Literarische Konstruktion (vor-) nationaler Identität seit dem Annolied: Analysen und Interpretationen zur deutschen Literatur des Mittelalters (11.-16. Jahrhundert) 9783110899955, 9783110194890

Scholars nowadays regard nations as changeable constructs in the force-field of politics and culture, and therefore also

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German Pages 399 [400] Year 2007

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Literarische Konstruktion (vor-) nationaler Identität seit dem Annolied: Analysen und Interpretationen zur deutschen Literatur des Mittelalters (11.-16. Jahrhundert)
 9783110899955, 9783110194890

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Uta Goerlitz Literarische Konstruktion (vor-)nationaler Identität seit dem Annolied

Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte Begründet als

Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker von

Bernhard Ten Brink und Wilhelm Scherer

Herausgegeben von

Ernst Osterkamp und Werner Röcke

45 (279)

W G DE

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Literarische Konstruktion (vor-) nationaler Identität seit dem Annolied Analysen und Interpretationen zur deutschen Literatur des Mittelalters (11 .—16. Jahrhundert)

von

Uta Goerlitz

W DE G Walter de Gruyter · Berlin · New York

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN 978-3-11-019489-0 ISSN 0946-9419 Bibliografische Information der Deutschen

Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Copyright 2007 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Hinspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Hinbandgestaltung: Sigurd Wendland, Berlin

Prolegomena Bei der vorliegenden Monographie handelt es sich um meine im Wintersemester 2003/04 an der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften der Ludwig Maximilians-Universität München eingereichte, im darauffolgenden Sommersemester angenommene Habilitationsschrift im Fach 'Deutsche Sprache und Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit'. Für die Drucklegung erfolgten eine nochmalige Durchsicht des Textes sowie eine bibliographische Aktualisierung des Anmerkungsapparates (in relevanten Fällen bis einschließlich Erscheinungsdatum 2004). Im übrigen verweise ich auf einige in das Literaturverzeichnis aufgenommene, im Druck bzw. in Vorbereitung zum Druck befindliche Aufsätze von mir, in denen einzelne Aspekte des Themas weitergeführt sind. Es versteht sich, daß ein Unterfangen wie das vorliegende nicht ohne die Hilfe vieler hätte unternommen werden können, von denen ich hier nur einige nennen kann. In sehr viel mehr als nur einer Hinsicht gilt mein herzlicher Dank Jan-Dirk Müller, an dessen Lehrstuhl die vorliegende Habilitationsschrift entstanden ist und dessen immer konstruktiver Diskussionsbereitschaft ich wesentliche Anregungen verdanke. Darüberhinaus danke ich in der Germanistischen Mediävistik sowie auch in den benachbarten (Teil-)Disziplinen der Germanistischen Linguistik, Neugermanistik und der Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit im besonderen Elisabeth Leiss, Winfried Schulze und Peter Strohschneider in München, Wilhelm Kühlmann in Heidelberg sowie Volker Honemann, Peter Johanek und Martin Kintzinger in Münster. Auf je unterschiedliche Weise haben sie daran Anteil, daß diese Monographie in der vorhegenden Form entstehen konnte. Wertvoll war außerdem der enge Kontakt zum Münchener Sonderforschungsbereich 573 'Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit (15.—17. Jh.)' beziehungsweise zur vorausgehenden DFG-Forschergruppe (Sprecher: bis 2002 J.-D. Müller, ab 2003 Wulf Oesterreicher). Der programmatisch epochenübergreifende, das späte Mittelalter mit einbeziehende Ansatz der Forschergruppe beziehungsweise des SFB ist diesem (vom SFB unabhängig entstandenen) Buch zugute gekommen — wenngleich der Epochenumbruch um 1500 aus der vorliegenden, mediävistischen Perspektive vom Mittelalter und nicht von der Neuzeit aus und deshalb nur im abschließenden Kapitel in den Blick gerät. Danken möchte ich zudem den österreichischen Kollegen Elisabeth

VI

Prolegomena

Klecker und Peter Kathol für ihre außergewöhnliche Hilfsbereitschaft bei Recherchen im (weiten) Vorfeld der Untersuchung sowie Alastair Matthews in Oxford für die vom Verlag in Auftrag gegebene, englische Ubersetzung des Abstracts. Die Möglichkeit, das Habilitationsprojekt zum Abschluß bringen zu können, verdanke ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die mir zwischen 2001 und 2003 für zwei Jahre ein "klassisches" Habilitandenstipendium noch kurz vor Streichung des Programmes gewährte. Durch die wiederholte Bewilligung einer studentischen Hilfskraft zur Unterstützung in Forschung und Lehre trug dazu aber auch das Departement I der Ludwig Maximilians-Universität München bei. Auch dessen Entscheidungsträgern und -trägerinnen gilt mein Dank. Für die Aufnahme in die Reihe 'Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte' danke ich im besonderen Werner Röcke sowie Ernst Osterkamp als Reihenherausgebern, für die gute Zusammenarbeit mit dem Verlag Heiko Hartmann als dem zuständigen Cheflektor. Zuletzt noch einige technische Hinweise: Zitate aus Handschriften und alten Drucken sind diplomatisch transkribiert, abgesehen von der modernem Gebrauch folgenden Normierung der Interpunktionszeichen sowie der stillschweigenden Auflösung gängiger Abkürzungen; e-caudata wird aus technischen Gründen durch se wiedergegeben. Die Anmerkungszählung beginnt in jedem der fünf römisch bezifferten und jeweils in der Kopfzeile midaufenden Hauptkapitel von neuem. Anmerkungsverweise erfolgen deshalb allein unter Angabe von Hauptkapitel und Anmerkungsnummer (ζ. B. "vgl. oben, Anm. 1,1"). Die Darstellung folgt der "alten" Rechtschreibung. Angesichts der im ganzen ausgeprägteren Differenzierungs- und Präzisierungsmöglichkeiten, die die herkömmliche Zeichensetzung, Getrennt- und Zusammenschreibung sowie die konsequenter fremdsprachenorientierte Graphie von oft aus dem Lateinischen entlehnten Fachtermini bieten, lag das für eine wissenschaftliche Untersuchung nahe, die sich überdies nicht zuletzt auch mit dem Verhältnis von Volkssprache und Latinität beschäftigt. München

Uta Goerlitz

Inhaltsverzeichnis Prolegomena Inhaltsverzeichnis Hinfuhrung zum Thema

I.

V VII 1

GRUNDLAGEN

Themenverortung im Paradigmenwandel

13

1. Ausgangspunkte 2. Forschungsansatz 2. 1. Methodische und terminologische Voraussetzungen. . . . 2. 2. Wege der germanistischen Nationenforschung 2. 3. Probleme um Wort und Begriff 'deutsch' 3. Implikationen

15 21 21 25 29 39

II.

GENESE

Gentile helide und diut(i)schiu liut(e)\ Narrative Konturen (vor-) nationaler Identität im 'Annolied' 1. Vorbemerkung 2. Forschungsprobleme 2. 1. Zum Forschungsstand 2. 2. Caesar, "Deutschland" und die "deutschen Stämme": Die 'Annolied'-Forschung und die anachronistischen Implikationen moderner Begrifflichkeit 2. 2. 1. Problematik

45 47 49 49

52 52

VIII

Inhaltsverzeichnis

2. 2. 2.

Linguistische Aspekte

56

2. 2. 3.

Historische Aspekte

64

2. 2. 4.

Konsequenzen für die Textanalyse

69

3. Textanalytischer Neuansatz 3. 1.

72

Voraussetzungen: Zu Thematik und Struktur des Annoliedes'

72

3. 2.

Annolied 8-33

76

3. 2. 1.

Von der bürge aneginne zur Sukzession der universalen riebe

76

3. 2. 2.

Swäben, Beiere, Sahsen, Franken

79

3. 2. 3.

C£rizr und die beirren in den diut(i)schen landen

84

3. 2. 4.

Coldnia AgHppina, hure der Franken

87

3. 3.

Inkonsistenzen — Perspektivierung

3. 3. 1.

Annolied 18 und 24-28

3. 3. 2.

Annolied 19-23

4. Schlußfbigerungen

89 91 92 97

I I I . KONSOLIDIERUNG

Die literarische Profilierung der Dütisken zwischen Juljus Cesar und kaiser Karl m der deutschen 'Kaiserchronik'

105

1. Wege vom 'Annolied' zur 'Kaiserchronik'

107

2. Voraussetzungen der Textanalyse

118

2. 1. 2. 2.

Diskursive Kontexte am Beispiel Ottos von Freising

118

Zu Thema und Struktur der 'Kaiserchronik'

124

3. Textanalyse

130

3. 1.

Statistische Vorbemerkung

130

3. 2.

]uljus Cesar und die Oütisken

132

3. 2. 1.

swelch lant wider Rom ere iht tete: Ambivalenzen einer aufständischen Provinz

132

]uljus und die Swäbe, Baire, Sahsen und Franken

137

3. 2. 2.

Inhaltsverzeichnis

3. 2. 3.

IX

Blickwechsel: duo Juljus mit Tütiscer rfterscephte so herlichen chom

142

Die Episode zu Caesar und den Dütisken und die Frage des literarischen Ursprungsmythos der Deutschen

145

Elemente (alt-)"deutscher" Identitätskonstruktion in den Abschnitten zwischen Caesar und Karl dem Großen

147

3. 3. 1.

Die dütisken lant in der frühen Kaiserzeit

147

3. 3. 2.

Herzog Adelger von Bayern: Narrative Identitätsstiftung im Abschnitt zu Kaiser Severus

148

3. 3. 3.

Konsequenzen

156

3. 4.

Kxirl, Korlingen und die dütisken lant·. Dialektik und Ambivalenz (alt-)"deutscher" Identitätskonstruktion auf dem Weg zu Karl dem Großen

157

3. 4. 1.

Forschungspositionen

157

3. 4. 2.

Die Frage nach der Herkunft: Ebenen kollektiver Identitätskonstruktion in der 'Kaiserchronik'

159

3. 2. 4.

3. 3.

Problematik (159) — Conlätinus und Constantinus (160) — Karl und U6 (166)

3. 4. 3.

Probleme um die sog. "Translatio imperii auf die 'Deutschen' " in der 'Kaiserchronik'

173

Diskursive Interferenzen (173) — Römisches Kaisertum und griechische Usurpation (177) - Das Kaisertum Karls des Großen (181) - Folgerungen (183)

3. 5.

Konturen der Oütisken in den Abschnitten nach Karl dem Großen

4. Rückblick: Literarische Konstruktion alt-"deutscher" Identität im Vorfeld der höfischen Klassik

187 192

Inhaltsverzeichnis

χ I V . TRANSFORMATION

Verbindungslinien literarischer Konzeptuaüsierung alt-"deutscher" Identität von der 'Kaiserchronik' ins spätere Mittelalter

203

1. Umrisse

205

2. Bedingungen und Möglichkeiten literarischer Nationskonstruktion seit der 'Kaiserchronik'

209

2. 1.

Historische und literarhistorische Kontexte

209

2. 1. 1.

Rome!: Römisches Kaisertum und deutsches Nationsbewußtsein

209

tiusche jrouwen - unser lant\ Neue Aspekte der Verwendung von 'diut(i)sch'/ 'dütisc' bei Walther von der Vogelweide

212

Zur Dimension alt-"deutscher" Identitätskonstruktion in deutscher Chanson de gesteAdaptation und Heldendichtung

216

2. 2. 1.

Vorfragen

216

2. 2. 2.

Munschoy nefens alle·. Karl und die guoten

2. 1. 2.

2. 2.

rittere

219

Vorbemerkung (219) - Beispiel 'Rolandslied' des Pfaffen Konrad (222) - Beispiel 'Karl' des Stricker (228)

2. 2. 3.

Notzeit-beide

und alte Teutsche

233

Vorbemerkung (233) - Beispiele (236) - Folgerungen (244)

3. Alt-"deutsche" Identitätskonstruktion im Anschluß an die 'Kaiserchronik': potentielle Mutationen am Beispiel der 'Prosakais er chronik' 3. 1.

Zum Verhältnis von literarischer Nationskonstruktion und volkssprachiger (Universal-) Chronistik

247

247

3. 1. 1.

'Kaiserchronik'-Rezeption und 'Prosakaiserchronik' . . . 247

3. 1. 2.

Uberlieferungskontexte der'Prosakaiserchronik'

251

3. 2.

Narrative Modulationen: Profile alt-"deutscher" Identität in der 'Prosakaiserchronik'

253

Inhaltsverzeichnis

XI

3. 2. 1.

Frequenz und Distribution der Lemmata zur Wortfamilie 'diut(i)sch'/ 'dutisc'

253

3. 2. 2.

Textuelle Analysen

259

iulius·. künig über alles tüsches land (259) — Von iulius zu karl·. kaiser, rom und tusche fitrsten (265) - karl·. ich wil tüschem land öfter sin wan frankrich (270)

3. 3.

V.

Charakteristika und Implikationen alt-"deutscher" Identitätskonstruktion in der 'Prosakaiserchronik'

274

KONSEQUENZEN

Mittelalterliche Voraussetzungen nationaler Identitätskonstruktion in der Literatur des Humanismus

283

1. Vorbemerkung

285

2. Fluchtlinien literarischer Konzeptualisierung alt-"deutscher" Identität vom späteren Mittelalter ins Zeitalter des Humanismus

287

3. Ausblick: Folgerungen für die Humanismusforschung

299

3. 1.

3. 2.

Alt-"deutsche" Identitätskonstruktion in der deutschen Literatur des Mittelalters und humanistischer Nationsdiskurs

299

Alt-"deutsche" Identitätskonstruktion in der deutschen Literatur des Mittelalters und humanistische Mittelalterrezeption

306

Abstract

317

Abstract in English

319

Abkürzungen

321

XII

Inhaltsverzeichnis

Literaturverzeichnis 1. Primärliteratur 2. Sekundärliteratur

329 329 338

Register der Verfasser und anonymen Werke

385

Hinführung zum Thema1 Wannen tusch lüt komen sind das sullen wir uch sagen — "Woher die deutschen Leute gekommen sind, das wollen wir euch erzählen": Dieses Zitat findet sich am Beginn eines Abschnittes in der sogenannten 'Prosakaiserchronik', der die Überschrift trägt: Von tuschen luten wannen si kommen sind.} Die 'Prosakaiserchronik' gehört zu denjenigen literarischen Texten und Textsorten des Mittelalters und der frühen Neuzeit, die in diesem Buch in unterschiedlicher Gewichtung im Fokus stehen, angefangen von der frühmittelhochdeutschen Geschichtsdichtung über Chanson de geste-Adaptationen und deutsche Heldenepen bis hin zu spätmittelalterlichen (Reim-)Chroniken — um die wichtigsten zu nennen. Die einleitend zitierten Worte bieten sich textsortenunabhängig als Ausgangspunkt an, um zu verdeutlichen, worum es in der vorliegenden Untersuchung geht (und ebenso, worum es in ihr n i c h t geht), - exemplarisch und vorerst ohne Anmerkungen, bevor in Kapitel I eine systematische Ausführung samt Nachweisen folgt. Gemessen am Untersuchungszeitraum, der vom frühen Mittelalter bis in die frühe Neuzeit reicht und dabei auf das 11. bis 13. Jahrhundert konzentriert ist, handelt es sich bei den zitierten Worten um vergleichsweise "späte" Worte, und dies in doppelter Hinsicht: Die Entstehungszeit der 'Prosakaiserchronik' fällt in das letzte Viertel des 13. Jahrhunderts, ihre Überlieferung setzt im wesentlichen erst im 15. Jahrhundert ein. Der Text gilt gewöhnlich als spätmittelalterlich-epigonale Prosaauflösung der um 1150 gereimten 'Kaiserchronik': als eine späte Kurzfassung der sehr umfangreichen frühmittelhochdeutschen Reimchronik ohne eigenen Wert, allenfalls vermeintlich tauglich als Zusammenfassung der älteren Ges chichtsdichtung. Aus einer veränderten Perspektive erscheinen die an den Anfang gestellten Worte aus der 'Prosakaiserchronik' dagegen als "frühe" Worte. Denn im Gegensatz zu der geschilderten verbreiteten Einschätzung setzt die 'Prosakaiserchronik' rund einhundertundfünfzig Jahre nach der 1

Belege zum folgenden finden sich (außer im Fall von Zitaten aus der Sekundärliteratur, die direkt nachgewiesen sind) in den jeweils einschlägigen Kapiteln dieses Buches, zu den grundlegenden Problemen insbesondere in Kapitel I, zur Forschungssituation teils ergänzend auch in Kapitel II.2.2., vor allem S. 54f£; im übrigen vgl. Inhaltsverzeichnis und Register.

2

ProsaKChr. 4, hg. Eckhardt (1975), S. 261f.

2

Hinführung zum Thema

'Kaiserchronik' durchaus eigene Akzente, die zu ihrer Zeit neu sind. Das betrifft auch den zitierten Abschnitt über den Ursprung der tuschen lüte, der vorher keinerlei Entsprechung hat. Neu ist es in der deutschen Literatur am Beginn des Spätmittelalters beispielsweise, überhaupt in dieser expliziten Weise zu fragen, Wannen tusch lüt komen sind, und bezeichnend ist es, wenn in der fiktiven Herkunftsgeschichte, die in der 'Prosakaiserchronik' daraufhin erzählt wird, unter den tuschen lüten ausdrücklich nur der (deutsche) Adel verstanden wird. Bezeichnend ist das deshalb, weil die Konstruktion (vor-)nationaler Identität in der deutschen Literatur des Mittelalters und noch der Frühen Neuzeit grundsätzlich schichtenbezogen erfolgt: Von "den deutschen Leuten" zu reden oder — was aber, wie sich zeigen wird, nicht von vornherein dasselbe ist — von "den Deutschen", hatte damals andere Konnotationen als in unserer Zeit, in der die Begriffe von Nation, Volk und Staat zusammengeflossen sind (weshalb die in diesem Buch verwendete Terminologie in Kapitel I noch zu erläutern sein wird). Die heutigen Konnotationen sind erst im Gefolge von Französischer Revolution und Romantik entstanden, als sich mit ihnen wirkungsmächtige "Mythen" über die politische und kulturelle Vergangenheit der Deutschen im Mittelalter verbanden, die bis in die Gegenwart vielerorts ihre Spuren hinterlassen haben. Das gilt auch für eine wissenschaftliche Disziplin wie die Germanistik, deren Fachbezeichnung sich bekanntlich dem "Mythos" von der geographischen, sprachlichen und ethnischen Kontinuität zwischen Germanen und Deutschen verdankt, der beispielsweise auch noch in der verbreiteten Rede von den "deutschen Stämmen" des frühen Mittelaltes nachwirkt. In denselben Zusammenhang gehört der Terminus 'althoch d e u t s c h e Literatur', der in die Irre führt, weil man genaugenommen nur von den theodisken, volkssprachigen Literaturen im (ost-)fränkischen Reich sprechen kann. Soweit diese Terminologie reflektiert und lediglich verabredungsgemäß beibehalten wird, bereitet sie keine Schwierigkeiten. Problematisch aber wird es dann, wenn sich aufgrund der Rückprojektion des mit der Sprache eng verbundenen Volksbegriffes der Romantik damit Vorstellungen verbinden wie zum Beispiel die einer "deutschen" Sprachen·, Literatur- und Kulturpolitik Karls des Großen, was nicht nur in manch gängigem Lehrbuch noch in dieser Weise zu lesen ist. Solche Vorstellungen sind unzutreffend, weil die deutsche Nationsbildung und Ethnogenese (in dieser Reihenfolge!) um 800 noch überhaupt nicht eingesetzt hatte und ein "deutsches" Selbstbewußtsein zu dieser Zeit noch nicht existierte. Ebenso sind Vorbehalte angebracht, wenn für das Hochmittelalter nicht selten unzutreffend vom Heiligen Römischen Reich "deutscher Nation" gesprochen wird, obwohl dieser Reichstitel nicht zufällig erst an der Wende zur Neuzeit, um 1500, aufkam. In dieselbe Richtung weist es,

Hinführung zum Thema

3

wenn die staufische Kaiserzeit teils noch immer als Höhepunkt des vermeintlich jahrhundertelang schon bestehenden "deutschen" Mittelalters vor dem spätmittelalterlichen "Zerfall" gesehen wird, so daß das "Spätmittelalter" als eine in politischer Hinsicht "partikularistische" und kulturell "epigonale" Periode demgegenüber abgewertet wird. Die Aufzählung ließe sich verlängern. Sie liefert Beispiele fur ein wissenschaftliches Paradigma, das seit dem 19. Jahrhundert bestimmend geworden ist, aber seit den 1980er Jahren interdisziplinär verabschiedet worden ist. Der seitdem mehrfach explizit als solcher bezeichnete und in der nachfolgenden Untersuchung noch genauer zu umreißende "Paradigmenwandel", 3 der in den genannten Punkten und in vielen weiteren mitderweile zu einer neuen Sicht geführt hat, ist tiefgreifend. Er hat zum Konsens darüber geführt, daß Nationen veränderliche Konstrukte im Spannungsfeld von einerseits Politik und andererseits Kultur und damit auch L i t e r a t u r sind. Zu seinen grundlegenden Erkenntnissen gehört infolgedessen auch die Einsicht, daß die Begriffe von Nation, Volk und Staat auseinandergehalten und in ihrer historischen Bedingtheit gesehen werden müssen. Wenn im folgenden von vergangenem und neuem Paradigma gesprochen wird, so geschieht das in dieser spezifischen Hinsicht. Die neuen Erkenntnisse wurden von verschiedenen Seiten gewonnen: durch anglo-amerikanische Forschungen zur Nationskonstruktion, wie sie Benedict Anderson mit 'Imagined Communities' (1983 u. öfter, dt. Erstausg. 1988) oder neuerdings der Mediävist Patrick Geary unter dem Titel 'The Myth of Nations' (2001 u. öfter, dt. Erstausg. 2002) vorgelegt haben; durch die vergleichende historische Nationenforschung der letzten rund zwanzig Jahre zu Deutschland und Frankreich im Mittelalter, wie sie mit den Namen Brühl, Ehlers, Schneidmüller oder K. F. Werner verbunden sind; durch Forschungen zur kollektiven und nationalen Identitätskonstruktion in Mittelalter und (Früher) Neuzeit im Rahmen von interdisziplinären Förderprogrammen der Deutschen Forschungsgemeinschaft wie namentlich dem Marburger DFG-Schwerpunktprogramm 'Nationes' der Jahre 1975 bis 1985 oder in letzter Zeit dem DFG-

3

Programmatisch in diesem Sinne nach Abschluß der vorliegenden Habilitationsschrift jetzt auch noch einmal in dem Sammelband Zur Geschichte der Gleichung "germanisch-deutsch", hg. Beck/ Geuenich/ Steuer u. a. (2004), vgl. etwa das auf die Geschichte der "deutschen Altertumskunde" seit dem 19. Jh. und ihre Folgen im 20. Jh. bezogene Vorwort von Heiko Steuer ebd., S. xv—xviii, hier S. xvii; im übrigen vgl. die in Kap. 1.2., S. 21-38, genannten Titel. Vgl. in diesem Kontext zukünftig auch den Forschungsbericht von Goerlitz (2008a, in Vorbereitung zum Druck).

4

Hinführung zum Thema

Sonderforschungsbereich 541 'Identitäten und Alteritäten' in Freiburg (1997—2003), an denen auch Altgermanisten beteiligt waren. In der germanistischen Mediävistik ist der bezeichnete Paradigmenwandel dementsprechend bisher vor allem in denjenigen Teilbereichen vollzogen worden, in denen transdisziplinäres Ausgreifen vom Forschungsgegenstand her unabdinglich ist: in der Forschung zu den theodisken Literaturen des Frühmittelalters und in der sprachhistorischen Forschung, für die ein relativ früher Sammelband wie 'Deutsch — Wort und Begriff (hg. Haubrichs [1994]) oder, in zeitlich weiter ausgreifender Perspektive, jüngst 'Nation und Sprache' (hg. Gardt [2000]) stehen mag (wobei Vollständigkeit hier, in dieser 'Hinfuhrung zum Thema', auch im folgenden in keiner Weise angestrebt wird); in der Forschung zum deutsch-französischen Kulturkontakt sowie zur 'Interregionalität' der deutschen Literatur des Mittelalters (hg. Kugler [1995]); schließlich in der germanistischen Spätmittelalter- und insbesondere in der Humanismusforschung, für die das Verhältnis von 'Nation und Literatur' (hg. K. Garber [1989]) seit jeher ein zentrales Forschungsgebiet bildet. In anderen Bereichen des Faches wirkt das vergangene Paradigma mit all seinen weitreichenden Implikationen dagegen vielfach noch in erheblichem Maße nach, und das gilt insbesondere dort, wo vordergründig allein die Textinterpretation anvisiert ist. Eine systematische Beschäftigung mit den Konsequenzen, die sich aus dem umrissenen Paradigmenwandel für die mediävistische Literaturwissenschaft ergeben, ist daher bis jetzt noch nicht erfolgt. Bei näherer Betrachtung ist jedoch zu erkennen, daß sich die Prämissen, die mit dem vergangenen Paradigma unreflektiert mitgegeben sind, auch auf literturwissenschaftliche Fragen auswirken, und die vorliegende Untersuchung wird erweisen, daß das zum Teil in starkem Maße der Fall ist. Die Auswirkungen betreffen gegebenenfalls bereits die bloße Inhaltsanalyse. Potentiell gilt das immer dann, wenn literarische Texte im Blick stehen, in deren erzählten Welten "deutsche" Figuren agieren — oder eben bei näherer Betrachtung auch nur (als "Deutsche") zu agieren scheinen, solange man sie auf dem Boden des alten Paradigmas interpretiert(e). Das bekannteste Beispiel für den letztgenannten Fall dürfte das 'Nibelungenlied' sein. Zwar ist es ein Gemeinplatz, daß die Heroen der mittelhochdeutschen Heldendichtung in einem als historisch abgeschlossen betrachteten heroic age agieren, dessen Vorzeit-Geschehen durch Reduktion auf elementare menschliche Verhaltensweisen sowie Assimilation an traditionelle Erzählmotive ebenso wie -schemata in charakteristischer Weise umerzählt ist. Im Fall der Germania besagt er zugleich, daß das in Heldensage und -dichtung präsente Heroenzeitalter überformt auf die Zeiten von Völkerwanderung und Merowingern zurückverweist. Mittelhochdeutsche Heldendichtung ist mittelalterliche "Vorzeitkunde", die

Hinfuhrung zum Thema

5

historisch konkreter Raumzeitlichkeit enthoben ist. Mit alten "Deutschen" hat diese Kunde infolgedessen in ihrem Ursprung nichts zu tun. Aber eine lange vorherrschende, postrevolutionär-romantische Vorstellung von deutschem "Volk" und deutscher "Nation" hat dies oftmals anders sehen lassen. Und wenn die moderne Rezeptionsgeschichte des 'Nibelungenliedes' aufgrund seines Mißbrauches im Nationalsozialismus in Fachkreisen auch kritisch aufgearbeitet ist, so gilt dies deshalb nicht in gleichem Maße auch außerhalb derselben. Daß das lange so genannte "Nationalepos" trotz seines völkerwandemngszeitUch-frühmittelalterlichen Stoffsubstrates, das überdies kaum mehr konkret zu bestimmen ist, "nichts" mit "der deutschen Geschichte [...] zu tun hat", daß dem Epos aus dem Ende des 12. Jahrhunderts mithin keine genuin "deutsche" Sage zugrundeliegt, das muß auch heute noch betont werden. 4 Die Mutation heroenzeitlicher Helden zu vorzeitlichen "Deutschen" ist eine neuzeitliche Angelegenheit. Es gibt aber auch weniger prominente Beispiele als das 'Nibelungenlied', die etwas anders gelagert sind und in deren Interpretationen das vergangene Paradigma auch in der Wissenschaft noch Wirkung zeitigt. Ein literarischer Text aus der Mitte des 12. Jahrhunderts wie die 'Kaiserchronik' beispielsweise, in dessen erzählter Welt unter anderen auch Dütiske begegnen, scheint aus der traditionellen Perspektive keine Probleme aufzuwerfen, weil vermeintlich klar ist, was unter dem Konzept 'deutsch' in einer solchen in der frühen Staufer-Zeit zum Abschluß gelangten Geschichtsdichtung zu verstehen und wie es zu gewichten sei. Daß das Auftreten von Dütisken in der 'Kaiserchronik' sprach- und literaturgeschichtlich gesehen zu einem frühen Zeitpunkt und nur selten erfolgt, bleibt dabei außer acht. Nach dem Paradigmenwandel und überdies in Verbindung mit neueren literaturtheoretischen Ansätzen zur mittelalterlichen Textualität stellen sich deshalb gerade in solchen Fällen, die nur scheinbar unproblematisch sind, neue Fragen. Das gilt umso mehr, als man — um noch einmal das Beispiel der 'Kaiserchronik' anzuführen — in diesem Text erst jüngst mehrfach wieder eine programmatisch nationale "Ideologie"5 vorzufinden meint, ohne beispielsweise die wesentlichen Differenzen zur späteren 'Prosakaiserchronik' wahrzunehmen oder überhaupt nur die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß es notwendig sein könne zu fragen, welches Konzept in einem solchen Fall denn im Text mit dem Stichwort dütisc verbunden wird und welche textinterne Rolle diesem Konzept 4

Diese Notwendigkeit ist von fachwissenschaftlicher Seite zuletzt etwa auch im Kontext der in der Öffentlichkeit vielbeachteten Karlsruher Nibelungenlied-Ausstellung 'Uns ist in alten Mären [...]' betont worden, so von Heinzle (2003) oder von von See (2003 [zuerst leicht erweitert 1991]), hier S. 317 (zit.).

5

So explizit Kartschoke (1990), S. 366.

6

Hinfuhrung zum Thema

zukommt. Bemerkenswert ist das auch deswegen, weil es in den letzten Jahrzehnten vereinzelt Ansätze gegeben hat, bei denen sich bereits aus einem narratologischen Blickwinkel heraus abgezeichnet hat, daß derartige Deutungen mehr oder weniger unbemerkt von außen an den Text herangetragen sind: Deutungen, von denen sich heute sagen läßt, daß sie sich unreflektiert einem traditionellen Geschichtsbild des "deutschen" Mittelalters verdanken, das mittlerweile im ebenso interdisziplinären wie internationalen Rahmen in wesentlichen Teilen revidiert beziehungsweise modifziert worden ist — ohne deshalb allerdings auch schon außerhalb der engeren Fachkreise verabschiedet worden zu sein. Die Problematik des semantischen Wandels von Wort und Begriff 'deutsch' hat sich auf der Basis des vergangenen Paradigmas in den Textinterpretationen gar nicht erst gestellt. Daß nationale Identität konstruiert und die Konstruktion einer spezifisch "deutschen" Identität in einem langen und diskontinuierlichen Prozeß erfolgt ist, der im 12. Jahrhundert bei weitem noch nicht abgeschlossen war, ferner daß literarische Texte wie etwa die 'Kaiserchronik' diesen Prozeß nicht spiegeln, sondern an ihm auf eigene Weise teilhaben, lag außerhalb des Blickfeldes. Infolgedessen ist auch der Zusammenhang nicht gesehen worden, der diesbezüglich zwischen Fragen der Narratologie auf der einen und der historischen Semantik auf der anderen Seite besteht, wobei in bezug auf die Semantik nicht nur die lexikalische, sondern im besonderen die durch die linguistische Forschung in letzter Zeit verstärkt ins Zentrum gerückte grammatische Semantik wichtig ist. Die traditionelle Perspektive impliziert(e), daß der — wirkungsmächtige - Konstruktcharakter (vor-)nationaler Identität verkannt wurde und mit ihm die Notwendigkeit, die Fragen nach Inhalt, Modus sowie Ausmaß literarischer Nationskonstruktion zu stellen. Diese Notwendigkeit beinhaltet ebenfalls, literarische Nationskonstruktion in Beziehung zu setzen zur textuellen Konstruktion kollektiver Identität auf anderen Ebenen wie zum Beispiel der regionalen, die aus dem Blickwinkel der Moderne "unterhalb" der nationalen Ebene gedacht werden, obwohl ihr Verhältnis sich, wie man inzwischen herausgearbeitet hat, für das Mittelalter nicht in den Kategorien von Hypo- oder Parataxe erfassen läßt. Daß sich Probleme der historischen Semantik nicht von narratologischen Fragen abkoppeln lassen, wenn die ersten Texte der deutschen Literatur des Mittelalters zur Debatte stehen, in deren erzählten Welten (auch) als solche bezeichnete "deutsche Leute" begegnen, daß die Ausblendung der Frage des semantischen Wandels eine Folge des unreflektierten Festhaltens an den alten Prämissen ist und die Gefahr einer applizierenden, konkulturalen Lektüre in sich birgt, das wird aus einer derartigen Perspektive übersehen. Angesichts des inzwischen eingetretenen, aber außerhalb der unmittelbar damit befaßten Fachkreise erst

Hinfuhrung zum Thema

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ansatzweise auch rezipierten Paradigmenwandels gilt es deshalb bewußt zu machen, daß hinsichtlich der Analyse und Interpretation der betreffenden literarischen Texte zunächst zu fragen ist, w a s von diesen "Leuten" erzählt wird, w i e erzählt wird, w e l c h e K o m p o n e n t e n der erzählten Welten dabei als 'diut(i)sch'/ 'dütisc' vorgestellt werden, welche anderen D i m e n s i o n e n kollektiver Identitätskonstruktion eine Rolle spielen und i n welches Verh ä l t n i s die unterschiedlichen Komponenten und Dimensionen zueinander gesetzt sind. Aus diesem Blickwinkel läßt sich das spätmittelalterliche Zitat Wannen tusch litt komen sind das sullen wir itch sagen vom Beginn des Abschnittes über die Herkunft des deutschen Adels in der 'Prosakaiserchronik' in einem übertragenen Sinn auch als Forschungsaufgabe formulieren, wie sie der Titel dieses Buches umreißt: Es geht darum zu erforschen, "woher" die "deutschen Leute" in die deutsche Literatur "gekommen" sind, nämlich zu fragen, seit wann es literarische Texte gibt, die vorzeitliche Welten imaginieren, in denen unter anderen auch als solche bezeichnete "deutsche Leute" agieren, beziehungsweise, genauer, was "deutsch" in diesen Fällen jeweils meint, in welche semantischen Relationen die Komponente 'deutsch' gestellt wird und inwieweit sich dadurch neue Ansätze für die Interpretation der betreffenden Texte im ganzen ergeben — auch jenseits der Frage nach Modus und Ausprägung literarischer Nationskonstruktion. Wenn im folgenden von nationaler oder "deutscher" Identitätskonstruktion und ebenso, was gleich noch zu erläutern ist, von a 1 t -"deutscher" Identitätskonstruktion in der mittelalterlichen Literatur die Rede ist, dann sind die damit gegebenen Stichworte deshalb jedesmal in Anführungszeichen zu denken. Um das präsent zu halten und die nicht etwa konstatierende, sondern fragende Verwendung der jeweiligen Begrifflichkeit zu markieren, ist "deutsch" in diesem Zusammenhang durchgehend in doppelte Anführungszeichen gesetzt. Denn angesichts des Paradigmenwandels kann es nicht darum gehen, die narrative Konstruktion (alt-) "deutscher" Identität in der deutschen Literatur des Mittelalters in d e m Sinne zu fokussieren, als sei eine solche Identität mit dem Auftreten von Dütisken oder titschen luten in der Literatur wie selbstverständlich bereits mit den vertrauten Konnotationen gegeben. Das hieße mit der lange vorherrschenden und noch nachwirkenden Forschungsmeinung weiterhin vorauszusetzen, was es nach dem Paradigmenwandel allererst zu hinterfragen gilt. In dieser Monographie steht vielmehr das k o n s t r u i e r e n d e Moment im Fokus und damit die Frage, inwieweit die jeweils näher zu bestimmenden politisch-kulturellen Koordinaten jener erzählten Welten überhaupt als "deutsch" profiliert werden, und damit hängt das Problem von Bedeutung und Bedeutungswandel des

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Hinfuhrung zum Thema

lexikalischen Feldes zu 'diut(i)sch'/ 'dütisc' zusammen. In welcher Weise wird eine "deutsche" Identität in erzählten Welten, die von tuschen (und anderen!) lüten bevölkert sind, imaginiert und inwieweit spielt das für den Bedeutungsaufbau der Texte eine Rolle: vor dem Hintergrund, daß diese Rolle in gängigen Interpretationen auf der Basis des älteren Paradigmas oft unreflektiert für zentral gehalten wird. Wenn in der vorliegenden Untersuchung nach dem Auftreten literarischer Konzepte — 'Konzepte' in heuristisch-deskriptivem Sinn — (alt-) "deutscher" Identität in der deutschen Literatur des Mittelalters gefragt wird, so setzt das mithin voraus, sich von jenen Konnotationen zu lösen, die mit den Stichwörtern "nationale" oder "deutsche" "Identität" üblicherweise mitgegeben sind. Eine so verstandene, heuristisch-fragende Anwendung dieser Begrifflichkeit bedeutet dann insbesondere auch, auf die G e w i c h t u n g zu achten, die in den Texten einer in diesem Sinne (alt-)"deutschen" Identität gegebenenfalls zugemessen wird. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Frage nach literarischen Konzepten nationaler Identität im Mittelalter zugleich diejenige nach der narrativen Konstruktion v o r nationaler Identität. Es wird sich erweisen, daß die Antwort auf die Frage nach literarischen Konzepten (vor-)nationaler Identität in der deutschen Literatur des Mittelalters widersprüchlich ausfällt: Einerseits treten solche Konzepte später auf, als gewöhnlich angenommen wird, andererseits früher. Die Widersprüchlichkeit resultiert zum einen aus Verwerfungen zwischen Mittelalter und Neuzeit und zum anderen zwischen germanistischer Mediävistik und Neugermanistik beziehungsweise, allgemeiner, zwischen Mediävistik und (Früh-)Neuzeitforschung. Was ist gemeint? Das Auftreten von beiden in der deutschen Literatur des Mittelalters, die in den Texten mit dem Attribut 'diut(i)sch'/ 'dütisc' versehen sind, setzt ein "deutsches" Eigenoder Selbstbewußtsein voraus, das nach dem Gesagten noch näherer Definition bedarf (vgl. unten, Kapitel 1.2.1.). Erst dieses ermöglicht im Medium der Literatur den Wandel einer unbestimmten Vorzeit zu einer chronotopisch konkretisierten alten Zeit, in der "Deutsche" eine Rolle spielen. Als notwendige Voraussetzung dafür gilt gemeinhin die Gleichsetzung von Deutschen und Germanen. Diese wiederum wird im wesentlichen erst mit dem Zeitalter des Humanismus in Verbindung gebracht und so mit jener literarhistorischen Phase im Umbruch vom Mittelalter zur Neuzeit, die am Ende dieses Buches steht. Gewöhnlich wird die humanistische Vorstellung von der Identität von Deutschen und Germanen in Zusammenhang mit der parallelen Antikerezeption gesehen. Von hier aus ist der Blick dann üblicherweise auf eine Entwicklung gerichtet, die über nationale Mythen um alt teutsche beiden wie Arminius - ich nenne als Stichwort nur Ulrich von Hutten — in die deutsche Romantik führte

Hinfiihrung zum Thema

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und seit der Romantik zu jener nationalistisch übersteigerten Vereinnahmung der "altdeutschen" Literatur, die dem 'Nibelungenlied' den Status eines nationalen Denkmals einbrachte und seinen beiden ideologischen Mißbrauch bis hin zum Nationalsozialismus. So erscheint der Humanismus häufig als Anfangspunkt einer genuin neuzeitlichen Entwicklungslinie, der in der Gegenwart mit ihren Widersprüchlichkeiten und Gegensätzlichkeiten nationaler Entwicklung in Europa seit dem historischen Umbruch von 1989/90 interdisziplinär neue Aktualität zugesprochen wird. Das dieser Sichtweise zugrundeliegende periodologische Denkschema ist jedoch implizit teleologisch, weshalb sowohl von Seiten der Neuzeitforschung wie auch der Mediävistik generell in letzter Zeit zunehmend epochenübergreifende Ansätze gefordert werden. Durch den vorgegebenen Fluchtpunkt in der (Post-)Moderne beinhaltet es einen deduktiven Forschungszugriff. Das Erkenntnispotential eines derartigen Zugriffes auf die Frage nach der Entstehung literarischer Nationskonstruktion in der deutschen Literatur ist daher von vornherein eingegrenzt: in einer Weise, die wenngleich qualitativ andere, so aber doch wesentliche Momente übersehen läßt, die weit in das Mittelalter vor dem 15./16. Jahrhundert zurückreichen. Epochenschablonen, die sich einer dominanten Diskursstrategie in ebenjenem Uberschneidungsfeld von 'Mittelalter' und 'Neuzeit' verdanken, das die triadische Unterscheidung der Epochen überhaupt erst hervorgebracht hat, wirken in diesem Fall blickverstellend. In diesem Buch soll die vorherrschende Blickrichtung deshalb aus der Perspektive der germanistischen Mediävistik umgekehrt werden. Das Zeitalter des Humanismus bildet dann nicht den Anfangspunkt, sondern den Endpunkt der Untersuchung, der am Schluß noch zu streifen ist. Um 1500 wurde dem Zeitraum der in der Volkssprache nicht zuletzt seit dem 12./13. Jahrhundert in der Heldenepik präsenten Herrschergestalten Etzel und Dietrich von Bern bis zu Karl dem Großen ein neues Interesse entgegengebracht: als dem Beginn des zugleich mit dem Untergang der Antike neu entdeckten "Mittelalters". Programmatisch stellte sich dabei die Frage nach der kulturellen Identität der alt Teutschen, die unter Voraussetzung einer ungebrochenen ethnischen Kontinuität in das Altertum zurückverlängert wurde. Aus der veränderten Untersuchungsperspektive der vorliegenden Monographie zeigt sich jedoch, daß die damit verbundenen Probleme weitaus komplexer sind, als daß sie sich auf das in der Forschung gängige Schlagwortpaar von lateinischem Gelehrtendiskurs und humanistischer Antike- beziehungsweise Tacitusrezeption reduzieren ließen. In Hinsicht auf ihr genetisches Bezugssystem sind diese Probleme weit älter, als es die vorherrschende Sicht vorgibt, und so eröffnet sich ein neues Blickfeld, das zu erforschen lohnend ist. Im Zentrum stehen deshalb

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Hinfuhrung zum Thema

bisher unterbelichtete Kristallisationspunkte der angesprochenen Entwicklung, die nicht teleologisch-linear, sondern systemisch zu fassen ist, sowie die vernachlässigten Bedingungen ihrer Möglichkeit. Die damit zusammenhängenden Fragen aber fuhren weit zurück, in frühmittelhochdeutsche Zeit, und die Antworten haben Konsequenzen auch für die Humanismusforschung. Erstmals begegnen diut(i)schiu liut(e), die in alte Zeiten zurückversetzt sind, in der deutschen Literatur des 11. Jahrhunderts, im 'Annolied' und damit, wie noch zu sehen sein wird, nicht zufällig außerhalb der später so genannten "germanisch-deutschen" Heldendichtung. Der Untersuchungszeitraum setzt daher im 11. Jahrhundert an. Zur Klärung von Vorfragen wird es allerdings anfangs notwendig sein, partiell darüberhinaus zeitlich noch weiter zurückzugreifen. Denn wenn im 'Annolied' zum ersten Mal in der deutschen Literatur des Mittelalters diut(i)schiu liut(e) auftreten, dann stellt sich die nur scheinbar längst hinreichend geklärte Frage nach Bedeutung und semantischem Wandel von 'deutsch' aus den genannten Gründen noch einmal neu. Sie impliziert etwa auch die Frage, warum der frühmittelhochdeutsche Text zwar von diut(i)schen liuten spricht, aber nicht, wie die neuhochdeutschen Übertragungen in aller Regel lauten, von "Deutschen" in dieser substantivierten Form. Die Antwort erfordert eine eingehende Analyse des Textes, und in Abgrenzung von geschichtswissenschaftlichen Ansätzen wird zu sehen sein, daß die Textinterpretation damit unmittelbar zusammenhängt. Es geht in diesem Buch also darum, die in der interdisziplinär-mediävistischen Nationenforschung erzielten Erkenntnisse im Hinblick auf die wissenschaftliche Beschäftigung mit der deutschen Literatur des Mittelalters in kritischer Weise fruchtbar zu machen. Dazu werden die betreffenden Texte, die vielfach Gegenstand der Interpretation gewesen sind, noch einmal neu analysiert und interpretiert. Im Zentrum steht die Frage, ob und gegebenenfalls wie in ihnen "deutsche" Identität konstruiert wird, was nicht zu trennen ist von der innertextuellen Relevanz dieser Identität im Vergleich zur Konstruktion anderer kollektiver Identitäten, die aus der Sicht des vergangenen Paradigmas stets der nationalen Identität hierarchisch nachgeordnet worden sind, ohne daß andere Möglichkeiten gesehen worden wären. Da (vor-)nationale Identität dem heute in der Nationenforschung erreichten wissenschaftlichen Konsens zufolge konstruiert ist, erscheinen literarische Identitätskonzepte nicht (mehr) "als "kulturelle Selbstvergewisserung der [vermeintlich] schon vorgängig existierenden Nation" 6 , wie in zahlreichen Interpretationen oftmals noch unausgesprochen vorausgesetzt. Vielmehr hat Literatur als spezifisches 6

Giesen (1991), S. 12.

Hinfuhrung zum Thema

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Reflexionsmedium einer durch unterschiedliche Wahrnehmungs- und Deutungsmuster überformten Wirklichkeit an der Nationskonstruktion einen potentiellen Anteil, so daß die Literaturwissenschaften in neuer Weise gefordert sind. Die literarische Imagination erzählter (Vorzeit-)Welten, in denen "Deutsche" eine — von Fall zu Fall näher zu bestimmende — Rolle spielen, bildet selbst einen Bestandteil nationaler Identitätskonstruktion im Spannungsfeld von Politik und Kultur, der mit seinen außertextuellen Kontexten in dialektischer Wechselwirkung steht. Aus dem Gesagten ergibt sich überdies, daß von einem weiten Literaturbegriff auszugehen ist, der Texte als Auseinandersetzungen mit ihren Kontexten faßt, ohne daß die Differenzen zwischen literarischen Texten im engeren und im weiteren Sinne, zwischen "Literatur" und "Historiographie" deshalb vernachlässigt würden. Diese Differenzen sind in bezug auf das Mittelalter aber weniger kategorial als graduell zu fassen, und die Definition von "Literatur" im engen Sinn stellt sich als historische Variable dar. Gerade weil das je besondere Potential der im Fokus stehenden literarischen Konzepte (vor-) nationaler Identität zu bemessen ist, ist es notwendig, unterschiedliche (aber doch verwandte) Textsorten einzubeziehen. Im Fokus stehen deshalb die Anfänge und der Verlauf der narrativen Konstruktion (vor-)nationaler Identität in der volkssprachig e n Literatur des M i t t e l a l t e r s . Implizit ist damit die Notwendigkeit gegeben, das Verhältnis von volkssprachigem und lateinischem Diskurs mitzubeachten. Die Untersuchung zielt mit anderen Worten auf die Analyse literarischer Konzepte einer zum Ende des Mittelalters hin zunehmend als "deutsch" vorgestellten Vorzeit bis auf Karl den Großen als jenem Zeitraum, der dem volkssprachigen Mittelalter überformt nicht zuletzt aus Heldensage- und -dichtung bekannt war und der im Zuge der in der italienischen Renaissance vorbereiteten Entdeckung von Antike und Mittelalter im deutschen Humanismus neu gefaßt und im kulturellen Agon mit Italien dann programmatisch mit den alt Teutschen in Verbindung gebracht wurde. Zur Debatte stehen die Modalitäten von Genese, Konsolidierung und Transformation spezifisch volkssprachiger Konzepte erzählter Welten, in denen (unter anderen), jetzt noch einmal mit den Worten der am relativen Beginn des Spätmittelalters entstandenen 'Prosakaiserchronik', tusch lüt agieren. Angesichts der forschungsgeschichtlichen Ausgangslage gilt es, die imaginierten Koordinaten dieser Welten auf Profil und Gewichtung der Komponente 'deutsch' hin zu hinterfragen und dabei auf Probleme der Semantik zu achten. In besonderer Weise sind Ungleichzeitigkeiten, Differenzen und Transformationen zu fokussieren, durch die sich die zu analysierenden (vor-)nationalen Identitätskonzepte in der deutschen Literatur des Mittelalters voneinander unterscheiden. Gleichzeitig ist stets die Frage nach den Konsequenzen der erzielten Ergebnisse für die

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Hinführung zum Thema

Gesamtinterpretation der betreffenden Texte zu stellen. Im Ziel steht, diese Konsequenzen aufzuzeigen und so den Blick für neue Zugänge zu den Texten zu öffnen. Die vorliegende Untersuchung knüpft damit an Studien zur literarischen Konstruktion kollektiver beziehungsweise nationaler Identität(en) an, wie sie aus den genannten wissenschafts- und forschungsgeschichtlichen Gründen bisher vor allem in der (früh-)neuzeitlich orientierten Germanistik und in der Komparatistik einen Aufschwung erleben, während in der germanistischen Mediävistik in dieser Hinsicht noch zahlreiche Fragen offen sind. Gleichzeitig wird im folgenden die aktuelle Forschung zum Verhältnis von volkssprachigem und lateinischem Diskurs berücksichtigt. Die dadurch neu kombinierten Forschungsbereiche haben im inner-, aber auch im interdisziplinären Rahmen Konjunktur, und angesichts der anhaltenden Diskussion um das Potential einer kulturwissenschaftlichen Orientierung der Altgermanistik kommt ihnen zusätzliche Aktualität zu. Aufgrund der umrissenen spezifischen Kombination der Leitaspekte schließt die Untersuchung vom literaturwissenschaftlichen Standpunkt aus damit an eine komplexe Forschungssituation an, die eine schärfere Profilierung sowie eine systematische Fundierung des Themas notwendig macht und die eine genauere Darlegung der Voraussetzungen im Hinblick auf die forschungsgeschichtliche Ausgangssituation, die angewandten Methoden und den literaturtheoretischen Ansatz erfordert. Unumgänglich ist nicht zuletzt eine begriffliche Klärung der zentralen Termini, von denen einige bereits gefallen sind. Das aber ist die Aufgabe des folgenden Kapitels I, das gleichzeitig in einem weiten Bogen zurück ins frühe Mittelalter führt und damit auch in chronologischer Hinsicht am Anfang dieser Untersuchung steht. Ebenso ist damit gesagt, daß Kapitel I für die vier folgenden Kapitel II bis V dieses Buches fundierenden Charakter hat, wobei auch diese prinzipiell, was zu betonen ist, einander jeweils voraussetzen und aufeinander aufbauen.

I.

GRUNDLAGEN

Themenverortung im Paradigmenwandel

1. A u s g a n g s p u n k t e I m R a h m e n der anhaltenden Debatte u m eine neue, kulturwissenschaftliche Orientierung der germanistischen Mediävistik, mit der die Uberschreitung der herkömmlichen E p o c h e n g r e n z e n als "erkenntnishemm e n d e r E p o c h e n m y t h e n " 1 ebenso einhergeht wie die programmatische A u s d e h n u n g altgermanistischer Forschung auf Literatur i m engeren u η d i m weiteren Sinn, w i r d i m m e r wieder auch auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung der Zweisprachigkeit der Zeit u n d auf den fundierenden Charakter des Lateinischen hingewiesen. 2 Gleichzeitig gilt die E r f o r s c h u n g der Entwicklung des kollektiven Bewußtseins sowie der Entstehung (vor-)nationaler Identität als eines der aus der veränderten Perspektive besonders fruchtbaren Untersuchungsfelder — w o b e i die m o d e r ne Begrifflichkeit n u r m e h r eine heuristische Funktion erfüllen kann u n d historisch zu relativieren ist. 3 D a m i t sind traditionelle Forschungskomplexe angesprochen, denen in der germanistischen Mediävistik jüngst aus n e u e m Blickwinkel erhöhte Aktualität z u k o m m t . 4 Die folgende Untersuchung führt diese K o m p l e x e 1 2

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Heinzle (1995), S. 198. Ich nenne nur die umfassenden jüngeren Forschungsberichte von: Kühlmann (1989); Henkel/Palmer (1992) mit dem zugehörigen Sammelbd. Latein und Volkssprache, hg. diess. (1992); Grubmüller (1998); Koller (1998); sowie die Reihen: Geschichte der deutschen Literatur im Mittelalter (Bumke [1990], Cramer [1990], Kartschoke [1990]); Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit (Heinzle [1994], Vollmann-Profe [1994], Haubrichs [1995b], Johnson [1999]). Hinzuzufügen ist das programmatisch entsprechend angelegte VL 2 (1978-2004) einschließlich der Folgebände VL Humanismus (2006f£, im Druck/ in Vorbereitung zum Druck). Programmatisch zu den neueren Tendenzen insgesamt: Geisteswissenschaften heute, hg. Frühwald u. a. (1991), oder in letzter Zeit etwa: Germanistik als Kulturwissenschaft, hg. von Bloh/ Vollhardt (1999), mit den auf die germanistische Mediävistik bezogenen Aufsätzen von Friedrich (1999), J.-D. Müller (1999a), Wenzel (1999); Birkhan (2002) mit den Literaturhinweisen S. 89-96. Weiterführend vgl. unter anderen Engel/ Spörl (2001) und ergänzend Nünning (2001b) sowie Böhme (2002) (Literatur). Zum Begriff der (kollektiven) Identität vgl. in diesem Kontext insbesondere: Identität, hg. Marquard/ Stierle (1979); Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins, hg. Berding/ Giesen (1991/96), Bd. 1-3; J. Assmann (1999 [zuerst 199η), besonders S. 130-160; Rüsen (1998); Giesen (1999); weiterführend G. Werner (2002), S. 9—56 (dazu demnächst die Rezension von Goerlitz [2007b, im Druck]). Ein neu gewendetes Interesse an den beiden genannten Themenkomplexen dokumentiert etwa auch der Deutsche Germanistentag von 2001, der in zwei Sektionen eine "im Zeichen der Entnationalisierung betriebene Modernisierung

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I. GRUNDLAGEN

in spezifischer Weise zusammen. Der neue Ansatz ergibt sich dabei in mehrfacher Hinsicht. Unter 'Hinfuhrung zum Thema' ist bereits angedeutet worden, daß sich in der interdisziplinär-mediävistischen Nationenforschung in den letzten rund zwanzig Jahren ein Paradigmenwandel vollzogen hat, durch den im Bereich der Literaturwissenschaft neue Fragen aufgeworfen werden. Dazu gehört die Frage nach den Anfängen narrativer Konstruktion (vor-)nationaler Identität in der deutschen Literatur des Mittelalters, die in der germanistischen Mediävistik aus der neuen Sicht bislang noch nicht thematisiert worden ist. Dies hat seinen Grund darin, daß man bisher im Gefolge von Prämissen, die das 19. Jahrhundert hervorgebracht hat, die frühesten literarischen Texte, in denen diut(i)schiu liut(e) agieren (und bei denen es sich zugleich um die frühesten Texte handelt, in denen diese Bezeichnung auftritt) ganz überwiegend für späte Belege eines vermeintlich lange vorhandenen deutschen Nationsbewußtseins hielt. Unabhängig davon, ob man die Frage nach der nationalen Dimension der Texte dann zum Thema machte oder nicht, wurde diese Dimension jedenfalls als gegeben vorausgesetzt und flöß in die Analysen und Interpretationen ein, oft implizit. Der konstruierte Charakter von Nationen wurde verkannt und mit ihm die Frage nach den Faktoren, die zur Nationskonstruktion beitragen können, darunter Sprache und Literatur, deren Rolle angesichts des Paradigmenwandels neu zu hinterfragen ist. Vor diesem Hintergrund stehen in dieser Monographie die im folgenden näher zu erläuternden Fragen nach der Genese, Konsolidierung und Transformation erzählter Welten im Blick, in denen — unter anderen — als solche bezeichnete "Deutsche" agieren, wobei auch zu analysieren sein wird, in welcher Weise diese Bezeichnung im genauen erfolgt. Aus einem forschungskritischen Blickwinkel heraus, der sich durch den benannten Paradigmenwandel ergibt, fragt sich, welche Bedeutung der Komponente 'deutsch' in den jeweiligen imaginierten symbolisch-kulturellen Ordnungen der erzählten Welten beigemessen wird (oder eben auch: gerade nicht beigemessen wird), welche semantischen Relationen dabei hergestellt werden, wie "deutsche" Identität von anderen kollektiven Identitäten abgegrenzt wird, in welches Verhältnis die unterschiedlichen Identitäten zueinander gesetzt sind, auf welche Weise davon erzählt wird und so weiter. Das Stichwort 'symbolisch-kulturell' verweist darauf, daß die solchermaßen imaginierten Ordnungen nicht eine (auf einer ersten Ebene in der Wahrnehmung bereits überformte) außerliterarische Realität einfach abbilden, sondern daß den literarischen Texten eine kommunikative der Germanistik" (Deutscher Germanistentag: Programmvorschau [2001], S. 128) zur Diskussion stellt; vgl. die Tagungsbde.: www.germanistik2001.de, hg. Kugler u. a. (2002).

I. GRUNDLAGEN

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Zeichenhaftigkeit zukommt, die eine eigenwertige Orientierungsleistung im Prozeß der Herausbildung nationaler Identität darstellt. Es impliziert die deskriptive, heuristische Verwendung des Kulturbegriffes, die im Sinne der frühen wissenschaftlichen Definition Edward Burnett Tylors zu verstehen ist: als "Inbegriff von Wissen, Glauben, Kunst, Moral, Gesetz, Sitte und allen übrigen Fähigkeiten und Gewohnheiten, welche der Mensch als Glied der Gesellschaft sich angeeignet hat",5 oder, mit der jüngeren Kulturwissenschaft, als Begriff für "die Gesamtheit der handwerklichen, sozialen, mentalen Techniken, die der Mensch zur Lebensbeherrschung je verschieden entwickelt". 6 Nach der narrativen Konstruktion von — Politik und Kultur im engeren Sinn demnach einbegreifenden — symbolisch-kulturellen Ordnungen in der deutschen Literatur des Mittelalters zu fragen, die (auch) auf als solche bezeichnete "deutsche" Figuren bezogen sind, meint mithin: nach der Relevanz zu fragen, die der Komponente 'deutsch' innerhalb dieser Ordnungen zugemessen wird, und die in den Texten imaginierten politisch-kulturellen Faktoren zu analysieren, die als spezifisch 'deutsch' vorgestellt werden. Erst dann kann entschieden werden, ob es sich um literarische Konstruktionen nationaler oder aber vornationaler Identität handelt, und welche Konsequenzen sich aus den jeweiligen Ergebnissen für die Gesamtinterpretation der betreffenden Texte ergeben. Die Fragestellung beinhaltet die Notwendigkeit, die spezifische Situierung des volkssprachigen Diskurses in einer dominant lateinischen Umgebung zu beachten. Diese Umgebung bildet die Folie, vor welcher (vor-) nationale Identitätskonstruktion im Medium der volks sprachigen Literatur des Mittelalters allererst entsteht, sich konsolidiert und schließlich transformiert wird. Damit ist eine Entwicklung angesprochen, die diskontinuierlich ist und im 11. Jahrhundert beginnt, bevor sie um 1500 eine neue, programmatische Dynamik erhält, die zu einem tiefgreifenden Wandel führt. Interdisziplinär dominant ist deshalb ein Forschungsansatz, der die 5 6

Tylor (1873 [zuerst 1871]), S. 1. - Fremdsprachige Arbeiten werden hier wie im folgenden dann in deutscher Übersetzung zitiert, wenn sie in der deutschen Germanistik überwiegend in dieser übersetzten Form wirksam geworden sind. "Was meinen wir mit 'Kultur'? Vielleicht doch die Gesamtheit der handwerklichen, sozialen, mentalen Techniken, die der Mensch zur Lebensbeherrschung je verschieden entwickelt." (Paravicini [1998], S. 10, im Abschnitt "Welcher Kulturbegriff?"). Zur Begriffsgeschichte vgl. kurzgefaßt Böhme (1996), zu einzelnen Kulturkonzepten umfassend das kommentierte Stellencorpus v. Kroeber/ Kluckhohn (1952 [Ndr. 1978]), in dem neben deskriptiven Kulturdefinitionen historische, normative, psychologische, strukturelle und genetische Definitionen unterschieden werden. Dazu und zu jüngeren, kultursemiotischen Konzepten vgl. weiterführend Nöth (2000), S. 513f. mit der Bibliographie auf S. 539-630, Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, hg. Nünning (2001), jeweils s. v., sowie Engel/ Spörl (2001), S. 141 f., und Ort (2002), mit Literaturhinweisen.

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I. GRUNDLAGEN

Frage literarischer Nationskonstruktion an einen Prozeß knüpft, den man im wesentlichen mit dem humanistischen Diskurs über die natio Germanica beginnen läßt.7 Aufgrund des historisch-politisch begründeten und sprachlich-kulturell entfalteten Nationsbewußtseins der Humanisten im Reich werden die Jahrzehnte um 1500 üblicherweise als vorausweisender Anfangspunkt einer Entwicklung gesehen, die — trotz aller Unterschiede im Gefolge der Französischen Revolution — in die Wende vom 18. in das 19. Jahrhundert führt und von dort über die Moderne in die Gegenwart mit ihrer "Widersprüchlichkeit und Gegensätzlichkeit der gegenwärtigen Entwicklung der Nationalstaaten in Europa".8 In dieser Sicht kommt dem lateinischen Gelehrtendiskurs des Humanismus und in Verbindung damit der humanistischen Antikerezeption konstitutive Bedeutung zu, und literarische Nationskonstruktion erscheint im Ursprung an den lateinischen Diskurs gebunden. Aus mediävistischer Perspektive läßt sich diese Phase des Umbruchs jedoch als Kulminations- und Wendepunkt eines Prozesses fassen, dessen Wurzeln sehr viel weiter zurück liegen.9 Aus dem Blickwinkel der germanistischen Mediävistik stellt sich die Frage nach mittelalterlichen 7

Aus der abundanten Literatur nenne ich nur die klassische Monographie von Joachimsen (1968 [zuerst 1910]), die großen referierenden Darstellungen humanistischer Nationskonstruktion und ihrer Vorläufer von Borchardt (1971) und Ride (1977), sowie die weiterweisenden Sammelbände Nation und Literatur, hg. K. Garber (1989), hier vor allem die Aufsätze von Münkler (1989), J. Garber (1989), Kühlmann (1989) und Lenk (1989); Münkler/ Grünberger/ Mayer (1998), passim; Diffusion des Humanismus, hg. Helmrath/ Muhlack/ Walther (2002), dort vor allem Helmrath (2002a) und ders. (2002b). Im übrigen vgl. unten, Kap. V.3., S. 299-315.

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Münkler (1998), S. 13. Paradigmatisch für eine solche Sicht sind in der Germanistik etwa die wegweisenden Sammelbände Nation und Literatur, hg. K. Garber (1989), oder Dichter und ihre Nation, hg. Scheuer (1993), die die (spät)mittelalterliche Entwicklung aus der dezidiert auf die Neuzeit gerichteten Perspektive mitberücksichtigen; entsprechend ausgerichtet ist ζ. B. auch die HumanismusDefinition von Jaumann (2000); vgl. ebenso Muhlack (2002b). Einordnend vgl. zum Paradigma der "Frühe [n] Neuzeit als Vorlauf der Moderne" den gleichnamigen Aufsatz von W. Schulze (1994); vgl. auch W. Schulze (1988), der den selbstkritischen Hinweis der Soziologie der Moderne aufgreift, "daß die Gemeinde nicht der λΙίΙαχΛοεηιοβ der Nation" sei, und deshalb angesichts der üblichen Konzentration auf die "Makroebene historischen Geschehens" einfordert, "bewußter die Möglichkeiten von Mikro- und Makroebene und ihres Wechsels" zu beachten, um "dem sicherlich falschen Eindruck einer unilinearen Entwicklung zur Moderne zu begegnen und die vielfältigen Brüche und Widerstände festzuhalten, ohne sie zu verabsolutieren" (ebd., S. 338f. mit Anm. 47.). Auf solche ungeradlinigen Tendenzen zielt auch der Münchener SFB 573 'Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit (15.-17. Jh.)', vgl. unten, Anm. V,69. So dezidiert etwa Schnell (1989); vgl. in den Geschichtswissenschaften richtungsweisend ζ. B. Beumann (1986); insgesamt vgl. unten, Anm. 1,17 (Literatur).

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I. GRUNDLAGEN

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Voraussetzungen und genetischem Bezugssystem literarischer Nationskonstruktion im Zeitalter des Humanismus. Aus dieser Sicht führen die Spuren über den in diesem Kontext vielgenannten Walther von der Vogelweide 10 zum Wiederbeginn volkssprachiger Literatur im 11. Jahrhundert zurück, und die Bedeutung der Volkssprache erscheint in dieser Hinsicht in anderem Licht als gemeinhin erwartet. Diese Sicht wird in der vorliegenden Untersuchung eingenommen, und sie ist neuartig. Denn der Stellenwert der Zeit zwischen 1050 und 1250 für die Ausprägung eines frühen deutschen Eigen- oder Selbstbewußtseins ist von der jüngeren und jüngsten interdisziplinären Nationenforschung grundsätzlich neu bemessen worden. 11 Die Ergebnisse der Nationenforschung aber sind für eine literaturwissenschaftliche Textanalyse, die nach der Konstruktion (vor-) nationaler Identität in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters und deren Anfängen fragt, grundlegend. Wegen des relativ jungen Datums sind diese forschungsgeschichtlichen Entwicklungen bisher jedoch literaturwissenschaftlich noch nicht fruchtbar gemacht worden. Die zentrale Frage lautet deshalb: Wo, unter welchen Bedingungen, in welcher Weise und mit welcher Gewichtung wird in der deutschen Literatur seit dem 11. Jahrhundert eine spezifisch "deutsche" Identität imaginiert und konstruiert? Im genaueren stehen die Genese und Etablierung literarischer Entwürfe einer mehr oder weniger fiktiven Welt der a l t e n "Deutschen" im Fokus beziehungsweise einer Welt, in der v o r z e i t l i c h e n "Deutschen" eine Rolle zugewiesen wird, die näher zu bestimmen ist. "Vorzeitlich" definiert sich dabei zunächst von jenem Zeitraum her, der über die bekannten Herrschergestalten nicht zuletzt Etzels, Dietrichs von Bern und Karls des Großen während des Mittelalters ebenso in der lateinischen wie auch in der volkssprachigen Literatur als mehr oder weniger historische beziehungsweise heroische "Vorzeit" in besonderer Weise präsent war, so daß diese Herrscherfiguren herausragende "Kristallisationspunkte für divergierendes Erzählgut" 12 bildeten. Zugleich ist das jener Zeitraum, der die Anfangsphase des im früheren 16. Jahrhundert so benannten "Mittelalters" bildet, dessen Beginn humanistische Konvention auf den Fall des antiken Rom im Jahr 410 10 11

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Näheres dazu unten, S. 25ff. Zum derzeitigen Forschungsstand vgl. zur ersten Orientierung Goetz (1999b), S. 185—193, und im genaueren vor allem die Forschungsberichte von Ehlers (1992), (1995), (1998), Schneidmüller (1995) sowie die Aufsatzsammlung Beiträge zur mittelalterlichen Reichs- und Nationsbildung, hg. Brühl/ Schneidmüller (1997); im besonderen vgl. darüberhinaus H. Thomas (1991) und (2000), sowie Deutsch - Wort und Begriff, hg. Haubrichs (1994). Im genaueren Zusammenhang dieser Untersuchung vgl. unten, Kap. 1.2.3., S. 29—38. Kästner/ Schirok (2000), S. 1373.

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I. GRUNDLAGEN

datierte, von dem aus die Humanisten systematisch nach den alten "Deutschen" seit dem Altertum fragten. 13 Letztendlich aber wird erst die nachfolgende Untersuchung die raumzeitlichen Umrisse jener "Vorzeit" klären, in welche die Texte gegebenenfalls (auch) alte "Deutsche" hineinversetzen: Auf welche Weise wird das Bild einer in einer mehr oder weniger unbestimmten Vorzeit situierten symbolisch-kulturellen Ordnung entworfen, deren Koordinaten ganz oder nur zum Teil als "deutsch" vorgestellt werden? Welche politisch-kulturellen Leistungen, etwa gemeinschaftsorganisierende ideelle Formungen wie Moral und Recht, werden im Medium Literatur als spezifisch alt-"deutsch" konturiert, mit alten "Deutschen" in Verbindung gebracht und damit in den laufenden Prozeß nationaler Identitätskonstruktion eingebracht? Wenn diese Ausgangsfrage gestellt wird, dann geht es allerdings weniger um die vorfindbaren Bilder oder, mit einem Terminus aus der komparatistischen Imagologie, 14 images einer im dargelegten Sinne "alt""deutschen" Identität als solcher. Vielmehr werden die literarischen Texte im engeren wie im weiteren Sinn als verdichtete Konstrukte dialogisch strukturierter kultureller Selbstverständigung analysiert (zur Begrifflichkeit vgl. unten), 15 um gerade so Spezifik und Potential der jeweiligen l i t e r a r i s c h e n Identitätskonzepte bemessen zu können. So rückt die Untersuchung die in dieser Hinsicht besonders aussagekräftigen Differenzen, Veränderungen, Akzentverlagerungen in den Vordergrund, durch welche die einzelnen Konzepte in Inhalt und Darstellungsmodus voneinander abweichen. Dies bedingt eine teils mikroskopische Zentrierung des Blicks, und damit sind auch Fragen der lexikalischen sowie der grammatischen Semantik angesprochen, die sich zumal am Anfang stellen. Auf diese Weise eröffnet gerade die Kombination verschiedener Fragekomplexe unter veränderter Perspektive ein vielversprechendes Blickfeld.

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410 wurde Rom durch den Westgotenkönig Alarich erobert. Mehr dazu unten, Kap. V.3.2, S. 306-315. Zu Forschungsgeschichte und derzeitigen Forschungsrichtungen der komparatistischen Imagologie vgl. in letzter Zeit Bock (2000) und vor allem Florack (2001), S. 1 - 4 8 . Unten, S. 40f.

2.

Forschungsansatz

2. 1. Methodische und terminologische Voraussetzungen Mit der Frage nach den Konstruktionsweisen einer in alte Zeiten hineinprojizierten "deutschen" Identität in der deutschsprachigen Literatur seit dem späteren 11. Jahrhundert berührt die Untersuchung die jüngere interdisziplinäre Nationenforschung. Wegen der spezifischen Kombination der leitenden Aspekte und der Konzentration auf Probleme der textuellen Analyse und Interpretation geht sie in ihr allerdings nicht auf. Die Nationenforschung ist von einer Fülle disziplinärer und methodischer Zugänge geprägt. Die Bewertung der anvisierten Gegenstände fällt deshalb teils sehr unterschiedlich aus, je nachdem auch, ob begriffsgeschichtlich oder aber phänomenologisch vorgegangen wird. Bezüglich fundamentaler Begriffe wie 'Nation', 'national', 'nationale Identität' etc. ist sie von "denkbar unterschiedlichen Ansätzen begrifflich-zeitlicher Verortung"16 gekennzeichnet. 17 Infolgedessen ist zumal von mediävistischer Seite disziplinenübergreifend gefordert worden, Wort und Begriff 'Nation' und seine Ableitungen arbeitshypothetisch, forschungstechnisch zu verwenden, "gelöst [...] von allen Anklängen, in denen dezidiert politische Leit- und Zielvorstellungen wie [...] 'Nationalismus' mitschwingen"18 (welche aus dem vorliegenden textwissenschaftlichen Blickwinkel ohnehin nicht im Zielfeld stehen). Gleichzeitig wird eine induktive Vorgehensweise eingefordert. In der Regel wird deshalb unter Verzicht auf eine feststehende Definition von einem heuristischen, flexiblen "Bündel" von "objektiven" und "subjektiven" 16 17

Stauber (1996), hier S. 140. Ich nenne an dieser Stelle in Ergänzung zu oben, Anm. 1,11, nur wenige einschlägige Forschungsberichte zu interdisziplinär bestehenden Problemen der Nationenforschung (zu Mittelalter und früher Neuzeit) als solcher: Aspekte der Nationenbildung, hg. Beumann/ Schröder (1978), mit dem programmatischen Aufsatz von Schlesinger (1978); Beumann (1988); Ansätze und Diskontinuität deutscher Nationsbildung, hg. Ehlers (1989), mit den Forschungsberichten bezüglich der Geschichtswissenschaften von Ehlers (1989a) und in Hinsicht auf die Altgermanistik von Schnell (1989); Gschnitzer u. a. (1992), hier vor allem die Abschnitte von K. F. Werner (1992) und Schönemann (1992); Ehlers/ Verger (1993) (Literatur); Mittelalterliche nationes, hg. Bues/Rexheuser (1995); Langewiesche (1995); Stauber (1996); Bock (2000); Langewiesche (2000a) und Überarb. erneut (2000b), S. 14-34, 241—244; vgl. auch Nation und Sprache, hg. Gardt (2000) mit den Aufsätzen besonders von H. Thomas (2000) und Knape (2000b).

18

Stauber (1996), S. 140f. Vgl. zum neuzeitlichen Nationalismusbegriff an dieser Stelle auch Langewiesche (2000a), besonders S. 9—18.

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Merkmalen ausgegangen, die im historischen Verlauf in jeweils unterschiedlicher Anzahl und Kombination zur Herausbildung eines Nationsbewußtseins beitragen ('Nationsbewußtsein' hier mit dem maßstabsetzenden, interdisziplinären Marburger DFG-Schwerpunktprogramm der Jahre 1975 bis 1985 gleichbedeutend mit 'nationales Bewußtsein' verwendet).19 Dabei besteht im allgemeinen ein Konsens darüber, daß "Nation[en] als Konstrukt[e] mit erfundener Tradition"20 zu begreifen sind, daß nationale Identität konstruiert und imaginiert, als "eine Konstruktion des Kollektiven im Spannungsfeld zwischen Kultur und Politik"21 aufzufassen ist. Das Gewicht, das Kultur und Politik im konkreten historischen Zusammenhang bei der nationalen Identitätsbildung zukommt, ist jeweils von neuem zu bemessen. Die in dem erwähnten heuristischen "Kriterienbündel" zusammengefaßten politischen und kulturellen Faktoren stehen miteinander in stetiger Wechselwirkung. Im Rahmen der Marburger Forschergruppe hat man insbesondere zwischen einem auf "Deutschland" bezogenen geographischen "Raumbewußtsein", dem schriftsprachlichen Auftreten der "volkssprachliche [n] Bezeichnung 'Deutschland' ", einem rechtlich-territorialen "Staatsbewußtsein", einem deutschen "Sprachbewußtsein" und einem entsprechenden, gegebenfalls auf Fiktionen basierenden "Geschichtsbewußtsein" unterschieden und von hier aus versucht, das Verhältnis von Nationsbewußtsein und deutscher Literatur zu bestimmen.22 In der vorliegenden Studie erfolgt vor diesem Hintergrund eine Konzentration auf diejenigen Faktoren, die in der Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit in bezug vor allem auf die Welt bis auf keiser Karl als spezifisch (alt-)"deutsch" vorgestellt werden: das heißt in bezug auf jenen Zeitraum, der als "Vorzeitkunde" grundsätzlich bereits in der Heldendichtung präsent ist und der im späten Mittelalter dann neu in den Gesichtskreis rückt

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20 21 22

Vgl. insbesondere Schlesinger (1978), S. 57ff., und, bezüglich des Begriffs des Nationsbewußtseins, Beumann (1988), S. 588: "Entscheidend ist ein Ensemble von intentionalen Kräften, die für den Zusammenhalt des eigenen Verbandes als konstitutiv gelten können". Aus der Arbeit der aus Historikern und Philologen zusammengesetzten Marburger Mediävistengruppe ging die Reihe 'Nationes. Historische und philologische Untersuchungen zur Entstehung der europäischen Nationen im Mittelalter' (Sigmaringen) hervor, vgl. die oben, Anm. 1,17, genannten Titel. Stauber (1996), S. 140. Giesen (1991), S. 13 (dort kursiviert); vgl. entsprechend etwa in demselben Sammelbd. in bezug auf das Mittelalter auch Ehlers (1991). Schnell (1989). Die Zitate bezeichnen die Uberschriften des einschlägigen Aufsatzes von Schnell, der auf das späte Mittelalter und die frühe Neuzeit bezogen ist.

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(was später an Ort und Stelle auszufuhren ist).23 Außer an die genannten Kriterien ist so unter anderen, in der Formulierung der Marburger DFGForschergruppe, an "Sitten und Gewohnheiten, [ . . . ] soziale und wirtschaftliche Einrichtungen, [ . . . ] Liebe und Achtung für Angehörige der gleichen Nation [...], Achtung vor dem Wesen der Nation als Ganzem [...], Stolz auf die Leistungen der Nation, besonders die kriegerischen",

und nicht zuletzt auch an die Abgrenzung gegenüber "andere[n] vergleichbaren Gruppen" zu denken. 24 Dabei kommt literarischen Konzepten einer (vorzeitlichen) "deutschen" Identität, wie sie in dieser Monographie fokussiert werden, eine doppelte Funktion zu: Einerseits stellen sie s e l b s t eine kulturelle Komponente deutscher Identitätsbildung im Mittelalter dar und partizipieren so an dieser, bilden mithin selbst eines jener gegebenenfalls nationsbewußtseinsbildenden Elemente, die die Forschung unter Hervorhebung ihres "erstrangige[n]" Untersuchungswertes im genannten heuristischen

23 24

Unten, Kap. IV.2.2., S. 216-246, und V.3.2., S. 306-315. Schlesinger (1978), S. 57. Vgl. etwa auch den Forschungsbericht von Langewiesche (2000a), der mit den richtungsweisenden Arbeiten des Mediävisten Frantisek Graus Nationen definiert als: "Gruppen, die folgende fünf Merkmale erfüllen müssen: Sie brauchen erstens eine 'gewisse Größe', müssen zweitens geschlossen siedeln, ohne aber mit einem Staat (im mittelalterlichen, nicht im neuzeitlichen Verständnis) identisch zu sein, müssen drittens sozial gegliedert sein, viertens über eine 'gewisse gemeinsame Organisation' verfügen und fünftens sich von ihrer Umwelt durch mindestens ein Merkmal unterscheiden. Letzteres ist oft die Sprache, aber nicht immer. Diese Gemeinsamkeiten müssen zumindest teilweise der Gruppe insgesamt, vor allem ihren Wortführern bewußt sein. Für Graus besteht also die Nation aus einer Mischung aus objektiven und subjektiven Merkmalen. Diese Definition ist durchaus der modernen Nationsforschung verpflichtet, schließt aber das Spezifikum des modernen Nationalismus aus: die Nation als Letztwert." (S. 16). In bezug auf die subjektiven Merkmale stellt Langewiesche sodann als eine von vier wesentlichen "Kontinuitätslinien" zwischen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen sowie modernen Nationen die nationale "Mythenkonstruktion" (S. 21 ff.) heraus, womit auch der Stellenwert der Literatur angesprochen ist. Vgl. Graus (1980), S. 14ff. u. zusammenfassend hier S. 138-147. Vgl. entsprechend die Kurzdefinition von Ehlers (1998), der zu den Elementen von Nationsbewußtsein zählt: "ein Bewußtsein gemeinsamer Geschichte, im Laufe der Zeit wandlungs- und anpassungsfähige Traditionen, ein Königtum als Traditionsträger und politischer Kern, ein Fundus gemeinsamer Rechtsvorstellungen, identitätsstiftende Reichs-, Landes- und Volksbezeichnungen, Zentren kollektiver Erinnerung" (S. 71). In diesem Zusammenhang hebt auch Ehlers die Bedeutung von literarischen Identitätsentwürfen hervor, vgl. ebd. sowie die folgende Anm. 1,25.

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Kriterienbündel zusammenfaßt. 25 Andererseits r e a g i e r e n sie auf zentrale Faktoren dieses Bündels und dies in ebenjener mehr oder weniger ausgeprägten perspektivischen Brechung, die der Literatur im engeren wie gegebenenfalls auch im weiteren Sinn aufgrund ihres spezifischen, textuellen Status eignet.26 An dieser Stelle gewinnt eine textwissenschaftliche Analyse ihre besondere Bedeutung, die von geschichtswissenschaftlichen Zugriffsweisen abzugrenzen ist. Die Nationenforschung hat interdisziplinär geltend gemacht, daß die Konstruktion nationaler Identität sowohl im Mittelalter wie auch in der frühen Neuzeit schichten- und interessenspezifisch durch "Träger" oder "Sprecher" erfolgt 27 Die geschichts- und politikwissenschaftliche Nationenforschung zielt dabei auf die politischen Implikationen des Nationsbegriffes. Sie begreift literarische Texte gegebenenfalls als Dokumente nationalen Bewußtseins und befragt diese unter dem Aspekt, "inwieweit diese es vermochten, individuelle oder gruppenspezifische Glaubens- und Weltanschauungen auf eine einheitliche politische Zielrichtung einzuschwören". 28 Sie richtet den Blick mithin vorrangig auf den politischen Realitätsbezug beziehungsweise das Wirkungspotential der Texte. Aus der vorliegenden germanistisch-mediävistischen Perspektive stehen demgegenüber die literaturspezifischen Voraussetzungen und Modalitäten der Konstruktion (vor-)nationaler Identität im Fokus und erst auf dieser Basis die Konstrukte selbst. Literarische Nationskonstruktion setzt die Selektion der präsentierten Inhalte durch textsortenspezifische, situationsbedingte und literarhistorische Faktoren voraus. 29 Wie sind jeweils der sozial und institutionell bedingte Redeanlaß, Sprecherposition und -absieht, Adressaten, Gattungskonventionen usw. zu bestimmen, auf welche Weise ist der jeweilige Einzeltext in einen gesamtliterarischen Kontext einzuordnen? Mit diesen Fragen sind die eigendichen Parameter textwissenschaftlicher Analyse benannt, die der Untersuchung ihre Blickrichtung geben. So wird insbesondere zu analysieren sein, welche Funktion der Konstruktion alt-"deutscher" Identität innerhalb 25

26 27 28 29

Zitat: Ehlers (1995), S. 17; Ehlers bezeichnet "Literatur und Historiographie" als zentrale "synthesebildende Faktoren" in der "sich unablässig verändernden Wechselbeziehung" von Kultur und Politik als jenem Spannungsfeld, innerhalb dessen sich die vielschichtige Ausprägung nationalen Identitätsbewußtseins vollzog (S. 16 u. 17). Als Historiker zielt er dabei auf die "Wirkung" dieser Elemente (S. 17), während aus der vorliegenden Perspektive die spezifischen Bedingungen literarischer Nationskonstruktion im Vordergrund stehen. Vgl. dazu unten, S. 39ff. Vgl. weiterhin die oben, Anm. 1,17, genannte Literatur. Stauber (1996), S. 163; vgl. analog mit Bezug auf das Mittelalter dezidiert Ehlers, explizit etwa (1991), S. 83; vgl. auch das Zitat von Ehlers oben, Anm. 1,25. Dazu grundsätzlich Schnell (1989), hier besonders S. 251.

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der zu betrachtenden Texte zukommt und welche syntagmatischen wie paradigmatisch-semantischen Relationen in diesem Zusammenhang hergestellt werden. 30 Eine notwendige Bedingung der Untersuchung literarischer Konstruktionsweisen alt-"deutscher" Identität in der volkssprachigen Literatur des Mittelalters stellt das Auftreten einer entsprechenden Terminologie in den Texten dar, die das Vorhandensein eines deutschen Eigen- oder Selbstbewußtseins markiert und die im einzelnen jeweils genau zu analysieren sein wird.31 Dabei ist grundsätzlich das Verhältnis zu beachten, in das die diversen Ebenen zueinander gesetzt sind, auf denen in den Texten kollektive Identität konstruiert werden kann. Die nationale Ebene bildet nur eine Dimension, neben die in der inhomogenen Welt des Mittelalters andere treten, die in den Texten in unterschiedlicher Weise geltend gemacht werden können: so insbesondere in bezug auf das Kaisertum die römisch-imperiale (womit die Frage nach der religiösen Dimension zusammenhängt) und hinsichtlich der Regionen und entstehenden Territorien die Ebene der Völker und Lande innerhalb des Reiches. Das innertextuell konstruierte Verhältnis der jeweiligen Ebenen ist mitzuanalysieren, um die konkulturale Applikation postrevolutionär-moderner Nationsvorstellungen auf die in den Texten imaginierten symbolisch-kulturellen Ordnungen zu vermeiden. Dieser Punkt, der später an Ort und Stelle zu erläutern sein wird,32 wird sich für eine adäquate Einordnung der literarischen Konzepte alt-"deutscher" Identität als zentral erweisen. 2. 2. Wege der germanistischen Nationenforschung Als markanteste Manifestation deutschen Nationsbewußtseins in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters gilt in der Mediävistik außer dem deutschen Humanismus um 1500 Walther von der Vogelweide um 1200.33 So konnte man noch vor gut einem Jahrzehnt konstatieren, daß Walther und der Humanismus "noch heute [...] als herausragende (und für viele als einzige) Dokumente deutschen Nationsbewußtseins vor 30 31

32 33

Zur Terminologie vgl. Titzmann (1993 [zuerst 197η), S. 61ff., 149-179. Die in den Geschichtswissenschaften diskutierte Frage nach der Vorgängigkeit der Artikulation nationalen Identitätsbewußtseins oder der politischen Nationsbildung steht aus der textwissenschaftlichen Perspektive nicht zur Debatte. Vgl. dazu unten, S. 27ff. mit Anm. 1,45. Unten, S. 193ff. Vgl. zum Humanismus in diesem Kontext weiterweisend oben, Anm. 1,7 f. (Literatur), zu Walther von der Vogelweide unten, S. 27 mit dem Querverweis in Anm. 1,41.

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Beginn der Neuzeit" 34 gelten. Erst seit geraumer Zeit ist der Stellenwert des späten Mittelalters in dieser Hinsicht grundsätzlich neu bemessen worden. Im Spätmittelalter nahm die kulturelle Komponente nationaler Identitätsbildung im Spannungsfeld von Politik und Kultur an Gewicht zu. An der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert erfolgte durch den lateinischen Publizisten Alexander von Roes erstmals eine explizite Gleichsetzung von Germanen und Deutschen. Als eine der "Schlüsselzeiten" der Herausbildung nationaler Identität im mittelalterlichen Deutschland gelten aufgrund jüngerer Forschungen dementsprechend im Gegensatz zur lange vorherrschenden Meinung das 14. Jahrhundert mit den von der Publizistik gegebenen Impulsen und das schon länger genannte 15. Jahrhundert. 35 Im 15. Jahrhundert ist eine starke quantitative Zunahme von Belegen für ein deutsches Nationsbewußtsein zu verzeichnen, das in dieser Zeit auch in qualitativer Hinsicht eine Wandlung erfuhr, wie angedeutet. 36 Die Linien, die aus der Epoche Walthers von der Vogelweide ins spätere Mittelalter führen, sind deshalb in der Forschung besonders präsent, auch wenn weiterhin Desiderata zur präziseren Erfassung literarischer Konstruktion nationaler Identität im Spätmittelalter bestehen. Diesbezüglich in der Germanistik zu einer stärkeren Differenzierung beigetragen zu haben, ist nicht zuletzt das Verdienst Rüdiger Schnells. In einem umfangreichen Aufsatz über 'Deutsche Literatur und deutsches Nationsbewußtsein in Spätmittelalter und Früher Neuzeit' (1989) sucht er, grundsätzliche "Fragen zu formulieren, Probleme zu präzisieren und Lösungsmöglichkeiten anzudeuten". 37 Schnells Aufsatz ist daher für den Problemkomplex der vorliegenden Monographie von Bedeutung, auch wenn deren Fragestellung wesentlich anders gelagert ist und weit früher ansetzt, indem sie nicht wie Schnell auf die A r t i k u l a t i o n deutschen Nationsbewußtseins in der deutschen Literatur des Mittelalters a n s i c h abhebt (mit Schnell: "Nationsartikulation"), sondern auf die damit verflochtene l i t e r a r i s c h e K o n s t r u k t i o n einer in a 1te Z e i t e n zurückprojizierten "deutschen" Identität im Kontext von Volkssprache und Latinität und deren interpretatorische I m p l i k a t i o n e n . Doch gibt Schnell wichtige Impulse. So hinterfragt auch er die übliche Grenzziehung um 1500 und lenkt den Blick literarhistorischer Forschungen zur nationalen Identitätskonstruktion zurück in die davorliegenden Jahrhunderte. Gleichzeitig fordert 34 Schnell (1989), S. 247. 35 Vgl. resümierend etwa Beumann (1988), S. 590, oder Stauber (1996), S. 142£, und im obigen Zusammenhang insbesondere Schnell (1989). 36 Oben, S. 17ff. 37 Schneü (1989), S. 248.

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er einen weitgefaßten Literaturbegriff und die Berücksichtigung der kennzeichnenden Zweisprachigkeit der Zeit. Schnelle Überlegungen sind primär methodologisch und arbeiten in besonderer Weise den bislang unterbelichteten Stellenwert des 14. Jahrhunderts heraus. Grundlegende Bedeutung kommt dabei Schnells Verweis auf die Notwendigkeit der Zusammenschau größerer Zeiträume zu. Erst dadurch wird es möglich, die Eindimensionalität einer verbreiteten Sichtweise aufzubrechen, welche literarische Konstruktion nationaler Identität im Mittelalter im wesentlichen auf die Umbruchszeit um 1500 und davor auf Walther von der Vogelweide reduziert. Wenn Schnells Überlegungen allerdings bei Walther und der lange "reichlich strapazierten" 38 'Reichsidee in der deutschen Dichtung des Mittelalters' 39 einsetzen, um von hier aus zur deutschen Literatur des späteren Mittelalters hinzuleiten, dann schreibt er die übliche Fragerichtung selbst wieder fest — auch wenn er das dadurch vorgegebene Blickfeld in wesentlicher Hinsicht neu vermißt. Es lohnt sich jedoch, noch weiter zurückzufragen. Greift man weiter aus in die Zeit vor Walther von der Vogelweide, so ist zunächst Walther selbst differenzierter zu fassen als in der üblichen Perspektive. Er erscheint dann nicht mehr als der lange mißbrauchte, prominente "Zeuge nationalen Überschwangs", sondern, weniger plakativ, als "Zeuge eines zunehmenden Selbstbewußtseins der führenden Gruppen des regnum teutonkum [...], deren Überlegenheitsgefühl in kulturellen und zivilisatorischen Standards sich gelegentlich [...] bereits äußerte".40 Infolgedessen tritt Walthers "sprachliche Kreativität" in den Vordergrund, worauf in einem späteren Kapitel zurückzukommen ist.41 Das Zitat stammt von Wolfgang Haubrichs, der in den letzten Jahren von germanistischer Seite wesentlich dazu beigetragen hat, hinsichtlich der frühen (literarischen) Belege deutschen Nationsbewußtseins genauer zu differenzieren. 42 Dabei bezieht er notwendigerweise auch den lateinischen Diskurs mit ein. Außerdem sind im vorliegenden Zusammenhang vor allem verschiedene Arbeiten des Historikers Heinz Thomas 43 zum 38 39 40 41 42 43

So in diesem Kontext auch Grundmann (1965), S. 657. Vgl. die gleichnamige Aufsatzsammlung zur Forschungsgeschichte, hg. Schnell (1983). Haubrichs (1993), S. 32, bezogen auf'Reichston' (Walther L. 8,4ff.) und 'Preislied' (Walther L. 56,14f£). Zitat: Haubrichs (1993), S. 32. Im genaueren vgl. unten, Kap. IV.2.1.2., S. 2 1 2 216. Hier insbesondere Haubrichs (1993); Deutsch - Wort und Begriff, hg. Haubrichs (1994), und darin Haubrichs (1994). Vgl. auch ders. (1995a) sowie ergänzend die unten, Anm. 1,77, genannten Titel. In letzter Zeit vor allem, sich in größeren Teilen überschneidend, H. Thomas (1990a), (1990d), (1991), (1992), (1994), (1997a), (2000). Zu den von Thomas in

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Hochmittelalter zu nennen, die großenteils in altgermanistischen Zeitschriften erschienen sind. Thomas zielt vorrangig auf die politischen Aspekte nationaler Identitätskonstruktion, die aus der hier interessierenden Perspektive nicht im Fokus stehen. Angesichts des besonderen Stellenwertes, den die jüngere geschichtswissenschaftliche Forschung der Konstruktion (vor-)nationaler Identität im Medium der Literatur grundsätzlich zuerkennt, berücksichtigt Thomas jedoch dezidiert auch die mittelhochdeutsche Dichtung — wenngleich aufgrund der anderen Fragestellung mit anderem methodischen Zugriff als in den Literaturwissenschaften. So bleiben bei ihm etwa narratologische Fragen unbeachtet, die in diesem Kontext aber wichtig sind. Seine Arbeiten können im vorliegenden Rahmen daher einerseits Anregungen geben, andererseits wird sich zeigen, daß eine germanistische Textanalyse manch Wesentliches in anderem Licht erscheinen läßt. Relevant sind in diesem Kontext daneben insbesondere einige jüngere Aufsätze zum vieldiskutierten und zeitweise ideologisch vereinnahmten Thema 'Deutsch — Wort und Begriff, dem sich neuerdings unter anderen ein gleichnamiger Sammelband erneut unter der Herausgeberschaft von Haubrichs widmet. 44 Dieser Komplex wirft noch immer etliche Probleme auf. Im besonderen betrifft das auch den Stellenwert des Kriteriums der Sprache als Faktor mittelalterlichen Nationsbewußtseins, der gegenüber der politischen Komponente in letzter Zeit (wieder) etwas höher veranschlagt wird, vor allem in der germanistischen beziehungsweise sprachhistorischen Forschung, namentlich von Haubrichs, aber auch von einzelnen Vertretern der Geschichtswissenschaften. 45 Die Frage nach Bedeutung und Bedeutungswandel der um das Lexem 'deutsch' gruppierten Wortfamilie sowie des zugehörigen lexikalischen Feldes ist im vorliegenden Zusammenhang wichtig. Damit sind semasiologische Probleme angesprochen, deren Klärung für die Frage nach der Genese narrativer Nationskonstruktion in der deutschen Literatur des

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einigen dieser Aufsätze sowie auch andernorts (vgl. das Literaturverzeichnis 2 dieser Monographie) ausgeführten sprachhistorischen Überlegungen vgl. unten, Anm. 1,57. Deutsch - Wort und Begriff, hg. Haubrichs (1994). Hinsichtlich des derzeitigen Forschungsstandes in der Germanistik vgl. außerdem Haubrichs (1993) mit der älteren Literatur und daneben zusammenfassend namentlich Reiffenstein (1985a) bzw. jetzt in 2., vollständig neu bearb. u. erw. Aufl. (2003a) (Literatur), ergänzend ders. (1988) sowie ders. (2000). Haubrichs (1993), S. 28f£, hier gegen Ehlers (1989b); vgl., wie Haubrichs modifizierend, in letzter Zeit etwa auch Schneidmüller (1997), S. 140ff. Zum Problem vgl. ebenso, resümierend, K. F. Werner (1986), Sp. 784£, sowie aus sprachhistorischer Sicht in letzter Zeit Schmitt (2000a), S. 1017f£; vgl. auch A. Schneider (2000) und in Weiterführung dieses Aufsatzes jetzt dies. (2004).

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Mittelalters unabdinglich ist. Weiter oben wurde bereits verschiedentlich darauf hingewiesen, daß sich die Forschung zu den eng miteinander verbundenen Problemen der Anfänge deutschen Nationsbewußtseins und der Anfänge der textuellen Konstruktion nationaler Identität seit einiger Zeit wesentlich verändert hat. Die Auswirkungen des damit angesprochenen Paradigmenwandels betreffen unmittelbar nicht nur das frühe Mittelalter, sondern auch noch das hohe Mittelalter, wobei sich gegebenenfalls — je nach Forschungsansatz — die Grenze zwischen beiden Epochen verschiebt (wenn man diese Grenze nicht von vornherein nach literaturgeschichtlichen Kriterien etwa bis und ab dem Wiederbeginn volkssprachiger Schriftlichkeit in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts definiert). 46 Dabei sind die genannten Probleme der Anfänge deutschen Nationsbewußtseins und schriftsprachlicher Nationsartikulation sowie literarischer Nationskonstruktion zwar nicht identisch mit der Frage nach dem semantischen Wandel von 'deutsch', doch sind sie mit ihm interdependent.47 2. 3. Probleme um Wort und Begriff'deutsch' Zu einer Zeit, als von einem spezifisch "deutschen" Eigenbewußtsein noch keine Rede sein konnte, führte Abt Regino von Prüm um 900 im ostfränkischen Reich als Differenzmerkmale zeitgenössischer nationes im Sinne frühmittelalterlicher Ethnien (gentes) die primären Kriterien genus, mores, lingua und leges auf: "Abstammung", "Brauchtum", "Sprache" und "Rechtsordnung".48 Die berühmte Phrase Reginos von Prüm weist Parallelen zu den im Mittelalter verbreiteten 'Etymologiae' des Isidor von Sevilla auf und wird in der interdisziplinär-mediävistischen Nationenforschung immer wieder zitiert und in freier Anlehnung heuristisch 46

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Zur mediävistischen Diskussion um die literaturgeschichtliche Epocheneinteilung vgl. etwa die beiden ersten Bände der von Joachim Heinzle herausgegebenen 'Geschichte der deutschen Literatur von den Anfangen bis zum Beginn der Neuzeit' (Haubrichs [1995], S. 3ff.; Vollmann-Profe [1994], S. 3ff.) oder den ersten und zweiten Band der von Joachim Bumke, Thomas Cramer und Dieter Kartschoke vorgelegten 'Geschichte der deutschen Literatur im Mittelalter' (Kartschoke [1990], S. 11-16; Bumke [1990], S. 52-55). Vgl. zu dieser Interdependenz und zum Problem ihrer Erfassung grundsätzlich Haubrichs (1993), besonders S. 28f£, sowie K. F. Werner (1986), Sp. 784, und dazu Schneidmüller (1995), S. 86ff., sowie in Zusammenfassung des Forschungsstandes Ehlers (1998), S. 94-100. Regino Prumiensis: Epistula ad Hathonem archiepiscopum, hg. Kurze (1890), S. XX: Nee no η et illud saendum, quod, sicut diversae nationes populorum inter se discrepant genere, moribus, lingua, legibus, ita saneta universalis aecclesia toto orbe terrarum diffusa, quamvis in unitatefidei coniungatur, tarnen consuetudinibus aealesiastiäs ab invicem dijjert.

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angewendet. 49 Bezeichnenderweise spricht der Abt nicht einfach von nationes, sondern von nationes populorum, womit die tragenden, führenden Schichten des solchermaßen definierten "Nationsbewußtseins" gemeint sind.50 Deutlich tritt so zum einen die oben angesprochene, schichtenspezifische Bezogenheit (vor-)nationalen Bewußtseins auf eine adelige sowie klerikale Trägergruppe hervor, die für das gesamte Mittelalter (und die frühe Neuzeit) kennzeichnend ist.51 Zum anderen wird das Gewicht erkennbar, das den nicht-politischen, kulturellen Merkmalen innerhalb des von der Forschung zusammengestellten, heuristischen Bündels potentiell nationsbewußtseinsbildender Kriterien im Mittelalter zukommt. Reginos Formulierung kommt den modernen forschungsstrategischen Umschreibungsversuchen des Nationsbegriffes in wesentlichen Punkten recht nahe,

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Vgl. insbesondere Isid. orig. 5,6 u. 9,1-2, hg. Lindsay (1911 [Ndr. 1957]): Gens est multitudo ab uno prineipio orta, sive ab alia natione secundum propriam collectionem distineta [ . . . ] (ebd. 9,2); wichtig sind in diesem Zusammenhang die gentilen Herkunftsmythen (origines gentium). Zur Abgrenzung von leges und mores·. Quid differunt inter se ius, leges, et mores, Ius generale nomen est, lex autem iuris est species. [...] Omtie autem ius legibus et moribus constat, hex est constitutio scripta. Mos est vetustate probata consuetudo, sive lex non scripta. Nam lex a legendo vocata, quia scripta est (ebd. 5,3). Vgl. insgesamt zur Einordnung neuerdings Goetz (2000b), S. 296f£, darüberhinaus zu den frühmittelalterlichen 'Leges' zusammenfassend Schott (1991) und Mitteis (1992), S. 88-97 (Kap. 18), sowie im weiteren Zusammenhang zu den Kategorien von Recht und Brauchtum im Mittelalter kurzgefaßt etwa Kroeschell (1995) und Kramer (1983). Zur Bedeutung von 'natio' und 'populus' vgl. in diesem Zusammenhang K. F. Werner (1992), S. 184ff., 214f£, explizit mit Bezug auf die zitierte Passage Reginos von Prüm ebd. S. 215: " 'populus' ist der Adel jeweils eines der 'regna' der fränkischen Welt [sc. der "Nachfolge-regna des unter Kaiser Karl III. noch einmal zusammengefaßten Großreichs"] [...] Innerhalb der 'populi' jedes regnum lebten, das meint Regino, diversae nationes (in Italien etwa Franken, Burgunden, Baiern [...] und Langobarden). Diese 'nationes' sind verschieden nach Geburt, Sitten, Sprache [...] und Recht." Um einen "Doppelausdruck", wie noch bei Schlesinger (1978), S. 19, zu lesen, handelt es sich bei nationes populorum demgemäß nicht. Problematisch ist aber auch die verallgemeinernde Ubersetzung dieses Ausdrucks durch Fried (1994a) mit "Völkerstämme", wobei Fried ebenfalls betont, daß Reginos Phrase auf den "Verstehenshorizont" allein von Adel und gebildeter Geistlichkeit der Franken zu beziehen ist (ebd., S. 77 mit Anm. 7). Oben, S. 24f. Weitere Gruppen kommen im Spätmittelalter hinzu, vgl. unten, S. 295ff.

