, h y p o t h e t i s c h e These. Die obenerwähnten Beispiele können in solcher Weise ergänzt werden: „Wenn wir fortkommen wollen, so ist es besser Überflüssiges zu wissen, als nichts." „Wenn wir uns vervollkommnen wollen, so müssen wir uns mit all dem, was heilsam ist, oft beschäftigen usw." „W e n n unsere Beobachtungen richtig sind, können wir behaupten, daß die Ströme des Mittelländischen Meeres schwach und selten sind." 3. Die hypothetische These gibt zwar die Bedingung (eventuell Bedingungen) der Gültigkeit der These an, darüber behauptet sie aber nichts, daß diese Gültigkeit nur eine v o n m e h r e r e n M ö g l i c h k e i t e n ist. Dieser letztere Umstand wird durch die d i s j u n k t i v e These ausgedrückt. Z. B.: „Das Staatsoberhaupt hat entweder eine Vollmacht oder nur eine beschränkte Macht." „Das Logisma bezieht sich entweder auf einen seienden oder auf einen nichtseienden Gegenstand." Es liegt auf der Hand, daß die disjunktive These nur zur V o r b e r e i t u n g einer solchen These dient, die schon entschieden für die eine Möglichkeit Stellung nimmt. Darum kann zwar die disjunktive These auch selbständig bestehen, trotzdem entr



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hält sie eine gewisse logische Verstümmelung. Die disjunktive These wird nach der Richtung der Bedingungen der Disjunktion ergänzt, wenn die disjunktive These mit einer hypothetischen These verknüpft wird. So entsteht die h y p o t h e t i s c h d i s j u n k t i v e These. Eine solche ist die folgende: „ W e n n wir fortkommen wollen, so müssen wir entweder anerkennen, daß es besser ist, Überflüssiges als nichts zu wissen, oder wir können nicht fortkommen." 85. Die These kann aber nicht nur die B e d i n g u n g e n ihrer Gültigkeit angeben, sondern sie kann auch ausdrücken, welchen G r a d diese Gültigkeit hat. Aus diesem Gesichtspunkte können wir wieder dreierlei Thesen unterscheiden. 1. Den niedrigsten Grad der Gültigkeit stellt die p r o b l e m a t i s c h e These dar. Sie drückt eigentlich eine bloße M ö g l i c h k e i t aus. Z. B.: „Morgen wird es vielleicht regnen," — was damit gleichbedeutend ist, daß „Es ist möglich, daß es morgen regnen wird." 2. Ein höherer Grad der Gültigkeit wird in der a s s e r t o r i s c h e n These betont, die das Verhältnis des S und des P einfach b e h a u p t e t . Z. B.: „Im Sommer ist der Tag länger als im Winter." Diese Sätze drücken ein B e s t e h e n aus, was natürlich nicht nur eine Existenz bedeuten kann, sondern auch eine andere Art der Subsistenz 1 ), z. B.: „Ein tugendhaftes Leben ist mehr wert, als ein sündhaftes Leben." 3. Die Gültigkeit der These drückt am entschiedensten und vollkommensten die a p o d i k t i s c h e These aus, die das Verhältnis des S und des P als ein n o t w e n d i g e s ausdrückt. Z. B.: „Durch die Umformung der landwirtschaftlichen Verhältnisse werden gewisse Tierarten notwendigerweise verdrängt." Bevor wir aber unsere Untersuchungen weiterführen, müssen wir noch einen Einwand besprechen, der hier auftauchen kann. Es scheint nämlich, daß wir — obgleich wir selbst den wesentlichen Unterschied zwischen der T h e s e und dem U r t e i l wiederholt betont haben — in unserer letzten Feststellung diesen Unterschied doch unbeachtet ließen. Es kann ja in der reinen Logik vom „Grad der Gültigkeit" nicht gesprochen werden. Betrachten wir nämlich eine These bloß aus dem Gesichtspunkt ihres l o g i s c h e n W e r t e s , so ist sie entweder wahr oder nicht wahr, es gibt keine dritte Möglichkeit. *) Vgl. „Grundlagen der Philosophie". § 203.



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Wir können nur aus dem Gesichtspunkt der Psychologie, also der Denklehre von dem verschiedenen Grade der Wahrheit irgendeiner These sprechen, w o eigentlich nicht vom Grade der Gültigkeit, sondern vom Grade des Fürwahrhaltens also der Gültigkeit eines U r t e i l s die Rede ist. Dieser Einwand besteht aber vor der eingehenden Kritik nicht. Wir können zwar ohne Zweifel „den Grad der Gültigkeit" a u c h als den Grad der s u b j e k t i v e n G e w i ß h e i t verstehen, er hat aber auch einen anderen Sinn. Wir haben ja bemerkt, daß die „problematische" These eine objektive M ö g l i c h k e i t bedeutet, die assertorische ein B e s t e h e n und die apodiktische These eine N o t w e n d i g k e i t ausdrückt. Diese Arten der Thesen sind also nicht nur aus dem Gesichtspunkt der subjektiven Gewißheit berechtigt, sondern sie drücken auch unabhängig von dem menschlichen Denken einen gewissen l o g i s c h e n I n h a l t aus. Es ist zwar richtig, daß die hier benützte Terminologie, besonders die Benennungen „problematisch" und „assertorisch" stark an die Denklehre erinnern, wir haben sie aber trotzdem behalten, weil dadurch die Thesearten der älteren Logik in unsere meistens ganz neue und ungewohnte Einteilung besser eingereiht werden können. 86. Wenn wir nun die D e p e n d e n z in Betracht ziehen, die zwischen dem S und dem P besteht, so erkennen wir wieder die folgenden drei Arten der Thesen: 1. A n a l y t i s c h e T h e s e n . Diese sind dadurch charakterisiert, daß ihr Prädikat ein B e s t a n d t e i l des Subjekts ist. Z B.: „Der Raum hat Dimensionen." „Der Krieg besteht aus Kämpfen." Hier ist das P (das Vorhandensein der „Dimensionen", bzw. der „Kämpfe") schon im Logisma des „Raumes", bzw. des „Krieges" e n t h a l t e n , und die These drückt eben dieses Enthaltensein aus. Dieser U m s t a n d kann in der D e n k l e h r e so ausgedrückt werden, daß wir zur Bildung eines analytischen U r t e i l s aus dem Subjekt desselben ein Moment herausheben und dieses als Prädikat dem Subjekt beischließen. Hier mußte ich also das Prädikat schon im Subjekt d e n k e n und so liegt es auf der Hand, daß das analytische Urteil nicht e r k e n n t n i s e r w e i t e r n d , sondern nur e r k e n n t n i s z e r g l i e d e r n d sein kann. 2. Bei der s y n t h e t i s c h e n These ist das P k e i n Bestandteil des S, sondern es steht mit ihm in einem gewissen äußeren V e r h ä l t n i s , und die These drückt eben dieses Verhältnis aus. Z. B. in der These: „Goethe war ein Zeitgenosse Napo-



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leons", kommt das P dadurch zum S, daß die genannten Männer zu gleicher Zeit gelebt haben, d. h. zwischen ihnen das äußere Verhältnis der Z e i t g e n o s s e n s c h a f t besteht. Hier kann also davon keine Rede sein, daß das P ein Bestandteil des S ist, weil es weder aus der eigentümlichen Natur Goethes, noch aus der Natur Napoleons folgt, daß sie eben zu gleicher Zeit gelebt haben. Dieser Umstand kann in der Denklehre dadurch charakterisiert werden, daß das synthetische U r t e i l , durch das wir die synthetische These denken, unsere Erkenntnis schon erweitert, d. h. dem Subjekt ein solches Prädikat beischließt, das wir im Subjekt noch nicht gedacht haben. Hier kommt also das Prädikat a u f e i n e m a n d e r e n W e g zum Subjekt, als im analytischen Urteil: nicht durch die Z e r g l i e d e r u n g des Subjektbegriffs, sondern durch die gedankliche V e r k n ü p f u n g des Subjekts und des Prädikats. Dies ist aber nur auf dem Grund durchführbar, daß wir das Verhältnis des Subjekts und des Prädikats irgendwie e r k e n n e n . Die nähere Charakterisierung dieses Erkennens gehört aber in die Erkenntniskritik. 3. Es ist aber auch möglich, daß das P vom S nicht als ein B e s t a n d t e i l desselben abhängt, auch nicht ein Glied des ä u ß e r e n V e r h ä l t n i s s e s zwischen dem Prädikat und dem Subjekt ist, sondern das Prädikat dem Subjekt als die V o r a u sS e t z u n g der Gültigkeit desselben zukommt. So entsteht die a u t o t h e t i s c h e These, in der das P die logische Präsupposition des S ist. Z. B.: „Ein denkendes Wesen muß existieren." Hier knüpft sich das Prädikat („existieren") auf dem Grunde zum Subjekt („ein denkendes Wesen"), daß die Existenz eine V o r a u s s e t z u n g des Denkens ist, d. h. denken nur dasselbe kann, was existiert. Ein anderes Beispiel: „Die Voraussetzung des Staatslebens ist ein gewisses Minimum der Sittlichkeit." Auch da ist das P ein solches Moment, das eine Voraussetzung des Bestandes des Subjekts ist. Dieses eigentümliche Verhältnis der „Vorausgesetztheit" wird vor allem dadurch charakterisiert, daß die Voraussetzung ein a l l g e m e i n e r e s Logisma ist, als dasjenige, das sie voraussetzt. Mit anderen Worten: die Voraussetzung als eine K l a s s e enthält als K l a s s e n g l i e d dasjenige, wovon sie vorausgesetzt wird. Also hat im vorigen Beispiele das Logisma „denkendes Wesen" einen engeren Umfang, als das „Existierende". Es gibt nämlich auch a n d e r e E x i s t i e r e n d e , als die denkenden Wesen, und die „Existierenden" bilden eine solche K l a s s e , die die denkenden Existierenden unter anderen als e i n Klassenglied



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enthält. Im zweiten Beispiel ist der Umfang der „Wesen, die ein Minimum der Sittlichkeit haben" größer, als der Umfang derjenigen Wesen, deren Zusammenwirken das Staatsleben ermöglicht. Es gibt nämlich Völker mit diesem Minimum, die k e i n e n Staat bilden. In der autothetischen These gründet sich also die Verknüpfung des P und des S darauf, daß das S als K1 a s s e n g 1 i e d die Ergänzung durch das P als Klasse erwünscht. Dies bedeutet in der Denklehre, daß die autothetische These unsere Erkenntnisse darum erweitert, weil wir durch sie zu einem Klassenglied die entsprechende Klasse finden. Diese finden wir aber nicht durch Analyse des Subjektbegriffs, sondern dadurch, daß wir erkennen, welche Klasse das Klassenglied zu seiner Ergänzung erwünscht. Es liegt auf der Hand, daß auch die autothetische These erkenntniserweiternd ist. Die so erhaltenen drei Arten der These, die analytische, synthetische und autothetische These entsprechen im großen und ganzen den drei logischen Grundsätzen: die analytische These erweist eine augenscheinliche Verbindung mit dem Grundsatz der Identität, die synthetische These mit dem Grundsatz des Zusammenhanges und die autothetische These mit dem Grundsatz der Klassifikation. Wir müssen noch bemerken, daß diese Darstellung der Verhältnisse des S und des P nur scheinbar der früheren Feststellung widerspricht, nach der das Verhältnis des S und des P als die Relation des „Teils" und des „Ganzen" charakterisiert wurde (s. § 74) Der „Teil" und das „Ganze" bedeuten nämlich nicht nur einen „Bestandteil" und ein „konkretes Ganzes", sondern es kann mehrerlei Arten des „Ganzen" geben. So bilden auch die im Verhältnis stehenden Dinge ein Ganzes, das die synthetische These ausdrückt. Diese Totalität bezeichnen wir als eine G e samtheit. Aber auch die „Klasse" und das „Klassenglied" stehen im Verhältnis des „Ganzen" und des „Teiles", und so wird es auch durch die autothetische These gerechtfertigt, daß das S im Verhältnis des S und des P seinem tiefsten Wesen nach einen T e i l repräsentiert, den das P als das entsprechende G a n z e aus irgendeinem Gesichtspunkt ergänzt. Dieses Ganze nennen wir System1)87. Bei der weiteren Einteilung der Thesen nach dem Verhältnis des S und des P müssen wir auch die S t r u k t u r der These berücksichtigen. Darunter verstehen wir den Umstand, in ') Vgl. oben § 40.



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w e l c h e r A n z a h l das S und das P in der These vorkommen. Es ist zweifellos, daß die These ihrem Wesen nach aus e i n e m Subjekt und aus e i n e m Prädikat besteht, weil wir durch sie e i n E t w a s mit einem Etwas ergänzen. Demnach unterscheiden wir: 1. E i n f a c h e T h e s e , die in ihrer klassischen Reinheit als Bestandteil nur e i n Subjekt und e i n Prädikat enthält. Z. B.: „Napoleon ist auf der Insel St. Helena gestorben." 2. Obwohl die These als solche aus e i n e m Subjekt und e i n e m Prädikat besteht, kann es auch solche Thesen geben, die die Vereinigung zweier oder mehrerer Thesen zeigen und darum zwei oder mehrere Subjekte, bzw. Prädikate enthalten. So ensteht die z u s a m m e n g e s e t z t e These. Hier müssen wir d r e i Fälle unterscheiden, und zwar: a) solche zusammengesetzten Thesen, in denen e i n S mit m e h r e r e n P verknüpft ist. Z. B.: „Die Verdünnung der Luft kann für den lebenden Organismus schwere Störungen herbeiführen, ja sogar Tod verursachen." b) Es gibt auch solche zusammengesetzten Thesen, in denen m e h r S durch e i n P ergänzt werden. Z. B.: „Ungarn und Italien gehören zu den konstitutionellen Königreichen." c) In der zusammengesetzten These können endlich mehrere S mit m e h r e r e n P verknüpft werden. Z. B.: „Die ungarische, türkische und finnische Sprache gehören zu der uralaltaischen Sprachfamilie, und darum sind sie für Personen indogermanischer Muttersprache schwer zu lernen." „Die Physik, die Chemie und die Biologie sind Naturwissenschaften und als solche beschäftigen sie sich mit räumlichen Dingen und gehören sie zu den Wirklichkeitswissenschaften." 88. Als O b j e k t i v der These (vgl. § 76) bezeichnen wir denjenigen eigentümlichen Inhalt, den weder das S noch das P einzeln ausdrücken, sondern das V e r h ä l t n i s des S und des P. M e i n o n g , der den Begriff des „Objektivs" begründet, erklärt es folgenderweise 1 ). In diesem Urteil: „es ist keine Ruhestörung geschehen" wird nicht nur auf den Gegenstand des Urteils, nämlich auf die T a t s a c h e der Ruhestörung hingewiesen, sondern es wird auch ausgedrückt, „d a ß keine Ruhestörung geschehen ist". Dies letztere Moment ist das O b j e k t i v des Urteils und ist vom Objekt des Urteils streng zu unterscheiden, das in unserem Beispiel die Ruhestörung als eine ob») Ober Annahmen. 2. Aufl. Leipzig, 1910. S. 43.



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jektive Tatsache ist. Diese Konzeption Meinongs können wir annehmen, weil auch in der These das Objekt (der Gegenstand des S und des P) von demjenigen eigentümlichen Inhalt unterschieden werden muß, d e n eben die These ausdrückt. Das so erhaltene „Objektiv" wird aber dadurch noch genauer bestimmt, daß wir es mit demjenigen V e r h ä l t n i s identifizieren, das zwischen dem S und dem P der These besteht. In der Tat: die These ist ein gewisses V e r h ä l t n i s der Logismen, was also ein P l u s in der These gegenüber den Logismen, bzw. dem Gegenstand derselben ist, und dieses Plus kann nichts anderes sein, als eben diejenige eigentümliche R e l a t i o n , die zwischen dem S und dem P besteht, d. h. das Objektiv. Diese Bestimmung des Objektivs ist aber noch sehr weit. Durch das Verhältnis des S und des P werden nämlich in der These mehrere solche Momente (den „Modus", die „Bedingtheit", der „Grad der Gültigkeit", die „Struktur) festgesetzt, die nach unseren bisherigen Untersuchungen nicht mit demjenigen eigentümlichen Inhalt identisch sind, den wir als „Objektiv" bezeichnen. Wir müssen also noch ein weiteres Merkmal angeben, das die Eigentümlichkeit des Objektivs gegenüber anderen Verhältnissen des S und des P der These ist. Dieses gesuchte Kriterium ist nichts anderes, als daß das Objektiv den vom Verhältnis des S und des P bestimmten eigentümlichen I n h a l t repräsentiert, während von den anderen Verhältnissen des S und des P dies nicht gesagt werden kann. Z. B. in der These: „Der Luftdruck verändert sich mit der Höhe", müssen wir aus dem Gesichtspunkt der bisher behandelten Verhältnisses des S und des P folgende Momente unterscheiden: Aus dem Gesichtspunkt des „Modus" ist diese These eine funktionale These (s. § 83), nach der „Bedingtheit" ist sie kategorisch (s. § 84), nach dem „Grad der Gültigkeit" assertorisch (s. § 85), nach der „Dependenz" synthetisch (s. § 86) und nach der „Struktur" ist sie eine einfache These (s. § 87). All diese Bestimmungen beziehen sich nur darauf, wie sich die Relation des S und des P gestaltet. Demgegenüber drückt das Objektiv unserer These: „d a ß der Luftdruck sich mit der Höhe verändert" nicht nur das Verhältnis des S und des P aus, sondern auch dasjenige, wie sich die Relation des S und des P zum V e r h ä l t n i s des Luftdrucks und der Veränderung desselben mit der Höhe i n d e r W i r k l i c h k e i t verhält. Das Objektiv gibt also offenbar das Verhältnis des eigentümlichen Inhalts der These zum Verhältnis derjenigen Gegenstände an, die durch das S und



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das P bezeichnet werden. So steht es ganz klar vor uns: w a s i m L o g i s m a d i e B e d e u t u n g i s t (s. § 68), d a s i s t d a s O b j e k t i v in der T h e s e , n ä m l i c h d a s V e r h ä l t n i s des I n h a l t s zum G e g e n s t a n d . Dieses Verhältnis kann natürlich so vielerlei sein, wie viele Bedeutungen es infolge des eigentümlichen Wesens der These geben kann. Das Verhältnis des eigentümlichen Inhalts der These zum Verhältnis der Glieder des S und des P zueinander kann d r e i e r l e i Fälle zeigen: 1. Im ersten Falle bezieht sich dieser Inhalt auf das Verhältnis der Gegenstände des S und des P nur darin, daß er den B e s t a n d dieses Verhältnisses konstatiert. In diesem Falle entsteht die k o n s t a t i e r e n d e These. Z. B.: „Zweifellos besteht eine Ähnlichkeit zwischen der Gestalt Afrikas und Südamerikas." „Die Logik ist eine umfangreichere Wissenschaft als die Mathematik." „Es besteht eine Differenz zwischen dem elektrischen Zustand der durch Reibung elektrisierten verschiedenen Isolatoren." Hier w e i s t die These auf eine gewisse Tatsache hin. 2. Es handelt sich um ein eigentümliches Objektiv bei solchen Thesen, bei denen der Inhalt der These sich auf ihren im obigen Sinne genommenen Gegenstand in solcher Weise bezieht, daß sie den Z u s t a n d , z. B. die Veränderung dieses Gegenstandes ausdrückt. Da entsteht die Z u s t a n d s t h e s e , z. B.: „Eine jede Zelle des lebenden Organismus ist eine Stelle beständiger Veränderungen." „In welchem Maße das Selbstvertrauen einer Nation nachläßt, nimmt auch ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber der Unterdrückung ab." Hier r e g i s t r i e r t die These den Zustand des Gegenstandes. 3. Die These kann von ihrem Gegenstand nicht nur den Bestand und dieV e r ä n d e r u n g ausdrücken, sondern sie kann sich auch auf seinen W e r t beziehen. So entsteht die W e r t t h e s e , deren charakteristisches Merkmal gegenüber der konstatierenden und der Zustandsthese es ist, daß sie den Gegenstand mit einem Wertgrundmaß vergleicht (Karl Böhm). Z. B.: „Die Produkte der klassischen Bildhauerkunst sind in ästhetischer Hinsicht mehr wert, als die Werke des Barockstils." „Die Pflichterfüllung ist edel." Das Objektiv der Wertthese ist also offenbar ganz anderer Natur, als die konstatierende und Zustandsthese: sie drückt nicht das aus, was i s t oder was g e s c h e h e n i s t , sondern wie ein Gegenstand sich zu einem idealen Inhalt v e r h ä 11 mit dem wir ihn vergleichen. Diesen idealen Inhalt nennen wir mit einem Worte I d e a l . In der Wertthese wird also eben das konstatiert,



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wie eine Gegebenheit dem Ideal nahe kommt. Die tiefgehenden Untersuchungen von Karl Böhm 1 ) haben die konstatierende These (die er mit einem nicht ganz passenden Ausdruck als ontologische These bezeichnet, obgleich der Gegenstand der konstatierenden These auch ein nichtexistierendes Ding sein kann) von der Wertthese scharf abgrenzt. Er hebt z. B. hervor, daß d a s bloße Konstatieren des Gefallens noch keinen Wert, sondern nur eine Tatsache ausdrückt, nämlich wie ich auf eine gewisse Gegebenheit reagiere. Das wirkliche Wertkonstatieren (Böhm macht zwischen dem Urteil und der These noch keinen Unterschied) behauptet etwas vom G e g e n s t a n d u n d n i c h t v o n d e m e r k e n n e n d e n S u b j e k t . Im Wertkonstatieren wird nämlich eben dasjenige behauptet, wie der G e g e n s t a n d sich zum Wertgrundmaß verhält. Darum verkennt der „werttheoretische Relativismus" gänzlich die Natur des Wertkonstatierens, indem er jeden Wert nach den wertenden Individuen für relativ hält. Wir können ja einen Wert nur auf dem Grunde für relativ halten, daß wir ihn im Verhältnis zu einem Selbstwert, d. h. absoluten Wert „ n u r " für einen relativen Wert halten. Wenn es kein Ding von absolutem Wert gibt, so können wir auch von keinem relativen Wert sprechen, da wir in diesem Falle kein festes Grundmaß haben, n a c h w e l c h e m wir etwas für relativen Wert halten. Der werttheoretische Relativismus widerspricht sich selbst, ebenso wie der logische Relativismus, weil es nach dem Satz der Korrelativität (s. § 39) auch hier unmöglich ist, das Relativum vom Absolutum zu trennen: das Relativum hat nur im Verhältnis zum Absolutum einen Sinn. In der Wertthese m i ß t also die These ihren Gegenstand. 89. Als wir oben (s. § 12) festgestellt haben, daß die Wahrheit notwendigerweise d r e i R i c h t u n g e n hat: Position, Negation und Limitation, dann haben wir implicite schon auch darauf hingewiesen, daß auch die T h e s e aus dem Gesichtspunkt ihrer Richtung dreierlei Arten hat: positive, negative und ¡imitative Thesen. Die „These" ist nämlich nichts anderes, als eine eigenartige Form der Wahrheit. 1. Die p o s i t i v e These ist diejenige, in welcher das S durch das P in solcher Weise ergänzt wird, daß sie angibt, was für ein Prädikat dem S aus einem gewissen Gesichtspunkt zukommt. Z. B.: „Nach dem Gesetz von Coulomb kann im Inneren des Leiters keine elektrische Ladung sein." Der Mensch und seine Welt. III. Teil. 1906. (Ungarisch.)



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2. Negativ ist die These, wenn das Prädikat nicht das V o r h a n d e n s e i n , sondern den M a n g e l an irgend etwas im Subjekt ausdrückt. Z. B.: „In Utopia fängt man den Krieg nicht blindlings an." „Wir dienen dem Vaterland nicht mit leeren Worten." Im ersteren Falle drückt die These eigentlich aus, daß den Bewohnern von Utopia die Neigung f e h l t , einen Krieg blindlings anzufangen. Im letzteren Beispiel sagt aber die These aus, daß der M a n g e l an leeren Worten eine Voraussetzung ist, dem Vaterland zu dienen. 3. Es kann aber auch solche Thesen geben, bei denen das S durch P zwar mittelbar ergänzt wird, aber nicht dadurch, daß der M a n g e l an irgend etwas im Subjekt hervorgehoben wird, sondern dadurch, daß sie das Subjekt von anderen Dingen abgrenzt. So entsteht die l i m i t a t i v e These. Z. B.: „Den Satz von Fermat zu beweisen ist keine leichte Aufgabe." „Die Kreide ist kein Metall." Oft kann die limitative These nur durch eine sehr genaue Analyse von der negativen These unterschieden werden. So sind viele Denker geneigt, beide Thesen einfach negative Thesen zu nennen. Es liegt aber auf der Hand, daß unser erstes Beispiel nicht einen M a n g e l des Subjekts (das „Beweisen des Satzes von Fermat") ausdrückt, wie z. B. die These: „Das Meer ist nicht rot," sondern sie behauptet, daß das Beweisen des Satzes von Fermat e t w a s a n d e r e s ist, als eine leichte Aufgabe. Ähnlicherweise behauptet die These in unserem zweiten Beispiel nicht, daß im Subjekt („Kreide") etwas f e h l t , sondern sie drückt aus, daß die „Kreide" e t w a s a n d e r e s ist als ein Metall. Die Verwirrung auf diesem Gebiet wurde größtenteils durch K a n t selbst, den Begründer des Begriffs vom limitativen (unendlichen) Urteil herbeigeführt, indem er behauptete, daß die limitative These nur in der transzendentalen und nicht in der allgemeinen Logik vorkommt. Durch seine diesbezüglichen unklaren Auseinandersetzungen 1 ) hat er verhindert, daß die Limitation sich von der Negation überall streng absondere, w o es sich um eine These handelt. 90. Die verschiedenen Thesenarten können selbst nach der traditionellen Logik k o m b i n i e r t werden. Unter den so entstandenen logischen Gebilden hat aber die traditionelle Logik, wahrscheinlich mit Rücksicht auf die Syllogistik, nur die folgenden vier Thesen einer eingehenderen Prüfung unterworfen: ') Kritik der reinen Vernunft. (Werke, hrsg. v. Hartenstein, Bd. 11. S. 105.)



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die allgemeine affirmative These (A), die allgemeine negative These (E), die partikuläre affirmative These (I) und die partikuläre negative These (O). Wir können natürlich mit diesen nicht zufrieden sein. Es ist nämlich eine unabweisliche Folge unserer Untersuchungen über die Einteilung der Thesen, daß wir nicht nur die oben erwähnten vier Kombinationen, sondern e i n j e d e s m ö g l i c h e V e r h ä l t n i s berücksichtigen, das aus den von uns unterschiedenen Thesearten entsteht. Eine vollständige Aufzählung dieser möglichen Kombinationen wäre aber überflüssig; auf Grund der bisherigen Erörterungen kann die Tabelle der möglichen Thesenkombinationen schon leicht zusammengestellt werden. Statt dessen möchten wir hier einige einschlägige Thesenarten auf einigen Beispielen veranschaulichen. Diese These: „Die Luft enthält immer Wasserdampf" kann nach den verschiedenen Gesichtspunkten der Theseneinteilung folgendermaßen diagnostisiert werden. Nach dem Gegenstand des S ist sie eine o n t o l o g i s c h e These, nach seinem Inhalt ist sie eine h y l e t i s c h e und nach seinem Umfang eine universale These (vgl. § 79). Aus dem Gesichtspunkt des Gegenstandes des P ist sie eine a k z i d e n t a l e , nach seinem Inhalt eine b e s c h r e i b e n d e und in Anbetracht seines Umfangs eine Ä q u a t i o n s t h e s e , weil die These eben ausdrückt, daß es überall auch Wasser gibt, w o es Luft gibt, d. h. daß S und daß P einen gleichen Umfang haben. Hinsichtlich ihres M o d u s haben wir mit einer I n h ä r e n z t h e s e z u tun, da der Wasserdampf (P) in ihr als ein Bestandteil der Luft (S) dargestellt wird. Aus dem Gesichtspunkt der B e d i n g t h e i t ist unsere These k a t e g o r i s c h , weil das P vom S ohne jede Bedingung behauptet wird. Nach dem G r a d e d e r G ü l t i g k e i t handelt es sich um eine a s s e r t o r i s c h e These, weil das P vom S ohne Begründung behauptet wird. Nach der D e p e n d e n z ist unsere These s y n t h e t i s c h , weil es aus dem Wesen der Luft noch nicht folgt, daß sie immer Wasserdampf enthält. Bezüglich der S t r u k t u r ist unsere These eine e i n f a c h e , weil sie nur e i n S und e i n P enthält. Bezüglich ihres O b j e k t i v s ist sie bloß k o n s t a t i e r e n d e These, weil sie nur eine Tatsache konstatiert. Endlich ist sie ihrer Richtung nach eine p o s i t i v e These, weil sie das Subjekt mit dem Prädikat unmittelbar ergänzt. Die Diagnose der These ist aber nicht immer so einfach. Das qualifizieren der folgenden These erwünscht schon eine größere Umsicht. „Jakob der Erste, der Sohn der Maria Stuart,



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hat sich in Schottland zum Kalvinismus bekannt, später hat er sich aber der anglikanischen Kirche angeschlossen." Es ist hier ratsam, vor allem die S t r u k t u r festzustellen. Aus diesem Gesichtspunkt ist diese These oBenbar z u s a m m e n g e s e t z t , und zwar eine solche, die e i n Subjekt („Jakob der Erste, der Sohn der Maria Stuart") und mehrere Prädikate („hat sich in Schottland zum Kalvinismus bekannt" und „später hat er sich der anglikanischen Kirche angeschlossen") enthält. Auf diesem Grunde ist die Diagnose unserer These die folgende: Sie ist nach dem Gegenstand des Subjekts eine o n t o l o g i s c h e , nach seinem Inhalt eine h y l e t i s c h e , nach seinem Umfang eine s i n g u 1 ä r e These. Nach dem Gegenstand des Prädikats ist sie eine a k z i d e n t a l e , nach seinem Inhalt eine e r z ä h l e n d e , nach dem Umfang eine I n ä q u a t i o n s t h e s e (weil der Umfang des Subjekts enger ist, als der Umfang der zwei Prädikate), und zwar s u b s u m i e r e n d e r Art. Nach dem M o d u s ist unsere These eine k o p u l a t i v e (weil der Mensch eine Religion „hat"), nach der B e d i n g t h e i t eine k a t e g o r i s c h e , nach dem G r a d e d e r G ü l t i g k e i t eine a s s e r t o r i s c h e , nach der Dependenz eine synthetische, nach ihrem O b j e k t i v eine Z u s t a n d s t h e s e (weil sie eine Variation des Zustandes feststellt), und ihrer R i c h t u n g nach ist sie eine p o s i t i v e T h e s e . 91. Nachdem wir die Theorie der Thesenarten dargestellt haben, müssen wir jetzt den z w e i t e n Problemkreis der Theorie der Thesen untersuchen. Als wir die Theorie des Logismas untersuchten, haben wir nach der Einteilung der Logismen die Logismenverhältnisse festgestellt. In der rein logischen Untersuchung der These, haben wir eine ähnliche Problematik vor Augen: wir haben die T h e o r i e d e r T h e s e n v e r h ä 11n i s s e darzustellen. Unsere Aufgabe ist um so schwieriger, weil die traditionelle Logik uns auch hier im Stiche läßt. So wie wir in der Lehre der „Begriffsverhältnisse" nur das Rohmaterial übernehmen konnten, das wir dann selbst aus den letzten prinzipiellen Gründen ordnen und ableiten mußten, sind wir auch jetzt in ähnlicher Lage. Die bisherigen logischen Lehren begnügen sich damit, daß sie nach der mangelhaften Feststellung der Thesenarten gewisse Umformungen der Thesen (bzw. der Urteile) behandeln (die sogenannte „Lehre der Konversionen"), dann untersuchen sie, unter dem Titel der „unmittelbaren Schlußfolgerungen", welche Arten der Thesen miteinander kompatibel sind, endlich erklären sie, daß aus den Thesen, bzw. Urteilen



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Schlußfolgerungen entstehen können, dann gehen sie zu der Untersuchung der letzteren über. Wir haben glücklicherweise einen Ariadne-Faden zur Hand, der sich als sicherer Führer auch in der Wildnis der Thesenverhältnisse verspricht, wie er auch die Lehre der Logismenverhältnisse auf einmal vereinfacht und ihre prinzipielle Ableitung erleichtert hat. Einen solchen Führer bilden die d r e i l o g i s c h e n G r u n d s ä t z e , von welchen wir a priori wissen, daß sie den letzten Grund j e d e r m ö g l i c h e n l o g i s c h e n S t r u k t u r enthalten. Wenn wir mit ihrer Führung dem Problem der Thesenarten nahe zu kommen versuchen, erfahren wir auch hier mit einer Überraschung, daß das Durcheinander der diesbezüglichen Lehren durch eine Ordnung und Übersichtlichkeit ersetzt wird, ja wir entdecken sogar auch solche Thesenverhältnisse, die ohne diesen sicheren Führer nie erkannt wurden. Es liegt auf der Hand, daß den drei logischen Grundsätzen d r e i e r l e i T h e s e n v e r h ä l t n i s s e entsprechen müssen. Das dem Grundsatz der Identität entsprechende Thesenverhältnis kann nur darin bestehen, daß die These m i t s i c h s e l b s t in einer gewissen Relation steht. Dieses Verhältnis können wir dann konstatieren, wenn wir unseren früheren Feststellungen folgend (s. § 13) in Betracht ziehen, daß jede These (wie jede Wahrheit) zugleich positiv, negativ und limitativ ist. Die positiven, negativen und limitativen Thesen, die dieselbe Bedeutung (Objektiv) haben, bilden ein solches T h e s e n s y s t e m , das wir als das System der k o m p l e m e n t ä r e n T h e s e n bezeichnen können. Die z w e i t e Gruppe der Thesenverhältnisse können wir auf Grund des P r i n z i p s d e s Z u s a m m e n h a n g e s entdecken. Diese umfaßt dieselben Verhältnisse, die sich darauf beziehen, wie die Thesen sich aus dem Gesichtspunkt der Gültigkeit m i t e i n a n d e r v e r t r a g e n . Durch die Nachforschung dieser Verhältnisse werden wir das System d e r k o m p a t i b e l n und i n k o m p a t i b e l n Thesen entdecken. Die Anfänge dieser Forschungen können (wie wir erwähnt haben) schon in der klassischen Logik gefunden werden. Es muß endlich auch solche Thesenverhältnisse geben, die sich auf den G r u n d s a t z d e r K l a s s i f i k a t i o n gründen. Solche Relationen bestehen offenbar zwischen denjenigen Thesen, von denen die eine einen g r ö ß e r e n U m f a n g hat, als die andere und so die eine These als K l a s s e die andere These,



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bzw. mehrere andere Thesen als K l a s s e n g l i e d e r enthält. Dieses Thesenverhältnis ist nichts anderes, als der S y l l o g i s m u s und die ganze Syllogistik wird — wie wir sehen werden — ganz überraschend vereinfacht, wenn wir den Syllogismus als K l a s s i f i z i e r u n g d e r T h e s e n betrachten und die Grundfiguren des Syllogismus als die möglichen Fälle dieser Klassifizierung auffassen. Zusammenfassend können wir also folgende Thesenverhältnisse feststellen: Thesen

Verhältnisse

(Mögliche Thesensysteme) Principlum identitatls: Komplementäre Thesen

Principlum cohaerentlae: Kompatible und Inkompatible Thesen

Principlum classlficatlonls: Klassifizierte Thesen (Syllogismus)

