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German Pages 784 Year 2012
Lexikon der ökonomoischen Bildung bearbeitet und herausgegeben von
Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann May Prof. Dr. Claudia Wiepcke
Pädagogische Hochschule Weingarten unter Mitarbeit von Dipl.- Hdl. Ulla May
8., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage
Oldenbourg Verlag München
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 www.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Christiane Engel-Haas, M.A. Herstellung: Constanze Müller Titelbild: thinkstockphotos.de Einbandgestaltung: hauser lacour Gesamtherstellung: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. ISBN
978-3-486-70541-6
Inhaltsübersicht Vorwort ..................................................................... VII Benutzungshinweise ................................................. IX Autorenverzeichnis ................................................... XI Abkürzungsverzeichnis ............................................ XV Stichwörter ................................................................ 1
V
Vorwort Das hier vorliegende Lexikon soll all jenen als hilfreiches Nachschlagewerk dienen, die sich in Schule und Ausbildung, im Studium und Beruf, in Forschung und Lehre, bei der Arbeit und in der Freizeit mit allgemeinen wirtschaftlichen, wirtschaftsrechtlichen und wirtschaftspädagogischen Fragen konfrontiert sehen und darauf Antwort suchen. Diese Antworten werden in der Regel knapp gehalten und sind auf das Wesentliche beschränkt. Wo eine ausführlichere Erörterung des Sachverhaltes oder der Problematik angezeigt erscheint, sind Stichwortaufsätze mit zum Teil weiterführenden Literaturhinweisen – soweit nicht von mir selbst – von namhaften Wissenschaftlern und Experten eingeführt. Diesen Autoren gilt mein Dank. Ganz besonders zu danken habe ich Herrn Dr. Detmar Doering vom Liberalen Institut der FriedrichNaumann-Stiftung (Potsdam) für die zahlreichen Kurzbiographien über bedeutende Ökonomen, mit denen er dieses Lexikon bereicherte. Heidelberg, im Sommer 1996
Hermann May
Vorwort zur fünften Auflage Eine Vielzahl von wirtschaftlichen und rechtlichen Änderungen und Neuerungen seit der letzten Auflage dieses Lexikons erforderten dessen Aktualisierung und Erweiterung. Die anhaltend rege Nachfrage nach diesem Buch kam der raschen Berücksichtigung dieser Erfordernisse entgegen. Heidelberg, im Herbst 2004
Hermann May
Vorwort zur achten Auflage Die Unstetigkeit unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung mit ihren rechtlichen Niederschlägen sowie die Vordringlichkeit einer Vielzahl neuer Beiträge ließen eine Aktualisierung und Erweiterung dieses Nachschlagewerkes geraten erscheinen. Heidelberg, im Frühjahr 2011
Hermann May
VII
Benutzungshinweise Die Stichwörter dieses Lexikons sind in alphabetischer Reihenfolge geordnet. Umlaute erscheinen entsprechend ihrer Auflösung in den jeweiligen Vokal mit angehängtem e. In abgehandelten Stichwörtern enthaltene Begriffe, die ihrerseits selbst wieder abgehandelt sind, sind durch einen Verweispfeil (→) markiert (Verweisstichwörter). Dieser Verweispfeil wird nur einmal innerhalb einer Stichwortabhandlung gesetzt. Gleichbedeutende Ausdrücke (Synonyme) werden durch einen Synonympfeil (⇒) kenntlich gemacht. Kursiv gesetzte Synonyme zu einem Stichwort verweisen auf das Abhandlungsstichwort. Die Wiederholung eines Stichwortes in seiner Abhandlung – alleinstehend oder in Wortverbindungen – erfolgt durch seinen ersten Buchstaben, dieser steht unverändert für Einzahl und Mehrzahl, wie auch für die verschiedenen Deklinationsformen des Stichwortes. Über die in den Stichwortabhandlungen verwendeten Abkürzungen gibt das Abkürzungsverzeichnis Aufschluss.
IX
Autorenverzeichnis Die hinter den Autoren und deren institutioneller/örtlicher Zuordnung in Klammer vermerkten Stichwörter benennen deren bearbeitete Beiträge; Kurzbeiträge sind mit den Initialen ihrer Autoren gekennzeichnet, Langbeiträge mit deren vollem Namen. Alle nicht namentlich gezeichneten Beiträge stammen vom Herausgeber. Dr. Roland Abele, Verlag Recht und Wirtschaft, Frankfurt a. M. (Tarifvertrag) Doz. Dr. Günther Abraham, baltische Universitäten Wilna und Dorpat (Entwicklungspolitik) Prof. Dr. Hermann Adam, Freie Universität Berlin und Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (Gewerkschaften) Prof. Dr. Hans-Jürgen Albers (H. J. A.), Pädagogische Hochschule Schwäbisch-Gmünd und Universität Stuttgart (Bildungssystem, Deutsche Gesellschaft für ökonomische Bildung e. V., Handlungsorientierung, Komission für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, Werbung, Zahlungsbilanz) Prof. Dr. Günter Ashauer †, Universität zu Köln (Geldpolitik, Kreditwesen) Dipl.-Volkswirt Roland Baader †, Waghäusel (Konsensgesellschaft) Prof. Dr. Lothar Beinke, Justus-Liebig-Universität Gießen (Betriebserkundung, Betriebspraktikum) Dr. Stephan Blankertz, Pro Change PersonalentwicklungsGmbH, Pullheim (Anarchismus) Marcin M. Bobrowski, MSc. (M. M. B.), Bremen (ausbildungsintegrierendes Studium, Berufsakademie [BA], Berufsanerkennung, berufsbegleitendes Studium, Bologna-Prozeß, Business School, Fachhochschulen [FH], Fachhochschulen für Öffentliche Verwaltung, Fachhochschulreife, Fachoberschulen [FOS], Handelsschulen, Hochschulreife, Höhere Handelsschulen, kaufmännische Berufsausbildung; lebenslanges Lernen, Studienabschlüsse, wirtschaftswissenschaftliche; Trainee-Programme, Verwaltungs- und Wirtschaftsakademien [VWA], Wirtschaftsakademien, Wirtschaftsgymnasium) Dr. Friedrich Boeckh (F. B.), SCHUFA HOLDING AG, Wiesbaden (Rating, Risikomanagement) Prof. Dr. Hardy Bouillon, SMC University Wien (Selbstverantwortung, Solidarität, soziale Gerechtigkeit II, Ungleichheit) Prof. Dr. Ronald Clapham, Universität Siegen (Finanzpolitik, Ökonomische Theorie der Bürokratie, Ökonomische Theorie der Eigentumsrechte, Ökonomische Theorie der Politik, Sozialordnung, Wachstumspolitik) Prof. Dr. Helmut Cox, Universität Duisburg-Essen (Arbeitsmarkt, Strukturpolitik) Prof. Dr. Erich Dauenhauer, Universität Koblenz-Landau (Kulturökonomie) Prof. Dr. Heinz Dedering, Universität Kassel (arbeitsorientierte Bildung) Prof. Dr. Rolf Dobischat, Universität Duisburg-Essen (berufliche Weiterbildung, Berufsbildungspolitik, Berufs- und Qualifikationswandel, Personalentwicklung) Dr. Detmar Doering (D. D.), Leiter des Liberalen Instituts der Friedrich-Naumann-Stiftung, Berlin (Frédéric Bastiat, Eugen von Böhm-Bawerk, James M Buchanan, Walter Eucken, Freihandel, Milton Friedman, Hermann Heinrich Gossen, Friedrich August von Hayek, David Hume, William Stanley Jevons, John Maynard Keynes, Friedrich List, Thomas Robert Malthus, Alfred Marshall, Carl Menger, John Stuart Mill, Ludwig von Mises, Alfred Müller-Armack, Neue Österreichische Schule, Vilfredo Pareto, Karl Raimund Popper, Public Choice, François Quesnay, Karl Heinrich Rau, David Ricardo, Wilhelm Röpke, Murray N(ewton) Rothbard, Jean Baptiste Say, Joseph Alois Schumpeter, Adam Smith, Alexis de Tocqueville) XI
Dr. Robin Dörrie, Syndikus der Landesbank Baden-Württemberg, Mannheim (Kaufvertrag) Prof. Dr. Kurt Dopfer, Universität St. Gallen/Schweiz (Evolutionsökonomie) Prof. Dr. Gerd-E. Famulla, Bildungswissenschaftliche Hochschule Flensburg-Universität (Dritter Bildungsweg) Rechtsanwalt Dr. Norbert Fehl, Mannheim (Reparaturvertrag) Akad. Oberrat Dr. Gottfried Feig, Universität Kassel (Berufsgrundbildung, Rationalisierung) Prof. Dr. Wolfgang Chr. Fischer, James Cook University Townsville/Australien (Verbraucherpolitik) Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Bruno S. Frey, Universität Zürich/Schweiz (Ökonomie des Glücks) Prof. Dr. Horst Friedrich, Universität zu Köln (Arbeitslosigkeit, Sozialpolitik) Edgar L. Gärtner, Diplôme d’Etudes Approfondies (D. E. A.) en Ecologie, Redakteur, Frankfurt a. M. (Klimapolitik) Prof. Dr. Wolfgang Geise, Hochschule Niederrhein (Allfinanz, Konsumentenverhalten) Prof. Dr. Dr. Bodo Gemper, Universität Siegen (Fiskalpolitik) Akad. Direktor Dr. Andreas Gmelch, Otto-Friedrich-Universität Bamberg (berufliche Sozialisation, Berufswahltheorien, Bildungsökonomie, Qualifikationsforschung) Dr. Fritz Goergen, Forecast GmbH, Köln (Liberalismus, wirtschaftlicher) Prof. Dr. Heinz Golas †, Fachhochschule für Wirtschaft Berlin (didaktische Reduktion, Unternehmungsformen) Prof. Dr. Georg Groth, Technische Universität Berlin (Bildungspolitik) Prof. Dr. Gerd Habermann (G. H.), Direktor des Unternehmerinstituts der ASU e. V., Berlin (Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft e. V., Kommunitarismus) Prof. Dr. Wilfried Hendricks, Technische Unversität Berlin (Humanisierung des Arbeitslebens) Prof. Dr. Hans Peter Henecka, Pädagogische Hochschule Heidelberg (Sozialismus) Prof. Dr. Bernd Henning, Pädagogische Hochschule Schwäbisch-Gmünd (ökosoziale Marktwirtschaft, Wirtschaftssysteme/Wirtschaftsordnungen) Prof. Dr. Gerd Hepp, Pädagogische Hochschule Heidelberg (Wertewandel) Prof. Dr. Gerhard Himmelmann, Technische Universität Braunschweig (Arbeit) Dr. Fritz-Heinz Himmelreich, Mitglied des Präsidiums der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Köln (Arbeitgeberverbände) Prof. Dr. Günter Hobbensiefken, Bergische Universität Wuppertal (Beruf) Prof. Dr. Dr. Karl Homann, Ludwig-Maximilians-Universität München (Ethik der Marktwirtschaft) Prof. Dr. Hans-Hermann Hoppe, University of Nevada/USA (Privatrechtsgesellschaft) Prof. Dr. Gerhard Illing, Ludwig-Maximilians-Universität München (Spieltheorie) Prof. Dr. Dr. h.c. Franz-Josef Kaiser, Universität Paderborn (Wirtschaftspädagogik) Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Kaminski, Carl v. Ossietzky Universität Oldenburg (Projektmethode, Wirtschaftslehre) Prof. Dr. Jan Karpe, Fachhochschule Köln (Institutionenökonomik) Prof. Dr. Gerhard D. Kleinhenz, Universität Passau (Familienpolitik) Prof. Dr. Dietmar Krafft, Universität Münster (Mitbestimmung, Steuern, Wertpapiere, Wirtschaftskreislauf) Prof. Dr. Klaus-Peter Kruber, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (Europäische Wirtschafts- und Währungsunion [EWWU], multinationales Unternehmen, Wettbewerb, Wettbewerbspolitik) Prof. Dr. Volker Krumm, Universität Salzburg/Österreich (Schulleistungstest zur Messung der ökonomischen Bildung) Prof. Dr. Jürgen Lackmann, Pädagogische Hochschule Weingarten (fächerübergreifender Unterricht, Sustainable Development) XII
Prof. Dr. Andreas Liening, Universität Dortmund (Chaostheorie, ökonomische; computergestütztes Lernen) Prof. Dr. Konrad Löw (K. L.), Universität Bauyreuth (Karl Marx, Marxismus-Leninismus) Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann May, Pädagogische Hochschule Heidelberg (alle nicht signierten Beiträge) Prof. Dr. Barbara Methfessel (B. M.), Pädagogische Hochschule Heidelberg (Bildungsstandards, Haushaltslehre, Kompetenzen) Prof. Dr. Hans G. Monissen, Universität zu Würzburg (Volkswirtschaftslehre) Prof. Dr. Georg Hans Neuweg, Johannes Kepler Universität Linz/Österreich (Berufspädagogik, ökonomisches Prinzip, Rationalität) Prof. Dr. Gerhard Niedermair, Johannes Kepler Universität Linz/Österreich (duales System der Berufsausbildung) Prof. Dr. Michael B. Piorkowsky, Universität Bonn (Ökonomie des privaten Haushalts) Prof. Dr. Athanassios Pitsoulis, Brandenburgische Technische Universität Cottbus (Verhaltensökonomie) Prof. Dr. Gerard Radnitzky †, Universität Trier (Wohlfahrtsstaat) Dr. Ulrich Reinhardt, BAT-Stiftung für Zukunftsfragen, Hamburg (Freizeitwirtschaft) Prof. Dr. Thomas Retzmann, Universität Duisburg-Essen (Arbeitsplatzerkundung, Dilemmamethode, Fallmethode, Nutzwertanalyse, Planspiel, Produktlinienanalyse, Rollenspiel, Szenariotechnik, Zukunftswerkstatt) Dipl.-Handelslehrer Christian Riel, Universität Oldenburg (Ausbildungsreife) Dipl.-Volkswirt Günter Schardt (G. S.) BVI Bundesverband Investment und Asset Management e.V., Frankfurt a. M. (Asset Management) Prof. Dr. Hermann Scherl, Universität Erlangen-Nürnberg (Sozialversicherung) Prof. Dr. Raimund Schirmeister, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (Betriebswirtschaftslehre, ökonomische Entscheidungstheorie) Dr. Tobias Schlömer, Universität Oldenburg (ökonomische Bildung, Schlüsselqualifikationen, Wirtschaftsdidaktik) Prof. Dr. Hans-Jürgen Schlösser (H. J. S.), Universität Siegen (Außenwirtschaftspolitik, Experimentelle Ökonomie, Garry S. Becker, Globalisierung, Homo oeconomicus, Standards der ökonomischen Bildung, Staatsverschuldung, George J. Stigler, Wohlfahrtsökonomie) Prof. Dr. Alfons Schmid, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a. M. (Arbeitsmarktpolitik, Beschäftigungspolitik) Oberjustizrat Dr. Walter Schubert, Notariat Gengenbach (Mietvertrag) Prof. Dr. Bruno Schurer, Johannes Kepler Universität Linz/Österreich (Betriebspädagogik) Prof. Dr. Günter Seeber, Universität Koblenz-Landau (Berufsausbildungsvertrag, Bildungscontrolling, Bildungsmanagement) Prof. Dr. Helmut F. Spinner, Universität Karlsruhe (Wissen, Wissensarbeitsteilung, Wissensgesellschaft, Wissensmanagement, Wissensökonomie, Wissensordnung, Wissensregime) Prof. Dr. Dr. h.c. Joachim Starbatty (J. S.), Eberhard-Karls-Universität Tübingen (Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft e. V. [ASM], Manchestertum) Prof. Dr. Dr. h.c. Heiko Steffens, Technische Universität Berlin (Verbraucherbildung) Prof. Dr. Dieter Steinbauer (D. S.), SCHUFA HOLDING AG, Wiesbaden (SCHUFA) Prof. Dr. Bodo Steinmann, Universität Siegen (Umwelterziehung, Umweltökonomie) Prof. Dr. Brigitte Tag, Universität Zürich/Schweiz (Rechtsordnung) Prof. Dr. Walter Tenfelde, Universität Hamburg (ökonomische Bildung, Schlüsselqualifikationen, Wirtschaftsdidaktik) Akad. Oberrat Dr. Gerhard Trilling, Universität Duisburg-Essen (Relevanzprinzipien, wirtschaftliche) Prof. Dr. Christian Watrin (C. W.), Universität zu Köln (Karl Schiller, Sozialstaat) Prof. Dr. Birgit Weber, Universität Bielefeld (Umwelterziehung, Umweltökonomie, Kompetenzen der ökonomischen Bildung) XIII
Prof. Dr. Peter Weinbrenner, Universität Bielefeld (Ideologie) Prof. Dr. Reinhold Weiß (R. W.), stellv. Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung, Bonn (betriebliche Weiterbildung, Institut der deutschen Wirtschaft Köln) Prof. Dr. Bernd Weitz †, Universität zu Köln (Theorie der komperativen Kosten) Prof. Dr. Wolfgang Weng, Technische Universität Berlin (Arbeitslehre, Finanzkompetenz, Verschuldung) Dr. Claudia Wiepcke, Pädagogische Hochschule Weingarten (Beschäftigungsfähigkeit, Gründungserziehung) Prof. Dr. Günther Wiese, Universität Mannheim (Arbeitsvertrag) Prof. Dr. Helmut Winterstein, Universität Erlangen-Nürnberg (Sozialversicherung) Akad. Oberrat Dr. Helmut Wittekind, Universität Paderborn (Bedürfnisse) Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Artur Woll, Universität Siegen (Kapitalismus) Dr. Horst Friedrich Wünsche (H. F. W.), ehemals Geschäftsführer der Ludwig-Erhard-Stiftung e. V., Bonn (Ludwig Erhard, Ludwig-Erhard-Stiftung e. V., Ordnungspolitik, Soziale Marktwirtschaft) Prof. Dr. Hon. Prof. Alparslan Yenal, Freie Universität Berlin und Universität Leipzig (Weltwirtschaftsordnung)
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Abkürzungsverzeichnis a. a. O. ABM Abs. AERB Abk. Abt. a. F. AFG AG AGB AGB-DDR AGB-G AHB AKB AktG ALB allg. AO AR arab. ARB ArbGG ArbPSchG ArbZG Art. AUB Aufl. AÜG AVB AVBR AVG AWG AWV AZ AZO BA BäckArbZG BAföG BaFin BAV BAVAZ BBiG Bd(e.) BDA BDSG
am angegebenen Ort Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Absatz Allgemeine Bedingungen für die Versicherung gegen Schäden durch Einbruchdiebstahl und Raub Abkürzung Abteilung alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Aktiengesellschaft Allgemeine Geschäftsbedingungen Arbeitsgesetzbuch der DDR Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung Allgemeine Bedingungen in der Kraftfahrzeugversicherung Aktiengesetz Allgemeine Lebensversicherungsbedingungen allgemein Abgabenordnung Aufsichtsrat arabisch Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitsplatzschutzgesetz Arbeitszeitgesetz Artikel Allgemeine Unfallversicherungsbedingungen Auflage Gesetz zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) Allgemeine und Besondere Versicherungsbedingungen Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Reisegepäck Angestelltenversicherungsgesetz Außenwirtschaftsgesetz Außenwirtschaftsverordnung Aktenzeichen Arbeitszeitordnung Bundesagentur für Arbeit Gesetz über die Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien Bundesausbildungsförderungsgesetz Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen Bedarfsorientierte variable Arbeitszeit Berufsbildungsgesetz Band/Bände Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Bundesdatenschutzgesetz XV
BerBiFG BErzG BErzGG BetrAVG BetrVG BGB BGH BIP BIZ BMAS BMBF BMBW BMZ BPersVG BRD BSP bspw. BUrlG BVerfG bzw. ca. CDU COMECON CSU DAC DAG DBB DDR DGB d. h. d. i. DIN DM d. s. DVD € ebd. ec ECE ECOFIN ECU Eds. EEA EFTA eG EG EGBGB EGKS EGV E-Mail XVI
Berufsbildungsförderungsgesetz Bundeserziehungsgesetz Bundeserziehungsgeldgesetz Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung Betriebsverfassungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Bruttoinlandsprodukt Bank für Internationalen Zahlungsausgleich Bundesministerium für Arbeit und Soziales Bundesministerium für Bildung und Forschung Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit Bundespersonalvertretungsgesetz Bundesrepublik Deutschland Bruttosozialprodukt beispielsweise Bundesurlaubsgesetz Bundesverfassungsgericht beziehungsweise cirka Christlich-Demokratische Union Council for Mutual Economic Assistance (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe) Christlich-Soziale Union Development Assistance Commitee Deutsche Angestellten-Gewerkschaft Deutsche Bundesbank Deutsche Demokratische Republik Deutscher Gewerkschaftsbund das heißt das ist Deutsche Industrie-Norm (Verbandszeichen des Deutschen Normenausschusses) Deutsche Mark das sind Digitale Versatile Disc (Datenträger) Euro ebenda eurocheque wie auch electronic cash Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa Rat der EG-/EU-Wirtschafts- und Finanzminister Europäische Währungseinheit (European Currency Unit) Editors Einheitliche Europäische Akte Europäische Freihandelsassoziation (European Free Trade Association) eingetragene Genossenschaft Europäische Gemeinschaft(en) Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl EG-Vertrag Electronic Mail
engl. EntgFzG ErbbRVO ErbStG ERP EStDV EStG ESZB EStR et al. EU EURATOM etc. e. V. evtl. EWG EWI EWR EWS EZB f. ff. FDP FGO FH GATT GdbR GEMA geb. gem. GenG gest. GewO GewStG GG ggfs. GmbH GmbHG GOÄ GOZ griech. GrStG GWB HandwO Hg. Hrsg. hrsgg. HGB HOAI HV
englisch Entgeltfortzahlungsgesetz Erbbaurechtsverordnung Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz Marshall-Plan-Hilfe (European Recovery Program) Einkommensteuer-Durchführungsverordnung Einkommensteuergesetz Europäisches System der Zentralbanken Einkommensteuer-Richtlinien et alii (lat.: u. andere) Europäische Union Europäische Atomgemeinschaft et cetera (und so weiter) eingetragener Verein eventuell Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Europäisches Währungsinstitut Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Währungssystem Europäische Zentralbank folgende(r) folgende Freie Demokratische Partei Finanzgerichtsordnung Fachhochschule(n) Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (General Agreement on Tariffs and Trade) Gesellschaft des bürgerlichen Rechts Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte geboren gemäß Genossenschaftsgesetz gestorben Gewerbeordnung Gewerbesteuergesetz Grundgesetz gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH-Gesetz Gebührenordnung für Ärzte Gebührenordnung für Zahnärzte griechisch Grundsteuergesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz) Handwerksordnung Herausgeber Herausgeber herausgegeben Handelsgesetzbuch Honorarverordnung für Architekten und Ingenieure Hauptversammlung XVII
i. a. IBRD i. d. F. i. d. R. i. e. S. IG IG incl. insb. insges. InsO i. S. IT IuK ital. i. Verb. m. IWF i. w. S. JArbSchG Jh. KAGG KAPOVAZ KAW KfW Kfz kg KG KGaA KMK KraftStG KSchG KStG KW KWG LadschlG lat. lt. LPG LZB m m. a. W. MEZ Mio. MitbestG Mrd. MuSchG mWv NC n. F. NJW NÖS XVIII
im allgemeinen Weltbank (International Bank for Reconstruction and Development) in der Fassung in der Regel im engeren Sinne Interessengemeinschaft Industriegewerkschaft inclusive insbesondere insgesamt Insolvenzordnung im Sinne Information Technology Informations- und Kommunikationstechnologie italienisch in Verbindung mit Internationaler Währungsfonds (Weltwährungsfonds, International Monetary Fund) im weiteren Sinne Jugendarbeitsschutzgesetz Jahrhundert Gesetz über die Kapitalanlagegesellschaft Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit Konzertierte Aktion Weiterbildung Kreditanstalt für Wiederauf bau Kraftfahrzeug Kilogramm Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Kultusministerkonferenz Kraftfahrzeugsteuergesetz Kündigungsschutzgesetz Körperschaftsteuergesetz Kilowatt Kreditwesengesetz Ladenschlußgesetz lateinisch laut Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft Landeszentralbank Meter mit anderen Worten mitteleuropäische Zeit Million(en) Mitbestimmungsgesetz Milliarde(n) Mutterschutzgesetz mit Wirkung vom Numerus clausus neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Neues Ökonomisches System
NÖSPL
Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft Nr. Nummer NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei OECD Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwickung (Organization for Economic Cooperation and Development) OEEC Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (Organization for European Economic Cooperation) ÖSS Ökonomisches System des Sozialismus ÖTV Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr oHG offene Handelsgesellschaft o. O. ohne Ort PDS Partei des Demokratischen Sozialismus PflVG Pflichtversicherungsgesetz PGH Produktionsgenossenschaft des Handwerks PKW Personenkraftwagen ProdHaftG Produkthaftungsgesetz ppa./pp. per procura rd. rund RE Rechnungseinheiten RechKredV Verordnung über die Rechnungslegung der Kreditinstitute REFA Reichsausschuß für Arbeitszeitermittlung (ursprünglich); heute: Verband für Arbeitsstudien und Betriebsorganisation e. V. resp. respektive RGW Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (COMECON) RVO Reichsversicherungsordnung $ Dollar S. Seite s. siehe Schufa (SCHUFA) Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung e. V. (ursprünglich); heute: SCHUFA (HOLDING AG) SchwbG Schwerbehindertengesetz SDR Special Drawing Rights SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SGB Sozialgesetzbuch SGG Sozialgerichtsgesetz SGN 79 a Sonderbedingungen für die Gleitende Neuwertversicherung von Wohn-, Geschäfts- und landwirtschaftlichen Gebäuden von 1979 SMS Short Message Services sog. sogenannte(r) SozVersKorrG Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SprAuG Sprecherausschußgesetz StEntlG Steuerentlastungsgesetz StGB Strafgesetzbuch StSenkG Steuersenkungsgesetz StVG Straßenverkehrsgesetz s. u. siehe unten SVR Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung SvZ System vorbestimmter Zeiten XIX
TVG TzBfG u. u. a. u. ä. u. a. m. UNO US USA usw. UWG v. v. a. VAG VGB 1 VDE VEB VerbrKrG VerglO VermBG vgl. VGR v. H. VHB 62 VHB 74 VHB 84 VHB 88 VOB VStG VVaG VVB VVG vzbv WG WoEigG WWU z. B. Ziff. ZK ZPO z. T. ZVG zzgl.
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Tarifvertragsgesetz Teilzeit- und Befristungsgesetz und und andere(s) und ähnliche(s) und andere(s) mehr Vereinte Nationen (United Nations Organization) United States (of America), Vereinigte Staaten (von Amerika) United States of America, Vereinigte Staaten von Amerika und so weiter Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb vom/von vor allem Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz) Unfallverhütungsvorschrift „Allgemeine Vorschriften“ Verband Deutscher Elektrotechniker Volkseigene Betriebe Verbraucherkreditgesetz Vergleichsordnung Vermögensbildungsgesetz vergleiche Volkswirtschaftsliche Gesamtrechnung vom Hundert Allgemeine Bedingungen für die Neuwertversicherung von Wohngebäuden gegen Feuer-, Leitungswasser- und Sturmschäden von 1962 Allgemeine Bedingungen für die Neuwertversicherung des Hausrats gegen Feuer-, Einbruchdiebstahl-, Beraubungs-, Leitungswasser-, Sturmund Glasbruchschäden von 1974 Allgemeine Hausratsbedingungen von 1984 Allgemeine Wohngebäudeversicherungsbedingungen von 1988 Verdingungsordnung für Bauleistungen Vermögensteuergesetz Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Vereinigungen Volkseigener Betriebe Versicherungsvertragsgesetz Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. Wechselgesetz Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht (Wohnungseigentumsgesetz) Europäische Wirtschafts- und Währungsunion zum Beispiel Ziffer Zentralkomitee Zivilprozeßordnung zum Teil Gesetz über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung zuzüglich
Abbuchungsauftrag
Abnahme
A Abbuchungsauftrag im Rahmen des → bargeldlosen Zahlungsverkehrs vom Inhaber eines Bankkontos (Zahlungspflichtigen) seiner → Bank/ → Sparkasse erteilter schriftlicher Auftrag, → Lastschriften (d. h. → Forderungen zu Lasten seines → Kontos) eines bestimmten → Gläubigers (Zahlungsempfängers) einzulösen (d. h. von seinem Konto abzubuchen). → Überweisung.
→ Steuer auf → Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Einkommensteuergesetz). abgestimmtes Verhalten formlose (direkte oder indirekte) Verständigung von → Unternehmen oder Vereinigungen von Unternehmen über die Beeinflussung von Marktverhältnissen durch Wettbewerbsbeschränkung. Nach § 1 GWB verboten.
Abfindung einmalige Zahlung zur Abgeltung wiederkehrender oder der Höhe nach nicht genau feststellbarer vermögensrechtlicher Ansprüche; auch im Sinne von Entschädigung verwendet. Gemäß Arbeitsrecht vom → Arbeitgeber dem → Arbeitnehmer zu entrichtende Geldsumme in folgenden Fällen: 1. Urteil im → Kündigungsschutzprozeß bei Unwirksamkeitserklärung der → Kündigung; 2. → Vergleich im Kündigungsschutzprozeß und Beendigung des → Arbeitsverhältnisses; 3. → Aufhebungsvertrag zur Umgehung einer Kündigung; 4. → Betriebsänderung (§§ 111 – 113 BetrVerfG). Gemäß Sozialversicherungsrecht in besonderen Fällen möglich.
Abhängige unselbständige → Erwerbstätige, insbesondere → Beamte, → Angestellte und → Arbeiter. Gegensatz: → Selbständige.
Abgaben Sammelbegriff für vom Staat (Bund, Ländern, Gemeinden) und anderen → Körperschaften des öffentlichen Rechts von Personen und → Unternehmen verlangte Pflichtzahlungen. Die A. umfassen: → Steuern, → Zölle, → Gebühren, → Beiträge und Sonderabgaben. Siehe auch: → Sozialabgaben.
Ablauforganisation → Organisation.
Abgabenquote Verhältnis der Gesamtheit von → Steuern und → Sozialbeiträgen zum → Bruttoinlandsprodukt in jeweiligen → Preisen. Die A. wird i. d. R. in einem Prozentsatz ausgedrückt. Siehe auch → Staatsquote. Abgeltungsteuer ⇒ Abschlagsteuer zum 1. 1. 2009 an die Stelle der bis dahin geltenden Kapitalertragsteuer getretene
Abhandenkommen eines Sparbuches → Kontensparen. abhören von privaten Telefongesprächen die heimliche Zugänglichmachung des nicht öffentlich gesprochenen (z. B. innerbetrieblich), fernmündlich übermittelten Wortes ist ein Verstoß gegen die Persönlichkeitsrechte des Sprechers. Wird auf Antrag bestraft. Ablaufhemmung → Verjährung.
Ablaufpolitik ⇒ Prozeßpolitik. ABM Abk. für → Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Abmahnung Aufforderung, ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen. Kann bei Nichtbeachtung den Fortbestand eines bestehenden Vertragsverhältnisses (z. B. → Mietverhältnis, → Arbeitsverhältnis) gefährden. Abnahme beim → Kaufvertrag: körperliche Entgegennahmedergekauften→ Sache;beim→ Werkvertrag: Entgegennahme der hergestellten Sache sowie Anerkennung der vertragsgemäßen Herstellung; beim → Reparaturver1
Abnahme
trag: Entgegennahme der reparierten Sache sowie Einverständniserklärung des Kunden mit der erbrachten Leistung. Die Abnahme setzt demnach voraus, daß der Kunde vom Handwerker die Möglichkeit eingeräumt bekommt, die erbrachte Leistung zu überprüfen und gegebenenfalls zurückzuweisen. Nach der gängigen Rechtsprechung muß die Handwerksleistung „im wesentlichen“ der Vertragsvereinbarung entsprechen. Geringfügige Abweichungen von dieser Vereinbarung rechtfertigen somit keine Abnahmeverweigerung; sie geben jedoch dem Kunden das Recht, entsprechende → Gewährleistungsansprüche zu stellen. Solange der Kunde berechtigterweise nicht abnimmt, kann er vom Handwerker die vollständige und mangelfreie Erbringung der vereinbarten Leistung (d. h. des Reparaturerfolges) verlangen. Nimmt der Kunde ab, so kann er nur noch Gewährleistungsansprüche nach § 634 BGB anmelden. Ist der Kunde – aus welchen Gründen auch immer – „gezwungen“, die Sache trotz nicht befriedigender Ausführung der Reparatur an sich zu nehmen (beispielsweise weil er den PKW für eine Reise benötigt), so ist es ratsam (schriftlich oder vor Zeugen) festzustellen, daß er die Abnahme verweigert hat. Die Abnahme der Leistung hat noch weitere Rechtsfolgen: mit ihr 1. geht die → Gefahr (das Risiko) einer zufälligen (→ Zufall) Beschädigung oder Vernichtung der Sache auf den Kunden über; 2. beginnt die → Verjährungsfrist (in der Regel 3 Jahre) zu laufen; 3. wird die Forderung des Handwerkers auf Bezahlung seiner Rechnung fällig. Absatz → Umsatz. Abschlagsteuer ⇒ Abgeltungsteuer. Abschlagszahlung ⇒ Teilzahlung. Abschlußarbeiten → Vor- und Abschlußarbeiten. Abschlußzwang ⇒ Kontrahierungszwang gewissen → Unternehmen durch Gesetz auferlegte Pflicht, → Verträge bestimmten 2
Abschreibung
Inhaltes mit jedem Antragenden (→ Antrag) abzuschließen, so zum Beispiel Verkehrsunternehmen (Nahverkehr, Bahn, Bus, Taxi), Deutsche Post AG, Unternehmen der Telekommunikation, Sparkassen bezüglich Spareinlagen, öffentlichen Versorgungsunternehmen. Abschnittsreparatur (Teilreparatur), Reparatur eines beschädigten Teiles. Nach dem durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsatz muß jeder vom Handwerker in Erfüllung seines Auftrages (→ Reparaturvertrag) betriebene Aufwand dem Gebot der Wirtschaftlichkeit entsprechen. Der Handwerker verstößt gegen dieses Gebot, wenn er auf vagen Verdacht hin einfach teuere Teile auswechselt oder tatsächlich beschädigte Teile gegen Neuteile auswechselt, obgleich eine Reparatur des beschädigten Teiles den gleichen Effekt brächte und billiger wäre. Abschöpfungen bei der Einfuhr von Marktordnungswaren (d. s. Waren, die der → Marktordnung unterliegen, so insbesondere Agrarprodukte) in der → EU zum Ausgleich des Unterschiedes zwischen den Preisen der Erzeugnisse auf dem Weltmarkt und in der EU erhobene Abgaben, um die höheren (Agrarmarkt-) Preise innerhalb der Union zu halten und zu schützen. Mit anderen Worten: Die niedrigeren Preise aus Drittländern werden auf das Niveau der → Schwellenpreise hochgeschleust. Abschreibung Verfahren, um im Rechnungswesen einer → Unternehmung die Wertminderung der Gegenstände des → Anlagevermögens (z. B. Gebäude, Maschinen, Kraftfahrzeuge) zu erfassen. Die A. ist der durch abnutzungsbedingten oder natürlichen (Rost, Fäulnis) Verschleiß, → technischen Fortschritt oder Ablauf zeitlich beschränkter Rechte (Verträge, Patente) von dem → Anschaffungswert oder den → Herstellungskosten des Anlagegutes über die Nutzungsjahre als periodengerechter → Aufwand in Abzug zu bringende Teilbetrag. Durch die A. werden die Anlagegegenstände des Betriebsvermögens jährlich auf ihren im Zeitverlauf
Abschreibung
abnehmenden Zeitwert heruntergerechnet. Die Abschreibungsbeträge gehen als Aufwand in die → Gewinn- und Verlustrechnung (Erfolgsrechnung) des Unternehmens ein und schmälern dort den → Gewinn. Abschwung ⇒ Rezession die dem → Boom folgende Phase im → Konjunkturzyklus; Einschränkung der → Produktion, Freisetzung von Arbeitskräften, abnehmendes Bruttoinlandsprodukt → Konjunktur. Absonderung Recht von Gläubigern auf vorzugsweise Befriedigung ihrer Forderungen im → Insolfenzverfahren, soweit diese durch → Pfandrechte an → beweglichen Sachen und → Grundpfandrechte oder → Sicherungseigentum an Gegenständen der → Insolvenzmasse gesichert sind oder soweit den → Gläubigern sicherungsweise Forderungen abgetreten (→ Abtretung von Forderungen) wurden. Diese Gläubiger dürfen sich außerhalb des → Insolvenzverfahren aus den Sicherungsgegenständen befriedigen (§§ 49 u. 165ff. InsO). Abstandszahlung vom Mieter an Vermieter, ausziehenden Vormieter oder Dritten für die Überlassung von Mieträumen zu leistende Zahlung. Abteilungsversammlung eine besondere Form der → Betriebsversammlung. → Arbeitnehmer organisatorisch oder räumlich abgegrenzter Betriebsteile sind vom → Betriebsrat zu A. zusammenzufassen, wenn dies für die Erörterung der besonderen Belange der Arbeitnehmer erforderlich ist. Die A. wird von einem Mitglied des Betriebsrates geleitet, das möglichst einem beteiligten Betriebsteil als Arbeitnehmer angehört (§ 42 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz). Abtretung des Herausgabeanspruches → formfreier (in der Regel jedoch schriftlicher) → Vertrag, durch den eine Person ihren Anspruch auf Herausgabe einer Sache auf einen Dritten überträgt. H. haben nach BGB unter anderen folgende Personen: 1. der Eigentümer gegenüber dem
Abtretung von Forderungen
zum → Besitz nicht berechtigten Besitzer (§ 985 BGB); 2. der Vermieter gegenüber dem Mieter nach Beendigung des Mietverhältnisses (→ Miete, §§ 546, 546a BGB); 3. der Verleiher gegenüber dem Entleiher (→ Leihe, § 604 BGB); 4. der Hinterleger gegenüber dem Verwahrer (§ 695 BGB); 5. der Erbe gegenüber dem Erbschaftsbesitzer (§ 2018 BGB). Abtretung von Forderungen (⇒ Forderungsabtretung, → Zession), → formfreier (in der Regel jedoch schriftlicher) → Vertrag, durch den ein → Schuldner mit seinem → Gläubiger vereinbart, daß seine → Forderungen gegenüber Dritten (⇒ Drittschuldnern) → zahlungshalber auf den Gläubiger übergehen. Der Drittschuldner braucht von der Abtretung nicht benachrichtigt zu werden. Mit Abschluß des Abtretungsvertrages tritt der neue Gläubiger an die Stelle des bisherigen Gläubigers (§ 398 BGB). Der neue Gläubiger kann vom alten Gläubiger auf dessen Kosten eine öffentlich beglaubigte (→ öffentliche Beglaubigung) Abtretungsurkunde verlangen. Zahlt der Schuldner in Unkenntnis der Abtretung an den alten Gläubiger, so wird er frei. Es erscheint deshalb ratsam, den Schuldner von der Abtretung in Kenntnis zu setzen. Dies kann durch den alten oder auch den neuen Gläubiger geschehen. Grundsätzlich sind alle Forderungen abtretbar, auch bedingte und erst künftig entstehende, sofern sie genügend bestimmbar sind. Nicht abtretbar sind: 1. Forderungen, deren Inhalt sich durch die Abtretung ändern würde (z. B. auf Anteilsleistungen, § 399 BGB); 2. → unpfändbare Forderungen (z. B. Lohn- und Gehaltsforderungen innerhalb der Pfändungsfreigrenzen [→ pfändungsfrei] § 400 BGB); 3. Forderungen, deren Abtretbarkeit vertraglich (durch Abtretungsvertrag, → Betriebsvereinbarung oder → Tarifvertrag) zwischen Gläubiger und Schuldner ausgeschlossen ist (z. B. bei Lohn- und Gehaltszahlungen möglich, § 399 BGB); 4. Renten, die wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten sind; 5. Unterhaltsrenten, die auf gesetzlichen Vorschriften beruhen 3
Abtretung von Forderungen
(z. B. Unterhaltsansprüche eines Kindes gegen die Eltern, § 850 b ZPO). Renten wegen → Berufsunfähigkeit, → Erwerbsminderung oder → Alters können in gleichem Umfang wie Lohn- und Gehaltsforderungen abgetreten werden (Art. 1 § 53 Abs. 3 Sozialgesetzbuch I, Allgemeiner Teil). In der Bankpraxis werden zur Sicherung von Krediten abgetreten: 1. Forderungen aus Warenlieferungen und Dienstleistungen, 2. Lohn- und Gehaltsforderungen, 3. Miet- und Pachtforderungen, 4. Ansprüche aus Lebensversicherungen, 5. Ansprüche aus Bausparverträgen, 6. Forderungen gegenüber Kreditinstituten aus Termingeldkonten, Sparkonten und → Sparbriefen. Die in Kreditverträgen großteils anzutreffenden → Lohnabtretungsklauseln erstrekken sich außer auf die pfändbaren Teile des Arbeitslohnes auch auf die pfändbaren Teile aus Provisionen, → Arbeitslosengeld I, → Arbeitslosengeld II, → Kurzarbeitergeld, → Erwerbsminderungs- und → Hinterbliebenenrente, Ansprüche auf → Steuerrückerstattung und meist pauschal auf alle sonstigen Einnahmen und Ansprüche des Kreditnehmers. Solche umfassenden, formularmäßigen Vorausabtretungen benachteiligen nach Auffassung des Bundesgerichtshofes den Kunden unangemessen und sind deshalb unwirksam. Unwirksam sind derartige Abtretungsklauseln darüber hinaus auch dann, wenn sich die Bank ohne Berücksichtigung der (berechtigten) Interessen des Kreditnehmers unverhältnismäßig hoch absichert, so zum Beispiel, wenn sie Lohnabtretungen zeitlich und betragsmäßig nicht begrenzt oder diese in vollem Umfang weiterbestehen läßt, obgleich nur noch ein geringer Schuldbetrag offensteht. Abwehraussperrung → Aussperrung. Abwertung Senkung des Außenwertes der Inlandswährung (d. h. des Preises der inländischen Währung in ausländischen Währungseinheiten) oder Erhöhung des → Devisenkurses. So sinkt beispielsweise bei einer A. des → Euro der Preis für 1 Euro von 1,4857 US 4
AGB
Dollar auf 1,4153 US Dollar. Eine A. des Euro wird im System → freischwankender Wechselkurse durch ein (im Vergleich zur → Nachfrage) verstärktes → Angebot von Euro an der Devisenbörse, im System → fester Wechselkurse durch eine Änderung (Senkung) des Wechselkurses durch den Staat bewirkt. Die A. führt zu einer Verbilligung und damit einer Erhöhung der Exporte beziehungsweise zu einer Verteuerung und damit einer Drosselung der Importe. Abzinsung Ermittlung des Gegenwartswertes eines bestimmten Endkapitals oder Bestimmung des Barwertes zukünftiger Zahlungen. abzugsfähige Ausgaben Sammelbegriff des Steuerrechts für → Betriebsausgaben,→ Werbungskosten,→ Sonderausgaben und → außergewöhnliche Belastungen, die vom → zu versteuernden Einkommen in Abzug gebracht werden dürfen. Abzugsverfahren → Steuerverfahren. administrierte Preise → Preis. Änderungskündigung Kündigung eines → Vertrages bei gleichzeitigem → Angebot eines neuen (meistens für den, dem der Vertrag gekündigt wurde ungünstigeren) Vertrages. Im Arbeitsrecht durch § 2 Kündigungsschutzgesetz geregelt: → Kündigung des → Arbeitsvertrages mit dem gleichzeitigen Angebot der Fortsetzung des → Arbeitsverhältnisses zu geänderten Bedingungen. Auch die Ä. unterliegt dem → Kündigungsschutz. Falls eine umgehende Änderung der Arbeitsbedingungen unaufschiebbar notwendig ist und die neuen Bedingungen dem → Arbeitnehmer zumutbar sind, kann die Ä. auch außerordentlich (fristlos) erfolgen. AG Abk. für → Aktiengesellschaft. AGB Abk. für ⇒ Allgemeine Geschäftsbedingungen.
Agentur(en) für Arbeit
Agentur(en) für Arbeit → Bundesagentur für Arbeit. Agrarmarktordnungen (in der EU) Der Gemeinsame Agrarmarkt in der EU beruht auf einem System von A. Diese zielen auf: (1) gemeinsame Wettbewerbsregeln, (2) bindende Koordinierung der verschiedenen einzelstaatlichen Marktordnungen, (3) eine Europäische Marktordnung. Die gemeinsamen A. (z. B. für die wichtigsten Getreidearten, Zucker, Milcherzeugnisse, Fleisch, Wein, Obst und Gemüse) verfügen über ein einheitliches Konzept garantierter Erzeugerpreise in den Mitgliedsländern sowie ein Schleusensystem an deren Grenzen. So wirken im Außenhandel einerseits → Abschöpfungen auf Importe als Ausgleich für relativ niedrige Weltmarktpreise und andererseits → Erstattungen als Beihilfen zur Ausfuhr. Über eine derartige → Preispolitik soll nicht nur eine quantitativ wie qualitativ ausreichende und kostengünstige Versorgung der Bevölkerung ermöglicht werden, es soll damit auch die Einkommensfinanzierung der in der Landwirtschaft Tätigen sichergestellt werden. Akkordarbeit Erwerbstätigkeit, die nach der geleisteten Arbeitsmenge entlohnt wird. Siehe auch → Akkordlohn. Akkordlohn ⇒ Stücklohn → Entlohnungsformen. Akkordsatz → Stücklohn unterliegt nach § 87 Abs. 1 Nr. 11 Betriebsverfassungsgesetz dem → Mitbestimmungsrecht des → Betriebsrates. Akkreditiv → Dokumenten-Akkreditiv. AKP-Staaten → Entwicklungsländer aus Afrika, der Karibik und dem pazifischen Raum, die mit der → EU wirtschaftliche Kooperationsvereinbarungen getroffen haben. Aktie → Wertpapier, das die von einem → Aktionär durch Übernahme eines Anteils am
Aktiengesellschaft (AG)
→ Grundkapital einer → Aktiengesellschaft oder einer → Kommanditgesellschaft auf Aktien erworbenen (Teilhaber-)Rechte verbrieft. Aktien von Aktiengesellschaften lauten entweder auf einen festen Nennbetrag (→ Nennbetragsaktien; Mindestnennbetrag 1 Euro) oder auf keinen Nennbetrag ([nennbetragslose] → Stückaktien; sie sind am → Grundkapital in gleichem Umfang beteiligt; der anteilige Betrag des Grundkapitals darf 1 Euro nicht unterschreiten). Zum 31. 12. 2001 wurden alle börsennotierten Aktien auf nennwertlose Stückaktien umgestellt. Mit dem Erwerb einer Aktie/ von Aktien wird man → Aktionär. Aktienfonds Sondervermögen einer → Kapitalanlagegesellschaft (⇒ Investmentgesellschaft), das vorwiegend oder ausschließlich in Aktien angelegt ist. Aktiengesellschaft (AG) → Gesellschaftsunternehmung mit eigener → Rechtspersönlichkeit (⇒ juristische Person). Das Gesellschaftskapital (⇒ Grundkapital), das mindestens 50 000 Euro (§ 7 AktG) betragen muß, ist in sogenannten → Aktien aufgeteilt. Die A. hat drei Organe: (1) Vorstand, (2) Aufsichtsrat und (3) Hauptversammlung. Zu (1): Der Vorstand wird vom Aufsichtsrat auf höchstens 5 Jahre bestellt. Wiederholte Bestellung ist möglich. Er besteht aus einer oder mehreren Personen, die nicht Aktionäre sein brauchen, aber auf keinen Fall dem Aufsichtsrat angehören dürfen. Der Vorstand leitet das Unternehmen in eigener Verantwortung und vertritt es nach außen (Gesamtgeschäftsführungs- und Gesamtvertretungsbefugnis). Dem Aufsichtsrat muß er regelmäßig über Stand und Entwicklung des Unternehmens berichten. In den ersten drei Monaten eines Geschäftsjahres hat er den Jahresabschluß und den Geschäftsbericht für das vergangene Jahr zu erstellen und den Abschlußprüfern vorzulegen. Außerdem muß er die ordentliche Hauptversammlung einberufen. In A. mit mehr als 2000 → Arbeitnehmern werden die Vorstandsmitglieder mit ZweiDrittel-Mehrheit bestellt. Es ist außerdem ein Vorstandsmitglied (Arbeitsdirektor) für die Personal- und Sozialpolitik zuständig. 5
Aktiengesellschaft (AG)
Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft e. V. (ASM)
Zu (2): Der Aufsichtsrat (AR) wird (a) bei Gesellschaften bis 2000 Arbeitnehmer zu ⅔ von der Hauptversammlung und zu ⅓ von den Arbeitnehmern der Gesellschaft auf 4 Jahre gewählt; er besteht aus mindestens 3 Mitgliedern; eine durch Satzung festgelegte höhere Zahl von AR-Mitgliedern muß durch 3 teilbar sein; (In Familiengesellschaften mit weniger als 500 Arbeitnehmern können die Beschäftigten keine Mitglieder in den AR entsenden!) (b) bei Gesellschaften mit mehr als 2000 Arbeitnehmern mit der gleichen Anzahl von Mitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer besetzt; die im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften haben im AR Sitz und Stimme; der Vorsitzende des AR wird durch die Anteilseigner, der Stellvertreter des Vorsitzenden durch die Arbeitnehmer bestimmt. – Bei Gesellschaften der Montanindustrie besteht der AR aus 11 Mitgliedern – darunter mindestens 4 Arbeitnehmer – die mit bestimmten Einschränkungen alle von der Hauptversammlung gewählt werden. – Der AR überwacht die Tätigkeit des Vorstandes, prüft den Jahresabschluß, den Geschäftsbericht und den Prüfungsbericht (Berichterstattung eines Prüfers § 166 AktG) sowie den Vorschlag des Vorstandes über die Verteilung des Bilanzgewinnes (→ Gewinn- und Verlustrechnung) und berichtet hierüber der Hauptversammlung. Er kann bei Vorliegen eines wichtigen Grundes den Vorstand abberufen. Außerdem kann er außerordentliche Hauptversammlungen einberufen. Zu (3): Die Hauptversammlung (HV) als Zusammenkunft der Aktionäre wird in der Regel einmal jährlich einberufen. Sie beschließt über die Grundfragen der Gesellschaft (Satzungsänderungen, Kapitalerhöhung, Verwendung des Bilanzgewinnes, Entlastung des Vorstandes und des AR, Verschmelzung mit einer anderen Gesellschaft, Auflösung u. a.). Das Stimmrecht wird nach Aktiennennbeträgen, bei Stückaktien nach deren Anzahl ausgeübt (§ 134 AktG). Bei der Auflösung der Unternehmung erhalten die Aktionäre entsprechend ihrem Anteil am Grundkapital einen Anteil am Reinerlös aus der Verwertung des → Vermögens nach Begleichung der Schulden. 6
Am 10. 8. 1994 trat das „Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts“ in Kraft. Ziel dieser Gesetzesnovelle, die keine neue Rechtsform im Kapitalgesellschaftsrecht kreiert, ist es, die Rechtsform der AG auch für mittelständische Unternehmen, die überwiegend als → GmbH firmieren, zugänglich und attraktiv zu machen. Durch Wegfall der → Mitbestimmung bei einer Mitarbeiterzahl bis zu 500, die Einpersonen-Gründung, entbürokratisierte → Hauptversammlungen und größere Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der Gesellschaftsorgane soll den mittelständischen → Unternehmen eine direkte Eigenkapitalfinanzierung und eventuell ein späterer Börsenzugang ermöglicht werden. Aktienindex Kennziffer, die die Entwicklung der Kurswerte (→ Kurse) von → Aktien im Zeitverlauf zum Ausdruck bringt und damit Wertvergleiche zwischen verschiedenen Zeitpunkten ermöglicht. Der bekannteste deutsche A. ist der → DAX. Aktienoptionen ⇒ Stock Options. Aktionär Eigentümer einer → Aktie und damit Miteigentümer am Vermögen der diese Aktien ausgebenden → Aktiengesellschaft. Rechte des A.: Anspruch auf Anteil am Gewinn (→ Dividende), → Bezugsrecht bei Ausgabe junger A. oder von → Wandelschuldverschreibungen, Stimmrecht und Auskunftsrecht in der → Hauptversammlung, Anspruch auf Anteil am Liquidationserlös bei Auflösung der Aktiengesellschaft. Pflichten des A.: Zahlung der Einlage in Höhe des Nennwertes der Aktie bzw. des auf die einzelne → Stückaktie entfallenden anteiligen Betrages des → Grundkapitals und gegebenenfalls eines Aufgeldes (Agio), Haftung bis zur Höhe der Einlage. Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft e. V. (ASM) Die ASM wurde im Jahr 1953 als eine überparteiliche Vereinigung von Wissenschaftlern, → Unternehmern, → Verbänden und Privatpersonen gegründet. Ihr Ziel war und ist, die → Soziale Marktwirtschaft als freie
ASM
ASM
→ Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu verwirklichen. Die Freiheit des Individuums zu Meinungsäußerung und politischer Betätigung ist ohne ein gleiches Maß an Freiheit für sein wirtschaftliches Engagement nicht denkbar.
ten und Gruppen schlagen, um deren Verständnis der Sozialen Marktwirtschaft zu fördern. Diesem Ziel dienen auch entsprechende Ringvorlesungen im Rahmen des Studium generale-Programms der Universität Tübingen.
Schwerpunkte der publizistischen Tätigkeit der ASM sind die Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft und die Befreiung der Bürger aus der sozialpolitischen Unmündigkeit, die Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Integration sowie die Bedeutung der → Globalisierung. Zudem setzt sich die ASM derzeit mit den Ursachen und Folgen der zweiten Weltwirtschaftskrise der Neuzeit auseinander. Dazu werden auch für jeweils unterschiedliche Zielgruppen Veranstaltungen organisiert. Die ASM bietet ein Forum, auf dem Anregung, Ermutigung und Kritik in konstruktiver Weise auf politische Entscheidungen Einfluss nehmen sollen:
Eine interdisziplinär ausgerichtete Konferenzreihe der ASM mit Experten aus Wirtschaft und Kultur widmet sich einmal im Jahr den unterschiedlichen Vorstellungen des → Wettbewerbs. Obwohl Wettbewerb zu einem beherrschenden Faktor geworden ist, unterscheiden sich die Auffassungen sowohl zwischen den Kulturen als auch durch die Schauplätze, auf denen Wettbewerb herrscht. Dabei darf die Blickrichtung in Zeiten der → Weltwirtschaftskrise und der Globalisierung nicht auf die westliche Kultur beschränkt bleiben, da spätestens seit dem 11. September 2001 das Szenarium für Kulturkonflikte aller Art erkennbar weltweit dimensioniert ist.
Im Rahmen der Wilhelm-Röpke-Gespräche werden ordnungs-, gesellschafts- und europapolitische Themen diskutiert. In den Franz-Böhm-Vorträgen werden die Beziehungen zwischen Wirtschaft, Recht und Gesellschaft erörtert. Die Müller-Armack-Symposien geben jungen Wirtschaftswissenschaftlern aus den alten und neuen Bundesländern sowie aus den Reformstaaten Mittel- und Osteuropas Gelegenheit zum wissenschaftlichen Austausch über den Wandel sozialistischer Systeme in einer marktwirtschaftlichen Ordnung und über damit zusammenhängende Fragen im Rahmen der Europäischen Integration. Das studentische Dialogseminar widmet sich jeweils aktuellen wirtschaftspolitischen Themen wie der Energieknappheit, den Folgen der Globalisierung und der Weltwirtschaftskrise. Ausgewählte Studierende verschiedener deutscher Universitäten treten in Dialog mit erfahrenen Vertretern aus Politik, Presse, Wirtschaft und Wissenschaft und erhalten dadurch wertvolle Einblicke. Die ASM-Konferenzen wollen den Austausch um Erhalt und Ausbau der Sozialen Marktwirtschaft voranbringen und eine Brücke zu einflussreichen Persönlichkei-
In den ASM-Workshops erarbeitet ein kleiner Kreis von Experten aus Wissenschaft, Politik und (unternehmerischer) Praxis Stellungnahmen zu aktuellen und grundsätzlichen Themen. Mit der Alexander-Rüstow-Plakette werden Persönlichkeiten für ihren beispielhaften Einsatz um die Festigung und Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft ausgezeichnet. Die ASM baut eine Datenbank zur Sozialen Marktwirtschaft auf, die Auskunft über die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft, deren Autoren sowie über aktuelle Probleme der → Wirtschafts- und → Sozialpolitik geben soll. Ein weiterer besonderer Schwerpunkt der Aktivitäten der ASM ist die wirtschaftspolitische Schulung der jungen Generation. Als verantwortlich handelnde Bürger können nur Menschen auftreten, die über ökonomische Sachverhalte informiert sind und Urteilskraft besitzen. Dieses Ziel erreicht die ASM über ein makroökonomisches Planspiel (MACRO), das sie mit Schülern, Studierenden, Referendaren und Lehrern durchführt. Desweiteren finden in regelmäßigen Abständen Lehrerfortbildungen zu 7
Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft e. V. (ASM)
aktuellen wirtschaftpolitischen Problemstellungen statt. Unter dem Titel „Jenaer Allianz“ kooperiert die ASM mit Institutionen, die sich der Sozialen Marktwirtschaft verpflichtet fühlen. Sie haben es sich zum Ziel gesetzt, durch gemeinsame Veranstaltungen und Veröffentlichungen die Soziale Markwirtschaft zu erneuern, damit diese auch in Zeiten der Globalisierung und des demographischen Wandels ein Erfolgsmodell bleibt. Im Rahmen der „Jenaer Allianz“ wird der ORDO-Preis für ordnungspolitische Innovationen verliehen. Es werden Leistungen prämiert, die auf dem Gebiet der → Ordnungspolitik als innovativ betrachtet werden können und einen Beitrag zur Fortentwicklung einer freiheitlichen und menschenwürdigen Sozialen Marktwirtschaft leisten. Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert. Weitere Informationen unter www.asm-ev.de. Das ASM-Bulletin informiert regelmäßig Mitglieder und Interessenten über sämtliche Aktivitäten der ASM und nimmt zu aktuellen und grundsätzlichen Themen aus der Sicht der Sozialen Marktwirtschaft Stellung. J. S. Aktiva ⇒ Aktivseite ⇒ Aktivposten (lat.) Plural von Aktivum; Sammelbezeichnung für alle auf der Aktivseite der → Bilanz ausgewiesenen Posten, so insbesondere: → Anlagevermögen, → Umlaufvermögen, Rechnungsabgrenzungsposten. Gegensatz: → Passiva. aktive Handelsbilanz → Handelsbilanz. aktive Zahlungsbilanz → Zahlungsbilanz. Aktivposten ⇒ Aktivseite ⇒ Aktiva. Aktivseite ⇒ Aktivposten ⇒ Aktiva. 8
Allfinanz
Akzelerator (lat.: Beschleuniger) zeigt auf, wie sich eine Zunahme der → gesamtwirtschaftlichen Güternachfrage auf die induzierten Nettoinvestitionen auswirkt. Akzeleratoreffekt die sich argumentativ auf den → Akzelerator gründende Erscheinung, daß eine Veränderung der → gesamtwirtschaftlichen Güternachfrage zu einer vergleichsweise weitaus größeren Veränderung der induzierten Nettoinvestitionen führt. Akzelerator-Multiplikator-Prozeß erklärt Schwankungen der → Konjunktur durch Verknüpfung des → Multiplikatoreffektes mit dem → Akzelatoreffekt. Akzept 1. die durch Unterschrift auf einem → Wechsel erklärte Annahme des → Bezogenen, die Wechselsumme bei Fälligkeit zu zahlen. 2. der akzeptierte Wechsel selbst. Alleineigentum Die nur einer Person zustehende rechtliche Herrschaft über eine Sache (Sachherrschaft). Gegensatz: → gemeinsames Eigentum. Allfinanz Seit Mitte der 1980er Jahre prägt „Allfinanz“ (financial services) den deutschen Finanzdienstleistungsmarkt. Hierunter versteht man ein umfassendes, branchenübergreifendes Angebot an Finanzdienstleistungen für Privatkunden durch ein Finanzdienstleistungsunternehmen. Ein solches → Unternehmen kann eine → Bank, ein Versicherungsunternehmen oder eine Bausparkasse sein. Forciert wurde A. dabei vor allem von den Banken. So bietet beispielsweise eine allfinanzorientierte Bank ihren Privatkunden zusätzlich zu ihren klassischen Produkten (Spar- und Anlageprodukten, → Krediten, Wertpapiergeschäft und → Zahlungsverkehr) auch Produkte aus benachbarten Finanzdienstleistungsbranchen an, d. h. sie offeriert nun auch Bausparverträge und diverse Versicherungsprodukte (Lebens- und Sachversicherungen). Ebenso kann eine Versicherungsgesellschaft Bankprodukte und Bausparverträge ins Angebot aufnehmen; und eine Bausparkasse ver-
Allfinanz
treibt im Rahmen ihres A.-konzepts nicht mehr nur Bausparverträge, sondern auch diverse Versicherungen und Bankprodukte. Ein A.-anbieter, z. B. ein → Kreditinstitut, kooperiert dabei in der Produkt- und Vertriebspolitik mit Unternehmen aus der jeweiligen anderen Finanzdienstleistungsbranche. Einer solchen Zusammenarbeit liegen üblicherweise entsprechende Kooperationsverträge zugrunde. Zur geschäftspolitischen Absicherung von A.-kooperationen werden mitunter Beteiligungen am jeweiligen Kooperationsunternehmen vorgenommen. Realisiert werden auch sog. Konzernlösungen, d. h. hier gründet z. B. eine Bank ein eigenes Versicherungs- und/oder ein eigenes Bausparunternehmen als Tochterunternehmen. Kooperationslösungen praktizieren beispielsweise die → Sparkassen im Verbund mit den öffentlichen Versicherungsunternehmen (z. B. mit der Provinzial) und den Landesbausparkassen sowie die Volks- und Raiffeisenbanken zusammen mit der R+V Versicherung und der Bausparkasse Schwäbisch Hall. Die Deutsche Bank hat dagegen zur Realisierung ihres A.-konzepts 1987 ein eigenes Bausparunternehmen gegründet; im Versicherungsbereich kooperiert sie mit der Zurich Versicherungsgruppe. A. wird mittlerweile von allen größeren Banken und Versicherungen und von jeder Bausparkasse praktiziert. Der geschäftspolitische Ansatz von A. bedeutet, dass der Kunde „aus einer Hand“ bzw. „unter einem (Firmen-)Dach“ mit umfangreichen Finanzdienstleistungen versorgt werden soll. Hierzu richtet der Finanzdienstleister seine A.-angebote typischerweise nach Kundengruppen aus, z. B. nach Berufsanfängern/→ Auszubildenden, Familiengründern, Immobilienkäufern, einkommensstarken Personen, Senioren etc. Solche Kundengruppen leiten sich oftmals aus sog. Lebensphasenmodellen ab. Der A.-ansatz basiert letztlich auf der marktpolitischen Strategie der Sortimentserweiterung und des Ausbaus der Vertriebswege. Durch Aufnahme von Produkten aus dem Versicherungs- und Bausparbereich in das Sortiment ist eine Bank in der Lage, unterschiedliche finanzielle Kundenbedürfnisse
Allfinanz
abzudecken. Und zusätzlich zu den eigenen Filialen (Zweigstellen) nutzt sie für den Absatz ihrer Bankprodukte auch die Vertriebswege der A.-partner. Was für das Sortiment und die Vertriebswege eines Kreditinstituts gilt, gilt analog auch für den Versicherungsund/oder Bausparkassenpartner. Die Ausweitung des Produktangebots orientiert sich an typischen Finanzdienstleistungbedürfnissen. Folgende Bedürfnisfelder (mit beispielhaft zugeordneten Finanzdienstleistungsprodukten) sind dabei für ein A.-angebot von Bedeutung: (1) Transaktionen abwickeln und Liquidität sichern (→ Girokonto, → Sichteinlagen, → ec-Karte, → Kreditkarte, → Ratenkredite etc.) (2) → Geldvermögen bilden (→ Spareinlagen, → Sparbriefe, Termineinlagen, Fondssparen, Wertpapiergeschäft etc.) (3) Sachvermögen bilden (→ Bausparen, → Hypotheken, Immobilienvermittlung etc.) (4) Risiken absichern (Kapitallebens-, → Renten-, Risikolebensversicherung, → Berufsunfähigkeits-, → Haftpflicht-, → Hausrat-, → Wohngebäude-, → Unfallversicherung etc.) Der Trend zum A.-angebot erfolgt vor dem Hintergrund eines zunehmenden Wettbewerbs um die Kunden. Hierbei spielt insbesondere das wachsende Geldvermögen der → privaten Haushalte eine wichtige Rolle, denn jeder Finanzdienstleister möchte einen Großteil der jährlich zur Neuanlage anstehenden Gelder in seine Produkte „lenken“. Insofern sind → Kreditinstitute Kooperationen mit Versicherungs- und Bausparkassenunternehmen eingegangen, bzw. sie haben entsprechende Unternehmen gegründet, um die Anlagegelder in der eigenen A.-gruppe zu halten und nicht an die Konkurrenz zu verlieren. Mit einer A.-ausrichtung verfolgt eine Bank vor allem folgende Unternehmensziele: – Erzielen zusätzlicher Erträge durch Provisionseinnahmen aus der Vermittlung von Bauspar- und Versicherungsverträgen, 9
Allfinanz
– Gewinnung von Neukunden durch Ausweitung der Produktpalette und Erschließung neuer Vertriebswege, – Ausnutzen von Wachstumschancen durch Ausweitung des Geschäftsvolumens über neue Vertriebswege, – Verbesserung der Kundenbindung durch verstärktes sog. Cross-Selling, d. h. es werden nicht nur die herkömmlichen Bankprodukte verkauft, sondern zusätzlich auch banknahe Produkte aus dem Bauspar- und Versicherungsbereich; dadurch soll eine Kundenbeziehung besser „ausgeschöpft“ und gegenüber der Konkurrenz „abgeschottet“ werden. Aus Sicht des Kunden ist der Nutzen von A. vor allem in der Bequemlichkeit zu sehen. Ihm werden Finanzdienstleistungsprodukte „aus einer Hand“ offeriert, d. h. er erhält gewissermaßen am Bankschalter alle Produkte für die gängigsten privaten finanziellen Angelegenheiten. Dadurch erübrigt sich für den Kunden das Aufsuchen der einzelnen Produktanbieter. Er erspart sich dadurch Zeit, Wege und kognitive Anstrengungen bei der Suche und dem Vergleichen von Finanzdienstleistungsanbietern und deren Angeboten. Diesem Nutzenargument stehen allerdings mehrere Nachteile bzw. Probleme gegenüber. So ist das Angebot eines A.-unternehmens in aller Regel auf die Produkte der Kooperationspartner beschränkt. Dass hierunter auch immer das jeweils preiswerteste ist, dürfte eher die Ausnahme sein. Auch in finanzieller Hinsicht profitiert der Kunde nicht oder nur in Ausnahmefällen von der Bindung an einen A.-anbieter. Auch wenn er bei seiner Hausbank einen Bausparvertrag und eine Kapitallebensversicherung sowie diverse Sachversicherungen abschließt, werden ihm in aller Regel keine vergünstigten Konditionen (günstigere Zinssätze oder Versicherungsprämien) i.S. eines Mengenrabatts eingeräumt. Zu den Problemen zählt auch, dass man mit dem Erwerb diverser Finanzdienstleistungsprodukte einem A.-anbieter auch einen mehr oder weniger umfangreichen Einblick in seine Finanzsituation gibt (gläserner Kunde). Empirische Studien zeigen, dass Kunden bei A. ein grundsätzliches Problem in der Bera10
Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)
tungskompetenz sehen. Je branchenfremder die Angebote eines Finanzdienstleisters sind (z. B. Vermittlung eines Banksparplanes durch ein Versicherungsunternehmen), desto skeptischer schätzen sie die Kompetenz des Anbieters ein. So präferieren denn auch die meisten Kunden immer noch den Finanzdienstleistungsspezialisten, wenn es um Geldanlage, → Finanzierung, → Altervorsorge, Risikoabsicherung etc. geht (vgl. Szallies 2005). Literatur Baxmann, U.G. (Hg.): Financial Services – Allfinanzkonzepte, Frankfurt/M. 2002; Corsten, H./Hilke, W. (Hg.): Integration von Finanzdienstleistungen, Wiesbaden 1999; Deutsche Bank: Monatsbericht Dezember 2009; Dinauer, J.: Grundzüge des Finanzdienstleistungsmarktes: Allfinanz – Private Vorsorge – Financial Planning, 2. Aufl., München 2008; o.V.: Bausparkassen: Nicht alle haben Erfolg mit Versicherungen, in: bank und markt, 2003, H. 7, S. 20–23; Steiner, J.: Allfinanz-Konzepte von Banken, in: Brunner, W.L./Vollarth, J. (Hg.), Handbuch Finanzdienstleistungen, Stuttgart 1993, S. 560–572; Szallies, R.: Allfinanz – ein Kundenbedürfnis?, in: bank und markt, 2005, H. 1, S. 16–19. Prof. Dr. Wolfgang Geise, Mönchengladbach Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) Die Möglichkeit, Verträge frei zu gestalten, wurde in den letzten vierzig Jahren zunehmend durch AGB eingeschränkt. Es handelt sich bei diesen um einseitig vom Verkäufer oder dessen Branchenverband (z. B. Banken, Spediteure, Versicherungen) getroffene Festlegungen (vorformulierte Vertragsbedingungen), die den Verträgen meist stillschweigend (auf Angebots-, Bestell-, Vertragsformularen oder auf einem besonderen Blatt), das heißt, ohne von den Vertragsparteien im einzelnen ausgehandelt worden zu sein, angeschlossen werden. Für den Verkäufer bringen solche AGB eine Vereinfachung bei seinen Vertragsabschlüssen mit sich. Für die im allgemeinen wirtschaftlich und rechtlich weniger bewanderten Konsumenten bringen solche einseitigen Festlegungen jedoch nicht selten Benachteiligungen, deren sie sich oft zu spät bewußt
Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)
werden, sei es, daß sie diese einfach nicht gebührend beachten (so insbesondere, wenn nur kleingedruckt auf der Rückseite eines entsprechenden Formblattes) oder überhaupt nicht in ihrer Bedeutung verstehen. Das Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen vom 9. 12. 1976 mit verschiedenen nachfolgenden Änderungen wurde mit der Schuldrechtsmodernisierung zum 1. 1. 2002 modifiziert und mit den §§ 305 – 310 in das BGB integriert. Das modernisierte Recht versucht der Benachteiligung des wirtschaftlich Schwächeren (d. h. des → Verbrauchers) durch vorformulierte Vertragsbedingungen zu begegnen. § 307 Abs. 1 BGB n. F. bestimmt deshalb, daß Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam sind, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders (d. i. der Kunde) entgegen den Geboten von Treu und Glauben (§ 242 BGB) unangemessen benachteiligen. (Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, daß die Bestimmung nicht klar und verständlich ist!) Eine unangemessene Benachteiligung ist nach § 307 Abs. 2 BGB n. F. im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung – mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder – wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so einschränkt, daß die Erreichung des Vertragszweckes gefährdet ist. Die §§ 308 und 309 BGB n. F. nennen eine Reihe von typischen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen mitunter anzutreffenden Bestimmungen (Klauseln), die allesamt in Verbraucherverträgen (d.s. Verträge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher) unwirksam sind. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ⇒ Antidiskriminierungsgesetz Bundesgesetz vom 14. 8. 2006, das persönliche Benachteiligungen aus Gründen der Rasse, Ethnie, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu
Alltagsschulden
verhindern oder zu beseitigen versucht. Die durch dieses Gesetz geschützten Personen haben Rechtsansprüche gegen → Arbeitgeber und andere Personen soweit diese ihnen gegenüber gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen. Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen → GATT. Allgemeinverbindlichkeitserklärung Die Rechtsnormen des → Tarifvertrages, die grundsätzlich nur für die Mitglieder der → Tarifvertragsparteien verbindlich sind, können durch eine staatliche A. auch auf nicht tarifgebundene → Arbeitgeber und → Arbeitnehmer Anwendung finden (§ 5 TVG). Die A. kann vom Bundeswirtschaftsminister oder – soweit von diesem im Einzelfall damit beauftragt – von der obersten Arbeitsbehörde eines Landes (Landesminister) auf Antrag einer der beiden Tarifvertragsparteien im Einvernehmen mit einem aus je drei Vertretern der Spitzenorganisationen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bestehenden Ausschuß abgegeben werden (§ 4 Abs. 1 TVG). Voraussetzung dafür ist allerdings, daß (1) die tarifgebundenen Arbeitgeber mindestens 50 Prozent der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Arbeitnehmer beschäftigen und (2) die A. im öffentlichen Interesse geboten ist. (Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Arbeitsbedingungen in den vom Tarifvertrag nicht erfaßten Betrieben unter das sozial angemessene Niveau abzusinken drohen!) Von den beiden Voraussetzungen kann abgesehen werden, wenn dies zur Bewältigung eines sozialen Notstandes geboten erscheint. – Die Rechtswirkungen der A. des Tarifvertrages beginnen grundsätzlich mit dem Stichtag, der in der A. angegeben wurde. Sie enden mit Ablauf des Tarifvertrages. Allokation Zuweisung knapper → Produktionsfaktoren (Ressourcen) auf alternative Verwendungszwecke (→ Produktionen). Alltagsschulden → Verbindlichkeiten von Privatpersonen gegenüber Gewerbetreibenden aus Leistungen für den Privatbedarf. 11
Altersentlastungsbetrag
Altersentlastungsbetrag Begriff des Steuerrechts für einen → Freibetrag, der allen lohn- und einkommensteuerpflichtigen Personen zusteht, die vor Beginn des maßgebenden Kalenderjahres das 64. Lebensjahr vollendet haben; er wird für alle → Einkünfte gewährt, die nicht Versorgungsbezüge (§ 19 Abs. 2 EStG) oder Leibrenten (§ 22 Nr. 1 EStG) sind. Die Höhe des A. beträgt 30,4 v. H. (2012) – höchstens jedoch 1444 Euro jährlich – des → Arbeitslohnes und der positiven Summe der übrigen berücksichtigungsfähigen Einkünfte, die nicht solche aus nichtselbständiger → Arbeit sind (§ 24a EStG). Der vorgenannte Höchstsatz sinkt bis zum Jahr 2040 kontinuierlich auf 0 v. H. Ebenso sinkt der Höchstbetrag während des gleichen Zeitraumes auf 0 Euro. Altersrente ⇒ Altersruhegeld. Altersruhegeld ⇒ Altersrente Leistung im Rahmen der → gesetzlichen Rentenversicherung der → Arbeiter und → Angestellten als Lohnersatz. Das Regel altersruhegeld wird nach einer Mindestwartezeit (Mindestversicherungszeit) von 5 Jahren ab Vollendung des 65. Lebensjahres für Männer und Frauen gezahlt. Für Frauen wird die Altersgrenze von 60 Jahren ab dem Jahrgang 1940 stufenweise bis 65 Jahre angehoben; für → Arbeitslose und Alters teilzeitbeschäftigte wird die Altersgrenze von 60 Jahren ab dem Jahrgang 1937 bis auf 65 Jahre stufenweise angehoben. Für → Schwerbehinderte und Erwerbsgeminderte wird die Altersgrenze von 60 Jahren ab Jahrgang 1941 auf 63 Jahre angehoben. (Von allen drei Gruppen kann das A. mit Abschlag ab dem 60. Lebensjahr beansprucht werden.) Für langjährig Versicherte (Männer u. Frauen) wird die Altersgrenze von 63 Jahren ab dem Jahrgang 1937 schrittweise auf 65 angehoben. (A. mit Abschlag ab dem 63. Lebensjahr möglich.) Altersteilzeit Durch → Teilzeitarbeit soll älteren → Arbeitnehmern ein gleitender Übergang vom Erwerbsleben in die → Altersrente ermög12
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licht werden. Die → Bundesagentur für Arbeit fördert durch Leistungen diese Teilzeitarbeit älterer Arbeitnehmer, die ihre Arbeitszeit ab Vollendung des 55. Lebensjahres spätestens ab 31.12.2009 vermindern und damit die Einstellung sonst arbeitsloser Arbeitnehmer ermöglichen. Rechtsgrundlage: Altersteilzeitgesetz von 1996, zuletzt geändert durch Gesetz v. 21.12.2008. – Die Ende 2009 ausgelaufene gesetzliche Förderung der A. ist durch zahlreiche tarifliche Anschlußregelungen ersetzt worden. – Arbeitnehmer, die die A. vor dem 1. 1. 2010 begonnen und zu diesem Zeitpunkt das 55. Lebensjahr vollendet haben, erhalten weiterhin Förderleistungen. Altersvorsorge → betriebliche (kapitalgedeckte) Altersvorsorge, → private (kapitalgedeckte) Altersvorsorge. Amsterdam, Vertrag von in der Fassung vom 2. 10. 1997, in Kraft getreten am 1. 5. 1999, beinhaltet die Fortschreibung der Vertragsgrundlagen der → EG und der → EU, die durch die → EEA von 1986 eingeleitet und durch den Vertrag von → Maastricht (1992) fortgesetzt wurden. Anarchismus Definition: Unter A. werden politische Lehren und Bewegungen zusammengefasst, die sich radikal gegen die Herrschaft des Menschen über den Menschen wenden. Anarchistische Theorien kennzeichnen den Staat unabhängig von dessen Verfassung als zentrale Agentur dieser Herrschaft. Trotz vielfältiger Unterschiede finden sich in allen anarchistischen Ansätzen als oberste Werte Autonomie, Freiheit und Toleranz sowie als Ideal der sozialen Ordnung Freiwilligkeit, Selbstbestimmung und Dezentralisation. Die Identifizierung des A. mit Terrorismus dagegen stellt eine polemische Fremdzuschreibung dar. Die meisten Anarchisten sehen in der Gewalt den prinzipiellen Gegensatz zur Freiwilligkeit. Verhältnis zu anderen politischen Lehren: Der A. steht gleichsam „quer“ zu den politischen Hauptströmungen: → Sozialismus, → Kommunismus, Nationalismus, Faschis-
Anarchismus
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mus und Theokratie. Die anarchistische Theorie bezieht im Prinzip keine Position zu den Inhalten des Zusammenlebens. Wie die Demokratie fragt sie nach der formalen Organisationsform der → Gesellschaft, gibt aber eine andere Antwort: Anzustreben sei die Selbstverwaltung von → Individuen und deren freiwillig gebildeten Gruppen. Die anarchistische Position lautet bezogen auf nationalistische, faschistische und theokratische ebenso wie auf sozialistische und kommunistische Bestrebungen, jede Lebensform sei zulässig, wenn sie die formale Bedingung der Freiwilligkeit erfülle. Definitionskriterium der Freiwilligkeit ist das Austritts- oder Sezessionsrecht. Eine große Nähe besteht zum → Liberalismus. Von ihm trennt den A. nur der Grad an Radikalität.
zu ermöglichen, sondern ein Herrschaftsinstrument, um Privilegien gegen den Markt zu verteidigen.
Zumindest der europäische A. des 19. und 20. Jahrhunderts wird allerdings eher als Sonderform von Sozialismus und Kommunismus eingestuft und hat diese Einstufung meist auch für sich akzeptiert. Dies ist jedoch mehr auf historische und soziale Umstände als auf systematische Ähnlichkeit zurückzuführen.
Zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie Proudhon gelangte in den USA Joshia Warren (1798–1874). Er war in verschiedenen von dem englischen sozialistischen Unternehmer Robert Owen (1771–1858) inspirierten Siedlungsbewegungen engagiert. Das Scheitern dieser Bewegungen schrieb Warren nicht Defekten des Marktes oder Unzulänglichkeiten der menschlichen Natur zu, sondern den vom Staat gesetzten Rahmenbedingungen.
Ursprünge: Der erste, der den Begriff „A.“ zur Kennzeichnung seiner politischen Lehre verwendete, war der französische Revolutionär Pierre-Joseph Proudhon (1809–1865). Er setzte den Begriff ein, um sich sowohl gegen Monarchie und Diktatur abzugrenzen als auch gegen diejenige Opposition, die die sozialen und politischen Probleme durch mehr Staat und Zentralismus lösen zu können meinte. So prägte Proudhon das Bonmot, er sei weder für die Monarchie noch für die Republik, sondern für die Anarchie. Proudhon formulierte in vielerlei Hinsicht das Paradigma des A., wie es noch heute gültig ist. Auf die Ökonomie von → Adam Smith (1723–1790) auf bauend, forderte er beim Liberalismus ein, nicht nur die Freiheit des Marktes, sondern auch die des sozialen Experiments zu gewähren. Proudhon selbst geriet in Konflikt mit dem staatlichen Geldmonopol, als er ein Experiment mit einer „Volksbank“ initiierte. Seiner Analyse nach ist das Geldmonopol keine ordnungspolitisch notwendige Institution, um den Markt
Die vielfach missbräuchlich zitierte Formulierung Proudhons, „Eigentum ist Diebstahl“, bezieht sich auf diese Situation: Das Eigentum, das unter den Bedingungen staatlichen Eingreifens in den Markt gebildet wird, ist nach Proudhons Auffassung Diebstahl – nämlich Diebstahl an denjenigen Marktteilnehmern, die durch die Eingriffe geschädigt werden. Das sind Proudhon zufolge Arbeiter, Bauern und andere benachteiligte Gruppen. Von der Analyse her unterscheidet sich Proudhon kaum von Manchester-Liberalen wie Richard Cobden (1804–1865).
Der nach wie vor bekannteste Anarchist ist der russische Revolutionär Michael Bakunin (1814–1876). Den Theorien Proudhons fügte Bakunin kaum etwas hinzu, jedoch half er als führender Kopf der sozialistischen Arbeiterbewegung, den A. als politische Kraft besonders in Russland und Südeuropa zu initiieren. Bakunin bekämpfte das, was er als „autoritären Sozialismus“ bezeichnete, und er sah in → Karl Marx nicht den Retter, sondern den Verräter der Arbeiter. Während Proudhon den Staat in seinen Institutionen analysierte, richtete Bakunin sein Augenmerk stärker auf die Psychologie der Herrschaft. Seine These lautete, jeder Mensch – eingeschlossen er selber – werde, wenn er Macht über andere zugesprochen bekäme, zum Tyrannen. Das entspricht dem Diktum des englischen liberalen Historikers Lord Acton (1834–1902), jede Machtposition korrumpiere den Menschen. 13
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Nachdem Proudhon und Bakunin den A. als politische Theorie und Bewegung begründet hatten, wurden auch Autoren dieser Lehre zugeordnet, die sich nicht explizit als Anarchisten bezeichneten oder bezeichnet hatten, doch recht ähnliche Ansichten vertaten. Hier sind besonders der Engländer William Godwin (1756–1836), der Amerikaner Henry David Thoreau (1817–1862), der Deutsche Max Stirner (1806–1856) und der Russe Leo Tolstoi (1828–1910) zu nennen. Eine Reihe von radikalen Liberalen wie Thomas Jefferson (1743–1826), Wilhelm von Humboldt (1767–1835), Herbert Spencer (1820–1903) und – viel später – → Ludwig von Mises (1881–1973) gehören ebenfalls mehr in die anarchistische Richtung als in einen angepassten Liberalismus, der seinen Frieden mit dem National- oder gar Supranationalstaat geschlossen hat. Soziale Bewegung: Die stärksten anarchistischen Bewegungen gab es Anfang des 20. Jahrhunderts in Russland, im Schweizer Jura, in Spanien (und Lateinamerika), in Italien und in den Vereinigten Staaten von Amerika. Die Träger der Bewegung waren meist Handwerker, Bauern, Arbeiter (oft mit agrarischem Hintergrund), Flüchtlinge (Ostjuden und Italiener in England und in den USA), deren gemeinsames Kennzeichen nach dem amerikanischen anarchistischen Soziologen Paul Goodman darin bestand, Erfahrungen mit Arbeitsautonomie zu haben, die im Zuge der staatlichen Zentralisation bedroht oder zerstört wurden. Im Anschluss an die Russische Revolution gelang in der Ukraine ein anarchistisches Experiment, bis „weiße“ und „rote“ Truppen es 1922 zerstörten. Auch das spanische anarchistische Experiment 1936 bis 1938 hielt gegen die faschistischen und kommunistischen Angriffe nicht stand. Der starke Einfluss des A. auf die zionistische Siedlungsbewegung (Gustav Landauer, Martin Buber) ist den arabischen und jüdischen Nationalisten zum Opfer gefallen. In Europa bestand eine klare revolutionäre Konfrontation zwischen anarchistischer Bewegung und staatlichen Organen. Der amerikanische A. verstand sich dagegen als Erbe des jeffersonschen Ideals und genießt 14
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bis heute Sympathie bis in höchste politische Kreise. Gegenwart: Während der A. in Europa nach dem 2. Weltkrieg zunächst kaum über nostalgische Ansätze hinausgegangen ist, hat es in den USA eine Fortentwicklung gegeben. Einige Beispiele: Der Schriftsteller, Psychologe und Soziologe Paul Goodman (1911–1972) verband den Protest der 1960er Jahre gegen Vietnamkrieg und Zentralismus ebenso mit anarchistischen Klassikern – Peter Kropotkin (1842–1921) und Voltairine de Cleyre (1866–1912) – wie mit den liberalen Ursprüngen Amerikas. – Der deutsch-amerikanische Philosoph Paul K. Feyerabend (1924–1994) wendete sich gegen die seiner Meinung nach „stalinistischen“ Methoden im Wissenschaftsbetrieb und forderte einen „erkenntnistheoretischen Anarchismus“. – Der Ökonom und Politiker → Murray Rothbard (1926–1995), ein Schüler Ludwig von Mises’, vertrat seit den 1960er Jahren die Auffassung, dass der Liberalismus der amerikanischen Revolution besser im anarchistischen Ansatz von Benjamin Tucker (1854–1939) als im gegenwärtigen politischen Establishment aufgehoben ist. – Die Feministin Wendy McElroy stellt den → Individualismus als Grundlage der Frauenrechtsbewegung gegen kollektivistische Tendenzen. – David Friedman, der Sohn von → Milton Friedman (1912–2006), entwickelt Theorien eines nicht-staatlichen Rechts. – Hans-Hermann Hoppe, ein Schüler von Jürgen Habermas und langjähriger Mitarbeiter von Murray Rothbard, hat die anarchistische Demokratiekritik historisch-systematisch ausgearbeitet. – Chris Matthew Sciabarra versucht sich an einer Liberalisierung der hegelschen Dialektik. Die Renaissance des klassischen Liberalismus in den angelsächsischen Ländern begünstigt das Weiterleben anarchistischen Gedankenguts als Radikalisierung. Die Stärke des liberalen Erbes im gegenwärtigen A. hat dazu geführt, dass er meist unter dem Namen → „Libertarianism“ oder „Anarchokapitalismus“ auftritt. Der „Libertarianism“ wird inzwischen auch in Deutschland rezipiert.
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Literatur: Avrich, P., The Making of an Anarchist: The Life of Voltairine de Cleyre, Princeton, NJ 1978: Princeton University Press; Bakunin, Michael, Staatlichkeit und Anarchie u.a. Schriften, Berlin 1972: Ullstein; Blankertz, S., Das libertäre Manifest, Grevenbroich 2002: Edition eigentümlich frei; Buber, M., Pfade in Utopia, Heidelberg 1950: Lambert Schneider; Feyerabend, P. K., Erkenntnis für freie Menschen, Frankfurt/M. 1982: Suhrkamp; Friedman, D., Law’s Order, Princeton 2000: Princeton University Press; Goodman, P., Drawing the Line (Essays 1944–1971), New York 1977: Free Life Editions; Hoppe, H. H., Democracy: The God That Failed, New Brunswick 2002: Transaction; Kropotkin, P., Memoiren eines Revolutionärs (1899), Münster 2001: Unrast; Martin, J. J., Men Against the State (1953), Colorado Springs 1970: Ralph Myles; McElroy, W., Freedom, Feminism, and the State, Washington 1982: Cato; Nettlau, M., Geschichte der Anarchie (1925), Münster 1994: Bibliothek Thélème; Proudhon, P. J., Bekenntnisse eines Revolutionärs (1849), Reinbek 1969: Rowohlt; Rothbard, M., For A New Liberty: The Libertarian Manifesto, New York 1978: Collier; Sciabarra, C. M., Total Freedom: Toward a Dialectical Libertarianism, University Park 2000: The Pennsylvania State University Press; Stringham, E., Anarchy and the Law: The Political Economy Of Choice, New Brunswick 2007: Transaction; Tolstoi, L., Die Schule von Jasnaja Poljana (1862), Wetzlar 1980: Büchse der Pandora. Dr. Stefan Blankertz, Pulheim Anarcho-Kapitalismus → Anarchismus. Andienungsrecht (Leasing) → Leasing. Aneignung Möglichkeit des → Eigentumserwerbs durch Inbesitznahme (→ Besitz). In der Regel nur bei herrenlosen → beweglichen Sachen möglich (§ 958 Abs. 1 BGB). Bei → unbeweglichen Sachen (Grundstücken) steht das Aneignungsrecht lediglich dem → Fiskus zu (§ 928 Abs. 2 BGB u. Art. 129 EGBGB).
Anfechtung
Aneignungsvertrag → Rechtsgeschäft über die Ausbeutung fremder → Sachen (§ 954 BGB). Anfechtung rechtsgültig zustande gekommene → Rechtsgeschäfte können unter bestimmten Voraussetzungen angefochten werden. Erfolgt eine solche A., so sind die dadurch betroffenen Rechtsgeschäfte von Anfang an nichtig. Anfechtungsgründe sind: (1) Irrtum (§§ 119 – 122 BGB): a) Irrtum in der Erklärung (z. B. der Preis für eine angebotene Ware wird vom Anbieter schriftlich/ mündlich durch Verschreiben/Versprechen mit 150 Euro anstatt 250 Euro angegeben); b) Irrtum in der Übermittlung (die → Willenserklärung wird von der mit der Übermittlung betrauten Person oder Einrichtung falsch weitergegeben); c) Irrtum über wesentliche Eigenschaften der Person oder Sache (z. B. der Inhaber einer Mode-Boutique stellt eine Verkäuferin ein, von der er nachträglich erfährt, daß sie farbenblind ist; ein Versandgeschäft liefert ein Herrenhemd aus Vollsynthetik anstatt wie erwartet aus reiner Baumwolle). Anfechtungsberechtigt ist derjenige, der sich geirrt hat. Die A. muß unverzüglich (d. h. ohne schuldhaftes Zögern) nach Entdeckung des Irrtums erfolgen. Ein eventuell durch die A. entstehender Schaden ist vom Anfechtenden zu tragen. Irrtum im Beweggrund (Motivirrtum) oder schuldhafte Unkenntnis berechtigt nicht zur Anfechtung einer abgegebenen Willenserklärung. (Beispiele: Ein Anleger kauft → Aktien in der irrtümlichen Annahme beträchtlicher Kurssteigerungen. Es schließt jemand eine Versicherung ab, ohne die dem Vertragsformular angeschlossenen → Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Versicherung zu lesen; er stellt später fest, daß einige ihm wichtig erscheinende Schadensfälle von der Schadensregulierung ausgeschlossen sind.) (2) Arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung (§ 123 BGB). (Beispiele: Der Verkäufer eines Gebrauchtwagens hat dessen Kilometerzähler zurückgedreht. Ein → Arbeitnehmer droht seinem Chef mit einer Anzeige wegen Steuerhinterziehung, falls er ihm keine Gehaltserhöhung gewähre.) Für beide Anfechtungsgründe 15
Angebot
Angebotsoligopol
(arglistige Täuschung und widerrechtliche Drohung) beträgt die Anfechtungsfrist ein Jahr. Der Anfechtende hat einen mit der A. eventuell entstehenden Schaden nicht zu tragen. Dagegen kann der Täuschende oder der Drohende eventuell schadensersatzpflichtig gemacht werden. Angebot ⇒ Antrag ⇒ Offerte 1. wirtschaftlich: die von den Verkäufern am Markt zum Absatz bereitgestellte Gütermenge; 2. rechtlich: die an eine Person gerichtete → Willenserklärung, mit ihr einen → Vertrag abzuschließen. Sind keine besonderen Abmachungen getroffen, so ist der Anbietende solange an sein A. gebunden, als er unter verkehrsüblichen Umständen bei Benutzung gleichschneller Nachrichtenwege wie bei seinem A. eine Antwort erwarten kann (Versandzeit des A., angemessene Überlegungsfrist, Versandzeit der Antwort.) Ein A. unter Anwesenden kann nur sofort angenommen werden. Dies gilt auch bei telefonischen A. Ist eine Frist gesetzt, dann ist die → Annahme nur innerhalb dieser möglich. Wird ein A. verspätet angenommen oder abgeändert, so ist darin ein neues A. zu sehen. Der Anbietende kann die Bindung an sein A. von vornherein ausschließen, zum Beispiel durch den Vermerk „A. freibleibend“. Das A. erlischt, wenn der Adressat ablehnt oder die rechtzeitige Annahme ausbleibt. Angebotsfunktion ⇒ Angebotskurve I. einzelwirtschaftlich: das → Angebot eines bestimmten → Gutes durch ein einzelnes → Unternehmen. Dieses Angebot ist in Abhängigkeit zum → Preis zu sehen, den das betreffende Gut auf dem → Markt erzielt. Allgemein läßt sich sagen, daß das Angebot umso größer sein wird, je höher der Preis ist und umso kleiner, je niedriger der Preis ist. Diese Feststellung läßt sich wie folgt graphisch veranschaulichen (Angebotskurve): 16
II. gesamtwirtschaftlich: Faßt man das Angebot der einzelnen Unternehmen von einem Gut beziehungsweise aller Güter zusammen, so ergibt sich das gesamtwirtschaftliche Angebot von einem Gut beziehungsweise aller Güter. Die gesamtwirtschaftliche Angebotskurve steigt ebenfalls von links unten nach rechts oben! Angebotskurve ⇒ Angebotsfunktion. Angebotsmonopol → Marktform, bei der der Anbieter keine Mitkonkurrenten hat; er kann den → Preis selbst bestimmen. Der von ihm festgelegte Preis ist für den Nachfrager – genauso wie unter Konkurrenzbedingungen – eine nicht zu beeinflussende Gegebenheit (ein Datum). Der Nachfrager kann lediglich darüber befinden, welche Menge er zu dem vom Anbieter festgelegten Preis abnimmt. Damit legt er aber seine Nachfrage fest, die ihrerseits wiederum für den Anbieter zu einer (vor-)gegebenen Größe (Datum) wird. Für den Anbieter werden Preis und Menge zu strategischen Größen. Setzt er den Preis, dann antwortet der → Markt mit einer entsprechenden → Nachfrage; setzt er die Menge, so bildet der Markt den entsprechenden Preis. Monopole, in denen ein Anbieter den Markt beherrscht, begegnen uns in der Marktrealität großteils als → Gebietsmonopole. Angebotsoligopol → Marktform, bei der nur wenige Anbieter eines gleichen (homogenen) Gutes einer gemeinsamen → Nachfrage gegenüberstehen. Diese läßt für den einzelnen Anbieter sowohl Mengen- als auch Preispolitik zu;
Angebotsoligopol
Anhörung des Betriebsrates/Sprecherausschusses bei Kündigung
das heißt, er kann sowohl seine Angebotsmenge wie auch den Preis des angebotenen Gutes variieren. Hierbei hat der Anbieter allerdings das tatsächliche oder mutmaßliche Verhalten seiner Mitanbieter zu berücksichtigen. Wird die Menge zur strategischen Größe erhoben, also Mengenpolitik betrieben, so erfolgt die Mengenfestlegung unter Berücksichtigung des von den Mitkonkurrenten zu erwartenden Marktangebotes und der vom eigenen Angebot ausgehenden Preiswirkung. Wird der Preis zur strategischen Größe und somit Preispolitik betrieben, so werden die einzelnen Anbieter – orientiert an ihren eigenen Produktionskosten – zu Preisvorstellungen gelangen, die sie im Hinblick auf die Preise der Konkurrenz nach oben oder unten korrigieren. Wenn es sich – wie unterstellt – um gleiche (homogene) Güter handelt, dann haben die Mitanbieter keine andere Wahl, als sich der billigsten → Offerte anzuschließen, da die Nachfrage typischerweise zum günstigsten Angebot drängt. Dies bedeutet: Der billigste Anbieter wird zum Preisführer. – Auf Märkten mit ungleichen (heterogenen) Gütern dient neben der Mengen- und Preispolitik die Produktqualität und die Werbung als Mittel der wettbewerblichen Auseinandersetzung. Nicht immer erfolgt auf oligopolistischen Märkten die wettbewerbliche Auseinandersetzung mit friedlichen Mitteln. So werden bisweilen auch Kampfmaßnahmen (z. B. Preiskrieg) ergriffen, um die Mitkonkurrenten in wirtschaftliche Abhängigkeit zu zwingen oder gar vom Markt zu verdrängen. angebotsorientierte Wirtschaftspolitik Gegenkonzept zur keynesianischen Politik der Nachfragesteuerung (→ Keynessche Theorie). Es geht von der Feststellung aus, daß das gesamtwirtschaftliche → Wachstum und über dieses die Beschäftigung vorrangig über die Angebotsbedingungen, das heißt die Produktionsbedingungen (der privaten Wirtschaft) stimuliert würde, so insbesondere durch Steuerentlastungen und → Deregulierungen. Siehe auch → Beschäftigungspolitik und → Stabilitätspolitik II.
Angestellter Arbeitnehmerstatus (Gegensatz: → Arbeiter), der heute in erster Linie durch die Berufsvereinigungen (wie Innungen, → Industrieund Handelskammern, → Landwirtschaftskammern, → Handwerkskammern, → Arbeitgeberverbände, → Gewerkschaften) nach der zu leistenden → Arbeit festgelegt wird. Ist durch diese eine eindeutige Zuordnung nicht vorgenommen, so ist nach allgemeiner Auffassung in der Regel derjenige A., der kaufmännische oder büromäßige Arbeiten leistet oder gehobene Tätigkeiten ausübt beziehungsweise der vornehmlich gedanklich-geistige Dienste erbringt. Unter den A. nehmen die leitenden A. eine besondere Stellung ein. Als leitender A. gilt im allgemeinen, wer Arbeitgeberfunktionen in einer Schlüsselstellung ausübt und damit selbständig und verantwortlich den Betrieb, einen bedeutenden Betriebsteil oder einen wesentlichen Aufgabenbereich leitet. Außer dieser sogenannten Tatgruppe gehört zu den leitenden A. die sogenannte Ratgruppe. Ihr werden die Angestellten zugeordnet, die auf Grund eigener Entschlußkraft hochqualifizierte Stabsarbeit (in führender, prüfender, entwerfender, forschender oder werbender Art) leisten und demzufolge mit dem Unternehmen in einem besonderen persönlichen Vertrauensverhältnis stehen. Der Begriff des leitenden A. deckt sich nicht mit dem des außertariflichen A. Als außertarifliche A. gelten solche A., denen entweder die → Tarifvertragsparteien oder die Arbeitsvertragsparteien auf Grund ihrer meist leitenden Stellung einen besonderen Status zuerkennen. Angestellter, außertariflicher → Angestellter. Angesteller, leitender → Angestellter. Angriffsaussperrung → Aussperrung. Anhörung des Betriebsrates/Sprecherausschusses bei Kündigung Nach § 102 Abs. 1 BetrVG hat der → Arbeitgeber den → Betriebsrat vor jeder 17
Anhörung des Betriebsrates/Sprecherausschusses bei Kündigung
→ Kündigung zu hören, gleichgültig ob es sich um eine → ordentliche, eine → außerordentliche (fristlose) oder um eine → Änderungskündigung handelt. Lediglich bei → Teilkündigungen ist – sofern sie als vereinbarter → Widerrufsvorbehalt überhaupt zulässig sind – eine solche Anhörung nicht erforderlich. Der Betriebsrat kann die Ausübung seines Anhörungsrechtes einem besonderen Ausschuß (Personalausschuß) zur selbständigen Erledigung übertragen. Die Anhörung muß vor der Kündigung erfolgen. Der Arbeitgeber ist für die Durchführung der Anhörung darlegungs- und beweispflichtig. Kündigt der Arbeitgeber, ohne zuvor den Betriebsrat anzuhören, so ist die Kündigung unwirksam (§ 1 Abs. 1 BetrVG, § 134 BGB). Die Anhörung des Betriebsrates kann unter bestimmten Voraussetzungen entfallen: in Kleinbetrieben mit weniger als 5 Arbeitnehmern; bei → leitenden Angestellten (§ 5 Abs. 3 BetrVG; bei diesen ist der Betriebsrat nach § 105 BetrVG lediglich zu informieren); wenn der Betriebsrat die Entlassung des Arbeitnehmers nach § 104 BetrVG verlangt hat; in Arbeitskämpfen. Die Anhörung des Betriebsrates setzt voraus, daß der Arbeitgeber diesem folgendes mitteilt: die Person, der gekündigt werden soll; die Art der Kündigung (ordentliche oder außerordentliche); gegebenenfalls den Kündigungstermin; die Kündigungsgründe.ZurAbgabeeinerStellungnahme sind dem Betriebsrat nach § 102 BetrVG bestimmte Fristen (Erklärungsfristen) gesetzt: bei der ordentlichen Kündigung 1 Woche; bei der außerordentlichen Kündigung 3 Tage. Gibt der Betriebsrat während dieser Fristen keine Erklärung ab, so gilt seine Zustimmung als erteilt und der Arbeitgeber kann die Kündigung aussprechen. Nach § 31 Abs. 2 Sprecherausschußgesetz ist der für leitende Angestellte gewählte Sprecherausschuß vor jeder Kündigung eines leitenden Angestellten zu hören. Diese Vorschrift folgt im wesentlichen den Auslassungen des § 102 BetrVG zur Beteiligung des Betriebsrates bei der Kündigung (siehe die vorausgegangenen Ausführungen!), so daß die dort dargelegten Regelungen entsprechend angewendet werden können. 18
Anlernverhältnis
Anlagevermögen Vermögensteile eines → Unternehmens, die im Gegensatz zum → Umlaufvermögen nicht zur Veräußerung sondern für den dauerhaften Geschäftsbetrieb bestimmt sind. Das A. umfaßt: bebaute und unbebaute Grundstücke, Fuhr- und Wagenpark, Betriebs- und Geschäftsausstattung u. a. Anleihen ⇒ Schuldverschreibungen ⇒ Obligationen ⇒ Rentenpapiere Sammelbegriff für langfristige Schuldaufnahmen größeren Umfangs am → Kapitalmarkt gegen (meist) festverzinsliche → Inhaberschuldverschreibungen. Ausgeber (Emittenden) von A. sind öffentliche Gebietskörperschaften (Bund, Länder u. Gemeinden), Realkreditinstitute (Hypothekenbanken, Pfandbriefanstalten u. a.) sowie → Kapitalgesellschaften. Die Ausgabe (→ Emission) einer A. bedarf im Hinblick auf die Aufnahmefähigkeit des Kapitalmarktes der Genehmigung des Bundeswirtschaftsministers und der Abstimmung mit dem Zentralen Kapitalmarktausschuß. Die Laufzeit von A. ist im allgemeinen länger als 6 Jahre; öffentliche A. haben Laufzeiten von i.d.R. 5 – 30 Jahren. Anlernling → Auszubildender, der in einem staatlich anerkannten Anlernberuf im Rahmen eines → Anlernverhältnisses qualifiziert wird. Anlernverhältnis Vertragsverhältnis zum Zwecke der Ausbildung (Qualifizierung) auf einem engen Fachgebiet. Im Gegensatz zum → Berufsausbildungsverhältnis, das auf eine umfassende Qualifizierung (Kaufmann, Facharbeiter u. a.) angelegt ist, wird hier eine Spezialausbildung in einem im Sinne des BBiG staatlich anerkannten Anlernberuf vermittelt (Bürogehilfin, Fräser u. ä.). Ausbildungsverträge, Ausbildungsrichtlinien und Berufsbilder sind nach den Normvorschriften der Industrie- und Handelskammer vereinheitlicht.
Annahme
Annahme bringt nach Vertragsrecht das Einverständnis des Empfängers eines → Angebots mit diesem zum Ausdruck. Sie muß dem Anbietenden gegenüber nicht unbedingt erklärt werden, ist aber in irgendeiner Weise deutlich zu machen (z. B. durch → Bestellung). Die A. kann nur innerhalb einer bestimmten Zeit erfolgen: bei zeitlich begrenzten Angeboten nur innerhalb dieser Frist; bei Angeboten unter Anwesenden oder telefonischen Angeboten nur sofort und unter Abwesenden nur solange als unter Inanspruchnahme gleichschneller Nachrichtenübermittlung eine Rückantwort (bei angemessener Bedenkzeit) erwartet werden kann. Annahme eines → Wechsels → Akzept. Annahmeverzug 1. allgemein: die Rechtssituation, in die der → Gläubiger gerät, wenn er die ihm vom → Schuldner angebotene Leistung nicht annimmt (§ 293 BGB). 2. im Kaufvertragsrecht: wenn der Käufer die Ware nicht oder nicht rechtzeitig annimmt. Voraussetzung ist, daß die Leistung fällig ist (§ 286 BGB) und tatsächlich angeboten wird (§ 294 BGB). A. setzt kein → Verschulden voraus. Mit dem A. geht die → Gefahr des zufälligen Untergangs der Ware auf den Käufer über (§ 300 Abs. 2 BGB) und die Haftung des Verkäufers auf → grobe Fahrlässigkeit und → Vorsatz zurück. Dem Verkäufer stehen im Falle des A. folgende Rechte (A.rechte) zu: (1) Er kann die Ware in eigene Verwahrung nehmen und auf Abnahme klagen. (2) Er kann sich von der Leistungspflicht befreien. Der Verkäufer kann hinterlegungsfähige Dinge (Geld, → Wertpapiere, Kostbarkeiten) bei einer öffentlichen Hinterlegungsstelle (i.d.R. das Amtsgericht) am Leistungsort (Ort, an dem der Schuldner seine Leistung zu erbringen hat; der Leistungsort entspricht dem → Erfüllungsort) hinterlegen. Nicht hinterlegungsfähige Dinge (Waren) kann er am Leistungsort öffentlich versteigern lassen; Waren mit einem Börsen- oder Marktpreis kann er freihändig verkaufen und den Erlös hinterlegen (Hinterlegungsverkauf; §§ 372, 383, 385 BGB). Der Verkäufer kann darüber
Annahmeverzug
hinaus jede Ware an jedem geeigneten Ort in sicherer Weise einlagern (z. B. in einem öffentlichen Lagerhaus). Er kann die Ware aber auch an jedem Ort versteigern lassen; Waren mit einem Börsen- oder Marktpreis kann er freihändig verkaufen, den Erlös behalten und mit seiner Forderung gegenüber dem in A. geratenen Käufer aufrechnen (Selbsthilfeverkauf; §§ 373, 374 HGB). Einen Mehrerlös hat er herauszugeben. Alle Kosten, die dem Verkäufer durch Hinterlegung, freihändigen Verkauf oder → öffentliche Versteigerung entstehen, kann er vom säumigen Käufer verlangen. (3) Falls der Käufer die Ware schuldhaft (→ Verschulden) nicht annimmt, kann der Verkäufer verlangen beziehungsweise tun: (a) Erfüllung des Vertrages, (b) Erfüllung und Schadensersatz (§ 280 Abs. 1 u. 2 i.V.m. § 286 BGB n.F.), (c) Rücktritt vom Vertrag (§§ 283 u. 326 BGB n.F.) oder (d) → Schadensersatz wegen Nichterfüllung (§ 281 BGB n.F.). Rücktritt vom Vertrag und Schadensersatz wegen Nichterfüllung stehen dem Verkäufer jedoch erst dann offen, wenn er dem Käufer eine angemessene Nachfrist gesetzt und erklärt hat, daß er nach Ablauf der Frist entweder vom Vertrag zurücktreten oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen wird (§ 323 BGB n.F.). 3. im Arbeitsrecht: A. des → Arbeitgebers liegt nach § 615 BGB vor, wenn der Arbeitgeber die vom → Arbeitnehmer zur rechten Zeit (d. h. während der Arbeitszeit) am rechten Ort (d. h. an der Arbeitsstätte) angebotene Arbeitsleistung nicht annimmt oder nicht annehmen kann (weil beispielsweise keine Aufträge vorhanden sind). In diesem Fall kann der Arbeitnehmer ohne Verpflichtung zur Nachleistung sein Arbeitsentgelt (Lohn) verlangen. Er muß sich allerdings darauf anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Arbeitsleistung erspart oder durch anderweitigen Einsatz seiner Arbeitskraft verdient oder zu verdienen böswillig unterläßt (§ 615 BGB). Der Arbeitnehmer ist nach § 74 c II HGB dem Arbeitgeber zur Auskunft über einen anderweitigen Verdienst verpflichtet. 19
Anschlußfinanzierung
Anschlußfinanzierung Vor Ablauf der in einem Finanzierungsvertrag festgelegten Zinsbindungsfrist unterbreitet die Bank dem Kreditnehmer meist einen neuen → Zinssatz (und eventuell andere neue Konditionen), zu dem (denen) sie zu einer Verlängerung des Vertrages (d. h. zu einer A.) bereit ist. Der Kreditnehmer hat die Möglichkeit, dieses Angebot anzunehmen oder abzulehnen. Lehnt er es ab, muß er der Bank seine Restschuld zurückbezahlen. Dies macht in der Regel wiederum eine Finanzierung durch ein anderes – zu günstigeren Konditionen anbietendes – Bankinstitut erforderlich. Die Annahmefrist, die die Bank bei diesem A.-angebot ihrem bisherigen Kunden einräumt, muß diesem nach Auffassung des Bundesgerichtshofes die Möglichkeit bieten, einen Vergleich des Angebotes seiner bisherigen (Finanzierungs-) Bank mit den aktuellen Finanzierungsangeboten anderer Finanzierungsinstitute (Kreditgeber) vorzunehmen und gegebenenfalls eine Umschuldung zu veranlassen. Häufig sind nämlich die auf dem Markt angebotenen Finanzierungsbedingungen günstiger als das Verlängerungsangebot der bisherigen Bank. Sollten die Konditionen am Markt günstiger sein, so kann diese Tatsache auch dem alten Kreditgeber zur Erwirkung besserer Vertragsbedingungen entgegengehalten werden. Anspruch im Bürgerlichen Recht: „das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen“ (§ 194 Bürgerliches Gesetzbuch). Antidiskriminierungsgesetz ⇒ Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG). antizyklische Konjunkturpolitik → Stabilitätspolitik. Antrag ⇒ Angebot ⇒ Offerte. Antragsdelikte straf bare Handlungen, deren Strafverfolgung einen Strafantrag des Geschädigten (Verletzten) voraussetzt, da die Rechtsord20
Arbeit
nung nicht in dem Maße gestört ist, daß eine Verfolgung von Amts wegen geboten erscheint. A. sind zum Beispiel: Beleidigung, leichte Körperverletzung, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch; Verstöße gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb sind meist A. Der Strafantrag muß binnen drei Monaten gestellt werden, nachdem der Geschädigte (Verletzte) von der straf baren Handlung und von der Person des Täters Kenntnis erlangt hat. Gegensatz: → Offizialdelikte. Anwesenheitskontrolle Maßnahmen zur Überwachung der Anwesenheit der Arbeitnehmer an der Arbeitsstätte (Antritt und Beendigung der Arbeit) unterliegen nach § 87 Abs. 1 BetrVG dem Mitbestimmungsrecht des → Betriebsrates. Anzeigepflicht 1. im Handelsrecht häufig anzutreffende Melde- oder → Rügepflicht, deren Verletzung den Verlust von Ansprüchen zur Folge haben kann. 2. nach → Arbeitsrecht: Bemerkt der → Arbeitnehmer im Vollzug seiner Dienste Störungen im Arbeitsablauf, die seine eigene Leistung betreffen, oder sieht er solche voraus, so hat er diese dem → Arbeitgeber anzuzeigen. 3. nach Wettbewerbsrecht: Zusammenschlüsse von → Unternehmen einer bestimmten Größenordnung sind den zuständigen Kartellbehörden (→ Landeskartellämter, → Bundeskartellamt) anzuzeigen. APEC Abk. für Asia-Pacific Economic Cooperation; Mitgliedstaaten des 1989 gegründeten Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftskooperationsrates sind: USA, Rußland, China, Japan, Australien, Brunei, Chile, Honkong, Indonesien, Kanada, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Papua-Neuguinea, Peru, die Philippinen, Singapur, Südkorea, Taiwan, Thailand und Vietnam. Das 1994 in Bogor/ Indonesien erklärte Ziel der Organisation ist die Entwicklung einer den asiatisch-pazifischen Raum umspannenden → Freihandelszone. Arbeit wird seit der klassisch-griechischen Philosophie immer doppelt interpretiert. Sie ist
Arbeit
mit Last, Mühe, Zwang und Entbehrung verbunden, wird aber auch als sinnvolle, zweckgerichtete Werktätigkeit verstanden, die zur Entfaltung der Kräfte des Menschen dient und zur Wohlfahrt der Gesellschaft beiträgt. In der griechischen Antike galten nur diejenigen Menschen als frei, die keine Last konkreter handwerklicher oder bäuerlicher A. zu tragen hatten. Erst zu Beginn der Neuzeit, mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft und der Aufklärung erhielt A. eine stärker positive Bewertung. A. galt für die Stadtbürger – in ihrem Gegensatz zum Adel – als Mittel der Reichtumsmehrung, des sozialen Aufstiegs und der sozialen Befreiung: „A. ist des Bürgers Tugend“, „A. macht frei“, „A. adelt.“ Martin Luther setzte A. mit „Beruf“ (Berufung zu einem Stand) gleich, wertete die berufliche Tätigkeit zu einer „standesgemäßen“ A. auf. Im Kalvinismus erreichte der Ertrag der A. – und damit die A. selbst – sogar die Beweiskraft für eine göttliche Segnung (Prädestination). Mit dem Aufstieg der Industrie, der immer weiteren Teilung der A. und der großbetrieblichen Organisation von A. geriet die A. jedoch unter den Druck der Instrumentalisierung für produktionstechnische, betriebsspezifische und volkswirtschaftliche Zwecke. Die freie, standesgeordnete, selbständige Handwerker-A. wurde zur unselbständigen Lohn-A., deren eigentlicher Zweck außerhalb der A. liegt. In ökonomischer Sicht ist A. ein originärer → Produktionsfaktor, der neben → Kapital (Anlagen, Maschinen) und unternehmerischer Disposition zur betriebs- und volkswirtschaftlichen → Wertschöpfung beiträgt. Der geringstmögliche Aufwand an A. wird zum Kennzeichen der Ertragskraft, der → Produktivität der A. A. kann hier, je nach A.-qualifikationen, ungelernte A., Fach-A., Dienstleistungs- oder ManagerA. sein. Aus individuellem Blickwinkel dient A. instrumentell zunächst dem Gelderwerb (→ Lohn, → Gehalt, Besoldung). Von der Art der A. und von der Höhe der Bezahlung hängen die Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung ab (Nahrung, Wohnung, Kleidung, Freizeitgestaltung etc.). Doch A. „ordnet“ auch, strukturiert den
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individuellen Tages-, Wochen- und Lebenszyklus und schafft soziale Kontakte. In direkter Beziehung prägt A. zugleich die Persönlichkeit eines Menschen, schafft (oder nimmt) ihm die Möglichkeit der Selbstverwirklichung, den werktätigen Stolz auf die geschaffene Leistung und das Gefühl der Nützlichkeit. Dies spüren vor allem diejenigen, die keine A. haben (→ A.-losigkeit, Alter, Krankheit). In sozialer Hinsicht stellt A. eine soziale Norm dar, die im Gegensatz steht zu Laster, Spiel, Müßiggang und Faulheit. In politisch-ökonomischer Dimension ist A. schließlich gekennzeichnet von zahlreichen Abhängigkeiten: vom → Arbeitsmarkt, von der Direktions- und Weisungsbefugnis der Vorgesetzten und von der Lohnzahlung des → A.-gebers. Diese Abhängigkeiten haben, da sie in der industriellen Gesellschaft großflächig und kollektiv auftreten, den modernen sozialen Konflikt zwischen A. und Kapital hervorgebracht. Er führte einerseits zur Theorie des → Sozialismus/→ Kommunismus – als Theorie der Befreiung der Arbeiterklasse – andererseits zu der Form des (gebändigten) Tarifkonflikts bzw. des (regulierten) → A.-kampfes. Während das kollektive Tarifvertragssystem die individuelle Lohnabhängigkeit vom A.-geber auffängt, mildert die betriebliche und überbetriebliche → Mitbestimmung (sowie der → A.-schutz und die → Humanisierung der A.) die individuelle Weisungs- und Organisationsabhängigkeit, schützt also vor Willkür und gesundheitlichen Gefährdungen. Durch die wohlfahrtsstaatliche → Sozialpolitik wiederum werden die Härten der individuellen Marktabhängigkeit der → A.nehmer (A.-losigkeit, Alter, Krankheit) aufgefangen. Im Prozeß der Industrialisierung haben sich die Sphären der A. stark verlagert: von der A. im Primärsektor (Landwirtschaft) zur A. im sekundären Sektor (Industrie) und zur A. im tertiären Sektor (→ Dienstleistungen). Die industrielle A. polarisierte sich lange Zeit zwischen einfacher, ungelernter, repetitiver Massen-A. mit geringer Bezahlung (→ Taylorismus) und spezialisierter Fach-A. mit hoher Verantwortung 21
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und Bezahlung. Der → technische Fortschritt, die Elektronisierung der Steuerungs- und Fertigungssysteme und der Druck der Weltmarktkonkurrenz erfordern zunehmend „Neue Produktionskonzepte“, flexible A.-systeme und individualisierte A.-zeiten. Die Parallelisierung von → Massenproduktion und Massen-A. kehrt sich damit wieder um (Post-Fordismus). Flexible → Massenfertigung erfordert eine „flexible → Spezialisierung“ der A., komplexe Steuerungs-A. an Maschinensystemen und verantwortliche Team-A. Dies zieht wiederum eine Individualisierung der A. und der Personalwirtschaft nach sich. Mit der flexiblen Spezialisierung wandelt sich auch der Normal-A.-tag, die Normal-A.-woche, die Schicht-A. und das Normal-A.-leben. Seit Mitte der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts ist die „A.-gesellschaft“ in eine Klemme zwischen A.-rationalisierung und Verlagerung der A.-plätze ins kostengünstigere Ausland gekommen. Es stellt sich die Frage, ob den technisch hochentwickelten und sozialstaatlich rundum abgesicherten A.-systemen der westlichen Industrieländer nicht bald „die A. ausgeht“. Hinzu kommt, daß der traditionelle A.-ethos im Rahmen des → Wertewandels in der Gesellschaft abnimmt, die Freizeit zunehmend höher geschätzt wird, Eigen-A. und (unbesteuerte) „Schwarz-A.“ zunimmt und sich damit die Wachstumschancen der → Wirtschaft vermindern. In Zukunft muß die Sozialkostenund die Steuerbelastung der A. angesichts der Weltmarktkonkurrenz von Niedriglohnländern weiter überprüft werden. Nach vergeblichen Versuchen der Wachstums- und A.-sicherung durch antizyklische Wirtschaftssteuerung tritt die aktive und selektive → A.-marktpolitik einschließlich der A.-zeitverkürzung sowie die → Teilzeit-A. in den Vordergrund. Die diversen Arbeitsmarktreformen der Jahre 2002 ff. haben ganz neue Rahmenbedingungen für das Arbeits- und Beschäftigungssystem gesetzt. Die Sicherung gegen Massen-A.-losigkeit wird – neben der Ökologisierung der A.prozesse – in Zukunft die politische, soziale und ökonomische Debatte im 21. Jahrhundert beherrschen. 22
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Literatur: Franz, Wolfang: Arbeitsmarktökonomik, Berlin 2003; Frei, Felix/Ulrich, Erhard (Hrsg.): Das Bild der Arbeit, Bern 1990; Hörning, Karl/Gerhardt, Annette/ Michailow, Matthias: Zeitpioniere, Flexible Arbeitszeiten – neuer Lebensstil, Frankfurt/M. 1990; Keller, Berndt: Einführung in die Arbeitspolitik, München 1999; Rotz, Rudolf von: Arbeit. Individuelle Bedürfnisse und organisatorische Effizienz, Bern 1994; Willke, Gerhard: Die Zukunft unserer Arbeit, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1998. Prof. Dr. Gerhard Himmelmann, Braunschweig Arbeit auf Abruf Wurde zwischen → Arbeitgeber und → Arbeitnehmer die Anpassung der → Arbeitszeit an den Arbeitsanfall vereinbart, dann ist der Arbeitnehmer im Einzelfall nur dann zur Arbeitsleistung verpflichtet, wenn ihm der Arbeitgeber die Lage seiner Arbeitszeit mindestens 4 Tage im voraus mitgeteilt hat (§ 12 TzBfG). Ist die Abruffrist kürzer, so bleibt es dem Arbeitnehmer überlassen, ob er der Arbeitsaufforderung Folge leisten möchte oder nicht. Beinhaltet die Vereinbarung über die Anpassung der Arbeitszeit an den Arbeitsanfall keine Festlegung über die tägliche Arbeitsdauer, so ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitnehmer für jeweils mindestens 3 aufeinanderfolgende Stunden zur Arbeitsleistung in Anspruch zu nehmen (§ 12 Abs. 1 TzBfG). Kürzere oder längere tägliche Arbeitszeiten können vereinbart werden. Siehe auch → KAPOVAZ. Arbeiter Die Zuordnung eines → Arbeitnehmers zur Gruppe der A. (oder → Angestellten) gestaltet sich in erster Linie nach der Bewertung seiner → Arbeit durch die Berufsvereinigungen (wie Innungen, → Industrie- und Handelskammern, → Landwirtschaftskammern, → Handwerkskammern, → Arbeitgeberverbände, → Gewerkschaften). Ist durch diese eine eindeutige Zuordnung nicht vorgenommen, so gilt nach allgemeiner Auffassung in der Regel derjenige als A., der ausführend mechanisch tätig ist beziehungsweise bei dem die körperliche Arbeit im Vordergrund steht. Als A. gelten
Arbeiter
im allgemeinen: Handwerksgehilfen, Hausgehilfen, Kellner, Kraftfahrer, Facharbeiter wie Lageristen, Mechaniker und Dreher, Straßenbahnschaffner, Fabrikfeuerwehrleute, Ableser von Gas-, Strom- und Wasserzählern, Zeitungsverkäufer in Kiosken oder Hilfskräfte in den Annahmestellen einer chemischen Reinigung. Entgegen einer weitverbreiteten irrigen Annahme können A. nicht durch Vereinbarung mit dem → Arbeitgeber zu Angestellten werden, insbesondere auch nicht im Rahmen der → Sozialversicherung. Werden solche Vereinbarungen getroffen, dann können diese die A. lediglich hinsichtlich der betrieblichen Rechte mit den Angestellten gleichstellen. A. im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes ist derjenige, der eine arbeiterrentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausübt. Arbeitgeber im Sinne des → Arbeitsrechts ist jeder, der einen anderen als → Arbeitnehmer beschäftigt. Der A. kann eine → natürliche Person oder eine → juristische Person (z. B. eine → Aktiengesellschaft) sein, eine Privatperson oder eine → (juristische) Person des öffentlichen Rechtes (wie z. B. Bund, Länder, Gemeinden). Arbeitgeberdarlehen → Darlehen eines → Arbeitgebers an einen → Arbeitnehmer. Arbeitgeberverbände organisieren und vertreten die privatwirtschaftlichen Interessen der in Deutschland angesiedelten → Betriebe im sozial- und gesellschaftspolitischen Raum. Ihnen kommt – wie den → Gewerkschaften – für die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen eine verfassungsrechtlich legitimierte Funktion zu (Art. 9 Abs. 3 GG). Die Aushandlung der Arbeitsbedingungen mit den Gewerkschaften, deren Kodifizierung in → Tarifverträgen und die Überprüfung der betrieblichen Arbeitsbedingungen vor den → Arbeitsgerichten gehören daher zu den zentralen Aufgaben der A. Die Organisationstiefe der Verbände ist abhängig von den speziellen Anforderungen der Branche. Typischerweise sind die
Arbeitgeberverbände
Betriebe Mitglied in einem der über 1000 regionalen fachlichen oder Allgemeinen A. Die fachlichen A. haben sich zu Landesfachverbänden und dann wiederum zu Bundesfachverbänden zusammengeschlossen. Landesfachverbände und Allgemeine A. haben sich wiederum in Landesvereinigungen verbunden. Bundesfachverbände und Landesvereinigungen sind die Mitglieder der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Sie repräsentiert mit derzeit 56 Branchenverbänden und 14 Landesvereinigungen die gesamte Breite der privaten → Wirtschaft. Sie reicht von der Industrie über den Bergbau, über Handel, Handwerk, Verkehr, Banken und Versicherungen bishin zur Landwirtschaft. Die Mitgliedschaft in allen Verbänden erfolgt auf freiwilliger Basis; der Organisationsgrad liegt unterschiedlich nach Branchen und Regionen bei 80 %. Damit kommt der unternehmerischen → Sozialpolitik eine herausgehobene repräsentative Funktion zu. Für die Arbeits- und Funktionsweise der Verbände ist die ausgeprägte Gremienarbeit typisch. Sie vollzieht sich in Ausschüssen, in denen Fachleute aus → Unternehmen und Verbänden sitzen. In dem Meinungsaustausch der Fachleute wird der Konsens für die politische Arbeit der Verbände gefunden. Ziel der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist, Zustimmung für die Politik der → Arbeitgeber in der Öffentlichkeit zu finden und die Interessen der Unternehmen im politischen Willensbildungsprozeß zur Geltung zu bringen. Sie hat die Aufgabe, sich solcher gemeinschaftlichen sozialpolitischen Belange anzunehmen, die über den Bereich eines Landes oder einer Branche hinausgehen und die von grundsätzlicher Bedeutung sind. Dabei trägt sie in vielfältiger Weise Verantwortung für wichtige verteilungs- und sozialpolitische Entscheidungen. In diesem Sinne arbeitet sie in Gremien auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene, bei Sachverständigenanhörungen u. a. im Gesetzgebungsverfahren, und in zahlreichen Selbstverwaltungskörperschaften der → Sozialversicherungen. In der → Tarifpo23
Arbeitgeberverbände
litik hat sie koordinierende und ratgebende Funktion; sie ist keine → Tarifvertragspartei. Die Aufgabenspektren der arbeitgeberBundesvereinigung berühren folgende Bereiche: – → Lohn- und Tarifpolitik – → Arbeitsrecht – → soziale Sicherung – → Arbeitsmarkt und Berufsbildung – allgemeine → Bildungspolitik – gesellschaftspolitische Bildungs- und Jugendarbeit – betriebliche Personalpolitik – europäische und internationale Sozialpolitik – Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Die Geschichte der A. ist so alt wie die deutsche Industriegeschichte. Als Gegengewicht zu den Gewerkschaften entstanden seit Mitte des 19. Jahrhunderts Zusammenschlüsse von Arbeitgebern. Diese verstanden sich in erster Linie als Antistreikvereine. Als Zusammenschluß der Arbeitgeber der Schwerindustrie und der verarbeitenden Industrie entstand im Jahre 1913 mit der Vereinigung Deutscher A. ein erster Vorläufer der Bundesvereinigung der Deutschen A. Dieser Zusammenschluß zerfiel allerdings nach kurzer Zeit. Von 1918 bis 1924 bestand die Arbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Deutschlands. Diese Zentralarbeitsgemeinschaft war eine gemeinschaftliche Gründung der Spitzenverbände der Unternehmen, vertreten durch die Vereinigung der Deutschen A., der Zentralorganisationen der Angestelltenverbände und der Gewerkschaften. Sie führte zur gegenseitigen Anerkennung der A. und Gewerkschaften als Koalitionspartner bei Tarifverhandlungen und begründete mithin die → Koalitionsfreiheit. Nach dem 3. Reich, das die Zwangsauflösung von Gewerkschaften und A. zur Folge hatte, wurden 1947 erste regionale A. in den westlichen Besatzungszonen gegründet. Diese bildeten 1949 die sozialpolitische Arbeitsgemeinschaft der A. der Vereinigten Wirtschaftsgebiete, aus der 1950 die Bundesvereinigung der Deutschen A. entstanden ist. Gleich nach der 24
Arbeitnehmer
Öffnung der Grenzen wurden in den neuen Bundesländern regionale und fachliche A. gegründet, seit 1990 sind sie Mitglied der arbeitgeber-Bundesvereinigung. Dr. Fritz-Heinz Himmelreich, Köln Arbeitnehmer als A. im Sinne des Arbeitsrechtes gelten Personen, die einer anderen Person hauptoder nebenberuflich auf Grund eines (privatrechtlichen) Vertrages für eine gewisse Dauer zur Arbeitsleistung gegen Zahlung eines Entgeltes verpflichtet sind. Eine nur einmalig geschuldete Arbeitsleistung begründet in der Regel kein → Arbeitsverhältnis. Entscheidend für die Begründung des A.-Status ist die tatsächliche Gestaltung des (privatrechtlichen) Vertrages, nicht dagegen, ob die Parteien ihre gegenseitigen Beziehungen als Arbeitsverhältnis oder – um dem Arbeitsrecht zu entgehen – als selbständiges → Dienstverhältnis bezeichnen. Ausschlaggebend dafür, ob ein abhängiges Arbeitsverhältnis vorliegt oder ein selbständiges (unabhängiges) Dienstverhältnis, ist der Grad der persönlichen Abhängigkeit, in der sich der zur Arbeitsleistung Verpflichtete befindet. Kriterien hierfür sind insbesondere: die Weisungsgebundenheit des zur Arbeitsleistung Verpflichteten hinsichtlich Zeit, Dauer und Ort der Erbringung der Leistung, seine Eingliederung in den Betrieb des Dienstberechtigten, die Notwendigkeit einer ständigen Zusammenarbeit mit anderen im Dienste des Berechtigten stehenden Personen und die Unterordnung unter solche Personen. Nach ihrem Tätigkeitsfeld lassen sich die A. wie folgt einteilen: (1) gewerbliche A. (für sie gilt vor allem die Gewerbeordnung), (2) kaufmännische A. (für sie gilt vor allem das Handelsgesetzbuch), (3) Seeleute (für sie gilt vor allem das Seemannsgesetz) und (4) sonstige Arbeitnehmer, zum Beispiel Rechtsanwaltsgehilfen oder Hausangestellte (für sie gilt das Bürgerliche Gesetzbuch). Nicht zu den A. im eigentlichen Sinn gehören die sogenannten → arbeitnehmerähnlichen Personen (so insbesondere die → Heimarbeiter) und die → freien Mitarbeiter.
arbeitnehmerähnliche Personen
arbeitnehmerähnliche Personen stehen nach → Arbeitsrecht nicht in einem → Arbeitsverhältnis mit einem bestimmten → Unternehmer und sind damit auch nicht persönlich von diesem abhängig; die Grundlage ihrer wirtschaftlichen Beziehung bildet in der Regel ein → Werkvertrag. Zu den a. gehören die meisten → Heimarbeiter, auch → Handelsvertreter, Hausgewerbetreibende und unter bestimmten Voraussetzungen → freie Mitarbeiter. Ihre teilweise hohe wirtschaftliche Abhängigkeit von dem sie beauftragenden Unternehmer verschaffte ihnen einen arbeitnehmerähnlichen sozialen Schutz; prozessuale Gleichstellung mit Arbeitnehmern; Zuständigkeit des Arbeitsgerichtes. Arbeitnehmer-Entsendegesetz vom 20. 4. 2009 legt für bestimmte → Branchen Mindeststandards für → Arbeitsbedingungen fest. Die zwingenden Arbeitsbedingungen müssen in einem nach § 5 Tarifvertragsgesetz allgemeinverbindlichen oder durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales aufgrund des A. dazu erklärten → Tarifvertrag festgelegt werden. Die zwingenden Arbeitsbedingungen beziehen sich insbesondere auf → Lohn (→ Mindestlohn), Urlaubsanspruch (→ Urlaub), → Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie die Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften. Arbeitnehmererfindung Erfindungen, die ein → Arbeitnehmer in Ausführung seiner Arbeitsverpflichtung macht, muß er dem → Arbeitgeber zur Verfügung stellen; er hat dafür in der Regel einen Anspruch auf angemessene Vergütung (Gesetz über Arbeitnehmererfindungen vom 25. 7. 1957 mit letzter Änderung vom 18. 1. 2002). Hinsichtlich → freier Erfindungen trifft den Arbeitnehmer eine Mitteilungs- und Anbietungspflicht. Falls die Erfindung in Arbeitsbereiche des Arbeitnehmers fällt, hat der Arbeitgeber innerhalb von 3 Monaten ein Vorrecht auf Verwertung zu angemessenen Bedingungen (Vergütung). Arbeitnehmerschutz → Arbeitsschutz.
Arbeitnehmerüberlassung
Arbeitnehmerschutzpolitik umfaßt alle Maßnahmen zum Schutz der → Arbeitnehmer vor materiellen und immateriellen Schädigungen und Gefahren, die aus der betrieblichen Tätigkeit und dem Abhängigkeitsverhältnis der Lohnarbeit erwachsen können. Als schutzbedürftig gelten hierbei: (1) die Gesundheit und Arbeitskraft der Arbeitnehmer (→ Arbeitszeitregelung, → Unfall- und Gesundheitsschutzgebote), (2) das Recht der Arbeitnehmer auf regelmäßige und ordnungsgemäße → Lohnzahlung (entsprechende gesetzliche Gebote und Verbote) und (3) der Bestand der → Arbeitsverhältnisse (→ Kündigungsschutz). Arbeitnehmersparzulage staatliche Zuwendung an abhängig beschäftigte Bezieher → vermögenswirksamer Leistungen innerhalb bestimmter Einkommensgrenzen. Arbeitnehmerüberlassung ⇒ Leiharbeit ⇒ Leiharbeitsverhältnis ⇒ Zeitarbeit Rechtsverhältnis, bei dem ein selbständiger Unternehmer einen in seinen Diensten stehenden → Arbeitnehmer vorübergehend an einen anderen Unternehmer derart „ausleiht“, daß dieser Arbeitnehmer unter Fortbestand des Rechtsverhältnisses zum Verleiher für den → Betrieb des Entleihers nach dessen Weisungen zu arbeiten hat. Es lassen sich zwei Formen der A. unterscheiden: (1) die nichtgewerbsmäßige A. (echtes Leiharbeitsverhältnis) und (2) die gewerbsmäßige A. (unechtes Leiharbeitsverhältnis). Zu (1): Bei der nichtgewerbsmäßigen A. wird der Arbeitnehmer mit seiner Zustimmung vorübergehend in den Betrieb eines Dritten zum Zwecke der Arbeitsleistung „ausgeliehen“. Solches gelegentliches „Ausleihen“ oder Überlassen von Arbeitnehmern zwischen Betrieben zur Überbrükkung eines kurzfristigen Personalengpasses geschieht nicht in gewerbsmäßiger Absicht. Die Rechtsbeziehungen zwischen Verleiher, Entleiher und Leiharbeitnehmer sind nicht durch spezielles Recht geregelt und können deshalb entsprechend deren Bedürfnissen frei gestaltet werden. Der Normalfall ist 25
Arbeitnehmerüberlassung
durch folgende Rechtsbeziehungen gekennzeichnet: Der Entleiher hat Anspruch auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers und das → Weisungsrecht diesem gegenüber; er kann auch selbst mit dem Leiharbeitnehmer Vereinbarungen über die zu leistende → Arbeit treffen, sofern diese dem Vertrag mit dem Verleiher nicht widersprechen. Neben dem Verleiher hat auch der Entleiher eine → Fürsorgepflicht gegenüber dem Leiharbeitnehmer. Der Leiharbeitnehmer hat dem Entleiher gegenüber eine → Treuepflicht, das heißt, er hat dessen Interessen zu wahren, Wettbewerb zu unterlassen, Verschwiegenheit zu wahren und anderes. Der Verleiher ist zur Lohnzahlung verpflichtet. Das nichtgewerbsmäßige Leiharbeitsverhältnis kann vom Leiharbeitnehmer grundsätzlich nur gegenüber dem Verleiher gekündigt werden. Umgekehrt kann auch dem Leiharbeitnehmer nur vom Verleiher gekündigt werden. Zu (2): Bei der gewerbsmäßigen A. wird der Arbeitnehmer von vornherein zum Zwecke der Arbeitsleistung bei einem Dritten eingestellt. Diese Form der A. wird durch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG, Gesetz zur gewerbsmäßigen A.) geregelt. Die gewerbsmäßige A. bedarf danach einer Erlaubnis der Bundesagentur für Arbeit. Diese Erlaubnis wird von dieser auf schriftlichen Antrag erteilt. Sie wird auf ein Jahr befristet. Die Rechtsbeziehungen der Beteiligten im unechten Leiharbeitsverhältnis gestalten sich in dreifacher Hinsicht: (a) durch Überlassungsvertrag, (b) durch Arbeitsvertrag und (c) im Verhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer. Zu (a): Der Vertrag zwischen Verleiher und Entleiher bedarf der → Schriftform. Der Verleiher hat darin zu erklären, ob er die Erlaubnis zur A. besitzt (§ 12 Abs. 1 AÜG). Mangel der Schriftform oder der erforderlichen Erlaubnis führt zur → Nichtigkeit des Vertrages (§ 9 AÜG, §§ 125, 134 BGB). Zu (b): Der Arbeitsvertrag kommt → formfrei zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer nach §§ 145 ff. BGB zustande. Der Verleiher ist verpflichtet, den wesentlichen Vertragsinhalt in eine von ihm zu unterzeichnende Urkunde aufzunehmen und diese dem Leiharbeitnehmer auszuhändigen. Eine Durchschrift der Urkunde hat der Ver26
Arbeitnehmerveranlagung
leiher 3 Jahre aufzubewahren (§ 11 Abs. 1 AÜG). Die Verpflichtung zur Ausstellung einer Urkunde entfällt, wenn die in ihr aufzunehmenden Angaben in einem schriftlichen Arbeitsvertrag aufgenommen werden (§ 11 Abs. 1 AÜG). Dem Verleiher obliegt darüber hinaus die Pflicht, dem Leiharbeitnehmer ein Merkblatt der Bundesagentur für Arbeit über den wesentlichen Inhalt des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes auf seine Kosten auszuhändigen (§ 11 Abs. 2 AÜG). Schließt der Verleiher ohne die erforderliche Erlaubnis einen Arbeitsvertrag mit dem Leiharbeitnehmer ab, so ist dieser Vertrag nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam, dafür ist aber zugleich ein Arbeitsvertrag zwischen Entleiher und Arbeitnehmer zustandegekommen (§ 10 Abs. 1 AÜG). Die gleiche Rechtssituation stellt sich ein, wenn die Unwirksamkeit des Arbeitsvertrages erst zu einem späteren Zeitpunkt wegen Wegfallens der Erlaubnis eintritt. Zu (c): Im Verhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer kommt grundsätzlich kein (Arbeits-)Vertrag zustande, es sei denn, daß der Arbeitnehmer dem Entleiher länger als 6 Monate überlassen wird. Der Leiharbeitnehmer unterliegt dem → Direktionsrecht des Entleihers. Die Überlassung oder Beschäftigung von Leiharbeitnehmern ohne die erforderliche Erlaubnis der Bundesagentur für Arbeit bedroht das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz mit hohen Geldbußen. Auch andere Zuwiderhandlungen gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz werden mit Geldbußen belegt. Die Überlassung von ausländischen Arbeitskräften ohne Arbeitserlaubnis wird mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren geahndet (§ 15 a AÜG). Arbeitnehmerveranlagung Besteht das → Einkommen ganz oder teilweise aus → Einkünften aus nichtselbständiger → Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, so kann der → Arbeitnehmer nach § 46 Abs. 2 EStG im → Veranlagungsverfahren zuviel entrichtete → Lohnsteuer vom Finanzamt zurückfordern.
Arbeitsablaufstudien
Arbeitsablaufstudien untersuchen die rationelle Gestaltung des Arbeitsablaufes, das heißt das Zusammenwirken von Mensch, → Betriebsmittel und Arbeitsgegenstand. Dabei interessieren insbesondere Zweckmäßigkeit und → Wirtschaftlichkeit des Arbeitsablaufes (Arbeitsvorgänge, Arbeitsstufen, Arbeitsgriffe, Griffelemente), Anordnung der Arbeitsplätze und Reihenfolge der einzelnen Arbeitsstufen, Beförderung der Werkstücke von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz, Gestaltung der einzelnen Arbeitsplätze und der benutzten Arbeitsmittel. Es wird zunächst ein Ist-Zustand ermittelt, dem dann der wünschenswerte Soll-Zustand gegenübergestellt und in entsprechende Arbeitsanweisungen umgesetzt wird. Arbeitsangebot 1. einzelwirtschaftlich: die von einem → privaten Haushalt auf dem → Arbeitsmarkt angebotene → Arbeit (individuelles A.). → A.funktion. 2. gesamtwirtschaftlich: das sich durch Zusammenfassung der individuellen A. ergebende volkswirtschaftliche A. Arbeitsangebotsfunktion die funktionelle Zuordnung der Bestimmungsgründe des → Arbeitsangebotes eines → privaten Haushaltes (individuelles Arbeitsangebot) zu der von diesem angebotenen → Arbeit (Arbeitsmenge). Werden die Bestimmungsgründe des Arbeitsangebotes auf den → Lohnsatz verkürzt, so ergibt sich folgende individuelle A.
Arbeitsbewertung
Sie besagt: Die Arbeitsbereitschaft und damit auch das Arbeitsangebot nimmt mit steigendem Lohnsatz zu. Durch Zusammenfassung der individuellen A. gelangt man zur gesamtwirtschaftlichen (volkswirtschaftlichen) A. Arbeitsbedingungen objekive Bedingungen, unter denen die jeweilige → Arbeit erbracht wird, wie: Arbeitsaufgabe, Arbeitsumwelt, Lohn, → Arbeitszeit, Mitarbeiter, Betriebsklima, Aufstiegschancen u. a. Arbeitsbelastungen, besondere → Arbeitsbewertung. Arbeitsbereitschaft ⇒ Bereitschaftsdienst das Zurverfügungstehen des → Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) Maßnahmen des Staates zur Verringerung von → Arbeitslosigkeit (§ 260 SGB III). Durch sie können → Arbeitslose beschäftigt werden, die → Arbeitslosengeld I oder → Arbeitslosengeld II beziehen oder die Voraussetzungen für Unterhalt erfüllen und innerhalb der letzten 12 Monate mindestens 6 Monate arbeitslos gemeldet waren. Dabei werden schwervermittelbare Arbeitslose bevorzugt, wobei für diesen Personenkreis ausnahmesweise von der Erfüllung der genannten Voraussetzungen abgesehen werden kann. A. sind in der Regel auf die Dauer eines Jahres begrenzt, können aber in bestimmten Fällen – insbesondere wenn dadurch die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze zu erwarten ist – auf 2 oder in Ausnahmefällen sogar auf 3 Jahre ausgedehnt werden. Träger von A. können öffentlich-rechtliche sowie privatrechtliche → Unternehmen beziehungsweise Einrichtungen sein. Arbeitsbewertung Die Bewertung der in den → Produktionsprozeß eingebrachten Arbeitsleistung hinsichtlich ihrer Entlohnung hat sich an objektiven und subjektiven Faktoren zu orientieren. Die objektiven betreffen den Schwierigkeitsgrad der Arbeitsaufgabe (Arbeitswert), die subjektiven Faktoren be27
Arbeitsbewertung
treffen das Können und die Leistung der die → Arbeit ausführenden Person (Leistungsgrad). Der Arbeitswert ergibt sich aus der Gesamtheit der Anforderungen, die mit der Bewältigung einer Arbeitsaufgabe an einzelnen Arbeitsplätzen beziehungsweise bei einzelnen Arbeitsvorgängen verbunden sind; er erfaßt somit die objektiven, von der Person des Ausführenden und ihren Fähigkeiten unabhängigen Anforderungsmerkmale (d. h. die Arbeitsschwierigkeit). Für die Ermittlung des Arbeitswertes haben sich in der Praxis zwei Verfahren entwickelt: (1) das summarische und (2) das analytische Verfahren. Zu (1): Die summarische A. erfaßt die Arbeit als Ganzes. Sie unterscheidet zwei Verfahren: (a) das Rangfolgeverfahren und (b) das Lohngruppenverfahren. Zu (a): Beim Rangfolgeverfahren werden alle in einem Betrieb vorkommenden Arbeitsaufgaben entsprechend ihrer summarisch erfaßten Anforderungen an den Ausführenden in eine Rangfolge eingeordnet (d. h. nach ihrem Schwierigkeitsgrad aufgelistet), die mit den einfachsten Arbeiten beginnt und mit den schwierigsten endet. Zu (b): Beim Lohngruppenverfahren werden die Anforderungen (Schwierigkeitsgrade) der betrieblichen Arbeit summarisch beschrieben und (durch → Tarifverträge oder → Betriebsvereinbarungen) bestimmten → Lohngruppen zugeordnet. Diesen Lohngruppen werden Vergleichsarbeiten oder sogenannte Richtbeispiele zugeordnet, die die Einstufung von Beschäftigten in eine bestimmte Lohngruppe begründen und damit erleichtern. Man spricht in diesem Falle auch von Klassifikationsverfahren oder Katalogisierungsverfahren. Sowohl beim Rangfolgeverfahren wie auch beim Lohngruppenverfahren ist das herausragende Problem die Gewichtung der arbeitsmäßigen Anforderungen (Schwierigkeitsgrade). Zu (2): Bei der analytischen A. werden die betrieblichen Arbeitsaufgaben nach bestimmten Anforderungsmerkmalen aufgeschlüsselt. Diese werden mit Punkten bewertet und zu Merkmalsgruppen zusammengefaßt, die ihrerseits untereinander in ein Wertverhältnis gesetzt werden. Dies erfolgt entweder mittels Verhältniszahlen (Äquivalenzziffern) oder durch Festsetzung von Höchstpunkt28
Arbeitseinkommen
zahlen für die verschiedenen Merkmalsgruppen. Die Höhe der Punktzahlen markiert den Schwierigkeitsgrad der Arbeit und wird als Arbeitswert bezeichnet. Die Gewichtung der Arbeitsaufgaben untereinander erfolgt über Arbeitsstudien und wird in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen festgeschrieben. Zur Vereinheitlichung der Vorgehensweise werden auch hier Richtbeispiele ausgearbeitet und zur Grundlage der betrieblichen A. herangezogen (so z. B. das → Genfer Schema). Die Verfahren zur A. können immer nur eine Aussage darüber treffen, ob die Anforderungen einer Arbeit höher oder niedriger sind als die bei einer anderen Arbeit oder anderen Arbeiten. Sie können somit niemals den absoluten Wert einer Arbeit festlegen, sondern immer nur den relativen. Arbeiten, die keine Vergleiche zulassen, wie beispielsweise erfinderische, kreative, unternehmerische, entziehen sich somit einer generalisierenden Bewertung. Besondere Arbeitsbelastungen wie Schmutz, Lärm, Gase, Hitze, Kälte u. a. werden in der Regel durch Lohnzuschläge (z. B. Schmutzzulage, Lärmzulage) abgegolten, so daß die dieserart betroffenen Beschäftigten mit ihrer Arbeit in höhere Lohngruppen oder Arbeitswerte eingestuft werden. Der Leistungsgrad eines Beschäftigten wird durch Vergleich (Gegenüberstellung) der von ihm erbrachten Leistung (Ist-Leistung) mit der geschätzten (vorgestellten) Bezugsleistung ermittelt: Ist-Leistung Leistungsgrad = _____________ × 100 Bezugsleistung Beispiel: Die Bezugsleistung für eine bestimmte Arbeitsaufgabe betrage 40 Stück je Stunde. Fertigt der Beschäftigte lediglich 35 Stück je Stunde, so beträgt sein Leistungsgrad 87,5 %. Während die Ist-Leistung dem persönlichen Können und Wollen des Beschäftigten entspringt, also persönlich beeinflußbar ist, ist die vorgestellte Bezugsleistung eine Durchschnittsleistung, die über → REFA-Studien oder das → System vorbestimmter Zeiten (SvZ) ermittelt wird. Arbeitseinkommen → Einkommen.
Arbeitsentgelt
Arbeitsentgelt ⇒ Arbeitslohn ⇒ Lohn ⇒ Verdienst Inbegriff aller aus unselbständiger → Arbeit erzielten → Einkommen. Arbeitsentgeltsicherung (für Betriebsratsmitglieder) Das → Arbeitsentgelt von → Betriebsratsmitgliedern darf einschließlich eines Zeitraumes von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer → Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Dies gilt auch für allgemeine Zuwendungen des → Arbeitgebers (§ 37 Abs. 4 Betriebsverfassungsgesetz). Arbeitsförderung Teil der beschäftigungsorientierten → Wirtschafts- und → Sozialpolitik der Bundesregierung. Die individuelle A. durch → berufliche Weiterbildung, Umschulung und Eingliederung (Ältere, Behinderte, Aussiedler) sowie durch Förderung der Aufnahme selbständiger Tätigkeit wird durch die institutionelle A. der → beruflichen Bildung (z. B. Gemeinschaftswerkstätten) und sonstige Förderungsmaßnahmen (z. B. Rehabilitation) ergänzt. Grundlage der A. bildet das → Sozialgesetzbuch III – Arbeitsförderung –. Träger dieser speziellen → Beschäftigungspolitik ist die → Bundesagentur für Arbeit mit ihren (örtlichen) Agenturen für Arbeit. Arbeitsfreude ⇒ Arbeitszufriedenheit Begriff zur Analyse der Bedeutung von → Arbeit für den arbeitenden Menschen. A. ist in starkem Maße bestimmt von den kulturell vermittelten Vorstellungen über den individuellen und sozialen Sinnbezug der Arbeit. Neben der materiellen Entgeltung der Arbeit (→ Lohn, → Gewinn) sind für die A. bedeutsam: Werkstolz, Erfolgserlebnisse; das Gefühl, etwas Schwieriges „geschafft“ zu haben; der Eindruck, es sich und möglicherweise auch anderen „gezeigt“ zu haben; oder ganz einfach die Zufriedenheit darüber, „gute Arbeit“ geleistet zu haben.