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doch ist ihr "das Kriterium politischer Verfassung ergänzend hinzufzu]fügen".52 Demgegenüber fällt unter die drei von Regino explizit benannten nicht-politischen Merkmale auch das Kriterium der Sprache, lingua und leges stehen dabei insofern noch einmal in besonderer Relation zueinander, als volkssprachige Rechtswörter und -denkmäler bekanntlich zu den frühesten erhaltenen Schriftzeugnissen der theodisken Sprachen im (ost-) fränkischen und späteren deutschen Reich gehören53 (die erst vom nationalen Standpunkt der Germanistik des 19. Jahrhunderts aus als althoch"deutsch" bezeichnet werden konnten, soweit sie von der Zweiten Lautverschiebung betroffen waren). 54 Regino von Prüm schrieb die oben zitierten Worte in einer Zeit, in welcher der Wandel des Appellativums 'theodiscus' (Volkssprachig', in Abgrenzung vom Lateinischen und den romanischen Sprachen) zum Proprium aus der Außensicht Italiens bereits einzusetzen begann.55 Parallel dazu verlief der Prozeß der allmählichen Ablösung von 'theodiscus' durch den Sprachnamen 'teutonicus'. Die ersten Belege eines supragentilen Eigen- beziehungsweise Nationsbewußtseins aus der Binnenperspektive, das als spezifisch "deutsch" zu bezeichnen ist, datieren dem heutigen Forschungsstand zufolge jedoch erst aus späterer Zeit, als der Prozeß der politischen Integration der gentes des ostfränkisch-deutschen Reiches weit fortgeschritten war. Wie später im einzelnen zu zeigen sein wird, steht am 52

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Fried (1994a), S. 77f.; vgl. ähnlich unter anderen Schlesinger (1978), S. 18f. u. 51 f., hierauch S. 19: "Hier [sc. bei Regino von Prüm] werden Unterscheidungsmerkmale der nationes populorum in derselben Weise aufgezählt, wie man dies noch mehr als ein Jahrtausend später in der Literatur getan hat, die sich wissenschaftlich mit dem Problem der Nationen, der Nationalitäten und des Nationalismus beschäftigt hat", und vgl. dazu die Nationsdefinition von Graus oben, Anm. 1,24. Das von der historischen Forschung konstatierte Fehlen des Kriteriums politischer Verfassung verdeutlicht die Notwendigkeit, Reginos Unterscheidung frühmittelalterlicher nationes nicht zu "vermeintlich entstehenden ^toimationen" (K. F. Werner [1992], S. 216, Hervorhebung v. d. Verf.) in Beziehung zu setzen, sondern die "feine[n] Distinktionen, denen unsere undifferenzierte 'Volks'-Begriffswelt nicht mehr gewachsen ist" (ebd., S. 216), zu vergegenwärtigen, mit anderen Worten, die komplexen Wechselbeziehungen der für den (vor-)nationalen Identitätsbildungsprozeß konstitutiven politischen und kulturellen Faktoren zu beachten. Vgl. weiterführend in den letzten Jahren neben Haubrichs (1995b), S. 152-156, 353 (Literatur), vor allem Schmidt-Wiegand (1998), S. 76-79 (Literatur S. 84-87). Zur Geschichte der Germanistik im 19. Jahrhundert vgl. in letzter Zeit außer Zur Geschichte und Problematik der Nationalphilologien, hg. Fürbeth u. a. (1999), Abschnitte "Sektion 1846" und "Sektion 1896", etwa die Gesamtdarstellung von Weimar (2003); im obigen Kontext vgl. auch Beck (1990) sowie jetzt ders. (2004). Vgl. die unten, Anm. 1,57, genannte Literatur.

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Beginn literarischer Konstruktion "deutscher" Identität in der volkssprachigen Literatur des Mittelalters daher nicht zufällig erst das 'Annolied' an der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert. 56 Wenn soeben bezüglich des 'Annoliedes' von der Konstruktion einer spezifisch "de u t s c h e n" Identität in der mittelalterlichen deutschen Literatur die Rede war, stellt sich jedoch unmittelbar ein terminologisches Problem ein, und an dieser Stelle zeichnet sich die Relevanz der angesprochenen Frage nach der Geschichte von Wort und Begriff 'deutsch' sowie des zugehörigen lexikalischen Feldes für die vorliegende Untersuchung ab.57 Lange sind die frühen Zeugnisse für das Sprachadjektiv, das in lateinischer Sprache seit dem späten 8. Jahrhundert, in der Volkssprache bekanntlich erstmals um 1000 namentlich bei Notker Teutonicus überliefert ist,58 in der Forschung ethnisch interpretiert worden. 59 Folglich wurden die betreffenden Belege in diesem Sinne übersetzt, die Texte entsprechend gedeutet. Die dem 19. Jahrhundert entsprungene Annahme "vom lange vorhandenen und nicht neu entstandenen Volk", 60 dessen "Stämme" sich während des Mittelalters ihr Reich geschaffen hätten, blieb nicht ohne nachhaltige Wirkung, und man meinte, über die Geschichte der deutschen Sprache und des deutschen Volksnamens zugleich auch die Anfänge des deutschen Reiches erfassen zu können. Dies führte dann zu wirkungsträchtigen Frühdatierungen der Anfänge deutschen Nationsbewußtseins, das man spätestens seit Otto dem Großen als gegeben 56 57

Unten, Kap. II. Vgl. hier und im folgenden außer den oben, Anm. 1,42, 44, genannten Darstellungen zu Wort und Begriff 'deutsch' in jüngerer Zeit unter anderen auch Ehrismann (1990) sowie Sonderegger (1996). Im besonderen vgl. zum folgenden zur Übersicht die mit Blick auf den historischen Kontext bilanzierenden Darstellungen der Historiker K. F. Werner (1992), S. 207ff. mit Anm. 99ff.; Ehlers (1998), S. 41-55, 100-104; und, ausführlich, Brühl (1995 [zuerst 1990]), S. 181-242; zu den wissenschaftsgeschichtlichen Zusammenhängen vgl. auch Schneidmüller (1995). Zu erwähnen sind an dieser Stelle ebenso die Studien von H. Thomas (vgl. oben, Anm. 1,43), dessen Kernthese zur frühesten Geschichte des Wortes 'deutsch' (insbesondere ders. [1988]) allerdings von sprachhistorischer Seite falsifiziert worden ist; vgl. zusammenfassend Haubrichs (1993), S. 23f. Vgl. außerdem Jakobs (1998) (mit ausführlichem Literaturverzeichnis; kürzer auch ders. [2000]) und dazu die Rezension von Reiffenstein (2002a), sowie den Forschungsabriß von Reiffenstein (2003a), S. 2191-2194. 58 Zu Notker Teutonicus vgl. in diesem Kontext in letzter Zeit Haubrichs (1993), S. 26£, und H. Thomas (2000), S. 54£, außerdem unter anderen Morciniec (1986) und Sonderegger (1989) sowie ders. (1978) mit der Stellensynopse auf S. 239. 59 Vgl. die Belegzusammenstellung von Krogmann (1936), S. 7—40, und zur Dokumentation der älteren Forschungsgeschichte im besonderen Der Volksname Deutsch, hg. Eggers (1970), sowie Roth (1978), besonders S. 347-436, 550-553. 60 Schneidmüller (1995), S. 76.

I. GRUNDLAGEN

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betrachtete. Unter der Prämisse der Priorität des Ethnos vor dem Staat und der reichsbildenden Kraft des Volkes erschien es daher als selbstverständlich, daß "der Volksname erst dann h e r v o r t r e t e n konnte, als [...] die deutsche Nation, unter dem ottonischen Königtum zu politischer Einheit zusammengeschlossen, sich ihrer selbst bewusst wurde".61 Dagegen betont man heute, daß dem Reich "oberhalb" der gentilen "Nationen" 62 erst "seit dem 11. Jahrhundert [...] einengend und konkretisierend [...] der Name 'deutsch' ζ u [ w u c h s ], der ihm in der späteren Geschichtsschreibung [...] historisch unkorrekt" bereits in Hinsicht auf frühere Zeiten gegeben worden ist.63 Von Belang sind die damit verbundenen Probleme, weil sie in andere Fragestellungen mediävistischer Forschung hineinspielen und man von historischer Seite noch Ende der 1990er Jahre feststellen mußte, daß es in wesentlichen Zügen bei der älteren "Auffassung [...] bis vor kurzem geblieben" 64 ist. Die alten Begriffs- und Denkschemata wirken außerhalb der sich mit ihnen auseinandersetzenden engeren Fachkreise und zumal im populärwissenschaftlichen Rahmen nach wie vor weiter. Denn erst "seit etwas mehr als zwanzig Jahren" hat man sich in der Forschung mit zunehmendem "Mut [...] von Jahrhunderte- und jahrzehntealten Prämissen" freigemacht. 65 Das "griffige Merkwissen von den Anfangsjahren deutscher Geschichte wie 843, 911, 919 oder 936" ist dadurch "ebenso" zerstört worden "wie die Mythen von der glatten Aufeinanderfolge von Germanen und Deutschen, vom überzeitlichen Volk, das zum Reich und Staat drängte, oder von den seit der Wanderzeit wesentlich homogenen Stammesformationen als Bausteinen des späteren deutschen Volkes. Solche Verweise mögen im Kreis

61

So, als Beispiel, Vigener (1901), S. 252 (Hervorhebung v. d. Verf.); vgl. dazu Ehlers (1998), S. 95, sowie insgesamt S. 63f£, besonders auch S. 72f. 62 Conze (1985), S. 24, spricht von "Stammesnationen", K. F. Werner in seinem jüngeren Forschungsbericht (1992) eindeutiger von " gentilefn] Primär-' im Unterschied zu den 'supragentilen Sekundär-'Nationen", vgl. ebd., S. 242, und dazu im folgenden Fließtext. 63 Conze (1985), S. 24 (Hervorhebung v. d. Verf.). Zur notwendigen Differenzierung zwischen den Anfängen des deutschen Reiches einerseits und denjenigen der deutschen Geschichte andererseits vgl. auch Ehlers (1998), S. 63f£, besonders S. 67, zur Einordnung der älteren Positionen innerhalb der Entwicklung der Geschichtswissenschaften in Deutschland im 20. Jahrhundert W. Schulze, unter anderem (1991), hier besonders S. 159ff. 64 Ehlers (1998), S. 95; vgl. ebd., S. 65ff. Außerhalb der engeren fachwissenschaftlichen Kreise trifft das nach wie vor vielfach zu. Schneidmüller (1995) etwa betont in demselben Zusammenhang die Nachwirkungen "in der Ausbildung unserer Studenten" (ebd., S. 76). 65 Schneidmüller (1995), S. 75.

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illustrer mediaevistischer Kollegen vielleicht als Insistieren auf einem längst vertrauten Kenntnis stand erscheinen." 6 6

Außerhalb der Geschichtswissenschaften bedürfe dies, so Bernd Schneidmüller in dem eben zitierten Aufsatz weiter, "gleichwohl der besonderen Akzentuierung". 67 Im vorliegenden Kontext ist das umso mehr der Fall, als die Verabschiedung der alten Prämissen weitreichende Folgen auch für die germanistische Mediävistik hat, was weiter unten gleich noch zu erläutern ist. Maßgeblich vorangetrieben wurde der Forschungswandel in den Geschichtswissenschaften durch die Arbeiten namentlich von Carlrichard Brühl 68 , Joachim Ehlers 69 und Karl Ferdinand Werner 70 vor allem seit den 1980er Jahren. 71 So ist inzwischen der Konnex von politischer Verbandsbildung sowie Nationsbildung und Ethnogenese in seiner komplexen Prozessualität erkannt, und es besteht ein allgemeiner Konsens darüber, "daß Nationsbildung und Ethnogenese der Reichs- und Staatsbildung

66 67 68

69 70

71

Schneidmüller (1995), S. 75. Schneidmüller (1995), S. 75; vgl. dementsprechend in weitergefaßtem Rahmen etwa auch ders./ Weinfurter (2003). Nach Vorüberlegungen Anfang der 1970er Jahre grundlegend: Brühl (1995 [zuerst 1990]); kürzer, allerdings ohne den unverzichtbaren Anmerkungsapparat, auch ders. (2001). Unter anderen Titeln Ehlers (1989a), (1989b), (1992), (1995), (1997a), (1997b), (1998); im weiteren Kontext ist jetzt Ehlers (2004b) hinzuzufügen. Hier insbesondere K. F. Werner (1984 [zuerst 1979]), (1986), (1987b), (1992), (1994), (1997). Vgl. Ehlers (1998), S. 73: "Jede Beschäftigung mit dem Gegenstand muß jetzt von der umfassenden Darstellung heute erreichter Positionen ausgehen, die K. F. WERNER [1992] mit einer kritischen Nachzeichnung der Lehren, Theorien und Forschungswege verbunden hat". Zum Diskussionsstand vgl. außerdem die oben in Anm. 1,11 u. 1,43, genannte Literatur und daneben namentlich: Fried (1991), (1994a) und (1994b) (dazu, die Kritik resümierend, Voürath [1995]; vgl. auch Schneidmüller [1995], S. 79); Hlawitschka (1996) (mit nochmaliger Verteidigung einer Frühdatierung der Entstehung des Deutschen Reichs in die beiden ersten Jahrzehnte des 10. Jahrhunderts); Beiträge zur mittelalterlichen Reichs- und Nationsbildung, hg. Brühl/ Schneidmüller (1997); Goetz (2000a) und (2000b); im weiteren Zusammenhang vgl. in letzter Zeit auch Deutschland und der Westen Europas, hg. Ehlers (2002). Hinzuzufügen ist jetzt Zur Geschichte der Gleichung "germanisch-deutsch", hg. Beck u. a. (2004) mit den Beiträgen von Ehlers (2004a), Geuenich (2004), Goetz (2004), Jarnut (2004), und, aus altgermanistisch-sprachhistorischer Perspektive, Haubrichs (2004). Von germanistischer Seite setzt eine Rezeption dieser Positionen erst nach und nach ein. Deutlich wird das insbesondere anhand der Integration entsprechender geschichtswissenschaftlicher Aufsätze in die Sammelbände Deutsch - Wort und Begriff, hg. Haubrichs (1994), sowie Theodisca, hg. Haubrichs u. a. (2000).

I. G R U N D L A G E N

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folgen", 72 nicht umgekehrt. In letzter Zeit zeichnet sich immer mehr ab, daß dem 11. Jahrhundert eine entscheidende Rolle für die deutsche Nationsbildung zukommt, wobei noch das beginnende 12. Jahrhundert in die (anhaltenden) Diskussionen einbezogen wird. 73 Der erste große "Schub" der "Bewußtwerdung" der sich formierenden "deutschen Großnation" hielt dagegen noch bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts an.74 Die neuen Erkenntnisse sind im Auge zu behalten, wenn aus textwissenschaftlicher Perspektive nach der Entstehung literarischer Konstruktion alt-"deutscher" Identität gefragt wird. So obsolet die ältere Sicht durch die "geradezu rasanten" jüngsten Veränderungen auch geworden ist, prägen die Nachwirkungen der gewohnten Deutungsmuster doch "in vielen Zügen noch immer unser Geschichtsbild". 75 Das schlägt sich nicht nur auch in manch mehrfach aufgelegter deutscher Sprach- und Literaturgeschichte nieder, sondern wird gegebenenfalls ebenso und in besonderer Weise in altgermanistischen Einzeltextanalysen deutlich.76 72 73

74 75 76

Ehlers/ Verger (1993), Sp. 1037. Wegweisende Impulse gab in dieser Hinsicht die Monographie von Wenskus (1961); vgl. Ehlers (1998), S. 69-73. Vgl. auch die konzise Zusammenfassung von Schneidmüller (1995), hier S. 88f. Die Spätdatierung brachte Brühl ins Spiel (vgl. oben, Anm. 1,68), aufgegriffen wird sie etwa von Fried (1994b), wenn er feststellt: "Im späten 11. und 12. Jahrhundert waren also jene Elemente zu einem Ganzen vereint, deren Zusammenwirken die deutsche Nation konstitutierte" (S. 23). K. F. Werner (1992), S. 243. Schneidmüller (1995), S. 74f. u. S. 76. Vgl. oben, Anm. 1,64. Schneidmüller (1995) betont in diesem Zusammenhang auch bezüglich der Geschichtswissenschaften außerhalb des engeren Fachkreises "die Diskrepanz zwischen Handbuchwissen und neuestem Forschungsstand", den der angesprochene rasante Wandel der Forschungssituation "in für mediaevistische Verhältnisse ungewöhnlicher Schärfe aufleuchten" lasse (S. 75). Vgl. hier auch seine Kritik (ebd., S. 79) an Fried (1994b). Beispielhaft fur die alte Sicht ist in der Germanistik Hans Eggers' bekannte Deutsche Sprachgeschichte in der Reihe 'rowohlts enzyklopädie', hier in der jüngsten Überarb. u. erg. Neuaufl. (1992/96), etwa Bd. 1 (1996), S. 40-55, 2 8 0 287, wo Eggers in bezug auf Notker Teutonicus festhält: "Der Augenblick, in dem von den Stämmen diese neue Gemeinsamkeit erkannt und anerkannt wird, ist nicht nur die Geburtsstunde eines deutschen Volksbewußtseins, sondern auch die der deutschen Sprache. NOTKERS in diutiscun wirkt wie [...] eine aufdämmernde und wieder preisgegebene Erkenntnis" (S. 55). Eggers setzt hier genau jenen teleologischen Begriff eines lange vorhandenen (nicht hingegen neu entstandenen), zur Einheit drängenden deutschen Volkes voraus, den die Geschichtswissenschaften definitiv verabschiedet haben. Infolgedessen kann er etwa auch das lateinische Äquivalent zu 'diutisc', "das das allen Stämmen aus germanischem Erbe Gemeinsame" betont habe, als "Programmund Fahnenwort der deutschen [!] Politik des großen Herrschers" Karl des Großen auffassen (S. 46); vgl. zur Einordnung Schneidmüller (2000). Vgl. im obigen Zusammenhang auch Sonderegger (1997), besonders S. 34ff.

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Von einigen gewichtigen Ausnahmen abgesehen, 77 wird der in der geschichtswissenschaftlichen Mediävistik erfolgte Paradigmenwandel bisher nur selten und ansatzweise rezipiert, obwohl er gegebenenfalls für germanistische Fragestellungen erhebliche Konsequenzen hat. Das bisherige Ausbleiben einer umfassenden Rezeption in der Altgermanistik ist dabei umso auffälliger, als bereits 1985 von sprachhistorischer Seite zu recht darauf hingewiesen worden ist, daß die "Frage, [...] ab wann mit einem Wir-Bewußtsein aller Deutschsprechenden gerechnet werden kann, [...] über die Wortgeschichte [von 'deutsch"] allein nicht zu klären" ist; vielmehr bedürfe die Germanistik "hierzu der Hilfe der Historiker". 78 Der Hinweis stammt von Ingo Reiffenstein, der in Entsprechung dazu heute, rund zwanzig Jahre später, hervorhebt, wie anders mittlerweile die Antworten auf diese nur vermeintlich längst gelöste Frage ausfallen und um wieviel komplexer sich inzwischen die mit ihr verbundenen Probleme auch noch für spätere als nur die frühen Jahrhunderte des Mittelalters darstellen. 79 Auch hinsichtlich germanistischer Fragestellungen hat die Erkenntnis Auswirkungen, daß die Anfänge deutschen Nationsbewußtseins grundsätzlich sehr viel später anzusetzen sind als lange gedacht, und daß überdies, was zu betonen ist, mit terminologischen Verwerfungen und Ungleichzeitigkeiten zu rechnen ist. Das aber hat zur Folge, daß die lexikalischen Belege für 'theodiscus'/ 'teutonicus' sowie für das alt- beziehungsweise mittelhochdeutsche 'diutisc'/ 'diut(i)sch' und die zugehörigen Wortfamilien und -felder auch noch im ausgehenden frühen und beginnenden hohen Mittelalter entsprechend vorsichtig und vor allem, insgesamt, ebenso zeitlich wie räumlich differenziert bewertet werden müssen. 80 77

Das betrifft in besonderer Weise die Arbeiten von oder unter der Herausgeberschaft von Haubrichs: vgl. die oben, Anm. 1,42, genannten Titel; außerdem hier vor allem: Nomen et gens, hg. Geuenich/ Haubrichs/ Jarnut (1997); Theodisca, hg. Haubrichs u. a. (2000). Grundsätzlich zu nennen ist auch der germanistische Sammelband Interregionalität, hg. Kugler (1995), in dem die für die "Nationalphilologie" "fatal" gewordene Parallelisierung von Sprache, Literatur, Volk und Raum programmatisch verabschiedet und ein "Paradigmenwechsel" eingefordert wird (Kugler ebd. in den 'Vorbemerkungen', S. lf.); unter den Verfassern in diesem Band rezipieren den dargelegten Forschungsstand namentlich Kugler (1995a), S. 175ff., und auch Knapp (1995), S. 13ff. Vgl. jetzt außerdem Helmut Tervooren u. Jens Haustein in der Einleitung zu dem von ihnen hg. Sammelband Regionale Literaturgeschichtsschreibung (2003), S. 1-6, hier S. 3, und auch unten, Anm. 11,100.

78 79

Reiffenstein (1985a), S. 1718. Reiffenstein (2003a). Vgl. entsprechend auch Reiffensteins Rezension (2002b) zu Nation und Sprache, hg. Gardt (2000). Zum letztgenannten Aspekt vgl. grundsätzlich Wiesinger (1989). Hinsichtlich der unterschiedlichen Schreibungen von mhd. 'diut(i)sch' vgl. zusammenfassend Reiffenstein (2003a), S. 2196-2199, der festhält, daß allein die rf-Formen regulär entwickelt sind, neben die seit dem 12. Jahrhundert die besonders im Südwesten

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Die zuletzt angesprochenen Probleme der Semantik spielen für die vorliegende Untersuchung aber auch deswegen eine nicht zu vernachlässigende Rolle, weil sie nicht nur den heutigen Philologen vor Fragen stellen. Schwierigkeiten bereiteten sie gegebenenfalls ebenso, wenn auch gewöhnlich unreflektiert und in anderer Weise, den mittelalterlichen Verfassern. Im Mittelalter war das Verhältnis von Volkssprache und Latinität durch die schriftsprachliche Dominanz des lateinischen Diskurses geprägt, der den Verfassern volkssprachiger Texte in vielen Fällen vertraut war. 81 Von diesem war der politisch-soziale Diskurs weitgehend abhängig, und das wiederum wirkte sich gegebenenfalls auf die Konstruktion nationaler Identität auch in der Volkssprache aus. Infolgedessen konnten terminologische Schwierigkeiten auftreten, die aus den differierenden Funktionsräumen des lateinischen und des volks sprachigen Diskurses resultierten. Zeugnis davon geben die in den volks sprachigen Texten zu beobachtenden Rückgriffe auf die lateinische Terminologie, die ihrerseits spezifische Fragen aufwarf und dem Prozeß des Bedeutungswandels ausgesetzt war. Hinzu kommt das Problem intentionaler Akzentsetzungen und Umdeutungen, das (vor-)nationale Identitätskonstruktion im Medium der Literatur in besonderer Weise betrifft. Deshalb ist noch einmal zu betonen, daß es in der vorliegenden Untersuchung nicht um die Manifestation (vor-)nationalen Bewußtseins in der deutschen Literatur des Untersuchungszeitraumes als eines solchen geht. Vielmehr erweist es sich angesichts des beschriebenen Paradigmenwandels und dessenungeachtet weiterbestehender älterer Interpretationsmuster als notwendig, aus neuer Perspektive nach der Entstehung der K o n s t r u k t i o n nationaler Identität in der volkssprachigen Literatur des Mittelalters zu fragen, indem die dabei in den Vordergrund tretenden literarischen Konzepte einer in alte Zeiten zurückprojizierten "deutschen" Identität in Hinsicht auf die Modalitäten ihrer textuellen Konstruktion analysiert werden, und dabei sind im besonderen auch die interpretatoris e h e n Auswirkungen aufzuzeigen. Heuristisch setzt das dann allerdings das Vorhandensein eines deutschen Nationsbewußtseins und seine mindestens implizite, unreflektierte Artikulation im Medium der Literatur voraus.

81

mit der Schweiz verbreiteten ^-Formen wie 'tiutsch' und ähnlich treten (ebd., S. 2198). Zum Verhältnis von Volkssprache und Latinität vgl. für das gesamte Mittelalter, außer der oben, Anm. 1,2, genannten Literatur, weiterführend: Sprachgeschichte, hg. Besch/ Reichmann/ Sonderegger (1985), bzw. Sprachgeschichte 2 , hg. Besch u. a. (1998/2003), hier namentlich Drux (1985), Reiffenstein (1985b) bzw. jetzt in 2. Aufl. ders. (2003b), Koller (1998), Schmitt (2000a), jeweils mit ausführlichem Literaturverzeichnis. Vgl. auch unten, Anm. V,114 (Literatur).

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Aus den genannten Gründen erfordert der Paradigmenwandel in der interdisziplinären Nationenforschung, die Lemmata aus der Wortfamilie 'diut(i)sch'/ 'dütisc' sowie dem zugehörigen lexikalischen Feld in den zur Debatte stehenden literarischen Texten noch einmal von neuem semasiologisch zu hinterfragen. Gleichzeitig werden sich Aspekte der grammatischen Semantik als wesentlich erweisen. Dabei ist genau auf die jeweiligen intratextuellen Ko- und extratextuellen Kontexte zu achten. Die Kontexte sind auf der Basis des derzeitigen Forschungsstandes, wie ausgeführt, in manch wesentlicher Hinsicht anders zu fassen als früher. Sie sind mitzubeachten, wenn nach der gegebenenfalls konzeptuellen Funktion zentraler Lexeme gefragt wird. Nur so ist zu verhindern, daß dem Wort 'deutsch' in den Texten möglicherweise unbemerkt Konnotationen unterlegt werden, die es erst im Laufe von Jahrhunderten erhalten hat. Dies hätte unmittelbare Auswirkungen auf Textanalyse und -interpretation und, wie angedeutet, wird sich erweisen, daß genau das in zahlreichen vorliegenden Interpretationen, die den älteren Prämissen verpflichtet sind, dementsprechend auch der Fall ist. Es wird sich zeigen, daß eine problembewußte Re-Lektüre altbekannter Texte wie des im nächsten Kapitel (II.) fokussierten 'Annoliedes', in dem vorzeitliche "Deutsche" erstmals in der mittelhochdeutschen Literatur ein differenziert zu betrachtendes literarisches Profil erhalten, zu Ergebnissen führt, die in wesentlicher Hinsicht neu sind. Die Textanalyse auf der veränderten Basis steht deshalb im Zielfeld.

3. Implikationen Die Fragestellung dieser Monographie schließt durch die Kombination ihrer leitenden Aspekte an Kernbereiche altgermanistischer Forschung an, in denen aufgrund des dargelegten Paradigmenwandels in der interdisziplinär-mediävistischen Nationenforschung jedoch neue Desiderata entstanden sind, die eine neuartige Perspektive und einen veränderten Zugriff erfordern. Aus dieser Konstellation resultiert die spezifische Fokussierung der folgenden Analysen und Interpretationen auf die Entstehung und die Modalitäten literarischer Konstruktion (vor-)nationaler Identität in der deutschen Literatur seit dem 11. Jahrhundert im Kontext von Volkssprache und Latinität. Implizit ist damit die Notwendigkeit gegeben, die Analyse zeitübergreifend auf literarische Texte im engen Sinn wie auf pragmatische Textsorten auszudehnen, die prinzipiell seinerzeit b e i d e in pragmatische Interessenzusammenhänge integriert sind. Nur so kann vermieden werden, durch neuzeitliche Rückprojektionen den in Mittelalter und auch noch früher Neuzeit anderen Grenzverlauf zwischen fictum und factum zu verfälschen. In bezug auf die Unterscheidung von fiktionalen und faktualen Erzähltexten ist in diesem Zusammenhang nicht zuletzt mit Gerard Genette zu berücksichtigen, daß generell und zumal im Mittelalter "die narratologischen Formen die Grenze zwischen Fiktion und NichtFiktion unbefangen überschreiten"82 können. Damit ist die Grenze nicht 82

Genette (1992 [zuerst 1991]), S. 94; anders als hier Genette in seinem methodisch stringenten Beitrag zur Differenzierung von fiktionaler und faktualer Erzählung argumentiert ζ. B. Cohn (1990). Cohns Überlegungen zu derselben Fragestellung sind bezeichnend fur eine Sicht, die im Gegensatz zu Genette zu sehr von theoretischen Postulaten ausgeht, die sich überdies wesentlich nur auf die Historiographie des 19. und 20. Jahrhunderts beziehungsweise deren positivistische Vertreter beziehen; weite Bereiche der Praxis faktualen Erzählens sowohl im synchronen wie vor allem auch im diachronen Vergleich werden dabei übersehen. Angesichts der Literaturfülle zu diesem narratologischen Kernproblem verweise ich nur weiterführend auf den Forschungsbericht von Scholz-Williams (1989) sowie den theoretisch orientierten Sammelband Der Sinn des Historischen, hg. Nagl-Docekal (1996), und außerdem auf die wichtigen germanistischmediävistischen Sammelbände: Geschichtsbewußtsein in der deutschen Literatur des Mittelalters, hg. Gerhardt/ Palmer/ Wachinger (1985); Fiktionalität im Artusroman, hg. Mertens/Wolfzettel (1993); in letzter Zeit Historisches und fiktionales Erzählen, hg. Knapp/ Niesner (Hgg.) (2002), und dazu die Rezension von Neudeck (2002) mit weiteren einschlägigen Literaturhinweisen; vgl. weiterweisend jetzt auch die Reflexionen von J.-D. Müller (2004). Generell vgl. weiterführend Nünning (2001a), S. 251 f. (Literatur), und Martinez/Scheffel (2003), S. 155-159, 168, 172-185 (Literatur).

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grundsätzlich aufgehoben, jedoch ist sie relativiert. Es geht nicht um eine kategoriale, sondern graduelle Differenz, für die "der offizielle Status des Textes und sein Lektürehorizont" 83 entscheidend sind, was Konsequenzen auch für die komplexe Frage nach dem Verhältnis von Erzähler und Autor hat. Im Zentrum dieser Frage steht der je verschiedene Geltungsa n s p r u c h der Texte. Er bemißt sich nach dem funktionalen Kriterium, "what was willingly believed" 84 — oder jedenfalls in diesem Sinne intendiert. Deshalb sagt er nicht notwendigerweise auch etwas über den Grad an Fiktivität (nicht: Fiktionalität) eines Textes aus. Im Falle fiktionaler Erzählungen ist bekanntermaßen zwischen den beiden Instanzen von Autor und Erzähler zu unterscheiden, während diese bei faktualen Erzählungen in eins zu setzen sind. Wird die Grenze zwischen den narratologischen Formen in einem Text partiell überschritten, bleibt der d o m i n a n t e Status des Text g a n z e n dennoch erhalten. In solchen, komplexen Fällen, die in bezug auf volkssprachige Erzähltexte des Mittelalters von besonderer Relevanz sind, ist es sinnvoll, bei der Textanalyse generell immer dann vom Erzähler zu sprechen, wenn der Blick auf Aspekte des jeweiligen Erzählverfahrens gelenkt werden soll; so kann davon abgesehen werden, die im Einzelfall gegebenenfalls nur schwer zu fassende Relation von Erzähler und Autor jedesmal von neuem explizit zu problematisieren. Ausgegangen wird dabei vom Konstruktcharakter jeglicher Literatur — in einem Sinn, der Realität nicht negiert, aber darauf verweist, daß die Wirklichkeit als wahrgenommene immer schon vermittelt ist. Literarische Texte werden mithin "als verdichtete Konstrukte unterschiedlichster Ansprüche und Interessen, Wertungen und Formen kultureller Selbstverständigung" 85 gefaßt, die "in ständigem Kräftemessen mit anderen kulturellen Faktoren und Subjekten immer neu als solche definiert werden, sich selbst in ihrem Verhältnis zum jeweiligen Umfeld immer neu bestimmen und behaupten". 86 Implizit ist damit auch die Frage nach den Spielräumen angesprochen, die den jeweiligen literarischen Konzepten einer in alte Zeiten zurückprojizierten "deutschen" Identität aufgrund ihres jeweils spezifischen textuellen Status zukommt, beziehungsweise nach der Wahrnehmung vorhandener Spielräume bei der narrativen Umsetzung der 83 84 85 86

Genette (1992 [zuerst 1991]), S. 67. So in einem oft übersehenen, instruktiven Beitrag Fleischman (1983), S. 305. Röcke (1995), S. 216; ebenso ders. (1996) und (1997). Baßler (1995), S. 17; vgl. New Historicism, hg. Baßler (1995), und einschlägig zu den teils stark divergierenden (oft unsystematischen) Ansätzen insgesamt B. Thomas (1991); weiterführend vgl. beispielsweise Fichte (2000) und Volkmann (2001) (Literatur), innerhalb der germanistischen Mediävistik einordnend etwa Peters (1997).

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Konzepte. Dabei ist im Auge zu behalten, daß diese Identitätskonzepte als "deutsche" aber allererst vor dem Hintergrund einer in bestimmter Weise verfaßten Realität generiert werden können, wobei diese Realität letztlich nur in Repräsentationen zugänglich ist. Erst unter dieser Voraussetzung vermögen die Texte als literarische auf die so verstandene "Realität" in je eigener, gegebenenfalls irritierender und gewohnte Denkmuster in Frage stellender Weise zu reagieren. Die Relation zwischen Literatur und Kontext ist deshalb im vorliegenden Zusammenhang analog zu der von der Nationenforschung disziplinenübergreifend angenommenen Reziprozität von einerseits Konstruktion und Imagination nationaler Identität und andererseits ihrer Realisation zu sehen. 87 Aus letzterer resultiert die politische Dynamik, welche dem nationalen Identitätsbildungsprozeß inhärent ist und auf welche die geschichtsund politikwissenschaftliche Forschung zielt. Aus dem germanistischen Blickwinkel dieser Untersuchung steht dagegen das konstruierende und imaginierende Moment im Fokus, das dieser Dynamik vorausliegt und gleichzeitig mit ihr in Wechselwirkung steht. Anders gewendet: Die interdisziplinäre Marburger DFG-Mediävistengruppe zur Nationenforschung hat Faktoren "objektiver" von solchen "subjektiver" Art unterschieden, die auf die Nationsbildung einwirken, und dabei betont: "Die subjektiven oder 'intentionalen' [...] Faktoren sind [...] nicht minder wirkungsmächtig als die objektiven [d. h. im obigen Sinne: im Moment ihrer Reflexion immer schon vermittelten], Sie sind in Mythus und Sage, in der Literatur, vielleicht auch in bestimmten Kunstwerken zu fassen." 88

Diese "subjektive" Seite steht daher im Zentrum, wenn es im folgenden um Genese, Konsolidierung und Transformation der Konzeptualisierung alt-"deutscher" Identität in der deutschen Literatur des Mittelalters geht. Aus der literaturwissenschaftlichen Perspektive sind Fragen etwa nach Artikulationsebene, -absieht und -Strategie zu stellen. Zu berücksichtigen sind ebenso die mit der Abfassung der Texte gegebenen Selektionsvorgänge durch textsortenspezifische, situationsbedingte und literarhistorische Faktoren sowie die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Kontexte, in denen die literarische Produktion des Untersuchungszeitraums situiert ist. Die Texte sind damit in bezug auf den gesamtliterarischen Kontext unter textwissenschaftlichen Aspekten zu analysieren, wie sie oben umrissen wurden. 89

87 Vgl. oben, Kap. 1.2.1.,S. 21-25. 88 Schlesinger (1978), S. 59. 89 Vor allem oben, S. 24f.

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Die konkrete Auswahl der Texte für die vorliegende Untersuchung ergibt sich dabei aus der Frage nach den Kristallisationspunkten narrativer Konstruktion (vor-)nationaler Identität in der deutschen Literatur des Mittelalters. Die Antwort führt zur sukzessiven Entwicklung der Schwerpunkte. Diese liegen zunächst auf dem 'Annolied', zu dessen Figureninventar erstmals in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters auch diut(i)schiu liut(ej gehören. Auf der Basis der anhand des 'Annoliedes' gewonnenen Ergebnisse erweist sich daraufhin die Notwendigkeit einer neuerlichen Textanalyse der 'Kaiserchronik'. Sie konzentriert sich auf die Frage nach der in der Forschung oftmals und noch jüngst sehr hoch veranschlagten nationalen Textdimension, deren strukturbildende Kraft in aller Regel unhinterfragt vorausgesetzt wird, und nach den daraus resultierenden textanalytischen und interpretatorischen Implikationen. Von da aus stellt sich das Problem, inwieweit die in 'Annolied' und 'Kaiserchronik' konstruierten Konzepte einer in alte Zeiten zurückprojizierten (vor-)nationalen Identität im späteren Mittelalter transformiert werden. Damit ist erneut und dezidiert die Frage nach dem literarhistorischen wie auch sozio-historischen Rahmen verbunden, in dem die literarischen Konstrukte situiert sind. Dabei erweitert sich das Spektrum der fokussierten Gattungen beträchtlich, 90 und es geraten ebenso Teile der Lyrik Walthers von der Vogelweide in den Blick wie mittelhochdeutsche Chanson de geste-Adaptationen, deutsche Heldendichtung und volkssprachige (Reim-) Chroniken, darunter insbesondere auch die in sehr aufschlußreicher Weise an die 'Kaiserchronik' anbindende 'Prosakaiserchronik'. Von da aus weitet sich das Blickfeld zur deutschen Literatur im Zeitalter des Humanismus im Uberschneidungsfeld von Mittelalter und Neuzeit hin. Aus der Kombination der umrissenen Problemkomplexe ergibt sich damit auf den dargelegten Grundlagen am Ende dieses Kapitels I noch einmal das besondere Potential der vorgestellten leitenden Frage: Wo, unter welchen Bedingungen, inwieweit und in welcher Weise werden in der deutschen Literatur des Mittelalters vorzeitliche symbolisch-kulturelle Ordnungen konstruiert, deren politisch-kulturelle Koordinaten in den Texten in Teilen, die näher zu bestimmen sind, als spezifisch alt-"deutsch" imaginiert werden? Welche Rolle ist in derartigen erzählten Welten den diut(i)schen liuten oder, was zunächst zu unterscheiden ist, den Diut(i)schen/ Dätisken zugemessen, in welche Relation sind die unterschiedlichen Ebenen kollektiver Identitätskonstruktion zueinander gesetzt? Daraus ergibt sich der weitere Gang der Untersuchung: Wie ist die Genese (vor-)nationaler Identitätskonstruktion in der frühmittelhochdeutschen Literatur im 90

Zum Gattungsproblem vgl. in jüngster Zeit etwa Steger (1998) und Kästner/ Schirok (2000) mit einschlägigen Literaturhinweisen.

I. GRUNDLAGEN

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Kontext von Volkssprache und Latinität zu fassen (II.), wie ihre Konsolidierung (III.)? In welcher Weise können die dabei in den Fokus geratenden mittelhochdeutschen alt-"deutschen" Identitätskonzepte transformiert werden, in welchem inner- und außerliterarischen Rahmen (IV.)? Und: Ergeben sich von da aus weiterfuhrende Linien ins Zeitalter des Humanismus und im Ausblick darüberhinaus Folgerungen für die Humanismusforschung, von der die dargelegte Fragestellung bisher dominiert wird und die gemeinhin eine Blickrichtung vorgibt, welche der vorliegenden, auf Mittelalter und Volkssprache konzentrierten Perspektive entgegengerichtet ist (V.)?

II.

GENESE

Gentile helide und diut(i)schiu liut(e)\ Narrative Konturen (vor-)nationaler Identität im 'Annolied'

1. V o r b e m e r k u n g Fragt m a n nach mittelalterlichen Kristallisationspunkten literarischer K o n zeptualisierung einer in alte Zeiten zurückprojizierten "deutschen" Identität in der Volkssprache, so ist zunächst das 'Annolied' v o n der W e n d e v o m 11. z u m 12. J a h r h u n d e r t zu nennen. 1 D a s 878 R e i m v e r s e u m f a s sende Lied, in dessen Z e n t r u m Erzbischof A n n o II. v o n Köln (Erzbf. 1056—1075) steht, n i m m t unter der frühmittelhochdeutschen geistlichen Dichtung eine besondere Stellung ein u n d beschäftigt die Forschung bis in die jüngste Zeit. 2 Als erstes überliefertes Beispiel volkssprachiger "Geschichtsdichtung" stellt es den T y p u s der Heiligenlegende auf

1

2

Im folgenden zitiere ich die Ausg. v. Nellmann in der 5. Aufl. 1999, die nur geringfügig normalisierend in den diplomatischen Abdruck von Opitz (AL, hg. 1639) eingreift. Daneben sind außer der Ausgabe von Opitz die textkritischen Apparate der Editionen von Roediger (1895) und Maurer (1965) herangezogen. Sofern ich wörtlich aus dem 'Annolied' zitiere, behalte ich die Schreibung der Ausgabe Neilmanns bei. Wo ich hingegen paraphrasiere und dabei einzelne (früh-)mhd. Ausdrücke übernehme, greife ich im Fall einer dabei notwendigen Veränderung des Kasus normalisierend ein; das betrifft vor allem die im 'Annolied' häufige z-Schreibung (unter anderem oft für e). Vgl. zu Lautstand und Graphie des 'Annoliedes' im einzelnen Giggelberger (1954) und dazu die Modifikationen von Klein (1995). Zur Forschungsgeschichte neuerdings ausführlich S. Müller (1999), passim. Von den älteren Forschungsberichten und Literaturübersichten verweise ich nur auf Nellmann, Kommentar und Literaturauswahl zum AL, hg. ders. (1999), S. 74— 120, 169-181; Arnold (1992); Gentry (1992), S. 34-53; Haug, Stellenkommentar und Literaturübersicht zum AL, hg. ders. (1991), S. 1427-1449; Liebertz-Grün (1980); Gellinek (1978), S. 208-210; Nellmann (1978); Solf (1975), S. 299-330; Knab (1962), S. VII-XXV; Ehrismann (1954), Bd. 2,1, S. 144-151. Zu ergänzen ist jetzt die sich in größeren Teilen mit der Arbeit von S. Müller überschneidende, forschungsgeschichtliche Darstellung zum 'Annolied' von Herweg (2002), S. 271-511, die erst in der zweiten Jahreshälfte 2003 in den Bibliotheken greifbar wurde, nachdem die vorliegende Habilitationsschrift bereits abgeschlossen war. Herweg bietet einen nach Themen angeordneten Wegweiser in die 'Annolied'-Forschung, der als solcher ausdrücklich "nicht vorrangig" darauf zielt, "neue Verständnis- und Deutungsakzente [...] zu setzen", sondern der "bereits Erwogenes, Vermutetes, Gesichertes, Vergessenes [...] fur die gegenwärtige und zukünftige Forschung wieder zugänglich" machen möchte (ebd., S. 11). Insofern ist er den in der vorliegenden Untersuchung genannten, bisherigen Titeln zum 'Annolied' generell hinzuzufügen, geht über diese aber nicht grundsätzlich hinaus. Separat sind einzelne Abschnitte daraus deshalb in den folgenden Anmerkungen nur in sachlich gebotenen Ausnahmefällen ergänzend angeführt. Im übrigen verweise ich auf meine demnächst erscheinende Rezension Goerlitz (2008b, in Vorbereitung zum Druck; dort ebenso zu einigen grundsätzlichen methodischen Problemen von Herwegs Darstellung, vgl. auch unten, Anm. 11,100).

II. GENESE

48

eigentümliche Weise in einen spezifischen Kontext der Welt- und Heilsgeschichte. In der umfangreichen Sekundärliteratur wird dabei geradezu stereotyp auf die singuläre Rolle verwiesen, die im profangeschichtlichen Teil des Liedes bei der Begründung des römischen Kaisertums durch Caesar den "Deutschen" — so die übliche Rede — zugemessen wird. Zugleich hat man darauf hingewiesen, daß mit dem 'Annolied' jener frühmittelhochdeutsche Text vorhegt, der die deutschen Frühbelege zu 'in diut(i)schem(e) lande', 'diut(i)schiu liut(e)' und 'diut(i)sche man' enthält,3 die ganz überwiegend in ebenjener vielzitierten, ausgedehnten Episode zu Caesar und den "Deutschen" auftreten: Fünfmal begegnet dort das Lemma 'diut(i)sch', und darüberhinaus findet sich das Adjektiv noch ein weiteres Mal im 'Annolied'. 4 All das ist bekannt, und so könnte es scheinen, als reiche es im vorliegenden Untersuchungszusammenhang aus, die weiteren Daten kurz zu rekapitulieren. Dies ist jedoch nicht der Fall. Soweit die bisherige Forschungsliteratur auf die Rolle der so genannten "Deutschen" und ihrer "Stämme" im römerzeitlichen "Deutschland" im 'Annolied' Bezug nimmt, liegen ihr fast ausnahmslos unreflektierte Prämissen zugrunde, die angesichts der tiefgreifenden Veränderungen in der jüngsten mediävistischen Nationenforschung, die ich in Kapitel I dargelegt habe, 5 in dieser Form nicht mehr ohne weiteres haltbar sind. Aufgrund der grundlegend veränderten Ausgangsposition erscheint es lohnend, das 'Annolied' von neuem zum Gegenstand einer literaturwissenschaftlichen Analyse zu machen und dabei der Frage nachzugehen, wo und inwieweit sich in der genannten Hinsicht unter umfassender Berücksichtigung der textinternen und textexternen Kontexte neue Erkenntnisse ergeben. Zunächst stelle ich dazu die Rahmeninformationen zum 'Annolied' zusammen und resümiere, soweit dies zur Einordnung der Fragestellung relevant ist, den Forschungsstand.

3

Zu den verbrannten, nicht sicher datierbaren Straßburger altsächsischen Glossen mit dem Beleg thiudisco ΙΜίνφ. erläuternd unten, Anm. 11,172.

4

Vgl. im ein2elnen unten, S. 54ff.

5

Oben, Kap. I.2.3., S. 29-38.

2.

Forschungsprobleme

2. 1. Zum Forschungsstand 6 Das 'Annolied' ist vollständig lediglich über die 1639 erschienene, lateinisch kommentierte Ausgabe von Martin Opitz erhalten.7 In dieser Form gliedert es sich über 49 Strophen unterschiedlicher Länge hin in drei Teile. Teil I (1—7) gibt nach einem Prolog (1) einen Abriß der Heilsgeschichte, der auf die Heiligen Kölns und den Episkopat Annos hinlenkt (2—7). Anno figuriert dabei als zu verehrender Heiliger, obgleich die Kanonisation damals noch in weiter Ferne lag:8 Der Hofkaplan Heinrichs III. war 1056 auf den Kölner Stuhl erhoben worden, und kraft seines Amtes war er Erzkanzler für Italien sowie bald darauf auch Erzkanzler der römischen Kirche (1057 und 1063—1067). Seine politische Geltung erreichte ihren Höhepunkt, als Anno 1062 staatsstreicharüg die Vormundschaft über den jungen Heinrich IV. übernahm. Gleichzeitig baute Anno das Erzbistum Köln aus. 1074, drei Jahre vor dem Terminus post quem des 'Annoliedes',9 geriet er in seiner Bischofsstadt in schweren Konflikt mit den wirtschaftlich dynamischen und politisch aufstrebenden Kölnern. Seine Heiligsprechung erfolgte rund einhundert Jahre nach seinem Tod, im Jahr 1183. — Teil II des 'Annoliedes' ist auf die universale Profangeschichte konzentriert (8—33). Er bindet an die mittelalterliche Theorie von den Vier Weltmonarchien an und läuft erneut auf Annos Wirken als Erzbischof in Köln zu. — In Teil III schließlich folgt die eigentliche Heiligenvita (34—49). Probleme bereiteten der Forschung unter anderem Entstehung und Datierung des 'Annoliedes'10 sowie die gattungsgeschichtlich schwer

6

Generell vgl. die oben, Anm. 11,2, genannte Literatur (dort auch zu Herweg [2002], S. 271-511; wie in der erwähnten Anmerkung erläutert, füge ich einzelne Kapitel aus Herwegs Forschungsbericht, der sich im folgenden mehrfach mit S. Müller [1999] überschneidet, nur im Ausnahmefall ergänzend auch separat hinzu).

7

AL, hg. Opitz (1639); vgl. Dunphy (2003). Aus früherer Zeit ist lediglich ein Fragment erhalten, vgl. Vulcanius (1597), S. 61-64 (abgedr. auch bei Neilmann, AL, hg. ders., S. 121-123).

8

Zum folgenden vgl. grundlegend Jenal (1974/75), weiterführend Schieffer (1991).

9

S. Müller (1999), S. 226-237, 313-315, mit Diskussion der älteren Forschung.

10

S. Müller (1999), passim; zur älteren Forschungsdebatte vgl. außerdem insbesondere Klein (1995), Liebertz-Grün (1980) und H. Thomas (1977) sowie ergänzend ders. (1983), S. 400-402.

50

II. Gi'NESE

einzuordnende "atypische Struktur". 11 Einen neuen Lösungsvorschlag, der an aktuelle Tendenzen der Forschung zur mittelalterlichen Textuaütät anbindet und deshalb näher zu betrachten ist, liefert jüngst Stephan Müller.12 Müller geht im Anschluß an die "New Philology" von der prinzipiellen "Varianz" beziehungsweise "Unfestigkeit" des 'Annoliedes' aus, das er dementsprechend weniger als "Werk" denn als "Text" faßt.13 Auf dieser Grundlage sucht er nach einer Erklärung für die in dieser Form singulare Konzeption des 'Annoliedes', indem er in einem "Modell" die mögliche Entstehung des Liedes stufenweise in zwei "Fassungen" rekonstruiert. 14 In Wiederaufnahme und Weiterführung älterer Ansätze versucht S. Müller, die Zusammenführung eines "ursprünglichen", "kurzen Annoliedes" mit "einer verlorenen deutschen Reimchronik" plausibel zu machen. Diese "ältere Reimchronik" oder "Weltchronik" könne, so Müller, als ein kurzer "Abriß der Weltgeschichte" beschrieben werden, "der die bis in die römische Antike zurückreichende Tradition der Städte am Rhein in preisender Rede erzählt" und "dabei die Weltreichslehre nach dem Danieltraum" entfalte. 15 In ihr sieht Müller die Vorlage des universalhis torisch ausgerichteten Teiles II der "Fassung" des durch Opitz überlieferten 'Annoliedes' (AL 8-30). 16 Die "ursprüngliche" Annovita hingegen erkennt er in den Teilen I und III (AL 2-6, 34-49). Müller datiert dieses "Textmaterial", das für die vorliegende Überlieferung des 'Annoliedes' konstitutiv sei, mit der bisherigen 'Annolied'-Forschung weiterhin in das 11. Jahrhundert. Allerdings grenzt er das gewöhnlich genannte Entstehungsdatum 11

So prononciert Liebertz-Grün (1980). Zur Struktur des 'Annoliedes' vgl. unten, Kap. II.3.1., S. 72-75.

12

Vgl. zum folgenden S. Müller (1999), passim, mit ausführlicher Diskussion der Literatur; soweit nicht anders angegeben, vgl. vor allem S. 284—322. - Zur einsetzenden Rezeption Müllers vgl. unten, Anm. 11,23. Zu recht problematisiert Müller den Werk-Begriff in diesem Zusammenhang bezüglich der frühmittelhochdeutschen geistlichen Texte im ganzen, vgl. S. Müller (1999), S. 293-302. Zur Diskussion um die 'New Philology' vgl. etwa in letzter Zeit Strohschneider (1997) und (2002) mit der Literatur.

13

14

Zur Darlegung des Modells vgl. hier und im folgenden S. Müller (1999), insbesondere S. 304—306, zur Begründung auf der Basis der älteren Forschung ebd., S. 306ff.

15

S. Müller (1999), S. 305.

16

Müller verwendet den Begriff der Fassung in einem sehr weitgefaßten, unspezifischen Sinn, indem er darunter jegliche "potentiell selbständige Formen der Mehrfachüberlieferung" faßt (S. Müller [1999], S. 284). So bezieht er den Begriff ebenso auf "Mehrfachüberlieferung von Werken" wie auf "Mehrfachüberlieferung von Textmaterial in verschiedenen Werken" und auf "Mehrfachüberlieferung von Textmaterial in verschiedenen Werken, die in verschiedenen Fassungen überliefert sind, etc." (ebd., S. 284); vgl. insbesondere auch ebd., S. 293ff.

II. GENESE

51

um 1080 auf das von ihm rekonstruierte "kurze Annolied" ein und gibt als wahrscheinlichen Entstehungszeitraum für die "ältere Reimchronik" lediglich grob das ausgehende 11. Jahrhundert an.17 Die Zusammenfuhrung dieser beiden älteren Texte setzt Müller im zweiten Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts im Umkreis des späteren Abtes Rupert von Deutz (um 1070-1129/30) an, dessen stark christozentrische Geschichtstheologie Parallelen zum Annolied' aufweist. 18 Der Anhänger der spätcluniazensischen (Siegburger) Reform hielt sich damals im Kloster Siegburg auf, mit dessen Abt Kuno I. (1105-1126) er befreundet war. Zu demselben Zeitpunkt nimmt Müller auch die Entstehung des Prologs (AL 1) sowie der Gelenkstrophen (AL 7 u. 31-33) zur Verbindung der beiden Texte an.19 Auf diese Weise gelingt es ihm, die ältere Forschungskontroverse um eine frühere oder spätere Datierung des Annoliedes' zu harmonisieren. Dabei hält er an dem neben Köln zumeist genannten Entstehungsort Kloster Siegburg bei Köln fest, der Klostergründung und Grablege Annos. 20 Als Adressatenkreis ist vorrangig an ein rheinisches Publikum Adliger oder auch Bürger von Köln zu denken, wie es in letzter Zeit Thomas Klein dargelegt hat.21 Klein hat zugleich die potentielle Überregionalität des 'Annoliedes' hervorgehoben, die mit der ostfränkisch geprägten Varietät gegeben ist, die in den Reimen des Textes faßbar ist.

17

S. Müller (1999), S. 226-237 und S. 313-315, zusammenfassend S. 321f. Zur Spekulation über die Entstehung der "älteren Reimchronik" in Trier vgl. ebd., S. 318.

18

Dazu grundlegend Knoch (1964), und neuerdings S. Müller (1999), S. 212f£, 308-311. Im Zentrum der Forschungskontroverse, die durch Müllers Modell einer stufenweisen Entstehung des 'Annoliedes' eine neue Dimension gewinnt, steht der in AL 31,15 fallende Begriff des niuwen kunincriches, das mit Christi Geburt angebrochen sei. Zur Diskussion vgl. auch AL 33,1-4 (vgl. das Zitat unten auf S. 88), und insbesondere Nellmann, Komm, zu AL 31, hg. ders. (1999), S. 103£, sowie ders. (1963), S. 66ff. Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang, wie bereits von Knoch betont, daß bezüglich der Geschichtskonzeption des 'Annoliedes' "Widersprüche [bleiben], die nicht zu lösen sind" (Knoch, a. a. O., S. 293).

19

Die ältere Forschung hat oftmals nur die Strophen 7 und 33 als Gelenkstrophen betrachtet. Die von Müller aus textgenetischen Erwägungen plausibel gemachte Hinzunahme auch der Strophen 31 und 32 (S. Müller [1999], S. 304-306) ist jedoch auch aus strukturellen Gründen zu postulieren. Vgl. dazu unten, S. 74f.

20

Vgl. die oben, Anm. 11,10, genannte Literatur.

21

Klein (1995), hier und im folgenden besonders S. 33-36, mit der älteren Literatur. Auf die Kölner Bürgerschaft als intendiertes Publikum verweist im besonderen Haverkamp (1979), S. 125ff; zu dessen Monographie vgl. die Rezension von Schieffer (1980). Zusammenfassend vgl. zur exzeptionellen Position, die im Ά η nolied' Köln eingeräumt wird, Vollmann-Profe (1994), S. 23.

52

II. GENESE

Ein weiteres Resultat der Überlegungen von Stephan Müller ist die Neufassung des Verhältnisses von 'Annolied' und 'Kaiserchronik'.22 Die 'Kaiserchronik' weist an ihrem Beginn (KChr. 247—670) einige auffällige Parallelen zum 'Annolied' auf, insbesondere zur Episode zu Caesar und den "Deutschen". Während die partiellen Übereinstimmungen gewöhnlich mit der Abhängigkeit der 'Kaiserchronik' vom 'Annolied' erklärt werden, führt Müller sie auf die verlorene "ältere Reimchronik" zurück. Unter Verweis auf die prinzipielle Varianz der Texte postuliert Müller, den überlieferten Fassungen der Episode grundsätzlich konzeptuelle Eigenständigkeit zuzugestehen. Die jüngere Diskussion um den Textbegriff, die Müller damit für 'Annolied' und 'Kaiserchronik' fruchtbar macht, läßt das in jedem Fall als sinnvoll erscheinen, unabhängig davon, wie plausibel man Müllers Argumentation zur Revitalisierung der alten These von der "älteren Reimchronik" im einzelnen halten mag.23 Für die vorliegende Untersuchung folgt daraus, daß die betreffenden Abschnitte in 'Annolied' und 'Kaiserchronik' separat zu analysieren sind und daß dabei auf die je spezifischen, größeren narrativen Zusammenhänge zu achten ist. 2. 2.

Caesar, "Deutschland" und die "deutschen Stämme": Die 'Annolied'-Forschung und die anachronistischen Implikationen moderner Begrifflichkeit

2. 2. 1. Problematik Da Stephan Müller den Weg Vom Annolied zur Kaiserchronik' in den Mittelpunkt stellt, kommt er aus der forschungsgeschichtlich-textgenetischen Perspektive seiner Untersuchung unweigerlich beständig auf die in beiden Texten variierte Episode zu Caesar und den "Deutschen" zu

22

S. Müller (1999), resümierend S. 315-319. Zum folgenden vgl. ebd., passim, mit ausführlicher Diskussion der älteren Literatur.

23

Vgl- grundsätzlich die Rezensionen von Freytag (2001) und Vollmann-Profe (2003). Überzogen ist die polemische Kritik an S. Müllers Thesen durch Herweg (2002), S. 402-407 und öfter; Herweg übersieht dabei das anregende Potential der Überlegungen Müllers, das trotz ansonsten berechtigter kritischer Nachfragen etwa auch von Vollmann-Profe hervorgehoben wird und das seine Basis in den von Müller für das 'Annolied' geltend gemachten, aktuellen Forschungstendenzen zur mittelalterlichen Textualität hat: "Der größte Gewinn der Arbeit [von S. Müller] aber scheint mir in der Anregung zu liegen, bei der Betrachtung der 'Lebensform' frmhd. Texte neben dem 'Werk' als Bezugsgröße auch den 'Text' [...] als frei verfügbare, mehrfach einsetzbare Größe zu bedenken" (Vollmann-Profe, a. a. O., S. 359).

II. GENESE

53

sprechen, beispielsweise auch im Kapitel "Die deutschen Stämme". 24 Semasiologische Probleme wirft diese Episode weder bei ihm noch in der älteren literaturwissenschaftlichen Forschung zum 'Annolied' auf. Paradigmatisch ist etwa folgende kurze Zusammenfassung von Eberhard Neilmann: "Im Zentrum steht hier die Abfolge der vier Weltreiche (nach Dn 7). Der Übergang vom (4.) Römischen Reich zum Deutschen Reich vollzieht sich so, daß Caesar die vier dt. Hauptstämme [...] unterwirft und mit ihrer Hilfe die Alleinherrschaft erringt. Λ^οη nun an sind die Deutschen ci Rome lif unti wertsam (28,18)." 25

An anderer Stelle fuhrt Nellmann aus, daß im 'Annolied' "das Reich der Deutschen, die in ihren Hauptstämmen genannt sind, eng mit der gesamten Geschichte der Weltreiche verklammert" werde, und er fährt fort: "Zunächst erfährt das Reich der Römer eine weitere Steigerung dadurch, daß Caesar der Reihe nach die vier deutschen Stämme unterwirft [...] Ebenso wichtig ist, daß die deutsche Geschichte, als Geschichte der Stämme, schon im ersten Weltreich beginnt und damit der deutsche Herrschaftsanspruch mit der Weltreichsgeschichte verbunden ist. In den Adern der Stämme fließt das Blut aller Völker, die große Reiche gründen, vom ältesten bis hinab zum jüngsten. Das macht die Deutschen zum prädestinierten 'Weltreichsvolk'." 26

Die von Nellmann verwendete Terminologie setzt die Vorgängigkeit des in den deutschen "Stämmen" existenten Volkes vor dem Reich voraus, und bereits hier dürfte angesichts der Darlegungen in Kapitel I der vorliegenden Untersuchung deutlich geworden sein, daß seine Interpretation in wesentlichen Zügen auf genau jenen Prämissen der älteren Forschung beruht, die von der Nationenforschung in den beiden letzten Jahrzehnten verabschiedet worden sind,27 ohne daß dies in den Interpretationen zum 'Annolied' bereits wesentlich zum Tragen gekommen wäre. Beispielhaft für die bisher dominierende Sicht ist etwa auch das Resümee zu Teil II des 'Annoliedes' von Ursula Liebertz-Grün in ihrem 1980 erschienenen Forschungsbericht, der oft rezipiert wurde. Ausführlich, schreibt sie, gehe 24 S. Müller (1999), S. 268-283. Zu ergänzen ist jetzt Herweg (2002), S. 428-439, für den das oben Gesagte prinzipiell analog gilt, vgl. unten, Anm. 11,100, sowie Anm. 11,124 (Beispiele); generell vgl. zu seiner Darstellung oben, Anm. 11,2. 25

Nellmann (1978), Sp. 367 u. 369; vgl. weitgehend in demselben Wortlaut ders., Nachwort zu AL, hg. ders. (1999), S. 185f.

26

Nellmann (1963), S. 61; vgl. das Kapitel zum Annolied' ebd., S. 35-81.

27 Vgl. zum folgenden oben, Kap. 1.2.3., S. 29-38. In bezug auf die dort angesprochene, traditionelle Prämisse von der Präexistenz des deutschen Volkes in seinen "Stämmen" vgl. hinsichtlich des Annoliedes1 ζ. B. auch die bezeichnende Formulierung von Reusner (1971), der "in den Kapiteln [des Annoliedes'], die von Caesar und vor allem von den deutschen Stämmen selber (Kap. 19 bis 23) handeln, eine Verherrlichung des deutschen Volkes" sieht (ebd., S. 223).

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II. GENESE

"der Autor [...] auf die welthistorische Rolle Casars ein, der im Auftrag des Senats [...] in Deutschland kämpfte. Innerhalb von mehr als zehn Jahren gelang es Cäsar, die vier deutschen Stämme [...] zu unterwerfen. Als ihm die Römer daraufhin den Empfang verweigerten, bat er die Deutschen um militärische Unterstützung und eroberte mit ihrer Hilfe die Alleinherrschaft. Seitdem waren die Deutschen angesehene Leute in Rom (Abschnitt 18— 28)."28

Die vorliegenden Textanalysen und Interpretationen zum 'Annolied' beziehungsweise zu dessen zweitem Teil mit der Episode zu Caesar und den "Deutschen" haben fast alle29 eines gemeinsam:30 Sie operieren mit einer Terminologie, die in dieser Form im 'Annolied' nicht begegnet. Denn genaugenommen ist in dem frühmittelhochdeutschen Text weder von "den Deutschen" noch "den deutschen Stämmen" oder von "Deutschland" die Rede. Die frühmittelhochdeutschen Ausdrücke, die in den Interpretationen und Kommentaren regelmäßig auf diese Weise wiedergegeben werden (während die Übersetzungen demgegenüber bezeichnenderweise teils genauer sind), lauten in der vollständigen Reihenfolge ihres Auftretens exakt vielmehr: in diutischemi lande (AL 7,4), wider diutsche lant (AL 18,12), ά diutischimo lante (AL 24,8), diutischi liuti (AL 28,12), diutschi man (AL 28,17), auch diutischin sprecchin (AL 20,22). Wo die Forschung im 'Annolied' die "deutschen Stämme" an der Seite Caesars walten sieht, agieren eigentlich die Beiere, Franken, Sahsen und Swäben (AL 19—25), die Caesar im Kampf um die Alleinherrschaft aus Gallia unti Germania (AL 25,3) zu Hilfe kommen. Auf den ersten Blick mögen die semantischen Differenzen vielleicht wenig signifikant erscheinen. Aufgrund der veränderten Situation in der Nationenforschung ist es jedoch notwendig, sie noch einmal genau zu fokus sieren. Es stellt sich die Frage, inwieweit sich im Sprachgebrauch des 'Annoliedes' denn überhaupt ein derartiges deutsches Eigenbewußtsein manifestiert, wie es die in der 'Annolied'-Forschung verbreitete Rede von den "Deutschen", den "deutschen Stämmen" oder "Hauptstämmen" in "Deutschland" voraussetzt, die sich dem Rückblick von der Position des 19. und 20. Jahrhunderts aus verdankt. Diese Frage stellt sich aus literaturwissenschaftlicher Sicht mit Nachdruck, weil die Antwort 28

Liebertz-Grün (1980), S. 224.

29

Zu den wenigen Ausnahmen vgl. unten, S. 55 mit Anm. 11,31 f.

30

Zu dieser Episode sind außer den eben in Anm. 11,25 ff., zitierten Titeln von Nellmann und Liebertz-Grün vor allem zu nennen: Wilmanns (1886), S. 24-46; Ittenbach (1937), S. 62-73; Gellinek (1966), S. 9-14; Ohly (1968 [zuerst 1940]), S. 42-51; Hellmann (1969), S. 49-57; Reusner (1971), S. 220-226; Reske (1972), besonders S. 48f£; sowie im besonderen die seit 1977 erschienenen Arbeiten von H. Thomas, vgl. die folgende Anm. 11,31.

II. GENESE

55

unmittelbare Auswirkungen auf jede nähere Beschäftigung mit dem Text hat. Erstmals erkannt wurde dieses Problem im Zuge des angesprochenen Wandels in der Nationenforschung namentlich von Heinz Thomas 31 und Wolfgang Haubrichs. 32 Thomas betont in diesem Kontext die von der Nationenforschung interdisziplinär erhobene Forderung, zwischen der Artikulation von Nationsbewußtsein und politisch-staatlicher Verbandsbildung sowie Ethnogenese heuristisch zu differenzieren. So gelangen er und ähnlich dann Haubrichs hinsichtlich des 'Annoliedes' zu dem Ergebnis: "Diese sechs Belege [zu 'diut(i)sch' im 'Annolied'J sind die ersten des Wortes deutsch, die nicht mehr allesamt strikt [!] auf die Bezeichnung der Sprache fixiert sind".33 Analog heißt es in dem wegweisenden begriffsgeschichtlichen Artikel zu "Volk, Nation, Nationalismus, Masse', der 1992 in den 'Geschichtlichen Grundbegriffen' erschien: "Erst 1080 (Annolied) rückt die rein sprachliche Bezeichnung in die Nähe [!] einer Benennung, wenn von 'deutschen Leuten' und 'deutschen Landen' die Rede ist, ohne daß sich daraus schon ein substantivischer Eigenname zur politischen Selbstbestimmung ergeben hätte." 34

In diesem Zusammenhang ist auf den im Vergleich zur Volkssprache fortgeschrittenen Ausbau der lateinischen Terminologie verwiesen worden, der aber dennoch n ö r d l i c h der A l p e n eine supragentile gens teutonica nicht vor dem Ende des 11. Jahrhunderts kennt. 35 Mit Nachdruck hat man vor diesem Hintergrund postuliert, bezüglich der frühen "Teutonicus-Wendungen" zwischen Fremd- und Selbstbezeichnungen zu unterscheiden und die genauen Entstehungskontexte und Verwendungszusammenhänge zu beachten. Erst unter dieser Prämisse könne einem entsprechenden Beleg gegebenenfalls ein aus der 31

Nach vorausgehenden Ansätzen insbesondere H. Thomas (1991), S. 245ff. (mit einleitender Bezugnahme auf die durch die jüngste Nationenforschung veränderte Situation), und dann vor allem - unter Modifikation einiger früher von ihm vertretener Positionen - (1992) und (1994) sowie in französischer Sprache (1997a); vgl. jetzt auch, die früheren Aufsätze resümierend, ders. (2000), hier besonders S. 55—60 (im folgenden nur zitiert, sofern Thomas darin über frühere seiner Aufsätze, in diesem Kontext vor allem denjenigen von 1991, hinausgeht). Zur einsetzenden Rezeption von Thomas vgl. unten, S. 69f. mit Anm. 11,100.

32

Haubrichs (1993), (1994).

33

H. Thomas (1991), S. 259; vgl. im besonderen auch S. 245f£, und danach vor allem ders. (2000), S.55f.; Haubrichs (1993), S. 28ff.

34

So Koselleck (1992) in der Einleitung zu Gschnitzer u. a. (1992), S. 150, hier in bezug auf den einschlägigen Abschnitt zum Mittelalter von K. F. Werner (1992).

35

Koselleck (1992), S. 150, bzw. K. F. Werner (1992), S. 178 mit Anm. 16. Gemeint ist Norbertus iburgensis, Vita Bennonis II. 13, hg. Bresslau (1902), S. 16. Vgl. unten, S. 119.

56

II. GENESE

B i n n e n perspektive der transalpinen Führungsschichten artikulierter "supragentil-ethnischer Sinn im Sinne von 'deutsches Reich', 'deutsches Volk', 'deutscher König' oder 'deutsches Land' " zugesprochen werden. 36 Die lange vorausgesetzte Annahme, daß das volkssprachige ahd./ asächs. 'diutisc'/ 'thiudisc' in der schriftlichen Überlieferung "von Anfang an" — so noch 1985 zusammenfassend Ingo Reiffenstein — in der "Bedeutung [...] 'deutsch' " auftrete und im 'Annolied' bereits "in fest ausgebautem Gebrauch" belegt sei,37 ist daher zu modifizieren. In der Neuauflage des zitierten Forschungsabrisses formuliert Reiffenstein jüngst dementsprechend, indem er die Komplexität des semantischen Wandels hervorhebt, sehr viel vorsichtiger, "der zusammenfassende Volksname" ebenso wie "der Landesname" habe sich in einem das gesamte Mittelalter über anhaltenden Prozeß "nur sehr langsam durchgesetzt]". 38 Angesichts der erst seit kurzem definitiv veränderten Forschungslage in der Nationenforschung, die Reiffenstein zu seiner Reformulierung veranlaßt, ist dieser Prozeß im genaueren bisher allerdings noch kaum erfaßt.

2. 2. 2. Linguistische Aspekte In diesem Zusammenhang sind bei der Textanalyse des Abschnittes zu Caesar und den in der 'Annolied'-Forschung meist unhinterfragt so genannten "deutschen Stämmen" in "Deutschland" die Resultate zu berücksichtigen, zu denen eine sprachhistorische Studie von Kathryn Smits zur Geschichte der Verbindung 'diut(i)sch'/ 'dütisc' + 'lant' im Mittelalter geführt hat. Obwohl dieser Aufsatz bereits 1977 erschienen ist, wurde er außerhalb der Nationenforschung bisher kaum rezipiert.39 Es lohnt jedoch, sich mit ihm etwas genauer zu beschäftigen und nachzufragen. 36

Ehlers (1989b), S. 306f. mit Anm. 21 (Zitate); vgl. auch den Forschungsbericht von dems. (1994), S. 41-48, und besonders auch Haubrichs (1993); im übrigen vgl. auch im folgenden weiterhin oben, Kap. I.2.3., S. 29-38.

37

Reiffenstein (1985a), S. 1719.

38

Reiffenstein (2003a), S. 2198; vgl. in Modifikation der älteren Position insgesamt ebd., S. 2196-2199, und außerdem auch schon ders. (2000), S. 31 f. Smits (1977). Zur Rezeption der Ergebnisse von Smits in den letzten Jahren vgl. hier und im folgenden (bestätigend) vor allem Haubrichs (1993), S. 29f. mit Anm. 45; und die von 1992 an erschienenen Arbeiten von H. Thomas, besonders ders. (1992), S. 145 mit Anm. 47, sowie, in Weiterfuhrung von Smits, ders. (1994), S. 131, 143ff. mit Anm. 51, und ders. (2000), S. 69f£; außerdem K. F. Werner (1994), besonders auch S. 77f. Die von Schnell (1989), S. 277, gegen Smits vorgebrachten Bedenken sind im Kern aufgrund des inzwischen fortgeschrittenen Forschungsstandes nicht mehr haltbar. Implizit stützen die von ihm beigesteuerten Beispiele bei genauer

39

II. GENESE

57

Smits untersucht systematisch die grammatische Verwendung von 'diut(i)sch'/ 'dütisc' + 'lant' in der deutschen Literatur vom 'Annolied' bis ins späte 13. Jahrhundert. Anhand mittelhochdeutscher und mittelniederdeutscher Texte weist sie nach, daß "Plural und Singular [...] im Falle von tiutsch + lant syntaktisch verschieden verwendet" werden. 40 Der "Plural 'deutsche Länder' " ist, so Smits, "wenn es sich um die Gesamtheit der deutschsprachigen Stammesgebiete und Territorien handelt, für die Zeit um 1200 als die Norm [zu] betrachten". 41 Eine Ausnahme von dieser Regel stellt der "formelhafte" Dativ Singular in den stets "artikellosen [!] präpositionalen Ausdrücken vom Typ (in, gen, von) tiutscheme lande" dar, wie er zweimal, neben dem regulären Plural, auch im 'Annolied' dokumentiert ist.42 "Dieser stereotype D[ativ] Singular" wird "immer gleichbleibend verwendet und ist so sehr von der Präposition abhängig, daß er nicht selbständig, d. h. als Dativobjekt eines Verbes funktionieren kann." 43 Wie Smits anhand des jeweiligen grammatisch-syntaktischen Kontextes belegt, drücken die betreffenden präpositionalen Wendungen vielmehr "eine bewußt empfundene Pluralität" aus, so daß der von der Präposition abhängige Dativ Singular "tatsächlich als Plural aufgefaßt" wurde. 44 Smits fordert aus diesem Grund, daß diese Wendungen, die "bezeichnenderweise immer neben dem Nominativ und Akkusativ Plural tiutschiu (bzw.

40

Betrachtung vielmehr den Befund von Smits (Schnell, a. a. O., S. 278ff., 283f£), und insofern gelangt Schnell nicht zufallig zu derselben (oben im Fließtext gleich erläuterten) Schlußfolgerung wie Smits, daß der Singular 'Deutschland' "in Wirklichkeit auf die Pluralform 'deutsch(e) lant' zurückgeht" (Schnell, a. a. O., S. 279 [Zitat]; Smits, a. a. O., S. 86; bestätigend zuletzt Reiffenstein [2003a], S. 2198). Zu recht hat Schnell allerdings auf die Komplexität des semantischen Wandels hingewiesen und noch einmal mit Nachdruck die prinzipielle Notwendigkeit betont, zwischen Uberlieferungs- und Entstehungskontexten zu unterscheiden (a. a. O., S. 277). Smits (1977), S. 54.

41

Smits (1977), S. 67.

42

Zitate: Smits (1977), S. 69 u. S. 85. Daneben weist Smits eine vereinzelte Verwendung des Dat. Sg. als Objekt sowie des Akk. Sg. in der Historiographie des 13. Jahrhunderts nach. Die betreffenden Belege lassen jeweils eine signifikante Verwendung des Singulars "tiutscbe^ lant [...] vom Standpunkt Roms" (Smits [1977], S. 86) aus erkennen; hingegen verwenden "die Chroniken diesen Singular nicht mehr", sondern den vorherrschenden Plural, "sobald sich die Mitte der Welt ins deutsche Reich verlagert". Deutlich zeichnet sich hier die Notwendigkeit ab, im folgenden bei den Textanalysen jeweils auf die genauen Verwendungszusammenhänge des Nominalsyntagmas zu achten; die vorliegende Untersuchung wird dadurch zu den damit zusammenhängenden Fragen Aufschluß geben können. Vgl. zum ganzen auch die oben, Anm. 11,39, genannte Literatur.

43

Smits (1977), S. 85.

44

Smits (1977), S. 85.

II. GENESE

58

tiutsche, tiutisk) lant verwendet" werden, "auch nur mit einem Plural ins Nhd. übersetzt werden sollte[n]".45 Die Beobachtungen von Smits stehen in auffälliger Übereinstimmung mit den Ergebnissen der mediävistischen Nationenforschung. Bevor ich auf diesen Punkt eingehe, ist es jedoch notwendig, den Befund von Smits als solchen noch näher zu betrachten. Denn mit Hilfe von Forschungen der beiden letzten Jahrzehnte zu Nominalsemantik und Grammatikalisierung, deren Relevanz in diesem Kontext bislang übersehen wurde, ist es inzwischen möglich, den von Smits dargelegten Befund linguistisch zu präzisieren und zu erklären. Dadurch wird in grammatisch-semantischer Hinsicht prinzipiell deutlich, daß und warum Smits in den in Rede stehenden Fällen zu recht eine Übersetzung mit 'deutsche Lande' 46 fordert, von der die Bedeutung 'Deutschland' zunächst einmal fernzuhalten ist, und es zeigt sich darüberhinaus, daß sich die g e n a u e Bedeutung der Verbindung 'diut(i)sch'/ 'dütisc' + 'lant' jeweils nur von Fall zu Fall in den je konkreten textuellen Verwendungszusammenhängen bestimmen läßt. Diese sind folglich zu beachten, wenn dieses Nominalsyntagma in den folgenden Textanalysen zu literaturspezifischen Konstruktionsweisen "deutscher" Identität in imaginierten Welten alter Zeiten seit dem 'Annolied' in den Fokus gerät. Damit ist aber zugleich auch gesagt, daß sich im Zuge dieser Untersuchung in dieser Hinsicht weitere Präzisierungen und Modifizierungen ergeben werden, so daß es im folgenden nur um einige prinzipielle Probleme gehen kann. Der Sachverhalt ergibt sich dabei aus der Zusammenführung der Beobachtungen von Smits und aktueller Forschungen zu den grammatischen Kategorien Genus, Numerus, Artikel und Aspekt. 47 Wichtig ist insbesondere die Forschung zur grammatischen Kategorie des Numerus, die man jüngst nicht zufällig als "the most underestimated of the grammatical categories" 48 bezeichnet hat. So konnte in den letzten Jahren gezeigt 45

Zitate: Smits (1977), S. 71 u. S. 85.

46

Zum morphologischen Wandel von mhd. Nom./ Akk. PI. 'lant' zu 'Lande' bzw. 'Länder' vgl. unten, Anm. 11,56.

47

Vgl. dazu richtungsweisend Apprehension, hg. Seiler/ Lehmann (1982), sowie in bezug auf die Kategorie Genus in letzter Zeit Corbett (2000) und bezüglich des Zusammenhangs von Genus, Numerus, Artikel und Aspekt namentlich Leiss (2000a). Generell vgl. Semantik, hg. von Stechow/ Wunderlich (1991) mit einschlägigen Literaturhinweisen, sowie auch die Übersichten über aktuelle Tendenzen der Forschung zum Sprachwandel von Fritz (1998) und Leiss (1998). Auf die Relevanz der aktuellen Grammatikalisierungsforschung im obigen Kontext hat mich freundlicherweise Elisabeth Leiss aufmerksam gemacht, der ich für ihre Hinweise herzlich danke.

48

Corbett (2000), S. 1.

II. GENESE

59

werden, daß in den indoeuropäischen Sprachen ursprünglich ein enger Zusammenhang zwischen den grammatischen Kategorien Numerus und Genus bestand, der aufgrund eines jahrhundertelangen Grammatikalisierungsprozesses im Neuhochdeutschen seine Transparenz verloren hat, aber im Althochdeutschen und teils auch im Mittelhochdeutschen noch deutlich zu erkennen und wirksam geblieben ist.49 In Verbindung mit dem Gebrauch des Artikels waren damit in variablen syntaktischen Verwendungskontexten unterschiedliche nominale Perspektivierungsmöglichkeiten gegeben, die sich auf die semantische Interpretation der Lexeme auswirken. So hatte das proto-indoeuropäische Genussystem "nichts mit Sexus zu tun",511 sondern erlaubte im Sinne einer grammatischen Vollkategorie eine Auswahl unter den drei Genera — je nachdem, welche spezifische kategoriale Bedeutung ausgedrückt werden sollte. Wie systematisch zuerst vor kurzem von Elisabeth Leiss anhand des Althochdeutschen aufgezeigt worden ist, markierten Maskulinum, Femininum und Neutrum ursprünglich auf der Ausdrucksseite nominale Qualitäten, die den Substantiven inhärent fehlten.51 Als Substantiv im Neutrum hatte 'lant' deshalb ursprünglich kontinuative Bedeutung und ist als Massennomen im engeren Sinn beziehungsweise als Stoffnomen charakterisiert (Kontinuativum, engl, mass noun, ζ. Β. auch nhd. Wasser").52 Massennomina weisen die Merkmale der Nichtzählbarkeit, der Teilbarkeit sowie der Additivität auf, ihnen eignet "[a] lack of necessary entailment about internal structure".53 Daraus folgt als weiteres Merkmal, daß sie unbegrenzt sind (engl, unbounded). Die Numerusdistinktion von Singular und Plural läßt sich deshalb in semantischer Hinsicht nicht auf sie anwenden, sie sind transnumeral. Wird ein Massennomen/ Massen term54 wie im konkreten 49

Vgl. hier und im folgenden Leiss (1997) und danach engl. dies. (2000b), sowie insbesondere auch dies. (2000a), S. 156-197, jeweils mit der älteren Literatur. Hinzuzufügen ist jetzt die unter der Anleitung von Rolf Bergmann und Elisabeth Leiss entstandene Dissertation von Froschauer (2003).

50

Leiss (1997), S. 36. Generell vgl. zur gegenwärtigen Genusforschung Corbett (1991).

51

Wie Anm. 11,49.

52

Zu den hier und im folgenden angesprochenen Aspekten der grammatischen Semantik sowie zur Terminologie vgl. vor allem die forschungsbezogenen Ubersichten von Krifka (1991) und Link (1991) sowie ergänzend Jackendoff (1991) und Meisterfeld (1998), S. 11—54; richtungsweisend ist von den älteren Arbeiten insbesondere Biermann (1982) in: Apprehension, hg. Seiler/ Lehmann [1982]) (darin außerdem vor allem: Drossard [1982], Kuhn [1982] und Walter [1982]).

53 Jackendoff (1991), S. 20. 54

Als Massenterm bezeichne ich mit Krifka (1991) "eine NP [Nominalphrase] auf der Basis eines MN [Massennomens]" (ebd. S. 399).

60

II. GENESE

Fall mhd. 'lant' dennoch pluraüsiert, wie es regulär und fast ausnahmslos bei der in Rede stehenden mittelhochdeutschen Verbindung 'diut(i)sch'/ 'dütisc' + 'lant' zu beobachten ist, dann entsteht daher eine sekundäre Lesart, mit der eine lexemspezifische Bedeutungsveränderung verbunden ist: der sogenannte Sorten- oder Artenplural. Wie die Bezeichnung sagt, werden durch den Sortenplural Entitäten unterschiedlicher A r t erfaßt: Sie sind qualitativ voneinander unterschieden, zusammengefaßt wird dezidiert I n h o m o g e n e s (ζ. B. nhd. Wässer' im Sinne verschiedener Sorten wie Quellen, Seen, Flüsse). Deshalb verbietet sich eine Übersetzung des mhd. Massenterms 'diut(i)schiu/ dütiskiu lant' mit nhd. 'Deutschland', bei der die spezifische, durch den Sortenplural aktualisierte Lesart verlorenginge. Der für sekundär pluralisierte Neutra kennzeichnende Sortenplural ist grundsätzlich vom distributiven Plural einerseits und vom kollektiven Plural beziehungsweise Kollektivum andererseits zu unterscheiden. Anders als die transnumeralen Massennomina im Neutrum lassen sich die zählbaren Individualnomina, die ursprünglich stets Maskulina waren, als ausdrucksseitig markierte Singulare (Singulative, engl, count nouns) regulär pluralisieren. Dadurch entsteht der Distributivplural (ζ. B. nhd. 'Männer1). Er verweist auf eine homogene Vielzahl von Elementen derselben Art, denen die Merkmale der Zählbarkeit und aufgrunddessen der Konturiertheit und Diskretheit zukommen. Singulative sind damit sprachlich als begrenzt (engl, bounded) und sich nicht überlappend (engl, discrete) konzeptualisiert. Eine weitere Ausprägung des Plurals, die vom Sortenplural zu unterscheiden ist, bildet hingegen der Kollektivplural (ζ. B. nhd. 'Mannen'). Dessen Bedeutung entspricht derjenigen der Kollektiva, die wie die Massennomina transnumeral sind und entweder als Singulariatantum (ζ. B. nhd. 'Vieh') oder als Pluraliatantum (ζ. B. nhd. 'Möbel') vorkommen. Kollektive Bedeutung wurde ursprünglich durch das Femininum zum Ausdruck gebracht, durch das im Gegensatz zu den regulär pluralisierbaren, zählbaren Individualnomina eine nicht-distributive Gesamtheit konzeptualisiert wurde. 55 Die Beobachtung von Smits, daß die Verbindung von 'diut(i)sch'/ 'dütisc' + 'lant' von einer einzigen, formelhaften Ausnahme abgesehen im 55

Insofern ist es kein Zufall, daß der Sortenplural der neutralen indogermanischen Massennomina aus der Verwendung des Femininum Singular entstand, denn die (wie an sich auch die Massennomina) transnumeralen Feminina brachten aufgrund ihrer kollektivischen Bedeutung gleichfalls "eine Art Plural zum Ausdruck, und zwar den kollektiven Plural" (Leiss [1997], S. 36, mit der Literatur); vgl. die Gleichheit der Endungen der Feminina im Singular und der Neutra im Plural im Lateinischen. Infolgedessen bot sich die feminine Endung, indem sie umgedeutet wurde, als Zeichen des Sortenplurals der Neutra an.

II. GENESE

61

Plural vorkommt, läuft infolgedessen auf die Feststellung hinaus, daß für den Gebrauch dieses Massenterms im Neutrum zunächst der Sortenplural bestimmend ist - und damit explizit die Vorstellung der pluralen Inhomogenität der "deutschen Lande". 56 Der von Smits festgestellte Ausnahmefall des artikellosen Dativs Singular in präpositionalen Wendungen vom Typ 'ze/ in/ gen/ von diut(i)scheme lande' fügt sich in diesen Zusammenhang. Wie von Smits bemerkt, handelt es sich im Mittelhochdeutschen dabei um erstarrte Wendungen einer älteren Sprachstufe. Es sind formelhafte Ausdrücke — im Neuhochdeutschen ist beispielsweise die Wendung 'zu Wasser und zu Lande' vergleichbar —, in denen die durch das Neutrum gegebene kontinuative Bedeutung von 'lant' noch bewahrt ist. Bezeichnend ist dabei das Fehlen des (definiten) Artikels, dessen kategoriale Bedeutung, wie erneut Leiss hervorgehoben hat, "interessanterweise ständig vergessen" 57 wird. Leiss hat auf den Zusammenhang der Kategorien Artikel und Aspekt aufmerksam gemacht und in Weiterführung jüngerer sprachhistorischer Forschungen darauf hingewiesen, daß der definite Artikel in den germanischen Sprachen ursprünglich zur aspektuellen Konturierung nicht zählbarer Substantive verwendet wurde. 58 So wird die spezifische nominale Charakteristik der transnumeralen Massennomina, zu der die Verwendung ohne den Artikel gehört, durch das Setzen des definiten Artikels transformiert. Im Althochdeutschen, in dem die neutralen Massennomina den Artikel regulär vermeiden, ist das noch deutlich

56

Ich übersetze 'diut(i)schiu/ dütiskiu lant' im folgenden stets mit dem nhd. Äquivalent 'deutsche Lande'. Der morphologische Wandel des mhd. Nom./ Akk. Plural 'lant' zu 'nhd. 'Lande' erfolgt parallel zum Wandel zu nhd. 'Länder' und vollzog sich beim Übergang vom Mittel- zum Frühneuhochdeutschen. Im ersten Fall erfolgte er in Analogie zum e-Plural der mask. Λ-Stämme, im zweiten zum -er + Umlaut-Plural der neutralen /£-/a^-Stämme. Alle drei Pluralformen können bis in die Neuzeit ohne Bedeutungsunterschied verwendet werden (Beispiele in DWB [1854/1960], Bd. 6 [1885], s. v. "Land", Sp. 90-96, besonders zu Nr. 2, Sp. 91 f.). Potentielle semantisch-stilistische Differenzierungen sind hingegen kontextabhängig und stehen auch mit der Artikelsetzung in Zusammenhang. Letztere ist im Nhd. wegen der teils gegenüber früheren Sprachstufen veränderten Funktion der grammatischen Kategorie Artikel oftmals notwendig, wo sie in den mittelalterlichen Texten aus Gründen der nominalen Aspektualisierung ausbleibt (dazu grundsätzlich Leiss [2000a], S. 156-197). Im vorliegenden Zusammenhang werden deshalb immer wieder Erläuterungen erforderlich sein.

57

Leiss (1997), S. 34.

58

Leiss (2000a), S. 156-197, hier besonders S. 168f.; vgl. auch dies. (1994), jeweils mit weiterführender Literatur. Im vorliegenden Kontext ist vor allem noch auf Glaser (2000) zum Althochdeutschen und Desportes (2000) sowie auch Hartmann (1967) zum Mittelhochdeutschen zu verweisen; generell vgl. zum artikellosen Gebrauch des Substantivs in den in Rede stehenden Nominalphrasen außerdem H. Paul (1989), § 421£, S. 383ff., besonders § 421b)a), S. 383.

62

II. GENESE

erkennbar: Als "Mittel der nominalen Aspektualisierung" 59 eingesetzt, hat der zu einem Massennomen hinzutretende definite Artikel eine individualisierende Funktion, durch die das betreffende, inhärent unkonturierte Nomen als begrenzt perspektiviert wird. Eine derartige individualisierende Aspektualisierung liegt bei den alten formelhaften Wendungen 'ze/ in/ gen/ von diut(i)scheme lande' aufgrund des fehlenden Artikels nun aber gerade n i c h t vor; vielmehr ist die durch das transnumerale Neutrum markierte, kontinuative und damit nicht-singulative Bedeutung aktualisiert, was Indistinktheit und Unkonturiertheit impliziert. Aufgrund des heutigen Standes der Forschung zur grammatischen Semantik kann Smits daher recht gegeben werden, wenn sie mit Blick auf das Problem einer angemessenen Ubersetzung ins Neuhochdeutsche auf der "bewußt empfundenen Pluralität"6u des in Rede stehenden Massenterms insistiert, der in der stereotypen Präpositionalphrase mit singularischer grammatischer Kongruenz im Dativ konstruiert ist, sonst aber stets im Sortenplural begegnet. Dieser Sortenplural korreliert als grammatikalische Ausdrucksform einer sekundären Numerus-Differenzierung mit dem transnumeralen Massenterm, ohne zu ihm in Opposition zu stehen.61 Zusätzlich erkennbar ist dessen plurale Bedeutung im genannten Zusammenhang ebenso daran, daß auch in den beschriebenen präpositionalen Wendungen im Mittelhochdeutschen selbst bisweilen der gegenüber dem erstarrten Dativ Singular sekundär gebildete Sortenplural ('ze/ in/ gen/ von") 'diut(i)schemen landen' Verwendung findet. Aus dem dargelegten Sachverhalt resultiert für die nachfolgenden Textanalysen zur narrativen Konstruktion (vor-)nationaler Identität im 'Annolied' und in späteren literarischen Texten mithin die Notwendigkeit, Probleme nicht nur der lexikalischen, sondern insbesondere auch der grammatischen Semantik mitzuberücksichtigen. Sie sind für die folgenden Textanalysen von besonderer Relevanz und lassen deutlich werden, daß die genaue Bedeutung von 'diut(i)schiu/ dütiskiu lant' aufgrund der je unterschiedlichen Perspektivierungsmöglichkeiten jeweils erst im textuellen Zusammenhang zu bestimmen ist. Ob und inwieweit sich dadurch Modifikationen der eng linguistisch fokussierten Analysen von Smits ergeben, kann nur im je konkreten Fall entschieden werden. Dazu sind überdies weitere Untersuchungen zu Wort und Begriff 'Land' hinzuzuziehen. 62

59

Leiss (2000a), S. 185.

60

Smits (1977), S. 85.

61

Vgl. insbesondere auch Biermann (1982), S. 233ff.

62

Dazu grundsätzlich unten, S. 193ff.

II. GENESE

63

In Hinsicht auf die literaturwissenschaftliche Fragestellung dieser Untersuchung erscheint es dabei als sinnvoll, das eben verwendete linguistische Instrumentarium bei den folgenden Textanalysen dort hinzuzuziehen, wo es zusätzlich zur Klärung der Ergebnisse beiträgt, die im einzelnen unter der anderen Fragestellung und angesichts der besonderen Spielräume literarischer Konstruktion (alt-)"deutscher" Identität davon unabhängig zu gewinnen sind. Wichtig ist jedenfalls die genaue Beachtung der Verwendungszusammenhänge der Verbindung 'diut(i)sch'/ 'dütisc' + lant', sowohl mit Blick auf die unterschiedlichen Perspektivierungsmöglichkeiten als auch auf den ebenso auf lexikalischer wie grammatikalischer Ebene angesiedelten semantischen Wandel. Beides gilt entsprechend prinzipiell auch für andere Vertreter des Wortfeldes 'deutsch'. Die dargelegten Gesichtspunkte blieben in der literaturwissenschaftlichen Mediävistik bisher unbeachtet. Sie haben fur die Frage nach narrativen Konstruktionsweisen (vor-)nationaler Identität in der deutschen Literatur des Mittelalters jedoch erhebliche Bedeutung, weil sich, abstrakt formuliert, je nach Perspektivierung der in den Texten imaginierten Entitäten unterschiedliche Grade der Homogenisierung dieser Entitäten ergeben. Homogenisierung und damit Integration ursprünglich als inhomogen erfaßter Elemente aber, wie sie im außertextuellen Rahmen etwa die verschiedenen gentes bilden, aus denen die "supragentile Sekundär-Nation" (K. F. Werner) 63 der Deutschen hervorgegangen ist, spielen bei Nationsbildung und Ethnogenese eine zentrale Rolle. Damit ist gleichzeitig auf die potentielle Gradualität (vor-)nationaler Identitätskonstruktion hingewiesen, die ein Mehr oder Weniger an Homogenisierung zuläßt. Das trifft für literarische Texte in ausgeprägtem Maße zu, da derartige Perspektivierungsmöglichkeiten in ihnen in besonderer Weise wahrgenommen werden können und ein wichtiges Moment spezifisch literarischer Nationskonstruktion bilden. Dementsprechend werden im Verlauf der nachfolgenden Textanalysen ganz unterschiedliche Modi der Konzeptualisierung und Perspektivierung der "deutschen Lande" und ihrer Bewohner zutage treten.

63

Nachweis des Zitates oben, Anm. 1,62.

64

II. GENESE

2. 2. 3. Historische Aspekte Angesichts der dialektischen Wechselwirkung zwischen literarischer Konstruktion (vor-)nationaler Identität und historischem Kontext64 ist es aufschlußreich zu sehen, wie sich der umrissene linguistische Befund zu den jüngsten Ergebnissen der mediävistischen Nationenforschung verhält, die eben bereits in das Blickfeld geraten sind. Wie schon angedeutet, wird er durch diese Ergebnisse gestützt. Um das zu erläutern, muß allerdings etwas weiter ausgeholt werden. Aus den begriffsgeschichtlichen Untersuchungen zu lat. 'gens'/ 'regnum' und 'populus' von K. F. Werner ergibt sich, daß mhd. 'lant' im Annolied' im Kontext der Rede von den Bayern, Franken, Sachsen oder Schwaben dem lateinischen regnum entspricht.65 Werner erklärt in diesem Zusammenhang: "Volkssprachlich hieß 'regnum' 'riche' und vor allem 'lant', was für regnum Baiuuariorum [...] den staatsrechtlichen Begriff Βaierlant ergab — ganz gleich, ob ein Unterkönig, marchio/ dux oder ein Herzog das regnum regierte, in dem zugleich der ostfränkisch-deutsche König herrschte [...]. Noch im 11. Jahrhundert hat der König in jedem einzelnen regnum durch den 'Königsumritt' die Anerkennung durch Huldigung des dortigen Adels entgegengenommen." 66 64 65

Vgl. dazu oben, S. 23f., 40f.

Zusammenfassend vgl. zum folgenden K. F. Werner (1992), S. 197ff. und besonders auch S. 209f., Anm. 102f. (Diskussion der Belege, explizit auch des 'Annoliedes'); ders. (1995b). Programmatisch nimmt Werner das Thema in seinem Aufsatz 'Von den Regna des Frankenreiches zu den "deutschen Landen" ' auf, der in dem wegweisenden Sammelband Deutsch - Wort und Begriff, hg. Haubrichs (1994), erschienen ist; in bezug auf Smits vgl. besonders auch S. 77f.; vgl. auch K. F. Werner (1997). Notiert wurde der geschilderte Sachverhalt teils auch in der älteren Forschung, doch verstellte die Prämisse von dem in seinen "Stämmen" präexistenten deutschen Volk den Blick auf Ursachen und Implikationen, so bezogen auf das 'Annolied' ζ. B. Neilmann (1963), S. 60f.; vgl. dazu generell kurzgefaßt ζ. Β. K. F. Werner (1986), Sp. 787. Vgl. hier im besonderen zudem DRW (1914/2003), Bd. 8 (1984/91), s. v. "Land", Sp. 316-324, sowie auch WMU (1994/2003), Bd. 2 (2003), s. v. "lant", S. 1076—1078. Zum ganzen vgl. auch unten, S. 193ff. 66 K. F. Werner (1992), S. 199; vgl. explizit schon ders. (1970), der ebd. S. 299, festhält, "que l'expression in deutschen Landen s'applique encore ä ces regna, dont parlent Lampert de Hersfeld et encore, au XIIIe siecle, Eike von Repgow". Vgl. entsprechend zur Terminologie auch Smits (1977), S. 51 ff. H. Thomas (1992), S. 145, weist auf den analogen Gebrauch der (seltenen) Verbindung 'diut(i)sch'/ 'dutisc' + 'riche' hin; vgl. ebenso H. Thomas (1994), S. 142ff., ders. (2000), S. 69ff, sowie Schnell (1989), S. 283ff. Generell ist die terminologische Variationsbreite und damit die Notwendigkeit zu beachten, im Einzelfall jeweils die genauen textinternen Kontexte zu berücksichtigen, zumal der "Terminus

65

II. GENESE

Diese Begrifflichkeit begegnet im späteren 11. Jahrhundert etwa auch in den 'Annales' des Lampert von Hersfeld, die zu den nachweisbaren Vorlagen des 'Annoliedes' gehören. 67 "Baiern und Schwaben im Reichsheeresverband" treten bei Lampert als "regna (und nicht etwa 'Stämme' [!])" in Erscheinung. 68 "Gerade in der Heeresorganisation zeigt sich die fr[än]k[ische] Regna-Kontinuität in der deutschen Geschichte, was Lampert von Hersfeld belegt, wenn er dem Kontingent der Bayern und Schwaben noch im 11. Jh. noch den richtigen Namen gibt: 'Regna'."69 Vor diesem Hintergrund ist es zu sehen, wenn es im 'Annolied' beispielsweise im Anschluß an die Schilderung des Kampfes Caesars mit den Schwaben heißt, auch das Beirelant habe sich Caesar widersetzt (AL 20,1): Der staatsrechtliche Begriff Beirelant, den etwa Nellmann (unkommentiert) wörtlich mit "Bayernland" übersetzt, 7 " verweist hier auf den Heeresverb a n d des regnum

Baiuvariorum.71

Damit sind sozio-historische Kontexte angesprochen, die sich im Hinblick auf den im 'Annolied' implizit mitgegebenen, unthematischen Horizont 72 als relevant erweisen. Im näheren ist in diesem Zusammenhang die systematisch vor allem von Karl Ferdinand Werner herausgearbeitete "regna-Struktur" des frühmittelalterlichen Frankenreiches von Bedeutung. 73 Mit ihr sind die territorialen und institutionellen Substrate der Völker des ostfränkischen und späteren deutschen Reiches ins Blickfeld gerückt. Die

67

'Reich' [...] vermutlich das komplizierteste, vielschichtigste und aspektreichste Begriffsfeld älterer Staatssprache" bildet (Moraw [1984], S. 423; vgl. hier auch von Polenz [1957]); vgl. dazu unten, Anm. 111,95. Vgl. insbesondere H. Thomas (1978), S. 410ff.; ders. (1991), S. 272ff.

68

K. F. Werner (1992), S. 197; vgl. Lampertus Hersfeldensis, Annales, a. 1075, hg. Holder-Egger (1894), S. 220, Z. 9-12: [...] certamen iam in eo erat, ut duo duorum regnorum exerätus, Sueviae et Baioariae, terga verterent; [...].

69

70

K. F. Werner (1995b), Sp. 593. Vgl. ders. (1994), S. 75: "Selbst dann, als wesentliche Teile der r^«a-Streitkräfte nicht mehr dem Herzog unterstanden, weil sie von den Bischöfen und Reichsäbten direkt gestellt wurden, blieb die Organisation des Reichsheers nach regna erhalten [...]. So war es auch noch im 11. Jahrhundert", wie Lampert von Hersfeld dokumentiert. AL 20,1, hg. Nellmann (1999).

71

Vgl. K. F. Werner (1992), S. 198f. mit Anm. 71.

72

Zur Terminologie vgl. Martinez/ Scheffel (2003), S. 123ff.

73

Die Relevanz der Forschungen K. F. Werners in diesem Zusammenhang für die Germanistik hebt bereits Haubrichs (1994), S. 9f., hervor. Vgl. zum folgenden außer den oben, Anm. 11,65, genannten Arbeiten von Werner auch Brühl (1995), S. 303ff., sowie den Forschungsbericht von Ehlers (1998), S. 15f., 82f., und vgl. zum ganzen oben, Anm. 1,68ff. (Literatur).

66

II. GENESE

Völker des fränkischen Großreiches waren unter Beibehaltung ihres nomen gentis74 in je eigenen regna unter der Oberhoheit des fränkischen Königs organisiert. Als "Teilstaaten" 75 bildeten die regna weitgehend selbständige Rechtsbezirke und stellten separate Heeresverbände. Werner hat darauf in französischer Sprache schon relativ früh aufmerksam gemacht: "Cette organisation a dure et eile s'est continuee en Allemagne de ίβςοη qu1 encore au Xle siecle les sources nous signalent la formation de l'armee imperiale par royaumes. Or, les auteurs allemands modernes nous affirment, que l'armee allemande aurait combattu en "Stämme". [...]. Et encore au X l l l e siecle, Eike von Repgow [...] rappelle que toutes les parties de l'empire — et il enumere les "Stämme" des auteurs modernes - sont des koninkriche, des royaumes." 76

Die derzeitige Nationenforschung spricht deshalb inzwischen in bezug auf den frühen Nationsbildungsprozeß der Deutschen allgemein nicht mehr (mindestens nicht mehr ohne Explikation und gegebenenfalls Anführungszeichen) 77 von "deutschen Stämmen", sondern von " 'regna'Völkern" oder einfach "Völkern" (bezogen auf die tragenden Schichten, d. h. den "Adel von Regna" 78 ). Gleichzeitig wird betont, daß der für das ostfränkisch-deutsche Reich "konstitutive territoriale Charakter" dieser Völker noch lange "im Bewußtsein", 79 "das Prinzip der das Reich tragenden R[egna]-Völker gewahrt" 80 blieb. Dementsprechend, und das ist wesentlich, sind diese "Völker [...] der deutschen Nation nicht qualitativ u n t e r z u o r d n e n":81 "Allenfalls verabredungsgemäß können wir den Begriff der deutschen Nation über die a n d a u e r n d e P l u r a l i t ä t der deutschen Völker und Lande wölben, denn erst die neuzeitliche Stilisierung der Nation als

74

Vgl. die in den Ergänzungsbänden zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Berlin/ New York, vorliegenden und künftigen Ergebnisse der seit 1990 bestehenden interdisziplinären DFG-Forschergruppe 'Nomen et gens', hier vor allem den Sammelband Nomen et gens, hg. Geuenich/ Haubrichs/ Jarnut (1997), mit dem Aufsatz von Schneidmüller (1997).