92. Das Wesen der „komplementären Thesen" können wir am besten an einigen Beispielen erkennen. „Der Himmel ist blau." Die n e g a t i v e komplementäre These dieser p o s i t i v e n These ist die folgende: „Der Himmel ist nicht schwarz." Die I i m i t a t i v e komplementäre These ist aber: „Der Himmel gehört nicht zu den schwarzen Gegenständen." Die Aufzählung der komplementären Thesen ist aber nicht leicht. Diese positive These: „Die Blätter der Rotbuche sind dunkelrot" erwünscht als negative Ergänzung sehr viele Thesen, deren jede die Ermangelung je einer Farbe in den Blättern der Rotbuche ausdrückt Solche sind z. B.: „Die Blätter der Rotbuche sind nicht grün." „Die Blätter der Rotbuche sind nicht blau." „Die Blätter der Rotbuche sind nicht gelb" usw. Ähnlicherweise steht es mit den 1 i m i t a t i v e n komplementären Thesen unserer These. Ist nämlich die These gültig, daß „die Blätter der Rotbuche dunkelrot sind," so ist es ebenso gültig, daß „die Rotbuche kein Baum von grünen, blauen, gelben usw. Blättern ist" usw. Aus unserem reinlogischen Gesichtspunkt ist es natürlich gleichgültig, daß s ä m t l i c h e Negativa und Limitativa einer positiven These für uns u n d u r c h d e n k b a r sind, denn s ä m t l i c h e Negativa und Limitativa der betreffenden These sind, ja ganz unabhängig davon gültig. K o m p l e m e n t ä r e T h e s e n s i n d a l s o d i e j e n i g e n , die d a s s e l b e von demselben Subjekt u n m i t t e l b a r (positiv), d u r c h das H e r v o r h e b e n i r g e n d e i n e s M a n g e l s am Subjekt



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(negativ) und durch die L i m i t a t i o n des Subj e k t s (1 i m i t a t i v ) a u s d r ü c k e n . Die so verbundenen positiven, negativen und limitativen Thesen gehören streng zusammen, diese Thesen bilden also ein eigentümliches S y s t e m . Das Bestehen der komplementären Thesen geht aus der Natur der Wahrheit (vgl. § 13) hervor. 93. Die zweite Gruppe der Thesensysteme bilden die k o m p a t i b 1 e n und i n k o m p a t i b l e n Thesen. Das Problem dieser Thesen müssen wir jedenfalls auf einer weiteren Grundlage aufbauen, als wir es in der traditionellen Logik finden. Diese behandelt unter dem Titel „unmittelbare Schlußfolgerungen" das Problem, welche Thesenarten sich miteinander vertragen und welche unvereinbar sind. Sie untersucht aber infolge der Mangelhaftigkeit der Theseneinteilung nur diejenige Frage, wie die allgemeinen affirmativen (A), die allgemeinen negativen (E), die partikulären affirmativen (I) und die partikulären negativen (O) Thesen sich aus dem Gesichtspunkt der Kompatibilität, bzw. der Inkompatibilität zueinander verhalten. Die traditionelle Darstellung dieser Verhältnisse ergibt das folgende Schema: A c o n t r a r i e t a s v

C

c

O

0

oo

n

t t

.

c

o

n

i

r

a

d

a

d

i

i

M

C oo ~

c

r

3 M

0

E

3

c

M t

i

1 s u b c o n t r a r i e t a s

~ o o 0

Ebenfalls wird die Kompatibilität bzw. die Inkompatibilität der Thesen in der traditionellen Logik unter dem Titel „die Umkehrung der Thesen, bzw. der Urteile" behandelt. Hier wird festgestellt, welche Umformung der Umtausch des S und des P in der These, also die „conversio" erwünscht, daß die These gültig v. P a u l e r , Logik

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bleibe. Hier werden d r e i Fälle unterschieden. Die e i n f a c h e U m k e h r u n g (conversio simplex) liegt dann vor, wenn die Umkehrung der These nicht erwünscht, daß der Umfang des P modifiziert werde. Z. B. die These: „Jedes Dreieck ist eine dreiseitige Figur", bleibt auch dann wahr, wenn das S und das P ohne jede Veränderung des Umfangs des neuen Subjekts auf diese Weise vertauscht wird: „Jede dreiseitige Figur ist ein Dreieck." Aber diese These: „Jede Pflanze ist ein Lebewesen", kann schon nicht mehr so einfach umgekehrt werden. Es ist nämlich nicht wahr, daß „jedes Lebewesen eine Pflanze ist", weil es ja auch solche Lebewesen gibt, die keine Pflanzen sind. In diesem Falle bleibt die These nur dann wahr, wenn der Umfang des neuen Subjekts in solcher Weise verengt wird: „Manche Lebewesen sind Pflanzen." Dies ist der Fall der „conversio per accidens". Es wird endlich in der traditionellen Logik der Fall der „c o n t r a p o s i t i o " erwähnt. Diese besteht darin, daß die positive These bei dem Umtausch des S und des P negativ wird. Z. B : „Die chemische Formel des Wassers ist H 2 0 " — „Was nicht H , 0 ist, das ist nicht die chemische Formel des Wassers". Diese Lehren sind teils lückenhaft, teils sind sie nicht auf eine prinzipeile Grundlage zurückgeführt. Unsere Untersuchungen zeigten, daß es mehr Thesenarten gibt, als welche in ihrer Kombination die Figuren A, E, I, O ergeben. So wird durch die Thesenverhältnisse des oben angegebenen Schemas nicht vollständig dargestellt, welche Thesen kompatibel, bzw. inkompatibel sind. Die Lehre der Umkehrung der Thesen ergibt sich aber ganz willkürlich, und wir sehen nicht ein, w a r u m eben die aufgezählten Figuren entstehen. Wir müssen also versuchen, auf diesem Gebiet eine Ordnung zu schaffen. Auch hier können nur die festgestellten drei logischen Grundsätze unser Führer sein, durch deren Hilfe uns schon gelungen ist, in die Theorie der logischen Formeln eine überraschende Systematik einzuführen. 94. Die These tritt in Verhältnis z u s i c h s e l b s t nicht nur dann, wenn sie sich logisch ergänzt (s. § 92), sondern auch dadurch, daß ihre Bestandteile, das S und das P umgetauscht werden, und sie in ihrem Verhältnis zueinander eine Modifikation erleiden. Dies kann folgenderweise geschehen: 1. dadurch, daß das S und das P vertauscht werden: dies ist d i e K o n v e r s i o n ;



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2. wenn das Verhältnis zwischen dem S und dem P modifiziert wird: dies führt die Veränderung der Thesenart herbei, die wir als T r a n s f o r m a t i o n bezeichnen werden; 3. indem sowohl die Konversion wie die Transformation sich realisiert. Dies können wir als die T r a n s m u t a t i o n der These bezeichnen. E i n Fall derselben ist die „Kontraposition". Diese Modifikation werden wir Transfigurationen nennen. Das Verhältnis der These zu sich selbst hat offenbar deshalb e b e n d i e s e d r e i Fälle, weil die These zwei Bestandteile (S und P) und einen Faktor: das Verhältnis des S und des P (s. §§ 75, 76) enthält. Wir müssen jetzt versuchen, die Gesetzmäßigkeiten der Konversion, der Transformation und der Transmutation mit Rücksicht auf jede Thesenart festzustellen. Wir bemerken aber, daß wir in der Aufzählung dieser Gesetzmäßigkeiten keinen Anspruch auf die Vollständigkeit erheben, sondern uns mit der Aufzählung der wichtigsten Fälle begnügen. 95. Die K o n v e r s i o n . Ihre wichtigsten Gesetze sind die folgenden: 1. B e i d e r U m k e h r u n g t r i t t d a s S u b j e k t a n die S t e l l e des P r ä d i k a t s , ü b e r n i m m t s e i n e „erg ä n z e n d e " F u n k t i o n u n d es v e r ä n d e r t sich d e m e n t s p r e c h e n d . Z. B. aus dieser ontologischen, hyletischen, singulären, akzidentalen, erzählenden, Inäquations-, subsumierenden, funktionalen, kategorischen, assertorischen, synthetischen, einfachen, konstatierenden und positiven These: „Der Vogel fliegt," entsteht durch die Konversion diese These: „Manches Fliegende ist Vogel." Während in der ersten These das S („der Vogel") das ergänzte ist, wird es in der zweiten das ergänzende, dagegen das P der ersteren These verwandelt sich ins S der letzteren. Die Funktion des Logismas „Vogel" ist also in der umgekehrten These eine wesentlich andere, als in der ursprünglichen These. Viel verwickelter ist schon die folgende These: „Der Eisenkern im Induktor besteht aus dünnen Stäbchen", deren Konversion ist: „Manches aus dünnen Stäbchen bestehendes (Ding) ist der Eisenkern des Induktors." Das Subjekt („der Eisenkern im Induktor") verwandelt sich („der Eisenkern des Induktors") hier, als es Prädikat wird, es repräsentiert also offenbar eine solche Beziehung, die sich auch im grammatischen Ausdruck merken läßt. Diese Veränderung wird dadurch verursacht, daß das Ergänzte auch ohne das Ergänzende besteht, der Sinn des 8*



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Ergänzenden aber nur in bezug auf das Ergänzte subsistieren kann. 2. I n d e r K o n v e r s i o n d e r T h e s e ü b e r n i m m t das P r ä d i k a t die F u n k t i o n des Subjekts und v e r ä n d e r t s i c h d e m e n t s p r e c h e n d . Wird nämlich das Ergänzende zum Ergänzten, so bedeutet das eine logisch wesentliche Veränderung Z B. die Konversion der These: „Die Barometerstellung in Budapest schwankt um 75,0 cm", ist die folgende: „Die Schwankung um 75,0 cm bezieht sich auf die Barometerstellung in Budapest." Das „schwankt" in der ersten These, das ein G e s c h e h e n bedeutet, wird in der zweiten These „ S c h w a n k u n g " das einen Z u s t a n d ausdrückt. Hier geschieht dasjenige, das W u n d t als „kategoriale Verschiebung" bezeichnet1). Wir können dies in unserer Terminologie die „Veränderung der Logismenart" nennen. Bei der Konversion der These ist aus dem Gesichtspunkt des Prädikats besonders der U m f a n g wichtig. Diesbezüglich können wir folgende Gesetze feststellen: 3. I n d e r T h e s e m i t e i n e m q u a n t i f i z i e r t e n P r ä d i k a t ist jede U m k e h r u n g eine c o n v e r s i o S i m p l e x . Kommt nämlich der Umfang des Logismas (vgl. § 82) schon im Prädikat zum Ausdruck, so wird die „conversio per accidens" überflüssig, die eben darin besteht, daß der Umfang des vorigen Prädikats der Umkehrung entsprechend modifiziert wird. Wird nämlich z. B. diese These: „Alle Pflanzen sind Lebewesen" so ausgedrückt: „Alle Pflanzen sind (einige) Lebewesen", so erwünscht ihre Konversion: „Einige Lebewesen sind (alle) Pflanzen", nicht die Veränderung des Umfangs des Prädikats, wie in dem Falle, wenn die These: „Alle Pflanzen sind Lebewesen", in solcher Weise umgekehrt wird: „Einige Lebewesen sind Pflanzen." 96. II. D i e T r a n s f o r m a t i o n . Wenn das Verhältnis des S und des P modifiziert wird, so geschieht dies nach den folgenden Gesetzen: 1. V e r w a n d e l t s i c h e i n e I n h ä r e n z t h e s e z u einer habitualen oder funktionalen These — oder u m g e k e h r t — so wird das P r ä d i k a t aus e i n e r E i g e n s c h a f t zu e i n e m s e l b s t ä n d i g e n Geg e n s t a n d in d e r h a b i t u a l e n u n d in d e r f u n k t i o n a l e n T h e s e ; u n d z w a r im e r s t e r e n F a l l e a u s o Logik, 1. B. 3. A. 1906. S. 117.



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d e r E i g e n s c h a f t zu e i n e m B e s i t z e , im l e t z t e r e n F a l l e a b e r zu e i n e m p a r a l l e l v e r ä n d e r l i c h e n D i n g e : z u e i n e r F u n k t i o n . Z. B. diese Inhärenzthese: „Der Mensch ist vernünftig" wird in habitualer Form: „Der Mensch hat die Vernunft", ihre funktionale Form ist aber: „Mit dem Menschen verändert sich seine Vernunft." 2. V e r w a n d e l t s i c h e i n e k a t e g o r i s c h e T h e s e zu e i n e r h y p o t h e t i s c h e n o d e r d i s j u n k t i v e n , so e r g ä n z t sie sich logisch mit ihrem l o g i s c h e n A n t e z e d e n z . D i e s g e s c h i e h t im e r s t e r e n F a l l e durch eine B e g r ü n d u n g ausdrückende These, im l e t z t e r e n F a l l e d u r c h e i n e M ö g l i c h k e i t b e d e u t e n d e T h e s e. Z. B. als diese kategorische These: „Die Geschwindigkeit ist eine vektoriale physikalische Größe", sich zu einer hypothetischen verwandelt, ergänzt sie sich folgenderweise mit der entsprechenden Begründung: „Ist die vektoriale physikalische Größe eine solche, die eine Quantität und eine Richtung hat, so ist die Geschwindigkeit eine vektoriale physikalische Größe. „Die disjunktive Form unserer These ist die folgende: „Weil die physikalischen Größen entweder vektorial oder skalar sind, können wir sagen, daß die Geschwindigkeit eine vektoriale physikalische Größe ist." 3. V e r w a n d e l t s i c h e i n e problematische T h e s e zu e i n e r a s s e r t o r i s c h e n o d e r a p o d i k t i schen T h e s e , so w i r d das V e r h ä l t n i s z w i s c h e n S u n d P s t u f e n w e i s e d e t e r m i n i e r t . Z. B. diese These: „Es ist möglich, daß das Wetter sich verändert" läßt m e h r a 1 s e i n e Möglichkeit zu, d. h. das Verhältnis zwischen S („Wetter") und P („verändert sich") ist nicht eindeutig, sondern mehrdeutig. Wird diese problematische These zu einer assertorischen: „Das Wetter verändert sich (in der Tat)", so ist das Verhältnis zwischen S und P schon eindeutig, der Grund desselben ist aber nicht angegeben. Dies geschieht, wenn unsere These zu einer apodiktischen wird („Das Wetter verändert sich n o t w e n d i g e r w e i s e"). Hier ist unter den Möglichkeiten des Verhältnisses zwischen S und P nur e i n e als mögliche dargestellt. Die Veränderung des Gültigkeitsgrades einer These besteht also in der sukzessiven Determination des Verhältnisses zwischen S und P. 4. E i n e a n a l y t i s c h e T h e s e k a n n s i c h n u r d a d u r c h zu e i n e r s y n t h e t i s c h e n v e r w a n d e l n , d a ß ihr P r ä d i k a t inhaltlich e r w e i t e r t w i r d ; autothetisch kann sie nur d a d u r c h w e r d e n , daß das



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P r ä d i k a t , d a s in d e r a n a l y t i s c h e n T h e s e d i e Funktion des Subjekts ist, dasjenige Moment w i r d , d e s s e n F u n k t i o n d a s S u b j e k t i s t . Eine analytische These ist z. B : „Die Insel ist von allen Seiten durch Wasser begrenzt", weil es aus dem W e s e n der Insel folgt, daß sie von allen Seiten durch Wasser begrenzt ist. Damit die These eine synthetische werde, muß das Prädikat offenbar durch ein solches Moment erweitert werden, das im Wesen der „Insel" noch nicht enthalten ist. Z. B.: „Die Insel ist durch Seewasser begrenzt." Diese These ist synthetisch, weil es noch nicht aus dem Wesen der Insel folgt, daß sie eben durch Seewasser begrenzt wird, denn es gibt Inseln, die von Süßwasser umgeben sind. Die These ist also offenbar durch die i n h a l t l i c h e Erweiterung des Prädikats synthetisch geworden. Unsere These lautet in ihrer autothetischen Form folgenderweise: „Die Vorbedingung der Insel ist die allseitige Begrenzung durch Wasser." Hier wurde augenscheinlich weder das Subjekt, noch das Prädikat inhaltlich erweitert. Bei dieser letzteren Transformation ist nur das Folgende geschehen: Während in der analytischen These das P vom S abhing, weil das erstere ein Bestandteil des letzteren war, wurde dieses Verhältnis in der autothetischen Form, eben das entgegengesetzte: das S wurde eine Funktion des P, weil das P (die Begrenzung durch Wasser) eine Vorbedingung des S („Insel") wurde, das also in eine Abhängigkeit von dem vorigen P trat. Deshalb können wir diese Art der Transformation als einen Fall der Konversion betrachten, weil das S und das P hier ihre logische Funktion aus einem gewissen Gesichtspunkt vertauscht haben. 5. E i n e e i n f a c h e T h e s e k a n n n u r d a n n e i n e z u s a m m e n g e s e t z t e werden, wenn das L o g i s m a d a s d a s S, b z w . d a s P r e p r ä s e n t i e r t , m i t e i n e m o d e r m e h r e r e n a n d e r e n L o g i s m e n in V e r h ä l t nis tritt. Zum Beispiel: die einfache These: „Die Sonne ist ein Fixstern", kann dadurch eine zusammengesetzte werden, daß entweder das Subjekt mit einem anderen Logisma in Verhältnis tritt („Die Sonne und der Sirius sind Fixsterne"), oder dasselbe mit dem Prädikat geschieht („Die Sonne ist ein Fixstern und hat eigenes Licht"), eventuell sowohl das Subjekt, als auch das Prädikat mit anderen Dingen in eine neue Relation tritt („Die Sonne und der Sirius sind Fixsterne und haben eigenes Licht").



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6. D i e k o n s t a t i e r e n d e T h e s e w i r d d a d u r c h eine V a r i a t i o n s t h e s e , bzw. eine W e r t t h e s e , daß das Prädikat sich inhaltlich erweitert, und z w a r in s o l c h e r R i c h t u n g , d a ß d a s V e r hältnis der entsprechenden Gegenstände durch das V e r h ä l t n i s des S und des P immer vollkommener a u s g e d r ü c k t wird. Wir haben gesehen, daß das Objektiv der These dreierlei sein kann (s. § 88). Am wenigsten vollkommen ist das bloße Konstatieren, z. B.: „Jedes Volk hat eine Sittlichkeit." Dies wird dadurch zu einer Variationsthese, daß das Prädikat der These a u ß e r der Feststellung des Bestandes einer Sittlichkeit auch ihre Veränderung enthält, wodurch die These denjenigen Gegenstandskreis vollkommen ausdrückt, auf den sie sich bezieht. Z. B.: „Die Sittlichkeit eines jeden Volkes verändert sich." Nur dasjenige kann sich verändern, was existiert, die Veränderung setzt also die Existenz voraus. Die Variationsthese enthält also logisch die konstatierende These und so hat sie ein inhaltlich reicheres Prädikat. Die entsprechende Wertthese: „Die Sittlichkeit eines jeden Volkes besitzt einen Wert", drückt ihren Gegenstand noch vollkommener aus, weil sie außer seiner Existenz und zufälligen Veränderung auch von seinem Wert etwas behauptet. 7. D i e p o s i t i v e T h e s e k a n n n u r d a n n z u e i n e r negativen werden, wenn das neue Prädikat e i n e d o p p e l t e N e g a t i o n a u s d r ü c k t , und zu einer limitativen, wenn das neue Prädikat e i n e d o p p e l t e L i m i t a t i o n b e d e u t e t . Z.B. diese positive These: „Der elektrische Strom hat eine Intensität", kann bei dem Aufrechterhalten ihrer Gültigkeit nur dadurch zu einer negativen werden, daß sie diese Form annimmt: „Der elektrische Strom hat nicht keine Intensität", und ihre limitative Form ist: „Der elektrischeStrom gehört nicht zu den Dingen, die keinelntensität haben." Das alte logische Axiom der „doppelten Negation" bedeutet also, daß die positive These nur durch eine doppelte Verneinung mit der entsprechenden negativen These gleichwertig werden kann. 97. III. D i e T r a n s m u t a t i o n . Die diesbezüglichen Modifikationen der These sind die Kombinationen der Konversion und der Transformation, d. h. in der transmutierten These vertauschen das S und das P die Stelle, außerdem wird auch das zwischen ihnen bestehende Verhältnis modifiziert. Hier heben wir aus den vielen möglichen Fällen nur zwei hervor, die auch in der



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traditionellen Logik behandelt werden. Diese sind die zwei Fälle der „Kontraposition". Das Wesen der Kontraposition haben wir schon oben (s. § 93) berührt. Die traditionelle Logik macht aber keinen Unterschied zwischen den z w e i F ä l l e n der Kontrades S und des P infolge der Umkehrung n e g a t i v wird, Position, deren eine dadurch zustande kommt, daß das Verhältnis während im anderen Falle dieses Verhältnis sich zu einem 1 i m i t a t i v e n verwandelt. 1. D i e n e g a t i v e K o n t r a p o s i t i o n . Nach dieser entsteht aus der These: „Der Mensch ist fehlbar", die folgende These: „Was nicht fehlbar ist, das hat nicht die wesentliche Eigenschaft des Menschen." 2. D i e l i m i t a t i v e K o n t r a p o s i t i o n . Durch diese verwandelt sich die vorige These in die Form: „Was nicht fehlbar ist, das ist kein Mensch." Endlich bemerken wir, daß die Kontraposition auch als das Ergebnis einer Schlußfolgerung aufgefaßt werden kann1), wie wir überhaupt jede Verwandlung der These auf solche Art erklären können. Die conversio Simplex kann z. B. auch folgenderweise ausgedrückt werden: „Das Dreieck ist eine durch drei Gerade begrenzte Ebene", a l s o „Jede durch drei Gerade begrenzte Ebene ist ein Dreieck." Oder die „conversio per accidens" kann auch so begründet werden: „Alle Tiere sind Lebewesen", a l s o „Einige Lebewesen sind Tiere." Es ist aber nicht schwer einzusehen, daß es sich bei der Umkehrung der These — wie wir gesehen haben — um etwas a n d e r e s handelt, als daß wir z w i s c h e n der These und ihrer konvertierten Form das Verhältnis des Grundes und der Folge hervorheben. Dies hat die Syllogistik zu behandeln. Wir wollten durch die Lehre der Umkehrung der Thesen nur dasjenige Verhältnis darstellen, in welchem die These m i t s i c h s e l b s t steht, indem sie sich aus der einen Art in die andere verwandelt, bzw. das S und das P die Stelle vertauschen. W a r u m die so entstehende neue These aus der alten hervorgeht, haben wir in der Theorie der Thesenverwandlung nicht zu behandeln, und wir hätten das hier auch nicht behandeln können, weil wir die Struktur des Syllogismus noch nicht kennen. 98. Wir erhalten eine a n d e r e Gruppe der Thesenverhältnisse dadurch, daß wir statt des Verhältnisses der These m i t ') Vgl. A. Höfler: Logik 2. A. 1922. S. 621 und Lachelier: Stüdes sur le syllogisme. Paris, 1907. S. 17.



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s i c h s e l b s t in den verschiedenen U m k e h r u n g e n diejenigen Verhältnisse untersuchen, die dadurch entstehen, daß die These mit einer a n d e r e n T h e s e in eine Relation tritt, ausgenommen die Subordination, die in der Syllogistik behandelt wird. Wir haben hier solche Gesetzmäßigkeiten zu untersuchen, die sich nicht auf die Umkehrung der These, sondern auf das Verhältnis zweier Thesen beziehen, unabhängig davon, ob sie auseinander durch irgendeine Transfiguration abgeleitet werden können, oder nicht. Wir haben schon erwähnt (s. § 93), daß die traditionelle Logik dieses Problem zu eng behandelte, als sie aus diesem Gesichtspunkt nur die Kompatibilität der allgemeinen affirmativen, der allgemeinen negativen, der partikulären affirmativen und der partikulären negativen Thesen untersuchte. Es gibt nämlich auch andere Thesenarten, die hinsichtlich der Kompatibilität einander gegenübergestellt werden können. Hier beanspruchen wir keine Vollständigkeit, als wir die Feststellungen der traditionellen Logik noch mit einigen neuen Gesetzen ergänzen. Die miteinander logisch vereinbarten Thesen sind diejenigen, deren Gültigkeit einander nicht ausschließt. Daraus folgt offenbar, daß nur solche Thesen in Betracht kommen, die sich teilweise oder gänzlich auf denselben Gegenstandskreis beziehen. Wir müssen d r e i S t u f e n der Kompatibilität unterscheiden; es gibt nämlich: 1. vollkommen, 2. teilweise, 3. überhaupt nicht kompatible Thesen. 99. 1. V o l l k o m m e n k o m p a t i b e l sind, d. h. keine Inkompatibilität enthalten: a)dieallgemeinenaffirmativenunddiepartikulärenundsingulärenaffirmativenThesen. Ist z. B. wahr, daß „jeder feste Körper einen eigenen Klang hat," so verträgt sich diese These logisch mit der anderen, daß „einige Metalle einen eigenen Klang haben", und auch mit dieser: „Dieses Stück Eisen hat einen eigenen Klang." b) E i n ä h n l i c h e s V e r h ä l t n i s b e s t e h t z w i schendenallgemeinen,negativenunddenpartikulärenund singulären negativen Thesen. Diese These: „Kein Staat kann ohne Gesetze bestehen", ist nämlich auch mit den folgenden zwei Sätzen kompatibel: „Einige Staaten können nicht ohne Gesetze bestehen" und „Der ungarische Staat



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kann nicht ohne Gesetze bestehen." Die bisher behandelten zwei Fälle der Kompatibilität werden in der traditionellen Logik als „subalternatio" bezeichnet. Man könnte vielleicht einwenden, daß die erwähnten Thesenarten nicht kompatibel sind. Ist nämlich wahr, daß „Kein Staat ohne Gesetze bestehen kann", so s c h l i e ß t dies die andere These a u s , daß „ e i n i g e Staaten ohne Gesetze nicht bestehen können." Dieser Einwand beruht aber auf dem vollkommenen Verkennen des Wesens der logischen Kompatibilität. Dies bedeutet nämlich n i c h t , daß zwei kompatibile Thesen nicht zwei v e r s c h i e d e n e D i n g e ausdrücken können, sondern nur soviel, daß die Gültigkeit der einen nicht die Gültigkeit der anderen vernichtet. Aus diesem Gesichtspunkt ist es also zweifellos, daß die These: „Kein Staat kann ohne Gesetze bestehen" nicht nur diese andere These nicht ausschließt, daß „einige Staaten ohne Gesetze nicht bestehen können", sondern sie die Gültigkeit der letzteren sogar erfordert. Diese zwei Thesen drücken nur etwas a n d e r e s aus, sie behaupten aber nicht entgegengesetzte Dinge; und nur eben dies erfordert die Kompatibilität. c) V o l l k o m m e n k o m p a t i b e l s i n d d i e j e n i g e n e r z ä h l e n d e n , b e s c h r e i b e n d e n und klassifiz i e r e n d e n T h e s e n , die s i c h auf denselben G e g e n s t a n d s k r e i s b e z i e h e n . Ist es nämlich wahr, daß „der Friede zu Karlowitz im Jahre 1699 geschlossen wurde", so schließt dies nicht aus, ja involviert sogar diese beschreibende These: „Es ist ein bezeichnendes Moment des Friedens zu Karlowitz, daß er im Jahre 1699 geschlossen wurde", und ebenso diese klassifizierende These: „Der Friede zu Karlowitz gehört zu den merkwürdigen Ereignissen, die im Jahre 1699 geschehen sind." d) V o l l k o m m e n k o m p a t i b e l s i n d d i e f u n k t i o n a l e n , k o p u l a t i v e n u n d I n h ä r e n z t h e s e n . Ist es wahr, daß „das Verdauungsorgan ein wesentlicher Bestandteil des Lebewesens ist", so schließt dies nicht aus, ja es involviert sogar diese andere These: „Mit der Veränderung des (Zustandes des) Lebewesens verändert sich auch sein Verdauungsorgan (bzw. der Zustand desselben)", und ebenso diese These: „Das Lebewesen hat sein Verdauungsorgan." e) L o g i s c h v e r t r a g e n s i c h u n b e d i n g t a u c h die k a t e g o r i s c h e n , h y p o t h e t i s c h e n und d i s j u n k t i v e n T h e s e n . Ist nämlich diese These wahr: „A ist B", so verträgt sich mit dieser auch die These: „Wenn Aist, so ist A B"



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und auch diese: „Weil A entweder B oder C ist, so ist A B." Zum Beispiel können die folgenden Thesen dienen: „Die Metalle sind gute Leiter." „Wenn es gute Leiter gibt, so sind die Metalle gute Leiter." „Weil es gute Leiter und nicht gute Leiter gibt, können wir sagen, daß die Metalle gute Leiter sind." f) M i t d e r a p o d i k t i s c h e n T h e s e v e r t r a g e n sich auch die a s s e r t o r i s c h e n und p r o b l e m a t i s c h e n T h e s e n , ja nach dieser Reihenfolge involviert sogar die apodiktische These die assertorische und die problematische. Dies drückt die Regel der alten Logik aus: „ab esse ad posse valet consequentia." Z. B. diese These: „Jede Bewegung des Körpers auf dem Abhang ist n o t w e n d i g e r w e i s e senkrecht auf die Reaktionskraft", verträgt sich mit der Wahrheit dieser These: „Jede Bewegung des Körpers auf dem Abhang ist i n d e r T a t senkrecht auf die Reaktionskraft", und ebenso mit der Gültigkeit der folgenden: „ E s i s t m ö g l i c h , daß jede Bewegung des Körpers auf dem Abhang auf die Reaktionskraft senkrecht ist." g) D i e n e g a t i v e T h e s e v e r t r ä g t s i c h v o l l k o m m e n m i t d e r l i m i t a t i v e n T h e s e . Die These, daß „die Kreide nicht schwarz ist", widerspricht gar nicht dieser These: „Die Kreide ist kein schwarzer Gegenstand", ja sie enthält sogar logisch die letztere. 100. 2. T e i l w e i s e k o m p a t i b e l sind überhaupt solche Thesen, die sich aus einem Gesichtspunkt vertragen, aus dem anderen aber nicht. Sie vertragen sich miteinander, indem sie — obgleich sie verschiedene Dinge behaupten — im Rahmen einer umfassenderen These miteinander vereinbar sind. Sie sind aber inkompatibel, d. h. sie schließen einander aus, wenn sie aus dem Gesichtspunkt betrachtet werden, daß die eine a n d e r e s behauptet, als die andere. Ihre wichtigsten Fälle sind die folgenden: a) D i e s o g e n a n n t e n s u b k o n t r ä r e n T h e s e n (vgl. § 93). Solche sind die partikulär affirmativen (pluralen) Thesen im Verhältnis zu den partikulär negativen (pluralen) Thesen, z. B.: „Einige Menschen sind weise", „Einige Menschen sind nicht weise." Diese Thesen schließen einander aus, wenn unter den „einigen Menschen" in beiden Thesen d i e s e l b e n Menschen verstanden werden. Sie schließen aber einander nicht aus, wenn andere Menschen in der ersten These und wieder andere Menschen in der zweiten These verstanden werden. Diese Thesen können nämlich gleich wahr sein: „Die Menschen A, B, C sind weise" und „Die Menschen D, E, F sind nicht weise." Die



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Inkompatibilität hört also auf, wenn beide Thesen unter diese These geordnet werden, die eine logische Voraussetzung beider vorigen Thesen ist: „Die Menschen können in zwei Gruppen geteilt werden: in die Gruppe der weisen und in die der nichtweisen." b) T e i l w e i s e k o m p a t i b e l s i n d d i e p l u r a l e n u n d d i e u n i v e r s a l e n T h e s e n im V e r h ä l t n i s zu d e n s i n g u l ä r e n T h e s e n . Diese Thesen: „Sokrates ist sterblich" und „Einige Menschen sind sterblich" sind inkompatibel, wenn sie so aufgefaßt werden, daß sie die Sterblichkeit a u s s c h l i e ß l i c h von dem Subjekt behaupten, d. h. wenn sie grammatisch so aufgefaßt werden: „ N u r Sokrates ist sterblich", „N u r einige Menschen sind sterblich." In der vorigen Form sind sie aber kompatibel, weil die Sterblichkeit Sokrates' dadurch nicht ausgeschlossen wird, daß auch einige andere Menschen sterblich sind, ja sogar alle Menschen sterblich sind, und umgekehrt. Wenn wir in der Reihe dieser drei Thesen an die erste Stelle statt der singulären die universale These setzen, haben wir einen Fall der vollen Kompatibilität vor uns (vgl. § 98). c) D i e R e i h e d e r p r o b l e m a t i s c h e n , a s s e r torischen und apodiktischen Thesen besteht a u s t e i l w e i s e k o m p a t i b e l n T h e s e n . Diese These: „Es ist möglich, daß der Magnet das Eisen anzieht", drückt a n d e r e s aus, als diese: „Der Magnet zieht das Eisen in der Tat an." Diese Einsicht wird durch die folgende Regel der traditionellen Logik ausgedrückt: „a posse ad esse non valet consequentia" — d. h. daraus, daß etwas möglich ist, folgt noch nicht, daß es auch wirklich ist, da die Möglichkeit etwas a n d e r e s ist, als die Wirklichkeit. Ebenso, daß „der Magnet das Eisen in der Tat anzieht", bedeutet a n d e r e s , als daß „der Magnet das Eisen notwendigerweise anzieht". Auch hier haben wir aber mit demselben Fall zu tun, als im vorigen Falle der partikulären Kompatibilität (b): wenn wir die Reihe dieser Thesen umkehren, entsteht ein Fall der vollen Kompatibilität (vgl. § 98), weil die apodiktische These diejenige umfassende These bedeutet, in der die Inkompatibilität beider anderen Thesen aufgehoben wird. Zieht der Magnet das Eisen n o t w e n d i g e r w e i s e a n , s o zieht er es i n d e r T a t an und es ist auch m ö g l i c h , daß dies eintrifft. 101. 3. V o l l s t ä n d i g i n k o m p a t i b e l sind diejenigen Thesen, die einander unbedingt ausschließen. Diese sind die



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l o g i s c h e n t g e g e n g e s e t z t e n Thesen, unter denen wir z w e i Fälle unterscheiden müssen: a) D i e p o s i t i v e u n d d i e n e g a t i v e T h e s e . Solche sind: „Sokrates ist weise", „Sokrates ist nicht weise" — weil die erstere das B e s t e h e n d e r s e l b e n Eigenschaft des Sokrates behauptet, die in der zweiten These geleugnet wird. Entweder die eine oder die andere ist also wahr: es gibt keine dritte Möglichkeit. b) D i e p o s i t i v e u n d l i m i t a t i v e T h e s e . Z. B.: „Die Kohle ist ein Element", „Die Kohle ist kein Element." Die erstere behauptet die Identität der Kohle mit irgend etwas, die letztere leugnet dasselbe, sie schließen also einander unbedingt aus, In beiden Fällen stehen die inkompatibeln Thesen im Verhältnis der Kontradiktion zueinander, also für sie: „tertium non datur" (vgl. § 29). 102. Wenn wir die Gesetze der Konversion und der Kompatibilität überblicken, scheinen sie uns, als wenn sie miteinander nur locker zusammenhängende Feststellungen wären, die nicht auf Grund irgendeines Prinzips abgeleitet worden sind. Dies ist aber nur ein Schein. Es war aus didaktischen Gründen ratsam, zuerst diese Gesetze zusammenzutragen, bzw. (da wir keinen Anspruch auf die Vollständigkeit machen) die Gesetzmäßigkeit einiger charakteristischen Thesenverhältnisse festzustellen, damit wir nachher den letzten Grund der Thesenverhältnisse auf diesem zusammengetragenen Material desto erfolgreicher darstellen können. Dieses Fundament kann nichts anderes sein, als die drei logischen Grundsätze; wir haben ja in diesen auch die letzte Wurzel der Logismenverhältnisse erkannt (s. § 63). Auch die Gesetzmäßigkeit der Thesenrelationen kann in letzter Analyse nichts anderes sein, als eine eigentümliche Anwendung derselben Gesetzmäßigkeiten, die aus den erwähnten logischen Prinzipien hervorgehen. Die bisher behandelten Thesenverhältnisse sind derart entstanden, daß irgendeine These mit s i c h s e 1 b s t und mit e i n e r a n d e r e n These in Verhältnis getreten ist. Es liegt also auf der Hand, daß die allgemeinsten Gesetze dieser Verhältnisse dem Grundsatz der I d e n t i t ä t und dem Grundsatz des Z u s a m m e n h a n g e s entsprechen werden. 1. Das dem G r u n d s a t z d e r i d e n t i t ä t entsprechende allgemeine Gesetz für die Verhältnisse der Thesen ist das folgende: N u r s o l c h e T h e s e n k ö n n e n k o m p l e m e n täreThesenbilden,dieeinidentischesObjekt-



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tiv haben. Auch die v e r s c h i e d e n e n Arten der Transfiguration (Konversion, Transformat i o n , T r a n s m u t a t i o n ) s i n d n u r in ä h n l i c h e m Fallemöglich. Auf Grund des bisher Dargelegten bedarf dieses Gesetz keiner weiteren Erklärung. In allen solchen Fällen, als die These durch die Ergänzung mit komplementären Thesen oder durch die Verwandlungen der Transfiguration mit sich selbst in Verhältnis tritt, drücken eigentlich mehrere Thesen d i e s e l b e B e d e u t u n g in verschiedener Weise aus. Wenn also die These in den angegebenen Formen mit sich selbst in Verhältnis tritt, so kommen eigentlich diejenigen Bedingungen zur Geltung, durch deren Hilfe mehrere verschiedene Thesen d a s s e l b e Objektiv ausdrücken können. Wir können also alle diesbezüglichen Gesetze mit vollem Recht auf den Grundsatz der Identität zurückführen. 2. A u f d e m G r u n d s a t z d e s Z u s a m m e n h a n g e s beruht das folgende G r u n d g e s e t z der Thesenverhältnisse: Nur diejenigen Thesen sind kompatibel,diedenZusammenhangderDinge in s o l c h e r W e i s e d a r s t e i l e n , w i e d i e s e r Z u sammenhang wirklich besteht. Dagegen i n kompatibelsinddiejenigenThesen,dereneine den Z u s a m m e n h a n g der D i n g e r i c h t i g d a r stellt, die andere aber unrichtig. Da wir als „These" nur die w a h r e These bezeichnen, haben wir von der „unrichtigen" These nur als Fiktion aus didaktischen Gründen gesprochen. Ganz präzis genommen muß gesagt werden, daß die „unrichtige" These überhaupt keine These in rein logischem Sinne des Wortes ist. Sämtliche Wahrheiten bilden nämlich ein großes harmonisches System (s. § 11), das in absolutem Sinne des Wortes keine inkompatible These enthält. Jedoch müßten wir aus heuristischen Zwecken selbst in der reinen Logik von der Inkompatibilität sprechen, und zwar eben deshalb, weil das Wesen der Kompatibilität dadurch besser erkannt werden kann. 103. Das Problem des Absolutums (s. § 43) zeigt sich auch in der Theorie der These. Wir müssen auch hier das V e r h ä l t n i s feststellen, das zwischen der T h e s e und dem l o g i s c h e n A b s o l u t u m , d. h. den logischen Grundsätzen besteht. Aus diesem Gesichtspunkt können wir die Thesen in z w e i große Gruppen einteilen. Diese sind die a u t o n o m e n



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und die h e t e r o n o m e n Thesen. Die ersteren haben den Grund ihrer Gültigkeit i n s i c h s e l b s t , die Gültigkeit der letzteren beruht aber auf der Gültigkeit anderer Thesen. Autonome Thesen sind eigentlich nur die logischen Grundsätze, ihre Korollarien sind schon heteronomen Charakters. Hier erhebt sich nun die Frage, ob wir berechtigt sind, die Wahrheiten nach M a l e b r a n c h e und L e i b n i z in ewige Vernunftwahrheiten (vérité de raison) und veränderliche Tatsachenwahrheiten (vérité de fait) zu teilen? Dieses Problem kann aber nicht ohne eine so weit gehende Auseinandersetzung des Verhältnisses der Wahrheit und des Seins behandelt werden, die nur in Verbindung mit der systematischen Untersuchung der metaphysischen Grundprobleme durchgeführt werden kann. Darum können wir uns im Rahmen dieses Werkes nicht mit einem solchen Ausbau der Theorie der Wahrheit beschäftigen. 104. Wie zur Vollendung der Theorie des Logismas auch die Systematik der Logismen gehörte (s. § 71), so hat die reine Logik auch die Gesetzmäßigkeiten des durch die gesamten Thesen gebildeten Wahrheitssystems darzulegen. Das Gewebe der hier entstehenden Probleme führt aber zur Syllogistik hinüber, die zu untersuchen hat, in welcher Weise die verschiedenen Arten der Thesen ein einheitliches System bilden, und wie der eine Teil der Thesen den anderen voraussetzt. Unsere nächste Aufgabe ist es, in dieser Richtung weiterzugehen.