Arbeitsgerichtsbarkeit
Arbeitsfrieden betrieblicher wie auch gesamtwirtschaftlicher Zustand ungestörter Partnerschaft zwischen → Arbeitgeber(n) und → Arbeitnehmern. Arbeitsgemeinschaft → Kooperation, zwischenbetriebliche. Arbeitsgericht → Arbeitsgerichtsbarkeit. Arbeitsgerichtsbarkeit Bei Rechtsstreitigkeiten im Arbeitsleben können sich die beteiligten Parteien an die Gerichte für Arbeitssachen (Arbeitsgerichte) wenden. Hier wird unter Mitwirkung von Vertretern der → Arbeitgeber und → Arbeitnehmer versucht, eine Lösung (Entscheidung) zu finden. Die Arbeitsgerichte stellen einen selbständigen Zweig der Gerichtsbarkeit dar. Sie finden ihre rechtliche Grundlage im Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) in der Fassung v. 2. 7. 1979 mit späteren Änderungen. Die A. umfaßt drei Instanzen. Die erste Instanz wird durch die Kammern beziehungsweise Fachkammern der Arbeitsgerichte repräsentiert, sie sind mit einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richtern aus Kreisen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber besetzt (§§ 14 ff. ArbGG). Die zweite Instanz (Berufungsinstanz) bilden die Landesarbeitsgerichte; ihre Kammern sind ebenfalls mit je einem Berufsrichter als Vorsitzendem und zwei ehrenamtlichen Richtern aus Kreisen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber besetzt (§§ 33 ff. ArbGG). Die dritte und zugleich höchste Instanz ist das Bundesarbeitsgericht (in Erfurt); es umfaßt derzeit zehn Senate, die je aus dem Vorsitzenden Richter, zwei berufsrichterlichen Beisitzern und zwei ehrenamtlichen Richtern aus Kreisen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber bestehen (§§ 40 ff. ArbGG). In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten entscheidet das Arbeitsgericht durch Urteil (Urteilsverfahren); in Angelegenheiten, die das → Betriebsverfassungsgesetz und das → Mitbestimmungsgesetz betreffen, durch Beschluß (Beschlußverfahren). Gegen Urteile des Arbeitsgerichtes kann unter bestimmten Voraussetzungen → Berufung 29
Arbeitsgerichtsbarkeit
beim Landesarbeitsgericht eingelegt werden. Gegen Beschlüsse des Arbeitsgerichtes kann beim Landesarbeitsgericht → Beschwerde eingelegt werden. Die Senate entscheiden über die → Revision gegen Urteile und über → Rechtsbeschwerde gegen Beschlüsse des Landesarbeitsgerichtes. 1. Das Urteilsverfahren vor dem Arbeitsgericht (§§ 46 ff. ArbGG) wird durch eine schriftliche oder zu Protokoll bei der Geschäftsstelle des zuständigen Arbeitsgerichts erklärte Klage eingeleitet. Das Verfahren beginnt mit der Anberaumung einer Güteverhandlung mit den Parteien vor dem Vorsitzenden des Arbeitsgerichtes. Bleibt eine Partei der Güteverhandlung fern oder verläuft dieselbe erfolglos, schließt sich die weitere, streitige Verhandlung an, wozu im Normalfall ein gesonderter Termin festgelegt wird. Erscheinen beide Parteien nicht zur Güteverhandlung oder verhandeln beide nicht, wird das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Ein Termin zur streitigen Verhandlung kann zu einem späteren Zeitpunkt auf Antrag einer Partei angesetzt werden. Die streitige Verhandlung findet in der Regel vor der Kammer statt und ist möglichst in einem Termin zu Ende zu führen. Jede Partei kann vor Gericht selbst auftreten oder sich vertreten lassen (z. B. durch einen Rechtsanwalt; § 11 Abs. 1 ArbGG); insbesondere aber können sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber durch Repräsentanten ihrer → Gewerkschaft beziehungsweise ihres → Verbandes vertreten lassen. Erscheint eine Partei nicht zur streitigen Verhandlung, so ergeht auf Antrag der anderen Partei Versäumnisurteil. Hiergegen kann von der nicht erscheinenden Partei innerhalb 1 Woche → Einspruch beim Arbeitsgericht eingelegt werden. Über die Klage wird vom Arbeitsgericht durch Urteil entschieden. Die Verkündung des Urteils erfolgt in der Regel im Anschluß an die mündliche Verhandlung. Die Verfahrenskosten sind bewußt niedrig gehalten. Die obsiegende Partei hat keinen Anspruch auf Entschädigung wegen Zeitversäumnis und auf Erstattung der Anwaltskosten; jede Partei trägt ihre Kosten selbst. Aus den Urteilen der Arbeitsgerichte kann schon vor ihrer Rechtskraft vollstreckt werden (§ 62 Abs. 1 30
Arbeitsgerichtsbarkeit
ArbGG). Für die Vollstreckung zuständig ist das örtlich zuständige Amtsgericht. Auch für das Vollstreckungsverfahren werden keine Kostenvorschüsse erhoben. Auch der → Arrest und die → einstweilige Verfügung sind nach § 62 Abs. 2 ArbGG im arbeitsgerichtlichen Verfahren möglich. – Zur schnelleren Geltendmachung von Geldforderungen kann der → Gläubiger anstelle der Klageerhebung vor dem Arbeitsgericht Antrag auf Erlaß eines → Mahnbescheides stellen (§ 46 a ArbGG). Die erforderlichen Vordrucke hierfür liegen beim Arbeitsgericht vor. – Kündigungsschutzverfahren (→ Kündigungsschutzklage) sind nach § 61a ArbGG vorrangig zu behandeln. – Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte kann → Berufung bei den Landesarbeitsgerichten eingelegt werden, vorausgesetzt, daß in vermögensrechtlichen Auseinandersetzungen der Beschwerdegegenstand 600 Euro übersteigt oder das Arbeitsgericht in seinem Urteil Berufung zugelassen hat (§§ 64 ff. ArbGG). Die Berufung ist innerhalb einer Frist von 1 Monat seit Zustellung des Urteils einzulegen und innerhalb von zwei weiteren Monaten zu begründen. Der Berufungs(verhandlungs) termin muß unverzüglich nach Eingang der Begründung bestimmt werden. Auch auf dieser Instanzebene sind Kündigungsschutzverfahren wiederum vorrangig zu behandeln. Das Landesarbeitsgericht hat den Rechtsstreit nach tatsächlicher und rechtlicher Prüfung selbst zu entscheiden. Gegen Urteile der Landesarbeitsgerichte kann → Revision eingelegt werden, vorausgesetzt, daß sie durch das jeweilige Landesarbeitsgericht oder das Bundesarbeitsgericht zugelassen wurde (§§ 72 ff. ArbGG). Gegen eine Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht kann bei bestimmten kollektivrechtlichen Streitigkeiten Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht eingelegt werden. Eine durch das Landesarbeitsgericht oder das Bundesarbeitsgericht zugelassene Revision ist binnen Monatsfrist beim Bundesarbeitsgericht einzulegen und innerhalb von zwei weiteren Monaten zu begründen. Für den Fall, daß der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommt und sie kollektivrechtliche Interessen betrifft, läßt
Arbeitsgerichtsbarkeit
das Gesetz (§ 76 ArbGG) die sogenannte → Sprungrevision zu. 2. Das Beschlußverfahren wird auf Antrag (eines der beiden Beteiligten) eingeleitet, der beim Arbeitsgericht schriftlich einzureichen oder bei einer Geschäftsstelle mündlich zur Niederschrift einzubringen ist (§ 81 ArbGG). Das Gericht prüft und würdigt den Sachverhalt von Amts wegen (§ 83 ArbGG), wobei die Beteiligten an der Aufklärung mitzuwirken haben. Die Beteiligten haben das Recht, vom Gericht gehört zu werden. Die Einvernahme kann auch schriftlich erfolgen. Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht auf eine mündliche Verhandlung verzichten. Das Verfahren endet mit einem Beschluß, der schriftlich abzufassen ist (§ 84 ArbGG). Beschlüsse in vermögensrechtlichen Auseinandersetzungen sind vorläufig vollstreckbar. Auch der Erlaß einer → einstweiligen Verfügung nach § 85 ArbGG ist möglich. Im Beschlußverfahren werden keine → Gebühren und Auslagen erhoben. Gegen die Beschlüsse der Arbeitsgerichte kann innerhalb eines Monats beim Landesarbeitsgericht Beschwerde eingelegt werden; sie ist innerhalb von zwei weiteren Monaten zu begründen (§§ 87 ff. ArbGG). Gegen Beschlüsse des Landesarbeitsgerichts kann Rechtsbeschwerde (§ 92 ArbGG) eingelegt werden, vorausgesetzt, daß sie durch das Landesarbeitsgericht oder das Bundesarbeitsgericht zugelassen wurde. Gegen eine Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Landesarbeitsgericht kann bei bestimmten kollektiven Streitigkeiten Nichtzulassungsbeschwerde (§ 92a ArbGG) beim Bundesarbeitsgericht eingelegt werden. Eine durch das Landesarbeitsgericht oder das Bundesarbeitsgericht zugelassene Rechtsbeschwerde ist binnen Monatsfrist beim Bundesarbeitsgericht einzulegen und innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Über die Rechtsbeschwerde entscheidet das Bundesarbeitsgericht durch Beschluß (§§ 92 ff. ArbGG). Nach § 96 a ArbGG kann auch im Beschlußverfahren unter bestimmten Voraussetzungen die zweite Instanz übersprungen werden. Diese sogenannte
Arbeitskampfrichtlinien
Sprungrechtsbeschwerde ermöglicht eine schnellere Klärung grundsätzlicher Fragen. Die → Tarifvertragsparteien können für Rechtsstreitigkeiten die A. (allgemein oder für den Einzelfall) durch (ausdrückliche) Vereinbarung eines Schiedsgerichtes ersetzen (§ 101 ArbGG). Das Schiedsverfahren erfolgt in freiem Ermessen des aus der gleichen Anzahl von Arbeitgebern und Arbeitnehmern (wahlweise zusätzlich Unparteiischen) sich zusammensetzenden Schiedsgerichtes. Arbeitsgruppen, autonome/teilautonome → Arbeitsstrukturierung. Arbeitskampf die nach erfolgloser → Schlichtung geführte Auseinandersetzung der → Tarifvertragsparteien um die tarifvertragliche Regelung von → Arbeitsbedingungen und/oder → Löhnen. Die traditionellen (Kollektiv-) Kampfmittel sind auf Arbeitnehmerseite der → Streik und auf Arbeitgeberseite die → Aussperrung. → Arbeitskampfrecht. Arbeitskampfrecht die (Kollektiv-)Kampfmittel der → Tarifvertragsparteien im → Arbeitskampf, → Streik und → Aussperrung, sind gesetzlich nicht geregelt. (Das Streikrecht wird in einigen Länderverfassungen ausdrücklich garantiert; es wird jedoch nicht näher normiert!) Die arbeitsrechtliche Ausgestaltung von Streik und Aussperrung stützt sich im wesentlichen auf die einschlägige Rechtsprechung. Der Arbeitskampf ist in Art. 9 Abs. 3 Satz 3 Grundgesetz institutionell und funktionell anerkannt. → Arbeitskampfrichtlinien. Arbeitskampfrichtlinien um eine geordnete Durchführung von → Arbeitskämpfen zu erwirken, hat der → Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Richtlinien zur Führung von Arbeitskämpfen erlassen, in denen unter anderem Näheres über die Durchführung von Erhaltungsund Notarbeiten in bestreikten Betrieben wie auch über die wegen ihrer lebenswichtigen Bedeutung für die Allgemeinheit von einer Bestreikung auszunehmenden Betriebe ausgeführt wird. 31
Arbeitslehre
Arbeitslehre Die systematisch-curriculare Grundlegung des Integrationsfachs oder Lernfelds A. begann 1964 mit den „Empfehlungen des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen für den Aufbau der Hauptschule“, um durch Arbeit als Handlungsform des Lernens im Kontext gegebener Strukturen den Jugendlichen die industriegesellschaftliche Realität zu erschließen und so die Beziehungen zwischen Arbeit und Lernen neu zu definieren. Die Wurzeln der A. liegen in der Arbeitsschule Kerschensteiners, der die „Bildung von Kopf, Herz und Hand“ (Pestalozzi) ausgehend vom Leitbild handwerklichpraktischer Tätigkeiten induktiv aus der Problemlösungs-Logik der Werkstattarbeit aller schulischen Lerngebiete und Schulformen entwickeln wollte. Die A. ist bis jetzt jedoch weitgehend auf die Hauptschule beschränkt geblieben, wobei trotz aller Länderunterschiede mit der Umbenennung der A. in → Arbeit-Technik-Wirtschaft und der Entwicklung eines Kerncurriculums BerufHaushalt-Technik-Wirtschaft eine gewisse Kontinuität und Standardisierung der fachbezogenen → Kompetenzen und Inhalte im ursprünglichen Sinne des Deutschen Ausschusses festgestellt werden kann. Mit den Umbruchprozessen der Arbeits- und Lebensverhältnisse seit Ende der 1990er Jahre steht die A. seitdem vor neuen Herausforderungen: Die rasante Entwicklung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien, ihre Kommerzialisierung und die damit einhergehenden Wandlungsprozesse in den Wirtschafts-, Produktions-, Arbeits- und Sozialsystemen haben das Alltags- und Berufsleben nachhaltig verändert. Das Leitbild der A. zielte ursprünglich auf die Befähigung der Jugendlichen zur eigenverantwortlichen, handlungs-, problem- und entscheidungsorientierten Bewältigung von arbeitsbestimmten Lebenszusammenhängen ihrer Lebens- und Arbeitswelt im Sinne einer langfristigen privaten Daseinsvorsorge durch lebenslanges, ganzheitliches Lernen. Grundlage des Faches ist damit ein weit gefasster Arbeitsbegriff, der Erwerbsarbeit, Eigenarbeit (Hausarbeit, Ernährung usw.) und Gesell32
Arbeitslehre
schaftsarbeit (ehrenamtliche Tätigkeiten usw.) als arbeitsorientierte Bildung mit Allgemeinbildungsanspruch interpretiert. Die Handlungsfähigkeit der Jugendlichen als Technikanwender, Wirtschaftsbürger, Erwerbstätige, aber auch als → Verbraucher und haushaltendes Individuum soll durch technische und ökonomische Kompetenzen, wie auch durch Berufswahl- und Studienwahlkompetenzen bis hin zu Kompetenzen zur angemessenen Bewältigung der eigenen Lebensführung durch das Fach A. gefördert werden. Ausgangspunkte des Bildungsprozesses sind folglich „Situationsfelder“ von Arbeit aus den Lebenszusammenhängen, Berufs- und Alltagserfahrungen der Jugendlichen, die als Unterrichtsgegenstand ausgewählt und vorrangig durch projektorientierten Unterricht (→ Projektunterricht), aber auch durch Erkundungen, → Praktika, → Fallstudien, → Rollenspiele, Experimente usw. fachbezogen vermittelt werden sollen. Neben Fachkompetenz werden so auch fachübergreifende Kompetenzen (Planungs- und Entscheidungskompetenz, Bewertungskompetenz, Problemlösungskompetenz, Informationsbeschaffungs- und -auswertungskompetenz usw.) entwickelt. Mit der Umbenennung des Faches und der curricularen Verankerung bzw. Auflösung in die Partikularfächer Technik, Haushalt, Wirtschaft, → Berufsorientierung, informationstechnische Grundbildung usw. wird jedoch eine Diskrepanz zwischen der zeitgemäßen Weiterentwicklung des ursprünglichen Leitbildes und der schulpraktischen Verwirklichung des A.konzeptes deutlich. In Zukunft droht der eigentliche Kern der A., eben aus dem praktischen ‚Tun’ der aktuellen Lebenslage heraus die nächstliegenden Probleme der Lebensbewältigung integrativ zu lösen, jedoch weiter zu ‚verwässern’. Außerdem sind viele Hauptschüler, die „klassische Klientel“ der A., gar nicht ausbildungsfähig, es fehlen grundlegende Kulturtechniken (Rechtschreib-, Lese- und Rechenschwäche usw.), aber auch wichtige → Arbeitstugenden (Berufsinteresse, Motivation, Verantwortungsbewusstsein usw.), was beim Übergang vom Bildungs- in das Beschäftigungssystem zu Jugendarbeitslosigkeit, Unterbeschäfti-
Arbeitslehre
gung, Ver-/Überschuldung usw. führt. Ausgehend von der teilweise äußerst schwierigen individuellen Lebenslage einzelner Jugendlicher wird deshalb in Zukunft statt der Berufsvorbereitung die Vorbereitung auf die eigene Lebensführung und Hausarbeit eine größere Rolle spielen, weil so auch benachteiligten Jugendlichen eine arbeitsorientierte Grundbildung vermittelt werden kann, die benötigt wird, um vor dem Beginn der eigentlichen Erwerbstätigkeit überhaupt erst einmal das eigene Leben im Schnittpunkt zwischen Technik, Wirtschaft und Hauswirtschaft nachhaltig zu bewältigen. Genauso wie die → ökonomische Bildung, die sich aus der A. entwickelt hat, muss das Fach Arbeit-Technik-Wirtschaft den integrativen Ansatz und die umfassende Bildungsidee der A. beibehalten. Die einzelnen Problemfelder heutiger Jugendlicher sollten also weniger von den einzelnen Fachwissenschaften und mehr von den konkreten → Bedürfnissen der Jugendlichen her definiert werden. – Siehe auch: → arbeitsorientierte Bildung. Literatur: Dedering, H.: Arbeitslehre weiterentwickeln! Baltmannsweiler 2004; ders., Einführung in das Lernfeld Arbeitslehre. München 1994; Gmelch, A.: Arbeitslehre – ein Bildungsauftrag ohne klares Profil? In: Lackmann/Wascher (Hrsg.): Arbeitslehre und Polytechnik. München 1991, S. 18 ff.; Kaiser, F.J.: Arbeitslehre. Bad Heilbrunn 1974; Kledzik, U. (Hrsg.): Lernfeld Arbeitslehre. Berlin, Pädagogisches Zentrum 1988; Kupser, P.: Arbeitslehre zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Bad Heilbrunn 1986; Weng, W.: Entwicklungspfade und Zielkoordinaten – Annäherung an ein Leitbild für die Arbeitslehre. In: Arbeitslehre Journal, Heft 16 /2004, S.37 ff.; Ziefuß, H.: Arbeitslehre. Eine Bildungsidee im Wandel. Seelze-Velber 1992. Prof. Dr. Wolfgang Weng, Berlin Arbeitsleid Begriff zur Analyse der Bedeutung von → Arbeit für den arbeitenden Menschen. Steht im Gegensatz zu → Arbeitsfreude. A. tritt in unterschiedlichen Ausprägungen in Erscheinung: Beschwernisse, Streß, Monotonie, Unlust, Ärger, Frustrationen mit sich
Arbeitslosengeld II
und anderen, Arbeits- und Berufskrankheiten u. a. Arbeitslohn → Arbeitsentgelt. Arbeitslose alle bei der (örtlichen) → Agentur für Arbeit persönlich gemeldeten Personen zwischen 15 und 65 Jahren, die kein dauerhaftes → Arbeitsverhältnis haben, sowie alle Arbeitssuchenden, die keine finanziellen Leistungen der → Bundesagentur für Arbeit beziehen und sofort bereit sind, eine → Arbeit von mindestens 18 Stunden je Woche für mehr als 3 Monate aufzunehmen. Arbeitslosengeld I Nach dem am 1. 1. 2005 in Kraft getretenen Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt (hier: Hartz IV; → Hartz-Gesetze) trägt das bisherige Arbeitslosengeld fortan die Bezeichnung A. Leistung der → Bundesagentur für Arbeit für unfreiwillig → Arbeitslose oder Arbeitnehmer in beruflicher Weiterbildung, die das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet und die Anwartschaft erfüllt haben. Die Anspruchsvoraussetzungen des A. sind in den §§ 117 – 124 a SGB III normiert. Die Dauer der Zahlung regelt sich nach dem mit Wirkung vom 1. 1. 2008 geänderten § 127 SGB III. Die Höhe der Leistung beträgt 60 % des pauschalierten Nettoentgeltes für Kinderlose und 67 % für Empfänger mit mindestens einem Kind. Das pauschalierte Nettoentgelt ergibt sich als Durchschnitt aus den Entgeltabrechnungen der letzten 52 Wochen der versicherungspflichtigen Beschäftigung. Arbeitslosengeld II Unter dem Begriff A. werden mit dem am 1. 1. 2005 in Kraft getretenen Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt (hier: Hartz IV; → Hartz-Gesetze) die bislang getrennten Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengefaßt (§§ 19 – 27 SGB II). Nach § 7 SGB II erhalten diese Leistung erwerbsfähige Hilfsbedürftige (d. s. Personen, die keinen Anspruch auf → Arbeitslosengeld I haben oder deren Anspruch hierauf bereits abgelaufen ist) im Alter zwischen 15 und 65 Jahren mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland. Die Regelleistung für Allein33
Arbeitslosengeld II
stehende umfaßt 367 Euro im Monat (2012). – Nichterwerbsfähige Angehörige, die mit erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten nach § 28 SGB II → Sozialgeld. Bezieher von A. haben in bestimmtem Umfang die Möglichkeit des anrechnungsfreien Zuverdienstes. Beziehern von A., die ihnen von der → Agentur für Arbeit angebotene Arbeit ablehnen, droht Leistungskürzung! Arbeitslosenqote 1. Anteil der → Arbeitslosen an den abhängigen zivilen Erwerbspersonen (→ Arbeiter, → Angestellte, Beamte; ohne Soldaten) in Prozent. 2. Anteil der Arbeitslosen an allen zivilen Erwerbspersonen (Arbeiter, Angestellte, Beamte, Selbständige inklusive mithelftende Familienangehörige; ohne Soldaten) in Prozent. Diese Definition wird heute auch von der → Bundesagentur für Arbeit verwendet. Arbeitslosenversicherung gesetzliche Grundlage bildet das → SGB III – Arbeitsförderung –. Ihm zufolge sind alle gegen Entgelt beschäftigten → Arbeitnehmer (→ Arbeiter und → Angestellte einschließlich der → Auszubildenden) und die ihnen gleichgestellten Personen (z. B. → Heimarbeiter) ohne Rücksicht auf die Höhe ihres Entgeltes versicherungspflichtig. Beamte unterliegen nicht der Versicherungspflicht. Träger der A. ist die → Bundesagentur für Arbeit mit ihren → Regionaldirektionen für Arbeit und örtlichen Agenturen für Arbeit. Ihre Leistungen erstrecken sich u. a. auf: Entgeltersatzleistungen wie: → Arbeitslosengeld, Arbeitslosengeld bei Weiterbildung, Teilarbeitslosengeld, Übergangsgeld, → Insolvenzgeld; → Kurzarbeitergeld; Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer. Die Mittel der A. werden durch Beiträge aufgebracht, die hälftig vom → Arbeitgeber und Arbeitnehmer gezahlt werden (2011: 3 % vom Bruttoverdienst [→ Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit] bis zur → Beitragsbemessungsgrenze von 5500 Euro monatlich/66000 Euro jährlich in den alten Bundesländern bzw. 4650 Euro monatlich/55800 Euro jährlich in den neuen 34
Arbeitslosigkeit II
Bundesländern. Die Finanzierung des Arbeitslosengeldes II erfolgt durch den Bund. Arbeitslosigkeit I liegt nach wirtschaftswissenschaftlicher Auffassung dann vor, wenn auf dem → Arbeitsmarkt die (→ Arbeits-)Nachfrage das (→ Arbeits-)Angebot übersteigt. – Die amtliche Statistik spricht dann von A. wenn arbeitswillige und arbeitsfähige → Erwerbspersonen ab 15 aber unter 65 Jahren keine dauerhafte Beschäftigung finden und von den → Agenturen für Arbeit erfaßt sind. → Arbeitslosenquote. Arbeitslosigkeit II Dimensionen und Messung: A. ist für die Betroffenen mit finanziellen Einbußen verbunden. Zu den wirtschaftlichen Einschränkungen (Zurückstellung von Anschaffungen, Verzug mit Zahlungsverpflichtungen, erhöhte Schuldenaufnahme) kommen psychische Belastungen, insbesondere, wenn Langzeitarbeitslosigkeit eintritt, d. h. die Beschäftigungslosigkeit ein Jahr oder bereits länger dauert. Gesamtwirtschaftlich betrachtet, stellt A. einen unfreiwilligen Verzicht auf die volle Ausnutzung des Arbeitskräftepotentials dar. Die gesamtwirtschaftlichen → Kosten der A. bestehen nicht nur aus Mehrausgaben der → öffentlichen Haushalte für → Arbeitslosengeld I u. II, → Sozialgeld und → Sozialhilfe, sondern auch in Mindereinnahmen (Steuerausfälle) der öffentlichen Haushalte und Sozialkosten für die Betreuung und Beratung von Arbeitslosen. Bei längerfristiger A. verlieren die Arbeitslosen ihre beruflichfachliche Kompetenz. Die übliche Messung der Höhe der A. mit Hilfe der → Arbeitslosenquote (= Anteil der registrierten Arbeitslosen an der Gesamtzahl der abhängigen Erwerbspersonen) erfaßt nur einen Teil der Unterbeschäftigung. Hinzu kommt die → Kurzarbeit, nach den gesetzlichen Vorschriften des → Sozialgesetzbuches III. Ein weiteres Kennzeichen von Unterbeschäftigung ist das Auftreten einer „stillen Reserve“. Dazu zählen erwerbsfähige und erwerbswillige Personen, die sich bei A. nicht von der Agentur für Arbeit registrieren lassen oder bei ungünstiger
Arbeitslosigkeit II
Arbeitsmarktlage die Arbeitssuche aufgeben, die aber bei besserer Arbeitsmarktlage bzw. unter besonderen Arbeitsbedingungen (z. B. → Teilzeitarbeit) wieder eine Arbeit aufnehmen würden. Ursachen: (1) Such- und Saisonarbeitslosigkeit: Die Sucharbeitslosigkeit ist eine friktionelle A., die eintritt, wenn ein bisheriger Arbeitsplatz aufgegeben wird und der → Arbeitnehmer eine gewisse Zeit nicht beschäftigt ist, weil er aus den zur Verfügung stehenden offenen Stellen noch nicht die für ihn passende gefunden hat. Die → Bundesagentur für Arbeit geht davon aus, daß jede A., die nicht länger als drei Monate dauert, als friktionelle A. im Sinne von Sucharbeitslosigkeit zu bezeichnen ist. Die saisonale A. ist ebenfalls kurzfristiger Art. Sie ist durch jahreszeitliche Schwankungen der → Nachfrage (Beispiel Touristikbranche) oder der → Produktion (Beispiel Bauwirtschaft, Landwirtschaft) bedingt. (2) Konjunkturelle A. tritt als typische Begleiterscheinung zu periodisch auftretenden Schwankungen im Wirtschaftsablauf marktwirtschaftlicher → Volkswirtschaften auf. Die A. ist Folge eines Rückgangs der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage in der Rezessionsphase. In der Regel setzt der Nachfragerückgang in der Investitionsgüterindustrie ein, wenn in der vorgelagerten Konsumgüterindustrie die Nachfrage nicht mehr die bisherigen Wachstumsraten aufweist und die Unternehmen deshalb vorsichtiger mit ihren → Investitionen disponieren. Als weitere Ursache sind Einbrüche in der Auslandsnachfrage zu nennen, wenn aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung im Ausland die Nachfrage nach Exportgütern zurückgeht. Als Folge tritt ein kumulativer Prozeß ein: Die Auslastung der Produktionskapazitäten verschlechtert sich, die Gewinnerwartungen gehen zurück, die Investitionsgüternachfrage läßt weiter nach, die Produktion wird zunehmend eingeschränkt, die Zahl der Arbeitslosen wächst, das verfügbare → Einkommen der Konsumenten wird geringer, die Nachfrage nach privaten → Konsumgütern geht weiter zurück, Produktionseinschränkungen in
Arbeitslosigkeit II
der Konsumgüterindustrie, Kurzarbeit und A. schließen sich an. (3) Wachstumsdefizitäre A.: Anhaltende A., verbunden mit einer hohen → Staatsverschuldung, hat dazu geführt, daß die nachfrageorientierte Ursachenerklärung in Mißkredit geraten ist und die Gründe der A. auf der Angebotsseite gesucht werden. Besonders der → Lohnsatz als Kostenfaktor steht im Mittelpunkt dieses Erklärungsansatzes. Wenn beim Abschluß neuer → Lohntarife die Anhebung der Lohnsätze (einschließlich Lohnnebenkosten) über das Ausmaß der Erhöhung der → Arbeitsproduktivität hinausgeht, steigen die Lohnstückkosten an. Die Unternehmen versuchen, den Anstieg der Lohnstückkosten durch arbeitsparende Rationalisierungsmaßnahmen aufzufangen, die einen Freisetzungseffekt hinsichtlich der → Beschäftigung haben. A. ist nach dieser Auffassung die Folge eines zu hohen Lohnniveaus. Dabei sind insbesondere die Lohnnebenkosten zu berücksichtigen, die zur Finanzierung des Systems der → sozialen Sicherung bei den → Unternehmen anfallen. (4) Strukturelle A. kann begriffen werden als A. in Teilbereichen der Volkswirtschaft, die durch Einflußfaktoren des → Strukturwandels ausgelöst wird. Demzufolge ist strukturelle A. ein äußerst komplexes Phänomen, dessen konkrete Erscheinungsformen so vielfältig sind wie die Bestimmungsfaktoren des Strukturwandels. Einzelne Komponenten des Strukturwandels geben Hinweise auf mögliche strukturelle Ursachen von A. und entsprechende Bewältigungsstrategien: (a) Demographische Komponente: Wenn durch den Eintritt geburtenstarker Jahrgänge in das Erwerbsleben oder durch einen positiven Wanderungssaldo (Zuzug von Ausländern und Aussiedlern) das Erwerbspersonenpotential stark ansteigt, folgt daraus eine Belastung für den → Arbeitsmarkt, die mit demographisch bedingter A. verbunden sein kann. (b) Technologisch/sektorale Komponente: Die Durchsetzung technologischer Neuerungen betrifft die einzelnen Wirtschaftszweige unterschiedlich. Der Freisetzungsef35
Arbeitslosigkeit II
fekt konzentriert sich auf Industriebranchen, in denen ein hoher Automatisierungsgrad durchgesetzt werden kann. Wenn allerdings die neuen Technologien zu Kostensenkungen und zu einer Verbilligung der Produktion führen, kann eine Absatzausweitung ausgelöst werden, die zu Mehrbeschäftigung führt (Kompensationseffekt). Eine Kompensation soll auch durch Schaffung neuer → Arbeitsplätze in anderen Sektoren der Volkswirtschaft, insbesondere im Dienstleistungssektor, erfolgen. Charakteristisch für die Beschäftigungsentwicklung in den einzelnen Sektoren auf längere Sicht ist der Verlust von Arbeitsplätzen im „primären Sektor“ (Landwirtschaft, Fischerei und Forstwirtschaft) und im „sekundären Sektor“ (warenproduzierendes Gewerbe), während im „tertiären Sektor“ (private und staatliche Dienstleistungen) die Beschäftigung ansteigt. Die branchenmäßigen Unterschiede in der A. wirken sich auch auf die Region aus, je nachdem, welche Branchen in dieser Region vertreten sind. Da die Mobilität der Arbeitskräfte zwischen den Regionen begrenzt ist, ergibt sich eine regionalspezifische A. vor allem durch eine einseitige Wirtschaftsstruktur, die durch stagnierende Wirtschaftszweige gekennzeichnet ist. (c) Qualifikatorische Komponente: In Verbindung mit der Durchsetzung neuer Technologien ist eine Anhebung der Qualifikationsanforderungen zu beobachten („Höherqualifizierungsthese“). „Rationalisierungsgewinner“ sind die Höherqualifizierten, während wenig qualifizierte oder nicht mehr qualifizierbare Arbeitnehmer zu den „Rationalisierungsverlierern“ gehören. (d) Regionale Komponente Unterschiede in den Arbeitslosenquoten der einzelnen Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland lassen auf regionale Bestimmungsfaktoren der A. schließen. Dabei handelt es sich jedoch vorwiegend um die Auswirkungen der übrigen Komponenten der strukturellen A. auf eine bestimmte Region, die vor allem durch eine einseitige Wirtschaftsstruktur gekennzeichnet ist. Derartige Unterschiede sind allerdings nicht nur wirtschaftlich bedingt, sondern auch 36
Arbeitslosmeldung
geografisch, historisch oder politisch, wie beispielsweise die Strukturschwäche der neuen Bundesländer als Folge des Strukturwandels in der ehemaligen DDR. (e) Internationale Komponente In einem durch Exporte, Importe und Kapitalbewegungen international stark eingebundenen Land wie der Bundesrepublik Deutschland kommt außenwirtschaftlichen Bestimmungsfaktoren des Beschäftigungsniveaus bzw. der A. verstärkt Bedeutung zu. In diesem Zusammenhang werden drastische Veränderungen der Angebots- und Wettbewerbsbedingungen in der Weltwirtschaft mit dem Begriff → Globalisierung verbunden. Als Grundthese läßt sich formulieren: Weltwirtschaftliche Strukturveränderungen haben zu einem verschärften internationalen → Wettbewerb geführt, der einen erhöhten Rationalisierungsdruck und binnenwirtschaftliche Strukturveränderungen ausgelöst hat, mit der Folge, daß im erhöhten Ausmaß Arbeitsplätze weggefallen sind und die Schaffung neuer Arbeitsplätze sich nach Kriterien der internationalen Wettbewerbsfähigkeit richtet, ggf. mit der Konsequenz der Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland. Die Kombination konjunktureller Ursachen (z. B. spekulativ übersteigerte Entwicklungen auf Immobilien- und Finanzmärkten) mit strukturellen Ursachen (z. B. Überkapazitäten in der Automobilindustrie) hat gegen Ende des ersten Jahrzehnts des 21. Jh. zur weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise geführt mit einem sprunghaften Anstieg von Insolvenzen, Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit, die staatliche Unterstützungsmaßnahmen in Rekordhöhe zur Folge hatten. Literatur: Friedrich, H.: Arbeitslosigkeit, in: Handbuch zur ökonomischen Bildung, Hrsg. Hermann May, 9. Aufl., München 2008, S. 309 – 325; Rifkin, J.: Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft. Neue Konzepte für das 21. Jahrhundert, Franfkurt 2005. Prof. Dr. Horst Friedrich, Köln Arbeitslosmeldung → Kündigung, 2.
Arbeitsmarkt
Arbeitsmarkt nimmt in der Wirtschaftswissenschaft auch heute noch eine Sonderstellung ein. Er gilt als ein „Markt sui generis“, der in hohem Maße reguliert ist. Dies ist teils historisch erklärbar (soziale Frage des 19. Jahrhunderts, Gründung von → Gewerkschaften und → Arbeitgeberverbänden, Entstehung des kollektiven Verhandlungssystems, → Tarifautonomie), teils mit (strukturellen) Besonderheiten des Faktors → Arbeit zu begründen („struktureller Verkaufszwang“ und Zwang zur Fremdverwertung der Arbeit, abhängige Arbeit als wesentliche Einkommensquelle der abhängig Beschäftigten, anomale Angebotsreaktion bei Lohnsenkung durch Lohnunterbietung, Substitution durch → Sachkapital und technisch-organisatorischen Fortschritt), teils auf die besonders ausgeprägte Immobilität des Faktors Arbeit in fachlich-beruflicher, regionaler und sozialer Hinsicht begründet. Die Gesamtordnung des A., die sich seit der industriellen Revolution im Laufe von mehr als 100 Jahren herausgebildet hat, kann nicht allein mit den Kategorien der Wirtschaftssystemtheorie (dezentral-marktwirtschaftlich versus zentralplanwirtschaftlich) sinnvoll umschrieben werden, weil Arbeitsmarktvorgänge keine reinen Marktvorgänge sind. Vielmehr ist kennzeichnend für den bundesdeutschen A., dass sich Marktprozesse (Marktsystem), kollektive Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und → Arbeitgebern bzw. Arbeitgeberverbänden (kollektives Verhandlungssystem) und staatlich-zentrale Entscheidungen einander überlagern, so daß die A.-ordnung als typisch gemischte Ordnung charakterisiert werden kann. Der A. ist → „Markt“ insofern, als sich Tauschvorgänge zwischen Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage abspielen und sich im Ergebnis Marktlöhne als Knappheitslöhne bilden (Effektivlöhne, → Lohndrift zwischen → Tarif- und tatsächlich gezahlten Marktlöhnen). Überlagert werden diese Marktprozesse von dem kollektiven Verhandlungssystem (collective bargaining), bei welchem auf der Basis grundgesetzlich garantierter Tarifautonomie und → Ko-
Arbeitsmarkt
alitionsfreiheit durch kollektive Verhandlungen zwischen jeweils monopolistisch zusammengefaßten → Arbeitsangebot und → Arbeitsnachfrage (bilaterales → Monopol) unter Anwendung von Macht-Gegenmachtstrategien (Drohung, Bluff, → Streik, → Aussperrung) Tariflöhne vereinbart werden, die Mindestlohncharakter haben, d. h. nicht unterboten, jedoch überboten werden dürfen (Lohndrift). Über diese regulierenden Wirkungen des kollektiven Verhandlungssystems hinaus ist der A. auch durch staatliche Entscheidungen und Einflußnahme in hohem Maße reguliert, weil der Staat nicht nur Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie verfassungsmäßig garantiert, sondern auch die arbeitsrechtliche, im Besonderen tarifvertragsgesetzliche Rahmenordnung für die Kollektivverhandlungen setzt, und auch durch Bestandsschutzregelungen (→ Kündigungsschutz, Sozialplanpflicht u. a. m.) sowie durch die Möglichkeit, → Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären, regulierend eingreift. Ein staatliches Einwirken auf das kollektive Verhandlungssystem ist durch korporatistische Arrangements unter Beteiligung von Staat, Arbeitgebern und Arbeitnehmern möglich. Die Bewertung entsprechender Ansätze (→ Konzertierte Aktion, → Bündnis für Arbeit) ist uneinheitlich, es kann jedoch auf Erfolge im Ausland (z. B. Niederlande, Abkommen von Wassenaar) verwiesen werden. In der aktuellen Deregulierungsdiskussion werden die vielfältigen Interventionen problematisiert. Deregulierungsbefürworter treten für eine stärkere Flexibilisierung und auch Abschaffung bestimmter Regulierungen ein (Beseitigung des Mindestlohncharakters, des → Kündigungsschutzes, der → Allgemeinverbindlichkeitserklärung,Dezentralisierung und Flexibilisierung der → Lohnpolitik). Determinanten des Arbeitsangebots in einer → Volkswirtschaft oder in einem supranationalen Raum (→ Europäische Union) sind die Größe der Bevölkerung, deren Zusammensetzung hinsichtlich des Alters und des Geschlechts, der Stand der → Berufsausbildung und beruflichen → Qualifikation 37
Arbeitsmarkt
Arbeitsmarkt
(→ Humankapital), das Leistungsvermögen und die Leistungsbereitschaft der Arbeitskräfte, die Leistungsmotivation aufgrund materieller (Lohn) und immaterieller Anreize (Zufriedenheit, → Betriebsklima usw.), Arbeitszeitvorstellungen und → Arbeitszeitregelungen, Substitutionswünsche hinsichtlich der Aufteilung von Arbeit und Freizeit, Grad des strukturellen Verkaufszwangs und der Fremdverwertung von Arbeit, der wesentlich auch von unterschiedlichen Einkommenserzielungsmöglichkeiten (Einkommen aus → Vermögen) abhängen kann.
→ Arbeitsproduktivität des Faktors Arbeit, so daß es auch nahe liegt, Unterschiede bei der Entlohnung humankapitaltheoretisch zu erklären.
Die Nachfrage nach Arbeit ist eine (vom → Konsum) abgeleitete Nachfrage der → Unternehmen, die ihre Nachfrage nach Arbeit von der Rentabilität des Arbeitseinsatzes abhängig machen. Dabei gilt in der Regel die → Minimalkostenkombination, nach welcher zu teure Arbeit langfristig durch Sachkapital substituiert werden kann. Die neoklassische Stabilisierungspolitik behauptet in diesem Kontext, daß die hohe → Arbeitslosigkeit wesentlich durch das zu hohe Mindestlohnniveau verursacht sei (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung) und fordert deshalb eine moderate Lohnpolitik/ Lohnsatzsenkungen mit dem Ziel der Reduzierung der sog. Mindestlohnarbeitslosigkeit. Produktionstechnisch gesehen hängt das Ausmaß der Nachfrage nach Arbeit auch von der Art der → Produktionsfunktion ab, d. h. ob substitutionale oder limitationale Produktionsverhältnisse vorliegen (Gutenberg).
Die Suchtheorie unterstellt unvollständige Informationen und Heterogenität der Arbeitsplätze und Qualifikationen und erklärt hiermit die Sucharbeitslosigkeit. Der Arbeitnehmer kennt weder den Qualifikationsanspruch noch das Lohnangebot einer bestimmten Stelle. Auf der Suche nach einer Stelle mit der entsprechenden Qualifikation wägt er das erwünschte höhere Einkommen mit den Kosten der Arbeitsplatzsuche ab. Im Suchprozess nimmt mit der Suchdauer die Höhe des erwünschten Einkommens ab, während die Suchkosten zunehmen. Erst wenn beides übereinstimmt, nimmt der Arbeitnehmer zu diesem Lohnsatz, dem Akzeptanzlohn, die Stelle an. Durch Transferzahlungen (hohes → Arbeitslosengeld I) im Falle von → Arbeitslosigkeit kann sich die Dauer der Suche verlängern, weil die Suchkosten sinken. Mit diesem Ansatz wird nicht nur die Dauer der Sucharbeitslosigkeit erklärt, sondern auch die Forderung nach Reduzierung eines möglicherweise zu hohen Arbeitslosengelds I oder anderer Anreize begründet (Erhöhung der Suchkosten).
In der neueren Arbeitsmarkttheorie werden die Unvollkommenheiten auf dem A. in besonderer Weise thematisiert. Neuere Ansätze versuchen, bestimmte Phänomene, wie die ungleiche Entlohnung, die anhaltende freiwillige oder unfreiwillige Arbeitslosigkeit zu erklären. Die Humankapitaltheorie löst sich von der Prämisse eines homogenen Arbeitsangebots durch Berücksichtigung von Qualifikationsunterschieden. Investitionen in Humankapital (Qualifizierungspolitik) werden wie Investitionen in Sachkapital gesehen. Sie führen zu einer Erhöhung der 38
Außerdem wird zwischen allgemeinem und spezifischem Humankapital unterschieden. Während das Erstere in sämtlichen Unternehmen verwendet werden kann und daher die Unternehmer kein Interesse bzw. keinen Anreiz an dessen Finanzierung haben, ist eine Verwertung des Zweiten nur im jeweiligen Betrieb möglich (betriebsspezifisches Humankapital). Daraus resultiert die Kostenübernahme durch den Unternehmer.
Die Insider-Outsider-Theorie stellt auf unterschiedliche → Marktmacht verschiedener Gruppen von Arbeitsanbietern (Insider, Entrants, Outsider) ab. Diese Marktmacht äußert sich in unterschiedlichen → Kosten, die die Arbeitsanbieter dem Arbeitgeber verursachen können. Es gibt Einstellungs-, Einarbeitungs- und Entlassungskosten, Kosten einer niedrigeren Arbeitsproduktivität der Entrants, falls die Insider den Entrants die Kooperation verweigern, sowie Kosten einer Absenkung der Arbeitsproduktivität,
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die sich aus der Demotivation der Belegschaft bei Entlassung von Insidern ergibt. Diese potentiellen Kosten wird der Arbeitgeber bei seinen Entscheidungen beachten. Durch ihre Position können die Insider dem Unternehmer höhere Kosten verursachen und somit einen Lohnsatz durchsetzen, der über dem markträumenden Lohnsatz liegt, und bei dem die Arbeitgeber die Insider nicht durch Outsider ersetzen. Bei den Outsidern kommt es zu unfreiwilliger Arbeitslosigkeit, die auch durch Lohnunterbietung nicht beseitigt wird. Trotz möglicher Lohnkosteneinsparung erwartet der Arbeitgeber eine Verringerung seines Gewinns durch die Erhöhung der Kosten, die durch die Insider ausgelöst werden kann. Die neuere A.-theorie geht davon aus, daß es einen einheitlichen Gesamtarbeitsmarkt nicht gibt. Es ist zweckmäßig, von Teilarbeitsmärkten oder von A.-segmenten auszugehen, weil nicht alle Arbeitskräfte in einer Volkswirtschaft miteinander in Konkurrenz bzw. Substitutionsbeziehungen stehen. In Weiterentwicklung der dualen A.-theorie in den USA (Doeringer, Piore), die den Gesamtarbeitsmarkt in einen primären bzw. internen A. (relativ stabile Arbeitsplätze mit guten → Arbeitsbedingungen, geringer Fluktuation, hohem Einkommen und entsprechenden Aufstiegschancen) und einen sekundären, externen A. (bad jobs, instabile Arbeitsverhältnisse mit schlechten Arbeitsbedingungen, geringen Qualifikationsanforderungen, hoher Fluktuation und häufiger Arbeitslosigkeit) aufteilt, unterscheiden Lutz und Sengenberger drei voneinander abgeschottete Teilarbeitsmärkte, bei denen der Übergang vom einen Segment zum anderen kaum oder gar nicht möglich ist. Hauptkriterium für diese Unterscheidung sind die Art und der Grad der Qualifikation. Danach wird der unspezifische, der berufsfachliche und der betriebsspezifische Teilarbeitsmarkt unterschieden. Der unspezifische Teilarbeitsmarkt (Jedermann-A.) ist der Markt der ungelernten und angelernten Arbeitskräfte mit häufigen Ein- und Austritten, weil den → Arbeitnehmern keine Arbeitsplatzwechselkosten, den Unternehmen kaum Einstellungs- und
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Einarbeitungskosten entstehen und von diesen auch keine Investitionen in Humankapital vorgenommen werden. Zudem ist der Arbeitslohn aufgrund dieser Bedingungen relativ niedrig. Auf dem berufsfachlichen A.-segment werden spezifische Qualifikationen (Berufsausbildung in spezifischen → Ausbildungsberufen) gehandelt, die innerhalb der jeweiligen Branche in jedem Unternehmen eingesetzt werden können. Die Arbeitsplätze sind relativ stabil (meist Stammbelegschaft), und das Lohnniveau ist hoch, weil die Arbeitgeber ein Interesse daran haben, fachlich qualifizierte Arbeitskräfte zu halten. Das betriebsspezifische A.segment zeichnet sich durch betriebsinterne Qualifikationen der Arbeitnehmer aus, die für ein bestimmtes Unternehmen spezifisch und in anderen Betrieben kaum oder gar nicht verwertbar sind. Die Unternehmen sind an einer langen Beschäftigungsdauer und stabilen Arbeitsverhältnissen interessiert, weil die betriebsinterne Investition in spezifisches Humankapital sich rentieren muß. Wegen der Betriebsspezifität der Qualifikationen ist der betriebsspezifische Teilarbeitsmarkt in hohem Maße von anderen Teilarbeitsmärkten abgeschottet. Typisch sind die Ausbildung durch betriebsinternes Anlernen im Produktionsprozeß (Learning by doing, Training on the job) und die internen Aufstiegsmöglichkeiten (Mobilitätsketten), die eine besondere Anreizfunktion haben. In diesem Segment werden hohe Gratifikationen in Form von Lohnzahlungen, betrieblichen Sozialleistungen und internen Aufstiegschancen geleistet. Lutz und Sengenberger stellen aufgrund empirischer Untersuchungen eine Tendenz der Erosion berufsfachlicher Teilarbeitsmärkte fest, wonach die Bedeutung des unspezifischen und im Besonderen des betriebsspezifischen A.-segments immer mehr zunehmen soll. Hierfür seien Technologieund Qualifikationsentwicklungen ursächlich, die einen Bedarf an neuartigen, vor allem spezifischen Qualifikationen der Mitarbeiter hervorrufen. Andererseits ist aber kritisch einzuwenden, daß andere Untersuchungen wiederum die besondere Bedeutung der berufsfachlichen Qualifizie39
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rung einschließlich der Vermittlung von → Schlüsselqualifikationen betonen, die zudem als ein wesentliches Fundament auch der betriebsspezifischen Ausbildung angesehen werden können. Danach müßte die berufsfachliche und die betriebsspezifische Ausbildung als komplementäre Einheit gesehen werden. → A.-politik zielt auf die Sicherung der Funktionsfähigkeit der A. und im Besonderen auf die Beseitigung von (strukturellen) Ungleichgewichten zwischen Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage ab. Dabei können drei Kategorien von Maßnahmen unterschieden werden: 1. Klassisch-marktwirtschaftliche Instrumente (Beseitigung von Unvollkommenheiten durch Markttransparenzschaffung, Ausbau eines Informations- und Beratungssystems durch Arbeitsämter oder ähnliche Institutionen, Arbeitsvermittlung, Mobilitätshilfen für die Arbeitssuchenden). Neoklassische Vertreter fordern in diesem Zusammenhang auch die Flexibilisierung der → Löhne zur Beseitigung von Ungleichgewichten. 2. Passive, reaktive Maßnahmen mit dem Ziel des sozialen Ausgleichs durch Zahlung von → Arbeitslosengeld I u. II, → Insolvenzgeld und → Kurzarbeitergeld. 3. Aktive (interventionistische und vorausschauende) A.-politik. Hierzu gehören im Besonderen Weiterbildungs- und Qualifizierungspolitik auf künftige attraktive → Berufsfelder und Qualifikationen (Schlüsselqualifikationen), → Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Gesellschaften zur → Arbeitsförderung, Beschäftigung und Strukturentwicklung, Gewährung von Leistungen zur Erhaltung und Schaffung von → Arbeitsplätzen, z. B. Lohnsubventionszahlungen, Eingliederungshilfen. Das mehrfach novellierte Arbeitsförderungsgesetz von 1969 (AFG) mit seiner Überführung in das Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung (SGB III) hat die Intention einer aktiven, vorausschauenden A.-politik, die nicht nur reaktiv und 40
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kompensatorisch einsetzt, teilweise verschoben. Als notwendige Ergänzung der global wirkenden Stabilisierungspolitik zielte die ursprüngliche Konzeption des AFG auf die Realisierung und Stabilisierung eines hohen Beschäftigungsstandes sowie die Verbesserung der Beschäftigungsstruktur. Das SGB III reduziert den Anspruch auf die Förderung des Ausgleichs von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. Die Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit als Trägerin der Arbeitsförderung sollen → Arbeitslosigkeit, insbesondere Langzeitarbeitslosigkeit, vermeiden, die Eingliederungsaussichten speziell von benachteiligten Arbeitssuchenden verbessern und die Arbeitskräftemobilität sowie die berufliche → Aus- und → Weiterbildung fördern. Im Gegensatz zum AFG betont das SGB III die besondere Verantwortung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei der Anpassung an sich ändernde (Qualifikations-)Anforderungen sowie den Vorrang der Arbeitsvermittlung vor den Leistungen der Arbeitsförderung. Diese Neupositionierung geht zudem mit einer Verschärfung der Zumutbarkeitsvorschriften einher. Neuere Reformen der A.-politik sind mit dem Namen „Hartz-Kommission“ verbunden, (benannt nach ihrem Leiter Peter Hartz), einer von der Bundesregierung 2002 eingesetzten Reformkommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“. Der größte Teil der von dieser Kommission gemachten Vorschläge ist inzwischen als Gesetz verabschiedet (Hartz I bis IV). Der Schwerpunkt dieser A.-reform liegt eindeutig im Bereich klassisch-marktwirtschaftlicher Instrumente und einer aktivierenden A.-politik, während die passive A.-politik stark reduziert worden ist: Hartz I: u. a. → Personal-Service-Agenturen zur Vermittlung Arbeitsloser über Leiharbeit zu gleichem Lohn wie bei regulär Beschäftigten, wenn kein anders lautender → Tarifvertrag besteht; Verbesserung bei der Eingliederung älterer Arbeitnehmer ab 55 Jahren; Teilzeit- und Befristungsregelungen ab dem 52. Lebensjahr.
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Hartz II: Ich-AG‘s zur Förderung der Selbständigkeit von Arbeitslosen; Verbesserungsmaßnahmen bei → Mini- und → MidiJobs; Sonderregelungen für haushaltsnahe Beschäftigung mit Mini-Job-Charakter. Hartz III: Reform der Arbeitsverwaltung (→ Bundesagentur für Arbeit usw.); Änderungen bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Hartz IV: Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe (→ Arbeitslosengeld II für Erwerbsfähige, Sozialgeld für nicht Erwerbsfähige, Orientierung an bisheriger Sozialhilfe); Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln bei Arbeitslosengeld II-Empfängern mit der Folge der Leistungskürzung bei Ablehnung eines Stellenangebots; Reduzierung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I auf generell 12 Monate bzw. 18 Monate ab dem 55. Lebensjahr. Viele der o. g. Maßnahmen stellen auf die Verbesserung der Arbeitsplatzvermittlung und die Verkürzung des Suchprozesses durch Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln sowie durch Reduzierung der Höhe und der Dauer der Lohnersatzleistungen ab. Dies bedeutet eine deutliche Absage an eine passive A.-politik zugunsten einer aktivierenden und klassisch-marktwirtschaftlichen A.-politik. In diese Richtung zielen derzeit (2012) auch die geplanten Maßnahmen der deutschen Bundesregierung zur Haushaltskonsolidierung, wonach der Bundeshaushalt bis zum Jahr 2014 insgesamt um ca. 80 Mrd. Euro entlastet werden soll. Hierzu soll auch der SGB III-Bereich (Hartz I bis IV) einen Beitrag in Höhe von ca. 10,5 Mrd. Euro leisten. Im Vordergrund stehen hierbei klassischmarktwirtschaftliche Instrumente und solche der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik, wie: Effizienzsteigerung bzw. Reduzierung von Ineffizienzen der Arbeitsverwaltung einschließlich einer Organisationsreform der → Job-Center und der durch Grundgesetzänderung ermöglichten Zusammenarbeit von Kommunen und Arbeitsagenturen; Steigerung der Arbeitsanreize für Erwerbslose; Umstellung von bisher aufgrund eines Rechtsanspruchs zu erbringender Pflichtleistungen auf Ermessensleistungen, über
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die die Arbeitsverwaltung vor Ort und individuell entscheidet, z. B. bei individuellen Weiterbildungshilfen oder anderen Förderungsprogrammen, deren Inanspruchnahme von den zu bewertenden Erfolgsaussichten abhängig gemacht wird; Abschaffung des Zuschlags beim Übergang von Arbeitslosengeld I ins Hartz IV-System; Streichung des monatlichen Sockel-Elterngelds von 300 Euro für Hartz IV-Empfänger. Diesen Maßnahmen liegen einerseits primär finanzpolitische Ziele zugrunde, andererseits sollen sie nach Ansicht der Bundesregierung auch „die Balance zwischen Eigenverantwortung und → Solidarität wiederherstellen“. Literatur: Abb, Fritz/Auer, Josef/Mirz, Peter: Arbeitsmarkttheorien, in: WISU, 12/1992, S. 969 – 974; Brinkmann, Gerhard: Einführung in die Arbeitsökonomik, München, Wien 1999; Rothschild, Kurt W.: Theorien der Arbeitslosigkeit, München, Wien 1994; Sesselmeier, Werner/Blauermel, Gregor: Arbeitsmarkttheorien. Ein Überblick, 2. Aufl., Heidelberg 1998; Sozialgesetzbuch – Drittes Buch (III) – Arbeitsförderung vom 24. März 1997 (BGBl. I S. 594) in der Fassung vom 27. Juni 2000 (BGBl. I S. 910); Zerche, Jürgen: Arbeitsmarktpolitik und -theorie, München, Wien 2000. Erstes und zweites Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsplatz in: Bundesgesetzblatt I Nr. 87 vom 30. 12. 2002, S. 4607–4636; Drittes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsplatz in: Bundesgesetzblatt Nr. 65 vom 27. 12. 2003, S. 2848–2915; Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsplatz in: Bundesgesetzblatt Nr. 66 vom 29. 12. 2003, S. 2954–2999. Prof. Dr. Helmut Cox, Duisburg Arbeitsmarktordnung → Arbeitsmarkt. Arbeitsmarktparteien ⇒ Tarifvertragsparteien ⇒ Sozialpartner → Gewerkschaften, → Arbeitgeberverbände. Arbeitsmarktpolitik umfaßt die Regelungen, die das Verhalten der Akteure am → Arbeitsmarkt beeinflussen. In der → Ökonomie gibt es verschiede41
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ne Erklärungsansätze des Arbeitsmarktes, die (teilweise) unterschiedliche Implikationen für die A. haben. Im traditionellen neoklassischen Arbeitsmarktmodell bedarf es keiner A. Aufgrund der zugrunde liegenden Prämissen – vollkommene Information, Mobilität, Substituierbarkeit – herrscht Gleichgewicht auf den Arbeitsmärkten. Bestehende → Arbeitslosigkeit ist freiwillig, d. h. jeder, der arbeiten will, erhält einen Arbeitsplatz. In Wirklichkeit sind Arbeitsmärkte durch „Unvollkommenheiten“, „Marktfehler“ und „Marktmacht“ gekennzeichnet. Zur Verringerung dieser Unvollkommenheiten, z. B. mangelnde → Markttransparenz, von Marktfehlern, z. B. öffentliche Güter, und Marktmacht, z. B. Lohnsetzung, bedarf es einer A. Ein anderer theoretischer Ansatz sieht den Arbeitsmarkt durch Besonderheiten gekennzeichnet, die ihn von anderen → Märkten unterscheiden. Diese Besonderheiten des Arbeitsmarktes manifestieren sich vor allem beim → Arbeitsvertrag. Im Arbeitsvertrag werden nicht Arbeitskräfte, sondern nur Nutzungs- und Verfügungsrechte getauscht. Der Arbeitnehmer überträgt einen Teil seiner Verfügungsrechte über sich selbst auf den → Arbeitgeber: Es entsteht eine Autoritätsbeziehung zwischen beiden. Aufgrund dieser Autoritätsbeziehung erfolgt die Koordination nicht durch gleichberechtigte Marktpartner, sondern durch ein hierarchisches Über-/Unterordnungsverhältnis. Eine zweite Besonderheit des Arbeitsvertrages ist die asymmetrische Spezifikation der Leistungen. Diese asymmetrische Spezifikation beinhaltet, daß nur die Leistung des Arbeitsgebers in Form des vereinbarten → Lohns oder → Gehalts im Arbeitsvertrag festgelegt ist. Die konkrete Arbeitsleistung bleibt unbestimmt. Die beiden Argumentationslinien verdeutlichen, daß eine A. auf unterschiedlichen Ebenen zu verorten ist. So verweisen die Besonderheiten des Arbeitsmarktes auf die Arbeitsmarktordnung, die „Unvollkommenheit“ der Arbeitsmärkte auf die Funktionsweise. 42
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Die Besonderheiten des Arbeitsmarktes haben dazu geführt, daß sich spezifische Regelungen für die Arbeitsmärkte auf staatlicher, verbandlicher und betrieblicher Ebene entwickelt haben. In diesen Institutionen der → Arbeitsmarktordnung kommt zum Ausdruck, daß auf einem Arbeitsmarkt nicht nur eine Ware getauscht wird, sondern für einen großen Teil der Bevölkerung Arbeit die einzige oder hauptsächliche Quelle der Existenzsicherung bildet. Das Grundgesetz enthält die für die Gestaltung der Arbeitsmarktordnung wesentlichen Prinzipien. Diese Postulate, politische Entscheidungen und nicht zuletzt die Ergebnisse der Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen prägen die konkrete Arbeitsmarktordnung. Grundlegendes Merkmal der Arbeitsmarktordnung in der Bundesrepublik ist die individuelle Freiheit des Arbeitsvertrages, konstituiert durch das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und das → Privateigentum an → Produktionsmitteln. Komplementär dazu gilt das Prinzip eines geordneten → Wettbewerbs. Die Gültigkeit dieser beiden Prinzipien wird in der Arbeitsmarktordnung teilweise eingeschränkt, um möglichen Machtmißbrauch zu vermeiden. So gibt es Regelungen für den → Arbeitnehmerschutz, die Entlohnung, die → Betriebs- und Unternehmensverfassung und die soziale Absicherung. Die → Arbeitsmarktordnung unterliegt einem Wandel. Die Diskussion über eine Deregulierung oder Reregulierung des Arbeitsmarktes verdeutlicht diesen Prozeß. Die zunehmende Internationalisierung, der → EU-Binnenmarkt und die → Europäische Währungsunion weisen als neue Dimensionen die Arbeitsmarktordnung als Standortfaktor im internationalen Wettbewerb aus. A. i. e. S. zielt auf die Funktionsweise der Arbeitsmärkte. Sie ist primär in den Sozialgesetzbüchern II (Grundsicherung) und III (Arbeitsförderung) kodifiziert. Eine wachsende Wirtschaft beinhaltet einen kontinuierlichen Wandel auf den Arbeitsmärkten. Dieser Strukturwandel betrifft sektorale, regionale, berufliche, qualifikatorische und tätigkeitsbezogene Arbeitsmärkte. So wird
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auch künftig mit einem Rückgang der Arbeitskräftenachfrage in der Industrie und einer Zunahme im Dienstleistungssektor gerechnet. Damit verbunden ist eine Abnahme produktionsorientierter Tätigkeiten und eine Zunahme von Dienstleistungstätigkeiten. Auch die Qualifikationsstruktur der Beschäftigten unterliegt einem erheblichen → Strukturwandel: Der Anteil der höher qualifizierten Tätigkeiten wird künftig weiter zunehmen, der Anteil der einfachen Tätigkeiten zurückgehen. Auf die Bewältigung dieses Strukturwandels auf den Arbeitsmärkten zielt die (aktive) A. Durch eine Verringerung von Unvollkommenheiten auf Arbeitsmärkten und Unterstützung von besonders von Arbeitslosigkeit Betroffenen sollen die Anpassungsprozesse beschleunigt und erleichtert sowie nachteilige Folgen des Wandels für Hilfsbedürftige abgemildert werden. Damit sollen eine hohe Beschäftigung erreicht und die Beschäftigungsstruktur kontinuierlich verbessert werden. Die A. hat sich in den letzten Jahren gravierend verändert. Zentrales Leitmotiv der jüngsten Arbeitsmarktreformen ist das Konzept des aktivierenden Sozialstaats. Die Reformen sollen nach dem Grundsatz „Fördern und Fordern“ eine neue Balance zwischen staatlich organisierter Daseinsvorsorge und der Eigenverantwortung der Bürger herstellen. Sie sind primär in den Gesetzen über moderne Dienstleistungen I – IV (sog. „Hartzgesetze“) kodifiziert. Wesentliche Ziele dieser reformierten A. bilden eine Verbesserung der Schnelligkeit und Qualität des Vermittlungsprozeßes, die Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten, der Abbau von Verwaltungsaufwand, Bürokratie und Reduzierung der Regelungsdichte, ein einfaches Leistungsrecht der → Arbeitslosenversicherung, die Zusammenführung arbeitsmarktpolitischer Instrumente und der Umbau der → Bundesagentur für Arbeit. Von dem umfangreichen Instrumentarium dieser aktivierenden A. können im Folgenden nur die wichtigsten Instrumente benannt werden.
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● Beratung und Vermittlung. Diese erfolgen durch die Arbeitsagenturen, Kommunen und private Dienstleister. Für Letztere gibt es dafür Vermittlungsgutscheine und öffentliche Ausschreibungen. ● Berufliche Weiterbildung und Qualifizierung. Dazu existieren u.a. berufsvorbereitende Maßnahmen und diverse Maßnahmen zur Förderung der beruflichen Weiterbildung; so die Unterstützung zum Erwerb eines Berufsabschlusses, Anpassungsqualifizierungen an den Strukturwandel und Trainingsmaßnahmen. ● Beschäftigungsbegleitende Maßnahmen. Hierzu zählen Eingliederungszuschüsse als zeitlich befristete Zuschüsse zum Lohn und die Gründungsförderung zur Aufnahme selbständiger Tätigkeit. ● Beschäftigung schaffende Maßnahmen. Dazu zählen u.a. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und die Arbeitsgelegenheiten (→ „Ein-Euro-Jobs“). ● Förderung eines Niedriglohnsektors. Hier sind vor allem die Mini- und Midijobs anzuführen. Die Eigenverantwortung der Arbeitssuchenden soll durch eine restriktivere Handhabung der finanziellen Unterstützung von Arbeitslosen und eine Unterstützung der Eigeninitiative gestärkt werden. Instrumente hierfür sind u. a. eine Verschärfung der Zumutbarkeitsregelungen, eine frühzeitige Arbeitslosmeldung, ein aktives Bewerberverhalten, die Ausgabe von → Bildungsund Vermittlungsgutscheinen. Die Finanzierung der Ausgaben der Bundesagentur für Arbeit erfolgt zum einen durch die Beschäftigten und Arbeitgeber. Das Arbeitslosengeld II trägt der Bund. Anspruchsvoraussetzungen, Bezugsdauer und Höhe der Lohnersatzleistungen variieren im Zeitablauf. Die Wirksamkeit der reformierten A. wurde und wird in umfangreichen Studien evaluiert. Dabei sind mikro- und makroökonometrische Studien zu unterscheiden. Auf der Mikroebene werden die direkten Maßnahmeneffekte, gemessen an der Integration in den ersten Arbeitsmarkt, erfasst. Makrostudien berücksichtigen auch indirekte Wirkungen arbeitsmarktpolitischer 43
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Maßnahmen wie Mitnahme- und Substitutionseffekte. Die Ergebnisse der Mikrostudien belegen, dass direkt auf eine reguläre Beschäftigung zielende Maßnahmen sich positiv auswirken. Überwiegend bestätigt werden auch positive Beschäftigungseffekte von Weiterbildungsmaßnahmen. Dagegen erzielen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen kaum positive Beschäftigungseffekte auf dem ersten Arbeitsmarkt. Unterschiedlich sind auch die Ergebnisse für die Vermittlungsaktivitäten. Auf der Makroebene gibt es zwar Untersuchungen über die Nettoeffekte aktiver A., diese gelten aber als noch nicht so abgesichert wie die Mikrostudien. Insgesamt verweisen sie eher auf eine begrenzte Wirksamkeit arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen auf die gesamtwirtschaftliche Beschäftigung. Literatur: Allmendinger, J., Eichhorst W., Walwei U. (Hg.), IAB Handbuch Arbeitsmarkt, Frankfurt/New York, 2005; Bothfeld, S., Sesselmeier, W., Bogedan, C. (Hg.), Arbeitsmarktpolitik in der sozialen Marktwirtschaft – Vom Arbeitsförderungsgesetz zu Sozialgesetzbuch II und III, Wiesbaden 2009; Bundeszentrale für Politische Bildung (Hg.), Aus Politik und Zeitgeschichte, Arbeitsmarktpolitik, Heft 27/2009, http:// www2.bpb.de/files/YYBZRI.pdf; Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, A–Z der Arbeitsförderung, www.bmwa.bund.de, Berlin 2005; Franz W., Der Arbeitsmarkt, Mannheim etc. 1993; IAB kurzberichte, www.iab.de, lfd. Jahrgänge; Kleinhenz, G. (Hg.), IAB-Kompendium Arbeitsmarkt und Berufsforschung, BeitrAB 250, Nürnberg 2002; Lampert, H. Englberger, J. Schüle, U., Ordnungs- und prozeßpolitische Probleme der Arbeitsmarktpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1991; Möller, J., Walwei, U. (Hg.), Handbuch Arbeitsmarkt 2009, Bielefeld 2009; Zerche, J., Schönig, W., Klingenberger, D., Arbeitsmarktpolitik und -theorie, München, Wien 2000. Prof. Dr. Alfons Schmid, Frankfurt Arbeitsnachfrage 1. einzelwirtschaftlich: die von einem → Unternehmen auf dem → Arbeitsmarkt nachgefragte → Arbeit (Arbeitsmenge). 44
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→ A.-funktion. 2. gesamtwirtschaftlich: die sich durch Zusammenfassung der A. aller Unternehmen einer Volkswirtschaft ergebende Gesamtnachfrage nach Arbeit. Arbeitsnachfragefunktion die funktionelle Zuordnung der → Arbeitsnachfrage eines → Unternehmens (einzelwirtschaftliche Arbeitsnachfrage) zu der von diesem nachgefragten → Arbeit (Arbeitsmenge). Werden die Bestimmungsgründe der Arbeitsnachfrage auf den → Lohnsatz verkürzt, so ergibt sich folgende einzelwirtschaftliche A.
Sie besagt, daß mit steigendem Lohnsatz die Arbeitsnachfrage der Unternehmen sinkt. Durch Zusammenfassung der einzelwirtschaftlichen A. gelangt man zur gesamtwirtschaftlichen (volkswirtschaftlichen) A. Arbeitsordnung ⇒ Betriebsordnung Vereinbarungen auf der Grundlage des → Betriebsverfassungsgesetzes zwischen → Arbeitgeber und → Betriebsrat zu Fragen der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im → Betrieb. Hierzu gehören unter anderem: → Anwesenheitskontrolle, An- und Abmeldeverfahren, Einführung und Anwendung von Passierscheinen und Betriebsausweisen, Tragen einer vorgeschriebenen Arbeitskleidung, Alkohol- und Rauchverbote, Park- und Abstellmöglichkeiten, → Torkontrollen, Benutzung betrieblicher Telefone, Krankenkontrollen,
Arbeitsordnung
Radiohören im Betrieb. → Betriebsbußen (bei Verstößen gegen die betriebliche Ordnung) können nur verhängt werden, wenn zuvor eine betriebliche Bußordnung mit Zustimmung des Betriebsrates eingeführt wurde. Die Verhängung einer Buße ist in jedem Einzelfall mitbestimmungspflichtig. Arbeitsorganisation die organisatorische Gestaltung (Vor-, Nach- und Zuordnung) aller Elemente eines Arbeits-/Produktionsprozesses. → Organisation, wissenschaftliche → Betriebsführung (Scientific Management), → Job Enlargement, → Job Enrichment, → autonome/ teilautonome Arbeitsgruppen, → Lean Production, → Arbeitsstrukturierung. arbeitsorientierte Bildung 1. Aufgabe und Ziel: a. – synonyme Bezeichnungen sind z.B. Arbeitsorientierung und Arbeit-Technik-Wirtschaft – trägt zur Persönlichkeitsbildung der Lernenden durch Auseinandersetzung mit grundlegenden Sachverhalten und Zusammenhängen der Arbeitswelt bei. Die Lernenden sollen allgemeinbedeutsame, berufs(feld-)übergreifende Sach-, Sozial- und Selbstkompetenzen („allgemeine Arbeitsqualifikationen“) erwerben, die es ihnen ermöglichen, die Arbeitswelt (also die Sphäre, in der die Menschen arbeiten, um ihre existenziellen → Bedürfnisse erfüllen zu können) zu verstehen und in ihr mitgestaltend tätig zu sein. 2. Didaktisches Konzept: In ihrer theoretischen Grundlegung ist a. durch folgende Aspekte gekennzeichnet: ● Inhaltlich-curricular bezieht sich a. auf Arbeitssituationen. Da der inhaltliche Gegenstand der a. – die Arbeitswelt – durch Situationen strukturiert ist und die Arbeitssituation auf die Gesamtheit konstituierender Momente von (real- und idealtypischen) Arbeitsprozessen und -zusammenhängen verweist, ist diese Kategorie in besonderer Weise als Ausgangs- und Orientierungspunkt der Bestimmung und Begründung von arbeitsweltbezogenen Lerninhalten geeignet. Mit ihr rücken vor allem die folgenden Strukturmomente in das Blickfeld von a. (1) Erwerbsarbeit (insbesondere Be-
arbeitsorientierte Bildung
rufsarbeit), Eigenarbeit (Hausarbeit u.a.) und Gesellschaftsarbeit (freiwillige soziale Tätigkeiten), (2) Arbeitshandlungsvollzüge (Analyse, Zielsetzung, Planung, Realisierung, Kontrolle und Kritik von Arbeit) und Arbeitsbedingungen (Arbeitsumgebung, Lohn, Kooperation, Wirtschafts- und Sozialordnung u.a.) sowie (3) Technik, Wirtschaft und – da diese auf humane Arbeits- und Lebensbedingungen und eine gesunde Umwelt bezogen werden müssen – Sozial-Ökologie. A. ist eine einheitliche technisch ökonomische Bildung mit sozal-ökologischer Orientierung. Sie folgt dem Anspruch, Technik und Wirtschaft in ihrer Interdependenz sowie als Bedingung und Folge von Arbeit in den Blick zu nehmen. Als solche ermöglicht a. Lehrenden und Lernenden, die komplexen durch Technik und Wirtschaft geprägten Strukturen der Arbeitswelt zu analysieren (z.B. anhand von Schlüsselproblemen wie gesunder und umweltfreundlicher Konsum, Rationalisierung im Betrieb und Abhängigkeiten durch Globalisierungstendenzen) sowie unterschiedliche Arbeitssituationen miteinander zu vergleichen. Mit ihrem Bezug auf Arbeitssituationen erhält a. den notwendigen Praxisbezug. Sie ist zugleich auch wissenschaftsorientiert, da sie die vorliegenden Erkenntnisse der Wissenschaften – Wirtschafts-, Sozial-, Arbeits-, Technikund Umweltwissenschaften – berücksichtigt und die Lerngegenstände in ihrer wissenschaftlichen Bedingtheit und Bestimmtheit vermittelt. ● Lernorganisatorisch verknüpft a. Handeln und Reflexion und ermöglicht den Lernenden – unter Berücksichtigung ihrer Lernvoraussetzungen, Interessen und Bedürfnisse – ein Lernen an verschiedenen Orten (Schulen, Betriebe, soziale Einrichtungen u.a.). Dies geschieht in komplexen Lerneinheiten (Kurse, → Projekte) mit Handlungs- und Bedingungslernen sowie in Lerneinheiten mit primär handlungsbezogener oder primär bedingungsbezogener Struktur. ● Bildungssystembezogen ist a. ein Angebot in allen Bildungsgängen und auf allen Bildungsstufen. Dabei ist sie in den Institutionen unterschiedlich fachlich verankert, z.B. als selbständiges Unterrichtsfach, als 45
arbeitsorientierte Bildung
Bestandteil anderer Fächer und in fächerübergreifenden Projekten. A. weist folgenden Stufengang auf: (1) In der Primarstufe bietet a. eine Elementarorientierung im Hinblick auf Arbeitssituationen aus dem Erfahrungsbereich der Kinder. Der geeignete Ort hierfür ist der Sachunterricht. (2) Hieran schließt sich in der Sekundarstufe I – im Lernfeld Allgemeine → Arbeitslehre – eine Beschäftigung mit übergreifenden Problemen und Zusammenhängen der komplexen Arbeitswelt an. Im Zentrum steht die Vermittlung einer → Berufsorientierung. (3) In der Sekundarstufe II erfolgt eine schwerpunktbezogene Arbeitslehre. Diese bezieht sich auf einen bestimmten Tätigkeitsbereich, z.B. auf gewerbliche Produktion, Wirtschaft und Verwaltung sowie soziale Dienstleistungen. Mit der Auslegung auf solche komplexen Tätigkeitsbereiche stellt a. in den berufsbildenden Schulen eine Brücke dar zwischen enger → Berufsausbildung und breiter Allgemeinbildung und in der gymnasialen Oberstufe sorgt sie für eine Konkretisierung der allgemeinen Lerninhalte in Richtung auf Arbeitswelt und → Berufe. (4) Im Rahmen der Ausbildung von Pädagogen (Lehrer, Magister u.a.) findet a. an Hochschulen statt („Pädagogik der Arbeitswelt“). (5) Die arbeitsorientierte Weiterbildung ermöglicht den Lernenden eine weitergehende, vertiefte Auseinandersetzung mit der Arbeitswelt im Kontext ihrer konkreten (Berufs-)Arbeit. 3. Bereiche und Verbreitung: A. umfaßt die arbeitsorientierte Allgemeinbildung und die arbeitsorientierte Berufsbildung. (1) Arbeitsorientierte Allgemeinbildung bezieht sich auf die Bereiche Technik, Wirtschaft, → Hauswirtschaft und Beruf. Sie wird ansatzweise bereits im Rahmen des Sachunterrichts der Grundschule vermittelt. Am stärksten ist arbeitsorientierte Allgemeinbildung im Sekundarbereich I mit dem Unterrichtsfach bzw. dem Fächerverbund Arbeitslehre sowie in der zugehörigen Lehrerbildung verbreitet. In der gymnasialen Oberstufe wird den Schülern eine Arbeitsorientierung meist in Fächern wie Wirtschafts- und Technikwissenschaften geboten. Ansonsten bechränkt sich a. hier 46
Arbeitspapiere
auf eine Berufs- und Studienorientierung, die manchmal auch mit einem → Betriebspraktikum und mit ‚Schnupperkursen‘ in der Hochschule verbunden wird. (2) In arbeitsorientierter → Berufsbildung erfolgt eine Auseinandersetzung mit der Stellung des arbeitenden Menschen in sozio-technischen Systemen. Dabei stehen betriebliche Arbeitssysteme – Arbeitsplätze und Arbeitsprozesse – im Vordergrund. Die entsprechenden Inhalte werden meist in den berufsbezogenen Schulfächern sowie in den betrieblichen Ausbildungslehrgängen und im Rahmen der beruflichen → Weiterbildung bearbeitet. 4. Weiterentwicklung der a.: A. ist für eine umfassende Bildung des Menschen unverzichtbar und zudem eine angemessene Antwort auf den → Strukturwandel in Wirtschaft und Gesellschaft. Die realen Ansätze sollten im Sinne der skizzierten konzeptionellen Grundlagen weiterentwickelt werden. Notwendig ist insbesondere ein Pflichtfach Arbeitslehre in allen allgemeinbildenden Schulen der Sekundarstufe I und II. Damit könnte Deutschland an die technische und ökonomische Bildung im europäischen Ausland anschließen. Diese weist zwar auch Mängel auf; in den dort i.d.R. bestehenden Gesamtschulsystemen wird sie aber allen Schülern zuteil. Literatur: Dedering, Heinz (Hrsg.): Handbuch zur arbeitsorientierten Bildung. München, Wien: Oldenbourg, 1996; Dedering, Heinz: Arbeitsorientierte Bildung. Studien zu einem neuen Reformprojekt. Baltmannsweiler: Schneider, 2004. Prof. Dr. Heinz Dedering, Kassel Arbeitspädagogik → Wirtschaftspädagogik. Arbeitspapiere umfassen: → Lohnsteuerkarte, Versicherungsnachweisheft, Bescheinigung über den im laufenden Kalenderjahr gewährten und abgegoltenen → Urlaub und auch etwaigen → Bildungsurlaub, Unterlagen für → vermögenswirksame Leistungen, → Sozialversicherungsausweis sowie die vom → Arbeitgeber bei Beendigung des → Arbeitsverhältnisses auszustellende Arbeits-
Arbeitspapiere
bescheinigung; im Baugewerbe kommen noch die Lohnnachweiskarte und die übrigen Unterlagen des Lohnnachweisverfahrens hinzu. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat der → Arbeitgeber die A. des → Arbeitnehmers auszufüllen und herauszugeben. Der Arbeitnehmer hat die A. abzuholen. Noch nicht fertiggestellte A. hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auf seine Kosten und → Gefahr zu übersenden. Der Arbeitgeber hat an den A. des Arbeitnehmers kein → Zurückbehaltungsrecht. Er muß deshalb auch dann die A. herausgeben, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis fristlos aufgibt oder der Arbeitgeber ihn fristlos entlassen hat oder der Arbeitgeber noch Forderungen gegen den Arbeitnehmer hat. Bei schuldhaft verspäteter Rückgabe oder bei falscher Ausfüllung der A. kann der Arbeitnehmer Schadensersatzansprüche geltend machen. Dem Arbeitgeber muß eine angemessene Frist zur Ausfüllung der Papiere zugestanden werden. Arbeitsplatz Ort der nach dem → Arbeitsvertrag/ → Dienstvertrag zu erbringenden Arbeitsleistung. Arbeitsplatzanalyse systematische Erfassung und Beschreibung der für einen → Arbeitsplatz typischen Teilarbeiten zwecks Bestimmung der physischen und psychischen Anforderungen an die mit diesen Teilarbeiten befaßte Person. A. dienen der → Arbeitsplatzbewertung, → Arbeitsbewertung, → Arbeitsplatzgestaltung wie auch der optimalen Besetzung des Arbeitsplatzes. Arbeitsplatzerkundung 1. Ursprung. Die Arbeitsplatzbeschreibung (Arbeitsplatzanalyse) gehört zum methodischen Instrumentarium der → Arbeitswissenschaft. Sie dient der Ermittlung qualitativer Anforderungsprofile als Grundlage der Personalorganisation sowie der menschengerechten und wirtschaftlichen Gestaltung der Arbeitssysteme (Verbesserung von Arbeitsplatzergonomie und -produktivität) und zudem als Grundlage der Arbeitsbewertung und der anforderungsgerechten Entlohnung. Im Lernbereich → Arbeitslehre werden A.
Arbeitsplatzerkundung
als Methode der Realbegegnung seit den 1970er Jahren für die → arbeitsorientierte Bildung genutzt. 2. Bildungsziele. Die Hinführung zur modernen Berufs- und Arbeitswelt ist ein bedeutsames Ziel der → ökonomischen Bildung. Die Heranwachsenden sollen → Arbeit als anthropologische Grundkonstante erkennen. Dabei liegt ein weiter Arbeitsbegriff zugrunde, der Hausarbeit, Erwerbsarbeit und Bürgerarbeit umfasst. Konkret sollen die Schüler die Fähigkeit erwerben, → Arbeitsplätze kriterienorientiert zu vergleichen (komparative → Arbeitsplatzanalyse). Die Kenntnis von → Arbeitsteilung und → Spezialisierung als Mittel der Betriebsorganisation und → Rationalisierung soll dazu befähigen, ökonomische Systemzusammenhänge auf der Mesoebene des → Betriebes (verstanden als soziotechnisch-ökonomisches System) erklären zu können. 3. Gegenstand. Die Beschreibung eines Arbeitsplatzes (bzw. Arbeitssystems) kann in Anlehnung an → REFA anhand von sieben Arbeitsplatzmerkmalen (bzw. Systemelementen) erfolgen: die Arbeitsaufgabe, die Eingabe, die Ausgabe, der arbeitende Mensch, die eingesetzten → Betriebsmittel, die Umwelteinflüsse/Umgebungsfaktoren sowie der Arbeitsablauf. Sind dem fokussierten Arbeitsplatz andere Arbeitsplätze ablauforganisatorisch vor- oder nachgelagert, so können diese als Schnittstellen zusätzlich genannt werden. Die darauf aufbauende Anforderungsanalyse kann sich an den Hauptanforderungsarten „Können, Verantwortung, Belastung und Umgebungseinflüsse“ (→ Genfer Schema) orientieren. Nicht zu verwechseln ist die Arbeitsplatzbeschreibung – trotz inhaltlicher Nähe – mit der Stellenbeschreibung. Eine Stelle wird gewöhnlich als kleinste auf bauorganisatorische Einheit definiert und ist die Grundlage der Abteilungsbildung. Die A. ist hinsichtlich ihres Gegenstandes auch von der → Betriebserkundung zu unterscheiden, die sich auf Aspekte des produktiven Gesamtsystems bezieht, z. B. Aspekte der betrieblichen Grundfunktionen Beschaffung, Produktion, Absatz und Verwaltung. 47
Arbeitsplatzerkundung
4. Vorgehen. A. sind eine Form des Praxiskontakts, der stets der Einbettung in einen übergeordneten Sach- und Sinnzusammenhang und nicht zuletzt deshalb der Vor- und Nachbereitung im Unterricht bedarf. Die Erkundung als Teil der Durchführungsphase erfordert einen Lernortwechsel. Als Instrumente der Erkenntnisgewinnung dienen gezielte Befragungen und Beobachtungen, deren Resultate protokolliert werden. Voraussetzung ist daher eine adäquate Methodenkompetenz der Schüler. Sie müssen grundlegende Techniken der Informationsbeschaffung und -verarbeitung beherrschen, die durch diese Gelegenheit zur Einübung gefestigt und erweitert werden können. Mit Hilfe von Fragen wird die Erkundung angeleitet, z. B.: Wo befindet sich der Arbeitsplatz? Welche Arbeitsaufgabe wird erfüllt? Welche Gegenstände werden be- oder verarbeitet? Welche Tätigkeiten werden verrichtet? Welche Arbeitsmittel werden eingesetzt? Welche äußeren Arbeitsbedingungen liegen vor? Welchen Belastungen ist der Arbeitende ausgesetzt? Welche Anforderungen stellt der Arbeitsplatz? Welche Unfallgefahren bestehen? Welche Unfallverhütungsmaßnahmen wurden getroffen? 5. Potenziale. Die betriebliche Arbeitswelt ist den Schülern oft gänzlich unbekannt. Mittels A. können sie sich einen überschaubaren Realitätsausschnitt praxis- und handlungsorientiert erschließen. Die Entwicklung arbeitsweltbezogener Vorstellungen trägt zur Horizonterweiterung bei. Daher sind A. ein unverzichtbarer Baustein bei der Vorbereitung auf die Rolle des mündigen Erwerbstätigen. In der Durchführungsphase gewähren sie anschauliche Einblicke in die gewählten Praxisbereiche. Um die am Beispiel gemachten Erfahrungen nicht unzulässigerweise zu verallgemeinern, müssen diese im Unterricht reflektiert und ggf. relativiert bzw. korrigiert werden. Zur ökonomischen Bildung tragen A. bei, wenn typische ökonomische Denkkategorien (z. B. Arbeitsteilung, → Arbeitsproduktivität, Arbeitskosten, → Arbeitsentgelt, Rationalisierung, Qualifikationsanforderungen) herausgearbeitet werden. Der Beitrag zur individuellen → Berufsorientierung ist zwar 48
Arbeitsplatzerkundung
begrenzt, da es nicht immer eine Entsprechung von Arbeitsplätzen und → Ausbildungsberufen gibt, die Kenntnis und Anschauung der realen Bedingungen und Formen betrieblicher Erwerbsarbeit erleichtert jedoch den Übergang von der Schule in die betriebliche → Ausbildung. Beginnend mit der für Praxiskontakte obligatorischen, grundlegenden Fragestellung über die Planung und Organisation des Praxiskontaktes bis hin zur Ergebnispräsentation wird auch die Methodenkompetenz trainiert. 6. Grenzen. Viele Arbeitsplätze sind für eine Erkundung unzugänglich, z. B. aufgrund von Sicherheits-, Geheimhaltungs- oder Hygienevorschriften. Zu fragen ist, inwieweit diese – ursprünglich auf Arbeitsplätze in Produktionsbetrieben zugeschnittene – Methode der modernen Arbeitswelt überhaupt noch adäquat ist, oder ob die wachsende Bedeutung des Dienstleistungs- und IT-Sektors ihr die Grundlage zunehmend entzieht bzw. eine Anpassung und Weiterentwicklung der Methodik erfordert. Hinzu kommt, dass die Tendenz zu immer stärker wissensbasierter Arbeit die Anschaulichkeit und Beobachtbarkeit von Arbeitstätigkeiten selbst an Arbeitsplätzen im produzierenden Gewerbe reduziert. Zwar vermitteln A. immer noch in vielen Fällen eine anschauliche Vorstellung von menschlicher Arbeit, doch verbleiben die Schüler in der Position des außenstehenden Beobachters. Schülerbetriebspraktika ermöglichen demgegenüber die temporäre Integration in den betrieblichen Arbeitsprozess. Die Akteurs- und die Beobachterperspektive lassen sich allerdings kombinieren, indem Arbeitsplatzbeschreibungen zum Bestandteil der Praktikumsdokumentation gemacht werden. Literatur: Gmelch, Andreas (2011): Arbeitsplatzerkundung/-beschreibung in der ökonomischen Bildung. In: Thomas Retzmann [Hrsg.]: Methodentraining für den Ökonomieunterricht 2. Schwalbach/Ts. Kaiser, Franz-Josef/Kaminski, Hans (1999): Methodik des Ökonomie-Unterrichts. 3. Aufl. Bad Heilbrunn/Obb., S. 295 – 315. Loerwald, Dirk (2007): Praxiskontakte. In: Thomas Retzmann [Hrsg.]: Methodentraining
Arbeitsplatzerkundung
für den Ökonomieunterricht. Schwalbach/ Ts., S. 81 – 100. Prof. Dr. Thomas Retzmann, Duisburg-Essen Arbeitsplatzgestaltung konzentriert sich auf die bestmögliche Zuordnung der Arbeitsmittel zum Arbeitenden. Dabei versucht sie dessen anatomische, biologische, physische und psychische Grundbedürfnisse möglichst umfassend zu berücksichtigen. Dies geschieht durch Anpassung der technischen Arbeitsmittel an die körperlichen Gegebenheiten des mit ihnen Befaßten (anthropometrische Gestaltung), durch optimale Gestaltung des Arbeitsablaufes hinsichtlich seiner physischen Rückwirkungen auf den Arbeitenden (physiologische Gestaltung) wie auch durch rationelle Gestaltung der manuellen Arbeitstechnik selbst (bewegungstechnische Gestaltung). Die Erkenntnisse der → Ergonomie finden hier ihre praktische Anwendung. Die A. unterliegt in den durch § 90 Abs. 1 Nr. 1 – 4 BetrVG gedeckten Fällen der → Mitwirkung und Mitbestimmung des Betriebsrates. Arbeitsplatzbewertung Bewertung der betrieblichen → Arbeitsplätze hinsichtlich → Arbeitsbedingungen und notwendiger Arbeitsleistungen nach einem arbeitswissenschaftlich entwickelten Punktesystem. Die A. dient der Ermittlung der Leistungsmöglichkeit der einzelnen Betriebsteile sowie der Lohnberechnung. → Arbeitsplatzanalyse. Arbeitsplatzteilung ⇒ Job-Sharing eine besondere Form der → Teilzeitarbeit. Sie besteht darin, daß zwei oder mehrere → Arbeitnehmer sich einen → Arbeitsplatz teilen. Dies geschieht in der Weise, daß sie sich über die vom → Arbeitgeber geforderte ständige Besetzung des Arbeitsplatzes absprechen. Probleme aus dieser Vereinbarung ergeben sich nicht selten dann, wenn einer der beiden oder mehrere Arbeitnehmer ihrer eingegangenen Arbeitsverpflichtung nicht nachkommen können. Für diesen Fall schreibt nämlich das Gesetz (§ 13 TzBfG) nur eine stark eingeschränkte Vertretungs-
Arbeitsrecht
pflicht vor: Fällt ein Arbeitnehmer aus, so muß der andere oder die anderen diesen nur dann vertreten, wenn er/sie sich aufgrund einer für den einzelnen Vertretungsfall abgeschlossenen Vereinbarung dazu verpflichtet hat/haben. Es muß somit speziell für einen bereits eingetretenen Vertretungsfall eine solche Vereinbarung getroffen werden; diese Vereinbarung kann grundsätzlich nicht generell im voraus getroffen werden. Eine Vereinbarung im voraus ist ausnahmsweise nur für den Fall eines dringenden betrieblichen Erfordernisses (z. B. unaufschiebbare betriebliche Arbeiten) möglich, wobei allerdings der Arbeitnehmer zur tatsächlichen Vertretung nur dann verpflichtet ist, wenn diese ihm im Einzelfall zugemutet werden kann. Wie in der Vertretungspflicht, so genießt der Arbeitnehmer bei der A. auch hinsichtlich der → Kündigung den besonderen Schutz des Gesetzes. Die Kündigung eines → Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber wegen Ausscheidens eines anderen Arbeitnehmers aus der A. ist nämlich generell unwirksam. Nur für die Fälle, daß keine Ersatzkraft gefunden werden kann, daß die A. im Betrieb aufgegeben wird und für den/die verbliebenen Arbeitnehmer keine entsprechenden Arbeitsplätze gefunden werden können, kann möglicherweise ein Recht zur → Änderungskündigung oder zur Kündigung aus betrieblichen Gründen in Betracht kommen. Arbeitsplatzwahl, freie → freie Arbeitsplatzwahl. Arbeitsproduktivität Verhältnis von erzeugter Gütermenge (→ Output) zu dem dafür erforderlichen Arbeitseinsatz; in der → Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung reales → Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigenstunde. Im Rahmen der produktivitätsorientierten → Lohnpolitik markiert die A. den Spielraum für Reallohnerhöhungen ohne Auswirkung auf das → Preisniveau. Arbeitsrecht versucht die Beziehungen zwischen → Arbeitgebern und → Arbeitnehmern sowie die rechtlichen Rahmenbedingungen von 49
Arbeitsrecht
Arbeitsleistungen zu regeln. Das A. soll insbesondere die Arbeitnehmer vor Beeinträchtigungen ihrer Persönlichkeit, vor wirtschaftlichen Nachteilen und vor gesundheitlichen Gefahren schützen und darüber hinaus das Arbeitsleben ordnen. Das A. umfaßt staatliche Vorschriften (Gesetze und Verordnungen) sowie vertragliche Regelungen (→ Arbeitsverträge, → Betriebsvereinbarungen, → Tarifverträge). Damit treten neben dem Staat insbesondere die → Tarifvertragsparteien, die Betriebspartner (→ Betriebsrat und Arbeitgeber) sowie Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Parteien des Arbeitsvertrages rechtsgestaltend in Erscheinung. Das A. läßt sich im wesentlichen in folgende Komplexe gliedern: individuelles A. (→ Arbeitsvertragsrecht), kollektives A. (Tarifvertragsrecht, → Arbeitskampfrecht, → Schlichtungsrecht, Betriebsverfassungsrecht, Mitbestimmungsrecht, Personalvertretungsrecht) und → Arbeitsschutzrecht. Ein ergänzendes Gebiet des A. ist das Recht der → Arbeitsgerichtsbarkeit. Arbeitsschutz Gesamtheit der gesetzlich (Arbeitsschutzrecht) und durch Unfallverhütungsvorschriften veranlaßten Regelungen zum Schutz der → Arbeitnehmer. Neben dem allgemeinen Schutz für alle Arbeitnehmer (Arbeitsschutz, Betriebsschutz, Lohnschutz) gilt ein Sonderschutz für bestimmte Personengruppen (Frauen, Mütter, Jugendliche, Schwerbehinderte). Die Maßnahmen zum A. sind mitbestimmungspflichtig (→ Mitwirkung u. Mitbestimmung des Betriebsrates in sozialen Angelegenheiten). Arbeitsschutzrecht → Arbeitsschutz. Arbeitsschwierigkeit → Arbeitsbewertung. Arbeitsstrukturierung ⇒ Job Design organisatorischer Vorgang, bei dem der Arbeitsinhalt so angeordnet wird, daß die zu erbringende Leistung möglichst den Fähigkeiten und Bedürfnissen des Ausführenden entspricht. Der Arbeitsinhalt ist dabei durch folgende Elemente bestimmt: Grad 50
Arbeitsstrukturierung
der → Arbeitsteilung bei der Bearbeitung eines Werkstückes, Anzahl der verschiedenen Bewegungen an einem → Arbeitsplatz, Anzahl der zu bearbeitenden verschiedenen Werkstücke innerhalb einer bestimmten Zeitperiode, durchschnittlicher Zeitbedarf pro Arbeitstag. Die Grundformen der A. sind: 1. Job Rotation (systematischer Arbeitsplatzwechsel), 2. Job Enlargement (Arbeits- bzw. Aufgabenerweiterung), 3. Job Enrichment (Arbeits- bzw. Aufgabenbereicherung), 4. (teil-)autonome Arbeitsgruppen, 5. Lean Production. Zu 1.: Job Rotation beinhaltet den planmäßigen Wechsel von Arbeitsplätzen und Arbeitsaufgaben auf derselben Qualifikationsebene. Es sollen damit Ermüdungs-, Monotonie- und Sättigungsphänomene abgebaut sowie einseitige Einsetzbarkeit des Arbeitenden und damit die Möglichkeit seines beruflichen Aufstiegs erhöht werden. Zu 2.: Job Enlargement besteht im wesentlichen darin, daß der ursprünglichen Tätigkeit weitere, strukturell gleichartige oder ähnliche, zumeist vor- oder nachgelagerte Verrichtungen angegliedert und damit zu einem sinnvollen Aufgabenpaket verbunden werden. Hierdurch wird der Aufgabenumfang in horizontaler Weise ausgedehnt. Eine qualitative Veränderung der Arbeitstätigkeit findet nicht statt. Auch dem Job Enlargement unterliegt die Absicht, Ermüdungs-, Monotonie- und Sättigungsphänomene abzubauen. Darüber hinaus soll durch die Erweiterung des Arbeitsinhaltes das Interesse des Beschäftigten an der eigenen Arbeit erhöht und ihm die Möglichkeit zu einer Identifikation mit derselben eröffnet werden. Zu 3.: Beim Job Enrichment werden strukturell verschiedenartige Arbeitselemente (bspw. Planungs-, Fertigungs- u. Kontrollaufgaben) an die bisherige Tätigkeit angelagert und zu einem neuen Arbeitskomplex zusammengefaßt. Die neuen Tätigkeiten erfordern dabei entweder eine erhöhte Qualifikation oder aber stehen auf einer anderen Stufe der betrieblichen Anordnungshierarchie. Die Aufgabenbereicherung trägt damit qualitative Züge; sie kann die horizontale wie auch die vertikale Dimension
Arbeitsstrukturierung
der Arbeit betreffen und schließt meist die Erweiterung des individuellen Dispositionsspielraumes ein. Erklärtes Ziel dieser Grundform der A. ist es, neben dem Abbau von Monotonie-, Sättigungs- und Ermüdungserscheinungen entgegenzuwirken, die Arbeitsaufgaben sinnvoller zu gestalten, ihre schöpferischen Inhalte zu erschließen und darüber die → Arbeitsfreude zu heben. Zu 4.: Als (teil-)autonome Arbeitsgruppen werden Personenmehrheiten mit einer Stärke von 3 – 10 Leuten bezeichnet, denen eine komplexe Arbeitsaufgabe mit strukturell gleich- und verschiedenartigen Arbeitselementen in weitgehend eigener Verantwortung übertragen wird. Der Autonomiegrad der einzelnen Arbeitsgruppen kann unterschiedlich hoch sein. Zuweilen kann lediglich über die Verteilung der Arbeitsaufgaben oder einen systematischen Arbeitswechsel entschieden werden. Je nach Ausprägung des Autonomiegrades spricht man von teilautonomen oder autonomen Arbeitsgruppen. Als Zielsetzungen dieser Organisationsform werden genannt: Entwicklung kommunikativer Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung und Entfaltung der Persönlichkeit, Interessenvertretung jedes einzelnen, kooperative Problemlösungen, Diskussion zwischenmenschlicher Probleme, Aufklärung und Information über wichtige Sachverhalte u. a. Zu 5.: Nach dem Konzept der Lean Production (schlanke Produktion) produzieren kleine selbstverantwortliche Teams in einer Mischung von handwerklicher Fertigung und Fließbandarbeit. Vom Handwerk bleiben Flexibilität und Qualität, von der Fließbandfertigung die Schnelligkeit und die niedrigen → Stückkosten. Die „schlanke Produktion“ setzt auf Motivation und persönliches Engagement der Arbeitskräfte. Arbeitsteilung Zerlegung von Produktionsprozessen in Teilverrichtungen, die von spezialisierten Personen, Personengruppen oder → Betrieben durchgeführt werden. Je nach dem Ort der Realisierung dieser Arbeitszerlegung unterscheidet man: betriebliche, volkswirtschaftliche und internationale A. Die A. entspringt dem Bestreben, den Wirkungs-
Arbeitsunfall
grad (→ Produktivität der menschlichen → Arbeit) zu erhöhen. A. zwingt die in ihr organisierten Personen beziehungsweise Betriebe in wechselseitige funktionelle Abhängigkeit (Interdependenz). Sie integriert somit die in ihr Befaßten in ein komplexes Geflecht wirtschaftlicher Interdependenzen und löst damit einen Prozeß der Vergesellschaftung aus. Diese Vergesellschaftung des Wirtschaftsprozesses erfordert eine Interessenabstimmung zwischen den interdependenten Produzenten einerseits und zwischen den Produzenten und Abnehmern andererseits. Die A. verlangt demnach eine auf Interessenausgleich abzielende Verständigung (Koordination) der → Wirtschaftssubjekte. Einen solchen Koordinationsmechanismus bietet in der → Marktwirtschaft mit gewissen Einschränkungen der → Markt. Arbeitstugenden (positive) Grundhaltungen einer Person in Ausführung von → Arbeit, wie: Verläßlichkeit, Pünktlichkeit, Genauigkeit, Ausdauer, Zielstrebigkeit u. a. Arbeitsunfähigkeit Begriff der → Sozialversicherung. A. liegt vor: 1. Im Sinne der → Krankenversicherung, wenn der → Arbeitnehmer nicht oder nur auf die Gefahr hin, seinen Befindenszustand zu verschlechtern, in der Lage ist, seiner Arbeitsverpflichtung zu entsprechen. Die A. wird in der Regel durch ein ärztliches Attest belegt. 2. Im Sinne der → Arbeitslosenversicherung, wenn der Arbeitnehmer nicht in ein → Arbeitsverhältnis zu vermitteln ist (→ Arbeitsvermittlungsunfähigkeit). Arbeitsunfall ⇒ Betriebsunfall im Sinne der → Unfallversicherung ein Ereignis, das während oder als Folge der → Arbeit plötzlich innerhalb eines verhältnismäßig kurzen Zeitraumes eintritt und einen Körper- oder Gesundheitsschaden verursacht oder den Tod herbeiführt. Als A. gelten auch die gesetzlich anerkannten → Berufskrankheiten. Der → Arbeitgeber ist verpflichtet, jeden A. der → Berufsgenossenschaft zu melden. 51
Arbeitsverbot an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen
Arbeitsverbot an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen (Sonn- und Feiertagsruhe) Nach § 9 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) dürfen → Arbeitnehmer an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen von 0 bis 24 Uhr grundsätzlich nicht beschäftigt werden. (Eigenständige Regelungen zur Sonn- und Feiertagsruhe weisen das Jugendarbeitsschutzgesetz u. das Seemannsgesetz aus.) In mehrschichtig arbeitenden → Betrieben mit regelmäßiger Tag- und Nachtschicht kann Beginn oder Ende der Sonn- und Feiertagsruhe um bis zu 6 Stunden vor- oder zurückverlegt werden, wenn an den auf den Beginn der Ruhezeit folgenden 24 Stunden der Betrieb ruht (§ 9 Abs. 2 ArbZG); für Kraftfahrer und Beifahrer kann der Beginn der 24-stündigen Sonnund Feiertagsruhe um bis zu 2 Stunden vorverlegt werden (§ 9 Abs. 3 ArbZG). Ist ausnahmsweise Sonn- und Feiertagsarbeit zulässig, so muß diese nicht auf die sonst üblichen Höchstarbeitszeiten angerechnet werden. Ausnahmen vom Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit gelten nach § 10 ArbZG für Arbeitnehmer (a) in Not- und Rettungsdiensten sowie der Feuerwehr, (b) zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie der Funktionsfähigkeit von Gerichten und für Zwecke der Verteidigung, (c) in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen, (d) in Gaststätten und anderen Einrichtungen zur Bewirtung und Beherbergung sowie im Haushalt, (e) bei Musikaufführungen, Schaustellungen, Darbietungen und anderen ähnlichen Veranstaltungen, (f) bei nicht gewerblichen Aktionen und Veranstaltungen der Kirchen, Religionsgemeinschaften, Verbände, Vereine, Parteien und anderer ähnlicher Vereinigungen, (g) beim Sport und in Freizeit-, Erholungs- und Vergnügungseinrichtungen, beim Fremdenverkehr sowie in Museen und wissenschaftlichen Präsenzbibliotheken, (h) beim Rundfunk, bei der Tages- und Sportpresse, bei Nachrichtenagenturen sowie bei den der Tagesaktualität dienenden Tätigkeiten für andere Presseerzeugnisse einschließlich des Austragens, bei der Herstellung von Satz, Filmen und Druckformen 52
Sonn- und Feiertagsruhe
für tagesaktuelle Nachrichten und Bilder, bei tagesaktuellen Aufnahmen auf Tonund Bildträgern sowie beim Transport und Kommissionieren von Presseerzeugnissen, deren Erscheinungstag am Montag oder am Tag nach einem Feiertag liegt, (i) bei Messen, Ausstellungen und Märkten im Sinne des Titels IV der Gewerbeordnung sowie bei Volksfesten, (j) in Verkehrsbetrieben sowie beim Transport und Kommissionieren von leichtverderblichen Waren im Sinne von § 30 Abs. 3 Nr. 2 Straßenverkehrsordnung, (k) in Energie- und Wasserversorgungsbetrieben sowie in Abfall- und Abwasserversorgungsbetrieben, (l) in der Landwirtschaft und in der Tierhaltung sowie in Einrichtungen zur Behandlung und Pflege von Tieren, (m) im Bewachungsgewerbe und bei der Bewachung von Betriebsanlagen, (n) bei der Reinigung und Instandhaltung von Betriebseinrichtungen, soweit hierdurch der regelmäßige Fortgang des eigenen oder eines fremden Betriebes bedingt ist, bei der Vorbereitung der Wiederaufnahme des vollen werktätigen Betriebes sowie bei der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit von Datennetzen und Rechensystemen, (o) zur Verhütung des Verderbens von Naturerzeugnissen oder Rohstoffen oder des Mißlingens von Arbeitsergebnissen sowie bei kontinuierlich durchzuführenden Forschungsarbeiten, (p) zur Vermeidung einer Zerstörung oder erheblichen Beschädigung der Produktionseinrichtungen. – Darüber hinaus dürfen Arbeitnehmer an Sonn- und Feiertagen mit Produktionsarbeiten beschäftigt werden, wenn die infolge der Unterbrechung der Produktion nach § 10 Abs. 1 Nr. 14 ArbZG zulässigen Reinigungs-, Instandhaltungsund Vorbereitungsarbeiten den Einsatz von mehr Arbeitnehmern als bei durchgehender Produktion erfordern. Bundesregierung und Landesregierungen sind befugt, durch Rechtsverordnung Mißbräuchen der nach § 10 ArbZG zugelassenen Ausnahmen vom Arbeitsverbot an Sonn- und Feiertagen zu begegnen, gleichzeitig aber auch weitere Ausnahmen vom Verbot der Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen aus Gründen des → Gemeinwohls
Sonn- und Feiertagsruhe
zuzulassen (§ 13 Abs. 1 u. 2 ArbZG). Darüber hinaus sind die Aufsichtsbehörden der Bundesländer befugt, die Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen zu bewilligen, wenn (a) im → Handelsgewerbe besondere Verhältnisse einen erweiterten Geschäftsverkehr erforderlich machen (bis zu 10 Sonn- u. Feiertage im Jahr), (b) besondere Verhältnisse zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens dies erfordern (bis zu 5 Sonn- u. Feiertage im Jahr), (c) Arbeiten aus chemischen, biologischen, technischen oder physikalischen Gründen einen ununterbrochenen Fortgang auch an Sonn- und Feiertagen erfordern (Sollregelung) oder (d) die Konkurrenzfähigkeit wegen längerer Betriebszeiten im Ausland unzumutbar beeinträchtigt ist und durch Sonn- und Feiertagsarbeit die Beschäftigung gesichert werden kann (Mußregelung). Arbeitsverhältnis durch → Arbeitsvertrag begründetes Rechtsverhältnis zwischen → Arbeitnehmer und → Arbeitgeber. Es beginnt mit der Eingliederung des Arbeitnehmers in den → Betrieb und endet mit dessen Ausscheiden aus diesem. Arbeitsvermittlungsunfähigkeit Begriff der Arbeitsverwaltung (→ Bundesagentur für Arbeit u. die dieser nachgeordneten Behörden, wie Regionaldirektionen für Arbeit und örtliche Agenturen für Arbeit), der die Voraussetzung für den Leistungsanspruch aus der → Arbeitslosenversicherung umschreibt. A. ist nur bei solchen Arbeitslosen gegeben, die bereit sind, eine zumutbare → Arbeit anzunehmen. Arbeitsvertrag I. Begriff und Abgrenzung Der A. ist eine Unterart des → Dienstvertrages i. S. des § 611 BGB, mithin ein privatrechtlicher Vertrag. Wer aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Verhältnisses → Arbeit zu leisten hat (z. B. → Beamte), ist nicht → Arbeitnehmer. Der A. verpflichtet als gegenseitiger schuldrechtlicher Vertrag den Arbeitnehmer zur Übernahme einer bestimmten Funktion innerhalb eines fremden Arbeits- oder Lebensbereiches. Der → Arbeitgeber ist grundsätzlich zur Leistung ei-
Arbeitsvertrag
ner Vergütung verpflichtet, jedoch kann ein A. auch bei unentgeltlicher Arbeitsleistung (z. B. eines → Volontärs) vorliegen. Dienstund A. unterscheiden sich dadurch, daß der zur Dienstleistung Verpflichtete seine Tätigkeit im Wesentlichen frei gestalten und seine → Arbeitszeit bestimmen kann (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB), während der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung in unselbständiger Stellung erbringt. Maßgebend ist nicht die wirtschaftliche, sondern die persönliche Unselbständigkeit. Sie folgt daraus, daß der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung in einem fremden Arbeits- oder Lebensbereich zu erbringen hat, der nicht seiner Disposition, sondern der des Arbeitgebers unterliegt. Dieser bestimmt u. a. über die Organisation und die Ordnung des → Betriebes, die Arbeitsaufgabe, Gestaltung des Arbeitsablaufs und Verwertung der Arbeitsergebnisse. Soweit er dabei nach Maßgabe der Vorschriften des → Betriebsverfassungsgesetzes Beteiligungsrechte einer Arbeitnehmervertretung – vor allem des → Betriebsrats – zu beachten hat, ändert das nichts an der persönlichen Unselbständigkeit des einzelnen Arbeitnehmers. Ist jemand nicht persönlich, sondern nur wirtschaftlich abhängig und einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig (vgl. § 12 a TVG, § 5 Abs. 1 Satz 2 Arbeitsgerichtsgesetz 1979), handelt es sich um eine → arbeitnehmerähnliche Person, auf die kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung einzelne arbeitsrechtliche Vorschriften anzuwenden sind; für die in Heimarbeit Beschäftigten gilt das Heimarbeitsgesetz von 1951 mit späteren Änderungen. II. Abschluß des A. 1. Für den A. gilt der Grundsatz der Abschlußfreiheit (vgl. Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG, § 311 Abs. 1 BGB, § 105 GewO). Arbeitgeber und Arbeitnehmer entscheiden freiwillig darüber, ob sie einen Arbeitsvertrag abschließen wollen. Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht (Art. 12 Abs. 2 GG); Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig (Art. 12 Abs. 3 GG; vgl. dazu § 41 Straf53
Arbeitsvertrag
vollzugsgesetz 1976). Ausnahmen bestehen nach der Notstandsverfassung (Art. 12 a GG, § 10 Arbeitssicherstellungsgesetz von 1968) und zum Schutz bestimmter Personen unter den engen Voraussetzungen eines nach § 10 AÜG, § 78 a BetrVG, § 9 BPersVG fingierten → Arbeitsverhältnisses. Zulässig sind auch tarifliche Wiedereinstellungsklauseln, die nach Beendigung eines → Arbeitskampfes einen Kontrahierungszwang zum erneuten Abschluß eines A. mit lösend ausgesperrten Arbeitnehmern begründen. 2. Für den Abschluß des A. gilt weiter der Grundsatz der → Formfreiheit; der A. kann daher auch mündlich oder durch schlüssiges Verhalten zustande kommen. Soweit ausnahmsweise durch gesetzliche oder tarifliche Bestimmungen, aber auch durch Vertrag die → Schriftform (§§ 126, 126a, 127 BGB) für den ganzen Vertrag oder einzelne Vertragsklauseln vorgeschrieben ist, hat diese in der Regel keine konstitutive Bedeutung, sondern dient Beweiszwecken (vgl. auch Nachweisgesetz 1995). Die Nichtbeachtung der Formvorschrift führt dann nicht zur → Nichtigkeit des Vertrages oder der einzelnen Vereinbarung (anders bei der Wettbewerbsabrede nach § 74 Abs. 1 HGB), sondern begründet einen Anspruch auf nachträgliche schriftliche Abfassung des Vertrages bzw. der Vertragsklausel (zum → Ausbildungsvertrag vgl. § 11 BBiG). 3. Vertragspartner kann auf Seiten des Arbeitgebers grundsätzlich jede → natürliche oder → juristische Person bzw. Personengesamtheit sein, auf Seiten des Arbeitnehmers im Hinblick auf dessen grundsätzlich höchstpersönliche Verpflichtung (vgl. § 613 Satz 1 BGB) nur eine natürliche Person. Zum Schutz des Arbeitnehmers bestehen jedoch Abschlußverbote für bestimmte Personen auf Arbeitgeberseite (vgl. §§ 28ff. BBiG, § 25 JArbSchG) oder Arbeitnehmerseite (vgl. §§ 5, 7 JArbSchG). 4. Voraussetzung für den wirksamen Abschluß des A. ist die → Geschäftsfähigkeit. Für Geschäftsunfähige (§ 104 BGB) handelt der gesetzliche Vertreter (§§ 1626, 1629, 1793 BGB); beschränkt Geschäftsfähige (§§ 2, 106 BGB) können selbst einen A. nur mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters 54
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abschließen (§§ 107 ff. BGB; vgl. aber auch § 1643 Abs. 1, § 1822 Nr. 5, 6, 7 BGB). Der Minderjährige kann jedoch zum selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäftes oder dazu ermächtigt werden, in Arbeit zu treten und ist dann für die damit zusammenhängenden → Rechtsgeschäfte unbeschränkt geschäftsfähig (§§ 112, 113 BGB). 5. In Betrieben mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern hat der Arbeitgeber vor jeder Einstellung die Zustimmung des Betriebsrates einzuholen, die jedoch nur aus abschließend aufgeführten Gründen binnen einer Ausschlußfrist von einer Woche schriftlich verweigert werden kann, andernfalls sie als erteilt gilt; bei Verweigerung der Zustimmung kann der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht die Ersetzung der Zustimmung beantragen (§ 99 BetrVG; vgl. auch §§ 100, 101 BetrVG). 6. Eine Zustimmung der → Agentur für Arbeit ist nicht erforderlich. Ebenso ist weder der Besitz noch die Übergabe von → Arbeitspapieren Voraussetzung für die Wirksamkeit des A. Auslänger, die nicht Unionsbürger sind, dürfen grundsätzlich eine Beschäftigung nur ausüben, wenn der Aufenthaltstitel es erlaubt, und von Arbeitgebern nur beschäftigt werden, wenn sie über einen solchen Aufenthaltstitel verfügen (§ 4 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz). III. Mängel des A. Als privatrechtlicher Vertrag kann der A. an → Mängeln leiden, die unmittelbar kraft Gesetzes seine Unwirksamkeit zur Folge haben (vgl. §§ 104 ff., 125, 134, 138, 275 Abs. 1 BGB). Sie können auch die Anfechtbarkeit einzelner → Willenserklärungen bewirken (vgl. §§ 119, 120, 123 BGB) und mit der → Anfechtung zu deren Nichtigkeit führen (§ 142 Abs. 1 BGB), so daß ein Vertrag nicht zustande gekommen ist. Die uneingeschränkte Anwendung der genannten Bestimmungen ist solange unbedenklich, wie das Arbeitsverhältnis noch nicht in Vollzug gesetzt worden ist. Zum Schutz des Arbeitnehmers ist jedoch schon in dieser Phase bei Unzulässigkeit einzelner Bestimmungen des A. (z. B. wegen Verstoßes gegen Arbeitsschutzvorschriften, § 134 BGB;
Arbeitsvertrag
Lohnwuchers, § 138 BGB; Verstoßes gegen tarifliche Bestimmungen, § 4 Abs. 1 TVG) entgegen § 139 BGB nicht der gesamte A., sondern nur die unzulässige Abrede als nichtig anzusehen. An ihre Stelle treten die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen, soweit nicht Vorschriften eines → Tarifvertrages oder einer → Betriebsvereinbarung zur Anwendung kommen. Die eigentliche Problematik der vom Gesetz angeordneten Nichtigkeit wegen Vertragsmängeln zeigt sich jedoch erst nach Invollzugsetzung des Arbeitsverhältnisses, weil eine Rückabwicklung der Rechtsbeziehungen nach Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) mit erheblichen praktischen Schwierigkeiten verbunden wäre und den Arbeitnehmer benachteiligen würde, somit im Widerspruch zum Schutzzweck des → Arbeitsrechts stünde. Die heute ganz herrschende Meinung behandelt daher für die Vergangenheit das Arbeitsverhältnis grundsätzlich so, wie wenn ein wirksamer A. vorgelegen hätte und beschränkt die Nichtigkeitsfolgen vom Zeitpunkt der Geltendmachung der Nichtigkeit an auf die Zukunft, indem jedem Vertragspartner das Recht zur sofortigen Lösung des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses durch einseitige Erklärung eingeräumt wird (vgl. BAG AP Nr. 1 ff. zu § 611 BGB Faktisches Arbeitsverhältnis). War der Vertrag allerdings nach § 104 ff. BGB unwirksam, so ist auch für die Vergangenheit mit Rücksicht auf den Schutz des Minderjährigen die Nichtigkeit des Vertrages zu bejahen, so daß der Minderjährige z. B. nicht aus Vertrag auf → Schadenersatz belangt werden kann; dagegen sind ihm die Ansprüche wie beim wirksamen A. zu gewähren, weil es einen Verstoß gegen das Verbot des widersprüchlichen Verhaltens wäre, wenn der Arbeitgeber sich auf die Unwirksamkeit des A. beriefe (§ 242 BGB). Eine weitere Ausnahme von den dargelegten Grundsätzen ist denkbar, wenn die vereinbarte Leistung als solche von der Rechtsordnung mißbilligt wird (z. B. Schmuggel); hier entstehen keinerlei vertragliche Ansprüche (§ 138 Abs. 1 BGB). IV. A. und Arbeitsverhältnis Das Arbeitsverhältnis ist das durch den Arbeitsvertrag begründete → Schuldver-
Arbeitswertstudien
hältnis, in dem vermögensrechtliche und personale Elemente zusammenwirken. Der Inhalt des Arbeitsverhältnisses richtet sich nach Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung, A. und dem Direktionsrecht des Arbeitgebers. Hauptpflichten sind die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers und die Entgeltzahlungspflicht des Arbeitgebers. Die wichtigste Nebenpflicht ist die gegenseitige → Treuepflicht von Arbeitnehmer und Arbeitgeber, deren Inhalt sich nach → Treu und Glauben (§ 241 Abs. 2, § 242 BGB) bestimmt. Der Arbeitnehmer ist insoweit verpflichtet, nach Maßgabe der von ihm übernommenen Funktion die berechtigten Interessen des Arbeitgebers nicht zu schädigen und im Rahmen des Zumutbaren wahrzunehmen. Der Arbeitgeber ist andererseits verpflichtet, die mit dem Arbeitsverhältnis zusammenhängenden berechtigten Interessen des Arbeitnehmers zu achten und vermeidbare Nachteile im Rahmen des Zumutbaren von ihm fernzuhalten. Das auf bestimmte Zeit eingegangene Arbeitsverhältnis endet von selbst mit Zeitablauf (§ 620 Abs. 1 BGB), das auf unbestimmte Zeit eingegangene in der Regel durch → Kündigung (§ 620 Abs. 2 BGB) oder → Aufhebungsvertrag. Zum Schutz des Arbeitnehmers ist eine Befristung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich nur aus sachlichen Gründen zulässig (vgl. § 14 TzBfG) und die Kündigung des Arbeitgebers nach Maßgabe der Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes i. d. F. von 1969 mit späteren Änderungen beschränkt. Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch → Kündigung oder Auflösungsvertrag sowie die Befristung bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der → Schriftform (§ 623 B GB). Prof. Dr. Günther Wiese, Mannheim Arbeitsvertragsrecht Rechtsmaterie, die den → Arbeitsvertrag betrifft. Arbeitswert → Arbeitsbewertung. Arbeitswertstudien sollen → Arbeitswerte für die Schwierigkeit der Arbeitsaufgabe ermitteln; sie bilden die Grundlage für deren Einstufung bei tarifli55
Arbeitswertstudien
chen oder betrieblichen Lohnvereinbarungen. → Arbeitsbewertung. Arbeitswissenschaft Wissenschaft von der menschlichen → Arbeit, insbesondere die Analyse, Ordnung und Gestaltung der technischen, organisatorischen und sozialen Bedingungen von Arbeitsprozessen. Siehe auch → Arbeitsstrukturierung, → Ergonomie, → Humanisierung der Arbeit. Arbeitszeit die durch das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) geregelte Zeitspanne vom Beginn bis zum Ende der → Arbeit ohne die → Ruhepausen (§ 2 Abs. 1 ArbZG). (Die zum Umkleiden benötigte Zeit gilt nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichtes [5 AZR 934/93] nicht als A.) Zur betrieblichen A. zählt auch die sogenannte → Arbeitsbereitschaft. Zur außerbetrieblichen A. (z. B. auswärtige Baustellen, Kundendienst) zählt im allgemeinen nur die Zeit, während der der → Arbeitnehmer auf Weisung des → Arbeitgebers tatsächlich arbeitet. Bei zu Hause erbrachten Arbeitsleistungen ist für die Berechnung der A. von der durchschnittlichen Leistung eines entsprechenden Arbeitnehmers auszugehen. Im Steinkohlebergbau gilt als Arbeitszeit die → Schichtzeit. Die → Wegezeit zu und von der Arbeitsstätte zählt nicht zur A. Zeiten für Wege, die der Arbeitnehmer auf Anordnung des Arbeitgebers nach Beginn oder vor Ende der Arbeit zurücklegt, gelten als A. Die Höchstdauer der wöchentlichen A. wird durch die werktägliche Höchstarbeitszeit bestimmt. Nach § 3 ArbZG darf die regelmäßige werktägliche A. die Dauer von 8 Stunden nicht übersteigen. Hieraus ergibt sich eine maximale Wochenarbeitszeit von 48 Stunden. – Die werktägliche A. kann auf maximal 10 Stunden (→ Mehrarbeit) ausgedehnt werden, wenn innerhalb von 6 Kalendermonaten oder 24 Wochen im Durchschnitt 8 Stunden werktäglich nicht überschritten werden (§ 3 ArbZG). Dieser Ausgleichszeitraum, der durch die → Tarifvertragsparteien noch weiter ausgedehnt werden kann, soll den Betrieben Spielraum für flexible A. geben. Bei der Wahl des Ausgleichszeitraumes steht dem → Betriebsrat 56
Arbeitszeitregelung
nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 → Betriebsverfassungsgesetz ein → Mitbestimmungsrecht zu. Eine vom 8-Stunden-Tag abweichende Verteilung der A. ist insbesondere für die sogenannte gleitende A. mit Zeitausgleich von Bedeutung. Bei dieser hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit, außerhalb der → Kernzeit an jedem Tag Arbeitsbeginn und Arbeitsende selbst zu bestimmen und darüber hinaus eine begrenzte Anzahl von Arbeitsstunden auf andere Tage zu übertragen. Das Arbeitszeitgesetz sieht hierfür einen Ausgleichszeitraum von 6 Monaten beziehungsweise 24 Wochen vor. Im Rahmen der zulässigen Höchstarbeitszeit kann die gleitende A. mit Zeitausgleich jedoch nur so gestaltet werden, daß der Arbeitnehmer nur bis insgesamt 10 Stunden täglich vor- und nacharbeiten darf. Jugendliche Arbeitnehmer dürfen gleitende A. mit Zeitausgleich durch Mehrarbeit an anderen Tagen derselben Woche nur insofern praktizieren, als die Grenzen von insgesamt 40 Stunden wöchentlich und 8½ Stunden täglich nicht überschritten werden (§ 8 Abs. 2 a Jugendarbeitsschutzgesetz). Dieser Rahmen kann durch → Tarifvertrag auf bis zu 9 Stunden täglich, 44 Stunden wöchentlich und 5½ Tage wöchentlich innerhalb eines Ausgleichszeitraumes von 2 Monaten erweitert werden. Siehe auch → Arbeitszeitschutz. Arbeitszeitordnung 1. Regelung der betrieblichen → Arbeitszeit (→ Arbeitszeitregelung). 2. Die aus dem Jahre 1938 stammende Rechtsgrundlage des → Arbeitszeitschutzes, die durch das 1994 in Kraft getretene Arbeitszeitgesetz (mit späteren Änderungen) abgelöst wurde. Arbeitszeitregelung Gestaltungsbereich betrieblicher Arbeitsbedingungen. Umfaßt im wesentlichen folgende Problemkreise: → Erholungszeiten (Pausen), Zeiten für persönliche Bedürfnisse, → Nacht-, → Schicht- und → Sonntagsarbeit, → gleitende Arbeitszeit und → Teilzeitarbeit, Länge des Arbeitstages, Zahl und Lage der Arbeitstage pro Woche sowie Dauer des (Erholungs-)→ Urlaubes.
Arbeitszeitschutz
Arbeitszeitschutz öffentlich-rechtliche (gesetzliche) wie auch tarifvertragliche Normierungen zur Länge und Lage der → Arbeitszeit. Die Rechtsgrundlagen des A. finden sich vor allem im → Arbeitszeitgesetz, der Gewerbeordnung, im Ladenschlußgesetz, in der Verordnung über die Arbeitszeit in Krankenpflegeanstalten, in der EWG-Verordnung Nr. 543/69 für Kraftfahrer, im Gesetz über das Fahrpersonal im Straßenverkehr, im Jugendarbeitsschutzgesetz, im Mutterschutzgesetz und im Schwerbehindertengesetz. Die → Sonn- und Feiertagsruhe wird insbesondere gewährleistet durch §§ 9 – 13 Arbeitszeitgesetz, §§ 3 – 15 Ladenschlußgesetz, § 8 Mutterschutzgesetz und §§ 17, 18 Jugendarbeitsschutzgesetz. Daneben gelten die einzelnen Feiertagsgesetze des Bundes und der Länder. Mit den gesetzlichen Regelungen für die Arbeitszeit sind fast durchweg Vorschriften für Arbeitspausen verknüpft. Der öffentlich-rechtliche A. legt Höchstgrenzen für die tägliche Arbeitszeit fest und daneben auch Arbeitsverbote an bestimmten Tagen (Verbot von → Sonn- und Feiertagsarbeit), → Ruhezeiten und Pausenregelungen (→ Ruhepausen). Bei Verletzung der öffentlich-rechtlichen → Arbeitszeitregelungen wird der → Arbeitgeber bußgeldpflichtig. In der Regel markieren die Arbeitszeitgrenzen Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und machen den Arbeitgeber bei deren Verletzung schadensersatzpflichtig. Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und → Arbeitnehmer, die die öffentlich-rechtlichen Arbeitszeitgrenzen mißachten, sind nach § 134 BGB unwirksam. Unterhält ein Arbeitnehmer mehrere → Arbeitsverhältnisse, so darf die Gesamtarbeitszeit die vorgegebenen Arbeitszeitgrenzen nicht überschreiten. → Tarifverträge können die öffentlichrechtlichen Arbeitszeitgrenzen unter- oder überschreiten. Derartige tarifvertragliche Vereinbarungen gelten jedoch im allgemeinen nur für diejenigen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die der → Tarif bindung unterliegen und in deren betrieblichen/fachlichen Geltungsbereich fallen.
Architektenvertrag
Arbeitszeitstudien sollen die Zeit erfassen, die von einem Beschäftigten bei durchschnittlicher Leistung für die ordnungsgemäße Erledigung einer bestimmten Arbeitsaufgabe beansprucht wird. Diese sogenannte Auftragszeit wird folgendermaßen errechnet: Bei irgendeinem Beschäftigten wird zu verschiedenen Zeiten die von ihm nicht beeinflußbare (durch die Maschine[n] bestimmte) und von ihm beeinflußbare Tätigkeitszeit (Ist-Zeit) getrennt erfaßt. Seine beeinflußbare Tätigkeitszeit wird mit dem → Leistungsgrad multipliziert. Diese berichtigte Zeit ergibt zusammen mit der nicht beeinflußbaren Tätigkeitszeit die sogenannte Grundzeit. Sie kommt für alle mit der gleichen Arbeitsaufgabe befaßten Beschäftigten in Ansatz. Aus Grundzeit, Erholungszeit (Arbeitspausen) und Verteilzeit (unregelmäßig auftretende Rüst- oder Ausführungszeiten, die nicht bei jeder Zeitaufnahme erfaßt, sondern in einem getrennt ermittelten Prozentsatz der Grundzeit zugeschlagen werden) ergibt sich die sogenannte Rüstzeit, die zusammen mit der Ausführungszeit (Summe der Stückzeiten [Stückzeit = Zeit für die Fertigstellung eines Stückes] ohne Rüstzeit) die Auftragszeit (d. i. die Zeit, die für die Erledigung einer Arbeitsaufgabe insgesamt vorzugeben ist [Vorgabezeit]) ausmacht. Arbeitszeugnis → Zeugnis. Arbeitszufriedenheit → Arbeitsfreude. Arbeit-Technik-Wirtschaft → arbeitsorientierte Bildung. Architektenvertrag in der Regel ein → Werkvertrag, in dem als angestrebter Erfolg die Errichtung eines mangelfreien Bauwerkes gilt. Die Stellung des Architekten gegenüber den Bauunternehmern und Bauhandwerkern ist die eines → Bevollmächtigten des Bauherrn. Für Baumängel sind meist die besonderen Bestimmungen der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) vertraglich vereinbart. 57
ARGEn
ARGEn auf der Rechtsgrundlage des § 44b SGB II (HartzIV)vonKommunenund→ Agenturen für Arbeit getragene Arbeitsgemeinschaften zur Betreuung von Langzeitarbeitslosen (Empfänger von → Arbeitslosengeld II). arglistige Täuschung → Anfechtung. Armut Mangel an lebenswichtigen → Gütern, so insbesondere Nahrung, Obdach, Kleidung. Absolute A. ist nach Definition der → Weltbank dann gegeben, wenn eine Person pro Tag weniger als 1,25 US-Dollar zur Verfügung hat. Von relativer A. wird häufig dann gesprochen, wenn das → Einkommen einer Person unter oder wenig über dem Durchschnitt der Einkommen eines Landes liegt. Arrest gerichtliche Anordnung (Arrestbefehl) zur Sicherung einer künftigen → Zwangsvollstreckung auf Antrag eines Gläubigers, der noch keinen → vollstreckbaren Titel hat. Voraussetzung ist, daß der Gläubiger glaubhaft machen kann, daß er eine entsprechende Geldforderung oder einen sonstigen Anspruch hat, der in eine Geldforderung übergehen kann (Arrestforderung) und daß er befürchten muß, daß ohne Arrest die spätere Zwangsvollstreckung vereitelt oder wesentlich erschwert würde (Arrestgrund). Schlechte Vermögensverhältnisse des Schuldners sind kein hinreichender Arrestgrund; hingegen: Verschleuderung oder Verschleppung von Vermögenswerten; häufiger Aufenthaltswechsel des Schuldners, der seine Auffindung erschwert. Der A. kann sich auf Vermögenswerte des Schuldners erstrecken (dinglicher A.) oder aber die Verhaftung beziehungsweise die Beschränkung der Freiheit des Schuldners erwirken (persönlicher A.). Rechtsgrundlage: §§ 916 ff. Zivilprozeßordnung. Arzthaftungsrecht → Arztvertrag. Arztvertrag A. unterliegen je nach geforderter ärztlicher Leistung unterschiedlichen rechtlichen Grundmustern. Wird eine Behandlung ge58
Arztvertrag
währt, liegt ein → Dienstvertrag vor; wird eine operative Leistung (Operation) erbracht, greift der → Werkvertrag Platz. Mit Abschluß eines Behandlungsvertrages verpflichtet sich der Arzt, die für die Genesung des Patienten erforderlichen Maßnahmen nach den „anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst“ zu ergreifen. Diese Verpflichtung schließt allerdings nicht die Herbeiführung des Heilerfolges ein. Als Gegenleistung für die ärztlichen Bemühungen hat der Patient beziehungsweise dessen Versicherung dem Arzt ein Honorar zu zahlen. Ist der Patient nicht bei einer → gesetzlichen Krankenkasse versichert (sogenannter Privatpatient), so hat er den Arzt selbst zu bezahlen. Normalerweise ist der Privatpatient jedoch bei einer → privaten Krankenversicherung versichert, so daß er von dieser die anfallenden Arztkosten erstattet bekommt. Patienten, die in einer gesetzlichen Krankenkasse versichert sind (sogenannte Kassenpatienten), sind von der Honorarzahlung befreit; an ihrer Stelle zahlt die gesetzliche Krankenkasse, die mit den in der → Kassenärztlichen Vereinigung zusammengeschlossenen sogenannten → Kassenärzten Gesamtverträge abgeschlossen hat, in denen der Umfang der ärztlichen Leistungen und deren Vergütung festgelegt ist. Bei den Privatpatienten gestaltet sich die Honorarabrechnung nach der → Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) beziehungsweise der → Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ). Der Arzt ist verpflichtet, seine Honorarabrechnung ordnungsgemäß zu gestalten. Um diesem Anspruch zu genügen, muß er folgendes ausweisen: Behandlungsdatum, Nummern und Bezeichnung der in Rechnung gestellten Leistungen entsprechend der Gebührenordnung sowie der jeweils in Ansatz gebrachte (Geld-)Betrag mit seinem Multiplikator. Das Honorar wird erst fällig, wenn die ordnungsgemäße Abrechnung erfolgt ist. Der Anspruch des Arztes gegenüber dem Privatpatienten auf Zahlung seines Honorars verjährt (→ Verjährung) in 2 Jahren vom Ablauf des Behandlungsjahres an gerechnet. Der Lauf der Verjährung kann nur durch gerichtliche Maßnahmen (nicht durch eine bloße → Mahnung!) un-
Arztvertrag
terbrochen (→ Unterbrechung der Verjährung) werden. Dem Privatpatienten steht es frei, jederzeit einen A. zu kündigen. Dieses Kündigungsrecht ist beim Kassenpatienten gesetzlich eingeschränkt. Er kann den Arzt während eines Kalendervierteljahres (Quartals) nur aus triftigem Grund – insbesondere wenn das Vertrauensverhältnis zum Arzt nachhaltig gestört ist – wechseln. Der Arzt seinerseits kann den eingegangenen Behandlungsvertrag grundsätzlich nur dann kündigen, wenn die Weiterbehandlung gesichert ist. Bei stationärer Behandlung in einem Krankenhaus sind zwei Vertragsformen möglich: 1. der totale und 2. der gespaltene Krankenhausvertrag. Zu 1.: Beim totalen Krankenhausvertrag (er bildet die meistgewählte Rechtsgrundlage einer stationären Behandlung) ist der Krankenhausträger (Gemeinde, Stadt, Land, Kirchen, Private) alleiniger Vertragspartner des Patienten und trägt als solcher Sorge für die nichtärztlichen (Unterbringung, Pflege, Verpflegung) wie auch ärztlichen Leistungen (sogenannter Großer Pflegesatz). Im Rahmen dieses Rechtsverhältnisses hat der Patient keinen Anspruch, von einem bestimmten Arzt, insbesondere dem Chefarzt, behandelt zu werden. Möchte der Patient hierauf nicht verzichten, so bietet sich der gespaltene Krankenhausvertrag an. Zu 2.: Beim gespaltenen Krankenhausvertrag stehen zwei Möglichkeiten zur Wahl: (1) Der Patient schließt mit dem gewünschten Arzt (vorausgesetzt, daß dieser als Belegarzt oder Chefarzt berechtigt ist, mit Patienten privat abzurechnen!) einen Behandlungsvertrag als Privatpatient ab. Der Krankenhausträger wird in diesem Fall nur die nichtärztlichen Leistungen erbringen (sogenannter Kleiner Pflegesatz). (2) Der Patient schließt einen totalen Krankenhausvertrag mit einem Arztzusatzvertrag über sogenannte Wahlleistungen ab. In beiden Fällen verpflichtet sich der (Wahl-)Arzt zu einer persönlichen Leistung und erwirbt damit einen eigenen Honoraranspruch gegenüber dem Patienten. Eine Übertragung dieser persönlichen Behandlungspflicht an einen Vertreter ist unzulässig (es sei denn, daß der Arzt durch ein plötzliches,
Arztvertrag
unvorhersehbares Ereignis, wie beispielsweise Krankheit, verhindert ist und die Behandlung keinen Aufschub zuläßt!) und führt zum Verlust des Honoraranspruchs. Klauseln (im Krankenhausvertrag), die eine Stellvertretung des Wahlarztes bei Verhinderung vorsehen, sind unwirksam. Die Honorarabrechnung des Krankenhauses gestaltet sich wie beim (Arzt-)Behandlungsvertrag. Für den Kassenpatienten rechnet das Krankenhaus direkt mit dessen Krankenkasse ab. Der Kassenpatient selbst kann für die entstehenden Kosten nicht in Anspruch genommen werden. Anders der Privatpatient: Er ist Schuldner des Krankenhauses und rechnet in der Regel direkt mit diesem ab. (Er kann jedoch neuerdings auch die Krankenhausrechnung seiner Versicherung zuleiten oder dieser vom Krankenhaus zuleiten lassen und sie um direkte Begleichung an das Krankenhaus bitten.) Arzthaftungsrecht: Das Rechtsverhältnis zwischen dem behandelnden Arzt oder dem Krankenhaus und dem Patienten verpflichten diese, – wie oben dargelegt – die Behandlung des Patienten „nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst“ durchzuführen. Darüber hinaus unterliegt der Arzt den Vorschriften des allgemeinen Haftungsrechts (§§ 823 – 853 Bürgerliches Gesetzbuch). Ein nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführter Heileingriff (z. B. eine Operation wie auch eine einfache Injektion) stellt juristisch gesehen eine Körperverletzung dar, die dem Patienten einen Anspruch auf Schadensersatz verschafft. Dieser Schadensersatzanspruch gegenüber dem Arzt kann nur dadurch ausgeschlossen werden, daß der Patient vor dem ärztlichen Eingriff seine Zustimmung zu diesem abgibt. Diese Zustimmung ist jedoch nur unter der Voraussetzung wirksam, daß der Patient durch den Arzt über die mit dem Heileingriff verbundenen Risiken und über andere Möglichkeiten der Behandlung aufgeklärt wurde. Die Aufklärung des Patienten hat grundsätzlich durch den behandelnden Arzt zu erfolgen. Die ärztliche Aufklärung des Patienten und dessen Zustimmung zum Eingriff können nur dann entfallen, wenn der Patient auf eine einschlägige Unter59
Arztvertrag
weisung ausdrücklich verzichtet und seine Behandlung absichtlich dem Arzt überläßt. Bei Minderjährigen nimmt der gesetzliche Vertreter die Interessen des Patienten wahr. Ist die Aufklärung des Patienten und die Einholung seiner Zustimmung nicht möglich, da er sich in einer Ausnahmesituation (schwerkrank, ohnmächtig, schwerverletzt) befindet und die Behandlung keinen Aufschub zuläßt, so darf beziehungsweise muß der Arzt eingreifen, wenn die Zustimmung des Patienten unterstellt werden darf. Für Fehler (sogenannte Kunstfehler), die dem Arzt aufgrund mangelnder Fachkenntnis/Erfahrung oder unzureichender Sorgfalt unterlaufen, macht er sich schadensersatzpflichtig. Bei fehlerhaften oder ohne ausreichende Aufklärung durchgeführten Eingriffen haftet grundsätzlich der jeweilige Arzt beziehungsweise der Krankenhausträger (vertragliche Haftung). Beide haben auch für das → Verschulden ihrer Hilfspersonen (Arzthelferinnen, Krankenschwestern, Pfleger, angestellte Ärzte) einzustehen. Diese vertragliche Haftung umfaßt nur reine Vermögensschäden, wie Heilungs- und Rehabilitationskosten sowie Verdienstausfall. Beim gespaltenen Krankenhausvertrag, in dem der Chefarzt Vertragspartner des in der Regel privatversicherten Patienten ist, haftet das Krankenhaus nicht für dessen Fehler. Gleiches gilt auch für Belegärzte. Neben der vertraglichen Haftung des Arztes beziehungsweise des Krankenhauses besteht eine gesetzliche Haftpflicht des für den Behandlungsfehler verantwortlichen Arztes. Sie umfaßt neben den Vermögensschäden auch ein angemessenes Schmerzensgeld. Für den Anspruch auf Schmerzensgeld haftet neben dem behandelnden Arzt normalerweise der Krankenhausträger beziehungsweise der selbstliquidierende (d. h. Rechnungen ausstellende) Chefarzt. Im Arzthaftungsverfahren muß der geschädigte Patient beziehungsweise der mit der Wahrnehmung seiner Interessen Betraute beweisen, daß der Arzt fehlerhaft gehandelt hat. Benötigt der Patient zum Beweis der Fehlerhaftigkeit der ärztlichen Behandlung Einblick in die Behandlungsunterlagen, so ist der Arzt beziehungsweise das Kranken60
ASEAN
haus verpflichtet, diesen ihm zu gewähren und Ablichtungen gegen Kostenerstattung zu genehmigen. Sind die Behandlungsunterlagen nur lückenhaft oder unzureichend geführt, so kehrt sich die Beweislast um, das heißt, der Arzt muß nunmehr beweisen, daß ihn kein → Verschulden trifft. Diese Beweislage entsteht auch, wenn dem Arzt (nach Auffassung von Gutachtern) ein besonders grober Fehler unterlaufen ist. Hier obliegt es dem Arzt zu beweisen, daß der entstandene Schaden nicht auf diesem Fehler beruht. Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz aus dem Jahre 2005 (AZ 5U 349/04) haften für zivilrechtliche Ansprüche (wie Schmerzensgeld u. Schadensersatz) aus einem Behandlungsfehler in einer Gemeinschaftspraxis alle Ärzte derselben gemeinsam; unabhängig davon, ob sie an der Behandlung des Patienten beteiligt waren. Schadensersatzansprüche aus Behandlungsvertrag verjähren nach 30 Jahren. Ansprüche auf Schmerzensgeld verjähren 3 Jahre nach Kenntnis des Schadens und seines Verursachers. Wird von einer ärztlichen → Gutachter- und → Schlichtungsstelle ein Schlichtungsverfahren durchgeführt, so wird für dessen Dauer die Verjährung gehemmt (→ Hemmung der Verjährung). Arztzusatzvertrag → Arztvertrag. ASEAN Abk. für Association of South-East Asian Nations; eine politische, wirtschaftliche und kulturelle Vereinigung südostasiatischer Staaten. 1967 von Thailand, Indonesien, Malaysia, den Philippinen und Singapur mit dem Ziel gegründet, gemeinsam wirtschaftlichen Aufschwung, sozialen Fortschritt und politische Stabilität anzustreben. Die Vereinigung war von Anfang an klar gegen den Ostblock und die Volksrepublik China ausgerichtet und suchte die Annäherung an den Westen. Als weitere Mitgliedstaaten traten der A. bei: Brunei (1984), Vietnam (1995), Myanmar und Laos (1997) sowie Kambodscha (1999). Die A. plant den Aufbau einer Wirtschaftsgemeinschaft bis zum
ASEAN
Jahr 2020. Heute pflegen die A.-Staaten gute Kontakte zu ihren sog. Dialogpartnern Australien, Volksrepublik China, → Europäische Union, Indien, Japan, Kanada, Südkorea, Neuseeland, Rußland und die USA. Mit dem Zollabbau (→ Zölle) zwischen Brunei, Indonesien, Malaysia, Philippinen, Singapur, Thailand (A.-6) und China etablierte sich ab 2010 die größte → Freihandelszone der Welt. Assessment-Center (AC) Verfahren der betrieblichen Personalauswahl, in dem unter mehreren Bewerbern der-/diejenigen ermittelt werden soll/sollen, der/die den Anforderungen des betreffenden → Unternehmens und der in diesem zu besetzenden Stelle(n) am besten entspricht/ entsprechen. Dabei werden die Bewerber mit verschiedenen Problemen konfrontiert und im Umgang mit diesen beurteilt. Asset Management ⇒ Vermögensverwaltung professionelle, dauerhafte und zielorientierte Verwaltung von Finanzvermögen. Eine solche Vermögensverwaltung kann sich grundsätzlich auf alle Anlagegegenstände erstrecken, auf → Aktien, → Derivate, → Fonds, → Immobilien u. a.m. Die speziellen Dienstleistungen des A. sind die (Anlage-)Planung, die Anlage selbst sowie die Kontrolle des Anlageerfolges (d. h. des Kundenvermögens) unter Rendite-, Sicherheits- und Liquiditätsaspekten. A. erweist sich damit als umfassende Finanzdienstleistung. Hauptanbieter solcher → Finanzdienstleistungen sind → Kreditinstitute und private Vermögensverwaltungsgesellschaften. Nachfrager derselben sind institutionelle Anleger wie auch in- und ausländische Privatpersonen. – Eine Eingrenzung des Kundenkreises für eine individuelle Vermögensverwaltung erfolgt i.d.R. durch Mindestanlagesummen. G. S. Aufbauorganisation → Organisation. Aufhebungsvertrag 1. allgemein: einvernehmliche Beendigung eines → Schuldverhältnisses; 2. arbeits-
Aufsichtsrat
rechtlich: Einigung (1) von → Arbeitgeber und → Arbeitnehmer über die Aufhebung eines zwischen ihnen bestehenden → Arbeitsvertrages oder (2) von → Ausbildendem und → Auszubildendem (beziehungsweise dessen gesetzlichem Vertreter) über die Aufhebung eines zwischen ihnen bestehenden → Ausbildungsvertrages. Aufklärung des Patienten → Arztvertrag. Auflage 1. im Erbrecht: Verpflichtung zu einer Leistung an einen Dritten, die der Erblasser den Erben oder einem Vermächtnisnehmer durch → Testament auferlegen kann. Die Erfüllung der A. kann von der bedachten Person nicht verlangt werden; dies kann nur vom Erben, Miterben oder demjenigen gefordert werden, welchem der Wegfall der Last (d. h. die Erfüllung der A.) unmittelbar zustatten käme (z. B. vom Erben des mit einer A. Belasteten). 2. in der Umweltpolitik: Der Staat knüpft an die Herstellung oder den Vertrieb bestimmter Produkte streng einzuhaltende Vorschriften; zum Beispiel: Katalysator für PKW, Filter für Produktionsanlagen. Auflassung die zur Übereignung eines (bebauten oder unbebauten) Grundstücks vor einem Notar oder dem Grundbuchamt erforderliche → Einigung zwischen Veräußerer und Erwerber über den Eigentumsübergang an demselben (Grundstück); §§ 873, 925 Bürgerliches Gesetzbuch. Aufrechnung Verrechnung einer Schuld mit einer Gegenforderung (§ 387 Bürgerliches Gesetzbuch). Aufschwung ⇒ Expansion die der → Depression folgende Phase im → Konjunkturzyklus; Ausweitung der → Produktion, zunehmendes → Bruttoinlandsprodukt. → Konjunktur. Aufsichtsrat gesetzlich vorgeschriebenes Organ zur Überwachung der Geschäftsführung bei → Aktiengesellschaften, → Kommanditge61
Aufsichtsrat
sellschaften auf Aktien, → Genossenschaften und → Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit mehr als 500 Beschäftigten. Auftragszeit → Arbeitszeitstudien. Aufwand ⇒ Input die von einem → Betrieb in einer Wirtschaftsperiode verbrauchten → Sachgüter und → Dienstleistungen. Gegensatz: → Ertrag. Aufwendungen → Aufwand. Aufwertung Erhöhung des Außenwertes der Inlandswährung (d. h. des Preises der inländischen Währung in ausländischen Währungseinheiten) oder Senkung des → Devisenkurses. So steigt beispielsweise bei einer A. des Euro der Preis für 1 Euro von 1,4135 US Dollar auf 1,4878 US Dollar. Eine A. des Euro wird im System → freischwankender Wechselkurse durch eine (im Vergleich zum → Angebot) verstärkte → Nachfrage von Euro an der Devisenbörse, im System → fester Wechselkurse durch eine Änderung (Erhöhung) des Wechselkurses durch den Staat bewirkt. Die mit einer A. einhergehende Verbilligung der Auslandswährung bedeutet bei unveränderten Auslandspreisen eine Preissenkung für Auslandsgüter und führt zu einem Anwachsen der Importe. Auktion ⇒ Versteigerung spezielle Form des → Kaufvertrages, bei dem der Anbieter (Versteigerer) in der Regel in fremdem Namen für fremde Rechnung, das heißt auf Rechnung des Einlieferers eines Gutes, dasselbe verkauft. Der Vertrag zwischen dem Einlieferer und dem (erfolgreichen) Bieter kommt dabei auf Grund eines Höchstgebotes durch Zuschlag (§ 156 BGB) zustande. Solche Kaufverträge werden auch bei Internet-A. abgeschlossen. Sie regeln sich nach den Vorschriften über → Fernabsatzverträge. 62
Ausbilder
Ausbeutung 1. allgemein: Ausnutzung einer überlegenen Marktstellung; 2. im Verständnis von → Karl Marx: Ausnutzung der → Arbeitnehmer durch die Produktionsmittelbesitzer (Kapitalisten); 3. zivilrechtlich: Ausnutzung einer Zwangslage, von Unerfahrenheit, Mangel an Urteilsvermögen oder erheblicher Willensschwäche eines anderen zur unangemessenen persönlichen Bereicherung (als → Wucher straf bar). Ausbeutungsmißbrauch Mißbrauch von → Marktmacht durch Ausbeutung. Der A. wird im Verhältnis zu Vorlieferanten und Abnehmern wirksam; er vollzieht sich insbesondere über das Fordern überhöhter Sonderkonditionen respektive überhöhter Preise oder die Stellung sonstiger Geschäftsbedingungen, die von denen abweichen, die sich bei wirksamem → Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden. Ausbildender nach § 11 Abs. 1 Berufsbildungsgesetz (BBiG) derjenige, der mit dem → Auszubildenden einen → Berufsausbildungsvertrag abschließt. Der A. muß gemäß § 28 BBiG hinsichtlich seiner Ausbildungsaufgabe persönlich geeignet sein. Persönlich nicht geeignet ist gemäß § 29 BBiG insbesondere derjenige, der Kinder und Jugendliche nicht beschäftigen darf oder wiederholt oder schwer gegen das Berufsbildungsgesetz oder die aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Bestimmungen verstoßen hat. Bildet der A. selbst aus, – dies ist immer dann der Fall, wenn er keine → Ausbilder bestellt hat – so muß er darüber hinaus (nach der Ausbildereignungsverordnung) fachlich geeignet sein. Fachlich nicht geeignet ist gemäß § 30 Abs. 1 BBiG, wer die erforderlichen beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten wie auch die berufs- und arbeitspädagogischen Fähigkeiten nicht besitzt. → Berufsausbildungsvertrag. Ausbilder nach dem Berufsbildungsgesetz gilt derjenige als A., der tatsächlich ausbildet, und zwar unmittelbar, verantwortlich und in wesentlichem Umfang. Er muß nach § 2
Ausbilder
Ausbilder-Eignungsverordnung neben der fachlichen Eignung die erforderlichen berufs- und arbeitspädagogischen Fähigkeiten besitzen. Ausbildung → Berufsausbildung. Ausbildungsberufe sind die → Berufe, die als Grundlage für eine geordnete und einheitliche → Berufsausbildung durch den Bundeswirtschaftsminister oder den sonst zuständigen Fachminister im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Bildung und Forschung staatlich anerkannt sind. Die A. werden in einem jährlich erscheinenden Verzeichnis ausgewiesen; ihre Anzahl beläuft sich derzeit (2012) auf 351. Jugendliche unter 18 Jahren dürfen nur in diesen anerkannten A. ausgebildet werden, es sei denn, daß die Berufsausbildung auf den Besuch weiterführender Bildungsgänge vorbereitet. Für die → Ausbildung in den anerkannten A. ist die jeweils zwingend vorgeschriebene → Ausbildungsordnung maßgebend. Die Ausbildung im A. endet mit der Ausbildungsabschlußprüfung (§ 21 BBiG). → Berufsausbildungsverhältnis. Ausbildungsberufsbild die Zusammenstellung der Kenntnisse und Fertigkeiten, die die Mindestinhalte der → Ausbildung in einem bestimmten → Ausbildungsberuf sind. Nach § 5 Abs. 1 BBiG ist das A. wesentlicher Bestandteil einer jeden → Ausbildungsordnung. Die im A. erfaßten Kenntnisse und Fertigkeiten werden im → Ausbildungsrahmenplan sachlich und zeitlich gegliedert. Ausbildungsförderung ⇒ Berufsausbildungsförderung ⇒ BAföG 1. Rechtsgrundlage: Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) in der Fassung vom 23. 12. 2007 sowie §§ 59 – 76 SGB III und § 22 SGB XII. 2. Begriff: Finanzielle Mittel für die Bestreitung des Lebensunterhaltes sowie für den Besuch bestimmter (Aus-) Bildungseinrichtungen. Die Förderungsleistungen sind nach den im Gesetz festgelegten Bedarfssätzen gestaffelt. Diese sind abhängig von der Art der Ausbildungsstätte,
ausbildungsintegrierendes Studium
die von dem Schüler/Studierenden besucht wird, sowie davon, ob der Betreffende während der Ausbildung bei seinen Eltern wohnt oder auswärts. Es werden folgende Förderungsgruppen unterschieden: (1) Schüler, die eine der folgenden Schularten besuchen: Fachschulen mit vorheriger → Berufsausbildung, Abendgymnasien, Kollegs, Abendhaupt- und -realschulen; soweit eine auswärtige Unterbringung erforderlich ist, werden auch Gymnasiasten ab Klasse 10, Fachoberschüler, Berufsfachschüler ab Klasse 10, Berufsauf bauschüler sowie Fachschüler ohne vorherige Berufsausbildung gefördert. (2) Studierende, die eine höhere Fachschule, eine Akademie oder Hochschule besuchen, erhalten monatliche Unterstützungen, die nach Studienende zur Hälfte zurückzuzahlen sind. 3. Voraussetzungen: A. wird auf schriftlichen Antrag beim Amt für Ausbildungsförderung beziehungsweise bei den an den Hochschulen oder bei den Studentenwerken dafür eingerichteten Ämtern denen gewährt, deren Leistungen erwarten lassen, daß sie das angestrebte Ausbildungsziel erreichen werden, und die nicht über die für ihren Lebensunterhalt und ihre Ausbildung erforderlichen Mittel verfügen. Siehe auch → Berufsförderung 4. Auch Junghandwerker, die die Meisterprüfung (Meister-BAföG) oder kaufmännische Angestellte, die eine Aufstiegsqualifikation anstreben, können eine entsprechende Förderung nach dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz in der Fassung vom 10. 1. 2002 in Anspruch nehmen. Ausbildungsfreibetrag Aufwendungen für die → Berufsausbildung eines Kindes, die nach dem Einkommensteuerrecht als → außergewöhnliche Belastung vom Gesamtbetrag der → Einkünfte unter bestimmten Voraussetzungen in Abzug gebracht werden können (§ 33 a Abs. 2 EStG). ausbildungsintegrierendes Studium Praxis (betriebliche → Ausbildung) und Theorie (Studium) verbindendes Bildungskonzept; meist von → Berufsakademien, → Fachhochschulen, vereinzelt auch von → Universitäten angeboten. Die Berufs63
ausbildungsintegrierendes Studium
ausbildung kann nach einigen Semestern oder am Ende des Studiums abgeschlossen werden. Das a. unterscheidet sich vom einschlägigen herkömmlichen Studium nicht durch das Studienziel und die Studieninhalte, sondern ausschließlich durch die Studiengestaltung/-organisation. M.M.B Ausbildungskosten ⇒ Berufsausbildungskosten Aufwendungen für die Vermittlung der erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten für einen angestrebten Beruf in einem geordneten Ausbildungsgang (→ Ausbildung). 1. A. für die eigene → Berufsausbildung können nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG als → Sonderausgaben steuerlich in Abzug gebracht werden. 2. A. für Kinder, für die dem Steuerpflichtigen ein → Kinderfreibetrag oder → Kindergeld gewährt wird, können in Abhängigkeit vom Alter des Kindes, der Art seiner Unterbringung und der Höhe seiner eigenen → Einkünfte und Bezüge als → außergewöhnliche Belastungen steuerlich geltend gemacht werden (Ausbildungsfreibetrag). Ausbildungsordnungen auf der Grundlage des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) für eine geordnete und einheitliche → Ausbildung in den staatlich anerkannten → Ausbildungsberufen vom Bundeswirtschaftsminister oder vom sonst zuständigen Fachminister im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung erlassene Rechtsverordnung. Die A. enthalten nach § 5 BBiG mindestens: (1) die Bezeichnung des Ausbildungsberufes, (2) die Ausbildungsdauer, (3) die Kenntnisse und Fertigkeiten, die Gegenstand der → Berufsausbildung sind (→ Ausbildungsberufsbild), (4) eine Anleitung zur sachlichen und zeitlichen Gliederung der zu erwerbenden Kenntnisse und Fertigkeiten (→ Ausbildungsrahmenplan) und (5) die Prüfungsanforderungen. Für anerkannte Ausbildungsberufe darf nur nach der jeweiligen A. ausgebildet werden. Ausbildungspakt → Nationaler Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs. 64
Ausbildungsreife
Ausbildungspflicht eine nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) dem → Ausbildenden gegenüber dem → Auszubildenden obliegende Aufgabe (§ 6 Abs. 3 BBiG). → Berufsausbildungsvertrag. Ausbildungsrahmenplan Anleitung zur sachlichen und zeitlichen Gliederung der durch die → Berufsausbildung zu vermittelnden Mindestkenntnisse und -fertigkeiten. Der A. ist aus dem → Ausbildungsberufsbild abgeleitet und konkretisiert die dort genannten Ausbildungsinhalte. Eine vom A. abweichende Gliederung der Ausbildungsinhalte ist unter anderem dann zulässig, wenn betriebliche Besonderheiten dies erfordern. Ausbildungsreife ⇒ Ausbildungsfähigkeit ⇒ Berufsausbildungsreife Nicht jeder, der ausbildungswillig ist, kann eine → Ausbildung beginnen bzw. schließt diese auch erfolgreich ab (vgl. z. B. BMBF 2005, S. 9). Als Ursachen dieses Problems werden strukturelle und qualifikatorische Aspekte diskutiert. Zu den strukturellen Problemen gehören beispielsweise die Kosten der → Berufsausbildung oder auch negative Gegebenheiten des regionalen Ausbildungsmarktes. Mit Blick auf die individuellen qualifikatorischen Probleme von Jugendlichen und jungen Erwachsenen wird dieser Teilgruppe häufig eine fehlende A. zugeschrieben. Die Beurteilung eines jungen Menschen als nicht ausbildungsreif ist sehr kontrovers (vgl. Braun et al. 1999, S. 5). Einerseits bedeutet diese Einstufung eine Zugangsmöglichkeit der Jugendlichen zu einer Reihe von staatlichen Förderangeboten, andererseits ist sie auch stigmatisierend. Andere Autoren (vgl. z. B. Allespach & Novak 2005, S. 9 f.) bewerten diese Einstufung gar als Anzeichen von statistischen Entlastungseffekten, um von einer „Lehrstellenmisere“ abzulenken. So steigt in Zeiten eines Ausbildungsplatzmangels die Anzahl der als nicht ausbildungsreif eingestuften Jugendlichen regelmäßig an. Damit entfallen sie bei der Berechnung der Ausbildungsplatz-
Ausbildungsreife
bilanz und sind somit statistisch nicht von Bedeutung. Die Beschäftigung mit dem Konstrukt der A. erfolgt zweifach. Zum einen gilt es die Semantik dieses Konstrukts zu klären, während zum anderen die entwickelten institutionellen Strukturen rund um die Beförderung von A. aufzuzeigen sind. Dem Konstrukt der A. sind nicht nur schulische Kenntnisse und → Schlüsselqualifikationen wie Selbständigkeit und Realitätsbezogenheit zuzuordnen, sondern auch persönliche Merkmale, die sich auf das soziale Verhalten beziehen (vgl. Schierholz 2003, S. 28). Diese Kriterien einer A. gelten zwar als unstrittig, schließen sich aber den unterschiedlichen Zuschreibungen dieses Konstrukts an (vgl. Rebmann & Tredop 2006). Eine erste größere analytische und empirische Annäherung an dieses Konstrukt wurde mit dem „Kriterienkatalog zur A.“ des → Nationalen Paktes für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland beschritten. Hierbei wurde durch Berufsbildungsexperten aus verschiedenen Handlungsfeldern (→ Betrieben, → Berufsschulen, überbetrieblichen Bildungsstätten, Kammern, → Wirtschaftsverbänden, → Gewerkschaften, staatlicher Bildungsverwaltung, → Hochschulen und Forschungseinrichtungen) die A. in Form von Merkmalslisten konkretisiert. Diese Merkmale lassen sich, gemäß dem Leitziel beruflicher → Handlungskompetenz, vier Dimensionen von A. zuordnen (vgl. Müller & Rebmann 2008, S. 574). Das sind Fachkompetenz (inklusive Allgemeinwissen und Kulturtechniken), Sozialkompetenz, Personalkompetenz sowie Wissen über die Berufswelt. Bei genauer Betrachtung dieser Dimensionen haben diese jedoch gemein, dass es keine Übereinstimmung darüber gibt, welche Teilkompetenzen dazu gezählt werden bzw. was Wissen über die Berufswelt konkret auszeichnet. Folglich bleibt der Begriff sehr vage (vgl. Müller & Rebmann 2008, S. 574) und entzieht sich einer Operationalisierung, wodurch sich keine objektiven Kriterien für A. ableiten lassen. Dennoch wird diese
Ausbildungsreife
Begrifflichkeit in der öffentlichen, wissenschaftlichen und bildungspolitischen Diskussion verwendet und es existieren institutionelle Strukturen der Berufs(ausbildungs) vorbereitung zur Förderung von nicht ausbildungsreifen jungen Menschen. In der Bundesrepublik Deutschland war bis in die 1960er Jahre kein nennenswerter Bedarf an Maßnahmen zur Förderung der A. Denn infolge des → Wirtschaftswunders und der daraus resultierenden hohen → Arbeitsnachfrage wurden selbst Jugendliche in den regulären → Arbeits- und Ausbildungsmarkt integriert, die relativ schlechte individuelle Voraussetzungen für eine Ausbildung oder berufliche Tätigkeit vorwiesen (vgl. Gaag 2003, S. 206). Erst mit dem Abkühlen des wirtschaftlichen → Aufschwungs, dem → Strukturwandel und der Verkündigung des politischen Ziels „Berufsausbildung für alle“ (BMBW 1982, S. 9) wurde der → Bildungspolitik sukzessive deutlich, dass ein zunehmender Teil der Schulabgänger – gerade von Haupt- und Sonderschulen – Schwierigkeiten hat beim Übergang von der allgemeinbildenden Schule in eine Ausbildung (sog. 1. Schwelle). So wurde nach und nach ein immer größer werdendes berufs(ausbildungs)vorbereitendes Fördersystem für junge Menschen entwickelt, die keine Ausbildungsreife vorweisen und/oder unter strukturellen Problemen des Ausbildungsmarktes leiden. Die Regel- bzw. Programmförderung von Jugendlichen ohne Ausbildungsverhältnis findet auf allen staatlichen Ebenen statt und ist daher sehr komplex und vielfältig. Dies liegt daran, dass verschiedene Institutionen, wie die → Bundesagentur für Arbeit, die berufsbildenden Schulen der Länder und die kommunalen Jugendämter dafür zuständig oder zumindest ermächtigt sind, in diesem Bereich tätig zu werden. Seit 2004 können sogar Betriebe, im Rahmen des → Ausbildungspaktes zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft, in der Berufs(ausbildungs)vorbereitung aktiv werden. Somit stammen die öffentlichen Leistungen in der Berufs(ausbildungs)vorbereitung von den Bundesländern (z. B. → Be65
Ausbildungsreife
rufsvorbereitungsjahr), dem Bund (z. B. berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit) und den Kommunen (z. B. Jugendberufshilfe). Literatur: Braun, F., Lex, T., Rademacker, H. (1999): Probleme und Wege der beruflichen Integration von benachteiligten Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Expertise. Arbeitspapier 1. München. Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (BMBW) (1982): Sozialpädagogisch orientierte Berufsausbildung. In BMBW Werkstattberichte, 41. Bonn. Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (2005): Berufliche Qualifizierung Jugendlicher mit besonderem Förderbedarf – Benachteiligtenförderung. Bonn. Gaag, R. (2004); Berufsvorbereitung: Schaltstelle zwischen Schule und Beruf. In G. Bonifer-Dörr & R. Vock (Hrsg.), Berufliche Integration junger Menschen mit besonderem Förderbedarf. Entwicklung – Stand – Perspektiven (S. 205–225). Heidelberg: Hiba. Müller, S. & Rebmann, K. (2008): Ausbildungsreife von Jugendlichen im Urteil von Lehrkräften. Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 104(4), S. 573–589. Nationaler Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs (2006): Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife. Berlin: Bundesagentur für Arbeit. Rebmann, K. & Tredop, D. (2006): Fehlende „Ausbildungsreife“ – Hemmnis für den Übergang von der Schule in das Berufsleben? In A. Spies & D. Tredop (Hrsg.), Risikobiographien. Benachteiligte Jugendliche zwischen Ausgrenzung und Förderprojekten (S. 85–100). Wiesbaden: VS Verlag. Schierholz, H. (2004): Strategien zu Integrationsförderung beim Übergang zu Ausbildung und Beschäftigung, Ein Überblick. In G. Bonifer-Dörr & R. Vock (Hrsg.), Berufliche Integration junger Menschen mit besonderem Förderbedarf, Entwicklung – Stand – Perspektiven (S. 19–48). Heidelberg: Hiba. Dipl.-Hdl. Christian Riel, Oldenburg Ausbildungsvergütung ein nach § 17 Abs. 1 Berufsbildungsgesetz (BBiG) vom → Ausbildenden dem → Auszubildenden zu zahlendes angemessenes Entgelt. Die A. ist so nach dessen Lebensalter zu bemessen, daß sie mit fortschreitender 66
Aushilfsarbeitsverhältnis
→ Berufsausbildung mindestens jährlich ansteigt. Die A. werden in den → Tarifverträgen festgelegt; es handelt sich dabei um Mindestvergütungen. Die A. ist auch zu zahlen: (1) für Zeiten der Freistellung des Auszubildenden (Teilnahme am Berufsschulunterricht, an Prüfungen und übertrieblichen Ausbildungsveranstaltungen), (2) bei unverschuldeter Krankheit des Auszubildenden bis zu 6 Wochen, (3) bei Ausfall der Berufsausbildung, wenn der Auszubildende sich dafür bereithält oder (4) wenn der Auszubildende aus einem sonstigen in seiner Person liegenden, unverschuldeten Grund an der Erfüllung seiner Pflichten aus dem → Berufsausbildungsverhältnis (→ Pflichten des Auszubildenden) verhindert ist (§ 19 BBiG). → Berufsausbildungsvertrag. Ausbildungsverhältnis ⇒ Berufsausbildungsverhältnis → Berufsausbildungsvertrag. Ausbildungsvertrag → Berufsausbildungsvertrag. Ausführungszeit → Arbeitszeitstudien. Ausfuhr ⇒ Export. Ausgaben im Gegensatz zu → Einnahmen alle baren und unbaren Geldabflüsse in den Bereichen → private Haushalte, → Unternehmen und Staat. ausgeschütteter Gewinn der insbesondere bei → Kapitalgesellschaften den Gesellschaftern auf ihre Gesellschaftsanteile überlassene Gewinnanteil. Gegensatz: → einbehaltener → Gewinn. Ausgleichszeitraum → Arbeitszeit. Aushilfsarbeitsverhältnis ⇒ Aushilfsarbeitsvertrag befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis zur vorübergehenden Aushilfe von weniger als 3 Monaten. Für A. können kürzere als die gesetzlichen → Kündigungsfri-
Aushilfsarbeitsverhältnis
sten (Arbeitsverhältnisse) vereinbart werden. Aushilfsarbeitsvertrag ⇒ Aushilfsarbeitsverhältnis. Auskunftspflicht gesetzliche Verpflichtung zur Auskunftserteilung: 1. des → Arbeitgebers: Der Arbeitgeber ist gegenüber seinem bisherigen → Arbeitnehmer verpflichtet, einem neuen Arbeitgeber Auskunft über ihn (den bisherigen Arbeitnehmer) zu geben, jedoch nur, wenn dies für den Arbeitnehmer von besonderem Interesse ist. Die Pflicht besteht auch nach Ende des → Arbeitsverhältnisses. Es steht dem bisherigen Arbeitgeber jedoch frei, dies zu tun, auch ohne Wissen und Zustimmung des bisherigen Arbeitnehmers. Für die Erteilung von Auskünften gelten die gleichen Grundsätze wie für die Zeugniserteilung (→ Zeugnis). Der Arbeitgeber ist nach Bundesarbeitsgerichtsurteil vom 10. 7. 1959 verpflichtet, dem Arbeitnehmer auf Verlangen Kenntnis von der erteilten Auskunft zu geben (gegebenenfalls eine Kopie des Auskunftschreibens zur Einsicht). 2. des Arbeitnehmers: Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber auf Verlangen Auskunft über den Stand und Verlauf seiner Dienste zu geben und nach Abschluß derselben Rechenschaft darüber abzulegen (§§ 675, 666, 251 Bürgerliches Gesetzbuch). → Arbeitsvertrag. Auslandsanleihen → Schuldverschreibungen ausländischer Emittenten (Ausgeber, → Emission), die mit Hilfe inländischer Kreditinstitute am deutschen → Kapitalmarkt angeboten werden. Sie können auf DM (aus früheren Emissionen), auf Euro oder auf fremde Währungen (z. B. US-Dollar, Schweizer Franken, Englische Pfund) und auf Rechnungseinheiten (RE) lauten. Solche RE sind beispielsweise → SDR. Der Zinsen- und Tilgungsdienst wird in der Regel über deutsche Kreditinstitute beziehungsweise → Bankenkonsortien unter deutscher Leitung abgewickelt. Das mit ausländischen Emittenten verbundene politische Risiko wird häufig durch höhere Zinssätze zu kompensieren versucht.
Außenbeitrag
Ausnahmebereiche ⇒ Bereichsausnahmen. Ausschlußfristen in → Arbeitsverträgen, → Betriebsvereinbarungen und vor allem in → Tarifverträgen häufig vereinbarte Verfallfristen. Mit ihnen soll die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem → Arbeitsverhältnis für → Arbeitgeber und → Arbeitnehmer auf einen bestimmten Zeitraum (in der Regel zwischen 1 und 6 Monaten nach Entstehen des Anspruches) begrenzt werden. (Dabei wird häufig die schriftliche, zuweilen auch die gerichtliche Geltendmachung festgelegt!) Für die Geltendmachung tarifvertraglicher Rechte können A. nur in Tarifverträgen vereinbart werden (§ 4 Tarifvertragsgesetz). A. in Einzelarbeitsverträgen oder Betriebsvereinbarungen sind nur dann wirksam, wenn die Parteien nicht tarifgebunden sind und nicht unabdingbar geltende tarifliche Ansprüche berührt werden. Nach Ablauf der A. erlischt ein Anspruch auch dann, wenn der bisherige Anspruchsberechtigte die Geltendmachung seines Anspruches schuldlos versäumt oder die Rechtslage falsch beurteilt hat. Ausschreibung von Arbeitsplätzen der → Betriebsrat kann vom → Arbeitgeber verlangen, daß → Arbeitsplätze, die besetzt werden sollen (freiwerdende oder erstmalig zu besetzende), allgemein oder für bestimmte Arten von Tätigkeiten vor ihrer Besetzung innerhalb des → Betriebes ausgeschrieben werden (§ 93 Betriebsverfassungsgesetz). Damit sollen Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb des Betriebes besser genutzt werden können. Kommt der Arbeitgeber dem Verlangen des Betriebsrates nicht nach, so kann dieser gemäß § 99 Abs. 2 Nr. 5 Betriebsverfassungsgesetz seine Zustimmung zur Einstellung eines von außen kommenden Bewerbers oder zur Versetzung eines betriebsangehörigen → Arbeitnehmers auf diese Stelle verweigern. Außenbeitrag Saldo (Differenz) aus → Export und → Import von Gütern einschließlich Dienstleistungen; wird aus den Salden der → Handels- und → Dienstleistungsbilanz errechnet. Siehe auch → Zahlungsbilanz 67
Außenbeitrag
und → außenwirtschaftliches wicht.