75 K. F. Werner (1992), S. 199. 76 K. F. Werner (1984 [zuerst 1979]), S. 316; vgl. auch oben, Anm. 11,66. 77 Vgl. dazu mehrfach Goetz, so ders. (2000a) und ders. (2000b). 78 K. F. Werner (1995b), Sp. 594; vgl. ebd, Sp. 587ff. Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang mit Werner überdies, daß die Benennung eines regnum "nach Volksoder Landesnahme wechselte und [...] inhaltlich unerheblich [war], da es ohnehin von seinem Adel repräsentiert war" (ebd., Sp. 590). 79 K. F. Werner (1992), S. 197. 80 81

K. F. Werner (1995b), Sp. 595. Schneidmüller (1997), S. 155; Hervorhebung von d. Verf.

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gleichsam natürlicher Lebensgemeinschaft ließ die Identifikation mit dem Land zur regionalen Identität unterhalb nationaler Bindung verkommen. 82

So blieb "das Mittelalter [...] von den Ethnogenesen auf unterschiedlichen Ebenen geprägt" 83 und aus verschiedenen Faktoren, die ich in Kapitel I angesprochen habe, 84 bildete sich ein supragentiles deutsches Nationsbewußtsein, das die Identitäten der einzelnen Völker und Lande einfaßte, ohne diese aber zu verdrängen. Diese neuerdings hervorgehobene Feststellung erklärt von historischer Seite, warum im Mittelalter "entsprechend der Mehrzahl der 'regna' [...] von den 'deutschen Landen' "85 im (Sorten-)Plural gesprochen wurde und erst allmählich und selten von 'Deutschland' im Singular. Denn, so verdeutlicht Werner, "der Singular 'Deutschland' hätte ja das Großreich auf die Ebene seiner Teilstaaten [!] herabgesetzt. Erst der humanistische Germania-Patriotismus [...] hat den bis dahin seltenen Singular 'Deutschland' neben den auch weiterhin vorkommenden 'deutschen Landen' durchgesetzt." 80

Die mittelalterliche Terminologie läßt demnach noch lange durchscheinen, was die mediävistische Nationenforschung seit geraumer Zeit feststellt, während dies lange verkannt worden ist: daß es sich bei den "deutschen Stämmen" der älteren Forschung nicht um Teile eines in diesen präexistenten, sich allmählich seiner selbst bewußt werdenden "deutschen Volkes" handelt, sondern um verschiedene "Völker", in deren "Nebeneinander" und schließlich erfolgender "Vereinigung [...] in einem Volk eine [...] Besonderheit deutscher Geschichte" Hegt, "die regionale Vielfalt und Fähigkeit des Ausgleichs entwickeln half' (was zudem eine veränderte Sicht auch auf die Stauferzeit und den Beginn des Spätmittelalters impliziert).87 Die deutsche Ethnogenese ist im Zusammenspiel mit einem langanhaltenden Prozeß politisch-staatlicher Herrschaftsbildung zu sehen, die eine ihrer zentralen Voraussetzungen darstellt (nicht umgekehrt), 88 und sie verlief in mehreren sich überschneidenden Phasen. Dabei ließen einheitsbildende Faktoren wie die neue in ottonischer Zeit entstandene

82 83 84 85 86 87

Schneidmüller (1997), S. 155; Hervorhebung von d. Verf. Schneidmüller (1997), S. 155.

Oben, Kap. 1.2.1., S. 21-25, sowie S. 29ff. K. F. Werner (1992), S. 199. K. F. Werner (1992), S. 199. Vgl. auch Nonn (1982), S. 137ff. K. F. Werner (1997), S. 42; in bezug auf die Stauferzeit vgl. bereits die Übersicht von dems. (1986), Sp. 787ff. 88 Vgl. oben, S. 32ff.

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II. GENESE

Reichsstruktur unter den " 'salisch-staufischen' Erben [der Ottonen] die bisherige Schlüsselstellung der Regna (und ihrer Herzöge) verblassen": 89 "Ottonen und Salier haben [...] 'Deutschland' nicht vorgefunden, vielmehr zu seiner Entstehung wesentlich beigetragen. Dem von ihnen geleiteten 'Römischen' Reich [...] verdankt eine Nation (nächst ihren politischen Wurzeln im Frankenreich) ihre Entstehung, deren Historiker lange Zeit die Geschichte dieses angeblich 'ersten deutschen Reiches' als die Geschichte einer Europa dominierenden deutschen 'Volksnation' fehlinterpretiert haben". 90 " 'Deutschland' ist Erbe der im Rlegnum] Francorum orientalium vereinten Völker, und ihres neuen Namens." 1

Vor dieser Folie erklärt sich auch, warum das frühe Mittelalter zwar Ursprungsmythen, origines gentium, etwa der Franken oder Sachsen kannte, nicht aber der Deutschen, worüber sich Herbert Grundmann in seinem bekannten kleinen Abriß mittelalterlicher Historiographie noch irritiert zeigte.92 Erst als ein deutsches Nationsbewußtsein entstand, konnte sich im wechselseitigen Bezug von Nationskonstruktion und -artikulation auch ein Herkunftsmythos der Deutschen bilden, und die Konstruktion nationaler Identität wiederum ist mit der deutschen Ethnogenese im Gefolge des politischen Integrationsprozesses der regna-Völker des ostfränkischdeutschen Reiches interdependent. Über die Literatur vermittelte Mythenkonstruktionen bilden, wie in Kapitel I gesehen, 93 einen nicht unerheblichen Faktor der Synthesestiftung. Aus diesem Grund möchte Heinz Thomas im zweiten Teil des 'Annoliedes' die erste "ongo gentis Teutonicorum" des Mittelalters sehen. 94 Für Karl Ferdinand Werner dagegen geht diese Einschätzung zu weit. Er plädiert dafür, "den Prozeß hin zu [...] 'Deutschland' als noch früher begonnen und noch später vollendet anzusehen" 95 als Carlrichard Brühl, der noch das beginnende 12. Jahrhundert in diesen Prozeß miteinbezogen hat, wie in Kapitel I von mir 89

K. F. Werner (1997), S. 42.

90

K. F. Werner (1992), S. 210f.

91 92

K. F. Werner (1995b), Sp. 595. Grundmann (1987), S. 17: "Deutschland aber bekam im Mittelalter keine Darstellung seiner Volksgeschichte, als fehlte ihm der Blick auf eine gemeinsame Vergangenheit. Jeder Stamm hatte [...] seine eigenen Erinnerungen"; ebenso jüngst noch Kugler (2001), S. 242. Vgl. K. F. Werner (1992), S. 177ff. 93 Oben, Kap. I.2.I., hier S. 21ff. mit Anm. I,24£, sowie Kap. I.2.3., hier S. 29ff. mit Anm. 1,49. 94 H. Thomas hat diese These in einer ganzen Reihe von Aufsätzen entwickelt, vgl. vor allem ders. (1991), S. 251f£; ders. (1992), S. 143£; zuletzt auch ders. (2000), S. 57ff. 95 K. F. Werner (1997), S. 42f.; vgl. in diesem Kontext auch die Zitate von Schimmelpfennig unten, S. 149 mit Anm. 111,155.

II. GENESE

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ausgeführt. 96 Werner meint deshalb zu der von Thomas vertretenen These von der Konstruktion eines deutschen Ursprungsmythos im 'Annolied', es sei bedeutend "genug, was auch ohne diese Annahme" 97 bleibe: die Tatsache, daß der frühmittelhochdeutsche Text die erwähnten Frühbelege für die zitierten attributiven Verwendungen des Adjektivs 'diut(i)sch' enthalte oder, wie Wolfgang Haubrichs die Belege deutet, "der Umstand, daß [...] die Bezeichnung deutsch [nun] auch ethnische und territoriale Qualitäten gewann". 98

2. 2. 4. Konsequenzen für die Textanalyse Das 'Annolied' steht so als literarischer Text inmitten der Anfangsphase eines umfassenden und langanhaltenden Prozesses allmählicher ethnogenetischer Formierung, der mit einem sich über Jahrhunderte erstreckenden wort- und begriffsgeschichtlichen Wandel interdependent und überaus komplex ist.99 Infolgedessen ist bei der Analyse der frühmittelhochdeutschen Geschichtsdichtung eine genaue Differenzierung erforderlich, so daß auch die von dem Historiker Thomas propagierte These einer origo gentis Teutonicorum im 'Annolied' auf den Prüfstand zu stellen sein wird. 100 Im folgenden sind die dargelegten Neuansätze in der 96

Oben, S. 34f. mit Anm. 1,68.

97

K. F. Werner (1992), S. 210, Anm. 103; vgl. auch Werners Kritik an Thomas unten in Anm. 11,186. Vgl. im folgenden ebd.

98

Haubrichs (1993), S. 29. Vgl. auch K. F. Werner (1987b), S. 28, der ebd. hervorhebt, "daß die Idee, die verschiedenen Völker und Länder dieses Reichs nördlich der Alpen bildeten gemeinsam 'die deutschen Lande', in deutscher Sprache überhaupt zum erstenmal im Annolied des 11. Jahrhunderts begegnet".

99

Zur Komplexität des semantischen Wandels vgl. in diesem Zusammenhang grundsätzlich auch, aus germanistischer Sicht, Schnell (1989) sowie Haubrichs (1993), ders. (1994), und, aus geschichtswissenschaftlicher Sicht, Schneidmüller (1997), besonders S. 146ff.

100 Soweit die Arbeiten von H. Thomas in letzter Zeit rezipiert worden sind, ist diese These mit Ausnahme von K. F. Werner (wie oben, S. 69 mit Anm. 11,97, zitiert) generell übernommen worden; übersehen wird dabei die Notwendigkeit, sie angesichts des Paradigmenwandels in der mediävistischen Nationenforschung (auf den Thomas zu recht aufmerksam macht) gerade aus literaturwissenschaftlicher Perspektive noch einmal zu überprüfen. So beziehen sich jüngst auf diese These Moeglin (2002), S. 368, sowie, wie jetzt ergänzend hinzuzufügen ist, in einem inhaltsreichen, mythentheoretisch orientierten Aufsatz Bürkle (2004), hier S. 122f. (dazu unten, Anm. 11,164), und namentlich auch Herweg (2002), der sie in seinem Forschungsbericht zum 'Annolied' unter Rückgriff auf die von Thomas verwendete geschichts- und sprachwissenschaftliche Forschung wiedergibt (S. 450-457, 500-502, ohne Hinweis auf Thomas auch schon S. 281-291 und

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II. GENESE

historischen sowie auch in der linguistischen Forschung für eine erneute literaturwissenschaftliche Analyse des 'Annoliedes' deshalb in hinterfragender Weise fruchtbar zu machen und dabei aus diesem Blickwinkel gegebenenfalls zu präzisieren wie auch zu modifizieren und zu relativieren. Zu fragen ist, welches Konzept der römerzeitlichen diut(i)schen lande und diut(i)schen liute sich aus der grundsätzlich veränderten Perspektive bei einer eingehenden Analyse des literarischen Textes mit seinen spezifischen Gestaltungsmöglichkeiten abzeichnet und wie sich dieses in die Geschichtskonzeption des 'Annoliedes' einfügt beziehungsweise welche Konsequenzen für die Gesamtinterpretation sich daraus ergeben. Im besonderen ist hierbei auch die Relation zu berücksichtigen, in welche die verschiedenen hier zur Debatte stehenden kollektiven Identitäten im 'Annolied' zueinander gesetzt werden: die "deutsche" und diejenigen der von der 'Annolied'-Forschung traditionell, jedoch blickversteilend so genannten "deutschen Stämme", die zunächst einmal auseinandergehalten werden müssen. Wie werden diese Identitäten jeweils konkretisiert und konzeptuell integriert? Diese Frage impliziert die Notwendigkeit, darauf zu achten, welche jener in Kapitel I zusammengestellten Kriterien, denen die interdisziplinäre Nationenforschung eine potentiell identitätsstiftende beziehungsweise nationsbewußtseinsbildende Funktion zuweist, im 'Annolied' gegebenenfalls profiliert werden. Wie im genannten Kapitel ausgeführt, lassen sich die wesentlichen dieser Kriterien unter die Stichworte Abstammung, Brauchtum, Sprache und Rechtsordnung subsumieren, mithin unter jene oben zitierten Worte Reginos von Prüm, die an Isidor partiell ebenso S. 428-439). Die Darstellung Herwegs ist allerdings nicht frei von Widersprüchen, womit ein generelles methodisches Problem der Arbeit angesprochen ist. In diesem Fall resultieren sie daraus, daß Herweg die von Thomas mit der jüngeren Nationenforschung geltend gemachten Einwände gegen die traditionelle Terminologie von den "deutschen Stämmen" und "Deutschland" im 'Annolied' teils aufgreift, ohne sie jedoch zu reflektieren, so daß er der traditionellen Sicht und deren Prämissen (vgl. oben, Kap. 1.2.3., S. 29-38, sowie S. 54ff, 64ff.) insgesamt verhaftet bleibt: so etwa, wenn er Otto den Großen explizit als den "Wiederbegründerf ] eines westlichen (und erstmals 'deutschen' [sie]) Kaisertums" (S. 431) bezeichnet und auf dieser Basis mit der älteren Forschung die "politisch-ideologische Stoßrichtung" (ebd.) des 'Annoliedes' zu bestimmen sucht, wenn er in diesem Kontext vom "nationalhistorische[n] Experiment des Annodichters" spricht (S. 431 f.) oder mit überholten Darstellungen zur deutschen Sprachgeschichte wie derjenigen von Hans Eggers (dazu oben, Anm. 1,76) - zitiert überdies in der Erstauflage von 1963ff. - voraussetzt, im 'Annolied1 sei das Wort 'deutsch' "in seiner im Kern bis heute gültigen [sie] [...] Bedeutungsbreite belegt" (S. 456 mit Anm. 765) usw.; vgl. auch das unten in Anm. 11,124, zitierte Beispiel. Konsequent mit H. Thomas und der jüngeren Nationenforschung terminologisch differenzierend dagegen in der germanistischen Mediävistik außer Bürkle (a. a. O.) jetzt auch A. Schneider (2004), die korrekt von den "deutschsprachigen gentes" (S. 240) im 'Annolied' spricht.

II. GENESE

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von Sevilla erinnern und in Anlehnung an ein verbreitetes Verfahren der mediävistischen Nationenforschung im folgenden heuristisch angewendet werden können.1"1 Zusätzlich ist die politische Dimension der im 'Annolied' imaginierten symbolisch-kulturellen Ordnung zu beachten. Damit ist ein weiteres Kriterium benannt, das den von Regino von Prüm erwähnten Merkmalen oben als zentrales Moment mittelalterlicher Nationsbildung und Ethnogenese ergänzend hinzuzufügen war. Ob und wie macht der narrative Text diese Faktoren, die nach dem Gesagten forschungsstrategisch frei zu handhaben und erst vom Text her genauer zu bestimmen und dabei gegebenenfalls zu differenzieren sind, konzeptuell explizit oder aber auch implizit geltend? Welche Gestaltungsräume zeichnen sich dabei gegebenenfalls ab? Diese zentralen Fragen machen es notwendig, über die im vorhergehenden forschungsgeschichtlich problematisierte Episode zu Caesar und den so genannten "Deutschen" erheblich auszugreifen. Aus diesem Grund sind die Passagen, in denen das Lemma 'diut(i)sch' auftritt, nicht nur selektiv zu betrachten, sondern im strukturellen Gesamtzusammenhang des 'Annoliedes', was angesichts bestehender Forschungskontroversen genaue Textarbeit erfordert (II.3.1.). Der Schwerpunkt liegt auf dem universalhistorisch-profangeschichtlichen Teil II des 'Annoliedes'. Um den Blick für neue Ergebnisse offen zu halten, gehe ich dabei induktiv vor. Zunächst analysiere ich den Text abschnittsweise im Zusammenhang (II.3.2.). Die narrativen Verfahrensweisen sind hierbei noch einmal besonders zu beachten (II.3.3.). Erst so erhält die Episode zu Caesar und den diut(i)schen Hüten ihren eigentlichen Stellenwert, und es wird sich erweisen, inwiefern das 'Annolied' als früher Kristallisationspunkt literarischer Konzeptualisierung (alt-) "deutscher" Identität in der Volkssprache gelten kann (IIA). Gleichzeitig ergibt sich bei diesem Gang durch das 'Annolied' sukzessive eine in wesentlichen Teilen neuartige Sicht auf die Gesamtinterpretation des 'Annoliedes'.

101 Vgl. hier und im folgenden oben, Kap. I.2.I., S. 21-25, und Kap. I.2.3., S. 29-38 mit Anm. 1,48—52 (zu Regino von Prüm).

3.

Textanalytischer Neuansatz

3. 1. Voraussetzungen: Zu Thematik und Struktur des 'Annoliedes' Im Prolog zum 'Annolied' wird der Gegensatz von profangeschichtlicher und geistlicher Thematik entfaltet, wie es der Topik des Legendenprologs entspricht.1112 Durch das einleitende Wir werden die Leser von Beginn an in die Gedankenbewegung einbezogen: Wir hörten ie dikke singen/ von alten dingen (AL 1,1-2). Indem auf die mündliche Heldendichtung Bezug genommen wird, werden als Themen weltlicher Dichtung snelle helide (AL 1,3) und ihre Kampfestaten genannt, von der Zerstörung von Städten bis zum Untergang mächtiger Könige. In Vers 7f. wird dem Interesse an solchen Stoffen die Aufforderung entgegengesetzt, da^ wir denckenj wi wir selve sulin enden·. Die Wunder, die Christus durch den heiligen bischof Annen (AL 1,13) ü f f i n Sigeberg (AL 1,11) wirke - im Kloster Siegburg bei Köln, Annos Grablege - ermahnen daran, den Übergang von disime ellendin libe hin ein ewin (AL 1,17) im Blick zu behalten. Im Zielfeld des irdischen Lebens steht die Ewigkeit, auf die der Mensch sich vorbereiten soll, und durch eilende ist das Leben auf Erden zugleich - dem lateinischen Adjektiv 'peregrinus' entsprechend —103 als 'fremd', 'in der Fremde' wie auch als 'jammervoll' bezeichnet. Die Terminologie des 'Annoliedes' verweist hier auf die ävitas (Dei) peregrinans des Augustinus.104 Damit ist die geschichtstheologische Perspektive des 'Annoliedes' vorgezeichnet. Sie ist allerdings nicht auf Augustinus reduzierbar und wird in den folgenden Strophen von Teil I des 'Annoliedes' ausgeführt. Da sie den konzeptuellen Rahmen bildet, in den die Teile II und III eingelassen sind, ist etwas näher darauf einzugehen. Strophe AL 2 setzt mit der Schöfpung ein. Diese teilt sich in zwei Teile, die kategorial voneinander unterschieden sind: disi werlt ist da^ eine deilj das ander ist geistin (AL2,6f.). Der Mensch aber ist jenes Geschöpf, das beiden Welten angehört, der irdischen ebenso wie der geistigen; er ist beides, corpus unte geist (AL 2,10). In diesem Sinne kann man ihn als dritte 102 Dazu Haug (1992), S. 60-66. 103 Vgl. zu der betreffenden (früh-)mittelalterlichen Übersetzungspraxis Köbler (1993), s. v. "elilenti (1)", S. 223f. 104 Zu Parallelen zwischen der Geschichtskonzeption des 'Annoliedes' und dem geschichtstheologischen Entwurf des Augustinus vgl. insbesondere Thurlow (1979), hier S. 49f£ Angesichts bestehender Forschungskontroversen ist zu betonen, daß jeder einlinige Erklärungsversuch der im 'Annolied' vorliegenden Geschichtskonzeption deren Komplexität nicht gerecht wird.

II. GENESE

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merit betrachten (AL 2,14).105 Die in den beiden ersten Strophen fallenden Lemmata 'corpus', 'disiu werlt' und 'dise(r) eilende lip' stehen damit in Opposition zu 'geist', 'geistiniu werlt' und 'ewen'. Durch die Teilhabe an der geistigen Welt steht der Mensch nä dim engele allermeist (AL 2,11), sein eilender Up (AL 1,17), sein an die "jammervolle" irdische "Fremde" gebundenes Leben ist auf die ewen (AL 2,17) hin zugeordnet, und aufgrund seiner Teilhabe an beiden Bereichen ist in ihm alle Schöpfung. Doch wurde der Mensch der ihm dadurch zugedachten ere (AL 2,16) nicht gerecht. Adam verschrieb sich vielmehr Uiäfer, dem viende, dem ubele (AL 3,1/ 4,1). Unter dem Zeichen Luzifers und damit der helle (AL 4,3) steht deshalb die Geschichte der vunf werlde (AL 4,4), der fünf ersten Weltalter, die nach der auf Augustinus basierenden aetates mundi-l^eht& von der Schöpfung bis auf die Inkarnation Christi reichen. Mit Christus beginnt das sechste und letzte Weltalter vor dem Jüngsten Gericht, und es wird ausgeführt, wie der Mensch durch die Taufe vom Knecht (im Dat. Sg.: scalke, AL 4,2) des Teufels zum Lehnsmann Christi wurde (im Nom. PL: Cristis man, AL 4,13). In den Strophen AL 5 und 6 wird diese heilsgeschichtliche Wende hervorgehoben. Der Fokus liegt auf der Missionierung der Welt in der Apostelzeit mit ihren vielen heiligen Märtyrern (AL 5). Von hier aus wird auf Köln als Metropole der troiänischen Vranken hingelenkt, jene Stadt, die sich, wie betont wird, durch ihre zahlreichen Heiligen auszeichnet, unter denen Erzbischof Anno hervorragt (AL 6). Auf Anno ist die letzte Strophe von Teil I konzentriert. Seine Vorzüge korrespondieren mit denjenigen der Stadt, in der er herrschte: rihtere was der vrumigisti man,/ der ie ci Rini biquam (AL 7, 5f.), und Köln ist die schönste Stadt, dt in diutischemi lande ie wurde (AL 7,3f.). Hier begegnet der erste jener artikellosen Präpositionalausdrücke zu 'diut(i)sch'/ 'dütisc' + 'lant' im Dativ Singular, denen aufgrund der oben im einzelnen erläuterten grammatischen Kriterien die Bedeutung des Plurals zukommt.106 Köln erscheint damit in dieser Passage als die sc(h)oneste burc nicht etwa in "Deutschland", sondern in den "deutschen Landen".107

105 Haas (1966) hat diesbezüglich auf Parallelen zu Johannes Scotus Eriugena hingewiesen; vgl. auch Erfen (1997), S. 254ff., und jetzt ergänzend ebenso Herweg (2004), hier S. 13ff. (dazu auch unten, Anm. 11,155). Einschränkend vgl. oben, Anm. 11,104. 106 V g l , auch im folgenden, Smits (1977), passim, zum 'Annolied' S. 59—61; und zum ganzen oben, Kap. Π.2.2.2., S. 56—63. 107 Entsprechend macht auch die Übersetzung Neilmanns (AL, hg. ders. [1999]) die plurale Bedeutung des Ausdrucks durchgängig kenntlich, in Ubereinstimmung auch mit ζ. Β. H. Paul (1989), § 421ba, S. 383 (weniger konsequent dagegen etwa

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II. GENESE

Nach dem oben Gesagten resultiert die plurale Bedeutung des Ausdrucks, der im 'Annolied', abgesehen vom "formelhaften Dativ Singular"108 in der artikellosen präpositionalen Wendung, regelkonform nur im (Sorten-) Plural auftritt,109 aus der historisch konstitutiven, pluralen (rig»«-)Struktur des Großreichs.110 Als Grundbestandteile der diut(i)schen lande werden im 'Annolied' später demgemäß in spezifischer Weise die unterschiedlichen regnal lant beziehungsweise Völker der Franken, Sachsen, Bayern und Schwaben profiliert, die in dem frühmittelhochdeutschen Text übergreifend (und, wie sich zeigen wird, nur so, nicht aber je einzeln!) als "deutsch" bezeichnet werden. Da Köln in der in Rede stehenden Passage zuvor als Metropole der trojanischen Franken hervorgehoben wurde, wird die Stadt damit zugleich innerhalb der "deutschen Lande" als die angesehenste Stadt des Volkes der Franken dargestellt und Anno als dessen erstrangiger Heiliger. Die an dieser Stelle durch die Attribuierung als diut(i)sch hervortretende Gemeinsamkeit der "deutschen Lande" erscheint dadurch als eine hierarchische, an deren Spitze die Franken stehen. Von diesem Ende des ersten Teiles her schließt sich Teil II an. Gleichzeitig wird der im ersten Teil gezeichnete Kontrast von profaner Weltgeschichte in den ersten fünf Weltaltern einerseits und Christianisierung der Welt in der sechsten aetas mundi andererseits aufgegriffen und in der Gegenüberstellung von Teil II und Teil III weitergeführt. Während Teil II auf die universale Profangeschichte in h e i d n i s c h e r Zeit konzentriert ist, steht in Teil III nach einer Uberleitung in den Strophen AL 31—33 zur c h r i s t l i c h e n Z e i t die eigentliche Vita St. Annos im Vordergrund. Dementsprechend wird das Blickfeld in den die Ausg. v. Haug [1991], der das Lemma in AL 7,4 mit "auf deutschem Boden" wiedergibt; mit "Deutschland" übersetzt hier ζ. B. Eggers [1955], S. 12]). Paradigmatisch ist es allerdings, wenn Neilmann hinsichtlich der in Rede stehenden Terminologie in Kommentar bzw. Interpretation von der demgegenüber genaueren Ubersetzung unbemerkt abweicht, was sich auf die Interpretation auswirkt. Vgl. ζ. B. Nellmanns Komm, zu AL 7,4, a. a. O., S. 81 f., oder zu AL 18, ebd., S. 91. So spricht Neilmann ebd. alternativ in demselben Zusammenhang einmal von den "deutschen Ländern" (zutreffend, entsprechend der genauen Ubersetzung zu AL 18,12 auf S. 25), das andere Mal dagegen von "Deutschland". Dazu bildet er dann an anderer Stelle den im 'Annolied' nicht belegten (und auch sonst bis ins 13. Jahrhundert nicht belegten, vgl. Smits [1977]) Nom. Sg. "das Diutischi lanf·. Die Strophen 29/30 zeigen Nellmann zufolge "Wie wichtig das Diutischi lant geworden ist" (Nellmann [1963], S. 66). In den genannten Strophen kommt 'diut(i)sch' überdies jedoch nicht vor, während anaphorisch über den Akk. diu lant erneut im normativen Plural auf "die deutschen Länder" Bezug genommen wird (AL 29,8). 108 Smits (1977), S. 69; vgl. im obigen Kontext auch dies., S. 77, 86. 109 Vgl. unten, S. 78 mit Anm. 11,119. 110 Vgl. oben, Kap. Π.2.2.3., S. 64-69.

II. GKNRSU

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Gelenkstrophen, die in der Forschung meist verkürzt allein auf Strophe 33 mit ihrer Konzentration auf Anno reduziert werden, 111 verengt: ausgehend von der zuvor geschilderten Entstehung des römischen Imperiums, mit dem der Boden für die Inkarnation Christi und die Ausbreitung der Kirche über die Welt bereitet wurde, über die Missionierung der Franken in apostolischer Zeit hin zu den gleichzeitigen Anfängen des Bistums Köln und so auf die Wirkstätte des heiligen Anno. Uber die Bekehrung noch zu Zeiten des Petrus ist der Aufstieg von römischer Stadt und frühem Bistum nach der Zeitenwende auf die nachfolgende Heiligenvita hin zugeordnet. Die Entfaltung der Vita des heiligen Anno setzt diesen Aufstieg voraus und führt ihn zugleich zum Höhepunkt. Diese im Modus der Steigerung profilierte Kontrastierung impliziert die Unterordnung der in Teil II des Annoliedes' ins Zentrum rückenden Profangeschichte unter die Heilsgeschichte seit dem Eintritt Christi in die Welt. 112 In diesen Rahmen fügt sich der breite Raum, der in Teil II der römischen Zeit und ihrer universalhistorischen Vorgeschichte bis zu dem mit der Geburt Christi gegebenen Wendepunkt zugemessen wird, mit dem die doppelte Weltherrschaft von römischem Kaisertum und christlicher Kirche beginnt. 113 In diesen Kontext fügen sich die weiteren Lemmata zu 'diut(i)sch' im Annolied' ein, so daß Teil II vor dem skizzierten Hintergrund nun im Detail zu betrachten ist.

111 Dagegen wird die Gelenkfunktion auch der Strophen 31 und 32 zuletzt auch von S. Müller (1999), S. 305f£, hervorgehoben. Zur potentiellen Zahlensymbolik der Strophe 33, in der Anno als der dreiunddreißigste Bischof von Köln vorgestellt wird, vgl. im übrigen Neilmann, Komm, zu AL 33, in AL, hg. ders. (1999), S. 105£, mit der älteren Literatur, und grundsätzlich kritisch dazu Hellgardt (1973), hier S. 265. 112 Dazu prinzipiell neuerdings Ehlert (1995), S. 207. Im genaueren vgl. unten, S. 88f. 113 Vgl. in diesem Zusammenhang oben, Anm. 11,18, zur umstrittenen Deutung der Verse 31,13—15 (Literatur). Die von Teilen der älteren Forschung vertretene Ansicht, die Verse implizierten eine definitive Ablösung des römischen Weltreiches, steht in diametralem Gegensatz zu dessen Konzeption in Teil II und III und erweist sich auch angesichts der vorliegenden Untersuchung als kaum überzeugend.

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II. GENESE

3. 2.

Annolied 8-33

3. 2. 1. Von der bürge aneginne zur Sukzession der universalen riche Eine Anrede der Leser beziehungsweise Hörer signalisiert den Beginn von Teil II: Ob ir willit bekennin der bürge aneginne, so virnemit vmbi die grimmin heidinscapht, dannin den aldin burgin quam diu crapht. (AL 8, 1—4)

Am Anfang des zweiten Teiles steht demnach die Frage nach dem Ursprung von Köln:114 wie es am Ende von Teil I hieß, jener here[n] Stadt der Franken in den "deutschen Landen", die in christlicher Zeit durch besonders viele Heilige ausgezeichnet und deren ere durch den heiligen Erzbischof Anno noch erhöht worden sei (AL 6f.). Mit Blick auf den Horizont der Adressaten kann man ergänzen: jene Stadt, die als alte Römerkolonie und frühe Bischofsmetropole zur Zeit Annos II. im 11. Jahrhundert Sitz eines der höchsten und politisch einflußreichsten (Erz-)Bischöfe war, zugleich eine wirtschaftlich florierende Stadt, deren Streben nach Unabhängigkeit vom erzbischöflichen Stadtherrn 1074 im Aufstand gegen Anno einen ersten Höhepunkt erreicht hatte.115 Die Frage nach den Anfängen von Köln veranlaßt den Erzähler zum Ausgreifen weit zurück in heidnische Zeit, als die ersten städtischen Machtzentren entstanden und die ersten Kriege geführt wurden, kurzum, als die profane Weltgeschichte begann. Christlicher Universalhistoriographie gemäß setzt diese mit Ninus ein, dem machthungrigen ersten Kriegsherrn aller Zeiten: Ninus hi.\ der eristi man, de dir ie volcwigis bigan des lobis was her piliger (AL 8,5—8).

Mit Ninus, der elliu asiänischi lant (AL 9,8) eroberte und dessen Gemahlin Semiramis Babylon erbaute — den Prototyp der von profanem Machtwillen geprägten, hybriden Stadt—, ist in den Strophen AL 8—10 daher die babylonisch-assyrische Weltherrschaft angesprochen. Nach der mittelalterlichen Theorie von den Vier Weltreichen handelt es sich bei ihr um

114 bürge kann zwar auch als Gen. PI. aufgefaßt werden, doch ist der Bezug auf Köln eindeutig, vgl. Nellmann (1963), S. 50. 115 Vgl. Stehkämper (1991) und weiterführend Neddermeyer (1999), S. 132f. (Literatur).

II. GENESE

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die erste der vier Weltmonarchien vor dem Ende der Welt.116 Die im späten 11. Jahrhundert (wieder) aufkommende Lehre fußt auf dem alttestamentlichen Buch Daniel (Dn 2/ Dn 7) beziehungsweise dessen christlicher Auslegung in der Spätantike namentlich durch Hieronymus. In den Strophen AL 11—17 wird sie auf der Basis von Dn 7 in Anlehnung an den Hieronymus-Kommentar in spezifischer Weise ausgestaltet, und dabei gewinnen die in den "deutschen Landen" beheimateten meinstreingen man (AL 18,15), die Cesar (da% ist warj/ mer dan dn ihär (AL 18,13f.) vergeblich zu bezwingen suchte, ihr Profil. Zunächst wird die Vision des Daniel erzählt, in der dem Propheten vier Tiere erschienen. In Übereinstimmung mit dem traditionellen Deutungsschema des Hieronymus werden sie als die vier Weltreiche Babylons, der Meder und Perser, der Griechen und der Römer ausgelegt, wobei für das 'Annolied' eine "Tendenz der Personifizierung der Weltreiche"117 kennzeichnend ist. Dem mit Ninus und Semiramis bereits zu Beginn von Teil II erwähnten Reich Babylons ist eine kurze Strophe von 5 Versen gewidmet, der durch Ctrus unti Därius (AL 13,7) repräsentierten Monarchie der Meder und Perser dagegen eine Strophe von doppelter Länge und dem Weltreich der Griechen mit ihrem Höhepunkt unter Alexander statt einer Strophe zwei. Mit Strophe 16 wird das riche ci Rome (AL 16,8) in den Mittelpunkt gestellt, aus dem sich der Antichrist erheben wird und das bis zum Ende der Welt dauert. Es zeichnet sich durch seine tapfere Bevölkerung aus (die cuonin Rßmere, AL 16,2) und ist, wie im 'Annolied' in eigenständiger Weise hervorgehoben wird, unbezwingbar (da^ ne condi nieman gevän, AL 16,4) und m (AL 16,8); die ganze Welt wurde ihm gehorsam (AL 16,12). Die folgenden Strophen des zweiten Teiles konzentrieren sich dementsprechend auf den Aufstieg Roms zum Imperium unter Caesar und zur Konsolidierung der Weltherrschaft unter Augustus. Durch die strophenweise Reduzierung des narrativen Tempos wird die Bedeutung

116 Vgl. dazu hier und im folgenden mit Bezug auf das 'Annolied' die kritische Forschungsübersicht bei S. Müller (1999), S. 189-212, sowie, zur Diskussion um Parallelen der im 'Annolied' vorliegenden Danielexegese im Werk des Rupert von Deutz, S. 212-225 u. S. 307-311. Genannt seien hier noch außer Marsch (1972), S. 3 - 6 2 (dazu modifizierend die Rezension von Speyer [1975]): Ohly (1968 [zuerst 1940]), S. 42-51, und Neilmann (1963), S. 42-57; vgl. auch Nellmann, Komm, zu AL 11-17, hg. ders. (1999), S. 84-90. Die mit der Weltreichlehre zusammenhängende Theorie von der Translation des römischen Reiches auf das mittelalterliche Imperium kommt in größerem Stil erst im ausgehenden 11. Jahrhundert auf und ist im 'Annolied' nicht greifbar; vgl. einschlägig Goez (1958), S. 77f£; völlig verfehlt ist in diesem Kontext Behr (1998), S. 334f. Vgl. unten in Kap. III.3.4.3., S. 173-177. 117 Marsch (1972), S. 34.

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II. GENESE

der auf die Zeitenwende zulaufenden Geschichte Roms auf diese Weise unterstrichen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Begründung des Kaisertums durch Caesar.118 Die Römer beauftragten dreihundert altheirren, für ^uht unt ere zu sorgen und Macht und Ansehen der von herzogen getragenen römischen Republik zu bewahren (AL 18,1-8). Diesem Ziel dient die Entsendung des edelert Caesar zum Kampf wider diutsche lant (AL 18,9—16), gegen die "deutschen Lande". Der (mitteldeutsche) Akkusativ Plural diutsche lant entspricht der oben erläuterten, bis ins 13. Jahrhundert üblichen Norm, derzufolge der Ausdruck nur im Plural verwendet wird. 119 Die Präpositionalphrase läßt so die Pluralbedeutung auch der entsprechenden exzeptionellen Ausdrücke im formelhaften Dativ Singular — wie im Annolied' zuletzt in Strophe 7,4 — sehr deutlich erkennen. Diut(i)schiu lant steht hier metonymisch für die als diut(i)sch zusammengefaßten Gegner Caesars in den transalpinen "Landen", wider welche dieser vehtin soll (AL 18,12), so daß der politisch-territoriale Bedeutungsgehalt hervortritt. 120 Aus dem textuellen Zusammenhang ist dabei ersichtlich, daß die "deutschen Lande" nicht aus der historischen Distanz heraus anvisiert werden, sondern im Gegenteil der zeitliche Abstand zur Abfassungszeit des Annoliedes' um 1100 hin minimiert wird. Denn genau an dieser Stelle findet sich ein unmittelbarer Bezug auf die vom Investiturstreit geprägte Gegenwart, in der die saüschen Herrscher die Anknüpfung an das karolingisch tradierte und römisch-heilsgeschichtlich definierte Kaisertum in besonderer Weise betonten: 121 Von dem wider diutsche lant kämpfenden Caesar her, so der Kommentar, heißen noch hiude die Könige keisere (AL 18,10), und es wird hervorgehoben, daß Caesar seine Kontrahenten in den "deutschen Landen" nie biduingan, nie bezwingen konnte, weil sie so außergewöhnlich tapfere, meinstreinge, Männer waren (AL 18,15f.). Nur ci gedinge, zu einem

118 Zum Kontext der mittelalterlichen Caesar-Traditionen vgl. in bezug speziell auf die deutschsprachige Literatur zuletzt Kern/ Krämer-Seifert (2003) und insgesamt die Übersichten von Graus (1975), S. 219f£, sowie von Brunhölzl u. a. (1983), besonders die Abschnitte von dems., V. Brown u. U. Schulze, Sp. 1351— 1356, jeweils mit der einschlägigen älteren Literatur; ich verweise hier nur auf Gundolf (1924), S. 51-92, sowie zur weiteren Einordnung auf Fichtenau (1964), S. 41 Off. 119 Vgl. mit Bezug auf das 'Annolied' Smits (1977), S. 61 u. 63: "tiutisk lant ist ein Akkusativ Plural, eine im 12. und 13. Jahrhundert allgemein gebrauchte Alternativform zu tiutschiu lanf (S. 63); zur md. Form vgl. H. Paul (1989), § 198, Anm. 1. Zum ganzen vgl. auch im folgenden oben, Kap. II.2.2.2., S. 56—63. 120 Vgl. entsprechend oben, S. 69. 121 Vgl. Struve (1988) und weiterweisend Ehlers (1998), S. 21-25, 80-82.

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Vertrag, konnte er sie gewinnen, und infolgedessen sollte er an erin gelangen (AL 18,17f.). 3. 2. 2. Swäben, Beiere, Sahsen, Franken Mit dieser Vorausdeutung erfolgt die Uberleitung zu einer Reihe von Abschnitten über Herkunft und Eigenarten jener Völker der "deutschen Lande", mit denen Caesar es bei seinen Kämpfen zu tun hatte.122 In den folgenden Strophen sind sie bezeichnenderweise allein über ihre jeweiligen Namen, nicht aber als eine feststehende Gemeinschaft benannt, worauf später zurückzukommen ist: die Swäben (AL 19), das Beirelant (AL 20), die Sahsen (AL 21) und schließlich die Franken, denen im Gegensatz zu den zuvor genannten Völkern statt nur einer zwei Strophen zugemessen sind (AL 22f.). Die Geschichte der Franken erhält dadurch eine besondere Gewichtung, analog zur schrittweise vollzogenen Steigerung des Umfanges der Abschnitte zu den vier Weltreichen von Babylon bis auf Rom im Zuge der Traumdeutung Daniels. Wie werden die im 'Annolied' damit angesprochenen, vier alten "reichstragenden Regna"123 beziehungsweise Völker, die in der 'Annolied'Forschung traditionell so genannten "deutschen Stämme" eines vermeintlich lange vorhandenen "deutschen Volkes", nun profiliert? Die Schwaben stammen von jenseits des Meeres {deri vordirin [...]/ dari cumin wann ubir men, AL 19,3f.) — vielleicht eine Anspielung auf eine Herkunft aus dem einstigen Herrschaftsbereich Babylons.124 Sie sind ein Hut 122 Im folgenden vgl. zur generellen Einordnung der die Herkunft betreffenden Abschnitte, welche die früheste Überlieferung der Herkunftssage der Bayern und in Teilen auch der Schwaben bieten, die Hinweise bei Nellmann, Komm, zu AL 19— 23, hg. ders. (1999), S. 92-97, mit der älteren Literatur, die ich im folgenden gegebenenfalls um weitere Angaben ergänze. Grundsätzlich ist zu verweisen auf die zur ersten Ubersicht noch immer nutzbringende, wenn auch methodisch überholte Untersuchung von Grau (1938), S. 3-26, 30ff., sowie die grundlegenden Werke von Borst (1957/63), vgl. Reg., und Graus (1975), S. 81f£, 109f£, 112f£, 206ff. 123 K. F. Werner (1997), S. 38; vgl. oben, S. 64ff. 124 Eine "Art typologischen Verhältnisses" zwischen den vier Weltreichen nach der Vision des Daniel und den vier "deutschen Stämmen" im Annolied' hat erstmals Ittenbach (1937), S. 67, konstatiert. Ittenbachs Einzelnachweise sind zwar zu recht kritisiert worden, so auch von Hellgardt (1973), S. 274; dennoch sieht Hellgardt ebd. eine "gewisse Berechtigung für die Ansicht" gegeben, "daß der Dichter die vier Weltreiche und die vier deutschen Stämme allein auf Grund der beiden gemeinsamen Vierzahl [...] in einem ganz allgemeinen Sinn [...] aufeinander bezogen" habe. Ebenso jetzt Herweg (2002), der dabei allerdings Ittenbachs Beobachtungen ungeachtet der zwischenzeitlich vorgebrachten Modifikationen

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(AL 19,9), ein Volk (kein "Stamm"!), das sich durch die Fähigkeit zum Rat auszeichnet und wortgewandt ist {ci rädi vollin g ü t j redispeh genüg, AL 19,9f.), und sie sindgude rekkin (AL 19,12) voller Kampfgeist. Dennoch, so betont der Erzähler, wurden die Schwaben von Caesar bezwungen: doch bedwang Cesar al in craft (AL 19,14). Diese Bemerkung ist einigermaßen erstaunlich, ist kurz vorher doch, wie zitiert, 125 noch ausdrücklich hervorgehoben worden, Caesar habe die tapferen Krieger in den "deutschen Landen" nie biduingan können. Aus einer traditionellen Forschungsperspektive, in der die im 'Annolied' genannten Bayern, Franken, Sachsen und Schwaben wie selbstverständlich als "Deutsche" beziehungsweise "deutsche Stämme" erscheinen, wird dieser Bruch in der Regel nicht wahrgenommen und die Inkonsistenz meist unreflektiert geglättet. 126 Ich zitiere die dem Abschnitt über die Schwaben vorangehende Passage aus AL 18 noch einmal im Zusammenhang: da aribeiti Cesar ist war) mer dan ein ihär so her die meinstreinge man nieonde nie biduingan. ci iungist gewan hers al ci gedinge. da^soltin

ein erin brengin (AL 18,13—18).

Caesar mühte sich demnach mehr als zehn Jahre lang in den "deutschen Landen" (da) ab, "ohne daß er die außergewöhnlich tapferen Männer je bezwingen konnte. Schließlich gewann er sie alle zu einem Vertrag. Das sollte ihm zur Macht verhelfen." 127 Die mit ci iungist eingeleitete epische verabsolutiert und dabei zugleich die problematische traditionelle Terminologie von den "deutschen Stämmen" oder "Hauptstämmen" des 'Annoliedes' übernimmt. Entsprechend formuliert er im Kapitel "Die deutschen Herkunftssagen [sie] und ihre Genese" als "Ziel" des 'Annoliedes', "auch den Deutschen als Gesamtvolk [sie] biblisch-antike Weihen angedeihen zu lassen", ebenso wie den "über die Weitreichsanalogien mit der Universalgeschichte" verknüpften "Einzelstämmen" (Herweg [2002], S. 432 [Kapitelüberschrift] und 439). 125 Oben, S. 78f. 126 So in letzter Zeit etwa S. Müller (1999), S. 272, der den Bruch bei der am entscheidenden Punkt unbemerkt umdeutenden Paraphrasierung von AL 18 glättet. Ebenso verfährt trotz grundsätzlich veränderter Forschungsperspektive auch H. Thomas (1991), S. 252, bei dem überdies aus der geschichtswissenschaftlichen Perspektive in diesem Zusammenhang wesentliche Aspekte unbeachtet bleiben wie die Frage nach dem narrativen Modus. 127 Vgl. die Übersetzungen von Nellmann und Haug: AL 18,15-18, hg. Neilmann (1999): "[...] ohne daß er die außergewöhnlich tapferen Männer je bezwingen konnte. Schließlich gewann er sie alle zu einem Vertrag. Das sollte ihn zur Herrschaft führen."; AL 18,15-18, hg. Haug (1991): "[...] ohne daß er die kraftvollen Völker zu bezwingen vermochte. Schließlich hat er mit ihnen allen Verträge geschlossen: das sollte ihm zur Macht verhelfen." Haug hebt durch seine Ubersetzung (zutreffend) hervor, daß das 'Annolied' Caesars Gegner als einzelne

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Vorausdeutung nimmt das Ereignis des Vertragsabschlusses vorweg, von dem in AL 24 erzählt wird. Bezeichnenderweise wird das Zustandekommen des gedinges dort in Übereinstimmung mit AL 18 in einem Sinne geschildert, der die machthabenden beirren (AL 24,11) in den "deutschen Landen" als unbezwungene, f r e i w i l l i g e Gefolgsleute Caesars ausweist, und explizit in diesem Sinne fahren die Strophen AL 24ff. fort.128 Die Inkonsistenz, die beim Vergleich von AL 18 und AL 19 festzustellen ist, bleibt also tendenziell bestehen, und sie ist signifikant. Es wird sich noch erweisen, in welcher Hinsicht. Doch zunächst weiter. Wie die Schwaben so erscheinen auch die Bayern im 'Annolied' als tapfere Krieger. Die Kampfkraft dieses Volkes (im Dat. Sg.: Hute, AL 20,14) wird in besonderer Weise hervorgehoben. In ihm stieß Caesar auf manigin helitgudin (AL 20,5), und die trefflichen Helden aus Bayern bereiteten dem römischen Feldherrn noch größere Probleme als die Schwaben. Die Urheimat der Bewohner des Beirelandes ist Armenien, da, wo Nde ü^ der arkin ging (AL 20,17), und aufgrund dieses räumlichen Bezuges zur biblischen Urgeschichte ist hier möglicherweise ein typologischer Verweis auf die Weltmonarchie der Meder und Perser gegeben. 129 Auffällig ist an dieser Stelle der Kommentar in den Versen AL 20,2122. Wie schon die etymologische Herleitung des zeitgenössischen Kaisertitels von Caesar bei der Schilderung von dessen Kampf gegen die "deutschen Lande" in Strophe 18 stellt er eine unmittelbare Verbindung zur Gegenwart her und signalisiert den Adressaten so erneut die Relevanz der erzählten Ursprungsgeschichten: Noch heute, noch, gebe es in jenen fernen Gegenden, ingegin India, Leute, die dir diutischin sprecchin (AL 20,22). Nellmann und etwa auch Haug übersetzen die Verbalphrase mit "deutsch

"Völker" vorstellt; in Haugs paraphrasierendem Kommentar zu AL 18,17f. ist statt von "Völkern" jedoch bezeichnenderweise gemäß den traditionellen Prämissen (vgl. Kap. 11.2.2., insbesondere S. 54f£, 64f£, außerdem auch S. 32ff.) von "deutschen Stämmen" die Rede (ebd., S. 1438). 128 Darauf verweist, ohne dies allerdings näher zu kommentieren, auch Haug in den Anmerkungen zu AL 18,17f., hg. ders. (1991), S. 1438. Explizit hervorgehoben wird die Feststellung, daß die Darstellung in AL 24 die Freiheit der mit den Germanen der Antike identifizierten Helfer Caesars impliziert und dies den Strophen AL 19-23 entgegensteht, von Graus (1975), S. 220; vgl. ähnlich besonders auch Hellmann (1969), S. 50ff. Hellmann allerdings glättet den dadurch gegebenen Bruch unbemerkt wie die Forschung zumeist - paradigmatisch etwa auch Nellmann (1963), S. 63f. Vgl. im einzelnen die folgenden Kapitel (Kap. II.3.2.3.ff., S. 84f£). 129 Vgl. oben, Anm. 11,124. Zur bayerischen "Stammessage", die in dieser Form im 'Annolied' erstmals auftritt, vgl. namentlich M. Müller (1977), S. 342, 366-371, und Störmer (1988), S. 459ff.; in letzter Zeit vgl. auch Kugler (1995a), S. 189191.

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sprechen", 130 und Nellmann weist in seinem Kommentar auf das Krimgotische hin, das vermutlich gemeint sei.131 Man kann an dieser Stelle daher mit Haubrichs davon ausgehen, daß hier noch jene ursprüngliche Bedeutung von 'diut(i)sch'/ *'l?eudisk' mitschwingt, die über das mittellateinische Lehnwort 'theodiscus' rekonstruierbar ist und sich "positiv beschrieben [...] auf allzgentes [bezieht], die Sprachen besaßen, die wir heute als 'germanisch' bezeichnen würden." 132 Aufschlußreich ist dazu eine parallele Formulierung bei dem zweihundert Jahre älteren Walafrid Strabo, auf die Haubrichs zur Klärung der Verbalphrase im 'Annolied' aufmerksam macht. Der Abt von Reichenau spricht dort, bezogen auf die Zeit ihrer Bekehrung zum Arianismus, von den Goten, qui [...] in Grecorum provinciis commorantes nostrum, id est Theotiscum, sermonem habuennt.m Ein anderes im Untersuchungszusammenhang relevantes Problem wirft Strophe 21 auf, in der nach den Schwaben und Bayern die alten Sachsen charakterisiert werden. Im Gegensatz zu den Schwaben und Bayern werden die Sachsen als unberechenbare Krieger beschrieben, deren wankeli müt (AL 21,1) Caesar leidis genüg (AL 21,2) bereitete. Auch erschlugen die Sachsen ihre Gegner hinterlistig und gegen jede Abmachung (mit untrüwin, AL 21,21). Sie waren Gefolgsleute des Weltmonarchen Alexander — anders als im Fall der Schwaben und Bayern ist die typologische Korrespondenz zwischen Volk und Weltreich hier eindeutig -, 1 3 4 und nach dessen Tod gelangten sie von Babylon an die Elbe, da die Ouringe du sä^in (AL 21,15). Wegen ihrer langen, scharfen Messer, die von den Thüringern sahs (vgl. mhd. 'sahs'—'[langes] Messer, [kurzes] Schwert1) genannt wurden, heißen sie Sahsen (AL 21,17—24). Die vom 'Annolied' unabhängige Überlieferung der sächsischen "Stammessage", die mit der Sage vom Untergang des Thüringerreiches verbunden ist, kennt die Geschichte vom Ursprung des Namens der Sachsen nur in einer Variante. 135 Ihr zufolge ist das Wort sahs keine Fremdbezeichnung durch die Thüringer, sondern eine Selbstbezeichnung 130 AL 20,22, hg. Nellmann (1999); AL 20,22, hg. Haug (1991). 131 Nellmann, Komm, zu AL 20,21-23, hg. ders. (1999), S. 94. 132 Haubrichs (1993), S. 25£; im folgenden vgl. ebd. mit Anm. 20, und, entsprechend, H. Thomas (1991), S. 274 mit Anm. 157; vgl. ders. (2000), S. 55f. - Zum ganzen vgl. die Darlegungen zur frühen Geschichte von Wort und Begriff 'deutsch' oben, Kap. I.2.3., S. 29-38. 133 Walafridus Strabo, Libellus de exordiis 7, hg. Boretz/ Krause (1893), S. 481, Z. 36; vgl. entsprechend mit weiteren Beispielen etwa auch bei Frechulf von Lisieux H. Thomas (1990b), S. 77f., sowie Brühl (1995), S. 188f. 134 Vgl. oben, S. 79ff. mit Anm. 11,124, 129. 135 Vgl. zum folgenden insbesondere Weddige (1989), S. 37£, 131f£, und, bezogen auf das 'Annolied', S. 119ff.

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der Sachsen. Aus diesem Grund konjizieren einige Herausgeber des 'Annoliedes' in AL 21,17 statt Duringin die Lesart Sahsin oder aber, offensichtlich unter der Prämisse, daß man in den Sachsen des 'Annoliedes' von vornherein nichts anderes als Deutsche zu sehen habe, DutischinP6 Kehrt man die traditionelle Perspektive, aus der die Konjektur Dutischin als selbstverständlich erscheinen konnte, aufgrund der jüngeren Ergebnisse der Nationenforschung um und erfaßt die Sachsen als ein ursprünglich eigenständiges {regnum-)~Volk, das erst im Zuge eines komplexen und langanhaltenden ethnogenetischen Prozesses auf supragentiler Basis zu einem integrativen Bestandteil der Deutschen wird,137 so wird die Problematik des editorischen Eingriffes erkennbar. Hinterfragt man diesen deshalb, zeichnet sich einmal mehr die Notwendigkeit ab, zwischen Nationsbildung, Nationsbewußtsein und der hier allein zur Debatte stehenden (literarischen) Nationskonstruktion zu differenzieren und vom Sprachgebrauch des Textes selbst auszugehen. Dabei zeigt sich dann, daß in der noch zu analysierenden Strophe 28 des 'Annoliedes' zwar von diut(i)schen liuten und diut(i)schen man die Rede ist, aber eben bezeichnenderweise gerade nicht von den Diut(i)schen in dieser substantivierten Form. Diese begegnen vielmehr erst in der mittelhochdeutschen Literatur um 1150, worauf ich im nächsten Kapitel (III.) zurückkommen werde. Die Franken wurden dem 'Annolied' zufolge von Caesar als letzte der vier aufgezählten Völker in den "deutschen Landen" besiegt. Bei ihnen handelt es sich um Caesars alte mäge (AL 22,2), seine Verwandten aus Troja. Im folgenden wird über zwei lange Strophen hin die seit dem frühen Mittelalter geläufige fränkische Troja-Fabel erzählt.138 Dabei wird die Relevanz der auf die Herkunft der Franken zentrierten Ereignisse für die Gegenwart profiliert: Unter den Flüchtlingen aus Troja befand sich Ernas, der das Walilant (AL 23,13), das "Welschland", unterwarf, wo später Rom gegründet wurde. Franko dagegen ließ sich mit den Seinigen am Rhein nieder. Zusammen erbauten sie eini lusgele Troie (AL 23,20)

136 Vgl. den Apparat zu AL 21,9, hg. Maurer (1965), S. 23; vgl. auch Nellmann, Komm, zu AL 21,17, hg. ders. (1999), S. 95. 137 Vgl. oben, S. 32f£, sowie Kap. Π.2.2., S. 52-71. Dies wird noch jüngst von Cölln (2000) in seiner Darstellung zur in Rede stehenden Sequenz über die Sachsen in 'Annolied' und 'Kaiserchronik', ebd. S. 171 ff., völlig übersehen. 138 Vgl. weiterhin die oben, Anm. 11,122, genannten Titel, denen an dieser Stelle jetzt ergänzend Bürkle (2004) hinzuzufügen ist, und zur Einordnung außerdem im besonderen: Garber (1989), S. 125ff. (bezüglich des 'Annoliedes' allerdings zu modifizieren); Lienert (1990), S. 199f£, 221 ff., und dazu Die deutsche Trojaliteratur, hg. Brunner (1990), S. 525ff. (Literatur); Graus, unter anderen (1994); zuletzt Borgolte (2001).

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— gemeint ist Xanten —,139 und seitdem, sint (AL 23,24), wuchs dort das fränkische Volk. Auch die Franken wurden Caesar Untertan, doch bereiteten sie ihm Sorge. 3. 2. 3. Cesar und die heirrcn in den diut(i)schen landen In der folgenden Strophe kehrt Caesar zurück nach Rom, und es wird erzählt, wie er dort auf einen offenbar unerwarteten Empfang trifft, so daß er von sprne (AL 24,7) erfüllt wird. Vorgeworfen werden ihm die großen Verluste seines Heeres in vremidimo lante, wo er ohne Erlaubnis so lange geblieben sei. Das Lokaladverbial, das aus römischer Perspektive der allgemeinen Abgrenzung von römischem versus nicht-römischem Gebiet dient, wird gleich darauf präzisiert: Caesar wendet sich in seinem Zorn du widir [...] ci diutischimo lante (AL 24,7f.). Er begibt sich also von neuem in die durch den formelhaften Dativ Singular in der artikellosen präpositionalen Wendung auch hier wieder im Plural aufgerufenen "deutschen Lande".140 Offenbar hofft er auf Unterstützung durch die dortigen Völker, denn in den Versen AL 24,9f. ist zu erfahren, daß der römische Feldherr in der transalpinen Fremde viele äußerst tapfere Helden kennengelernt hatte: da her hat irkunit manigin helit viligut (AL 24,9f.). Caesar klagt nun den Machthabern in den "deutschen Landen" (den heininj die dar in riebe wann, AL 24,11 f.)141 seine Not und bietet ihnen Entschädigung an für den Fall, daß er ihnen etwas zuleide getan habe (obir un ieht ci leide gedän hetti, AL 24,16). Es kommt zu einer Versammlung (AL 25,lf.). In diesem Zusammenhang erhalten die "deutschen Lande" weitere Konturen, und wie ansatzweise schon vorher wird jetzt besonders deutlich, wie die Bezeichnungsmöglichkeiten je nach Aspekt variieren: Die vielen Kriegsscharen, die sich nach Caesars Rückkehr ci diutischimo lante (AL 24,8) auf dessen Wunsch versammeln, kommen v%ir Gallia unti Germania (AL 25,3). Beide Lokalbestimmungen folgen dicht aufeinander und sind austauschbar. Beim zweiten Mal greift der Text auf die präzise, "strikt geographische" Terminologie der lateinischen Antike seit Caesar zurück, die im Mittelalter "mit großer Genauigkeit" beibehalten wurde und ihre 139 Nellmann, Komm, zu AL 23,20, hg. ders. (1999), S. 97. 140 Zur Begründung vgl. erneut oben, Kap. Π.2.2.2., S. 56-63. Vgl. die entsprechende Übersetzung von Nellmann: "Zornig kehrte er da zurück zu den deutschen Ländern" (AL 24,7£, hg. ders. [1999]). 141 Wörtlich: "die dort an der Herrschaft waren" (AL 34,12, hg. Nellmann [1999]) bzw. "die da die Herrschaft hatten" (AL, ebd., hg. Haug [1991]); nicht vom Text gestützt wird dagegen Hellmann (1969), S. 51 mit Anm. 1 auf S. 261.

II. GKNESE

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ursprüngliche Bedeutung im wesentlichen erst im Gefolge des Humanismus einbüßte, als 'Germania' programmatisch mit 'Deutschland' gleichgesetzt wurde: 'Gallia', im engeren Sinn die Belgica, meint das Gebiet westlich des Rheins, 'Germania' dasjenige östlich des Rheins (und nördlich der Donau). 142 Gleichzeitig ist damit im 'Annolied' die kirchenrechtliche Terminologie der päpstlichen Kanzlei vor dem Investitur streit aufgegriffen, die sich im Gefolge des Streites in bezeichnender und weiter unten noch darzulegender Weise änderte.143 In Verbindung mit der Verwendung der an die lateinische Historiographie der Antike angelehnten Begrifflichkeit beinhaltet die Darstellung des 'Annoliedes' die Gleichsetzung der Bewohner der diut(i)schen lande mit den alten Germanen auch in den nachfolgenden Zeiten.144 In den folgenden Strophen treten diese erstmals unter der in AL 28 fallenden Bezeichnung diut(i)schiu liut(e) beziehungsweise diut(i)sche man gemeinsam in Erscheinung. Terminologisch ist der Plural liut(e) dabei auf lant bezogen, lateinisch: auf die "Regna des Großreichs",145 deren (rechtsfähige) Bewohner im Singular teils explizit mit dem Kollektivum hut, Volk', bezeichnet werden, so, wie gesehen, die Schwaben in AL 19,9 und die Bayern in AL 20,14.146 Der Plural, der durch das parallele diut(i)sche man nur wenige Verse später als Individuativum ('Leute') ausgewiesen scheint, verweist 142 K. F. Werner (1986), S. 783. Werner weist ebd. darauf hin, daß die an das klassische Latein angelehnte Genauigkeit im Mittelalter so weit gehen konnte, "daß man die Namen der südl. der Donau gelegenen, eben nicht zur Germania gehörenden Provinzen Noricum und Raetia häufig fur Bayern und Alemannen in Anspruch nahm." Vgl. im Detail K. F. Werner (1992), S. 171, 198f£, 290f. und öfter, jeweils mit den Anmerkungen, sowie auch Haubrichs (1966), S. 24f£, und die grundlegende, teils aufgrund neuerer Forschungen allerdings zu modifizierende Arbeit von Lugge (1960), in bezug auf das 'Annolied' S. 99 mit Anm. 42. 143 Müller-Mertens (1970), S. 157ff., zusammenfassend Ehlers (1998), S. 46f£; vgl. bezüglich des 'Annoliedes' unten, S. 99ff. 144 So in bezug auf das 'Annolied' betont auch Graus (1975), S. 220; vgl. in diesem Zusammenhang auch die Darlegungen von H. Thomas zu den terminologischkonzeptuellen Differenzen zwischen 'Annolied' und Trierer Überlieferung, ders. (1968), besonders S. 229f. (im übrigen allerdings teils durch die nachfolgende Forschung unter anderem von Thomas selbst überholt, vgl. oben, Anm. 11,31). 145 K. F. Werner (1995b), Sp. 595 (Hervorhebung von d. Verf.). 146 Vgl., auch im folgenden, insbesondere Ehrismann (1993), S. 60-72, und zusammenfassend K. F. Werner (1992), S. 194f£, sowie auch ders. (1994), S. 78, und ders. (1995b), Sp. 587f£; aufgrunddessen zu modifizieren ist Schmidt-Wiegand (1972); vgl. außerdem Köbler (1991). Die von H. Thomas (1991), S. 259, u. öfter in bezug auf das 'Annolied' aufgestellte Gleichung "deutsche Leute (= deutsches Volk)" übersieht die Notwendigkeit, zwischen Kollektivum und Individuativum zu unterscheiden, vgl. Ehrismann, a. a. O., im besonderen S. 60. Vgl. oben, S. 79£, 81.

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dabei vom Ko(n)text her auf die Trägerschichten in den "Landen", auf die beirren (AL 24,11), an die Caesar sich hilfesuchend wandte. Als vertraglich neugewonnene Mitstreiter Caesars rücken diese nicht in einem einzigen Heer an, sondern um Caesar versammeln sich, oben klang das bereits an,147 etliche Kriegsscharen, scaHn manige (AL 25,4): Im gemeinsamen Kampf unter Caesars Führung behalten sie ihre je eigenen Heeresverbände bei, die bezeichnenderweise wieder nur im Plural auftreten (im Akk.: breite scann, AL 25,12) — analog im übrigen zu den nach regna aufgestellten Heeren des Ottonen- und Salierreiches. 148 Unter Caesars Befehl ziehen sie nach Rom. Caesars Gegner sowie der römische Senat werden bis nach Ägypten vertrieben, und Caesars Heer schlägt gegen eine riesige Ubermacht die gewaltigste Schlacht der Welt. Die Passage (AL 26f.) lehnt sich an das Bürgerkriegsepos 'Pharsalia' ('De bello civili libri X1) des Lukan an, durch das der Verfasser des Annoliedes' auch die Anregung erhalten haben dürfte, die diut(i)schen Krieger aus Gallia unti Germania zu erstrangigen Bündnispartnern Caesars zu machen. 149 Zwei Strophen sind auf die berühmte Schlacht bei Pharsalus konzentriert (AL 26—27). An ihrem Ende steht Caesars triumphaler Sieg. Damit ist die Vorausdeutung von Strophe 18, die vor den Abschnitten AL 19—23 über die Völker der Schwaben, Bayern, Sachsen und Franken in den "deutschen Landen" und ihre Herkunft stand, erfüllt: ci iungist gewan hers al ά gedinge./ da^ soltin an enn brengin (AL 18,17f.). Caesar steht auf dem Höhepunkt seiner Macht, wie vom Erzähler angekündigt, ist er nun Alleinherrscher, der erste keiser (AL 18,10) aller Zeiten, und er ist es mit Hilfe der meinstreingen man (AL 18,16) aus den "deutschen Landen". Als Herr über die riche al (AL 28,2) kehrt der Imperator zurück nach Rom. Dort ehren ihn die Römer durch die Einführung der Herrscheranrede mit 'Ihr', und Caesar befiehlt, diesen Brauch auch diutischi liuti Urin (AL 28,12) zu lassen. Reichlich beschenkt er seine Getreuen. Die Strophe schließt mit dem Kommentar, seit dieser Zeit würden diutschi man in Rom große Wertschätzung genießen: sidir wann diutschi man/ ά Rome l i j unti wertsam (AL 28,17f.). Die beiden folgenden Strophen AL 29 und 30 lenken den Blick von hier auf die Konsolidierung des Imperium Romanum unter Caesars 147 Oben, S. 84. 148 Dementsprechend übersetzt Neilmann 'sc(h)ar' öfter mit 'Heerschar', ζ. B. AL 25,12, hg. ders. (1999). Zur Heeresgliederung vgl. hier K. F. Werner (1992), S. 197ff. bzw. auch ders. (1995b), Sp. 592f.; vgl. oben, S. 64ff. 149 Vor allem Lucan. 7,474ff., zum letztgenannten Aspekt 1,391 ff., 1,481 ff. (hg. Shackleton Bailey [1988]); vgl. Wilmanns (1886), S. 39ff., Gigglberger (1954), S. 270ff., und insbesondere Knapp (1974), S. 138ff.; vgl. auch Nellmann, Komm, zu AL 24-28, hg. ders. (1999), S. 98.

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Nachfolger Augustus und im Zuge dessen zurück auf "die Lande", diu lant (AL 29,8), der "deutschen Leute". Nachdem in AL 29,2 noch einmal hervorgehoben worden ist, daß Caesar alle Reiche der Welt gewann, schildert der Passus, wie Augustus den edlen Agrippa aussendet, da£ her diu lant birehta (AL 29,8). Wie aus dem textuellen Zusammenhang eindeutig hervorgeht, sind damit die "deutschen Lande" gemeint, und Agrippa obliegt die Aufgabe, diese in die Herrschaftsstruktur der jungen Römischen Weltmonarchie zu integrieren. Diese "Lande" sind dem Reich demnach Untertan. Dies steht in Einklang mit den Strophen AL 19-23, in denen erzählt wurde, wie Caesar die Völker der Schwaben, Bayern, Sachsen und schließlich Franken besiegte. Wie dort liegt hier jedoch erneut ein latenter Widerspruch zu Strophe 18 vor, in der es hieß, daß Caesar die tapferen man nie habe bezwingen, sondern nur zu einem Bündnis gewinnen können.150 Dem entsprach die Darstellung von der Begründung des römischen Kaisertums durch Caesar mit Hilfe der diut(i)schen Hute in den Strophen AL 24—28. Im Moment möchte ich auf diese Inkonsistenz auch an dieser Stelle nur hinweisen und mit der Analyse der Strophen AL 29 und 30 zunächst fortfahren. 3. 2. 4. Colönia Agrippma, burc der Franken Im Zuge der Herrschaftskonsolidierung in den "deutschen Landen" erbaut Agrippa im Auftrag des berühmten Augustus (Augustus der mere man, AL 29,3) die nach ihm benannte Stadt Köln, Colonia [...] Agrippina (AL 29,11—14). Kommentierend verweist der Erzähler auf die Bedeutung Kölns und stellt den Rang der Stadt "seit dieser Zeit" heraus: da wärin sint herrin maniga (AL 29,12). Köln erscheint dadurch auch gegenüber dem zuvor in Parenthese erwähnten Augsburg (Omsburg, AL 29,4), der nach Augustus benannten Gründung durch dessen Stiefsohn Drusus, als herausgehoben. Gleich darauf wird, zu Beginn von Strophe 30, noch einmal betont, daß die Stadt ein römisches Herrschaftszentrum war: Ci dere bürg vili dikki quämin/ dt waltpodin pane Korne (AL 30,1 f.). In Anbindung an lateinische Traditionen151 wird Kölns Stellung daraufhin im Vergleich zu den umliegenden rheinischen Städten Worms, Speyer und Mainz sowie zu Metz und insbesondere Trier profiliert, und es wird erzählt, wie Caesar sich unter den Franken festgesetzt und am Rhein seine Herrschaftssitze (sedilhove, AL 30,10) errichtet hatte. 150 Vgl. oben, S. 80f. 151 Vgl. zum folgenden Nellmann, Komm, zu A L 29-32, hg. ders. (1999), S. 1 0 1 104, sowie unten, Anm. 11,153 (Literatur).

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Auf das damalige kastei Mainz, das manig helit snel (AL 30,12) vergrößerte, wird dabei ausführlicher eingegangen, ebenso wie auf die Frühzeit des erzbischöflichen Trier. Im Fall von Mainz wird mit dem Temporaladverb nü von neuem explizit die Gegenwart aufgerufen, indem die Stadt als dere kunige wichtüm und dis päbis senitstäl beschrieben wird (AL 30,13f.): eine Anspielung zum einen auf die 1077 in Mainz erfolgte Krönung des Gegenkönigs Rudolf von Rheinfelden, zum anderen auf die Stellung des Mainzer Erzbischofs als päpstlicher Vikar. 152 Trier dagegen wird als alte, von den Römern baulich verschönerte Stadt geschildert, um gleich darauf zum römischen Köln in Beziehung gesetzt und Köln gegenüber im Rang gemindert zu werden. Wie am Anfang der Strophe wird so noch einmal ausdrücklich auf die Macht der in Köln residierenden herren (AL 30,22) hingewiesen: vili michil was diu iri craft (AL 30,24). Am Schluß von AL 30 erscheint Köln damit als eine römische Gründung zur Zeit der Machtfülle Roms in der Frühzeit der römischen Weltherrschaft, in welche die Geburt Christi fällt und welche die Voraussetzung für die Ausbreitung der Kirche über den Erdkreis bildet: eine Gründung, die unter den römischen und namentlich den rheinischen Städten der Franken gleichermaßen durch ihre Erbauung auf Befehl des Augustus ausgezeichnet ist wie durch die Verwandtschaft ihrer fränkischen Bewohner mit den römischen Ahnen aus Troja. Dadurch ist Köln am Ende von Teil II in den Mittelpunkt gerückt, und in den Gelenkstrophen AL 31—33 wird dieses Profil der Stadt zugleich erweitert und vertieft. Dem hohen Rang der heidnischen Römergründung unter den Franken wird nun die Bekehrung der Franken und die Entwicklung Kölns zur rheinisch-fränkischen Bischofsmetropole seit den Anfängen der römischen Kirche gegenübergestellt: Die von Petrus entsandten Heiligen Eucharius, Valerius und Maternus missionierten erst Trier, dann Kolni (AL 32,24), und sie gewannen da ci Vrankin ci godis dienisti vili manigin man mit beiigirimo ivige, dan sie Cesar gewänne wileη (AL 33,1—4). Der Ursprung der durch den herausgehobenen Gründungsakt ausgezeichneten Stadt hat in dem auf Apostelschüler zurückgeführten Ursprung 152 Der Bezug auf die Krönung Rudolfs von Rheinfelden 1077 in Mainz ergibt sich daraus, daß Weihe und Krönung der Könige eigentlich in Aachen stattfanden; vgl. Nellmann, Komm, zu AL 30,13£, hg. ders. (1999), S. 102£, und jetzt vor allem S. Müller (1999), S. 229ff. und 313-315 (dort auch zur Möglichkeit des doppelten Bezugs der Stelle auf 1077 und den Regierungsbeginn Heinrichs V. in Mainz 1106, der sich aus der Mehrstufigkeit des von Müller entworfenen Entstehungsmodells des Annoliedes' ergibt, vgl. oben, S. 50£).

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des Bistums eine Parallele, und die überragende Stellung Kölns und der Franken erhält so, wie bereits weiter oben angedeutet,153 eine neue Qualität, die gesteigert ist. In Teil III (AL 34ff.) erscheint die (erz-)bischöfliche Stadt der Franken auf diese Weise als würdige Wirkstätte des heiligen Anno, durch den Christus im Kloster Siegburg bei Köln Wunder wirkt, und den wir nü ά btspili havin (AL 34,2).154 In Übereinstimmung mit Teil I wird Anno als herausragender Heiliger gezeichnet, der als geistlicher Fürst ebenso vorbildlich ist wie als weltlicher Herrscher und alle seine Vorgänger übertrifft. Damit gelangen in Anno jene beiden Welten zur Harmonie, als deren Summe zu Beginn von Teil I der Mensch dargestellt wurde: Er vereint in sich beides, corpus unte geist (AL 2,10).155 Am Schluß des 'Annoliedes' erscheint St. Anno als ein zweiter Moyses, der sein Volk in jene Regionen leitet, die im Prolog als Ziel irdischen Lebens vorgestellt wurden, dessen die Adressaten des 'Annoliedes' eingedenk bleiben sollen: ά demi srnnin paradysi lante (AL 49,26). 3. 3. Inkonsistenzen - Perspektivierung Am Ende des 'Annoliedes' schließt sich der Rahmen, auf den das im zweiten Teil des Liedes entworfene Bild der diut(i)schen Hute und ihres politischkulturellen Umfeldes im römischen Altertum bezogen ist. Nach diesem Gang durch die 878 Reimverse umfassende Erzählung erweist sich dieses Bild als ebenso heterogen wie inkonsistent, sein Bezugsrahmen als komplex. Am Anfang und Ende von Teil II des 'Annoliedes' liegt ein Schwerpunkt auf Köln und den Franken, die beide über ihr Umfeld herausragen. 153 Oben, S. 73ff. Zu Parallelen dieses Schemas in der zeitgenössischen lateinischen Hagiographie und Historiographie von Mainz und Trier vgl. jetzt Goerlitz (2005a), und im übrigen H. Thomas (1968), S. 119-134, 135f£, 190-205; ders. (1977), S. 24ff.; im weiteren Zusammenhang Knab (1962), hier besonders S. 8 6 101; und dazu Liebertz-Grün (1980), S. 233-236, sowie in letzter Zeit S. Müller (1999), S. 241 ff., 318. 154 Vgl. bezüglich Teil III aus der oben, Anm. 11,2, genannten Literatur hier vor allem den Kommentar von Nellmann zu AL 34—49, hg. ders. (1999), S. 107-120, sowie die Forschungsberichte von Arnold (1992) und Liebertz-Grün (1980), S. 236-250, und außerdem programmatisch Haug (1992), S. 62ff. 155 Dies betont auf der Basis der bisherigen Forschungsliteratur (vgl. oben, Anm. 11,102ff.) jetzt auch Herweg (2004), der daraus die triadische Struktur des Annoliedes' ableitet. Wenn Herweg dabei allerdings "den Dreiweltengedanken zum Kern und Korrektiv jeder Annoliedinterpretation" erhebt (ebd., S. 17), steht das im Widerspruch zu seiner abschließenden Feststellung (der zuzustimmen ist), daß darin aber "keinesfalls das interpretatorische Patentrezept mit letztgültigem Anspruch" zu sehen sei (ebd.).

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Köln ist als schönste Stadt in den "deutschen Landen" hervorgehoben, und die Franken haben als Nachfahren der Trojaner und Verwandte der Römer Vorrang vor den Schwaben, Bayern und Sachsen. In den Abschnitten dazwischen liegt der Schwerpunkt erst auf der in die römische Weltherrschaft mündenden Weltgeschichte im allgemeinen, dann auf Caesars Aufstieg zum ersten römischen Kaiser aller Zeiten im besonderen. In diesem Zusammenhang kommen die Völker der "deutschen Lande" ins Spiel. Zum einen haben sie alle ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Ursprungsmythen, die auf ihre je spezifischen Eigenheiten verweisen: Am ehrwürdigsten erscheinen die Franken, treulos dagegen die Sachsen. Jedes Volk bereitet Caesar Verdruß, die Sachsen besonders, weniger die Franken. Dennoch bezwang Caesar sie alle. Zum anderen treten sie gemeinsam in Erscheinung, als nicht näher benannte "deutsche Leute" aus den "deutschen Landen" in der Fremde, die in je eigenen Heeresverbänden an der Seite Caesars kämpfen und ihm zum Sieg als Alleinherrscher über den Weltkreis verhelfen: Nie konnte Caesar sie bezwingen. Doch als Verbündete halfen sie ihm freiwillig. Von hier aus wendet sich der Blick wieder den Franken und ihrer Metropole Köln zu. Die Ungereimtheiten sind aufschlußreich, wenn man die Textanalyse um einen Aspekt erweitert, den ich bisher nur indirekt miteinbezogen habe, indem ich die betreffenden Stellen mit zitiert oder paraphrasiert habe: die Perspektivierung. Die gesamte Episode über die Entstehung des römischen Kaisertums und die Rolle der Völker aus den "deutschen Landen" ist dominant von zwei Sichtweisen geprägt, die konträr sind und sich überlagern: Auf der einen Seite werden die Geschehnisse vom Standpunkt Roms beziehungsweise Caesars aus gezeichnet, von dem aus die "deutschen Lande" und ihre Bewohner aus cisalpiner Sicht als Gesamtheit wahrgenommen werden. Auf der anderen Seite verlagert sich der Blick in die transalpinen laut/ regna selbst. Im Sinne des induktiven Vorgehens greife ich die betreffenden Passagen im folgenden noch einmal auf, um diesen Aspekt zu verdeutlichen. Ihm kommt hinsichtlich der zentralen Frage nach Ausprägung und Modus alt-"deutscher" Identitätskonstruktion im Annolied' eine besondere Aussagekraft zu, doch war der Blick darauf in der Annolied'-Forschung aufgrund der weiter oben dargelegten traditionellen, erst vor kurzem von der Nationenforschung interdisziplinär verabschiedeten Prämissen bisher in wesentlicher Hinsicht verstellt. 156

156 Zu vereinzelten Ansätzen der jüngeren Forschung in dieser Richtung, die jedoch aufgrund der sprachhistorischen bzw. der geschichtswissenschaftlichen Ausrichtung nicht weitergeführt wurden, vgl. oben, S. 55 mit Anm. 11,31 f.

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3. 3. 1. Annolied 18 und 24-28 In Kapitel II.3.2.1. war zu sehen, wie in Strophe 18 des 'Annoliedes' der Schauplatz des Kampfes, zu dem die römischen Senatoren Caesar entsandten, vom Standpunkt Roms aus in politisch-territorialer Hinsicht als diut(i)schiu lant (AL 18,12) bezeichnet wird.157 In Strophe 24 wird dieser Ausdruck aufgegriffen (AL 24,8), und stets erscheinen die so bezeichneten lant, sobald sie übergreifend explizit als diut(i)sch ausgewiesen werden, im Plural (beziehungsweise im Ausnahmefall der erläuterten, artikellosen präpositionalen Wendung im formelhaften Dativ Singular mit Pluralbedeutung).158 Auch hat sich gezeigt, daß unter geographischem Gesichtspunkt alternativ die aus der römischen Antike tradierte Bezeichnung Gallia unti Germania (AL 25,3) verwendet werden kann, und gleichzeitig wird das so benannte Gebiet von Rom aus gesehen allgemein abgrenzend als vremede {in vremidimo lante, AL 24,5) und damit als ebenso "fremd" wie "entfernt" vorgestellt. Auf diese Weise werden diu lant (AL 29,8), aus denen die Helfer Caesars kommen, unter verschiedenen Gesichtspunkten subsumiert. Festzuhalten ist, daß sie ihr als diut(i)sch gekennzeichnetes g e m e i n s a m e s Profil, das in entscheidender Hinsicht über den sprachlichen Aspekt hinausgeht, in den Strophen 18 beziehungsweise 24 folgende vom Wahrnehmungshorizont R o m s aus erhalten. Aus derselben römischen Sicht erscheinen die Machthaber in den "deutschen Landen" als helide, die Caesar nie bezwingen konnte (AL 18/ AL 24). Caesar bittet sie um Hilfe (AL 24,11 ff.), es kommt zu einem Vertrag (AL 18,17f./ AL 24,1 Iff.). Nach der entscheidenden Schlacht vrouwite sich der iunge man (AL 28,1) über die Erlangung der Weltherrschaft und belohnt seine Mitstreiter. Zu seiner Ehre, zur Ehre seines Namens, von dem noch hiude (AL 18,10) die Könige Kaiser heißen, lehrt er die diut(i)schen man (AL 28,17) den Plural maiestatis.159 Damit übernehmen sie einen nüivin sidde (AL 28,6) der Römer. Auf mehreren Ebenen partizipieren sie so an dem mit ihrer Hilfe neu gewonnenen welthistorischen Rang des römischen Imperiums.

157 Vgl. hier und im folgenden oben, S. 78. 158 Oben, Kap. Π.2.2.2., S. 56-63. 159 Daß die Ehrung sich auf Caesar bezieht, ist grammatisch nicht eindeutig, geht aber aus dem Kontext hervor, vgl. AL 28,8/ 28,11; vgl. ebenso Haug, Komm, zu AL 28,11, hg. ders (1991), S. 1441. Die Stelle bleibt allerdings insofern ambivalent, als die diut(i)schen liut(e) als Helfer Caesars bei der Begründung des Kaisertums an der damit verbundenen Ehre für den Alleinherrscher teilhaben, vgl. Hellmann (1969), S. 52; vgl. auch Nellmanns Übersetzung von AL 28,11, hg. ders. (1999), mit dem Komm, ebd., S. lOOf.

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Ihre gemeinsamen Konturen erhalten die diut(i)schen liut(e) beziehungsweise man in den Strophen AL 24—28 damit als eine Gruppe gleichberechtigter beirren unter der politischen Führung des auf dem Weg zur Macht begriffenen römischen Kaisers, und wie die Perspektive, aus der sie als diut(i)sch erscheinen, sind auch die Faktoren, durch die sie näher gekennzeichnet werden, jeweils auf die Sphäre des römischen Imperiums bezogen. Bezeichnenderweise handelt es sich dabei durchweg um Faktoren, die — als solche — zu den potentiell maßgeblichen Merkmalen mittelalterlichen Nationsbewußtseins gehören, die ich in Kapitel I dargelegt habe:160 um den p o l i t i s c h e n F a k t o r , im 'Annolied' das gemeinsame politische Handeln zusammen mit Caesar im Kampf um die i m p e r i a l e Herrschaft Roms; das Merkmal des B r a u c h t u m s , hier das des Ihrzens, das aufgrund der Stiftung durch die Römer beziehungsweise durch Caesar erneut r ö m i s c h akzentuiert ist; und schließlich um den Aspekt der S p r a c h e , unter dem die anvisierten lant und liut(e) nördlich der Alpen terminologisch erfaßt werden. Tendenziell wird die Pluralität der liute aus den diut(i)schen landen aus r öm i s c h - c i s a l p i n e r Perspektive damit ethnisch wie auch territorial unter einer neuen Einheit subsumiert, ohne daß dies jedoch auch schon zu einer Substantivierung des Volksnamens sowie zur feststehenden Bezeichnung 'Deutschland' im Singular fuhren würde. Die diut(i)schen liut(e) erscheinen so als ein Kollektiv, das als Einheit aber offenbar nur schwer zu fassen ist. Kaum haben sie ethnisch-territorial erste Konturen gewonnen, als diese auch schon wieder in der Unbestimmtheit der im je eigenen Heeresverband kämpfenden, "vielen vortrefflichen Helden" (im Akk. Sg.: manigin helit vili gut, AL 24,10) in der transalpinen Fremde (in vremidimo lante, AL 24,5) verfließen. So das Bild, das die Strophen AL 18 und 24-28 bieten.

3. 3. 2. Annolied 19-23 In den Strophen AL 19—23 dagegen herrscht eine andere Perspektive vor. Hier stehen die "deutschen Lande" selbst im Vordergrund, und auf einmal erhalten die einzelnen Völker, die, wie zu sehen,161 ausdrücklich im Singular jeweils als Hut bezeichnet werden, ein Gesicht: nicht etwa als "deutsche Stämme" und damit implizit untergeordnete Teile eines bereits existenten

160 Oben, Kap. I.2.I., S. 21-25, sowie S. 29ff. 161 Vgl. oben, S. 79ff.

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"deutschen Volkes", wie lange in der Forschung vorausgesetzt,162 sondern als Swäben, Volk des~£>eirelandes,Sahsen und Franken. Sowie diese Völker unmittelbar selbst in den Fokus gerückt werden, fällt das Wort 'deutsch' signifikanterweise nicht mehr. Im Zentrum der Strophen AL 19-23 stehen vielmehr die Spezifika der genannten Völker, vor allem deren Ursprungsgeschichten, die überdies die jeweiligen Volksnamen erklären. Auch die origines gentium gehören, wie weiter oben erläutert,163 zu den potentiell zentralen Merkmalen kollektiver Identitätsstiftung im Mittelalter, und beide Komponenten, Ursprungs fabel und Namensherleitung, besitzen eine mythische Qualität, die bezeichnend ist. In beiden Fällen hält "das ursprungsmythische Denken"164 das Ursprüngliche im Gegenwärtigen präsent. So wird die Chronologie der Geschichte in ihrer "strenge[n] Unterscheidung des Früher und Später",165 die für das geschichtliche Zeitbewußtsein konstitutiv ist, in den Abschnitten über den Ursprung der Schwaben, Bayern, Sachsen und Franken partiell mehrfach durchbrochen. Durch mehrmals unvermittelt eingeschaltete, zeitlich wie räumlich auf den Ursprung konzentrierte Gegenwartsbezüge werden Gegenwart und Vergangenheit unmittelbar zusammengeschlossen, in einem Sinn, der den regressus ad infinitum historischen Fragens im Ursprungsereignis aufhebt und diesem substantiellen Charakter verleiht. Die Herkunft der Völker birgt daher ihre spätere Entwicklung bereits in sich, so wie auch ihr Name verbreitetem etymologischen Denken im Mittelalter zufolge aufgrund der ihm innewohnenden Kraft etwas

162 Vgl. oben, S. 32f£, sowie Kap. Π.2.2., insbesondere S. 54f£, 64ff. 163 Oben, S. 21 ff. mit Anm. I,24£, sowie S. 29ff. mit Anm. 1,49. 164 Angenendt (1994), S. 45. Zum Gesamtkomplex identitätsstiftender Mythen im Mittelalter vgl. weiterführend in den letzten Jahren außerdem Althoff (1996a) sowie, zur Anwendung "symbolische[n] und figurale[n] Denkenfs] [...] auf die Geschichte" und die daraus resultierende Möglichkeit der "unmittelbare [n] Verknüpfung der Zeiten" grundsätzlich Goetz, zusammenfassend (1993, Zitat ebd., S. 647) mit weiteren Literaturhinweisen, sowie im einzelnen insbesondere ders. (1992) und ders. (2002), hier vor allem S. 163f£; zum Mythosbegriff insgesamt vgl. in diesem Kontext differenzierend A. Assmann/ J. Assmann (1998). In bezug auf die volkssprachige Geschichtsdichtung vgl. grundsätzlich auch die unten, Anm. III,87£, genannte Literatur. Nachträglich hinzuzufügen ist jetzt der Sammelband Präsenz des Mythos, hg. Friedrich/ Quast (2004) mit der Ubersicht über die mediävistische Mythos forschung von dens. (2004) sowie dem Aufsatz von Bürkle (2004), der sich mit gegenwärtigen Mythentheorien auseinandersetzt und dabei insbesondere mit der Herkunftsfabel der Franken im 'Annolied' befaßt. 165 Cassirer (1953 [zuerst 1923]), S. 136; zum folgenden vgl. ebd., S. 130f£, sowie auch Hübner (1985), S. 349-365. Zur grundsätzlichen Einordnung vgl. außer Paetzold (1998) vor allem Jamme (1999), S. 121-135 (Literatur).

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Wahres (£τυμον) über das Wesen seines Trägers verrät.166 Auf diese Weise werden in den Strophen AL 19—23 unterschiedliche kollektive Identitäten profiliert, die von der völkerüberwölbenden "deutschen" Identität, die sich in den Strophen AL 18 und 24—28 aus römischer Perspektive abzeichnet, deutlich unterschieden sind. Eine nochmalige Fokussierung der Strophen AL 19—23 unter dem in Rede stehenden neuen Gesichtspunkt vermag dabei zu verdeutlichen, wie die Identitäten der einzelnen Völker zueinander in Beziehung gesetzt sind. Sie ermöglicht dadurch eine genauere Erfassung des konzeptuellen Stellenwertes dieser partikularen Identitäten im Vergleich zur übergreifenden "deutschen" Identität und bildet damit eine weitere konstitutive Voraussetzung für die abschließende Einordnung des im 'Annolied' vorliegenden Konzeptes alt-"deutscher" Identität in Kapitel II.4.167 Am vornehmsten erscheinen die Franken. Nur sie werden ausdrücklich als edele (AL 22,3) bezeichnet, nur sie stammen wie die Römer, wie Caesar, von einem der berühmten Trojaner ab, dem namengebenden Stammvater der Franken, Franko (AL 23,17). Und nicht nur ihr Name, ihre Abstammung verweisen auf die große Vergangenheit, die diesem Denken gemäß eine große Gegenwart verheißt und die, wie mehrfach herausgestellt wird, von Gott gelenkt ist. Vielmehr ist der Ursprung noch dort greifbar, wo die Franken sint (AL 23,24), "seitdem" beziehungsweise "heute noch", wohnen, in dem Land, das weit entfernt ist von ihrer berühmten trojanischen Heimat, wie die Lokalbestimmung vili verre [...] bi Rani (AL 23,18) anzeigt: Der Rhein, das ist das Meer von Troja, Xanten das neue, wenn auch kleinere Nachbild der alten Stadt, von der her die Franken sich definieren. Wie die Römer stammen die Franken so aus einer Heldenzeit, die weiterlebt: Das verdeutlicht der Hinweis auf die Zyklopen, jenes Geschlecht der Riesen, die so hoch wie Kiefern sind und die Odysseus damals auf Sizilien antraf, während sie nü (AL 22,25) von Gott weit weg getrieben wurden, weiter noch als Indien. Die Herkunftsgeschichten der Sachsen, Bayern und Schwaben fallen demgegenüber deutlich ab, womit der jeweilige Strophenumfang korrespondiert: wie zu sehen war,168 zwei Strophen im Fall der Franken, je eine für die anderen Völker. Während nur die Franken einen altehrwürdigen Heros eponymus vorweisen können, werden die Namen der anderen 166 Vgl. hier grundsätzlich und weiterführend insbesondere Verbum et signum, Bd. 1, hg. Fromm/ Harms/ Ruberg (1975), mit den Beiträgen von Grubmüller, Haubrichs und Ruberg, außerdem Michel (1988) sowie in letzter Zeit Gärtner (1996) und Ruberg (1997) (Literatur). 167 Unten, S. 97-104. 168 Oben, S. 79.

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Völker (volks-)etymologisch auf uralte Örtlichkeiten zurückgeführt oder auf kennzeichnende Waffen: Die Swäben heißen nach dem Berg Suevo (AL 19,8), der Name der Bayern oder implizit lateinisch Nona wird von dem bayerischen Schwert, Noricus ensis ("Norisches Schwert", AL 20,9), hergeleitet und derjenige der Sachsen — weiter oben war das unter anderem Gesichtspunkt genauer zu erkennen —169 von der Bezeichnung der gegnerischen Thüringer für das sächsische Langmesser sahs (AL 21,18). Dabei werden alle Völker als tapfere Krieger vorgeführt. Doch auch hier gibt es Abstufungen. Die Bayern zeichnen sich durch ihre Rüstungen aus, die Schwaben sind zwar kriegstüchtig, vor allem aber gute Ratgeber, während die Kriegslist der Sachsen die Spielregeln verletzt. Im Fall der Franken dagegen stellt die trojanische Abstammung alles andere in den Schatten. Auffällig sind in den Strophen AL 19—23 in diesem Zusammenhang jeweils die Anfangs- und Schlußverse. Am Anfang wird jedesmal der Kampf mit Caesar erwähnt. Dabei wird im Fall der Bayern und Sachsen hervorgehoben, daß diese sich dem römischen Feldherrn tapfer widersetzten beziehungsweise ihm erhebliche Schwierigkeiten machten. Die Verbalphrasen 'wider in vermezzen' und 'ime leides genüc tun' implizieren eine Sicht, die in Caesar den Gegner sieht. Der Wahrnehmungshorizont ist also auch hier derjenige der betroffenen Völker, die in den unmittelbar nachfolgenden Passagen über ihre Herkunft näher identifiziert werden. Etwas anders verhält es sich lediglich in den Anfangsversen des Abschnitts zu den Franken: In ihnen wird der Antagonismus zu Caesar bezeichnenderweise zurückgenommen und die Verwandtschaft mit den Römern herausgehoben. In den Schlußversen wird dagegen stets mit mehr oder weniger großer Emphase hervorgehoben, daß aller Widerstand, der Caesar gegebenenfalls entgegengebracht wurde, nichts nützte und die Römer siegten. Besonders deutlich ist das in der Strophe über die Sachsen: Die betreffenden Verse evozieren nicht nur die Unausweichlichkeit der Unterwerfung unter die Römer, sondern implizieren angesichts der zuvor geschilderten untnuwe der sächsischen Krieger auch deren Legitimität: sivie si doch ire ding ane vingenj si müstin Römerin alle dienin (AL 21,25f.). Aber auch am Schluß der Strophe über die Schwaben lag die Betonung auf dem "dennoch" des römischen Sieges: doch bedwang Cesar al iri craft (AL 19,14). Im Fall der Bayern sieht es hingegen etwas anders aus. Hier steht am Ende weniger die Unausweichlichkeit des providentiellen Gangs der Weltgeschichte im Vordergrund, als der bayerische Widerstand, der Caesar stark zusetzte: den sigin, den Cesar an un gewan/ mit blute müster in geltan (AL 20,25f.). Ähnlich 169 Oben, S. 82f.

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heißt es am Schluß der beiden Strophen über die Franken: di wurden Cesan alunterdan/ si wärin imi tdoch sorchsam (AL 23,25f.).

4. Schlußfolgerungen Am Anfang des vorliegenden Kapitels II zum Annolied' stand die Frage, inwiefern der frühmittelhochdeutsche Text als früher Kristallisationspunkt literarischer Konzeptualisierung alt-"deutscher" Identität in der Volkssprache gelten kann. Die Ausgangslage war dabei in Hinsicht auf zentrale Prämissen der bisherigen Annolied'-Forschung durch die jüngsten Ergebnisse der interdisziplinären Nationenforschung sowie auch der linguistischen Forschung grundlegend verändert. Deshalb war es erforderlich, den Text noch einmal neu umfassend in den Blick zu nehmen. Erst von hier aus haben die Passagen mit den Belegen zum Lemma 'diut(i)sch' in den Teilen I und II des Annoliedes' und namentlich die Episode zu Caesar und den in der bisherigen Forschung meist blickverstellend so genannten "deutschen Stämmen" ihren eigentlichen Stellenwert erhalten. Gezeigt hat sich dies auf unterschiedlichen Ebenen. Die Analyse von Teil II des 'Annoliedes' sowie noch einmal im besonderen der Strophen AL 18—28 hat erkennen lassen, daß die entworfenen Bilder von den diut(i)schen landen und diut(i)schen Hüten einerseits sowie von den Swäben, Beieren, Sahsen und Franken andererseits nicht deckungsgleich sind. Vielmehr sind sie in spezifischer Weise aufeinander bezogen und jeweils unterschiedlich in die übergreifende Geschichtskonzeption des 'Annoliedes' integriert. So weisen die Strophen AL 19-23 dominant einen narrativen Modus auf, der den Wahrnehmungshorizont der Völker der Schwaben, Bayern, Sachsen und Franken profiliert, die in ihnen im Zentrum stehen. Doch überkreuzt sich dieser Horizont mit der universalhistorisch-imperialen Perspektive Caesars und der Römer, die in den Strophen AL 18 sowie 24—28 vor und nach den Abschnitten zu Ursprung und Eigenarten der genannten Völker vorherrschte, die nur aus dieser Perspektive übergreifend als diut(i)sch bezeichnet werden. Auf den darin zum Ausdruck gelangenden römisch-imperialen Herrschaftsanspruch bleiben letztlich auch die eingeschobenen Strophen AL 19—23 bezogen, wenn in Strophe AL 18 vorab herausgestellt wird, daß der den Helden in den "deutschen Landen" entgegentretende Caesar der erste römische Kaiser aller Zeiten war. Das steht in Übereinstimmung mit der zuvor in Teil II geschilderten Geschichte der Welt auf der Grundlage der Theorie von den Vier Weltmonarchien, die im römischen Kaisertum ihren bis zum Ende der Welt reichenden Höhepunkt findet. Der in Strophe 18 in diesem Zusammenhang explizit formulierte Bezug auf das gegenwärtige Kaisertum läßt auch hier, analog zu den Ursprungsmythen der einzelnen Völker in den

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"deutschen Landen", deutlich werden, daß der Gründungsakt des Imperium Romanum nicht einfach vergangen ist, sondern noch in der Gegenwart unmittelbar präsent ist. Die Völker in den "deutschen Landen" haben an dieser providentiellen Ent-Wicklung der Geschichte, deren heilsgeschichtlicher Bezugsrahmen in Teil I des 'Annoliedes' dargelegt wurde, konstitutiven Anteil, und unter ihnen an allererster Stelle die Franken, die über ihre trojanische Abkunft mit dem römischen Weltreich lange verbunden sind, bevor es existiert. Auf diese Weise erscheinen die genannten Völker zugleich als Sieger und Besiegte, Sieger als Caesars freiwillige Bundesgenossen, als diut(i)schiu liut(e) in den diut(i)schen landen, hingegen als Besiegte als Beiere, Franken, Sahsen und Swäben — und doch wiederum werden sie gerade so nur integriert in das römische Reich, dem sie zum Sieg verhalfen. Die herausragende Position der Franken, ihre unmittelbare Affinität zu Caesar und den Römern, ist dabei erneut unverkennbar: Die Franken, unter denen die Römer auf Geheiß des Weltenherrschers Augustus Köln erbauen, wo später Anno wirken wird, sind es, von denen Teil II des 'Annoliedes' seinen Ausgang nimmt und wohin der strophische Gang durch die Weltgeschichte zurückführt; von hier aus erhält auch der hohe (und in der zeitgenössischen Literatur exzeptionelle)170 Ranganspruch seine besondere Note, der in der Bezeichnung der fränkischen Römergründung Köln in Teil I als schönste Stadt in den "deutschen Landen" liegt. Die sich von verschiedenen Seiten zeigende Heterogenität und Inkonsistenz des im 'Annolied' vorliegenden Konzeptes der alten Völker in den "deutschen Landen" sind demnach bezeichnend, und sie verdanken sich wesentlich zwei gegenläufigen Tendenzen der Perspektivierung. Der eine Wahrnehmungshorizont ist römisch-imperial. Er allein wird als "deutsch" profiliert. Der andere ist bayerisch-fränkisch-sächsisch-schwäbisch. Er ist in sich deutlich abgestuft und stellt die Franken in den Vordergrund. Diese gegenläufigen Perspektivierungstendenzen korrespondieren mit unterschiedlichen Ebenen des politischen Diskurses um 1100. Unter Nutzung der ihm eigenen Spielräume führt der narrative Entwurf diese in charakteristischer Weise zusammen. Daraus resultiert eine Ambivalenz, die sich für das im 'Annolied' vorliegende Konzept der römerzeitlichen helide aus den diut(i)schen landen als konstitutiv erweist. Um das zu verdeutlichen, ist abschließend noch einmal ein Blick auf die spezifischen sprachgeschichtlichen und historischen Kontexte zu werfen, in denen das 'Annolied' situiert ist. Bei der Darlegung des bisherigen Forschungsstandes zum 'Annolied' in Kapitel II.2. klang bereits an, daß die Entstehung des 170 Vgl. die oben, Anm. 11,21, genannte Literatur.

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frühmittelhochdeutschen Textes in eine zentrale Phase des komplexen und langanhaltenden Prozesses deutscher Nationsbildung fällt.171 Der allmähliche semantische Wandel des volkssprachigen 'thiudisc'/ 'diutisc' hin zu einer "neue[n] Bedeutungsqualität ethnischer Art" 172 hängt damit zusammen: jener Wandel, in dem das 'Annolied' eine frühe, herausragende Position einnimmt, die durch die vorliegende Untersuchung neu bestimmt ist. Dabei ist dieser im volks sprachigen Diskurs angesiedelte Wandel mit einer ebenso vielschichtigen, analogen Entwicklung im lateinischen Diskurs verflochten. Diese setzt zeitlich früher ein, wobei es allerdings notwendig ist zu differenzieren. Aus der A u ß e η s i c h t, sei es räumlich aus der Perspektive von Zeitgenossen vor allem in Rom und Italien, sei es aber auch zeitlich aus dem Nationsbewußtsein späterer Generationen in Deutschland heraus, erschienen die Völker des ottonisch-salischen Reiches zur Entstehungszeit des 'Annoliedes' als politisch-ethnische Einheit.173 Doch hatte die seit dem 9. Jahrhundert sich zunehmend gegenüber 'Theodisci' durchsetzende Fremdbezeichnung 'Teutonia' bis um die Jahrtausendwende noch "so gut wie ausschließlich [auf] eine Sprachgemeinschaft, nicht [...] [auf] einen politischen Verband" 174 verwiesen. Im wesentlichen änderte sich das erst in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts, in dem diese Bezeichnung auch eine ethnische Bedeutung erhielt. Zu dieser Zeit setzte die Rezeption des lateinischen Volksnamens auch n ö r d l i c h der Alpen ein,175 wobei die frühen Belege im "gerade entstehenden Deutschland" 176

171 Oben, S. 49-71. 172 Haubrichs (1993), S. 29. Haubrichs verweist hinsichtlich der Anfange dieser Entwicklung auf die aus der Zeit vor 1029 stammenden, verbrannten Straßburger altsächsischen Glossen. In ihnen wird Germania mit thiudisca liudi wiedergegeben (Strassburger Glossen, hg. Gallee [1894], S. 276), "also ein Raumbegriff mit einem ethnischen Begriff kommentiert" (Haubrichs, a. a. O.); 'Germania' bezieht sich dabei eigentlich nur auf das rechtsrheinische Gebiet, vgl. oben, S. 84f. Vgl. zur Einordnung auch Hüpper (1987), S. 1080, die jedoch unzutreffend bemerkt, der volkssprachige Beleg sei im Mittellateinischen bereits um 850 bei Gottschalk von Orbais antizipiert; zu dieser traditionellen Forschungsansicht vgl. zurückweisend unter anderen detailliert Brühl (1995), S. 189f., außerdem etwa K. F. Werner (1992), S. 207f., Anm. 99, oder ebenso auch Haubrichs, a. a. O., S. 27 mit Anm. 31. Generell vgl. die Belegzusammenstellung bei Krogmann (1936), hier S. 37, und insgesamt dazu oben, Kap. 1.2.3., S. 29—38. 173 Soweit nicht anders angegeben, vgl. hier und im folgenden zu diesem Aspekt im besonderen H. Thomas (1991), S. 260f£, ders. (1992), S. 137ff, ders. (1994), 132f£, ders. (2000), S. 48-54, und in jüngster Zeit kurzgefaßt Reiffenstein (2000). 174 H. Thomas (1991), S. 263; vgl. insbesondere auch Brühl (1995), S. 205ff. 175 Seit dem Ende der Dynastie der Karolinger im ostfränkischen Reich und dem Übergang des Königtums auf die Sachsen war das Wort 'theodiscus'/ 'teutonicus'

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bezeichnenderweise in "aller Regel" 177 einen Kontext erkennen lassen, der auf Vorgänge in Rom und Italien bezogen ist. Von Rom und damit von außen kam im Investiturstreit auch der Anstoß für die Bezeichnung regnum Teutonicum.™ Mit dem Ziel, den römischimperialen Herrschaftsanspruch Heinrichs IV. zurückzuweisen und "Heinrich IV. auf die Ebene christlicher Nationalkönige hinabzustufen, indem man ihm die Titulatur rex/ imperator Romanorum verweigerte", 179 bezeichnete Papst Gregor VII. seinen Gegenspieler dezidiert als rex Teutonicorum oder rex Teutonicus und dessen Reich als regnum Teutonicum. Damit änderte er die bisherige Terminologie seiner Kanzlei, die für Deutschland Gallia et Germania (oder auch nur Germania) vorsah. 180 Im werdenden Deutschland wurde die von päpstlicher Seite systematisch propagierte, politisch virulente Bezeichnung zwar schon bald aufgegriffen. Doch entsprach dem neuen Namen regnum Teutonicum — das im übrigen "unverändert [...] aus seinen regna" 181 bestand! — nicht auch schon ein etabliertes, "neues, [...] deutsches Einheitsbewußtsein". 182 Dieses war vielmehr erst in der Formierung begriffen, und aus der Sicht des durch die päpstliche Initiative "quasi [...] zur 'deutschen Einheit mit deutschem Namen' [...] animiertefn] Reichjes] des römischen Königs" 183 konnte die vom Papst abwertend-einschränkend gemeinte Reichsbezeichnung ins Positive gewendet werden, indem man den von Gregor VII. bestrittenen imperialen Herrschaftsanspruch herausstellte. In spezifischer Weise ist dies bei Lampert von Hersfeld der Fall, dessen 'Annales' nachweislich den Anstoß zu der berühmten, unmittelbar auf Heinrich IV. bezogenen Strophe 40 in im lateinischen Diskurs nördlich der Alpen nicht mehr präsent gewesen, vgl. hier H. Thomas (1991), S. 261. 176 K. F. Werner (1992), S. 210. 177 H. Thomas (1992), S. 139. 178 Soweit nicht anders angegeben, vgl. im folgenden grundlegend Müller-Mertens (1970), S. 145-393, ergänzend ders. (1995), S. 601f. (Literatur); außerdem grundsätzlich zur Terminologie Moraw (1984), hier S. 439ff., und, für die Zeit vor dem Investiturstreit, Eggert (1992). 179 Ehlers (1998), S. 21; vgl. zum Forschungsstand im folgenden auch ebd., S. 41-48, 55-62, u. dazu S. 94-100, 105-110. 180 Diese "bislang unerhörte Relativierung mit ihren absehbar vernichtenden Konsequenzen fur die königliche Auffassung von Reich und Herrschaft" resultierte aus dem nicht imperial, sondern national angelegten Reformkonzept des Papstes, das die deutsche Kirche als Landeskirche behandelte (Ehlers [1994], S. 47). 181 K. F. Werner (1992), S. 210, Anm. 103, in bezug auf Lampert von Hersfeld und das 'Annolied'. 182 Ehlers (1998), S. 24. 183 K. F. Werner (1992), S. 210, Anm. 103.