5. D e r S y l l o g i s m u s . 105. Die dritte Art der Thesenverhältnisse, die dem logischen Grundsatz der Klassifikation entspricht, bilden die Syllogismen (s. § 91). Auch hier entstehen vor allem d r e i Probleme: die Probleme der Elemente, der Verhältnisse und der Klassen. Wir haben vor allem zu untersuchen, aus welchen Elementen jeder Syllogismus besteht, und wie diese eine Einheit bilden. Dies wird das W e s e n d e s S y l l o g i s m u s ergeben. Dann werden wir untersuchen, in welches V e r h ä l t n i s die Syllogismen miteinander treten können, und endlich haben wir noch die verschiedenen A r t e n der Syllogismen zu betrachten. 106. Die Syllogismen bestehen aus Thesen und die Thesen aus Logismen. Die n ä h e r e n Bestandteile (Elemente) dieses Syllogismus:



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Alle Körper sind der Gravitation unterworfen Die Luft ist ein Körper. Also auch die Luft ist der Gravitation unterworfen sind die drei Thesen, seine w e i t e r e Bestandteile sind aber diejenigen Logismen, aus denen diese Thesen erbaut werden. Auf diesem Gebiet können wir die Terminologie der aristotelischen Logik behalten, nach welcher der Obersatz („Alle Körper sind der Gravitation unterworfen") die „ p r o p o s i t i o m a j o r " und der Untersatz („Die Luft ist ein Körper") die „ p r o p o s i t i o m i n o r " ist, die zusammen die P r ä m i s s e n bilden — und der Schlußsatz („Also auch die Luft ist der Gravitation unterworfen") ist die K o n k l u s i o n . In den Thesen, die den Syllogismus bilden, sind drei Begriffe (Logismen) zu unterscheiden: das Subjekt der Konklusion — S — („die Luft"), das Prädikat derselben — P — („ist der Gravitation unterworfen"), und der sogenannte Mittelbegriff — terminus médius: M — („Körper"), der das Subjekt und das Prädikat des Schlußsatzes verbindet. 107. Aus dieser Feststellung ist schon das Wesen des Syllogismus leicht zu erkennen. Dies ist n i c h t s a n d e r e s , a l s die K l a s s i f i k a t i o n der T h e s e n a u s dem Ges i c h t s p u n k t , daß die K l a s s i f i z i e r u n g ihrer B e s t a n d t e i l e , d. h. d e r L o g i s m e n s i c h h e r a u s s t e l l e . Dies können wir an dem obigen Beispiel folgendermaßen illustrieren: unser Syllogismus bedeutet seinem Wesen nach, daß weil alle Körper zur Klasse der der Gravitation unterworfenen Dinge gehören, und die Luft ein Glied der Klasse der Körper ist, also auch die Luft zur Klasse der der Gravitation unterworfenen Dinge gehört. Die drei Bestandteile des Syllogismus (die drei Thesen und die vorerwähnten drei Begriffe) bedeuten die O b e r k l a s s e , die U n t e r k l a s s e und das K l a s s e n g l i e d . Der Syllogismus kann auch als eine a u s T h e s e n z u s a m m e n g e s e t z t e T h e s e bezeichnet werden, in welcher der Obersatz dem Subjekt, der Schlußsatz dem Prädikat, und der Untersatz dem zwischen beiden vermittelnden Verhältnis entspricht. Der Syllogismus hat eben darum drei Hauptbestandteile, weil er seinem Wesen nach nichts anderes bedeutet, als die Wahrheit: wenn etwas das Glied einer Klasse ist, so ist auch das diesem Etwas untergeordnete Ding ein Glied dieser Klasse. Wir können also das Wesen des Syllogismus als eine t r i a d i s c h e und r e k u r r i e r e n d e ( r ü c k -



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wirkende) Klassifikation bezeichnen, die durch Thesen geschieht. 108. Wir haben bei der These n ä h e r e und w e i t e r e Bestandteile unterschieden (s. § 75); wir müssen dieselbe Distinktion selbst auf den Syllogismus anwenden. Die näheren Bestandteile des Syllogismus sind die drei Thesen und die drei Logismen, die wir oben schon dargelegt haben; seine weiteren Bestandteile sind aber all jene, auf die diese drei Thesen und drei Logismen logisch gebaut werden. Als wir nach dem Syllogismus d e n k e n , d. h. auf etwas s c h l i e ß e n , haben wir nur die n ä h e r e n Bestandteile in unserem Bewußtsein. Die reine Logik beschäftigt sich aber nicht mit der g e d a c h t e n , sondern mit der g ü l t i g e n Wahrheit, und s o müssen wir all diejenigen Faktoren darstellen, in denen der syllogistische Zusammenhang der Thesen gründet, unabhängig davon, welche Gedankeninhalte aus denkökonomischen Gesichtspunkte genügen, den Syllogismus zu denken, also unabhängig davon, ob wir all die Faktoren des Syllogismus i n d e r T a t durchdenken, ja ob wir überhaupt fähig sind, all diese in unserem sehr beschränkten menschlichen Bewußtsein zu vergegenwärtigen. Wollen wir nun unseren obigen Syllogismus aus rein logischem Gesichtspunkte vollkommen entfalten, s o gelangen wir zu der überraschenden Entdeckung, daß unser Syllogismus weit m e h r logische Voraussetzungen hat, als die erwähnten Ober- und Untersätze. Unser Obersatz („Alle Körper sind der Gravitation unterworfen") erbaut sich nämlich schon auf die G ü l t i g k e i t z a h l r e i c h e r a n d e r e r T h e s e n , ohne die er nicht bestehen kann. Wir müssen aber aus rein logischem Gesichtspunkte all diese in Betracht ziehen. So kann die These: „Alle Körper sind der Gravitation unterworfen", nur dann wahr sein, wenn auch die Wahrheiten gesichert sind, daß es eine Gravitation auf der Welt gibt, daß es Körper gibt, daß die Welt überhaupt existiert. Die Existenz der Welt setzt aber die Wahrheit voraus, daß „etwas überhaupt existiert". Diese letzte ontologische Voraussetzung kann aber nur in dem Falle wahr sein, wenn sie sich nach den logischen Grundsätzen richtet, wenn sie also z. B. nicht sich selbst widerspricht. All dies berücksichtigt, wird unser Syllogismus sich folgendermaßen erweitern: Die logischen Grundsätze sind gültig Etwas existiert •. P a u 1 e r, Logik

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Die Welt existiert Es gibt Körper in der Welt Es gibt Gravitation in der Welt Alle Körper sind der Gravitation unterworfen Die Luft ist ein Körper Also die Luft ist der Gravitation unterworfen. Wir können aber selbst hier nicht stehen bleiben. Wir haben gesehen (s. § 13), daß jede Wahrheit drei Richtungen hat, indem sie zugleich positiv, negativ und limitativ ist. Eine jede Wahrheit, die in unserem Syllogismus vorkommt, ist also aus rein logischem Gesichtspunkt in allen drei Formen Faktor unseres Syllogismus, und zwar in ihrer positiven, negativen und limitativen Form. Ja wir müssen sogar noch weiter gehen. Wir haben nämlich erkannt, daß jede Wahrheit unendlich viele Wahrheiten involviert (s. § 14), und so ist eine jede These unseres Syllogismus wieder aus unendlich vielen Thesen zusammengesetzt. Wir gelangen also zu dem unerwarteten Resultat, daß d e r S y l l o g i s m u s in j e d e m F a l l e a u s u n e n d l i c h vielen T h e s e n und d e m e n t s p r e c h e n d aus unendlich vielen Logismen besteht. Trotzdem führt diese Einsicht keine so große Verwandlung in der Syllogistik herbei, wie es auf den ersten Blick scheint. Und zwar eben darum nicht, weil doch jene drei Thesen, bzw. drei Logismen, den Kern des Syllogismus bilden, aus denen die Konklusion unmittelbar hervorgeht. Diese repräsentieren nämlich den s p e z i f i s c h e n I n h a l t des Syllogismus. Die weiteren Thesen kommen nur als „weitere Bestandteile" in Betracht, und sie dienen nur zur Unterstützung der entscheidenden drei Thesen. Die ganze S t r u k t u r unseres Syllogismus ist also im Verhältnis dieser drei Thesen enthalten: „Alle Körper sind der Gravitation unterworfen", „Die Luft ist ein Körper", „Also auch die Luft ist der Gravitation unterworfen." Die weiteren vorerwähnten logischen Prämissen dienen nur zur Vorbereitung des Verhältnisses dieser drei Thesen. 109. Wenn wir den Syllogismus in solcher Weise als eine, die Klassifikation des Logismas, bzw. der These repräsentierende Formel betrachten, so haben wir zugleich auch die Quelle gefunden, aus der sämtliche mögliche Formen des Syllogismus abgeleitet werden können. Die drei Dinge: Oberklasse, Unterklasse und Klassenglied können aus dem Gesichtspunkt der Klassifizierung miteinander in dreierlei Verhältnis stehen, und zwar:



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1. die Oberklasse enthält vollkommen die Unterklasse und diese das Klassenglied; 2. dieses Enthalten besteht n i c h t ; 3. dieses Enthalten besteht nur z u m T e i l . Dementsprechend können wir auch d r e i e r l e i G r u n d f i g u r e n des Syllogismus unterscheiden 110. 1. U n s e r e e r s t e F i g u r bedeutet die vollständige Klassifizierung zwischen den Logismen, die den Syllogismus bilden. Z. B.: Alle Verbrechen sind strafbar Der Diebstahl ist ein Verbrechen Also der Diebstahl ist strafbar. Die Konklusion folgt hier offenbar aus dem Gesetz, daß „das Glied der U n t e r k l a s s e z u g l e i c h auch das G l i e d d e r K l a s s e i s t". Hier wird das p r i n c i p i u m c l a s s i f i c a t i o n i s ohne jede Einschränkung angewendet. 2. D i e z w e i t e F i g u r entspricht der vorerwähnten zweiten Möglichkeit (s. § 109), sie repräsentiert also die n e g a t i v e Klassifizierung. Sie drückt ihrem Wesen nach aus, daß irgend etwas n i c h t zu einer Klasse gehört. Zum Beispiel kann der folgende Syllogismus dienen: Alle Wissenschaften sind lehrbar Die Invention ist nicht lehrbar Die Invention ist keine Wissenschaft. Der Grund dieser Figur ist offenbar der Grundsatz des Widerspruches (principium contradictionis), ihr Grundgesetz kann also folgendermaßen ausgedrückt werden: „W a s k e i n Glied der Klasse ist, kann auch kein Glied der U n t e r k l a s s e sein." Vom Grundsatz des Widerspruches haben wir aber nachgewiesen (s. § 29), daß er nichts anderes ist, als der negative Ausdruck des Prinzips der Identität. D i e s e r z w e i t e n F i g u r e n t s p r i c h t also der G r u n d s a t z der Identität. 3. D e r d r i t t e n F i g u r e n t s p r i c h t d e r F a l l d e r p a r t i k u l ä r e n K l a s s i f i z i e r u n g (s. § 109). Ihre Regel ist die folgende: „ W a s n u r z u m T e i l d a s Glied der Klasse ist, kann nur zum Teil das G l i e d d e r U n t e r k l a s s e s e i n . " Z. B. 9*



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Alle Menschen sind vernünftig Alle Menschen sind sinnliche Wesen Also manche sinnlichen Wesen sind vernünftig. Dieser Syllogismus drückt aus, daß die Unterklasse der Menschen der Klasse der vernünftigen Wesen vollständig angehört; zur Unterklasse der Menschen gehören aber nicht alle sinnlichen Wesen (es gibt ja nämlich auch sinnliche Wesen, die keine Menschen sind). Die Vernünftigkeit gilt also nur für e i n i g e der sinnlichen Wesen, d. h. daß nur e i n T e i l der sinnlichen Wesen mit der Klasse der vernünftigen Wesen zusammenfällt. Der Grund dieses „partialen Übereinstimmens" ist es, daß der Inhalt der Unterklasse auch mit a n d e r e n Inhalten zusammengehörig ist (mit ihnen zusammenhängt), als mit solchen Inhalten, die zur Klasse gehören. Also in unserem Falle hängen die vernünftigen sinnlichen Wesen mittels ihrer Sinnlichkeit mit solchen Wesen zusammen, die nicht vernünftig sind. In der dritten Figur des Syllogismus wird also die Anwendung des K l a s s i f i k a t i o n s p r i n z i p s durch gewisse Zusammenhänge zwischen der betreßenden Klasse und anderen Klassen modifiziert, bzw. eingeschränkt. S o e n t s p r i c h t dieser F i g u r unter den drei l o g i s c h e n G r u n d s ä t z e n der G r u n d s a t z des Zusammenhanges. 111. Wollen wir nun in unseren drei Figuren des Syllogismus betrachten, wie die drei Termini: S, P und M sich in ihnen ordnen, so erhalten wir die folgenden Schemata: M S

• •

P M

P S

II • •

"S



P~

S



M M P

M M P

III • P • S • P

Unsere Syllogismusfiguren, die mit unseren drei logischen Grundsätzen zusammenhängen, fallen also mit diesen drei schematischen Figuren der a r i s t o t e l i s c h e n Syllogistik zusammen. Nur in der weiteren Einteilung der Syllogismen werden wir von der Lehre des Aristoteles abweichen, indem wir seine Theorie in gewisser Weise erweitern müssen (vgl. unten § 112). Vorläufig werden wir aber nach seiner Lehre vorgehen, und so akzeptieren wir die Gesetze der klassischen Logik, die die allgemeinen Bedingungen des Syllogismus ausdrücken. Diese Gesetze sind die folgenden:



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1. Der Syllogismus kann seinem Wesen nach nur d r e i Termini enthalten: das Subjekt des Schlußsatzes (S), das Prädikat des Schlußsatzes (P), und den sie verbindenden Mittelbegriff (M). Wir haben nämlich von dem Syllogismus festgestellt, daß er seinem Wesen nach eine rekurrierende triadische Klassifikation ist, die notwendigerweise drei Logismen enthält: die O b e r k l a s s e , die U n t e r k l a s s e und das K l a s s e n g l i e d . Es ist hier noch zu bemerken, daß es keinen Widerspruch einschließt, von einer solchen Klasse zu sprechen, die e i n e i n z e l n e s Glied enthält. Solche sind z. B. diejenigen tierischen Klassen, die nur durch ein einziges lebendes Exemplar repräsentiert sind, oder diejenige Beamtenklasse, in die derzeit nur ein einiziger Beamter ernannt ist. Unsere Regel ist also: Terminus esto triplex, medius, maiorque, minorque1). 2. Ebenso ist es selbstverständlich, daß das S und das P des Schlußsatzes keinen größeren Umfang haben können, als sie in den Prämissen hatten. Durch ein Logisma kann nämlich nicht auf m e h r geschlossen werden, als wie viel das Logisma enthält. L a t i u s h o s q u a m p r a e m i s s a e conclusio n o n v u 11. 3. Das vermittelnde Glied (die Unterklasse) muß wenigstens in einem Falle universal sein. Wäre es nicht universal, so könnte es nicht in gewissem Maße das S enthalten, ohne das natürlich auch die Konklusion nicht entstehen kann. Zwei solche Thesen, die kein solches Logisma enthalten, deren eines das andere enthält, haben miteinander nichts zu tun, und so können sie auch keine dritte These als Konklusion ergeben. Es ist also wahr, daß: A u t s e m e l a u t i t e r u m m e d i u s g e n e r a li t e r e s t o . 4. Zwei positive Thesen können keinen negativen Schlußsatz ergeben: „ A m b a e a f f i r m a n t e s n e q u e u n t g e n e r a l e n e g a n t e m . " Die Richtigkeit dieser Regel ist offenbar. Sind nämlich beide Prämissen positiv, so bedeutet dies soviel, daß in ihnen keine Exklusion geschieht, die eben das Wesen der Negation ebenso, wie der Limitation ist, die also auch in der Konklusion nicht zum Ausdruck kommen kann Diesem Gesetze widersprechen scheinbar die folgenden zwei Beispiele. ») Der „terminus" bedeutet hier nur den für den spezifischen Inhalt des Syllogismus charakteristischen konstitutiven Terminus (vgl. § 108).



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Aus zwei positiven Prämissen folgt eine negative These in diesem Syllogismus: Peter ist ein guter Mensch Paul ist ein schlechter Mensch Also Peter und Paul sind nicht gleich. Es ist aber zweifellos, daß hier die folgende Prämisse als eine „selbstverständliche" These verschwiegen ist: „Die Dinge mit verschiedenen Eigenschaften sind n i c h t gleich." Ohne diese folgt n i c h t der Schlußsatz aus den Vordersätzen, und so ist e i n e d e r P r ä m i s s e n auch hier n e g a t i v , und d a r u m kann auch der Schlußsatz negativen Charakters sein. 5. Aus zwei positiven Vordersätzen folgt eine limitative Konklusion im folgenden Beispiel: Dieser Johann ist in Budapest geboren Der andere Johann ist in Wien geboren Also dieser Johann ist nicht identisch mit dem anderen Johann. Aber der Schlußsatz kann auch hier nur dann bestehen, wenn diese l i m i t a t i v e universale These wahr ist: „Die Menschen, die an verschiedenen Orten geboren sind, können n i c h t identisch sein." Auch diese Voraussetzung ist in unserem Syllogismus verschwiegen, aber aus rein logischem Gesichtspunkt gehört sie zu den Prämissen. Wir müssen also die vorerwähnte Regel folgendermaßen ergänzen: „ P o s i t i v e P r ä missen können weder einen negativen, noch einen limitativen S c h l u ß s a t z ergeben." 6. Ebenso ist auch die Regel unanfechtbar, nach welcher aus zwei nichtuniversalen (pluralen oder singulären) Thesen nichts folgt: N i l s e q u i t u r g e m i n i s e p a r t i c u l a r i b u s u n q u a m . Scheinbar widerspricht aber das folgende Beispiel diesem Gesetz: Dieser Mensch ist entweder Peter, oder Paul, oder Johann Dieser Mensch ist weder Peter, noch Paul Dieser Mensch kann also nur Johann sein. Es ist aber nicht schwer zu erkennen, daß dieser Syllogismus nur dann gültig sein kann, wenn auch diese universale These zu seinen Prämissen gehört: „Neben beschränkter Anzahl der Möglichkeiten ist nach dem Ausschluß einzelner Möglich-



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keiten die übriggebliebene Möglichkeit gültig." Die alte Regel leidet also auch hier keinen Schaden. Mercier bezweifelt diese Regel auf Grund des folgenden Beispiels1): Viele Irländer fahren nach Amerika Einige kommen nicht zurück Viele Irländer bleiben in Amerika. Mercier begeht aber auch hier denselben Fehler, wie sein vorerwähnter Einwand, daß er nämlich eine unentbehrliche, allgemeingültige Prämisse verschweigt. Diese Prämisse ist die These, daß „jedermann, der irgendwoher nicht zurückkommt, dort bleibt." Nur in Verbindung mit dieser These kann der Schlußsatz zustande kommen. Die Gültigkeit dieses Gesetzes folgt in der Tat ebenfalls aus dem Wesen des Syllogismus. Gibt es nämlich keine universale These unter den Prämissen, so kann nicht das Verhältnis entstehen, daß w e n i g s t e n s e i n e s unter den drei Logismen das andere enthält, und so wird die rekurrierende Klassifikation unmöglich. 7. Ähnlicherweise folgt es aus dem Wesen des Syllogismus, daß der Schlußsatz sich immer nach dem „schwächeren" Teil der Prämisse richtet, d. h. wenn die eine Prämisse negativ oder limitativ ist, wird auch der Schlußsatz solchen Charakters sein: „ P e i o r e m s e q u i t u r Semper c o n c l u s i o partem." Drückt nämlich eine der Prämissen eine Exklusion in der Form der Negation oder der Limitation aus, so wird auch die Konklusion eine solche sein, da die Konklusion eben dasjenige ausdrückt, was diese Exklusion zur Folge hat. 112. Da der Syllogismus seinem Wesen nach eine Klassifikation ist, kommt vor allem der U m f a n g der in ihm enthaltenen Logismen in Betracht. Nach den möglichen Kombinationen, die i n n e r h a l b der Syllogismusfiguren in Anbetracht des Umfangs der einzelnen Thesen vorkommen können, unterscheiden wir S y l l o g i s m u s m o d i . Wir folgen auch darin der Lehre der aristotelischen Logik. Hinsichtlich der Lehre der Modi ist sie zu folgendem Resultat gelangt Sie hat allgemeine affirmative (A), allgemeine negative (E), partikuläre affirmative (I) und partikuläre negative (O) Thesen unterschieden Auf diesem Grunde sind innerhalb der ersten Figur v i e r Modi entstanden (Barbara, Celarent, Darii, Ferio), in der zweiten eben') A new logic. London, 1912. S. 326.



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falls v i e r Modi (Camestres, Baroco, Cesare, Festino) und in der dritten s e c h s Modi (Darapti, Datisi, Felapton, Ferison, Disamis, Bocardo). Aus unserem Gesichtspunkt ist diese Aufzählung der Modi nicht vollständig, und zwar aus zweierlei Gründen. Erstens haben wir nicht nur „allgemeine" und „partikuläre" (plurale) Thesen, sondern auch s i n g u l a r e Thesen (s. § 79) unterschieden. Dann haben wir nicht nur affirmative und negative Thesen, sondern auch limitative Thesen (s. § 89) angenommen. Es liegt also auf der Hand, daß wir auf diesem Grunde innerhalb der einzelnen Syllogismusfiguren m e h r e r e Modi annehmen müssen, als in der aristotelischen Logik, bzw. in der aus dieser entspringenden scholastischen Logik zu finden sind. Wir werden zur Bezeichnung der Modi folgende erweiterte Symbolik anwenden: a e u ä i 0 al ul 01

: : : : : : : : :

allgemein affirmativ, allgemein negativ, partikulär affirmativ (plural affirmativ), partikulär negativ (plural negativ), singulär affirmativ, singulär negativ, allgemein limitativ, partikulär limitativ (plural limitativ), singulär limitativ.

In den nachstehenden Erörterungen werden wir die wichtigsten Modi unserer drei Figuren darlegen, ohne auf die Vollständigkeit Anspruch zu machen. 113. Die e r s t e F i g u r bedeutet eine totale Klassifizierung zwischen den drei Logismen, d. h. die Klasse enthält vollständig die Unterklasse und ebenso enthält auch die Unterklasse vollständig das Klassenglied. Daraus folgt offenbar, daß der Untersatz a f f i r m a t i v sein muß (sonst könnte nicht e b e n d as im Syllogismus zum Ausdruck kommen, daß die Unterklasse der Klasse untergeordnet ist), und ebenso kann der Obersatz nur dann diejenige Klasse bedeuten, die die Unterklasse vollkommen enthält, wenn sie eine universale These ist. Dies wird in der alten Regel dieser Figur ausgedrückt: s i t m i n o r a f f i r m a n s n e c m a i o r p a r t i c u l a r i s . Von den einschlägigen Modi werden wir die folgenden erwähnen, zugleich werden wir den herkömmlichen Namen des Modus angeben, falls die von uns



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aufgezählten Modi durch die klassische Logik überhaupt berücksichtigt worden sind. 1. M a P S a M (Barbara) S a P Alle Menschen sind fehlbar Auch die Heiligen sind Menschen Also auch die Heiligen sind alle fehlbar. 2. M a P S i M (Darii) S i P Alle großen Lyriker sind gefühlvolle Menschen Schiller ist ein großer Lyriker Schiller ist ein gefühlsvoller Mensch. 3. M e P S a M (die negative Form des Celarent) S e P Kein Mensch ist vollkommen Alle Propheten sind Menschen Also kein Prophet ist vollkommen. 4. M al P S a M (die limitative Form des Celarent) S al P Keine Religion ist Philosophie Alle Glaubenssysteme sind Religionen Also kein Glaubenssystem ist Philosophie. 5. M al P S i M (die limitative Form des Ferio) S ol P Keine wissenschaftliche Hypothese ist ein willkürliches Produkt der Phantasie Die Atomtheorie ist eine wissenschaftliche Hypothese Also die Atomtheorie ist kein willkürliches Produkt der Phantasie.



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114. Das allgemeine Gesetz d e r z w e i t e n F i g u r ist in der Scholastik folgendermaßen ausgedrückt: U n a n e g a n s e s t o , m a i o r v e r o g e n e r a l i s . Es ist nicht schwer, diese Regel zu rechtfertigen. In unserer Figur wird nämlich die „classificatio per exclusionem" repräsentiert. Die eine der Thesen muß also ausdrücken, daß die vollkommene Klassifizierung n i c h t erfolgen kann, d. h. die eine der Prämissen verneinend sein muß. Diese kann aber z w e i e r l e i sein: negativ und limitativ, und wir müssen infolge dieser Unterscheidung offenbar m e h r e r e Modi annehmen, als die alte Logik getan hat, die diese Distinktion nicht gebrauchte. Der Obersatz muß deshalb universal sein, weil die Exklusion im Schlußsatz sonst nicht ausgesagt werden konnte. Es ist auch offenbar, daß der S c h l u ß s a t z in dieser Figur n u r n e g a t i v , b z w . l i m i t a t i v sein kann, weil eben das N i c h t - z u r - K l a s s e - G e h ö r e n im Syllogismus ausgedrückt wird. Die einschlägigen Modi sind die folgenden: 1. P S S

a M e M (die negative Form des Camestres) e P Alle ewigen Wesen sind vollkommen Kein Mensch ist vollkommen Also kein Mensch ist ein ewiges Wesen.

2. P a M S al M (die limitative Form des Camestres) S al P Jede Aufregung ist ein flüchtiger Geisteszustand Keine Leidenschaft ist ein flüchtiger Geisteszustand Also keine Aufregung ist eine Leidenschaft. 3. P a M S ul M S ul P Jeder Staat ist eine gesellschaftliche Vereinigung Einige Menschengruppen sind keine gesellschaftlichen Vereinigungen Also einige Menschengruppen sind kein Staat (bilden keinen Staat).



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4. P a M S o M S o P Allen guten Menschen graut es vor Grausamkeit Nero graute es nicht vor Grausamkeit Also Nero war kein guter Mensch. 5. P a M S ol M (die limitative Form des vorigen) S ol P Alle Tugenden sind lobenswerte Gesinnungen Der Haß ist keine lobenswerte Gesinnung Also der Haß ist keine Tugend. 6. P a M S ul M S ul P Alle Geschehnisse sind Veränderungen Einige Vorgänge sind keine Veränderungen Also einige Vorgänge sind keine Geschehnisse. 7. P e M S a M (die negative Form des Cesare) S e P Kein kriegerisches Volk ist sklavisch Jedes degenerierte Volk ist sklavisch Also kein degeneriertes Volk ist kriegerisch. 8. P al M S a M (die limitative Form des Cesare) S al P Keine Krankheit ist ein normaler Zustand Alle Verdauungswärmen sind normale Zustände Also keine Verdauungswärme ist Krankheit. 9. P e M S i M (die limitative Form des Festino) S ol P Kein Meer ist Süßwasser Der Plattensee ist Süßwasser Also der Plattensee ist kein Meer.



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10. P e M S u M S ul P Kein Verräter hat ruhiges Gewissen Einige Menschen haben ruhiges Gewissen Also einige Menschen sind keine Verräter. 115. Die d r i t t e F i g u r bedeutet eine partikuläre Klassifizierung. Daraus folgt es offenbar, daß der Untersatz das Gehören zu einer Klasse b e h a u p t e t , der Schlußsatz dagegen dies nur z u r a T e i l zulassen kann. Dies drückt die alte Regel der Figur aus: s i t m i n o r a f f i r m a n s , c o n c l u s i o p a r t i c u 1 a r i s. Der Ausdruck „particularis" ist aber zu modifizieren. Es kann nämlich auch einen solchen Modus geben (das ist der dritte Modus), in welchem die Konklusion eine s i n g u 1 ä r e These ist. Soviel ist aber zweifellos, daß der Schlußsatz dieser Figur keine allgemeine These sein kann. Dies würde nämlich der partikulären Klassifizierung widerstreiten, die eben in dieser Figur des Syllogismus ausgedrückt wird. Von den einschlägigen Modis werden wir die folgenden hervorheben: 1. M a P M a S S u P Alle Philosophen suchen den Sinn des Lebens Alle Philosophen sind Menschen Also einige Menschen suchen den Sinn des Lebens. 2. M a P M u S S u P Alle Gase sind vollkommen elastische Stoffe Einige Gase sind sinnliche Stoffe Also einige sinnliche Stoffe sind vollkommen Stoffe. 3. M a M i M i Alle Die

elastische

P S (Datisi) P endlichen Wesen sind unvollkommen Gesamtheit aller endlichen Wesen ist die Welt

Also die Welt ist unvollkommen.

4. M e P M a S S ü P Kein menschliches Werk ist vollkommen Alle menschlichen Werke sind vergänglich Also einige vergängliche Werke sind unvollkommen. 5. M al P M a S (die limitative Form des vorigen) S ul P Keine Kunst ist Wissenschaft Alle Künste sind Ausdrücke Also einige Ausdrücke sind keine Wissenschaft. 6. M e P M u S S ü P Keine Amphibie ist warmblütig Einige Amphibien sind Wassertiere Also einige Wassertiere sind nicht warmblütig. 7. M al P M ü S (die limitative Form des vorigen) S ul P Keine Seele ist Leib Einige Seelen sind unentwickelt Also einige unentwickelte Dinge sind keine Leiber. 8. M u P M a S S u P Einige Seen sind warm Alle Seen sind stehende Wassermengen Also einige stehende Wassermengen sind warm. 9. M ü P M a S S ü P Einige ansteckende Krankheiten sind nicht lebensgefährlich Alle ansteckenden Krankheiten haben eine Inkubationszeit Also einige Inkubationskrankheiten sind nicht lebensgefährlich.



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10. M ul P M a S (die limitative Form des vorigen) S ul P Einige Abnormitäten des Organismus sind keine Krankheiten Alle Abnormitäten des Organismus sind nachteilige Zustände Also einige nachteilige Zustände sind keine Krankheiten. 116. Es wäre ganz verfehlt, gegenüber diesen Modis einzuwenden, daß sie „künstliche" und „gezwungene" Figuren sind, nach denen „niemand denkt". Die Syllogistik, wie die reine Logik überhaupt, hat nicht den Zweck, die w i r k l i c h gebrauchten Denkformen zu untersuchen, ja sie hat überhaupt nicht die Funktionen des menschlichen D e n k e n s zu berücksichtigen, sondern sie beschäftigt sich mit der Struktur der W a h r h e i t . Sie hat also die m ö g l i c h e n Syllogismusfiguren zu untersuchen, unabhängig davon, ob diese im tatsächlichen Denken gebraucht werden, und aus diesem Gesichtspunkt zweckmäßig sind oder nicht. Die Frage der „Nützlichkeit" des Syllogismus kann in der r e i n e n Logik überhaupt nicht gestellt werden; dies ist in der a n g e w a n d t e n Logik am Platze. Mag irgendeine logische Figur noch so gezwungen sein, erhellt sie doch die Struktur und die allgemeine Gesetzmäßigkeit der Wahrheit, und so ist sie im Ausbau der Theorie der Wahrheit unentbehrlich. 117. Nachdem wir in den Vorerwähnten das Wesen des Syllogismus festgestellt haben, müssen wir jetzt untersuchen, welche verschiedenen V e r h ä l t n i s s e zwischen den Syllogismen bestehen können. Es haben die Logiker schon lange bemerkt, daß verschiedene Prämissen d i e s e l b e Konklusion haben können. Z. B.: a) Jedes Reich, das in Unsittlichkeit versunken ist, muß zugrunde gehen Das römische Reich ist in Unsittlichkeit versunken Also das römische Reich mußte zugrunde gehen. b) Jedes Reich, das das Selbstvertrauen verloren hat, mußte zugrunde gehen Das römische Reich hat das Selbstvertrauen verloren Also das römische Reich mußte zugrunde gehen.