Außenwirtschaftspolitik
Gleichge-
Außenhandel Gesamtheit der durch ein Land getätigten → Einfuhr und → Ausfuhr von Waren. Außenhandelspolitik → Handelspolitik. außenwirtschaftliches Gleichgewicht neben → Stabilität des Preisniveaus, → hohem Beschäftigungsgrad und → stetigem und angemessenem Wachstum eines der vier wirtschaftspolitischen Hauptziele (→ wirtschaftspolitische Ziele) des → Stabilitätsgesetzes. A. gilt dann als gegeben, wenn die → Zahlungsbilanz mit ihren Teilbilanzen (relativ) ausgeglichen ist. Außenwirtschaftsfreiheit ⇒ Freihandel Ausdruck unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung im wirtschaftlichen Verkehr mit dem Ausland; rechtlich verankert im Außenwirtschaftsgesetz vom 28. 4. 1961, das in § 1 bestimmt, daß der Waren-, Dienstleistungs-, Kapital-, Zahlungs- und sonstige Wirtschaftsverkehr mit fremden Wirtschaftsgebieten sowie der Verkehr mit Auslandswerten und Gold zwischen Gebietsansässigen grundsätzlich frei ist. Siehe auch → Handelspolitik. Außenwirtschaftspolitik Unter dem Begriff Außenwirtschaft werden alle ökonomischen Transaktionen subsumiert, welche von Wirtschaftssubjekten des Inlandes mit denen des Auslandes durchgeführt werden. Es kann sich dabei im einzelnen um Transaktionen mit → Gütern, → Dienstleistungen und mit → Kapital handeln. Die A. als wissenschaftliche Disziplin befaßt sich mit der Beeinflussung und Gestaltung des außenwirtschaftlichen Geschehens durch die Träger außenwirtschaftspolitischer Maßnahmen. In der Regel wird A. als Volkswirtschaftspolitik angesehen und nicht als Unternehmens- oder Verbandspolitik behandelt. Träger der Politik sind damit die für die A. gesamtwirtschaftlich legitimierten Instanzen, im wesentlichen Regierungen und bestimmte internationale Institutionen wie z. B. die → EU. A. als 68
wissenschaftliche Disziplin analysiert die Handlungsmöglichkeiten der Politikträger und sucht, ohne sich mit den Zielen dieser Entscheidungsträger zu identifizieren, die bestmöglichen Maßnahmen zu ermitteln. Die internationale Verflechtung der verschiedenen nationalen → Volkswirtschaften und die → Globalisierung der → Märkte hat dazu geführt, daß nationale und internationale wirtschaftliche Transaktionen zu Synergieeffekten führen: es gibt immer weniger Probleme, welche nur außen- oder binnenwirtschaftlicher Natur sind. Wenngleich deshalb Binnen- und A. simultan konzipiert werden müssen, ist es dennoch zweckmäßig, A. als eigene wirtschaftswissenschaftliche Disziplin zu betreiben: – Wirtschaftliche Probleme, die im Zusammenhang mit Transaktionen zwischen souveränen Staaten auftreten, unterscheiden sich von denjenigen, die typisch für die Binnenwirtschaft sind, und erfordern deshalb ein besonderes analytisches Instrumentarium. – Außenwirtschaftliche Theorien erklären nicht nur Muster internationaler Transaktionen, sondern liefern auch eigenständige Informationen über die → Einkommensverteilung und die Produktionsstruktur innerhalb der nationalen Volkswirtschaft. Um den Umfang und die Struktur außenwirtschaftlicher Transaktionen zu erklären, wird auf die Wirtschaftstheorie, insbesondere auf die Preistheorie zurückgegriffen. Die Außenwirtschaftstheorie hat dabei eine Reihe von Theoremen entwickelt, welche die Richtung der Handelsströme, die Bedeutung der nationalen Faktorausstattungen, den internationalen Zusammenhang von Güter- und Faktorpreisen sowie Produktions- und Konsumstrukturen betreffen. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang außenwirtschaftstheoretische Aussagen zu den Wohlfahrtseffekten des internationalen Handels und der A. Grundlegend und von hoher historischer Bedeutung ist das „Theorem der komparativen Kostenvorteile“ (→ Theorie der komparativen Kosten, → Ricardo). Es besagt im
Außenwirtschaftspolitik
Kern, daß die Teilnahme am internationalen Handel den Bürgern eines Landes dann Wohlfahrtsgewinne bringt, wenn sie bei der → Produktion ihrer Exportgüter über komparative Kostenvorteile verfügen. Für die Exportgüter werden am Weltmarkt Importgüter eingetauscht. Wenn für die Produktion der Exportgüter weniger → Produktionsfaktoren verbraucht werden, als für die Eigenproduktion der eingetauschten Importgüter (Importsubstitution), so liegen komparative Kostenvorteile bei der Erzeugung der Exportgüter vor. Die volkswirtschaftliche Wohlfahrt wird also gesteigert, indem man sich auf die Produktion jener Güter konzentriert, bei denen man einen komparativen Kostenvorteil genießt und die Produktion der Güter mit komparativem Kostennachteil zurückfährt bzw. ganz aufgibt. Die historische Bedeutung des Theorems liegt in der Widerlegung der merkantilistischen These, daß ein Land um so höheren Wohlstand genießt, je höher sein Exportüberschuß ist. Das Theorem bildet die wirtschaftstheoretische Basis für die Auffassung, daß → Freihandel sowohl die Wohlfahrt der einzelnen Volkswirtschaften als auch die Wohlfahrt der Weltwirtschaft insgesamt maximiert. Gleichwohl haben Regierungen immer wieder versucht, → Zölle und andere → Handelshemmnisse zu errichten, welche darauf abzielen, den Fluß von Gütern und Dienstleistungen über die nationalen Grenzen zu beschränken und zu steuern. Die Motivation für solche Maßnahmen folgt in der Regel daraus, daß der internationale Handel die binnenwirtschaftlichen Strukturen verändert, zwar zum Vorteil für die Volkswirtschaft insgesamt, aber durchaus auch zum Nachteil einzelner Gruppen. Sektoren, die unter den Druck der Importkonkurrenz geraten, schrumpfen, und die Besitzer der in diesen Sektoren gebundenen Produktionsfaktoren müssen Einkommensminderungen hinnehmen und ggfs. ihren Faktorbestand (→ Human- und → Sachkapital) abschreiben. Internationaler Handel bewirkt, daß sich die Preisverhältnisse im Inland den Austauschverhältnissen am Weltmarkt (→ terms of trade) anpassen.
Außenwirtschaftspolitik
Handelsbeschränkungen (Protektionismus) zielen darauf ab, die inländischen Preisverhältnisse von den Weltmarktpreisen zu „entkoppeln“. Damit soll die heimische Volkswirtschaft von Anpassungsdruck entlastet werden, eine Entlastung freilich, welche mit volkswirtschaftlichen Wohlfahrtsverlusten erkauft wird. Wenn schon die – volkswirtschaftlich auf Dauer immer kontraproduktive – Erhaltung von Wirtschaftsstrukturen, die nicht weltmarktfähig sind, angestrebt wird, so sollte binnenwirtschaftlichen Fördermaßnahmen (→ Subventionen) der Vorzug gegeben werden. Es werden dann zwar immer noch Produktionsfaktoren in ineffizienten Produktionen verschwendet, aber immerhin haben die Nachfrager dann die Möglichkeit, weiterhin zu Weltmarktkonditionen einzukaufen. In der Vergangenheit wie in der Gegenwart ist immer wieder „Erziehungszöllen“ das Wort geredet worden. Es wird behauptet, daß Importbeschränkungen „jungen“ inländischen → Unternehmen erlauben, in Größenordnungen hineinzuwachsen, die sie gegenüber der Weltmarktkonkurrenz bestehen lassen würden. Ist dies erreicht, so soll den endlich entwickelten Unternehmen die Protektion wieder entzogen werden. Die Erfahrung zeigt allerdings, daß einmal gewährte Protektion nur selten wieder entzogen wird, und daß vor internationaler Konkurrenz geschützte Unternehmen meist besonders unproduktiv arbeiten. In der außenwirtschaftstheoretischen Diskussion reduziert sich heute das „Erziehungszoll-Argument“ weitgehend darauf, daß in den jungen Unternehmen berufliche Qualifikationen erworben werden, welche von Nutzen für die gesamte Volkswirtschaft sind, und daß aufgrund von Marktunvollkommenheiten (→ externe Effekte) solche berufliche Qualifikation nur dann im volkswirtschaftlich optimalen Ausmaß geleistet werde, wenn der Staat die neuen Unternehmen vom Weltmarktdruck entlastet. Aber selbst wenn man der ersten Annahme zustimmt – externe Effekte der Ausbildung in den neuen Unternehmen –, läßt sich Protektionismus nicht rechtfertigen: wiederum ist die direkte binnenwirtschaftliche Maßnahme vorzuziehen, 69
Außenwirtschaftspolitik
z. B. eine staatliche Förderung der → beruflichen Bildung in den neuen Sektoren. → Protektionismus stellt keine optimale Strategie zur Lösung binnenwirtschaftlicher Probleme dar und senkt die wirtschaftliche Wohlfahrt der Welt insgesamt. Deshalb ist immer wieder versucht worden, Absprachen zu treffen, durch welche sich die beteiligten Länder vor eskalierendem Protektionismus schützen wollen und die darüber hinaus das Ziel haben, das bestehende Protektionsniveau zu senken. Das wichtigste multilaterale Abkommen ist in diesem Zusammenhang das „General Agreement on Tariffs and Trade (→ GATT)“, das allgemeine Zoll- und Handelsabkommen. Zu den wichtigsten Prinzipien des GATT gehören die → „Meistbegünstigung“ und die „Nicht-Diskriminierung“: jede Importerleichterung, welche ein GATT-Mitglied einem anderen gewährt, muß es auch allen übrigen gewähren; es ist nicht erlaubt, ein Partnerland schlechter zu stellen als irgend ein anderes, also: es zu diskriminieren. Darüber hinaus stellt das GATT ein Forum dar, in welchem Handelskonflikte nach vorgegebenen Regeln beigelegt werden sollen. In zahlreichen „GATT-Runden“ sind seit 1947 immer wieder Handelsbeschränkungen, insbesondere Zölle abgebaut worden. Allerdings treten seit den 70er Jahren neue Arten von Handelsbeschränkungen auf, die mit dem traditionellen Mittel der Zollsenkung nicht zu bewältigen sind. Nicht-tarifäre Handelshemmnisse sind Maßnahmen, welche das Volumen bzw. die Zusammensetzung des internationalen Handels direkt, also nicht durch Zölle, verändern. Das älteste nicht-tarifäre Handelshemmnis ist die Einfuhrquote; weitere nicht-tarifäre Handelshemmnisse haben lange Traditionen oder nehmen an Bedeutung zu: – Bevorzugung einheimischer Produzenten bei Staatskäufen, – Ausgestaltung technischer Normen, die ausländische Anbieter benachteiligen, – aufwendige Abfertigungsprozeduren und Verwaltungsvorschriften für ausländische Anbieter. 70
außergewöhnliche Belastungen
Nicht-tarifäre Handelshemmnisse spielen heute eine größere Rolle denn je, und der Agrarsektor, von Anfang an im GATT mit Privilegien versehen, ist ebenfalls Gegenstand heftiger Kontroversen, besonders zwischen den USA und der EU, aber auch Japan. Inzwischen ist das GATT zu der am 1. Januar 1995 gegründeten → Welthandelsorganisation (WTO) weiterentwickelt worden, ein Abkommen, welches nicht allein den internationalen Handel mit Gütern (GATT 1994), sondern auch Transaktionen mit Dienstleistungen (GATS) und den Schutz von geistigem Eigentum (TRIPs), wie z. B. Patente und Lizenzen etc. umfaßt. Die WTO soll die internationalen Handelsbeziehungen erstmals innerhalb bindender Regelungen organisieren, Handelspraktiken überprüfen und für eine effektive Streitschlichtung bei Handelskonflikten sorgen. Literatur: Rose, Klaus/Sauernheimer, Karlhans: Theorie der Außenwirtschaft, 14. überarb. Aufl., München 2006; Glastetter, Werner: Außenwirtschaftspolitik, Problemorientierte Einführung, 3. völlig überarb. u. erw. Aufl., München – Wien 1998. Prof. Dr. Hans Jürgen Schlösser, Siegen Außenzölle von Mitgliedern eines Freihandelsraumes (z. B. Europäische Union) gegenüber Außenstehenden (d. h. Nichtmitgliedern) erhobene Abgaben. außergerichtliches Mahnverfahren → Mahnverfahren. außergewöhnliche Belastungen zwangsläufige Aufwendungen, denen sich der Steuerpflichtige aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann (z. B. infolge Krankheit, Unfall, Aufwendungen für Unterhalt u. Berufsausbildung, Aufwendungen für Aussteuer und im Zusammenhang mit Geburt, Heirat, Beerdigung). A. können, sofern sie die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung übersteigen, bei der → Lohnbeziehungsweise → Einkommensteuer in Anrechnung gebracht werden (§§ 33, 33 a Einkommensteuergesetz). Die Höhe der zumutbaren Eigenbelastung ist nach der Höhe
außergewöhnliche Belastungen
des → Einkommens und nach der Kinderzahl gestaffelt. außerordentliche Kündigung → Kündigung. Aussonderung im → Insolvenzverfahren Trennung der nicht zum → Vermögen des Schuldners gehörenden Gegenstände von der → Insolvenzmasse (§ 47 InsO). Aussonderungsberechtigt sind Personen, die ein Eigentumsrecht an Gegenständen haben, die sich im → Besitz des → Schuldners befinden (z. B. leih- oder mietweise überlassene Gegenstände oder unter → Eigentumsvorbehalt gelieferte Waren). Aussperrung die von einem oder mehreren → Arbeitgeber(n) planmäßig verhängte vorübergehende Nichtzulassung von → Arbeitnehmern zur → Arbeit unter Aussetzung der → Lohnzahlung. A. ist die kollektive Gegenmaßnahme zum → Streik. Als solche kann sie sich gegen alle Arbeitnehmer eines Betriebes richten oder aber nur gegen diejenigen, die dem Streikbefehl der → Gewerkschaft folgten, oder aber bestimmte Arbeitnehmergruppen (z. B. Facharbeiter oder Beschäftigte bestimmter Produktionszweige, die unter bestimmten betrieblichen Zielvorgaben benötigt werden) ausnehmen. Eine A., die gezielt nur die Mitglieder einer streikenden Gewerkschaft erfaßt, ist nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes (Urteil v. 10. 6. 1980) rechtswidrig. Das herausragende Ziel, das die Arbeitgeber mit der Aussperrung verfolgen, ist es, die jeweilige Gewerkschaft (über die Zahlung von → Streikgeld) finanziell zu belasten und dadurch schneller zum Einlenken und zu neuen Verhandlungen zu bewegen. Die lange Zeit diskutierte Frage, ob die A. überhaupt zulässig sei, haben das Bundesarbeitsgericht (letztes Urteil v. 12. 3. 1985) und das Bundesverfassungsgericht (Beschluß v. 26. 6. 1991) dahingehend geklärt, daß A. (mit suspendierender Wirkung, d. h. ohne Kündigung des → Arbeitsvertrages) in Abwehr von → Teil- oder → Schwerpunktstreik (Abwehraussperrung) dem Grundsatz der „arbeitskampfrechtlichen Parität“
Aussteller
entspricht und damit zulässig ist. A. mit einer das Arbeitsverhältnis lösenden Wirkung gelten nach herrschender Rechtsprechung als äußerst problematisch. Sie sind auf jeden Fall unzulässig bei besonders geschützten Personen, wie Schwangeren, Schwerbehinderten, Mitglieder von Arbeitnehmervertretungen. Geht die A. einem Streik im entsprechenden Tarif bereich voraus, so handelt es sich um eine Angriffsaussperrung. Sie ist in jedem Fall unzulässig. Auch die zulässige A. darf nur als letztes mögliches Arbeitskampfmittel in Betracht kommen und hat bei ihrem Einsatz den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Nach Beendigung der A. müssen sich beide → Tarifpartner um eine möglichst schnelle und umfassende Wiederherstellung des → Arbeitsfriedens bemühen. Ist eine A. rechtswidrig, so ergeben sich Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche (→ Schadensersatz). Darüber hinaus erwirkt der Arbeitnehmer das Recht, sein → Arbeitsverhältnis außerordentlich zu kündigen. Aussteller Begriff des Wertpapierrechts. 1. allgemein: derjenige, der die Wertpapier-Urkunde ausfertigt und begibt (d. h. ausgibt, emittiert) oder durch einen anderen begeben läßt. 2. im Wechselrecht: → Gläubiger der Wechselsumme, der den → Schuldner im → Wechsel (auch → Tratte genannt) auffordert (in der Fachsprache heißt dies: der A. zieht einen Wechsel auf den Schuldner), eine bestimmte Geldsumme zu einem späteren Zeitpunkt an eine bestimmte Person (→ Wechselnehmer) oder an eine von dieser genannte Adresse (Order) zu zahlen. Der A. haftet für → Annahme und Zahlung des Wechsels (Art. 9 Abs. 1 Wechselgesetz); ein Ausschluß der → Haftung für die Annahme ist zulässig. 3. im Scheckrecht: derjenige, der das im Kopf des Schecks genannte Institut (unbedingt) anweist, an den Einreicher/ Überbringer des Schecks die in diesem genannte Summe aus seinem Guthaben zu zahlen. 71
Auswahlrichtlinien
Austauschpfändung soll im Rahmen der → Zwangsvollstrekkung dem → Gläubiger ermöglichen, wertvolle, an sich → unpfändbare Gegenstände (z. B. goldene Uhr, Pelzmantel, Fernsehapparat) durch gleichartige einfache Stücke zu ersetzen und so zu pfänden (→ Pfändung) und zu verwerten. Der Gläubiger kann diese Ersatzstücke selbst beschaffen oder dem → Schuldner den zu ihrer Beschaffung erforderlichen Geldbetrag zur Verfügung stellen. Auswahlrichtlinien betriebliche Richtlinien für die personelle Auswahl bei → Einstellungen, → Umgruppierungen und → Kündigungen. Sie bedürfen der Zustimmung des → Betriebsrates (§ 95 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz [BetrVG]). A. sollen vor allem fachliche, persönliche und soziale Gesichtspunkte aufzeigen, die bei der Ergreifung personeller Maßnahmen zu beachten sind. Kommt
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Autarkie
über die A. keine Einigung zustande, so entscheidet auf Antrag des → Arbeitgebers die → Einigungsstelle. In → Betrieben mit mehr als 1000 → Arbeitnehmern kann der Betriebsrat nach § 95 Abs. 2 BetrVG die Aufstellung von A. verlangen und im Falle der Nichteinigung mit dem Arbeitgeber über die Einigungsstelle erzwingen. Auszubildender im weiteren Sinne jeder, der sich in einem → Berufsausbildungsverhältnis, in → beruflicher Fortbildung oder → beruflicher Umschulung befindet; im engeren Sinne gemäß Berufsbildungsgesetz nur derjenige, der mit einem → Ausbildenden ein → Berufsausbildungsverhältnis eingegangen ist (⇒ Lehrling, veraltet). → Berufsausbildungsvertrag. Autarkie wirtschaftliche Unabhängigkeit eines Staates von → Importen aus anderen Ländern.
BaFin
Bankkonto
B BaFin Abk. für → Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht.
Bankenaufsicht → Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und → Bundesbank.
BAföG → Ausbildungsförderung.
Bankgeld ⇒ Buchgeld ⇒ Geschäftsbankengeld ⇒ Giralgeld.
Bankcard ec ⇒ Bankkarte (ec = electronic cash) Geldkarte, die von → Kreditinstituten für ein auf ihr angegebenes → Girokonto auf den Namen des Kontoninhabers ausgestellt wird. Der Kontoinhaber darf Verfügungen mit seiner B. nur im Rahmen des Kontoguthabens oder eines vorher für das Konto eingeräumten → Kredits vornehmen. Zur Sicherung des Kontozugriffs erhält der B.-Inhaber von seiner Bank eine vierstellige persönliche Geheimzahl (PIN = Personal Identification Number). Im Gegensatz zu der → Kreditkarte wird der verfügte Betrag zeitgleich vom Konto abgebucht. Die B. dient zum bargeldlosen Zahlen an (diesbezüglich automatisierten) Kassen des Handels- und Dienstleistungsbereichs und zur Abhebung von Bargeld an Geldautomaten im In- und Ausland (immer mit Eingabe der PIN). Die B. besteht aus fälschungssicherem Material und hat ein international einheitliches Format; ihre Gültigkeitsdauer beträgt jeweils 2 Jahre. Die Banken berechnen dem Kontoninhaber für die Inanspruchnahme ihrer Dienste jährlich eine (geringe) Gebühr. Siehe auch: → ec. Baisse länger anhaltender starker Kursrückgang (→ Kurs) an der → Börse. Gegensatz: → Hausse. Bandbreite in einem System relativ → fester Wechselkurse der zulässige Schwankungsbereich der Kurse auf dem Devisenmarkt. Banken ⇒ Geldinstitute ⇒ Kreditinstitute.
Bankenkonsortium Vereinigung mehrerer Banken zur Durchführung einzelner oder regelmäßiger Geschäfte mit hohem Kapitaleinsatz auf gemeinsame Rechnung. Bankgeschäfte die nach § 1 Abs. 1 Kreditwesengesetz typischen → Dienstleistungen der → Kreditinstitute: (1) Annahme fremder Gelder als Einlagen (Einlagengeschäft), (2) Gewährung von → Darlehen (Kreditgeschäft), (3) Ankauf von → Wechseln und → Schecks (Diskontgeschäft), (4) Anschaffung und Veräußerung von → Wertpapieren für andere (Effektengeschäft), (5) Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren für andere (Depotgeschäft), (6) Anlagen von eingelegtem Geld in eigenem Namen für gemeinschaftliche Rechnung der Einleger nach dem Prinzip der Risikomischung (Investmentgeschäft), (7) Erwerb von Darlehensforderungen vor Fälligkeit (Darlehenserwerbsgeschäft), (8) Übernahme von → Bürgschaften, → Garantien und sonstigen → Gewährleistungen für andere (Garantiegeschäft), (9) Durchführung des → bargeldlosen Zahlungsverkehrs (Girogeschäft), (10) Übernahme von → Finanzinstrumenten für eigenes Risiko zur Plazierung oder Übernahme gleichwertiger Garantien (Emissionsgeschäft), (11) Ausgabe und Verwaltung von electronischem Geld (e-Geld-Geschäft). Bankkarte ⇒ Bankcard ec. Bankkonto kontenartig von der Bank geführte Rechnung (ital. conto) des mit ihr in Geschäftsverkehr stehenden Kunden. Je nach Art der 73
Bankkonto
Geschäfte richtet die Bank besondere B. ein, so zum Beispiel: für Spareinlagen ein → Sparkonto; für täglich mögliche Einzahlungen, Abhebungen und → Überweisungen ein → laufendes Konto (auch → Girokonto oder → Kontokorrentkonto genannt); für Gelder mit vereinbarter Kündigungsfrist oder fester Laufzeit ein Terminkonto. Banknoten ⇒ Noten von einer → Notenbank (→ Bundesbank) ausgegebenes Papiergeld. Bankscheck → Scheck. Bankschuldverschreibungen von Kreditinstituten emittierte (ausgegebene) → Schuldverschreibungen, so insbesondere: → Pfandbriefe, → Kommunalobligationen, Schuldverschreibungen von Kreditinstituten mit Sonderaufgaben (z. B. AKA Ausfuhrkredit-Gesellschaft mbH [mittel- und langfristige Exportfinanzierung], IKB Deutsche Industriebank AG [Gewährung von mittel- und langfristigen Investitionskrediten], Deutsche Bau- und Bodenbank AG [Förderung des Wohnungsbaues], KfW Kreditanstalt für Wiederaufbau [Gewährung von Investitionskrediten, Exportfinanzierung, Kreditvergabe an Entwicklungsländer]) und sonstige B. Bargeld → gesetzliches Zahlungsmittel, bestehend aus Banknoten und Münzen. bargeldloser Zahlungsverkehr Zahlungsausgleich ohne Verwendung von Bargeld, insbesondere durch → Bankcard ec, → Kreditkarte, → Überweisung und → Lastschriftverfahren. Dem → Scheck kommt nur noch nachgeordnete Bedeutung zu. Siehe auch: → Zahlungsmittel. Barscheck → Scheck ohne den Vermerk „Nur zur Verrechnung“; kann durch die bezogene Bank bei Vorlegung bar eingelöst werden. Gegensatz: → Verrechnungsscheck. Barzahlung Begleichung des Kaufpreises vor oder bei Übergabe der Ware oder innerhalb einer 74
Basisrente
vereinbarten Barzahlungsfrist. Im Gegensatz zur: → halbbaren und → bargeldlosen Zahlung. Barzahlungspreis bei → Abzahlungsgeschäften der Warenpreis, den der Käufer zu zahlen hätte, wenn die gesamte Kaufpreissumme spätestens bei Übergabe/Lieferung der Ware fällig wäre. Gegensatz: → Teilzahlungspreis. Basel I u. II B. I steht für den 1988 durch den Baseler Ausschuß für Bankenaufsicht (1975 von den Präsidenten der Zentralbanken der Staaten des → Zehnerklubs gegründet) abgeschlossenen Akkord, in dem festgelegt wurde, daß international tätige Banken Kreditpositionen mit 8 v. H. Eigenkapital unterlegen müssen. Der Akkord trat 1992 in Kraft. Die → Globalisierung der Finanzmärkte sowie neue Finanzinstrumente haben dazu geführt, daß der 8 v. H.-Grundsatz nicht mehr den sich damit erweiternden Erfordernissen genügte. Aus dieser Erkenntnis erwachsen, wurden 1999, 2001 und 2003 Konsultationspapiere zur Neufassung der Eigenkapitalvereinbarung vorgelegt, aus denen ein neuer Akkord, B. II, der am 1. 1. 2007 in Kraft getreten ist, abgeleitet wurde. B. II soll zu einer besseren, nach einzelnen Risiken differenzierten Eigenkapitalunterlegung der Banken führen. Neben den bisherigen Risikoarten, Kreditrisiko und Marktrisiko, tritt als neuer Typus das sog. operationelle Risiko. Es subsumiert im Verständnis des Baseler Ausschusses „die Gefahr von Verlusten, die infolge der Unangemessenheit oder des Versagens von internen Verfahren, Menschen und Systemen oder von externen Ereignissen eintreten“. Die Neubewertung der Risiken markiert die erste Säule von B. II. Daneben erheben sich zwei weitere. Zum einen müssen die Banken ihre Risikosteuerungssysteme weiter verbessern und einer Bankenaufsicht unterstellen (zweite Säule), zum anderen obliegt ihnen eine Erweiterung ihrer Offenlegungspflichten (dritte Säule). Basisrente ⇒ Rürup-Rente.
Basiszins(satz)
Basiszins(satz) die in zahlreichen Vorschriften des Bundesrechts, in → Verträgen und → Vollstrekkungstiteln ab 1. Januar 1999 an die Stelle des (bis dahin geltenden) Diskontsatzes (der Deutschen Bundesbank) getretene Referenzgröße zur Berechnung einer anstehenden Verzinsung. Der B. ist an die Veränderung eines → ESZB-Zinssatzes (so insbesondere des → Zinssatzes der längerfristigen → Refinanzierungsgeschäfte des ESZB) gekoppelt; er beeinflußt als Leitzins den gesamten → Geldmarkt. Bastiat, Frédéric * 1801 (Bayonne) † 1850 (Rom). Wesentlichster Ökonom und geistiger Anführer der französischen Freihandelsbewegung im 19. Jahrhundert. Setzt sich insbesondere in seinem Hauptwerk Harmonies Économiques (1850) mit Erfolg kritisch mit → Ricardos „ehernem Lohngesetz“ auseinander, welches die Hebung des Reallohns für die unteren Schichten für unmöglich erklärt. Er begründet damit einen ausgesprochenen ökonomischen Optimismus, der ihn von vielen anderen Klassikern (z. B. → Thomas Malthus) absetzt. Größer als sein Nachruhm als wissenschaftlicher Ökonom ist der als Publizist für die Sache des → Freihandels und gegen staatssozialistische Ideen jeder Art. Zu seinen bekanntesten Schriften gehören sein Essay Ce qu’on voit et ce qu’on ne voit pas (1850), das in didaktisch meisterhafter Weise viele populäre ökonomische Trugschlüsse widerlegt, und die satirische Glosse Petition des marchands de chandelles (1845), in der Kerzenhändler beim Staat um Schutzgesetze gegen die unfaire Konkurrenz der Sonne bitten, wodurch B. den → Protektionismus in allen Formen brandmarkt. Beide Schriften werden bis heute gerne von ökonomischen Didaktikern herangezogen (z. B. Henry Hazlitt, Economics in One Lesson, 1946). B. – inspiriert von den englischen Manchester-Liberalen Richard Cobden und John Bright – gründet 1846 die Associations pour la Liberté des Echanges und setzt sich während der Revolution von 1848 in der Verfassungsgebenden Versammlung für eine liberale → Wirtschaftspolitik ein.
BAVAZ
Literatur: Louis Baudin, Frédéric Bastiat, Paris 1952; George C. Roche, Free Markets, Free Men: Frédéric Bastiat. 1801 – 1850, Hillsdale 1993; Detmar Doering, Denker der Freiheit: Frédéric Bastiat, St. Agustin 1997; Friedrich A. von Hayek, Frédéric Bastiat; in: ders., Collected Works of F. A. Hayek, Vol. 3, Chicago 1991, S. 347 ff. D. D. Baufinanzierung Finanzierung einschließlich Vor- und Zwischenfinanzierung bei Kauf, Bau, Ausbau und Modernisierung von Wohn- und gewerblichen Gebäuden sowie bei Kauf von Eigentumswohnungen. B. ist in der Regel gemischte Finanzierung durch eigene und fremde (Finanzierungs-)Mittel. Gängiges Verhältnis zwischen eigenen und fremden Mitteln (d. h. zwischen → Eigenkapital und → Fremdkapital) im Wohnungsbau 1:4. 1. Eigenkapital umfaßt im wesentlichen: eigenes Geld- und Sachkapital (insbesondere Spar- und Bausparguthaben [so neuerdings auch → „Wohn-Riester“] sowie eigene Grundstücke). 2. Fremdkapital umfaßt im wesentlichen: (1) erst- und zweitstellige Hypothekendarlehen (→ Hypothek, → Darlehen) von Realkreditinstituten, Banken, Sparkassen, Versicherungsunternehmen, Bausparkassen an Bausparer, Privatpersonen sowie für den sozialen und öffentlich geförderten Wohnungsbau von Sozialversicherungsträgern für ihre Mitglieder; (2) öffentliche Förderungsdarlehen von Bund, Ländern und Gemeinden; (3) Restfinanzierungsmittel (insbesondere Arbeitgeberdarlehen, Mieterdarlehen, Baukostenzuschüsse und Mietvorauszahlungen). Siehe hierzu auch → Tilgungsverrechnung, → Anschlußfinanzierung, → Disagio. Bausparen kollektives → Sparen von in einer Bausparkasse zusammengeschlossenen Personen zum Zwecke der → Finanzierung eines Hauses (Eigenheim) oder einer Wohnung (Eigentumswohnung). Siehe auch → Baufinanzierung. BAVAZ Abk. für bedarfsabhängige variable → Arbeitszeit (→ Teilzeitarbeit). Vereinbaren 75
BAVAZ
→ Arbeitnehmer und → Arbeitgeber, daß die Teilzeitarbeit hinsichtlich ihrer zeitlichen Lage und Dauer an den Arbeitsanfall angepaßt wird, so muß nach den Bestimmungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) eine bestimmte Dauer der Arbeitszeit festgelegt werden. Es kann sich dabei um eine bestimmte Wochen-, Monatsoder Jahresarbeitszeit handeln. Wurde eine bestimmte Arbeitsdauer nicht festgelegt, so gilt eine wöchentliche Arbeitszeit von 10 Stunden als vereinbart (§ 12 Abs. 1 TzBfG). BDA Abk. für: → Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Beamter Person, die unter Aushändigung einer Ernennungsurkunde durch einen Hoheitsträger (d. s. Bund, Länder, Gemeinden u. sonstige → Körperschaften des öffentlichen Rechts) in ein öffentlich-rechtliches, gesetzlich besonders geregeltes → Dienstverhältnis berufen ist. Becker, Gary S. geboren 1930, ist Professor für → Volkswirtschaftslehre und Soziologie an der Universität Chicago. Er hat an den Universitäten in Princeton und Chicago studiert; seine wichtigsten akademischen Lehrer sind → Milton Friedman, → George J. Stigler und Theodore Schultz. 1992 erhielt B. den Nobelpreis für → Wirtschaftswissenschaften. In vieler Hinsicht kann B. als typischer Vertreter der Chicago-Schule angesehen werden. Wie Milton Friedman, Theodore Schultz und George Stigler lehnt er die Trennung von Mikro- und Makroökonomie ab und gründet seine theoretischen Analysen durchgängig auf den Konzepten des methodologischen → Individualismus und der Gleichgewichtstheorie. Wie Friedman vertritt auch B. die wissenschaftstheoretische Position, daß eine gültige Theorie kein Abbild der Realität liefern, sondern lediglich geeignet sein muß, brauchbare Prognosen zu generieren. Ähnlich wie Stigler mißt B. dem Informationsproblem in der → Ökonomie besonders hohen Stellenwert zu, und ganz im Geist der Chicago-Schule setzt B. 76
bedingt pfändbar
nur geringes Vertrauen in die ökonomische Weisheit von Regierungen. Die Originalität der Arbeiten B. liegt wesentlich darin, daß er die → Wirtschaftstheorie auf ungewohnte, traditionell als „nicht-ökonomisch“ geltende Themen anwendet. B. definiert dabei Wirtschaftswissenschaft nicht durch ihren Gegenstand, sondern durch die wirtschaftswissenschaftliche Methode („Ökonomik“ anstatt Ökonomie). So gelangt er zur ökonomischen Theorie der Rassendiskriminierung, der Bevölkerungsentwicklung, der Ehe und der Ehescheidung, der Kriminalität etc. Stets geht B. dabei von rationalen, nutzenmaximierenden Entscheidern aus, deren Präferenzen gleich und konstant sind. In der sozialwissenschaftlichen Diskussion ist B. deswegen Methodenimperialismus vorgeworfen worden. Als besonders bedeutend gelten B. Beiträge zur Humankapitaltheorie (Human Capital, 1964, zahlr. Neuaufl.), für welche er mit dem Nobelpreis geehrt worden ist, und seine Haushaltsproduktionstheorie. In letzterer geht B. davon aus, daß nicht Marktgüter → Nutzen stiften, sondern Nutzen nur durch den Konsum → Güter höherer Ordnung, wie zum Beispiel Behaglichkeit, Unterhaltung, Prestige etc. entsteht. Solche Güter sind aber nicht am → Markt käuflich, sondern müssen vom → privaten Haushalt produziert werden, wobei Marktgüter, → Humankapital und Zeit eingesetzt werden. Daher hat B. sich wohl intensiver als jeder andere Ökonom vor ihm mit der Allokation der Zeit auseinandergesetzt. In deutscher Sprache ist eine Sammlung von Beiträgen unter dem Titel Der ökonomische Ansatz zur Erklärung menschlichen Verhaltens, 1982, verfügbar. H. J. S. Bedarf Mit → Kaufkraft ausgestattete → Bedürfnisse; wird zur → Nachfrage, wenn er auf dem → Markt in Erscheinung tritt, das heißt, wenn der Bedarfsträger dort das Gewünschte verlangt. bedingt pfändbar → Lohnpfändung.
Bedürfnisgestalt
Bedürfnisgestalt → Bedürfnisstruktur. Bedürfnisse 1. Der B.-Begriff in der (neoklassischen) Ökonomie In der auf der subjektiven Wert- und Preistheorie beruhenden Haushaltstheorie gelten die B. nach → Sachgütern und → Dienstleistungen als Hauptbestimmungsgrund für Niveau und Struktur der → Nachfrage (neben → Preisen und → Einkommen). Mit Definitionen wie „Wirtschaften ist Bedürfnisbefriedigung mit Hilfe knapper Mittel“ (Erich Schneider) wird zugleich unterstellt, daß die B. zu jeder Zeit größer sind als die Mittel zu ihrer Befriedigung, und daß Produzieren und Haushalten nach dem → ökonomischen Prinzip die zweckrationale Antwort auf die aus der Natur des Menschen folgende Unersättlichkeit der B. ist. Der einzelne Haushalt wählt aus seinen B. jeweils die dringlichsten aus, die er mit seinem Einkommen gerade befriedigen kann. Das Ergebnis nennt man → Bedarf. Über die möglichen Bestimmungsgründe der B. wird in der Haushaltstheorie nicht reflektiert. Die B. werden als eine von den Haushalten autonom bestimmte Größe angenommen, die von anderen Akteuren des Wirtschaftsgeschehens nicht beeinflußt wird. In zahlreichen ökonomischen Lehrbüchern wird der B.-Begriff weiter untergliedert: in Existenz- oder lebensnotwendige B. einerseits und in Kultur- und Luxus-B. andererseits. Außerdem werden Individual- und Kollektiv-B. unterschieden, wobei man unter letzteren die B. nach öffentlichen Gütern versteht, die i. d. R. nur der Staat befriedigen kann. Im Umgang mit diesen Unterbegriffen ergeben sich leicht Abgrenzungsprobleme z. B.: Was in einem Land als Existenz-B. gilt, kann in einem anderen als Luxus-B. angesehen werden; das Autofahren, meist als Individual-B. verstanden, muß angesichts der Abhängigkeit des Autofahrens von einem Straßennetz teilweise als Kollektiv-B. aufgefaßt werden. 2. B. in der verhaltenswissenschaftlich orientierten Marketingtheorie
Bedürfnisse
Hier werden primäre und sekundäre B. unterschieden. Die primären oder biogenen B. wie Nahrung, Schlaf und Sexualität sind angeboren. Trotz ihrer Entstehung aus inneren Spannungszuständen, aus körperlichen und psychischen Gleichgewichtsstörungen des Individuums sind sie nicht unabhängig von Umweltreizen. „Bedürfnisse sind nicht nur eine Eigenschaft des Individuums, sondern auch Resultate der jeweiligen Situation … Die Warenwelt befriedigt nicht nur Bedürfnisse, sie motiviert auch zum Kauf“ (Kröber-Riel u. a.). Die sekundären B. bezeichnet man auch als soziogene B., da sie sich aus der gesellschaftlichen Existenz des Menschen ergeben. Sie werden gelernt und mit der Befriedigung primärer B. assoziiert. So kann z. B. gelernt werden, daß soziales Ansehen hilfreich ist bei der Partnerwahl und der Besitz bestimmter → Konsumgüter das soziale Ansehen fördert. 3. B. in der „humanistischen Psychologie“ Maslows Entgegen der empirischen Psychologie der Verhaltensforscher hat der amerikanische Psychologe A. H. Maslow eine Theorie der B. entworfen, die langfristige Voraussagen über die wahrscheinliche oder auch wünschbare Entwicklung der B. ermöglicht. Maslow unterscheidet fünf Klassen von B.: (1) die fundamentalen physiologischen B.; (2) die Sicherheits-B.: wirtschaftliche Stabilität, Schutz, Regeln, Ordnung, Gesetz und Stärke: (3) die „sozialen“ B. Geselligkeit und Zuwendung; (4) die Ich-B. wie Selbstachtung, Anerkennung durch andere, Prestige, Status, Ruhm; (5) die Selbstverwirklichungs-B., vor allem die Entfaltung der individuellen Begabungen und Neigungen, die Mitsprache in gemeinschaftlichen und politischen Angelegenheiten, also auch die Artikulierung und Befriedigung von Kollektiv-B. Die fünf Klassen von B. sieht Maslow untereinander in einer hierarchischen Beziehung dergestalt, daß ein bestimmtes B., z. B. das B. nach Selbstverwirklichung, erst dann nach Erfüllung drängt, wenn die tieferliegenden B. befriedigt sind. Obwohl diese Theorie bis heute Gültigkeit beansprucht, sind mancherlei Einwendungen vorgebracht worden. So scheint sie der 77
Bedürfnisse
in manchen Ländern beobachteten Tatsache zu widersprechen, daß die Forderung nach politischer Mitsprache oder Autonomie auch von Menschen erhoben wird, deren fundamentale B. nicht befriedigt sind. Auch spricht einiges dafür, daß das mitmenschliche B. nach Zuwendung mit den physiologischen B. auf einer Stufe steht. Angenommen wird vielfach, daß die Maslowsche B.-Skala am ehesten für westliche hochindustrialisierte Gesellschaften Gültigkeit beanspruchen darf. Auf jeden Fall bietet sie eine Basis für die vor allem in der Pädagogik gewünschte Reflexion über die Wertigkeit von B. im Rahmen der Frage nach der Ethik im Wirtschaftleben. 4. B. in der → Wirtschaftspädagogik Neben der Aufklärung über die im höchsten Maße soziogene Entstehung von B., durch → Werbung und Gruppen-Einfluß, sowie durch die Erfindung neuer Konsumgüter und Modewechsel, wird es als genuin pädagogische Aufgabe betrachtet, über die Wertigkeit soziogener B. zu reflektieren. Dazu können hier nur einige Anregungen in Form von Feststellungen und Fragen gegeben werden: (1) Nicht alle B. des MaslowKatalogs beziehen sich notwendig auf ökonomische Produkte, ja, es ist grundsätzlich nicht auszuschließen, daß existenznotwendige psychische B. durch zeitaufwendige Befriedigung sekundärer B. verdrängt werden. (2) Es gibt nicht nur objektive natürliche Grenzen des Konsums, vor allem Rohstoffknappheit, räumliche Grenzen, sondern auch gesellschaftliche, z. B. die absolute → Knappheit von begehrten Führungspositionen, echten Antiquitäten, Alten Meistern. Wegen der absoluten natürlichen und sozialen Knappheit ergibt sich die Frage, ob die Haushalte dazu gebracht werden können, diesbezügliche B. freiwillig und ohne zunehmende Frustration zu begrenzen. (3) Ein ständig wachsender Teil der wirtschaftlichen B., d. h. der B., deren Befriedigung wirtschaftliche Tätigkeit voraussetzt, entsteht oder vergrößert sich zwangsläufig aus den Defiziten moderner Industriegesellschaften, z. B. die Ausgaben für Krankheiten und Pflege und das Autofahren durch weiträumige Trennung von Wohnungen, 78
befristeter Arbeitsvertrag
Arbeits- und Einkaufsstätten. (4) Kann die → Bedürfnisstruktur zugunsten von relativ umweltfreundlichen Gütern und rationeller Energie- und Rohstoffnutzung auf pädagogischem Wege beeinflußt werden? (5) Ist die Erwerbsarbeit nur ein sekundäres B. zur Befriedigung der B. nach Sachgütern und Dienstleistungen? Gibt es auch ein primäres B. nach → Arbeit an sich oder nach Arbeit, die Selbstverwirklichung im Sinne der Entfaltung von Begabungen und Neigungen fördert? Inwieweit dient die Erwerbsarbeit der Befriedigung der verschiedenen B. des Maslow-Katalogs, z. B. den B. nach sozialen Kontakten, Anerkennung, sozialem Status und Selbstverwirklichung? Können die letzteren unter den heutigen sozioökonomischen Bedingungen auch außerhalb von Erwerbsarbeit befriedigt werden? Literatur: Kroeber-Riel, W., Weinberg, P. u. Gröppel-Klein, A.: Konsumentenverhalten, 9. Aufl., München 2008; Maslow, A. H.: Motivation and Personality, New York 1954; May, H.: Die menschlichen Bedürfnisse, in: ders. (Hrsg.), Handbuch zur ökonomischen Bildung, 9. Aufl., München 2008, S. 3 – 14. Wittekind, H.: Einführung in die Volkswirtschaftslehre, Opladen 1994. Dr. Helmut Wittekind, Paderborn Bedürfnisstruktur ⇒ Bedürfnisgestalt die durch eine Vielzahl von Einflußgrößen bedingte Bedürfnisausprägung der Individuen. Außer dem → Einkommen nehmen im wesentlichen Einfluß auf die B.: Familie, Erziehung, Geschlecht, Alter, Bildung, soziale Stellung, Freundeskreis, soziale Bezugsgruppen und -personen (z. B. in der Berufswelt oder im Freizeitbereich), Weltanschauung, Religion, Klimazone, Nationalität, Mode, Konvention, Brauch, kultureller und zivilisatorischer Standard, Rollenerwartungen, Verbrauchserfahrung, Werbung, angestrebter Lebensstandard. → Bedürfnisse. befristeter Arbeitsvertrag auf bestimmte Zeit (befristet) abgeschlossener → Arbeitsvertrag (§ § 1 – 23 Teilzeit- und Befrisungsgesetz). Gegensatz: → Dauerarbeitsvertrag. Der b. endet durch Zeitablauf (bei kalendermäßiger Befristung) oder
befristeter Arbeitsvertrag
nach Zweckerreichung (z. B. Gesundung eines langfristig erkrankten Mitarbeiters, zu dessen Vertretung die Einstellung befristet erfolgte), ohne daß gekündigt werden muß. Arbeitsverträge können ohne sachlichen Grund bis zu höchstens zwei Jahre und bei maximal dreimaliger Verlängerung innerhalb dieses Zeitraumes befristet werden. Befristungen im Anschluß an eine → Ausbildung sind erlaubt. B. Arbeitsverträge ohne Sachgrund dürfen generell mit Beschäftigten ab dem 58. Lebensjahr abgeschlossen werden. Gemäß Neufassung des § 623 BGB sind b. nur dann rechtswirksam, wenn sie schriftlich abgeschlossen wurden. Widrigenfalls ist die Befristung unwirksam und der → Arbeitsvertrag gilt als unbefristet. Begünstigungsverbot → Betriebsrat. Behandlungsvertrag → Arztvertrag. Behinderungsmißbrauch Mißbrauch von → Marktmacht durch Behinderung. Einschlägige Praktiken: diskriminierende Preisdifferenzierungen, Sonderkonditionen, Ausschließlichkeitsbedingungen, Koppelungsgeschäfte, Vertriebsbeschränkungen, Verwendungsbeschränkungen und andere sogenannte Bindungen, die wohl nicht verboten sind,aber – sobald sie von marktbeherrschenden → Unternehmen angewandt werden – der → Mißbrauchsaufsicht unterliegen. Diese Praktiken richten sich sowohl gegen Konkurrenten der gleichen Marktseite als auch gegen Marktteilnehmer vor- und nachgelagerter Wirtschaftsstufen sowie von Drittmärkten. Beihilfe Beschäftigten im öffentlichen Dienst (Beamte, Richter, → Angestellte u. → Arbeiter des Bundes, der Länder u. Gemeinden sowie der → Körperschaften u. Stiftungen des öffentlichen Rechts) bei Krankheit, Geburt und Tod sowie für Vorsorgemaßnahmen gegen Krankheiten gewährte Teilkostenerstattung. Anspruch auf B. steht auch den Ehegatten und Kindern der Beschäftigten sowie den Versorgungsempfängern zu.
Benchmark
Im → EU-Recht wird der Begriff B. im Sinne von → Subvention verwendet. Beiträge allgemein vertraglich oder gesetzlich festgelegte einmalige oder wiederkehrende Zahlungen an zum Beispiel Dienststellen der → öffentlichen Hand, die → Sozialversicherung oder → private Versicherungen. Beitragsbemessungsgrenze maximale Verdiensthöhe, aus der der → Beitrag zur → Sozialversicherung berechnet wird. Auch bei höher Verdienenden werden lediglich diese Beträge der Beitragsberechnung zugrunde gelegt. Die B. werden jährlich an die allgemeine Lohn- und Gehaltsentwicklung angepaßt. Belegschaftsaktien → Aktien, durch die → Arbeitnehmer am → Grundkapital ihres → Unternehmens beteiligt werden. B. werden auf Beschluß der → Hauptversammlung zu Vorzugspreisen ausgegeben und unterliegen meist einer Sperrfrist für den Weiterverkauf. Benachrichtigung(spflicht) ⇒ Notifikation(spflicht) 1. im Wechselrecht: Pflicht des → Wechselinhabers bei Verweigerung der → Annahme (des Wechsels) oder Zahlung (der Wechselsumme), bestimmte aus dem → Wechsel verpflichtete Personen darüber zu informieren (Art. 45 Wechselgesetz). Die Benachrichtigung hat gegenüber dem → Aussteller und dem unmittelbar vorhergehenden → Indossanten (Vormann) innerhalb von 4 Tagen zu erfolgen; jeder Indossant hat seinerseits die Benachrichtigung innerhalb von 2 Tagen nach Erhalt an seinen Vormann weiterzugeben. 2. im Scheckrecht gilt die gleiche Regelung (Art. 42 Scheckgesetz); in der Praxis wird jedoch die Benachrichtigung von der bezogenen Bank übernommen. Benachteiligungsverbot → Betriebsrat. Benchmark Maßstab für Leistungsvergleich. Siehe auch: → Benchmarking. 79
Benchmarking
Benchmarking verschiedene Leistungen vergleichen. Ursprünglich betriebswirtschaftlicher Begriff, der auf die Wettbewerbsfähigkeit von → Betrieben und → Branchen abhob. In der → EU auch für die Beurteilung der Leistungskraft des → Arbeitsmarktes herangezogen. Beratungspflicht Nebenpflicht des Handwerkers aus → Reparaturvertrag. berechtigtes Interesse in unterschiedlichen Rechtsbereichen verwendeter Begriff; ein nach vernünftiger Erwägung durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse tatsächlicher oder rechtlicher Art. Nach Mietrecht § 573 Abs. 2 Ziff. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) darf der Vermieter von Räumen als Wohnung nur dann kündigen, wenn er ein b. an der Beendigung des → Mietverhältnisses hat. Ein solches b. liegt dann vor, wenn der Vermieter die Räume der Wohnung für sich, die zu seinem Hausstand gehörenden Personen oder seine Familienangehörigen benötigt. Für diesen sogenannten Eigenbedarf hat der Vermieter einleuchtende (d. h. vernünftige u. nachvollziehbare) Gründe darzulegen. Diese Gründe dürfen sich allerdings nur auf solche Umstände beziehen, die bei Vertragsabschluß noch nicht vorhersehbar waren. Die → Kündigung und die Darlegung dieser Gründe hat schriftlich zu erfolgen. Ein b. des Vermieters an der Kündigung liegt ferner dann vor, wenn er durch die Fortsetzung des → Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstückes gehindert würde und dadurch erhebliche Nachteile in Kauf nehmen müßte (§ 573 Abs. 2 Ziff. 3 BGB). Diese Begründung ist allerdings nur dann rechtlich haltbar, wenn der Erlösunterschied (Verkaufspreisunterschied) erheblich, (d. h. mehr als 20 Prozent!) ist und vom Vermieter (durch entsprechende → Angebote) nachgewiesen werden kann. Nicht zu verwechseln mit → rechtlichem Interesse. 80
Beruf
Bereichsausnahmen ⇒ Ausnahmebereiche durch das → GWB vom → Wettbewerb ausgenommene Wirtschaftsbereiche, wie beispielsweise Landwirtschaft, Verkehrswirtschaft, Montanindustrie, Gesundheitswesen. Bereitschaftsdienst ⇒ Arbeitsbereitschaft. Berliner Testament → Testament. Beruf Der B. ist eine historisch-gesellschaftliche Kategorie (bis ins antike Christentum). Aus der Tatsache, dass Martin Luther das Wort verwendet, wird gelegentlich abgeleitet, dass die Wortschöpfung ausschließlich ihm zuzuschreiben ist. Doch hier gibt es Zweifel. Wahrscheinlich ist, dass er eine verbreitete Redeweise vor seiner Zeit übernommen hat. Den Gebrauch des Wortes „ruof“ findet man schon in der spätmittelalterlichen Mystik ebenso wie die Bezeichnung „officium“ (weltliche Arbeit/Amt) und „vocatio“ (Lebensaufgabe der Mönche), oder in 1. Kor 7,20 die Übersetzung des Paulinischen Wortes „klesis“ mit „ruff“, „beruffung“ und „beruf“. Diese Bedeutung korrespondiert mit der Anerkennung der Arbeit im Kontext obrigkeitlich-ständischer Verhältnisse, wo sich in bestimmten Regionen ein freier Warenverkehr herausbildet. (1) Die traditionelle B.-theorie betont stärker das Moment der Bewußtseinsform der Arbeitskraft, die durch Ausbildung und Bildung vermittelt wird, sowie den Komplex der religiösen, obrigkeitlichen und staatsbürgerlichen Sinnbezüge. Schon früh avanciert die Hand des Menschen zum Werkzeug aller Werkzeuge. Ihre Ausbildung/Qualifikation wird zur maßgeblichen Variablen. Die Ausstattung des Handwerkers mit Kapital spielt anfangs keine große Rolle. Im Mittelalter sorgt die Zunft für die Einhaltung qualitativer Mindeststandards und fordert den Fähigkeitsnachweis. Die qualifizierte Arbeit wird im Zunftwesen in unterschiedlichen Ausbildungsgraden (Lehrling, Geselle, Meister) zum Persönlichkeits- und Sta-
Beruf
tusmerkmal. Die unqualifizierte Arbeit ist dagegen die nicht ordnungsgemäß gelernte Tätigkeit. Sie existiert außerhalb der Zunft und ist das Los der unorgansierten Unterschicht (entlaufene Leibeigene, Unehrliche). Nur für die in der Zunft organisierten Handwerker existiert kein Arbeitslosenproblem. Das Elend formiert sich außerhalb der Zunft. B. sind Ausdruck einer Disziplinierung und Formung des Menschen. Das Gegenstandsverhältnis impliziert die Ausschaltung von Störfaktoren sowie die Spezialisierung der Tätigkeit, die berechenbar, eindeutig und mittels einer geregelten Ausbildung reproduzierbar sein soll. B. eignen sich als Regelwerk zur indirekten Steuerung individuellen Verhaltens und zur Selbstkontrolle eigener Affekte. Sie lassen sich – analog zu Maschinen – als „Systeme“ bezeichnen. Sie sind Vorformen einer Maschinisierung lebendiger Arbeit (B. Buck). Sie reduzieren und perfektionieren Verhaltensvollzüge auf eng begrenzte Teilbereiche. Der einzelne hat zu warten, bis ihn die Gemeinschaft „ruft“. Das deutsche Wörterbuch von M. Heyne umschreibt 1890 den B. mit Amt, Geschäft und Stand, wobei es in der „Handlung des Berufens“ schon einen Anachronismus sieht. Ende des 19. Jahrhunderts entsteht eine Krise des B.-bewußtseins. Viele sehen die individuelle → Arbeitsfreude dahinschwinden und die „Seele“ des Menschen bedroht. Prototypisch ist die Großbetriebsform industrieller Arbeit (Fabrik) mit dem Fließband repetitiver Teilarbeit und der Trennung von leitender, entwerfender, ausführender Arbeit sowie der Abspaltung der kaufmännischen Auswertung der Arbeitsprodukte von der Gestaltung der Produktion selbst. Der Arbeitende ist „ein Hantierungsakrobat, dessen Glieder wie Teile einer Präzisionsmaschine beansprucht werden“ (A. Fischer 1930). Die Akzeptanzkrise der industriellen Arbeit bringt in den 1920er und 1930er Jahren einzelne Reformansätze hervor: in der Berufswahlpsychologie (etwa E. Spranger, F. Baumgarten), Berufssoziologie (z. B. K. Dunkmann, H. Freyer) und Berufspädagogik (G. Kerschensteiner, A. Fischer u. a.),
Beruf
vor allem durch Idealisierung der Handwerksarbeit, Erneuerung des religiösen Berufsethos, Konzepte der staatsbürgerlichen Erziehung und individuellen Persönlichkeitsentfaltung, d. h. durch Bezüge auf Bewußtseins- und Sinnformen, die der realen ökonomischen Entwicklung als Korrekturfaktoren entgegenwirken sollen (vgl. Ausbildungs- und Schulreform, Gründung der Berufsschule). (2) Die moderne B.-theorie bestimmt sich stärker durch das Moment der B.-realität, deren Anforderungen sich bei Erwerbstätigkeiten am Arbeitsplatz im Beschäftigungssystem geltend machen. Die amtliche Statistik definiert den B. als die auf Erwerb gerichteten Arbeitsverrichtungen des einzelnen. Er ist primär Einkommens- und Unterhaltsquelle. Unentgeltliche Tätigkeiten (Hausfrau oder Ehrenamt) bleiben unberücksichtigt. Freie B. (Ärzte, Rechtsanwälte u. a.) mit ungeregelten Arbeitszeiten werden ebenso erfaßt wie abhängige B. (Arbeiter, Angestellte, Beamte), denen die abzuleistenden Arbeitsstunden vorgeschrieben sind. Im → Betrieb wird der Berufstätige zum funktionierenden Glied der Sachorganisation gesellschaftlicher Produktionsund Reproduktionsprozesse. Bedeutsam sind die Mechanisierungsstufen. Auf der ersten Stufe wird die menschliche Arbeit durch unselbständige Maschinen unterstützt, deren werkzeugähnlicher Charakter den Menschen noch als Subjekt des Arbeitsprozesses fungieren lässt. Typisch ist die Arbeit des Handwerkers, die durch seine eigene Kraft, Geschicklichkeit, Schnelligkeit und Zwecksetzung bestimmt wird. Auf der zweiten Stufe dominieren halbselbständige Maschinen. Sie setzen die Zerlegbarkeit der Arbeit voraus und übernehmen den Arbeitsprozeß in Teilfunktionen. Hierdurch wird der Mensch gezwungen, gegenüber der Maschine eine Lückenbüßerfunktion auszuüben und sich dem Arbeitsrhythmus der Maschine unterzuordnen. Die unmittelbare Bearbeitung des Gegenstandes verwandelt sich so in die mittelbare Tätigkeit der Maschinenbedienung (Steuer- und Schalttätigkeit, Eingabe, Abnahme und Positionieren des Werkstücks, Transport) sowie der Kon81
Beruf
trolle und Korrektur des mechanisierten Arbeitsprozesses. Auf der dritten Stufe werden die in der maschinellen Produktion übrig gebliebenen repetitiven Teilarbeiten, die dem Takt und der Bewegung der Maschine unterliegen, auf Automaten übertragen, die als selbständige Maschinen den Arbeitsprozeß vollends übernehmen und regeln. Damit wird der Mensch aus der unmittelbaren Produktion hinausgedrängt, mit der Konsequenz, dass er zunehmend vor- und nachgelagerte Tätigkeiten übernimmt (vorsorgende Planung und Wartung, Reparatur und Überwachung der Maschinen). Maßgebend dafür ist der Computer als „abstrakte“ Maschine, deren instrumenteller Kern, die Software, die Behandlung eines Inputs eindeutig vorgibt, damit am Ende ein bestimmtes Ergebnis herauskommt. Diese moderne Technik ist hier nicht mehr bloß ein Hilfsmittel für menschliche Zwecke, sondern die Infrastruktur, die zur Herrschaftsform wird, wenn sie selbst Anteil an der Konstitution von Natur, Wirklichkeit und Welt hat. Ökonomisch gehören Maschinen zum fixen → Kapital. Die bisherige Geschichte der → Rationalisierung (→ Taylorismus, Fordismus, Postfordismus) ist der historische Werdegang der modernen Wert- und Zeitökonomie, in der das Kapital als dinglich akkumulierbare Größe in seiner Vermehrungsgesetzlichkeit nach dem Bild eines Uhrwerks gedacht wird und unter dem Druck der Konkurrenz immanent einen unbegrenzbaren Wachstumsprozeß unterstellt. Moderne Transportsysteme erweitern den betrieblichen Verfügungsraum logistisch (Just-in-Time, Kanban-System, Outsourcing und Vernetzung). Nicht nur Waren werden transportiert, sondern auch Nachrichten, Informationen und Ideen. Modernisierung beinhaltet Rationalisierung mit dem Akzent eines jobsparenden Wachstums, bei dem sich bei steigender → Arbeitslosigkeit – trotz ansteigenden → Bruttosozialprodukts – eine strukturelle Falle auftut: Missverhältnis der Kapitalkosten zu den → Lohnkosten je Arbeitsplatz, Durchhaltegrenzen der arbeitswilligen Bevölkerung etc. Die Tätigkeits- und Anforderungsstruktur der Arbeitsplätze und deren 82
Beruf
Entwicklung im Beschäftigungssystem ist Richtschnur für schulisch-berufliche Qualifikationen (→ Ausbildungsberufe), die sich den betrieblichen Arbeitsplätzen (Erwerbsberufen) anpassen bzw. einfügen sollen, nicht umgekehrt. Die Curriculumplanung soll die künftigen Tätigkeits- und Anforderungsstrukturen der → Auszubildenden antizipieren. Sie steht vor dem Problem, daß zu vermittelnde Qualifikationen angesichts der ständigen Veränderung bzw. Verflüssigung der Arbeitsanforderungen immer flexibler und umfassender sein müssen (Konzept der Tätigkeitsfelder). Generell ist die Fähigkeit zur Verausgabung von Arbeit überhaupt verlangt, egal auf welcher Stelle und zu welcher Zeit. Doch die Verwendbarkeit einer Arbeitskraft im Betrieb bleibt von dessen inhaltlicher Arbeitsplatz- bzw. Anforderungsstruktur abhängig. Heutige Arbeitskräfte benötigen nicht allein eine allgemeine → Schlüsselqualifikation für alle möglichen Arbeiten, sondern ebenso eine spezifische Befähigung, die als anwendbares Arbeitsvermögen situationsund stellengerecht sein soll. Pointiert ist der moderne Beruf das permanente Streben/Suchen nach einem Arbeitsplatz, dem sich die individuelle Arbeitskraft (Qualifikation) einzufügen und einzupassen hat, notfalls mit zusätzlicher betrieblicher → Weiterbildung und → Umschulung. (3) Damit wird – im Unterschied zum traditionellen B.-begriff – stärker die Einbindung der Arbeit in die Sachgesetzlichkeit der Produktion und Reproduktion betont (Primat des Arbeitsplatzes und Gelderwerbs). Institutionell wird das Bildungssystem dem Beschäftigungssystem untergeordnet. Die Ökonomie folgt dem institutionell eingebauten Mechanismus der selektiven Wahrnehmung, der in der Preissprache des Eigentums sowie der Geld- und Rentabilitätscodes inhaltlich nicht alles registriert und auf Kurzsichtigkeit eingestellt ist. Lebendige Arbeit (A), totes Kapital (K) und wissenschaftlicher Fortschritt (F) werden zu Faktoren der Produktion (P = f(A, K, F). Das residuale Natur- und Menschenverständnis verbindet sich mit dem Optimismus, daß die Produktivität des Ar-
Beruf
beitsprozesses beliebig zu steigern ist und die Entwicklung der Technik letztlich alles löst. Im Mikrobereich einzelner Unternehmen führt die steigende Kapitalausstattung der Wirtschaft zwar zu einem beachtlichen Anstieg der Produktivität, aber dieser privatökonomische Positiveffekt wird im Makrobereich der Gesamtgesellschaft zum Teil konterkariert bzw. aufgehoben, wenn → Arbeitslosigkeit und Umweltschäden nicht nur das bisherige Lebens- und Entwicklungsniveau infrage stellen, sondern auch die Stabilität und Vitalität des Sozialund Umweltsystems. Literatur: U. Beck/M. Brater/J. Daheim: Soziologie der Arbeit und der Berufe. Grundlagen, Problemfelder, Forschungsergebnisse, Reinbek 1980; W. Bienert: Die Arbeit nach der Lehre der Bibel, Stuttgart 1954; H. Blankertz: Zum Begriff des Berufs in unserer Zeit, in: Arbeitslehre in der Hauptschule, Bd. 29 neue pädagogische bemühungen, Essen 1968; K. M. Bolte/Aschenbrenner u. a.: Beruf und Gesellschaft in Deutschland, Berufsstruktur und Berufsprobleme, Opladen 1970; A. Fischer: Entwicklung, Aufgabe und Auf bau der Berufserziehung, Handbuch der Pädagogik, hrsg. H. Nohl/ Pallat, Langensalza 1930; G. Hobbensiefken: Berufsforschung. Einführung in traditionelle und moderne Theorien, Opladen 1980; G. Hobbensiefken: Ökologieorientierte Volkswirtschaftslehre, 2. Aufl., München 1991; H. M. Nickel/J. Kühl/S. Schenk (Hg.): Erwerbsarbeit und Beschäftigung im Umbruch, Berlin 1994; H. J. Schlösser: Die Zukunft der Arbeit, in: H. May (Hrsg.), Handbuch der ökonomischen Bildung, 9. Aufl., München–Wien 2008, S. 133 – 148. Prof. Dr. Günter Hobbensiefken, Wuppertal BERUF AKTUELL von der → Bundesagentur für Arbeit herausgegebenes Taschenbuch mit Kurzbeschreibungen der anerkannten → Ausbildungsberufe und der Berufe mit geregelten Bildungsgängen an → beruflichen Schulen, in → Betrieben und Verwaltungen sowie der Berufe, die nach einem einschlägigen Studium ausgeübt werden können. B. wird an Schulen ausgegeben und steht auch in den → BIZ zur Verfügung.
berufliche Sozialisation
berufliche Ausbildung → Berufsausbildung. berufliche Bildung → Berufsausbildung → berufliche Bildungsgänge. berufliche Bildungsgänge umfassen all jene Bildungsgänge, die die Ausübung eines Berufes anstreben. Im einzelnen sind dies: (1) die → Berufsausbildung (der → Auszubildenden) im → dualen System, (2) der Besuch beruflicher Vollzeitschulen (z. B. von → Berufsfachschulen)in der Absicht, darüber den Eintritt ins Berufsleben anzustreben, (3) der Besuch von Einrichtungen des tertiären Bildungsbereiches (z. B. von → Fachschulen, → (Fach-) Hochschulen, → Berufsakademien), (4) Bildungsgänge, die nach Abschluß oder Abbruch einer allgemeinbildenden Schule zur Vorbereitung auf das Berufsleben eingeschlagen werden (z. B. → Berufsvorbereitungsjahr). berufliche Fortbildung ⇒ berufliche Weiterbildung. berufliche Grundbildung Vermittlung von elementaren Kenntnissen und Fertigkeiten als Basis einer weiterführenden beruflichen Fachbildung. Über eine b. soll das Übergangsrisiko von der Schule in die Arbeitswelt verringert werden. berufliche Schulen → berufsbildendes Schulwesen. berufliche Sozialisation Der → Beruf ist nach Familie und Schule die dritte entscheidende Sozialisationsinstanz. Bei der Mehrzahl der Berufstätigen bildet Berufsarbeit auch heute noch eine „Achse der Lebensführung“ (Beck 1986, S. 220): Statuszuweisung, gesellschaftliche Plazierung, Verfügung über → Ressourcen sowie Strukturierung von Alltag und Biographie hängen in der Regel mit dem Beruf zusammen. Die Arbeitswelt beeinflußt Lebensführung, Sozialkontakte, Wertorientierungen der Individuen. Unter b. versteht man den Prozeß des Erwerbs kognitiver, motivationaler und psychomotorischer Voraussetzungen, die zur erfolgreichen Über83
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nahme und Ausbildung beruflicher Rollen notwendig sind. Berufliche Sozialisationsforschung untersucht die Rolle der → Berufsausbildung und Berufstätigkeit für die Persönlichkeitsentwicklung. Systematisch werden dabei Sozialisationsprozesse für den Beruf (vorberufliche Sozialisation), die Sozialisation des Individuums im Beruf und → Betrieb, sowie Sozialisationspotentiale durch Berufsrollen und Arbeitstätigkeit für die außerberufliche Lebenssphäre hinsichtlich Kausalzusammenhängen und Wechselwirkungen analysiert. Berufliche und familiale Sozialisation hängen miteinander zusammen. Berufs- und Arbeitsplatzerfahrungen wirken auf die familialen Lebensbedingungen ein. Eine Vielzahl von Studien verweist darauf, daß eine autonome Arbeitssituation mit komplexen Arbeitsaufgaben und breiten Handlungsspielräumen zu einer Sozialisationsperspektive führt, die die Selbständigkeit der Kinder fördert; Monotonie, restriktive Arbeitsbedingungen, Fremdkontrolle im beruflichen Alltag hingegen führen eher zu einer auf Konformität der Kinder abstellenden Erziehung mit autoritären bis aggressiven Erziehungstendenzen der Eltern (vgl. Hörning/Knicker 1981, S. 46 ff.). Berufsbiographie und Arbeitserfahrungen der Eltern zeitigen Verhaltensdispositionen, die weitgehend über das Ausmaß der kognitiven, sprachlichen und motivationalen Fähigkeiten der Kinder bestimmen, die deren Schullauf bahn und damit die Art der berufsbezogenen → Ausbildung ebenso beeinflussen wie deren Interessen, Wertvorstellungen und Ansprüche an bestimmte → Berufsfelder und damit mehr oder minder die → Berufswahl der Heranwachsenden. „Die schichtspezifisch unterschiedlich verlaufende familiäre und schulische Sozialisation dient … der Weitergabe statusabhängiger → Berufsorientierungen und der damit verbundenen spezifischen Persönlichkeitsmerkmale bei jugendlichen Berufsanfängern …“ (Bamberg 1993, S. 14). An die Ergebnisse familiärer und schulischer Sozialisationsprozesse setzen vielfach betriebliche Selektionsstrategien an: Bei der 84
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Auswertung von Schulnoten, Eignungstests und Vorstellungsgesprächen wird häufig mehr Wert auf Indikatoren sozialer Konformität gelegt als auf Zeichen fachlicher Leistungsfähigkeit. Bei der Sozialisation für den Beruf spielt die Etappe der → Qualifizierung jugendlicher Erwerbstätiger im Betrieb innerhalb der → dualen Berufsausbildung eine wesentliche Rolle: Neben dem Erwerb berufsrelevanter Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten kommt es zur Internalisierung spezieller normativer Orientierungen wie Anpassung an die vorgegebenen Arbeitsbedingungen und -zusammenhänge als Handlungsmuster, Anerkennung betrieblicher Ordnungsstrukturen, Ausbildung und Akzeptanz von regulativen Normen, die zur Erfüllung von konkreten Arbeitsaufgaben notwendig sind (d. h. von → „Arbeitstugenden“ wie Gründlichkeit, Sorgfalt, Disziplin etc., Bereitschaft zur Loyalität). Auf diese Weise entsteht der Auf bau einer Berufsidentität. Während rollentheoretische Ansätze diesen beruflichen Sozialisationsprozeß als Eingliederung in die Arbeitsorganisation und als (affirmative) Übernahme berufsspezifischer Handlungsstile betonen und ihr Augenmerk auf die Planung zwischen Persönlichkeitsstruktur und Organisationskultur richten, vertreten Hoff, Lappe und Lempert (1985) eine in der Berufssoziologie inzwischen akzeptierte interaktionstheoretische Konzeption: Berufliches Lernen wird als Interaktionsprozeß zwischen Arbeits- und Persönlichkeitsstrukturen verstanden, der zur Entwicklung und Veränderung von Handlungskompetenzen der Individuen beiträgt. Bei allen Untersuchungen über persönlichkeitsbezogene Auswirkungen b. ist kritisch festzuhalten, daß ein direkter determinierender Kausalzusammenhang zwischen Beruf (als soziales Konstrukt spezifischer Kompetenz) bzw. Betrieb und Persönlichkeitsstruktur nicht nachgewiesen werden kann, insofern Einflüsse früherer und außerberuflicher Sozialisationsagenten als intervenierende Variablen nicht unterschätzt werden dürfen und sich in empirischen Untersuchungen nicht „herausfiltern“ las-
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sen. Die Sozialisation für die Berufsarbeit „formt die Identität der Beschäftigten nicht ohne Zutun des Individuums“ (Heinz 1991, S. 404). Der Auf bau der Berufsidentität mündet in die Vertrautheit mit der Arbeitsrolle. Ökonomische und technologische Veränderungen führen zu einem beschleunigten Qualifikationswandel und zu erhöhten Eingangsvoraussetzungen beruflicher Ausbildung. Die Sozialisation für den Beruf stellt eine Herausforderung im berufsorientierenden Bildungsauftrag allgemein bildender Schulen dar. Vergebliche Bewerbungen bei einem reduzierten Ausbildungsstellenmarkt bewirken Enttäuschungen und Frustrationen bereits bei der ersten Schwelle ins Beschäftigungssystem. Die Sozialisation im Beruf ist als ein Interaktionsprozeß zwischen Arbeitsstrukturen und der vor dem Berufseintritt durch verschiedene Sozialisationseinflüsse vorgeprägten Persönlichkeit zu verstehen. Arbeitsrestriktivität oder Handlungsspielräume, das Anspruchsniveau von Arbeitsaufgaben, die Verwertungsmöglichkeiten beruflicher Kompetenzen sowie entsprechende Entfaltungs- und Aufstiegschancen innerbetrieblicher Arbeitsbedingungen, Kontinuität oder Diskontinuität der Berufsbiographie prägen Persönlichkeitsstrukturen. Längsschnittdaten (vgl. Hoff et al. 1985) erhärten die Annahme, daß die Erfahrung mit selbstbestimmter Arbeit zu geistiger Beweglichkeit und zu eigenständigen gesellschaftlichen Orientierungen führt. „Dies bedeutet, daß Sozialisationsprozesse in der Berufsarbeit die Persönlichkeitsentwicklung im Erwachsenenalter beeinflussen, die Arbeitstätigkeit aber auch von der Persönlichkeit strukturiert wird“ (Heinz 1991, S. 412). „Mit dem Wandel von Beruflichkeit haben sich auch die Anforderungen an die Sozialisation verändert. Im Rahmen regulierter Arbeitsverhältnisse dominierte die Verinnerlichung allgemeiner Arbeitsorientierungen und die Einübung von Arbeitstugenden durch Fremdsteuerung, in Zeiten risikobehafteter deregulierter Erwerbsarbeit wird hingegen die Selbststeuerung beruflicher
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Lernprozesse bedeutsamer“ (Jung 2008, S. 64). Die Dominanz beruflicher Arbeitserfahrungen beeinflußt auch die Orientierungs- und Verhaltensweisen in der außerberuflichen Lebenssphäre. Fehlender Entfaltungsspielraum im Berufsalltag läßt auch die Bedürfnisse und Erwartungen in der arbeitsfreien Zeit verkümmern (= Extensionsthese). Gleichzeitig vermindern sich die Ansprüche an die Arbeit, so daß restriktive Bedingungen, einseitige Belastungen, Monotonie erträglich erscheinen. Dieser Extensionsthese fehlen jedoch signifikante empirische Belege. Die Kompensationsthese wird in der Regel mit einer „instrumentellen Arbeitsorientierung“ von Industriearbeitern in Verbindung gebracht. Erwerbsarbeit dient hier primär als Einkommensquelle für konsumtive Zwecke. Auch diese Sichtweise erscheint zu eindimensional. Es kann zwar der außerberuflichen Lebenssphäre eine relative Autonomie zugeschrieben werden, jedoch stellen „Arbeit und Beruf … für den einzelnen auch gegenwärtig zentrale Erlebnis- und Handlungsfelder dar“ (Hörning/ Knicker 1981, S. 101). Zwischen Beruf und außerberuflicher Lebenssphäre besteht ein wechselseitiges Beziehungsverhältnis, was u. a. auch darin sichtbar wird, daß der Beruf eine wichtige Rolle beim Auf bau sozialer Beziehungen und Kontakte spielt. Befristete Zeitarbeitsverträge oder Praktikantenverträge mit z. T. außertariflicher, geringerer Entlohnung erzeugen ein Prekariat (auch im akademischen Bereich) in der beruflichen Startphase. Statt soziale Sicherheit droht Arbeitskräften im jungen Erwachsenenalter vielfach die Arbeitslosigkeit und bisweilen der Abstieg in → Hartz IV. Die Zumutbarkeit von Beschäftigung außerhalb des erlernten Berufes verhindert die Ausbildung einer „stabilen Berufsrolle“ und berufsbiographischer Normen. Noch prekärer ist die desozialisierende Wirkung bei Langzeitarbeitslosen, bei denen rollenkonformes Verhalten ebenso wie die beruflich-fachliche Kompetenz verloren gehen. Zur Sicherung, Erweiterung oder Anpassung beruflicher Qualifikationen spielen → betriebliche Weiterbildungsmaßnahmen 85
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eine wichtige Rolle. Sie sind ein wichtiges personalpolitisches Instrument zum flexiblen Einsatz des vorhandenen betrieblichen Qualifikationsangebots und zur Bewältigung veränderter Arbeitsstrukturen, aber auch ein Mittel, um die sozialen und normativen Orientierungen der Belegschaft im Sinne der jeweiligen Unternehmenskultur und Betriebsphilosophie zu beeinflussen. Eine besondere Problematik stellt sich für die Sozialisation durch Arbeit für berufstätige Frauen, die durch Berufs- und Familienarbeit in Doppelrollen mit konfligierenden Anforderungen eingespannt sind. In Haushalt und Familie erleben sie einen großen Handlungsspielraum und emotionale Unterstützung, aber auch Eintönigkeit, Belastung, mangelnde Anerkennung und Sozialkontakte. Die rollenspezifische Mehrfachbelastung führt zu Chancendefiziten in der b. (vgl. Beck-Gernsheim 1980), reduzierter Karriereorientierung, unterqualifizierter Tätigkeit mit vergleichsweise niedriger Entlohnung und/oder dem Wunsch nach → Teilzeitarbeit. Je nach Sichtweise entwickeln die Frauen unterschiedliche Be- und Entlastungsperspektiven: „Aus dem Blickwinkel des Betriebs erscheint die Familie als selbstbestimmt, aus dem Blickwinkel der Familie wird die Betriebsarbeit als Möglichkeit sozialer Unabhängigkeit und Anerkennung gesehen“ (Heinz 1991, S. 414). Die Verankerung zentraler Erfahrungskategorien in der Persönlichkeit durch b. wird besonders kraß erkennbar bei Erwerbslosigkeit. Diese wird nicht nur als materielle Deprivation, sondern als Entzug wichtiger Erfahrungsqualitäten erlebt mit den Folgen sozialer Desintegration und psychischer Demoralisierung. Literatur: Bamberg, S.: Job oder Beruf? Soziale Schicht, Berufstätigkeit und motivationale Persönlichkeitsmerkmale bei jugendlichen Berufsanfängern. Frankfurt a. M. 1993; Beck, U.: Die Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt a. M. 1995; Beck-Gernsheim, E.: Das halbierte Leben. Männerwelt Beruf, Frauenwelt Familie. Frankfurt a. M. 1993; Heinz, W. R.: Berufliche und betriebliche 86
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Sozialisation. In: Hurrelmann, K./Ulich, D. (Hrsg.): Neues Handbuch der Sozialisationsforschung. Basel 1991, S. 397 – 415; Hoff, E.-H./Lappe, L./Lempert, W. (Hrsg.): Arbeitsbiographie und Persönlichkeitsentwicklung. Bern 1985; Hörning, K. H./ Knicker, Th.: Soziologie des Berufs. Eine Einführung. Hamburg 1981; Heinz, W. R.: Arbeit, Beruf und Lebenslauf. Eine Einführung in die berufliche Sozialisation, Weinheim – München 1995; Jung, E.: Berufliche Sozialisation. In: Hedtke, R./Weber, B. (Hrsg.):Wörterbuch Ökonomische Bildung. Schwalbach/Ts. 2008, S. 64–65; Lange, U./Harney, K./ Rahn, S./Stachowski, H. (Hrsg.): Studienbuch berufliche Sozialisation, Bad Heilbrunn 1999; Lempert, W.: Berufliche Sozialisation und berufliches Lernen. In: Arnold, R./Libsmeier, A. (Hrsg.): Handbuch der Berufsbildung. Wiesbaden 1995, S. 343–349; Lempert, W.: Berufliche Sozialisation. Persönlichkeitsentwicklung in der betrieblichen Ausbildung und Arbeit. Baltmannsweiler 2006; Wahler, P.: Berufliche Sozialisation in der Leistungsgesellschaft, Pfaffenweiler 1997. Dr. Andreas Gmelch, Bamberg berufliche Umschulung nach § 1 Berufsbildungsgesetz neben der → Berufsausbildung und der → beruflichen Fortbildung Bestandteil der → Berufsbildung. Der b. unterliegt die Absicht, den Bildungswilligen zu einer anderen (als der erlernten respektive bisher ausgeübten) beruflichen Tätigkeit zu befähigen und damit seine → Erwerbsfähigkeit (gegenwärtig wie auch künftig) zu verbessern oder überhaupt erst zu ermöglichen. Die b. für einen anerkannten → Ausbildungsberuf hat sich am jeweiligen → Ausbildungsberufsbild und dem jeweiligen → Ausbildungsrahmenplan unter besonderer Berücksichtigung der Erfordernisse der beruflichen Erwachsenenbildung auszurichten. Bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen wird die b. von der → Agentur für Arbeit finanziell gefördert. Siehe auch: → berufliche Weiterbildung. berufliche Weiterbildung Begrifflich wird b. in Anlehnung an die Formulierungen des Strukturplanes des Deut-
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schen Bildungsrates (1970) als Teilsegment des quartären Sektors des deutschen Bildungssystems verstanden, in dem organisiertes berufliches Lernen von Erwachsenen nach Abschluss einer ersten Bildungsphase und nach Aufnahme einer Erwerbstätigkeit stattfindet. B. steht neben der allgemeinen und politischen Weiterbildung, wobei der Begriff Weiterbildung die bis in die 1970er Jahre eher gängige Bezeichnung der beruflichen Erwachsenenbildung ersetzte. Die b. als Teilsegment der Weiterbildung und Bestandteil des Konstrukts des Lebenslangen Lernens hat in den letzten 35 Jahren einen bemerkenswerten Wandel vollzogen. Mit dem Postulat des Lebenslangen Lernens hat die klassische begriffliche Orientierung der b. mit der Betonung der traditionellen berufs- bzw. beschäftigungsorientierten Komponente eine erweiterte Zielebene → „Beschäftigungsfähigkeit“ erhalten, die zu einer Entgrenzung von Beruflichkeit geführt hat. Neue Anforderungen an extrafunktionale Eigenschaften und Verrichtungspotenziale bedingen eine kontinuierliche Anpassungsverpflichtung, in der traditionelle Lehr-/ Lernarrangements, tradierte inhaltliche Anforderungen und curricular orientierte Strategien zunehmend problematischer geworden sind und darauf bezogene begriffliche Markierungen an Bedeutung verlieren. Aus subjektiver Sicht erweist sich b. gegenwärtig als ein schwer operationalisierbares Set von Aneignungsprozessen, welches weder zeitliche Grenzen kennt noch verbindliche Verwertungsgarantien in Aussicht stellt, deren Zwecksetzung abstrakt und konkret zugleich zu sein scheint. B. verliert zunehmend den Charakter der planbaren Aneignung von beruflichen Qualifikationen in abgrenzbaren Lernsequenzen und entwickelt sich vielmehr als permanent verpflichtende Aufgabe für die individuelle Selbst- bzw. Kompetenzentwicklung. B. ist daher nicht mehr ein spezifisch bestimmbarer qualifikatorischer Anpassungs- und Kompensationseffekt, der allein technischen, technologischen und abstrakten betrieblichen Modernisierungs- oder Reorganisationsdiktaten folgt, sondern hat auf subjektiver Seite eine lebensbiografische, beschäftigungsbefähigende Komponente.
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B. leistet einen Beitrag zur Bewältigung unterschiedlicher gesellschaftlicher und ökonomischer Wandlungsprozesse, weshalb sie von gesellschaftlichen, politischen und betrieblichen Institutionen als Anpassungsmechanismus an veränderte Ansprüche eingesetzt wird. Im Kontext des demografischen Wandels und der Transformation von der Industrie- zur Dienstleistungs- und → Wissensgesellschaft fungiert sie in Form der Bereitstellung qualifizierter Arbeitskräfte. B. muss im Zuge voranschreitender → Globalisierung Strukturen etablieren, die eine Platzierung von qualifizierten ausländischen Arbeitskräften im Beschäftigungssystem gestatten und eine internationale Lesbarkeit beruflicher Qualifikationen ermöglichen. Veränderung erfährt die b. auch durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, da es hierdurch zu einer Auflösung der klassischen Konfiguration zwischen dem Lernen an traditionellen Lernorten und dem Arbeiten im Betrieb kommt, womit Lernarrangements pluralisiert sowie Lernzeiten flexibilisiert und in die private Freizeitsphäre verlagert werden. Die b. wird aufgrund ihrer ordnungspolitischen Verankerung, die sich durch die Prinzipien der „Subsidiarität“, der „Pluralität“ und „Marktorganisation“ charakterisieren lässt, durch eine Vielzahl von Strukturdefiziten überlagert. Fragen der Finanzierung, der Partizipation, der Transparenz, der Qualität und der Organisation u. a. haben in der Weiterbildungsdebatte nicht nur historische Referenzpunkte, sondern sind für den aktuellen Diskurs bei der Umsetzung des Postulats des „Lebenslangen Lernens“ hinsichtlich der Entwicklung adäquater Lösungsstrategien als noch dringlicher für die Ausgestaltung von Politik anzusehen. Die b. liefert heute Beiträge zu unterschiedlichen öffentlichen Politikfeldern wie z. B. der Arbeitsmarkt-, Struktur- und Regionalbis hin zur kommunalen Wirtschafts-, Sozial- und Beschäftigungspolitik. Aber auch für die Betriebe erfüllt sie im Rahmen von Organisationsentwicklung und Personalpolitik wichtige qualifikatorische und kompetenzerweiternde Aufgaben beim Prozess 87
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der Restrukturierung der Belegschaften bzw. der Reorganisation der betriebsinternen Arbeitsmärkte. Als Standortfaktor wird ihr Stellenwert in einer zunehmend global agierenden Wirtschaft herausgestellt und auf die Notwendigkeit stärkerer Humankapitalinvestitionen als Wettbewerbsvorteil verwiesen. B. wird folglich als zentrale Klammer einer Notwendigkeit zur stärkeren Integration und Fokussierung bisher getrennter Teilpolitiken interpretiert, für die Regionalisierung als politische Gestaltungsebene sowohl als Strukturprinzip als auch als Steuerungskonzept angesehen wird. In diesem Spektrum konkretisiert sich die Entwicklungsdynamik oszillierend zwischen ordnungs- und marktpolitischen Dimensionen. Kennzeichnend für den Bereich der b. ist seine Zersplitterung in unterschiedliche rechtliche Regelungsbereiche. Damit drückt sich u. a. die besondere „Systemqualität“ dieses Bereiches aus, der sich im Spannungsfeld von staatlicher Regulierung (→ Ordnungspolitik) und marktwirtschaftlicher Organisation bewegt. Der Bereich der → Berufsbildung liegt traditionell im rechtlichen Schnittfeld von „Kultur“ und „Wirtschaft“. Im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung besitzt der Bund die Zuständigkeit für die außerschulische b. („Recht der Wirtschaft“), während die Länder die Verantwortung für den „schulischen Bereich“ der → beruflichen Bildung tragen („Recht des Bildungswesens“). In der berufsbildungspolitischen Debatte der vergangenen Jahrzehnte haben ordnungspolitische Fragen zur rechtlichen Normierung (staatliche bzw. öffentliche Verantwortung/Regulierung versus deregulierte Marktsteuerung) der b. eine große Rolle gespielt. Die in dieser Debatte entstandene Forderung nach einer bundeseinheitlichen Rahmenordnung für die gesamte Weiterbildung ist nach wie vor ein kontrovers diskutierter Gegenstandsbereich. Die zentralen Bestimmungen zur b. auf der Ebene des Bundes finden sich im Berufsbildungsgesetz (BBiG), der Handwerksordnung (HwO), dem Sozialgesetzbuch III (SGB III), dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz (AFBG), dem Be88
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triebsverfassungsgesetz (BetrVG) und dem Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG). Regelungen zur b. in der Zuständigkeit der Länder finden sich in den Schul- und Hochschulgesetzen, den Bildungsurlaubs- bzw. Arbeitnehmerfreistellungsgesetzen und den Weiterbildungs-bzw.Erwachsenenbildungsgesetzen der Länder. Mit dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) wurde im Jahr 1969 für den Bereich der beruflichen Bildung ein bundesweiter systematischer Ordnungsrahmen geschaffen. Nach einer jahrelangen bildungspolitischen Debatte über den erforderlichen Reformbedarf in der Berufsbildung, der von den Interessen der → Sozialpartner über die anzustrebenden Reichweiten der Reformen und deren gesetzlicher Codierung geprägt war, trat zum 1. 4. 2005 das novellierte Berufsbildungsreformgesetz in Kraft, das u. a. auch das seit 1981 bestehende Berufsbildungsförderungsgesetz (BerBiFG) integriert. In § 1 des Gesetzes wird die b. als berufliche Fortbildung (Abs. 4) und Umschulung (Abs. 5) definiert. Während die berufliche Fortbildung es ermöglichen soll, „die berufliche Handlungsfähigkeit zu erhalten und anzupassen oder zu erweitern“, soll „die berufliche Umschulung zu einer anderen beruflichen Tätigkeit befähigen.“ Die §§ 53ff. und 58ff. legen für die Fortbildung und die Umschulung den Rahmen der Prüfungen fest. Unterschieden werden kann zwischen zwei Grundtypen von Fortbildungsprüfungen. Einerseits können die Prüfungen gemäß § 54 durch rechtliche Regelungen (Bezeichnung, Inhalte, Ziele, Verfahren und Voraussetzungen) der zuständigen Stellen definiert werden, wobei als zuständige Stellen in der Regel die Kammern als öffentlich-rechtliche Körperschaft tätig sind. Andererseits kann der Bundesminister für Bildung und Forschung gemäß § 53 Abs. 1 Rechtsverordnungen über die Ziele, Inhalte, Verfahren und Voraussetzungen für Prüfungen erlassen. Das quantitative Verhältnis beider Grundtypen zueinander ist bislang durch die Dominanz der Kammerprüfungen gegenüber den Prüfungsregelungen auf Grundlage einer bundesweiten Rechtsverordnung geprägt,
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wobei diese Ordnungsfrage in der Vergangenheit einen der zentralen Konflikte zwischen den Sozialparteien darstellte. Für die berufliche Umschulung (§ 58) gelten wie für die Fortbildung analoge Regelungen. Um die „Ordnungslücke“ im Bereich der bundeseinheitlichen Rechtsverordnungen zu schließen, haben die Sozialparteien im Jahr 1996 eine Rahmenvereinbarung über Voraussetzungen, Kriterien und Verfahren geschlossen, bestehende Kammerregelungen in bundeseinheitliche Fortbildungsregelungen zu überführen. Mit dem neuen Berufsbildungsreformgesetz wurde auf die Chance verzichtet, Regelungen zur b. und hier zur Finanzierung, Qualitätssicherung und zum Zugang etc. vorzunehmen. Während im BBiG die Begriffe berufliche Fortbildung und berufliche Umschulung erhalten blieben, sind sie in anderen Gesetzen wie dem SGB III durch den Begriff der b. ersetzt worden. Parallel zum Berufsbildungsgesetz (BBiG) trat 1969 das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in Kraft. Bildete das BBiG den Ordnungsrahmen für die Berufsbildung, sicherte das AFG die Finanzierung ab. Ein zentrales Instrument im AFG war im Kern die beitragsfinanzierte Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung. Die Geschichte des Einsatzes dieses Instruments ist sehr wechselhaft verlaufen und unterlag immer wieder veränderten Bedingungen des finanziellen Förderrahmens, was im Zeitverlauf durch rechtliche Eingriffe (Gesetzesnovellierung und durch Veränderungen in der Geschäftspolitik der damaligen Bundesanstalt für Arbeit) zu erheblichen Verschiebungen im Leistungsspektrum führte. Die Entwicklung kann in folgende Phasen differenziert werden (vgl. Sauter 2004): ● Präventive Phase (1969 bis 1975): Kennzeichen war die Förderung der abschlussbezogenen Aufstiegsfortbildung, um Arbeitslosigkeit durch eine Erweiterung der Kenntnisse im Vorfeld zu vermeiden. ● Kurative Phase (1976 bis 1989): Mit Einsetzen der Massenarbeitslosigkeit wurde die Weiterbildungsförderung zunehmend auf Arbeitslose konzentriert. Die finan-
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zielle Förderung lag im Ermessen der Bundesanstalt für Arbeit und diente einer kurzfristigen Kenntnisanpassung an arbeitsmarktliche Zweckmäßigkeiten. ● Sozialintegrative Phase (1990 bis 1997): In diese Phase fällt der massive Einsatz des AFG bei der Integration der neuen Bundesländer. Die Überforderung des Instruments der Weiterbildungsförderung offenbart erhebliche Schwachpunkte und Defizite. Die 1994 aus dem AFG herausgenommene abschlussbezogene Aufstiegsfortbildung wurde 1996 in ein eigenständiges, steuerfinanziertes „Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz (AFBG)“ überführt. ● Arbeitsmarktpolitische Phase (1998 bis 2002): Die Integration der Arbeitsförderung (AFG) in das Sozialgesetzbuch (SGB III) im Jahr 1998 war nicht nur mit einem begrifflichen Wandel verbunden, denn die Bezeichnungen der beruflichen Fortbildung und Umschulung wurden durch den Begriff der b. abgelöst, sondern die Förderung wurde an bestimmte Voraussetzungen gebunden (vgl. § 86 und § 94 SGB III), die die besondere „arbeitsmarktpolitische Notwendigkeit“ der Weiterbildung in den Vordergrund und die sozialpolitische Orientierung in den Hintergrund treten ließ. ● Vermittlungsunterstützende Phase (seit 2002): Mit dem In-Kraft-Treten des „Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ (Hartz I und II) wurden die Bedingungen der beruflichen Weiterbildungsförderung grundlegend überarbeitet (§§ 77–86; 6. Abschnitt: Förderung der b.). Einschneidende Änderungen betrafen die Verfahren zur Steuerung und Finanzierung (z. B. Bildungsgutscheine und Qualitätssicherung), wobei mit der „Hartz-Reform“ insgesamt ein Paradigmenwechsel in der → Arbeitsmarktpolitik vollzogen wurde, der die Vermittlung in den Arbeitsmarkt als Kernstück der → Arbeitsmarktpolitik und die berufliche Qualifizierung als Vehikel für diese Zielerreichung definiert. Für die beruflich-betriebliche Weiterbildung hat das Betriebsverfassungsgesetz 89
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(BetrVG) aus dem Jahre 1972, das im Jahr 2001 einer Novellierung unterzogen wurde, eine besondere Bedeutung. Mit der Novellierung wurde die → Mitbestimmung der → Betriebsräte im Bereich der betrieblichen Qualifizierung und Beschäftigungssicherung erweitert. Kennzeichen des neuen BetrVG ist ein präventiver Ansatz, der die Betriebsräte in eine aktivere Rolle bei unternehmerischen Entscheidungen versetzt. Die Veränderungen in den §§ 96 bis 98, die die Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte regeln, ermöglichen es, dass der Betriebsrat eine Bildungsbedarfsanalyse im Falle technisch-organisatorischer Innovationen einfordern und in Folge dessen bei der Notwendigkeit von beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen mitbestimmen kann (§ 97 Abs. 2). Die erweiterten Rechte im BetrVG können durchaus als Stützung des Prinzips des Lebenslangen Lernens gewertet werden. Im Zusammenhang mit dem BetrVG spielt die Ebene des Tarifvertragsrechts für die Regulierung beruflich-betrieblicher Weiterbildung eine zunehmende Rolle, wenngleich der Regelungsbereich eingeschränkt ist und dies so keine Alternative zu gesetzlichen Bestimmungen darstellt. Dabei geht es besonders um die verteilungspolitische Frage der aufzubringenden Lernzeiten und Kosten für die Qualifizierung. Bisher weisen tarifvertragliche Regelungen nur bei Vorliegen bestimmter Konstellationen Ansprüche auf die Teilnahme der Beschäftigten an der betrieblichen Weiterbildung auf. Flächendekkende Regelungen mit konsistenten Konzepten sind gegenwärtig nur in ersten Konturen erkennbar. Im Sommer 2001 haben die Tarifparteien der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg einen Tarifvertrag zur Qualifizierung abgeschlossen, der erste Ansätze einer stärkeren Verknüpfung von betrieblicher Personalpolitik und individueller Qualifizierung sicherstellt. Das Thema „Lern- und Qualifizierungszeiten“ und dessen rechtliche Kodifizierung (z. B. Erwerb zeitlicher Ansprüche und Zugänge zum Lernen) im Zusammenspiel mit betrieblichen Flexibilisierungsstrategien, wie z. B. der Arbeitszeitpolitik, wird in Zukunft 90
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vermutlich eine gewichtigere Rolle bei tarif- und betriebspolitischen Verhandlungen spielen müssen als bislang geschehen. Jenseits der genannten Rechtsbereiche nimmt das Fernunterrichtsschutzgesetz (Fern-USG) einen besonderen Stellenwert ein, da es als explizites Verbraucherschutzgesetz versucht, Weiterbildungsinteressierte vor schlechter Angebotsqualität zu bewahren. So unübersichtlich wie der Bereich der rechtlichen Regelungen für die berufliche Weiterbildung stellt sich auch der Bereich der Finanzierung dar. Das vorhandene Wissen über die Finanzierungsströme und die Finanzierungsformen ist sehr heterogen und hängt von den Erfassungsformen und Berechnungsmodalitäten in den relevanten Statistiken und wissenschaftlichen Erhebungen zum Gegenstandsbereich ab. In Ermangelung verlässlicher Daten ist man weitgehend auf Schätzungen und Hochrechungen des Gesamtfinanzierungsvolumens angewiesen, da es sich bei den Daten jeweils um eine akteursbezogene Betrachtung der „Zahlenden“ handelt. Durch die restriktiven Änderungen der Förderungsbedingungen infolge der Hartz-Gesetzgebung hat sich das Finanzvolumen für Aufwendungen der öffentlich-geförderten b. im SGB III drastisch reduziert, so dass es zu einer weiteren Verringerung des Gesamtfinanzierungsvolumens in den vergangenen Jahren gekommen ist, zumal die Ausgabenreduzierung durch andere Finanzierungsquellen nicht substituiert wurde. Auch in Zukunft ist nicht zu erwarten, dass eine Substitution aufgrund der angespannten Haushaltslage – weder durch öffentliche Haushalte noch aufgrund der konjunkturellen Situation durch erweiterte Investitionen der Betriebe – in Weiterbildungsaktivitäten vorgenommen werden wird. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Finanzierung von b. zunehmend mehr in die private Risikosphäre des Individuums verlagert wird. In der Konsequenz bedeutet dies, nach neuen (gesetzlichen) Regulierungsformen für Weiterbildungsansprüche und die Weiterbildungsfinanzierung zu suchen.
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Die von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission zur Finanzierung der Weiterbildung hat im Jahr 2004 ihren Abschlussbericht vorgelegt und Handlungsempfehlungen ausgesprochen (vgl. Expertenkommission Finanzierung Lebenslangen Lernens 2004). Das vorgelegte Finanzierungskonzept für ein umfassend renoviertes und erweitertes Weiterbildungssystem basiert auf den Ausgangsüberlegungen, alle Akteure, Individuen, Unternehmen und öffentliche Hand, zukünftig im Rahmen von Cost-Sharing an der Finanzierung zu beteiligen, die bestehenden Finanzierungsmodi jedoch beizubehalten und auf einen Modellwechsel zu verzichten, wobei zukünftig von insgesamt erhöhten Aufwendungen für die Weiterbildung ausgegangen wird. Die empfohlenen Umsetzungsschritte, die zu einem kohärenten Finanzierungssystem der Weiterbildung führen sollen, versteht die Kommission als tragfähige Gesamtarchitektur, d. h., alle Empfehlungen sollten möglichst gemeinsam – wenn auch schrittweise – umgesetzt werden. Die politischen Kontroversen liegen in Fragen der Rechtssetzung wie auch der Auf bringung von zusätzlichen öffentlichen Mitteln für das vorgeschlagene Instrumentarium. Der Vorschlag, in der Weiterbildung mehr rechtliche Bundeskompetenz zu verankern, lässt erhebliche Konflikte vermuten. Dennoch, das Gutachten der Kommission hat wichtige Impulse für die „Neujustierung“ der Finanzierung des Lebenslangen Lernens geliefert. Alle Maßnahmen und vorgeschlagenen Instrumente, so betont die Kommission ausdrücklich, können nur dann eine nachhaltige Wirkung erzielen, wenn sie sich in einem „bildungsfreundlichen Klima“ entwickeln können. Eine wesentliche, generelle Systemschwäche, die für die b. kennzeichnend ist, ist bislang die geringe öffentliche Verantwortung für diesen Bildungsbereich. Die Forderung, Weiterbildung als vierte Säule des öffentlichen Bildungssystems zu etablieren, ist bis heute deklamatorisch geblieben, so dass die seit Jahren bestehenden Problemlagen und Aufgabenstellungen, wie:
berufliche Weiterbildung
– den Trägerpluralismus beizubehalten und dennoch universelle Ansprüche an die Träger zu artikulieren, – die Dominanz der Betriebe für die inhaltliche Richtung der b. zu reduzieren, – Standards für die Beratung und die Information festzulegen, – Prozesse der Qualitätssicherung zu normieren, – Zertifizierungsmodalitäten zu regeln (Zuständigkeit, Anerkennung, Verfahren etc.), – Angebotstransparenz zu erzeugen, – Finanzierungsverfahren unter Aspekten der Chancengleichheit zu bestimmen und – somit Partizipationschancen sozial ausgewogen zu verteilen, nach wie vor offene Handlungsfelder sind, die im Rahmen der virulenten Regulierungsdebatte verhandelt und im Weiteren ordnungspolitisch gestaltet werden müssen. Auch ist die derzeitige Tendenz, die Verantwortung für b. im Rahmen des Lebenslangen Lernens zunehmend zu privatisieren und die Privilegierung der Erwerbstätigen beim Zugang zur Weiterbildung fortzuschreiben, im Grunde weder sozial- noch bildungspolitisch zu akzeptieren. Ebenso ist der vollzogene Rückzug der öffentlichen Hand aus der Finanzierung der b. problematisch, trägt dieser doch zur desintegrativen Risikoerhöhung und Segmentation bei. Ein von den → Gewerkschaften gefordertes Bundesrahmengesetz als einheitliche Klammer würde bedeuten, Teilhabeansprüche an Weiterbildung festzuschreiben, die Modalitäten der Teilhabe zu skizzieren und die derzeitige Tendenz, berufliche Aneignungsprozesse in hohem Maße von der subjektiven Befähigung für die Selbststeuerung von Bildungsprozessen wie auch der Übernahme der Zeit- und Kosteninvestitionen abhängig zu machen, zu revidieren. Ob über Prozesse der regionalen Steuerung der b. durch Netzwerkbildung der beteiligten Akteure (wie z. B. in der Idee der „Lernenden Region“) eine Politik der mittleren Systematisierung im Sinne einer systembildenden Klammer der Weiterbildungsentwicklung etabliert werden kann, hängt 91
berufliche Weiterbildung
im entscheidenden Maße davon ab, welche ordnungspolitischen Rahmenbedingungen dafür garantiert sein werden und welche Finanzierungsmodalitäten das Fundament bilden. Nur auf den Markt als Regulationsmechanismus zu setzen, bedeutete etwas fortzuschreiben, was nach Ansicht fast aller Experten seit Jahren dysfunktional ist. Wenn ernst genommen wird, dass b. zu einem notwendigen Erfolgsfaktor für die gesellschaftliche Entwicklung, Innovation und Stabilisierung geworden ist, dann bleibt nur schwer nachvollziehbar, warum der Staat seine Regulierungs- und Gestaltungsoptionen so defensiv wahrnimmt. Literatur: Arnold, R./Lipsmeier, A. (Hg.) (2006): Handbuch der Berufsbildung. Wiesbaden; Baethge, M. (2002): Paradigmenwechsel in der beruflichen Weiterbildung. In: Arbeitsstab Forum Bildung, S. 321–330; Bahnmüller, R./Fischbach, S. (2006): Qualifizierung und Tarifvertrag. Befunde aus der Metallindustrie Baden-Württembergs. Hamburg; Deutscher Bildungsrat (Hg.) (1970): Strukturplan für das Bildungswesen. Stuttgart; Dobischat, R. (2005): Weiterbildung im Konzept des Lebenslangen Lernens. Weiterbildungspolitik im Spannungsfeld zwischen Systembildung und -destabilisierung. In: Recht der Jugend und des Bildungswesens, H. 2, S. 156ff.; Dobischat, R./Fischell, M./Rosendahl, A. (2008): Rechtliche Rahmenbedingungen in der Erwachsenenbildung. Fernstudienbrief für den postgradualen Studiengang Erwachsenenbildung (Human-Resources), Studienbrief 0500.Technische Universität Kaiserslautern. Kaiserslautern; Dobischat, R. (2004): Förderung der beruflichen Weiterbildung – Konsequenzen aus der „Hartz-Reform“. In: WSI-Mitteilungen, H. 4, S. 199ff.; Expertenkommission Finanzierung Lebenslangen Lernens (2004): Finanzierung Lebenslangen Lernens der Weg in die Zukunft. Schlussbericht. Bielefeld; Rosenbladt, B./Bilger, F. (Hg.) (2008): Weiterbildungsbeteiligung in Deutschland. Eckdaten zum BSW-AES 2007; Sauter, E. (2004): Vom Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zum Sozialgesetzbuch III (SGB III (neu)). In: Hessische Blätter für Volksbildung H. 2, S. 106ff.; Schiersmann, 92
Berufsakademien (BA)
Chr. (2007): Berufliche Weiterbildung. Wiesbaden; Tippelt, R./Hippel, A. (Hg.) (2009): Handbuch Erwachsenenbildung/ Weiterbildung. Wiesbaden. Prof. Dr. Rolf Dobischat, Duisburg-Essen Berufsänderungskündigung Möglichkeit der → außerordentlichen Kündigung des → Berufsausbildungsverhältnisses, wenn der → Auszubildende die → Berufsausbildung abbrechen oder sich einer anderen zuwenden möchte. Die Kündigung hat schriftlich unter Angabe der → Kündigungsgründe zu erfolgen. Ob der Auszubildende nach erfolgter Kündigung die Berufsausbildung tatsächlich aufgibt oder eine andere anstrebt, ist ohne Bedeutung. Berufsakademien (BA) ⇒ Universitys of Cooperative Education seit 1974 in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein und mittlerweile außerdem auch in den Bundesländern Berlin, Hessen, Niedersachsen, Saarland (Akademie der Saarwirtschaft), Sachsen und Thüringen bestehende, meist staatliche Einrichtungen des tertiären Bildungsbereiches, die in beruflichen Ausbildungsgängen nach dem → dualen System (betriebliche Ausbildung und Studium) (Fach-)Abiturienten (z. T. auch mit → Fachhochschulreife) in 6 Semestern zu technischen, wirtschaftlichen und pädagogischen, meist akademischen, Abschlüssen führen. Nach 4 Semestern kann z. T. ein Zwischenabschluß erreicht werden. Zu den Aufgaben der B. gehört, ähnlich den → Fachhochschulen, durch praxisbezogene Lehre eine auf wissenschaftlicher Grundlage beruhende Bildung zu vermitteln, die zu einer selbständigen Tätigkeit im Beruf befähigt. Den Absolventen der B. mit Abschluß (Diplom [BA] oder Bachelor) steht unter bestimmten Voraussetzungen auch eine Promotion offen. Die B. in Baden-Württemberg wurden zum 1. 3. 2009 in Duale Hochschule BadenWürttemberg (DHBW) umbenannt. M. M. B.
Berufsanerkennung
Berufsanerkennung Die europäische B. geht auf die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit innerhalb der → Europäischen Union zurück. EU-Bürger, die in einem anderen Mitgliedsstaat leben oder arbeiten wollen, sollen sich ihre Berufsqualifikationen leichter anerkennen lassen können. Dies betrifft, mit einigen wenigen Ausnahmen, fast alle Berufe und Berufsgruppen, sofern sie nicht reglementiert sind, wie etwa Berufe, deren Ausübung durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften der einzelnen Staaten an den Besitz bestimmter Berufsqualifikationen gebunden ist. Reglementiert sind in Deutschland etwa medizinische Berufe wie Ärzte und Krankenschwestern, aber auch die selbständige Ausübung bestimmter Handwerksberufe. Die Grundlage der europäischen B. ist die EU-Richtlinie 2005/36/EG zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen. Am 7. September 2005 wurde sie verabschiedet und ersetzt seit 20. Oktober 2007 die bis dahin bestehenden 15 EU-Richtlinien. Ziel ist die Vergleichbarkeit beruflicher Abschlüsse auf europäischer Ebene, unter Beibehaltung der einzelnen, verschiedenen nationalen Berufsausbildungssysteme zu erzielen. Im Vergleich zu den vorherigen einzelnen Richtlinien wurden mehrere Änderungen eingeführt, darunter eine größere Liberalisierung der Erbringung von Dienstleistungen, einen stärkeren Automatismus der Anerkennung von → Qualifikationen und eine größere Flexibilität bei der Aktualisierung der Richtlinie. Eine Übersetzungshilfe bei der europäischen B. bietet auch der → Europäische Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen. M. M. B Berufsaufbauschulen Schulen, die nach mindestens halbjährigem Besuch einer → Berufsschule neben derselben oder nach erfüllter → Berufsschulpflicht von solchen Personen besucht werden können, die in einer → Berufsausbildung oder Berufstätigkeit stehen oder gestanden haben. B. vermitteln eine über die Lernziele der Berufsschule hinausgehende allgemeine und fachtheoretische → Bildung. Die Unterrichtsdauer beträgt bei Vollzeitschu-
Berufsausbildungskosten
len 1 – 1½ Jahre, bei Teilzeitschulen 3 – 3½ Jahre. Die Schulen sind meist fachlich gegliedert. Der erfolgreiche Abschluß der B. führt zur Fachschulreife. Sie erlaubt den Zugang zu Abendgymnasien und → Fachoberschulen. Berufsaufklärung Maßnahmen der örtlichen Agenturen für Arbeit im Rahmen der → Berufswahlvorbereitung. Die B. konzentriert sich auf Informationsvermittlung über → Berufe, deren Anforderungen und Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt wie auch über die Möglichkeiten der Förderung → beruflicher Bildung. Im einzelnen umfaßt dieses Programm folgende Aktivitäten: berufskundliche Ausstellungen; Einrichtung von Berufsinformationszentren; B. der Öffentlichkeit über Massenmedien durch Kontaktaufnahme mit den privaten und öffentlichen Trägern der → Berufsausbildung wie auch mit den Einrichtungen der Jugendpflege und den Trägern der Jugendsozialarbeit; mittelbare B. über all jene Tätigkeiten, durch die berufsorientiertende Bemühungen anderer Institutionen – insbesondere schulischer und wirtschaftlicher – genutzt und unterstützt werden; Elternversammlungen; Vortragsveranstaltungen; Gruppeninformationen für Jugendliche, die ohne Berufsausbildung geblieben oder in den Möglichkeiten ihrer beruflichen Entwicklung gestört sind, so insbesondere in Klassen für Jungarbeiter, Fürsorgeheimen, Heimen für Jugendverbände und in Jugendstrafanstalten. Berufsausbildung → duales System der Berufsausbildung. Berufsausbildungsbeihilfe unter bestimmten Voraussetzungen von der → Bundesagentur für Arbeit zur Ermöglichung einer betrieblichen oder ausserbetrieblichen → Ausbildung in einem anerkannten → Ausbildungsberuf geleistete Unterstützung (in Geld). Berufsausbildungsförderung (BAföG) → Ausbildungsförderung. Berufsausbildungskosten ⇒ Ausbildungskosten. 93
Berufsausbildungsverhältnis
Berufsausbildungsverhältnis Rechtsverhältnis, das zum Zwecke der → Ausbildung in einem staatlich anerkannten → Ausbildungsberuf von einem → Auszubildenden und einem → Ausbildenden eingegangen wird (§§ 10 – 26 Berufsbildungsgesetz). Das B. wird durch einen → Berufsausbildungsvertrag begründet. Berufsausbildungsvertrag begründet ein privatrechtliches Rechtsverhältnis, das nach Maßgabe der §§ 145 ff. BGB durch → Angebot und → Annahme zustande kommt. Vertragspartner sind der → Ausbildende und der → Auszubildende. Das gilt auch dann, wenn Letzterer minderjährig ist und der gesetzliche Vertreter im Voraus in den Abschluß einwilligen muß (§ 107 BGB). Ausbildender ist entweder der Unternehmer, der vertretungsberechtigte Gesellschafter einer → Personengesellschaft oder eine → juristische Person. Die Rechtsgrundlagen des B. bildet in erster Linie das Berufsbildungsgesetz (BBiG) von 1969, das zum 1. April 2005 grundlegend geändert wurde. In ihm finden sich Mindestnormen, die von besonderer Bedeutung für die vertragsrechtlichen Beziehungen zwischen Ausbildendem und Auszubildendem sind, und die nicht zuungunsten des Auszubildenden abgeändert werden dürfen. Wo das BBiG keine Regelung vorsieht, greifen die einschlägigen Bestimmungen des allgemeinen → Arbeitsrechts. Die wichtigsten Ziele des mit dem B. begründeten → Ausbildungsverhältnisses sind nach § 1 Abs. 3 BBiG – die Vermittlung beruflicher Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten, die zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit in einer sich wandelnden Arbeitswelt notwendig sind; – die Weitergabe der erforderlichen Berufserfahrung. Die → Berufsausbildung erfolgt im → dualen System, d. h. sie findet üblicherweise parallel im → Betrieb und in der → Berufsschule statt. Das Gesetz würdigt in seiner Neufassung ausdrücklich auch die Möglichkeit einen Teil der Ausbildung im Ausland durchführen zu können (§ 2 Abs. 3). 94
Berufsausbildungsvertrag
Die Überwachung und Förderung der Berufsausbildung obliegt zu einem guten Teil den sogenannten zuständigen Stellen (§ 76 BBiG). Zuständige Stellen sind in der Regel die Kammern und, soweit solche nicht bestehen, vom jeweiligen Land bestimmte Institutionen (§ 71 BBiG). Sie haben insbesondere darüber zu wachen, daß die Eignung von Ausbildungspersonal und Ausbildungsstätte vorliegt. Sie führen ein Verzeichnis der → Berufsausbildungsverhältnisse, genehmigen Verkürzungen und Verlängerungen der Ausbildungszeit und führen die Abschlußprüfungen durch. Der B. wird in dieses Verzeichnis eingetragen. Zwar ist der Abschluß des B. formfrei, jedoch muß anschließend eine Niederschrift angefertigt werden, die dem Antrag auf Eintragung beizulegen ist. Im Regelfall verwenden die Ausbildenden von den Kammern zur Verfügung gestellte Musterausbildungsverträge. Sie enthalten die geforderten Mindestinhalte (§ 11 BBiG): 1. Art, sachliche und zeitliche Gliederung sowie Ziel der Berufsausbildung, insbesondere die Berufstätigkeit, für die ausgebildet werden soll, 2. Beginn und Dauer der Berufsausbildung, 3. Ausbildungsmaßnahmen außerhalb der Ausbildungsstätte, 4. Dauer der regelmäßigen täglichen Ausbildungszeit, 5. Dauer der → Probezeit, 6. Zahlung und Höhe der → Vergütung, 7. Dauer des → Urlaubs, 8. Voraussetzungen, unter denen der B. gekündigt werden kann. Die regelmäßige Dauer der Berufsausbildung in den staatlich anerkannten → Ausbildungsberufen ergibt sich aus der jeweiligen – durch das auch für die Anerkennung zuständige Bundesministerium erlassenen – → Ausbildungsordnung. Sie soll nicht mehr als drei und nicht weniger als zwei Jahre betragen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BBiG). Unter bestimmten Voraussetzungen (qualifiziertere Schulbildung, überdurchschnittliche Leistungen u.ä.) kann die Ausbildungszeit verkürzt oder (z. B. bei Nichtbestehen der Abschlußprüfung) verlängert werden. Die
Berufsausbildungsvertrag
Berufsausbildung beginnt mit einer Probezeit, die mindestens einen Monat betragen muß und höchstens vier Monate währen darf (§ 20 BBiG). Mit Abschluss des B. gehen beide Vertragspartner Pflichten ein. Die Pflichten des Ausbildenden sind (§§ 14, 15 BBiG): 1. → Ausbildungspflicht: Die Berufsausbildung ist sachlich und zeitlich nach Maßgabe des in der Ausbildungsordnung festgelegten → Ausbildungsrahmenplans zu gliedern. Außerdem muß der Ausbildende geeignetes Ausbildungspersonal und die notwendigen Arbeitsmittel bereitstellen. 2. Erziehungspflicht: Er soll durch positive Einflußnahme den Charakter des Auszubildenden fördern. Hierbei geht es u. a. um die Entwicklung von → Arbeitstugenden wie Ausdauer, Sorgfalt, Pünktlichkeit etc. 3. Ordnungspflichten: Er hat den Auszubildenden zum Besuch der Berufsschule anzuhalten und ihn dafür freizustellen. Zusätzlich muß er ihn zum Führen von Berichtsheften anhalten. 4. Schutzpflichten: Der Auszubildende ist vor sittlicher und körperlicher Gefährdung zu schützen. Es dürfen ihm keine ausbildungsfremden Verrichtungen übertragen werden. Auf der anderen Seite soll der Auszubildende aktiv und interessiert auf das Ausbildungsziel hinarbeiten (Lernpflicht). § 13 BBiG regelt sechs weitere Einzelpflichten: 1. Er muß die aufgetragenen Verrichtungen sorgfältig ausführen. 2. Es besteht Teilnahmepflicht bei Ausbildungsmaßnahmen, für die er freigestellt wurde. 3. Er hat Weisungen im Rahmen seiner Berufsausbildung zu befolgen. 4. Er muß die für die Ausbildungsstätte geltende Ordnung beachten. 5. Werkzeuge, Maschinen und sonstige Einrichtungen sind pfleglich zu behandeln. 6. Er muß Stillschweigen über → Betriebsgeheimnisse wahren. Die laut § 17 BBiG zu zahlende angemessene Vergütung soll das Lebensalter des Auszubildenden berücksichtigen und mit
berufsbegleitendes Studium
fortschreitender Ausbildung, mindestens jährlich, ansteigen. Für die weiteren Mindestinhalte des B. gelten neben den Normen des BBiG spezielle Gesetze sowie tarifvertragliche Vereinbarungen. Die tägliche Ausbildungszeit richtet sich dabei für Jugendliche unter 18 Jahren ebenso nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz wie die Dauer des Urlaubs. Erwachsene Auszubildende haben Ansprüche nach der Arbeitszeitordnung und dem Bundesurlaubsgesetz. Grundsätzlich endet die Berufsausbildung mit Ablauf der vereinbarten Ausbildungszeit bzw. im Falle einer Verkürzung mit Bestehen der Abschlußprüfung. Eine vorzeitige Kündigung des B. ist während der Probezeit für beide Vertragspartner ohne Angabe von Gründen möglich. Anschließend können beide nur noch aus wichtigem Grund und der Auszubildende außerdem noch kündigen, wenn er die Berufsausbildung ganz aufgeben oder den → Beruf wechseln will. Siehe auch Kündigung: II.1. Literatur: Lakies, T., Rechte und Pflichten in der Berufsausbildung. Das neue Berufsbildungsrecht, Berlin 2005. Nehls, H., Berufsbildungsgesetz. Textausgabe mit Kurzkommentar, Frankfurt am Main 2005. Prof. Dr. Günther Seeber, Landau berufsbegleitendes Studium ein Berufstätigkeit und Studium integrierendes Bildungskonzept; die Studenten gehen in der Regel einer (Vollzeit-)Berufstätigkeit nach und besuchen nachmittags/ abends und/oder am Wochenende entsprechende Lehrveranstaltungen. Eine besondere Form des b. ist das Fernstudium (z. B. FernUniversität Hagen). Hier erhalten die Studenten das Lehr- und Lernmaterial in verschiedenen Formen (Studienbriefe, Lernsoftware, DVD’s etc.) zum Selbststudium nach Hause geliefert oder mittels Online-Kursen per Internet vermittelt. Die verschiedenen Formen des b. unterscheiden sich vom einschlägigen herkömmlichen Studium nicht durch das Studienziel und die Studieninhalte, sondern ausschließlich durch die Studiengestaltung/-organisation. M. M. B 95
Berufsberatung
Berufsberatung Aufgabenbereich der → Bundesagentur für Arbeit, insbesondere ihrer örtlichen Agenturen für Arbeit. Er umfaßt die Aufklärung der Allgemeinheit über die Bedeutung der → Berufswahl, über die → Berufe selbst sowie über ihre Anforderungen und Aussichten (→ Berufsaufklärung) und die einschlägige Beratung. In der Beratung von Jugendlichen kooperiert die B. mit der Schule (→ Berufswahlunterricht). Neben der Aufklärungs- und Beratungsfunktion hat die B. eine Lenkungsfunktion: sie soll die in den einzelnen Berufen notwendigen Arbeitskräfte sichern und zu starkem Zulauf vorbeugen. Berufsbild differenzierte Darlegung einer bestimmten Berufstätigkeit, so insbesondere der Arbeitsaufgabe, der Arbeitsweise, des Arbeitsmaterials, des Arbeitsortes und der Arbeitszeit wie auch der an die Berufstätigkeit geknüpften geistigen, charakterlichen und körperlichen Erfordernisse. Die B. der verschiedenen Berufstätigkeiten (rund 18 000) werden in den „Berufskundlichen Mitteilungen“ der Agenturen für Arbeit nachgewiesen. berufsbildendes Schulwesen → berufliche Bildungsgänge. Berufsbildung zusammenfassende Bezeichnung des Berufsbildungsgesetzes (§ 1 Abs. 1) für → Berufsausbildung, berufliche Fortbildung (→ berufliche Weiterbildung) und → berufliche Umschulung. Berufsbildungspolitik Infolge der verfassungsmäßigen Rahmensetzung (konkurrierende Gesetzgebung, Kulturföderalismus) und politisch interdisziplinären Bezüge gestaltet sich der Gegenstandsbereich und Handlungsrahmen der B. vielschichtig und differenziert. Die im Begriff stehenden Bezugskategorien „Beruf“, „Bildung“ und „Politik“ bilden dabei ein Geflecht von sich wechselseitig beeinflussenden historisch-gesellschaftlichen, ökonomischen, sozialen, institutionellorganisatorischen und rechtlichen Ent96
Berufsbildungspolitik
wicklungsprozessen, die konstitutiv für das Aktivitätsspektrum berufsbildungspolitischer Entscheidungsprozesse und -findungen sind. Die B. steht dabei immer in der Verflechtung zu anderen politischen Handlungs- und Entscheidungsfeldern. Die staatliche Gestaltung, Steuerung und Regulierung beruflicher Qualifizierungsprozesse findet vornehmlich in Bezug zu Entwicklungen und Entscheidungen in der → Bildungs-, → Wirtschafts-, → Arbeitsmarkt-, → Beschäftigungs-, Regional- und → Sozialpolitik statt. Hierbei konzentriert sich die B. auf die regulierende → Ordnungspolitik (über das Berufsbildungsgesetz BBiG) sowie die Gestaltung finanzieller Rahmenbedingungen von → beruflicher Bildung (z. B. über das SGB II und SGB III). Auch wenn die akademische Ausbildung ebenfalls eine berufsqualifizierende Funktion hat, wird diese nicht dem Bereich der B. zugeordnet, sondern stellt aufgrund spezifischer Zuständigkeiten ein eigenes Handlungsfeld dar. Strukturell ist die B. infolge unterschiedlicher rechtlicher Zuständigkeiten bei Normierungen und Regulierungen in verschiedene Rechtsbereiche gegliedert (Föderalismus, individuelles und kollektives Arbeitsrecht, Sozialrecht, öffentliches Recht). Aufgrund der korporatistischen Verfassung des Berufsbildungssystems sind zahlreiche Akteure, die unterschiedliche Funktionen und Zuständigkeiten wahrnehmen, in berufsbildungspolitische Entscheidungsprozesse eingebunden. Neben den staatlichen Bundes- und jeweiligen Landesministerien, den Arbeitgebern(verbänden), den Kammern, den Arbeitnehmervertretern zählt auch die → Bundesagentur für Arbeit zu den Hauptakteuren in der B. Auch die Berufsbildungsforschung wirkt über ihre Forschungsergebnisse auf die B. ein, indem sie Handlungsnotwendigkeiten offenlegt und berufsbildungspolitische Entscheidungen mit vorbereitet. Entsprechend der heterogenen Akteure mit ihren unterschiedlichen Interessen gestaltet sich die B. als ein äußerst komplexes und facettenreiches Politikfeld, welches nicht nur auf ordnungspolitische Rahmensetzungen abstellt, sondern auch
Berufsbildungspolitik
eine Vielzahl von Maßnahmen, Instrumenten und Programmen umfasst. Im Zentrum von B. stehen dabei Probleme, die in den Teilsegmenten der beruflichen → Ausbildung und der → beruflichen Weiterbildung verortet sind. In diesen beiden Feldern des Berufsbildungssystems lassen sich zwei strukturelle Probleme identifizieren, die in unterschiedlicher Brisanz und Aktualität mit hoher zeitlicher Konstanz in den letzten Jahrzehnten den berufsbildungspolitischen Diskurs bestimmt haben. Die ungleiche Entwicklung der Zahl der Ausbildungsplätze im dualen System hat zu disparaten Versorgungslagen Jugendlicher am Übergang von der Schule in eine Berufsausbildung geführt, so dass seit den 1990er Jahren eine Lücke zwischen Angebot und Nachfrage nach betrieblichen Ausbildungsplätzen entstanden ist. Diese Lücke wird erst infolge des demografischen Wandels in den nächsten Jahren spürbar abnehmen (drohender Facharbeitermangel). In der Konsequenz ist in der Vergangenheit der Anteil von Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz erhalten haben, da sie spezifische Merkmale wie. z. B. fehlende bzw. unzureichende schulische Abschlüsse oder einen Migrationshintergrund aufweisen, deutlich gestiegen. Die „marktbenachteiligten“ Jugendlichen sind in den letzten Jahren in das sogenannte Übergangssystem eingemündet, was aber hinsichtlich der dort angebotenen Maßnahmen weder Anschlussmöglichkeiten für den Erwerb von anerkannten Berufsbildungsabschlüssen noch einen perspektivenreichen Eintritt ins Erwerbsleben bietet (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006). Infolge der Versorgungsproblematik Jugendlicher besteht zwischen den beteiligten Akteuren seit Jahren erheblicher berufsbildungspolitischer Konfliktstoff über die einzuschlagenden Lösungswege (Beispiel: Finanzierung durch eine Ausbildungsplatzabgabe). Um die Problematik abzumildern, investieren Bund und Länder erhebliche Mittel in spezifische Förderprogramme (z. B. JOBSTARTER, JOBSTARTER CONNECT, Perspektive Berufsabschluss, STARTKLAR! Mit Praxis fit für die Ausbildung (NRW) Kompetenzagen-
Berufsbildungspolitik
turen), um die quantitativen Herausforderungen, die durch das Übergangssystem entstanden sind, abzufedern. Beispielhaft ist dabei auf das Konzept des regionalen Übergangsmanagements zu verweisen, was in kommunaler berufsbildungspolitischer Verantwortung organisiert werden soll. Feststellbar ist, dass das Ausbildungsmodell des dualen Systems in letzter Zeit seine sozial-integrative Funktion zunehmend eingebüßt hat. Zwar bleibt es nach wie vor Referenzsystem der Berufsausbildung, seine quantitativ dominante Rolle hat es aber letztlich durch die massive Expansion Jugendlicher im Übergangssystem verloren. Dennoch bleibt jenseits dieser Probleme festzuhalten, dass das duale System in den letzten 20 Jahren durch viele berufsbildungspolitisch im Konsens formulierte Reformen (institutionell-organisatorisch, finanziell, rechtlich, curricular, didaktischmethodisch, medial etc.) immer wieder renoviert wurde und daher seine erwerbswirtschaftliche Prägekraft für viele Jugendliche behalten hat. Ob tatsächlich ein diagnostizierter „Umbruch der Berufsbildung“ (Baethge/Solga/Wieck 2007) stattfindet, oder das Berufsausbildungssystem seine Anpassungsfähigkeit und Attraktivität auch zukünftig unter Beweis stellen kann, ist gegenwärtig nicht eindeutig zu beantworten. Kritisch zu betrachten bleibt das korporatistisch-staatliche Steuerungssystem mit dem komplexen Geflecht politischer Entscheidungsfindung und Rechtssetzung (Baethge 2006). Im gegebenen System staatlicher Normierung (BBiG als Ordnungsrahmen) und marktwirtschaftlicher Steuerung (Angebot betrieblicher Ausbildungsplätze) haben die Kammern als Körperschaften öffentlichen Rechts und in dieser Funktion als Selbstverwaltungsorgane der Wirtschaft staatliche Hoheitsaufgaben zugewiesen bekommen. In dieser Steuerungstrias von Staat, Wirtschaft und intermediären Akteuren laufen unterschiedliche Interessenlagen und Handlungslogiken zusammen, die berufsbildungspolitisch immer neu ausbalanciert werden müssen. Zudem sind beide Sozialpartner mit ihren jeweiligen Interessen an der auf Konsensfindung verpflichteten B. beteiligt und gestalten die Politiksetzung in 97
Berufsbildungspolitik
unterschiedlichen Gremien und Instanzen mit. Dieses Spannungsverhältnis – vor allem zwischen Staat und Wirtschaft – konstituiert eine systembedingte Schwäche des Berufsbildungssystems. Abstimmungsprobleme zwischen den Ausbildungsinstitutionen bzw. Lernorten, ein zu geringes Angebot an Ausbildungsplätzen, unzureichende Akzeptanz schulischer → Ausbildungsberufe am Arbeitsmarkt sind weitere Themen der berufsbildungspolitischen Debatte. Ein weiteres Handlungsfeld der B. wird gegenwärtig durch die Umsetzung des → Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) und der damit verbunden Einführung des Europäischen Leistungspunktesystem für die Berufsbildung (ECVET) markiert und auch die steuerungspolitische Frage der Umstellung von einer Input- zu einer Outputsteuerung und die damit korrespondierende Betonung beruflicher Kompetenzfeststellung, -messung und -dokumentaion stellen einen paradigmatischen Wechsel in der berufsbildungspolitischen Perspektive dar (Sloane 2008). Im Vergleich zur → beruflichen Ausbildung weist die → berufliche Weiterbildung hingegen keine homogene Systemstruktur in der Rechts- und Organisationsstruktur sowie in den Zielen und Inhalten auf. Dementsprechend vielfältig sind die Bildungsziele und -inhalte, die Adressatenauswahl und -beteiligung, die Bildungseinrichtungen und Träger sowie die Finanzierungsmodalitäten. Für die berufliche Weiterbildung stellt der Anbieterpluralismus, das Prinzip der marktwirtschaftlichen Organisation und Steuerung sowie das → Subsidiaritätsprinzip die konstitutiven Strukturmerkmale dar. Diese Strukturmerkmale bestimmen das beruf bildungspolitische Handeln der Akteure, wobei der Staat weitgehend nur subsidiär auftritt, d. h. ordnungspolitisch wenig öffentliche Verantwortung übernimmt. Beispielhaft hat er von seinem Recht, Fort- und Weiterbildungsregelungen nach § 54 BBiG zu erlassen, nur wenig Gebrauch gemacht und somit eine Ordnungslücke hinterlassen, die durch Kammerregelungen politisch ausgefüllt wurde. In der öffentlichen beruflichen Weiterbildungsförderung nach 98
Berufsbildungspolitik
dem SGB III ist das staatlich-finanzielle Engagement durch die Bundesagentur für Arbeit in den letzten Jahren deutlich reduziert worden. Zwar stellt die Förderung von Arbeitslosen durch berufliche Qualifizierung im Rahmen des SGB III nach wie vor ein wichtiges arbeitsmarkt- und berufsbildungspolitisches Ziel dar, aber das Volumen der Förderung ist erheblich eingeschränkt. Die System- und Steuerungsarchitektur der beruflichen Weiterbildung hat in der Vergangenheit viele stabile Problemfelder geschaffen. Ungleiche Partizipationsmuster in der Bildungsbeteiligung, Zugangsbarrieren zum Lernen (zu Lernorten), unzureichende finanzielle Absicherung während einer Bildungsteilnahme, fehlende einheitliche Qualitätsstandards sowie eine hohe Intransparenz des gesamten Weiterbildungsmarktes kennzeichnen die berufsbildungspolitische Weiterbildungsdebatte seit Jahren. In diesem Zusammenhang wird seit langer Zeit ordnungspolitische Abhilfe durch ein Bundesrahmengesetz gefordert, das bestehende Disparitäten in der Weiterbildung beseitigen soll. Durch besondere Förderprogramme des Bundes flankiert (z. B. das Programm „Lernende Regionen“) sollen im Rahmen regionaler Steuerungsphilosophien über neue Formen der Kooperation (Netzwerke der Akteure) die bestehenden Problemlagen (z. B. durch Bildungsmonitoring identifiziert) mittels einer regionalorientierten B. in Angriff genommen werden. Berufsbildungspolitisch wird zukünftig im Zusammenhang mit dem Postulat des Lebenslangen Lernens und den Initiativen durch die europäische B. die Verknüpfung, Öffnung und Durchlässigkeit zwischen Berufsbildung und Hochschulbildung durch kooperative Studiengänge und Anrechnungsverfahren von beruflichen Kompetenzen weiter an Bedeutung gewinnen. Durch die Anrechenbarkeit beruflicher Kompetenzen auf die Hochschulbildung (Projekt ANKOM) und die Öffnung der Hochschulen für Absolventen aus dem Berufsbildungssystem (KMK-Beschluss 2009) soll als Ergebnis des → Bolognaprozesses die europaweite Mobilität und Flexibilität im Bildungs- und Beschäftigungssystem ge-
Berufsbildungspolitik
fördert werden. Inwiefern sich die vielfältigen Aktivitäten der Studienreform und die Einführung neuer Studienabschlüsse auf das Berufsbildungssystem und seine Politik auswirken, ist derzeit noch offen. Die B. ist zukünftig vor die Aufgabe gestellt, in einem hochdifferenzierten Geflecht von Institutionen, ordnungspolitischen Verankerungen, finanziellen Förderkulissen, curricularen Strukturen, lernorganisatorischen Bedingungen und Zertifikaten einschließlich deren Hierarchisierung vorausschauend zu reagieren bzw. besser noch zu agieren. Literatur: Dobischat, Rolf (2005): Weiterbildung im Konzept des Lebenslangen Lernens. In: Recht der Jugend und des Bildungswesens, Heft 2, S. 156 – 168. Baethge, Martin/Solga, Heike/Wieck, Markus (2007): Berufsbildung im Umbruch. Signale eines überfälligen Auf bruchs. Berlin. Baethge, Martin (2006): Staatliche Berufsbildungspolitik in einem korporatistischen System. In: Weingart, Peter/Taubert, Nils (Hg.): Das Wissensministerium: ein halbes Jahrhundert Forschungs- und Bildungspolitik in Deutschland. Weilerswist, S. 435–469. Innovationskreis berufliche Bildung (Hg.) (2007): 10 Leitlinien zur Modernisierung der beruflichen Bildung – Ergebnisse des Innovationskreis berufliche Bildung. Bonn, Berlin. Konsortium Bildungsberichterstattung (Hg.) (2006): Bildung in Deutschland. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung und Migration. Bielefeld. KMK (2009): Hochschulzugang für beruflich qualifizierte Bewerber ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung. Bonn, Berlin. Sloane, Peter F.E. (2008): Zu den Grundlagen eines Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR): Konzeptionen, Kategorien, Konstruktionsprinzipien. Bielefeld. Prof. Dr. Rolf Dobischat, Duisburg-Essen Berufserkundung die unter berufskundlichem Aspekt durchgeführte → Betriebserkundung. Berufserziehung → Berufspädagogik. Berufsfachschule Schulen mit Vollzeitunterricht von mindestens einjähriger Dauer, deren Besuch
Berufsförderung
keine → Berufsausbildung oder berufliche Tätigkeit voraussetzt. Ihre Absicht ist es, allgemeine und fachliche Kenntnisse und Fertigkeiten sowie Abschlüsse in anerkannten → Ausbildungsberufen zu vermitteln oder aber nur für einen Teil der Berufsausbildung in einem oder mehreren anerkannten Ausbildungsberuf(en) zu qualifizieren beziehungsweise zu einem Berufsausbildungsabschluß zu führen, der nur in Schulen erworben werden kann. B. gibt es in folgenden Fachrichtungen: technischer, kaufmännischer, hauswirtschaftlicher, gewerblicher, sozialpflegerischer. Berufsfeld(er) Zusammenfassung von → Ausbildungsberufen nach gemeinsamen Kenntnissen und Fertigkeiten in insgesamt 18 B.: (1) Landund Forstwirtschaft, Gartenbau; (2) Stein-, Keramik-, Glasherstellung/-bearbeitung; (3) Chemie und Kunststoff; (4) Druck und Papier; (5) Metallerzeugung und -bearbeitung; (6) Installations- und Metallbautechnik; (7) Elektro- und IT-Technik; (8) Bekleidung, Textil und Leder; (9) Ernährung, Gastronomie, Gastgewerbe; (10) Bautechnik; (11) Holztechnik; (12) Chemie, Physik und Biologie; (13) Verkehr, Transport und Lagerung; (14) Waren- und Dienstleistungskaufleute; (15) Büro und Verwaltung; (16) Medien- und künstlerische Berufe; (17) Gesundheit, Körperpflege, Reinigung; (18) sonstige Berufe. Die gemeinsamen Grundlagen der in einem B. zusammengefaßten Ausbildungsberufe, sollen den → Auszubildenden (später) eine größere berufliche Flexibilität ermöglichen. Berufsfreiheit das nach Art. 2 und 12 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) jedermann garantierte Recht, → Beruf, → Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG). Berufsförderung 1. Rentenversicherung: Regelleistungen der → gesetzlichen Rentenversicherung in Form von Ermessensleistungen. Sie sind Teil der Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und 99
Berufsförderung
Wiederherstellung der → Erwerbsfähigkeit sowie zur Ausbildung und Umschulung. Hilfe zur Erhaltung oder Erlangung einer Arbeitsstelle. 2. Unfallversicherung: Leistungen der → gesetzlichen Unfallversicherung nach Eintritt eines Arbeitsunfalles zur Wiederaufnahme des früheren Berufes oder zur Ausübung eines anderen. Hilfe zur Erhaltung oder Erlangung einer Arbeitsstelle. 3. Nach dem SGB III – Arbeitsförderung – ist B. → Berufsbildungsförderung, die nach Vorliegen bestimmter Voraussetzungen in folgenden Formen möglich ist: (1) Förderung der beruflichen Erstausbildung, (2) Förderung der beruflichen Fortbildung, (3) Förderung der beruflichen Umschulung. 4. Nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) ist B. → Ausbildungsförderung für den Besuch von: (1) weiterführenden allgemeinbildenden Schulen und → Fachoberschulen, (2) Abendhauptschulen, → Berufsauf bauschulen, Abendrealschulen, Abendgymnasien und Kollegs, (3) → Berufsfachschulen einschließlich der Klassen aller Formen der beruflichen Grundbildung sowie → Fachschulen, (4) Höhere Fachschulen und Akademien und (5) Hochschulen. Anspruch auf Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz hat grundsätzlich jeder, der eine seiner Neigung, Eignung und Leistungsfähigkeit entsprechende Ausbildung nicht selbst (beziehungsweise mit Hilfe seiner Eltern oder seines Ehepartners) finanzieren kann. Schüler an weiterführenden allgemeinbildenden Schulen, an Berufsfachschulen (10. Klasse) und an Fach- und Fachoberschulen (ohne abgeschlossene Berufsausbildung) erhalten entsprechende finanzielle Zuwendungen (→ BAföG-Mittel) nur dann, wenn sie wegen ihrer Ausbildung nicht bei ihren Eltern wohnen können. Dagegen sind alle übrigen Schüler und Studenten prinzipiell auch dann BAföG-berechtigt, wenn sie bei ihren Eltern wohnen. Die Höhe des zur Finanzierung des Lebensunterhaltes und der Ausbildungskosten bereitgestellten Förderungsbetrages richtet sich nach den persönlichen Lebensverhältnissen der Schüler/Studenten (beziehungsweise ihrer Familien) und nach dem Ausbildungsweg; sie hängt außerdem davon ab, ob der Förderungsbedürftige bei seinen 100
Berufsgrundbildung
Eltern wohnt oder einen eigenen Haushalt hat. Bei niedrigem Familieneinkommen wird der vom Gesetzgeber angenommene Bedarfssatz voll durch die Ausbildungsförderung abgedeckt. Ausbildungsförderung wird als nichtverzinsliches Darlehen und als Zuschuß geleistet (§§ 17 ff. BAföG). Auch Junghandwerker, die die Meisterprüfung anstreben, können eine entsprechende Förderung (Meister-BAföG) beantragen. Berufsgenossenschaft Träger der → gesetzlichen Unfallversicherung als Zweig der → Sozialversicherung. Verbände mit Zwangsmitgliedschaft für die → Unternehmen, die ihren Sitz im örtlichen Zuständigkeitsbereich haben und deren Tätigkeit sachlich der jeweiligen B. zugeordnet werden kann. Die Leistungen der B. werden ausschließlich über Mitgliedsbeiträge finanziert. Berufsgrundbildung Die Idee der B. ist nicht neu. So waren beispielsweise in den Realschulplänen und Industrieschulentwürfen des 18. Jahrhunderts, in den Reformvorhaben der Philanthropen, in den Vorstellungen des Deutschen Ausschusses für Technisches Schulwesen (DATSCH) sowie in Schulprojekten der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts Elemente beruflicher Grundlagenbildung vorhanden. Bei allen Unterschieden in der curricularen Konkretisierung und organisatorischen Planung ging es darum, den Übergang von der Schule in das Berufsleben zu erleichtern. Elemente der beruflichen Grundbildung im weiteren Sinne lassen sich heute in den verschiedenen Schulstufen und -arten finden. Berufliche Grundbildung im engen Sinne meint das → „Berufsgrundbildungsjahr“ (BGJ), das neben dem „Berufsvorbereitungsjahr“ und den „Berufsfachschulen“ zu der schulischen Berufsausbildung gehört. In Westdeutschland hat der Rückgang der Ausbildungsplatzangebote, die steigende Jugendarbeitslosigkeit sowie die unzureichende → Berufswahlreife der Jugendlichen bzw. die fehlende Vorbereitung auf die steigenden Anforderungen der Arbeitswelt zum Berufsgrundbildungsjahr geführt. In der früheren DDR wurde der polytechni-
Berufsgrundbildung
sche Unterricht als Vorleistung für die berufliche Arbeit gesehen. Im Anschluß an die Diskussion um die Stufengliederung der beruflichen Erstausbildung wurde im bundesdeutschen Berufsbildungsgesetz (BBiG) von 1969 die Forderung nach einer breiten beruflichen Grundbildung erhoben. Die Kultusministerkonferenz (KMK) empfahl dann am 6. 9. 1973 mit einer Rahmenvereinbarung über das Berufsgrundbildungsjahr den Ländern, es schrittweise als erstes Jahr einer gestuften → Ausbildung einzuführen. Das schulische Berufsgrundbildungsjahr zielt darauf ab, auf der Breite eines → Berufsfeldes (z. B. Metalltechnik, Elektrotechnik oder Wirtschaft u. Verwaltung) Kenntnisse, Einsichten und Fertigkeiten zu vermitteln, die als Grundqualifikation für mehrere Ausbildungsberufe gleicher Fachrichtung angesehen werden. Der Unterricht wird in Vollzeitform durchgeführt. Die Zielvorstellungen und Einführungsgründe lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die frühe → Berufswahl stellt sich des öfteren alsFehlentscheidung heraus, die nur schwer zu korrigieren ist; deshalb ist daran gedacht, die Wahl hinauszuschieben bzw. zu stufen, um zu einer begründeteren Entscheidung des Jugendlichen zu gelangen. Damit wird eine Erhöhung der Mobilität und Verfügbarkeit erwartet, die insbesondere durch die Vermittlung polyvalenter Fertigkeiten und Kenntnisse, auch extrafunktionale Qualifikationen oder → Schlüsselqualifikationen genannt, erreicht werden sollen. Auch sollen Voraussetzungen für die Erlangung weiterführender Abschlüsse geschaffen bzw. erst einmal die Motivation zum Erwerb zusätzlicher Qualifikationen geweckt werden. Weitere bildungspolitische Ziele sind: (1) höhere berufliche Flexibilität für einen längeren Zeitraum durch entspezialisierte Ausbildung in einem Berufsfeld; (2) Aufwertung beruflicher Bildung durch die Verbindung von allgemeinem und beruflichem Lernen sowie durch qualitative Verbesserung z. B. über die exakte Abstimmung von theoretischen und praktischen Berufsbildungsinhalten; (3) → Berufswahl auf einer erweiterten Informationsgrundlage; (4) Sicherung einer Minimalausbildung für arbeitslose oder angelernte Jugendliche.
Berufsgrundbildung
Die im Bereich der beruflichen Grundkenntnisse auf Berufsfeldebene verbreiterte Ausbildung erleichtert die Anpassung der Ausgebildeten an die Beschäftigungsmöglichkeiten sowohl beim Erwerbsbeginn als auch im weiteren Berufsleben. – Auch regionalpolitisch können mit dem schulischen Berufsgrundbildungsjahr positive Effekte ausgelöst werden. Unmittelbaren Einfluß auf die Wirtschaft bzw. den Arbeitsmarkt einer Region kann vom Berufsgrundbildungsjahr erwartet werden wegen (1) der finanziellen Entlastung der Betriebe von den unprofitablen Grundausbildungskosten, (2) des quantitativen Erweiterungseffektes auf die Anzahl der Ausbildungsplätze infolge der mit dem Berufsgrundbildungsjahr freigestellten betrieblichen Ausbildungskapazitäten, (3) der Nachfrage nach Investitionsund Verbrauchsgütern bei der Einrichtung und bei Betrieb des Berufsgrundbildungsjahres und (4) der Bereitstellung von zusätzlichen Arbeitsplätzen in der Institution Berufsgrundbildungsjahr. Formale Aufnahmevoraussetzungen für das Berufsgrundbildungsjahr ist die Erfüllung der neunjährigen Vollzeitschulpflicht; in Ausnahmefällen können auch Jugendliche ohne Hauptschulabschluß zugelassen werden. Die Schülerzahlen im BGJ sinken seit 2004. Nach den Daten des Statistischen Bundesamtes und Berechnungen des → Bundesinstituts für Berufsbildung (BiBB) befanden sich im Schuljahr 2009/2010 34.300 Jugendliche im Berufsgrundbildungsjahr. Gegenüber dem Vorjahr (44.400) bedeutet das einen erheblichen Rückgang um 22,6 %. Knapp zwei von drei Schülern (63 %) waren männlich. 7 von 10 Teilnehmern besaßen einen Hauptschulabschluss, 14 % einen mittleren Bildungsabschluss. Nur jeder neunte Jugendliche hatte noch keinen allgemeinen Schulabschluss erworben. Der Ausländeranteil erhöhte sich um 3 Prozentpunkte und betrug 15,4 %. Die höchsten Schülerzahlen wiesen die Berufsfelder Metalltechnik (7.000), Ernährung und Hauswirtschaft (5.900), Wirtschaft und Verwaltung (5.400) und Holztechnik (4.600) auf. Insgesamt 24.000 BGJ-Absolventen/Absolventinnen des Schuljahres 2008/2009 hat101
Berufsgrundbildung
Berufskrankheiten
ten eine Abschlussprüfung bestanden. Darunter befanden sich 4.054 Jugendliche, die noch einen Hauptschulabschluss nachholen konnten, und 4.066 Schüler/-innen, die auf diesem Weg einen mittleren Bildungsabschluss erwarben. Das schulische BGJ wurde im Schuljahr 2009/2010 in 9 Bundesländern angeboten. Kein BGJ gab es wie im Vorjahr in Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Thüringen. Nicht mehr angeboten wird das BGJ zudem in Bremen und Niedersachsen, wo im Vorjahr noch fast 10.000 Schüler/-innen gemeldet wurden. Auch in den meisten verbliebenen Ländern waren zum Teil deutliche Rückgänge der Schülerzahlen gegenüber dem vorhergehenden Schuljahr zu verzeichnen, beispielsweise in Sachsen-Anhalt (− 31,1 %) und Hessen (− 17,4 %). Einzig in Nordrhein-Westfalen – aktuell stammen 2 von 3 Schülern des schulischen BGJ aus diesem Land – stiegen die Schülerzahlen nochmals um 3,9 %. Wie sich das Berufsgrundbildungsjahr entwickeln wird, ist schwierig einzuschätzen. Es wird vermutet, daß länderspezifische Regelungen, aber auch die abnehmende Bereitschaft der Betriebe, anschließend entsprechende Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, mitverantwortlich für den Rückgang sind. Vor allem bei Ausbildungsberufen mit höheren Anforderungen scheint die restliche Zeit zu knapp zu sein, den durch die Ausbildungsverordnung bestimmten Umfang erfolgreich zu vermitteln. Das schulische Berufsgrundbildungsjahr wird auch deshalb kritisiert, weil mangels sachlicher Ausstattung der fachpraktische Teil nicht zeitgemäß verwirklicht werden kann. Bei Berufsfeldern mit vielen und heterogenen Ausbildungsberufen ergeben sich Probleme dahingehend, daß die zu berücksichtigenden Lerngegenstände, die alle Ausbildungsberufe betreffen, auf einer so hohen Abstraktionsebene liegen müssen, daß der Gewinn für die Anforderungen der einzelnen Ausbildungsberufe recht gering bleibt. Dr. Gottfried Feig, Kassel 102
Berufsgrundbildungsjahr (BGJ) ist von der Absicht getragen, allgemeine (berufsfeldübergreifende) und berufsfeldbezogene fachtheoretische und fachpraktische Lerninhalte als → berufliche Grundbildung zu vermitteln. Das B. ist jeweils für die einem bestimmten → Berufsfeld zugeordneten → Ausbildungsberufe als erstes Ausbildungsjahr konzipiert; es dient damit als Grundlage einer anschließend darauf aufbauenden beruflichen Fachbildung (Spezialisierung). Das B. steht Jugendlichen offen, die mindestens einer neunjährigen Vollzeitschulpflicht genügt haben; sie müssen sich mit ihrem Eintritt für ein bestimmtes Berufsfeld entscheiden. Das B. wird in rein schulischer Form wie auch in kooperativer (dualer) Form angeboten. Bei der letzteren wird der Bildungsstoff in Zusammenarbeit von Schule und Ausbildungsbetrieb vermittelt; die Schüler gelten als → Auszubildende im Sinne des Berufsbildungsgesetzes und erhalten eine → Ausbildungsvergütung. Berufskolleg Vollzeitschulen, die anstelle von → Fachoberschulen eingerichtet wurden. B. bauen auf einem mittleren Bildungsstand (Jahrgangsstufe 10) auf. Sie vertiefen in den Jahrgangsstufen 11 (B. I) und 12 (B. II) die Allgemeinbildung und vermitteln die für qualifizierte berufliche Tätigkeiten in verschiedenen Fachrichtungen erforderlichen fachtheoretischen Kenntnisse. Der Abschluß des B. I ermöglicht den Eintritt in das Berufsleben, in ein verkürztes → Berufsausbildungsverhältnis oder unter bestimmten Voraussetzungen (Notendurchschnitt!) in das B. II. Der Abschluß des B. II eröffnet zusätzlich zu den Möglichkeiten des Abschlusses B. I den Eintritt in → Fachschulen und über den zusätzlichen Erwerb der Fachhochschulreife in → Fachhochschulen. Berufskrankheiten durch Rechtsverordnung festgestellte Krankheiten, die nach dem Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft mit der Ausübung eines bestimmten Berufes/einer bestimmten Arbeit in Zusammenhang stehen.
Berufsorientierung
Berufsorientierung ⇒ Berufswahlvorbereitung 1. Den (örtlichen) → Agenturen für Arbeit zur Vorbereitung der Jugendlichen und Erwachsenen auf die → Berufswahl sowie zur Unterrichtung von Ausbildungssuchenden, Arbeitssuchenden, → Arbeitnehmern und → Arbeitgebern nach § 33 SGB III zugeordnete Aufgabe. – In Wahrnehmung dieser (Aufgabe) sollen diese (Agenturen für Arbeit) über Fragen der Berufswahl, über die → Berufe und ihre Anforderungen und Aussichten, über Wege und Förderung der → beruflichen Bildung sowie über bedeutsame Entwicklungen in den Betrieben, Verwaltungen und auf dem Arbeitsmarkt umfassend unterrichten. – Die Agenturen für Arbeit können Schüler allgemeinbildender Schulen durch vertiefte B./Berufswahlvorbereitung fördern (B.-maßnahmen). Diese Maßnahmen können bis zu vier Wochen dauern und sollen regelmäßig in der unterrichtsfreien Zeit durchgeführt werden. Voraussetzung hierfür ist, daß sich Dritte (z. B. die → EU über ihren Sozialfonds) mit mindestens 50 Prozent an den Kosten der Förderung beteiligen. 2. Die von den allgemeinbildenden Schulen schulartspezifisch wahrgenommene Aufgabe, die Schüler über den Erwerb von Berufswahlkompetenz zur → Berufswahlreife zu führen. Dieser Absicht wird in den einzelnen Bundesländern in unterschiedlicher Weise Rechnung getragen. In Baden-Württemberg beispielsweise an Hauptschulen durch die Lehrplaneinheit „Orientierung in Berufsfeldern“ (OiB), an Realschulen durch das „Berufsorientierungsprogramm“ (BORS) und an Gymnasien durch das Konzept „Berufsund Studienorientierung (BOGY). In Wahrnehmung dieses Bildungsauftrages kooperieren die Schulen mit den (örtlichen) Agenturen für Arbeit. Unter www.planet-beruf.de bietet die → Bundesagentur für Arbeit einen „Fahrplan“ für die B. mit entsprechenden Handreichungen.