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Teil III des 'Annoliedes' gegeben haben. 184 Bezeichnenderweise ist der im 'Annolied' an dieser Stelle zu erwartende Terminus 'diut(i)schez riche' jedoch vermieden und dies, wie angesichts der intertextuellen Bezüge naheliegt, "bewußt", 185 um di£ riche (AL 40,4) Heinrichs IV. mit seinen durch Mord und Brand verwüsteten kirichin unti lant [!] (AL 40,6) umso betonter römisch-imperial zu definieren. 186 Vor diesem komplexen, hier nur in den gröbsten Umrissen skizzierten Hintergrund ist die um 'diut(i)sch' zentrierte Terminologie in Teil I und vor allem Teil II des 'Annoliedes' zu sehen, deren Verwendung mitten in ebenjene Zeit des Umbruchs fällt. Von hier aus gewinnt die spezifische Ambivalenz des Liedes ihre besondere Bedeutung. Beide Wahrnehmungsweisen, die römisch-imperiale und die bayerischfränkisch-sächsisch-schwäbische, stehen im 'Annolied' nebeneinander, ohne widerspruchslos aufeinander beziehbar zu sein. Wesentlich ist, daß sie gerade nicht miteinander verschmelzen. Als "deutsch" werden die diut(i)schen liut(e) in dem frühmittelhochdeutschen Text gerade nicht mit Blick auf die die diut(i)schen lant bevölkernden, nicht zufällig ganz unterschiedlich und überdies hierarchisch gezeichneten Völker der Bayern, Franken, Sachsen und Schwaben benannt. Als "deutsch" erscheinen die diut(i)schen liut(e) im 'Annolied' vielmehr gerade in jener Sphäre, in der sie ihre Identität aus einer traditionellen Forschungsperspektive am wenigsten gewinnen konnten: in der lateinischen Welt des Imperium Romanum mit seinem ersten

184 Zu Lampert von Hersfeld vgl. in diesem Zusammenhang grundlegend MüllerMertens (1970), zusammenfassend S. 254£, und danach modifizierend und mit Bezug auf das 'Annolied' H. Thomas, vor allem ders. (1977), S. 48-61; ders. (1978), S. 41 Iff.; ders. (1983), passim, besonders auch S. 400-402; und in jüngerer Zeit insbesondere ders. (1991), S. 265f£; ders. (1992), S. 141ff. Vgl. Thomas' Resümee: "Lamperts regnum Teutonicum ist [...] ein anderer Name für das traditionelle regnum Francorum und verfügt dementsprechend auch über die imperialen Ansprüche dieses Reiches, die Gregor VII. mit demselben Titel so gründlich in Frage stellen wollte" (ders. [1992], S. 143). 185 H. Thomas (1983), S. 395 (Zitat), u. dazu S. 401. Dies ergibt sich vor allem aus dem Vergleich des 'Annoliedes' mit Reginhards [von Siegburg] 'Vita Annonis 1 , Fragm. II, fol. l v , hg. Eickermann (1976), S. 11, Z. 2-5, die wie Lamperts von Hersfeld 'Annales' zu den Vorlagen des 'Annoliedes' gehört; vgl. Eickermann (1976), S. 19, u. H. Thomas (1978), S. 412f., sowie unter textgenetischem Gesichtspunkt jetzt S. Müller (1999), S. 236E, 313f. 186 Vgl. außer den oben, Anm. 11,184, genannten Titeln von H. Thomas erneut K. F. Werner (1992), S. 210 mit Anm. 103. Werner weist ebd. angesichts des in diesem Zusammenhang im 'Annolied' nochmals deutlich werdenden konzeptuellen Ranges der lande bzw. regna zu recht darauf hin, daß die von Thomas vorgelegte Analyse zu AL 40 implizit geradezu auf eine Widerlegung der von diesem aufgestellten These hinauslaufe, im 'Annolied' läge die erste origo gentis Teutonicorwnvot.

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Weltmonarchen Caesar und damit jenes Weltreiches, das aus dem heilsgeschichtlichen Bezugsrahmen von Teil I des 'Annoliedes' heraus in Teil II umfassend in die Universalgeschichte eingeordnet ist und von dessen Begründer her noch hiude kuninge heisgint keisere (AL 18,9f.). Die Verschmelzung der verschiedenen diskursiven Ebenen hat demnach erst die Forschung zum 'Annolied' vorgenommen: Von den wenigen genannten, geschichts- oder aber sprach-, nicht jedoch literaturwissenschaftlich orientierten Ausnahmen der letzten Jahre abgesehen, 187 ging sie von ebenjener von der Nationenforschung inzwischen falsifizierten Prämisse aus, die eingangs dargelegt wurde: der Prämisse vom deutschen Volk und seinen "Stämmen", das sich sein Reich geschaffen hat, während es tatsächlich umgekehrt war. 188 Unter dieser Voraussetzung konnten die Lemmata zu 'diut(i)sch' im 'Annolied' und der semantische Wandel der betreffenden Ausdrücke zum Neuhochdeutschen hin in mancher Hinsicht verkannt, konnten die im 'Annolied' genannten lant, die regna der Völker der Bayern, Franken, Sachsen und Schwaben mit ihren je eigenen identitätsstiftenden Ursprungsmythen und Charakteristika unreflektiert in der Einheit des Volkes der "Deutschen" in "Deutschland" verschmolzen werden. Wesentliche Aspekte des Textes blieben dadurch außerhalb des Blickfeldes. Der Sprachgebrauch des 'Annoliedes' ist, wie zu sehen war, differenzierter, das darin vorliegende literarische Konzept der Bewohner der "deutschen Lande" ein uneinheitliches, teils paradoxes, und dies ist angesichts des entstehungsgeschichtlichen Standortes des Textes in der frühen Formierungsphase deutscher Ethnizität bezeichnend. Denn wie eingangs zitiert, sind die regna-Völker "der deutschen Nation n i c h t qualitativ unterzuordnen", 189 sondern die aus dem römisch-imperial definierten, völkerüberwölbenden Zusammenhalt erwachsende deutsche Identität und die kollektiven Identitäten der einzelnen "Lande" stehen nebeneinander. Die "mittelalterliche Form" d e u t s c h e n Nationsbewußtseins ist der " i m p e r i a l e Reichsgedanke [...] gewesen, das vitale Zentrum supragentilen Zusammenhalts", 190 und weitere Faktoren treten Konsistenz verleihend hinzu. Dazu gehört das in diesem Kontext von Wolfgang

187 Vgl. oben, S. 55 mit Anm. 11,31 f. und dem dortigen Querverweis. 188 Oben, S. 32f£, 64ff. 189 Schneidmüller (1997), S. 155 (Hervorhebung durch die Verf.), vgl. oben, S. 66f. mit Anm. 11,81 f. 190 Ehlers (1989b), S. 310 (Hervorhebung v. d. Verf.); vgl. dezidiert entsprechend auch ders. (1995), S. 8f£, und ebenso das Forschungsresümee von dems. (1994), S. 21-25, 80-82. Zusammenfassend auch Moraw (1997).

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Haubrichs zu recht hervorgehobene Kriterium der Sprache, 191 aber etwa auch das in Kapitel I unter den potentiell nationsbewußtseinsbildenden Faktoren ebenfalls genannte Merkmal des Brauchtums. 192 So werden die Helfer Caesars in den Strophen AL 18 und 24—28 des 'Annoliedes', wie unter verschiedenen Aspekten zu sehen war, aufgrund ebendieser Faktoren als diut(i)sch identifiziert. Qualitativ tritt die solchermaßen konzeptualisierte alt-"deutsche" Identität nicht vor, sondern n e b e n die durch parallele Merkmale gekennzeichneten Charakteristika der einzelnen Völker in den "deutschen Landen", die sie überwölbt, ohne ihnen ihre Geltung zu nehmen. Angesichts der Ergebnisse der textuellen Analyse des 'Annoliedes' verliert so auch die von Heinz Thomas aus dem geschichtswissenschaftlichen Blickwinkel politischer Ideengeschichte vertretene These an Plausibilität, mit der Episode um "Julius Caesar und die Deutschen" im 'Annolied' erfolge die erstmalige Konstitution einer origo gentis Teutonicorum.193 Diese zunächst verlockende These verdankt sich einer anderen Prämisse, die der Text in dieser konsistenten Form — und darauf liegt die Betonung — nicht stützt: daß angesichts des historisch-faktisch erreichten Grades an politisch-staatlicher Integration um 1100, wie er aus dem historischen Abstand heraus markant etwa in den oben skizzierten Vorgängen im Kontext des Investiturstreites hervortritt, 194 nun auch ein literarischer Mythos vom Ursprung der Deutschen auftreten müsse, wie ihn die jüngere Nationenforschung als solchen als eine der zentralen Komponenten mittelalterlichen Nationsbewußtseins postuliert hat. Es gehört zu ebenjener spezifischen Ambivalenz und Komplexität, die das 'Annolied' als

191 Haubrichs (1993), S. 28£, vgl. dazu oben, S. 28. Wiesinger (1989) hat in diesem Zusammenhang mit Blick auf das mittelalterliche Deutschland zwar betont, daß "die Sprache [...] als eines der Identifikationsmerkmale fur ein Volk gelten" (ebd., S. 340) könne, dabei aber mit gutem Grund zugleich die faktische Vielfalt der landschaftlich verschiedenen Sprachformen hervorgehoben. Angesichts dessen ist seine Feststellung signifikant, daß in der deutschsprachigen Literatur des hohen und späten Mittelalters "die deutsche Sprachbezeichnung hauptsächlich zur Abgrenzung nach außen sowohl gegen die umgebenden lebenden Fremdsprachen und Nachbarvölker als auch gegen die alten Sprachen Lateinisch, Griechisch und Hebräisch" gebraucht werde (ebd., S. 340f.); vgl. auch H. Thomas (1994); ders. (2000), S. 54f£, sowie jetzt ebenfalls A. Schneider (2004). Die obige Analyse des 'Annoliedes' läßt diesen Aspekt in spezifischer Weise hervortreten. 192 Oben, S. 21 ff., 29ff. mit insbesondere Anm. 1,49. 193 Zu dieser These von Thomas vgl. oben, S. 68f. mit Anm. 11,94—11,100, und auch Anm. 11,126 sowie 11,186. Die Notwendigkeit, diese These zu relativieren, ergibt sich überdies auch im Vergleich mit späteren Texten, vgl. zusammenfassend unten, Kap. III.3.2.4., S. 145-147, und insbesondere S. 276ff. 194 Oben, S. lOOf.

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literarischen Text auszeichnet, daß es zwar keinen genuinen Ursprungsmythos der Deutschen liefert (die in dieser substantivierten Form, wie zu sehen, nicht zufällig absent sind), daß es aber dennoch das Profil der Bayern, Franken, Sachsen und Schwaben aus einer römisch-imperialen Sicht heraus erstmals in der Volkssprache explizit mit jener ethnisch-territorial gefärbten "deutschen" Komponente überspannt, durch die das 'Annolied' sich als signifikanter Kristallisationspunkt literarischer Konzeptualisierung alt-"deutscher" Identität in der deutschen Literatur des Mittelalters erweist.

I I I . KONSOLIDIERUNG

Die literarische Profilierung der Dütisken zwischen Juljus Cesar und kaiser Karl in der deutschen 'Kaiserchronik'

1. Wege vom 'Annolied' zur 'Kaiserchronik' Vom 'Annolied' führt die Frage nach der Genese und frühen Ausprägung (vor-)nationaler Identitätskonstruktion in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters zur 'Kaiserchronik'.1 Bekanntlich wurde die in der ältesten, unvollendeten Redaktion A 17283 Verse umfassende, erste deutsche Reimchronik 2 um die Mitte des 12. Jahrhunderts (Abschluß nach 1147) von einem oder mehreren Geistlichen in Regensburg verfaßt. Sie entstand damit in jener florierenden Stadt, die zugleich Herzogsresidenz und Bischofssitz war und in der sich neben einer Reihe berühmter Klöster überdies eine oft besuchte Königspfalz befand. 3 Früh in der bekannten 'Vorauer Handschrift 276' überliefert, stellt die 'Kaiserchronik' den mit über vierzig Zeugen drei verschiedener Rezensionen vom 12. bis ins 16. Jahrhundert erfolgreichsten deutschsprachigen Text des 12. Jahrhunderts dar.4 Beginnend mit der Erringung der Alleinherrschaft durch Caesar und ihrer römischen Vorgeschichte schildert das im Prolog als crönicä/ [•••]/ von den bäbesen unt von den chunigen (KChr. 17—19/ 1,17—19) vorgestellte buoch (KChr. 15/ 1,15) die Geschichte des BJmiscen riches (KChr. 22/ 1,22) bis auf Konrad III., in dessen Regierungszeit es mit dem Jahr 1147

1

Hinsichtlich der umfangreichen Forschung zur 'Kaiserchronik' vgl. grundsätzlich Nellmann (1983), Sp. 962-964 (dort auch die älteren Forschungsberichte) mit dem Nachtrag (2002), außerdem ergänzend ders. (1991), Sp. 857, und vor allem Pezsa (1993), S. 197-253, sowie auch S. Müller (1999). Im einzelnen vgl. im folgenden.

2

Zur Gattungs frage vgl. unten, S. 124f.

3

Zur Frage nach Entstehung, Datierung sowie möglichen Auftraggebern der 'Kaiserchronik' vgl. in Zusammenfassung des Forschungsstandes neben Bumke (1979), S. 78-85, sowohl Nellman (1983), Sp. 951-954, wie auch Kartschoke (1990), S. 359f, und Vollmann-Profe (1994), S. 27ff.

4

Vgl. die Übersichten von Nellmann (1976), S. 65ff.; ders. (1983), Sp. 949-951, mit der Literatur; zu nennen sind im einzelnen vor allem die Einleitungen zu den kritischen Ausgaben von Schröder (1892) auf der Basis der 'Vorauer Handschrift' (vollständigste Uberlieferung der Rezension A, bayerisch-österreichische Handschriftengruppe) und von Massmann (1849/54), der den Text nach dem Heidelberger Cpg 361 (Rezension A, rheinisch-norddeutscher Uberlieferungszweig) ediert hat. Massmanns Ausgabe ist vor allem wegen der Berücksichtigung der jüngeren Rezensionen Β und C sowie der rezeptionsgeschichtlichen Ausführungen in Band 3 wichtig; ich berücksichtige sie im folgenden permanent mit, führe sie aber nur im Fall der Zitierung erneut an. Ergänzend und zusammenfassend vgl. zur Überlieferung der 'Kaiserchronik' in letzter Zeit Klein (1992), Gärtner (1995) sowie Klein (1999).

108

I I I . KONSOLIDIERUNG

abbricht. 5 Zumindest die von zeitpolitischen Anspielungen durchzogenen letzten Partien sind dabei wohl am ehesten in den Jahren nach 1152 geschrieben worden, als sich die Herrschaft der Weifen über Bayern und Regensburg wieder zu konsolidieren begann und Herzog Heinrich der Löwe als bedeutender Förderer der Literatur hervortrat. 6 Bei der obigen Analyse des Annoliedes' klang bereits an, daß die 'Kaiserchronik' im Abschnitt zu Caesar (KChr. 247-602/ 8,28-19,26) zahlreiche Parallelen zur Episode zu Caesar und den "Deutschen" im 'Annolied' aufweist. 7 Die Forschung ging dabei zumeist von der direkten Abhängigkeit beider Texte voneinander aus. Wie bereits umrissen, stellte erst Stephan Müller jüngst noch einmal systematisch in Frage, daß die 'Kaiserchronik' in den betreffenden Passagen auf dem 'Annolied' beruhe. 8 Müller führt die Parallelen auf eine verlorene "ältere Reimchronik" aus dem späten 11. Jahrhundert zurück, für die er denselben Vermittlungsweg aus dem Kölner Raum nach Regensburg annimmt, wie man ihn ansonsten für das 'Annolied' vermutet hat: über die Person des Abtes Kuno von Siegburg, der 1126 Bischof von Regensburg wurde. 9 Die bezeichneten Parallelen zwischen dem Beginn der 'Kaiserchronik' und Teil II des 'Annoliedes' sind gut untersucht, doch sind die vorliegenden Analysen 10 in zweierlei Hinsicht revisionsbedürftig. Zum einen ergeben sich aus den Überlegungen S. Müllers zur Textualität der frühmittelhochdeutschen Dichtung, wie angedeutet, 11 auch unabhängig von der Frage nach dem genauen Verhältnis der beiden 5

Zur im folgenden angewandten Zitierweise aus der 'Kaiserchronik' vgl. unten, S. 123f. mit Anm. 111,77. Zum Prolog vgl. ebd., S. 124f£, zum Aufbau der einzelnen Abschnitte besonders Hennen (1973), Bd. 2, S. LXX-CXI, und Pezsa (1993), S. 197-229 mit der Literatur.

6

So betont Bumke (1979), S. 84. Zum historischen Kontext vgl. Handbuch der bayerischen Geschichte, Bd. 1, hg. Spindler/ Brunhölzl u. a. (1981) mit den Abschnitten zur politisch-kulturellen und literarhistorischen Entwicklung von Fischer/ Janota (1981), Prinz (1981) und Reindel (1981), zu denen in bezug auf Regensburg Reg., S. 751 f., s. v., zu vergleichen ist; ergänzend vgl. in letzter Zeit Seibert (2002), besonders S. 273ff., mit der jüngeren Literatur.

7

Oben, S. 52f. Zusammen- oder Gegenüberstellungen der Parallelen bieten insbesondere Massmann in seiner Ausgabe der 'Kaiserchronik' von 1849/54, Bd. 3 (1854), S. 263f£; Wilmanns (1886), S. 97-106; Roediger, Einl. zu AL, hg. ders. (1895), S. 80-88; Ohly (1968 [zuerst 1940]), S. 43f£; Reske (1972), S. 48f£; zuletzt S. Müller (1999), S. 264-281. Oben, S. 50ff.

8 9

Vgl. S. Müller (1999), S. 123ff, 212f£, 318; ebd. auch zur älteren Forschung.

10

Zur Forschungsliteratur zum Abschnitt zu Caesar in der 'Kaiserchronik' vgl. außer den oben, Anm. 111,7, genannten Titeln unten, Anm. 111,40.

11

Oben, S. 52 mit Anm. 11,23.

III. KONSOLIDIERUNG

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Episoden zu Caesar und den "Deutschen" in 'Annolied' und 'Kaiserchronik' Konsequenzen für die Textanalyse. Statt einer vergleichenden Betrachtung der Episode unter den Kriterien der Ursprünglichkeit oder höheren Qualität ist eine Konzenttation auf ihre spezifische Ausprägung in der 'Kaiserchronik' erforderlich, da "auch bei identischem Textbestand" von 'Annolied' und 'Kaiserchronik' jedenfalls "mit einer jeweils eigenständigen Konzeption [zu] rechnen" ist, "nach der der gemeinsame Text geformt ist".12 Dabei macht die von Müller im Anschluß an die "New Philology" herausgestellte "Unfestigkeit" der 'Kaiserchronik' eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen überlieferten Fassungen notwendig, die als konzeptuell eigenständige Textfigurationen zu betrachten sind. Ich komme darauf noch zurück. Zum anderen basieren die bisherigen Untersuchungen zur 'Kaiserchronik' inklusive der Arbeit von Müller, soweit sie auf den Abschnitt zu Caesar und den "Deutschen" zu sprechen kommen und nach dessen konzeptuellem Standort innerhalb der 'Kaiserchronik' fragen, auf denselben Prämissen, von denen auch die 'Annolied'-Forschung bisher ausgegangen ist. Wie in bezug auf das 'Annolied' in Kapitel II.2.2. ausgeführt wurde, 13 sind diese Prämissen von der mediävistischen Nationenforschung in letzter Zeit verabschiedet worden. Die im genannten (Unter-)Kapitel ausfuhrlich besprochene forschungsgeschichtliche Problematik stellt sich deshalb hinsichtlich der 'Kais er chronik' in den Grundzügen ähnlich, einschließlich ihrer terminologischen und vor allem textanalytisch-interpretatorischen Implikationen. Diese Feststellung gilt ungeachtet der Tatsache, daß die vorliegenden Interpretationen der 'Kaiserchronik' im einzelnen beträchtlich voneinander abweichen, wenn es darum geht, Verhältnis und Gewicht der Komponenten 'deutsch', 'christlich' und 'römisch-imperial' in der 'Kaiserchronik' im ganzen zu bestimmen. So hebt Ohly in seiner grundlegenden Monographie über die 'Kaiserchronik' einerseits deren Entstehung "aus einer universalen Geschichtsbetrachtung [...] biblisch-heilsgeschichtlichimperialer Art" 14 hervor, um andererseits zu betonen, daß "Deutschland als Träger des Imperiums das Land der Chronik" sei: "Deutschland", so führt Ohly aus, "erbildet die erste volkssprachige und in dichterischer Form geschriebene chronikalische Geschichte dieses Reiches"; 15 durch "die Aufnahme der sagenhaften, nicht mehr Stammes-, sondern Volkshistorie" der "Deutschen" eröffne "der universale Rahmen der Chronik 12

S. Müller (1999), S. 258; vgl. ebd., S. 284ff.

13 14 15

Oben, S. 52—71. Ohly (1968 [zuerst 1940]), S. 15f. Ohly (1968 [zuerst 1940]), S. 16.

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I I I . KONSOLIDIERUNG

[...] die Möglichkeit einer neuen Form universaler R e i c h s geschichte". 16 Damit ist von Ohly zugleich gesagt, daß das Interesse des Verfassers beziehungsweise Verfasserkreises der 'Kaiserchronik' an der V o l k s h i s t o r i e , die Ohly bereits der Geschichte der sogenannten "deutschen Stämme" inhärent denkt, nun eine national orientierte römische R e i c h s g e s c h i c h t e in der Volkssprache generiere. Nach dem Paradigmenwandel in der mediävistischen Nationenforschung müßte man es jedoch umgekehrt formulieren: 17 Nicht ein erwachtes Nationsbewußtsein entdeckt die Römische Reichsgeschichte für sich, sondern der supragentile politische Herrschaftsrahmen fränkisch-karolingischer Tradition und römisch-imperialer Orientierung läßt durch den gemeinsam verfochtenen Anspruch eines der Fürsten im noch jungen regnum Teutonicum auf die imperiale Herrschaft das Bewußtsein "deutschen" Zusammenhalts allererst entstehen. Auf dieser Basis bildet sich der deutsche Volksbegriff. Sein "Vorzug" lag darin, "daß er neben die weiterbestehenden Volksbezeichnungen treten konnte: Ein Bayer konnte kein Franke sein, wohl aber Deutscher. Ferner war er geeignet [...], die Gleichrangigkeit aller Teilvölker zum Ausdruck zu bringen". 18 Doch gelangten "Reich, Staat, Nation [...] in D[eu]t[sch]l[and] nie zur Deckung", und die sich seit dem Hochmittelalter allmählich herauskristallisierenden "Ansätze [...] zur Ausbildung supragentilen und supraterritorialen d[eu]t[schen] Nationsbewußtseins" wurden von der staatlichen Existenz der sich neu formierenden Territorien an der Entfaltung gehindert. 19 Deshalb stellen — auch das sei vorab noch einmal hervorgehoben - die "hochm[ittel]a|lterlichen] Jahrhunderte nicht den Zerfall der ursprünglichen Einheit des d[eu]t[schen] Volkes und Staates dar."20 Im Gegenteil "ist dieses Volk im ostfr[än]k[isch]-d[eu]t[schen], aus mehreren Teilstaaten bestehenden Reich in stets engerer \ T erflechtung seines Episkopats, seiner Aristokratien und seiner Bevölkerungen erst entstanden und hat bestimmte Wesenszüge und Elemente [...] vom 11. zum 13. Jh. überhaupt erst ausgebildet." 21

In der zur Entstehungszeit der 'Kaiserchronik' noch nicht lange vergangenen ottonisch-salischen Monarchie fand sich ethnisches Denken "in 16

Ohly (1968 [zuerst 1940]), S. 43.

17 18 19 20 21

Vgl. zum folgenden oben, Kap. I.2.3., S. 29-38, und auch Kap. II.2.2., S. 52-71. K. F. Werner (1986), Sp. 787. Ehlers/ Verger (1993), Sp. 1037. Ehlers/ Verger (1993), Sp. 1037. K. F. Werner (1986), Sp. 787.

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abgestufter Intensität auf der Ebene der regna, also in Sachsen, Franken, Bayern oder Alemannien, nicht aber im Reich des Königs". 22 Das "gentile Bewußtsein der seit karol[ingischer] Zeit in ihren regna verfaßten Völker der Sachsen, Franken, Bayern, Alamannen" konkurrierte im mittelalterlichen Deutschland "mit einem supragentilen Einheitsbewußtsein, als dessen Folge ein 'd[eu]t[sches] Volk' hätte entstehen können", doch ist diese "Spannung [...] weder gelöst noch ausgetragen worden". 23 Aus diesem Grund sind, wie oben dargelegt, 24 Nationsbildung und Ethnogenese heuristisch trotz vorhandener Interdependenzen auseinanderzuhalten. Die Reichsgewalt versuchte "die in der Macht der Herzöge überlebende politische Eigenständigkeit der regna auszuhöhlen. Das gelang weitgehend im 12. Jahrhundert, kam aber nicht mehr dem Kaiser, sondern den [...] Fürsten" zugute, die damit "ebenso viel Staatlichkeit an sich" zogen, "wie sie der Kaiser abgab". 25 Das "dialektische Verhältnis von Nation und Imperium" 26 sowie die "föderative Vielfalt", deren "höchster Ausdruck" das Imperium war, 27 sind für die von teleologischen Vorstellungen freizuhaltende deutsche Entwicklung konstitutiv. So bildet die Zeit vom "13. bis 19. Jahrhundert" eine vielgestaltige "Periode [...], in der sich der Aufstieg dessen, was mit einigem Recht schon als 'deutsches Volk' bezeichnet werden kann, erst vollzog." 28 Das imperial bestimmte Reichsbewußtsein findet seinen historiographischen Ausdruck in der im 12. Jahrhundert kulminierenden Universalchronistik. 29 Aufgrund des integrativen Potentials des heilsgeschichtlich legitimierten imperialen Anspruchs, demgegenüber "ex post gesehen 'moderne' nationale Bewußtseins- und Verfassungsinhalte [...] zurücktraten", führte es allererst zur Ausprägung deutschen Nationsbewußtseins. 30 "Nation" hat demnach "einen an das Reich geknüpften politischen Aspekt", "aber es wird für Regionen und Zeitalter auszutarieren sein, wie weit das Reich, politisch oder auch nur ideell die Bewohner seiner Territorien, außer einer dünnen Elite, erreichte." 31 In der 'Kaiserchronik' wird 22 23

Ehlers (1998), S. 46. Ehlers/ Verger (1993), Sp. 1037.

24 25

Oben, S. 32ff. K. F. Werner (1992), S. 229.

26 Beumann (1978), S. 362. 27 So Ehlers (1998), S. 40. 28 K. F. Werner (1992), S. 179. 29 Ehlers/ Verger (1993), Sp. 1037. 30 Moraw (1989b), Sp. 2026. 31 K. F. Werner (1992), S. 229f., Anm. 169, hier S. 230.

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in der Mitte des 12. Jahrhunderts erstmals überhaupt in einer volkssprachigen cronicä auch von Dütisken erzählt. In welcher Weise dies geschieht und mit welchem Gewicht in Relation zum Identitätsbewußtsein der von der (Groß-)gens der "Deutschen" uberwölbten Teilvölker, das ist dann die eigentliche Frage, die mit Blick auf den l i t e r a r i s c h e n Status des v o l k s s p r a c h i g e n Textes und dessen spezifis c h e literarhistorische und historische Situierung neu zu stellen ist. Von vornherein verfehlt sind daher Ansätze wie die Klassens, der in den späten 1930er Jahren, für seine Zeit bezeichnend, in bezug auf den Abschnitt zu Karl dem Großen in der 'Kaiserchronik' gemeint hatte: "Die 'Kaiserchronik' unterstreicht mit voller Wucht das Deutschtum des Kaisers."32 Überdies geht Klassen aufgrund der impliziten Gleichsetzung von 'germanisch' und 'deutsch' dabei fälschlich davon aus, daß auch der historische Karl "deutsch" gewesen sei, und K. F. Werner hat kürzlich gezeigt, wie sehr die zugrundeliegende Fragestellung nach Karls "deutscher" oder "französischer" Herkunft, obwohl sie anachronistisch ist und wissenschaftlich längst überholt, doch außerhalb der Geschichtswissenschaften oftmals unreflektiert noch nachwirkt, wenn Karl als Franke für einen "Deutschen" gehalten wird (beziehungsweise in Frankreich, kennzeichnend für die falsch gestellte Frage, für einen "Franzosen"). 33 Der von 32

Klassen (1938), S. 19. Vgl. ähnlich in derselben Zeit auch beispielsweise Landsberg (1934), S. 82f.: "Das deutsche Nationalgefühl, das sich in der Kaiserchronik mächtig Bahn bricht [...]", oder Ittenbach (1942), der ebd., S. 15, von einer "Gesamtvision des Römischen Reiches deutscher Nation" spricht und damit anachronistisch auf den Reichstitel des 15./16. Jahrhunderts zurückgreift (vgl. Nonn [1982]); Ittenbach sieht in der 'Kaiserchronik' "stufenweise" die "Verwirklichung des Reiches der Deutschen" umgesetzt, wobei Karl der Große einen "der wichtigsten Schritte" vollziehe, indem er "die Reichsgewalt selbst für die Deutschen übernimmt" (ebd., S. 46).

33

K. F. Werner in seinem 1995 erschienenen Sitzungsbericht der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 'Karl der Große oder Charlemagne. Von der Aktualität einer überholten Fragestellung' (K. F. Werner [1995a]). Vgl. ζ. B. ebd., S. 9: "Selbst wenn man sich auf den Franken Karl einigt" (und in Karl nicht fälschlich einen "Deutschen" oder einen "Franzosen" sieht), "dann denkt der Franzose an einen Franken, dem die gallo-romanische Kultur zur geistigen Heimat geworden war [...]. Der Deutsche wiederum denkt an einen deutschsprachigen, also 'deutschen' Franken, und erinnert an die germanischen Namen der Großen des Reichs. Fr sucht - auch heute noch - nach einem Geburtsort im heutigen Deutschland (ζ. B. [...] in Ingelheim [...]) oder wenigstens in den Beneluxländern, während Franzosen ihn in Frankreich suchen". In ähnlicher Weise wird Karl der Große außerhalb der Geschichtswissenschaften teils immer noch in die Reihe der "deutschen" Kaiser gestellt, beispielsweise auch von Ott-Meimberg (1984), die in ihrem literatur- bzw. stoffgeschichtlichen Überblick zu Karl, Roland und Guillaume vom "fränkisch-deutschen" (historischen) Karl spricht (ebd., S. 82) - weitere Beispiele etwa auch aus jüngsten Interpretationen zur 'Kaiserchronik' ließen sich hinzufügen. Generell vgl. zu den

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Klassen gegebenen Deutung der 'Kaiserchronik' setzte Möller 1957 ebenso wie später etwa auch Kokott prononciert die "universal-christlich [e]" Tendenz des Textes entgegen.34 Anfang der 1970er Jahre verwies dann dezidiert von neuem Gellinek auf "die Beimischung des Nationalen" 35 in dem frühmittelhochdeutschen Text. Gellinek versucht, die verschiedenen konzeptuellen Komponenten in der Formel von der "deutsch-christliche[n] Imperialdichtung miteinander in Einklang zu bringen, wobei in "dieser Verbindung [...] 'imperial' einen gefährlichen Grad von 'national' " bezeichne.36 Vor einem guten Jahrzehnt hat dann erneut Dieter Kartschoke die "enge Verbindung der deutschen Stämme und Länder mit der römischen Herrschaft und der deutschen Könige und Kaiser mit dem Papst"37 betont. Immer wieder werde diese in der 'Kaiserchronik' "bis in kleinste Züge hinein bewußtgehalten" und diese Verbindung bestimme "die Ideologie des Textes mehr als alle davon abzuleitenden anderen Momente (Reichsidee, Harmonie zwischen Imperium und sacerdotium etc.)". Kartschoke stellt sich deshalb geradezu die Frage, ob "man darüber hinaus [!] diesem [...] Text eine programmatische Geschichtsauffassung [...] unterstellen"38 dürfe. Das jüngste Beispiel für diese Sicht liefert Neudeck. Die 'Kaiserchronik' sei, so Neudeck, typologisch darauf ausgerichtet, "den Herrschaftsantritt der Deutschen in ein strahlendes Licht zu setzen", und dieser werde mit dem Ubergang des Kaisertums von den Griechen auf den "Deutschen" Karl den Großen vollzogen: den als heldenhaft-"exorbitant" vorgestellten, ersten "deutsche[n] Kaiser" und "Gründer des Heiligen Reiches Deutscher Nation" (sie).39 zugrundeliegenden Prämissen und deren Nachwirkung oben, 'Hinfuhrung zum Thema', S. 1-12, Kap. I.2.3., S. 29-38, und Kap. Π.2.2., S. 52-71. 34

Zitat: Möller (1957), S. 105£, Anm. 5, gegen Klassen (1938); Kokott (1978).

35

Gellinek (1971a), S. 180.

36

Gellinek (1971a), S. 181. Vgl. kurzgefaßt auch ders. (1971b), S. 235.

37

Kartschoke (1990), S. 366. Vgl. dort auch die folgenden Zitate. Kartschokes Behauptung, Caesar stamme der 'Kaiserchronik' zufolge "angeblich aus Trier", was der "Gipfel der Selbstlegitimation" sei, ist im übrigen unzutreffend (ebenso irrtümlich etwa jüngst auch Knape [2002], S. 123). Caesar erobert Trier lediglich, vgl. unten, S. 138, 141, 250f. mit Anm. IV,179.

38

Kartschoke (1990), wie angegeben auch hier S. 366. Dazu fügt sich, daß Kartschoke in diesem auf das frühe Mittelalter konzentrierten Buch undifferenziert für das gesamte Mittelalter vom "Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation" spricht (so einleitend in Kapitel "1. Periodisierung", S. 12), ohne zu bedenken, daß der Zusatz "Deutscher Nation" bezeichnenderweise erst im 15. Jahrhundert aufkommt. Damit steht er nicht allein, vgl. in bezug auf die 'Kaiserchronik' außer dem folgenden Fließtext auch oben, Anm. 111,32.

39

Neudeck (2003), Zitate: S. 282 (erstes Zitat), 289 (zu Karls Exorbitanz "im Sinne des Darstellungsziels der Heldensage"), 279 (Reichstitel, von Neudeck mit Wehrli

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III. KONSOLIDIERUNG

Ähnlich divergierend sind dementsprechend bis heute die Interpretationen der Episode zu Caesar und den "Deutschen" zu Beginn der Chronik.40 Bezeichnend auch für nachfolgende Zeiten sind die frühen Worte Massmanns im 19. Jahrhundert: "Beim Kampfe Cäsars mit den vier H a u p t s t ä m m e n der Deutschen flicht die Kaiserchronik die H e r k u n f t derselben ein, wobei aber von Herkunft des d e u t s c h e n V o l k e s (tiutisc volc 244) in seiner Gesammtheit nicht die Rede ist". 41

Aus diesen Worten geht hervor, daß Massmann, der das Problem der Bedeutung von 'dütisc volk' an der genannten Stelle bezeichnenderweise übersieht, 42 offenbar in der 'Kaiserchronik' eine Darlegung der "Herkunft des deutschen Volkes" erwartet hätte. Uber das Fehlen einer solchen Herkunftsfabel zeigt er sich irritiert, wie in ähnlicher Weise mehr als einhundert Jahre nach ihm etwa noch Grundmann. 43 Nachdem man heute die Vorgängigkeit der Herrschaftsbildung vor Nationsbildung und Ethnogenese sowie die Komplexität des damit angesprochenen Prozesses erkannt hat, kann dies dagegen nicht mehr verwundern. 44 Das Zitat erweist sich vielmehr als ein klassisches Beispiel für jene der Romantik entstammenden und noch in zahlreiche Interpretationen bis in die jüngste Zeit unreflektiert hineinspielenden "Mythen", die teilweise bereits bei der Analyse des Annoliedes' begegnet sind.45 Um einen Sprung zur 'Kaiserchronik'Forschung seit dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts zu machen und nach Interpretationen der Caesar-Episode zu fragen, die seitdem vorgebracht worden sind: Wolf etwa meint Anfang der 1970er Jahre, in dieser Episode werde, ganz anders als im 'Annolied', "die Opposition deutsch-

zitiert; zu dessen im Zitat anachronistischer Verwendung vgl. die vorhergehende Anm. 111,38). 40 Die Literatur ist bei Pezsa (1993), S. 198£, zusammengestellt. Im vorliegenden Zusammenhang zu nennen sind außer Pezsa, S. 43£, 45£, 59£, selbst: Ohly (1968 [zuerst 1940]), S. 42-51; Fichtenau (1964), S. 409f£; Hellmann (1969), S. 64-68; Gellinek (1971a), S. 148f£; A. Wolf (1972), S. 519f£; Hennen (1973), Bd. 1, S. 70f£, 210£, 230; Kokott (1978), S. 91-95; Neuendorff (1982), S. 50ff. Hinzuzufügen sind S. Müller (1999), vor allem S. 264-283; Rubel (2001), S. 148f£, und zuletzt Knape (2002), S. 122f£ Vgl. auch die Titel unten in Anm. 111,146. 41 42

Massmann, Komm, zu KChr. 245-624, hg. ders. (1849/54), Bd. 3 (1854), S. 464. Eine Diskussion der Stelle folgt unten, S. 132f£, klärend S. 198£ mit Anm. 111,334.

43 Vgl. oben, S. 68 mit Anm. 11,92 (in der genannten Anm. Zitat Grundmanns, der eine deutsche "Volksgeschichte" im Mittelalter generell vermißt). 44 Vgl., auch im folgenden, oben, S. 32f£ 45 Oben, Kap. II.2.2., besonders S. 52-56 sowie S. 64-69.

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römisch" 46 herausgearbeitet. Im Gegensatz dazu glaubt Hellmann zu derselben Zeit, im Abschnitt der 'Kaiserchronik' zu Caesar das "Bestreben" zu erkennen, "die Beziehungen Caesars zu den deutschen Stämmen zu intensivieren und zu konkretisieren". 47 Ebenso hebt Nellmann — zuletzt in den 1990er Jahren wie gleichzeitig beispielsweise auch nochmals Kartschoke 48 — die Ungewöhnlichkeit des in der 'Kaiserchronik' von Beginn an vorzufindenden "Bemühenfs]" hervor, "die Geschichte der 'Deutschen' mit dem röm[ischen] Weltreich zu verklammern". 49 Demgegenüber bestont S. Müller in seiner kritischen Monographie zum Verhältnis von 'Annolied' und 'Kaiserchronik' lediglich die "Lobpreisung Caesars als erstem römischen Kaiser [...], in dessen Tradition die deutschen Kaiser stehen".50 Die Semantik von 'deutsch' in der 'Kais er chronik' als solche spielt bei ihm dabei ebensowenig eine Rolle wie bei den vorgenannten. Dasselbe gilt in ausgeprägter Weise für die jüngsten Beiträge zur CaesarEpisode der 'Kais er chronik' von Rubel und Knape sowie auch von Neudeck, die an Ohly anbinden. 51 Die Liste der teils einander entgegengesetzten Urteile könnte fortgesetzt werden. Doch zeigt sich bereits hier, daß zwar unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage bestehen, w i e die "deutsche" Komponente innerhalb der 'Kaiserchronik' konzeptuell einzuordnen sei, daß aber wegen der allenthalben unreflektiert zugrundeliegenden älteren Prämissen nicht danach gefragt wird, w a s in dem Text denn überhaupt und gegebenenfalls in Abweichung vom 'Annolied' als "deutsch" profiliert wird und auf welche Weise in diesem Zusammenhang erzählt wird. Dabei ist evident, daß die Beantwortung der zweiten Frage erhebliche Konsequenzen für die Antwort auf die immer wieder gestellte erste hat, die nicht 46

A. Wolf (1972), S. 522. Ähnlich vgl. programmatisch Hellmann (1969), S. 59ff.

47

Hellmann (1969), S.65.

48

Kartschoke (1990), S. 366.

49

Nellmann (1991), Sp. 857; vgl. ders. (1983), Sp. 958. Vgl. auch, den älteren Prämissen insgesamt schon im Ansatz verhaftet, Nellmann (1963), S. 89—163. Nellmann fragt nach der "Reichsidee" in der 'Kaiserchronik', indem er sich "auf die Untersuchung der christlichen Reichsidee" konzentriert und verkürzend den "römischein] Reichsgedanke[n]" unter Verweis auf Ohlys Ausführungen zur Translatio imperii in der 'Kaiserchronik' ausklammert (Nellmann, a. a. O., S. 148); vgl. dazu unten, S. 157ff. mit Anm. 111,175ff.

50

S. Müller (1999), S. 192.

51

Rubel (2001), S. 148ff., in Anbindung an den typologischen Ansatz von Ohly (1968 [zuerst 1940]) und unter deutlicher Anwendung der Gleichung germanischdeutsch; Knape (2002), S. 122ff. (fehlerhaft, vgl. ζ. B. oben, Anm. 111,37); beide noch ohne Kenntnis von S. Müller (1999); Neudeck (2003), S. 283ff., mit prinzipiell ähnlicher Fragestellung wie Rubel und ebenfalls in Anbindung an Ohly. Vgl. dazu auch unten, Anm. 111,231.

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zuletzt deshalb so kontrovers beantwortet worden ist, weil die logisch vorausgehende zweite unberücksichtigt blieb. Wie schon in der Forschung zum 'Annolied' gibt es auch im Fall der 'Kaiserchronik' Ausnahmen, in denen diese Problematik erkannt ist. Sobald die älteren Prämissen mit der heutigen Nationenforschung verabschiedet werden und der Paradigmenwandel mitvollzogen wird, ist der Blick auf das um 'dütisc' zentrierte Konzept in der 'Kaiserchronik' prinzipiell freigelegt. Zu nennen sind erneut der Historiker Thomas 52 und der Germanist Haubrichs in den 1990er Jahren. 53 Allerdings spielt die Frage nach der Konzeptualisierung (alt-)"deutscher" Identität in der 'Kaiserchronik' bei beiden nur eine marginale Rolle. Bei Thomas liegt das, abgesehen von der anders gelagerten, geschichtswissenschaftlichen Fragestellung, nicht zuletzt daran, daß dieser mit der dominanten 'Kaiserchronik'-Forschung vor Stephan Müller (1999) vom eindeutigen Status des 'Annoliedes' als Vorlage der 'Kaiserchronik' ausgeht und Aspekte der mittelalterlichen Textualität unberücksichtigt läßt. Dementsprechend führt Thomas die 'Kaiserchronik' vor allem als Beleg dafür an, daß die im 'Annolied' enthaltene Episode zu Caesar und den "Deutschen" in der 'Kaiserchronik' erstmals rezipiert und dadurch weiterverbreitet worden sei; die Frage nach konzeptuellen Differenzen bleibt außer acht. Haubrichs dagegen konzentriert sich auf die frühe Geschichte von Wort und Begriff 'deutsch' im ganzen. Auch bei ihm steht die 'Kaiserchronik' deshalb nicht im Zentrum des Interesses. Aus den genannten Gründen ist nicht nur das in der 'Kaiserchronik' entworfene Bild der "Deutschen" zur Zeit Caesars von neuem zu analysieren, wobei über die Frage nach potentiell anders gelagerten, konzeptuellen Schwerpunkten in der 'Kaiserchronik' im Vergleich zum 'Annolied' hinaus auszugreifen ist. Die Ausrichtung der vorliegenden Untersuchung verlangt vielmehr, weitere Abschnitte der 'Kaiserchronik' miteinzubeziehen und dabei auf das Auftreten des Lemmas 'dütisc' zu achten. Im besonderen wird auch die gängige Deutung der Kaiserkrönung Karls des Großen auf den Prüfstand zu stellen sein, da man in der Darstellung des Kaisertums Karls des Großen in der 'Kaiserchronik' gemeinhin ein frühes Beispiel der Theorie von der Translatio imperii in der Person Karls auf die "Deutschen" erblickt hat. Daraus wiederum ergeben sich Konsequenzen für die Analyse der auf Karl folgenden Abschnitte - des so genannten 52

Hier vor allem H. Thomas (1991), S. 247 mit Anm. 12 und S. 256; ders. (1994), S. 141£, 144; ders. (2000), S. 58£, 63; vgl. oben, S. 54f. mit Anm. 11,31.

53

Im obigen Zusammenhang insbesondere Haubrichs (1993), S. 30£; dazu oben, S. 54f. mit Anm. 11,32. Haubrichs' traditionelle Auffassung des Kaisertums Karls des Großen in der 'Kaiserchronik' im Sinne einer Translatio imperii auf die Deutschen ist allerdings zu korrigieren, vgl. dazu unten, Kap. III.3.4.3., S. 173—186.

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"deutschen" Teiles der 'Kaiserchronik', was jedoch zu hinterfragen ist. Wegen der Konzentration der Untersuchung auf literarische Konstruktionsweisen "deutscher" Identität in den Zeiten b i s auf Karl den Großen wird dieser Teil allerdings nur in den hauptsächlichen Linien mitzubetrachten sein.

2.

Voraussetzungen der Textanalyse

2. 1. Diskursive Kontexte am Beispiel Ottos von Freising Wie bei der Analyse des 'Annoliedes' in Kapitel II dargelegt, war die in dem frühmittelhochdeutschen Lied begegnende Rede von diut(i)schen liuten und diut(i)schen landen um 1100 noch keineswegs etabliert. Es zeigte sich, daß das im 'Annolied' vorzufindende Konzept "deutscher" Identität in der Frühzeit des römischen Imperiums die durch die literarische Gattung gegebenen Möglichkeiten wahrnimmt und in einer sehr spezifischen Weise auf eine "mitten in die Genesis Deutschlands" 54 gestellte Gegenwart reagiert, in welcher der Investiturstreit noch anhielt und die vom Papst in Umlauf gebrachte, ursprünglich antiimperiale Terminologie vom regnum Teutonicum und dessen rex Teutonicorum im so benannten Reich zunehmend Wirkung zu entfalten begann.55 Denn mit dem Aufkommen der Bezeichnung des regnum als "deutsches" hatte zugleich "der Streit um die Stellung dieses Reiches in der Welt"56 eingesetzt. Auch zur Entstehungszeit der 'Kaiserchronik' gegen 1150 war die Frage nach den "Deutschen", ihrem Reich und seiner Verortung in Geschichte und Gegenwart deshalb weiterhin aktuell. Im Medium der Literatur (im weiteren Sinn) zeitigte sie ihre Wirkungen ebenso in der gelehrten lateinischen Historiographie wie in der allein schon über den gleichen klerikalen Verfasserkreis mit dieser verbundenen volkssprachigen Geschichtsdichtung, wenn auch auf verschiedenen Artikulationsebenen in gattungs- und diskursbedingt ganz unterschiedlicher Weise. Trotz der Unterschiede ist es hinsichtlich der damit angesprochenen diskursiven Kontexte aufschlußreich, einen Blick in die 'Historia de duabus civitatibus' Bischof Ottos von Freising (1111/1115-1158) zu werfen, der mit den salischen und staufischen Herrschern verwandt war und der Reichspolitik nahestand.57 Otto von Freising ist der erste mittelalterliche 54

K. F. Werner (1995a), S. 37.

55

Zusammenfassend oben, Kap. Π.4., S. 97—104.

56

Ehlers (1998), S. 41.

57

Otto Frisingensis, Chronica, hg. Hofmeister (1912). Zum Geschichtsbild Ottos von Freising vgl. grundlegend Goetz (1984) (dazu K. F. Werner [1987a], S. 8, Anm. 24, unter Betonung des Titels 'Historia de duabus civitatibus', nicht 'Chronica') und weiterführend Schmale (1989) sowie, zur Einordnung innerhalb der lateinischen Historiographie des Hochmittelalters insgesamt, einschlägig von den Brincken (1957), S. 220-228, und in letzter Zeit Goetz (1999a), S. 189-193 und öfter.

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Geschichtsschreiber, der sich explizit Gedanken über die zutreffende Auffassung und den richtigen Namen des Reiches macht.58 Erst gegen 1100 hatte erstmals ein Angehöriger dieses Reiches selbst, Abt Norbert von Iburg, die Reichsbewohner in einem nationalen Sinn als gens Teutonica bezeichnet. In der von Norbert abgefaßten Vita des Bischofs Benno II. von Osnabrück heißt es, Karl der Große habe die universa gens Teutonica nach dem Sieg über die Sachsen neu begründet (!), und im Zusatz universa (gens) wird "der Charakter der die Teilvölker umfassenden (Groß-)gens zum Ausdruck" 59 gebracht: Die universa gens Teutonica solle fortan aequali conditione sub uno semper rege panii subiectione bestehen.6" In Auseinandersetzung mit solchen Positionen entwirft Otto von Freising rund 50 Jahre später seine eigene "Lehre von der Entwicklung der deutschen Nation aus der Kaiserwürde", welche "die Verbindung von fränkischer Tradition, deutschem Reich und Imperium" betont.61 Anläßlich der Schilderung der Königswahl Heinrichs I. stellt Otto von Freising im Bericht zum Jahr 920 fest, daß manche seiner Zeitgenossen vom Regierungsantritt Heinrichs an nach dem Reich der Franken das der Deutschen rechneten (Exhinc quidampost Francorum regnutn supputant Teutonicorum).62 Aus diesem Grund, so fährt er fort, habe Papst Leo Heinrichs 58

Vgl. zum folgenden, soweit nicht anders angemerkt, Müller-Mertens (1970), S. 15f£, und Goetz (1984), S. 153ff. Zur Einordnung innerhalb des politischen Diskurses der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts vgl. außer Müller-Mertens, a. a. O., S. 328-392, neuerdings im vorliegenden Kontext H. Thomas (2000), S. 51 ff., und im besonderen Moeglin (2002), S. 366ff. (zu Moeglin einschränkend oben, Anm. 11,100, sowie unten, Anm. ill,241).

59

Κ. F. Werner (1992), S. 178, Anm. 16. Zur Bewertung der Passage vgl. im besonderen auch ders. (1995a), S. 37£, und Eggert (1999), der die Diskrepanz zwischen der von Norbert als Idealbild vorgestellten gens Teutonica zur Zeit Karls des Großen und der Gegenwart Heinrichs IV. und Bischofs Benno II. herausstellt, in der die Sachsen immer wieder aus dem so bezeichneten Gesamtverband ausbrachen. Zu den früheren Belegen zu 'gens teutonica', die von der Forschung lange irrtümlich bereits im Sinne von 'deutsches Volk' aufgefaßt worden sind, vgl. im besonderen auch die oben, Anm. 11,172, genannte Literatur zu Gottschalk von Orbais; erwähnt sei noch die ebenfalls zählebige, jedoch mehrfach widerlegte Annahme eines vermeintlichen Beleges für 'regnum Teutonicorum' bereits im 10. Jahrhundert in den 'Annales Iuvavenses maximi' CSalzburger Annalen'), vgl. ausführlich dazu beispielsweise Brühl (1995), S. 227-234 (mit Abb. der handschriftlichen Uberlieferung). 60 Norbertus Iburgensis, Vita Bennonis II.,13, hg. Bresslau (1902), S. 15f., hier S. 16, Z. lf. 61

Ehlers (1997a), S. 9 und ders. (1998), S. 41; vgl. auch ebd., S. 21. Zur Einordnung vgl. außerdem Moraw (1984), S. 442f£, und Struve (2002).

62

Otto Frisingensis, Chronica VI,17, hg. Hofmeister (1912), S. 276-278, hier S. 276, Z. 28f. Soweit nicht anders angegeben, vgl. im folgenden ebd.

120

III. KONSOLIDIERUNG

Sohn Otto (den Großen) primum regem Teutonicorum genannt. Otto von Freising überlegt, wie das zu verstehen sei, und kommt zu dem Schluß: Michi autem videtur regnum Teutonicorum, quod modo Romam habere cernitur, partem esse regrti Francorum. Der Bischof von Freising hält das von ihm über das Kaisertum definierte Reich der Deutschen also für einen Teil des regnum Francorum — wohl wissend, daß dies zu seiner Zeit nicht mehr allgemein akzeptiert war und er stellt dieses Reich in die Tradition Karls des Großen. Zur Begründung führt er an, daß das fränkische Reich zu Zeiten Karls ganz Gallia und Germania umfaßt habe, womit er dieselbe aus der Antike tradierte geographische Terminologie verwendet, die bereits oben bei der Analyse des Annoliedes' begegnet ist:63 Die Bezeichnung Gallia erläutert Otto durch den Hinweis auf die drei Teile Celtica, Belgica und Lugdunensis, während er mit Germania das gesamte rechtsrheinische Gebiet benennt, a Rheno sälicet ad Illiricum. Unter den Enkeln Karls des Großen aber, so fährt er fort, sei das fränkische Reich in eine westliche und in eine östliche Hälfte aufgeteilt worden, die b e i d e als Francorum [...] regnum bezeichnet worden seien, und in diesem Zusammenhang bezeichnet Otto von Freising das regnum Francorum Orientale alternativ mit dem neuen Namen regnum Teutonicorum. Die Bezeichnungen regnum Teutonicorum und regnum Francorum Orientale beziehungsweise Frantia orientalis sind für den hochmittelalterlichen Geschichtsschreiber demnach mehr oder minder austauschbar. 64 Seiner Ansicht nach wurde Otto der Große mithin nicht etwa deshalb als primus rex Teutonicorum bezeichnet, weil er als erster apud Teutonicos regiert habe, sondern weil er nach den Merowingern und Karolingern als ein Herrscher ex alia familia seu lingua das Imperium, die Kaiserwürde, ad Teutonicos Francos zurückgebracht habe, nachdem sie a Fongobardis usurpatum gewesen sei. So hätten die Ottonen von den Karolingern ein- und dasselbe fränkische Reich (regnum Francorum) übernommen: in uno tarnen regno Ottones subintroiere. Otto von Freising wendet sich damit dagegen, "den Beginn des deutschen Reiches in die Zeit Heinrichs I. zu setzen und damit vom römischen Reich, von seiner heilsgeschichtlich-spirituellen Qualität abzutrennen". 65

63

Oben, S. 84£; vgl. hier auch Lugge (I960), S. 97, 131.

64

Vgl. auch Otto Frisingensis, Chronica VI,11, hg. Hofmeister (1912), S. 272, hier Z. 8-12: Porro Arnolfus [i. e. Arnulf von Kärnten] totam Orientalen} Franciam, quod modo Teutonicum regnum vocatur, id est Baioariam, Sueviam, Soxoniam, Turingiam, Fresiam, hotharingiam rexit, ocddentalem vero Odo ex eius auctoritate habuit. Im übrigen vgl. im folgenden weiterhin ebd., VI,17, S. 276-278.

65

Ehlers (1998), S. 41.

I I I . KONSOLIDIERUNG

121

So findet sich bei ihm "nicht nur der fränkische Charakter des Reiches klar ausgesprochen, sondern auch die ursächliche Verbindung von Kaisertum und deutscher Nation: Sie hat sich erst aus dem Besitz der Kaiserwürde ergeben, die, so ist zu ergänzen, unlösbar an die Deutschen gebunden bleibt." 66

Die Argumentation Ottos von Freising setzt die Gegenüberstellung von Franci Teutonia und Franci Fatini voraus, mit der von ihm eine Unterscheidung troffen ist, die unter anderen bereits bei Lampert von Hersfeld zur Anwendung gelangt war und in das frühe Mittelalter zurückreicht. 67 In diesem Zusammenhang ist es zu sehen, wenn der Bischof von Freising etwa im Jahresbericht zu 936 Franci und Germani gleichsetzt. 68 Er berichtet dort, wie Otto der Große Italien wieder an das regnum gebracht habe, nachdem Italien vor vielen Jahren Francis seu Germanis entglitten sei: Kurz vorher, bei der Schilderung der Schlacht bei Andernach am Rhein, in der sich König Otto an der Spitze der Germani und der aufständische Herzog der Belgica, Giselbert von Lothringen (Gisilbertus), gegenüberstanden, hatte Otto von Freising den Terminus Germani klar im Sinne der rechtsrheinischen Reichsbewohner benutzt. Seit dieser Schlacht, so ließ er wissen, habe jeneprovincia, die Be/gica, unangefochten den reges Teutonicorum gehört. Auf terminologischer Ebene ist damit bei Otto von Freising eine Verbindung von den Germani des Mittelalters zu den durch ihre virtutes ac fortitude ausgezeichneten Germani omnium ferocissimi ac bellicosissimi in der Frühzeit des Imperium Romanum hergestellt, 69 die auf diese Weise "als Ahnen oder Vorläufer der gegenwärtigen Deutschen ins Auge gefaßt" 70 werden. Die Hervorhebung der militärischen Schlagkraft der alten Germanen hat dabei formelhaften Charakter und dient zur Profilierung des an Augustinus und Orosius orientierten geschichtstheologischen Konzeptes des Bischofs, konkret zur Illustration der von Krisen aller Art gezeichneten Geschichte Roms vor Beginn der Symbiose von Kirche und Imperium mit Konstantin dem Großen. 71 Das hindert allerdings nicht, daß der 66 67

68 69 70 71

Ehlers (1998), S. 21. Vgl. in diesem Zusammenhang H. Thomas (1991), S. 270ff., und danach auch ders. (2000), S. 49f£; in Hinsicht auf Lampert von Hersfeld vgl. auch oben, S. lOOf. mitAnm. 11,184. Otto Frisingensis, Chronica VI,19, hg. Hofmeister (1912), S. 280£, hier S. 280, Z. 30. Vgl. im folgenden ebd. Otto Frisingensis, Chronica 11,48, hg. Hofmeister (1912), S. 125f., hier S. 125, Z. 14ff. Vgl. im folgenden ebd. H. Thomas (1991), S. 251, Anm. 34. Vgl. die oben, Anm. 111,57, genannte Literatur. Im obigen, auf die Germanen bezogenen Kontext vgl. Ride (1977), Bd. 1, S. 50ff., hier besonders S. 54f.

122

I I I . KONSOLIDIERUNG

Universalhistoriograph die alten Germani und mit ihnen auch Galli als Caesars Bundesgenossen im Kampf um die Alleinherrschaft vorführt und so "in historiographisch bereinigter Form" 72 eine Parallele zur Episode zu Caesar und den "Deutschen" in 'Annolied' und 'Kaiserchronik' vorlegt. In diesem Sinne preist Otto von Freising die Stärke der gens Germanorum {guanti roboris predicta gens Germanorum fuerit), wenn er auf die berühmte Niederlage der Legionen des Varus zu sprechen kommt, die sich bei Augsburg ereignet haben solle.73 Von dem programmatischen Lob der Germanen und deren systematischer Gleichsetzung mit den Deutschen durch humanistische Gelehrte in späteren Jahrhunderten bleiben Ottos von Freising Passagen über die römerzeitlichen Germanen dessenungeachtet weit entfernt. Doch bargen sie die Möglichkeit in sich, im Zeitalter des Humanismus in dieser Weise gelesen zu werden, als man unter anderem auch die 'Historia de duabus civitatibus' wiederentdeckte. 74 Das Beispiel Ottos von Freising zeigt exemplarisch die Problematik historiographischer Nationsartikulation und -konstruktion und die mit ihr verbundenen terminologischen Schwierigkeiten im lateinischen Diskurs zur Entstehungszeit der 'Kaiserchronik' in der Mitte des 12. Jahrhunderts. Die gelehrte Geschichtsschreibung in lateinischer Sprache hielt offenbar keine einfachen Lösungen zu den damit zusammenhängenden Fragen bereit, die sich einem herausragenden Historiographen wie Otto von Freising immerhin explizit stellten. Der Wechsel in den volkssprachigen Diskurs mit seiner demgegenüber noch weitaus weniger differenzierten politischen Terminologie brachte andere Anforderungen mit sich, die aber dennoch vor der lateinischen Folie zu sehen sind: Anforderungen, die gleichzeitig neue Spielräume konzeptueller und narrativer Gestaltung eröffneten und mit denen sich der Verfasser (beziehungsweise Verfasserkreis) der 'Kaiserchronik', der derselben lateinisch-klerikalen Gelehrtenschicht zuzurechnen ist wie Otto von Freising, als Verfasser der ersten gereimten Chronik des römischen Reiches in der Volkssprache in besonderer Weise konfrontiert sah. Das Bild, das die 'Kaiserchronik' diute (KChr. 15/ 1,15) - in der Volkssprache, die eigenen Diskursregeln folgt - von den alten "Deutschen" entwirft, vermag deshalb erst vor dem umrissenen Hintergrund sein spezifisches Profil zu gewinnen. Die folgende Analyse konzentriert 72

H. Thomas (1991), S. 257.

73

Otto Frisingensis, Chronica 111,3, hg. Hofmeister (1912), S. 139£, hier S. 140, Z. l l f . Vgl. Borchardt (1971), S. 230-233, und Ride (1977), Bd. 1, S. 50ff., sowie grundsätzlich zur Rezeption Ottos von Freising im 15. und 16. Jh. Schürmann (1986), im obigen Zusammenhang vor allem S. 38£, 68£, 94ff.

74

I I I . KONSOLIDIERUNG

123

sich auf den ältesten vollständig erhaltenen Überlieferungsträger der Rezension A, das heißt auf die genannte 'Vorauer Handschrift' aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. 75 Zwar weist der jüngere, ins 13. Jahrhundert zu datierende Heidelberger Cpg 261 eine besondere Nähe zum 'Annolied' auf, so daß er zur Klärung textgenetischer Fragen von Interesse ist, "wie immer man auch über die Qualität derselben ["Fassung"] urteilen will". 70 Doch angesichts der wort- und begriffsgeschichtlichen Probleme, die in die vorliegende Fragestellung wesentlich hineinspielen, ist dem überlieferungsgeschichtlich älteren Wordaut der 'Kaiserchronik' in der erstrangigen Handschrift aus Vorau der Vorzug zu geben. Im Sinne des von S. Müller für die 'Kaiserchronik' geltend gemachten offenen Textbegriffes betrachte ich den Vorauer Text dabei als konzeptuell eigenwertige Fassung der 'Kaiserchronik' und lasse deshalb die übrigen Fassungen der Rezension A, die überwiegend in Handschriften aus dem 14. Jahrhundert überliefert sind, ebenso wie die weiteren jüngeren Rezensionen und Prosaauflösungen vorerst weitgehend unberücksichtigt. Um abweichende Lesarten in der Uberlieferung des 13. bis 15. Jahrhunderts von Α dennoch nicht aus dem Auge zu verlieren, zitiere ich den Text der Vorauer Fassung nach der auf ihr beruhenden, maßgeblichen kritischen Ausgabe von Schröder, weise aber aufgrund der bei Schröder teils anderen Graphie und Interpunktion (und partiellen Verlagerung der Vorauer Fassung in den Apparat) die zitierten Stellen generell zusätzlich jedesmal nach Schrägstrich auch im diplomatischen Abdruck von Diemer nach.77 75

Zu den Überlieferungsverhältnissen: oben, S. 107 mit Anm. 111,4 (Literatur); vgl. neuerdings auch Nellmann (2001), S. 381ff.

76

S. Müller (1999), S. 266. Allerdings fehlen im Cpg 261 Passagen wie im besonderen die Traumdeutung Daniels (vgl. unten, S. 144£). Dementsprechend stellt S. Müller bei seinem Vergleich von 'Annolied' und 'Kaiserchronik', der auf die Frage nach möglichen Abhängigkeitsverhältnissen gerichtet ist, zwar den Heidelberger Cpg 261 in den Vordergrund, zieht jedoch hinsichtlich der fehlenden Passagen die 'Vorauer Handschrift' hinzu. Vgl. ebd., S. 264—288.

77

Sofern ich wörtlich zitiere, übernehme ich demgemäß den Text der Vorauer Fassung in der Schreibung der Ausgabe von Schröder (1892). Wo ich den Text hingegen paraphrasiere und dabei einzelne (früh)mhd. Ausdrücke übernehme, greife ich im Falle einer dabei notwendigen Veränderung des Kasus vereinheitlichend ein, indem ich die Graphie der indizierten Lemmata im 'Index verborum zur Deutschen Kaiserchronik' von Tulasiewicz (1972) zugrundelege, die "the frequent Upper German forms of words found in the Schröder edition" (S. IX) ausweist. Die Verszählung nach Diemer, die ich derjenigen nach Schröder jeweils hinzufüge, bezieht sich stets auf Seite und Zeile von Diemers Ausgabe (1849). Diemer bietet im übrigen eine fordaufende Konkordanz zur dreibändigen Edition von Massmann (1849/54), die auf dem Heidelberger Cpg 361 beruht und

124

I I I . KONSOLIDIERUNG

2. 2. Zu Thema und Struktur der 'Kaiserchronik1 Bevor der Frage nach Modus und Ausprägung der Konstruktion altdeutscher" Identität in der 'Kaiserchronik' nachgegangen werden kann, sind die Voraussetzungen zu klären, unter denen der frühmittelhochdeutsche Text überhaupt Geschichte darstellt. Angesichts der Literaturfülle zur 'Kaiserchronik' und der Unterschiedlichkeit der Interpretationen beschränke ich mich dabei auf einige Aspekte, die für das folgende grundlegend sind. Eine der fundamentalen Bedingungen, unter denen in der 'Kaiserchronik' Geschichte erzählt wird, stellt die Situierung im Spannungsfeld von lateinischer Tradition und mündlicher Dichtungstradition dar: "Mit der lateinischen Tradition ist sie durch die Schriftlichkeit verbunden, mit der mündlichen Dichtungstradition durch ihre Volkssprachigkeit." 78 Der schriftliche Text mußte mit Rücksicht auf das nicht-lateinisch gebildete Publikum mithin auf den "Verständnishorizont mündlicher Erzähltradition"79 ausgerichtet werden, und das brachte unvermeidlich Probleme mit sich. Dazu gehört die im letzten Kapitel (III.2.1.) angerissene Frage der politisch-historischen Terminologie mit ihren in lateinischem und volkssprachigem Diskurs so unterschiedlich ausgeprägten Differenzierungsmöglichkeiten, die vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Sprachproblematik frühmittelhochdeutschen Dichtens zu sehen ist. Ebenso zählt dazu aber auch die Schwierigkeit der Inkompatibilität divergierender Strukturmodelle von lateinisch-literarischer Uberlieferungstradition und mündlicher Heldendichtung, die in der 'Kaiserchronik' besonders im Abschnitt zu Kaiser Zeno und Dietrich von Bern ausgeprägt ist.80 Damit verbunden ist das im Prolog thematisierte Problem der Wahrheit (KChr. 27-42). 81 Gemessen am Stand der lateinischen Historiographie, weist die 'Kaiserchronik' grobe Ungenauigkeiten in der historischen Chronologie auf, läßt manche historischen Kaiser aus, um fiktive

78

in überlieferungs- und rezeptionsgeschichtlicher Hinsicht als Materialsammlung nach wie vor unverzichtbar ist. Hellgardt (1995), S. 93; vgl. entsprechend betont in letzter Zeit auch Stackmann (1997 [zuerst 1990]), S. 52ff.

79

Hellgardt (1995), S. 103.

80

So prononciert Hellgardt (1995). Vgl. zu diesem Abschnitt der 'Kaiserchronik' unten, S. 179£, 183ff.

81

Vgl. Pesza (1993), S. 16f£, sowie die ebd., S. 197£, genannten Titel, hier vor allem Gellinek (1971a), S. 21-28, 175 mit Anm. 66, und außerdem Gillespie (1974), S. 240f£; aus jüngerer Zeit sind namentlich hinzuzufügen: Haug (1992), S. 66—70; danach Stackmann (1997 [zuerst 1990]), S. 54f£; Hellgardt (1995), S. 94f£; Suerbaum (2000), S. 236f£

I I I . KONSOLIDIERUNG

125

Kaisergestalten einzufügen, und zeichnet sich im ganzen durch die häufige Einschaltung von Sagen und Legenden aus. Dennoch erhebt die 'Kaiserchronik' den uneingeschränkten Anspruch — oben wurde das anzitiert —,82 von den bäbesen unt von den chunigenj baidiu guoten unt ubelen, zu handeln, die vor uns waren unt Romisces riches phlägen untg an disen hiutegen tac (KChr. 19—23/ 1,19-2,1). Mit diesen Worten wird der Text im Prolog trotz aller in der Volkssprache gegebenen Differenzen in die Tradition der lateinischen Universalchronistik gestellt (auch wenn er deren " *Vollform' "83 nicht entspricht), wird mit der 'Kaiserchronik' prinzipiell Geschichtsschreibung, wenngleich als "kühnes Wagnis", 84 zu einem Gegenstand der volkssprachigen Literatur. Der welthistorische Rahmen ist mit der eigenständigen Anbindung an die Theorie von den Vier Weltmonarchien am Beginn der Chronik aufgezogen, die sich mit dem Römischen Reich auf die letzte der großen Monarchien vor dem Kommen des Antichrist konzentriert. In der hier zugrundegelegten Vorauer Handschrift' steht die 'Kaiserchronik' überdies in einem universalhistorischen Überlieferungskontext. 85 Dabei kombiniert der Text Profan- und Heilsgeschichte jedoch in ganz eigener Weise. Programmatisch werden die Geschichte des römischen Papsttums wie des Kaisertums gleichermaßen ins Zentrum gerückt, und das Zusammenwirken beider wird zum Thema, auch wenn die Papstgeschichte in quantitativer Hinsicht eine untergeordnete Rolle spielt. Gleichzeitig rückt der Prolog die Geschichte explizit in eine auf die Gegenwart bezogene Perspektive ein. Sie ist durch den Kontrast von guot und ubele gekennzeichnet, wobei der Maßstab in der erfüllten oder fehlenden Teilhabe an gotes minne (KChr. 34/ 2,12) besteht. An dieser bemißt sich auch der Wahrheitsanspruch der Chronik. Kennzeichnend für diesen

82

Oben, S. 107.

83

Gärtner (1994), S. 63, der die weltchronistischen Züge des Prototyps volkssprachiger Universalchronistik hervorhebt. Vgl. dazu im folgenden, soweit nicht anders angegeben, ebd., außerdem ders. (1985), sowie auch Hellgardt (1995), hier S. 109f. Im übrigen vgl. vor allem Gellinek (1971a), S. 178ff, Neuendorff (1982), S. 228—239, sowie in Zusammenfassung des Forschungsstandes Pezsa (1993), S. 14ff. Grundsätzlich vgl. zur komplexen Gattungsfrage weiterführend Krüger (1976); Melville (1997, S. 305: "Buch mit Darstellungen in zeitlicher Folge"); ders. (2000); sowie die Beiträge in den beiden Tagungsbänden The medieval chronicle, hg. Kooper (1999) und The medieval chronicle II, hg. Kooper (2002), mit dem Aufsatz von Dumville (2002).

84

Vollmann-Profe (1994), S. 28; vgl. einordnend jetzt auch Haupt (2003).

85

Vgl. oben, Anm. 111,4; zum Überlieferungskontext vgl. Gärtner (1997) (Literatur) und jüngst Grubmüller (2000).

126

I I I . KONSOLIDIERUNG

Anspruch ist es, daß Geschichte "auf das Wirken Gottes hin gesehen und gestaltet" wird, im Gegensatz zur "außerhalb der christlichen Sinngebung" stehenden Heldendichtung, von welcher die Darstellung im Prolog abgegrenzt wird. 86 Der Bezug auf des almähtigen gotes minne (KChr. 1/ 1,1) gibt demnach die heilsgeschichtliche Perspektive vor, unter der Geschichte in der 'Kaiserchronik' erzählt wird und mit der zugleich die Relevanz des Erzählten für die Gegenwart ausgesprochen ist. Uber die vorgestellte substantielle Verbindung des mittelalterlichen Kaisertums mit dem Römischen Reich seit Caesar sind Gegenwart und Vergangenheit unmittelbar aufeinander bezogen, der teleologisch-heilsgeschichtliche Sinnhorizont gibt die Deutungskategorien der Geschichte von der Gegenwart her und auf sie hin im Sinne nicht einer kontingenten Entwicklung, sondern einer "Isotopie des Wirklichkeitscharakters der Welt durch die Zeiten hindurch" 87 vor. Damit fließen in der 'Kaiserchronik' zwei divergierende Geschichtsauffassungen zusammen, eine lineare, die Vergangenheit prinzipiell eigenwertig definiert, und eine letztlich ahistorische, die Vergangenheit nur in der Rückprojektion der Gegenwart zu erfassen vermag und ihr Geltung als solcher abspricht. Dieses Spannungsverhältnis hat man erneut mit der Situierung der volkssprachigen Chronik im Interferenzfeld von schriftsprachlicher und oraler Kultur in Verbindung gebracht, 88 und nicht zuletzt daraus resultiert jene auffällige historische "Distanzlosigkeit", 89 die sich in dem umrissenen freien Umgang mit unterschiedlichstem Textmaterial aus lateinisch-schriftlicher und volkssprachig-mündlicher Überlieferung äußert. In dieser "Inszenierung der Überlieferung" gewinnt ein "kulturelle[s] Selbstportrait" Gestalt, das "erhebliche blinde Stellen" aufweist: "Sowohl in der Wahrnehmung der Gegenwartsgesellschaft wie bei der Vergegenwärtigung der Vergangenheit waltet ein Gestus der Vereinnahmung vor," der sich "schwer [tut] mit dem Phänomen des Übergangs und dem des Wandels." 90 Die 'Kaiserchronik' trägt damit prinzipiell Züge mythischen Geschichtsdenkens. Diesem fehlen die "Kategorien der Entwicklung und des Zufalls" und damit Merkmale, die für "das Mittelalter [...] über den Bereich der Literatur hinaus als allgemeine mentalitätsgeschichtliche 86

Haug (1992), S. 69.

87

Gumbrecht/ Link-Heer/ Spangenberg (1987), S. 1136.

88

Nachdrücklich Stackmann (1997 [zuerst 1990]), S. 52f£, angeregt durch die wichtigen Überlegungen zur Typik oraler Gesellschaften von Vollrath (1981).

89

Brall (1991), S. 124.

90

Brall (1991), S. 128. Vgl. in diesem Kontext oben, S. 93£ mit Anm. II,164f. und der ebd. genannten Literatur.

I I I . KONSOLIDIERUNG

127

Kennzeichen bei der Erfassung und Beschreibung von Geschehen angesehen werden" können und sich in der 'Kaiserchronik' gegebenenfalls in mythos-analogen Motivationsstrukturen manifestieren. 91 Der von Clemens Lugowski geprägte Begriff des "mythischen Analogon" zielt auf die nicht-kausale Motivation literarischer Texte, soweit "alles Einzelhafte als ein Teilhaftes, unlöslich in eins bestehend mit der wesentlich als zeitlos gesehenen Welt" 92 in Erscheinung tritt. Daß und wie sich dies in der 'Kaiserchronik' auswirkt, konnte in den letzten Jahren exemplarisch gezeigt werden und ist im folgenden im Auge zu behalten. 93 Unter den skizzierten Prämissen verfolgt die 'Kaiserchronik' die Geschichte des Römischen Reiches anhand der Abfolge der römischen Kaiser von Caesar bis auf Konrad III.94 Diese regieren jeweils dann rechtmäßig als "römische" Kaiser, wenn sie "vom römischen Hebe" als "eine[r] Körperschaft juristischen Charakters" gewählt sind, wobei der Begriff 'riche' als solcher außerordentlich vielschichtig und schillernd ist, so daß je nach Kontext ganz unterschiedlich zu übersetzen ist.95 36 Kaisern vor 91

Martinez (1996b), S. 19.

92

Lugowski (1994 [zuerst 1932]), S. 96. Vgl. dazu im obigen Zusammenhang außer der Einleitung zur genannten Neuauflage Lugowskis von Schlaffer (1994) grundlegend Formaler Mythos, hg. Martinez (1996), mit der Literatur, sowie auch Martinez (1996a), S. 13-32.

93

Martinez (1996c). Zu Erzähltechnik und Figurenzeichnung in der 'Kaiserchronik' insgesamt verweise ich hier nur auf Pezsa (1993), passim, im besonderen S. 29— 141; vgl. danach insbesondere Stock (2002), S. 34—72. Pezsa gibt eine detaillierte Zusammenstellung der älteren Literatur, von der ich hier lediglich die Monographien von Ohly (1968 [zuerst 1940]) und Gellinek (1971a) sowie Hennen (1973) nenne und aus jüngerer Zeit die Arbeit von Stackmann (1997 [zuerst 1990]), die Ansätze von Mohr (1952) weiterfuhrt; vgl. dazu Hellgardt (1995), S. 109£, und neuerdings Suerbaum (2000).

94

Vgl. Pezsa (1993) mit einer ausfuhrlichen Zusammenstellung der Aufbauschemata (ebd., S. 197—229) und Diskussion der einschlägigen Literatur.

95

Zitate: Naumann (1952), S. 56. Zur vielschichtigen Semantik von 'riche' in der 'Kaiserchronik' vgl. insbesondere ebd. S. 46—81, zusammenfassend S. 74—81. Nellmann hat in diesem Zusammenhang allerdings zu recht betont, daß die vielen "Aspekte des Reichsverständnisses der Chronik" kaum "erschöpfend behandelt werden" können (Nellmann [1963], S. 148). Angesichts der Polysemie von 'riche' und der Komplexität des Begriffsfeldes sind Untersuchungen wie die Naumanns, aber auch Neilmanns selbst zum "Reich in der Kaiserchronik" (Naumann [1952]) oder zur "Reichsidee" (so Nellmann [1963]) deshalb mehrfach berechtigt in die Kritik geraten. Zu den methodischen Schwächen der Studie Naumanns vgl. die genannte Untersuchung von Nellmann (1963), S. 148-154, gegen Naumann und auch gegen Nellmann Wolfram (1983 [zuerst 1964]). Generell vgl. dazu Schnell (1983): Schnell hebt die inzwischen erkannte grundsätzliche Notwendigkeit hervor, 'riche' je nach Kontext sehr differenziert mit einem breiten Spektrum neuhochdeutscher Ausdrücke zu übersetzen (ebd. S. 9, vgl. auch unten, S. 217f. mit A r n IV,58). Vgl. auch Haack (1953), S. 133f£, sowie Hennen (1973), Bd. 1,

128

I I I . KONSOLIDIERUNG

Karl dem Großen, die in mehr als 14000 Versen abgehandelt werden, stehen 18 nach ihm gegenüber, denen unter Anhebung des Erzähltempos lediglich rund 2000 Verse gewidmet sind.96 Die einzelnen Abschnitte folgen demselben Schema, das jeweils durch Namensnennung und Kurzcharakteristik des jeweiligen Herrschers zu Beginn sowie Angabe von Todesart, Regierungszeit und Schicksal der Herrscherseele am Schluß geprägt ist. Dabei variieren die Abschnitte in ihrem Umfang aufgrund der eingefügten exemplarischen Erzählungen, die den einzelnen Kaisern nach Möglichkeit zugeordnet sind, beträchtlich. Als Höhepunkte des erzählten Geschichtsverlaufs werden gemeinhin Caesar Quljus Cesar, KChr. 267-602/ 9,15-19,26) und, als die "höchsten Gipfel auf der Ebene des mehr oder weniger profilierten Herrscherkontinents",97 Kaiser Konstantin der Große (Constantinus; KChr. 7806—10633/ 239,15-326,2) sowie Karl der Große (Kar/; KChr. 14282-15091/ 437,27462,20) genannt. Caesar legt das Fundament für das Römische Reich, wobei die Dütisken eine entscheidende Rolle spielen.98 Unter Konstantin wird das Reich christlich und Rom zur Hauptstadt der Christenheit, werden Papst Silvester, der Konstantin nach dessen sechstägigem Gesetzgebungswerk am siebten Tag weiht und krönt, und Kaiser Konstantin zu obersten Richtern. 99 In den Figuren des in die Tradition Konstantins gestellten Karl, der gleichzeitig (und noch erläuterungsbedürftig) als Prinz von Korlingen und Kaiser aus den Oiutisken landen gezeichnet wird, 100 sowie Papst Leos, der als Bruder des Kaisers angelegt ist, gelangen beide Ämter zu höchster, vom Kaiser als Schutzherrn der Kirche garantierter Harmonie. S. 58f£, und prinzipiell zur begriffsgeschichtlichen Problematik sowie der prägenden Kraft des lateinischen Diskurses in diesem Zusammenhang Moraw (1984), S. 439ff. (vgl. dazu das Zitat von Moraw oben, Anm. 11,66). 96

Hinsichtlich der zahlenkompositorischen Deutungsversuche der 'Kaiserchronik' etwa von Ohly (1968 [zuerst 1940]), hier S. 17f£, Urbanek (1972) oder auch Hennen (1973), Bd. 1, zusammenfassend S. 216-221, 237-247, vgl. grundsätzlich einschränkend Hellgardt (1973), S. 274£, für den die Frage ausschlaggebend ist, "ob das, was sich schließlich an Zuordnungsverhältnissen aufzeigen läßt, den Anspruch auf eine vollgültige Deutung des Werkes erfüllt", unabhängig von der "zahlhafte[n] Signifikanz inhaltlicher Momente".

97

Gellinek (1971a), S. 149.

98

Ausführlich dazu unten, Kap. III.3.2., S. 132-147, hier vor allem S. 142-147.

99

Vgl. im Gesamtzusammenhang der 'Kaiserchronik' Pezsa (1993), S. 94—99 mit der Literaturzusammenstellung auf S. 211 f. Im besonderen vgl. Ohly (1968 [zuerst 1940]), S. 162-171; Nellmann (1963), S. 95-115; Gellinek (1971a), S. 104f£; Hennen (1973), Bd. 1, S. 111-118; sowie zusätzlich im obigen Kontext auch Schmidt-Wiegand (1978). Vgl. auch unten, S. 163f£

100 Vgl. unten, Kap. III.3.4., S. 157-186.

I I I . KONSOLIDIERUNG

129

Auf diese Weise wird in der 'Kaiserchronik' ein Bild des Römischen Reiches als "Inbegriff staatlicher und gesellschaftlicher Ordnung" entworfen, das "in seiner unauflöslichen Verbindung mit der Heilsinstitution der Kirche" gesehen ist.101 Gleichwohl ist dieses Bild nicht einsinnig zu interpretieren. Einerseits hat man die "größte sinntragende narrative Einheit in der 'Kaiserchronik' " jeweils in den "einzelnefn] Herrschergeschichte[n]" gesehen, 102 andererseits darauf verwiesen, daß der oben angesprochene Status der 'Kaiserchronik' im Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit konzeptuelle Brüche geradezu impliziert.1"3 So reihen sich die einzelnen Abschnitte in ein komplexes, gattungsbedingt in hohem Maße unfestes Textgefüge, bei dem mit bruchloser Kohärenz nicht gerechnet werden kann. Überdies ist der in den einzelnen Episoden der Chronik immer wieder neu umgesetzte lehrhaft-erzieherische Unterhaltungswert zu bedenken. 104 Die römisch-christlich-"deutschen" Konstituenten des in der 'Kaiserchronik' entworfenen Bildes werden dabei prinzipiell im diachronen Durchgang profiliert, wirken aber dennoch in unterschiedlicher Gewichtung immer wieder auch synchron zusammen. Gleichzeitig wird die Chronologie des providentiellen Geschichtsverlaufes stets von neuem durchbrochen, indem dessen Verbindlichkeit für die Gegenwart durch entsprechende Einblendungen bewußt gehalten wird, wodurch die zeitenthobenen Züge der Chronik verstärkt werden. 105 Wie fugt sich die "deutsche" Konstituente daher in dieses vielschichtige Bild ein, in welchen Kontexten und in welcher Weise wird der Begriff 'deutsch' in der 'Kaiserchronik' überhaupt aktualisiert, welches Gewicht kommt der Konstruktion alt-"deutscher" Identität in ihr zu?

101 Stackmann (1997 [zuerst 1990]), S. 54. 102 Pezsa (1993), S. 193. Vgl. die Zusammenfassung der Ergebnisse der Einzelanalysen ebd. S. 192ff. 103 Hellgardt (1995), S. 110 u. S. 109; vgl. oben, S. 124. 104 Darauf verweist in jüngerer Zeit dezidiert Pezsa (1993), S. 192f. 105 Dazu prinzipiell Stackmann (1997 [zuerst 1990]), S. 56ff.

3.

Textanalyse

3. 1. Statistische Vorbemerkung Die 'Kaiserchronik' weist 23 Belege zur Wortfamilie 'diut(i)sch'/ 'dütisc' auf. Gemessen am Umfang des Textes von über 17000 Versen ist das sehr wenig. In qualitativer Hinsicht verdienen die Belege dennoch Beachtung. Unter statistischen Gesichtspunkten bemerkenswert ist dabei zunächst der in der 'Kaiserchronik' erstmals in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters auftretende Gebrauch des substantivierten Volksnamens der 'Dütisken', der 4mal begegnet und auffälligerweise stets im Plural, abgesehen von einem grammatischen Singular (KChr. 497/ 16,16 [Gen. PI.: der Dütiscen}· 16039/ 491,28 [Nom. Sg.: dehain Diutisker\·, 16063/ 492,19 [Gen. PL: der Diufisken]; 16899/ 518,12 [Nom. PL: die Diutiscetfy. Die neunzehn übrigen Lemmata belegen das Adjektiv 'dütisc', sei es als Attribut zu einer Personenbezeichnung (7mal: KChr. 246/ 8,27; 453/ 15,4; 480/ 15,32; 525/ 17,11; 593/ 19,17; 595/ 19,19; 6794/ 208,17), sei es als Attribut zu 'riche' oder 'lant' (2mal: KChr. 464/ 15,15; 6811/ 209,2; bzw. lOmal: KChr. 253/ 9,34; 263/ 9,11; 459/ 15,10; 462/ 15,13; 684/ 22,14; 14819/ 454,8; 15554/ 476,28; 16804/ 515,15; 16816/ 515,27; 16495/ 505,31). Entsprechend der hochmittelalterlichen Norm tritt 'dütisc' in Verbindung mit 'lant' meistens im (Sorten-)Plural auf.11"5 Nur zweimal ist das Nominalsyntagma im Singular belegt, jedoch ausschließlich in jenem formelhaften Dativ Singular in einem artikellosen präpositionalen Ausdruck vom Typ 'ze (in/ gen/ von) diut(i)schem/ dütiskem lande', der bereits im 'Annolied' vorzufinden war und für den auf der Basis der Ergebnisse der Sprachwissenschaftlerin Smits sowie neuerer Forschungen zur grammatischen Semantik regulär eine plurale Bedeutung nachzuweisen war.107 Vor demselben Hintergrund werden die beiden Belege in der 'Kaiserchronik' zu 'in dütiskem riche' zu hinterfragen sein.108 Die quantitative Verteilung der 23 in der 'Kaiserchronik' vorhandenen Lemmata zu 'dütisc' und 'Dütiske(r)' fällt sehr ungleichmäßig aus.109 Der 106 Zur Erläuterung vgl. oben, Kap. Π.2.2.2., S. 56-63. 107 Vgl. weiterhin oben, Kap. II.2.2.2., S. 56-63, in bezug auf die 'Kaiserchronik' im besonderen Smits (1977), S. 61-64. 108 Überholt sind in diesem Zusammenhang Naumann (1952), S. 58£, 74, und Hellmann (1969), S. 67f., 71£, vgl. generell oben, Anm. 111,95. 109 Die folgenden Zahlenangaben zum Umfang der einzelnen Abschnitte basieren auf Pezsa (1993), S. 197f£, dem die Ausgabe von Schröder (1892) nach der 'Vorauer Handschrift' zugrundeliegt.

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größte Anteil entfallt mit 12 Belegen auf die 355 Verse zu Juljus Cesar (KChr. 247ff./ 8,28f£). Eine ähnlich dichte Akkumulation erfolgt in keinem weiteren der Abschnitte zu den römischen Kaisern. In den 13679 Versen für die Zeit zwischen Caesar und Karl dem Großen finden sich lediglich 3 weitere Belege, einer zu Tybmus (443 Verse: KChr. 671 ff./ 22,Iff.), zwei zu Severus (513 Verse: KChr. 6622ff./ 203,8ff.). Nur lmal fällt das Wort 'dütisc' dann in den 809 Versen zu Karl (dem Großen, KChr. 14282ff./ 437,27ff.), in dem darauffolgenden Teil, der mit 2191 Versen relativ komprimiert ist (KChr. 15092ff./ 462,21ff.), dagegen 7mal. Die betreffenden Passagen finden sich in den Abschnitten zu Arnolt (Arnulf von Kärnten, KChr. 15518ff./ 475,23ff.; ein Beleg) und Otto (II., KChr. 15974ff./ 489,27ff.; zwei Belege) sowie insbesondere zu den drei Kaisern Hainrich im Vorfeld und während des — in der 'Kaiserchronik' übergangenen — Investiturstreites, Heinrich III. (KChr. 16376ff./ 502,9ff.; ein Beleg), Heinrich IV. (KChr. 16532ff./ 507,5f£; zwei Belege) und Heinrich V. (KChr. 16848ff./ 516,27ff.; ein Beleg). Wenn man zunächst nur den Abschnitt zu Caesar in Betracht zieht und diesen nicht wie in der bisherigen Forschung zumeist unter textgenetischen Aspekten mit der Episode zu Caesar und den "Deutschen" im 'Annolied' vergleicht, 110 sondern unter dem Gesichtspunkt konzeptueller Eigenwertigkeit, so läßt bereits diese quantitative Zusammenstellung eine Akzentverschiebung gegenüber dem 'Annolied' erkennen: Den 12 Belegen zu 'dütisc' und 'Dütiske(r)' in der 'Kaiserchronik' stehen in den parallelen Versen des 'Annoliedes' trotz in großen Teilen wörtlicher Ubereinstimmung nur 5 Belege gegenüber. Berücksichtigt man den Umfang der beiden Abschnitte (ohne die im 'Annolied' vorangestellte, in der 'Kaiserchronik' hingegen in die Episode zu Caesar integrierte Traumdeutung Daniels), so entspricht das einem Verhältnis von knapp 1,5 : 1. Die Lexeme 'dütisc' beziehungsweise 'Dütiske(r)' weisen in der Episode der 'Kaiserchronik' also eine um die Hälfte größere Streuung auf als in den parallelen Passagen des 'Annoliedes'. Zum Problem des semantischen Wandels von 'deutsch' kommt deshalb die Frage hinzu, inwieweit nicht auch schon durch diese verstärkte Rekurrenz in der 'Kaiserchronik' ein veränderter Sinn konstituiert wird. Da das allerdings keineswegs zwingend ist,111 erweist es sich erneut als entscheidend, genau die jeweiligen innertextuellen Verwendungszusammenhänge zu beachten.

110 Vgl. zur Forschung in diesem Zusammenhang oben, S. 108ff. mit insbesondere Anm. 111,7. 111 Das ist aus sprachhistorischer Sicht hervorzuheben, vgl. prinzipiell oben, Kap. 1.2.3., S. 29-38, und Kap. 11.2.2.2., S. 56-63.

132 3. 2.

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Juljus Cesar und die Dütisken

3. 2. 1. swelch lant wider Römere iht tete: Ambivalenzen einer aufständischen Provinz Die auf den Prolog der 'Kaiserchronik' folgenden Verse KChr. 43-246/ 2,21—8,27 sind auf die Vorgeschichte des römischen Weltreiches konzentriert und damit, wie betont wird, auf Ereignisse aus der haiden sgten (KChr. 43/ 2,21).112 In diese Zeiten fällt der Aufstieg der Stadt Rom zur Weltmacht, der elliu diu riche (KChr. 56/ 3,1) dienen beziehungsweise von der elliu diu lant (KChr. 61/ 3,6) beherrscht werden, womit die Lexeme 'riche1 und 'lant' an dieser Stelle mehr oder minder synonym verwendet sind. In diesem Zusammenhang wird die Sage von der Salvatio Romae erzählt (KChr. 209-246/ 7,22-8,27), von den tönenden Statuen auf dem Kapitol, deren jede einem anderen der Rom unterworfenen Länder zugeordnet ist und durch Glockenläuten anzeigt, swelch lant wider ~Rdmere iht tete (KChr. 227/ 8,8).113 So ertönt eines Tages die Glocke an der Statue jenes landes, in dem Dütisc volch [...] äfgestanden was (KChr. 246/ 8,27). Das Nominalsyntagma dütisc volc ist dabei quantitativ akzentuiert und in Parallele zu dem schriftsprachlicheren diut(i)schiu liut(ej des 'Annoliedes' zu sehen (AL 28,12);114 die Betonung liegt an dieser Stelle "vielleicht" auf dem militärischen Aspekt, inwieweit "sich schon ein wenig Nationalstolz" bemerkbar macht, läßt sich aus dem hier gegebenen Zusammenhang nicht ersehen und muß vorerst offenbleiben.115 Durch das Motiv der angesichts der Bedrohung läutenden Glocke wird die nachfolgende Handlung ausgelöst (KChr. 247—256/ 8,28—9,4), und der Fokus des narrativen Interesses liegt weiterhin auf den chuonen Romaeren (KChr. 247/ 8,28). Um der Aufgabe der Sorge um Roms %uhte unt ir eren (KChr. 58/ 3,3) gerecht zu werden, senden diese beziehungsweise der senätus (KChr. 236/ 8,17) einen herren und vermein helt (KChr. 248f./ 8,29f.) in die aufständische Provinz, konkret: Dutiscen landen (KChr. 253/ 9,34). Es ist der kampferprobte Juljus Cesar,116 der das Land der Erhebung wieder unter römische Gewalt bringen soll.

112 Vgl. Pezsa (1993), S. 57f. u. 198 (Literatur). 113 Zur Verarbeitung der Sage in der 'Kaiserchronik' vgl. grundlegend Ohly (1968 [zuerst 1940]), S. 40-42. 114 In Hinsicht auf das 'Annolied' vgl. dazu oben, S. 85£, und Kap. II.3.3.1., S. 91 f. 115 Zitate: Ehrismann (1993), S. 79f. 116 In der zitierten Namensform tritt Caesar erstmals in KChr. 296/ 10,11 auf, unter dem Gentilnamen 'Iulius' wird er in anderer Graphie jedoch bereits von

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Ebenso wie im 'Annolied' erscheint das (in variierender Graphie begegnende) (Wortgruppen-)Lexem 'dütiskiu lant' in der 'Kaiserchronik' in diesem Kontext ausdrücklich im Plural (vgl. AL 24,12). Die plurale Bedeutung ist allerdings auf die Verbindung von 'lant' mit 'dütisc' beschränkt und changiert mit dem Singular, sobald die Bedeutung 'römische Provinz' im Sinne einer nicht näher identifizierten Provinz unter vielen aktualisiert ist. So zeigt das Tönen der Statue den Römern zunächst die Tatsache als solche an, daß in einem lande im Herrschaftsbereich Roms ein Aufstand stattfindet (KChr. 217ff./ 7,30ff.). 117 Erst im Augenblick der Identifikation dieses landes als dütisc tritt dessen pluraler Charakter hervor. Sie erfolgt in dem Moment, in dem die römischen Senatoren an die tönende Statue herantreten und deren Inschrift lesen. Worin die Pluraütät der dütisken lande besteht, bleibt dabei unbestimmt. Ausschlaggebend sind vielmehr die einheitsstiftenden Gemeinsamkeiten. Die Einheit der dütisken lande, die es erlaubt, diese in verändertem Kontext im Singular als ein einziges lant zu bezeichnen, konstituiert sich einerseits auf sprachlicher, andererseits auf politisch-territorialer Ebene. Nur die zweite Bedeutungskomponente allerdings wird vom Text entfaltet, indem die gemeinsame antirömische Aktion des Rom entgegentretenden dütisken Volkes betont wird. Ob nun das aufständische lant als solches im Blickfeld liegt oder aber durch die Identifikation als dütiskiu lant dessen plurale Züge hervortreten und das sich gegen Rom erhebende dütiske volc in den Gesichtskreis rückt: In allen Fällen geschieht dies von der spezifischen Warte Roms aus, wie das analog auch schon bei der Analyse des 'Annoliedes' zu erkennen war. 118 Die sich im Abschnitt zur Salvatio Romae vom Standpunkt Roms aus abzeichnende Möglichkeit, je nach Aspekt die Pluraütät oder aber die Singularität der "deutschen" Provinz Roms hervorzuheben, tritt in den folgenden Passagen der Episode zu Caesar und den "Deutschen" in der 'Kaiserchronik' noch deutlicher zutage. Der zweite Beleg zu 'lant' + 'dütisc' begegnet in Vers KChr. 263/ 9,11 schon bald nach dem genannten ersten, wie im ersten Fall im Plural. Caesar vermehrt das Heer, das ihm von den Römern zum Kampf gegen die Aufständischen zur Verfugung gestellt worden ist, beträchtlich, want er dä vor was in Oütiscen landen und er ir eilen wol rekande, want er in ir haimiliche was (KChr. 263-265/ 9,11-9,13).

Vers 258/ 9,6 an erwähnt. Zur Literatur über diesen Abschnitt der 'Kaiserchronik' im ganzen vgl. oben, Anm. 111,40. 117 Vgl. das Zitat oben, S. 132. 118 Oben, Kap. II.3.2.-II.3.3., S. 76-96.

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III. KONSOLIDIERUNG

Metonymisch verweist der Präpositionalausdruck in Dütiscen landen hier auf die Landesbewohner. Caesar kennt ihre Kampfkraft aufgrund früherer Aufenthalte, er ist mit den Verhältnissen in den "deutschen Landen", wie der zuletzt zitierte Vers positiv hervorhebt, gut vertraut, und es wird sich erweisen, daß er den "Deutschen" prinzipiell wohlgesonnen ist.119 In ähnlicher Weise, jedoch mit territorialem Bezug, wird der Ausdruck in den Versen KChr. 459/ 15,10 und 462/ 15,13 verwendet, erneut im Kontrast zum cisalpinen Rom: Nach Niederschlagung des Aufstandes kehrt Caesar zurück nach Rom, wo man ihn nicht empfangen will, weil er einen Großteil seines Heeres verloren habe und überdies ohne Befugnis viel zu lange Dütisken landen geblieben sei. Daraufhin wendet sich Caesar unwillig zurück Oütiscem lante. Die wegen der sonst identischen Konstruktion offenkundige Austauschbarkeit von Plural und Singular bestätigt die plurale Bedeutung des Ausdrucks, wie sie für den formelhaften Dativ Singular in der artikellosen präpositionalen Wendung als Regel aufgezeigt werden konnte — entsprechend den in den anderen Kasus regulären Pluralformen. 12 " Andererseits erhält der Singular in der Präpositionalkonstruktion durch den kurz hintereinandergeschalteten Wechsel des Numerus in der 'Kaiserchronik' eine Markierung, die sich zu dem nicht näher differenzierten Bild eines im Singular genannten aufständischen landes im Herrschaftsbereich Roms fügt, das oben erörtert wurde. 121 Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang eine weitere Benennung dieses landes, die in KChr. 464/ 15,15 neu hinzukommt. Es heißt dort, der ^e Oütiscem lante zurückkehrende Caesar habe näh allen den herren schicken lassen, dt in Oütiscem riche wären, um ihre Unterstützung zu gewinnen (KChr. 462^-64/ 15,13-15,15). Auch dabei handelt es sich um einen Präpositionalausdruck vom beschriebenen Typ. Angesichts der an dieser Stelle prinzipiell gegebenen Substitutionsmöglichkeit von 'riche' durch 'lant', wie sie schon im Vergleich von KChr. 56/ 3,1 und 61/ 3,6 deutlich wurde, 122 kann man ihm aufgrund derselben Beobachtungen zur grammatischen Semantik wie im entsprechenden Fall der Verbindung von 'lant' und 'dütisc' ebenfalls eine plurale Bedeutung zusprechen. In einigen jüngeren Handschriften, welche die Lesarten in dusken Bächen und in teutschen

119 Vgl. BMZ (1854/66), Bd. 1 (1854), s. v. "heimliche, heinliche, -en", S. 654; vgl. auch WMU (1994/2003), Bd. 1 (1994), s. v. "heimeliche", S. 813f; vgl. jeweüs ebd. auch die gesamte zugehörige Wortfamilie. 120 Soweit nicht anders angegeben, vgl., auch im folgenden, oben, Kap. Π.2.2.2., S. 56-63. 121 Oben, S. 132f. 122 Vgl. weiterhin oben, hier S. 132.

