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German Pages 358 [360] Year 1988
Literarisches Leben in Berlin 1871-1933
Studien
II
Literarisches Leben in Berlin 1871-1933 Herausgegeben von Peter Wruck
Akademie-Verlag Berlin
1987
Gesamt ISBX 3-05-000 432-5 Band 2: ISBN 3-05-000 454-1 Erschienen im Akademie-Verlag Berlin Leipziger Str. 3 - 4 , DDR - 1086 Berlin © Akademie-Verlag Berlin 1987 Lizenznummer: 202 • 100/126/87 Printed in the German Democratic Republic Gesamtherstellung: VEB Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz« 4450 Gräfenhainichen Lektor: Ursula Schöwe Gesamtgestaltung: Ingo Scheffler L S V : 8021 Bestellnummer: 754 744 1 (6996) I/II 02800
Inhalt
Peter Gust Georg Heym in der Zirkelbildung des Berliner Frühexpressionismus 7 Anmerkungen 36 David Batlirick Die Berliner Avantgarde der zwanziger Jahre Das Beispiel Franz Jung 45 Anmerkungen 75 Therese Hörnigk Brecht-Aufführungen im Spiegel der Berliner Presse 1922 bis 1932 79 Anmerkungen
116 Gunnar Müller-Wahleck »Rundfunktheorie« und Literaturkonzept 122 Anmerkungen 148 5
Werner Herden Die »preußische Dichterakademie« 1926—1933 151 Anmerkungen 190 Inge Diersen Die Stadt spielt mit Berliner Stadtansichten im Zeitraum um 1930 194 Anmerkungen 219 Rolf Göbner Ukrainische Schriftsteller und Künstler im Berlin der Weimarer Republik 223 Anmerkungen 247 Frank Hörnigk Nationalsozialistischer »Kulturkampf« um Berlin (1926-1933) 253 Anmerkungen 276 Gudrun Klatt Berlin — Paris bei Walter Benjamin 279 Anmerkungen 319 Personenregister 322 Editorische Notiz/Autoren/Bildnachweis 352 Inhalt beider Bände 355
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Georg H e y m in der Zirkelbildung des Berliner Frühexpressionismus P E T E R GÜST
Gymnasiast, Student, Dichter F ü r Georg Heym bringt der März des Jahres 1910 ein Ereignis, das einen Einschnitt in seinem Leben bedeutet. Dreiundzwanzigjährig, Student der Rechte an der Berliner Friedrich-WilhelmsUniversität, ist er gerade dabei, sich auf seine erste juristische Staatsprüfung vorzubereiten. Vor ihm liegt die Laufbahn eines höheren Beamten des Wilhelminischen Staates. Nur widerwillig, nicht zuletzt, weil der Vater es so wünscht, geht er diesen Weg. Denn eigentlich fühlt er sich zum Dichter berufen. Immerhin kann er zu diesem Zeitpunkt bereits auf Gedrucktes verweisen. Eine Schülerzeitschrift h a t t e schon im J a h r e 1906 zwei Gedichte des Gymnasiasten veröffentlicht. Im J a h r e 1907, in der Zeit eines dreisemestrigen Studienaufenthaltes in Würzburg, war es Hcvm gelungen, den ersten Akt seines Dramas Der Feldzug nach Sizilien unter dem Titel Athener Ausfahrt in Memmingers Buchdruckerei und Verlagsanstalt, einem kleinen Würzburger Verlag, unterzubringen. Seitdem war er weiter ununterbrochen um literarische Publizität bemüht. So hatte er sich an Wilhelm Bölsche, später an Maximilian Harden gewandt in der Hoffnung, in diesen zu damaliger Zeil einflußreichen Literaten Förderer zu finden. Dem Besuch bei Bölsche war kein Erfolg beschieden. Harden, dem er die Athener Ausfahrt zur Beurteilung übergeben hatte, bescheinigte Heym zwar »viele Spuren schönen Talents« 1 , blieb ansonsten jedoch unverbindlich. Den jungen Dichter h a t t e all das natürlich nicht zufriedenstellen können, denn seine Ziele waren von Anfang an wesentlich höher gesteckt. Nichts Geringe7
res als den »Ruhm« hoffte er gerade auf dem Wejr n e> als Buhnenautor zu erlangen. E r ersehnte sieh den »Beifall einer tausendköpfigen Menge« 2 , ein »ungeheures begeistertes Publikum« 3 . ¡Mitte März nun scheint sieh endlich ein Ausblick auf wirkliches Weilerkommen zu eröffnen. Im Feuilleton des Berliner Tageblattes vom 19. März 1910 stößt Heym auf eine Hoffnung verheißende Notiz. In ihr ist die Rede von einer Bühnengründung »junger Literaten und Akademiker«. Die von ihnen gegründete Neue Bühne, heißt es hier, verfolge vor allem die Absicht, » b e d e u t e n d e ^ e r k e u n b e k a n n t e r Dichter aufzuführen« 4 . Der bisher vergebens um literarische Anerkennung Bemühte fühlt sich direkt angesprochen. Umgehend sucht er die Inserenten auf. Zwar erfüllen sich die hochgespannten Erwartungen Kevins auch diesmal nicht, es gelingt ihm jedoch, Verbindungen aufzunehmen, die in der Folgezeit wichtig für ihn werden. Die Neue Bühne erweist sich als ein Unternehmen mit experimentellem Charakter, das dem sogenannten Neuen Club angeschlossen ist, einem in der Formierung begriffenen Kreis junger Dichter und Intellektueller, der auf der Suche nach geeigneten Foren öffentlicher Wirksamkeit ist. Kevin überläßt Wilhelm Simon Ghuttmann, den der Club mit der Leitung dieses Bühnenprojektes betraut halte, seinen Einakter Die Hochzeit des Bartholomeo Ruggieri zur Begutachtung. Der vermittelt Heym, nachdem er sich von dessen »Club-Wert« 5 überzeugt hat, den Kontakt mit dem Neuen Club. Anfang April 1910 nimmt Heym erstmals an einem der internen Diskussionsabende des Kreises im Nollendorf-Casino teil. Dort löst er spontane Begeisterung aus, als er »mit ungeschlachtem Mut und ungeschlachterer Stimme« 6 aus seinem Einakter liest. Vor allem durch sein Auftreten, als Persönlichkeit fasziniert er. Als »Vorleser« habe er keinen Eindruck auf ihn gemacht, schildert Kurt Hiller, damals »Präsident« des Clubs, später diese erste Begegnung. Ihn habe der Mensch Heym beeindruckt, insofern, »als er zu dem gerade damals in Intellekluellenkreisen ganz seltenen Typus derer gehörte (auf den ersten Blick!), die 'rechtwinklig an Leib und Seele' sind, mit Nietzsches Wort« 7 . Das damalige Clubmitglied David Baumgardt erinnert sich, er
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habe das Gefühl gehabt, einer »unmittelbaren, geistigen N a t u r k r a f t gegenüberzustehen« 8 . »Dieser bis zur Bewußtlosigkeit Vilalisierte war uns ein o f f e n b a r t e r Aufbruch radikaleren Lebens« 9 , so rückblickend Erwin Loewenson, ebenfalls ein ehemaliger Clubgenosse Heyms. Die Einhelligkeit in der W e r t s c h ä t z u n g besonders solcher Eigenschaften H e y m s wie seiner Unmittelbarkeit, Natürlichkeit, seiner Vitalität durch die Clubmitglieder springt ins Auge. H e y m sieht sich b e s t ä r k t . Eine Tagebuchnotiz aus dieser Zeit bezeugt es: »Ich lebe mich auf den robusten Stil ein, der mich wie eine Festung u m s c h a n z t . — Teils bin ich es ja auch.« 1 0 Die von ihm bewußt hervorgekehrte und fortan wiederholt apostrophierte »Gesundheit« 1 1 vor allem ist es, die ihn für den Neuen Club als geradezu prädestiniert erscheinen läßt. Diesem Kreis a n n ä h e r n d Gleichaltriger ist der vor Vitalität Sprühende leibhaftiges Gegenbild der von ihnen verachteten »Dekadenz« 1 2 . Begeistert wird er hier als »der Synthetiker, der Dichter, die Faust« aufgenommen, einmütig beschließt man, ihn zu popularisieren. 1 3 Das P h ä n o m e n H e y m , so scheint es, bietet, dem Kreis zugleich willkommene Gelegenheit programmatischer Stellungnahme. Dagegen wissen auch in seiner nächsten U m g e b u n g die wenigsten um seine wirkliche Individualität. Kaum j e m a n d bemerkt, wie sehr H a l t u n g u n d A u f t r e t e n H e y m s ein »Dennoch« 1 4 , ein »Trotzdem« 1 5 sind. Im Grunde nämlich empfindet der junge Dichter seine Lebenssiluation als zutiefst problematisch. Ein permanentes Krisenempfinden begleitet schon den Alltag des G y m n a siasten, später des S t u d e n t e n . Äußerlich gesehen, gleicht H e y m s Entwicklungsgang dem vieler seiner Altersgenossen mit einer ähnlichen sozialen H e r k u n f t . Das heißt, Gymnasium, Universität sind f ü r H e y m , der der Familie eines Militäranwalts e n t s t a m m t , der obligate Bildungsweg. Indem er die juristische L a u f b a h n einschlägt, t r i t t er sogar in die F u ß t a p f e n des Vaters. Jedoch verläuft dieser Weg schon von Beginn an nicht ohne Komplikationen. 17jährig m u ß er das Königlich Joachimsthalsche Gymnasium in Berlin-Wilmersdorf als U n t e r p r i m a n e r verlassen, weil er den Anforderungen dort nicht gerecht wird. Der V a t e r schickt ihn nach Neuruppin, in die märkische Provinz. Dort, am Fried-
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rieh-Wilhelms-Gymnasium, erhält er die Gelegenheit, in der Gesellschaft anderer ebenfalls aus Großstädten hierher »Verbannter« das Unumgängliche doch noch zu leisten. Schon früh zeigen sich seine künstlerisch-literarischen Ambitionen. Der Vater hat dafür natürlich wenig Verständnis. Das spannungsvolle, zwiespältige Verhältnis, das Heym zeit seines Lebens zu seinem Vater hat, ist hauptsächlich darauf zurückzuführen. Schon als Schüler ist er außergewöhnlich belesen. Sein Lesebedürfnis geht weit über das nicht geringe Pensum an Pflichtlektüre der Schule hinaus, ist vielseitig, erstreckt sich auf die Weltliteratur der Vergangenheit und Gegenwart. Unter den »Modernen« gilt in dieser Zeit besonders Dehmel seine Vorliebe. 16 Es sind die Ideale der großen Dichtungen, an denen er sich entzündet. Sie rufen starke Emotionen in ihm wach, wecken seine Sehnsucht nach »Schönheit«, »Liebe«, er beginnt von »Größe«, »Hellenentum« zu träumen, verehrt Heroen, betet das Genie an. Um so bitterer empfindet er die Realität des Schulalltages. Der Anspruch der Schule, Sachwalter des humanistischen Erbes zu sein, entlarvt sich ihm mehr und mehr als Schein. Hier, wo man sich des humanistischen Bildungsgutes nur bedient, um eine Ideologie zu stützen, die das deutsche Kaiserhaus, zugleich preußisches Königshaus, samt dessen Geschichte und Politik zum Nabel der Welt erklärt, wo Klassiker umfunktioniert werden zu Repräsentanten einer geistigen Welt, die bei Heym zunehmend auf Ablehnung stößt, sieht er sich innerlich nach und nach in die Isolation gedrängt. Er wird darüber jedoch nicht zum Eigenbrötler. Bei aller Sensibilität nach außen hin vital, ist er schon in ¡\euruppin, später auch als Student in Würzburg alles andere als ein Außenseiter. In Neuruppin ist er Mitglied einer verbotenen Schülerverbindung, von deren nächtlichen Trinkgelagen er sich nicht ausschließt; in Würzburg ist er, zumindest eine Zeitlang, aktiver Korpsstudent. Niemals verliert er seinen Sinn für die Realität. Deutlich nimmt er den Kontrast wahr, in dem seine Ansprüche und Ideale zu dieser Realität stehen. Er ahnt deren Unerfüllbarkeit unter den gegebenen Verhältnissen, Verhältnissen, denen er sich andererseits, nicht 10
zuletzt durch seine soziale H e r k u n f t , fest v e r h a f t e t weiß. Seinem Tagebuch v e r t r a u t er einmal an, d a ß er glaube, »aus 2 ganz verschiedenen Menschen« zu bestehen: »Manchmal haltlos schwärmend u n d den Wirklichkeilsmenschen verachtend, m a n c h m a l n u r dieser, u n d ein schlechter dazu, und den T r ä u m e r bespöttelnd.-« 17 Ein innerer Zwiespalt, der ihn peinigt. »Furcht vor dem Leben« 1 8 , Angst vor dem »Nichtdurchkommenkönnen im Leben« 1 9 , depressive S t i m m u n g e n stellen sich ein. L i t e r a t u r wird in dieser Situation ein Mittel, um die eigene I d e n t i t ä t zu ergründen, und d a m i t zur Lebenshilfe. Seine Idole sind Dichter und Philosophen, deren Werke und Lebensschicksale ihm Identifikationsmögliehkeiten bieten. Hölderlin, Grabbe, Nietzsche u. a. werden auf diese Weise zu den »Helden« seiner Jugend. 2 0 Die dichterischen Anfänge H e v m s stehen deutlich u n t e r dem Zeichen dieser »Sterne«. Wenngleich H c y m die »Hoffnung auf ein unerhörtes Glück« 2 1 vorerst nicht aufgibt, m u ß er doch bald die E r f a h r u n g machen, d a ß seine »Jugendpoesien« mehr und mehr zerstört werden. 2 2 Dieser u n a u f h a l t s a m voransehreilende Prozeß des Verlustes von Illusionen erreicht seinen H ö h e p u n k t mit dem Beginn des J u r a s t u d i u m s in Würzburg. Die langersehnte Freiheit vom G y m n a s i u m bringt nicht den erhofften S l i m m u n g s u m s c h w u n g . Was bleibt, ist eine trostlose Perspektive: Die »Auspizien« sind »nicht günstig«, schreibt er in sein Tagebuch. 2 3 Unschlüssigkeit, mangelnder Elan, was seinen weiteren Weg betrifft, »Langeweile«, zunehmende Verzweiflung ü b e r k o m m e n i h n : »Ein Tag ist wie der andere. Keine großen Freuden, keine großen Schmerzen. Kleine Liebeleien a b und zu. Es ist alles so langweilig. Dabei r c* habe ich wenigstens noch Humor, wenigstens im Verkehr mit anderen. W e n n ich allein bin, ist er aber fortgeblasen. Ich gebe mich leider keinen Illusionen mehr hin. Das Corpsleben ist f u r c h t bar, geisttötend, stumpfsinnig, lächerlich. Wo ich doch niemals ein stumpfsinniger J u r i s t werden will, w a r u m schinde ich mich noch? Aber ganz verborgen immer diese H o f f n u n g auf ein unerhörtes Glück. D. h. Allmählich wird's langweilig.« 2 4 Das Gefühl, von einer »Krankheit« befallen zu sein, bemächtigt sich seiner, von einer Krankheit der »Unlust«, der »Verzweiflung«. Einer K r a n k h e i t , f ü r die es, wie Heym meint, n u r ein »Heilmittel«
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g ä b e : »Das wäre der R u h m , das wäre der Beifall einer tausendköpfigen Menge, d a s wäre weiter eine Verschwörung, eine große Revolution, ein hellenischer Krieg, irgendetwas, eine Durchquerung Afrikas, irgendetwas nicht alltägliches.« 2 5 I m m e r mehr beginnt er, sieh innerlich aufzulehnen, zu rebellieren gegen eine »banale Zeit«, die Leidenschaften, E n t h u s i a s m u s , T a t e n d r a n g brachliegen läßt. 2 6 Bewußt setzt sich H e v m jetzt m i t seinem eigenen Schaffen ins Verhältnis zu ganz bestimmten literarischen Traditionen. Neue N a m e n u n t e r den von H e y m zu seinen Vorbildern e r n a n n t e n Dichtern signalisieren dies. In seiner Vorbildergalerie finden jetzt neben Hölderlin u n d Grabbe Dichter wie Byron, Kleist, Büchner, R i m b a u d , Marlowe, Stendhal A u f n a h m e ; wenig später gesellen sich dazu u. a. Baudelaire, Verlaine, Keats, Shelley, Gide, Dostojewski. In Auseinandersetzung gerade auch mit deren Leben und Werk entwickelt H e y m seine Funktionsvorstcllungen von Dichtung. Künstlerische Tätigkeit, Dichten begreift er als existentielle Äußerung;, die zu ihrer Bestätigung lebendige W i r k u n g braucht. p* o o o o Ein Künstler, dem es genügt, sich »in den Schönheiten des eigenen Werkes zu bespiegeln, wie ein Affe, während das Leben so kurz ist«, ist f ü r ihn ein »Narr«. 2 7 In diesem Licht ist auch sein besonderes Interesse f ü r das D r a m a zu sehen. Seine B e m ü h u n g e n um diese G a t t u n g , die in v e r s t ä r k t e m Maße während der W ü r z b u r ger Zeit einsetzen, gibt er auch angesichts des Erfolgs, den er später als Lyriker h a t , bis zu seinem Tode nicht auf. Drei vollendete D r a m e n sowie eine Reihe F r a g m e n t e u n d E n t w ü r f e füllen einen dickleibigen B a n d . Im Theater, in der Bühne, sieht H e y m die geeignete S t ä t t e , um mit K u n s t öffentlich enthusiasmierende u n d vor allem f ü r den Künstler selbst erlebbare Wirkungen zu erzielen. Nicht zuletzt diese Funktionsvorstellungen von L i t e r a t u r rücken H e y m in die Nähe der im Neuen Club versammelten jungen Dichter und S t u d e n t e n .
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Neuer Club und Neopathetisches Cabaret Schon früh h a t t e eine Vorform dieses Kreises existiert. Innerhalb der sogenannten Freien Wissenschaftlichen Vereinigung halte sich um K u r t Hiller, der seit 1905 Mitglied dieser nichtschlagenden Studentenverbindung an der Berliner Universität war. nach und nach eine Gruppe von Freunden versammelt, die das Vereinsleben immer weniger befriedigle. Den Studenten Franz Grüner, K u r t Levv, Erwin Loewenson, Erich Unger, J o h n Wolfsohn, Edgar Zacharias, Gustav Kocliler, Hans Davidsohn. Friedrich Koffka 2 8 , die überwiegend an der philosophischen, recht swissenschaftlichen und medizinischen F a k u l t ä t immatrikuliert waren, war vor allem eines gemeinsam: Geistig außerordentlich rege, an allen Problemen der modernen Gegenwart lebhaft Anteil nehmend, waren sie allesamt besessen vom Drang nach Schöpfertum, nach Produktivität auf geistigem und künstlerischem Gebiet, vom Ehrgeiz, auf diesem Gebiet auch gesellschaftlich wirksam zu werden. Die schon im Rahmen der Freien Wissenschaftlichen Vereinigung bestehenden Möglichkeiten dazu h a t t e n sie zielbewußt genutzt. So h a t t e Hiller beispielsweise die Gelegenheit wahrgenommen, in einer von der Studentenvereinigung veranstalteten Vortragsreihe als Referent aufzutreten. In den Beigaben zu den Monatsberichten der Vereinigung, die seit Dezember 1907 erschienen und deren redaktioneller Mitarbeiter Hiller war, hatten die späteren Mitglieder des Neuen Clubs regelmäßig ihre Aufsätze, Gedichte oder andere Beiträge veröffentlicht, so daß dieses Blatt im Laufe der Zeit gewissermaßen zum F o r u m der Gruppe geworden war. 29 In dieser Regsamkeit unterschieden sie sich deutlich von den übrigen Mitgliedern der Vereinigung. Auf die Dauer mußte das Vereinsleben mit den dazugehörigen Trinkgelagen, dem »-gigantischen Stumpfsinn der obligaten Gespräche an der Kommerstafel« den um Aktivität Bemühten zum ernsthaften Hemmnis werden. Der Austritt dieser »•intellektuellen Fraktion« Anfang März 1909 kam deshalb k a u m überraschend. 3 0 Die Sezessionisten gründeten den Neuen Club. Zu Beginn des Wintersemesters 1909 warb der Kreis mit einem »Aufruf«, angeschlagen am Schwarzen Brett der Berliner Uni-
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versität, u m Gleichgesinnte und weitere Mitglieder. Kurze Zeit darauf f a n d vor mehreren h u n d e r t S t u d e n t e n in N e u m a n n s Festsälen am Hackeschen Markt die E r ö f f n u n g s v e r s a m m l u n g s t a t t . Im Anschluß d a r a n konnte eine ganze Reihe neuer Mitglieder gewonnen werden, u n t e r ihnen Friedrich Schulze-Maizier und Wilhelm Simon G h u t t m a n n 3 1 . Dem Schritt, in dieser F o r m vor die Öffentlichkeit zu treten, war eine P h a s e kollektiver Verständigung u n t e r den Begründern des Clubs über Ziel und Zweck ihrer Gemeinschaft vorausgegangen. Ursprünglich h a t t e n sich die Freunde, so Hiller rückschauend in seinen Memoiren, diesen Clubelier»als privat gedacht, als Disk u s s i o n s o r t f ü r uns selber, als Sammeis tälle zugleich f ü r neue junge Menschen ähnlicher Denkart und ähnlichen Lebensgefühls« 3 2 . Mit dem Bestreben, ihre Aktivitäten über den Rahmen des Kreises hinaus auszuweiten, und bei der Suche nach festeren Organisationsformen waren jedoch bald die divergierenden Vorstellungen der Beteiligten offenkundig geworden. Sie wenigstens a n n ä h e r n d auf einen semeinsamen Nenner zu bringen war nicht einfach. Um die endgültige Fassung des »Aufrufs« beispielsweise h a t t e n langwierige Auseinandersetzungen s t a t t gefunden. Denn dieser Aufruf an Gleichgesinnte, sollte sich darin eine klare Zielrichtung der U n t e r n e h m u n g e n des Kreises u n d ein gewisser Grad an Geschlossenheit manifestieren, h a t t e die Verständigung der Clubmitglieder auf eine gemeinsame Strategie zur Voraussetzung. Aus einem früheren Konzept dieses D o k u m e n t s geht hervor, d a ß sich die Gruppe in dieser Hinsicht anfangs alles andere als einig war. Man war sich zunächst keineswegs schlüssig darüber, welchem Zweck der Club im E n d e f f e k t dienen sollte: ob als »eine standesgemäße S t ä t t e der Z u s a m m e n k u n f t einer kleinen Zahl von Menschen von bestimmter Beschaffenheit — ohne Zweck u n d sichtbaren Nutzen« oder als ein »esoterischer Fechtboden f ü r die großen, geistigen Gegenstände eines Menschen der Gegenwart«; in B e t r a c h t kam schließlich auch, »er werde einmal zum freien F o r u m f ü r alle solche u n t e r den Kultivierten, die das soziologische E t h o s in sich tragen und die Art ihrer Zeit nicht u n t ä t i g mitansehen wollen« 33 . Noch in seiner endgültigen Fassung ver14
k ü n d e t dieser »Aufruf« kein klar umrissenes P r o g r a m m : »-'Daß wir wirkende Wesen, K r ä f t e sind, isL unser G r u n d g l a u b e ' sagt Friedrich Nietzsche. — 'Aber wenn der Mensch u n t e r solchen Individuen lebt, die mit seiner N a t u r übereinstimmen, so wird eben d a d u r c h seine P r o d u c t i v i t ä t gefördert oder a u s g e b r ü t e t werden' sagt Spinoza. — 'Wir leben in einer Zeit, wo die Leute vor Fleiß blödsinnig werden' sagt Oscar Wilde. — 'In der jetzigen Zeit soll niemand schweigen oder nachgeben; man m u ß reden und sich rühren, nicht u m zu überwinden, sondern sich auf seinem Posten zu erhalten' h a t Wolfgang von Goethe gesagt. — 'Welche Kurzweil bereitet uns denn das Leben, wenn wir es nicht ernst n e h m e n ? ' sagt Wedekind. — 'Merkt auf, m e r k t a u f ! Die Zeit ist sonderbar' sagt Hugo von Hofmannsthal.« 3 ''' Diese kommentarlose Aneinanderreihung von Zitaten erweckt zwar den E i n d r u c k von Entschiedenheit, läßt aber unterschiedliche Auslegungen zu. In eindeutiger Bestimmtheit ist darin allein dei nachdrückliche Wille zur Aktivität, zur P r o d u k t i v i t ä t , zur Wirksamkeit zum Ausdruck gebracht und ein Bekenntnis zum »Leben« formuliert. Die eigentliche Zielrichtung der geplanten Aktivität bleibt unklar, der Begriff »Leben« verschwommen. Anders als in dieser Allgemeinheit h a t t e n die Mitglieder des Kreises, die zum Teil recht eigenwillige Ansichten v e r t r a t e n , zu keiner gemeinsamen P l a t t f o r m gelangen können. Dies weist auf ein wesentliches Moment bei der Konstituierung des Kreises hin. Es ist der zum Teil bewußt hervorgekehrte Individualismus seiner Gründer. Der Neue Club habe sich von Anfang an als eine Gemeinschaft von Individualisten verstanden, b e m e r k t Hiller rückblickend. 3 5 Der Individualismus ist gewissermaßen die widersprüchliche Basis dieser G r u p p e n b i l d u n g : Einerseits zwar eine der H a u p t u r s a c h e n f ü r den späteren Zerfall des Kreises, h a t er andererseits nicht unwesentlichen Anteil daran, d a ß produktive Impulse von dieser Gruppe ausgehen konnten. P r o d u k t i v i t ä t ermöglichte diese Haltung, indem sie der Versuch der Ausgliederung aus einer abgelehnten gesellschaftlichen Ordnung war. Diese jungen bürgerlichen Intellektuellen u n d Künstler bezogen d a m i t Opposition gleichsam gegen die eigene gesellschaftliche Voraussetzung. Sie verstanden sich als Anti-Bürger, 15
als A v a n t g a r d e , b c h a r r t e n letztlich aber auf bürgerlichen Positionen. Ihr A v a n t g a r d i s m u s schloß d a d u r c h Utopismus notwendig mit ein. Aber er g r ü n d e t e auch — u n d eben d a d u r c h wurde er zumindest als geistig-künstlerische H a l t u n g f r u c h t b a r — zu einem nicht geringen Teil auf d e m Verlust von Illusionen. Es war vor allem die intensiv geführte geistige Auseinandersetzung dieser »Jüngsten« mit den verschiedenartigen zeitgenössischen Kunst- und Geistesströmungen, ihre Auseinandersetzung auch mit anderen Bestrebungen zur Ausgliederung aus der herrschenden Kultur, die von einem Prozeß der Desillusionierung begleitet war. Hiller beschreibt in seinen Memoiren mit dem übrigens bezeichnenden Titel Leben gegen die Zeit die Geisteslialtung der kleinen Schar junger Intellektueller, von der er damals u m geben war. Bestanden habe in diesem Kreis, schreibt er, eine »zwar nicht fundierte, doch sehr ausgeprägte skeptische Ironie gerade gegenüber dem monistischen Materialismus und v e r w a n d ten, wie uns schien, philosophisch unzulänglichen Spielarten der Freigeisterei. Wir sagten zu diesen Lehren nicht von rechts her Nein, sondern sozusagen von links her. Nicht als Gläubige einer Konfession lehnten wir sie ab, sondern teils als K a n t i a n e r und Kritizisten, teils als eher gefühlsstark und — vag radikalisierende Skeptizisten u n d Nihilisten, jedenfalls als Jünglinge, die stolz darauf waren, alles, was Naturalismus, Empirismus, Positivismus, Materialismus, Monismus oder Atheismus hieß, als genau so dogmatisch, flach, schief, naiv e r k a n n t zu h a b e n wie die B e h a u p t u n g e n der Bibel und die Doktrin der Theologen. Dieses Nein nach beiden Seiten hin, eben nicht bloß nach der kirchlichen, gehörte f ü r meinen Kreis zum guten Ton, ja zu den Selbstverständlichkeiten.« 3 6 Gesellschaftliche Bewegungen, denen sie sich h ä t t e n anschließen können, sahen die Mitglieder des Kreises von einem solchen S t a n d p u n k t aus natürlich nicht. 3 7 Eine alternative Position zu finden war auf diese Weise schwierig, eine Position zumal, die das Bekenntnis zu gesellschaftlicher A k t i v i t ä t einschloß. U n t e r den gegebenen U m s t ä n d e n war es n u r möglich, sich zu einem solchen B e k e n n t nis durchzuringen, indem m a n einen »tief erlebten Nihilismus« durch einen »Machtentschluß« hinter sich ließ. 3 8 Der E n t s c h l u ß
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zu g e s e l l s c h a f t l i c h e r A k t i v i t ä t k a m so e i n e m i n d i v i d u e l l zu vollziehenden, heroischen A k t gleich. Die Z i e l r i c h t u n g d i e s e r A k t i v i t ä t b l i e b d a b e i u n k l a r . L o e w e n son beispielsweise v e r s t a n d unter diesem A k l i v w e r d e n g a n z
all-
gemein die » S t e i g e r u n g v o n L e b e n s i n t e n s i t ä t « 3 9 . Den Zweck ihrer V e r e i n i g u n g s a h er d e s h a l b v o r a l l e m d a r i n , e i n a n d e r zu b e k ä m p fen,
um
sich d a d u r c h g e g e n s e i t i g » S t i m u l a n z z u m
L e b e n « zu
sein. Angesichts der Nivellierungstendenzen im Wilhelminischen Kaiserreich,
angesichts der voranschreitenden
und Uniformität
in d e n
Bürokratisierung
unterschiedlichsten Bereichen des ge-
sellschaftlichen L e b e n s u n d nicht zuletzt der sich i m m e r verlierenden des
Bedeutung
hierarchischen
des individuellen
Einzelnen
mehr
innerhalb
B e a m t e n a p p a r a t e s s a h L o e w e n s o n ein w i c h -
t i g e s E r f o r d e r n i s d a r i n , d a s » I d e a l sich a u s s t r a h l e n d e r
Gesund-
heit d e s g a n z e n M e n s c h e n « h o c h z u h a l t e n . 4 0 H i l l e r h i n g e g e n g i n g es
um
das »programmatische Eintreten für
intellektualen
I d e e n , w c l e h e rein
C h a r a k t e r s s i n d , welche n i c h t d i e s t a a t l i e h e
Re-
g e l u n g , s o n d e r n d a s p e r s ö n l i c h e E r l e b n i s a n g e h e n , welche n i c h t im
Bereich
liegen«.
In
der
Kultur
d i e s e m S i n n e w o l l t e er P o l i t i k v e r s t a n d e n
der
Zivilisation,
sondern im Bereich
wissen,
nicht a I s » P a r l a m e n t s - und Leitartikelpolitik«, sondern a i s » F o r m geistiger Betätigung«.41 S o u n t e r s c h i e d l i c h d i e V o r s t e l l u n g e n d e r M i t g l i e d e r d e s Neuen Clubs v o n d e n M ö g l i c h k e i t e n , ü b e r d e n R a h m e n d e s K r e i s e s hina u s w i r k s a m zu w e r d e n , i m einzelnen a u c h w a r e n , in e i n e m P u n k t w a r e n sie sich e i n i g : G e s c h l o s s e n e r h o b e n sie A n k l a g e g e g e n e i n e G e s e l l s c h a f t , d i e » m ä c h t i g e E n e r g i e n « u n v e r w e r t e t ließ, d i e G e nies, » E i n z e l g e i s t e r n « n i c h t d e n i h n e n g e b ü h r e n d e n P l a t z z u w i e s . 4 2 D e r K r e i s sali d e s h a l b seine B e s t i m m u n g in e r s t e r L i n i e d a r i n , e i n e alle G e b i e t e d e s g e s e l l s c h a f t l i c h e n L e b e n s u m f a s s e n d e » R e g e n e r a t i o n s b e w e g u n g « e i n z u l e i t e n , 4 3 d i e d a s Ziel h a t t e , i m gesamtgesellschaftlichen Maßstab Bedingungen und Voraussetz u n g e n zu s c h a f f e n , d i e d e r i n d i v i d u e l l e n s c h ö p f e r i s c h e n T ä t i g k e i t w i e d e r eine s i n n v o l l e s o z i a l e F u n k t i o n , eine V e r b i n d u n g m i t d e m » L e b e n « g e w ä h r l e i s t e n s o l l t e n . D a ß d i e M i t g l i e d e r d e s Neuen Clubs d a b e i ihren B e m ü h u n g e n a u f d e m G e b i e t d e r P h i l o s o p h i e , P s y c h o l o g i e , L i t e r a t u r u n d K u n s t eine e r s t r a n g i g e R o l l e z u m a ß e n , 4 4 2
Wruck, Leben, Bd. II
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war nicht allein darauf zurückzuführen, daß sie sich in dieser Sphäre heimisch fühlten: Im geistigen Bereich sahen sie die eigentliche Domäne individueller schöpferischer Tätigkeit. Von hier aus, so meinten sie, hätten deshalb auch die entscheidenden Impulse für eine gesamtgesellschaftliche Erneuerung auszugehen, die die Entfaltung von Schöpfertum zum Zweck hätte. Von diesem Standpunkt bezogen sie gleichfalls entschieden Stellung gegen einen »blasierte(n), hoehnäsige(n), herzlosc(n), müde(n) und tatenleere(n) Ästhetismus« 45 , denn Kunst, Dichtung kam in der umfassenden Strategie des Kreises eine integrative Funktion zu. Von Anfang an war der Neue Club bestrebt, seine Aktivitäten über die regelmäßig mittwochs stattfindenden elubinlernen Diskussions- und Vortragsabende hinaus auszudehnen. Bereits am 3. Juli 1909 — also noch vor der Anfang November dieses Jahres stattfindenden Eröffnungsversammlung — veranstaltete der Kreis einen ersten öffentlichen Abend. Erna Liebcnthal, eine Bekannte Hillers, Schauspielerin am Düsseldorfer Theater, trug neben Gedichten von George und Hofmannsthal Gedichte der Clubmitglieder Davidsohn, Koffkaund Hiller vor. Erich Unger hielt einen Vortrag über Nietzsches Ecce Homo, und Hirsehberg, ebenfalls Mitglied des Kreises, trug eigene Kompositionen vor. Dieser Abend, der mäßigen Erfolg hatte, war als Auftakt zu weiteren öffentlichen Abenden ähnlicher Art gedacht. So hatte der Kreis Vortragsabende geplant, in deren Mittelpunkt die Werke von Dichtern wie Max Brod, Frank Wedekind, Jakob Wassermann und Friedrich Hölderlin stehen sollten, Dichtern, die von den Clubmitgliedern verehrt wurden/' 6 Zu diesem Zweck hatte Hiller beispielsweise mit dem Prager Dichter Max Brod, den er damals besonders schätzte, brieflieh Kontakt aufgenommen, um dessen Einverständnis und aktive Teilnahme an der Gestaltung eines solchen Abends zu erwirken. 4 ' Ebenfalls auf brieflichem Wege hatten sich die Mitglieder der Gruppe an Wedekind gewandt mit der Bitte um Erlaubnis und um Vorschläge für das Programm eines Abends, bei dem in erster Linie aus bislang unveröffentlichten Werken des Autors gelesen werden sollte. 48 Um die Erfolgschancen dieser öffentlichen Veranstaltungen zu erhöhen, auch um lohnendere Einnahmen zu erzielen, war der
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K r e i s b e m ü h t , w e n n n i c h t d i e A u t o r e n s e l b s t , so d o c h P r o m i n e n t e wie T i l l a D u r i e u x , A l e x a n d e r M o i s s i o d e r a n d e r e b e k a n n t e S c h a u s p i e l e r d e r h a u p t s t ä d t i s c h e n T h e a t e r a l s V o r t r a g e n d e zu g e w i n n e n . U b e r h a u p t ließen d i e M i t g l i e d e r d e s feuert Gelegenheit entgehen, allerorts u m
Clubs
s i c h k a u m eine
G l e i c h g e s i n n t e zu
Die Z a h l d e r e r , d i e d e n B e s t r e b u n g e n d e s K r e i s e s entgegenbrachten,
wuchs. Der
werben.
Sympathien
Kreis der Mitglieder
erweiterte
sich z u s e h e n d s , s o d a ß d e r C l u b s c h o n E n d e M ä r z 1 9 1 0 u n g e f ä h r 3 0 K ö p f e z ä h l t e . Z u m K r e i s s t i e ß e n j e t z t u. a . E r n s t B l a s s u n d David Baumgardt49,
zwei j u n g e I n t e l l e k t u e l l e , d i e f o r t a n
mit
z u m K e r n d e s A' euen Clubs g e h ö r t e n . A u f v i e l s e i t i g e W e i s e , b r i e f lich o d e r p e r s ö n l i c h , s u c h t e d i e G r u p p e V e r b i n d u n g e n z u e i n f l u ß reichen
Persönlichkeiten
des
K o n t a k t e wie z u m Beispiel
literarischen
zu
den
Lebens.
Wichtige
Zeitschriftenherausgebern
Sturm), Georg Zepler (Der Demokrat), S c h r i f t l e i t e r b e i m Demokraten, seit 1 9 1 1 H e r a u s g e b e r d e r Aktion), W i l h e l m H e r z o g ( P a n ) , zu d e n Literaten Ferdinand Hardekopf, Heinrich E d u a r d Jacob, zu d e m B e r l i n e r V e r l e g e r , K u n s t h ä n d l e r u n d M ä z e n P a u l C a s s i r e r konnten so hergestellt werden. Doch darauf blieben die auf Publizität gerichteten Bestrebungen der Gruppe nicht beschränkt. D a s , w e n n a u c h e r f o l g l o s e , B e m ü h e n , einen Neuen-Club-Almanach z u n ä c h s t b e i m V e r l a g A x e l J u n c k e r , d a n n b e i m E r i c h ReißV e r l a g u n t e r z u b r i n g e n , 5 0 f r ü h e P l ä n e , eine Z e i t s c h r i f t h e r a u s z u g e b e n , 5 1 s c h l i e ß l i c h d e r s c h o n e r w ä h n t e V e r s u c h , eine B ü h n e z u g r ü n d e n , w i d e r s p i e g e l n eine a u ß e r o r d e n t l i c h e R e g s a m k e i t u n d E x p e r i m e n t i e r f r e u d i g k e i t b e i d e r S u c h e n a c h W e g e n in d i e Ö f f e n t lichkeit. Henvarth
Waiden
Franz Pfemferl
(Der
(zunächst
E r w ä g u n g e n , eine B ü h n e zu g r ü n d e n , w a r e n im Neuen erstmals A n f a n g J a n u a r 1910 a u f g e t a u c h t . Die hatten
zunächst
Club
Clubmitglieder
in e r s t e r L i n i e d i e A b s i c h t , eine
Alternative Bühne zu b i e t e n , einer S t u d e n t e n b ü h n e , d i e b e r e i t s seit e i n e m J a h r a n d e r B e r l i n e r U n i v e r s i t ä t e x i s t i e r t e u n d m i t i h r e m R e p e r t o i r e , wie sie f a n d e n , n i c h t a u f d e r H ö h e d e r Z e i t s t a n d . 5 2 I m G e g e n s a t z d a z u sollte d i e g e p l a n t e Neue Bühne sich » g e w a l t s a m a u f z e i t g e m ä ß e S t ü c k e b e s c h r ä n ken-«, d i e d e m » h e u t i g e n M e n s c h e n e t w a s zu s a g e n « h a t t e n . 5 3 V o r z u r s o g e n a n n t e n Akademischen
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allem auf noch unbekannte begabte Autoren hoffte man sieh dabei stützen zu können, Autoren, deren Werke man nur deshalb noch nicht aufgeführt hatte, weil für sie bisher »ein geeignetes Publikum nicht an Ort und Stelle« gewesen war. 54 Vermutlich aber verfolgte der Neue Club schon mil diesem Projekt eine umfassendere Strategie. Indem die Bühne ihnen die Gelegenheit geben sollte, öffentlich eine moderne Kunstauffassung zu propagieren, hofften die Mitglieder des Kreises wohl, zumindest in einem Teil der Öffentlichkeit zugleich Aufmerksamkeit für ihre weiterreiehenden avantgardistischen Bestrebungen, die sich ja nicht allein auf künstlerisch-literarisches Gebiet erstreckten, wecken zu können. Daß es beim Projekt blieb, lag einesteils sicher daran, daß die nötigen Mittel fehlten, andererseits ist wahrscheinlich, daß sich die Bühne als eine letztlich doch nicht den Intentionen der Gruppe gemäße Form erwies, vor die Öffentlichkeit zu treten. Die Suche nach geeigneten Foren öffentlichen Wirkens wurde daher von den Clubmitgliedern fortgesetzt. Ende März 1910 ist in einem Brief Loewensons an Unger erstmals vom Plan einer Kabareltgründung die Rede. Hauptsächlich gehe es darum, die »Mitglieder des Clubs zu intensivieren«. Dazu sei ein Forum zu schaffen, das jedem im Kreis »Lust und Reiz bietet zu produzieren«, das zugleich aber auch zur Produktion zwingen solle. 55 Danach müsse der Stil, vielmehr der »zu bildende Um-Stil« des zu schaffenden Kabaretts sein: »der saturnalisclie Charakter von vielen Dingen zugleich, auf daß das einzelne Ding im Gewühl verschwindet u(nd) man a) den Ehrgeiz hat, eins zu liefern b) sich nicht geniert eins zu liefern . . . es muß etwas für uns selbst Neues und für die Anderen Außergewöhnliches sein.« 50 Dabei ging Loewenson davon aus, daß die »Idee des Cabarets« — anders als das»empirische« — auch »aristokratische Möglichkeiten« biete, es deshalb möglich sein müsse, »eine neue Art des Cabarets ins Leben« zu rufen, ein »Cabaret«, das nicht »um der Unterhaltung oder gar Belustigung willen« da sei, sondern in erster Linie »Intellectualilät und Kunst und Propaganda« zu bieten habe, »weder trockene Intelleetualität um ihrer selbst willen, weder Freude an der Form um ihrer selbst willen, weder Fortschritt um der Menschheit willen«. Daß es sich hier nur »gewissermaßen«
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um K a b a r e l t handele, sei schon im Namen anzudeuten. F ü r passend hielt Loewenson den Titel Neopathetisches Cabaret, da es gerade das »pathetische Moment« sei, durch das das »Gegengewicht gegen die Cabaretié« erzeugt würde. 57 Die Mitglieder des Neuen Clubs waren sich natürlich von vornherein darüber im klaren, daß sie sich mit so exklusiven Ansprüchen nur an ein ausgewähltes Publikum wandten. Aber sie wußten auch, daß sie sich diese Exklusivität in Berlin leisten konnten, ja sogar hoffen durften, gerade damit besonderen Anklang zu finden. Dabei kam dem Club zugute, daß sich Berlin im Verlaufe der vergangenen drei Jahrzehnte immer mehr zu einer Kulturmetropole mit einer strukturierten Öffentlichkeit entwickelt h a t t e , ' in der es differenzierte kulturelle Bedürfnisse gab. Neben der Sphäre der offiziellen, zum Teil staatlich protegierten K u l t u r e x i stierte so etwas wie eine »Gegenöffentlichkeit«. Deren Vertreter, meistenteils Künstler und Intellektuelle, oftmals Antibürgerhallung bis in das äußere Habit demonstrierend, versammelten sich in Cafés, trafen sich in Künstlerateliers, gruppierten sich um Mäzene, avantgardistische Verleger und stellten die Mitarbeiterschaft sezessionistiseher Zeitschriften wie der Aktion, des Sturm, des Pan. Hier existierte ein Milieu, in dem man jegliches Bestreben zur Ausgliederung aus dem offiziellen Kunst - und Kulturbetrieb des Wilhelminischen Staates begrüßte, wo Kunst mit apologetischem Charakter, Kunst, die den Obrigkeitsstaat und dessen imperialistisches Großmachtstreben kritiklos anbetete, auf Ablehnung stieß. Das bunte Gemisch der Darbietungen des Neopathetischen Cabarets fand darum gerade hier lebhafte Resonanz. Da wurde aus eigenen Werken oder aus den Werken anderer Künstler vorgetragen, wurden Gedichte rezitiert, Szenen aus neuen, teils unveröffentlichten Dramen gelesen, neue Prosa wurde vorgestellt; da waren Vorträge philosophischen oder kulturkritischen Inhalts zu hören; besonderer Beliebtheit erfreute sich die Glosse, und da kamen immer wieder auch kurze Stücke zeitgenössischer Musik zum Vortrag. Ein Augenzeuge schildert die Atmosphäre eines dieser Abende: »In dem dichtgedrängten Saal irgendeines Cafés, bald hell, bald verdunkelt, lausehen 250 Personen, Studenten, 21
Bohemiens, Schauspieler, Maler, Schriftsteller (darunter manch bekanntes, interessantes Gesicht), Männlein u n d Weiblein, grotesk in F a r b e n und zarten Seiden, lauschen, lachen, klatschen, zischen, werden hinausbefördert, freun sich u n d wollen etwas.« 5 8 Daß dieses Neopathetische Cabaret nicht K a b a r e t t f ü r jeden war, d a ß es also k a u m etwas gemein h a t t e mit der Masscnerscheinung K a b a r e t t im Berlin jener J a h r e , 5 9 sprach sich h e r u m . Hier und da t a u c h t e n schließlich sogar Rezensionen in der bürgerlichen Tagespresse auf. Die Art und Weise, wie m a n hier auf diese Abende reagierte, war allerdings bezeichnend. Teils wurden diese »•Experimente« der »Jüngsten« belächelt, teils auch mit bissigem S p o t t b e d a c h t : gab sich mal ein Rezensent jovial; so verbarg sich hinter dieser Maske Ratlosigkeit. Die Veranstalter des Neopathetischen Cabarets waren sich bewußt, wie eng ihr Wirken an die materiellen Bedingungen und komm u n i k a t i v e n Verhältnisse der W e l t s t a d t Berlin gebunden war. Ihr einmütiges Bekenntnis zum Leben in der G r o ß s t a d t brachte u n t e r anderem auch dies zum Ausdruck. Es b e d e u t e t e jedoch mehr. »Die N a t u r war uns nicht gleichgültig, doch wir waren aufs betonteste 'asphalten'«, erinnert sich Hiller. 6 0 Im Neuen Club legte m a n Wert d a r a u f , als W e l t s t ä d t e r zu gelten. Die prononeiert positive Einstellung der Clubmitglieder zum P h ä n o m e n der modernen G r o ß s t a d t war gleichsam P r o g r a m m , sie charakterisierte ihren A v a n t g a r d i s m u s in seinem Kern. Denn ihr Bekenntnis zum »Leben« schloß die Entscheidung ein, sich der modernen Gegenwart voll u n d ganz zu stellen, das »Diesseitige So-Seiende« zu bejahen. Die moderne Großstadt verkörperte f ü r sie das moderne Leben schlechthin: die »Dämonie« des »Chaos«, die »ehern-wirkliche, jagende Monotonie« 6 1 , die »Gewalt des Alltags« 6 2 . Deshalb habe sich auch der Künstler, der Dichter dieses P h ä n o m e n s auf eine neue Weise a n z u n e h m e n : Nicht als »Schilderer der Weltstadt«, sondern als »weltstädtischer Schilderer« 6 3 ginge es f ü r ihn vor allem d a r u m , »die ästhetischen Qualitäten des phantastischen Gemenges von Bewegungen« 6 4 sehen zu lernen. In seinen Werken müsse sich »städtische Erlebensart« 6 5 d o k u m e n t i e r e n . E r habe schließlich ein »neues Pathos« zu schaffen, das »dem Alltag ebenbürtig« sei. 66 22
Schaffensimpulse Daß in den Darbietungen eines»Cabarets«, das dieses»ncue Pathos« auf seine Fahne geschrieben hatte, die Behandlung des Großstadl themas breitesten Raum beanspruchte, verstand sich von selbst. Auch Außenstehenden m u ß t e es auffallen, daß dies ein Charakteristikum des Clubs war. Das »Gemeinsame und ¡Neue dieses jungen Kreises« sehe er gerade darin, äußert ein Rezensent, daß »alle ohne Ausnahme« ihre Stoffe aus der Gegenwart wählen. »Meist ist es die große Stadt, die sie mit Heroismus oder Humor, aber immer groß sehen.« 67 Besonders von J a k o b van Hoddis — hinter diesem Pseudonym verbarg sich Hans Davidsolm — und von Georg Hevm zeigt er sich beeindruckt. An Hoddis' Gedichten bewundert er »den großen grausen Humor«; etwas »Teuflisches, Starkes« sei in der Art, in der hier die »einfachsten Gegenstände«, alltägliche Vorgänge behandelt seien, aus allem höre man das Pathos eines Menschen heraus, »der Großes sieht«. Das »Brutale des Inhalts« werde dabei durch die»Freude der Lebenskraft«überstrahlt. die »dieses Brutalen lachend Herr werden konnte«. 6 8 Ausführlicher schildert er die Faszination, die die Gediclitc Hevms auf ihn ausüben: Sie seien »ein Taumel des Sehens. " . . . . Alle Dinge wälzen sich wie Orgien vor seinem Auge; fast s t u m m konstatiert er alles, mit der einfachsten Technik des Konstatierens. Fürchterliche Dinge sieht er, die uns rings umgeben. Unsere Stadt, mit ihren Riesenschloten, Kanälen. Bahnhöfen, Gärten, ihren Naehlfanalen, Krankenhäusern, Wasserleichen, Hunden . . . Hier sieht man, wenn nian's noch nie sah, was der Naturalismus nicht gekonnt hat. Hier ist ebenfalls das 'tägliche Leben', aber in Pathos und Glut getaucht. Hier 'bedeutet' jedes Ding etwas, obgleich nirgends von der Bedeutung gesprochen wird; hier ist jedes Ding neu. Hier ist das Leben, dargestellt n u r mit Hilfe des 'täglichen Lebens'. (Das ist der Unterschied.)« 6 9 Auf dieser vierten Veranstaltung des Neopathetischen Cabarets, die Anfang Dezember 1910 stattfindet, trägt Heym neben Hoddis also bereits entscheidend dazu bei, dem öffentlichen Auftreten des Kreises das charakteristische Gepräge zu geben. Und dies vor allem als Dichter, dem es gelungen ist, auf eine neue und
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originäre Weise ein Thema künstlerisch zu bewältigen, zu dem der Kreis, seinem avantgardistischen Programm entsprechend, eine besondere Affinität hat. Berlin-Gedichte sind es übrigens, durch die es Heym schließlich gelingt, sich über den Rahmen des Kreises hinaus auch in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen: Durch Vermittlung II. E . J a c o b s gelingt es ihm Anfang Oktober 1910, seine Berlin-Gedichte Laubenkolonie und Vorortbahnhof im Herold, einer literarischen Wochenschrift, unterzubringen. Am 23. November 1910 veröffentlicht der Demokrat das Gedicht Berlin II, durch das der junge Leipziger Verleger Ernst Rowohlt auf Heym aufmerksam wird. Im Rowohlt-Verlag erscheint im April 1911 Heyms erster Gedicht band Der ewige Tag. Nicht zufällig leiten Berlin-Gedichte dieses Bändchen ein — der Frage der Anordnung der Gedichte hatte Heym größtes Gewicht beigemessen. 70 Das rasante Heranwachsen Berlins zur Weltstadt wird Heym auch vor seiner Aufnahme in den Neuen Club nicht entgangen sein. Wenn auch kein gebürtiger Berliner, so hat er doch den größten Teil seines bisherigen Lebens in der Metropole des deutschen Kaiserreiches verbracht. Seit 1900 ist die Familie Heym seßhaft in Berlin. Die zwei J a h r e , die Georg als Gymnasiast in Neuruppin zubringen muß, und der dreisemestrige Studienaufenthalt in Würzburg — ohnehin unterbrochen von häufigen Wochenend- und Ferienaufenthalten in Berlin 7 1 — ändern nichts daran, daß ersieh als Hauptstädter fühlt. Rudolf Baleke berichtet von »vielen gemeinsamen Streifzügen« mit dem Freund durch die Großstadt. 7 2 Daß Heym absichtlich »berlinert« hat, ist vielfach bezeugt. Schon vor seinem Eintritt in den Dichter- und Intellektuellenkreis um Hiller und Loewenson bestimmt also das Leben in der Großstadt Berlin die Erfahrungswelt Heyms wesentlich mit. Zum thematischen Gegenstand seiner Werke wird das Phänomen der modernen Großstadt aber erst, seit er Mitakteur des Neopathetischen Cabarets ist. Daß Heym den großstädtischen Alltag jetzt als D i c h t e r wahrnimmt, daß er ihn mit anderen Augen als beispielsweise die Naturalisten »sieht«, hat zweifelsohne mit seinem Eintritt ins neue Milieu zu tun. Es ist 24
(Jas im Club h e r r s c h e n d e g e i s t i g e K l i m a , d a s eine w i c h t i g e R o l l e bei
der E n t w i c k l u n g
neuer
künstlerischer
Sehweisen
Heyms
spielt. F ü r d e n K ü n s t l e r H e y m w i r d d i e A t m o s p h ä r e in d i e s e m
Kreis
G l e i c h g e s i n n t e r z u a l l e r e r s t d a d u r c h f r u c h t b a r , d a ß er sich
hier
in s e i n e r k ü n s t l e r i s c h e n P o s i t i o n , d i e er im E r g e b n i s s e i n e r b i s herigen
Entwicklung
bezogen hat, bestätigt
sieht. Wenn
ihm
ein n e u e r , o r i g i n ä r e r B e i l r a gO z u r G r o ß s t a d t d i c h t u n »P; gelinpj/-£niZ-Inszenierung ist B r e c h t offensichtlich nicht besonders nahegegangen, h a t t e er doch eine Vielzahl von P r o j e k t e n und Produktionen in Arbeit, deren Realisierung ihn voll beanspruchte. Die gesellschaftspolitische 105
S i t u a t i o n in D e u t s c h l a n d , die z u n e h m e n d e F a s e h i s i e r u n g d e r W e i m a r e r R e p u b l i k , b r a c h t e eine d e u t l i e h e P o l a r i s i e r u n g d e r politischen K r ä f t e m i t sich. Vor d e m H i n t e r g r u n d d e r M a s s e n a r beitslosigkeit u n d d e r v e r s c h ä r f t e n L o h n k ä m p f e des I n d u s t r i e p r o l e t a r i a t s k a m es in d e n J a h r e n 1929/30 i m m e r h ä u f i g e r zu m e i s t g e w a l t s a m a b l a u f e n d e n A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n mit d e r v o m Soziald e m o k r a t e n Zörgiebel als P o l i z e i p r ä s i d e n t b e f e h l i g t e n Polizei. B r e c h t w u r d e Zeuge, wie die b e w a f f n e t e n Polizisten a m 1. Mai 1929 auf u n b e w a f f n e t e A r b e i t e r s c h ö s s e n . 8 6 E r b e k a n n t e sich n u n o f f e n z u r k o m m u n i s t i s c h e n B e w e g u n g , er s c h r i e b L e h r s t ü c k e , die in e r s t e r Linie d e r Selbst Verständigung eines p r o l e t a r i s c h e n P u b l i k u m s d i e n e n sollten, also nicht m e h r f ü r d a s h e r k ö m m l i c h e Publikum und auch nicht f ü r Berufsschauspieler gedacht waren, s o n d e r n f ü r L a i e n d a r s t e l l e r . Die S t r u k t u r dieser E n d e d e r z w a n ziger J a h r e e n t s t a n d e n e n L e h r s t ü c k e wie Der Lindberghflug, das Badener Lehrstück vom Einverständnis o d e r Die Ausnahme und die Regel w a r s t a r k d i d a k t i s c h g e p r ä g t . A m 30. 6. 1930 w u r d e d i e S c h u l o p e r Der Jasager — g e s c h r i e b e n nach d e r V o r l a g e eines j a p a n i s c h e n N o - S t i i c k e s — a m Berliner Z e n t r a l i n s t i t u t f ü r E r z i e h u n g u n d U n t e r r i c h t in Szene g e s e t z t . D e r R u n d f u n k ü b e r t r u g d i e U r a u f f ü h r u n g d e s S t ü c k e s , dessen Thema d i e b e w u ß t e E i n s i c h t in eine a b s o l u t g e s e t z t e , als n o t w e n d i g e r a c h t e t e U n t e r o r d n u n g d e r I n d i v i d u e n u n t e r d a s K o l l e k t i v ist. E s g a b k a u m ö f f e n t l i c h e R e a k t i o n e n . Die b ü r g e r l i c h e Berliner P r e s s e n a h m nur n e b e n b e i N o t i z v o n dieser Art D r a m a t i k , die nicht m e h r f ü r d e n K o n s u m d u r c h ein b ü r g e r l i c h e s P u b l i k u m tauglich e r s c h i e n . Die Weltbühne w a r eine d e r wenigen Z e i t s c h r i f t e n , d i e d e r A u f f ü h r u n g als einem E r e i g n i s des l i n k e n E x p e r i m e n t a l t h e a t e r s Beachtung schenkten. Der Rezensent F r a n k Warschauer setzte sich i n s b e s o n d e r e m i t d e m e t h i s c h e n P a t h o s des S t ü c k e s a u s e i n a n d e r , 8 7 d a s a l l e r d i n g s a u c h v o n kirchlich o r i e n t i e r t e n S t i m m e n h e r v o r g e h o b e n w u r d e . So l o b t e W a l t e r D i r k s die S c h u l o p e r als eine wirkliche » P r e d i g t « . E r u n t e r s t r i c h d a s e t h i s c h e G r u n d a n g e b o t des D a r g e s t e l l t e n , d a s f ü r ihn A n p a s s u n g u n d k o n v e n t i o nellen G e h o r s a m als z e n t r a l e L e b e n s w e i s h e i t zu e n t h a l t e n schien. 8 8 B r e c h t selbst w a r e n t s e t z t ü b e r d e r a r t i g e R e z e p t i o n s w e i s e n u n d bat die F r e u n d e von der Marxistischen Arbeiterschule,
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unter ihnen Hermann Duneker, die W i r k u n g des Stückes auf die ' Schüler niitzuerproben. Aufgrund der daraufhin geführten Diskussionen änderte Brecht das Stück und fügte dem Jasager den Neinsager hinzu. Das Prinzip des Einverständnisses erscheint nun abhängig von der konkreten Klassenkampflage. Als Übertragung des »Jasagers« in den politischen Klassenkampf entstand zeitgleich das Lehrstück Die Maßnahme, das einen engagierten Meinungsstreit auslöste, von allen Seilen »eine aktive Stellungnahme herausforderte«, wie Durus in der Holen Fahne schrieb. 8 9 Im Stück müssen sich kommunistische Agitatoren vor einem Parteigericht — dem »Kontrollchor« — verantworten, weil sie einen jungen Genossen getötet haben. Dieser hatte durch spontanes Handeln die gesamte Bewegung in Gefahr gebracht, indem er in guter Absicht Arbeiter zu einem Aufstand ermutigte. Diese Aktion verhindert die Ausführung des eigentlichen Auftrages und führt zu Flucht und Verfolgung der Agitatoren. Deshalb entschließen sie sieh »Abzuschneiden den eigenen Fuß vom Körper« 9 0 , den jungen Genossen zu töten. Die Maßnahme wird vom Parteigeriehl nach ausführlicher Erläuterung der Situationen gebilligt. Mit der Musik von Hanns Eisler und in der Regie Slatan Dudows kam Die Maßnahme am 13. 12. 1930 in der Berliner Philharmonie erstmals zur Aufführung. Drei proletarische Chöre, Helene Weigel und Ernst Busch waren unter anderen an dieser Uraufführung beteiligt. Am 18. I. 1931 folgte die Aufführung des Stückes am Großen Schauspielhaus. Georg Lukäcs bewertete das Lehrstück als ein »außerordentlich bedeutsames und begrüßenswertes Symptom des Klärungsprozesses. der bei dem besten Teil der Intellektuellen unserer Zeit« begonnen habe. Unter der Uberschrift Aus der iS'ot eine Tugend fügte er in seinem Aufsatz in der Linkskurve hinzu, daß Brecht bei allem Verdienst hier jedoch »strategisch-taktische Probleme der Partei in 'ethische Probleme' verengt« habe. 9 1 Alfred Kurella, der Brecht erst auf dem Wege der Annäherung an das revolutionäre Proletariat sah, bewertete das Lehrstück » a l s G a n z e s in der konkreten historischen Situation als r e v o l u t i o n ä r e s S t ü c k « 9 2 , aber schließlich kritisierte auch er wie der Kritiker Durus in der Roten Fahne die Tatsache, daß die 107
» K e n n t n i s der Theorie des M a r x i s m u s - L e n i n i s m u s allein« nicht genüge, d a ß die m a r x i s t i s c h e Belesenheit eines Schriftstellers nicht die revolutionären Erlebnisse und die Kleinarbeit in der revolutionären Bewegung ersetzen könne. 9 3 Einigkeit herrschte in der Beurteilung der W i r k u n g s m ö g l i c h keiten des Stückes. Vertreter der kommunistischen Arbeitersängerbewegung lobten vor allem die Eislersche Chormusik, die » k e i n e musikalische Grashüpferei«, »keine s e n t i m e n t a l e Maschinens t ü r m e r n « mit Leitmotiven wie »Armer Prolet« sei, sondern vielmehr die W i r k u n g eines praktischen Aufrufes zum revolutionären Handeln habe. 9 '* W i e ein Beleg für diese W i r k u n g s w e i s e m u t e t eine Erklärung des Berliner L a n d e s k r i m i n a l p o l i z e i a m t e s vom 15. F e b r u a r 1933 a n : »Die Aufführung des Chorwerkes 'Die M a ß n a h m e ' hat in E r f u r t zur Auflösung einer k o m m u n i s t i schen Veranstaltung geführt . . . Gegen die V e r a n s t a l t e r ist ein Verfahren wegen Vorbereitung zum Hochverrat eingeleitet worden.« 9 0 Die W a r n u n g w a r auch für den Autor Bertolt Brecht unüberhörbar.