Berufspädagogik
Berufspädagogik Wissenschaftsobjekt: Die B. als Spezialdisziplin der Erziehungswissenschaft widmet sich der Beschreibung, Deutung, Erklärung, Kritik, Normierung und Gestaltung beruflicher und berufsrelevanter Bildungs-, Qualifizierungs- und Sozialisationsprozesse ohne Besonderung auf bestimmte Lernorte und unter Einschluß aller Altersstufen. Die Zuordnung der B. zu den Erziehungswissenschaften ist nicht selbstverständlich. Zum einen hat die Disziplin über Jahrzehnte um die Anerkennung des → Berufes als pädagogische Kategorie gerungen, zum anderen könnte die Vielheit der Berufe auch eine Anbindung an die Fachwissenschaften oder jeweiligen beruflichen Kunstlehren und damit eine Auflösung des berufspädagogischen Fragezusammenhanges in unverbundene berufsspezifische Fachdidaktiken nahelegen. In der Positionierung der B. innerhalb der Pädagogik kommt daher auch ihr spezifisches Erkenntnisinteresse zum Ausdruck. In Abgrenzung zu Disziplinen mit überlappenden Objektbereichen (z. B. → Betriebswirtschaftslehre, Sozialisationsforschung, Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Berufssoziologie) nimmt die B. eine konsequent pädagogische Perspektive ein. Konstitutiv sind die Rückbindung an den Bildungsbegriff und der Personalaspekt; berufspädagogische Erkenntnis zielt auf die gedeihliche Entwicklung des Subjekts und kann berufliche Handlungsfähigkeit nicht von sozialer und humaner Kompetenz separieren. Uneinheitlich ist die Abgrenzung der B. zur → Wirtschaftspädagogik. Die aus der Handelslehrerbildung entstandene Wirtschaftspädagogik konzentrierte sich ursprünglich auf kaufmännisch-verwaltende Berufe, die B., die sich in den 1920er Jahren aus der Gewerbelehrerausbildung entwikkelt hat, auf gewerblich-technische, hauswirtschaftlich-pflegerisch-sozialpädagogische und landwirtschaftlich-bergbauliche Berufe. Betrachtet man die Wirtschaftspädagogik als Disziplin, die das Verhältnis von → Wirtschaft und Erziehung umfassend thematisiert und neben der Berufserziehung auch die allgemeine Wirtschaftserziehung 103
Berufspädagogik
einschließt, wäre die B. Teilgebiet der Wirtschaftspädagogik (so bei Dörschel 1974, Pleiss 1986). Häufig wird – auch eingedenk dessen, daß berufs- und wirtschaftserzieherisches Denken disziplingeschichtlich immer eng verschränkt waren (vgl. Schneider 1984) – auf eine klare Grenzziehung zwischen der B. und der Wirtschaftspädagogik jedoch verzichtet und von „Berufs- und Wirtschaftspädagogik“ gesprochen (vgl. etwa die Bezeichnung der führenden Fachzeitschrift als „Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik“). Unter Lernortperspektiven läßt sich die Berufsschulpädagogik von der → Betriebspädagogik, die vielfach auch als selbständige Disziplin betrachtet wird, unterscheiden. Forschungsbereiche: Zu den vordringlichen Aufgaben der Allgemeinen B. zählt neben der metatheoretischen Selbstvergewisserung und der Analyse des gesellschaftlichen Bedingungsrahmens der Berufserziehung die Reflexion der anthropologischen Bedeutsamkeit des Berufes und seiner Bildungsbedeutsamkeit, wie sie für die Frühphase der Entwicklung der Disziplin besonders kennzeichnend war (vgl. Schneider 1984; Stratmann 1979) und angesichts der Entwicklungsdynamik unserer Gesellschaft immer wieder neu zu bewältigen ist. Die Auflösung des Organisationsmusters Beruf in modernen Gesellschaften erweist sich dabei zunehmend als Identitätsbedrohung für die B. Wertvolle Einsichten gewinnt die B. aus der Analyse berufserziehlichen Handelns im internationalen (Vergleichende B.) und im Zeitvergleich (Historische B.). In enger Zusammenarbeit v. a. mit der Curriculumforschung und den Fach- und Bereichsdidaktiken und unter Zuhilfenahme von Erkenntnissen aus Berufsbildungstheorie und → Qualifikationsforschung ist die B. um die Bestimmung und Präzisierung der Ziele berufserziehlichen Handelns bemüht. Im Rückgriff u. a. auf Befunde aus der Didaktik und der Pädagogischen Psychologie trifft die B. technologische Aussagen zur Erreichung dieser Ziele und versucht insbesondere Fragen nach dem geeigneten Lernort, den geeigneten Lerngegenständen und den anzuwendenden Verfahrensweisen auf 104
Berufspädagogik
institutioneller, curricularer und unterrichtlicher Ebene zu beantworten. Vorgelagert hat sie zu diesem Zweck auf empirischanalytischem Wege die korrespondierenden Erklärungsaufgaben zu lösen; insbesondere werden Zusammenhänge zwischen den individuellen und gesellschaftlichen Bedingungen und den Ergebnissen beruflicher Lernprozesse analysiert. All diesen Aufgaben geht die B. auf der Makroebene der Berufsbildungssysteme, auf der Mesoebene beruflicher Bildungseinrichtungen und -gänge und v.a. auf der Mikroebene konkreter beruflicher Lernprozesse nach. Neben der intentionalen Berufserziehung interessieren Fragen der Sozialisation in Beruf und → Betrieb. Der B. geht es dabei v. a. um die Identifikation förderlicher, hemmender oder didaktisch irritierender funktionaler Einflüsse auf die Persönlichkeitsentfaltung, um die Aufklärung des Zusammenhanges von Arbeitserfahrungen und Persönlichkeitsentwicklung und damit auch um die → Humanisierung von Arbeit und Beruf. Mehr und mehr rückt auch der Problemkreis des informellen Lernens in das Blickfeld der Disziplin. Das berufspädagogische Interesse umfaßt alle Stufen der Berufserziehung: Vorberufliche → Bildung und Berufsfindung (z. B. Grundlegung extrafunktionaler → Qualifikationen in allgemeinbildenden Schulen, Sicherung der Berufsausbildungsfähigkeit, → Berufswahlunterricht), berufliche Erstausbildung in Schule und Betrieb (z. B. berufliche Grundbildung, didaktische Reichweite verschiedener Lernorte, duales System, Methodik der betrieblichen Unterweisung, Pädagogisierung von Arbeitsplätzen, Didaktik und Methodik des Unterrichts in beruflichen Vollzeitschulen), berufliche Erwachsenen- bzw. → Weiterbildung (Fortbildung, Umschulung) und berufliche Sonderbildung (z. B. Rehabilitation, Resozialisation). Methoden und Positionen: Für die Untersuchung berufspädagogischer Sachverhalte wendet die B. geisteswissenschaftliche (Hermeneutik, Dialektik, Phänomenologie), erfahrungswissenschaftliche (Befragung, Beobachtung, Experiment, Test, Inhalts-
Berufspädagogik
analyse, Soziometrie) und integrative Methoden an. Als überwunden gelten heute die spekulativ-essentialistischen Konzeptionen aus der Gründerzeit der Disziplin. Unterschiedliche wissenschaftstheoretische, gesellschaftspolitische und forschungsmethodische Standpunkte der Fachvertreter äußerten sich lange Zeit hindurch im Ringen um eine empirisch-analytische oder emanzipatorische Ausrichtung der B. (Stratmann 1979). Strittig ist weiterhin die Frage, ob, inwieweit und in welcher Weise die Zielgewinnung zu den Aufgaben einer wissenschaftlichen B. zu zählen ist. Literatur: Arnold, R., Gonon, P.: Einführung in die Berufspädagogik. Opladen 2006. Dörschel, A.: Einführung in die Wirtschaftspädagogik. 4. Aufl., München 1974; Hentke, R.: Zur Wissenschaftssystematik der Berufsund Wirtschaftspädagogik. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik 1982, S. 17 ff.; Huisinga, R./Lisop, I.: Wirtschaftspädagogik. München 1999; Pleiss, U.: Berufs- und Wirtschaftspädagogik als wissenschaftliche Disziplin. In: Arbeits-, Berufs- und Wirtschaftspädagogik im Übergang. Hg. v. R. Lassahn u. B. Offenbach. Frankfurt u. a. 1986, S. 79 ff.; Rauner, F. (Hg.): Handbuch Berufsbildungsforschung. Bielefeld 2005; Rebmann, K., Tenfelde, W., Uhe, E.: Berufs- und Wirtschaftspädagogik. 3. Aufl. Wiesbaden 2005. Schelten, A.: Einführung in die Berufspädagogik. 3. Aufl., Stuttgart 2004; Schelten, A.: Begriffe und Konzepte der berufspädagogischen Fachsprache. 2. Aufl. Stuttgart 2009. Schmiel, M./ Sommer, K.-H.: Lehrbuch Berufs- und Wirtschaftspädagogik. 2. Aufl. München 1992; Schneider, G.: Selbstverständnis und Strukturen der Wirtschaftspädagogik. Frankfurt 1984. Sloane, P./Twardy, M./Buschfeld, D.: Einführung in die Wirtschaftspädagogik. 2. Aufl. Paderborn 2004; Stratmann, K.: Berufs- und Wirtschaftspädagogik. In: Die Handlungs- und Forschungsfelder der Pädagogik (Differentielle Pädagogik). Hg. v. H.-H. Groothoff. Königstein 1979, S. 285 ff. Stratmann, K./Bartel, W. (Hg.): Berufspädagogik. Ansätze zu ihrer Grundlegung und Differenzierung. Köln 1975. Prof. Dr. Georg Hans Neuweg, Linz
Berufs- und Qualifikationswandel
Berufspraktikum das unter berufskundlichem Aspekt durchgeführte → Betriebspraktikum. Berufsqualifikationen, Anerkennung → Berufsanerkennung. Berufsschulen Schulen für Berufsschulpflichtige (→ Berufsschulpflicht) und Berufsschulberechtigte, die sich in einer beruflichen (Erst-) Ausbildung (→ Berufsausbildung) befinden oder in einem → Arbeitsverhältnis stehen. Sie haben ihren Schülern allgemeine und fachliche Lerninhalte unter besonderer Berücksichtigung der Anforderungen der jeweiligen Berufsausbildung zu vermitteln. Der Unterricht wird als Teilzeitunterricht an einem oder mehreren Wochentagen oder in zusammenhängenden Teilabschnitten als Blockunterricht abgehalten; er steht in enger Beziehung zur betrieblichen und gegebenenfalls auch zur überbetrieblichen Ausbildung. Im Rahmen einer in Grundund Fachschule gegliederten Berufsausbildung kann die Grundstufe als → Berufsgrundbildungsjahr mit ganzjährigem Vollzeitunterricht oder im → dualen System in Zusammenarbeit von Schule und Betrieb absolviert werden. Die B. ist nach Fachrichtungen gegliedert: (1) Berg-B., (2) gewerblich-technische B., (3) gewerblichhauswirtschaftliche B., (4) kaufmännische B. und (5) landwirtschaftliche B. Berufsschulpflicht beginnt mit Beendigung der Vollzeitschulpflicht und ist durch Landesgesetze geregelt. Sie dauert je nach Bundesland bis zum Ende einer vor dem 18. beziehungsweise 21. Lebensjahr begonnenen → Ausbildung. Sie endet in der Regel mit dem Ende des Schuljahres, in dem der Schüler das 18. Lebensjahr vollendet oder mit der Beendigung des bestehenden → Berufsausbildungsverhältnisses. Die B. entfällt unter anderem für die Zeitdauer des Besuches einer allgemeinbildenden oder beruflichen Vollzeitschule. Berufs- und Qualifikationswandel Unter der Struktur der → Berufe versteht man ein gegliedertes und differenziertes System von gesellschaftlich normierten Be105
Berufs- und Qualifikationswandel
rufen (z. B. → Ausbildungsordnungen nach dem → BBiG), die als funktionsbezogene, überbetriebliche Tätigkeitsbündel (→ Qualifikationen) in Form von Tauschmustern am → Arbeitsmarkt wirken und eine Verständigungsbasis zu individuell erworbener → Kompetenz und sozialem Status darstellen. Die Klassifikation der Berufe erfolgt tätigkeitsbezogen, wobei horizontal nach inhaltlichen Fachkompetenzbündeln und vertikal nach Anforderungsniveaus differenziert wird. Unter der Qualifikationsstruktur versteht man ein in sich differenziertes, vertikal geschichtetes Gesamtbündel des arbeitsbezogenen individuellen Handlungsvermögens zur Gewährleistung der materiellen gesellschaftlichen Reproduktion. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung über Wandlungsprozesse in den Berufs- und Qualifikationsstrukturen wurde bereits in den 1960er Jahren aufgenommen. Im Zentrum von arbeits- und industriesoziologischen Forschungen standen Fragen, die einen linearen Zusammenhang zwischen Technisierung und betrieblicher → Rationalisierung und dem → Qualifikationswandel thematisierten, wobei der technisch-organisatorische Einsatz als zentrale Determinante für die Entwicklung des Qualifikationsniveaus galt. In der Phase der Bildungsexpansion rückten Aspekte der Qualifikationsnachfrage im Beschäftigungssystem als weiterer Faktor für die Gestaltung von Bildungsgängen und die „Produktion“ formaler Bildungsabschlüsse in den Vordergrund des wissenschaftlichen wie auch des politischen Diskurses. Um Abstimmungsprozesse und Unstimmigkeiten zwischen Bildungsabschlüssen und deren Absorption im Beschäftigungssystem zu minimieren, wurden Prognosemodelle für die staatliche → Bildungsplanung entwikkelt, deren Aufgabe es war, Disparitäten zwischen Qualifikationsangebot und -nachfrage durch prospektive staatliche Bedarfssteuerung und Regulierung zu vermeiden. Differenziert werden kann zwischen dem Arbeitskräftebedarfsansatz (→ ManpowerRequirement-Approach) und dem Ansatz der sozialen Nachfrage (Social-DemandApproach). Während der Arbeitskräftebe106
Berufs- und Qualifikationswandel
darfsansatz die Bestimmung eines Bedarfs an Bildungsabschlüssen anhand der vorhandenen Berufsstruktur unter Einbeziehung prognostizierter ökonomischer Entwicklungskorridore vornimmt, stellt der Ansatz der sozialen Nachfrage auf individuelle Bildungsbedürfnisse ab. Dem Beschäftigungssystem wird eine ausreichende Elastizität unterstellt, das Angebot an Bildungsabschlüssen zu absorbieren. Beide Ansätze gerieten aufgrund ihrer Realitätsferne und ihres Abstraktionsniveaus jedoch unter erhebliche Kritik, da sie u. a. die vertikalen und horizontalen Austauschprozesse im Beschäftigungssystem weitgehend ausklammerten. Als Reflex auf das Scheitern der Bedarfsprognostik wurden zu Beginn der 1970er Jahre durch die arbeits- und berufssoziologische → Qualifikationsforschung Konzepte entwickelt, die die differenzierten Zusammenhänge von → Bildung und → Beschäftigung tiefer gehend analysierten. Mit dem Flexibilitätsansatz wurden z. B. die Substitutionspotentiale der Arbeitsplätze und die Mobilitätsmöglichkeiten der Arbeitskräfte unter dem Gesichtspunkt bestehender Elastizitäten zwischen Bildung und Beschäftigung ausgelotet. Der berufssoziologische Ansatz thematisiert die berufliche Organisation von → Ausbildung und Arbeit in ihrer weitgehend starren Verkoppelung von Bildungsgängen einerseits und Berufstätigkeit anderseits als Ursache von Abstimmungsproblemen. Fasst man die Ergebnisse der Qualifikationsdebatte in den 1960er und 1970er Jahren zusammen, so bleibt festzuhalten, dass sich die Debatte eng an den Technikeinsatz im Rahmen betrieblicher (tayloristisch-fordistischer) Rationalisierung und → Arbeitsteilung anlehnte und der Qualifikationsbegriff vorwiegend in einer funktionalen, arbeitsplatzbezogenen Verwertung (Kenntnisse, Fertigkeiten) gesehen wurde. Die voranschreitende Technisierung und Arbeitsteilung wurde in dieser Periode als maßgeblicher Treiber eines durch Polarisierung mit steigender Dequalifizierung gekennzeichneten Qualifikationswandels gewertet, in dem qualifizierte Facharbeit weitestgehend in (ad-
Berufs- und Qualifikationswandel
ministrative) Randbereiche verdrängt und durch Anlerntätigkeiten substituiert wird. Die Relevanz des Erwerbs extrafunktionaler (prozessunabhängiger) Qualifikationen bzw. → „Schlüsselqualifikationen“ als Merkmal einer „subjektiven Dimension“ in der Arbeit (Eröffnung von Gestaltungs- und Handlungsspielräumen) geriet aber zunehmend ins Blickfeld der Diskussion und fand im Konzept der breit rezipierten Schlüsselqualifikationen (Mertens 1974) seinen Niederschlag. Der beschleunigte Strukturwandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft und die rasante Implementation neuer Informations- und Kommunikationstechniken ab den 1980er Jahren führte zu veränderten betrieblichen Rationalisierungsmustern. Mit dem Titel „Das Ende der Arbeitsteilung?“ (Kern/Schumann 1984) wurde der Bedeutungszuwachs der individuellen Qualifikationsausstattung als Faktor ökonomischer Wettbewerbsfähigkeit herausgehoben und eine Trendwende im Diskurs mit dem Ziel von beschäftigungspolitischer „Höherqualifizierung“ eingeleitet. Unter der Annahme einer zunehmenden Enttaylorisierung und Flexibilisierung der → Arbeitsorganisation wird ein Wandel von der funktionsorientierten beruflich-strukturierten Arbeitsorganisation hin zu prozessorientierten, flexibel auf Kundenbedürfnisse angepassten Arbeitsstrukturen konstatiert. Betriebliche Rationalisierung erfolgt nicht nur punktuell in einzelnen Funktionsbereichen, sondern findet nunmehr Ausdruck in einer Umstrukturierung der gesamten → Auf bau- und → Ablauforganisation. Prozessorientierung bedingt eine Erweiterung der beruflichen Qualifikationsanforderungen im Sinne einer Bedeutungszunahme von funktionsbereichsübergreifenden Handlungs- und Prozesskompetenzen (Schlüsselqualifikationen). Neue Formen der Arbeitsorganisation setzen in ihrem Kern zum einen auf die Steigerung der Qualität von Arbeitsprodukt und Arbeitsprozess, zum anderen auf eine engere Vernetzung von Informationsflüssen und Arbeitsabläufen sowohl innerhalb von Arbeitsgruppen als auch im Zusammenspiel von betrieblichen Funktionsbereichen. Die
Berufs- und Qualifikationswandel
Reorganisation betrieblicher Abläufe geht mit größeren Autonomiespielräumen in der Arbeitserledigung und einer Entspezialisierung der Berufsprofile einher. Die anhaltende Richtungsdebatte zur Berufs- und Qualifikationsentwicklung hat in den letzten Jahren an Intensität zugenommen und vielfältige berufsbildungspolitische Reformen ausgelöst. So hat sich z. B. die Zahl neuer bzw. modernisierter Berufe als Ausdruck des B. seit den 1990er Jahren erheblich erhöht. Infolge der steigenden Anforderungen an das individuelle Kompetenz- und Qualifikationsniveau ist eine Verschärfung der Selektion im Bildungssystem sichtbar geworden. So erweist sich besonders die Übergangspassage Jugendlicher von der Schule in den Beruf für besondere Problemgruppen als Nadelöhr und Sackgasse. Dies ist vor dem Hintergrund vorliegender Prognosen bedenklich, denen zufolge der Bedarf an Hochqualifizierten bis zum Jahr 2020 ansteigt, während geringer qualifizierte Arbeitskräfte erhebliche Arbeitsmarktprobleme haben werden. Als eine weitere Reaktion auf den konstatierten Zuwachs individueller Autonomiespielräume im Arbeitsvollzug ist die individuelle → Employability zu einer zentralen Referenzkategorie in der → Beschäftigungsund → Arbeitsmarktpolitik geworden. Oftmals übersetzt mit Beschäftigungsfähigkeit betont dieser Ansatz die subjektive → Eigenverantwortung für die Aufnahme, den Erhalt und den Wechsel einer Beschäftigung, was den Erwerb fachlicher Qualifikationen einerseits und die permanente individuelle Bereitschaft zur kontinuierlichen Anpassung an aktuelle ökonomische Erfordernisse andererseits impliziert. In diesem Kontext hat auch der Kompetenzbegriff als individuelles Sammelbecken berufsfachlicher und sozialer Dispositionen einen Bedeutungsaufschwung erhalten, indem er u. a. auch die arbeitsmarktbezogene Funktion formal erworbener Zertifikate (Berechtigungen) relativiert, wenngleich die Diskussion um adäquate Verfahren der Messung und Dokumentation von Kompetenzen noch nicht abgeschlossen ist. Jenseits der veränderten Dynamik in den betrieblichen 107
Berufs- und Qualifikationswandel
Arbeitsorganisationsstrukturen steht auch das in Deutschland tradierte Berufskonzept vor dem Hintergrund der voranschreitenden Europäisierung in der Diskussion. Um einen international konkurrenzfähigen Wirtschaftsraum auszubilden, werden flexible Arbeitsmärkte, international vergleichbare Qualifikationsstrukturen und eine strukturelle Kopplung zwischen europäischen Beschäftigungs- und Bildungssystemen gefordert. Da die Heterogenität der europäischen Berufsbildungsstrukturen eine an institutionellen Lernwegen und -orten ausgerichtete Qualifikationsstruktur erschwert, sind Lernergebnisse zur Bezugsgröße des → Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) gewählt worden. In Kombination mit einem Europäischen Leistungspunktesystem für die berufliche Bildung (ECVET) wird für eine Flexibilisierung und Individualisierung des Qualifikationserwerbs plädiert, wobei die Arbeitsmarktverwertbarkeit im Mittelpunkt steht. Im nationalen Diskurs wird die Ablösung der Qualifikationsstruktur von institutionalisierten Lernwegen und -orten als Gefahr für das holistische Berufsprinzip gewertet, denn eine Beliebigkeit des beruflichen Qualifikationserwerbs wie auch eine Parzellierung in Qualifikationseinheiten (Modularisierung) könnte zu einer strukturellen Entkopplung von Bildungsund Beschäftigungssystem führen und einen Verlust des Berufs als überbetrieblich akzeptiertes Tauschmuster bedeuten. Um Beruflichkeit als Bindeglied zu erhalten, wird national zu einem domänenbezogenen Ansatz der Qualifikationsstruktur und damit zu einer Verwässerung des outcomeorientierten Fokus tendiert. Inwiefern es gelingen wird, das deutsche Berufskonzept mit dem Anspruch einer europakonformen Qualifikationsstruktur zu vereinen, ist zurzeit noch offen. Literatur: Baethge, M./Beathge-Kinsky, V. (2006): Ökonomie, Technik, Organisation: Zur Entwicklung von Qualifikationsstruktur und Qualifikationsprofilen von Fachkräften. In: Arnold, R./Lipsmeier, A. (Hg.): Handbuch der Berufsbildung. Wiesbaden, S.153ff.; Baethge, M./Teichler, U. (1984): Bildungssystem und Beschäftigungssy108
Berufsunfähigkeit
stem. In: Lenzen, D. (Hg.): Enzyklopädie Erziehungswissenschaft (Band 5). Stuttgart, S.206ff.; Bolder, A. (2009): Arbeit, Qualifikation und Kompetenzen. In: Tippelt, R./Schmidt, B. (Hg.): Handbuch Bildungsforschung. Wiesbaden, S. 813ff.; CEDEFOP (Hg.) (2009): The shift to learning outcomes. Policies and practices in Europe. Luxemburg; Georg, W./Sattel, U. (2006): Berufliche Bildung, Arbeitsmarkt und Beschäftigung. In: Arnold, R./Lipsmeier, A. (Hg.): Handbuch der Berufsbildung. Wiesbaden, S. 125ff.; Kern, H./Schumann, M. (1984): Das Ende der Arbeitsteilung? Rationalisierung in der industriellen Produktion. München; Loebe, H./Severing, E. (Hg.) (2010): Mobilität steigern – Durchlässigkeit fördern. Europäische Impulse für die Berufsbildung. Bielefeld; Mertens, D. (1974): Schlüsselqualifikationen. Thesen zur Schulung für eine moderne Gesellschaft. In: MittAB, Nr. I, S. 36ff.; Münk, D. (2009): Kulturen beruflicher Bildung: bildungspolitische und didaktische Implikationen im Zeichen von Europäisierung und Globalisierung. In: Melzer, W./Tippelt, R. (Hg.): Kulturen der Bildung. Opladen u. a., S. 277ff.; Schumann, M. (2003): Struktureller Wandel und Entwicklung der Qualifikationsanforderungen. In: SOFI-Mitteilungen, Nr. 31, S. 105ff.; Schumann, M./Baethge-Kinsky, V. u. a. (1994): Der Wandel der Produktionsarbeit im Zugriff neuer Produktionskonzepte. In: Beckenbach, N./Treeck van, W. (Hg.): Umbrüche gesellschaftlicher Arbeit. Göttingen, S.11ff.; Voß, G. G./Pongratz, H. J. (1998): Der Arbeitskraftunternehmer. Eine neue Grundform der „Ware Arbeitskraft“. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, H. 1, S. 131ff. Prof. Dr. Rolf Dobischat, Duisburg-Essen Berufsunfähigkeit ist im Sinne der gesetzlichen → Rentenversicherung in Verbindung mit dem Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 1. 1. 2001 als Begriff abgeschafft worden. An dessen Stelle tritt der Begriff der teilweisen → Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 SGB VI), der besagt, daß das Leistungsvermögen des Versicherten herabgesetzt ist und daß dieser nur noch
Berufsunfähigkeit
zu mindestens 3 und höchstens 6 Stunden täglich einer → Arbeit nachgehen kann, wobei ihm zugemutet werden muß, auch in einem anderen → Beruf als in seinem erlerntentätig zu sein. Berufsunfähigkeitsrente nach dem Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, das am 1. 1. 2001 in Kraft trat, haben Berufsunfähige (→ Berufsunfähigkeit), die das 40. Lebensjahr noch nicht erreicht haben, seit 2001 keinen Anspruch mehr auf B. Für sie wurde die B. ersatzlos gestrichen. Versicherte, die bei Inkrafttreten der Reform das 40. Lebensjahr vollendet hatten, behalten einen Anspruch auf Teilrente wegen Berufsunfähigkeit. Anstelle der B. tritt unter gewissen Voraussetzungen die → Erwerbsminderungsrente. Berufsunfähigkeits(zusatz-)versicherung → Lebensversicherung. Berufsvorbereitungsjahr von den beruflichen Schulen zur Hinführung zur → Berufswahl angeboten. Das B. kann in Anrechnung auf die Vollzeitschulpflicht oder danach besucht werden. Es wird meist von Jugendlichen gewählt, die aufgrund mangelnder geistiger und/oder körperlicher Reife einer → Berufsausbildung noch nicht gewachsen sind. Berufswahl langfristiger, verschiedene den individuellen Berufs- und Lebensweg begleitende Wahlsituationen umfassender Entscheidungsprozeß. Diese Wahlsituationen verlangen im wesentlichen folgende beruflichen Entscheidungen: (1) Entscheidung für eine bestimmte, der Grundschule nachgeordnete schulische Allgemeinbildung (Hauptschule, Realschule, diverse Gymnasien; mittlere Reife, Abitur); (2) Entscheidung für oder gegen eine berufliche Erstausbildung; (3) Entscheidung für einen bestimmten → Arbeitsplatz zur (ersten) beruflichen Spezialisierung; (4) Entscheidung für einen neuen gleich- oder andersartigen Arbeitsplatz bei Verlust oder Aufgabe des alten; (5) Entscheidung für oder gegen eine → Weiterbildung oder → Umschulung zur Erweiterung
Berufswahltheorien
der Fachkompetenz und zum Erwerb neuer beruflicher Qualifikationen. Berufswahl, freie → freie Berufswahl. Berufswahlreife globales Lernziel des → Berufswahlunterrichts, der an allgemeinbildenden Schulen in der Regel in den Fächern Wirtschaftslehre, Arbeitslehre oder Gemeinschaftskunde/ Sozialkunde integriert ist. Die Hinführung zur B. verlangt beim Jugendlichen die möglichst umfassende Bewußtwerdung all der objektiven und subjektiven Chancen und Benachteiligungen, die für die → Berufswahl relevant sind. Der Jugendliche muß den Konfliktcharakter der Berufswahl und die diesen bedingenden subjektiven (Werthaltungen, Fähigkeiten, Dispositionen, Neigungen) wie auch objektiven sozioökonomischen Determinanten erkennen und sich der Notwendigkeit seiner rationalen Entscheidung bewußt werden. Berufswahltheorien versuchen – unter der Annahme, daß die → Berufswahl in einer demokratischen und marktwirtschaftlich ausgerichteten Gesellschaft formal (vgl. Art. 12 GG: freie Berufsund Arbeitsplatzwahl) garantiert wird und die Berufswähler diese „Freiheit“ material einzulösen imstande sind – Berufswahlverhalten und Berufswegplanung als individuelles und gesellschaftliches Problem durch Erforschung relevanter Bestimmungs- und Einflußfaktoren mit unterschiedlichen wissenschaftsmethodischen Vorgehensweisen, Perspektiven und Erkenntnisinteressen (z. B. Diagnose- und Beratungshilfen, Rekrutierungsstrategien, Arbeitszufriedenheit und Berufserfolg im „passenden“ → Beruf) zu analysieren und zu erklären. Eine Vielzahl disparater theoretischer Ansätze, Konzepte und Modelle sind ein Indiz dafür, daß es keine integrative schlüssige und gesicherte wissenschaftliche Theorie zur Erklärung des komplexen Berufswahlvorgangs gibt. Bisweilen wird bestimmten B. vorgeworfen, sie stellten einen wissenschaftlichen Rechtfertigungsversuch für einen gesellschaftlich propagierten aber individuell nicht einlösbaren Tatbestand dar: Eine Be109
Berufswahltheorien
rufswahl gebe es in Wirklichkeit nicht, da gesellschaftliche Strukturen die Anpassung des Berufssuchenden an die jeweiligen Bedingungen des → Arbeitsmarktes erzwingen: „Die Ideologie der Berufswahl propagiert eine wunsch- und fähigkeitsbezogene Berufsentscheidung, wodurch der Zusammenhang von Selektion und Sozialisation im dunkeln bleibt: individuelle Berufsentscheidungen sind durch Ausbildungs- und Beschäftigungsoptionen gesteuert; sie stellen Kompromisse zwischen individuellen Präferenzen und realisierbaren Tätigkeiten dar“ (Heinz 1991, S. 409). Diese berufssoziologische Position soll als kritisches Korrektiv für die lange Zeit dominierenden subjektivistischen psychologischen B. vorangestellt werden. Das Zuordnungsproblem von (Berufsentscheidungen treffenden) Individuen und (dabei sie beeinflussenden) „Umweltfaktoren“ vermag einen kategorialen Bezugsrahmen zur Klassifikation unterschiedlicher berufswahltheoretischer Ansätze zu liefern. Solche Klassifikationen knüpfen an das alltägliche Vorverständnis des Phänomens Berufswahl an, demzufolge mit bestimmten Erbanlagen ausgestattete Individuen mit ihrer Umwelt interagieren, was schließlich dazu führt, daß Menschen unterschiedliche Tätigkeiten ausüben. Individuumorientierte Ansätze untersuchen motivationale, persönlichkeitsstrukturelle, entwicklungspsychologische, entscheidungsstrategische Variablen des Berufswählers, umwelt- bzw. arbeitsweltorientierte Ansätze legen ihr Erkenntnisinteresse auf die Ermittlung ökonomischer, soziologischer, allokativer Determinanten bei der gesellschaftlichen, vielfach normativ geregelten Rekrutierung und Zuweisung von Berufsuchenden für berufliche Positionen und Lauf bahnen in → Betrieben und am Arbeitsmarkt, interdisziplinäre und/oder interaktionstheoretische Ansätze versuchen die einseitige Sichtweise entweder auf den Berufswähler oder auf den Arbeitsmarkt dadurch zu überwinden, daß sie „das Problem der Vermittlung zwischen beiden Seiten unter gegenseitiger Beeinflussung in den Mittelpunkt“ stellen (Beck 1976, S. 78). 110
Berufswahltheorien
Persönlichkeitspsychologische Theorien verstehen die Berufswahl als matchingProzeß, bei dem das Individuum einen am besten zu seinem Persönlichkeitsprofil passenden Beruf zu ergreifen versucht. Das Persönlichkeitsprofil des Berufswählers (Motivationen, Einstellungen, Fähigkeiten, Interessen, Wertorientierungen) wird analysiert und mit dem Anforderungsprofil von Berufen verglichen. Die Entscheidung – Berufswahl wird hier als einmaliges Ereignis betrachtet – wird nach dem Grad der größten Übereinstimmung von individueller Eignungsstruktur und berufsspezifischer Anforderungsstruktur getroffen. Ein typischer Vertreter dieses „trait-andfactor“-Ansatzes ist Holland (1966), der die Individuen in sechs Kategorien in Form von Persönlichkeitstypen einordnet und entsprechende sechs „passende“ Umweltmodelle postuliert. Erfolg und Zufriedenheit im Beruf hängen nach Holland vom Grad der Übereinstimmung von Persönlichkeitsund Berufsprofil ab; bei inkonsistenter Wahl seien Berufsunzufriedenheit und geringerer Berufserfolg zu erwarten. Wenngleich Interessen, Einstellungen und Fähigkeiten eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Berufswahl spielen, muß doch kritisch festgestellt werden, daß die hier verwendeten Konstrukte eine festliegende, statische (und nicht durch die → berufliche Sozialisation veränderbare) Persönlichkeitsstruktur unterstellen und die Änderung der beruflichen Anforderungsstruktur durch technologischen und arbeitsorganisatorischen Wandel außer acht lassen. Weiterhin scheinen die Limitationen des Arbeitsmarktes als Beschränkungen der individuellen Wahlfreiheit nicht zu existieren. Bezüglich der Prognosefähigkeit des Berufserfolges in Abhängigkeit vom personalen Fähigkeitsmuster sind keine empirisch hinreichenden Belege vorhanden. Entwicklungspsychologische B. gehen davon aus, daß beruflich relevante Persönlichkeitsmerkmale sich in unterschiedlichen Lebensphasen unter dem Einfluß der sozialen Umwelt ausbilden und einem Prozeß der fortschreitenden Differenzierung und Realitätsanpassung unterliegen. Der
Berufswahltheorien
Berufswahlprozeß wird als Funktion der (emotionalen und intellektuellen) Persönlichkeitsentwicklung gesehen, weshalb es zu altersspezifischen Entwicklungsmustern kommt: von Phantasiewahlen im Vor- und Grundschulalter mit geringem Realitätsbezug über die Eingrenzung bereits ernsthaft erwogener Berufe durch den subjektiven Filter von sich allmählich entwickelnden und verfestigenden Interessen, Fähigkeiten und Wertorientierungen bis zur Antizipation von Berufspräferenzen unter dem Aspekt realisierbarer beruflicher Möglichkeiten. Empirische Untersuchungen bringen zum Teil gesicherte Erkenntnisse über Abfolge entwicklungsspezifischer Wunschvorstellungen sowie über die sozialisationsabhängige Beeinflußbarkeit und die kultur- und bildungssystemspezifische → „Berufswahlreife“. Als umfassendstes Erklärungsmodell der Berufswahl im Rahmen der beruflichen Entwicklung kann das von Super (1963) gelten, in welchem entwicklungs-, differential-, sozialpsychologische und phänomenologische Elemente im „beruflichen Selbstkonzept“ integriert werden. Berufswahl wird interpretiert als Implementierung des Selbstkonzeptes (= Selbstwahrnehmung und Selbsteinschätzung) in der beruflichen Lebenssphäre, berufliche Entwicklung als Realisierung des Selbstkonzeptes in alters- und geschlechtstypischen Lauf bahnmustern (vgl. Bußhoff 1984, S. 15 ff.). Die Entwicklung der beruflichen Präferenzen, Einstellungen und Zielvorstellungen wird in hohem Grade durch die früheren Erfahrungen im Rahmen der bisherigen vorberuflichen Sozialisation determiniert. Es werden schließlich jene beruflichen Möglichkeiten ausgewählt, deren erwartete Anforderungen im Rahmen bestimmter Berufsrollen mit dem individuellen Selbstkonzept möglichst weitgehend übereinstimmen. Die Berufswahltendenz ist dabei von relevanten Lernerfahrungen abhängig, die selbst wieder Rückwirkungen auf das Selbstkonzept haben. Entscheidungstheoretische Erklärungsmodelle der Berufswahl konzentrieren sich auf die Bedingungen und Faktoren des individuellen Problemlösungsverhaltens, das
Berufswahltheorien
beim Übergang ins Beschäftigungssystem zwangsläufig erforderlich wird. Die zu bewältigende Entscheidungssituation beinhaltet einen komplexen, mehrstufigen Vorgang der Wahrnehmung von Handlungsmöglichkeiten, der Informationssuche, -aufnahme und -verarbeitung, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckt und zu Berufsalternativen mit subjektiven Wert- und Präferenzrängen (z. B. Verdienst, Ansehen, den Fähigkeiten entsprechendes Tätigkeitsprofil) führt. „Die Vorstellungen der Berufswählenden über die Wertigkeit verschiedener Berufsalternativen sowie über ihre wertneutralen Anforderungsprofile, die sich in den → Berufsbildern manifestieren, dürften entscheidend zu ihrer Wahl oder NichtWahl beitragen“ (Lange 1975, S. 113). EntscheidungstheoretischeProblemlösungsstrategien gehen von der Prämisse aus, daß Individuen bei der Berufswahl ein rationales Verhalten an den Tag legen. Der Entscheidungsprozeß ziele dabei auf eine Optimierung der Ziel-Mittel-Relation. Darunter ist zu verstehen, daß mit gegebenen Mitteln ein Maximum an Zweckerfolg erreicht werden soll. Die unterstellte → Rationalität und Autonomie des Berufswahlverhaltens trifft bei der Mehrheit der jugendlichen Berufswähler jedoch nicht zu. Vielmehr ist das in der Realität vorfindbare Entscheidungsverhalten eher ein „Durchwursteln“ wegen unklarer Berufsvorstellungen, selektiver Wahrnehmung, beschränkter Informationsaufnahme, fehlender Konstanz von Entscheidungskriterien und ausbleibender Anwendung von Entscheidungsregeln. Die Bedeutung zufälliger Ereignisse wird unterschätzt. Berufsinteressen werden zwangsweise durch das Angebot an → Ausbildungsplätzen eingeschränkt und illusionslos an regionale und konjunkturelle Restriktionen angepaßt (vgl. Heinz u. a. 1985). Allokationstheoretische Ansätze gehen von den eben angesprochenen sozialen und ökonomischen Beschränkungen beim Zugang zu Berufen aus, konstatieren, daß kaum von einem Prozeß des „Wählens“ und „Entscheidens“ gesprochen werden kann, sondern daß die „Berufswahl“ ein gesellschaftlich gesteuerter Prozeß der Berufszuweisung 111
Berufswahltheorien
ist. Schul- und Berufslauf bahn hängen von sozialen und ökonomischen Determinanten ab. Der Berufswähler besitzt nur einen eingeschränkten Entscheidungsspielraum und ist auf die beruflichen Positionen angewiesen, die ihm gesellschaftlich offenstehen. Regulierende Weichenstellungen mit einer fortschreitenden Verengung beruflicher Alternativen liefern u. a. Schullauf bahn, → Ausbildung, innerbetrieblicher Arbeitsplatzwechsel. Sozioökonomische (z. B. lokale → Wirtschaftsstruktur, Arbeitsmarktlage) und sozialpsychologische sowie soziokulturelle Faktoren (z. B. variabler Prestigewert der Berufe, schichtspezifische Berufswahleinflüsse) (vgl. Seifert 1977, S. 235 ff.) haben determinierende Wirkung. Betriebliche Rekrutierungspraktiken (z. B. Auswahltests, Bevorzugung von Kindern Firmenangehöriger) bilden weitere Hürden. Die letztgenannten Theorien beleuchten das Rekrutierungsproblem des Arbeitsmarktes aus der Perspektive der Gesellschaft und sind ein notwendiges Korrektiv für die psychologischen und entscheidungstheoretischen Erklärungsmodelle. Interdisziplinäre Konzepte berücksichtigen soziologische, ökonomische und psychologische Determinanten der Berufswahl und des Berufseintritts und versuchen, diese in ein einheitliches System gegenseitiger Bedingungsfaktoren zu integrieren. Das „konzeptuelle Schema“ von Blau et al. (vgl. Seifert 1977, S. 253 ff.) ist beispielsweise eine solche differenzierte Darstellung mit hohem Plausibilitätsgrad und heuristischem Wert, jedoch beschränktem wissenschaftlichen Theoriegehalt, auch aufgrund fehlender (und wohl schwerlich durchzuführender) empirischer Untersuchungen der Wechselwirkung zwischen den verschiedenen Determinanten. Interaktionstheoretische Ansätze sehen die Berufsentscheidungen als Resultate von Interaktionsprozessen zwischen den Berufswählern und ihren Eltern, Freunden, Verwandten, Lehrern, Berufsberatern, potentiellen Arbeitgebern, Massenmedien, Angehörigen von Berufsverbänden und → Gewerkschaften etc. Die Interaktionsprozesse sind durch die jeweiligen Interes112
Berufswahltheorien
sen und Sachkompetenzen der Interaktionspartner bestimmt. Berufswahltheorien als „klassische Deutungsmuster“ zur Erklärung und Prognose des Findungs-, Wahl- und Entscheidungsverhaltens des Berufswählers stehen heute nicht mehr im Focus des Berufsforschungsinteresses. Sie dienen eher als heuristische Strategien zur Generierung und Ableitung von Hypothesen über Einflussfaktoren und Rahmenbedingungen für die Berufswahl (vgl. Beinke 2006) sowie als Theoriehintergrund für die Berufsberatung und die (schulische) Förderung der Berufsorientierung bezüglich der Erstberufswahl und der eventuellen Umorientierung in der beruflichen Lebensplanung (vgl. Gmelch 2009). Die Berufswahl ist kein einmaliger Akt; berufliche Tätigkeit in einem „Lebensberuf“ ist heute eher die Ausnahme. Erwerbsbiographien der Zukunft haben Patchworkcharakter: Es müssen Brüche und Umorientierungen im Rahmen beruflicher Lebensplanung bewältigt werden. Die Veränderung der Berufsbilder aufgrund des technologischen und arbeitsorganisatorischen Wandels hat die Struktur und die Komplexität der Berufswahlkompetenz erhöht. Als Entscheidungsfaktoren spielen zunehmend anforderungsunabhängige Determinanten (wie z. B. Verdienst, Arbeitszeit, Arbeitsplatzsicherheit, Distanz zum Wohnort, Prestige, Zukunftsaussichten) oder die Betriebswahl (Übernahme nach der Ausbildung, Personalentwicklung und Karrierechancen) eine Rolle. Trotzdem benötigt der Berufswähler weiterhin ein möglichst realistisches Selbstkonzept (= Einschätzung der eigenen Fähigkeiten, Interessen, Neigungen, arbeitsorientierten Wertvorstellungen). Darüber hinaus berücksichtigt der Entscheidungsprozess die Ausbildungsstellen – und die (regionale) Arbeitsplatzsituation sowie die erforderliche Mobilität. Eingeschränkt wird die Berufswahl durch die von den Betrieben festgelegten Eingangsvoraussetzungen oder durch zulassungsbeschränkte Studiengänge sowie durch die eventuell unzureichend vorhandene Ausbildungsreife der potentiellen Berufseinsteiger.
Berufswahltheorien
Trotz der Beseitigung rechtlicher Hemmnisse und des gesellschaftlichen Wandels von Rollenstereotypen zeigt sich immer noch eine geschlechtsspezifische Segmentierung des Arbeitsmarktes. In den TOP 10 der Ausbildungsberufe wird genderspezifisches Berufswahlverhalten immer noch sichtbar. Die demographische Entwicklung und der damit zu erwartende Fachkräftemangel zeitigen Probleme, die durch entsprechende Recruitingstrategien der Unternehmen, durch Angebote zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf einerseits, sowie durch möglichen Perspektivwechsel bei der Berufswahl junger Frauen andererseits bewältigt werden könnten. Literatur: Beck, K.: Bedingungsfaktoren der Berufsentscheidung. Bad Heilbrunn 1976; Beinke, L.: Berufswahl und ihre Rahmenbedingungen. Frankfurt a.M. 2006; Bußhoff, L.: Berufswahl. Theorien und ihre Bedeutung für die Praxis der Berufsberatung. Stuttgart 1989; Dimbath, O.: Entscheidung in der individualisierten Gesellschaft. Eine empirische Untersuchung zur Berufswahl in der fortgeschrittenen Moderne, Wiesbaden 2003; Gmelch, A.: Berufsorientierung als Lebensorientierung. In: Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung: Einblicke – Ausblicke. Jahrbuch 2008. München 2009, S. 105–116; Golisch, B.: Wirkfaktoren der Berufswahl Jugendlicher, Frankfurt a.M. 2002; Heinz, W. R.: Berufliche und betriebliche Sozialisation. In: Hurrelmann, K./Ulrich, D. (Hrsg.): Neues Handbuch der Sozialisationsforschung. Weinheim/Basel 1991, S. 397 – 415; Holland, J. L.: The psychology of vocational choice: A theory of personality types and model environments. Waltham, Mass.: Blaisdell 1966; Lange, E.: Berufswahl als Entscheidungsprozeß. In: Lange, E./Büschges, G. (Hrsg.): Aspekte der Berufswahl in der modernen Gesellschaft. Frankfurt a. M. 1975, S. 101 – 127; Pollmann, Th.A.: Beruf oder Berufung? Zum Berufswahlverhalten von Pflichtschulabgängern, Frankfurt a. M. 1993; Seifert, K. H.: Theorien der Berufswahl und der beruflichen Entwicklung. In: Seifert, K. H. (Hrsg.): Handbuch der Berufspsychologie. Göttingen/Toronto/Zürich
Berufung
1977, S. 173 – 279; Fürstenberg, F.: Die Berufswahl: Ideologie und Wirklichkeit. In: Ders.: Wirtschaftsbürger in der Berufsgesellschaft? Zürich 1997, S. 32 – 61. Dr. Andreas Gmelch, Bamberg Berufswahlunterricht → Berufsorientierung. Berufswahlvorbereitung → Berufsorientierung. Berufung 1. im Zivilprozeß (§§ 511 – 544 Zivilprozeßordnung): Rechtsmittel gegen Urteile erster Instanz (Amtsgericht/Landgericht) zwecks erneuter Verhandlung des Rechtsstreits vor dem nächst höheren Gericht (Landgericht/ Oberlandesgericht). Die B. ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Berufungsgericht schriftlich und von einem Rechtsanwalt unterschrieben einzulegen und innerhalb eines weitern Monats nach Einlegung zu begründen. Das Berufungsgericht verhandelt den Rechtsstreit von neuem; deshalb können auch neue Tatsachen und Beweismittel vorgebracht werden. 2. in Strafsachen: (§§ 312 – 332 Strafprozeßordnung): Rechtsmittel gegen Urteile der Amtsgerichte; kann auf einzelne Teile des Urteils beschränkt werden. Die B. ist innerhalb einer Woche schriftlich beim Amtsgericht oder zu Protokoll bei dessen Geschäftsstelle einzulegen. Die B. bewirkt eine erneute Verhandlung vor der Strafkammer des Landgerichtes. 3. im → Arbeitsrecht: Gegen Urteile des Arbeitsgerichtes kann unter bestimmten Voraussetzungen B. beim Landesarbeitsgericht eingelegt werden. Ziel der B. ist die Neuverhandlung über Tatfragen und Neuentscheidung. Die B. ist innerhalb einer Frist von 1 Monat seit Zustellung des Urteils einzulegen und innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Siehe auch → Arbeitsgerichtsbarkeit. 4. im Sozialrecht: Gegen Urteile der Sozialgerichte kann B. beim Landessozialgericht eingelegt werden. Dieses prüft den Streitfall noch einmal in vollem Umfang unter sachlichen und rechtlichen Gesichtspunkten und führt eine Entscheidung herbei. Siehe auch → Sozialgerichtsbarkeit. 113
Beschäftigung
Beschäftigung 1. in betriebswirtschaftlicher Betrachtung die Ausnutzung der produktionstechnischen → Kapazität. 2. in volkswirtschaftlicher Betrachtung die in der → Produktion eingesetzte Menge an → Arbeit. Beschäftigungsfähigkeit ⇒ Employability Definition: B. drückt das persönliche Vermögen aus, auf der Grundlage von Fachund Handlungskompetenzen, Wertschöpfungs- und Leistungsfähigkeit zu entfalten, die eigene Arbeitskraft anbieten zu können und damit in das Erwerbsleben einzutreten, die Arbeitsstelle zu halten oder, wenn nötig, sich eine neue Erwerbsbeschäftigung suchen zu können (Blancke; Roth; Schmid 2000: 9). Merkmale: Personen sind dann beschäftigungsfähig, wenn sie genau über die Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügen, die Unternehmen benötigen. Dabei spielen neben der fachlichen → Qualifikation „weiche Eigenschaften“ eine zunehmende Rolle. Arbeitgebernahe Studien zeigen, welche Eigenschaften für → Unternehmen in Bezug auf Beschäftigte die größte Bedeutung haben. Tätigkeitsübergreifend nennt das Institut der deutschen Wirtschaft (1997) die Einstellung zur → Arbeit, Leistungsbereitschaft, Zuverlässigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Konzentrationsfähigkeit, Teamfähigkeit, logisches Denken, Initiative, selbständiges Lernen und Motivation als wichtige Kompetenzen. Eine Studie von Antoni und Sommerlatte (1999) ergab, dass neben dem Methodenwissen, Wissen über Produkte, Kunden, → Markt und Wettbewerber sowie deren Anwendung stark an Bedeutung zugenommen hat. Für Unternehmen gilt die Marktorientierung mittlerweile als bestimmender Erfolgsfaktor. Aus der Marktorientierung leitet sich ab, dass Beschäftigte über die Beschaffenheit der Unternehmenskunden, potenzieller Kunden sowie der Wettbewerber kundig sind. Produkte und Dienstleistungen müssen zielgerichtet angeboten werden, damit sie der Bedürfnislage bestehender Kunden dienen und den Wünschen 114
Beschäftigungsfähigkeit
potenzieller Kunden entsprechen (Mittelstädt/Wiepcke 2007: S. 170). Employability in der europäischen Bildungspolitik: Grundstein für die Bildungsreformen des letzten Jahrzehntes ist unter anderem die allgemeine Zielsetzung der → EU, innerhalb der nächsten zehn Jahre „the most competitive and dynamic knowledge-based economy in the world“ zu werden. Die Entwicklung zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum auf Basis einer → Wissensgesellschaft sieht die EU als Schlüssel zu → Wirtschaftswachstum, → Beschäftigung und sozialer Kohäsion (Europäischer Rat 2000). Die solchermaßen gestaltete politische Zielvorgabe soll fortan als allgemeine Leitlinie für die Ausrichtung der europäischen und nationalen Politik der Mitgliedstaaten gelten. Dabei werden in der deutschen Diskussion über den Begriff Employability neue Anforderungen an Individuen herangetragen. Die Anforderungen an Individuen werden sowohl im BolognaProzess als auch im → Europäischen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen präzisiert und für alle europäischen Länder einheitlich beschrieben. Ziele von Beschäftigungsfähigkeit: Die Implementierung von B. in der europäischen → Bildungspolitik verfolgt ökonomischtechnische Ziele sowie Motive der sozialen Kohäsion wie Chancengleichheit und Lebensqualität (Europäischer Rat 2000). Mit diesen Zielen werden die Akteure Staat, Unternehmen und Individuen angesprochen. Chancen für Unternehmen: Unternehmen gewinnen durch die B. ihrer Mitarbeitenden an Wettbewerbsfähigkeit. Die Anforderungen an B. zielen demnach auf die menschliche Leistung zur Wertschöpfung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Chancen für den Staat: Die Forderung nach sozialer Kohäsion, Chancengleichheit und Lebensqualität ist im Rahmen der europäischen Zielsetzung eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete B. und somit insbesondere auf gesellschaftlichen Erfolg gerichtet. Vorausschauende Qualifizierung und Sorge um die eigene B. implizieren eine höhere → Beschäftigungsquote und steigern damit de
Beschäftigungsfähigkeit
volkswirtschaftliche Wohlfahrt. Eine bessere Lebensqualität führt wiederum zum Abbau sozialer Konflikte und Spannungen und somit zu einem besser funktionierenden → Sozialstaat (Wiepcke/Mittelstädt 2006). Chancen und Risiken für Beschäftigte: Personen, die sich vorausschauend und aktiv mit ihrer individuellen Zukunft auseinanderzusetzen und die am → Arbeitsmarkt nachgefragten → Kompetenzen ausbilden, wird die Chance geboten, eine Anstellung zu finden, die ein angemessenes Qualifikations- und Gehaltsniveau aufweist. Entfernen sie sich aufgrund nicht-arbeitsmarktorientierter Qualifizierung oder mangelnder Flexibilität und Mobilität von den erwarteten Anforderungen am Arbeitsmarkt, kann dies zu → Arbeitslosigkeit oder Jobs unterhalb des angestrebten Qualifikationsbzw. Gehaltsniveaus führen. Die größer werdende Verantwortung für sich selbst und die eigene Berufsbiografie kann zu Gefühlen der Verunsicherung und Hilflosigkeit führen. B. als Bildungsziel fokussiert die menschliche Leistung zur Wertschöpfung und ihren Beitrag zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Es ist ein Effizienz-Ziel, das sich zunächst nur auf die Produktivität eines Menschen konzentriert, die menschliche Weiterentwicklung bleibt dabei unberücksichtigt (Mittelstädt/Wiepcke 2007: 170). Deshalb besteht die Gefahr, dass die ethisch-moralische Dimension aufgrund des Interesses einzelner oder einer Gruppe von Menschen verzerrt oder gar ausgeklammert wird. (Hoch-)Schulen haben jedoch nicht nur den Auftrag, Personen „fit für das Berufsleben“ zu machen, sondern auch zu bilden. Als conditio sine qua non einer Employability-Strategie ist daher ihre bildungstheoretische Fundierung anzusehen, die auf der kritisch-konstruktiven Erziehung des „ganzen Menschen“ anstatt auf der Ausbildung in einzelnen, nützlichen Fähigkeiten basiert. Beschäftigungsfähigkeit in der Kritik: In der → Berufspädagogik wird Employability als Gegenkonzept zum Berufskonzept gesehen. Kraus (2005) stellt in einem Diskurs
Beschäftigungsfähigkeit
kontroverse Positionen zum Berufskonzept vor. Auf der einen Seite stehen die berufliche Fachlichkeit, Professionalität, soziale Integration im → Betrieb und der gesellschaftliche Status. Auf der anderen Seite finden aktuelle Entwicklungen, wie eine zunehmende Technologisierung der → Arbeitsplätze, arbeitsmarktorientierte Anforderungen nach → Flexibilität und sowie die Forderung nach Kompetenzorientierung Berücksichtigung. Es wird konstatiert, dass sich die Bedeutung des → Berufes verändert, parallel jedoch kritisiert, dass Employability die Entwicklung einer positiven Einstellung zur Arbeit dem Erwerb beruflich-fachlicher Qualifikationen vorzieht. Es bleibt offen, wie Employability im Kontext der Implementierung der europäischen bildungspolitischen Strategie in Deutschland verankert wird. Literatur: Antoni, C./Sommerlatte, T. (Hg.) 1999: Spezialreport Wissensmanagement. Wie deutsche Firmen ihr Wissen profitabel machen, Düsseldorf. Blancke, S./Roth, C./ Schmid, J. 2000: Employability (Beschäftigungsfähigkeit) als Herausforderung für den Arbeitsmarkt. Arbeitsbericht Nr. 157/ Mai 2000, Stuttgart. Europäischer Rat 2000: Presidency conclusions. Lisbon European Council 23 and 24 March 2000. Pressemitteilung S. 100/00. Kraus, K. 2005: Employability versus Beruf. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 101 Band, Heft 4, S. 574–592. Institut der deutschen Wirtschaft 1997: Anforderungsprofile von Betrieben – Leistungsprofile von Schulabgängern, Online: http://www. iwkoeln.de, Köln, (03.04.2007). Mittelstädt, E./Wiepcke, C. 2007: Ökonomische Bildung zur nachhaltigen Entwicklung von Business Skills; in: Seeber, G. (Hg.): Nachhaltigkeit und ökonomische Bildung, Bergisch Gladbach, S. 163–178. Wiepcke, C./Mittelstädt, E. 2006: Employability als Zukunftsstrategie der sozialen Sicherung. In: Seeber, G. (Hg.): Die Zukunft der sozialen Sicherung – Herausforderungen für die ökonomische Bildung, Bergisch Gladbach, S. 169–185. Dr. Claudia Wiepcke, Schwäbisch Gmünd 115
Beschäftigungsgrad
Beschäftigungsgrad 1. betriebswirtschaftlich: Verhältnis der tatsächlichen betrieblichen Kapazitätsausnutzung (→ Kapazität) zur technisch möglichen; 2. volkswirtschaftlich: Verhältnis von tatsächlicher volkswirtschaftlicher Kapazitätsausnutzung zum gesamtwirtschaftlichen Produktionspotential. Beschäftigungsnachweis → Zeugnis. Beschäftigungspolitik Beschäftigungsschwankungen und → Arbeitslosigkeit sind ein Dauerproblem und -phänomen in → Marktwirtschaften. In der Bundesrepublik (West) gab es mit Ausnahme der sechziger Jahre immer Arbeitslosigkeit. Die Erklärungen über die Ursachen der Arbeitslosigkeit und damit auch über die Strategien zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit divergieren. Sie lassen sich auf zwei Grundpositionen zurückführen: die → Neoklassik und den Keynesianismus (→ Keynessche Theorie). Die Neoklassik geht grundsätzlich von der Stabilität des privaten, durch den → Markt koordinierten Sektors aus. Wenn → Preise, → Löhne und → Zinsen auf den Märkten funktionieren und diese flexibel auf Veränderungen des → Angebots und der → Nachfrage reagieren, herrscht auch Gleichgewicht auf dem → Arbeitsmarkt; funktionierende Märkte gewährleisten bzw. führen zur → Vollbeschäftigung. Arbeitslosigkeit wird nach dieser Theorie durch exogene Störungen des Marktes verursacht. Die Gründe für die Arbeitslosigkeit liegen danach bei den staatlichen und tarifvertraglichen Regelungen, die den → Reallohn über den vollbeschäftigungskonformen Lohn festlegen. Nach der Neoklassik besteht ein inverser Zusammenhang zwischen Reallohn und Beschäftigung. Die Neoklassik ist vielfältig kritisiert worden. Die Kritik reicht von der Realitätsferne ihrer Prämissen und der dadurch bedingten unzureichenden Erklärungsfähigkeit bis zum Vorwurf einer ideologischen Rechtfertigung kapitalistischer Herrschaft. Neuere neoklassische Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsmodelle berücksichtigen 116
Beschäftigungspolitik
monopolistische Märkte und Handlungsmacht von → Arbeitgebern und → Gewerkschaften mittels Preis- und Lohnsetzungsverhalten. Diese Modelle erklären strukturelle Arbeitslosigkeit aus diesen Arbeitsmarktbedingungen. Der Keynesianismus bildet die Gegenposition zur Neoklassik. Nach keynesianischer Sichtweise beinhaltet der → Marktmechanismus keine Tendenz zum Vollbeschäftigungsgleichgewicht; eine → Marktwirtschaft ist danach instabil. Der Keynesianismus begründet seine Instabilitätsthese aufgrund verschiedener Annahmen. So besteht keine Trennung mehr zwischen dem monetären (Geld) und dem realen (Produktion) Sektor. Auf dem Arbeitsmarkt sind nach Keynes die Nominallöhne inflexibel (nicht die Reallöhne) bzw. auch bei flexiblen Nominallöhnen nach unten gibt es bei unsicheren Erwartungen keine Tendenz zur Vollbeschäftigung. In den siebziger und achtziger Jahren hat eine Weiterentwicklung der beiden Grundpositionen stattgefunden. So wird zwischen klassischer und keynesianischer Arbeitslosigkeit unterschieden und entsprechend eine unterschiedliche B. vorgeschlagen. Neuere Entwicklungen beziehen sich auf ein keynesianisches Konsensmodell und eine „neue neoklassische Synthese“. Grundlegende Veränderungen gegenüber den traditionellen Therapien für eine gesamtwirtschaftliche B. sind damit bisher aber nicht verbunden. Aus der Diagnose über die Ursachen der Arbeitslosigkeit folgt die Therapie, allerdings in beiden Theorieansätzen unterschiedlich. Da es in der Neoklassik bei einem funktionierenden Arbeitsmarkt keine dauerhafte Arbeitslosigkeit geben kann, zielen neoklassisch orientierte Vorschläge darauf, die Regelungen zu beseitigen, die die Funktionsweise des Arbeitsmarktes beeinträchtigen. So sollen staatliche Regelungen wie → Kündigungsschutz und soziale Sicherungssysteme auf ihre eigentlichen Aufgaben reduziert werden, um damit (→ Transaktions-)Kosten des Tausches von Arbeitskräften zu verringern. Im Mittelpunkt stehen Vorschläge, die bei Arbeitslosigkeit auf eine Senkung der
Beschäftigungspolitik
→ Lohn- und → Lohnnebenkosten zielen sowie eine größere Flexibilität der Löhne bewirken. Rahmenbedingungen für eine vollbeschäftigungskonforme Lohnpolitik sind eine mittelfristig orientierte, straffe → Geldpolitik zur Gewährleistung der → Preisniveaustabilität sowie eine solide und ebenfalls mittelfristig ausgerichtete → Finanzpolitik, die eine stabilitätswidrige Verschuldungspolitik des Staates verhindert. Aus der keynesianischen Instabilitätshypothese folgt die Forderung nach einer expliziten staatlichen B. Da die Ursache für Beschäftigungsschwankungen in einer unzureichenden gesamtwirtschaftlichen Nachfrage liegt, hat der Staat für die zusätzliche gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu sorgen, um Vollbeschäftigung zu erreichen. Diese keynesianische Sichtweise hat sich im → Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft von 1967, dem sog. Stabilitätsgesetz niedergeschlagen. Danach sind Bund und Länder verpflichtet, ihre → Wirtschaftspolitik auf die Erreichung der vier gesamtwirtschaftlichen Ziele – → Preisniveaustabilität, → Wachstum, → außenwirtschaftliches Gleichgewicht und Vollbeschäftigung – auszurichten. Zur Erreichung dieser Ziele steht dem Staat nach diesem Gesetz ein umfangreiches Instrumentarium der → Fiskalpolitik zur Verfügung. Außerdem sollen die Geldpolitik stabilitätskonform betrieben und eine vollbeschäftigungskonforme Lohnpolitik verfolgt werden. Diese Form der traditionellen Globalsteuerung ist seit Anfang der siebziger Jahre gescheitert, da für die damals aufgetretene → Stagflation, dem gleichzeitigen Auftreten von → Stagnation und → Inflation, eine solche gesamtwirtschaftliche Nachfragesteuerung ungeeignet ist. Die praktische Unangemessenheit und theoretische Kritik bewirkten eine Abkehr von der traditionellen → Globalsteuerung. In Wissenschaft und Praxis hat das Konzept einer → angebotsorientierten Wirtschaftspolitik zunehmende Bedeutung erlangt. Dieses Konzept ist an einer Stärkung des privatwirtschaftlichen Sektors orientiert: „mehr Markt – weniger Staat“. Für die
Beschäftigungspolitik
Geldpolitik folgt es einer monetaristischen Strategie, die eine an der → Geldmenge orientierte, mittelfristige Geldpolitik postuliert. Vollbeschäftigung soll nicht über die Nachfrageseite, sondern durch eine Verbesserung der Angebotsbedingungen der Privatwirtschaft erreicht werden: Verbesserung der Gewinnmöglichkeiten führen danach zu mehr Investitionen, stärkerem Wachstum und höherer Beschäftigung. Anknüpfungspunkte einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik sind die Beseitigung staatlicher Angebotshemmnisse wie eine zu hohe → Staatsquote und zu starke Regulierungen privater Tätigkeit. Besonders für den Arbeitsmarkt wird eine weitgehende Flexibilisierung und Deregulierung gefordert. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Lohnpolitik. Entsprechend der neoklassischen Fundierung dieses Konzeptes werden Reallohnsenkungen und Lohndifferenzierungen, z. B. die Einrichtung eines Niedriglohnsektors, zur Wiederherstellung der Vollbeschäftigung gefordert. Die praktizierte B. folgte vor allem seit den achtziger Jahren diesem Konzept. Vollbeschäftigung wurde damit nicht erreicht. Dieser mangelnde Erfolg sowie die wissenschaftliche Kritik haben zu einer Annnäherung keynesianischer und neoklassisch-monetaristischer Positionen in der Stabilitätspolitik geführt, die vor allem die Rolle des Staates betreffen. Eine Wiederbelebung keynesianischer gesamtwirtschaftlicher Beschäftigungspolitik erfolgte in jüngster Zeit in der Praxis durch die tief greifende weltweite Finanzmarktund Wirtschaftkrise. Staatliche Konjunkturprogramme wurden in vielen Ländern ergriffen, um die Auswirkungen der globalen Krise abzumildern. Eine „neue Dimension“ staatlicher B. ergibt sich durch die → Europäische Währungsunion. Durch die unwiderrufliche Fixierung der → Wechselkurse zwischen den Mitgliedsstaaten dieser Union entfällt die Möglichkeit außenwirtschaftlicher Anpassungsmaßnahmen durch → Auf- oder → Abwertungen der → Währungen. Der interne Anpassungsdruck erhöht und verändert sich. Eine nationale staatliche B. key117
Beschäftigungspolitik
nesianischer Art im „Alleingang“ hat, da die Geldmenge in Euroland konstant bleibt, Rückwirkungen auf andere Mitgliedsländer und wird daher schwieriger umsetzbar. Daher steigt der Druck auf die Arbeitsmärkte, anpassungsfähiger und flexibler im Sinn der Neoklassik zu werden. Notwendig ist auch eine verstärkte Kooperation zwischen den Mitgliedsstaaten der → EU. Die EU beeinflußt durch Richtlinien, wie z. B. die – umstrittene – Dienstleistungsrichtlinie, und ihre Strukturfonds zwar die Beschäftigung in den Mitgliedsländern, eine direkte B. ist damit aber nicht intendiert. Erst mit der Europäischen Beschäftigungsstrategie (Vertragsreform von Amsterdam 1997) und der Verabschiedung eines Europäischen Beschäftigungspaktes (Köln 1999) versucht die EU eine europäische B. zu etablieren. Diese Strategie besteht aus verschiedenen Elementen: Querschnittsziele, Leitlinien und konkrete Vorschläge, die in nationalen Aktionsplänen (NAP) umgesetzt werden sollen. Der Beschäftigungspakt beinhaltet einen Makroökonomischen Dialog der Sozialpartner, EZB und nationalen Regierungen und soll zu einer „Europäisierung“ der B. beitragen. Die Wirksamkeit der Europäischen Beschäftigungsstrategie dürfte begrenzt sein, da hier kaum Möglichkeiten einer direkten Steuerung seitens der EU vorhanden sind. Literatur: Bericht der Arbeitsgruppe Benchmarking und der Bertelsmann-Stiftung, Benchmarking Deutschland: Arbeitsmarkt und Beschäftigung, Berlin etc. 2001 und 2004. Carlberg, M., Europäische Währungsunion: Die neue Wirtschaftspolitik, in: WiSt: 29. Jg. (2000), S. 8 – 13. Cassel, D., Thieme, H. J., Stabilitätspolitik. Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 9. Aufl., München 2007, S. 363 – 438; Deutsche Bundesbank, Die Änderungen am Stabilitäts- und Wachstumspakt, 57. Jg. (2005), Nr. 4, S. 15 – 21; Engelen, E., Lambsdorf. J.G., Das Keynesianische Konsensmodell, http://www.wiwi. uni-passau.de/fileadmin/dokumente/lehrstuehle/lambsdorff/downloads/Konsensmodell.pdf; Europäische Kommission: Beschäftigung in Europa, lfd. Jahresberichte; 118
Beschwerde
Krol, G.-J., Europäische Kommission, Zehn Jahre Europäische Beschäftigungsstrategie (EBS), Brüssel 2007, http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=101&langId=de&furth erPubs=yes; Schmid, A., Volkswirtschaftslehre – Eine problemorientierte Einführung, 21. Aufl., 3. Kap., Tübingen 2002; Keller, B., Europäische Arbeits- und Sozialpolitik, 2. Aufl. München, Wien 2001; Klauder, W., Arbeit, Arbeit, Arbeit, Zürich, Osnabrück 1999; Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 32. Jg. (1999), Schwerpunktheft 4, Neue Arbeitsplätze – was steckt dahinter?, S. 385 – 535; Platzer, H.-W., Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik in der EU, Baden-Baden 1999/2000; Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten, lfd. Jg. Prof. Dr. Alfons Schmid, Frankfurt Beschäftigungsquote ⇒ Erwerbstätigenquote Anteil der Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung. Beschluß gerichtliche Entscheidung, die im Gegensatz zum → Urteil in der Regel ohne mündliche Verhandlung erfolgt. Beschlußverfahren besonderes Verfahren vor den Arbeitsgerichten, das Streitigkeiten aus dem Bereich des Betriebsverfassungsrechts zum Gegenstand hat. Beschwerde Rechtsmittel im Sinne eines Antrages auf Abänderung einer Maßnahme. 1. im Zivilprozeß (§§ 567 ff. Zivilprozeßordnung): gegen Beschlüsse des Gerichtes in den vom Gesetz ausdrücklich bestimmten Fällen zugelassen. 2. im Steuerrecht: gegen alle Verwaltungsakte der Finanzbehörden, gegen die nicht der → Einspruch vorgesehen ist (§§ 347 u. 348 Abgabenordnung), zulässig. Die Finanzbehörde, deren Verwaltungsakt mit der B. angefochten wird, kann dieser entsprechen oder diese der nächsthöheren Behörde zur Beschwerdeentscheidung vorlegen (§ 367 Abgabenordnung). Eine Schlechterstellung des Beschwerdeführers
Beschwerde
ist nicht zulässig. Gegen die Beschwerdeentscheidung ist Klage im Finanzrechtsweg zulässig. Kosten entstehen nicht. 3. in der Verwaltungsgerichtsbarkeit (§§ 146 ff. Verwaltungsgerichtsordnung): zulässig gegen alle Entscheidungen des Verwaltungsgerichtes, die nicht Urteile oder Vorbescheide sind und gegen Entscheidungen des Vorsitzenden, soweit nicht im Einzelfall ausdrücklich ausgeschlossen. 4. in der → Arbeitsgerichtsbarkeit gegen Entscheidungen des Arbeitsgerichtes oder seines Vorsitzenden zulässig; über die B. entscheidet das Landesarbeitsgericht (§§ 567 ff. Zivilprozeßordnung in Verbindung mit § 78 Arbeitsgerichtsgesetz). Beschwerderecht nach § 84 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) hat jeder → Arbeitnehmer das Recht, sich bei der zuständigen Stelle des Betriebes zu beschweren, wenn er sich vom → Arbeitgeber oder von Arbeitnehmern des Betriebes benachteiligt oder ungerecht behandelt oder in sonstiger Weise beeinträchtigt fühlt. Der Arbeitnehmer kann seine Beschwerde auch beim → Betriebsrat einlegen. Dieser hat die Beschwerde zu prüfen und im Falle ihrer Berechtigung beim Arbeitgeber auf Abhilfe hinzuwirken (§ 85 Abs. 1 BetrVG). Besitz die tatsächliche Herrschaft über eine → Sache. Das Gesetz unterscheidet zwischen unmittelbarem und mittelbarem B. sowie zwischen Eigen- und Fremdbesitz, je nachdem die Sache dem Besitzer gehört oder nicht. Unmittelbarer Besitzer ist, wer die tatsächliche Sachherrschaft persönlich ausübt (z. B. als Entleiher, Mieter). Mittelbarer Besitzer ist derjenige, dem der unmittelbare Besitzer durch ein bestimmtes Rechtsverhältnis (→ Besitzmittlungsverhältnis) den B. vermittelt. Wurde dem mittelbaren Besitzer der B. bereits von einem Dritten eingeräumt, so ist dieser Dritte auch (entfernterer) mittelbarer Besitzer (§ 871 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). So ist beispielsweise bei der → Untervermietung der Untermieter unmittelbarer Besitzer, der Untervermieter mittelbarer Besitzer und der Hauptvermieter entfernterer mittelbarer Besitzer. Wer eine Sache mit
Besitzentziehungsklage
einem anderen gemeinschaftlich besitzt, ist Mitbesitzer, wer lediglich einen Teil einer einheitlichen Sache besitzt, ist Teilbesitzer. Der B. wird erworben durch Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache (§ 854 BGB), ohne Rücksicht darauf, ob die Besitznahme rechtens erfolgt oder nicht. So ist der Mieter eines PKW ebenso Besitzer wie der Dieb eines gestohlenen PKW. – Allein der B. spricht dafür, daß der Besitzer der Eigentümer (→ Eigentum) ist. Aus dieser berechtigten Vermutung wird der Schutz des B. (Besitzschutz) begründet. Wird nämlich der Besitzer durch verbotene Eigenmacht Dritter (§ 858 BGB) in seinem B. gestört oder ihm die Sache, die er besitzt, entzogen, kann er sich dagegen zur Wehr setzen. Er kann gegen Besitzstörungen Gewalt anwenden und → Selbsthilfe ausüben. So kann er beispielsweise eine entwendete Sache dem auf frischer Tat ertappten oder verfolgten Täter abnehmen oder einen Störer von seinem Grundstück vertreiben. Die Besitzentziehungsklage auf Wiedereinräumung des B. und die Besitzstörungsklage auf Beseitigung und Unterlassung weiterer Besitzstörung sind hier mögliche Besitzklagen. – Der B. geht verloren durch freiwillige Aufgabe oder unfreiwilligen Verlust der tatsächlichen Gewalt (Besitzverlust). Vom Besitzer zu unterscheiden ist der sogenannte Besitzdiener. Dieser steht in einem persönlichen oder sozialen Abhängigkeitsverhältnis zum Besitzer. Er kann für diesen nach dessen Weisungen die tatsächliche Herrschaft über die Sache ausüben, ohne jedoch selbst B. zu haben. So zum Beispiel die Ladenverkäuferin hinsichtlich der angebotenen Waren, der Chauffeur hinsichtlich des Kraftfahrzeuges. Der B. bleibt beim Besitzherr (somit im vorgenannten Beispiel beim Geschäftsinhaber, Kraftfahrzeughalter). Besitzdiener → Besitz. Besitzeinkommen ⇒ Kapitaleinkommen ⇒ Vermögenseinkommen → Einkommen. Besitzentziehungsklage → Besitz. 119
Besitzkonstitut
Besitzkonstitut ⇒ Besitzmittlungsverhältnis. Besitzmittlungsverhältnis ⇒ Besitzkonstitut Vereinbarung bei → Übereignung → beweglicher Sachen zwischen dem bisherigen Eigentümer und dem Erwerber, wonach die nach § 929 Bürgerliches Gesetzbuch zur Eigentumsübertragung erforderliche → Übergabe der Sache dadurch ersetzt wird, daß der Erwerber den mittelbaren → Besitz an der Sache erlangt und zwar in Form eines konkreten Rechtsverhältnisses, wie zum Beispiel → Miete, → Leihe, → Verwahrung. Eigentümer wird der → Gläubiger, der → Schuldner bleibt aber im Besitz der Sache. Beispiel: A. kauft B. dessen Fahrrad ab. Da B. dieses aber noch 14 Tage benötigt, überläßt ihm A. dieses zur Leihe. Eine Übergabe findet zunächst nicht statt. A. wird Eigentümer des Fahrrades; B. bleibt jedoch (zunächst) Besitzer desselben. Besitzschutz → Besitz. Besitzsteuern Gruppe von → Steuern, die vom → Einkommen (→ Einkommen-, → Lohn-, → Körperschaftsteuer) oder vom → Ertrag (→ Gewerbe-, → Erbschaftsteuer) oder → Vermögen (→ Grundsteuer) erhoben werden. Je nachdem, ob sich die Steuer nach den persönlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen richtet (z. B. Einkommensteuer) oder ob der Wert/Ertrag eines bestimmten Objektes die Bemessungsgrundlage abgibt (z. B. bei der Grundsteuer), spricht man von Personen(Subjekt-) und Real- (Objekt-)Steuern. Besitzstörungsklage → Besitz. Besitzverlust → Besitz. bestätigter Bundesbankscheck mit dem Annahmevermerk (Bestätigungsvermerk) einer Hauptverwaltung der → Deutschen Bundesbank versehener Scheck. Durch einen solchen Bestätigungsvermerk verpflichten sich diese Einrichtun120
betriebliche (kapitalgedeckte) Altersvorsorge
gen, den betreffenden Scheck innerhalb von 8 Tagen nach Ausstellung einzulösen. Bestellung im Rahmen des → Kaufvertrages oder des → Werkvertrages die eindeutige Aufforderung des Kunden an den Verkäufer/ → Unternehmer, eine bestimmte Ware/ein bestimmtes Werk zu bestimmten Bedingungen zu liefern/fertigzustellen. Die B. kann durch die vorherige Einholung eines → Angebotes vorbereitet werden. Ging der B. ein Angebot von Seiten des Verkäufers/ Unternehmers voraus, so bedarf es für das Zustandekommen eines Kaufvertrages beziehungsweise eines Werkvertrages keiner Bestätigung der B.; eine Bestätigung ist jedoch im Geschäftsverkehr oft üblich und zweckmäßig. Ging der B. kein Angebot voraus, so kommt ein Vertrag erst zustande, wenn die B. vom Verkäufer/Unternehmer angenommen wird (Bestellungsannahme). Bestellungsannahme → Bestellung. Beteiligung Halten von Anteilen am → Kapital einer → Unternehmung (z. B. → Aktien) verbunden mit Rechten (Anspruch auf Anteil am → Gewinn u. am Liquidationserlös bei Auflösung der Unternehmung) möglicherweise auch Pflichten (→ Haftung für Verluste). Die B. kann durch eine einzelne Person oder eine Unternehmung erfolgen. Vorübergehende Geldanlagen im Kapital von Unternehmungen stellen keine echte B. dar. Für eine solche ist die Absicht des Anteileigners, für längere Zeit Einfluß auf eine Unternehmung zu nehmen, von Bedeutung. Beteiligungslohn ⇒ Investivlohn. Beteiligungsrechte → Betriebsrat. Betrieb wirtschaftliche Einheit. betriebliche (kapitalgedeckte) Altersvorsorge Nach dem am 1. 1. 2002 in Kraft getretenen Altersvermögensgesetz können gesetzlich rentenversicherte (→ Rentenversicherung)
betriebliche (kapitalgedeckte) Altersvorsorge
→ Arbeitnehmer einen Teil ihres → Bruttogehaltes steuermindernd über die sogenannte Entgeltumwandlung in einer b. anlegen. Dafür stehen fünf verschiedene Durchführungswege zur Auswahl: Direktzusage, Unterstützungskasse, Direktversicherung, Pensionskasse und Pensionsfonds. Unter Berücksichtigung des Alterseinkünftegesetzes vom 1. 1. 2005 sind Ein- und Auszahlung in beziehungsweise aus den verschiedenen Anlagemöglichkeiten steuerlich wie im Schaubild unten geregelt. Die Entgeltumwandlung gewinnt zusätzliches Interesse dadurch, daß mit ihr auch die staatliche Förderung der zusätzlichen, privaten (kapitalgedeckten) Altersvorsorge, der → Riester- wie auch der → EichelRente, in Anspruch genommen werden kann. Allerdings setzt diese Förderungsfähigkeit der b. voraus, daß diese später als Altersrente ausgezahlt wird und nicht als einmalige Kapitalleistung erfolgt. Wird der (Förderungs-)Anspruch erhoben, ist damit die Förderung für die private Altersvorsorge nicht mehr verfügbar! Der → Arbeitnehmer sollte sich deshalb reiflich überlegen, für welche der beiden Vorsorgemöglichkeiten (betriebliche oder private) er sich entscheiden möchte. Sollte sich bei einer b. per
betriebliche Weiterbildung
Entgeltumwandlung der → Arbeitgeber mit einem Finanzierungsanteil beteiligen, wäre im Regelfall die betriebliche Vorsorgemöglichkeit der privaten vorzuziehen. betriebliche Bündnisse für Arbeit → Tarifvertrag. betriebliche Mitbestimmung → Mitbestimmung. betriebliche Weiterbildung In einer Zeit, in der moderne Techniken weltweit verfügbar sind, entscheidet vor allem die Motivation und die → Qualifikation der Mitarbeiter über den Erfolg eines → Unternehmens. Aufgrund der „Halbwertzeit“ des Wissens reichen die in einer Erstausbildung erworbenen Qualifikationen immer weniger aus, um berufliche Handlungskompetenzen dauerhaft zu sichern. Der b. kommt daher die strategische Aufgabe zu, die Mitarbeiter rechtzeitig und im erforderlichen Umfang auf veränderte Anforderungen vorzubereiten und zugleich die Voraussetzungen für Innovationsprozesse zu schaffen. Über die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten hinaus geht es darum, umfassende berufliche Handlungskompetenzen zu vermitteln. Dies schließt fachliche, personale und soziale Kompetenzen mit ein.
Besteuerung der Einzahlung in die betriebliche Altervorsorge Direktzusage
Unterstützungskasse
Direktversicherung
Pensionskasse
Pensionsfonds
geltendes Recht Keine Besteuerung des Aufwands; keine Obergrenze
Aufwand bis 4 Prozent der BBG*) zuzüglich 1800 Euro steuerfrei
*) Beitragsbemessungsgrenze für die Rentenversicherung Besteuerung der Auszahlung aus der betrieblichen Altervorsorge Direktzusage
Unterstützungskasse
Direktversicherung
Pensionskasse
Pensionsfonds
geltendes Recht volle Besteuerung, Abschmelzung der Freibeträge
volle Besteuerung, geringe Freibeträge
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betriebliche Weiterbildung
Im engeren Sinne meint b. organisierte Lehr-Lern-Prozesse, die vom → Betrieb veranlaßt, durchgeführt oder zumindest unterstützt werden. Die Einschränkung auf organisierte und das heißt nach didaktischen Grundsätzen gestaltete Lernprozesse wird der Vielfalt betrieblicher Lern- und Bildungsprozesse indessen nicht gerecht. Unter b. werden daher in einem weiteren Sinne alle betrieblich veranlaßten, durchgeführten und/oder finanzierten Maßnahmen verstanden, die auf Qualifikationsveränderungen abzielen. Zielsetzung: B. muß, wenn sie nachhaltig wirksam sein soll, die Interessen und Bedürfnisse der Mitarbeiter berücksichtigen. Ihr vorrangiges Ziel besteht jedoch in der Sicherung oder der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Sie ist keine Sozialleistung, sondern ausgerichtet auf unternehmenspolitische Ziele. Maßnahmen der b. dienen daher vorrangig der Anpassung von Qualifikationen an veränderte Anforderungen. Im Vordergrund stehen Seminare mit einer Dauer zwischen einem und fünf Tagen. Längerfristige Lehrgänge, insbesondere zur → Umschulung von Mitarbeitern oder zur Vorbereitung auf neue Aufgaben, finden demgegenüber deutlich seltener statt. Lernorte: Neben dem training-off-the-job kommt dem training-on-the-job eine große praktische Bedeutung zu. Durch das Lernen in der unmittelbaren Arbeitssituation erfolgt eine praxisnahe Qualifizierung, die den Lernbedürfnissen der Mitarbeiter in besonderem Maße Rechnung trägt. Die Gestaltungsformen des training-on-the-job sind vielfältig; im Mittelpunkt stehen Unterweisungs- und Einarbeitungsmaßnahmen. Von Bedeutung sind daneben das → Coaching, Qualitätszirkel, arbeitsnahe → Workshops und → Jobrotation. Die Grenzen zwischen intentionalem und funktionalem Lernen, zwischen Lernen und Arbeiten sind fließend. Organisation: Um paßgenau jene Qualifikationen zu vermitteln, die tatsächlich benötigt werden, vollzieht sich b. vor allem in intern organisierten Veranstaltungen. Sie sind paßgenau auf den Bedarf einzelner 122
betriebliche Weiterbildung
Mitarbeiter(gruppen) oder Abteilungen zugeschnitten. Im Unterschied zu den großen Unternehmen, die über eigene Ressourcen verfügen, sind die kleineren und mittelgroßen Unternehmen weit eher auf das Angebot von externen Trägern angewiesen. Während Fachkräfte vornehmlich in betriebsinternen Maßnahmen trainiert werden, findet die Weiterbildung von Spezialisten und Führungskräften häufiger bei externen Trägern statt. Maßnahmen der b. finden größtenteils innerhalb der Arbeitszeit statt. Angesichts verkürzter Arbeitszeiten stellt die Freistellung von Mitarbeitern für die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen jedoch ein Problem dar. Namentlich in den Kleinbetrieben ist es häufig kaum möglich, auf einzelne Mitarbeiter für längere Zeit zu verzichten. Dies hat dazu geführt, daß ein wachsender Teil der Weiterbildung in der Verantwortung der Mitarbeiter stattfindet. Parallel dazu hat sich eine Aufwertung des Vorgesetzten als zentralem Verantwortlichem für die Weiterbildung vollzogen, außerdem werden die Mitarbeiter verstärkt an den Planungsprozessen beteiligt. Selbstorganisation und Selbstregulierung werden so zu wichtigen Gestaltungsprinzipien. Auf diesem Weg erfolgt eine Verknüpfung der betrieblichen Bildungsarbeit mit der Personal- und Organisationsentwicklung. Die Bildungsabteilung wird zu einem zentralen Beratungs- und Dienstleistungszentrum, das über die Organisation von Seminaren hinaus an der Gestaltung von betrieblichen Veränderungsprozessen mitwirkt. Methoden: Im Vordergrund stehen teilnehmerorientierte Methoden wie Gruppen- und Projektarbeiten, → Fallstudien und → Planspiele. Eine große praktische Relevanz kommt darüber hinaus dem selbstgesteuerten Lernen zu. Neben der Lektüre von Fachliteratur wird dem Einsatz „neuer“ Medien – vor allem dem E-Learning – eine wachsende Bedeutung beigemessen. Dies bietet den Vorteil, daß die Weiterbildung großer Mitarbeitergruppen dezentral und kostengünstig organisiert werden kann. Die Anlässe, die Zeitpunkte sowie Dauer und Geschwindigkeit des Lernens können vom
betriebliche Weiterbildung
einzelnen Mitarbeiter selbst bestimmt werden. Personal: Professionalisierte, ausschließlich oder überwiegend für die Weiterbildung zuständige Mitarbeiter werden in der Regel erst in Betrieben mit mehr als 1000 Mitarbeitern beschäftigt. In den kleineren Betrieben werden die Weiterbildungsfunktionen meist als Teil der Personalarbeit oder im Rahmen von Führungsaufgaben wahrgenommen. Eine längerfristig angelegte und systematisch mit der Unternehmensplanung verknüpfte Weiterbildungsplanung findet sich daher in der Regel nur in größeren Betrieben. In der Mehrzahl der kleineren und mittleren Betriebe erfolgt die Planung ad hoc aufgrund sich aktuell ergebender Bedarfslagen. B. ist nicht nur Motor für Veränderungen im Unternehmen, sondern selbst Gegenstand von Reorganisationsprozessen geworden. Zentrale Einheiten wurden oftmals zergliedert und den Geschäftsbereichen zugeordnet. Weiterbildungsabteilungen oder-funktionen wurden als → Profitcenter ausgegliedert. Zielgruppen: Die Beteiligung der Mitarbeiter an Seminaren und Lehrgängen nimmt mit steigender hierarchischer Stellung im Unternehmen zu. Fach- und Führungskräfte nehmen daher vergleichsweise häufiger an Maßnahmen der b. teil als Mitarbeiter in un- oder angelernten Tätigkeiten. In der Bildungssoziologie wird dies als Segmentierung der Belegschaften charakterisiert. Dem wird vor allem von den → Gewerkschaften das gesellschaftspolitische Ziel entgegengestellt, allen Mitarbeitern in gleichem Maße Weiterbildung zu ermöglichen. Dies findet seinen Ausdruck in der Forderung nach einem tarifvertraglich und/ oder gesetzlich verankerten Anspruch der → Arbeitnehmer auf bezahlte Freistellung für die Teilnahme an Seminaren sowie nach erweiterten Mitbestimmungsrechten für die → Betriebsräte. Von betrieblicher Seite wird demgegenüber geltend gemacht, daß die erhöhte Weiterbildungsbeteiligung der Fach- und Führungskräfte kein Privileg darstellt. Sie ist
betriebliche Weiterbildung
vielmehr Ausdruck des erhöhten Weiterbildungsbedarfs aufgrund der besonderen Verantwortung für den Erfolg des Unternehmens. Wegen der hohen Personalkosten werden Freistellungsansprüche abgelehnt. Wirtschaftlichkeit: Im Durchschnitt wenden die Betriebe (Stand: 2005) einen Betrag von 1072 Euro je Mitarbeiter für die Weiterbildung auf. Davon entfallen rund zwei Drittel auf die Kosten der Lohnfortzahlung während der Teilnahme an der Weiterbildung. Hochgerechnet haben die Unternehmen der privaten gewerblichen Wirtschaft einen Betrag von 25,8 Mrd. Euro in die Weiterbildung investiert. Rechnet man noch die Freien Berufe und die öffentlichen Arbeitgeber hinzu, gelangt man zu einem Volumen von schätzungsweise rund 30 Mrd. Euro. Die Betriebe sind damit die wichtigsten Träger und Finanziers → Beruflicher Weiterbildung. Angesichts dieser hohen Aufwendungen wird in den Betrieben nach Möglichkeiten gesucht, die → Wirtschaftlichkeit der Weiterbildung durch die Anwendung von Controlling-Ansätzen zu erhöhen. → Bildungscontrolling meint dabei nicht die Kontrolle, sondern die erfolgsorientierte Steuerung der betrieblichen Bildungsarbeit. Dazu muß der gesamte Prozeß der Weiterbildung in den Blick genommen werden, angefangen von der Bedarfsermittlung, über die Planung und Teilnehmergewinnung bis zur Feststellung der Lernergebnisse und der KostenNutzen-Analyse. Literatur: BMBW – Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (Hrsg.): Betriebliche Weiterbildung. Forschungsstand und Forschungsperspektiven. Zwei Gutachten. Studien Bildung und Wissenschaft, Nr. 88, Bonn 1990; Grünewald, Uwe/Moraal, Dick/ Schönfeld, Gudrun (Hrsg.): Betriebliche Weiterbildung in Deutschland und Europa. Bonn 2003; Gust, Mario/Weiß, Reinhold (Hrsg.): Praxishandbuch Bildungscontrolling für exzellente Personalarbeit. Konzepte, Methoden, Instrumente, Unternehmenspraxis. Ottobrunn 2005; Werner, Dirk: Trends und Kosten der betrieblichen Weiterbildung – Ergebnisse der IW-Weiter123
betriebliche Weiterbildung
bildungserhebung der Wirtschaft. In: IWtrends, Heft 1, 2006. Prof. Dr. Reinhold Weiß, Bonn Betriebsänderung in → Betrieben mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten → Arbeitnehmern hat der → Unternehmer den → Betriebsrat über geplante B., die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können, rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und diese mit ihm zu beraten (§ 111 Betriebsverfassungsgesetz). Dabei hat der Unternehmer zu versuchen, mit dem Betriebsrat zu einem → Interessenausgleich zu kommen. Als B. im vorgenannten Sinne gelten: (1) Einschränkung und Stillegung des ganzen Betriebes oder von wesentlichen Betriebsteilen, (2) Verlegung des ganzen Betriebes oder von wesentlichen Betriebsteilen, (3) Zusammenschluß mit anderen Betrieben, (4) grundlegende Änderungen der Betriebsorganisation, des Betriebszweckes oder der Betriebsanlagen, (5) Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren. Betriebsarzt das Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Arbeitssicherheitsgesetz, ASiG) von 1973 mit späteren Änderungen verpflichtet → Betriebe ab einer bestimmten Beschäftigtenzahl oder mit hohem Gefährdungsgrad (neben Fachkräften für Arbeitssicherheit) B. zu bestellen. Zu den Aufgaben der B. gehören nach § 3 ASiG: (1) die Beratung des → Arbeitgebers bei Planung, Ausführung und Unterhaltung von Betriebsanlagen sowie bei sozialen und sanitären Einrichtungen, bei der Einführung neuer Arbeitsverfahren, bei der Organisation von Arbeitsplätzen und Arbeitszeit wie auch bei der Ersten Hilfe im Betrieb; (2) Untersuchung und arbeitsmedizinische Beurteilung der → Arbeitnehmer, Aufspürung arbeitsbedingter Krankheiten und Hinwirkung darauf, daß sich alle Betriebsangehörigen den Anforderungen des → Arbeitsschutzes und der → Unfallverhütung entsprechend verhalten. 124
Betriebserkundung
Zu den Aufgaben des B. gehört es nicht, Krankmeldungen der Arbeitnehmer auf ihre Berechtigung zu überprüfen (§ 3 Abs. 3 ASiG). Eine Verpflichtung der Arbeitnehmer zur Untersuchung durch den B. besteht nicht. B. unterliegen (auch gegenüber dem Arbeitgeber) der ärztlichen Schweigepflicht (§ 8 Abs. 1 ASiG). Betriebsausgaben Aufwendungen, die durch den → Betrieb des Steuerpflichtigen entstanden sind und den steuerpflichtigen → Gewinn mindern. Betriebsausschuß → Betriebsrat Betriebsbuße ⇒ Betriebsstrafe betriebliche Sanktionen (wie beispielsweise förmlicher Verweis, Geldbuße, Gehaltskürzung) bei leichteren betrieblichen Ordnungsverstößen oder bei geringfügigen betrieblichen Straftaten; sie können nur verhängt werden, wenn sie im betreffenden → Tarifvertrag oder in der einschlägigen → Betriebsvereinbarung für entsprechende Fälle vorher bereits angekündigt wurden. Betriebsergebnis der durch die gewöhnliche Geschäftstätigkeit eines → Unternehmens (d. h. durch → Produktion u. → Absatz) erwirtschaftete → Gewinne respektive → Verlust. Betriebserkundung ist eine schulische Veranstaltung, die an einem außerschulischen Lernort durchgeführt wird. Sie ist Teil eines umfassenden Curriculums, dem auch die Aufgabe gestellt ist, beispielhafte Einblicke in die Realitäten der Wirtschafts-, Berufs- und Arbeitswelt zu vermitteln, die den Schülern im klassischen Unterricht nicht ermöglicht werden können. Eine B. hat also immer ergänzende Funktion. Neben anderen Möglichkeiten, hochkomplexe Sachverhalte darzustellen, besteht aber auch mit der B. die Gefahr, daß Schüler ihre eigenen Beobachtungen und Erkundungsergebnisse schnell verallgemeinern und eben damit die Komplexität vereinfachen. Es hat z. B. wenig Sinn, sie gleich zu Beginn mit komplexen Organisationsschemata zu
Betriebserkundung
überfallen oder Analysen sozialer Situationen mit Hilfe empirischer Befragungsmethoden zu fordern. Bei der Annäherung an einen → Betrieb von der Schule aus sind Kategorien zu wählen, die auch außerhalb des Betriebes bekannt sind. Für die Verlaufsplanung der B. lassen sich daraus auch wichtige Kriterien für die Auswahl der zu besuchenden Betriebe festlegen. So vorstrukturiert ist eine B. dann eine sinnvolle Ergänzung zum Unterricht. Da die durch sie gewonnenen Erkenntnisse nicht nur rückwirkend eine Ergänzung zum Unterrichtsstoff bieten, sondern in der weiteren unterrichtlichen Arbeit verwertet werden, unterscheidet sich eine B. ganz deutlich von einer → Betriebsbesichtigung. Der nachfolgende Unterricht ist also mit der B. verzahnt und insofern Teil der B. Deshalb lassen sich B. als Arbeitsformen definieren, in denen die Schüler unter gezielten Fragestellungen außerhalb der Schule Informationen sammeln, erarbeiten, festhalten und ordnen. Das so gewonnene Material ist dann ein im Unterricht weiter zu behandelnder Gegenstand. Eine B. ist also keine isolierte, nur als schulische Ausnahme interpretierbare Veranstaltung. Sie bildet vielmehr mit dem Unterricht eine neue Einheit, deren praktischer Teil an einem nichtschulischen, aber pädagogisch relevanten Lernort stattfindet. Der besondere, grundlegende didaktische Ansatz der B. ist ihre Aspektstruktur. Es lassen sich sechs Aspekte entwickeln, die allerdings nicht in jeder einzelnen B. abgedeckt werden können. Im Laufe des Unterrichts in der Sekundarstufe I sollte jeder Aspekt einmal Berücksichtigung finden. B. sind auch Teil eines Instrumentariums, über mehrere Jahre allgemeinbildenden Unterrichts Schüler mit der Arbeitswelt vertraut zu machen. Technologischer Aspekt: Darunter sind Fertigungsabläufe, Bearbeitungsverfahren, Werkstoffarten, Funktionszusammenhänge an Maschinen und technischen Anlagen, Fabrikationswege eines Produktes und Arbeitsabläufe die wesentlichen Elemente. Betriebswirtschaftlicher Aspekt: Hier sollen Ziel und Zweck des Betriebes, der Betriebsauf bau, die Gliederung der Funk-
Betriebserkundung
tionen innerhalb der Betriebsstruktur, die Rechtsform und die Kommunikationsstruktur (Leitungsbefugnis im Sinne von Staboder Liniensystem), die Umsatzentwicklung, die Absatzlage (der Verkaufserfolg), die Marktstellung in der Region und im überregionalen → Wettbewerb, die Produktions-, Kosten- und Rentabilitätsentwicklung und auch das Investitionsprogramm behandelt werden. Sozialer Aspekt: Hierzu zählen die → Arbeitsbedingungen, die Leistungsbewertungskriterien der → Arbeitnehmer, die → Entlohnungsformen, die Veränderung von Qualifikationsanforderungen in der Beschäftigungsstruktur, Probleme der betrieblichen Personalplanung im Sinne von Umsetzung von Arbeitskräften an verschiedene → Arbeitsplätze, Akzeptanzprobleme bei der Einführung neuer Technologien, die Arbeitszeitentwicklung und die Sozialleistungen des Betriebes, die hierarchische Betriebsstruktur und die → Sozialordnung und die gewerkschaftliche und betriebsrätliche Interessenvertretung. Ökologischer Aspekt: Gewinnt zunehmend an Bedeutung. Hier sind die Umweltbelastung der betrieblichen → Produktion, Energiebedarf und Sparmöglichkeiten von Energie, umweltgerechter Umgang mit Arbeits- und Werkstoffen, umweltschonende Produktionsverfahren, Entsorgungsverfahren (Recycling) und Kosten des → Umweltschutzes zu behandeln. Konsumentenaspekt: Unter diesem und unter dem ökologischen Aspekt spielt auch die Außenwirkung eine Rolle, so daß sich hier neben den speziellen Sach- und Problemverhalten des zu erkundenden Betriebes solche anderer Betriebe und Wirtschaftsbereiche mit ins Blickfeld drängen. Stichwortartig lassen sich hier folgende Problemkomplexe erwähnen: das produzierte Warensortiment, die Qualitätssicherung, Preispolitik und Werbemaßnahmen. Berufskundlicher Aspekt: Die vorkommenden Berufe im Betrieb, berufstypische Tätigkeiten und Arbeitsplätze, Berufsanforderungen und Kriterien für die Einstellung von Anfängern, Ausbildungs- und Weiterbildungsformen, betriebliche Ausbildungs125
Betriebserkundung
pläne, die Frage nach der Übernahme von → Auszubildenden nach der → Ausbildung und den Anforderungen der Betriebe an die schulische Vorbildung fallen hierunter. In kleineren Betrieben lassen sich einige dieser Teilaspekte zusammenfassen. Es ist in jedem Falle wichtig, eine B. als integrierte Veranstaltung zu planen (s. Kasten). Integrierte Erkundung Thema der Unterrichtseinheit Problemstellung Sensibilisierung der Schüler für das Thema (z. B. Fall) Phase der schulischen Information Schüler und Schule beschaffen Informationen Verarbeitung der Informationen Feststellen von Informationsdefiziten Klären, wo diese Informationen beschafft werden können (gleichzeitig sind damit die Erkundungsaspekte festgelegt) Phase der außerschulischen Information Erkundungen Auswertungsphase Zusammenstellung der Erkundungsergebnisse Überprüfen der gesamten Informationslage im Hinblick auf die Problemstellung Evtl. Notwendigkeit weiterer Erkundungen Problemlösung Lösung des Falles Kritik/Bewertung Abschlußdiskussion Verbesserungsvorschläge Es ist bei der Wahl des Erkundungsbetriebes darauf zu achten, daß dieser nach Größe und Gliederung überschaubar ist, daß der Bezug der beobachteten und hinterfragten Tätigkeiten und Verhältnisse zum Erlebnisbereich des Schülers gehören kann, die Offenheit der Betriebsleitung der B. gegenüber gegeben ist, d. h. vorher festgestellt oder hergestellt wird. 1. Planung der B.: Schaffung einer Motivation durch einen Einstiegsfall oder eine besondere Situation, Schaffung der Identi126
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fikation der Schüler mit der Zielsetzung der B. und Qualifizierung für den technischen Ablauf. 2. Vorbereitung der B. auf der Grundlage eines Programmpaketes: Da eine ganze Reihe von Inhalten den Erfolg einer B. steigern können, selbst aber nicht Gegenstand einer B. sein sollen (da die Effizienz dieser Kenntnisvermittlung in der B. selbst weniger gut sein kann als im Unterricht), sollen die Informationen möglichst als Programme, die in Eigenarbeit und in vertretbarer Zeit erledigt werden können, vermittelt werden. Eine unprogrammierte Vermittlung ist selbstverständlich möglich und kann je nach Einzelfall an die Stelle des Programms gesetzt werden. 3. Durchführung der B.: Den Schülern sollen dabei weniger fest strukturierte Schemata – z. B. fest fixierte Fragenkataloge – mitgegeben werden. Die betreuenden Lehrer sollten darauf vertrauen, daß die Vorbereitung anhand der vorgeschlagenen Materialien und nach den motivierenden Einstiegen dem Schüler die Chance läßt, wirklich nach sich frei entfaltendem spontanem Interesse den eigenen Anregungen gezielt nachzugehen. 4. Auswertung der B.: Protokolle aus den durchgeführten B. werden vervollständigt durch Austausch von Informationen. In einer Grobliste werden für alle Schüler die wichtigsten Ergebnisse erfaßt und ihnen ausgehändigt. Eine Sonderform der B. wurde in BadenWürttemberg als Teil des → Berufswahlunterrichtes eingerichtet, der nach Haupt- und Realschulen differenziert. Er nennt sich „Orientierung in Berufsfeldern (OiB)“ für die Hauptschule und „Berufsorientierung in der Realschule (BORS)“. Letzterer ist dem Fach Gemeinschaftskunde zugeordnet. In OiB sind verschiedene Erkundungsstufen vorgesehen. Die Bezüge zur Betriebserkundung im engeren Sinne sind: – erste Arbeitsplatzerkundung (alle Schüler erkunden den gleichen Arbeitsplatz) – Auswertung der Erkundung – zweite Arbeitsplatzerkundung (drei verschiedene Berufe) – Auswertung der Erkundung
Betriebserkundung
– dritte Arbeitsplatzerkundung (alternativ zu einem zweiwöchigen Betriebspraktikum). In BORS ist eine Betriebs- und Arbeitsplatzerkundung unter berufskundlichem Aspekt in den Unterricht integriert. Als Instrument zur Beschaffung von Informationen zur Berufsorientierung dienen B. auch der Vorbereitung von Betriebspraktika (→ Betriebspraktikum). Sie ergänzen die Informationen, die die Jugendlichen von ihren Eltern und anderen Personen erhalten. Literatur: Beinke, Lothar: Betriebserkundung (Hg.), Bad Heilbrunn 1980; Bönsch, M./Fähnrich, H./Gattermann, H./Kraft, P./ Rückel, H./Schlegel, G.: Betriebserkundung, Hannover/Darmstadt/Dortmund, 1972; Hoffer, Ingo: Erkundung/Betriebserkundung, in: Gerhard Kolb (Hg.) Methoden der Arbeits-, Wirtschafts- und Gesellschaftslehre, Ravensburg 1978; Horner/ Klebel: Die Betriebserkundung im Unterricht der Hauptschule, Donauwörth 1972; Kaiser, F.J./Kaminski, H.: Methodik des Ökonomie-Unterrichts. Grundlagen eines handlungsorientierten Lernkonzepts mit Beispielen, Bad Heilbrunn/Obb. 1994; May, Hermann: Didaktik der ökonomischen Bildung, 8. Aufl., München 2010. Prof. Dr. Lothar Beinke, Gießen Betriebsferien vom → Arbeitgeber in Abstimmung mit dem → Betriebsrat (§ 87 Betriebsverfassungsgesetz) für alle Betriebsangehörigen festgelegte Urlaubszeit, während der der → Betrieb geschlossen wird. Die Zustimmung der einzelnen → Arbeitnehmer zu der zeitlichen Lage der B. ist nicht erforderlich. Betriebsführung 1. allgemein: Leitung eines → Betriebes; 2. wissenschaftliche B. (→ Scientific Management) von → Frederick Winslow Taylor (1856 – 1915, → Taylorismus) entwickelte Form der B., bei der im Gegensatz zur traditionellen handwerklichen Produktion die Fertigung nach rationellen Gesichtspunkten gestaltet und damit die Effizienz der betrieblichen Arbeitsprozesse beträchtlich erhöht wird; 3. soziale B. (→ Social Management) aus der Human-Relations-Bewegung (Ende
Betriebskosten
der 1920er Jahre in den USA, nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa Fuß fassend) hervorgehend, betont die grundlegenden → Bedürfnisse der → Arbeitnehmer nach sozialen Kontakten und bewirkte damit eine Entschärfung des Taylorismus und der in ihm wirksamen sozialen betrieblichen Konfliktpotentiale. Betriebsgeheimnis betrifft alle betrieblichen Angelegenheiten, deren Geheimhaltung im schutzwürdigen Interesse des → Unternehmers liegen, so insbesondere Erfindungen, Produktionsverfahren, Bezugs- und Abnehmerverzeichnisse, Kalkulationen, Bilanzen, Umsätze, laufende Verhandlungen u. a. m. Aus der → Treuepflicht des → Arbeitnehmers gegenüber seinem → Arbeitgeber leitet die einschlägige Rechtsprechung eine → Verschwiegenheitspflicht des Arbeitnehmers hinsichtlich dieser Angelegenheiten ab. Es muß allerdings für den Arbeitnehmer erkennbar sein, daß die jeweilige Angelegenheit geheimhaltungswürdig ist. Die Verschwiegenheitspflicht des Arbeitnehmers endet mit seinem → Arbeitsverhältnis, es sei denn, daß dem gesetzliche oder vertragliche Regelungen entgegenstehen oder die betreffende Tatsache als geistiges Eigentum des Arbeitgebers angesehen werden kann und mit dessen Betrieb in engem Zusammenhang steht. Betriebsklima Gesamtheit der emotionalen Stellungnahmen der Mitarbeiter eines → Betriebes zu den realen Betriebsbedingungen. Das B. ist in Abhängigkeit zu sehen von: den zwischenmenschlichen Beziehungen, der → Arbeitsorganisation, der → Arbeitsplatzgestaltung, der Höhe und Art der Entlohnung, Art und Ausmaß der betrieblichen Sozialleistungen, den Führungsstilen, der Sicherheit des → Arbeitsplatzes u. a. Betriebskosten 1. allgemein: Begriff der → Kostenrechnung, insbesondere kleinerer Betriebe, in denen die → Kosten insgesamt in B. (d. s. → Fertigungskosten einschließlich → Materialkosten) und → Vertriebskosten aufgeteilt werden. 2. im Mietrecht: Soweit im → Miet127
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vertrag einzeln aufgezählt und ausdrücklich vereinbart, kann der Vermieter dem Mieter neben der → Miete noch Neben- oder B. in Rechnung stellen. Als umlagefähige B. werden von der II. Berechnungsverordnung genannt: (1) die Heiz- und Warmwasserkosten zentraler Anlagen, (2) die laufenden öffentlichen Lasten des Grundstücks (→ Grundsteuer), (3) die Kosten der Wasserversorgung (Wassergeld, Wasserauf bereitung), (4) die Kosten der Entwässerung (städtische Kanalgebühren), (5) die Fahrstuhlkosten, (6) die Kosten der Straßenreinigung und der Müllabfuhr, (7) die Kosten der Hausreinigung und der Ungezieferbekämpfung, (8) die Kosten der Gartenpflege, (9) die Kosten der Beleuchtung, (10) die Kosten der Schornsteinreinigung, (11) die Kosten der Sach- und Haftpflichtversicherung, (12) die Kosten für den Hauswart, (13) die Kosten für die Gemeinschaftsantennenanlage oder das Breitbandkabelnetz, (14) die Kosten des Betriebes der maschinellen Wascheinrichtung (Waschküche) und (15) sonstige B. (beispielsweise die Kosten für Schwimmbad, Sauna oder andere Gemeinschaftseinrichtungen im Haus). Betriebsmittel sämtliche Anlagen und Einrichtungen, die die technischen Voraussetzungen der betrieblichen Leistungserstellung, insbesondere der → Produktion bilden (Grundstücke, Bauten, Maschinen, Werkzeuge, Betriebsstoffe, Energie). Betriebsordnung → Arbeitsordnung. Betriebspädagogik Wissenschaftlicher Standort: Die vom eigentlichen Systemzweck her nach → ökonomischen Prinzipien organisierten Formen strategischer und instrumenteller Kooperation im betrieblichen Arbeitsprozeß (vgl. Dürr 1983, S. 190) werfen im Spiegel eines pädagogischen Interesses die Grundfragestellung auf, wo und in welcher Form sich unter diesen Bedingungen genuin pädagogische Zwecksetzungen in Gestalt von Bildungsprozessen theoretisch begründen und praktisch gestalten lassen. Als B. wird hierbei vielfach sowohl die Ebene des praktisch128
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pädagogischen Handelns selbst als auch die wissenschaftliche Theoriebildung bezeichnet. Ebenso unscharf und uneinheitlich stellt sich die vertikale und horizontale Verortung der letzteren im Kontext verwandter erziehungswissenschaftlicher Spezialdisziplinen wie auch ihr methodologischer Standort dar, wobei sich in neuerer Zeit eine gewisse Tendenz herauskristallisiert, sie als Teildisziplin einer breit angelegten → Berufs- und → Wirtschaftspädagogik zu definieren (vgl. Sommer 1990, S. 15 ff.) und in Übereinstimmung mit der generellen methodologischen Entwicklung in der Erziehungswissenschaft sowohl auf eine analytisch-erklärende als auch hermeneutisch-verstehende Theoriebildung zu verpflichten. Im Zusammenhang betrieblicher Bildungsprozesse sind zwei Perspektiven von maßgebend disziplinärer Bedeutung: unter dem Aspekt der → Bildung für den betrieblichen Arbeitsvollzug thematisiert die B. jene intentionalen Lehr-Lern-Prozesse im Rahmen der → betrieblichen Aus- und Weiterbildung, die in erster Linie der Ausstattung des Menschen mit ökonomisch-technisch „verwertbaren“ → Qualifikationen dienen; eher am Rande werden hierbei zum Teil auch funktionale Bildungsvorgänge berücksichtigt. Letztere erhalten größeres Gewicht im Kontext der zweiten Perspektive: unter dem Aspekt der Bildung durch den und in dem betrieblichen Arbeitsvollzug stehen jene Konstellationen und Prozesse im Mittelpunkt, die aus der Struktur und dem Inhalt der betrieblichen Funktions- und Organisationszusammenhänge resultieren und als Determinanten für individualpädagogische Bildungsbemühungen fungieren oder auf den Menschen unmittelbar prägend einwirken. Der B. stellt sich in diesem Spannungsfeld einer objektiv verpflichteten – im Extremfall funktionaler Anpassung an ökonomischtechnisch definierte Situationen dienenden – Perspektive einerseits und einer subjektiven – auf persönliche Entfaltung und emanzipatorische Veränderung dieser Situationen gerichteten – Perspektive andererseits die Erkenntnis- und Gestaltungsaufgabe, aufzuzeigen, wie sich das Zusammenwirken
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von Menschen in der Arbeits- und Sozialorganisationsform → Betrieb so gestalten läßt, daß den humanen und sozialen → Bedürfnissen des einzelnen möglichst weitgehend Rechnung getragen wird, ohne daß die unstrittig prävalente ökonomisch-technische Instrumentalität des Individuums Schaden nimmt. Dieser Dualismus einer teils objektiven, teils subjektiven Zielverpflichtung wurde in der Geschichte der Disziplin mal als Ambivalenz, mal als Interessenharmonie interpretiert. Denn was konkret als im Betriebsinteresse ökonomisch-technisch verwertbare funktionale beziehungsweise als extrafunktionale und somit allein individuell bedeutsame Qualifikation gilt, entzieht sich einer allgemeingültigen und operational eindeutigen Festlegung und variiert vom technizistischen Menschenbild des → Taylorismus über die HumanRelations-Konzepte bis hin zu ganzheitlichen Ansätzen, die berufliches Können und persönlichen Wert des Menschen im Sinne kategorialer Bildung aller Kräfte integriert sehen. Mit anderen Worten: Das Spannungsfeld zwischen ökonomischen und pädagogischen Interessen lädt sich in dem Maße auf, wie betrieblich oder individualpädagogisch motivierte Zielsetzungen jeweils über jene nur im ideologischen und geschichtlichen Kontext definierte Schnittmenge von Qualifikationen hinausreichen, die sowohl im betrieblichen Produktions- wie im individuellen Interesse der Sicherung der Beschäftigungschance liegen. Entwicklungslinien: Unbeschadet dessen, daß betriebspädagogische Grundfragen seit jeher immanenter Bestandteil des berufsund wirtschaftspädagogischen Interesses waren und sich in Form sozial und sozialpolitisch motivierter Ansätze bis weit in das 19. Jahrhundert zurückverfolgen lassen (vgl. Dörschel 1975, S. 13 ff.), kann von einer eigentlichen B. erst etwa seit den 30er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts gesprochen werden, ohne daß allerdings die Konkretisierung von Erfahrungsobjekt, Erkenntnisobjekt und Erkenntnisverfahren von Anfang an einen uneingeschränkten Wissenschaftsanspruch zu stützen vermochte. So richteten sich die Bemühungen
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zunächst, Arnold (1990, S. 37) spricht von der „Konzeptionsphase“, im wesentlichen auf die normative Legitimation einer disziplinären Eigenständigkeit im Kontext des Konstruktes „Betriebsgemeinschaft“ und anderer „Grundbegriffe“. Zunehmende Zweifel an der hinreichenden Berücksichtigung des pädagogischen Prinzips im Rahmen des für utilitaristische Ansprüche anfälligen naiven Postulates einer weitgehend konfliktfreien Gemeinschaft und die Suche nach einer stärker am realen subjektiven Handeln im Betrieb orientierten Konzeption führten dann in den 60er Jahren zu paradigmatischen Anleihen bei der System- und Entscheidungstheorie. Diese Entwürfe blieben fragmentarisch und ihnen kommt – anders als im Fall der etwas später formulierten sozialisationstheoretischen Ansätze – aus heutiger Sicht eher episodischer Charakter zu; gleichwohl haben sie mit ihrer analytischen Strukturierung und an der Praxis orientierten Konkretisierung betriebspädagogischer Fragestellungen den Weg mitbereitet für die weitreichende erfahrungswissenschaftliche Fundierung der Disziplin in den 70er Jahren. Die Gegenwart trägt die Züge einer permanenten Innovation (vgl. Arnold 1990, S. 40) in Verbindung mit der Tendenz zu interparadigmatischer und interdisziplinärer Integration und einer darin angelegten Konsolidierung der „Reflexion über den anthropologischen, betriebspolitischen und gesellschaftlichen Funktionswert betriebspädagogischer Maßnahmen in einer entwickelten dynamischen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft“ (Nibbrig 1973, S. 669). Die innovativen Entwicklungen, nicht selten mit einem gewissen Vorsprung bei der praktischen B., resultieren vor allem aus der Notwendigkeit, Antworten zu finden auf die wachsende ökonomische, technische und soziale Dynamik in den betrieblichen Handlungs- und Bedingungsfeldern. Vor dem Hintergrund eines grundlegenden Bedeutungswandels der „Qualifikation“ von der traditionellen Fachkompetenz zur Fach-, Methoden- und Sozialkompetenz nimmt hierbei die Analyse und Entwicklung adäquater Lerninhalte, Lern-/Lehrorgani129
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sationsformen und Medien für die Ausbildung breiten Raum ein. Hand in Hand damit gehen Bemühungen, dem mit Persönlichkeitsmerkmalen angereicherten Qualifikationsbegriff mittels der Adaption handlungstheoretischer Erkenntnisse eine Lerntheorie beizugesellen, die selbstgesteuertes Lernen erklärt und didaktisch reflektiert sowie den Zusammenhang von Arbeit und Lernen beziehungsweise Arbeit und Persönlichkeitsentwicklung transparent macht. Gleichzeitig richtet sich das betriebspädagogische Interesse mittlerweile im selben Maße auf die Weiterbildung und beginnt diese, nicht zuletzt mit Hilfe personalwirtschaftlicher Ansätze (Organisations-, Personalentwicklung), in eine gesamtbetriebliche Perspektive einzubringen. Das Ganze wird überlagert von zwei einschneidenden, durchaus divergenten Entwicklungen. Zum einen ist dies eine unverkennbare Verbesserung der Ausgangssituation für die Verfolgung genuin pädagogischer Ziele zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts: Grenzen des Wachstums und der Umsetzung technischer Möglichkeiten, ökologische und wirtschaftsethische Einsichten haben das Bewußtsein nicht nur der Pädagogen für Individualität und soziale Belange wieder geschärft und scheinen eine Zunahme der Schnittmenge von traditionellem Bildungsanspruch der Pädagogik und betrieblichen Qualifikationsansprüchen zu bewirken. Gerade die zu Recht als Beleg für diese Entwicklung geltenden Konzepte der Personal- und Organisationsentwicklung sind bei aufmerksamer Betrachtung aber auch dazu angetan, allzu große Erwartungen zu dämpfen und den Blick wieder auf das überkommene Dilemma der B. zurückzulenken, denn sie sind wissenschaftssystematisch prinzipiell doch betriebswirtschaftlichem Denken verpflichtet und gemahnen in ihrer diesbezogenen Ausformung daran, daß die Pädagogisierung der Betriebe keineswegs ein „Selbstläufer“ ist. Weist doch das Selbstverständnis der Personalentwicklung explizit aus (vgl. Neuberger 1994, S. 9): das Produkt des Personalwesens ist Personal, nicht Persönlichkeit, der Mensch steht nicht im Mittelpunkt, sondern ist Mittel. Punkt! 130
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Gehört diese Perspektive gewissermaßen schon zu den traditionellen Bedingungen betriebspädagogischer Bildungsarbeit, eröffnet die zweite einschneidende Entwicklung der Gegenwart in einiger Hinsicht doch auch neue Probleme. Just zu dem Zeitpunkt, da die Disziplin sich der Akzeptanz ihrer über eine rein didaktische Technologiefunktion hinausreichenden pädagogischen Aufgabe sicher glaubt, wird diese im Zug einer globalisierten Ökonomie und vor dem Hintergrund immenser Beschäftigungsprobleme in den Industrieländern aufs Neue und Massivste herausgefordert. Unter Berufung auf angeblich unausweichliche Sachzwänge eines nicht mehr kontrollierbaren, aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit von gesellschaftlichen und humanen Einengungen zu befreienden Marktes mehrten sich in der Wirtschaft Überlegungen und Maßnahmen, in deren Konsequenz das Bild des Menschen im Betrieb (wieder) in eine, in ihrer Einseitigkeit schon überwunden geglaubte, technologische, strikt funktionsgebundene Perspektive zu geraten droht. Die Geschehnisse und Einsichten im Zuge der jüngsten globalen Wirtschafts- und Finanzkrise (2008/2010) dürften aber auch hier relativierend wirken und den Blick wieder auf eines der Kernprinzipien der Kantschen Ethik zurück lenken: der Mensch sei Ziel und Zweck und dürfe nie Mittel zum Zweck werden! Literatur: Arnold, R.: Betriebspädagogik, Berlin 1990; Dewe, B. (Hg.): Betriebspädagogik und berufliche Bildung, 2. Aufl. Bad Heilbrunn/Obb. 2002; Dörschel, A.: Betriebspädagogik. Berlin 1975; Dürr, W.: Betriebspädagogik. In: Lenzen, D. (Hg.): Enzyklopädie Erziehungswissenschaft. Band 9. Stuttgart 1983. S. 189 – 193; Neuberger, O.: Personalentwicklung. 2. Aufl. Stuttgart 1994; Nibbrig, B.: Überlegungen zum Erkenntnisobjekt und Wissenschaftsprogramm der Betriebspädagogik. In: Die Deutsche Berufs- und Fachschule. Heft 9. 1973. S. 663 – 701; Schurer, B.: Das pädagogische Prinzip im ökonomischen System Betrieb. In: bwp@Spezial3 (http:// www.bwpat.de/ATspezial) 2007. Sommer, K.-H.: Betriebspädagogik als konkretes Tun
Betriebspädagogik
und wissenschaftliches Bemühen. In: ders. (Hg.): Betriebspädagogik in Theorie und Praxis. Esslingen 1990. S. 15 – 23. Prof. Dr. Bruno Schurer, Linz Betriebspraktikum Die B. als Instrumente zur Erfahrungssammlung über die Berufs- und Arbeitswelt kamen mit dem Fach → Arbeitslehre in die Schule. Ihre Struktur ist noch nicht in allen Bundesländern einheitlich, auch über ihre Dauer gibt es unterschiedliche Vorstellungen. B. können als Blockpraktika (die häufigste Form) und Tagespraktika eingerichtet werden. Die Praktikumsblöcke sind zwei- bis vierwöchig. Das dreiwöchige B. wird präferiert. Bei vierwöchiger Dauer ist eine Teilung vorgesehen: Zwei Wochen im Wunschberuf, zwei Wochen zum Kennenlernen weiterer berufsbezogener Tätigkeiten. Tagespraktika – selten in Werkstätten berufsbildender Schulen – sind halb- oder ganzjährig an einem festen Wochentag meist in Partnerbetrieben organisiert. Welche Absichten verfolgt die Arbeitslehre mit dem Einbezug von B.? Es sind vorrangig deren zwei: – Über die Entfaltungsmöglichkeiten von Handfertigkeiten sollen diejenigen Schüler Lernhilfen erhalten, die im theoretisch bestimmten Unterricht zurückfielen, und – die Übergänge von der Schule in die Arbeitswelt sollen im Prozeß der Berufsfindung erleichtert werden. Beide Absichten sollten durch „Praxisbezug“ verwirklicht werden. Es entstand die Hoffnung, diesen Praxisbezug allein durch die Konfrontation mit Praxis zu erreichen und damit einer didaktischen Auseinandersetzung zu entgehen. Voraussetzung für den Erfolg dieser pädagogischen Maßnahme ist immer die Wahl entsprechender Themenschwerpunkte, die das Interesse des Schülers gezielt auf bestimmte Fragestellungen hinlenken, die wiederum in der Schule gemeinsam aufgearbeitet werden müssen. Es gilt, die Schwierigkeiten zu vermeiden, die sich bei einer Konfrontation mit der Berufs- und Arbeitswelt vor den Schülern auftürmen können, ganz besonders deshalb, weil die heute vorherschenden
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hochentwickelten Produktionsverhältnisse Einsichten in die Zusammenhänge in einem Maße verstellen, das ihr Verständnis eher erschwert als erleichtert. Aus den Erfahrungen der Schüler mit dem B. kann man diejenigen Aspekte festhalten, denen die Schüler Erfolgsfähigkeit attestieren. Sie sind für sie die hilfreichsten Informationsquellen für ihre Berufsentscheidung. Das gilt aber nur dann, wenn die Schüler die Chance bekommen, das B. in ihrem Wunschberuf zu absolvieren. Es erweist sich aber als Überforderung des B., wenn es Einsichten vermitteln soll, die über die Reichweite des konkreten Tätigkeitsplatzes hinausgehen. Nach der Bestimmung der Erfolgsargumente der Schüler geht es darum, nach kritischer Sicht das B. so zu verändern, daß es in seinen Grenzen den Schülern die günstigeren Möglichkeiten bietet, über ihre Berufswünsche praktische Erkenntnisse zu sammeln und zu verwerten und allgemeine Informationen über die Realitäten in der Wirtschaft anhand eigener Erfahrungen zu gewinnen. Dabei sollten die folgenden Merkmale beachtet werden, die eine solche Verbesserung ermöglichen können: 1. B. sind keine isolierten betrieblichen Veranstaltungen, die losgelöst von der Schule stattfinden. Deshalb ist eine Betreuung auch während des B. durch den Lehrer erforderlich. Dieser sollte sich möglichst nicht nur auf einen Besuch beschränken. 2. Um eine reibungslose Koordination zwischen → Betrieb und Schule zu gewährleisten, ist es notwendig, daß sowohl Schule als auch Betrieb je einen ihnen namentlich bekannten Ansprechpartner haben. Beide sollen sich rechtzeitig vor Beginn des B. treffen, um Form und Inhalte desselben zu klären. 3. B. verlangen eine Vorbereitung bereits in der Schule. Über diese Vorbereitung sollte auch der Betrieb informiert werden, damit er sich darauf einstellen kann. 4. Bei der zunehmenden Zahl von B. wird es immer notwendiger, diese zeitlich zu koordinieren. Es muß vermieden werden, daß die Betriebe nur an einem oder 131
Betriebspraktikum
zwei Terminen im Jahr zur Durchführung von B. aufgefordert werden. Deshalb sollten sich die Schulen in einer Region untereinander über die zeitliche Durchführung abstimmen. 5. Eine erfolgreiche Vorbereitung und Nachbereitung eines B. setzt auch einen gut informierten Lehrer voraus. Deshalb müssen die Lehrer im Rahmen der Lehrerausbildung oder in verpflichtenden Kursen innerhalb der Lehrerfortbildung auf Schülerpraktika vorbereitet werden. 6. Neben der Sachkenntnis der Lehrer wird die Qualität der Vorbereitung und der Nachbereitung wesentlich bestimmt durch den vom Lehrplan und von der Stundentafel zugestandenen Zeitaufwand. 7. Ein wesentlicher Bestandteil der B. und deren Ablauf sind die sogenannten Aufgaben- und Fragenkataloge, die die Schüler mitbekommen. Sie dürfen nicht isoliert vom Betrieb entstehen. Da die Aufgaben- und Fragenkataloge nicht standardisiert werden können, müssen Lehrer und Ansprechpartner im Betrieb sich rechtzeitig vor B.-beginn abstimmen. 8. B. dürfen weder für die Schüler noch für die Betriebe zu einer besonderen finanziellen Belastung führen. Die zuständigen Behörden sollten durch großzügige Kostenregelung allen die Teilnahme bzw. Durchführung von B. erleichtern. 9. Um die Betriebe vor unangenehmen Konsequenzen durch Schäden zu bewahren, die die Schüler während der B. verursachen könnten, sollte das Prinzip der Amtshaftung auf den betrieblichen Betreuer der Praktikanten übergehen. Es muß sichergestellt werden, daß jeder Schüler bei B.-beginn von der Schule ausreichend gegen Unfall- und Haftpflichtschäden versichert ist. 10. Mit einem Schülerpraktikum darf für einen Betrieb nicht die Beurteilung des Praktikanten zwingend verbunden sein. Soweit – meist auf Wunsch der Schüler – dennoch Beurteilungen durch einen Betrieb erfolgen, sind diese nicht bei 132
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der schulischen Notengebung zu berücksichtigen. 11. Eine Entlohnung der Praktikanten sollte nicht erfolgen. Eine leistungsbezogene Zuwendung ist nicht ausgeschlossen. 12. Schülerpraktika – einschließlich der Vor- und Nachbereitungsphase – sollten grundsätzlich nur als Blockpraktikum ohne nennenswerte Unterbrechungen geführt werden. 13. Das B. ist eine von Schule und Betrieb gemeinsam getragene Veranstaltung. Spätestens nach der unterrichtlichen Auswertung wird mit dem Betrieb ein Erfahrungsaustausch erforderlich. Das B. wurde im Laufe der Zeit eine zunehmend wichtige Informationsagentur. Neben den Eltern stieg die Bedeuteung der Peergroups und des Internets. Während die B. bedeutsame Eigenerfahrungen vermitteln, mindern Eltern und Freunde durch emotionale Zuwendung die Unsicherheit der Berufswahlsituation. Das → BIZ ist eine ergänzende Stütze der Beratung. Literatur: Beinke, Lothar: Peer groups und Berufsorientierung, Bad Honnef 2004; Beinke, Lothar, Internet – eine Verbesserung der Berufswahl, Frankfurt a. M. 2008; Beinke, Lothar, Helfen Praxistage bei der Berufsorientierung?, Frankfurt a. M. 2009; Beinke, Lothar/Lüdtke, Christiane/Richter, Heike/ Wiegand, Ulrich: Betriebspraktika im gewerblich-technischen Bereich für Mädchen, Ehningen 1991; Beinke, Lothar: Das Betriebspraktikum – Darstellung und Kritik eines pädagogischen Konzeptes zur Berufswahlhilfe, 2. Auflage, Bad Heilbrunn 1978; Eckert, Manfred/Stratmann, Karlwilhelm: Betriebspraktikum, Köln 1978; Kaiser, F.J./Kaminski, H.: Methodik des ÖkomonieUnterrichts. Grundlagen eines handlungsorientierten Lernkonzepts mit Beispielen, Bad Heilbrunn/Obb. 1994; Koch, Heinz Horst/Schwarz, Uwe: Betriebspraktikum (Lernmaterialien), Regensburg 2001; May, Hermann: Didaktik der ökonomischen Bildung, 8. Aufl., München 2010; Platte, HansKaspar: Lernen vor Ort, Bonn Bad Godesberg 1988; Sachs, Conrad/Beinke, Lothar/ Melzer Christiane/Rehklau, Simone: Abschlußbericht im Modellversuch: Berufsori-
Betriebspraktikum
entierender Unterricht an Mittelschulen im Freistaat Sachsen unter Einschluß von Betriebspraktika unter Berücksichtigung der Förderung der Berufstätigkeit für Mädchen, Gießen 1996; Selbach, Angelika, Leitfaden fürs Betriebspraktikum, hrsgg. v. Institut der deutschen Wirtschaft, Bundesarbeitsgemeinschaft Schule Wirtschaft, Köln 2005. Prof. Dr. Lothar Beinke, Gießen Betriebsrat die gesetzliche Vertretung der Belegschaft eines → Betriebes. Seine zentrale Aufgabe ist die Wahrnehmung deren Beteiligungsrechte. Diese bestehen in → Mitbestimmungs-, → Mitwirkungs-, Beratungs- und Informationsrechten und zwar in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten. Darüber hinaus obliegen dem B. Überwachungs- und Förderungsaufgaben, auch hat er sich in gewissem Umfang um die Gestaltung der Arbeitsplätze und um Beschwerden der → Arbeitnehmer zu kümmern. Der B. wird von den volljährigen Arbeitnehmern des Betriebes gewählt (aktives Wahlrecht). Leitende Angestellte sind nach § 5 Abs. 2 u. 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) nicht wahlberechtigt. Das passive Wahlrecht (d. h. die Wählbarkeit) besitzen alle Wahlberechtigten, die dem Betrieb 6 Monate angehören. Nicht wählbar ist, wer infolge strafrechtlicher Verurteilung die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, nicht besitzt. Die regelmäßigen Betriebsratswahlen finden alle 4 Jahre in der Zeit vom 1. März bis 31. Mai statt (§ 13 Abs. 1 BetrVG). Sie werden durch einen Wahlvorstand vorbereitet, eingeleitet und durchgeführt (§§ 16 – 18 BetrVG). Die Wahl ist unmittelbar und geheim (§ 14 Abs. 1 BetrVG). Die Wahl erfolgt generell nach den Grundsätzen der Verhältniswahl. Wird nur ein Wahlvorschlag eingereicht oder ist der B. im vereinfachten Verfahren nach § 14a BetrVG zu wählen, so erfolgt die Wahl nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl (§ 14 Abs. 2 BetrVG). Zur Wahl des B. können die Wahlberechtigten Arbeitnehmer und die im Betrieb vertretenen → Gewerkschaften Wahlvorschläge machen (§ 14 Abs. 3 BetrVG).
Betriebsrat
Die zahlenmäßige Zusammensetzung des B. hängt von der Anzahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer ab (§ 9 BetrVG). Der B. wählt aus seiner Mitte den Vorsitzenden und dessen Stellvertreter. Der Vorsitzende oder im Falle seiner Verhinderung der Stellvertreter vertritt den B. im Rahmen der von ihm gefaßten Beschlüsse (§ 26 Abs. 3 BetrVG). B. mit 9 und mehr Mitgliedern sind zur Bildung eines Betriebsausschusses verpflichtet (§ 27 Abs. 1 BetrVG). Seine Größe ist nach der Zahl der Betriebsratsmitglieder gestaffelt. Der Betriebsratsvorsitzende und dessen Stellvertreter sind Ausschußmitglieder kraft Gesetzes (§ 27 Abs. 1 BetrVG). Der Betriebsausschuß führt die laufenden Geschäfte des B. (§ 27 Abs. 2 BetrVG). In Betrieben mit mehr als 100 Arbeitnehmern kann der B. Ausschüsse bilden und ihnen bestimmte Aufgaben übertragen (§ 28 Abs. 1 BetrVG). Zur Beratung der anstehenden Probleme beruft der Betriebsratsvorsitzende Betriebsratssitzungen ein. Er setzt die Tagesordnung fest und leitet die Verhandlung. Die Betriebsratssitzungen sind nicht öffentlich (§§ 29 Abs. 2 u. 3, 30 BetrVG). Außer an den Sitzungen, zu denen er ausdrücklich eingeladen ist, darf der → Arbeitgeber an denjenigen Sitzungen teilnehmen, die auf sein Verlangen anberaumt wurden (§ 29 Abs. 4 BetrVG). Auch Beauftragte einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft können an den Betriebsratssitzungen beratend teilnehmen, wenn dies von einem Viertel der Mitglieder des B. beantragt wurde (§ 31 BetrVG). Ein Vertreter der eventuell bestehenden → Jugend- und Auszubildendenvertretung kann jederzeit an den Betriebsratssitzungen teilnehmen (§ 67 Abs. 1 BetrVG). Werden Angelegenheiten behandelt, die überwiegend die im Betrieb beschäftigten Jugendlichen und → Auszubildenden betreffen, so haben alle Jugend- und Auszubildendenvertreter volles Stimmrecht. Die Beschlüsse des B. können grundsätzlich nur mit der Mehrheit der in der jeweiligen Betriebsratsitzung anwesenden Betriebsratsmitglieder gefaßt werden. Zur Erörterung anstehender Probleme der Arbeitnehmer kann der B. während der 133
Betriebsrat
→ Arbeitszeit Sprechstunden anberaumen. Zeit und Ort dieser Sprechstunden sind mit dem Arbeitgeber zu vereinbaren. Die Tätigkeit der Betriebsratsmitglieder erfolgt ehrenamtlich und unentgeltlich (§ 37 Abs. 1 BetrVG). Sie sind, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebes zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist, von ihrer beruflichen Tätigkeit freizustellen (§ 37 Abs. 2 BetrVG). Für die Zeit der Freistellung ist dem Betriebsratsmitglied der Lohn einschließlich der Zuschläge und Zulagen fortzuzahlen. In Betrieben mit 200 und mehr Arbeitnehmern sind Betriebsratsmitglieder in gestaffelter Anzahl unter uneingeschränkter Fortzahlung ihres Arbeitsentgeltes von ihrer Tätigkeit freizustellen (§ 38 BetrVG, Freistellung). Mitglieder des B. sowie der Jugend- und Auszubildendenvertretung sind für die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen freizustellen, soweit diese Kenntnisse vermitteln, die für die Arbeit des B. erforderlich sind (§ 37 Abs. 6 in Verbindung mit § 65 Abs. 1 BetrVG). Für die Dauer dieser erforderlichen Schulungsveranstaltungen ist das Arbeitsentgelt zu erstatten. Die mit der Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen anfallenden Kosten hat der Arbeitgeber grundsätzlich nicht zu übernehmen. Die Mitglieder des B. und der anderen betriebsverfassungsrechtlichen Organe dürfen in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht gestört oder behindert werden. Sie dürfen wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt noch begünstigt werden (Benachteiligungsund Begünstigungsverbot, § 78 BetrVG). Die vorsätzliche Verletzung des Benachteiligungsverbotes ist straf bar (§ 119 Abs. 1 Nr. 2 u. 3 BetrVG); der Verstoß gegen dasselbe verpflichtet zum Schadensersatz (§ 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch). Die Mitglieder und Ersatzmitglieder des B. sowie der anderen betriebsverfassungsrechtlichen Organe unterliegen hinsichtlich Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen der Geheimhaltungspflicht (§ 79 BetrVG). Die Mitglieder des B. und anderer betriebsverfassungsrechtlicher Organe genießen einen besonderen → Kündigungsschutz. 134
Betriebsräteversammlung
Bestehen in einem → Unternehmen mehrere B., so ist nach § 47 BetrVG ein Gesamtbetriebsrat zu errichten. Er ist zuständig für alle Fragen, die das Gesamtunternehmen oder mehrere seiner Betriebe betreffen, insbesondere für die Wahrung der Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer auf wirtschaftlichem Gebiet (→ Wirtschaftsausschuß); er ist berechtigt → Betriebsvereinbarungen für alle oder mehrere Betriebe abzuschließen. Nach der → EU-Richtlinie über Europäische B., die Ende 1996 in deutsches Recht umgesetzt wurde, steht den Arbeitnehmern in europaweit tätigen Unternehmen und Unternehmensgruppen, die im → Europäischen Wirtschaftsraum – das heißt in den 27 EULändern sowie in Island, Liechtenstein und Norwegen – insgesamt mindestens 1000 Arbeitnehmer beschäftigen und davon in zwei Staaten mindestens 150, unter bestimmten Voraussetzungen das Recht zu, ihre Interessen auf europäischer Ebene zu artikulieren. Die Richtlinie bezieht sich auf → Konzerne mit Stammsitz in den USA, Japan oder der Schweiz, soweit die vorgenannten Kriterien auf sie zutreffen. In diesen Unternehmen sind Europäische B. oder andere Verfahren zur grenzübergreifenden Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer einzurichten. Betriebsratsmitglied → Betriebsrat. Betriebsratswahl → Betriebsrat. Betriebsräteversammlung bei → Unternehmen mit mehreren → Betrieben mindestens einmal in jedem Kalenderjahr vom → Gesamtbetriebsrat einzuberufende Versammlung der Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden der einzelnen → Betriebsräte sowie der weiteren Mitglieder der → Betriebsausschüsse (§ 53 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz). In dieser B. hat der Gesamtbetriebsrat einen Tätigkeitsbericht und der Unternehmer einen Bericht über das Personal- und Sozialwesen und über die wirtschaftliche Lage und Entwicklung des Unternehmens zu erstatten.
Betriebsrisiko
Betriebsrisiko Wagnisse wegen möglicherweise eintretender wirtschaftlich oder technisch bedingter Betriebsstörungen. Betriebssprecherausschuß → Sprecherausschuß. Betriebssteuern → Steuern, die mit der Betreibung eines → Betriebes zwangsläufig anfallen (z. B. → Gewerbesteuer, → Kraftfahrzeugsteuer für Firmenwagen) und damit als → Betriebsausgaben vom steuerpflichtigen Gewinn in Abzug gebracht werden dürfen. Betriebsstoffe Stoffe, die zur Durchführung des → Fertigungsprozesses, zur Betreibung von Maschinen und Anlagen, benötigt werden; insbesondere Kraftstoffe, Energie, Schmiermittel etc. Betriebsstrafe → Betriebsbuße. Betriebsunfall ⇒ Arbeitsunfall. Betriebsvereinbarung von → Betriebsrat und → Arbeitgeber getroffene, schriftlich festgehaltene und unterschriebene Vereinbarung zur Regelung der betrieblichen Ordnung wie auch einzelner betrieblicher Angelegenheiten. Der Arbeitgeber hat die B. an geeigneter Stelle im → Betrieb auszulegen (§ 77 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz [BetrVG]). B. gelten (wie Tarifnormen) unmittelbar und zwingend. Werden → Arbeitnehmern durch B. Rechte eingeräumt, so ist ein Verzicht auf diese nur mit Zustimmung des Betriebsrates zulässig. Die Verwirkung dieser Rechte ist ausgeschlossen (§ 77 Abs. 4 BetrVG). B. können, soweit nichts anderes vereinbart ist, mit einer Frist von 3 Monaten gekündigt werden (§ 77 Abs. 5 BetrVG). Nach Ablauf einer B. gelten deren Regelungen in Angelegenheiten, in denen ein Spruch der → Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann, weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden (§ 77 Abs. 6 BetrVG). Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch → Tarifvertrag geregelt
Betriebswirtschaftslehre
sind oder üblicherweise geregelt werden, können nicht Gegenstand einer B. sein (Vorrang der → Tarifautonomie!). Dies gilt nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluß ergänzender B. ausdrücklich zuläßt (tarifliche → Öffnungsklauseln). B. können immer abgeschlossen werden, wenn entsprechende tarifliche Öffnungsklauseln bestehen. Betriebsverfassung die arbeitsrechtliche Grundordnung eines → Betriebes. Sie regelt die betriebliche Zusammenarbeit zwischen dem → Arbeitgeber und den → Arbeitnehmern. Die Rechtsgrundlage der B. ist das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Sein Grundanliegen ist es, die Arbeitnehmerschaft (Belegschaft) eines Betriebes durch einen von ihr zu wählenden → Betriebsrat an betrieblichen Entscheidungsprozessen des Arbeitgebers zu beteiligen. Diese Entscheidungen betreffen nach dem Willen des Gesetzgebers in erster Linie das Wohl des Betriebes (§ 2 Abs. 1 BetrVG), nicht dagegen die wirtschaftlichen und unternehmerischen Probleme des Arbeitgebers (Unternehmers). Die Beteiligung des Betriebsrates an derartigen Entscheidungen ermöglicht das Betriebsverfassungsgesetz über entsprechende → Mitbestimmungs- und → Mitwirkungsrechte sowie im Wege freiwilliger → Betriebsvereinbarungen. Betriebsverfassungsgesetz Rechtsgrundlage der Betriebsverfassung. → Mitbestimmung. Betriebsversammlung nichtöffentliche Versammlung der Belegschaft eines → Betriebes unter Leitung des Vorsitzenden des → Betriebsrates (§§ 42 – 46 Betriebsverfassungsgesetz [BetrVG]). Die B. ist dem Betriebsrat nicht übergeordnet. Sie dient vor allem der Aussprache zwischen dem Betriebsrat und den → Arbeitnehmern des Betriebes und darüber hinaus der Rechenschaftslegung des Betriebsrates über seine Tätigkeit (§ 43 Abs. 1 BetrVG). Betriebswirtschaftslehre zählt neben der → Volkswirtschaftslehre und der Wirtschaftsgeschichte zu den wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen. Darin wird das Phänomen „Wirtschaft“ aus 135
Betriebswirtschaftslehre
der Perspektive der einzelwirtschaftlichen Einheiten, den → Betrieben, betrachtet. Neben den Privathaushalten (Ein-, Mehrpersonenhaushalte) als ursprünglichen konzentriert sich das Interesse auf die fremdbedarfsdekkenden abgeleiteten Betriebe; das sind Betriebe für → öffentliche Güter und insbesondere → Unternehmungen. Während erstere kollektive oder nicht-absatzmarktfähige Leistungen anbieten, agieren Unternehmungen eigenverantwortlich auf Absatzmärkten, gehen mithin das existentielle → Risiko des Scheiterns ein, weil ihr → Angebot auf keine → Nachfrage trifft. Die Wissenschaftsorganisation der B. wird in Deutschland, Österreich und der Schweiz vornehmlich durch die → Universitäten bzw. Wissenschaftlichen Hochschulen geprägt. An ihnen sind einerseits die Forschungseinrichtungen in Form von Lehrstühlen oder mit diesen verbundenen Instituten o. ä. angesiedelt, andererseits wird hier das Studienfach B. gelehrt. Derzeit befindet sich die Studienorganisation in der Umstellung vom einstufigen Diplom zum konsekutiven Bachelor-Master-System. Auf bauend auf dem grundständigen Bachelor-Abschluss fächert das Masterstudium in eher forschungsorientierte Auf baustudiengänge zum (beispielsweise) Master of Science und eher anwendungsorientierte Weiterbildungsstudiengänge auf. Unter letzteren erfreut sich der Master of Business Administration MBA, der vorwiegend an Business Schools gelehrt wird, weltweiter Anerkennung. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass er nach einem Bachelor jedweder, auch nicht-betriebswirtschaftlicher Fachrichtung erst nach einer mehrjährigen Berufstätigkeit aufgenommen wird. Mit ca. 136 000 Studierenden ist B. das mit Abstand beliebteste Studium an deutschen Universitäten und Fachhochschulen. Hinzu kommen ca. 150 000 Studierende in anderen wirtschaftswissenschaftlichen Fachrichtungen (Ökonomie, Volkswirtschaft) oder in Kombinationsstudiengängen wie Wirtschaftsingenieurwesen, -informatik, -pädagogik, -chemie, -mathematik u.a., in welchen B. einen gewichtigen Studienbestandteil als eigenständiges Lehr- und Prüfungsge136
Betriebswirtschaftslehre
biet einnimmt (Datenquelle: Statistisches Jahrbuch 2008, Kapitel 6.5.4; alle Angaben beziehen sich auf das Wintersemester 2006/2007). Schließlich wird B. häufig auch innerhalb von nicht-wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen als Pflicht- oder Wahlbestandteil angeboten (z. B. in natur-, ingenieur- oder geisteswissenschaftlichen Studienangeboten); eine vollständige Dokumentation hierüber ist nicht bekannt. Aus einer recht jungen Tradition entwickelte sich die B. somit zum populärsten Studienfach: Ende des 19. Jahrhunderts wurden im deutschsprachigen Raum die ersten Handelshochschulen (Leipzig, Wien, Aachen, St. Gallen) gegründet (deren Curricula allerdings kaum B. enthielten, vielmehr der Allgemeinbildung der Kaufleute dienten), kurze Zeit danach die ersten betriebswirtschaftlichen Lehrstühle an Universitäten eingerichtet (Zürich 1903). Etwa ab 1912 darf von einer „Community of Science“ gesprochen werden, die sich – damals noch als „Privatwirtschaftslehre“ oder „Handelswissenschaft“ bezeichnet – mit eigenständigen Forschungs- und Lehrkonzepten profilierte. Als eine der Sozialwissenschaften beschäftigt sich die B. mit dem menschlichen Verhalten in Gesellschaften, grenzt sich jedoch von anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen (wie Soziologie, Pädagogik, Psychologie, Rechtswissenschaft u. a.) durch ihre spezifische Problemsicht ab (Erkenntnisobjekt ). Folgerichtig ist das Forschungsprogramm nicht abschließend geklärt, vielmehr durch die Weite der Fragestellung und die verwendeten Methoden konstituiert. Bei der Frage der disziplinären Abgrenzung des Forschungsprogramms stehen sich zwei Positionen gegenüber, die ihrerseits in sehr verschiedenartigen Ansätzen die Schwerpunkte legen: Eine ausgeprägte sozialwissenschaftliche Öffnung findet sich in den als umfassende Unternehmungsführungslehre konzipierten Ansätzen wie der „entscheidungsorientierten B.“ und der „systemorientierten Managementlehre“; hier werden auch die Übergänge zu den Ingenieurwissenschaften (z. B. in der Arbeitswissenschaft, beim Technologiemanagement) eher fließend gesehen. Leitidee ist
Betriebswirtschaftslehre
dabei – neben der Rezeption von Erkenntnissen – die Integration der Disziplinen, um sich mit menschlichem Verhalten als Ganzem auseinanderzusetzen. Dem stehen Auffassungen gegenüber, die eine strenge disziplinäre Orientierung fordern. Aus dem menschlichen Verhalten sind infolgedessen die wirtschaftlichen Aspekte herauszufiltern, etwa der Erwerb und die Verwendung von Einkommen in Institutionen, die allein zum Gegenstand der B. avancieren. Speziell das Verhältnis zur → Volkswirtschaftslehre war ursprünglich eher durch Abgrenzungsbemühungen gekennzeichnet. Heute dominiert der Gedanke der Arbeitsteilung zwischen der einzelwirtschaftlich ausgerichteten B. und der gesamtwirtschaftlich befassten Volkswirtschaftslehre; gemeinsame Interessengebiete (wie → Kapitalmärkte, → Institutionenökonomik) sind insoweit eine durchaus erwünschte Konsequenz. Die Forschungsmethodik der B. wird von der Auseinandersetzung hinsichtlich adäquater Überprüfungs- bzw. Begründungsmethoden dominiert, wohingegen Entdeckungsmethoden nur eine Randposition einnehmen. Die zeitweilig als unüberbrückbar aufgebauten Gegenpole entscheidungslogisch-quantitativer Modellanalysen (→ ökonomische Entscheidungstheorie) zu einer betont empirischen Forschung sind mittlerweile einem akzentuierten Sowohlals-Auch gewichen. Traditionell von hoher Bedeutung sind alle metrisierenden Methoden, da das Rechnungswesen stets als Kern betriebswirtschaftlicher Forschung angesehen wurde. Dies ist wesentlich darauf zurückzuführen, dass B. methodologisch zwar auch theoretische wie ethisch-rechtfertigende Ausrichtungen erfährt, das Leitbild einer angewandten, pragmatischen Wissenschaft jedoch zweifelsfrei im Vordergrund steht: Das Geschehen in Betrieben und die Marktbeziehungen zwischen diesen sind im Hinblick auf die Erreichung vorgegebener oder zu entwickelnder Zielsetzungen zu gestalten. Zu dem intensiv diskutierten Zielsystem der Unternehmung, an welchem sich über operationale Bereichs- und Handlungsziele alle Aktivitäten auszurichten haben, zählen einmal Sachziele („Produktziele“),
Betriebswirtschaftslehre
welche die zu produzierenden und abzusetzenden → Güter und → Dienstleistungen nach Art, Menge und Qualität bezeichnen. Zum anderen ist der Grad der Sachzielerfüllung anhand der Formalziele ökonomischer Erfolg (→ Gewinn oder → Verlust) sowie Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit (Liquidität) zu messen. Überdies sind an Leistungs- und Finanzprozesse auch ethische Maßstäbe anzulegen, soweit Handlungen soziale und ökologische Konsequenzen nach sich ziehen. Die ständige Ausweitung und Hinterfragung dieser Zielsysteme sind insofern ein Spiegelbild der Bestrebungen, die ursprünglich ausgeprägte Parteilichkeit der Disziplin – etwa die ausschließliche Orientierung an kapitalorientierten Gewinnkategorien, wie sie im überpointierten → Shareholder-Value-Ansatz eine Renaissance erfahren hat – zu überwinden. Die disziplininterne Struktur wurde durch den Dualismus zwischen programmatischen Entwürfen für das Gesamtsystem und der Vertiefung von Einzelfragen beherrscht. Die Ableitung enger, nur begrenzt gültiger, aber tiefergehender Problemanalysen erwies sich hierbei als fortschrittsfähiger, da sie eher als Handlungsempfehlungen umsetzbare Lösungsvorschläge bereitstellte. Zugleich forderte die Berufspraxis in einer immer verflochteneren Wirtschaftswelt die Spezialkenntnisse. Im Curriculum hat sich folgerichtig zunächst die Gewichtung hin zu den speziellen B. verschoben, die funktional (Beschaffung, Produktion, Absatz etc.), auf Wirtschaftszweige ausgerichtet (B. der Industrie, der Banken, des Handels etc.) oder methodenorientiert (mathematische, empirische Methodik etc.) gegliedert sind. Die in jüngster Vergangenheit einsetzende Rückbesinnung auf eine Gesamtsicht des Faches findet sich einmal in betont integrativen Schwerpunkten (wie Unternehmungsführung, Controlling, → Umweltökonomie etc.) wieder. Zum anderen gewinnen Forschungsfelder der allgemeinen B. zunehmend Bedeutung, da die pragmatische Ausrichtung zur Auseinandersetzung mit Grundfragen der Disziplin (z. B. Meßproblematik, Institutionenlehre) und Problemkomplexen (wie Wachstum, Unterneh137
Betriebswirtschaftslehre
menskooperationen, Internationalisierung, Wertproblem) zwingt. Insofern ist auch das Lehrprogramm der B. als zeitbezogener, stets veränderbarer Kompromiss zwischen Grundbildung und Spezialisierung zu verstehen. Prof. Dr. Raimund Schirmeister, Düsseldorf Betriebszweck Absicht, unter der → Arbeit als produktiver, gesellschaftlicher Akt veranstaltet wird. Dieser B. ist die Erstellung einer bestimmten Leistung, einer Sachleistung (→ Sachgüter) oder einer → Dienstleistung. Beugehaft Zwangsmittel der staatlichen Verwaltung zur Durchsetzung einer → Verfügung. Die Anordnung der B. liegt im freien Ermessen der Behörde, ist jedoch nur mit ausdrücklicher gesetzlicher Genehmigung zulässig (z. B. zur Erzwingung der → Vermögensoffenbarung, §§ 901 ff. Zivilprozeßordnung). Beurkundung die Verbriefung einer oder mehrerer im Rechtsverkehr zum Beweis bestimmten/ bestimmter → Willenserklärung(en) einer oder mehrerer geschäftsfähiger Person(en) durch Ausstellung eines schriftlichen Beweisstückes (Urkunde). – Bei der notariellen B. nach § 128 Bürgerliches Gesetzbuch wird/werden die Willenserklärung(en) vor einem Notar abgegeben und von diesem durch Ausstellung einer Urkunde bestätigt. Beurteilungsgrundsätze, allgemeine betriebliche d. s. betriebliche Richtlinien für die Beurteilung von Leistung und Verhalten der → Arbeitnehmer (wie beispielsweise Sorgfalt, Selbständigkeit, Einsatzfähigkeit, Verantwortungsbewußtsein); sie bedürfen der Zustimmung des → Betriebsrates (§ 94 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz). Kommt eine Einigung über ihren Inhalt nicht zustande, so entscheidet die → Einigungsstelle. Bevollmächtigter 1. im bürgerlichen und Handelsrecht: → Vollmacht, → Prokurist, → Handlungsbevollmächtigter, → Stellvertretung. 138
Bewerbung
2. im Zivilprozeßrecht: Prozeßvertretung (Rechtsanwalt, Prozeßbevollmächtigter). bewegliche Sachen ⇒ Mobilien → Sachen. Beweislast rechtlich-prozessuale Vorgabe, welche Partei den Beweis für vom Gegner bestrittene Tatsachen führen muß. 1. nach § 282 Zivilprozeßordnung hat jede Partei unter Bezeichnung der → Beweismittel für ihre tatsächlichen Behauptungen den Beweis anzutreten und sich über die von der Gegenpartei angegebenen Beweismittel zu erklären. 2. für den Bereich der → Produkthaftung hat der Bundesgerichtshof (1988) eine Umkehr der Beweislast angeordnet. Danach gilt ein vom Käufer (Konsumenten) beklagter (Produkt-)→ Mangel solange als vom Hersteller verschuldet, als diesem nicht der Nachweis gelingt, daß ihn kein → Verschulden trifft. 3. im → Arzthaftungsrecht muß der geschädigte Patient beziehungsweise der mit der Wahrnehmung seiner Interessen Betraute beweisen, daß der Arzt fehlerhaft gehandelt hat (→ Arztvertrag). Beweismittel Möglichkeiten, die vor Gericht zur Klärung einer strittigen Behauptung als Beweis des Vorliegens oder Nichtvorliegens einer behaupteten Tatsache zugelassen sind; so insbesondere: Augenschein, Zeugen, Sachverständige (Gutachten), Urkunden, Parteivernehmung. Bewerbung Interessebekundung für ein Stellenangebot. Die B. soll dem Bewerber die Tür zu einer persönlichen Vorstellung öffnen. Um dies zu erreichen, sollte sich der Bewerber möglichst vorteilhaft präsentieren. Dies geschieht in der Regel schriftlich, soweit gewünscht auch handschriftlich. Dabei gilt es folgendes zu beachten: (1) einwandfreie formale Gestaltung (genaue Adresse, präzise Bezugnahme, korrekte Anrede, klare Formulierung), (2) Darlegung der Beweggründe für die B., (3) Begründung der Eignung für die angebotene Stelle (schulische u. berufliche Bildung/Ausbildung, erworbene → Qualifikationen, besondere berufliche
Bewerbung
Bildung
Erfolge [schulische u. berufliche Mißerfolge sollten nicht herausgestellt werden]), (4) Bereiterklärung, sich voll und ganz den beruflichen Anforderungen zu stellen, (5) Auflistung der Anlagen, (6) korrekte Grußformel und Unterschrift. – Das B.schreiben soll knapp und sachlich gehalten sein. Die wichtigsten Lebens-, Bildungs-, Ausbildungs- und Berufswegdaten sind der B. in chronologischer Auflistung (Lebenslauf) beizufügen. In einer Anlage zum B.schreiben und Lebenslauf sind die geforderten Unterlagen (Zeugnisse, Beurteilungen, Empfehlungen, Nachweise) in (eventuell beglaubigten) Kopien beizufügen.
schaft den bisherigen → Aktionären zustehende Recht, einen ihrem Anteil am bisherigen Grundkapital entsprechenden Teil der neuen → Aktien (junge Aktien) zu beziehen (§ 186 Aktiengesetz). Wird beispielsweise das Grundkapital von 4 auf 5 Millionen Euro erhöht, so muß den bisherigen Aktionären auf 4 alte Aktien eine junge Aktie angeboten werden. (Das Bezugsverhältnis beträgt 4:1). Ein solches B. steht den Aktionären auch auf → Wandelschuldverschreibungen, → Gewinnschuldverschreibungen und → Genußscheine zu. Das B. kann durch Beschluß der → Hauptversammlung ausgeschlossen werden. B. sind verkäuflich. 2. bei der Lebensversicherung: → Bezugsberechtigung.
Bezogener ⇒ Trassat beim → Wechsel und → Scheck derjenige, an den die Zahlungsaufforderung (gegen diesen Wechsel zahlen Sie … / Zahlen Sie gegen diesen Scheck …) gerichtet ist (Adressat).
BGB-Gesellschaft ⇒ Gesellschaft des bürgerlichen Rechts.
Bezugsberechtigung Recht eines Dritten, über die fällige Leistung aus einer → Lebensversicherung zu verfügen. Der Dritte (Bezugsberechtigte) muß vom Versicherungsnehmer benannt werden.
Bilanz Gegenüberstellung (siehe unten) von Vermögenswerten (Aktiva) und → Eigen- sowie → Fremdkapital (Passiva) einer → Unternehmung zum Zweck der Erfolgsermittlung beziehungsweise als Vermögensübersicht.
Bezugsquellentransparenz → Markttransparenz.
Bildung Prozeß der Entfaltung und Entwicklung der geistig-seelischen Kräfte eines Menschen wie auch das Ergebnis dieser Bemühungen. Siehe auch → ökonomische Bildung.
Bezugsrecht 1. im Aktienrecht: Das bei Erhöhung des → Grundkapitals einer → AktiengesellAktiva I.
II.
III. IV.
BIC → Überweisung.
Bilanz Anlagevermögen Sachanlagen immaterielle Anlagen Finanzanlagen Umlaufvermögen Vorräte Forderungen Wertpapiere Zahlungsmittel Posten der Rechnungsabgrenzung Bilanzverlust (wenn nicht Gewinn) Gesamtvermögen
I. II.
III. IV. V. VI.
Passiva Eigenkapital Fremdkapital langfristige u. kurzfristige Verbindlichkeiten Wertberichtigungen Rückstellungen Posten der Rechnungsabgrenzung Bilanzgewinn (wenn nicht Verlust)
Gesamtkapital 139
Bildungscontrolling
Bildungscontrolling Der Begriff Controlling leitet sich vom Englischen ‚to control‘ ab und kann mit ‚steuern, regeln‘ übersetzt werden. In erster Linie geht es darum, eine systematische Verzahnung von betriebswirtschaftlichen Planungs-, Steuerungs- und Kontrollinstrumenten mit dem Ziel zu erreichen, ein Unternehmen anpassungsfähig an Umweltänderungen unter Berücksichtigung der Unternehmensziele zu erhalten. Heute ist das Controlling i. d. R. dezentral organisiert, so dass es jeweils eigene Systeme des Marketing-, des Produktionscontrolling usw. gibt, bis hin zum Personalcontrolling, innerhalb dessen das B. anzusiedeln ist. Von B. ist erst seit Beginn der 1990er Jahre die Rede. Es hat seine Vorläufer im Personalcontrolling, im Qualitätsmanagement und in der Evaluation. B. umfasst die Planung, Steuerung, Kontrolle und Dokumentation des gesamten Bildungskonzeptes eines Unternehmens sowie einzelner Bildungsmaßnahmen. Es ist eingebettet in das Zielsystem des Unternehmens. Trotz seiner Herkunft aus dem ökonomischen Sprachgebrauch lässt sich B. nicht auf eine betriebswirtschaftliche Bedeutung beschränken. Zwar ist die Verbesserung der Effizienz und Effektivität von betrieblichen Bildungsprozessen ein wesentliches Ziel; gleichzeitig ist aber eine qualitative Erfolgsbestimmung notwendig. Man unterscheidet deshalb üblicherweise zwischen einem quantitativökonomischen und einem qualitativ-pädagogischen B. Ziele und Instrumente: Beide Varianten stehen in direkter Abhängigkeit von den Unternehmenszielen. Ausgangspunkt für die Controllingaktivitäten sind die aus diesen Zielen abgeleitete, langfristige Bildungspolitik des Unternehmens, das mittelfristige Konzept und die einzuleitenden Bildungsmaßnahmen. In der Chronologie bei der Implementierung eines B. stehen die Qualifikationsbedarfsanalysen an erster Stelle. Aus einer Analyse der Handlungsabläufe am Arbeitsplatz und der Anforderungsprofile wird ein Qualifikationsbedarf (Soll) ermittelt, der dem mittels Mitarbeitergesprächen festgestellten Qualifikationsstand (Ist) 140
Bildungscontrolling
der Arbeitsplatzinhaber gegenüber gestellt wird. Aus dem Soll-Ist-Vergleich schließt man auf den unmittelbaren Qualifikationsbedarf zurück. Ein vorausschauendes B. wird neben dem geschilderten Vorgehen außerdem versuchen, zukünftige berufliche Anforderungen und das Qualifikationspotential der Mitarbeiter zu berücksichtigen. Eindeutig dem quantitativen B. zurechenbar sind alle damit zusammen hängenden Systeme der Kostenerfassung, -prüfung und -kalkulation. Der größte Kostenblock ist jener der direkten Kosten. Hierzu zählen einerseits die → Personalkosten (Dozenten, → Ausbilder) und andererseits die Sachkosten (Lehr- und Lernmittel, Kurs- und Prüfungsgebühren, Raumkosten etc.). Hinzu kommen indirekte Kosten in Form von → Opportunitätskosten (z. B. Minderleistungen der Teilnehmer an einer Maßnahme durch die zeitliche Inanspruchnahme) und von Folgekosten (z. B. Gehaltserhöhungen für die jetzt höher Qualifizierten). Die Erfassung dieser Kosten dient der Budgetierung betrieblicher Bildungsaktivitäten, der Definition von Kennzahlen für Soll-IstVergleiche und sie ist Hilfsmittel für Kostensenkungsmaßnahmen. Als typische Kennziffern kommen zum Einsatz: Kosten je Ausbildungsplatz, Anteil der Weiterbildungskosten am Umsatz, Durchschnittskosten von Bildungsmaßnahmen, Anteil der Bildungskosten an den Personalkosten, Weiterbildungskosten je Betriebseinheit u. a. m. Zu prüfen ist in diesem Zusammenhang die Einhaltung von Soll-Vorgaben und es gilt, Kostenvergleiche anzustellen, z. B. zwischen den Kosten interner und externer Maßnahmen, zwischen jenen unterschiedlicher Bildungsanbieter usw. Ziel all dieser Aktivitäten ist die Kostenoptimierung. Eine Bildungsmaßnahme kann aber nicht nur über die Kostenstruktur beurteilt werden, sondern es bedarf zusätzlich einer qualitativen Analyse aller Variablen, die Einfluss auf den Erfolg der Maßnahme nehmen. Statt von B. spricht die Literatur in diesem Fall oft von Evaluation. Relevante Variablen sind: – Inputvariablen, wie die Qualifikation der Dozenten, die Motivation der Teilneh-
Bildungscontrolling
mer, die mit der Maßnahme verbundenen Ziele; – Prozessvariablen, wie Organisation, Methodik, Qualitätssicherungssysteme; – Outputvariablen, wie Lernerfolg des Individuums, Transfer des Erlernten an den Arbeitsplatz. Der Beitrag dieser Variablen zur Qualität der Maßnahme wird im Rahmen des B. geprüft, und es werden Verbesserungsvorschläge erarbeitet. Die Evaluation passt die in der qualitativen Bildungsforschung üblichen Methoden an die betrieblichen Erfordernisse an. Dazu zählen: Fragebogenerhebung, Beobachtung, Interviews durch Evaluatoren und Mitarbeitergespräche mit Führungspersonen. Hinzu kommen evtl. abschließende Prüfungen zur Ermittlung des Leistungsstands. Evaluationsstandards halten mittlerweile auch flächendeckend Einzug in Schulen und Hochschulen. Hinzu kommt, dass öffentliche Bildungsinstitutionen, und hier speziell die Hochschulen, verstärkt quantitative Vorgaben (z. B. Betreuungsrelationen, Lehr- und Raumkapazitäten etc.) ermitteln und ihr pädagogisches Handeln daran orientieren müssen. Probleme: Das B. ist mit einigen systematischen Problemen behaftet. B. ist häufig einem Input-Output-Denken verpflichtet. Dazu benötigt es messbare und operationalisierbare Ziele, was gerade angesichts der in der betrieblichen Bildung anvisierten Kompetenzentwicklung fragwürdig ist. Diese nimmt nämlich den ganzen Menschen in den Blick, der sich durch seine persönliche, soziale und methodische Kompetenz ebenso auszeichnet, wie durch seine Fachqualifikation. In diesem Zusammenhang wird den Verfechtern des B. ein technokratisches und unpädagogisches Bildungsverständnis vorgeworfen, weil eine funktionalistische Qualifikationsbetrachtung im Vordergrund stehe und nicht die Persönlichkeitsbildung. Heute erfreut sich ein Evaluationsansatz einer großen Popularität, der das B. an vier Wirkungsebenen ausrichtet und personale sowie betriebliche Interessen zu vereinigen versucht. Im Lernfeld ist dann der Erfolg von Bildungsmaßnahmen an der Reakti-
Bildungsgutschein
on der Teilnehmer und an deren Zuwachs an Wissen und Kompetenz zu messen. Im Funktionsfeld sind der Transfer auf den Arbeitsplatz und der messbare Leistungszuwachs zu bewerten. Teilweise wird eine fünfte Ebene mit dem Return-on-Investment, also dem Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag von Bildungsmaßnahmen, eingeführt. B. wird nicht zuletzt deshalb gefordert, weil viele Unternehmen den Beitrag des → Humankapitals für die Unternehmenszwekke unterschätzen. Deshalb soll das B. den Nachweis führen, dass ein Zusammenhang zwischen dem Unternehmenserfolg und der systematischen Qualifikationsförderung der Mitarbeiter besteht. Obwohl sich in der Praxis die Auffassung, Ausgaben für die Qualifizierung der Mitarbeiter seien eine → Investition mit Ertragskraft, weitgehend durchgesetzt hat, fehlen auch hierfür messbare Belege von objektiver Eindeutigkeit. Denn zum Unternehmenserfolg trägt eine Vielzahl von Faktoren bei, die sich mit Bildungsmaßnahmen ergänzen, aber auch unabhängig von ihnen sein können. Literatur: Böttcher, W., H.-G. Holtappels u. M. Brohm: Evaluation im Bildungswesen. Eine Einführung in Grundlagen und Praxisbeispiele, Weinheim und München 2006; Krekel, E. u. B. Seusing (Hrsg.): Bildungscontrolling – ein Konzept zur Optimierung der betrieblichen Weiterbildung, Berlin und Bonn 1999. Prof. Dr. Günther Seeber, Landau Bildungsgutschein 1. im Sozialrecht: arbeitslosen und von Arbeitslosigkeit bedrohten → Arbeitnehmern nach §§ 77 ff. SGB III unter bestimmten Voraussetzungen von ihrer → Agentur für Arbeit zum Zwecke der → beruflichen Weiterbildung gewährter Bon, mit dem sie selbst eine Bildungsmaßnahme und einen Träger derselben auswählen können. Der B. beinhaltet das Bildungsziel und die Qualifizierungsschwerpunkte sowie die vorgesehene maximale Weiterbildungsdauer. Er sichert (ganz oder teilweise) die Übernahme der mit der Weiterbildung anfallenden Kosten. Ein Rechtsanspruch auf einen B. besteht nicht. 2. bei → Milton-Friedman: 141
Bildungsgutschein
Eltern erhalten vom Staat B., mit denen sie eine ihnen für ihre Kinder attraktiv erscheinende (staatlich anerkannte) Bildungseinrichtung auswählen und bezahlen können. Die jeweilige Bildungseinrichtung kann die so erhaltenen B. bei einer entsprechenden Staatskasse (gegen Geld) einlösen. – Durch eine solche marktorientierte Organisation von Bildung soll das traditionelle staatlich verwaltete und finanzierte Bildungssystem abgelöst und durch ein freiheitliches wettbewerbliches ersetzt werden. Bildungskategorie → wirtschaftliche Bildungskategorie. Bildungsmanagement Formen: Betrachtet man → Management als einen Prozeß und nicht als eine Personengruppe (leitend Tätige), dann bedeutet der Begriff im herkömmlichen Sinn Unternehmensführung. In Anlehnung daran kann B. als Führung einer Bildungsinstitution aufgefaßt werden. Bildung ist die von der Organisation angebotene Dienstleistung, und die Bereitstellung entsprechender Angebote bildet den Organisationszweck. Nun sind Bildungsinstitutionen nicht typischerweise privatwirtschaftlich organisierte, gewinnorientierte → Unternehmen, wie private Hochschulen oder viele Anbieter beruflicher Weiterbildungsmaßnahmen. In der Mehrheit der Fälle handelt es sich statt dessen um gemeinnützige Organisationen in diversen Rechtsformen (Stiftungen oder Anstalten des öffentlichen Rechts, kommunale Verwaltungseinheiten oder Eigenbetriebe u. a. m.), wie öffentliche Schulen und Hochschulen, Volkshochschulen, Bildungsträger der Kirchen u. a. Den Transfer von Managementinstrumenten der Privatwirtschaft auf den Bereich der Non-Profit-Organisationen bezeichnet man als New Public Management (NPM). Es ist dies i. e. S. ein Modernisierungsansatz für staatliches Verwaltungshandeln, von dem auch alle genannten öffentlichen Bildungsträger mehr oder minder stark betroffen sind. Das B. ist dann ein Spezialfall des NPM. Seltener, aber dennoch gebräuchlich spricht man auch von betrieblichem B. Während bei den Bildungsträgern Bildung das Pro142
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dukt ist, hat sie im Unternehmen die Ausprägung einer Ressource. Das betriebliche B. ist ein Spezialfall des Human Resources Management. Es konzentriert sich ganz auf Fragen der → Aus- und → Weiterbildung. Zentraler Gedanke beider Ausprägungsformen von B. ist die Effizienz- und Effektivitätsorientierung. Instrumente: Zur Erläuterung des Managementhandelns ist es sinnvoll drei Fälle zu unterscheiden: 1. Instrumente unternehmerisch agierender Bildungsträger; 2. Instrumente von Bildungsträgern, die lediglich teilautonom handeln; 3. Instrumente des betrieblichen B. 1. Für den ersten Fall stehen private Träger beruflicher und wissenschaftlicher Weiterbildung als Prototypen. Sie handeln marktorientiert. Entscheidend für ihren wirtschaftlichen Erfolg ist der Prozeß des strategischen Managements. Es fokussiert auf die mögliche und beabsichtigte Entwicklung der Einrichtung und muß dabei sowohl die Nachfrager und deren → Bedarfe, als auch die Wettbewerber und deren Strategien berücksichtigen. Strategisches Management ist also mehr als eine langfristige Planung. Es fragt vielmehr danach, wie die Einrichtung zukünftig im Markt positioniert werden soll. Dazu ist es notwendig, ein Unternehmensleitbild zu entwickeln und Zielsetzungen festzulegen. An diesen orientieren sich die Entscheidungen der weiteren operativen Managementfelder: RessourcenManagement (→ Ressouren) → Controlling, Marketing-Management (→ Marketing) und Führung. Es gilt z. B. den Einsatz der Ressourcen Zeit, → Humankapital und Räumlichkeiten zu optimieren. Ein wesentliches Instrument zur Unterstützung ist das → Bildungscontrolling, das die Zahlen und Indikatoren zur Steuerung der Ressourcen liefert. In das Feld des operativen Managements gehören auch Fragen der Budgetierung, der → Investition und der → Finanzierung. Das Marketing berücksichtigt schließlich die speziellen Bedingungen des Bildungsmarktes, läßt sich aber analog zu der üblichen Definition in Produkt-, Preis-, Distributions- und Kommunikationspolitik unterscheiden.