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landen aufweisen, ist dies auch der Fall.123 Doch wegen ebendieser Substitutionsmöglichkeit changiert die Bedeutung des Ausdrucks in der 'Kaiserchronik' grundsätzlich genauso zwischen Plural und Singular wie es für 'lant' + 'dütisc' festzustellen war. 124 Zudem ist die Verwendung vor dem Hintergrund der politischen Aktualität des lateinischen Terminus regnum Teutonicum zu sehen.125 Wie oben mit Heinz Thomas aufgezeigt werden konnte, ist er im 'Annolied' rund fünfzig Jahre vor der 'Kaiserchronik' während des Investiturstreites, als er noch ebenso neu wie umstritten war, bewußt vermieden worden. 126 Das angeführte Beispiel Ottos von Freising dagegen hat verdeutlicht, daß die Bezeichnung regnum Teutonicum im politischen Diskurs um 1150 zwar etabliert war, es aber durchaus unterschiedliche Auffassungen über den Charakter dieses Reiches gab, das sich "nicht als ein K[öni]gr[eich] unter anderen, sondern im Rahmen oder als ein Teil des Römischen] Reiches und in Beziehung auf dieses"127 präsentierte. Die Terminologie erweist sich damit in den bisher betrachteten Passagen als schwankend, das Bild des "deutschen Reiches" als ambivalent und keineswegs so eindeutig, wie von der Forschung gemeinhin reklamiert.128 Je nach Aspekt ist das Reich als ein plurales Gebilde gezeichnet, das aber dennoch eine Einheit darstellt, und der überwölbende Faktor 'deutsch' ist betont. Dieser Sachverhalt erhellt auch aus dem Vergleich mit der Parallelstelle zu ICChr. 455^168/ 15,6-15,19 in Strophe 24 des 'Annoliedes'.129 Bis auf zwei zusätzliche Verse im 'Annolied' (AL 24,9f.) herrscht nahezu vollständige Übereinstimmung. Interessant ist jedoch die unterschiedliche Attribuierung des von Caesar aufgesuchten Gebietes: Während die dicht aufeinanderfolgenden Präpositionalausdrücke in der 'Kaiserchronik', wie gesehen, lauten: Dütisken landen, Oütiscem lante und in Oütiscem riche (ICChr. 459/ 15,10; 462/ 15,13; 464/ 15,15) wird im 'Annolied' an 123 So die Varianten zu KChr. 464, hg. Schröder (1892), S. 89, in den - in der oben zitierten Reihenfolge - Handschriften 4 (13. Jh.) und 2 (14. Jh.); vgl. auch den Apparat zu der Stelle in der Ausgabe von Massmann (1849/54), Bd. 1 (1849), S. 39. 124 Oben, S. 132f£; vgl. auch Naumann (1952), zusammenfassend S. 74ff. (einschränkend oben, Anm. 111,95). 125 Vgl. dazu oben, S. lOOf. 126 Oben, S. 101 mit Anm. 11,185. 127 Müller-Mertens (1995), S. 602. Vgl. insgesamt oben, Kap. III.2.1., S. 118-123. 128 Vgl. dazu die Feststellung von Schnell (1989), S. 284f., daß der nationale Reichstitel in der volkssprachigen Literatur im wesentlichen erst ab Ende des 13. und in größerem Umfang dann erst im 15. Jahrhundert nachzuweisen ist. Dazu fugt sich der ambivalente Status der beiden entsprechenden Präpositionalausdrücke im Dativ Singular (in dütiskem riche) in der 'Kaiserchronik'. 129 Vgl. zum folgenden oben, S. 84ff.

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syntagmatisch jeweils identischer Stelle die Reihe in vremidimo lante — ci diutiscbimo lante gebildet, während im dritten Fall riebe ohne Attribut im Sinne der von den heirrin in den "deutschen Landen" ausgeübten 'Herrschaft, Macht' verwendet ist (AL 24,5; 24,8; 24,llf.). Vor diesem Hintergrund erscheint auch der Stellenwert des wenig später in demselben Kontext folgenden Wortpaares Gallia unt Germania in der 'Kaiserchronik' genauer bestimmt als im 'Annolied'. Als Caesar, wie zitiert,130 von den Fürsten in Oütiscem riche Hilfe erbittet, eilen sie ü%er Gallia unt ü^er Germanje (KChr. 471/ 15,22) herbei. Bei der Analyse des 'Annoliedes' (AL 25,3) habe ich dargelegt, daß damit die im Mittelalter gängige geographische Terminologie der Antike zur Anwendung gelangt, die sich auf die Gebiete links und rechts des Rheins bezieht.131 Indem sie in der 'Kaiserchronik' zur Beschreibung der Ausdehnung des dütisken nches dient, wird auf terminologischer Ebene eine unmittelbare Verbindung zwischen der römischen Vergangenheit und der mittelalterlichen Gegenwart hergestellt, in denen sich das dütiske riche gleichermaßen auf die rechtsrheinische Germania und die linksrheinische Gallia Belgica erstreckt, mit der zugleich der Kern des Franken landes aufgerufen ist (Lothringen). 132 Dementsprechend werden die Bewohner der Gallia unt Germania einheitlich als Dütiske (KChr. 497/ 16,6) bezeichnet. Bezeichnenderweise unterbleibt dabei eine weitergehende Differenzierung der Dütisken analog zu der des dütisken riches in rechts- und linksrheinische Reichsbewohner. Sie hätte erneut den Rückgriff auf den lateinischen Diskurs erfordert, wie er sich etwa in der Chronik Ottos von Freising manifestiert. Wie gesehen, unterscheidet der Bischof von Freising im Bericht von der Schlacht zwischen Otto dem Großen und dem Herzog von Lothringen bei Andernach am Rhein zwischen Teutonia einerseits und Germani sowie Belgae andererseits. 133 Während in bezug auf die mittelalterliche Gegenwart je nach Aspekt alle drei Termini nebeneinandertreten können, vermeidet Otto von Freising es, von Teutonia zu reden, wenn er Ereignisse aus römischer Zeit mitteilt.134 Über die zeitübergreifend verwendeten Termini Germania, Belgica, Germani, Belgae ist jedoch, so war zu erkennen, auch bei ihm eine direkte Verbindungslinie zwischen römischer Zeit und Gegenwart gezogen, die in der Rede von der römerzeitlichen ge η s Germanorum ihren deutlichen Ausdruck findet. 130 Oben, S. 134. 131 Oben, S. 84f. 132 Vgl. das Zitat von KChr. 397-399/ 13,14-13,16 unten, S. 141. 133 Vgl. hier und im folgenden oben, S. 121 ff. 134 H. Thomas (1991), S. 272 u. 274 mit Anm. 158; ders. (1994), S. 138, Anm. 32. Vgl. zum folgenden ebd.

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In der 'Kaiserchronik' erscheint diese Linie angesichts des dargelegten Sachverhalts auf der Ebene der Terminologie — und nur um diese geht es an dieser Stelle - als verstärkt. Einerseits werden die Grenzen des dütisken riches mit der tradierten geographischen Terminologie der Antike umschrieben (wie in der lateinischen Weltchronik Ottos von Freising). Andererseits fällt eine gleichzeitige terminologische Differenzierung zwischen römerzeitlichen und gegenwärtigen Dütisken v o l l s t ä n d i g weg (anders als bei Otto von Freising). Deswegen erscheinen in der volkssprachigen Chronik sowohl das dütiske riche als auch seine dütisken Bewohner nicht nur in geographischer, sondern auch in historisch-politischer Hinsicht in einem Kontinuum angesiedelt, das substantiell statisch ist und bis in die Gegenwart reicht. Damit wird im Medium des literarischen Textes in der Volkssprache genau jener fiktive "historische Unterbau" einer a l l e "deutschen Lande" einfassenden "einstigen römischen Reichsprovinz" geschaffen, der dann im Zeitalter des Humanismus durch die programmatische Gleichsetzung von Germanen und Deutschen "sekundärmythologisch" erhebliche nationale Integrationskraft entfalten sollte.135 3. 2. 2. Juljus und die Swäbe, Baire, Sahsen und Franken Wie sich zuletzt gezeigt hat, ist die Variationsbreite der Bezeichnungen für die "deutschen Lande" in der Episode zu Caesar und den "Deutschen" in der 'Kaiserchronik' trotz vielfacher Ubereinstimmungen im ganzen ausgeprägter als im 'Annolied', und auch der "deutsche" Charakter und die Singularität des gleichwohl pluralen Territoriums, das unter teils variierender Akzentuierung so unterschiedlich bezeichnet werden kann, sind in der 'Kaiserchronik' stärker profiliert. Dabei erfolgt die Identifikation des anvisierten Raumes in allen betrachteten Fällen als dütisc stets und nur in Kontrast zu Rom. Der Rombezug ist für die Profilierung des Faktors 'deutsch' mithin konstitutiv — und er bleibt es, wenn auch in abgeschwächter Weise, in den Versen KChr. 267—454/ 9,15—15,5, die ich bisher ausgespart habe, weil das Wort 'dütisc' in ihnen ebensowenig fällt wie im parallelen Abschnitt des 'Annoliedes' (mit einer später zu betrachtenden Ausnahme). Im Kern entspricht dieser Passus den Strophen 19—23 des 'Annoliedes', in denen die einzelnen lant und Hut — Bayern, Franken, Sachsen und Schwaben —

135 Die auf die humanistische Entwicklung bezogenen Zitate stammen von K. F. Werner (1992), S. 243. Vgl. in diesem Kontext, mit den sich aus der neueren Forschung ergebenden Einschränkungen, auch Lugge (1960), S. 140-145, 208-215.

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sehr stark in den Vordergrund traten. 136 Durch die dabei deutlich werdende Überlagerung der Perspektiven hatte sich im 'Annolied' in bezug auf die gesamte Episode zu Caesar und den "Deutschen" eine ausgeprägte Ambivalenz ergeben, die sich als kennzeichnend erwies. Bereits die Ausgangssituation zu Beginn des Abschnittes ist in der 'Kaiserchronik' jedoch eine andere als im 'Annolied': Im 'Annolied' begab sich Caesar in ein politisch von Rom unabhängiges Gebiet, in der 'Kaiserchronik' handelt es sich hingegen um eine aufständische Provinz. Ihre Bewohner sind bereits unterworfen, es geht lediglich darum, die römische Herrschaft wiederzuerrichten. Von Anfang an liegt das narrative Interesse, dem Gattungsanspruch der 'Kaiserchronik' entsprechend, auf dem Begründer des römischen Kaisertums Caesar, mit dem die in Rede stehenden Verse einsetzen: Juljus was ain guot kneht (KChr. 267/ 9,15). Die Figur Caesars setzt die folgende Handlung in Gang, auf ihn bleiben alle erzählten Ereignisse weit stärker als im 'Annolied' unmittelbar bezogen. Das erste Objekt der auf die Niederschlagung der antirömischen Unruhen gerichteten Kriegsaktion Caesars sind die Swäbe (KChr. 271—296/ 9,19-10,11), wie im 'AnnoHed' folgen die Baire (KChr. 297-324/ 10,1211,6), Sahsen (KChr. 325-342/ 11,7-11,24) und schließlich Caesars alte mäge, die Vranken (KChr. 343^-54/ 11,25—15,5). Wie dort werden diese gegebenenfalls explizit jeweils im Singular als ein liut, "ein Volk" bezeichnet, das sein lant gegen Caesar verteidigt. Im Fall der Schwaben und Bayern treten dabei entsprechend der Tendenz der 'Kaiserchronik', Geschichte in Taten zu erzählen, abweichend vom 'Annolied' zwei Fürsten auf: Prenne (KChr. 275/ 9,23), ain helt vil vermessen (KChr. 274/ 9,22), und der bayerische Herzog Boimunt mit seinem Bruder Ingram [KChr. 300f./ 10,15f.]). So beginnt die Sequenz zu den Schwaben mit der kriegerischen Begegnung zwischen Juljus und Prenne (KChr. 269-286/ 9,17-10,1), die in den Worten gipfelt: di Swäbe werten wol ir lant, un^ si Juljus mit minnen rebat ^e aim teidinge. ir lant si da gäben in sinegenäde (KChr. 282-286/ 9,30-9,33). Nicht nur die Wehrkraft der Schwaben wird hervorgehoben. Da Caesar seine Gegner auf vertraglichem Weg zur Gefolgschaft gewinnen muß, wird auch die Freiheit des Willensaktes der Schwaben betont, ihr lant dem Schutz Caesars zu unterstellen, der dadurch wie ein mittelalterlicher Lehnsherr erscheint. Wenig später werden die Schwaben dann (jetzt wieder in Parallele zum 'Annolied") als ain liut bezeichnet, das rate vollen guot 136 Oben, Kap. II.3.2.2, S. 79-84, und Π.3.3.2., S. 92-96.

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sei (KChr. 291/ 10,6; vgl. AL 19,9). In den folgenden Versen steht jedoch erneut Caesar im Zentrum: Waren es im 'Annolied' die von dem römischen Feldherrn bedrängten Schwaben, die ihre Zelte am namengebenden Berg Suevo (AL 29,7) aufschlugen, so ist es in der 'Kaiserchronik' Caesar selbst (KChr. 287f./ 10,2f.), der als Herr aller Kriegshandlung am Ende der Passage über die Schwaben nun doch explizit zum Sieger wird: iedoh betwanc juljus Cesar alle ir chraft (KChr. 296/ 10,11). Auf diese Weise tritt die Darstellung über Ursprung und Eigenarten der Schwaben stärker in den Hintergrund als im 'Annolied': Sie ist im Umfang reduziert und gibt den Aktionen Caesars größeren Raum, wenn auch die Kampfkraft des Volkes der Schwaben und damit dessen politisches Gewicht mehr betont ist als im 'Annolied'. Ähnlich ist die Sequenz zu den Bayern strukturiert (KChr. 297—324/ 10,12—11,6). Auch der wehrhafte Charakter des bayerischen Volkes (im Dat. Sg.: dem liute, KChr. 316/ 10,31), dessen Vorfahren aus dem mit dem Namen Noahs verbundenen Armenje (KChr. 318/ 10,33) kommen, wird unterstrichen. Die Sequenz beginnt, indem der an den Feldzug gegen die Schwaben anschließende Marsch Caesars üf die Baire (KChr. 298/ 10,13) im einzelnen motiviert wird, was im 'Annolied' nicht der Fall ist: Den Anlaß liefert der Ratschlag der Schwaben. Dadurch erscheint aber nicht nur der Ubergang der Erzählung von den Schwaben auf die Bayern logisch, sondern zugleich wird der Antagonismus zwischen den beiden benachbarten Völkern herausgestellt. Gleichzeitig wird die Kraft des Widerstandes betont, mit dem sich Caesar auch in Bayern konfrontiert sieht, und dies weitaus mehr als im 'Annolied', mehr aber auch als in der Sequenz zu den Schwaben: Die bayerischen beide (KChr. 304/ 10,19: vil manic belt junc, KChr. 309/ 10,24: so manic belt guot) werten sib mit gimme (KChr. 306/ 10,21), und, berühmt als guote cnehte (KChr. 311/ 10,27), lieferten sie Caesar ain volcmc, eine Schlacht, wie sie neweder e nob sit gesehen ward (KChr. 307f./ 10,22f.). Deutlich ist die Kontinuität zwischen den alten Bayern und ihren mittelalterlichen Nachfahren herausgestrichen, und die Schilderung ihrer Kriegstüchtigkeit gewinnt gegenüber der im folgenden kurz erzählten Ursprungsfabel auch in quantitativer Hinsicht an Gewicht. Der in der Sequenz zu den Bayern herausgestellte Antagonismus zu den Schwaben, das im Modus der Uberbietung gezeichnete kämpferische Profil der Bayern lassen beide Völker an dieser Stelle demnach mitnichten als integrative Bestandteile einer Einheit erscheinen, die etwa unter dem Charakteristikum 'dütisc' zu subsumieren wäre. Dasselbe gilt analog für die Sachsen und Franken und damit für den gesamten Abschnitt über die kriegerischen Auseinandersetzungen der gegen Rom opponierenden Völker mit dem römischen Imperator. So zerfällt die von Caesar aufgesuchte, transalpine Provinz der Erhebung in dem Moment in ihre einzelnen lant

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und Hut, in dem sich der Fokus mit Caesar in diese und unmittelbar zu diesen hin verlagert. Der Übergang der Erzählung zu den Sachsen ist ähnlich unmotiviert wie im 'Annolied', überdies ist die gesamte Sequenz kürzer und auf einen Abriß der Sachsensage reduziert (KChr. 325-342/ 11,7-11,24). Interessant ist dabei die in 'Annolied' und 'Kaiserchronik' (d. h., wie in dieser Untersuchung stets, der Vorauer Fassung) unterschiedliche Lesart des Adjektivs, das den — beziehungsweise in den frühmittelhochdeutschen Texten noch "das" — mut der Sachsen charakterisiert: Im 'Annolied' sind die Sachsen durch wankele^ mut (AL 21,1), in der 'Kaiserchronik' dagegen, positiver, durch grimmige^ muot (KChr. 325/ 11,7) gekennzeichnet, womit einerseits ein im Zusammenhang der Sachsensage üblicher Topos aufgenommen ist, worin andererseits aber "wohl auch [...] Rücksicht auf die Interessen des Weifenhofes" 137 im Spiel ist. Dennoch haben die Sachsen auch in der 'Kais er chronik' ihre von untriwe (KChr. 339/ 11,21) gezeichneten Züge. Dessenungeachtet schließt die Sequenz, anders als im 'Annolied', nicht mit dem Hinweis darauf, daß die Sachsen schließlich alle den Römern Dienste leisten mußten (AL 21,25f.), ob sie wollten oder nicht. Vielmehr steht am Ende die in leichter Abweichung vom 'Annolied' erzählte Ableitung ihres Namens von den gleichnamigen Messern, von denen sie noch heute Sahsen heißen (KChr. 342/ 11,24).138 Am meisten Gewicht hat die folgende Sequenz zu den Franken, die sich über etwas mehr als 100 Verse erstreckt (KChr. 343-^51/ 11,25—15,2 bzw. 454/ 15,5). Anfangs, im Teil über die trojanische Abkunft der Franken, erscheint sie in der 'Kaiserchronik' gegenüber dem 'Annolied' gekürzt. Ab Vers KChr. 379/ 12,29 jedoch ist sie zunächst in Parallele zu den Strophen 29 und 30 des 'Annoliedes' über die alten rheinisch-fränkischen Städte weitergeführt, die im 'Annolied' allerdings erst nach der Begründung des römischen Kaisertums durch Caesar zu Augustus eingefügt sind. Von da aus wendet sich die Erzählung dem fränkischen Trier und dessen Eroberung durch Caesar zu. Auf diese Weise ist der trojanische Ursprung der Franken in der 'Kaiserchronik' unmittelbar auf die römische Epoche des fränkischen lancks bezogen, deren Bedeutung unterstrichen ist. So bieten die Verse KChr. 379-394/ 12,29-13,10 zunächst eine Aufzählung auf Caesar zurückgeführter rheinischer Herrschaftssitze (im Akk. PI.: sedelhove, KChr. 380/ 12,30), und auch der Bau der Mainzer Brücke 137 Weddige (1989), S. 122. 138 In der 'Kaiserchronik' handelt es sich wie in der vorherrschenden Uberlieferung im Gegensatz zum 'Annolied' aufgrund des fehlenden Bezuges auf die Thüringer mindestens implizit um eine Selbstbezeichnung der Sachsen, vgl. oben, S. 82f.

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wird erwähnt — nicht ohne die mit einem Seitenhieb auf Mainz verbundene Erläuterung, warum sie in der Gegenwart nicht mehr zu sehen sei. Damit wird von neuem die Relevanz des Erzählten für die Gegenwart hervorgehoben, und nach Mainz und Kastel gerät Trier in den Blick. Zur Lokalisierung gelangt dabei erneut die geographische Fachterminologie des lateinischen Diskurses zur Anwendung: 139 si stuont an einem ende in Franken lande, in Bellica Gallrn (KChr. 397-399/ 13,14-13,16). Die Franken in Trier wehren sich anhaltend und hartnäckig gegen Caesar, und es wird erzählt, wie dike si rieten da% si wider den chaiser riten mit grimmem volcwige! (KChr. 425—427/ 14,10—14,12) Doch wegen innerer Zwistigkeiten kann Caesar sie schließlich besiegen und der kaiser erweist sich als unerwartet milder Sieger. Als oberster Lehensherr stellt er die Ordnung wieder her: die burc bepalh er in ir aller [sc. "der herren"] gemalt, den oberisten herren den leh erguotiu lehen (KChr. 442-444/ 14,26-14,28). Im gesamten Abschnitt über Caesars Feldzug gegen Schwaben, Bayern, Sachsen und Franken liegt das narrative Interesse dominant auf Caesar, der mit dem Sieg über die Franken und Trier sein Ziel erreicht hat. So lange verweilt er noch in dem zurückeroberten Gebiet, un\ im alle Dütiske herren/ willic wären sinen eren (KChr. 452-454/ 15,3—5.), dann kehrt er zurück Rome (KChr. 455/ 15,6). Erst jetzt tritt erneut der "deutsche" Charakter des landes zutage, dessen Opposition gegen Rom einst von der tönenden Statue auf dem Kapitol angezeigt worden war.14" Genau in jenem Moment geraten die besiegten Fürsten wieder als dütiske herren in den Blick, in dem sich der Fokus mit Caesar zurückwendet zum Ausgangspunkt des Feldzuges in Rom. Ausschlaggebend für die Kennzeichnung als dütisc ist der mit Caesars Rückkehr erneut greifende Kontrast zwischen 'transalpin-deutschem' und 'cisalpin-römischem' Gebiet. Aus diesem Grund fällt das Wort 'dütisc' in der gesamten Sequenz über Caesars Kriege in der aufständischen Provinz selbst n i c h t . Sobald von Vorgängen i η dieser erzählt wird, zerfällt sie in ihre einzelnen lant und Hut.

139 Vgl. oben, S. 84£, und dazu Lugge (I960), S. 184. 140 Oben, Kap. III.3.2.1., S. 132-137.

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Das Syntagma alle Dütiske herren am Ende des Abschnittes über Caesars transalpinen Feldzug korrespondiert damit den Ausdrücken dütisc(e^) volk beziehungsweise dütiskiu lant vor dessen Beginn, und wieder treten hier die pluralen Züge der von Caesar besiegten Gruppe der dütisken herren hervor. Das zeigen nicht nur die durch das Adjektiv 'dütisc' attribuierten Landesbezeichnungen, die in dem nun folgenden Teil der Episode zu Caesar und den "Deutschen" ebenfalls von neuem und überdies nun gehäuft begegnen. Vielmehr hält das Syntagma alle Dütiske herren die Pluralität der "deutschen Lande", abgesehen vom Pronominaladjektiv 'al', auch und insbesondere deshalb präsent, weil es im vorliegenden Kontext dazu dient, vom zuletzt betrachteten Schauplatz in Trier beziehungsweise im Franken lande noch einmal implizit auf die Summe a l l e r von Caesar unterworfenen liute in der vormals aufständischen Provinz zurückzulenken. In entsprechender Abgrenzung zu Rom treten die dütisken herren wenig später dann nochmals in Erscheinung. Als Caesar in Rom unerwartet der Empfang verweigert wird und der Imperator sich mit ungemute (KChr. 461/ 15,12) zurückwendet, läßt er näh allen den herren schicken, di in Oütiscem riche wären (KChr. 463f./ 15,14f.), um ihnen sein Mißgeschick zu klagen. Auch hier werden die pluralen Züge der Gruppe der in Oütiscem riche vereinigten Fürsten wieder offenbar: Es kommt zu einer Versammlung, und wie schon im 'Annolied' (AL 25,3) sind es scar manige (KChr. 472/ 15,23), die zu Caesar kommen. 141 Aus ganz Gallia und Germanje versammeln sie sich, wie zitiert, 142 und als ain fluot vuoren si Rome in da^ lant (KChr. 476/ 15,27).

3. 2. 3. Blickwechsel: duojuljusmit herlichen chom

Tütiscer riterscephte



An dieser Stelle kehrt sich die Blickrichtung auf signifikante Weise um. Erneut geraten die "Deutschen" im Kontrast zu den cisalpinen Römern in den Fokus. Doch während sie eben noch gewaltig "wie eine Flut" auf Rom hin zuritten, so sind es jetzt die Römer, die die transalpine Heeresmasse auf sich zukommen sehen: do BJmaere gesahen, wie harte ie erchomen do ervorht im vil manic man, duo Juljus mit Tütiscer riterscephte so herlichen chom (KChr. 477—480/ 15,28—31).

141 Zum 'Annolied' vgl. oben, S. 84ff., insbesondere S. 86. 142 Oben, S. 136.

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An der Spitze des "deutschen" Ritterheeres erkennen die Römer Caesar, der vom Gegner der dütisken herren (vgl. KChr. 453/ 15,4) zum Gegner der Römer selbst mutiert ist. Nicht mehr als Imperator im Auftrag Roms tritt er auf, sondern als von den "deutschen" Fürsten bereits zuvor als kaiser (vgl. KChr. 426/ 14,10) titulierter oberster Lehensherr, der guotiu leben (KChr. 444/ 14,28) zu vergeben weiß. Damit wird Caesar zum Ebenbild des, in der offiziellen Herrschernomenklatur, rex Romanorum beziehungsweise imperator Romanorum, um dessen Rang und Würde seit den Tagen des Investiturstreites so gerungen wurde.143 Vor diesem Hintergrund wird alt-"deutsche" Identität in der 'Kaiserchronik' im folgenden zunächst und primär politisch über die gemeinsame Kriegsaktion an der Seite Caesars konstruiert. Explizit und damit ausgeprägter als im 'Annolied' ist es in der 'Kaiserchronik' die dütiske nterscaft alleine, mit welcher Caesar seinen Sieg über Pompeius erringt, und in diesem Kontext treten die "deutschen" Ritter und ihr von Caesar geführtes Heer nun auch unter dem hier erstmals nicht nur in der 'Kaiserchronik', sondern in der schriftsprachlichen Überlieferung deutscher Sprache überhaupt begegnenden substantivierten Volksnamen auf:144 Juljus strebet in [sc. dem Heer des Pompeius] engegene, iedoh mit minre menige. durh der Oütiscen trdst wie vast er in näh ^/(KChr. 495-498/ 16,14-16,17) Die Benennung als "Deutsche" erfolgt dabei in Abgrenzung zum nicht"deutschen", römischen Heer der Feinde Caesars, mit dem sich die "deutsche" Ritterschaft da^ hertiste volcwic (KChr. 499/ 16,18) aller Zeiten liefert. Beide, die Figur Caesars als auch die Gesamtheit der "Deutschen", römischer kaiser wie dütiskiu nterscaft, gewinnen dabei erst im gegenseitigen Bezug aufeinander ihr charakteristisches Profil. Erst durch die "Deutschen" gewinnt Caesar die Alleinherrschaft und begründet so das römische Kaisertum, ist er der unangefochtene Herrscher über diu nche elliu (KChr. 516/ 17,2) und hat alleine den gemalt/ der e was getailet so manicvalt (KChr. 522f./ 17,8f.). Umgekehrt finden die "Deutschen" erst durch Caesar in einem lant und Hut integrierenden Ritterheer zu einer pluralen Einheit zusammen. Als Sieger an seiner Seite übernehmen die dementsprechend im Kollektivplural aufgerufenen "deutschen Mannen" nun auch den zu Ehren des kaisers von den Römern neu eingeführten Brauch des Ihrzens an, jetzt wieder in weitestgehender Ubereinstimmung mit dem 'Annolied': den site hie\ der herre/ alle Oütisce man leren (KChr. 524f./

143 Vgl. zur Herrschemomenklatur oben, S. 100. 144 Vgl. die statistische Übersicht oben, Kap. III.3.1., S. 130f.

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17,10f.).145 Der identitätsstiftende Faktor gemeinsamen politischen Handelns wird damit auch in der 'Kaiserchronik' durch das Merkmal gemeinsamen Brauchtums gefestigt, das wie im 'Annolied' bezeichnenderweise im Ursprung römisch definiert ist. In Anbetracht dessen erscheint die Einfügung des biblischen Traumes des Daniel beziehungsweise, in der 'Kaiserchronik', des Nabuchodonosor (KChr. 528/ 17,14) und dessen eigenwillige Ausdeutung nach der Lehre von den Vier Weltmonarchien an genau dieser Stelle durchaus motiviert, was die Forschung allerdings nicht immer wahrgenommen hat.146 Im 'Annolied' findet sich der Traum, wie weiter oben zu sehen war, 147 v o r dieser Episode und fügt sich so in den mit Ninus von Babylon beginnenden welthistorischen Abriß ein, der auf die Darstellung der Anfänge römischer Weltherrschaft unter Caesar zuläuft. In der 'Kaiserchronik' verstärkt er aufgrund der Einfügung n a c h der Begründung des römischen Kaisertums durch Caesar mit Hilfe der "Deutschen" den universal- und heilsgeschichtlichen Anspruch dieses Kaisertums. Gleichzeitig wird dadurch das Verdienst der "Deutschen" an dessen Errichtung herausgehoben. In der 'Kaiserchronik' ist das dritte der vier visionären Tiere ain fraislich eber (KChr. 571/ 18,27). Entsprechend der durchgängigen Tendenz des Textes, Geschichte personenbezogen zu erzählen, wird das Tier auf Caesar hin gedeutet, der das römische Weltreich personifiziert, auf das der durch einen Löwen symbolisierte Antichrist folgt: juljus bedwanch elliu lantj sie dienten elliu siner hant./ wol be^aichenet uns dat(_ wilde swin/ [i. e. das dritte, dem Uimn bsqv. Antichrist vorangehende Tier des Traumes] da^da^riche Rome soliemerfrisin (KChr. 575—578/ 18,31-19,3).

Durch die explizite Bezugnahme auf Caesar ist damit implizit das Bild von dem so herlichen in das cisalpine Gebiet hineinströmenden Juljus mit Tütiscer riterscephte (KChr. 480/ 15,32) aufgerufen, das wenig vorher entworfen wurde. Wie gesehen, umfaßt es auch die Einführung der ehrenvollen Sitte 145 Vgl. AL 28,12, wo das oben genannte Lemma Oütisce man der 'Kaiserchronik' eine Entsprechung in diutischi liuti hat; vgl. dazu oben, S. 86, 91 f. 146 So früh etwa auch der Herausgeber Schröder nicht, vgl. dessen Komm, zu KChr. 526ff./ 17,12f£, hg. ders. (1892), S. 90, Anm. 1. Zu den Spezifika der Traumdeutung in der 'Kaiserchronik' vgl. hier und im folgenden jetzt S. Müller (1999), besonders S. 189-212 und S. 251ff., mit Diskussion der älteren Literatur, von der ich hier nenne: Ohly (1968 [zuerst 1940]), S. 44f£; Neilmann (1963), S. 50f£; Gellinek (1966); Gellinek (1971a), S. 148-166, 191; Marsch (1972), S. 10-62; Pezsa (1993), S. 45£; Fiebig (1995). 147 Oben, S. 76£

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des Ihrzens des machtvollen herren (KChr. 520/ 17,6) im Anschluß an die welthistorische Entscheidungsschlacht, die zu Caesars Alleinherrschaft fuhrt.148 Die Übernahme dieser Sitte durch die dütiscen man (KChr. 525/ 17,11) wurde unmittelbar vor dem Traum Nebukadnezars geschildert. Auf diese Weise bleiben während der Erzählung des Traumes zugleich mit ]uljus im Hintergrund auch die siegreichen dütisken man präsent. Dieser Faden wird im unmittelbaren Anschluß an den von Daniel gedeuteten Traum Nebukadnezars dementsprechend wieder aufgenommen. Nachdem durch die Traumdeutung der universal- und heilsgeschichtliche Stellenwert der von den "Deutschen" wesentlich mitgetragenen Begründung des römischen Kaisertums geklärt ist, wird nun erzählt, wie reichlich Caesar die Dütisken holden (KChr. 593/ 19,17) belohnte und daß iemermer dutisken [sic] man/ Rome liep unt vorhtsam waren (KChr. 595f./ 19,19f.). Erneut unterstreicht dabei die im Gegensatz zum Annolied' verstärkte Rekurrenz des Adjektivs 'dütisc' die Bedeutung der mit Blick auf das Römische Kaisertum so bezeichneten dütisken man. Das adverbiale iemermer projiziert diesen Geltungsanspruch in die Gegenwart. Zugleich ist an dieser Stelle der vorübergehende Antagonismus zwischen Caesar und den Römern endgültig aufgehoben, und die "Deutschen" sind von einer randständigen opponierenden Provinzbevölkerung zu einem zur Herrschaftssicherung unverzichtbaren Bestandteil des universalen und heilsgeschichtlich legitimierten römischen Machtanspruchs geworden. 3. 2. 4. Die Episode zu Caesar und den Dütisken und die Frage des literarischen Ursprungsmythos der Deutschen Ich fasse zusammen: Der Weg vom aufständischen dütisken volke in dütisken landen zur siegreichen dütisken riterscefte im Gefolge des Kaisers Juljus fuhrt über jahrelange Kämpfe mit Caesar, der die Gegnerschaft zwischen Schwaben und Bayern für sich ebenso auszunutzen weiß wie den Zwist zwischen den fränkischen Herren von Trier. So zerfällt das von der tönenden Statue auf dem Kapital als dütisc ausgewiesene lant der Erhebung in seinem Inneren zwar in lant und liut der Schwaben, Bayern, Sachsen und Franken, die alle ihre Vorzüge haben, vor allem kriegstüchtig sind wie namentlich die Bayern. Wie sich im Zuge der vorliegenden Analyse herausgestellt hat, erscheinen jedoch die pluralen Elemente in der 'Kaiserchronik' aufgrund der im Vergleich mit dem 'Annolied' veränderten Akzentsetzung stärker gebündelt. Die in Kontrast zum römisch-cisalpinen Standpunkt allererst als solche wahrnehmbare "deutsche" Identität enthält dadurch 148 Oben, S. 143f.

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gegenüber den neben ihr bestehenden Identitäten der Bayern, Franken, Sachsen und Schwaben ein tieferes Profil als im 'Annolied', in dem überdies das fränkische Element stark in den Vordergrund trat. Das Interesse der 'Kaiserchronik' ist von der Gattung her auf Entstehung und Geschichte des r ö m i s c h e n Kaisertums gerichtet, das in Caesar seinen machtvollen Auftakt findet. Gerade deshalb und weil die "d e u ts c h e" Identität am Beginn der 'Kaiserchronik' erst und überhaupt nur in bezug auf R o m als solche in Erscheinung tritt, kann in der volkssprachigen Reimchronik der "de u t s c h e" Anteil am Aufstieg R o m s zur Weltmonarchie stärker profiliert werden als in dem frühmittelhochdeutschen Lied von dem fränkischen Heiligen und Reichsfürsten Anno von Köln. Wenn man daher, wie Heinz Thomas das in bezug auf das 'Annolied' getan hat,149 die Episode zu Caesar und den "Deutschen" als eine singuläre origo gentis Teutonkorum im Sinne eines literarischen Ursprungsmythos der Deutschen auffassen möchte, dann könnte man dies allenfalls hinsichtlich der 'Kaiserchronik', nicht aber des 'Annoliedes' mit seiner vergleichsweise stärkeren Gewichtung der gentilen Herkunftsfabeln tun. Doch bringt auch im Falle der 'Kaiserchronik' der Begriff des Mythos aufgrund der notwendigen Differenzierung von mythischer Geschichte, mythischer Struktur und mythischer Funktion Probleme mit sich; zumindest Programm und Gattungszuordnung im Prolog der 'Kaiserchronik' stehen wenigstens den beiden ersten Komponenten entgegen, wenngleich mythenanaloge Strukturen aufzufinden sind.150 Eine identitätsstiftende Funktion kommt der Episode zu Caesar und den "Deutschen" in der 'Kaiserchronik' hingegen durchaus zu. Doch ist der Text, wie schon die exempelhafte Sequenz von der Eroberung Triers infolge von Zwietracht belegt, keinesfalls auf diese zu reduzieren. Auch wenn sich die Rede von der origo gentis Teutonicorum im 'Annolied' und ihrer vermeintlichen Rezeption in der 'Kais er chronik' damit im ersten Fall ('Annolied1) erneut als unzutreffend und im zweiten ('Kaiserchronik1) mindestens als problematisch erweist, ist den "Deutschen" in der 'Kaiserchronik' seit dem Beginn der Geschichte der römischen Kaiser ein herausgehobener Stellenwert im providentiellen Gang der Geschichte des letzten Weltreiches vor dem Kommen des Antichrist zugesprochen. Von der Episode zu Caesar und den "Deutschen" aus gewinnt daher auch der Prolog zur 'Kaiserchronik' eine weitere Dimension. Wenn die volkssprachige Reimchronik erklärtermaßen die Geschichte des Komisceη riches 149 Vgl. oben, S. 68ff. mit Anm. 11,100, und insbesondere auch S. 103f. 150 Vgl. dazu oben, Kap. III.2.2., S. 124-129. Zum Mythosbegriff vgl. weiterweisend die oben, Anm. 11,164f£, und auch III,91£, genannte Literatur.

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(KChr. 16/ 1,16) erzählen will, so steht am Ende dieser Episode fest, daß diese Geschichte in ihren Fundamenten mit derjenigen der transalpinen Dütisken verflochten ist; daß diese als Vorfahren der Deutschen der mittelalterlichen Gegenwart aufzufassen sind, wird dabei durch die mehrfach wie auch noch einmal zuletzt hergestellten Gegenwartsbezüge und die von mir oben erläuterte, kontinuitätsstiftende politisch-soziale Terminologie des Textes verdeutlicht.151 Eine andere Frage ist es, inwieweit die 'Kaiserchronik' den "Deutschen" über ihren konstitutiven Beitrag zur Errichtung des römischen Kaisertums hinaus auch im folgenden Verlauf der Geschichte des Römischen Reiches eine Rolle beimißt, und eine weitere, inwieweit das sich abzeichnende Profil der "Deutschen" dabei vertieft oder zugunsten von Zügen, die auf die einzelnen "Lande" der "Deutschen" bezogen sind, wieder zurückgenommen wird. Inwieweit füllt der volks sprachige Text den durch die Gattung gegebenen Spielraum aus, um ein insgesamt konsistentes Bild alt-"deutscher" Identität zu entwerfen? Geraten dabei etwa weitere identitätsstiftende Merkmale in den Fokus, die den in der gemeinsamen Kriegshandlung an der Seite Caesars zutage tretenden politischen Faktor ergänzen wie die Merkmale Sprache und Brauchtum in der betrachteten Episode? In welchem Verhältnis stehen sie zu den entsprechenden Komponenten bayerischer, fränkischer, sächsischer, schwäbischer Identität, die in der Episode der 'Kaiserchronik' zu Caesar und den "Deutschen" im ganzen erst in zweiter Linie relevant erschienen? 3. 3.

Elemente (alt-)"deutscher" Identitätskonstruktion in den Abschnitten zwischen Caesar und Karl dem Großen

3. 3. 1. Die dütisken lant in der frühen Kaiserzeit Nach Caesar wendet sich die Darstellung Augustus zu, der da^ riche näh im gewan (KChr. 604/ 19,28). Etwa ein Drittel des Abschnittes zu Augustus (KChr. 603-670/ 19,27-21,32), nämlich 18 Verse (KChr. 643-660/ 21,521,22), ist auf transalpine Vorgänge konzentriert, wobei das Lemma 'dütisc' jedoch nicht vorkommt. Bis jetzt konnte bei der vorliegenden Analyse der 'Kaiserchronik' die Feststellung getroffen werden, daß eine Identifizierung der "deutschen Lande" und ihrer Bewohner als "deutsch" nur dann erfolgt ist, wenn das Interesse auf Vorgänge im cisalpinen Gebiet des Römischen Reiches gerichtet ist, so daß von da aus eine Abgrenzung zu den transalpinen "deutschen Landen" als eines völkerüberwölbend

151 Oben, S. 136f.

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zusammengefaßten Teiles des Imperiums vorgenommen wird. Der kontrastive Bezug auf Rom hat sich als ein wesentlicher Aspekt erwiesen, unter dem in der 'Kaiserchronik' von den "Deutschen" geredet werden kann. Entfällt der Kontrast, so zerfällt auch die plurale Einheit der "Deutschen". Genau dies geschieht in dem genannten Abschnitt zu Augustus. Der Blick des Erzählers ruht auf den transalpinen Landen selbst, die nicht als "deutsch" bezeichnet werden, weil mit der Blickverlagerung in diese hinein unmittelbar jener Raum in den Mittelpunkt rückt, um den es im folgenden ausschließlich geht: um BJne [...] da^ lant, um elliu Frenkiskiu lant, in denen Agrippä im Auftrag des Augustus Colonjä erbaut, die nü diese gieret (KChr. 643-650/ 21,5-21,12). Erst als die Erzählung sich wieder Rom zuwendet und im Abschnitt zu Kaiser Tiberius (KChr. 671-1114/ 22,1-35,18) die von Rom aus unternommenen Kriegszüge zum Thema werden, geraten die "deutschen Lande" wieder als solche in den Gesichtskreis. Tiberius setzt über mere, um gegen Jerusalem zu ziehen, das lant [...] Tjberiadis zu erobern und den chunic von Persia zu besiegen (KChr. 675-680/ 22,5-22,10). Dann vuor er in dutisken [sie] lant (KChr. 684/ 22,14) und gründet dort Tjburniä - nü [...] Ratispönä (KChr. 688f./ 22,18f.). 3. 3. 2. Herzog Adelger von Bayern: Narrative Identitätsstiftung im Abschnitt zu Kaiser Severus Lange hört man danach in der 'Kaiserchronik' nichts von "deutschen Landen" oder "Deutschen". Erst zu Kaiser Severus (KChr. 6622-7135/ 203,8218,30) ist erneut von ihnen die Rede. Im Mittelpunkt des Abschnittes steht der Konflikt zwischen Handeln und Amtspflichten des Kaisers, der exemplarisch anhand der funktional angelegten Figuren des — wie sein Name anzeigt — 'nach adeliger Vollkommenheit trachtenden' bayerischen Herzogs Adelger (KChr. 6626/ 203,12) und des ungerechten Severus vorgeführt wird. 152 Im Vordergrund steht dabei Baiern (KChr. 6624/ 203,10), auf dessen Geschichte in der 'Kaiserchronik', besonders deutlich in ihren letzten Abschnitten, ein Interessenschwerpunkt liegt. Die Analyse der strukturell komplexen, sagenhaften Episode um den Bayernherzog Adelger zeigt nun, daß bayerische und "deutsche" Identität in ihr in eine spezifische Relation zueinander gestellt werden, die es verbietet, die über die Bayern und ihren Herzog erzählten Vorgänge schlichtweg exemplarisch 152 So betont Pezsa (1993), S. 87-91, mit der Literatur zu dem Abschnitt (S. 208; Literaturergänzungen aus der Zeit danach finden sich im folgenden an Ort und Stelle); vgl. im genannten Kontext auch Gellinek (1971a), S. 56ff.

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auf "die Deutschen" in ihrer Gesamtheit zu beziehen und als Ausdruck programmatischer Nationsartikulation in der 'Kaiserchronik' aufzufassen, wie das oft der Fall ist.153 Die Episode liefert ein weiteres Beispiel für jene konkulturale Lektürepraxis, die dem Text automatisch diejenigen Vorstellungen vom deutschen Volk und dessen Geschichte im Mittelalter zugrundelegt, die bis zu dem Paradigmenwandel in der Nationenforschung in den beiden letzten Jahrzehnten 154 dominant waren. Im Gegensatz dazu ist jedoch zu bedenken: "Wer 'Deutscher' war, wußten [auch] im 12. Jahrhundert [...] am ehesten Nichtdeutsche". 155 Im "Vergleich zum gentilen Denken der prinzipiell gleichrangigen Völker im Reichsverband" ist generell von einem "nur schwach ausgebildete [n] Einheitsbewußtsein" auszugehen, 156 und im Zusammenhang mit Otto von Freising wurde oben die Vielfältigkeit der damaligen konzeptuellen Ansätze deutlich. 157 Wenn man nach der narrativen Konstruktion alt-"deutscher" Identität in der 'Kaiserchronik' als spezifisch volkssprachiger Geschichtsdichtung fragt und nach der Semantik von 'deutsch', so sind deshalb — das sei noch einmal betont — nicht nur die Textsorte und deren Unfestigkeit zu berücksichtigen, sondern es ist auch 153 Ich nenne nur Ohly (1968 [zuerst 1940]), S. 144-156, hier besonders 154f£; Haack (1953), S. 151-155, hier S. 151 (insgesamt eher kritisch); Hellmann (1969), S. 33-36, 68-74; Nöther (1970), S. 278-288; Hennen (1973), Bd. 1, S. 210f. ("Darstellung des Verhältnisses zwischen den deutschen Stämmen [!] und Rom am Beispiel [!] der Baiern, die zwar zur Gefolgschaft, nicht aber zur Knechtschaft bereit sind" [S. 211]; vgl. auch S. 105f.); Neuendorff (1982), S. 82f£; Nellmann (1983), Sp. 958. Vgl. auch Wimmer (1965), dem zufolge "aus der Sage" in der 'Kaiserchronik' "unverhohlener Stammesstolz und fast überschwenglicher Lokalpatriotismus sprechen" (ebd., S. 123); ähnlich jetzt erneut etwa auch der hier ergänzend hinzuzufugende Aufsatz zur Adelger-Episode von Matthews (2004): Matthews fragt bezeichnenderweise eigentlich nach der Struktur der Episode, übernimmt aber in der genannten Hinsicht unreflektiert die traditionelle Auffassung, wenn er von "the narrator's Bavarian patriotism" beziehungsweise "an obvious local chauvinism" ausgeht (hier S. 318, u. öfter) und dabei die Figur des Bayernherzogs gleichzeitig als Vertreter der "German tribes [...] as a coherent whole" (!) begreift (S. 320). Auch diese Positionen implizieren die moderne Vorstellung eines hierarchischen Gefalles zwischen national-deutscher und regionalbayerischer Ebene, die vom Text aus allererst zu hinterfragen wäre. 154 Vgl. oben, S. 21 ff., 32f£, u. Kap. Π.2.2., insbesondere S. 54f£, 64ff. 155 Schimmelpfennig (1996), S. 1. Wenn Schimmelpfennig ebd. schreibt, eine " 'deutsche Nation' " habe es "selbst als Fiktion" im 12. Jahrhundert "noch lange Zeit nicht" gegeben, so geht er an dieser Stelle vom modernen Nationsbegriff aus, vor dessen Anwendung auf das Mittelalter er zu recht warnt: Man müsse sich "vor jeglichem patriotischen, oder gar nationalen, Uberschwang hüten, wie er spätestens seit 1990 manchenorts wieder im Schwange ist" (ebd.). 156 Ehlers (1998), S. 100. 157 Oben, Kap. III.2.1., S. 118-123.

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auf die Häufigkeit der zentralen Lemmata sowie auf die jeweiligen textinternen Kontexte zu achten, um teleologische Glättungen zu vermeiden. Ein besonders ausgeprägtes Beispiel für die verbreitete applizierende Lesart liefert der folgende Passus von Hellmann, den ich deshalb etwas ausführlicher wiedergebe. "Unserm Dichter", so meint Hellmann, stelle sich in der Episode um den Bayernherzog Adelger "das Problem, wie denn ein Aufstand und ein Kampf deutscher Stämme gegen die an sich legitime römische Reichsgewalt zu rechtfertigen und in eine einheitliche Vorstellung einzugliedern sei".158 Dieses "Problem" bereite "offenbar die größten Schwierigkeiten", gerieten in dieser Episode doch "zwei grundlegende Tendenzen der K[aiser]chr[onik] miteinander in unlösbaren Widerspruch": "Einerseits ist Rom und das römische Kaisertum Zentrum der Reichsgewalt, - berufen, Träger der göttlichen Verheißving und der weltlichen Ordnung zu sein und alle Völker dieser Ordnung einzugliedern; andererseits sind die deutschen Stämme [!] — durch die Trojaner ohnehin das Brudervolk [!] der Römer — seit Caesar die Vorkämpfer des wahren Herrschertums und ihrerseits berufen, das wahre Reichsvolk und Träger der göttlich-weltlichen Aufgabe zu sein. In der Adelger-Geschichte verlagert sich der Akzent zudem noch [!] von der romzentrierten Reichsauffassung auf das stolze Bewußtsein stammlicher Selbständigkeit und bayerischen Eigenrechts." 159

Ohne das Problem des semantischen Wandels zu sehen, liest Hellmann in die Adelger-Episode einen prinzipiellen römisch-deutschen Antagonismus hinein, den er vor allem ethnisch begreift. So versteht er den römisch-bayerischen Gegensatz, der in der Episode gezeichnet wird, als repräsentative Konfrontation von römischem und deutschem Volk. Deutsches Volk und deutsches Reich scheinen ihm in seiner gesamten Interpretation allein schon durch die Erwähnung der Bayern aufgerufen, die Funktion der beiden Stellen, an denen das Lemma 'dütisc' in der Episode überhaupt nur auftritt, keiner Klärung bedürftig. 160 Für Hellmann sind die Bayern ein Stamm des deutschen Volkes, der als solcher deshalb dem Volk nur nachgeordnet sein k a n n . Die Frage, ob nicht die 'Kaiserchronik' eine Relation von "Bayern" und "Deutschen" konstruiert, welche die einen nicht als bloß untergeordnete regionale Größe der anderen definiert, sondern vielleicht eine Nebenordnung oder sogar eine 158 Hellmann (1969), S. 73. 159 Hellmann (1969), S. 73f. 160 Bezeichnend ist auch Hellmanns Interpretation der römisch-bayerischen Schlacht im zweiten Teil der Episode als Aufeinanderprall von Römischem und Deutschem Reich, mit der eine vom Text in keiner Weise gestützte Fehlinterpretation von Vers KChr. 7075/ 217,4 in diesem Sinne einhergeht, vgl. Hellmann (1969), S. 33-36.

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umgekehrte Hierarchisierung zugunsten der Bayern zuläßt, stellt sich ihm nicht. Deshalb kann er die f r ä n k i s c h e Trojasage 161 im unbemerkten Widerspruch zum Abschnitt der 'Kaiserchronik' zu Caesar als Herkunftsfabel der D e u t s c h e n lesen ("die deutschen Stämme" sind "durch die Trojaner [...] das Brudervolk der Römer"), die damit einschließlich ihrer Implikationen auch auf die Bayern applizierbar wird: Sind die Franken als Deutsche Brüder der Römer, so sind es für Hellmann wie selbstverständlich als Deutsche auch die Bayern. Auf diese Weise setzt Hellmann stillschweigend also auch die Bayern mit den Franken gleich. An dieser Stelle tritt die Paradoxie seines Argumentationsganges vollends zutage, und wie Hellmann sie zu lösen versucht, ist ebenso bezeichnend wie die Argumentation selbst. Statt die zugrundeliegenden Prämissen bezüglich der Entstehung von deutschem Volk und deutschem Reich zu hinterfragen, erklärt Hellmann die aus diesen Vorannahmen resultierende Widersprüchlichkeit, die auch er durchaus bemerkt, zum "Problem" des "Dichter[s]". 162 Damit findet er zu einer Scheinlösung, für die ihm nicht zuletzt Ohly Pate gestanden hat, bei dem dieselben Prämissen zugrundeliegen.163 So stellt auch Ohly, bis in die jüngste Zeit beispielgebend, die Adelger-Episode in Beziehung zum Abschnitt zu Caesar und den "Deutschen", 164 um sich zugleich zu wundern, daß die S c h w a b e n in ihr als ebensolche Gegner der B a y e r n wie B ö h m e n oder Hunnen erscheinen. Demnach, so die implizite Argumentation, kämpfen hier Deutsche gegen Deutsche, obwohl es dem Verfasser(kreis) der 'Kaiserchronik' doch (vermeintlich) in der Adelger-Episode wie schon in der Episode zu Caesar und den "Deutschen" gerade um "de u ts c h e s Eingreifen für Idee und Bestand des Reiches" 165 zu tun ist. Man könnte die Beispielliste verlängern, wenn es auch frühe Ausnahmen gibt.166 Doch besteht die Problematik noch heute, und sie dürfte hinreichend deutlich geworden sein. Sie stellt sich wie in den übrigen in 161 Vgl. dazu oben, S. 83f. mit Anm. 11,138 (Literatur). 162 Hellmann (1969), S. 73. 163 Ohly (1968 [zuerst 1940]), S. 144-156. Vgl. hierzu kritisch gegen Ohly jetzt auch S. Müller (1999), S. 191-194. 164 Vgl. etwa auch Hellmann (1969), S. 71ff, und Nellmann (1983), Sp. 958. Nellmann bezieht die Episode überdies vorausweisend auf die (vermeintliche) Translatio imperii auf die Deutschen in der Person Karls des Großen; vgl. ebenso unter anderen auch Hellmann, a. a. O., S. 74f., Nöther (1970), S. 287, oder Hennen (1973), Bd. 1, S. 210£; hinsichtlich jüngster Interpretationen der Adelger-Episode vgl. in diesem Kontext auch oben, Anm. 111,153. 165 Ohly (1968 [zuerst 1940]), S. 156 (Hervorhebung v. d. Verf.). 166 So etwa dezidiert Haack (1953), in bezug auf die zuletzt genannte Stelle S. 132f£, besonders S. 134.

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dieser Untersuchung betrachteten Fällen auch hier wieder bereits auf der Ebene der inhaltlichen Analyse und spielt insofern prinzipiell in sämtliche Interpretationen hinein. Bedeutsam sind allerdings einige narratologisch ausgerichtete Ansätze aus jüngerer Zeit. Sie haben den Blick auf die Komplexität narrativer Sinnkonstitution in der 'Kaiserchronik' gelenkt und dadurch zu grundsätzlichen Vorbehalten gegenüber "der Reduktion komplexer narrativer Gefüge auf bestimmte 'Aussagen' 11167 geführt. Das ist im Auge zu behalten, wenn ich mich im folgenden der Episode selbst zuwende. Die Adelger-Episode setzt gleich nach dem formelhaften Eingang des Abschnittes zu Severus ein: bi stnen [sc. des Severus] sgten was sg Baiern ain herzöge, der was in großem lobe, gehalten was er Adelger; vil dike getet er wider romischem riebe (KChr. 6624-6628/ 203,10-203,14). Kein anderer im Römischen Reich, so wird erzählt, widersetzt sich dem Kaiser so sehr wie Adelger, und daher treten der Herzog von Bayern und sein lant in der folgenden Handlung in unmittelbaren Gegensatz zu Rom: Do chomen boten frone, sigebuten im Rome der cunic wolte mit im rede hän er bete wider sinen hulden getan (KChr. 6636—6639/ 203,22—203,25). Der alte ratgebe (KChr. 6652/ 204,6) des Herzogs gibt diesem daraufhin den Ratschlag, dem Ansinnen des Kaisers nachzukommen: du nemaht niht gevehten/ wider römischem rehte (KChr. 6660f./ 204,14f.). Der Herzog hat die Ordnung des Römischen Reiches verletzt, er soll sie durch Anerkennung der crone (KChr. 6663/ 204,17) wiederherstellen. In Rom angekommen, ist es nun seinerseits der Kaiser, der sich unrechtmäßig verhält. Er will den um Gnade bittenden Herzog enthaupten lassen und dessen lant einem anderen herren zu Lehen geben (KChr. 6687/ 205,8). Es kommt jedoch anders. Auf Beschluß des römischen Senates werden Adelger, dem aller tiuHsten herren/ der Baieren ie lant gewan (KChr. 6699/ 205,20f.), das Gewand bis auf Knielänge gekürzt, die Haare über der Stirn abgeschnitten. Damit hat Adelger seine ere (KChr. 6718/ 167 Pezsa (1993), S. 193. Pezsas Monographie kann in dieser Hinsicht als exemplarisch gelten, vgl. im obigen Zusammenhang ebd. S. 87-91, 191—195. Vgl. namentlich auch Gellinek (1971a), hier S. 147: Die 'Kaiserchronik' könne "geradezu als ein pnma-fade-Beweis für die Vielgestalt des zwölften Jahrhunderts gelten", so daß sich ihr "Standort" aufgrund "ständig wechselnde[r] Blickrichtungen" nicht bestimmen lasse. Vgl. in diesem Zusammenhang auch bereits die gegen Ohly (1968 [zuerst 1940]) gerichtete, grundsätzliche Skepsis von Haack (1953), S. 132ff.

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206,7) verloren, nicht nur in Rom, sondern durch den Ehrverlust dort auch in Bayern: ich enbehabe ouch hie min erej ich enkume anders Baieren niemermere (KChr. 6718f./ 206,7f.). Um sie auf beiden Seiten wiederherzustellen, erfindet sein Ratgeber einen neuen Brauch: Adelgers Gefolge soll Kleidung und Haartracht des Herzogs übernehmen. Die Bayern leisten dem Folge, und Herzog Adelger erläutert dem Kaiser, sich jegliches Leid zu teilen, sei unser gewonhait da haime (KChr. 6770/ 207,27). Damit bezieht er sich auf "Bayern", und als Herzog von Bayern (und nicht etwa, wie sich das in manchen Interpretationen liest, exemplarischer Vertreter des "Deutschen Reiches") wurde er von Severus auch nach Rom zitiert. Nach der Rückkehr Adelgers wird der neue Brauch unter Aufnahme in die bayerische Rechtsordnung auch im Herzogtum selbst eingeführt, indem der Erhalt von lehenrehte und ritteres namen von seiner Übernahme abhängig gemacht wird (KChr. 6801f./ 208,23f.). Bereits in Rom hat sich der Herzog mit seinen bayerischen beiden (KChr. 6746/ 207,3) auf diese Weise höchstes Ansehen erworben: nie nehain tutisk man/ sulh ere an Römaeren gewan (KChr. 6794f./ 208,17f.), und, zurück in Baiern (KChr. 6798/ 208,21) findet der neue bayerische site (KChr. 6809/ 208,17f.) solchen Anklang, da\ sich alle die nach im bescärenj die in tütischem riche wären (KChr. 6810f./ 209,lf.). Mit den zitierten Versen schließt der erste Teil der Episode. Aus ihnen erhellt ein weiterer Aspekt, unter dem in der 'Kaiserchronik' von den "Deutschen" und ihrem Reich gesprochen werden kann. Im ersten Fall (nehain tütisk man, KChr. 6794/ 208,17f.) befindet sich der Herzog auf dem Rückweg von Rom, noch außerhalb Bayerns, und der Ausdruck dient der Betonung des erstrangigen Ansehens des bayerischen Herzogs bei den cisalpinen ~R6maeren. Das entspricht dem bereits mehrfach beobachteten kontrastiven Gebrauch von 'dütisc', wobei an dieser Stelle aber entscheidend hinzukommt, daß die Gegenüberstellung von "Deutschen" und "Römern" jetzt der besonderen Hervorhebung der B a y e r n dient: Diese erhalten ihre Geltung p r i m ä r in bezug auf Rom und das Römische Reich und s e k u n d ä r eben dadurch auch gegenüber den übrigen "Deutschen". Herausgestrichen wird nach erfolgter Wiederherstellung und Erhöhung der bayerischen ere dementsprechend das spezielle Verhältnis des Bayernherzogs zum römischen Herrschaftszentrum, durch das Adelger alle anderen "Deutschen" überragt: duo sprächen alle RßmaereJ wie willich si im waeren (KChr. 6791/ 208,13f.). In Übereinstimmung damit wird auch zu Beginn des zweiten Teiles der Episode noch einmal die besondere, die Wiederherstellung des lehensrechtlichen Verhältnisses bekräftigende friuntscaft [...]/ entwischen dem römischen chunige unt dem herzogen (KChr. 6813f./ 209,4f.) betont (die anschließend durch das Fehlverhalten des Königs beziehungsweise

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Kaisers zerstört wird), und ebenso ist auch vorher schon der Wert der Bayern minnen unt eren (KChr. 6758/ 207,15) des Römischen Reiches herausgestellt worden. Dieser neue Aspekt — daß die "Deutschen" erwähnt werden, um eine Hierarchie i n n e r h a l b ihrer "Lande" aufzubauen — ist dann im zweiten Fall {in tütischem riche, KChr. 6811/ 209,2) ausschlaggebend. Inzwischen ist Herzog Adelger nach Bayern zurückgekehrt, der für die Nennung des Stichwortes dätisc im ersten Fall noch wichtige Kontrast "römisch"-cisalpin versus "deutsch" entfällt jetzt, an seine Stelle tritt gänzlich die der Auszeichnung der Bayern dienende Distinktion "bayerisch" — "deutsch". Die beiden Beispiele zeigen deutlich, daß "Bayern" hier nicht stellvertretend für "Deutsches Reich" steht, sondern im Gegenteil die inhomogene Pluralität dieses Reiches profiliert wird, um eines seiner Elemente in unmittelbare Beziehung zu Rom zu setzen und eben dadurch gegenüber den übrigen auszuzeichnen; insofern liegt es nahe, den Präpositionalausdruck in tütischem riche aufgrund der schon mehrfach thematisierten inhärenten, wenn auch aufgrund von Ko- und Kontexten letztlich ambivalenten Pluralbedeutung hier auch als Plural aufzufassen, wie das in einigen Handschriften entsprechend gehandhabt wird {in deutschen mhen)}bt Die an den beiden zuletzt analysierten Stellen zum Ausdruck gelangende höhere Wertigkeit der bayerischen gegenüber der deutschen Identität tritt dabei umso stärker zutage, als in den bisher betrachteten Fällen in der 'Kaiserchronik' stets nur die "Deutschen" in ihrer pluralen Gesamtheit in eine derartige romspezifische Beziehung gerückt worden sind wie jetzt allein die Bayern. Auffälligerweise wird d e u t s c h e Identität in den betrachteten Passagen der Adelger-Episode in einem ihrer wesentlichen kulturellen Merkmale nun geradezu b a y e r i s c h definiert. Wie bereits mehrfach gesehen, kann gemeinsames Brauchtum eine Konstituente kollektiven Identitätsbewußtseins sein, und genau dieses Merkmal wird im ersten Teil der Adelger-Episode in bezug auf Bayern ins Spiel gebracht; dabei kommt dem betreffenden Brauchtum aufgrund der Art und Weise, in der es im Herzogtum Bayern eingeführt wird, überdies eine (lehens-) rechtliche Bedeutung zu. Wie zu sehen, findet die neue bayerische Haarund Kleidertracht dann solchen Gefallen, daß alle Bewohner der "deutschen Lande" sie aus freien Stücken übernehmen. Im zweiten Teil der Episode, der in einem adversativen Wiederholungsverhältnis zum ersten Teil steht, wird der auf diese Weise neugewonnene hohe Rang Bayerns bestätigt und noch weiter erhöht. Adelger wird 168 So die in der Ausgabe von Schröder (1892), S. 206, im Apparat angeführte Hs. 2 (14. Jh.).

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zum zweiten Mal nach Rom vorgeladen, diesmal jedoch, wie die in der Forschung oft behandelte 'Hirschfabel' des herzoglichen, inzwischen kaiserlichen Ratgebers zu erkennen gibt,169 in feindlicher Absicht. Als der Herzog von Bayern die Vorladung deshalb ablehnt, wendet sich Severus mit seinem Heer gegen das^ lant ^e Baieren (KChr. 6975/ 214,2), da% er besaehe, in welchem lande Adelger waere (KChr. 6962f./ 213,21f.). Adelger, der belt guot (KChr. 6980/ 214,7), versammelt daraufhin die Bayern und fordert sie auf, mit Blick auf die tugent unt die ere (KChr. 7013/ 215,7) des Baierlandes (KChr. 7011/ 215,5) baidiu lip unde lant (KChr. 7016/ 215,10) zu verteidigen. Er kämpft gegen die Schwaben, die Böhmen, die Hunnen, dann werden Komaere beide die vil chuonen (KChr. 7082/ 217,10) beziehungsweise die Walhe (KChr. 7118/ 218,13) zu seinen Gegnern. Dieser Passus zeigt erneut und mit besonderer Deutlichkeit, daß es einzig um die Profilierung Bayerns, nicht aber der "Deutschen" gegenüber Rom geht. Die plurale Einheit der "deutschen Lande" erscheint durch den römisch-bayerischen Waffengang und die in Zusammenhang damit stehenden Feldzüge der Bayern gegen benachbarte Gegner faktisch aufgelöst, denn die Schwaben erscheinen als ebensolche Feinde der Bayern wie die Böhmen oder die Hunnen und schließlich die letztlich kriegsauslösenden (Stadt-)Römer. Am Ende wird Kaiser Severus von den Bayern besiegt und erschlagen, und das bayerische Territorium ist vergrößert: Mit der symbolischen Inbesitznahme der neuen Mark durch Herzog Adelger noch am Tag der siegreichen Schlacht gegen die Römer bei Brixen endet die Episode: da^ lant hän ih gewannen/ den Baieren eren (KChr. 7133f./ 218,28f.).170 Damit haben sich an dieser Stelle die anfänglichen Worte des herzoglichen Ratgebers erfüllt, und ihr vorausdeutender Charakter wird erkennbar. Wie zitiert, hatte der Ratgeber Adelger empfohlen, römischem rehte Genüge zu tun (KChr. 6661/ 204,15)171 und rechtmäßige Forderungen des Kaisers zu erfüllen, und er hatte hinzugefügt: will er iht dar ubere, erget im lihte ubele (KChr. 6665-6667/ 204,19-204,21). Am Ende steht deshalb das Handeln Adelgers, anders als das des Kaisers Severus, in

169 Vgl. zur 'Hirschfabel' Pezsa (1993), S. 39£, 89 u. 208 mit der Literatur, zu der jetzt Lieb/ Müller (2004), S. 36-45, hinzuzufügen sind. 170 Gellinek (1971a), S. 63£, weist darauf hin, daß mit Bayerns Erhöhung durch den Zugewinn Südtirols gleichzeitig eine gewisse Ehrverminderung des Römischen Reiches einhergehe, wenngleich der römisch-bayerische Krieg aufgrund der Bedrohung Bayerns durch Kaiser Severus gerechtfertigt erscheine. D e m ist allerdings mit Pezsa (1993), S. 89£, entgegenzuhalten, daß die Betonung aufgrund der narrativen Sinnbezüge auf der Rechtfertigung des Bayernherzogs liegt. 171 Oben, S. 152.

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Einklang mit dem Gesetz des Römischen Reiches, "in letzter Konsequenz"172 hat der Bayernherzog ihm zur Durchsetzung verholfen. 3. 3. 3. Konsequenzen Zweierlei ist im Blick zu behalten, wenn im folgenden Kapitel dieser Untersuchung die Abschnitte zu Karl dem Großen und, am Rande, auch seiner Nachfolger analysiert werden, in denen die nächsten Lemmata zu 'dütisc'/ 'Dütiske(r)' begegnen. Zum einen: Als zentrale Konstituente narrativer Konstruktion altdeutscher" Identität erweist sich in der 'Kaiserchronik' der Kontrast. In den bisherigen Beispielen wurde entweder ein Kontrast zwischen den "deutschen Landen" und Rom als Sitz des römischen Kaisertums hergestellt oder zwischen den "deutschen Landen" und einem einzelnen "Land" innerhalb derselben. Im ersten Fall wurde der Begriff 'deutsch' vom Text dann aufgerufen, wenn die "Deutschen" aufgrund einer übergreifenden politischen Aktion gegenüber den Römern gemeinsam auftreten oder durch ein daraus resultierendes gemeinsames Brauchtum gekennzeichnet sind. Im zweiten Fall erschienen die Bewohner der "deutschen Lande" als "deutsch", wenn eines dieser "Lande" die ihm kontrastiv gemeinsam gegenübergestellten übrigen überragt, sei es erneut primär politisch aufgrund einer direkten eigenständigen Aktion gegenüber Rom oder aber sekundär aufgrund eines daraus abgeleiteten, rechtlich relevanten Brauchtums. Zum anderen: Durch die Kontrastierung auf die eine oder die andere Weise geraten die "deutschen Lande" unter unterschiedlichen Gesichtspunkten weniger als Einheit denn als Gesamtheit in den Blick: Sie bilden eine ρ 1 u r a 1 e Einheit, die implizit über ihren Namen sprachlich, im übrigen primär politisch und sekundär über Brauchtum und, damit verbunden, Recht definiert ist. Damit hat diese plurale Einheit nationale Züge, ohne daß deshalb die von ihr überwölbten Identitäten der einzelnen "deutschen" lande hierarchisch nachgeordnet wären. Vielmehr ist ihr ein bipolares Spannungsverhältnis zwischen Pluralität und Singularität inhärent, so daß je nach Aspekt mehr der plurale oder aber mehr der singulare Charakter aufscheint, wobei der plurale aber dominiert. So lösen sich die "deutschen Lande" in ihre Bestandteile auf, sowie die plurale Komponente aufgrund der Blickverlagerung zu den einzelnen landen und liuten in den Vordergrund tritt, so daß das Konkurrenzverhältnis unter ihnen deutlich wird wie zuletzt im Fall der Adelger-Episode. Anfangs wird in dieser Episode zur Profilierung des herausgehobenen Ranges der Bayern auch 172 Pezsa (1993), S. 90.

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von den "Deutschen" gesprochen. Am Ende aber ist nur noch von den Bayern die Rede: Mit dem Sieg über den ungerechten Römischen Kaiser als Zeichen der wiederhergestellten Ordnung im Römischen Reich überragt die ere des Vaterlandes nun a l l e lant des Römischen Reiches. Implizit gehören dazu auch die "deutschen" Nachbarvölker in den "deutschen Landen". Deshalb erübrigt sich am Schluß der Episode ein nochmaliger kontrastiver Bezug auf sie. 3. 4.

Karl, Karlingen und die dütisken lant·. Dialektik und Ambivalenz (alt-)"deutscher" Identitätskonstruktion auf dem Weg zu Karl dem Großen

3. 4. 1. Forschungspositionen An den Anfang dieses Kapitels seien zwei Zitate gestellt, an denen paradigmatisch erkennbar ist, welche Deutungsmuster in der Forschung zur 'Kaiserchronik' bezüglich des Abschnittes zu Karl dem Großen vorherrschend sind.173 Gemeinhin wird dieser Abschnitt als entscheidende Zäsur angesehen, durch welche die 'Kaiserchronik' in einen bis zu Karl reichenden "römischen" und einen mit Karl beginnenden "deutschen" Teil strukturiert wird. Ausschlaggebend dafür ist die Interpretation der Kaiserkrönung Karls des Großen als einer Translatio imperii auf die Deutschen. In der in starkem Maße rezipierten Monographie Ohlys heißt es dazu: "Die Kaiserchronik kennt nur eine einzige translatio, diejenige, die das in seiner Idee bei den Griechen gefährdete Reich in die Hände der Deutschen verlegt. Der Dichter erweist sich als frei gegenüber der [...] verbreiteten Deutung der Gründung Constantinopels als einer translatio imperii (zumindest: regni sedis) zu den Griechen. Allein die Deutschen werden in der Kaiserchronik der feierlichen Übertragung des Reiches auf die Person des großen Karl gewürdigt." 174

Nellmann schließt sich dem an und resümiert im 'Verfasserlexikon': "Die Deutschen (v. 246: dütisc volc) spielen im Römischen Reich schon zu Anfang eine führende Rolle: Noch stärker als im 'Annolied1 wird hervorgehoben, daß Cäsar die Alleinherrschaft nur dank deutscher Mithilfe gewinnt. Deutscher Herkunft sind einige Hauptgestalten der [Kaiser-] Chronik: der 173 Die Forschungsliteratur ist zusammengestellt bei Pezsa (1993), S. 220. Aus der jüngsten Zeit füge ich hinzu: S. Müller (1999), S. 184ff.; Bastert (2001), S. 204f£; Ehlert/ Klein (2001), S. 31-36; sowie Rubel (2001), S. 146f£, 156f£, der an Ohly (1968 [zuerst 1940]) und Nellmann (1963) sowie auch dens. (1983) anschließt. Im einzelnen vgl. im folgenden, im besonderen auch die unten, Anm. 111,231, genannte Literatur. 174 Ohly (1968 [zuerst 1940]), S. 227f. Zu Karl dem Großen vgl. ebd., S. 224-233.

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Tyrannenmörder Conlatinus, Kaiser Constantin (beide aus Trier), der Bayernherzog Adelger, Karls Bruder Papst Leo. Von daher ergibt sich die translatio imperii ad Francos problemlos, zumal die Römer selbst sich immer mehr als ungeeignetes Herrschervolk erweisen". 175

Andere wie namentlich Karl-Ernst Geith (1977) oder im Anschluß an Geith in den letzten Jahren Tibor Friedrich Pezsa (1993) haben dagegen stärker differenziert, die strukturelle Zäsur in Frage gestellt und zu recht prinzipiell gefordert, sich nicht "den Blick [...] durch von außen an das Werk herangetragene Fragestellungen historischer oder politischer Art verstellen" 176 zu lassen, sondern den Textabschnitt zu Karl dem Großen stärker in seinen n a r r a t i v e n Sinnbezügen zu sehen.177 Die von der Einordnung des Abschnittes zu Karl dem Großen abhängige Frage nach der Makrostruktur der 'Kaiserchronik' stellt jedoch nur die eine Seite des Problems dar. Ihre Beantwortung sei im Moment zurückgestellt. Die andere Seite hingegen besteht in terminologischer Hinsicht. Hier stellt sich die Frage, inwieweit Karl der Große, wie es im Anschluß an Ohly und Nellmann immer wieder vorausgesetzt wird, in der 'Kaiserchronik' denn überhaupt programmatisch als "Deutscher" gezeichnet wird, 178 und inwieweit man sich nicht den Blick auf konzeptuelle Charakteristika verstellt, wenn man die Lexeme 'Bayern', 'Franken', 'Sachsen' oder 'Schwaben' bei der Paraphrasierung undifferenziert mit 'Deutsche' wiedergeben zu können meint. Auch wäre im Zusammenhang der gewöhnlichen Rede von der Translatio imperii auf die "Deutschen" in der 'Kaiserchronik' zu fragen, wie in dem Text im besonderen 'fränkisch' und 'deutsch' zueinander in Beziehung gesetzt sind, zeigt doch die gleichzeitige

175 Nellmann (1983), Sp. 958. Mit explizitem Bezug auf die oben im Fließtext zitierte Stelle bei Ohly (oben, S. 157 mit Anm. 111,174) vgl. Nellmann (1963), S. 113; dazu kritisch die Rezensionen von Grundmann (1965) sowie von Wolfram (1983 [zuerst 1964]) und vgl. auch S. Müller (1999), S. 194-196. 176 Geith (1977), S. 55; vgl. insgesamt ebd., S. 48-83, 272-286, und dazu die stark an Nellmann (1963, wie eben, S. 157f. mit Anm. 111,175, zitiert) orientierte Rezension von Schnell (1980); kurzgefaßt vgl. jetzt auch Geith (2001), S. 91 ff. Entsprechend formulierte bereits Haack (1953), S. 176-181, hier S. 176: Obwohl die Darstellung Karls einen Höhepunkt des Werks ausmacht, ist hier nicht der politisch-historische Gesichtspunkt primär"; vgl. insbesondere auch Obermüller (1971), S. 98 mit Anm. 2. 177 In jüngerer Zeit vgl. vor allem Pezsa (1993), S. 117-121. Pezsa wendet sich in diesem Zusammenhang dezidiert auch gegen die vermeintlich ebenso zwingende Annahme einer Zäsur bei Konstantin dem Großen, vgl. ebd. S. 192f. Unter Hervorhebung der Züge Karls als eines "heiligmäßig erachteten Herrscherfs]" vgl. beispielsweise neuerdings auch mehrfach Bastert, so ζ. B. ders. (2001), S. 204, oder Ehlert/ Klein (2001), S. 31-36. 178 Vgl. die Zitate oben, S. 157f.

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lateinische Historiographie, so der oben zitierte Otto von Freising, daß zu jener Zeit darüber in unterschiedlicher Weise reflektiert werden konnte.179 Die Frage erfordert deshalb erneut die heuristische Ablösung von den epistemischen Strukturen der Moderne, in der die Begriffe 'Nation' und "Volk' landläufig meist gleichgesetzt und 'Reich' und 'Staat' als deckungsgleich gefaßt werden, so daß ein Wir-Gefühl auf "Landes"-Ebene nur hierarchisch abgestuft unterhalb der nationalen Identität vorstellbar ist.180 Demgegenüber fragt sich, in welchen Relationen in der 'Kaiserchronik' die auf unterschiedliche Ebenen kollektiver Identitätsstiftung bezogenen Ausdrücke zueinander stehen und inwieweit es nicht zu einer Differenzierung führt, wenn man die von der historischen sowie der sprachhistorischen Forschung inzwischen neu gefaßten diskursiven Kontexte und auf dieser Basis noch einmal von neuem die innertextuellen Kontexte beachtet. Vergleichend ist dabei auch die stark ausgeprägte Rekurrenz des Sems [römisch] in der 'Kaiserchronik' zu berücksichtigen.181 3. 4. 2. Die Frage nach der Herkunft: Ebenen kollektiver Identitätskonstruktion in der 'Kaiserchronik' Problematik Bleibt man vorerst beim zweiten, terminologischen der beiden genannten Aspekte, so ist aufgrund der soeben getroffenen Feststellungen zunächst die von Nellmann 182 und anderen183 im Anschluß an Ohly184 geäußerte Ansicht zu hinterfragen, daß die 'Kaiserchronik' programmatisch die 179 Oben, Kap. III.2.1., S. 118-123; vgl. zum Problem grundsätzlich auch Ehlers (1998), S. 65. 180 Vgl. dazu oben, S. 66£, und im genaueren unten, S. 193ff. 181 KChr., hg. Schröder (1892), Reg., S. 422, s. v. "Rom", "Römer"; Tulasiewicz (1972), s. v. "Römaere", "Röme", "Römisc", S. 248-250. 182 Vgl. oben, S. 157f. mit Anm. 111,175. 183 Dazu im folgenden. 184 Die Darstellung von Ohly (1968 [zuerst 1940]) ist von dieser Vorstellung durchzogen, vgl. die betreffenden Abschnitte seiner Monographie zu den im folgenden genannten Figuren. Im übrigen ist auch Dietrich von Bern, den Graus nicht zufällig den "heimatlosen König" genannt hat (Graus [1975], S. 39ff.), bei Ohly programmatisch ein "Deutscher", vgl. Ohly, a. a. O., S. 94, 218ff. Der Text der 'Kaiserchronik' weist Dietrich von Bern als Sohn des Fürsten Dietmar aus, der über da^ lant Merän herrscht (KChr. 13859/ 424,28 u. öfter), und Dietrich wächst am griechischen Hof des Kaisers Zeno auf (KChr. 13915ff./ 426,20f£); vgl. zu diesem Abschnitt unten, S. 179£, 183ff. Zum ganzen vgl. den folgenden Fließtext.

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"deutsche Herkunft" nicht nur Karls des Großen und Papst Leos, sondern insbesondere auch des Tyrannenmörders Conlatinus, Kaiser Konstantins des Großen und des Bayernherzogs Adelger betone. Denn schon die obige Analyse der Adelger-Episode zeigte im Gegensatz dazu deutlich, daß der bayerische Herzog gerade n i c h t schlechthin als "Deutscher" gezeichnet wird, sondern im Gegenteil im agonalen Kontrast zu den übrigen "Deutschen" als B a y e r herausgehoben wird.185 "Deutsche" und "bayerische" Identität sind in ein ganz spezifisches Verhältnis zueinander gesetzt, welches zwar das Baierlant als einen Teil der "deutschen Lande" ausweist, aber eben nur in klar definierbaren Kontexten und unter ganz bestimmten Aspekten, durch die der Teil gerade nicht schlichtweg als typischer Repräsentant des Ganzen dargestellt wird. In den bisher betrachteten Partien der 'Kaiserchronik' hat sich das volks sprachige Konzept, das von den alten "Deutschen" entworfen wird, eben nicht als jenes eindeutige, programmatisch durchgehaltene nationale Bild eines alten "deutschen Volkes" und seines "Landes" erwiesen, als das es häufig aufgefaßt wird. Vielmehr hat sich herausgestellt, daß dieses literarische Bild ein in sich differenziertes ist, für welches das Spannungsverhältnis konstitutiv ist, in das die Komponenten 'deutsch' sowie — um bei den vier tragenden landen der Caesar-Episode zu bleiben — 'bayerisch', 'fränkisch', 'sächsisch', und 'schwäbisch' zueinander in Beziehung gesetzt sind. Hinzu kommt die Dialektik zwischen diesen Komponenten und dem Faktor 'römisch'. Kollektive Identitätskonstruktion erfolgt in der 'Kaiserchronik' daher auf unterschiedlichen Ebenen, deren Verhältnis zu beachten ist. Conlatinus und Constantinus Dementsprechend betont die 'Kaiserchronik' in keiner Weise das "Deutschtum" des Tyrannenmörders Conlatinus und Kaiser Konstantins des Großen. Das Lemma 'dütisc' fällt in den betreffenden Abschnitten nicht, und das ist signifikant. Zwar ist Conlatinus durchaus, wie beispielsweise Nellmann in der zitierten Passage zur Begründung anführt,186 ein Fürst Triere (KChr. 4312f./ 132,15f.) und Constantinus Sproß des römischen Kaisers Constantius, der Triere nam [...] ain frournn (KChr. 7605— 7613/ 233,11—20). In keinem der beiden Fälle aber erhält Trier einen Status als spezifisch "deutsche" Stadt.

185 Oben, Kap. III.3.3.2., S. 148-156. 186 Oben, S. 157f. mit Anm. 111,175; ebenso dezidiert etwa auch Landsberg (1934), S. 83 mit Anm. 185.

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Conlatinus tritt im Abschnitt zu Kaiser Tarquinius (Superbus) auf, der in der 'Kaiserchronik' auf Nero folgt (ICChr. 4301-4834/ 132,4148,20).187 Er ist der Gatte der Lucretia, deren Sage in diesem Abschnitt neu erzählt wird. 188 Eingeführt wird Conlatinus dabei als ein furste, der Triere lebt (KChr. 4305/ 132,8), von wo er vertrieben wird. In Rom erscheint er demgemäß als der Trieraere (KChr. 4477/ 137,19 u. öfter) oder, genauer, als eilender man, / der von Triere dar kom (KChr. 4441f./ 136,15f.): als einer, der aus einem anderen lande, einer anderen patriaxw stammt als die Bewohner Roms. In bezug auf die auf patria und gens bezogene individuelle Herkunft von Geburt (natio) wird Conlatinus damit in erster Instanz nicht den (pluralen!) "deutschen Landen" zugeordnet, so daß ein "deutsches" Wir-Gefuhl betont wäre, sondern seiner Heimat Triere — oder, wie es entsprechend später von Konstantins des Großen Mutter Helena heißt, dem Trierere lande (KChr. 7631/ 234,4).190 Aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang die seit dem Ende des 11. Jahrhunderts verbreiteten 'Gesta Treverorum', die auch dem Verfasser(kreis) der 'Kaiserchronik' bekannt waren. 191 In dem 187 Vgl., auch im folgenden, Pezsa (1993), S. 160-175 u. 203 mit der älteren Literatur, von der namentlich Mohr (1952) zu nennen ist. 188 Dazu insbesondere Ohly (1968 [zuerst 1940]), S. 88-99. 189 Vgl. die Forschungsübersicht zur Begriffsgeschichte von 'natio' und 'patria' im mittelalterlichen Deutschland im Vergleich zu Frankreich von K. F. Werner (1992), S. 223f£, mit der Literatur. Im besonderen ist Eichenberger (1991) zu vergleichen, hier besonders S. 66f£, 236—249: Im Sinne der Heimat meint 'patria' den Geburts- und Wohnort, den Raum "emotionaler, menschlicher, wirtschaftlicher und rechtlicher Sicherheit" sowie das Bewußtsein "der Zugehörigkeit zu einem sozialen Verband und der Verwurzelung in einem geographischen Raum" (ebd. S. 70). Im Spätmittelalter erweiterte sich dieser Raumbegriff zum Begriff des "eigentlichen Heimadandfes] [...], dessen geographische Ausdehnung in sehr vielen Fällen jener eines der Staaten dieser Zeit entsprach" (ebd., S. 66£). In Deutschland bezog sich der Begriff dementsprechend zunehmend auf die "Territorialstaaten [...], deren jeder die politische patria seiner Untertanen [...] war" (K. F. Werner [1992], S. 237; zum terminologischen Problem vgl. grundsätzlich Schubert [1996], S. 52-61 und auch S. 61ff. mit der Literatur); vgl. auch das Zitat unten, S. 165 mit Anm. 111,206, und im übrigen unten, S. 193ff. 190 Vgl. in diesem Zusammenhang Mohr (1952), der bezweifelt, daß "die beträchtliche Umschmelzung" (ebd., S. 434) der antiken Lucretia-Sage in der 'Kaiserchronik' erst in dieser vorgenommen worden sei, wie Ohly das annimmt. Mohr macht dagegen Einflüsse der Heldensage geltend. Die in der 'Kaiserchronik' vorliegende "Beheimatung des Conlatinus in Trier" (ebd.) sieht er in diesem Kontext. 191 Gesta Treverorum, hg. Waitz (1848). Vgl. vor allem H. Thomas (1968), zum folgenden insbesondere S. 153-230, außerdem kurzgefaßt ders. (1981) und die rezeptionsgeschichtliche Monographie von Haari-Oberg (1994), zu der ergänzend Goerlitz (2005a), S. 65f£, zu vergleichen ist. Aus letzter Zeit vgl. zur grundsätzlichen Einordnung auch Goetz (1999a), S. 223ff. In bezug auf die

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"Geschichtsbuch der Trierer militia" werden die Vorfahren der mittelalterlichen Bevölkerung von Trier als "eine eigenständige, zu den Galliern gehörende Gens" gezeichnet, deren Alter in Europa von keinem anderen Volk übertroffen wird. 192 Die alten Trierer sprachen in ihrer patria die lingua Gallica (i. e. französisch), unterschieden sich von anderen Völkern in Sitten und Religion, übernahmen usque in hodiernum diem die römische Rechtsordnung, und die Römer nannten Trier anerkennend secunda Roma.193 Die Treben werden damit "als eigenständige natio"194 gemäß der allgemeinen, bekannten, oben zitierten Definition Reginos von Prüm 195 ausgewiesen. Unabhängig davon, welch "exotischen" 196 Charakter diese Konstruktion zu ihrer Zeit auch haben mochte, verdeutlicht sie doch grundsätzlich die erstrangige Bedeutung kollektiver Identifikation auf regionaler Ebene zu einem Zeitpunkt, als der lange Entstehungsprozeß der neuen (Groß-)Gens der "Deutschen" erst eingesetzt hatte.197 In der 'Kaiserchronik' wird das Trierers lant als Teil aller r ό m i sk e η riebe (KChr. 7649/ 234,22, Hervorhebung v. d. Verf.) ausgewiesen. Rom bildet den zentralen Schauplatz der Handlung, 198 von dem aus Trier über die Figur des in Rom angesehenen politischen Flüchtlings Conlatinus in den Blick rückt, und außerdem Viterbo. Betont wird dementsprechend die besondere Affinität des Conlatinus zu den Römern. So begibt sich der Trierer Exulant, kaum daß er in die Handlung eingeführt wurde, sogleich in die stat Rome (KChr. 4316/ 132,19), wo er sich niederläßt. Auf Betreiben des römischen Senates nimmt er dort mit Lucretia aine frowen von Rome [•••]/, diu szner edelkait ml ge^aeme (KChr. 4334/ 133,6). Als er in Viterbo nur knapp einem Mordkomplott der Trierer entkommt, wendet er sich, seine Feinde anklagend, an die römischen Senatoren. Diese redeten daraufhin, da^ grd^ laster waere,/ da% ie dehaimme Römaere gescaehe (KChr. 4375f./ 134,14), und brechen zu einem Rachefeldzug auf. 'Kaiserchronik' vgl. zusätzlich Massmann (1849/54), Bd. 3 (1854), S. 290f£, 513 ff. 192 H. Thomas (1981), Sp. 35f. 193 Gesta Treverorum 7f£, hg. Waitz (1848), S. 134f£, mit den obigen Zitaten zu patria und Sprache (Gesta Treverorum 7, S. 135, Z. 5—7), römischer Rechtsordnung (Gesta Treverorum 8, S. 135, Z. 17) und zur Bezeichung als "zweites Rom" (Gesta Treverorum 8, S. 135, Ζ. 15f.); bezüglich Sitten und Religion vgl. vor allem Gesta Treverorum 11 f., S. 140f£ 194 H. Thomas (1981), Sp. 36. Vgl. ders. (1968), S. 227-230. 195 Oben, S. 29f£ 196 H. Thomas (1981), Sp. 36. 197 Vgl. zu diesem Prozeß hier insbesondere oben, S. HOf. 198 Entsprechend auch Gellinek (1971a), S. 97.

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Conlatinus ist in der 'Kaiserchronik' demnach primär Trierer Herkunft und nur in zweiter Linie kann man ihn auch den "deutschen Landen" zuweisen. Daß Trier als Teil des Römischen Reiches auch Teil der "deutschen Lande" ist, wurde lediglich am Beginn der 'Kaiserchronik' explizit gemacht, als Caesar die aufständische Provinz der "deutschen Lande" unterwarf und dabei auch Trier eroberte.199 Konkret in den Blick geriet Trier in den Abschnitten zu Caesar und Augustus allerdings als Stadt der F r a n k e n und damit der alten, trojanischen Verwandten der R öm e r: als ain burch alt (KChr. 653/ 21,15) in den Frenkzsken landen (KChr. 650/ 21,12), die gierte Romaere gemalt (KChr. 654/ 21,16). Die Betonung lag auf dem Status der fränkischen Stadt als Residenz der Römer. Dadurch erschien die noch heute unübersehbar römisch geprägte Stadt kontrastiv vor den übrigen "deutschen Landen" ausgezeichnet. Triers herausgehobener Rang definiert sich unmittelbar in bezug auf Rom und steht bereits vom Beginn des Imperium Romanum an fest. Die Zugehörigkeit der Stadt zu den "deutschen Landen" ist daher nur am Anfang erwähnenswert, um Triers Rang gegenüber der Umgebung hervorzuheben. Ahnlich wie das auch in Hinsicht auf die Relation von Bayern und "deutschen Landen" in der Adelger-Episode festzustellen war, bildet das nationale, "deutsche" Bezugssystem nicht die primäre, sondern die sekundäre Identifikationsebene, die nur unter bestimmten Aspekten relevant wird. 200 In einem programmatisch-nationalen Sinne ausdeutbar und in dieser Hinsicht makrostrukturell verwertbar ist der Abschnitt zu Tarquinius, Conlatinus und Lucretia daher nicht. Dasselbe gilt bezüglich der von Nellmann betonten "deutschen Herkunft" Konstantins des Großen über seine Mutter Helena. 201 Schon im frühen Mittelalter, zu einer Zeit, als ein deutsches Nationsbewußtsein noch nicht existierte, wurde Trier als Geburtsstätte der von Papst Silvester getauften heiligen Kaiserin gerühmt. In dieser Tradition steht die 'Kaiserchronik', in der Helena, wie angedeutet, von Triere geborn (KChr. 10400/ 318,28) ist. Als sie eine Pilgerreise ins Heilige Land unternimmt, auf der ihr die Kreuzauffindung gelingt, bringt sie eren/ Tneren der urmären (KChr. 10388f./ 318,15f.) kostbare Reliquien wie den Heiligen Rock mit. Die Instanz, über die sich Ansehen und Stellung Helenas und ihres Sohnes Konstantin definieren, ist dessenungeachtet wie im Fall des 199 Vgl., auch zum folgenden, oben, S. 140ff. 200 Das Lemma 'Trier' wird in der 'Kaiserchronik' 16mal erwähnt, hinzu kommen 4 Belege zu 'Trierer' im Abschnitt zu Tarquinius; vgl. KChr., hg. Schröder (1892), Reg., S. 423, jeweils s. v. 201 Zu den Abschnitten der 'Kaiserchronik' über Kaiser Konstantin und Helena vgl. die oben, Anm. III,99, genannte Literatur.

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Conlatinus Rom. So wird Helena, die ehemalige Trierer Konkubine des Kaisers Constantius, von diesem als Kaiserin nach Rom geholt. Römisch ist auch die Erziehung, die Helena dem Sohn zuteil werden läßt. In einem Brief an Konstantin, der inzwischen Römischer Kaiser und Christ geworden ist, hebt sie als Heidin hervor, dat^ ich dich ^och erenj Romdwn aim herren (KChr. 8214f./ 251,24f.). Gleichzeitig hält sie dem Sohn das Vorbild seines Vaters Constantius vor, der rihte elliu rdmisken hüs (KChr. 8219/ 251,29). Helena erinnert Konstantin daran, der religiösen Verantwortung des Römischen Kaisers gerecht zu werden. Sowohl für Helena als auch für Konstantin sind Römisches Kaisertum und römische Religion untrennbar miteinander verbunden. Doch definieren beide die religiöse Aufgabe des Kaisers unterschiedlich, Helena heidnisch, Konstantin christlich. Am Ende erweist sich das christliche Kaisertum auch für Helena als das wahre Römische Kaisertum, so daß die Mutter Kaiser Konstantins des Großen Christin wird. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Antwortschreiben, das Konstantin auf den erwähnten Brief der Mutter hin an diese übermittelt. Durch dieses Schreiben wird die folgende Handlung in Gang gesetzt, die schließlich zur Taufe Helenas in Rom durch den Papst führt. Nicht deswegen aber ist es hier von Interesse, sondern wegen seines Zielortes. Denn Helena, die Gebieterin über allen rdmisken gewalt (KChr. 8256/ 252,33), befindet sich zu diesem Zeitpunkt in den Bitinnisken landen (Bithynien, KChr. 8249/ 252,26). Dorthin bringen die römischen Boten die Antwort des Kaisers. Andere Codices derselben Rezension Α aus dem 12. Jahrhundert wie auch der Rezension Β aus dem frühen 13. Jahrhundert weisen hingegen Britannien als Helenas Residenz aus,202 aber auch Griechenland wird genannt. 203 Angesichts der Zentrierung der Handlung auf Rom scheint die Frage der Bleibestätte der Heiligen Helena in den Handschriften dieser früheren Rezensionen letztlich zweitrangig. So heißt es in der Vorauer Fassung in bezug auf Bithynien lediglich: da was diu chunigin Helena (KChr. 8250/ 252,27). Wichtiger wird die Frage nach Helenas dauerhaftem Bezug zu Trier als einem Teil der "deutschen Lande" erst im späten Mittelalter. Erst in den aus dem 14. und noch dem ausgehenden 15. Jahrhundert datierenden Handschriften der Rezension C, die nach 1250 entstand, sendet Konstantin sein Antwortschreiben statt 202 Vgl. KChr., hg. Schröder (1892), S. 233, Apparat zu V. 8249, sowie KChr., hg. Massmann (1849/54), Bd. 1 (1849), S. 622, Apparat zu V. 8270. Vgl. zum folgenden auch KChr., hg. Massmann, a. a. O., Bd. 3 (1854), S. 291. 203 Die Lesart 7.e Chrichschem lande befindet sich in der Massmann'schen Hs. W (Buchstabe W in Frakturschrift; i. e. Hs. 16 in der Ausg. v. Schröder [1892]) der Rezension Β aus dem 14. Jh., vgl. KChr., hg. Massmann (1849/54), Bd. 1 (1849), S. 622, Apparat zu V. 8270.

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nach Bithynien, Britannien oder Griechenland nun explizit diutschem lande.™ Indirekt ist Helena damit dorthin zurückversetzt, wo ihr Leben begonnen hat: nach Trier. Es ist jedoch bezeichnend, daß die späten Codices an dieser Stelle nicht die Residenzstadt der Mutter des Römischen Kaisers selbst in den Vordergrund stellen, sondern die "deutschen Lande". Damit hat sich die Hierarchie der Identifikations ebenen im Vergleich zu den frühen Handschriften punktuell umgekehrt. Im nächsten Kapitel (IV.) ist darauf zurückzukommen. 205 Hier ist festzuhalten, daß der spätmittelalterliche Uberlieferungszweig der Rezension C auf diese Weise erstmals in dem gesamten Passus zu Constantius und Konstantin jenes nationale Bezugssystem überhaupt ins Bewußtsein hebt, das Teile der Forschung ihm schon immer zugrundeliegen sehen. Hinzuzufügen ist, daß dies aber selbst in den Codices der Rezension C nur an dieser einen Stelle des genannten, langen Passus geschieht. Auch rücken die "deutschen Lande" in diesem Kontext wieder nur kontrastiv in den Horizont, in dem sie in Abgrenzung zum cisalpinen Rom benannt werden, von wo aus Konstantin seine Boten entsendet. In der frühen Uberlieferung der 'Kaiserchronik' hingegen fehlt eine vergleichbar im Ansatz erfolgende nationale Konturierung in diesen Abschnitten völlig. Inwieweit die Rede von der "deutschen Herkunft" des Tyrannenmörders Conlatinus und Kaiser Konstantins des Großen in der 'Kaiserchronik' wegen der veränderten Konnotation problematisch ist, dürfte klar geworden sein. Aufschlußreich ist es aber abschließend, bevor ich mich Karl dem Großen und Leo zuwende, doch noch kurz einen gedanklichen Sprung in die Moderne zu machen und sich zu vergegenwärtigen, daß es auf staatsrechtlicher Ebene noch in der Weimarer Republik eine primäre Staats angehörigkeit "nur im Rahmen des Einzelstaates gibt: aus ihr leitet sich die Reichsangehörigkeit sekundär ab. Erst eine Verordnung (!) von 1934 (!) und ein Gesetz von 1935, durch Erlasse der 50er Jahre angepaßt, schufen eine p r i m ä r e d e u t s c h e Staatsangehörigkeit". 2 6

204 So die Handschriften W, I, Κ, Ζ (i. e. in der Ausg. v. Schröder [1892] Hs. 27-30). Vgl. KChr., hg. Massmann (1849/54), Bd. 1 (1849), S. 622, Apparat zu V. 8270. 205 Unten, S. 249 sowie S. 266ff. 206 K. F. Werner (1992), S. 238 (Hervorhebung durch d. Verf.).

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Karl und Leo Aber zurück zum Mittelalter und zur 'Kaiserchronik'. Was Papst Leo anbetrifft, der als Bruder Karls des Großen angelegt ist, so wird, wie nach den obigen Ausführungen kaum mehr betont zu werden braucht, auch dessen "Deutschtum" nirgends hervorgehoben. Im Gegenteil. Anders als in den bereits betrachteten Fällen, stellt sich das Problem hier allerdings noch einmal etwas anders. Denn vorgestellt werden die gleichermaßen vorbildlichen Figuren von römischem Papst und römischem Kaiser an einer oft übergangenen Stelle der 'Kaiserchronik' wie folgt: Duo kom Ϊ!ζ alsus das^ von Karlingen Pippinus, ain chunich riche, hete sgvene sune herliche. der ain hie^ Leo: Rome %och man in do, sant Peters stuol er besa^j Karldannoch da haime was (KChr. 14307-14315/438,20^38,27). Karl erscheint hier als Prinz von Karlingen, und unmittelbar vorher wird erzählt, wie sein Bruder Leo, während Karl damals noch in Karlingen blieb, zur adligen Erziehung nach Rom geschickt wurde. Dieser site (KChr. 14296/ 438,8), so die vorangehende Erläuterung, diente mit Blick auf die spätere Rückkehr der ehemaligen juncherren [...]/ wider ψο ir lanten (KChr. 14297/ 438,9; 14305/ 438,17) der Heranziehung einer romtreuen Fürstenschaft: von diu dienden in [sc. den Kömern] diu richel elliu vorhtliche (KChr. 14306f./ 438,18f.). Die Bezeichnung Karlingen für eines der riche im römischen Herrschaftsbereich tritt an dieser Stelle zum zweitenmal von insgesamt dreimal in der 'Kaiserchronik' auf, und dabei erhält Karlingen sukzessive grobe Umrisse. Zunächst ist festzuhalten, daß 'Karlingen'/ 'Kerlingen' in Parallele zu lat. 'Carolingia' in Abgrenzung von Lothringen zur Bezeichnung des Reiches Karls des Kahlen und seiner Nachfolger diente: Gemeint ist das frühmittelalterliche Westreich beziehungsweise, zur Entstehungszeit der 'Kaiserchronik', Frankreich. 207 Einige spätere Handschriften der

207 Vgl. mit Bezug auch auf die 'Kaiserchronik' H. Thomas (1991), S. 247 mit Anm. 12, u. dazu ders. (2000), S. 48ff., 63f£, und zur Etymologie von 'Karlingen'/ 'Kerlingen' insbesondere Lugge (1960), S. 103ff.; Lugge hebt hervor, daß im Deutschen zunächst auch noch das gesamte fränkische Reich gemeint sein konnte, bevor zum Hochmittelalter hin eine zunehmende Eingrenzung auf 'Frankreich' erfolgte: Die "Anwendung von Karlingen auf das Westreich" trug daher zum "Werden von Francia zu Frankreich" bei (ebd., S. 108; zu beachten ist, daß Lugge unter impliziter Anwendung der Gleichung germanisch-deutsch bezüglich des

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'Kaiserchronik' schreiben in diesem Zusammenhang dementsprechend an der in Rede stehenden Stelle auch frankriche208 Dabei ist allerdings zu differenzieren. Im 12. Jahrhundert war 'Karlingen'/ 'Kerlingen' zwar eine gängige Benennung für Frankreich, von der der Kaplan und Notar der staufischen Hofkapelle Gottfried von Viterbo am Ende des Jahrhunderts betont, daß sie in diesem Sinne schon lange, nämlich usque hodie, "bis heute", üblich sei, und für diesen mittelhochdeutschen Sprachgebrauch gibt es etliche Beispiele.209 Doch wird Karl in der 'Kaiserchronik', auch wenn er in Karlingen [...] da haime ist, deswegen nicht zum erklärten "Franzosen" stilisiert, genausowenig wie er aufgrund der gleich noch zu betrachtenden, bezeichnenderweise meist isoliert gelesenen Passage programmatisch als "Deutscher" in Erscheinung tritt.210 Tendenziell integriert die 'Kaiserchronik' vielmehr beide Komponenten in der Profilierung der christlichen Herrschaft des Prinzen von Karlingen als späterem Kaiser des Römischen Reiches. Dabei gewinnt Karlingen, wie andeutungsweise entsprechend bereits in einer Passage zu den römischen Kaisern Oiocletianus und Maximiänus (KChr. 6451-6621/ 197,31-203,7), 211 die Umrisse eines Ostreiches auf derselben Seite irrtümlich noch von "deutschen Karolingern" spricht [Hervorhebung v. d. Verf.]). 208 So die Handschriften der Rezension C mit den Siglen W, I, Κ, Ζ (i. e. in der Ausg. v. Schröder [1892] Hs. 27-30) aus dem 14. und 15. Jahrhundert. Vgl. KChr., hg. Massmann (1849/54), Bd. 2 (1849), S. 343, Apparat zu V. 14328. Vgl. auch KChr. 14541ff./ 445, 27ff. Zu dieser Terminologie vgl., auch im folgenden, prinzipiell unten, Kap. IV.2.2.1., S. 216-219, und Kap. IV.2.2.2., S. 219-233. 209 Einige aus der deutschen Literatur des Mittelalters sind insbesondere bei H. Thomas (1994), S. 144ff., und ders. (2000), S. 63f£, zusammengestellt; vgl. auch ders. (1984), S. 354ff. - Zu Gottfried von Viterbo vgl. unten, S. 219f. mit Anm. IV,63. (dort auch der Nachweis des obigen Zitates). 210 Vgl. in diesem Kontext auch die oben in Anm. 111,33, zitierten Bemerkungen K. F. Werners zum Problem der außerhalb der Geschichtswissenschaften teils noch immer anzutreffenden, irrtümlichen Identifizierung des historischen Karl als "deutsch", die einer entsprechenden Lektüre der 'Kaiserchronik' Vorschub leistet. 211 Im Abschnitt zu den genannten Kaisern wird die Legende vom Heiligen Mauritius erzählt. Dort begegnet die Bezeichnung 'Kerlingen' in der 'Kaiserchronik' zum erstenmal (während von den 'dütisken landen' bezeichnenderweise nicht die Rede ist): Der römische Kaiser Maximian bereitet eine gegen die Christen gerichtete hervart [...] ψ Kerlingen (KChr. 6534/ 200,17 und KChr. 6558/ 201,11) vor. Dabei erleiden die um St. Mauritius versammelten Christen in Maximians Heer das Martyrium, auf das als solches es der 'Kaiserchronik' offenbar ankommt - der bekannten Legende um den berühmten Reichs-Helligen nach geschah das bei Agaunum bzw. der bedeutenden mittelalterlichen Pilgerstätte St. Maurice am nördlichen Ende der Straße über den Großen St. Bernhard, die eine der römischen Hauptverbindungen nach Gallien bildete. Anschließend wird in der 'Kaiserchronik' erzählt, wie es zu Christenverfolgungen im ganzen römischen Reich kommt. Zu den Vorlagen der 'Kaiserchronik' in diesem Abschnitt vgl.