Brecht im Staatstheater am Gendarmenniarkt: »Mann ist Mann« Zeitungsiiberschriften wie Skandal am Berliner Staatstheater, Theaterskandal bei der Premiere eines neuen Stückes von Brecht, Johlen um Brecht und Der Fall Brecht, welche die Berliner Leser am 7. 2. 1931 in ihren B l ä t t e r n finden konnten, verwiesen auf das neuerliche öffentliche Aufsehen, d a s die A u f f ü h r u n g eines Brecht-Stückes verursacht hatte. Das Pfeifkonzert, m i t dem die Neubearbeitung der Komödie u n t e r B r e c h t s Regie a m S t a a t s t h e a t e r des I n t e n d a n t e n Ernst Legal a u f g e n o m m e n wurde, g a l t nicht nur der Verschärfung des S t ü c k e s , die der A u t o r vorgenommen h a t t e . Es signalisierte zugleich eine Polarisation der politischen Kräfte in der Öffentlichkeit und im literarischen Leben generell. Mit seinem d r a m a tischen und theatralischen WTerk w a r B r e c h t nun an einen P u n k t gekommen, an dem sich nicht m e h r n u r d a s bürgerliche P u b l i k u m , sondern vor allem auch die bürgerliche Kritik in der
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Weimarer Republik spaltete, wo weniger die ästhetischen P r o bleme der Brechtsehen D r a m a t i k diskutiert wurden, als vielmehr deren gesellschaftliche Bedeutung zur Bewertung zwang. Die erste Berliner Inszenierung von Mann ist Mann als Lustspiel an der Berliner Volksbühne im J a n u a r 1928 wurde noch allgemein als ein großer Publikumserfolg v e r b u c h t . Mit A d a m Kuckhoff war sich damals ein Großteil der Berliner Kritiker einig über die gute Q u a l i t ä t der A u f f ü h r u n g : S t ü c k und Inszenierung h ä t t e n bewiesen, daß es d u r c h a u s einen Ausweg gäbe aus d e m »Geschreidrama« Brechts, »mit dem m a n uns n u n seit einem J a h r z e h n t die Ohren vergällt« 9 6 . Sogar die Berliner Morgenpost h a t t e die von Erich Engel mit Helene Weigel u n d Heinrich George auf die B ü h n e g e b r a c h t e A u f f ü h r u n g gelobt als »einen Abend im Dienst der Kunst unserer Tage, auf den die \ olksbüline stolz sein darf« 9 7 . Die neue Fassung des Stückes signalisierte deutlich die Gef a h r des a u f k o m m e n d e n Faschismus. Das Stück sei vom »Lustspiel in eine P a r a b e l verwandelt«, vom runden Werk in das E x periment zurückgestoßen worden, wie Herbert Jliering schrieb, d e r sich zum wiederholten Male als verständnisvoller Mittler zwischen der D r a m a t i k Brechts und den tradierten Sehgewohnheiten der Zuschauer a n b o t . Der U m b a u des Packers Galy Gay von einem harmlosen Individuum in einen Soldaten, in eine menschliche K a m p f maschine galt ihm als ein Sinnbild f ü r den Weg der Schaupielk u n s t von einer charakterisierenden zu einer typisierenden Spielweise. Diese Methode war vorher von Brecht als Ubergang von der identifizierenden zur berichtenden Schauspielkunst, als episches T h e a t e r beschrieben worden. In der radikalen A u f f ü h rungsweise des Stückes am Schauspielhaus aber sah Jhering einen gravierenden Denkfehler. Indem Brecht vor allem die G r u p p e der Soldaten der Typisierung unterziehe, demonstriere er eine Theorie, die er b e j a h t , durch Personen, die er v e r n e i n t : »Er probiert ein darstellerisches Prinzip, das er propagiert, an einer Welt aus, die er b e k ä m p f t . « 9 8 In der erst später veröffentlichten Brecht-Studie' Was ist das epische Theater? analysierte W a l t e r B e n j a m i n i d i e A u f f ü h r u n g von Brechts Parabel Mann ist Mann
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als das einzige Muster epischen Theaters und »eine der präzisesten Einstudierungen . . . die m a n seit J a h r e n in Berlin zu sehen bekam«. E r votierte f ü r das Stück und erkannte die Probleme, die die Kritik mit seiner B e w e r t u n g h a t t e , als solche, die durch die Lebensnähe des epischen Theaters bedingt seien. Brechts Packer Galy Gay sei »nichts als ein Schauplatz von Widersprüchen unsrer Gesellschaftsordnung« 9 9 . Die Lösung dieser Widersprüche wurde von B e n j a m i n in den Menschen selbst verwiesen, denn n u r der »Einverstandene« habe Chancen, die Welt zu verändern. Das Premierenpublikum des S t a a l s l h c a l e r s , das sich n a t u r gemäß von dem der Volksbühne deutlich unterschied, wollte aber die Welt nicht verändern. W ä h r e n d der zweieinhalbstündigen A u f f ü h r u n g begleitete es die Vorgänge auf der B ü h n e mit Pfiffen auf den großen Berliner Hausschlüsseln und k o m m e n t i e r t e den Gang der H a n d l u n g mit lauten, ironischen Zwischenrufen. Natürlich saßen auch die Anhänger Brechts im P u b l i k u m , die gegen die Protest e jeweils laute Beifallsbekundungen losließen. Der Protest richtete sich gegen den vor jedem Akt vor den Vorhang tretenden K o m m e n t a t o r , der den Inhalt der k o m m e n d e n Szene b e k a n n t g a b . Abwehr erregten vor allem auch die f ü r d a m a lige Verhältnisse ungewöhnlichen Cliarakterisierungsmiltel der Figuren im Bühnenbild Caspar Nehers. Die Soldaten, u n t e r ihnen Wolfgang Heinz, erschienen auf mächtigen Stelzen. D r a h t b ü g e l m a c h t e n sie zu besonders großen Monstern. Sie h a t t e n Riesenh ä n d e und trugen Teilmasken. Alle Dekorationsteile waren deutlich als Requisiten zu erkennen. Monty Jacobs, der zwei J a h r e zuvor noch zu den B e f ü r w o r t e r n der Volksbühneninszenierung gehört hatte, 1 0 0 sah n u n die Zeit gekommen, Brecht grundsätzlich zu kritisieren: »Doch in W a h r heit h a t der Dichter Bert Brecht jahrelang mit Hilfe gehorsamer, kritischer Mamelucken eine Tyrannei über schwache Direktoren ausgeübt. Von Zeit zu Zeit g a b er Schlagworte aus, fast i m m e r nach Moskauer Vorschrift, u n d Verwirrung genug h a b e n sie gestiftet.« Die logische Schlußfolgerung dieses Angriffes lautete d a n n : »Fort mit den w a h r h a f t gefährlichen Reaktionären, mit den Schulmeistern von der B ü h n e ! F o r t mit den Doktrinären
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ohne Herz, Jugend, W ä r m e , die Lehrstücke sehreiben, bevor sie sich durch Lernstücke beglaubigt haben.« 1 0 1 Der Kritiker Mysing teilte seinen Lesern m i t : »Dieses epische Theater ist, wenn m a n wenigstens nach den veröffentlichten Aufsätzen schließen will, das Verworrenste, was es gibt« und f u h r fort mit der Feststellung, »die antimilitaristischen Phrasen« seien gerade am S t a a t s t h e a t e r »recht übel am Platze«. 1 0 2 Das war der springende P u n k l . Die bürgerliche Presse war diesmal ziemlich einhelKg der Meinung, daß das hier gebotene Experim e n t a l t h e a t e r allenfalls noch in der Volksbühne oder bei Piscator am Platze wäre. In dem vom preußischen S t a a t subventionierten S l a a l s l h e a t e r wirkte die A u f f ü h r u n g des Stückes wie ein Sakrileg. Hier werde Unfug mit einem »Kleintalent« beirieben, war der K o m m e n t a r Alfred Kerrs zur Aufführung. 1 0 3 Brccht h a t t e sich als Marxist zu erkennen gegeben und wurde von der bürgerlichen Presse entsprechend behandelt. Die Inszenierung von Mann ist Mann erlebte im T h e a t e r am Gendarm e n m a r k t ganze sechs A u f f ü h r u n g e n und wurde d a n n wegen mangelnden Publikumsinteresses vom Spielplan abgesetzt. Die literatur- und theaterinteressierte Berliner Öffentlichkeit war Zeuge eines Kritikerkrieges geworden, wie er seit dem Streit um H a u p t m a n n oder Ibsen im Berliner Theaterleben nicht m e h r g e f ü h r t worden war. Das P u b l i k u m , das sich f ü r diese Auseinandersetzungen interessierte und f ü r das sie letztlich auch inszeniert worden waren, ging normalerweise aus »Gewohnheit oder aus Neugier« ins Theater, wie H e r b e r t J h e r i n g meinte. Es setzte sich aus einer Masse von Zuschauern zusammen, die durch nichts anderes gebunden würden als durch ihre Sucht, sich zu zerstreuen und sich zu vereinzeln: »In Berlin geht das P u b l i k u m ins Theater, das f ü r die Entwicklung nicht m e h r in B e t r a c h t k o m m t . Das P u b l i k u m , das f ü r die Entwicklung in B e t r a c h t k o m m t , k a n n noch nicht ins Theater gehen, oder wird durch den oft stagnierenden Spielplan der Volksbühne lahmgelegt.« 1 0 4 Nach dem H e t z m a n ö v e r gegen Brecht, das die bürgerliche Presse betrieben h a t t e , wagte es u n t e r den konkreten politischen Bedingungen zu Beginn der dreißiger J a h r e vorerst keine Berliner Bühne, sein Stück Die heilige Johanna der Schlachthöfe
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anzunehmen. Gustaf Gründgens, der ursprünglich eine A u f f ü h r u n g im Komödienhaus R o t t e r geplant h a t t e , sah sieh a m E n d e außerstande, seine Absicht zu realisieren. Nur zögernd erklärte sich die Leitung des Theaters am Kurf ü r s t e n d a m m zur A u f f ü h r u n g der Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny bereit. Brechts Anliegen, das »Kulinarische« als u n p r o d u k t i v e Wirkungsweise der Kunst durch die Mittel der Parodie b e w u ß t zu machen, wurde von der bürgerlichen Kritik als »leider wirkungslos u n d ermüdend« abgetan. 1 0 5 Lob der Dialektik: »Die Mutter« Der Tropfen, der das F a ß buchstäblich zum Überlaufen brachte, war schließlich die A u f f ü h r u n g des Stückes, das Brecht nach Gorkis Roman f ü r das epische Theater eingerichtet h a t t e . Die ursprüngliche Absicht, das S t ü c k zuerst an der Volksbühne herauszubringen, konnte nicht in die T a t umgesetzt werden, da die zunehmend unter politischen Rechtsdruck geratenen Thealerleitungen eine immer ängstlichere Spielplanpolitik betrieben. So kam es, d a ß eine V o r a u f f ü h r u n g , gespielt von der »Gruppe junger Schauspieler«, im Berliner Wallner-Thealer s t a t t f a n d , bevor es d a n n am 16. J a n u a r 1932 anläßlich des 13. Jahrestages d e r E r m o r d u n g llosa L u x e m b u r g s und Karl Liebknechts im Komödienhaus am S c h i f f b a u e r d a m m , unweit vom Theater am S c h i f f b a u e r d a m m gelegen, u r a u f g e f ü h r t wurde. Da Caspar Neliers Bühnenbild leicht zu transportieren war, k o n n t e die Theat e r t r u p p e auch andere Spielorte wie Festsäle u n d Parteilokale in den Berliner S t a d t b e z i r k e n n u t z e n . Vom S c h i f f b a u e r d a m m zog m a n zuerst in das Lustspielhaus in der Friedrichstraße. Doch das Spielverbot ließ nicht lange auf sich w a r t e n . Die Berliner Feuerwehr u n t e r s a g t e im F e b r u a r 1932 ein Gastspiel der Mutter im Moabiter Gesellschaftshaus, einem Ort, an dem bis dahin unbedenkliche Schwanke d u r c h a u s a u f g e f ü h r t werden konnten. . Die Rote Fahne m a c h t e ihren Lesern gesonderte Angebote, d a s Stück Brechts im Komödienhaus a m S c h i f f b a u e r d a m m zu besuchen. Mitglieder proletarischer Organisationen erhielten gegen
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Vorlage ihres Ausweises a n d e r Kasse G a s t k a r l e n zu e r m ä ß i g t e n Preisen. S c h o n a m S o n n t a g , d e m 24. J a n u a r , eine W o c h e nach d e r P r e m i e r e , g a b es eine S o n d e r v e r a n s l a l t u n g f ü r die A b o n n e n t e n d e r Roten Fahne, der Roten Post u n d d e r Nachrichten. Die Kart e n z u m E i n h e i t s p r e i s v o n 60 P f e n n i g k o n n t e m a n bei allen »Bolen u n d Spediteuren« e r h a l l e n , wie die Zeitung es ihren Lesern empfahl. B r e c h t s eindeutiges B e k e n n t n i s zur S a c h e des P r o l e l a r i a l s , seine k ü n s t l e r i s c h e U n t e r s t ü t z u n g f ü r die A g i t a t i o n u n d P r o p a g a n d a d e r K o m m u n i s t i s c h e n P a r t e i , h a t t e n u n e n d g ü l t i g die F r o n t e n g e k l ä r t : »Die politische T e n d e n z ist a u f d r i n g l i c h k l a r : P r o p a g a n d a f ü r Sowjelideen«, s c h ä t z t e d e r R e z e n s e n t des Montag die A u f f ü h r u n g in einer k n a p p g e h a l l e n e n A n n o t a t i o n ein. 1 0 0 So oder ähnlich l a u t e t e d e r K o m m e n t a r der m e i s t e n bürgerlichen Pressest im inen nach der P r e m i e r e . U n t e r der U b e r s c h r i f t Roter Trug, grauer Spuk sehrieb L u d w i g S t e r n a u x im Berliner Lokalanzeiger: »Alles ist P r o p a g a n d a f ü r den K o m m u n i s m u s , dessen Loblied in h ö c h s t e n Tönen gesungen wird, alles Mittel z u m Zweck, die Masse zu revolutionieren.« E r h a t t e recht mit seiner E i n s c h ä t zung, n u r b e w e r t e t e er die W i r k u n g s a b s i c h t B r e c h t s a n d e r s als der A u t o r und diejenigen, f ü r die das S t ü c k g e d a c h t war. S t e r n a u x g a b u n m i ß v e r s t ä n d l i c h zu v e r s t e h e n , d a ß er solcherart politische K u n s t keiner B e s p r e c h u n g , geschweige d e n n einer A u s e i n a n d e r s e t z u n g f ü r w ü r d i g hielt, d a es sich hier u m eine reine P a r l e i a n g e l e g e n h e i t h a n d e l e , die m i t K u n s t n i c h t s m e h r zu t u n h a b e u n d d e s h a l b auch nicht m e h r in d e n Z u s t ä n d i g k e i t s b e reich v o n K u n s t k r i t i k falle. 1 0 7 In sein Lied s t i m m t e n m e h r e r e B l ä t t e r ein. Einige Kritiker m e i n t e n , dieses S t ü c k entziehe sieh schon d e s h a l b einer e r n s t h a f t e n W e r t u n g , weil es sich b e w u ß l a n A n f ä n g e r im politischen D e n k e n wende u n d d e s h a l b seine A r g u m e n t e einer primitiven F a s s u n g s k r a f t e n t s p r ä c h e n . Alfred K e r r hiell d a s S t ü c k f ü r ein » u n g e k o n n t e s D r a m a « u n d ein » I d i o t e n s l ü c k « . Der d e u t s c h e Arbeiter, so m e i n t e er, sei lange nicht so zurückgeblieben wie d e r A u t o r . F ü r die Inszenierung und die Schauspieler h a t t e er viel L o b ü b r i g : »Helene Weigel m a c h t b e i n a h e die schlappen Inhaltslosigkeiten w e i t . Sie ist einfach herrlich . . . E s gibt k a u m Schöneres. D a z u Busch als ihr S o h n — 8
Wruck, Leben, Bd. II
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mit jenen stachelnden Klängen von Eisler (wie auf der unvergessenen G r a m m o p h o n p l a t t e mit dem Stempellied). Diese ganze Welt, Umwelt, Armenwelt ist ja unsagbar wesentlich — es fehlt bloß ein A u t o r dazu.« 1 0 8 Auch bei F r a n z Koppen von der Berliner Börsen-Zeitung, der die Berliner Inszenierungen von Brecht-Stücken seit 1922 verfolgt h a t t e , rief das v o r g e f ü h r t e epische T h e a t e r Unverständnis und Ablehnung h e r v o r : »In der F o r m , in der das Stück vor uns aufgerollt wird, wird das Epische d a d u r c h betont, d a ß die H a u p t p e r s o n , die Mutter, ihr Erleben in direkten Apostrophierungen an das P u b l i k u m demonstriert und k o m m e n t i e r t . Sie t r i t t sozusagen aus ihrem Erleben reflektierend, mit immer zunehmender Intellektualität heraus. In der d r a m a t i s c h e n Form des Theaters würde sie ihr Erleben vor uns lediglich erleben, in der e p i sc Ii en gibt sie uns davon dozierend Rechenschaft.« 1 0 9 Die Abwehr gegen das epische Theater wurde von den meisten Kritikern aus dem liberal-bürgerlichen wie aucJi aus dem sozialdemokratischen Lager geteilt. 1 1 0 Da die Reaktion immer m e h r Terrain gewann, sich ihr Einfluß im öffentlichen Leben spürbar v e r s t ä r k t h a t t e , reagierten auch die Linken mit einer verschärften politischen Tendenz. Brecht selbst b e k a n n t e sich zur didaktischen Wirkungsabsicht seines Stückes. In dieser Zeit der a k u t e n Bedrohung hielt er es f ü r unerläßlich, dem Proletariat marxistische Grundbegriffe an die H a n d zu geben, die das Zeitgeschehen als einen Teil des Klassenkampfes begreifbar machten. »Die A u f f ü h r u n g der 'Mutter'«, so schrieb er später,»wurde von großen proletarischen Organisationen herausgebracht. Sie verfolgten den Zweck, ihre Zuschauer gewisse F o r m e n des politischen Kampfes zu lehren. Sie w a n d t e n sich hauptsächlich an Frauen. E t w a 15 000 Berliner Arbeit e r f r a u e n wohnten der A u f f ü h r u n g des Stückes bei, das Methoden des illegalen revolutionären Kampfes demonstrierte.« 1 1 1 H e r b e r t Jherings Reaktion auf Stück und A u f f ü h r u n g war relativ verhalten. E r verglich die Bearbeitung des Gorkischen R o m a n s mit dem Pudowkin-Film und fand einige Szenen als zum »geistig Überzeugendsten« gehörig, »was m a n seit langem auf der Bühne gesehen hat«. Im Ganzen hielt er das epische Verfahren 114
auf dem Theater für den richtigen Weg, auch wenn ihm einiges auf der Bühne noch zu mechanisch hergesagt erschien. Die schauspielerische Begabung der Weigel, die Leistungen von Ernst Busch, Theo Lingen und Gerhard Bienert würdigte er nachdrücklich. 112 Weitaus begeisterter äußerte sich ein Teil der linken Presse, ohne* sich jedoch in den Wertungen insgesamt einig zu sein. Als das »Packendste, was das ganze proletarische Jahrzehnt in Berlin geschaffen hat«, wird die Inszenierung von der Welt am Abend eingeschätzt: »Wir sind wieder einen gewaltigen Schritt weitergekommen«, lautete die befriedigte Feststellung. 113 In manchen Pressestimmen der Linken wurde BreeliL wie der heimgekehrte Sohn gefeiert; mit Freude überdenke man nach der Vorstellung dieses Stück. Mit Freude setze man sich zur Kritik nieder. Man hat nichts zu kritisieren . . . Brecht, auf den die linke Presse gesetzt hatte, der sie aber auch manche leere exzentrische Geste hat schlucken lassen, schien alles erfüllt zu haben, was er versprochen hatte. Nach dieser Aufführung war man sicher, daß sich die Persönlichkeit Brechts durchsetzen werde. Das Feuilleton der Roten Fahne, die in ihrer Ausgabe vom 19. 1. 1932 mit der groß aufgemachten Uberschrift Brechts Lehrstück ein großer Erfolg die Aufführung im Komödienhaus guthieß, stellte die »ideologisch klare Kritik der imperialistischen Drahtzieher dieses Abschaums« in den Vordergrund. Der Rezensent Paul Brand begrüßte den Dramatiker als einen, der der »Wüste des bürgerlichen Theaterbetriebs« entflohen war, machte aber den Vorbehalt, daß dessen tatsächliche Ankunft bei der revolutionären Arbeiterschaft dennoch nicht endgültig bewiesen sei: »Noch hat er nicht alle Fesseln, die ihn an seine Vergangenheit fesseln, zerrissen. Er wird es tun müssen.« 114 Bertolt Brecht konnte von 1922 bis 1932 zwölf seiner Stücke in Berliner Theatern zur Aufführung bringen, fünf davon erlebten hier ihre Uraufführung. Die Faszination, die die Metropole &uf den jungen Brecht in den frühen zwanziger Jahren ausgeübt hatte, änderte sich ziemlich rasch in eine Haltung der produktiven Inbesitznahme der Stadt, ihrer Mobilität und ihrer vielfältigen öffentlichen Kommunikationsangebote durch den Dich8*
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l e r aus Augsburg, der gekommen war, Berlin zu erobern, und der, als er Deutschland v o r den Faschisten flüchtend verlassen mußte, an diesem Ort zu einem A u t o r von Weltgeltung geworden war.
Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
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Bertolt Brecht, Briefe 1913-1956. Berlin u. Weimar 1983, Bd. 1, s. r>9. Ebenda, S. 58. Ebenda, S. 5(i. Ebenda, S. 59. Ebenda, S. 58. Arnolt Bronnen, Tage mit Bertolt Brecht. 2 . Auflage, Berlin 1973. S. 14. Briefe des jungen Brecht an Herbert Jhering. I n : Sinn und Form. Heft 1. 1958, S. 31. Zitiert nach: Otto Friedrich, W e l t s t a d t Berlin, Größe und Untergang 1918-1933. München/Wien/Basel 1972, S. 124. Bronnen, Tage m i t Bertolt Brecht, S. 20. Bertolt Brecht, Tagebücher 1920-1922. Berlin n. W e i m a r 1976, S. 165. Brecht, Tagebücher, S. 160. — Möglicherweise hat Brecht die häufig angestellten Vergleiche zwischen Berlin und Chicago gekannt. Walter Kiaulehn berichtet von den Parallelen, die zwischen beiden Städten des öfteren gezogen worden sind: » W i e in Chicago kreuzten sich die Wege aller Himmelsrichtungen in beiden Metropolen. Der Kranz der großen Seen, die Berlin umschließen, erinnert an den Michigansee, das Ineinander von Asphalt, Parks, Flüssen, Wohnhäusern und Fabriken, von Intimität und kolossaler Monstrosität, die Neigung Berlins, sich in Vierteln voneinander abzuschließen, der ungestüme Lebensmut, ja sogar die Unterweltvereine, alles erinnert an Chicago.« Zitiert n a c h : W a l t e r Kiaulehn, Schicksal einer Weltstadt. Berlin/München 1969, S. 37. Brecht, Tagebücher, S. 162. Helga Beinmann, Berliner Musenkinder. Memoiren. Berlin 1981, S. 94. Die Wilde Bühne bestand von 1921 bis 1923. Am 16. 10. 1923 brannte der Keller des Hauses ab. Arthur R. (I. Solmssen, Berliner Reigen. Berlin u. Weimar 1984, S. 131 f. Ähnlich beschreibt auch Bronnen die Auftritte Brechts. In: Bronnen, Tage mit Bertolt Brecht, S. 14. 116
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Herbert Jhering, Der Dramatiker Bert Brecht. In: Berliner Börsen-Courier v. 5. 10. 1922. Brecht, Briefe, Bd. 2, S. 35. Monika Wyss (Dokumentation), Brecht in S . 144. Emil Faktor, Bert Brecht »Leben E d u a r d II.« I n : Berliner BörsenCourier v. 5. 12. 1924. Alfred Klaar, Leben E d u a r d des Zweiten. In: ^ ossische Zeitung v. 5. 12. 1924. Brecht. Schriften zur Literatur und Kunst, B d . I, S. 161. Ernst Schumacher, Leben Brechts in Wort und Bild. Berlin 1981, S. 45. Alfred Kerr, Bertolt Brecht »Leben E d u a r d des Zweiten von England«. I n : Berliner Tageblatt v. 4. 12. 1924. Brecht, Briefe, Bd. 1, S. 111. Klaus Völker, Bertolt Brecht. Eine Biographie. München/Wien 1976, S. 103 f. Bertolt Brecht, Mehr guten Sport. In: Schriften zur Literatur und Kunst. Bd. I. S. 65. Franz Koppen. Brechts » B a a l « . I n : Berliner Börsen-Zeitung v. 15. 2. 1926. Monty J a c o b s . Brechts » B a a l « . I n : Vossische Zeitung v. 15. 2. 1926." K u r t Arilin, Brechts » B a a l « im Deutschen Theater. I n : Tägliche Rundschau v. 16. 2. 1926. Michael Charol. Bertolt Brecht: » B a a l « . In: Berliner BörsenZeitung v. 16. 2. 1926. Ernst lleilborn, » B a a l « von Bert Brecht. In: F r a n k f u r t e r Zeitung v. 16. 2. 1926. Alfred Kerr, Bertolt Brechts » B a a l « . I n : Berliner T a g e b l a t t v. 15. 1. 1926. S c h o n 1920 hatte die Nationalversammlung ein entsprechendes Gesetz zur Filmzensur verabschiedet, dessen spätere Anwendung auf das politisch motivierte Aufführungsverbot von Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin zu zahlreichen Protesten geführt hatte. Vgl. Detlef Peukert, Der Schund- und Schmutzkampf als »Sozialpolitik der Seele«. In: Das war ein Vorspiel nur. Bücherverbren-
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nung in Deutschland 1933. Voraussetzungen und Folgen. Berlin/ Wien 1983, S. 53. J o h a n n e s W. Harnisch. Bertolt Brechts » B a a l « . I n : Der Montag v. 15. 2. 1926. Herbert Jhcring, Bertolt Brecht: » B a a l « . I n : Berliner BörsenCourier v. 15. 2. 1926. Herbert Jhcring, B a a l . I n : Berliner Börsen-Courier v. 9. 12. 1923. Herbert Jhering, B a a l . I n : Berliner Börsen-Courier v. 15. 2. 1926. Bertolt Brecht, Über eine neue D r a m a t i k . I n : Schriften zum Theater. Bd. I, Berlin u. Weimar 1964, S. 214. Bertolt Brecht, Gegen das »Organische des R u h m s « für die Organisation. I n : Bertolt Brecht, Schriften zur Literatur und K u n s t . Oesammelte Werke, B d . 18, F r a n k f u r t a. M. 1967, S. 112. Sinn und Form, 2. Sonderheft Bertolt Brecht, S. 241. Bernhard Reich. I n : Hundert J a h r e Deutsches Theater. Berlin 1983, S. 84. Brecht, Briefe. B d . 1. S. 114. E b e n d a , S. 114 f. Vgl. Manfred Voigts, Brechts Theaterkonzeptionen. E n t s t e h u n g und E n t f a l t u n g bis 1931. München 1977, S. 126. Die Geschichte des Packers Galy G a y von Bertolt Brecht. Zum Sendespiel »Manu ist Mann« a m Freitag, dem 18. 3. 1927. I n : F u n k s t u n d e v. 13. 3. 1927, S. 351. Brecht, Briefe. B d . 1, S. 134. Zitiert n a c h : Günther Rühle. Theater für die Republik, S. 840. Herbert Jhering. Berliner Dramaturgie. Berlin 1948, S. 87 f. Zitiert nach: Kurt F a s s m a n n , Brecht. Eine Bildbibliograpliie. München 1958. S. 50 f. er, »Die Dreigroschenoper«. I n : Die Rote F a h n e v. 4. 9. 1928. Paul Wiegler, Die Oreigroschcnoper. I n : B Z a m Mittag v. 1 . 9 . 1928. F r a n z Servaes, Theater a m S c h i f f b a u e r d a m m , J o h n G a y »Die Dreigrosehenoper«. I n : Berliner Lokalanzeiger v. 1 . 9 . 1928. Monty J a c o b s . Brecht-Weills »Dreigrosehenoper«, I n : Vossische Zeitung v. 3. 9. 1928. Gl, » D i e Dreigrosehenoper«. In: Neue Preußische Kreuz-Zeitung v. I. 9. 1928. Felix IJollaender, Brecht und Weill. »Die Dreigrosehenoper«. I n : 8-Uhr-Abendblatt v. 1. 9. 1928. Alfred Kerr, Brechts »Dreigrosehenoper«. I n : Berliner T a g e b l a t t v. 1. 9. 1928.
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81 Herbert J h e r i n g , Die ersten großen Premieren. I n : Berliner BörsenCourier v. 1. 9. 1928. 82 Brecht, Briefe, Bd. 1, S. 131. 83 Sergej Trctjakow, L y r i k , D r a m a t i k , Prosa. Leipzig 1972, S. 345. 84 Bertolt Brecht, Schriften zur Politik und Gesellschaft. Berlin u n d W e i m a r 1968, Bd. I, S. 57. 85 Alfred Kerr, Berliner T a g e b l a t t v. 3. 9. 1929. 86 Fritz Sternberg, Der Dichter und die Ratio. Göttingen 1963, S. 24 f. 87 Frank W a r s c h a u e r . In: Die Weltböhne v. 8. 7. 1930. 88 Völker, Bertolt Brecht, S. 161 f. 89 Alfred Durus, B r e c h t : »Die Maßnahme«. Die R o l e Fahne v. 20. 1. 1931. 90 Bertolt Brecht, Die Maßnahme. I n : Stücke. Bd. IV, Berlin u. Weim a r 1962, S. 304. 91 Georg Lukäcs, Aus der Not eine Tugend. I n : Die L i n k s k u r v e , J a n u a r 1931, S. 12., 92 Alfred Kurella, Ein Versuch m i t nicht ganz tauglichen Mitteln. In: L i t e r a t u r der Weltrevolution, Nr. 4, Moskau 193:1, S. lOOf. 93 Durus, B r e c h t : »Die Maßnahme«. 94 Ebenda. 95 Zitiert nach : W y s s , Brecht in der Kritik, S. X X I V . 96 A d a m Kuckhoff, Mann ist Mann. I n : Die Volksbühne v. 15. 1. 1928. 97 Max Osborn, » M a n n ist Mann«. Bertolt Brecht in der Berliner Volksbühne. I n : Berliner Morgenpost v. 5. 1. 1928. 98 Herbert J h e r i n g , Vom Lustspiel zur Parabel. I n : » M a n n ist Mann« von Bertolt Brecht. Theaterarbeit in der DDR. 11g. vom BrechtZentrum der DDR. Berlin 1983, S. 38 f. 99 W a l t e r B e n j a m i n , W a s ist das epische Theater? I n : Walter Benjamin, Lesezeichen. Leipzig 1970, S. 453 f. und 461. 100 Monty Jacobs, » M a n n ist Mann«. Brechts Lustspiel auf der Berliner Volksbühne. I n : Vossische Zeitung v. 4. 1. 1928. 101 Monty J a c o b s , Episches T h e a t e r ? I n : Vossische Zeitung v. 2. 1. 1931. 102 Oscar Mysing, B r e c h t : »Mann ist Mann«. I n : Kölnische Zeitung v. 11. 2. 1931. 103 Alfred Kerr, B r e c h t : »Mann ist Mann«. I n : Berliner T a g e b l a t t v. 7. 2. 1931, Abend-Ausgabe. 104 Herbert J h e r i n g , Der Kampf ums Theater. Berlin 1974, S. 225 f. 105 W a l t e r Steinthal, Brechts Mahagonny. In: 12-Uhr-Blatt v. 22. 12. 1931.
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106 E r i k Kriines, B ü h n e n v e r s u c h e . I n : D e r M o n t a g v . 17. 1. 1932. 107 L u d w i g S t e r n a u x , R o t e r T r u g , g r a u e r S p u k . I n : Berliner Lokalanzeiger v . 17. 1. 1932. 108 Alfred Kerr, B e r t B r e c h t »Die M u t t e r « . I n : Berliner T a g e b l a t t v. 18. 1. 1932. 109 F r a n z K o p p e n , »Die M u t t e r « im K o m ö d i e n h a u s . I n : Berliner Börsen-Zeitung v . 18. J a n u a r 1932. 110 M a x Hochdorf, Bert B r e c h t s episches T h e a t e r . I n : V o r w ä r t s v. 18. 1. 1932; B e r n h a r d Diebold, G o r k i u n d Co. I n : F r a n k f u r t e r Zeitung v. 24. :l. 1932; Max O s b o r n , »Die Mutter«. Politisches L e h r s t ü c k im K o m ö d i e n h a u s . I n : Berliner Morgenpost v. 17. 1. 1932. 111 Bertolt B r e c h t , A n m e r k u n g e n z u r »Mutter«. I n : S c h r i f t e n z u m T h e a t e r , Bd. I, S. 220. 112 H e r b e r t J h e r i n g , Gorki, P u d o w k i n , B r e c h t . I n : Berliner BörsenCourier v. 18. 1. 1932. 113 K. K e r s t e n , B r e c h t » D i e Mutter«. I n : W e l t a m A b e n d v. 18. 1. 1932. 114 P a u l B r a n d , B r e c h t s L e h r s t ü c k ein großer Erfolg. I n : Die R o t e F a h n e v. 19. 1. 1932. Mein besonderer Dank gilt Dr. Hugo F e t t i n g , der mich bei der Quellensuche kollegial l i n t e r s t ü t z t h a t .