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Da Bildung sich von anderen Produkten z. B. dadurch unterscheidet, daß der Nachfrager zur Erstellung des Gutes beitragen muß – ohne sein Zutun wird keine Bildung zustande kommen –, finden wir auf der operativen Ebene didaktische Entscheidungen als Besonderheit vor. Eine weitere Spezialität ist das notwendige Qualitätsmanagement. Es unterscheidet sich von Verfahren in z. B. Produktionsbetrieben erheblich, da es eine Vielfalt von Variablen zu berücksichtigen hat, die nur indirekt beeinflußbar (Lernerfolg) oder weitgehend unabhängig vom Verhalten der Repräsentanten der Bildungsinstitution (Motivation der Teilnehmer) sind. 2. Die Instrumente des B. für staatliche Schulen und Hochschulen sind von dem bisher Beschriebenen zu unterscheiden. Von besonderen Umständen abgesehen, in denen ähnliche unternehmerische Rahmenbedingungen gelten – z. B. für universitäre Weiterbildungszentren, die Gebühren erheben dürfen und als → Profit-Center organisiert sind –, unterliegen diese Institutionen staatlichen Weisungen und Mittelzuweisungen, sind hinsichtlich ihrer Angebotspalette an gesetzliche oder ministerielle Vorgaben gebunden und verfügen über ein Personal, das den restriktiven Bedingungen des Beamtenrechts oder der öffentlichen Tarifvereinbarungen unterliegt. Dem unternehmerischen Handeln sind enge Grenzen gesetzt.
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– Zielvereinbarungssysteme: sie können einmal zwischen der Institution und der übergeordneten Behörde zum Tragen kommen, können aber auch als interne Zielvereinbarungen zwischen Trägerleitung und Personal verwirklicht werden (das Hochschulrecht läßt beides zu); – Einführung der Doppik zur sachgerechten Erfassung von Kosten und Leistungen; – → Benchmarking: die Institution mißt ihre Leistungen an denen vergleichbarer Anbieter; – Qualitätskontrollen beispielsweise durch Studierendenbefragungen; – das Leitungspersonal wird in Fragen der Personalführung aus- und weitergebildet. 3. Die Instrumente des betrieblichen B. sind jene des Bildungscontrollings und solche konzeptioneller Natur. In einem ersten Schritt ist die gesamte Aus- und Weiterbildungskonzeption im Unternehmen zu planen. Das umfaßt die Entscheidung über den Stellenwert von Aus- und Weiterbildung im Unternehmen und deren Integration in das Unternehmensleitbild ebenso, wie das konkrete Konzept: welche Veranstaltungen sind vorgesehen?, welche Form der Bildung wird präferiert – arbeitsplatznah oder eigenständige Veranstaltungen?, welche Arbeitnehmer sollen geschult werden? usw. Die zweite Planungsebene betrifft schließlich die didaktisch-methodischen Aspekte, die sich auf die Durchführung der Maßnahmen beziehen.
Im Zuge vielfältiger Modernisierungsbestrebungen sollen wettbewerbsähnliche Bedingungen ein B. ermöglichen. Ein erster Schritt ist in der Verleihung von mehr Autonomie zu sehen. Schulen können z. B. eine umfassende Organisationsautonomie erlangen und sogar eine Teilautonomie in Lehrplanfragen. Letzteres äußert sich beispielsweise in einer eigenständigen Profilbildung oder in der freien Gestaltung von Lernfeldern im beruflichen Schulwesen. Weitere wichtige Instrumente, wie sie uns in unterschiedlicher Intensität an Hochschulen und Schulen begegnen, sind:
Immer häufiger schließen sich Bildungsträger in Netzwerken selbständiger Einheiten zusammen, die in der Regel regional begrenzt sind und bestimmte Zwecke verfolgen, wie zum Beispiel eine gemeinsame Marktanalyse, gemeinsame Veranstaltungen u. a. m. Ein Netzwerkmanagement als Teilbereich des B. muß dann insbesondere Synergien aufdecken und koordinieren sowie zwischen den Partnern eine vertrauensvolle Kooperation ermöglichen.
– Globalbudgets: die Institution kann die interne Verteilung der zugewiesenen Mittel selbst vornehmen;
Literatur: Gonschorrek, U.: Bildungsmanagement in Unternehmen, Verwaltung und Non-Profit-Organisationen, Berlin 2003; 143
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Hanft, A.: Bildungs- und Wissenschaftsmanagement, München 2008. Prof. Dr. Günther Seeber, Landau Bildungsökonomie hat sich als sozialwissenschaftliche Teildisziplin seit Ende der 1950er Jahre entwickelt. Primär geht es ihr um die Klärung des Zusammenhangs von → Bildung und → Wirtschaftswachstum, um das Problem des optimalen Einsatzes von Mitteln im Ausbildungsbereich unter makroökonomischen und mikroökonomischen Gesichtspunkten. Der Klärungsbedarf der Rolle des Bildungsaufwands in der → volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ergab sich aus der unerklärten „Restgröße“ bei den Determinanten des Wirtschaftswachstums, nämlich der empirisch belegbaren Diskrepanz zwischen eingesetzten → Produktionsfaktoren und Wirtschaftswachstum einerseits, sowie der zunehmenden gesamtwirtschaftlichen Bedeutung des Bildungsbereiches, d. h. dem Anteil der Bildungsausgaben am → Bruttosozialprodukt andererseits (vgl. Edding, F. 1963, 85). Bildung als → Investition für Wirtschaftswachstum und als eine wesentliche Voraussetzung für → technischen Fortschritt und internationale Konkurrenzfähigkeit bewirkte Motivation und Schubkraft für aktive → Bildungspolitik und -reform. Von der B. erwartete man ein Instrumentarium für Bildungsplanung im Sinne langfristiger, bildungspolitischer Zielvorstellungen zur Sicherstellung gesellschaftlich benötigter → Qualifikationen. Besonders die auftretenden Engpässe im Angebot hochqualifizierter Arbeitskräfte, die sich aus dem plötzlich abbrechenden Strom von Arbeitskräften aus der DDR (aufgrund des Mauerbaus im August 1961) ergaben, galt es langfristig zu schließen. Ausschöpfung der „Begabungsreserven“, Verbesserung der Infrastruktur der Bildungslandschaft, Bildungsexpansion mit dem Trend zu höheren Abschlüssen und zunehmender Akademisierung haben das bildungsökonomische Interesse heute auf effektiven Ressourceneinsatz verlagert. Die Effizienz der Bildungsinstitutionen wird mit betriebswirtschaftlichen Kriterien von Unternehmensberatungsexperten analysiert, welche strukturelle Veränderungen im 144
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Schulsystem, im Unterricht etc. als Reformvorschläge in Form von Management- und Rationalisierungshilfen zur Ressourceneinsparung und Haushaltskonsolidierung formulieren. In der bildungsökonomischen Hochkonjunktur der 1960er und 1970er Jahre nahmen auf die bildungspolitische Diskussion unterschiedliche Ansätze (mit je anderen ökonomischen Programmierungstechniken) Einfluß: das Humankapitalkonzept und Ertragsmodell, der Korrelations-, Nachfrageund → Manpower-Ansatz. Ein monokausaler, in monetären Größen fixierbarer Zusammenhang von investiertem Bildungskapital pro Erwerbstätigem und Wirtschaftswachstum, von Einkommenshöhe bzw. zu erwartetem Lebenseinkommen (Ertragswert) und Dauer des Schulbesuchs bzw. den dafür aufgewandten Bildungskosten (Kostenwert) läßt sich nicht einwandfrei ermitteln. Wachstumstheoretische Langzeit-Vergleichsanalysen von Denison (1962) und Schultz (1961, 1963) unterstellten diesen Zusammenhang und führten zu einer Renaissance des Humankapital-Konzeptes: Ein optimaler Investitionsaufwand für Ausbildungs- und Weiterqualifizierungsprozesse soll den Produktionsfaktor → Humankapital im ökonomischen Kalkül dergestalt fixieren, daß der gesamtgesellschaftliche Bildungskapitalbestand sich effektiv auf die volkswirtschaftliche → Produktion niederschlägt. Ökonomische Bildungsforschung kann „durch Kosten- und Effizienzanalysen wertvolle anwendungsorientierte Orientierungshilfen für Entscheidungssituationen unter Knappheitsbedingungen geben …“ (Hummelsheim, Timmermann 2009, 97) Die Humankapitaltheorie unterstellt, dass Bildungs- und Qualifizierungsprozesse das Leistungsvermögen von Individuen erhöhen (Wirksamkeitsthese) und die Arbeitsproduktivität verbessern (Produktivitätsthese), was wiederum zu erhöhtem → Einkommen des Individuums führt, so dass die → Kosten für die Bildungsaktivität rentabel sind (Investitionsthese). Auf der Ebene individueller Bildungsnachfrage und Rentabilitätsabschätzung wurde
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das Kosten-Ertrags-Modell bald ad absurdum geführt, insofern Selektionsmechanismen des staatlichen Bildungsmonopols öffentliche Steuerungsmöglichkeiten bieten sowie Sättigungseffekte auf dem Markt des Beschäftigungssystems zu einer Entkoppelung von in Zertifikaten ausgedrückten Qualifikationen und dem Anspruch bzw. der Berechtigung auf einen ausbildungsadäquaten → Arbeitsplatz mit bestimmtem Einkommenseffekt geführt haben. Angesichts der Unschärfe betriebsspezifischer Qualifikationsnachfrage und heutiger Abstimmungsprobleme zwischen Bildungsund Beschäftigungssystem (z. B. Überhang von Geisteswissenschaftlern) ist die Strategie aktuellen betrieblichen Managements und der Personalentwicklung die optimale Ausschöpfung vorhandener Humanressourcen mittels flexibler → Arbeitsorganisation, ein von der Abnehmerseite das Humankapital berücksichtigendes Verfahren. Der Korrelations-Ansatz versucht, im Rahmen der → Bildungsplanung Kennziffern des → Bildungswesens (z. B. Anteil der Schüler an der gleichaltrigen Bevölkerung bestimmter Jahrgänge oder Schulstufen) mit Kennziffern der → Wirtschaft (z. B. Bruttosozialprodukt pro Kopf der Bevölkerung) in Beziehung zu setzen (Hüfner 1969). Damit konnte man darauf verweisen, daß bei einer bestimmten Höhe des Bruttosozialproduktes auch eine entsprechend hohe Ausgabenmenge für den Bildungsbereich bereitgestellt wird, bzw. umgekehrt, daß mit einem hohen Entwicklungsstand des → Bildungssystems einer Nation ein hohes Bruttosozialprodukt korreliert (vgl. Picht 1964). Daß Korrelationsansätze keine exakten Meßgrößen ermitteln, hängt u. a. damit zusammen, daß ein sich gegenseitig beeinflussendes Indikatorenbündel mit betriebsorganisatorischen, realkostensenkenden Faktoren als verursachend für den Anstieg der globalen Produktivität angesehen werden muß. Der Nachfrage-Ansatz ermittelt aus der Prognose der Bevölkerungsentwicklung, der Schulbesuchsquoten und den Zielsetzungen der politischen Entscheidungsträger die zukünftige Absolventenzahl bestimmter Bildungsgänge. Das Problem der Verwert-
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barkeit formaler Bildung im gesellschaftlichen und ökonomischen Produktionsprozeß wird jedoch nicht näher untersucht. Die Bildungsplanungspraxis der Kultusverwaltungen bediente sich dieses Ansatzes in den 1960er Jahren des ökonomischen Überflusses. Für die Zwecke der Bildungsplanung wohl am häufigsten verwendet wird der Manpower-Ansatz, der aus einer angenommenen oder geplanten Zuwachsrate des Bruttosozialproduktes den jeweiligen Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften für das Beschäftigungssystem ableitet. Freilich lassen sich seine Prognosedaten nur als Orientierungshilfe interpretieren, da eine → Marktwirtschaft mit einer dem Ansatz zugrundeliegenden Wirtschaftsplanung unvereinbar ist. Bildungsbedarfsplanung wird umso problematischer, je mehr Metaqualifikationen oder soziale Qualifikationen vom Beschäftigungssystem nachgefragt werden, da hierbei die Substitutionsspielräume zwischen Absolventen verschiedener Ausbildungsgänge wachsen. Die zunehmende Unbestimmtheit der Qualifikationsanforderungen macht somit eine quantitative Bedarfsermittlung heute immer schwieriger. Da die Wachstumsrate u. a. vom Qualifikationsbestand abhängig ist sowie der nachgefragte Qualifikationsbestand seinerseits wieder von der Wachstumsrate, ergibt sich ein unüberwindbares Prognosedefizit. Letztlich ist die Bildungsplanung von den finanziellen Ressourcen und der politischen Macht abhängig. Die gegenwärtige Krise des Bildungssystems und der staatlichen Bildungsplanung läßt sich einerseits als Folge der Bildungsexpansion seit Mitte der 1960er Jahre und andererseits von nicht entsprechend vorhandenen Ressourcen für das Bildungsbudget ökonomisch diagnostizieren. Eine ungesteuerte Bildungsexpansion führte zu strukturellen Disproportionalitäten im Bildungssystem (z. B. Überfüllung der Universitäten), zu einer Entkoppelung von Bildungs- und Beschäftigungssystem, zu einer quantitativen Fehllenkung, die heute als Mangel an mittleren Qualifikationen (Fach145
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arbeiter, Meister, Techniker) im Beschäftigungssystem beklagt wird, zu einer qualitativen Fehllenkung in Form einseitiger Theoriefixierung und geringer Tätigkeitsfeldorientierung. Beklagt wird ein Verfall des Leistungsstandards. Gefordert wird eine Erhöhung der externen und internen Effizienz des Bildungssektors. Flexible Innovationsfreudigkeit, anspruchsvollere Standards für (begabte) Eliten in privaten, selbstverantwortlich wirtschaftenden, miteinander konkurrierenden Bildungsbetrieben wird von Verfechtern einer marktwirtschaftlichen Lösung favorisiert: Die Abstimmung zwischen → Angebot und → Nachfrage nach Bildungsleistungen solle ausschließlich über den → Markt erfolgen, d. h. durch → Wettbewerb und durch den → Preis für das Gut Bildung (Zertifikat). Der Staat sollte aus gesellschaftlichem Interesse nur für Rahmenrichtlinien sorgen, eine Mindestbildung garantieren, die Schulpflicht sowie Standards von Ausbildungskonzessionen und Zertifikaten kontrollieren. Dieser Lösungsvorschlag dürfte jedoch das Grundverständnis von Bildung konterkarieren: Eine inhaltliche Akzentuierung auf marktverwertbare Ausbildungsinhalte mittels privatwirtschaftlich organisierter Bildungsangebote würde zu einer starken → Spezialisierung führen. Es bestünde die Gefahr, daß ökonomisch eher irrelevante Qualifikationen kultureller Provenienz ausgeblendet und gesellschaftlich-emanzipatorische Interessen im Bildungssystem obsolet würden. Ein Marktsystem im Bildungsbereich könnte zwar ökonomisch effektiver sein, würde aber auch politisch nicht vertretbare Wirkungen zeitigen: Ein Marktsystem verteilt die Quantität und Vielfalt der Schulen, die Qualität der Lehrer, der Ausstattung und der Resultate proportional zur Kaufkraftdistribution, nicht aber proportional zur Verteilung der Begabungen und Neigungen. Ein staatliches Bildungssystem vermag eher die Chancengleichheit zu verbessern. Bildung als volkswirtschaftlicher Faktor mit hoher Rendite steht auch in Zeiten knapper Mittel nicht zur Disposition. Ihre Rentabilität mißt sich nicht nur in wirtschaftlicher Produktivität, sondern auch in politischer Stabilität. 146
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Aktuelle bildungsökonomische Analysen zur effizienteren Ressourcennutzung betreffen strukturelle Veränderungen im Schulsystem (z. B. zweigliedrige Struktur der Sekundarstufe I), womit sich Einsparungen bei Personal- und Ausstattungskosten errechnen sowie strukturelle Veränderungen beim Unterricht (z. B. Unterrichtsorganisation, Förderunterricht zur Reduktion der Zahl der Wiederholer bzw. Studienabbrecher). Effizienzsteigernde Maßnahmen wie Reduktion von Stundentafel und Schulzeit, Erhöhung der Schüler-Lehrer-Quote und der Lehrerarbeitszeit, Abschaffung der Lehrmittelfreiheit etc. stoßen an die Grenzen des pädagogisch Verantwortbaren und gefährden das Chancengleichheitspostulat. Internationale Analysen und aktuelle empirische Befunde der → OECD sehen für Deutschland einen breiten wirtschafts- und bildungspolitischen Handlungsbedarf, beispielsweise für verstärkte Förderung im Elementarbildungsbereich und für Schüler mit Migrationshintergrund sowie aus sozial schwachen Familien, für die Beseitigung geschlechterbezogener Einkommensdiskriminierung, für die Profilierung der wissenschaftlichen Weiterbildung der Universitäten. Allgemein wird in Deutschland zu wenig in die Bildung seiner Bevölkerung investiert. Die Bildungsausgaben liegen unter dem OECD-Durchschnitt, gemessen am Bruttosozialprodukt (vgl. OECD 2007, 226); die Effizienzpotentiale als Outputvariablen kognitiver Lernleistungen bescheinigen in den PISA-Studien ebenfalls keine Spitzenwerte. Erhöhte Investitionen in Bildung sind geboten. Sie dienen der Deckung des qualitativen und quantitativen Arbeitskräftebedarfs und leisten Beiträge zur technologischen Entwicklung, zur Innovationsfähigkeit und zum (qualitativen) Wachstum der → Volkswirtschaft im globalen Wettbewerb. Literatur: Böttcher, W./Weishaupt, H./ Weiß, M. (Hrsg.): Wege zu einer neuen Bildungsökonomie, Weinheim/München 1997; Denison, E. F.: The Sources of Economic Growth in the United States and the Alternatives Before Us. Comittee for Economic Development. New York 1962; Edding, F.:
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Ökonomie des Bildungswesens. Lehren und Lernen als Haushalt und als Investition. Freiburg i. Br. 1963; Franz, W.: Bildung, Tübingen 2004; Hüfner, K.: Traditionelle Bildungsökonomie und systemorientierte Bildungsplanung. Berlin 1969; Hummelsheim, S./Timmermann, D.: Bildungsökonomie. In: Tippelt, R./Schmidt, B. (Hrsg.): Handbuch Bildungsforschung (2. überarbeitete und erweiterte Auflage) Wiesbaden 2009, S. 93–134; OECD: Bildung auf einen Blick. OECD-Indikatoren 2007. Paris 2007; Picht, G.: Die deutsche Bildungskatastrophe. Analyse und Dokumentation. Olten und Freiburg i. Br. 1964; Schaack, K., Tippelt, R. (Hrsg.): Strategien der internationalen Berufsbildung, Frankfurt a. M. 1997 (Reihe: Beiträge zur Bildungsplanung und Bildungsökonomie, Band 6); Schultz, T. W.: Education and Economic Growth. In: N. B. Henry (Ed.): Social Forces Influencing American Education. The Sixtieth Yearbook of the National Society for the Study of Education, Part. II. Chicago 1961, p. 46 – 88; Schultz, T. W.: The Economic Value of Education. New York/ London 1963; Weiß, M.: Bildungsökonomie und Neue Steuerung, Frankfurt a.M. 2000; Weizsäcker, R. K. von (Hrsg.): Bildung und Wachstum, Berlin 1998 (Schriften des Vereins für Socialpolitik, Neue Folge Band 258). Dr. Andreas Gmelch, Bamberg Bildungsplanung Allgemein: Komplexe Bezeichnung für die Entwicklung systematischer Entwürfe zur Gestaltung des Bildungswesens in unterschiedlichen Bereichen. Speziell: Gemeinsamer Aktionsbereich von Bund und Ländern nach Art. 91 b Grundgesetz; praktiziert in der 1970 eingerichteten Bund-Länder-Kommission (BLK) für B., die sich aus Vertretern der Länder und der Bundesregierung zusammensetzt. Vorrangige Aufgabe: Vorlage eines langfristigen Rahmenplanes für die Entwicklung des Bildungswesens, Erarbeitung mittelfristiger Stufenpläne für die Verwirklichung der bildungspolitischen (→ Bildungspolitik) Ziele, wie beispielsweise → berufliche Bildung, → Ausbildung außerhalb der Hochschule, → Weiterbildung, außerschulische Jugendbildung. Die BLK
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hat ihre Tätigkeit zum 31. 12. 2007 eingestellt. Bildungspolitik Die B. soll das Spannungsverhältnis zwischen dem Anspruch des Individuums auf Bildung als Entwicklung seiner Individualität (Teil der Menschenrechtskonvention; Art. 1 GG, Art. 2 Zusatzprotokoll der Menschenrechtskonvention) und gesellschaftlichen Qualifikationsanforderungen (vgl. → Humankapital) strukturieren und zu einem akzeptablen Interessenausgleich führen. Die geforderten Fähigkeiten und Fertigkeiten werden von gesellschaftlichen Gruppen, kulturellen Gemeinschaften, Volksgruppen, Staaten und Staatenbündnissen den Mitgliedern auferlegt, im besten Falle diskutiert und begründet (vgl. Rousseau, Gesellschaftsvertrag), im schlimmsten mit offener oder versteckter Gewalt durchgesetzt. Die Allgemeinbildung ist der Teil der Bildung, der als Fundament persönlicher Fort- und Weiterbildung angesehen wird (vgl. Schwanitz, soziologischer Bildungsbegriff); die → Berufsbildung rückt die Qualifizierung für das Arbeitsleben (Berufs- und Erwerbsfähigkeit) in den Mittelpunkt. Die B. hat nur Einfluss auf die gesellschaftlich bewusst organisierten Erziehungs- und Bildungsprozesse; die funktionale Bildung, d. h. die im gesellschaftlichen Umgang, durch Widersprüche der Erziehungsziele, im Elternhaus und in Subkulturen erworbene oder durch Verweigerung der zu Erziehenden sich ergebenden Erziehungs- und Bildungseinwirkungen werden allenfalls als Störgrößen in den Entscheidungen und Planungen berücksichtigt. Bei der B. ist zu unterscheiden nach Entscheidungsträgern (polity), die nach gesetzten oder vorgegebenen → Bildungsstandards, Zielen oder Programmen ihr Handeln begründen (policy) und in der Gesellschaft durchsetzen (politics). Polity (Verantwortliche): Nach dem Grundgesetz (GG) und den gesetzlichen Regelungen ist die B. hinsichtlich der Allgemeinbildung, der Berufsvorbereitung und der → Berufsschule ausschließliche Aufgabe 147
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der Bundesländer (GG Artikel 23, 25, 28, 30, 70, 72, 74, 91 b). Die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung ist seit 2007 aufgelöst. Auch die Kooperation mit der EU und die Mitwirkung bei internationalen Vergleichstests sind über den Bundesrat von den Ländern wahrzunehmen. Die → Berufsausbildung einschließlich der weiteren Qualifizierung bleibt in der Zuständigkeit des Bundes (vgl. Berufsbildungsgesetz v. 23. 3. 2005). Policy (Ziele): Die Allgemeinbildung ist nach landläufiger Auffassung mit den Kenntnissen des Abiturs (der Matura) nachgewiesen, obgleich je nach Bundesland, Fächerwahl oder Leistungsvermögen sich ganz unterschiedliche Qualifikationen hinter der Reifeprüfung verbergen können. Da wegen der geforderten Übergangsmöglichkeiten zur „weiterführenden“ Bildung in allen Schularten das Abitur zum Orientierungspunkt wird, werden die Kenntnisse der ästhetisch-literarisch-historischen Bildung de facto zum Kern der Allgemeinbildung. Die Diskussion um Bildungsstandards konzentriert sich daher auf Mathematik, die Naturwissenschaften und Randfächer, die zusätzlich eingeführt werden sollen. Die Forderung nach einem für alle Bundesländer verbindlichen Zentralabitur scheitert an der Souveränität der Bundesländer, obgleich die Notwendigkeit eines einheitlichen Eingangsniveaus (z. B. wegen der Studierfähigkeit) anerkannt wird. Die Entwicklung eines berufsbezogenen Bildungsweges (→ Zweiten Bildungsweg mit Hochschulzugang) ist selbst beim Fachabitur aufgegeben worden. Daher haben die Hochschulen Bewerbern den Hochschulzugang ohne Abitur, aber mit geeigneter beruflicher Erfahrung geöffnet (→ Dritter Bildungsweg). Bei der → beruflichen Bildung im Rahmen des → dualen Systems der Berufsausbildung wird die „berufliche Handlungsfähigkeit“ (BBiG, § 1) durch die Ausbildung nach Ausbildungsordnungen erstrebt, die von Kammern der → Arbeitgeber u. den → Gewerkschaften erarbeitet, in Modellprojekten – meistens unter Beteiligung des → Bundesinstituts für Berufsbildung – erprobt und vom zuständigen Bundesmini148
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ster erlassen werden. Mit der staatlichen Anerkennung des → Ausbildungsberufes (Bezeichnung des Ausbildungsberufes), der Festlegung der Ausbildungsdauer, des Ausbildungsberufsbildes, dem Ausbildungsrahmenplan und den Prüfungsanforderungen (vgl. BBiG, § 5) werden ein Zielkatalog und ein Arbeitsrahmen festgelegt, die für das allgemein bildende Schulwesen sowie das Studium Vorbild sein könnten. Differenzen zur schulischen Berufsbildung und zu schulischen Qualifizierungsgängen und Abschlüssen europäischer Berufsbildungsgänge sind unvermeidbar, weil die betrieblichen Qualifikationsanforderungen Maßstab sind. Das Anerkennungsverfahren für andere Ausbildungsgänge ist durch BBiG § 31 geregelt. Bei der akademischen Berufsausbildung im Rahmen der Hochschulen schließt die Freiheit von Forschung und Lehre (GG Art. 5,3) prinzipiell eine verbindliche Zielvorgabe aus. Mit der Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen (→ Bologna-Prozeß) soll wenigstens im Bereich der Lehre eine Vereinheitlichung hinsichtlich der Abschlussbezeichnungen, der Prüfungsäquivalenten Studienleistungen (PäSt) sowie des Überganges zum Masterstudiengang angestrebt werden, die den Wechsel zu anderen Hochschulen erleichtert. Dies soll durch die Überprüfung der Studiengänge durch die Agenturen für Qualitätssicherung und Akkreditierung erreicht werden. Bisher werden die Unterschiede zwischen Hochschulexamen und beruflichen Anforderungen durch → Trainee-Programme, Prüfungsvorbereitungen /Repetitorien oder Studienseminare geschlossen. Sieht man von der Berufsbildung im dualen System ab, ist festzustellen, dass trotz der politischen Forderungen nach fortschrittlicher B. eine Zieldiskussion nicht stattfindet. Besitzstände und unvermeidbare Anpassungen führen zum späten Eintritt in die Berufsbildung, langen Ausbildungsgängen und häufigen Anpassungsfortbildungen, so dass die Qualifikation für eine gesellschaftliche oder berufliche Aufgabe erst im Erwachsenenalter erreicht wird.
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Politics (Implementation, Umsetzung): Wo keine Ziele oder Werte explizit vorgegeben und bestehende Inhalte, Abläufe und Methoden nicht in Frage gestellt werden, sind bildungspolitische Veränderungen das zufällige Ergebnis gesellschaftlicher Prozesse, aber auch des politischen Wettbewerbs um Ideen und Einfluss. Da es noch keine Pflicht zum Besuch des Kindergartens gibt, entscheiden die Eltern, welcher Kindergarten, welche Tagesmutter oder gar die Koranschule die vorschulische Erziehung des Elternhauses ergänzen. So ist keineswegs sicher gestellt, dass Kinder von Migranten ihre deutsche Umwelt besser kennen lernen, insbesondere die Sprache erlernen; z. B. haben die Leiter der Moscheen, vom türkischen Religionsministerium ernannt und nach Deutschland geschickt, ein hohes Interesse an der Vermittlung türkischer Kultur und Sprache. Der Eintritt in die Grundschule erfolgt in der Regel nach Alter und Wohnbezirk. Die Grundschule muss dann mit dem Schwerpunkt im Lesen, Schreiben, Rechnen und Sachkunde die sprachlichen, wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede ausgleichen, die nicht nur durch die Ghettosituation der Zuwanderer, sondern auch durch das eingeschränkte Erfahrungsfeld von Einzelkindern bedingt sein können. Ob dies gelungen ist, kann anhand der Bildungsstandards am Ende der 4. Jahrgangsstufe nachgewiesen werden (Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder, Beschlüsse v. 23./24 .05. 02; 15. 10. 04). Da die Bildungsstandards nicht zu Lernzielen operationalisiert sind, ergeben sie nur Anhaltspunkte für Orientierungs- und Vergleichsarbeiten, die z. B. Ende der 3. Jahrgangsstufe durchgeführt werden (Vera – Vergleichsarbeiten in der Grundschule). Die dort beschriebenen Musteraufgaben werden ähnlich in Schulbücher übernommen und in den Grundschulen gestellt, auch in landesweiten Vergleichstests. Aufstiegsorientierte Eltern prognostizieren schon vor der Anmeldung zur Grundschule anhand des sozialen Umfeldes ihres Wohnbezirkes die Übergangschancen zum Gymnasium und entscheiden sich dann z. B. für eine private oder konfessionelle Grundschu-
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le, die nicht an den Wohnbezirk gebunden ist und eine soziale Selektion ermöglicht (Konflikt zwischen GG Art. 7, Abs. 5 – Privat- u. Konfessionsschulen – und Abs. 6 – Verbot der Vorschulen). Der Übergang zum Gymnasium ist in einigen Bundesländern an die Empfehlung der Grundschule und den Notendurchschnitt gebunden, in anderen an das Votum der Eltern. In Berlin entscheidet bei zu vielen Bewerbern das Los. Die Eltern haben nach der 4. Jahrgangsstufe für ihre Kinder eine Vielzahl von Wahlmöglichkeiten (→ Bildungssystem), teils beim Besuch der grundständigen Gymnasien, teils bei der Binnendifferenzierung innerhalb der Förderstufe der Grundschule. Die demographische Entwicklung – weniger Kinder bei einer noch ausreichenden Zahl von Lehrern – sorgt für Wettbewerb der Schularten, bei dem sich der Ausleseprozess des Gymnasiums im Interesse voller Klassen bis zur 6. Jahrgangsstufe verschieben kann und in dem Gesamt- und Realschulen mit zahlreichen Übergangsund Nachholmöglichkeiten werben. Die Schulträger – Gemeinden, Stadtbezirke sowie Landkreise – haben ein Interesse daran, kurze Schulwege und wenig Schülernahverkehr zu haben; daher werden Schularten, z. B. Haupt- und Realschulen, zusammengefasst und ihre Abschlüsse aufgewertet: z. B. in Bayern durch systematische Vorbereitungen auf den „Quali“ – „qualifizierenden Hauptschulabschluss“, der mit einem guten Berufsabschluss im dualen System die Mittlere Reife erreichbar macht. Diese Prüfung wird auch den Gymnasiasten empfohlen, damit sie im Falle eines Scheiterns einen Schulabschluss haben. Als Messlatte des Wettbewerbs dienen Vergleichstests; z. B. PISA (Program for International Student Assessment), entwickelt und durchgeführt im Auftrage der OECD, oder Landesvergleichstests 9. Jahrgangsstufe, Orientierungs- und Vergleichsarbeiten in Deutsch und Mathematik, schließlich das landesweite Zentralabitur. Weitere Anstöße zu Veränderungen ergeben sich aus der Verkürzung der Schulzeit: der freie Sonnabend und die Verkürzung auf 12 Unterrichtsjahre am Gymnasium bei 149
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gleichem Unterrichtssoll machen Nachmittagunterricht in einem Umfang notwendig, dass alle Schulen zu Ganztagsschulen tendieren, weil z. B. Sportvereine, Musikschulen, Jugendverbände und Trachtengruppen Zeiten und Räume mit den Schulen vereinbaren müssen. In der 11. Klasse wird mit bis zu 36 Wochenstunden und zusätzlichen Hausaufgaben die Arbeitszeit von Facharbeitern und Auszubildenden überschritten. Neue Aufgaben wie die → ökonomische Bildung, die neben der Rezeption von Inhalten auch Denkleistungen erfordern, finden keinen Platz. Bildungspolitisch ist zu kritisieren, dass die Entwicklung der Tests und die Vergleichsarbeiten keiner demokratischen Kontrolle unterliegen, weil sich die Parlamente mit den Scheinproblemen der Schulartbezeichnung und der Übergänge zu und zwischen den Schularten beschäftigen. Insbesondere fehlt die von den Kultusministern diesbezüglich versprochene wissenschaftliche Einrichtung (vgl. KMK, Beschlüsse v. 15. 10. 2004 u. 23./24. 05.2002). Die Ungenauigkeit der Ziele begünstigt nicht nur die vorhandenen Strukturen und Fächerungen, sondern schafft auch eine Weiterbildungsund Nachhilfeindustrie, die die von der Schule aufgegebenen Sonnabende und die Ferien mit ihren Angeboten füllt. Weil sich die allgemein bildenden Schulen um einen langen Verbleib der Schüler bemühen, fehlt es den Betrieben für die Ausbildungsberufe an geeigneten Bewerbern, die die Ausbildungsinvestitionen rechtfertigen. Abiturienten sehen die berufliche Ausbildung häufig nur als Praxisbrücke zum Studium; sie stehen dem → Arbeitsmarkt als Facharbeiter/Gesellen/Angestellte langfristig nicht zur Verfügung. Für Unternehmen mit hohen Ausbildungsansprüchen kann daher die → Berufsakademie (→ Bildungssystem) ein Weg sein, geeignete Bewerber zu binden. Bewerber mit Kenntnislücken oder sozialen Verhaltensdefiziten müssen in berufsvorbereitenden Lehrgängen (→ Berufsorientierung, → Berufsgrundbildung), → Betriebspraktika und der Verbundausbildung (vgl. BBiG. § 10,5) von Organisationen ausgebildet werden, die mit öffentlichen 150
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Mitteln und ohne den Wettbewerbsdruck eines Wirtschaftsbetriebs arbeiten, z. B. Ausbildungsbetriebe der → IHK. Dabei kann die erfolgreiche Eingliederung ins Arbeitsleben hinter dem Erhaltungszweck des Ausbildungsverbundes zurücktreten. In den Universitäten und Fachhochschulen ist zwar der Bologna-Prozess noch nicht abgeschlossen, aber es zeichnen sich Tendenzen ab: In den meisten Studiengängen wird der Bachelor-Abschluss nicht nach sechs Semestern erreicht oder nicht als ausreichende berufliche Qualifikation angesehen. Fast alle Studenten streben den Master-Abschluss an. Da in der Umbauphase die alten Studiengänge weiter laufen, stehen derzeit die Abschlüsse Bakkalaureus/-a, Bachelor, Magister, Master, Diplom (FH oder Universität) sowie Promotion und Staatsexamen als berufliche Zugangsberechtigungen nebeneinander. Die Bachelor- und Master- Studiengänge sind in Module untergliedert, in denen für PäSt Punkte vergeben werden, die insgesamt den Abschluss darstellen. Um die Qualität der Lehre und ein einheitliches Abschlussniveau zu gewährleisten, müssen die Module und der gesamte Studiengang von einer Agentur für Qualitätssicherung überprüft werden, die sich wiederum ihre Qualifikation durch den Akkreditierungsrat der Stiftung zur Akkreditierung von Studiengängen in Deutschland, Bonn, bescheinigen lassen muss. Da die Entwicklung der Module wegen der Evaluierung im laufenden Lehrbetrieb erfolgt, ist die Anerkennung der PäSt mit der Akkreditierung für den Nachweis eines erfolgreichen Studiums wichtig. Auch wegen des wissenschaftlichen Fortschritts ist eine umfangreiche Prüfung und Dokumentation notwendig, die die Lehre erheblich belastet. Andererseits wird die Arbeit des Akademischen Mittelbaus aufgewertet, weil er mit der Vergabe der Punkte Prüfungsbefugnis bekommt. Die Studenten erhalten in kurzen Intervallen ihren Ausbildungsstand mitgeteilt. Falls sich die Akkreditierung durch gesellschaftliche Aufklärungsarbeit der Agenturen als Ausbildungsstandards politisch durchsetzt, wird ein erheblicher Zeitgewinn durch den
Bildungspolitik
Wegfall der Abschlussprüfungen erzielt. Vorbehalte einzelner Bundesländer gegen die Aussagefähigkeit der die Studien begleitenden Prüfungen lassen jedoch vermuten, dass Staatsprüfungen nicht wegfallen (vgl. KMK, Berlin und Bayern). Ausblick: Die Vorbehalte des Bundesverfassungsgerichts gegen das Begleitgesetz zur Ratifizierung des Vertrags von Lissabon haben den von Europa ausgehenden Druck auf die Bundesländer verringert, die Allgemeinbildung anzupassen und Inhalte und Abschlüsse zu reformieren. Eine Verkürzung der Erstausbildung und ein früherer Eintritt ins Berufsleben sind nicht zu erwarten, da ein faktisch kostenloses Studium und die Unterhaltsverpflichtung der Eltern die Selbstfindungsphase der jungen Erwachsenen weiter verlängern werden. Entsprechend verschiebt sich die Familiengründung, so dass das Erziehungsverhalten alter Eltern zum Problem öffentlicher Erziehung werden kann. Auch wegen der langen Ausbildung dieser Kinder wird die Verlängerung der Regelarbeitszeit bis zum 70. Lebensjahr immer wahrscheinlicher. Literatur: Schwanitz, D.: Bildung, München (Goldmann) 2002. Hochschulverband, Deutscher: Qualität durch Akkreditierung, Bonn 2005. Wex, P.: Bachelor- und Master, Berlin 2005. Zur Unverbindlichkeit von KMK-Beschlüssen und der willkürlichen Umsetzung in Module am Beispiel politische Bildung Kahsnitz, Dietmar: „Entwicklung der gesellschaftlichen Bildung“Bildungsziele und Aufforderungen der Kultusminister realisieren oder ignorieren? In: Polis 2/2009. Prof. Dr. Georg Groth, Berlin Bildungsstandards legen fest, welche → Kompetenzen bis zu einer bestimmten (schulischen) Jahrgangsstufe erworben sein sollen. Ihre Funktion ist die Orientierung der Schulen auf verbindlich zu erreichende Ziele, die evaluierbar sind. Die Abkehr von der „Input-Orientierung“ des Lehrplans zur „Output-Orientierung“ der B. beinhaltet eine stärkere Verpflichtung zur Überprüfung des Lehr-Lernprozesses und -erfolges. B. M.
Bildungssystem
Bildungssystem ⇒ Bildungswesen ist ein Sammelbegriff für die öffentlichen und privaten Bildungseinrichtungen, insbesondere Schulen und Hochschulen. In einem umfassenderen Verständnis werden auch die betrieblichen Einrichtungen zur → Ausund → Weiterbildung zum B. gezählt. Als Ziel und Gegenstand von → Bildung wird heute die Entwicklung einer Persönlichkeit und die Befähigung zur Bewältigung von Lebenssituationen im privaten, beruflichen und gesellschaftlichen Umfeld verstanden. Zuständigkeiten: Entsprechend der Kulturhoheit der Länder liegt die Zuständigkeit für Schulen und Hochschulen bei den Bundesländern. Die dezentrale Zuständigkeit hat partielle Unterschiede in den B. der einzelnen Bundesländer zur Folge. Die gesetzgeberischen Zuständigkeiten des Bundes beschränken sich auf die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens (Art. 75 GG), Ausbau und Neubau von Hochschulen (Art. 91 a GG) und betriebliche Ausbildung (Art. 74 GG). Die → berufliche Weiterbildung wird in erster Linie von den Selbstverwaltungsorganen der Wirtschaft (→ Handwerkskammern, → Industrie- und Handelskammern) und den → Gewerkschaften getragen. Gliederung: Das B. ist in Deutschland sowohl horizontal als auch vertikal vielfältig gegliedert und weist eine Vielzahl von Bildungsgängen, Zugangswegen und Abschlüssen auf. In einer ersten Grobgliederung lassen sich in horizontaler Sicht allgemeine und berufliche Bildungseinrichtungen unterscheiden, wobei die beruflichen Bildungseinrichtungen sowohl schulische als auch betriebliche Lernorte aufweisen (→ Duales System). Unter vertikalem Aspekt lassen sich allgemeinbildende Schulen und Institutionen der beruflichen Erstausbildung, Hochschulen und Einrichtungender Weiterbildung unterscheiden. Die vier Bildungsbereiche besitzen eine weitergehende Binnendifferenzierung. Zwischen den verschiedenen Institutionen des B. bestehen Übergangsmöglichkeiten (Durchlässigkeit). 151
Bildungssystem
Bildungssystem
Grobgliederung des Bildungssystems Neben die traditionelle Gliederung nach Schularten ist in den letzten Jahrzehnten auch eine Gliederung nach Schulstufen (Primarstufe, Sekundarstufe I, Sekundarstufe II, Tertiärstufe) getreten. Ob eine vorausgehende Stufe (Kindergarten, Vorschule bzw. Elementarstufe) zum B. zu zählen ist, wird unterschiedlich beurteilt. Allgemeinbildende Schulen: Das allgemeinbildende Schulwesen beginnt mit der Grundschule. Daran schließt sich ein dreigliedriges System weiterführender Schulen mit Hauptschule, Realschule und Gymnasium an. Die vierjährige Grundschule wird von allen Kindern besucht. Sie vermittelt Grundkenntnisse und bereitet auf den Besuch weiterführender Schulen vor. An die Grundschule schließt sich die zweijährige Orientierungsstufe an. Diese ist entweder den weiterführenden Schulen zugeordnet (schulartabhängige Orientierungsstufe) oder eine eigenständige Schulstufe (schulartunabhängige Orientierungsstufe). Am Ende der Grundschule bzw. in der Orientierungsstufe fällt die gemeinsam von Kind, Elternund Schule zu treffende wichtige Entscheidung über die weitere Schullauf bahn. Die Hauptschule umfaßt die Klassenstufen 5 bzw. 7 bis 9 oder 10. Sie soll eine allge152
meine Bildung als Grundlage für eine praktische→ Berufsausbildung vermitteln. Die Realschule umfaßt die Klassenstufen 5 bzw. 7 bis 10 und vermittelt über einen mittleren Bildungsabschluß eine allgemeine Grundlage für gehobene Berufe. Das Gymnasium umfaßt die Klassen 5 bzw. 7 bis 12 bzw. 13. Gymnasien sind nach Schwerpunktprofilen differenziert (mathematisch-naturwissenschaftlich, neusprachlich, wirtschaftswissenschaftlich usw.). Der erfolgreiche Besuch der Klasse 10 entspricht einem mittleren Bildungsabschluß. Das Abschlußzeugnis
Gliederung des allgemeinbildenden Schulsystems
Bildungssystem
Bildungssystem
Grundstruktur des Bildungswesens in der Bundesrepublik Deutschland Weiterbildung
WEITERBILDUNG
Abschluss in einer beruflichen Weiterbildung
FACHSCHULE
12)
BERUFSAKADEMIE
Tertiärer Bereich
15)
Diplom, Bachelor
(allgemeine, berufliche und wissenschaftliche Weiterbildung in vielfältigen Formen)
Allgemeine Hochschulreife
Promotion Berufsqualifizierender Studienabschluss (Diplom, Magister, Staatsprüfung; Bachelor, Master)
UNIVERSITÄT
PÄDAGOGISCHE HOCHSCHULE
FACHHOCHSCHULE VERWALTUNGSFACHHOCHSCHULE
ABENDGYMNASIUM/ KOLLEG
11 10
Berufsqualifizierender Abschluss
Sekundarbereich II
12
14)
KUNSTHOCHSCHULE MUSIKHOCHSCHULE
Fachgebundene Hochschulreife
13
13)
TECHNISCHE UNIVERSITÄT/ TECHNISCHE HOCHSCHULE
BERUFSSCHULE und BETRIEB
11)
Fachhochschulreife
FACHBERUFSOBERFACH9) SCHULE 10) SCHULE
(duales System der 2) Berufsausbildung)
BERUFSOBERSCHULE
Allgemeine Hochschulreife
19 2) 7)
8)
GYMNASIALE OBERSTUFE
in verschiedenen Schularten: Gymnasium, Berufliches Gymnasium/ Fachgymnasium, Gesamtschule
18 17 16 15
Mittlerer Schulabschluss (Realschulabschluss) nach 10 Jahren, 6) Erster allgemeinbildender Schulabschluss (Hauptschulabschluss) nach 9 Jahren
10
5
2)
1
Primarbereich
Jahrgangsstufe
Elementarbereich
3 2
HAUPTSCHULE
4)
REALSCHULE
4)
GESAMTSCHULE
5)
GYMNASIUM
5)
15 14 13
Orientierungsstufe
3)
2)
4
SONDERSCHULE
6
Sekundarbereich I
7
SONDERKINDER- SONDERSCHULE GARTEN
8
16
10. Schuljahr
9
12 11 10
GRUNDSCHULE
1)
KINDERGARTEN (freiwillig)
9 8 7 6 5 4 3
Alter
Herausgeber: Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Dokumentations- und Bildungsinformationsdienst, Lennéstr. 6, 53113 Bonn, Tel.: 0228 501-0. © KMK 2009
Quelle: http://www.kmk.org/fileadmin/doc/Dokumentation/Bildungswesen_pdfs/dt-2009.pdf 153
Bildungssystem
(Abitur) gilt als Befähigungsnachweis zum Studium an → Hochschulen. In einigen Bundesländern bestehen neben dem dreigliedrigen Schulsystem auch Gesamtschulen, in denen die verschiedenen Schularten in unterschiedicher organisatorischer und inhaltlicher Ausgestaltung zusammengefaßt sind. In den sogenannten integrierten Gesamtschulen können die Schüler sowohl Hauptschul-, Realschul- als auch Gymnasialabschluß erwerben. Für Kinder mit fehlender Reife für die Normalschulen bestehen Sonderschulen. Berufliches B.: Die berufliche Erstausbildung („Lehre“) findet in Deutschland traditionell im sogenannten Dualen System statt. Die Jugendlichen werden während ihrer zwei- bis vierjährigen Lehrzeit sowohl in (staatlichen) → Berufsschulen als auch in (überwiegend privatwirtschaftlichen) → Betrieben ausgebildet. Lernorte der schulischen Berufsausbildung sind kaufmännische, gewerbliche, haushaltswissenschaftliche und landwirtschaftliche Berufsschulen. Die Berufsschule ist im Regelfall eine berufsbegleitende Teilzeitschule, die an ein bis zwei Unterrichtstagen pro Woche oder in zusammenhängenden Zeitabschnitten (Blockunterricht) absolviert wird. Lernorte der betrieblichen Ausbildung sind → Arbeitsplatz, Lehrwerkstätten und überbetriebliche Unterweisungsstätten. Rechtsgrundlagen sind der → Ausbildungsvertrag zwischen → Ausbildendem (Lehrherrn) und → Auszubildendem (Lehrling) sowie die für jeden → Ausbildungsberuf bestehende → Ausbildungsordnung. Angesichts der unterschiedlichen gesetzlichen und administrativen Zuständigkeiten ist eine Abstimmung zwischen schulischer und betrieblicher Ausbildung notwendig; dies geschieht durch Rahmenvereinbarungen und Rahmenlehrpläne der Kultusministerkonferenz. Zur Vereinheitlichung des sehr differenzierten und von Bundesland zu Bundesland unterschiedlichen Systems beruflicher Schulen hat sich die Kultusministerkonferenz am 08. 12. 1975 auf einheitliche „Bezeichnungen zur Gliederung des beruflichen Schulwesens“ geeinigt. Danach bestehen folgende Grundtypen beruflicher 154
Bildungsurlaub
Schulen: Berufsschule, → Berufsfachschule, → Berufsauf bauschule, → Fachoberschule und → Fachschule. Hochschulen sind Stätten der wissenschaftlichen Forschung und Lehre. Wissenschaftliche Hochschulen sind → Universitäten und Pädagogische Hochschulen (nur noch in Baden-Württemberg). Zugangsvoraussetzung ist die → Hochschulreife (Abitur). Das Studium endet mit einem Bachelor- oder Masterabschluss oder einem Staatsexamen. Pädagogische Hochschulen bilden in einem mindestens achtsemestrigen Studium für das Lehramt an Grund-, Haupt-, Real- und Sonderschulen aus. Der akademischen Ausbildung für bestimmte Berufsgebiete dienen u. a. Kunsthochschulen, Musikhochschulen und Sporthochschulen. → Fachhochschulen vermitteln in einem mindestens sechssemestrigen Studiengang eine anwendungsorientierte Lehre auf wissenschaftlicher Grundlage. Zugangsvoraussetzung ist die Fachhochschulreife. Gesamthochschulen streben eine Integration und stärkere Durchlässigkeit der an traditionellen Hochschulen getrennten Studiengänge an. Weiterbildung ist das prinzipiell freiwillige, nach Abschluß der ersten, systematischen Phase von Schul- und Berufsausbildung stattfindende allgemeine und/oder berufliche Lernen. Motive der Teilnehmer sind sowohl private Lerninteressen als auch berufliche Absichten. Träger der allgemeinen Weiterbildung sind vor allem Kommunen (Volkshochschulen) und Kirchen; Träger der beruflichen Weiterbildung sind insbesondere Betriebe, Kammern und Unternehmensverbände. Die sich rasch wandelnden beruflichen Situationen und Anforderungen haben die Einsicht in lebenslange Lernnotwendigkeiten gefördert, so dass vor allem berufliche Weiterbildung heute als unverzichtbar für den Erwerb und die Sicherung beruflicher → Qualifikationen angesehen wird. Prof. Dr. Hans-Jürgen Albers, Schwäbisch Gmünd Bildungsurlaub die bezahlte oder unbezahlte Freistellung des → Arbeitnehmers von der → Arbeit zum Zwecke der → beruflichen oder der
Bildungsurlaub
staatsbürgerlich-politischen (zuweilen auch der allgemeinen) (Weiter-)Bildung; bundesgesetzlich nicht geregelt. Eine bundeseinheitliche Regelung für B. gibt es (abgesehen von Sonderregelungen für den → öffentlichen Dienst) bislang nur für Mitglieder des → Betriebsrates, der → Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrates in den §§ 37 und 65 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Dagegen sehen mehrere Ländergesetze einen Anspruch der Arbeitnehmer auf bezahlten B. vor. Auch in zahlreichen → Tarifverträgen ist ein Recht auf – allerdings meist unbezahlten – B. festgeschrieben. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG unterliegt die Aufstellung allgemeiner (Bildungs-)Urlaubsgrundsätze – falls zwischen den beteiligten Arbeitnehmern kein Einverständnis erzielt wird – dem erzwingbaren Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates (→ Mitwirkung und Mitbestimmung des Betriebsrates in sozialen Angelegenheiten). Die Kosten der Weiterbildung gehen in der Regel zu Lasten des Arbeitnehmers. Nur soweit die Weiterbildung einen Bezug zur ausgeübten Tätigkeit hat, können die durch sie verursachten Kosten steuerlich in Ansatz gebracht werden. Bildungswesen ⇒ Bildungssystem. billiges Ermessen Rechtsbegriff; unter angemessener und wohlwollender Berücksichtigung der Umstände.
Böhm, Franz
Anlage ihrer → Währungsreserven zu helfen, ihnen gegebenenfalls in Kooperation mit dem → IWF → Kredite zu gewähren, wie auch allgemein internationale Finanzgeschäfte zu erleichtern. Die B. hat sich darüber hinaus als ein Forum für internationale währungspolitische Zusammenarbeit etabliert. II. Abk. für Berufs-Informations-Zentrum; eine Einrichtung der → Argenturen für Arbeit, in der sich jeder, der vor einer beruflichen Entscheidung steht, selbst informieren kann. Hauptzielgruppen der B. sind Schüler an Haupt- und Realschulen, Gymnasien, Sonderschulen und → beruflichen Schulen sowie Erwachsene, die vor einer → Fortbildung, → Umschulung oder vor einem Tätigkeitswechsel stehen. Die B. bieten ein breitgefächertes Angebot an Medien mit Informationen zu: (1) → Ausbildung und Studium, (2) berufliche Tätigkeiten, (3) berufliche Anforderungen, (4) → Weiterbildung und Umschulung, (5) Entwicklungen am → Arbeitsmarkt. Blätter zur Berufskunde von der → Bundesanstalt für Arbeit herausgegebene umfassende Dokumentation über nahezu alle Ausbildungs- und Studiengänge sowie die zugehörigen Berufsbereiche. Als Gesamtwerk in fünf Bänden und als Einzelhefte (ca. 800) über den Buchhandel zu beziehen.
BIP ⇒ Bruttoinlandsprodukt.
Boden neben → Arbeit der zweite originäre → Produktionsfaktor. Als solcher tritt er in Erscheinung: (1) als land- und forstwirtschaftliche Anbaufläche, (2) als „Lieferant“ von Rohstoffen (Bodenschätze) und (3) als Standort für → Betriebe und Verkehrswege. Die Immobilität sowie die geringe Vermehrbarkeit des B. verleihen diesem im Vergleich zu anderen Produktionsfaktoren eine Sonderstellung.
BIZ I. Abk. für Bank für Internationalen Zahlungsausgleich. Supranationale Bank mit Sitz in Basel (gegründet 1930); widmet sich heute vorrangig der Aufgabe, die Zusammenarbeit der nationalen → Zentralbanken zu fördern, ihnen bei der Verwaltung und
Böhm, Franz 1895 – 1977, Jurist; lehrte nach Tätigkeiten als Staatsanwalt und Referent im Reichswirtschaftsministerium in Jena, Freiburg i. Brsg. (ab 1945) und Frankfurt a. M. (ab 1947); daneben 1945/46 hessischer Kultusminister und 1953 – 65 Bundestagsabge-
Binnenzölle bei Anstrebung einer → Zollunion oder → Freihandelszone während der Übergangszeit zwischen den Partnerländern auf Erzeugnisse erhobene Zölle.
155
Böhm, Franz
ordneter der CDU. Als Mitglied des sogenannten „Freiburger Kreises“ um Walter → Eucken Vertreter des → Ordoliberalimus. Mitherausgeber der „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft“ und des Jahrbuches „ORDO“. Herausragendes Werk: Die Ordnung der Wirtschaft als geschichtliche Aufgabe und rechtsschöpferische Leistung (1936). B. wichtigste Schriften sind zusammengefaßt in: Franz B., Reden und Schriften (hrsg. v. Ernst-Joachim Mestmäcker, 1960). Böhm-Bawerk, Eugen von (Eugen Ritter Böhm von Bawerk), *1851 (Brünn), † 1914 (Kramsach, Tirol), lehrt als Professor der → Politischen Ökonomie in Innsbruck (1881 – 89) und Wien (1904 – 14) und betätigt sich in den Jahren 1895, 1897/98 und 1900 – 04 politisch als k.u.k. Finanzminister. Als Schüler → Carl Mengers gehört er zu den bedeutendsten Vertretern der → Österreichischen Schule der Nationalökonomie, zu deren Theorie er wesentliche neue Anstöße liefert. In seinem Hauptwerk Kapital und Kapitalzins (2 Bde., 1884 – 89) liefert B. nicht nur die bisher umfassendste Geschichte aller Zinstheorien seit der Antike, sondern entwickelt selbst neue Impulse auf diesem Gebiet. Er bindet dabei – abweichend von Menger, dessen Nutzentheorie davon ausgeht, daß durch Verfügung über → Kapital auch ein Anspruch auf Beteiligung am → Wert des damit hergestellten Produkts entsteht – erstmals den Faktor Zeit in seine Agio-Theorie des → Zinses ein. Gegenwärtigen → Gütern wird demnach ein höherer Wert beigemessen als den stets unterschätzten zukünftigen. Der Kapitaleigner stellt also höhergeschätzte Gegenwartsgüter zur → Produktion geringerwertiger Zukunftsgüter zur Verfügung. Der Zins stellt daher einen Wertausgleich für den Eigner dar. Ergänzend entwickelt B. das Gesetz von der Mehrergiebigkeit der Produktionsumwege, in dem er darlegt, daß die Verfügbarkeit von Gegenwartsgütern für die zeitraubende Herstellung von Zukunftsgütern – trotz dieses „Umweges“ – zur Produktions- und Wertsteigerung führt. 156
Bologna-Prozess
Bemerkenswert sind noch seine Schriften gegen → Marx und den → Marxismus, in denen erstmals systematisch eine ökonomisch-wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dessen Theorien erfolgt. Literatur: Edgeworth, F. Y., Prof. Böhm-Bawerk on the Ultimate Standard of Value; in: Economic Journal, Bd. 4, 1894; Schumpeter, J., Das wissenschaftliche Lebenswerk Eugen von Böhm-Bawerks, in: Zeitschrift für Volkswirtschaft, Socialpolitik und Verwaltung, 23. Jh., Wien 1914; Shigeki, T., Eugen von Böhm-Bawerk-Eingrosser österreichischer Nationalökonom zwischen Theorie und Praxis, Marburg 1994; Sivers, E. v., Die Zinstheorie Eugen von Böhm-Bawerks im Lichte der deutschen Kritik, Jena 1924. D. D. Börse → Markt für → vertretbare Sachen (Güter), so insbesondere für: → Devisen (DevisenB.), Waren (Waren-B.), → Wertpapiere (Wertpapier-B.), → Versicherungen (Versicherungs-B.), Frachten (Frachten-B.). Börsenkurs ⇒ Kurs. Bologna-Prozess Als B. wird die Reform der europäischen Hochschullandschaft bezeichnet, die auf die am 19. Juni 1999 von Vertretern von 29 europäischen Staaten unterzeichnete Erklärung über den europäischen Hochschulraum zurückgeht. Die Erklärung formulierte Ziele, ursprünglich die Einführung eines europaweiten Systems leicht verständlicher, vergleichbarer Abschlüsse mit den zwei Abschlussstufen Bachelor und Master, die Vereinfachung der Anerkennung u. a. durch die Verwendung des Diploma Supplements, die Einführung des europäischen Kreditpunktesystems ECTS (European Credit Transfer System) und die Kooperation im Bereich der Qualitätssicherung. Auf den BolognaFolgekonferenzen wurden weitere Ziele aufgenommen. Insbesondere die Förderung des → lebenslangen Lernens, die Förderung der Beteiligung der Studierenden an der Gestaltung des europäischen Hochschulraums, die Förderung der Attraktivität des europäischen Hochschulraums, die Förderung der
Bologna-Prozess
europäischen Dimension im Hochschulbereich und die Einbeziehung der Doktorandenausbildung in den B. Wesentlicher Bestandteil der Bologna-Erklärung war die Einführung des gestuften, dreistufigen Studiensystems bestehend aus einem ersten Abschluss (undergraduate studies), einem auf bauenden Studienelement (graduate studies) und der Promotion. Dabei soll mit dem Abschluss des ersten, mindestens dreijährigen und höchstens vierjährigen Zyklus, eine auf europäischer Ebene arbeitsmarktrelevante, praxisorientierte Qualifikation erworben werden. Der Master-Abschluss stellt dann einen weiteren, berufsqualifizierenden Abschluss dar, der aber im Gegensatz zum Bachelor eher wissenschaftlich orientiert ist. Auf bauend darauf, als dritte Phase, soll dann die Promotion erfolgen. Die Erklärung, die den B. einleitete, wurde 1999 in der italienischen Stadt Bologna verabschiedet, in der sich bereits im Jahre 1988 europäische Universitätspräsidenten und -rektoren anlässlich der 900-Jahr-Feier der dortigen Universität trafen. Seitdem wird dieser Reformprozess als B. bezeichnet. Ursprünglich von 29 Ländern unterschrieben, sind seit 1999 weitere Länder der Erklärung beigetreten. Mittlerweile sind es 47 Staaten. Grundsätzlich steht die Mitgliedschaft am B. allen Ländern offen, die die Europäische Kulturkonvention des Europarats unterzeichnet haben. Außerdem müssen sich diese Staaten bereit erklären, in ihrem eigenen Hochschulwesen die Ziele des B. zu verfolgen und umzusetzen. Das wesentliche Element dieses Prozesses ist zwar eine freiwillige Annäherung der Hochschulsysteme Europas, die Erklärung ist streng juristisch gesehen jedoch kein verbindliches Vertragswerk. Dennoch ist die Bologna-Erklärung keine unverbindlich bleibende Absichtserklärung, denn sie beinhaltet klare Ziele und einen klar vorgegebenen Zeitrahmen dafür. Die im B. vorgesehene Einführung der gestuften Studiengänge ist mit dem → Europäischen Qualiflkationsrahmen für lebenslanges Lernen (EQR) kompatibel. M. M. B.
Branchenzyklen
Bonus (lat. = gut), Mehrzahl: Boni; 1.: Gutschriften beziehungsweise Preisnachlässe, die Kunden für → Barzahlung, als Treueprämie oder aus anderen Anlässen (im Gegensatz zum → Skonto) nachträglich (z. B. am Jahresende) von ihrem Lieferanten gewährt bekommen. 2. : erfolgsabhängige Lohn-/ Gehaltszuschläge. Boom ⇒ Hochkonjunktur die dem → Aufschwung folgende Phase im → Konjunkturzyklus; hier gelangt die Wirtschaft an die Grenzen ihrer Produktionsmöglichkeiten. Die → Unternehmen versuchen deshalb, die weiter zunehmende → Nachfrage über zusätzliche → Investitionen zu befriedigen. Preis- und Lohnsteigerungen nehmen zu. → Konjunktur. Boykott Verweigerung bestimmten (erwarteten) Verhaltens, so insbesondere der → Nachfrage nach bestimmten → Gütern/ → Dienstleistungen (Käuferstreik), der Einstellung von Arbeitskräften (Einstellungsb.), der Belie-ferung von bestimmten → Betrieben (Lieferb.) u. a. m., um bei den so unter Druck Gesetzten gewisse Verhaltensänderungen zu erzwingen. Brainstorming (engl.: „Gehirnsturm“) eine der bekanntesten Techniken zur Förderung der Kreativität. Mehrere Personen mit unterschiedlicher Vorbildung (Kenntnissen u. Erfahrungen) versuchen, unter Leitung eines Moderators zu einem eindeutig definierten Problem Lösungsvorschläge zu formulieren. Der Phantasie sollen dabei keine Grenzen gesetzt werden! Branchen Wirtschafts- beziehungsweise Geschäftsbereiche; Einteilung der → Unternehmen nach Art der erzeugten Produkte oder erbrachten → Dienstleistungen. Branchenzyklen Wachstumsschwankungen in Teilbereichen (→ Branchen) der → Volkswirtschaft. 157
Break-even-Point
Break-even-Point ⇒ Gewinnschwelle Punkt, von dem an der → Ertrag die → Kosten übersteigt (Gewinnschwelle). Briefhypothek → Hypothek. Briefkurs bei Börsennotierungen der → Kurs, zu dem eine Ware oder ein → Wertpapier angeboten wird (Brief = → Angebot). Gegensatz: → Geldkurs. Bringschulden Leistungen, die der → Schuldner (soweit nichts anderes vereinbart wurde!) auf seine Kosten und → Gefahr am Wohn- beziehungsweise Geschäftssitz des → Gläubigers zu erbringen beziehungsweise dorthin zu übermitteln hat (Schickschuld); zum Beispiel: Geldschulden. brutto (ital. = gesamt), deutet auf Gesamtgröße (Gesamtgewicht, Gesamtbetrag), von der unter bestimmten Voraussetzungen Abzüge (z. B. Gewicht der Verpackung [Tara], → Rabatt/→ Skonto) vorgenommen werden können, um zur Nettogröße (→ netto) zu gelangen. Gegensatz: → netto. Bruttoeinkommen nach der → Verteilungsrechnung in der → Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung 1. das → Einkommen aus unselbständiger Arbeit (Bruttolohn- und -gehalt) zuzüglich der → Sozialbeiträge der → Arbeitgeber; 2. das → Einkommen aus Unternehmertätigkeit und → Vermögen (entnommene sowie nicht entnommene → Gewinne) zuzüglich direkte → Steuern u. ä. Bruttogehalt das → Gehalt vor Abzug von → Steuern, → Sozialversicherungsbeiträgen u. ä.; im Gegensatz zum → Nettogehalt. Bruttoinlandsprodukt → Inlandsprodukt; → Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. 158
Buchanan, James M‹c Gill›
Bruttolohn der → Lohn vor Abzug von → Steuern, → Sozialversicherungsbeiträgen u. ä.; im Gegensatz zum → Nettolohn. Bruttonationaleinkommen → Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Bruttosozialprodukt → Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Buchanan, James M‹c Gill› *1919 (Murfreesboro, Tennessee), 1986 Nobelpreisträger für → Wirtschaftswissenschaften, leitet seit 1969 das Center for Study of Public Choice an der George Mason University in Fairfax, Virginia. B. begründet seinen Ruhm, die als → Public Choice bekannt gewordene ökonomische Denkrichtung entwickelt zu haben, mit dem Buch The Calculus of Consent (1962, m. Gordon Tullock). Darin geht es ihm um die ökonomische Untersuchung politischer Institutionen und Prozesse, die mit Hilfe eines methodologischen → Individualismus analysiert werden. Dadurch wird ein wesentlich realistischeres Bild vom Staat erzielt, der hier als Instrument von Sonderinteressen betrachtet wird, während die traditionelle Staatsphilosophie den Staat weitgehend als Ausdruck des öffentlichen → Gemeinwohls deutet. Damit ist die zu beobachtende Erosion marktwirtschaftlicher Ordnungen durch die Zunahme staatlicher Eingriffe zu einem großen Teil erklärt. In späteren Werken, z. B. The Limits of Liberty (1975) und The Reason of Rules (1985), versucht B. diesen Prozessen durch eine normativ gefaßte Verfassungstheorie entgegenzutreten. B. Theorien haben weltweit viele Ökonomen der → Neuen Politischen Ökonomie beeinflußt, unter ihnen Mancur Olson, dessen wirtschaftshistorische Untersuchungen über den Aufstieg und Niedergang von Nationen in hohem Maße auf den Grundannahmen der Public Choice-Schule basieren. Literatur: Dahrendorf, R., Marktversagen und Staatsversagen: Anmerkungen zu James Buchanan; in: ders., Fragmente eines neuen Liberalismus, Stuttgart 1987; Kliemt, H., Papers on Buchanan and Related Subjects, München 1990; Zintl, R./Oberdörfer, D. (Hrsg.), Individualistische Theorien der
Buchanan, James M‹c Gill›
Ordnung der Gesellschaft: Untersuchungen zur politischen Theorie von James M. Buchanan und Friedrich A. von Hayek, Berlin 1983. D. D. Buchgeld ⇒ Bankgeld ⇒ Geschäftsbankengeld ⇒ Giralgeld. Buchhypothek → Hypothek. Buchkredit → Kredit, der sich aus dem laufenden Geschäftsverkehr ergibt und der lediglich in den Geschäftsbüchern erscheint; so insbesondere der → Kontokorrentkredit. Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit am 7. Dezember 1998 von der rot-grünen Regierungskoalition unter Gerhard Schröder ins Leben gerufene Gesprächsrunde aus Vertretern der Regierung, der → Gewerkschaften und der → Wirtschaftsverbände mit dem Ziel, einvernehmliche Lösungen zur Überwindung der → Arbeitslosigkeit und zur Verwirklichung der dafür notwendigen Strukturreformen in → Wirtschaft und → Gesellschaft zu finden. Unter dem übergeordneten Beschäftigungsziel wird nach Verständigung unter anderen zu folgenden Themen gesucht: (1) Erschließung von Beschäftigungs- und Ausbildungsmöglichkeiten für Geringqualifizierte, Bekämpfung der Jugendarbeits- und Langzeitarbeitslosigkeit; (2) Verbesserung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der → Unternehmen; (3) Wege zu einer beschäftigungsfördernden Verteilung der → Arbeit, Flexibilisierung der → Arbeitszeit; (4) → Vermögensbildung und Unternehmensbeteiligung der Arbeitnehmer; (5) Unterstützung des Beschäftigungsauf baus durch die → Tarifpolitik. Wurde im Frühjahr 2003 praktisch aufgekündigt. Bürgergeld auf → Milton Friedman zurückreichende Vorstellung eines vom Staat garantierten Grundeinkommens, das jedem entsprechend Bedürftigen ein menschenwürdiges
Bürgschaft
Auskommen sichert. – Findet in diversen Parteiprogrammen unterschiedliche Ausprägung. Bürgerpauschale → Bürgerversicherung. Bürgerprämie → Bürgerversicherung. Bürgersteuer von → Milton Friedman in den 1960er Jahren in die Diskussion gebrachte steuerpolitische Vorstellung, nach der für die → privaten Haushalte die → Einkommensteuer mit den (staatlichen) → Transfers (z. B. → Sozialhilfe, → Kindergeld) so zu verrechnen ist, daß bei einem → Einkommen von Null ein Transfer in Höhe des Existenzminimums gezahlt wird. Bürgerversicherung Versicherungskonzept, nach dem alle Bürger zwangsweise der → Krankenversicherung unterliegen. Hinsichtlich der Beitragsgestaltung für diese Zwangsversicherung werden im wesentlichen zwei Möglichkeiten in Betracht gezogen: 1. alle Bürger zahlen einen bestimmten Prozentsatz aus der Summe all ihrer → Einkünfte (bis zu einer bestimmten Bemessungsgrenze). 2. alle Bürger zahlen den gleichen Betrag (Kopfpauschale, Bürgerpauschale, Bürgerprämie). Dieser kann bei Geringverdienern ganz oder teilweise durch staatliche → Transferleistungen aufgebracht werden. Kinder können beitragslos mitversichert werden. Bürokratie → Ökonomische Theorie der Bürokratie. Bürgschaft → Vertrag, durch den sich der Bürge gegenüber dem → Gläubiger (z. B. der Bank) eines Dritten (z. B. eines Kreditnehmers) verpflichtet, für die Verbindlichkeit des Dritten einzustehen (§§ 765 – 778 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Die B. kann für eine gegenwärtige wie auch für eine zukünftige oder eine bedingte Verbindlichkeit übernommen werden (§ 765 BGB). Die Sicherung geschieht in der Weise, daß sich der Bürge dem → Gläubiger gegenüber verpflichtet, für die Erfüllung der Schuld des Schuldners einzustehen und zwar 159
Bürgschaft
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)
persönlich mit seinem gesamten → Vermögen. Der Bürge wird dann neben dem Hauptschuldner (Kreditnehmer) selbst zum Schuldner (Nebenschuldner). Seine Schuld ist abhängig von der Hauptschuld, zu deren Sicherung sie dient. Sie entfällt, sofern die Hauptschuld nicht entsteht oder erlischt. Einwendungen, die der Hauptschuldner gegen die Schuld hat (z. B.: sie sei gar nicht entstanden; sie sei bereits beglichen; der Gläubiger hätte sie ihm erlassen; sie sei verjährt) stehen auch dem Bürgen zu. Die Verpflichtung des Bürgen geschieht durch Vertrag zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger (Kreditgeber). Die Zustimmung des Hauptschuldners ist nicht erforderlich. Die Bürgschaftserklärung des Bürgen muß schriftlich (→ Schriftform) erfolgen (§ 766 BGB). Die Bürgschaftsurkunde muß dem Gläubiger ausgehändigt werden. Es sind zwei Formen der B. zu unterscheiden: 1. die gewöhnliche B. und 2. die selbstschuldnerische B. Zu 1.: Bei der gewöhnlichen B. steht dem Bürgen die → Einrede der Vorausklage nach § 771 BGB zu. Zu 2.: Bei der selbstschuldnerischen B. hat der Bürge vertraglich oder gesetzlich auf die Einrede der Vorausklage verzichtet. Er kann infolgedessen vom Gläubiger unmittelbar, das heißt, ohne daß dieser seine Forderung gegenüber dem Hauptschuldner zu realisieren versucht, in Anspruch genommen werden. Hat der Bürge den Gläubiger befriedigt, so geht die Forderung gegenüber dem Hauptschuldner (Kreditnehmer) auf ihn über (gesetzlicher Forderungsübergang). Dies gilt auch für die mit der Forderung verbundenen Nebenrechte, zum Beispiel eine → Hypothek oder eine sonstige Sicherheit. Eine B. kann grundsätzlich nicht gekündigt werden. Eine Befreiung aus ihr durch den Hauptschuldner ist nur in den nach § 775 BGB vorgesehenen Fällen möglich. Praktisch ist dieser Befreiungsanspruch des Bürgen gegen den Hauptschuldner jedoch ohne große Bedeutung, da der Gläubiger ohne gleichwertige (Ausgleichs-)Sicherheit den Bürgen nicht aus der Haftung entlassen wird. Treten mehrere Personen gleichzeitig als Bürgen für eine Forderung ein, so haften sie 160
gesamtschuldnerisch, das heißt, der Gläubiger kann sich im Ernstfall aussuchen, an wen er sich halten will (§ 769 BGB). Die B. endet nicht mit dem Tod des Bürgen. Sie geht auf die Erben des Bürgen über. Bummelstreik → Streik. Bundesagentur für Arbeit (BA) zentrale Behörde der Arbeitsverwaltung (→ Körperschaft des öffentlichen Rechts) in Nürnberg mit nachgeordneten → Regionaldirektionen für Arbeit (insges. 10) und örtlichen Agenturen für Arbeit (insges. 180) sowie weiteren Neben- und Hilfsstellen. Steht unter der Rechtsaufsicht des Bundeswirtschaftsministers; ihr Haushaltsplan bedarf der Genehmigung der Bundesregierung. Aufgaben: Arbeitsvermittlung, → Berufsberatung, Hilfe bei → Arbeitslosigkeit (→ Arbeitslosengeld I u. II), Förderung der → beruflichen Bildung, → Ausbildung, → Weiterbildung, → Umschulung, Gewährung von → Kurzarbeitergeld, → Insolvenzgeld, Winterbauförderung, berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation mit Übergangsgeld, Arbeitsbeschaffung (→ Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen), Leistungen zur Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen, Eingliederungshilfen u.a.m. Nach dem → SGB III – Arbeitsförderung – gilt die Vermeidung von Arbeitslosigkeit als vordringliche Aufgabe. Der B. untersteht das → Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Bundesanleihen → Anleihen. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Durch das Gesetz über die integrierte Finanzdienstleistungsaufsicht vom 22.4.2002 wurde zum 1.5.2002 die B. gegründet. Unter ihrem Dach sind die Aufgaben der ehemaligen Bundesaufsichtsämter für das Kreditwesen (BAK), das Versicherungswesen (BAV) und den Wertpapierhandel (BAWe) zusammengeführt worden. Damit existiert in Deutschland eine staatliche Aufsicht über → Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsinstitute und Versicherungsunternehmen, die sektorübergreifend den gesamten Finanz-
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)
markt umfaßt. Mit der B. werden zentrale Aufgaben des Kundenschutzes und der Solvenzaufsicht gebündelt. Die B. ist eine rechtsfähige bundesunmittelbare Anstalt des öffentlichen Rechts im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Sie hat ihre Dienstsitze in Bonn und Frankfurt a. M. Bundesarbeitsgemeinschaft SCHULE WIRTSCHAFT vom → Institut der deutschen Wirtschaft (Köln) und der → Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) getragenes Netzwerk von 448 (in 15 Landesarbeitsgemeinschaften untergliederten) regionalen Arbeitskreisen zwischen Schulen und Unternehmen, die Lehrern und Schülern über entsprechende Veranstaltungen (Lehrgänge, Fortbildungsseminare, → Betriebserkundungen, → Betriebspraktika u. a.) das Kennenlernen und Verstehen wirtschaftlicher Sachverhalte und Zusammenhänge ermöglichen sollen. Bundesbank ⇒ Deutsche Bundesbank → Zentralbank der Bundesrepublik auf der Grundlage des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank von 1992 in der Rechtsform einer bundesunmittelbaren → juristischen Person des öffentlichen Rechts mit Sitz in Frankfurt am Main. Organ der B. ist der Vorstand. Er leitet und verwaltet die Bank. Er besteht aus dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten und sechs weiteren Mitgliedern, die alle besondere fachliche Eignung besitzen müssen. Der Vorstand wird vom Bundespräsidenten bestellt. Die Bestellung des Präsidenten, des Vizepräsidenten sowie von zwei weiteren Mitgliedern erfolgt auf Vorschlag der Bundesregierung, die der übrigen vier Mitglieder auf Vorschlag des Bundesrates im Einvernehmen mit der Bundesregierung. Die Mitglieder werden in der Regel für acht Jahre bestellt, mindestens jedoch für fünf Jahre. Der Vorstand berät den Präsidenten der B. in seiner Eigenschaft als Mitglied des → EZB-Rates und des Erweiterten Rates (§ 1 Organisationsstatut für die Deutsche Bundesbank v. 8.5.2002).
Bundesbank-Scheck, bestätigter
Die B. unterhält neun Hauptverwaltungen (Baden-Württemberg, Bayern, Berlin/ Brandenburg, Bremen/Niedersachsen/ Sachsen-Anhalt, Hamburg/MecklenburgVorpommern/Schleswig-Holstein, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz/ Saarland, Sachsen/Thüringen). Diese werden jeweils von einem Präsidenten geleitet, der dem Vorstand der B. untersteht. Die B. darf in größeren Städten Filialen unterhalten, die der (regional) zuständigen Hauptverwaltung unterstehen. Aufgaben: Die B. als Zentralbank der Bundesrepublik Deutschland ist integraler Bestandteil des → Europäischen Systems der Zentralbanken. Sie wirkt an der Erfüllung dessen Aufgaben mit dem vorrangigen Ziel mit, die → Preisstabilität zu gewährleisten. Darüber hinaus hält und verwaltet sie die Währungsreserven der Bundesrepublik Deutschland, sorgt für die bankenmäßige Abwicklung des Zahlungsverkehrs im Inland und mit dem Ausland und trägt zur Stabilität der Zahlungs- und Verrechnungssysteme bei. Sie nimmt außerdem das ausschließliche Recht wahr, in der Bundesrepublik (auf Euro lautende) → Banknoten (als das einzig unbeschränkt geltende → gesetzliche Zahlungsmittel) auszugeben. Nach § 12 Gesetz über die Deutsche Bundesbank in der Fassung vom 22.10.1992 ist die Bundesbank bei der Ausübung ihrer Befugnisse von den Weisungen der Bundesregierung unabhängig. Soweit dies unter Wahrung ihrer Aufgabe als Bestandteil des Europäischen Systems der Zentralbanken möglich ist, unterstützt sie die allgemeine Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Sie hat die Bundesregierung in Angelegenheiten von wesentlicher währungspolitischer Bedeutung zu beraten und auf ihr Verlangen Auskunft zu geben. Umgekehrt soll die Bundesregierung den Präsidenten der B. zu ihren Beratungen über Angelegenheiten währungspolitischer Bedeutung zuziehen. Bundesbank-Scheck, bestätigter von der → Deutschen Bundesbank bestätigter → Scheck eines ihrer Kunden (Kreditinstitute oder andere Marktteilnehmer). Durch diese Bestätigung verpflichtet sich die Bundesbank zur Einlösung dieses 161
Bundesbank-Scheck, bestätigter
Schecks innerhalb von 8 Tagen nach Ausstellung desselben (§ 23 BBankG). Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) 1970 gegründet; seine heutige Rechtsgrundlage ist das Berufsbildungsförderungsgesetz (BerBiFG) von 1981. Das Institut hat seinen Sitz in Bonn; es wird vom Bund finanziert. Es betreibt Forschung, Entwicklung, erbringt Dienstleistungen und berät im Bereich der beruflichen Aus- und → Weiterbildung. Das B. ist auf diesem Gebiet die zentrale Einrichtung der Bundesregierung. Alle seine Aktivitäten werden aus den im Berufsbildungsförderungsgesetz festgelegten Aufgaben (§ 6 BerBiFG) abgeleitet. Bundeskartellamt selbständige Bundesoberbehörde auf der Grundlage des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz) von 1958 (mit späteren Novellierungen) mit Sitz in Berlin; gehört zum Geschäftsbereich des Bundeswirtschaftsministers und unterliegt dessen allgemeinen Weisungen. Seine vorrangigen Aufgaben sind: Verfolgung von Verstößen gegen das → Kartellverbot (→ Kartelle) und Erlaubnis von Ausnahmen, Kontrolle von → Unternehmungszusammenschlüssen und gegebenenfalls ihr Verbot (→ Fusionskontrolle), → Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen (→ Marktbeherrschung). Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen dem Bundeswirtschaftsminister unterstellte zentrale Regulierungs- und Wettbewerbsüberwachungsbehörde für die in ihrem Namen genannten Bereiche mit Sitz in Bonn. Bundesobligationen → Schuldverschreibungen des Bundes mit einer Laufzeit von 5 Jahren; werden an der → Börse gehandelt. → Anleihen. Bundespersonalvertretungsgesetz vom 15.3.1974 mit späteren Änderungen; Rechtsgrundlage der Personalvertretung in Behörden und → Unternehmen des Bundes, der Länder und der Gemeinden sowie der → Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts. Siehe auch: → Mitbestimmung. 162
Bundessteuern
Bundesrechnungshof selbständige, nur dem Gesetz unterworfene (Bundes-)Behörde in Frankfurt a.M., der die Prüfung der Rechnungslegung nach Abschluß des Rechnungsjahres sowie die Überwachung der gesamten Haushalts- und Wirtschaftsführung der Bundesorgane und Bundesverwaltungen obliegt. Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH auch kurz Deutsche Finanzagentur genannt, ist ein Finanzdienstleistungsunternehmen (→ Finanzdienstleistungen) im Besitz des Bundes mit Sitz in Frankfurt a. M., das dessen Großkundengeschäft in der Kreditaufnahme und dessen Schuldenmanagement führt. Seine Produkte sind: → Bundesanleihen, → Bundesobligationen, → Bundesschatzbriefe, Tagesanleihen, Finanzierungsschätze. Bundesschatzbriefe nicht an der → Börse gehandelte → Anleihen der öffentlichen Hand; sie werden laufend emittiert (ausgegeben) und haben eine jährlich steigende Verzinsung. B. werden in zwei Angebotsvarianten herausgebracht: Typ A: kleinster Nennbetrag 50 Euro und darüberhinaus jeder – auch ungerader Betrag (0,01 €/50 €), Laufzeit 6 Jahre, Zinszahlung jährlich nachträglich; Typ B: kleinster Nennbetrag 50 Euro und darüberhinaus jeder – auch ungerade Betrag (0,01 €/50 €), Laufzeit 7 Jahre, Zinsen und Zinzeszins werden bei Rückzahlung dem Nennwert zugeschlagen. B. können bereits ein Jahr nach Erwerb bis zu einem monatlichen Höchstbetrag von 5000 Euro zum Nennwert vorzeitig zurückgegeben werden. Bundessteuern diejenigen → Steuern, deren Aufkommen dem Bund zufließen (i. G. zu den → Ländersteuern u. → Gemeindesteuern). Zu den B. gehören: → Zölle, → Verbrauchsteuern (mit Ausnahme der Biersteuer), Kapitalverkehrsteuer, einmalige Vermögensabgaben. → Einkommen-, Körperschaft- und → Umsatzsteuer stehen dem Bund und den Ländern gemeinsam zu.
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) → Arbeitgeberverbände. Business School ursprünglich integrierte oder selbständige Einrichtungen des Hochschulbereichs in den angelsächsischenn Ländern (z. B. Harvard Business School, London Business School), die meist eine Managementausbildung mit dem Abschluß Master of Business Administration (MBA) o. Ä. anboten. Die Bezeichnung B. wird heute jedoch auch von deutschen → Universitäten und → Fachhochschulen als Synonym für „Wirtschaftshochschule“ (z. B. die European Business
Bußordnung
School Oestrich-Winkel), als (englischsprachige) Fachbereichs- bzw. Institutsbezeichnung oder auch als Bezeichnung für eine integrierte Einrichtung einer Hochschule (z. B. die „European School of Business“ an der Hochschule Reutlingen oder die „Mannheim Business School“ an der gleichnamigen Universität) benutzt. M. M. B. Bußordnung eine B. zur Verhängung von → Betriebsstrafen kann nach dem → Betriebsverfassungsgesetz nur durch → Betriebsvereinbarung erlassen werden.
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Cash flow
Chaostheorie, ökonomische
C Cash flow (Netto-)Zugang an liquiden Mitteln, den ein → Unternehmen während einer Abrechnungsperiode aus seinem → Umsatz erwirtschaftet.
tet man z. B. mit Regressionsanalysen, die nur für lineare Bedingungen gelten oder mit Differentialgleichungen, die eigentlich nur auf stetige Vorgänge angewendet werden können.
CBT Abk. für Computer Based Training → computergestütztes Lernen.
Aufgrund einer durch fortschreitende Komplexität gekennzeichneten Ökonomie verlieren diese traditionellen ökonomischen Erklärungsmuster aber zunehmend an Überzeugungskraft. Deshalb ist es von besonderer Bedeutung, nach neuen Verfahren auf dem Gebiet komplexer dynamischer Systeme zu forschen.
CEFTA Abk. für: Central Europe Free Trade Association; Mitteleuropäisches Freihandelsabkommen, das 1993 mit dem Ziel einer → Freihandelszone gegründet wurde; umfaßt derzeit die Staaten Kroatien, Mazedonien, Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Moldavien, Montenegro und Serbien. Die Mitgliedschaft in der C. gilt hinsichtlich der dort geltenden Kriterien und Abkommen als „Bewährungssstatus“ für einen möglichen Beitritt zur → Europäischen Union. Chancengleichheit → Ungleichheit. Chaostheorie, ökonomische kann als relativ junger wissenschaftlicher Erklärungsansatz angesehen werden, der in zunehmendem Maße auch in der → Wirtschaftswissenschaft Einzug hält. 1. Die Entwicklungen in der → Wirtschaft sind nicht immer durch fließende Übergänge, sondern häufig durch Diskontinuitäten, Sprünge und Turbulenzen gekennzeichnet. Wirtschaft und auf Wirtschaft bezogene Teilbereiche können somit als nicht-lineare, dynamische Systeme aufgefaßt werden. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von komplexen Systemen. Als ein Synonym für die Chaostheorie gilt daher auch der Begriff „Theorie komplexer Systeme“. Um die in der Realität anzutreffenden komplexen Entwicklungen in Modelle umzusetzen, greift man traditionell auf exogene Störungen oder Zufallsgrößen zurück. D. h., es werden unregelmäßige und sprunghafte Entwicklungen mit Methoden untersucht, die ungeeignet erscheinen. So arbei164
Ein vielversprechender Ansatz, Komplexität bzw. diese nicht-linearen Erscheinungen zu modellieren und zu erklären, ist die C. 2. Die C. ist keineswegs eine Entdeckung des Computerzeitalters, wie viele ästhetisch anmutende Computergraphiken, die Chaos visualisieren, vermuten lassen. Die Wurzeln dieser Theorie liegen vielmehr in der Physik des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts. Seinerzeit brachte der französische Mathematiker Henri Poincaré, der an der Sorbonne als Professor tätig war, durch seine Frage nach der Stabilität des Sonnensystems, das bis dahin geltende physikalische Weltbild ins Wanken. Aus der Newton’schen Physik war bekannt, daß wenige Körper, die aufeinander einwirken, zu vorhersagbarem Verhalten führen. Poincaré wußte jedoch, daß die Newton’schen Gleichungen nur für zwei Körper exakt lösbar sind. Bei drei und mehr aufeinander wirkenden Körpern können die mathematischen Gleichungen nur näherungsweise gelöst werden. Die Berechnungen weisen bei auch nur geringfügigen Veränderungen der Anfangsbedingungen z. T. chaotische Ergebnisse auf. Auf das Sonnensystem bezogen bedeutet diese Erkenntnis, daß bei der Betrachtung von mehr als zwei Planeten völlig exzentrische, die Stabilität des Sonnensystems in Frage stellende Planetenbahnen möglich sind.
Chaostheorie, ökonomische
Damit zeigte Poincaré, daß über lange Zeit stabile Systeme auch ohne äußere Einwirkung instabil werden können. Bis dahin hatte man Chaos für eine Art „Infektion“ gehalten, die von außen ein System befallen konnte. Nun aber zeigte sich, daß ein geschlossenes System, das sich mit wenigen mathematischen Gleichungen beschreiben ließ, unvorhersehbares, chaotisches Verhalten aufweisen konnte. Aber kaum ein Wissenschaftler ahnte zu dieser Zeit die Bedeutung der Forschungsergebnisse von Poincaré. Anfang der sechziger Jahre machte der Meteorologe Edward Lorenz eine interessante Entdeckung, die als praktische Konsequenz von Poincarés Erkenntnissen betrachtet werden kann: Er benutzte seinen Computer, um ihn nichtlineare Gleichungen zur Modellierung der Erdatmosphäre lösen zu lassen. Um das Ergebnis zu prüfen, ließ er den Computer die Berechnung abermals durchführen. Diesmal veränderte er jedoch zur Verkürzung der Rechenzeit die Genauigkeit des Computers von sechs auf drei Stellen hinter dem Komma. Die so gewonnene Wetterkarte war grundlegend anders als die erste. Lorenz fand heraus, daß nicht-lineare dynamische Systeme, wie das Wetter, unglaublich empfindlich auf minimalste Änderungen reagieren. Diese als Schmetterlingseffekt bekannt gewordene Erkenntnis wird oft folgendermaßen formuliert: Man sagt, daß der Flügelschlag eines Schmetterlings in Hong Kong einen Wirbelsturm in New York auslösen könnte. Lorenz’ Untersuchungsergebnisse machten darüber hinaus deutlich, daß die mangelnde Vorhersagbarkeit bei dynamischen Systemen nicht darin begründet ist, daß nicht sämtliche Details bekannt sind. Selbst die Kenntnis noch so vieler Details gestattet nicht unbedingt eine genaue Vorhersage bei dynamischen Systemen. 3. Manche komplexe, dynamische Systeme lassen sich bereits mit wenigen und einfachen mathematischen, nicht-linearen Gleichungen beschreiben. Komplexe Systeme
Chaostheorie, ökonomische
zeichnen sich u. a. dadurch aus, daß alle ihre Elemente untereinander in Beziehung stehen. Diese Beziehung ist aufgrund des Prinzips der Rückkopplung besonders intensiv. Die Berechnung der Systeme auf der Basis dieses Prinzips führt dazu, daß die Wirkungen nicht gradlinig von den Ursachen abhängen, sondern die Wirkungen vielmehr ihre Ursachen selbst beeinflussen. Dies geschieht, indem die Gleichungen immer wieder unter Verwendung der Ergebnisse (Wirkungen) als neue Anfangsbedingungen (Ursachen) aktualisiert werden. Das Aufeinandertreffen von → Angebot und → Nachfrage in der → Marktwirtschaft ist ein einfaches Beispiel für einen Rückkopplungsprozeß. Strebt dieser Prozeß, diese Iteration, zu stabilen Ergebnissen, so spricht man hier von Attraktoren. Einen sogenannten Punktattraktor findet man auf → Märkten, bei denen sich Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht befinden. Zersplittert das System, entstehen Turbulenzen (chaotische Sprünge) innerhalb eines weitgehend zusammenhängenden Bereichs, der auch als seltsamer Attraktor (strange attractor) bezeichnet wird. Da die Anfangsbedingungen der Gleichungen bekannt sind, spricht man bei solchem auftretenden chaotischen Verhalten auch von deterministischem Chaos. Beispielsweise können irreguläre Unternehmensentwicklungen mit Hilfe des deterministischen Chaos erklärt werden. Ein bekannter seltsamer Attraktor ist der nach Edward Lorenz benannte Lorenz-Attraktor. Er zeigt, daß ein komplexes System zwar global stabil, lokal aber unvorhersagbar sein kann. Tritt der Lorenz-Attraktor in Erscheinung, dann befindet sich das System mit Sicherheit auf dem Attraktor, ohne daß man jedoch die Position bestimmen kann. Zufälligkeit und Ordnung werden hier miteinander verbunden. Einfaches schließt das Komplexe ein und Komplexes umfaßt das Einfache. 165
Chaostheorie, ökonomische
Deshalb hat in der C. die Sichtweise des Reduktionismus auch keine Gültigkeit mehr. Komplexe Systeme lassen sich nicht auf Teile reduzieren, da sie durch Rückkopplung und Verstärkung ständig aufeinander rückwirken. Komplexität baut sich somit nicht auf simplen Formen auf, sondern komplexe und simple Formen sind eng miteinander verflochten. Neben dieser Theorie muß auch die Synergetik als die Theorie der Selbstorganisation genannt werden. Haken stellt dazu fest: „Meiner Meinung nach stellt die Synergetik auch die Grundlage für das dar, was in der Chaostheorie abgehandelt wird. Allerdings verzeichnen wir einen Wandel in der Anwendung der beiden Worte. Tendenziell wird das Ergebnis der Synergetik auch schon unter Chaostheorie subsumiert, man sagt, es sind alles Chaostheorien. [. . .] Was man früher im Lexikon unter Synergetik nachgeschlagen hätte, das würde man heute unter Chaostheorie suchen“ (http://www. uni-koblenz.de/~odsgroe/wwwha/personen/haken/haken.html#Vita%20und%20 Ideen). Ob man nun von Chaostheorie, Theorie komplexer Systeme oder Synergetik spricht: Alle Erkenntnisse in diesen innovativen wissenschaftlichen Bereichen laufen darauf hinaus, daß der Laplace’sche Dämon, jene fiktive Gestalt, die im Prinzip die Zukunft voraussagen kann, wenn sie nur alle Anfangsbedingungen genau kennt, eine absurde Gestalt ist und die mechanistische Weltsicht Newtons verneint oder zumindest relativiert werden muß. 4. In der Wirtschaftswissenschaft gibt es viele Bereiche, in denen die C. angewendet wird: Man kann in der → Betriebswirtschaft z. B. deterministische marktorientierte Wachstumsmodelle zur Erklärung irregulärer Unternehmensentwicklungen entwerfen. Hier können beispielsweise die Auswirkungen von Strategieänderungen der Unternehmensleitung im stetig wachsenden Bereich oder aber auch im chaotischen Bereich untersucht werden. Bei → Unternehmen, die sich in einer positiven Entwicklungsphase befinden, können Änderungen in der Ma166
Chaostheorie, ökonomische
nagementstrategie in einen chaotischen Bereich und letztendlich zum Untergang der Unternehmen führen. Bei chaotischer Entwicklung können Strategieveränderungen unter bestimmten Voraussetzungen ein stetiges → Wachstum und somit eine positive Beeinflussung des Unternehmens zur Folge haben. Es kann mit Hilfe der C. gezeigt werden, daß ein Unternehmen, in Abhängigkeit von der Auswahl und Zusammenstellung der Managementstrategien, ohne äußere oder zufällige Einflüsse, eine kontinuierliche, diskontinuierliche oder gar chaotische Entwicklung vollziehen kann und minimale Strategieänderungen hier bereits ausschlaggebend sein können. Die C. erweitert die Theorie der Unternehmensentwicklung und bietet z. B. einen Erklärungsansatz dafür, warum viele Prozesse langfristig nicht vorhersagbar sind. Neben allerersten Konzepten dynamischer Unternehmensentwicklung Ende der Achtzigerjahre, gibt es seit den Neunzigerjahren erste Theorieansätze zum ‚fraktalen‘ Unternehmen, Lagerhaltungsmodelle, Zinseszinsmodelle, dynamische Investitions- und Finanzierungsmodelle, multiple Gleichgewichtsmodelle zur Erklärung von Produktentwicklungen etc. Interessante Bereiche in der → Volkswirtschaftslehre, in denen die C. bereits seit den Achtziger- bzw. Neunzigerjahren angewendet werden, sind zum Beispiel der Bereich der Konjunktur- und Wachstumsmodelle, der Konsumwahlmodelle, der überlappenden Generationenmodelle, der Preisanpassungsmodelle sowie der Modelle optimalen ökonomischen Wachstums. Als weitere ökonomische Themen, die mit Hilfe der C. untersucht werden, können beispielsweise Wechselkursfluktuationen, Aktienkursverläufe, Sozialproduktentwicklungen, aber z. B. auch Verläufe von Karrieren und damit verbundene Zeitreihenanalysen genannt werden. Auch in der → ökonomischen Bildung lässt sich die C. anwenden, um Lernprozesse von Schülern in nicht-linearen, dynamischen Systemen z. B. dergestalt zu untersuchen, ob bzw. unter welchen
Chaostheorie, ökonomische
Chaostheorie, ökonomische
Randbedingungen es zu Homomorphismen (Strukturähnlichkeiten) zwischen den nichtlinearen dynamischen Wirtschaftsprozessen und den Lernprozessen der Akteure kommt. Es lassen sich insbesondere Phasenübergänge bzw. Bifurkationspunkte als Lernschwellen in Strukturbrüchen untersuchen, wie diese im Rahmen der C. bzw. der Synergetik diskutiert werden. Insbesondere die in der internationalen wirtschaftsdidaktischen Forschung aktuell diskutierten Threshold Concepts (Schwellenkonzepte) stehen in einem engen inhaltlichen Zusammenhang zu Phasenübergängen. Als wirtschaftsdidaktische Methode, in deren Kontext die C. zum Nachweis von Lernschwellen angewendet werden kann, eignet sich besonders das computergestützte → Planspiel. Gelingt der Nachweis, so besteht für die Zukunft die Möglichkeit, ökonomische Lernprozesse effizienter und effektiver zu gestalten und Lernerfolge zu verbessern.
dabei Komplexität von Systemen über ihre Dynamik erfassen bzw. die Ordnung einer Dynamik über die zeitliche Dauer der gefundenen Übereinstimmungen beziffern. Auch das Entropiekonzept kann als hilfreich angesehen werden, welches Komplexität in Form der Permutationsentropie an den Häufigkeitsverteilungen von Abfolgemustern ökonomischer Prozesse festmacht. Erste vielversprechende empirische Untersuchungen zeigen, dass durch die Anwendung dieser dann operationalisierten Verfahren ein Weg beschritten werden kann, komplexe Systeme erfolgreich empirisch zu analysieren.
5. Mittlerweile gibt es zahlreiche Ansätze, die die hierzu notwendigen empirischen Untersuchungen von Komplexität, Chaos und Ordnung erlauben.
Es bleibt also noch viel Forschungsarbeit zu leisten, um tatsächlich entscheiden zu können, in welchen ökonomischen Problembereichen sich nicht nur rein mathematisch-theoretisch, sondern auch empirisch nachweisbar, die C. als Erklärungsansatz anwenden läßt und welche neuen Erkenntnisse sich daraus ableiten lassen.
Zu den „traditionellen“ Methoden zur Untersuchung komplexer Systeme zählen neben der Bifurkationsanalyse, die Berechnung von Lyapunov-Exponenten, das Li/YorkeTheorem oder die Dimensionsberechnung (z B. Boxdimension, Hausdorff-Dimension etc.). Gerade im Kontext empirischer Untersuchungen war es stets schwierig, allein auf der Basis z. B. der Berechnung von Lyapunov-Exponenten Chaos nachzuweisen, obgleich dieses Konzept den oben beschriebenen Schmetterlingseffekt mathematisch exakt beschreibt. Die Vermutung liegt nahe, dass insbesondere das Rauschen in den Daten, hervorgerufen durch Zufallseinflüsse und/oder exogene Schocks, den Nachweis erschweren. Auch gibt es Ansätze, die auf eine Kombination diverser Methoden setzen, die komplexe Systeme gewinnbringend untersuchen lassen: So ist eine algorithmische Definition von Komplexität auf Basis der Grammar Complexity in der Lage, Ordnungsmuster im Chaos zu identifizieren. Korrelationsdimension bzw. die Recurrence Plots lassen
6. Mit der Möglichkeit, eine Fülle von ökonomischen Themen durch mathematische Transformationen zu „chaotisieren“, ist zugleich die Gefahr verbunden, sehr schnell Chaos in Systeme zu integrieren, in denen in der Realität höchstens Zufälligkeit nachzuweisen ist.
Literatur: Davies, Peter and Jean Mangan (2007): Threshold concepts and the integration of understanding in economics. In: Studies in Higher Education, Volume 32, Issue 6 December 2007 , pp. 711–726. Liening, Andreas (2009): Complexonomics – Über den Zusammenbruch des Laplace'schen Weltbildes, den Einzug der Komplexität in die Wirtschaftswissenschaft und die Anmaßung von Wissen. In: Johannes Weyer und Ingo Schulz-Schaeffer (Hrsg.): Management komplexer Systeme. München. Liening, Andreas (2008): Humankapital und Wirtschaftswachstum – Endogenisierung der Humankapitalbildung in nicht-linearen Wachstumsmodellen. In: Loerwald, D. u. a. (Hrsg.): Ökonomik und Gesellschaft – Festschrift für Gerd-Jan Krol. Wiesbaden. S. 394 – S. 415. Liening, Andreas (1999): Komplexe Systeme zwischen Ordnung und Chaos. Neuere Entwicklungen in der Theo167
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rie nicht-linearer Systeme und ihrer Bedeutung für die Wirtschaftswissenschaft und ihrer Didaktik. Hamburg, London, Münster. Puu, Tönu (2003): Attractors, Bifurcations, and Chaos: Nonlinear Phenomena in Economics. Berlin, Heidelberg, New York. Strunk, Guido (2009): Die Komplexitätshypothese der Karriereforschung. In: Andreas Liening (Hrsg.): Komplexe Systeme und Ökonomie. Zehetner, Gerhard (2003): Anwendungen der Chaostheorie in der Betriebswirtschaftslehre. Prof. Dr. Andreas Liening, Dortmund Christlicher Gewerkschaftsbund Deutschlands → Gewerkschaften. Cluster regionales Netzwerk von → Unternehmen einer → Branche, die – mehr oder weniger eng – mit Zulieferern, Hochschulen, Forschungs- und Bildungseinrichtungen sowie öffentlichen Institutionen zusammenarbeiten. Coaching professionelle Beratung und gegebenenfalls Begleitung einer Person hinsichtlich der Wahrnehmung und Bewältigung ihrer Aufgabe(n). Coase, Ronald geboren 1910 in Willesden/London, 1991 Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Nach Lehrstationen in Liverpool, London (LSE), Buffalo und Virginia ab 1964 inChicago. Revolutionierte das ökonomischeDenken durch die konkretisierte Einbringung der → Transaktionskosten und der → Verfügungsrechte. In seinem 1960 erschienenen Aufsatz „The Problem of Social Cost“ macht C. deutlich, daß → Marktversagen nicht über staatliche Eingriffe zu korrigieren sei, sondern durch Ausweitung des Marktprozesses, in dem → externe Kosten (wie z. B. Umweltschäden) freiwillig internalisiert werden können (C.-Theorem). – Die Neue → Institutionenökonomik geht auf C. zurück. Sein berühmter Aufsatz „The Nature of the Firm“ aus dem Jahr 1937 gab dafür die methodisch-analytischen Grundlagen ab. 168
computergestütztes Lernen
Coase-Theorem → Coase, Ronald. COMECON Abk. für: Council for Mutual Economic Assistance, → Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW). 1949 auf Initiative Moskaus von osteuropäischen Staaten als Gegenstück zur → OECD gegründet. Hat sich 1991 aufgelöst. Computer Based Training (CBT) → computergestütztes Lernen. computergestütztes Lernen Der Begriff des c. ist nicht eindeutig definiert, wie die Vielzahl von Begriffen suggeriert, die oftmals synonym verwendet werden. So spricht man statt von c. oft auch von Computer Based Training bzw. Learning (CBT bzw. CBL), Computer Aided Training (CAT), Computer Aided bzw. Assisted Instruction bzw. Learning bzw.Teaching (CAI, CAL, CAT), Computer Based Learning (CBL), Computer Supported Cooperative Learning (CSCL), Electronic based Learning (E-Learning), Innovative Learning (I Learning) oder z. B. von Web Based Training (WBT). Die Begriffe unterscheiden sich primär im Grad der Selbststeuerung im Lernprozeß (CBT versus CAT), sowie des off- bzw. online-Einsatzes (CBT versus WBT). Bereits in den frühen Sechzigerjahren gab es eine Fülle von Büchern, Zeitschriften und Filmen, die den Einzug des Computers in den Unterricht ankündigten. Diese weit verbreitete Euphorie resultierte daraus, daß man glaubte, mit dem Computer eine optimale Form der Darbietung von programmierten Lerninhalten gefunden zu haben. 1. Die Sechziger- und Siebzigerjahre: Erste Anfänge In den Sechzigerjahren gab es erste Anstöße der Thematisierung des Computers in der Schule. So kamen Programmier- und an Hardware angelehnte Themen im Unterricht vereinzelt zum Tragen. Die Siebzigerjahre waren in diesem Zusammenhang gekennzeichnet von Modellversuchen, die als
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Thema das Lernen über den und mit dem Computer zum Inhalt hatten. Die Basis der damaligen Lernprogramme waren der → programmierte Unterricht, der traditionelle Behaviorismus: „stimulus-response-reinforcement“ sowie die kybernetisch-informationstheoretische Didaktik. Insbesondere der traditionelle Behaviorismus ist von besonderer Bedeutung, hängt er doch im Rahmen der Diskussion über Lernprogramme eng mit dem programmierten Unterricht zusammen: Auf dieser Grundlage sind die Lehrtexte so zu gestalten, daß ihre Darbietung bei dem Lernenden bestimmte Verhaltensweisen auftreten läßt, die einer Verstärkungsprozedur unterzogen werden können. Hierzu ist der Lehrstoff in kleine Lerneinheiten zu unterteilen und die Lernerfolgsrückmeldung hat direkt, d. h. nach jeder Antwort des Lernenden, zu erfolgen. Der programmierte Unterricht besteht im wesentlichen aus vier Bauelementen: Im ersten Baustein wird dem Lernenden eine Information dargelegt. Daraufhin erhält er eine Frage, einen Reiz oder Stimulus. Als Drittes folgt ein offenes Bauteil, das aus einer Reaktion des Lernenden auf den vorangegangenen Reiz besteht. Dies kann zum Beispiel die Beantwortung einer gestellten Aufgabe bedeuten. Im vierten und letzten Schritt folgt die Verstärkung, die Antwortbestätigung oder die Nichtbestätigung. Die Verstärkung wird hierbei ebenfalls als ein Reiz betrachtet, der für das weitere Verhalten von Bedeutung ist. Für dieses Prinzip des Reiz-Reaktions-Verstärkungs-Musters (stimulus-response-reinforcement) ist der Computer ein besonders geeignetes Instrument im Gegensatz zum Buch, das als Programmträger unerwünschte Einschränkungen mit sich bringt. Ist der Lernende zum Beispiel nicht genügend motiviert, um selbständig zu arbeiten, kann er bereits vor der Lösung eines Problems, die richtige Antwort nachlesen. Damit ist der Reiz-Reaktions-Ablauf unterbrochen. Somit kommt es zu keiner Lernverstärkung, da keine eigene Leistung erbracht wird. Neben dem programmierten Unterricht und dem traditionellen Behaviorismus spielt das
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didaktische Konzept von von Cube, Frank et al. eine wichtige Rolle für die damalige Entwicklung von Lernprogrammen. In der kybernetisch-informatorischen Didaktik des von Cube wird der Lernende in einen Regelkreislauf gestellt, dessen Stellparameter so lange verändert und von einem Meßfühler, dem Lehrer, überprüft werden, bis die Sollwerte (Lernziel) den Istwerten (Wissensstand des Lernenden) entsprechen. Aus den Ansätzen programmierter Unterricht, traditioneller Behaviorismus und kybernetisch-informationstheoretische Didaktik resultieren sogenannte Tutorielle Systeme, die mit den Schlagworten ● drill and practise – programs und ● linear sowie branching tutorial – programs umschrieben werden können. Am Ende dieser ersten Phase der Sechzigerund Siebzigerjahre mußte man feststellen, daß der Ansatz in Bezug auf den Einsatz von Lernprogrammen fehlschlug. Fünf Gründe lassen sich hierfür anführen, die bedacht werden müssen, will man heute erfolgreiche, didaktisch sinnvolle Lernprogramme entwickeln: a) Räumlich große und kostspielige Hardware Leistungsfähige Computer waren in den Sechziger- und Siebzigerjahren in ihren Abmessungen groß und die Anschaffung einer in klimatisierten Räumen untergebrachten Anlage mit hohen Kosten verbunden. So kostete z. B. das IBM-Modell 360/65 1965 bei einer Leistung, die weit unter der eines heute marktgängigen Personalcomputers liegt, ca. drei Millionen US-Dollar. Die platzraubende, schlechte ergonomische Gestaltung damaliger Computeranlagen machte einen sinnvollen Einsatz im Schulunterricht oder in der Weiterbildung kaum möglich. b) relativ starre Programmstruktur der Lernsoftware Die traditionelle Lernsoftware zeichnet sich durch eine relativ starre Programmstruktur aus. Es ist kaum möglich, zum Beispiel auf die unterschiedlichen Vorerfahrungen der Lernenden, deren persönlichen Kenntnisund Entwicklungsstand etc. einzugehen. 169
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Die vorgestellten Programme neigen dazu, den Lernenden als ‚unbeschriebenes Blatt‘ zu behandeln. Originellen, spontanen und unvorhergesehenen Verhaltensweisen wird keinerlei Spielraum eingeräumt. c) Zerlegung des Gesamtproblems in kleine isolierte Einheiten Die Zerlegung des Gesamtproblems in kleine isolierte Einheiten, wie es der programmierte Unterricht vorgibt, läßt den Lernenden nur schwer den Gesamtzusammenhang des zu vermittelnden Lehrstoffes erkennen. Ferner behindert die Zerlegung von Problemen in leicht zu lösende Teilprobleme das Erarbeiten eigenständiger Lösungen des Gesamtproblems. Die Gegenstandssystematik kann vom Lernenden nicht erkannt werden, da weder durch das trial-and-errorPrinzip noch durch die nachfolgende Verstärkung eine systematische Auswertung von Informationen möglich ist. Daher ist es aber auch nicht möglich, am jeweiligen Lerngegenstand das Lernen zu erlernen. d) Mangelnde Möglichkeit für Kreativität, Spontaneität, Einsicht und kritische Beurteiluung Betrachtet man z. B. die informations-kybernetische Didaktik als eine Basis der traditionellen Lernprogramme, so wird deutlich, daß mit dieser Basis kaum ein bildender Unterricht möglich ist. Als Regelgröße unterliegt der Lernende in diesem Konzept einer Lehrstrategie, in der für Kreativität und Spontaneität kein Platz ist und die als Störgrößen eliminiert werden müssen. In dieser Didaktik ist der Unterrichtsprozeß nichts anderes als ein Regelungsprozeß, der sich, überspitzt formuliert, von dem einer Heizung kaum unterscheidet. Für je eigenes Einsehen, kritische Stellungnahme und Beurteilung der Lerninhalte ist in diesem fremdbestimmenden Konzept kein Platz. e) Mangelnde Motivation Untersuchungen zu den traditionellen Formen des c. an Schulen haben gezeigt, daß bei ihrem längerfristigen Einsatz Klagen über Langeweile und damit sinkende Schülermotivation die Folge sind. Insbesondere die Motivierung war aber nach Skinner, dessen behavioristische Ideen eine wichtige Grundlage der traditionellen Program170
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me bilden, eine der besonderen Stärken des programmierten Unterrichts. Mangelnde Adaptivität, geringe ansprechende Präsentation des Wissens und fehlende Anwenderfreundlichkeit ließen Skinners Vorstellung unrealisiert. Dies sind einige Gründe dafür, daß der angekündigte Einzug des Computers in die Schulen in den Sechziger- und Siebzigerjahren nicht stattfand und die Idee des programmierten Unterrichts, basierend auf den Theorien Skinners, Watsons u. a., verworfen wurde und auch die kybernetisch-informationstheoretische Didaktik als unzureichender Ansatz für die Entwicklung von Lernprogrammen angesehen werden muß. In den vergangenen Jahren wurden die Computer immer leistungsfähiger, kleiner und kostengünstiger, so daß der erste Kritikpunkt heute nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Notebooks und Desktops mit leistungsfähigen 64 bit Prozessoren sind heute so preisgünstig, daß sie in den meisten Schulen und in einer Vielzahl von Ausbildungsstätten eingesetzt werden können. Demgegenüber steht heute jedoch der hohe Kostenfaktor bei der Erstellung medial aufwendiger computergestützter Lernspiele. So sind z. B. Etats von mehreren Millionen Euro pro Spiel in der Unterhaltungsindustrie keine Seltenheit. Andererseits lassen sich im Rahmen kleinerer Budgets didaktisch wertvolle Lernprogramme entwickeln, wie gerade die Beispiele wirtschaftsdidaktischer Business Games zeigen. Abstriche bei der medialen Auf bereitung sind hierbei hinzunehmen, müssen jedoch den wirtschaftsdidaktischen Wert nicht notwendig schmälern. 2. Die Achtzigerjahre: Der Computer als Arbeitswerkzeug Die Achtzigerjahre können als zweite Phase in der Entwicklung des Computereinsatzes in der Schule bezeichnet werden. In dieser Phase hielten mehr und mehr Kleincomputer, wie z. B. der mittlerweile legendäre Commodore C 64, der Apple II oder später der IBM-kompatible PC, zumindest partiell Einzug in die Schulen. Inhaltlich erfolgte alsbald die Fokussierung auf die Handhabung von Standardprogrammen, wie Ta-
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bellenkalkulation, Textverarbeitungs- oder Datenbankprogrammen, wobei z. B. mit Hilfe von Tabellenkalkulationsprogrammen Kostenkalkulationen, Investitionsrechnungen, Kennzahlberechnungen u. ä. in den Wirtschaftsunterricht integriert wurden. Seitens der Kultusministerkonferenz wurde eine informationstechnische Grundbildung angestrebt. 3. Die Neunzigerjahre: Der Computer als Unterrichtsmedium Die Neunzigerjahre waren insbesondere durch die beiden Schlagworte „Internet“ und „Multimedia“ gekennzeichnet. Die in diesem Kontext entwickelten Hypertextbzw. Hypermedia-Systeme sowie iLearningTools bieten dabei die Möglichkeit, komplexe Lerninhalte in vernetzter Form multimedial darzubieten. Zahlreiche Förderprogramme, wie zum Beispiel das Projekt „Schulen ans Netz“, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie der Deutschen Telekom AG maßgeblich finanziert wurde, kennzeichnen diese Phase. Gleichzeitig kam es zu einer verstärkten Forderung nach der Verwendung von Lernsoftware in allen Fächern und Stufen. Daneben gab es erste Ansätze, Erfahrungen aus der Künstlichen Intelligenzforschung (KI) für die Entwicklung von Lernprogrammen zu nutzen. Der Unterschied zu den traditionellen computerunterstützten Lehrmethoden oder gar dem programmierten Unterricht wird insbesondere dann deutlich, wenn man die Idealvorstellung eines sogenannten ● „Intelligent Tutorial System“ (ITS) betrachtet: Während der programmierte Unterricht darauf basiert, ein konkretes Unterrichtskonzept zu entwerfen, bei dem unter Berücksichtigung aller möglichen Reaktionen der Lernenden die in Frage kommenden Unterweisungen bekannt sein müssen, wird bei einem ITS-Programm stattdessen das „Wissen über Unterricht“ programmiert. Dies bedeutet, dass der Designer eines ITSProgramms keine starre Vorstellung vom Unterrichtsablauf entwickelt, sondern auf dem Rechner eine flexible didaktische Konzeption implementiert. So kann ein ITSProgramm auch auf unvorhergesehene Reaktionen der Lernenden reagieren. Dadurch
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soll gewährleistet werden, daß sich das Programm flexibel an den Lernfortschritt des Einzelnen anpassen kann. Anders als beim programmierten Unterricht soll nicht der Lernende vom Computer „gesteuert“ werden, sondern er erhält ein flexibles Hilfsmittel, welches sich an seine spezifischen Bedürfnisse anpaßt. Damit steht die Idee des selbstbestimmten, kritisch reflektierenden Lernens im Vordergrund einer idealen Konzeption von ITS. Dies erfordert beispielsweise die Erstellung eines „LernerModuls“, das während der Kommunikation des Lernenden mit dem Computer ein Modell über das Wissen und Können des Lernenden auf baut. Dadurch ergeben sich vielfältige Möglichkeiten für den Einsatz ausgewählter Lehrstrategien. Die Entwicklung eines ITS ist jedoch mit einem enormen inhaltlichen, personellen und nicht zuletzt finanziellen Aufwand verbunden, so daß sich dieser Forschungsstrang bislang nicht durchsetzen konnte. Neuere Ansätze greifen die Gedanken der Individualisierung c. auf. Dabei verzichten diese auf eine Adaptivität und setzen auf die Adaptierbarkeit, d. h. nicht das Programm versucht, adäquate Lernangebote bereitzustellen, sondern die Lernenden selbst stellen das Programm derart ein, daß es den eigenen Anforderungen entspricht. 4. Der aktuelle Trend: Internetgestütztes Lernen und Gaming Der aktuelle Trend wird von kooperativen Lernformen bestimmt. E- bzw. I-Learning als zeit- und raumunabhängiges Lernen, interaktive, web- bzw. internetbasierte Lernumgebungen sowie vernetztes, fächerverbindendes und fächerübergreifendes Lernen sind die Schlüsselworte dieser aktuellen vierten Phase. In diesem Kontext gibt es den Trend, zunehmend multimedial aufwendige Computerspiele (Games) einzusetzen, die individuell, aber auch kooperativ, gemeinsam im Klassenraum oder verteilt via Internet, eingesetzt werden können. Diese didaktischen Computerspiele weichen insofern von der Idee des programmierten Unterrichts ab, als daß die Lernenden hier im Sinne des ‚explorativen, entdeckenden Lernens‘ arbeiten können. Von der Konzep171
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tion her wird der Computer bei dieser Methode als ein Medium neben anderen im Unterricht betrachtet. Die z. T. sehr komplexen Spiele stellen die Lernenden vor intellektuell anspruchsvolle Aufgaben. So müssen sie unter Zeitdruck Risiken abwägen, Entscheidungen treffen, Strategien entwickeln oder Mitspieler führen. Sie erlauben es, neben fachlichen Inhalten, einen ganzen Kanon an beruflich nützlichen Kompetenzen zu erwerben, die von Teamfähigkeit, über Streßresistenz, Führungsstärke, Konzentrationsfähigkeit bis hin zum strategischen Denken reichen. Man unterscheidet bei diesen Spielen zwischen verschiedenen Arten: ● Adventure-Games sind interaktive Computer- und Videospiele, in der die Lernenden z. B. heikle Missionen und knifflige Fälle lösen müssen. Sie werden von der Spieleindustrie primär für den Unterhaltungsbereich entwickelt, wobei jedoch zunehmend auch das didaktische Potential derartiger Spiele erkannt wird. ● Im Rahmen von Strategie-Spielen müssen sich die Lernenden z. B. in die Rolle versetzen, ganze Zivilisationen zu erschaffen, deren Wohl und Wehe beispielsweise von der Fähigkeit abhängt, die wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben. Hinter Spielen, die wie ein Historienklassiker anmuten, verbergen sich häufig komplexe Wirtschaftssimulationen. ● Ferner kennt man computergestützte → Rollenspiele, die den Einzelnen in eine virtuelle Welt eintauchen lassen, in dem er sich in die Rolle individueller Spielfiguren versetzt. So gibt es Spiele, die es erlauben, die Rolle des Zentralbankpräsidenten einzunehmen, der die → Geldpolitik eines Landes in schwieriger Zeit bestimmen soll, oder die des Bundeskanzlers, der mit seiner → Wirtschaftspolitik versuchen soll, die angespannte Situation am → Arbeitsmarkt zu bekämpfen etc. ● Und schließlich lassen sich computergestützte Simulationen und → Planspiele anführen, die z. B. das Managen eines 172
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Fußballvereins oder das Führen eines Produktionsunternehmens möglichst realitätsnah erlauben. Als ursprüngliche Vor-Ort-Spiele konzipiert, wird zunehmend das Internet eingesetzt, um z. B. im Rahmen von Business Games global gegen- und miteinander in den Wettbewerb simulierter Märkte einzutreten. Darüber hinaus gewinnen neben diesen kooperativen Lernformen alle Formen an Bedeutung, die mit dem „→ Web 2.0“ in Verbindung gebracht werden. „Web 2.0“ kann mit dem Ausdruck „lebendiges Internet“ veranschaulicht werden, da die Nutzenden die Inhalte aktiv mitgestalten, prägen oder sogar produzieren, statt wie zuvor nur zu „surfen“. Darüber hinaus steht „Web 2.0“ für eine neue Generation von Nutzenden, die ihren Alltag und das Berufsleben weitgehend ins Internet verlagern. Die wichtigsten Anwendungen des „Web 2.0“ sind: ● Online-Communities (dt. Internet-Gemeinschaften) ● WIKIs (z. B. WIKIpedia, WIDAWIKI) ● Virtuelle Realitäten (z. B. Second Life) ● Newsfeeds (dt. Informations-Abonnements, z. B. RSS) ● Blogs (dt. Internet-Tagebücher) ● Podcasts (dt. Audio-/Video-Sendungen) ● Social tagging (dt. Nutzendenkommentare/-bewertungen) ● Folksonomies (dt. gemeinschaftliches Verschlagworten; Indexieren) Insbesondere → WIKIS lassen sich gewinnbringend für die Ökonomische Bildung nutzen: Ein WIKI ist als Internetanwendung ein Hypertextsystem, in dem die WIKIgemeinschaft, hier die Lernenden, mit Hilfe eines Internetnavigators (engl. Browser) einfach und ohne Programmierkenntnisse oder spezielle Zusatzsoftware Artikel anlegen und editieren können. Das zugrunde liegende Prinzip besagt, dass: ● gemeinsam an einem Gesamtziel oder Thema gearbeitet wird ● ein WIKI strukturell und inhaltlich durch Querverweise (engl. Hyperlinks) wächst ● die Inhalte in der WIKIgemeinschaft diskutiert und stets weiter entwickelt werden
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● die WIKIgemeinschaft für die WIKIinhalte verantwortlich ist und Fehler oder Schäden durch Vandalismus behebt In diesem Sinne eignet sich der Einsatz eines WIKIs als Lernwerkzeug, in welchem die Stoffkategorien der Unterrichtsreihe von den Lernenden auch mit Hilfe von Wissensquellen außerhalb des Unterrichts erschlossen, diskutiert und fortlaufend dokumentiert werden. Ein WIKI lässt sich leicht für eine Schule oder Klasse einrichten. Im Wirtschaftsunterricht können Lernende dann angeleitet werden, kurze Artikel zu vorgegebenen ökonomischen Themen und/ oder selbst erarbeiteten Fragestellungen zu erstellen. Jeder Lernende ist dabei aufgefordert, die eingestellten Artikel kritisch zu sichten und ggf. weiter zu bearbeiten. Jeder Schüler leistet so einen Beitrag im WIKI, der ihm, den Mitschülern, aber auch nachfolgenden Schülern zugute kommt. So dienen die erstellten Artikel der Ergebnissicherung, der Nachbereitung des Unterrichts, aber auch der Klausurvorbereitung. Nachfolgende Schüler können auf den Ergebnissen auf bauen, sie weiterentwickeln und ergänzen. 5. Die Leistungsfähigkeit des c. aus der Sicht der → Wirtschaftsdidaktik a) Genetisches, entdeckendes und erfahrungsanaloges Lernen Betrachtet man die Leistungsfähigkeit c. aus der Sicht der Wirtschaftsdidaktik, so läßt sich festhalten, daß computergestützte Lernverfahren die Möglichkeit bieten, die Tätigkeit eines Wissenschaftlers im Sinne des genetischen Lernens nachzuahmen, um Vermutungen, Verallgemeinerungen und Spezialisierungen zu finden. Wie im „richtigen“ Leben kann der Lernende auf eine ökonomische Entdeckungsreise gehen (entdeckendes Lernen), um Sachverhalte neu zu erschließen, ohne dabei alle Irrwege und zeitlichen Dimensionen der Wirklichkeit durchlaufen zu müssen, da die Lehrperson bzw. die Autoren hier eine didaktisch wohldefinierte Lernumgebung aufzeigen und formulieren können (erfahrungsanaloges Lernen). Damit wird dem Lernenden die Möglichkeit gegeben, → Wirtschaftswissenschaft nicht als eine Art „Geheimwis-
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senschaft“ zu empfinden, deren Erkenntnisse offenbar vom „Himmel“ fallen, sondern als eine spannende Wissenschaft, an deren Erkenntnisgewinnung man teilhaben kann, in dem man sie gleichsam für sich selbst ‚nach-entdeckt‘. b) Förderung der Anwendungsorientierung bei gleichzeitiger Förderung wissenschaftlichen Denkens Der Trend in den Schulen geht von der reinen Theoriebezogenheit zur Integration der Anwendungsorientierung. Sinnvolle Anwendungen sind aber i. d. R. komplexer, als die zahlreichen Aufgabenstellungen, die Lernende elementar zu lösen vermögen. Mit Hilfe des c.s können wesentlich komplexere Sachverhalte veranschaulicht werden, als dies mit Hilfe von Papier, Kugelschreiber und Buch möglich ist. So lassen sich beispielsweise im Bereich der Volkswirtschaftslehre volkswirtschaftliche computergestützte Simulationen zur Veranschaulichung ökonomischer Zusammenhänge gewinnbringend im Unterricht einsetzen. c) Nicht Ersetzung, sondern Motivation ökonomischen Denkens Vermutungen, die durch Experimente im Rahmen des c. gewonnen werden, sind eben immer nur Vermutungen. Es sind Einzelfälle, die das Allgemeine vermuten lassen, aber eben noch nicht beweisen. Sie wecken aber gerade daher den Wunsch nach Allgemeingültigkeit und fördern das wissenschaftspropädeutische Lernen. d) Nachhaltigkeit der Lernergebnisse Da Lernergebnisse im Kontext c. kreativ und explorativ angeeignet und nicht einfach nur tradiert werden, kommt diese Art des Lernens dem heute weit verbreiteten konstruktivistischen Weltbild einer starken intra-individuellen, selbst geschaffenen mentalen Wirklichkeit sehr entgegen, die sich jedoch in der beruflichen Erprobungssituation an der externen ökonomischen Realität auch immer wieder kritisch zu bewähren oder modifizieren vermag. Die multimediale Auseinandersetzung mit theoretischen Erprobungs-, Bewährungs- und Modifikationssituationen greift deshalb ebenfalls die Ausbildung von ‚weichen‘ Persönlichkeitsmerkmalen auf, die sich derzeit am Arbeits173
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und Stellenmarkt allergrößter Beliebtheit erfreuen. e) Förderung allgemeinbildender Qualifikationen Computergestützter Wirtschaftsunterricht bereitet besser auf die Berufswelt oder das Studium vor, als dies ohne die Verwendung der ‚neuen Medien‘ möglich wäre, da die Lernenden einerseits mehr inhaltsübergreifende Qualifikationen, wie das Erfassen von Tabellen, Interpretieren von Bildern, etc., erwerben können. Andererseits kann das c. dazu beitragen, formale Qualifikationen, wie das Vermuten, Analogisieren, Verallgemeinern, Spezialisieren, kreatives Verhalten und Kritikfähigkeit, die als zentrale Aspekte wissenschaftlichen Denkens und Handelns gelten, dauerhaft zu fördern. Das Lernen kognitiver Strategien setzt affektive Dispositionen voraus. Computergestützter Wirtschaftsunterricht ermöglicht die Erreichung affektiver Ziele, wie Freude, Stolz und Selbstvertrauen und damit auch die Weiterentwicklung der individuellen Persönlichkeitsstruktur des Lernenden. Denn, der Lernende wird nicht angeleitet, sondern kann sich mit Hilfe des Computers sein Wissen selber erarbeiten, um praxisnahe Aufgabenstellungen zu lösen. Die Fähigkeit, Lösungen zu verteidigen, Kritik zu üben und zu ertragen, die Fähigkeit, im Team zu arbeiten, werden durch diesen Ansatz ebenfalls gefördert, da die Arbeit im Team durch die Möglichkeiten, die die Lernumgebungen bieten, unterstützt wird. Dies alles sind wesentliche Elemente einer ökonomischen Bildung, die durch den Computereinsatz unterstützt werden können. 6. Fazit Der Wirtschaftsunterricht bemüht sich, drei wichtige Ziele im Fachunterricht zu erreichen: Die Auseinandersetzung mit den für die ökonomisch geprägten Lebenssituationen notwendigen Erkenntnissen und Fertigkeiten, der Erhalt eines Einblicks in das Spezifische und die intellektuellen Errungenschaften der Fachwissenschaft sowie die Schaffung eines Bewußtseins für die Bedeutung und die Rolle des Faches. Das zentrale Ziel ist jedoch die ökonomische 174
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Bildung. Diese muß sich nach Kruber auf Denken in Kategorien der ökonomischen Verhaltenstheorie, in Kreislaufzusammenhängen, in Ordnungszusammenhängen sowie Verantwortung als Maßstab zur Beurteilung individuellen und wirtschaftspolitischen Handelns beziehen. C. kann dabei helfen, die traditionell inputorientierte Vorgehensweise der kategorialen Didaktik zu ergänzen und eine häufig lehrpersonzentrierte Vermittlung zugunsten einer aktiven, sozialen und selbst gesteuerten Konstruktion aufzugeben. Das c. ermöglicht die Förderung von → Kompetenzen, die anhand der Inhalte als Output einer Überprüfung zugänglich sind. So sehen z. B. die → Standards der ökonomischen Bildung für den Abschluss der gymnasialen Oberstufe Kompetenzbereiche der Orientierungs-, Urteils-, Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit als Konsumenten, Berufswähler, Erwerbstätige und Wirtschaftsbürger vor. Die Anwendung des c. im Unterricht unterstützt diese Kompetenzbereiche und ergänzt dabei das Rollenverständnis um den „Wissensprosumenten“, d. h. Konsument und Produzent. C. kann damit dazu beitragen, das Verständnis und die Motivation für ökonomischen Bildungsfragen und Zusammenhänge zu erhöhen. Lernen ist bei jedem Schüler ein individueller, entdeckender, kreativer Prozeß. Der Computereinsatz fördert selbstorganisierende Tätigkeiten, wie z. B. das Lesen, Stöbern, Schreiben, Anordnen, Strukturieren, Umgestalten, Modellieren und Simulieren. Man muß abschließend festhalten, daß nicht der Einsatz des Computers um seiner selbst willen, sondern einzig das didaktische Gesamtkonzept darüber entscheiden sollte, ob er sinnvoll in den Unterricht einbezogen werden kann. Literatur: DEGOEB (2005): Deutsche Gesellschaft für Ökonomische Bildung – Kompetenzen der ökonomischen Bildung für allgemeinbildende Schulen und Bildungsstandards. www.degeob.de. Kern, Martin (2003): Planspiele im Internet. Netzbasierte Lernarrangements zur Vermittlung betriebswirtschaftlicher Kompetenz. Wies-
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baden. Liening, Andreas, Martin Kirchner (2009): Computergestützte Planspiele. In: Thomas Retzmann (Hrsg.): Methodentrainings für den Ökonomieunterricht. Schwalbach am Taunus. Liening, Andreas, et. al. (2009): WIKIs als Lernwerkzeuge im Ökonomieunterricht. In: Thomas Retzmann (Hrsg.): Methodentrainings für den Ökonomieunterricht. Schwalbach am Taunus. Liening, Andreas, Dietmar Krafft, Jürgen Schlösser (2009): „Energie, Klimaschutz und Verbraucher“ – Eine computerunterstützte Simulation. Dortmund. Liening, Andreas (2009): RuhrCampus Career Competition – Management – A Business Game. Dortmund. Liening, Andreas (2004): Die Bedeutung der ‚Neuen Medien‘ in der Didaktik der Wirtschaftswissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Darstellung ‚Neuer Technologien‘. In: Hans Jürgen Schlösser (Hrsg.)): Deutsche Gesellschaft für ökonomische Bildung – Anforderungen der Wissensgesellschaft: Informationstechnologien und Neue Medien als Herausforderungen für die Wirtschaftsdidaktik. Bergisch Gladbach. Salmon, G. (2004): Etivities – Der Schlüssel zu aktivem OnlineLernen. Prof. Dr. Andreas Liening, Dortmund Computer-Planspiel → computergestütztes Lernen.
Crowding-out-Effekt
Computer-Simulation → computergestütztes Lernen. Constitutional Economics ⇒ Public Choice. Corporate Governance (staatlich) vorgegebene Regeln zur Kontrolle und Führung von → Unternehmen. Corporate Identity das spezifische Erscheinungsbild eines → Unternehmens in der Öffentlichkeit sowie die Identifikation seiner Mitarbeiter mit diesem. Corporate Social Responsibility (CSR) freiwillige unternehmerische (→ Unternehmen) Verantwortung im Hinblick auf soziale (Mitarbeiter u. Gesellschaft) und ökologische Belange. Controlling funktionsübergreifendes betriebliches Steuerungsinstrument, das den unternehmerischen Entscheidungsprozeß durch zielgerichtete Informationsgewinnung und -verarbeitung unterstützt. Cost-Benefit-Analyse ⇒ Kosten-Nutzen-Analyse. Crowding-out-Effekt Verdrängungseffekte verschiedenster Art, z. B. privater Aktivitäten durch Ausdehnung der Staatstätigkeit.
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DAG
Dauerarbeitsvertrag
D DAG Abk. für → Deutsche Angestellten-Gewerkschaft. Damnum → Disagio. Darlehen die Überlassung von Geld (Geld-D., Kredit) (§§ 488 ff. Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) oder anderen → vertretbaren Sachen (SachD.) zum Verbrauch (§§ 607 ff. BGB). Es kommt durch die Hingabe der Darlehenssache an den Darlehensnehmer oder durch Umwandlung einer schon bestehenden Schuld in eine Darlehensschuld zustande. Der Darlehensnehmer übernimmt die Verpflichtung, die ihm vom Darlehensgeber ins → Eigentum überlassene Sache in gleicher Art, Güte und Menge zurückzuerstatten. Sind als Entgelt Zinsen (→ Zins) vereinbart, was bei Geld-D. die Regel ist, dann ist der Darlehensnehmer verpflichtet, bei Rückzahlung des D. oder wenn dieses auf längere Zeit (z. B. 5 Jahre) gegeben ist, jeweils nach Ablauf eines Jahres diese zu zahlen. Ist für die Rückzahlung des D. kein Termin vereinbart, hängt die Fälligkeit davon ab, daß der Darlehensgeber oder der Darlehensnehmer kündigt (§ 608 Abs. 1 BGB). Ein auf unbestimmte Zeit abgeschlossener Sachdarlehensvertrag kann, soweit nicht ein anderes vereinbart ist, jederzeit vom Darlehensgeber oder Darlehensnehmer ganz oder teilweise gekündigt werden (§ 608 Abs. 2 BGB). Ein unverzinsliches D. kann der Darlehensnehmer jederzeit zurückzahlen. Besonders bei Geld-D. (Krediten) treten neben den Banken und Sparkassen spezielle Kreditinstitute als Darlehensgeber (Kreditgeber) in Erscheinung. Sie haben ihren Tätigkeitsbereich meist spezialisiert, so auf Kredite allgemein oder aber speziell auf Hypothekarkredite (→ Hypothek), Pfandkredite (→ Pfand), → Konsumentenkredite und andere. Die Vergabe der Kredite wird an die → Kreditwürdigkeit des Antragstellers geknüpft. Die Prüfung dieser Kreditwürdigkeit kann durch Selbstauskunft und/ 176
oder Fremdauskunft (Banken, Referenzen) erfolgen. Das gewöhnliche D. unterliegt keiner Formvorschrift (→ Formfreiheit). Um jedoch seinen Anspruch jederzeit beweisen zu können, ist es sinnvoll, sich vom → Schuldner einen einfachen → Schuldschein unterschreiben zu lassen. Der →Verbraucherdarlehensvertrag (§§ 491 ff. BGB) unterliegt einer speziellen Regelung. Darlehensvertrag ⇒ Darlehen. Datenschutz, betrieblicher nach §§ 22 ff. Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) ist nichtöffentlichen Stellen und somit dem → Arbeitgeber die Verarbeitung personenbezogener Daten untersagt, soweit nicht ein gesetzlicher Erlaubnistatbestand vorliegt. Unter Datenverarbeitung wird verstanden: die Speicherung, Übermittlung oder Veränderung personenbezogener Angaben. Nach § 23 BDSG ist Datenverarbeitung nur erlaubt: (1) im Rahmen der Zweckbestimmung des → Arbeitsverhältnisses, (2) im Rahmen der Zweckbestimmung eines vertragsähnlichen Verhältnisses (z. B. bei Begründung des Arbeitsverhältnisses), (3) zur Wahrung berechtigter Interessen der speichernden Stellen, soweit schutzwürdige Belange des Betroffenen nicht beeinträchtigt werden, (4) mit Daten aus allgemein zugänglichen Quellen. – Der → Arbeitnehmer kann vom Arbeitgeber Offenlegung der über seine Person gespeicherten Daten verlangen. Falls Daten unrichtig gespeichert sind, kann er deren Berichtigung verlangen. Waren Daten unzulässigerweise gespeichert, kann er nach § 26 BDSG deren Löschung verlangen. Dauerarbeitsvertrag auf unbestimmte Zeit (unbefristet) abgeschlossener → Arbeitsvertrag. Gegensatz: → befristeter Arbeitsvertrag. Der D. kann nur durch (fristgemäße oder fristlose) → Kündigung beendet werden.
Dauerauftrag
Dauerauftrag im Zahlungsverkehr mit Banken und Sparkassen für gleichbleibende, in regelmäßigen Zeitabständen zu leistende Zahlungen (z. B. → Mietzins, → Versicherungsprämien, Beiträge an Bausparkassen) praktizierte Vorgehensweise. Der Zahler (i.d.R. der Zahlungspflichtige) beauftragt sein Kreditinstitut, zu seinen Lasten entsprechende Zahlungsbeträge an einen Empfänger, das heißt auf ein Konto desselben bei einem Kreditinstitut, zu überweisen. Das ausführende Institut haftet für die termingerechte Erfüllung des D. Hinsichtlich eines eventuellen → Widerrufes gilt es zwischen dem Widerruf des gesamten D. und dem Widerspruch gegen eine einzelne → Überweisung zu unterscheiden. Wird der gesamte D. widerrufen, so darf die Bank keine weiteren Überweisungen vornehmen. Widrigenfalls hat sie dem Kunden die geleisteten Zahlungen zu ersetzen. – Einer einzelnen Überweisung kann der Kunde solange widersprechen, wie der Betrag dem Empfänger noch nicht gutgeschrieben ist. → Überweisung. DAX Abk. für Deutscher Aktienindex. Seit 1988 bestehender, gemeinsam von der Arbeitsgemeinschaft deutscher Wertpapierbörsen, der Börsenzeitung und der Frankfurter Wertpapierbörse konzipierter Index für 30 deutsche und (seit Oktober 2006) ausländische Standardwerte. Er wird im Verlauf eines Börsentages fortlaufend auf der Basis der aktuellen Notierungen ermittelt und im Frankfurter Börsensaal angezeigt. Von dort wird er an die interessierten Medien übermittelt. Der D. gilt als Indikator für die Entwicklung der deutschen → Volkswirtschaft und wird vielfach als Basiswert (Underleying, z. B. für Terminmarktprodukte) verwendet. Die D.-Zusammensetzung wird jährlich überprüft und gegebenenfalls korrigiert. Debitkarte eine zur bargeldlosen Zahlung oder zum Abheben von Bargeld am Geldautomaten verwendbare → Bankkarte.
Derivate
Deckungszusage Zusage von vorläufigem → Versicherungsschutz bereits bei Antragstellung auf Abschluß eines Versicherungsvertrages und vor Zahlung der Erstprämie. Die D. erlischt mit Abschluß des Versicherungsvertrages oder mit dem Scheitern der Vertragsverhandlungen. Bei der → Kraftfahrtversicherung ist die D. unbefristet; sie kann jedoch vom Versicherer mit einwöchiger Frist gekündigt werden. Die D. muß ausdrücklich vereinbart werden. (Aus Beweisgründen möglichst schriftlich!) Deficit Spending Instrument der → Konjunkturpolitik, bei dem – um die → Nachfrage zu beleben – wachsende, nicht durch die laufenden → Staatseinnahmen gedeckte → Staatsausgaben getätigt werden. Diese nicht gedeckten Staatsausgaben (Defizit) werden entweder über → Kredit, → Geldschöpfung oder die Auflösung von Überschüssen finanziert. Delikthaftung → unerlaubte Handlung. Depression ⇒ Tiefstand die dem → Abschwung folgende Phase im → Konjunkturzyklus; → Produktion auf niedrigem Niveau, hohe → Arbeitslosigkeit. Die „Talfahrt“ verlangsamt sich, um schließlich zu enden. Auftriebskräfte greifen Raum: verstärkte Auftragseingänge, steigende → Investitionen, langsam wachsendes → Bruttoinlandsprodukt. → Konjunktur. Deregulierung Abbau staatlicher (gesetzlicher) Reglementierungen, die den → Marktmechanismus (bspw. durch Staatsmonopole oder durch Preisfestsetzungen) oder den Marktzugang, das heißt die Übernahme von Funktionen auf dem Markt (so z. B. durch das Erfordernis von ganz bestimmten Qualifikationsnachweisen) behindern. Derivate Finanzinnovationen, wie z. B. → Optionen, → Futures und Swaps, die in traditionellen Finanzinstrumenten enthaltene Risiken 177
Derivate
herauslösen (ableiten, derivieren) und neu bündeln. Desindustrialisierung Abbau industrieller → Arbeitsplätze an den traditionellen Industriestandorten. Deutsche Angestellten-Gewerkschaft → Gewerkschaften. Deutsche Bundesbank → Bundesbank. Deutsche Finanzagentur ⇒ Bundesrepublik Deutschland – Finanz agentur GmbH. Deutsche Gesellschaft für ökonomische Bildung e.V. (DGÖB) (vorm. Bundesfachgruppe für ökonomische Bildung e.V.): 1978 gegründete Vereinigung von Hochschullehrern im Bereich ökonomischer Bildung. Hauptziele sind die Förderung der fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Entwicklung sozialökonomischer Bildung und Verankerung und Ausbau der ökonomischen Bildung in Hochschule, Schule und Weiterbildung sowie in der beruflichen Praxis und der Öffentlichkeit. Ein ständiger Informationsaustausch über die Situation der ökonomischen Bildung in Deutschland sowie eine Diskussion relevanter Entwicklungen in Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaftsdidaktik findet über ein Zeitschriften-Forum, auf Mitgliedertagungen und durch Kongresse statt. H. J. A. Deutscher Aktienindex → DAX. Deutscher Beamtenbund → Gewerkschaften. Deutscher Gewerkschaftsbund → Gewerkschaften. Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK) Spitzenorganisation der → Industrie- und Handelskammern zur Vertretung gemeinsamer Interessen. 178
Didaktik der Wirtschaftslehre
Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (DQR) vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und der Kultusministerkonferenz veranlaßte nationale Umsetzung des → Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen. Er soll die in Deutschland mit Schul-/Hochschul- und Bildungsabschlüssen erworbenen → Qualifikationen/ → Kompetenzen im europäischen Raum transparent und vergleichbar machen und damit die Chancen von deutschen Bewerbern auf dem europäischen → Arbeitsmarkt verbessern. Deutscher Rentenindex → REX. Devisen → Forderungen (wie → Schecks, → Wechsel und täglich fällige Guthaben bei ausländischen Banken), die auf ausländische → Währung lauten und im Ausland zahlbar sind. Der Handel mit D. wird von den Kreditinstituten übernommen. In der wirtschaftlichen Praxis versteht man unter D. häufig bargeldlose, auf ausländische Währung lautende → Zahlungsmittel. Devisenbörse ⇒ Devisenmarkt. Devisenkurs der in inländischer → Währung notierte → Preis für 1 beziehungsweise 100 Einheiten ausländischer Währung (Beispiel: D. für 1 US-Dollar 0,7429 Euro; für 100 Schweizer Franken 81,8833 Euro). Die reziproke Preis notierung zum D. ist der → Wechselkurs. Devisenmarkt ⇒ Devisenbörse Ort von → Angebot und → Nachfrage von/ nach → Devisen. DGB Abk. für: → Deutscher Gewerkschaftsbund. DGöB Abk. für: → Deutsche Gesellschaft für ökonomische Bildung e.V. Didaktik der Wirtschaftslehre ⇒ Wirtschaftsdidaktik.
didaktische Reduktion
didaktische Reduktion Seit geraumer Zeit wird ein „uraltes“ pädagogisches Problem – nämlich das der adressatengerechten Vereinfachung bzw. Codierung – unter Bezeichnungen wie d., Transformation, Konstruktion, Vereinfachung bzw. Umsetzen von Aussagen und Inhalten diskutiert. Allerdings bestehen beträchtliche Meinungsverschiedenheiten über das „Wie“ und zum größten Teil auch noch über das „Wovon“ reduzierenden Vorgehens. Das gilt auch für die Etikettierung als methodisches bzw. didaktisches Problem. Gesehen werden sollte, daß man im engeren Sinn erst reduzieren kann, wenn die Inhalte ausgewählt worden sind, wobei die Auswahl im weiteren Sinne auch als Reduktion begriffen werden kann. Geht man von einer bildungstheoretischen Didaktik aus und betrachtet entsprechend die Inhaltsauswahl als didaktisches Problem, dann muß das Problem der adressatengerechten Vereinfachung bzw. Codierung als methodisches gesehen werden. Reduktion – wortwörtlich mit Verringerung, Herabsetzung, Zurückführung des Komplexen und Komplizierten auf das Einfache zu übersetzen – hat sicher einerseits oft auch zu tun mit dem „Wesentlichen“, „Typischen“, „Elementaren“, „Fundamentalen“, „Exemplarischen“, „Kategorialen“, dem mit großer Schlüssel- und Transferwirkung ausgestatteten Inhalt, andererseits mit einer Entfernung von der Vielfalt und Schwierigkeit der vollen Wirklichkeit. Aber auch hier existiert noch keine fein abgesteckte „mind-map“. Ungeachtet von begrifflichen Feinheiten soll hier ein Überblick über die verschiedenen Ansätze und Verfahren gegeben werden. Zu unterscheiden sind: Die Theorie der didaktischen Vereinfachung bei Dietrich Hering will sicherstellen, daß der Schwierigkeitsgrad der zu unterrichtenden Inhalte – wobei Hering selbst für den naturwissenschaftlich-technischen Bereich argumentierte – nicht über dem Niveau der Schüler liegt. Insbesondere wissenschaftliche Aussagen sind oft nicht ohne weiteres „faßlich“. Zu fragen ist: Wie kann die durch die Wissenschaft vorgegebene Aussage zur
didaktische Reduktion
faßlichen Aussage für den Schüler einer bestimmten Schulstufe umgeformt werden? Diese Umwandlung leistet nach Ansicht Herings die didaktische Vereinfachung, wobei sie „Faßlichkeit“ erreicht ohne Abstriche an der Wissenschaftlichkeit, dem „Wahrheitsgehalt“, zu machen. Das Komplizierte und Komplexe soll durchschaubar gemacht, das Vielfache und Vielfältige ohne Simplifizierung auf das Einfache zurückgeführt werden. Vereinfachungen sollen das Lernen erleichtern, durch größere Anschaulichkeit stützen, dürfen aber Sinn- und Zusammenhangstrukturen nicht zerstören. Hering verdeutlicht seine Überlegungen am Beispiel „Hochofen“. Herings Hauptsatz der Vereinfachung lautet: „Didaktische Vereinfachung einer wissenschaftlichen Aussage ist der Übergang von einer (sich auch auf die besonderen Merkmale des Gegenstandes beziehenden und dadurch) differenzierten Aussage zu einer nur das Allgemeine auf bewahrenden Aussage (gleichen Gültigkeitsumfangs unter gleichem Aspekt)“. Die d. bei Gustav Grüner läßt sich von Hering anregen, führt allerdings als neues Etikett die „Reduktion“ ein. Er weicht in der Folge in entscheidenden Details von Hering ab und erweitert den ursprünglichen Ansatz. So vertritt Grüner die Auffassung, daß die Ausgangsaussage selten identisch sein wird mit der obersten Aussage der Wissenschaft. Weiter bezweifelt er, daß der Gültigkeitsumfang der reduzierten Aussage stets gleich bleibt. Grüner führt eine Manipulation nach zwei Richtungen ein, wodurch ein „didaktisches Reduktionsfeld“ entsteht. Es wird gebildet durch die Ergebnisse der horizontalen Reduktion, die z. B. mathematische Formeln in Worten oder graphischen Darstellungen zum Ausdruck bringt, die Abstraktheit der wissenschaftlichen Aussagen durch Analogien, Bilder, Skizzen, Beispiele und Metaphern aufzulösen sucht, wobei der Gültigkeitsumfang unverändert bleibt, und durch ein reduzierendes Vorgehen in vertikaler Richtung, das einen abnehmenden Gültigkeitsumfang induziert, weil hier eine fortschreitende Ausschnittsbildung aus der jeweils vorhergehenden Aussage erfolgt. 179
didaktische Reduktion
Zur Verdeutlichung sei hier ein Beispiel angedeutet: – Oberste Aussagenebene: An einem Körper herrscht Gleichgewicht, wenn sowohl die Resultierende der sämtlichen auf ihn einwirkenden Kräfte als auch das resultierende Moment in bezug auf einen beliebigen Punkt Null werden. – Mittlere Aussagenebene: Kraft x Kraftarm = Last x Lastarm. – Unterste Aussagenebene: Gewaltig ist des Schlossers Kraft, wenn er mit Verlängerung schafft. Der Ansatz von Gerhard Hauptmeier führt die referierten Positionen weiter und wendet sie auf ökonomische Tatbestände an. Er vertritt die Ansicht, daß auch bei der vertikalen Reduktion der Gültigkeitsumfang gleich bleibt, demgegenüber der Aussageinhalt fortschreitend kleiner wird, der Aussageumfang entsprechend zunimmt. In der horizontalen Reduktion sieht er keine didaktische Vorgehensweise, sondern ein unterrichtsmethodisches Verfahren. Der formallogische Ansatz bei Fehm/Lerch entwickelt ein Konzept, mit dessen Hilfe versucht wird, den Reduktionsprozeß – die genannten Autoren sprechen von Transformation – in formallogischer und semantischer Hinsicht zu erklären. Eine logisch einwandfreie didaktische Transformation ist ihrer Auffassung nach nur mit den Regeln der Deduktion durchzuführen. Es werden vier Strategien der didaktischen Transformation entwickelt – die sogenannte W-, D-, T- und E-Transformation (W = Erhöhung des Informationsgehaltes der Wenn-Komponente eines Satzes; D = Einschränkung des Informationsgehaltes der Dann-Komponente eines Satzes; T = Extensionsminimierung von Termen; E = Verwendung schüleradäquater Explananda). Die traditionellen Ansätze Herings, Grüners und Hauptmeiers werden von Fehm/Lerch als „Quasi-Transformationen“ bezeichnet. Dies gilt insbesondere für die horizontale Transformation Grüners, da sie nicht den Regeln der Logik standhält und wissenschaftliche Inhalte umgangssprachlich verfälscht. Fehm/Lerch betonen: Formallogisch richtig kann nur innerhalb 180
Dienstleistungsbilanz
der Sprache der Wissenschaft – bei WennDann-Aussagen – transformiert werden! Die komplexe d. bei Hauptmeier/Kell/Lipsmeier betont interdisziplinäre Zusammenhänge, die Vernetztheit mehrerer Disziplinen und die Komplexität von die Schüler motivierenden Sachzusammenhängen – was in einem Unterrichtsfilm „Auswahl/ Didaktische Reduktion am Beispiel ‚Arbeitsteilung‘ “ vorgestellt wird. Die Autoren unterscheiden zehn verschiedene Arten der Reduktion – von der methodologischen Komplexitäts-Reduktion bis zur RealitätsReduktion. Sie beklagen Einengungen in den Vorläufermodellen in zweierlei Hinsicht: Zum einen werden dort Lerninhalte mehr oder weniger unbefragt übernommen, zum anderen ist man auf eine Wissenschaft fixiert. Diese Position macht deutlich, daß nicht nur Inhalte, sondern weitere Planungsbereiche von Unterricht Reduktionsentscheidungen unterworfen sind. Insofern ist dieser Ansatz letztlich curricular orientiert. Literatur: Golas, H. G./Stern, M./Voß, P.: Zur Theorie der didaktischen Reduktion im Fach Wirtschaftslehre. In: Erziehungswissenschaft und Beruf 24 (1976) 1, S. 13 – 21 sowie 24 (1976) 2, S. 133 – 140; Kahlke, J./ Kath, F. M.: Didaktische Reduktion und methodische Transformation – Quellenband. Alsbach: Leuchtturm 1984; Pahl, J.-P.: Komplexitätsreduktionen im Interdependenzbereich der Bedingungen und der Entscheidungsfelder. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik 90 (1994) 2, S. 172 – 185; May, H.: Didaktik der ökonomischen Bildung, 8. Aufl., München 2010, Kapitel II. Prof. Dr. Heinz G. Golas†, Berlin Dienstleistungen immaterielle → Güter (wie beispielsweise Bank- u. Versicherungsleistungen, Leistungen des Gaststätten- u. Hotelgewerbes, Leistungen der freien Berufe, der Wäschereien, Reinigungen, Friseure u. a. m.). D. sind nicht lagerfähig. Dienstleistungsbilanz Unterbilanz der → Zahlungsbilanz, die alle → Ein- und → Ausfuhren von → Dienstleistungen erfaßt. Die D. wird auch als „Bilanz
Dienstleistungsbilanz
des unsichtbaren Handels“ bezeichnet. Die D. ist aktiv, wenn die Ausfuhren größer sind als die Einfuhren; übersteigen die Einfuhren die Ausfuhren, ist sie passiv. „Dienst nach Vorschrift“ → Streik. Dienstverhältnis durch → Dienstvertrag begründetes Rechtsverhältnis zwischen Dienstnehmer und Dienstberechtigtem. Dienstvertrag ein gegenseitig verpflichtendes → Schuldverhältnis, in dem der eine Vertragspartner (Dienstnehmer) die vereinbarten Dienste (grundsätzlich kann es sich um Dienste jeglicher Art handeln) erbringen und der andere (Dienstberechtigte) die vereinbarte Vergütung zahlen muß (§ 611 ff. Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Wird der Dienstnehmer durch den → Vertrag als → Arbeitnehmer in einen → Betrieb aufgenommen und dem → Weisungsrecht des → Arbeitgebers unterstellt, liegt ein → Arbeitsvertrag vor, für den die besonderen Regeln des → Arbeitsrechts gelten. Die Vorschriften des BGB über den D. werden hierauf nur noch ergänzend angewandt (z. B. §§ 617, 618 BGB). Wird der Dienstleistende als selbständig Tätiger verpflichtet (z. B. als Anwalt, behandelnder Arzt, Privatlehrer, Fahrlehrer), ist das Vertragsverhältnis durch ein gewisses Maß persönlicher Freiheit gegenüber dem Auftraggeber (z. B. die Freiheit, Art und Weise der erforderlichen Arbeitsleistung zu bestimmen und die Arbeitszeit einzuteilen) gekennzeichnet (selbständiges → Dienstverhältnis). Es handelt sich überwiegend um Vertragsverhältnisse von kurzer Dauer. D. enden aus verschiedenen Gründen: zum Beispiel durch Zeitablauf, Zweckerreichung, → Aufhebungsvertrag oder → Kündigung. Es besteht kein → Kündigungsschutz des Dienstnehmers, ausgenommen bei manchen arbeitnehmerähnlichen Dienstverhältnissen (→ arbeitnehmerähnliche Personen). Dienstzeugnis → Zeugnis.
Dilemmamethode
Dietze, Constantin von 1891 – 1973, National-, insbesondere Agrarökonom; lehrte in Berlin, Göttingen, Rostock, Jena, Freiburg i. Brsg. (ab 1945). Als Mitglied des sogenannten „Freiburger Kreises“ um Walter → Eucken Vertreter des → Ordoliberalismus. Herausragende Publikationen: Wege und Aufgaben wissenschaftlicher Agrarpolitik (1947), Wirtschaftsmacht und Wirtschaftsordnung (1947). Dilemmamethode 1. Ursprung. Die D. geht zurück auf Studien von Lawrence Kohlberg (*1927, †1987) zur Entwicklung der moralischen Urteilsfähigkeit. Er konfrontierte Probanden mit Kurzgeschichten, in denen ein Akteur vor einem moralischen Dilemma steht. Sie sollten beurteilen und begründen, welche Handlung geboten ist. Kohlberg stellte bei den Begründungen strukturelle Qualitätsunterschiede fest und entwickelte dazu eine vieldiskutierte Theorie der moral-kognitiven Entwicklung (ausführlich: Kohlberg 1995, Oser/Althof 2001). Die moralische Entwicklung wird darin als ein Prozess des Wachstums sowie der zunehmenden Integration und Differenzierung kognitiver Strukturen beschrieben. Von Kohlberg ursprünglich zu diagnostischen Zwecken entworfen, wurden moralische Dilemmata später zum Gegenstand von Unterricht gemacht. 2. Bildungsziel. Die Diskussion moralischer Dilemmata im Ökonomieunterricht dient der Förderung der moralischen Urteilsfähigkeit der Schüler. Diese wird verstanden als die kognitive Fähigkeit, für moralische Probleme eine rationale, konsensfähige Lösung zu finden. Sie ist das Resultat einer langfristigen Entwicklung, welche durch schulische Bildungsprozesse stimuliert werden soll. Die so verstandene Wertebildung trägt zur Entwicklung von Selbstkompetenz (auch Personalkompetenz oder Humankompetenz genannt) und damit zur Persönlichkeitsentwicklung bei. Angestrebt wird die selbstbestimmte Bindung an ethische Prinzipien und moralische Werte. Ziel ist weder die unkritische Internalisierung tradierter Werte noch die relativistische Klärung persönlicher Präferenzen (ausführlich: Retzmann 2006). 181
Dilemmamethode
4. Beispiel. In der Literatur finden sich zahlreiche Beispiele, z. T. sogar mit Bezug zu Beruf und Ökonomie. Folgendes Dilemma stammt von Lempert (1986): „Das Betriebsverfassungsgesetz verpflichtet die Mitglieder des → Betriebsrats, auch die Jugendvertreter, über Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu schweigen (§ 79). Was ein → Betriebs- oder → Geschäftsgeheimnis ist, bestimmt die Geschäftsleitung. Soll ein Betriebsratsmitglied Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse grundsätzlich auch dann verschweigen, wenn sein Schweigen den Kollegen, die ihn gewählt haben, sehr schadet? Z. B. bei Entlassungen weiß der Betriebsrat oft schon lange vor dem Kündigungstermin Bescheid. Soll er die Betroffenen dann sofort informieren, damit sie rechtzeitig nach einem neuen Arbeitsplatz suchen können?“ 5. Abgrenzung. Vom moralischen Dilemma zu unterscheiden ist die Situation, in der eine moralische Pflicht mit der persönlichen Neigung kollidiert. Diese Kollision von Moral und → Eigennutz ist kein moralisches Dilemma, sondern ein Motivationsproblem – und aus gesellschaftlicher Sicht ein Anreiz- oder Kontrollproblem. 182
Moralische Dilemmata sind außerdem nicht zu verwechseln mit Situationen vom Typ → „Gefangenendilemma“ oder „Allmendeklemme“. Dabei steht der Vorteil eines Einzelnen dem Vorteil einer Gemeinschaft gegenüber. Es kollidieren Eigennutz und Allgemeinwohl, wobei die Größe der „Allgemeinheit“ variieren kann.