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III. KONSOLIDIERUNG

Herrschaftsgebietes, das im Süden implizit bis zu den Pyrenäen reicht, über die später Karl der Große gegen die Heiden vordringt. 212 Konturiert wird ein weitgefaßter fränkisch-karolingischer Herrschaftsraum, für dessen Konzeptualisierung anderes entscheidend ist als die Kategorien von "deutsch" und "französisch". Diese geraten erst im Zuge der späteren 'Kaiserchronik'-Rezeption in den Vordergrund, 213 während die Verwendung von 'Karlingen'/ 'Kerlingen' in dem frühmittelhochdeutschen Text noch die Erinnerung an das Frankenreich präsent hält, ohne daß die Assoziation mit 'Frankreich' deshalb ausgeschlossen würde. Deutlich wird das etwa auch, wenn der von den Stadtrömern geblendete Papst Leo dem chunige Karl ψ den Riflanden (i. e. Ripuarien, 214 KChr. 14423/ 442,6) sein Leid klagt, Karl daraufhin boten sine/dem chunige Pippine und den Fürsten von Kerlingen entsendet und die Boten betont von riche riche/ von herren manne eilen, um Mitstreiter im kommenden Rachekampf zu gewinnen (KChr. 14541-14555/ 445,27-446,9). Dem künftigen Kaiser Roms gelingt es, ein vielgestaltiges Heer aus vieler Herren Länder aufzubieten, das nicht als "deutsch" vorgestellt wird, wie man gemeint hat,215 sondern in dem die aristenhait versammelt ist, in der sich auf die Kunde von Karls Boten hin jämer unde lait/ von volke volke erhebt (KChr. 14561—14563/ 446,15— 446,17). Daraufliegt die Betonung. Rund 500 Verse nach der zitierten Einführung Karls als Sohn Pippins von Karlingen heißt es dann, ganz anders als in jener Passage: Karl der Pippines sun, der saeligen Perhtun, dergewan den namen scdne, da% er der erste kaiser wart BJme von Diutisken landen (KChr. 14815-14819/ 454,4-454,8).

Karl wird also z u g l e i c h für Karlingen in Anspruch genommen u n d für die dütisken lant. Akzentuiert wird dabei Karls Bezug zu den genannten Riflanden (KChr. 14412ff./ 441,28ff.) und damit zu jenen Frenkisken landen, in die später, im Abschnitt zu Ludwig (dem Kind) die Ungarn

Massmann, KChr., hg. ders. (1849/54), Bd. 3 (1854), S. 778-784, und Ohly (1968 [zuerst 1940]), S. 139ff. 212 In KChr. 14877-14879/ 456,2-456,4 wird erzählt, wie Karl nach Eroberungen im Norden gegen Yspänia und Navarra zieht (vgl. unten, S. 170). 213 Wie sich zeigen wird, ist das ζ. B. in der 'Prosakaiserchronik' der Fall, vgl. unten in Kap. IV.3.2.2., S. 270-274. 214 Vgl. KChr., hg. Schröder (1892), Reg., S. 422, s. v. "Riflant", und dazu Lugge (1960), S. 159f. 215 So programmatisch etwa Hellmann, vgl. unten, S. 172 mit Anm. 111,224 (dort Verweis auf weitere Beispiele).

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einfallen und die daraufhin gemeinsam von den Österfrancken wie auch von "denen vom Rhein" (die von Rine) verteidigt werden (KChr. 15624— 15632/ 479,1^479,9). 216 Der Zugewinn an Macht und Ansehen für Karl den Großen als Prinzen von Karlingen, der als chunich in den VJßanden seinen in Rom geblendeten päpstlichen Bruder rächt und sich so als erster Kaiser von Diutisken landen das Kaisertum verdient, gilt zuerst dem idealen Repräsentanten größter weltlicher Machtfulle selbst und erst sekundär auch den "deutschen Landen", die bezeichnenderweise wieder im Plural aufgerufen sind. Es ist Karl der Große als Römischer Kaiser, dem die schillernd bleibende Herkunft aus den "deutschen Landen" zur Ehre gereicht, nicht umgekehrt. Auf ihn "richtet sich [...] die Darstellungsintention der Chronik": 217 auf den vollendeten gotes wigant., der die haiden [...] der aistenhaite getwanc (KChr. 15073f./ 462,3f.), auf den in Rdmiscen riehen hochgelobten, vor allen werltkunigen/ [...] die aller maisten tugende besitzenden Herrscher Roms (KChr. 15085-15087/ 462,14-16). Der Bezugspunkt ist von Beginn an das Römische Reich mit seinem universalen heilsgeschichtlichen Anspruch, und das ist ausschlaggebend. Erst von da aus geraten, wie schon so oft in der 216 Auf die gleichzeitige Herkunft Karls aus Karlingen und den d&tisken landen haben außer H. Thomas (vgl. oben, Anm. 111,207) auch schon Folz (1950), S. 161 f., sowie Köster (1939), S. 30 mit Anm. 93 und S. 126, hingewiesen; vgl. auch Massmann, KChr., hg. ders. (1849/54), Bd. 3 (1854), S. 970f. und dazu S. 987f. mit Anm. 1 auf S. 987. Folz, Köster und Massmann verwickeln sich beim Versuch, die bestehenden Ambivalenzen der Darstellung Karls in der 'Kaiserchronik' aufzulösen, in Widersprüche, teils aufgrund unzutreffender, traditioneller Prämissen, wie ich sie in den Grundzügen unter 'Hinführung zum Thema', S. 1-12, sowie in Kap. I.2., S. 21-38, und ergänzend in Kap. Π.2.2., besonders S. 54ff. u. S. 64f£, dargelegt habe. Köster etwa bemerkt an der zuerst genannten Stelle: "Die Verse: Karl.gewan den namen scone, er der erste kaiser wart Rome von diutisken landen beziehen sich nicht [!] auf die Nationalität Karls"; in seiner Zusammenfassung am Ende des Buches liest er den Abschnitt zu Karl dann aber dessenungeachtet aus seiner Zeit heraus ganz im Sinne einer gegen die "französische[] Auffassung Karls" gerichteten, "nationaldeutschen" (!) politischen Programmatik, die für die nachfolgende Karlsrezeption in der deutschen Literatur des Mittelalters kennzeichnend sei und sich zunehmend steigere: "Entsprechend dem Reichsgedanken [...] verschärft sich stetig das nationaldeutsche Bild des Kaisers" (ebd., S. 126; zur daraus resultierenden Problematik einer Verwendung von Kösters oft zitiertem Überblick zur Karlsdichtung als Nachschlagewerk vgl. Brandt [1981], S. 258f£). Grundsätzlich erhellend sind in diesem Kontext die Beobachtungen von Bomba (1987), S. 206-219 und zusammenfassend S. 267f., zu Typus und Funktion der mit der literarischen Figur Karls/ Charlemagnes verbundenen Orts- und Raumbezüge in den altfranzösischen Chansons de geste, darunter auch zu Charlemagnes (!) besonderer Verbindung zu Aachen (und demgegenüber weniger zu St. Denis, im Gegensatz zur Figur des Louis); vgl. diesbezüglich zu den Chansons de geste bzw. deren mittelhochdeutschen Adaptationen insgesamt unten, Kap. IV.2.2.1.-IV.2.2.2., S. 216-233. 217 Pezsa (1993), S. 192.

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'Kaiserchronik, die "deutschen Lande" in den Blick. Die Verse, die an die zitierte Passage über Karl als ersten Römischen Kaiser aus den "deutschen Landen" unmittelbar anschließen, machen das deutlich: Rßmare in [sc. Karl] wol rekanten: von dem tage iemer mere so wuchsen Karle sin ere (KChr. 14820-14822/ 454,9^54,11). Auch danach verweilt die Erzählung in Rom, wo Karl den Pflichten des Römischen Kaisers nachkommt und wie einst Konstantin der Große die Verhältnisse neu ordnet. Erst dann wendet sie sich Karls Kriegen zu. In die Reihe der von Karl siegreich bekämpften Gegner fugen sich ebenso der (Langobarden-)Fürst Desiderius (KChr. 14841/ 454,30) wie die Westvälen, die dem Kaiser ir lant [...] ergaben (KChr. 14851 f./ 455,8f.), die Friesen (KChr. 14853/ 455,10), die Sahsen (KChr. 14855/ 455,12), dann Yspänia (KChr. 14877/ 456,2) und so weiter. Erneut ist der Aktionsradius Karls damit römisch definiert, nicht deutsch, und gerade das Beispiel der Sachsen macht das deutlich. Nicht als "Deutsche" oder Teil eines "deutschen Reiches" treten sie hier auf, wie es im Abschnitt zu Caesar im Ansatz der Fall war, 218 sondern als ebensolche Gegner Karls und damit Roms wie etwa Spanien, die dem chunige/ nie [...] undertän (KChr. 14864f./ 455,21 f.) werden wollten. Auf römischer Seite kämpfen dagegen in vorderster Front der vortreffliche helt Gerolt (KChr. 14861/ 455,18) und die Schwaben. Ein spezifisch deutsches "Wir"-Gefühl drängt sich daher in diesem Zusammenhang nicht in den Vordergrund, wenngleich es im verstärkten Interesse des Erzählers an Karls Feldzug gegen die Westfalen, Friesen und Sachsen im Hintergrund mitschwingt. Doch wird dieses Interesse sogleich in eine römisch-imperiale Perspektive eingerückt, in der die einzelnen lant je für sich als Gegner des Römischen Reiches erscheinen: beispielsweise wenn der Widerstand der Friesen als ubermuot (KChr. 14854/ 455,11) abqualifiziert wird und wenn in bezug auf die Sachsen konstatiert wird, diese übten mit ihrem abwehrenden Verhalten gegenüber dem Römischen Kaiser ir alten site (KChr. 14857/ 455,14), um am Ende doch alle ir craft (KChr. 14872/ 455,29) zu verlieren. In einen entsprechend direkten Bezug zu Rom wie zuletzt die Sachsen wurden zuvor auch, aber mit umgekehrten Vorzeichen, namentlich die Schwaben mit dem erwähnten Gerold an der Spitze gesetzt. Die Schwaben machen sich bereits auf Karls römischem Rachezug zur Wiederherstellung der Ordnung nach der Mißhandlung des Papstes um das Römische Reich verdient:

218 Oben, Kap. III.3.2.1., S. 132-147.

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do verlieh der chunic Karle Gerolde dem beide,/ da% die Siväbe von rehte/ ietner suln vor vehten/ durch des riches not (KChr. 14623-14627/ 448,9-448,13). Die Auszeichnung durch Karl den Großen verleiht den Schwaben eine rechtliche Vorrangstellung im Kampf. Dadurch akzentuiert der Text eine kulturelle, rechtliche Gemeinsamkeit der S c h w a b e n , deren Konstituenten gerade nicht auf die "deutsche" Identifikationsebene bezogen sind, sondern auf die imperial-römische. Gestiftet wird das Vorkampfrecht durch die rechtsetzende Instanz des Römischen Kaisers als Belohnung für die entscheidende Beteiligung an der Wiederherstellung der Ordnung in Rom. 219 Es zeigt sich mithin auf verschiedenen Ebenen, daß Karls ambivalente Zuordnung zu Karlingen und den Oiutisken landen erst mit Blick auf das R ö m i s c h e K a i s e r t u m relevant wird, wobei der Anknüpfung an die fränkisch-karolingische Tradition auf königlicher Ebene auf der imperialen Ebene der römische Bezug entspricht. 220 Die oben herangezogene lateinische Historiographie der Zeit läßt erkennen, daß es auf die Frage nach der Einordnung Karls des Großen und des Verhältnisses seines Reiches zum regnum Teutonicorum der hochmittelalterlichen Gegenwart unterschiedliche Antworten gab. 221 Erst im dynastischen Konkurrenzkampf zwischen Staufern und Kapetingern um das Erbe Karls des Großen zeichnete sich das Entstehen eines spezifisch deutschen Karlskultes ab, der "identitätsstiftend zum Werden eines deutschen Reichsbewußtseins" 222 beitrug. Einen wesentlichen Impuls in diese Richtung gab die 1165 auf Betreiben Kaiser Friedrichs I. erfolgte Kanonisation Karls des Großen. Für die literarische Karls-Rezeption in der Volkssprache aber, die mit der 'Kaiserchronik' einsetzt und seit dem 'Rolandslied' (ca. 1170/72 bzw. um 1185) vorrangig an die Tradition der französischen

219 Dazu Geith (1977), S. 59f. 220 Vgl. Ehlers (1998), S. 40. 221 Oben, Kap. III.2.1., S. 118-123; Weiteres dazu unten in Kap. III.3.4.3, S. 173177. 222 K. F. Werner (1995a), S. 38. Weiterführend vgl. in diesem Zusammenhang ebd., S. 38ff.; aufgrund der Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zu korrigieren ist Werners ebd., S. 38, Anm. 100, notierte Bemerkung zur 'Kaiserchronik', die sich an auf falschen Prämissen beruhenden, älteren literaturwissenschaftlichen Darstellungen orientiert und zudem nicht zwischen lateinischer Historiographie und volkssprachiger Reimchronistik differenziert (vgl. die folgende Anm. 111,223).

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III. KONSOLIDIERUNG

Chanson de geste anschließt, bleibt das in der 'Kaiserchronik' "oszillierend[e] [...] Bild Karls des Großen" 223 bezeichnend. Wie in den bereits betrachteten Fällen fehlt dem frühmittelhochdeutschen Text demnach auch in Hinsicht auf Karl den Großen jene nationale Programmatik, die ihm von der Forschung immer wieder zugesprochen worden ist, weil man entweder nur Karls Bezug zu den Diutisken landen wahrgenommen hat oder aber Karls Herkunft von Karlingen auf paradoxe Weise mit diesem in Einklang zu bringen versucht hat (ein Beispiel liefert Hellmann, der bei Karls zweitem Romzug, der zur Kaiserweihe führt, Karls "deutsche Truppen" am Werk sieht und diese dann näherhin als "vursten von Kerlingen" identifiziert, 224 ohne den damit verbundenen Widerspruch wahrzunehmen und den 'multinationalen' Charakter von Karls Christenheer 225 zu erkennen). Die Problematisierung der Frage nach Karls "deutscher Herkunft" zeitigt deshalb ein ähnliches Ergebnis, wie es unter anderer Themenstellung vereinzelt auch jüngere Forschungsbeiträge erbracht haben, die den Abschnitt der 'Kaiserchronik' zu Karl dem Großen unter vor allem narratologischer Problemstellung analysiert und dabei die hagiographischen Valenzen im Karlsbild des Textes hervorgehoben haben. Im Zentrum des Abschnittes der 'Kaiserchronik' zu Karl dem Großen steht die Zeichnung Karls "als eines von Gott erwählten, gottesfurchtigen und vorbildlich gerechten" 226 römischen Kaisers, welcher der Gegenwart als Ideal vor Augen gestellt wird. 227 Karl erscheint "geradezu als Muster eines exemplarischen Gottesstreiters", und in diesen Sinnhorizont fügt sich das "ganze Geschehen, so disparat die einzelnen

223 H. Thomas (1991), S. 247, bezogen auf "das Büd Karls des Großen in der Literatur des römisch-deutschen Reiches" im ganzen und im besonderen in der 'Kaiserchronik'. Ähnlich betont Schnell (1989) aufgrund von Forschungen im Rahmen des Marburger DFG-Schwerpunktprogramms 'Nationes' (vgl. oben, S. 22 mit Anm. 1,19), daß zwar in einer "Vielzahl lateinischer Texte" der staufischen Zeit "die These einer deutschen Nationalität Karls des Großen" verfochten werde, "dieses Problem" jedoch in der deutschsprachigen Literatur "keine Rolle" spiele, Karl vielmehr teils auch als Franzose vorgestellt werde (ebd., S. 316). Vgl. insgesamt unten, Kap. IV.2.2.1.-IV.2.2.2., S. 216-233 mit Anm. IV,55ff. (Literatur), zum 'Rolandslied' S. 222-228. 224 Hellmann (1969), S. 75. Vgl. die teils in eine ähnliche Richtung gehenden Beispiele oben, S. 112f. 225 Zum Kreuzzugscharakter von Karls Feldzug vgl. unten, S. 182 mit Anm. 111,269. 226 Pezsa (1993), S. 121. 227 Zu den Gegenwartsbezügen vgl. hier im besonderen KChr. 14756ff./ 452,12f£, wo die normative Verbindlichkeit der auf Gottes Eingebung zurückgeführten Gesetzgebung des Kaisers Karl unterstrichen wird. Vgl. dazu oben, S. 129 mit Anm. 111,105 (Literatur).

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Erzählabschnitte untereinander auch scheinen mögen".228 Vor diesem Hintergrund sind die in diesem Kapitel festgestellten Ambivalenzen durchaus bezeichnend. 3. 4. 3. Probleme um die sog. "Translatio imperii auf die 'Deutschen' " in der 'Kaiserchronik' Diskursive Interferenzen Mit der Frage nach der Herkunft Karls des Großen hängt die Problematik der Translatio imperii auf die "Deutschen" zusammen. Damit ist die zweite der beiden oben heuristisch auseinandergehaltenen Fragen zur Terminologie im Abschnitt zu Karl dem Großen in der 'Kaiserchronik' und zur strukturierenden Funktion dieses Abschnittes angesprochen.229 Wie Ohly und Nellmann (vgl. die beiden Zitate weiter oben)230 geht die Forschung bis in die jüngste Zeit und dabei in den letzten Jahren in verstärkter Wiederanbindung an die Genannten gemeinhin davon aus, daß dieser Gedanke in der 'Kaiserchronik' bereits ausgeprägt sei:231 Die Krönung des 228 Pezsa (1993), S. 121. Vgl. resümierend ähnlich in letzter Zeit auch Bastert (2001), S. 204ff. u. S. 214 (in diesem Kontext den historischen Karl auf S. 206 irrtümlich als ersten "deutschen König" einordnend), Geith (2001), S. 91 f., oder, knapp, auch Klein (2000), S. 257f. 229 Oben, Kap. III.3.4.1., S. 157-159. 230 Oben, S. 157f. 231 Programmatisch wird das Kaisertum Karls des Großen in der 'Kaiserchronik' beispielsweise von Ohly (1968 [zuerst 1940]), hier S. 224-233, und von Möller (1957), S. 3-41, als Translatio imperii auf die Deutschen aufgefaßt. Dabei fuhrt Ohly seine Monographie bezeichnenderweise bis auf Karl, während Möller sich, in methodisch fragwürdiger Weise faktengeschichtlich orientiert, auf 'Die deutsche Geschichte in der Kaiserchronik' konzentriert und mit Karl dem Großen beginnt; vgl. ebenso, jedoch mit ganz anderer Akzentsetzung, auch schon Ittenbach (1942); zu den Genannten sowie zur vorhergehenden Forschung vgl. oben, S. 109f., 112ff. Insbesondere durch Ohly hat diese Zäsursetzung anhaltend nachgewirkt und erlebt in den letzten Jahren einen neuen Aufschwung. Vgl. in ausgeprägter Form etwa Ehrismann (1954), Bd. 2,1, S. 270ff.; Nöther (1970), S. 220-235, 293ff.; Urbanek (1972), hier S. 222ff.; Hennen (1973), Bd. 1, S. 136-140, 211, 231; Neuendorff (1982), S. 135ff.; kurzgefaßt Nellmann (1983), Sp. 955, 958f., sowie ergänzend ders. (1991), Sp. 858. Vgl. jüngst auch Haubrichs (1993), S. 30f., und (trotz grundsätzlicher Kritik an Ohlys typologischem Interpretationsansatz) S. Müller (1999), S. 184ff. Hinzuzufügen sind zuletzt Rubel (2001), besonders S. 156ff.; und Neudeck (2003), S. 276ff.: Beide binden dabei in programmatischer Weise an den von Ohly für die 'Kaiserchronik' geltend gemachten typologischen Ansatz an, so daß fur ihren Zugriff die Deutung Karls als eines Kaisers, der in der 'Kaiserchronik' programmatisch als "Deutscher" gezeichnet werde, konstitutiv

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Frankenkönigs zum Kaiser werde als providentielle Übertragung des bis zum Jüngsten Tag ununterbrochen fortbestehenden Römischen Reiches von den Griechen als rechtmäßigem Reichsvolk auf die "Deutschen" dargestellt. Nachdem sich im letzten Kapitel herausgestellt hat, daß die Frage nach der Herkunft Karls des Großen in der 'Kaiserchronik' weniger eindeutig beantwortet wird und infolgedessen weniger zentral ist, als allgemein angenommen, 232 stellt sich jedoch auch das Problem der Translatio imperii noch einmal neu. Dabei geht es zunächst um die Frage nach der Rolle des Translationsgedankens als solchem in der 'Kaiserchronik', die wegen ihrer Komplexität ein weiteres Ausgreifen erfordert. Daraus ergeben sich dann Konsequenzen bezüglich Ausprägung und Relevanz alt-"deutscher" Identitätskonstruktion in der 'Kaiserchronik', womit wiederum die Probleme von Makrostruktur und Selbstverständnis des literarischen Textes zusammenhängen. In diesem Zusammenhang ist zwischen den beiden im Mittelalter konkurrierenden Theorien der T r a n s l a t i o i m p e r i i233 einer234 seits und der R e n o v a t i o imperi i andererseits zu unterscheiden. Beiden Theorien liegt die Vorstellung zugrunde, daß das Römische Reich bis zum Ende der Welt fortbestehe. Insofern knüpfen b e i d e an die Lehre von den Vier Weltmonarchien an, die oben bei der Analyse des 'Annoliedes' skizziert worden ist.235 Wie gesehen, findet sich die Monarchienlehre in abgewandelter Form auch in der 'Kaiserchronik'.236 Entgegen einem verbreiteten Mißverständnis beinhaltet sie jedoch

ist. So gehen beide unter Ausblendung gegenstrebiger Passagen im Rückbezug auf den Abschnitt zu Caesar und die wie gewöhnlich, jedoch ohne Textgrundlage so genannten "deutschen Stämme" von einem mit Karl dem Großen gegebenen "Übergang des Kaisertums auf die Deutschen" bzw. einer "translatio imperii von den römisch-griechischen auf die deutschen Kaiser" aus; wie oben zitiert, solle in der 'Kaiserchronik' auf diese Weise der "Herrschaftsantritt der Deutschen" herausgehoben und "in ein strahlendes Licht" gesetzt werden (Neudeck [2003], S. 278ff., 282, vgl. das Zitat im Fließtext oben, S. 113f. mit Anm. 111,39). 232 Oben in Kap. III.3.4.2., S. 166-173. 233 Einschlägig dazu Goez (1958), passim, hier vor allem S. 77-137; vgl. auch H. Thomas (1997b) (Literatur). 234 Vgl. im vorliegenden Zusammenhang grundsätzlich Goez (1958), S. 62f£, und im übrigen hier vor allem Benson (1982), besonders S. 359—386, sowie weiterführend Struve (1995) und Petersohn (1995). Im weiteren Kontext vgl. grundlegend Schramm (1984 [zuerst 1929]) und dazu Görich (1993), besonders S. 117£, 187ff, 267f£, sowie Althoff (1996b), S. 114-125. 235 Oben, S. 76f. 236 Oben, S. 144f.

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"nicht mit Notwendigkeit" 237 auch den Translatio-Gedanken. Ebensowenig löst das Gebäude der Translatio imperii im Hochmittelalter die frühmittelalterliche Theorie der Renovatio imperii vollständig ab. Vielmehr bestehen beide Theorien im 12. Jahrhundert grundsätzlich nebeneinander, wenngleich sich das Gewicht zunehmend stark zugunsten des Translatio-Gedankens verschiebt. Die Theorie der T r a n s l a t i o i m p e r i i zeichnet sich durch eine "formale U m g e s t a l t u n g des Reiches b e i zeitlicher K o n t i n u i t ä t"238 aus. Diese Transformation kann einerseits insbesondere als lokale Veränderung verstanden werden, so bei entsprechender Deutung der Verlagerung der Reichshauptstadt Rom durch Konstantin den Großen nach Konstantinopel. Zum anderen impliziert sie den Wechsel des heilsgeschichtlich legitimierten Reichsvolkes, beispielsweise von den Römern zu den Griechen und weiter von den Griechen zu den Franken und Deutschen. Entscheidend ist dabei "der Gedanke einer Spoliation",239 demzufolge ein Land oder ein Volk seine alten Vorrechte als Trägergruppe des Reiches definitiv verliert. Die Anfänge des Usus, die Kaiserkrönung Karls des Großen als translatio imperii a Graecis ad Francos zu bezeichnen, datieren in die Zeit des Investiturstreites.240 Systematisch wurde die Translationstheorie erstmals um 1100 in der Weltchronik Frutolfs von Michelsberg umgesetzt, der eine Translatio imperii von den Griechen auf die Franken und von diesen auf die Sachsen kennt.241 Frutolfs Geschichtswerk war auch dem 237 Goez (1958), S. 84. Dies übersehen in Zusammenhang mit der 'Kaiserchronik' neuerdings auch wieder Rubel (2001), S. 160ff., und Neudeck (2003), S. 278ff. 238 Goez (1958), S. 82 (Hervorhebung v. d. Verf.). Vgl. zum folgenden besonders ebd., S. 82ff., sowie insgesamt S. 77-104. 239 Goez (1958), S. 82. 240 Vgl. hier und im folgenden grundsätzlich Goez (1958), ab S. 62ff. passim, hier besonders S. 75f. und S. 137f£, im obigen Zusammenhang außerdem von den Brincken (1957), S. 120f£, mit der Übersicht über die Entwicklung des Translationsgedankens in der lateinischen Weltchronistik im Anhang, Tafel V [S. 254], Vgl. auch H. Thomas (1997b) (Literatur). 241 [Frutolfus et] Ekkehardus, Chronicon, hg. Waitz (1844), a. 801, S. 169; a. 919, S. 175; vgl. auch ebd., Kap. 'De origine Saxonum', S. 183. Vgl. dazu im obigen Zusammenhang außer Goez (1958), S. 108ff, von den Brincken (1957), S. 187f£, und Müller-Mertens (1970), S. 303£, durch den im übrigen Moeglin (2002), S. 366f£, 370f£, implizit modifiziert ist. Vgl. dazu generell K. F. Werner (1995a), S. 40£, Anm. 107, konkret bezogen auf die diesbezüglichen Ausführungen von Goez, aber nicht nur auf diesen zutreffend: "So wurde das sächsische Imperium zwischen dem fränk. u. dem röm./dt. [in der Forschung] lange 'übersehen'. Dabei spricht Frutolf, die Quelle Ottos [von Freising], noch richtig von der Translation des regnum durch Heinrich I. ad Saxones". Goez, a. a. O., S. 110£, spreche in diesem Kontext jedoch "selbst irrig von der 'dt. Königskrone' " und "vom

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Verfasser(kreis) der 'Kaiserchronik' bekannt.242 Nachhaltiges Gewicht erhielt die Vorstellung einer Translatio imperii aber erst, seitdem Papst Innozenz III. an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert die kuriale Variante der Translationstheorie ausgestaltet und präzisiert hatte. Sie besagt, daß der Apostolische Stuhl das Römische Imperium in der Person Karls des Großen in Germanos übertragen habe, wodurch Karl gegen "die ältere Lesart (Translatio von den Griechen auf die Franken) [...] zum Kaiser aus dem Volk der Deutschen"243 wurde. Im früheren Mittelalter, als die Folgen des Niedergangs des Weströmischen Reiches noch unmittelbarer präsent waren, dominierte dagegen die vielgestaltige Theorie der R e n o v a t i o i m p e r i i , die ebenfalls im Gefolge des Investiturstreits neu auflebte.244 Sie impliziert "die Vorstellung weitgehender formaler I d e n t i t ä t des Reiches o h n e zeitliche K o n t i n u i t ä t,"24S ungeachtet ihrer im Lauf der Jahrhunderte wechselnden und in Rom sowie im (ost-) fränkisch-deutschen Reich je unterschiedlich ausgeprägten Varianten. Renovatio imperii meint einen Akt der Erneuerung im Sinne der Wiederherstellung eines alten, als vorbildlich erachteten Zustandes. Im besonderen hebt die Vorstellung von der Renovatio imperii auf die Restitution "eine[r] vergangene [n] Rechtsordnung" 246 ab; dieser Aspekt stand im 12. Jahrhundert im Vordergrund. Während der Translatio-Gedanke unter Hervorhebung der absoluten zeitlichen Kontinuität das Neue des griechischen und später dann, je nach Variante, des fränkischen beziehungsweise sächsischen und deutschen Kaisertums betont, zielt die Renovatio-Theorie, gerade weil sie zeitliche Unterbrechungen zuläßt, umso nachdrücklicher auf die vollkommene politisch-ideelle Kontinuität.247 Das griechisch-byzantinische Kaisertum wird deshalb im Sinne einer Divisio imperii als partikuläres Nebenkaisertum niederen Ranges gedeutet oder aber als unrechtmäßige Usurpation. Es wird aus der Geschichte des Römischen Reiches ausgeklammert. 'erfreulich realistischen Charakter' von Ottos Werk (was nur ironisch zutrifft!);" vgl. auch H. Thomas (1994), S. 138, Ann. 32. 242 Schröder, Einl. zu: KChr., hg. ders. (1892), S. 68f£, und dazu Neilmann (1963), S. 132f. mitAnm. 164. 243 K. F. Werner (1997), S. 40f. 244 Vgl. hier und im folgenden die oben, Anm. 111,234, genannte Literatur und vgl. auch von den Brincken (1957), S. 120ff. 245 Goez (1958), S. 81 (Hervorhebung v. d. Verf.). Vgl. zum folgenden, soweit nicht anders angegeben, ebd., S. 68ff. und besonders S. 81ff. 246 Goez (1958), S. 81. Dies betont für das 12. Jahrhundert auch Benson (1982), hier im besonderen S. 360. 247 Dies betont Goez (1958), S. 72.

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Trotz dieser Differenzen wurden beide Theorien nicht selten in ihren je unterschiedlichen Spielarten miteinander vermischt.248 Das entspricht dem generellen Befund zum politischen Diskurs des Hochmittelalters im regnum Teutonicum, der sich auch in den oben zitierten Reflexionen Ottos von Freising spiegelt.249 Er zeigt, daß die "Verschiedenheit der Meinungen" über die Entstehung dieses Reiches und sein Verhältnis zum Imperium, von dem es oft nicht unterschieden wurde, "ganz erheblich" war.250 Aus diesem Grund ist auch das vielzitierte Beispiel des Bischofs von Freising selbst, bei dem der Translationsbegriff eine außerordentlich große Bedeutung hat, in dieser Hinsicht für seine Zeit gerade nicht typisch.251 Hinzu kommt die im mittelalterlichen Geschichtsdenken verbreitete Tendenz, Widersprüche "nebeneinander stehenzulassen":252 omnia diffinire presentis negotii non est,253 bemerkte in diesem Zusammenhang selbst der auf hohem Reflexionsniveau stehende Otto von Freising. Vor diesem komplexen, hier nur sehr grob skizzierten Hintergrund erklärt sich die Eigenartigkeit der 'Kaiserchronik'. Im freien Umgang mit den beiden konkurrierenden Theorien zeigt sich ihr spezifischer Charakter. Römisches Kaisertum und griechische Usurpation Was die Vorstellung einer Verlagerung der Reichshauptstadt von Rom nach Konstantinopel unter Konstantin dem Großen anbetrifft, die für den Gedanken einer späteren Translatio imperii von den Griechen auf die Franken und Deutschen ausschlaggebend ist, so wird ihr in der 'Kaiserchronik' keine Geltung zugesprochen.254 Die kausal-empirisch nur unzureichende Motivierung "von hinten", um es mit Lugowski

248 Goez (1958), S. 83. Vgl. ebd., S. 80ff. 249 Oben, Kap. III.2.1., S. 118-123; zur weiteren Einordnung vgl. insbesondere die ebd. in Anm. 111,58, genannte Literatur. 250 Goez (1958), S. 111. 251 Vgl. in diesem Zusammenhang außer Goez (1958), S. 11 Iff., insbesondere von den Brincken (1957), S. 220-228, und Goetz (1984), vor allem S. 148-158. 252 Schmale (1985), S. 76. Vgl. neuerdings grundsätzlich auch Goetz (1999a), vor allem S. 134—159 mit der Literatur. 253 Otto Frisingensis, Chronica IV,3, hg. Hofmeister (1912), S. 187£, hier S. 188, Z. 9£; vgl. Goez (1958), S. 114. 254 Dies hat bereits Ohly (1968 [zuerst 1940]), S. 227£, gesehen, vgl. das Zitat oben, S. 157.

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auszudrücken, 255 dokumentiert im Gegenteil das Bemühen, einer solchen Deutungsmöglichkeit vorzubeugen. So gründet Konstantin in der 'Kaiserchronik' zwar Konstantinopel und überläßt Papst Silvester Rom zur Regentschaft (KChr. 1040Iff./ 318,29ff.), wie es der Überlieferung entspricht.256 Doch wird seine Reise nach Griechenland lediglich durch eine Hungersnot in Rom veranlaßt und hat keinerlei programmatischen Charakter. Dementsprechend wird der Papst ausdrücklich nur bis zu Konstantins Rückkehr zum Reichsverweser ernannt. Eine definitive Verlegung des Reichszentrums zu den Griechen steht nicht zur Debatte. Dennoch bleibt Konstantin in der 'Kaiserchronik' in Konstantinopel. Warum, wird vom Text offen gelassen und erklärt sich aus der Umdeutung der Überlieferung. So erübrigt sich in der 'Kaiserchronik' eine Rückkehr Konstantins nach Rom, da sich der römische Kaiser in Konstantinopel symbolisch auf römischem Boden bewegt: Als die (Stadt-)Römer, die den Kaiser nach Konstantinopel begleitet haben, nach Jahresfrist vereinbarungsgemäß die Rückreise antreten wollen, läßt Konstantin ihre Ehefrauen aus Rom herbeiholen und eine Versammlung einberufen, die auf eigens herbeigeschaffter romischer erde (KChr. 10484/ 321,14 u. 10495/ 321,25) stattfindet. Die Residenzstadt des Kaisers im griechischen Osten des Römischen Reiches erscheint damit in der 'Kaiserchronik' als ebenso römisch wie Rom. In politischer Hinsicht ist Rom auch in Konstantinopel, ist Rom dort, wo der Römische Kaiser ist. Aus diesem Grund kann Rom unter Konstantins Nachfolger Julian (Apostata), der in Rom aufwächst, ganz selbstverständlich wieder als nicht nur symbolisches, sondern auch faktisches Reichszentrum erscheinen, ohne daß das in irgendeiner Weise erklärt werden müßte. 257 Die Motivierung des gesamten Passus ist damit letztlich final auf die bruchlose ideelle Kontinuität des Römischen Reiches mit Rom als Zentrum hin angelegt, unbeschadet kausaler Erklärungsmuster im Detail, die sich deswegen jedoch oft genug als widersprüchlich erweisen. Sie dient dazu, der Identität Roms durch die Zeiten hindurch substantiell eine zeitlose Gültigkeit zuzuschreiben. Rom bleibt in der 'Kaiserchronik' also das Zentrum des Reiches. Die daraus resultierende Verantwortung der Römer für das Kaisertum tritt besonders deutlich im Falle von Vakanzen hervor. So heißt es beispielsweise vor dem Regierungsantritt Konstantins des 255 Vgl. dazu die Literatur oben, Anm. 111,92. 256 Vgl. hier vor aüem Ohly (1968 [zuerst 1940]), S. 162-171, 227£, und Pezsa (1993), S. 94-99 u. 21 lf. (Literatur), und vgl. Goez (1958), Reg., S. 397, s. v. "Constitutum Constantini", und ergänzend H. Fuhrmann (1991) (Literatur). 257 Das betont auch Ohly (1968 [zuerst 1940]), S. 227, im Gegensatz zu Gellinek (1971a), S. 171 £.; vgl. in bezug auf Gellinek unten, S. 181 mit Anm. 111,265.

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Großen formelhaft Diu riebe stuonden laere (KChr. 7806/ 239,15). In ähnlicher Weise wären die Römer nach dem Tod des Theodosius vil manige φ,/ da^si nie rihtaere gewannen (KChr. 13654f./ 418,16£). Damals erhoben sich urliuge unde strit (KChr. 13653/ 418,15) in Rom. Um dem ein Ende zu machen, beschließt der Senat, niemere/ äne rihtaere (KChr. 13666f./ 418,28f.) sein zu wollen, und man einigt sich auf den Griechen Constantinus Leo. In Zeiten der Vakanz sind die Römer demnach aufgefordert, einen neuen rihtaere ausfindig zu machen, und solange die Entscheidung über die Vergabe des Kaisertums bei den Römern liegt, sind die Kaiser des Römischen Reiches in politisch-ideeller Hinsicht "römisch". Ihre Abstammung ist dabei zweitrangig. Zum Problem wird sie erst in dem Augenblick, in dem die griechischen Kaiser ihr eigenes geslähte (KChr. 13706/ 420,4) gegenüber Rom bevorzugen und die Griechen das Römische Reich als das ihrige usurpieren, da% riche von rehte [...] hän wollen, ohne daß ihnen das zustünde: da^enmahten Komaere niht vertragen (KChr. 13687f./ 419,17£). Unter dem Griechen Constantinus Leo beginnt deshalb die zunehmende Entfremdung zwischen den Römern und ihren Herrschern. 258 Constantinus Leo selbst regiert zwar noch harte wisliche (KChr. 13672/ 419,2), doch gerät er dadurch bereits in Gegensatz zu den Griechen, von denen er abstammt. Dagegen ist sein Nachfolger Zeno darüberhinaus auch persönlich romfremd gezeichnet. 259 Zeno ist nicht nur von Griechen geborn, sondern er hält die Griechen mehr in Ehren als die Römer, er minnet [...] sin geslähte bas/ danne den di ^komaere (KChr. 13827—13829/ 423,29—31). Als er sich nach Konstantinopel begibt, tut er dies, ganz anders als seinerzeit Konstantin der Große, in der festen Absicht, niemer (KChr. 13838/ 424,7) nach Rom zurückzukehren. Er erscheint deshalb auch nicht mehr als Herrscher über das weströmische Reich. Dieses Amt übt vielmehr Dietrich (von Bern) aus, der am griechischen Hof aufgewachsen ist und dem Zeno das weströmische Reich zu Lehen gibt. Dieses wird unrechtmäßig von Ötacher von Stire (KChr. 13965ff./ 428,6ff.) beherrscht, und Dietrich von Bern besiegt Odoaker wie einst Juljus Cesar (im Akk., KChr. 14035/ 430,10) den Pompeius. 26 " Dietrich, nicht Zeno, gebietet infolgedessen über elliu Romiskiu riche (KChr. 14141/ 433,15). 258 Hierzu sind insbesondere Ohly (1968 [zuerst 1940]), S. 214-218, sowie Pezsa (1993), S. 112f. u. 218 mit der Literatur, zu vergleichen. 259 Vgl. hier vor allem Ohly (1968 [zuerst 1940]), S. 218-224, und Pezsa (1993), S. 49f., 113-116 u. 219 mit der Literatur, von der vor allem Stackmann (1997 [zuerst 1988]) und ders. (1997 [zuerst 1990]), S. 67-69, zu nennen ist; hinzuzufügen sind in diesem Kontext Knape (1985), S. 17ff., und Cometta (1991); kritisch gegen die genannten Hellgardt (1995), besonders S. 105ff. 260 Wie im Fall anderer Figuren der 'Kaiserchronik' geht Ohly (1968 [zuerst 1940]), S. 94, aufgrund der oben dargelegten Prämissen auch in bezug auf die Figur

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Faktisch trennt die 'Kaiserchronik' damit das weströmische Reich als das einzig wahre Römische Reich vom Reich des Griechen Zeno. Zeno und Dietrich von Bern stehen am Beginn einer Phase, die dazu führt, daß vor Karl dem Großen, zur Zeit des Constantius, Rdmisc riche endgültig wart [... /]gesceiden von den Criechen (KChr. 14278f./ 437,23f.). Denn auch Constantius ist von den Cnechen geborn (KChr. 14196/ 435,5). Aber nicht seine griechische Abstammung als solche ist entscheidend, sondern die Tatsache, daß Constantius von den Griechen und nicht von den Römern ^e nhtaere rekorn (KChr. 14196f./ 435,5f.) ist. Dadurch sind die Griechen nun definitiv als Usurpatoren gekennzeichnet, die nicht bereit sind, die Rom gebührende triwe und ere [...] wol [%e] bewarn und vor den herren von BJme zu entwichen (KChr. 14285-14295/ 437,30-438,7): sich dem hohen Anspruch des Kaisertums unterzuordnen und die Romidee in ihrer Herrschaft zu erhalten.261 Diese Darstellung widerspricht dem Gedanken der Translatio imperii, denn dieser setzt, wie oben dargelegt,262 die ununterbrochene zeitliche Kontinuität des Römischen Reiches voraus und impliziert die grundsätzliche Anerkennung des Kaisertums der Griechen. Dieses Ergebnis ist für die Gesamtkonzeption der 'Kaiserchronik' von Bedeutung. Es hat erhebliche Konsequenzen für die Auffassung des Kaisertums Karls des Großen und seiner Nachfolger aus den "deutschen Landen" und so auch für die Frage nach der Konstruktion (alt-)"deutscher" Identität in dem frühmittelhochdeutschen Text. Weiter unten wird das näher zu erläutern sein 263 Dietrichs von Bern von einer programmatisch gezeichneten Abkunft aus "Deutschland" aus, was vom Text jedoch nicht gestützt wird; vgl. insgesamt oben, Kap. III.3.4.2., S. 159-173 mit insbesondere Anm. 111,184. 261 Die Frage der in der 'Kaiserchronik' entworfenen "Romidee" ist aufgrund ihrer Verbindung nicht zuletzt mit dem in Rede stehenden Translationsproblem unterschiedlich beantwortet worden. Vgl. im besonderen die einflußreichen Interpretationen von Ohly (1968 [zuerst 1940]), hier S. 224f£, und Nellmann (1963), S. 8 9 147 (zur Kritik vgl. oben, Anm. 111,175); darüberhinaus auch Lesser-Sherman (1984), S. 24ff. u. öfter (vgl. "Index", s. v. "Kaiserchronik"), die das Thema programmatisch in Anlehnung an Nellmann, a. a. O., verfolgt, dabei allerdings in zentralen Punkten in sich widersprüchlich ist; insgesamt vgl. dazu oben, Anm. 111,231. Zur Semantik des Lexems 'Römaere' in der 'Kaiserchronik' vgl. außerdem Hellmann (1969), S. 59-64 (Belegzusammenstellungen vgl. oben, Anm. 111,181). Hellmann stellt fest, daß die negativen Wertungsmöglichkeiten sich auf die "allgemeinen Bedeutungen wie 'Bevölkerung der Stadt Rom', 'römisches Heer' oder noch allgemeiner 'Römer' ohne festlegbaren Inhalt" beschränken, denen eine relativ geringe Zahl von Belegen im Sinne von " 'Fürsten des römischen Reiches' " oder auch '"einflußreiche Kreise von Rom"' gegenüberstehen (ebd., S. 61). 262 Oben, Kap. III.3.4.3, 173-186, hier S. 175ff. 263 Unten, S. 183-186.

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Hier stellt sich jedoch das Problem, wie die 'Kaiserchronik' die Kontinuität des Römischen Reiches denn ihrerseits faßt, nachdem sie das griechische Kaisertum in der geschilderten Weise faktisch von der Geschichte des Römischen Reiches separiert. Das Kaisertum Karls des Großen Als das Römische Reich nach dem Tod des Constantius erneut vakant ist, überantworten die Römer die Entscheidung über das Fortbestehen des Reiches symbolisch St. Petrus: Da^ riche stuont do laere. üf sante Peters altare sagten si die chmne (KChr. 14282-14284/ 437,27-29). Möglicherweise schwingt hier die frühmittelalterliche Vorstellung mit, in Zeiten einer Thronvakanz regiere Christus,264 vielleicht wird auf die besondere Verantwortung des Papstes für das Kaisertum angespielt265 oder aber der Passus dient in erster Linie dem Verweis auf den besonderen providentiellen Charakter der Erhebung Karls des Großen zum Kaiser, der im folgenden Abschnitt herausgestellt wird. Der Text läßt mehrere Deutungsmöglichkeiten zu, wie es sich auch im Fall von Karls Herkunft gezeigt hat.266 Dazu fügt sich die insgesamt unscharfe Verwendung der Titel chunich und kaiser; die sich auch auf die Schilderung von "Königs-" Krönung und "Kaiser-"Weihe in Rom durch Römer und Papst auswirkt.267 Wichtig sind deshalb weniger die Details als die generellen Konturen, die das Kaisertum Karls des Großen erhält, wenn man die festzustellenden Brüche und Mehrdeutigkeiten als kennzeichnend gelten läßt.

264 Auf diese Vorstellung macht im obigen Kontext Nellmann (1963), S. 129f. aufmerksam. Vgl. Goez (1958), S. 80. 265 Dies betont Gellinek (1971a), S. 167f£, der zu recht den Translationsbegriff für die 'Kaiserchronik' ablehnt. Gellineks Deutung der auf dem Altar Petri ruhenden Kaiserkrone im Rückgriff auf die Silvester-Konstantinlegende wird vom Text allerdings nicht gestützt, vgl. ebd., S. 171f£, und dazu S. 128ff. zu Konstantin, zu dem Gellinek zentral Vers KChr. 10410/ 319,6 zitiert, ohne jedoch den wichtigen Zusatz in V. 10411/ 319,7 zu berücksichtigen. So trifft es auch nicht zu, daß der "Herr und Richter [...] in Altrom seit Silvesters Tagen der Papst, und nicht mehr der Kaiser" (ebd., S. 172) sei, vgl. den obigen Fließtext. Vgl. insgesamt kritisch zu Gellinek auch S. Müller (1999), S. 201-206, 211. 266 Oben in Kap. III.3.4.2., S. 166-173. 267 Vgl. insbesondere Möller (1957), S. 24f£; Nellmann (1963), S. 105 mit Anm. 84, und S. 124ff. mit Anm. 148; Geith (1977), S. 65£; und dazu Pezsa (1993), S. 119 mit Anm. 254.

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Dann erscheint Karl als der von den Römern auserkorene und damit von rehte herrschende voget unt rihtaere (KChr. 14357f./ 440,5f.), der ü^ anderen neben (KChr. 14284/ 438,6) stammt als die usurpatorischen Griechen, ohne daß die Frage seiner Herkunft eindeutig entschieden würde. Die Betonung liegt darauf, daß Karl der Große nicht aus dem chunne (KChr. 14288/ 437,33) der Griechen stammt. Die Griechen sind nicht als Reichsvolk gezeichnet, das die Römer im Sinne einer in sich geschlossenen Translationsvorstellung abgelöst hätte, sondern als eine sich verselbständigende Abstammungsgemeinschaft, die zunehmend romfremde Kaiser hervorbringt, welche dem universalhistorisch-heilsgeschichtlichen Anspruch des Hauptes aller der di der ebristenhaite jaehen (KChr. 8083/ 247,28) nicht mehr gerecht werden. Karl ist deshalb von Gott selbst zum neuen Römischen Kaiser bestimmt, und die in Hinsicht auf Geburt und Herkunft aus Karlingen und Diutisken landen schillernde Figur des Königs und Kaisers definiert ihre Aufgabe mit eigenen Worten: mit dem swerte sol ich di chnstenhait besannen (KChr. 14536/ 445,23).268 Christlich und deshalb ebenso standeswie völkerübergreifend ist demgemäß das Heer, das Karl vor seinem zweiten Romzug in einer deutlich spürbaren "Kreuzzugsatmosphäre" 269 durch die von riebe riebe (KChr. 14554/ 446,8) eilenden Boten versammelt, um die Mißhandlung seines Bruders Papst Leo durch abtrünnige Römer zu rächen. Durch den Papst empfängt Karl nach vollbrachter Tat die Kaiserweihe. Auf konzeptuell ambivalente Weise wird Karl der Große so als Erneuerer gezeichnet, der in dreifacher Weise von Gott erwählt ist, ohne daß die einzelnen Legitimationsebenen völlig widerspruchslos integriert wären: durch die Römer, durch den Papst, durch Karls Taten. In diesem Sinne wird Karl zum Restitutor der Rechtsordnung Konstantins des Großen: Er verschafft der pfibte [i. e. 'phahte'] Constantini, die vergeben harte war (KChr. 14782f./ 453,4f.), mit Hilfe eines Engels, der ihm die Worte eingibt, neue Geltung. Zugleich ist damit die in der 'Kaiserchronik' vorgestellte Identität Roms als weltliche und geistliche "Sinnmitte des Reiches", 270 die von den griechischen Kaisern pervertiert worden war, im Sinne einer "re-novatio" wiederhergestellt.

268 Zum Verhältnis von Kaisertum und Papsttum im Abschnitt zu Karl dem Großen vgl. in diesem Kontext Neilmann (1963), S. 130. 269 Geith (1977), S. 58. Zu den literarischen Mustern, denen die Darstellung der 'Kaiserchronik' hier folgt, vgl. neuerdings Ehlert/ Klein (2001), S. 34ff. 270 Ohly (1968 [zuerst 1940]), S. 228.

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Folgerungen Die 'Kaiserchronik' weist damit weder eine dezidierte Vereinnahmung Karls des Großen für die "Deutschen" auf, noch ist in ihr die Theorie der Translatio imperii ausgeprägt. Deshalb ist es auch kein Zufall, daß die Kaiserreihe in der 'Kaiserchronik' nicht fortlaufend durchgezählt ist, wie es etwa bei Frutolf von Michelsberg oder Otto von Freising der Fall ist. Frutolf und Otto kam es als herausragenden Vertretern der Translationstheorie auf die unbedingte c h r o n o l o g i s c h e Lückenlosigkeit der Regierungszeiten der Römischen Kaiser an. Demgegenüber steht in der 'Kaiserchronik' die vollkommene f o r m a l - i d e e l l e Identität des Römischen Reiches durch die Zeiten hindurch im Vordergrund. In einer Anmerkung hat das bereits Werner Goez in seiner einschlägigen Geschichte der Translationstheorie bemerkt: "Zwischen Theodosius und Karl dem Großen klafft eine Lücke in der Reihe der Kaiser. Das byzantinische Kaisertum ist nicht das wahre; es kann keine Ansprüche auf das Weltreich erheben. [...] Also gibt es auch keine Übertragung des Kaisertums von den Griechen auf die Franken." 271

Auch Nellmann hat auf die Bedeutung des Interregnums aufmerksam gemacht, das dem Kaisertum Karls des Großen in der 'Kaiserchronik' vorausgeht: "Die Regierungszeit [...] Constanti(n)usf], nach dessen A^ertreibung ein Interregnum folgt, wird nicht gezählt. Das deutet darauf hin, daß der \^erfasser [...] nur das weströmische Reich akzeptiert und die gesamte Periode des oströmischen Imperiums verschweigen will. Die Byzantiner Heraclius und Justinian werden, offenbar dieser Idee zuliebe, um Jahrhunderte vordatiert und zu Weströmern gemacht." 272

Doch trotz des Verweises auf die kaiserlose Zeit des Römischen Reiches vor Karl dem Großen, die "faktisch von Theoderichs Tod bis zu Karl dem Gr. reicht",273 hält Nellmann im Anschluß an Ohly und mit ihm die Forschung zur 'Kaiserchronik' in aller Regel an der überkommenen Rede von der Translatio imperii in der 'Kaiserchronik' auf die "Deutschen" fest. 271 Goez (1958), S. 126, Anm. 1. Bereits Haack (1953), S. 175f., hat die Vakanz und das "Chaos" betont, aus dem Karl als "der neue Ordner des Reiches" (S. 176) hervorgeht, was jedoch kaum rezipiert worden ist. Ebensowenig Beachtung fand bisher H. Thomas (1994), S. 141 mit Anm. 45. Eine wichtige Ausnahme bildet Gellinek (1971a), S. 166ff., dessen Perspektive allerdings dadurch vorgegeben ist, daß er erneut von einem programmatischen Herrschaftsübergang mit Karl auf "die deutschen Herrscher" ausgeht und von da aus nach erzähltechnischen Neuerungen fragt (ebd., S. 151). 272 Nellmann (1983), Sp. 955; vgl. ders. (1991), Sp. 857, sowie im Ansatz bereits ders. (1963), S. 129f. 273 Nellmann (1983), Sp. 958.

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Der Grund dafür Hegt letztlich in der forschungsgeschichtlich bedingt anderen methodischen Ausgangsposition, die auf der Suche nach dem einen Sinn manch gegenstrebige Tendenzen des Textes übergehen ließ.274 Demgegenüber ist zum einen die in der 'Kaiserchronik' vorzufindende Überlagerung unterschiedlicher Traditionen hervorzuheben, die eigenständig verarbeitet werden, sich aber deshalb nicht auch bruchlos ineinanderfügen. Zum anderen zeigt sich, daß der Text den Spielraum wahrnimmt, der ihm als in der Volkssprache gereimtes Geschichtsbuch didaktisch-unterhaltender Art im Interferenzfeld von lateinisch-schriftlicher und volkssprachig-mündlicher Literatur zukommt. Angesichts des komplexen diskursiven Kontextes, in dem die 'Kaiserchronik' situiert ist, und angesichts des literarischen Status des Textes sind daher gerade die Unbestimmtheiten charakteristisch, welche die Darstellung des Kaisertums Karls des Großen aufweist. So ist festzuhalten, daß sich die 'Kaiserchronik' in einer anhaltenden Phase der Umdeutung des im frühen Mittelalter noch präsenten Endes des Weströmischen Reiches befindet, die von der Vorstellung der Renovatio imperii zur Ausprägung der Lehre der Translatio imperii auf die "Deutschen" führt, wie oben umrissen. 275 Faktisch läßt der frühmittelhochdeutsche Text nur das Weströmische Reich gelten und tilgt mehrere Jahrhunderte oströmischer Herrschaft aus der Geschichte, ohne daß das weiterbestehende Papsttum diese Tilgung konzeptuell vollständig auffangen würde. Infolgedessen ist die zeitliche Kontinuität des Römischen Kaisertums von Zeno und Dietrich von Bern an in Frage gestellt. Die Periode romfremd-zwiespältiger, schließlich aufhörender (west-) römischer Kaiserherrschaft fällt dabei in einen Zeitraum, dem eine besondere Bedeutung zukommt. Es ist im wesentlichen genau jene Epoche, die im Mittelalter durch die mündliche Heldendichtung als zeitenthobene 274 So betont etwa auch Neilmann (1963), S. 131, selbst, daß in den Abschnitten nach Karl dem Großen der "Nachdruck [ . . . ] also offenkundig nicht [!] auf der Darstellung der deutschen Kaiserzeit" liege. Dessenungeachtet hält Nellmann ebd. mit Ohly daran fest, daß mit Karl d e m Großen programmatisch das "in seiner Idee bei den Griechen gefährdete Reich in die Hände der Deutschen verlegt" werde (ebd., S. 113, nach Ohly [1968 (zuerst 1940)], S. 227Q. Entsprechend stellte etwa auch Möller (1957) fest, daß die Darstellung der 'Kaiserchronik 1 eigentlich nicht der Translationstheorie entspricht. Der "Verfasser", so ist bei ihr zu lesen, unterscheide "nicht streng [...] zwischen d e m römischen und d e m spezifisch neuen des fränkischen Kaisertums" (ebd., S. 18). Dennoch folgt auch sie der überkommenen Auffassung, bezeichnenderweise allerdings in einem Konzessivsatz: "Auch wenn" das so sei, betone der Verfasser "die translatio" (ebd., S. 18, mit einer völlig unzureichenden Definition in A n m . 28). Ähnliches ist etwa auch bei Kokott (1978), S. 78ff., zu lesen. Die Beispiele ließen sich leicht vermehren, vgl. die oben in Anm. 111,231, genannten Titel. 275 Oben in Kap. III.3.4.3., S. 173-177.

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Vorzeitkunde ausgefüllt wurde, und es war zu sehen, wie diese mündlich tradierte Überlieferung im Prolog der 'Kaiserchronik' in ihrem Geltungsanspruch zurückgewiesen wird. 276 Im Abschnitt zu Zeno und Dietrich von Bern werden die auf diese Epoche bezogenen Heldenlieder in Anbindung an den Prolog erneut als luge (KChr. 14187/ 434,28) abqualifiziert. 277 Auf diese Weise betont die 'Kaiserchronik' nochmals mit Nachdruck ihren eigenen Anspruch bezüglich der Darstellung dieser Zeit. Von hier aus erhält die Ambiguität der in der 'Kaiserchronik' vorgestellten Kontinuität des Römischen Reiches ihr spezifisches Gewicht. Unter zeitlichem Aspekt ist diese Kontinuität lückenhaft. In ideeller Hinsicht aber ist sie gerade deshalb umso betonter gewahrt. Gerade weil der Text die Möglichkeit der Vakanz des Römischen Reiches zuläßt, schließt er den Gedanken einer substantiellen Transformation aus. Das Interregnum vor Karl dem Großen dient der Uberbrückung einer romfremden Zeit, die wegen ihrer fehlenden heilsgeschichtlichen Legitimation unwahr ist und deshalb faktisch ausgeklammert wird. Eben dadurch vermag das Römische Reich seine Identität im ideellen Kern zu bewahren. Diese substantielle Identität ist in der Traumdeutung Daniels vorgegeben, die in die Episode zu Caesar und den "Deutschen" integriert ist und in der die Fortdauer des Römischen Reiches bis auf den Jüngsten Tag prophezeit wird. 278 Als Helfer Caesars erhielten die "Deutschen" im Abschnitt zu Caesar als erstem Kaiser des Römischen Reiches einen konstitutiven Anteil an der Begründung des Römischen Kaisertums. Insofern sind sie vom Beginn des universalen, heilsgeschichtlichen Römischen Reiches an mit diesem Reich und seiner Geschichte verflochten. Wenn dem in vielen Varianten genannten riebe219 in der 'Kaiserchronik' eine ideelle Kontinuität bis in die mittelalterliche Gegenwart zugeschrieben wird, gilt das deshalb auch in bezug auf das Bild, das der Text von den alten "Deutschen" entwirft. Gegenwart und Vergangenheit sind dadurch auf verschiedenen Ebenen ideell zusammengeschlossen. Substantiell bleiben die "deutschen Lande" und ihre Bewohner in der charakteristischen ambivalenten Weise, die sie einerseits supragentil zusammengefaßt, andererseits je einzeln bis hin zur antagonistischen Auflösung des Ganzen erscheinen läßt, stets identisch. Wenngleich in unterschiedlichen Formen und unter unterschiedlichen Aspekten sind sie immer schon da, meist im

276 KChr. 27ff./ 2,5f£; vgl. oben, S. 124ff. 277 Zu diesem Abschnitt vgl. oben, S. 179f. mit Anm. 111,259 (Literatur). 278 Vgl. hier und im folgenden oben, Kap. III.3.2., S. 132-147, zur Traumdeutung Daniels ebd., S. 144f. 279 Vgl. dazu oben, Anm. 111,95.

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Hintergrund auf einer sekundären Identifikationsebene, vor die sich der gleichermaßen romzentrierte Bezug auf die einzelnen lant schiebt. Unter diesem Gesichtspunkt erübrigt sich eine formale, programmatische Translatio imperii auf die "Deutschen" in der Person Karls des Großen, und aus diesem Grund können die "deutschen Lande" in den rund 800 Versen zu Karl als im (Sorten-)Plural aufgerufener Raum nördlich der Alpen nurmehr gestreift werden und dennoch in den Abschnitten nach ihm ganz selbstverständlich sukzessive die Römischen Kaiser stellen, was erstmals zu Arnulf von Kärnten deutlich wird, ohne aber je expliziert zu werden. 280 Darin liegt gerade nicht eine Entwicklung, die auf Karl den Großen als einschneidenden Wendepunkt zulaufen würde, durch den in der 'Kaiserchronik' programmatisch ein "deutscher" Teil ab Karl von einem "römischen" vor Karl abgegrenzt würde. Im Sinne der oben angesprochenen "Isotopie des Wirklichkeitscharakters der Welt durch die Zeiten hindurch" 281 sind die "Deutschen" vielmehr bereits von Beginn an mit der Geschichte des Römischen Reiches verflochten, dessen ideeller Anspruch unter unterschiedlichen Gesichtspunkten narrativ ausgefaltet wird. Auf makrostruktureller Ebene manifestiert sich darin deshalb ebenjene mythos-analoge Motivationsstruktur des Textes, die mikrostrukturell bereits aufgezeigt werden konnte. 282 Im Vordergrund stehen dabei aber eben gerade nicht die "Deutschen" und auch nicht "das Land" 283 der "Deutschen", wie Ohly es aus einer langen Deutungstradition der historischen Kontexte heraus unter Ausblendung widerstrebiger Passagen mit weitreichender Nachwirkung gesehen hat. Im Zentrum steht das Rßmiske nche. Zu ihm gehört das unter unterschiedlichen Aspekten gezeichnete, zwischen Einheit und Vielfalt, Integration und Auflösung schwankende Gebilde der "deutschen Lande". Nur gelegentlich, in durchschnittlich bei weitem nicht einmal zwei von tausend Versen, tritt es mit seinen Bewohnern in dem frühmittelhochdeutschen Text unter sehr eingeschränkten Aspekten als solches überhaupt nur in Erscheinung.

280 Genaueres zu diesen späten Abschnitten der 'Kaiserchronik' folgt unten, Kap. III.3.5., S. 187-191. 281 Oben, S. 126f. mit Anm. 111,87. 282 Oben, S. 177f£ 283 Ohly (1968 [zuerst 1940]), S. 16.

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3. 5. Konturen der Düüsken in den Abschnitten nach Karl dem Großen Es hat sich gezeigt, daß das dominante Interpretationsmuster der Figur Karls des Großen in der 'Kaiserchronik' als des ersten Kaisers aus den "deutschen Landen" zu relativieren ist. Auch ist deutlich geworden, inwiefern die in der Forschung verbreitete Rede von der Translatio imperii auf die "Deutschen" in der 'Kaiserchronik' unzutreffend ist. In Übereinstimmung damit bewegen sich die auf Karl folgenden Abschnitte, wie man in letzter Zeit auch aus anderem Blickwinkel hervorgehoben hat, in ihrer "inhaltlichen Grundintention [...] ganz im üblichen Rahmen der Geschichtsauffassung der 'Kaiserchronik' ",284 Dessenungeachtet ist in den Abschnitten nach Karl dem Großen mit 7 Belegen vergleichsweise wieder etwas öfter von "deutschen Landen" oder "Deutschen" die Rede, wenn man von der besonderen Belegakkumulation zu 'dütisc' und 'Dütiske(r)' in der Episode zu Caesar und den "Deutschen" einmal absieht.285 Erstmals ist dies zu Arnulf von Kärnten der Fall. Doch treten die "Deutschen" in den wenigen Fällen, in denen sie in den in Rede stehenden Abschnitten überhaupt genannt werden, "keineswegs als eine mit großer Anteilnahme oder gar Bewunderung bedachte Gruppe"286 auf, wie kürzlich am Rande auch Heinz Thomas feststellen konnte. Zudem werden die vursten, die die Nachfolger Karls des Großen jeweils wie im Fall Ludwigs (des Frommen) herren unt vogete, den cnsten ^e ainem rihtaere wählen (KChr. 15096-15098/ 462,25-462,27), nirgends explizit als "Deutsche" ausgewiesen. Wenn von den vursten die Rede ist, liegt die Betonung gleichermaßen in den Abschnitten vor wie nach Karl dem Großen auf der Zuordnung zum Römischen Reich, so daß alternativ auch die Bezeichnung Romaere verwendet werden kann.287 Rom bleibt die 284 Wisniewski (1995), S. 356; vgl. auch oben, S. 158 mit Anm. 111,176f. Die Abschnitte nach Karl dem Großen blieben in der Germanistik als im Vergleich zu den vorhergehenden Abschnitten "trockener und historischer" (Neilmann [1983], Sp. 954) vergleichsweise wenig berücksichtigt; sie haben allerdings in den letzten Jahren außer bei Wisniewski namentlich auch bei Pezsa (1993), S. 121-195, Interesse gefunden, vgl. zur älteren Literatur ebd., S. 221—229, darunter insbesondere die ganz auf diesen Teil der 'Kaiserchronik' konzentrierten Arbeiten von Ittenbach (1942) und Möller (1957) (zu beiden oben, S. 112f. mit Anm. 111,32 u. 111,34, sowie Anm. 111,231) und außerdem von Hennen (1973), Bd. 1, S. 141166, sowie Neuendorff (1982), S. 139ff.; hinzuzufügen ist jetzt Pohl (2004). 285 Vgl. die statistische Übersicht oben in Kap. III.3.1., S. 130f. 286 H. Thomas (2000), S. 63. 287 Aufgrund der Polysemie des Lexems 'Romaere' ist das allerdings nicht möglich, wenn gleichzeitig von den Stadtrömern die Rede ist wie in den Abschnitten zu und nach Karl dem Großen relativ häufig: Für die Bedeutung 'Stadtrömer' steht

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Sinnmitte, und der Zug der neugewählten Könige des Römischen Reiches nach Rom zur Kaiserweihe durch den Papst versteht sich von selbst. Die Konstruktion (alt-) "deutscher" Identität als solcher bewegt sich in den Abschnitten nach Karl dem Großen prinzipiell in denselben Bahnen wie vorher. Wenn teils im Gefolge Ohlys hervorgehoben worden ist, daß das Erzähltempo nach Karl insgesamt angehoben werde, dann ist angesichts der Ergebnisse dieses Kapitels III festzuhalten, daß dies jedenfalls n i c h t deshalb so ist, weil mit Karl programmatisch die "dem Dichter [...] näherliegende deutsche Kaiserzeit" beginnen und diese von derjenigen "der römischen Kaiser" abgekoppelt würde. Vielmehr ist mit Karl als von Gott berufenem Erneuerer der römischen Rechtsordnung und Bruder des Papstes ein explizit unübertroffenes Vorbild kaiserlicher Herrschaft erreicht, das zum Maßstab einer Welt erhoben wird, in der ein die cristenhait so spaltender Vorgang wie der Streit zwischen Kaiser und Papst um die Investitur der hohen Geistlichen keinen Platz hat. kein anderer Ausdruck als 'Romaere' zur Verfugung, während fur 'Fürsten des Römischen Reiches' alternativ 'die vursten' verwendet werden kann. Dies erklärt auch, warum die gehäufte Verwendung von 'Romaere' im Sinne von 'Stadtrömer' in den Abschnitten nach Karl dem Großen eine Parallele im gleichfalls häufigeren Auftreten von 'die vursten' hat. Vgl. die Belegzusammenstellung bei Hellmann (1969), S. 59—64, sowie in den zugehörigen Anmerkungen auf S. 263—266; aufgrund unzutreffender Prämissen verkennt Hellmann allerdings den genannten Grund fur die in Rede stehende Belegakkumulation sowohl von 'Romaere' wie auch von 'die vursten' in den Abschnitten nach Karl dem Großen; infolgedessen fuhrt er diese irrtümlich auf die vermeintlich programmatische Entgegensetzung von "römischem" Teil vor und "deutschem" Teil nach Karl dem Großen zurück, vgl. oben, unter anderem in Kap. III.3.4.2., S. 166-173, dort insbesondere, zu Hellmann, S. 172 mit Anm. 111,224. 288 Vgl. oben, Kap. III.3.4.1., S. 157-159. 289 Ohly (1968 [zuerst 1940]), S. 7f. (Kursivierung durch die Verfasserin), vgl. auch das Zitat oben, S. 157 mit Anm. 111,174. Vgl. den Titel der wirkungsträchtigen 'Geschichte der deutschen Kaiserzeit' Wilhelms von Giesebrecht (1855/89), die für eine inzwischen längst verabschiedete 'Meistererzählung' steht, auf die Ohly sich zu seiner Zeit aber noch wie selbstverständlich beziehen konnte (Ohly, a. a. O., S. 2). 290 Vgl. die Zitate aus dem Lob Karls (KChr. 15073/462,3-15087/462,16), das den Abschnitt zu Karl beschließt und aus der sonstigen Darstellungsweise der Herrschaftsübergänge herausfallt, oben, S. 169. Sehr deutlich wird der anschließende Bezug auf das Vorbild Karls im erläuterten Sinne im Abschnitt zu Ludwig (dem Deutschen): Ludwig wird nach Rom vorgeladen und von den vursten vor Papst

Adriänus angeklagt, er trage die Schuld daran, daß da\ riche wäre ^evuoret/ diu cristenhait \-estoret. Papst Hadrian veranlaßt den König daraufhin, daß er wider rihte/ al-

näch Karies pfahte/ siva^ e versümet ware:, und weiht ihn zum Kaiser (KChr. 15355— 15379/ 470,20-471,12). Zur Ausklammerung des Investiturstreits in der 'Kaiserchronik' vgl. insbesondere Möller (1957), S. 65ff.

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Die Ursache für die etwas dichtere Rekurrenz der Lemmata 'dütisc' oder 'Dütiske(r)' liegt deshalb lediglich darin, daß die auf Karl folgenden Könige als Römische Kaiser die Interessen des Römischen Reiches wahren müssen und einen dementsprechend großen Aktionsradius haben, der weit über die "deutschen Lande" hinausreicht. Daher greift gegebenenfalls erneut der Kontrast 'römisch-cisalpin' — 'deutsch' beziehungsweise 'außerdeutsch' — 'deutsch', der sich bereits vor Karl als einer der zentralen Aspekte erwiesen hat, unter dem die Identität der "Deutschen" beziehungsweise der "deutschen Lande" überhaupt erst als solche in Erscheinung tritt. Auch in den Abschnitten nach Karl dem Großen kann dieser Kontrast wieder unter unterschiedlichen Gesichtspunkten entfaltet werden, so daß die Verwendungszusammenhänge des attributiven 'dütisc' und des substantivierten Volksnamens grundsätzlich dieselben sind wie auch schon zuvor. Da sich die vorliegende Untersuchung auf die literarische Konzeptualisierung "deutscher" Identität in den Zeiten bis auf Karl den Großen konzentriert, die im Zeitalter des Humanismus Anlaß zur programmatischen Frage nach den alten "Deutschen" und ihrer Kultur geben sollten, fasse ich die Ergebnisse zu den auf Karl folgenden Abschnitten der 'Kaiserchronik' nur kurz zusammen. Entweder geraten die transalpinen "deutschen Lande" in diesen Abschnitten wieder in Kontrast zum römisch-cisalpinen Raum in den Blick. Dies ist der Fall, wenn Kaiser Arnolt (Arnulf von Kärnten) nach seiner Krönung in Rom wider in Diutisk lant zurückkehrt (KChr. 15554/ 476,28) oder wenn es im Abschnitt zu Heinrich IV. nach dessen Gefangennahme in Apulien heißt: Da% maere in Diutisc lant chomj da% der kaiser Hainnch waere verlern (KChr. 16804f./ 515,15f.). Nachdem Heinrich befreit und in Rom zum Kaiser gekrönt worden ist, begibt er sich dementsprechend wie vorher Arnulf von Kärnten wieder zurück in Oiutisch lant (KChr. 16816/ 515,27). Bei diesen Konstruktionen handelt es sich in allen drei Fällen um einen Akkusativ Plural als einer "im 12. und 13. Jahrhundert allgemein gebrauchte[n] Alternativform zu tiutschiu lant".Z91 Oder aber die "Deutschen" treten als solche in Erscheinung, weil sie außerhalb der "deutschen Lande" gemeinsam für das Römische Reich agieren. Als Sonderfall gehört in diese Rubrik auch die Abgrenzung der "Deutschen" von fremden Völkern außerhalb des Imperiums. So kämpft Kaiser Otto (II.) von Rom aus gegen die Griechen, um dem von den Griechen vertriebenen Herrscher von Kalabrien beizustehen und dadurch dessen lant für das Römische Reich zu gewinnen (KChr. 15979/ 489,32). 291 Dies macht Smits (1977), S. 63, aufgrund der grammatisch-syntaktischen Analyse und des Vergleichs der überlieferten Lesarten plausibel; vgl. in diesem Kontext zu den Beobachtungen von Smits grundsätzlich oben, Kap. II.2.2.2., S. 56-63, zu den Belegen zu 'dütisc' in der 'Kaiserchronik' oben, Kap. III.3.1., S. 130f.

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Als er dabei in Bedrängnis gerät und aufgrund von Verrat durch einige der Stadtrömer im kaiserlichen Heer von den Griechen besiegt wird, kommentiert der Erzähler mit Bezug auf die "Deutschen" im Heer: 292 welch wunder da\ was,/ da^ ie dehain Diutiskergenas! (KChr. 16038f./ 491,27f.). Im Rückbezug auf diesen Feldzug und die erzwungene Flucht vor den Criechen heißt es angesichts der hohen Verluste am Ende des Abschnittes dann noch einmal: der Diutisken wart do vil reslagen (KChr. 16058—16063/ 492,14—19). Zu Heinrich (III.) ist dann im Zusammenhang der Neuordnung der Verhältnisse in Ungarn durch den Kaiser von der vorangegangenen Vertreibung der "Deutschen" die Rede. In Ungeren, so heißt es, er nehete den lip verlorn/ swer von Diutiskem lande dar kom (KChr. 16490—16495/ 505,25—32.). Zugleich ist implizit ein Rombezug gegeben, da sich die Ungarn mit ihrer gegen die "Deutschen" gerichteten Untat gegen den Römischen Kaiser stellen. Daher wird der mit den Ungarn paktierende Bayernherzog Chuonrät (Konrad I.) zur Strafe ü^er ~Römiskem riche (KChr. 16502-16504/ 506,7-9) vertrieben. Ein letztes Mal treten die "Deutschen" in der 'Kaiserchronik', die den Investiturstreit, wie gesagt, bezeichnenderweise übergeht, 293 schließlich im Abschnitt zu Heinrich (V.) auf. Die Stelle bezieht sich auf Heinrichs Fahrt zur Kaiserkrönung nach Rom, wo dieser auf Widerstand stößt. Mit den Worten die diutiscen newolten niht in da^gedrenge (KChr. 16899/ 518,12) wird sein Gefolge mit der feindlich gesonnenen stadtrömischen Umgebung kontrastiert. Umgekehrt ist allen auf Karl den Großen folgenden Abschnitten der 'Kaiserchronik' gemeinsam, daß das Lemma 'dütisc' in ihnen niemals begegnet, wenn der Fokus auf den "deutschen Landen" selbst liegt und die kontrastive Abgrenzung zu Rom oder außerhalb des Römischen Reiches stehenden Völkern entfällt. Dasselbe gilt, wenn einzelne der "deutschen Lande" unmittelbar mit benachbarten Völkern außerhalb derselben wie den Ungarn in Kontakt treten. In diesen Fällen tritt die kennzeichnende agonale, oft antagonistische Pluralität der "deutschen Lande" in den Vordergrund und verhindert die gemeinsame Erfassung der einzelnen "Lande" als "deutsch". So erweist sich die spannungsreiche Ambivalenz des Textes, die aus dem dialektischen Verhältnis von dominant gezeichnetem Rombezug und unter bestimmten Gesichtspunkten hinzutretender "deutscher" Zusammengehörigkeit resultiert, auch von dieser Seite als

292 Vgl. KChr. 16006ff./ 490,27ff. Im Vordergrund steht die Abgrenzung gegenüber den Griechen, hinzu kommt eine implizite Gegenüberstellung mit den abtrünnigen Stadtrömern im kaiserlichen Heer, wobei es sich aber ausdrücklich nur um eine kleine Gruppe handelt, die, zurück in Rom, dementsprechend vom senate (KChr. 16042/ 491,31) zum Tode verurteilt wird. 293 Oben, S. 188 mit Anm. 111,290.

III. KONSOLIDIKRUNG

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konstitutiv für die Konstruktion (alt-)"deutscher" Identität in der 'Kaiserchronik'.

4.

Rückblick: Literarische Konstruktion alt-"deutscher" Identität im Vorfeld der höfischen Klassik

Abstammung, Brauchtum, Sprache, Rechtsordnung und politische Verfassung: Diese Kriterien konnten in Kapitel I mit Regino von Prüm im Anschluß an Isidor von Sevilla und ergänzend — bezogen auf das Kriterium der politischen Verfassung, aber auch in Hinsicht auf die heuristische Anwendbarkeit des Kriterienbündels — mit der heutigen interdisziplinär-mediävistischen Nationenforschung als potentiell wesentliche Faktoren der Herausbildung mittelalterlichen Nationsbewußtseins benannt werden.294 'Annolied' und 'Kaiserchronik' erwiesen sich als die beiden ersten literarischen Texte des deutschsprachigen Mittelalters, zu deren Figureninventar explizit als solche ausgewiesene "deutsche Mannen" oder "Deutsche" gehören, die in eine mehr oder weniger fiktive historische Vorzeit zurückprojiziert werden und eben dadurch auf die Gegenwart bezogen sind. Die textuelle Analyse der beiden prominenten Vertreter frühmittelhochdeutscher Literatur hat deutlich werden lassen, wie differenzierungsbedürftig die Frage nach den Anfängen narrativer Konstruktion alt-"deutscher" Identität in der deutschen Literatur des Mittelalters ist und wie komplex und teils auch widersprüchlich die Antworten ausfallen. Dabei hat sich gezeigt, welche der genannten Kriterien in der volkssprachigen Geschichtsdichtung zwischen dem späten 11. und der Mitte des 12. Jahrhunderts in diesem Kontext eine Rolle spielen und in welcher Gewichtung. Voraussetzung dafür war angesichts der "Pluralität der Leitbilder"295 in den hochmittelalterlichen "deutschen Landen" die Differenzierung der kollektive Identität stiftenden Bezugssysteme. Erst von hier aus konnte nach dem je spezifischen literarischen Konzept alt-"deutscher" Identität in 'Annolied' und 'Kaiserchronik' und nach dessen Implikationen für die Gesamtinterpretation der beiden frühmittelhochdeutschen Texte gefragt werden. Die für die vorliegende Fragestellung relevanten Ebenen, auf denen in der 'Kaiserchronik' kollektive Identitätskonstruktion erfolgt, sind mit den Stichwörtern 'römisch', 'deutsch' und, wenn man sich auf die tragenden Völker der Caesar-Episode konzentriert, 'bayerisch'—'fränkisch'—'sächsisch'—'schwäbisch' bezeichnet. Dem fränkischen Element kommt aufgrund seines spezifischen Verhältnisses zur römisch-imperialen Komponente dabei noch einmal eine besondere Bedeutung zu. Gleichzeitig zeigte sich, daß die Identitäten auf "Landes"-Ebene nur sekundär und 294 Oben, S. 21 ff., 29ff. 295 Ehlers (1998), S. 91.

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unter bestimmten Aspekten subsumierend als "deutsch" ausgewiesen werden. Wie schon im Fall des 'Annoliedes' stellte sich auch in Hinsicht auf die 'Kaiserchronik' heraus, daß Inkonsistenzen und Ambivalenzen dabei kennzeichnend sind. Das scheint in besonderer Weise bezeichnend für einen inhomogenen, unfesten literarischen Text im Spannungsfeld von Latinität und Volkssprache, Historiographie und Dichtung, der erstmals in deutscher Sprache überhaupt versucht, für ein adeliges Publikum die Geschichte des Römischen Reiches in Geschichten von dessen Herrschern didaktisch-unterhaltsam zu erzählen. Historisch gesehen, ist die Geschichte des hochmittelalterlichen Imperiums die Geschichte eines Reiches, dessen Kaisertum "stark genug" war, "aus dem fränkisch-römischen Reichsganzen heraus deutsche Gemeinsamkeit zu stiften, aber zu groß und mit zu vielfältigen Aufgaben [...] belastet, um ihr eine dauerhafte staatliche Form zu verleihen."296 So war die Reichsgewalt "mit Hilfe der [...] geistlichen und weltlichen Großen"297 einerseits mit Italien beschäftigt, andererseits damit, den Herzögen ihre Macht zu beschneiden, in der die politische Eigenständigkeit der gentilen regna wirksam geblieben war. Als dies im 12. Jahrhundert weitgehend gelang, profitierte davon weniger der Kaiser als dessen Helfer, "die zum Status des Fürsten im 'Reichsfürstenstand' aufstiegen, der dem Kaiser schließlich als 'Reich' gegenüberstand."298 Zwar behielt der Kaiser die Oberhoheit über die entstehenden Territorien, und eine starke Dynastie wie diejenige der Staufer stellte einen wesentlichen "Integrationsfaktor"299 dar. Doch entwickelten die sich formierenden Territorialgewalten eine eigene Dynamik, die der "Entfaltung supragentilen und supraterritorialen d[eu]t[schen] Nationsbewußtseins" 300 grundsätzlich entgegenstand. Ein überregionales Nationsbewußtsein konnte auf dieser Basis nur im Ansatz entstehen und artikulierte sich in verschiedenen Räumen und Zeiten je unterschiedlich. Kollektive Identitätsstiftung erfolgte deshalb auf mehreren Ebenen, die sich überlagerten und "weder mit einem parataktischen noch einem hypotaktischen Modell"301 zu erfassen sind. Dementsprechend vielschichtig ist der mittelalterliche Begriff des Landes, auf dessen Definition die Forschung deshalb mittlerweile zugunsten einer

296 K. F. Werner (1992), S. 228. Vgl. zum folgenden oben, S. 65ff., llOff., und auch Kap. III.2.1., S. 118-123. 297 K. F. Werner (1992), S. 229. 298 299 300 301

K. F. Werner (1992), S. 229. Ehlers/ Verger (1993), Sp. 1037. Ehlers/ Verger (1993), Sp. 1037. D. Mertens (2003), Abschnitt "Zusammenfassung".

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induktiven Vorgehensweise verzichtet hat.302 Er kann sich auf ganz unterschiedlich verfaßte Räume beziehen, wobei das — im späten Mittelalter zunehmende — "Miteinander und Gegeneinander" der verschiedenen "Organisationsformen" (Otto Brunner) kennzeichnend ist.303 Wichtig ist im vorliegenden Zusammenhang die Feststellung, daß dem Bezug auf die lant "in einem von den 'patriae' der Territorien dominierten Heiligen Römischen Reich" 304 (sacrum impeHum seit 1157, sacrum impeüum Romanum seit 1254)305 eine substantielle Bedeutung zukam. 306 Die für die Entstehung des ostfränkisch-deutschen Reiches konstitutiven alten regna-lant stellten innerhalb dieses Geflechtes "identitätsstiftende Größe[n]" 307 dar, die als "Einheiten in gentiler Tradition" 308 über alle herrschaftliche Zersplitterung hinweg bis in die Neuzeit wirksam blieben. 309 Als "vorgestellte 302 Vgl., auch zum folgenden, den Forschungsbericht von Schubert (1996), S. 52-61 mit kritischer Diskussion der Terminologie. Im obigen Zusammenhang vgl. insbesondere ebd., S. 61: "Alle Versuche, eine klare Begrifflichkeit zu schaffen, sind zum Scheitern verurteilt [...]. Land ist für die Zeitgenossen nicht herrschaftlich orientiert, geschweige denn geprägt. 'Land' bestimmt noch im Spätmittelalter die 'lantsit\ die Verhaltensnormen, in denen sich Menschen gemeinsamer Herkunft wiedererkennen. Das eben meint die vielgebrauchte mittelalterliche Paarformel 'Land und Leute'." Bahnbrechend war O. Brunner (1990 [5. Aufl. 1965]), zu dem im besonderen die frühe Rezension von Mitteis (1941) zu vergleichen ist; im weiteren wissenschaftsgeschichtlichen Zusammenhang vgl. zu der von Brunner angestoßenen Debatte W. Schulze (1977), S. 55ff. 303 Schubert (1996), S. 58. 304 K. F. Werner (1992), S. 243. Zur Semantik von 'patria' vgl. oben, Anm. 111,189. 305 Weiterweisend dazu Moraw (1989b), Sp. 2027. Grundsätzlich ist ders. (1984), hier S. 439f£, zu vergleichen und im übrigen in letzter Zeit Struve (2002). 306 Vgl. insgesamt oben, Kap. Π.2.2., S. 52-71. 307 Graf (2000), S. 64. 308 Graf (2000), S. 58. 309 Vgl. dazu jetzt auch die Überlegungen im Umkreis des von 1997 bis 2003 bestehenden Freiburger DFG-Sonderforschungsbereichs 541 'Identitäten und Alteritäten' (URL: http://www.sfb541.uni-freiburg.de), in dem unter anderem die in den vorhergehenden und nachfolgenden Anmerkungen genannten, auf Spätmittelalter und frühe Neuzeit bezogenen Arbeiten von Graf (2000) und D. Mertens (2000) entstanden sind; aus letzter Zeit ist namentlich G. Werner (2002) zu nennen, der S. 22-33 dem Verhältnis von kollektiver Identitätsstiftung auf regionaler Ebene und spätmittelalterlicher "Landesgeschichtsschreibung" nachgeht und dabei grundsätzliche methodische und terminologische Fragen erörtert; vgl. demnächst meine Rezension Goerlitz (2007b, im Druck). Als wegweisend sind zu den damit zusammenhängenden Problemen im vorliegenden Kontext aus jüngerer Zeit außerdem hervorzuheben: in den mediävistischen Geschichtswissenschaften die Sammelbände Regionale Identität, hg. Moraw (1992), sowie Identität und Geschichte, hg. M. Werner (1997), mit den Aufsätzen insbesondere von

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Größe[n]" 31 " mit jeweils unterschiedlichem Realitätsbezug überdauerten die "Lande" die teils weitreichenden Transformationen, denen ihre räumlichen Substrate unterworfen waren, an denen sich die "Namen und die immer wieder aufgegriffenen und neu instrumentalisierten Traditionen der Völker" festgemacht hatten. 311 Innerhalb dieses komplexen Systems identitätsstiftender Bezüge auf verschiedenen Ebenen hatten die Fürsten seit dem Investitur streit begonnen, sich zusätzlich über den gemeinsamen Anspruch auf das Römische Kaisertum als "deutsch" zu fassen. Dabei setzte die Artikulation deutschen Nationsbewußtseins die Unterscheidung von Imperium (Deutschland, Italien und Burgund) und regnum (Deutschland) voraus. 312 Erst dadurch wurde es möglich, "den Blick von der imperialen Ebene [...] auf die nationale des eigentlichen deutschen Reiches zu lenken" 313 und in dessen Kategorie zu denken. Doch wird diese Differenzierung im politischen (lateinischen) Diskurs des 12. Jahrhunderts erst ausgeprägt, 314 und sie ist verbunden mit der Suche nach einer "Terminologie für die verschiedenen deutschen Bezüge". 315 Zu erkennen ist das etwa auch anhand Ottos von Freising, dessen Reflexionen über das regnum Teutonicum oben in Kapitel III.2.1. betrachtet wurden. 316 Obwohl Otto von Freising die Unterscheidung von Imperium und regnum trifft, hat die Forschung ihm ein " — wenngleich immer noch universal geprägtes — Nationalbewußtsein" 317 im Vergleich zum zeitgenössischen Frankreich abgesprochen. Die Orientierung Moraw (1997), Walther (1997) und M. Werner (1997), und in der germanistischen Mediävistik der Sammelband Interregionalität, hg. Kugler (1995). 310 D. Mertens (2000), S. 199. 311 Schneidmüller (1997), S. 145. 312 Müller-Mertens (1970), S. 337f£; vgl. jetzt, auch im folgenden, Moeglin (2002), S. 365ff. 313 Müller-Mertens (1970), S. 315. S. 328ff. 314 Müller-Mertens (1970), S. 328ff. 315 Müller-Mertens (1970), S. 340, bezogen auf Ekkehard von Aura, der in dieser Hinsicht allerdings aus seiner Zeit herausragt. Vgl. dazu insgesamt MüllerMertens, a. a. O., S. 331-341. 316 Oben, S. 118-123. 317 Goetz (1984), S. 154. Anders dagegen Müller-Mertens (1970), S. 18: "Otto von Freising, dem patriotisches Gefühl und nationaler Stolz nicht fehlen [...]". Damit spielt auch in die Frage der Beurteilung Ottos von Freising in dieser Hinsicht das Problem der Terminologie mit hinein, das in Kapitel 1.2.1., S. 21-25, diskutiert wurde. Doch ist es bezeichnend, daß auch Müller-Mertens, wie Goetz, betont, daß für Otto von Freising "nicht die nationale Dimension, sondern die imperiale, die imperiale Realität das Wesentliche" sei (Müller-Mertens, ebd.). Den imperialen Horizont hebt unter anderen auch von den Brincken (1957), S. 190 u. 224, hervor.

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des Freisinger Universalgeschichtsschreibers ist imperial, und man hat betont, daß sein Vorläufer Frutolf von Michelsberg sich noch dezidiert "vorgestellt haben [dürfte], im römischen Reich zu leben" 318 — im Gegensatz zu jüngeren Redaktoren wie Ekkehard von Aura, die aber ihrerseits unterschiedlich einzuordnen sind. So gab es auch im 12. Jahrhundert eine Logik imperialen Denkens, die von der Prämisse ausging, "that the twelfthcentury Empire, with a German king at its head, was indeed still truly Roman." 319 Erst vor diesem Hintergrund gewinnt der fiktionsreiche literarische Entwurf alt-"deutscher" Identität in der 'Kaiserchronik' seine spezifische Bedeutung. Kaisertum und Papsttum bilden die eng miteinander verbundenen Pole der vorgestellten Welt. Ideell bleibt diese durchgängig romzentriert, und im teils antagonistischen, teils komplementären, meist unmittelbar, gelegentlich indirekt gezeichneten Kontrast zu Rom sind die "Deutschen" auf ambivalente Weise in diese Welt eingebunden. Historisches Erzählen erhält dabei die Funktion einer umfassenden narrativen Gestaltung des politisch-kulturellen Normenhorizontes, der in der 'Kaiserchronik' ideell auf Rom als Zentrum der höchsten weltlichen und geistlichen Gewalt bezogen ist. Nicht zuletzt daraus erklärt sich die Disparatheit des Textes und dessen Ausrichtung gleichermaßen auf Vergangenheit wie Gegenwart. Gegenwart und Vergangenheit sind dabei über den stets identischen Wirklichkeitscharakter der Welt, der durch explizite Gegenwartsbezüge immer wieder deutlich gemacht wird, unmittelbar zusammengeschlossen, was sich in mythos-analogen Motivationsstrukturen niederschlagen kann.320 Auf der "deutschen" Identifikationsebene erweist sich der römische Orientierungsrahmen, der im Prolog zur 'Kaiserchronik' programmatisch aufgezogen wird, 321 als konstitutiv. Rom ist die heilsgeschichtlich legitimierte Mitte des Römischen Reiches. Über sie definiert sich der universal-christliche Anspruch dieses Reiches, der seit Caesar Gestalt anzunehmen beginnt und ideell durch alle Zeiten hindurch gleich bleibt. In bezug auf Rom und von Rom her bekommen die "Deutschen" und die "deutschen Lande" ihre Konturen, und stets tritt dabei ihre eigentümliche Pluralität in Erscheinung. Die Angabe "stets" bezieht sich dabei allerdings 318 Müller-Mertens (1970), S. 304. Vgl. zum folgenden auch ebd., S. 331-350, und zum Umfeld oben, Kap. III.2.1., S. 118-123, sowie S. 175ff. mit Anm. 111,241. 319 Benson (1982), S. 370; vgl. entsprechend betont zum Beispiel im obigen Kontext auch Thomas (1991), S. 257. 320 Vgl. oben, S. 125f£, 186. 321 Dazu oben, Kap. III.2.2., S. 124-129.

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auf insgesamt nur wenige Fälle, und das ist noch einmal zu betonen. Denn die Lemmata 'dütisc' und 'Dütiske(r)' verteilen sich mit 23 Versen auf lediglich 0,13 Prozent des gesamten Versumfangs der 'Kaiserchronik'. Bezeichnend für den semantischen Wandel der Bezeichnung 'deutsch' zur Neuzeit hin ist das Auftreten des substantivierten Volksnamens in der 'Kaiserchronik' allein im Plural (abgesehen von dem grammatisch bedingten Ausnahmefall des Nominalsyntagmas dehain Diutisker, KChr. 16038f./ 491,27f.).322 Darin äußert sich eine "sehr eingeschränkte Verwendungsfähigkeit"323 des in der 'Kaiserchronik' erstmals dokumentierten volkssprachigen Volksnamens, wie sie noch bis ins spätere 13. Jahrhundert hinein die Regel bildet. Relativ häufiger ist dagegen die Verwendung von 'dütisc' als Attribut zu einem personenbezogenen Kollektivum oder aber zu 'lant' und, ganz vereinzelt, 'riche'. Dabei ist das Schwanken zwischen singularer und pluraler Bedeutung der Ausdrücke signifikant. Wie in Kapitel IV noch genauer zu sehen sein wird, ist aber auch der attributive Gebrauch von 'dütisc' im Verhältnis zu vergleichbaren Texten des Spätmittelalters in der 'Kaiserchronik' sehr zurückhaltend gehandhabt.324 Entsprechend ambivalent erschien das schwankende Profil, das die "deutschen Lande" und ihre Bewohner in der 'Kaiserchronik' erhalten:325 als aufständische römische Provinz (Salvatio Romae);326 als plurale Einheit, die Caesar entscheidend zur Macht verhilft und dadurch von Anfang an konstitutiv auf das Römische Reich bezogen ist (Caesar-Episode);327 als singulare Pluralität, deren einheitsstiftende Züge sich im agonalen Kampf 322 Vgl., auch im folgenden, die statistische Übersicht oben in Kap. III.3.1., S. 130f. 323 H. Thomas (1994), S. 151. Vgl. ebd.: "Aus dem hochdeutschen Bereich ist mir in den (literarischen) Texten bis um 1250 kein einziger Fall bekannt, wo ein einzelner in dieser substantivischen Form [wie sie im eben zitierten Fall der 'Kaiserchronik' belegt ist] als Deutscher bezeichnet wird." Vgl. ebd., S. 144f£, und neuerdings auch ders. (2000), S. 55, 63ff. 324 Insbesondere unten, Kap. IV.3.2.1., S. 253-258. 325 Die im folgenden getroffenen Unterscheidungen haben in der linguistischen Differenzierung der Bedeutungen der markierten Singulativität/ Pluralität und insbesondere der Kollektivität und Sortigkeit eine Entsprechung, wobei diese Bedeutungen in den Texten durch Wortwahl und Perspektivierung in unterschiedlicher Weise aktualisierbar sind (vgl. ausführlich oben, Kap. Π.2.2.2., S. 56—63). Allerdings fehlt dem mittelhochdeutschen Text, wie gesehen, nicht zufällig gerade die dieser Terminologie inhärente Trennschärfe, weshalb ich vom literaturwissenschaftlichen Standpunkt aus auch an dieser Stelle semantisch offenere Formulierungen wähle. 326 Oben, Kap. III.3.2.1., S. 132-137. 327 Außer, wie angegeben, oben, Kap. III.3.2.1., S. 132-137, vor allem Kap. III.3.2.3., S. 142-145.

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um den im Verhältnis zu Rom definierten politisch-kulturellen Vorrang weitgehend verlieren (besonders deutlich in der Adelger-Episode); 328 als transalpiner Herkunftsraum Kaiser Karls des Großen, dessen politischterritoriale Konturen unklar bleiben und implizit aufgelöst erscheinen, indem die Sachsen und damit eines der vier Völker der Caesar-Episode nicht als "Deutsche", sondern als e i n Gegner des Römischen Kaisertums unter vielen auftreten (Sequenz zu Karls Kriegen); 329 schließlich als jener heterogene Teil des Römischen Reiches, der die Römischen Kaiser der mittelalterlichen Gegenwart stellt, was im Abschnitt zu Karl dem Großen anklingt, von Arnulf von Kärnten an selbstverständlich erscheint, aber nirgends expliziert wird.330 In Anbetracht dessen stellte sich heraus, daß der Text gerade nicht jene konsistente Gesamtkonzeption nationaler "Ideologie"331 aufweist, die ihm aufgrund eines oftmals applizierten Nations- und Volksbegriffes der Moderne bis in die jüngste Zeit so häufig zugeschrieben worden ist.332 Aufgrund der Ergebnisse der Textanalyse kann an dieser Stelle deshalb auch entschieden werden, wie der erste Beleg zu 'dütisc' in der 'Kaiserchronik' zu verstehen ist, der in der Episode zur Salvatio Romae zu finden war. 333 Wie zu erinnern, ist dort vom dütisken volke die Rede, das sich gegen Rom erhebt. Es zeigt sich jetzt, daß dies offensichtlich nicht im neuzeitlichen, postrevolutionären Sinne eines die Begriffe von 'Nation' und "Volk' zusammendenkenden "Nationalstolz[es]" 334 gemeint ist, wie man es 328 Oben, Kap. III.3.3.2., S. 148-156 (Adelger-Episode), aber auch Kap. III.3.2.2., S. 137-142 (Caesar-Episode). 329 Vgl., auch zum folgenden, oben in Kap. III.3.4.2., S. 166 - 173, hier besonders S. 170ff. 330 Oben, Kap. III.3.5., S. 187-191. 331 Kartschoke (1990), S. 366. 332 Vgl. oben, besonders S. 112ff. 333 Oben, S. 132. 334 Ehrismann (1993), S. 80, wie etwas ausführlicher oben, S. 132, zitiert. Ehrismann erwähnt in demselben Zusammenhang eine Stelle im mittelhochdeutschen Pilatusgedicht, in der es heißt, Romere fürchteten eine Auseinandersetzung mit tütisch[em] volk[e] mere/ don die Karlingere beziehungsweise den kuninc von Frankriche (Mhd. Pilatus 485-500, hg. Weinhold [187η), was im 19. Jh. explizit als "Patriotischer stolz" (sie) gedeutet worden ist (Weinhold, a. a. O., S. 269, zu Vers 499). In die richtige Richtung geht dagegen neuerdings aus narratologischer Perspektive Scheidgen (2002), S. 152: "Nationalstolz" stelle in dieser Passage "höchstens [...] einen Seitenaspekt" dar. - Zu beachten ist überdies, daß das mhd. Pilatusgedicht heute, anders als in der älteren Forschung und mit ihr noch von Ehrismann, erst in das frühere 13. Jh. und damit weit später als die 'Kaiserchronik' datiert wird. Der veränderte Verwendungszusammenhang von tütisch volk im Pilatusgedicht (bei ansonsten wie in der 'Kaiserchronik' militärischer Akzentuierung) entspricht

I I I . KONSOLIDIERUNG

199

überlegt hat. Akzentuiert ist vielmehr der politisch-militärische Aspekt, der die aufständischen Krieger, das "Kriegsvolk" in der römischen Provinz der dütisken lande in Abgrenzung zum Reichszentrum erst in den Fokus rücken läßt. In Ubereinstimmung damit erfolgt alt-"deutsche" Identitätskonstruktion in der 'Kaiserchronik' generell primär aufgrund politischer Merkmale. 335 Implizit ist über die Bezeichnung "deutsch" auch das Kriterium der Sprache grundlegend. 336 Sekundär treten die miteinander verbundenen Merkmale von Brauchtum und Rechtsordnung hinzu, die aber ebenfalls auf die politisch agierenden Fürsten und deren Mannen bezogen bleiben. Bezeichnenderweise sind diese beiden Elemente erneut römisch legitimiert, sei es unmittelbar wie in der Caesar-Episode oder mittelbar wie im Fall Herzog Adelgers und der Bayern. In der Episode zu dem Bayernherzog Adelger gelangen die "deutschen Lande" unter anderem im agonalen Kontrast zum lande der Bayern in den Blick, von dem sie eine bezeichnenderweise römisch begründete, rechtsrelevante Haar- und Kleidertracht übernehmen. Außerdem gewinnt das Kriterium der Abstammung beziehungsweise Herkunft der Gemeinschaft eine Bedeutung. In der Episode zu Caesar und den "Deutschen" wird den "Deutschen" ein konstitutiver und insofern dauerhafter Anteil an der Begründung der römischen Weltmonarchie zugemessen, als deren Träger sie später wie selbstverständlich erscheinen. In der 'Kaiserchronik' ist das ausgeprägter der Fall als im 'Annolied'. An dieser Stelle zeigte sich deshalb die Notwendigkeit der Gattungsdifferenzierung zwischen einerseits dem Lied über den rheinfränkischen Bistumsheiligen und Reichsfürsten Anno und andererseits der programmatisch die Geschichte des Römischen Reiches erzählenden Reimchronik. Um die in der 'Kaiserchronik' erfolgende Identitätskonstruktion auf "deutscher" Ebene adäquat fassen zu können, war es unverzichtbar, vergleichend auch die narrative Gestaltung der Identifikationsebene der einzelnen lande mitzuberücksichtigen. Besonders aufschlußreich war der Vergleich der unterschiedlichen Konstruktionsmodi in denjenigen Episoden, in denen gleichzeitig die Belegstellen zu 'dütisc' und 'Dütiske(r)' enthalten sind. Auf ihnen lag deshalb der Schwerpunkt.

dessen späterer Entstehungszeit, die insgesamt unten in Kapitel IV in den Blick genommen wird. - Zu Datierungs- und Editions fragen des Mhd. Pilatus vgl. kurzgefaßt Knape (1994), zum gesamten Pilatuskomplex außer in der Ubersicht ders. (1989) in letzter Zeit auch Mattig-Krampe (2001). 335 Im folgenden sind Rückverweise nur dann gegeben, wenn die betreffenden Kapitel nicht leicht über das Inhaltsverzeichnis zu finden sind. 336 Vgl. dazu oben, S. 28 mit Anm. I,44£, sowie Kap. I.2.3., S. 29-38.

200

I I I . KONSOLIDIERUNG

Als Ergebnis der vergleichenden Analyse läßt sich festhalten, daß prinzipiell auch auf der Ebene der einzelnen lande eine Profilierung von Merkmalen erfolgt, die man mit frühen Autoren wie Regino von Prüm als primäre identitätsstiftende Elemente mittelalterlicher gentes/ nationes benannt hat.337 Eine herausragende Rolle spielen Abstammung beziehungsweise Herkunft in Form der Ursprungsmythen der einzelnen Völker, die in die Episode zu Caesar und den "Deutschen" integriert sind. Allerdings wurde deutlich, daß den Herkunftsfabeln in der 'Kaiserchronik' weniger Eigengewicht zukommt als im 'Annolied'. In der 'Kaiserchronik' ist das Potential kollektiver Identitätsstiftung auf "Landes"-Ebene, das die Herkunftsmythen besitzen, der Tendenz nach zurückgenommen. Erreicht wird das durch die intensivere Perspektivierung auf Caesar hin. Dadurch ist der über die Figur Caesars modellierte imperiale Rombezug stärker ausgeprägt, der als maßgeblicher integrativer Faktor völkerüberwölbender "deutscher" Identität fungiert. Zudem erlangt auf "Landes"-Ebene das Kriterium der Rechtsordnung in der 'Kaiserchronik' besondere Geltung. Deutlich wurde das etwa am Beispiel des durch Karl den Großen eingeführten Vorkampfrechtes der Schwaben. 338 Hinzu kommt auch auf "Landes"-Ebene wieder das Element des Brauchtums. Wie unter anderem in der Episode über den bayerischen Herzog Adelger zu erkennen war, ist es ebenfalls in bezug auf die einzelnen lant breiter konturiert als auf der Ebene der "deutschen Lande" in ihrer Gesamtheit. Den Rahmen für die narrative Inszenierung dieser Faktoren bildet wie auch auf der überwölbenden "deutschen" Ebene das Kriterium gemeinsamen politischen Handelns. Die unterschiedlichen Beispiele ließen deutlich werden, wie die politischen Aktionen einzelner Fürsten und lande dabei eine Hierarchie innerhalb des Ensembles der "deutschen Lande" begründen, in der sich der spezifische Charakter dieses Ensembles im Spannungsfeld zugleich bündelnder wie auseinanderstrebender Kräfte manifestiert. Wie mehrfach zu sehen war, resultiert die grundsätzlich veränderliche Rangordnung einerseits aus dem Kampf gegen Feinde innerhalb wie außerhalb der "deutschen Lande", während sie sich andererseits und in erster Linie aufgrund herausgehobener Beziehungen einzelner lande und ihrer Fürsten zu Rom als Zentrum von Kaiser und Reich konstituiert. Darin drückt sich ein Streben nach Macht und Ansehen aus, das dazu führt, daß die "deutschen Lande" ihre integrierenden Züge über große Strecken der 'Kaiserchronik' immer wieder mehr oder weniger stark verlieren und in ihre einzelnen Teile aufgelöst erscheinen.