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Hier haben wir mit zwei solchen Syllogismen zu tun, die dieselbe Konklusion i n v e r s c h i e d e n e r W e i s e begründen, und zwar in diesem Falle dadurch, daß sie die v e r s c h i e d e n e n , aber gleicherweise gültigen und so einander nicht ausschließenden Ursachen d e s s e l b e n Ereignisses aufzählen. Solche h o m o l o g e n Syllogismen bilden je ein eigentümliches Syllogismensystem, dessen interessante logische Natur unseres Wissens nach noch nicht untersucht wurde. Um die N a t u r der homologen Syllogismen festzustellen, müssen wir vor allem von den Syllogismen, die dasselbe System bilden, diejenigen ausschließen, die auf i r r t ü m l i c h e n Prämissen beruhen. Schon A r i s t o t e 1 e s hat auf den paradoxen Umstand hingewiesen, daß auch i r r t ü m l i c h e Prämissen eine r i c h t i g e Konklusion ergeben können 1 ). Den Schlußsatz in unserem obigen Beispiel können wir auch folgendermaßen begründen: c) Jedes Reich mußte zugrunde gehen, dessen Volk jederzeit unkriegerisch war Das Volk des römischen Reiches war jederzeit unkriegerisch Also das römische Reich mußte zugrunde gehen. Das römische Volk war nicht jederzeit unkriegerisch, und so folgt hier aus falschen Prämissen eine wahre Konklusion. Dies ist aber nur ein Schein. Aus dem Gesichtspunkt der Denklehre ist es ja möglich, daß wir aus falschen Feststellungen auf eine wahre Konklusion folgern. Der menschliche Verstand kann nämlich auch durch falsche Feststellungen darauf geführt werden, daß er auch gewisse, wirklich bestehende Verbindungen wahrnehme, wie wir auch ohne Absicht auf wertvolle Dinge treffen können. Aber aus r e i n l o g i s c h e m Gesichtspunkt gibt es nicht und kann es auch nicht eine solche Konklusion geben, die aus falschen Prämissen folgen würde, einfach deshalb, weil die reine Logik ihrem Programm gemäß nur die Theorie der formalen Struktur der W a h r h e i t sein kann, die n i c h t w a h r e These aber keinen Anteil an dem System der Wahrheiten hat. Aus rein logischem Gesichtspunkt ist es also einfach nicht wahr, daß der Schlußsatz in unserem Beispiel (c) aus falschen Prämissen folgt: er kann nicht aus diesen folgen, weil diese keine Wahrheiten sind und so aus rein logichem Ge') Anal, prior. II. 2. 53b. 7.



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sichtspunkt k e i n e P r ä m i s s e n des Schlußsatzes bilden. Aus der rein logischen Untersuchung der „Syllogismensysteme" können wir diejenigen Syllogismen ganz ruhig ausschließen, die auf denselben Schlußsatz aus falschen Prämissen schließen. Ein weiteres Problem, das wir zur Einleitung schon hier erwähnen müssen, ist es, was für ein Verhältnis zwischen dem System s ä m t l i c h e r S y l l o g i s m e n und denjenigen kleineren Systemen besteht, deren jedes solche Syllogismen enthält, die aus d e m s e l b e n Schlußsatz, aber aus v e r s c h i e d e n e n Prämissen gebildet werden. Dieses Verhältnis ist ohne Zweifel die Relation des „Ganzen" zum „Teile". Die g e s a m t e n Wahrheiten bilden ein großes zusammenhängendes System, dessen Glieder miteinander bloß logisch zusammenhängen. Dieses System ist also in solcher Weise gebildet, daß ein Geist, der es vollkommen kennt, von j e z w e i G l i e d e r n ausgehend durch Folgerung jedes beliebige andere Glied erreichen könnte (vgl. § 11). Der „logische Zusammenhang" bedeutet nämlich ebensoviel, daß die eine These aus den anderen folgt, d. h. jedes beliebige Glied (These) des Wahrheitssystems s ä m t l i c h e a n d e r e n T h e s e n als Prämissen enthält, wenn auch wir diesen Zusammenhang in einem konkreten Falle mit unserem beschränkten menschlichen Wissen nicht erkennen können. Die einzelnen konkreten Syllogismen, die wir betrachten können, sind nur herausgerissene Glieder aus diesem unendlich viele Glieder enthaltenden Syllogismensystem. Eben mit Rücksicht auf unser begrenztes Erkenntniskapital werden wir unter „Syllogismussystem" ein solches in e n g e r e m Sinne genommenes Syllogismussystem verstehen. Ein solches Syllogismussystem bilden diejenigen Syllogismen, die mit v e r s c h i e d e n e n Prämissen d e n s e l b e n Schlußsatz begründen. Dieses Syllogismussystem zeigt oßenbar die K o o r d i n a t i o n der Syllogismen, und so knüpft es sich an den G r u n d s a t z d e s Z u s a m m e n h a n g e s . Sein Grundmerkmal ist es, daß mit v e r s c h i e d e n e n Prämissen d e r s e l b e Schlußsatz begründet wird. 118. Es kann aber auch von anderen Syllogismussystemen gesprochen werden. Dies stellt sich klar heraus, wenn wir folgende Umstände berücksichtigen. Mehrere Syllogismen, die zu derselben Konklusion führen, können auch in solcher Weise geschrieben werden, daß wir die Zwischenkonklusionen außer



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acht lassen, und nur den letzten Schlußsatz berücksichtigen. So entsteht dasjenige Gebilde, das die traditionelle Logik als P o 1 y s y l l o g i s t n u s (bzw. Kettenschluß, sorites) bezeichnet. Z. B.: Alle Menschen können sich irren Der sich irrt, ist fehlbar Der fehlbar ist, ist schwach Der schwach ist, bedarf der Nachsicht Der der Nachsicht bedarf, soll anderen gegenüber nachsichtig sein. Also alle Menschen sollen gegenüber anderen nachsichtig sein. Es ist nicht schwer zu erkennen, daß dieser Syllogismus durch das A u s b l e i b e n gewisser Zwischenkonklusionen entstanden ist. So kann dieser Schlußsatz nach der ersten und zweiten These eingereiht werden: „Alle Menschen sind fehlbar." Und nach dem dritten und vierten Glied folgt diese Konklusion, ohne erwähnt zu werden: „Der Fehlbare bedarf der Nachsicht." Aus rein logischem Gesichtspunkt sind natürlich auch diese in Betracht zu ziehen. So stellt sich heraus, daß die Schlußkette keine abgesonderte Art des Syllogismus ist, sondern das Zusammenziehen (die abgekürzte Form) solcher Syllogismen, unter denen die Konklusion des einen zum Obersatz des anderen Syllogismus dienen und so als ein Vordersatz d e s s e l b e n Schlußsatzes betrachtet werden kann. D e r S o r i t e s i s t a l s o ein s o l c h e s S y l l o g i s m u s s y s t e m , d e s s e n Glied e r (die e i n z e l n e n S y l l o g i s m e n ) m i t e i n a n d e r i m V e r h ä l t n i s d e r S u b o r d i n a t i o n s t e h e n . Demnach kann dieses Syllogismussystem mit dem logischen Grundsatz der K l a s s i f i k a t i o n in engere Verknüpfung gebracht werden. Seine Grundeigenschaft ist, daß es a u s m e h r e r e n S y l l o g i s m e n z u s a m m e n g e s e t z t i s t , d i e zu d e r selben Konklusion führen. 119. Es wurde wiederholt erwiesen, daß unsere drei logischen Grundsätze die letzte Wurzel aller logischen Strukturen bilden. Demnach können wir mit großer Wahrscheinlichkeit behaupten, daß wir durch die bisher behandelten zweierlei Syllogismusverhältnisse: durch die Koordination und Subordination alle möglichen Syllogismusverhältnisse noch nicht erschöpfen können. Die erstere entspricht nämlich offenbar dem Grundsatz des Zusammenhanges, die letztere aber dem Grundsatz der v. P a u l e r , Logik

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Klassifikation (vgl. §§ 63, 91). Es muß also noch eine dritte Art der Syllogismusverhältnisse, d. h. Syllogismussysteme geben, die aus der Relation des Syllogismus z u s i c h s e l b s t entspringt, und so dem Grundsatz der Identität entspricht. Auf Grund dieses apriorischen Hinweises können wir in der Tat ein solches Syllogismusverhältnis entdecken, das in den bisherigen logischen Forschungen unseres Wissens überhaupt noch nicht berücksichtigt wurde. Dieses Verhältnis bilden die k o m p 1 e m e ntären Syllogismen. Komplementäre Syllogismen sind z. B. die folgenden: 1. Alle Gase können kondensiert werden (positiv) Die Luft ist ein Gas Also die Luft kann kondensiert werden. 2. Es gibt nicht unkondensierbare Gase (negativ) Die Luft ist ein Gas Also die Luft kann kondensiert werden. 3. Kein Gas ist ein unkondensierbarer Körper (limitativ) Die Luft ist ein Gas Also die Luft kann kondensiert werden. Im ersten Falle ist der Obersatz positiv, im zweiten negativ, und im dritten limitativ, der Schlußsatz bleibt trotzdem in allen drei Syllogismen derselbe. Und eben dieselbe Verwandlung kann auch im Untersatze vollzogen werden. Z. B.: 1. Alle Gase können kondensiert werden Die Luft ist ein Gas (positiv) Also die Luft kann kondensiert werden. 2. Alle Gase können kondensiert werden Der Luft fehlt es nicht an den Eigenschaften des Gases (negativ) Also die Luft kann kondensiert werden. 3. Alle Gase sind kondensierbar Die Luft ist kein nichtgasförmiger Körper (limitativ) Also die Luft kann kondensiert werden. Diejenige Kombination, daß s o w o h l der Obersatz a l s a u c h der Untersatz negativ, bzw. limitativ ist, fällt weg, weil aus negativen und limitativen Prämissen nach einem Grund-



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gesetz des Syllogismus (s. § 111) nichts folgt. Auch derjenige Fall ist unmöglich, daß n u r der Schlußsatz sich aus der positiven in negative bzw. limitative Form verwandelt, weil aus positiven Prämissen weder ein negativer, noch ein limitativer Schlußsatz folgen kann (s. § 112). K o m p l e m e n t ä r e S y l l o g i s men sind a l s o d i e j e n i g e n , die d i e s e l b e K o n klusion mit solchen Thesen b e g r ü n d e n , die alledreiRichtungenderWahrheitausdrücken. Die komplementären Syllogismen bilden je eine eigenartige l o g i s c h e E i n h e i t . Ihre gemeinsame Eigentümlichkeit ist es, daß i h r S c h l u ß s a t z d e r s e l b e i s t , u n d i h r e P r ä m i s s e n n u r in d e r R i c h t u n g v o n e i n a n d e r a b w e i c h e n . Es liegt auf der Hand, daß den komplementären Syllogismen das Logismenverhältnis der I d e n t i t ä t entspricht (vgl. § 64), weil die komplementären Syllogismen in solcher Weise entstehen, daß irgendein Syllogismus m i t s i c h s e l b s t in Verhältnis tritt. Die Thesen der komplementären Syllogismen sind nämlich ihrem Inhalt nach d i e s e l b e n , nur drücken sie diesen Inhalt bald in positiver, bald in negativer, bald in limitativer Form aus. Demnach entsprechen die komplementären Syllogismen dem logischen Grundsatz der I d e n t i t ä t . 120. Zusammenfassend können wir die Syllogismussysteme, d. h. die möglichen Syllogismusverhältnisse, in der folgenden Tabelle darstellen: Syllogismussystem (Syllogismusverhaltnisse) Komplementare Syllogismen Homologe Syllogismen Polysylloglsmen(sorltes) Identität Koordination Subordination Princlpium Identltatls Princlplum cohaerentiae Princlplum classlflcationis

121. Der Syllogismus besteht aus Thesen, unter diesen b e g r ü n d e n die Prämissen den Schlußsatz. Je v o l l s t ä n d i g e r diese Begründung aus rein logischem Gesichtspunkt genommen ist, desto m e h r Prämissen werden dazu erfordert. Den Höhepunkt dieser Prämissen bilden die logischen Grundsätze (vgl. § 108). Der Schlußsatz kann aber auch dadurch in seiner logischen Begründung zunehmen, daß seine Vordersätze die B e d i n g u n g e n ihrer Gültigkeit immer vollständiger ausdrücken. In solcher Weise entstehen die kategorischen, die hypothetischen und die disjuktiven Thesen (s. § 84). Je nachdem die 10*



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g e s a m t e n Thesen des Syllogismus kategorische, hypothetische oder disjunktive Thesen sind, können d r e i A r t e n des Syllogismus entstehen, und zwar: 1. reine kategorische, 2. reine hypothetische, 3. reine disjunktive Syllogismen. Diese letzteren sind aber bloße Fiktionen, indem ein solcher Syllogismus, der ausschließlich disjunktive Thesen enthält, nichts zur Folge haben kann. Das Wesen der disjunktiven Thesen besteht nämlich in der Aufzählung der Möglichkeiten, eine solche These kann also nur in dem Falle eine neue These ergeben, wenn eine (eventuell mehrere) dieser Möglichkeiten durch den Untersatz ausgeschlossen wird. Eben deshalb ist der folgende Syllogismus in der Tat kein echter Syllogismus, sondern nur eine Zusammenfassung desselben, was in den beiden Prämissen behauptet wird: Die Wissenschaften sind entweder ideal, oder real Die idealen Wissenschaften sind entweder philosophischen oder mathematischen Charakters Also die Wissenschaften sind entweder real, oder philosophischen, oder mathematischen Charakters. Innerhalb dieser Typen sind dann noch die folgenden Kombinationen möglich: 1. kategoriko-hypothetische, 2. kategoriko-disjunktive, 3. hypothetiko-disjunktive Syllogismen. Da die bisher behandelten Syllogismen alle rein kategorisch sind, ist es unnötig, weitere derartige Beispiele anzuführen; wir können also gleich mit dem reinen hypothetischen Syllogismus anfangen. Zum Beispiel kann der folgende Syllogismus dienen: Wenn jemand eine Sitte stört, stört er das geistige Oleichgewicht der Menschen Wenn jemand das geistige Oleichgewicht der Menschen stört, erschüttert er auch ihre Sittlichkeit Also wenn jemand eine Sitte stört, erschüttert er auch die Sittlichkeit.



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Hypothetiko kategorischer Syllogismus: Wenn es nur eine einzige solche Bewegung geben kann, die mit positiver Arbeit verbunden ist, so ist schon kein Gleichgewicht vorhanden Bei dem sich bewegenden Pendel sind mehrere solche Bewegungen möglich Also bei dem sich bewegenden Pendel ist kein Gleichgewicht vorhanden. Disjunktiv-kategorischer Syllogismus: Die Menschen sind entweder Kaukasier, oder Neger, oder Indianer oder Mongolen. Dieser Mensch ist kein Neger Also dieser Mensch ist entweder ein Kaukasier, oder ein Indianer, oder ein Mongole. Hypothetiko-disjunktiver Syllogismus: Ist diese Arznei wirksam, so wird der Kranke gesund werden oder es wird sein Zustand sich wenigstens bessern Diese Arznei ist wirksam Also der Kranke wird gesund werden oder sein Zustand wird sich wenigstens bessern. 122. Die eben erwähnten Syllogismusarten haben alle die Eigentümlichkeit gegenüber den kategorischen Syllogismen, daß der Schlußsatz u n t e r g e w i s s e n B e d i n g u n g e n aus den Prämissen folgt. Ist der Obersatz hypothetisch, so wird die Bedingung der Konklusion insoweit vollständiger hervorgehoben, als im kategorischen Syllogismus, indem selbst die Gültigkeit des Obersatzes als eine bedingte dargestellt wird. Ist aber der Obersatz disjunktiv, so wird im Schlußsatz irgendeine unter mehreren Möglichkeiten ausgedrückt. Der Schlußsatz ist also in jedem Falle v o l l s t ä n d i g e r begründet, als im kategorischen Syllogismus. Einige Denker drücken diesen Umstand so aus, daß in den hypothetischen und disjunktiven Syllogismen gegenüber dem kategorischen Syllogismus das Verhältnis des logischen Grundes (ratio) und der logischen Folge (consequentia) ausgedrückt wird. Jedoch besteht dies so auch bei dem kategorischen Syllogismus, und es kann auch nicht anders sein. Es folgt nämlich aus dem Wesen des Syllogismus, daß das Verhältnis der Prämissen der



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logische Grund des Schlußsatzes ist, der letztere ist also die logische Folge (consequentia) dieses Grundes. Wir müssen also die Eigentümlichkeit des hypothetischen und des disjunktiven Syllogismus anderswo suchen. Dieses Spezifikum können wir finden, wenn wir folgendes beachten. Der kategorische Syllogismus wird dadurch charakterisiert, daß s e i n e T h e s e n i n s i c h s e l b s t b e s t e h e n k ö n n e n , weil das P sich o h n e j e d e B e d i n g u n g an das S knüpft. S o erhält die kategorische These eine eigentümliche S e l b s t ä n d i g k e i t , die uns an den G r u n d s a t z d e r I d e n t i t ä t erinnert. Dieser Grundsatz enthält nämlich auch das Spezifikum, daß er sich auch auf e i n e i n z i g e s D i n g beziehen kann, indem er diejenige Bestimmung der Dinge ausdrückt (die Identität mit sich selbst), die zum Ding i n s i c h s e l b s t , unabhängig von jedem anderen Ding, gehört. Die kategorische These und der kategorische Syllogismus entsprechen also dem p r i n c i p i u m i d e n t i t a t i s . Demgegenüber werden die hypothetische These, bzw. der hypothetische Syllogismus eben dadurch charakterisiert, daß das P zum S sich in ihnen n u r u n t e r e i n e r g e w i s s e n B e d i n g u n g knüpft. D i e s drücken die Schlußsätze des reinen und des gemischten hypothetischen Syllogismus aus. Die Bedingung ist hier die logische A n t e z e d e n z („Wenn A est B " ) : das Verhältnis des S und des P ist im hypothetischen Syllogismus eben von dieser Antezedenz abhängig gemacht. Die Verbindung mit der Antezedenz bedeutet eben einen Z u s a m m e n h a n g . Die hypothetische These, bzw. der hypothetische Syllogismus drücken also im Grunde aus, daß die Verbindung des S und des P von einem gewissen Z u s a m m e n h a n g (Verhältnis) abhängt. Dieser Zusammenhang ist im hypothetischen Syllogismus eben derjenige, der zwischen der These, die die Verbindung des S und des P ausdrückt, und einer anderen These (eventuell anderen Thesen), die die Antezedenz dieser Verbindung ist, besteht. Insoweit ist es also zweifellos, daß der hypothetische Syllogismus dem p r i n c i p i u m cohaerentiae entspricht Ebenso können wir den engen Zusammenhang zwischen dem dritten logischen Grundsatz, dem p r i n c i p i u m c l a s s i f i c a t i o n i s erweisen. In der disjunktiven These werden nämlich Möglichkeiten aufgezählt, die gemeinsam die Klasse der Möglichkeiten ausmachen, und so sind die einzelnen Möglichkeiten die G l i e d e r einer Klasse. Wenn der disjunktive Syllo-



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gismus in seiner reinen oder gemischten Form das alternative Verhältnis des S und des P im Schlußsatz behauptet, drückt er im Grunde aus, welches Glied oder welche Glieder der Klasse der aufgezählten Möglichkeiten ausgeschlossen werden (dies drückt der Untersatz aus), und daher welches Glied, bzw. welche Glieder aus dieser Klasse in eine gültige Verbindung mit dem Subjekt treten können. Darum kann der disjunktive Syllogismus nur in dem Falle einen logisch wertvollen Schlußsatz zur Folge haben, wenn der O b e r s a t z d i e K l a s s e s ä m t l i c h e r M ö g l i c h k e i t e n r e p r ä s e n t i e r t . Der disjunktive Syllogismus zeigt die logischen Relationen eines A u s s c h l u s s e s , indem er die Glieder einer K l a s s e zu dem Zweck aufzählt, daß die einzig mögliche Gültigkeit eines Gliedes oder einiger Glieder, die nach dem Ausschluß gewisser Glieder einer K l a s s e übrigbleiben, im Schlußsatz behauptet werde. Es liegt also auf der Hand, daß die drei Arten des Syllogismus, nämlich die kategorische, die hypothetische und die disjunktive, aus den drei logischen Grundsätzen entspringen. Der Syllogismus ist nämlich nichts anderes, als ein durch Thesen ausgedrücktes Logismenverhältnis. Die möglichen Relationen der Logismen haben aber ihren letzten Grund in den logischen Prinzipien (s. § 63). 123. Die Syllogismen können aber nicht nur aus dem Gesichtspunkt klassifiziert werden, mit welcher Vollständigkeit die B e d i n g u n g e n der Gültigkeit des Schlußsatzes zum Ausdruck kommen. Wir erhalten neuere Syllogismusarten, wenn wir die Frage stellen, in wie vielerlei Weise d e r G r a d d e r G ü l t i g k e i t des Schlußsatzes im Syllogismus ausgedrückt werden kann. Aus diesem Gesichtspunkt müssen wir p r o b l e m a t i s c h e , a s s e r t o r i s c h e u n d a p o d i k t i s c h e Syllogismen unterscheiden. Der Schlußsatz des ersten ist problematisch, der des zweiten ist assertorisch und derjenige des dritten ist apodiktisch. Hier müssen wir aber vor allem einem Mißverständnis vorbeugen. In einem gültigen Syllogismus folgt der Schlußsatz immer n o t w e n d i g aus den Prämissen, und eben deshalb unterscheiden diese drei Arten des Syllogismus sich nicht darin untereinander, daß das V e r h ä l t n i s der Prämissen und des Schlußsatzes in den drei Fällen verschieden wäre. Z. B. der „problematische Syllogismus" bedeutet gar nicht soviel, daß die Konklusion aus den Prämissen nur folgen k a n n . Sie folgt aus diesen immer notwendigerweise. Ein problematischer



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Syllogismus ist in der Tat derjenige, dessen Schlußsatz nur eine Möglichkeit ausdrückt. Wir wollen vor allem je ein Beispiel über diese drei Arten des Syllogismus betrachten. Problematischer Syllogismus: Es ist möglich, daß irgendwelcher Himmelskörper mit irgendeinem anderen Himmelskörper zusammenstößt Auch die Erde ist ein Himmelskörper Also es ist möglich, daß die Erde mit irgendeinem Himmelskörper zusammenstößt. Assertorischer Syllogismus: Es folgt aus dem Coulombschen Gesetze, daß keine elektrische Ladung im Inneren des Leiters vorhanden sein kann Der Punkt X ist im Inneren dieses Leiters Also kann im Punkt X keine elektrische Ladung vorhanden sein. Apodiktischer Syllogismus: Eine gewisse Temperatur ist eine notwendige Voraussetzung jedes Lebens Diese Temperatur wird einst von der Erde verschwinden Also das Leben wird einst von der Erde notwendigerweise verschwinden. Wenn wir diese drei Syllogismusarten näher betrachten, erkennen wir den wesentlichsten Unterschied zwischen ihnen darin, daß die Prämissen des assertorischen Syllogismus nicht auf solche Thesen hinweisen, auf die sie als auf logisch vorhergehende bauen, wogegen eben dies bei den problematischen und apodiktischen Syllogismen geschieht. Die problematische These bedeutet nämlich soviel, daß die Gültigkeit der These von einer anderen These a b h ä n g t : eben diese Abhängigkeit wird durch die Möglichkeit ausgedrückt. Auch die apodiktische These drückt ein ähnliches Moment aus: die These ist notwendigerweise gültig, weil solche Thesen gültig sind, aus denen ihre Gültigkeit notwendigerweise folgt. Im großen umfassenden System der Wahrheiten kann ja jede heteronome These (vgl. § 103) als der Schlußsatz irgendeines Syllogismus betrachtet werden, und umgekehrt kann jede These als eine Prämisse unendlich vieler Syllogismen fungieren. Während aber dieser Umstand im kategorischen Syllogismus durch die Prämissen nicht



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zum Ausdruck kommt, enthalten die Prämissen der problematischen und kategorischen Syllogismen einen direkten Hinweis darauf. Dadurch zeigen die problematischen und hypothetischen, dann die kategorischen und assertorischen, endlich die disjunktiven und apodiktischen Syllogismen gewisse Ähnlichkeit untereinander. Die Möglichkeit bedeutet nämlich im Grunde ebenfalls eine B e d i n g t h e i t ; die assertorische These drückt eine u n b e d i n g t e Gültigkeit aus, und die Notwendigkeit ist damit gleichbedeutend, daß die These unter mehreren Fällen d e n e i n z i g m ö g l i c h e n ausdrückt. Der Unterschied zwischen ihnen ist natürlich, daß die Einteilung der Syllogismen in kategorische, hypothetische und disjunktive Syllogismen eben auf Grund des B e d i n g t h e i t s g r a d e s der als Prämissen fungierenden Thesen geschieht, während das fundamentum divisionis der Einteilung in problematische, assertorische und apodiktische Syllogismen der G ü 11 i g k e i t s g r a d der Prämissen ist. Durch diesen Unterschied wird aber daran nichts geändert, daß der letzte Grund beider Einteilungen in den logischen Grundsätzen zu finden ist. Der assertorische Syllogismus weist ebenso wie der kategorische Syllogismus auf den Grundsatz der Identität hin, der problematische Syllogismus und ähnlicherweise der hypothetische Syllogismus stehen in einer engeren Beziehung zum Grundsatz des Zusammenhanges, und der apodiktische und der disjunktive Syllogismus zeigen ein näheres Verhältnis zum Grundsatz der Klassifikation, weil beide mit Berücksichtigung der Klasse gewisser Möglichkeiten auf ihre Konklusion schließen (vgl. § 12). 124. Zum Abschluß unserer syllogistischen Erörterungen möchten wir noch die Grundgedanken einiger Theorien des Syllogismus darstellen, damit wir unseren Standpunkt von anderen einschlägigen Theorien um so mehr abgrenzen können. Die Syllogistik des A r i s t o t e l e s beruht auf d r e i Grundgedanken. Der eine ist, daß der Syllogismus eigentlich die Klassifizierung dreier Begriffe bedeutet; der zweite, daß es demnach nur drei Figuren des Syllogismus geben kann, die in der abwechselnden Lage der drei Grundbegriffe (S, M, P) zum Ausdruck kommen und endlich, daß das M eigentlich denjenigen Grund repräsentiert, durch den das S sich im Schlußsatz an das P knüpft. Wir möchten hier diese Punkte einzeln betrachten. Aristoteles gibt z w e i e r l e i Definitionen über den Syllogismus: eine aus dem Gesichtspunkt der T h e s e n und eine aus



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dem Gesichtspunkt der B e g r i f f e des Syllogismus. Nach dem ersteren ist „der Syllogismus eine solche Rede, durch die infolge der Behauptung mehrerer Thesen eine von diesen Thesen verschiedene neue These entsteht, und zwar dadurch, daß diese Thesen behauptet worden sind 1 ." Die zweite Definition ist aber: „Wenn drei Begriffe sich zueinander so verhalten, daß der Unterbegriff im ganzen Mittelbegriff und der Mittelbegriff im ganzen Oberbegriff enthalten ist, so muß hinsichtlich des Oberund Unterbegriffs ein vollkommener Syllogismus entstehen 2 )-" Diese Definition wird durch die weitere Feststellung Aristoteles ergänzt, daß die Thesen des Syllogismus zueinander im Verhältnis des G a n z e n und des T e i l s stehen3). Das Wesen des Syllogismus besteht also nach Aristoteles darin, daß wir auf Grund des Verhältnisses des „Enthaltens" erkennen, daß zwei Begriffe durch die Vermittlung eines dritten zusammengehören. Diese Feststellungen drücken unserer Meinung nach wirklich das Wesen des Syllogismus aus, das wir auf diese Weise formuliert haben, daß der Syllogismus seinem Wesen nach das Resultat eines triadischen Klassifikationsverhältnisses repräsentiert. Aristoteles läßt aber etwas schon da, in den einführenden Erörterungen außer acht, wodurch seine Syllogistik gewisser Ergänzungen bedürftig ist. Aristoteles zieht nämlich unter den Thesen, die den Syllogismus bilden, nur die universalen, partikulären, pluralen und „unbestimmten" Thesen in Betracht. Unter den letzteren versteht er solche Thesen, in welchen der Umfang des S unbestimmt bleibt, z. B. „der Mensch ist ein vernünftiges Wesen". Diese Thesenart ist aber eine verhüllte universale These (vgl. § 78), und so leistet sie keinen Ersatz dafür, daß Aristoteles die s i n g u l a r e These unbeachtet läßt. Außerdem erkennt er auch die Selbständigkeit der limitativen These gegenüber der negativen These nicht, wodurch die Anzahl der Syllogismusmodi abnimmt. Eine weitere wichtige Entdeckung des Aristoteles ist es, daß nur drei Syllogismusfiguren möglich sind. Dies leitet er folgendermaßen ab 4 ): ') Analyt. Prior. I. 1. 24b. 18. ouXXoyto)I.6t I i ¿ 7tä{, dXX* £v tu xi iXi)9iueiv rj ) Vgl. Rickert: Die Grenzen der Naturwissenschaftlichen Begriffsbildung. 2. A. S. 181 und E . Becher: Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften. 1921. S. 110.



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zuletzt selbst den Begriff „Welt" näher feststellen, um die letzte Voraussetzung der Wirklichkeitswissenschaft vollkommen klar darzustellen. Wir bezeichnen als „Welt" die Gesamtheit der existierenden Dinge, indem sie einander beeinflussen und ein einheitliches System bilden. Sie ist von der Konzeption „All" zu unterscheiden, das die Gesamtheit aller Seienden bedeutet, ohne Rücksicht darauf, ob alle diese Seienden einander beeinflussen. Deutlicher gesagt: wenn es ein solches Wesen außerhalb der Welt gibt, von dem die Welt abhängt, nämlich Gott, so müssen wir sagen, daß Gott ein Bestandteil des A l l s , aber kein Teil der W e l t ist. Das „All" ist also ein weiterer Begriff als die „Welt". Die tiefgehende philosophische Bedeutung des Begriffs Welt erkennen wir dann, wenn wir feststellen, daß der BegriS „Welt", obgleich er für jede systematische (wissenschaftliche) Erfahrung unentbehrlich ist, t r o t z d e m k e i n E r g e b n i s d e r E r f a h r u n g , sondern nur eine Voraussetzung d e r s e l b e n s e i n k a n n . Der Begriff Welt ist kein Produkt der Erfahrung, weil sie ja auch solche Wirklichkeiten enthält, von denen wir nie eine Erfahrung haben können. Zur Welt gehören z. B. auch solche Himmelskörper, die nie in unseren Erfahrungskreis fallen werden. Wir haben ja gesehen, daß die Erfahrung schon in einem jeden Falle die Existenz einer solchen größeren Totalität voraussetzt, von der unser Erfahrungsinhalt nur einen Teil ausmacht. D i e E r f a h r u n g g r ü n d e t s i c h a l s o auf den B e g r i f f der W e l t , und n i c h t die W e l t auf die E r f a h r u n g . Unser BegriB von der Welt, mag er noch so inhaltsarm und leer erscheinen, enthält in der Tat m e h r , als wir auf den ersten Blick meinten. Die obige Definition der Welt enthält nämlich auch die Erkenntnis, daß die Welt e x i s t i e r t , ferner, daß sie eine e i n h e i t l i c h e S t r u k t u r hat, daß es einen einheitlichen Weltlauf gibt und dieser Weltlauf r h y t h m i s c h ist. Wir wissen dies alles von der g a n z e n Welt a priori, d. h. unabhängig von der Erfahrung, weil unsere Empirie immer nur ein kleines B r u c h s t ü c k der Welt umfaßt. Daß die Welt eine einheitliche Struktur hat, bedeutet eigentlich, daß die Dinge, die die Welt bilden zu gewissen K l a s s e n gehören; diese Klassen können wieder in immer höhere Klassen gereiht werden, endlich gehören sie alle zu e i n e r allgemeinsten Klasse; zur Klasse der in Wechselwirkung stehenden Seienden. Nur diejenigen Dinge können eine Einheit, d. h. eine Reihe, Ordnung bzw. ein



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System bilden (s. § § 38, 40), die die Glieder d e r s e l b e n K l a s s e sind. Als wir also in der Gesamtheit der Dinge, die wir als Welt bezeichnen, eine einheitliche Struktur behaupten, tun wir eigentlich nichts anderes, als daß wir von der Welt die These feststellen, daß d e r l o g i s c h e G r u n d s a t z der K l a s s i f i k a t i o n , wie für jedes Ding, a u c h f ü r die W e l t g ü l t i g ist. Als wir aber von der Welt konstatieren, daß sie, indem in ihr ein Prozeß vor sich geht, e i n h e i t l i c h ist, behaupten wir eigentlich nur so viel, daß auch die Wirklichkeiten der Welt, wie alle Dinge, m i t e i n a n d e r z u s a m m e n h ä n g e n , und so der aus ihrer Wechselwirkung entstehende Prozeß e i n h e i t l i c h s e i n m u ß . Damit haben wir aber festgestellt, daß das l o g i s c h e P r i n z i p des Z u s a m m e n h a n g e s auch für die Welt gültig ist. Und endlich: als wir im Weltlauf einen Rhythmus konstatieren, drücken wir eigentlich nur die Erkenntnis aus, daß die Dinge der Welt, indem sie m i t s i c h s e l b s t i d e n t i s c h s i n d , auch in ihrem Verhalten nach den verschiedenen Verhältnissen nicht in j e d e r H i n s i c h t anders sein können, d h. — was damit gleichbedeutend ist — im Weltlauf ä h n l i c h e Erscheinungen wiederkehren müssen. Eben dies drückt der Rhythmus des Weltprozesses aus, und wir sagen durch die Konstatierung desselben nichts anderes aus, als die Behauptung, daß das P r i n z i p d e r I d e n t i t ä t , wie für jedes Ding, so auch für diejenigen Wirklichkeiten gültig ist, die die Welt bilden. W a s w i r von der W e l t u n a b h ä n g i g von der E r f a h r u n g w i s s e n , ist also n i c h t s a n d e r e s , als daß die W e l t den drei l o g i s c h e n G r u n d s ä t z e n u n t e r w o r f e n i s t . Mag dieses Ergebnis noch so überraschend sein, es folgt eigentlich in einer sehr einfachen Weise aus den bisherigen. Wir haben wiederholt erkannt, daß eine solche Wahrheit, die „selbstverständlich", d. h. so evident ist, daß ihre Allgemeingültigkeit nicht bezweifelt werden kann, keines empirischen Beweises bedarf, weil jeder bezügliche Zweifel sich schon auf d i e s e l b e e v i d e n t e Einsicht gründet. Die logischen Grundsätze sind immer die Grundlagen einer solchen formalen Evidenz, wir konnten also vermuten, daß die Einsicht der einheitlichen Struktur, des einheitlichen Prozesses und Rhythmus der Welt, indem wir diese als „selbstverständliche" angenommen haben, in letzter Analyse auf die logischen Grundsätze zurückgeführt werden kann.