»•Rundfunktheorie« und Literaturkonzept GUNNAR MÜLLER-W ALDECK
Das b e r ü h m t e » 0 seculum! 0 literae!« des Ulrich von H u t t e n beg r ü ß t e ain »Morgen der bürgerlichen Vernunft« (Brecht) nicht n u r schlechthin eine Welt im geistigen A u f b r u c h und bejubelte frenetisch neue D e n k - I n h a l t e ; unausgesprochen schloß dieser Ruf auch die Reverenz gegenüber einem neuen Medium ein, dem gedruckten Buch, ohne das solche Entwicklung u n d e n k b a r gewesen wäre. Das Ineinanderwirken von technischen Neuerungen um die »Schwarze Kunst«, politischen K ä m p f e n , Wissenschaftsentwicklung, A u t o r e n b e m ü h u n g e n , Lesebedürfnis u n d Buehm a r k t h c r a u s b i l d u n g in jenen J a h r z e h n t e n u m 1500 m u ß explosiv genannt werden. Maß- u n d einschränkungslos riß sich das aufstrebende B ü r g e r t u m um alle n u r d e n k b a r e n Stoffe, den Offizinen entquoll ein breiter Strom gedruckter P r o d u k t e — von der scharfen politisch-religiösen Schmähschrift jeglicher Couleur über die sine ira et studio erarbeitete wissenschaftliche A b h a n d lung bis zur Newen Zeittung oder dem zum »Volksbuch« trivialisierten Heldenepos. Vorbehaltlos griff m a n nach dem neuen K o m m u n i k a t i o n s i n s t r u m e n t , richtete es f ü r seine Zwecke ein und bedient6 sich seiner legal wie illegal: I m m e r h i n galt es, die Klippen der alsbald geschaffenen Zensur zu meiden. Nicht minder s v m p t o m a t i s e h stellen sich Entwicklung und A u f n a h m e eines neuen Mediums am »Abend der bürgerlichen Vernunft« in den zwanziger J a h r e n unseres J a h r h u n d e r t s d a r — die des R u n d f u n k s . Waren es im 15./16. J a h r h u n d e r t die großen Zentren wie N ü r n berg, Leipzig, Wittenberg, in denen sich der B u c h d r u c k v e h e m e n t 122
verbreitete u n d die V e r l a g e aus dem Boden schössen, so ist es nun wiederum die große S t a d t , I n d u s t r i e s t a d t , Wohn- und Arb e i t s s t ä t t e eines nach H u n d e r t t a u s e n d e n zählenden P u b l i k u m s , wo sich dieses Medium etabliert. Iiier, in der Millionenstadt Berlin, wird denn auch v o m Dachgeschoß der S c h a l l p l a t t e n f i r m a Vox. P o t s d a m e r S t r a ß e 4 a u s die erste offizielle d e u t s c h e R u n d f u n k s e n d u n g a u s g e s t r a h l t — a m 29. Oktober 1923. Schon die S t u f e n f o l g e der E i n f ü h r u n g des neuen technischen Verfahrens bis hin zur » F r e i g a b e « für zivile Zwecke ist kennzeichnend f ü r die völlig gewandelte Welt von B e d i n g u n g e n . Der F u n k entwickelte sich in Deutschland gleichsam hinter verschlossenen Türen. N a c h 1904 wurde er lediglich militärisch g e n u t z t , 1920 k a m d e r W i r t s c h a f t s f u n k hinzu, und auch sein sehließliehes Erscheinen in der Öffentlichkeit ward entschieden reglementiert. Bereits der U r v e r t r a g der Dradag1 v o m Herbst 1923 v e r o r d n e t e politische Abstinenz, und ein von den L a n d e s p a r l a m e n t e n berufener R u n d f u n k - B e i r a t suchte a b 1926 » P a r t e i p o l i t i k « a u s z u s c h a l t e n . D a ß solche F e s t l e g u n g e n rein fiktiven C h a r a k t e r besaßen, muß k a u m betont werden. D a s G e s a m t e r g e b n i s der politischen Genesis d e s R e i c h s r u n d f u n k s spricht f ü r sich: L a n g e vor d e m 30. J a n u a r 1933 h a t t e die faschistische U n t e r w a n d e r u n g dieses M e d i u m s eingesetzt, und deutliche Präferenzen in der S k a l a tatsächlicher Möglichkeiten zur politischen S t e l l u n g n a h m e h a t t e n sich herausgebildet. Abgesehen von der T a t s a c h e , daß auch der scheinbar wertfreie, »unpolitische« U m g a n g mit dem neuen I n s t r u m e n t dessen h a n d f e s t e E i n b i n d u n g in einen s p ä t k a p i t a l i s t i s c h e n K u n s t m a r k t und damit letzten E n d e s politische M a c h t a u s ü b u n g b e d e u t e t e , g a b es auch bei den »parlamentarisch kontrollierten« A u s s a g e n allmählich deutliche E i n s c h r ä n k u n g e n für die S P D ; d e r K o m m u n i s t i s c h e n P a r t e i war der R u n d f u n k ohnehin verschlossen. D a s v e r s c h ä m t e B e k e n n t n i s zu politischer N e u t r a l i t ä t v e r d e c k t jedenfalls nur m a n g e l h a f t die tatsächlichen Verhältnisse in D e u t s c h l a n d und die panische F u r c h t d a v o r , jener K l a s s e , »welche f ü r d i e dringendsten Schwierigkeiten, in denen die menschliche Gesellschaft s t e c k t , die breitesten L ö s u n g e n b e r e i t h ä l t « 2 , den Z u g a n g zum Mikrophon zu ebnen. So war denn auch im N a m e n der » Ü b e r p a r t e i l i c h k e i t « den 1924 gegründeten Arbeiter-
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radioklubs die Einrichtung eigener Sender u n t e r s a g t worden. Ein sorgfältig angewandtes System von Hindernissen u n d B r e m sungen sorgte d a f ü r — so der Gesamteindruek der R u n d f u n k g e schichte der 20er J a h r e —, d a ß ein neues Medium nicht den H ä n den einer Klasse entglitt, deren Botschaften eindeutig regressiv waren. Die F u r c h t war nicht u n b e g r ü n d e t , denn die materielle Gewalt der d u r c h den Alher gesendeten Impulse war erheblich und wird umschrieben mit den Hörerzahlen: Aus dem bescheidenen Anfang der 200 Berliner Teilnehmer von 1923 waren nach Jahresfrist in Deutschland 100000 geworden, 1927 eine Million, 1928 zwei Millionen und 1932 schließlich über vier Millionen. Die hinter diesen Zahlen verborgenen Potenzen des neuen I n s t r u m e n t s erzeugten einen w a h r h a f t e n Rausch, dem nicht n u r das »Massenpublikum« erlag, wenn es »-Musik aus der Luft« empfing; auch repräsentative Vertreter des deutschen K u l t u r lebens stimmten in den J u b e l ein und bereiteten dem Radio einen E m p f a n g , der an die I l u t t e n s c h e Eloge erinnert. Allerdings scheint liier eine U m k e h r u n g vorzuliegen, denn die euphorische Preisung gilt dem M e d i u m , die d a m i t zu verbreitenden I n h a l t e treten demgegenüber nahezu wesenlos in den H i n t e r g r u n d . Zunächst erscheint der R u n d f u n k einfach neben den anderen modernen Reizen des Berliner Großsladtlebens in den zwanziger J a h r e n , grell und unliterarisch. Die optische und akustische Reizwelle aus Reklame, Kino, Sportgroßveranstaltung, z u n e h m e n d e m Verkehrsaufkommen, Varieté- und T h e a t e r a n g e b o t e n , Zirkus u n d Tonfilm e m p f ä n g t hiereine zeitgemäße E r g ä n z u n g und a t t r a k tive V a r i a n t e : Galt die bisherige Reizflut einer gigantischen anonymen Masse, also dem Menschen als K o l l e k t i v w e s e n , w a n d t e sich der R u n d f u n k a p p a r a t an den e i n z e l n e n — wenn auch millionenfach. Dieser Gedanke ist es d e n n auch, der eine mächtige Faszination auslöste. Arnold Zweig preist 1927 nahezu verzückt den Berliner F u n k t u r m als magisches Symbol des menschlichen Geschlechts: »In deinen Rippen m ü n d e t das Industrielle des Menschen, sein technisches Genie, u n d das Ahnen des Menschen, sein d u m p f e r alldurchschauerter Sinn, zusammen in jenes Universum . . ., welches . . . sein Geheimnis nicht so streng verschließt, d a ß wir nicht m i t unseren beiden H a u p t -
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s i n n e n , d e m m a t h e m a t i s c h e n u n d d e m religiösen, d a r a n t a s t e n k ö n n e n . « 3 A l h e r t E i n s t e i n sieht d e n F u n k g a r als S t i f t e r allgemein e r Gleichheit u n d b e t o n t , » d a ß die T e c h n i k e r es sind, d i e erst w a h r e D e m o k r a t i e möglich m a c h e n , d e n n sie e r l e i c h t e r n n i c h t n u r des M e n s c h e n T a g e w e r k , s o n d e r n m a c h e n a u c h d i e W e r k e der feinsten Denker und Künstler, deren Genuß noch vor kurzem ein P r i v i l e g d e r b e v o r z u g t e n Klassen war, d e r G e s a m t h e i l zug ä n g l i c h u n d e r w e c k e n so die V ö l k e r a u s s c h l ä f r i g e r S t u m p f h e i t « ' 1 . Aus b e i d e n Z i t a t e n erhellt als H a u p t n e n n e r die V o r s t e l l u n g v o n e i n e r A r t A u t o n o m i e des H u n d f u n k s , die S e h n s u c h t n a c h e i n e m P r o d u k t m e n s c h l i c h e n Geistes, d a s bei d e r I l u n i a n i s i e r u n g d e r Well »einen g r o ß e n S c h r i t t v o r w ä r t s « 5 b e d e u t e t . W e n n im H i n t e r g r u n d dieser E r w a r l u n g s h a l l u n g noch d e u t l i c h d e r u n g e b r o c h e n e G l a u b e an die K r a f t u n d F u n k t i o n s t ü c h t i g k e i t bürgerlicher D e m o k r a t i e s t e h t , so e n t f ä l l t in a n d e r e n z e i t g e n ö s s i s c h e n W e r t s c h ä t z u n g e n d e s F u n k s a u c h diese K o m p o n e n t e : In e i n e m B u c h ü b e r d e n B e r l i n e r F u n k t u r m stellt d e r A u t o r R e f l e x i o n e n d a r ü b e r a n , d a ß m a n dieses B a u w e r k — in A n l e h n u n g a n d e n S c h l o ß p a r k v o n S a n s s o u c i — mil d e n B ü s t e n b e r ü h m t e r P e r s ö n l i c h k e i t e n s c h m ü c k e n sollte. Allerdings m a c h t e n die g e w a n d e l t e n Zeilen a n d e r e A u s w a h l k r i t e r i e n n ö t i g : W a r e n in P o t s d a m S t a a t s m ä n n e r , P h i l o s o p h e n u n d K ü n s t l e r a n g e m e s s e n , »so gehört zu d e m s c h l a n ken E i s e n g e r ü s t . . . d a s Bild d e r M ä n n e r d e r I n d u s t r i e , d e r r a s t los t ä t i g e n M ä n n e r d e r S t a d I V e r w a l t u n g und i h r e m O b e r h a u p t an d e r S p i t z e , d e r K a u f h e r r e n u n d I n g e n i e u r e u n d d a s , M i l l i o n e n heer d e r w e r k t ä t i g e n A r b e i t e r « 6 . D e r F u n k als S y m b o l u n e r h ö r t e r w i r t s c h a f t l i c h e r T ü c h t i g k e i t u n d t e c h n i s c h e r M o d e r n i t ä t : Solc h e r a r t e r h ä l t die V e r m i t t l u n g s t e c h n i k S y m b o l c h a r a k t e r , u n d •die i m p o s a n t e K o n s t r u k t i o n des in d e r G r o ß s t a d t s t a t i o n i e r t e n F u n k t u r m s t r ä g t gleichsam d i e B o t s c h a f t in sich. In d i e s e m Vers t ä n d n i s e r ü b r i g t sich die g r o ß e E i n z e l p e r s ö n l i c h k e i l eines p r o m i n e n t e n A u t o r s , d e r in d e r A t t i t ü d e eines K ü n d e r s einem h a r r e n den P u b l i k u m W i c h t i g e s v e r m e l d e t . So ist in d i e s e m n e u e n Medium der traditionelle Schöpfer von Literatur, d e r individuelle A u t o r , v o n v o r n h e r e i n a u s g e k l a m m e r t . Sicher h a t diese a n f ä n g liche » A u s p l a n u n g « des A u t o r s nicht n u r m i t d e r B l i n d h e i t des U b e r s c h w a n g e s u n d einer F e t i s c h i s i e r u n g d e r T e c h n i k zu t u n ,
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sondern auch mit einer spürbaren Zurückhaltung der »seriösen-« L i t e r a t u r gegenüber den neuen Möglichkeiten. So ist das Radio zunächst ein reines Distributionsinstrument f ü r »Fertiges« aus dem bewährten F u n d u s deutscher Dichtung, und so brilliert der S c h a u S p i e l e r in den wenigen dem dichterischen Wort gewidmeten Sendeminuten mit dem großen literarischen Fonds der Vergangenheit von Heine bis Goethe, aber natürlich auch, wie K u r t P i n t h u s berichtet, mit wirkungssicheren P r o d u k t e n zweitrangiger Autoren. 7 Freilich wird d a n n schnell — besonders im kulturellen Ballungszentrum Berlin — die vornehme Zurückh a l t u n g der Literaten überwunden, und m a n drängt dabei n i c h t nur rein pragmatisch zur »Krippe«, sondern erkennt die Möglichkeit eines außerordentlichen Resonanzgewinns. Mitte 1924 setzt im Berliner P r o g r a m m mithin auch die P r ä s e n t a t i o n lebender Lyriker ein. Vergleichsweise chancenlos bleiben zunächst der P r o s a a u t o r und der D r a m a t i k e r . Hier dominiert die Darbietungn von kurzen Werkauszügen. E r s t mit dem A u f k o m o men des »Sendespiels« ab Mitte des J a h r z e h n t s wird von »NichtLyrikern« speziell für den F u n k geschrieben, entstehen spezielle f u n k d r a m a t i s c h e A'eusehöpfungen oder Adaptionen epischer und d r a m a t i s c h e r Werke f ü r den Hörer. Brecht wird die erste Entwicklungsstufe des R u n d f u n k s , jene ohne medienspezifische literarische Bemühungen, s p ä t e r als»Stellvertreter«-Phase des R u n d f u n k s bezeichnen: das T h e a t e r , die Oper, das Konzert, die Kaffeehausmusik, die Lokalseite der Zeitungen — all das wurde imitiert, ein »akustisches Warenhaus« 8 . E r ordnet das Radio entschieden zu den M ö g l i c h k e i t e n , auf welche die bürgerliche W i r k l i c h k e i t d u r c h a u s nicht vorbereitet sei, und vergleicht es diesbezüglich mit den großen S t ä d t e n , die »einer völlig erschöpften, durch Taten u n d U n t a t e n v e r b r a u c h t e n Bourgeoisie zweifellos überraschend gekommen« 9 seien. In der Tat gehörten die G r o ß s t a d t und der R u n d f u n k z u s a m m e n , und dies nicht nur im Sinne der Distribution, d. h. der Tatsache, d a ß im R a u m Berlin bei der damaligen beschränkten Reichweite der R u n d f u n k s e n d e r die f ü r das neue Medium wichtige K o n z e n t r a tion seiner Hörer zu finden war. Hier d r ä n g t e n sich auch auf geringstem R a u m die höchst divergierenden Tendenzen des lite126
rarisehen Lebens jener J a h r e , k a m es zum frontalen Aufeinandertreffen von Kunstkonzepten, von politisch-ästhetischen S t a n d p u n k t e n und zur Bildung von Autorengruppierungen u n d Schulen. Natürlich wäre es illusionär zu glauben, die ganze Breite des zeitgenössischen politischen Kräftefeldes spiegele sich im R u n d f u n k p r o g r a m m jener J a h r e wieder. Die staatliche I n s t i t u t i o n T u n k ' t a u c h t e als »nichtbestellte Erfindung« plötzlich auf, ein I n s t r u m e n t , das die Möglichkeit bot, »allen alles zu sagen, a b e r m a n . . . h a t t e nichts zu sagen-«.10 Der Mangel a n progressiver gesellschaftlicher B o t s c h a f t veranlaßte den S t a a t s r u n d f u n k keineswegs, jenen K r ä f t e n , die f ü r ein Medium ihrer revolutionären P r o p a g a n d a k ä m p f t e n , die Mikrophone zu überlassen. Im Gegenteil: Drakonisch wurden alle Bestrebungen der Arbeiterradiobewegung u n t e r d r ü c k t . Solche gesellschaftlichen H i n t e r g r ü n d e spiegeln sich im offiziellen R u n d f u n k p r o g r a m m n u r sehr v e r m i t telt und sind vor allem aus seinem F u n k t i o n s v e r s t ä n d n i s u n d den d a m i t verbundenen Programmkonzeptionen abzuleiten. Politik sollte — wo sie nicht ganz zu vermeiden war — möglichst »unpolitisch-« einherkommen. In diesem Sinne plauderte der s t a a t lich bestellte R u n d f u n k k o m m i s s a r Bredow aus der Schule, wenn er aus der Rückschau von der Notwendigkeit sprach, den Hörer erst reif zu machen u n d ihn Schritt f ü r Schritt an Politisches im R u n d f u n k zu gewöhnen. Dabei ging m a n zweckmäßigerweise so b e d a c h t vor, d a ß m a n es weitestgehend a u s k l a m m e r t e u n d durch »Erfüllung des Verlangens nach guten u n t e r h a l t e n d e n Darbietungen« 1 1 ersetzte. In diese ausgesprochene Berühigungsf u n k l i o n gliederte sich zunächst jegliche K u n s t b e m ü h u n g auch des Berliner F u n k s ein. Neben dem beflissenen Bildungsbürger sollte auch, wie Brecht sarkastisch formulierte, der Schläfer u n t e r dem Brückenbogen »mit dem mindesten . . . , nämlich einer 'Meistersingeraufführung'« 1 2 , versehen werden. Dieser I n t e n t i o n folgend, beginnen 1923 auch besagte Lyrik-Lesungen, deren E i n seitigkeit (Heine ohne Deutschland ein Wintermärchen, Richard Dehmel ohne seine soziale Lyrik — auf Liebesgedichte reduziert) die K P D sofort zu Recht als »Politik im Interesse der bürgerlichen Gesellschaft« kritisiert. 1 3 Auf die Dauer freilich wurde klar, d a ß 127
a n der Gesamtbreite der Gegenwartsliteratur nicht ignorant vorü b e r g e g a n g e n w e r d e n k o n n t e , u n d dieser V e r p f l i c h t u n g e n t l e d i g t e m a n sich mit G e s c h i c k . B e r e i t s bei d e n A u t o r e n , d i e selbst a u s i h r e n W e r k e n lasen, fällt eine d u r c h d a c h t e » E i n b e t t u n g s s t r a t e gie« a u f : N a m e n wie W e i n e r t , M e h r i n g , Kiseli, Toller u n d Mühsani w u r d e n » n e u t r a l i s i e r t « d u r c h d i e g e h o b e n e B ü r g e r l i c h k e i t T h o m a s M a n n s u n d J a k o b W a s s e r m a n n s u n d v o r allem d u r c h d a s Meer j e n e r , d e r e n W e r k e a u c h d e n k l e i n b ü r g e r l i c h e n B ü c h e r s c h r a n k f ü l l t e n , wie M ü n c h h a u s e n , E w e r s , F u l d a , E b e r m a y e r , Vesper, E r n s t u n d W r ildgans. Die A u s w a h l w a r i n s g e s a m t ein E i n k a u f e n d e r »Arrivierten«, »akluelle(r) L e u t e , d i e a n d e r Lit e r a t u r b ö r s e h o c h n o t i e r t sind« 1 4 . D a b e i f u n g i e r t e n im G e s a m t g e f ü g e des P r o g r a m m a u f b a u s die » L i n k e n « m e h r o d e r m i n d e r a l s schillernde E x o t e n . E i n Blick auf d e n T h e m e n k o m p l e x » L i t e r a t u r u n d R u n d f u n k « in j e n e n J a h r e n b e d e u t e t d e n E i n b l i c k in eine A r t L a b o r , in dessen T ä t i g k e i t sich im Kleinen d a s g e s a i n t e l i t e r a r i s c h e L e b e n d e s Z e i t a l t e r s spiegelt. Als r e l a t i v u n e r g i e b i g stellt sich die Auff ä c h e r u n g und S y s t e m a t i s i e r u n g des ü b e r h a u p t v o r h a n d e n e n l i t e r a r i s c h e n P r o g r a m m - M a t e r i a l s d a r ; m a n e r h i e l t e eine B e s t seller-Liste. H i n z u k o m m t , d a ß f ü r die m e i s t e n d e r A u t o r e n d e r F u n k n i c h t G e g e n s t a n d t i e f e r e r R e f l e x i o n w a r : Sie s a h e n in i h m einen e i n f a c h e n M u l t i p l i k a t o r i h r e r W i r k u n g u n d d a m i t im S i n n e des B u c h m a r k t e s eine w i l l k o m m e n e W e r b e m ö g l i e h k e i t ; die R u n d f u n k h o n o r a r e selbst h i e l t e n sich in G r e n z e n . D i e g r o ß e Masse d e r im F u n k lesenden, gelesenen u n d g e e h r t e n A u t o r e n bleibt also u n t e r m e d i e n t h e o r e t i s c h e m G e s i c h t s p u n k t u n e r g i e b i g u n d h a t k a u m z u r E n t w i c k l u n g einer spezifischen R u n d f u n k k u n s t b e i g e t r a g e n . T r o t z d e m darf n i c h t u n t e r s c h ä t z t w e r d e n , d a ß a u c h eine solche P r a x i s f ü r d a s l i t e r a r i s c h e Z e n t r u m Berlin u n e r h ö r t e B e d e u t u n g h a l t e u n d seine A u s s t r a h l u n g s k r a f t e r h ö h t e . E i n m o d e r n e r D i s t r i b u t i o n s a p p a r a t s t a n d bereit, u n d w e r sich seiner b e d i e n e n wollte, m u ß t e zu d e n M i k r o p h o n e n h i n . Kein A u t o r k o n n t e es sich leisten, auf d i e D a u e r seine L e s e r - G e m e i n d e zu v e r p r e l l e n , d i e d e n F u n k m e h r und m e h r als B e s t ä t i g u n g f ü r die R i c h t i g k e i t i h r e r W a h l zu e m p f i n d e n b e g a n n . Mit Sicherheit ließe sich die Ü b e r s i e d l u n g vieler A u t o r e n in d e n 2 0 e r
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J a h r e n nach Berlin mit der hier gesteigerten Kommunikationssituation erklären, zu der der F u n k wesentlich beitrug. Einige dieser Autoren verschrieben sich auf Dauer dem Radio und arbeiteten als Journalisten und Dramaturgen am Berliner Rundfunk — etwa Arnolt Bronnen, Jochen Klepper, Hermann Kasack, andere standen als gelegentliche literarische »Zulieferer« zur Verfügung oder gestalteten selbst Autorenlesungen vor dem Mikrophon. Gerade bei der letzterwähnten Sendeform griff man seitens des Funks natürlich schon aus einfachen ökonomischen Erwägungen gern auf Berliner Autoren zurück, die am entsprechenden Programm den Hauptanteil hatten, unter ihnen Fulda, Kerr, Mehring, Klabund, Hasenclever, Kasack, Leonhard F r a n k , Wassermann, Toller, Wilhelm v. Scholz, Ringelnatz, Paul Ernst, Eggebrecht, Saiten, Huelsenbeck, Mühsam und Weinert. Neben sachlich-nüchternen Erwägungen der Autoren im Hinblick auf die Werbung für das eigene Schaffen und die direkte Ansprache des Leserpublikums verband sich für einige von ihnen die Vorstellung vom Rundfunk mit vagen Hoffnungen, überzogenen Wünschen und beträchtlichen Illusionen. So mancher erlag einer Technik-Faszination, wenn er — wie eine Umfrage des Süddeutschen Rundfunks von 1927 belegt — von einer »Welthörerschaft« über Länder- und Sozialgrenzen hinweg träumte. Tiefergehende Überlegungen zum Zusammenwirken von Literatur und Radio finden sich nur bei einer kleineren Zahl von Autoren. Dabei sollen im folgenden einige charakteristische Positionen vorgestellt werden und gleichzeitig diese verschiedenartigen Stellungnahmen zum Funk einer wesentlichen Hypothek enthoben werden, die vor allem die Sekundärliteratur konstruiert hat. Gemeint ist der v Begriff der Rundfunktheorie, der m. E . zu vorschnell und gewichtig aus jeder bei Gelegenheit des Funks angestellten Reflexion abgeleitet wurde und der insbesondere im Falle Brechts deutlich zu differenzieren ist. Vom 30. September bis zum 1. Oktober 1929 fand in Kassel zum Thema »Dichtung und Rundfunk« eine gemeinsame Tagung der »Reichsrundfunkgesellschaft und der Preußischen Akademie der Künste, Sektion für Dichtkunst« statt, deren Inhalt und Ver9
Wruck, Leben, Bd. II
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lauf symptomatisch f ü r die relative Arg- und Hilflosigkeit war, mit der sich weile Bereiche der bürgerlich-demokratischen und humanistischen Traditionen verpflichteten L i t e r a l u r der politischen und sozialen Realität in Deutschland stellten. U n t e r den etwa 30 Autoren waren u. a. Fulda, Blunck, Däubler, Bronnen, Döblin, Georg Engel, Eulenberg, Glaeser, J h e r i n g , Kasack, Lissauer, Münchhausen, P a q u e t , Ina Seidel, Wolfenstein und Arnold Zweig; also auch hier eine eindeutige Dominanz der Berliner Autoren. Von der u n t e r den Anwesenden verbreiteten Auffassung von der dienenden F u n k t i o n des R u n d f u n k s an der Dichtung, speziell an jeweils ihrer eigenen, k ü n d e t e die in einer dort u n t e r n o m m e n e n Umfrage ermittelte Tatsache, d a ß kaum einer der Anwesenden ein Radiogerät besaß. E i n G r o ß l e i l der Vorträge h a t t e mit Marktlage und Marktgerechtigkeit des F u n k s zu tun, und Arnolt Bronnen, dessen Beitrag d a n n schließlich zum politischen E k l a t der Tagung wurde, klagte in seinen E r i n n e r u n g e n : »Es g i n g . . . in Dutzenden von Reden u n d Gegenreden nur m e h r um längere Sende-Zeiten, um die Verteilung der Tantiemen-Prozente, u m die Verhökerung © ' o geistigen E i g e n t u m s . Niemand f r a g t e nach den Wünschen der nicht geladenen H a u p t - P e r s o n , nämlich des Volkes, niemand fragte nach dem Kern der ganzen D e b a t t e n , nach Sinn und Aufgabe des R u n d f u n k s überhaupt.« 1 5 Daß es sich hier um einen Normalfall kapitalistischer K u n s t m a r k t p r a x i s handelte, r ä u m t e Bronnen aus der Distanz von 25 J a h r e n ein. »Diese Dichter lebten großenteils n u r von ihrer schriftstellerischen Arbeit. Es war ein Teil ihres schweren Lebenskampfes, um bessere Honorare beim R u n d f u n k zu kämpfen.« 1 6 Damals war es f ü r den seinerzeit mit den Faschisten konform gehenden A u t o r Anlaß zu einer scharfen Kritik von rechts. U n t e r den Beiträgen sind aus heutiger Sicht jene Arnold Zweigs, Alfred Döblins sowie die besagte Bronnen-Rede besonders instruktiv. Arnold Zweig hielt in seiner Rede über Epik und Rundfunk durchaus auf »das Volk« zu, k n ü p f t e d a r a n aber keinerlei Überlegungen über neue soziale Inhalte der Literatur, sondern rein ästhetisch-abstrakte Überlegungen zur Wiederherstellung der Gestalt des »Märchenerzählers«, des großen Rhapsoden, d e r » d e n Sinn f ü r das Epische« geschaffen 130
h a b e . Die A u f n a h m e der Dichtung durch d a s Ohr, die Chance, »auf die hörende . . . P h a n t a s i e des Aufnehmenden zu wirken; sich d e m Urquell der E r z ä h l u n g e n , d e m E p i s c h e n wieder zu nähern, kurz, in einem unerhört starken Sinne f r u c h t b a r und anregend v o m Ohr her zu wirken-«, 17 hielt er euphorisch f ü r die große C h a n c e des F u n k s zur Verlebendigung des epischen Werkes. Zweig verweist auf die Beispiele seiner S c h ü t z e n g r a b e n b e k a n n t s c h a f t a u s d e m ersten Weltkrieg, Arbeiter und B a u e r n , und ihre Weise zu erzählen. A b e r es geht ihm nur u m d a s » W i e « dieser ungeschulten Erzählweise, und er fordert energisch d a s improvisierende E r z ä h l e n des A u t o r s vor dem Mikrophon. Der Dichter, durch m a n g e l n d e S e h k r a f t seit längerem an d a s D i k t a t seiner T e x t e gewöhnt, d e n k t d a b e i freilich an Autoren, » d i e i m s t a n d e sind a u s g e s a m m e l t e r Seele nach einem b e s t i m m t e n S c h e m a K a p i t e l f ü r K a p i t e l in regelmäßiger F o l g e mitzuteilen« — also im wesentlichen an sich und seine eigenen S c h a f f e n s m ö g l i c h k e i l e n . 1 8 So skurril der Vorschlag a n m u t e t , so deutlich läßt er Zweigs Einsicht erkennen, daß der F u n k mit seinen Chancen auch N o t wendigkeiten der U m s t r u k t u r i e r u n g des A u t o r - K o n s u m e n t e n Verhältnisses diktiert. Dennoch ist diese seine A u s s a g e ein p a r a digmatisclier F a l l für die D e n k u n g s a r t vieler liberal eingestellter bürgerlicher Autoren. Mit nicht zu übersehender politischer Naivit ä t k o n s t a t i e r t er z u m Schluß seiner R e d e den Widerspruch zwischen der g e f o r d e r t e n I m p r o v i s a t i o n und der Zensur und sucht ihn zu überwinden durch die harmlose B i t t e an die » H e r r e n « v o m R u n d f u n k : » S i e müßten nur in der L a g e sein, Vertrauen zu gewinnen zur Reife der Hörer und zur inneren A n s t ä n d i g k e i t der E r z ä h l e n d e n . « 1 9 Zweigs S t e l l u n g n a h m e z u m R u n d f u n k offenbart einen weiteren A s p e k t , d e r m u t a t i s m u t a n d i s auch für andere A u t o r e n zutrifft. Auf den ersten Blick m a g nach S i c h t u n g des R e f e r a t e s der Eind r u c k entstehen, ein U t o p i s t h a b e hier in k ü h n e m E n t w u r f an den F u n k einen Vorschlag herangetragen, der sich in der R e a lität nicht h a b e durchsetzen lassen, mithin sei hier also ein K o n zept gescheitert. T a t s ä c h l i c h handelt es sich j e d o c h d a r u m , d a ß Zweig u m g e k e h r t für seine ohnehin praktizierte A u f f a s s u n g v o m Erzählen eine zusätzliche Legitimierung bzw. B e s t ä t i g u n g d u r c h 9*
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die modernen Medien suchte. N u r so ist folgende Passage in seinem Vortrag zu verstehen: »Im R u n d f u n k können Sie n u r das klassische Erzählen gebrauchen, das ein Schicksal bis in seine kleinsten Verästelungen im Tone menschlich untendenziöser und unübertriebener Wortfertigkeit d e m Gehör darbietet.« 2 0 Das ist die genaue Darstellung seines Autorenselbstverständnisses, u n d hier wird deutlich, d a ß Zweigs E x k u r s zu R u n d f u n k fragen n i c h t schlechthin den A u f b r u c h zu neuen Horizonten b e d e u t e t , s o n d e r n . i n seiner Literaturkonzeption wurzelt. Das als g l ü c k h a f t e m p f u n d e n e Zusammenfallen eigener Ansichten mit den (unterstellten) zwingenden Konsequenzen technischer E n t w i c k l u n g wurde niedergeschrieben in der oben erwähnten e m p h a t i s c h e n Gruß-Adresse An den Funkturm, den Nachbarn21, ein gefühlvoll-poetischar Ausbruch, zu dem sich Brechts ein J a h r s p ä t e r entstandenes Gedicht 700 Intellektuelle beten einen Öltank an verhält wie die Parodie zur Vorlage. Selbstverständlich dürfen auch die Verweise auf das »Untendenziöse« u n d die»unübertriebene Wortfertigkeit« nicht als unwesentlich übersehen werden. Sie sind Äußerungen eines nicht-modernistischen Dichtungsverständnisses, das Experimentelles und Rationales nicht der »Dichtung«, sondern der pejorativ verstandenen Kategorie »Literatur« zuweist. 2 2 D a ß noch der greise Autor später in der D D R von dieser H a l t u n g a b r ü c k t und in seinen letzten epischen Arbeiten dem Experimentellen R a u m gibt, gehört zu den b e d e u t e n d e n Leistungen des Romanciers Arnold Zweig. F ü r den Romancier Zweig des J a h r e s 1929 h a t t e der F u n k die F u n k t i o n einer »Lautverstärkung« u n d Neubelebung des Dichterwortes. Auch die G r o ß s t a d t selbst, ohne die der R u n d f u n k nicht d e n k b a r war, f a ß t e er k a u m als politisch-soziale und ökonomische Einheit, sondern als spezifischen künstlerisch-kulturellen Resonanzraum, als »Mündung des Geistigen ins Leben« 2 3 . Gänzlich anders liegt der Fall bei Alfred Döblin, der sich auf der Kasseler Tagung ebenfalls zu Wort meldete. Diese Bemerkungen wurden d a n n später verschiedentlich als seine»Rundfunktlieorie« bezeichnet, auch von einem Autor wie Matthias Prangel, der doch gleichzeitig zu dem Ergebnis k o m m t , d a ß diese »Theorie« sich in dem erwähnten 10-Minutcn-Referat erschöpft. 2 4 Tatsächlich stellt 132
sich heraus, daß dieser kurze Beitrag eher vor einer unangemessenen Rundfunk-Euphorie warnt und eine klare Grenzziehung zwischen der modernen Epik und dem neuen Medium unternimmt. In die kurzen Darlegungen fließen wörtliche Zitate aus dem größeren Aufsatz Der Bau des epischen Werkes ein. Bevor Positionen Döblins im Zusammenhang mit dem Radio erörtert wet-den, gilt es, den fundamentalen Unterschied des Ansatzes zu dem Arnold Zweigs zu betonen. Zweigs Intentionen bleiben von vornherein »-innerliterarisch« — im Grunde ist hier ein Autor erfreut, weil sich durch ein weithin vernehmbares technisches Medium die bereits gefährdete Suggestivkraft seines traditionellen, fabelbetonten Erzählens erneuert. Für Döblin ist die Großstadt Berlin weniger kulturelle Organisationsform und »Instrument« als vielmehr soziales Phänomen, sozialer Raum, mit dem er seit früher Jugend als Großstadtbewohner und später als Kassenarzt in einem Arbeiterviertel zu tun hatte. Der Autor von Berlin Alexanderplatz thematisiert Berlin als Sonderform bürgerlich-kapitalistischer »Normalität« mit der Entfremdung und »Zernichtung« des einzelnen. »Das -Buch ist ein Monument des Berlinischen, weil der Erzähler keinen Wert darauf legte, heimatkünstlerisch, werbend zur Stadt zu stehen. E r spricht aus ihr.« 2 5 Bereits 1922 bekannte der Dichter angesichts der Frage: Hemmt Berlin das künstlerische Schaffen? »Das Ganze hat mächtig inspiratorisch belebende Kraft. Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein. Ich schwindele nicht: Diese Erregung der Straßen, Läden, Wagen ist die Hitze, die ich in mich schlagen lassen muß, wenn ich arbeite, das heißt: eigentlich immer. Das ist das Benzin, mit dem mein Motor läuft.« 2 6 Die Kasseler Tagung fand wenige Tage vor dem Erscheinen des Romans Berlin Alexander platz statt. Mit diesem Buch, das Döblins Durchbruch zum Erfolg bedeutete, war das wesentlichste Werk experimenteller Epik in Deutschland vorgelegt worden. Mit der ganz spezifischen Kombination von Montage bzw. Simultantechnik und traditionellem Mittelpunktshelden hatte der Autor hier das Modell einer Epik entworfen, die nicht nur auf originelle Weise ein »lebendiges Großstadtbild« liefern sollte, sondern entschieden unter wirkungsästhetischem Aspekt angelegt
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w a r : Hier ging es nicht m e h r um das »In-Bann-Schlagen« des Lesers durch den »epischen Rhapsoden« alten H e r k o m m e n s , sondern u m die Aktivierung des Lesers:»Der eigentliche Ort des Romans ist unstreitig die Phantasie.« 2 7 Döblin a r g u m e n t i e r t , d a ß der »heutige Roman« durch die Buchform erzeugt worden sei und kein einfacher Weg zum Ursprung des Erzählens zurückführe. In diesem Sinne weist er die Möglichkeit einer Verquickung von Epik und F u n k zurück. Lyrik und Essay sieht er als einzige Möglichkeiten einer relativ bruchlosen Verbindung. Trotzdem ist ihm der F u n k eine bedeutende Herausforderung, allerdings — aufschlußreich genug — nicht f ü r die Herausbildung einer R u n d f u n k k u n s t (die er eher beiläufig als z u k ü n f t i g e Aufgabe andeutet), sondern f ü r eine moderne zeitgemäße E p i k : »Immerhin wird liier (im R u n d f u n k — M.-W.) der L i t e r a t u r wieder die tönende Sprache angeboten, und das ist ein großer Gewinn, dessen wir uns einmal ganz bewußt werden müssen . . . Es heißt jetzt Dinge machen, die gesprochen werden, die tönen. Jeder, der schreibt, weiß, daß dies Veränderungen bis in die S u b s t a n z des Werkes hinein im Gefolge h a t . « 2 8 Auch ein weiteres »antreibendes Element« sah er im R u n d f u n k . Das Vermögen, die Kluft zwischen gehobener (»überartistischer«) L i t e r a t u r u n d jener f ü r breite Kreise der Bevölkerung zu überspannen. In Berlin Alexander platz h a t er sich selbst diesem Anspruch voll gestellt. Das Buch arbeitet merklich mit »tönender« S p r a c h e : Der G r o ß s t a d t l ä r m wird reproduziert, ausgerufene oder d u r c h P l a k a t e verbreitete Werbeslogans beherrschen neben wirklich gesprochener Sprache, dem Berlinischen, das Feld. T o n d o k u m e n t e werden neben S c h r i f t d o k u m e n t e n reproduziert, Innenschau, Bewußlseinsstrom, A u t o r e n k o m m e n t a r bis hin zur deutlich didaktischen Moderation — all das k ü n d e t davon, d a ß der A u t o r souverän mit den Medien vom Film bis zum F u n k u m g e h t und d a ß er sie mit literarischen Traditionen wie dem Expressionismus, dem Dadaismus u n d gleichzeitigen Verfahren der bürgerlichen »Moderne« (Dos Passos, Joyce) zu v e r k n ü p f e n weiß. Döblin hält das A u g e des L i t e r a t u r k o n s u m e n t e n f ü r den wichtigsten Mittler moderner Prosa. Dies mag auf den ersten Blick eine pedantische Opposition gegen Zweigs Hochschätzung des G e h ö r s sein. Bei
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näherer Prüfung ist mit der optischen Komponente der ruhiggelassen prüfende, mit Assoziationen und Reflexionen angereicherte, distanzvoll-überlegene U m g a n g des Lesers mit dem epischen W e r k gemeint. Das » l a n g s a m e Fuhrwerk der gesprochenen S p r a c h e « würde k a u m noch in der Lage sein, die Reizflut eines modernen epischen Textes, den der geübte Leser blitzschnell rezipiert, zu vermitteln. Döblin h a t die » s t u m m e « Schriftsprache des gedruckten Textes so u m g e s t a l t e t , daß es n u n m e h r auch auf toten Buchseilen so »glänzt und spritzt« (und tönt !) 2 9 wie im Leben selbst. Benjamin umschreibt diese Eigenart zutreffend mit der A n m e r k u n g : » . . . so hohe Wellen von Ereignis und R e f l e x haben selten die Gemütlichkeit des Lesers in F r a g e gestellt, so hat die Gischt der wirklichen gesprochenen Sprache ihn noch nie bis auf die Knochen d u r c h n ä ß t . « 3 0 Ohne Zweifel mcinl dieses Bild des »Durchnässens« nicht ästhetische R a u s c h z u s t ä n d e ob der T e x t q u a l i t ä t , sondern Betroffenheit hinsichtlich der im W e r k aufleuchtenden Wirklichkeit. Döblin hat insbesondere mit Berlin Alexander platz eine bahnbrechende und folgenreiche epische Leistung vorgelegt, obwohl der von ihm geführte F r a n z Biberkopf keineswegs zum Revolutionär wird. Im Gegenteil: Die S e h l u ß w e n d u n "o des Buches l ä ß t o eher an die Entrückung des Helden in höhere Gefilde denken. Döblins Buch weist über übliche S y m p t o m k e n n z e i e b n u n g hinaus ('sozialer Roman') und bringt partiell die monopolkapitalistische Welt der Tatsachen und W e r t e »zum Tanzen«. Dies macht die enormen politisch-gesellschaftlichen Valenzen seines W e r k e s aus, die auch in der Theorie anklingen. Hier werden sie allerdings ersl spürbar, wenn m a n den Bezug zum R o m a n - S c h a f f e n herstellt. Döblin gehört — ohne selbst Marxist zu sein — zu den S t a m m vätern eines »historisch-funktionalen« L i t e r a t u r v e r s t ä n d n i s s e s und h a t insbesondere der sogenannten »materialästhetischcn« Linie der sozialistischen Kunst erheblich vorgearbeitet, auch wenn er sich d u r c h a u s nicht als politischen Autor begriff. Diesen T a t bestand umschreibt Brecht in einem Brief an Döblin vom Okiober 1928: »Ich habe i m m e r gewußt, daß die Art Ihrer Dichtung e t w a d a s neue Weltbild ausdrücken kann, aber jetzt wird es auch noch klar, d a ß sie gerade jenes Loch ausfüllt, das durch die jetzige m a r 135
xistische Kunstauffassung gebildet wird!« 3 1 S p ä t e r wird sich Brecht gar als »Exploiteur« Döblins bezeichnen. 3 2 Zweig wie Döblin nutzen die Kasseler Rundfunk-Tagung, wie deutlich gemacht werden konnte, zur Artikulierung ihrer L i t e r a t u r - K o n z e p t i o n und keineswegs als Medientheoretiker. Trotzdem ist bezeichnend, daß der F u n k eine Literaturdiskussion provozierte, in deren besten Beiträgen, vermittelt über ästhetische Begrifflichkeit, gesellschaftliche Funktionsfragen von Kunst erörtert wurden. Einen eigenen literarisch-praktischen Beitrag zur Herausbildung einer neuen rundfunkspezifischen Kunst (gemäß ihren theoretischen Äußerungen) leisteten weder Zweig noch Döblin. Solches lag offensichtlich jenseits ihrer künstlerischen Interessenlage — ihre Domäne bleibt nach wie vor das durch den Buchdruck verbreitete literarische Wort. Da, wo beide tatsächlich Berührung mit der literarischen Programmarbeit des Funks haben, verfahren sie eher konvenlionell im Sinne vorgelesener literarischer »Einlagen«. 3 3 Auffällig ist vor allem, daß sich weder in Zweigs Ausführungen noch in der Rede Döblins umfassendere Hinweise auf das Hörspiel finden, immerhin jene Kunstform, die sich schließlich als einzige der spezifischen Formen einer Rundfunkkunst durchgesetzt hat. Dafür fühlten sie sich als »Schriftsteller«, nicht »Sprachsteller« 3 4 erklärtermaßen kaum zuständig. Ein »zuständiger« Autor ergriff am letzten Tag in Kassel das Wort. E r war Praktiker des von ihm selbst mit aus der Taufe gehobenen »Hörspiels«, das sich aus den Anfängen des »Sendespiels« entwickelt hatte, und Organisator rundfunkliterarischer Arbeit überhaupt: Arnolt Bronnen. Als erfolgreicher Theaterautor, der sich mit etlichen seiner Produktionen den Faschisten als Parteigänger empfohlen hatte, war er im Oktober 1928 — theatermüde — zum Rundfunk gewechselt und spielte hier eine zwielichtige Rolle. Einst Intimus von Bertolt B r e c h t , der ihn bereits 1923 im letzten an ihn gerichteten Brief mit leisem ironischem Unterton nach Hitler fragte, verfiel er Ende der 2 0 e r J a h r e weitgehend dem F a schismus. Später in seiner Autobiographie wird er in einem kritischen Selbstverhör formulieren: »Sie verließen sich in allem auf
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die Impression, auf das Gefühl, auf den subjektiven Geschmack. In nichts trieben sie eine exakte, zuverlässige Analyse . . .« 3 5 Bronnen k a n n u m 1930 als paradigmatischer Fall f ü r einen s t a n d punktlosen Künstler gelten, der aus einer Art »instinktiver« Opposition gegen »Lauheit«, »Kitsch-« und »Verlogenheit« 3 ® den Nationalsozialismus f ü r eine Alternative hielt und in der R u n d f u n k p r a x i s der 20er J a h r e die e x t r e m rechte Begrenzung der Gesamtskala an H a l t u n g e n bildete. Auch wenn er sich in seinen Erinnerungen (und in seiner damaligen D r a m a t u r g e n p r a x i s ) als Mann des »fairen« Ausgleichs zwischen »links« u n d »rechts« sah, wurde er eindeutig zum a k t i v e n Wegbereiter faschistischer R u n d f u n k p o l i t i k . Sein Wirken als R u n d f u n k d r a m a t u r g u n d sein rechtsradikales A u t r e t e n in Kassel läßt Beiträge und H a l t u n g e n selbst von Autoren wie Zweig u n d Döblin, die noch immerhin zu den Lheoretiscli f u n d i e r t e s t e n Sprechern der literarischen Szene in Deutschland gehörten, in tragischem Licht erscheinen: Solchera r t unverhohlene politische K o n f r o n t a t i o n waren sie nicht gewöhnt, ihr waren sie nicht gewachsen. Entsprechend hilflos m u t e t d e n n auch Döblins P r o t e s t gegen Bronnens Referat a n : »Hier d u r f t e von politischen Dingen nicht gesprochen werden. Dies ist eine Arbeitstagung . . . Auf einer Arbeitstagung, bei einem R e f e r a t über das Hörspiel, war die Rede unerlaubt«. 3 7 Diese Replik, die der Brechtschen Intellektuellen-Satire des T u t - R o m a n s e n t n o m m e n sein könnte, belegt, d a ß nicht einmal in dieser späten S t u n d e der Weimarer Republik die faschistische Gefahr e r k a n n t wurde. Selbst Bronnens A u f t r e t e n , das im Zusammenhang mit seiner d a maligen G e s a m t h a l t u n g beispielhaft das Eindringen einer reaktionären Kunstkonzeption in das scheinbare politische V a k u u m der Medienpraxis belegt, wurde nicht i n h a l t l i c h als politisch reaktionäre und offen faschistische Infamie zurückgewiesen, sondern als Formfehler auf einer »Arbeitstagung«. Döblin: » W ü r d e Herr Bronnen in einer politischen Versammlung so gesprochen haben, h ä t t e n wir ihn anhören müssen.« 3 8 Was h a t t e Bronnen in seinem n u r 75 Druckzeilen u m f a s s e n d e n Beitrag geäußert? Der (namhafte) Dramatiker, durch D r a m a t u r genvertrag beim R u n d f u n k in jeder Weise gesichert, sieht in ignoranler Verkennung der K u n s t m a r k t p r a x i s (Der S t a a t s r u n d -
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f u n k w a r f ü r viele K ü n s t l e r eine n i c h t zu u n t e r s c h ä t z e n d e , w e n n auch k a u m reichhaltige Quelle von Nebeneinnahmen!) den F u n k als h e h r e s » I n s t r u m e n t d e r G e d a n k e n d e r N a t i o n « 3 9 u n d weist mit d e m a g o g i s c h e r G e s t e die u. a. v o n i h m selbst g e ü b t e P r a x i s der K u n s t a u f t r ä g e zurück mit der Begründung, der R u n d f u n k sei k e i n e » V e r s o r g u n g s a n s t a l t f ü r a u s g e d i e n t e Literaten«40. »Jede Kunst m u ß ihren Antrieb haben aus dem Unendlichen« u n d d ü r f e n i c h t »fern . . . j e d e m g ö t t l i c h e n S t r o m e n t s t e h e n « . B r o n n e n schloß seine R e d e m i t einer r h e t o r i s c h e n Schleife, in d i e er gängiges f a s c h i s t i s c h e s V o k a b u l a r e i n f l o e h t : » D e r R u n d f u n k ist h e u l e die g r ö ß t e M a c h t f ü r alle K ü n s t e des W o r t e s . Diese Macht ist wesenlos, ein s c h l o t t e r n d e r S c h e m e n , d e r sich d r a h t l o s v e r b r e i t e t . Diese Macht m u ß erfüllt w e r d e n . Sie m u ß erfüllt werden vom Geiste, d e r a u s s t r ö m t , v o m V o l k e , ' d a s e m p f ä n g t . In einer Zeit, die v e r w o r r e n ist bis z u r l e l z l e n S c h r a u b e , die k e i n e r b r a u c h e n k a n n , in e i n e m L a n d , in d e m sich eine s c h a m l o s e Z u n f t v e r a n t w o r t u n g s l o s e r , d e m eigenen Volk e n t f r e m d e t e r , k e i n e r Rasse, k e i n e r L a n d s c h a f t v e r h a f t e t e r L i t e r a t e n breit m a c h t , . . . m ö g e n M ä n n e r a u f s t e h e n , die diese Macht l e b e n d i g m a c h e n v o n i n n e n h e r a u s : im D i e n s t e d e r N a t i o n . « 4 1 D a s Kasseler A u f t r e t e n B r o n n e n s w a r kein s p o n t a n e r A u s b r u c h in R i c h t u n g f a s c h i s t i s c h e r Ideologie, s o n d e r n logisches R e s u l t a t eines e i g e n a r t i g e n B a l a n c e a k t e s zwischen d e n politischen F r o n t e n , d e n dieser A u t o r schon l ä n g e r e Zeit p r a k t i z i e r t e . I m L i c h t e dieser Z w i e s p ä l t i g k e i t stellte sich ü b r i g e n s aucli d i e A r b e i t des R u n d f u n k d r a m a t u r g e n B r o n n e n d a r , d e r seine a l t e n »linken S y m p a t h i e n « vergleichsweise lange n e b e n d e m » n a t i o n a l s o z i a l i s t i s c h e n I d e e n g u t « w i r k e n ließ. »Ich s u c h t e K o n t a k t m i t d e n M e n s c h e n , a u s d e r e n W e r k e n ein e n t s c h i e d e n e r Wille s p r a c h . Ich n a h m W e r k e v o n i h n e n a n , n o c h lieber, g a b i h n e n H ö r s p i e l - A u f t r ä g e , m o c h t e n sie n u n J o h a n n e s R . B e c h e r , A l f r e d W o l f e n s t e i n , G ü n t h e r W e i s e n b o r n o d e r E b e r h a r d W o l f g a n g Möller, F r i e d r i c h B e t l i g e h e i ß e n . D a n e b e n s u c h t e ich a u c h Edleff K o p p e n zu beeinflussen, in seiner l i t e r a r i s c h e n A b t e i l u n g d e n n e u e n S t r ö m u n g e n auf d e r r a d i k a l e n R e c h t e n m e h r P l a t z i m P r o g r a m m zu gewähren«.' 4 2 E s ist h i e r n i c h t d e r P l a t z , B r o n n e n s s p ä t e r e P r o g r a m m - P o l i t i k i m einzelnen d a r z u s t e l l e n . I m m e r h i n sei d e r m e r k w ü r d i g e H ö h e -
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p u n k t dieses seines Willens z u r » E n t s c h i e d e n h e i t « v e r m e r k t : In e i n e r D i s k u s s i o n s s e n d u n g b r a c h t e er es f e r t i g , E r w i n P i s e a t o r u n d J o s e p h G o e b b e l s gleichzeitig a u f t r e t e n zu lassen. D a s Beispiel B r o n n e n ist im Z u s a m m e n h a n g m i t d e m F u n k kein beliebiges. E r w a r als E r f o l g s a u t o r u n d » M a n n v o m F a c h « ein S c h r i f t s t e l l e r v o n e r h e b l i c h e r A u s s t r a h l u n g , d e r a u c h d i e » R u n d f u n k k u n s t « d u r c h sein H ö r s p i e l s c h a f f e n n i c h t u n w e s e n t lich g e f ö r d e r t h a t . So w u r d e sein Hörspiel n a c h Kleists Michael Kohlhaas 1928 zu e i n e m g r o ß e n E r f o l g des j u n g e n d e u t s c h e n R u n d f u n k s . D a s W e r k , im w e s e n t l i c h e n »Dienst an d e r D i c h t u n g « Kleists u n d d e m Original w e i t g e h e n d folgend, fällt i n s b e s o n d e r e d u r c h eine E p i s i e r u n g s t e c h n i k a u f , die selbst einen B r e c h t inspir i e r t e . 4 3 ' A n f r a j j e r ' u n d ' A n s a g e r ' , die k o m m e n t i e r e n d zwischen d i e D i a l o g - P a r t i e n g e s c h a l t e t sind, e n t z i e h e n d e n »Spielszenen« j e d e n a t u r a l i s t i s c h e A t m o s p h ä r e u n d verleihen d e m d r a m a t i s c h e n A u f b a u n a c h B r o n n e n s eigenen W o r t e n j e n e » D o p p e l s c h i c h t i g k e i l « , d i e » z w a n z i g J a h r e s p ä t e r g r o ß e Mode d e r t r a n s a t l a n t i s c h e n P r o d u k t i o n g e w o r d e n « i s t / ' 4 I m ü b r i g e n f ü g t sich d e r Kohlhaas w e n i g e r d u r c h f a s c h i s t i s c h e A t t i t ü d e d e n n als D o k u m e n t » e n t s c h i e d e n e n Willens« in d a s B r o n n e n s e h e G e s a m t p r o g r a m m . E s ist a u c h i n s o f e r n ein » e c h t e r B r o n n e n « , als es die Linie d e r i n d i v i d u ellen R e v o l t e f o r t s e t z t , auf d i e d e r a u s dein linken E x p r e s s i o n i s m u s k o m m e n d e A u t o r l a n g e e i n g e s c h w o r e n w a r . Diese K o n i p o l i e n t e seines S c h a f f e n s u n d seiner politischen H a l t u n g e r m ö g l i c h t e i h m d a n n 1940 eine s p ä l e , a b e r e n t s c h i e d e n e L ö s u n g v o m F a s c h i s m u s u n d f ü h r t e d e n b e r e i t s 1937 a u s d e r R e i e h s s c h r i f t t u m s k a m m e r a u s g e s c h l o s s e n e n u n d mit B e r u f s v e r b o t b e l e g t e n A u t o r 1943 a n die Seile des a n t i f a s c h i s t i s c h e n W i d e r s t a n d e s in Ö s t e r reich. Die b e d e u t e n d s t e S t e l l u n g n a h m e zu t h e o r e t i s c h e n P r o b l e m e n d e s R u n d f u n k s in den z w a n z i g e r J a h r e n s t a m m t zweifellos v o n B e r t o l t B r e c h t , d e r e b e n f a l l s ein k l a r politisch i n t e n t i o n i e r t e s P r o g r a m m mit d e m neuen Medium verband, allerdings — im d i a m e t r a l e n G e g e n s a t z zu B r o n n e n — ein r e v o l u t i o n ä r e s . B r e c h t w a r n i c h t T e i l n e h m e r des Kasseler G e s p r ä c h s , u n d es s t e h t s e h r in F r a g e , ob er es ü b e r h a u p t z u r K e n n t n i s g e n o m m e n
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h a t . Seine Bemerkungen ü b e r den F u n k — fünf teilweise beiläufige Aufsätze, alle zu konkreten Anlässen v e r f a ß t — finden sich in den Schriften zur Literatur und. Kunst z u s a m m e n g e f a ß t u n t e r der n i c h t authentischen Überschrift Radiotheorie.45 Inzwischen sind einige p r o f u n d e Untersuchungen des Gegenstandes erschienen, die sich ebenfalls des Terminus »Radiotheorie-« bedienen. Nun soll dieser Begriff hier keineswegs völlig in Zweifel gezogen werden, d e n n u n t e r allen Reflexionen über Möglichkeiten u n d Notwendigkeiten des neuen Mediums in den zwanziger J a h r e n sind B r e c h t s zwischen 1927 u n d 1932 erschienene Äußerungen wohl die tiefgründigsten. Allerdings sollte der Begriff insgesamt m i t Vorsicht b e n u t z t werden, k a n n er doch leicht dazu v e r f ü h r e n , hier ein autonomes medientheoretisches System zu v e r m u t e n bzw. in die vergleichsweise sparsamen Äußerungen hineinzuprojizieren. Auf die Gefahr der Überbewertung der R u n d f u n k - A u s sagen B r e c h t s h a t J a n Knopf kürzlich hingewiesen u n d sich insbesondere skeptisch zu Versuchen geäußert, innerhalb der bezeichneten fünf J a h r e bei B r e c h t noch allzu sauber zwei sich ablösende Entwicklungsphasen herauszupräparieren. 4 6 Solches u n t e r n e h m e n P e t e r Groth u n d Manfred Voigts in ihrer im übrigen verdienstvollen Untersuchung. 4 7 So schlagen sie Brechts Junges Drama und Rundfunk von 1927 4 8 relativ unbesehen einer ungebrochen neusachlichen Position zu, die d a n n später in seiner Rede über die Funktion des Rundfunks (1932) ü b e r w u n d e n worden sei. Der Mangel ihrer (wie auch der meisten anderen) Untersuchungen zu diesem Problemkreis besteht in der isolierten Betrachtung seines »Funk-Verständnisses«. Auch hier erhellen die wesentlichen H i n t e r g r ü n d e und der Stellenwert so m a n c h e r B e m e r k u n g erst aus der E i n b e t t u n g in die Grundlinien des damaligen G e s a m t konzepts u n d nicht etwa n u r des T h e a t e r k o n z e p t s bei B r e c h t . Aus dieser Perspektive wird ihre strategische Anlage deutlich u n d erscheint der Gegenstand »-Funk« wenn nicht unwichtig, so doch wesentlich beiläufiger u n d a n d e r e m zugeordnet. Wenn a m 2. 1. Medium Illusion.
B r e c h t sich in Junges Drama und Rundfunk, erschienen 1927 in der Funkstunde, relativ vorbehaltlos dem neuen n ä h e r t , d a n n k a u m aus a b s t r a k t e r »neusachlicher-« Es war eine radikale Suche n a c h neuen P u b l i k u m s -
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brücken ohne den bei seinem apodiktischen Gestus leicht zu unterstellenden Theorie-Anspruch. Es ist der gleiche Überdruß gegenüber dem Theater-Publikum und der Institution Theater überhaupt, wie er sich damals auch bei Bronnen zeigte. Dieser hatte formuliert: »Ich sah sogleich, daß der Rundfunk dort lag, wo ich, von den Küslen des Theaters wegsteuernd, Land vermutete. Dort war unbegrenztes, täglich wachsendes Publikum. Dort war Bildungshunger, Aufnahme-Fähigkeit, echte Gläubigkeit. Dort war Kontakt mit den Massen, mit dem Volk.« 49 Brecht nähert sich dem Funk rationaler. Er will offenbar aus sachlichen Erwägungen in diesen noch keineswegs bürokratisch verfestigten Apparat einrücken und schreibt taktisch-ermunternd, denn er weiß: Sein Sprachrohr, die Zeitschrift Funkstunde, ist Rundfunkorgan, und seine Leser sind potentielle Hörer. So gibt es für beide Seiten Vorschuß-Lob: »Man kann sagen, daß von Seiten des Rundfunks Mut n ö t i g ist, sich mit Kunst zu befassen. Aber wenn diese großen, unbelasteten neuen Institutionen keinen Mut hätten, wer sollte dann Mut haben?« und »Die Masse wird gewöhnlich für zu dumm gehalten. Sie ist nicht dumm . . . Aber auf was Kunst immer angewiesen sein mag, auf ästhetische Vorbildung ist sie nicht angewiesen. Und was immer nötig ist, Kunstwerke zu machen, sie aufzunehmen, genügt naives Gefühl.« 50 Daß Brecht hier s e i n e n Kunstbegriff meint, den er seil Mitte der 20er Jahre nach völlig neuen Kriterien und in aller Breite des Ansatzes zu entwickeln im Begriff war, steht außer Frage. Bereits hier müssen zwei grundsätzlich unterschiedliche Gesichtspunkte Brechts im Hinblick auf die Rundfunkkunst betont werden, wie sie dann expressis verbis im gleichen J a h r in seinen Vorschlägen) für den Intendanten des Rundfunks auftauchen. Zum einen denkt er an die eher im Traditionellen wurzelnde literarische »Zulieferfunktion« des Autors, für die »nur die allerbesten Leute herangezogen werden sollten« 51 . (Daß er hier mit seiner Macbeth-Fassung [Sendung: 14. 10. 1927], seiner HamlelBearbeitung [30. 1. 1931], der Mann ist Maren-Inszenierung [18. 3. 1927] und dem Lindbergh-Flug [18. 3. 1930] für das Literaturprogramm des Berliner Senders Wesentliches geleistet hat, ist mehrfach untersucht worden.) 141
Zum anderen schwebt ihm insgesamt die Nutzung des neuen Mediums als e i n I n s t r u m e n t vor, der Wirklichkeit in neuer Weise nahezukommen. Bei letzterem k n ü p f t er eher an der »unliterarischen« Seile des F u n k s an, insbesondere an sein Vermögen, schnelle I n f o r m a t i o n f ü r breite Hörerschichten zu liefern und mit A u t h e n t i z i t ä t gesellschaftliche Vorgänge reproduzieren zu können. Die Aufforderung an den I n t e n d a n t e n , zu versuchen, »aus dem Radio eine wirklich demokratische Sache zu machen« 5 2 , ist dabei taktisches Kaschieren der Absicht, die bürgerlichen Verhältnisse zur Selbstenthüllung zu treiben: E r schlägt die Reichstagssitzungen, die großen Prozesse und Interviews m i t Abgeordneten als F u n k - P r o j e k t e vor. Daß dies nicht naive T r ä u m e eines Weltfremden sind, sondern handfeste politische H e r a u s f o r d e r u n gen der neuen Institution, liegt auf der H a n d . E r n s t h a f t zu verwirklichen sucht er solche Prinzipien seinerzeit in der Epik. Eine Tatsachenliteratur, bei der der wache und sorgsam beobachtende Leser die »inside-Story« zu erschließen h ä t t e , schwebt ihm vor. Im Brecht-Archiv liegt das vermutlich 1929/30 entstandene F r a g m e n t Tatsachenreihe, in dem ein pensionierter Oberstaatsanwalt sich über die bürgerliche Justiz erhebt und auf eigene Faust Verbrechen aufklärt, jenseits aller »konstruktionen rechtlicher oder weltanschaulicher art« 53 . Seine H a u p t m e t h o d e ist die der F o t o d o k u m e n t a t i o n . Zu den sorgsam z u s a m m e n g e t r a genen Fotos k a n n er — durch lange Ü b u n g geschult — spielend die Hintergründe erschließen. Diese Methode h a t er so vervollk o m m n e t , d a ß er »selbst aus bildern, die ihm . . . in illustrierten Zeitungen vor äugen kommen«, ergiebige »aufsclilüsse gewinnt« 5 4 . In dieser kleinen Episode steckt bereits modellartig die Auffassung von der Selbstentäußerung der herrschenden Verhältnisse bzw. das Streben nach einer Methode, aus den unkaschiert d o k u m e n tarisch erfaßten Erscheinungsformen der bürgerlichen Welt o t? auf ihr Wesen schließen zu können. Ganz in diesem Sinne h a t t e er bereits 1926 die »ganz unkontrollierbaren r o m a n h a f t e n Erzeugnisse unserer Dichter, in denen nichts Photographierbares steckt«, attackiert. 5 5 Daß in dieser Konzeption Impulse d e r » N e u e n Sachlichkeit« stecken, soll keineswegs geleugnet werden. Aber sie h a t t e nie ganz von ihm Besitz ergriffen (wie in der S e k u n d ä r 142
l i t e r a t u r gern b e h a u p t e t ) und b r a u c h t e nicht in einer folgenden »Phase« überwunden zu werden. Der Nachweis entsprechender H a l t u n g e n in der D o k u m e n t a t i o n des Dreigroschenprozesses von 1931 u n d später spricht jedenfalls f ü r sich. Hier ruft er nachgerade dazu auf, daß »Gerichtsprozesse dazu verwertet werden, die tieferen, unmerklicheren sozialen Prozesse, die sieh ständig abspielen und die bürgerliche Praxis bilden, ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu ziehen« 56 . Im Sinne dieser Auffassung spricht er v o n d e r Not wendigkeil»soziologischer Experimente« und b e t o n t : E s sind Diskussionsmethoden nötig, die in größerem Maße kollektiven Denkprozessen gleichen. Aber es wird von größter Wichtigkeit sein, d a ß d a n n die Gegenstände jeweils lebend a u f t r e t e n , in möglichst voller F u n k t i o n und nicht tot oder doch aus dem Produktionsprozeß (etwa zum Zwecke des Betrachtens) ausgeschaltet.« 5 7 Der letzte Passus ist von außerordentlicher Wichtigkeit: Brecht strebt nach einer Art Vivisektion der kapitalistischen Wirklichkeit, nach der dialektischen Analyse des lebenden Organismus. Zur Bewältigung er n u n kei© W O dieser Aufgabe © cgedachte 5 neswegs, die Teilkomponente ' L i t e r a t u r ' neben der Teilkompon e n t e 'Wissenschaft' heranzuziehen, sondern ging eher von der Vorstellung eines Gesamtkomplexes gesellschaftlicher K o m m u n i kation aus, bei dem sich die Einzelelemente d u r c h d r a n g e n u n d gegenseitig bereicherten. Ob dieser Gesamtprozeß d a n n noch m i t dem Begriff ' L i t e r a t u r ' zu fassen gewesen wäre, d ü r f t e B r e c h t eher gleichgültig gelassen haben. E r h ä t t e , wie vielen Indizien zu e n t n e h m e n ist, eher von einer Art universellem A p p a r a t e System zur »folgenreichen« Durchleuchtung von Gesellschaftss t r u k t u r e n gesprochen; Stichworte wie »Herstellung von Dokumenten«, d i e » K u n s t der Beobachtung«,»Mensch nicht als Medium sondern als Objekt«, »Held als Schauplatz von Widersprüchen« deuten in diese Richtung. F ü r die p r o d u k t i v e Einschaltung eines 'ästhetisch nicht vorgebildeten' Rezipienten bestünde bei diesem weitgreifenden Kunstverständnis in der T a t kein Problem. In diesem Sinne sollte auch der F u n k also mehr den »gesunden Menschenverstand«, das durch die Klassenlage geschulte Urteilsvermögen ansprechen als einen subtilen K u n s t v e r s t a n d . 143
Es nimmt nicht wunder, daß B r e c h t von dieser Position aus letztlich auch die Versuche seiner kommunistischen bzw. linksbürgerlichen Kampfgefährten Wolf und Piscator zurückwies, die bestrebt waren, die Szene zum politischen Tribunal zu machen. Die Elemente traditioneller ästhetischer Systeme in deren Kunstkonzeption erschwerten seiner Auffassung nach den Blick auf die Realität. Sie vermochten — wie die Aufführungspraxis belegte — zwar Gefühle zu mobilisieren, gaben aber ihrem Publikum nach Brechts Verständnis zu wenig handhabbares Material und methodisches Instrumentarium für die »folgenreiche« Verständigung über den Klassenkampf auf den Weg. E r s t die Zusammenschau der damaligen Brechtschen Vorstellungen in den verschiedensten Bereichen, wie sie hier nur in Grundzügen unternommen werden konnte, ermöglicht denn auch die Einschätzung jener Positionen, die B r e c h t in seinem letzten Rundfunk-Aufsatz Der Rundfunk als Kommunikationsapparat (1932) bezieht. Über diesen T e x t wurde ebenfalls vorschnell theoretisiert und — abstrakt genug — befunden, B r e c h t entwerfe hier seine Radiotheorie als ein »Revolutionsmodell«. 5 8 Der durch die Lehrslück-Praxis gegangene Autor, längst auf dem Weg zu einem neuen, dem proletarischen Publikum oder richtiger: Partner seiner kunstpädagogischen Bemühungen, provoziert hier im Grunde eine bürgerliche Institution, deren Beruhigungsfunktion er herausstreicht und durch den herausfordernden Vorschlag attackiert, den F u n k aus einem »Distributionsapparat« in einen »Kommunikationsapparat« umzuwandeln. Dies hatte er soeben mit den Lehrstücken für das Theater getan und wußte längst, daß dem bürgerlichen Schauspielhaus zu diesem Zweck der Rücken gekehrt werden mußte. In diesem Sinne sind seine »Anregungen« für die Rundfunk-Gewaltigen lediglich sarkastisch zu verstehen, und er treibt diesen Gestus auf die Spitze, wenn er seinen »Zuhörern« sagt: »Sollten Sie dies für utopisch halten, so bitte ich Sie, darüber nachzudenken, warum «s utopisch ist.« 5 9 Klartext erscheint in den letzten Sätzen : »Durch immer fortgesetzte, nie aufhörende Vorschläge zur besseren Verwendung der Apparate im Interesse der Allgemeinheit haben wir •die gesellschaftliche Basis dieser Apparate zu erschüttern, 144
ihre
Verwendung
im
Interesse der wenigen zu diskutieren.« 6 0
E s ist sofort zu erkennen, daß es sieh dabei weniger um eine »•Rundfunktheorie« als vielmehr um die Vorführung einer Methodik revolutionärer P r o p a g a n d a handelt. Freilich boten ihm die modernen »Apparate« wie Film und F u n k als D e m o n s t r a t i o n s o b j e k t e
einen deutlichen Vorteil gegenüber
der durch traditionelle und »verschlissene« Sichtweisen vorbelasteten L e s e - L i t e r a t u r : Modernität und Botschaftslosigkeil standen
hier als S y m p t o m f a l l
bürgerlicher
Kunst auf
besonders
instruktive Weise g e g e n ü b e r ! Durch seine provozierenden Vorschläge will B r e c h t den Apparat in seiner Hilflosigkeit entlarven und ihn zwingen, seine eigene Basis zur Disposition zu stellen. (In diesem Zusammenhang sei auf das etwas später e n t s t a n d e n e Gedicht Die unbesiegliche
Inschrift
verwiesen, dessen C h a r a k t e r
als gleiehnishafte »Methoden-Lehre« in seinem Titel
Propaganda
deutlich zu T a g e t r i t t ! )
Die
ursprünglichen Konfrontation
mit der radikalsten ( = nicht integrierbaren) V a r i a n t e bedrängt das etablierte S v s t e m stärker als der Versuch einer Mobilisierung »von innen heraus«, durch t a k t i s c h e Anpassung. R a d i k a l e V a r i a n ten in diesem Sinne waren auch seine letzten Hörspielunternehmungen. Die heilige
Johanna
der Schlachthöfe
h a t t e auf den B ü h -
n e n des präfaschistischen Deutschland bereits k e i n e C h a n c e mehr. D a ß am 1 1 . 0 4 . 1 9 3 2 unter der Regie Alfred Brauns noch eine F u n k Inszenierung unangefochten ü b e r den Sender gehen k o n n t e , gehört wohl nicht nur zu den glücklichen Zufällen, sondern ist offenbar auch der speziellen Berliner Situation geschuldet. W a r e n in der »Provinz« die Würfel schon endgültig gefallen und angesichts der nazistischen Durchsetzung des Verwaltungsapparates linke K u n s t konzepte absolut chancenlos, k o n n t e sich das spannungsreiche Gegeneinander der verschiedenen politischen Frontierungen in der » R e i c h s h a u p t s t a d t « länger halten und eine völlige »Gleichschaltung« erst mit dem M a c h t a n t r i t t der Nazis durchgesetzt werden. Auch mit diesem S t ü c k leistet B r e c h t keine literarische »Zulieferung«üblicher Art, sondern entlarvt ideologische Beruhigungsstrategien
der Herrschenden.