Die Kollision von
3. Gegenstand. Bei einem moralischen Dilemma handelt es sich um eine – in der Regel hypothetische – Kurzgeschichte, in der ein einzelner Akteur vor einer tragischen Entscheidung steht und sich fragt: „Was soll ich tun?“. Von einem moralischen Dilemma ist nur dann zu sprechen, wenn eine ausweglose Pflichtenkollision vorliegt. Dabei steht ein moralischer Wert einem anderen moralischen Wert antagonistisch gegenüber. Der Entscheider fühlt sich verpflichtet, beide Werte zu achten. Doch er befindet sich in einer Zwickmühle: Ganz gleich, wie er entscheidet, verstößt er in jedem Fall gegen einen von beiden. Die Umstände zwingen ihn, einen Wert dem anderen unterzuordnen – obzwar widerwillig, so doch unausweichlich. Die kollidierenden moralischen Werte müssen (annähernd) gleichgewichtig sein, da die Prioritätenbildung ansonsten keine Schwierigkeiten bereitet. Solche Werte können sein: Leben, Gesundheit, Gesetzestreue, Loyalität, Freundschaft.
Dilemmamethode
moralischer Pflicht
und
moralischer Pflicht
= Moralisches Dilemma
moralischer Pflicht
und
persönlicher Neigung
=
Eigennutz
und
Allgemeinwohl
Motivationsproblem / Kontroll-/Anreizproblem
= Gefangenendilemma
Abb.: Typologie moralischer Problemlagen 6. Unterrichtsverlauf. In der Literatur finden sich ausführliche Erörterungen möglicher Vorgehensweisen sowie verschiedene Schemata für den geordneten Ablauf einer Dilemmadiskussion (stellvertretend: Aff 1997, Kaiser/Kaminski 1999, Retzmann 2006 und 2007). Der Unterricht sollte in mindestens sechs aufeinander auf bauende Schritte unterteilt werden: 1) Schriftliche Präsentation des Dilemmas, 2) Herausarbeitung des Wertekonflikts, 3) Spontanes Urteil der Schüler, 4) Sammlung von Argumenten für und wider die Wertalternativen, 5) Strukturierung, Prüfung und Gewichtung der Argumente, 6) Abschließendes, begründetes Urteil der Schüler. 7. Potenziale. Die D. bringt ausgewählte wirtschafts- und unternehmensethische Problemlagen in den Ökonomieunterricht ein. Sie trainiert die Fähigkeit, Konflikte in Wirtschaft und Gesellschaft ethisch und perspektivisch zu beurteilen – eine Kernkompetenz → ökonomischer Bildung. Die Schüler lernen, Handlungsalternativen nach ethischen Maßstäben gegeneinander abzuwägen. Zahlreiche Interventionsstudien – zum Teil mit Bezug zum wirtschaftlichen und beruflichen Handlungsfeld – belegen die nachhaltige Förderung der individuellen, moralischen Urteilsfähigkeit empirisch. Die bildende Kraft der D. basiert wesentlich auf der kognitiven Auseinandersetzung mit einer widersprüchlichen, moralisch ambivalenten Situation. Der Ökonomieunterricht
Dilemmamethode
kann also mit Hilfe der Dilemmadiskussion zur moralischen Bildung beitragen. 8. Grenzen. Die Leistungsfähigkeit der D. darf nicht überschätzt werden. Zur Entwicklung von → Handlungskompetenz trägt sie nur indirekt bei, weil Urteilsfähigkeit deren Voraussetzung ist. Die meist fiktiven, geschichtslosen und kontextfreien Dilemmata sind im Vergleich mit der wirtschaftlichen Realität unterkomplex. Die Übertragbarkeit des Gelernten auf reale Probleme in spezifischen, sozialen und kulturellen Kontexten ist problembehaftet. Echte moralische Dilemmata haben in der Wirtschaft zudem Seltenheitswert. Typisch ist dagegen die Situation der Entscheidung zwischen einer moralisch gebotenen Alternative, die persönlich mit Nachteilen verbunden ist, und einer persönlich vorteilhafteren Alternative, die moralisch defizitär ist. Nicht zuletzt weisen die meisten epochaltypischen Schlüsselprobleme der Menschheit (Klafki) die Struktur des Gefangenendilemmas auf. Auch die zugrunde liegende entwicklungspsychologische Theorie ist nicht ohne Kritik geblieben. Dennoch kommt ihr wohl das bleibende Verdienst zu, die moralische Urteilsfähigkeit des Menschen zu einer Angelegenheit des Geistes gemacht und damit aus dem irrationalen Bereich der subjektiven Gefühle und Einstellungen herausgeführt zu haben. Moralische Bildung ist dadurch nicht bloße Indoktrination vermeintlicher moralischer Gewissheiten, sondern die Stimulation der moralischen Denkfähigkeit eines zur Vernunft fähigen Individuums. Literatur: Aff, Josef (1997): DilemmataAnalyse. In: Josef Aff/Margret Wagner [Hrsg.]: Methodische Bausteine der Wirtschaftsdidaktik. Wien, S. 333–377. Kaiser, Franz-Josef/Kaminski, Hans (1999): Methodik des Ökonomie-Unterrichts. Grundlagen eines handlungsorientierten Lernkonzepts mit Beispielen. 3. Aufl., Bad Heilbrunn/ Obb., S. 331–338. Kohlberg, Lawrence (1995): Die Psychologie der Moralentwicklung. Hrsg. v. Wolfgang Althof unter Mitarbeit von Gil Noam und Fritz Oser. Frankfurt a. M. Lempert, Wolfgang (1986): Sozialisation und Persönlichkeitsbildung in beruflichen Schulen, dargestellt am Bei-
Disagio
spiel der Entwicklung moralischer Orientierungen. In: Die Berufsbildende Schule. 38. Jg., H. 3, S. 148–160. Oser, Fritz/Althof, Wolfgang (2001): Moralische Selbstbestimmung. Modelle der Entwicklung und Erziehung im Wertebereich. 4. Aufl., Stuttgart. Retzmann, Thomas (2006): Didaktik der berufsmoralischen Bildung in Wirtschaft und Verwaltung. Norderstedt. Retzmann, Thomas (2007): Die Dilemmamethode im Ökonomieunterricht. In: Unterricht Wirtschaft. Heft 30, 8. Jg., S. 41–47. Prof. Dr. Thomas Retzmann, Duisburg-Essen direkte Kosten → Einzelkosten. direkte Steuern → Steuer. Direktinvestitionen 1. nach den internationalen Standards der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und Zahlungsbilanzstatistik: 10 und mehr Prozent umfassende Unternehmensbeteiligungen von Inländern im Ausland und von Ausländern im Inland zwecks Gewinnung oder Stärkung wirtsschaftlicher Einflußnahme. Geringere Beteiligungen gelten als → Portfolioinvestitionen. 2. Die deutsche Zahlungsbilanzstatistik verwendet einen Grenzwert von 20 Prozent. Direktionsrecht des Arbeitgebers ⇒ Weisungsrecht des Arbeitgebers. Direktversicherung → betriebliche Altersvorsorge. Direktzusage ⇒ Pensionszusage → betriebliche Altersvorsorge. Disagio ⇒ Damnum ⇒ Abgeld Differenz zwischen Rückzahlungsbetrag und niedrigerem Auszahlungsbetrag bei → Darlehen und → Schuldverschreibungen. So bringen Kreditinstitute regelmäßig vom Nennbetrag des gewährten Kredites ein D. in Abzug. (Diese Kredite werden dann nicht zu 100 Prozent, sondern beispielsweise nur zu 90 Prozent ausgezahlt.) Ein solches D. 183
Disagio
kann als laufzeitunabhängige Bearbeitungsgebühr erhoben werden. Es wird dann auf die volle Laufzeit verrechnet. Das D. kann aber auch als Ausgleich für einen dem Kunden eingeräumten Zinsvorteil erhoben werden. Es wird dann auf den sogenannten Zinsvorteilszeitraum verrechnet. Beide Vereinbarungen können auch kombiniert werden. Das D. wird dann in einen Bearbeitungsgebühr-Anteil und einen ZinsvorteilsAnteil aufgespalten (Disagio-Splitting). Wird ein Darlehen mit mehrjähriger Zinsbindung und späterer Bindungsanpassung gewährt, dann ist der Zinsvorteils-Anteil auf den Zeitraum der Zinsbindungsfrist zu verrechnen. Ist das Disagio zinsabhängig, dann ist bei einer vorzeitigen Beendigung des Darlehensvertrages darauf zu achten, daß eine anteilige Verrechnung, das heißt Erstattung des für die gesamte Laufzeit des Kredites in Anwendung gebrachten D., vorgenommen wird. Diesem Erstattungsanspruch des Kreditnehmers versuchen die Banken teilweise durch ihre Geschäftsbedingungen zu begegnen, die festlegen, daß auch bei vorzeitiger Vertragsbeendigung keine anteilige Erstattung des D. stattfindet. Derartige Vertragsklauseln sind rechtswidrig und damit unwirksam. Disagioverrechnung → Disagio. Diskont(abschlag) im voraus abgezogener Zinsbetrag einer noch nicht fälligen → Forderung, meist einer Wechselforderung (→ Wechsel). So bringt eine Bank beim Ankauf eines erst zu einem späteren Zeitpunkt fälligen Wechsels dem einreichenden Kunden einen D. von beispielsweise 7 Prozent von der Wechselsumme umgerechnet auf die Restlaufzeit (→ Diskontierung), das ist die Zeit von der Einreichung des Wechsels bei der Bank bis zu seiner Fälligkeit, in Abzug. Diskontierung Abzinsung in der Zukunft fälliger → Forderungen auf den Gegenwartswert (Barwert). So wird bei der D. von → Wechseln zunächst aus dem → Basiszinssatz der Zeitprozentsatz (Z) für die Restlaufzeit (d. i. die Zeit von der Einreichung des Wechsels bei 184
Dokumenten-Akkreditiv
der Bank bis zu seiner Fälligkeit) des Wechsels berechnet: Basiszinssatz×Tage der Restlaufzeit Z = ______________________________ 360 Mittels des Zeitprozentsatzes wird aus der Wechselsumme der Abzinsungsbetrag (→ Diskont) errechnet und von dieser in Abzug gebracht. diskretionäre Wirtschaftspolitik eine auf fallweise (nicht langfristig konzeptionelle) Maßnahmen abgestellte → Wirtschaftspolitik. Diskriminierungsverbot → Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Dispositionskredit → Kontokorrentkredit für Überziehungen (→ Überziehen) von Privatkunden in einem im vorhinein festgesetzten Rahmen; meist bis zum Betrag von einem oder zwei Monatseinkommen. dispositiver Faktor → Produktionsfaktoren. Distribution Verteilung der hergestellten → Güter an die Nachfrager. Die D. erfolgt in der Regel über den Handel. Dividende der auf die einzelne → Aktie entfallende Anteil am → Reingewinn einer → Aktiengesellschaft; wird in Währungseinheiten je Aktie angegeben. Über die Höhe der D. beschließt die → Hauptversammlung. Dokumenten-Akkreditiv (verkürzte Bezeichnung: Akkreditiv) vertragliche Verpflichtung eines → Kreditinstituts (Akkreditivbank), im Auftrag, für Rechnung und nach Weisung eines Kunden gegen Übergabe bestimmter Dokumente (z. B. Frachtbrief) eine bestimmte Summe (Akkreditivbetrag) in einer bestimmten → Währung an einen bestimmten Empfänger (Akkreditivbegünstigter) zu zahlen. Rechtsgrundlage für D. bilden die „Einheitlichen Richtlinien und Gebräuche für D.“ von 1993, zusammengestellt durch die Internationale Handelskammer in Paris. D.
Dokumenten-Akkreditiv
sind insbesondere im außenwirtschaftlichen Zahlungsverkehr gebräuchlich. Domäne steht in der neueren pädagogischen Terminologie für Gegenstandsbereich, Lernbereich oder (Unterrichts-)Fach. Doppelarbeitsverhältnis → Nebenbeschäftigung. Doppelbesteuerung die zwei- oder mehrmalige Besteuerung desselben Steuerobjektes in derselben Eigenschaft für den gleichen Zeitraum durch verschiedene Staaten. Zu mildern oder zu umgehen durch → D.-abkommen. Doppelbesteuerungsabkommen völkerrechtliche → Verträge zwischen zwei oder mehreren Staaten zur Milderung oder Vermeidung der → Doppelbesteuerung. Dow Jones Kursindex der New Yorker Effektenbörse. Downsizing Massenentlassungen. DQR Abk. für: → Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen. Dritter Bildungsweg 1. Der Hochschulzugang für qualifizierte Berufstätige – Anerkennung und Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen von neuer Aktualität Grundsätzlich können qualifizierte Berufstätige ohne Abitur auf zwei Wegen Zugang zur Hochschule erhalten. Entweder auf dem schulrechtlich geordneten Weg über Kollegs, Abendgymnasien und („Begabten“-) Abiturprüfungen für Nichtschüler (→ Zweiter Bildungsweg) oder auf dem hochschulrechtlich geordneten Weg über eine je nach Bundesland unterschiedliche Kombination (Teilmenge) aus den Anforderungen Berufsabschluß, Berufstätigkeit, → berufliche Fortbildung, Probestudium, Kontaktstudium und Hochschulzugangsprüfung (D.). Auch beim D. geht es wie schon bei den ersten beiden Bildungswegen primär um die Erlangung bzw. den Nachweis von Studierfähigkeit und den möglichst raschen Zugang
Dritter Bildungsweg
zur Hochschule. Bildungspolitisch werden in Deutschland zwei, teilweise miteinander verbundene, Strategien verfolgt, um die Gleichwertigkeit von allgemeiner und → beruflicher Bildung zu fördern und die im internationalen Vergleich (OECD 2007) als zu niedrig angesehenen Jahrgangsanteile an Hochschulzugangsberechtigten und Hochschulabolventen zu erhöhen. Zum einen sollen bereits erworbene berufliche Qualifikationen bei der Anerkennung von Studierfähigkeit ein stärkeres Gewicht erhalten und den Hochschulzugang erleichtern (vgl. KMK-Beschluss v. 06. 03. 2009); zum anderen geht es um die Anrechnung von vor dem Studium beruflich erworbenen → Kompetenzen („prior learning“) auf das Studium (vgl. KMK-Beschluss v. 18. 09. 2008). Bezüglich der Anerkennung der Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung hat die Kultusministerkonferenz mit dem Beschluss vom 06. 03. 2009 einen wichtigen Schritt getan: Nach einer beruflichen Aufstiegsfortbildung (zum Meister, Techniker, Fachwirt oder Inhaber vergleichbarer Qualifikationen) erhalten Studierwillige eine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung. Eine fachgebundene Hochschulzugangsberechtigung erhalten diejenigen beruflich qualifzierten Bewerber, die eine mindestens zweijährige Berufsausbildung sowie eine dreijährige Berufspraxis in einem zum Studiengang affinen Bereich nachweisen und ein Eignungsfeststellungsverfahren bzw. ein einjähriges Probestudium erfolgreich durchlaufen. Die anstehende landespolitische Umsetzung dieses KMKBeschlusses vereinheitlicht einen wesentlichen Teil der auf Länderebene noch bestehenden unterschiedlichen Anforderungen und Anerkennungsverfahren (vgl. KMK Synopse 2007). 2. Anforderungen (Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Besonderheiten) für den Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung in den Bundesländern für besonders befähigte Berufstätige Die Meisterprüfung oder eine vergleichbare berufliche Fortbildung eröffnet bereits jetzt in den meisten Bundesländern die Aufnahme eine Studiums, in einigen Ländern sogar un185
Dritter Bildungsweg
eingeschränkt, d. h. fachungebunden und an allen Hochschulen des Landes (z. B. in Hessen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen). Eine abgeschlossene → Berufsausbildung und mehrjährige berufliche Praxis sowie das Bestehen einer Zugangsprüfung führen bei der Mehrheit der Bundesländer zu einer fachgebundenen Studienberechtigung. Im Einzelnen unterscheiden sich die Bundesländer bei den Anerkennungsverfahren hinsichtlich des Umfangs der Studienberechtigung (Zulassung an → FH- und/ oder Universität), der fachlich gebundenen oder uneingeschränkten Studienfachwahl, der Dauer der geforderten Berufspraxis, der Wahlmöglichkeit zwischen Probestudium und Eignungsprüfung, der Einbeziehung schulischer Vorleistungen (Durchschnittsnote) sowie der Anwendung der „Landeskinderklausel“. Darüber hinaus ist bis auf Bayern das Medizinstudium in allen Bundesländern auch für Bewerber des D. möglich, sofern medizinische Fakultäten bestehen. Länderspezifische Einschränkungen bestehen zum Teil für die Studiengänge Theologie, Rechtswissenschaften und Lehramt an Gymnasien. Die Einstufung in das erste Fachsemester für Studierende des D. ist zwar der Regelfall, jedoch kann in einigen Ländern – zumal beim Weg über das Probestudium bzw. nach einer Einstufungsprüfung – auch die Aufnahme in ein höheres Fachsemester erfolgen. Grundsätzlich ist eine Zulassung von Bewerbern auch für NC-Fächer möglich, in einer Reihe von Ländern gibt es Sonderquoten für diesen Personenkreis und besondere Zulassungsregeln, insbesondere bei der Durchschnittsnotenermittlung wegen der unterschiedlichen Vorqualifikationen. Über die Zulassung von Bewerbern des D. zum Studium entscheidet in der Regel die Hochschule bzw. der dort eingesetzte Prüfungsausschuss. In wenigen Ausnahmefällen (z. B. Schleswig-Holstein) und bei spezifischen Anerkennungsverfahren trifft eine Prüfungskommission beim jeweiligen Kultusministerium die Entscheidung. 3. Durchlässigkeit von der Berufsausbildung in die Hochschule Trotz der noch bestehenden Unterschiede zwischen den Ländern bei den Anerken186
Dritter Bildungsweg
nungsverfahren ist seit den 1990er Jahren für qualifizierte Berufstätige die Zuerkennung ihrer Studierfähigkeit zunehmend erleichtert worden. Gleichwohl werden die Zugangsquoten für qualifizierte Berufstätige in die Hochschulen, zumal aus bildungsökonomischer Sicht – „Erschließung von ‚High Potentials’“ – als deutlich zu niedrig beurteilt (vgl. Loebe/Severing 2009). Dabei ist auch von Bedeutung, dass der Strukturwandel in Arbeit und Beruf veränderte, mit Höherqualifizierung verbundene berufliche Anforderungsprofile hervorgebracht hat, die im Vergleich zur gymnasialen Studienvorbereitung als gleichwertig anzusehen sind. Dennoch dominiert unter den Zugangswegen zum Universitätsbereich noch eindeutig das Abitur mit 90 % der Studienanfänger. Über den D. gelangen nur 0,6 % der Studienanfänger in die Universität. Bei den Fachhochschulen sind es immerhin 1,9 %, die ohne formale Hochschulreife ein Studium beginnen (Bildungsbericht 2008: 176ff). Eine Studie der BLK stellt fest, „dass bundesweit im Schnitt deutlich weniger als 1 Prozent (…) der Studienanfänger auf Grund ihrer beruflichen Qualifizierung ein Studium aufnehmen können.“ (BLK 2005: 3). Die Gründe für diese auch im internationalen Vergleich niedrigen Anteilswerte in Deutschland werden in fehlendem (flexiblem) Angebot an berufsbegleitendem Teilzeitstudium und dem noch immer unterentwickelten Verfahren zur Anerkennung bzw. Anrechnung beruflicher Leistungen auf Hochschulzugang und Hochschulstudium gesehen (Bildungsbericht 2008: 177). Vorliegende Untersuchungen zum Studienerfolg der Berufspraktiker ohne Abitur belegen, dass diese Zwischenund Abschlussprüfungen ebenso häufig bestehen wie Abiturienten, dass sie in einigen Studiengängen sogar bessere Ergebnisse erzielen und ihr Studierverhalten stabiler ist (Wolter 1997). Ein erhebliches Problem dieser Studierenden ist allerdings die Zeitknappheit, da die Mehrzahl durch Familie, Studium und Beruf mehrfach belastet ist (vgl. Schroeter 1998).
Dritter Bildungsweg
4. Anrechnung von Kompetenzen Unter dem Aspekt → lebenslangen Lernens bzw. Durchlässigkeit gewinnt neben der Frage der Anerkennung beruflicher Qualifikationen als Beleg für die Studierfähigkeit das Thema Anrechnung von vor dem Studium erworbenen beruflichen Kompetenzen zunehmend an Bedeutung. Man spricht vom neuen Typus der „Anrechnungsstudierenden“, die nach fachlich passenden Studienangeboten an Hochschulen suchen, welche zeitlich flexibel und in Teilzeit studierbar sowie anschlussfähig an den bisherigen berufsbiographischen Bildungsweg sind (Freitag 2009: 5). Auf europäischer Ebene gibt es vielfältige Aktivitäten und Programme, um die Bildungsmobilität – vertikal wie horizontal zwischen gleichen und unterschiedlichen Bildungssystemen und Nationen – durch Entwicklung eines „Kredittransfersystems“ zu erhöhen. Im Mittelpunkt dieser Bemühungen stehen Methoden und Verfahren zur Erfassung bzw. Anrechnung von Kompetenzen. Noch ist offen, wie ein Anerkennungssystem „ausgestaltet wird und wie die Credits aus dem beruflichen Bildungsbereich, dem Lebenslangen Lernen und der Weiterbildung akkumuliert und in das Hochschulsystem transportiert werden können.“ (ebd.: 25). In den EU-Ländern gibt es bislang eine sehr unterschiedliche Anrechnungspraxis, die lediglich in Frankreich und Großbritannien einen nennenswerten Umfang aufweist. In Deutschland ist die Anrechnung vielfach der Regelungskompetenz der einzelnen Hochschule überlassen. Immerhin können gemäß KMK-Beschluss bis zu 50 % der Anforderungen eines Studiums durch Anerkennung von außerhalb der Hochschule erworbenen Kompetenzen erbracht werden (KMK 2002). Qualitätssichernde, lernergebnisorientierte Verfahren zur Anrechnung von Kompetenzen, die speziell in der → beruflichen Fort- und Weiterbildung erworben werden, sind jüngst in einem Modellversuchsprogramm entwickelt, erprobt und evaluiert worden (vgl. Freitag 2009). Entscheidend für die Weiterentwicklung und Attraktivität des D. bleibt die Frage, ob die in den Bundesländern noch bestehen-
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den Unterschiede und Hindernisse bei der Zulassung von besonders befähigten Berufstätigen zum Hochschulstudium alsbald beseitigt werden und darüber hinaus die Anrechnung der vor dem Studium erworbenen beruflichen Kompetenzen für eine bessere berufsbiographische Gestaltung des Hochschulstudiums länderübergreifend sowohl auf nationaler wie auch auch auf europäischer Ebene geregelt wird. Literatur: Bildungsbericht (2008): Bildung in Deutschland 2008. Autorengruppe Bildungsberichterstattung im Auftrag der KMK und des BMBF. BLK (2005): Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte. BLK-Bericht vom 20. 01. 2005. Freitag, Walburga (2009) (Hrsg.): Neue Bildungswege in die Hochschule. Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen für Erziehungs-, Gesundheits- und Sozialberufe. Bielefeld. KMK (2002): Anrechnung von außerhalb des Hochschulwesens erwobenen Kenntnissen und Fähigkeiten auf ein Hochschulstudium. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 28. 06. 2002. KMK (2007): Synoptische Darstellung der in den Ländern bestehenden Möglichkeiten des Hochschulzugangss für berulich qualifizierte Bewerber ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung auf der Grundlage hochschulrechtlicher Regelungen. Stand: Oktober 2007. KMK (2008): Anrechnung von außerhalb des Hochschulwesens erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten auf ein Hochschulstudium (II). Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18. 09. 2008. KMK (2009): Hochschulzugang für beruflich qualifizierte Bewerber ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 06. 03. 2009. Loebe, Herbert/ Severing, Eckart (2009) (Hrsg.): Studium ohne Abitur. Möglichkeiten der akademischen Qualifizierung für Facharbeiter. Bielefeld. OECD (2008): Education at a glance. Herunterladbar unter: http://www.oecd.org/ dataoecd/22/28/39317467.pdf. Schroeter, K. R.: Studium ohne Abitur. Studienverlauf und Studienerfolg von Studierenden ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung. Kiel 1998. Wolter, Andrä: Hochschulzugang aus dem Beruf – Forschungsstand und bil187
Dritter Bildungsweg
dungspolitische Perspektiven. In: Mucke, K./Schwiedrzik, B. (Hrsg.): Studieren ohne Abitur. Berufserfahrung – ein „Schrittmacher“ für die Hochschulen und Universitäten. Berichte zur beruflichen Bildung. H. 206. Hrsg. vom Bundesinstitut für Berufsbildung. Bielefeld 1997, S. 107–131. Prof. Dr. Gerd-E. Famulla, Flensburg Dritte Welt ⇒ Entwicklungsländer Siehe: → Entwicklungspolitik. Drittländer → Länder außerhalb der → EWWU (→ Euroland). Drittwährungen → Währungen von Staaten außerhalb der → EWWU (→ Euroland). duale Berufsausbildung → Berufsausbildung. Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) → Berufsakademien (BA). duales System der Berufsausbildung Allgemeine Charakterisierung: Als d. wird die Kombination von betrieblicher Ausbildung mit Berufsschulunterricht zur beruflichen Qualifizierung der → Auszubildenden während der Lehrzeit bezeichnet. Die auf Heinrich Abel zurückgehende Wortschöpfung (Abel/Groothoff 1959) fand durch ihre offizielle Erwähnung im Gutachten über das Berufliche Ausbildungs- und Schulwesen des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen (1964) rasche Verbreitung. Der Auszubildende hat im beruflichen Erstausbildungssystem neben der Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsbetrieb an einem oder zwei Tagen in der Woche (Teilzeitunterricht) oder in zusammenhängenden Abschnitten (Blockunterricht) eine adäquate öffentliche → Berufsschule zu besuchen. Charakteristisch ist dabei die zeitliche Dominanz der Betriebsausbildung mit etwa drei Viertel der gesamten Ausbildungszeit. Innerhalb der beiden Lernorte sind wiederum unterschiedliche Derivate anzutreffen, etwa überbetriebliche Ausbildungsstätten 188
duales System der Berufsausbildung
und Übungsfirmen (Berchtold/Trummer 2000, Bunk 1982, Tramm 1992). Dieser Lernortpluralismus läßt verschiedene Autoren schon seit längerer Zeit die Rede vom d. zunehmend irreführender und fragwürdiger erscheinen und folglich vom trialen (etwa Lutz 1976, Schanz 1982) oder pluralen System (beispielsweise Münch 1979, Kutscha 1992) sprechen. Das d., welches aus der Zunftlehre des Mittelalters hervorgegangen ist, verfügt in Deutschland, Österreich und der Schweiz über eine lange Tradition (Stratmann/ Schlösser 1990). In Ländern wie etwa Frankreich, Belgien, Schweden und Italien hingegen erfolgt die Berufsausbildung überwiegend in rein schulischen Modellen. Gegenwärtig absolvieren rund 1,6 Millionen deutsche Jugendliche eine Ausbildung (vgl. BIBB 2010, S. 96). Ziele: Im Rahmen der kombinierten Ausbildung sollen die Jugendlichen in einem staatlich anerkannten Lehrberuf ausgebildet werden. Die Vermittlung der Kenntnisse und Fertigkeiten erfolgt dabei an beiden Lernorten, jedoch aufgrund ihrer je spezifischen pädagogisch-didaktischen Funktionen und Rahmenbedingungen mit unterschiedlicher Gewichtung. Die traditionelle Zielsetzung, wonach die Betriebe eine praxisorientierte und systemspezifische Unterweisung anstreben und die Berufsschulen auf einen theoriegeleiteten, systemunabhängigen Unterricht abzielen, gilt nach Albers (1991, S. 486) in der heutigen Zeit nicht mehr uneingeschränkt. Der hohe Pädagogisierungsgrad der betrieblichen Berufsausbildung einerseits und die Schaffung von Praxisräumen in den Berufsschulen andererseits lassen die einzelnen Tätigkeitsbereiche teilweise überlappen. Neben der fachspezifischen Qualifizierung der Auszubildenden hat das d. auch eine Sozialisationsfunktion und Allokationsfunktion (Verteilung der Jugendlichen auf dem → Arbeitsmarkt, Zuteilung von Berechtigungen). Rechtsgrundlagen: Die Dualität der beruflichen Erstausbildung spiegelt sich auch im zugrundeliegenden Rechtssystem mit verschiedenen Zuständigkeiten wider: Die Berufsausbildung in Betrieben unterlag bis
duales System der Berufsausbildung
zum 31. März 2005 dem Berufsbildungsgesetz vom 14. August 1969; sofern eine handwerkliche Berufsausbildung vorlag, war auch noch die Handwerksordnung vom 17. September 1953 gültig. Die Sicherung des Fachkräftebedarfs der Wirtschaft, der Mangel an betrieblicher Ausbildungskapazität, die Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, die Kostendiskussion der Berufsausbildung im Betrieb, neue Qualifizierungsbedarfe, die gewandelte Vorbildungsstruktur und das höhere Lebensalter der Auszubildenden machten eine Novellierung dieser Regelwerke der dualen Ausbildung unerläßlich. Mit dem vom Bundestag am 27. Januar 2005 beschlossenen Berufsbildungsreformgesetz (vgl. Deutscher Bundestag 2005) und der vom Bundesrat am 18. Februar 2005 erteilten Zustimmung zu diesem Reformgesetz wurden das alte Berufsbildungsgesetz und die Handwerksordnung novelliert. Am 1. April 2005 wurden das neue Berufsbildungsgesetz und die neue Handwerksordnung in Kraft gesetzt, um eine qualitativ wie quantitativ hochwertige Stabilisierung des dualen Systems zu erreichen. „Ziel der Reform ist es, jungen Menschen beim Einstieg in die Berufswelt die volle berufliche Handlungsfähigkeit in einem breit angelegten Tätigkeitsbereich für qualifizierte Fachkräfte zu vermitteln, die sie befähigt, den sich stetig wandelnden Anforderungen der Arbeitswelt gerecht zu werden und damit den Grundstein für ein selbst bestimmtes Leben zu legen.“ (BMBF 2005 a, S. 4) Gegenüber dem bisherigen Berufsbildungsgesetz zeigen sich mit Blick auf die Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität dualer Berufsausbildung folgende Änderungen: Stärkung der Lernortkooperation, Aufwertung der Berufsschule, Förderung der Verbundausbildung, Zulassung der gestreckten Abschlußprüfung, Förderung der Stufenausbildung, Verlängerung der Probezeit, Forcierung eines Qualitätsmanagements, Möglichkeit zur Realisierung von Ausbildungssegmenten im Ausland und Verringerung der gesetzlichen Beratungsgremien. (Vgl. etwa BMBF 2005 b) Die in den Berufsschulen durchgeführte Berufsausbildung fällt dagegen aufgrund
duales System der Berufsausbildung
der durch das Grundgesetz festgelegten Kulturhoheit der Länder in den Geltungsbereich der Schulgesetze der einzelnen Bundesländer. Die Schulpflichtgesetze regeln auch die → Berufsschulpflicht der in einem Ausbildungsverhältnis im Sinne des Berufsbildungsgesetzes stehenden Auszubildenden. Von Mai 2003 bis Juli 2009 kam es angesichts der Ausbildungsplatznot zu einer Aussetzung der Ausbilder-Eignungsverordnung (AEVO). Gemäß § 1 der AEVO (vom 21. Januar 2009) haben Ausbilder „für die Ausbildung in anerkannten Ausbildungsberufen nach dem Berufsausbildungsgesetz den Erwerb der berufs- und arbeitspädagogischen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten nach dieser Verordnung nachzuweisen.“ (AEVO 2009) Die AEVO wurde in novellierter Form mit 1. August 2009 wieder in Kraft gesetzt (vgl. etwa Ulmer/ Gutschow 2009, S. 48 ff). Curricular-didaktische Struktur: Betrieb und Berufsschule haben einen gemeinsamen Bildungs- und Erziehungsauftrag, wobei die durch die betrieblichen → Ausbilder zu vermittelnden Lerninhalte durch die → Ausbildungsordnungen festgelegt werden und sich die Berufsschullehrer bei ihrem Unterricht an den Rahmenlehrplänen der Kultusministerkonferenz orientieren. Die Ausbildungsordnungen werden vom → Bundesinstitut für Berufsbildung gemeinsam mit Wirtschafts- und Gewerkschaftsvertretern erarbeitet und vom zuständigen Bundesminister erlassen. Im Zentrum der Ausbildungsordnungen, welche nur Mindestbedingungen für die Berufsausbildung formulieren, steht neben dem → Ausbildungsberufsbild und den Prüfungsanforderungen der → Ausbildungsrahmenplan. In den berufsschulischen Rahmenlehrplänen finden sich neben speziellen Leitlinien und Unterrichtsprinzipien etwa die Lerngebiete, Lehr-/Lernziele, Inhalte und Zeitrichtwerte. Vorzüge: Dem d. kommt zweifellos ein herausragender Stellenwert im beruflichen Bildungswesen zu. Als Vorteile der dualen Ausbildung (versus vollzeitschulische Berufsausbildung) lassen sich beispielsweise nennen (Neuberger 1991, Schelten 1991, 189
duales System der Berufsausbildung
Sommer 1991, Niedermair 2000): Integration der Berufsausbildung in die Praxis; Ernstcharakter der betrieblichen Aufgaben; Motivation der Jugendlichen durch konkrete praktische Arbeit; breites methodischdidaktisches Spektrum; Einübung von Sozialverhalten vor Ort; sinnvolle Aufgabenteilung zwischen Betrieb und Schule zum Erwerb komplexer Berufsqualifikationen und extrafunktionaler Kompetenzen, wie etwa Teamfähigkeit; frühzeitige Eingliederung des Jugendlichen in die Arbeitswelt der Erwachsenen; flexible Anpassung der Ausbildung an die aktuellen Arbeitsanforderungen im Beschäftigungssystem. Perspektiven: Die Kritik am dualen Ausbildungssystem und dem aktuellen Berufsausbildungsgesetz ist hinlänglich bekannt. Beispielsweise wird von Seiten des Gewerkschaftsbundes die Verlängerung der Probezeit auf vier Monate beanstandet, zumal diese die rechtliche Situation der neuen Auszubildenden verschlechtere (vgl. DGB 2005). Hinsichtlich der Kooperation der Lernorte ist aufgrund vorliegender Studienergebnisse (vgl. etwa Beicht/Krewerth/ Eberhard/Granato 2009, Ebbinghaus 2009) festzuhalten, dass diese nach wie vor unzureichend ist. Angesichts der (durchaus berechtigten) Kritik, der Globalisierung, der demografischen Entwicklungen, der technologischen Veränderungen und des → Wertewandels sind zweifellos Modernisierung und Qualitätsentwicklung geboten. So haben bereits im Jahr 2005 Lorenz/Ebert/Krüger (S. 173) darauf hingewiesen, dass die berufliche Bildung in Deutschland engagiert daran wird arbeiten müssen, „sich ein modernes, makromodulares Konzept der Gestaltung beruflicher Bildungsbiografien zu geben.“ Seitens des Innovationskreises beruflicher Bildung wurden zwischenzeitlich Empfehlungen und Handlungsvorschläge zur Modernisierung und Strukturverbesserung erarbeitet (vgl. BMBF 2007). In diesen wird u. a. für die Reduzierung der gegenwärtig 349 Ausbildungsberufe plädiert (S. 18). Nach Weiß (2010, S. 29) ergeben sich Impulse für eine intensive Qualitätsentwicklung aus zwei Tendenzen. „Zum einen wird die 190
duales System der Berufsausbildung
Einführung eines Qualifikationsrahmens und die Zuordnung von Abschlüssen zu Niveaustufen einen Nachweis über den erreichten Lernstand sowie von Sicherungssystemen für die Qualität erforderlich machen. Zum anderen wird aufgrund der rückläufigen Zahl der Schulabgänger ein verstärkter Wettbewerb zwischen den Betrieben und den Branchen um qualifizierte Auszubildende entstehen. Ein wichtiges Wettbewerbskriterium wird dabei die Qualität der Ausbildung werden.“ Literatur: Abel, H./Groothoff, H. H.: Die Berufsschule, Gestalt und Reform. Darmstadt 1959; Albers, H.-J.: Das berufliche Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland. In: Roth, L. (Hg.): Pädagogik. München 1991, S. 482 – 490; Ausbilder-Eignungsverordnung (AEVO) vom 21. Januar 2009; Beicht, U./Krewerth, A./ Eberhard, V./Granato, M.: Viel Licht – aber auch Schatten. Qualität dualer Berufsausbildung in Deutschland aus Sicht der Auszubildenden (BIBB-Report, Heft 9. Bonn 2009); Berchtold, S./Trummer, M.: Auf dem Weg zur lernenden Übungsfirma. Wien 2000; Bundesinstitut für Berufsbildung BIBB): Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2010. Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung. Bonn 2010; Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF): Reform der beruflichen Bildung. Berufsbildungsgesetz 2005 a. Berlin 2005; Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF): Reform der beruflichen Bildung. Chance und Verläßlichkeit durch Innovation und Qualität. Zum Berufsbildungsgesetz 2005 b. Berlin 2005; Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF): 10 Leitlinien zur Modernisierung der beruflichen Bildung. Ergebnisse des Innovationskreises berufliche Bildung. Bonn – Berlin 2007; Bunk, G. P.: Einführung in die Arbeits-, Berufs- und Wirtschaftspädagogik. Heidelberg 1982; Deutscher Ausschuß für das Erziehungsund Bildungswesen: Gutachten über das Berufliche Ausbildungs- und Schulwesen. In: Ders. (Hg.): Empfehlungen und Gutachten. Folge 7/8. Stuttgart 1964, S. 51 – 154; Deutscher Bundestag: Drucksache 15/4752.
duales System der Berufsausbildung
Berlin 2005; Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB): Berufsbildungsgesetz – Was hat sich verändert? Berlin 2005; Ebbinghaus, M.: Ideal und Realität betrieblicher Ausbildungsqualität. Sichtweisen ausbildender Betriebe. (Wissenschaftliche Diskussionspapiere, Heft 109). Bonn 2009; Kutscha, G.: Das Duale System der Berufsausbildung in der Bundesrepublik Deutschland – ein auslaufendes Modell? In: Die berufsbildende Schule 44 (1992), S. 145 – 156; Lorenz, K./ Ebert, F./Krüger, M.: Das neue Berufsbildungsgesetz – Chancen und Grenzen für die berufsbildenden Schulen in Deutschland. In: Wirtschaft und Erziehung 56, (2005), S. 167 – 173; Lutz, W.: Die Gemeinschaftslehrwerkstatt und ihre Bedeutung für die Berufsausbildung im dualen System. In: Die Deutsche Berufs- und Fachschule 4 (1976), S. 267 – 274; Münch, J.: Das Duale System. Lehrlingsausbildung in der Bundesrepublik Deutschland. Bonn 1979; Neuberger, O.: Personalentwicklung. Stuttgart 1991; Niedermair, G.: So fördern Sie die Teamfähigkeit. In: Cramer, G./Kiepe, K. (Hg.): Jahrbuch Ausbildungspraxis 2000. Erfolgreiches Ausbildungsmanagement. Köln 2000, S. 118 – 122; Schanz, H.: System der Berufsbildung – Darstellung und Kritik. In: Schanz, H. (Hg.): Berufspädagogische Grundprobleme. Stuttgart 1982, S. 147 – 217; Schelten, A.: Einführung in die Berufspädagogik. Stuttgart 1991; Sommer, K.-H.: Betriebliche Ausbildung: In: Roth, L., a.a.O., S. 491 – 506; Stratmann, K./Schlösser, M.: Das Duale System der Berufsbildung. Frankfurt am Main 1990; Tramm, T.: Entwicklungsperspektiven der Übungsfirmen- und Lernbüroarbeit aus der Sicht einer Didaktik handlungsorientierten Lernens. In: Wirtschaft und Erziehung 43, 1992, S. 248 – 259; Ulmer, P./Gutschow, K.: Die Ausbilder-Eignungsverordnung 2009: Was ist neu? In: BWP, Heft 3, S. 48 – 51; Weiß, R.: Qualität der Berufsbildung aus unterschiedlichen Perspektiven: Indikatoren und Bewertungen. In: Niedermair, G. (Hrsg.): Qualitätsentwicklung in der beruf-
dynamische Unfallversicherung
lichen Bildung. Ansprüche und Relaitäten. Linz 2010, S. 15 – 32. Prof. Dr. Gerhard Niedermair, Linz Dumping zwischenstaatliche Preisdifferenzierung, bei der → Güter zu einem unter den → Selbstkosten des Exporteurs liegenden → Preis im Ausland angeboten werden, um den dortigen Marktpreis zu unterlaufen. durchlaufende Posten → Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer). durchschnittlicher Steuersatz ⇒ Durchschnittsbelastung → Durchschnittssteuersatz. Durchschnittsbelastung ⇒ durchschnittlicher Steuersatz → Durchschnittssteuersatz. Durchschnittskosten ⇒ Stückkosten. Durchschnittssteuersatz ⇒ durchschnittlicher Steuersatz ⇒ Durchschnittsbelastung Begriff des Einkommensteuerrechts; gibt an, mit wieviel vom Hundert das jeweilige → Einkommen insgesamt belastet wird. Im Gegensatz zu Grenzbelastung (Grenzsteuersatz). dynamische Rente Bezeichnung für die seit 1957 – teils automatisch, teils gesetzlich – an die Entwicklung des Lohn- und Preisniveaus angepaßten (dynamisierten) → Renten der → Arbeiter und → Angestellten. Siehe auch: → Rentenversicherung und → Rentenformel. dynamischer Wettbewerb marktwirtschaftliches Konkurrenzverhalten, das durch Vorstoß und Verfolgung gekennzeichnet und somit Ausdruck des ökonomisch- → technischen Fortschritts ist. → Wettbewerb. dynamische Unfallversicherung → Unfallversicherung.
191
E-Banking
effektiver Jahreszins
E E-Banking ⇒ Electronic Banking. Ebit (engl. = Earnings before Interest and Taxes), → Betriebsergebnis vor (Berücksichtigung der) → Zinsen und → Steuern. Ebitda (engl. = Earning before Interest, Taxes, Depreciation and Amortisation), → Betriebsergebnis vor (Berücksichtigung der) → Zinsen, → Steuern und → Abschreibungen. EBRD Abk. für: European Bank for Reconstruction and Development, Europäische Bank für Wiederauf bau und Entwicklung. 1991 mit Sitz in London gegründet, widmet sich diese Einrichtung der Aufgabe, den Transformationsprozeß ehemals zentralverwaltungswirtschaftlich (→ Zentralverwaltungswirtschaft) organisierter Staaten in → Marktwirtschaften zu unterstützen. Der E. gehören derzeit 61 Länder als Mitglieder an. E-Commerce Verkauf von Waren und → Dienstleistungen über das Internet. ec Abk. für electronic cash. e. symbolisiert das → Debitkarten-System des Zentralen Kreditausschusses (ZAK), der Vertretung der deutschen kreditwirtschaftlichen Spitzenverbände. Karten mit dem e.-Logo werden von den → Kreditinstituten (üblicherweise) in Verbindung mit einem → Girokonto ausgegeben. Mittels der Karte kann der Karteninhaber bei Eingabe seiner → PIN über einen EFT-POS-Terminal (ElectronicFunds-Transfer-Terminal) zahlen oder an Geldautomaten Bargeld abheben. – Das zunächst auf der Karte geführte Kürzel „e.“ wurde nach und nach durch den Schriftzug Girocard mit einem blau-weißen (eine Zahlentastatur markierenden) Logo ersetzt. 192
Ecklohn tarifvertraglich (→ Tarifvertrag) festgesetzter Stundenlohn für die normale Facharbeitergruppe über 21 Jahre; er bildet die Ausgangsgröße für (prozentuale) Zu- und Abschläge anderer → Lohngruppen, wie Ungelernte, Angelernte, qualifizierte Angelernte, Facharbeiter usw. In den tariflichen Lohnverhandlungen geht es meist nur noch um den E. ECU Abk. für European Currency Unit. Von 1979 bis 1998 Währungseinheit (→ Währung) des → Europäischen Währungssystems (EWS). Dem E. kamen folgende Funktionen zu: 1. Bezugsgröße für die → Wechselkurse, 2. Indikator für Wechselkursabweichungen, 3. Rechengröße für → Forderungen und → Verbindlichkeiten im EWS und 4. Zahlungsmittel und Reserveinstrument (→ Währungsreserven) der → EU-Zentralbanken. Der E. war als Währungskorb definiert, der sich aus festen Beträgen der am EWS beteiligten Währungen zusammensetzte. Mit dem Beginn der → EWWU am 1.1.1999 wurde der amtliche ECU abgeschafft. Der → Euro trat an die Stelle der bisherigen nationalen Währungen der (EWWU-)Mitgliedsländer. EEA Abk. für → Einheitliche Europäische Akte. Effekten fungible (d. h. vertretbare, → Fungibilität) → Wertpapiere, die an der → Börse frei gehandelt werden und einen wiederkehrenden Anspruch auf Ertrag verbriefen. effektiver Jahreszins im Gegensatz zum → Nominalzins der tatsächliche → Zins. 1. bei → festverzinslichen Wertpapieren: Nominalzins e. = ___________ × 100 Kurs Beispiel: Ein festverzinsliches Wertpapier mit einem → Nennwert von 100 Euro wird zu einem → Kurs von 80 Euro gekauft; der Nominalzins beträgt 4 Prozent.
effektiver Jahreszins ___ 4
e. = 80 × 100 = 5 %. 2. im Kreditgeschäft der Banken: (Zinsen + Kreditkosten) × 2400 e. = _________________________ Kreditsumme × (Laufzeit + 1) Beispiel: Kreditsumme Euro 20 000 Zinsen Euro 7 000 Bearbeitsgebühren 3 % aus der Kreditsumme Euro 600 Kreditvermittlungskosten 5 % aus der Kreditsumme Euro 1 000 Laufzeit 48 Monate (7000 + 600 + 1000) × 2400 ______________________ = 21,06 % e. = 20 000 × (48 + 1) Effektivlohn der von Seiten des → Arbeitgebers an den → Arbeitnehmer tatsächlich gezahlte → Lohn. Der E. ergibt sich aus dem → Tariflohn, den übertariflichen Lohnzuschlägen und den Überstundenvergütungen. Effektivzins → effektiver Jahreszins. EFTA Abk. für: European Free Trade Association (Europäische Freihandelszone). 1960 als wirtschaftliche Gegenmacht zur → EWG gegründet, verbindet heute die Länder Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz. Die Mitgliederstaaten der E. (ausgenommen die Schweiz) schlossen sich am 1. 1. 1994 mit der → EU zum → Europäischen Wirtschaftsraum zusammen. eG Abk. für: eingetragene → Genossenschaft. EG Abk. für: Europäische Gemeinschaft(en); umfaßt seit 1957 die → Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, Montanunion, seit 1951), die → Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, seit 1957) und → EURATOM (Europäische Atomgemeinschaft, seit 1957). Den ursprünglich (1951) sechs Staaten, Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und Niederlande, schlossen sich 1973 Großbritannien, Dänemark und Irland, 1981 Griechenland und 1986 Spanien und Portugal an. Der Beitritt von Schwe-
EG
den, Finnland und Österreich erfolgte zum 1. 1. 1995. Mit der → „Einheitliche Europäische Akte“ (EEA) von 1987 beschlossen die Mitglieder eine Stärkung und Weiterentwicklung der E., eine Zusammenarbeit in der Außenpolitik sowie eine Vollendung des E.-Binnenmarktes zum 1. 1. 1993. Mit ihr wurden bislang noch bestehende → Handelshemmnisse beseitigt und damit gerechtere Wettbewerbsbedingungen zwischen den Gemeinschaftsmitgliedern hergestellt. Auch die → Freizügigkeit für → Arbeitnehmer und → Selbständige, der freie Dienstleistungsverkehr fürVersicherungen und Banken sowie die vollständige Liberalisierung des → Kapitalverkehrs wurden für diesen Zeitpunkt angesetzt. Am 9./10. 12. 1991 haben dieE.-Staats- und Regierungschefs in Maastricht (Niederlande) im Rahmen einer Europäischen Union (mit einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und Zusammenarbeit in der Innen- und Rechtspolitik) eine → Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) vereinbart, die ab 1993 schrittweise verwirklicht wurde. Die Bezeichnung → Europäische Union (EU) ersetzt die bisherige Bezeichnung E. seit 1. 11. 1993. Zum 1. 1. 2001 wurde Griechenland in die Währungsunion aufgenommen. Mit der sogenannten Osterweiterung traten zum 1. 5. 2004 zehn weitere Staaten der Europäischen Union bei: Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, die Slowakische Republik, Slowenien, die Tschechische Republik, Ungarn und Zypern. Von den neuen Mitgliedstaaten traten Estland, Litauen und Slowenien am 27. 6. 2004 sowie Lettland, Malta und Zypern am 2. 5. 2005 dem → WKM II bei. Sie verpflichten sich damit auf die Anstrebung der → Konvergenzkriterien. Slowenien vollzog danach bereits zum 1. 1. 2007 den Schritt in die Währungsunion. Malta und Zypern folgten zum 1. 1. 2008, die Slowakei zum 1. 1. 2009. Die übrigen neuen (Wirtschaftsunions-) Mitgliedsstaaten haben ihren Beitritt in die Währungsunion noch nicht terminiert. Der Beitritt von Bulgarien und Rumänien zur Europäischen Wirtschaftsunion erfolgte zum 1. 1. 2008. 193
EG
Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei werden nach einem Beschluß der 25 Außenminister der Europäischen Unionsländer vom 30. Oktober 2005 in Luxemburg in einem Zeitkorrridor von 10 – 15 Jahren angestrebt. EU und → EFTA (ausgenommen die Schweiz) haben sich zum 1. 1. 1994 zum → Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zusammengeschlossen. Damit erlangen alle 30 Teilnehmerstaaten die vier Freiheiten des Binnenmarktes: Freizügigkeit für Personen, Waren, → Dienstleistungen und → Kapital. Darüber hinaus übernehmen die EFTA-Partner fast die gesamte Wirtschaftsgesetzgebung der EU (d. h. die früheren E.Richtlinien). Ausnahmen sind generell für die Agrarpolitik, die Fischerei und den Verkehr vereinbart. Egalitarismus → Ungleichheit. EG-Agrarmarktordnung → Agrarmarktordnungen (in der → EU). EGKS Abk. für: Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. 1952 zur Europäisierung der Montanindustrie zwischen Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden gegründet. Ging 2002 in der → EU auf. Ehegüterrecht → eheliches Güterrecht. eheliches Güterrecht gesetzliche Regelung der vermögensrechtlichen Beziehungen der Ehegatten (§§ 1363 – 1563 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Die Eheschließung hat Auswirkungen auf das → Vermögen der Ehegatten. Nach Ehegüterrecht haben die Ehegatten mehrere Möglichkeiten, ihre Vermögensverhältnisse zu gestalten und damit einen bestimmten Güterstand zu vereinbaren. Seit dem Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes am 1. 7. 1958 sind drei Güterstände möglich: die Zugewinngemeinschaft, die Gütertrennung und die Gütergemeinschaft. 1. Der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft (§§ 1363 – 1390 BGB) 194
eheliches Güterrecht
gilt immer dann, wenn die Ehegatten nicht durch einen notariell beurkundeten (→ notarielle Beurkundung) Ehevertrag einen der beiden anderen Güterstände vereinbaren (vereinbarte Güterstände). In der Zugewinngemeinschaft bleiben die Vermögen der beiden Ehegatten getrennt; jeder verwaltet und nutzt sein Vermögen selbst, darf aber über ihm gehörende Gegenstände des gemeinsamen → Haushalts und über sein Vermögen als Ganzes nur mit Einwilligung seines Partners verfügen. Endet die Zugewinngemeinschaft anders als durch den Todeines Ehegatten durch Scheidung, Aufhebung der Ehe oder durch Vereinbarung eines anderen Güterstandes, so ist der beiderseitige Zugewinn festzustellen und auszugleichen (§ 1372 BGB). Als Zugewinn gilt der Betrag, um den das Endvermögen eines Ehegatten sein Anfangsvermögen übersteigt. Übersteigt der Zugewinn des einen Ehegatten den des anderen, so steht die Hälfte des Überschusses dem anderen Ehegatten als Ausgleichsforderung zu (Zugewinnausgleich, §§ 1374 – 1378 BGB). Bei der Berechnung des Anfangs- und Endvermögens sind die Schulden abzuziehen. Während der Ehe erhaltene Erbschaften, Schenkungen und Ausstattungen gelten nicht als Zugewinn. Endet die Zugewinngemeinschaft durch Tod eines Ehegatten, so gestaltet sich der Ausgleich des Zugewinns derart, daß der gesetzliche Erbteil (→ gesetzliche Erbfolge) des überlebenden Ehegatten um ein Viertel erhöht wird. Diese Regelung läßt unberücksichtigt, ob ein Zugewinn erzielt wurde und ob der überlebende Ehegatte einen höheren Zugewinn machte. Falls der überlebende Ehegatte – gleichgültig aus welchem Grunde – nicht erbt oder eine Erbeinsetzung oder ein → Vermächtnis ausschlägt, so kann er Anspruch auf Ausgleich des Zugewinns in Höhe der Differenz der Zugewinne beider Ehegatten erheben und → Pflichtteil verlangen. Der Pflichtteil bestimmt sich nach dem nicht erhöhten gesetzlichen Erbteil (§ 1371 Abs. 2, 3 BGB). 2. Im vereinbarten Güterstand der Gütertrennung sind die Vermögen der Ehegatten rechtlich getrennt. Beide Partner können ihr Vermögen allein verwalten und dürfen
eheliches Güterrecht
darüber frei verfügen. Es bestehen für sie keinerlei Verfügungsbeschränkungen. Mit Ausnahme von Geschäften zur Deckung des Lebensbedarfes (§ 1357 BGB) haftet jeder Ehegatte nur für seine Schulden. Die Ehegatten stellen sich in vermögensrechtlicher Hinsicht wie Unverheiratete. Die gesetzliche Erbquote des überlebenden Ehegatten ist so bemessen, daß sie niemals kleiner ist als die der Abkömmlinge des Erblassers. 3. Im vereinbarten Güterstand der Gütergemeinschaft wird das vorhandene und das erworbene Vermögen zum gemeinschaftlichen Vermögen (Gesamtgut, § 1416 BGB) beider Ehegatten. Getrennt bleiben Sondergut (das sind Gegenstände, die nicht durch → Rechtsgeschäfte übertragen werden können, wie zum Beispiel Nießbrauchrechte (→ Nießbrauch) oder → unpfändbare → Forderungen auf → Lohn und → Gehalt, § 1417 BGB) und Vorbehaltsgut (hierzu gehören alle Gegenstände, die ein Ehegatte durch → Schenkung oder → Erbschaft erwirbt oder die im Ehevertrag ausdrücklich zum Vorbehaltsgut erklärt wurden, § 1418 BGB). Das Gesamtgut haftet grundsätzlich für die Verbindlichkeiten jedes Ehegatten. Die vermögensrechtliche Auseinandersetzung der Ehegatten erfolgt durch Teilung mit Vorzugsrechten für eingebrachte, ererbte oder geschuldete Vermögenswerte. Der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft und der vereinbarte Güterstand der Gütergemeinschaft können durch Ehevertrag verändert oder ergänzt werden (modifizierter Güterstand). EIB → Europäische Investitionsbank. Eichel-Rente ⇒ private (kapitalgedeckte) Altersvorsorge seit 2002 angebotene, nach dem seinerzeitigen Bundesfinanzminister Hans Eichel benannte private Altersvorsorge, die durch eine Entgeltumwandlung im arbeitgebenden → Unternehmen gespeist wird. Nach diesem (privaten) Vorsorge-Modell kann der → Arbeitnehmer bis zu vier Prozent seines → Bruttogehaltes (derzeit [2012] maximal 2544 Euro) über einen Betriebsrentensparvertrag der → betrieblichen Altersvorsorge
eigene Rechtspersönlichkeit
zuleiten. Diese Beiträge sind steuer- und auch sozialabgabefrei. Seit 2006 können jährlich zusätzlich 1800 Euro steuerfrei eingezahlt werden; dieser Zusatzbetrag unterliegt allerdings der Sozialabgabepflicht. eidesstattliche Versicherung rechtlich normierte Form der Beteuerung der Richtigkeit einer Erklärung. 1. im Zivilprozeß: in der Regel kein zulässiges → Beweismittel. 2. bei der → Zwangsvollstreckung vom → Schuldner abzugeben, wenn der → Gläubiger wegen einer Geldforderung vollstrecken läßt und die Zwangsvollstreckung fruchtlos verlief oder voraussichtlich fruchtlos verlaufen wird. Die e. enthält die Erklärung, daß ein von ihm vorzulegendes Vermögensverzeichnis vollständig und richtig ist. Das Verzeichnis hat auch die Vermögenswerte auszuweisen, die der Schuldner (1) im letzten Jahr an den Ehegatten oder an Verwandte veräußert, (2) an Dritte verschenkt oder (3) in den letzten 2 Jahren dem Ehegatten verschenkt hat. 3. im Insolvenzverfahren vom Schuldner auf Antrag des Insolvenzverwalters über die Richtigkeit und Vollständigkeit des Inventarverzeichnisses abzugeben. 4. wegen Steuerschulden auf Verlangen des Finanzamtes vom Steuerpflichtigen abzugeben, wenn Vollstreckungsversuche in das bewegliche Vermögen erfolglos geblieben oder aussichtslos sind. Zuständig für die Abgabe einer e. ist das Amtsgericht beziehungsweise das Finanzamt, in dessen Bezirk der Schuldner seinen Wohnsitz hat. Die Abgabe einer falschen e. ist nach §§ 156, 163 Strafgesetzbuch straf bar. EIF → Europäischer Investitionsfonds. Eigenbedarf → berechtigtes Interesse. Eigenbesitz → Besitz. eigene Rechtspersönlichkeit → Rechtsfähigkeit. 195
Eigenfinanzierung
Eigenfinanzierung → Finanzierung aus (→ Unternehmens-) → Gewinnen (→ Selbstfinanzierung) und durch Einlagen (→ Eigenkapital) der Eigner oder Gesellschafter. Eigeninteresse ⇒ Selbstinteresse ⇒ Eigennutz die nach (klassisch-)liberaler Auffassung (→ Individualismus, → Adam Smith) den Menschen in seinem Handeln und Verhalten leitende Grundantriebskraft. Eigenkapital im Gegensatz zum → Fremdkapital solche Mittel beziehungsweise in Geldwerten ausgedrückte Anteile am → Betrieb, die dem/ den Eigentümer(n)/Gesellschafter(n) einer → Unternehmung gehören. Eigennutz → Eigeninteresse. Eigentümergrundschuld → Grundschuld, die für den Grundstückseigentümer bestellt ist (§ 1196 Bürgerliches Gesetzbuch). Die Bestellung einer E. dient der Absicht, die damit belegte Rangstelle im → Grundbuch für eine spätere Belastung freizuhalten. So kann eine solche E. später auf einen Dritten übertragen und damit in eine → Fremdgrundschuld umgewandelt werden. Eigentum die rechtliche Herrschaft über eine Sache (→ Sachen). Das E. ist das weitestgehende Recht an einer Sache. Nach § 903 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) kann der Eigentümer einer Sache, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, über die Sache nach Belieben verfügen und andere von jeder Einwirkung ausschließen. Diese Freiheit wird allerdings durch die soziale Bindung des E. nach Artikel 14 Grundgesetz (GG) begrenzt. Hier heißt es: „E. verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Dies gilt insbesondere für Grundeigentum. I. Eigentumserwerb: 1. an → beweglichen Sachen kann E. auf folgende Weise erworben werden: (1) im Rahmen eines → Rechtsgeschäftes (z. B. → Kaufvertrag) (a) durch 196
Eigentum
→ Einigung und → Übergabe oder falls der Erwerber schon im → Besitz der Sache ist, nur durch Einigung (§ 929 BGB); (b) durch Einigung und Einräumung eines → Besitzmittlungsverhältnisses (Besitzkonstitut) wie → Miete, → Leihe, → Verwahrung (d. h. es wird vereinbart, daß statt der Übergabe der Veräußerer die zu übereignende Sache im Wege der Miete, Leihe, Verwahrung u. ä. weiter im Besitz behält, § 930 BGB); (c) durch Einigung und → Abtretung des Herausgabeanspruches gegen einen Dritten, der die Sache im Besitz hat (§ 931 BGB). – Veräußert jemand im Rahmen eines Rechtsgeschäftes (z. B. eines Kaufvertrages) eine Sache, die ihm nicht gehört, so erwirbt der Erwerber E., wenn er annehmen konnte, daß der Veräußerer Eigentümer sei (gutgläubiger Erwerb von E., § 932 BGB). Der Erwerber erwirbt kein E., wenn die Sache gestohlen, verlorengegangen oder sonstwie abhandengekommen ist, sofern es sich nicht um Geld, → Inhaberpapiere oder öffentlich versteigerte Sachen handelt (§ 935 BGB). (2) kraft Gesetzes durch → Ersitzung, durch → Verbindung mit einem Grundstück oder einer anderen Sache als wesentlicher Bestandteil (§§ 946, 947 BGB), → Vermischung (§ 948 BGB), → Verarbeitung (§ 950 BGB), Ausbeutung fremder Sachen aufgrund eines → Aneignungsvertrages (§ 954 BGB), → Aneignung einer herrenlosen Sache (§ 958 BGB) und → Fund, falls sich der Empfangsberechtigte innerhalb von 6 Monaten nach Anzeige nicht meldet (§ 973 BGB). 2. an Grundstücken (bebaute und unbebaute) kann E. auf folgende Weise erworben werden: (1) im Rahmen eines Rechtsgeschäftes (z. B. Kaufvertrag) durch die als → Auflassung bezeichnete Einigung des Veräußerers und Erwerbers vor einem Notar oder dem Grundbuchamt beim Amtsgericht (§§ 873, 925 BGB) und die → Eintragung im → Grundbuch; (2) durch → Ersitzung, wenn jemand das Grundstück 30 Jahre lang im Besitz hat (§§ 900 u. 927 BGB); (3) durch → Zuschlag in der → Zwangsversteigerung; (4) durch Enteignungsbeschluß (→ Enteignung); (5) durch → Gesamtrechtsnachfolge (z. B. Erbschaft, § 1922 BGB, → Güter-
Eigentum
gemeinschaft, §§ 1415 ff. BGB); (6) durch → Aneignung eines herrenlosen Grundstückes (§ 928 BGB). – Das E. an bebauten und unbebauten Grundstücken geht verloren durch Übertragung im Rahmen eines Rechtsgeschäftes, Ersitzung, Zwangsversteigerung, → Enteignung, Verzicht und Anschlußurteil gegen einen unbekannten Eigentümer. II. Formen von E.: Neben dem → Alleineigentum, bei dem die rechtliche Sachherrschaft einer Person zusteht, kennt unsere Rechtsordnung das gemeinsame E. Es tritt in folgenden Formen auf: 1. als Miteigentum nach Bruchteilen (jedem Eigentümer gehört ein frei verfügbarer Anteil, die Verwaltung erfolgt gemeinsam, §§ 1008 ff. BGB, z. B. Sammelverwahrung von → Wertpapieren) und 2. als Eigentum zur gesamten Hand (allen Eigentümern gehört alles gemeinsam, sie können nur gemeinsam über die Anteile verfügen, §§ 718 ff. BGB, z. B. Einlagen der → oHG-Gesellschafter). Eigentumserwerb → Eigentum. Eigentumsordnung ⇒ Eigentumsverfassung konstitutives Element einer jeden → Wirtschaftsordnung mit den Alternativen → Privateigentum oder → Gemeineigentum an den → Produktionsmitteln. In einer E. mit Privateigentum ist nach der unterschiedlichen Gewichtung der → Sozialpflichtigkeit des → Eigentums zu unterscheiden. Eigentumsrechte 1. privatrechtlich: die unbegrenzte Herrschaft über eine → Sache (siehe auch → Eigentum). 2. ökonomisch: → Ökonomische Theorie der E. Eigentumsverfassung → Eigentumsordnung. Eigentumsvorbehalt besondere Vereinbarung beim → Kaufvertrag über → bewegliche Sachen, durch die sich der Verkäufer das → Eigentum an der verkauften Sache bis zu deren vollständigen Bezahlung vorbehält. Das Eigentum wird unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Zahlung des Kaufpreises
Ein-Euro-Job
übertragen. Der Erwerber der Sache bleibt somit bis zur vollständigen Bezahlung derselben lediglich Besitzer (→ Besitz). Eigentum zur gesamten Hand → Eigentum. Eigenverantwortung ⇒ Selbstverantwortung. Eigenverbrauch 1. umsatzsteuerrechtlich: Entnahme von Gegenständen des Betriebsvermögens (z. B. Waren) zu betriebsfremden Zwecken (Privatverbrauch). Der E. unterliegt der → Umsatzsteuer. 2. E. des Staates (⇒ Staatskonsum, ⇒ Staatsverbrauch): Aufwendungen des Staates für Verwaltungsleistungen (z. B. Sicherheitsleistungen, Unterrichtsleistungen, Gesundheitsbetreuung, allgemeine Verwaltungsleistungen), die der Allgemeinheit ohne entsprechende Gegenleistung (Entgelt) zur Verfügung gestellt werden. einbehaltener Gewinn der insbesondere bei → Kapitalgesellschaften nicht den Gesellschaftern auf ihre Gesellschaftsanteile überlassene → Gewinn(-anteil). Gegensatz: → ausgeschütteter Gewinn. Einbruch- und Raubversicherung selbständige versicherungsmäßige Abdekkung der Gefahren von Einbruch und Raub. Ihr Schutz bezieht sich auf → Sachen, die aus Räumen oder von Grundstücken oder von Transportwegen durch Einbruchdiebstahl oder -versuch abhanden kommen, zerstört oder beschädigt werden. Einbruchdiebstahl im Sinne dieser Versicherung liegt dann vor, wenn der Täter gewaltsam in die Räume eindringt und/oder sich durch Verwendung falscher oder gestohlener Schlüssel Zutritt zu diesen verschafft und versicherte Sachen durch Diebstahl oder Raub an sich nimmt. Die wichtigsten rechtlichen Grundlagen der Einbruch- und Raubversicherung bilden neben dem Versicherungsvertragsgesetz die Allgemeinen Bedingungen für die Versicherung gegen Schäden durch Einbruchdiebstahl und Raub (AERB). Ein-Euro-Job durch das Hartz IV-Gesetz zum 1. 1. 2005 für erwerbsfähige hilfsbedürftige Langzeitarbeitslose eröffnete Möglichkeit, in im öf197
Ein-Euro-Job
fentlichen Interesse liegender gemeinnütziger kommunaler Beschäftigung zusätzlich zum → Arbeitslosengeld II einen Verdienst von mindestens 1 Euro je Stunde (als angemessene Mehraufwandsentschädigung) zu erlangen. Diese Niedriglohnstellen werden von der → Bundesagentur für Arbeit (BA) finanziert. Die maximale wöchentliche → Arbeitszeit beträgt 30 Stunden. Wer länger als 15 Stunden pro Woche arbeitet, wird in der Statistik der BA nicht mehr als → Arbeitsloser geführt. einfaches Zeugnis → Zeugnis. Einfuhr → Import. Einfuhrumsatzsteuer Sonderform der → Umsatzsteuer. Sie wird bei der → Einfuhr von Gegenständen in das Zollgebiet erhoben. eingetragener Verein (e. V.) nicht wirtschaftliche Personenmehrheit (i. d. R. mindestens 7 Personen, § 56 BGB), die durch Eintragung in das Vereinsregister des zuständigen Amtsgerichts nach § 21 BGB den Status einer → juristischen Person erhält. Durch Satzung bestimmt der e. seine eigene Verfassung. Er kann nach §§ 51 ff. Abgabenverordnung durch das Finanzamt als gemeinnützig (→ Gemeinnützigkeit) oder mildtätig eingestuft werden, wenn er derartige Ziele verfolgt. Eingliederungszuschuß im Rahmen der staatlichen → Beschäftigungspolitik durch das → SGB III (§§ 217 ff.) vorgesehener Lohnkostenzuschuß an den → Arbeitgeber für die unbefristete Weiterbeschäftigung von durch → Arbeitslosigkeit bedrohte → Arbeitnehmer wie auch für die unbefristete Einstellung von schwer vermittelbaren → Arbeitslosen, Spätaussiedlern und Behinderten. Eingruppierung die in der Regel mit der → Einstellung oder → Versetzung verbundene Einstufung des → Arbeitnehmers in eine bestimmte betriebliche → Lohngruppe. Über die E. von Arbeitnehmern hat nach Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) der → Arbeitgeber 198
Einigung
den → Betriebsrat zu unterrichten; er hat ihm außerdem die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorzulegen und Auskunft über die betreffende Person zu erteilen. Der Betriebsrat kann der geplanten E. zustimmen oder aber unter bestimmten Voraussetzungen (§ 99 Abs. 2 Nr. 1 – 6 BetrVG) seine Zustimmung verweigern (§ 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG). Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann der Arbeitgeber beim Amtsgericht beantragen, die Zustimmung zu ersetzen (§ 99 Abs. 4 BetrVG). Ersetzt das Amtsgericht die Zustimmung nicht, so muß die Maßnahme unterbleiben beziehungsweise rückgängig gemacht werden. Einheitliche Europäische Akte ⇒ Europäische Akte → EG. Einheitssteuer ⇒ Flat Rate Tax ⇒ Flat Tax. Einheitswert von der Steuerbehörde als Besteuerungsgrundlage ermittelter einheitlicher Substanzwert für wirtschaftliche Vermögenseinheiten, so insbesondere für: land- und forstwirtschaftliche Betriebe, für Grundstücke einschließlich Betriebsgrundstücke, für gewerbliche Betriebe. Die E. werden allgemein festgestellt (Hauptfeststellung): in Zeitabständen von 6 Jahren für Grundbesitz und in Abständen von 3 Jahren für wirtschaftliche Einheiten des Betriebsvermögens. Durch Rechtsverordnung können diese Zeitabstände verkürzt werden. Zwischenzeitliche Wertveränderungen können zu einer Fortschreibung oder Nachfeststellung führen. Rechtliche Grundlage der E.ermittlung bildet das Bewertungsgesetz. Einigung feststehender Begriff im Sachenrecht; bedeutet das Einigsein von Vertragspartnern, daß eine bestimmte Rechtsänderung (d. h. die Änderung eines Rechtszustandes, z. B. der Übergang von → Eigentum) eintreten soll. So sind zur → Übereignung einer → beweglichen Sache E. und → Übergabe, zum Erwerb einer → unbeweglichen Sache (Immobilie) E. (→ Auflassung) und → Eintra-
Einigung
gung im → Grundbuch erforderlich (§§ 929, 873, 925 Bürgerliches Gesetzbuch). Einigungsstelle Einrichtung gemäß § 76 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen → Arbeitgeber und → Betriebsrat, → Gesamtbetriebsrat oder → Konzernbetriebsrat; sie ist bei Bedarf zu schaffen. Durch → Betriebsvereinbarung kann eine ständige E. gebildet werden (§ 76 Abs. 1 BetrVG). Die E. besteht aus einer gleichen Anzahl von Beisitzern, die vom Arbeitgeber und Betriebsrat bestellt werden, und einem unparteiischen Vorsitzenden, auf den sich beide Seiten einigen müssen. Kommt eine Einigung über den Vorsitzenden nicht zustande, so bestellt ihn das Arbeitsgericht (§ 76 Abs. 2 BetrVG). Die E. faßt ihre Beschlüsse unter angemessener Berücksichtigung der Belange des → Betriebes und der betroffenen → Arbeitnehmer nach billigem Ermessen mit Stimmenmehrheit (§ 76 Abs. 3 u. 5 BetrVG). Sie hat damit einen Ermessensspielraum, der als solcher gerichtlich nicht nachgeprüft werden kann. Das Arbeitsgericht kann den Spruch der E. aufheben, wenn diese ihren Ermessensspielraum überschritten hat. Die Überschreitung des Ermessensspielraumes darf das Gericht nur überprüfen, wenn es innerhalb von 2 Wochen nach Zuleitung des Beschlusses der E. vom Arbeitgeber oder Betriebsrat angerufen wird. Außer in den im Betriebsverfassungsgesetz genannten Fällen eines erzwingbaren Einigungsverfahrens kann die E. nur tätig werden, wenn beide Seiten es beantragen oder mit ihrem Tätigwerden einverstanden sind. In diesem Fall ersetzt ihr Spruch die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat nur, wenn beide Seiten sich dem Spruch im voraus unterwerfen oder ihn nachträglich angenommen haben (§ 76 Abs. 6 BetrVG). Die Kosten der E. trägt der Arbeitgeber (§ 76 Abs. 1 BetrVG). Die Beisitzer der E., die dem Betriebsrat angehören, erhalten für ihre Tätigkeit keine Vergütung; sie sind jedoch zur Ausübung ihrer Tätigkeit von ihrer Arbeit ohne Entgeltminderung freizustellen (§ 37 Abs. 2 u. 3. BetrVG entsprechend). Der
Einkommensteuer
Vorsitzende und die Beisitzer der E., die nicht dem Betrieb angehören, haben gegenüber dem Arbeitgeber einen Anspruch auf Vergütung ihrer Tätigkeit. Einkommen die einem → Wirtschaftssubjekt innerhalb eines bestimmten Zeitraumes (z. B. Monat, Jahr) zufließenden Geldbeträge (Geldeinkommen); bezieht das Wirtschaftssubjekt (auch) Waren und/oder → Dienstleistungen, so wären diese als Naturaleinkommen zu klassifizieren. E. kann Entgelt für selbständige oder nichtselbständige → Arbeit(sleistungen) sein (Arbeitseinkommen) oder aber auch aus dem produktiven Einsatz von → Besitz/→ Vermögen/→ Kapital resultieren (Besitzeinkommen/Vermögenseinkommen/Kapitaleinkommen). E., die Wirtschaftssubjekten ohne Gegenleistung aufgrund rechtlicher Ansprüche zufließen (Sozialrenten, Pensionen) werden als Übertragungs- oder Transfereinkommen bezeichnet. Siehe auch: → Bruttoeinkommen und → Volkseinkommen. Einkommen, zu versteuerndes → Einkommensteuer. Einkommensarten ⇒ Einkünfte → Einkommen. Einkommenspolitik Maßnahmen, die darauf abzielen, die Ansprüche des Staates und der gesellschaftlichen Gruppen (insbesondere der → Tarifpartner) auf Teile des → Volkseinkommens (→ Arbeitseinkommen, → Zinsen, → Gewinne) über entsprechende (von der Bundesregierung zur Verfügung gestellte) Orientierungsdaten mit den stabilitätspolitischen Zielen abzustimmen. Siehe auch → Konzertierte Aktion, → Stabilitätspolitik. Einkommensteuer eine vom → Reineinkommen der → natürlichen Personen erhobene Steuer. Ihre Rechtsgrundlagen sind das Einkommensteuergesetz (EStG) v. 2002 und die Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) v. 2000. Unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz und ihren 199
Einkommensteuer
Einkommensteuer
gewöhnlichen Aufenthalt haben (§ 1 EStG, unbeschränkte E.-pflicht). Andere Personen werden nur hinsichtlich ihrer inländischen Einkünfte (siehe weiter unten!) besteuert (beschränkte E.-pflicht). Bemessungsgrundlage für die E. ist das zu versteuernde Einkommen. In das → Einkommen gehen die Einkünfte (Einkunftsarten) ein aus: (1) Land- und Forstwirtschaft, Gartenbetrieb; (2) Gewerbebetrieb. (3) selbständiger → Arbeit, so insbesondere auch von selbständig Tätigen, die keinen gewerblichen, land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb haben, also von Ärzten, Architekten, Steuerberatern, Künstlern u. a.; (4) nichtselbständiger Tätigkeit (→ Löhne und → Gehälter); (5) Kapitalvermögen, z. B. → Zinsen, → Dividenden, Gewinnanteile eines stillen Gesellschafters; (6) Vermietung und Verpachtung; (7) sonstige Einkünfte, z. B. wiederkehrende Bezüge. Was nicht unter eine dieser sieben Einkunftsarten fällt, ist einkommensteuerfrei (so z. B. → Schenkungen, → Erbschaften, Lotteriegewinne, Schadensersatzzahlungen). → Spekulationsgewinne werden bei Grundstücken dann besteuert, wenn sie innerhalb von zehn Jahren, bei anderen Wirtschaftsgütern (z. B. Schmuck, Gemälde, Münzen, Briefmarken; nicht Wertpapiere!) innerhalb von 12 Monaten weiterveräußert werden (§ 23 EStG). Einkünfte sind in der Land- und Forstwirtschaft, in Gewerbebetrieben und bei selbständiger Arbeit der → Gewinn, bei den anderen Einkunftsar-
ten der Überschuß der Einnahmen über die → Werbungskosten (§ 2 Abs. 2 EStG). In land- und forstwirtschaftlichen Betrieben ist der Gewinn nach dem Wirtschaftsjahr (in der Regel 1. 7. bis 30. 6.), bei Gewerbebetrieben nach dem Kalenderjahr, bei eingetragenen → Firmen nach dem Bilanzierungszeitraum zu ermitteln. Steuerfrei sind unter anderem Sozialbezüge, Studien- und Ausbildungsbeihilfen, bestimmte Stipendien, Aufwandsentschädigungen und Reisekosten, bestimmte Zinsen und Gewinnanteile; → Kindergeld, Ehrensold, Bergmannsprämien (§§ 3 ff. EStG). Die Summe der Einkünfte ermittelt man durch Addition der verschiedenen Einkünfte und Subtraktion etwaiger Verluste bei einzelnen Einkunftsarten. Nach Abzug eines etwaigen → Altersentlastungsbetrages verbleibt der Gesamtbetrag der Einkünfte. Dieser wiederum, vermindert um → Sonderausgaben und → außergewöhnliche Belastungen ergibt das Einkommen. Einkommen abzüglich eines eventuellen → Haushaltsfreibetrages, etwaiger → Kinderfreibeträge und → Ausbildungsfreibeträge ergibt schließlich das zu versteuernde Einkommen. (Siehe hierzu nachfolgende Übersicht!) Die E. wird in der Regel nach Ablauf eines Kalenderjahres (→ Veranlagungszeitraum) auf Grund einer → Steuererklärung des Steuerpflichtigen (§ 25 EStG) vom Finanzamt veranlagt (E.-veranlagung). Eheleute, die beide unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht dauernd
Einkünfte 1 Land- und Forstwirtschaft
2 Gewerbebetrieb
3 selbständige Arbeit
Gewinn = Erträge − Aufwendungen
4 unselbständige Arbeit
5 Kapitalvermögen
6 Vermietung/ Verpachtung
7 sonstige Einkünfte
Überschusseinkünfte = Einnahmen − Werbungskosten Summe der Einkünfte
Altersentlastungsbetrag
Gesamtbetrag der Einkünfte Sonderausgaben, außergewöhnliche Belastungen
Einkommen Entlastungsbetrag für Alleinerziehende, Kinderfreibetrag
200
zu versteuerndes Einkommen
Einkommensteuer
getrennt leben, können zwischen getrennter Veranlagung (§ 26 a EStG; der eine Ehegatte wählt Steuerklasse III, der andere Steuerklasse V) und Zusammenveranlagung (§ 26 b EStG; beide Ehegatten wählen die Steuerklasse IV) wählen. Sie werden getrennt veranlagt, wenn nur einer der beiden Ehegatten dies verlangt. Bei getrennter Veranlagung sind jedem Ehegatten die von ihm bezogenen Einkünfte zuzurechnen (§ 26 a EStG). Bei Zusammenveranlagung ist die E. in der Weise zu ermitteln, daß sie von der Hälfte des zu versteuernden Gesamteinkommens nach der amtlichen E.-tabelle errechnet und so der erhaltene Betrag verdoppelt wird (Splitting-Verfahren). Nach dem Jahressteuergesetz 2009 können Doppelverdiener-Ehepaare ab 1. 1. 2010 ein optionales Faktorverfahren in Anspruch nehmen (§ 39 f. EStG). Es stellt ihnen (ergänzend zu den bisherigen Wahlmöglichkeiten) anheim, den Splitting-Vorteil durch die gemeinsame Besteuerung auf beide zu verteilen. Die Steuerpflichtigen werden nicht einheitlich besteuert. Es werden bei der Ermittlung der Steuerlast Alter, Familienstand und Leistungsfähigkeit berücksichtigt. Die Leistungsfähigkeit wird durch die höhere Besteuerung höherer Einkommen im sogenannten E.-tarif berücksichtigt. § 32 a EStG bestimmt hierzu folgendes: Bis zum Grundfreibetrag von 8 004 Euro für Ledige/16 008 Euro für zusammenveranlagte Ehegatten beträgt der Steuersatz 0 v. H. Danach beginnt die Progressionszone, die bei 52 152 Euro/104 304 Euro endet. Ihr folgt die die Proportionalzone mit dem Spitzensteuersatz von 42 v. H. Spitzenverdiener (Alleinstehende ab 250 001 Euro/zusammenveranlagte Ehegatten ab 500 002 Euro Jahreseinkommen) werden nach dem Steueränderungsgesetz 2007 seit dem 1. 1. 2008 mit einem um 3 Prozentpunkte erhöhten Einkommensteuersatz belastet (sog. Reichensteuer).
einseitige Rechtsgeschäfte
Einkommensteuerveranlagung → Einkommensteuer. Einkommensumverteilung Korrektur der primären → Einkommensverteilung durch gewerkschaftliche → Lohnpolitik im Rahmen der → Tarifautonomie und staatliche, insbesondere steuerliche Umverteilungspolitik (→ Steuerprogression). Einkommensverteilung Bezeichnung für die Verteilung des → Volkseinkommens. Zu unterscheiden sind: 1. die primäre E., das ist die sich unmittelbar aus den Marktprozessen ergebende Verteilung, und die sekundäre E., die das Ergebnis der staatlichen → Einkommensumverteilung (→ Umverteilungspolitik) ist. 2. die personelle E., das ist die Verteilung auf die einzelnen oder bestimmte Gruppen von → Wirtschaftssubjekten eines Landes, und die funktionelle E., die die Verteilung auf die am gesamtwirtschaftlichen Produktionsprozeß beteiligten → Produktionsfaktoren ist. Einkünfte ⇒ Einkommensarten → Einkommen. Einlagenfazilität → Fazilitäten. Einnahmen im Gegensatz zu → Ausgaben alle baren und unbaren Geldzuflüsse in den Bereichen → private Haushalte, → Unternehmen und Staat. Einrede der Verjährung → Verjährung.
Einkommensteuerpflicht → Einkommensteuer.
Einrede der Vorausklage das dem Bürgen bei der gewöhnlichen → Bürgschaft nach § 771 Bürgerliches Gesetzbuch eingeräumte Recht, zu verlangen, daß der → Gläubiger ihn erst dann in Anspruch nimmt, wenn dieser den → Schuldner auf Leistung verklagt hat und fruchtlos bei ihm vollstrecken ließ (→ Zwangsvollstreckung).
Einkommensteuertabellen → Lohnsteuer.
einseitige Rechtsgeschäfte → Rechtsgeschäfte. 201
Einspruch
Einspruch 1. im Zivilprozeß: (1) einzig zulässiger Rechtsbehelf gegen Versäumnisurteile (§ 338 Zivilprozeßordnung). Er hat bei Urteilen von Amts- und Landgerichten binnen 2 Wochen, von Arbeits- und Landesarbeitsgerichten binnen 1 Woche nach Zustellung des Urteils schriftlich bei Gericht zu erfolgen. Der E. verhindert nicht eine etwaig anstehende → Zwangsvollstreckung. Wird dem E. stattgegeben, wird der Prozeß fortgesetzt; das Versäumnisurteil wird aufrechterhalten oder aufgehoben. (2) gegen einen → Vollstreckungsbescheid möglich; muß vom → Schuldner binnen 2 Wochen nach Zustellung eingelegt werden. Der Rechtsstreit wird dann an dem im → Mahnbescheid angegebenen Gericht des Schuldners im Wege des → Klageverfahrens behandelt. 2. in Steuersachen: gegen → Steuerbescheide und ähnliche Verfügungen des Finanzamtes möglich. Der E. muß binnen 1 Monats nach Bekanntgabe derselben gegenüber dem Finanzamt, gegen dessen Bescheid oder Verfügung er erhoben wird, eingelegt werden (§§ 348, 355 Abgabenordnung (AO). Dieses prüft die Zulässigkeit des E. Wird der E. für unbegründet erklärt, so wird er zurückgewiesen; wird er für begründet erachtet, so wird der Bescheid/die Verfügung aufgehoben oder geändert. Eine Änderung zum Nachteil des Steuerpflichtigen kann nur erfolgen, wenn dieser vorher dazu gehört wurde (§ 367 AO). Gegen eine Abweisung des E. kann der Betroffene → Klage beim Finanzgericht erheben (§ 40 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung). Einstellung 1. im Arbeits- und Sozialrecht Abschluß eines → Arbeitsvertrages seitens eines → Arbeitgebers oder aber auch die tatsächliche Eingliederung des unter Vertrag genommenen → Arbeitnehmers in den → Betrieb. E. können in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern nach § 99 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) nur mit → Zustimmung des → Betriebsrates erfolgen (ausgenommen leitende Angestellte). Hierfür sind dem Betriebsrat die erforderlichen Bewerbungsunterlagen der Einzustellenden zu überlassen; 202
Eintragung im Grundbuch
auch die geplante Entlohnung und Verwendung des Bewerbers sind offenzulegen. Der Betriebsrat kann der E. innerhalb 1 Woche nach Unterrichtung widersprechen. Widerspruchsgründe nennt § 99 Abs. 2 Ziff. 1 – 6 BetrVG. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht beantragen, die Zustimmung zu ersetzen (§ 99 Abs. 4 BetrVG). Ersetzt das Arbeitsgericht die Zustimmung nicht, so muß die E. unterbleiben. 2. im → Insolvenzverfahren die durch Beschluß des Gerichtes angeordnete vorzeitige Beendigung des Verfahrens (§§ 207 ff. InsO). Einstiegsqualifizierung (EQ) ein nach § 235 b SGB III von der → Wirtschaft im Rahmen des → Ausbildungspaktes entwickeltes Konzept, das Jugendlichen mit individuell eingeschränkten Vermittlungsaussichten, den Einstieg in eine → Berufsausbildung (möglichst im selben → Betrieb) erleichtern soll. Es beinhaltet ein betriebliches Langzeitpraktikum von mindestens 6 bis maximal 12 Monaten. In dieser Zeit sollen festgelegte → Qualifikationen vermittelt werden, die auch Bestandteil einer regulären Ausbildung sind. Der Betrieb erhält dafür von der → Agentur für Arbeit oder dem jeweiligen Träger der Grundsicherung eine entsprechende Vergütung sowie einen pauschalierten Anteil am durchschnittlichen Gesamtsozialversicherungsbeitrag. einstweilige Verfügung gerichtliche Anordnung zur einstweiligen Sicherung eines Anspruches, der nicht auf Geld gerichtet ist, wie auch zur vorläufigen Regelung eines streitigen Rechtsverhältnisses, wenn zu befürchten ist, daß die Rechte des Antragstellers andernfalls gefährdet würden (§§ 935 – 945 Zivilprozeßordnung). Eintragung im Grundbuch schriftliche Fixierung (Festhaltung) eines eintragungsfähigen Rechtes im → Grundbuch. E. betreffen im wesentlichen das → Eigentum an einem Grundstück und die dieses beschränkende Rechte. Die E. hat rechtsbegründenden Charakter, das heißt erst durch sie wird das angestrebte Recht
Eintragung im Grundbuch
begründet. Jede rechtsgeschäftliche Begründung, Änderung oder Übertragung von Grundstücksrechten erfordert eine inhaltlich gleiche E. Einwilligung Die vor Abschluß eines → Rechtsgeschäftes erklärte → Zustimmung. (So ist zum Beispiel bei Minderjährigen für das rechtsgültige Zustandekommen eines Rechtsgeschäftes die E. des gesetzlichen Vertreters notwendig; § 107 Bürgerliches Gesetzbuch). Einwirkungspflicht Begriff aus dem Tarifvertragsrecht; sie auferlegt den → Tarifvertragsparteien unter Einsatz ihrer verbandsrechtlichen Mittel dafür Sorge zu tragen, daß ihre Mitglieder die getroffenen Vereinbarungen und damit die bestehende Tarifordnung respektieren. Einzelfertigung Fertigungsweise, bei der in der Regel jedes Produkt nur einmal beziehungsweise einzeln hergestellt wird; zum Beispiel Anzüge bei einem Herren-Maßschneider. Gegensatz: → Massenfertigung. Einzelkosten ⇒ direkte Kosten solche → Kosten, die in ihrer für das einzelne Produkt (Stück) anfallenden Höhe ermittelt und somit auf dieses direkt verrechnet werden können; so insbesondere Material- und Lohnkosten anhand von Aufzeichnungen (Lohnabrechnungen, Materialentnahmescheine u. a.). Gegensatz: → Gemeinkosten. Einzelprokura → Prokura. Einzelunternehmung → Unternehmungsformen. Einzelversicherung Versicherungsform, bei der der Versicherungsvertrag individuell zwischen dem Versicherer (Versicherungsunternehmen) und dem zu Versichernden abgeschlossen wird. Gegensatz: → Gruppenversicherung. einzelwirtschaftlich ⇒ mikroökonomisch
e. Kfm.
auf ein einzelnes → Wirtschaftssubjekt bezogen. Einzugsermächtigung Lastschriftverfahren (Forderungseinzugsverfahren), bei dem der → Schuldner eines Geldbetrages seinen → Gläubiger ermächtigt, diese Schuldsumme mittels eines Lastschriftvordruckes durch dessen Kreditinstitut einziehen zu lassen (beispielsweise Rundfunk- und Fernmeldegebühren, Versicherungsbeiträge, Miete, Stromabrechnung, Kreditkartenabrechnung). Die Besonderheit dieser Abrechnungsart liegt darin, daß die Schuldnerbank lediglich im Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit der (An-)Forderung des Geldbetrages durch den Empfänger handelt und somit diesbezüglich das volle Risiko trägt. Ob ihr Vertrauen gerechtfertigt war, weiß die Bank erst, wenn der Kunde die ihm im Kontoauszug unterbreitete Abbuchung (Belastung) genehmigt. Widerspricht der Kunde der Abbuchung (was er, wenn Einwände gegen die Abbuchung bestehen, umgehend tun sollte! Die von den Banken allgemein vorgegebene Widerspruchsfrist von 6 Wochen ab Zusendung des betreffenden Kontoauszuges ist den Kunden gegenüber nicht verbindlich!), so ist die Bank verpflichtet, die Belastung rückgängig zu machen. Ob nun der Gläubiger seinerseits eine berechtigte Forderung an den Bankkunden hat oder nicht, bleibt für die Bank ohne Bedeutung. Der Zahler kann eine erteilte E. gegenüber dem Gläubiger jederzeit widerrufen. (Aus Beweisgründen empfiehlt sich Einschreiben mit Rückschein!) Für Abbuchungen nach erfolgtem Widerruf macht sich der Gläubiger schadensersatzpflichtig. Siehe auch → Überweisung. e. K. ⇒ e. Kfm. eingetragener Kaufmann; die nach § 19 HGB der → Firma von männlichen Einzelkaufleuten anzufügende Abkürzung. Bei weiblichen Einzelkaufleuten ist die Abkürzung: e. Kfr. e. Kfm. ⇒ e. K. 203
e. Kfr.
e. Kfr. eingetragene Kauffrau. Siehe auch: unter → e. K. E-Learning Abk. für: Electronical Learning; multimedial gestütztes Lernen. Siehe auch: → computergestüztes Lernen. Electronic Banking ⇒ E-Banking ⇒ Home-Banking ⇒ Internetbanking ⇒ Online-Banking ⇒ Telebanking umschreibt eine Vielzahl von → Dienstleistungen der → Banken, die von deren Kunden von zu Hause über das Internet in Anspruch genommen werden können; so insbesondere: Übermittlung von Kontenständen, Anweisungen, Kauf- und Verkauf von → Wertpapieren und → Devisen. elektronische Signatur mit elektronischen Informationen verknüpfte Daten, mit denen man den Unterzeichner beziehungsweise Signaturhersteller identifizieren und die Korrektheit der signierten elektronischen Informationen prüfen kann. – Soll eine gesetzlich vorgeschriebene schriftliche Signatur durch die elektronische ersetzt werden, so muß der Austeller der Erklärung dieser seinen Namen hinzufügen und das elektronische Dokument mit einer qualifizierten e. nach § 2 Nr. 3 Signaturgesetz vom 16. 5. 2001 versehen (§ 126 a BGB). ELENA Abk. für: elektronischer Entgeltnachweis; in §§ 95 ff. SGB IV geregeltes Verfahren, mit dem seit 2010 Entgeltnachweise von → Arbeitnehmern elektronisch – mittels einer Chipkarte mit integriertem Zertifikat – zur Erstelltung qualifizierter → elektronischer Signaturen erbracht werden können. Die zentrale Speicherung der erforderlichen Daten ermöglicht die Nutzung derselben durch die → Agenturen für Arbeit und andere (öffentliche) Stellen. Elterngeld ersetzt nach dem zum 1. 1. 2007 in Kraft getretenen Bundeselterngeld- und Eltern204
Elternzeit
zeitgesetz das bis dahin gezahlte Erziehungsgeld. Bezugsberechtigt sind → Erwerbstätige, → Beamte, → Selbständige und erwerbslose Elternteile, Studierende und → Auszubildende, Adoptiveltern, Pflegeeltern und in Ausnahmefällen auch Verwandte dritten Grades über eine Kernzeit von 12 Monaten zuzüglich 2 Partnermonate, falls der andere Eltenteil seine Erwerbstätigkeit einschränkt. Das E. liegt zwischen 65 und 100 Prozent des bisherigen Nettoerwerbseinkommens des erziehenden Elternteils bis zu einem Höchstsatz von 1800 Euro netto. Der Mindestbetrag des E. beläuft sich auf 300 Euro. Das E. selbst wird nicht versteuert, es wird aber zum Einkommen hinzugerechnet und bestimmt so die Höhe des individuellen Steuersatzes. Teilzeittätigkeit während des Bezuges von E. ist bis zu maximal 30 Stunden möglich. Das E. ersetzt dann 67 Prozent des entfallenden Teileinkommens. Das E. wird (ab dem Mindestbetrag) auf andere Sozialleistungen angerechnet! – Die bisherigen Regelungen zur → Elternzeit bleiben erhalten. Elternzeit Anspruch auf Freistellung von der Arbeit zur Betreuung und Erziehung von Neugeborenen im ersten Lebensabschnitt. Seit dem 1. 1. 2007 durch das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) geregelt. Anspruchsberechtigt sind alle → Arbeitnehmer (§ 15 BEEG) unabhängig von der Art des → Arbeitsverhältnisses soweit sie als Eltern mit ihrem eigenen Kind (d. h. ein Kind des Ehegatten, der Ehegattin, des Lebenspartners oder der Lebenspartnerin) in einem Haushalt leben und dasselbe selbst betreuen und erziehen. Die E. beginnt mit dem Tag, an dem sie rechtzeitig (§ 16 Abs. 1 BEEG) vom → Arbeitgeber verlangt worden ist, frühestens jedoch am Tag der Geburt, und für Arbeitnehmerinnen frühestens an dem Tag, der unmittelbar auf den letzten Tag der achtbeziehungsweise zwölfwöchigen Schutzfrist nach der Geburt des Kindes folgt. Die E. dauert bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres des Kindes (§ 15 Abs. 2 BEEG). Abweichend von dieser allgemeinen Regelung kann mit Zustimmung des Arbeitgebers ein
Elternzeit
Anteil der E. von bis zu 12 Monaten auf die Zeit bis zur Vollendung des 8. Lebensjahres des Kindes übertragen werden (§ 187 Abs. 2 i. Verb. m. § 188 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch). Die E. kann – auch anteilig – von jedem Elternteil allein oder von beiden Elternteilen gemeinsam in Anspruch genommen werden. Sie ist jedoch für jedes Kind auf 3 Jahre begrenzt. Dabei können beide Elternteile jeweils bis zu 3 Jahre E. – auch gleichzeitig – bei ihrem jeweiligen Arbeitgeber nehmen (§ 15 Abs. 3 BEEG). Generell muß die E. schriftlich sieben Wochen vor ihrer Inanspruchnahme beantragt werden. Die Antragsteller haben dabei zugleich zu erklären für welche Zeiten innerhalb von 2 Jahren sie diese E. nehmen werden. Während der E. ist Erwerbstätigkeit zulässig soweit die wöchentliche Arbeitszeit für jeden Elternteil 30 Stunden nicht übersteigt. – → Teilzeitarbeit bei einem anderen Arbeitgeber bedarf der Zustimmung des Arbeitgebers. Dieser kann dieselbe nur aus dringenden betrieblichen Gründen innerhalb einer Frist von 4 Wochen schriftlich verweigern (§ 15 Abs. 4 BEEG). Der Anspruchsberechtigte von E. kann (schriftlich) zweimal eine Verringerung seiner Arbeitszeit beantragen. Soweit nicht dringende betriebliche Gründe entgegenstehen, ist diesem Antrag stattzugeben. Der E. Beanspruchende erhält während dieser ein → Elterngeld. Embargo Verbot (eines Landes) der → Ausfuhr bestimmter Waren, Rohstoffe oder von → Kapital in bestimmte Länder. Emerging Markets Sammelbezeichnung für die Wertpapiermärkte der jungen, mit hohen → Wachstumsraten aufstrebenden → Volkswirtschaften Asiens, Lateinamerikas und Afrikas. Emission 1. Ausgabe von → Effekten, das heißt deren Unterbringung beim Publikum und Einführung in den Verkehr, zum Zwecke der Kapitalbeschaffung beziehungsweise -anlage.
Energieausweis
Diese sogenannte Effekten-E. kann durch das kapitalsuchende → Unternehmen selbst erfolgen (höchst selten!) oder aber (gewöhnlich) durch Vermittlung von Banken/ Bankenkonsortien (→ Bankenkonsortium). 2. Einleitung, Ausstrahlung und Aussendung von Schadstoffen in die → Umwelt. Emissionshandel → Emissionszertifikate. Emissionsrechte → Emissionszertifikate. Emissionszertifikate ⇒ Umweltbenutzungslizenzen ⇒ Umweltlizenzen ⇒ Umweltzertifikate Berechtigungen zum Verbrauch von → Umwelt. Sie sollen bewirken, daß Einleitung, Ausstrahlung und Aussendung (Emission) von Schadstoffen in die Umwelt auf die vom Staat vertretbare Menge beschränkt werden. Voraussetzung für die Ausgabe von E. wäre die staatliche Festlegung des maximalen Emissionsvolumens von Schadstoffen für eine Region und die Schaffung von Emissionsrechten darüber in Form von fungiblen (d. h. vertretbaren, → Fungibilität) Zertifikaten, die auf einem → Markt (Umweltbörse) gehandelt werden können (Emmisionshandel). Siehe auch → Umweltpolitik. empfangsbedürftige Willenserklärung → Willenserklärung. Employability ⇒ Beschäftigungsfähigkeit. Energieausweis ⇒ Energiepass gibt Auskunft über den Energieverbrauch einer bestimmten Kauf- oder Mietsache pro Quadratmeter Nutzfläche je Jahr. – Seit Inkrafttreten der Energiesparverordnung vom 1. 10. 2007 hat der Kauf-/Mietinteressent einer Wohnung oder eines Hauses das Recht auf Vorlage eines E. durch den Verkäufer oder Vermieter. Mieter in bestehenden Mietverhältnissen haben keinen Anspruch auf einen E. Der E. ist ein öffentlich-rechtliches Zertifikat, das von entsprechend legitimierten Unternehmen ausgestellt werden darf. 205
Energiepass
Energiepass ⇒ Energieausweis. Engels, Friedrich 1820 (Barmen) – 1895 (London), Sohn eines Textilfabrikanten, Kaufmann in Manchester, ab 1870 in London, seit 1845 Verbindung mit Karl → Marx, arbeitet mit diesem publizistisch und organisatorisch zusammen. Als Mitglied des „Bundes der Kommunisten“ gibt er 1848 zusammen mit K. Marx das Kommunistische Manifest heraus. Nach Marx’ Tod wird er in London Führer der „Sozialistischen Arbeiterbewegung“ und ediert hier auch dessen 2. (1885) und 3. Band (1894) des Kapital. Enteignung Eingriff in das private → Eigentum, insbesondere in das Grundeigentum, oder in andere vermögenswerte Rechte durch staatlichen Hoheitsakt. Eine E. ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig; sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfall der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen (Art. 14 Abs. 3 Grundgesetz). Entfernungspauschale ⇒ Pendlerpauschale Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Einkommensteuergesetz können → Arbeitnehmer Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als sogenannte E. steuerlich geltend machen. Dabei kann der einfache Weg mit 0,30 Euro je Kilometer als → Werbungskosten in Ansatz gebracht werden. Hierfür ist unerheblich, ob der Weg mit einem Kraftfahrzeug, öffentlichen Verkehrsmitteln, zu Fuß, mit der Bahn oder dem Fahrrad zurückgelegt wird, ob Fahrgemeinschaften gebildet werden oder nicht. Der anrechenbare Betrag ist für das Kalenderjahr generell auf 4500 Euro begrenzt. Eine diesen übersteigende Aufwendungssumme kann nur insoweit angesetzt werden, als der Arbeitnehmer einen eigenen oder ihmr zur 206
Entlohnungsformen
Nutzung überlassenen Kraftwagen benutzt. Die E. gilt nicht für Flugstrecken! Entgeltfortzahlung → Lohnfortzahlung. Entgeltsicherung (für ältere Arbeitnehmer) Nach § 421j SGB III haben → Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr vollendet haben und ihre → Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung beenden oder vermeiden, unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf einen staatlich gewährten Zuschuß zum → Arbeitsentgelt oder einen zusätzlichen Beitrag zur gesetzlichen → Rentenversicherung. Ab 1. 1. 2010 gilt dieser Anspruch nur noch dann, wenn er vor diesem Stichtag entstanden ist. Entlohnungsformen ⇒ Lohnformen Die innerbetriebliche Berechnung des → Lohnes kann sich nach verschiedenen Formen gestalten. Die wichtigsten E. sind: Zeitlohn, Stücklohn, Prämienlohn. Das Entgelt für eine Zeiteinheit (Stunde) oder eine Mengeneinheit (Stück) ist der Lohnsatz (Zeitlohnsatz, Stücklohnsatz). Maßstab für die Höhe des Lohnsatzes ist der Wert der zu leistenden → Arbeit (→ Arbeitswert). 1. Beim Zeitlohn ist der Maßstab für die Berechnung des Lohnes die im → Betrieb verbrachte Zeit. Beispiel: Lohnsatz je × Anzahl der = BruttoZeiteinheit geleisteten verdienst (StundenZeitein(lohnsatz) heiten 23,– Euro × 38 Stunden = 874,– Euro Je nach dem Berechnungszeitraum des Zeitlohnes lassen sich Stunden-, Tages-, Wochen- und Monatslöhne unterscheiden. Die Zeitlöhne der → Arbeiter werden in der Regel nach Stunden oder Wochen, die → Gehälter der → Angestellten und → Beamten nach Monaten berechnet. Der Zeitlohn empfiehlt sich überall dort, wo es in erster Linie auf die Qualität der Arbeitsleistung ankommt, wo das Arbeitstempo
Entlohnungsformen
durch den Arbeitsgang bestimmt wird (z. B. Fließband), wo der Beschäftigte sich erst einarbeiten muß, wo eine Entlohnung nach Leistungseinheiten schwierig oder nicht möglich ist (z. B. bei Lager-, Entwicklungs-, Reparatur-, Kontroll- u. Büroarbeiten). Als Nachteil des Zeitlohnes muß der mangelnde Anreiz zur Beschleunigung des Arbeitstempos gesehen werden; individuelle Abweichungen von der Durchschnittsnorm finden keinen lohnmäßigen Niederschlag. 2. Beim Stücklohn (Akkordlohn) sind der Maßstab für die Berechnung der Lohnhöhe die geleisteten Mengeneinheiten (Stück, m, kg etc.). Ausgangspunkt der Lohnberechnung ist auch hier ein Stundenlohnsatz. Der Stundenlohnsatz wird in einen Lohnsatz je Mengeneinheit umgerechnet, den sogenannten Akkordsatz. Wird dieser in einem Geldbetrag je Mengeneinheit festgelegt, so spricht man von Stückgeldakkord; wird er in einer Auftragszeit je Mengeneinheit festgelegt, so spricht man vom Stückzeitakkord. Der Akkordsatz wird durch → Arbeitszeitstudien, die die Norm- oder Soll-Arbeitszeit je Stück ermitteln, errechnet. Beispiel: Stundenlohn 23,– Euro, Normalleistung je Stunde 20 Stück, wöchentliche Arbeitzeit 38 Stunden. Stückgeldakkord: Stückgeld- × Stückzahl = Bruttoakkordsatz verdienst 1,15 Euro × 800 = 920,– Euro Stückzeitakkord: Stückzeit- × Stück- × Dezimal- = Bruttoakkordzahl minuten- verdienst zahl faktor 23,– Euro 920,– 5 Dezimal× 800 St. × _________ = 100 Euro !minuten ���������� Auftragszeit Um den Akkordarbeiter durch Produktionsengpässe oder andere unverschuldete (kurzfristige) betriebliche Störungen nicht unzumutbar gegenüber dem Zeitlohnempfänger zu benachteiligen, sind die tariflichen Stundenlohnsätze für Akkordarbeiter in der Regel um 10 – 30 Prozent über dem Stundenlohnsatz für Zeitlohn festgesetzt. Der Anreiz des Akkordlohnes ist darin zu
Entstehungsrechnung
sehen, daß er dem Beschäftigten die Möglichkeit bietet, durch überdurchschnittliche Leistungen sein → Einkommen zu erhöhen. Da der Stücklohn bei Überschreiten der allgemeinen Zeitvorgabe entsprechend absinkt, wird er in vielen → Tarifverträgen mit einem garantierten Mindestlohn (Zeitlohn) gekoppelt. Beim Gruppenakkord wird der Akkordsatz für eine Arbeitsgruppe festgelegt und der Anteil des einzelnen Gruppenmitgliedes mittels eines Verteilungsschlüssels (der seinerseits an Leistungsbestimmungsfaktoren gebunden ist) bestimmt. Teamgeist und leistungsmäßige Ausgewogenheit der Arbeitsgruppe sind beim Gruppenakkord von besonderer Bedeutung. 3. Der Prämienlohn kann ergänzend zum Zeit- wie auch zum Akkordlohn (Zeitprämienlohn, Quantitäts- und Qualitätsprämie) gezahlt werden. Die hauptsächlichen Gründe seiner Gewährung sind: Mengen- und Zeitersparnis, überdurchschnittlicher Nutzungsgrad von Maschinen, geringe Ausschußmenge. Der Prämienlohn kann Einzelpersonen wie auch (Arbeits-)Gruppen (Gruppenprämie) gewährt werden. Entrepreneurship Education ⇒ Gründungserziehung. Entscheidung, unternehmerische zielbewußtes Wählen zwischen verschiedenen Handlungsmöglichkeiten. Da dem → Unternehmer in der Regel nicht alle für seine E. bedeutsamen Informationen zur Verfügung stehen oder aber deren Beschaffung zu teuer wäre, trifft er seine E. mehr oder weniger unter Unsicherheit. Unsichere E. bedeuten aber für den Unternehmer Risiko, nämlich das Betriebsziel nicht wie beabsichtigt zu erreichen oder gar zu verfehlen. Siehe auch → Entscheidungstheorie, ökonomische. Entscheidungstheorie, ökonomische → ökonomische Entscheidungstheorie. Entsendegesetz ⇒ Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Entstehungsrechnung → Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. 207
Entwicklungshilfe
Entwicklungshilfe → Entwicklungspolitik. Entwicklungsländer → Entwicklungspolitik. Entwicklungspolitik im weitesten Sinne stellt die Gestaltung gesellschaftlicher Prozesse des Strukturwandels in den Bereichen → Wirtschaft, Politik und Soziales mit dem Ziel dar, die Lebensbedingungen nach anerkannten Kriterien zu verbessern. Träger der E. sind die Institutionen des Staates, der Kirchen, der überstaatlichen Zusammenschlüsse und private Vereinigungen. Als Instrumente dienen Gesetze, nationale und internationale Verträge und moralische Beeinflussung. E. wendet sich sowohl an die inneren Prozesse in einem Staat wie auch an die bilateralen und multilateralen Beziehungen zwischen einzelnen Staaten. E. gehört somit zur Außen-, → Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. E. im engeren Sinne konzentriert sich auf die Entwicklungsländer, die nach sozialen und wirtschaftlichen Kriterien zu den Gruppen „besonders arme Entwicklungsländer“ (LDC = least developed countries), „besonders betroffene Entwicklungsländer“ (MSAC = most seriously affected countries) und → „Schwellenländer“ (NIC = newly industrialized countries) zusammengefaßt werden. Weitere Gruppierungen ergeben sich aus der Zugehörigkeit zu politischen Blöcken. Als wichtigste Kriterien dienen Armut (Höhe und Verteilung des Realeinkommens), geringe Alphabetisierungsrate und niedriger Anteil industrieller → Produktion am → Sozialprodukt. Mit dieser Abgrenzung stehen „entwickelte“ Staaten den „unterentwickelten“ gegenüber. Für die entwickelten Staaten entsteht die Frage nach den Beiträgen, die sie gegenüber den Entwicklungsländern leisten können, insbesondere aber auch die Frage nach der Öffnung der Grenzen oder nach einer Innenpolitik, die den Zugang für Entwicklungsländer zu Wissen (Technologie) und zu → Märkten erleichtert. In Deutschland dienen die „Grundlinien der Entwicklungspolitik der Bundesregierung“ (1986) in Verbindung mit Modifikationen, 208
Entwicklungspolitik
die durch die Wiedervereinigung erforderlich geworden sind, als Orientierung. Ziel ist es, „die wirtschaftliche und soziale Lage der Menschen in den Entwicklungsländern zu verbessern und ihnen zu ermöglichen, ihre schöpferischen Fähigkeiten zu entfalten“ (Politik der Partner). Hierzu gehören die Sicherung der Befriedigung der Grundbedürfnisse, Wirtschaftsauf bau, Förderung der regionalen Zusammenarbeit und Integration in die Weltwirtschaft. Im einzelnen unterstützt die Bundesregierung den Freiheitsanspruch der Entwicklungsländer und die Bemühungen um wirtschaftlichen, sozialen und politischen Fortschritt; sie betreibt eine Friedenspolitik und ist um Ausgleich bemüht im Interesse internationaler Stabilität. Die Realität lehrt, daß die Zielerreichung mit sehr großen Schwierigkeiten verbunden ist. Als konkrete Schwerpunkte gibt die Bundesregierung an: Ernährungssicherung aus eigener Kraft, Schutz der → Umwelt, Verbesserung der Energieversorgung, Konzentration auf berufliche Bildungs- und Ausbildungsprojekte, Unterstützung bevölkerungspolitischer Maßnahmen und Berücksichtigung der Belange von Frauen (Politik der Partner). Aus diesen Zielsetzungen wird durchaus auch das → Eigeninteresse sichtbar, dessen Verfolgung die Bereitstellung von finanziellen Mitteln erleichtert. Die Umsetzung der deutschen E. erfolgt durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und durch z. T. speziell geschaffene Organisationen. Hierzu gehören: Die Kreditanstalt für Wiederauf bau (KfW), die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH, der Deutsche Entwicklungsdienst (DED), die Deutsche Finanzierungsgesellschaft für Beteiligungen in Entwicklungsländern (DEG), die Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung (DSE), das deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) sowie gemeinnützige Organisationen, Stiftungen und die Kirchen. Dem förderativen Charakter der Bundesrepublik folgend, betreiben auch die Länder E. und führen Maßnahmen durch. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, daß die Länder im Rahmen der → Bildungs-
Entwicklungspolitik
politik einen wesentlichen Beitrag zum besseren Verständnis der Zusammenhänge und der Probleme der Entwicklungsländer leisten können. Als Konkretisierung der E. gegenüber den Entwicklungsländern kommt es zu bilateralen Maßnahmen folgender Art: Finanzielle Zusammenarbeit (Kredite, nicht rückzahlbare Zuschüsse), technische Zusammenarbeit (Technologietransfer, → Investitionen), personelle Hilfen (Ausbildung von Fach- und Führungskräften, Entsendung von Fachkräften) und Nothilfe. Die internationale multilaterale E. erfolgt im Rahmen der → Europäischen Union und der Vereinten Nationen sowie deren Unterorganisationen. Schwerpunkte der Europäischen Union sind die Zusammenarbeit gegenüber den AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik), die Assoziations- und Kooperationsabkommen mit den südlichen und östlichen Anrainerstaaten des Mittelmeers, die Kooperationsabkommen mit Entwicklungsländern in Asien und Lateinamerika mit der Gewährung von Allgemeinen Zollpräferenzen, technischer Hilfe und von Ausgleichszahlungen bei Exporterlöseinbuße, Nahrungsund Soforthilfe sowie Zuschüsse an europäische Nicht-Regierungsorganisationen. Die Ziele decken sich weitgehend mit den nationalen und denen der Vereinten Nationen. Die wichtigsten Träger der E. der Vereinten Nationen sind die Sonderkörperschaften und Sonderorganisationen. Zu den bedeutendsten gehören die → Weltbank (IBRD = International Bank for Reconstruction and Development), das Entwicklungsprogramm (UNDP = United Nations Development Program) und die Organisation für Industrielle Entwicklung (UNIDO = United Nations Industrial Development Organisation). Die Vielschichtigkeit der Zusammenhänge und die Schwierigkeit, unmittelbare Einsichten zu gewinnen, führten zu der Notwendigkeit, E. in Forschung und Lehre als gesonderte Gebiete in den → Wirtschaftsund Sozialwissenschaften zu betreiben. Wegen der Nähe zu Dogmen gibt es allerdings keine allgemeingültige einheitliche Theoriegrundlage. Erfolge der E. stellten sich in einer Reihe von Staaten (Ostasien) ein. In der Mehrzahl jedoch liegen Fehlschläge vor
Entwicklungspolitik
(Afrika), überwiegend hervorgerufen durch politische und kulturelle Ursachen. Intensive Bemühungen, die Stagnation insbesondere in Afrika zu überwinden, erfolgten ab 2005 von den G8-Staaten auf dem Weg über Schuldenerlaß für die ärmsten Länder, über Verdoppelung der Hilfe (Afrika) und über Verbesserung des Zugangs zu den Märkten der Industriestaaten. In der Mehrzahl jedoch liegen Fehlschläge vor. Die bisherige E. stößt in Afrika, in Teilen asiatischer und lateinamerikanischer Länder an Grenzen: Kulturell-religiöse, politische sowie kriegerische Konflikte und ethnische Auseinandersetzungen stören positive Ansätze und zerstören Erreichtes. Demgegenüber stehen Erfolge in den so genannten Tigerstaaten (Südkorea, Singapur, Taiwan) sowie insbesondere in Teilen von Indien und China und in einer Reihe von Staaten in Lateinamerika. Zwei Bereiche erfordern besondere Aufmerksamkeit: → Umweltschutz und Korruption. Die Armut in vielen Ländern verhindert notwendige Maßnahmen zum Schutze der Natur und die Fehlleitung von finanziellen Unterstützungen schränkt die Wirksamkeit finanzieller Hilfe ein. Hinzu kommen schwache politische und administrative Strukturen. E. bleibt für lange Zeit eine schwierige Aufgabe und stellt eine zentrale Herausforderung der Politik im 21. Jahrhundert dar. Literatur: Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Politik der Partner, Bonn, jeweilige Neuauflage; dass., Jahresbericht, jeweilige Neuauflage; Lachmann, W., Entwicklungspolitik, Bd. 1: Grundlagen, 2. Aufl., München-Wien 2004; Nohlen, D./Nuscheler, F. (Hrsg.), Handbuch der Dritten Welt, 3. Auflage, Bonn 1993, Bd. 1 Grundprobleme, Theorie, Strategien; Nuscheler, F., Lern- und Arbeitsbuch Entwicklungspolitik: eine grundlegende Einführung in die zentralen entwicklungspolitischen Themenfelder Globalisierung, Staatsversagen, Hunger, Bevölkerung, Wirtschaft und Umwelt, 5. Aufl., Bonn 2004; Niggli, P., Nach der Globalisierung, Entwicklungspolitik im 21. Jahrhundert, Zürich 2004; Rauch, T., Entwicklungspoli209
Entwicklungspolitik
tik, 1. Teil, Braunschweig 2009; Wagner, H., Wachstum und Entwicklung, Theorie der Entwicklungspolitik, 2. Aufl., München– Wien 1997; International Bank for Reconstruction and Development (IBRD/ Weltbank): World Development Report 2000/2001, Attacking Poverty, Oxford University Press, New York 2000; Wolff, J. H.: Entwicklungsländer und Entwicklungspolitik im Rahmen globaler politischer Strukturen und Prozesse, 2. Aufl., Paderborn 2003. Dr. Günter Abraham, Wilna und Dorpat EONIA Abk. für Euro Overnight Index Average. Effektiver Referenzzinssatz für Tagesgeld, der sich aus dem umsatzgewichteten Durchschnitt aller auf dem Interbankenmarkt der Eurozone von den Referenzbanken gewährten unbesicherten Tagesgeldvergaben errechnet. Er wird täglich ermittelt und veröffentlicht. EQR Abk. für: → Europäischer Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen. Erbfolge, gesetzliche greift dort Platz, wo keine abweichende oder erschöpfende Verfügung von Todes wegen vorliegt. Gesetzliche Erben sind die Verwandten des Erblassers (§ 1589 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]), sein Ehegatte sowie die adoptierten Personen. Erbe kann nur werden, wer zur Zeit des Erbfalles lebt. War der Erbe zu diesem Zeitpunkt noch nicht geboren, aber bereits gezeugt, so gilt er als vor dem Erbfall geboren. Die E. gestaltet sich nach dem sogenannten Parentelensystem. Ihm zufolge sind gesetzliche Erben der 1. Ordnung die Abkömmlinge (Kinder, Enkel usw.) des Erblassers. Sind Abkömmlinge vorhanden, so erben diese ¾ des Nachlasses; ¼ erbt der überlebende Ehegatte. Fehlen Abkömmlinge, so kommen die Erben der 2. Ordnung (das sind die Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge, also die Geschwister des Erblassers und deren Kinder) zum Zuge. Leben beide Elternteile des Erblassers, so fällt ihnen das Erbe alleine zu; lebt nur ein Elternteil, so erbt dieser die eine Hälfte des Nachlasses, 210
Erbschaft- und Schenkungsteuer
während die andere Hälfte den Geschwistern des Erblassers beziehungsweise deren Abkömmlingen zufällt. Gesetzliche Erben der 3. Ordnung sind die Großeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge (das sind Onkeln und Tanten des Erblassers). Neben den Erben 2. und 3. Ordnung erbt der überlebende Ehegatte jeweils die Hälfte des Nachlasses. Leben weder Verwandte der ersten noch der zweiten Ordnung, noch Großeltern, so erhält der überlebende Ehegatte die ganze → Erbschaft. Leben keine Abkömmlinge der ersten drei Parentelen und ist kein Ehegatte zu berücksichtigen, so stehen als 4. Parentel die Urgroßeltern und als 5. Parentel die entfernteren Voreltern und ihre Abkömmlinge als Erben an. Letzter gesetzlicher Erbe ist der Staat. Gilt für Eheleute der → gesetzliche Güterstand der → Zugewinngemeinschaft, so erhöht sich beim Tod eines Ehegatten der gesetzliche Erbteil des Überlebenden um ¼ (gesetzliches Zusatzviertel), so daß dieser neben den Kindern oder Enkeln ½ (anstatt ¼) und neben den Eltern oder Geschwistern des Erblassers ¾ (anstatt ½) erhält (§ 1371 Abs. 1 BGB). Der → Pflichtteil des überlebenden Ehegatten beträgt bei der Zugewinngemeinschaft die Hälfte des erhöhten gesetzlichen Erbteiles. Erbrecht regelt den Übergang des → Vermögenseines Verstorbenen (§§ 1922 – 2385 Bürgerliches Gesetzbuch). Über sein Vermögen kann der Erblasser durch → Testament oder → Erbvertrag letztwillig verfügen. Erbschaft das den Erben eines Verstorbenen aus dessen Nachlaß zugewachsene → Vermögen. Die E. unterliegt der → E.-steuer. Erbschaft- und Schenkungsteuer Die Erbschaft- (E.) beziehungsweise Schenkungsteuer (S.) besteuert den Übergang von Vermögenswerten (→ Vermögen) von Todes wegen beziehungsweise die freigebige Zuwendung und Schenkung unter Lebenden. Die rechtlichen Grundlagen bilden das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) in der Fassung vom 1. 1. 2009 (Erbschaftsteuerreform 2008) sowie das
Erbschaft- und Schenkungsteuer
Erbschaft- und Schenkungsteuer
Wachstumsbeschleunigungsgesetz vom 18. 12. 2009. Unbeschränkt steuerpflichtig sind Inländer (→ natürliche Personen und Vermögensmassen) im Inland und zwar für den gesamten Vermögensanfall. Beschränkte Steuerpflicht ist dann gegeben, wenn weder der Erblasser/Schenker noch der Erwerber Inländer ist; die Steuerpflicht erstreckt sich auf das Inlandsvermögen und auf das Nutzungsrecht an diesem (§ 2 ErbStG). Wurde im Ausland angefallenes Vermögen bereits dort mit (ausländischer) E./S. belegt, so wird diese im Inland auf Antrag angerechnet, sofern nicht ein → Doppelbesteuerungsabkommen Platz greift (§ 21 ErbStG). Die Höhe der E./S. richtet sich zum einen nach dem Wert des Erwerbs (bewertet nach Bewertungsgesetz), zum anderen nach dem persönlichen Verhältnis des Erwerbers zum Erblasser/Schenker. Bezüglich dieses Verhältnisses werden drei Steuerklassen unterschieden: – Steuerklasse I: 1. der Ehegatte, der eingetragene Lebenspartner
2. die Kinder und Stiefkinder, 3. die Abkömmlinge der unter 2. genannten Kinder und Stiefkinder (Enkel), 4. die Eltern und Voreltern bei Erwerb von Todes wegen. – Steuerklasse II: 1. die Eltern und Voreltern, soweit sie nicht zur Steuerklasse I gehören, 2. die Geschwister, 3. die Abkömmlinge ersten Grades von Geschwistern (Neffen, Nichten), 4. die Stiefeltern, 5. die Schwiegerkinder, 6. die Schwiegereltern, 7. der geschiedene Ehegatte. – Steuerklasse III: Alle übrigen Erwerber und die Zweckzuwendungen. Die Steuerklassen I und II Nr. 1 bis 3 gelten auch dann, wenn die Verwandtschaft durch Annahme als Kind bürgerlich-rechtlich erloschen ist. Ehegatten und Kinder haben darüber hinaus folgende Versorgungsfreibeträge: Ehegat-
Die reformierten Eckwerte unter Einbezug der persönlichen Freibeträge zeigt die nachfolgende Übersicht: Steuerklasse I II1 III 2
Freibetrag in Euro Nachlassvolumen, in Euro, nach Abzug der Freibeträge bis 15 000
Ehe-/ Lebenspartner
Kinder
Enkel
500 000
400 000
200 000
20 000
20 000
7
15
30
Steuersätze, in Prozent 7
7
bis 300 000
11
11
11
20
30
bis 600 000
15
15
15
25
30
bis 6 000 000
19
19
19
30
30
bis 13 000 000
23
23
23
35
50
bis 26 000 000
27
27
27
40
50
über 26 000 000
30
30
30
43
50
1 2
Geschwister, Neffen und Nichten, Eltern, Großeltern, geschiedene Ehepartner, Schwiegereltern Übrige Erben 211
Erbschaft- und Schenkungsteuer
ten 256 000 Euro, Kinder bis zu 27 Jahren gestaffelt zwischen 52 000 Euro und 10 300 Euro. Sachliche Befreiungen gelten nach § 13 ErbStG für Hausrat (Steuerklasse I 41 000 Euro, Steuerklasse II und III 12 000 Euro), andere bewegliche Gegenstände, insbesondere Kunstgegenstände und anderes. Das gesetzliche Zusatzviertel des überlebenden Ehegatten (→ gesetzliche Erbfolge) beziehungsweise dessen Anspruch auf → Zugewinnausgleich bei Beendigung des gesetzlichen Güterstandes der → Zugewinngemeinschaft unter Erben ist nach § 5 ErbStG von der E. freigestellt. Die verschiedenen Vermögensarten werden hinsichtlich ihrer steuerlichen Erfassung durchweg mit ihrem Verkehrswert *) in Ansatz gebracht. Neuerungen ergeben sich durch die Erbschaftsteuerreform 2008 unter anderem inbezug auf die Vererbung von Wohneigentum und Familienbetriebe. Wohneigentum: In unbegrenzter Höhe steuerfrei vererbbar ist selbstgenutztes Wohneigentum (vom Einfamilienhaus bis zur Eigentumswohnung), wenn dieses vom Ehepartner, eingetragenen Lebenspartner oder den Kindern (bei den Letztgenannten gilt eine objektbezogene Kappungsgrenze der Wohnfläche von 200 Quadratmetern) mindestens 10 Jahre weiter bewohnt wird. – Die Vermietung, Verpachtung oder der Verkauf einer solchen Immobilie vor Ablauf dieses Zeitraumes hebt die Steuerfreiheit auf. Auch ihre Nutzung als gemeldeter Zweitwohnsitz, reicht für die steuerliche Begünstigung nicht aus. Familienbetriebe: Bei einer Unternehmensnachfolge sind Erben dann von der Erbschaftsteuer freigestellt, wenn sie die einschlägigen Arbeitsplätze über 7 Jahre sichern und die diesbezügliche Lohnsumme in diesem Zeitraum insgesamt 700 Prozent ausmacht. (Die Lohnsumme kann während dieser Zeitspanne durchaus schwanken!) *)
Der Verkehrswert (gleich Marktwert) eines Vermögensobjektes wird durch den Preis bestimmt, der in dem Zeitpunkt, auf den sich die Ermittlung bezieht, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zu erzielen ist.
212
Erfüllungsgehilfe
Alternativ zur vorgenannten Möglichkeit ist eine Besteuerung des erworbenen Vermögens mit lediglich 15 Prozent vorgesehen, wenn vom Erwerber eine 5-jährige Haltefrist desselben zugesichert wird. Die Lohnsumme muß dann für diesen Zeitraum 400 prozent betragen! Erbvertrag eine den Erblasser bindende und in der Regel unwiderrufliche Verfügung von Todes wegen. Im Gegensatz zum → Testament kann er nicht nur zwischen Ehegatten, sondern auch zwischen Nichtehegatten geschlossen werden. Ein E. kann nur voreinem Notar bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Vertragsparteien (Erblasser und Begünstigter) geschlossen werden. Eine Aufhebung des E. kann nur durch einen besonderen → Aufhebungsvertrag erfolgen. Demzufolge ist die Aufhebung eines E. nach dem Tod eines Beteiligten nicht mehr möglich (§ 2290 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Ehegatten können einen E. durch gemeinschaftliches → Testament aufheben (§ 2292 BGB). Erfindungen, freie außerhalb der Arbeitsverpflichtung gemachte Erfindungen; für sie trifft den → Arbeitnehmer eine Mitteilungs- und Anbietungspflicht gegenüber seinem → Arbeitgeber. Fällt die Erfindung in Arbeitsbereiche des Arbeitnehmers, so hat der Arbeitgeber innerhalb von 3 Monaten ein Vorrecht auf Verwertung zu angemessenen Bedingungen (Vergütung). Erfolgsbilanz ⇒ Erfolgsrechnung ⇒ Gewinn- und Verlustrechnung. Erfolgsrechnung ⇒ Erfolgsbilanz ⇒ Gewinn- und Verlustrechnung. Erfüllung Erbringen der geschuldeten Leistung (z. B. Ware, → Dienstleistung, Zahlung); führt zum Erlöschen des bestehenden → Schuldverhältnisses (§§ 362 – 371 Bürgerliches Gesetzbuch). Erfüllungsgehilfe Person, deren sich der → Schuldner zur Erfüllung seiner → Verbindlichkeit bedient.
Erfüllungsgehilfe
Für das → Verschulden seiner E. haftet der Schuldner gegenüber seinen Gläubigern wie für eigenes Verschulden (§ 278 Bürgerliches Gesetzbuch). Erfüllungsgeschäft der Teil eines → Rechtsgeschäftes (z. B. eines → Kaufvertrages), durch den die geschuldete Leistung (z. B. Lieferung der Ware, Erbringung einer → Dienstleistung, Zahlung) erbracht wird. erfüllungshalber ⇒ zahlungshalber. Erfüllungsort der Ort, an dem der → Schuldner die Leistung (z. B. Lieferung der Ware, → Dienstleistung, Zahlung) zu erbringen hat. Es lassen sich folgende E. unterscheiden: 1. vertraglicher E.: Er ist von den Vertragspartnern vereinbart. Einseitig getroffene Erklärungen auf Rechnungen, Lieferscheinen und anderem sind nicht verpflichtend, wohl aber die unwidersprochene Übersendung von Geschäftsbedingungen, Bestellscheinen und Preislisten mit entsprechenden Feststellungen vor Vertragsabschluß (Beispiel: Der Verkäufer in Frankfurt a. M. u. der Käufer in Heidelberg vereinbaren „E. für beide Teile Frankfurt a. M.“). 2. natürlicher E.: Er ist dort, wo die Leistung ihrer Natur oder den Umständen nach zu bewirken ist (Beispiele: Zahlung bei den täglichen Einkäufen im Ladenlokal, Durchführung von Reparaturen in einer Wohnung durch Handwerker). 3. gesetzlicher E.: Er ist der Wohnsitz beziehungsweise die gewerbliche Niederlassung des Schuldners und gilt immer dann, wenn ein Ort für die Leistung weder vereinbart wurde noch aus den Umständen zu entnehmen ist. Gesetzlicher E. für die Lieferung einer Ware ist der Wohnoder Geschäftssitz des Verkäufers; gesetzlicher E. für die Zahlung des Kaufpreises ist der Wohn- oder Geschäftssitz des Käufers. Da jedoch Geldschulden als sogenannte → Bring- oder → Schickschulden gelten, ist der (Zahlungs-)Schuldner – soweit nichts anderes vereinbart wurde – verpflichtet, diese (auf seine → Kosten und → Gefahr) an den Wohn- beziehungsweise Geschäftssitz des Lieferanten zu übermitteln (in der
Erhard, Ludwig
Regel zu überweisen, § 270 Bürgerliches Gesetzbuch). Mit der rechtzeitigen und mangelfreien (→ Mängel) Leistung am E. entspricht der Schuldner seiner vertraglichen Verpflichtung. Er entledigt sich seiner Vertragsschuld. Ergonomie Wissenschaft von der Anpassung der → Arbeit an den Menschen. Die E. bedient sich der einschlägigen Erkenntnisse der Medizin, Psychologie, Soziologie, Pädagogik, Ingenieurwissenschaften, Ökonomie und anderer Hilfswissenschaften. → Arbeitsplatzgestaltung. Siehe auch → Arbeitswissenschaft. Erhard, Ludwig geboren 1897 in Fürth, gestorben 1977 in Bonn, ist Begründer der → Sozialen Marktwirtschaft und des „deutschen Wirtschaftswunders“. Nach Schulbesuch und kaufmännischer Lehre trat E. zunächst als Einzelhandelskaufmann in das väterliche Textilgeschäft ein. Nach dem Studium der → Wirtschaftswissenschaften und der Soziologie promovierte er 1925 bei Franz Oppenheimer in Frankfurt/Main. Bei seiner Tätigkeit in verbandsnahen Wirtschaftsforschungsinstituten gewann E. ein klares Bild über Geld- und Warenvorräte sowie Produktionsanlagen und -kapazitäten im Deutschen Reich. Er beschäftigte sich ausgiebig mit der Finanzierung des Zweiten Weltkrieges und den Möglichkeiten von Schuldenkonsolidierung und Wiederauf bau nach Kriegsende. E. war von der Überlegenheit einer freiheitlichen → Wirtschaftsordnung zutiefst überzeugt und hegte keinerlei Illusionen über die Fähigkeit des Staates, die Wirtschaft zu steuern. Als Direktor der Verwaltung der Wirtschaft im amerikanisch und britisch besetzten Deutschland verkündete E. in Verbindung mit der Währungsreform am 20. Juni 1948 eine umfassende Wirtschaftsreform. Mit ihr begann – im Zeichen der Sozialen Marktwirtschaft – eine systematische Ausweitung und Vertiefung der marktwirtschaftlichen Ordnung in Deutschland, die über die gesamte Amtszeit von E. 213
Erhard, Ludwig
(1949 – 1963 Bundesminister für Wirtschaft, 1963 – 1966 Bundeskanzler) andauerte. Charakteristiken dieser Periode sind hohe → Wachstumsraten des → Bruttosozialprodukts, → Vollbeschäftigung, ausgeglichene → öffentliche Haushalte, stabile → Preise. E. war überzeugt, daß diese Erfolge keinem „Wirtschaftswunder“, sondern umfassend bedachter und konsequent durchgeführter → Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik zu verdanken waren. H. F. W. Erholungszeit → Arbeitszeitstudien. Erkrankung im Urlaub Erkrankt ein → Arbeitnehmer im Urlaub, so dürfen die durch ein ärztliches Attest nachgewiesenen Tage der → Arbeitsunfähigkeit vom → Arbeitgeber nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden (§ 9 Bundesurlaubsgesetz). Der Arbeitnehmer darf jedoch nicht eigenmächtig seinen Urlaub um die Krankheitstage verlängern; die Festsetzung des noch ausstehenden Urlaubs hat vom Arbeitgeber zu erfolgen. Erlaß 1. öffentlich-rechtlich: Anordnung einer höheren Behörde an eine ihr untergeordnete Dienststelle bezüglich innerer Angelegenheiten der Verwaltung. 2. zivilrechtlich: Erlöschen eines → Schuldverhältnisses dadurch, daß der → Gläubiger dem → Schuldner durch Vertrag die Schuld erläßt (§ 397 Bürgerliches Gesetzbuch). Erlös → Umsatz. Erlöschen von Schuldverhältnissen → Schuldverhältnisse erlöschen durch → Erfüllung. Daneben nennt das Bürgerliche Gesetzbuch als weitere Erlöschensgründe: die → Hinterlegung, die → Aufrechnung und den → Erlaß. ERM II Abk. für: → European Exchange Rate Mechanism II. ERP Abk. für: European Recovery Program. 1953 gebildetes Sondervermögen des Bun214
Erstattungen
des, das ursprünglich aus Mitteln der amerikanischen → Marshall-Plan-Hilfe gespeist wurde und dem Wiederauf bau der deutschen Wirtschaft diente; wurde später nach Auslaufen der Marshall-Plan-Hilfe aus Tilgungs- und Zinsrückflüssen sowie zusätzlich am Kreditmarkt aufgenommenen Mitteln gebildet und zur gezielten regionalen und sektoralen Förderung der Wirtschaft, zu Zwecken des → Umweltschutzes und anderer öffentlicher Aufgaben verwendet. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands flossen bedeutsame Finanzierungsströme aus dem E.-Vermögen in die neuen Bundesländer. Die E.-Kredite haben Laufzeiten bis zu 20 Jahren. Ersatzkassen → Krankenkassen. Erschwerniszulage Lohnzuschlag zur Abgeltung besonderer Arbeitserschwernisse; unterliegt nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 Betriebsverfassungsgesetz der erzwingbaren → Mitbestimmung des → Betriebsrates. Ersitzung Rechtsgrund für → Eigentumserwerb in folgenden Fällen: 1. wenn jemand eine bewegliche → Sache über 10 Jahre in(Eigen-)→ Besitz hat (§§ 937 ff. Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Die E. greift nicht Platz, wenn der Besitzer weiß oder während der zehnjährigen Besitzdauer erfährt, daß er nicht Eigentümer (→ Eigentum) ist, oder wenn er dies zum Zeitpunkt der Inbesitznahme infolge grober → Fahrlässigkeit nicht erkennt. 2. wenn jemand ohne Eigentümer zu sein ein Grundstück (→ Eigentumserwerb an Grundstücken) über einen Zeitraum von 30 Jahren in (Eigen-)Besitz hat und gleichzeitig als Eigentümer dieses Grundstückes im → Grundbuch eingetragen ist (§ 900 BGB). Ersparnis die Teile des → Einkommens, die nicht in den → Konsum fließen. Erstattungen bei der → Ausfuhr von innergemeinschaftlich (d. h. innerhalb der → Europäischen Union) teuereren Marktordnungswaren (d. h. der → EU-Marktordnung unterlie-
Erstattungen
genden Waren) zu einem niedrigeren Weltmarktpreis den Produzenten gewährter (Preis-)Ausgleich. Mit anderen Worten: die Preise der Unionsgüter werden auf das Preisniveau der Weltmarktgüter heruntersubventioniert. Erste Welt Gesamtheit der westlichen Industrienationen. Ertrag ⇒ Output die von einem → Betrieb in einer Wirtschaftsperiode hergestellte Gütermenge (→ Sachgüter und/oder → Dienstleistungen). Gegensatz: → Aufwand. Ertragsgesetz ⇒ Gesetz vom abnehmenden Bodenertrag ⇒ Gesetz vom abnehmenden Ertragszuwachs ⇒ klassische Produktionsfunktion ⇒ Produktionsfunktion vom Typ A → Produktionstheorie 1. Erwerbseinkünfte → Einnahmen des Staates insbesondere aus Grundstücksverkäufen und Unternehmertätigkeit. Erwerbsfähigkeit die körperliche und geistige Fähigkeit von Personen zwischen 15 und 65 Jahren, einer geregelten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Erwerbslose Personen ohne → Arbeitsverhältnis, die sich um eine Arbeitsstelle bemühen, ohne Rücksicht darauf, ob sie bei der Agentur für Arbeit als arbeitslos gemeldet sind oder nicht. Erwerbsminderung ist nach § 43 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) dann gegeben, wenn das Leistungsvermögen eines Versicherten insgesamt herabgesetzt ist. Dieser kann auf eine Tätigkeit in einem völlig anderen → Beruf verwiesen werden. Wer irgendeine andere → Arbeit ausüben kann, wird nicht als erwerbsunfähig angesehen, auch wenn diese Arbeit nicht seiner früheren Lebensstellung entspricht. Nach SGB VI ist zwischen teilweiser (§ 43 Abs. 1) und voller (§ 43 Abs. 2) E. zu unterscheiden.
Erwerbsunfähigkeit
Bei E. wird von der → Rentenversicherung → Erwerbsminderungsrente gezahlt. Erwerbsminderungsrente Leistung der → Rentenversicherung an Versicherte, die aufgrund von → Erwerbsminderung nicht mehr in der Lage sind, einer geregelten Beschäftigung nachzugehen. Die rechtliche Grundlage gibt das Sechste Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) § 43. Es unterscheidet eine zweistufige E., die abhängig ist vom vorhandenen Leistungsvermögen des Versicherten. Volle E. erhält, wer nur noch weniger als 3 Stunden täglich zu arbeiten vermag. Verminderte E. wird bei einer Arbeitsfähigkeit für mindestens 3 aber weniger als 6 Stunden täglich gezahlt. Sollte der Versicherte allerdings keine entsprechende zumutbare → Arbeit finden, erhält er gleichwohl die volle E. Wer mehr als 6 Stunden täglich zu arbeiten vermag, erhält keine E. Erwerbspersonen alle Personen mit Sitz im Bundesgebiet, die eine unmittelbar oder mittelbar auf Erwerb gerichtete Tätigkeit ausüben oder suchen (→ Selbständige, → mithelfende Familienangehörige, → Abhängige). Die E. umfassen die → Erwerbstätigen und die → Erwerbslosen. Erwerbstätige Personen, die in einem → Arbeitsverhältnis stehen (einschließlich Soldaten u. → mithelfende Familienangehörige) oder selbständig ein Gewerbe oder eine Landwirtschaft betreiben oder einen → freien Beruf ausüben. Erwerbstätigenquote ⇒ Beschäftigungsquote. Erwerbsunfähigkeit liegt vor: 1. im Sinne der gesetzlichen → Unfallversicherung: wenn der Versicherte nach Unfall nicht wieder fähig ist, seine Arbeitskraft wirtschaftlich zu verwerten (Siebtes Buch des Sozialgesetzbuches [SGB VII] in den §§ 56 – 62); 2. im Sinne der gesetzlichen → Rentenversicherung: wenn der Versicherte infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von Schwäche seiner geistigen oder körperlichen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit 215
Erwerbsunfähigkeit
in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben kann oder nicht mehr als nur geringfügige → Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann. Der traditionelle Terminus E. wird heute nach § 43 Abs. 2 SGB VI durch volle → Erwerbsminderung ersetzt. Volle Erwerbsminderung ist dann gegeben, wenn das Leistungsvermögen des Versicherten so drastisch herabgesetzt ist, daß er nur noch weniger als 3 Stunden täglich zu arbeiten vermag. (Volle Erwerbsminderung berechtigt zur → vollen → Erwerbsminderungsrente.) Erwerbsunfähigkeitsrente Wird nach §§ 240 f. Sozialgesetzbuch VI ersetzt durch die zweistufige → Erwerbsminderungsrente. Erwerbsvermögen → Vermögen, das (im Gegensatz zum → Gebrauchsvermögen) in der Regel einen Geldertrag abwirft; es umfaßt das Produktivvermögen und das Geldvermögen. Das Produktivvermögen erstreckt sich vom Mietshaus über gewerblich genutzte Grundstücke und Gebäude, Fertigungseinrichtungen, Vorräte an → Roh- und → Hilfsstoffen, Halb- und Fertigerzeugnissen bis hin zur → Aktie, zum → Investmentzertifikat. Zum ertragbringenden Geldvermögen gehören → Sparguthaben, → Obligationen und alle durch Rechtsanspruch gesicherten → Forderungen auf → Geld. ESF Abk. für: → Europäischer Sozialfonds. ESM Abk. für: → Europäischer Stabilisierungsmechanismus. ESZB Abk. für: → Europäisches System der Zentralbanken. Etatismus die insbesondere im sozio-ökonomischen Bereich festzustellende Erscheinung, staatliche Zuständigkeit zu Lasten der individuellen Selbstverantwortung und Entscheidungsfreiheit zu etablieren und auszuweiten. 216
Ethik der Marktwirtschaft
Ethik der Marktwirtschaft Das ethische Grundproblem der → Marktwirtschaft geht vom → Wettbewerb aus, der zweifellos ein antagonistisches Element in die → Gesellschaft bringt. Der Wettbewerb ist produktiv, er zwingt die Akteure zu Kreativität und Disziplin; ihm verdanken wir den Wohlstand breitester Bevölkerungskreise, jenen Wohlstand, der den Menschen ein Leben nach eigenen Lebensentwürfen in Gemeinschaft mit anderen ermöglicht. Zugleich beschränkt derselbe Wettbewerb aber moralisch motivierte Vor- und Mehrleistungen einzelner in einschneidender Weise: Wer als einzelner unter Konkurrenzbedingungen aus moralischen Motiven z. B. durch → Umweltschutz oder Sozialleistungen eine Erhöhung seiner → Kosten in Kauf nimmt, gerät in Wettbewerbsnachteil und wird langfristig mit wirtschaftlichem Ruin bestraft. Das Grundproblem der E. besteht darin, daß sich Wettbewerb und Moral im Handlungsvollzug auszuschließen scheinen. Die Leistung von → Adam Smith besteht darin, einen Weg gefunden zu haben, Wettbewerb und Moral simultan zur Geltung zu bringen. Er unterscheidet zwischen der Rahmenordnung des Handelns und den Handlungen innerhalb der Rahmenordnung, und er läßt dann in den Handlungen (Käufe, Verkäufe, Produktpolitik, → Löhne, → Betriebsklima usw.) den – so überaus produktiven – Wettbewerb stattfinden, während er die moralischen Intentionen in den Regeln des Wettbewerbs (Verfassung, Gesetze, Wettbewerbsordnung usw.) geltend macht. Ein Vergleich mit dem Sport macht die Grundidee am einfachsten klar: Die Fairneß wird durch die Spielregeln garantiert, über deren Einhaltung der Schiedsrichter wacht; erst auf dieser Grundlage kann es mit dem Anpfiff in den Spielzügen Wettbewerb geben mit dem Ziel, durch innovative, kreative Spielzüge den Gegner zu besiegen. – Auf fünf Gesichtspunkte ist aufmerksam zu machen. (1) Grundlage des Wettbewerbs in den Spielzügen ist der Konsens über die Spielregeln, und die Regeln werden durch eine
Ethik der Marktwirtschaft
Erzwingungsinstanz (Gesetze, Justiz, Kartellamt) durchgesetzt. (2) Der Wettbewerb auf dem Spielfeld bzw. auf dem → Markt ist eine Veranstaltung zum → Nutzen der Zuschauer bzw. der Konsumenten. Die Interessen der Wettbewerber und die Interessen der Konsumenten fallen auseinander: Die Wettbewerber wollen gewinnen, die Zuschauer bzw. Konsumenten wollen für ihr Geld ein interessantes Spiel bzw. gute → Produkte bekommen. Die moralisch erwünschten gesamtwirtschaftlichen Ergebnisse (Wohlstand) und die unmittelbaren Handlungsmotive der Akteure am Markt (→ Gewinn) fallen auseinander. Dies ist der Sinn des berühmten Satzes von A. Smith: „Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, daß sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen.“ Oder anders: Der Wohlstand aller hängt nicht vom Wohlwollen der einzelnen ab. (3) Fast noch wichtiger für die öffentliche Diskussion ist die Umkehrung dieses Gedankens: Moralisch unerwünschte, ja empörende Zustände können nicht länger auf böse Motive oder Charakterschwäche der Akteure wie Profitgier oder Egoismus zurückgeführt werden. (4) In der Marktwirtschaft erscheint die Moral daher nicht in den handlungsleitenden Motiven der Akteure am Markt, sie erscheint als Handlungsbeschränkung in Form von Spielregeln. (5) Die Spielregeln müssen für alle Wettbewerber in der gleichen Weise gelten, wenn nicht gerade das moralische Verhalten einzelner Wettbewerber von der Konkurrenz ausgebeutet werden soll. Moralisches Verhalten darf nicht ökonomisch ausgebeutet werden, und dies wird sichergestellt nur, wenn alle Konkurrenten denselben Spielregeln unterliegen. Die moralische Qualität der Marktwirtschaft liegt somit nicht in den Motiven der Akteure, sondern in den moralisch erwünschten Ergebnissen. Die Frage ist, von welchen Faktoren diese Ergebnisse abhängig und ob sie zu beeinflussen sind. Die Antwort
Ethik der Marktwirtschaft
stammt wiederum von A. Smith: Es ist das System der Spielregeln, die Organisation oder Ordnung der Wirtschaft, die die zahllosen eigeninteressierten Handlungen der Akteure in jene Richtung kanalisiert, die allgemein erwünscht ist. Daraus ergibt sich die entscheidende These einer modernen Wirtschaftsethik: Die moralische Qualität der modernen Marktwirtschaft hängt systematisch von der Gestaltung der Rahmenordnung ab. Wer die Moral der modernen Welt an den unmittelbar handlungsleitenden Motiven der Akteure im Wettbewerb festmachen will, sucht an der falschen Adresse und kommt folglich auch zu falschen Diagnosen (z. B. Profitgier) und zu falschen Therapievorschlägen (z. B. Umkehr). Damit hat die Marktwirtschaft als Ganze eine ethische Begründung, eine moralische, eine sittliche Qualität. Sie liegt darin, daß die Marktwirtschaft das beste bisher bekannte Mittel zur Verwirklichung der Solidarität aller Menschen darstellt. Daraus folgt, daß sich die Akteure in der Marktwirtschaft, wenn es ihnen um ethische Ziele geht, gemäß den Imperativen dieser Marktwirtschaft verhalten sollen. Damit ist die grundlegende Logik der Marktwirtschaft in Bezug auf die Ethik entwickelt. Die Aussagen setzen voraus, daß die Marktwirtschaft über eine vollkommene Rahmenordnung verfügt, die gewinnmaximierendes Handeln in die gesellschaftlich erwünschte Richtung lenkt. Natürlich wird niemand behaupten wollen, daß der Prozeß der Etablierung einer funktionierenden Marktwirtschaft, die diese ethischen Ziele vollständig erreicht, in den westlichen Industrienationen oder gar im Weltmaßstab schon zu endgültig zufriedenstellenden Resultaten geführt hätte. Dies ist die Stelle, an der den einzelnen Akteuren in der Marktwirtschaft – den Konsumenten, den → Unternehmen, den Verbänden und → Gewerkschaften, den Staaten – jene moralische Verantwortung, die der Idee nach in weiten Teilen an die Rahmenordnung abgegeben war, wieder zufällt. Damit wird deutlich, daß reale Marktwirtschaften bestenfalls in Teilbereichen sich selbst steuernde Systeme mit ethischer Qua217
Ethik der Marktwirtschaft
lität darstellen. In den anderen Bereichen sind die einzelnen Akteure gefordert. Marktwirtschaftliche Rahmenordnungen haben insbesondere in der → Zweiten und → Dritten Welt systematisch und historisch zahlreiche Lücken (ungeregelte Bereiche insbesondere bei Neuentwicklungen wie der Gentechnologie, Defizite in der Regeldurchsetzung usw.). Hinzu kommt, daß viele → Verträge, über die die gesellschaftliche Zusammenarbeit in der modernen → Wirtschaft und Gesellschaft organisiert wird, unvollständig in dem Sinne sind, daß nicht alle Eventualitäten einer langen Zusammenarbeit im vorhinein vertraglich genau geregelt werden können; dies ist bei langfristigen wirtschaftlichen Austauschbeziehungen und insbesondere bei → Arbeitsverträgen der Fall. Hier wird moralische Korrektheit, Verläßlichkeit, Tugend, Fairneß usw. für die sinngemäße Erfüllung der Verträge immer wichtiger. Deswegen sind Individuen und Unternehmen gut beraten, wenn sie Vertrauenskapital, Glaubwürdigkeit und Reputation auf bauen. Sehen sich Unternehmen moralischen Forderungen der Öffentlichkeit gegenüber, haben sie grundsätzlich zwei Möglichkeiten, diesen Erwartungen gerecht zu werden: Sie können zum einen durch moralisch vorbildliches Verhalten (z. B. umweltfreundliche Produkte, gutes Betriebsklima) Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren Konkurrenten erzielen; in vielen Fällen, in denen das nicht möglich ist, können sie sich zum anderen politisch um eine Verbesserung der Rahmenordnung bemühen, damit ihre Konkurrenten und sie selbst unter die gleichen moralisch motivierten Spielregeln gestellt werden und moralisches Verhalten somit „ausbeutungsfest“ wird. Unter Bedingungen des Wettbewerbs, der kein Betriebsunfall, sondern das Programm der modernen Marktwirtschaft ist, kann das moralische Verhalten einzelner nur dann auf breiter Front und auf Dauer Bestand haben, wenn es durch ein geeignetes System von Spielregeln vor der → Ausbeutung durch Wettbewerber geschützt wird. Prof. Dr. Dr. Karl Homann, München 218
Eucken, Walter
EU Abk. für Europäische Union; ersetzt nach dem Vertrag der → EG-Staats- und Regierungschefs von Maastricht (Niederlande) am 9./10. 12. 1991 die Bezeichnung EG ab 1. 11. 1993. Der E. gehören an (Stand: 2012): Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakische Republik, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern. EU-Agrarmarktordnung → Agrarmarktordnungen (in der Europäischen Union). Eucken, Walter *1891 (Jena), † 1950 (London), war ab 1927 Professor für → Volkswirtschaft an der Universität Freiburg i. Breisgau. In seinen Werken Grundlagen der Nationalökonomie (1940) und Grundsätze der Wirtschaftspolitik (postum, 1952) versucht er, methodologisch die „große Antinomie“ zwischen klassischer theoretischer Ökonomie und der empiristischen Denkschule der deutschen → Historischen Schule (mit starker Betonung der theoretischen Komponente) aufzulösen. Er wird Begründer der → Freiburger Schule, deren wirtschaftspolitische Vorstellungen ab 1948 in dem von ihm herausgegebenen Jahrbuch Ordo (weshalb diese Denkrichtung auch → Ordo-Liberalismus genannt wird) ein publizistisches Forum finden. E. wirtschaftspolitische Ideen basieren auf einer Kritik des staatlichen Interventionismus. Es gelte, die Interdependenz zwischen Gesellschaft, Staat und Wirtschaft zu verstehen. Statt in den → Wettbewerb einzugreifen, solle der Staat den Wettbewerb durch eine marktkonforme rechtliche Rahmenordnung erst vollständig herstellen. Nur dadurch könne er die Selbstzerstörungstendenzen innerhalb der → Marktwirtschaft – etwa durch → Kartelle und → Monopole – eindämmen. Die vollständige Wettbewerbsordnung sei der beste Garant für eine effiziente → Wirtschafts- und → Sozialpolitik. Mit seinen Ideen übte er großen Einfluß
Eucken, Walter
Europäische Gemeinschaft(en)
auf die bundesdeutsche Wirtschaftspolitik der Nachkriegszeit (→ Ludwig Erhard) aus. Literatur: Böhm, F.: Die Idee des Ordo im Denken Walter Euckens; in: Ordo, Bd. III, 1950, S. XVff; Gerken, L. (Hrsg.), Walter Eucken und sein Werk, Tübingen 2000; Hütten, K. W.: Die „große Antinomie der Nationalökonomie“ und der „positive Vorschlag“ Walter Euckens zu ihrer Überwindung, Heidelberg 1949; Oswalt, W.: Liberale Opposition gegen den NS-Staat. Zur Entwicklung von Walter Euckens Sozialtheorie, S. 315 – 353 in: Goldschmidt, N. (Hrsg.): Wirtschaft, Politik und Freiheit. Freiburger Wirtschaftswissenschaftler und der Widerstand, Tübingen 2005; Weippert, G.: Walter Euckens „Grundlagen der Nationalökonomie“; in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 102, 1942. D. D. EURATOM Abk. für: Europäische Atomgemeinschaft; zwischen Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und Niederlande durch den Römischen Vertrag v. 25. 3. 1957 beschlossene und seit dem 1. 1. 1958 existierende Teilorganisation der → EG mit dem Ziel, die Kernforschung und friedliche Verwendung der Kernenergie zu fördern und damit den Lebensstandard in den Mitgliedstaaten zu heben. Mit der Ausdehnung der EG/→ EU auf weitere Staaten erweiterte sich auch das E. Die gemeinsame Kernforschungsstelle betreibt Kernforschungsanstalten in: Ispra (Italien), Culham (England), Mol (Belgien), Petten (Niederlande) und Karlsruhe (Deutschland). E. hat das Eigentumsrecht an allem spaltbaren Material innerhalb der EU. EURIBOR Abk. für: Euro Interbank Offered Rate. Seit 1. 1. 1999 mit Einführung des → Euro geltender Referenzzinssatz des Euro-Geldmarktes, zu dem eine Bank mit bester Bonität einer anderen ebensolchen InterbankenTermineinlagen in der Eurozone anbietet. Er wird täglich 11 Uhr Brüsseler Zeit (MEZ) veröffentlicht.
Euro Name der einheitlichen Währung der → EWWU-Mitgliedstaaten. Der E. ersetzt deren Landeswährungen seit dem 1. 1. 1999. Der (Währungs-)Umstellungskurs für die DM zu diesem Stichtag betrug: 1 : 1,95583, das heißt 1 E. entsprach 1,95583 DM. eurocheque durch internationales Vertragswerk 1972 begründetes Schecksystem, das mit Wegfall der Einlösungsgarantie der Banken (bis zu einem Höchstbetrag von 400 DM) zum 31.12.2001 seine Bedeutung verlor. Zwar können e. auch noch nach diesem Stichtag verwendet werden. Da jedoch der Empfänger (wie bei jedem gewöhnlichen → Scheck) das Einlösungsrisiko selbst trägt, wird die Annahme von e. zur Vertrauenssache! An die Stelle des e. ist die schon seit längerer Zeit gebräuchliche → Bankcard ec getreten. Euroland ⇒ Eurozone ⇒ Euroraum das von den in der → EWWU zusammengeschlossenen Staaten gebildete Währungsgebiet. Europäische Akte ⇒ Einheitliche Europäische Akte → EG. Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea, SE) Seit Ende 2004 auch in Deutschland mögliche Unternehmensrechtsform für Kapitalgesellschaften. Die Gesetzesgrundlage (Gesetz zur Einführung der E.) basiert auf einer EU-Verordnung. Sie gestattet entsprechenden Unternehmen, anstelle von → Vorstand und → Aufsichtsrat einen Board of Directors (Verwaltungsrat nach britisch-amerikanischem Vorbild) einzuführen. Diese sog. „Europa-AG“ erschließt Unternehmen die Möglichkeit, sich grenzüberschreitend nach einheitlichen Regeln zusammenzuschliessen. Europäische Gemeinschaft(en) → EG. 219
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG)
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl → EGKS.
ierlichen → Wachstums, einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie der Förderung der Beziehungen zwischen den Mitgliedsstaaten. Zentrales Instrument zur Anstrebung dieser Ziele sind „die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und die schrittweise Annäherung der → Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten“ (Art. 2 Grundvertrag).
Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea, SCE) auf der Rechtsgrundlage des zum 18. 8. 2006 in Kraft getretenen Gesetzes zur Einführung der E. und zur Änderung des Genossenschaftsrechtes geschaffene eigenständige → Unernehmensrechtsform. Sie versucht, dem allgemeinen Anliegen Rechnung zu tragen, die Gründung von → Genossenschaften zu erleichtern und deren Attraktivität zu erhöhen. In Verfolgung dieses Anliegens sind folgende Änderungen zu nennen: geringere Mindestmitgliederzahl, Erweiterung des Förderzweckes auf soziale und kulturelle Ziele, die Zulassung von investierenden Mitgliedern und Sacheinlagen sowie der mögliche Verzicht auf den regulären → Aufsichtsrat. Europäische Investitionsbank (EIB) 1958 errichtetes rechtlich selbständiges → Kreditinstitut der → EU mit Sitz in Luxemburg, das ohne Verfolgung eines Erwerbszweckes zur Realisierung von im Interesse der EU liegenden Projekten beiträgt. Es finanziert sich über → Anleihen auf den → Kapitalmärkten und die Mitgliedsländer der EU. Die E. hält die Mehrheit der Anteile am → Europäischen Investitionsfonds. Europäische Union → EU. Europäische Währungsunion → Europäische Witschafts- und Währungsunion (EWWU). Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) auf der Grundlage der Römischen Verträge von 1957 von Frankreich, Belgien, Niederlande, Luxemburg, Italien und Bundesrepublik Deutschland gebildete supranationale Gemeinschaft, der 1973 Großbritannien, Irland, Dänemark, 1981 Griechenland und Spanien, 1986 Portugal sowie 1995 Schweden, Finnland und Österreich beitraten. Die in den Römischen Verträgen festgelegten Ziele erstrecken sich auf die Verwirklichung einer gleichgewichtigen ökonomischen Entwicklung der Gemeinschaft, eines kontinu220
Der Gemeinsame Markt als erste Stufe der wirtschaftlichen Integration sollte über die Durchsetzung von vier Grundfreiheiten verwirklicht werden: (1) freier Waren- und Dienstleistungsverkehr, (2) → Freizügigkeit der → Arbeitnehmer (mit Ausnahme des öffentlichen Dienstes), (3) → Niederlassungsfreiheit und (4) freier → Kapitalverkehr. Die im Zuge einer solchen Liberalisierung abzubauenden nationalen Restriktionen sollten Raum geben für Gemeinschaftspolitiken. Sie sind vertraglich vorgesehen für die Bereiche Landwirtschaft, Außenhandel und Verkehr. Der höchste Vergemeinschaftungsgrad wird im landwirtschaftlichen Bereich, dem sogenannten Gemeinsamen Agrarmarkt, angestrebt. Er beruht auf einem System von → Agrarmarktordnungen. Die Grundlagen für eine Zollunion konnten mit dem Abbau der → Binnenzölle und dem Auf bau eines gemeinsamen Außenzolltarifes zum 1. 1. 1970 geschaffen werden. Zum 1. 7. 1977 wurde das einheitliche Zollgebiet Wirklichkeit. Die Vollendung des vollständigen → EG-Binnenmarktes wurde in der → Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) vom 1. 7. 1987 auf den 1. 1. 1993 festgelegt. Bis zu diesem Zeitpunkt sollten in der Gemeinschaft die → Verbrauchssteuern harmonisiert und damit die Grenzkontrollen aufgehoben werden. Es sollten bis dahin aber auch bislang noch bestehende Handelshemmnisse, insbesondere technische, durch Angleichung der unterschiedlichen nationalen Industrienormen und Standards beseitigt und damit gerechtere Wettbewerbsbedingungen zwischen den Gemeinschaftsmitgliedern hergestellt werden. Auch die Freizügigkeit für Arbeitnehmer und → Selbständige, der freie Dienstleistungsverkehr für Versicherungen und Ban-
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU)
ken sowie die vollständige Liberalisierung des Kapitalverkehrs sollten bis zu diesem Zeitpunkt geregelt werden. Grundlage für die Entwicklung einer Gemeinsamen koordinierten Wirtschaftspolitik ist eine Entscheidung des Europäischen Rates aus dem Jahre 1974. Ihr zufolge erläßt dieser regelmäßig konjunktur- und (allgemeine) wirtschaftspolitische Leitlinien und verabschiedet Programme für die mittelfristige Wirtschaftspolitik. Diese haben für die Mitgliedsstaaten allerdings nicht die Bedeutung von Vorschriften; sie sollen in den nationalen Wirtschaftspolitiken lediglich beachtet werden. Die Bemühungen um eine gemeinsame Währungspolitik hatten 1979 zur Schaffung eines → Europäischen Währungssystems geführt, in dessen Mittelpunkt die Europäische Währungseinheit, der → ECU, stand. Am 9./10. 12. 1991 haben die EG-Staats- und Regierungschefs in Maastricht (Niederlande) im Rahmen einer → Europäischen Union (mit einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und Zusammenarbeit in der Innen- und Rechtspolitik) eine → Europäische Wirtschafts- und Währungsunion vereinbart, die ab 1993 schrittweise verwirklicht werden soll. Die Bezeichnung → Europäische Union (EU) ersetzt die bisherige Bezeichnung EG ab 1. 11. 1993. Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) ist ein Schritt zur Vollendung der wirtschaftlichen Integration in der → Europäischen Union (EU). Integration vollzieht sich – ausgehend von geschlossenen Volkswirtschaften – in verschiedenen Stufen. – Präferenzraum: Staaten vereinbaren in einem Handelsvertrag Vergünstigungen (z. B. Zollsenkung, Abbau von Kontingenten) für den Handel mit bestimmten Produkten untereinander. – Freihandelszone (FHZ): → Zölle und andere Handelsschranken werden zwischen den Partnerländern aufgehoben. Gegenüber Drittländern behält jedes Land seine Zollhoheit. Zur Vermeidung von Handelsumlenkung über die Grenze mit dem niedrigsten Zoll sind bei ungleichen
Außenzöllen auch an den Binnengrenzen der FHZ Zollkontrollen weiterhin nötig. – → Zollunion (ZU): Die Mitgliedstaaten einigen sich auf einen Zollabbau im Innern und gemeinsame Zölle gegenüber Drittländern. – → Gemeinsamer Markt: Über den freien Warenverkehr hinaus werden Freizügigkeit der Arbeitskräfte, Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit sowie freier → Kapitalverkehr vereinbart („vier Freiheiten“). Bei dem 1993 in Kraft getretenen Binnenmarkt der EU handelt es sich um die Vollendung des bereits im EWG-Vertrag vom 25. 3. 1957 gesteckten, bis dahin aber nur teilweise verwirklichten Ziels wirtschaftlicher Integration. – → Wirtschaftsunion: Über die Verwirklichung eines Gemeinsamen Marktes hinaus wird eine Vergemeinschaftung der → Wirtschaftspolitiken angestrebt. Die EU hat wirtschaftspolitische Kompetenzen in der Agrar-, Regional-, Umwelt-, und → Wettbewerbspolitik; sie verfügt über eigene Finanzmittel. Die EU bemüht sich um Vereinheitlichung von → Verbrauchs- und → Umsatzsteuern (Abbau der Steuergrenzen in der EU als Voraussetzung für den Verzicht auf Grenzkontrollen) und um Abstimmung der → Konjunkturpolitiken der Mitgliedstaaten. Die Koordinierung der Wirtschaftspolitiken erfordert ein entsprechendes Maß politischer Integration (institutionalisierte gemeinsame Willensbildung in den Organen der EU). – Wirtschaftsund Währungsunion (WWU): Die Gemeinschaft führt eine gemeinsame → Währung ein. → Geldund Währungspolitik werden auf Gemeinschaftsinstitutionen übertragen. Der damit verbundene Verzicht auf nationale Geldpolitik und Einschränkungen der finanz- und wirtschaftspolitischen Souveränität erfordern eine Vertiefung der politischen Integration (politische Union). Historische Beispiele für eine WWU sind die Einführung einer Reichswährung im Deutschen Reich (Münzgesetz vom 9. 7. 1873) und die WWU (2. 7. 1990) zwischen Bun221
Europäische Wirtschafts- und Währungsunion
desrepublik und DDR im Vorgriff auf die Wiedervereinigung am 3. 10. 1990. In der → Europäischen Gemeinschaft hatte es 1971 bereits einen Versuch gegeben, stufenweise bis 1980 eine WWU zu verwirklichen (Werner-Plan). Es konnte jedoch keine wirksame Koordinierung der Wirtschaftspolitiken durchgesetzt werden. Nach verschiedenen Währungskrisen wurde der Plan aufgegeben und am 13. 3. 1979 durch das → Europäische Währungssystem (EWS) ersetzt. Dieses ist der Vorläufer der heutigen WWU. Mit den Beschlüssen zur Vollendung des Binnenmarktes begann eine erneute Diskussion um eine WWU (Delors-Plan). Im Vertrag von Maastricht (7. 2. 1992) wurde dieses Ziel für 1997 bzw. spätestens 1999 zusammen mit Schritten zu einer vertieften Europäischen Union beschlossen. Mit der Errichtung des Europäischen Währungsinstituts (EWI) am 1. 1. 1994 in Frankfurt/M. begann der institutionelle Auf bau der WWU. Das EWI sollte die Einführung der Euro-Währung vorbereiten. Am 1. 1. 1999 wurde es in die → Europäische Zentralbank (EZB) umgewandelt. Die Einführung des Euro wurde von der Erfüllung wirtschaftlicher Voraussetzungen abhängig gemacht (Konvergenzkriterien), die über den Start 1999 hinaus für den Beitritt weiterer Mitglieder gelten: Die → Inflationsrate darf nicht um mehr als 1,5 % höher liegen als in den drei „stabilsten“ EU-Ländern, die Gesamtverschuldung des Staates darf 60 % und die jährliche Neuverschuldung 3 % des → Bruttoinlandsprodukts nicht übersteigen, die Währung muß in den letzten 2 Jahren in der EWS-Bandbreite verblieben sein. Liegt die Gesamtverschuldung eines Staates höher als 60 % (so war es 1998 bei Belgien, Italien und Deutschland), muß in den Jahren vor dem Beitritt ein Schuldenabbau in Richtung auf diese Marke vorliegen. Trotz der strengen Konvergenzkriterien ist die EWWU umstritten. Für eine WWU spricht die Verbilligung des Handels- und Kapitalverkehrs im Europäischen Binnenmarkt und der Wegfall des Wechselkursrisi222
Europäische Wirtschafts- und Währungsunion
kos durch eine einheitliche Währung. Ferner hat die Handels- und Kapitalverflechtung in der EU bereits eine solche Intensität erreicht, daß sich Konjunkturschwankungen und → Inflation aus einem Land in die anderen übertragen. Nationale Konjunkturpolitik ist faktisch kaum noch möglich – eine gemeinsame Geldpolitik und sehr eng koordinierte Finanzpolitiken sind erforderlich. Andererseits wird befürchtet, daß die Stabilität der Euro-Währung geringer sein könnte als die der DM. Eine gemeinsame Währung führt zu europaweiter Konkurrenz unter gleichen Bedingungen auch für schwächere Partnerländer, die bisher durch Abwertung ihrer Währungen Stabilitäts- und Wettbewerbsnachteile ausgleichen konnten. Die EWWU wird daher von einem Ausbau der Regionalund Strukturpolitik und einer europäischen → Sozialpolitik begleitet sein müssen. Der für 1997 vorgesehene Start der WWU mußte verschoben werden, weil zunächst zu wenige Länder die Konvergenzkriterien erfüllten. Am 1. Januar 1999 wurde der Euro von 11 EU-Staaten (Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien) eingeführt. Dänemark, Großbritannien und Schweden traten der WWU nicht bei. Griechenland, das 1999 als einziges EU-Land die Kriterien nicht erfüllte, ist am 1. 1. 2001 beigetreten. Einzige Währung in den Euro-Ländern ist der Euro (€). Die alten Währungen der Mitgliedstaaten blieben zunächst noch im Umlauf. Seit dem 1. 1. 2002 sind die nationalen Geldzeichen durch Euro-Banknoten und -Münzen ersetzt. Die Euro-Währung wird vom Europäischen System der Zentralbanken ausgegeben und kontrolliert (ESZB; Art. 105 EG-Vertrag i.F. 2. 10. 1997). Es besteht aus der Europäischen Zentralbank (EZB) und den Zentralbanken der 12 Eurostaaten. Entscheidungsorgane sind das Direktorium und der Rat der EZB. Das Direktorium besteht aus Präsident, Vizepräsident und 4 weiteren Direktoren; ihm obliegt die Geschäftsführung. Der Rat der EZB besteht aus dem Direktorium und den Präsidenten der Zentralbanken der Staaten, die den Euro eingeführt haben. Dem Erweiterten Rat ge-
Europäische Wirtschafts- und Währungsunion
hören auch die Zentralbankpräsidenten der übrigen EU-Mitgliedstaaten an – allerdings ohne Stimmrecht. Ziele der EZB sind die Gewährleistung des Zahlungsverkehrs und die Sicherung des Geldwerts. Die EZB ist institutionell und personell unabhängig und Mitglieder ihrer Organe unterliegen keinen Weisungen durch Regierungen oder EUKommission (Autonomie der EZB, Art. 107 EGV). Als Instrumente der Geldpolitik stehen der EZB die → Offenmarktpolitik, die → Mindestreservenpolitik und die Politik der ständigen → Fazilitäten (Festlegung des Spitzen-Refinanzierungs- bzw. des Einlagenzinses) zur Verfügung. Zur Wahrung der vereinbarten Finanzdisziplin haben die Euroländer einen „Stabilitäts- und Wachstumspakt“ (Art. 104 EGV) vereinbart, der bei nachhaltigen Verstößen gegen die Verschuldungskriterien Sanktionen durch die EU vorsieht. Die Auslegung der Bestimmungen und ihre Anwendung sind in der EU umstritten, und die Kommission konnte bisher Verstöße einzelner Staaten (Portugal, Griechenland, Deutschland, Frankreich, Italien) nicht verhindern. EWWU-Befürworter drängen auf Absicherung der Währungsunion durch eine politische Union (u. a. mehr Rechte für das Europäische Parlament). Für Euro-Skeptiker (z. B. in Großbritannien) ist die Notwendigkeit, weitere Souveränitätsrechte auf die Union zu übertragen, ein Argument, die EWWU abzulehnen. Neben Großbritannien haben auch Dänemark und Schweden sich vorbehalten, den Euro nicht einzuführen. Die 2004 der EU beigetretenen 10 ost- und südeuropäischen Länder werden den Euro einführen, sobald sie die Konvergenzkriterien erfüllen. Estland, Malta, Slowakei, Slowenien und Zypern haben inzwischen den Euro eingeführt. Andere Länder haben bereits ihre Währungen im Wechselkursmechanismus II (WKM II) an den Euro gebunden. In den ersten Jahren hat der Euro sich binnenwirtschaftlich als stabile Währung erwiesen (Inflationsrate unter 2 %). Gegenüber dem Dollar mußte der Euro zunächst kräftige Kurseinbußen hinnehmen (Januar 1999 1 € = 1,16 $, Okto-
Europäischer Qualifikationsrahmen
ber 2000 1 € = 0,83 $). Seither ist der Kurs des Euro deutlich angestiegen (Mai 2011 1 € = 1,4285 $). Literatur: Görgens, E., K. Ruckriegel, F. Seitz: Europäische Geldpolitik, 5. Aufl. Stuttgart 2008; Heine, M., H. Herr: Die Europäische Zentralbank, 4. Aufl. Marburg 2008; Institut der Deutschen Wirtschaft (Hg.): 10 Jahre Euro. Erfahrungen, Erfolge, Herausforderungen, Köln 2008; Tietmeyer, H.: Herausforderung Euro, München 2005. Prof. Dr. Klaus-Peter Kruber, Kiel Europäische Zentralbank (EZB) Die zentrale → Notenbank der in der → EWWU vereinten Staaten, die im Juni 1998 ihre Arbeit in Frankfurt a. M. aufgenommen hat. Die E. bildet zusammen mit den → Zentralbanken der → EU-Länder das → Europäische System der Zentralbanken (ESZB). Die E. ist allein zuständig für die → Geldpolitik der EWWU-Länder. Das sechsköpfige Direktorium der E. und die Präsidenten der nationalen Notenbanken der → Euroländer bilden den E.-Rat, das Beschlußgremium für die Geldpolitik. Das Direktorium der E. und die Präsidenten → der Zentralbanken aller EU-Staaten bilden den Erweiterten E.-Rat. Struktur und Aufgaben der E. sind im → Maastrichter Vertrag und einem diesem beigefügten Protokoll geregelt. Siehe auch → EWWU. Europäischer Betriebsrat → Betriebsrat. Europäischer Investitionsfonds (EIF) 1994 gegründetes rechtlich selbständiges Finanzinstitut der → EU mit Sitz in Luxemburg, das die Absicht verfolgt, im Interesse der EU liegende Projekte – insbesondere kleiner und mittelständischer → Unternehmen zu fördern. Es operiert durch → Venture Capital-Beteiligungen und Garantien. Europäischer Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (EQR) ein durch die Bildungsminister der → EU und das Europäische Parlament 2008 beschlossenes Referenzsystem, das zu mehr Transparenz und Vergleichbarkeit von beruflichen → Qualifikationen in Europa betragen soll. – Es umfaßt 8 Niveau-Stufen, 223
Europäischer Qualifikationsrahmen die von angelernten Fertigkeiten bis zu akademischen Abschlüssen reichen. Im Mittelpunkt des Vergleichs stehen die erworbenen → Kompetenzen und weniger die jeweiligen Schul-/Hochschul- und Bildungsabschlüsse. Der E. sollte (als nicht rechtsverbindliche Empfehlung) bis 2010 in allen Ländern der EU in entsprechende nationale Regelungen umgesetzt werden. Siehe hierzu: → Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (DQR). Europäischer Sozialfonds (ESF) wichtigstes Instrument der → EU-Arbeitsmarktpolitik. Mit der ESF-Förderung flankiert die Europäische Union die nationalen → Arbeitsmarktpolitiken. Europäischer Stabilitäts- und Wachstumspakt → Staatsverschuldung, → Europäische Wirtschafts- und Währungsunion. Europäischer Vollstreckungstitel (EVT) → vollstreckbarer Titel und → Mahnverfahren. Europäischer Währungsmechanismus (ESM) Die Eurozone versucht Schuldenkrisen in ihren Mitgliedsländern über einen entsprechenden Stabilisierungsmechanismus (ESM) zu entsprechen. Es sind dabei zwei Konzeptionen zu unterscheiden: Der seit Mai 2010 bis 30. 6. 2013 geltende vorläufige Stabilisierungsmechanismus, demzufolge für finanziell notleidende Staaten über drei Kanäle Hilfe bereitgestellt wird: – bis zu 6 Milliarden Euro aus dem EUHaushalt; – 440 Milliarden Euro von der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), einer Zweckgesellschaft der Eurostaaten, die am Kapitalmarkt Anleihen auflegt, die für diese (Eurostaaten) entsprechend ihres jeweiligen Kapitalanteils an der Europäischen Zentralbank (→ EZB) garantieren; – weitere bis zu 250 Milliarden Euro über den → Internationalen Währungsfonds (IWF). Der ab 2013 in Kraft tretende dauerhafte Stabilisierungsfonds, demzufolge für fi224
Europäisches System der Zentralbanken (ESZB)
nanziell notleidende Staaten von ihren Partnerländern entsprechend deren jeweiligen Kapitalanteils an der EZB 500 Milliarden Euro bereitgestellt werden. Daneben bleibt erforderlichenfalls der 250-Milliarden-Euro-Kredit des IWF bestehen. Die Praktizierung eines solchen „Rettungsschirmes“ (auch Rettungsfonds genannt) ist für die Bundesrepublik Deutschland (wie auch für die übrigen Partnerländer) mit einem beträchtlichen Risiko verbunden, da sie mit ihm de facto die Gewährleistung für die Schulden der in Not geratenen Partnerländer übernimmt und so selbst erhebliche finanzielle Risiken eingeht. – Die Währungsunion degeneriert mit dieser Praxis zur Transferunion und verstößt damit nach Einschätzung maßgeblicher Experten gegen die No-Bail-out-Klausel des Art. 103 EG-Vertrag. Europäischer Wechselkursmechanismus II (WKM II) ⇒ European Exchange Rate Mechanism II (ERM II) Währungspolitisches System → fester Wechselkurse zwischen den Teilnehmern der → EWWU und solchen Mitgliedern der → Europäischen Union, die zwar der Wirtschaftsunion aber noch nicht der Währungsunion (derselben) angehören (d. s. derzeit [2012] Dänemark, Litauen u. Lettland). Europäischer Wirtschaftsraum → EWR. Europäischer Zahlungsbefehl → Mahnverfahren. Europäischer Zentralbankrat → Europäische Zentralbank. Europäisches Mahnverfahren → Mahnverfahren. Europäisches System der Zentralbanken (ESZB) Das durch die → Notenbanken der → EUStaaten und die → EZB in Frankfurt a. M. gebildete Bankensystem. Struktur und Aufgaben des E. sind im → Maastrichter Vertrag und einem diesem beigefügten Protokoll geregelt.
Europäisches Währungsinstitut
Europäisches Währungsinstitut → Europäische Wirtschafts- und Währungsunion. Europäisches Währungssystem (EWS) ersetzte aufgrund einer Entscheidung des Rates der → EG seit 1979 den bis dahin praktizierten Europäischen Währungsverbund. Im E. wurde eine Gemeinsame → Währungspolitik angestrebt, deren Ziel es war, durch feste, nur innerhalb enger Bandbreiten veränderlicher → Wechselkurse den Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den EG/→ EU-Ländern vor Wechselkursrisiken zu bewahren und so zu erleichtern und auszuweiten. Die Stabilisierung der Wechselkurse sollte durch → Leitkurse erreicht werden. Die → Zentralbanken der Mitgliedsländer waren verpflichtet, spätestens dann, wenn die Partnerländer mit ihrem Währungskurs einen bestimmten → Interventionspunkt erreicht hatten (+/− 15 % um die mittlere → Parität seit August 1993), deren → Währungen in unbegrenzter Höhe zu kaufen beziehungsweise zu verkaufen. Leitkursänderungen waren möglich, jedoch an die Zustimmung der Mitgliedsländer gebunden. Zur Finanzierung ihrer Interventionen konnten die Zentralbanken E.-Kredite aufnehmen. Im Mittelpunkt des E. stand die Europäische Währungseinheit, der → ECU, der als Bezugsgröße für die Wechselkurse, als Rechengröße für Forderungen und Verbindlichkeiten im E. und schließlich als → Zahlungsmittel und Reserveinstrument der EU-Zentralbanken diente. Er war als Währungskorb definiert, der sich aus festen Beträgen der am E. beteiligten Währungen zusammensetzte. Am 1. 1. 1999 wurde das E. durch die → EWWU mit der gemeinsamen Währung → Euro abgelöst. Gleichzeitig wurde mit dem Wechselkursmechanismus II (→ WKM II) ein neues Wechselkurssystem eingerichtet, das dem E. ähnelt: EULänder, die noch nicht Mitglied der EWWU sind, binden ihre Währung innerhalb einer Bandbreite (+/− 15 %) an den Euro. Zur Zeit, 2012, nehmen Dänemark, Lettland und Litauen am WKM II teil. Eine mehrjährige Teilnahme an diesem Wechselkurssystem ist eine der Voraussetzungen für die Ein-
Evolutionsökonomie
führung des Euro in einem der neuen Mitgliedsländer. Europäisches Wiederaufbauprogramm → ERP. European Exchange Rate Mechanism II (ERM II) ⇒ Europäischer Wechselkursmechanismus II (→ WKM II). European Recovery Program → ERP. Euroraum ⇒ Eurozone ⇒ Euroland Sammelbegriff für diejenigen → EU-Länder, die den → Euro als → Währung eingeführt haben. Euroscheck → eurocheque. Euro Stoxx Indizes Von der Deutschen, der Pariser und der Schweizer Börse in Zusammenarbeit mit dem US-Unternehmen Dow Jones konzipierte, internationale Aktienindizes. Der bekannteste ist der Euro Stoxx 50, in dem 50 Top-Unternehmen aus den Teilnehmerländern der → EWWU vertreten sind. Eurosystem die im Rahmen der → Europäischen Währungsunion aus den nationalen → Zentralbanken der Mitgliedsländer und der → Europäischen Zentralbank gebildete Organisationseinheit. Euro-Zahlungsraum → SEPA. Eurozone ⇒ Euroland ⇒ Euroraum. e. V. ⇒ eingetragener Verein. Evolution, ökonomische → Evolutionsökonomie. Evolutionsökonomie geht von der geschichtlichen Erfahrung eines dauernden Wandels im Wirtschaftsleben aus und erklärt diesen in seinen Ursachen 225
Evolutionsökonomie
und strukturellen Konsequenzen endogen, das heißt aus der Logik des Wirtschaftsprozesses selbst. Die E. betrachtet den Wirtschaftsprozeß in seinem Vergangenheitsbezug als irreversibel und in seinem Zukunftsbezug als offen. Dabei wird nicht (wie in den Geschichtswissenschaften) der konkret-geschichtliche Einzelfall behandelt; es wird vielmehr die „typische Historizität“ wirtschaftlicher Prozesse theoretisch herausgearbeitet. Die klassische → Ökonomie – → Adam Smith, → David Ricardo oder, in theoretischer Neudeutung des kapitalistischen Prozesses, → Karl Marx – zielte in ihrem Kern auf die Analyse der Evolution des arbeitsteiligen Industriesystems und seiner Marktdynamik. Die kurzfristige Marktkoordination wurde als ein spontaner Prozeß der Selbstorganisation, bei dem eine makroskopische Ordnung auf dem Wege der „unsichtbaren Hand“ über die Marktpreisbildung (auch ohne koordinierendes Dazutun der → Wirtschaftssubjekte) entsteht, interpretiert. In langfristiger Perspektive bildete die Analyse des technischen Fortschritts und des institutionellen Wandels einen Schwerpunkt. Die evolutive Dynamik des → Marktes wurde einerseits als ein mittelfristiger Konvergenzprozeß, bei dem sich die Marktpreise den durch die Technologie mitbestimmten Kostenpreisen annäherten, und andererseits als ein ständig neue Produkte schaffender und Marktstrukturen langfristig verändernder Prozeß interpretiert. In säkularer Perspektive gingen die Diskussionen vor zweihundert Jahren um die „klassische Frage“, ob die technologische Dynamik des Industriesystems in der Zukunft stark genug sein wird, um die (von → Robert Malthus angenommene) Bevölkerungszunahme zu absorbieren, oder ob der Bevölkerungsfaktor trotz höherem technologischem Standard und Kapitaleinsatz zu einer säkularen Stagnation auf Subsistenzniveau führt. Der säkulare Aspekt der Klassik ist in der E. vor allem für die Forschungsbereiche der → Ökologie (Nicolas Georgescu-Roegen) und der → Entwicklungsländer (Gunnar Myrdal) relevant. Die spezifischen Beiträge hierzu sind aber (über 226
Evolutionsökonomie
die genannten Autoren hinaus) gegenwärtig eher noch bescheiden. Die Hauptströmung der gegenwärtigen, sogenannten neoklassischen Ökonomie, konzentriert sich auf die Analyse kurzfristiger Phänomene. Dabei werden die langsam ändernden Variablen, wie Präferenzen, Technologie und Institutionen, konstant gehalten. Es erscheint als ein paradigmatisches Markenzeichen der modernen E., daß sie die in der neoklassischen Ökonomie (→ Neoklassiker) in den exogenen Bereich verbannten langsam ändernden Variablen als zentrale endogene Erklärungsvariablen in die ökonomische Theorie zurückgebracht hat. Einen Meilenstein der modernen E. bildet → Joseph A. Schumpeter’s 1912 erschienene Monographie „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“. Der österreichische Autor stellt in das Zentrum seiner dynamischen → Wirtschaftstheorie den unternehmerischen Menschen, der – in „schöpferischer Zerstörung“ – Neues schafft und durchsetzt. Das inzwischen klassisch gewordene Werk der modernen E. von Richard R. Nelson und Sidney G. Winter (1982) baut in wesentlichen Aspekten auf Schumpeter auf. Während Schumpeter den → technischen Fortschritt als Erklärungsvariable betonte, versuchte der amerikanische Ökonom Thorsten Veblen die kapitalistische Dynamik auf dem Hintergrund der Evolution ihrer spezifischen Institutionen zu erklären. Bei ersterem ist die Diskontinuität und der globale Ungleichgewichtscharakter des Wirtschaftsprozesses durch die Dynamik von technischen Neuerungen gegeben; bei letzterem ist es das sukzessive Auf brechen verkrusteter „zeremonieller“ Institutionen und ihr Ersatz durch neue, dem Produktions- und Konsumptionsprozeß angepaßte „instrumentelle“ Institutionen. Beiden Ansätzen ist gemeinsam, daß sie ein differenziertes theoretisches Bild vom Menschen, der Veränderungen herbeiführt oder verhindert, zeichnen. Paradoxerweise operiert die moderne neoklassische Ökonomie, die von ihren paradigmatischen Grundlagen her einen „methodologischen → Individualismus“ reklamiert, mit einem stark vereinfachten und unveränderlichen → Menschenbild.
Evolutionsökonomie
Die kleinste analytische Einheit eines Evolutionsprozesses kann mit dem Begriff des „Evolutionsregimes“, das sich aus drei Prozeßphasen zusammensetzt, dargestellt werden. Die Prozeßphasen sind in allgemeiner Konzeptualisierung: 1. Generierung, 2. Adoption, 3. Retention. Die Phasen dieses „Evolons“ können sowohl auf das Phänomen der natürlichen als auch kulturellen Evolution angewandt werden. In der von Charles Darwin entwickelten Evolutionstheorie spielen zufällige Mutationen in der intergenerationenmäßigen Genreplikation und die natürliche Auswahl oder Selektion eine entscheidende Rolle. In einer Art Induktivschluß können von den Prinzipien der zufälligen Mutation und selektiven Bewahrung die drei allgemeineren Erklärungsprinzipien der Generierung, Adoption und Retention hergeleitet werden. Die allgemeinen Evolutionsprinzipien sind vereinbar mit verschiedenen Zeiträumen, innerhalb denen der Evolutionsprozeß abläuft sowie mit verschiedenen Trägern des Evolutionsprozesses, zum Beispiel Gene oder dem Wirtschaftssubjekt. Eine bloße Analogie von der natürlichen Evolution zur kulturellen beziehungsweise ökonomischen würde die Tatsachen, daß die kulturelle Evolution viel rascher als die natürliche vor sich geht und der Mensch in seinen evolutiven Fähigkeiten der Gene, z. B. in seiner Kreativität und seinem Lernen, überlegen ist, nicht berücksichtigen, und würde damit zu Fehlinterpretationen des für die Theorie ausgewählten Wirklichkeitsbereiches führen. Die moderne E. operiert mit der methodologischen Implikation, daß die natürliche und soziale Welt ihrer inneren Struktur nach homolog beschaffen ist, und daß auf dieser ontologischen Grundlage die Formulierung allgemeiner – auch für die Wirtschaftstheorie relevanter – Evolutionsprinzipien möglich ist. Eine evolutionäre Theorie der Wirtschaft kann in ihren Grundzügen mit den in der sogenannten Prozeßphilosophie (Alfred North Whitehead) entwickelten Konzepten des Potentials und der Aktualisierung
Evolutionsökonomie
skizziert werden. Ein Evolutionspotential repräsentiert dergestalt eine Idee, die mittels Materie-Energie in geschichtlichem Raum und geschichtlicher Zeit in einem → Wirtschaftssystem aktualisiert wird. Die aktualisierbaren Ideen können auf alle Erklärungsvariablen, beispielsweise → Güter, Technologien und Institutionen, angewandt werden. Der Institution als ein regulativer Modus kollektiven Verhaltens geht die Generierung einer Verhaltensidee voraus, die in einem Diffusionsprozeß makroskopisch adoptiert und gegenüber konkurrierenden Varianten selektioniert wird. Analog repräsentieren → Konsumgüter oder technische Erfindungen, in einer spezifischen Diffusionsdynamik aktualisierte Ideen. Die erste Prozeßphase eines Evolutionsregimes betrifft den Forschungsbereich der Kreativität, das Schaffen von Neuem, Innovationen, und Forschung und Entwicklung. Der wirtschaftende Mensch ist im Kontext der E. nicht ein auf perfekte Rationalität reduzierter → Homo oeconomicus, sondern ein Homo sapiens oeconomicus. Er ist im Rahmen seiner genetischen Ausstattung nicht nur „beschränkt rational“ (Herbert Simon), sondern auch fähig, neue Ideen in einem kreativen Akt – nicht nur durch Replikationsfehler in seiner wirtschaftlichen Tätigkeit – zu schaffen. Diese kreative Generierungsfähigkeit des Homo sapiens oeconomicus konfrontiert ihn umgekehrt mit einer Umwelt, die unsicher ist. Die Offenheit der Zukunft vermittelt dem Menschen Gestaltungsmöglichkeiten, die ihrerseits den Ursprung einer radikalen, das heißt stochastisch nicht erfaßbaren Unsicherheit im Wirtschaftsleben darstellen. Die durch neue Produkte, Technologien und institutionelle Veränderungen geschaffene radikale Unsicherheit stellt methodisch eines der schwierigsten Probleme der Wirtschaftstheorie dar. Im Rahmen evolutionärer Ansätze sind hier besonders die Beiträge der neoösterreichischen (→ Friedrich A. v. Hayek, Ulrich Witt) und der postkeynesianischen Ökonomie (George Shackle) relevant. Der zweite Phasenbereich eines Evolutionsregimes betrifft die Ausbreitung einer Idee, ihre Aktualisierung im Kontext einer 227
Evolutionsökonomie
Population. Der Diffusionsprozeß hat analytisch eine äußere und innere Dimension. Seine äußere umfaßt die Aspekte der Pfadabhängigkeit und Selektion. Von Pfadabhängigkeit sprechen wir, wenn die vergangene Adoptionshäufigkeit einer Population einen (positiven) Einfluß auf die gegenwärtige Adoptionsrate hat. Ein solches positives Feedback zwischen Mikroverhalten und Makrohäufigkeit finden wir etwa im Phänomen der sozialen Imitation. Veblen hat im Rahmen seiner Institutionenanalyse von einem zirkulären und kumulativen Prozeß gesprochen. Mathematische Modelle der modernen Pfadabhängigkeitsanalyse stellen eine anfängliche Konstellation des Chaos und völliger Unvorhersehbarkeit einer nachfolgenden Konstellation völliger Zwangsläufigkeit des Pfades gegenüber (Brian Arthur). Ein zweiter Aspekt der äusseren Dimension betrifft den Selektionsprozeß. Die Einheit, welche selektioniert wird, kann entweder eine Prozeßkomponente, zum Beispiel ein Konsumprodukt, eine Mitteilung oder eine Technologie, oder, als Träger dieser, die Aktoren selbst, zum Beispiel eine → Unternehmung, darstellen. Die Selektionsdynamik wird analytisch auf der Grundlage nichtlinearer Selektionsgleichungen dargestellt (Stanley Metcalfe). Die innere Dimension des Diffusionsprozesses betrifft die kognitiven Fähigkeiten im Hinblick auf die Adoption und das Lernen der Aktoren (Giovanni Dosi). Ein wesentliches Merkmal eines evolutionstheoretischen Ansatzes liegt in der Anerkennung von Varietät. Dies betrifft nicht nur die Unterschiede in der Fähigkeit Neues zu generieren, sondern umfaßt auch alle anderen kognitiven Fähigkeiten, wie sie im Diffusions- und Retentionsprozeß zur Anwendung gelangen. Eine Firma A hat beispielsweise eine größere Fähigkeit als eine Firma B, rasch eine neue Technologie zu adoptieren und obsiegt im Konkurrenzkampf mit B. Ihr Produkt beziehungsweise die Firma selbst wird selektioniert. Die Varietät in der Population strukturiert also den Diffusionsprozeß. Infolge der spezifischen Zeitabhängigkeit des Lernprozesses finden die Prinzipien der Irreversibilität und kumulativen Verursachung auch auf die internen Prozesse 228
EVT
der evolutiven Kognition, wie des Lernens, Anwendung. Die Prozeßphase der Retention signalisiert das Ende eines evolutionären Regimeprozesses. Ein Markt ist beispielsweise gesättigt; eine Technologie wird von allen → Unternehmern angewandt. Dieser stationäre Zustand ist ein theoretisches Gegenkonstrukt zum dynamischen der Entwicklung. Die durch evolutive Stationarität bedingte Stabilität unterscheidet sich wesentlich von der Stabilitätsidee der neoklassischen Ökonomie. Stabilität im Rahmen einer evolutionären Stationarität bedeutet die Wiederholung eines Prozesses (nicht allein einen stabilen Gleichgewichtszustand), der auf Grund endogen generierter Parameteränderungen jederzeit instabil werden kann. Gerade weil ein Prozeß stationär ist, tendiert ein System oft dazu, sich in Kreativität auszuleben, erprobt neue Varianten, beginnt zu fluktuieren und nähert sich schließlich dem Zustand einer Bifurkation – höchster Instabilität – bei dem ein Übergang vom bestehenden zu einem neuen Evolutionsregime stattfindet. Die in der Biophysik entwickelten und im Rahmen der angedeuteten Beschränkungen auch für die Ökonomie relevanten nicht-linearen Modelle verwenden in diesem Zusammenhang das Konzept der Metastabilität. Die innerhalb von sogenannten „dissipativen Strukturen“ (Ilya Prigogine) stattfindenden Fluktuationen werden als eine allgemeine Voraussetzung für die Erhaltung und die Evolution des Lebens betrachtet. Literatur: Dopfer, K. (Hrsg.) 2005; The Evolutionary Foundations of Economics, Cambridge: Cambridge University Press; Witt, U. 2003; The Evolving Economy: Essays on the Evolutionary Approach to Economics, Cheltenham: Edward Elgar. Prof. Dr. Kurt Dopfer, St. Gallen Evolutorische Ökonomik → Evolutionsökonomie. EVT Abk. für: → Europäischer Vollstreckungstitel; → vollstreckbarer Titel.
EWG
EWG Abk. für: → Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. EWI Abk. für: → Europäisches Währungsinstitut. EWR Abk. für: Europäischer Wirtschaftsraum, → EG, → EFTA. EWS Abk. für: → Europäisches Währungssystem. EWWU Abk. für: → Europäische Wirtschafts- und Währungsunion. Expansion ⇒ Aufschwung → Konjunkturphasen. Experimentelle Ökonomie Bei der E. („Classroom Experiments“) handelt es sich um eine Lehrmethode, die es erlaubt, abstrakte und theoretische volkswirtschaftliche Lerninhalte handlungsorientiert (→ Handlungsorientierung) zu vermitteln. Ziel ist es, bei Studierenden und Schülern ein größeres Interesse und ein besseres Verständnis für volkswirtschaftliche Zusammenhänge zu schaffen. Durch den aktiven Einbezug der Studierenden und Schüler in die Erarbeitung des Lernstoffes soll die Entstehung von „trägem Wissen“ verhindert werden. Die Wissensvermittlung erfolgt durch aktives Lernen in selbst erlebten Situationen. Anders als in den USA ist der Ansatz, volkswirtschaftliche Lerninhalte durch Experimente zu vermitteln, im deutschsprachigen Raum vergleichsweise neu. Während ökonomische Experimente in der wirtschaftstheoretischen Forschung mittlerweile zum Standardrepertoire zählen, werden sie in Lehre und Unterricht eher selten genutzt. Dabei sind bereits 1948 an der Harvard Universität ökonomische Experimente in Lehrveranstaltungen eingesetzt worden: Edward Chamberlin hat seine Studenten in Gruppen von Käufern und Verkäufern aufgeteilt und sie miteinander den Preis eines
Experimentelle Ökonomie
fiktiven Gutes aushandeln lassen. Bis heute dient dieses einfache Marktexperiment als Grundlage vieler komplexer ökonomischer Experimente. Vernon Smith, einer von Chamberlins Studenten, hat aus dieser Idee heraus weitere Marktexperimente („Laboratory Experiments“) entwickelt, indem er Spielrunden wiederholt, reale Zahlungen eingeführt und eine realistischere Marktsituation konstruiert hat. Seine Forschungen sind im Jahr 2002 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden. Wichtig für die Entwicklung der „Classroom Experiments“ ist die Erkenntnis gewesen, dass bereits eine relativ kleine Zahl von Marktteilnehmern mit sehr begrenzten Informationen ähnlich aussagekräftige Ergebnisse produziert wie breit angelegte statistische Erhebungen. Die von Vernon Smith durchgeführten Laboratory Experiments haben großen Einfluss auf die Entwicklung der → Spieltheorie ausgeübt, welche die theoretische Basis für die E. bildet. Deshalb zeichnet sich die E. durch einen starken wirtschaftswissenschaftlichen Bezug aus. Marktexperimente dienen der Klärung der folgenden grundlegenden ökonomischen Frage: Wie kann in einer Marktinteraktion von vielen Akteuren , die sich allein am Signal des Marktpreises orientieren, ein Zustand der Ordnung entstehen, in dem alle Akteure ihre Pläne abstimmen und ausführen können, ohne dass eine zentrale Institution das Signal vorgibt? Es geht also darum, die „unsichtbare Hand“ des → Marktes sichtbar bzw. durch Teilnahme am Experiment erlebbar zu machen. Ökonomische Lehrexperimente beinhalten Elemente aus → Rollenspielen und Gruppendiskussionen: In vielen ökonomischen Experimenten wird den Lernenden die Rolle des Nachfragers (→ Nachfrage) oder des Anbieters (→ Angebot) zugewiesen. Die in den Experimenten gewonnenen Ergebnisse veranschaulichen die ökonomischen Zusammenhänge. Dadurch fällt es den Lernern leichter, ein Verständnis für theoretische Konzepte, wie beispielsweise das des → Gleichgewichtspreises, zu entwickeln und einen Zusammenhang zwischen Lehrinhalten und eigenen Erfahrungen herzustellen. 229
Export
Das eigene Handeln schafft Problembewusstsein und fördert das Interesse an der theoretischen Aufarbeitung des Erlebten. Als handlungsorientierte Methode stellen ökonomische Experimente eine Alternative zu traditionellen Veranstaltungsformen wie beispielsweise Vorlesungen dar. Der zeitliche Aufwand für die Durchführung ökonomischer Experimente variiert je nach Umfang und Lernzielen. Es gibt sowohl relativ kurze Experimente (ca. 20 Min.), die sich problemlos in reguläre Lehrveranstaltungen und Unterrichtsstunden integrieren lassen, als auch vergleichsweise lange Experimente (ca. 90 Min.), die eine eigenständige Veranstaltung darstellen. Durch das eigene Handeln wird die Fähigkeit gestärkt, Fragen zu formulieren und Probleme eigenständig zu lösen. Gleichzeitig entwickeln die Teilnehmer „soft skills“ wie Teamfähigkeit und soziale Kompetenz. Ob die Wissensvermittlung der E. den traditionellen Lernmethoden überlegen ist, konnte bislang jedoch nicht eindeutig geklärt werden. Ihre Wirkung auf die Motivation und die Studienzufriedenheit der Teilnehmer ist jedoch eindeutig positiv. Literatur: Berg, H./Rott A. (2000): Ökonomische Experimente: Eine neue Lehrmethode in der Volkswirtschaftslehre. Dortmunder Diskussionsbeiträge zur Wirtschaftspolitik, Nr. 102, Dortmund. Bergstrom, T./Miller, J. (2000): Experiments with Economic Principels, Princton University Press: Princton, New York. Chamberlain, E. (1948). An Experimental Imperfect Market. Journal of Political Economy, Vol. 56, No. 2, S. 95–108. Egbert, H./Mertins, V. (2006): Das Marktexperiment mit großen Teilnehmergruppen, in: Zeitschrift für Hochschulentwicklung, Jg. 1, Nr. 4, S. 52–59. Schlösser, H. J./ Schuhen, M./Schäfer, A.-T./Niederschlag,
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EZB
S./Macha, K. (2009): Ökonomische Experimente. Anleitungen mit Kopiervorlage, Cornelsen: Berlin. Schuhen, M. (2005). Ökonomische Experimente (Classroom Experiments). Sowi-online-Methodenlexikon (http://www.sowi-online.de). Prof. Dr. Hans Jürgen Schlösser, Siegen Export ⇒ Ausfuhr das Verbringen von → Gütern (→ Sachgütern und → Dienstleistungen) ins Ausland. Exportkartell → Kartell, dem die Absicht unterliegt, den → Wettbewerb auf bestimmten Auslandsmärkten einzuschränken beziehungsweise aufzuheben. externe Effekte → Kosten verursachende (→ externe Kosten) oder Kosten sparende (externe Ersparnisse) Wirkungen der → Produktion von → Gütern außerhalb des (damit befaßten) → Betriebes. Externe Ersparnisse entstehen insbesondere bei der Produktion → öffentlicher Güter (so erleichtern u. verbilligen beispielsweise Infrastruktureinrichtungen den Güteraustausch), daneben aber auch bei der Produktion → privater Güter (so können beispielsweise Einzelhandelsgeschäfte in der Nachbarschaft großer Kaufhäuser Werbekosten einsparen, da der Strom der potentiellen Käufer auch sie berührt). externe Kosten negative Nebenwirkungen, die von der → Produktion eines → Gutes ausgehen und die ein oder mehrere andere Güter beeinträchtigen, ohne vom Verursacher getragen zu werden (z. B. Luft-, Wasserverschmutzung). Gegensatz: → interne Kosten. EZB Abk. für: → Europäische Zentralbank.
Facharbeiterbrief
Fachhochschulreife
F Facharbeiterbrief Urkunde, die dem Absolventen einer anerkannten → Ausbildung in einem Industrieberuf nach bestandener Prüfung vom Prüfungsausschuß der → Industrie- und Handelskammer ausgehändigt wird.
hochschulen für Öffentliche Verwaltung). Absolventen der F. mit Diplom [FH]- oder Bachelor-Abschluß steht unter bestimmten Voraussetzungen auch eine Promotion offen, während der Master-Abschluß einer F. den direkten Zugang hierzu ermöglicht.
Fachbildung Prozeß zu wie auch Zustand einer bestimmten Kompetenz in einem beruflichen Feld.
M. M. B.
Fachhochschulen (FH) ⇒ Universitys of Applied Sciences seit 1969 in Westdeutschland und 1991 in den neuen Bundesländern bestehende, selbstständige oder teilweise auch integrierte Einrichtungen des Hochschulbereichs; im Gegensatz zu den Wissenschaftlichen → Hochschulen (Universitäten) ohne institutionelles Promotionsrecht; in Westdeutschland hervorgegangen aus den ehemaligen höheren Fachschulen, wie Ingenieurschulen, Akademien, höhere Wirtschaftsschulen u. a. Ihre Aufgabe ist es, durch praxisbezogene Lehre eine auf wissenschaftlicher Grundlage beruhende Bildung zu vermitteln, die zu einer selbstständigen Tätigkeit im Beruf befähigt. Außerdem gehören neben der Lehre auch eine anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung zu ihren Aufgaben. F. bestehen heute in fast allen Studienbereichen, vorwiegend aber immer noch im ingenieur- und wirtschaftswissenschaftlichen, sozialpädagogischen und künstlerischen Bereich. Sie zeichneten sich in der Vergangenheit besonders durch eine straffe Studienorganisation und im Gegensatz zu den Universitäten durch kürzere Studienzeiten aus. Die Zulassung zum Studium an F. setzt mindestens die → Fachhochschulreife oder einen als gleichwertig anerkannten (Schul-)Abschluß voraus; z. T. wird vor Studienbeginn auch ein → Praktikum oder eine berufspraktische Tätigkeit gefordert. Die (Mindest-) Studiendauer beträgt 3 Jahre. Mit dem Abschluß an einer F. wird formal auch die Allgemeine → Hochschulreife erlangt (Ausnahme: → Fach-
Fachhochschulen für Öffentliche Verwaltung führen in beruflichen Ausbildungsgängen nach dem → dualen System (betriebliche Ausbildung und Studium), ähnlich den → Berufsakademien, Studenten in 6 Semestern zu einem meist verwaltungs-, betriebswirtschaftlichen oder juristischen akademischen Abschluß und der dazugehörigen Lauf bahnprüfung. Die F. bilden Beamte/Angestellte für den gehobenen nichttechnischen Dienst verschiedener Behörden (Allgemeiner innerer Verwaltungsdienst von Bund und Ländern, Deutsche Bundesbank, Finanzverwaltung, Rechtspflege, Polizei der Länder u. a.) aus und sind rechtlich den → Fachhochschulen gleichgestellt. Die Zulassung zum Studium an F. setzt meist mindestens die → Fachhochschulreife oder einen als gleichwertig anerkannten (Schul-) Abschluß, in Ausnahmefällen auch die Allgemeine oder fachgebundene → Hochschulreife (z. B. Archivwesen) und den Abschluß eines Ausbildungsvertrages voraus. Die Studiendauer beträgt meist 3 Jahre. Mit dem Abschluß an einer F. wird formal auch die fachgebundene → Hochschulreife erlangt. M. M. B. Fachhochschulreife die mit dem erfolgreichen Abschluß der 12. Klasse der → Fachoberschule oder des → Berufskollegs erworbene Berechtigung zum Studium an einer → Fachhochschule, z. T. auch an einer → Berufsakademie und in ähnlichen Studiengängen an → Universitäten. Die normalerweise an den oben genannten Schulen erworbene Allgemeine F. ist nicht fachgebunden, das heißt sie berechtigt zum Studium aller Fachrichtungen 231
Fachhochschulreife
an Fachhochschulen, z. T. auch an Berufsakademien. Die fachgebundene F. – kann in den meisten Bundesländern als Sonderzulassung für beruflich Qualifizierte erworben werden – berechtigt zum Studium einer bestimmten, mit der Berufsausbildung und der Berufserfahrung unmittelbar im Zusammenhang stehenden Fachrichtung. Die F. ist nicht synonym mit dem Fachabitur (fachgebundene → Hochschulreife). M. M. B. Fachoberschulen (FOS) eine meist auf der Mittleren Reife oder einem als gleichwertig anerkannten Abschluß auf bauende, berufsbezogene Schulform zur Erlangung der Allgemeinen → Fachhochschulreife, die allgemeine, fachtheoretische und fachpraktische Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt. Der Besuch der 11. Klasse kann durch eine einschlägige → Berufsausbildung oder eine einschlägige mehrjährige Berufspraxis ersetzt werden (im Bereich Sozialwesen ist meist keine Einschlägigkeit erforderlich). Der Unterricht in der 12. Klasse wird in der Regel in Vollzeitform erteilt. F. gibt es in den Fachrichtungen Technik, Wirtschaft (und Verwaltung), Hauswirtschaft, Sozialpädagogik/Sozialwesen und Gestaltung. M. M. B. Fachschulen Einrichtungen des tertiären Bildungsbereiches, die bei gleichzeitiger Förderung der Allgemeinbildung eine vertiefte und erweiterte → Fachbildung vermitteln; führen zu einer beruflichen → Qualifikation, die den Aufstieg in mittlere und gehobene Berufspositionen ermöglicht. F. setzen in der Regel einen ersten Berufsabschluß (z. B. zum Kaufmann/zur Kauffrau, Gesellenbrief, Facharbeiterbrief) und berufliche Praxis voraus; sie können in Vollzeitform (1 – 2 Jahre) oder nebenberuflich in Teilzeitform am Abend (3 1/2 – 4 Jahre) besucht werden. Fachschulreife Nach bestandener Abschlußprüfung an einer → Berufsauf bauschule oder → Berufsfachschule erlangte Berechtigung zum Eintritt in eine → Fachoberschule. 232
fächerübergreifender Unterricht
Factoring Finanzierungssystem, bei dem das Finanzierungsinstitut (Factor) die → Forderungen eines Vertragspartners ankauft, die dieser durch den Verkauf von Waren und Dienstleistungen erworben hat. Der Factor kann mit dem Ankauf der Forderungen auch das Risiko des Forderungsausfalles übernehmen, ebenso weitere Serviceleistungen wie: Führung der Schuldnerkonten, Erledigung der anstehenden Mahnungen u. a. Für diese Leistungen kann der Factor eine entsprechende Vergütung verlangen. Das F. wird im Inland nur zur kurzfristigen Finanzierung eingesetzt (d. h. Laufzeit der Forderungen unter 90 Tagen); im Auslandsgeschäft sind längere Laufzeiten möglich. Factory Outlet ⇒ Werkverkauf Verkauf von eigenen Produkten (unter Umgehung von Groß- u. Einzelhandel) am Ort der Herstellung (Werk) oder (teilweise zusammen mit anderen Herstellern) in eigens dafür eingerichteten Verkaufszentren. fächerübergreifender Unterricht Durch f. wird die Überwindung starrer Schulfachgrenzen angestrebt. Die durch Lehrpläne verankerte Fächerung des Unterrichts wurde besonders durch Vertreter der Reformpädagogik kritisiert. Sie entspreche nicht einer kindgemäßen Frage- und Lernhaltung, sei lebensfern, da sie die Ganzheitlichkeit des Lebens künstlich zerteile und die kognitive Intergrationsleistung der Lernenden überfordere (Göckel 1990). In neuerer Zeit wird zudem die Notwendigkeit vernetzten Denkens (Vester 2000) bei der Behandlung (über)lebensbedeutsamer Problemfelder betont (Umwelt-, Friedens-, Entwicklungspädagogik, Bildung für nachhaltige Entwicklung bzw. → Sustainable Development), was einen fächerübergreifenden didaktischen Ansatz nahelegt. Gleichzeitig wird vor einer „Logik des Mißlingens“ im Kontext zu erwerbender komplexer gesellschaftlicher Problemlösungskompetenz gewarnt (Dörner 1991) und die Akteure einer Gestaltung von Bildungsprozessen aufgefordert, dieser Komplexität durch entsprechende übergreifende
fächerübergreifender Unterricht
didaktische Konzepte zu begegnen. Mit diesen wird die Intention verbunden – obwohl komplex angelegt – Kompexität didaktisch zu transformieren und damit zu reduzieren. Damit wird möglicherweise eine didaktische Aporetik erzeugt. Die folgende analytische Differenzierung soll dazu beitragen, diese Widersprüchlichkeit aufzulösen. In einem umfangreichen Versuch hat Klaus Moegling (1998) auf folgende Ziele fächerübergreifenden Unterrichtens verwiesen: In Zusammenhängen denken lernen, Selbständigkeit anstreben, kritische Reflexionsfähigkeit vermitteln, lebensweltliche und lebensgeschichtliche → Kompetenzen anbahnen. Diese Aspekte werden heute im Lichte der Diskussion um → Bildungsstandards erörtert. Gegenüber kritischen Äußerungen wird zur Rechtfertigung f. ausgeführt: (1) Schulpädagogisch gesehen stellt der f. eine pragmatisch begründete Notlösung dar, da Fachunterricht zeitgemäße Bildung allein nicht mehr vermitteln kann. (2) Viele Schulfächer haben als Entwicklungsmedien für die Schülerpersönlichkeit beträchtliche pädagogische Legitimation verloren. Als Reflex hierauf versucht deshalb (3) f. didaktische Sinnstrukturen (neu) zu entwickeln oder zurückzugewinnen. Und schließlich wird (4) durch fächerübergreifende Orientierung ein Lernen in Handlungszusammenhängen ermöglicht. Diese didaktischen Gesichtspunkte werden in der erziehungswissenschaftlichen Diskussion im Zusammenhang mit Fragen der Schulqualität und Schuleffektivität, also der Suche nach Kennzeichen einer ‚guten Schule‘ immer stärker ins Blickfeld gerückt. Neben Aspekten wie Schulleben, Weltbild der Erziehenden, Einstellung zu Schülern, Interesse und Motivation, Identifikation und Zufriedenheit mit Schule und Beruf, Unterrichtsqualität, Zusammenarbeit mit Eltern gewinnt die Kooperation im Kollegium einer Schule (Teamfähigkeit), die für einen gelingenden f. von großer Bedeutung ist, zunehmend an Gewicht. F. setzt damit die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit (Kooperation und Kommunikation) mehrerer Fachlehrkräfte voraus. Von Grad und
fächerübergreifender Unterricht
Qualität der Zusammenarbeit der Lehrkräfte ist wesentlich der Erfolg oder Mißerfolg des f. abhängig. Da gelingender f. stark an Team teaching (Idealform) gebunden ist und dieses aber selten zu bewerkstelligen ist, wird neuerdings „fächerverbindender Unterricht“ empfohlen (Peterßen 2000). Hierunter wird ein themenzentrierender, integrativer Unterricht verstanden, der zwischen gefächertem und ungefächertem Unterricht angesiedelt wird. Nach dieser Auffassung zielt fächerverbindender Unterricht stärker als f. auf eine inhaltliche Synthese des Lernstoffes (Peterßen 2000, S. 13 ff., 55 ff.). Huber (1995) hat die unterrichtspraktisch differenzierten Vorgehensweisen fächerübergreifenden Lehrens und Lernens durch fünf Unterrichtstypen unterschieden: – Fächerüberschreitender Typus: Die Lehrer versuchen, bei der fachlichen Behandlung die eigene Domäne zu überschreiten und Inhalte anderer Fächer einzubeziehen. Dies geschieht im Kontext des eigenen Fachunterrichts. – Fächerverknüpfender Typus: Zwei oder mehrere Fächer berücksichtigen die Inhalte des jeweils anderen Faches hinsichtlich eines gemeinsamen Themas und beziehen sich wechselseitig auf die jeweils andere Fachlichkeit; dies aber nur dort, wo es angebracht erscheint. Eine enge Koordination ist nicht vorgesehen. – Fächerkoordinierender Typus: Gemeinsam geplanter Unterricht mehrerer Fächer wird systematisch aufeinander abgestimmt und im Verlaufsprozeß immer wieder koordiniert. Dabei verbleibt man jedoch in den eigenen fachlichen Schwerpunkten. Fächerverknüpfender und fächerkoordinierender Unterricht unterscheiden sich lediglich durch die unterschiedliche Intensität kollegialer Zusammenarbeit. Huber zufolge kann der fächerverknüpfende Unterricht als Vorstufe eines fächerkoordinierenden Typs verstanden werden. – Fächerergänzender Typus: Hier wird die Fächerung obsolet. Stattdessen werden themenorientierte Projekte oder Kurse 233
fächerübergreifender Unterricht
angeboten, die interessengeleitet besucht werden können. – Fächeraussetzender Typus: Fachunterricht wird für ein zu definiertendes Zeitfenster völlig ausgesetzt (z. B. bei Projektwochen). Hierdurch können außerschulische Lernorte in den Unterricht einbezogen werden. Diese Auflistung stellt Möglichkeiten dar, verschiedene Varianten fächerübergreifenden Lehrens und Lernens auszudifferenzieren. Sie besitzt aber gleichzeitig empirischen Gehalt. Dieser wurde durch eine explorative empirische Untersuchung von Stübing/Bosse/Ludwig (2002) in den Blick genommen. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass f. gegenseitiges Lernen der Schüler fördert und leistungsstarke Schüler zusätzlich fordert, Schüleraktivitäten erweitert, soziale Kompetenzen steigert und die Aufforderung der Lehrkräfte fördert, den Blick gezielt auf schülergemäße Lernmethoden zu richten. Unter systematischem Aspekt haben sich Lackmann und Popp dem f. zugewandt. Lackmann (1986, 1997) hat darauf hingewiesen, daß f. auf folgenden analytischen Ebenen kritisch reflektiert werden muß: inhaltlich, didaktisch-methodisch, organisatorisch und kommunikativ. Diese Problemebenen werden am Beispiel einer fächerübergreifenden → Arbeitslehre erläutert, da entsprechende Konzepte für die → ökonomische Bildung bislang fehlen. F. als inhaltliches Problem: Seit Anbeginn ist das Problem der Bestimmung des Gegenstandsbereichs der Arbeitslehre nicht gelöst worden. Durch das Fehlen einer eindeutigen wissenschaftlichen Bezugsdisziplin ist die Möglichkeit, diesen Gegenstandsbereich über eine entsprechende Pädagogik (Fachdidaktik) zu begründen, nicht leistbar. So ist auch jener Trennschärfeversuch erschwert, der als ein wichtiges Kriterium für die bildungspolitische Inkorporationschance jeder neuen Schulidee gilt. Damit geht eine ‚Anbindungsoffenheit‘ gegenüber mehreren Fächern des schulischen Fächerkanons einher. Erinnert sei an die Diskussion um die Abgrenzung zwischen den Fächern Technik und Physik, die Abgrenzung zwischen Teilbereichen der Fächer Arbeit/Wirtschaft und 234
fächerübergreifender Unterricht
→ Wirtschaftslehre zu den Fächern Sozialkunde, politische Bildung und → Hauswirtschaft, die Abgrenzung der Hauswirtschaft zu Teilbereichen der Biologie und Chemie oder die Abgrenzung zwischen bestimmten musischen Fächern und der Textilarbeit. Diese Situation hat dazu geführt, daß das Lernfeld Arbeitslehre nie über die innere Ruhe verfügt hat, sich ein klar konturiertes und unstrittiges inhaltliches Profil mit entsprechenden Ausschließungskriterien für bestimmte Inhalte zu geben. Dabei besteht die Gefahr, daß Inhalte ‚politisch besetzt‘ oder als Forderungskataloge für neue Aufgaben und Inhalte benutzt werden. Der Eindruck eines Omnipotenzanspruchs des Lernfeldes kann nicht von der Hand gewiesen werden. F. als didaktisch-methodisches Problem ist eng an das Situations- oder Lebensweltprinzip gebunden. Dabei wird das Situationsprinzip entweder als Hinweis auf unterrichtsmethodische Varianten oder aber als metatheoretische Norm verstanden. Beiden Auffassungen liegt der Gedanke zugrunde, bei der Curriculumentwicklung die Lebenswirklichkeit der Lernenden zum Bezugspunkt der Entwicklungsarbeit zu machen, d. h. Lernangebote auf gegenwärtige und künftige Lebenssituationen zu beziehen. Gelegentlich wird zu belegen versucht, daß die Berücksichtigung von didaktischmethodischen Möglichkeiten (→ Fallstudie, → Plan-, → Rollenspiel, → Projektunterricht) bereits die Umsetzung einer situationsorientierten Didaktik darstelle (Himmelmann 1985, vorsichtiger Henseler u. a. 1985). In beiden Fällen wird man dem Situationsprinzip nicht gerecht, da seine bloße Postulierung nicht für die Begründung eines didaktischen Programms ausreicht. Auf der organisatorischen Ebene, die eng mit der interaktiven Ebene verknüpft ist, wird pragmatisch das Herzstück des f. gesehen. Konsequent muß Lehrerkooperation innerhalb des f. unter dem Aspekt der Organisationsentwicklung reflektiert werden. Ihre Aufgabe besteht darin, typische Fehler der Zusammenarbeit aufzudecken und professionelle Hilfen zur Verhaltensänderung zu initiieren (vgl. etwa Schley
fächerübergreifender Unterricht
1991). Hierbei geht es unter anderem um die Festlegung eines Kontraktes zwischen den Beteiligten, der Spielregeln, Verabredungen und Zuständigkeiten enthält. Weiter geht es um eine Systematik des Vorgehens, Überlegungen, wie Lösungsaufschübe vorgesehen werden, wie heimliche Leitgedanken und explizite Prinzipien der Kooperation offengelegt werden können sowie wie eine Evaluation die Rückkopplung und Erfolgsvergewisserung der Kooperation aufzeigt. F. als kommunikatives Problem: Für die Beantwortung der Frage der Kommunikation und Kooperation von Lehrkräften muß die Struktur des Arbeitsplatzes Schule zum Ausgangspunkt genommen werden (Schley 1991). Es läßt sich zeigen (vgl. Bessoth 1989, Wissinger & Rosenbusch 1991), daß kollegiale Kommunikation fast gar nicht zur inhaltlichen Erörterung pädagogischer Arbeitsprobleme genutzt wird. Gründe für ein solches Verhalten lassen sich nur vermuten, da entsprechende empirische Untersuchungen fehlen. Hinzukommt, daß im Rahmen kollegialer Kommunikation unter formal Gleichen unterschieden werden muß zwischen den offiziellen Regeln, zu denen sich jemand bekennt, und den inoffiziellen, unausgesprochenen, aber für das faktische Handeln sehr wichtigen Regeln des MiteinanderUmgehens. Dies stellt einen Anknüpfungspunkt für die weitere wissenschaftliche Analyse der Gründe für Erfolg oder Mißerfolg der Lehrerkooperation innerhalb eines f. dar. Weitergehende Untersuchungen müßten den Stellenwert von formeller und informeller Kommunikation und Kooperation im Rahmen fächerverbindender Unterrichtsplanung und Unterrichtsdurchführung analysieren. Organisationsentwicklung bindet zugleich auch alle Beteiligten, indem sie sie zu Akteuren in einem Entwicklungsprozeß macht, der auf Motivation und Kooperation aller angewiesen ist. Popp (1997) unterscheidet in seiner Systematik fächerübergreifenden Unterrichtens additive und integrative Verfahren. Unter additiven Verfahren fasst er die Versuche zusammen, Fachinhalte und ergänzende
fächerübergreifender Unterricht
Inhalte anderer Fächer („Thema mit Anschlussstoffen“) hinzuzufügen, dasselbe Thema in zwei oder mehreren Fächern fachspezifisch zu unterrichten („Fächerspezialisierung“) oder die Zusammenfassung mehrerer Fächer in Bezug auf ein Thema vorzunehmen, z. B. im Rahmen des TeamTeaching („Fächerkonzentration“). Zu integrativen Verfahren rechnet er das Erkunden, Reflektieren, Reproduzieren und Neustrukturieren ausgewählter Handlungsfelder („perspektivischer Unterricht“!) und die handelnde Erschließung und Bewältigung lebensweltbezogener Handlungsfelder und Phänomene (→ handlungsorientierter Unterricht“). Auch zählt er den „ganzheitlichen Unterricht“ zu den integrativen Verfahren und ordnet diesem vor allem die Merkmale des leiblichen und sinnlichen Lernens und das Ausgehen von Erlebnisund Erfahrungssituationen zu. Hierbei wird allerdings die Trennlinie zu den beiden anderen Formen integrativer Verfahren unscharf, da diese ja auch ohne Schwierigkeiten als ganzheitlicher Unterricht vorstellbar sind. Literatur: Bessoth, R.: Organisationsklima an Schulen, Neuwied 1989; Dörner, D.: Die Logik des Misslingens. Strategisches Denken in komplexen Situationen, Reinbek 1991; Duncker L./W. Popp (Hg.): Über Fachgrenzen hinaus. Chancen und Schwierigkeiten des fächerübergreifenden Lehrens und Lernens. Heinsberg 1997; Duncker, L./W. Popp (Hg.): Fächerübergreifender Unterricht in der Sekundarstufe I und II. Prinzipien, Perspektiven, Beispiele, Bad Heilbrunn 1998; Göckel, H.: Vom Unterricht, Bad Heilbrunn 1990; Henseler, K. & H. Kaminski/A. Lewald/G. Reich: Kooperation im Lernbereich Arbeitslehre, in: arbeiten + lernen Nr. 39 (1985), S. 8 – 15; Hiller-Ketterer, I./G. G. Hiller: Fächerübergreifendes Lernen in dakaktischer Perspektive, in: Duncker. L./W. Popp (Hg): Über Fachgrenzen hinaus. Chancen und Schwierigkeiten des fächerübergreifenden Lehrens und Lernens, Heinsberg 1997, S. 166 – 195; Himmelmann, G.: Kooperation in der Arbeitslehre, in: didaktik – arbeit – technik – wirtschaft 3 (1980), Heft 2, 235
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S. 63 – 71; Huber, L.: Individualität zulassen und Kommunikation stiften, in: Die Deutsche Schule (1995), Heft 2, S. 161 – 182; Lackmann, J.: Fächerübergreifender Unterricht als Forschungsfeld der Arbeitslehre, in: Didaktik der Berufs- und Arbeitswelt 5 (1986) Heft 3 – 4, S. 8 – 23; Lackmann, J.: Didaktik fächerverbindenen Unterrichts im Lernbereich Arbeit – Wirtschaft – Technik – der Hauptschule von BadenWürttemberg, in: L. Fast & H. Seifert (Hg.): Technische Bildung. Geschichte, Probleme, Perspektiven, Weinheim 1997, S. 182 – 194; Moegling, K.: Fächerübergreifender Unterricht – Wege ganzheitlichen Lernens in der Schule. Bad Heilbronn 1998; Peterßen, W.: Fächerverbindender Unterricht. Begriff – Konzept – Planung – Beispiele, München 2000; Pleiß, U.: Arbeit – Technik – Wirtschaft als fachwissenschaftliches und didaktisches Interdependenzproblem, in: didaktik – arbeit, technik, wirtschaft 3 (1980) Heft 3, S. 117 – 134; Popp, W.: Die Spezialisierung auf Zusammenhänge als regulatives Prinzip der Didaktik. In: Dunkker, L./W. Popp (Hg.): Über Fachgrenzen hinaus. Chancen und Schwierigkeiten des fächerübergreifenden Lehrens und Lernens. Heinsberg 1997, 135 – 154; Reuel, G.: Arbeitslehre – Eine Integrationsidee ohne Integrationswillige, Berlin 1998; Schley, W.: „Wie können wir uns selbst aus dem Morast herausziehen?“ Anstöße zur Lehrerkooperation und Organisationsentwicklung, in: Pädagogik Heft 5/1991, S. 11 – 15; Stübing, Frauke/D. Bosse/P. Ludwig: Zur Wirksamkeit von fächerübergreifendem Unterricht. Eine empirische Untersuchung der Sicht von Schülerinnen und Schülern, Kassel 2002; Vester, F.: Die Kunst vernetzt zu denken. Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität, 3. Auflage, Stuttgart 2000; Wissinger, J. & H. S. Rosenbusch (Hg.): Motivation durch Kooperation, Braunschweig 1991.
Fair Value
Leistung weder bestimmt noch aus den Umständen zu entnehmen, kann der Gläubiger die Leistung sofort verlangen, der Schuldner sie sofort bewirken (§ 271 Bürgerliches Gesetzbuch). Häufig ist die → Forderung von einer fristgerechten vorherigen → Kündigung abhängig (so beispielsweise in der Regel beim → Darlehen). – Die F. ist Voraussetzung für den → Schuldnerverzug. Fahrer-Rechtsschutz → Rechtschutzversicherung. Fahrlässigkeit Außerachtlassung der im Verkehr (d. h. im Umgang mit Personen und Sachen) erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Bürgerliches Gesetzbuch). Unterscheidung zwischen leichter und grober F. – F. gilt nur in den Fällen als straf bare Handlung, in denen sie vom Gesetz ausdrücklich unter Strafe gestellt ist (z. B. bei Körperverletzung, Brandstiftung). Siehe auch → Verschulden. Fahrzeug-Rechtsschutz → Rechtsschutzversicherung. Fahrzeugteilversicherung ⇒ Teilkaskoversicherung deckt im wesentlichen Beschädigung, Zerstörung oder Verlust des Fahrzeuges durch Brand, Diebstahl, Unwetter, Sturm, Hagel, Blitzschlag oder Überschwemmung sowie Zusammenstoß des in Bewegung befindlichen Fahrzeugs mit Haarwild und Glasbruch. Fahrzeugversicherung gewährt Versicherungsschutz bei Sachschäden am eigenen Fahrzeug.
Prof. Dr. Jürgen Lackmann, Weingarten
Fahrzeugvollversicherung ⇒ Vollkaskoversicherung deckt Schäden, die selbst durch Unfall oder durch mut- oder böswillige Handlungen (betriebs-)fremder Personen verursacht wurden. Sie empfiehlt sich insbesondere bei Neufahrzeugen (für die ersten 2 Jahre!).
Fälligkeit einer Forderung ist dann gegeben, wenn der → Schuldner auf Verlangen des → Gläubigers leisten muß. Der Zeitpunkt der F. ist je nach → Rechtsgeschäft verschieden. Ist ein Zeitpunkt für die
Fair Value → Wert, zu dem zwischen sachverständigen, vertragswilligen und voneinander unabhängigen Geschäftspartnern unter marktüblichen Bedingungen ein Vermö-
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Fair Value
gensgegenstand getauscht oder eine Schuld beglichen werden könnte. Faktoreinkommen das den → Produktionsfaktoren aus ihrer Beteiligung am → Produktionsprozeß zufließende Entgelt, wie Löhne, Gehälter, Zinsen, Gewinnanteile, Mieten, Pachten. Faktorkosten → Kosten der → Produktionsfaktoren. Faktorverfahren → Einkommensteuer. Fallmethode ⇒ Fallstudie 1. Ursprung. Die F. geht maßgeblich auf ein Lehrkonzept zurück, das 1908 an der Harvard Business School in Boston eingeführt wurde. Beeinflusst von der Kasuistik (lat. Lehre vom Einzelfall) der Juristen rückte dabei die Diskussion praktischer Fälle aus dem Wirtschaftsleben in den Mittelpunkt des Lehrbetriebs. Die Studierenden sollten durch Auseinandersetzung mit realen, unternehmerischen Problemen besser auf die spätere berufliche Praxis vorbereitet werden. Hierzulande hat unter anderem der Betriebswirt Erich Kosiol in den 1950er-Jahren die F. propagiert. Er sah ihre Vorzüge in dem Impuls zum forschenden Lernen sowie in der selbstständigen Lösungsfindung seitens der Studierenden. Für den Einsatz der F. im Ökonomieunterricht hat insbesondere Franz Josef Kaiser seit den 1970er-Jahren das didaktische Fundament gelegt. Heute empfehlen oder verlangen viele Lehrpläne ihren Einsatz. Manche Lehrbücher für Hochschule, Schule und Weiterbildungsgänge sind vollständig nach dem Fallprinzip aufgebaut. 2. Bildungsziele. Ganz generell sollte die F. dazu genutzt werden, das übergeordnete Ziel → ökonomischer Bildung zu verfolgen, d. h. die Lernenden zur Bewältigung der Anforderungen in ökonomisch geprägten Lebenssituationen zu qualifizieren, und zwar in gegenwärtigen und zukünftigen. Besonders eignet sie sich für die Förderung folgender domänenspezifischer → Kompetenzen: 1) Handlungssituationen ökonomisch analysieren: Die Schüler sollen
Fallmethode
durch die F. dazu befähigt werden, die gegebenen Handlungsspielräume der im Fall fokussierten Akteure auszuloten, die situativ wirksamen Handlungsanreize und -restriktionen umsichtig zu ermitteln und die unterschiedlichen Handlungsoptionen und Lösungsalternativen zu entdecken (Förderung des Denkens in Alternativen). 2) Entscheidungen ökonomisch begründen: Unter den Handlungsalternativen soll die für den Akteur beste, unter den möglichen Problemlösungen z. B. die kostenminimale ermittelt werden. Dazu müssen sie Lernenden die Folgen (z. B. → Kosten und → Erträge) berechnen oder bei Ungewissheit abschätzen sowie anhand von subjektiven oder intersubjektiven Maßstäben bewerten können (Förderung des rationalen Handelns). 3) Konflikte perspektivisch und ethisch beurteilen: Dazu müssen zunächst die Interessen der an einer Entscheidung Beteiligten oder von einem Problem Betroffenen identifiziert und als rivalisierend beurteilt werden. Sodann sollten mögliche Kompromisse aufgezeigt und/oder die Verteilung von → Gütern bzw. Lasten nach Maßstäben der Gerechtigkeit beurteilt werden (Förderung des moralischen Urteils). 3. Varianten. Vier Hauptvarianten der F. haben sich herausgebildet: 1) Die Case-Study-Method (Problemfindungsfall): Schwerpunkt ist das Erkennen und die Analyse der verborgenen Probleme eines vorgegebenen Tatbestandes. Fallschilderung und Informationsmaterial werden bereitgestellt, die Lernenden entwickeln Problemlösungen. 2) Die Case-Problem-Method (Beurteilungsfall): Schwerpunkt ist die Ermittlung von Lösungsalternativen nebst Entscheidung. Die Probleme des Falles sind hier ausdrücklich benannt, das Informationsmaterial wird bereitgestellt. 3) Die Case-Incident-Method (Informationsfall): Vorgelegte Kurzfälle, die oft nur unvollständig und lückenhaft geschildert werden, erfordern die selbstständige Informationsbeschaffung, um Lösungsvarianten zu entwickeln. 4) Die Stated-Problem-Method (Untersuchungsfall): Der Fall wird einschließlich Informationsmaterial und ausgearbeiteter Lösungen nebst Begründung präsentiert. 237
Fallmethode
Die Lernenden sollen Entscheidungsstrukturen (er)kennen, die getroffenen Entscheidungen kritisch beurteilen und gegebenenfalls alternative Lösungen aufzeigen. Der Begriff Fallstudie wird bisweilen selbst in der (fach)didaktischen Literatur synonym mit dem der F. verwandt, obwohl er nur eine Spielart derselben ist. Diese begriffliche Gleichsetzung der in Ausgangssituation, Ziel und Vorgehen deutlich unterschiedlichen Varianten stiftet Konfusion bei Unterrichtsplanung und -durchführung. 4. Der Fall. Der im Ökonomieunterricht thematisierte Fall ist ein Arbeitsmittel, das eine konkrete, ökonomisch geprägte Situation darstellt, wie sie vorgekommen ist oder auftreten könnte. Sie beinhaltet zu lösende Probleme bzw. Konflikte und verlangt eine Entscheidung. Der Fall soll bedeutsame Lebenssituationen anschaulich darstellen, eine Interpretation aus der Teilnehmerperspektive zulassen, Impulse zum Nachforschen geben und selbstständiges Erarbeiten von Sachzusammenhängen sowie das Lösen von Problemen ermöglichen. Dient er dem Entscheidungstraining, sollten mehrere Lösungen möglich sein, was insbesondere bei Rechtsfällen i. d. R. nicht gegeben ist. Erstaunlicherweise wurde in der Fachdidaktik bislang keine Typologie der Fallsituationen entwickelt. Hier ein Versuch, Fallvarianten zu identifizieren und zu typologisieren: a) reale oder hypothetische Problemsituation (so genannte armchair cases), b) einzelne Situation oder Situationsfolge (aufeinander folgende, ggfs. sich entwickelnde Situationen im Sinne einer episodenhaften Geschichte), c) aktuelle oder historische Situation bzw. eine Mischform (früher – heute) oder eine zeitlose Situation, d) aus der Lebenswelt der Schüler oder aus nicht vertrauten Lebenswelten (oder Rechtsräumen), e) ein zu lösendes Problem (zentriert) oder mehrere Probleme (dezentriert), f) abgeschlossener oder nicht abgeschlossener Entscheidungsprozess, g) mit eindeutiger (richtiger) Lösung oder mehreren möglichen Lösungen, h) reine Rechtsfälle oder reine Wirtschaftsfälle oder Mischformen, i) Problemsituation aus der ökonomischen 238
Fallmethode
Haushaltsführung, der → Berufsorientierung oder der Unternehmensführung. 5. Unterrichtsverlauf. Die F. wird in Anlehnung an Kaiser idealtypisch in sechs Phasen unterteilt, die den gesamten LehrLern-Prozess strukturieren, wobei Vor- und Rückgriffe, Auslassungen und Wiederholungen erlaubt sind und ein Wechsel der Sozialform empfohlen wird. 1) Konfrontation: Erfassung der Problem- und Entscheidungssituation. 2) Information: Erschließung des bereitgestellten Fallmaterials bzw. selbstständige Recherche. 3) Exploration: Entwicklung und Diskussion von Lösungsbzw. Handlungsmöglichkeiten. 4) Resolution: begründete Entscheidung auf der Grundlage einer vergleichenden Bewertung der Alternativen. 5) Disputation: Prüfung, Diskussion und Verteidigung der Gruppenentscheidung. 6) Kollation: Vergleich mit der tatsächlich getroffenen Entscheidung. Vielfach wird übersehen, dass die übrigen Varianten der F. andere, an ihre Ziele und Ausgangslagen angepasste Sequenzen erfordern. In der Literatur völlig unerwähnt geblieben ist bislang, dass für Rechtsfälle im Ökonomieunterricht eine eigene Phase zur Verknüpfung juristischen und ökonomischen Lernens erforderlich ist. 6. Potenziale. Infolge des Variantenreichtums sowohl der F. als auch der Fallkonstruktionen gibt es im Ökonomieunterricht viele Anwendungsmöglichkeiten. Die Möglichkeit, die Komplexität der Fälle, des Informationsmaterials wie auch des Vorgehens stark zu variieren, erlaubt den Einsatz in allen Schulstufen und bei unterschiedlich leistungsfähigen Zielgruppen. Die F. wird insbesondere dem Situationsprinzip der Curriculumentwicklung gerecht und vermeidet dadurch jegliche Abbilddidaktik. Sie ermöglicht induktive (statt deduktiver) Lernprozesse, die vom Besonderen (dem Fall) zur Allgemeinen (der transferfähigen Erkenntnis) voranschreiten. Jedoch ist dies kein Automatismus. Der Transfer des am Fall Gelernten auf ähnliche und neuartige Situationen bedarf der Einübung. Zudem muss der ausgewählte Fall exemplarisch sein, damit eine Generalisierung überhaupt möglich ist (keine sonderbaren Einzelfälle!).
Fallmethode
Ergo: Die Präsentation eines Fallbeispiels macht noch keine F. Dient ein Fallbeispiel der Veranschaulichung eines zuvor eingeführten abstrakten Sachverhalts, handelt es sich eher um einen deduktiven Unterrichtsauf bau. Die F. ermöglicht dagegen in allen vier Varianten einen problemorientierten Unterricht, der – Erkenntnissen der empirischen Lehr-Lern-Forschung zufolge – den Auf bau trägen Wissens vermeidet und die Problemlösefähigkeit fördert. Trotz dieser Potenziale der F. ist vor Methodenmonismus zu warnen und Methodenvielfalt anzuraten. 7. Grenzen. Erstaunlich ist, wie selten in der Literatur auf die Grenzen der F. eingegangen wird. Nur drei seien erwähnt: (1) Die Qualifizierung zur Bewältigung konkreter Anforderungen gelingt nicht, wenn bloß Situation an Situation gereiht wird, weil die ökonomischen und beruflichen Handlungssituationen weder enumeriert noch hinreichend antizipiert werden können – das altbekannte Prognoseproblem situationsorientierter Curricula. (2) Offen bleibt vielfach, ob mit der F. dem Wissenschaftsprinzip der Curriculumentwicklung entsprochen werden kann, wie also Lernprozesse initiiert werden können, die auf mit wissenschaftlichen Methoden gewonnenen Erkenntnissen fußen. Können Lernende fallorientiert die jeder Wissenschaft inhärente Systematik erlernen? (3) Über der intensiven Beschäftigung mit dem Einzelfall geht der Überblick über das Ganze leicht verloren – anders als beim so genannten Geschäftsvorfall im internen Rechnungswesen, weil die Buchführung das Gesamtsystem „Unternehmen“ abbildet. Kann das allseits betonte Ziel des Denkens in ökonomischen Systemzusammenhängen vermittels der F. überhaupt gefördert werden? Trotz dieser methodenimmanenten Grenzen handelt es sich bei der F. um ein für die ökonomische Bildung besonders erfolgversprechendes Lehr-LernArrangement. Literatur: Grammes, Tilman/Tandler, Agnes (1991): Die Fallstudie (Case Study). In: Methoden in der politischen Bildung – Handlungsorientierung. Bd. 304, Hrsg. v. d. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, S. 213–247. Grohmann, Susanne (1997): Die
Familienpolitik
Fallmethode: Theoretische Grundlagen. In: Aff, Josef/Wagner, Margret [Hrsg.]: Methodische Bausteine der Wirtschaftsdidaktik. Wien, S. 51–73. Kaiser, Franz-Josef (1973): Entscheidungstraining. Regensburg. Kaiser, Franz-Josef [Hrsg.] (1983): Die Fallstudie. Theorie und Praxis der Fallstudiendidaktik. Bad Heilbrunn/Obb. Kaiser, FranzJosef/Kaminski, Hans (1999): Methodik des Ökonomie-Unterrichts. Grundlagen eines handlungsorientierten Lernkonzepts mit Beispielen. 3. Aufl., Bad Heilbrunn/Obb., S. 128–156. May, Hermann (2010): Didaktik der ökonomischen Bildung. 8. Aufl., München, S. 82–88. Weitz, Bernd-Otto (1996): Fallstudiendidaktik in der beruflichen Bildung. Bad Homburg. Weitz, Bernd-Otto (2007): Fallstudien im Ökonomieunterricht. In: Retzmann, Thomas [Hrsg.]: Methodentraining für den Ökonomieunterricht. Schwalbach/Ts., S. 101–119. Prof. Dr. Thomas Retzmann, Duisburg-Essen Fallstudie ⇒ Fallmethode. Familien-AG sozialtypische, nicht (mehr) positiv-rechtlich geregelte Erscheinungsform der → Aktiengesellschaft, deren → Aktionär eine einzelne → natürliche Person ist oder deren Aktionäre untereinander verwandt oder verschwägert sind. Familienpolitik F. wurde in Deutschland traditionell als Teil der → Sozial- und Verteilungspolitik gesehen. Die deutsche Sozialpolitik ist durch eine Orientierung auf das Arbeitsleben gekennzeichnet, so daß die F. – trotz häufiger Hinweise auf ihre zentrale Bedeutung – in der Sozialpolitik einen eher geringen Stellenwert hatte. Dies hat sich im öffentlichen Bewußtsein durch die Forderungen des Bundesverfassungsgerichts und in der aktuellen politischen Willensbildung durch die Diskussion über mögliche Folgen des Geburtenrückgangs, der Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung für die langfristige Stabilität der → Sozialen Sicherung im sog. Generationenvertrag verändert. Die historische Zunahme des Stellenwertes von 239
Familienpolitik
F. und ein breiterer Konsens über ihre Ausrichtung wurden schließlich durch die Ergebnisse der international vergleichenden Bildungsstudien („PISA-Schock“) in bezug auf Zusammenhänge von Bildungspolitik und F. verstärkt. Ein Ausbau der Betreuungsinfrastruktur für Kleinkinder (auch unter 3 Jahren) und eine breite Wahrnehmung qualifizierter Betreuungsleistungen erscheint als der erfolgversprechende Weg, sowohl für die Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für die Eltern als auch zur Überwindung der in der Bundesrepublik besonders ausgeprägten Bildungsdefizite bei Jugendlichen aus Unterschichten und aus Familien mit Migrationshintergrund sowie zur Ausschöpfung der Begabungsreserven. Im Vordergrund der öffentlichen Debatte der F. stand bisher der (monetäre) Familienlastenausgleich (FLA), der als dualer FLA im Einkommensteuerrecht (Freibeträge) und durch einen Transfer („Kindergeld“) erfolgt und überwiegend unter dem Aspekt der Bedarfsgerechtigkeit betrachtet wird. Dem neuen Aspekt eines Familienleistungsausgleichs wurde durch Erziehungsgeld bzw. → Elterngeld und die Berücksichtigung von Erziehungszeiten bei der Alterssicherung zunehmend Rechnung getragen. Gegenwärtig wird die Notwendigkeit von Bemühungen um eine Verbesserung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Familien (z. B. Vereinbarkeit von Familie zunehmend und Beruf) und eines öffentlichen bzw. öffentlich geförderten Angebots für Betreuungsdienstleistungen an die Familien anerkannt. Das in der großen Koalition eingeführte einkommensbezogene Elterngeld hat die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vor allem für höher qualifizierte Eltern verbessert und die Erziehungsbeteiligung der Väter verstärkt. F. umfaßt als politische Querschnittsaufgabe im wesentlichen fünf Säulen: – die verfassungsrechtliche, öffentlichrechtliche und zivilrechtliche Verankerung der Institutionen Ehe und Familie; – die Gestaltung familienfreundlicherer gesellschaftlicher Rahmenbedingungen („Abbau struktureller Benachteiligun240
Familienpolitik
gen“), insbesondere in den Bereichen Wohnen, Kinderbetreuung und Vereinbarkeit von Ausbildung, Berufstätigkeit und Erziehung, sowie ein umfassendes Angebot an Ehe- und Familienberatung; – der duale FLA, bei dem Steuergerechtigkeit durch die Berücksichtigung des sozialkulturellen Existenzminimums für Kinder als Minderung der zu besteuernden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erreicht wird und „Kindergeld“ als staatlicher Transfer zur Berücksichtigung der existenzminimalen Aufwendungen („Belastungen“) für Kinder zu verstehen ist, soweit durch den Steuerfreibetrag keine hinreichende Entlastung eintreten kann; – die Sicherung des Existenzminimums für Kinder durch → Sozialhilfe, die Regelsätze für Kinder bei → Arbeitslosengeld II oder → Kinderzuschlag (ggf. durch eine eigene Kinderhilfe) bei Bedürftigkeit und fehlender Leistungsfähigkeit der Eltern sowie evtl. über eine bedarfsorientierte → Umverteilung zwischen Kinderlosen und Eltern aller Einkommensschichten als Gewährleistung von Bedarfsgerechtigkeit; – ein Familienleistungsausgleich als gesellschaftliches Äquivalent für die Erbringung positiver → „externer Effekte“ für die Gesellschaft (in der BRD bisher realisiert durch Erziehungsgeld bzw. Elterngeld, → Erziehungsurlaub und insbesondere die Anrechnung von drei Erziehungsjahren in der Rentenversicherung) als Beitrag zu Leistungsgerechtigkeit für Familien. Verfassungsrechtliche und rechtliche Verankerung der Institutionen Ehe und Familie: Im Grundgesetz der Bundesrepublik war – unter bezug auf die Weimarer Verfassung – bewußt auf die Verankerung einzelner sozialer Grundrechte verzichtet worden, mit Ausnahme von Art. 6 Abs. 1 GG, der Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellte. Im Bürgerlichen Recht findet dieser Schutz im elterlichen Sorgerecht für Kinder und Jugendliche seinen Niederschlag. Den Kindern und Jugendlichen wird eine wachsende Mündigkeit bei der Wahrnehmung der
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bürgerlichen Grundrechte bis zur vollen Geschäftsfähigkeit mit dem 18. Lebensjahr eingeräumt. Im Blick auf die Folgen von Ehescheidungen aber auch auf Mißbräuche des Elternrechts bedurfte das Kindschaftsrecht einer Anpassung, um die Rechte des Kindes innerhalb der Familie zu verstärken. Über die Bindung des Sorgerechts an das Einvernehmen mit dem Kind und die Verfahrensbeteiligung hinaus werden advokatorische Institutionen (Kinderbeauftragte) und das Konzept der (nur begründet einschränkbaren) „Vollmündigkeit“ vertreten. In bezug auf die Institutionen Ehe und Familie stand die Frage der staatlichen Behandlung der auf Dauer angelegten „nichtehelichen Lebensgemeinschaften“ (auch von Gleichgeschlechtlichen) im Vordergrund rechtspolitischer Überlegungen. Ausgangspunkte dieser Diskussion sind zum einen die Veränderungen bei denLebensformen, zum anderen die unterschiedliche Berücksichtigung nichtehelicher Lebensgemeinschaften in verschiedenen Rechtsbereichen. Von erheblicher familienpolitischer Bedeutung erwies sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Familienbesteuerung und zur Gleichstellung von Familien in der Rentenversicherung. Dabei bezog sich das BVerfG allerdings weniger auf Art. 6 Abs. 1 und auf das Sozialstaatsgebot der Art. 20 und 28 GG als auf das Diskriminierungsverbot (nach Art. 3 GG). Das BVerfG forderte zunächst die im Jahressteuergesetz 1996 vollzogene Berücksichtigung des sozialkulturellen Existenzminimums bei der Einkommensbesteuerung (entsprechend der Gewährleistung des Existenzminimums in der Sozialhilfe u. für erwerbsfähige Langzeitarbeitslose) und einen weiteren Abbau der Benachteiligung von Erziehenden (gegenüber Kinderlosen) in der Gesetzlichen Rentenversicherung. Für die Weiterentwicklung des Rechts und der F. erscheint auch der → „Wertewandel“ in bezug auf Ehe und Familie von besonderer Bedeutung, der in der interdisziplinären Erörterung des Wandels der Einstellungen zu gesellschaftlichen Werten als ein Schlüsselfaktor verstanden werden kann. Zum einen wird ein Trend der Individualisierung und
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Pluralisierung der Werte und Lebensformen behauptet, den die Zunahme des Anteils der Einpersonenhaushalte und der Scheidungshäufigkeit zu bestätigen scheinen. Daneben wird in der vermuteten Verschiebung von „materiellen“ (Pflicht und Akzeptanz) zu „post-materiellen“ Werten (Selbstverwirklichung) eine Ursache für eine Krise bzw. gar für das „Ende“ der Institution Familie gesehen. Differenzierte Analysen der Realität und Versuche der unmittelbaren Erfassung der subjektiven Bewertungen von Familie machen jedoch immer wieder deutlich, daß die Diagnose einer „Krise der Familie“ teilweise Ergebnis mangelnder statistischer Erfaßbarkeit, oberflächlicher Analyse und vorurteilsbestimmter Interpretation der Daten sein dürfte. Trotz des Wandels bei der faktischen Bedeutung von Ehe und Familie (rückgehende Eheschließungs- und steigende Scheidungszahlen, Geburtenrückgang) sowie einer zunehmenden Individualisierung und Pluralisierung der Lebensformen können Ehe und Familie auch in der Gegenwart noch als verbreitet erwünschte und repräsentative Formen des Zusammenlebens gelten. Gleichbehandlung bei der Besteuerung und der Sicherung des Existenzminimums: Der Grundsatz einer gerechten Besteuerung der Bürger nach ihrer Leistungsfähigkeit ist eigentlich nur aus der historisch gewachsenen Gestalt des „dualen“ FLA mit familienpolitischen Anliegen und Handlungsgrundsätzen verknüpft. Die Forderung nach gleicher Belastung von gleich Leistungsfähigen bei der Besteuerung („horizontale Steuergerechtigkeit“) erscheint – unabhängig von den konkreten familienpolitischen Anliegen und Zielen – sowohl als Grundsatz eines freiheitlichen Ordnungskonzeptes als auch der Anwendung des → Subsidiaritätsprinzips der katholischen Soziallehre auf das Verhältnis von Selbstverantwortlichkeit der Familien und gesellschaftlicher (staatlicher) Hilfsverpflichtung gegenüber den Familien. Bei den Familien, deren Einkommen unterhalb der Besteuerungsgrenze liegt oder insgesamt nicht zur sozialkulturellen Existenzsicherung ausreicht, übernimmt die 241
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→ Sozialhilfe oder das Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) die Aufstockung oder Sicherung eines entsprechenden Einkommens zur Gewährleistung des sozialkulturellen Existenzminimums der Kinder. Da die Sozialhilfe oder „Hartz IV“ verbreitet als diskriminierend empfunden wird, könnte auch eine eigene Einkommenshilfe für Kinder vorgesehen werden. Die Leistungen der Familien für die Gesellschaft und der Familienleistungsausgleich: Trotz der Veränderungen bei der faktischen Relevanz von Ehe und Familie erfüllen Familien auch heute ganz überwiegend für die Gesellschaft entscheidende Leistungen. Bei diesen gesellschaftlichen Funktionen der Familien handelt es sich im einzelnen um: – die Bevölkerungsreproduktion und die Sicherung der Generationenfolge, – die Übernahme von Versorgung, Schutz und Erholung für die noch nicht mündigen Kinder und Jugendlichen sowie von Pflegeleistungen für Behinderte und Alte, – die Pflege und Tradierung von gesellschaftskonstituierenden Normen, Werthaltungen und Einstellungen (Zuneigung, Liebe, Solidarität, Verläßlichkeit, Loyalität, Bindung, Toleranz, Friedfertigkeit etc.) sowie – die Bildung und Ausbildung von Humanvermögen (i. w. S.) durch Beiträge zur Ausprägung primärer und sekundärer Tugenden im Zuge der familialen Sozialisation, zum Erwerb (auch) beruflich relevanten Wissens und beruflich verwertbarer Fähigkeiten. Diese „Leistungen“ von Familien entsprangen bisher dem normalen Glücks- und Wohlfahrtsstreben der Menschen und wurden – von dem Risiko der ungewollten Kinderlosigkeit abgesehen – von allen Bürgern selbstverständlich erbracht. Mit der Disponierbarkeit der Elternschaft und einem wachsenden Anteil kinderlos bleibender Bürger geht die Selbstverständlichkeit dieser Leistungen verloren. Familienleistungen werden zu einem knappen Gut in der modernen Wirtschaftsgesellschaft und zu einem „political issue“. Die Abhängigkeit des Kollektivs von den privaten Leistun242
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gen der Familien wird in einem System der staatlichen Alterssicherung über ein Umlageverfahren (dem sog. „Generationenvertrag“) besonders deutlich. Die staatliche Daseinsvorsorge für eine sich selbst tragende langfristige Entwicklung (→ Nachhaltigkeit) der Gesellschaft erhält damit auch eine neue „familienpolitische“ Dimension. F. ist insofern nicht mehr nur auf Förderung, Nachteilsausgleich und Bedarfsgerechtigkeit für Familien bezogen. F. wird unmittelbarer Bestandteil gesellschaftlicher Wohlfahrtspolitik der optimalen Allokation und der leistungsgerechten Distribution knapper gesellschaftlicher Ressourcen (Familienleistungsausgleich). Die familienpolitische Forderung nach Gerechtigkeit für Familien umfaßt dann zunächst die Gerechtigkeit der Startchancen für die Kinder und der gerechten Teilhabe von Eltern an der Erwerbsarbeit sowie schließlich die leistungsgerechte gesellschaftliche Vergütung von Eltern für ihren Beitrag zur Erfüllung des Generationenvertrages. Bedarfsgerechtigkeit von Familien und Kinderlosen: Ein bedarfsgerechter FLA über ein sozialkulturelles Existenzminimum hinaus kann nur mit einer expliziten Norm der Gleichheit der verfügbaren Pro-KopfEinkommen innerhalb von Haushalten gleicher steuerlicher Leistungsfähigkeit (der Primäreinkommen) konsequent begründet werden. Ein solcher FLA würde dann wiederum mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nur vereinbar sein, wenn er auch für die Familien mit Spitzeneinkommen noch wirksam werden würde, indem z. B. in einer Art von „Kinderkassen“ für unterschiedliche Einkommensgruppen die Einkommen zwischen Familien und Kinderlosen umverteilt würden. In der gegenwärtigen Gesellschaft kann für eine solche bedarfsgerechte → Einkommensumverteilung zugunsten von Familien oberhalb des sozialkulturellen Existenzminimums offenbar keine Mehrheit gefunden werden. Die Notwendigkeit eines bedarfsgerechten Ausgleichs wäre allerdings geringer, wenn denn der Familienleistungsausgleich (über die politische Rhetorik hinaus) schon zu einer vollen Anerkennung
Familienpolitik
der gesellschaftlichen Leistungen der Familien beitragen würde. Bei der Anwendung des Grundsatzes der Bedarfsgerechtigkeit zwischen Kinderlosen und Familien höherer Einkommensgruppen scheint auch in der Gesellschaft (nicht nur bei Singles) eine Bewertung vorzuherrschen, nach der die Entscheidung für Kinder als selbstverantwortliche Privatangelegenheit erscheint, die ökonomisch der Freiheit der Einkommensverwendung („Konsumfreiheit“) zugerechnet wird. Prof. Dr. Gerhard D. Kleinhenz, Passau Familien-Rechtsschutz → Rechtschutzversicherung. Familien-Unfallversicherung → Unfallversicherung für die gesamte Familie. Fazilitäten geldpolitisches Instrument des → ESZB. Die Spitzenrefinanzierungsfazilität dient dazu, den → Banken „Übernachtliquidität“ zu einem vorgegebenen → Zinssatz zur Verfügung zu stellen und somit ein „Ausbrechen“ des Tagesgeldsatzes nach oben zubegrenzen. Diese F. entspricht quasi dem früheren → Lombardkredit. Die Banken können auf sie bei entsprechenden → Sicherheiten (auf Pfandbasis) praktisch unbegrenzt zurückgreifen. Die Einlagenfazilität beinhaltet für → Kreditinstitute die Möglichkeit, überschüssige Guthaben bis zum nächsten Geschäftstag zu einem festen → Zins anzulegen. Dieser Zins ist niedriger als der Satz für die Spitzenrefinanzierungsfazilität. Er bildet im allgemeinen die Untergrenze des Tagesgeldsatzes. – In Abhängigkeit von den ständigen F. bewegen sich die Zinssätze am → Geldmarkt innerhalb eines Korridors, der durch die Zinsen für die Spitzen- und Einlagenfazilität begrenzt ist. → Geldpolitik. Feiertagsarbeit → Arbeitsverbot an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen. Feiertagslohn nach dem Bundesgesetz zur Regelung der Lohnzahlung an Feiertagen v. 2.8.1951 mit späteren Änderungen sind → Arbeitgeber
Fernabsatzverträge
verpflichtet, ihren → Arbeitnehmern für die infolge eines gesetzlichen Feiertages ausfallende → Arbeitszeit den Arbeitsverdienst zu zahlen, den sie ohne den Arbeitsausfall erhalten hätten, das heißt unter Berücksichtigung von Überstunden und Lohnzuschlägen. Diese Bestimmung gilt nicht für Feiertage, an denen ohnehin nicht gearbeitet worden wäre (z. B. dann, wenn der Feiertag auf einen arbeitsfreien Samstag fällt). Der Anspruch auf F. entfällt, wenn der Arbeitnehmer am letzten Arbeitstag vor oder am ersten Arbeitstag nach dem Feiertag der → Arbeit unentschuldigt fernbleibt. Feiertagsruhe → Arbeitsverbot an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen. Ferienhausvertrag nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes von 1985 sind die Vorschriften des Reisevertragsrechtes (→ Reisevertrag) auf F. (bei eigener Anreise und Verpflegung) entsprechend anzuwenden. Fernabsatzverträge F. sind nach § 312b BGB n. F. → Verträge über die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, die zwischen einem → Unternehmer und einem → Verbraucher unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen werden. Fernkommunikationsmittel sind Kommunikationsmittel, die zur Anbahnung oder zum Abschluß eines Vertrages zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Vertragsparteien eingesetzt werden können, insbesondere Briefe, Kataloge, Telefonanrufe, Telekopien, E-Mails, SMS sowie Rundfunk, Teleund Mediendienste. Bei F. hat der Unternehmer nach § 312c BGB n. F. den Verbraucher rechtzeitig vor Abschluß eines Vertrages in einer dem eingesetzten Fernkommunikationsmittel entsprechenden Weise klar und verständlich zu informieren über – die Einzelheiten des Vertrages und – den geschäftlichen Zweck desselben. Bei Telefongesprächen muß der Unternehmer seine Identität und den geschäftlichen 243
Fernabsatzverträge
Zweck des Vertrages bereits zu Beginn des Gespräches ausdrücklich offenlegen. Dem Verbraucher steht nach § 312d BGB n. F. bei einem F. ein → Widerrufsrecht zu. Anstelle des Widerrufsrechts kann dem Verbraucher bei Verträgen über die Lieferung von Waren ein Rückgaberecht nach § 356 BGB n. F. eingeräumt werden. Die Widerrufsfrist beginnt nicht vor Erfüllung der Informationspflichten, bei der Lieferung von Waren nicht vor dem Tag ihres Eingangs beim Empfänger, bei der wiederkehrenden Lieferung gleichartiger Waren nicht vor dem Tag des Eingangs der ersten Teillieferung und bei Dienstleistungen nicht vor dem Tag des Vertragsabschlusses. Das Widerrufsrecht besteht nach § 312d BGB n. F. nicht bei Fernabsatzverträgen – zur Lieferung von Waren, die nach Kundenspezifikation angefertigt werden oder eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten sind oder auf Grund ihrer Beschaffenheit nicht für eine Rücksendung geeignet sind oder schnell verderben können oder deren Verfalldatum überschritten würde, – zur Lieferung von Audio- oder Videoaufzeichnungen oder von Software, sofern die gelieferten Datenträger vom Verbraucher entsiegelt worden sind, – zur Lieferung von Zeitungen, Zeitschriften und Illustrierten, es sei denn, daß der Verbraucher seine Vertragserklärung telefonisch abgegeben hat, – zur Erbringung von Wett- und LotterieDienstleistungen, es sei denn, daß der Verbraucher seine Vertragserklärung telefonisch abgegeben hat, oder – die in Form von Versteigerungen (§ 156 BGB) geschlossen werden. Die Vorschriften über F. finden nach § 312b BGB n. F. keine Anwendung auf Verträge – über Fernunterricht, – über Teilzeitnutzung von Wohngebäuden, – über Finanzgeschäfte, – über die Veräußerung von Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten, die Begründung, Veräußerung und Aufhebung von dinglichen Rechten an Grundstücken 244
fester Wechselkurs
und grundstücksgleichen Rechten sowie über die Errichtung von Bauwerken, – über die Lieferung von Lebensmitteln, Getränken oder sonstigen Haushaltsgegenständen des täglichen Bedarfs, die am Wohnsitz, am Aufenthaltsort oder am Arbeitsplatz eines Verbrauchers von Unternehmern im Rahmen häufiger und regelmäßiger Fahrten geliefert werden, – über die Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen Unterbringung, Beförderung, Lieferung von Speisen und Getränken sowie Freizeitgestaltung, – die geschlossen werden – unter Verwendung von Warenautomaten oder automatischen Gechäftsräumen oder – mit Betreibern von Telekommunikationsmitteln auf Grund der Benutzung von öffentlichen Fernsprechern, soweit sie deren Benutzung zum Gegenstand haben. Fernstudium → berufsbegleitendes Studium. Fertigungseinzelkosten alle → Einzelkosten der Fertigung, so insbesondere: Materialeinzelkosten, Lohneinzelkosten und Sondereinzelkosten der Fertigung (wie beispielsweise Konstruktions- und Entwicklungskosten). Fertigungsgemeinkosten die im Fertigungsbereich anfallenden, dem einzelnen Produkt nur indirekt zurechenbaren → Gemeinkosten, wie: Hilfslöhne, Hilfsmaterial, Energiekosten, → Abschreibungen (insbesondere auf Maschinen), → Zinsen u. a. Fertigungskosten die durch die Be- und Verarbeitung der Roh- und Hilfsstoffe zu (End-) Produkten verursachten → Kosten. In die F. gehen ein: → Fertigungseinzelkosten und → Fertigungsgemeinkosten. Fertigungsprozeß ⇒ Produktionsprozeß. fester Wechselkurs ⇒ fixer Wechselkurs
fester Wechselkurs
durch die Währungsbehörde festgesetzter → Wechselkurs oder Leitkurs, um den sich der Wechselkurs innerhalb einer bestimmten → Bandbreite bewegen darf. Gegensatz: → flexibler Wechselkurs. Festgeld(er) → Spareinlagen, die an einem bei → (Spar-) Vertragsabschluß vereinbarten Tag fällig werden, das heißt dem Anleger wieder zur freien Verfügung stehen. – Verfügt der Anleger von F. am Fälligkeitstag nicht über dasselbe/dieselben, so wird dies/werden dieselben generell ab dem Fälligkeitstag als → Sichteinlage(n) behandelt. Es kann jedoch auch vereinbart werden, daß die Anlagedauer desselben/derselben zu den bis dahin geltenden Zinskonditionen verlängert wird. Siehe auch: → Kontensparen. Festpreise staatlich oder vertraglich festgelegte → Preise; sie können unter oder über dem Preis liegen, der sich bei freier Preisentwicklung ergeben würde (Normalpreis). Liegen die F. unter dem Normalpreis, dann wirken sie wie → Mindestpreise; liegen sie darüber, dann wirken sie wie → Höchstpreise. festverzinsliche Wertpapiere → Wertpapiere mit einem festen Zinsertag, insbesondere → Schuldverschreibungen (⇒ Anleihen, ⇒ Obligationen). Festzins für eine bestimmte Zeitdauer vertraglich festgelegter → Zinssatz (z. B. bei Krediten, → Schuldverschreibungen). Filialprokura → Prokura. Financial Literacy ⇒ finanzielle Bildung ⇒ Finanzkompetenz. Finanzausgleich Aufteilung des → Steueraufkommens zwischen den Gebietskörperschaften (d. s. Bund, Länder u. Gemeinden). Soweit es sich bei dieser Mittelzuweisung um einen Ausgleich zwischen über- und untergeordenten Körperschaften handelt, spricht man von vertiaklem F. Fließen die Mittel von fi-
Finanzkompetenz
nanzstarken zu finanzschwachen Ländern, spricht man von horizontalem F. Finanzdienstleistungen 1. allg.: die von den → Kreditinstituten typischerweise angebotenen → Dienstleistungen (→ Bankgeschäfte) erweitert um die Vermittlung von → Versicherungen und (Alters-)Vorsorgeprodukte. 2. speziell: die in § 1 Abs. 1a Kreditwesengesetz genannten Dienstleistungen. Siehe auch: → Allfinanz. finanzielle Bildung ⇒ financial Literacy ⇒ Finanzkompetenz. Finanzinstrumente nach § 1 Abs. 11 Kreditwesengesetz → Wertpapiere, Geldmarktinstrumente, → Devisen oder Rechnungseinheiten sowie → Derivate. Finanzen ⇒ finanzielle Mittel. Finanzierung Beschaffung beziehungsweise Bereitstellung von → Zahlungsmitteln. Finanzierungskauf Kauf, bei dem die Kaufpreissumme durch eine Bank beglichen und dem Käufer als → Kredit in Rechnung gestellt wird. Finanzierungsschätze → Schuldverschreibungen des Bundes mit → Laufzeiten von ein oder zwei Jahren und einer → Stückelung ab 1000 Euro. Ihr Kaufpreis errechnet sich aus dem um die über die → Laufzeit anfallenden → Zinsen verminderten → Nennwert. Finanzkompetenz ⇒ finanzielle Bildung ⇒ Financial Literacy Viele → Privathaushalte sind heute aufgrund niedriger oder unsicherer Patchworkeinkommen durch kritische Lebensereignisse wie → Arbeitslosigkeit, Scheidung, Krankheit usw. in ihrer Existenz gefährdet. Dies geschieht in einer Situation, in der die Lebensverhältnisse komplexer und die Planung des eigenen Lebensentwurfs unsicherer geworden ist. Die digitale ‚Datenflut‘ der → Informationsgesellschaft erhöht zu245
Finanzkompetenz
dem das Risiko, aufgrund stigmatisierender Datenmerkmale von vornherein von den normalen → Marktmechanismen ausgeschlossen, auf überteuerte Armutsprodukte abgedrängt und von wesentlichen gesellschaftlichen Fortschritten ausgeschlossen zu werden. War früher vor allem die Fähigkeit des „rationellen Haushaltens“ wichtig, d. h. sparsam zu → wirtschaften und sein → Einkommen mit den → Bedürfnissen und den hierfür erforderlichen → Ausgaben in Einklang zu bringen, so ist heute der Umgang mit strukturierten Finanzdienstleistungsangeboten (→ Finanzdienstleistungen) entscheidend, um mit seinem „Geld auszukommen“. Die Ursachen der wachsenden Bedeutung und Inanspruchnahme von Finanzdienstleistungen liegen in der Entwicklung der Sozialstruktur moderner Industriegesellschaften, mit der sich → Konsum, → Verschuldung, Vorsorge, Einkommenserzielung usw. entscheidend wandeln, die zeitlich immer stärker auseinanderlaufen und die Einschaltung von Finanzdienstleistungen als Vermittlungsinstrumente immer notwendiger machen. Diese Lage erfordert gesellschaftspolitische und bildungspolitische Maßnahmen, um den raschen gesellschaftlichen Umbruch zu flankieren. Überfällig ist deshalb eine wirtschaftliche und finanzielle Grundbildung von Kindern und Jugendlichen, die im Kindergarten beginnt und sich an allgemeinbildenden Schulen und → Berufsschulen fortsetzt. F. ermöglichen einen rationaleren Umgang mit Finanzdienstleistungen und helfen bei der Auswahl passender Entscheidungsparameter, d. h., sobald der Kunde z. B. Kriterien wie Zahlungsorientierung, Effektivzins, Vermittlerprovision, Kontoführungsgebühren, Rendite, Anlagesicherheit usw. besser beurteilen kann, erhält er im Allgemeinen auch eine „bessere“ Lösung. Gerade bei Finanzdienstleistungen ist natürlich ein eigenständiges quantitatives Denken der Kunden wichtig, worauf auch die allgegenwärtigen Rankings in der Presse (idealtypisch im Warentest) immer wieder hinweisen. Diese Perspektive verkennt aber den eigentlichen Charakter von Finanzdienstleistungen, die selbst in der betriebswirtschaftlichen Li246
Finanzkompetenz
teratur nicht mehr nur als Geldleistungen, sondern auch als Dienste definiert werden, um für den Kunden Problemlösungen zu generieren. Solche Probleme sind z. B. die Unsicherheit im Alter, der Wohnimmobilienerwerb, eine Existenzgründung, die Beziehung zum → Arbeitgeber etc. sowie der Umgang mit bestimmten Risiken; d. h., eine ganzheitliche Haushalts- und Budgetplanung mit einer → Cash-Flow-Betrachtung in die Zukunft hinein ist wesentlich wichtiger als das isolierte Verständnis einzelner Entscheidungsparameter. Ebenso entscheidend im Rahmen der F. ist auch die Beurteilungsfähigkeit von Beratungsleistungen im Finanzdienstleistungsverhältnis. Prekäre Situationen privater Haushalte sind individuell und konkret und damit hochgradig komplex. Hier reicht keine standardisierte Information, sondern persönliche oder zumindest auf die entsprechende Risikogruppe ausgerichtete Beratung muss die Finanzdienstleistung als Problemlösungsprozess begleiten. Entscheidend ist daher weniger der Blick auf die Kosten- und Leistungsparameter der Konkurrenzprodukte als die Fähigkeit, die Auswirkungen der Finanzdienstleistungsprodukte auf die eigene Lebenssituation und ihre Probleme in der Zukunft abschätzen zu können. Leider ist der Kunde hier nach wie vor vor allem auf sich selbst gestellt – viele Banker verschweigen immer noch Risiken oder vernachlässigten die Vermögens- und Einkommenssituation der Kunden, was eine anleger- und anlagegerechte Beratung ausschließt. Ein solcher konstruktiver Ansatz braucht jedoch die Kooperation der Anbieter von Finanzdienstleistungen: Sie gestalten die Produkte, entscheiden über den Preis und den Zugang. Da in der → Marktwirtschaft die Anbieter von Produkten diese mit → Gewinn absetzen wollen, gibt es hier sogar einen Interessengegensatz in der individuellen Gestaltung der Beziehung → Verbraucher– Anbieter. Nach dem Mechanismus eines Nullsummenspiels, bei dem der zusätzliche Gewinn der einen Seite sich immer als → Verlust der anderen darstellt, kann der einzelne Verbraucher nicht erwarten, seinen Zusatznutzen freiwillig vom Anbieter
Finanzkompetenz
bezahlt zu bekommen. Verbraucher haben aber eine kollektive Macht, selbst dort, wo sie sich → marktkonform individualistisch ohne Rücksicht auf andere verhalten. Mit den beiden kritischen Verbraucherverhaltensformen „exit“ und „voice“, d. h. Verlassen bzw. Meiden eines Anbieters, oder mit der Beschwerde beziehen sie sich ausgehend von ihrer F. auf diese Macht der gesamten potenziellen Nachfragegruppe. Bei „exit“ aktivieren sie das Wissen über ein Produkt bzw. eine Produkterfahrung von anderen, um einen Anbieter zu bestrafen. Bei „voice“ teilen sie ihre Erfahrung dem Anbieter und Dritten mit, und setzen somit indirekt den Marktmechanismus gegen den Anbieter ein. Diese auf individuelle Wahlfreiheit im Markt beruhenden Möglichkeiten reichen aber für eine optimale Anpassung von Produkten und Dienstleistungen an die Verbraucher nicht aus. Gerade Verbraucher, die auf den Konsum nicht verzichten können, müssen geschützt werden; außerdem haben Finanzdienstleistungen teilweise eine Komplexität erreicht, die auch im Anbieterbereich nur noch von Fachleuten beherrscht wird. F. muss daher die Chancen schaffen, sich durch gezielte Informationsnachfrage handlungsbezogen das notwendige Spezialwissen oder aber entsprechendes Stellvertreterhandeln über geeignete Berater zu verschaffen, damit z. B. im Konfliktfall Experten diese Rechte mobilisieren können. In der heutigen Zeit, in der die Kenntnis über F. für ein unabhängiges und wirtschaftlich erfolgreiches Leben immer wichtiger wird und zum Alltag gehört, weist die F. neben der Erlangung von finanziellem Wissen in Form von problemorientierten Produktanwendungskenntnissen auch Elemente einer Bildungskonzeption nach dem Leitbild eines aufgeklärten Bürgers in einer demokratischen Gesellschaft auf. Dies geschieht, indem zum einen das individuelle Ziel verfolgt wird, dem Einzelnen den Umgang mit Finanzdienstleistungen im Sinne seiner Bedürfnisse zu erleichtern. Darüber hinaus soll diese „Stärkung der Einzelnen“ aber gleichzeitig dazu beitragen, das Angebot von Finanzdienstleistungen an die Bedürfnisse der Verbraucher anzupas-
Finanzkompetenz
sen, um präventiv Gefahren zu vermeiden. Schließlich kann F. auch zu einer größeren Verhandlungssicherheit und einem veränderten Bewusstsein der Privathaushalte beitragen, wodurch deren → Marktmacht gestärkt wird und so eine Rückwirkung auf das Angebot von Finanzdienstleistungen stattfindet. F. soll somit die Privathaushalte kritikfähig und mündig machen, indem sie sich selbst als Akteure innerhalb des Systems der Finanzdienstleistungen wahrnehmen. Folglich ist es das Ziel der Vermittlung von F., den Menschen zu helfen, finanzielle → Handlungskompetenz (Sach-, Methodenund Sozialkompetenz) im Sinne einer Fähigkeit, aber auch unter sich verändernden Normen und Werten das erlangte Wissen, Können und Verhalten anzuwenden und in allen sie betreffenden Lebenszusammenhängen zu entwickeln, worin eine Parallele zur Diskussion um → ökonomische Bildung gesehen werden kann: Ökonomische Bildung soll Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen auf dem Wege zur Mündigkeit des Menschen vermitteln, damit dieser als Akteur in der bestehenden Marktwirtschaft selbstbestimmt und verantwortungsbewusst handeln kann. Ökonomisches Wissen in der Schulpraxis ist daher unmittelbar berufsqualifizierend. Es geht hier vor allem auch um Fähigkeiten und Fertigkeiten, die etwa den Umgang mit dem betrieblichen Rechnungswesen ebenso betreffen wie das Verständnis gewinnorientierten Wirtschaftens im → Wirtschaftskreislauf. Für das hier interessierende Thema der F. ist derjenige Teil der wirtschaftlichen „Allgemeinbildung“ an Schulen zu berücksichtigen, bei dem es um ein Verständnis für die Mechanismen der Marktwirtschaft geht. Diese allgemeinen Inhalte sollen genauso wie eine finanzielle Bildung vor allem in den allgemeinbildenden Schulen dazu beitragen, verständige Verbraucher und → Arbeitnehmer, rationalere Beobachter der → Wirtschaftspolitik und damit „vernünftigere“ Bürger auszubilden. F. ist damit insgesamt die kritische und an den Bedürfnissen der Nutzer orientierte Vermittlung von Allgemeinwissen, Ver247
Finanzkompetenz
ständnis und sozialer Handlungskompetenz im Umgang mit Finanzdienstleistungen in den Bereichen Kredit, Anlage, → Zahlungsverkehr und Versicherungen, die vor allem Banken und Versicherer anbieten und die die Menschen außerhalb ihrer beruflichen Sphäre für sich selber benutzen, um Einkommen und Ausgaben, Arbeit und Konsum während ihrer Lebenszeit sinnvoll miteinander zu verbinden. Damit ist die Vermittlung von F. interdisziplinär ausgerichtet und sollte i.d.S. als eine Querschnittsaufgabe begriffen werden. Sie sollte das Ziel haben, die Verbraucher dabei zu unterstützen, kritische, eigenverantwortlich handelnde Akteure zu werden, die in ihrer privaten wie beruflichen Sphäre in der Lage sind, sich praxisorientiert, anbieterunabhängig, sachlich und objektiv zu verhalten und ihr Leben finanziell zu meistern. Angesichts der aktuellen Probleme erfordert F. damit eine praxisorientierte Pädagogik. Allerdings darf der Begriff des Pädagogen hier nicht zu eng gefasst werden. „Lehrer“ für F. ist jede Person, die in Bezug auf den Prozess des Erwerbs und der Nutzung von Finanzdienstleistungen Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten und soziale Kompetenz an die Betroffenen vermittelt. Damit treten neben die Schule als Lehrinstanz bei Finanzdienstleistungen die Medien mit ihrem Informationsangebot ebenso wie die Anbieter von Finanzdienstleistungen mit ihren Beratungen, Aufklärungen und Informationen sowie Freunde und Bekannte, die in den meisten Fällen der Nutzung von Finanzdienstleistungen befragt werden. Ferner kommen alle problemspezifisch in diesem Bereich tätigen Berater wie Schuldner- und Verbraucherberater infrage. Interessenkonflikte gilt es aber auch hier zu beachten, d. h., die „Lehrer“ verfolgen teilweise Eigeninteressen und sind nicht unbedingt an den Zielen emanzipatorischen Verhaltens bei Finanzdienstleistungen interessiert. Deswegen können die Grundlagen zur F. nur durch die Schule systematisch für alle Bürger vermittelt werden, weil das die einzige Institution mit professionellen Pädagogen und emanzipatorischen Zielen ist, die alle Bürger irgendwann einmal durchlaufen. 248
Finanzmärkte
Wird die F. auf mehrere Schulfächer verteilt und damit zur schulischen Querschnittsaufgabe erklärt, setzten sich gegebenenfalls interessenpolitisch motiviert die konkurrierenden und etablierten Fächer mit ihren Ansprüchen auf Stundendeputate durch, weshalb die Priorität der F. im Fächerkanon entsprechend organisiert werden sollte. Aus diesem Grund sollten wir F. auf der Grundlage eines schon in der Primarstufe ansetzenden Grundkonzeptes als Bestandteil eines Allgemeinbildungskonzeptes realisieren, das innerhalb der ökonomischen Bildung angesiedelt ist. Gerade die Komplexität der Finanzdienstleistungen und der adäquat zu berücksichtigenden Verbrauchersituation erfordert es neben dem Primat der zu vermittelnden Handlungskompetenz, die F. auch in der Lehrerqualifikation zu etablieren. Das Ziel, F. im allgemeinen Bewusstsein zu etablieren, erfordert letztendlich eine konzertierte Zusammenarbeit zwischen Organisationen, Institutionen, Stiftungen, Ministerien und Hochschulen, damit diese gute Bildungsidee nicht im „Dschungel“ der Bildungspolitik zerrissen wird. Literatur: Commerzbank Ideenlabor (Hrsg.): Kanon der finanziellen Bildung. Frankfurt a. M. 2003; Kaminski, H.: Unterrichtseinheit „Finanzielle Allgemeinbildung“. Eine Initiative von Handelsblatt und Deutsche Bank. O.O. 2005; Lange, E./ Fries, K: Jugend und Geld 2005. Eine empirische Untersuchung über den Umgang von 10–17-jährigen Kindern und Jugendlichen mit Geld. Münster/München 2006; Reifner, U.: Finanzielle Allgemeinbildung. Bildung als Mittel der Armutsprävention in der Kreditgesellschaft. Baden-Baden 2003; Rosendorfer, T.: Kinder und Geld – Gelderziehung in der Familie. In: Gräbe (Hrsg.): Vom Umgang mit Geld. Finanzmanagement in Haushalten und Familien. Frankfurt a. M. 1998; Weng, W.: Finanzkompetenz. In: Arbeitslehre Journal, Heft 24/2008, S. 48 ff. Prof. Dr. Wolfgang Weng, Berlin Finanzmärkte die Gesamtheit der → Märkte, auf denen → Geld, → Wertpapiere und Finanzkontrakte gehandelt werden. Es lassen sich folgende Teilmärkte unterscheiden: Zins-
Finanzmärkte
markt (→ Anleihen, → Renten, Geldmarktgeschäfte), Aktienmarkt (→ Aktien) und Devisenmarkt (→ Devisen). Auf allen drei Teilmärkten werden auch derivate Finanzinstrumente (→ Derivate) gehandelt. Finanzpolitik umfasst den Teil der → Wirtschaftspolitik, in dem der Staat als Entscheidungs- und Handlungsträger durch Festlegung und Verwendung der öffentlichen Einnahmen und Ausgaben sowie des öffentlichen Vermögens wirtschaftliche und soziale Zielsetzungen verfolgt. Im Einzelnen geht es um die Erreichung spezieller konjunktur-, struktur-, wachstums-, umwelt- und verteilungspolitischer Ziele. Die Aufgaben der F. ergeben sich erstens aus wirtschafts- und sozialpolitischen Bestimmungen des Grundgesetzes. Zur ökonomischen Unterstützung des föderalistischen Prinzips ist die vertikale finanzpolitische Kooperation zwischen Bund, Ländern und Gemeinden (Art. 109 GG) und der horizontale Finanzausgleich zwischen den Ländern (Art. 107 GG) festgelegt. Durch das Sozialstaatsprinzip entsprechend Art. 20 und 28 GG ist der Staat zu einer an dem Grundsatz der → sozialen Gerechtigkeit ausgerichteten Wirtschaftspolitik verpflichtet. Zweitens folgt aus gesetzlichen Vorgaben die Verpflichtung zur Beachtung des → gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes; zu berücksichtigen sind das → Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (1967), das Haushaltsgrundsätzegesetz (1969), der Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU (1997) und die nach der Grundgesetzergänzung vorgesehene Begrenzung der staatlichen Neuverschuldung von Bund (ab 2016) und Ländern (ab 2020). Drittens werden der F. einzelne Ziele durch das jeweilige politische Programm der Regierungen vorgegeben (z. B. Bereitstellung bestimmter → öffentlicher Güter). Die F. wird nach ordnungs-, struktur- und prozesspolitischen Aufgaben untergliedert. Die Finanzordnung wird gestaltet durch die Zahl der → öffentlichen Haushalte (planmäßige und außerplanmäßige Haushalte, Ergänzungs- und Nachtragshaushalte, föderale Struktur) sowie durch die Verteilung
Finanzpolitik
der öffentlichen Einnahmen und Ausgaben (Finanzausgleich, Ertragshoheit). Die strukturpolitischen Aufgaben umfassen vor allem die Höhe der → Staatsquote und die Gestaltung des Haushaltsplans. Prozesspolitische Ziele der F. werden durch die direkte und indirekte Einwirkung auf das Verhalten der → Wirtschaftssubjekte verfolgt. Die Zusammenhänge zwischen öffentlichen Finanzen und volkswirtschaftlichen Größen werden durch verschiedene, durchaus unterschiedliche Theorien erklärt. F. als → Stabilitätspolitik zur Beeinflussung von → Konjunktur und → Beschäftigung geht auf die keynesianische Beschäftigungstheorie zurück, wonach die gesamtwirtschaftliche Güternachfrage die Höhe von → Einkommen und Beschäftigung bestimmt. Bei einer konjunkturbedingten Beschäftigungskrise kann durch die Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen → Nachfrage, insbesondere der → Staatsausgaben, das → Sozialprodukt und die Beschäftigung gesteigert werden (antizyklische → Fiskalpolitik). In der angebotsorientierten neoklassischen Theorie wird langfristig von der Annahme der → Vollbeschäftigung der → Produktionsfaktoren ausgegangen, eine dauerhafte Nachfragelücke wird nicht in Betracht gezogen. Grundlage ist die von → Friedman (Chicago-Schule) entwickelte monetaristische Theorie (→ Monetarismus), in der Fehlentwicklungen und Ungleichgewichte auf Märkten auf Behinderungen der Marktmechanismen zurückgeführt werden. Folglich werden der F. lediglich strukturund allokationspolitische Aufgaben zugewiesen. Sie soll → Wirtschaftswachstum und Beschäftigung mittelfristig durch die Beseitigung angebotsseitiger Störungen fördern. Die Anpassungsfähigkeit der Unternehmen an Angebotsprobleme soll erhöht werden, so dass mehr Arbeitsplätze rentabel sind. Träger der F. sind die nationalen Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Gemeinden) und die Parafisci (autonome und halbautonome Institutionen und Organisationen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben wie z. B. die Sozialversicherungen) sowie als supranationale Institution die EU. 249
Finanzpolitik
Instrumente der F. sind die Veränderung von Umfang und Struktur der öffentlichen Haushalte. Nach der angebotsorientierten Konzeption kommt es auf die Stetigkeit der Ausgabenentwicklung und vor allem auf den Abbau hoher Haushaltsdefizite an. Die effektive gesamtwirtschaftliche Nachfrage wird direkt über staatliche Sachausgaben und indirekt über Entzugseffekte der Staatseinnahmen und der öffentlichen Transfer- und Personalausgaben beeinflusst. Maßnahmen mit struktur- und wachstumspolitischer Orientierung sind Investitionsprämien, Kreditgewährung, Bürgschaften, Steuererleichterungen, → Subventionen und die Bereitstellung öffentlicher Güter (z. B. Rechtsschutz, Bildungs- und Gesundheitswesen). Verteilungspolitische Ziele werden durch die Ausgestaltung des Steuersystems (Dominanz der Einkommen- und Umsatzsteuer), Veränderung der → Vermögensverteilung durch → Sparförderung und → Erbschaftsteuer sowie durch Sozialtransfers verfolgt. Zur Erreichung umweltpolitischer Zielsetzungen werden als Maßnahmen insbesondere → Umweltabgaben (nach dem → Verursacherprinzip) sowie Subventionen (nach dem Gemeinlastprinzip) verwendet. Literatur: Blankart, Ch. B.: Öffentliche Finanzen in der Demokratie. Eine Einführung in die Finanzwissenschaft, 7., vollst. überarb. Aufl. München 2008; Nowotny, E./Zagler, M.: Der öffentliche Sektor. Einführung in die Finanzwissenschaft, 5., neu bearb. Aufl. Berlin-Heidelberg 2009. Prof. Dr. Ronald Clapham, Siegen Finanzprodukte die von Finanzdienstleistern (→ Finanzdienstleistungen 1.) angebotenen Dienste. Finanzwechsel im Gegensatz zum → Handelswechsel ein → Wechsel, dem kein Warengeschäft zugrunde liegt, sondern der lediglich der Geldbeschaffung dient. Finanzwissenschaft volkswirtschaftlicher Forschungsbereich, der die ökonomischen Aktivitäten öffentlicher → Haushalte (Bund, Länder, Gemeinden) wie auch der → Sozialversicherung untersucht. 250
Fiskalpolitik
Firma Die Firma ist der Name eines → Kaufmanns, unter dem er seine Geschäfte betreibt und seine Unterschrift abgibt (§ 17 HGB). Die Neuregelung des Rechts der Firmenführung (Handelsrechtreformgesetz vom 22. 6. 1998) erlaubt das Recht, eine F. zu führen, grundsätzlich solchen Kaufleuten, die ins Handelsregister einzutragen sind (vgl. § 1 HGB n. F.). Allerdings räumt § 2 HGB n. F. ein, daß auch Kleingewerbetreibende sich auf eigenen Antrag ins Handelsregister eintragen lassen können. Für diese Unternehmen gelten dann die Vorschriften des Handelsgesetzbuches. Firmen-Rechtschutz → Rechtschutzversicherung. Fiscal Policy → Fiskalpolitik → Finanzpolitik. Fiskalpolitik Zur Komplementarität von → Geld- und → Finanzpolitik: In entwickelten → Volkswirtschaften haben sich die Beziehungen zwischen der → Währungs- und der Finanzpolitik dermaßen intensiviert, daß man im angelsächsischen Sprachgebrauch seit der Nachkriegszeit dieses komplementäre Verhältnis zwischen Geldpolitik und Finanzpolitik zutreffend als Monetary-Fiscal Policy bezeichnet. Einen deutschen Terminus technicus, der diese „Komplementärdisziplin“ zutreffend umschreibt, gibt es nicht. 1. Problemfelder: Unter dem Aspekt der Erhaltung einer stalibitätssichernden Währungs-, Finanz- und → Wirtschaftsverfassung haben die Geld- und Finanzpolitik mit Blick auf ihre Komplementarität gleichbleibend aktuelle Bedeutung. Hier geht es nicht um → Geld und → Kredit oder → Währungen sowie darum, wie diese technisch auf den → Geld- und → Kapitalmärkten oder den Divisenmärkten be- und gehandelt werden. Nein, hier geht es um viel mehr, nämlich um das höchste Gut einer freiheitlichen Wirtschaftsgesellschaft, die Stabilität. Gegenstand der F. auch als „fiscal policy“ bekannt, ist der Einsatz der öffentlichen → Finanzen durch den → Fiskus, also durch „den Staat als Träger aller staatshoheitlichen
Fiskalpolitik
wie auch privatrechtlichen Finanzrechte“ (Robert Nöll von der Nahmer). Primäre Zielsetzung ist die Stabilisierung der Wirtschaftskonjunktur und die Gewährleistung eines angemessenen und stetigen → Wirtschaftswachstums. Zielsetzung der Geldpolitik ist die Gestaltung eines funktionsfähigen Geldsystems einer Volkswirtschaft und die optimale Lenkung der Geldversorgung. 2. Zum Begriff „Monetary-Fiscal-Policy“: Vielfältig sind die Verbindungen zwischen Geld- und Finanzpolitik, die mit zunehmender Öffnung der nationalen Geld- und Kapitalmärkte, die mit der Globalisierung der Finanzmärkte und der Internationalisierung der Finanzbeziehungen sogar der öffentlichen Hände eine problemspezifische Symbiose eingehen. Diagonal, horizontal und vertikal verlaufen die Stränge des Beziehungsgeflechtes, das in der → Wirtschaftspolitik im allgemeinen, in der Geld- und Finanzpolitik als Stabilitätspolitik im besonderen, als Monetary-Fiscal Policy bezeichnet wird. 3. Theoriebezüge: Finanzwirtschaftliche Theorie ist ihrem Wesen gemäß anwendungsbezogen und interdisziplinär. Sie ist ein Gebiet der → Wirtschaftstheorie. Als theoretischer Sachbereich ist sie – neben dem politischen Sachbereich, der praktischen Finanzwirtschaft, – ein Teil der Lehre von der öffentlichen Finanzwirtschaft, also der Finanzwissenschaft. Finanzwirtschaftliche Theorie ist somit der theoretischen Nationalökonomie zuzuordnen. Objekt der Lehre von der öffentlichen Finanzwirtschaft bilden die vielfältigen finanziellen Beziehungen sowohl öffentlicher Gemeinwesen untereinander als auch zur Privatwirtschaft (→ Public Private Partnership). Erkenntnisobjekt finanzwirtschaftlicher Theorie ist somit die öffentliche Finanzwirtschaft. Das gilt sowohl für den Fiskus als auch für die Aktivität der Wirtschaft öffentlich-rechtlicher → Körperschaften sowie für die Parafisci, also die im gesellschaftlichen Raume zwischen Bürgern und Staat wirkenden „intermediären Finanzge-
Fiskalpolitik
walten“ (Fritz Karl Mann), derer sich der Staat zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben bedient und die über Zwangsumlagen oder staatliche Zuschüsse finanziert werden. Im Mittelpunkt des finanzwissenschaftlichen Interesses stehen demnach die Auswirkungen dieser vielfältigen, als F. bezeichneten Staatstätigkeit auf die Volkswirtschaft und das soziale Leben im Staate. Dabei erweisen sich folgende Aspekte praktisch als äußerst wichtig: – die Lehre vom → öffentlichen Haushalt als Planungs- und Handlungsgrundlage für die öffentliche Finanzwirtschaft; – die Lehre von den öffentlichen → Einnahmen und → Ausgaben; – die Lehre vom öffentlichen Kredit mit der Theorie der Staatsverschuldung sowie – die Lehre vom → Finanzausgleich zwischen den → Gebietskörperschaften und deren Ausstattung mit finanziellen → Ressourcen vor dem Hintergrund der „Intergovernmental Relations“, z. B. im Kontext staatsübergreifender politischer und wirtschaftlicher Integration. Finanzwirtschaftliche Theorie hat im Zeichen der „Ökonomisierung der Finanzpolitik“ einem „Doppelvorgang“ Rechnung zu tragen. Das heißt, daß sich die Beziehungen von Finanzwirtschaft und Volkswirtschaft intensiviert haben, weil sich die Entscheidungen in beiden Bereichen gegenseitig beeinflussen. 4. Monetäre Fiskaltheorie: In der wirtschafts-, insbesondere der finanzpolitischen Diskussion hat die Frage der Verteilungswirkungen der öffentlichen Haushaltswirtschaft stark an Bedeutung gewonnen. Diese Aspekte regionaler Disparitäten und regionaler Inzidenz sind in föderalistisch strukturierten Staaten miteinander verknüpft worden und sie gewinnen auf der Ebene der → Europäischen Union integrationspolitische und damit wachsende Bedeutung. Das ist einer der Gründe, die die gerade für den Bundesstaat so wichtige finanzwirtschaftliche Theorie vom Finanzausgleich (zwischen den Gebietskörperschaften auf gleicher Ebene: horizontal und zwischen vor- und nachgelagerten: vertikal) zur Theorie der „Intergovernmental Relations“ 251
Fiskalpolitik
qualifizieren, in der „die ‚richtige‘ Aufgabenzuordnung im Vordergrund steht und lediglich als Hilfsmittel, insbesondere unter dem Allokationsziel, auch die Einnahmen einbezogen werden“ (Horst Zimmermann). Die enge wechselseitige Bindung zwischen Geldverfassung und Finanzverfassung, die der öffentlichen Finanzwirtschaft, insbesondere in den vertikalen und horizontalen Finanzbeziehungen im föderalistisch aufgebauten Staat (Bund, Länder, Gemeinden) über den Finanzausgleich hinaus durch die Rahmenverordnung (Kap. X: Das Finanzwesen, Art. 104 a ff. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland) verfassungsrechtlich vorgegeben ist, begründet die notwendig theorieinterdependente Sicht des Wirtschaftswissenschaftlers. Auch in der engen Beziehung zwischen der Haushaltstheorie und der Konjunkturtheorie kommt diese deutlich interdependente wirtschaftstheoretische Fragestellung der F. im Kontext der Monetary-Fiscal Theory zum Ausdruck. Ihre praktische Bedeutung liegt hier in der Effizienz diskretionärer, das heißt in das Ermessen der Politiker gestellter Entscheidungen via Haushaltspolitik für die Stabilisierung der Wirtschaftskonjunktur. In modernen Volkswirtschaften, in denen das Verhältnis der Steuereinnahmen im Verhältnis zum → Bruttoinlandsprodukt, die volkswirtschaftliche Steuerquote, bei einem Viertel und der Anteil der → Staatsausgaben aller Ebenen am Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen, also die Staatsausgabenquote im weiteren Sinne, beinahe – für freiheitlich-demokratische Gesellschaftsordnungen bedenklich – die Hälfte und die Staatsschuldenquote bald drei Viertel des Bruttoinlandproduktes erreichen, ist finanzwirtschaftliche Theorie zu einem guten Teil auch Geldtheorie und entfaltet sich praktisch zur monetären Fiskaltheorie. Die Geldtheorie ist hier somit eine der Finanztheorie zugeordnete Komplementärtheorie. Bei einer Staatstätigkeit, die den Geldkreislauf mit Hunderten von Milliarden Währungseinheiten via → Sozialleistungen und echten → Transferleistungen an → private Haushalte oder an → Unternehmen über 252
Fiskalpolitik
Personal- und Sachaufwand, → Investitionen und → Anleihen dermaßen beeinflußt, müssen staatswirtschaftliche Entscheidungen hinsichtlich ihrer volkswirtschaftlichen Wirkungen immer zugleich unter geldwirtschaftlichen und ordnungspolitischen Aspekten getroffen werden, wovon die Versuche der Überwindung der 2007 – mit der US-Immobilien-(Suprime-)krise beginnend – weltweit sich ausbreitende Bankenund Finanzkrise durch die Stabilitätspolitik der EZB sowie die Finanz- u. Wirtschaftspolitik der EU-Mitgliedstaaten zeugen. Finanz- und Geldwirtschaft sind mithin zwei Seiten ein und derselben stabilitätspolitischen Münze. „Monetary-Fiscal Theory“ ist Ausdruck einer gelungenen Kombination von Elementen aus der Geldtheorie und aus der Finanztheorie in der Absicht, die Beziehungen zwischen Geldwirtschaft und Finanzwirtschaft zu verschränken und wissenschaftlich fundierte → Stabilitätspolitik als Kern einer „Wirtschaftspolitik aus einem Guß“ (Ludwig Erhard) zu ermöglichen. Die monetäre Fiskaltheorie findet dabei im Sachbereich der ihr zugehörigen Politik, in der Monetary-Fiscal Policy, ihren Niederschlag. Herzstück der Monetary-Fiscal Theory ist die Synchronisierung der stabilitätstheoretischen Ansätze, die es erlaubt, im Wege der „Kooperation von Staat und Währungsbank“ (Otto Veit) die Entscheidungen konzeptionell miteinander zu verbinden. Dieser Komplementcharakter zwischen finanzwirtschaftlicher und geldwirtschaftlicher Theorie spiegelt sich auch im Lösungsansatz des Inflationsproblems wider: → Geldwertstabilität ist nach herrschender Lehre nur zu gewährleisten, wenn der Einsatz des finanzwirtschaftlichen und geldwirtschaftlichen Instrumentariums problemgerecht aufeinander abgestimmt erfolgt. Dementsprechend gilt: Gegensätze darf es zwischen Notenbank- und Finanzpolitik eigentlich gar nicht geben, denn beide sind gesetzlich – durch → Stabilitätsgesetz und Bundesbankgesetz – auf die Stabilität verpflichtet. Seit Gründung der dritten Stufe der → Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) im Jahre 1999,
Fiskalpolitik
kodifiziert in der Zentralbankgesetzgebung im EG-Vertrag und in der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB), ist der Euro (€) die Gemeinschaftswährung. Die → Europäische Zentralbank (EZB) ist die Hüterin der Stabilität auf Gemeinschaftsebene. Vornehmstes Ziel der → Geldpolitik der EZB ist die Stabilisierung des Preisniveaus. In der stabilitätspolitischen Praxis gelegentlich wahrnehmbare Unterschiede sind daher Ausdruck eines Mittelkonfliktes, also keines Zielkonfliktes, der eine – im gewissen Sinne verständliche – Differenzierung in der wirtschaftspolitischen Strategie zwischen Finanz- und Notenbankpolitik zum Ausdruck bringt. Das ist die Europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik: Der Rat der Wirtschafts- u. Finanzminister der EU-Mitgliedstaaten, Ecofin-Rat (ECOFIN), prüft jährlich die Stabilitätsprogramme, um sie mit der Stabilitätspolitik der → EZB in Einklang zu bringen. Er überwacht die Haushaltspolitik unter Beachtung des Gebarens der öffentlichen Finanzen in den Mitgliedstaaten und auf den Finanzmärkten sowie der Entwicklung des internationalen Kapitalverkehrs. Gegebenenfalls entscheidet der Ecofin-Rat über Sanktionen gegen einzelne Teilnehmerstaaten. Literatur: Andel, Norbert: Finanzwissenschaft, 4. Aufl. Tübingen 1998; Blankart, Charles Beat: Öffentliche Finanzen in der Demokratie. Eine Einführung in die Finanzwissenschaft, 7. Aufl., München 2008; Deutsche Bundesbank: Stabilität gestalten: Die Rolle der Bundesbank im Europäischen System der Zentralbanken, Frankfurt a. M. 2004; Deutsche Bundesbank/Eurosystem: Geld und Geldpolitik, Frankfurt a. M. 2008; Deutsche Bundesbank/Eurosystem: Stabilität sichern: Die Deutsche Bundesbank im Europäischen System der Zentralbanken, Frankfurt a. M. 2009; Europäische Zentralbank: Die Geldpolitik der EZB, Frankfurt a. M. 2004; Europäische Zentralbank/Eurosystem: Durchführung der Geldpolitik im EURO-Währungsgebiet. Allgemeine Regelungen für die geldpolitischen Instrumente und Verfahren des Eurosystems, Frankfurt a. M. 2008; Gasche, Martin: Makroökono-
fixer Wechselkurs
mische Wirkungen der Fiskalpolitik in einem Real Business Cycle-Modell, Frankfurt a. M. 2003; Gemper, Bodo B.: Wirtschaftspolitik. Ordnungspolitische Grundlagen, insbes.: 3. Kapitel: Monetäre Fiskaltheorie und -politik, Heidelberg 1994; Hansmeyer, Karl Heinrich: Der Weg zum Wohlfahrtsstaat. Wandlungen der Staatstätigkeit im Spiegel der Finanzpolitik unseres Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1957; Mann, Fritz Karl: Steuerpolitische Ideale. Vergleichende Studien zur Geschichte der ökonomischen und politischen Ideen und ihr Wirken in der öffentlichen Meinung 1600 – 1935, Jena 1937, Nachdruck: Stuttgart u. New York 1978; Nöll von der Nahmer, Robert: Lehrbuch der Finanzwissenschaft, Bd. 1, Allgemeine Finanzwissenschaft, Köln und Opladen 1964; Papademos, Lucas D./Stark, Jürgen (Eds.): Enhancing, Monetary Analysis. European Central Bank/Eurosystem: Frankfurt a. M. 2010. Scheller, Hanspeter K.: Die Europäische Zentralbank. Geschichte, Rolle und Aufgaben, insbes. Kap. 2 u. 3, 2. überarbeitete Auflage, Europäische Zentralbank/Eurosystem: Frankfurt a. M. 2006; Zimmermann, Horst/Henke, Klaus-Dirk: Finanzwissenschaft. Eine Einführung in die Lehre von der öffentlichen Finanzwirtschaft, 10. Aufl., München 2009. Prof. Dr. Dr. Bodo Gemper, Siegen Fiskus ältere Bezeichnung für den Staat als Träger privater, insbesondere vermögensrechtlicher Rechte und Pflichten. Daneben meint F. den Staat, der im Rahmen seiner Steuerhoheit tätig wird. fixe Kosten derjenige Teil der → Gesamtkosten, dessen Höhe sich bei Veränderung der Ausbringungsmenge (d. h. der produzierten Menge) nicht verändert (z. B. → Mieten, Hypothekenzinsen, → Abschreibung für Maschinen, Entwicklungskosten). fixer Wechselkurs ⇒ fester Wechselkurs. 253
Flatrate
Flatrate ⇒ Pauschalpreis → Preis, der für den Kauf oder die Nutzung eines → Gutes unabhängig von dessen nachgefragter (→ Nachfrage) Menge respektive der Dauer dessen Inanspruchnahme erhoben wird. So zum Beispiel: „all you can eat“-F., „all inclusive“-Preis, Pauschalpreise in der Personenbeförderung, Pauschalpreis für die Inanspruchnahme von Telefondiensten. Flat Rate Tax ⇒ Einheitssteuer ⇒ Flat Tax. Flat Tax ⇒ Flat Rate Tax ⇒ Einheitssteuer einstufiger Einkommensteuertarif (→ Einkommensteuer), der oberhalb des → Grundfreibetrages lediglich einen konstanten → Steuersatz kennt. Flexibilität Generalqualifikation (→ Qualifikation), die im wesentlichen auf zwei Fähigkeiten abhebt: zum einen auf die Kompetenz, sich unterschiedlichen wechselnden Anforderungen zu stellen, neue technologische Entwicklungen zu meistern, umzulernen etc., zum anderen auf die Bereitschaft, sich Restriktionen auf dem Arbeitsmarkt anzupassen, auch wenn dies mit der Aufgabe von Berechtigungen und Ansprüchen verbunden ist (H. Brandes). Siehe auch: → Schlüsselqualifikationen. flexibler Wechselkurs ⇒ freier Wechselkurs ⇒ Floating → Wechselkurs, der sich auf dem Devisenmarkt aus → Angebot und → Nachfrage ohne Eingriffe der Währungsbehörde bildet. Gegensatz: → fester Wechselkurs. Floating ⇒ freier Wechselkurs ⇒ flexibler Wechselkurs. Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer → Vermögensbildung der Arbeitnehmer. 254
Forderungen
Folgeschäden Begriff des → Produkthaftungsgesetzes; ihm zufolge werden nach der verschuldensunabhängigen → Produkthaftung nur sogenannte F. – das heißt nur → Schäden an anderen → Sachen als dem schadenstiftenden Produkt selbst – erfaßt und zwar nur insoweit diese beschädigten Sachen privat (und nicht gewerblich!) genutzt wurden. Ausnahme: → „weiterfressende Mängel.“ Fonds 1. allgemein: ein Geldmittelbestand für bestimmte Zwecke. 2. speziell: Investmentfonds, das sind Vermögensmassen, die von → Investmentgesellschaften für gemeinschaftliche Rechnung der Anteilseigner (Inhaber von → Investmentzertifikaten) verwaltet werden (§ 1 Gesetz über die Kapitalanlagegesellschaft). Sie können bestehen aus → Effekten (Wertpapierfonds), Grundstücken und Gebäuden (Immobilienfonds) oder sonstigen Vermögenswerten. In der Regel handelt es sich um Wertpapierfonds. Diese bestehen aus → Aktien und → festverzinslichen Wertpapieren, die die Gesellschaften nach vorgegebenen Anlagegrundsätzen kaufen und verkaufen (→ Aktienfonds, → Rentenfonds, gemischte Fonds). Hinsichtlich der Begrenzung des Fondsvermögens lassen sich offene Fonds (laufende Kapitalbeschaffung, variables → Kapital) und geschlossene Fonds (einmalige Kapitalbeschaffung, festes Kapital) unterscheiden. Fonds Deutsche Einheit auf der Grundlage des → Staatsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) am 1. Juli 1990 geschaffenes → Sondervermögen des Bundes zur Finanzierung der Aufgaben der → öffentlichen Hand in der DDR und den daraus erwachsenen neuen Bundesländern. Forderungen 1. allgemein: Ansprüche von → Gläubigern gegenüber ihren → Schuldnern auf Erbringung einer Leistung (in der Regel einer Geldleistung, auf Zahlung eines Geldbetrages). 2. speziell: Einlagen bei Banken (z. B. Spareinlagen), Ansprüche aus → Wech-
Forderungen
seln (Wechselforderungen), aus gewährten → Krediten (Kreditforderungen). F. werden im → Unternehmen als Vermögensposten (im → Umlaufvermögen) bilanziert (→ Bilanz). Forderungsabtretung ⇒ Zession ⇒ Abtretung von Forderungen. Form (Rechtsgeschäfte) Die F., in der die zu → Rechtsgeschäften führenden → Willenserklärungen abgegeben werden können beziehungsweise abgegeben werden müssen, ist unterschiedlich. Im allgemeinen besteht Formfreiheit, das heißt die Willenserklärungen können mündlich (auch fernmündlich), schriftlich (auch telegrafisch, per E-mail, SMS oder per Fax) oder auch stillschweigend (durch schlüssiges Handeln, so z. B. durch Münzeinwurf beim Automatenkauf) abgeben werden. Für bestimmte Rechtsgeschäfte ist die F., in der die Willenserklärung(en) abzugeben ist (sind), genau vorgeschrieben; es liegt somit Formzwang vor. Die vom Gesetz vorgesehenen F. sind: die Schriftform, die öffentliche Beglaubigung und die gerichtliche oder notarielle (öffentliche) Beurkundung. Die Schriftform erfordert die eigenhändige Unterschrift. Ein → Kaufmann kann mit seinem Namen oder seiner → Firma, sein bevollmächtigter Vertreter mit seinem Namen und/oder der Firma unterzeichnen. Bei → Verträgen muß die Vertragsurkunde von den Vertragspartnern (Vertragsparteien) unterschrieben werden oder es wird der Vertrag in mehreren Ausfertigungen erstellt und jeder Vertragspartner unterschreibt das/ die für die andere(n) Partei(en) bestimmte(n) Exemplar(e). Schriftform ist vorgeschrieben zum Beispiel für → Miet- und → Pachtverträge über eine Laufzeit von mehr als einem Jahr, Bürgschaftserklärungen. Mehr als nur die Unterzeichnung verlangt das eigenhändige (Privat-) → Testament. Es muß vom Erblasser möglichst unter Angabe von Ort und Tag eigenhändig geschrieben und unterschrieben werden. Die öffentliche Beglaubigung umfaßt eine schriftliche Urkunde, deren Unterzeichnung und die öffentliche Beglaubigung dieser Un-
Formulararbeitsvertrag
terschrift. (Die Beglaubigungsformel lautet beispielhaft: Die vorstehende Unterschrift des Manfred Korff, kaufmännischer Angestellter in Heidelberg, wird hiermit beglaubigt. Heidelberg, den …, Niemöller, Notar). Zuständig für die öffentliche Beglaubigung sind die Amtsgerichte und Notare. Die öffentliche Beglaubigung ist erforderlich zum Beispiel für Anmeldungen und Anträge zum Handels- und Güterrechtsregister wie auch zum → Grundbuch. Die gerichtliche oder notarielle (öffentliche) Beurkundung nimmt den gesamten Inhalt des Rechtsgeschäfts zu Protokoll. Die Urkunde wird von dem Erklärenden wie auch dem beurkundenden Beamten oder Notar unterzeichnet. Zuständig sind die Amtsgerichte und die Notare. Die F. der Beurkundung ist zum Beispiel beim Schenkungsversprechen ober bei Grundstücksveräußerungsverträgen erforderlich. formfrei ⇒ Formfreiheit → Form (Rechtsgeschäfte). Formfreiheit → Form (Rechtsgeschäfte). Formierte Gesellschaft (Utopisches) Gesellschaftsmodell von → Ludwig Erhard, das die Gegensätze von Gruppen, Interessen, Verbänden und politischen Organisationen überwinden und deren Konflikte unter den übergeordneten Leitmaximen von Gemeinsinn und → Gemeinwohl schlichten sollte. Formkaufmann Formkaufleute oder Kaufleute kraft Rechtsform sind alle → Kapitalgesellschaften, die → Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die → Genossenschaften und die → Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit. Hier wird weder der Vorstand oder Geschäftsführer noch der Gesellschafter Kaufmann, sondern die Gesellschaft selbst als → juristische Person (§ 6 HGB). Formulararbeitsvertrag schriftlicher → Arbeitsvertrag, der allgemein für den → Betrieb verwendet werden soll. Unterliegt dem → Mitwirkungs- und 255
Formulararbeitsvertrag
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates (§ 94 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz). Formvorschriften → Form (Rechtsgeschäfte). Formzwang → Form (Rechtsgeschäfte). Fortbildung → Weiterbildung. Fragerecht des Arbeitgebers Das F. gegenüber dem → Arbeitnehmer ist auf solche Auskünfte beschränkt, für die der Arbeitgeber im Hinblick auf das → Arbeitsverhältnis ein berechtigtes Interesse hat und durch die keine schutzwürdigen Interessen des Arbeitnehmers verletzt werden. Was der Arbeitgeber bei einem Einstellungsgespräch über die Eignung des Bewerbers fragen darf, braucht sich nicht mit den Kenntnissen decken, die er später für den Arbeitseinsatz des Bewerbers benötigt. Franchising Vertriebssystem, bei dem der FranchiseGeber dem Franchise-Nehmer das Recht (die Lizenz) einräumt, selbständig einen → Betrieb unter dem (Firmen-) Zeichen des Franchise-Gebers zu führen und darin dessen Produkte/Dienste anzubieten. Der Franchise-Geber stellt dem Franchise-Nehmer seine Erfahrungen (sein Know-how) zur Verfügung und bindet ihn in eine einheitliche Organisation und Werbung ein. In der Regel stehen dem Franchise-Geber entsprechende Kontrollrechte zu. Das F. ist besonders im Dienstleistungsbereich verbreitet (z. B. Gaststätten, Motels, Hotels). Freibetrag Bezeichung des Steuerrechts für einen aus wirtschaftlichen oder sozialen Gründen von der Besteuerung freibleibenden Teil des steuerpflichtigen Betrages, so zum Beispiel bei der → Einkommensteuer, → Erbschaftund → Schenkungsteuer, → Gewerbesteuer. free rider position ⇒ Trittbrettfahrer-Verhalten kostenlose, vom Verursacher nicht zu verhindernde Nutzung → externer Effekte durch Dritte. 256
freier Mitarbeiter
Freiburger Schule von → Walter Eucken (1891 – 1950) an der Universität Freiburg i. Breisgau etablierte ökonomische Denkrichtung (→ Ordoliberalismus), der unter anderen dessen Kollegen → Constantin von Dietze (1891 – 1950), → Leonhard Miksch (1901 – 1950) sowie die Wirtschaftsjuristen Franz Böhm (1895 – 1977) und Hans Großmann-Dörth (1894 – 1944) zuzurechnen sind. Die F. war maßgeblich an der Erarbeitung der wirtschaftstheoretischen und wirtschaftspolitischen Grundlagen der → Sozialen Marktwirtschaft beteiligt. freie Arbeitsplatzwahl nach Art. 12 Grundgesetz haben alle Deutsche das Recht, ihren → Arbeitsplatz frei zu wählen. Ausländern steht dieses Grundrecht nicht zu. Für sie kann sich das Recht auf f. jedoch aus internationalen Abmachungen, insbesondere aus → EWG-Vertrag, ergeben. freie Berufe selbständige → Berufe, die in der Regel eine wissenschaftliche oder künstlerische Vorbildung voraussetzen. freie Berufswahl nach Art. 12 Grundgesetz haben alle Deutschen das Recht, ihren → Beruf frei zu wählen. Ausländern steht dieses Grundrecht nicht zu. Für sie kann sich das Recht auf f. jedoch aus internationalen Abmachungen, insbesondere aus → EWG-Vertrag, ergeben. freie Güter → Güter. freier Mitarbeiter erbringt → Dienstleistungen im Auftrageines anderen, ohne daß zwischen den Vertragsparteien arbeitsrechtliche Beziehungen bestehen. Es liegt in der Regel keinfestes, dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis vor; der Dienstverpflichtete erledigt einzelne, meist nicht unmittelbar aufeinanderfolgende Aufträge (z. B. Journalisten im Verhältnis zu verschiedenen Zeitungsverlagen, für die sie schreiben). Es kann aber auch ein Dauerrechtsverhältnis bestehen. Das Fehlen arbeitsrechtlicher Beziehungen hat un-
freier Mitarbeiter
ter anderen folgende Konsequenzen: kein → Kündigungsschutz, keine Vergütungsfortzahlung im Krankheitsfall, kein bezahlter → Urlaub, keine einem → Arbeitnehmer vergleichbare → Treuepflicht. Je nach Gestaltung des Vertragsverhältnisses können f. jedoch auch → arbeitnehmerähnliche Personen sein. freier Wechselkurs ⇒ Floating ⇒ flexibler Wechselkurs. freie Wahl der Ausbildungsstätte nach Art. 12 Grundgesetz haben alle Deutschen das Recht, ihre Ausbildungsstätte frei zu wählen. Ausländern steht dieses Grundrecht nicht zu. Für sie kann sich das Recht auf f. jedoch aus internationalen Abmachungen, insbesondere aus → EWG-Vertrag, ergeben. freifinanzierter Wohnraum Wohnraum, der ohne öffentliche Förderung finanziert wurde. Er kann vom Vermieter an jedermann vermietet werden. Die Obergrenze des zulässigen Mietpreises ist die ortsübliche Vergleichsmiete (§ 558 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Lag die bisherige Miete weit unter der → ortsüblichen Vergleichsmiete, so kann der Vermieter nach § 558 Abs. 3 BGB innerhalb von drei Jahren die Miete höchstens um 20 vom Hundert erhöhen (Kappungsgrenze). Mieten, die die genannten Grenzen nicht einhalten (Mietpreisüberhöhung) sind mit Geldbußen bis 50 000 Euro bedroht (§ 5 Abs. 3 Wirtschaftsstrafgesetz). Gegensatz: → öffentlich geförderter Wohnraum (→ Sozialwohnungen). Freihandel Definition: F. ist die Abwesenheit jeglicher staatlichen Beschränkung des Handels, was sowohl für den Binnen- als auch den → Außenhandel gilt. Die Beschränkungen können tarifärer (Zölle) und nicht-tarifärer Art (Einfuhrquoten, Überregulierung u. ä.) sein. F. ist somit das Gegenteil von → Protektionismus. Dogmengeschichte: Zumindest teilweise Forderungen nach F. tauchten in der politischen Literatur seit der Antike immer wie-
Freihandel
der auf, obwohl die klassische Moralphilosophie der Antike (Aristoteles, Cicero) und des Mittelalters (Thomas von Aquin) Handel meist als Gefährdung der klassischen Tugenden sieht. Eine größere Dynamik gewinnt die F.debatte daher erst im 17. Jahrhundert mit dem Aufstieg des → Merkantilismus, der eine intensive Diskussion um die Grundlagen der → Außenhandelspolitik anregt. Die Merkantilisten sind meist Protektionisten, aber es gibt auch Ausnahmen. Vor allem die englischen Merkantilisten wie Thomas Mun (A Discourse of Trade, 1621), Dudley North (Discourses upon Trade, 1691) oder vor allem Henry Martyn (Considerations upon the East India trade, 1701) verbinden ihr Credo einer → aktiven Handelsbilanz mit einem moderaten Bekenntnis zum freien Handel. Besonders deutlich für den F. setzt sich auch der französische Reformmerkantilist und Kritiker Ludwigs XIV. Pierre de Boisguilbert (Le détail de la France, 1695) ein. Die systematische Fundierung der F.doktrin beginnt aber wohl mit den französischen → Physiokraten wie François → Quesnay, Marquis de Mirabeau und vor allem Anne Robert Jacques Turgot, dessen Buch „Reflections sur la formation et la distribution des richesses“ (1766) zu einer der Hauptinspirationen für Adam → Smith wird. Auf die Argumente seines Freundes David → Hume (Political Discourses, 1752) auf bauend, formuliert Smith in seinem Werk „The Wealth of Nations“ (1776) sein Bekenntnis zum F., das aber nicht immer konsequent ist. Smith erkennt zahlreiche nationale Interessen (z. B. → Güter, die für die Landesverteidigung wichtig sind) an, die Vorrang gegenüber dem F. haben sollten, und die er manchmal recht generös interpretiert – so zählt bei ihm die Heringsfischerei zu den für die Landesverteidigung wichtigen Wirtschaftszweigen. Trotzdem kann wirkungsgeschichtlich konstatiert werden, daß „The Wealth of Nations“ den F. als dominierende und wissenschaftlich fundierte Doktrin in der → Ökonomie fest etablierte. Smith weist darin nach, daß protektionistische Maßnahmen keineswegs den allgemeinen (Volks-)Wohlstand maxi257
Freihandel
mieren, sondern spezifische Interessen zu Lasten anderer privilegieren. In seinem Hauptwerk „The Principles of Political Economy and Taxation“ (1817) entwickelt David → Ricardo die entsprechenden Ansätze von Smith und Robert Torrens (Economists Refuted, 1808) zur Theorie des komparativen Vorteils (→ Theorie der komparativen Kosten) weiter. Diese Theorie ist bis heute die wesentliche intellektuelle Stütze der F.-position geblieben. Demnach können Länder unter der Bedingung des F. auch dann noch konkurrenzfähig sein, wenn sie bei allen Einzelprodukten einem anderen Land unterlegen sind. Es kann für das „überlegene“ Land mit zu hohen → Opportunitätskosten verbunden sein, in eine → Konkurrenz um ein Produkt einzutreten, selbst wenn es preisgünstiger produzieren kann, weil das Geld für die Investition in dieses Produkt bei einem anderen Produkt höheren Gewinn abwerfen könnte. Das von dem Amerikaner Henry C. Carey und dem Deutschen Friedrich → List in den 1830/40er Jahren popularisierte protektionistische Argument, mit dem sich die freihändlerischen Ökonomen in der Folgezeit am meisten auseinandersetzen müssen, ignoriert Ricardos Theorem allerdings. Es handelt sich um das „infant industry-“ oder „Erziehungszoll“-Argument, das besagt, ein Land mit noch unterentwickelten Industrien müsse so lange geschützt werden, bis es wettbewerbsbereit ist. Selbst etliche Liberale, darunter John Stuart → Mill (Principles of Political Economy, 1848), haben dieses Argument als Ausnahmefall ihres generellen Freihandelspostulats akzeptiert, obwohl es keineswegs unangreif bar ist. Vor allem der Amerikaner Frank Taussig (Protectin to Young Industries as Applied in the United States, 1883) zeigte auf, daß Protektion für „infant industries“ zwar theoretisch wohlstandsmaximierende Wirkung haben könnte, aber nur bei Industrien, die auch ohne diesen Schutz – allerdings nach längerer Zeit – gediehen wären. Die nicht wirklich lösbare Frage wäre, wie die 258
Freihandel
Politik vorweg hier die richtige Wahl treffen könne. Lange Zeit als das letzte Wort zugunsten des F. wurden die Argumente der wohlfahrtsökonomischen → Neoklassik im Gefolge von Alfred → Marshall (The Pure Theory of Foreign Trade, 1879) gewertet, die mit ihren Gleichgewichtsmodellen belegt, daß absoluter F. die Wohlfahrt aller beteiligten Länder maximiere und Protektion sie immer minimiere. In den letzten Jahren mehren sich aber bei vielen Ökonomen Zweifel, ob es sich hier nicht um ein vereinfachendes Modell ohne großen Realitätsbezug handle. Neuere Ökonomen – insbesondere die der → Österreichischen Schule (F. A. v. → Hayek) – interpretieren die Wirtschaft weniger in statischen Gleichgewichten, sondern als Prozeß. Dieser Vorstellung folgt ansatzweise die F.-theorie von Gottfried Haberler in „Der internationale Handel“ (1933). Eine ordoliberale Theorie des Außenhandels verficht Wilhelm → Röpke (Internationale Ordnung, 1945). Dabei geht es um die institutionellen Bedingungen, unter denen ein internationaler → Wettbewerb stattfinden kann. Dieses Thema wird u. a. von Lüder Gerken (Von Freiheit und Freihandel, 2000) im Sinne eines normativen freiheitsrechtlichen Arguments für den F. weiterentwickelt. In der Tat war für die meisten Ökonomen der F. stets mehr als eine Frage der ökonomischen Zweckmäßigkeit, sondern vielmehr ein moralisches Gebot des liberalen und friedlichen Miteinanders der Menschen dieser Welt. Geschichte: Während die antiken Mittelmeerkulturen bis zur Spätantike (4. Jahrhundert) noch eher freihändlerisch orientiert sind, nimmt im Mittelalter die Tendenz zu einer protektionistischeren → Wirtschaftspolitik zu. Die hohen → Zölle im fragmentierten vor-nationalstaatlichen Europa und die schweren nicht-tarifären → Handelshemmnisse (z. B. Stapelrechte) entsprechen der generellen zünftischen Struktur der Wirtschaft im Hoch- und Spätmittelalter. Im Zeitalter des Absolutismus im 17. und 18. Jahrhundert wird der Pro-
Freihandel
tektionismus im Sinne des sich formierenden Nationalstaats instrumentalisiert. Der Merkantilismus setzt die → aktive Handelsbilanz als oberstes Gebot. Seine deutsche Sonderform, der Kameralismus, zielt auf die Stärkung der Staatsfinanzen ab. Bis ins 19. Jahrhundert sorgt die merkantilistische Politik dafür, daß nicht nur Zölle gegenüber dem Ausland, sondern auch Binnenzölle entstehen. Der interne F. wird etwa in Preußen erst 1818 durchgesetzt. Bei der Entwicklung des freien Handels spielt schon im 18. Jahrhundert England die wichtigste Führungsrolle. Hier formiert sich auch während der Wirtschaftskrise der 1840er Jahre eine wirkungsvolle F.-bewegung. Die von Richard Cobden und John Bright, zwei Unternehmern aus Manchester (was später zur tendenziösen Bezeichnung der Freihandelsposition als → „Manchestertum“ führte), initiierte „Anti Corn LawLeague“ kämpft gegen die Getreidezölle, die die → Lebenshaltungskosten der Arbeiterschaft (zugunsten der Großgrundbesitzer) in die Höhe treiben, und wirkt damit gegen die Zunahme von Pauperismus und Verelendung. Mit dem Fall der englischen Getreidezölle 1846 wird für ganz Europa ein Signal gesetzt. Es beginnt die liberale Ära des F., die durch zahlreiche Handelsverträge, etwa den Cobden-Vertrag von 1860 zwischen England und Frankreich, geprägt ist. Hohes → Wirtschaftswachstum, steigender Lebensstandard und der Sieg über die Not (seit 1847 gibt es in Europa keine Hungersnot mehr in Friedenszeiten) sind die Folge. Mit der Wende Bismarcks hin zur Schutzzollpolitik im Jahr 1878 wendet sich allerdings das Blatt. Außer England verfolgten Ende des 19. Jahrhunderts alle europäischen Staaten wieder eine eher protektionistische Politik, die auch noch von Aufrüstung begleitet ist. Dies bringt Europa auf die schiefe Bahn zum Ersten Weltkrieg. In der Zwischenkriegszeit nimmt der Protektionismus noch zu. Am schlimmsten wirkt sich der amerikanische Smoot-Hawley Tariff Act von 1930 (als falsche Reaktion auf die Depression von 1929) aus. Ihm folgt die Aufhebung der Meistbegünstigungsklauseln (→ Meistbegünstigungsprinzip) in fast
Freistellung zur Stellensuche
allen Industrieländern und ein internationaler Handelskrieg, der dazu führt, daß das Gesamtvolumen des Welthandels 1938 um 60 % unter dem von 1929 liegt. Hier mag eine Ursache für den Zweiten Weltkrieg und den Totalitarismus liegen. Nach dem Zweiten Weltkrieg will man derartiges vermeiden und setzt auf multilaterale Arrangements mit Meistbegünstigungsklauseln. 1948 wird hierzu das General Agreement on Tariffs and Trade (→ GATT) gegründet, aus dem 1995 die World Trade Organisation (→ WTO) hervorgeht. Zwischen 1948 und 2000 sinken weltweit die → Zölle von 40 % auf 4 %. Insgesamt ist zu Ende des Jahrtausends ein moderater Trend zu mehr F. bemerkbar. Es bleibt abzuwarten, ob er in der Folge der Finanzkrise von 2008 weiter anhält. Literatur: D. Doering (Hrsg.), Kleines Lesebuch über den Freihandel, St. Augustin 2003; D. A. Irwin, Against the Tide. An Intellectual History of Free Trade, Princeton 1996; A. Maneschi, Comparative Advantage in International Trade. A Historical Perspective, Cheltenham 1998; J. Overbeek, Free trade versus Protectionism. A Source Book of Essays and Readings, Cheltenham 1999. Dr. Detmar Doering, Berlin Freihandelsprinzip → Handelspolitik. Freihandelszone zwei oder mehrere Zollgebiete (Staaten), zwischen denen die Zölle beseitigt wurden, und die dadurch freien Handel treiben können. Freistellung von → Betriebsratsmitgliedern sowie Mitgliedern der → Jugend- und Auszubildendenvertretung. Siehe: → Betriebsrat. Freistellung zur Stellensuche Nach → Kündigung eines dauerhaften → Arbeitsverhältnisses (gleichgültig, ob die Kündigung vom → Arbeitgeber oder vom → Arbeitnehmer ausging!) ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem Arbeitnehmer eine angemessene Zeit zum Suchen einer neuen Arbeitsstelle unter Fortzahlung des 259
Freistellung zur Stellensuche
→ Lohnes zu gewähren (§ 629 Bürgerliches Gesetzbuch). Der Anspruch auf Lohnfortzahlung erstreckt sich auf einen Zeitraum von mindestens 4 Tagen. Bei Betriebszugehörigkeit von länger als 2 Jahren verlängert sich dieser Zeitraum auf bis zu 7 Tagen, ab 5 Jahre Betriebszugehörigkeit auf bis zu 10 Tagen. Will der Arbeitnehmer für die Stellensuche Urlaub einsetzen, muß dieser ihm zuerst genehmigt werden. Freistellungsauftrag Formblatt, durch das ein Sparer seine Bank beauftragt, seine Kapital-/Zinserträge von der → Abgeltungsteuer freizustellen. Der → Sparer-Pauschbetrag beziffert sich pro Person und Jahr auf maximal 801 Euro/für Verheiratete auf 1602 Euro. Freistellungsbescheid → Steuerbescheid, durch den ein Steuerpflichtiger voll oder teilweise von der Zahlung einer Steuer befreit wird (§ 155 Abs. 1 Satz 3 Abgabenordnung). Freizeit Zeit außerhalb der → Arbeitszeit, über die der einzelne frei verfügen kann. Zu unterscheiden: Tagesfreizeit (Feierabend, Rest des Tages), Wochenfreizeit (Wochenende, arbeitsfreie Wochentage), Jahresfreizeit (Urlaub, Ferien). Besondere Vorschriften bezüglich F. gelten für Jugendliche. Sie dürfen nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit nicht vor Ablauf einer ununterbrochenen F. von mindestens 12 Stunden beschäftigt werden (§ 13 Jugendarbeitsschutzgesetz). Freizeitökonomie ⇒ Freizeitwirtschaft. Freizeitwirtschaft ⇒ Freizeitökonomie Zur F. zählen große Teile des Konsumgüter- und Dienstleistungsbereiches genauso wie auch Bereiche aus dem Investitionsgütersektor. Die Wachstumsraten liegen weit über denen der Gesamtwirtschaft, weshalb der F. auch die Rolle einer Leitökonomie des 21. Jahrhunderts zukommt. Die Konsumausgaben für Freizeitzwecke steigen schneller als die übrigen Verbraucherausgaben (diese fallen kontinuierlich und liegen 260
Freizeitwirtschaft
mittlerweile unter 50 % des frei verfügbaren → Nettoeinkommens). Im Einzelnen wird in der F. unterschieden zwischen ● Freizeitgütern (z. B. Waren, Geräte, Ausrüstung, Zubehör, Hilfsmittel, Kleidung, Medien); ● Freizeitdienstleistungen (z. B. Veranstaltungen, Programme, Informationen, Beratungen, Anleitungen, Betreuungsdienste); ● Freizeitinfrastruktur (z. B. Flächen, Räume, Bauten, Straßen, Wegenetze, Verkehrsmittel/öffentlicher Personennahverkehr). Die Hauptgründe für die steigende Nachfrage und den Boom der F. sind die wachsenden Wünsche nach höherem → Lebensstandard und einem besseren Leben. Erst wenn alle der knapp sieben Milliarden Menschen auf der Welt daran teilhaben können, ist das Nachfragepotenzial erschöpft. Bis dahin wächst die F. weiter. Besonders die Wachstumsbranchen Tourismus, Kultur, Sport, Unterhaltung sowie Medien – einschließlich der Märkte für Videospiele, Internet und Musik – sind Zukunftsmärkte, die keinen → Wettbewerb fürchten müssen. Arbeitsfaktor Freizeit: Die F. ist mittlerweile Deutschlands größter Arbeitgeber. Weit über sechs Millionen Menschen beziehungsweise jeder sechste Beschäftigte in Deutschland arbeitet für die → Freizeit – Tendenz steigend. Insbesondere für Existenzgründer wird die F. immer attraktiver. Die Branche bietet Zukunftschancen für neue Selbstständigkeiten. Von der Eventoder Internetagentur bis zum Reisebüro, von der Kunstgalerie über den Personaltrainer bis hin zu Dienstleistungen und Veranstaltungen im Unterhaltungssektor. Vom „Unternehmen Freizeit“ können immer mehr profitieren. Freizeitkonsum: Ein auf Aktivität und Mobilität, Geselligkeit und Lebensfreude ausgerichtetes Freizeitverständnis lässt den Freizeitkonsum als Teil einer Erlebnisökonomie erscheinen, die auf Steigerung angelegt ist. Wie eine Repräsentativumfrage von 2000 Personen ab 14 Jahren in zehn europäischen
Freizeitwirtschaft
Nationen ergab, machen die Freizeitkonsumenten auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten von den vielfältigen Angebotsmöglichkeiten regelmäßigen Gebrauch – vom Restaurantbesuch über die Urlaubsreise bis zum Theaterabend (BAT-Stiftung für Zukunftsfragen, 2009). Der Freizeitkonsum hält Hoffnungen und Wünsche wach, ohne die Menschen nicht leben wollen. Es ist die Wunschvorstellung vom „besseren Leben“ – Freizeitkonsum als kostspieliger Kontrast zum Alltag in den eigenen vier Wänden. Zu den Top Ten der Freizeitbeschäftigungen, die den Bürgern lieb und teuer sind und für die sie regelmäßig Geld ausgegeben haben, gehören: 1. Restaurantbesuche, 2. Handy, 3. Zeitschriften, 4. CDs/DVDs, 5. Bücher, 6. Tagesausflug, 7. Kino, 8. Sportausrüstung, 9. Urlaubsreise, 10. Computer. Zukunft der F.: Der Freizeitmarkt zieht Millionen Menschen in seinen Bann. Entsprechend geld- und konsumintensiv sind die Angebote. Der Eindruck entsteht: Alles, was heute nach Feierabend angeboten wird und besonders viel Spaß macht, ist mit Geldausgeben verbunden. Dabei wird gleichzeitig deutlich, dass der „Undund-und“-Verbraucher der 80er- und 90erJahre (TV + Videorecorder + Zweitwagen + Urlaubsreise + Kurzurlaub + neue Wohnungseinrichtung) sich immer mehr zum „Hier-mehr-, dort-weniger“-Verbraucher, entwickelt. Besonders am Wochenende wird beim Erlebniskonsum nicht auf das Geld geachtet, dafür zu Hause während der Woche bescheidener gelebt. Der Verbraucher gleicht somit einer gespaltenen Persönlichkeit, die das Einsparen ebenso beherrscht wie das Verschwenden. Diese Lebenskunst der Luxese (mal Luxus, mal Askese) ist allerdings nicht umsonst zu haben: Sie bedeutet Verzicht auf Mittelmaß. Sich Qualität und Luxus leisten zu können, aber dafür auch in anderen Bereichen Bil-
Freizeitwirtschaft
ligwaren und Opferkäufe in Kauf nehmen zu müssen. „Billig“ und „teuer“ sind für den Verbraucher von morgen keine Gegensätze mehr. Der Spaltung der Verbraucher in Sparer und Verschwender folgt die Polarisierung der Angebote: Es boomen Marken aus den unteren Preissegmenten sowie Spitzenprodukte. Auf der Strecke bleiben langfristig Produkte der mittleren Preisklasse. Manche Branchen reagieren schon jetzt: So ermöglichen sinkende Preise im Medienbereich einen dauerhaft hohen Konsum. In einem Dienstleistungssektor wie dem Tourismus lässt sich die Preisschraube dagegen oftmals nicht weiter anziehen. Die Folge: Der Reisende verkürzt seine Urlaubsdauer, um Kosten zu sparen. Bei aller Statistik darf jedoch auch nicht vergessen werden: Zum Freizeiterleben braucht man nicht nur Geld, sondern auch Zeit. Oftmals stehen sich diese beiden Faktoren konträr gegenüber: Wer weniger Geld hat, kann es sich leisten, mehr Zeit zu investieren. Und wer kaum Zeit hat, kann dafür mehr Geld ausgeben, sich aber nur selten an den erworbenen Gütern erfreuen. Verschärft wird dieser Trend noch von dem immer breiter werdenden Angebot der Freizeitindustrie. Schon heute sieht sich der Verbraucher mit einer Anzahl von Angeboten konfrontiert, die er zeitlich niemals komplett nutzen kann. Als Perspektive für die Zukunft zeichnet sich daher ab: Zur Geldknappheit gesellt sich die Zeitnot der Konsumenten. Sie kann zu einem grundlegenden Wettbewerbswandel führen: Zeitkriege oder „time wars“, in denen auch um die Zeit – und nicht nur um das Geld – der Verbraucher gekämpft wird, werden Wirtschaft und Handel im 21. Jahrhundert prägen. Das Zeitbudget wird in Zukunft genauso wichtig wie das Geldbudget. Literatur: BAT-Stiftung für Zukunftsfragen (Hrsg.): Freizeit-Monitor 2007, Hamburg 2007; Opaschowski, H. W.: Freizeitökonomie: Marketing von Erlebniswelten, 2. Aufl., Opladen 1995; Opaschowski, H. W.: Deutschland 2030 – wie wir in Zukunft leben, Gütersloher Verlagshaus 2008; Opaschowski, H. W., Pries M. Reinhardt, U.: Freizeitwirtschaft – Die Leitökonomie der 261
Freizeitwirtschaft
Friedman, Milton
Zukunft, LIT 2006; Reinhardt U., Roos, G. T.: Wie die Europäer ihre Zukunft sehen, Primus 2009; Rifken, J.: Access. Das Verschwinden des Eigentums, Campus Verlag 2000. Dr. Ulrich Reinhardt, Hamburg Freizügigkeit das Recht, Aufenthalt und Wohnsitz frei zu bestimmen und jederzeit zu ändern. Nach Art. 11 Grundgesetz genießen alle Deutschen F. im ganzen Bundesgebiet. Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr erforderlich ist. – Das Recht der F. gilt nach dem → EWG-Vertrag auch für die Angehörigen der Mitgliedsstaaten der → EU. Fremdbesitz → Besitz. Fremdfinanzierung → Finanzierung (→ Fremdkapital).
durch
→ Kredite
Fremdgrundschuld eine zugunsten eines Dritten eingetragene → Grundschuld. Gegensatz: → Eigentümergrundschuld. Fremdkapital Bezeichnung für die Gesamtheit der in der → Bilanz einer → Unternehmung ausgewiesenen → Schulden. Das F. umfaßt: → Kredite und → Verbindlichkeiten. Gegensatz: → Eigenkapital. Friedenspflicht Begriff des Tarifvertragsrechtes; sie gebietet den → Tarifvertragsparteien, während der Laufzeit der → Tarifverträge den → Arbeitsfrieden zu wahren, das heißt keine → Arbeitskämpfe um die geregelten Pflichten zu führen. Die F. schließt aber nicht aus, daß Kampfmaßnahmen ergriffen werden, um die tarifliche Vereinbarung solcher Arbeitsbedingungen zu erreichen, die bislang tarifvertraglich nicht geregelt waren. Soll während der Laufzeit des Tarifvertrages jegliche Kampfmaßnahme untersagt sein 262
(absolute F.), so muß dies besonders vereinbart werden. Friedman, Milton *1912 (New York), †2006 (San Francisco), 1976 Nobelpreisträger für → Wirtschaftswissenschaften, lehrt seit 1948 an der Universität von Chicago und ist seit 1976 Senior Research Fellow an der Hoover Institution in Stanford. Insbesondere sein 1963 mit Anna J. Schwartz verfaßtes Werk A Monetary History of the United States macht ihn nicht nur zu einem der wichtigsten Vertreter der Chicago-Schule, sondern auch zum bedeutendsten Verfechter der später als → Monetarismus bekannt gewordenen Denkrichtung. Diese basiert auf einer Quantitätstheorie, die eine restriktive → Geldpolitik erfordert, derzufolge sich Änderungen der → Geldmenge in ihrem Umfang nach dem realen → Wachstum der → Wirtschaft zu richten haben. Damit stellt sich F. in direktem Widerspruch zu dem von John Maynard → Keynes 1936 entwickelten Konzept einer auf inflationärer Geldmengenausweitung basierenden Vollbeschäftigungspolitik. Mit seinen Schriften trägt er wesentlich dazu bei, daß der Keynesianismus (→ Keynessche Theorie) in den 1980er Jahren (Reaganomics/Thatcherismus) seine dominierende Position in der → Wirtschaftspolitik verliert. In populären Werken wie Capitalism and Freedom (1962) und der Fernsehserie Free to Choose (1980, m. seiner Frau Rose Friedman) lanciert er dezidiert marktwirtschaftliche Reformvorschläge wie die Negative Einkommensteuer als Ersatz der bisherigen Sozialleistungen und die Einführung von Bildungsgutscheinen zur Herstellung der Wahlfreiheit von Eltern in einem idealerweise privatisierten Schulwesen. Literatur: W.-D. Becker/M.J.M. Neumann, Neoliberalismus: Buchanan, Hayek, Friedman; in: H.G. Nutzinger (Hrsg.), Liberalismus im Kreuzfeuer, Frankfurt 1986, S. 41 ff; Eamonn Butler, Milton Friedman: A Guide to His Economic Thought, London 1985; Henri Lepage, Milton Friedman und der Tod von Keynes. Die neuen Theorien der Beschäftigung, der Arbeitslosigkeit und der Inflation; in: ders., Der
Friedman, Milton
Kapitalismus von Morgen, Frankfurt 1979, S. 209 ff; M. Wynne/H. Rosenblum/R. Formaini (Hrsg), The Legacy of Milton and Rose Friedman’s Free to Choose. Economic Liberalism at the Turn of the 21st Century, Dallas 2004. D. D. Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft e. V. Die F. wurde im Mai 1998 in Lahr/Schwarzwald von liberal-marktwirtschaftlich eingestellten Wissenschaftlern, Publizisten und Unternehmern gegründet. Sie widmet sich der Verbreitung von Ideen im Sinne des Ökonomen und Nobelpreisträgers Friedrich August von → Hayek (8. Mai 1899 – 23. März 1992). Dies geschieht durch die Herausgabe seiner Werke, die Förderung von wissenschaftlichen Arbeiten, die Abhaltung von Tagungen (jährliche „Hayek-Tage“), die Verleihung der „Hayek-Medaille“ an Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die sich um das freiheitliche Denken von Hayeks besonders verdient gemacht haben. Ein besonderes Anliegen ist die Förderung von Nachwuchswissenschaftlern, -publizisten und -politikern. Die F. arbeitet seit 2001 eng mit der Friedrich A. von HayekStiftung zusammen. G. H. Frist im Rechtssinn der Zeitraum, innerhalb dessen eine bestimmte Leistung zu erbringen ist. Soweit nichts anderes vereinbart wurde, gelten §§ 186 bis 193 Bürgerliches Gesetzbuch.