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189. Die Wirklichkeitswissenschaft setzt aber auch voraus, daß die Welt einen W e r t hat, sonst würde sie nicht für ebenfalls selbstverständlich halten, daß sie w e r t ist erkannt zu werden. Der W e r t eines Dinges bedeutet, daß es aus einem gewissen Gesichtspunkt einen Vorrang gegenüber anderen Dingen hat. Was nur einen m i t t e l b a r e n , d. h. relativen Wert hat, das hat nur aus dem Gesichtspunkt irgendeines zu erreichenden Z i e l e s einen Vorrang gegenüber anderen Dingen. Einen solchen relativen Wert hat z. B. dasjenige, was wir als „ n ü t z l i c h " bezeichnen. Wenn aber etwas i n s i c h , d. h. a b s o l u t wertvoll ist, so hat es s e i n e m W e s e n n a c h einen Vorrang gegenüber anderen Dingen. Aus dem Gesichtspunkt des praktischen Lebens, d. h. des H a n d e 1 n s , hat die Welt offenbar nur einen relativen Wert und sie ist als ein M i t t e l in Anbetracht derjenigen Ziele wertvoll, die wir erreichen wollen. Auf den ersten Blick scheint es aber, daß die Wirklichkeit aus dem Gesichtspunkt der theoretischen Wissenschaft einen Eigenwert hat, weil die Theorie ja nicht das Handeln, sondern die Betrachtung bezweckt. Dies ist aber keine richtige Folgerung. Es ist zwar richtig, daß die theoretische Wissenschaft sich in der Erforschung der Wirklichkeit nichts P r a k t i s c h e s zum Ziele setzt, dennoch will sie ein gewisses Ziel erreichen, dessen Mittel die Theorie und indirekt selbst die Wirklichkeit, also die Welt sind. Dieses Ziel ist d i e j e v o l l k o m m e n e r e E r k e n n t n i s d e r W a h r h e i t e n , und so hat nicht die Theorie, sondern die Wahrheit selbst einen Eigenwert. Einem weiteren Wertmaß der Wahrheit können wir nicht mehr nachforschen. Das Ergebnis einer jeden solchen Nachforschung wird ja nämlich eben danach bewertet, ob es w a h r ist, und so s e t z t eine jede Forschung nach dem Wert der Wahrheit schon den absoluten Wert der Wahrheit v o r a u s . Auch die Theorie hat darum einen Wert, weil sie uns W a h r h e i t e n bekannt macht, und auch die wissenschaftliche Forschung der Wirklichkeit bzw. der W e 11 ist darum wertvoll, weil sie uns eben d i e a u f d i e W e l t b e z ü g l i c h e n W a h r h e i t e n darstellt. Wir müssen ja noch weiter gehen. Aus dem Gesagten folgt nämlich, daß d i e W e 11 in s i c h k e i n e n W e r t hat. Sie e r h ä l t e i n e n W e r t d a v o n , daß sie d a s e w i g e System der W a h r h e i t e n w i d e r s p i e g e l t . Und als die Wirklichkeitswissenschaft als ihre eigentümliche letzte Präsupposition voraussetzt, daß d i e W e l t , d i e e i n e e i n h e i t l i c h e S t r u k t u r



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und einen e i n h e i t l i c h e n Rhythmus hat, der F o r s c h u n g w e r t i s t , so setzt sie die Welt der platonischen ewigen Ideen über alles, weil sie die Verwirklichung derselben in der Wirklichkeit erforscht und schätzt. 190. Wir haben bereits festgestellt, daß die Mathematik mit dem Relationskalkül bezüglich der meßbaren Dinge identisch ist (s. § 53). Ihre weitere Zergliederung folgt aus der ebenfalls schon betonten Eigentümlichkeit, daß die Gegenstände der Mathematik miteinander im Verhältnis des z e i 11 o s e n N a c he i n a n d e r s , d. h. in f u n k t i o n a l e r A b h ä n g i g k e i t stehen (s. § 182). Aus diesem Gesichtspunkt ist der grundlegendste mathematische Begriff die Funktion. Die weitere Einteilung der Mathematik hängt davon ab, wie die Theorie der F u n k t i o n aus verschiedenen Gesichtspunkten untersucht werden kann. Die in einem solchen Sinne genommene Mathematik ist erst nicht lange entstanden, und so ist ihre Systematik noch ziemlich unentwickelt. Es gibt ja nämlich auch ganz junge Disziplinen (Mengenlehre, absolute Geometrie), deren Grenzen um so weniger scharf gezeichnet werden können, weil noch die Entwicklung weiterer neuerer Richtungen zu erwarten ist. So viel können wir aber schon feststellen, daß sämtliche mathematischen Disziplinen vor allem in z w e i große Gruppen geteilt werden können. Die eine ist die a l l g e m e i n e , die andere die s p e z i f i s c h e Mathematik. Zur letzteren gehören z. B. die Arithmetik und die euklidische Geometrie, zur ersteren z. B. die Zahlentheorie, die absolute Oeometrie (die nicht nur die Theorie des euklidischen Raumes ist), die Mengenlehre, der Infinitesimalkalkül, die Algebra. Die weitere Zergliederung ist schon die Aufgabe der spezifischen und nicht der allgemeinen Wissenschaftslehre. Wie die Wirklichkeitslehre, ebenso hat auch die Mathematik ihre spezifische letzte inhaltliche Präsupposition. Diese ist aber nichts anderes, als daß die gesamten Gegenstände miteinander in einer R e l a t i o n stehen. D a r u m halten wir es für „selbstverständlich", daß alle Dinge zählbar und so die Glieder einer gewissen Reihe bzw. Systems sind (s. §§ 39, 40). In engster Beziehung mit der Mathematik steht der Begriff „ O r d n u n g " (s. § 40), weil vor allem eben diese ermöglicht, die mathematischen Verhältnisse durch einen K a l k ü l zu entdecken. Die Anwendung des Kalküls gründet sich auf das apriorische Vertrauen auf die Ordnung, indem der Kalkül eben ein Ersetz-



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verfahren ist (s. § 53), das auf der Subsistenz der inhaltlich gleichen Gegenstände und der sich wiederholenden Verhältnisse beruht. Relation und Ordnung bestehen aber nicht nur unter den W i r k l i c h k e i t e n , sondern auch unter allen Objekten (z. B. stehen auch die Ideale und die Fiktionen in einem Verhältnis miteinander), und so hat die Mathematik eine weitere Voraussetzung, als daß die Welt existiert. Darum ist die Existenz desjenigen Gegenstandes aus dem Gesichtspunkt der Mathematik g l e i c h g ü l t i g , dessen Relation sie untersucht. Die Richtigkeit der Addition zweier Zahlen ist unabhängig davon, ob eine solche Anzahl der Gegenstände, wie viel unsere Summe ausmacht, in der Welt e x is t i e r t , weil hier allein die Verhältnisse der bezüglichen Zahlen unabhängig von jedem ontologischen Tatbestand in Betracht kommen. Darum ist die Mathematik von der Wirklichkeitswissenschaft streng zu scheiden und auch ihre spezifische Präsupposition gegenüber der Präsupposition der Wirklichkeitswissenschaft zu betonen (vgl. § 53). 191. Die Gliederung der P h i l o s o p h i e in einzelne Disziplinen haben wir bereits erwähnt (s. § 181). Hier haben wir nur die Frage zu untersuchen, ob die Philosophie eine solche spezifische Voraussetzung hat, wie wir für die Wirklichkeitswissenschaft und die Mathematik festgestellt haben? Die Philosophie ist eben die Wissenschaft der letzten Voraussetzungen (s. § 181), und so hat sie naturgemäß eben die Präsuppositionen der Wirklichkeitswissenschaft und der Mathematik zu untersuchen, d. h. die Begriffe der wertvollen Welt und der Ordnung zu analysieren. Das schließt es aber nicht aus, daß auch sie selbst eine spezifische Präsupposition habe, die sie mit den beiden vorigen Präsuppositionen zusammen zu untersuchen hat. Die gesuchte Voraussetzung folgt aus den Begriffen der „wertvollen Welt" und der „Ordnung", indem beide die Subsistenz d e r W a h r h e i t voraussetzen weil sie die Gültigkeit der W a h r h e i t e n enthalten, daß „es eine wertvolle Welt gibt" und daß „es eine Ordnung gibt". Die spezifische Präsupposition der Phüosophie ist also der Begriff der W a h r h e i t , die zugleich auch die Voraussetzung jeder Wissenschaft ist. Diese ist zugleich diejenige Präsupposition, die auch die Begriffe der „wertvollen Welt" und der „Ordnung" v e r b i n d e t und insoweit die Grundlage der Einheit des Alls ist, weil das All eben dadurch eine E i n h e i t ist, daß es das einheitliche ewige System der Wahrheiten widerspiegelt (vgl. § 22). • . P a n i e r , Logik

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192. Zusammenlassend können wir das System der Wissenschaften folgendermaßen darstellen: Wissenschaft Wirklichkeitswissenschaft (Pr. identitatis) 1. GeschlchtsWissenschaften 2.Beschreibende Wissenschaften 3. Gesetzeswissenschaften

Mathematik (Pr. cohaerentlae)

1. NaturAllgemeine Spezifische Wissenschaften Mathematik Mathematik 2.Psychologische Letzte Voraussetzung: Wissenschaften die Ordnung 3. GeistesWissenschaften

Letzte Voraussetzung: die wertvolle Welt

Philosophie (Pr.classificatlonis) 1- Logik 2. Ethik 3. Ästhetik 4. Metaphysik 5. Ideologie a)Phanotnenologie b) Relationstheorie c) Kategorienlehre d) Werttheorie Letzte Voraussetzung: die Wahrheit

B) W i s s e n s c h a f t l i c h e

Methodenlehre.

193. „Methode" (methodus) bedeutet im allgemeinen ein zielbewußtes und folgerichtiges Verfahren. In der Wissenschaft verstehen wir unter Methode eine solche Forschungsweise, von der wir erkannt haben, daß sie zum Erkennen neuer Wahrheiten geeignet ist. In der methodologischen Untersuchung müssen wir immer zwei Fragen voneinander unterscheiden: die eine bezieht sich auf die Verfahren, die sich in der Praxis der wissenschaftlichen Forschung w i r k l i c h a u s g e b i l d e t h a b e n ; die andere betrifft die E x i s t e n z b e r e c h t i g u n g , d. h. den W e r t dieser Verfahren. Die Methode ist immer ein Ergebnis irgendeiner E r k e n n t n i s . Um eine vollständige wissenschaftliche Methode zu schaffen, müssen wir d r e i Dinge kennen, und zwar 1. die Natur der Wahrheit; 2. die Eigenschaften des Gegenstandskreises, die wir untersuchen wollen; 3. die Funktion der menschlichen Vernunft und die Fähigkeiten derselben. Wenn wir nicht die Bestimmungen der Wahrheit klar erkennen, bleibt uns das Z i e l jeder wissenschaftlichen Forschung in Dunkel gehüllt, weil die Aufgabe jeder Wissenschaft eben ist, möglichst viele neue Wahrheiten zu erkennen. Wenn wir aber den eigentümlichen Charakter des zu untersuchenden Gegenstandskreises außer acht lassen, begehen wir leicht den Fehler — wozu die Geschichte



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der Wissenschaften zahlreiche abschreckende Beispiele gibt —, daß wir z. B. mit der Methode der Mathematik auf einem solchen Gebiet Erfolge erreichen wollen, dessen Gegenstände in solcher Weise nie erkannt werden können, oder aber daß wir z. B. von der „naturwissenschaftlichen Methode" bezüglich solcher Gegenstände einen Erfolg erwarten, die in ganz anderer Weise gegeben sind und ganz anderen Charakters sind, als die Naturerscheinungen. Das Nichterkennen der Funktionen des menschlichen Denkens oder das Über- bzw. Unterschätzen derselben erfordert aber die Lösung unmöglicher Aufgaben von der Methode, oder ergibt ein Mißtrauen auch gegenüber solchen Methoden, die, r i c h t i g angewendet, uns in der Tat befähigen, neue Wahrheiten festzustellen. 194. Es ist voraussichtlich, daß die drei Gebiete der wissenschaftlichen Forschung, die oben aus der Natur der Wahrheit abgeleitet worden sind (s. § 26), drei spezifische Methoden ergeben werden. Und in der Tat entspricht die I n d u k t i o n der Wirklichkeitswissenschaft, die D e d u k t i o n der Mathematik und die R e d u k t i o n der Philosophie. Es kann nur diese gleichberechtigten Methoden geben, weil die Wahrheit nur in dreierlei Weise zugänglich ist: durch A n a l y s e , durch S y n t h e s e und durch A u t o t h e s e . Aus dem Gesichtspunkt der Erkenntniserweiterung gibt es nämlich nur analytische, synthetische und autothetische Thesen bzw. Urteile (s. § 86), und diese drei Urteilsarten entsprechen — wie wir sehen werden — den erwähnten drei Grundmethoden. Um den Mißverständnissen vorzubeugen, bemerken wir schon hier, daß das Beiordnen der drei Grundmethoden zu den drei Grundwissenschaften noch durchaus nicht bedeutet, als wenn z. B. in der Wirklichkeitswissenschaft neben der Induktion auch Deduktion, ja sogar Reduktion nicht angewandt werden könnte, oder die Mathematik neben der Deduktion keiner Reduktion bedürfte. Unsere Feststellung bedeutet nur, daß die b e z e i c h n e n d s t e Methode der Wirklichkeitswissenschaft die Induktion, die der Mathematik die Deduktion und diejenige der Philosophie die Reduktion ist. „Bezeichnend" bedeutet hier soviel als „mit der eigentümlichen Natur des Gegenstandskreises verschmolzen". Demnach ist die Hauptmethode der Wirklichkeitswissenschaft die Induktion, die der Mathematik die Deduktion und diejenige der Philosophie die Reduktion. Eine andere Methode kann auf diesen Gebieten nur als eine provisorische Hilfsmethode angewandt werden. 16*



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195. A l s „ I n d u k t i o n " b e z e i c h n e n w i r d i e jenige M e t h o d e , die, von den einzelnen Fällen a u s g e h e n d , auf d a s j e n i g e u m f a s s e n d e G a n z e f o l g e r t , dessen einen Teil die einzelnen Fälle b i l d e n . Die herkömmliche Definition der Induktion, nach welcher diese in der Folgerung aus e i n z e l n e n Fällen auf a l l g e m e i n e Wahrheiten besteht, wird sich nur als eine A r t der Induktion erweisen. Infolge unserer Definition wird es s o v i e l e r l e i Induktionen geben, wie viele „umfassende Ganze" wir in der Wirklichkeit kennen, deren Teile die e i n z e l n e n Fälle sind. In dieser Hinsicht gibt die obige Zergliederung der Wirklichkeitswissenschaften (s. § 183) eine Unterweisung. Es kann von d r e i e r l e i solchen „Ganzen" die Rede sein, auf die von den „einzelnen Fällen", d. h. von den einzelnen empirischen Gegebenheiten, geschlossen werden kann. Diese sind bei der g e s c h i c h t l i c h e n Untersuchung der Wirklichkeit der „ P r o z e ß", bei der b e s c h r e i b e n d e n Untersuchung die K l a s s e (Typus, Art, Spezies) und bei der G e s e t z e s f o r s c h u n g die R e l a t i o n (Gesetz). Demnach unterscheiden wir: 1. geschichtliche, 2. klassifizierende, 3. Gesetzesinduktion. 196. Die g e s c h i c h t l i c h e l n d u k t i o n besteht ihrem Wesen nach darin, daß wir aus der Erkenntnis der e i n z e 1 n e n Ereignisse denjenigen P r o z e ß konstruieren, dessen Teile die einzelnen Ereignisse sind. Bei einem solchen Verfahren geschieht scheinbar nur soviel, daß wir die einzelnen bekannten Ereignisse summieren und dadurch das Bild des geschichtlichen Prozesses zusammenstellen. Es geschieht aber in der Tat viel mehr bei der Feststellung der historischen Totalitäten. Ein jeder geschichtliche Prozeß, wie wir ihn durch einige Ereignisse rekonstruieren, enthält nämlich m e h r als die Summe dieser Ereignisse. Dies stellt sich schon dadurch heraus, daß wir s ä m t l i c h e Ereignisse eines historischen Prozesses nie vollständig erkennen können. Wenn wir die Biographie einer Person auf Grund gewisser Daten schreiben, wenn wir die Geschichte einer Nation auf Grund des organischen Zusammenhanges gewisser Ereignisse darstellen, enthält unsere Synthese m e h r als die einzelnen Ereignisse. Dieses Plus besteht in der E r g ä n z u n g , durch die wir diese Ereignisse zu einem organischen Ganzen zu-



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sammenfassen. Wir nehmen z. B. im Leben des einzelnen Menschen zwischen den ermittelten Ereignissen eine k a u s a l e Verbindung an, wir erklären sie als Symptome einer E n t w i c k l u n g oder R ü c k e n t w i c k l u n g , wir weisen in der Handlung der Person auf die Äußerungen gewisser Grundbestrebungen hin, die Lücken der zweifellos festgestellten Ereignisse ergänzen wir durch einen angenommenen Lebenslauf usw. Mit anderen Worten: Geschichte schreiben bedeutet immer, einige Bruchstücke zu einer größeren Totalität ergänzen. Die Geschichtschreibung ist also eine im Sinne des vorigen Paragraphen genommene wirkliche Induktion. Demnach besteht auch die Methode der Induktion darin, daß wir aus bekannten Einzelfällen (Ereignissen) auf unbekannte Ereignisse schließen, und daraus die große Totalität des geschichtlichen Prozesses aufbauen. Wie jede Induktionstheorie, so hat auch die Theorie der historischen Induktion die Grundfrage, w o h e r wir denjenigen Inhalt nehmen, mit dem wir die Lücken der bekannten Ereignisse in der erwähnten Weise ausfüllen und ferner: m i t w e l c h e m R e c h t wir die als „geschichtliche Ereignisse" bezeichneten Bruchstücke durch diesen Inhalt zu einem organischen Ganzen ergänzen? Die erwähnten Lücken ergänzen wir auf Grund gewisser A n a l o g i e n , die wir als H y p o t h e s e n schon am Beginne der Induktion annehmen müssen. Es gibt z. B. in der Biographie irgendeines Menschen zwischen zwei festgestellten Ereignissen eine Lücke, d. h. eine solche Zeitdauer, in der wir über keine Daten verfügen. Wir kennen z. B. den Anfang und das Ende seiner Schuljahre. Der Geschichtschreiber kann selbst von diesen zwei Daten feststellen, welche Erlebnisse die betreffende Person während dieser Zeit w a h r s c h e i n l i c h hatte. Er kann dies auf dem Grunde tun, weil er zahlreiche analoge Fälle kennt, wie die Lehrjahre eines Schülers unter ähnlichen Verhältnissen ablaufen. Es wurde oft hervorgehoben, daß es ohne Analogie keine Induktion geben kann. Nun ist auch die historische Induktion nur auf Grund derselben möglich. Auf die Frage aber, m i t w e l c h e m R e c h t e wir die Lücken der geschichtlichen Ereignisse durch Analogie ergänzen, können wir das Folgende antworten: E s i s t e i n e n o t w e n d i g e V o r a u s s e t z u n g j e d e r I n d u k t i o n , d a ß es in d e r W e l t a n a l o g e E r e i g n i s s e gibt, und daß diese d u r c h die Wirkung analoger Umstände entstehen. Wie gesehen, ist die Präsupposition jeder Wirklichkeitswissenschaft

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die einheitliche Welt (s. § 189), deren Struktur, Prozeß und Rhythmus gewisse Analogien zeigt. Weil die Induktion nichts anderes ist als die von der eigentümlichen Natur der Wirklichkeitswissenschaften erforderte Methode, so ist es selbstverständlich, daß wir bei jeder Anwendung der Induktion auf d i e s e l b e n Voraussetzungen bauen. 197. Die k l a s s i f i z i e r e n d e I n d u k t i o n setzt sich zur Aufgabe, daß sie aus einigen bekannten Daten auf unbekannte Daten schließt und s o den Begriff derjenigen Klasse (Genus, Spezies) feststellt, der auch die bekannten Daten untergeordnet sind. Wir können schon auf Grund der bisherigen einsehen, daß die Induktion ein solches S c h l u ß v e r f a h r e n ist, durch das wir die Wirklichkeit aus einigen Bruchstücken e r g ä n z e n . Diese Ergänzung geschieht bei der historischen Induktion in der Richtung des einheitlichen Prozesses; bei der klassifizierenden Induktion besteht diese Ergänzung darin, daß wir aus einzelnen Exemplaren die entsprechende S p e z i e s oder das G e n u s feststellen. Das Wesen dieses Verfahrens haben wir schon bei der Theorie der Klassifikation untersucht (s. §§ 166 bis 168). Der Schluß vom Teile (von den einzelnen Exemplaren) auf das Ganze (Genus oder Spezies) geschieht in der Weise, daß wir in den einzelnen Exemplaren die allgemeinen Merkmale e r k e n n e n . Dies geschieht aber vor allem durch das Zusammensuchen der einzelnen Exemplare, das offenbar schon eine gewisse unklare Erkenntnis des Genus oder der Spezies voraussetzt. Wir können z. B. unter den vielen Pflanzen nur dadurch die Lorbeerexemplare sammeln, daß wir die allgemeinen Eigenschaften dieser Pflanzenart schon vermuten. Also die Induktion wird auch hier, wie bei der historischen Induktion, durch eine Hypothese geführt, ohne die sie nicht einmal beginnen kann. Wir müssen schon am Anfang der Forschung den Bestand desjenigen „Ganzen" voraussetzen, das wir eben durch unsere Induktion in seiner Bedeutung darlegen wollen. Wenn wir schon mehrere Exemplare gesammelt haben, wird der zweite Schritt unseres induktiven Verfahrens sein, daß wir aus diesen Exemplaren diejenigen Merkmale herauslesen, durch die sie die Glieder irgendeiner Klasse (Genus, Spezies) sind. Dieses Verfahren besteht aber im Vergleich der E x e m p l a r e . Was wir in dieser Weise in den einzelnen Exemplaren als g e m e i n s a m e Merkmale erkannt haben, was also in ihnen k e i n i n d i v i d u e l l e s Merkmal ist, das fassen wir als die Merkmale derjenigen Klasse

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auf, zu welcher auch die untersuchten Exemplare als Glieder gehören. Während bei der historischen Induktion der „Teil" das „Ereignis" und das „Ganze" der „Prozeß" ist, wird bei der klassifizierenden Induktion der „Teil" durch das „Exemplar" und das „Ganze" durch die „Klasse" vertreten. Was berechtigt uns, in jedem Falle, d. h. zu einem jeden Dinge die entsprechende Klasse, d. h. Allgemeinheit zu suchen, der die einzelnen Dinge untergeordnet sind? Den letzten Grund dazu ergibt offenbar das Prinzip der Klassifikation, nach welchem zu einem jeden Ding ebenso eine Allgemeinheit, wie auch eine Eigenschaft gehört (s. § 34). Demnach gehört es auch zur Struktur der Welt, daß auch die existierenden Dinge zu Spezies und Genera gehören, die alle zuletzt die Klasse der „existierenden Dinge" bilden. Insoweit entspricht die klassifizierende Induktion derjenigen Voraussetzung der Wirklichkeitswissenschaft, die die einheitliche Struktur der Welt ausdrückt (s. § 188). Zu der induktiven Schlußfolgerung werden wir auch hier, wie in jedem anderen Falle, durch die allgemeine Wahrheit berechtigt, nach welcher das Einzelne immer ein Allgemeines enthält, und die Aufgabe der wissenschaftlichen Forschung besteht bei der Induktion eben in der eingehenden Erklärung dieser Allgemeinheiten auf Grund der Untersuchung einzelner Fälle. 198. Auch die G e s e t z e s i n d u k t i o n schließt naturgemäß aus einzelnen Fällen als Teilen auf irgendeine Totalität, also auf „unbekannte Fälle". Hier vertritt aber den Einzelfall eine gewisse R e 1 a t i o n der Erscheinungen, und das umfassende Ganze ist dasjenige G e s e t z , aus welchem die einzelnen Relationen der Erscheinungen folgen. Durch eine solche Induktion stellen wir z. B. das Coulombsche Gesetz fest, nach welchem die Kraft zwischen zwei elektischen Ladungsmengen mit dem Quadrat ihrer Entfernung umgekehrt proportional ist. Die einzelnen Fälle haben wir bei der mehrmaligen Beobachtung des Verhaltens elektrischer Ladungen erkannt; das Gesetz, das wir auf Grund derselben festgestellt haben, drückt diejenige Rhythmik des Naturprozesses aus, nach welcher diese Erscheinung stets der erwähnten Gesetzmäßigkeit folgt. Es ist aber gut zu bemerken: wir sind hier zur Verallgemeinerung nicht dadurch berechtigt — wie es z. B Stuart Mill behauptet — daß wir die U r s a c h e der regelmäßigen Verknüpfung der Erscheinungen erkannt haben, sondern allein durch den Umstand, daß wir in dem betreffenden Gesetz eine solche Formel erkannt haben, die einen Rythmus im Weltprozesse ausdrückt und so derjenigen

— 248 — Voraussetzung e n t s p r i c h t , die wir aus diesem Gesichtspunkte für den Weltprozeß festgestellt haben (s. § 184). Insoweit entspringt die letzte Berechtigung der Gesetzesinduktion dem G r u n d s a t z d e r l d e n t i t ä t . Sie gründet sich nämlich darauf, daß das Seiende m i t s i c h s e l b s t identisch b l e i b t , und so unter ähnlichen Verhältnisse in ähnlicher Weise wirken bzw. eine Rückwirkung ausüben wird. Das „Gesetz" bedeutet eben die Beständigkeit der Wirkung und der Rückwirkung. Die U r s a c h e n der Regelmäßigkeiten, die die Naturgesetze ausdrücken, sind für uns meistens unbekannt, und wir werden sie wahrscheinlich nie erkennen. Wir kennen z. B. die Ursache nicht, nach welcher die freigelassenen Körper unter der Wirkung der Gravitation eben gleichmäßig beschleunigt und nicht in irgendeiner anderen Weise fallen. Wir kennen auch diejenige Ursache nicht, warum das Licht in einer Sekunde 300 000 km zurücklegt. Und all diese sind doch „Naturgesetze", die durch eine untadelhafte Induktion festgestellt worden sind. So viel ist zweifellos, daß das Gesetz nur in dem Falle auch der Gegenstand unseres W i s s e n s und nicht nur derjenige unserer E r k e n n t n i s ist, wenn wir es in einem apodiktischen Urteil ausdrücken (s. § 149), d. h. wenn wir auch die U r s a c h e der Gleichmäßigkeit feststellen können. Daß wir dieses Ideal einst erreichen, können wir infolge der Verwickeltheit der Wirklichkeit kaum erwarten. Wo wir meinen, daß wir eine solche letzte Kausalverbindung erkannt haben, auch dort bleibt noch immer die Möglichkeit, daß die weitere Forschung keine unmittelbare kausale Verbindung zwischen den Erscheinungen feststellen wird. Daß es eine notwendige Verbindung zwischen den Dingen und so auch zwischen den Wirklichkeiten gibt, dies folgt unzweifelhaft aus der Allgemeingültigkeit des Prinzips des Zusammenhanges, und so ist die absolute Gültigkeit der Kausalität für jede Veränderung zweifellos1)- Daß wir aber i n c o n c r e t o selbst in einem einzigen Falle die kausale Verbindung zwischen den Erscheinungen mit absoluter Gewißheit feststellen können, ist für uns kaum möglich. Wir wären dazu nur in dem Falle fähig, w e n n w i r d i e W i r k l i c h k e i t vollk o m m e n k e n n t e n , weil wir nur in diesem Falle feststellen könnten, daß wir auch in dem einzelnen Falle i n d e r T a t diejenige unmittelbare kausale Verbindung erreicht haben, die zwischen den Erscheinungen besteht. J

) Vgl. Grundlagen der Philosophie § 154.



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Aus all diesen folgen zwei wichtige Umstände. Der eine ist, daß, obzwar die Kausalität des Weltprozesses und, indem ähnliche Ursachen zurückkehren, die Rhythmik desselben zweifellos ist, trotzdem jedes von uns formulierte „Gesetz" nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit hat. So besteht die Möglichkeit für jedes sogenannte „Naturgesetz", daß die fortschreitende Wissenschaft es zunichte macht. Die andere wichtige Lehre ist aber, daß die Gesetzesinduktion um so richtiger ist, je mehr sie die B e o b a c h t u n g der u n m i t t e l b a r e n Verbindung d e r E r s c h e i n u n g e n ermöglicht, und daß sie um so vollkommener ist, je vollständiger durch sie die beobachtete Wirklichkeit vereinfacht werden kann. Eine philosophisch durchdachte Wissenschaft darf sich also solche wichtigtuende Phrasen nicht erlauben, daß „wir ewige und unveränderliche Naturgesetze kennen" oder, daß irgendein Ereignis, das z. B. die religiöse Weltanschauung für ein Wunder hält, „unmöglich ist, weil es den Naturgesetzen widerspricht." Die empirische Wissenschaft muß von diesem hochmütigen Piedestal heruntersteigen, wohin der naive Rationalismus des XVIII. Jahrhunderts sie gesetzt hat. W i r k e n n e n in d e r T a t k e i n s o l c h e s N a t u r g e s e t z , v o n d e m w i r mit R e c h t b e h a u p t e n k ö n n t e n , d a ß es „ e w i g u n d u n v e r ä n d e r l i c h i s t " . Die von uns erkannten Naturgesetze können nur die Würde sehr vorsichtiger und provisorischer Verallgemeinerungen beanspruchen, die die fortschreitende Wissenschaft vielleicht schon morgen verwirft. Und wir sind nicht berechtigt, die Möglichkeit der „Wunder" zu leugnen, einfach darum, weil wir nur ein sehr kleines Bruchstück der Wirklichkeit erkennen können, und so ist eine solche Überraschung nie ausgeschlossen, daß auf einmal ein Ereignis vorkommt, das wir auf Grund unserer b i s h e r i g e n Erkenntnisse nicht erklären, ja nicht einmal eine Analogie dazu finden können. Hinwieder können wir aber die Ursache eines ungewöhnlichen Ereignisses einfach darum noch nicht für „übernatürlich" halten, weil wir es auf Grund unserer bisherigen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse nicht erklären können. Die apodiktische Feststellung dessen, daß etwas durch „natürliche" Ursachen nicht erklärt werden kann, würde ja ebenfalls die Erkenntnis der g a n z e n N a t u r voraussetzen. Wir wären nämlich nur in diesem Falle berechtigt festzustellen, was durch „natürliche" Ursachen erklärt werden kann und was nicht. Der religiöse Glaube kann mit Recht irgendein konkretes Ereignis

— 250 — für ein Wunder halten, und diesen seinen Standpunkt kann keine Wissenschaft widerlegen, weil wir es ja nicht endgültig entscheiden können, ob nicht all das, was um uns geschieht, ein Wunder ist, d. h. ob nicht alle Veränderungen von solcher Natur sind, daß sie nur durch die ununterbrochene Mitwirkung des obersten Wesens zustande kommen können. Die weitere Untersuchung dieser Frage gehört aber der Metaphysik und nicht der Logik an. 199. Die ganze Methodik der Gesetzesinduktion kann von der Feststellung abgeleitet werden, daß es uns um so mehr gelingt, ein Gesetz von möglichst großer Wahrscheinlichkeit zu formulieren, je u n m i t t e l b a r e r e Kausalverbindungen wir feststellen können. Daraus ist vor allem ersichtlich, warum das E x p e r i m e n t aus dem Gesichtspunkt der induktiven Forschung wertvoller ist als die B e o b a c h t u n g. Diese zwei Weisen der Erfahrung unterscheiden sich voneinander darin, daß beim Experiment die zu beobachtende Erscheinung von uns selbst hergestellt wird, natürlich in solcher Weise, wie es für unsere Zwecke entspricht, bei der Beobachtung aber die Erscheinung unabhängig von unserem Willen gegeben ist. Der größere methodologische Wert des Experiments gegenüber der Beobachtung steckt eben darin, daß wir durch jenes die zu untersuchende Erscheinung nach Möglichkeit vereinfachen und so die Wiederholung solcher Erscheinungsverbindungen feststellen können, die verhältnismäßig weniger verwickelt sind, als welche der Weltprozeß selbst bietet. Auch diejenigen Methoden der Induktion, die z. B. Stuart Mill vorschlägt (s. unten § 201), sind ihrem Wesen nach nichts anderes als solche Verfahren, durch die wir die wiederholte Verbindung der Erscheinungen unter weniger verwickelten Umständen beobachten können. So besteht z. B. die „Methode der parallelen Veränderungen" Mills ihrem Wesen nach darin, daß wir in zwei Erscheinungsreihen diejenigen Momente hervorheben, die einander begleiten, und daraus schließen wir, daß zwischen diesen eine gesetzmäßige Verbindung besteht. Hier geschieht eigentlich, daß wir zum Zweck der Vereinfachung unserer Beobachtungen in den zwei Erscheinungsreihen von all denjenigen Momenten a b s e h e n , die sich nicht parallel verändern, damit wir die so zurückgebliebenen einander begleitenden Erscheinungen um so genauer beobachten können. 200. Die Berechtigung aller drei Arten der Induktion — der historischen, der klassifizierenden und der Gesetzesinduktion



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— gründet sich in letzter Analyse auf die Wahrheit, daß d i e W e l t e i n e e i n h e i t l i c h e S t r u k t u r h a t , die sich eben darin äußert, daß es in der Welt a n a l o g e E r s c h e i n u n g e n , K l a s s e n und R h y t h m e n gibt. Dies bedeutet aber in der Tat, daß die logischen Grundsätze wie für ein jedes Ding, auch für die Welt gültig sind. Wir können aber noch weitergehen. Selbst die logischen Grundsätze bilden eine Einheit, sie sind ja die Glieder d e r s e l b e n R e i h e , die einander gegenseitig voraussetzen (s. § 37). Sie bilden auch darin eine Einheit, daß sämtliche Wahrheiten ein einheitliches System bilden (s. § 11). Der letzte Grund der Einheit der Welt und überhaupt des Alls ist also die einheitliche Logizität des Alls, die eben die absolute Gültigkeit der logischen Grundsätze bedeutet. Diese formale Einheit des Alls berechtigt uns, irgendein Ding als einen T e i l eines größeren Ganzen (der Welt bzw. des Alls) zu betrachten. Jede Induktion geht von der apriorischen Überzeugung aus, daß die einzelnen Momente (Ereignisse, Exemplare, Erscheinungsverbindungen) auf ein größeres, umfassendes Ganzes, nämlich auf einen einheitlichen Prozeß, eine Klasse oder Gesetzmäßigkeit hinweisen. Ohne diese Voraussetzung hätte es keinen Sinn, induktiv zu folgern. Bei der Induktion bauen wir nämlich schon auf die felsenfeste Überzeugung, daß die Welt keine Anarchie der zufälligen Erscheinungen ist, sondern eine hierarchische Struktur hat: jeder Teil derselben ist einem umfassenden Ganzen untergeordnet. Und weil es so ist, sind wir zugleich auch davon überzeugt, daß der Teil und das Ganze sich ineinander widers p i e g e l n . Darum sind wir berechtigt, in der Induktion aus den Teilen auf das entsprechende Ganze, d. h. aus den einzelnen Ereignissen auf den ganzen Prozeß, aus den einzelnen Exemplaren auf die Art, und aus den einzelnen Gleichförmigkeiten auf die Gesetzmäßigkeit zu folgern. Dieses „Widerspiegeln" hat d r e i e r l e i Bedeutung. Es bedeutet v o r a l l e m , daß die einzelnen Ereignisse immer nur als Teile irgendeines Prozesses verstanden werden können, und so s e l b s t d i e e i n z e l n e n E r e i g n i s s e bereits e t w a s vom Ganzen enth a l t e n . Darum könnte ein allwissender Geist aus einem e i n z i g e n Ereignis den g a n z e n Grundprozeß feststellen. Die historische Induktion macht eigentlich nichts anderes, als daß sie eine solche Feststellung versucht; sie will aus den einzelnen Ereignissen d e n g a n z e n P r o z e ß konstruieren. Je vollkommener wir die e i n z e l n e n Ereignisse erkennen, desto



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w e n i g e r Ereignisse benötigen wir zur Induktion. Die Widerspiegelung des „Ganzen" im „Teile" bedeutet z w e i t e n s , daß auch die einzelnen Exemplare alle Kriterien der Art enthalten. Es hat bereits Goethe erkannt: „Das wohlbesehene Besondere kann schon als Allgemeines gelten." Es gilt auch hier: Je vollkommener die Erkenntnis der „einzelnen" Fälle, d. h. der „Exemplare" ist; desto w e n n i g e r Exemplare brauchen wir, um auf die Art zu folgern. Und d r i t t e n s kann das „Ganze" sich auch dadurch im Teile widerspiegeln, daß eine Gesetzmäßigkeit sich auch in der e i n m a l i g e n Verbindung zweier Erscheinungen äußern kann, und die Induktion besteht eben darin, daß wir diese allgemeine Gesetzmäßigkeit auf Grund e i n i g e r Erscheinungsverbindungen feststellen. Die Induktion ist — nach dem treöenden Gleichnis von S t a n l e y J e v o n s — in der Tat dem Entziffern einer Geheimschrift ähnlich, w o wir durch die Untersuchung einzelner Textteile denjenigen Schlüssel feststellen wollen, durch den der g a n z e Text erklärt werden kann. 201. Auf die heutigen Induktionstheorien war die einschlägige Theorie J o h n S t u a r t M i l l s von dem größten Einfluß 1 ). Nach ihm können wir eine jede solche Erkenntnisweise in w e i t e r e m Sinne als eine Induktion bezeichnen, die k e i n e n i n t u i t i v e n Charakter hat. Wir können also auch die Feststellung e i n z e l n e i T a t s a c h e n als Induktion betrachten. Eine Induktion in e n g e r e m Sinne ist aber nur ein solches Verfahren, das daraus, was für einige Individuen einer Klasse gilt, darauf schließt, daß es in ähnlichen Verhältnissen immer wahr sein wird. Das Wesen der Induktion besteht also darin, daß wir aus b e k a n n t e n Fällen auf u n b e k a n n t e Fälle schließen. Wo eine solche. Folgerung fehlt, d. h. wo wir s ä m t l i c h e Fälle aufzählen, dort kann von einer wahren Induktion keine Rede sein. Die Induktion ist immer eine Verallgemeinerung aus der Erfahrung. Ihr Grundprinzip ist „die Gleichförmigkeit des Naturprozesses", nach welchem wir davon überzeugt sind, daß unter ähnlichen Umständen immer ähnliche Erscheinungen eintreffen. Dieses Prinzip ist aber nicht a priori wahr, es ergibt sich selbst aus der Erfahrung. Die Grundfrage der Induktion ist also, warum in gewissen Fällen ein e i n z i g e r F a l l zur Verallgemeinerung genügt, in anderen Fällen aber auch sehr viele Fälle keinen genügenden Grund dazu ergeben. Wenn z. B. *) A System of Logic, Rationaliye and Inductive. 1841