D a ß er sein zu solchem
Zweck
entwickeltes Modell des epischen Theaters gewissermaßen als »Sofort inaßnahme« auch im F u n k für praktikabel hält, wird in seinem 10
Wruck, Leben, B d . I I
145
Aufsatz nachdrücklich hervorgehoben. »Die epische D r a m a t i k mit ihrem N u m m e r n c h a r a k t e r , ihrer T r e n n u n g der Elemente, also des Bildes vom W o r t u n d der W ö r t e r von der Musik, besonders aber ihre belehrende H a l t u n g , h ä t t e f ü r den R u n d f u n k eine U n m e n g e praktischer Winke.« 6 1 Zugleich w a r n t er jedoch davor, solche Elemente als modische Accessoires zu benutzen, sondern betont den S y s t e m c h a r a k t e r seiner Bemühungen u m eine dialogische K u n s t ü b u n g , die dem Zusehauer/Hörer/Leser ein »Dazwischenkommen« mit dem eigenen Urteil erlauben soll. (». . . eine direkte Zusammenarbeit zwischen theatralischen u n d funkischen Veranstaltungen wäre organisierbar.«) 6 2 » D e r R u n d f u n k als K o m m u n i k a t i o n s a p p a r a l « weist m i t h i n eine Doppel-Strategie a u f : Neben dem u n t e r diesen gesellschaftlichen Verhältnissen U n m a c h b a r e n , das als Provokation ausgebreitet wird, erscheint auch Machbares mit dem Ziel, die Bedürfnisse des P u b l i k u m s u m z u s t r u k t u r i e r e n . Das entspricht Brechts generellem Bestreben, Einzelvorschläge nie ohne den gesamtgesellschaftlichen Horizont zu offerieren, auf den sie ausgerichtet sind. Das kann durch eine k o n k r e t e Analyse der praktischen R u n d f u n k a r b e i t Brechts erg ä n z t werden. Dabei soll hier vom Ozeanflug abgesehen werden, f ü r den bereits etliche speziellere Untersuchungen vorliegen, 6 3 die berechtigtermaßen weniger seinen »Medieneharakler« als vielm e h r seine Lehrstücktendenz hervorheben. Hier soll auf die Einr i c h t u n g zweier Shakespeare-Stücke durch Brecht f ü r den R u n d f u n k hingewiesen w e r d e n : Macbeth (Sendung am 14. 10. 1927) u n d Hamlet (Sendung am 30. 01. 1931). Ein scheinbarer Widerspruch fällt ins Auge: J e n e r Autor, der in seinen letzten r u n d f u n k theoretischen Darlegungen b e m e r k t : »-Auch das alte D r a m a der Skakespearischen D r a m a t u r g i e ist nahezu u n b r a u c h b a r f ü r den Rundfunk« 6 4 , richtet solche dramatischen Werke f ü r dieses Medium ein. Leider h a b e n sich Manuskripte der Bearbeitungen nicht erhalten, aber besonders im Falle Hamlet ermöglichen einige Indizien die Rekonstruktion konzeptioneller Grundlinien: Die gängige T h e a t e r p r a x i s um den edlen Denker H a m l e t wurde d u r c h ein Gegenbild schroff gekontert. Kritisiert wird der Held als jemand, der sein Denken nicht auf die großen gesellschaftlichen Horizonte seinerZeit zu beziehen vermag. Der P r a g m a t i k e r Clau146
dius ist bei allen finsteren Zügen nüchterner Realpolitiker einer neuen Zeit und verhandelt dort kaufmännisch, wo die alten R i t t e r - K ö n i g e sich im Kampf tummelten. Hamlets neues Denken, ebenfalls in dieser neuen Zeit wurzelnd, hindert ihn an der Racheaktion; er kann bei nüchternen Überlegungen der alten Blutrachepraxis keine akzeptable Seite mehr abgewinnen. E r s t als er sich in blindwütiger Emotionalität dem »Schall zufälliger Trommeln« hingibt, vermag er, »•. . . Seiner menschlichen und vernünftigen Hemmung endlich ledig«, 65 gegen die neue Zeit in mörderisch-selbstmörderischer Aktion anzurennen. Auch hier also eine Erschütterung der bürgerlichen Wertewelt und ein neuartiges Diskussionsangebot um Fragen einer produktiven Vernunft. Medientheoretische Aspekte — so wurde bei dieser kurzen Besichtigung unterschiedlicher Konzeptionen deutlich — hingen in jedem Falle mit der politisch-ästhetischen und weltanschaulichen Gesamtkonslitution des Autors zusammen. Entsprechende Uberlegungen sind in den seltensten Fällen tatsächlich auf den Rundfunk und seine Zukunft gerichtet, sondern eher bei Gelegenheit seiner entstanden. So wurde er im Verständnis der Schriftsteller weniger als Apparat, sondern als Medium der Kunstdiskussion wichtig. Die unterschiedliche Reichweite und Gesellschaftsbezogenheit der Positionen wurde evident, wobei unter den hier vorgestellten Standorten derjenige Brechts sicherlich der folgenreichste für die sozialistische Kunstentwicklung und Theoriebildung genannt werden muß. Auch dabei ist bezeichnenderweise weniger an das weitere Schicksal des Funks zu denken als vielmehr an die Etablierung eines vielfältigen und souveränen sozialistischen Kunstkonzepts. Hier ist seit nun schon einiger Zeit Brechts historisch-funktionales Verständnis von Kunst und Literatur immer mehr in das Zentrum produktiver Auseinandersetzung gerückt. Trotzdem darf der Rundfunk als e i n bedeutender Organisator der Dichterdebatten in den 20er J a h r e n nicht nur beiläufig genannt werden. Als echtes »Großstadtkind« hat er mit konkreten Lebens- und Schaffensbedingungen von Autoren zu tun. Ohne Zweifel nahm Berlin in dieser Hinsicht eine besondere Stellung ein als das große Verwaltungszentrum eines hochindustria10"
147
lisierten Landes, als Hochburg der unterschiedlichsten politischen Bestrebungen auf dem H i n t e r g r u n d schärfster Klassenauseinandersetzungen, als das bestimmende K u l t u r z e n t r u m des Landes u n d im übrigen auch als jene S t a d t Deutschlands, von der intensivste internationale Wirkung ausging. — In den großen S l ä d l e n m i t Berlin an der Spitze prallten die Widersprüche dieser Gesellschaft grell und vital aufeinander u n d waren Ästhetizismus u n d Barbarei, Geist und Macht, Arbeit u n d Kapital in u n e r h ö r t e r Weise zusammengebunden. Diese S t ä d t e waren u. a. auch als »Träger« des bürgerlichen A p p a r a t e s materielle D e t e r m i n a n t e n f ü r S t r u k t u r e n des Uberbaus. Hier demonstrierte u n d zelebrierte die monopolkapitalistische H e r r s c h a f t ihre Macht, aber hier organisierte sie auch nolens volens viele jener Kräfte, die zersetzend auf die Basis ihres Systems zurückwirkten.
Anmerkungen 1 2 3
4 5 6 7
8
9 10 11
D. i. der Drahtlose Dienst AG für Buch und Presse. Bertolt Brecht, Schriften zur Literatur und Kunst.Bd. 2, Berlin u. Weimar 1966, S. 61. Arnold Zweig, An den Funkturm, den Nachbarn. Zitiert nach: Gerhard H a y (Hg.), Literatur und Rundfunk. Hildesheim 1975, S. 210. Ebenda, S. X I . Ebenda, S. 210. Heinrich Strammer, Der Berliner Funkturm. Berlin 1926, S. 8. Vgl. Kurt Pinthus, Die literarischen Darbietungen der ersten fünf Jalire des Berliner Rundfunks. In: Hay, Literatur und Rundfunk, S. 4 1 - 6 8 . Bertolt Brecht, Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. In: Schriften zur Literatur und Kunst. Bd. 1, Berlin u. Weimar 1966, S. 139. Bertolt Brecht, Radio — eine vorsintflutliche Erfindung? Ebenda, S. 128. Bertolt Brecht, Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. Ebenda. S. 138. Zitiert nach: Peter Dahl, Arbeitersender und Volksempfänger.
148
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P r o l e t a r i s c h e R a d i o - B e w e g u n g u n d b ü r g e r l i c h e r R u n d f u n k bis 1945. F r a n k f u r t a. M. 1978, S. 24. B r e c h t , Der R u n d f u n k als K o m m u n i k a t i o n s a p p a r a t . I n : S c h r i f t e n zur L i t e r a t u r u n d K u n s t , B d . 1, S. 140. Horst Hanzl, Der R u n d f u n k der W e i m a r e r R e p u b l i k als Klasseni n s t r u m e n t d e r Bourgeoisie u n d der K a m p f der A r b e i t e r k l a s s e u m das M i t b e s t i m m u n g s r e c h t . Diss. Leipzig 1961, S. 107 (ungedruckt). Arno S c h i r o k a u e r , zitiert n a c h : Dahl, A r b e i t e r s e n d e r , S. 8 8 . Arnolt Bronnen, Arnolt B r o n n e n g i b t zu Protokoll. H a m b u r g 1954, S. 223. E b e n d a , S. 225. Arnold Zweig, E p i k u n d R u n d f u n k . Zitiert n a c h : I l a y , L i t e r a t u r und R u n d f u n k , S. 212. E b e n d a , S. 214. Ebenda. E b e n d a , S. 213. I n : Die F u n k - S t u n d e , 9. 1. 1927, S. 60. Vgl. Oda H a y , Arnold Zweig — E p i k u n d Zensur i m R u n d f u n k . I n : I l a y , L i t e r a t u r und R u n d f u n k , S. 195—208. Zweig, An den F u n k t u r m , den N a c h b a r n . I n : H a y , L i t e r a t u r und R u n d f u n k , S. 210. M a t t h i a s P r a n g e l , Die r u n d f u n k t h e o r e t i s c h e n A n s i c h t e n A l f r e d Döblins. I n : H a y , L i t e r a t u r und R u n d f u n k , S. 2 2 1 - 2 2 9 . W a l t e r B e n j a m i n , Lesezeichen. Leipzig 1970, S. 215. A l f r e d Dublin, ( B e r l i n und die Künstler). I n : Döblin, Die Vertreib u n g der Gespenster. Berlin 1968, S. 82. A l f r e d Döblin, L i t e r a t u r u n d R u n d f u n k . I n : I l a y , L i t e r a t u r u n d R u n d f u n k , S. 235. E b e n d a , S. 232. Döblin, ( B e r l i n u n d die Künstler). In : Die V e r t r e i b u n g der Gespenster, S. 82. B e n j a m i n , Lesezeichen, S. 214. B e r t o l t B r e c h t , B r i e f e 1 9 1 3 - 1 9 5 6 . B d . 1, B e r l i n u. W e i m a r 1983, S. 137 f. E b e n d a , S. 356. Die F u n k a d a p t i o n von Döblins Berlin Alexantlerplalz bleibt die A u s n a h m e v o n der Regel, gesendet a m 30. 9. 1930. Döblin, L i t e r a t u r u n d R u n d f u n k . I n : I l a y , L i t e r a t u r u n d R u n d f u n k , S. 232. Bronnen, A r n o l t B r o n n e n gibt zu Protokoll, S. 203.
149
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64 65
Ebenda, S. 204. Protokoll der Kasseler Tagung. Zitiert nach: Hay, Literatur und Rundfunk, S. 335 f. Ebenda, S. 335. Arnolt Bronnen, Rede über das Hörspiel. I n : Hay, Literatur und Rundfunk, S. 338. Ebenda. Ebenda, S. 339. Bronnen, Arnolt Bronnen gibt zu Protokoll, S. 204—205. Vgl. Bertolt Brecht, Vorschläge für den Intendanten des Rundfunks. I n : Schriften zur Literatur und Kunst, Bd. 1, S. 132. Bronnen, Arnolt Bronnen gibt zu Protokoll, S. 162. Vgl. Brecht, Schriften zur Literatur und Kunst, Bd. 1, S. 125. Vgl. J a n Knopf, Brecht-Handbuch. Lyrik, Prosa, Schriften. Stuttgart 1984, S. 494. Peter Groth/Manfred Voigts. Die Entwicklung der Brechtschen Radiotheorie 1 9 2 7 - 1 9 3 2 . I n : Brecht-Jahrbuch 1976. Hg. von J o h n Fuegi, Reinhold Grimm und J o s t Hermand. Frankfurt a. M. 1976. S. 9 - 4 2 . Abgedruckt i n : Brecht-Jahrbuch 1976, S. 3 5 - 3 6 . Bronnen, Arnolt Bronnen gibt zu Protokoll, S. 162. Zitiert nach: Brecht-Jahrbuch 1976, S. 36. Brecht, Schriften zur Literatur und Kunst, Bd. 1, S. 132. Ebenda, S. 130. Bertolt-Brecht-Archiv 351/10. Ebenda. Brecht, Schriften zur Literatur und Kunst, Bd. 1, S. 162—163. Ebenda, S. 257. Ebenda. Vgl. Brecht-Jahrbuch 1976, S. 30. Brecht, Schriften zur Literatur und Kunst, Bd. 1, S. 142. Ebenda, S. 146. Ebenda, S. 145. Ebenda. U. a. Reiner Steinweg, Das Lehrstück. Stuttgart 1972, S. 124; Norbert Schachtsiek-Freitag, Bertolt Brechts Radiolehrstück Der Ozeanflug. I n : Bertolt Brecht I I , Sonderband T e x t und Kritik 1972, S. 1 3 1 - 1 3 7 ; Helfried W. Seliger, Das Amerikabild Bertolt Brechts. Bonn 1974, S. 1 6 0 - 1 6 7 . Brecht, Schriften zur Literatur und Kunst, Bd. 1, S. 144. Bertolt-Brecht-Archiv 344/40.
)
Die »-preußische Dichterakademie-« 1926 - 1 9 3 3 WEENER HERDEN
Am 26. Oktober 1926 wurde der Preußischen Akademie der Künste zu Berlin eine Sektion für Dichtkunst angeschlossen. In den späteren Jahren oftmals mit der Kurzformel »Dichterakademie-« bezeichnet, stand sie von Beginn an im Spannungsfeld der gesellschafls- und kulturpolitischen Auseinandersetzungen in der Weimarer Republik. Deutlich erkennbar zeigte sich dies in den Versuchen der Sektion, den wiederholten Eingriffen in die Freiheit des künstlerischen Schaffens zu begegnen und in einem beslimmten Maße Einfluß auf das literarische Leben zu gewinnen. Ebenso wie in der Arbeit des zwei J a h r e später, am 19. Oktober 1928, gegründeten Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller lag das Zentrum der Wirksamkeit dabei eindeutig in Berlin, sowenig den von hier ausgehenden Impulsen enge lokale Grenzen gesetzt waren. Auf einige ausgewählte Aspekte dieser Wirksamkeit soll, gestützt auf eine Reihe neuerschlossener Materialien, im folgenden näher eingegangen werden. Den Ausgangspunkt der Darstellung bilden die Vorgänge, die in der Mitte der zwanziger J a h r e das Wirksamwerden der Sektion und einen bestimmten Konsens über ihren Aufgabenkreis ermöglichten. In einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang damit stehen die Nachweise über ihren Anteil am Widerstand gegen die Zensurgesetze und gegen andere Maßnahmen zum Abbou demokratischer Rechte. Unter den Bemühungen, die Arbeit in der Akademie mit Impulsen für die Literaturvermittlung zu verbinden, gilt den Kontakten mit der Berliner Universität und den Vorschlägen für die Auswahl von Schullesestoffen 151
besonderes Interesse. W e i t e r e F r a g e n beziehen sieh auf die R i c h tungskämpfe in der Sektion, auf das Aufeinandertreffen demokratischer und völkisch-nationalistischer Tendenzen
sowie auf
die Ereignisse in der Zeitspanne zwischen dem Niedergang der W e i m a r e r Republik und dem Beginn der faschistischen D i k t a t u r . Zur Gründung und zum »Geschäftskreise der Sektion P r o b l e m e der literarischeil E n t w i c k l u n g standen in der Preußischen Akademie der K ü n s t e lange Zeil außerhalb des verbindlichen Aufgabenbereiches. Ausgehend von Interessen und Repräsentationsbedürfnissen des preußischen Ilofes, b e s t i m m t e der Kurfürst Friedrich I I I . die 1696 gegründete A k a d e m i e zunächst ausschließlich zu einer Wirkungs- und P f l e g e s l ä t t e der bildenden Künste. 1833, unter veränderten geschichtlichen Umstünden, führten Vorschläge und I n i t i a t i v e n , die vor allem von Carl Friedrich Zelter und Wilhelm von Humboldt ausgegangen waren, zur Bildung einer zweiten S e k t i o n , der Sektion für Musik. F ü r Schriftsteller ließ das S t a t u t auch nach diesem Zeitpunkt allenfalls die W a h l zu Ehrenmitgliedern zu. Von dieser Möglichkeit h a t t e man wiederholt Gebrauch g e m a c h t ; so waren Goethe. Herder und Wieland 1789, August Willielm Sehlegel und T i e c k 1831 zu Elirenmitgliedern e r n a n n t worden. Theodor F o n t a n e übern a h m 1876 für mehrere Monate die Aufgaben eines geschäftsführenden S e k r e t ä r s derAkademie. Dessen ungeachtet konzentrierten sich die Arbeiten der Akademie bis in die zwanziger J a h r e unseres J a h r h u n d e r t s auf die B e r e i c h e der bildenden K ü n s t e und der Musik. I m Dezember 1904 war es der Akademiepräsident J o h a n n e s Otzen, der in einem allgemeinen Reformplan auch den Vorschlag zur Sprache b r a c h t e , d e r A k a d e m i e mit R ü c k s i c h t auf die Wechselwirkungen der K ü n s t e eine dritte Abteilung, eine S e k t i o n für D i c h t k u n s t , anzugliedern. Greifbare R e s u l t a t e blieben zunächst jedoch a u s : Der Plan wurde »-zu späterer Prüfung« zurückgestellt. 1 E r s t in der W e i m a r e r Republik, n a c h d e m die A k a d e m i e in den J a h r e n 1919 und 1 9 2 5 den Vorschlag Otzens in offizieller F o r m wiederholt h a t t e , gewannen die P l ä n e zur Bildung e i n e r » D i c h t e r -
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Sektion« k o n k r e t e Gestalt. M a ß g e b e n d d a f ü r w a r e n ebensowohl v e r ä n d e r t e politisch-gesellschaftliche Konstellationen — noch 1896 h a t t e W i l h e l m I I . z. B. die Auszeichnung Gerhart H a u p t m a n n s m i t d e m Sehiller-Preis d e m o n s t r a t i v a b g e l e h n t — wie auch E n t w i e k l u n g e n im L i l e r a t u r p r o z e ß und im Ensemble der Künste. F ü r die S e k l i o n s b i l d u n g sprach zudem nicht allein die Absicht, die A k a d e m i e i m Sinne einer angemessenen R e p r ä s e n t a n z der Künste a u s z u b a u e n , sondern g l e i c h e r m a ß e n a u c h die T a l s a c h e , d a ß sich Berlin zu einem literarischen Zentrum e n t w i e k e l l h a l l e , dessen A u s s t r a h l u n g s k r a f t k e i n e s w e g s auf das preußische S t a a t s gebiet b e s c h r ä n k t blieb. Gefördert wurden der A u s b a u und die Arbeit der A k a d e m i e nicht zuletzt durch den entschiedenen persönlichen E i n s a t z des preußischen K u l t u s m i n i s t e r s Prof. Carl Heinrich B e c k e r u n d des A k a d e m i e p r ä s i d e n t e n M a x L i e b e r m a n n . Die r e c h t l i c h e G r u n d l a g e f ü r die Konstituierung einer neuen A k a d e m i e s e k t i o n bildete ein E r l a ß des Preußischen K u l t u s m i n i s t e r i u m s vom 19. März 1926. Mit diesem Erlaß w u r d e d a s bis dahin g ü l t i g e A k a d e m i e s t a t u t ergänzt und zugleich den R e c h t s normen der W e i m a r e r Verfassung angeglichen. Das a b g e ä n d e r t e S t a t u t f a ß t e die A u f g a b e n der neu zu g r ü n d e n d e n S e k t i o n für Dichtkunst in fünf P u n k t e n z u s a m m e n . Zum »Geschäftskreise der S e k t i o n und ihres ständigen Arbeitsausschusses, des S e n a t s , gehörten d a n a c h insbesondere: »1. die E r s t a t t u n ge? der vom Minister v e r l a nFi g t e n oder sonst erforderlichen die Dichtkunst betreffenden G u t a c h t e n , 2. Vorschläge g des H u n d A n r e gOu n gOe n zur Pflege o und F ö r d e r u n C künstlerischen S c h r i f t t u m s , 3. A u s s c h r e i b u n g von W e t t b e w e r b e n und E n t s c h e i d u n g über Vergebung von Preisen und S t i p e n d i e n auf d e m Gebiet der Dichtkunst, 4. Vorschläge für Verleihung von Auszeichnungen und E h r u n g e n für Dichter, 5. V e r a n s t a l t u n g von Vorträgen a u s d e m Gebiet der D i c h t k u n s t . « 2 U n m i t t e l b a r bezogen auf diesen Erlaß, berief der Kultusminister — nach d e m S t a t u t zugleich der K u r a t o r der A k a d e m i e I il Mai 1926 auf Vorschlag M a x L i e b e r m a n n s den Nobelpreisträger Gerhart H a u p t m a n n sowie L u d w i g F u l d a , Arno Holz, Tho-
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mas Mann und Hermann Stehr zu Gründungsmitgliedern der Sektion. Die Initiativen Beckers, eines international geschätzten Orientalisten, der das Ministeramt bis zum Januar 1930 bekleidete, fanden jedoch nicht nur ein zustimmendes Echo, sondern stießen auch auf nicht geringe Vorbehalte und Widerstände. Gerhart Hauptmann lehnte eine Mitarbeit in der Akademie zunächst ab und erklärte nach einer Vermittlung durch Thomas Mann erst im Januar 1928 seine Bereitschaft, der Sektion für Dichtkunst anzugehören. Auch Arno Holz reagierte auf seine Berufung mit erheblichen Vorbehalten. Verbunden mit der Forderung, verfassungsrechtliche, die Kulturhoheit der Länder betreffende Fragen außer acht zu lassen und ohne Umschweife die Preußische Akademie durch eine Deutsche Akademie zu ersetzen, machte er in äußerst schroffer Form prinzipielle Einwände gegen das Akademiestatut geltend. Selbst die Zusicherung des Akademiepräsidenten Max Liebermann, diesen Einwänden so weit wie möglich Rechnung zu tragen — Liebermann unterstrich auch das grundsätzliche Einverständnis mit dem Gedanken und dem Plan einer Deutschen Akademie 3 —, vermochte Holz in keiner Weise umzustimmen. Im Ergebnis der vom Preußischen Kultusministerium eingeleiteten Vorarbeiten vollzog das Plenum der Akademie am 26. Oktober 1926 die Gründung der Sektion. Nach einer Begrüßungsansprache durch Max Liebermann charakterisierte Prof. Becker den im neuen Akademiestatut vorgezeichneten Aufgaben- und Wirkungsbereich; er sprach von der Sektion als der »ersten staatlich autorisierten Vertretung des deutschen Schrifttums-« 4 und hob damit ebenso ihren offiziellen Charakter wie die Bereitschaft hervor, den Begriff einer preußischen Akademie nicht im Sinne provinzialistischer Beschränktheit zu handhaben. Thomas Mann brachte den Dank der neuberufenen Akademiemitglieder zum Ausdruck und erklärte zugleich, die Bedenken von Schriftstellern »•gegen das Staatlich-Gesellschaftlich-Akademische« seien vor allem durch das Erlebnis und die Entdeckung zu überwinden, »daß Kunst- und Geisleswerke nicht nur sozial genossen, sondern auch schon sozial e m p f a n g e n , k o n z i p i e r t werden«, daß Kunst folglich »als eine besondere Form der Gesellschaftlich154
k e i t « existiere. D e m Wunsch, die n e u b e g r ü n d e l e S e k t i o n m ö g e neben anderen A u f g a b e n auch d e r wirtschaftlichen L a g e d e r A u t o r e n ihre A u f m e r k s a m k e i t zuwenden, ließ T h o m a s Mann abschließend d a s Versprechen folgen, die anstehenden E r g ä n zungswahlen sollten » m i t d e m Sinn f ü r R a n g und W ü r d i g k e i t vorgenommen werden«.5 N a c h d e m Gerhart H a u p t m a n n und Arno Holz eine Mitarbeit a b g e w i e s e n oder in F r a g e gestellt h a t t e n , lag die K o m p e t e n z f ü r diese E r g ä n z u n g s w a h l e n , die a m T a g e d a r a u f bei einer ersten Z u s a m m e n k u n f t im R a h m e n der S e k t i o n erfolgten, allein bei L u d w i g F u l d a , T h o m a s Mann und H e r m a n n S t e h r . Mit d e m Ziel, ein a r b e i t s f ä h i g e s G r e m i u m zu konstituieren, v e r s t ä n d i g t e m a n sich auf die Zuwahl von 24 Sektionsmitgliedern. Drei von ihnen, H o f m a n n s t h a l , Rilke und S u d e r m a n n , lehnten es a b , die W a h l a n z u n e h m e n , ohne d a ß dies jedoch die Sektion und den B e g i n n ihrer Arbeit ernstlich behinderte. Bei der Mehrzahl der G e w ä h l t e n , so z u m Beispiel bei H e r m a n n B a h r , M a x Halbe, R i c a r d a H u c h , G e o r g Kaiser, B e r n h a r d Kellermann, Oskar Loerke, Heinrich Mann, W a l t e r von Molo, Wilhelm von Scholz, E d u a r d S t u c k e n , J a k o b W 7 assermann und F r a n z Werfel, dominierte die Bereits c h a f t zu einer engagierten oder z u m i n d e s t zu einer b e r a t e n d e n Mitarbeit im Sinne der im S t a t u t fixierten A u f g a b e n . Dieser B e r e i t s c h a f t k a m entgegen, daß nach einer Reihe intensiver Diskussionen seitens der A k a d e m i e auch d e m Vorschlag entsprochen wurde, formalrechtliche Differenzierungen zurückzustellen u n d bei Zuwahlen u n d anderen E n t s c h e i d u n g e n a u s w ä r t i g e n Mitgliedern d a s gleiche S t i m m r e c h t wie den in Berlin w o h n h a f t e n A u t o r e n einzuräumen. I m einzelnen lagen d e m E n t s c h l u ß zur Mitarbeit freilich ebenso unterschiedliche Interessen wie divergierende politische, welta n s c h a u l i c h e und ästhetische Positionen zugrunde. D e m o k r a tische, sozialkritische uud liberale B e s t r e b u n g e n stießen bei den Verfechtern einer nationalistisch orientierten L i t e r a t u r , die ihre W o r t f ü h r e r innerhalb der Sektion in Erwin G u i d o K o l b e n heyer, J o s e f P o n t e n und Wilhelm S c h ä f e r hatte, von vornherein auf D i s t a n z und W i d e r s t a n d . Allein die F r a g e n nach d e m L i t e r a t u r v e r s t ä n d n i s , nach d e m konzeptionellen Inhalt des L i t e r a t u r -
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begriffs führten zu fortgesetzten Spannungen und Kontroversen. In den Ausgangspositionen wie in den Einzelheiten ging es dabei nicht allein und schon gar nicht vorrangig um bloße terminologische Details. Die Meinungsverschiedenheiten über Begriffsinhalte drückten vielmehr generelle Meinungsverschiedenheiten über den gesellschaftlichen Charakter des Literaturprozesses aus, über den Funktionsbezug und die Sinngebung der literarischen Arbeit. Die vom Plenum der Akademie im Einvernehmen mit dem Preußischen Kultusministerium getroffene Entscheidung für den Namen Sektion für Dichtkunst blieb zunächst unterschiedlichen Interpretationen offen, zumal im ergänzten S t a t u t der Akademie bei der Charakterisierung des Aufgabenbereiches auch von der »Pflege und Förderung des künstlerischen Schrifttums« die Rede war. Während Kolbenheycr und die ihm nahestehenden Auloren die Begriffe Dichtung oder Dichtkunst in einem programmatischen, mythisch-konservativen Sinne gebrauchten, behauptete sich andererseits die Praxis, die vorgegebene Sektionsbezeichnung als eine Arbeitsgrundlage zu verstehen, die einen konzeptionell gefaßten Literaturbegriff nicht zwangsläufig ausschließen mußte. In seinen Vorschlägen für ein Arbeitsprogramm der Sektion sprach Heinrich Mann z. B . im Dezember 1926 von der »Wichtigkeit der Literalur im Leben der Nation«, von ihrem Persönlichkeitswert und ihrer »Gegenwirkung gegen die bestehende Alleinherrschaft ungeistiger Kräfte«, 7 © o r^ r r> von notwendigen ökonomischen Mitteln zur Förderung und Verbreitung der Literatur. »Vom Staat«, so heißt es in diesem Zusammenhang, »müssen Zuwendungen erreicht werden, nicht kleiner, als er an andere Kunstgattungen wendet. Geltend zu machen wäre, daß z. B . die Musik ihn unvergleichlich mehr kostet. Der Unterschied in der Behandlung von Musik und Literatur ist höfische Uberlieferung, er entsprach dem Interesse des früheren Staates. Die Bedeutung der Literatur steigt aber sogleich in einem S t a a t , der, um seinen eigenen Zweck zu erfüllen, das allgemeine Denken der Bürger braucht.« 6 Orientierte sich der Literaturbegriff, der auf diese Weise zur Geltung gebracht wurde, an geistig-moralischen Erfordernissen, an einer demokratisch verstandenen Gesellschaftlichkeit, so
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s p r a c h sich Kolbenheyer, d e r in den zwanziger J a h r e n seine P a r a c e l s u s - R o m a n t r i l o g i e abgeschlossen u n d d e n k u l t u r p h i l o s o p h i s c h e n E s s a y Bauhütte vorgelegt h a t t e , wiederholt gegen eine »Überfremdung-« der S e k t i o n d u r c h Schriftsteller des »intern a t i o n a l e n Typus« aus. Als im H e r b s t 1927 die in d e r g e s a m t e n A k a d e m i e a n s t e h e n d e n Z u w a h l e n v o r b e r e i t e t w u r d e n , setzte e r sich z u m Beispiel n a c h d r ü c k l i c h f ü r die A u f n a h m e v o n R e p r ä s e n t a n t e n einer als »spezifisch deutsch-« e m p f u n d e n e n K u n s t ein u n d b e n a n n t e als K a n d i d a t e n H a n s Friedrich B l u n c k , P a u l E r n s t , H a n s G r i m m , Börries von M ü n c h h a u s e n u n d J a k o b S c h a f f n e r . Die Mehrheit d e r Sektionsmitglieder folgte diesen Vorschlägen jedoch n i c h t . U n t e r 19 K a n d i d a t e n erhielten im J a n u a r 1928 T h e o d o r D ä u b l e r , Alfred Döblin, L e o n h a r d F r a n k , Alfred M o m b e r t u n d F r i t z von U n r u h die f ü r die Z u w a h l e r f o r d e r lichen S t i m m e n . N a c h d e m V e r s t ä n d n i s K o l b e n h e y e r s w u r d e die S e k t i o n m i t diesen W a h l e n (Scheidungen »eine Berliner Angeleg e n h e i t linkspolitischer Observanz«, und die im Politischen vyie im Ästhetischen s i c h t b a r g e w o r d e n e n Gegensätze blieben n i c h t n u r b e s t e h e n , sie sollten sich d a r ü b e r h i n a u s weiter v e r s c h ä r f e n u n d zuspitzen. W e i t e r e Konflikte waren schon d u r c h den S t a t u s d e r A k a d e mie als einer I n s t i t u t i o n des p r e u ß i s c h e n S t a a t e s b e d i n g t . Der Versuch, zwischen kritischen zeitgeschichtlichen B e f u n d e n u n d e i n e r b e s t i m m t e n L o y a l i t ä t d e m S t a a t gegenüber die B a l a n c e zu h a l t e n , h a t t e n i c h t selten I n k o n s e q u e n z e n , H a l b h e i t e n u n d f r a g w ü r d i g e K o m p r o m i s s e z u r Folge. So b e w e g t e n sich die e r s t e n Diskussionen ü b e r d e n mögliehen A k t i o n s r a d i u s d e r S e k t i o n i n s g e s a m t in einem S p e k t r u m sehr u n t e r s c h i e d l i c h e r Vorstellungen ü b e r d e n C h a r a k t e r u n d die Ö f f e n t l i c h k e i t des Lit e r a t u r p r o z e s s e s . W i l h e l m v o n Scholz, im N o v e m b e r 1926 z u m e r s t e n Vorsitzenden der S e k t i o n gewählt — eine F u n k t i o n , f ü r die n u r in Berlin w o h n h a f t e Mitglieder in B e t r a c h t k a m e n —, v e r s u c h t e w ä h r e n d seiner A m i s p e r i o d e zwischen diesen Vors t e l l u n g e n zu v e r m i t t e l n , i n d e m er d a s allgemeine Ziel der Sektion d a h i n g e h e n d b e s t i m m t e , eine » K ö r p e r s c h a f t zu w e r d e n , in d e r d a s sprachliche u n d d i c h t e r i s c h e Gewissen d e r N a t i o n lebendig ist« 7 . Seine a u s d r ü c k l i c h e , öffentlich v o r g e t r a g e n e B i t t e ,
m a n möge der Dichtersektion die notwendigen »Reife- u n d Werdezeiten« gewähren (»-man sehe uns an wie einen jungen B a u m , den m a n gepflanzt h a t und von d e m m a n in seinem ersten J a h r z e h n t weder S c h a t t e n noch Apfel verlangen kann« 8 ), war mit der zeitgeschichtlichen Realität, m i t den politischen Kämpfen u n d den geistig-kulturellen Auseinandersetzungen in den zwanziger u n d dreißiger J a h r e n allerdings schwerlich zu vereinbaren. Gegen Zensur und Justizwillkür Zu den Entscheidungen der Sektion, die sich als n i c h t aufschiebbar erwiesen u n d die einigen — sehr pauschal g e f a ß t — als Ausdruck »linkspolitischer« Tendenzen erschienen, gehörten in besonderer Weise die Stellungnahmen zum sogenannten »Schundund Schmutzgeselz« u n d zu anderen Z e n s u r m a ß n a h m e n . »Seit ihrer Gründung«, so b e t o n t e Oskar Loerke 1928, »ist die Sektion f ü r Dichtkunst leider des öfteren genötigt gewesen, gegen Bedrohungen unseres künstlerischen S c h r i f t t u m s mit Kundgebungen, Erklärungen und G u t a c h t e n a u f z u t r e t e n . Schon vor ihrer Konstituierung, im November 1926, f a n d sich die große Mehrzahl ihrer Mitglieder zusammen, um den Reichstag vor d e r Annahme des Gesetzes zur B e k ä m p f u n g von Schund- u n d Schmutzschriften in letzter S t u n d e zu warnen.« 9 Im Widerstand gegen die wiederholten Versuche der bürgerlichen Klassenjustiz, v e r s t ä r k t e H a n d h a b e n zur Reglementierung der Lit e r a t u r zu erlangen, k a m es gleichzeitig zu einer Reihe von Willensbekundungen, die wesentlich über den Wirkungsbereich der Akademie hinausreichten. W ä h r e n d der D e b a t t e n im Reichstag über den von der Deutsch-Nationalen Volkspartei vorgelegten Gesetzentwurf protestierten bürgerliche u n d sozialistische Autoren gemeinsam gegen die offenkundige Absicht, das literarische Schaffen zu b e v o r m u n d e n und die in der W e i m a r e r Verfassung verankerten R e c h t e einzuschränken. So veröffentlichten f ü h r e n d e Kulturschaffende der Weimarer Republik a m 22. Oktober 1926, wenige Tage vor der G r ü n dung der Sektion f ü r D i c h t k u n s t , einen gemeinsamen Aufruf
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gegen das geplante Schund- u n d Schmutz-Gesetz. H i n t e r dem in aller Stille vorbereiteten Gesetz, so wird darin betont, versteckten sich die Feinde von Bildung, Freiheit u n d E n t w i c k l u n g : »Das Gesetz, ungeeignet, die J u g e n d zu schützen, stellt die Erwachsenen, Leser u n d Schreibende, u n t e r die erniedrigende V o r m u n d s c h a f t unverantwortlicher Winkelinstanzen.-« 10 Dieser Aufruf t r ä g t u. a. die Unterschriften von J o h a n n e s R. Becher, Georg Bernhard, Bertolt Brecht, Alfred Döblin, George Grosz, Georg Kaiser, Egon Erwin Kisch, Alfred Kerr, Berta Lask, Heinrich und Thomas Mann, Carl von Ossietzky, Alfons P a q u e t u n d Heinrich Zille. E r wurde ferner durch zahlreiche Verbände u n d Institutionen u n t e r s t ü t z t , u n t e r anderem d u r c h die Deutsche Liga f ü r Menschenrechte, das Kartell lyrischer Autoren, die Gewerkschaft deutscher Volksschullehrer und die Redaktion der Zeitschrift Die Literarische Welt. Die Mitglieder der Sektion f ü r Dichtkunst bewerteten auf ihrer konstituierenden Sitzung am 18. November 1926 den Gesetzentwurf »als nur b e k ä m p f e n s w e r t und nicht verbesserungsfähig« 11 . Trotz der nachdrücklichen Proteste blieben die geltend gemachten Einwände zum großen Teil jedoch unberücksichtigt. Mit nur geringfügigen Korrekturen gegenüber dem E n t w u r f sanktionierte eine Mehrheit des Reichstages am 3. Dezember 1926 die u m s t r i t t e n e n gesetzlichen Maßnahmen. Allein die Abgeordneten der Sozialdemokratischen und der Kommunistischen P a r t e i stimmten gegen die Vorlage, u n d auch die verfassungsrechtlich begründete H o f f n u n g , der Reichsrat werde das Gesetz zu Fall bringen, schlug schon bald darauf fehl. Die P r a k t i k e n der Weimarer Justiz sowie weitere administrative Bedrohungen des literarischen u n d künstlerischen Schaffens forderten auch in den folgenden J a h r e n den P r o t e s t demokratischer K r ä f t e heraus. Am 11. März 1927 w a n d t e sich die Sektion f ü r Dichtkunst gegen einen Gesetzentwurf, der den Schund- u n d S c h m u t z - P a r a g r a p h e n M a ß n a h m e n zur Theaterzensur folgen ließ. In einer von Heinrich Mann vorgelegten u n d von der Sektion offiziell gebilligten Stellungnahme zu diesem E n t w u r f wurde mit sachlicher Entschiedenheit »vor der u m sich greifenden Mißachtung der Geistesfreiheit-« g e w a r n t : »Verlust der Gei-
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stesfreiheit t r i f f t zuletzt n i c h t nur ihre berufenen V e r t r e t e r , sond e r n die N a t i o n . Die V e r f a s s u n g h a t sie n i c h t uns, sie h a t sie der Nation sichern wollen. P a r t e i e n und P o l i t i k e r , die sogar die Verfassung u m g e h e n , wenn n i c h t b r e c h e n , um der N a t i o n die Geistesfreiheit
zu e n t w e n d e n , sind g e b r a n d m a r k t . D a s Mal, das
sie tragen, b l e i b t s i c h t b a r a u c h noch an dem unausweichlich n a henden T a g e , der ü b e r alle j e t z t geduldeten G e w a l t s t r e i c h e geg e n das R e c h t des m e n s c h l i c h e n
G e d a n k e n s einst zu
Gericht
sitzt.«12 Zu B e g i n n des J a h r e s 1 9 2 8 l e n k t e H e i n r i c h M a n n die A u f m e r k s a m k e i t der S e k t i o n wiederholt auf den g e p l a n t e n verratsprozeß
gegen
Johannes
R. Becher.
In d e r
Hoch-
Sektionssit-
zung a m 10. J a n u a r 1 9 2 8 — für den 16. J a n u a r w a r ursprünglich d e r B e g i n n der l l a u p t v e r h a n d l u n g gegen B e c h e r v o r d e m R e i c h s gericht in Leipzig festgesetzt worden — stellte e r die F r a g e n a c h e i n e r geeigneten R e a k t i o n d e r A k a d e m i e auf d e r a r t i g e E i n g r i f f e in A n g e l e g e n h e i l e n
der L i t e r a t u r .
Nachdem
mehrere
Mitglie-
d e r B e d e n k e n und E i n w ä n d e gegen ein tagespolitisches E n g a g e m e n t der A k a d e m i e zur G e l t u n g g e b r a c h t h a t t e n , wurden 17. F e b r u a r 1 9 2 8 allgemein g e h a l t e n e » R i c h t l i n i e n für bungen und P r o t e s t e der S e k t i o n « beschlossen.
am
Kundge-
Danach
sollte
»gegen G e s e t z e n t w ü r f e , welche die F r e i h e i t des G e d a n k e n s und des k ü n s t l e r i s c h e n S c h a f f e n s bedrohen«, m i t t e l s G u t a c h t e n , öffentlicher
Warnungen
und
P r o t e s t e »grundsätzlich
vorgegan-
gen werden«. 1 3 E b e n s o hielten die R i c h t l i n i e n die
Möglichkeit
fest, gegen einschlägige G e r i c h t s u r t e i l e
zu
Einspruch
erheben
sowie individuelle P r o t e s t e v o r z u t r a g e n . N a c h einzelnen korrekturen
fand
P r o t e s t gegen
auch
ein
die A n k l a g e
von
Heinrich
Johannes
Mann
R. Bechers
Text-
entworfener die
Zustim-
mung der S e k t i o n . W i e schon der W i d e r s t a n d gegen das » S c h u n d - und S c h m u t z gesetz« signalisiert h a t t e , s t a n d e n diese I n i t i a t i v e n u n t e r dem
Vorzeichen
einer regionalen
keineswegs
Begrenztheit.
Sie
s t r e c k t e n sich a u f V o r g ä n g e , die n i c h t allein das Gebiet ßens und die p r e u ß i s c h e G e s e t z g e b u n g ,
sondern das
er-
Preu-
gesamte
R e i c h s g e b i e t b e t r a f e n . D e m e n t s p r a c h auch der im März 1 9 2 8 von der S e k t i o n v e r a b s c h i e d e t e B e s c h l u ß , den g r u n d s ä t z l i c h e n
160
Aspekten der Beziehungen zwischen Politik und L i t e r a t u r eine gesonderte Publikation zu widmen. Zu diesem Zweck legten in den folgenden Monaten H e r m a n n Bahr, Theodor Däubler, Alfred Döblin, Ludwig Fulda, Ricarda Huch, Heinrich Mann, Waller von Molo und J a k o b Wassermann Originalbeiträge vor, die in dem .Jahrbucli der Sektion f ü r das J a h r 1929 zusammengefaßt und zur weiteren Diskussion gestellt wurden. In einem redaktionellen Vorspann zu diesen Beiträgen u m riß Oskar Loerke, der seit dem F e b r u a r 1928 als ständiger Sekret ä r der Sektion tätig war, noch einmal den zeitgeschichtlichen K o n t e x t der geführten D e b a t t e n . Mit deutlichem Bezug zur Anklageschrift gegen Becher u n d zum Verbot von dessen R o m a n LevLsile oder Der einzig gerechte Krieg vermerkte er: »Die Beschlagnahme eines Romans u n d die gerichtliche Verfolgung seines Verfassers wegen H o c h v e r r a t war der Anlaß der nachstehenden Untersuchungen und Bekenntnisse. Der Fall rief u n t e r unseren Mitgliedern eine nachhaltige Beunruhigung u n d Erregung hervor. E r r ü h r t e an das Grundsätzliche des kritischen Gewissens, der dichterischen Gestaltung, des politischen Rechts. Die Sektion w a n d t e sich diesem Grundsätzlichen zu, weil sie, zum Schutze jedes zu Unrecht angegriffenen wirklichen Kunstwerkes bereit, als Vertreterin des gesamten künstlerischen Schrifttums nicht aus advokatorischer Parteilichkeit eingreifen kann, sondern aus der Anerkennung zweier auf verschiedenen Ebenen wirkenden Lebensgewalten handeln m u ß : Kunst und Politik. N u r so glaubt sie dem immer drohenden Gespenste der Zensur erfolgreich entgegentreten zu können.« 1 4 Loerke traf mit dieser Charakteristik eine Reihe gemeinsamer Ausgangspositionen, die ungeachtet sehr verschiedenartiger Akzente in den einzelnen Beiträgen erkennbar sind. Auch wenn wesentliche Elemente des Z u s a m m e n h a n g s von L i t e r a t u r und Politik außer B e t r a c h t blieben, ging es zunächst u m den ungeteilten Anspruch auf demokratische Rechte und Freiheiten, u m die Antwort auf eine zunehmende administrative Willkür. Die »nachhaltige Beunruhigung u n d Erregung« richtete sich objektiv gegen den Versuch reaktionärer Kräfte, die Möglichkeiten der Literatur zur zeitkritischen Analyse einzuengen u n d die da11
Wruck, Leben, Bd. I I
161
zu
benötigten
juristischen
Mittel
weiter
zu
perfektionieren.
Gleichwohl bewegten sich die v o r g e t r a g e n e n E i n w ä n d e in einem deutlich vorgezeichneten R a h m e n : S i e galten b e s t i m m t e n S y m p t o m e n , nicht der politischen und ö k o n o m i s c h e n S t r u k t u r der bestehenden
bürgerlichen
Gesellschaft.
Einer
mißverstandenen
» P a r t e i l i c h k e i t « wurden überdies m e h r oder weniger d e t a i l l i e r t e L e i t b i l d e r von einer A u t o n o m i e des literarischen S c h a f f e n s gegenübergestellt — zuweilen in einer S i c h t w e i s e , die die realen gesellschaftlichen W i d e r s p r ü c h e und K o n f l i k l k o n s t e l l a lionen eher v e r d e c k t e als bloßlegte. E i n e n exponierten P l a t z u n t e r den im J a h r b u c h Arbeiten
nahm
der
Beitrag
Heinrich
Manns
publizierten
ein.
Angelegt
als ein differenzierter P r o b l e m a u f r i ß , ging er in der K o n s e q u e n z des Urteils, in der KonkretheiL und S c h ä r f e der K r i t i k an den M a ß n a h m e n und Motiven der bürgerlichen K l a s s e n j u s t i z ,
nicht
u n e r h e b l i c h ü b e r die v e r g l e i c h b a r e n
Den-
Äußerungen hinaus.
noch ü b e r l a g e r t e auch hier ein relativ a b s t r a k t g e f a ß t e r G e g e n satz zwischen V e r n u n f t und V e r n u n f t w i d r i g k e i l die sozial- und zeitkritischen B e f u n d e . Obsehon Heinrich M a n n keinen x Zweifel daran ließ, d a ß sich die b e d r o h t e und bereits verfolgte L i t e r a t u r den H a ß der politischen R e a k t i o n d u r c h ihre scharfsichtige Gesellschaftsanalyse, durch ihre E m p ö r u n g ü b e r
vorherrschendes
U n r e c h t zugezogen h a t t e , f ü h r t e er diese E m p ö r u n g p r i m ä r a u f geistig-moralische A n s t ö ß e und P o s i t i o n e n zurück. Der D i c h t e r , so l a u t e t e sein S c h l u ß , gehöre keiner sozialen Klasse an, sondern » j e n e r Menschenklasse der Geistigen«, die seit a l l e n Zeilen d a f ü r k ä m p f t e n , »daß die Gewissen nie völlig einschlafen«. 1 '' Die K r i t i k der bürgerlichen Gesellschaft und, darin
eingeschlossen,
die W a r n u n g vor den Kriegsplänen der herrschenden K l a s s e erscheinen
innerhalb
dieser
Betrachtungsweise
weithin
als
der
A u s d r u c k einer ethisch b e s t i m m t e n G e i s l i g k e i t , eines im
Ver-
nunftprinzip begründeten Verantwortungsgebots. Die weitreichenden bei, d a ß der geplante
Protestaktionen
trugen wesentlich
Hochverratsprozeß
dazu
gegen J o h a n n e s
R.