337 Vgl. weiterhin oben, S. 21 ff., 29ff. 338 Oben, S. 170£

III. KONSOLIDIERUNG

201

Das universalhistorisch-heilsgeschichtlich legitimierte, christlich orientierte Römische Kaisertum bildet damit in der 'Kaiserchronik' den Fluchtpunkt kollektiver Identitäts Stiftung auf unters chiedlichen Ebenen. Für die literarische Konstruktion einer in vergangene Zeiten zurückprojizierten und doch in zeitloser Gültigkeit gezeichneten, gegenwartsbezogenen "deutschen" Identität ist die daraus resultierende dialektische Zentrierung auf Rom konstitutiv. Einerseits wirkt der christlich-universale, imperial-römische Bezugsrahmen der frühmittelhochdeutschen Reimchronik als Katalysator (alt-)"deutscher" Identitätskonstruktion. Andererseits verhindert er zu einer Zeit, in der das deutsche Nationsbewußtsein noch jung und nur auf die fuhrenden Schichten begrenzt war, daß die nationale Dimension der in der 'Kaiserchronik' imaginierten symbolisch-kulturellen Ordnung in den Vordergrund tritt. Aus diesem Grund ist das ambivalente literarische Konzept (vor-)nationaler Identität in der 'Kaiserchronik' kennzeichnend. Nicht zuletzt gattungsbedingt erhält es in der cronicä/ [...] von den bäbesen und von den chunigen, welche vor uns wären/ unt Romisces riches phlägen (KChr. 17—22/ 1,17—22), im ganzen deutlichere Konturen als im 'Annolied', ohne daß es deshalb einen nationalen Charakter hätte, der systematisch ausgeprägt und strukurell fundierend wäre.

I V . TRANSFORMATION

Verbindungslinien literarischer Konzeptualisierung alt-"deutscher" Identität von der 'Kaiserchronik' ins spätere Mittelalter

1. Umrisse 'Annolied' und 'Kaiserchronik' entstanden innerhalb eines langgestreckten Zeitraumes, in dem die Ausbildung des Bewußtseins einer "deutschen Großnation" ihren ersten großen "Schub" erhielt.1 Nachdrücklich eingesetzt hatte dieser Prozeß, an dem literarische Nationskonstruktion in dialektischer Weise beteiligt ist, in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts. 2 Die Entstehung des 'Annoliedes' fällt in den Anfang dieser Phase, während zur Abfassungszeit der 'Kaiserchronik' im Gefolge des Investiturstreits eine Konsolidierung begonnen hatte, wobei allerdings genau zu differenzieren ist. Die Analyse der 'Kaiserchronik' hat gezeigt, daß der Faktor 'deutsch' für eine spezifisch literarische Konstruktion einer auf die Gegenwart bezogenen erzählten Welt der Vergangenheit in der Volkssprache um 1150 zwar prinzipiell relevant geworden ist, aber nur in bestimmten Zusammenhängen und insgesamt deshalb auf einer sekundären Ebene. Wenn die 'Kaiserchronik' selbst noch im Vorfeld der sogenannten Blütezeit der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters entstand, weist sie in der Art und Weise, wie in ihr von (alten) "Deutschen" und "deutschen Landen" gesprochen werden kann, doch in verschiedener Hinsicht in diese Zeit hinein. Bevor ich darauf zurückkomme, sind jedoch zunächst einige spätere Entwicklungen zu umreißen. Dabei zeichnen sich gleichzeitig die thematischen Linien des vorliegenden Kapitels IV ab. Mit dem Zerfall der Herrschaft der Staufer fand die hochmittelalterliche Phase der Ausbildung des Bewußtseins einer deutschen Großnation um 1250 ein Ende. Ein zweiter "Schub" sollte erst in der Mitte des 15. Jahrhunderts erfolgen. Den zwei Jahrhunderten zwischen diesen beiden "aktivefn] Phasen"3 zwischen einerseits circa 1050 bis 1250 und andererseits etwa 1450 bis 1550 kommt daher hinsichtlich der Ausbildung deutschen Nationsbewußtseins ein vergleichsweise passiver Status zu. Dennoch ist diese Zeit eine Periode produktiver Nationskonstruktion im Medium der Literatur.4 Im späten Mittelalter traten Theorie und Praxis der Herrschaft des Königs beziehungsweise Kaisers im Heiligen Römischen 1

K. F. Werner (1992), S. 243. Vgl. zum folgenden oben, Kap. I.2.2.-I.2.3., S. 2 5 38.

2

Vgl. auch oben, S. 64ff. und S. 99ff.

3

K. F. Werner (1992), S. 243.

4

Vgl. grundsätzlich Schnell (1989), H. Thomas (1994) und ders. (2000). Zur Spätphase der im folgenden angesprochenen spätmittelalterlichen Entwicklungen vgl. unten, Kap. V.2., S. 287-298, mit der Literatur.

206

I V . TRANSFORMATION

Reich mehr und mehr auseinander. Die politische Konstellation in Europa, die das Papsttum um 1300 auf dem "monarchischen Gipfel" sah, und Veränderungen von "Basisprozessen" aus dem sozio-ökonomischen und geistig-kulturellen Bereich stellten "Kaiser" und (durch die Fürsten vertretenes) "Reich" vor wachsende Herausforderungen. 5 In neuer Weise wurden dadurch Fragen nach der Kontinuität des Imperiums aufgeworfen, dessen Besitz die Deutschen dezidiert für sich beanspruchten, und nach der Uberbrückung der zahlreichen Interessengegensätze im Innern. Gerade deswegen gab die auf das Interregnum (1250—1273) folgende Zeit in anderer Weise Anlaß zur Konstruktion "deutscher" Identität als zuvor. Bestehende Muster literarischer Nationskonstruktion wurden transformiert, neue bildeten sich heraus. Von diesem Transformationsvorgang war nicht nur die in dieser Hinsicht besser untersuchte lateinische Literatur betroffen, sondern auch die deutsche. Greifbar ist dieser Prozeß auch anhand der Rezeption der 'Kaiserchronik'. 6 Ihre Betrachtung zeigt, daß das in dem frühmittelhochdeutschen Text konstruierte, ambivalente Bild der alten "Deutschen" in den folgenden Jahrhunderten transformiert worden ist, und die einschränkende Spezifik der Konstruktion alt-"deutscher" Identität in der 'Kaiserchronik' tritt im Vergleich zu solchen späteren Entwicklungen noch deutlicher hervor. Ein besonders aufschlußreiches Beispiel dafür liefert die 'Prosakaiserchronik' (früher: 'Buch der Könige niuwer e'), die in anderem Zusammenhang in der germanistischen Mediävistik in letzter Zeit verstärkt Beachtung gefunden hat.7 Die 'Prosakaiserchronik' entstand im späten 13. Jahrhundert in Augsburg (Terminus post quem 1275). Uberliefert ist sie jedoch überwiegend erst aus dem 15. Jahrhundert, was sich noch als bezeichnend erweisen wird. Im Kern handelt es sich bei ihr um eine mehr oder weniger stark verkürzte, deutschsprachige Prosaauflösung der 'Kaiserchronik' auf der Basis der Rezension A, zu der auch die oben bei der Analyse der 'Kaiserchronik' zugrundegelegte 'Vorauer Handschrift' zählt.8 Wie die 'Kaiserchronik', auf die in der 'Prosakaiserchronik' oft als coronica verwiesen wird, 9 endet die Prosaauflösung mit der Regierung Konrads III. in der Mitte des 12. Jahrhunderts.

5

Moraw (1986), Sp. 837.

6

Dazu prinzipiell unten, Kap. IV.3.1., S. 247-253.

1

Aus&hrlich dazu unten, Kap. IV.3., S. 247-281.

8

Oben, S. 122f.

9

Erstmals ProsaKChr. 3, hg. Eckhardt (1975), S. 263.

I V . TRANSFORMATION

207

Die 'Prosakaiserchronik' eignet sich aber nicht nur in besonderer Weise, um wesentliche Tendenzen jenes komplexen Transformationsvorganges zu verdeutlichen, dem das in der 'Kaiserchronik' (beziehungsweise in der Vorauer Fassung) faßbare Konzept einer in die Vergangenheit projizierten "deutschen" Identität im Verlaufe des späten Mittelalters unterzogen werden konnte. Vielmehr führt ihre Betrachtung über den Rahmen der 'Kaiserchronik' hinaus und läßt potentielle Konturen literarischer Nationskonstruktion in der deutschsprachigen Literatur des Spätmittelalters erkennen, die zum Nationsdiskurs im Zeitalter des Humanismus überleiten. Unter Berücksichtigung auch der Entstehungs- und Uberlieferungskontexte der 'Prosakaiserchronik' lassen sich einige zentrale Verbindungslinien literarischer Konzeptualisierung alt-"deutscher" Identität von der 'Kaiserchronik' ins 15. Jahrhundert verfolgen. Während die (diskontinuierlichen) Fluchtlinien dieser späten Entwicklungen allerdings in Kapitel V nachgezeichnet werden, soll im folgenden der Bogen vom Zeitalter der 'Kaiserchronik' bis ins ausgehende 13. Jahrhundert und damit bis zum relativen Beginn des Spätmittelalters geschlagen werden. Dazu ist es notwendig, sich auf einige Grundzüge zu konzentrieren, die im vorliegenden Untersuchungskontext wesentlich sind. Nur um diese geht es im folgenden, und das ist zu betonen. Zunächst ist daher noch einmal zu vergegenwärtigen, daß die Konstruktion (vor-)nationaler Identität im Medium der Literatur die Selektion der Inhalte durch textsortenspezifische, situationsbedingte und literarhistorische Faktoren voraussetzt, wie es in Kapitel I dargelegt worden ist.10 Im folgenden ist deshalb in einem ersten Teil (IV.2.) nach den Bedingungen und Möglichkeiten zu fragen, unter denen seit höfischer Zeit mit literarischen Konzepten vorzeitlicher "Deutscher" zu rechnen ist: Welche Neuerungen bringt die Geschichte des Wortes 'deutsch' im Zeitraum zwischen 'Kaiserchronik' und 'Prosakaiserchronik', welche Textsorten geben der Konstruktion alt-"deutscher" Identität besonderen Raum und in welchen Kontexten? Die Antwort auf diese Fragen verweist auf eine seit der 'Kaiserchronik' verbreiterte Basis literarischer Nationskonstruktion, auf der die 'Prosakaiserchronik' allererst konzipiert werden konnte. So kann in einem zweiten Teil (IV.3.) am musterhaften Beispiel der 'Prosakaiserchronik' nach dem besonderen Verhältnis von a l t d e u t scher" Identitätskonstruktion und volkssprachiger Welt- beziehungsweise Reichsgeschichtsschreibung und -dichtung gefragt werden; vor diesem Hintergrund ist die 'Prosakaiserchronik' auf grundlegende Transformationen des Konzeptes hin zu analysieren, das die 'Kaiserchronik' von den alten "Deutschen" und deren Identität entwirft. In Verbindung mit den 10

Oben, Kap. I., insbesondere S. 24f., 40f.

208

I V . TRANSFORMATION

Kontexten der Entstehung der 'Prosakaiserchronik' um 1300 und der Uberlieferung und Rezeption der Prosaauflösung der 'Kaiserchronik' vor allem im 15. Jahrhundert ergeben sich dann von hier aus, wie angedeutet, in Kapitel V aufschlußreiche Konsequenzen für die Beurteilung literarischer Konstruktion alt-"deutscher" Identität im Zeitalter des Humanismus.

2.

Bedingungen und Möglichkeiten literarischer Nationskonstruktion seit der 'Kaiserchronik'

2. 1.

Historische und literarhistorische Kontexte

2. 1. 1. Röme!: Römisches Kaisertum und deutsches Nationsbewußtsein Als die 'Kaiserchronik' entstand, hatte sich die "Dualität des Nationalen und des Römisch Imperialen",11 die für das Nationsbewußtsein der Deutschen im Mittelalter so bezeichnend ist, bereits als Dualismus von "Kaiser und Reich" abzuzeichnen begonnen.12 Uber den imperialen Anspruch zielte dieser Dualismus auf die heilsgeschichtlich begründete religiöse "Verpflichtung des mächtigsten abendländischen Herrschers zum Schutz der Kirche und der Christenheit".13 Gleichzeitig brachte er aufgrund des Alleinanspruches der von den Fürsten im regnum Teutonkum gewählten Könige auf das sacrum impenum (Romanum), das vom 11. bis 13./ 14. Jahrhundert den drei regna Deutschland, Italien und Burgund übergeordnet war, "das verstärkte Bewußtsein der Zusammengehörigkeit" 14 der Hocharistokratie im Reich hervor. Daraus resultierte ein supragentiles Eigenbewußtsein der Trägerschichten, für dessen Ausprägung die Orientierung auf die so verstandene politische Kategorie Roms im Sinne des "legitimierenden Rückbezugfs] auf die röm[ische] Antike"15 hin konstitutiv war. Sinnfällig wird dieses Bewußtsein nicht zuletzt in dem "von den Zeitgenossen als ungemein wichtig erachtete [n]", gemeinsamen Schlachtruf der Deutschen "Rom!", der auch in der mittelhochdeutschen Literatur oftmals erscheint.16 Dieser Schlachtruf, der nicht die zeitgenössische Stadt und ihre Bewohner meinte, sondern das alte römische, heilsgeschichtlich

11

Ehlers (1998), S. 98. Vgl. zum folgenden in diesem Kontext zur Übersicht Moraw (1984), S. 442f£; Engels (1986); Moraw (1986); sowie im besonderen K. F. Werner (1992). Im einzelnen und ergänzend vgl. die unten, Anm V,6f£, genannten Titel.

12

Ehlers/ Verger (1993), Sp. 1037.

13

Ehlers (1998), S. 23.

14

Ehlers (1998), S. 23.

15

Moraw (1989b), Sp. 2026.

16

H. Thomas (1993), S. 256; Beispiele aus der deutschen Literatur des Mittelalters bei H. Thomas (2000), S. 68, 82.

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I V . TRANSFORMATION

definierte Weltreich, 17 läßt schlagartig deutlich werden, wie stark das politische Reichsverständnis der fortschreitenden deutschen Ethnogenese zuwiderlief. 18 Zugleich aber gibt er zu erkennen, wie sehr deutsche Nationsbildung und Ethnogenese diesen politischen Rahmen zur Voraussetzung hatten, so daß sich in diesem Ausruf in beispielhafter Weise die Dialektik von römischem Reichsbewußtsein und deutschem Nationsbewußtsein manifestiert. 19 Dabei ist zu bedenken, daß das Reich nach "den Maßstäben und Kommunikationsmöglichkeiten der Zeit [...] einen gewaltigen Raum" umgriff, "dessen sprachliche, geographische, ökonomische, politische und kulturelle Vielfalt gar nicht national oder homogen im Sinne moderner Ansprüche zu formulieren war. Deshalb dürfen wir den damals Handelnden nicht unsere aus zeitlichem Abstand generalisierende Betrachtung unterstellen, eine Großperspektive, die das Ganze ständig im Blick hält. Regionalismus bestimmte die Tätigkeitsfelder und Anschauungen". 20

So ist in Unterscheidung von forschungsstrategischer Begrifflichkeit der Gegenwart und mittelalterlichem Sprachgebrauch im Auge zu behalten, daß damals vorläufig auch weiterhin noch nur die einzelnen Teilvölker der Deutschen jeweils mit dem Begriff der natio im weiter oben zitierten Sinne früher mittelalterlicher Autoren wie Reginos von Prüm erfaßt wurden, 21 nicht aber das aus diesen zusammengesetzte "Großvolk" der " 'Deutschen' des Königreichs insgesamt". 22 Integrative Kraft kam angesichts dieser Konstellation der mächtigen Dynastie der Staufer zu, solange es dieser gelang, die zentrifugalen Tendenzen zu bündeln. Als dies nicht mehr der Fall war, erwies sich jedoch, daß sich ein "(Minimal-)Konsens" (Peter Moraw) der Fürsten im Reich herausgebildet hatte, der langfristig tragfähig sein sollte.23 Dieser Grundkonsens richtete sich im Kern auf die Wahl des Königs als des künftigen Kaisers und die daran geknüpfte Behauptung der Vorrangstellung unter den Königen Europas, und er beinhaltete den Wunsch, die wachsenden 17 Vgl. hier Ehlers (1998), S. 99. 18 Vgl. zu den angesprochenen Kontexten grundsätzlich, auch im folgenden, oben, Kap. 1.2.3., S. 29-38. 19

Zu dieser Dialektik vgl. oben, S. 111.

20

Ehlers (1992), S. 271.

21

Oben, S. 29ff.

22

Conze (1985), S. 26. Vgl. im genaueren Nonn (1982), S. 132f£, und K. F. Werner (1992), S. 228ff.

23

Zu "(Minimal-)Konsens" und "OffenerVerfassung" des 13. und 14. Jahrhunderts vgl. grundlegend Moraw (1985) und im übrigen unten, Kap. V.2., S. 287-298 mit Anm. V,6ff. (Literatur).

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211

Herausforderungen "in einer Art streitbaren Konsenses" 24 gemeinsam zu bestehen. Die Kaiserwürde bildete einen wesentlichen Faktor der Konsolidierung des Reiches. Sie weckte bei dessen führenden Angehörigen ein Selbstbewußtsein, das gemeinschaftsstiftende "Denkschemata und Verhaltensnormen" hervorbrachte, "ohne die es schwerlich zur Bildung einer deutschen Nation hätte kommen können. [...] Königswahl und Wählerkonsens dürfen deshalb als Voraussetzungen für Bestand und Einheit des Reiches angesehen werden, mithin als Stärken, nicht als Gebrechen seiner mittelalterlichen Verfassung. Der in dieser Hinsicht vorbildlichen Güte ihrer Verfassung waren die Zeitgenossen lange Zeit durchaus gewiß, und sie bezogen daraus ein Gefühl der Überlegenheit". 25

Zusammen mit der zumal in Krisenzeiten verteidigungsbedürftigen Lehre vom rechtmäßigen Besitz des Imperiums wurde dieses Gefühl zu einem wichtigen "Element des im Spätmittelalter klarer artikulierten deutschen Nationsbewußtseins." 26 Gemeinschaftsbildende Kraft entwickelten aber auch sozio-historische Faktoren wie Kreuzzugsbewegung, Ost- und Binnenkolonisation und eine sich insgesamt zum Spätmittelalter hin steigernde Mobilität, zu der unter anderem auch Studienaufenthalte an ausländischen Universitäten und der beginnende Aufstieg der Städte beitrug. Diese Entwicklungen ließen aufgrund der seit dem 12. Jahrhundert verstärkten Begegnung mit dem Fremden deutlicher als bisher supragentile Gemeinsamkeiten der Trägerschichten im regnum Teutonicum über regionale und herrschaftliche Grenzen hinweg hervortreten, auch wenn zu gleicher Zeit die Territorialisierung fortschritt. Infolgedessen begannen sich (vor-)nationale Stereotypen auszubilden, die in späteren Jahrhunderten nationalistisch fehlgedeutet worden sind und dadurch überdies mißbrauchbar waren. 27

24

Moraw (1986), Sp. 837.

25

Ehlers (1992), S. 271.

26 27

Ehlers (1992), S. 271. Zu den Grundlinien dieser Entwicklung vgl. Schmugge (1982) sowie H. Fuhrmann (1995) und zu ihrer spezifisch (früh-)neuzeitlichen Ausprägung W. Schulze (1995).

212

I V . TRANSFORMATION

2. 1. 2. tiusche frouwen — unser lant: Neue Aspekte der Verwendung von 'diut(i)sch'/ 'dütisc' bei Walther von der Yogelweide Ein vielzitiertes Beispiel für den zuletzt genannten Sachverhalt stellt Walther von der Vogelweide dar, der an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert in anderer Weise von Wort und Begriff 'deutsch' Gebrauch macht als bis dahin üblich. Es ist bekannt, daß Walther von der Vogelweide seine "nachhaltigste Wirkung [...] als der nationale Prophet und vaterländische Sänger des Reiches erzieltfe], als den ihn das 19. Jahrhundert sehen wollte".28 Demgegenüber hat sich das Walther-Bild seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts grundlegend verändert und ist dabei auch differenzierter geworden. Im Untersuchungszusammenhang dieser Monographie ist festzuhalten, daß Walthers Umgang mit dem Wort 'diut(i)sch'/ 'dütisc' eindeutig "aus dem Rahmen des bis dahin üblichen"29 herausfällt. Unter den Belegen zu 'diut(i)sch'/ 'dütisc' und 'Diut(i)sche(r)'/ 'Dütiske(r)' in Walthers Sangsprüchen und Minneliedern befinden sich neben den bereits seit dem 'Annolied' dokumentierten Wortgruppenlexemen tiu(t)schiu lant, tiu(t)sche liute und tiu(t)sche man fünf Ausdrücke, für die Walther von der Vogelweide die Erstbelege liefert.30 Es handelt sich um die beiden Nominalsyntagmen tiusche vrowen (Walther L. 56,22) und tiutsche leien (Walther L. 34,13), außerdem um die Verbindung des ethnischen Begriffs 'deutsch' mit dem Abstraktum %uht itiuschiu %uht gät vor in allen, Walther L. 56,37), zu der Haubrichs bemerkt, daß sie "damals außerordentlich kühn geklungen 28

Scholz (1999), S. 175, mit der wichtigsten Literatur. Grundsätzlich ist zur ideologischen Vereinnahmung Walthers von der Vogelweide Richter (1988) zu nennen; weiterweisend vgl. in den letzten Jahren insbesondere U. Müller/ NeureiterLackner (1996), S. 228-240, sowie kurzgefaßt auch Bein (1997), S. 261-264, 2 8 4 286; zuletzt: Ranawake (2003).

29

H. Thomas (2000), S. 65.

30

Vgl., auch zum folgenden, Coleman/ Hall (1995), s. v. "Tiusche, tiusche", "(duschen, Tiuschen", "tiuschez", "tiutschen, Tiutschen", S. 211; vgl. auch das ältere Verzeichnis von Heffner/ Lehmann (1950), s. v. "tiuschiu" und "tiutschen", S. 65 (unzuverlässig dagegen Hornig [1979 (zuerst 1844)], s. v. "tiutsch, tiusch [diutisch]" und "der Tiutsche", S. 317). Dazu: Haubrichs (1993), S. 32£; H. Thomas (1994), S. 134; ders. (2000), S. 56f£, 71-73. Zitate gebe ich im folgenden nach der völlig neubearbeiteten, 14. Auflage der Walther-Ausgabe Lachmanns von Cormeau (1996) an, wobei ich die Zählung Lachmanns beibehalte (zit.: Walther L.) und nur im Einzelfall auch die zusätzlichen Nummern der Lieder und Sangsprüche Walthers bei Cormeau hinzufüge (zit.: Walther C.); im übrigen ist — außer der Ausgabe Lachmanns in der 13. Aufl. v. von Kraus/ Kuhn (1965), die der bisherigen Sekundärliteratur zum 'Preislied' meist noch zugrundeliegt - die kommentierte Walther-Edition von Schweikle (1994/98) zu vergleichen.

I V . TRANSFORMATION

213

haben"31 müsse. Hinzu kommen der Ausdruck tiutsche% Silber (Walther L. 34,11) sowie das Metonym tiuschiu %unge (Walther L. 9,8), neben das sehr viel später, im 15. Jahrhundert, die Bezeichnung teutsche nation trat.32 Außer diesen unterschiedlichen Verwendungen von 'diut(i)sch'/ 'dütisc' als Attribut findet sich bei Walther von der Vogelweide in vereinzelten Fällen auch der substantivierte Volksname der Deutschen. Wie gesehen, tritt er in der Volkssprache erstmals in der 'Kaiserchronik' auf.33 Walther verwendet ihn im 'Unmutston' (Walther L. 31,13ff./ C. 12) in Verbindung mit dem Personalpronomen der 1. Person Plural und grenzt uns Tiutsche auf diese Weise von den papsttreuen Walhen ab (Walther L. 34,4ff., 34,14ff.). Darin scheint eine für Walthers Verwendung von 'deutsch' bezeichnende "Rhetorik der Gegensätze"34 auf, und die hier aufgestellte Opposition 'deutsch' — 'welsch' wird unterstrichen, indem dem Papst eine " 'welsche' Wortwahl (Allamän [.,.])" 35 unterlegt wird.36 Heinz Thomas betont dazu aufgrund einer von ihm angelegten Belegsammlung zum Wortfeld 'deutsch' in der mittelhochdeutschen Literatur, daß Walther den Namen der Deutschen "ohne Umschweife in seine Verse einfließen"37 lasse — im Gegensatz zu Zeitgenossen wie Wolfram von Eschenbach: "In der hochdeutschen Epik und - abgesehen von der Kaiserchronik - auch in der allerdings nur sehr schwach vertretenen Historiographie war es bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts üblich, den Sachverhalt 'die Deutschen' nur mit Umschreibungen zu nennen." 38

Thomas spricht damit ein weites Feld an, zu dem aus literaturwissenschaftlicher Sicht einiges hinzuzufügen wäre, etwa die Frage nach 31

Haubrichs (1993), S. 32.

32

In diesem Kontext: Haubrichs (1993), S. 31f£; H. Thomas, zuletzt (2000), S. 76f£; grundsätzlich vgl. auch Nonn (1982), S. 137ff.

33

Vgl. die statistische Übersicht in Kap. III.3.1., S. 130E, und ansonsten zusammenfassend oben, Kap. III.4., S. 192-201 mit Anm. 111,323.

34

Nolte (1992), hier S. 329£, zu den "Gegensatzpaaren 'tiusch' - 'welsch', 'leien' 'pfaffen', 'riche' - 'bäbest' " im 'Unmutston'; vgl. auch Schweikle, Komm, zu Walther L. 34,4f£, hg. ders. (1994/98), Bd. 1 (1994), S. 403-406.

35

Schweikle, Komm, zu: Walther L. 34,4ff. (Zitat: L. 34,7), hg. ders. (1994/98), Bd. 1 (1994), S. 403.

36

Vgl. dazu im vorliegenden Kontext auch Schupp (1974), S. 40f£, und Nix (1993), S. 209ff.; resümierend und weiterweisend: U. Müller (1996), S. 169-178 (wenn U. Müller ebd., S. 175, vom "mittelalterlichen 'Sprachen- bzw. Kulturnationalismus'[!]" Walthers spricht und dabei auch auf das 'Preislied' verweist, scheint das allerdings verfehlt); Scholz (1999), S. 79-83.

37

H. Thomas (2000), S. 65. Die Stellensammlung ist nur in Auswahl im Rahmen von zwei Aufsätzen veröffentlicht, vgl. unten, Anm. IV,61.

38

H. Thomas (2000), S. 65.

214

I V . TRANSFORMATION

gattungsbedingten Differenzen in der Verwendung der Wortfamilie zu 'diut(i)sch'/ 'dütisc', die Thomas aus seiner geschichtswissenschaftlichen Untersuchung weitgehend ausblendet. Das betrifft auch die Einordnung der bekannten Bezugnahme des Sprecher-Ichs in Walthers 'Preislied' (Ir suit sprechen willekomen, Walther L. 56,14ff./ C. 32) auf unser lant, in dem Tugent und reine minne zu finden seien: da ist wunne vil (Walther L. 57,11—14). Gewöhnlich hat man das auf "Deutschland" bezogen, jenen Raum, den das zwischen Lohn- und Minnesänger changierende Sprecher-Ich Von der Elbe un~ an den VJn/ her wieder un^ an der Unger lant (Walther L. 56,38f.) durchmessen hat, um festzustellen, hie seien diu wip/ besser [...] danne ander fronten (Walther L. 57,5f.).39 Vorher war bereits explizit von den tiuschen vrowen (Walther L. 56,22) die Rede, und in Abhebung von fremedem site wurde tiuschiu %uht gepriesen (Walther L. 56,35—37). Man hat darin eine apologetische Reaktion auf Schmähungen provenzalischer Trobadors, namentlich Peire Vidals, gesehen, so daß auch hier die Opposition gegen die "Welschen" im Hintergrund zu stehen scheint.40 Schon aufgrund solcher möglicher und anderer intertextueller Bezüge ist es verfehlt, in Walthers 'Preislied' einen Ausdruck betonten Nationalgefühls zu sehen, wie es seit dem Ende des 18. Jahrhunderts lange als selbstverständlich erschien und im 19. Jahrhundert namentlich auch bei Heinrich Hoffmann von Fallersleben der Fall ist, der sich durch das 'Preislied' 1841 zum 'Lied der Deutschen' inspirieren ließ.41 Wenngleich das an sich bekannt ist, wird es nicht zu Unrecht stets von neuem hervorgehoben: "Keine Nationalhymne des deutschen Mittelalters also [...]. Ύtusch umschreibt nicht deutsches Wesen, sondern konkurrenzfähige höfische Kultur im deutschen Sprachbereich." 42 Möglicherweise muß man aber noch einen Schritt weitergehen und den Ausdruck unser lant — unbeschadet der in den übrigen Strophen bestehenden Bezugnahme auf die tiu(t)schen jrowen, man und wip — in der in Rede stehenden Strophe nicht auf "Deutschland" beziehen, sondern auf das zeitgenössische Osterlant das 1156 zum Herzogtum erhobene Osterreich, das seitdem ein eigenes Landesbewußtsein ausbildete, das 39

Zur Literatur vgl. Hahn (1996), S. 80£, sowie ders. (1999), Sp. 696£, und ergänzend den Kommentar zu Walther L. 56,14ff./ C. 32, hg. Schweikle (1994/98), hier Bd. 2 (1998), S. 600-606 (Literatur: S. 605f.). Im einzelnen vgl. die im folgenden genannten Titel.

40

Das ist allerdings noch bzw. wieder in der Diskussion, vgl. namentlich Berthelot (1995) und Kasten (1995), sowie kurz resümierend Scholz (1999), S. 135-137, und danach Bauschke (1999), S. 149ff.

41

Vgl. die Titel oben in Anm. IV,28, resümierend insbesondere U. Müller/ Neureiter-Lackner (1996), S. 236-240 mit den Literaturangaben auf S. 229.

42

Hahn (1996), S. 89.

I V . TRANSFORMATION

215

demjenigen der alten regna-Lande entsprach. Katrin Smits hat dafür gewichtige sprachhistorische Gründe geltend gemacht und diese in ihre (in anderen Punkten problematische) Interpretation des Liedes einbezogen. 43 In den Walther-Handbüchern etwa von Brunner und anderen 44 oder von Nolte 45 sowie auch in dem neuen Kommentar von Schweikle 46 ist das aufgegriffen worden. 47 Es ist hier zwar weder der Ort, der betreffenden Argumentation im einzelnen nachzugehen, noch, was dazu notwendig wäre, auf erweiterter Grundlage unter Berücksichtigung der (Gesamt-) Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung erneut eine Analyse des 'Preisliedes' vorzunehmen. 48 Eine solche, auf Osterreich bezogene Lesart würde aber damit übereinstimmen, daß Osterreich jenes lant ist, das in mehreren Strophen Walthers von der Vogelweide den Status einer patHa hat, in der "wir" da heim sind.49 43

Während die Forschung die Ausführungen von Smits (1977) und (1980) zu unser lant in jüngster Zeit aufgenommen hat (vgl. unten, Anm. IV,44—47), sind die Überlegungen von Smits zur Möglichkeit intertextueller Bezüge zu Heinrich von Morungen zurückgewiesen worden, vgl. kurz Scholz (1999), S. 137 (verhalten zustimmend neuerdings allerdings Bauschke [1999], S. 162). Zur Argumentation von Smits bezüglich des Ausdrucks unser lant vgl. dies. (1977), passim, und dazu auch oben, Kap. II.2.2.2.-II.2.2.3., S. 56-69.

44

Brunner u. a. (1996), hier der Abschnitt von Hahn (1996), S. 87; implizit anders dagegen noch Hahn (1989), S. 49-55.

45

Nolte (1991), S. 220; vgl. auch ebd., Anm. 25.

46

Schweikle, Komm, zu: Walther 56,14ff., hg. ders. (1994/98), Bd. 2 (1998), S. 602; vgl. das Zitat unten in Anm. IV,49.

47

Zur Kenntnis werden die Ausführungen von Smits in letzter Zeit etwa auch durch Weigand (1998), S. 19, genommen sowie durch Bauschke (1999), S. 134— 167 (zu Walthers 'Preislied' insgesamt), in diesem Zusammenhang vor allem S. 146f. mit Anm. 69 und S. 162 (beide dabei nicht frei von Widersprüchen, die aus der generellen Problematik der Verwendung von tiu(t)seh im 'Preislied' resultieren). Zu nennen ist auch H. Thomas (2000), S. 71 mit Anm. 83, der, aus literaturwissenschaftlicher Perspektive betrachtet, allerdings zu kurz greift.

48

Dies beabsichtige ich im Rahmen eines demnächst - voraussichtlich in der Reihe 'Walther-Studien', hg. v. Thomas Bein (Frankfurt am Main u. a.) - erscheinenden Aufsatzes. Wichtig scheint mir insbesondere die Beachtung der sich für die Fragestellung als relevant erweisenden Uberlieferungsvarianz des 'Preisliedes'. Um nicht in einen verbreiteten Biographismus zu verfallen, wie er bei dessen Interpretation oftmals geltend gemacht worden ist, ist in diesem Kontext überdies das Spiel des Textes "mit den Grenzen zwischen den verschiedenen Instanzen des Ich, dem namentlich bekannten Verfasset, dem präsenten Sänger und dem im Text sich artikulierenden Sprecher" zu beachten (J.-D. Müller [1994], S. 21; vgl. auch ebd. S. 12ff.). Vgl. zum methodischen Ansatz auch Goerlitz (2005b).

49

Beispiele bei Scholz (1999), S. Iff.; vgl. in diesem Zusammenhang Knapp (1994), S. 267-281, hier besonders S. 267. Die entsprechende Interpretationsmöglichkeit des Ausdrucks unser lant betont neuerdings in ähnlicher Weise auch Schweikle, Komm, zu Walther

216

I V . TRANSFORMATION

Nationalen Überschwang spricht man Walther von der Vogelweide demnach seit längerem ab. Als programmatischen "Sänger des Reiches" sieht man ihn nicht mehr, vielmehr als einen sprachlich kreativen und "im Hinblick auf die Möglichkeiten der Gattung und ihrer Autoren noch im avanciertesten Sinne [...] politischen Dichter des Mittelalters".5'1 In diesem, gleichermaßen durch Gattungskonventionen wie durch die Verwendbarkeit in bestimmten textinternen Kontexten eingeschränkten Sinne hat Walther von der Vogelweide das Wort 'deutsch' relativ frei zu variieren vermocht.51 Dazu fügt sich die Feststellung, daß die "in Walthers Tradition stehenden Spruchdichter [...] in den folgenden Jahrzehnten das Substantiv gelegentlich gesetzt" haben, während in "den gleichzeitig entstandenen Epen oder Historien des oberdeutschen Raums [...] der Name ' die Tiutschert bis 1273 [i. e. bis zum Ende des Interregnums] so gut wie nie genannt" wurde.52

2. 2.

Zur Dimension alt-"deutscher" Identitätskonstruktion in deutscher Chanson de geste-Adaptation und Heldendichtung

2. 2. 1. Vorfragen An Walther von der Vogelweide werden gleichermaßen die Möglichkeiten literarischer Nationsartikulation um 1200 deutlich wie auch die Auswirkungen einer applizierenden Lektürepraxis auf der Basis des modernen L. 56,14ff, hg. ders. (1994/98), Bd. 2 (1998), S. 602: "Die Wendung unser lantxmd der Wunsch des Sängers, dort leben zu dürfen, verweisen — im Kontext signifikanter Sprüche wie 32,7 [...] oder 84,1 [...] im besonderen auf Osterreich"; zum mittelalterlichen Begriff der Heimat vgl. oben, S. 161 ff. mit Anm. 111,189, und S. 193ff. Bauschke (1999) dagegen lehnt eine Eingrenzung auf Österreich erneut ab (S. 162); dessenungeachtet übernimmt sie Smits' Argumentation, daß "ein einzelnes deutsches Land" (S. 146) gemeint sei und hält an anderer Stelle eine Identifizierung mit Österreich durchaus für möglich (S. 157), allerdings betont abhängig vom - variablen - Aufführungskontext, womit sie einen vernachlässigten Aspekt in die Diskussion einbringt. 50

Nolte (1992), S. 340. Vgl. Haubrichs (1993), S. 32, der im obigen Kontext "die sprachliche Kreativität Walthers" in den Vordergrund stellt.

51

Vgl. H. Thomas (1992), S. 145, der allerdings die oben genannten und aus germanistischer Sicht unbedingt hinzuzufügenden, einschränkenden Aspekte unzulässig ausblendet: "Erst Walther von der Vogelweide hat das Wort deutsch in seinen politischen Sprüchen frei zu variieren vermocht, während gleichzeitig Wolfram von Eschenbach davor zurückgeschreckt ist." Vgl. ähnlich danach auch ders., vor allem (2000), S. 71-73.

52

H. Thomas (2000), S. 66.

I V . TRANSFORMATION

217

Nationsbegriffes. Eine derartige Lektürepraxis hat ihre Wirkungen bekanntermaßen auch in der Forschung zur deutschen Heldendichtung des 12. beziehungsweise des 13. Jahrhunderts gezeitigt, und Gleiches gilt prinzipiell, mit umgekehrten Vorzeichen, für die Forschung zu den mittelhochdeutschen Adaptationen der altfranzösischen Chansons de geste. Angesichts dessen sind die deutschen Heldenepen sowie die mittelhochdeutschen Chanson de geste-Adaptationen im vorliegenden Zusammenhang von besonderem Interesse. Beide Textgruppen sind auf ein heroic age bezogen, das in die Zeiten vor beziehungsweise bis auf Karl und die Karolinger fällt (die bei der Frage nach [vor-]nationaler Identitätskonstruktion in der deutschen Literatur des Mittelalters in dieser Untersuchung im Zentrum stehen).53 Greift die deutsche Heldendichtung in literarischer Uberformung auf Völkerwanderung und wohl auch Merowingerzeit zurück, so rekurrieren die französischen Heldenepen gewöhnlich auf die karolingische Geschichte und hier meist auf die Gestalt Karls des Großen wie auch Ludwigs, in dessen literarischer Figur verschiedene Herrscher dieses Namens zusammenfließen. Dabei bleibt die Figur Karls in den französischen Epen "bei allen Wandlungen im Prinzip unanfechtbar in ihrer Führerrolle Frankreichs",54 während sie in den deutschen Adaptationen in ihrer Herkunft insgesamt schillert.55 Wie die deutsche Heldenepik galt in der Forschung analog auch die französische Heldenepik aufgrund ihres " 'heroisch' konnotierten

53

Zur Begründung vgl. oben, S. 17ff.

54

Hausmann (1996), S. 50. Zur Karlsfigur in der altfranzösischen Epik vgl. in letzter Zeit etwa Wunderli (1996) oder Bastert (2001) mit der Literatur, aus der hier nur die jüngeren Arbeiten von Boutet (1992) und Morrissey (1997) genannt seien. Vgl. jetzt auch die Übersicht von Wunderli (2004), der das Karlsbild der Chansons allerdings einseitig als "Reflex" (ebd., S. 37) zeitgenössischer Auseinandersetzungen begreift (dagegen differenzierend Bomba [1987], der bei Wunderli fehlt); hinzuzufügen ist zudem der zugehörige Sammelband Karl der Große, hg. Bastert (2004), der auf die Figur Karls des Großen in den europäischen Literaturen des Mittelalters insgesamt bezogen ist (darin im vorliegenden Zusammenhang insbesondere auch: Ivens/ Klein [2004], Ratkowitsch [2004], Schütte [2004]; vgl. demnächst meine Rezension des Bandes Goerlitz [2008c, in Vorbereitung zum Druck]).

55

Vgl. grundsätzlich Geith (1977) und ergänzend Schnell (1982), ders. (1989), S. 316ff., sowie in letzter Zeit die Ubersichten zu den deutschen Chanson de geste-Adaptationen von Bastert (1997) und (2001) sowie von Geith (2001), zu denen jetzt Bastert (2004) hinzuzufügen ist, jeweils mit der älteren Literatur; genannt sei hier nur Chansons de geste in Deutschland, hg. Heinzle/ Johnson/ Vollmann-Profe (1989). Vgl. im vorliegenden Kontext außerdem Thomas (1994), S. 144ff., K. F. Werner (1995a), besonders S. 46ff. mit Anm. 130, und Thomas (2000), S. 48ff., 63ff., und vgl. auch den Abschnitt 'Karl und U$' in der 'Kaiserchronik' oben in Kap. III.3.4.2., S. 166-173.

218

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Umfeldes' "56 lange unhinterfragt als " N a t i o n a l epik".57 In Verbindung mit der Prämisse, Dichtungen seien "getreue Spiegelungen realer Auseinandersetzungen", erschien es bei entsprechender Deutung der geschichtlichen Kontexte als selbstverständlich, fur die Heldenepik nationale Implikationen vorauszusetzen — im Fall der deutschen Chanson de gesteAdaptationen etwa zeitgeschichtlich motivierte Reflexe einer spezifisch "deutschen Reichsidee". 58 Indessen hat sich im Zusammenhang mit der Frage nach dem Verhältnis von literarischem Entwurf und sozio-his torischen Kontexten seit längerem die "Einsicht" durchgesetzt, "daß Dichtungen nicht Wirklichkeit, sondern nur Deutungen von und Reaktionen auf Wirklichkeit widerspiegeln". 59 Umso notwendiger aber ist es, die jeweiligen (literar)historisch-kulturellen und damit auch sprachhistorischen Zusammenhänge zu beachten, wenn eine konkulturale Lektüre vermieden und mögliche konzeptuelle Spielräume der Texte adäquat eingeschätzt werden sollen. Wie in den Grundzügen in Kapitel I dargelegt, werden die Kontexte von der heutigen Forschung für das hohe und späte Mittelalter in entscheidenden Punkten anders gefaßt als früher. 60 Insbesondere der Prozeß der Herausbildung deutschen Nationsbewußtseins wird sehr viel differenzierter gesehen, und der semantische Wandel des Wortes 'deutsch' ist genauer erfaßt. Da sich diese Entwicklung allerdings erst im jüngeren und jüngsten Zeitrahmen vollzogen hat, greifen manche in der älteren Sekundärliteratur gesetzten Prämissen, die sich bei Analyse und Interpretation von deutscher Heldendichtung und Chanson de geste-Adaptation 56

Bomba (1987), S. 7, in seiner forschungskritischen Arbeit 'Chansons de geste und französisches Nationalbewusstsein im λΙίίίεΗίεΓ: Bomba spricht dort im Prolog ("Das nationale a priori der älteren Forschung", S. 5-10) von der im 19. Jahrhundert aufgekommenen "Selbstverständlichkeit, mit der [...] in einem 'heroisch' konnotierten Umfeld sich bewegende Literatur und das 'Nationale' zusammengebracht werden" (S. 7), und betont gleichzeitig die "bruchlos[en]" Nachwirkungen "bis in die Gegenwart" (S. 6).

57

So etwa G. Lohse (1965), S. 338 (Hervorhebung v. d. Verf.), beispielhaft auch noch für nachfolgende Uberblicksdarstellungen. In bezug auf die deutsche Heldenepik vgl. die unten, Anm. IV,113, genannte Literatur, und zur Genese der Rezeption der Heldenepik als "nationaler" Dichtung auch die interpretationsgeschichtliche Übersicht von Peters (1984), S. 475-484.

58

Schnell (1983), S. 5, gerichtet gegen die ältere sowohl literarhistorische wie historische Forschung zur 'Reichsidee in der deutschen Dichtung des Mittelalters' im allgemeinen und in deutschen Chanson de geste-Adaptationen im besonderen, darunter das 'Rolandslied' wie aber etwa auch die sogenannten Spielmannsepen 'König Rother' oder 'Herzog Ernst', vgl. die von Schnell in dem gleichnamigen Sammelband (Die Reichsidee, hg. ders. [1983]) zusammengestellten älteren Arbeiten u. a. von Knorr, Ohly (zum RL) oder Rosenfeld und Wehrli (zum HE).

59

Schnell (1983), S. 5, im genannten Zusammenhang; vgl. oben, Anm. IV,58.

60

Oben, Kap. 1.2.3, S. 29-38.

I V . TRANSFORMATION

219

auswirken und aufgrund der veränderten Ausgangslage zu hinterfragen sind, gegebenenfalls auch heute noch. In Hinsicht auf Ausprägung und Modus literarischer Konstruktion einer "deutschen" Identität in alten, bis auf Karl den Großen reichenden Zeiten fragt sich daher, inwieweit in den deutschen Chanson de gesteAdaptationen nationale Identitätskonstruktion überhaupt eine Rolle spielt und in welcher Weise in der deutschen Heldendichtung gegebenenfalls als solche bezeichnete "Deutsche" in den Blick geraten. Dazu ist unter anderem auf die jeweiligen textinternen Ko(n)texte zu achten und ebenso auf mögliche gattungsbedingte Besonderheiten. Das gilt umso mehr, als das Auftreten einer auf "Franzosen" und "Deutsche" bezogenen Terminologie in den Texten allein, wie sich nach dem Gesagten vorab feststellen läßt, nicht notwendigerweise auch schon etwas über die Relevanz des nationalen Momentes in diesen aussagt — ganz abgesehen von den semasiologischen Fragen, die sich dabei zunächst einmal stellen und jeweils von Fall zu Fall zu klären sind.61 In diesem Zusammenhang geht es wie schon im vorhergehenden Kapitel auch hier lediglich darum, den Rahmen abzustecken, innerhalb dessen dann anschließend die Mutation alt-"deutscher" Identitätskonzepte im Gefolge der 'Kaiserchronik' analysiert und spätere literarhistorische Entwicklungen narrativer Konstruktion nationaler Identität verfolgt werden können.

2. 2. 2. Munschoy riefens alle·. Karl und die guoten rittere Vorbemerkung Sowohl in den deutschen Heldenepen als auch in den deutschen Adaptationen französischer Heldenepen stehen beide alter Zeiten im Zentrum, zu denen im Fall der Chanson de geste-Adaptationen teils — auch — eindeutig als solche identifizierte "Franzosen" oder "Deutsche" gehören. Generell ist allerdings auf die jeweiligen Verwendungszusammenhänge zu achten, die begriffliche Unscharfen ebenso erkennen lassen wie gegebenenfalls intendierte Akzentuierungen oder Ambivalenzen, zumal gerade für 'Franzosen' mehrere Bezeichnungen zur Verfügung standen, darunter so unterschiedlich ausdeutbare wie mhd. 'Franken'. Aufschlußreich ist in diesem

61

Zu dieser Frage ist auf zwei Aufsätze von H. Thomas hinzuweisen, in denen, allerdings unter Ausblendung literaturwissenschaftlicher Kriterien, systematisch eine Auswahl von Passagen aus der deutschen Literatur des Mittelalters insgesamt zusammengestellt ist, in denen "Deutsche" erwähnt werden: ders. (1994), S. 144f£, und in Weiterfuhrung dieses Aufsatzes ders. (2000), S. 63ff.

220

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Zusammenhang die Bemerkung des bereits genannten, 62 wenig franzosenfreundlichen Gottfried von Viterbo um 1200 in seinem mittellateinischen Pendant zur 'Kaiserchronik', dem 'Pantheon': Gottfried erklärt die Franzosen als Francigenae zu Abkömmlingen der Teotonici oder Franä occidentales. Zur Klarstellung verweist er dabei auf den deutschen Sprachgebrauch: In lingua [...] Teutonica würden die Francigenae, so Gottfried, usque hodie als Karlingi bezeichnet: Dicunt [i. e. "omnes Teutonia"] enim: 'vado in Carlingam, venio de Kurlinga, homo ille Karlingus est', et: 'linguam habet Karlinga/n',63 Durch seine Ausführungen unterstützt der Kaplan ungewollt die Gleichung '[karolingisches] Frankenreich' = 'Frankreich', obwohl er in seinem Entwurf der Zeiten Karls des Großen und der Vorfahren des Kaisers eigentlich auf das Gegenteil zielt, und so tritt hier das terminologische Problem deutlich hervor. An dieser Stelle ist deshalb zu betonen, daß umfassende Untersuchungen zu Wort und Begriff 'französisch' in der mittelhochdeutschen Literatur fehlen, die den neuesten Forschungsstand berücksichtigen und auch die altfranzösischen Vorlagen systematisch hinzuziehen würden. Für eine weitergehende Einordnung teils vorliegender Einzelbeobachtungen 64 wäre dies aber wichtig. Denn, wie angedeutet, sah man in vielzitierten älteren Studien häufig "die deutsch-französischen Beziehungen zur Abfassungszeit [der deutschen Chanson de geste-Adaptationen] als mögliches Auslösemoment für eine bestimmte Darstellung" 65 an und setzte für die deutschen Adaptationen dementsprechend "spezifisch deutsch[e]" 66 Bearbeitungstendenzen voraus. 67 Dies schien logisch, solange die Texte als 62 63

Oben, S. 167. Gotifredus Viterbiensis, Pantheon 42, hg. Waitz (1872), S. 203. Vgl. hier Schnell (1982), S. 348£, und zur generellen Einordnung Langosch (1981) sowie Engels (1992) und in den letzten Jahren insbes. die Monographie von Dorninger (1997).

64

Systematische Ansätze dazu finden sich im vorliegenden Kontext vor allem bei Brandt (1981), insbesondere S. 230-250 (gegen die ältere Forschung auch ebd., S. 250-289); vgl. zur Problematik außerdem H. Thomas (2000), S. 63f£, und neuerdings ebenfalls Kiening (1989) zur "Erfahrung des 'französischen' in Wolframs 'Willehalm' " sowie Schmid (1995) zu "einigen Scheidelinien auf der mentalen Landkarte von Wolframs 'Willehalm' " (jeweils Titel); für die altfranzösische Literatur ist auf Heim (1984) und Bomba (1987) zu verweisen.

65

So die Kritik von Brandt (1981), S. 230, an der Forschung zum 'Karl' des Strickers. In dieser Weise deutet, beispielsweise, G. Lohse (1965), S. 338, die Akzentuierung der Figur Karls des Großen im 'Rolandslied' im Vergleich zur 'Chanson de Roland'.

66

67

Zur angesprochenen Entwicklung vgl. den oben, Anm. IV,58, genannten Sammelband älterer Arbeiten zur Reichsidee in der deutschen Dichtung des Mittelalters, hg. Schnell (1983), mit den teils kontroversen Arbeiten zu deutschen Chanson de geste-Adaptationen von Knorr [zuerst 1939/40], Ohly [zuerst 1940], Neilmann [zuerst 1965] und Schnell [zuerst 1974]); vgl. insbesondere auch die

I V . TRANSFORMATION

221

Manifestationen der Kontexte betrachtet wurden, nicht zuletzt angesichts der Tatsache, daß die Staufer unter Friedrich I. an den in Aachen heiliggesprochenen Karl und über Karl an die gleichermaßen von den Franzosen beanspruchten Trojaner "angesippt" wurden. 68 Später, nach der Doppelwahl des Jahres 1198, bekräftigte der Papst gegen den Kapetinger Philipp II. August in dem berühmten Dekretale 'Venerabilem' erstmals auch von apostolischer Seite die Translation des Römischen Reiches in der Person Karls des Großen auf die "Deutschen". Damit war Karl der Große nicht mehr nur dynastisch gegen die Franzosen vereinnahmt, sondern auch in Hinsicht auf die politische Verfassung des Imperiums unzweideutig zum "Deutschen" erklärt: "Das Reich ist nun auch institutionell Karls Reich und bleibt es bis zu seinem Ende, ein Jahrtausend nach Karl." 69 Politische Theorie und volkssprachige Literatur sind jedoch verschiedene Repräsentationen symbolisch-kultureller Ordnungen mit je eigenen Bedingungen und Möglichkeiten. 70 Seit dies in Rechnung gestellt wird, hat man in den beiden letzten Jahrzehnten sowohl im Hinblick auf die französische Heldenepik wie auch in bezug auf die deutschen Chanson de geste-Adaptationen gegenüber historisch-politischen Aspekten verstärkt exemplarisch-funktionale Züge hervorgehoben. Vor diesem Hintergrund kann im vorliegenden Untersuchungszusammenhang eine Konzentration auf zwei Beispiele erfolgen: auf das 'Rolandslied' und auf dessen Umarbeitung etwa fünfzig Jahre später im 'Karl' des sogenannten Strickers, die überaus erfolgreich war. Mit Karl-Ernst Geith kann man beide Texte als die eigentliche deutschsprachige, "autonome Karlsdichtung" des 12. und 13. Jahrhunderts, in denen Thema und Ablauf des Geschehens durch Karl den Großen bestimmt werden, von den bloßen "Karlserwähnungen" abgrenzen. 71 An ihnen lassen sich die dargelegten Probleme grundsätzlich abhandeln.

68

bereits erwähnte Monographie von Brandt (1981), hier vor allem S. 250—289. — Damit verbunden ist das konträr diskutierte Problem der adaptation courtoise insgesamt; vgl. im obigen Zusammenhang klärend Bumke (1986), Bd. 1, S. 134ff. Zum folgenden vgl. im obigen Zusammenhang K. F. Werner (1995a), S. 38ff.

69 70

K. F. Werner (1995a), S. 39 (dort durch Fettdruck hervorgehoben). Vgl. dazu grundsätzlich oben, Kap. 1.3., S. 39—43.

71

Geith (1977), S. 125; danach ebenso Schnell (1982), S. 345. Zur Übersicht vgl. die oben, Anm. IV,55, genannten Titel.

222

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Beispiel 'Rolandslied' des P f a f f e n K o n r a d E t w a s später als die 'Kaiserchronik', u m 1170/72, vielleicht aber auch erst u m 1185, entstand i m A u f t r a g H e r z o g Heinrichs des L ö w e n möglicherweise in Regensburg, eher aber w o h l in der sächsischen Residenz Braunschweig auf der Basis der altfranzösischen 'Chanson de Roland' das 'Rolandslied' des phaffe[n] Chunrat (RL 9079). 7 2 In einer zentralen Passage dieser ersten deutschen Chanson de geste-Adaptation bricht Roland, uoget der Karlinge (RL 5977) u n d neue (RL 1109) Kaiser Karls (des Großen), in Klagen aus, als er sieht, daß sein Gefährte Turpin, der Erzbischof uon Raines (Reims, R L 1186), i m K a m p f gegen die spanischen Heiden bei R o n ceval tödlich v e r w u n d e t w o r d e n ist. Verzweifelt w e n d e t er sich an die personifizierte su^e Karlinge u n d fragt, auf w e n er jetzt noch h o f f e n solle. Karlinge, so R o l a n d weiter, m ü s s e nun ewig trauern. Bischof Turpin v e r n i m m t die W o r t e Rolands u n d ermahnt ihn, er ermutige damit lediglich die Heiden: er [sc. Roland] begunde hai^e wainen. scol ich nu leben al aine? [...] su^e Karlinge, wem scol ich nu dingen? nu mustu imer wainen.' 'da7 tröstet woldi haiden', sprach der biscof Turpin. (RL 6617—6625) ~ W e n i g später wiederholt sich die Szene. Diesmal klagt R o l a n d über den Verlust Oliviers, u n d er w e n d e t sich an dessen Leiche: 72

Hier und im folgenden zitiert nach der Ausgabe von Wesle/ Wapnewski (1985), jedoch ohne Wiedergabe auch der handschriftlichen Zeilengrenzen und Seitenwenden; im einzelnen ist die mhd.-nhd. Leseausgabe RL, hg. Kartschoke (1993), verglichen, die "einen vorsichtig normalisierten und kritisch bearbeiteten Text bietet", dabei aber die genannte Edition von Wesle/ Wapnewski erklärtermaßen nicht ersetzt, sondern, auch aufgrund des Kommentars, sinnvoll ergänzt (ebd., Vorwort). Wo Wesle/ Wapnewski außer der einzig vollständigen Handschrift Ρ (Cpg 112, Ende 12. Jh.) im Fließtext auch die fragmentarische Überlieferung abdrucken, folge ich bei abweichenden Lesarten, soweit nicht anders angemerkt, wie auch sonst P. Zur Diskussion um die Entstehung des 'Rolandsliedes' vgl. jetzt Bastert (2002). Hinsichtlich der Literatur verweise ich nur weiterführend auf Nellmann (1985) sowie auf 'Chanson de Roland' und 'Rolandslied', hg. Buschinger/ Spiewok (1997) und zuletzt Gerok-Reiter (2002); generell zu erwähnen ist außerdem der ältere Kommentar von Richter (1972). Im übrigen vgl. im folgenden.

73

Hinsichtlich der Zeichensetzung folge ich in diesem Zitat der Ausgabe von Kartschoke (1993) statt der zitierten von Wesle/ Wapnewski (1985); dadurch erübrigt sich die von Wesle/ Wapnewski vorgenommene Wortergänzung < do > in Vers 6625.

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223

also der kaiser dich nu uindet, so ch läget er dich grimme, so waineX Karlinge ir liebe gebornen. (RL 6744—6747)

Das altfranzösische Äquivalent zu su%e Karlinge bildet in der 'Chanson de Roland' doulce France, und die ältere Forschung ging davon aus, daß doulce France sich "immer [...] in Beziehung setzen läßt zu einem nationalen Inhalt von 'französisch' ",74 In jüngerer Zeit ist das mit dem Hinweis modifiziert worden, die France sei in den Chansons de geste "der auch emotional empfundene Besitz der in 'Fran5ois' summierten Menschen, der möglichst alles Gute, Christliche und sonstige positiv Identifikable nicht nur räumlich umschließt, sondern auch gedanklich und quasi synonym beinhaltet",

so daß der konkrete räumliche Bezug nur "sekundär" bedeutsam sei.75 In Hinsicht auf das 'Rolandslied' hat man in diesem Zusammenhang mehrfach darauf hingewiesen, daß das Motiv des Anrufs der su^en Karlinge gegenüber der 'Chanson de Roland' im Sinne einer akzentuierten "Vergeistlichung" verändert worden sei.76 Anders als in der älteren Forschung vorausgesetzt, liegt dabei allerdings nicht ein national motivierter Eingriff in die altfranzösische Vorlage vor. Bei näherer Betrachtung wird vielmehr deutlich, daß der geistliche Verfasser der deutschen Adaptation des altfranzösischen Epos dessen national-französische Implikationen, die jüngere Arbeiten im Sinne eines differenziert zu betrachtenden, "unreflektierten Nationalbewußtseins" 77 gefaßt haben, nicht eliminiert hat.78 So hat Anfang der 1980er Jahre bereits Rüdiger Brandt bei einer systematischen Zusammenstellung aller Passagen zu 'Karlinge'/ 'Karlingen', 'Frankriche' und 'Franken' im 'Rolandslied' festgestellt, daß 'Karlingen' imperial-chrisdich gefaßt werden kann, aber auch "eindeutig ausgrenzend" auf das alte Westreich beziehungsweise das zeitgenössische Frankreich bezogen ist, so daß insgesamt ein ambivalenter Gebrauch vorliegt, und Entsprechendes gilt 74 75 76

Brandt (1981), S. 231. Bomba (1987), S. 266 u. 268. Systematisch zuerst Backes (1968); vgl. insbesondere außerdem Brandt (1981), S. 232-246 (im Ergebnis allerdings nicht überall überzeugend); ergänzend vgl. auch Ashcroft (1994) und zum folgenden ebd. 77 So in Zusammenfassung des Forschungsstandes in der Romanistik Hausmann (1996), S. 50. 78 Dies betont H. Thomas (2000), S. 64. Ebenso prinzipiell auch Brandt (1981), S. 230—289. Kaum nachvollziehbar ist angesichts der mehrfachen gegenteiligen Passagen im 'Rolandslied' die Behauptung von Geith (1997), S. 62, im 'Rolandslied' fehlten "alle Hinweise auf la doulce France als Motivation für den Kampf gegen die Heiden".

224

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für die weit selteneren Lemmata 'Frankriche' und 'Franken'.79 Erst der jeweilige Ko(n)text läßt erkennen, welche Bedeutung konkret vorliegt, wobei die Verwendung oft mehrdeutig bleibt, wie man das ähnlich auch für die 'Chanson de Roland' festgestellt hat.80 Eindeutig ist die ausgrenzende Bedeutung von 'Karlinge'/ 'Karlingen' im 'Rolandslied' in dessen Epilog. Dort wird berichtet, wie Herzog Heinrich die den Karlingen (RL 9023) in francos eher jungen (RL 9081) abgefaßte Vorlage des 'Rolandsliedes' über das Lateinische habe in di tutiske (RL 9083) übertragen lassen. Klar ist an dieser Stelle der französische Entstehungsraum der 'Chanson de Roland' bezeichnet. Aber auch wo im 'Rolandslied' das Frankenreich Karls in seiner Gesamtheit gemeint ist, steht der assoziative Bezug auf Frankreich beziehungsweise dessen Raum als Teil des alten Frankenreiches im Hintergrund: Wie erneut Brandt herausgearbeitet hat, ist beim Publikum des 'Rolandsliedes' die "Kenntnis der genauen Lage Kerlingens [im Sinne des zeitgenössischen Frankreich] voraus [zu] setzen" und "nicht von der Nennung von Orten wie St. Denis oder Paris abhängig".81 In diesem, fallweise ausgrenzend auf "Frankreich" bezogenen Sinne ist es zum Beispiel zu verstehen, wenn Karl im 'Rolandslied', nachdem auch sein Neffe Roland gefallen ist, befiehlt, die Leichen der Helden haim Karlingen (RL 7622) zu bringen. Fest steht damit, daß nationale Zuordnungen im 'Rolandslied' zwar durchaus vorhanden sind. Entscheidend ist aber, daß sie im mittelhochdeutschen Text sekundär bleiben. Sie stehen nicht im Zentrum. In den zitierten Passagen deuten sich daher die Einschränkungen an, unter denen im 'Rolandslied' kollektive Identität überhaupt unter Einbeziehung mehr oder weniger ausgeprägter nationaler Zuweisungen konstruiert wird und unter denen dann auch der Faktor 'diut(i)sch'/ 'dütisc' ins Spiel kommt. Bevor das erläutert wird, ist aber noch etwas weiter auszuholen. Bereits der Prolog kündigt zwei wesentliche Themenkreise des 'Rolandsliedes' an. Das buch (RL 16) künde, so heißt es,

79

Im einzelnen vgl. weiterhin Brandt (1981), hier S. 230—250 mit Diskussion der betreffenden Stellen, und dazu die einzelnen Passagen im RL, hg. Wesle/ Wapnewski (1985) (vgl. auch das Register der Ausg. v. Kartschoke [1993] sowie die Konkordanz von Wisbey [1969]); vgl. zudem Neilmann (1963), S. 186-191, und in jüngerer Zeit zu den semasiologischen Problemen vor allem H. Thomas (2000), S. 63ff. Zur Etymologie von 'Karlingen'/ 'Kerlingen' vgl. oben, S. 166f. mit Anm. 111,207.

80

Hinsichtlich (auch) der 'Chanson de Roland' vgl. vor allem Bomba (1987), S. 205—264, zusammenfassend S. 266ff.

81

Brandt (1981), S. 264.

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uon eineme turlichem man, wie er dar^gotes riche gewan: das^ ist Karl der cheiser. (RL 9—11) Das 'Rolandslied' ist eigentlich ein "Karlslied", ein Lied um den Kaiser Karl und dessen Kampf gegen die Heiden, want er mit gote über want uil manige heideniske lant da er die mstin hat mit geret ( R L 1 3 - 1 5 ) . Aus diesen beiden Themenkreisen leitet sich ein dritter ab, der im vorliegenden Kontext wesentlich ist: Das 'Rolandslied' liefert zugleich den Entwurf eines Gemeinwesens, für welches das "Zusammenhandeln von Herrscher und Fürsten" 82 konstitutiv ist. So ist "dem Herrscher eine hervorragende, aber eben bedingte Funktion" zugewiesen, neben welcher der "Ausdruck eines mächtigen fürstlichen Selbstbewußtseins [...] für sich einen Platz im Reich" sucht und dies "neben dem Kaiser, [...] nicht an Stelle des Kaisers." 83 Anders formuliert: Im Mittelalter ist die "soziale Identität des weltlichen Adels [...] vor allem durch seine Herrschaftsfunktion geprägt [...]: Mitglied einer Adelsfamilie zu sein, bedeutete Teilhabe an Herrschaft." 84 Die "herrschaftsbezogene Adelsidentität" aber, die in der französischen 'Chanson de Roland' "propagiert wird, ist im deutschen Text [...] kongruent" mit der "religiöse[n] Identität", die "damit herrschaftsstabilisierend" wirkt." 85 Hierin liegt der Grund dafür, daß im 'Rolandslied' zwar nationale Dimensionen vorhanden sind, kollektive Identität jedoch nur sekundär über sie konstruiert wird. Infolgedessen ergibt sich, anders als oftmals angenommen, hinsichtlich der "nationalefn] Komponente" das Bild eines "problemlosen Miteinanders" auch und gerade wenn von den Korlingen — teils — im ausgrenzenden Sinne von "Franzosen" die Rede ist. 86 Die national-französischen Bezüge der 'Chanson de Roland', die im 'Rolandslied' verstärkt ins Religiöse gewendet sind, erhalten in der mittelhochdeutschen Adaptation der altfranzösischen Chanson de geste eine veränderte, eigene Bedeutung, die von den deutsch-französischen Beziehungen zu dessen Abfassungszeit, die in einigen Interpretationen geltend gemacht werden, losgelöst zu sehen ist. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, daß im 'Rolandslied', in dem früh auch die 'Kaiserchronik' rezipiert ist, nur eine einzige Stelle zur 82

Ott-Meimberg (1980), S. 274.

83

Ott-Meimberg (1980), S. 262 (erstes Zitat) u. 275 (zweites und drittes Zitat).

84

V. Mertens (1997), S. 77.

85

V.Mertens (1997), S. 81.

86

Brandt (1981), S. 239, hier bezogen auf den 'Karl' des Strickers, implizit jedoch auch und noch mehr ebenso auf das 'Rolandslied', vgl. weiterhin ebd. S. 230-250.

226

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Wortfamilie 'diut(i)sch'/ 'dutisc' vorkommt. 87 Blanscandiz, der Bote des heidnischen Königs Marsilie in Spanien, fragt Karls (verräterischen) Ratgeber Genelun, wann der Kaiser von seinem breit angelegten Feldzug ablassen werde: nu habt ir betwungen Krichin unde Ό tigeren, Ru^en unde Boelan, die gnmin Sachsen alsam, Beieren unde Swaben unde alle die in dutisker erde waren. Wasconie unde Engeiaht stet in sinergwalt, HySpanien unser riche dienet ime uorchtliche.

wenne er sich is welle glouben? ( R L 1 7 7 0 — 1 7 8 0 ) Damit ist Karl in der fiktiven Welt des Textes in eine sehr weitgefaßte imperiale Sphäre gerückt, die universal-christlich perspektiviert wird. Was die "deutschen Lande" betrifft, so fällt zunächst auf, daß diese erst Land für Land neben Griechenland, Ungarn und andere Länder treten, bevor sie über das Syntagma unde alle die in dutisker erde waren als zusammengehörig erfaßt werden. Der Raum, dem sie auf diese Weise zugeordnet werden, bleibt allerdings unkonturiert. Gleichzeitig ist zu bemerken, daß Blanscandiz sich auf Spanien in der ersten Person, hier des Plurals, bezieht, wie das entsprechend auch bei den "Franzosen" der Fall ist, konkret bei dem edelen Francken Tirrich, dessen nationale Zugehörigkeit durch die Berufung auf sent Dionisii eindeutig gekennzeichnet ist (RL 8821, 8855-8858). 88 Heinz Thomas fügt dem aufgrund seiner bereits erwähnten, in Auswahl veröffentlichten semasiologischen Stellensammlung zum Wortfeld 'deutsch' in der mittelhochdeutschen Literatur hinzu, ihm sei "bislang noch keine

87

Vgl. Wisbey (1969), s. v. "Dutisker", S. 109.

88

Im vollen Wortlaut: [.Tirrich vor dem Zweikampf mit Binabet:] Γ] ich bin ain edeler Francke, ich gichtige dich mit dem champhe. ich sende dich ^u der helle: der gute sent Dionisii dich hiute uelle.' (RL 8855-8858) Vgl. dazu H. Thomas (2000), S. 64. Die Übersetzung von Kartschoke (RL, hg. ders. [1993]: "Ich bin ein edler Franke") ist mißverständlich, wird aber durch den Kommentar Kartschokes zu RL 8858 auf S. 745 ("St. Dionysius als Schutzheiliger der Franzosen") implizit im Sinne der Ausführungen von H. Thomas ("Franzosen") klargestellt.

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Quelle bekannt geworden, in der sich während des Mittelalters irgend jemand [in entsprechender Weise] als edler Deutscher bekannt hätte."89 Die zitierte Passage läßt weiter erkennen, daß die Identifikation der "Deutschen" in aller Regel und weit ausgeprägter als im Fall der in der französischen Vorlage dominanten "Franzosen" primär über ihre engere regionale beziehungsweise territoriale Zugehörigkeit erfolgt. Sehr deutlich wird das auch in dem langen Katalog der Heeresabteilungen, die Karl nach dem Tod Rolands vor der entscheidenden Racheschlacht aufstellt. Die Szene läßt die gesamte Schlachtordnung Revue passieren, indem der kaiser einem jeden Heerführer seine Anweisungen gibt und die Tapferkeit seiner beide rühmt (RL 7765ff.). So spricht Karl zu Gebewin, Naimes der wigant sei eine Zierde des Beirlant[es], dessen Krieger er als besonders tapfer, ^euorderlicber chnechfnaite geeignet, kennengelernt habe, und im Hinweis auf die Abstammung des Bayernherzogs uon den getriwen Armenien klingt der Ursprungsmythos der Bayern durch, der auch in der 'Kaiserchronik' erzählt wird (RL 7787-7793). 90 Wenig später ist in einem Zuge von den Normanne[n] und den chunen Almanne[n] f Alemannen"]91 die Rede, die zusammen ein Kontingent unter Führung Richarts des Alten bilden sollen (RL 7817-7830). Neuelun hingegen soll di uon Brittanne anfuhren (RL 7831-7833). Es folgen Regenbalt von Poitou mit den Truppen aus der Auvergne, Haimunt mit den Flamen, Jocerans mit den Friesen, bevor sich die beiden aufschlußreichen Sätze Karls anschließen: di Karlinge wil ich selbe mir erkiesen; hßtringe beide, di uechtent miner %esewin, Burgunder and'rhalp (RL 7844-7847). Danach wird die Reihe, angefangen mit Markgraf Otto und den chunen Rinfrancken (RL 7851), fortgesetzt. Im Vordergrund stehen beide und lant im Heer des Kaisers Karl, und entscheidend ist, daß sie zusammen gegen die Heiden kämpfen. Ihre teils "deutsche" Herkunft bleibt hier wie auch sonst sekundär; gegebenenfalls treten einzelne Fürsten und lant auf den Plan. Karl selbst hat dabei, wie an der zuletzt zitierten Stelle deutlich, eine besondere Affinität zu den

89

H. Thomas (2000), S. 64; vgl. oben, Anm. IV,37, mit dem dortigen Querverweis.

90

Vgl. oben, S. 139.

91

Vgl. die entsprechende Übersetzung von RL 7828, hg. Kartschoke (1993), sowie auch das Namenverzeichnis ebd., s. v. "Almanne", S. 807, mit der zweiten Stelle zu diesem Lemma im 'Rolandslied' (RL 8108). Zur prinzipiellen Verwendungsbreite des Namens in der deutschen und französischen Literatur des Mittelalters vgl. H. Thomas (2000), S. 63f£, sowie Heim (1984), S. 443-465.

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Karlingen im Sinne durchaus auch "seiner" "Franzosen".92 Wesentlich aber ist nicht dies, sondern sein Handeln als uoget uon Rome, dem alle cristin chun'ge (RL 973—975) Untertan sind. Beispiel 'Karl' des Strickers Tendenziell derselbe Modus der Konstruktion einer Adelswelt um Karl den Großen dominiert auch im 'Karl' des Strickers.93 Das Karlsepos des in besonderer Beziehung zu Österreich stehenden Berufsdichters entstand um 1220, und landesfurstliche sowie adlige und klerikale Kreise im bairisch-österreichischen Raum gelten als diejenigen Zirkel, in denen der Stricker seine Auftraggeber und sein Publikum fand.94 Die Hauptvorlage seines breit und anhaltend rezipierten 'Karl', in dem Karl der Große nun eindeutig als Heiliger bezeichnet wird, bildet das 'Rolandslied'. Der Stricker machte das alte Lied der eigenen Zeit neu verfugbar und formte den Text des 'Rolandsliedes' dazu in großen Teilen stilistisch-formal "nach dem Muster der höfischen Epik"95 um. Dabei nahm er unter "verstärkter Hagiographisierung des Stoffes" eine Erweiterung zu einer "veritablen" Vita Karls vor.96 Zu den dabei angewendeten Verfahren gehört auch der ordnende und vervollständigende Zugriff auf den Vorlagentext, wo dieser ungenau oder inkonsequent war. Dies betrifft unter anderem die Verdeutlichung "der nationalen Provenienz von Personen oder der politischen Geographie", die aber nicht als " 'Nationalisierung' " mißzuverstehen, sondern als eine terminologische Präzisierung mit "Aktualisierungseffekt" aufzufassen ist.97 92

Dies betont bei der Diskussion der in Rede stehenden Stelle auch Brandt (1981), S. 237.

93

Zur Literatur vgl. Geith/ Ukena-Best/ Ziegeler (1994), Sp. 444f., und zuletzt Bastert (2003), S. 93 mit Anm. 9; im einzelnen vgl. die folgenden Anmerkungen.

94

Bastert (2003).

95

Geith/ Ukena-Best/ Ziegeler (1994), Sp. 420.

96

Bastert (2003), S. 110. Dies betont gegen Geith/ Ukena-Best/ Ziegler (1994), Sp. 422 - die dem 'Karl' des Strickers in der überlieferten Form eine eigenständige Gesamtkonzeption absprechen —, bereits Klein (1998), hier S. 317 mit Anm. 50. Bastert versteht den 'Karl' dabei "zunächst einmal [...] als die oberdeutsche Umsetzung des u. a. wohl auch vor dem Hintergrund einer norddeutsch-sächsischen Karlserinnerung und -Verehrung entstandenen 'Rolandslieds' " (a. a. O.).

97

Brandt (1981), S. 240, 287, 244 (in dieser Reihenfolge). Vgl. zum folgenden ebd., S. 230—250 (Diskussion der einzelnen Stellen im 'Karl' des Strickers zu 'Franken', 'Frankriche', 'Karlinge'/ 'Karlingen' im Vergleich mit dem 'Rolandslied'), sowie auch ebd., S. 250-289, gegen unter anderen Schnell (1983 [zuerst 1974]). Schnell geht in diesem frühen Aufsatz von politischen Vorgaben der Zeit aus, relativiert

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Daraus resultiert zum einen eine Tendenz zur "Französisierung Karls" sowie zur Betonung des durchgängig auf Frankreich bezogenen "kerlingische[n] Elementfes]";98 sie steht der an hagiographischen Erzählmustern orientierten Zeichnung Karls als eines Heiligen nicht entgegen. Zum anderen werden im 'Karl' des Strickers auch "die 'Geographie' und die politische Zusammensetzung von Karls Reich"99 mit dem Gerichtsort Aachen als dem neben Rom wichtigsten Punkt zeitgenössischer imperialer Topographie deutlicher konturiert als im 'Rolandslied'. Bezeichnenderweise gehören dabei beidiu Paris und Ache ebenso zusammen wie beidiu Rom und 1Mterän (Stricker, K. 8755—8757).1011 In der Figur des Kaisers Karl werden so "verschiedene Funktions-, aber auch Nationalitätsschichten deutlich, die vielleicht den Zeitgenossen als nur in dieser Person integrierbar erschienen."101 In diesem Sinne dominiert im 'Karl' des Strickers unter den Volksbezeichnungen diejenige der Kerlinge, wobei die Lemmata 'Franken' und 'Frankriche' fast gar nicht mehr begegnen, sondern durch 'Kerlinge' und 'Kerlingen' ersetzt sind.102 Tiusche liute treten dagegen als solche nur einmal auf (Stricker, K. 453), während gegebenenfalls einzelne lant und deren beide im Fokus stehen.103 Daneben kommt 'diut(i)sch'/ 'dütisc' noch ein weiteres Mal in Verbindung mit dem Plural 'lant' vor. Die Passagen gehören in den Zusammenhang der anfänglichen Engelsszene, die unter Verwendung einzelner Elemente des 'Rolandsliedes' gestaltet ist, wohingegen der Text des 'Karl' dieser Hauptvorlage ansonsten erst von Vers 605 an regelmäßig folgt.104 Nachdem Karl künec von Kerlingen (Stricker, K. 265ff.) geworden ist, erscheint ihm ein Engel und prophezeit ihm, daß Gott ihn zum Herrscher über vil manec lant (Stricker, K. 331) bestimmt habe. Der Engel fordert Karl deshalb auf, sich ^ehant/ umbe dat(_ roemesch riebe (Stricker, K. 332f.) zu bemühen. Wenn er dieses gewonnen habe, solle er Fülle [sc. Apulien] diesen Ansatz aber zu recht (1983) selbst programmatisch und in bezug auf die Chanson de geste-Adaptationen indirekt auch in seiner insgesamt richtungsweisenden Studie von (1989), S. 316 mit Anm. 346: Das Problem der "Nationalität Karls d. Gr." spiele in der deutschsprachigen Literatur "keine Rolle". 98

Brandt (1981), S. 239 u. 244.

99

Brandt (1981), S. 239; vgl. zum folgenden auch ebd., S. 264 mit Anm. 1.

100 Entsprechend auch Stricker, K. 6758. 101 Brandt (1981), S. 235. 102 Vgl. weiterhin die Diskussion der Steüen bei Brandt (1981), S. 230-250. 103 Vgl. das Namenregister zur Ausgabe des 'Karl' von Bartsch/ Kartschoke (1965), S. 447-453, sowie die Indizes zum 'Karl' von von der Burg (1974a). 104 Geith/ Ukena-Best/ Ziegeler (1994), Sp. 420 mit der Literatur.

230

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twingen, dann Beheim unde Pdlan/ [...], Ungern, [...] Knechen, [...] Riu^en und so fort, bis hin zu Ungellant und dem riche %Arle (Strieker, K. 334—354). Anschließend, so der Engel weiter, solle Karl die Heiden Spanje (Stricker, K. 356) bekehren, was ihm mit Hilfe seines Neffen Roland gelingen werde. Der Engel kehrt daraufhin noch einmal an den Ausgangspunkt seiner Prophezeiung zurück und gibt Karl Anweisungen für die unmittelbar folgende Zeit: Als erstes, so der himmlische Befehl, [...] soltu hinnen kenn gegen dem Rine %ehant. da muostu tiuschiu lant elliu samt erstriten. (Stricker, K. 400-404) Die inhomogene Pluralität dieser "Lande" ist unterstrichen, indem deutlich wird, daß der König von Kerlingen und zukünftige Kaiser eines supragentilen Reiches der Christen sie elliu samt und damit implizit nur nacheinander erwerben kann und soll. Ihre Erwerbung aber, das deutet sich in den nachfolgenden Worten des Engels an, bildet eine wesentliche Voraussetzung für den Weg, der Karl prophezeit ist: als dugewaltec werdest däl so nt t^e Körne iesä (Stricker, K. 405f.). Die Eroberung der tiuschen lande steht am Beginn des Aufstiegs Karls zum Herrscher des Römischen Reiches, das im 'Karl' ähnlich universal-christlich wie im 'Rolandslied' gefaßt ist. Dementsprechend wird Karl laut der Verkündigung des Engels in Rom in Abwandlung eines Motivs der 'Kaiserchronik' erreichen, daß sein Bruder zum Papst erhoben wird, von dem er die Weihe empfangen wird. Wie der eindeutig als König aus "Frankreich" 105 gezeichnete Kaiser ist damit implizit auch der Papst als "Franzose" vorgestellt. Aber das spielt offensichtlich keine Rolle. Wichtig scheint dem Stricker vielmehr, doch noch einmal das Verdienst der "Deutschen" hervorzuheben. Wenig später wird unter starker Raffung die Erfüllung der himmlischen Prophezeiung erzählt: do erroemesch riche gewan und dar s^uo elliu diu lant, diu iueh iu e han genant, do sagt er tiuschen liuten danc. swa\ er der lande betwanc, sit si im wurden undertan, da\hete er gar mit in getan. (Stricker, K. 450—456) Ausdrücklich wird hier noch einmal der Beitrag der tiuschen liute zu Karls Aufstieg zum Kaisertum und zur Eroberung der zuvor aufgezählten Länder hervorgehoben. Im unmittelbaren Anschluß daran wird erzählt, wie 105 Zur Abgrenzung vgl. hier auch die unten, S. 231 ff., folgenden Zitate.

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die tiuschen liute von Karl für ihre Verdienste auf seinen heilsgeschichtlich legitimierten Eroberungszügen eigens ausgezeichnet worden seien. So folgt auf die zuletzt zitierten Verse die bekannte Passage über die Vergabe des Kurrechtes an die "Deutschen": des gap er in lone, da% sie roemische krone dem iemergeben selten, den si berren weiten: da^ wartgevestent mit der schrift. (Stricker, K. 457—461) Gleichzeitig zeichnet Karl die "Deutschen" dadurch aus, daß sie ir künege künftig zu Aachen krönten unde kiirnl und da^ reht niemer verlürn (Stricker, IC. 465f.). Die "Deutschen" werden im 'Karl' des Strickers damit nicht mehr nur in Abgrenzung von den vielen anderen Völkern und Ländern und deren Fürsten im Reich des Kaisers Karl als "deutsch" subsumiert, sondern zusätzlich über das Recht der Wahl des römischen Königs beziehungsweise Kaisers definiert: jenes Recht, das im Thronstreit zwischen Philipp von Schwaben und dem Weifen Otto IV. an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert zu einem weittragenden Problem geworden war, das aber andererseits genau jenen Grundkonsens schuf, der die deutsche Hocharistokratie auf Dauer zusammenhalten sollte.106 Innerhalb des ihm zur Verfügung stehenden literarischen Rahmens reagiert der Stricker darauf an dieser Stelle mit einem eigenen Entwurf, ohne daß dessen nationale Implikationen im weiteren Verlauf der Erzählung präsent gehalten würden. Mit dem Beginn des Heidenkampfes gegen den König Marsiüe in Spanien rücken vielmehr wieder die einzelnen Fürsten des supragentilen Großreiches des Kaisers Karl in den Vordergrund. Analog zum 'Rolandslied' läßt Karl die Fürsten vor der Racheschlacht nach Rolands Tod einen nach dem anderen zu sich rufen und legt die Heeresordnung fest. Dabei erscheinen die Kerlinge in bevorzugter Position. So treten swen edele fürsten, Wineman und Rapote, deren Herkunft von Kerlingen betont wird, zuerst an Karl heran (Stricker, K. 9106f.).107 Karl gewährt ihnen das Privileg, daß sie under den Kerlingen allen/ die tu aller beste gevallen (Stricker, K. 9133) auswählen dürfen. Dementsprechend sind die Kerlinge auch im folgenden von den Heeresabteilungen aus anderen landen abgegrenzt. Zudem will Karl selbst mit den von Framriche (Stricker, K. 9267) in den Kampf reiten: 'Frankriche' ist hier wie auch sonst im 'Karl' des Strickers mit 'Kerlingen' austauschbar, wobei es sich bei 'Frankriche' um 106 Vgl. vor allem oben, S. 210f. 107 Es handelt sich um die in einer früheren Passage des 'Karl' bereits erwähnten, in der Karlssage sonst unbekannten Brüder Karls (Stricker, K. 158£).

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die im 'Karl' "in speziellen Zusammenhängen eindeutigere"108 Bezeichnung für 'Frankreich' handelt. Insofern ist es kein Zufall, daß in dem entsprechenden Passus des 'Rolandsliedes' Karlinge (RL 7844) steht, und dies wie im 'Karl' an dieser Stelle in "eindeutig ausgrenzende[r] Funktion",109 nämlich in Abgrenzung zu Friesen und Lj)tringe[n] (RL 7843/ 7845) beziehungsweise zu der Schar von Ljitringen und den Burgundaeren (Stricker, K. 9259/ 9263). Dabei hat der Stricker das Gewicht der Herzöge der "deutschen Lande" j e e i n z e l n gegenüber dem 'Rolandslied' verstärkt. Die jeweiligen Ansprachen Karls sind verlängert, und die Reihe der auf einer sekundären Ebene "deutschen" Heeresabteilungen ist um das Kontingent der starken Sahsen (Stricker, K. 9208) ergänzt. So sind nun alle großen Teilvölker der "Deutschen" und ihre Herzöge genannt, die aber signifikanterweise je für sich in das Gesamtheer integriert sind und nicht etwa gemeinsam als "Deutsche". Wie in der 'Kaiserchronik'110 gebührt im 'Karl' des Strickers dabei dem Herzog Gerolt — dessen Name im 'Rolandslied' nicht fällt — und seinen Siväben das Vorkampfrecht in der Schlacht. Die Schwaben streben nach ritten rehte nach dem gotes riebe und kämpfen guoten rittern vilgeliehe (Stricker, K. 9731—9733). Gerolt und die Schwaben sind es denn auch, die sich im 'Karl' zuerst ins Kampfgetümmel stürzen, während die Parallelstelle des 'Rolandsliedes' allgemein von den cristen (RL 8164) spricht. Was die 'multinationalen' Heeresabteilungen Karls im Kampf gegen die Heiden sowohl im 'Rolandslied' wie auch im 'Karl' des Strickers eint, ist die gemeinsame Aufgabe des Kreuzzugs in einem christlichen Heer des Römischen Kaisers, in dem die Kerlinge, wie zu sehen war, gleichwohl eine besondere Rolle spielen. Und so stimmen di Siväbe im 'Karl' mit dem herzogen Gerolde, der si dä leiten solde denjenigen Schlachtruf an, der vom zeitgenössischen Publikum mit den "Franzosen" assoziiert werden konnte,111 vom Stricker 108 Brandt (1981), S. 245. 109 Brandt (1981), S. 233. 110 Oben, S. 170f. 111 Der mögliche, allein schon sprachlich "unzweideutig[e]" Bezug des Schlachtrufes auf das zeitgenössische Frankreich wird von H. Thomas hervorgehoben, der gleichzeitig darauf aufmerksam macht, daß der Schlachtruf der Deutschen, wie oben erwähnt, im Heiligen Römischen Reich demgegenüber "Rom" lautete (H. Thomas [2000], S. 64; vgl. auch ders. [1993], S. 256, und dazu oben, S. 209f.). Thomas bezieht den französischen Ruf dabei auf Montmartre. Das ist durchaus zutreffend, doch ist mit Heisig (1951) anzumerken, daß 'Monjoie' im Kern anscheinend "auf ein a l l e g o r i s c h zu verstehendes m ο η t e m g a u d i i zurückzuführen" (S. 308) ist und in diesem Sinne auf das Paradies verweisen kann. Vor diesem Hintergrund ist es signifikant, daß die in Rede stehenden literarischen Texte dem Ruf gerade nicht primär eine gruppenausschließende nationale Bedeutung zusprechen, sondern ihn imperial-christlich

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jedoch weitergefaßt als Ruf des Kaisers der Christen profiliert wird und in diesem Sinne aller guoten ntterer. Munschoy riefens alle/ unt punierten mit dem schalle (Stricker, Κ. 9691-9701). 112 2. 2. 3. V o r z e i t - h e l d e und alte

Teutsche

Vorbemerkung Welche Rolle spielt die Wortfamilie zu 'diut(i)sch'/ 'dütisc' als potentiellem Nukleus der Konzeptualisierung einer heroenzeitlichen Identität der "Deutschen" in Anbetracht der obigen Ergebnisse in der deutschen Heldenepik? Angesichts der nationalen Vereinnahmung der deutschen Heldendichtung im 19. und früheren 20. Jahrhundert, die in der frühen Neuzeit einen wenngleich anders zu gewichtenden Vorläufer hatte,113 mag es erstaunen, daß diese Frage zu einem prinzipiell ähnlichen Resultat führt wie hinsichtlich der deutschen Chanson de geste-Adaptationen, wenngleich der Fall noch einmal etwas anders gelagert ist. Will man genaueren Aufschluß erhalten, so ist mit Blick auf die komplexe Überlieferungslage der deutschen Heldenepen im besonderen auf die zeitliche Staffelung der Uberlieferung zu achten (soweit die unbefriedigende Editionslage das zuläßt). Wie schon im vorhergehenden Kapitel (IV.2.2.2.) geht es dabei auch im folgenden lediglich darum, anhand einiger aussagekräftiger Beispiele Grundtendenzen aufzuzeigen. Erst vor diesem Hintergrund kann dann fassen, so daß nationale Denkmuster demgegenüber sekundär bleiben. Ähnliches haben Heisig und später Bomba (1987), S. 171-176, dementsprechend für die altfranzösischen Chansons de geste geltend gemacht, wobei Bomba erneut den teils deutlichen Bezug auf Montmartre bzw. St. Denis, gleichzeitig aber auch die grundsätzliche "Breite der Verwendungsmöglichkeiten" in den Chansons betont (S. 176), die eine Differenzierung von Fall zu Fall erforderlich macht. 112 Interessant ist in diesem Zusammenhang RL 4066f£: Dort wird Monsoy als Schlachtruf der Franchen vorgestellt und damit einer Gruppe, auf die im 'Rolandslied' teils eindeutig im Sinne der alten "Franzosen" Bezug genommen wird. Gleichzeitig aber wird in diesem spezifischen Kontext hervorgehoben, Monsoy sei des kaiseres Raichen, der sich daraufhin gegen Mehmet auf sent Peter beruft, so daß der Name an dieser Stelle weitergefaßt ist und in eine imperial-christliche Perspektive eingerückt wird. Entsprechend heißt es im 'Karl' des Strickers an der Parallelstelle (Schlacht von Ronceval), alle die von Kerlingen hätten Munschoy gerufen (Stricker, K. 5046£). Vgl. die oben, S. 226, bzw. im vollen Wortlaut ebd., Anm. IV,88, zitierte Passage und dazu Brandt (1981), besonders S. 230£, 246-249. 113 Dazu zuletzt von See (2003) und Ehrismann (2002), S. 166-200 mit der Literatur, aus der ich Frühwald (1987) und Die Nibelungen. Ein Deutscher Wahn, hg. Heinzle/ Waldschmidt (1991) nenne. Bezüglich früherer Jahrhunderte der Neuzeit vgl. Haustein (1989) und auch die Textsammlung Mittelalterrezeption, hg. Kozielek (1977).

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eine Konzentration auf das Problem der Transformation von (vor-)nationalen Identitätskonzepten erfolgen, die an die 'Kaiserchronik' anschließen und ins Spätmittelalter weisen. Zunächst sind aber noch einige Vorfragen zu klären. Die Welt der deutschen Heldendichtung ist eine heroische, teils mehr, teils weniger märchen- beziehungsweise aventiurehafte Welt von Helden, Völkern und Ländern, die viele Namen haben. Darunter befinden sich auch solche, die mit einzelnen der mittelalterlichen "deutschen Lande" übereinstimmen oder mit solchen identifiziert werden konnten. Wo dies der Fall ist, werden diese jedoch so gut wie nie übergreifend als "deutsch" charakterisiert - und wenn, dann gemäß dem eingeschränkten Gebrauch, der auch in der 'Kaiserchronik' festzustellen war. Vielmehr geraten fast immer ausschließlich einzelne lant in den Gesichtskreis, sei es als Herrschaftsräume heldenepischer herren oder als Stationen auf deren Wegen. Die Welt, in der die vorzeitlichen Helden sich bewegen, ist eine literarisch schematisierte Welt personaler Beziehungen, für deren Konstruktion der Faktor 'deutsch' ganz im Gegensatz zur neuzeitlichen Rezeption der deutschen Heldenepen offensichtlich keine Rolle spielt. Dieser Sachverhalt hat seinen Grund. Bezeichnend für die deutschen Heldenepen ist die "dialektische Verschränkung" 114 der Gegenwart mit einer heroischen Vergangenheit, die literarisch überformt zurückweist in das frühe Mittelalter. Die Gebrauchsmöglichkeiten der heldenepischen Texte zielten daher gleichermaßen auf "die Orientierungsleistung der Texte innerhalb der Feudalgesellschaft u n d ihren Beitrag zu deren Bild von Vergangenheit." 115 Bei aller Überformung der teilweise vorhandenen historischen Substrate aus Völkerwanderung und Merowingerzeit durch tradierte Erzählschemata und Erzählmotive blieben die Heldenepen stets von einer "Aura historischer Verbindlichkeit" 116 umgeben. Prinzipiell gilt das auch für die märchen- beziehungsweise aventiurehafte Heldendichtung, in der die Einbettung der Handlung in Zusammenhänge, die historisch begriffen werden konnten, gegebenenfalls allein über die Namen von Hauptfiguren und zentralen Handlungsorten erfolgt. 117 Insofern schließt die "Fiktionalisierung des Genres unter Einfluß des Artusmodells [...]

114 J.-D. Müller (1985), S. 73. 115 J.-D. Müller (1985), S. 74 (Hervorhebung v. d. Verf.). Vgl. grundsätzlich auch ders. (1980), und die unten, Anm. IV,127£, genannten Titel. 116 Heinzle (1999), S. 196. 117 Wisniewski (1986), S. 167. Vgl. Lenschow (1996), hier besonders S. 170f£, außerdem auch Knapp (1992).

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eine historische Interpretation des Geschehens nicht aus."118 Für den Adel waren die Heldenepen gleichermaßen "ein Medium der Diskussion und Demonstration adligen Selbstverständnisses und adliger Lebensführung wie die Romane, aber auch noch immer und nicht zuletzt Träger von Vorzeitkunde, die als Legitimation der eigenen Herrschaft dienen konnte." 119

Wegen genau dieser Orientierungsleistung der Heldenepen aber, die auch das Vergangenheitsbild des Publikums betrifft, weist die heldenepische Vorzeit in den mittelhochdeutschen Texten keinerlei nationale Bezüge auf, die denjenigen der französischen Chansons de geste vergleichbar wären. Verständlich wird das, wenn man nochmals einen Blick in den historischen Kontext und damit auf den Lektürehorizont der mittelalterlichen Zeitgenossen wirft. Das 12. Jahrhundert war die Blütezeit der Chanson de geste, und auch im 13. Jahrhundert ist die Zahl der französischen Heldenepen noch groß. Aufgrund der spezifischen historischen Entwicklung trat in Frankreich zu dieser Zeit zunehmend das regnum Franciae als patria an die Stelle der großen Fürstenstaaten.120 Die Franzosen (Francigenae bzw. Franceis) begannen verstärkt, ihre jeweils individuelle natio, die Herkunft von Geburt und Wohnort, in Ablösung der regionalen/ territorialen Bezüge auf das Königreich zu projizieren und ein ausgeprägtes Wir-Gefühl zu entwickeln. Schon in der 'Chanson de Roland' wird diese gesamtfranzösische Heimat in verschiedener Hinsicht zur doulce France,121 und im politischen Diskurs wurde das Königtum der Kapetinger als "Einheitsgarant und Symbol"122 in der Nachfolge Charlemagnes gesehen — dezidiert seit der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert. 123 "Im Imperium haben sich die Wege von 'patria' und 'natio' "124 hingegen getrennt; patria war als "territorialer 'Land'-Begriff' an die Stelle "des alten 'regnum'-Landes" getreten und blieb, wie weiter oben zitiert, bis weit in die Neuzeit an die einzelnen Regionen beziehungsweise Territorien

118 J.-D. Müller (1985), S. 81. 119 Heinzle (1999), S. 30. 120 Vgl. zum folgenden in detaillierter Zusammenfassung des Forschungsstandes K. F. Werner (1992), S. 224f£; daneben vgl. im besonderen Eichenberger (1991), hier vor allem S. 246ff. 121 Dazu differenzierend oben, insbesondere S. 223. 122 K. F. Werner (1992), S. 226. 123 Zu dieser Entwicklung vgl. in jüngerer Zeit K. F. Werner (1991/92). 124 K. F. Werner (1992), S. 228.

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gebunden.125 Im Unterschied dazu konstituierte sich die erst spät so genannte deutsche Nation im dialektischen Bezug auf das "in betonter Weise"126 wahlgebundene Königtum des Imperator futurus und stand damit in einem permanenten Spannungsverhältnis zum imperialen Anspruch des Reiches. Nun ist das von den deutschen Heldenepen vermittelte Vergangenheitsbild, wie Jan-Dirk Müller in Ergänzung zu Kurt Ruh hervorgehoben hat, "weder heilsgeschichtlich überformt noch reichsgeschichtlich zentriert" und "eben deshalb [...] von den normativen Vorgaben dominierender mittelalterlicher Geschichtsauffassung endastet."127 Reichsgeschichtliche Zentrierung aber ist, so hat sich in den vorangehenden Kapiteln bereits unter verschiedenen Aspekten gezeigt, ein primärer Katalysator mittelalterlichen Nationsbewußtseins. Indem heilsgeschichtliche Uberformung und reichsgeschichtliche Fokussierung in den deutschen Heldenepen weithin fehlen, rücken als Schauplätze deshalb in der Regel gegebenenfalls nicht die Gesamtheit der "deutschen Lande" ins Blickfeld, sondern e i n z e l n e lant. Auf d e r e n beide richtet sich das narrative Interesse. Die Welt der Heldenepen ist eine Welt der regionalen und territorialen Vielfalt, die von personalen Bindungen und Konfrontationen bestimmt ist, wobei die Handlung schematisiert ist. Gerade darin liegt die potentielle Orientierungsleistung der Gattung (die weiter zu differenzieren wäre).128 Beispiele Nur ein einziges Mal werden dementsprechend die "Deutschen" im 'Nibelungenlied' genannt, und dies nach dem oben in der 'Kaiserchronik' vorgefundenen Verfahren kontrastiv in Abhebung von den Gefolgsleuten Etzels, zu denen ebenso Russen und Griechen wie Polen und Walachen bis hin zu Leuten aus Kiew und Petschenegen gehören. Ausdrücklich werden diese als tapfere Helden von vil maneger spräche (NL 1338,1) bezeichnet 125 K. F. Werner (1992), S. 231; vgl. das Zitat oben, S. 165 mit Anm. 111,206. Insgesamt vgl. zum Begriff detpatria oben, S. 161 ff. mit Anm. 111,189, und S. 193ff. 126 Moraw (1986), Sp. 836. 127 J.-D. Müller (1985), S. 72; vgl. Ruh (1984 [zuerst 1979]), S. 204ff. Darüberhinaus vgl. vor allem Graus (1975), S. 39ff., 275ff. u. öfter; Haug (1975); und aus den letzten Jahren insbesondere: Heinzle (1998); Bleumer (2000); sowie J.-D. Müller (2001) und ders. (2002), S. 22-26 (Literatur). 128 Zur Gattungsproblematik in diesem Kontext grundsätzlich: Hoffmann (1974), S. 11-26, 60-63, und neuerdings Bleumer (2000), S. 125-129, mit der Literatur sowie Kerth (2000) und Kerth/Lienert (2000).

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und damit aus vielen Völkern, die über das Merkmal der Sprache klassifiziert sind; implizit ist den genannten Völkern gemeinsam, daß sie keine der germanischen Sprachen sprechen. Sie alle ziehen Kriemhild und den Burgunden durch Osterriche (NL 1336,4) mit Etzel zum festlichen Empfang entgegen. Beim Zusammentreffen sieht man dann unter Beisein Etzels und Kriemhilds vil manigen punei^ riehen [...] da gente η (NL 1353,3): Dietrichs Mannen lassen die schefie [...] vliegen/ mit trun^ünen dan (NL 1354,2), und von den tiuschengesten wart dürkelmanic schildes rant (NL 1354,4). Die Herausgeber Bartsch/ de Boor beziehen die Bezeichnung husche geste auf "Kriemhilds burgundische Begleiter, Rüedegers Mannen und Dietrichs Goten", 129 Heinz Thomas dagegen hält es für wahrscheinlicher, daß nur die unmittelbar zuvor genannten "Mannen Dietrichs" 130 gemeint sind. Erkennbar ist jedenfalls, daß die Abgrenzung zu den Hunnen und deren Umgebung, in denen man (wie auch in der 'Kaiserchronik') die Vorfahren der Ungarn sehen konnte,131 hier primär sprachbezogen ist. Das läßt an die — spätmittelalterlichen — "Universitätsnationen" denken, in denen der Begriff 'deutsch' sehr weit gefaßt ist, indem die Angehörigen verschiedener germanischer Sprachen als Theutonica Natio zusammengefaßt werden können. 132 Zudem weist Thomas im Fall der zitierten Passage auf die konkrete Möglichkeit der Assoziation der hospites Teutonia im zeitgenössischen Königreich Ungarn hin, die im römisch-deutschen Reich um 1200 zu einem Problem geworden waren, das Aufmerksamkeit erregte.133 Die Bezeichnung tiusche geste wirkt im 'Nibelungenlied' "als Fremdkörper". 134 Ein Blick in das umfassende Register des Paralleldrucks von Batts zeigt, daß das Lemma auch in den übrigen Handschriften nicht öfter vorkommt. 135 Die Namen e i n z e l n e r Länder und Völker 129 Bartsch/ de Boor, Komm, zu NL 1354,4, hg. diess. (1979), S. 219; vgl. auch die Ausgabe v. Bartsch (1870/80) mit den Lesarten zu NL 1354,4 in Bd. 2,1, S. 166, u. dem Komm, im Wörterbuch, Bd. 2,2, S. 306 s. v. "tiusch". 130 H. Thomas (1990c), S. 325. 131 Dazu Wisniewski (1995), S. 356. 132 Vgl. Nonn (1982), S. 134. 133 H. Thomas (1990c), S. 325f£; dabei handelt es sich um einen im 12. Jahrhundert aufkommenden "Terminus technicus der mittelalterlichen Rechtssphäre im Königreich Ungarn" (ebd., S. 325), dem um 1200 wegen der damals um die hospites Teutonia entstandenen Probleme im römisch-deutschen Reich besondere Aktualität zukam. 134 H. Thomas (1990c), S. 325. 135 NL, hg. Batts (1971); die späte Umarbeitung k (Lienhart Scheubels Heldenbuch') sowie einige Fragmente sind bei Batts nicht berücksichtigt. Die Parallelstrophe zu NL 1354, hg. Bartsch/de Boor, in NL k 1369, hg. von Keller (1879), spricht nur von den mannen Dietrichs von Bern (NL k 1369,1).