— 253 — der Chemiker irgendein neues Element entdeckt, genügt selbst ein e i n z i g e r Fall zur Feststellung, daß wir es hier mit einem neuen Element zu tun haben. Wenn aber jemand jahrelang jeden Tag in derselben Stunde durch dieselbe Straße geht, berechtigt uns das noch nicht, zu folgern, daß der Betreffende unter denselben Verhältnissen immer durch die Straße gehen wird. Das Problem der Induktion identifiziert sich also nach und nach mit der Frage des Wesens des N a t u r g e s e t z e s . Die ähnliche Wiederholung der Erscheinungen selbst beweist noch kein Naturgesetz. Wir sind nur in dem Falle berechtigt, ein solches vorauszusetzen, wenn wir auch das anerkannt haben, w o r a u s die Gleichförmigkeit folgt. Fallen z. B. der Stein ebenso wie das Quecksilber hinunter, so sind diese nur Gleichförmigkeiten, aber keine Gesetze: Gesetz ist nur das Gesetz des freien Falles, und diese Gleichförmigkeit ist nur ein Fall desselben. Nach den Naturgesetzen forschen heißt also die Frage stellen: welche ist die geringste Anzahl derjenigen einfachsten Bedingungen, aus welchen die ganze Ordnung der Natur folgt? Der letzte Grund der auf die Erfahrung gebauten Verallgemeinerung ist das K a u s a l p r i n z i p . Als U r s a c h e bezeichnen wir die u n b e d i n g t vorausgehende Erscheinung. Ob irgendeine Erscheinung von einem solchen Charakter ist, wissen wir ebenfalls aus der Erfahrung. Nach Mill beruht also die Induktion auf dem Kausalprinzip — aber das Kausalprinzip abstrahieren wir wieder aus der Erfahrung. Daß die letzte Wurzel der Induktion das Kausalprinzip ist, bedeutet soviel, daß wir nur in dem Falle einen Erfahrungssatz für allgemeingültig halten dürfen, wenn wir die U r s a c h e erkannt haben, die immer und überall ähnliche Tatsachen herbeiführt. Wir erkennen z. B., daß irgendein Stoff gewisse Individuen einer Tierart vergiftet hat; daß dieses Gift die Individuen der Tierart i m m e r und ü b e r a l l tötet, können wir nur in dem Falle behaupten, wenn wir erkannt haben, w a r u m dieses Gift die betreffenden Tierindividuen n o t w e n d i g tötet, z. B. weil es wichtige Zellen des Gehirns lähmt. Diese Forschung der Ursachen wird durch den Umstand sehr erschwert, daß es sich in der Wirklichkeit immer um die Verwickelung m e h r e r e r Ursachen handelt. Mill unterscheidet, teils nach H e r s c h e i , v i e r M e t h o d e n d e r empirischen Forschung, und zwar 1. die Methode der Übereinstimmung, 2. die Methode der Unterscheidung, 3. die Methode der parallelen Veränderungen und 4. die Methode der Residuen. Das Wesen der ersten besteht darin, daß

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wir aus zwei Erscheinungen, die außer in e i n e m gemeinsamen Moment in jeder Hinsicht verschieden sind, folgern, daß dieses gemeinsame Moment die gesuchte Ursache bzw. Wirkung ist. Wenn z. B. zwei Individuen ein vollkommen verschiedenes Leben führen und nur darin übereinstimmen, daß sie aus demselben Nahrungsmittel gegessen haben und demzufolge krank geworden sind, können wir folgern, daß diese gemeinsame Nahrung die Ursache der Erkrankung war. Die Methode der Unterscheidung ist der Gegensatz der vorigen: hier folgern wir auf die Ursache, bzw. auf die Wirkung daraus, daß zwei Erscheinungen in jeder Hinsicht übereinstimmen, nur in einem Moment verschieden sind. Z. B. ein Mensch wurde von einer Gewehrkugel getroffen, infolgedessen er gestorben ist. Sämtliche Umstände sind vor und nach dem Tode dieselben, ausgenommen, daß der Mensch vor dem Tode von keiner Gewehrkugel getroffen war. Die Ursache des Todes war also die Gewehrkugel. Die Methode der parallelen Veränderungen besteht darin, daß wir aus der parallelen Veränderung zweier Erscheinungen auf die zwischen ihnen bestehende Kausalverbindung folgern. So können wir aus der Beobachtung, daß die Alkoholiker-Familien degenerieren, folgern, daß die Ursache dieser Degeneration der unmäßige Genuß des Alkohols ist. Die Methode der Residuen besteht endlich darin, daß wir nach und nach all diejenigen Momente ausschließen, die n i c h t die Ursachen (oder Wirkungen) der beobachteten Erscheinung sein können; daraus folgern wir dann, daß das übriggebliebene Moment die gesuchte Ursache bzw. Wirkung ist. So geht z. B. der Geschichtschreiber vor, als er den Motiven der Handlung einer historischen Person nachforscht, inzwischen die politischen, religiösen, usw. Motive ausschließt und endlich die verletzte Eitelkeit als solches Moment findet, das die Triebfeder der Handlung sein konnte. L u q u e t weist sehr richtig darauf hin, daß diese vier Methoden eigentlich auf zwei: auf die Methoden der Unterscheidung und der Übereinstimmung zurückgeführt werden können1). Zur ersteren gehören die zweite und die vierte, zur letzteren die erste und die dritte Methoden. Wir können ja noch weiter gehen: alle vier Verfahren sind Anwendungen eines Vergleichs, indem wir die Erscheinungen aus dem Zwecke vergleichen, daß wir dadurch die b e s t ä n d i g e n (unbedingten) Faktoren von den nicht beständigen Faktoren absondern. Insoweit sind alle vier Methoden eigentlich A u s s c h l u s s ') Essai d'une logique systématique et simplifiée. Paris, 1913. S. 132.

— 255 — v e r f a h r e n , wie es selbst Mill für die zwei ersten Methoden hervorhebt. Die Induktionstheorie Mills hat neben vielen richtigen Gesichtspunkten z w e i große Fehler. Der eine ist, daß er diese Methode bloß au! die Gesetzesinduktion anwendet, obgleich er schon vermutet, daß die Induktion nicht nur Gesetzen nachforscht, sondern auch den entsprechenden Klassen der einzelnen Exemplare. Darum hält er das Kausalprinzip für den letzten Grund j e d e r induktiven Verallgemeinerung, w o doch — wie wir es bereits nachgewiesen haben (s. § 197) — z. B. die klassifizierende Induktion, die aus den einzelnen Exemplaren die entsprechende Art oder das Genus feststellt, sich nicht auf das Kausalprinzip, sondern auf das principium classificationis gründet. Ein anderer großer Fehler seiner Theorie ist der rohe Empirismus, worauf schon oft hingewiesen wurde. Es ist offenbar ein circulus vitiosus, zu behaupten, daß wir zu der induktiven Verallgemeinerung auf Grund des Kausalprinzips berechtigt sind, die Gültigkeit dieses Prinzips aber auf die Induktion gegründet ist. Setzt nämlich eine jede induktive Verallgemeinerung die Gültigkeit des Kausalprinzips schon v o r a u s , so wird dies auch von derjenigen Induktion präsupponiert, die eben die Allgemeingültigkeit des Kausalprinzips ergibt. Mill geht in seinem Empirismus so weit, daß er selbst die Logik für eine induktive Wissenschaft hält, die ihre Lehrsätze aus der Erfahrung schöpft, w o es doch offenbar ist, daß wir als eine Erfahrung nur dasjenige annehmen können, was 1 o g i s c h ist, d. h. was schon den logischen Grundsätzen entspricht. Nicht die Logik gründet sich auf die Erfahrung, sondern eben die Erfahrung auf die Logik, woraus offenbar folgt, daß wir die Grundwahrheiten der Logik aus keiner Erfahrung schöpfen können, sie sind keine induktiven Ergebnisse, sondern die Produkte unmittelbarer Einsicht. 202. Aus diesem Gesichtspunkte ist die Induktionstheorie W. H a m i 11 o n s 1 ) viel gründlicher, indem er schon ganz klar erkennt, daß wir außer der empirischen (induktiven) Erkenntnis noch eine intuitive Erkenntnis annehmen müssen, die „native and original to the mind" ist. Die Erfahrung ist m e h r als bloße Empfindung: sie enthält schon Erinnerung und verstandesmäßige Einordnung. Die Mittel dieser Einordnung sind die H y p o t h e s e , die I n d u k t i o n und die A n a l o g i e . Das Wesen *) Lectures on logic. 1860.



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der Induktion ist der Schluß, daß weil e i n i g e Glieder irgendeiner Klasse gewisse Attribute haben, diese Attribute auch den a n d e r e n Gliedern der Klasse zukommen. Der A n a l o g i e s c h l u ß dagegen besteht darin, daß wir, weil einige Glieder irgendeiner Klasse eine gewisse Anzahl von charakteristischen Merkmalen haben, auf die gleichen Charakterzüge der übrigen Glieder der Klasse folgern. Unsere Neigung, die Merkmale der bekannten Fälle auf unbekannte Fälle zu erweitern, ist eine solche „philosophische Präsumption", die als ein letztes Prinzip unserer Vernunft („natural or ultimate principle of intelligence") nicht weiter erklärt werden kann. Durch die Induktion erkennen wir die Einheit in der Mannigfaltigkeit, durch die Analogie aber die Mannigfaltigkeit in der Einheit. Jede Induktion kann nur ein wahrscheinliches Resultat ergeben. Die Induktion kann nach Hamilton auch in der Weise aufgefasst werden, daß sie die Anwendung des Prinzips ist, nach welchem dasjenige, was sämtlichen Teilen zukommt, auch dem aus diesen Teilen bestehenden Ganzen zukommen muß. 203. Die nicht empirischen Elemente der Induktion werden auch in der bezüglichen Theorie S t a n l e y J e v o n s in interessanter Weise dargelegt1). Das Wesen der Induktion besteht nach ihm in der Folgerung aus der Einzelwahrheit auf eine allgemeine Wahrheit; sie ist eigentlich nichts anderes als eine umgekehrte Deduktion, wie die Integralrechnung die Umkehrung der Differentialrechnung ist. Beide Methoden sind gleich wichtig und sie ergänzen einander. Die Induktion wurde bei B a c o n , L o c k e und M i 11 überschätzt, weil sie eben dieses Moment außer acht ließen. Das Wesen der Deduktion ist die Synthese, das der Induktion ist die Analyse. Die Aufgabe der Deduktion ist nachzuweisen, welche neue Wahrheiten aus schon bekannten Wahrheiten folgen; das Problem der Induktion ist aber, diejenigen allgemeinen Prämissen zu finden, aus welchen die einzelnen Wahrheiten folgen. Hier bedeutet es eine Schwierigkeit, daß, obgleich die gesuchten Gesetze einfach sind, die gegebenen Erscheinungen eine komplizierte Verwickelung bilden. Die Induktion ist also eine Art kombinativen Verfahrens: wir suchen unter den verschiedenen möglichen Gesetzen ein solches Gesetz zu erraten, durch das die Erscheinung erklärt werden kann. Die Induktion bedeutet also auch Jevons Meinung nach ein progressives Aus1874.

*) The principles of science, a treatise on logic and scientific method.



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schließen, die endlich zu einer Verallgemeinerung von w a h r s c h e i n l i c h e r Gültigkeit führt. Demnach identifiziert sich das Problem der Induktion immer mehr mit der Frage des Wesens der Wahrscheinlichkeit, ja sie bedeutet nach Jevons eigentlich einen Teil der W a h r s c h e i n l i c h k e i t s r e c h n u n g . Die induktiven Wahrheiten können folgendermaßen eingeteilt werden: 1. der Ausdruck der Koexistenz der Qualitäten (z. B. was gelb, dehnbar usw. ist, das ist Gold). 2. Die Überzeugung von der zeitlichen Dauer (z. B. daraus, daß unser Haus gestern gestanden hat und auch heute noch steht, schließen wir, daß es auch morgen stehen wird). 3. Die aus der Kombination der Qualität, der Zeit und des Raumes entstehenden Sätze (z. B. die Naturgesetze). Die „Ursache" bedeutet die Gesamtheit der positiven und negativen Bedingungen, denen ein anderes Ding w a h r s c h e i n l i c h folgt. In der Kausalverbindung erkennen wir also dem Wesen nach k e i n e Notwendigkeit, sondern bloß ein N a c h e i n a n d e r . Das Bestehen einer konkreten Kausalverbindung können wir nie mit voller Gewißheit erkennen, weil schon die Erkenntnis eines einzigen solchen Falles die v o l l k o m m e n e E r k e n n t n i s des W e l t a l l s involvieren w ü r d e . Es gibt also keine Induktion ohne Hypothese; die Anwendung dieser Methode bedeutet ja eben, daß wir u n t e r d e n wahrscheinlichen A n n a h m e n w ä h l e n und die wahrscheinlichste annehmen. Jevons behauptet aber nicht, daß a l l e unsere Erkenntnisse nur eine Wahrscheinlichkeit haben. W i r haben nämlich auch unbedingt sichere Erkenntnisse, wie die A n w e s e n h e i t von irgend etwas im Bewußtsein, z. B. daß ich jetzt eine blaue Farbe sehe, daß ich denke usw. Ebenso sind auch die Gesetze der Folgerung, namentlich das Hauptgesetz derselben, das „ P r i n z i p d e r S u b s t i t u t i o n " absolut gewiß, nach welchem das, was von dem einen Ding wahr ist, in dem Falle, daß zwischen den Dingen eine Identität oder Ähnlichkeit besteht, auch von dem anderen Dinge wahr ist (vgl. § 124). Demgegenüber sind die Ereignisse der Induktion darum nur annähernd und wahrscheinlich, weil die Ausdehnung und Kompliziertheit des Weltalls die vollständige Erkenntnis derselben verhindert. In der Induktion sind d r e i S c h r i t t e zu unterscheiden: wir müssen vor allem das zu beweisende wahrscheinlichste Gesetz in der Form einer Hypothese fassen, dann müssen wir die Folgen derselben ziehen, endlich müssen wir durch die Analyse der untersuchten einzelnen Fälle nachweisen, inwieweit dieses angenommene Gesetz in der Tat ein Gesetz der Realität ist. y. P a u l e r , Logik

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Diese letztere Feststellung beleuchtet das Wesen der Induktionstheorie Jevons und ihre wesentliche Abweichung von der Theorie Mills am schärfsten. Nach dem Empirismus Mills ist die Untersuchung der einzelnen Tatsachen der G r u n d und der A u s g a n g s p u n k t der Induktion. Nach der Auffassung Jevons besteht aber der Kern der Induktion nicht in der Beobachtung der Wirklichkeit, sondern in derjenigen Gedankenkombination, die der Beobachtung der einzelnen Tatsachen notwendig v o r h e r g e h t und im voraus bestimmt, w e l c h e F ä l l e wir durch Experiment und Beobachtung erklären müssen. Jevons sieht es klar ein, daß die wissenschaftliche Erfahrung m e h r enthält, als die Summe der empirischen Daten. Diesen Mehrbetrag ergeben die apriorischen Momente der Gedankenarbeit, die durch die Induktion eigentlich in den Tatsachen der Wirklichkeit nur eine I l l u s t r a t i o n zu ihrer apriori gestellten Hypothese sucht. Insoweit geht die Theorie J e v o n s ' gegenüber der Lehre Mills auf die ältere Theorie W h e w e 11 s zurück, der auf Grund der Lehre Kants behauptet 1 ), daß wir durch die Induktion nur gewisse a priori „fundamentale Ideen" in den einzelnen Gegebenheiten der Erfahrung w i e d e r e r k e n n e n . Wir können der Lehre Jevons' vollkommen beistimmen, insofern sie die Rolle der apriorischen Elemente in der Induktion betont; wir können aber um so weniger denjenigen Standpunkt in seiner Theorie annehmen, daß die Induktion bloß eine Art Wahrscheinlichkeitsrechnung ist. Ähnliches lehren schon H u m e , C o n d o r c e t , L a p l a c e , Lacr o i x und P o i s s o n. Gegenüber diesen Theorien bemerkt A p e 1 t s ) sehr richtig, daß die Naturwissenschaften nur eine solche Induktion gebrauchen können, die r a t i o n a l ist, d. h. sich auf a p r i o r i s c h e E i n s i c h t gründet, über welche die Thesen der Geometrie und der mathematischen Naturwissenschaft verfügen. In unseren Tagen weist J. G e y s e r richtig darauf hin3), daß die induktive Verallgemeinerung durch die einzelnen Fälle, mögen diese noch so viele sein, nicht wahrscheinlich gemacht wird, wenn nicht eine andere von der Anzahl der Fälle unabhängige Feststellung diese Generalisation unterstützt. Nach dem, was wir oben vom Wesen der Induktion dargelegt haben, finden wir den Grundfehler der Theorie Jevons' darin, !) History of the inductive sciences 1837. Philosophy of the indudive sciences founded upon the history o! physical sciences 1840. 2 ) Die Theorie der Induction. Leipzig, 1854. S. 159. 3 ) Grundlagen der Logik und Erkenntnislehre. Münster, 1909. S. 363.



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daß er die Q u a n t i t ä t der einzelnen Fälle gegenüber ihrer Q u a 1 i t ä t in der Induktion irrtümlicherweise überschätzt. Dies ist darum unrichtig, weil der letzte Grund der induktiven Verallgemeinerung das Prinzip der Klassifikation ist, das nicht bloß ein Zusammengehören auf Grund q u a n t i t a t i v e r Gesamtheit (d. h. Menge) bedeutet, sondern eine auf Q u a l i t ä t , also auf spezifische Ähnlichkeit gegründete Zusammengehörigkeit behauptet. Aus diesem Gesichtspunkte steht es fest, daß die Fälle „non numerantur, sed ponderantur", weil es aus dem Wesen der einzelnen Dinge folgt, zu welcher Art oder Gattung sie gehören und so die Klasse (Art, Gattung) sich schon q u a l i t a t i v ergibt, der sie untergeordnet sind. Darum sind einige c h a r a k t e r i s t i s c h e Fälle für die induktive Verallgemeinerung genügend, und darum genügen selbst sehr viele Fälle nicht, eine solche Generalisation zu begründen, wenn die Fälle nicht „typisch" sind, d. h. wenn sie nicht schon in ihren Qualitäten die Merkmale der entsprechenden Art widerspiegeln. 204. Auch in Deutschland sind im XIX. Jahrhundert beachtenswerte theoretische Untersuchungen bezüglich des Wesens der Induktion angestellt worden, obgleich diese keinen so großen äußeren Erfolg hatten als die englischen Theorien. Bisher wurde die bezügliche interessante Lehre F r i e s 1 ) wenig gewürdigt. Seine wichtigsten Feststellungen sind die folgenden. Durch die Induktion streben wir aus e i n z e l n e n Daten a l l g e m e i n e Prinzipien festzustellen. Dieses Verfahren ist aber von der „regressiven Spekulation" (so wird die Reduktion bei Fries bezeichnet) zu unterscheiden. Diese letztere weist nämlich diejenigen allgemeinen Regeln nach, die wir in unseren mathematischen und philosophischen Urteilen selbst schon unbewußt als wahr anerkannt haben. Die Induktion aber bedarf der r e g r e s s i v e n B e w e i s e , daß sie Gesetze feststellen könne. Ein solcher Beweis besteht darin, daß wir die Erscheinungen nach den heuristischen Maximen ordnen. Wir können hier nicht den letzteren Gedanken Fries' ausführlicher darlegen. Das Wesen seines Standpunktes können wir aber aus dem Gesagten schon erkennen. Von dem Einzelnen können wir zum Allgemeinen in zweierlei Weise vorgehen: durch die „regressive Spekulation" erkennen wir aus dem Einzelnen u n m i t t e l b a r die von ihm präsupponierte Allgemeinheit; in der Induktion stellen wir dieselbe m i t t e l b a r fest, und zwar dadurch, daß wir im Kreise der Tatsachen Be') System der Logik. 2. A. 1819.

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weise zur Gültigkeit des Allgemeinen für die einzelnen Fälle suchen. Diese Feststellung fängt mit einer Beschreibung an und endet mit der mathematischen Theorie der Erscheinungen. 205. Die Induktionstheorie Fries' wird in der bezüglichen Lehre des E. F. A p e 11 weitergeführt 1 ). Er betont in der Induktion das F o l g e r u n g s e l e m e n t , und darum stellt er vor allem fest, daß die Schlußfolgerung eigentlich ein „analytikohypothetisches Urteil" ist. Sie ist analytisch, weil der Schlußsatz in den Prämissen schon enthalten ist; ihr hypothetischer Charakter besteht aber darin, daß sie eigentlich diesen Ausdruck enthält: w e n n die Prämissen wahr sind, ist auch die Konklusion wahr. Das U r t e i l enthält aber d r e i e r l e i Verhältnisse, und zwar 1. das Verhältnis des Prädikats zum Subjekt, 2. das Verhältnis der Ration zur Konsequenz und 3. das Verhältnis der Teile zum Ganzen. Dem ersten entspricht das k a t e g o r i s c h e , dem zweiten das h y p o t h e t i s c h e und dem dritten das d i v i s i v e Urteil. Weil auch die Schlußfolgerung eigentlich ein Urteil ist, so bestehen auch hier diese drei Möglichkeiten. Das höchste Prinzip jeder Schlußfolgerung ist das „dictum de omni et nullo", d. h. die Unterordnung der Begriffe. Geschieht dies auf Grund eines Merkmals des Subjekts vom Schlußsatze, so entsteht der kategorische Syllogismus; entsteht der Schlußsatz nach der Ration und Konsequenz, dann haben wir mit einem hypothetischen Syllogismus zu tun; geschieht dies aber nach dem „Ganzen" und „Teile", so erhalten wir den divisiven Syllogismus. E s gibt z w e i e r l e i divisive Thesen und Syllogismen: k o n j u n k t i v e und d i s j u n k t i v e . Der konjunktive S y l l o g i s m u s folgert nach dieser Regel: „Wovon alle Merkmale eines Begriffes gelten, das gehört in die Sphäre dieses Begriffes, wovon aber nur eines dieser Merkmale nicht gilt, das gehört auch nicht unter diesen Begriff". Die Regel des disjunktiven Syllogismus ist aber die folgende: „ E s müssen diejenigen Glieder angegeben werden, die den Umfang eines Begriffes ausfüllen". Der disjunktive Syllogismus ist nichts a n d e r e s a l s d i e I n d u k t i o n . E r kommt sowohl in kategorischer, als auch in hypothetischer Form vor. Die Regel der kategorischen Induktion ist die folgende: „Was von den Teilen einer Sphäre gilt, das gilt auch von dem Begriff selbst, in dessen Sphäre diese Teile stehen". Die hypothetische Induktion richtet sich aber nach der folgenden Regel: „Wenn alle Folgen eines *) Die Theorie der Induction 1854.



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Grundes stattfinden, so findet dieser selbst statt; findet hingegen nur eine nicht statt, so findet auch der Grund nicht statt". Eine Induktion ist z. B. der folgende Syllogismus: Das Sonnensystem besteht aus der Sonne und ihren Planeten (Merkur, Venus, Erde, Mars, Asteroiden, Jupiter, Saturnus, Uranus und Neptunus). Der Merkur bewegt sich aber um die Sonne von Westen nach Osten Die Venus bewegt sich ebenso um die Sonne usw. usw. Also alle Planeten bewegen sich um die Sonne von Westen nach Osten. Die Eigentümlichkeit dieser Schlußweise ist, daß ihr Schlußsatz ein allgemeines Urteil ist, und eben darin besteht das Wesen der Induktion: durch sie erkennen wir aus e i n z e l n e n Fällen ein a l l g e m e i n e s Gesetz. Es gibt zweierlei Induktion: vollständige und nicht vollständige. In-der ersteren kennen wir s ä m t l i c h e Einzelfälle, in der letzteren kennen wir nur e i n i g e Einzelfälle und aus diesen folgern wir nach W a h r s c h e i n l i c h k e i t auf die anderen nicht bekannten Einzelfälle. Wir müssen noch e m p i r i s c h e und r a t i o n a l e Induktion unterscheiden. Die erstere verallgemeinert eigentlich nur auf dem Grunde des „post hoc ergo propter hoc", die letztere macht es aber auf Grund der Erkenntnis der U r s a c h e n und darum stellt sie nicht nur Gleichförmigkeiten fest, sondern auch die R e g e l n dieser Gleichförmigkeiten. Dadurch enträtselt sie also m e h r aus den einzelnen Fällen, als was in ihnen garantiert ist. D i e s i s t a b e r n u r i n d e m F a l l e m ö g l i c h , w e n n die I n d u k t i o n s i c h b e r e i t s auf aphor i s t i s c h e B e g r i f f e g r ü n d e t . Wer dies außer acht läßt, der verwechselt leicht die Induktion mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung. In der rationalen Induktion erhalten wir die Regel n i c h t a u s d e r A n s c h a u u n g , sondern durch reine Verstandesbegriffe. Diese können schon durch einen e i n z i g e n Fall eine solche Rechtfertigung erhalten, daß die Induktion keines anderen Falles mehr bedarf. Dies geschieht, wenn wir z. B. aus dem Abfeuern eines Gewehrs den Grund des nach ihm entstehenden Geräusches erkennen. Dieser Charakter der rationalen Induktion entsteht daraus, daß sie sich auf gewisse h e u r i s t i s c h e M a x i m e n gründet, die selbst schon keine empirischen Ereignisse, sondern apodiktische Gesetze in unserer Erkenntnis sind, denen der Zu-



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sammenhang der Erscheinungen unterworfen ist. Diese Gesetze erkennen wir durch das Denken, die Tatsachen sind aber unserer Beobachtung gegeben. Diese heuristischen Maximen sind die folgenden: 1. Die M a x i m e d e r E i n h e i t , nach welchem die menschliche Erkenntnis Regeln und Gesetzen unterliegt und die Mannigfaltigkeit der Erfahrung Prinzipien unterzuordnen ist. Darauf gründet sich das Streben unserer Erkenntnis nach Klassifizieren und Systematisieren. 2. Die M a x i m e d e r M a n n i g f a l t i g k e i t : „Nicht das Dasein der Tatsachen, sondern ihr Zusammenhang ist durch das Gesetz bestimmt". 3. Die M a x i m e d e r W i s s e n s c h a f t : „Das Prinzip ist das Ursprüngliche in der Erkenntnis; das Allgemeine entspringt nie aus dem Besonderen, sondern das Besondere unterliegt den allgemeinen Bestimmungen". Also entspringt nicht j e d e Erkenntnis aus der Erfahrung bzw. aus der Induktion: die G r u n d s ä t z e können nicht durch die Induktion bewiesen werden, sondern nur die Lehrsätze i n n e r h a l b einer Wissenschaft. Die Induktion kann keine notwendige Wahrheit ergeben, sondern sie kann nur die notwendigen Wahrheiten mit zufälligen Wahrheiten v e r k n ü p f e n . Die Grundsätze können wir nur durch „Abstraktion" erkennen (so bezeichnet Apelt dasjenige, was Fries „regressive Spekulation" nennt, wir aber Reduktion nennen). Die Induktion schließt aus mehreren Fällen, die Abstraktion selbst aus e i n e m Falle. Den Unterschied dieser zwei Verfahren illustriert Apelt durch die Methoden K e p l e r s und G a l i l e i s . Kepler erhielt die Erkenntnis seiner astronomischen Gesetze durch Induktion, Galilei hat aber die neue Wissenschaft der Phoronomie und der Mechanik durch Abstraktion erschaffen. Die apriorischen Prinzipien müssen in jedem Falle durch die M a t h e m a t i k mit dem empirischen Inhalt verknüpft werden. Apelt ergreift in seiner Theorie das Wesen der Induktion viel tiefgehender als Mill, Hamilton und Jevons. Auch die zwei letzteren erkennen die nicht-empirischen Elemente der Induktion, diese werden aber bei Hamilton nur im allgemeinen erwähnt und selbst bei Jevons gegenüber den empirischen Elementen noch immer in den Hintergrund gedrängt (eben deshalb nimmt er die Induktion für eine Wahrscheinlichkeitsrechnung). Apelt ist aber unter dem Einfluß des Kritizismus Kants bestrebt, diese Rolle der apriorischen Elemente näher zu erklären. Hier wird aber Apelt durch seine einseitige mathematiko-physikalische Orien-tation seines Denkens irregeführt. Es liegt nämlich auf der Hand, -daß die Gesetzmäßigkeiten nicht in j e d e m Wissenschaftskreise



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mathematisch ausgedrückt werden können und der Charakter der Gesetze der psychologischen und Geisteswissenschaften das mathematische Formulieren ausschließen. Es ist aber ein großes Verdienst Apelts, daß er in der Induktion einen Syllogismus erkennt. Hinsichtlich des Zusammenhanges der Induktion und des Syllogismus sind noch die Theorien D r o b i s c h 1 ) und L a c h e 1 i e r s 2 ) beachtenswert. Beide glauben in der Induktion die d r i t t e aristotelische Figur zu erkennen. Aus diesem Gesichtspunkt bedürfen wir aber noch weiterer Forschungen. 206. Die Theorie L o t z e s weicht in vieler Hinsicht von den bisher dargelegten Theorien ab und wurde bisher noch nicht genügend gewürdigt 3 ). E r geht von der Feststellung aus, daß die Erfahrung auch von solchen Verbindungen zeugt, deren allgemeine Bedingungen für uns unbekannt sind. Wir müssen also aus den partikulären Thesen, durch die wir die gegebenen Verbindungen ausdrücken, z u r ü c k s c h l i e ß e n d diejenige allgemeine These feststellen, die die einzelnen Fälle nur als Beispiele enthalten. Dieses Verfahren ist die Induktion. Lotze identifiziert also diejenigen zwei Operationen, deren Verwandtschaft wir selbst zwar ebenfalls anerkennen (vgl. unten § 211), die wir aber als Induktion und Reduktion voneinander unterscheiden. Die „induktive Logik" hat also kein Recht, die „deduktive Logik" zu verachten, weil sie ihre Mittel in der Tat der letzteren entnimmt, indem sie auf diejenigen logischen Regeln baut, die die letztere darlegt. Die Hauptfrage der Induktion ist, wie wir aus e i n z e l n e n Fällen eine a l l g e m e i n g ü l t i g e These ableiten können. Eine so starre Gegenüberstellung des „Einzelnen" und des „Allgemeinen" ist aber nicht begründet. Ein jedes Einzelurteil involviert nämlich schon die Gültigkeit irgendeiner a l l g e m e i n e n These: die des Prinzips der Identität, nach welchem d e m s e l b e n Subjekt, wenn es in der Erfahrung wiederholt vorkommt, d a s s e l b e Prädikat zukommt. Die größte Schwierigkeit der Induktion besteht darin, daß die Erfahrung nie den v o l l s t ä n d i g e n Begriff des Subjekts ergibt. Die Kunst der induktiven Forschung hängt davon ab, ob wir mit genügender Scharfsinnigkeit im verwickelten und undeutlichen Inhalt der Erfahrung den r e i n e n Begriff des Subjekts vom reinen Begriff des ihm zukommenden Prädikats abtrennen können. Nach der Auffassung Lotzes ist also die Induktion nichts anderes als die Rechtfertigung des ' ) Neue Darstellung der Logik. 3. A. 1863. S. 151. 2 ) Études sur le syllogisme. S. 37. 3 ) Sein einschlägiges Hauptwerk: Logik, 1874.



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Prinzips der Identität für die Gegenstände der Wirklichkeit aus dem Gesichtspunkte, welchem Subjekt welches Prädikat immer und überall zukommt. Wenn wir festgestellt haben — sagt Lotze weiter — daß gewisse Merkmale gewissen anderen Merkmalen immer zukommen, führt das theoretische Interesse zu der weiteren Frage, was die U r s a c h e dieser Verbindung ist? Dadurch fängt ein neues Stadium der Induktion an, das nicht mehr nach bloßen k a t e g o r i s c h e n , sondern nach h y p o t h e t i s c h e n Urteilen strebt. Hier haben wir nicht nur T a t s a c h e n , sondern auch n o t w e n d i g e V e r b i n d u n g e n festzustellen. Dies versuchen wir durch E x p e r i m e n t und B e o b a c h t u n g zu erreichen, die eigentlich E l i m i n a t i o n s v e r f a h r e n sind. Durch sie wollen wir die b e s t ä n d i g e n Verbindungen vermittels des sukzessiven Ausschließens der nicht beständigen Verhältnisse klarstellen. Das G e s e t z , das wir in solcher Weise erkennen wollen, ist ein hypothetisches Urteil, nach welchem, wenn U gültig ist, auch W gültig ist und wenn U sich verändert, auch W sich mit ihm parallel verändert. Lotze betont mit Recht, daß das Herauslesen irgendeines allgemeinen Gesetzes aus einzelnen Fällen eigentlich immer das Ergebnis eines E r r a t e n s , also einer persönlichen Invention ist, für die keine sichere logische Vorschrift festgestellt werden kann. Das Originellste in der Theorie Lotzes ist, daß er für den Grund der Induktion das Prinzip der I d e n t i t ä t hält. Darin steckt zweifellos eine Wahrheit: die Induktion gründet sich in der Tat fortwährend auf den Grundsatz der Identität, als sie von i d e n t i s c h e n Umständen spricht, die i d e n t i s c h e Erscheinungen herbeiführen. Jetzt fragt es sich nur, ob dies zur Grundlegung der Theorie der Induktion g e n ü g t ? Es handelt sich in der Induktion nicht nur darum, daß wir auf Grund der Identität generalisieren, weil wir (selbst dann, wenn wir nach Lotze unter der Induktion nur die Gesetzesinduktion verstehen) mit dieser Methode auch K l a s s e n feststellen wollen, was schon die Erkenntnis des Verhältnisses der S u b o r d i n a t i o n vorausetzt. Dies ist aber etwas anderes als die Konstatierung irgendeiner Identität. Ebenso setzt aber die Induktion auch das P r i n z i p des Z u s a m m e n h a n g e s voraus, sonst könnte sie sich nicht auf den Begriff der Welt als eines einheitlichen Systems stützen, in welchem alles mit allem zusammenhängt. Kurzum besteht die Einseitigkeit der Theorie Lotzes darin, daß er in der Induktion nur die Rolle des Prinzips der Identität

— 265 — betont, w o diese Methode doch in ebensolchem Maße auch anderer logischen Grundsätze bedarf. 207. Ebenso ist nach S i g w a r t 1 ) die Induktion ihrem Wesen nach mit der Reduktion identisch, weil sie eben darin besteht, daß wir in den einzelnen Fällen diejenigen allgemeinen Thesen suchen, deren Gültigkeit die Voraussetzung des Eintritts der einzelnen Fälle ist. Die bloß n u m e r i s c h e Allgemeinheit ist von der generalisierenden Verallgemeinerung, die den Artbegriff ermittelt, zu unterscheiden. Ein Beispiel für die erstere: H und O ergeben in einem gewissen Verhältnis Wasser — für die letztere: alle Elemente vereinigen sich nach einem gewissen Gewichtsverhältnis. Die letzte Voraussetzung, auf die sich jede Induktion gründet, ist, daß dasjenige, w a s e x i s t i e r t , n o t w e n d i g e x i s t i e r t . Ohne diese Voraussetzung würde eine noch so große Anhäufung der Fälle kein Recht zur Verallgemeinerung geben. Diese Präsupposition ist aber ein Postulat unseres Strebens nach Erkenntnis, dessen letzte Quelle in unserem W i l l e n steckt. Eben deshalb, weil dieser Grund der Induktion eigentlich nur eine Anforderung, aber keine in ihrer objektiven Gültigkeit gerechtfertige These ist, kann jedes induktive Ergebnis nur hypothetisch sein. Selbst die Induktion ist ein „hypothetisches Versuchsverfahren", in welchem nur der n e g a t i v e F a l l mit v o l l e r Sicherheit b e w e i s t . Ein e i n z i g e r Fall, in welchem das „A est B " nicht gerechtfertigt wird, macht die allgemeine These zunichte, daß „A est B " ; demgegenüber schließen tausend Fälle, nach welchen „A est B " , die Möglichkeit noch nicht aus, daß einmal ein solcher Fall vorkommt, nach welchem „A non est B " . Die engere Aufgabe der Induktion ist nun, i n n e r h a l b der erwähnten allgemeinen Voraussetzung diejenige konkrete U r s a c h e zu bezeichnen, deren Wirkung die Gegebenheit ist. Ein wahres Kausalgesetz ist aber nur dasjenige, das im Verhältnis der Ursache und der Wirkung auch eine gewisse P r o p o r t i o n ausdrückt. Es ist z. B. nicht wahr, daß „die Speise den Hunger, der Trank den Durst stillt", weil sie das nur in dv.m Falle tun, wenn sie in gewissem Q u a n t u m genossen werden. Darum ist nur das quantitative Gesetz ein wirkliches Gesetz. Das Ermitteln der Kausalgesetze ist aber ein viel verwickelteres Verfahren, als es Mill in seinen beiden ersten Methoden meint. Die Methode der Übereinstimmung ebenso wie die ») Logik 1873—78.