B e c h e r m e h r f a c h hinausgeschoben und im August 1 9 2 8 schließlich eingestellt werden m u ß t e . Nichtsdestoweniger blieb der Lit e r a t u r - und K u n s t p r o z e ß durch f o r l g e s e t z t e Eingriffe der bür-
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gerlichen Klassenjustiz bedroht. Ein weiteres, charakteristisches Beispiel dafür lieferten die Debatten im Preußischen Landtag vom Dezember 1928, die eine Wiedereinführung der Zensur zum Ziele hatten. Angesichts dieses Vorhabens fanden sich Schriftsteller unterschiedlicher politischer, weltanschaulicher und ästhetischer Positionen erneut zu gemeinsamen Aktionen und Willensbekundungen zusammen. Auf einer Kundgebung der Deutschen Liga für Menschenrechte am 25. J a n u a r 1929 im Langenbeck-Yirehow-Haus in der Luisenstraße 58—59, dem heutigen Sitz der Akademie der Künste der D D R , wandten sich Walter Hasenclever, Herbert J h e ring, Peter Martin Lampel und Prof. Paul Oestreich gegen die in Aussicht genommenen Zensurgesetze. Weitere Persönlichkeiten des geistig-kulturellen Lebens, unter ihnen Lion Feuehtwanger, Wieland Herzfelde, Heinrich und Thomas Mann, Erwin Piseator, Wilhelm von Scholz und Arnold Zweig, hatten dem Veranstalter Gruß- und Zustimmungsadressen übermittelt. Thomas Mann erinnerte in seinem Schreiben, das ebenso wie andere Stellungnahmen auf der Kundgebung verlesen wurde, an die gleichzeitigen Gedenkfeiern zum 200. Geburtstag Lessings: Es scheine wieder an der Zeit zu sein, in seiner Art den Kampf gegen Dummheit und Lüge, gegen Knechtsinn und für die Freiheit des Gedankens zu führen. 1 6 Die Sektion für Dichtkunst reagierte auf die Zensur-Debatten im Preußischen Landtag miL einer noch im J a n u a r 1929 angenommenen und unter dem Titel Gegen die Zensur veröffentlichten Erklärung. Gemeinsam mit dem Schutzverband deutscher Schriftsteller und anderen Institutionen beschloß sie ferner, dem neugegründeten »Kampfausschuß gegen die Zensur-« beizutreten. Beide Schritte wurden auf einem Diskussionsforum der Gesamtakademie zu dem Thema »Zensur oder nicht Zensur?« am 6. März 1929 durch den Akademiepräsidenten Max Liebermann ausdrücklich unterstützt. Um die unterschiedlichen Standpunkte zu verdeutlichen, kamen auf diesem Forum neben Gegnern der Zensur auch Befürworter der geplanten Maßnahmen zu Wort. Während Walter von Molo, der im Oktober 1928 den Vorsitz der Sektion für Dichtkunst übernommen hatte, und AI163
fred Kerr die Zensurgesetze zurückwiesen, v e r s u c h t e n der S t a a t s r e c h t l e r H e r m a n n Heller u n d H a n s - J o a c h i m Moser, der Direktor des I n s t i t u t s f ü r Schul- u n d K i r c h e n m u s i k , begrenzte S a n k t i o n e n zu r e c h l f e r t i g e n . Moser hielt eine »»gewisse Zensur« insbesondere f ü r a n g e b r a c h t , u m »gegen sinnentstellende Interp r e t a t i o n e n von Meisterwerken und gegen die verrohenden P a r odien des J a z z « v o r z u g e h e n 1 7 . Mitglieder der S e k t i o n w a r e n a u c h an den A k t i v i t ä t e n des » K a m p f a u s s c h u s s e s gegen die Zensur« m a ß g e b l i c h b e t e i l i g t . In einem Grußschreiben f ü r das P r o t e s t m e e t i n g , d a s der Ausschuß a m 11. März 1929 im R e i c h s t a g s g e b ä u d e v e r a n s t a l t e t e , w e r t e t e Gerhart H a u p t m a n n die g e p l a n t e n Gesetzesvorschriften zur Kunst als » H a n d h a b e n zu ihrer Knebelung«. Er v e r u r t e i l t e eine fanatisch in Szene gesetzte »ruchlose S c h e i t e r h a u f e n m o r a l « u n d w a r n t e zugleich d a v o r , die Gefahren der g e i s t i g e n U n t e r d r ü c k u n g zu v e r k e n n e n oder g e r i n g z u s c h ä t z e n : » S o l l t e diesem Ungeist gelingen, was er i m m e r w i e d e r erstrebt, so wird kein Gebildeter d a s W o r t 'Es ist eine Lust zu leben' m e h r im M u n d e führen. Dagegen wird der R a u c h eines i m m e r w ä h r e n d e n A u t o d a fés, m i t den W e r k e n unserer großen Denker, Forscher und Dicht e r gespeist, unsere T a g e v e r d ü s t e r n . . , « 1 8 Zur V e r t e i d i g u n g der von r e a k t i o n ä r e n K r ä f t e n bedrohten geistigen F r e i h e i t b e k a n n ten sich im V e r l a u f e des Meetings a u c h F r i t z von U n r u h , L u d wig F u l d a und Heinrich Mann, der in seiner — mit s t a r k e m Beifall a u f g e n o m m e n e n — R e d e d a v o n a u s g i n g , d a ß es s t a t t des Verbots von B ü c h e r n und T h e a t e r s t ü c k e n vor allem n o t w e n d i g sei, die Arbeitslosigkeit, die W o h n u n g s n o t und das soziale Elend zu bekämpfen. Vergleicht m a n die Besorgnisse, die viele M i t g l i e d e r d e r » D i c h t e r a k a d e m i e « a n g e s i c h t s der wiederholten A n g r i f f e auf die F r e i h e i t des literarischen S c h a f f e n s b e k u n d e t e n , m i t den S t e l l u n g n a h m e n proletarisch-revolutionärer Autoren, so stößt m a n ebenso auf ü b e r e i n s t i m m e n d e Ausgangspositionen wie auf u n terschiedliche und oft auch auf k o n t r ä r e W e r t u n g e n . Wrie die U r s a c h e n für die Geistfeindlichkeit der bürgerlichen S t a a t s m a s c h i n e r i e unterschiedlich beurteilt wurden, so g i n g e n auch die Vorstellungen d a r ü b e r a u s e i n a n d e r , wie dieser Geistfeind-
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lichkeit mit der gebotenen Wirksamkeit zu begegnen war. Einer deutlich akzentuierten Orientierung auf die geistig-moralischen Potenzen der Gesellschaft stand — wie Johannes R. Becher auf der Gründungskonferenz des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller am 19. Oktober 1928 formuliert h a t t e 1 9 — das Bekenntnis zur sozialen Revolution, das Bekenntnis zum revolutionären Klassenkampf gegenüber. Potentielle Gemeinsamkeiten der demokratischen Kräfte und zugleich unterschiedliche Antworten auf herangereifte Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung bildeten ein vielschichtiges, die literarischen Institutionen unmittelbar betreffendes und ihre Arbeit mitbestimmendes Spannungsverhältnis.
Auskünfte über die literarische Arbeit In der Kritik an den Zensur- und Verbotspraktiken wie in einer Reihe von Vorhaben, die auf eine verstärkte öffentliche Wirksamkeit der Literatur abzielten, konnte sich die Sektion für Dichtkunst durchaus auf den im Statut von 1926 festgeschriebenen Auftrag berufen, »zur Pflege und Förderung des künstlerischen Schrifttums« beizutragen. Obgleich dieser Auftrag derart weit und unscharf gefaßt war, daß er auf verschiedene Weise interpretierbar blieb, wurde er in der Praxis weithin zur Ausgangsposition und zum Bezugspunkt für die von der Sektion verfolgten Pläne und Projekte. Eine wesentliche Rolle spielte von Beginn an das Bemühen, über Probleme und Ergebnisse des liierarischen Schaffens in geeigneter Form, insbesondere durch Vorträge und Lesungen, auch öffentlich Auskunft zu geben. In ersten Vortragsabenden im Akademiegebäude am Pariser Platz, nahe dem Brandenburger Tor, vermittelten im Herbst 1927 Josef Ponten und Wilhelm Schäfer einen Einblick in ihre literarische Arbeit. Beide Veranstaltungen waren so angelegt, daß jeweils auch ein jüngerer Autor zu Worte k a m : Bei der ersten Lesung trug Alfred Brust ein Kapitel aus seinem Roman Die verlorene Erde vor, bei der zweiten Adolf von Hatzfeld ausgewählte Gedichte. Am 9. J a nuar 1928 las Thomas Mann aus dem Manuskript seines Joseph-
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Romans. »Ein glänzender Abend«, so hielt das Berliner Tageblatt tags darauf fest, »nicht nur für die Dichterakademie, die ihn mit gewohnter Festlichkeit ausstattete, sondern auch für unser ganzes künstlerisches Leben.« 2 0 Noch im gleichen Mona't debattierten die Mitglieder der Sektion über Möglichkeilen, der Vortragstätigkeit einen noch größeren Aktionsradius zu sichern. Walter von Molo empfahl ein gemeinsames Vorgehen mit dem Börsenverein der deutschen Buchhändler, Heinrich Mann eine Zusammenarbeit mit den Volksbühnen und den Gewerkschaften. Unterschiedliche und auch gegensätzliche Interessen bewirkten, daß diese Vorschläge nicht über das Stadium der Diskussion hinausgelangten. Dennoch blieb die Sektion, wenn auch in einem relativ begrenzten Rahmen, um Kontakte zur literarischen Öffentlichkeit bemüht. Sie beschloß, neugewählte Mitglieder jeweils durch öffentliche Vortragsabende in der Akademie vorzustellen; sie nahm aktiven Anteil an den Ehrungen zum 200. Geburtstag Lessings, sie veranstaltete gemeinsam mit der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft vom 30. September bis zum 1. Oktober 1929 in Kassel eine Arbeitstagung zu dem Thema »Dichtung und Rundfunk«, und sie ehrte in Gedenkfeiern mit Reden von Alfred Döblin bzw. J a k o b Wassermann die im Jahre 1929 verstorbenen Schriftsteller Arno Holz und Hugo von Hofmannsthal. Eine nachhaltige Resonanz fand zum andern der von Alfred Döblin unterbreitete Plan für eine Zusammenarbeit zwischen der Akademie und der Berliner Universität. Döblin stellte diesen Plan auf einem Vortragsabend der Sektion am 15. März 1928 zur Diskussion. E r verwies auf die Möglichkeit beiderseitig fruchtbarer Kontakte und bezeichnete die Akademie als »das gegebene Instrument zur Uberbrückung des leeren Raums zwischen lebender Produktion und Universität«; »eine Verbindung der literarischen Produzenten mit der lernenden Jugend, den heranwachsenden Lehrern und Schreibern« sei in jedem Falle wünschens- und bedenkenswert. 21 Für die Berliner Universität sprach sieh Prof. Julius Petersen, der Direktor des Germanischen Seminars, entschieden für die von Döblin begründeten Vorschläge aus, so daß im Einvernehmen mit dem Preußischen
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K u l l u s m i n i s l e r i u r n bereits f ü r d a s W i n t e r s e m e s t e r 1928/29 ein erster Vortragszyklus von Akademiemitgliedern vereinbart werden konnte. Den A u f t a k t d e r V e r a n s t a l t u n g e n , die im A u d i t o r i u m m a x i m u m d e r U n i v e r s i t ä t s t a t t f a n d e n und die nach d e m B e r i e h t Osk a r L o e r k e s jeweils e t w a t a u s e n d Z u h ö r e r a u f z u w e i s e n h a t t e n , b i l d e t e ein V o r t r a g d e s S e k l i o n s v o r s i t z e n d e n W a l l e r v o n Molo a m 9. N o v e m b e r 1928 ü b e r P r o b l e m e d e r d i e h t e r i s e h e n K o n z e p t i o n . Zu d e m T h e m a Formprobleme der Lyrik s p r a e h a m 26. N o v e m b e r O s k a r Loerke, ü b e r Epische Formprobleme am 10. D e z e m b e r Alfred Döblin. I m J a n u a r 1929 r e f e r i e r t e n L u d wig F u l d a ü b e r die K u n s t des Ü b e r s e t z e r s u n d T h e o d o r D ä u b l e r ü b e r die Möglichkeit einer d e u t s c h e n D a n t e - Ü b e r s e t z u n g . O h n e b e f r i e d i g e n d e E r g e b n i s s e blieben d e n V o r t r ä g e n z u g e o r d n e t e A u s s p r a c h e a b e n d e , so d a ß s p ä t e r auf eine d e r a r t i g e S y n t h e s e von Vortrag und gesonderter Aussprache verzichtet wurde. N a c h d e n E r i n n e r u n g e n F r a n z H a m m e r s , d e r als S t u d e n t d e r B e r l i n e r U n i v e r s i t ä t die g e n a n n t e n Vorlesungen b e s u c h t e , h i n t e r l i e ß Alfred Döblin u n t e r den V o r t r a g e n d e n des W i n t e r s e m e s t e r s 1928/29 d e n n a c h h a l t i g s t e n E i n d r u c k . W e d e r d e r V o r t r a g W a l t e r von Molos noch die A u s f ü h r u n g e n O s k a r L o e r k e s v e r m o c h t e n , wie sich H a m m e r e r i n n e r t , eine auch n u r a n n ä h e r n d gleiche A n t e i l n a h m e zu w e c k e n . 2 - In d e r T a t wichen die einzelnen, 1929 im . l a h r b u c h d e r S e k t i o n w i e d e r g e g e b e n e n Vort r ä g e schon im m e t h o d i s c h - k o n z e p t i o n e l l e n A n s a t z n i c h t u n b e t r ä c h t l i c h v o n e i n a n d e r a h . W ä h r e n d Döblin die l i t e r a r i s c h e A r beit b e w u ß t als einen » P r o d u k t i o n s p r o z e ß « zu b e s c h r e i b e n s u c h t e , f e h l t e es a n d e r e r s e i t s nicht an V e r s u c h e n , den S c h a f f e n s v o r g a n g zu m y s t i f i z i e r e n . So e n t w i c k e l t e W a l t e r von Molo I d e e n ü b e r d a s Z u s t a n d e k o m m e n d e r d i c h t e r i s c h e n K o n z e p t i o n , die d e n Dicht e r als ein I n s t r u m e n t des »ewigen W e l t w i n d e s « erscheinen lassen: »Künstlerische Konzeption, und damit auch dichterische K o n z e p t i o n , ist d e m u l s v o l l e U n t e r o r d n u n g , G e h o r s a m gegen K r ä f t e , die nicht wir, die uns b e h e r r s c h e n . . . D i c h t e r i s c h e K o n z e p t i o n , E m p f ä n g n i s , B e f r u c h t u n g , d a s E n t s t e h e n eines W e r kes g e h t als B e g a t t u n g des D i c h t e r s d u r c h d a s All v o r sich.« U n d g l e i c h s a m b e k r ä f t i g e n d f ü h r t e v o n Molo diesen G e d a n k e n
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bis zu der Formel weiter, der Dichter sei »die vollwertige F r a u des Alls«, dessen schicksalhafte K r a f t den vorgefundenen Sloff »jenseits unseres Willens zum schönen Bilde« ordne. 2 3 Ein zweiter Vorlesungszyklus mit Beiträgen von Wilhelm Schäfer, Wilhelm von Scholz, J a k o b W a s s e r m a n n u n d F r a n z Werfel wurde zwischen der Sektion u n d dem Germanischen Seminar der Berliner Universität f ü r das Wintersemester 1929/30 vereinbart. .Takob Wassermann sprach am 28. Oktober 1929 in der Akademie zu dem Thema Hofmannsthal als Freund, im Auditorium m a x i m u m der Universität setzten im November 1929 Wilhelm Scliäfcr (Der Dichter und seine Zeit) und im J a n u a r 1930 Wilhelm von Scholz (Die Lebenswurzeln des Dramas) die Vorträge fort. Die Vorlesung F r a n z Werfeis wurde vertagt. Da die Sektion 1930 von der Herausgabe weiterer J a h r b ü c h e r Abstand n a h m , unterblieb diesmal und in der Folgezeit jedoch eine zusammenfassende Publikation der einzelnen Manuskripte. Wenngleich nicht alle E r w a r t u n g e n aufgegangen waren und in so kurzer Zeit wohl auch nicht aufgehen konnten, bewerteten Prof. Julius Petersen und die Mitarbeiter des Germanischen Seminars beide Vorlesungsreihen insgesamt recht positiv. In einem Schreiben an den preußischen Kultusminister vom 8. November 1930 charakterisierte Petersen die »in den letzten zwei Jahren« gemeinsam m i t der Sektion veranstalteten Dichtervorträge »als ein sehr belebendes Element des Zusammenhanges der Universität mit dem literarischen Leben der Zeit« 24 . Verbunden d a m i t war der Vorschlag, die Vorlesungen von SektionsmitO '
©
gliedern auch in den folgenden Semestern f o r t z u f ü h r e n . F ü r das Wintersemester 1930/31 wurden zunächst zwei außerhalb der Akademie stehende Autoren — Rudolf B o r c h a r d t u n d Paul E r n s t — zu Vorträgen gewonnen, wobei das Germanische Seminar und die Sektion f ü r Dichtkunst gemeinsam als Veranstalter a u f t r a t e n . Im Wintersemester 1931/32 beschlossen Theodor Däubler und René Schickele, der zu dem Thema Das Erlebnis der Landschaft sprach, die Vortragsreihe an der Universität. Wie aus den Protokollunterlagen hervorgeht, h a t t e n auch H e r m a n n Bahr, Georg Kaiser, Heinrich Mann, F r a n z Werfel, E d u a r d Stucken und andere Autoren ihre Bereitschaft zu Vor-
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lesungen vor Hochschullehrern und Studenten erklärt. Im Zus a m m e n h a n g mit dem geplanten Vortrag von E d u a r d Stucken k a m es jedoch zwischen der Sektidn und der Universität zu einer Kontroverse, die einzelne-Unstimmigkeiten rasch anwachsen ließ u n d die Zusammenarbeit zwischen beiden Institutionen beeinträchtigte. E d u a r d Stucken war nicht n u r als Lyriker, Erzähler und D r a m a t i k e r , sondern auch als A u t o r sprachwissenschaftlicher Arbeiten hervorgetreten und beabsichtigte, an der Universität über Ergebnisse seiner linguistischen Studien zu sprechen. Dieses Angebot stieß im Germanischen Seminar auf Widerstand, und mit der Begründung, f ü r Lektionen mit wissenschaftlicher T h e m a t i k sei die venia legendi, der offizielle Nachweis akademischer Lehrbefähigung, erforderlich, wurde der geplante Vortrag abgesagt. Nach einer Reihe von Diskussionen, in denen sowohl die Spannweite der Vortragsthemen als auch die Möglichkeiten zum Erwerb der venia legendi erörtert wurden, entschied sich die Sektion d a f ü r , weitere Vortragsabende in die eigene Regie zu nehmen. Im März 1932 sprach Thomas Mann auf einer Gedenkfeier der Akademie zu dem T h e m a Goethe als Repräsentant des bürgerlichen Zeitalters, im April des gleichen J a h r e s erfolgte die öffentliche Vorstellung neugewählter Sektionsmitglieder, und in der Zeit zwischen dem Oktober 1932 und dem 16. J a n u a r 1933 lasen im Festsaal der Akademie Rudolf Pannwitz, Wilhelm von Scholz, F r a n z Werfel u n d Alfred Mombert aus eigenen Werken. In weiteren Veranstaltungen, jeweils mit Laudationen von Heinrich Mann, würdigte die Sektion das Schaffen von Ludwig F u l d a und G e r h a r t H a u p t m a n n , die im Juli bzw. im Dezember 1932 ihren 70. G e b u r t s t a g begingen. E n t s p r e c h e n d den im S t a t u t fixierten Aufgaben b e f a ß t e sich die Sektion mehrfach auch mit der Vergabe von Preisen und mit der F ö r d e r u n g literarischer Arbeiten. 1930 stellte die preußische Regierung auf Antrag des Kultusministers f ü r einen »Preis der Sektion Dichtkunst« erstmals 5000 Reichsmark bereit. U n t e r insgesamt zwanzig K a n d i d a t e n entfielen die meisten S t i m m e n der Sektionsmitglieder auf Else Lasker-Schüler u n d Friedrich Schnack, bis schließlich eine Stichwahl f ü r den letzteren ent-
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schied. Angesichts der nicht eben befriedigenden W a h l p r o z e d u r m a c h t e sich die Sektion im O k t o b e r 1930 den von T h o m a s M a n n e i n g e b r a c h t e n Vorschlag zu eigen, die Verleihung des S e k t i o n s preises vorerst auszusetzen u n d die f r e i w e r d e n d e n Mittel f ü r Werkbeiliilfen im Sinne d e r F ö r d e r u n g künstlerisch a n s p r u c h s voller A r b e i t e n zu v e r w e n d e n . Auf d e r G r u n d l a g e dieser U b e r e i n k u n f t w u r d e n in den beiden folgenden J a h r e n Werkbeihilfen in H ö h e bis zu 1000 Mark u. a. an H e r m a n n B a h r , T h e o d o r D ä u b l e r , M a x Halbe, Georg Kaiser und E d u a r d S t u c k e n , an A n n e t t e Kolb, R o b e r t Musil, Gabriele R e u t e r . Else LaskerS c h ü l e r u n d A r m i n T. W e g n e r vergeben.
Vorschläge für die Literaturvermittlurig W e i t e r e Vorstöße und B e m ü h u n g e n , a n d e n e n v o r allem d e m o k r a t i s c h u n d liberal o r i e n t i e r t e S e k t i o n s m i t g l i e d e r beteiligt waren, g a l t e n d e r L i l e r a l u r v e r m i t t l u n g im pädagogischen P r o z e ß , i n s b e s o n d e r e d e r Auswahl v o n Schullesesloffen. Dem f ü r d a s U n t e r r i c l i t s w e s e n z u s t ä n d i g e n K u l t u s m i n i s t e r i u m w u r d e n wiederholt Vorschläge f ü r eine k r i t i s c h e Revision d e r Lesebücher und f ü r eine v e r s t ä r k t e B e a c h t u n g von W e r k e n zeitgenössischer deutschsprachiger Schriftsteller unterbreitet. E i n e erste Gelegenheit zu einer, e n t s p r e c h e n d e n Z u s a m m e n arbeit mit d e m K u l t u s m i n i s t e r i u m e r g a b sich bereits wenige Mon a t e n a c h d e r S e k t i o n s g r ü n d u n g . Im F r ü h j a h r 1927 e r s u c h t e d a s Ministerium um Vorschläge d a r ü b e r , welche neuesten liier a r i s c h e n W e r k e nach Ansicht d e r Sektion zur A u f n a h m e in die S c h ü l e r b ü c h e r e i e n geeignet seien. E i n e r d a r a u f h i n vom S e n a t d e r S e k t i o n z u s a m m e n g e s t e l l t e n Vorschlagsliste lagen E m p f e h lungen von O s k a r Loerke, H e i n r i c h u n d T h o m a s M a n n , W a l t e r von Molo, Wilhelm von Scholz u n d E d u a r d S t u c k e n z u g r u n d e . Zu den a u f g e f ü h r t e n Titeln g e h ö r t e n H e r m a n n Hesses Peter Camenzind und Demian, R i c a r d a H u e h s Geschichten von Garibaldi, T h o m a s Manns E r z ä h l u n g Tod in Venedig u n d J a k o b W a s s e r m a n n s R o m a n Kaspar Hauser. H e i n r i c h M a n n e m p f a h l in einem Schreiben vom 1. J u n i 1927 Maria Capponi von R e n é Scliickele, Siegfried von d e r T r e n c k s N a c h d i c h t u n g der Gött-
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liehen Komödie, Die drei Niemandsländer v o n Carl Roessler, Straßenmann v o n H e r m a n n Kesscr, Pythagoras von E g m o n t Cok'rus, die Kulturgeschichte der Neuzeit v o n E g o n F r i e d e l l sowie^ K u r t T u c h o l s k y s (1927 u n t e r d e m P s e u d o n y m P e l e r P a n t e r p u b l i z i e r t e s ) Pyrenäenbuch. Analoge E m p f e h l u n g e n w u r d e n v o n d e r S e k t i o n a u c h in d e n J a h r e n 1928 u n d 1929 a u s g e s p r o c h e n . Z u g u t e k a m diesen Vorschlägen, d a ß sich d a s z u n ä c h s t v o n P r o f . Carl H e i n r i c h B e c k e r und vom F e b r u a r 1930 bis z u m J a n u a r 1933 v o n Adolf G r i m m e geleitete K u l t u s m i n i s t e r i u m kein e s w e g s d e r A u f g a b e v e r s c h l o ß , die A u f m e r k s a m k e i t v o n L e h r e m u n d S c h ü l e r n auf zeitgenössische W e r k e zu l e n k e n . Dies d o k u m e n t i e r e n im ü b r i g e n a u c h die offiziellen E m p f e h l u n g e n f ü r F i l m e wie Mutter Krausens Fahrt ins Glück, Panzerkreuzer Potemkin o d e r d e n D o k u m e n t a r b e r i c h t ü b e r die A r b e i t e r - O l y m p i n d e in W i e n . 2 5 D a s v o m Ministerium h e r a u s g e g e b e n e Zentralblatt für die gesamte Unterrichts-Verwaltung in Preußen enthielt eine s t ä n d i g e R u b r i k Beachtenswerte Erscheinungen auf dem Büchermarkt. 1929 w u r d e n hier z. B. A r b e i t e n v o n W i l h e l m Bölsehe, E m i l L u d w i g , B a l d e r Olden u n d H e r m a n n S t e h r sowie d i e im Verlag d e r J u g e n d i n t e r n a t i o n a l e erschienenen B ü c h e r Kostja Rjabzew auf der Universität v o n Nikolai O g n j e w u n d Schkid, die Republik der Strolche v o n Leonid P a n t e l e j e w m i t k u r z e n K o m m e n t a r t e x l e n v o r g e s t e l l t . Im folgenden J a h r g a n g f a n d die v o n H e i n r i c h M a n n e m p f o h l e n e Kulturgeschichte der Neuzeit Eing a n g in die T i t e l l i s t e n ; w i e d e r u m ein J a h r s p ä t e r w u r d e n u. a. B ü c h e r v o n Rudolf B i n d i n g , M a h a t m a G a n d h i (Mein Leben), V i c t o r K l e m p e r e r , A l b e r t Schweitzer, I n a Seidel u n d Sigrid U n d set b e r ü c k s i c h t i g t . E i n e n o r i e n t i e r e n d e n C h a r a k t e r e r l a n g t e n diese L i s t e n im Z u s a m m e n h a n g mit d e m M i n i s t e r i a l e r l a ß ü b e r d i e A r b e i t d e r S c h ü l e r b ü c h e r e i e n vom 9. J u n i 1928, d e r die S c h u l e n zu b e s o n d e r e r A u f m e r k s a m k e i l f ü r die S a m m l u n g u n d d i e Ausleihe p ä d a g o g i s c h u n d literarisch w e r t v o l l e n S c h r i f t t u m s verpflichtete. D a ß die T i t e l v o r s c h l ä g e eine b e s t i m m t e B e a c h t u n g f a n d e n , b e z e u g t a u c h d e r U m s t a n d , d a ß sich die S e k t i o n v e r s c h i e d e n t lich m i t k r i t i s c h e n R e a k t i o n e n v o n L e h r e r n a u s e i n a n d e r s e t z e n m u ß t e . So w u r d e R i c a r d a H u c h m i t d e r F r a g e k o n f r o n t i e r t , in-
171
wieweit das von ihr empfohlene Buch Das Reich der Republik von August Winnig dem demokratischen Anspruch der Weimarer Republik gerecht werde 26 , und wegen »moralischer« Bedenken wandten sich verschiedene Lehrerinnen dagegen, den — von Heinrich Mann genannten — Roman Die drei Niemandskinder von Carl Roessler in die Schülerbüchereien aufzunehmen. Vom Ministerium um eine Stellungnahme gebeten, entgegnete Heinrich Mann, das Buch von Roessler sei gutmütig und optimistisch, und er fügte hinzu: »Wenn ich aber ein Buch mit strenger Charakteristik und moralischer (im fortgeschrittenen Sinne moralischer) Absicht, wie 'Berlin Alexanderplalz' von Döblin genannt hätte, — was würden diese Lehrerinnen dann erst sagen. — Wer neue Literatur empfehlen soll, hat die Wahl zwischen den höchsten Werken, die nur selten für junge Schüler passen werden, dem ganz schlecht und rückständig gesinnten Kitsch, und einigen harmlosen Unterhaltungs-Romanen in der Art des Roesslerschen. Ich habe mich damals, 1927, wahrscheinlich bemüht, auch Bücher höchster Art zu finden. Daneben glaubte ich, daß den größeren Schülern eine leichte, alles in allem unschädliche Unterhaltung zu gönnen sei.« 27 Mit ausgeprägtem Interesse wurden in der Sektion zum andern Fragen erörtert, die sich auf die Anlage, den Ideengehalt und die Wirkungsmöglichkeiten der in den Schulen verwendeten Lesebücher bezogen. Begründet war dies vor allem in der Einsicht, daß von den Lesebuchtexlen ein wesentlicher Einfluß auf die literarische und politisch-moralische Bildung der heranwachsenden Generation ausging. Auf einer Sektionssitzung am 13. Oktober 1930 leitete René Schiekele daraus die Konsequenz ab, die Sektion solle an die Kultusminister der deutschen Länder herantreten und um eine geeignete Mitwirkung in den Sachverständigenausschüssen für die Schulbücher ersuchen. Gleichzeitig regte Schickele an, auf eine Zusammenkunft »aller Kultusminister der Welt« zu drängen, die den Zweck haben sollte, »die Schullesebücher der einzelnen Länder auf einen friedfertigen, völkerversöhnenden Ton abzustimmen und andere Abwehrmaßnahmen wenigstens gegen die schlimmsten Auswüchse eines demagogischen Nationalismus zu erwä172
gen, wie er noch in den akademischen Kreisen zahlreicher Länder besteht« 2 8 . In der B e r a t u n g vom 27. J a n u a r 1931 waren diese Vorschläge und die mit ihnen verbundenen Fragen erneut Gegenstand der Debatte. Ubereinstimmend verständigte sich die Sektion auf ihren Anspruch u n d ihre Bereitschaft zur Mitarbeit an »kulturwichtigen Schulbüchern«, während der Plan einer internationalen Konferenz fürs erste zurückgestellt wurde. In der Diskussion u n t e r s t ü t z t e n Theodor Däubler, Alfred Döblin, Leonhard F r a n k , Heinrich Mann und Josef P o n t e n jedoch den Wunsch, d a ß sich der erstrebte Einfluß »nicht bloß auf die deutschen Lesebücher, sondern auch auf die Geschichtsbücher mit ihren noch vielfach völkerverhetzenden Tendenzen erstrecken sollte«. Wie Oskar Loerke im Protokoll weiter festhielt, folgte die Diskussion ausdrücklich der Erkenntnis, der Friede sei »die Vorbedingung /unserer K u l t u r und der Nährboden unserer Kunst« 2 9 . Auf Seiten reaktionärer K r ä f t e f ü h r t e n die A k t i v i t ä t e n der »Dicliterakademie«, die auf der gleichen Sitzung vom 27. J a n u a r 1931 Heinrich Mann zu ihrem Vorsitzenden gewählt h a t t e , zu heftigem Widerspruch. In der E t a t b e r a t u n g des Preußischen Landtages vom 14. F e b r u a r 1931 erklärte der Sprecher der Deutsch-Nationalen Volkspartei, die Dichtersektion habe in ihrer derzeitigen Zusammensetzung »kein Recht zu p r o g r a m m a tischen F o r d e r u n g e n auf Anteilnahme an der Erziehung der heranwachsenden Jugend und ständige Heranziehung zur P r ü f u n g kulturwichtiger Schulbücher«. Vom preußischen Kultusminister wurde in diesem Zusammenhang »eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Dichter-Akademie« verlangt. 3 0 In noch erheblich schärferer T o n a r t intervenierten die Sprecher der Nazipartei, deren Zentralorgan Völkischer Beobachter die Versuche der Akademie, Einfluß auf die Schullesebücher zu gewinnen, als einen »Dolchstoß der Literaten« klassifizierte. 3 1 Ungeachtet dieser Angriffe ließ sich der Kultusminister Adolf G r i m m e am 9. März 1931 durch Heinrich Mann, Alfred Döblin und Oskar Loerke aus erster Quelle über die Vorstellungen der Sektion informieren. Von einem sachlich b e s t i m m t e n Interesse a n der Arbeit der Akademie geleitet, sicherte er im Verlauf der 173
von Heinrich Mann initiierten Unterredung zu, Vertretern der Sektion Einblick in die einschlägigen Unterlagen sowie die Mitarbeit in den für das Land Preußen zuständigen SchulbuchKommissionen zu ermöglichen. Auf Grund dieser Zusage nahm die Sektion im F r ü h j a h r 1931 Kontakte mit dem Berliner Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht auf, und Oskar Loerke unterzog sich der Aufgabe, annähernd 500 Lehrbücher und andere Unterrichtsmaterialien durchzusehen. Uber die Ergebnisse seiner Studien informierte er das Plenum der Sektion am 18. J u n i 1931. Anerkennung fanden in seinem Bericht die Quellenhefle der führenden Schulbuchverlage Dicsterweg und Teubner und ebenso das unter dem Tilel Aussaat vom Grote-Verlag herausgegebene Lesebuch. Kritisch vermerkt wurden hingegen die noch immer spürbare Vorrangstellung des Kriegerisch-Militärischen in den Geschichtsbüchern, eine oftmals mechanische Zuordnung literarischer T e x t e zum Geschichtspensum der einzelnen Klassen, die Mangelhaftigkeit populärer Literaturgeschichten sowie eine Dominanz zeitfremder und mittelmäßiger Lesestoffe. Unter den im Unterricht gelesenen zeitgenössischen Autoren waren einer den Jahresberichten der höheren Lehranstalten in Preußen entnommenen Übersicht zufolge Gerharl Hauptmann, Henrik Ibsen, Thomas Mann, Waller Flex, Hugo von Hofmannsthal, Georg Kaiser, Franz W'erfel, Hermann Löns, Ricarda Huch und Rainer Maria Rilke in dieser Reihenfolge am stärksten vertreten. Im Anschluß an die Zusagen des Kultusministers vom 9. März 1931 kam es auch zu einer zeitweiligen Mitarbeit von S e k tionsmitgliedern, vor allem von Alfred Döblin und Oskar Loerke, in den für Lesebuchfragen verantwortlichen Prüfungsausschüssen für Deutschkunde. Weder die Arbeitsweise noch die Kompetenzen dieser Ausschüsse entsprachen jedoch den in der Sektion vertretenen Vorstellungen. Der deutliche Wunsch, ohne größeren Zeilverzug zu erkennbaren Neuansätzen zu gelangen, kollidierte mit einem System relativ verfestigter Gewohnheiten und Verfahrensmechanismen, mit Rechtsansprüchen und mit literaturdidaktischen Konzeptionen. Noch einigermaßen zurückhaltend urteilte Heinrich Mann im August 1931, die über174
nommene Arbeit sei »verantwortungsvoll wie wenige-« und »weitläufiger, als sich irgend erwarten ließ«. 32 Unter diesen Voraussetzungen entstand schon bald, nach Protokollvermerken im Juni 1931, der Plan für ein selbständig konzipiertes, von interessierten Autoren zusammengestelltes Lesebuch. Von den Sektionsmitgliedern engagierten sieh vor allem Heinrich Mann und Alfred Döblin für diesen Plan. Ausgehend von Überlegungen, die in der Sektion bereits seit längerem eine Rolle gespielt hatten, erarbeiteten sie den Entwurf für ein Volkslesebuch. Diesem Lesebuch lag die Intention zugrunde, literarische Ansprüche mit demokratischen Zielen zu verbinden und ein Gegengewicht zu nationalistisch orientierten Auswahlbänden zu schaffen. Soweit die Grundlinien des Entwurfes heute ljoch rekonstruierbar sind, standen literarische Texte zu den Themenkomplexen Arbeit und Alltag, Friedenswillen und Völkerverständigung im Vordergrund. Bewußt verzichtet wurde auf Hohenzollernsagen und Landsknechtsgeschichten sowie auf Lesestoffe, die auf eine mythisch bestimmte Verklärung des Krieges hinausliefen. Obwohl der sozialdemokratische Kultusminister Grimme nach den Berichten Heinrich Manns dem Projekt wohlwollend gegenüberstand, scheiterten die Pläne, das Buch in die Schulen einzuführen, vor dem Hintergrund der politischen und ökonomischen Krisen zu Beginn der dreißiger J a h r e am Widerstand der Ministerialbürokratie. Die E n t w ü r f e selbst gingen in der Zeit der faschistischen Diktatur vermutlich verloren.
Positionsbestimmungen und Richtungskämpfe In den Jahren 1930 und 1931 stand in der Preußischen Akademie der Künste der Entwurf f ü r ein verändertes, stärker auf die Ziele und Inhalte der Arbeit bezogenes S t a t u t zur Diskussion. Beteiligt am Prozeß der Meinungsbildung waren alle drei Akademiesektionen; in der Sektion für Dichtkunst wurde der Statutenentwurf jedoch ungleich stärker als in den beiden anderen Wirkungsbereichen zu einem auslösenden Moment für die Deb a t t e grundsätzlicher Fragen. Die Statutendiskussion wurde 175
hier nicht n u r mit besonderer Schärfe u n d Heftigkeit geführt, sie d r ä n g t e zeitweilig auch andere Aufgaben zurück u n d ließ die » Gegensätze innerhalb der Sektion deutlicher h e r v o r t r e t e n als viele Ereignisse zuvor. Ausgehend von der Frage nach der geeigneten Bezeichnung f ü r die Sektion, t r a t e n bereits im Vorfeld dieser Diskussion massive Meinungsverschiedenheiten zutage. U n t e r s t ü t z t von J a k o b Wassermann, b r a c h t e Alfred Döblin im Herbst 1929 Zweifel an der Genauigkeit u n d Tragfähigkeit des Begriffes »Dichtkunst« zur Sprache. E r bezeichnete diesen Begriff angesichts der E n t wicklungen im Literaturprozeß als anachronistisch u n d schlug vor, s t a t t dessen von einer Sektion f ü r L i t e r a t u r oder von einer Literarischen Sektion zu sprechen. Kolbenheyer bewertete diese Vorschläge als bedenkliche »Entgleisungen« und protestierte in aller F o r m gegen eine geplante N a m e n s ä n d e r u n g . Seinem Urteil zufolge war der Begriff »Dichtkunst«, gefaßt als »die emotionelle F ü h r u n g und Befreiung eines Volkes durch das Kunstmittel der Sprache«, 3 3 f ü r die Sektion unverzichtbar, dies um so mehr, als d a m i t nicht allein Fragen der Benennung, sondern auch Fragen »der inneren Einstellung« aufgeworfen seien. Blieb die L i t e r a t u r in diesem D e n k m u s t e r auf die Spiegelung von sozialen Vorgängen und Ideologien reduziert, so erschienen die vorgeblich »überzeitlichen« Werte, die tieferen Fragen nach den Urgründen der Existenz als die eigentliche Domäne der D i c h t k u n s t , der zugleich, wiederum abgesetzt vom Literaturbegriff, eine als elementar vorausgesetzte Bindung an Rasse und Volkst u m zuerkannt wurde, eine Verwurzelung im »Lebenswuchs« u n d in den »Wesenstiefen« des Volkes. Während Wilhelm Schäfer u n d H e r m a n n S t e h r den Einwänden Kolbenheyers uneingeschränkt zustimmten, w a n d t e n sich Döblin, Thomas Mann und J a k o b W a s s e r m a n n nicht minder entschieden gegen dessen Argumentation, gegen ein ebenso rückwärtsgerichtetes wie hochstilisiertes Dichtungskonzept. Kolbenheyers Widerspruch, so schrieb T h o m a s Mann im J a n u a r 1930 an die Sektion, sei zu verstehen »als Ausdruck konservativkulturpolitischer Wachsamkeit. Worauf er b e h a r r t , was er zu schützen wünscht, das ist der mythisch-volkstümliche Begriff
176
des D i c h t e r i s c h e n im G e g e n s a t z — einem u n h a l t b a r e n
Gegen-
satz — zu d e m der L i t e r a t u r , der ihm als europäisierende W i n d beutelei e r s c h e i n t und den er darum aus der B e z e i c h n u n g unserer
Korporation
verbannen
will. S o n d e r b a r !
I n der ganzen
g e s i t t e t e n W e l t s t e h t der literarische N a m e in hohen und h ö c h sten
Ehren.
Nur in
Deutschland
sucht
eine gewisse
fromme
R a n c u n e ihn zu b e m a k e l n , indem sie den s a k r a l e n B e g r i f f des D i c h t e r t u m s , des ' D e u t s c h e n D i c h t e r s ' dagegen a u s s p r i c h t , welcher, u n l i t e r a r i s c h bis in die K n o c h e n , nicht e i n m a l schreiben zu können b r a u c h t . . . Die L i t e r a t u r , das ist o f f e n b a r e t w a s wie die R e p u b l i k , die beiden gehören in ihrer U n d e u t s c h h e i t z u s a m m e n , ein d e u t s c h e r D i c h t e r s m a n n w ü n s c h t sie m i t e i n a n d e r zum T e u f e l . « 3 4 Da eine E i n i g u n g n i c h t in S i c h t war — a u c h der Vorschlag Heinrich M a n n s , die B e z e i c h n u n g Sektion
für
literarische
Kunst
zu v e r w e n d e n , v e r m o c h t e d a r a n nichts zu ä n d e r n —, wurde d e r Namensstreit
vorerst
ohne
Ergebnis
vertagt.
D o c h schon
S o m m e r u n d H e r b s t 1930, als der E n t w u r f des neuen
im
Akade-
m i e s l a t u t s zur Diskussion gelangte, e n t z ü n d e t e n sich die Auseina n d e r s e t z u n g e n aufs neue. N a c h d e m W a l t e r von Molo im S e p t e m b e r 1 9 3 0 als S e k t i o n s v o r s i t z e n d e r z u r ü c k g e t r e t e n war, unternahm Kolbenheyer, dem faschistischen sierte, einen
der
zu
diesem
Zeitpunkt
bereits
mit
K a m p f b u n d für d e u t s c h e K u l t u r s y m p a t h i -
neuerlichen
und letzten V e r s u c h , die
sektion liberalen und d e m o k r a t i s c h e n
Einflüssen
zu
Akademieentziehen.
I m E i n v e r s t ä n d n i s m i t W i l h e l m S c h ä f e r und E m i l S t r a u ß ford e r t e er in d e r S i t z u n g vom 13. O k t o b e r 1 9 3 0 , die S e k t i o n solle sich g r u t d s ä zlich »von T a g e s f r a g e n z u r ü c k h a l t e n « und b e s t r e b t sein, ihre A u t o r i t ä t »von innen her« zu erwerben. D a m i t wurden nicht allein die V o r b e h a l t e gegen eine Arbeitsweise e r h ä r t e t , die sich an a k t u e l l e n Erfordernissen wie dem K a m p f gegen die Zensur sowie an
literaturpädagogischen
Aufgaben
orientierte.
Ihren besonderen Akzent erhielten diese T h e s e n a b e r m a l s d u r c h das
Bekenntnis
zu
einem
konservativ-nationalen
Ethos,
zu
einer im » V o l k s t u m « , iu der N a t u r und der L a n d s c h a f t verwurzelten
D i c h t u n g , die mit deutlicher P o l e m i k zugleich
als ein
positiver G e g e n w e r t zum L i t e r a t e n t u m der G r o ß s t ä d t e erschien, v o r n e h m l i c h zur geistigen und literarischen A t m o s p h ä r e B e r l i n s .
12
Wruek, Leben, Bd. I I
177
Kolbenheyer diagnostizierte die nach seinem Verständnis wie ein »Hexensabbat-« wirkende A t m o s p h ä r e Berlins geradezu als eine d e r Ursachen »falscher Grundeinstellung« auch zur Akademie: »Es scheint mir ausgeschlossen, d a ß sensible N a t u r e n , die wir sein müssen, um unsere Werke zu schaffen, sich dem aufjagenden H e t z t e m p o dieser S t a d t entziehen können, dieser S t a d t , in der wohl ein Großteil aller Leistung Betrieb um des Betriebes willen und nicht um der Sache willen ist.« 3 5 Diese Aussagen des in Tübingen lebenden Epikers und Dramatikers waren keineswegs beiläufige Überspitzungen, sie fügten sich sehr wohl in das von reaktionären Kreisen entwickelte Konzept einer geistigen Auseinandersetzung ein, die ganz bewußt mit den Gegensatzpaaren Großstadt — L a n d s c h a f t , Internationalismus — Volkstum, Asphalt — Scholle u n d insbesondere auch mit der Antinomie Literatur — Dichtung operierte. Speziell in den Angriffen auf Berlin, wie sie u n t e r anderem in Friedrich Lienhards Streitschrift Gegen die Vorherrschaft Berlins und in der von Wilhelm Stapel redigierten Zeitschrift Deutsches Volkstum vorgetragen wurden, äußerten sich »völkischem« Denken verpflichtete, s t r i k t gegen progressive Einflüsse gerichtete Positionen. Manche der von Kolbenheyer b e n u t z t e n A r g u m e n t e waren bis in die Formulierungen vorgeprägt. So h a t t e Wilhelm Stapel bereits im J a n u a r 1930 b e h a u p t e t , es sei eine f ü r die deutsche K u l t u r entscheidende Frage, »ob die deutsche L a n d s c h a f t sich die A n m a ß u n g e n und Frechheiten der Berliner Geistigkeit gefallen läßt«; die Forderung des Tages laute: Aufstand der Landschaft gegen Berlin. 3 6 W e d e r die Versuche, die Sektion von dem eingeschlagenen Weg abzubringen, noch die Diskreditierung Berlins blieben in der Akademie indes unwidersprochen. W ä h r e n d sich Oskar Loerke noch d a m i t begnügte, seiner Verwunderung über die generellen Vorwürfe gegen Berlin u n d das »Berlinertum« Ausdruck zu geben, wurden die Vorstöße Kolbenheyers durch Alfred Döblin u n d in den nachfolgenden Auseinandersetzungen auch d u r c h T h o m a s Mann entschieden zurückgewiesen. »Döblin b e k e n n t dann«, so heißt es im Protokoll der Sektionssitzung vom 13. Oktober 1930, »daß er sich stolz u n d leidenschaftlich als zuge178
hörig zu dem wahren Berlin spürt, zu dem von Kolbenheyer tief verkannten, zu dem unbekannten und für flüchtige B e sucher unsichtbaren Berlin, wo alles in ungeheurer, selbstaufopferndcr Anspannung um der Sache willen geschieht und nichts um des Betriebes willen.« 37 Einige Wochen danach, in einem Beitrag für die renommierte Vossische Zeitung, setzte sich Döblin auch öffentlich mit den Verfechtern des »Volkstums«, mit den Protesten »des sehr platten Landes« gegen Berlin und die hier wirksamen demokratischen Tendenzen und Bestrebungen auseinander. 3 8 Innerhalb der Akademie bildete die Diskussion von Statusund Verfahrensfragen weiterhin den äußeren Rahmen, in dem die vorhandenen Gegensätze ausgetragen wurden. Sie verschärften sich insbesondere durch den Streit um eine von Kolbenheyer und Schäfer initiierte Geschäftsordnung der Sektion, die in mehreren Punkten vom geltenden S t a t u t abwich, dein Gedanken von einer »repräsentierenden Körperschaft« Raum gab und unter anderem auch vorsah, zugunsten wechselnder Versammlungsleiter künftig auf die Funktion des Vorsitzenden zu o
o
verzichten. Namentlich Schäfer forcierte Dgleichzeitig© die Kritik an »passiven«, zumeist weit von Berlin entfernt wohnenden Mitgliedern — mit dem fragwürdigen Ergebnis, daß diese pauschal gehaltene und auch in das Protokoll aufgenommene Kritik Hermann Hesse dazu bewog, am 16. November 1930 seinen Austritt aus der Akademie zu erklären. In dieser für die Sektion äußerst kritischen Situation ermutigte Thomas Mann den geschäftsführenden Sekretär Oskar Loerke in einem vertraulich gehaltenen Schreiben vom 26. November 1930 dazu, die aufgebrochenen Gegensätze nicht zu verwischen. Die akut gewordene Krise könne durch Beschwichtigung nicht gelöst werden: »Ich wünsche im Grunde, daß man ihr die Radikalität zugesteht, die sie in Wahrheit besitzt, und ihr, sei es auch bis zum bitteren Ende, das der Anfang des Besseren sein könnte, den Lauf läßt.« Da der Einfluß der kulturpolitischen Richtung Kolbenheyers vollkommen lähmend wirke und eine ehrenvolle Zusammenarbeit mit ihm und seinen Anhängern nicht möglich sei, müsse anderes in B e t r a c h t gezogen 12*
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werden: »Das Richtigste wäre ihre Ausbootung, das Problem besteht darin, wie es zu machen wäre. Vielleicht genügt die nachträgliche Ablehnung ihrer Geschäftsordnung.« 3 9 Diese E r w ä g u n g sollte sich als zutreffend und p r a k t i k a b e l erweisen: Nach Konsultationen mit d e m Preußischen Kultusministerium verständigte sich die Mehrheit der Sektion am 17. Dezember 1930 d a r a u f , alle dem S t a t u t zuwiderlaufenden Vorschläge und P r a k t i k e n zur Geschäftsordnung als gegenstandslos zu betrachten. Döblin begründete u n d ergänzte das Einvernehmen d a r ü b e r mit dem Vermerk, »die dauernden u n f r u c h t baren Debatten, die eine förderliche akademische Arbeit unmöglich machen« 4 0 , sollten endlich zum Abschluß k o m m e n . Kolbenhever, Schäfer u n d S t r a u ß n a h m e n diese Entscheidung im J a n u a r 1931 zum Anlaß f ü r ihren gemeinsamen A u s t r i t t aus der Sektion, was bei dem S t a n d der Dinge indessen eher Verständnis u n d Erleichterung als Bedauern auslöste. So v e r t r a t Ludwig Fulda den S t a n d p u n k t , m a n müsse in den A u s t r i t t e n »den Anfang einer Gesundungsaktion« erblicken, und ebenso beg r ü ß t e Heinrich Mann die Möglichkeit, die Arbeit der Sektion ohne die ihr f o r t w ä h r e n d künstlich aufgenötigten Auseinandersetzungen weiterzuführen: »Es waren ungünstige Arbeitsbedingungen. Die meisten von uns saßen mit k a m e r a d s c h a f t l i cher Gesinnung u m den langen Tisch in einem hellen Zimmer des Hauses Pariser Platz 4, sie waren herzlich bereit, zu tun, was der Geltung der L i t e r a t u r nützen konnte, und als Grundlage der Bestrebungen b e t r a c h t e t e n sie u n t e r a n d e r e m ihre eigene, lebenslange, verantwortliche Arbeit. Da fing jedesmal einer an, uns vorzuhalten, mit dem deutschen Volkstum h ä t t e n wir nichts zu t u n . E r dagegen, ja. Es war nicht m e h r zu machen. — Wir d ü r fen hoffen, d a ß es künftig besser gehen wird.« 4 1 Daß die Mehrheit der Sektionsmitglieder diesen Wunsch teilte, d o k u m e n t i e r t e n die a m 27. J a n u a r 1931 getroffenen Entscheid u n g e n : Einstimmig verabschiedete Beschlüsse zum Schutz der Geistesfreiheil und zur Mitwirkung der Sektion bei der Arbeit an »kullurwichtigen Schulbüchern« verwiesen auf vorrangige Aufgaben u n d gaben dem Willen zu einer sachlich-konstruktiven Arbeit Ausdruck. Eine neugebildete Kommission, bestehend aus
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Alfred Döblin, M a x H a l b e und Heinrich Mann, erhielt den Auft r a g , bei V e r b o t e n und Verfolgungen literarisch wertvoller A r beiten
Vorschläge
f ü r geeignete
Reaktionen
zu
unterbreiten.
Gleichzeitig b e e n d e t e die S e k t i o n das seit dem R ü c k t r i t t W a l t e r von Molos e i n g e t r e t e n e I n t e r r e g n u m : Heinrich M a n n , 1 9 2 9 M ü n c h e n nach der
B e r l i n übergesiedelt,
»Dichterakademie«,
treterin
gewählt.
S c h o l z im März an
der
ihren zu
sehr
Kern
gehen
Ricarda
Mit
dieser
1931,
habe
mulwillig
zu
Sektion
unverletzt
sondern
ohne
Stellver-
Wilhelm
bewiesen,
»daß
Krise,
ließ,
die
nicht
Einseitigkeit
von
Vorsitzenden
seiner
so u r t e i l t e
heraufbeschworenen
glücklicherweise gedenkt,
Huch
Wahl, die
wurde zum
von sie aber
zugrunde
weilerwirken
wird«42. W e n i g e M o n a t e s p ä t e r , a m 11. August 1 9 3 1 , t r a t anstelle des bis d a h i n gültigen S t a t u t s eine n e u g e f a ß l e » S a t z u n g der P r e u ßischen A k a d e m i e der K ü n s t e « in K r a f t . Sie b e s t ä t i g t e den Char a k t e r der A k a d e m i e als einer s t a a t l i c h e n , zur F ö r d e r u n g
der
K ü n s t e g e s t i f t e t e n I n s t i t u t i o n , modifizierte j e d o c h sowohl ihren A u f g a b e n b e r e i c h als a u c h die V o r g a b e n zu ihrer Arbeitsweise. A b g e ä n d e r t wurden ebenso die bisher ü b l i c h e n
Bezeichnungen:
Die S e k t i o n e n erhielten den S t a t u s einer A b t e i l u n g der A k a d e m i e , die S e k t i o n für D i c h t k u n s t wurde in » A b t e i l u n g für D i c h l u n g « u m b e n a n n t . Zu ihrem durch die S a t z u n g e r w e i t e r t e n A u f g a b e n k r e i s zählten e n t s p r e c h e n d den in der S t a t u t e n d i s k u s s i o n eingebrachten
Vorschlägen
insbesondere
den F r a g e n der G e s e t z g e b u n g
die » M i t w i r k u n g
bei
auf dem G e b i e t e des k ü n s t l e r i -
schen S c h r i f t t u m s « sowie die »Mitwirkung bei der B e g u t a c h t u n g von
Schulbüchern
für
den deutschen
Unterricht«43.
V o r g a b e n folgten d e m Ziel, die A u f g a b e n schäftsführenden zu b e s t i m m e n grenzen.
Weitere
der S e n a t e , der ge-
G r e m i e n der einzelnen A b t e i l u n g e n ,
genauer
und die Zahl der möglichen B e r u f u n g e n zu be-
Der traditionell am stärksten
vertretenen
Abteilung
für b i l d e n d e K ü n s t e , die auch den B e r e i c h der A r c h i t e k t u r u m f a ß t e , wurde eine H ö c h s t z a h l von 8 0 Mitgliedern, den
Abtei-
lungen für Musik und für D i c h t u n g eine H ö c h s t z a h l von jeweils 40
Mitgliedern
zugestanden.
Wirkungsbereiche
Gemeinsame,
verbindende
181
Aufgaben
die
verschiedenen
verblieben
in
der
Kompetenz des Präsidiums sowie einer jährlichen Mitgliederversammlung der Gesamtakademie. « Da durch die Satzung verbindlich vorgegeben war, die Monate Juli, August und September sitzungsfrei zu halten, fand die erste Zusammenkunft unter dem neuen und nur allmählich eingebürgerten Namen einer »Abteilung für Dichtung« — in der Publizistik verstärkte sich eher die Tendenz, von der »Dichterakademie« zu sprechen — erst am 8. Oktober 1931 statt. In dem zunächst notwendigen Wahlgang wurden Heinrich Mann und Ricarda Huch in ihren Ämtern bestätigt; die neue Wahlperiode erstreckte sich satzungsgemäß auf den Zeitraum vom 1. Oktober 1931 bis zum 30. September 1934. Auch in den Sachentscheidungen blieben die Januar-Beschlüsse durchweg die Grundlage der Arbeit. Vom November 1931 bis zum J a n u a r 1932 rückte außerdem die Zuwalil neuer Akademiemitglieder in den Blickpunkt des Interesses. Das Recht. Wahlvorschläge zu unterbreiten und damit das eigene ästhetische Urteil geltend zu machen, wurde von den Mitgliedern intensiv in Anspruch genommen. Die am 9. J a nuar 1932 abgeschlossene Kandidatenliste umfaßte die Namen von 28 Autoren, zu denen neben Hans Friedrich Blunck, Paul Ernst, Agnes Miegel und Börries von Münchhausen auch Martin Andersen Nexö, Alfred Kerr, Gustav Meyrink, Robert Musil, Rudolf Alexander Schröder, Carl Zuckmayer, Arnold und Stefan Zweig sowie, als der jüngste der Kandidaten, der zu diesem Zeitpunkt 33jährige Bert Brecht gehörten. Das Resultat der mehrheitlichen Entscheidungen vom 29. J a n u a r 1932 ließ allerdings die Konturen der ursprünglichen Vorschlagsliste kaum noch erkennen. Gewählt wurden Gottfried Benn, den die Akademie im März 1931 schon als Redner zum 60. Geburtstag Heinrich Manns gewonnen hatte, Rudolf Binding, der österreichische Erzähler und Dramatiker M a x Meli, Rudolf Pannwitz, Alfons P a q u e t und Ina Seidel. Die Vorstellung der neuen Mitglieder erfolgte, nachdem das Kultusministerium die Wahl bestätigt hatte, auf einer öffentlichen Festsitzung am 5. April 1932 in den Räumen der Akademie.