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inner- und außerhalb der "deutschen Lande" herrschen absolut vor. In der Handschrift d des 'Nibelungenliedes' vom Anfang des 16. Jahrhunderts ('Ambraser Heldenbuch') treten nicht einmal an dieser einzigen Stelle tiuschegeste auf. Stattdessen lautet die Lesart dort tausent gesteP6 Die Frage des "Deutschtums" der Turnierteilnehmer spielt offenbar weder in der älteren Überlieferung noch in der jüngeren in irgendeiner nennenswerten Weise eine Rolle, und dasselbe gilt für die gesamte deutsche Heldendichtung.137 Das läßt sich beispielsweise auch an der 'Heldenbuch-Prosa' aus dem späten 15. Jahrhundert ablesen. Im Spätmittelalter hatte man begonnen, die heldenepischen Geschichten zu historisieren, indem Vergangenheit und Gegenwart im Rekurs auf euhemeristische Erklärungsmuster im Ansatz entkoppelt wurden. Dadurch wurden neue Gebrauchsmöglichkeiten erschlossen, die zwar die ältere, gesellschaftliche Orientierungsleistung nicht ersetzten, aber alternativ zu ihr hinzutreten konnten.138 Die erstmals als Vorspann zum 'Gedruckten Heldenbuch' von j 479139 e c k e r t e 'Heldenbuch-Prosa' begreift die Heldenepen aus der historischen Distanz als verschlüsselte Geschichtserzählungen von alten beiden, die auff seind kummen und wider ab seind gangen/ vnd ein end genumen habent (HB-Prosa, fol. l ra ). 140 Deshalb ist die 'Heldenbuch-Prosa' bestrebt, den alten landen und steten, in denen sich die vorzeitlichen beide bewegen (ebd.), gegebenenfalls exakt zeitgenössische Namen zuzuordnen. So wird erläutert, daß das lant Köln vnd Auche [...] etwen grippigen lant geheißen habe: 136 Apparat zu NL 1354,4, hg. Bartsch (1870/80), Bd. 2,1, S. 166. 137 Die Durchsicht der Ausgaben ist bei der derzeitigen Editionslage schwierig, zumal die Register oftmals nur die jeweiligen Erstbelege von auftretenden (Völker-)Namen beziehungsweise Namensformen in den Texten verzeichnen; dementsprechend unvollständig ist beispielsweise auch der Katalog heldenepischer Personen- und Völkernamen von Gillespie (1973), vgl. insbesondere S. 131, s. v. "TIUTSCH". Dies gilt umso mehr, als im hier vorliegenden Kontext gerade auch der Vergleich der Lesarten zwischen der älteren und der oft besonders unzureichend edierten jüngeren Überlieferung interessant ist. Zu den von mir verglichenen Ausgaben vgl. das Literaturverzeichnis 1 zu dieser Monographie. — H. Thomas klammert die heldenepische Überlieferung in der partiellen Veröffentlichung seiner Belegsammlung zum Vorkommen des Wortes 'deutsch' in der mittelhochdeutschen Literatur aufgrund der geringen Ergiebigkeit für seine politisch-bewußtseinsgeschichtliche Fragestellung weitestgehend aus, vgl. ders. (1994), S. 142ff., und (2000), S. 63ff. 138 Dies betont J.-D. Müller (1985), S. 74. 139 Zur Datierung: Heinzleu. a. (1987). 140 Ich zitiere im folgenden die Faksimile-Ausgabe: HBFaks. (1479), hg. Heinzle (1981/87); wegen des vollständigeren Registers vgl. auch die Ausg. v. von Keller (1867). Zitate folgen der Schreibung des Druckes, mit Ausnahme von ü und tu, die im Druck ununterschieden durch u mit übergeschriebenem Haken wiedergegeben sind; in diesen Fällen setze ich wie von Keller ü.

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in dem wonten vil held — zum Beispiel lugegast oder Ibug von menc^ auch Ortwein von bunn (HB-Prosa, fol. l r a -l r b ). Oder: Vnger das stosset auff Osterreich hieß etwen der hunnen lant — und so fort (HB-Prosa, fol. l rb ). Es ist bezeichnend, daß in der zuletzt zitierten Passage Ungarn mit Osterreich kontrastiert wird, nicht mit den "deutschen Landen", zu denen Österreich doch gehört. Es paßt dazu, daß das Lemma 'diut(i)sch'/ 'dutisc' in der gesamten 'Heldenbuch-Prosa' n i c h t vorkommt. Auch im 'Gedruckten Heldenbuch' von 1479 selbst findet sich kaum einmal ein Vertreter der Wortfamilie zu 'diut(i)sch'/ 'dutisc'. Der Prototyp der beliebten heldenepischen Sammlungen des 15. und 16. Jahrhunderts enthält außer der 'HeldenbuchProsa' zunächst die beiden Epen um den König Ortnit' in Lamparten/ Lombardei (Or ζ) und 'Wolfdietrich', den vertriebenen Königssohn aus Konstantinopel, der zum Rächer des von Drachen getöteten Ortnit wird (Wo D/ z).141 Diese Epen, die einen eigenen Stoffkreis bilden, sind mit der Dietrich-Dichtung verbunden, deren Schauplätze im alpenländischen Raum, in Italien und am Rhein lokalisiert sind. So folgen im 'Gedruckten Heldenbuch' auf 'Ortnit' und "Wolfdietrich' die äventiurehaften Vertreter der Dietrich-Epik 'Rosengarten' (Ro Α/ α) 142 und 'Laurin' (La D/ d),143 in denen sich die Handlung zwischen Worms und Bern/ Verona beziehungsweise Tirol und Bern/ Verona abspielt. Für die wenigen Fälle, in denen das Lemma 'diut(i)sch'/ 'dutisc' in der gesamten Sammlung begegnet 144 (und im ganzen entsprechend auch in der älteren Überlieferung der in dieser enthaltenen Texte), 145 sind die folgenden Passagen aus Ortnit' und 'Wolfdietrich' aufschlußreich. Zwar konzentrieren sich die Schauplätze in diesen beiden Epen auf den Mittelmeerraum ( l ^ m p a r t e n , Sürie, KHechenlant, alt Troje, Ceälienlanf) und auf Osteuropa (Riu^en). Doch fuhren die Wege Wolfdietrichs auch durch nordalpines Gebiet, und die Kontexte sind bezeichnend, in denen 'diut(i)sch'/ 'dütisc' hier verwendet ist.

141 Vgl. zur Überlieferung des 'Ortnit' die kurzgefaßte Übersicht bei Dinckelacker (1989), Sp.58£, zum 'Wolfdietrich' ders. (1999), Sp. 1309f£, und zu beiden jetzt die neue Ausgabe der Fassung a (Or a bzw. Wo D/ a), hg. Kofler (2001), S. 7-51. In der Namenschreibung richte ich mich, soweit ich nicht unmittelbar aus einer bestimmten Edition zitiere, nach dem vergleichenden Namenverzeichnis in der genannten Ausgabe von Kofler, S. 417—444. 142 I. e. Version Α in der jüngeren Vulgatfassung. Zur Überlieferung der hier und im folgenden genannten Dietrichepen vgl. die Übersichten bei Heinzle (1999). 143 I. e. jüngere Vulgat-Version in der älteren Fassung. 144 Vgl. HB (1479), hg. von Keller (1867), Reg., S. 783, s. v. "Teutsche lant". 145 Zu den verglichenen Ausgaben vgl. das Literaturverzeichnis 1.

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Ortnit ist keiser und herrscht, wie der Erzähler wissen läßt, von seiner bürg [...] garten in lamparten (Lombardei) aus über (in der Fassung ζ des 'Gedruckten Heldenbuches' von 1479) alle lant bißgen lamparten die waren jm vndertan da dienten jm ab garten

wol %wen und sibenc^g man. (Or ζ, fol. 9 ra -9 va ) Der Kaiser ist auf der Suche nach einer Gemahlin, und in diesem Zusammenhang wird Ortnits Herrschaftsbereich von Helmnot von Tuscan kurz darauf von neuem umrissen: all künig mit meim rote die ich erkennen kan in allen teitschen reichen vnd in der walhen lant die dienentgewaltigkleichen herr üwerfrejen hant. (Or ζ, fol. 9 vb )

Wie ähnlich schon bei der Analyse von 'Annolied' und 'Kaiserchronik' zu sehen, kommen die Länder der dem Kaiser dienenden künige im "deutschen" Herrschaftsraum hier in ihrer pluralen Vielfalt und im (Sprach-) Kontrast zu Italien in den Blick.146 Ausschlaggebend für die zusammenfassende Bezeichnung "deutsch" ist dabei die Erwähnung der teitschen reiche als Teil des umfassenderen Reiches des Kaisers. Dessen Gefolgsmann Helmnot durchmißt aus der Überlegung heraus, wo eine geeignete Braut gefunden werden könnte, imaginär das viele "deutsche" und "welsche" lant einfassende g e s a m t e Reichsgebiet. Die folgende Lesart zu 'diut(i)sch'/ 'dütisc' findet sich dagegen im 'Wolfdietrich D'. Wie am Anfang des Ortnit' wird Kaiser Ortnit auch im 'Wolfdietrich D' bei seiner ersten Erwähnung zunächst einmal vorgestellt. otnit, so heißt es im Wordaut des 'Gedruckten Heldenbuches' von 1479 (Wo D/ z), ist ein keiser lobesan, der über aller Herren Länder zu herrschen glaubt. Stolz verkündet er:

146 Vgl. auch Ory (i. e. 'Lienhart Scheubels Heldenbuch') 9, hg. Lunzer (1906), wo der "deutsch"-"welsche" Sprachkontrast deutlich akzentuiert ist: Wir mugen kein nitfinden durch alle welche lan[t], Dar c%u in teutscher c^ungen es dint euch alles sant.' \^gl. dagegen die kritische Ausgabe auf der Basis von A (Ambraser Heldenbuch') und W aus dem Anfang des 16. und dem frühen 14. Jahrhundert: wir kunnen ninder mnden dishalp mers übr elltu lant, da ist kein künec so riche, er müe^e dienen diner hant. (Or AW, hg. Amelung [1871/73]).

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ich bin herr teutscher lande darcv^u rom vnd latran die müssen meiner hande all wesen vndertan (Wo D/ z, fol. 68 rb ).

In den übrigen "Wolfdietrich D'-Fassungen, die ebenfalls aus dem 15. Jahrhundert stammen, heißt es hingegen allgemeiner (hier zitiert nach der Fassung Wo D/ e): 'Ich han noch me der lande diu riebe bis% uf das mer

denn kein min forder iegeivan. die sint mir undertan'. (Wo D/ e 305,3-4, hg. Holtzmann [1865]). 147

In allen genannten Fassungen des 'Wolfdietrich D' wird Ortnit daraufhin von Gerwart auf einen mächtigen König aufmerksam gemacht, der ihm noch nicht Untertan sei, und der Kaiser überlegt (erneut zitiert nach Wo D/ e): [...] 'wer möhte das gesin ? Beijern unde Swaben ist doch alle^ min, Tuscan unde Fülle, Rome und l^ateran Sant Jacobes lant da^ riche ist mir auch undertan'. (Wo D/ e 307, hg. Holtzmann [1865]) 148

Die teutschen lande kommen in diesen beiden, in den unterschiedlichen 'Wolfdietrich D'-Fassungen parallel überlieferten Passagen also nur im 'Gedruckten Heldenbuch' von 1479 (Wo D/ z) vor, aber auch dort nur im ersten Fall, nicht mehr im zuletzt (nach Wo D/ e) zitierten zweiten. Weil aber der mögliche und auf einer s e k u n d ä r e n Ebene durchaus gegebene Bezug auf die "deutschen Lande" im 'Gedruckten Heldenbuch' an der ersten Stelle, bei der Einführung Kaiser Ortnits, explizit gemacht wurde {ich bin berr teutscher lande/ [...]), wirkt er dort an der zweiten Stelle, bei der mit Beijern unde Swaben einsetzenden Aufzählung der Länder in Ortnits Machtbereich, i m p l i z i t verstärkt; denn an die Stelle v o n Tuscan

unde Vüllel

Rome und Lateran,

w i e der T e x t in der o b e n

zitierten Fassung W o D / e lautet, ist im 'Gedruckten Heldenbuch' die 147 Vgl. weitestgehend entsprechend Fassung a, die neuerdings in Ergänzung zu früheren Editionen von Kofler ediert worden ist: Wo D/ a 305, hg. Kofler (2001); vgl. auch 'Lienhart Scheubels Heldenbuch', Wo D/ y 296, hg. Lunzer (1906). 148 Ähnlich Wo D/ y 298, hg. Lunzer (1906). Hingegen weicht Wo D/ a von der zitierten, von Holtzmann kritisch edierten Fassung e des 'Wolfdietrich D' wie folgt ab: [...] 'wer mag der gesin? Pegern vnd Swoben ist doch alles min; Titian vnd Pulle vnd och Westual [!]. Sant lacobes lant dienet mir vber al.' (Wo D/a 307, hg. Kofler [2001]) Zum parallelen Wordaut des 'Gedruckten Heldenbuches' von 1479 (Wo D/ z) vgl. Anm. IV,149.

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Lesart auch dienent meiner hande/ k e r n t e n ν η d w e s t f a l gesetzt. Danach aber wird die Aufzählung auch im 'Gedruckten Heldenbuch', wie in den anderen Fassungen, mit dem sunt iacobes lande fortgesetzt.149 E n t s c h e i d e n d ist deshalb, daß in a l l e n genannten Fassungen die e i n z e l n e n lernt des Imperiums im Vordergrund stehen. Zu ihnen gehören Bayern und Schwaben genauso wie Galicien, und ihre Herrscher sind künige, beide, deren Widerstand Ortnit gleichermaßen nicht duldet. Auch in den Epen um Dietrich von Bern, die partiell in den Raum der mittelalterlichen "deutschen Lande" ausgreifen, sucht man weitgehend vergebens nach dem Lemma 'diut(i)sch'/ 'dütisc'. Während die 'Kaiserchronik', wie in Kapitel III zu sehen war, gegen die Dietrichdichtung polemisiert,150 wird diese in der großen, deutschsprachigen Weltchronik-Kompilation des Heinrich von München aus dem 14. Jahrhundert dezidiert als seriöse historische Quelle in Anspruch genommen. 151 Im vorliegenden Zusammenhang ist namentlich eine Passage im äventiurehaften 'Eckenlied' (EL) aufschlußreich. Die Überlieferung des 'Eckenliedes' reicht vom frühen 13. bis ins späte 16. Jahrhundert und läßt sich in der neuen, synoptischen Ausgabe von Brevart in sieben verschiedenen handschriftlichen Fassungen vergleichen, zu der die erste gedruckte Fassung, die von 1491 stammt, hinzukommt (bis ins späte 16. Jahrhundert folgen vierzehn weitere, teils fragmentarische Eckenlied-Ausgaben).152 Diese acht Fassungen, in denen man mit Brevart jeweils einen " — zumindest potentiell - sinnvollen und lebensfähigen Text"153 sehen kann, verteilen sich auf drei Versionen. Zu Beginn der Fassung E 2 aus dem 13./14. Jahrhundert, die zur "altbezeugten" (Brevart) Version I gehört, erfährt man ähnlich wie in den übrigen Fassungen, daß bi haidenschen %iten im lande GHpiar um Köln in einem Saal viele beide versammelt waren, welche die Taten Dietrichs von Bern rühmen. Egge, der ausziehen will, um sich mit Dietrich im Kampf zu 149 Vgl. Wo D/ z, HBFaks. (1479), hg. Hemzle (1981/87), fol. 68 rb : wer mag der herre sein Schwaben vnd bejer lande die seind doch beide mein auch dienent meiner hande kernten vnd westfal vnd sant iacobes lande dienet mir vber al Vgl. auch die Parallels teile in Wo D/ a, oben, Anm. IV,148. 150 Oben, S. 184£, und dazu S. 179ff. 151 Komrumpf (1985). 152 Vgl. zum folgenden EL, hg. Brevart (1999), Bd. 1, S. IX-XXII. 153 Brevart, Einl. zu EL, hg. ders. (1999), Bd. 1, S. XXII.

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messen (EL, E 2 , 1-3, hg. Brevart [1999]), spricht dabei über Dietrich wie folgt: wan sol sin lob vol meren bas danne ander künge drie, sit er so frümeclichen über alle künge krone sie. (EL, E2, 13,6-9, hg. Brevart [1999]) Diese Passage ist in verwandter Weise nur noch in zwei Fassungen des 15. Jahrhunderts überliefert, welche die beiden anderen Versionen des 'Eckenliedes' repräsentieren. Bei der einen handelt es sich um den Augsburger Erstdruck von des herr[n] ecken außfart von 1491 mit der Sigle e l s der wie alle Drucke (und zwei Handschriften des 15. Jahrhunderts) zur Version III gehört. Die Parallelstelle lautet dort: sein lob — das ml ich meren für ander edel künge gut — hat er verdient schone, so gar mit unverzagtem mut tregt er der ereη krone ob allen werden fürsten brejt. (EL, 6,6-11, hg. Brevart [1999]) Anders nimmt sich dagegen die Lesart des 1472 abgeschlossenen 'Dresdener Heldenbuches' des Kaspar von der Rhön aus. Das 'Dresdener Heldenbuch' repräsentiert die 'Eckenlied'-Fassung E 7 , die zusammen mit einer Handschrift des 13./14. Jahrhunderts Version II der drei Versionen des 'Eckenliedes' bezeugt. Kaspar von der Rhön ist für sein Bemühen um "historische Distanzierung" 154 bekannt, und sein Text ist der einzige, in dem hervorgehoben wird, daß Dietrich auch in tauschen [i. e. 'tiuschen'l 'diutfyschen'f^ reichen gekämpft habe. Die Bezeichnung wird dabei nach dem eingeschränkten Gebrauchsmuster verwendet, das in dieser Untersuchung schon öfter begegnet ist und hier die Abgrenzung von anderen, nicht-deutschen Räumen zur Voraussetzung hat: sein lob das sol man meren vil mer den ander konig drey, seint er so ritterlichen gestriten hot in Arassay und auch in tauschen reichen. über al konig ein prun er treit (EL, E 7 ,10,6-11, hg. Brevart [1999]) Auf dieser Linie, die für die Überlieferung des 'Eckenliedes' gerade nicht repräsentativ ist, wohl aber einer modernen Erwartungshaltung entsprochen haben mag, bewegt sich bezeichnenderweise der 1927 von Carl von Kraus "hergestellte Text" eines archetypischen 'Ur-Eckenliedes', dem 154 J.-D. Müller (1985), S. 82. 155 Vgl. den Apparat zu EL, E7, 10,10, hg. Brevart (1999), S. 7.

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die heutige Forschung zu recht mit größter "Skepsis oder gar Mißtrauen" 156 begegnet: Sin lob da% sol man meren Βαίζ dan ander künege dri, Sit er so frümeclichen Gestriten hat in Und ouch in tiutschen riehen. Ober alle küneg er krone treit. (EL, 13L, 6—11, hg. von Kraus [1927], S. 67)

Folgerungen Man kann nach all dem festhalten, daß die deutsche Heldenepik, anders als es angesichts ihrer Rezeption in der Neuzeit naheliegend scheinen könnte, gerade nicht eine Gattung ist, die einer Konstruktion (alt-)"deutscher" Identität besondere Anlagerungsmöglichkeiten bieten würde. Die Welt der heldenepischen Helden, Völker und Länder, in der wie im 'Wolfdietrich D' Β eiern und Schwaben gleichwertig neben Tuscan oder sant Jacobes lant und auch Kriechen stehen, ist vielmehr eine dominant plurale Welt. Auf einer sekundären Ebene sind die "deutschen Lande" in ihrer Gesamtheit in ihr präsent, und unter bestimmten, kontrastiven Aspekten können sie in den Texten gelegentlich in dieser übergreifenden Weise im Plural aufgerufen werden. Im Vordergrund aber stehen einzelne lant, sei es innerhalb der "deutschen Lande", sei es außerhalb derselben. Die heldenepischen Texte klassifizieren ihre Figuren und Schauplätze so gut wie nie als "deutsch", sondern ordnen sie in den gegebenen Fällen fast immer in bezug auf bestimmte lant einzelner herren ein, die eigenwertig sind. In i h n e n spielt sich die Handlung ab. Die Mutation der Taten der heldenepischen Vorzeit-beide zu solchen der alten Teutschen, die einer abgeschlossenen Phase "deutscher" Geschichte zugeordnet werden, ist dagegen in wesentlichen Zügen das Ergebnis

156 Brevart, Einl. zu EL, hg. ders. (1999), Bd. 1, S. XVIII. Vgl. dazu ebd., S. XIX: "Daß die von ihm [sc. Carl von Kraus] bemängelten 'Fehler' und Textveränderungen im Verlauf der Überlieferung teilweise durchaus auf individuelle Adaption ein und derselben Vorlage durch verschiedene Kopisten zurückzuführen, manche Divergenzen aber auch etwa unter dem Einfluß einer mündlichen Tradition oder infolge eines Erinnerungsfehlers bei der Niederschrift aus dem Gedächtnis, zustandegekommen sein könnten, wurde von Carl von Kraus nicht einmal als Möglichkeit in Erwägung gezogen." Vgl. prinzipiell auch Heinzle (1978), S. 102-109 u. öfter.

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historisch-philologischer Gelehrsamkeit und deren poetischer Entschlüsselungsverfahren am Ende des Mittelalters.' 57 Die dem zugrundeliegende, historisierende Lesart war den deutschen Heldenepen zwar, wie erwähnt, 158 schon immer mitgegeben, und einige wenige der oben zitierten, späten Varianten lassen sich vielleicht in dieser Richtung deuten. 159 Aber erst durch die humanistische Mittelalterrezeption erhält eine derartige Lesart neue Impulse, die mit der Wiederentdeckung der Antike einhergehen. Gleichzeitig vollzieht sich eine Veränderung des Lektürehorizontes, die ein vermehrtes Denken in nationalen statt in regional-territorialen Kategorien voraussetzt. Nicht zuletzt zeigt sich das auch daran, daß neben den weiterhin bestehenden Sortenplural mhd. 'diut(i)sch(iu) lant' beziehungsweise frühnhd. 'deutsch(e) lant' zur frühen Neuzeit hin zunehmend der aus dem endungslosen Nom./ Akk. Plural erwachsene Singular 'Deutschland' trat, der sich im Gefolge des "humanistische [n] Germania-Patriotismus" dann durchsetzte.1611 Erst jetzt konnte der Heldendichtung programmatisch eine nationale Dimension unterlegt werden, wo immer Figuren und Schauplätze auf Räume bezogen sind, die in der spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Gegenwart übergreifend als "deutsch" erfaßt werden konnten. Das setzt allerdings die aktive oder auch nur passive Partizipation der Hörer und Leser dieser Epen am zeitgenössischen Nationsdiskurs voraus. An diesem aber hatte ein Großteil des Publikums der Heldenepen kaum einen Anteil. Wenngleich mehr oder weniger topisch, spricht die 'Kaiserchronik' von den k i η d e n, die durch die Heldendichtung verdorben würden (so leret man die luge diu chint, KChr. 35/ 2,13), während der zweisprachig schreibende Humanist Aventinus bald vierhundert Jahre später in den alten Uedem [...] und heldenpüechern der alten Teutschen deren %eitpücher und cronica sieht, die nachmals durch unerfaren lieb den f r a u e n ^ i m e r n verkert sein worden.161 Die Heldenepen "hatten einen sozial denkbar weiten Resonanzraum", der von einem "anspruchslosen" Publikum über den in besonderer Weise interessierten Adel bis hin zu "gebildeten und kunstverständigen,

157 Dazu grundsätzlich J.-D. Müller (1982), S. 180-210. 158 Oben, insbesondere S. 238f. 159 Vgl. die vorangegangenen Zitate aus dem 'Wolfdietrich D' im 'Gedruckten Heldenbuch' von 1479 (WoD/ z) und aus dem 'Eckenlied' im 'Dresdener Heldenbuch' Kaspars von der Rhön (EL, E7) oben S. 240ff. 160 Zitat: K. F. Werner (1992), S. 199. Vgl. zur angesprochenen Entwicklung oben, Kap. II.2.2.2—Π.2.2.3., S. 56-69 mit insbesondere Anm. 11,39. 161 Aventinus, Chronica von ursprung [...] der uralten teutschen, hg. Muncker (1881), S. 308 (Hervorhebung durch d. Verf.).

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[...] gelehrten und [...] geistlichen Kreisen" reichte.162 Nur in den zuletzt genannten Kreisen aber konnte eine nationale Lesart der deutschen Heldenepen entstehen, denn nur aus diesen Kreisen rekrutierte sich die nicht zufällig erst jetzt, um 1500, auch so genannte teutsche nation}a

162 Heinzle (1999), S. 30. Vgl. dazu oben, S. 234ff. mit Anm. IV,127 (Literatur). 163 Vgl. zu dieser Entwicklung unten, S. 291 ff., besonders auch S. 294ff.

3.

Alt-"deutsche" Identitätskonstruktion im Anschluß an die 'Kaiserchronik': potentielle Mutationen am Beispiel der 'Prosakaiserchronik'

3. 1.

Zum Verhältnis von literarischer Nationskonstruktion und volkssprachiger (Universal-)Chronistik

3. 1. 1. 'Kaiserchronik'-Rezeption und 'Prosakaiserchronik' Das letzte Kapitel (TV.2.) hat erkennen lassen, daß die Bedingungen und Möglichkeiten der Konstruktion erzählter Welten, in denen unter anderen auch als solche bezeichnete "Deutsche" agieren, in der mittelhochdeutschen Literatur nach der 'Kaiserchronik' von vielen Umständen abhängig sind. Dazu gehören ebenso literarhistorische wie historische Faktoren, und es zeigte sich die Notwendigkeit der Differenzierung unter anderem nach Gattungszugehörigkeit und Adressatenkreisen, aber ebenso etwa nach Entstehungsräumen und Uberlieferungskontexten. Besonders deutlich wird das auch anhand der Rezeption der 'Kaiserchronik'. Aufgrund ihrer textuellen Disparatheit wurde die 'Kaiserchronik' in sehr unterschiedlicher Weise rezipiert. Einer der wichtigen Rezeptionszweige liegt mit den deutschen Chanson de Geste-Adaptationen vor, die auf das in dem frühmittelhochdeutschen Text entworfene Bild Karls des Großen zurückgreifen konnten.164 Unter den im letzten Kapitel genannten Texten gilt dies ebenso für das 'Rolandslied' wie wohl auch für den 'Karl' des Strickers. Ihre intensivste Nachwirkung aber entfaltete die 'Kaiserchronik' in der nachfolgenden volkssprachigen Chronistik: von der C-Fassung der 'Sächsischen Weltchronik' im 13. Jahrhundert 165 etwa über die Kompilation Heinrichs von München166 bis hin zur Chronik Jakobs Twinger von Königshofen kurz vor der Wende zum 15. Jahrhundert. 167 Zu den rezipierten Passagen der 'Kaiserchronik' gehören auch diejenigen, in denen

164 Zur ersten Übersicht vgl. zum folgenden Nellmann (1983), Sp. 961f. mit der älteren Literatur (Sp. 962—964), die ich im folgenden fur die von mir näher behandelten Texte ergänze. Als Materialsammlung grundlegend ist nach wie vor die Ausgabe der KChr., hg. Massmann (1849/54), hier Bd. 3, passim. Im vorliegenden Kontext vgl. auch H. Thomas, vor allem (1991), S. 256£, und (1994), S. 154ff. 165 Dazu unten, S. 249. 166 Vgl. Shaw (1995) und Studien zur 'Weltchronik' Heinrichs von München, Bd. 1, hg. Brunner (1998), Reg. S. 585, s. v. "Kaiserchronik". 167 Soweit nicht anders angegeben vgl. dazu auch im folgenden unten, S. 289 f.

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von den (alten) "Deutschen" die Rede ist. In den im hiesigen Untersuchungszusammenhang vor allem interessierenden Abschnitten bis auf Karl den Großen betrifft das insbesondere die Episoden zu Caesar, zu Kaiser Severus und Herzog Adelger, aber auch zu Karl dem Großen selbst, wenngleich dessen "nationaler" Status in der 'Kaiserchronik', wie zu sehen war, 168 ambivalent bleibt und nicht im Vordergrund steht. Die volkssprachige (Universal-)Chronistik bildet ein primäres Reservoir alt-"deutscher" Identitätskonstruktion in der deutschsprachigen Literatur nach der 'Kaiserchronik'. Das hat seinen Grund darin, daß die volkssprachigen Chroniken genau jene heilsgeschichtliche Uberformung und reichsgeschichtliche Zentrierung aufweisen, die den oben betrachteten deutschen Heldenepen abgeht. Dies gilt auch dann, wenn der universalhistorisch-heilsgeschichtliche Rahmen nur partiell explizit gemacht wird wie in den spätmittelalterlichen Landes- und Stadtchroniken. In dem Maße, in dem Landes- und Stadtchronistik als Ausschnitt eines umfassenderen historischen Sinnzusammenhanges aufgefaßt wird, ist der universalhistorisch-reichsgeschichtliche Rahmen auch dort mitgegeben und tritt mehr oder weniger deutlich an die Textoberfläche. Reichsgeschichtlichimperiale Orientierung aber, das hat sich in dieser Untersuchung schon mehrfach herausgestellt, ist ein Faktor, der für die Herauskristallisation nationaler Identitätskonzeptionen in der deutschen Literatur des Mittelalters wesentlich ist. Die — in sich differenzierungsbedürftige — Gattung der universal- und heilsgeschichtlich orientierten Chronistik 169 gibt der Konstruktion altdeutscher" Identität in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters demnach in besonderer Weise Raum. So stellt sich im vorliegenden Zusammenhang die Frage, inwieweit das ambivalente Konzept einer in die Vergangenheit zurückprojizierten "deutschen" Identität, das in der 'Kaiserchronik' profiliert wird, im Zuge der Rezeption der frühmittelhochdeutschen Reimchronik in der nachfolgenden Chronistik transformiert wird. Gleichzeitig fragt sich, wie sich gegebenenfalls feststellbare Veränderungen innerhalb dieses Gattungsrahmens in langfristigere literarhistorische Perspektiven einordnen lassen. Zu beachten ist dabei die Unfestigkeit der Texte, für welche Chronikliteratur gemeinhin als Paradebeispiel gilt.170 Auch unter diesem Gesichtspunkt bieten die chronikalischen Texte, in denen die 'Kaiserchronik' rezipiert ist, die Möglichkeit der Transformation des frühmittelhochdeutschen Konzeptes alt-"deutscher" Identität in einer potentiell ausgeprägten Weise. 168 Oben, Kap. III.3.4., hier S. 157-186, insbesondere S. 166-173. 169 Vgl. die oben, Anm. 111,83, genannte Literatur. 170 Vgl. oben, Anm. 11,13 (Literatur).

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Prinzipiell gilt diese Feststellung auch schon für die späteren Rezensionen der 'Kaiserchronik' selbst.171 Daß auch sie Mutationen des in der der alten Rezension Α entworfenen Bildes der alten "Deutschen" aufweisen können, wurde im Ansatz bereits oben bei der Analyse der 'Kaiserchronik' deutlich. Beispielsweise war im Abschnitt zu Kaiser Konstantin dem Großen zu sehen, daß Konstantins Mutter Helena in dieser frühesten Rezension Α als römische Kaiserin und bekehrte Christin gezeichnet wird, deren Bezug zu den "deutschen Landen" sekundär bleibt.172 In den spätmittelalterlichen Handschriften der Rezension C jedoch stellte sich das anders dar. In ihnen wird Helena explizit in eine besondere Beziehung zu den "deutschen Landen" gebracht. Die Rezension C der 'Kaiserchronik' entstand in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts und ist bis ins späte 16. Jahrhundert überliefert, wobei die meisten Textzeugen dem späten 13. bis 15. Jahrhundert angehören. Voraus ging mit Rezension Β eine erste Bearbeitung des alten A-Textes, die in den Anfang des 13. Jahrhunderts datiert wird; die Uberlieferung von Β setzt allerdings gleichfalls erst im späteren Mittelalter ein (13./14. Jh.). Am breitesten aber ist die 'Kaiserchronik' mit fünfzehn Textzeugen von der zweiten Hälfte des 12. bis ans Ende des 14. Jahrhunderts in der alten Rezension Α überiiefert, die mit der frühen, 'Voraucr Handschrift' bei der obigen Analyse der 'Kaiserchronik' zugrundelag. Der auf Α beruhende Rezeptionszweig der 'Kaiserchronik' bietet sich deshalb für eine vergleichende Betrachtung unter der genannten Fragestellung besonders an. Auf ihm basiert die 'Prosakaiserchronik', die zusammen mit der 'Sächsischen Weltchronik' C eine eigene Fassung D der 'Kaiserchronik' bildet. Bei beiden Texten handelt es sich um Prosaauflösungen aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, die in franziskanische Kreise verweisen, die für die Ausbildung einer deutschen Prosa von Bedeutung waren. Während die niederdeutsche 'Sächsische Weltchronik' C (im Gegensatz zu ihren Kurzfassungen A/B) jedoch nur eine geringe Verbreitung überwiegend "im ostfälischen Raum um Braunschweig" 173 fand, entstand die 'Prosakaiserchronik' nach 1275 in Augsburg und gehört in einen sehr reichhaltigen Uberlieferungszusammenhang. 174 Sie wurde als 171 Zum folgenden ist die oben, Anm. 111,4, genannte Literatur zu vergleichen. 172 Oben, S. 163ff. (vgl. die dort gegebenen Textbeispiele auch im folgenden). 173 Vgl. die grundlegende Darstellung von J. Wolf (1997), hier S. 247. Generell vgl. zur 'Sächsischen Weltchronik' C weiterweisend Herkommer (1995), in bezug auf ihr Verhältnis zur 'Kaiserchronik' insbesondere ders. (1972), S. 166-228; Menzel (1985), S. 112-117; Neuendorff (1995). 174 Hinsichtlich der Entstehung der 'Prosakaiserchronik' vgl. maßgeblich Eckhardt, Einl. zu: ProsaKChr., hg. ders. (1975), S. 145-172. Zur Überlieferung vgl. die allerdings unvollständige neuere Ubersicht bei Oppitz (1990), Bd. 1, S. 267, und

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IV. TRANSFORMATION

historische Einleitung zum 'Schwabenspiegel' konzipiert und ist in mehr als zehn Handschriften fast ausnahmslos des 15. Jahrhunderts überliefert. Ihr oberdeutscher Entstehungsraum entwickelte sich im Spätmittelalter zu einem Zentrum literarischer Nationskonstruktion, und wie sich herausstellen wird, ergeben sich von der 'Prosakaiserchronik' aus signifikante Fluchtlinien zum Beginn der frühen Neuzeit hin.175 Da die 'Prosakaiserchronik' anders als die 'Sächsische Weltchronik' C fast ausschließlich auf der 'Kaiserchronik' (A) basiert, können spätmittelalterliche Tendenzen der Transformation des Konzeptes alt-"deutscher" Identität der 'Kaiserchronik' in ihr unmittelbar und exemplarisch verfolgt werden. Lange hat man die 'Prosakaiserchronik' als eine bloße Prosaauflösung der 'Kaiserchronik' ohne eigenen literarischen Wert betrachtet. 176 Daß das unzutreffend ist, ist durch jüngere literaturwissenschaftliche Untersuchungen zum Abschnitt zu Karl dem Großen deutlich geworden. 177 Diese Feststellung gilt aber auch und gerade für das bislang unbeachtet gebliebene Bild, das die 'Prosakaiserchronik' von den alten "Deutschen" entwirft. Um es erfassen zu können, ist es erneut notwendig, die Analyse von einer konkulturalen Lektürepraxis auf der Basis des postrevolutionären Nationsverständnisses der Moderne mit all seinen historischen Implikationen abzulösen. Massmann etwa, dessen große kommentierte Ausgabe der 'Kaiserchronik' noch immer wichtig ist, hat die 'Prosakaiserchronik' im 19. Jahrhundert als vermeintlich bequeme Inhaltsübersicht über die 'Kaiserchronik' angeführt, da er meinte, den Inhalt einzelner Abschnitte des frühmittelhochdeutschen Textes auf diese Weise im wesentlichen richtig zusammenzufassen. 178 Bei diesem Vorgehen, dessen Nachwirkungen bis

dazu die Handschriftenbeschreibungen in Bd. 2: Nr. 344, 519, 520a, 919, 1056, 1058, 1138, 1370, 1403, 1405, 1406, 1570, 1628; vgl. auch Herkommer (1978), Sp. 1089-1091, sowie, mit Ergänzungen und Korrekturen der älteren Forschung, Kornrumpf (1992), S. 505, Anm. Iff.; vgl. auch die oben, Anm. 111,4, zur Überlieferung der 'Kaiserchronik' genannte Literatur. 175 Unten, hier S. 294ff. 176 Zumal die textwissenschaftliche Sekundärliteratur ist dementsprechend schmal; vgl. die Artikel von Herkommer (1978) und Ott (1989); zu nennen sind Smits (1978), partiell Kornrumpf (1992), und die unten, Anm. IV,250, genannten Beiträge, die auf den Abschnitt zu Karl dem Großen konzentriert sind; sprachhistorische Aspekte behandelt Smits (1977), S. 77-82. Ohne Nachwirkung blieb die methodisch verfehlte, ungedruckte Bonner Dissertation von Lenzen (1953). Aus der älteren, rechtshistorischen Forschung ist insbesondere noch die in Teilen allerdings überholte Arbeit von Rockinger (1883), hier S. 11 ff., zu erwähnen. 177 Vgl. unten, S. 271 f. mit Anm. IV,250. 178 KChr., hg. Massmann (1849/54), Bd. 3 (1854), hier S. 836.

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heute spürbar sind,179 werden gegebenenfalls jedoch genau diejenigen Züge der 'Prosakaiserchronik' übersehen, durch die das in der 'Kaiserchronik' vorliegende Konzept alt-"deutscher" Identität transformiert und das Gewicht der "deutschen" Komponente verstärkt wird. Erst der genaue Vergleich mit dem 'Kaiserchronik'-Text der Rezension Α (in der Vorauer Fassung) läßt die Charakteristika hervortreten, welche die 'Prosakaiserchronik' in dieser Hinsicht aufweist. 3. 1. 2. Überlieferungskontexte der 'Prosakaiserchronik' Im Gegensatz zur 'Kaiserchronik' kennt die Uberlieferung der 'Prosakaiserchronik' keine Fassungsunterschiede.18" Am Ende des 13. Jahrhunderts als historischer Vorspann zum '(Ur-)Schwabenspiegel' entstanden, ist die 'Prosakaiserchronik' ursprünglich als Fortsetzung des etwas älteren 'Buches der Könige alter e' konzipiert, einer Darstellung der biblischen Geschichte, die mit Abraham einsetzt und auf dem Alten Testament sowie der vielrezipierten 'Historia Scholastica' des Petrus Comestor basiert. Aus diesem Grund wurde die Prosaauflösung der 'Kaiserchronik' in der Forschung früher als 'Buch der Könige niuwer e' bezeichnet. Das 'Buch der Könige alter e' — heute oft auch nur 'Buch der Könige' genannt — ist bereits im Rechtsbuch des 'Spiegels aller deutschen Leute' enthalten,181 weitaus überwiegend jedoch in veränderter Form am Beginn des 'Schwabenspiegels', in dem es mehrfach zusammen mit der 'Prosakaiserchronik' überliefert ist. Beide Texte verweisen wie der 'Schwabenspiegel' entstehungsgeschichtlich auf den gewichtigen Anteil der Augsburger Minoriten an der Ausbildung der deutschen Prosa in deren zweiter Phase der "Geburt".182 Anders als das 'Buch der Könige alter e' wurde die 'Prosakaiserchronik' nicht in die Verkehrsform des 'Schwabenspiegels' aufgenommen, und teils ist sie auch separat tradiert. Wegen des ursprünglichen Bezuges auf das 'Buch der Könige alter e' erfolgt ihr Einsatz stets nach einem groben Abriß über die Abfolge der vier Weltreiche von Babylon über die Perser 179 So beruhen Kartschoke (1990), S. 366, und Knape (2002), S. 123, mit ihrer unzutreffenden Angabe, die Caesar-Figur der 'Kaiserchronik' stamme aus Trier, letztlich auf der 'Prosakaiserchronik', vgl. im genaueren unten, S. 260. 180 Soweit nicht anders angegeben, vgl. weiterhin die oben, Anm. IV,174 u. IV,176, genannte Literatur. 181 Johanek (1995b), hier Sp. 95ff. mit der Literatur. 182 Ruh (1984 [zuerst 1955]), S. 48; vgl. im obigen Zusammenhang besonders ebd. S. 57f.

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und Griechen bis zu den Römern und der Genese des römischen Kaisertums unter Caesar. Dadurch ist sie in betonter Weise in einen weit- und heilsgeschichtlichen Rahmen eingebunden, der wegen des besonderen Verhältnisses von universalhistorisch-reichsgeschichdicher Orientierung und narrativer Konstruktion (alt-)"deutscher" Identität, von dem oben die Rede war,183 signifikant ist. Über die Mitüberlieferung bleibt dieser Rahmen auch dann gewahrt, wenn die plangemäß unmittelbare Verbindung von 'Prosakaiserchronik' und 'Buch der Könige alter e' in den Handschriften aufgegeben ist. Zum einen ist die Prosaauflösung der 'Kaiserchronik' fast immer mit dem mehr oder weniger vollständig dazugebundenen Schwäbischen Land- und gegebenenfalls auch Lehnrecht verbunden, mit dem sie partiell auch intertextuell verwoben ist. Landrecht aber wird gleich zu Beginn des 'Schwabenspiegel'-Landrechts von romscher phahte. vnd von Karls rehte her legitimiert, das in die Nachfolge der Gesetzgebung Konstantins des Großen gestellt ist (Swsp., LandR. IIb). 184 Es ist das geltende Recht des landes, das unter dem Einfluß der wiederentdeckten römischen Rechtsquellen sowie des kanonischen Rechts seit dem 13. Jahrhundert schriftlich festgehalten und im 'Schwabenspiegel' in Übersetzung und Erweiterung des niederdeutschen 'Sachsenspiegels' auf oberdeutsche Verhältnisse hin zugeschnitten ist; es ist "Kaiserrecht", wie der 'SchwabenSpiegel' auch genannt wurde. Zum anderen aber findet sich unter den zusammen mit der 'Prosakaiserchronik' überlieferten Texten historiographische Literatur, die in die Vorzeit des mit Caesar angesetzten römischen Kaisertums ausgreift, etwa in die trojanische Geschichte oder das Leben Alexanders des Großen. Hinzu kommen Historienbibeln und schließlich Texte zur römischen und imperialen Geschichte wie die erbauliche Sammlung der 'Gesta Romanorum', die etwa zur selben Zeit entstand wie die 'Prosakaiserchronik'; oder auch Auszüge aus der eigentlichen 'Kaiserchronik' bis auf Karl den Großen. Zu ergänzen ist in diesem Kontext, daß der umfangreiche Abschnitt der 'Prosakaiserchronik' zu Karl dem Großen auch gesondert überliefert ist. Sowohl das 'Buch der Könige alter e' als auch die 'Prosakaiserchronik' führen Erzählungen von Herrscher- und Richterfiguren vor, die in positiver wie in negativer Hinsicht als beispielhaft vorgestellt werden. Dabei 183 Zuletzt oben, S. 247 ff. 184 Hg. Lassberg/ Eckhardt (1972). Die Edition richtet sich nach der Normalform des 'Schwabenspiegels' auf der Grundlage von Oppitz (1990), Nr. 421, ergänzt durch ebd., Nr. 1630; vgl. neuerdings die kommentierte Ubersetzung von Derschka (2002) mit der älteren Literatur, von der ich nur die weiterfuhrende Ubersicht bei Johanek (1992), Sp. 896f£, nenne. Zur Kodifizierung des Landrechts allgemein vgl. die Literatur bei Köbler (1991), Sp. 1073; vgl. im besonderen Trusen (1985) und Johanek (1987a), besonders S. 414ff.

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wird der "narrative Geschichtstext exemplarisch auf den pragmatischen] Rechtstext projiziert: Erst der Bezug auf die (Heils-)Geschichte verleiht dem Recht seine Legitimation."185 Dementsprechend stützen beide historischen Dichtungen die "Funktion des 'Sch[wabenspiegels]' als Rechts- und Tugendbuch", das der Ermahnung und Anleitung derjenigen dient, die genhtes phlegen svln. wie si verebte svln nhten. als maenic hailigen man. die in der alten e. vndin der nivwen e gute nhter waren (Swsp., LandR. Vorwort c).186 3. 2.

Narrative Modulationen: Profile alt-"deutscher" Identität in der 'Prosakaiserchronik'

3. 2. 1. Frequenz und Distribution der Lemmata zur Wortfamilie 'diut(i)sch'/ 'dütisc' In welcher Weise wird alt-"deutsche" Identität vor dem dargelegten Hintergrund in der 'Prosakaiserchronik' konstruiert? Inwieweit sind dabei Veränderungen gegenüber der annähernd einhundertfünfzig Jahre älteren 'Kaiserchronik' festzustellen? Bereits eine statistische Ubersicht zur Verwendung der Wortfamilie zu 'diut(i)sch'/ 'dütisc' in der 'Prosakaiserchronik' läßt signifikante Schwerpunktverlagerungen gegenüber dem frühmittelhochdeutschen Text erkennen. Prinzipiell gilt das in gleicher Weise für alle Handschriften der 'Prosakaiserchronik'. Die folgenden Aussagen beziehen sich auf den Codex 14 der Freiburger Universitätsbibliothek aus dem Jahr 1431, welcher der maßgeblichen Edition von Karl August Eckhardt (1975) zugrundeliegt.187 Angesichts des von Katrin Smits vorgelegten Handschriftenvergleichs kann diese Handschrift als repräsentativ gelten, wobei noch einmal zu betonen ist, daß alle Codices, in denen die 185 Ott (1989), S. 275. 186 Hg. Lassberg/ Eckhardt (1972). 187 Ich zitiere die Ausgabe von Eckhardt (1975) (nach Freiburg im Breisgau, UB., Hs. 14, von 1431), in der die Lesarten der ungenügenden älteren Ausgabe von Massmann (1860) verzeichnet sind; vgl. zur Edition Eckhardt, a. a. O., S. 153172. Wo ich bei der Paraphrase einzelne Nominalsyntagmen aus der 'Prosakaiserchronik' unter Veränderung des Kasus aufgreife, richtet sich die Schreibweise nach derjenigen Form, die in der von Eckhardt zugrundegelegten Freiburger Handschrift am häufigsten auftritt; auffällig ist unter anderem bei der Adjektivflexion das Nebeneinander der mhd. (obd.) Flexionsendungen -iu (bzw. #) im Nom. Sg. Fem. sowie Nom./ Akk. PI. Neutr. und der abgeschwächten frühnhd. Endungen -e, die ich bei der Paraphrase gemäß der aufgestellten generellen Regel zugrundelege. Rückverweise auf einzelne Abschnitte des Kapitels III dieses Buches zur 'Kaiserchronik' erfolgen im folgenden nur in Ausnahmefallen, wenn die gemeinten Unterkapitel nicht leicht über das Inhaltsverzeichnis aufzufinden sind.

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'Prosakaiserchronik' vollständig überliefert ist, bis auf einen aus dem 15. Jahrhundert stammen.188 Trotz der relativen "Festigkeit" der Überlieferung der Prosaauflösung der 'Kaiserchronik' weisen die einzelnen Textzeugen gelegentlich Differenzen im Wortbestand auf, die auch den Gebrauch von 'diut(i)sch'/ 'dütisc' betreffen. Die folgende Übersicht gibt mithin den Stand des früheren 15. Jahrhunderts wieder, und es ist denkbar, daß die Rekurrenz von 'diut(i)sch'/ 'dütisc' zur Entstehungszeit der 'Prosakaiserchronik' am Ende des 13. Jahrhunderts demgegenüber etwas geringer ausfiel. Dessenungeachtet zeichnet sich bei näherer Betrachtung eine eindeutige Tendenz ab, in der Wortgebrauch und Lektürehorizont im späten Mittelalter gegenüber der 'Kaiserchronik' verändert sind. Dadurch ergibt sich in der 'Prosakaiserchronik' eine neue Deutungsperspektive der frühmittelhochdeutschen Vorlage, die von der Entstehungszeit der Prosaauflösung ins 15. Jahrhundert führt. Bei einer groben Überschlagsrechnung umfaßt der Text der 'Prosakaiserchronik' weit weniger als die Hälfte an Zeichen (Buchstaben) als derjenige der 'Kaiserchronik'. Belief sich die Häufigkeit der Lexeme 'diut(i)sch'/ 'dütisc' und 'Diut(i)sche(r)'/ 'Dütiske(r)' in der 'Kaiserchronik' auf lediglich 23 Belege, so sind es in der 'Prosakaiserchronik' 87. Stellt man den stark reduzierten Umfang der Prosaauflösung in Rechnung, die wie der frühmittelhochdeutsche Text mit dem Jahr 1147 endet, so ergibt sich eine Erhöhung der Frequenz der Wortfamilie zu 'diut(i)sch'/ 'dütisc' in ihr beinahe um das Achtfache. 57 Belege entfallen dabei auf die Abschnitte bis einschließlich auf Karl den Großen, 30 auf den darauffolgenden Teil. Nur einmal wird mit tusch explizit auf die Sprache Bezug genommen, indem die lateinischen Worte des Papstes bei der Kaiserweihe Karls des Großen mit dem Hinweis übersetzt werden: diß spHchet in tüsch also (ProsaKChr. 44a).189 In den weitaus meisten Fällen kommen dagegen Verbindungen des attributiven 'diut(i)sch'/ 'dütisc' mit 'lant' vor. Wie in den mittelhochdeutschen Texten früherer Jahrhunderte überwiegen dabei artikellose Präpositionalausdrücke vom Typ 'gen/ in/ von/ ze diut(i)schem/ dütiskem lande' mit pluraler Bedeutung, wie in Kapitel II im Anschluß an 188 Smits (1977), S. 77-82 (Zusammenstellung der Belege zu 'diut(i)sch'/ 'dütisc' + 'lant' in den unterschiedlichen Handschriften der 'Prosakaiserchronik' mit kurzer Auswertung der syntaktischen Verwendungszusammenhänge auf S. 81 f.); noch aus dem 14. Jh. stammt unter den vollständigen Uberlieferungsträgern lediglich die Handschrift Wolfenbüttel, Herzog August-Bibliothek, Cod. Guelf. 15.2 Aug. fol. (Oppitz [1990], Nr. 1570), die auch wegen der eingestreuten Verse aus dem Rahmen fallt. 189 Hg. Eckhardt (1975), S. 305; vgl. außerdem auch den Apparat zu ProsaKChr. 53a, ebd., S. 313.

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die sprachhistorischen Untersuchungen von Smits unter Hinzuziehung neuerer linguistischer Forschungen erläutert.190 Bereits in der 'Kaiserchronik' war in der Verwendung von 'diut(i)sch'/ 'dütisc' + 'lant' ansatzweise jedoch ein Changieren zwischen Plural und Singular festzustellen, das von den jeweiligen Aspekten abhing, unter denen die "deutschen Lande" in den Blick gerieten. Dieser Verwendungsmodus ist in der 'Prosakaiserchronik' verstärkt, wiederum in Übereinstimmung mit den anhand von volkssprachigen Texten bis ins späte 13. Jahrhundert gewonnenen Ergebnissen der Sprachhistorikerin Smits. Deutlich wird das bereits dadurch, daß die 'Prosakaiserchronik' mehrmals explizit den Singular tüsches land auch außerhalb des formelhaften artikellosen Dativs (Singular) setzt, so daß eine plurale Bedeutung wie im Fall des Dativs in der präpositionalen Wendung ausgeschlossen ist.191 Überdies wird auf das tusche land explizit auch mit dem Personalpronomen es Bezug genommen. 192 Dennoch überwiegen insgesamt bei weitem die Formen im Plural beziehungsweise mit ursprünglicher Pluralbedeutung wie im Fall des formelhaften Dativs Singular in der artikellosen präpositionalen Wendung vom erwähnten Typ. Interessanterweise kann Smits anhand der handschriftlichen Überlieferung nachweisen, daß es im zuletzt genannten Fall gelegentlich sogar zu nachträglichen Änderungen von jüngerer Hand gekommen ist, durch die "ein D Singular zum D Plural 'verbessert' wurde".193 Charakteristisch für den Sprachgebrauch der 'Prosakaiserchronik' ist dementsprechend auch das Schwanken der gelegentlich vorkommenden endungslosen Formen tusch land zwischen Nominativ/ Akkusativ Singular und Plural; diese Form des Plurals ist im 12. und 13. Jahrhundert alternativ zu 'diut(i)schiu/ dütiskiu lant' häufig belegt.194 Überhaupt ist das "Nebeneinander von starkem, schwachem und endungslosem Adjektiv"195 für die 'Prosakaiserchronik' bezeichnend, und man hat überlegt, ob die "Entwicklung von tiutsch + lant zu Deutschland" nicht "das Endergebnis einer Zusammenziehung des NA Plurals teutsch lant, düt^sch lant" sei, "den wir ζ. B. immer wieder" in einigen "Hss. des Buches der Könige [i. e.

190 Oben, Kap. Π.2.2.2., S. 56-63. 191 in tüsches land (ProsaKChr. 2, hg. Eckhardt [1975], S. 260); über alles tüsches land (ProsaKChr. 3, ebd.); tüsches land (ProsaKChr. 3, ebd.); tüschem land (ProsaKChr. 3, ebd., S. 261); tüsches landes (ProsaKChr. 32, ebd., S. 281); vgl. die Parallelüberlieferung, die zum Teil den Plural setzt (Smits [1977], S. 81£). 192 Zum Beispiel ProsaKChr. 2, hg. Eckhardt (1975), S. 260. 193 Smits (1977), S. 81. 194 Smits (1977), S. 63 u. 81. 195 Smits (1977), S. 63.

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'Prosakais er ehr onik"] finden", was die jüngere Forschung aufgegriffen hat und durch die vorliegende Untersuchung erhärtet wird.196 In diesem Zusammenhang sind die vor allem in der Freiburger Handschrift gelegentlich belegten Nominalsyntagmen tuschen land im Akkusativ zu erwähnen, die ebenfalls neben einer pluralen auch eine singulare Lesart erlauben (was sich in den Varianten der Handschriften niederschlägt, unter denen sich auch Pluralformen wie diutschiu land finden).197 Hier ist tuschen "wohl als G[enitivus] Pfossessivus] ('der Deutschen") aufzufassen".198 Bezeichnend ist dabei in dem von mir mit Eckhardt zugrundegelegten Freiburger Codex die anaphorische Aufnahme des Ausdrucks tuschen land im Singular, die durch die dabei erfolgende Artikelsetzung eindeutig individualisierenden Charakter hat.199 Das ist beispielsweise der Fall, als erzählt wird, wie Teile aus dem Gefolge Alexanders des Großen nach Deutschland gelangt seien: vier vnd ^lvainc^ig besaßen tuschen land, sy fanden doch in dem land ain tail lut (ProsaKChr. 4).200 Eine andere Lesart für besaßen tuschen land lautet komen tiutschem lande und besagen da^m wodurch erneut die singulare Bedeutung aktualisiert ist, während tuschen land an einer späteren Stelle in anderem Kontext durch vürsten von tiutschem lande ersetzt ist.202 Die tuschen kommen in der zitierten, erstmals in der frühmittelhochdeutschen 'Kaiserchronik' dokumentierten substantivierten Form des Volksnamens auch sonst in der 'Prosakaiserchronik' öfter vor.203 Von den insgesamt 87 Belegen zur Wortfamilie 'diut(i)sch'/ 'dütisc' in der 'Prosakaiserchronik' entfallen 59 auf die eben analysierten Verbindungen von 196 Zitate: Smits (1977), S. 86. Zu demselben Ergebnis kommt Schnell (1989), S. 279; vgl. auch oben, S. 245. Zuletzt ist es in dem Forschungsresümee zur Geschichte von Wort und Begriff 'deutsch' von Reiffenstein (2003a), S. 2198, aufgegriffen. Vgl. im genaueren oben Kap. II.2.2.2., S. 56—63 mit Anm. 11,39. 197 Vgl. die Stellensammlung bei Smits (1977), S. 81 (nicht ganz vollständig). 198 Smits (1977), S. 81. 199 Zu den damit angesprochenen Aspekten der grammatischen Semantik vgl. weiterhin grundsätzlich oben, Kap. II.2.2.2., S. 56-63. 200 Hg. Eckhardt (1975), S. 261. 201 Apparat zu ProsaKChr. 4, hg. Eckhardt (1975), S. 261. 202 Zu den Stellen vgl. erneut (auch hier nicht ganz vollständig) Smits (1977), S. 81, zum zitierten Beleg ProsaKChr. 43, hg. Eckhardt (1975), S. 295 mit den Lesarten. 203 Die folgenden Belege finden sich im Gegensatz zu den vorigen bei Smits (1977) nicht, da deren Studie auf die Verbindung von 'diut(i)sch'/ 'dütisc' + 'lant' konzentriert ist. Ich gebe daher die jeweiligen Stellen nach der Abschnittzählung der Ausgabe der ProsaKChr. von Eckhardt (1975) an und füge in den Anmerkungen weiterhin die jeweiligen Seitenzahlen der Ausgabe hinzu, da die einzelnen Abschnitte der 'Prosakaiserchronik' teilweise relativ lang sind.

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'diut(i)sch'/ 'dütisc' + 'lant', hingegen 28 auf den substantivierten Volksnamen und attributive Verwendungen des Adjektivs vor Kollektivbezeichnungen. Zum Figureninventar gehören unter den tuschen, die in dieser substantivierten Form fünfzehn Mal auftreten, die folgenden, wobei die Nominalsyntagmen im Nominativ in der Freiburger Handschrift regelmäßig mit der Nullform des attributiven Adjektivs konstruiert sind: tusch fürsten (ein Beleg im Nom. PL, ProsaKChr. 36),204 tusch herren (vier Belege im Nom. u. Dat. PL, ProsaKChr. 43, 44a, 62),205 tusch lüt (vier Belege im Nom. u. Dat. PL, ProsaKChr. 3, 4),206 tusch ritter (ein Beleg im Gen. PL, ProsaKChr. 24).207 Mehrfach verdeutlicht das Pronominaladjektiv «/, wenn a l l e Mitglieder der betreffenden Gruppen gemeint sind. Auch wird manchmal, wenn von den Fürsten des Römischen Reiches insgesamt die Rede ist, präzisiert, daß es gegebenenfalls speziell um die von tuschen landen geht, zum Beispiel im Abschnitt zu Karl dem Großen: dar kamen die lanc^herren vnd wurden vndertanig. das waren die von tuschen landen (im Gegensatz zu den welschen landen-, ProsaKChr. 44a).208 Durch die häufige Verwendung der Präpositionalgruppen von/ tüschem lande oder vonj %e tuschen landen als Attribute209 zu fürsten und herren sowie durch den metonymischen Gebrauch des Nominalsyntagmas tusch(e) land ist dabei noch öfter von den "Deutschen" die Rede als nur dort, wo sie mit dem substantivierten Volksnamen oder 'diut(i)sch'/ 'dütisc' + Kollektivbezeichnung genannt sind. Zu diesen Gebrauchsmöglichkeiten des attributiven 'diut(i)sch'/ 'dütisc' kommen noch zwei weitere Belege hinzu: ain tüschs wib (ProsaKChr. 44b)210 und nach tuschem siten (ProsaKChr. 44e).211 Fragt man nach der Distribution der Passagen, in denen die "Deutschen" über den Volksnamen oder eine der genannten Kollektivbezeichnungen erwähnt werden, so läßt sich eine gleiche Gewichtung für die Zeit bis einschließlich auf Karl den Großen und für den nachfolgenden Zeitraum feststellen. Wie auch in den vorhergehenden (Haupt-)Kapiteln dieser Untersuchung interessiert hier vor allem die Partie bis auf Karl den Großen, der in der politischen Theorie der Zeit verstärkt dezidiert als 204 205 206 207 208 209

Hg. Eckhardt (1975), S. 287. Hg. Eckhardt (1975), S. 295, 307, 351. Hg. Eckhardt (1975), S. 261. Hg. Eckhardt (1975), S. 274. Hg. Eckhardt (1975), S. 300. Zur weitgefaßten Anwendung des Attributbegriffs vgl. Van der Eist (1992), S. 108 ff. 210 Hg. Eckhardt (1975), S. 314. 211 Hg. Eckhardt (1975), S. 317.

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"Deutscher" in Anspruch genommen wurde und dessen literarische Figur in der 'Prosakaiserchronik' noch auf eine mögliche zäsurbildende Funktion zu hinterfragen sein wird. Innerhalb dieses Teiles bis auf Karl verteilen sich die Lemmata zur Wortfamilie 'diut(i)sch'/ 'dütisc' zum einen auf jene Abschnitte, in denen sie im Ansatz auch schon in der 'Kaiserchronik' vorkamen: auf die Abschnitte zur Vorgeschichte des römischen Kaisertums, zu Caesar sowie, mit großem Abstand, zu Kaiser Severus.212 Allerdings wird das Merkmal 'deutsch' in den entsprechenden Abschnitten der 'Prosakaiserchronik', wie gesagt, ganz erheblich stärker in den Vordergrund gespielt. Hinzu kommen in der 'Prosakaiserchronik' weitere Passagen, die signifikante zusätzliche Belege zur Wortfamilie 'diut(i)sch'/ 'dütisc' enthalten: anfangs das Kapitel zu Augustus (ProsaKChr. 6),213 dann die Abschnitte zu Kaiser Konstantin (dem Großen, ProsaKChr. 31 f.)214 sowie dem schwanken dietrich (ProsaKChr. 36),215 dem schwarzhaarigen, ungetanen Dietenchen (KChr. 14407/ 349,22) der Crescentia-Legende in der 'Kaiserchronik' und fiktiven Vorgänger des Kaisers Iustinian. Überdies treten unterschiedliche Bezeichnungen für die Bewohner der "deutschen Lande" wie auch dieser "Lande" selbst im sehr umfangreichen Abschnitt zu Karl dem Großen (ProsaKChr. 43-^4-4, einschließlich demjenigen zu Pippin)210 mit stark gesteigerter Dichte auf, gegenüber einem einzigen Fall in der 'Kaiserchronik'. Im einzelnen wird das im folgenden zu sehen sein, wenn bei der Textanalyse danach gefragt wird, inwieweit sich in der 'Prosakaiserchronik' die extreme Erhöhung der Frequenz der Lemmata zu 'diut(i)sch'/ 'dütisc' und 'Diut(i)sche(r)'/ 'Dütiske(r)' bei einer sehr viel breiteren Palette von Verwendungsmöglichkeiten im Vergleich zur 'Kaiserchronik' bei der Transformation des in dieser vorliegenden, ambivalenten Konzeptes a l t d e u t scher" Identität auswirkt.

212 ProsaKChr. 2-5 und 24, hg. Eckhardt (1975), S. 260-262 und S. 273f. 213 214 215 216

Hg. Eckhardt (1975), S. 262f. Hg. Eckhardt (1975), S. 277-282. Hg. Eckhardt (1975), S. 287. Hg. Eckhardt (1975), S. 295-320, wovon die Seiten 295-299 auf ProsaKChr. 43 zu pipin von kariingen entfallen (die Lesart philippo der Freiburger Handschrift 14 ist nach Massmann zu emendieren und muß in Ubereinstimmung mit dem nachfolgenden Text Vippino lauten, vgl. den Apparat bei Eckhardt, a. a. O., S. 295).

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3. 2. 2. Textuelle Analysen iulius: künig über alles tüsches land Die Vorgeschichte des römischen Kaisertums beginnt in der 'Prosakaiserchronik' mit einer gegenüber der 'Kaiserchronik' stark verkürzten Episode zur Salvatio Romae beziehungsweise den tönenden Statuen auf dem Kapitol, wobei in der Prosaauflösung nur von schellen die Rede ist (ProsaKChr. 2).217 Dabei sind in signifikanter Weise neue Akzente gesetzt. Auffällig ist weniger der Umstand, daß die Erfindung der Schellen oder Glocken, die bei drohender Gefahr aus einer der römischen Provinzen läuten, in der 'Prosakaiserchronik' nicht auf die Römer beziehungsweise den römischen Senat zurückgeführt wird, sondern auf einen Priester Roms. Bedeutsam ist vielmehr etwas anderes. Kaum hat man in knappen Zügen erfahren, daß der p f a f f rom [...] machet ain iedlich schellen ains landes namen die sy bedungen betten, als der Blick auch schon nach bekanntem Muster kontrastiv von Rom über die Alpen hin auf die tuschen land gelenkt wird. Diese aber bilden, so wird eingangs betont, anders als in der 'Kaiserchronik', By den %iten explizit k e i n e römische Provinz, sondern sie sind frei. Eine ihnen zugeordnete tönende Statue beziehungsweise Glocke existiert nicht. Deswegen senden die Römer Gesandte tuschen landen, die zusehen sollen, ob sy inen gehorsam wolten sin. Die auf diese Weise metonymisch benannten "deutschen" Fürsten erkennen die römische Oberhoheit an: diß gelopten sy inen. Doch sogleich wird angekündigt, was später folgen wird: das gerow sy sid. Mit der zunächst freiwilligen Integration in das Römische Reich sind die tuschen land zur römischen Provinz geworden, von den pluralen landen zum homogenen lande, wie das analog auch in der 'Kais er chronik' zu sehen war. Diese Ambivalenz zwischen Einheit und Vielheit beziehungsweise Vielfältigkeit bleibt ihnen von nun an zu eigen und dies in hervorstechender Weise. Plural und Singular wechseln beständig einander ab, je nachdem, welcher Aspekt im Vordergrund steht, je nachdem aber auch, ob die "deutschen Lande" metonymisch aufgerufen werden, was stets den Plural bedingt, oder nicht. Wenn die "deutschen Lande" in der 'Prosakaiserchronik' damit prinzipiell wie ansatzweise schon in der 'Kaiserchronik' zwischen Vielheit und Einheit oszillieren, so ist das einheitsstiftende, integrative Merkmal in der Prosaauflösung jedoch wesentlich stärker profiliert als in der frühmittelhochdeutschen Vorlage. Wie in der 'Kaiserchronik' bildet dabei der unter verschiedenen Aspekten konturierte Bezug auf Rom 217 Hg. Eckhardt (1975), S. 261. Soweit nicht anders angegeben, sind die folgenden Zitate demselben Kapitel auf der angegebenen Seite bei Eckhardt entnommen. Vgl. oben, Kap. III.3.2.1., S. 132-137.

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und das Römische Reich den primären Katalysator, an dem sich das Merkmal "deutsch" allererst herauskristallisiert. Das 2eigt deutlich der weitere Verlauf der Erzählung. Nachdem die tuschen land auf freiwilliger Basis in das Römische Reich integriert sind, installieren die Römer auch für das neue land eine schellen. Wie vom Erzähler angekündigt, ist die von tuschen landen prompt die erst die sich lüt. Daraufhin überlegt man in Rom, welcher herre wohl tuschen landen gesendet werden könnte, der in tüsches land %wunge das es in gehorsam wer. Auch hier verweist der Singular auf den neugewonnenen Provinzstatus der "deutschen Lande", womit gleichzeitig noch einmal deutlich wird, daß der Fokus in dem gesamten Abschnitt auf Rom liegt, von dessen Warte aus die "Lande" allererst ihre "deutschen" Konturen erhalten und zum "Land" im Singular mutieren. Die folgende Uberschrift Von iulio dem kling zeigt die getroffene Wahl an: Man verfällt auf Caesar, der in der 'Prosakaiserchronik' wie überwiegend auch in der 'Kaiserchronik' kurz iulius genannt wird (ProsaKChr. 3).218 Dabei ist die Identität der Figur Caesars im Vergleich zur 'Kaiserchronik' jedoch in mehrfacher Hinsicht verändert, iulius ist nicht mehr nur der römische Feldherr, der sich in den "deutschen Landen" gut auskennt, sondern er wird den "deutschen Landen" in neuer Weise zugeordnet. Zunächst: Er ist nicht der römische Eroberer von Trier, sondern, ohne jede Erläuterung, ain herr von trier. Offenbar trägt er den Abfall der "deutschen" Fürsten von Rom nicht mit, denn er ist dar.; nach Rom, kummen. Deshalb erscheint er geradezu prädestiniert dafür, von den Römern künig über alles tüsches land ernannt zu werden. Sodann: Kam der juljus der 'Kaiserchronik' nach seinem Sieg über die "deutschen Lande" an der Spitze der auf Rom zureitenden dütisken riterscefte aus der Perspektive der erschrockenen Römer wie einer der "Deutschen" daher, so legt die nicht näher spezifizierte Zuordnung des iulius der 'Prosakaiserchronik' als "ein Herr von Trier" nahe, Caesar nun vollends als "Deutschen" zu fassen. Zwar ist wenig später in demselben Abschnitt von Caesars implizit eindeutig römischen vorfarn die Rede, die die Reichtümer Roms angehäuft hätten, die Caesar als siegreicher Alleinherrscher an seine Getreuen verteilt. Doch wird dies in keiner Weise betont. Stattdessen ist die Verbindung des iulius zu den "Deutschen" gegenüber der 'Kaiserchronik' insgesamt in einer Weise verdichtet, die dem kunig über das tusche land und kaiser des Römischen Reiches 219 geradezu "deutsche" Züge verleiht, was bei späteren Rezipienten der 'Prosakaiserchronik' dann auch ausgesprochen wird. 218 Hg. Eckhardt (1975), S. 260f. Soweit nicht anders angegeben, vgl. die folgenden Zitate ebd. 219 Als kaiser^rvaA Caesar in ProsaKChr. 5, hg. Eckhardt (1975), S. 262, bezeichnet.

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Dies ist beispielsweise in der 'Schwäbischen Chronik' aus dem späten 15. Jahrhundert der Fall, die unter dem Pseudonym Thomas Lirer bekannt ist und teils auch zusammen mit der 'Prosakaiserchronik' überliefert ist.220 Als ein am " 'Reichs-Diskurs' " partizipierendes "Stück 'Adelsliteratur' par excellence", das man wie die 'Prosakaiserchronik' "zwischen der 'fiktionalen' Literatur und den gelehrten-lateinischen Geschichtswerken" seiner Zeit "angesiedelt" hat, erzählt die Chronik Lirers zum Beginn des römischen Kaisertums: 221 Der erst kaiser der do war t(u rom der hieß Julius, der was ain teutscher man. vnd was von Trier hurtig.222 Wird Caesar in der 'Prosakaiserchronik' mithin aufgrund radikaler Kürzungen mit nachdrücklicher T e n d e n z zum "deutschen" Fürsten, so ist er bei Lirer im Zeitalter des frühen deutschen Humanismus g ä n z l i c h zum "Deutschen" mutiert. Durch die geschilderte Darstellung der 'Prosakaiserchronik' sind aber nicht nur die Züge Caesars gegenüber der frühmittelhochdeutschen Vorlage transformiert, sondern auch die der "deutschen Lande". Denn indem die Römer Caesar zum König über das zurückzuerobernde Land ernennen, wird das tusche land zum deutschen Königreich, und es ist signifikant, daß es diesen Status gerade und nur als konstitutiver Bestandteil des Römischen Reiches erzielt, auf das es dialektisch bezogen ist. Erneut ist damit zudem der singulare Charakter der "deutschen Lande" betont (von denen ich unter nochmaligem Verweis auf deren grundsätzliche Ambivalenz in diesem Text in der Regel indes auch weiterhin in dieser pluralen Form spreche, die in der 'Prosakaiserchronik', wie gesagt,223 durchgehend gängig bleibt — wie auch in anderen Texten der damaligen Zeit). Das wird auch im folgenden sichtbar. Nachdem die Römer in Caesar einen potentiellen Eroberer der aufständischen Provinz gefanden haben, bricht dieser von Rom auf und fur tuschem land. Es war zu sehen, daß dem Dativ Singular 'diut(i)schem/ dütiskem lande' in formelhaften, artikellosen präpositionalen Wendungen des hier vorliegenden Typs im Mittelhochdeutschen

220 Vgl. die einschlägige Xlonographie zu Lirers Chronik von Graf (1987), zu der die Rezension von J.-D. Müller (1989) zu vergleichen ist. Zur Rezeption der 'Prosakaiserchronik' bei Lirer vgl. Graf, a. a. O., S. 71, zur gemeinsamen Überlieferung beider Chroniken ebd., S. 40£, und auch Oppitz (1990), Nr. 1138. 221 Die Zitate sind, in dieser Reihenfolge, der Monographie von Graf (1987), S. 225, 227 und 40 entnommen. 222 Thomas Lirer, Schwäbische Chronik, hg. Thurnher (1967), S. 32. Auch Graf (1987), der die Frage nach den Vorlagen der 'Schwäbischen Chronik' in Lirers Abschnitt zu Caesar stellt, hebt hervor, daß Caesar in der 'Prosakaiserchronik' selbst "noch nicht ausdrücklich als Deutscher bezeichnet wird" (ebd., S. 71). 223 Oben, S. 254f.

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ursprünglich die Bedeutung des Sortenplurals zukommt. 224 In der 'Prosakaiserchronik' ist das plurale Bedeutungspotential des Nominalsyntagmas an dieser Stelle jedoch vollständig zurückgenommen: vnd Caesar, so heißt es im darauffolgenden Nebensatz, bedang das mit grossem arbeiten. Das fügt sich zu der von sprachwissenschaftlicher Seite gemachten Beobachtung, "daß das im 13. Jahrhundert noch deutlich sichtbare Nebeneinander von einem lebendigen Plural (tiutisk, tiutsche, tiutschiu lant) und einem erstarrten D Singular mit pluraler Bedeutung ( t i u t s c h e m e lande) schon bald darauf zusammenbricht. " 225

Als Möglichkeit war die singulare Lesart allerdings auch schon früher gegeben. Das zeigt das Changieren zwischen Plural und Singular, das im Ansatz bereits in der 'Kaiserchronik' erkennbar war und in der 'Prosakaiserchronik' unter Betonung der singularen Bedeutung nun deutlich verstärkt ist. Das entspricht der deutlichen Konturierung eines "deutschen" Königreiches in der frühen römischen Kaiserzeit, wie eben dargelegt. Mit den Konturen der "deutschen Lande" ändert sich in der 'Prosakaiserchronik' auch das Profil der "deutschen Leute", so daß die alte Paarformel 'Land und Leute' nicht mehr nur auf einzelne land bezogen ist, sondern auf das gesamte tusche land. Nach dem Sieg über seine Feinde in Rom belohnt Caesar all tusch lüt., weil diese im aller siner er beholffen hätten: Er verleiht tüschem land vnd tuschen lüten besondere er. Worin diese besteht, ist in der 'Prosakaiserchronik' zuvor erzählt worden: Es ist die Sitte des Ihrzens, die auch in der 'Kaiserchronik' erwähnt wurde. In der 'Prosakaiserchronik' begegnet sie allerdings in einer neuen Variante, die aufschlußreich ist. In der 'Kaiserchronik' war es, wie gesehen, Caesar, der durch diesen Brauch geehrt wurde, und es waren die Römer, die ihn eingeführt hatten 226 Caesar hatte daraufhin veranlaßt, daß die "Deutschen" diese Sitte von den Römern übernahmen. In der 'Prosakaiserchronik aber sind es die "Deutschen", die durch den Brauch des Ihrzens ausgezeichnet werden, und Caesar selbst ist sein Erfinder. Die Einführung des Ihrzens wird als Gesetz dargestellt, das "Land und Leute" der "Deutschen" implizit eint. Bei seinem Verstoß droht die Strafe des Zungenabschneidens. Betont wird das mit einem deutlichen Seitenhieb gegen die "Welschen": iulius der küng gebott allen walken das sy all tusch lüt da mit inmer erten das sy sy ireten vnd nit tuc^ete. Damit ist eine Opposition aufgestellt, die schon öfter in dieser Untersuchung begegnet ist und die im späten Mittelalter zunehmend

224 Vgl., auch im folgenden, erneut oben, Kap. 11.2.2.2., S. 56-63. 225 Smits (1977), S. 86. 226 Oben, S. 143 f.

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polemisch eingesetzt wird: 227 Die Erhöhung der "Deutschen" ist zugleich eine Erniedrigung der Bewohner des italienischen Reichsteiles. Die Pluralität der "deutschen Lande" und ihrer Trägerschichten tritt in der Episode zu Caesar und den "Deutschen" der 'Prosakaiserchronik' demnach weitestgehend zurück. Nur durch die wechselnde Verwendung des Singulars tüsches land, und des Plurals tüsch(e) land sowie durch die prinzipielle Ambivalenz des Dativs Singular tüschem land im artikellosen Präpositionalausdruck vom beschriebenen Typ bleibt sie noch präsent. Im diametralen Gegensatz zur 'Kaiserchronik' treten in der gesamten Episode aber nirgends die deutschen Teilvölker der Bayern, Franken, Sachsen und Schwaben auf, die Caesar doch besiegt. Das ist erstaunlich. Denn wenn im Plural von den tuschen landen die Rede ist, dann doch eigentlich ihretwegen: Die alten regna-lant, die seit dem Hochmittelalter zunehmend territorial zergliedert werden, und ihre Fürsten sind es, durch welche die regionale beziehungsweise territoriale Pluralität der "deutschen Lande" definiert ist.228 So fragt sich, warum sie alle in dieser Episode nicht in den Blick geraten. Vordergründig liegt das daran, daß die 'Prosakaiserchronik' den Bericht von Caesars Eroberungszug in den "deutschen Landen" sehr stark kürzt. Denn auch in der 'Kaiserchronik' zeigte sich die Vielfalt der Völker und Länder in der transalpinen römischen Provinz erst in dem Augenblick, in dem der Schauplatz sich mit Caesar über die Alpen hin in die "deutschen Lande" hinein verlagerte, wobei die "deutschen Lande" als solche überhaupt erst vom Standpunkt Roms aus wahrgenommen wurden. Prinzipiell verhält sich das in der 'Prosakaiserchronik' genauso. Solange und da in ihr in dieser Episode der cisalpine Wahrnehmungshorizont dominiert und Caesar nur vor und nach seinem Feldzug über die Alpen vorgeführt wird, nicht aber im Moment der transalpinen Kriegführung selbst, bleiben die einzelnen land der "Deutschen" in diesem Kontext automatisch ausgeblendet. Die Tatsache, daß der Text an genau dieser Stelle gegenüber der 'Kaiserchronik' gekürzt ist, ist aber dennoch bezeichnend. Die 'Prosakaiserchronik' verweist in diesem Zusammenhang auf ihre Vorlage: wie das beschach, daß Caesar mühevoll das tusche land unterwarf, das werde in einem buch erzählt, das haisset coronica. Tatsächlich wird aber in der 'Kaiserchronik', die damit gemeint ist, keineswegs nur erzählt, wie Caesar die Völker in den "deutschen Landen" bezwingt. Zusätzlich werden in der 'Kaiserchronik' deren Herkunftsgeschichten entfaltet. 229 Auch diese fallen in der 227 Mehr dazu unten, S. 290ff. 228 Vgl. oben, Kap. Π.2.2.3., S. 64-69. 229 Vgl. oben, Kap. III.3.2.2, S. 137-142.

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Prosaauflösung der frühmittelhochdeutschen Reimchronik weg. Bei der Analyse der betreffenden Sequenzen der 'Kaiserchronik' konnte bereits eine relativ starke Fokussierung auf die Figur Caesars hin festgestellt werden, so daß die gentilen Ursprungsmythen im Vergleich zum 'Annolied' an Eigengewicht verloren. Aufgrund der intensivierten Zentrierung auf das Römische Reich hin trat das integrative Merkmal "deutsch" dieser Völker, ihr gemeinsamer Bezug auf das Großvolk der "Deutschen" in der 'Kaiserchronik' deutlicher hervor als im 'Annolied'. Diese Zentrierung war dabei weniger das Ergebnis inhaltlicher Akzentverschiebungen als des anderen narrativen Modus. In der 'Prosakaiserchronik' erfolgt durch die Auslassung der gentilen Herkunftsfabeln dagegen eine vollständige Konzentration auf die Figur Caesars und damit auf "Land und Leute" der "Deutschen" in ihrer Gesamtheit. Die Differenzierung zwischen den einzelnen "Landen" entfällt in der Episode zu Caesar in der 'Prosakaiserchronik'. Durch den ständigen Numerus-Wechsel des Nominalsyntagmas tüsches land/ tusch(e) land ist diese Unterscheidung zwar auch in ihr nicht aufgehoben. Doch ist die Hierarchie der Ebenen verschoben, auf denen kollektive Identität primär konstruiert wird. Die nationale, "deutsche" Identifikationsebene ist in den Vordergrund gerückt. Aus dieser Perspektive ist der in Abschnitt 4 der 'Prosakaiserchronik' folgende Einschub motiviert: Von tuschen luten wannen si kommen sind230 Er tritt an die Stelle der ausgelassenen Ursprungsgeschichten der Bayern, Franken, Sachsen und Schwaben in der 'Kaiserchronik' und lenkt das Interesse hier ganz auf das Großvolk der "Deutschen". Es wird von den Gefolgsleuten Alexanders (des Großen) abgeleitet, von denen ein Teil nach Alexanders Tod auf der Flucht aus Asien in das tuschen land, ins "Land der Deutschen",231 gelangt, dessen Bewohner von den Ankömmlingen bis auf die Bauern erschlagen werden. Damit ist die sächsische Herkunftsfabel in seinerzeit neuartiger Weise auf die "Deutschen" übertragen,232 und es ist überaus aussagekräftig, daß ganz offensichtlich nur die "tragenden" Schichten als "Deutsche" gezählt werden, jene Schichten, die durch ihre vornehme Abkunft deutlich von den autochthonen geburen abgegrenzt werden und unter denen allein sich das mittelalterliche Nationsbewußtsein ausbildet.

230 Hg. Eckhardt (1975), S. 261 f. 231 Zur Form vgl. oben, S. 256 mit Anm. IV,198. 232 Vgl. dazu Graus (1975), hier vor allem S. 127f. mit Anm. 223. Im übrigen vgl. oben, S. 82f. mit Anm. 11,135, und S. 140 mit Anm. 111,137, mit der dort genannten Literatur.

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Von iulius

zu karh kaiser,

rom und tusche

fibsten

Mit dem Abschnitt über den Ursprung der "Deutschen" leitet der Text über zu den Städtegründungen Caesars (ProsaKChr. 5)233 und des Augustus (ProsaKChr. 6).234 Stand dabei in der 'Kaiserchronik' die Zugehörigkeit der Städte zu bestimmten Regionen wie insbesondere den Frenkisken landen im Vordergrund, so ist in der 'Prosakaiserchronik' der nationale Bezug unterstrichen. Augustus etwa, so heißt es, habe gleich mehrere Städte mit Namen ogsburg [i. e. Augsburg/ gestiftet, von denen eine ψ tüschem land, zwischen ywein wassern namens lech und wertach liege, eine andere dagegen in welschü land. Beidemal werden mit dem Lexem land Regionen aufgerufen, die über die Bezeichnung tusch beziehungsweise welsch voneinander abgegrenzt werden, wie das schon öfter zu beobachten war, und der Plural im zweiten Fall (in welschu land) zeigt an, daß der stereotype Dativ Singular in der artikellosen präposiüonalen Wendung im ersten (ψ tüschem land) diesmal seine alte Pluralbedeutung bewahrt hat.235 Dementsprechend rücken in den folgenden Abschnitten der 'Prosakaiserchronik' von Tiberius an in Analogie zur 'Kaiserchronik' gegebenenfalls nur die einzelnen landva den Fokus, die jeweils unmittelbar zu Rom und dem Kaisertum in Beziehung gesetzt werden. Rom als Sitz des Kaisertums bildet dabei den zentralen Schauplatz, an dem sich all die fursten vnd all die herren immer wieder um den Kaiser versammeln. Dies ist beispielsweise auch im Abschnitt zu Tarquinius der Fall, in dem alle Handlung weit stärker auf Rom zentriert ist als in der 'Kaiserchronik' (ProsaKChr. II). 236 Im Gegensatz zur 'Kaiserchronik' wird Conlatinus in diesem Abschnitt erst nachträglich auch als Fürst aus Trier vorgestellt, zuerst aber als ain fürst in rom. Die "deutschen Lande" kommen dabei nicht ins Spiel, bleiben aber wegen ihrer im Vergleich zur 'Kaiserchronik' insgesamt erheblich verstärkten Präsenz dennoch im Horizont. In erster Linie liest sich die Episode zu Kaiser Tarquinius und dem Tyrannenmörder Conlatinus in der 'Prosakaiserchronik' aber als Fallbeispiel einer rechtlich relevanten Auseinandersetzung auf der Ebene des Römischen Reiches. Auf der einen Seite steht der rechtschaffene, biderb Fürst Conlatinus, auf der anderen der vermessenste, übermutigost Kaiser aller Zeiten, und die rom anwesenden fürsten und herren bilden eine Einheit, die

233 Hg. Eckhardt (1975), S. 262. 234 Hg. Eckhardt (1975), S. 262f. Die folgenden Zitate befinden sich ebd., S. 262. 235 Vgl. oben, Kap. 11.2.2.2., S. 56-63. 236 Hg. Eckhardt (1975), S. 265f. Vgl. zum folgenden außerdem den parallelen Abschnitt in der 'Kaiserchronik' oben, S. 160ff.

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die Wiederherstellung der v o m Kaiser verletzten römischen Gesetzesordnung beschließt. Die darin z u m Ausdruck gelangende Darstellungstendenz, die auf pragmatische Funktionalisierung zielt und sich v o m Verständnis des Textes als historisch-exemplarischer Einleitung z u m 'Schwabenspiegel' her erklärt, herrscht durchgängig vor. Sie steuert die Auslassungen und bewirkt gleichermaßen die Konzentration auf die imperial-römische Dimension der in der 'Kaiserchronik' erzählten Geschichte(n) wie auch die betonte Profilierung der von Fall zu Fall verstärkt aufscheinenden, dialektisch auf das römische Kaisertum bezogenen nationalen Komponente. Auffälligerweise erfolgt eine gesteigerte Konstruktion alt-"deutscher" Identität in den Abschnitten der 'Prosakaiserchronik' vor Karl dem Großen, wie angedeutet, vor allem dort, w o bereits in der 'Kaiserchronik' eine relative Akkumulation der Lemmata zu 'diut(i)sch'/ 'dütisc' beziehungsweise 'Diut(i)sche(r)'/ 'Dütiske(r)' zu erkennen war, und mit der Steigerung geht, wie am Beispiel Caesars gesehen, eine erhebliche Umdeutung einher. Gleichzeitig aber beschränkt sich die Profilierung der "deutschen" Komponente in der 'Prosakaiserchronik' nicht auf die durch die 'Kaiserchronik' nahegelegten Passagen, sondern greift über sie aus, wenngleich das auch in der Prosaauflösung der 'Kais er chronik' bezeichnenderweise nicht überall systematisch geschieht. D e r Abschnitt der 'Prosakaiserchronik' über Kaiser Konstantin (den Großen), der wie in der 'Kais er chronik' verhältnismäßig umfangreich ist, bildet dabei ein signifikantes Beispiel für die Applikation einer nationalen Lesart auf die 'Kaiserchronik', die in dieser selbst in dem betreffenden Abschnitt noch nicht angelegt ist. 237 Die relevante Passage steht am Beginn des zweiten Teiles dieses Abschnittes, der überwiegend Konstantins Mutter Helena betrifft (ProsaKChr. 32) , 238 W i e zu erinnern, wurde Helena in der 'Kaiserchronik' von Geburt und (anfänglichem) W o h n o r t her dem "Trierer Land" zugeordnet, das schon im Fall des Conlatinus als Heimat gezeichnet worden war. Eine nationale Zuordnung Triers zu den "deutschen Landen" blieb ausgeblendet, eine patria gab es nur auf regionaler beziehungsweise territorialer Ebene, 2 3 9 und diese Darstellung stand in Üb er ein Stimmung mit den entsprechenden Verhältnissen i m mittelalterlichen und auch noch (früh-)neuzeitlichen Deutschland, auf die der Text i m übrigen in eigener Weise reagierte. In

237 Vgl. im folgenden den parallelen Abschnitt in der 'Kaiserchronik' oben, S. 163ff. 238 Hg. Eckhardt (1975), S. 281f. Soweit nicht anders angegeben, befinden sich die folgenden Zitate ebd. 239 Zum Begriff der patria vgl. hier S. 161ff. mit Anm. 111,189.

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einigen spätmittelalterlichen Handschriften der 'Kaiserchronik'-Rezension C aus dem 14. und 15. Jahrhundert war der Bezug Triers zu den "deutschen Landen" hingegen deutlicher konturiert. Erst in ihnen schien es, wie die anderen Lesarten zeigten, von Bedeutung, daß Helena als römische Kaiserin, Mutter Konstantins des Großen und Heilige zeitlebens in einer besonderen Beziehung zu Trier und über Trier zu den "deutschen Landen" stand. Genau diese Züge sind nun in der 'Prosakaiserchronik' verstärkt, wobei die Prosaauflösung der 'Kaiserchronik', wie gesagt, auf Rezension A der 'Kaiserchronik' beruht, nicht auf C, und damit auf Handschriften, in denen die späteren Lesartvarianten, die Helenas Bezug zu den "deutschen Landen" herausstellen, fehlen. Die Umdeutungen, die die 'Prosakaiserchronik' in dieser Hinsicht vornimmt, haben mithin kein unmittelbares Vorbild. Erneut kehren sich in der 'Prosakaiserchronik' in diesem Kontext die Hierarchieebenen kollektiver Identitätskonstruktion um, wie schon in der Episode zu Caesar und den "Deutschen" zu sehen war. Daß Helena aus Trier kommt, ist sekundär. Entscheidend ist von Anfang an die Affinität der Kaiserin zum "Land" der "Deutschen": Der kung constantinus het ain muter. du hieß helena vnd was denocht ain haidnin [...]. sid der kung constantinus ir wirt starb do pflag sy tusches landes. des gunden ir romer wol. wan sy kungs nit betten vnd wan sy ouch ain gut richterin was. si besant die fursten trnchem land hin ir magencs^. Ganz anders als in der 'Kaiserchronik' erscheint Helena hier als Regentin des "deutschen Landes", die von den Römern wegen ihrer Eignung für dieses Amt eingesetzt worden ist. Das tusche land gelangt so als Teilreich des Imperiums in den Blick. Auf dem von Helena einberufenen Hoftag zu Mainz berät sich die Regentin mit den Fürsten, wie sie auf das Ansinnen ihres Sohnes Kaiser Konstantin reagieren solle, nach Rom zu reisen und die Taufe zu empfangen. Es folgt die Erzählung ihrer Bekehrung. Damit verlagert sich der Fokus zunächst gänzlich nach Rom, und dann, als Helena als Christin ins Heilige Land pilgert, in den Orient und von dort in die "deutschen Lande", die aber nicht mehr genannt werden. Erst jetzt wird auch Trier erwähnt, wohin Helena die kostbaren Reliquien bringt, die sie auf ihrer Pilgerfahrt aufgefunden hat, und das sie darüberhinaus zum Sitz eines Erzbistums erhebt. Anschließend wendet sich die Erzählung wieder Konstantin zu, der nicht nur Konstantinopel erbaut, sondern auch Rom erweitert und als gerechter Kaiser, der den fürsten lieb ist, der cron ir recht bewahrt. In Anbetracht dieser Umdeutungen gegenüber der 'Kaiserchronik' ist es ebenso irreführend wie aber auch bezeichnend, daß Massmann im 19. Jahrhundert diesen Abschnitt der 'Prosakaiserchronik' im dritten, kommentierenden Band seiner Ausgabe der 'Kaiserchronik' als im ganzen

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vermeintlich fraglos taugliche Inhaltsangabe der 'Kaiserchron i k ' in voller Länge unkommentiert 2itiert hat — lediglich an den in der 'Prosakaiserchronik' gekürzten Stellen ergänzt um Zusammenfassungen des frühmittelhochdeutschen Textes in seinen eigenen Worten. Erwähnenswert ist das wegen der großen Nachwirkung seines umfangreichen Kommentarbandes,24 Nation und Literatur, hg. Garber (1989), S. 108-163 Garber, Jörn: Vom universalen zum endogenen Nationalismus. Die Idee der Nation im deutschen Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, in: —> Dichter und ihre Nation, hg. Scheuer (1993), S. 16-37 Geary, Patrick J.: Before France and Germany. The creation and transformation of the Merovingian world, New York/ Oxford 1988 [dt. Erstausg.:] Die Merowinger. Europa vor Karl dem Großen, aus dem Engl, übers, v. Ursula Scholz, München 1996 Geary, Patrick J.: The myth of nations. The Medieval origins of Europe, Princeton 2001 [dt. Erstausg.:] Europäische Völker im frühen Mittelalter. Zur Legende vom Werden der Nationen, aus dem Engl, übers, v. Elisabeth Vorspohl, Frankfurt am Main 2002 (Europäische Geschichte/ Fischer Tb. 60111) Geisteswissenschaften heute, hg. v. Wolfgang Frühwald u. a., Frankfurt am Main 1991 (stw 973) Geith, Karl-Ernst: Carolus Magnus. Studien zur Darstellung Karls des Großen in der deutschen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts, Bern/ München 1977 (Bibliotheca Germanica 19) Geith, Karl-Ernst: Das deutsche und das französische Rolandslied, in: —> 'Chanson de Roland', hg. Buschinger/ Spiewok (1997), S. 59-71 Geith, Karl-Ernst: Karl der Große, in: Herrscher, Helden, Heilige, hg. v. Ulrich Müller u. Werner Wunderlich, 2. Aufl. St. Gallen 2001 (>littelalter-Mythen 1), S. 87-100 Geith, Karl-Emst; Elke Ukena-Best; Hans-Joachim Ziegeler: Artikel "Der Stricker", in: VL 2 , Bd. 9,1994, Sp. 417^149 Gelehrte im Reich. Zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts, hg. v. Räber Christoph Schwinges, Berlin 1996 (ZHF. Beih. 18) Gellinek, Christian: Daniel's vision of four beasts in twelfth-century German literature, The Germanic Review 41 (1966), S. 5-26 Gellinek, Christian: Die deutsche Kaiserchronik. Erzähltechnik und Kritik, Frankfurt am Main 1971 [1971a] Gellinek, Christian: The German Emperor's Chronicle: an epic fiction?, Colloquia Germanica (1971), S. 230-236 [1971b] Gellinek, Cfhristian] J.: Die erste Geschichtsdichtung der deutschen Sprache: AnnoEed.\ Colloquia Germanica 11 (1978), S. 193-210 Genette, Gerard: Die Erzählung. Aus dem Frz. übers, v. Andreas Knop, mit einem Nachwort hg. v. Jochen Vogt, 2. Aufl. München 1998 [zuerst: Discours du recit, 1972; Nouveau discours du recit 1983] Genette, Gerard: Fiktion und Diktion. Aus dem Frz. übers, v. Heinz Jatho, München 1992 (Bild und Text) [zuerst: 1991] Gentry, Francis G.: Bibliographie zur frühmittelhochdeutschen geistlichen Dichtung, Berlin 1992 (Bibliographien zur deutschen Literatur des Mittelalters 11) Germanistik: Disziplinare Identität und kulturelle Leistungen. Vorträge des deutschen Germanistentages 1994, hg. v. Ludwig jäger, Weinheim 1995 Germanistik als Kulturwissenschaft, hg. v. Ute von Bloh u. Friedrich Vollhardt, Bielefeld 1999 (Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 46,4)

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Register der Verfasser und anonymen Werke Verzeichnet sind erstens alle Verfassernamen (Verfasser von Primärliteratur), wobei Werktitel über die Namen miterfaßt sind, und zweitens die Titel anonymer Werke, die in einfache Anfuhrungszeichen gesetzt sind. Berücksichtigt ist dabei sowohl der Fließtext (Obertext) als auch der Anmerkungstext. Die Schreibweise richtet sich nach dem 'Verfasserlexikon' (VL2/ VL Humanismus), gegebenenfalls sind Querverweise eingefügt. Alexander von Roes 26, 290, 294, 296, 303, 309 [Alexander von Roes, Memoriale de prerogativa romani imperii. Dt. Übertragung eines Anonymus (15. Jh.)] 294 Alt, Georg 296 'Altes Testament' 53, 77,251 'Ambraser Heldenbuch' —» 'Heldenbuch, Ambraser' 'Annales Iuvavenses maximi' 119 'Annales qui dicuntur Einhardi' 272, 310 Anmus Viterbiensis, Johannes 305 'Annolied' 10, 32, 38, 42, 45, 47-58, 62, 64f, 68-104, 107-109, 114-116, 118, 120, 122f., 130-133, 135-140, 142146, 157, 174, 192£, 199-201, 205, 240, 264, 276, 295, 301 f., 313-315, 317-320 Augustinus, Aurelius 72£, 121 Aventinus, Johannes Turmair gen. 245, 309,312f. Beatus Rhenanus —» Rhenanus, Beatus Berosus, Pseudo- —> Annius Viterbiensis, Johannes 'Bibel' —» 'Altes Testament'/ 'Neues Testament' Biondo, Flavio 308 Blondus, Flavius —> Biondo, Flavio Brant, Sebastian 290 'Buch der Könige' —> 'Buch der Könige alter e' 'Buch der Könige alter e' 251 f. 'Buch der Könige niuwer e —> 'Prosakaiserchronik' Caesar, C. Iulius 84

Celtis, Konrad 296,299,310 'Chanson de Roland' 220,222-225,235 Chrysostomus, ital. Humanist 297 Cicero, M. Tullius 311 'Constitutum Constantini' 178 'Dekretale VenerabiU —> Innozenz III., Papst 'Deutschenspiegel' —» 'Spiegel aller deutschen Leute' 'Dresdener Heldenbuch' —» 'Heldenbuch, Dresdener' Eberlin von Günzburg, Johann 312 'Eckenlied' 242-245 Eike von Repgow 64,66,252,274 Einhard 272, 310 'Einhardsannalen', sog. —> 'Annales qui dicuntur Einhardi' Ekkehard von Aura 175,196 Franck, Sebastian 312 Frechulf von Lisieux 82 Freher, Marquard 314 Frutolf von Michelsberg 175,183,196,306 'Gedrucktes Heldenbuch' (Straßburg 1479) —» 'Heldenbuch, Gedrucktes' (Straßburg 1479) 'Germania [ad Rempublicam Argentinensem]' des Jakob Wimpfeling, dt. [Straßburg 1502] -> [Wimpfeling, Jakob: Germania (ad Rempublicam Argentinensem). Dt. Übertragung eines Anonymus (Straßburg 1502)] 'Gesta Romanorum' 252 'Gesta Treverorum' 161 f. 'Goldene Bulle' (1356) 274,288 Gottfried von Viterbo 167,220

386 Gottschalk von Orbais 99,119 'Gravamina der Deutschen Nation' 300 Gregor VII., Papst lOOf., 299 Gunther (Verfasser des 'Ligurinus') 310 Heinrich von München 242,247 'Heldenbuch, Ambraser' 238, 240 'Heldenbuch, Dresdener' 243,245 'Heldenbuch, Gedrucktes' (Straßburg 1479) 238-242,245 'Heldenbuch, Lienhart Scheubels' 237,240f. 'Heldenbuch-Prosa' 238-240 'Herzog Emst' 218 Hieronymus, Sophronius Eusebius 77 'Historienbiber 252 Hoffmann von Fallersleben, Heinrich 214 Hrotsvith von Gandersheim 310 Hutten, Ulrich von 8,305 Innozenz III., Papst 176, 221,303 Iordanes —> Jordanes Isidor von Sevilla 29£, 70f, 192, 301 Johannes Scotus Eriugena 73 Jordanes 310 'Kaiserchronik' 1, 5£, 42, 52, 83, 105, 107118,122-194,196-201, 203, 205-209, 213, 217, 219£, 222, 225, 227, 230, 232, 234, 236£, 240, 242, 245, 247256, 258-260, 262-271, 274-281, 285, 287-289,291,301f., 314,318,320 Karl IV., Ks. 'Goldene Bulle' Kaspar von der Rhön —> 'Heldenbuch, Dresdener' 'König Rother' 218 Konrad, Pfeffe 171f, 218, 220-229, 231233,247 'Konstantinische Schenkung' —> 'Constitutum Constantini' Küchlin 295f. Lampert von Hersfeld 64f., 100£, 121 'Laurin' 239 Lazius, Wolfgang 313f. 'Leges (barbarorum)' 30 'Ligurinus' —> Gunther (V7erfasset des 'Ligurinus') 'Lienhart Scheubels Heldenbuch' —> 'Heldenbuch, Lienhart Scheubels' Lirer, Thomas 261 Lucanus, M. Annaeus 86 Ludwig I., Fürst von Anhalt-Köthen 314 Lukan —> Lucanus, M. Annaeus

Register Lupoid von Bebenburg 292 Maximilian I., Ks. 295,297,314 Meisterlin, Sigismund 296, 312 'Memoriale de prerogativa romani imperii', dt. (15. Jh.) —> [Alexander von Roes: Memoriale de prerogativa romani imperii. Dt. Übertragung eines Anonymus (15. Jh.)] Nanni, Giovanni —> Annius Viterbiensis, Johannes Neuenahr, Hermann von 310 'Nibelungenlied' 4f., 9, 236-238, 313 Norbert von Iburg 55,119 Notker I. von St. Gallen (Notker Balbulus) 272 Notker III. von St. Gallen (Notker Labeo; Notker Teutonicus) 32, 35 Notker Balbulus Notker I. von St. Gallen (Notker Balbulus) Notker Labeo —> Notker III. von St. Gallen (Notker Labeo; Notker Teutonicus) Notker Teutonicus —> Notker III. von St. Gallen (Notker Labeo; Notker Teutonicus) Opitz, Martin 47,49f., 314f. Orosius, Paulus 121 'Ortnit' 239f. Otfrid von Weißenburg 314 Otto von Freising 118-122, 135-137, 149, 159,175-177,183,195,303£, 309 Peire Vidal 214 Petrarca, Francesco 298,311 Petrus Comestor 251 Peutinger, Konrad 296£, 310 Piccolomini, Enea Silvio 300, 304£, 308 'Pilatus, Mhd.' 198f. Pius II., Papst —» Piccolomini, Enea Silvio 'Prosakaiserchronik' 1£, 5, 7, 11, 42, 168, 206-208, 247, 249-281, 285, 287-291, 294,302,318, 320 Reginhard von Siegburg 101 Regino von Prüm 29-31, 70£, 162, 192, 200,210,278,301 Rhenanus, Beatus 311 'Rolandslied' Konrad, Pfaffe 'Rosengarten' 239 Rupert von Deutz 51, 77 'Sachsenspiegel' —> Eike von Repgow 'Sächsische Weltchronik' 247,249f.

Register 'Salzburger Annalen' —> 'Annales Iuvavenses maximi' Scheubel, Lienhart —> 'Heldenbuch, Lienhart Scheubels' 'Schwabenspiegel' 250-253, 266, 274, 278, 288 'Schwäbische Chronik' —> Lirer, Thomas 'Spiegel aller deutschen Leute' 251,274 Stabius, Johannes 310 'Straßburger altsächsische Glossen' 48, 99, 302f. Stricker, Der 220£, 225, 228-233,247 Tacitus, P. Cornelius 9, 299£, 304-306, 311 f. Tegernseer, Christof 314 Trithemius, Johannes 314 Turmair, Johannes —> Aventinus, Johannes Turmair gen. Twinger von Königshofen, Jakob 247, 289f. Ulrich von Hutten —> Hutten, Ulrich von

387 'Urschwabenspiegel' —»'Schwabenspiegel' Verdeutschung des Memoriale [de prerogativa romani imperii]' des Alexander von Roes (15. Jh.) —» [Alexander von Roes: Memoriale de prerogativa romani imperii. Dt. Übertragung eines Anonymus (15. Jh.)] Vidal, Peire —> Peire Vidal 'Vorauer Handschrift 276' 107, 123, 125, 130,206,249 Vulcanius, Bonaventura 49, 314 Walafnd Strabo 82 Walther von der Vogelweide 19, 25-27, 42, 212-216,291 Wimpfeling, Jakob 290, 312 [Wimpfeling, Jakob: Germania (ad Rempublicam Argentinensem). Dt. Übertragung eines Anonymus (Straßburg 1502)] 312 Wolfdietrich' 239-241, 244f. Wolfram von Eschenbach 213, 216, 220