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der Unterscheidung ist verfehlt (vgl. § 201). Die erstere beruht auf dem sehr unsicheren Analogieschluß, nach welchem die einigermaßen ähnlichen Prozesse auch ähnliche Ursachen haben. Der Fehler der Methode der Unterscheidung besteht aber darin, daß sie keine allgemeine These ergeben kann. Stirbt nämlich ein Mensch infolge eines Schusses, so folgt daraus noch nicht, daß die Ursache des Todes i m m e r der Schuß ist. Wenn wir im Gesetz die Ursache nicht angeben können, so haben wir es nur mit einem e m p i r i s c h e n G e s e t z zu tun, wie z. B. das erste Gesetz Keplers oder das Gesetz des freien Falles ist. Die g e n e r a l i s i e r e n d e I n d u k t i o n , die mehrere engere Gesetze zu einem allgemeineren Gesetz zusammenfaßt, gründet sich auf die Voraussetzung, daß ähnliche Wirkungen auch ähnliche Ursachen haben. Die so erhaltenen Verallgemeinerungen können nur in dem Falle als gerechtfertigte betrachtet werden, wenn sie eine Kontraposition zulassen; z. B. daraus, daß das Gold im Wasser versinkt, können wir schließen, daß dasjenige, was im Wasser nicht versinkt, kein Gold ist. Alle logischen Lehren Sigwarts sind durch einen gewissen Grad von Psychologismus charakterisiert, indem er meint, daß viele Fragen bloß durch die Feststellungen der D e n k l e h r e erledigt werden können. So findet er selbst die letzte Voraussetzung der Induktion in einem W i l l e n s s t r e b e n und hält er nicht für notwendig, auch die o b j e k t i v e G ü 11 i g k e i t des aus demselben entspringenden Postulat zu begründen, was auf seinem Standpunkt auch nicht hätte gelingen können. Warum wir seine Lehre von den Identifizierung der Induktion und der Reduktion nicht annehmen können, das werden wir unten (s. § 210) darlegen. Auch B. E r d m a n n sieht nur ein Denkpostulat in der Voraussetzung der Induktion, nach welcher dieselbe Ursache immer dieselbe Wirkung hat: sie beherrscht unser V o r d e n k e n , nicht unser N a c h d e n k e n1). Wir erwähnen endlich, daß L a c h e l i e r in seiner tiefgehenden Induktionstheorie 2 ) bezüglich der m e t a p h y s i s c h e n Gründe der Induktion beachtenswerte Thesen feststellt. Nach ihm hat die Induktion nicht nur das K a u s a l p r i n z i p , sondern auch das Prinzip der F i n a 1 i t ä t als ihre Voraussetzung. Die letztere kann nur aus der Freiheit erklärt werden. Da aber diese Auseinandersetzungen vielmehr zur Metaphysik als zur Logik gehören, müssen wir uns der weiteren Darlegung enthalten. 2

Logik I. 1892. S. 586. ) Du fondament de I' induction 1896.



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208. Die D e d u k t i o n wird gewöhnlich als der Schluß vom A l l g e m e i n e n auf das E i n z e l n e definiert. Die Deduktion ist zweifellos eine inverse Operation der Induktion; dennoch können wir diese Definition als eine zu enge nicht annehmen, weil wir ja selbst in der Induktion schon m e h r erkannt haben als den Schluß vom Einzelnen auf das Allgemeine. Wie das Wesen der Induktion die Analyse ist, ebenso ist das Wesen der Deduktion die Synthese, weil sie in der Tat darin besteht, daß sie durch die Vergleichung gewisser w o h l d e f i n i e r t e r Begriffe neue Wahrheiten feststellt. Schon dieser Umstand zeigt, daß wie das klassische Gebiet der Induktion die Wirklichkeitswissenschaft ist, indem nur da solche komplexe „Ganze" g e g e b e n sind, die wir dann auflösen müssen, ebenso ist der wirkliche Anwendungskreis der Deduktion die M a t h e m a t i k . Wir haben nämlich gesehen (s. § 159), daß eine v o l l s t ä n d i g e Definition nur für die mathematischen Gegenstände möglich ist, weil wir nur da mit solchen Objekten zu tun haben, die wir nicht durch Gegebenheiten, sondern durch Konstruktion erkennen. Die Deduktion ist also eine inverse Operation der Induktion. Daraus folgt es offenbar, daß wie die Induktion ein Schluß vom T e i l auf das G a n z e ist, ebenso die Deduktion derjenige vom G a n z e n auf den T e i l ist. Und wie die erstere Methode dadurch ermöglicht wird, daß im Teil das ihm entsprechende Ganze sich immer widerspiegelt, und so je vollständiger wir den Teil erkennen, desto sicherer wir von ihm auf das Ganze schließen können, ebenso ist die Voraussetzung der Deduktion, daß der Teil aus dem Ganzen erkannt werden kann, weil das Ganze auch den Teil enthält, d. h. die vollständige Erkenntnis des Ganzen auch die vollständige Erkenntnis des Teiles enthält. Ferner folgt noch aus dem Parallelismus beider Methoden, daß auch die Arbeit der Deduktion in so vielerlei Weise gebildet werden kann, wie vielerlei „Ganze" und „Teile" der Induktion zugrunde liegen können. Also entspricht der historischen Induktion die h i s t o r i s c h e D e d u k t i o n , die darin besteht, daß wir aus einem Prozeß auf ein E r e i g n i s desselben schließen. Dies tut z. B. der Geologe, als er aus dem Erdbeben auf die darin entstandenen Gleichgewichtsstörungen folgert. Ähnlicherweise geht z. B. der Geschichtschreiber vor, als er aus einem in großen Zügen bekannten historischen Prozeß auf ein solches Ereignis als einen Teil desselben folgert, dessen unmittelbare Begründung er nicht nachweisen kann. Der klassifizierenden In-



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duktion entspricht die k l a s s i f i z i e r e n d e D e d u k t i o n . Diese besteht darin, daß wir aus irgendeiner Klasse auf ein Glied derselben schließen. Ein klassisches Beispiel derselben ist das periodische System der chemischen Elemente, das die Elemente in eine solche Klasse zusammenfaßt, daß wir innerhalb derselben die Stelle der noch nicht entdeckten Elemente a priori bestimmen können. Der Gesetzesinduktion entspricht endlich die G e s e t z e s d e d u k t i o n , die wir jedesmal gebrauchen, als wir aus einem Gesetz darauf schließen, daß es auch in dem gegebenen Falle erfüllt wird. So können wir z. B. daraus, daß alle Körper im luftleeren Raum gleich fallen, schließen, daß auch die Flocke im luftleeren Raum ebenso schnell fallen wird, wie irgendein schwerer Stein. 209. Zur Unterscheidung dieser drei Arten der Deduktion hat dasjenige o b j e k t i v e Moment der Totalität den Einteilungsgrund ergeben, das wir im Kreis der Gegenstände nachweisen können. Die Deduktion kann aber auch aus dem Gesichtspunkt desjenigen s u b j e k t i v e n Gedankenverfahrens betrachtet werden, vermittels dessen wir die Deduktion durchführen. So können wir d r e i neuere Arten der Deduktion unterscheiden: die k o n s t r u k t i v e , die a n w e n d e n d e und die a n a l o g i s i e r e n d e Deduktion. 1. Die k o n s t r u k t i v e D e d u k t i o n wird besonders in der Mathematik angewandt. Diese besteht darin, daß wir nach gewisser Gesetzmäßigkeit neue Begriffsinhalte schaffen. Dies geschieht bei jedem Kalkül und bei jeder geometrischen Konstruktion. Wenn wir z. B. daraus, daß 1 + 1 = 2 ist, schließen, daß 1 + 1 + 1 + 1 = 4 , so konstruieren wir den Begriff „ 4 " auf Grund der allgemeinen Gesetzmäßigkeit, die im 1 + 1 = 2 enthalten ist. Oder wenn wir zwei Parallele zeichnen, tun wir dies auf Grund der Definition des Parallelismus (die zugleich die allgemeine Gesetzmäßigkeit der Parallelen ausdrückt), nach welcher der Schnittpunkt der Parallelen im Unendlichen liegt. 2. Die a n w e n d e n d e D e d u k t i o n stimmt mit der vorigen darin überein, daß auch sie irgendeine Allgemeinheit anwendet. Hier besteht aber diese Anwendung nicht in einer Konstruktion, d. h. im Erschaffen neuer Erkenntnisinhalte, sonder dient die Allgemeinheit zur E r k l ä r u n g schon bekannter Inhalte. Eine solche Deduktion gebraucht z. B. der Ingenieur, der Arzt, der Pädagog, der Landwirt usw., als sie die induktiven Ergebnisse gewisser Wissenschaften (Physik, Chemie, Pathologie, Psychologie, Ökonomie) in ihrer technischen, ärztlichen, päda-



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gogischen, wirtschaftlichen Tätigkeit anwenden. Dieses Verfahrens bedient sich besonders die Wirklichkeitswissenschaft, in deren Kreise die Anwendung der konstruktiven Deduktion ziemlich gefährlich ist, eben deshalb, weil unsere Begriffe von der Wirklichkeit immer lückenhaft, nicht vollständig definierbar sind, und wir darum durch Konstruktionen den Boden der Wirklichkeit verlieren und in eine bloße Phantasiewelt versinken können. 3. Die a n a l o g i s i e r e n d e D e d u k t i o n entsteht in dem Falle, wenn der Grund unseres Schlusses nicht irgendeine f o r m e l l ausgedrückte Allgemeinheit, sondern eine nur a n s c h a u l i c h dargestellte Gleichförmigkeit ist. Solche Gleichförmigkeiten bezeichnen wir als T y p u s , der also ein solches Bild ist, das die ähnlichen Merkmale vieler ähnlichen Gegenstände enthält. So sprechen wir z. B. vom Typus der einzelnen Menschenrassen, und wir halten dasjenige Individuum für t y p i s c h , das diese charakteristischen Merkmale des Typus in bedeutsamem Maße zeigt. Der Typus ist also kein eng umgrenzter B e g r i f f , sondern ein mehr oder minder zerflossenes B i l d . Trotzdem kann er als Grund der Deduktion gebraucht werden. Dies tun wir, wenn wir z. B. daraus, daß einer der Zwillinge eine gewisse Eigenschaft zeigt, schließen, daß auch der andere dieselbe Eigenschaft besitzt. Der Grund eines solchen Schlusses ist die These: wenn zwei Gegenstände in mehreren Eigenschaften miteinander übereinstimmen, werden sie w a h r s c h e i n l i c h auch in anderen Eigenschaften übereinstimmen. Dies ist kein strenger, d. h. logisch eindeutig determinierter Schluß, kann aber als ein h e u r i s t i s c h e s Verfahren, das trotz seiner Unsicherheit neue Resultate ergeben kann, nicht vollkommen entbehrt werden. 210. Das Wesen der Induktion ist die A n a l y s e , das der Deduktion ist die S y n t h e s e und dasjenige der Reduktion ist die A u t o t h e s e (s. § 85). Die Induktion schließt vom Teil auf das G a n z e , die Deduktion vom G a n z e n auf den T e i l , die Reduktion von der F o l g e auf den G r u n d . Ihre Voraussetzung ist die These, daß in der wohlbekannten Folge die Spuren des Grundes, im Teil das Ganze und im Ganzen der Teil erkannt werden können. Insoweit ist der letzte Grund j e d e r Methode, ja sogar jeder Erkenntnis, die l o g i s c h e E i n h e i t d e s A l l s , die auch s o ausgedrückt werden kann, daß sämtliche Wahrheiten miteinander zusammenhängen und ein einheitliches System bilden (s. § 11). Die Reduktion gelangt in ihrem Rückschluß zu immer allgemeineren Thesen. Wenn wir z. B.



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von dem ethischen Urteil ausgehen, daß dieser Mensch gemein ist, weil er gelogen hat, kann dieses Urteil nur in dem Falle richtig sein, wenn auch das allgemeinere Urteil richtig ist, daß jedermann gemein ist, der lügt. Das letztere kann aber nur in dem Falle bestehen, wenn wieder jenes noch allgemeinere Urteil wahr ist, daß die Lüge eine Gemeinheit ist. So können wir aber nur in dem Falle urteilen, wenn wir das noch allgemeinere Urteil für gültig halten, daß es eine moralische Pflicht ist, die Wahrheit zu sagen. Es liegt auf der Hand, daß dieses reduktive Verfahren zu immer allgemeineren Thesen kommt und endlich zu solchen Prinzipien gelangt, die nicht auf weitere, noch allgemeinere Prinzipien zurückgeführt werden können. Daß dieser Fall eintreffen muß, das erfordert der Satz der Korrelativität (s. § 39). Durch die Reduktion kommen wir nicht nur im ethischen, sondern auch im logischen, ästhetischen und ontologischen Urteilen zum letzten Ausgangspunkt unserer Erkenntnis. Die Reduktion als eine selbständige, der Induktion und der Deduktion gleichwertige Methode wurde unseres Wissens noch überhaupt nicht gewürdigt. Selbst wo die Idee einer solchen regressiven Spekulation entstanden ist (z. B. bei Fries, Apelt, Sigwart, s. §§ 204, 205, 207), auch dort wurde sie mit der I n d u k t i o n identifiziert. Es gibt zweifellos zwischen diesen zwei Methoden eine gewisse Ähnlichkeit. Beide gelangen nämlich aus e i n z e l n e n Momenten zu allgemeing ü 11 i g e n Einsichten. In dieser Hinsicht entspricht wenigstens die Gesetzesinduktion der Reduktion. Eben deshalb kann dasjenige Charakterisieren der Gesetzesinduktion nicht beanstandet werden, nach welchem diese eben denjenigen allgemeinen Gesetzen nachforscht, die die Voraussetzungen dessen sind, daß die Erscheinungen eben in solcher Weise ablaufen, wie wir sie in der Tat beobachten. Und doch gibt es einen wesentlichen und tiefgehenden Unterschied zwischen der Induktion und der Reduktion, und wenn wir diesen einmal erkannt haben, werden wir die beiden Methoden nicht miteinander verwechseln. Dieser Unterschied besteht darin, daß die Induktion in ihrer Verallgemeinerung ähnlichen E r s c h e i n u n g e n nachforscht und ihr Ideal ist, die U r s a c h e n zu entdecken, die die Erscheinungen h e r b e i f ü h r e n (s. § 198); die Reduktion geht aber von der Gültigkeit der Urteile aus und sucht die R a t i o , d. h. den logischen G r u n d derselben. Kurzum: d i e i n d u k t i v e Verallg e m e i n e r u n g b e w e g t s i c h in d e r S p h ä r e d e r



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Wirklichkeit, die reduktive Verallgemein e r u n g g e h t a b e r in d e r S p h ä r e d e s S y s t e m s d e r W a h r h e i t e n v o r . Darum untersucht die Induktion in letzter Analyse i n d e r Z e i t a b l a u f e n d e E r s c h e i n u n g s v e r b i n d u n g e n , die Reduktion geht aber auf Grund der z e i t l o s e n Verhältnisse der Wahrheiten vor. Die erstere forscht o n t o l o g i s c h e n , die letztere aber bloß l o g i s c h e n Zusammenhängen nach. Der Umstand, daß die Reduktion selbst aus e i n e m Falle verallgemeinern kann, z. B. selbst aus e i n e m ethischen Urteil rückschließend das entsprechende allgemeine moralische Prinzip finden kann, während die Induktion immer wenigstens auf e i n i g e Fälle gegründet ist, hat keine entscheidende Bedeutung. Wir haben uns ja überzeugt, daß selbst d i e v o l l k o m m e n e Erkenntnis e i n e r e i n z i g e n E r s c h e i n u n g genügend wäre, aus ihr die entsprechende Totaliät (Prozeß, Klasse oder Oesetz) festzustellen. Bedürfen wir also in der Induktion meistens m e h r als eines Falles, so entspringt dies aus der Unvollkommenheit unserer Erkenntnis, und so ist dieser Umstand allein nicht geeignet, die Induktion und die Reduktion voneinander scharf abzugrenzen. Ihr wirklicher Unterschied besteht darin, daß die Induktion W i r k l i c h k e i t e n , die Reduktion G ü l t i g k e i t e n nachforscht. Die erstere will also U r s a c h e n (causa), die letztere aber G r ü n d e (ratio) feststellen. 211. Diese scharfe Abgrenzung der Induktion und der Reduktion befähigt uns nun auch, die A r t e n der Reduktion festzustellen, ohne aber diese zwei Methoden miteinander zu verwechseln. Die Reduktion, ebenso wie die Induktion, strebt gewisse T o t a l i t ä t e n zu erkennen. Die gesuchte Totalität kann auch hier d r e i e r l e i sein, entsprechend dem Umstand, daß wir den drei Gruppen der Wahrheitsgegenstände gemäß d r e i e r l e i W a h r h e i t s s y s t e m e kennen (s. § 26). Demnach gibt es: 1. o n t o l o g i s c h e R e d u k t i o n , die sich auf die Wirklichkeit bezieht. Diese besteht darin, daß wir nach den logischen Voraussetzungen der Gültigkeit irgendeiner Wahrheit bezüglich der Wirklichkeit forschen, bis wir endlich solche ontologische Grundwahrheiten erhalten, die keine logische Voraussetzung mehr haben. Das Ziel der reduktiven Forschung ist hier also, von den h e t e r o n o m e n ontologischen Wahrheiten bis zu der Schichte der a u t o n o m e n ontologischen



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Wahrheiten vorzudringen. Zum Beispiel kann der folgende Gedankengang dienen. Jede Wahrheit, die wir hinsichtlich einer Naturerscheinung feststellen, setzt die Gültigkeit jener allgemeineren Wahrheit voraus, daß es Erscheinungen solchen Charakters, d. h. r ä u m l i c h e Erscheinungen gibt. Diese Wahrheit kann aber nur in dem Falle bestehen, wenn die noch allgemeinere Wahrheit gültig ist, daß e s K ö r p e r g i b t , deren Wechselwirkung die räumlichen Erscheinungen herbeiführt. Die Existenz der Körper behaupten heißt aber stillschweigend schon die noch allgemeinere Wahrheit anerkennen, daß e t w a s e x i s t i e r t . Diese allgemeinste Wahrheit muß inhaltlich schon als autonom anerkannt werden, deren weitere inhaltliche Präsuppositionen nicht mehr entdeckt werden können. Es ist schon eine U r t a t s a c h e , daß etwas überhaupt existiert bzw. die These, die diese ausdrückt, ist eine U r w a h r h e i t . E s erhellt daraus, daß die ontologische Reduktion zu solchen Wahrheiten führt, die U r t a t s a c h e n ausdrücken. E s ist aber zu bemerken: mittels einer I n d u k t i o n hätten wir dieses Ergebnis nie erreichen können. Die empirische Forschung der Wirklichkeit fängt nämlich mit der inhaltlichen Untersuchung der einzelnen Erscheinungen an, und dies geschieht durch das Experiment und durch die Beobachtung. Wir können aber durch kein Experiment oder keine Beobachtung entscheiden, daß „etwas existiert", und zwar einfach darum nicht, weil jedes Experiment und jede Beobachtung schon die Überzeugung bzw. Wahrheit voraussetzen, daß „etwas existiert" und so auch die jetzt beobachtete Erscheinung bzw. die Hilfsmittel des Experiments, wir selbst usw. existieren. Da stellt sich der Unterschied der Induktion und der Reduktion in voller Klarheit heraus: mögen sie sich selbst auf denselben Gegenstandskreis beziehen, bedeuten sie ihrem Wesen nach dennoch z w e i vollkommen verschiedene Verfahren. Die Reduktion ist grundlegender als die Induktion: jede induktive Untersuchung gründet sich schon auf durch Reduktion e r h a l t e n e Ergebnisse. Die Induktion a n a l y s i e r t , d. h. sie stellt vor allem die Teile der Gegebenheit fest. Die Reduktion forscht aber nicht nach den Teilen, sondern nach den V o r a u s s e t z u n g e n der Gegebenheit. Das Ideal der Induktion ist, U r s a c h e n und F o l g e n in der Wirklichkeit nachzuweisen; die Reduktion forscht nur nach den Rationen, d. h. nach den l o g i s c h e n Voraussetzungen. Das Ergebnis der Induktion kann n u r e i n e W a h r s c h e i n l i c h k e i t besitzen, weil



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die Wirklichkeit so unendlich reich und verwickelt ist, daß wir nicht einmal ihren kleinsten Teil vollkommen erkennen und so daraus auch die ihm entsprechende Totalität (Prozeß, Klasse, Gesetz) nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erschließen können. D e m g e g e n ü b e r f ü h r t d i e R e d u k t i o n z u v o l l k o m m e n g e w i s s e n R e s u l t a t e n . Kein mathematischer Satz ist vollkommener bewiesen, als daß jede Erfahrung die Wahrheit voraussetzt, daß „etwas existiert". Die induktive Verallgemeinerung kann also nur eine approximative sein, die durch Reduktion erhaltene Allgemeinheit hat aber eine absolute Gültigkeit. Es liegt auf der Hand, daß die Verwechslung der Induktion und der Reduktion auf dem Gebiet der Wirklichkeitswissenschaften einerseits in der Theorie der Induktion, andererseits in der der Reduktion unübersehbare Begriffsverwirrungen herbeiführen kann. 2. Die m a t h e m a t i s c h e R e d u k t i o n bezieht sich auf die Gegenstände der Mathematik Aller Wahrscheinlichkeit nach ist E u k 1 i d e s durch diese Methode zur Erkenntnis seiner geometrischen Axiome gelangt. In der Mathematik sind nämlich die Ergebnisse der reduktiven Forschung eben die A x i o m e , unter welchen wir solche R e l a t i o n s t h e s e n verstehen, die aus anderen, logisch vorausgehenden Thesen nicht mehr abgeleitet werden können und so e l e m e n t a r e A u s g a n g s p u n k t e jeder mathematischen Feststellung sind. Wie die Induktion durch die ontologische Reduktion begründet wird, so muß die Deduktion in der Mathematik durch die mathematische Reduktion vorbereitet werden. Die Definitionen des Euklides setzen z. B. die Axiome voraus, weil sie auf die in den Axiomen ausgedrückten Wahrheiten bauen. Wir können z. B. das Dreieck nicht definieren, wenn wir den Begriff der „Geraden" und diejenige grundlegende Eigenschaft derselben nicht kennen, daß sie der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten ist. Axiome gibt es natürlich nicht nur in der Geometrie, sondern — wenn auch nicht unter diesem Namen — in jeder mathematischen Disziplin, die einen selbständigen Ausgangspunkt, d. h. solche Grundbegriffe besitzt, die aus anderen mathematischen Begriffen nicht abgeleitet werden können. Solche Axiome sind z. B. in der Arithmetik, daß 1 + 1 = 2 , in der Mengenlehre, daß zwei Mengen, A und B nur in dem Falle gleich sind (A = B), wenn sie vollkommen dieselben Elemente enthalten, wenn also ein jedes Element der einen zugleich auch ein Element der anderen ist. Wie in den Wirklichkeitswissenschaften die Reduktion oft mit der ». P a n i e r , Logik

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Induktion verwechselt wird, ebenso entsteht oft eine ähnliche Begriffsverwirrung in der Mathematik bezüglich der Deduktion. Der Unterschied ist aber augenscheinlich. Die Reduktion forscht nämlich nach logischen A n t e z e d e n t i e n , die Deduktion dagegen immer nach den K o n s e q u e n z e n . Die erstere vertritt einen r e g r e s s i v e n , die letztere einen p r o g r e s s i v e n Gedankengang. Nach den A x i o m e n forschend, suchen wir in der Mathematik, welche elementaren Thesen zu jeder Feststellung irgendeiner mathematischen Disziplin für gültig gehalten werden müssen; nach den mathematischen T h e s e n forschend untersuchen wir aber, welche neuen Wahrheiten aus gewissen, schon bekannten mathematischen Wahrheiten folgen. Auch hier wurde die Theorie der Deduktion dadurch infiziert, daß man aus ihr die reduktiven Elemente nicht ferngehalten hat; und die Rolle der Reduktion in der Mathematik kann neben der Deduktion deshalb nicht eine allgemeine Anerkennung finden, weil die Reduktion, die den Axiomen nachforscht, noch immer oft mit der Deduktion verwechselt wird. Die Reduktion kann endlich auch die Aufgabe haben, daß sie den l e t z t e n Präsuppositionen der e i n z e l n e n G e g e n s t a n d s k r e i s e nachforscht. So entsteht die philosophische Reduktion, deren Ergebnisse die Grundsätze der Logik, der Ethik, der Ästhetik, der Metaphysik und der Ideologie sind. Wir kommen z. B. in solcher Weise zu den logischen Grundsätzen, daß wir, von i r g e n d e i n e r Wahrheit ausgehend, auf die allgemeinsten Bestimmungen j e d e r Wahrheit zurückschließen (s. §§ 4, 5). In ähnlicher Weise erkennen wir auch die Grundsätze der übrigen philosophischen Disziplinen 1 ). Während in den beiden anderen Grundwissenschaften (in der Wirklichkeitswissenschaft und in der Mathematik) die Anwendung der Reduktion die Arbeit der Induktion bzw. der Deduktion begründetest die Reduktion in der Philosophie — die eben die letzten logischen Präsuppositionen j e d e r Wissenschaft zu erforschen hat — die H a u p t m e t h o d e , neben welcher die beiden anderen Grundmethoden (Induktion und Deduktion) nur als gelegentliche Hilfsmethoden angewandt werden können. Die methodologische Begriffsverwirrung fehlt selbst auf diesem Gebiet nicht. Während die Reduktion in der Wirklichkeitswissenschaft mit der Induktion und in der Mathematik mit der Deduktion verwechselt wird, verwechselt man sie in der Philosophie bald mit dieser, bald mit J

) Vgl. Grundlagen der Philosophie § 15.



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jener Methode. Diejenigen, die z. B. die Logik, die Ethik, die Ästhetik oder die Metaphysik durch die induktive Methode auf die „Erfahrung" bauen wollen, verwechseln offenbar die eigentümliche Methode der philosophischen Spekulation mit der Induktion. Wenn aber einige Denker, wie D e s c a r t e s und S p i n o z a , das System der Philosophie „more geometrico" durch die Deduktion darlegen wollen, können sie die Reduktion von der Deduktion nicht unterscheiden. Diese methodologische Verirrung ist eine wichtige Ursache dessen, daß die philosophische Forschung bisher so schwankend vorwärtskam. 212. Die Voraussetzung der Reduktion ist — wie wir es erwähnt haben — daß d i e l o g i s c h e A n t e z e d e n z a u s der logischen K o n s e q u e n z festgestellt werd e n k a n n . Dies hat schon B o 1 z a n o erkannt: „Es gibt nur solche Wahrheiten, die zueinander im Verhältnis des Grundes und der Folge stehen 1 )". Die Frage ist nun: w a s f ü r e i n e E r k e n n t n i s der als „Folge" betrachteten Wahrheit befähigt uns, aus ihr logische Antezedentien festzustellen? Wir können nur durch die Beantwortung dieser Frage von den einzelnen Schritten der reduktiven Methode Rechenschaft geben. Wir können am zweckmäßigsten von einem Beispiel ausgehen. Jede Behauptung oder Verneinung setzt schon die Gültigkeit der logischen These voraus, nach welcher nur diejenige Behauptung oder Verneinung wahr sein kann, die nicht sich selbst widerspricht. Die letztere These kann aus jeder Behauptung oder Verneinung f e s t g e s t e l l t w e r d e n — aber wie, in welcher Weise? Etwas aus irgend etwas „feststellen" kann zweierlei bedeuten, und zwar 1. daß dasjenige, was wir aus irgend etwas feststellen, ein T e i l des letzteren ist. In diesem Sinne können wir z. B. aus der Anschauung irgendeines Gebäudes die Anzahl seiner Fenster feststellen. 2. Es kann auch bedeuten, daß dasjenige, was wir aus irgend etwas feststellen, daraus g es c h l o s s e n w i r d . Bei der Reduktion handelt es sich offenbar um den letzteren Fall: die Feststellung, daß nur die sich selbst nicht widersprechende These wahr sein kann, ist noch nicht in irgendeiner Behauptung oder Verneinung als ein Teil derselben enthalten, sondern wir s c h l i e ß e n auf die Gültigkeit dieser allgemeinen logischen These aus der Gültigkeit unserer Behauptung oder Verneinung. Diese allgemeine These ist die ') Wissenschaftslehre. 1837. II. B. § 203.

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B e d i n g u n g dessen, daß irgendeine Behauptung oder Verneinung wahr ist. D e r e r s t e S c h r i t t d e s r e d u k t i v e n V e r f a h r e n s ist a l s o der S c h l u ß auf die l o g i sche B e d i n g u n g der Gültigkeit irgendeiner Behauptung oder Verneinung. Der zweite S c h r i t t ist aber, daß wir auf die weitere Bedingung der so festgestellten Bedingung s c h l i e ß e n , solange, bis w i r e n d l i c h z u d e n G r u n d s ä t z e n g e l a n g e n . Der d r i t t e S c h r i t t besteht offenbar darin, daß wir das Ergebnis dieses Rückschlusses z u s a m m e n f a s s e n , d. h. die zum Ausgangspunkt dienende Behauptung als R e l a t i v u m mit dem Grundsatz als A b s o l u t u m vergleichen. Nun steht der Vorgang der reduktiven Methode klar vor uns: sie ist nichts anderes, als d e r S c h l u ß v o m l o g i s c h e n R e l a t i v u m auf d a s e n t s p r e c h e n d e l o g i s c h e A b s o l u t u m . Die Folge enthält also den Grund nicht in einem solchen Sinne, daß der letztere ein Teil der ersteren ist, sondern sie enthält ihn, wie das Vorausgesetzte die Voraussetzung widerspiegelt, wie das Abhängige dasjenige, von dem das betreffende Ding abhängt, kurz: wie das Relativum auf das Absolutum hinweist. E i n e R e d u k t i o n vollziehen heißt vom Relativum auf das Absolutum s c h l i e ß e n , aus dem R e l a t i v u m d u r c h Rückschluß das entsprechende Absolutum fests t e l l e n . Da aber diese Methode eben die spezifische Methode der philosophischen Forschung ist, können wir also behaupten: p h i l o s o p h i e r e n h e i ß t , z u d e n g e g e b e n e n Relativa das entsprechende Absolutum suchen. Insoweit ist die Anwendung der reduktiven Methode nichts anderes als die konsequente Durchführung des Prinzips der Korrelativität für irgendeinen Gegenstandskreis (s. § 39). 213. Wir haben nachzuweisen versucht, daß die redukiive Methode schon in der Ideenlehre P 1 a t o n s steckt und ihre — wenn auch nicht vollkommen bewußte aber doch konsequente — Anwendung auch in den Untersuchungen des A r i s t o t e 1 e s nachgewiesen werden kann1)- Wir haben bereits gesehen (s. §§ 204 bis 207), daß die Reduktion selbst im XIX Jahrhundert: bei Fries, Stanley Jevons, Lotze, mit der Induktion identifiziert wird. Daß es sich hier aber doch um etwas anderes Tiandelt, hat zuerst Si g w a r t erkannt, der aber den Ausdruck l

) Vgl. Grundlagen der Philosophie § 183.



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„Reduktion" nicht für eine selbständige Methode, sondern für eine eigentümliche Weise des S c h l u s s e s anwendet. Er stellt vor allem fest1), daß die Reduktion ein entgegengesetztes Verfahren der Deduktion ist: sie sucht nicht die Konsequenz zu den Prämissen, sondern zu den Thesen die entsprechenden Prämissen, und so macht sie die letzten Ausgangspunkte der Deduktion bewußt. Aus formellem Gesichtspunkt ist die Reduktion die Konstruktion eines solchen Syllogismus, bei dem der Schlußsatz und e i n e Prämisse gegeben sind, und die a n d e r e Prämisse zu suchen ist®). Die Induktion ist nichts anderes als ein Fall der Reduktion. Sie entsteht dann, wenn wir von mehreren Subjekten (A t A2 A3) feststellen, daß ihnen ein gemeinsames Prädikat (C) zukommt. In diesem Falle entstehen die Thesen: „Aj est C", „A 2 est C"; „A, est C" als die gemeinsamen Folgen d e r s e l b e n allgemeinen These („Alle A sunt C"). Auch die „logischen Axiome", z. B. das Prinzip des Widerspruchs, erhalten wir durch Reduktion3). So versteht Sigwart diejenige Lehre des Aristoteles (Analyt. post. II. 19.), nach welcher die allgemeinsten Prinzipien durch Induktion erhalten werden können. Sigwart hat zweifellos einen großen Verdienst um die Theorie der Reduktion, trotzdem er noch nicht erkannt hat, daß sie eine gleichwertige Methode neben der Induktion und der Deduktion ist. Der Hauptgrund dessen ist, daß die Reduktion auch bei ihm noch mit der Induktion verwechselt wird, daß er keinen scharfen Unterschied zwischen den Wirklichkeiten und der Welt der Wahrheiten machen kann. Der schon erwähnte psychologistische Charakter seiner Logik (s. § 207) ist der letzte Grund dessen, daß Sigwart die wirkliche Bedeutung der Reduktion noch nicht erkannt hat. 214. Zur methodischen Forschung gehört aber nicht nur die Anwendung der angegebenen Methoden der Induktion, Deduktion und Reduktion, sondern es sind noch gewisse l o g i s c h e H i l f s m i t t e l nötig, um neue Wahrheiten zu erkennen. Wir bedürfen nämlich zum Beginn j e d e r wissenschaftlichen Forschung irgendeiner H y p o t h e s e ; die Abgrenzung j e d e s Forschungsgebietes macht gewisse F i k t i o n e n nötig; endlich ist das letzte, zwar nicht immer erreichbare Ziel jeder Forschung die T h e o r i e . Das Wesen und die Rolle derselben haben wir noch zu erklären. >•) Logik II. S. 273. ) A. a. O. II. S. 301. ) A. a. O. II. S. 305 ff.