182
Zwischen Autonomieanspruch und faschistischer »Gleichschaltung« Sowohl die Debatten zum Status der Akademie als auch die Zuwahlen vom Frühjahr 1932 vollzogen sieh in einer Zeitspanne, die politisch bereits durch den Niedergang der Weimarer Republik und durch das Vorrücken der faschistischen Reaktion charakterisiert war. In persönlichen Stellungnahmen und in ihren künstlerischen Arbeiten setzten sich nicht wenige Mitglieder der Akademie mit der entstandenen Situation und ihren möglichen Konsequenzen auseinander. Als das Berliner Tageblatt im März 1932 eine Diskussion über die Möglichkeiten einer Vereinigung der Linkskräfte in die Wege leitete, sprach sich z. B . Heinrich Mann nachdrücklich für eine Verständigung der beiden Arbeiterparteien im Kampf gegen den Faschismus aus. Die Arbeiter, so betonte er, »müssen heute damit rechnen, daß der Faschismus, wenn er zur Macht gelangte, ihnen nichts übrigläßt von allem, was sie in 80 Jahren erkämpft haben«. Dagegen könnten die verbündeten Arbeiterparteien »mit Geduld und Kampf, viel Kampf, viel Geduld, aus der Demokratie eine wirkliche Volksherrschaft machen«. 4 4 Im Unterschied zu derartigen persönlichen und im einzelnen sehr differenzierten Äußerungen beschränkte sich die Akademie in ihrer öffentlichen Tätigkeit bewußt auf ihren staatlich sanktionierten Aufgabenbereich. Die Gegensätze, die sich allein dadurch zur Arbeit des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller auftaten, waren beträchtlich. War und blieb die Akademie eine Institution des preußischen Staates, um mehr oder minder kritische Loyalität bemüht, so bekannte sich der Bund unmißverständlich zur proletarisch-revolutionären Bewegung, zum prinzipiellen -Kampf gegen die bestehenden Besitzund Machtverhältnisse. J e mehr sich die allgemeine politische Krise verschärfte und neue geschichtliche Entscheidungen heranreiften, desto mehr mußte ein Arrangement mit diesen Verhältnissen daher auf die entschiedenste Kritik treffen. So urteilte» Johannes R. Becher im April 1932 über die Zuwahlen 'zur Akademie und den akademischen Anspruch auf »Überpartei-
183
lichkeit«, der bei dieser Gelegenheit erneut artikuliert worden war, in die A k a d e m i e werde nur e i n e Gesinnung gewählt, n ä m lich » d i e Gesinnung der Apologetik, des Verklärens des B e s t e henden, dessen R e c h t f e r t i g u n g u m j e d e n Preis, der Unterwürfigkeit u n t e r d a s , was ist. Ihre Mitglieder tragen, trotz aller U n t e r s c h i e d e im einzelnen, eine einheitlich uniformierte Gesinnung, sie betätigen sich gesinnungstüclitig als M a s k e n f a b r i k a n ten, G e h e i m n i s k r ä m e r — als U n t e r t a n e n und, soweit Dichter Erzieher sind, als Erzieher von U n t e r t a n e n . Diese liefern den poetischen L a c k , wo i m m e r eine Stelle in der bestehenden Ordnung; rissiu; ist . . Wie schon in einer Reihe v o r a n g e g a n g e n e r Urteile g r e n z l e B e c h e r die proletarisch-revolutionäre L i t e r a t u r mit aller Deutlichkeit von den in der » D i c h t e r a k a d e m i e « repräsentierten Bestrebungen ab. Seine K r i t i k , im Vorfeld der Reichspräsidentenwahlen im F r ü h j a h r 1932 und angesichts der drohenden faschistischen G e f a h r mit N a c h d r u c k und S c h ä r f e formuliert, g a l t den offen z u t a g e getretenen r e s l a u r a t i v e n Tendenzen, ebenso a b e r auch den gefährlichen Halbheiten und Illusionen bürgerlicher und kleinbürgerlicher Denk- und Verhaltensweisen. S c h o n in der g e s a m t e n Anlage der Kritik traten d e m g e g e n ü b e r die Differenzierungsprozesse innerhalb der bürgerliehen L i t e r a t u r , die g e r a d e auch die Kontroversen in der Sektion f ü r Dichtkunst beeinflußt und m i t b e s t i m m t h a l l e n , noch weitgehend zurück. D a ß der B u n d vor der A u f g a b e s t a n d , u n a b h ä n g i g v o m bürgerlichen L i l e r a t u r b e l r i e b zu werden und zugleich »mit allen h u m a n i s t i s c h e n und d e m o k r a t i s c h e n K r ä f t e n der deuIschen Lit e r a t u r gegen die R e a k t i o n z u s a m m e n z u s t e h e n « 4 6 , blieb im Generellen d u r c h a u s Gegenstand der Reflexion. Doch war ein dialektisches Verhältnis zur bürgerlichen L i t e r a t u r , auch wenn es grundsätzlich b e j a h t wurde, nicht w k selbstverständlich und von vornherein gegeben. E i n solches Verhältnis, d a s eine differenzierte A n a l y s e der von der kritisch-realistischen L i t e r a t u r erbrachten Leistungen einschloß, k o n n t e sich nicht anders als im Prozeß der Auseinandersetzung, im g e m e i n s a m e n K a m p f gegen V o r b e h a l t e und W i d e r s t ä n d e , im E r g e b n i s konkreter geschichtlicher E r f a h r u n g e n herausbilden.
184
U n v e r h o h l e n e F e i n d s c h a f t s c h l u g d e r » D i c h t e r a k a d e m i e « in d e n politischen u n d geistigen K ä m p f e n des J a h r e s 1932 v o n Seiten der faschistischen Presse entgegen. Das Mißtrauen, das reakt i o n ä r e K r ä f t e s c h o n in den A n f a n g s j a h r e n d e r S e k t i o n gegenü b e r h e g t e n , s t e i g e r t e sich zu m a ß l o s e n , g e r a d e w e g s h y s t e r i schen D i f f a m i e r u n g e n . H i t l e r s Z e n t r a l b l a U Völkischer Beobachter b e s c h i m p f t e die » D i c h t e r a k a d e m i e « in einem g r o ß a u f g e m a c h l e n , w a h l p r o p a g a n d i s t i s c h e n Z w e c k e n d i e n e n d e n A r t i k e l als »•Judenschule n e u p r e u ß i s c h e r Geistigkeil«, als eine d e m P r e u ß e n t u m u n d d e m » P r e u ß e n g e i s t « t o t a l e n t f r e m d e t e I n s t i t u t i o n , in der »Juden, Pazifisten, Wehrfeinde und Paneuropäer« das Feld b e h e r r s c h t e n / * 7 Die h i n z u g e f ü g t e n p e r s ö n l i c h e n V e r u n g l i m p f u n gen s t a n d e n d i e s e m G e n e r a l v e r d i k t in n i c h t s n a c h . Sie r ü c k t e n zeit- u n d sozialkritische, d e m F r i e d e n u n d d e r V e r s t ä n d i g u n g zwischen den V ö l k e r n v e r p f l i c h t e t e A r b e i t e n u n d Ä u ß e r u n g e n d e r einzelnen A u t o r e n in die N ä h e des L a n d e s v e r r a t s u n d gingen — wie im F a l l e Georg Kaisers, d e r den Krieg ein V e r b r e c h e n g e n a n n t h a t t e — bis z u r o f f e n e n , an die A d r e s s e des R e i c h s wehrministers gerichteten Denunziation. Doch auch in a n d e r e r F o r m , einschließlich w i s s e n s c h a f t l i c h v e r b r ä m t e r D a r s t e l l u n g e n , w a r eine d e r V e r n u n f t u n d d e r H u m a n i t ä t z u g e n e i g t e L i t e r a t u r zügellosen A n g r i f f e n a u s d e m »völkischen« u n d n a t i o n a l i s t i s c h e n L a g e r a u s g e s e t z t . E i n e b e s o n d e r e Rolle spielten d a b e i die L i t e r a t u r g e s c h i c h t e n v o n Adolf B a r t e l s u n d P a u l F e c h t e r . B a r t e l s h a t t e sich schon in d e r Zeit des wilh e l m i n i s c h e n R e i c h e s als d e r V e r f e c h t e r eines v e h e m e n t e n A n t i s e m i t i s m u s a u s g e w i e s e n ; seine w i e d e r h o l t e n h e m m u n g s l o s e n Ausfälle gegen j ü d i s c h e A u t o r e n lieferten d e r f a s c h i s t i s c h e n I d e o logie v o r g e p r ä g t e A r g u m e n t a l i o n s m u s t e r . Von gleicher Verw e n d b a r k e i t w a r e n seine K o m m e n t a r e ü b e r H e i n r i c h M a n n u n d a n d e r e A u t o r e n : So w u r d e d a s im K o n t e x t l i t e r a t u r g e s e h i c h t lieher W e r t u n g e n s t e h e n d e U r t e i l , seit d e m Untertan betrachte er H e i n r i c h M a n n »einfach als n a t i o n a l e n Schädling« 4 8 , v o n d e r N a z i p r o p a g a n d a w o r t w ö r t l i c h a u f g e g r i f f e n u n d allenfalls d u r c h eine R e i h e v o n D r o h u n g e n e r g ä n z t . P a u l F e c h t e r s L i t e r a t u r g e s c h i c h t e Dichtung der Deutschen, 1932 v o m Verlag d e r D e u t s c h e n B u e h g e m e i n s c h a f t in h o h e r A u f -
läge verbreitet, gehörte um die Jahreswende 1932/33 zu den letzten Diskussionsgegenständen, denen sieh die Abteilung f ü r Dichtung der preußischen K u n s t a k a d e m i e zuwandte. Uber »eine eingehende Aussprache« am 6. Dezember 1932 heißt es zusammenfassend im Protokoll: »Dieses Buch wird von allen Mitgliedern, die sich damit b e f a ß t haben, als so überaus a n f e c h t b a r u n d feindlich gegen die K u l t u r des deutschen S c h r i f t t u m s u n d fast alle seine wesentlichen Vertreter e m p f u n d e n , d a ß auf A n t r a g Werfels eine öffentliche W a r n u n g vor der Schrift Fechters erwogen wird. Heinrich Mann wird gebeten und erklärt sich bereit, eine solche W a r n u n g zu entwerfen, falls sich bei dem Versuch der Abfassung nicht, wie sehr zu b e f ü r c h t e n ist, allzu große Schwierigkeiten und Gefahren herausstellen.« 4 9 Die Diskussion zu dieser P r o b l e m a t i k konnte sich zunächst a n den Vorhaben orientieren, die von der Abteilung seit längerem verfolgt wurden. Ihre Bezugspunkte waren u n t e r anderem auch durch die Berichte über das S t u d i u m deutschkundlicher Lehrmaterialien fixiert, in denen Oskar Loerke eine Reihe einschlägiger Literaturgeschichten schlechthin als einen »Ubelstand« bezeichnet h a t t e . Sehr schnell zeigte sich jedoch, d a ß zu einem Zeitpunkt, da der Faschismus die Existenz der Weimarer Republik bereits auf das äußerste bedrohte, die Diskussion schwerlich auf einzelne literarhistorische Arbeiten u n d auf den Bereich der L i t e r a t u r v e r m i t t l u n g zu begrenzen war. Die befürchteten »Schwierigkeiten und Gefahren«, was immer der einzelne d a r u n t e r verstehen mochte, beeinträchtigten und belasteten zwar nicht den Entwurf eines Protestes, u m so m e h r aber den weiteren Verlauf der Debatte. Der vorgeschlagene T e x t einer öffentlichen W a r n u n g vor dem E l a b o r a t Paul Fechters wurde den Mitgliedern der Abteilung noch im Dezember 1932 zur Stellungnahme ü b e r m i t t e l t . S t r i k t auf die Aufgaben der Akademie bezogen, kennzeichnete Heinrich Mann den Versuch, die Literaturgeschichte im »völkischen« Sinne umzukehren, als einen einzigen »Angriff auf die L i t e r a t u r selbst, die L i t e r a t u r als geistige Erscheinung, als Darstellung der erlebten Welt, als Kritik an Zeit u n d Menschen, als Trägerin u n d Bekennerin des Menschlichen u n d des Idealen« 5 0 . Zu einem Ein-
186
vernehmen ü b e r diesen Entwurf k a m es indes nicht. Neben eindeutigen Zustimmungen, wie sie Thomas Mann u n d Alfons Paquet b e k u n d e t e n , und neben dem Wunsch J a k o b Wassermanns, den Protest gegen »die widerwärtige Schrift« Fechters noch schärfer zu formulieren, fehlte es nicht an m e h r oder minder ausgeformten Vorbehalten und Einwänden. Der gleiche Mangel an Entschlossenheit u n d Einheitlichkeit, mit Unsicherheiten, illusionären E r w a r t u n g e n und Fehlurteilen vermischt, brachte auch den Alternativvorschlag von Rudolf Pannwitz, in einer öffentlicheil S t e l l u n g n a h m e vor den allgemeinen Gefahren der immer stärker um sich greifenden Kulturreaktion zu warnen, letztlich zum Scheitern. Als die Abteilung am 6. F e b r u a r 1933, in ihrer letzten Zusamm e n k u n f t u n t e r dem Vorsitz Heinrich Manns, eine gemeinsame E r k l ä r u n g schließlich zurückstellte, war ihrer weiteren Arbeit im Sinne der bisher verfolgten Grundsätze bereits der Boden entzogen. Das a m 30. J a n u a r 1933 etablierte Regime des faschistischen Terrors war zum Generalangriff gegen alle Bestrebungen und Institutionen angetreten, die seinen Zielen u n d Interessen, in welcher F o r m auch immer, entgegenstanden. Noch in der ersten F e b r u a r w o c h e v e r k ü n d e t e der n e u e r n a n n t e Kultusminister Rust, der mit diesem A m t gleichzeitig zum K u r a t o r der Akademie aufgestiegen war, im Stil des Völkischen Beobachters, m a n werde nicht n u r Marxisten, sondern auch der liberalen und der jüdischen Intelligenz fortan den Zugang zu den S t ä l l e n der deutschen K u l t u r verwehren. W ä h r e n d n i c h t wenige bürgerliche Autoren dessen ungeachtet die e n t s t a n d e n e Gefahr unterschätzten oder abzuschwächen suchten, solidarisierte sich Heinrich Mann wenige Tage nach der Akademiesitzung vom 6. F e b r u a r mit einem »Dringenden Appell«, der zur Aktionseinheit der Kommunistischen und der Sozialdemokratischen Partei bei den f ü r den 5. März a n b e r a u m ten Reichstagswahlen aufforderte. » D i e V e r n i c h t u n g a l l e r p e r s ö n l i c h e n u n d p o l i t i s c h e n F r e i h e i t in Deutschland«, so hieß es in diesem vom Internationalen Sozialistischen K a m p f bund herausgegebenen u n d auch von K ä t h e Kollwitz u n t e r zeichneten Appell, »steht u n m i t t e l b a r bevor, wenn es nicht in 187
letzter Minute gelingt, u n b e s c h a d e t von Prinzipiengegensätzen alle K r ä f t e zusammenzufassen, die in der Ablehnung des F a schismus einig sind. Die nächste Gelegenheit dazu ist d e r 5. März. Es gilt, diese Gelegenheit zu nutzen und endlich einen Schritt zu t u n zum A u f b a u e i n e r e i n h e i t l i c h e n A r b e i t e r f r o n t , die nicht nur f ü r die parlamentarische, sondern auch f ü r die weitere Abwehr notwendig sein wird . . . Sorgen wir d a f ü r , d a ß nicht Trägheit der N a t u r und Feigheit des Herzens u n s in die Barbarei versinken lassen !«51 Die faschistischen Machthaber, denen progressive Tendenzen in der Kunst und L i l e r a l u r ohnehin v e r h a ß t waren, reagierten auf dieses Bekenntnis, indem sie am 15. F e b r u a r 1933 das Ausscheiden von Heinrich Mann u n d K ä t h e Kollwitz aus der Akademie erzwangen. Kurz d a r a u f , am 23. F e b r u a r , verlangle der sogenannle Kampfbund für deutsche Kultur, eine der tonangebenden, von Alfred Rosenberg dirigierten faschistischen K u l t u r organisationen, auf einer K u n d g e b u n g im Preußischen L a n d t a g vom Kultusminister R u s l , » d i e S ä u b e r u n g der Preußischen Dicblerakademie« zügig fortzusetzen. 5 2 E n t s p r e c h e n d diesem Verlangen wurden die Mitglieder der Abteilung f ü r Dichtung noch in der ersten Märzhälfte des J a h r e s 1933 u l t i m a t i v angehalten, sich entweder f ü r eine weitere Mitarbeit »im Sinne der veränderten geschichtlichen Lage« oder aber f ü r eine Trennung von der Akademie zu entscheiden. Wie schon beim Akademieausschluß Heinrieh Manns spielte Gottfried Benn bei diesen Aktiv i t ä t e n eine höchst unrühmliche Rolle. Eine Reihe n a m h a f t e r Autoren, u n t e r ihnen Alfred Döblin, Ricarda Huch, Thomas Mann u n d René Schickele, b e a n t w o r t e t e d a s gestellte Ansinnen m i t dem unverzüglichen Verzicht auf eine weitere Mitgliedschaft. Doch auch vor Schriftstellern wie Ludwig Fulda, Georg Kaiser, Bernhard Kellermann, Alfred Mombert, Fritz von U n r u h u n d F r a n z Werfe], die im März die geforderten Loyalitätserklärungen abgaben, m a c h t e der faschistische Terror nicht h a l t : Sie wurden am 5. Mai 1933 als jüdische oder als pazifistisch geltende Autoren aus der Akademie ausgestoßen und durch Gefolgsleute des Naziregimes wie Werner Beumelburg, Hans G r i m m , Hann-s J o h s t , Agnes Miegel u n d
188
Will Vesper e r s e t z t . A m selben T a g e k e h r t e n aueli I v o l b e n h e y e r , S c h ä f e r u n d S t r a u ß in d i e faschistisch » g e s ä u b e r t e « A k a d e m i e z u r ü c k , o h n e d a ß diese i n n e r h a l b d e r K u l t u r h i e r a r c h i e des N a ziregimes j e d o c h e i n e n e r n s t l i c h e n E i n f l u ß zu e r l a n g e n v e r m o c h t e . W i e d e m a u c h sei, g a n z sicher wird m a n I n g e J e n s d a r i n z u s t i m m e n m ü s s e n , d a ß bereits d e r A u s s c h l u ß H e i n r i c h M a n n s u n d d i e V o r g ä n g e v o m März 1933 d a s E n d e d e r p r e u ß i schen »Diclüerakademie« markierten.5^ I n s g e s a m t v e r b l i e b e n d e r im O k i o b e r 1926 g e g r ü n d e t e n S e k t i o n f ü r D i c h t k u n s t n u r wenige J a h r e einer d u r c h die politis c h e n u n d geistigen K ä m p f e d e r Zeit g e p r ä g t e n W i r k s a n i k e i l — e i n e r W i r k s a m k e i t , die sich auf Berlin k o n z e n t r i e r t e u n d bei allen u n a u f g e l ö s t e n W i d e r s p r ü c h e n d a s l i t e r a r i s c h e L e b e n d e r H a u p t s t a d t zweifellos b e r e i c h e r t e . Von w e s e n t l i c h e m A u f s c h l u ß sind g l e i c h e r m a ß e n die a n h a l t e n d e n D e b a t t e n ü b e r d e n Begriff u n d d e n F u n k l i o n s b e z u g d e r l i t e r a r i s c h e n A r b e i t : Sie a r t i k u l i e r t e n u n t e r s c h i e d l i c h e P o s i t i o n e n und E n t s c h e i d u n g s m ö g l i c h k e i t e n b ü r g e r l i c h e r A u t o r e n im S p a n n u n g s f e l d z w i s c h e n völkisch-nationalistischen Mobilisierungstendenzen und dem d e m o k r a t i s c h e n A n s p r u c h d e r R e p u b l i k , wobei a u c h d i e W a h r n e h m u n g dieses A n s p r u c h e s m i l a u s g e p r ä g t e n W i d e r s p r ü c h e n v e r b u n d e n blieb. G e m e i n s a m e W i l l e n s b e k u n d u n g e n u n d Vorhaben kontrastierten mit einer fortgesetzten Handlungss c h w ä c h e , die V e r t e i d i g u n g d e m o k r a t i s c h e r H e c h t e m i t d e r B i n d u n g an d e n p r e u ß i s c h e n S t a a t , d a s I n t e r e s s e a n l i t e r a t u r p ä d a g o g i s c h e n F r a g e n m i t e i n e m w e i l g e h e n d e n V e r z i c h t auf i'ine g e n a u e r e B e s t i m m u n g d e s B e z i e h u n g s s p e k t r u m s v o n L i t e r a t u r u n d G e s e l l s c h a f t . A u c h H e i n r i c h M a n n b e u r t e i l t e , wenige T a g e n a c h seiner W a h l z u m V o r s i t z e n d e n , d i e r e a l e n E i n f l u ß m ö g l i c h k e i l e n m i t Z u r ü c k h a l t u n g , o h n e j e d o c h die A r b e i t u n d d i e E r f a h r u n g e n d e r A k a d e m i e g e r i n g z u s c h ä t z e n : »Sich hingeben an n i c h t g e w ö h n l i c h e A r b e i t e n u n d b e s c h e i d e n b l e i b e n : — selbst w e n n die A b t e i l u n g i h r e g r u n d s ä t z l i c h e n F o r d e r u n g e n a n den S t a a t n i c h t alle d u r c h s e t z e n sollte, zu lernen b l i e b e i m m e r noch e t w a s v o n ihr.« 5 4
189
Anmerkungen 1
2 3 4 5
6 7
8 9 10 11 12 13 14 15 16
Vgl. Alexander Amersdorffer, Die Akademie der Künste und die Dichter. In: Preußische Akademie der Künste. Jahrbuch der Sektion für Dichtkunst 1929. Berlin 1929. — Wie aus einem Entwurf Thomas Manns hervorgeht, setzten gut ein Jahrzehnt später auch Überlegungen ein, eine »Deutsche Akademie« mit dem Sitz in München zu begründen. Vgl. Thomas Mann, Aufsätze, Reden, Essays. Bd. 2: 1914-1918. Berlin u. Weimar 1983, S. 110 ff. Abänderung des Statuts der Akademie der Künste zu Berlin. In: Zentralblatt für die gesamte Unterrichts-Verwaltung in Preußen, 68. Jg. (1926), Nr. 7, S. 131-132. Vgl. dazu die ausführliche Darstellung von Inge Jens, Dichter zwischen rechts und links. München 1971, S. 52ff. Eröffnung der Sektion für Dichtkunst. In: Neue Preußische Zeitung, 79. Jg., Nr. 501 vom 27. 10. 1926, S. 2. Thomas Mann, Rede zur Gründung der Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste. In: Th. Mann, Altes und Neues. Kleine Prosa aus fünf Jahrzehnten. Berlin u. Weimar 1965, S. 367 ff. Brief Heinrich Manns vom 6. 12. 1926 an Wilhelm von Scholz. Archiv der Akademie der Künste Berlin (West), Bd. 805. Wilhelm von Scholz, Begrüßungsansprache. In: Jahrbuch der Sektion für Dichtkunst 1929, S. 32. — Ahnliche Bestimmungen, finden sich in Jakob Wassermanns Rede über das Wesen einer Akademie, die gleichfalls im Jahrbuch der Sektion für Dichtkunst 1929 veröffentlicht wurde. Ebenda, S. 34. Jahrbuch der Sektion für Dichtkunst 1929, S. 312. Aufruf. Gegen das »Schund- und Schmutz«-Gesetz. In: Die Rote Fahne, Ausgabe vom 22. 10. 1926. Protokoll der Sektionssitzung vom 18. 11., 1926. Archiv der Akademie der Künste Berlin (West), Bd. 804, Bl. 161. Jahrbuch der Sektion für Dichtkunst 1929, S. 312. Protokoll der Sektionssitzung vom 17. 2. 1928. Archiv der Akademie der Künste Berlin (West), Bd. 1250. Jahrbuch der Sektion für Dichtkunst 1929, S. 86. Ebenda, S. 127. Gegen die Zensur! In: Die Stimme der Freiheit. Monatsschrift gegen die geistige und wirtschaftliche Reaktion, 1. Jg. (1929), Nr. 2, S. 15.
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Die Stimme der Freiheit, 1. J g . (1929), Nr. 4, S. 55. Gerhart Hauptmann, Schreiben an den Kampfausschuß gegen Zensur. In: Ebenda, S. 52. Johannes R. Becher, Unser Bund. In: Becher, Gesammelte Werke. Bd. 15: Publizistik I, 1912-1938. Berlin u. Weimar 1977, S. 152-153. Thomas Mann liest aus Joseph. In: Berliner Tageblatt und HandelsZeitung, 10. 1. 1928, 1. Beiblatt. Alfred Döblin, Schriftsteller und Dichtung. In: J a h r b u c h der Sektiou für Dichtkunst 1929, S. 72. Franz Hammer, T r a u m und Wirklichkeit. Die Geschiqhte einer J u g e n d . Rudolstadt 1975, S. 291-292. Walter von Molo, Dichterische Konzeption. In: J a h r b u c h der Sektion für Dichtkunst 1929, S. 201 ff. Schreiben von J u l i u s Petersen vom 8. 11. 1930 an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. ZStAP, REM, Nr. 1392, Bl. 312. - Kurz zuvor, am 13. 10. 1930, w a r auch die Sektion zu dem Entschluß gekommen, die Vorlesungen an der Berliner Universität grundsätzlich beizubehalten; und a m 25. 1. 1931 sprach Alfred Döblin in einem Beitrag für die Vossische Zeitung von »einer vorzüglichen und durchaus festzuhaltenden Verbindung mit dem germanistischen Seminar«. Die Empfehlungen sind enthalten in dem offiziellen Verzeichnis der von der Bildstelle des Zentralinstituts für Erziehung und Unterricht als volksbildend und künstlerisch anerkannten Bildstreifen. Vgl.: Zentralblatt für die gesamte Unterrichts-Verwaltung in Preußen, 72. J g . (1930). Ricarda Huch antwortete a m 26. 10. 1929, das Buch von A. Winnig habe eine ehrenhafte Gesinnung, es greife nicht die Republik an, werfe ihr jedoch vor, ihre Aufgabe noch nicht erfüllt zu haben. Auch nach dieser Antwort blieb die Angemessenheit der Empfehlung umstritten. Schreiben H. Manns vom 7. 3. 1930. Archiv der Akademie der Künste Berlin (West), Bd. 822. Protokoll der Sektionssitzung vom 13. 10. 1930. ZStAP, NL Momberg Nr. 4, Bl. 136. Protokoll der Sektionssitzung vom 27. 1. 1931. Ebenda, Bl. 196ff. Dichter-Akademie und Kunstpflege. I n : Vossische Zeitung, 15. 2. 1931, Morgen-Ausgabe, S. 3. Der Dolchstoß der Literaten. In: Völkischer Beobachter, 20. 10. 1931.
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Heinrich Mann, Antwort. In: Berliner Tageblatt und HandelsZeitung, 14. 8. 1931, Abendausgabe. Schreiben E. G. Kolbenheyers vom 24. 12. 1929 an die Sektion für Dichtkunst. Archiv der Akademie der Künste Berlin (West), Bd. 806. Schreiben Thomas Manns an die Sektion für Dichtkunst vom J a n u a r 1930. ZStAP, XL Mombert, Nr. 4, Bl. 64-65. Erwin Guido Kolbenlieyer, Die Sektion der Dichter an der Berliner Akademie. In: Deutsches Volkstum, Jg. 1931, Nr. 4, S. 258 bis 259. Wilhelm Stapel, Der Geistige und sein Volk. In: Deutsches Volkstum, J g . 1930, Nr. 1, S. 8. Protokoll der Sektionssitzung vom 13. 10. 1930. ZStAP, NL Mombert, Nr. 4. Iii. 127. Alfred Döblin, Bilanz der »Dichterakademie«. In: Vossische Zeitung, 25. 1. 1931, Morgen-Ausgabe, Unterhaltungsblutt. Schreiben Thomas Manns vom 26. 11. 1930 an Oskar Loerke. Archiv der Akademie der Künste Berlin (West), Bd. 825. Protokoll der Sektionssitzung vom 17. 12. 1930. ZStAP, NL Mombert, Nr. 4, Bl. 178. Heinrich Mann, Die Akademie. In: II. Mann, Das öffentliche Leben. Berlin/Wien/Lcipzig 1932, S. 121. Wilhelm von Scholz, Sinn und Wert der Dichterakademie. In: Neue Zürcher Zeitung, 7. 3. 1931, S. 3. Satzung der Preußischen Akademie der Künste, Berlin o. J., S. 10. Heinrich Mann, Die Entscheidung. In: Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung, 27. 3. 1932, Morgen-Ausgabe. Johannes R. Becher, Vom »Untertan« zum Untertan. Offener Brief an Heinrich Mann. In: Die Linkskurve, 4. Jg. (1932), Nr. 4, S. 2. Friedrich Albrecht/Klaus Kandier, Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller Deutschlands 1928-1935. Leipzig 1978, S. 43. Die Judenschule neupreußischer Geistigkeit. In: Völkischer Beobachter, 17./18. 4. 1932, Zweites Beiblatt. — Der Artikel ist mit S. gezeichnet und stammt sehr wahrscheinlich von Rainer Schlösser, der zur kulturpolitischen Redaktion gehörte und dieses Signum regelmäßig benutzte. Adolf Bartels, Die deutsche Dichtung der Gegenwart. Leipzig 1922, S. 122. ZStAP, NL Mombert, Nr. 5, Bl. 60.
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Zitiert nach dem Entwurf, Heinrich-Mann-Archiv der Akademie der Künste der DDR, SB 352. In letzter Stunde. 1933—1945. Schriften deutscher Künstler des 20. Jahrhunderts. Bd. 2. Hg. von Diether Schmidt. Dresden 1964, S. 27. Vgl. Friedrich Arenhövel, Im Geiste Schlageters. I n : Völkischer Beobachter, 25. 2. 1933, Zweites Beiblatt. Inge Jens, Dichter zwischen rechts und links, S. 191, S. 218. — Eine Dokumentation der betreffenden Vorgänge enthält der vom jenen Gustav Kiepenheuer Verlag herausgegebene Band In Tagen. . . Schriftsteller zwischen Reichstagsbrand und Bücherverbrennung (Leipzig u. Weimar 1983). — Hildegard Brenner gelangt in ihrer Arbeit Ende einer bürgerlichen Kunst-Institution. Die politische Formierung der Preußischen Akademie der Künste ab 1933 ( S t u t t g a r t 1972) zu dem Ergebnis, daß die Akademie nach ihrer sog. »Reorganisation« im F r ü h j a h r 1933 »zu gesellschaftlicher Funktions- und faktischer Bedeutungslosigkeit« verkam. Heinrich Mann, Die Akademie. I n : H. Mann, Das öffentliche Leben, S. 125.
Wrack, Leben, Bd. II
Die Stadt spielt mit Berliner Stadtansichten im Zeitroman um 1930 INGE DIERSEN
Vorbemerkung S t a d t r o m a n e , will heißen Romane, in denen große S t ä d t e als menschlicher Lebensraum intensiv ins Blickfeld künstlerischer Gestaltung kommen, gibt es, seit es Großstadtleben gibt und seit der R o m a n sich als Kunstform von Belang herausgebildet h a t . Volker Klotz h a t d a s auch historisch untersucht. 1 Das Zeilsujet nun, das sich in der L i t e r a t u r der Periode der W e i m a r e r R e p u b l i k in allen Gattungen lebhaft entfaltet (was u. a. und nicht zuletzt mit dem Vorhandensein einer demokratischen Öffentlichkeit zu tun h a t ) , ist in erster Linie zugleich Großstadtsujet und überwiegend Berlinsujet. Selbstverständlich gibt es auch bedeutende Zeitromane und Zeitstücke zu ländlicher und kleinstädtischer P r o b l e m a t i k ; verwiesen sei auf Oskar Maria Graf und A d a m Scharrer, auf Hans F a l l a d a s Bauern, Bonzen, Bomben, auf Marieluise Fleißer und Odön von H o r v ä t h . Selbstverständlich gibt es auch Zeitromane, deren H a n d l u n g s r a u m andere Großstädte als Berlin sind, so München in Lion F e u c l i t w a n g e r s Erfolg, so H a m b u r g in Willi Bredels frühen Rom a n e n . Nichtsdestoweniger ist die Dominanz Berlins im Zeitroman um 1930 eindeutig. Sie h ä n g t mit der gegenüber der Wilhelminischen Epoche deutlich v e r s t ä r k t e n Rolle Berlins als Metropole und W e l t s t a d t , als unbestrittenes Zentrum des literarisch-kullurellen Lebens, als Anziehungspunkt für S c h r i f t steller zusammen. Von den Autoren, deren Romane hier h e r a n gezogen werden, ist nur einer, nämlich Alfred Döblin, Urberliner (wenn auch nicht in Berlin geboren), die anderen wurden für kürzere oder längere Zeit zu Wahlberlinern. (Uber Klaus Neu194
k r a n t z , dessen B i o g r a p h i e weitgehend u n b e k a n n t ist, k a n n diesbezüglich keine Aussage getroffen werden.) E s soll u n t e r s u c h t werden, auf welche Weise und in w e l c h e m M a ß e B e r l i n B e s t a n d t e i l der epischen W e l t in einer R e i h e von Zeitromanen
ist, deren
H a n d l u n g in Berlin spielt. D e r
dabei
v e r w e n d e t e B e g r i f f der mitspielenden S t a d t ist a b s i c h t l i c h
lok-
kerer u n d weiter g e f a ß t als V o l k e r K l o t z ' B e g r i f f der »erzählten S t a d t « . W i e bei diesem ist m e h r als eine bloße S t a d t b e s c h r e i b u n g gemeint,
die
nur
den
äußeren
Rahmen
für das
Handlungs-
milieu g i b t . E s geht erst einmal um die W e c h s e l b e z i e h u n g zwischen S t a d t l e b e n und F i g u r e n , zwischen S t a d t und
Romanfa-
b e l ; es g e h t sodann um die T h e m a t i s i e r u n g sozialer, p o l i t i s c h e r und m o r a l i s c h e r P r o b l e m e , die das m o d e r n e G r o ß s t a d t l e b e n ausprägt ; und es geht schließlich auch um die erzählte, d. h. die episch t h e m a t i s i e r t e S t a d t , die S t a d l , die um ihrer selbst willen ins epische Bild g e b r a c h t , die erzählend so a u f g e b a u t wird, daß
ihre eigene innere
S t r u k t u r zur Geltung
kommt.
Dabei
v e r s t e h t sich, d a ß d u r c h das Mitspielen der S t a d t an sich n o c h kein K r i t e r i u m für ä s t h e t i s c h e W e r t u n g gegeben ist. Die I n t e n t i o n e n des Autors k ö n n e n so beschaffen sein, d a ß ein Mitspielen der S t a d t gar nicht e r n s t h a f t a n g e s t r e b t wird. Man m a g das b e d a u e r n , sollte daraus a b e r kein literarisches W e r t u r t e i l a b l e i t e n . Dieses wird erst d a n n möglich, wenn die I n t e n t i o n des A u t o r s e r k e n n b a r ist und der Realisierung n a c h g e f r a g t wird. Von den hier u n t e r s u c h t e n
Romanen
ist Döblins
Berlin
Alexander
platz
zweifellos der des h ö c h s t e n literarischen R a n g s und zugleich der, in dem die S t a d t a m u m f a s s e n d s t e n m i t s p i e l t . D a s steht in e i n e m u r s ä c h l i c h e n Z u s a m m e n h a n g a b e r n u r insofern, als ein irgendwie e r k e n n b a r e r i n t e n d i e r t e r A n s a t z , die S t a d t
mitspielen
zu
las-
sen, bereits K r i t e r i u m für die hier getroffene A u s w a h l war. D e r a n d e r e G e s i c h t s p u n k t , der die Auswahl der hier u n t e r suchten
Romane
bestimmt,
g e h t von
der
Relevanz
heutiges m a r x i s t i s c h e s L i t e r a t u r g e s c l i i c h t s v e r s t ä n d n i s
aus,
die
Büchern,
A u t o r e n und S t r ö m u n g e n zubilligt, h ä l t sich also an einen gewissem » K a n o n « . D a s e i n m a l v o r a u s g e s e l z l , wird es k a u m wundern, daß neben Berlin ner is-
Mann
— was
nun?,
Alexander
Erich
platz
Kästners
195
ver-
Hans Falladas
Klei-
Klaus
Neu-
Fabian,
krantz' Barrikaden am Wedding untersucht werden. Ein ernstes Leben wurde einbezogen, um zu erkunden, ob und wie die enge Beziehung, die Heinrich Mann seit Ende der zwanziger J a h r e zu Berlin hatte, in einen seiner Zeitromane, seiner »Romane der Republik-«, einging. Mit Rudolf Braunes Das Mädchen an der Orga privat wird eine ganz andere als die von Neukrantz repräsentierte Seite der proletarisch-revolutionären Literatur berücksichtigt: die Hinwendung zum Lebensalltag junger Leute. Selbstverständlich wäre es reizvoll gewesen, den »Kanon« prinzipiell in Frage zu stellen. Eine solche Aufgabe konnte hier jedoch nicht geleistet werden, sie bleibt einer breit angelegten Forschungsarbeit vorbehalten. Hier geht es darum, Fragestellungen zu erproben und Einblicke in verschieden geartete Möglichkeiten von Stadtdarstellung zu geben.
Ankommende und Weggehende Die moderne Großstadt, f ü r Deutschland insbesondere die in ständigem Auf- und Umbruch befindliche Metropole Berlin, hat einen hohen Anteil fluktuierender Bevölkerung. Sie ist ein Hexenkessel brodelnder Bewegung der Menschen sowohl innerhalb der S t a d t wie zwischen der Stadt und ihrem Umland. Nach Berlin zu ziehen, dort zu bleiben oder wieder zu gehen ist eigene Lebenserfahrung vieler Autoren, ist seit Generationen Lebensschicksal vieler Menschen und enthält zugleich ein Bewegungsmuster, das der Roman- und Dramenliteratur seit langem vert r a u t ist. Einer k o m m t in die S t a d t Berlin, als F r e m d e r oder als Wiederkehrender, wird in ihr heimisch oder bleibt ein Fremdling und verläßt nach längerer oder kürzerer Zeit die S t a d t wieder, weil er in ihr sein Glück nicht finden konnte, weil sie ihn nicht braucht oder weil er nicht in die S t a d t gehört — dieses Muster strukturiert in Varianten die Fabel mehrerer Zeitromane, in anderen lassen sich Teile des Musters, m a n c h m a l nur andeutungsweise, erkennen. Figuren werden in die S t a d t geführt und mit ihr konfrontiert — das kann Aufschluß über die Figuren und über die S t a d t geben. Franz Biberkopf, wie sein Autor Urberliner, k o m m t aus der
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S t r a f a n s t a l t Tegel, wo er vier J a h r e eingesessen h a t , in die S t a d t zurück. Tegel war Randlage u n d hieß vor allem Isolierung vom Leben der S t a d t und vom Leben schlechthin. W e n n er sich zwischenein, im Verlauf der Fabel, von den »Schlägen«, die ihm verp a ß t werden — die er sich eigentlich selbst v e r p a ß t — wieder erholt, wird das seine »Eroberungen Berlins« g e n a n n t . 2 Am Schluß, auf dem T i e f p u n k t seines Lebens, wird er »aus dem S t a d t v e r kehr gezogen, weitweg in die Irrenanstalt Buch, die einsam in der N a t u r liegt« 3 , doch als er die Belehrung durch den Tod angenommen h a t , kehrt er — u n d das ist hier die V a r i a n t e des Musters — abermals nach Berlin zurück. Eine andere Variante findet sich in Kleiner Marin — was nun? und in Ein ernstes Leben. Hier gehen der A n k u n f t in Berlin wesentliche Handlungsteile voran. J o h a n n e s Pinneberg und sein Lämmchen h a b e n in einer Kieinstadt gelebt — er übrigens ist in Berlin aufgewachsen —, bevor sie nach Berlin k o m m e n und dort ihr bescheidenes Glück suchen. Sie unterliegen, u n d a m Schluß des R o m a n s h a b e n sie als Geschlagene die S t a d t wieder verlassen müssen. Marie Lehning h a t ihre E r f a h r u n g e n eines schweren Lebens in der K a t e am Meer und als Landarbeiterin, bevor sie, halb verlockt, halb gezwungen, nach Berlin geht, u m f ü r ihr Kind zu k ä m p f e n . Am Schluß des Romans flieht sie aus der S t a d t vor clem Verbrechen, an dem sie insgeheim nicht ganz schuldlos ist, u n d aus der F l u c h t wird Zuflucht in der H e i m a t am Meer n u r d a n k Kriminalkommissar Kirsch, der als rechler Schutzengel schon vor ihr a m Strand steht u n d eine Verzweiflungstat v e r h i n d e r t . In den anderen drei hier, u n t e r s u c h t e n R o m a n e n finden sich Teile oder auch n u r A n d e u t u n g e n des Musters. Rudolf Braunes E r n a Halbe, das »Mädchen a n der Orga privat«, k o m m t aus einem kleinen mitteldeutschen Industrienest nach Berlin, weil sie neugierig ist, weil sie was erleben, weil sie auf eigenen F ü ß e n stehen will. Obwohl sie a m E n d e des Romans, nach n u r r u n d einer Woche Handlungszeit, ihren Arbeitsplatz schon wieder verloren h a t , bleibt sie in Berlin. Ihr Dableiben u n t e r s t r e i c h t die optimistische Tendenz, die Braune dem erzählten Geschehen g i b t : E r n a Halbe wird weiterkämpfen, sie w i r d ihre neu gewonnenen Klassenkampferfahrungen nutzen, sie l ä ß t sich
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nicht unterkriegen. Erich Kästners Fabian ist seit längerem in Berlin ansässig, wann und mit welchen Erwartungen er hergekommen ist. spielt keine Rolle. Schon an einem frühen Punkt der Romanhandlung fragt er sich, was er »hier in dieser S t a d t , in diesem verrückt gewordenen Steinbaukasten« zu suchen h a b e 4 , und als er den Arbeitsplatz, die Freundin und den Freund, als er den letzten Schimmer Hoffnung auf Lebenssinn verloren hat, verläßt er Berlin. » E r mußte fort aus dieser S t a d t . « 5 Daß er in seiner Heimatstadt Dresden genausowenig sinnvoll gebraucht wird, weiß er. und er findet den Tod bei einer Rettungstat, die überflüssig ist, die nicht gebrauchl wird. In Klaus Neukrantz' Barrikaden am Wedding schließlich ist nur die Andeutung des Musters zu erkennen, aber auch sie durchaus charakteristisch für den Roman. An seinem Anfang kehrt Kurt Zimmermann abends von der Arbeit heim in seine »Gasse«, das besondere, eigentümliche Leben des Kösliner Viertels nimmt ihn wieder auf. Ein das Stadt-Bild des Romans wesentlich mitbestimmendes Moment wird konstituiert: das Verhältnis von Stadt und Viertel, das Eingesperrtsein proletarischen Lebens in einen eng begrenzten Raum, das zugleich Ausgesperrtsein von der Fülle des Lebens ist. auch als Topographie eines symbolischen Zustands zu lesen. Wie sich den Ankommenden die Stadt zeigt, wie sie die Weggehenden entläßt gibt erste Einblicke, w7ie die S t a d t mitspielt, ob sie mitspielt. Das Vorgehen der Autoren, ihr Interesse an der Stadt und dem Verhältnis der Figuren zur Stadt ist sehr unterschiedlich, und es sei erinnert, daß die Thematisierung der S t a d t , ihr episches Mitspielen an sich noch kein W'ertungskriterium ist, sondern Wertung erst einsetzen kann, wenn die Intention, wenn das Bemühen erkennbar ist. So interessiert Fallada die Stadl Berlin überhaupt nicht, als er seine Hauptfiguren ankommen läßt. Die Ankunft steht ganz im Zeichen der (Wieder-) Begegnung mit der Mutter/Schwiegermutter, es geht um die Beziehungen zwischen den Menschen, die Stadt bleibt »unsichtbar«. Ganz anders die Austreibung Pinnebergs. E r ist arbeitslos geworden, die Miete kann nicht mehr bezahlt werden, Pinnebergs sind in die Laube in der Siedlung weit draußen vor der Stadt gezo-
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gen, die i h n e n F r e u n d H e i l b u t t z u r V e r f ü g u n g gestellt h a t , a n sieh schon ein O r t d e r V e r b a n n u n g , wo v o r allein im W i n t e r n u r »die Ä r m s t e n , die H ä r t e s t e n u n d die M u t i g s t e n « z u r ü c k b l e i b e n 6 , die, d e n e n n i c h t s a n d e r e s ü b r i g b l e i b t . Vollends z u m O r t des A u s g e s t o ß e n s e i n s wird die S i e d l u n g d u r c h ein E r l e b n i s , d u r c h eine S t a d l e r f a h r u n g , die P i n n e l t e r g bei einer seiner F a h r t e n n a c h Berlin h a t , die er wegen d e r K r i s e n u n t e r s t ü t z u n g zweim a l in d e r W o c h e m a c h e n m u ß . In d e r S t a d l wird i h m b e w u ß t , wie sehr er ein » h e r u n t e r g e k o m m e n e r Arbeitsloser« u n t e r vielen ist, w i r d i h m b e w u ß t , d a ß er schon g a r nicht m e h r weiß, w a s im L a n d e p a s s i e r t , 7 d e n n in seiner A b g e s c h i e d e n h e i t da d r a u ß e n ist e r a b g e s c h n i t t e n vom g r o ß e n S t r o m des L e b e n s . An d e n R a n d d e r V e r z w e i f l u n g t r e i b t ihn d e r G a n g in die S t a d t a b e r erst d u r c h einen b e s o n d e r e n V o r f a l l : Vor d e m S c h a u f e n s t e r einer D e l i k a t e s s e n h a n d l u n g in d e r F r i e d r i e h s t r a ß e v e r j a g t ihn ein Polizist. D e r solide, a n s t ä n d i g e J o h a n n e s P i n n e b e r g ist sozial so weit d e k l a s s i e r t , d a ß d e r O r d n u n g s h ü t e r ihn als v e r d ä c h tiges E l e m e n t b e h a n d e l t . E r wird v o m B ü r g e r s t e i g r u n t e r auf die F a h r b a h n g e s t o ß e n , in eine N e b e n s t r a ß e g e z w u n g e n , u n d er läuft u n d l ä u f t ins D u n k l e h i n e i n . 8 D a s ist die V e r t r e i b u n g a u s d e r Helligkeit d e r Citv, die zugleich d a s b ü r g e r l i c h e L e b e n ist, in ein d u n k l e s U n b e k a n n t e s , in die g r o ß e R a t l o s i g k e i t . D a ß — f ü r Fallada charakteristisch — das Dunkel noch einmal aufgehellt w i r d , d a ß die Z w e i e r b e z i e h u n g zwischen L ä m m c h e n u n d P i n n e b e r g , die »kleine w a r m e Insel« i n m i t t e n d e r »wilden weit e n W e l t « 9 , i n t a k t bleibt und Z u f l u c h t b i e t e t , ist im Z u s a m m e n h a n g d e r hier v e r f o l g t e n F r a g e s t e l l u n g nicht v o n B e l a n g . H e i n r i c h M a n n s I n t e r e s s e an d e r S t a d l Berlin gilt — u n d d a r auf wird in a n d e r e m Z u s a m m e n h a n g z u r ü c k z u k o m m e n sein — d e m t h e m a t i s i e r t e n A s p e k t : Berlin als S t ä t t e d e r V e r f ü h r u n g z u m Bösen. Dieser A s p e k t wird n u r g a n z z u r ü c k h a l t e n d d u r c h S t n d t - T o p o g r a p h i e a b g e s t ü t z t , die ü b e r d i e s auf E i n d r ü c k e u n d V e r h a l t e n s w e i s e n Maries hei ihrer A n k u n f t in Berlin b e s c h r ä n k t b l e i b t . O b w o h l »die g a n z e U n ü b e r s e h b a r k e i t des V e r k e h r s « i h r M i ß t r a u e n e i n f l ö ß t u n d sie lieber zu F u ß g e h t , z i e h t sie aus, » u m v o n Berlin Besitz zu ergreifen«, 1 0 a b e r die B e s i t z e r g r e i f u n g gilt d o c h n u r d e r L a g e v o n B ä u e r l e i n s W o h n u n g , d e r Z e n t r a l e
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ihrer Feinde. In der neuen, durch Häusermeer und Verkehrsstrom geprägten Raumerfahrung behauptet sie sich, indem sie ihren auf dem Lande ausgebildeten Instinkten vertraut. Ihre ersten Begegnungen mit Berlin reflektieren zwar Eigentümlichkeiten der Großstadt, doch bleiben diese Erfahrungen für den weiteren Romanverlauf ohne Bedeutung. Das Bedrohliche kommt nicht aus den Straßen und engen Höfen und der »Unübersehbarkeit des Verkehrs«, sondern es lauert in den Wohnungen, in den geschlossenen Räumen. In Rudolf Braunes Absicht liegt es durchaus, den Ankunftsaspekt seiner Romanfabel mit einem ersten Aufriß der Großstadtlandschaft zu verbinden. Dabei erscheint das Berlin-Bild nicht als Wahrnehmung der Heldin, sondern wird gewissermaßen neben sie gestellt. Eine journalistisch gewandte Feder schildert einen »Berliner Arbeitsmorgen« »unter dem Rauch eines feuchten traurigen Himmels«, mit »grauen Häuserfronten«. 1 1 Aber »traurig« und »grau« sind bloße Vokabeln, keine Stimmungsträger, denn die Stimmung wird durch die Heldin bestimmt, die, zunächst wenigstens, von der neuen Umgebung unbeeindruckt bleibt, die selbstbewußt und guten Mutes in die Stadt hineingeht. Schwer und drückend hingegen sind bei Klaus Neukrantz Stadtatmosphäre und Lcbensstiminung im Proletariervierlel. Mit dem frierenden Kurt Zimmermann erfahren wir die S t a d t , seinen Teil der S t a d t , als naß und schmutzig, von »unangenehmem, feuchtem Wind« erfüllt. 1 2 Die Nachtruhe der Figur leitet über zu einem figurenunabhängigen Porträt der schlafenden Kösliner Straße, einer ästhetisch bemerkenswerten Partie, die erst ins Klischeehafte abgleitet, als Neukrantz dem dumpfen, angstvollen Schlaf in den Proletarierhäusern den sanften Schlaf der lieblich träumenden Kinder der Reichen gegenüberstellt. Die Schilderung der schlafenden »Gasse« baut auf Sinneseindrücken a u f : Licht und Dunkel, Geräusche, Gerüche, »trübes, gelbes Licht der wenigen Gaslaternen«, »dunkle, schweigende Höfe der Hinterhäuser«, »schwarze, eng ineinandergeschobene Mauerfronten«, in denen die letzten Lichter bald erlöschen, denn hier wird es früh Nacht, und die Nacht ist früh zu
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E n d e . Die »Gasse« ist »still, menschenleer«, »trostlos, einsam«. » D e r einzige harte L a u t k a m von den genagelten Polizeistiefeln der Patrouillen.« In den Häusern, in den engen S t u b e n sind in »stickiger, verbrauchter L u f t « viele Menschen zusammengepfercht, ihr Geruch dringt »durch W ä n d e , Spalten und Verschlage«, ein »zäher, fauler Geruch« liegt auf den Gesichtern der Kinder. In »quälende, kurze T r ä u m e « hinein greifen die »Sorgen und Ängste des Tages«, » T r ä u m e von i m m e r schneller rasenden Fließbändern, von brüllenden, zermalmenden D a m p f h ä m m e r n , vom nervenzerfetzenden R h y t h m u s der a u t o m a t i schen S t a n z m a s c h i n e n , von stürzenden B e t o n m a s s e n « . 1 3 Das Bild der nächtlichen »Gasse« wird durch die L a s t der sozialen E r f a h r u n g e n der schlafenden Menschen geprägt und faßt zugleich die großstadtspezifischen Momente voll in sieh. D e r B e g i n n von Berlin Alexander platz zeigt eine der vielgestaltigen F o r m e n , in denen in diesem R o m a n die S t a d t nicht allein mitspielt, sondern eigenständiger A k t e u r ist. Die Kapitelüberschrift Mit der 41 in die Stadt deutet auf einen Aspekt, der im weiteren R o m a n v e r l a u f w i e d e r k e h r t : die Verkehrsadern der S t a d t als ihre Lebensadern, als »topographisches Muster« 1 4 , das den S t a d t r a u m strukturiert, und zwar sowohl in der Figurenerfahrung wie figurenunabhängig. Diese im Verlauf des R o m a n s von Döblin voll ausgebaute F o r m , S t a d t zu erzählen, bleibt hier im ersten Kapitel noch auf eine gewissermaßen dienende F u n k t i o n reduziert, nämlich die m o m e n t a n e Befindlichkeit F r a n z B i b e r k o p f s zu veranschaulichen. Soeben haftentlassen, kann er sich von der relativen Geborgenheit des Gefängnisses noch nicht lösen, es ist für ihn ein »schrecklicher Augenblick«. »Man setzte ihn wieder aus.« »Dann nahm er einen Anlauf und saß in der Elektrischen. Mitten unter den L e u t e n . Los.« E s h a t ihn ungeheure Anstrengung gekostet, in die S t r a ß e n b a h n zu steigen, und die W a h r n e h m u n g e n des S t a d t l e b e n s , die »lebhaften S t r a ß e n « , die ein- und aussteigenden L e u t e m a c h e n ihm A n g s t : » I n ihm schrie es e n t s e t z t : Achtung, A c h t u n g , es geht los.« 1 5 Charakteristisch für Döblins Erzählweise ist der meist assoziativ gesteuerte rasche W a n d e l zwischen »Innen« und »Außen«, hier zwischen Stadteindrücken und -Wahrnehmungen der
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F i g u r und ihren inneren R e g u n g e n . B i b e r k o p f h a t die S t r a ß e n b a h n v e r l a s s e n , ist beim
R o s e n t h a l e r P l a t z ; b e t r i t t also »sein
Vierlel«. » G e w i m m e l , welch G e w i m m e l . W i e sieh d a s bewegte«. »Hundert
b l a n k e S c h e i b e n , laß die doch blitzern, die
werden
dir doch nicht b a n g e m a c h e n , k a n n s t sie j a k a p u t t schlagen . . .« »Man m i s c h t sich u n t e r die a n d e r n , da vergeht alles, dann m e r k s t du n i c h t s , K e r l . « 1 6 Dem L e b e n , dem G r o ß s t a d t l c b e n wieder ausgesetzt zu sein, m a c h t ihm A n g s t . In seinen R e a k t i o n e n zwei den
Roman
durchziehende
polare Motive a n g e l e g t :
sind Ge-
w a l t t ä t i g k e i t , blindwütiges Dreinsehlagen als A n t w o r t auf unbewältigte
Erfahrungen
als die eine, das — hier noch
dumpf
e r a h n t e , erst am S c h l u ß »wache«, v e r n u n f t b e s t i m m t e — Zusammengehen
mit
andern
Noch a b e r sind
Menschen
als die a n d e r e
wir ganz a m Anfang,
Möglichkeit.
die G r o ß s l a d t e i n d r ü c k e
schlagen ü b e r B i b e r k o p f z u s a m m e n , in der S o p h i e n s l r a ß e . der dunklen
N e b e n s t r a ß e , hofft er auf R u h e , findet sie auch
hier
n i c h t , sondern erst bei den beiden .luden und ihren m e r k - w ü r d i gen belehrenden G e s c h i c h t e n . D a n a c h t a u c h t er in die S t a d l e i n : K i n o , V e r s u c h e mit Huren, langsames, i m m e r noch
mühsames
W i e d e r tritt fassen. Gegen E n d e des R o m a n s ,
als B i b e r k o p f in die
Irrenanstalt
nach B u c h g e b r a c h t worden ist, wird die S t a d t f e r n e der Gegend b e t o n t : » D a s feste I l a u s liegt im freien Gelände, a u f dem offenen, ganz flachen L a n d , der W i n d , der R e g e n , der S c h n e e , die K ä l t e , der T a g und die N a c h t , die k ö n n e n das H a u s u m d r ä n g e n
mit
aller K r a f t und mit aller M a c h t . K e i n e S t r a ß e n h a l t e n die E l e m e n t e a u f . . . « 1 7 D a m i t ist die B a h n frei für die S t u r m g e w a l t i gen, deren » W u m m , w u m m « B o t s c h a f t aus weiten F e r n e n der M o t i v l a n d s c h a f t des R o m a n s b r i n g t : vom S c h l a c h t h o f , wo »der H a m m e r . . . w u m m h e r u n t e r « » d e n großen weißen S t i e r « t r i f f t 1 8 ; vom A l e x a n d e r p l a t z , wo die D a m p f r a m m e » r u m m r a m m w u c h t e t « 1 9 ; von
B i b e r k o p f selbst, von dem der V o r s a t z zum
VII.