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— 278 — 215. Wenn wir zu Beginn der induktiven Forschung durch Experiment oder Beobachtung g e w i s s e E r s c h e i n u n g e n untersuchen, andere aber außer acht lassen, können wir dies nur auf Grund der Voraussetzung tun, daß wir aus der Untersuchung e b e n d i e s e r Erscheinungen gewisse Lehren ziehen können. Als der Physiker z. B. die Fälle des freien Falles untersucht, s e z t e r s c h o n v o r a u s , daß er aus ihnen eine gewisse Gesetzmäßigkeit feststellen können wird. Eine These, die zwar wahrscheinlich, aber nicht bewiesen, doch ihre Annahme für die Erklärung nötig ist, bezeichnen wir als H y p o t h e s e . Es wurde eben gegenüber der allzusehr empiristischen Induktionstheorie Stuart Mills oft hervorgehoben, daß e s k e i n e I n d u k t i o n o h n e H y p o t h e s e g i b t . Und zwar darum nicht, weil wir ohne eine Annahme auch nichts zum Z i e l e der induktiven Forschung setzen könnten und so kein Moment hätten, das wir durch das Sammeln der Daten erreichen wollten. Bei der D e d u k t i o n steht es ebenso. Es hat nur in dem Falle einen Sinn, eine mathematische Deduktion in Angriff zu nehmen, wenn wir v o r a u s s e t z e n , daß sie zu irgendeinem Ergebnis führen wird. Der Gedanke des neuen Ergebnisses entsteht ja nach dem übereinstimmenden Bekenntnis der großen wissenschaftlichen Entdecker f r ü h e r als der Beweis. Die methodischen Beweise werden zur Rechtfertigung der These erst n a c h t r ä g l i c h gesucht. Sonst scheint es, daß im p s y c h o l o g i s c h e n P r o z e ß des Schlusses das Bewußtsein des Schlußsatzes dem Bewußtsein der Prämissen überhaupt v o r hergeht. Es ist nicht schwer einzusehen, daß auch die R e d u k t i o n die Hypothese nicht entbehren kann. Als wir im Begriff sind, aus einer Behauptung oder Verneinung auf ihre logischen Antezedentien zu schließen, müssen wir schon für wahrscheinlich halten, daß es solche Wahrheiten gibt, die in solcher Weise entdeckt werden können. Wenn wir das „Prinzip der Korrelctivität" erkannt haben, w i s s e n wir schon, daß jede Wahrheit logische Prämissen hat, deren Reihe nicht unendlich sein kann (s. § 39), wir können aber auch in diesem Falle nur für wahrscheinlich halten, daß wir e b e n a u f d e m a n g e b a h n t e n W e g zu reduktiven Ergebnissen gelangen werden. Die Setzung eines konkreten Zieles erfordert also bei allen drei Grundmethoden die Anwendung der Hypothesen. Eine hypothesenfreie Wissenschaft könnte also keinen Fortschritt machen, weil sie kein Ziel setzen könnte, das den Forscher auf immer neuere Gebiete lockt. Wenn



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wir die methodisch gestellte Frage als Problem bezeichnen, können wir all dies auch in der Weise ausdrücken, daß s e l b s t die S e t z u n g des P r o b l e m s schon mit Hypot h e s e n d u r c h w o b e n i s t . Ein Problem stellen heißt, auf eine mögliche Antwort anspielen, die wir zwar noch nicht kennen, von der wir aber voraussetzen, daß sie gegeben werden kann. Darum steckt schon in der Problemstellung derselbe G l a u b e , der in der tiefsten Tiefe jeder Gedankenarbeit und überhaupt jeder zielbewußten menschlichen Handlung nachgewiesen werden kann (s. § 152). Aus diesem Gesichtspunkt können wir auch die Hypothese als das Ergebnis des noch forschenden Glaubens auffassen, der die wissenschaftliche Forschung unterstützt und die m ö g l i c h e n , w a h r s c h e i n l i c h e n Ergebnisse derselben antizipiert. 216. In der Zielsetzung der wissenschaftlichen Arbeit steckt schon eine gewisse Abgrenzung des zu untersuchenden Gegenstandskreises. Neben dieser p o s i t i v e n Abgrenzung gibt es in jeder wissenschaftlichen Forschung auch eine n e g a t i v e Abgrenzung, durch die dasjenige bestimmt wird, was als Ergebnis a u s g e s c h l o s s e n i s t , welches Ziel durch unsere Forschung n i c h t v e r w i r k l i c h t w e r d e n k a n n . Wenn wir z. B. die Weise des Verlaufs irgendeines historischen Ereignisses untersuchen, wird unsere Untersuchung nicht nur durch den Gedanken dessen gelenkt, was w a h r s c h e i n l i c h geschehen ist, sondern sie wird immer auch von dem Bewußtsein dessen determiniert, was n i c h t g e s c h e h e n k a n n . Der Gedanke der Unmöglichkeit ist in der Wissenschaft ebenso notwendig, wie der Gedanke der Möglichkeit. Die Wissenschaft muß die Lösung ihres Problems immer zwischen beiden suchen. Aus dem Gedanken der Möglichkeit entspringt die H y p o t h e s e , aus dem der Unmöglichkeit die F i k t i o n . Mit dem letzteren hat sich die Logik bisher nur aus dem Gesichtspunkt beschäftigt, daß die Wissenschaft auch solcher Begriffe bedarf, von deren Unrichtigkeit wir zwar überzeugt sind, die aber als Hilfsmittel doch gebraucht werden können. Solche Fiktionen sind z. B. die vollkommen elastischen Gase, der vollkommene Staat, von welchen wir sehr gut wissen, daß sie nicht existieren können, trotzdem können wir unsere Untersuchung ohne sie nicht durchführen, und zwar darum nicht, weil wir nur i m V e r g l e i c h zu ihnen den G r a d der Eigenschaften der Wirklichkeit (i n w i e w e i t ein Gas elastisch oder ein Staat vollkommen ist) feststellen können. Insoweit ist die F i k t i o n dem I d e a l ahn-



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lieh: wir wissen auch von dem letzteren, daß es nicht verwirklicht werden kann. Das Ideal ist aus logischem Gesichtspunkt in der Tat eine Fiktion. Es ist aber nicht jede Fiktion zugleich ein solcher Inhalt, den wir zu e r r e i c h e n streben, d. h. nicht jede Fiktion ist zugleich ein Ideal. Das tiefste Wesen der Fiktion erkennen wir darin, daß sie d i e F i x i e r u n g einer n o t w e n d i g v o r A u g e n zu h a l t e n d e n Unmögl i c h k e i t i s t . Und weil der Gedanke der Unmöglichkeit — wie wir eben gesehen haben — ein ebenso konstitutives Element der wissenschaftlichen Forschung ist, wie die Konzeption des möglichen und wahrscheinlichen Ergebnisses, können wir die Fiktion mit vollem Rechte für ein wesentliches Mittel jeder wissenschaftlichen Arbeit halten. 217. Das letzte Ziel jeder wissenschaftlichen Forschung ist, von ihrem Gegenstandskreis eine v o l l s t ä n d i g e E r k l ä r u n g zu geben. Oben haben wir schon festgestellt (s. § 164), daß wir es dann erreichen, wenn wir das zu untersuchende Objekt durch seine Bestandteile, Verhältnisse und seine systematische Stelle im Kreise anderer Dinge erhellen. Wenn wir einen Gegenstand aus diesen drei Gesichtspunkten gleicherweise erklärt haben, dann haben wir seine T h e o r i e festgestellt. D a s Wesen der T h e o r i e ist die E r k l ä r u n g auf G r u n d a l l g e m e i n e r B e g r i f f e . Wir haben z. B. die Theorie der Revolution dann festgestellt, wenn wir diejenigen gemeinsamen (allgemeinen) Merkmale nachweisen, die in j e d e r Revolution notwendig vorhanden sind. Daß wir aber eine solche Art der Erklärung erreichen können, müssen wir offenbar die beständigen Bestandteile (z. B. Massenbewegungen, Terror, seelische Epidemie), ferner auch diejenigen U r s a c h e n (z. B. Unzufriedenheit, Fehler der Regierung usw.) der revolutionären Bewegungen kennen, die im Herbeiführen jeder Revolution eine Rolle spielen. Die Theorie von irgend etwas enthält also in der Tat alle drei Erklärungsweisen (s. § 161), aber i m m e r a u s dem G e s i c h t s p u n k t der b e s t ä n d i g e n und allg e m e i n e n M o m e n t e . Darum ist es gleich wahr, daß die Theorie die v o l l s t ä n d i g e Explikation bedeutet, zugleich aber eine solche Art der Explikation ist, die immer auf a 11 g e m e i n e Begriffe baut. Es ist zweifellos, daß nicht jede Wissenschaft den Grad der Theorie erreicht. Wo die Erscheinungen sehr verwickelt oder sehr individuell sind, dort können nur die unsicheren und verschwommenen Umrisse der Theorie erscheinen. Dies ist der Fall in der Geschichte, die aller Wahrscheinlichkeit nach nie einen



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solchen Entwicklungsgrad erreichen wird, daß sie die einheitliche Theorie der Geschichte der Menschheit mit einer solchen Exaktheit darstellen könnte, welche wir z. B. in der Theorie der Bewegung der Erde erreicht haben.

III. ERKENNTNISKRITIK. 218. Die Erkenntniskritik ist die Wissenschaft der o b j e k t i v e n Bedingungen der Erkenntnis. Die s u b j e k t i v e n Bedingungen der Erkenntnis haben w i r in der Denklehre gesehen. Die Erkenntniskritik hat diejenigen o b j e k t i v e n Bedingungen klarzustellen, durch die die Objekte e r k a n n t werden k ö n n e n , oder negativ ausgedrückt: in Ermangelung deren irgendein Gegenstandskreis u n e r k e n n b a r wird. Mit anderen Worten: die p o s i t i v e Aufgabe der Erkenntniskritik ist, die Eigentümlichkeiten derjenigen Gegenstände zu bezeichnen, die erkennbar sind, ferner durch die Darlegung der Bedingungen der Unerkennbarkeit die G r e n z e n der menschlichen Erkenntnis festzustellen. Die p o s i t i v e Aufgabe erfordert die Lösung von z w e i Problemen. Das eine ist, w a s die Gegenstände ü b e r h a u p t erkennbar macht? Die andere Frage ist, inwieweit die Natur der e i n z e l n e n G e g e n s t a n d s k r e i s e ihre Erkennbarkeit beeinflußt? Die n e g a t i v e Aufgabe, d. h. die Frage bezüglich der G r e n z e n der menschlichen Erkenntnis zergliedert sich ebenfalls in z w e i Hauptprobleme. Die eine ist, w a s die r e 1 a t i v e n Hindernisse der Erkenntnis sind, die andere Frage bezieht sich aber darauf, ob es a b s o l u t e Hindernisse für unsere Erkenntnis gibt, d. h. ob es solche Gegenstände gibt, die für uns darum unerkennbar sind, weil die formalen Prinzipien unserer Erkenntnis für diesen Gegenstandskreis ungültig sind? Nach der Übersicht dieser zwei Problemkreise hat die Erkenntniskritik noch zu versuchen, selbst das innerste Wesen des Erkenntnisprozesses auf Grund derjenigen Lehren zu erklären, die sie aus der Lösung der positiven und negativen Aufgaben gewonnen hat. Dieser letzte Teil unseres Werkes kann nur ein Abriß sein, und zwar deshalb, weil die Erkenntniskritik nur zum Teil zur Logik gehört: sie ist in der Tat ein Ü b e r g a n g v o n d e r



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L o g i k i n d i e M e t a p h y s i k 1 ) . Die erwähnten Probleme sind nämlich zum Teil von solcher Natur, daß sie bereits die Darlegung der allgemeinsten Bestimmungen der seienden Dinge, d. h. auch metaphysische Feststellungen, voraussetzen. Wir können offenbar nur auf diesem Grunde mit Erfolg z. B. die Frage untersuchen, worin die Erfahrung besteht und was die objektiven Bedingungen derselben sind. Jede Empirie setzt nämlich voraus, daß eine gewisse W e c h s e l w i r k u n g zwischen den existierenden Dingen steht. Dies können wir aber nur in dem Falle bei der Erklärung der Erfahrung in Betracht ziehen, wenn wir schon die Bedingungen der Wechselwirkung der existierenden Dinge kennen, was eben nur die Metaphysik feststellen kann. Die Erkenntniskritik setzt aber noch die eingehendere Erkenntnis auch anderer Gegenstandskreise, z. B. die Untersuchung der Eigenschaften der Werte, also die Werttheorie, ferner die Phänomenologie, die Relationstheorie und die Kategorienlehre voraus, die wir aus der Logik ausgeschlossen und unter dem Titel „Ideologie" als eine spezifische philosophische Disziplin zusammengefaßt haben (s. § 191). 219 Was macht die Gegenstände überhaupt erkennbar? Diese Frage haben wir eigentlich schon in den bisherigen Ausführungen beantwortet. Wir haben nämlich erkannt, daß die objektive Gültigkeit der logischen Grundsätze es ist, die die Natur unseres Denkens und der Objektwelt verknüpft. Jedes mögliche Objekt ist unseren logischen Grundsätzen unterworfen, d. h. jedes Objekt ist nur mit sich selbst identisch, jedes Objekt steht in irgendeinem Verhältnis mit allen anderen Objekten, und jedes Objekt ist das Glied irgendeiner Klasse. Diese Sätze können nicht bewiesen werden, eben weil sie G r u n d s ä t z e sind. Dieser ihr Charakter offenbart sich eben darin, daß jede Verneinung dieser Prinzipien schon die Gültigkeit derselben Prinzipien voraussetzt. Behauptet nämlich jemand, daß es ein solches Objekt gibt, das nicht nur mit sich selbst identisch ist, so behauptet er damit zugleich, daß selbst der Grundsatz des Widerspruches, nach welchem A non est non-A, ungültig ist. Dann darf er aber nichts behaupten, da jede Behauptung und jeder Streit bereits die Gültigkeit des Prinzips voraussetzt, daß die Wahrheit sich von der Nicht-Wahrheit unterscheidet, d. h. was >) Vgl. N. H a r t m a n n s gründliche Untersuchungen über diesen Zusammenhang. Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis. 2. Aufl. Berlin u. Leipzig, 1925.



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A ist, in der Tat nicht zugleich Nicht-A sein kann. Ähnliche Widersprüche führt die Verneinung der Prinzipien des Zusammenhanges und der Klassifikation herbei, wie wir es schon festgestellt haben (s. § § 31, 34). D i e l o g i s c h e n Grunds ä t z e sind a l s o die G e s e t z e des Alls die für j e d e s m ö g l i c h e O b j e k t m a ß g e b e n d s i n d . Auch das menschliche Denken gehört zum All, daraus folgt offenbar, daß auch unser Denken denselben Prinzipien unterworfen ist. Dies können wir auch von einem anderen Gesichtspunkt aus rechtfertigen. Wir haben uns davon überzeugt (s. § 129), daß die logischen Gesetze der inneren psychologischen Gesetzmäßigkeit unseres Denkens nicht fremd sind, sondern sie sich in der Weise zur letzteren verhalten, wie die Gesetze des Atmens zur Tätigkeit der Lunge. Die logischen Grundsätze sind also die gemeinsamen Gesetzmäßigkeiten des erkennenden menschlichen Subjekts und jedes möglichen Objekts, und so verbinden sie beide Momente. Aus formalem Gesichtspunkte sind die Gegenstände für uns offenbar durch diesen Umstand erkennbar. Erkennen heißt nämlich einsehen, daß der Gegenstand aus dem Gesichtspunkt unseres Denkens „logisch", d. h. denselben formalen Gesetzen unterworfen ist, wie unser Denken. Durch die Konstatierung dieses Umstandes wird das Objekt für uns „verständlich". Dies erklärt, daß man die Ausdrücke „undenkbar" und „objektiv unmöglich" abwechselnd benützt. Eine solche Welt, in der ein Ding auch mit einem anderen Ding identisch sein könnte, oder wo kein Ding mit einem anderen Ding in irgendeinem Verhältnis stände bzw. wo die einzelnen Dinge nicht zu einer Klasse gehörten, wäre für uns vollkommen unverständlich und unerkennbar. 220. Der Umstand, daß die Gesetze unseres Denkens mit den allgemeinsten Prinzipien des Alls übereinstimmen, erhellt auch die v e r s c h i e d e n e n W e i s e n d e r E r k e n n t n i s . Aus dieser Übereinstimmung folgt nämlich vor allem, daß wir gewisse Momente von jedem möglichen Objekt kennen, bevor diese Objekte in unserem Bewußtsein in concreto auftauchten. Einen großen Teil der Objekte, z. B. die meisten Himmelskörper, werden wir nie erkennen, doch wissen wir selbst von diesen unbekannten Gegenständen v o r unserer konkreten Erkenntnis, also unabhängig auch von der Erfahrung, daß sie z. B. nur mit sich selbst identisch sind, daß sie mit jedem anderen Dinge in einem Verhältnis stehen, daß sie zu Klassen gehören. Also daraus, daß die Prinzipien des Alls mit den Gesetzen unseres Denkens

— 284 — übereinstimmen, folgt offenbar, daß wir vor allem eine solche Art der Erkenntnis haben, durch die wir gewisse f o r m a l e Wahrheiten unabhängig von der konkreten Erkenntnis der Gegenstände und vor jeder Erfahrung feststellen können. Diese bezeichnen wir als a p r i o r i s c h e Erkenntnis. Demgegenüber gibt es eine solche Erkenntnisweise, die dadurch charakterisiert wird, daß wir aus der empirischen E r kenntnis der Gegenstände gewisse Lehren ziehen. Diese ist die a p o s t e r i o r i s c h e Erkenntnis. Wir wissen a priori von jedem Menschen, daß er nur mit sich selbst identisch ist, wir erkennen aber a posteriori, daß die menschliche Haut v i e l e r l e i Farben haben kann, daß die durchschnittliche Lebensdauer des Menschen so und soviel J a h r e ausmacht usw. Es liegt auf der Hand, daß die „empirische" Erkenntnis nicht nur aposteriorische Momente, sondern auch apriorische Elemente enthält. Alles, was wir von den Erfahrungsgegenständen allgemeingültig im voraus wissen, z. B. daß zwischen ihnen notwendig eine Relation besteht und so auch zwischen den Veränderungen eine solche Verbindung besteht, die wir als das Kausalprinzip bezeichnen, wissen wir a priori von ihnen. Die Feststellung, w e l c h e die a priori erkennbaren allgemeinen Bestimmungen der Wirklichkeit sind, hängt vor allem davon ab, wie viele apriorische Elemente der B e g r i f f d e s S e i n s enthält, was aber nur dadurch festgestellt werden kann, daß wir den Begriff des Seins einer eingehenden Untersuchung unterwerfen. Dies ist aber schon nicht die Aufgabe der Logik, sondern die der Ideologie bzw. Metaphysik, und so können wir uns damit hier nicht weiter beschäftigen. Es gibt aber außer der apriorischen und aposteriorischen Erkenntnis noch eine d r i t t e Art der Erkenntnis, die darin besteht, daß wir in den gegebenen Inhalten n a c h t r ä g l i c h solche Elemente entdecken, deren Gültigkeit unabhängig von dieser Gegebenheit ist. Als wir z. B. durch ein autothetisches Urteil aus der empirisch gegebenen Wirklichkeit auf die allgemeinsten Bestimmungen des Seins zurückschließen (s. § 85), dann haben wir diese nicht a priori erkannt, weil wir uns dieser Bestimmungen n o c h n i c h t v o l l s t ä n d i g b e w u ß t w a r e n . Wir können aber diese Erkenntnisweise auch nicht für eine aposteriorische halten, weil wir ja durch sie etwas erkannt haben, das eine w e i t e r e Gültigkeit hat, als welche durch die Erfahrung je erreicht werden kann, abgesehen davon, daß jede Erfahrung irgendein Bewußtsein der allgemeinen Bestimmungen des Seien-

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den, z. B. des Kausalprinzips, schon v o r a u s s e t z t . Wir nehmen ja nur dasselbe als eine Erfahrung an, was dadurch in unserem Bewußtsein entsteht, daß in der Welt etwas g e s c h i e h t , das als eine U r s a c h e den Erfahrungsinhalt in uns a u s l ö s t . Irgendein Bewußtsein des Kausalprinzips setzt also schon jede Erfahrung voraus, und so kann die Überzeugung von der Gültigkeit des Kausalprinzips nicht aus der Erfahrung entnommen werden. Es steht eben umgekehrt mit der Sache: Die Erfahrung ist nur auf Grund der Überzeugung möglich, daß alles, was in der Wirklichkeit geschieht, eine Ursache und Wirkung hat. Es ist also offenbar, daß außerhalb der apriorischen und aposteriorischen Erkenntnis noch eine d r i t t e Erkenntnisweise angenommen werden muß, die dadurch charakterisiert wird, daß sie gewisse Erkenntnisse v e r h ü l l t enthält. Dies haben die Rationalisten des XVI. und XVII. Jahrhunderts gemeint, als sie das „lumen naturae" angenommen haben, durch das wir die „angeborenen Ideen" erkennen. Eine solche logisch verhüllte Erkenntnisweise bezeichnen wir als a b i n t e r i o r i Erkenntnis und halten sie neben der a p r i o r i s c h e n und a p o s t e r i o r i s c h e n Erkenntnis für eine mit jenen gleichwertige Erkenntnisweise. 221. Wir haben schon erwähnt (s. § 217), daß das Problem der Grenzen der menschlichen Erkenntnis auf z w e i e r l e i Weise verstanden werden kann. Es bedeutet erstens die Frage, wodurch der menschliche Verstand darin verhindert wird, daß er den Kreis der sonst erkennbaren Gegenstände durch seine Erkenntnis wirklich erschöpfe? Unser Problem kann aber auch bedeuten, ob auch solche Dinge anzunehmen sind, die für den menschlichen Verstand absolut unerkennbar sind, weil sie sich nach ganz anderen Prinzipien richten, als welche die Grundsätze unseres Denkens sind? Die erstere Frage bezieht sich auf die r e l a t i v e n , die letztere auf die a b s o l u t e n Grenzen unserer Erkenntnis. Die erstere Frage kann auch in der Weise charakterisiert werden, daß sie sich auf die S c h r a n k e n der Erkenntnis bezieht. Es ist zweifellos, daß die Menschheit infolge ihrer k o s m i s c h e n Lage in der Natur und ihres psychophysiologischen Organismus nicht alle existierenden Dinge erkennen kann, selbst in dem Falle nicht, wenn wir voraussetzen, daß die Prinzipien unseres Denkens zugleich die allgemeinsten Bestimmungen der Seienden sind (s. § 218). Wir können in der Welt nur diejenigen Realitäten erkennen, mit welchen wir im Räume zusammentreffen. Von solchen fernliegenden Himmelskörpern, von



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welchen nicht einmal das Licht zu uns gelangen kann, können wir keinerlei Kenntnis haben, ebenso auch von solchen Körpern nicht, die sich infolge ihrer Kleinheit unseren Sinnen entziehen. Die Erkenntnis eines Körpers kann natürlich um so vollkommener sein, je mehr wir in eine solche Lage kommen, die eine Beobachtung aus möglichst vielen Gesichtspunkten zuläßt. Aber selbst in dem Falle, wenn wir einen Körper gründlich beobachten können, kann unsere Erkenntnis von ihm nur sehr oberflächlich sein. Unsere Sinnesorgane sind ja nämlich — wie es oft bemerkt wurde — keine P h o t o g r a p h e n a p p a r a t e , die von den Körpern ein treues Bild geben können, sondern S i g n a l a p p a r a t e , die sich im Kampfe um das Dasein ausgebildet haben. Sie verständigen also das Subjekt eigentlich nur darüber, was aus dem Gesichtspunkt der Erhaltung des Lebens und der Vermehrung der Art wichtig ist, nicht aber darüber, was aus diesem Gesichtspunkte indifferent ist. Darum ist z. B. unser Sehorgan nur soweit scharf, daß es uns über die bevorstehende Gefahr rechtzeitig verständige, aber nicht so entwickelt, wie ein Teleskop oder Mikroskop, weil dieses aus dem Gesichtspunkt des Bestandes unserer Art keine Anforderung ist. W i r kennen auch die in den Erfahrungen erscheinende Natur nicht in ihrer Objektivität, sondern nur in ihren Bruchstücken, deren Auslese durch den biologischen Bedarf bestimmt wird. Es ist also nicht ausgeschlossen, ja es ist sogar wahrscheinlich, daß es um uns auch solche Körper und Prozesse gibt, von denen wir keine Ahnung haben. Körperliche und geistige Realitäten können uns umgeben und können eine solche Welt bilden, von deren Wundern wir ebensowenig Kenntnis haben, wie unsere Haustiere von der menschlichen Kunst, Wissenschaft, Moral und Gesellschaft. All dies macht die Bescheidenheit für jede Wirklichkeitswissenschaft in erhöhtem Maße empfehlenswert, wie wir es schon aus dem Gesichtspunkt der Naturwissenschaften bemerkt haben (s. § 198). 222. Hinsichtlich der Frage der absoluten Grenzen der menschlichen Erkenntnis können wir bereits auf Grund der bisherigen feststellen, daß j e d e r m a n s i c h s e l b s t widers p r i c h t , der s o l c h e G e g e n s t ä n d e für m ö g l i c h hält, deren allgemeinste Bestimmungen nicht z u g l e i c h die l o g i s c h e n G r u n d s ä t z e unseres D e n k e n s s i n d . Dasjenige Urteil nämlich, das behauptet, daß die logischen Grundsätze n i c h t für jedes mögliche Objekt gültig sind, gründet sich schon auf die absolute Gültigkeit der-

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selben logischen Grundsätze. Wenn wir nämlich behaupten, daß unsere logischen Grundsätze nur für einen gewissen Kreis der Gegenstände 'gültig sind, damit behaupten wir zugleich, daß der G r u n d s a t z der Identität für jeden Gegens t a n d g ü l t i g i s t , sonst könnten wir nicht feststellen, daß diejenigen Gegenstände, für die unsere logischen Grundsätze g ü 11 i g sind, sich in der Tat von jenen Gegenständen u n t e r s c h e i d e n , für die dieselben Grundsätze u n g ü l t i g sind. Mit anderen Worten: wir anerkennen schon durch unsere Behauptung die Gültigkeit des principium contradictionis f ü r j e d e n m ö g l i c h e n G e g e n s t a n d . Da aber dieses Prinzip nichts anderes ist als die negative Form des Prinzips der Identität, haben wir damit auch die absolute Gültigkeit des Grundsatzes der Identität anerkannt. Ebenso enthält auch die Verneinung der absoluten Gültigkeit des Grundsatzes des Zusammenhanges oder des Grundsatzes der Klassifikation einen Widerspruch (vgl. § § 3 1 , 34). Es ist also zweifellos, daß unsere logischen Grundsätze, die auch die Gesetze unseres Denkens bestimmen, absolut gültig sind, d. h. jede Behauptung, daß es Gegenstände gibt, für die die Grundsätze unseres Denkens und die darin enthaltenen Kategorien u n g ü l t i g sind, sich selbst widerspricht. Die Lehre Kants, daß die Kategorien und der Mechanismus unseres Denkens nur für die Erscheinungswelt, aber nicht für das absolut Seiende (Ding an sich) gültig sind, m a c h t s i c h s e l b s t z u n i c h t e . Jeder logische Relativismus widerspricht darin sich selbst, daß j e d e E i n s c h r ä n k u n g d e r G ü l t i g k e i t des Logischen sich s c h o n auf die unbeschränkte Gültigkeit desselben Logischen g r ü n d e t . Der Relativismus erweist sich auch hier als ein Mangel an logischem Selbstbewußtsein. 223. Die Erkenntnis ist ein für sich seiendes (sui generis) Moment, das auf andere Erlebnisse nicht restlos zurückgeführt werden kann. Dies erhellt schon daraus, daß jeder Versuch, das Wesen der Erkenntnis durch etwas anderes zu erklären, schon selbst eine E r k e n n t n i s ist und so jede Theorie, die die Erkenntnis aus etwas anderem von ihr V e r s c h i e d e n e m erklären will, sich selbst widerspricht, indem sie d i e E r k e n n t n i s s c h o n v o r a u s s e t z t . So ist jede Erkenntnis, wie auch jedes autonome psychische Erlebnis, ihrem Wesen nach nur insoweit bekannt, als wir sie unmittelbar erleben. Wir müssen aber darauf verzichten, daß wir sie aus irgendeinem a n d e r e n



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Prozeß verstehen. Die Nichtberücksichtigung dieses Umstandes hat in der Erkenntniskritik schon viele Mißverständnisse herbeigeführt, diese können wir aber nur im Zusammenhang mit gewissen metaphysischen Problemen darlegen. Das schließt aber nicht aus, daß wir zwischen der Erkenntnis und anderen Erlebnissen eine gewisse A n a l o g i e suchen, auf Grund deren wir vermuten können, in welcher Richtung eine vollkommenere Erkenntnis, als die des menschlichen Geistes, zu suchen ist. Unsere Erkenntnis ist am meisten der L i e b e ähnlich. Wie die Liebe, so s e h n t s i c h auch die Erkenntnis nach ihrem Gegenstand, sie will diesen mit ihrem Bewußtsein möglichst vollkommen umfassen. Beide streben nach einem gewissen R e z i p i e r e n , d. h. ihren Gegenstand möglichst vollkommen aufzunehmen. Die Erkenntnis, ebenso wie die Liebe, strebt nach einer gewissen V e r e i n i g u n g mit dem Gegenstand. Und wie die Liebe, so kann auch die Erkenntnis nie mit ihrem Gegenstande voll werden, sondern sie sehnt sich nach einer ununterbrochenen Berührung mit ihm. S o steckt sowohl in der Liebe als auch in der Erkenntnis irgendeine Art der Unendlichkeit, ja beide sind je eine Form der Sehnsucht nach der Unendlichkeit und der Ewigkeit. Auch die Wissenschaft ist nichts anderes. Wenn der Mensch sich mit dem Endlichen, Vergänglichen vollkommen begnügen würde, könnte er ebensowenig Wissenschaft, wieMoral undKunst erschaffen. Alle drei heben uns aus demKreise der veränderlichen Gegebenheiten heraus: die erstere dadurch, daß sie unsere Seele nach dem ewig gültigen und aus unendlich vielen Gliedern bestehenden Wahrheitssystem lenkt, die zweite dadurch, daß sie die Bewertung der Handlungen von dem vergänglichen Gesichtspunkte des Nutzens und des Genusses unabhängig macht und die dritte dadurch, daß sie durch ihre Werke ebenfalls die ewigen Charakterzüge der Dinge hervorhebt und fixiert. Piaton hat auch da recht: die Liebe ist der erste Beweggrund der Erkenntnis 1 ). Wenn wir unser Streben nach Erkenntnis in dieser Weise aus dem Gesichtspunkt der Sehnsucht und der Liebe betrachten, verstehen wir es besser, wie eigentlich unsere Erkenntnis den letzten Gegenstand wünscht, durch dessen Erkenntnis und Liebe ihre Wißbegierde ebenso zu einem Ruhepunkt kommen würde, ') Neuerdings betont dies M. S c h e I e r : Vom Ewigen im Menschen. 1. 1921. S. 91, 154, und O. Spann: Der Schöpfungsgang des Geistes. 1928. 1 S. 552.



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wie ihre ewige Sehnsucht nach dem, was das liebenswerteste ist. Ein solcher Gegenstand kann offenbar nur ein ewiges, unendliches und vollkommenes Objekt sein, das in der g e g e b e n e n Welt nirgends gefunden werden kann. Im religiösen Glauben der Menschheit ist die Überzeugung schon lange zum Ausdruck gekommen, daß die Sehnsucht nach der Erkenntnis und die Liebe über die endliche Welt hinausführen und nur außerhalb dieser eine Befriedigung glaubend und hoffend erwarten. Insoweit führt nicht nur die Untersuchung der G r u n d l a g e n der Erkenntnis (s. § 152), sondern auch die Idee ihrer V o 11 e n d u n g in die Region des religiösen Glaubens hinüber. Es scheint also, daß H u g o d e S t . V i c t o r den richtigen Weg gefunden hat, als er lehrte: „ W o die Liebe ist, dort ist auch das Licht". Auch die philosophische Analyse der Erkenntnis kann nur mit dieser Lehre schließen. 224. In der Erkenntniskritik vertreten einerseits A r i s t o t e l e s und L e i b n i z , andererseits K a n t die größten Gegensätze. Die Untersuchungen der beiden ersteren Denker gehen darauf hinaus, daß die logischen Grundsätze, also auch die Prinzipien der menschlichen Vernunft, ewig und absolut gültig sind, weil die Voraussetzung des Alls die Vernunft ist. Demgemäß haben sie gelehrt, daß die richtig geführte menschliche Wissenschaft, wenn sie auch nicht alles erkennen, aber durch den kritischen Gebrauch ihrer verfügbaren Ausgangspunkte objektive und absolut allgemeingültige Erkenntnisse erreichen kann. Die existierende Welt können wir nicht vollständig erkennen, trotzdem können wir eben die allgemeinsten Bestimmungen der existierenden Dinge feststellen und so ihren Zusammenhang im großen und ganzen überblicken. In dieser Weise können wir aus der Welt der relativen Seienden auch bis zu einer gewissen Erkenntnis des absolut Seienden vordringen. Die Lehre von Aristoteles und Leibniz über die Möglichkeit einer übersinnlichen Metaphysik schließt den religiösen Glauben nicht aus, ja sie bereitet ihn sogar vor und unterstützt ihn, weil sie einen Einblick in die übersinnliche Welt der Unendlichkeit und Ewigkeit ermöglicht. Demgegenüber stellt K a n t in Abrede, daß eine übersinnliche Metaphysik möglich wäre. E r bezweifelt die Fähigkeiten der menschlichen Vernunft, daß sie, der Prinzipien ihres Denkens bewußt werdend, durch ihr Wissen sich aus der Welt der empirischen Gegebenheiten erheben und die Seienden außerhalb des Kreises der möglichen Erfahrung erkennen kann. E r behauptet dies auf dem Grunde, daß es aus dem Gesichtspunkt unserer E r v. P a n i e r ,

Logik

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— 290 — kenntniscrweiterung nur a n a l y t i s c h e und s y n t h e t i s c h e Urteile gibt, unter denen nur die letzteren neue Erkenntnisinhalte ergeben können, und zwar dadurch, daß ein synthetisches Urteil nur auf Grund einer Anschauung zustande kommen kann. Es ist nämlich nur in solcher Weise möglich, daß ein solcher Begriff als Prädikat einem anderen Begriff als Subjekt zukommt, der das letztere noch nicht enthält. Wir haben aber nur zweierlei Anschauungen: Raum- und Zeitanschauung, die die Formen der s i n n l i c h e n Welt sind und so nur die Grundlagen der sinnlichen Anschauung sein können. Es ist also offenbar — so schließt Kant — daß wir über eine übersinnliche Welt kein erkenntniserweiterndes, d. h. synthetisches Urteil fällen können, weil wir dazu keine übersinnliche Anschauung haben. Die übersinnliche Metaphysik ist also keine echte Wissenschaft. Ihre Spekulationen erweitern nicht unsere Erkenntnisse, sondern sie sind ein leerer Kreislauf des menschlichen Geistes, der uns von den wirklich erkennbaren Gegenständen nur ablenkt. Die seiende Welt können wir nur insoweit erkennen und wir können eine Wissenschaft von ihr auch nur insoweit erschaffen, als sie im Kreise der möglichen Erfahrung liegt. Die spekulativen Beweise über die Existenz Gottes und über die Unsterblichkeit der Seele sind illusorisch, die unsere Erkenntnis nicht im geringsten erweitern. Hinsichtlich der existierenden Welt müssen wir uns nach Kant um so mehr auf den Kreis der möglichen Erfahrung beschränken, weil wir auch die Gültigkeit der logischen Prinzipien unserer Vernunft und die Kategorien nur auf den Kreis der möglichen Erfahrung ausdehnen dürfen. Das Existierende, das außerhalb dieses Kreises steht (als „Ding an sich"), kann durch die Formen unseres Denkens nicht erfaßt werden. Selbst deshalb ist schon jedes Streben, das die übersinnliche Metaphysik a l s eine Wissenschaft begründen will, bloß eine Verirrung. Es liegt auf der Hand, daß unsere Untersuchungen den Standpunkt von Aristoteles und Leibniz, nicht aber denjenigen Kants bestätigt haben. Wir haben nämlich gesehen, (s. § 86),