B u c h v e r k ü n d e t : »Hier saust d e r H a m m e r , der H a m m e r gegen Franz Biberkopf«20; einer g r o ß e n
und schließlich von Mieze, deren T o d von
Naturklage
begleitet
» W u m m w u m m « des S t u r m e s
wird,
durch
die
sich
das
wie ein U r l a u t z i e h t . 2 1 Auf die
S t u r m g e w a l t i g e n wird B e z u g g e n o m m e n , als d e r T o d sein »lang-
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s a m e s , l a n g s a m e s L i e d « 2 2 zu singen b e g i n n t , d a s f ü r B i b e r k o p f ein Lied z u m L e b e n isl. Sein W e g z u r ü c k ins L e b e n , z u r ü c k n a c h Berlin, wird d u r c h den Tod g e b a h n t , d e n G e g e n s p i e l e r d e r »groß e n B a b y l o n « , d e r » M u t t e r aller G r e u e l auf E r d e n « 2 3 , d e n T o d . d e r M ä h m a n n u n d S ä m a n n ist. I m Z e n t r u m seines » l a n g s a m e n , l a n g s a m e n Liedes«, m i t d e m er B i b e r k o p f z u r e r k e n n e n d e n E i n sicht f ü h r t u n d d e m L e h e n z u r ü c k g e w i n n t , s i e h t , wie V o l k e r K l o t z g a n z r i c h t i g h e r v o r l i e b t , d a s » n ü c h t e r n e Preislied« d e r U r b a n i t ä t , ein » P l ä d o y e r . . . f ü r die S t a d t , wie sie isl«. 2 ' 1 B i b e r k o p f s R ü c k k e h r in die S t a d t , ins L e b e n ist die R ü c k k e h r eines e r s c h ö p f t e n u n d zugleich w a c h und n ü c h t e r n g e w o r d e n e n M e n s c h e n in eine n ü c h t e r n u n d sachlich g e w o r d e n e S t a d t . Keine Ängste u n d f a l l e n d e n D ä c h e r wie bei seiner R ü c k k e h r a u s Tegel, m i t d e r d e r R o m a n b e g a n n , s o n d e r n : »Die H ä u s e r h a l l e n still, d i e D ä c h e r liegen fest, er k a n n sieh r u h i g u n t e r i h n e n bewegen, e r b r a u c h t in k e i n e d u n k l e n H ö f e zu kriechen.«'- 5 L a n g s a m u n d r u h i g geht er d u r c h die S t r a ß e n , a u c h zum A l e x — » D e n g i b t s noch i m m e r . « 2 6 E r ist m i t sich u n d d e r S t a d t e i n v e r s t a n d e n . Begleitet wird seine R ü c k k e h r d u r c h d a s M a r s c h - M o t i v , s t a r k h e r v o r g e h o b e n d u r c h K a p i t e l ü b e r s c h r i f t e n , dessen in sich widerspruchsvolle K o m p l e x i t ä t der Interpretation erhebliche Schwier i g k e i l e n b e r e i t e t . 2 7 D a s M o t i v des M a r s c h i e r e n s ist e i n m a l ein h i s t o r i s c h - p o l i t i s c h e s Motiv, d a s auf die g r o ß e n K r i e g e u n d die Millionen T o t e n e b e n s o a n s p i e l t wie auf die g r o ß e n r e v o l u t i o n ä ren F r e i h e i t s b e w e g u n g e n , 2 8 es ist a b e r a u c h v e r b l i n d e n m i t Bib e r k o p f s V e r b l e n d u n g u n d Maßlosigkeit, mit d e r k r i e g e r i s c h e n H o c h s t i m m u n g , in d e r er R e i n h o l d h e r a u s f o r d e r t u n d Miezes T o d v e r s c h u l d e t , u n d schließlich m e i n t es die D e m o n s l r a t i o n s züge, die » m i t F a h n e n u n d Musik und G e s a n g an seinem F e n s t e r vorbei« m a r s c h i e r e n , v o r d e r F a b r i k , d e r e n H i l f s p o r l i e r er z u m S c h l u ß ist, u n d hier gilt es zu w ä g e n , »wach sein, A u g e n auf«, w o h i n d e r M a r s c h g e h t . 2 9 Z u m S c h l u ß des R o m a n s f ü h r t d a s Mot i v in die politisch-soziale G e g e n w a r t im Berlin d e s J a h r e s 1929, es assoziiert B i l d e r , wie sie a u s F i l m d o k u m e n t e n b e k a n n t sind, es d e u t e t auf Berlin als die S t a d t , in d e r die K ä m p f e d e r Klassen sich z u s p i t z e n u n d w e l t p o l i t i s c h e T r a g w e i l e b e k o m m e n .
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Stadtansichten I: Berlin als soziale, moralische und politische Erfahrung » S o w e i t diese riesige S t a d t a u s Stein bestellt, ist sie f a s t noch wie einst. Hinsichtlich der Bewohner gleicht sie l ä n g s t einem Irrenh a u s . I m Osten residiert d a s Verbrechen, im Z e n t r u m die G a u nerei, im N o r d e n d a s E l e n d , im W e s t e n die U n z u c h t , und in allen H i m m e l s r i c h t u n g e n wohnt der U n t e r g a n g . « 3 0 S o läßt E r i c h K ä s t n e r seinen F a b i a n d a s Urteil über Beriin sprechen. Mit »Verbrechen-«, »Gaunerei«, » U n z u c h t « dominiert deutlich der moralische A s p e k t über den sozialen, der politische bleibt a u s g e s p a r t , allenfalls k ö n n t e m a n ihn mit » U n t e r g a n g « verbinden. Insofern setzt dieses Urteil die Akzente nicht g a n z g e n a u s o , wie sie im R o m a n i n s g e s a m t g e s e t z t werden, d e u t e t a b e r doch e t w a s an, w a s neben Fabian auch andere in Berlin spielende Z e i l r o m a n e b e s t i m m t : Die S t a d t wird als R a u m f ü r soziale, moralische und politische E r f a h r u n g e n thematisiert und d a m i t z u m Brennspiegel für Zeiterfahrung schlechthin g e m a c h t , z u m Ort, an d e m sich mehr entscheidet als nur d a s S c h i c k s a l einer S t a d t und ihrer Bewohner. In den einzelnen R o m a n e n treten die thematisierten A s p e k t e des G r o ß s l a d t l e b e n s unterschiedlich s t a r k hervor. In Fabian dominiert, wie g e s a g t , der moralische A s p e k t ; Soziales und Politisches klingt in R e f l e x i o n e n und H a n d l u n g s e p i s o d e n a n . G a n z auf die T h e m a t i s i e r u n g moralischer E r f a h r u n g e n richtet sich a u c h Heinrich M a n n s Interesse in Ein ernstes Leben, Soziales bleibt auf den Vor-Berlin-Teil des R o m a n s b e s c h r ä n k t , Politisches spielt keine Rolle. In Kleiner Mann — was nun? stellt die soziale P r o b l e m a t i k im Mittelpunkt, die moralische wird v o n ihr abgeleitet, Politisches wird gestreift. U m den Gewinn politischer H a l t u n g e n a u s sozialer E r f a h r u n g geht es im Mädchen an der Orga privat, u m politischen K a m p f , in den die sozialen E r f a h r u n g e n bereits eingegangen sind, in Barrikaden am Wedding. In Berlin Alexander platz t a u c h e n alle A s p e k t e a u f , bezogen a b e r a u f die T h e m a t i s i e r u n g der S t a d t selbst. Die T h e m a t i s i e r u n g des Sozialen als Berliner G r o ß s t a d t e r f a h r u n g erwächst in Kleiner Mann — was nun? erst einmal a u s
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d e m K o n t r a s t zur K l e i n s t a d t , erst in der G r o ß s t a d t treten die sozialen K o n f l i k t e in ihrer t y p i s c h modernen F o r m scharf hervor. In der K l e i n s t a d t sind die A b h ä n g i g k e i t s v e r h ä l t n i s s e klar und ü b e r s c h a u b a r , A u s n ü t z u n g und Drangsalierung sind unverhohlen, der Chef ist g r e i f b a r nahe, P r i v a t e s mischt sich unangenehm in die sozialen Beziehungen hinein. Im großen W a r e n h a u s in der großen S t a d t Berlin sind die A b h ä n g i g k e i t s v e r h ä l t n i s s e a n o n y m , vielfach vermittelt, d e r Angestellte ist kleines R ä d c h e n im großen Getriebe, wird a u s g e t a u s c h t , wegrationalisiert, wenn die betriebliche R e n t a b i l i t ä t es erfordert. D a ist im Prinzip nichts Persönliches im Spiel, keine L e i d e n s c h a f t e n , Herr S p a n n f u ß , der Rationalisierungsspezialist im W a r e n h a u s Mandel, funktioniert nur. F a l l a d a lenkt eher v o m Wesentlichen a b , wenn er zusätzlich eine persönliche Intrige f ü r Pinnebergs E n t l a s s u n g b e m ü h t . K ä s t n e r ist d a konsequenter, sein F a b i a n wird g a n z »leidens c h a f t s l o s « e n t l a s s e n : Von den zwei in der Werbung der F i r m a t ä t i g e n Kollegen bezieht er d a s höhere Gehalt, d e s h a l b ist er d r a n . Die B e m ü h u n g der "persönlichen Intrige steht bei F a l l a d a allerdings im Z u s a m m e n h a n g mit einem T h e m a , d a s ihm wichtig ist, der F r a g e nach der S o l i d a r i t ä t . U n t e r den Angestellten gibt es in der kleinen wie in der großen S t a d t nur e r b a r m u n g s l o s e n K o n k u r r e n z k a m p f u m den Arbeitsplatz. Pinnebergs — v o m persönlichen Interesse a u s g e h e n d e r — Versuch in Ducherow, seine zwei Kollegen zu solidarischem Verhalten zu bewegen, scheitert kläglich; sein schlechtes Gewissen, als er den proletarischen Kollegen verleugnet, blerbt folgenlos; d a s solidarische Verhalten des L e b e n s k ü n s t l e r s H e i l b u t t ist A u s n a h m e wie der Mann selbst. Der im A n s a t z erfolgreiche K a m p f der j u n g e n E r n a H a l b e u m S o l i d a r i t ä t unter den Mädchen im B ü r o bildet weniger Realit ä t in ihrem Sosein a b , als sie B r a u n e s Absicht widerspiegelt, e t w a s bewirken, R e a l i t ä t v e r ä n d e r n zu wollen. Berlin als soziale E r f a h r u n g , d a s ist auch ein S t a d t b i l d , d a s d u r c h die B e w e g u n g der werktätigen Massen a u s den F a b r i k e n und B ü r o s m i t b e s t i m m t wird. Auf den R h y t h m u s ihrer Arbeit ist der F a h r p l a n der S t a d t b a h n z ü g e a b g e s t i m m t , die a m Morgen d e s 1. Mai leer bleiben ( B a r r i k a d e n am Wedding). Der arbeitslose F a b i a n beobachtet, wie in der kurzen M i t t a g s p a u s e die Hal205
testellen u m d r ä n g t u n d die A u t o b u s s e g e s t ü r m t werden. R u d o l f B r a u n e läßt seine Heldin E r n a H a l b e von d e m S l r o m der W erktätigen mitgerissen werden, der nach F e i e r a b e n d durch Berlins S t r a ß e n fließt, und es gelingen ihm lebendige S t a d t b i l d e r . Sich öffnende Türen und Tore » m a c h e n den Weg frei« für eine » r a u schende und doch stille, eine gleichmäßige F l u t « , j u n g e Mädchen in hübschen Kleidern, Cafés, a u s denen T a n z m u s i k tönt, schöne S c h a u f e n s t e r , K i n o s . 3 1 B r a u n e s Menschen sind j u n g und voller Energie, anders als N c u k r a n t z ' Arbeiter gehen sie nach einem schweren A r b e i t s t a g beschwingt nach H a u s e , denn sie freuen sich auf den A b e n d , auf die Freizeil, mit der etwas a n z u f a n g e n — sei es S p o r t , sei es T a n z v e r g n ü g e n — sie noch die K r a f t h a b e n . Spiegel der sozialen G r o ß s t a d l p r o b l e m e ist auch d a s Wohnen. In der Kösliner S t r a ß e wohnt m a n t y p i s c h proletarisch, S l u b e und Küche, eng, dunkel. Gegen drohende E x m i t t i e r u n g stehen die Bewohner z u s a m m e n . T y p i s c h Berlin der zwanziger J a h r e ist die Witwe mit der großen Wohnung, die an alleinstehende D a m e n und Herren u n t e r v e r m i e t e t . Stf wohnt Marie Lehning bei der Witwe Zahn, F a b i a n bei der Witwe Hohlfeldt, f ü r die — und d a s gehört z u m typischen Bild — d a s U n t e r v e r m i e t e n sozialen Abstieg bedeutet, früher h a t t e m a n d a s nicht nötig. B r a u n e und F a l l a d a führen ihre Heldinnen auf Zimmersuche durch die S t a d t , der Blick in zahlreiche Wohnungen ist o f t genug ein Blick in soziales E l e n d , o f f e n b a r t d a s soziale Gefälle, wenn die S u c h e tiefer in die Proletarierviertel hineinführt. L ä m m c h e n s p ü r t , wie eine schlechte Wohnung » d a s E n d e « , »der Verzicht auf d a s eigene L e b e n « sein k a n n , 3 2 und auch E r n a H a l b e wird » m ü d e und traurig«, bevor ihr Wille, »sich nicht über den H a u f e n rennen« zu lassen, wieder siegt. 3 3 Die äußerste soziale E r f a h r u n g ist die der Arbeitslosigkeit, nur E r n a H a l b e b e d r ü c k t sie nicht, sie v e r t r a u t d a r a u f , bald wieder eine neue Stelle zu finden. F ü r die Arbeiter der Kösliner S t r a ß e ist Arbeitslosigkeit noch schlimmer als die s c h l i m m s t e P l a c k e r e i , einmal arbeitslos geworden, ist die Aussicht auf eine neue Stelle gering, d a s weiß m a n , t r o t z d e m riskiert m a n den A r b e i t s p l a t z , wenn der politische K a m p f es erfordert. D a s Arbeitslos werden m a c h t F a b i a n s Absicht, sein L e b e n zu ändern, zunichte. » D e r
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Zufall h a t t e ihm einen Menschen in die Arme geführt, f ü r den er endlich handeln d u r f t e , und dieser Mensch stieß ihn in die ungewollte, verfluchte Freiheit zurück. Beiden war geholfen gewesen, und nun war beiden nicht zu helfen. In dem Augenblick, wo die Arbeit Sinn erhielt, weil er Cornelia f a n d , verlor er die Arbeit. Und weil er die Arbeit verlor, verlor er Cornelia.-« 34 Die Arbeitslosigkeit ist nicht die Ursache f ü r F a b i a n s Probleme, f ü r seine hoffnungslose Sinnsuche, aber erst durch die Arbeitslosigkeit wird aus seiner verzweifelten Skepsis der »Gang vor die Hunde« (so der ursprüngliche Titel). Johannes Pinneberg sucht vor der Arbeitslosigkeit R e t t u n g in Berlin, durch J a c h m a n n s Beziehungen b e k o m m t er eine Anstellung, aber die Angst vor neuer Arbeitslosigkeit sitzt ihm im Nacken. Eine der wenigen Stellen, an denen Fallada Seinen Helden Berlin w a h r n e h m e n läßt, ist durch diese AngsL geprägt. E r geht an einem Werktagsmorgen durch den Kleinen Tiergarten, der dürftige P a r k ist trotz mäßigem W e t t e r nicht leer. »Massen von Menschen sind da, grau in der Kleidung, fahl in den Gesichtern, Arbeitslose, die warten, sie wissen selbst nicht m e h r auf was, denn wer wartet noch auf Arbeit — ? Sie stehen so h e r u m , planlos, in den W o h n u n g e n ist es auch schlimm, w a r u m sollten sie nicht herumstehen?«»Äußerlich gehört Pinneberg nicht zu ihnen, ist fein in Schale.« Aber innerlich . . . E r f ü h l t sich genauso als hilfloses Objekt der Interessen derer »oben«, u n d er weiß: »drei Monate Arbeitslosigkeit« u n d er sähe genauso aus. 3 3 Am Ende des R o m a n s ist es soweit. Berlin ist die S t a d t des Verbrechens und des Lasters und des Geschäfts mit dem Laster. Die Kriminalisierung ist nicht allein u n d nicht einmal vorrangig Folge von Not und Elend (das spielL in den hier untersuchten R o m a n e n sogar eine auffallend geringe Rolle), sondern Mittel zur Selbstbehauptung, zu einem Selbstwertgewinn, den das Leben sonst verweigert, und bei Döblin ist die Unterwelt, so handfest-real ihre Kriminalität auch ist, zugleich Unterwelt im m y t h i s c h e n Sinn. Das Lasier und das Geschäft mit ihm blühen u n d gedeihen nicht allein in einer durch soziale und moralische Unsicherheit geprägten Umgebung, sondern zeigen an, d a ß wir in Sodom und Gomorra sind, den durch 207
ihre Sünden von G o t t abfallenden S t ä d t e n , denen Gottes S t r a f gericht, denen die Vernichtung bevorsteht. J o h a n n e s Pinneberg u n d sein L ä m m c h e n gehen fast t r a u m wandleriscli u n b e r ü h r t d u r c h die moralischen Gefährdungen, die ihre Umwelt f ü r sie bereit hält. Pinneberg h a t f ü r seine Mutter und deren Liebesvermittlungsinstitut (dessen Charakter er und L ä m m c h e n n u r sehr zögernd durchschauen) n u r V e r a c h t u n g ; er k a n n zwar Anzüge verkaufen, aber keine A k t p h o t o s ; und seine Teilnahme an den nächtlichen Holzdiebstahlaktionen verhind e r t L ä m m c h e n wohl nicht n u r aus moralischen Gründen, sondern weil ihr J u n g e ganz der T y p ist, der sicher dabei crwischt würde. J a c h m a n n wäre d u r c h a u s bereit, Pinneberg und L ä m m chen in seine undurchsichtigen Geschäfte einzubeziehen, wären sie d a f ü r nur irgend geeignet, und L ä m m c h e n t a u g t auch nicht dazu, seine Geliebte zu werden, das m u ß er einsehen. Die Großs t a d l um Pinneberg und L ä m m c h e n h e r u m ist ein Sündenbabel, aber doch ein barmloses im Vergleich zu Döblin, Heinrich Mann oder gar Erich Kästner, es ist zurückgenommen auf die kleinen Maße des Alltäglichen, des Jedermannlebens. Größere Maße haben Verbrechen u n d Lasier in Heinrich Manns Ein ernstes Leben, u n d zwar direkt bezogen auf Berlin. Wenn Marie beim Bauern etwas mitgehen läßt, auch noch als sie im W a r e n h a u s in Lübeck f ü r K u r t Meier Schuhe stiehlt, handelt sie aus Not und Hilfsbereitschaft. In Berlin ist auch sie Gefährdungen ausgesetzt, die an die menschliche Substanz gehen. In Berlin ist der windige K u r t Meier auf die schiefe B a h n geraten, h a t sich in Diebstahl u n d Hehlerei verstrickt, nicht zuletzt, u m seiner Schwester den Weg nach oben zu bahnen. »Dir b e k o m m t Berlin nicht. D a u e r t keine fünf Minuten, und wir haben dich wieder auf dem Hals.« Sagt Kriminalkommissar Kirsch. 3 6 Kurt treibt in Berlin, im Strudel seiner Wettleidenschaft, in d e r Abhängigkeit von Adele, in der Sorge u m ihre E r b s c h a f t d e m großen Verbrechen entgegen; aus innerer Haltlosigkeit, aus der Gier nach d e m großen Geld, aus sozialer u n d moralischer E n t wurzelung wird Mord. Verbrechen ist Lebensersatz, scheinbar einzige Möglichkeit, sich aufzuwerten. Vicki, K u r t s Schwester, kälter berechnend als der Bruder, genügt die Position als Bäuer-
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leins Gattin nicht, sie lockt Marie in die Falle, weil sie deren Kind will, K u r t s Kind, sie selbst kann keins b e k o m m e n ; Kindese n t f ü h r u n g , Mordversuch, jedes Mittel ist recht. Marie läßt sich von Yicki nach Berlin locken, halb aus Angst, halb aus Lust aufs Abenteuer. »Aber sie w u ß t e in diesem Augenblick genauer als jemals später, d a ß sie in das "Verhängnis ging.« 37 Das Verhängnis ist nicht der »Harem«, die N a c h t b a r der Adele Fuchs, denn dort geht es, jedenfalls u n t e r den Bardamen, sehr anständig zu. Das Verhängnis ist das Böse, das von Yicki und K u r t ausgeht und sie nur in Berlin erreichen kann, sind aufgezwungene K a m p f methoden, bei deren zunehmend perfekterem Gebrauch ihre eigene h u m a n e I n t e g r i t ä t gefährdet wird. Der Schluß des B o m a n s zeigt sie unschuldig u n d mitschuldig in einem. Vollends Sodom u n d Gomorra ist Berlin bei Erich Kästner, hier fällt auch das W o r t . 3 8 F a b i a n beschreibt Cornelia die S t a d t als ein P a n o p t i k u m der Perversionen. Gegen den Klub der F r a u Sommer ist Mia Pinnebergs U n t e r n e h m e n von kleinbürgerlicher Wohlanständigkeit, gegen Irene Moll mit ihrem Männerbordell ist Adele Fuchs mit ihrem »Harem« eine züchtige F r a u . In » H a u p t s Sälen«, wo jeden Abend ein »Strandfest« s t a t t f i n d e t , gibt es Vergnügen und Liebe im Billigangebot, im » K a b a r e t t der Anonymen« werden Verrücktheiten präsentiert, in der »Cousine« flüchten Frauen in selbstzerstörerische Leidenschaften. U n d Cornelia Battenberg, Dr. jur., Spezialistin f ü r Filmrecht, beginnt ihre Karriere im B e t t des Produzenten. Nicht allein, d a ß F a b i a n mehr beobachtend als m i t m a c h e n d durch all das hindurchgeht, kopfschüttelnd, aber nicht aburteilend, denn er ist Moralist und kein Moralapostel. Das sich überschlagende Laster bleibt lustlos, auch der männergierigen, n i m m e r s a t t e n Irene Moll glaubt m a n die Lust nicht. Das Laster ist Ausdruck der Verzweiflung, ist B e t ä u b u n g u n d Flucht, um das Menetekel zu vergessen. das schon an die W a n d geschrieben ist. Als S t ä t t e entscheidender politischer Auseinandersetzungen erscheint Berlin n u r bei Klaus Ncukrantz. Die Ereignisse u m den Blutmai 1929 möglichst authentisch zu dokumentieren ist sein Anliegen, m a c h t die Bedeutung des Buchs. Sie geraten zum Bild einer Republik, die sich selbst ihren Feinden auszuliefern 14
Wruck, Leben, B d . II
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beginnt, als sie ihre Gewaltmittel gegen das Proletariat mobilisiert. Die Republik von Weimar fällt in Berlin, der 1. Mai 1929 markiert einen Schritt auf diesem Weg. Als Neukrantz seinen Roman schrieb, wußte das noch niemand, doch man spürt eine Ahnung. In den anderen Romanen tangiert Politisches mehr oder weniger das Leben der Figuren, ohne berlinspezifiseh zu sein. Lämmchen ist politisch durch ihre kleinstädtisch-proletarische Herkunft beeinflußt, im Grunde aber genau so unpolitisch wie Pinneberg (und der Autor), und. das hat mit Berlin genauso viel und genauso wenig zu tun wie mit Ducherow und der Siedlung vor der S t a d t . Fabian und Labude, Fabian und die Journalisten tauschen Meinungen über Politisches aus, wie sie es an anderen Orten genauso könnten, Labudes politische Aktivitäten spielen sich in anderen Städten ab. Berlinspezifisch ist allenfalls die Episode am Märkischen Museum, der groteske Zweikampf zwischen dem kommunistischen Arbeiter und dem nationalsozialistischen Angestellten, in den Fabian und Labude helfend und beruhigend eingreifen, die ihnen gemäße Parteinahme. Berlinspezifisch sind auch Franz Biberkopfs Erfahrungen mit Politik. Er taumelt zwischen den politischen Angeboten hin und her, die Parteien und Richtungen in Sälen und Kneipen machen, er äußert Meinungen, meist sehr entschieden, und hat doch keine Meinung. In Berlin ist Krieg, Bürgerkrieg, Bruderkrieg, durch den die Erinnerung an den zurückliegenden großen Krieg wach bleibt, durch den die Gefahr eines neuen Krieges warnend beschworen wird. Verblendet wie die Massenschlächtopfer der großen Kriege zieht Franz Biberkopf in seinen Privatkrieg gegen Reinhold, in seinem Innern ganz militaristisch gestimmt — »Da marschiert Franz Biberkopf durch die Straßen, mit festem Schritt, links rechts, links rechts . . . eine Kugel kam geflogen . . . Trommelgerassel und Bataillone . . . Es geht durch Berlin. Wenn die Soldaten durch die S t a d t marschieren, ei warum, ei d a r u m , ei bloß wegen dem Tschingdarada bumdara . . .« Mobilisierungsfaktor des weiteren faschistischen K a m p f e s um die R e i c h s h a u p t s t a d l . Die schon seit J a h r e n p r a k t i z i e r t e n Terrorm e t h o d e n r i c h t e n sich nun mit voller W u c h t gegen die K o m m u nisten. M o r d a n s c h l ä g e auf Mitglieder und F u n k t i o n ä r e der KPD, u n g e z ä h l t e Uberfälle auf V e r s a m m l u n g e n der P a r t e i , auf ihre L o k a l e und Büros — oft u n t e r den Augen der Polizei — gehörten seit A n f a n g der 30er J a h r e zum A l l t a g eines sich i m m e r m e h r b r u t a l i s i e r e n d e n politischen Kampfes der F a s c h i s t e n um die Macht. Gleichzeitig g e w a n n in diesem Umfeld a b e r a u c h eine zweite S t r a t e g i e l i n i e der Goebbelsschen P r o p a g a n d a an Gewicht. Von dem d e u t l i e h g e w a n d e l t e n Bild der ¡NSDAP als » e t a b l i e r t e r « P a r t e i b e g ü n s t i g t — einem Bild, d a s sich seit den W a i d e n von 1930 in • d e r bürgerlichen Öffentlichkeit zunehmend d u r c h z u ' setzen b e g a n n —, griffen die Nazis jetzt zum ersten Mal prononciert und ideologisch offensiver als zuvor in Diskussionen ein, die in der W e i m a r e r R e p u b l i k schon seit Mitte der zwanziger J a h r e insbesondere gegen progressive Tendenzen in der L i t e r a t u r und K u n s t , gegen die Moderne im weitesten Sinne, geführt worden w a r e n . Das geistige K l i m a , a u s dem e t w a die sogenannten A n l i - K u l t u r p r o z e s s c gegen » A s p h a l t l i t e r a t e n « und » K u l t u r b o l s e h e w i s t e n « 0 vom S c h l a g e eines J o h a n n e s R . Becher. Bertolt B r e c h t , Carl von Ossietzky, Erich M ü h s a m , W i e l a n d Herzfelde, George Grosz und a n d e r e r erwuchsen, b e d i e n t e den F a s c h i s m u s in seinen eigenen strategischen Zielvorslellungen sehr g e n a u . Das Interesse, sich in diese Front k u l t u r p o l i t i s c h r e a k t i o n ä r e r Positionsbildungen einzureihen und sich i m m e r h ä u f i g e r selbst an die S p i t z e j e n e r Vorstöße gegen die fortges c h r i t t e n e L i t e r a t u r und Kunst zu stellen, w a r u n ü b e r s e h b a r . A m A n f a n g w a r es auch hier wieder eine s p e k t a k u l ä r e Aktion, m i t der Goebbels und seine S A in Berlin diese S e i t e ihres » K u l t u r k a m p f e s « einleiteten.
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Der Literaturkampf der NSDAP Am 4. Dezember 1930 fand in Berlin die deutsche U r a u f f ü h r u n g des amerikanischen Anti-Kriegsfilms Im Westen nichts Neues nach dem Roman von Erich Maria Remarque s t a t t . Fünf Tage lang h a t t e Goebbels seine Helfer vor dem Lichtspieltheater am Nollendorfplatz 4 4 , wo die Premiere stattfinden sollte, auffahren lassen, um gegen die vermeintlich antinationale Haltung des Films, gegen »seine das Ansehen des deutschen Soldaten im Felde« 4 5 herabwürdigende Aussage zu protestieren. E r konnte sich dabei der Zustimmung der Reichswehrverlreler in der Filmprüfungskommission sicher sein. Als es mit Mehrheitsbeschluß dieser Kommission dennoch zur Freigabe und d a m i t zur Urauff ü h r u n g kam, schickte Goebbels ganze Trupps von SA-Männern vor das Premieren-Kino, wo jeder, der den Film sehen wollte, eingeschüchtert, bedroht, am Hineingehen gehindert werden sollte. Während der Vorstellung kam es d a n n nach Zwischenrufen und anderen Störungen zu tumultartigen Szenen, als die SA H u n d e r t e weißer Mäuse aussetzte und durchs P a r k e t t laufen ließ. Wie der anwesende Axel Eggebrecht berichtete, »verfolgte ganz Berlin den Ausgang des Feldzuges, der um einen Film e n t b r a n n t war. Zwei Tage später erklärten mehr als hundert Kinobesitzer, die den Remarque-Film schon zum Nachspielen gemietet h a t t e n , d a ß sie von ihren Verträgen zurückträten. Dabei beriefen sie sich auf das Eintreten höherer Gewalt. Der Verleih gab bekannt, er würde klagen, um die Innehaltung zu erzwingen. An diesem Tag verbot die Preußische Regierung, deren maßgebliche Mitglieder Sozialdemokraten waren, den Film ' I m Westen nichts Neues' 'wegen Gefährdung der öffentlichen R u h e und Sicherheit'.« 4 6 Die Straße h a t t e »gesiegt«, und Goebbels konnte einen wichtigen Erfolg verbuchen. Stolz r ü h m t e er sich in seiner Zeitung: »In die Knie gezwungen!« 4 7 Schon wenig später kam es unter vergleichbaren U m s t ä n d e n zu erneuten Ausschreitungen, als Brecht und Weill ihre Mahagonny-Oper in Berlin zur Aufführung brachten. Wieder rotteten sich SA-Trupps zusammen und demonstrierten mit b r u t a -
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lern Terror gegen S t ü c k u n d Inszenierung. Am Premierenabend g a b es chaotische Szenen im P a r k e t t ; die Nazis u n t e r b r a c h e n die Vorstellung, einzelne Schauspieler setzten sich zur W e h r ; schließlich k a m es zu einer wilden Schlägerei. Das Theater m u ß l e d a r a u f h i n von der Polizei g e r ä u m t werden. In der d a r a u f folgenden Vorstellung, erinnert sich L o t t e Lenya, wurde bei voller Beleuchtung des Zuschauerraumes gespielt, Polizisten sicherlen an den Ausgängen stehend die A u f f ü h r u n g . »Die Ereignisse holen die Theaterstücke ein«, 48 überschreibt H e r b e r t Jhering 1931 seine B e s t a n d s a u f n a h m e der Theatersituation Berlins. Vermittelt wird darin eine E r f a h r u n g , die den int e r n e n Bereich ästhetischer Auseinandersetzungen zu einer sozialen Analyse erweitert, die wichtige und vertiefende Einsichten über die widersprüchliche kulturelle Situation Berlins gegen E n d e der Weimarer Bepublik enthält. Erst vor diesem Hinterg r u n d wird eigentlich klar, wie sehr die »-Einzel-Fälle« Remarque, Brecht, Ossietzky, Becher u. a., die sich wegen ihrer k ü n s t lerischen Auffassungen vor Gerichten v e r a n t w o r t e n m u ß t e n , zunehmend paradigmatisch wurden f ü r den politischen »RechtsTrend« in der Weimarer Bepublik. Goebbels Schlagzeile »In die Knie gezwungen« gewinnt erst von hier aus ihre eigentliche Dimension: nicht n u r als eitles Triumphieren über das provozierte Verbot, eines einzelnen Films oder den d e m o n s t r a t i v e n Eingriff in das Theater, sondern als Testfall der Schwäche und Ohnm a c h t einer bürgerlichen Öffentlichkeit, die »reif« ist f ü r die F o r d e r u n g nach einem autoritären faschistischen S t a a t — daher der J u b e l der Nazis. Es erscheint p a r a d o x , bleibt doch aber die vorherrschende Tendenz dieser U m b r u c h p h a s e : Die Vielzahl kritischer S t i m m e n aus dem kulturellen Bereich selbst, die wie i m Falle der B r ü d e r Mann, Johannes R. Bechers, Kurt Tucholskys, Walter Benjamins, H e r b e r t Jherings und vieler anderer in Beden, Aufrufen, Zeitschriftenartikeln, z. B. in der Weltbühne, d e r Linkskurve, aber auch einer Reihe liberaler bürgerlicher Zeitungen, konsequent die drohende politische Gefahr der allmählich sich immer stärker manifestierenden » K u l t u r r e a k t i o n « 4 9 b e n a n n t haben u n d auf ihre absehbaren, nicht n u r literarischen Folgen hinwiesen, repräsentiert insgesamt gesehen nicht n u r 269
eine Minderheit, sie e m p f a n d sich d a r ü b e r hinaus — w a s weita u s schwerer zu ertragen war — in einer fatalen S i t u a t i o n der Isolierung, f ü r die sich nur in A u s n a h m e f ä l l e n die Möglichkeit einer konsequenten U b e r w i n d u n g ergab. Auf ein solches Gefühl der Machtlosigkeit wollte K u r l T u c h o l s k y 1931 o f f e n b a r aufm e r k s a m machen, als er über die Folgenlosigkeit seiner Publizistik k l a g t e — ein D i l e m m a , d a s er mit den meisten d e r sogenannten »linken« Intellektuellen teilte. Selbst H u n d e r l e von B o t s c h a f t e n und Manifesten blieben ohne wesentlichen oder nachhaltigen Einfluß auf die breite Öffentlichkeit (wenn m a n einmal d a v o n absehen will, daß sie immer wieder u n d mit zunehmender Wirkung durch die Nationalsozialisten gegen ihre Verfasser ausgelegt wurden und A r g u m e n t e f ü r die faschistische P r o p a g a n d a a b g a b e n ) . E i n weiterer U m s t a n d k o m m t hinzu. E s h a t , rückblickend betrachtet, den Anschein, als wenn nicht zuletzt die P r a x i s der Zensurgeselze, die vielfachen juristischen Angriffe gegen die » L i n k e « , d. Ii. tatsächlich gegen die verschiedensten und oft gegenläufigen Tendenzen einer kritischen L i t e r a t u r und K u n s t , bei einer Reihe der B e t r o f f e n e n bzw. den solidarisch m i t ihnen Verbundenen nicht seilen ein illusorisches Selbstbewußtsein über ihren tatsächlichen Einfluß auf die Veränderung der von ihnen kritisierten bürgerlichen Verhältnisse und ihre individuelle B e d e u t u n g als r a d i k a l e antibürgerliche Opponenten produziert hätten. 1929 schon schreibt Walter B e n j a m i n wohl auch in diesem Z u s a m m e n h a n g von der » f a t a m o r g a n a eines neuen o o E m a n z i p i e r l s e i n s , einer Freiheit zwischen den K l a s s e n . . . Der Intellektuelle n i m m t die Mimikry der proletarischen E x i s t e n z an, ohne d a r u m im m i n d e s t e n der Arbeiterklasse v e r b u n d e n zu sein. D a m i t sucht er den illusorischen Zweck zu erreichen, über den Klassen zu stehen, vor a l l e m : sich außerhalb der Bürgerklasse zu wissen. E s ist eine Ü b e r g a n g s p o s i t i o n , und m a n h a t d a s Recht, sie u n h a l t b a r zu finden, nur darf m a n nicht vergessen, daß sie schon heute an die fünfzig J a h r e dauert-« 5 0 , l a u t e t d a s s a r k a s t i s c h e R e s ü m e e . B e n j a m i n a t t a c k i e r t hier die L e g e n d e eines linken R a d i k a l i s m u s , der in Wirklichkeit f ü r ihn »linke Melancholie« b e d e u t e t : » E r steht links nicht v o n dieser oder
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jener R i c h t u n g , sondern g a n z einfach links v o m Möglichen überhaupt.-« 5 1 Im besonderen F a l l sind es Erich K ä s t n e r und Walter Mehring, die d a m i t ausdrücklich angesprochen sind, aber leider eben keine A u s n a h m e bilden in jener Neigung zu intellektueller S e l b s t ü b e r s c h ä t z u n g angesichts einer in der P r a x i s sich längst schon vollziehenden F a s c h i s i e r u n g nicht nur des kulturellen Lebens. In der K o n s e q u e n z m u ß t e solche H a l t u n g in die Isolation, d. h. auch zur A b t r e n n u n g von jeder Möglichkeit des bewußten politischen W i d e r s t a n d s führen. A u f l ö s b a r war dieses Dil e m m a letztlich nur für jene, die sich grundsätzlich, politisch wie weltanschaulich, über die Grenzen des liberalen S p i e l r a u m s innerhalb des bürgerlichen K l a s s e n s t a a t e s keine falschen Vorstellungen g e m a c h t h a t t e n und seine H e r r s c h a f t s v e r h ä l t n i s s e und -interessen wirklich a u f z u d e c k e n bereit waren. Diese Voraussetzung ließ sich jedoch angesichts der zu Beginn der 30er J a h r e n o c h i m m e r vorhandenen kulturellen Möglichkeiten und auch H o f f n u n g e n f ü r die literarische A v a n t g a r d e — zumal in ihrem Z e n t r u m Berlin — ohne radikale A b g r e n z u n g von dieser bürgerlichen Öffentlichkeit nur sehr schwer herstellen. S o hält sich bis heute, nicht ohne Berechtigung, die Erinnerung an eine einzigartige B l ü t e der L i t e r a t u r , der K ü n s t e , des kulturellen L e b e n s auch noch während dieser letzten J a h r e der Weim a r e r R e p u b l i k . Wenn in diesem Z u s a m m e n h a n g an N a m e n wie T h o m a s und Heinrich Mann, Alfred Döblin, B e r t o l t B r e c h t , Carl von Ossietzky, R i c a r d a H u c h , an die Maler und Grafiker M a x L i e b e r m a n n , George Grosz, J o h n Heartfield, an die Bildhauerin K ä t h e Kollwitz oder an so b e r ü h m t e Musiker und K o m ponisten wie B r u n o Waither, Wilhelm F u r t w ä n g l e r , R i c h a r d S t r a u s s , Arnold Schönberg, A n t o n Webern g e d a c h t wird — u n d d a n n sind noch immer nur wenige hervorgehoben —, bleibt diese F e s t s t e l l u n g ohne F r a g e richtig. Sie darf nur den tatsächlichen Anteil dieser G r u p p e überragender Künstler an den G e s a m t v e r hältnissen des literarischen und kulturellen L e b e n s nicht überbewerten. S o erscheint es unerläßlich, immer zugleich auch auf d a s riesengroße und v o r allem m a s s e n h a f t k o n s u m i e r t e Reservoir einer neben dieser einen Tradition auch noch v o r h a n d e n e n 271
zweiten Literatur und Malerei, eines anderen Theaters und Films als das der Reinhardt, Piscator, Jessner oder Fritz Lang zu verweisen. Aus Richards Bibliographie 52 deutscher Bestseller zwischen 1915 und 1940 geht z. B. hervor, daß an der Spitze aller deutschsprachigen Bücher mit einer Auflagenhöhe von 1,3 Millionen Exemplaren bis zum J a h r 1933 Thomas Manns Buddenbrooks stehen. Daß Erich Maria Remarques' Im Westen nichts Neues, ebenfalls nur bis 1933 verlegt, an dritter Stelle erscheint, überrascht nicht. Dann aber kommen Namen und Buchtitel, die zu denken geben: Walter Flex Wanderer zwischen beiden Welten, Hermann Löns Werwolf, Die Biene Maja von Waldemar Bonseis; schließlich folgen für jüngere Leser heute schon weitgehend unbekannte Literaten wie Grimm, Vesper, Agnes Miegel, Peter Dörfler, Hans Friedrich Blunck. Keine Erwähnung finden die Werke Brechts und Kafkas; Alfred Döblins Berlin Alexander platz geht mit einer Auflagenhöhe von 50000 im Jahre 1933 zwischen Courths-Mahler, Karl May oder Dauthendey unter. Gerade diese »andere« Literatur, eben diese Bücher standen zwischen den Weltkriegen millionenfach in den deutschen Bücherschränken, sie machten in einem beträchtlichen Maße die »literarische Vergangenheit einer ganzen Nation« 53 und nicht etwa nur aktiver Nationalsozialisten aus: »Naturalismus, Realismus, Impressionismus, ja Dadaismus . . . Das war eine Sache der Intellektuellen, des Überbaus . . . Die Leserschaft der Volksbibliotheken aber verschlang nationalistische, völkische, militaristische und bieder-erotische Leichtware, die aber einen Explosivstoff des gesellschaftlichen Bewußtseins nährte.-«54 Für den Nationalsozialismus lag hier das literarische und künstlerische Reservoir, das er gegen die Moderne, gegen die künstlerische Avantgarde einsetzen konnte. Die programmatisch-demagogischen Frontbildungen Goebbels' vom November 1933 sind zu erinnern: gegen ein Konzept »geistiger Anarchie im Gestrüpp des modernen Zivilisationstaumels« — für eine Literatur auf »dem festen Boden des Volkstums«; gegen den »Genußtaumel« und das »Artistentum des vereinzelten, losgelösten Individuums« für eine »völkische Kultur« auf der Grundlage
einer s t a r k e n » d e u t s c h e ( n ) V o l k s g e m e i n s c h a f t « . 5 5 Die B e s i n n u n g auf d a s » d e u t s c h e W e s e n « u n d d i e gleichzeitige A u s s o n d e r u n g , D i f f a m i e r u n g des i h m e n t g e g e n g e s t e l l t e n » U n d e u t s c h e n « , » Ü b e r f r e m d e t e n « sind die P o l e dieser k u l t u r p o l i t i s c h e n S t r a t e g i e des F a s c h i s m u s . E s sollte a b e r n i c h t ü b e r s e h e n w e r d e n , d a ß diese S t r a t e g i e n i c h t allein d u r c h d e n T e r r o r d e r SA d u r c h g e s e t z t w e r d e n m u ß t e . Seit l a n g e m v o r b e r e i t e t u n d g e s c h ü r t — wie zu zeigen w a r —, k o n n t e sie sich 1933 schließlich auf einen b r e i t e n K o n s e n s i n n e r h a l b d e r B e v ö l k e r u n g b e r u f e n , d e r sie m i t t r u g . So bleibt f ü r j e d e h i s t o r i s c h e A n a l y s e dieses Prozesses in d e r T a t zu b e d e n k e n , d a ß die F l a m m e n , in d e n e n a m 10. Mai 1933 die Bücher der bedeutendsten deutschen und internationalen Schriftsteller, P h i l o s o p h e n u n d R e v o l u t i o n ä r e v e r b r a n n t e n , n i c h t » n u r Spiüiere u n i f o r m i e r t e r F u n k t i o n ä r e b e l e u e h t e t e ( n ) , s o n d e r n a u c h d i c h t e R e i h e n b e i f a l l s f r e u d i g e r Z u s c h a u e r « 5 6 . Die d a m i t f ü r lauge Zeit vollzogene politische N i e d e r l a g e a u c h d e r f o r t s c h r i t t lichen d e u t s e h e n L i t e r a t u r ist o h n e Zweifel zu einem Teil d e r unmittelbare Ausdruck ihrer ästhetischen Isolierbarkeit innerhalb der kulturell herrschenden Öffentlichkeit der W e i m a r e r R e p u b l i k . Die d a m i t n i c h t selten e i n h e r g e h e n d e S e l b s t t ä u s c h u n g , nicht n u r die A v a n t g a r d e ü b e r die g e d a c h t e n , s o n d e r n a u c h ü b e r die wirklichen V e r h ä l t n i s s e zu sein o d e r w e r d e n zu k ö n n e n , verweist noch e i n m a l auf d e n C h a r a k t e r i h r e r e u p h o r i e b i l d e n d e n , a b e r eben d a m i t n i c h t a u c h schon » v e r t r a u e n s b i l d e n d e n Plazierung«57 innerhalb der Gesellschaft. U n d doch l ä ß t sich j e n e r e x t r e m e A n t i m o d e r n i s m u s als h e r r s c h e n d e k u l t u r p o l i t i s c h e A u f f a s s u n g d e r J a h r e v o r 1933 im S i n n e einer r e a k t i o n ä r e n ideologischen G r u n d h a l t u n g u n d B e r e i t s c h a f t z u r V e r d ä c h t i g u n g einer einzelnen i n t e l l e k t u e l l e n G r u p p e k a u m aus den B e w u ß t s e i n s - u n d U b e r b a u r e l a t i o n e n allein erk l ä r e n . Die G r o ß s t a d t als m o d e r n e Metropole des K a p i t a l i s m u s , als industrielles Z e n t r u m , wird f ü r diese E n t w i c k l u n g d a r ü b e r h i n a u s zu einem k o n s t i t u i e r e n d e n B a s i s f a k t o r . B e r l i n s Vorm a c h t s t e l l u n g ist d a b e i s i g n i f i k a n t : A n d e r e w i c h t i g e K u n s t z e n t r e n , wie M ü n c h e n , v e r b l a ß t e n g e g e n ü b e r dieser n e u e n A n z i e h u n g s k r a f t . D a s l i t e r a r i s c h e Z e n t r u m , die Presse, d a s k u l t u relle Leben i n s g e s a m t v e r l a g e r t e n sich z u n e h m e n d h i e r h e r , f a n 18
Wruck, Leben, Bd. II
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d e n in Berlin jene geistigen u n d politischen Impulse, die die Provinz nicht m e h r bot. Die geradezu überschwengliche Großstadteuphorie vieler Autoren und Künstler zeugt davon. Aber ebenso e n t s t a n d mit dieser Zeiterfahrung eine mindestens so starke Großstadtfeindlichkeit: Ihr Schreckensbild heißt auch Berlin. Mit seiner Hektik, Kälte, den chaotisch anm u t e n d e n Umwälzungen aller W e r t e wurde es f ü r viele zum Inbegriff des Niedergangs u n d der Gewalt — und d a m i t zu einem exemplarischen Anschauungsobjekt der Folgen einer verlorenen Ordnung. Das heißt, es ist die Perspektiveverunsicher u n g großer Teile der sich auflösenden u n d durch die Niederlage von 1918 zusätzlich zerrütteten Gesellschaft, die materiell u n d geistig zur Rückbesinnung trieb. »Die gute alte Zeit« wird zum Synonym eines geschlossenen Weltbildes, fester und sicherer Werte auch im geistig-kulturellen Bereich. Die Stiehworte lauten Heimat, F l u c h t in die N a t u r , Rückzug aufs Land, in die Bodenständigkeit des B a u e r n t u m s . Sicher sind die Anfälligkeiten f ü r diese Werte bei vielen zu kurz gekommenen Autoren besonders groß gewesen, das breite S p e k t r u m deutscher H e i m a t k u n s t und -literatur konservativer Ausprägung belegt es. Aber auch hier gilt es, die soziale Repräs e n t a n z dieser Kunsterzeugnisse f ü r m a s s e n h a f t e soziale E r f a h rungen und Bedürfnisse zu bedenken. Der faschistische Blutund-Boden-Mythos als Teil des Kulturkonzepts der Nazis h a t jedenfalls in dieser Tradition einen der wichtigsten Ursprünge u n d A n k n ü p f u n g s p u n k t e . Daß Goebbels u n d seine Ideologen andererseits d a m i t n u r eine F a c e t t e ihrer politischen T a k t i k in den Vordergrund gestellt h a t t e n , wird klar, wenn m a n sich vor Augen hält, wie sehr sie als Partei zur gleichen Zeit ideologisch in die städtischen Regionen d r ä n g t e n . Doch hier liegt n u r ein vermeintlicher Widerspruch, denn kenntlich wird d a m i t allein das Verständnis einer der Literatur und Kunst jeweils beliebig — j e nach den sich wandelnden ideologischen Bedürfnissen — zuzuweisenden Instrumentalisierungsfunktion. In der Auseinandersetzung mit einer kritischen L i t e r a t u r u n d ihren G r o ß s t a d t Bildern war es naheliegend und propagandistisch nützlich, auf die Tradition der B l u t - u n d - B o d e n - L i t e r a t u r offensiv Bezug zu 274
nehmen; später, wenn dieser Feind »ausgemerzt« sein wird, sind auch andere Zeugen verfügbar, die bei Bedarf alternative Konzepte der faschistischen Literaturprogrammatik vorzuschlagen haben; d. h., was in der Mystifizierung ländlichen und bäuerlichen Lebens poetisch leitbildhaft aufgebaut worden war, ließ sich mit dem Blick auf die veränderten, neuen Herausforderungen der innerhalb der städtischen Ballungszentren liegenden Ö O D
sozialen Widersprüche auch umfunktionieren. So schreibt z. B . Ernst Jünger in diesem Zusammenhang schon 1929: »Wir müssen eindringen in die Kräfte der Großstadt, in die Kräfte unserer Zeit, die Maschine, die Masse, den Arbeiter. Denn hier liegt die potentielle Energie, die für die nationale Erscheinung von morgen in Frage kommt.« 5 8 Goebbels und die Nationalsozialisten haben auch diesen »Vorschlag« später verwerten können, wie so viele andere ideologische Angebote rechter Kräfte der Weimarer Republik. Immer und in jedem Falle sind sie, solange solche Überlegungen indirekt oder direkt gegen den eigentlichen Feind gerichtet waren, eingeflossen in ihre politischen und das heißt dann auch kulturellen Strategien — und deren Ziele waren ebensowenig beliebig, wie über den Feind irgendeine Unklarheit herrschte: er hieß »W r eltbolschewismus«; 59 seine Niederwerfung, hingestellt als nationale Mission der »Selbsterhaltung Deutschlands«, wurde zur ersten Aufgabe der Politik wie auch der Literatur und Künste im Dienst des Faschismus. Damit war für den nationalsozialistischen Ideologieapparat letztlich auch im kulturellen Bereich das entscheidende Vehikel gefunden, jede nicht genehme künstlerische Stimme als gesellschaftsfeindlich bzw. antinational denunzieren zu können. Der »örtliche Kulturkampf« 6 0 der N S D A P in der literarischen und künstlerischen Metropole Berlin unter der Führung Goebbels' lieferte das praktische und herausragende Beispiel dieses Konzepts.
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Nachsatz Als an jenem 15. November 1933 eine erste Bilanz gezogen wurde, waren die Listen der Ausbürgerungen von Exilierten schon geschrieben. Ende 1938 gab es bereits 84 Listen mit über 5 0 0 0 Namen. Damit w a r der bedeutendste Teil des literarischen und künstlerischen Lebens tatsächlich »verbannt«, wenn noch Zeit geblieben war, Deutschland zu verlassen. Ein Teil des Goebbelsschen » K u l t u r k a m p f e s « h a t t e sich damit vollzogen — was d a n a c h folgte, ist b e k a n n l . Anmerkungen Die politischen und ideologischen Begriffe des XS-Regimes wurden in Anführungszeichen gesetzt, um ohne Umschweife ihren demagogischen Charakter kenntlich zu machen. 1
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Vgl. Joseph Goebbels. Die deutsche Kultur vor neuen Aufgaben. Hede zur Eröffnung der Reichskulturkammer. Berlin, 15. 11. 19153, Großer Saal der Philharmonie. In: Helmut Heibcr (Hg.), Goebbels-Reden. Bd. 1: 1932-1939. Düsseldorf 1971, S. 131-132. Heinrich Heine, Almansor. In: Heine, Werke und Briefe in zehn Bänden. Hg. von Hans Kaufmann. Bd. 2, Berlin u. Weimar, 3. Aufl. 1980, S. 490. Wichtig erscheinen in diesem Zusammenhang das Standardwerk Grundriß der deutschen Geschichte (Berlin 1979) und die Lehrbücher der deutschen Geschichte (Beiträge) für den Zeitraum 1917 bis 1945 ; aus theoretisch-methodologischer Sicht der von Emst Engelberg und Wolfgang lvüttler herausgegebene Band Formalionstheorie und Geschichte (Uerlin 1978). weiter die Untersuchungsergebnisse von Kurt Pätzold und Manfred Weißbecker speziell zur Geschichte der NSDAP, als Buch erschienen unter dem Titel Hakenkreuz und Totenkopf (Berlin 1981). der Band Faschismusforschung, hg. von Dietrich Eichlioltz und Kurt Gossweiler, 2. Aufl., Berlin 1980, sowie die regionalgeschichtlich angelegte Dissertationsschrift von Gerhard Neuder Faschismus in Uerlin. Entwicklung und Wirken der NSDAP und ihrer Organisationen in der Reichshauptstudt 1920-1934 (Berlin 1976). Joseph Goebbels, Kampf um Berlin. München 1936. — Goebbels beschreibt unter diesem Titel die Zeit seiner Tätigkeit als (Jauleiter der XS DA 1' ab November 1926 in Berlin.
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Rolf Hochhuth, Goebbels in seinen Tagebüchern. I n : Joseph Goebbels, Tagebücher 1945. H a m b u r g 1977, S. 2 0 - 2 7 . Zitiert n a c h : Axel Eggebrecht, Volk ans Gewehr. Herlin/Bonn 1980, S. 98. ZStAP, R M d l , Deutschvölkische und Nationalsozialistische Partei, Nr. 25, 788. Wilfried Bade, Die SA erobert Berlin. München 1934, S. 115. Ebenda, S. 116. Ebenda, S. 143. Zitiert n a c h : Otto Friedrich, W e l t s t a d t Berlin. Große und Untergang. München 1973, S. 194. Ebenda. Ebenda. Bade, Die SA erobert Berlin, S. 88. Der Angriff, 16. 1. 1928. Friedrich, W e l t s t a d t Berlin, S. 190. Vgl. a u c h : Goebbels, Kampf um Berlin, S. 1 9 0 - 1 9 1 . Goebbels, Kampf um Berlin, S.27. Ebenda. Friedrich, W e l t s t a d t Berlin, S. 191. Bade, Die SA erobert Berlin, S. 88. Ebenda. l l o c h h u t h , Goebbels in seinen Tagebüchern, S. 28. Zitiert n a c h : Hildegard Brenner, Die Kunstpolilik des Nationalsozialismus. Reinbek 1963, S. 1 3 - 1 4 . Bade, Die SA erobert Berlin. S. 88. Ebenda, S. 188. Vgl. W a l t e r Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. I n : B e n j a m i n , Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhüuser. Bd. 1,2, F r a n k f u r t a. M. 1974, S. 508. Zitiert n a c h : Günter Härtung, Literatur und Ästhetik des deutschen Faschismus. Berlin 1983, S. 224. Ebenda, S. 219. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 220. Bade, Die SA erobert Berlin, S. 188. Vgl. d a z u : Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Bd. 4, Berlin 1966, S. 2 6 4 - 2 6 5 . Völkischer Beobachter, 12. August 1930.
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Ebenda, 14./15. 8. 1930. Unter der Überschrift Die Straße frei den braunen Bataillonen wurde u. a. auch diese Losung als Wahlparole benutzt. Plakat der NSDAP zum Wahlkampf um die Reichpräsidentschaft 1932: Unsere letzte Hoffnung: Hitler. Völkischer Beobachter, 12. 8. 1930. Germania, Organ der Zentrums-Partei, 14. September 1930. Kreuz-Zeitung, 14. 9. 1930. Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 4, S. 264—265. Der Angriff, 21. 9. 1930. Der Angriff, 11. 7. 1927. Brenner, Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus, S. 13—14. Hier, an gleicher Stelle, arbeitete bis 1927 Erwin Piscator mit seinem Theater. Zitiert nach: Eggebrecht, Volk ans Gewehr, S. 73—'74. Ebenda, S. 74. Zitiert nach: Friedrich. Weltstadt Berlin, S. 283. Herbert Jhering. Der Kampf ums Theater. Berlin 1974, S. 378. Ebenda, S. 364. Walter Benjamin, Bücher, die übersetzt werden sollten. In: Benjamin, Gesammelte Schriften. Bd. III, 1, Frankfurt a. M. 1972, S. 175. Walter Benjamin, Linke Melancholie. In: Ebenda, S. 281. Zitiert nach: Marianne Weil, Der deutsche Bücherschrank zwischen den Kriegen. In: Ästhetik und Kommunikation, Heft 56/1980, S. 80. Ebenda. Walter Iluder. Bücherverbrennung Deutschland 1933. Geleitwort im Katalog zur Ausstellung der AdK lierlin (West) anläßlich des 50. Jahrestages der Bücherverbrennung 1983, S. 7. Goebbels, Die deutsche Kultur vor neuen Aufgabe. In: Ileiber, Goebbels-Reden. Bd. 1, S. 131-132. Anselm Faust. Die Hochschulen und der undeutsche Geist. In: Katalog zur Ausstellung der AdK Berlin (West) anläßlich des 50. Jahrestages der Bücherverbrennung 1983, S. 47. Oskar Negt/Alexander Kluge, Geschichte und Eigensinn. Frankfurt a. M. 1981, S. 1201-1202. Ernst Jünger, Großstadt und Land: In: Deutsches Volkstum, Heft 8/1926, S. 578. Vgl. Brenner, Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus, S. 13—14. Ebenda.
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Berlin — Paris bei Walter Benjamin GUDBUN
KLATT
Großstadterfahrung und Kulturgeschichte »•'Zeitgeist', . . . d e r ist ü b e r a l l . N a t u r h e i l k u n d e u n d B a u h a u s , P o s s e n s p i e l e auf e i n e m Z a u b e r b e r g , D r e i g r o s c h e n o p e r u n d Agit a t i o n s l y r i k , E r o t i k u n d E x p r e s s i o n i s m u s . E i n M o s a i k , ein P a n o r a m a d e s 20. J a h r h u n d e r t s : K u n s t , V e r g n ü g e n , T e m p o . B e r lin ist im F i e b e r . . . S c h w a r z e r D o n n e r s t a g in d e r W a l l S t r e e t , P a n i k ü b e r d e r S l a d t . F ü r wen l ä u t e n die G l o c k e n ? Berlin t a n z t a u f e i n e m V u l k a n : in e i n i g e n M o n a t e n w i r d alles z u e n d e s e i n . U n t e r g a n g s s t i m m u n g ; eine düstere, fiebrige, u n g e s u n d e S t a d t . D a s F u n d a m e n t ist e r s c h ü t t e r t ; t a g s ü b e r b e t t e l n d , a b e n d s voller F l i t t e r . U n d b e d r o h l i c h w ä c h s t d e r Z u g d e s E l e n d s u n d d e r A r b e i t s l o s i g k e i t a n . Die A u s l ä n d e r s i n d f a s z i n i e r t , sie e r l e b e n G e s c h i c h t e als A u g e n z e u g e n : ' B e r l i n s c h e i n t e i n e K a t a s t r o p h e zu e r w a r t e n u n d ist b e r e i t , sie a n z u n e h m e n . ' N i c h t s m e h r i s t v e r b o t e n . R e g e l n g i b t es n i c h t m e h r . K a n n sein, m a n ist m o r g e n s c h o n t o t . Die S t a d l w i r d v o n U n i f o r m e n b e h e r r s c h t , b r a u n e H e m d e n , r o t e H e m d e n . Z u r ü c k z u r B a r b a r e i — bei d e r allgem e i n e n G l e i c h g ü l t i g k e i t v e r k o m m t eine L e i c h e a u f d e m B ü r g e r s t e i g . N a c h t s e r t ö n e n P a r o l e n , ' J e d e r v e r k a u f t sich m e i s t b i e l e n d ' f ü r ein b i ß e l i e n I l l u s i o n u n d e t w a s G e w i ß h e i t . ' B e r l i n ist e i n e in A n g s t e r s t a r r t e S t a d t u n d w e h r l o s g e g e n ü b e r d e n Putsch-Versuchen." Hinter den dicken Mauern der Reichskanzlei u n d d e s R e i c h s t a g s w e r d e n K o m p l o t t e g e s c h m i e d e t . Illusionslos. E i n M a n n w a r t e t a u f seine S t u n d e . « 1 In dieser stark emotional getönten u n d nicht i m m e r stimmig e n S i t u a l i o n s s e h i l d e r u n g e i n e r F r a n z ö s i n , in d i e A u g e n z e u g e n berichte französischer Touristen eingegangen sind, d o k u m e n -
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t i e r t sich — bei aller Ü b e r t r e i b u n g — e t w a s v o m Berlin-Bild des N a c h b a r l a n d s . Die F r a n z o s e n d e r d r e i ß i g e r J a h r e s a h e n B e r lin m i t einer M i s c h u n g a u s A b s c h e u u n d B e w u n d e r u n g . Die r a s c h e I n d u s t r i a l i s i e r u n g auf h ö c h s t e m t e c h n i s c h e m N i v e a u , die als G i g a n l i s m u s e m p f u n d e n e B a u t ä t i g k e i t , die s u p e r m o d e r n e G r o ß s t a d t , die — a u c h dies w u r d e v e r m e r k t — mit H i l f e a m e r i k a nischer K r e d i t e a u s d e m B o d e n g e s t a m p f t w u r d e — all d a s e r r e g t e schon eine gewisse H o c h a c h t u n g . P a r i s erschien d e m g e g e n ü b e r eher a l t m o d i s c h . E s soll in j e n e n J a h r e n ein B o n m o t g e g e b e n h a b e n , d a s b e s a g t e : » B e n u t z t m a n ein F l u g z e u g v o n P a r i s n a c h Berlin, d a n n k o m m t m a n i n n e r h a l b weniger S t u n d e n v o m 19. ins 21. J a h r h u n d e r t . « 2 K r i t i s c h e D i s t a n z a b e r ist gleichfalls d o k u m e n t i e r t . S t ä d t e b a u l i c h , so wies d e r Soziologe M a u r i c e H a l b w a c h s n a c h , d e r s p ä t e r v o n den Nazis e r m o r d e t w u r d e , ist in dieser S t a d t G r o ß - B e r l i n 3 n i c h t s o r g a n i s c h g e w a c h s e n . U n d J e a n G i r a u d o u x s c h r i e b n a c h einer Reise in seinem B u c h Raes el visages de Berlin, es sei eine S t a d t »ohne Geschichte«, d a s G e m i s c h d e r J a h r h u n d e r t e fehle, d a h e r sei Berlin »einförmig-fad«' 4 . E t w a s gehässiger f o r m u l i e r t e Louis Gillet, a l l e r d i n g s erst 1936, Berlin als R e i c h s h a u p t s l a d t h a b e sich m i t einem v u l g ä r e n L u x u s g e s c h m ü c k t , d i e S t a d t sei » ü b e r l a d e n , wie d e r B a u c h eines B a n k i e r s m i t L'hrketlelien«. 5 Bei aller Zufälligkeil d e r E i n d r ü c k e signalisiert d e r Blick v o n a u ß e n a b e r i m n u r wied e r d a s gleiche P h ä n o m e n : G e f a h r , V o r a h n u n g d e s f a s c h i s t i schen T e r r o r s , d e r m i t d e m R e i c h s t a g s b r a n d , den sich anschließ e n d e n V e r f o l g u n g e n u n d d e r B ü c h e r v e r b r e n n u n g auf d e m B e r liner O p e r n p l a t z a m 10. Mai 1933 seine Zeichen s e t z t e . Bis in u n s e r e T a g e h a t sieh ein d e r a r t i g e s Berlin-Bild in d a s Bewußtsein der fortschrittlichen europäischen und amerikanischen Ö f f e n t l i c h k e i t e i n g e p r ä g t . Die g e i s t i g - k u l t u r e l l e u n d politische A t m o s p h ä r e Berlins in d e n J a h r e n d e r W e i m a r e r R e p u blik w u r d e in F i l m e n d e r siebziger J a h r e wie B o b F o s s e s Cabaret, I n g m a r B e r g m a n s Das Schlangenei, Islvän Szäbos Mephisto, in R o m a n e n wie A r t h u r R. G. S o l m s s e n s Berliner Reigen g l e i c h s a m w i e d e r e n t d e c k l . Berlin w a r S c h a u p l a t z einer psyclio-sozialen A n a l y s e v o n S t i m m u n g e n u n d M e n t a l i t ä t e n a m V o r a b e n d d e s F a s c h i s m u s . Zeit- u n d L o k a l k o l o r i t t r u g in
280
diesen k ü n s t l e r i s c h e n Zeugnissen d a z u bei, h e u t i g e s P u b l i k u m zu w a r n e n , h u m a n i s t i s c h e n P r o t e s t zu a r t i k u l i e r e n u n d zu v e r d e u t l i c h e n , wie s c h m a l d e r G r a t w a r zwischen R e v o l u t i o n u n d R e a k t i o n , zwischen P o l i t i s i e r u n g n a c h links u n d r a u s c h h a f t e m Abdriften nach rechts. In d e r d e u t s e h e n a n t i f a s c h i s t i s c h e n L i t e r a t u r g a b es B i l d e r v o m Berlin d e r W e i m a r e r R e p u b l i k , die — wie die g e n a n n t e n F i l m e — zwischen A u t h e n t i z i t ä t u n d M e t a p h e r v i b r i e r e n , n i c h t . N a t ü r l i c h l a u e h t Berlin — v o r allem d a s f a s c h i s t i s c h e Berlin — als R o m a n s e h a u p l a l z auf, e t w a in K l a u s M a n n s Mephisto, Jan P e t e r s e n s Unsere Straße, P a u l Zechs Deutschland, dein Tänzer ist der Tod, a b e r d a s Anliegen solcher D a r s t e l l u n g e n w a r a n d e r s g e l a g e r t . Auch essayistische A r b e i t e n z u m B e r l i n e r K u l t u r l e b e n d e r z w a n z i g e r J a h r e sind selten im E x i l . Selbst ein V e r s u c h in diese R i c h t u n g , n ä m l i c h E r n s t B l o c h s K a p i t e l Berlin, Funktionen im Hohlraum a u s Erbschaft dieser Zeil, n i m m t die A t m o s p h ä r e d e r S t a d l n u r z u m A n l a ß , u m ein t h e o r e t i s c h e s P r o b l e m , d e n »gleichzeitigem W i d e r s p r u c h « , b e h a n d e l n zu k ö n n e n . I m m e r h i n s t e h e n die k n a p p e n A u s f ü h r u n g e n Blochs zu B e r l i n d e n f r a n z ö s i s c h e n U r t e i l e n k a u m n a c h . Bei i h m ist Berlin d a s WirLs e l i a f t s w u n d e r des D a w e s - P l a n s : »Dieser Ort zog zuerst w i e d e r f r i s c h e L u f t ein. A r b e i t e t e m i t g e l i e h e n e m Geld, f ü l l t e sieh die g e f l i c k t e T a s c h e . Berlin hat in D e u t s c h l a n d den Krieg g e w o n n e n , die S t a d t liegt s p ä t b ü r g e r l i e h g a n z v o r n . Sie h a t wenig ungleichzeitige Züge . . . Berlin s e h e i n t v i e l m e h r a u ß e r o r d e n t l i c h 'gleichzeitig', eine s t e t s neue S t a d t , eine hohl g e b a u t e , an d e r n i c h t e i n m a l d e r K a l k r e c h t fest w i r d o d e r ist.« 6 E i n e Sieht auf Berlin, wie sie B o b Fosse o d e r I n g m a r B e r g m a n a u s d e m A b s t a n d v o n f ü n f z i g J a h r e n möglich w a r , ein Blick, d e r die A t m o s p h ä r e d e r S t a d t z u m Z o i t s y m b o l m a c h t , war den deutschen antifaschistischen E m i g r a n t e n noch verw e h r t . A b e r die E r f a h r u n g Berlin als ein S t ü c k e r l e b t e r Ges c h i c h t e in d i e s e m unheilvollen J a h r h u n d e r t ließ sieh n i c h t v e r d r ä n g e n . V i e l m e h r n a h m j e d e r Versuch, die M a c h t e r g r e i f u n g des F a s c h i s m u s in D e u t s c h l a n d zu h i s t o r i s i e r e n , v o n hier seinen A u s g a n g s p u n k t . W e n n a b e r u n t e r den B e d i n g u n g e n des a n t i f a s c h i s t i s c h e n K a m p f e s d e r d r e i ß i g e r J a h r e die eigene Be-
281
troffenheit durch Faschismus und Kriegsgefahr objektiviert werden sollte, wenn nach Erklärungen gesucht wurde, dann könnt« solches Nachdenken nicht bei der Weimarer Republik ansetzen, dann war tiefer in die Geschichte zu loten. Das Interesse einer Reihe von deutschen Emigranten an der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als dem eigentlichen sozial-ökonomischcn Ursprung der politischen und kulturgeschichtlichen Entwicklungen im 20. Jahrhundert bekommt so eine innere Logik. Siegfried Kracauer, Autor des Essays Die Angestellten, schrieb im Pariser E x i l ein Buch über Offenbach, den Operettenkönig, und es entstand damit eine Gesellschaftsbiographie, ein Sittengemälde vom Paris des zweiten Kaiserreichs. Der Kunstwissenschaftler Max Raphael, der an der Berliner Volkshochschule Kurse zu Kunstgeschichte und Philosophie gehalten hatte und 1934 mit dem Buch Proudhon, Marx, Picasso vor ein französisches Lesepublikum trat, trieb im Pariser Exil, Ende der dreißiger J a h r e , Studien zu Flaubert und Baudelaire. Ernst Bloch widmete einen großen Teil seines Buches Erbschaft dieser Zeit den »Hieroglyphen des X I X . Jahrhunderts«. Und schließlich arbeitete Walter Benjamin seit 1935 intensiv an einem Projekt Paris, die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts. Solche Korrespondenzen zwischen den deutschen Antifaschisten sind alles andere als zufällig. Im Bemühen, den »Blutnebel des Faschismus« (Benjamin) zu durchstoßen, mußten gerade die kulturgeschichtlich und -philosophisch Interessierten auf diese Entwicklungen zurückgehen. Nur einer von ihnen, nämlich Walter B e n j a m i n , hat seine Untersuchungen zur Sozial- und Kulturgeschichte des 19. J a h r hunderts, als deren Resultat die Baudelaire-Studien und das Materialkonvolut der Pariser Passagen vorliegen, mit einem Nachfragen nach der eigenen Biographie verbunden. Ins Blickfeld geriet dabei nicht das Berlin der Weimarer Republik, dem Benjamin oft genug den Rücken gekehrt h a l t e — aus Liebe zu Paris, aber auch aus pekuniären Gründen; ein Aufenthalt in Ibiza, an der spanischen Küste, war um 1931/32 wesentlich billiger als das Leben in der deutschen Hauptstadt. B e n j a m i n erinnerte vielmehr das Berlin seiner Kindheit um 1900. So sind 282
es zwei Wege, die er in der Exilzeit beschritt: Historiographie des 19. J a h r h u n d e r t s mit dem Blick auf das Second E m p i r e in F r a n k r e i c h u n d Erinnern des eigenen gelebten Lebens, u n d Denkens. Beide Wege sollten helfen, die zeitgeschichtliche E r f a h r u n g Faschismus zu bewältigen. B e n j a m i n s Spätwerk kann insofern als eine in der Emigratipn vorgenommene Trauerarbeit der Berliner E r f a h r u n g e n gelesen werden, als Abschied von der Melancholie des Berliner Lebens. U m g e k e h r t stellen sich Verbindungslinien zwischen seinem Schaffen und künstlerischen Zeugnissen der siebziger J a h r e her. I n g m a r Bergman hat in seinem Farbfilm Das Schlangenei a m Anfang und am Schluß eine Schwarz-Weiß-Sequenz; die Kamera fährt an eine Menschengruppe heran, die sich gleichmäßig-monoton, als sei sie miteinander verkettet, bewegt. Der B e w e g u n g s r h y t h m u s ist d u r c h . die Wiedergabetechnik verlangsamt, so d a ß der Zuschauer das Ganze wie ein Nach-obenund-unten-Schweben bei gleichzeitigem Auf-der-Stelle-Treten w a h r n i m m t . Der S p r e c h e r k o m m e n t a r m a c h t den Filmvorgang eindeutig: Bergman bringt jene a n o n y m e G r o ß s t a d t m e n g e ins Bild, jene durch den kapitalistischen Produktionsprozeß entindividualisierte Masse, die dem Aufmarsch des Faschismus nichts entgegenzusetzen h a t t e , ihm keinen Widerstand leisten würde. An diese Großstadtmenge d a c h t e Walter B e n j a m i n , als er am Vorabend des zweiten Weltkriegs seine Baudelaire-Studien schrieb und die Gedichte des französischen Autors wie ein frühes Warnzeichen bevorstehender I n h u m a n i t ä t las. In einem N o t a t aus diesem Zusammenhang hieß es: »Der Schein einer in sich bewegten, in sich beseelten Menge ist vor ihm (Baudelaire — G. K.) zu nichts vergangen. In der Tat ist dieses Kollektiv nichts als Schein. Die 'Menge', an der der Flaneur sich weidet, ist die Hohlform, in die siebenzig J a h r e später die Volksgemeinschaft gegossen wurde, in der Klassengegensätze, wie es heißt überwunden sind. Baudelaire spürte den Fäulnisprozeß, der sich vorbereitet, und das war im Paris des second empire nichts unmögliches.-« 7 B e r g m a n n a h m Berlin und München als Exempel f ü r die psychosoziale Mentalität der Großstadtmassen d a m a l s u n d
283
h e u t e , für deren Anfälligkeit und M a n i p u l i e r b a r k e i t . B e n j a m i n , vierzig J a h r e früher, holte da w e i t e r aus. N a z i f a s c h i s t i s c h e D e magogie w u ß t e er — darin seinem F r e u n d O o
Brecht
ähnlich —
sehr genau in ihrer M a n i p u l i e r u n g s f u n k t i o n , als V e r d e c k e n und Verfälschen
der
tatsächlichen
Klassenkämpfe
zu
entlarven.
Doch nicht allein d a r u m ging es ihm. E r wollte; die ErfahrungFaschismus an
als h i s t o r i s c h e r
seiner W u r z e l
packen.
Materialist Der
analysieren,
Rückgriff
das
auf das
Übel
Paris
des
S e e o n d E m p i r e w a r ein Versuch, ein g a n z b e s t i m m t e s
Stadium
von
Keimfor-
Kapitalismusenlwicklung,
in
welchem
sich
die
m e n des m o d e r n e n I m p e r i a l i s m u s h e r a u s b i l d e t e n , der m a t e r i a listischen U n t e r s u c h u n g auszuliefern.
Der Wechsel
Berlin—Pa-
ris bei B e n j a m i n k o m m t aus dem I m p u l s , die S o z i a l g e s e h i e h t e des späten 19. J a h r h u n d e r t s entziffern zu müssen, um die Vorgänge der G e g e n w a r t begreifen zu k ö n n e n . B e n j a m i n lotel liefer in die W i d e r s p r ü c h e
seiner Zeil als der N a c h f a h r 1 ngniar
B e r g m a i l . Die N ä h e zwischen beiden im Aufspüren von
Stim-
m u n g e n und M e n t a l i t ä t e n schafft insofern zugleich auch D i s t a n z , die es nicht zu verwischen gilt. N ä h e e n t s t e h t a b e r a u c h , wenn P e t e r Weiss, ebenfalls zig J a h r e später, das B e r l i n der s p ä t e n 1 landlungsort und A u s g a n g s p u n k t
dreißiger J a h r e
vierzum
seiner R e f l e x i o n e n ü b e r die
G e s c h i c h t e der K ä m p f e in diesem J a h r h u n d e r t m a c h t . ist es die S i c h t von u n t e n , der B l i c k p u n k t der und Geschlagenen — sie stehen j e d e s m a l
Immer
Geknechteten
erneut auf und erhe-
ben im politischen B e f r e i u n g s k a m p f den Anspruch auf die Kult u r von V e r g a n g e n h e i t und G e g e n w a r t . B e n j a m i n s B e g r i f f von der G e s c h i c h t e h a t eine ähnliche I n t e n t i o n . S o stehen B e n j a m i n s A n n ä h e r u n g e n an B e r l i n und P a r i s in einem äußerst vielfälligen sehismus-Erfahrung
gestern
G e f l e c h t von und
heute.
B e w ä l t i g u n g der Durch
den
Fa-
Wechsel
Berlin—Paris gibt er den N a c h g e b o r e n e n den B l i c k frei auf das sich seinem E n d e n ä h e r n d e J a h r h u n d e r t — ein S a e c u l u m .
das
ü b e r tausend F ä d e n m i t seiner V o r g e s c h i c h t e im a u s g e h e n d e n 19. J a h r h u n d e r t v e r b u n d e n ist.
284
Erfahrung Berlin Walter Benjamin, Jahrgang
1892, war gebürtiger Berliner.
Er
wuchs auf, als das Berlin der Gründerjahre zur Weltstadt wurde. Kindheit und Jugend verbrachte sphäre
seines großbürgerlichen
er in d e r g e d i e g e n e n
Elternhauses.
Das
Atmo-
Leben
des
K i n d e s s p i e l t e sich z w i s c h e n d e m v i l l e n a r l i g e n G r u n e w a l d - M i e t s h a u s , d e m S o m m e r s i t z d e r E l t e r n bei P o t s d a m u n d d e r herrschaftlichen 12-Zimmer-Wohnung
der
Großmutter,
Blumeshof
12, a b . D e r L e b e n s s t i l d e r F a m i l i e g a b i h m f r ü h ein sein
von
Besitz,
Wohlstand
und
Bildung.
beispielsweise durch
Auch
Diebstahl,
Bewußt-
die G e f a h r e n , denen
ausgesetzt
ist, p r ä g t e n
s i e h tief in d i e M e n t a l i t ä t d e s K i n d e s ein. S o f e r n sich B e n j a m i n an
die
im
Familienleben
Kinderjahre
erinnerte,
die
kamen
Spaziergänge
neben mit
den
dem
Ereignissen
Kinderfräulein
in d e n Z o o u n d d e n T i e r g a r t e n , d i e nicht s e h r g e l i e b t e S c h u l e in d e r N ä h e d e s S a v i g n y - P l a t z e s , d i e S y n a g o g e ' in d e r O r a n i e n burger
Straße
Ortlichkcitcn
zur S p r a c h e .
Doch m e h r a l s s o l c h e
b l i e b im G e d ä c h t n i s d e s
Kindes das
konkreten Großstadl-
l e b e n d e r B e r l i n e r S t r a ß e n h a f t e n , l i i e r schlich sich in d i e w o h l b e h ü t e t e W e l t d e s B ü r g e r s o h n e s ein G e f ü h l v o n A n g s t u n d B e d r o h u n g , d a s er nie w i e d e r
B e n j a m i n , Berliner Chronik, S. 46—47.
37
Das
waren die berüchtigten
»Feuerbescliwörungslormeln«.
/it..
n a c h : Lionel R i c h a r d , D e u t s c h e r Faschismus und K u l t u r . Berlin 1982. S. 193. 38
B e n j a m i n , ( ¡ e s a m m e l t e S c h r i f t e n , lid. 111,1, S. 2 6 3 .
39
Ebenda.
40
Ebenda. S. 2 6 4 .
41
E b e n d a , Bd. I, 2, S . 6 9 6 .
42
W a l l e r B e n j a m i n , Berliner Kindheit um Ncunzehnhundcrt. F r a n k furt a. M. 1983, S. 18.
43
E b e n d a , S. 2 0 - 2 1 .
44
E b e n d a , S. 69.
45
E b e n d a , S. 7 1 - 7 2 .
40
E b e n d a , S. 140.
47
Ebenda, S. 96.
48
E b e n d a , S. 156.
49
E b e n d a , S. 1 5 9 - 1 6 1 .
50
B e n j a m i n , ( ¡ e s a m m e l t e S c h r i f t e n , Bd. V, 1, S. 5 9 2 .
51
B e n j a m i n . Briefe, B d . 2, S . 6 8 8 .
52
Philippe Ivernel : Paris — Capitale du F r o n t populaire ou la vie posthume du 19 ème siècle. Diskussionsbeitrag auf dem Pariser B e n j a m i n - C o l l o q u i u m J u n i 1983. Uuveröff. Ms. S. 6.
53
Karl Marx, Das K a p i t a l . B d . 1, Berlin 1983, S. 8 6 - 8 7 .
54
B e n j a m i n , G e s a m m e l t e S c h r i f t e n , Bd. V, 2, S. 8 2 2 .
55
E b e n d a , S. 1256. — E s handelt sich hier um Versionen
des
französischsprachigen
deutschsprachige
Originals,
lin
Original
heißt e s : »Xol.ro e n q u ê t e se propose de m o n t i e r c o m m e n t par suite de c e l t e représentation chosiste de la civilisation, les formes de vie nouvelle et les nouvelles créations à base économique 32Ü
et
t e c h n i q u e q u e nous d e v o n s a u siècle dernier e n t r e n t d a n s 1' — u n i v e r s d ' u n e f a n t a s m a g o r i e . Ces c r é a t i o n s s u b i s s e n t c e t t e 'illum i n a t i o n ' non p a s s e u l e m e n t de m a n i è r e t h é o r e t i q u e , p a r u n e t r a n s p o s i t i o n idéologique, m a i s bien d a n s l ' i m m é d i a t e t é de la p r é s e n c e sensible. E l l e s se m a n i f e s t e n t en t a n t q u e f a n t a s m a g o r i e s . « E b e n d a , B d . Y , 1, S. 60. 56
E b e n d a , S. 61.
57 58 59 60 61 62 63 64 65
E b e n d a , B d . V, 2, S . 1171. E b e n d a , B d . V, 1, S . 5 7 3 - 5 7 4 . E b e n d a , S. 5 6 - 5 7 . E b e n d a , S. 72. E b e n d a , S. 57. E b e n d a , S . 58. E b e n d a , S. 531. E b e n d a , B d . V, 2, S . 1256. Paris, die Hauptstadt des X I X . Jahrhunderts, so l a u t e t e der Titel des P a s s a g e n - W e r k s . B e n j a m i n , G e s a m m e l t e S c h r i f t e n , B d . V, 1, S . 494. E h e n d a , S . 134. E b e n d a , S . 58. E b e n d a , B d . V, 2, S . 1 2 5 6 - 1 2 5 7 . E b e n d a , B d . V, 1, S . 571. E b e n d a , S. 5 7 6 - 5 7 8 . E b e n d a , S . 178. W a l t e r B e n j a m i n , Allegorien kultureller E r f a h r u n g . L e i p z i g 1984, S . 464. B e n j a m i n , G e s a m m e l t « S c h r i f t e n , B d . I I , S . 574. P e t e r Weiss, Die Ä s t h e t i k d e s W i d e r s t a n d s . B e r l i n 1983, B d . 3, S . 277.
66 67 68 69 70 71 72 73 74 75
21 Wrack, Leben, Bd. II
Personenregister
Achtcnliagen
I: 210 Adler, Paul I: 372 383 Adorno, Gretel 11: 310 Adorno, Theodor W. I I : 310 Albrecht der liar, Markgraf 1: 334 Alexis, Willibald I : 22 26 43 58 A l t m a n n , Natan I. I I : 223 Andersen, Hans Christian I: 150 Andersen, T r y g g v e 1: 283 Andreas-Salomé, Lou I: 372 Angely, Louis I: 61 Ansorge, Konrad 1: 282 286 A nsoi'ge, Al a rgarele 1: 282 Anthieny I: 30 31 Anzengruber, Ludwig I : 190
Aragon, Louis I I : 291 Arcbipenko, Alexander l\ 1: 375 II: 223 Arndt, Ernst Moritz 1: 356 357 Arnim, Achim von I: 159 181 Arnim, B e t t i n a von I: 26 28 Arons, Leo I : 323 324 Asch, Max 1: 264 Assing, L u d m i l l a I: 46 Auerbach, Herthold I: 49 50 131 133 140 168 172 177 186 Auerbach, Ida 1: 282 283 286 Aufriclit, Ernst Joseph I I : 101 Augier, Emile 1: 89 209 A u g u s t a , Deutsche Kaiserin i : 140 141 363 Baader, Andreas I I : 61
322
B e b e l , August
B a a k e , ITans
I : 9 10 22 247
I : 310
Bebel, J u l i e
B a b , Julius
I: 9
I I : 45 91
Becher, Johannes R.
Bach, Johann Sebastian I I : 262
1 : 3 7 3 3 7 6 382 3 8 3 3 8 5
Bachofen, Johann J a k o b
237 2 4 8 2 4 9 2 5 9 267 2 6 9 3 0 4
Bading, Max
B e c k e r , Carl Heinrich
I : 315 Bahn, Roma
I I : 153 154 171
I I : 101
B e c k m a n n , Friedrich
Bahr, Hermann
I : 64 B e g a s , Reinhold
I I : 155 161 168 170
B a l c k e , Rudolf
I:
I I : 24 36
I : 387
B a l z a c , Honoré de
Bely, Andrej I I : 223
1: 22 149 232 367
B e n j a m i n , Brunella
B a m b e r g e r , Ludwig I : 129
I I : 285 303
B a r b u s s e , Henri
B e n j a m i n , Dora I I : 288
I : 387
Benjamin, Emil
Barlach, Ernst I I : 88
I I : 285 288 303
B a r i l a y , Ludwig
Benjamin, Paula
I : 113 115
I I : 285 3 0 3
B a r t e l s , Adolf
Benjamin, Stefan I I : 288
I I : 185
Benjamin, Walter
Baudelaire, Charles II:
12
282
283
I I : 51 1 0 9 - 1 1 0 135 2 6 9 2 7 0
291
279-321
293 B a u e r n f e l d , E d u a r d von
Beim, Edith
I : 159 183 B a u m g a r d t , David
I : 377 B e n n , Gottfried
1 1 : 8 19 34 40 44
1:377
Baumgartner, Walter
B e n n , Meie
I : 118 149 Beaconsfield, Lord
1 1 : 1 8 2 188
I : 377 B e n n d o r f , Friedrich
s. Disraeli, B e n j a m i n 21*
341 312 314
B e h n e , Adolf
I I : 47 50
312
334 3 4 0
3 4 6 348 3 6 0
Ball, Hugo
I:
165
167 183 184 2 2 5 - 2 2 6 2 3 4 2 3 6
I I : 48
1:15
11:47
4 9 54 138 159 160 1 6 1 162
I : 382 3 8 4
323
Kurt
345
Benzmann, Hans I : 311 Bergman, Ingmar I I : 280 281 283 284 Bergson, Henri 1: 385 Bernhard, Georg I I : 159 Bernhardt, Sarah
1: 200 Bernstein. Aaron I : 48 Bernstein, ('arl I: 141 Bernstein, Kduard 1: 304 B e t h g e , Friedrich I I : 138 Beurnelhnrg, Werner I I : 188 Beuthner. Tuiscon I: 48 Bienert,. ('.erhard I I : 115 Bienert. Ida 1: 375 370 B i e r b a u m , Otto J u l i u s 1: 269 272 275 276 277 278 295 Billewiez 1: 293 Binding. Rudolf I I : 171 182 B i s m a r c k , Otto von I : 22 49 50 69 106 110 113 114 117 129 100 192 239 247 255 366 Blaeser, Gustav I : 339 340 349 Blanqui, Louis Auguste I I : 315 316 317
Blass, Ernst I I : 19 34 35 40 Blei, F r a n z 1 : 3 7 2 388 1 1 : 4 7 B l e y l , Fritz I : 368 Blind, Karl I : 97 Bloch, Ernst I I : 61 281 282 Bloch, Josef I: 327 Blücher, Gebhard Leberecht von 1: 362 B l ü m n e r , Rudolf 1: 376 385 B l u m e n t h a l , Oskar (Oscar) I : 12 113 122 190 206 212 Blunck, Hans Friedrich I I : 130 157 182 272 Bock, Kurt 1: 384 Bode. Wilhelm 1: 297 Bodenhausen, Eberhard von, Baron I : 272 275 276 277 278 286 Bücklin. Arnold 1: 297 Boeckh. August
1:26 Bölsche, Wilhelm 1 : 1 3 8 201 312 1 1 : 7 171 Bonseis, W a l d e m a r I I : 272 Borchardt, Rudolf I I : 168 Borsig, A u g u s t 1: 4 4 - 4 5 B r a h m , Otto I: 70 107 113 116 119 125 137
324
138 162 163 167 179 181 185 188 189 201 207 209 220 251 378 380 381 Brand, Paul II: 115 Brandes, Edvard I: 127 134 139 142 Brandes, Georg I: 80 126-156 Braun, Alfred II: 99 145 Braune, Rudolf II: 196 197 200 205 206 Brecht, Bertolt II: 65 7 9 - 1 2 1 122 126 127 129 132 135 136 137 139-147 159 182 242 267 268 269 271 272 284 289 297 304 Bredel, Willi II: 194 255 Bredow, Hans II: 127 Brenner, Hildegard II: 193 261 Brentano, Clemens II: 309 Breton, André II: 291 Breysig, Kurt II: 36 Brick, Ossip (Ota) M. II: 238 Brod, Max II: 18 39 99 Bronnen, Arnolt I I : 80 82 83 85 86 88 92 129 130 136-139 141 Bruckner, Ferdinand I: 217 232 Brust, Alfred I I : 165
Buber, Martin I: 372 Bucher, Lothar I: 50 Büchner, Georg II: 12 Bülow, Friedrich Wilhelm I: 362 Burckhardt, Jacob I: 41 Burdach, Konrad I: 360 Burgsdorff, von (Frau) I: 72 Busch, Ernst II: 107 113 115 241 Buschbeck, Erhard I: 384 Byron, George, Lord I: 127 180 II: 12 Calandrelli, Alexander I: 346 Camphausen, Otto I: 160 Cassirer, Paul 1 : 3 7 5 378 384 1 1 : 1 9 Cézanne, Paul I: 375 Chagall, Marc I: 375 Chamisso, Adelbert von I: 26 41 349 350 351 356 Chodassewitsch, Wladislaw F. II: 223 Chopin, Frédéric I: 260 261 Claar, Emil I: 95 Claudel, Paul I: 372
325
Cohen, H e r m a n n I I : 42 Colerus, E g m o n t I I : 171 Conradi. H e r m a n n I : 107 (loppi, H a n s I I : 318 Corinth, Louis 1: 324 Cornelius, Peter 1: 339 Costenoble, Anna I : 278 Costei1, Charles (le I I : 100 Courbet, (Insta ve I I : 315 Courths-Mahler, Iledwig I I : 272 Curtius, E r n s t I : 179 Dahn, Felix I : 182 Dalcroze, Kmile s. J a c q u e s Dalcroze, limile Dante Alighieri I I : 305 Diiubler, Theodor 1: 373 375 376 382 384 386 387 I I : 130 157 161 167 168 170 173 Dauthendey. Max 1 : 2 6 1 2 9 5 11:272 Davidsolm, Hans s. Iloddis. J a k o b v a n Degner, E r n s t IT: 90 Dehmel, l ' a u l a I : 269 283
Dehmel, R i c h a r d I : 15 262 264 265 268 269 270 271 272 275 276 278 282 283 286 291 312 1 1 : 1 0 127 Delbrück. Rudolf von I : 192 Dempsey, J a c k I I : 97 D e m u z k y , Daniil I I : 239 246 Derain, André 1: 375 Derfflinger, Georg, lleichsfreiherr von 1: 39 Derleth, L u d w i g I I : 35 Deutsch, E r n s t 1: 377 378 Dickens, Charles 1: 232 Diefenbach, Karl Wilhelm I : 272 Dietrich, Mary I : 372 Dietrich, Rudolf Adrian 1: 3 8 1 - 3 8 2 386 Dilthey, Wilhelm I : 137 158 Dingelstedt. F r a n z I : 97 Dirks, Walter I I : 106 Disraeli, B e n j a m i n , Lord Heaconsfield 1: 28 137 143 146 155 Dix. Otto 1: 377 387 Döblin, Alfred 1 : 1 0 11 20 1 1 : 8 5 88 130 1 3 2 - 1 3 6 137 157 159 161 166
326
167 172 173 174 175 176 178 180 181 188 191 194 195 196 201 207 208 213 214 215 219 222 271 272 Doering. Richard I I : 55 Dohna, Gräfin 1:72 Dohrn, Wolf I : 372 Donndorf, Adolf I : 346 Dore, G u s t a v e I I : 305 Dörfler, Peter I I : 272 Dorosehenko, D m y t r o I I : 231 Dos Passos, J o h n I I : 134 Dostojewski, F j o d o r M. I : 280 I I : 12 Doswitni, Oles F. I I : 224-23-1 234 235 247 248 Dowshenko, Oleksandr (Alexander) P. I I : 228 229 2 3 8 - 2 4 7 250 Drachmann, Holser I: 263 271 277 Drake, Friedrich I : 339 Drey. Arthur I I : 35 Droysen, J o h a n n G u s t a v 1: 26 Dudow, S l a t a n I I : 107 D u m a s , Alexandre (Iiis) T: 89 91 209 Duncker, F r a u / I: 46 47 135 139 158 159 22
Wruck, Leben. B d . II
Duncker, Hermann I I : 107 Duncker, Lina I : 46 158 191 Durieux, Tilla I I : 19 Durus, Alfred I I : 107 243 Düse. Kleonora 1: 206 Eberlein, G u s t a v 1: 357 Kbermayer, E r i c h I I : 128 Ebers, Georg I : 133 E b e r t , Friedrich I : 300 E b e r t , Karl E g o n , Ritter von I: 198-199 Ebinger, Blandinc I I : 84 Edschmid, Kasimir 1:383 Eggebrecht, Axel I I : 129 268 Eggers, Friedrich I : 41 42 Egloffstein, Graf 1: 72 76 Ehrenburg, II j a G. I I : 223 230 239 Ehrensteiii, Albert 1: 373 376 377 378 383 387 Eichendorff, J o s e p h von I : 26 Kinstein, Albert 1:371 11:125 Einstein, Carl I : 387
327
F a l k , Norbert I I : 84 F a l l a d a , Hans I I : 194 195 J98—199 205 206 207 210 219 Fechter, Paul 1:381 11:185-187 Kehling, J ü r g e n 1: 252 11: 92 Feld, Otto
Kisenstein, Sergej M. I I : 118 239 243 244 Eisler, Hanns I I : 107 108 I l i 24 1 242 Kroeryk, Wladyslaw
1: 288
Engel, li ri eh I I : 83 87 101 105 10!) Engel, Georg 11: 130 Engels, Friedrich 1: 56 258 Engerl, Ernsl Moritz I I : 35 lì ps lei il 1: 293 Krmler, Friedrich 11: 239 E r n s t , Paul I: 3:11 315 318 319 I I : 128 129 157 168 182 E s s e n , Siri V O J I I : 262 Essig, Hermann 1: 384 387 Eulenberg, Herbert 1 : 3 1 6 321 1 1 : 1 3 0 Evers, F r a n z 1: 272 278 282 lìvvers, Hanns Heinz 1:264 11:128 Kwers, Ludwig I : 125
F a k t o r , Emil I I : 92 Falckcnberg, Otto I I : 83 F a l k , Adalbert 1: 160 192
1: 324 Felixmüller, Conrad 1: 377 382 383 384 386 387 388 Feuchlwanger, l.ion I: 19 I I : 91 163 194 261 276 Fidus 1: 272 282 Finne, ('.abfiel 1: 263 Fioca li 1: 31 Fisalin, .1. I: 102 122 Fischer, F. E. I: 315 Fischer, Heinrich I I : 101 Fischer, Riehard 1: 384 Fischer, S a m u e l I: 13 272 278 314 320 372 373 378 379 Flaischlen, Cäsar I: 277 Flaubert, Gustave 1:147 11:282 Fleißer. Marielnise I I : 194 Flex, Walter I I : 174 272
328
Fricke, Fritz
Foerder, Marta
1: 3 2 9
I : 257 2 5 8 2 7 1 2 7 9 2 8 0 2 8 1
Friedeil, E g o n
283 286 2 9 0 2 9 7 Foerder, Rosa
I I : 171 Friedlaender, Georg
1: 257
1: 69 119
Fontane, August
Friedlaender, Salomo
1: 27 29 8 1 F o n t a n e , Kniiii« ( M u t t e r )
1: 382 3 8 1 3 8 5
I: 71
Friedmann, Alfred
I: 81
Fontane, Emilie (Ehefrau)
Friedrich II., K ö n i g von Preußen
1: 7 0 8 1 Fontane, Friedrich
1 : 1 1 27 5 9 64 3 3 5 354
1: 2 5 9 2 6 1 2 6 8 2 7 8 287 317
Friedrich III., K u r f ü r s t von
F o n t a n e , L o u i s Henri
Brandenburg
1: 25 26 3 5
I I : 152 Friedrich, Wilhelm
Fontane, Theodor
1: 314
1: 16 2 2 - 8 7 88 9 6 9 7 104 119 121 123 132 188 189 2 0 9 2 9 5
Friedrich Karl, Prinz von
3 • Hülsen, Rotho von I : 9 4 - 9 5 132
Hugo, Victor I : 99 Huhn, Kurt I I : 234 Humboldt, Wilhelm von I I : 152 Iluß, Hans II: 244-215 Husserl, Edmund. I : 385 Hutten, Ulrich von I I : 122 124 254 Huysmans, Joris-Karl I : 312 Ibsen, Henrik I : 190 I I : I I I 174 lvernel, Philippe I I : 310 317 J a c o b , Heinrich Eduard I I : 19 24 3 5 " Jacobs, Monty I I : 89 94 102 110 Jacobsen, J e n s Peter 1: 134 139 142 Jacobsohn, Siegfried 1:377 11:89 Jacques-Dalcroze, Ejnile I : 372 388 Jaeckel, Willy 11:228 J a h n n , Hans Ilennv 11:86 . Jawlensky, Alexej von I I : 48 Jens, Inge I I : 189 Jentzsch, Robert IL: 35
334
Jerschke, Oskar I: 320 321 Jessenin, Sergei .A. I I : 223 Jessner, Leopold I: 19 I I : 84 272 J h e r i n g , Herbert . 1 : 1 3 . 1 1 : 8 0 82 85 86 87 8 8 - 8 ! ) 93 96 97 100 103 109 I II 114 130 163 209 Johst, Hanns I I : 188 Jones, Kniest 11: 48 J o r d a n , Wilhelm I: 319 Joyce, J a m e s I I : 134 Jnel, D a g n y I: 265 266 267 268 270 271 272 273 274 275 278 279 280 281 282 283 28'4 286 287 288 289 290 293 296 298 J u e l , Hans L e m m i c h 1: 297; J u n g , Claire ' I I : 63 J u n g , Franz 1: 287 288 289 386 I I: 4 5 - 7 8 226 J ü n g e r , Krnst I I : 275 K a f k a , Franz I I : 272 Kahler, Hermann I I : 221 Kaiser, Georg I: 217 227 232 I I : 88 95 155 159 168 170 174 ,185 188 Kalenter, Ossip I : 377
335
Kaliseh, David I: 51 64 84 95 Kaiisoher, Bess Brenck s. L e v y , Betty Kampffmeyer, Paul 1:312 Kandinskv, WassMy 1:375 11:48 Kanehl, Oskar I I : 264 Kant, I m m a n u e l 1:336 11:262 Kapp, Friedrich I : 129 141 Kasack, H e r m a n n I I : 129 130 Kasprowicz, J a d w i g a 1: 288 289 Kasprowicz, J a n 1: 288 Kästner, Erich I I : 195 198 204 205 208 209 261 271 K a t a k a z v , Fürst I: 26 "
lveats, J o h n I I : 12 Keim, F r a n z I: 198 Keller, Gottfried 1: 43 44 46 159 169 170 172 174 185 187 189 192 201 Kellermann, Bernhard I I : 155 188 Kerr, Alfred I: 207 208 242 371 3 8 0 385 I I : 84 85 86 8 7 - 8 8 93 95 103 105 11:1 113 129 459 1 6 3 - 1 6 4 182 276 Kesser, Hermann I I : 171
Kiaulehn, II:
Wolter
Klinger, M a x
11«
1: 2 9 7
Kierkegaard. Siiren
Klöden, Karl Friedrich von 1: 2 5 3 0
1: 137 1'.« K i n k e l , (¡OttFried
Klopstock, Friedrich (¡ottlieb I: 149 370
]: 33 Kipling, II:
Kudyard
Klotz, Volker I I : 4 6 1!)'. 1 9 5 2 0 3 2 1 4 2 2 0 2 2 1
103
222
K i p p e n b e r g , An Ion
Kluge. Alexander
1:372 Kippenberg.
11: 7 3 - 7 4
Katliarina
1: 3 7 2
K n o b l a u c h , Adolf
Kirchner, Krnsl Ludwig 1: 3 6 8
1: 384 K n o p f . .I11 I I : 140
K i s c l i , K g o n Krwin I I : 1 2 8 15!) 2 / «2
Kochler, Gustav I I : 13 3 5 3 8
Klaar, Alexander II: 92 Kläber,
Koffka, Kurt
11: 2 3 1
Kokoschka. Oskar
Klabnnd
1: 3,72 3 7 5 3 7 7 3 7 8 3 7 ! )
1:387 Klages,
Friedrich
11: 1 3 1 8 3 5
11:129
Kolb. Annelle
l.ndwig
I I : 170
] 1: 4 8
K o l b e n h e y c r , Krwin G u i d o
Klee, Paul
I I : 1 5 5 156 157 1 7 6
11: 4 8 Klein, Julius Leopold
Koller, Krnsl M a t t h i a s von
I: 340
1: 3 0 5 - 3 0 6 3 0 7 3 0 8
K l e i n , .Max
Kollwitz,
I: 360 366
K o n r a d , K. ().
1: 3 5 4
I : 103 105 122
Kleist, Heinrich von
Konszewski
1 1 : 1 2 8 2 13!)
Klemperer, Victor 1 : 8 8 94 9 6
l: 293 Kopisch, August 1: 2 6
11:171
Klepper, .lochen
K o p p e n , Kdlöf (Kdleff)
I I : 12!) Klim, George
Kälhe
I I : 187 188 271
K l e i s l , Kwald Christian v o n
1: 3 5 6 3 5 7
177-179
180 189
1:387 Koppen,
I: 292
11:138 Franz
I I : 84 94 114
336
Kopylenko, Oleksandr I. I I : 250 Korjuk, Wolodymyr 1). I I : 234 250 Körner, Theodor 1: 355 356 357 Kornfeld, l'aul I: 379 Korseli, Karl 1 [: 74 75 Kracauer, Siegfried I (: 282 297-299 Kranz, Herbert I I : 63 Kran/ler, Johann Georg I: 31 Kraus, Karl I I : 35 Krausnick 1: 339 Kraut), Klans I : 316 Kret/er, Max 1: 23-2', Kreuzer, Helmut I I : 45 Kreyssig, Friedrich 1: 136 Krille, Otto I : 316 321 Krohg, Christian 1: 263 Krolig, Oda 1: 263 Kroliu. Hildegard 11: 26 Krönfeld, Arthur 11: 35 Kropotklii, I'jotr A., Fürst I I : 52
Krneger, Joachim I: 82 Krupskaja, Nadeshda K. 1: 56 Kruse, Max 1: 356 365 Kubseli, 11 ugo I I : 84 Kuokhoff, Adain II: 109 Kuehl, Gottliard 1: 370 Kugler. Clara I: 41 K.ugler, I'ranz I : 26 41 56 Kugler, Margurete 1:41 Kurbas, Les 11: 227 Kurella, Alfred 1:384 11:107 Kurska-Doswitua, Maria I. 11: 248 Lacliiriann, I led wig I: 283 314 LacliiTianu, Karl 1: 26 Lacis, Asja 11: 83 Lalimanu, Heinrich 1: 379 Lam pel, I'eter Marlin II: 163 Lane, Dorothy s. IlaupUnaim, l'Elisabeth Lang, I'Yitz 11: 272 Lama, Leo I I : 100
337
Lask, B e r t a I I : 159 234 L a s k e r - S c h ü l e r , Else I : 373 376 382 385 I I : 169 170 287 Lassalle, F e r d i n a n d I : 47 80 90 91 113 144 Latl, Hans I : 365 Laube, Heinrich I : 91 94 99 120 L a u t e n b e r g , Felix I : 113 L a z a r u s , Moritz I : 128 141 Le, I v a n I I : 250 Lebrun, Theodor 1: 95 Leeder, Marie s. Sclierer, Marie Legal, E r n s t I I : 108 Lehmann, Joseph 1: 89 95 Leinert, A. R u d o l f 1: 382 Leistikow, W a l t e r 1: 264 324 Lenau, Nikolaus I : 33 Lenin, W l a d i m i r I. 1 : 2 9 56 3 0 3 3 2 7 1 1 : 6 2 104 Lenya, Lotte I I : 101 269. L e o n h a r d , Rudolf I.-: .38.4.307, Leopold I., F ü r s t v o n A n h a l t Dessau I : 39 Lepcke, F e r d i n a n d I : 365
Lepel, B e r n h a r d von; 1: 36 37 39 47 8 3 Leppmann, Franz 1: 322 Lessen, L u d w i g s. Salomo, Louis Lessing 1: 352 Lessing, C o l t h o l d E p h r a i m 1: 64 105 135 183 205 336 3 3 8 339 340 351 352 353 354 365 I I : 163 166 Lessing, O l t o I : 334 351 365 Levy, Betty I : 382 Levy, Kurt I I : 13 38 Lewald, F a n n y I : 47 83 158 191 Lichnowskv, Mechthilde von 1:386 Lidforss, B e n g t I : 262 263 271 Lidin, W l a d i m i r G. I I : 223 Liebenthal, Erna I I : 18 Liebcrmann, Max : 1:266297324 11:153154163271 Liebknecht, Karl I I : 61 112 229 Liebknecht, Sonja I I : 229 Liebknecht, Wilhelm I : 49 302 304 L i e n h a r d , Friedrich. I I : 178 Liesen, K a r l A u g u s t I: 81 Liliencron, D e t l e v v o n . I : 297
338
Liljeforss, Bruno I: 263 Lindau, Paul I: 12 23 47 '18 65 88—12") 131 141 1 6 7 - 1 6 8 1 7 0 - 1 7 1 172 190 1 9 6 - 1 9 8 251 Lindau, Rudolph I : 141 166 167 Lingen, Theo I I : 115 Lipsius, H. F. 1: 322 Lissauer, Ernst I I : 130 Lissit/.ky, Lasar Markowitsch (El Lissi[t]/.ky) 1:375 11:223 L i t z m a n n , lierthold I : 168 198 Loeb, Moriz I I : 90 Loeper, Gustav von I: 346 Loerkc, Oskar 1 : 3 8 6 1 1 : 1 5 5 158 161 167 170 173 174 178 179 186 Loewe-Calbe, Wilhelm I: 129 Loewenson, 'Erwin I I : 8 13 17 20 21 24 28 34 38 39 40 Löns, Hermann I I : 174 272 Lorbeer, Hans I I : 234 Lötz, Ernst Wilhelm 1: 373 3 7 4 - 3 7 5 Louis Bonaparte s. Napoleon III. Löwe-Bochrirti I : 141
Löwenstein, Rudolf I: 37 Liibke, Wilhelm I: 41 42 Lubliner, Hugo I : 121 122 123 Lucae, Richard I: 41 Lücken, Iwar von I : 377 Ludwig XIV.. König von F r a n k reich 1: 59 Ludwig. Emil I I : 171 Ludwig, Otto I : 159 187 192 Lukäes, Georg 11: 72 7'i 75 107 L u k o m s k a , lioguinila I: 282 Lutoslawski. Wincctitv I: 286 L u x e m b u r g . Rosa I I : 61 112 Mächtig 1: 365 M a c k a y , John Henry 1: 264 Mackeben, Theo I I : 102 Mackowsky, Hans I: 356 Maeterlinck, Maurice I: 312 Majakowski, W l a d i m i r W . I I : 223 224 Majut, Rudolf I I : 35
339
Manasse, Rudolf 1: 381 M a n d e l k o w , Karl R o b e r t 1: 182 Mann, Heinrich
May, Karl 11: 9 0 272 Mehring, Franz I: 18 8 8 112 114 1 : 1 5 - 1 1 9 125 190 220 2 2 2 2 5 1 3 0 0 312 3 1 3 314 326 352 3 8 2 Mehring, W a l l e r I I : 8 1 128 129 2 7 1 iYleidner, l.udvvig 1: 373 374 3 7 5 3 8 2 384 3 8 6 387 11: 54 Meier-