Fusion
Fund Auffinden und Inbesitznahme einer verlorenen → Sache (§§ 965 – 984 Bürgerliches Gesetzbuch). Der Finder ist verpflichtet, die gefundene Sache dem Verlierer oder dem Eigentümer oder einem sonstigen Empfangsberechtigten anzuzeigen. Kennt der Finder die Empfangsberechtigten nicht oder ist ihm ihr Aufenthalt unbekannt, so hat er den F. bei der Polizeibehörde beziehungsweise dem Fundbüro anzuzeigen und abzuliefern. Der Finder hat einen Anspruch auf Finderlohn. Ist der Verlierer nicht zu ermitteln, so erwirbt der Finder nach Ablauf von 6 Monaten seit der Anzeige → Eigentum an der gefundenen Sache. In Räumen öffentlicher Behörden oder in Verkehrsmitteln gefundene Gegenstände muß der Finder an die Behörde beziehungsweise an die Verkehrsanstalt abgeben; diese kann die Gegenstände öffentlich versteigern lassen. Fungibilität ⇒ Vertretbarkeit Waren oder → Wertpapiere gelten dann als fungibel (vertretbar), wenn die einzelnen Stücke oder bestimmte Mengen innerhalb ihrer Gattung gleiche Beschaffenheit (z. B. Kaffee, Getreide, Tabak) beziehungsweise gleiche Rechte und Pflichten (z. B. → Inhaberaktien) aufweisen, so daß einzelne Stükke oder Mengen untereinander ausgetauscht werden können. F. ist Voraussetzung für den börsenmäßigen Handel von Waren und Wertpapieren.
fristlose Kündigung → Kündigung.
funktionsfähiger Wettbewerb → Wettbewerb.
Frühstückskartell mündliche oder stillschweigende Verhaltensabstimmung zwischen selbständigen → Unternehmen zur (spürbaren) Beeinflussung des → Wettbewerbs. Ist nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz) wie jede Kartellvereinbarung grundsätzlich verboten.
Fusion ⇒ Verschmelzung
Fürsorgepflicht des Arbeitgebers neben der Hauptpflicht, der Lohnzahlung, eine der Nebenpflichten des → Arbeitgebers aus → Arbeitsvertrag. Siehe: → Arbeitsvertrag.
Vereinigung zweier oder mehrerer → Unternehmen unter Aufgabe ihrer rechtlichen und wirtschaftlichen Selbständigkeit. Die F. kann sich in zwei Formen vollziehen: (1) durch Aufnahme, bei der ein Unternehmen sein → Vermögen als ganzes auf ein anderes Unternehmen überträgt, (2) durch Neubildung, bei der jedes sich vereinigende Unternehmen sein Vermögen als Ganzes auf eine neu zu gründende → Aktiengesellschaft überträgt. 263
Fusionskontrolle
Fusionskontrolle vom → Bundeskartellamt auf der Grundlage des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) von 1973 in der Fassung vom 15. 7. 2005 ausgeübte Kontrolle über → Verschmelzungen und → Unternehmungszusammenschlüsse. Nach § 35 GWB kann das Bundeskartell-amt Unternehmungszusammenschlüsse verbieten, wenn sie zur Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung führen. Die F. nach § 35 GWB gilt nur für die Fälle, in denen die → EU nicht zuständig ist (§ 35 Abs. 3 GWB), und auch dann nur für Zusammenschlüsse ab einer bestimmten Größe. Diese liegt dann vor, wenn (1) die beteiligten Unternehmen insgesamt weltweit Umsatzerlöse von mehr als 500 Millionen Euro und (2) mindestens ein beteiligtes Unternehmen im Inland Umsatzerlöse von mehr als 25 Millionen Euro erzielt haben. Die Vorschriften für die Zusammenschlußkontrolle finden keine Anwendung, (1) soweit sich ein Unternehmen, das nicht abhängig (im Sinne des § 36 Abs. 2 GWB) ist und im letzten Geschäftsjahr weltweit Umsatzerlöse von weniger als 10 Millionen Euro erzielt hat, mit einem anderen Unternehmen zusammenschließt oder (2) soweit ein Markt betroffen ist, auf dem seit mindestens fünf Jahren Waren oder gewerbliche Leistungen angeboten werden und auf dem im letzten Kalenderjahr weniger als 15
264
Futures
Millionen Euro umgesetzt wurden. Der Zusammenschluß wird durch das Bundeskartellamt dann untersagt, wenn zu erwarten ist, daß durch ihn eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird, es sei denn, die beteiligten Unternehmen weisen nach, daß durch den Zusammenschluß Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen eintreten, die die Nachteile der Marktbeherrschung überwiegen. Auch wenn das Bundeskartellamt die Fusion untersagt, kann der Bundeswirtschaftsminister auf Antrag die Erlaubnis zum Zusammenschluß (sogenannte Ministererlaubnis) geben, wenn die durch diese zu erwartenden gesamtwirtschaftlichen Vorteile die zu erwartenden Nachteile der Wettbewerbsbeschränkung übersteigen und damit der Zusammenschluß durch ein überragendes Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt ist (§ 42 GWB). Siehe auch: → Wettbewerbspolitik. Futures an den Terminbörsen gehandelte spezielle Finanzinstrumente. Wie die → Option ermöglichen sie dem Anleger, bestimmte nach Menge, Qualität und Liefertermin standardisierte Basiswerte (Kontraktgegenstände) zu einem bestimmten → Preis zu kaufen oder zu verkaufen. Käufer und Verkäufer gehen eine bindende Liefer-/Abnahmeverpflichtung ein.
Galbraith, Kenneth
Gebietsmonopol
G Galbraith, Kenneth 1908 – 2006, amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler; lehrte in Princeton und Harvard und bekleidete zwischendurch hochrangige Regierungsämter. Seine Bekanntheit resultiert insbesondere aus seiner Kritik der Industriegesellschaft, die er als Überflußgesellschaft (affluent society) charakterisiert sowie aus seiner Theorie der gegengewichtigen → Marktmacht (Theory of countervailing power). Auch die → Konvergenzthese ist mit seinem Namen verbunden. Garantie rechtlich nicht normierter Begriff mit unterschiedlichem Gehalt, meist im Sinne von → Gewährleistung, auch von → Bürgschaft. Garantiebrief → Garantiekarte. Garantiekarte ⇒ Garantiebrief ⇒ Garantieschein ⇒ Garantiezertifikat meist effektheischende, schriftliche (ornamental) ausgedruckte, häufig numerierte Zusicherung der → Gewährleistung innerhalb einer bestimmten Frist für das mit dieser Erklärung versehene Produkt oder Teile desselben. Nicht unproblematisch! Hier gilt es für den Käufer deutlich zu unterscheiden, ob es sich um eine Garantiezusage des Verkäufers (→ Händlergarantie) oder des Herstellers (→ Herstellergarantie) handelt. Garantieschein → Garantiekarte. Garantiezertifikat → Garantiekarte. GATT Abk. für: General Agreement on Tariffs and Trade; Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen. 1948 in Kraft getretenes multilaterales (internationales) Handelsabkommen mit zuletzt mehr als 100 Vollmitgliedern und weiteren assoziierten Mitgliedern. Die
Bundesrepublik Deutschland gehört dem G. seit 1951 als Vollmitglied an. Die Mitgliedsländer treten periodisch zusammen. Die G. versucht, die Handelsbeziehungen zwischen den Mitgliedsländern durch einen Rahmen von Regeln und Verfahren und daraus erwachsenden Rechten und Pflichten zu gestalten (so z. B. durch das → Meistbegünstigungsprinzip), und so der Beschäftigung und dem → Wachstum in diesen Vorschub zu leisten. Wird 1995 durch die → WTO abgelöst. Gattungskauf Kauf einer nicht speziell (d. h. auf das Einzelstück abgestellten), sondern nur der Gattung nach bestimmten → Sache oder Warenmenge (z. B. Kauf einer bestimmten Menge Weizen, einer fabrikneuen Stereoanlage). Die im G. zu liefernde Ware bestimmt sich nach mittlerer Art und Güte (§ 243 Bürgerliches Gesetzbuch). Gegensatz: → Stückkauf. Gattungsmängel → Mängel. Gattungsschuld die aus dem → Gattungskauf dem Verkäufer obliegende Leistung; sie ist in mittlerer Art und Güte zu erbringen (§ 243 Bürgerliches Gesetzbuch). Gebietskartell → Kartell, das unter seinen Mitgliedern (selbständige → Unternehmen) den Absatzmarkt aufteilt. Gebietskörperschaften → juristische Personen des öffentlichen Rechts mit einem räumlich abgegrenzten Hoheitsgebiet: Bund (einschließlich Lastenausgleichsfonds u. → ERP-Sondervermögen), Länder, Gemeinden (einschließlich Gemeindeverbände und kommunale Zweckverbände). Gebietsmonopol regional begrenztes → Monopol. Die Monopolstellung wird in der Regel damit zu begründen versucht, daß mehr als ein Verteilernetz einzelwirtschaftlich wie auch 265
Gebietsmonopol
gefahrgeneigte Arbeit
gesamtwirtschaftlich kaum vertretbar erscheine.
Zahlungspflichtigen und der örtlichen Verhältnisse nach billigem Ermessen.
Gebot 1. allgemein: verbindliche Aufforderung einer Behörde an eine für einen bestimmten Zustand verantwortliche Person. Die Einhaltung von G. kann durch Sanktionen erzwungen werden. 2. im Versteigerungsrecht: Preisangebot, zu dem ein Interessent bereit ist, den zu versteigernden Gegenstand zu erwerben. Den → Zuschlag erhält derjenige, der das höchste G. abgibt. 3. in der Umweltpolitik: Erlaß bestimmter Vorschriften durch den Staat für einzuhaltende Zustände oder Verfahrensweisen; so dürfen beispielsweise Abwässer nur bis zu einem bestimmten Phosphatgehalt eingeleitet werden. Aus diesen generellen Vorgaben (Verwaltungsvorschriften) können → Auflagen für bestimmte → Unternehmen (gegebenenfalls auch → Haushalte) abgeleitet werden.
Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) regelt die Abrechnung der verschiedenen zahnärztlichen Leistungen ähnlich der → Gebührenordnung der Ärzte.
Gebrauchsgüter → Güter.
GCC Abk. für Gulf Cooperation Council; die Mitgliedstaaten des 1981 gegründeten GolfKooperationsrates sind: Kuweit, Saudi-Arabien, Bahrein, Qatar, Vereinigte Arabische Emirate und Oman. Ziel der Organisation ist die Förderung der Zusammenarbeit ihrer Mitglieder im Bereich der Aussen- und Sicherheitspolitik sowie in gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht. Seit 2003 besteht zwischen den Mitgliedstaaten eine → Zollunion. Der G. ist für die → Europäische Union der wichtigste Handelspartner in der arabischen Welt. Ein Freihandelsabkommen (→ Freihandelszone) zwischen den beiden Wirtschaftsblöcken wird angestrebt.
Gebrauchsvermögen ⇒ Konsumvermögen das → Vermögen der → privaten Haushalte, das dem → Konsum dient (→ Gebrauchsgüter u. → Verbrauchsgüter). Gegensatz: → Erwerbsvermögen.
Gefährdung Herbeiführung eines Zustandes, bei dem die Wahrscheinlichkeit und begründete Besorgnis des Eintritts einer Verletzung beziehungsweise einer Beschädigung gegeben ist.
Gebrauchswerttransparenz → Markttransparenz.
Gefährdungshaftung → Schadensersatzpflicht, die kein → Verschulden voraussetzt, sondern darauf beruht, daß der Ersatzpflichtige bei einer erlaubten Tätigkeit unvermeidlich eine gewisse → Gefährdung seiner Umgebung herbeiführt (z. B. durch Haltung eines Tieres,eines Kraftfahrzeuges).
Gebühren gesetzlich festgelegte Entgelte an Behörden oder öffentliche Anstalten für in Anspruch genommene spezielle Leistungen (z. B. für Verwaltungshandlungen, wie Paßausstellung, Benutzung öffentlicher Einrichtungen, Kanalgebühren). Gebührenordnung für Architekten (GOA) jetzt: → Honorarordnung für Architekten und Ingenieure. Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) regelt die Abrechnung der verschiedenen ärztlichen Leistungen. Innerhalb des vorgegebenen Rahmens ermöglicht sie eine Festsetzung unter Berücksichtigung des Einzelfalles, des Zeitaufwandes, der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des 266
Gefahr ⇒ Risiko Möglichkeit des Verlustes/Teilverlustes beziehungsweise des Eintritts eines → Schadens. Gefahrengruppe → Unfallversicherung. gefahrgeneigte Arbeit → schaden- und gefahrgeneigte Arbeit.
Gefahrübergang
Gefahrübergang Übergang des → Risikos, den an einem geschuldeten Gegenstand möglicherweise eintretenden → Schaden, dessen Verlust oder Untergang tragen zu müssen. 1. allgemein: Geht durch → Verschulden eines Vertragspartners der geschuldete Gegenstand verloren, zugrunde oder wird beschädigt, so hat dieser den Schaden zu tragen. Bei zufälligem Untergang und zufälliger Verschlechterung (→ Zufall) des geschuldeten Gegenstandes trägt derjenige den Schaden, der die → Gefahr (Risiko) trägt. 2. beim → Kaufvertrag geht die Gefahr auf den Käufer über: (1) mit der Übergabe der Ware an ihn oder die Person, deren er sich zur Erfüllung seiner Verpflichtung bedient (→ Erfüllungsgehilfe), § 446, 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); (2) mit der Auslieferung der Ware an den Spediteur oder Frachtführer, wenn die Ware auf Verlangen des Käufers nach einem anderen Ort als dem → Erfüllungsort versandt wird (Versendungskauf, § 447, 1 BGB). 3. beim → Werkvertrag geht die Gefahr mit der Abnahme des Werkes auf den Besteller über. Zur Abdeckung der Gefahr des zufälligen Untergangs und einer zufälligen Verschlechterung der Ware wird häufig eine → Versicherung abgeschlossen (Transport-, Bruch-, Diebstahl-, Brandversicherung). Falls nichts anderes vereinbart, gehen die Versicherungskosten zu Lasten dessen, der die Gefahr trägt. Gefangenendilemma Der → Spieltheoie entstammendes klassisches Zwei-Personen-Szenario zur Unterscheidung kooperativer und nicht kooperativer Strategien, bei Unterstellung, daß jeder von zwei Spielern seine Entscheidung ohne Kenntnis der jeweiligen Entscheidung des anderen Spielers eigeninteressegeleitet trifft. – Das Beispiel geht von zwei Untersuchungshäftlingen aus, denen ein Vergehen vorgeworfen wird, für das jedoch keine Beweise vorliegen. Es eröffnet sich für die Häftlinge folgende Entscheidungssituation: – wird ihnen das Vergehen nachgewiesen, dann droht ihnen eine Strafe von 9 Jahren;
Geheimhaltungspflicht
– da keine Beweise gegen sie vorliegen, wird – wenn nur einer gesteht – demjenigen Straffreiheit zugesichert, der geständig ist; – gestehen beide, dann erhalten beide eine leicht ermäßigte Strafe von 7 Jahren; – gesteht keiner der beiden, dann droht jedem von ihnen für ein anderes Vergehen nur eine geringe Strafe von 5 Monaten. Da beide Häftlinge getrennt verhört werden, kennt keiner die Verhaltensstrategie des anderen; sie haben somit beide nicht die Möglichkeit der (Verhaltens-)Abstimmung. Damit ist es für beide schwierig, die für sie günstigste Strategie des Nicht-Gestehens zu verfolgen. Als „vernünftigste“ Verhaltensweise bleibt nunmehr für beide zu gestehen. Mit einem Geständnis schneidet nämlich jeder Häftling besser ab, unabhängig davon, wie der jeweils andere sich verhält. Die Erkenntnisse aus dem G. lassen sich auf Konkurrenzsituationen zwischen Anbietern und auf wohlfahrtstheoretische Fragestellungen übertragen. Gegenmachtprinzip Grundsatz der → Verbraucherpolitik; beinhaltet die Absicht, die Nachfrager (Verbraucher) zu einer „respektablen“ Front gegen die Anbieter zu formieren. Gehalt ein nach Zeitabschnitten (in der Regel 1 Monat) bemessenes Entgelt für Arbeitsleistungen, insbesondere für → Angestellte und → Beamte. Zum G. können gegebenenfalls auch Spesen, Tantiemen und Naturalvergütungen gehören. → Gratifikationen werden grundsätzlich nicht dem G. zugerechnet; sie können es aber werden, wenn sie fortwährend (mindestens dreimal) ohne Vorbehalt gezahlt werden (z. B. Weihnachtsgratifikationen). Das G. muß spätestens am Ende des Monats gezahlt werden. Gehaltsfortzahlung → Lohnfortzahlung. Gehaltspfändung → Lohnpfändung. Geheimhaltungspflicht → Betriebsrat. 267
Gehorsamspflicht des Arbeitnehmers
Gehorsamspflicht des Arbeitnehmers erwächst aus dem → Direktionsrecht (Weisungsrecht) des → Arbeitgebers. Ihm zufolge hat der → Arbeitnehmer die ihm vom Arbeitgeber gemäß seinem → Arbeitsvertrag aufgetragenen Dienste zu erbringen. Siehe auch → Arbeitsvertrag. Geld 1. wirtschaftlich: eine „Anweisung“ auf das → Sozialprodukt; 2. rechtlich: das vom Staat gesetzlich vorgeschriebene, allgemein anerkannte → Zahlungsmittel. Geldanlage die i. d. R. von → Banken besorgte Anlage von Spargeldern. Sie erfolgt – je nach Präferenzstruktur des Anlegers – mit unterschiedlicher Gewichtung (wahlweise) unter folgenden Zielvorgaben: (1) Sicherheit, (2) Rentabilität, (3) Liquidität und (4) Steuerminderung. Geldarten Die volkswirtschaftliche → Geldmenge umfaßt folgende G.: (1) das von der → Zentralbank geschaffene → Geld (→ Zentralbankgeld) in Form von → Bargeld (Banknoten u. Münzen) und → Buchgeld als Forderungen von Geschäftsbanken und → Nichtbanken (öffentliche → Haushalte, → Unternehmen, Privatpersonen) gegenüber der Zentralbank sowie (2) das von den Kreditinstituten geschaffene Geld (→ Giralgeld bzw. → Geschäftsbankengeld) in Form von Sichtguthaben als Forderungen von Nichtbanken gegenüber Kreditinstituten, über das jederzeit durch Abhebung, Übertragung (→ Scheck) oder → Überweisung verfügt werden kann. Gelddarlehen → Darlehen. Geldeinkommen → Einkommen. Geldentwertung → Inflation. Geldfaktor Begriff der → Arbeitsbewertung; er bezeichnet den Geldbetrag, der in einem Leistungssystem die Lohnhöhe für die Bezugs- und Ausgangsleistung und damit 268
Geldmenge
den → Preis für die im → Leistungslohn zu erbringende → Arbeit bestimmt. Der → Betriebsrat hat bei allen Ansätzen für die Bewertung von Bezugs- und Ausgangsleistungen von Leistungslohnsystemen ein Mitbestimmungsrecht (→ Mitwirkung und Mitbestimmung des Betriebsrates in sozialen Angelegenheiten). Geldfunktionen die dem → Geld zukommenden wirtschaftlichen Funktionen; es sind dies: (1) Tauschund Zahlungsmittelfunktion, das heißt Tauschvorgänge wirtschaftlich effizient zu gestalten; (2) Rechenmittelfunktion, das heißt die → Güter über → Preise rechenbar und verrechenbar zu machen; (3) Wertaufbewahrungsfunktion, das heißt → Vermögen in höchster Liquidität aufzubewahren (vorausgesetzt jedoch, daß inflationäre Prozesse den Wert des Geldes nicht schmälern!). Geldinstitute ⇒ Banken ⇒ Kreditinstitute. Geldkurs bei Börsennotierungen der → Kurs, zu dem eine Ware oder ein → Wertpapier nachgefragt wird (Geld = Nachfrage). Gegensatz: → Briefkurs. Geldmarkt → Markt für kurzfristiges Geldkapital (so insbesondere Schatzwechsel und Schatzanweisungen des Bundes u. der Länder) und kurzfristige → Kredite (so insbesondere Tagesgeld, Monatsgeld, Dreimonatsgeld). Die G.-geschäfte werden hauptsächlich zwischen Banken, zwischen der → Bundesbank und Banken und nur im geringem Umfang zwischen diesen und großen Industrieunternehmen abgeschlossen. Gegensatz: → Kapitalmarkt. Geldmenge ⇒ Geldvolumen Bestand an → Bargeld und Einlagen (d. s. von Kunden den → Banken gegen einen → Zins überlassene → Gelder mit unterschiedlicher Fristigkeit) bei inländischen Nichtbanken (d. s. → private u. → öffentliche Haushalte sowie → Unternehmen),
Geldmenge
der zur → Nachfrage nach → Gütern zur Verfügung steht. (Die Kassenbestände der → Banken an Bargeld u. → Noten werden nicht zur G. gerechnet, da mit ihnen keine Nachfrage ausgeübt, sondern lediglich → Giralgeld in Bargeld umgetauscht wird!) Die G. läßt sich in 3 Teilmengen gliedern: M1: Bargeld und Sichteinlagen (d. s. täglich fällige oder mit einer → Laufzeit unter einem Monat auf → Giro- u. → Kontokorrentkonten geführte Einlagen) inländischer Nichtbanken bei inländischen → Kreditinstituten; M 2: M1 plus Termineinlagen (d. s. befristete Einlagen, die für mindestens 30 Tage angelegt werden) inländischer Nichtbanken unter 4 Jahren; M3: M 2 plus → Spareinlagen inländischer Nichtbanken mit 3-monatiger → Kündigungsfrist, Geldmarktfondsanteile und kurzlaufende Bankschuldverschreibungen sowie Einlagenzertifikate bei Nichtbanken. Die G. wird zur Erklärung → gesamtwirtschaftlicher Vorgänge, wie → Nachfrage, → Produktion, → Beschäftigung, → Preisniveau herangezogen. Siehe auch → Geldpolitik. Geldmengenpolitik → Geldpolitik. Geldpolitik G. ist die Politik, die darauf gerichtet ist, durch Steuerung der Bankenliquidität und des Zinsniveaus den Geldwert zu beeinflussen. Man unterscheidet den nominalen Geldwert und den realen Geldwert. Unsere Rechtsordnung geht i. a. vom nominalen Geldwert aus, d. h. es gilt der Grundsatz Euro = Euro. Wer einen Kredit in Höhe von 10 000 € aufnimmt, muß zum vereinbarten Zeitpunkt 10 000 € zurückzahlen, unabhängig davon, was das Geld zum Zeitpunkt der Kreditaufnahme und der Kreditrückzahlung „wert ist“. Mit dem realen Geldwert hingegen ist die → Kaufkraft des Geldes gemeint, also die Menge Güter, die man für eine Geldeinheit kaufen kann. Dieser reale Geldwert hängt von der Entwicklung der Güterpreise ab: In Zeiten eines allgemeinen Preisanstiegs (→ Inflation) verschlechtert
Geldpolitik
sich der reale Geldwert; wenn die Preise allgemein sinken (→ Deflation), steigt der reale Wert des Geldes. Freilich ist Deflation die Schwester der wirtschaftlichen → Depression, und da besitzen viele → Wirtschaftssubjekte nur wenig Geld (Massenarbeitslosigkeit, zahlreiche → Insolvenzen), sodaß sie trotz steigenden realen Geldwertes nicht viel kaufen können. Hinsichtlich des realen Geldwertes unterscheidet man weiter den Binnenwert und den Außenwert des Geldes. Als Binnenwert bezeichnet man die Kaufkraft des Geldes im Inland oder in einem gemeinsamen Währungsgebiet mehrerer Länder. Der Binnenwert des Euro ist also die Kaufkraft des Euro im → Euroraum. Wenn das Preisniveau im Euroraum steigt, heißt das mit anderen Worten: Der Binnenwert des Euro sinkt – und umgekehrt. Als Außenwert bezeichnet man den Wert einer Währungseinheit im Ausland, also z. B. die Kaufkraft des Euro in den USA. Der Außenwert hängt wesentlich vom → Wechselkurs ab, d. h. von der Umtauschrelation der Währungen, die sich nach Angebot und Nachfrage am → Devisenmarkt bildet. Erhält man zu einem bestimmten Zeitpunkt für einen Euro 1,00 $ und zu einem späteren Zeitpunkt 1,10 $, so kann man dann für denselben Euro in den USA 10 % mehr Güter kaufen, vorausgesetzt, die Güterpreise haben sich dort nicht verändert. Träger der G. Träger der G. sind die → Zentralbanken, die i. d. R. zugleich auch die Notenbanken sind, d. h. das → Monopol zur Banknoten-Emission besitzen. Am 1. Januar 1999 haben sich zwölf der damals fünfzehn → EU-Mitgliedsstaaten, alle außer Großbritannien, Dänemark und Schweden, zur → Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) zusammengeschlossen. Von den derzeit (2012) 27 EU-Mitgliedstaaten haben außer den 3 vorgenannten weitere 7 (noch) nicht die Euro-Währung eingeführt: Bulgarien, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Tschechien sowie Ungarn. Die G. obliegt in der EWWU dem sogenannten → Eurosystem, d. h. der → Europäischen Zentralbank (EZB), Frankfurt/Main, im Zusammenwirken mit den – derzeit – sechzehn nationa269
Geldpolitik
len Zentralbanken der Mitgliedsländer. Für Deutschland ist die → Deutsche Bundesbank Mitglied des Eurosystems. Die EZB besitzt zwei Organe: den EZB-Rat und das Direktorium. Dem EZB-Rat, der sozusagen das Eurosystem repräsentiert, gehören das Direktorium der EZB und die Präsidenten der nationalen Notenbanken des Euroraums an. Der EZB-Rat legt die geldpolitische Strategie des Eurosystems fest und faßt die geldpolitischen Beschlüsse. Dabei ist er von Weisungen jedweder Art unabhängig. Jedes Mitglied des EZB-Rates hat eine Stimme. Das Direktorium der EZB besteht aus dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten und vier weiteren Mitgliedern. Das Direktorium führt die Beschlüsse des EZB-Rates aus und ist für die Führung der laufenden Geschäfte der EZB zuständig. Die Angehörigen des Direktoriums werden für eine Amtszeit von acht Jahren bestellt; eine Wiederernennung ist nicht möglich. Auch dadurch soll die Unabhängigkeit der Amtsträger gesichert werden. Ziele der G. Vorrangiges Ziel der G. seitens des Eurosystems ist es, den Binnenwert des Euro zu stabilisieren, d. h. → Preisstabilität im Euroraum zu gewährleisten. Das Ziel „Preisstabilität“ besitzt deshalb eine herausragende Bedeutung unter allen wirtschaftlichen Zielen, weil ohne stabile Preise nach aller bisherigen Erfahrung auch die übrigen wirtschaftspolitischen Ziele, insbesondere → Vollbeschäftigung und → Wirtschaftswachstum, gefährdet sind. Es ist unmöglich, gleichzeitig den Binnenwert und den Außenwert des Geldes zu stabilisieren, weil man nur wenig Einfluß auf die → Wirtschaftspolitik des Auslands nehmen und auch das außenwirtschaftlich relevante Verhalten der Wirtschaftssubjekte nur begrenzt beeinflussen kann (Warenexport und -import, Kapitaltransfers, Auslandsreisen, spekulative grenzüberschreitende Geldbewegungen u. a.). G. bedeutete bisher für das Eurosystem die Bekämpfung mehr oder weniger drohender inflationärer Gefahren. Als Maßstab dafür, ob das Eurosystem mit seiner G. erfolgreich war, dient der Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI). 270
Geldpolitik
Das ist ein Preisindikator, der vom Statistischen Amt der EU („Eurostat“) in Zusammenarbeit mit den nationalen Statistischen Ämtern und der EZB entwickelt wurde und der die unterschiedlichen nationalen Verbraucherpreisindizes auf eine vergleichbare Grundlage stellt. Der EZB-Rat sieht Preisstabilität als gegeben an, wenn der Anstieg des HVPI für den Euroraum gegenüber dem Vorjahr unter 2 % bleibt. Mittelfristig zielt der EZB-Rat mit seiner G. darauf ab, „eine Preissteigerungsrate unter, aber nahe der 2 %-Marke beizubehalten.“ Ein nicht zu lösendes Problem besteht darin, daß es in den einzelnen Mitgliedsländern unterschiedliche Preissteigerungsraten – teils unter, teils auch über 2 % – geben mag, daß die EZB mit ihrer G. aber nur auf den Durchschnitt, also auf den Euroraum insgesamt, abstellen kann. Soweit das vorrangige Ziel der Preisstabilität nicht beeinträchtigt wird, ist das Eurosystem ferner verpflichtet, die allgemeine Wirtschaftspolitik der EU zu unterstützen, und zwar im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb. Geldpolitische Instrumente Wer Ziele erreichen will, braucht dazu Instrumente. Die dem Eurosystem zur Verfügung stehenden Instrumente wirken nicht unmittelbar auf die Preise ein – das stünde im Konflikt mit der marktwirtschaftlichen Grundordnung – sondern indirekt, nämlich über die Liquidität und damit den Geldschöpfungsspielraum der → Geschäftsbanken und über das Zinsniveau am → Geldmarkt. Zum geldpolitischen Instrumentarium des Eurosystems gehören: – Offenmarktgeschäfte ● Hauptrefinanzierungsgeschäft ● Längerfristiges Refinanzierungsgeschäft – Ständige Fazilitäten ● Einlagefazilität ● Spitzenrefinanzierungsfazilität Mit den Offenmarktgeschäften, die auf Initiative der EZB erfolgen, werden zugleich die Liquidität des Geschäftsbankensystems und das Zinsniveau am Geldmarkt gesteuert. Beim Hauptrefinanzierungsgeschäft
Geldpolitik
Geldschöpfung
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Abbildung: Die Wirkungskette der Geldpolitik „versteigert“ die EZB wöchentlich Geld in Form von Zentralbankguthaben an die Geschäftsbanken mit einer Laufzeit von einer Woche. Die EZB nennt die ausgelobte Geldmenge und einen Mindest-Zinssatz („Mindestbietungssatz“), der überboten werden kann. Als Sicherheit dienen bestimmte → Wertpapiere, (Schuldverschreibungen), die die Geschäftsbanken hinterlegt haben. Regelmäßig werden die Bietungen der Geschäftsbanken nicht voll erfüllt, sondern es wird repartiert. Das längerfristige Refinanzierungsgeschäft wird monatlich nach den gleichen Modalitäten, jedoch für eine Laufzeit von drei Monaten abgewickelt. Man nennt die beiden Refinanzierungsgeschäfte der EZB auch „Tenderverfahren“ (vom englischen tender = Anerbieten, Auslobung). Die Ständigen Fazilitäten der EZB ermöglichen den Geschäftsbanken, „über Nacht“ überschüssige Liquidität bei der nationalen Zentralbank anzulegen oder fehlende Liquidität aufzunehmen. Diese „ständigen“ Möglichkeiten werden auf Initiative der Geschäftsbanken zu den im voraus festgelegten Konditionen in Anspruch genommen.
Die Zinssätze stellen sozusagen die Untergrenze (Einlagefazilität) und die Obergrenze (Spitzenrefinanzierungsfazilität) des „Zinskanals“ für täglich fällige Gelder dar. Der Mindestbietungssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte und die Zinssätze für die Einlagefazilität und die Spitzenrefinanzierungsfazilität sind die sogenannten „Leitzinsen“ der EZB, die vom EZB-Rat festgelegt werden. Das neben den bisher genannten Instrumenten bestehende Instrument der Mindestreserve besitzt eher sekundäre Bedeutung. Unter Mindestreserven versteht man Mindestguthaben, die die Geschäftsbanken auf Weisung der EZB bei ihrer nationalen Zentralbank zu unterhalten haben. Die Mindestreserven zwingen die Banken sozusagen zur Refinanzierung beim Eurosystem. Dadurch werden die zunächst genannten geldpolitischen Instrumente wirksam. Die geldpolitischen Instrumente können, je nach der wirtschaftlichen Situation im Euroraum, restriktiv oder expansiv eingesetzt werden. Restriktive (expansive) G.: Die in den Tenderverfahren ausgelobten Geldmengen werden verringert (erhöht); die Leitzinsen werden erhöht (gesenkt). Dadurch verringern (erhöhen) sich die Kreditschöpfungsmöglichkeiten der Geschäftsbanken, und die Bankkredite werden teurer (billiger). Es wird erwartet, daß deshalb weniger (mehr) → Kredite in Anspruch genommen werden. Dadurch werden die wirtschaftlichen Aktivitäten gebremst (stimuliert). Der EZB-Rat berücksichtigt bei seinen geldpolitischen Entscheidungen neben der o. a. Definition von Preisstabilität zwei Analysekonzepte („Säulen“), nämlich die Entwicklung der → Geldmenge M3 und die Entwicklung eines breiten Spektrums wirtschaftlicher und finanzieller Variablen, die für den Geldwert bedeutsam sind. Professor Dr. Günter Ashauer †, Köln Geldschöpfung Ausweitung des → Geldvolumens (einer Volkswirtschaft) durch die Schaffung von (1) → Zentralbankgeld und dessen Einspeisung in das Bankensystem sowie (2) von → Geschäftsbankengeld und dessen Zur271
Geldschöpfung
verfügungsstellung an die → Nichtbanken (→ Unternehmen, → private und → öffentliche Haushalte). Geldverfassung Gesamtheit der rechtlichen und institutionellen Vorgaben zur Regelung des Geldwesens eines Staates. Geldvermögen → Erwerbsvermögen. Geldvolumen ⇒ Geldmenge. Geldwert 1. binnenwirtschaftlicher G.: gibt die in Gütereinheiten gemessene → Kaufkraft des → Geldes an. Er steht im reziproken Verhältnis zum → Preisniveau. Steigendes Preisniveau bedeutet sinkender G. und umgekehrt. 2. außenwirtschaftlicher G.: gibt die Kaufkraft einer inländischen Geldeinheit im Ausland an. Er ändert sich demnach mit dem Wechselkurs und dem Preisniveau in dem betreffenden Land. Geldwertstabilität → Stabilität des Preisniveaus. Gemeindesteuern ⇒ Kommunalsteuern die von den Gemeinden erhobenen → Steuern, wie beispielsweise → Gewerbesteuer, → Grundsteuer und die nicht in allen Gemeinden erhobenen → Grunderwerbsteuer, Vergnügungssteuer, Getränkesteuer. Gemeineigentum ⇒ Staatseigentum ⇒ Gesellschaftseigentum ⇒ gesellschaftliches Eigentum ⇒ Volkseigentum ⇒ Kollektiveigentum → Eigentum des Staates. Nach Art. 15 Grundgesetz können Grund und Boden, Naturschätze sowie im privaten Eigentum stehende → Produktionsmittel in G. überführt werden. Gegensatz: → Privateigentum. Gemeinkosten ⇒ indirekte Kosten → Kosten, die in ihrer für das einzelne Produkt (Stück) anfallenden Höhe nicht genau erfaßt werden können, so insbesondere 272
Gemeinschaftskonto
→ Materialgemeinkosten, → Fertigungsgemeinkosten, → Verwaltungsgemeinkosten und → Vertriebsgemeinkosten. Gegensatz: → Einzelkosten. Gemeinnützigkeit Zweckbestimmung nach dem „allgemeinen (d. h. an den Interessen der Allgemeinheit orientierten) Nutzen“ (→ Gemeinwohl); gilt insbesondere für → Körperschaften, Anstalten, Stiftungen und → Vereine. Darüber hinaus hat das Prinzip der G. in der Abgabenordnung (§ 52) seinen Niederschlag gefunden. Gemeinnutz ⇒ Gemeinwohl. Gemeinsamer Agrarmarkt → Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Gemeinsamer Markt → Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. gemeinsames Eigentum → Eigentum. Gemeinschaftskonto → Bankkonto, das auf mehrere Inhaber lautet. Es kann in zwei Formen gehalten werden: (1) in der Form des sogenannten OderKontos (Kontobezeichnung bspw.: Herbert oder Gisela Frey); bei dieser Kontoform kann jeder Inhaber allein und unabhängig vom anderen (von den anderen) über das (gegebenenfalls gesamte) Guthaben verfügen. Die Kontoinhaber haften der Bank für einen Schuldsaldo als → Gesamtschuldner; der Bank ist es demnach freigestellt, an wen sie sich zwecks Befriedigung ihrer Ansprüche halten möchte. (2) in der Form des sogenannten Und-Kontos (Kontobezeichnung bspw.: Herbert und Gisela Frey). Um einer mißbräuchlichen Verfügung über das Konto durch einen (oder mehrere) (Mit-)Inhaber vorzubeugen, wird bei dieser Form des G. für diesen (oder diese) die alleinige Verfügungsgewalt über das Konto durch ausdrückliche Vereinbarung ausgeschlossen. Auch bei dieser Kontoform haften die Kontoinhaber gesamtschuldnerisch. Gegensatz: Einzelkonto.
Gemeinschaftsteuern
Gemeinschaftsteuern → Steuern, deren Aufkommen dem Bund und den Ländern gemeinsam zufließt: → Einkommensteuer, → Körperschaftsteuer, → Umsatzsteuer. Gemeinwirtschaft 1. im weiteren Sinn: → Wirtschaftsordnung mit sozialisierten → Produktionsmitteln und zentraler → Planung. 2. im engeren Sinn: Wirtschaftsbereiche/ → Unternehmen, die nicht erwerbswirtschaftlich (d. h. auf Gewinnerzielung) ausgerichtet sind, sondern im Dienste der Allgemeinheit lediglich Kostenminimierung oder Kostendeckung anstreben; beispielsweise: öffentliche Wirtschaft (insbesondere kommunale Versorgungsbetriebe), gemeinnützige Wohnungswirtschaft (→ Gemeinnützigkeit), kirchliche und karitative Verbände. Gemeinwohl ⇒ Gemeinnutz ⇒ Gesamtinteresse sittlicher Wert an sich, der das Wohl (Nutzen, Interesse) der Gemeinschaft (Gesellschaft, Allgemeinheit) in den Vordergrund stellt. Nach → Adam Smith führt das der Natur des Menschen entsprechende selbstinteressegeleitete Streben der Anbieter am Markte zwangsläufig zu einer Maximierung des G. (List des Marktes!). Gemeinwohllüge die von Politikern immer wieder aufgestellte Behauptung, ihr Handeln generell am Gemeinwohl zu orientieren und die damit verschleierte Tatsache, daß sie (wie jeder Mensch) in fundamentaler Ausrichtung danach streben, ihren individuellen → Nutzen zu maximieren. Ihr konkretes Trachten ist es, die Wahl beziehungsweise Wiederwahl in ein angestrebtes oder bereits okkupiertes Staatsamt zu erreichen und damit verbundenen Zuwächse an Macht, Einfluß, Prestige, Einkommen zu realisieren. (May, H., Die Gemeinwohllüge, in: Die Welt v. 27. 10. 2009, S. 6.) Genehmigung nachträglich erteilte → Zustimmung zu einem von anderen Personen vorgenommenen → Rechtsgeschäft; zum Beispiel: G. eines
Genfer Schema
von einem beschränkt Geschäftsfähigen (→ Geschäftsfähigkeit) abgeschlossenen → Kaufvertrages durch den gesetzlichen Vertreter (Eltern). Ist für das Zustandekommen eines Rechtsgeschäftes die G. eines Dritten erforderlich, so ist das Rechtsgeschäft bis zur Abgabe dieser G. „schwebend unwirksam“ (§ 184 Bürgerliches Gesetzbuch). Generalbevollmächtigter → Generalvollmacht. Generalversammlung → Genossenschaft. Generalstreik → Streik. Generalvollmacht → Vollmacht, die den → Bevollmächtigten ermächtigt, den Vollmachtgeber in allen Geschäften oder in allen Geschäften eines größeren Geschäftskreises zu vertreten. Gegensatz: → Spezialvollmacht. Generationenvertrag fiktiver intergenerativer gesellschaftlicher Konsens, demzufolge die Finanzierung der gesetzlichen → Rentenversicherung von den jeweils → Erwerbstätigen mit ihren Beiträgen (zur Rentenversicherung) für die aus dem Erwerbsleben Ausgeschiedenen (Rentenanspruchsberechtigten) übernommen wird (→ Umlageverfahren) und damit Ansprüche auf vergleichbare Leistungen durch die nachfolgende(n) Generation(en) erlangt werden. Genfer Schema auf der internationalen Tagung über → Arbeitsbewertung 1950 in Genf vorgestelltes und bis heute in der betrieblichen Praxis weitverbreitetes Schema zur Arbeitsbewertung. Es versucht unter den Kriterien „Fachkönnen“ und „Belastung“ die an eine bestimmte → Arbeit gestellten geistigen, körperlichen und verantwortungsmäßigen Anforderungen wie auch die allgemeinen und speziellen Arbeitsbedingungen (Schmutz, Staub, Temperatur, Nässe, Lärm, Erschütterung u. a.) zu erfassen und zu gewichten. 273
Genossenschaft (eingetragene Genossenschaft – eG)
Genossenschaft (eingetragene Genossenschaft – eG) im Genossenschaftsgesetz (GenG) geregelte Gesellschaft besonderer Art. Sie ist eine → Unternehmung mit → eigener Rechtspersönlichkeit (→ juristische Person), die den Erwerb und die Wirtschaft ihrer Mitglieder mittels gemeinsamen Geschäftsbetriebes fördert. Allseits bekannte Erscheinungsformen sind: ländliche Genossenschaften, Kreditgenossenschaften (Volks- und Raiffeisenbanken), Konsumgenossenschaften, Baugenossenschaften, Einkaufsgenossenschaften, Winzergenossenschaften. Die G. streben nicht in erster Linie nach einem möglichst großen Gewinn, sondern nach anderen wirtschaftlichen Vorteilen für ihre Mitglieder wie: bessere Absatzmöglichkeiten, günstige Einkaufsmöglichkeiten, verbilligte Kredite u. a.. Zur Errichtung einer G. muß zunächst eine Satzung durch mindestens 7 Personen (Gründer) aufgestellt werden. Es folgt die Wahl des Vorstandes und Aufsichtsrates, die Prüfung durch den Prüfungsverband und die Eintragung ins Genossenschaftsregister beim Amtsgericht. Mit der Eintragung erlangt die Genossenschaft ihre Rechtsfähigkeit. Die Mitgliederzahl der G. ist nicht begrenzt. Die Mitglieder zeichnen mit ihrem Beitritt zur G. einen Geschäftsanteil, auf den sie entsprechende Einzahlungen zu leisten haben. Den → Gläubigern der G. haftet das Gesellschaftsvermögen. Die Satzung hat festzulegen, ob im Insolvenzfall von den Mitgliedern Nachschüsse geleistet werden müssen. Die Organe der G. sind: Vorstand, Aufsichtsrat und Mitgliederversammlung (Generalversammlung). Der Vorstand führt die Geschäfte und vertritt die G. nach außen. Er besteht nach dem GenG aus 2 Personen, die Mitglieder der G. sein müssen und von der Generalversammlung gewählt werden. Die Satzung kann eine höhere Mitgliederzahl und eine andere Art der Bestellung (z. B. durch den Aufsichtsrat) bestimmen. Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung des Vorstandes zu überwachen. Er besteht aus 3 Mitgliedern, die von der Generalversammlung gewählt werden. Die Satzung 274
Gerichtsstand
kann eine höhere Zahl von Aufsichtsratsmitgliedern vorschreiben. In der Generalversammlung nehmen die Mitglieder ihr Stimmrecht wahr. Sie beschließt mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen – wobei jedes Mitglied ohne Rücksicht auf die Anzahl seiner Geschäftsanteile nur eine Stimme hat. Die Mitgliederversammlung beschließt über den Jahresabschluß, über die Verwendung des Jahresüberschusses sowie über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat. Bei G. mit mehr als 3000 Mitgliedern wird die Mitgliederversammlung durch eine Vertreterversammlung ersetzt. In ihr werden die Mitglieder durch Vertreter repräsentiert. Die G. unterliegen einer regelmäßigen Pflichtprüfung (mindestens alle 2 Jahre). Sie müssen deshalb einem Prüfungsverband (Revisionsverband) angehören (z. B. Deutscher Genossenschaftsund Raiffeisenverband [DGRV]). Die Auflösung der G. kann aus unterschiedlichen Gründen erfolgen: Ablauf der in der Satzung bestimmten Zeit; Beschluß der Generalversammlung; Beschluß des Registergerichtes, wenn die Anzahl der Genossen weniger als 7 beträgt; Eröffnung des → Insolvenzverfahrens. Genußscheine → Wertpapiere, die ein Recht (Genußrecht) am → Reingewinn oder Liquidationserlös einer → Aktiengesellschaft verbriefen. gerichtliche Beurkundung → Form. gerichtliches Mahnverfahren → Mahnverfahren. Gerichtsstand Kommt ein → Schuldner seiner vertraglichen Verpflichtung nicht nach, so kann sein → Gläubiger die Hilfe des zuständigen Gerichtes in Anspruch nehmen. Die sachliche Zuständigkeit (Amts- oder Landgericht) hängt vom Streitwert ab. Die örtliche Zuständigkeit (d. h. der Ort der Klageerhebung) kann vertraglich oder gesetzlich festgelegt sein. (1) der vertragliche G. wird durch die (Vertrags-)Parteien vereinbart. (2) der gesetzliche G. wird nach allgemeinem und besonderem G. unterschieden: (a)
Gerichtsstand
Der allgemeine G. ist der Sitz des Gerichtes, in dessen Bezirk der Wohnsitz beziehungsweise der Aufenthaltsort des Beklagten liegt. Er gilt immer dann, wenn kein ausschließlicher G. durch Gesetz oder Vertrag bestimmt ist. (b) Der besondere G. ist der G. des → Erfüllungsortes (d. h. das Gericht, in dessen Bezirke der Erfüllungsort liegt). Er ist der im Geschäftsverkehr wichtigste Gerichtsstand. Falls kein ausschließlicher Erfüllungsort vereinbart ist, kann der Kläger zwischen dem allgemeinen G. und dem G. des Erfüllungsortes wählen. Der dingliche G. gilt für Grundstücksklagen. Er ist der Sitz des Gerichtes, in dessen Bezirk das Grundstück liegt. geringfügige Beschäftigung(sverhältnisse) 1. Minijobs (400-Euro-Jobs): Beschäftigungsverhältnisse mit Verdiensten bis 400 Euro monatlich. Bezieher eines solchen → Einkommens zahlen aus diesem weder → Sozialabgaben noch Steuern; auch dann nicht, wenn dieses neben einer entlohnten Hauptbeschäftigung erzielt wird. – Die Arbeitgeber zahlen von den Entgelten für Minijobs eine Abgabenpauschale von 30 v. H. (15 v. H. → Rentenversicherung, 13 v. H. → Krankenversicherung, 2 v. H. Steuer). Für den → Arbeitnehmer besteht die Möglichkeit, den Pauschalbeitrag zur Rentenversicherung bis zum vollen Beitragssatz aufzustocken und damit einen vollwertigen Rentenversicherungsschutz zu erwerben. Eine Sonderregelung gilt für die Beschäftigung von Haushaltshilfen (haushaltsnahe Dienstleistungen). Für sie zahlt der Arbeitgeber lediglich Abgaben von insgesamt 12 v. H. (Rentenversicherung 5 v. H., Krankenversicherung 5 v. H., Steuer 2 v. H.). Bei der Pauschalsteuer handelt es sich um eine sog. „Abgeltungssteuer“, die nicht mit der individuellen Steuerschuld des Arbeitnehmers verrechnet werden kann. Auch für Beschäftigte im Haushalt gilt die Aufstockungsoption zur Rentenversicherung. Steuerpflichtige, die haushaltsnahe Dienstleistungen in Anspruch nehmen (Arbeitgeber), können die damit verbundenen → Aufwendungen in einem bestimmten Umfang
Gesamtrechtsnachfolge
von ihrer Steuer in Abzug bringen. Rechtsgrundlage für Minijobs bildet § 8 SGB IV. 2. Midijobs: Beschäftigungsverhältnisse mit Verdiensten von 401 bis 800 Euro (Gleitzone) monatlich. Steuerrechtlich werden diese Entgelte wie jedes andere Lohneinkommen behandelt. Sozialversicherungsrechtlich zahlt der Arbeitnehmer je nach Höhe seines Einkommens Sozialabgaben zwischen 4 und 21 v.H. Dieses Gleitzonenprivileg gilt nicht für Zweitbeschäftigungen, die neben einer versicherungspflichtigen Hauptbeschäftigung ausgeübt werden. Rechtsgrundlage für Midijobs bildet § 20 Abs. 2 SGB IV. Gesamtbetriebsrat → Betriebsrat. Gesamtgläubiger eine Gesamtheit von → Gläubigern, von der jeder von dem → Schuldner die Leistung fordern kann, der gegenüber der Schuldner aber die Leistung nur einmal erbringen muß. Der Schuldner kann nach seinem Belieben an einen der Gläubiger leisten (§ 428 Bürgerliches Gesetzbuch). Gesamtgut → eheliches Güterrecht. Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung → Jugend- und Auszubildendenvertretung. Gesamtkosten Gesamtheit der mit der → Produktion eines bestimmten → Gutes anfallenden → Kosten. Die G. setzen sich zusammen aus den → fixen Kosten und den → variablen Kosten. Siehe auch: → Kostenfunktionen. Gesamtkostenkurve → Kostenfunktionen. Gesamtprokura → Prokura. Gesamtrechtsnachfolge vom Gesetz in bestimmten Fällen vorgesehene Rechtsnachfolge in ein Vermögenganzes. Das bedeutet: Es tritt ein Rechtssubjekt (z. B. eine Person) in die von einem anderen (Rechtssubjekt) bislang gehaltene Rechtsposition und übernimmt damit von diesem alle aus dieser Rechtsposition erwachsen275
Gesamtrechtsnachfolge
den Rechte und Pflichten (z. B. Erbschaft, § 1922 Bürgerliches Gesetzbuch). Gesamtschuldner eine Gesamtheit von → Schuldnern, von der jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, von der der → Gläubiger aber nur einmal die Leistung zu fordern berechtigt ist (§ 421 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Der Gläubiger kann die Leistung nach seinem Belieben von jedem der Schuldner ganz oder zu einem Teil fordern. Bis zur Bewirkung der ganzen Leistung bleiben sämtliche Schuldner verpflichtet. Soweit nicht anderes vereinbart wurde, sind die Schuldner im Verhältnis untereinander zu gleichen Anteilen verpflichtet (§ 426 Abs. 1 BGB). Gesamtsprecherausschuß → Sprecherausschuß. gesamtwirtschaftlich ⇒ makroökonomisch auf eine Gesamtheit von → Wirtschaftssubjekten einer → Volkswirtschaft abstellend. gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht ist nach dem → Stabilitätsgesetz dann gegeben, wenn die vier → wirtschaftspolitischen Ziele → Stabilität des Preisniveaus, hoher → Beschäftigungsgrad (→ Vollbeschäftigung), → außenwirtschaftliches Gleichgewicht und angemessenes → Wirtschaftswachstum gleichzeitig erreicht werden. Geschäftsanteil Oberbegriff für Anteile am Gesellschaftsvermögen der → Genossenschaft und der Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Geschäftsbanken → Kreditinstitute, die sich mit allen wesentlichen Bankgeschäften befassen und nicht auf bestimmte Kundenkreise beschränken.
Geschäftsschulden
Geschäftsfähigkeit Fähigkeit, rechtsgeschäftliche Erklärungen (→ Rechtsgeschäfte) rechtswirksam abgeben und entgegennehmen zu können. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) unterscheiden in §§ 104 ff.: Geschäftsunfähigkeit, beschränkte G. und volle G. 1. Geschäftsunfähigkeit: Ihr unterliegt jeder, der (1) das 7. Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder (2) dauernd geistesgestört ist. Geschäftsunfähige können keinerlei Rechtsgeschäfte abschließen, für sie handelt stellvertretend der gesetzliche Vertreter. Das sind die Eltern oder der Vormund. 2. beschränkte G.: Ihr unterliegen Minderjährige, die das 7. Lebensjahr vollendet haben. Ein Minderjähriger bedarf zum rechtsgültigen Abschluß eines Rechtsgeschäftes der → Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters (§ 107 BGB). Schließt er ein Rechtsgeschäft ohne dessen Einwilligung ab, so bleibt dieses schwebend unwirksam bis die nachträgliche → Genehmigung des gesetzlichen Vertreters erfolgt (§ 108 BGB). Ohne die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters kann ein Minderjähriger nur solche Rechtsgeschäfte abschließen, die (1) ihm lediglich einen rechtlichen Vorteil erbringen (§ 107 BGB), (2) er im Rahmen seines Taschengeldes eingeht (Taschengeldgeschäfte, Taschengeldparagraph, § 110 BGB), (3) im Rahmen des mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters geschlossenen → Arbeitsvertrages anfallen (§ 113 BGB). 3. die volle G. besitzen alle Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Geschäftsgeheimnis → Betriebsgeheimnis → Verschwiegenheitspflicht.
Geschäftsbankengeld ⇒ Buchgeld ⇒ Bankgeld ⇒ Giralgeld.
Geschäftskosten Rechnungsposten in der → Verkaufskalkulation; umfaßt → Gemeinkosten wie: → Gehälter, → Miete, → Betriebssteuern, Werbekosten, allgemeine → Verwaltungskosten u. a..
Geschäftsbedingungen → Allgemeine Geschäftsbedingungen, → Lieferungsbedingungen, → Zahlungsbedingungen.
Geschäftsschulden → Verbindlichkeiten von Gewerbetreibenden gegenüber anderen Gewerbetreibenden aus Leistungen für einen Gewerbebetrieb.
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Geschäftsunfähigkeit
Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH)
Geschäftsunfähigkeit → Geschäftsfähigkeit.
res vereinbart, durch die Gesellschafter gemeinsam vertreten. Nach Entscheidung des BGH (II ZR 331/00) hat eine G. eigene → Rechtspersönlichkeit und kann unter dieser klagen und verklagt werden.
Geschlechterdiskriminierung direkte oder mittelbare Ungleichbehandlung insbesondere von Frauen in der Arbeitswelt; nach Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz, §§ 611 a u. 612 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch und dem am 18. 8. 2006 in Kraft getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz sowie Art. 119 EWG-Vertrag unzulässig. geschlossene Fonds → Fonds. Gesellenbrief Urkunde, die dem Absolventen einer anerkannten → Ausbildung in einem Handwerksberuf nach bestandener Prüfung vom Prüfungsausschuß der (Handwerks-)Kammer ausgehändigt wird. Gesellschaft 1. soziologisch: System, in dem der einzelne Mensch Orientierung und Ordnung, Regelhaftigkeit und Bedeutungsgehalte findet (Hartfiel/Hillmann). 2. (wirtschafts-) rechtlich: vertraglicher Zusammenschluß von ganz bestimmten Personen (→ Personenvereinigungen), die nur ausnahmsweise durch andere ersetzt werden können. → G. des bürgerlichen Rechts, → Personengesellschaften, → Kapitalgesellschaften, → G. besonderer Art. Gesellschafterversammlung beschlußfassendes Organ der → Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GbR) ⇒ BGB-Gesellschaft Vereinigung (→ Gesellschaft) von zwei oder mehreren Personen zur Erreichung eines gemeinsamen Zweckes (§§ 705 – 740 Bürgerliches Gesetzbuch; z. B. eine Lotto- oder Totogemeinschaft, Anwaltssozietäten). Das Gesellschaftsvermögen steht allen Gesellschaftern gemeinsam zu; kein Gesellschafter kann über seinen Anteil daran verfügen oder Teilung verlangen, solange die Gesellschaft besteht. Für die → Verbindlichkeiten der G. haften alle Gesellschafter mit ihrem gesamten → Vermögen als → Gesamtschuldner. Die G. wird, sofern nicht ande-
Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften – Verein für Socialpolitik – 1873 als Verein für Socialpolitik von Persönlichkeiten aus Publizistik, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft („Kathedersozialisten“) gegründet; heute praktisch die wissenschaftliche Gesellschaft der deutsch-sprachigen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler. Vereinszweck laut Satzung ist „die wissenschaftliche Erörterung wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher sowie wirtschafts- und sozialpolitischer Probleme in Wort und Schrift“. Die Ergebnisse der Forschungstätigkeit, die sich in der Arbeit von 20 ständigen Ausschüssen und den Jahrestagungen sowie kleineren Arbeitstagungen manifestiert, sind seit Neugründung (1948) in über 200 Bänden der „Neuen Folge der Schriften des Vereins für Socialpolitik“ niedergelegt. Außerdem gibt der Verein die „Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften“ heraus. Seit 1956 trägt der Verein den im Stichwort genannten Namen. gesellschafliches Eigentum ⇒ Gemeineigentum. Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) Die G. wird durch das GmbH-Gesetz geregelt. Sie ist eine → Unternehmung mit → eigener Rechtspersönlichkeit. Ihr in Gesellschaftsanteile zerlegtes Gesellschaftskapital (Stammkapital) wird von den Gesellschaftern durch Geld- oder Sacheinlagen (Stammeinlagen) aufgebracht. Die Einlage muß mindestens 100 Euro betragen, das Stammkapital mindestens 25.000 Euro. Gesellschaftsanteile können nur in gerichtlicher oder notarieller → Form übertragen werden. Dadurch soll der Mitgliedschaft ein persönlicher Charakter zugewiesen werden. Die Gründung einer G. erfolgt durch eine oder mehrere Person(en) mit Abschluß eines notariell beurkundeten Gesellschafts277
Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH)
vertrages (Satzung). Nach Einzahlung von mindestens 25 Prozent jeder Stammeinlage und Eintragung ins → Handelsregister ist die Gesellschaft errichtet. Die Haftung ist auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt. Die Satzung kann allerdings eine (beschränkte oder unbeschränkte) Pflicht der Gesellschafter zu weiteren Einzahlungen auf die Einlagen (→ Nachschußpflicht) vorsehen. Die Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft werden von einem oder mehreren – von den Gesellschaftern bestellten – Geschäftsführer(n) wahrgenommen. Oberstes Organ ist die Gesellschafterversammlung. Sie ist das beschließende Organ (Feststellung der Jahresbilanz und Gewinnverwendung, Einforderung von Einzahlungen auf die Stammeinlagen, Einforderung und Rückzahlung von Nachschüssen, Teilung sowie Einziehung von Geschäftsanteilen; Bestellung, Entlastung und Abberufung von Geschäftsführern; Bestellung von → Prokuristen und → Handlungsbevollmächtigten). Je 50 Euro eines Geschäftsanteiles gewähren eine Stimme. Ein → Aufsichtsrat zur Überwachung der Geschäftsführung kann durch den Gesellschaftsvertrag vorgeschrieben werden. Bei Gesellschaften mit mehr als 500 → Arbeitnehmern muß nach dem → Betriebsverfassungsgesetz ein Aufsichtsrat gebildet werden. Die Auflösung der Gesellschaft (z. B. weil ihr Zweck erreicht ist) oder durch Beschluß der Gesellschafter) führt – außer im Falle der Eröffnung des → Insolvenzverfahrens – zur → Liquidation. Gesellschaftsbild Vorstellungskomplex bei Angehörigen bestimmter sozialer Schichten, Parteien, religiöser Gruppierungen oder Berufsgruppen über Ordnung, Struktur, Auf bau, Funktionsweise und Entwicklungstendenzen der → Gesellschaft. Das G. wird entscheidend geprägt durch die schichtenspezifischen Erziehungseinflüsse in Elternhaus und Schule wie auch durch den persönlichen Status in der Gesellschaft, insbesondere in der Berufs- und Arbeitswelt. Die beiden wohl 278
Gesetz der Massenproduktion
bedeutsamsten G. beinhalten der → Individualismus (→ Liberalismus) und der → Kollektivismus (→ Sozialismus). Gesellschaftseigentum ⇒ Gemeineigentum. Gesellschaftsunternehmung → Unternehmungsformen. Gesellschaftswissenschaften ⇒ Sozialwissenschaften. Gesetz der Massenproduktion auf die Frage nach den Voraussetzungen kostengünstiger industrieller → Produktion von dem deutschen Ökonomen Karl Bücher (1847 – 1930) konstatierte Erkenntnis: Die mit der Herstellung eines Produktes verbundenen → Kosten sind teils fix (→ fixe Kosten), teils variabel (→ variable Kosten). Aus dieser differenzierenden Aufteilung der → Gesamtkosten läßt sich zweierlei ableiten: (1) Der auf das gefertigte Einzelprodukt entfallende Fixkostenanteil sinkt mit wachsender Ausbringungsmenge und ist damit degressiv variabel. (2) Die variablen Kosten steigen proportional mit der Ausbringungsmenge und sind demnach bezogen auf das gefertigte Einzelstück konstant. Das bedeutet: Die durchschnittlichen Kosten für das Einzelstück (→ Stückkosten) fallen mit der Zunahme der Ausbringungsmenge. Die hier getroffenen Feststellungen hat Bücher im G. formelhaft verkürzt dargestellt: Kf k = ___ m + kv k = Stückkosten k v = variable Stückkosten K f = fixe Kosten insgesamt m = Ausbringungsmenge Ein praktisches Beispiel mag das aufgezeigte Phänomen verdeutlichen: Die Herstellung eines Buches verursache fixe Kosten für den Satz im Umfang von 10000,– Euro und variable Kosten für Papier, Druck und Einband von 5,– Euro pro Stück. Bei einer Auflage von 500 Stück betrügen dann die Stückkosten 25,– Euro bei einer Auflage von 1000 Stück 15,– Euro und bei einer Auflage von 10000 Stück schließlich noch 6,– Euro.
Gesetz der Massenproduktion
Voraussetzung für die Haltbarkeit des G. ist allerdings, daß die variablen Kosten je Stück gleichbleiben. Dies kann jedoch nicht immer unterstellt werden. So zum Beispiel, wenn bei Ausdehnung der Produktion über ein bestimmtes Maß die Kosten für die weitere Beschaffung von Rohmaterialien steigen, der Verschleiß an den Maschinen verstärkt zunimmt oder Überstunden höhere Lohnkosten verursachen. – Andererseits können die variablen Kosten je Stück bei höheren Bezugsmengen (durch Preiszugeständnisse, Mengenrabatte) mehr oder weniger stark fallen. Sicherlich ist Büchers Feststellung als Tendenzaussage zutreffend, daß nämlich Güter in → Massenfertigung kostengünstiger produziert werden können als in kleineren Produktionsauflagen. Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) in der Fassung von 2004 versucht dem Mißbrauch des Rechts des freien (auf dem → Leistungsprinzip auf bauenden) → Wettbewerbs entgegenzuwirken. Es untersagt nach § 3 unlautere Wettbewerbshandlungen, die geeignet sind, den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber, der Verbraucher oder der sonstigen Marktteilnehmer nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen. – Als markante Beispiele für solche Handlungen nennt § 4 UWG: Ausübung von (psychischem) Druck, Ausnutzung geschäftlicher Unerfahrenheit, verschleierte Werbung beziehungsweise Verkaufsförderungsmaßnahmen, Preisausschreiben oder Gewinnspiele mit Werbecharakter ohne klar erkennbare Teilnahmebedingungen, Herabsetzung oder Verunglimpfung von Mitbewerbern, wahrheitswidrige Behauptungen über Mitbewerber oder Produkte derselben, Anbieten von nachgeahmten Produkten (Fälschungen), Behinderung von Mitbewerbern. – Darüber hinaus gelten als unlauter: irreführende Werbung (§ 5 UWG) und vergleichende Werbung, soweit sich diese nicht eindeutig und ausschließlich auf die zu vergleichenden Produkte bezieht (§ 6 UWG). Wer vorsätzlich oder fahrlässig unlautere Wettbewerbshandlungen vornimmt, ist den Mitbewerbern zum Ersatz des ihnen daraus
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)
entstehenden Schadens (→ Schadensersatz) verpflichtet (§ 9 UWG). Schadensersatzansprüche aus unerlaubten Wettbewerbshandlungen verjähren (→ Verjärhung) in der Regel in sechs Monaten (§ 11 UWG). Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) ⇒ Kartellgesetz in der Neufassung von 2005 verbietet nach § 1 Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des → Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Von diesem Verbot freigestellt sind nach § 2 Abs. 1 Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen oder abgestimmte Verhaltensweisen, die unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne daß den beteiligten Unternehmen (1) Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerläßlich sind, oder (2) Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb ausschalten. – Diesen Freistellungserfordernissen des § 2 Abs. 1 GWB fügen sich nach § 3 Abs. 1 GWB auch Vereinbarungen zwischen miteinander in Wettbewerb stehenden Unternehmen und Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen, die die → Rationalisierung wirtschaftlicher Vorgänge durch zwischenbetriebliche Zusammenarbeit zum Gegenstand haben, soweit (1) dadurch der Wettbewerb auf dem Markt nicht wesentlich beeinträchtigt wird und (2) die Vereinbarung oder der Beschluß dazu dient, die Wettbewerbsfähigkeit kleinerer oder mittlerer Unternehmen zu verbessern. Der Bundeswirtschaftsminister kann nach § 42 GWB → Kartelle, die an sich verboten sind, genehmigen (sog. → Ministerkartelle), sofern die Beschränkung des Wettbewerbs überwiegend aus Gründen der Gesamtwirtschaft und des → Gemeinwohls notwendig 279
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)
ist oder eine unmittelbare Gefahr für den Bestand des größeren Teils der Unternehmen eines Wirtschaftszweiges besteht. Über die Beachtung des G. wacht das → Bundeskartellamt. gesetzliche Krankenkassen → Krankenkassen. gesetzliche Krankenversicherung ⇒ soziale Krankenversicherung → Krankenversicherung. gesetzliche Pflegeversicherung → Pflegeversicherung. gesetzliche Rentenversicherung → Rentenversicherung. gesetzliche Unfallversicherung → Unfallversicherung. gesetzliche Zahlungsmittel sind in der Bundesrepublik Deutschland seit 1.1.2002 die Euro-Banknoten und -Münzen mit der Untereinheit Cent. Der Euro wird von der → EZB über das Bankensystem ausgegeben. G. müssen von jedem inländischen → Gläubiger zur Tilgung von → Verbindlichkeiten angenommen werden (Annahmezwang). Annahmepflicht für Euro-Münzen besteht nur bis zu einer Stückzahl von 50. Kreditinstitute und öffentliche Kassen nehmen Münzen jedoch in jeder beliebigen Summe entgegen. gesetzlicher Güterstand → eheliches Güterrecht. Gesetz vom abnehmenden Bodenertrag ⇒ Gesetz vom abnehmenden Ertragszuwachs ⇒ klassische Produktionsfunktion ⇒ Ertragsgesetz → Produktionstheorie 1. Gesetz vom abnehmenden Ertragszuwachs ⇒ Gesetz vom abnehmenden Bodenertrag ⇒ klassische Produktionsfunktion ⇒ Ertragsgesetz → Produktionstheorie 1. 280
Gewerbebetrieb
Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (Stabilitätsgesetz) vom 8.6.1967 legt die in bestimmten konjunkturellen Situationen (→ Konjunkturphasen) von den Trägern der → Wirtschaftspolitik (Bund u. Länder) zu ergreifenden wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen fest, um bestimmte gesamtwirtschaftliche Ziele (→ wirtschaftspolitische Ziele) zu erreichen; darüber hinaus stellt es Instrumente bereit, um diese Ziele anzusteuern. Das G. orientiert sich an der → Keynesschen Theorie. Gesundheitsfonds → Krankenversicherung. Gewährleistung Einstehen für → Mängel der (verkauften oder hergestellten) Sache durch den Verkäufer (→ Kaufvertrag) beziehungsweise den Hersteller (→ Werkvertrag). Vgl. → Mängelhaftung, → Gewährleistungsansprüche, → Gewährleistungsfrist. Gewährleistungsansprüche die einem Käufer beziehungsweise Auftraggeber im Falle mangelhafter (→ Mängel) Lieferung/Herstellung/Reparatur innerhalb eines bestimmten Zeitraumes (→ Gewährleistungsfrist) gesetzlich zustehenden Rechte. Siehe auch → Kaufvertrag, → Werkvertrag, → Reparaturvertrag. Gewährleistungsfrist Zeitspanne während der → Gewährleistungsansprüche geltend gemacht werden können. Siehe: → Kaufvertrag, → Werkvertrag, → Reparaturvertrag. Gewerbe jede planmäßige, in der Absicht der Gewinnerzielung (→ Gewinn) ausgeübte, auf Dauer angelegte selbständige Tätigkeit, mit Ausnahme von Tätigkeiten in der Land- und Forstwirtschaft sowie in → freien Berufen. Gewerbebetrieb → Unternehmen, in dem ein → Gewerbe betrieben wird.
Gewerbeertrag
Gewerbeertrag Besteuerungsgrundlage für die → Gewerbesteuer. Ausgangsgröße für die Ermittlung des G. ist der → Gewinn aus Gewerbebetrieb, der nach dem Einkommen- oder Körperschaftsteuergesetz ermittelt wird (§ 7 Gewerbesteuergesetz [GewStG]). Hinzuzurechnen sind unter anderem (§ 8 GewStG): (1) Die Hälfte der Entgelte für → Schulden, die wirtschaftlich mit der Gründung oder dem Erwerb des → Betriebes (Teilbetriebes) oder eines Anteils am Betrieb oder mit einer Erweiterung oder Verbesserung des Betriebes zusammenhängen oder die der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen; (2) Renten und dauernde Lasten, die wirtschaftlich mit der Gründung oder dem Erwerb des Betriebes (Teilbetriebes) oder eines Anteils am Betrieb zusammenhängen; (3) die Gewinnanteile des stillen Gesellschafters (→ stille Gesellschaft), wenn sie beim Empfänger nicht zur Steuer nach dem G. heranzuziehen sind; (4) die Gewinnanteile, die an die persönlich haftenden Gesellschafter einer → Kommanditgesellschaft auf Aktien auf ihre nicht auf das → Grundkapital gemachten Einlagen oder als Vergütung (Tantieme) für die Geschäftsführung verteilt worden sind; (5) die Hälfte der Miet- und Pachtzinsen für die Benutzung der nicht in Grundbesitz bestehenden Wirtschaftsgüter des → Anlagevermögens, die im → Eigentum eines anderen stehen; (6) die Anteile am → Verlust einer in- oder ausländischen → offenen Handelsgesellschaft, einer → Kommanditgesellschaft oder einer anderen Gesellschaft, bei der die Gesellschafter als → Unternehmer (Mitunternehmer) des Gewerbebetriebes anzusehen sind. Abzuziehen sind unter anderem (§ 9 GewStG): 1,2 v. H. des → Einheitswertes des zum Betriebsvermögen des → Unternehmens gehörenden Grundbesitzes, Anteile am Gewinn eines anderen Unternehmens. → Einzelunternehmen und → Personengesellschaften dürfen darüber hinaus einen → Freibetrag von 24 500 Euro in Anrechnung bringen. Gewerbefreiheit das nach § 1 Gewerbeordnung in Verbindung mit Art. 2 u. 12 Abs. 1 Grundgesetz
Gewerkschaften
(→ Berufsfreiheit) für jedermann garantierte Recht zum Betrieb eines → Gewerbes. Die G. steht jedoch unter dem Vorbehalt abweichender gesetzlicher Regelungen, insbesondere der Gewerbeordnung selbst, die für verschiedene Gewerbe eine behördliche (meist qualifikatorisch gebundene) Erlaubnis vorsieht. Gewerbekapital Dem (Gewerbe-) → Betrieb zur Wahrnehmung seiner Betriebsaufgabe dienendes (Produktions-) → Vermögen. Gewerbesteuer → Betriebssteuer, bei der der (Gewerbe-) → Betrieb Gegenstand der Besteuerung ist. (Die freien Berufe mit ihren Praxen unterliegen nicht der G.). Ihre rechtliche Grundlage bildet das Gewerbesteuergesetz (GewStG) in der Fassung von 2002 sowie die Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung in der Fassung von 2002. Besteuerungsgrundlage für die G. ist der → Gewerbeertrag. Bei der Berechnung der G. ist von einem Steuermeßbetrag auszugehen. Dieser ist durch Anwendung eines Hundertsatzes von regelmäßig 3,5 v. H. (Steuermeßzahl) auf den Gewerbeertrag zu ermitteln. Dabei ist für → Einzelunternehmen und → Personengesellschaften ein → Freibetrag von 24 500 Euro zu berücksichtigen; bei Vereinen und juristischen Personen des öffentlichen Rechts ein solcher von 3900 Euro. Kapitalgesellschaften erhalten keinen Freibetrag. Die G. wird von der Gemeinde auf Grund des Steuermeßbetrages mit einem Hundertsatz (→ Hebesatz), der von der hebeberechtigten Gemeinde zu bestimmen ist, festgesetzt und erhoben. Die G. ist zu je einem Viertel der für das Vorjahr veranlagten Steuer am 15.2., 15.5., 15.8. und 15.11. jeden Jahres zu entrichten. Gewerbetreibender Person, die in eigenem Namen für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung ein → Gewerbe betreibt. Gewerkschaften Begriff: G. sind Zusammenschlüsse der abhängig Beschäftigten, d. h. der → Arbei281
Gewerkschaften
ter, → Angestellten und Beamten sowie der → Auszubildenden, zur Vertretung ihrer sozialen, ökonomischen und kulturellen Interessen gegenüber → Arbeitgebern, Staat und anderen gesellschaftlichen Gruppen. Als Mittel dient ihnen dazu die kollektive Aushandlung der Lohn- und Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder. Dabei können sie durch die Drohung, die Arbeit zu verweigern (→ Streik), äußerstenfalls auch durch tatsächliche Arbeitsniederlegungen Druck auf ihre Verhandlungspartner ausüben. Der Schutz vor den Folgen der wirtschaftlichen Unterlegenheit der abhängig Beschäftigten und das Bemühen, die Ursachen dieser Abhängigkeit zu beseitigen, steht im Mittelpunkt gewerkschaftlicher Aktivitäten. Je nach ideologischer Ausrichtung und politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen können die G. bei der Durchsetzung ihrer Interessen unterschiedliche Strategien verfolgen. Geschichte: Die erste Arbeiterorganisation wurde in Deutschland bereits 1848 mit der „Arbeiterverbrüderung“ gegründet. Nach dem Scheitern der Demokratisierungsversuche in Deutschland mußten jedoch 1854 alle noch bestehenden Arbeitervereine wieder aufgelöst werden. Nach Gründung des „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“ 1863 durch Ferdinand Lassalle und der von ihm 1869 erkämpften Koalitionsfreiheit in Preußen entstanden drei Gewerkschaftsrichtungen: – die sozialdemokratisch orientierten freien Arbeitergewerkschaften, hervorgegangen aus Lassalles Allgemeinem Deutschen Arbeiterverein, und die Internationalen Gewerksgenossenschaften, begründet 1869 von August Bebel – die dem Liberalismus verbundenen Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine – die aus der christlich-sozialen Bewegung des Mainzer Bischofs von Ketteler hervorgegangenen, 1869 gegründeten Christlichen Gewerkschaften. Offiziell anerkannt wurden die G. als Interessenvertretung der → Arbeitnehmer in Deutschland durch das Novemberabkommen vom 15.11.1918 zwischen Arbeitge282
Gewerkschaften
ber- und Arbeitnehmervertretern. Seitdem werden die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer in kollektiven Vereinbarungen (→ Tarifverträgen) zwischen G. und → Arbeitgeberverbänden geregelt. In der Zeit des nationalsozialistischen Regimes von 1933 bis 1945 wurden die G. aufgelöst und ihre Mitglieder in die Deutsche Arbeitsfront überführt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bildeten sich in den drei Westzonen neue G., die sich 1949 im Dachverband → „Deutscher Gewerkschaftsbund“ (DGB) zusammenschlossen. Während die zum DGB gehörenden G. nach dem Industrieverbandsprinzip (ein → Betrieb – eine G.) und dem Prinzip der Einheitsgewerkschaft (alle weltanschaulichen Strömungen umfassend) organisiert sind, basieren die ebenfalls 1949 gegründete Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG) auf dem Berufsverbandsprinzip und die christliche G.-bewegung – 1959 in Christlicher Gewerkschaftsbund (CGB) umbenannt – auf dem Prinzip des Berufsverbands (DAG) bzw. Richtungsgewerkschaftsprinzip (CGB). In der sowjetischen Besatzungszone entstand der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) als Dachverband der sich als Transmissionsriemen der herrschenden kommunistischen Partei verstehenden G. Nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 wurden der FDGB aufgelöst und die Mitglieder in die G. des DGB aufgenommen. Mitgliederentwicklung: Die Vereinigung brachte für die im DGB damals zusammengeschlossenen 16 Einzelgewerkschaften zunächst einen Mitgliederschub, gleichzeitig aber auch erhebliche finanzielle Mehrbelastungen beim Auf bau der Organisation in den neuen Bundesländern. So hatten die DGB-G. 1991 in den alten Bundesländern rund 7,8 Mio. und in den neuen Bundesländern ca. 4,1 Mio., insgesamt also fast 12 Mio. Mitglieder. Zur Jahrtausendwende war diese Zahl auf rund 8 Mio. Mitglieder zusammengeschrumpft. Verantwortlich für diese Entwicklung war die tiefgreifende Beschäftigungskrise, die vor allem in den neuen Bundesländern zu einem hohen Mitgliederschwund im Vergleich zum Zeit-
Gewerkschaften
punkt unmittelbar nach der Wende führte. Die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) hatte Ende 1999 einen Mitgliederstand von rund 460 000, der Christliche Gewerkschaftsbund blieb von Anbeginn der Bundesrepublik und auch nach der Wende bedeutungslos (Mitgliederzahl 1999: 305 000). Zudem haben veränderte wirtschaftliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen die G. im DGB zur Straffung ihrer Organisation gezwungen. Eine Reihe kleinerer Gewerkschaften haben sich größeren Gewerkschaften angeschlossen, so daß Anfang 2008 dem DGB nur noch acht Mitgliedsgewerkschaften angehörten. Zu Beginn des neuen Jahrtausends haben sich vier DGBGewerkschaften (ÖTV, HBV, GdP und IG Medien) sowie die bis dahin noch außerhalb des DGB stehende Deutsche Angestellten Gewerkschaft (DAG) zur größten Dienstleistungsgewerkschaft der Welt ver.di (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft) zusammengeschlossen. Mit über 2,8 Mio. Mitgliedern hatte sie nach dieser Fusion vorübergehend sogar die lange Zeit größte Einzelgewerkschaft der Welt, die IG Metall, überflügelt, die 2001 auf 2,7 Mio. Mitglieder kam. Durch Mitgliederverluste in den Jahren darauf nahm die ver.di Ende 2009 nach der IG Metall (2,2 Mio. Mitglieder) mit 2,1 Mio. Mitgliedern wieder Platz zwei unter den DGB-G. ein. Ende 2010 hatten die DGB-G. insgesamt noch rund 6,2 Mio. Mitglieder. Zukunft der G.: Die künftige Entwicklung der G. wird davon abhängen, ob und inwieweit es ihnen gelingt, den sich in der Arbeitnehmerschaft vollziehenden Änderungen in der Beschäftigtenstruktur Rechnung zu tragen: Traditionell bilden die Facharbeiter den Kern der G.: 2002 stammten nur noch weniger als 60 % der in den DGB-G. organisierten Arbeitnehmer aus der Arbeiterschaft; etwa ein Drittel waren Angestellte; 7 % Beamte, der Rest Sonstige (Arbeitslose, Rentner, Azubis, Freiberufler). Mit dem Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, dem Absterben alter Industriezweige und dem im Zuge der → Rationalisierung beschleunigten Weg-
Gewerkschaften
fall von Arbeitsplätzen in der gewerblichen → Produktion wird die Zahl der Arbeiter in Zukunft weiter schrumpfen. Den G. droht damit der allmähliche Verlust ihrer Basis, den sie nur verhindern können, wenn sie für den neuen Typus „Arbeitnehmer“, die wachsende Zahl der Angestellten, attraktiv werden. Dies dürfte schwierig sein, weil Angestellte sich seit jeher als „Individuum“ und nicht einer „sozialen Klasse“ zugehörig begreifen. Sie haben ein hierarchisches Gesellschaftsbild, schauen auf die herab, die unter ihnen stehen, und bewundern die, die über ihnen stehen. Im Laufe ihres Berufslebens auf der Leiter einer Unternehmenshierarchie aufzusteigen und ihren sozialen Status zu verbessern, ist letztlich das Ziel der meisten Angestellten. Bei diesem Aufstiegskampf stehen sie zu ihren Kolleginnen und Kollegen im Betrieb in einem Konkurrenzverhältnis. Gerade das aber widerspricht dem gewerkschaftlichen Grundprinzip der → Solidarität, wonach man als soziale Klasse gemeinsam für die Interessen der Arbeitnehmer und gegen die der Arbeitgeber kämpfen muss. Allerdings haben die G. nicht in allen Industrieländern mit starken Mitgliederrückgängen zu kämpfen. So sind die Arbeitnehmer in den skandinavischen Ländern trotz des Wandels der Erwerbstätigenstruktur nach wie vor sehr zahlreich in G. organisiert. Dies ist zum einen Ergebnis der politischen Kultur dieser Länder – für das Wohlergehen des Einzelnen werden primär Staat und Gesellschaft als verantwortlich angesehen. Zum anderen sind die G. – zumindest in Schweden und Dänemark – Träger der Arbeitslosenversicherung, so dass dort die Mitgliedschaft in einer G. zugleich mit der Zugehörigkeit zur Arbeitslosenversicherung verbunden ist. Eine derartige Konstruktion ist auf Länder mit anderen gesellschaftlichen Wertvorstellungen und sozialpolitischen Prinzipien jedoch schwer zu übertragen. Hinzu kommt in Deutschland, dass die Sozialdemokratische Partei (SPD) als traditionell Verbündete der G. im politischen Raum seit Bildung der Rot-Grünen-Koalition 1998 zunehmend Positionen einnimmt, 283
Gewerkschaften
die sich nicht mehr wie früher mit denen der DGB-G. decken. Wenn die G. langfristig nicht in die Isolation geraten und politisch bedeutungslos werden wollen, müssen sie ihr Selbstverständnis und ihre wirtschaftsund gesellschaftspolitischen Positionen neu definieren und den Denk- und Verhaltensmustern der Arbeitnehmer im 21. Jahrhundert anpassen. Literatur: Quellen zur Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung im 20. Jahrhundert, begründet von Erich Matthias, Band 1–11, Köln 1985 ff.; Wolfgang Schroeder/Bernhard Wessels (Hrsg.): Die Gewerkschaften in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland. Ein Handbuch, Wiesbaden 2003. Prof. Dr. Hermann Adam, Berlin Gewinn 1. betriebswirtschaftlich: positive Differenz zwischen → Ertrag und → Aufwand einer Abrechnungsperiode: 2. steuerrechtlich: Überschuß der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben.
Giralgeld
Gewinnschwelle ⇒ Break-even-Point. Gewinnsteuer auf den → Gewinn erhobene → Steuer, so zum Beispiel → Körperschaftsteuer, Gewerbeertragsteuer (→ Gewerbesteuer), → Einkommensteuer. Gewinn- und Verlustrechnung (G.u.V.Rechnung) ⇒ Erfolgsrechnung ⇒ Erfolgsbilanz Gegenüberstellung der → Aufwands- und → Ertrags-Positionen eines → Unternehmens zum Zwecke der Ermittlung des → Gewinnes oder → Verlustes (als Saldo = Differenz) für das entsprechende Geschäftsjahr. Gewinn- und Verlustrechnung einer Unternehmung (vereinfachte Darstellung) ./.
Gewinnbeteiligung → Vermögensbildung der Arbeitnehmer. Gewinnmaximierung dem Vernunftprinzip (Rationalprinzip) folgende erwerbswirtschaftliche (d. h. unternehmerische) Verhaltensregel: die vorhandenen Mittel so einzusetzen, daß sie den höchsten → Gewinn erbringen. G. bedeutet Umsetzung des → ökonomischen Prinzips. Gewinnquote Anteil des → Einkommens aus Unternehmertätigkeit und → Vermögen am → Volkseinkommen. Gewinnschuldverschreibungen → Obligationen (→ Schuldverschreibungen), die dem Inhaber neben dem Rückzahlungsanspruch anstelle des Zinsanspruches oder zusätzlich zum Zinsanspruch (→ Zins) einen Anspruch auf Anteil am → Gewinn der ausgebenden → Gesellschaft verbriefen. In der Regel sind die G. mit fester Grundverzinsung und dividendenabhängiger (→ Dividende) Zusatzverzinsung ausgestattet. 284
./.
./. ./. ./.
Umsatzerlöse (= Menge × Preis) Materialaufwand, darunter: – Aufwendungen für Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe und für bezogene Waren – Aufwendungen für bezogene Leistungen Personalaufwand, darunter: – Löhne und Gehälter – soziale Abgaben und Aufwendungen für Altersversorgung und für Unterstützung Abschreibungen Zinsaufwand Steuern, darunter: – Steuern vom Einkommen und vom Ertrag – Sonstige Steuern
ergibt Jahresüberschuß (Gewinn) oder Jahresfehlbetrag (Verlust) gezogener Wechsel ⇒ Tratte. Giralgeld ⇒ Buchgeld ⇒ Bankgeld ⇒ Geschäftsbankengeld
Giralgeld
→ Geld des → bargeldlosen Zahlungsverkehrs, das ist das von den → Kreditinstituten geschaffene Geld in Form von → Sichtguthaben als → Forderungen von → Nichtbanken gegenüber Kreditinstituten, über das jederzeit durch Abhebung, Übertragung (→ Scheck) oder → Überweisung verfügt werden kann. Girocard → ec. Girokonto ⇒ Kontokorrentkonto ⇒ laufendes Konto organisatorisch-technische Einrichtung der → Kreditinstitute, über die diese in übersichtlicher Form die Gutschriften und Lastschriften des Kontoinhabers abrechnen. Die positive Differenz (Saldo) aus Gutschriften und Lastschriften weist die → Forderung des Kunden gegenüber der → Bank aus (d. h. sein Guthaben), der negative Saldo die Forderung der Bank gegenüber dem Kunden (d. h. seine Schuld). Diese Forderung stellt einen → Kredit der Bank an den Kontoinhaber dar. Für diesen Kredit (Schuld) haftet der Kontoinhaber der Bank. Dem G. liegt ein Girovertrag zugrunde, der als ein Geschäftsbesorgungsvertrag nach §§ 676 f – 676 h Bürgerliches Gesetzbuch zu interpretieren ist. Ihm zufolge ist das Kreditinstitut verpflichtet, die Weisungen des Kunden genau zu beachten. Die Rechtsbeziehungen aus dem Geschäftsbesorgungsvertrag werden durch die im Girovertrag anerkannten → Allgemeinen Geschäftsbedingungen und die „Bedingungen für den Überweisungsverkehr“ sowie durch das Bürgerliche Gesetzbuch geregelt. Das Kreditinstitut des Kontoinhabers ist durch den Girovertrag (Kontovertrag) und die diesem zugrundeliegenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Entgegennahme von (Ein-) Zahlungen (durch Überweisung) an den Kunden (Gutschriften) und zu Auszahlungen (durch Überweisung) an die ihm von diesem genannten Zahlungsempfänger (Lastschriften) berechtigt. Grundsätzlich kann jeder, der nach dem Gesetz rechtsfähig (→ Rechtsfähigkeit) ist, also auch ein Kind, Inhaber eines G. sein.
Gleichbehandlungsgrundsatz
Es kann deshalb auch in Vertretung für einen anderen ein Konto eröffnet werden (z. B. von Eltern für ein minderjähriges Kind). Die Bank ist jedoch verpflichtet, jeweils zu prüfen, ob der Vertreter zu einer solchen Kontoeröffnung berechtigt ist. Damit soll verhindert werden, daß sogenannte Scheinkonten eröffnet werden. – Neben Einzelpersonen können auch Personengemeinschaften (z. B. Ehepaare) Inhaber eines Kontos sein. Ein solches Gemeinschaftskonto kann in der Form des sogenannten → Oder-Kontos wie auch in der des sogenannten → UndKontos gehalten werden. Gironetze Verrechnungssysteme zwischen der → Deutschen Bundesbank (einschließlich deren Hauptverwaltungen, d. s. die → Landeszentralbanken und deren Filialen), den → Kreditinstituten (Sparkassen, Genossenschaftsbanken, Großbanken, Privatbanken) und der Deutschen Postbank AG zur Abwicklung des → bargeldlosen Zahlungsverkehrs. Die G. rechnen ihrerseits auch mit ausländischen Bankensystemen ab. Girovertrag → Girokonto. Gläubiger derjenige, der aufgrund eines → Schuldverhältnisses berechtigt ist, von der Gegenseite (d. h. dem → Schuldner) eine Leistung zu verlangen. Gleichbehandlungsgrundsatz 1. allgemein: grundgesetzliche Norm (Artikel 3), derzufolge (1) alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, (2) Männer und Frauen gleichberechtigt sind und (3) niemand wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf. 2. arbeitsrechtlich: Der G. verbietet dem → Arbeitgeber, einzelne → Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern ohne sachlichen Grund von allgemein begünstigenden Regelungen des → Arbeitsverhältnisses auszunehmen und schlechter zu stellen als andere Arbeitnehmer in vergleichbarer Lage. Dies besagt jedoch nicht, 285
Gleichbehandlungsgrundsatz
daß es einem Arbeitgeber nicht gestattet wäre, von vergleichbaren Arbeitnehmern einzelne zu bevorzugen und ihnen Vergünstigungen einzuräumen. Der Arbeitnehmer kann auf die Einhaltung des arbeitsrechtlichen G. verzichten. Ein Verstoß gegen diesen Grundsatz läge dagegen dann vor, wenn der Arbeitgeber eine Lohnerhöhung vornehmen und einzelne Arbeitnehmer ohne sachlichen Grund davon ausschließen würde. Nicht tarifgebundene (→ Tarifvertrag) Arbeitnehmer können sich nicht auf den G. berufen und den gleichen → Tariflohn wie tarifgebundene Arbeitnehmer verlangen (Urteil des Bundesarbeitsgerichtes v. 20.7.1960). Siehe hierzu auch: → Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz. Gleichgewichtspreis (Markt-) → Preis, bei dem angebotene (→ Angebot) und nachgefragte (→ Nachfrage) Menge eines → Gutes gleich sind. Gleichheit → Ungleichheit. gleitende Arbeitszeit → Arbeitszeit. gleitende Neuwertversicherung → Hausrat- und Wohngebäudeversicherung. Gliedertaxe Tabelle zur Bestimmung des Invaliditätsgrades bei Unfällen nach dem Verlust oder der Funktionsunfähigkeit von bestimmten Gliedern oder Sinnesorganen. Siehe: → Unfallversicherung. Globalisierung Aus ökonomischer Sicht versteht man unter G. den Prozess der Zunahme internationaler Wirtschaftsbeziehungen und -verflechtungen sowie das Zusammenwachsen von Märkten für Waren und Dienstleistungen über die Grenzen einzelner Staaten hinweg. G. bedeutet also einen Anstieg der Intensität und der Reichweite grenzüberschreitender wirtschaftlicher Austauschbeziehungen, die sowohl eine Intensivierung des → Wettbewerbs durch eine Vergrößerung der → Märkte als auch das Entstehen 286
Globalisierung
globaler Märkte zur Folge haben. Neben dem ökonomischen Aspekt umfasst G. heute auch soziale, ökologische und kulturelle Aspekte. Ursprünglich stammt der Begriff aus dem → Marketing. Heute weist er mehrere Dimensionen auf: – Wirtschaftliche Integrationsräume werden größer, insbesondere durch den Marktzutritt von → Entwicklungsländern und ehemals kommunistischen Staaten. – Die G. der → Märkte bedeutet eine Vertiefung der Integration von Güter- und Faktormärkten. – Die G. der → Unternehmen beinhaltet sowohl den traditionellen → Außenhandel als auch die Auslandsproduktion durch Direktinvestitionen, internationale strategische Allianzen und → Unternehmenszusammenschlüsse (→ „Global Players“). Zur G. der Unternehmen gehört weiterhin die internationale Ausrichtung aller Unternehmensfunktionen (Finanzierung, Beschaffung, Marketing, Forschung und Entwicklung etc.) sowie eine breite geographische Streuung der Unternehmensaktivitäten. Zur Messung der G. werden verschiedene Indikatoren verwendet, zum Beispiel die Wachstumsraten des Welthandels und der Welt-Direktinvestitionen oder die Zahl internationaler strategischer Allianzen. Die G. zeigt zur Zeit folgende Trends: – Der Welthandel wächst schneller als das Weltsozialprodukt. – Seit 2000 hat sich der Wert der global gehandelten Waren mehr als verdoppelt; seit den 1970er Jahren hat er sich sogar versiebenfacht. – Die Direktinvestitionen wachsen schneller als die Weltproduktion. – Ein weltumspannendes Netz von internationalen Geld- und Kapitalmärkten ist entstanden, dessen Dynamik zunimmt. – Immer mehr → Dienstleistungen werden international ausgetauscht. – Zunehmend wird international mit Komponenten gehandelt anstatt mit Fertigprodukten. Dies führt zu einer Verschiebung komparativer Kostenvorteile, wenn die früheren Hersteller der Fertigprodukte
Globalisierung
keinen komparativen Vorteil bei der Produktion der Komponenten besitzen. Die Ursachen der G. werden in den folgenden Entwicklungen gesehen: – Politische Beseitigung der Grenzen auf den Güter- und Faktormärkten sowie der Deregulierung von Wirtschaftsabläufen und der Privatisierung ehemaliger Staatsunternehmen. – Liberalisierung durch erfolgreiche Zollrunden. – Senkung der → Kosten für die Überwindung von Zeit und Raum, i. e. S. sinkende Transport- und Kommunikationskosten. – Erweiterung der → Europäischen Union und Entstehung neuer Integrationsräume in Nord- und Südamerika sowie im pazifischen Raum. – Verstärkte Teilhabe der ehemaligen „Ostblockländer“ an der internationalen → Arbeitsteilung. – Zunehmende Teilnahme der Entwicklungsländer am weltwirtschaftlichen Austausch von Fertigwaren. – Abbau von Hierarchien: Immer mehr Transaktionen werden über Märkte, weniger in Unternehmen (Hierarchien) durchgeführt. Wertschöpfungsketten werden aufgebrochen, einzelne Kettenglieder an andere Unternehmen bzw. kostengünstigere Standorte verlagert. Die Auswirkungen der G. betreffen sowohl die Unternehmen als auch die → Haushalte und die Staaten: – Die Unternehmen erfahren eine Verbilligung der Vorprodukte und eine Vergrösserung der Absatzmärkte. Gleichzeitig nimmt die Zahl der konkurrierenden Anbieter zu (Wettbewerbsverdichtung). – Die Haushalte erfahren Güterpreissenkungen und steigende → Einkommen für qualifizierte, regional und sektoral mobile → Arbeitnehmer, jedoch niedrigere bzw. unterdurchschnittlich wachsende Einkommen für immobile Arbeitnehmer. Sie müssen mit sinkenden → Lohnsätzen rechnen, wenn Kapital aus ihrem Wirtschaftsraum abgezogen wird. Immobile → Wirtschaftsubjekte müssen Anpassungslasten übernehmen, mobile Fakto-
Globalisierung
ren bzw. Wirtschaftssubjekte gewinnen an Verhandlungsmacht. – Die Staaten können mit steigenden Steuereinnahmen rechnen, falls das Inland Investoren attraktivere Optionen bietet als das Ausland. Im umgekehrten Fall droht der Entgang von Steuereinnahmen. Möglicherweise kommt es zu einem Regelungs- und Steuerwettbewerb („Wettbewerb der Systeme“). Eine besondere Herausforderung für die → Wirtschaftspolitik stellt die beschleunigte Ausbreitung nationaler Schocks auf andere → Volkswirtschaften dar. Eine national ausgerichtete Wirtschaftspolitik wird erschwert, die ihre Ziele durch direkte Interventionen und durch umverteilungspolitische Maßnahmen erreichen will. Sie ruft pessimistische Wechselkurserwartungen und die Forderung von Risikoprämien in den → Zinssätzen hervor. Darunter leiden dann besonders hoch verschuldete Staaten mit großer Zinslast. In jüngerer Zeit hat die G. der Wirtschaft auch die → Finanzmärkte in besonders starkem Maße erfasst. Dies zeigt sich insbesondere an den stark angestiegenen internationalen Kapitalströmen und Finanztransaktionen. Diese Entwicklung kann u. a. auf die Liberalisierung der Finanzmärkte, die zunehmende Bedeutung multinationaler Unternehmen sowie die Entwicklung der Informationstechnologie zurückgeführt werden, die diese immensen Transaktionen erst ermöglicht. Im Jahre 2000 beliefen sich nach Angaben der Deutschen Bundesbank die weltweit erfassten Kapitalströme auf 4000 Mrd. US-$. Damit haben sich diese seit 1975 verdreißigfacht, während das Welthandelsvolumen in dieser Zeit um 320 % und das zusammengefasste Bruttoinlandsprodukt aller Länder nur um 14 % angestiegen sind. Begründet werden kann diese Entwicklung mit der deutlich höheren Mobilität des Faktors Kapital im Gegensatz zum Faktor Arbeit. Die G. ist Gegenstand wirtschaftspolitischer Kontroversen. Kritiker befürchten ökologische Nachteile durch die Zunahme internationaler Transporte, insbesondere jedoch einen Verlust der Handlungsspielräu287
Globalisierung
me nationaler Politik sowie eine Verarmung von Arbeitnehmern. Während qualifizierte Arbeit höhere → Erträge erzielen kann, fallen die Einkommen aus unqualifizierter Arbeit. International bedeutet eine solche Entwicklung → Gewinne für kapitalreiche (hier: auch humankapitalreiche) Länder und Verluste für kapitalarme Länder. Dem wird entgegengehalten, daß auch die Verlierer der G. längerfristig durch höheres → Wirtschaftswachstum und steigende → Produktivität gewinnen. Zudem gilt für Deutschland, daß im Trend nicht die Einkommen der „Geringverdiener“ abgenommen, sondern die der „Gutverdiener“ zugenommen haben. Vielfach wird auch ein Bedarf an ordnungspolitischer Neuorientierung durch die G. konstatiert. Im Zentrum der Debatte steht der „Wettbewerb der Systeme“, worunter eine internationale Konkurrenz der Angebote von institutionellen Arrangements (Gesetze, Normen etc.) um die mobilen Ressourcen der Welt verstanden wird. Die Folgen könnten in einem Schwund traditioneller Staatlichkeit und damit einem Verlust an Interventionsmacht des Staates bestehen. Kritiker der G. befürchten dabei, daß Umwelt- und Sozialstandards, → Verbraucherschutz u. ä. in der → Konkurrenz um mobile Ressourcen immer tiefer gesenkt werden („race to the bottom“). Dem wird wiederum entgegengehalten, daß ein „race to the bottom“ nicht zwangsläufig einsetzen müsse oder sogar unwahrscheinlich sei. Wahrscheinlicher dagegen sei ein Innovationswettbewerb um die besten institutionellen Lösungen, wobei zwar überkommene Regulierungen abgeschafft würden, jedoch auch neue, innovative und länderspezifische Lösungen gefunden werden könnten. Zudem, so lautet ein weiteres Argument, werde durch G. die nationale Handlungsfreiheit in den genannten Politikbereichen – Umwelt, Verbraucherschutz, soziale Standards – keineswegs geringer als zuvor, da eine Erhöhung derartiger Standards auch in isolierten Volkswirtschaften zum Verlust von Arbeitsplätzen führten, wenn sie das gesamtwirtschaftliche Kostenniveau unangemessen erhöhten. Dieses Knappheits288
Globalsteuerung
problem werde durch G. nicht geschaffen, sondern nur deutlicher. Unabhängig von der Bewertung der G. im einzelnen können die folgenden Schlußfolgerungen gezogen werden: – Langfristig wird sich nur behaupten können, wer gut ausgebildet ist. – → Bildung und → Ausbildung erhalten eine entscheidende politisch-strategische Position. – Einfache Arbeit muß sich mit modernem Sach- und → Humankapital verbinden. – Arbeitnehmer müssen sich stärker am → Produktivvermögen der internationalen Unternehmen beteiligen, damit sie an der Mobilitätsrente des Kapitals – inklusive des Humankapitals – partizipieren. Literatur: Bertold, Norbert (Hrsg.): Globalisierung der Wirtschaft: Ursachen – Formen – Konsequenzen, Schriften des Vereins für Socialpolitik, N. F. Bd. 263, Berlin 1999; v. Bülow, Wolfram u. a. (Hrsg.): Globalisierung und Wirtschaftspolitik, Marburg 1999; Kessler, Johannes/Steiner, Christian (Hrsg.) (2009): Facetten der Globalisierung: Zwischen Ökonomie, Politik und Kultur, Berlin u. a.; Niederberger, Andreas/Schink, Philipp (Hrsg.) (2010): Globalisierung: Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart; Stiglitz, Joseph (2008): Die Chancen der Globalisierung, München; v. Weizsäcker, C. Christian: Logik der Globalisierung, Göttingen 1999. Prof. Dr. Hans-Jürgen Schlösser, Siegen Global Player → Unternehmen mit weltweiten Aktivitäten. Globalsteuerung durch das → Stabilitätsgesetz (1966/67) eingeführtes wirtschaftspolitisches Konzept, das den Staat verpflichtet, bestimmte gesamtwirtschaftliche Ziele (→ wirtschaftspolitische Ziele) anzustreben. G. bedeutet somit (fallweise) Einflußnahme des Staates auf den marktwirtschaftlichen Prozeß (→ Prozeßpolitik), insbesondere Steuerung der → Konjunktur (→ antizyklische Konjunkturpolitik). Die Mittel, deren sich der Staat zur G. des Wirtschaftsprozesses bedient sind → Geldpolitik, → Finanzpo-
Globalsteuerung
litik, → Einkommenspolitik und → Außenwirtschaftspolitik. Die Träger der G. sind → Gebietskörperschaften und in der → EWWU das → ESZB. Im Wege einer → konzertierten Aktion sollen alle an der wirtschaftspolitischen Willensbildung beteiligten Gruppen (so insbesondere auch die → Tarifpartner) ein an gesamtwirtschaftlichen Orientierungsdaten ausgerichtetes Verhalten praktizieren. Siehe auch → Stabilitätspolitik. GmbH Abk. für → Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Golf-Kooperationsrat → GCC. Gossen, Hermann Heinrich *1810 (Düren) †1858 (Köln), nach einem relativ bescheidenen und kaum dokumentierten Leben als Beamter und später als Teilhaber einer Versicherungsfirma widmet sich G. erst spät der → Ökonomie. Obwohl er selbst meint, damit zu einem „Kopernikus“ der Sozialwissenschaften aufgestiegen zu sein, muß er den Druck seines bedeutendsten Werkes, Die Entwicklung der Gesetze des menschlichen Verkehrs (1854), selbst finanzieren. Das in geringer Auflage erschienene Buch bleibt zunächst völlig unbeachtet. G. Leistungen liegen auf dem Gebiet der theoretischen Ökonomie. Sein Ruhm basiert dabei auf zwei Theoremen. Das erste Theorem besagt, daß der → Grenznutzen eines → Gutes bei dessen Genuß ständig – bis zur Sättigung – abnimmt. Das zweite Theorem besagt, daß der maximale Genuß bei einer Auswahl konkurrierender Güter dann erreicht ist, wenn der Grenznutzen eines jeden Gutes gleich dem der übrigen Güter ist, d. h., „möglichst alle → Bedürfnisse bis zur selben Intensitätsstufe befriedigt werden können“. G. nimmt damit die gesamte moderne Grenznutzenökonomie, wie sie von → W. Stanley Jevons und → Carl Menger Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt wurde, vorweg. Jevons, der G. Werk wieder aus der Vergessenheit hervorholt, erkennt diese Pionierleistung 1879 ausdrücklich an. Mengers Schüler Friedrich von Wieser prägt
Gründungserziehung
den heute üblichen Begriff der Gossenschen Gesetze als Bezeichnung für die von G. entwickelten Theoreme. Damit wurde G., der in einer Zeit schrieb, in der in Deutschland die theoretische Ökonomie fast völlig von den Universitäten verbannt war, postum die verdiente Würdigung als einem der größten Ökonomen seiner Zeit zuteil. Literatur: W. Krelle/H. Recktenwald, Gossen und seine ‚Gesetze‘ in unserer Zeit. Vademecum zu einem frühen Klassiker. Düsseldorf 1991; J. Neubauer, Die Gossenschen Gesetze, in: Zeitschrift für Nationalökonomie, Bd. 2, 1931; H. Riedle, Hermann Heinrich Gossen. Ein Wegbereiter der modernen ökonomischen Theorie, Winterthur 1953. D.D. Gratifikation freiwillige, aus besonderem Anlaß (so z. B. zu Weihnachten, anläßlich von Jubiläen u. ä.) zusätzlich zum → Arbeitsentgelt gewährte Leistung des → Arbeitgebers an den → Arbeitnehmer; zuweilen durch → Tarifvertrag oder → Betriebsvereinbarung festgelegt. Die betriebliche Festlegung von G. unterliegt der erzwingbaren → Mitbestimmung des → Betriebsrates (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 Betriebsverfassungsgesetz). Bei der Gewährung von G. ist der → Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten. Grenzertrag → Ertragsgesetz. Grenzkosten die bei Ausdehnung der → Produktion für die Herstellung der letzten Produktionseinheit zusätzlich anfallenden → Kosten. Grenznutzen der bei Ausdehnung des → Konsums durch eine weitere Gutseinheit (→ Gut) gestiftete → Nutzen. Grenznutzenschule → Österreichische Grenznutzenschule. Gründungserziehung ⇒ Entrepreneurship Education G. umfasst im engeren Sinne die Aneignung von Fachwissen und Kompetenzen, die für einen erfolgreichen Unternehmensgründungsprozeß sowie die darauffolgende 289
Gründungserziehung
Unternehmensführung erforderlich sind. Im weiteren Sinne beinhaltet G. alle Bildungsmaßnahmen zur Weckung unternehmerischer Einstellungen und Fertigkeiten und bezieht sich somit auf die Entwicklung bestimmter persönlicher → Qualifikationen und → Kompetenzen. Diese müssen nicht unmittelbar zur Gründung eines → Unternehmens führen. Sie fördern ein Verständnis für unternehmerisches Denken und Handeln und leisten einen Beitrag zur Förderung der → Beschäftigungsfähigkeit von Personen (vgl. Wiepcke 2008). G. als Teil → ökonomischer Bildung ermöglicht es Schülern sich aufgeklärt und selbständig innerhalb des wirtschaftlichen Systems zu orientieren und das eigene wirtschaftliche Verhalten in → Beruf und → Haushalt selbstbewusst und engagiert zu gestalten. In Hinblick auf die G. werden Ansätze aus der Gründungsforschung herangezogen. Die Gründungsforschung begreift Unternehmertum als kreative und wertschöpfende Ausübung einer unternehmerischen Betätigung, ein dynamisch aktives Verhalten, welches zum Auf bau und zur Weiterentwicklung eines Unternehmens notwendig ist. Als zentrale Elemente gelten im Kontext eines Unternehmens die Motivation und Fähigkeiten, Chancen wahrzunehmen und zielgerichtet zu verfolgen, um → Innovationen hervorzubringen und damit wirtschaftlich erfolgreich zu sein (KOM 2003). Die Gründungsforschung wird von verschiedenen Fachdisziplinen aufgegriffen und liefert unterschiedliche Begriffsverständnisse (Halbfas 2006 u. Wiepcke 2008): Der ökonomische Denkansatz untersucht wirtschaftliche Faktoren des Unternehmertums und unterliegt einem objektivistischen und prozessbezogenen Denken: Der objektivistische Ansatz beleuchtet das Unternehmen als Objekt des Gründungsvorhabens. Das Unternehmen wird als Produkt einer realisierten Geschäftsidee und eines Entstehungsprozesses angesehen. Im Zentrum steht der Transfer von Wissen zur Sicherung funktionierender Betriebsprozesse. Der psychologische (subjektivistische) Ansatz steht dem objektivistischen Ansatz gegenüber und fokussiert Motive und 290
Gründungserziehung
Charaktereigenschaften des Subjektes einer Gründung, also der unternehmerischen Persönlichkeit des Entrepreneurs. Der Begriff „Entrepreneur“ kommt aus dem Französischen und bezeichnet eine Person, „die etwas in die Hand nimmt“. Sie betreibt im weiteren Sinne ein Unternehmen in eigentümerischer Position, sie ist also ein Unternehmer. Im engeren Sinne ist der Entrepreneur eine Person, die ein Unternehmen errichtet, also ein Gründer. Der Ansatz thematisiert nicht das zur Unternehmensgründung notwendige Wissen, sondern die an den Entrepreneur gebundenen Kompetenzen sowie dessen unternehmerischer Haltung. Im Zentrum stehen Fragen nach 1) der Typologie, d. h. ist der Entrepreneur ein Erfinder, Anführer oder Veränderer, 2) besonderen Eigenschaften, d. h. ist der Entrepreneur überdurchschnittlich selbstsicher, risikobereit, innovativ, 3) den Unterschieden zu Nichtgründern, z. B. im Unabhängigkeits- oder Machtstreben, im Erkennen einer Marktlücke. Der soziologische (umweltbezogene) Denkansatz unterstellt, dass das Verhalten eines Unternehmers aus dessen Umwelt resultiert. Fragen nach dem Einfluss verschiedener Umweltbedingungen, wie z. B. Infrastruktur, Familien- oder Kindheitserfahrungen, Ausbildung und Beruf der Eltern, das Alter des Gründers auf den Erfolg unternehmerischen Agierens, stehen im Vordergrund. Eine zielgerichtete Gründungsausbildung besteht nach Pundt (2001) aus drei wesentlichen Bestandteilen: 1) Training unternehmerischer Kompetenzen und Eigenschaften wie Leistungs-, Führungs- und Managementkompetenz, 2) Methoden und Techniken wie Informationsbeschaffung, Marktanalyse, Kommunikations- und Verhandlungstechniken und 3) Vermittlung von ökonomischem Wissen wie das Verstehen der allgemeinen ökonomischen Zusammenhänge und Prozesse, Stufen der Unternehmensgründung, Finanzierungsformen, Business-Plan, Vertriebs- und Produktinnovationsstrategien etc. Aufgabe einer umfassenden Gründungsausbildung ist es, Situationen zu schaffen, in denen ökonomische Bildung sowie die Ent-
Gründungserziehung
wicklung von Fähigkeiten und Kompetenzen ermöglicht wird. Das Babson College, Massachusetts (USA), schlägt einen handlungsorientierten Rahmen vor, in dem G. in drei Stufen stattfindet (vgl. Ripsas 1997 und Pundt 2001): Stufe 1 dient der Motivation. Im Mittelpunkt stehen die Erarbeitung ökonomischen Basiswissens sowie ein ideeller Zugang zu ökonomischen Prozessen. Zu diesem Zweck können Expertenbefragungen erfolgreicher Gründer, Diskussionen über die Philosophie des → Marktes oder Betriebsexkursionen durchgeführt werden. In Stufe 2 werden relevante unternehmerische Situationen simuliert. Mit Hilfe von → Planspielen, → Rollenspielen oder Projektarbeit (→ Projekt) können Handlungsmuster eingeübt werden, die unternehmerisches Verhalten fördern. In Stufe 3 wird eine erste Gründungsidee von den Lernenden umgesetzt. Die Gründung einer → Schülerfirma, Teilnahme an BusinessWettbewerben, das Auftreten vor Gremien und die Präsentation des Unternehmens tragen zu echten Erfahrungen bei, bei denen Stärken und Schwächen im Begeleitseminar reflektiert werden können. Bildungspolitische Bedeutung von Gründungserziehung: Der Gründung von neuen innovativen Unternehmen wird für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes eine Schlüsselrolle zugeschrieben. Gerade neue kleine und mittelständische Unternehmen gelten als flexibel. Sie tragen mit innovativen Produkten zu einem erhöhten Wettbewerbsdruck bei und verbessern damit die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft. Daneben kann Unternehmertum zur Selbstverwirklichung von Individuen dienen, in dem es Chancen und Perspektiven eröffnet und zur Verbesserung der eigenen wirtschaftlichen Lage führt (KOM 2003). Die Zahl der Unternehmensgründungen hat sich in den letzten Jahren unterschiedlich entwickelt. Lag diese in Deutschland im Jahre 1948 noch bei 25 % erreichte sie im Jahre 1981 (in West-Deutschland) einen Tiefststand von 7 % und steht aktuell bei rund 9 % (Eurostat 2009). Somit gehört Deutschland international zur Gruppe mit einer geringen Selbständigenquote, wäh-
Gründungszuschuß
rend südeuropäische Länder und Irland eine Selbständigenquote zwischen 20 % und 35 % aufweisen. Die Einstellung von Schülern gegenüber einer eigenen beruflichen Selbständigkeit nimmt zum Ende der Schullauf bahn ab. Während die Neigung zur Selbständigkeit in der Jahrgangsstufe 8 noch 29 % beträgt, sinkt diese in Jahrgangsstufe 9 auf 22 % ab (IfM 2005). Aus diesem Grund wird in Deutschland auf Empfehlung der Europäischen Kommission sowie von Seiten der Politik und Wissenschaft die Erhöhung der Gründungsneigung angemahnt (KOM 2003). Literatur: Eurostat 2007: Eurostat Jahrbuch 2006 – Der statistische Wegweiser durch Europa, Luxembourg. Halbfas, Brigitte Gabriele 2006: Entrepreneurship Education an Hochschulen. Eine wirtschaftspädagogische und -didaktische Analyse, Paderborn. IfM 2005: Entrepreneurship Education in Schulen: Hinkt Deutschland hinterher? IfMBonn-Forschungsnews zum Mittelstand, Ausgabe 4/2005, Institut für Mittelstandsforschung, Bonn. KOM 2003: Grünbuch der Europäischen Kommission. Unternehmergeist in Europa, Brüssel. Pundt, Sylke 2001: Erlebnispädagogik und Entrepreneurship Education – neue Wege im Existenzgründungstraining, Rostock. Ripsas, Sven 1997: Entrepreneurship als ökonomischer Prozess, Wiesbaden. Wiepcke, Claudia 2008: Entrepreneurship Education im Fokus von Employability und Nachhaltigkeit. In: Lörwald, Dirk (Hg.) et al.: Ökonomie und Gesellschaft, Wiesbaden, S. 267–283. Dr. Claudia Wiepcke, Schwäbisch Gmünd Gründungszuschuß Arbeitslose → Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit ihre Arbeitslosigkeit beenden, haben nach § 57 SGB III zur Sicherung ihre Lebensunternhalts und zu ihrer sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf einen G. Dieser wird nach § 58 Abs. 1 SGB III für die Dauer von 9 Monaten in Höhe des Betrages geleistet, den der Arbeitnehmer als → Arbeitslosengeld I zuletzt bezogen hat, 291
Gründungszuschuß
zuzüglich von monatlich 300 Euro. – Der G. kann nach § 58 Abs. 2 SGB III für weitere 6 Monate in Höhe von 300 Euro monatlich gewährt werden, wenn die zu fördernde Person ihre Geschäftstätigkeit anhand geeigneter Unterlagen nachweist. Grundbuch öffentliches, vom Grundbuchamt geführtes Register, das die Rechte an Grundstücken offenbart. In das G. müssen alle eintragungsfähigen Rechte an Grundstücken eingetragen werden; solange dies nicht geschieht, werden diese Rechte nicht wirksam. Die Eintragungen im G. erfolgen grundsätzlich nur auf Antrag. Antragsberechtigt sind die durch die Eintragung Begünstigten und Betroffenen. Das G. ist in drei Abteilungen gegliedert. In Abteilung I werden die Eigentumsverhältnisse bei Grundstücken eingetragen; in Abteilung II Belastungen von Grundstücken wie Dienstbarkeiten (z. B. → Nießbrauch, Begehen, Befahren, Einwirkung durch Rauch, Geräusche, Gase), Reallasten (Renten von Geld und Naturalien, Dienste, Verpflichtungen), Vorkaufsrechte, Erbbaurechte; in Abteilung III werden → Grundpfandrechte (→ Hypotheken, → Grund- und Rentenschulden) eingetragen. Das G. genießt → öffentlichen Glauben. Grunderwerbsteuer → Verkehrssteuer, die erhoben wird, wenn die rechtliche und wirtschaftliche Verfügungsmacht an einem inländischen Grundstück übergeht. Gesetzliche Grundlage ist das Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) in der Fassung von 1997. Die Steuerpflicht entsteht in der Regel mit Abschluß des → Kaufvertrages. Zur Vorbeugung gegen → Steuerumgehung werden auch Abtretungsgeschäfte (→ Abtretung) besteuert, die die rechtliche oder wirtschaftliche Verwertung von (inländischen) Grundstücken (über Ansprüche) ermöglichen. Die Befreiungen von der G. sind in § 3 Nr. 1 – 8 GrEStG geregelt. Im einzelnen werden genannt: (1) Schenkungen und Erwerb von Todes wegen, (2) Erwerb eines zum Nachlaß gehörenden Grundstückes durch Miterben zur Teilung des Nachlasses, 292
Grundschuld
(3) Erwerbe durch den Ehegatten, (4) Erwerbe durch frühere Ehegatten im Rahmen der Vermögensauseinandersetzung nach Scheidung, (5) Erwerb durch Verwandte in gerader Linie, Stiefkinder sowie deren Ehegatten, (6) Erwerb eines zum Gesamtgut gehörenden Grundstücks durch Teilnehmer an einer fortgesetzten Gütergemeinschaft zur Teilung des Gesamtgutes, (7) Rückerwerb eines Grundstücks durch Treugeber bei Auflösung des Treuhandverhältnisses, der Erwerb eines geringwertigen Grundstücks (Freigrenze: 2500 Euro). Der Steuersatz beträgt einheitlich 3,5 vom Hundert (§ 11 GrEStG). Die Steuer bemißt sich nach dem Wert der Gegenleistung oder dem Wert des Grundstücks (→ Einheitswert, §§ 8 – 10 GrEStG). Grundfreibetrag → Einkommensteuer. Grundkapital das bei Gründung einer → Aktiengesellschaft von den Gesellschaftern aufzubringende → Eigenkapital. Der Mindestnennwert des G. ist 50 000 Euro. Das G. entspricht nominell dem → Nennwert bzw. der Anzahl aller ausgegebenen → Aktien. Siehe auch: → Kommanditgesellschaft auf Aktien. Grundkündigungsfrist bei Arbeitsverhältnissen → Kündigungsfristen I. Grundpfandrechte Sammelbezeichnung für → Hypotheken, → Grund- und → Rentenschulden. Grundrente das für die wirtschaftliche Nutzung des → Produktionsfaktors Boden in Anspruch genommene Entgelt. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ⇒ Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Grundschuld die Belastung eines Grundstückes (durch Eintragung ins → Grundbuch) in der Weise, daß an den Begünstigten eine bestimmte Geldsumme aus dem Grundstück zu zahlen ist (§§ 1191 – 1198 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Im Gegensatz zur → Hypothek
Grundschuld
setzt die G. keine → Forderung voraus; dies ist für den Begünstigten als vorteilhaft zu werten, da sein Anspruch – dem in der Regel eine Forderung zugrunde liegt – auch dann noch bestehen kann, wenn diese Forderung aus irgend einem Grunde nichtig wäre. Die G. dient hauptsächlich der Finanzierung von Grundstücks- und Gebäudekäufen. Sie sichert langfristige → Kredite und hat beim Bankkredit die Hypothek weitgehend verdrängt. Eine G. kann jederzeit in eine Hypothek umgewandelt werden; es bedarf nicht der Zustimmung der im Range gleichoder nachstehenden Berechtigten. Wie die Hypothek kann auch die Grundschuld als Brief- oder Buch-g. (→ Brief- bzw. → Buchhypothek) bestellt werden. Der Eigentümer kann auch für sich selbst eine G. an seinem Grundstück bestellen lassen (§ 1196 BGB). Es handelt sich dann um eine sogenannte → Eigentümer-g. Grundsteuer wird von landwirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen, gewerblichen und WohnGrundstücken erhoben. Ihre rechtliche Grundlage bildet das Grundsteuergesetz (GrStG) von 1973. Befreiungen von der G. sind nach §§ 3 u. 4 GrStG für Grundstücke der öffentlichen Hand, für gemeinnützigen, mildtätigen, wissenschaftlichen, religiösen Zwecken dienende Grundstücke, für Krankenanstalten und andere vorgeschrieben. Das Finanzamt setzt auf Grund der → Einheitswerte der Grundstücke nach einem gesetzlich bestimmten Promillesatz (für Grundstücke je nach Art zwischen 2,6 u. 3,5 ‰; für Betriebe der Land- u. Forstwirtschaft einheitlich 6 ‰) den Steuermeßbetrag fest (§ 15 GrStG). Die Gemeinde bestimmt, mit welchem Prozentsatz des Steuermeßbetrages die G. zu erheben ist (→ Hebesatz). Die G. ist zu je einem Viertel am 15.2., 15.5., 15.8. und 15.11. fällig. Grundzeit → Arbeitszeitstudien. Gruppe 24 ausdem→ Zehnerklubbeziehungsweisedessen erweiterter Organisation, dem → Zwanziger-Klub hervorgegangene Gruppierung vorwiegend westlicher Industriestaaten im
Güter
→ Internationalen Währungsfonds, die sich insbesondere bei Zahlungsbilanzproblemen beraten und unterstützen. Gruppenakkord → Entlohnungsformen. Gruppen-Unfallversicherung → Unfallversicherung. Gruppenversicherung Versicherungsform, bei der der Versicherungsvertrag zwischen dem Versicherer (Versicherungsunternehmen) und einer Gruppengesamtheit abgeschlossen wird. G. werden insbesondere von → Arbeitgebern, → Verbänden und → Vereinen abgeschlossen. Gegensatz: → Einzelversicherung. Günstigkeitsprinzip Verfahrensregel des Arbeitsrechts, derzufolge in Einzelarbeitsverträgen von den Normen eines → Tarifvertrages nur zugunsten des → Arbeitnehmers abgewichen werden darf (§ 4 Abs. 3 Tarifvertragsgesetz). Güter die der menschlichen Bedürfnisbefriedigung dienenden Mittel. Nur wenige G. stellt die Natur in solchem Überfluß – wie Luft zum Atmen, Wasser im Meer, Sand in der Wüste – zur Verfügung, daß sie jeder (in verantwortungsvoller Weise!) in Anspruch nehmen kann. Man nennt sie freie G. Alle anderen G. sind nicht in dem Ausmaß verfügbar, in dem sie zur Bedürfnisbefriedigung verlangt werden. Sie sind somit knapp (knappe G.) und müssen deshalb bewirtschaftet werden (wirtschaftliche G.). Die wirtschaftlichen G. umfassen Sachgüter (Konsum- und Investitionsgüter) und → Dienstleistungen sowie → Rechte (Patente, Lizenzen, Nutzungsrechte wie → Miete, → Pacht). Die Konsumgüter werden von den → privaten Haushalten nachgefragt, sei es nur zur einmaligen Bedürfnisbefriedigung (Verbrauchsgüter wie Nahrungsmittel, Wasser, Strom) oder zur mehrmaligen Nutzung (Gebrauchsgüter wie Waschmaschine, PKW, Mobiliar). Investitionsgüter, auch Produktions- oder Kapitalgüter genannt, werden von den → Unternehmen nachgefragt, und zwar zum Zweck der Herstellung anderer G. Auch für 293
Güter
sie gilt die Unterscheidung zwischen Verbrauchsgütern (wie Fertigungsmaterialien) und Gebrauchsgütern (wie Werkzeuge, Maschinen, Werkhallen). Es gilt zu beachten, daß ein Gut zugleich Konsum- und Produktionsgut sein kann, je nachdem welcher Verwendung/Nutzung es zugeführt wird. So ist der in einem Privathaushalt genutzte Kühlschrank ein Konsumgut, dagegen der in einer Restaurantküche eingesetzte ein Produktionsgut. Dienstleistungen werden von den privaten Haushalten wie auch den Unternehmen nachgefragt. Im privaten Haushalt werden außer den Dienstleistungen – so insbesondere der Hausfrau – auch solche gewerblicher Unternehmen (wie → Banken, Versicherungen, Speditionen, Handel) und → freier Berufe (wie Arzt, Anwalt, Musiklehrer) konsumiert. Von den Unternehmen werden neben den Dienstleistungen von → Arbeitern und → Angestellten gleichfalls die Dienste gewerblicher Unternehmen (wie Banken, Versicherungen, Frachtführer, Handel) und freier Berufe (wie Unternehmungsberater, Anwalt, Steuerberater, Vertreter) nachgefragt. Öffentliche G. (Kollektivgüter) sollen → Kollektivbedürfnisse befriedigen. Im Gegensatz zu den → privaten G. (Individualgüter), die der einzelne selbst ersteht, werden diese vom Staat erworben und angeboten (z. B. Verteidigung, Bildung, Kunst, Kultur, Verkehr, Rechtsschutz). Gütergemeinschaft → eheliches Güterrecht. Güterrecht, eheliches → eheliches Güterrecht.
294
Gutschrift
Güterstände → eheliches Güterrecht. Gütertransparenz → Markttransparenz. Gütertrennung → eheliches Güterrecht. Güteverhandlung → Arbeitsgerichtsbarkeit. G.- und V.-Rechnung → Gewinn- und Verlustrechnung. Gut → Güter. Gutachterstellen Einrichtungen zur Klärung von Problem- und Streitfällen zwischen den Marktpartnern; so insbesondere die G. von → Industrieund Handelskammern, → Handwerkskammern, Ärztekammern, Architektenkammern. Siehe auch → Schlichtungsstellen und → Schiedsstellen. gute Sitten 1. allgemeine Rechtsnorm: Inbegriff dessen, was dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden entspricht. 2. im Vertragsrecht: Ein → Rechtsgeschäft, das gegen die g. verstößt, ist nichtig (→ Nichtigkeit) und kann unter Umständen zum → Schadensersatz verpflichten (§ 138 Bürgerliches Gesetzbuch). Gutschrift im kaufmännischen Rechnungswesen die Verbuchung einer Leistung zugunsten einer Person oder eines → Unternehmens. Gegensatz: → Lastschrift.
Haben
Haftpflichtversicherung
H Haben rechte Seite eines (Bestands-) → Kontos. Gegensatz: → Soll. Händlergarantie rechtlich nicht definierte Zusicherung von Gewährleistungsrechten (→ Gewährleistung) durch den Händler einer Ware. Die H. enthält häufig nicht mehr als den Hinweis auf die gesetzlichen Gewährleistungsrechte oder aber den Versuch, dieselben einzuschränken. Hier ist genaueste Prüfung angezeigt. Auf keinen Fall können gesetzliche Gewährleistungsrechte beschnitten oder ausgeschlossen werden. Haftpflicht Pflicht zum → Schadensersatz bei rechtswidriger und schuldhafter (→ Verschulden) Verletzung des → Eigentums oder der Gesundheit eines anderen. Diese H. trifft auch die Eltern eines minderjährigen Kindes, das einem anderen Schaden zufügt, sofern die Eltern ihre Aufsichtspflicht gegenüber dem Kind verletzt haben. Haftpflicht des Arztes → Arztvertrag. Haftpflichtversicherung Versicherung zur Abdeckung von Haftpflichtansprüchen (→ Haftpflicht) beziehungsweise zur Übernahme der Kosten zur Abwehr unbegründeter Ansprüche, die gegen den Versicherten erhoben werden. Die H. schützt somit den Versicherungsnehmer vor Beeinträchtigungen seines → Vermögens durch Schadensersatzansprüche (→ Schadensersatz) Dritter. Die H. gilt grundsätzlich nur für im Inland verursachte Schadensfälle. Rechtsgrundlage der H. bilden die einschlägigen Bestimmungen des Versicherungsvertragsgesetzes (§§ 149 – 158 a) sowie der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung. Daneben schreiben verschiedene Gesetze den Abschluß einer H. vor, so zum Beispiel § 17 Bundesjagdgesetz für Jäger oder § 1 Gesetz über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter.
Die im H.-vertrag zwischen Versichererund Versicherungsnehmer vereinbarte Versicherungssumme stellt eine maximale Haftungsgrenze des Versicherers dar. Sie kann auf Grund von Prämienanpassungsklauseln während der Laufzeit des → Vertrages verändert (insbesondere angehoben) werden. Die H. deckt bei weitem nicht alle Haftungsrisiken des täglichen Lebens ab. Die durch sie gedeckten Standardrisiken sind: die → Haftung des Fußgängers oder Radfahrers im Straßenverkehr, die Haftung bei Sportunfällen und bei unzureichender Beaufsichtigung minderjähriger Kinder. Den Versicherungsschutz genießen neben dem Versicherungsnehmer insbesondere dessen Ehegatte und unverheiratete minderjährige Kinder. Volljährige Kinder des Versicherungsnehmers genießen nur dann Versicherungsschutz, wenn sie noch eine allgemeinbildende Schule besuchen oder eine daran unmittelbar anschließende → Ausbildung absolvieren. Vom Versicherungsschutz ausgenommen sind zunächst alle rein vertraglich begründeten Haftpflichtansprüche; ferner jene Haftpflichtansprüche wegen → Schäden an → Sachen, die der Versicherungsnehmer gemietet (→ Miete), gepachtet (→ Pacht) oder geliehen (→ Leihe) hat. (Die den Mieter aus der Beschädigung von Wohnräumen treffende Haftpflicht wird nur auf Grund besonderer Vereinbarung durch die H. gedeckt!) Ebenfalls nicht (ohne ausdrückliche Vereinbarung) durch die H. gedeckt sind jene Schäden, die in Ausübung beruflicher Tätigkeit des Versicherungsnehmers entstehen. Unabdingbar ausgeschlossen vom Versicherungsschutz sind Haftpflichtansprüche, die Angehörige des Versicherungsnehmers (das sind: Ehegatten, Eltern, Kinder, Adoptiveltern und -kinder, Stiefeltern und -kinder, Geschwister, Pflegeeltern und -kinder) erheben, soweit sie mit diesem in häuslicher Gemeinschaft (d. h. in einer gemeinsamen Wohnung) leben oder zu dem durch den Versicherungsvertrag mitversicherten Personenkreis gehören. 295
Haftpflichtversicherung
Auch in der H. treffen die Versicherungsnehmer bestimmte → Obliegenheiten, deren Verletzung die Versicherungsleistung gefährdet. So hat der Versicherungsnehmer jeden Versicherungsfall unverzüglich, zumindest jedoch innerhalb einer Woche, dem Versicherer anzuzeigen; er hat außerdem den Versicherer von der gerichtlichen Geltendmachung eines gegen ihn erhobenen Haftpflichtanspruches in Kenntnis zu setzen. Auch hat sich der Versicherungsnehmer streng dem Verbot zu fügen, ohne die vorherige → Zustimmung des Versicherers einen Haftpflichtanspruch ganz oder teilweise anzuerkennen oder gar durch Zahlung zu erfüllen. Eine Verletzung dieses Verbotes befreit den Versicherer regelmäßig von seiner Leistungspflicht. Haftung Pflicht des → Schuldners für eine durch Gesetz oder → Vertrag begründete Verpflichtung mit seinem → Vermögen einzustehen. Mit seinem (haftenden) Vermögen ist der Schuldner damit gegebenenfalls dem zwangsweisen Zugriff (→ Zwangsvollstrekkung) des → Gläubigers unterworfen. Haftung des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer 1. für Körperschäden des → Arbeitnehmers, die durch einen → Arbeitsunfall (im Sinne des § 8 SGB VII) verursacht wurden, tritt unabhängig vom → Verschulden des → Arbeitgebers und einem eventuellen Mitverschulden des Arbeitnehmers die → Unfallversicherung der zuständigen → Berufsgenossenschaft ein. 2. für Sachschäden im → Vermögen des Arbeitnehmers haftet der Arbeitgeber bei → Vorsatz und grober → Fahrlässigkeit sowie für das Verschulden seiner Mitarbeiter (das sind seine → Erfüllungsgehilfen, § 278 Bürgerliches Gesetzbuch). 3. bei Verletzung des Persönlichkeitsrechtes des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber kann der Arbeitnehmer – je nach Lage des Falles – Ansprüche auf Unterlassung, auf → Schadensersatz oder auf Widerruf von nicht wahren ehrenrührigen Behauptungen erlangen. Einen Anspruch auf Schmerzensgeld kann der Arbeitnehmer nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerich296
Handelsabkommen
tes vom 21.2.1979 allerdings nur dann erlangen, wenn es sich um einen schweren und schuldhaften Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht handelt und die Schwere dieses Eingriffes eine Genugtuung erfordert und der Verletzung des Persönlichkeitsrechtes nicht in anderer Weise entsprochen werden kann. Siehe auch → Arbeitsvertrag. Haftung des Arbeitnehmers gegenüber Arbeitskollegen Schädigt der → Arbeitnehmer Arbeitskollegen, so ist hinsichtlich der → Haftung zwischen Körperschaden und Sachschaden zu unterscheiden. Bei Körperschaden haftet der Arbeitnehmer nur, wenn er den Schadensfall in Ausübung seiner betrieblichen Tätigkeit (→ Arbeitsunfall) vorsätzlich (→ Vorsatz) verursacht hat (§ 105 SGB VII) oder wenn dieser bei der Teilnahme am allgemeinen öffentlichen Straßenverkehr (also nicht auf dem Betriebsgelände) eingetreten ist. Bei Sachschäden haftet der Arbeitnehmer seinen Arbeitskollegen jedoch grundsätzlich in vollem Umfang, es sei denn, daß sich der Unfall im Rahmen einer schadensoder gefahrgeneigten Arbeit zutrug, bei der dem Arbeitnehmer je nach dem Grade des → Verschuldens ein Freistellungsanspruch zusteht. Siehe auch → Arbeitsvertrag. Haftung des Arztes gegenüber dem Patienten → Arztvertrag. halbbarer Zahlungsverkehr Zahlung unter teilweiser Verwendung von → Bargeld. Der h. setzt voraus, daß der Zahlungsempfänger (→ Gläubiger) oder der Zahlungspflichtige (dann nämlich, wenn er mittels → Barscheck zahlt) über ein → Konto bei einer → Bank oder → Sparkasse verfügt. Unterhält der Gläubiger sein Konto (oder eines seiner Konten) bei einer dieser Einrichtungen, dann kann der Schuldner den Schuldbetrag mittels eines → Zahlscheines auf dieses Konto (Einzahlung des Betrages bei jedem beliebigen Geldinstitut) anweisen lassen. Handelsabkommen → Handelspolitik.
Handelsbilanz
Handelsbilanz 1. handelsrechtlich: die nach § 242 Handelsgesetzbuch von einem → Kaufmann bei Aufnahme seines Handelsgewerbes und jeweils am Schluß eines Geschäftsjahres zu erstellende → Bilanz. 2. volkswirtschaftlich: Teilbilanz der → Leistungsbilanz und der → Zahlungsbilanz; die Gegenüberstellung der Wareneinfuhr (→ Importe) und -ausfuhr (→ Exporte) eines Landes für einen bestimmten Zeitraum (1 Jahr). Übersteigt der Wert der Exporte den der Importe (= Exportüberschuß), so spricht man von einer aktiven H.; übersteigt der Wert der Importe den der Exporte (= Importüberschuß), so spricht man von einer passiven H. Handelsgeschäfte alle Geschäfte eines → Kaufmanns, die zum Betrieb seines → Handelsgewerbes gehören (§ 343ff. Handelsgesetzbuch). Handelsgesellschaften alle → Gesellschaften, die ein → Handelsgewerbe betreiben, so insbesondere → oHG, → KG, → KGaA, → AG und → GmbH. Handelsgewerbe Gewerbe, das den es Betreibenden zum → Kaufmann normiert (HGB §§ 1 – 5). Handelshemmnisse → Handelspolitik. Handelskauf Kauf, bei dem mindestens einer der Vertragspartner → Kaufmann im Sinne des Handelsgesetzbuches ist, das heißt gewerbsmäßig → Handelsgeschäfte betreibt, und den Kauf im Rahmen seines Geschäftes abschließt. Für den Handelskauf gelten die Vorschriften der §§ 343ff. u. §§ 373 – 381 Handelsgesetzbuch. Handelspolitik Die (Außen-) H. der Bundesrepublik Deutschland gründet auf das Freihandelsprinzip. Als Ausdruck unserer freiheitlichen → Wirtschaftsordnung findet es seine rechtliche Verankerung im Außenwirtschaftgesetz (AWG) von 1961, das in § 1 bestimmt, daß der Waren-, Dienstleistungs-, Kapital-, Zahlungs- und sonstige Wirtschaftsverkehr mit fremden Wirtschaftsgebieten sowie
Handelspolitik
der Verkehr mit Auslandswerten und Gold zwischen Gebietsansässigen grundsätzlich frei ist. Allgemeine Beschränkungen dieser Außenwirtschaftsfreiheit sieht das AWG in §§ 5 bis 7 für folgende Fälle vor: (1) zur Erfüllung zwischenstaatlicher Vereinbarungen, (2) zwecks Vorbeugung und Abwehr gesamtwirtschaftlich oder sektoral schädlicher Einwirkungen durch Maßnahmen in fremden Wirtschaftsgebieten, (3) zur Abwehr gesamtwirtschaftlich gefährdender Geld- und Kapitalzuflüsse aus fremden Wirtschaftsgebieten und (4) zum Schutz der Sicherheit beziehungsweise der auswärtigen Interessen der Bundesrepublik. Daneben gelten spezielle, den Außenwirtschaftsverkehr berührende Vorschriften anderer Gesetze, so insbesondere zum Schutze der Gesundheit sowie der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Die derzeit möglichen rechtlichen Beschränkungen des Außenwirtschaftsverkehrs sind im einzelnen in der Außenwirtschaftsverordnung von 1961 erfaßt. Seit dem 1.1.1970 ist das Außenwirtschaftsrecht der Bundesrepublik bis auf den Kapitalverkehr im engeren Sinn (das ist der Kapitalverkehr, der nicht im Zusammenhang mit dem Waren- und Dienstleistungsverkehr steht) autonomes europäisches Gemeinschafts-/Unionsrecht geworden, das innerstaatlich unmittelbar verbindlich ist und gegenüber jedem nationalen Recht eines Mitgliedslandes vorgeht. Der Grundsatz der Außenhandelsfreiheit wie auch die mit dem Beitritt zum → GATT übernommenen Vertragsverpflichtungen legen einen weiteren Verzicht auf Eingriffe in den außenwirtschaftlichen Güter- und Leistungsverkehr nahe. Zu solchen als Handelshemmnisse bezeichneten Eingriffen sind all jene Maßnahmen zu zählen, die das Ausmaß, die Struktur und/oder die Richtung der Werteströme verzerren. Dazu gehören insbesondere Zölle (tarifäre Handelshemmnisse) wie auch preisbezogene, mengenbeschränkende oder administrative (nichttarifäre) Handelshemmnisse. Auch die handelspolitische Integration verschiedener Länder (in Präferenzräumen, Freihandelszonen, Zollunionen, gemeinsamen Märkten und Wirtschaftsunionen), wie sie 297
Handelspolitik
die Realität des Außenhandels kennzeichnet, bedeutet für die nicht integrierten Länder (Drittländer) derlei Handelshemmnisse. So sind im einheitlichen Zollgebiet der → EU die → Binnenzölle zwischen den Mitgliedsländern aufgehoben und ein gemeinsamer Außentarif gegenüber Drittländern eingeführt. – Die nicht-tarifären Handelshemmnisse basieren vor allem auf technischen und administrativen Vorschriften. Begründet werden sie hauptsächlich mit Anforderungen von Verbrauchersicherheit, Gesundheitsrisiken und Umweltschutz. Da diese Vorschriften hinsichtlich Produktgestaltung oder Herstellungsverfahren, insbesondere technischer Sicherheitsvorschriften und Industrienormen, unter den internationalen Handelspartnern höchst unterschiedlich ausfallen, haben sie starke protektionistische Wirkungen. Zur Gestaltung ihrer Außenhandelsbeziehungen bedient sich die Bundesrepublik Deutschland unterschiedlicher Rechtsformen: (1) des Handelsvertrages, (2) des Handelsabkommens und (3) des Kooperationsabkommens. Zu (1): Handelsverträge beinhalten meist langfristig angelegte Vereinbarungen über den ordnungspolitischen Rahmen des zwischenstaatlichen Leistungsverkehrs. Zu (2): Handelsabkommen fixieren in der Regel detaillierte Vereinbarungen über Umfang, Zusammensetzung und Abwicklung des gegenseitigen Warenaustausches. Seit 1970 liegt die Kompetenz für den Abschluß bilateraler wie multilateraler Handelsabkommen bei der → Europäischen Gemeinschaft/Union. Die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten sind somit bei der Gestaltung und Ausführung von Handelsabkommen auf die Mitwirkung ihrer Vertreter in den Unionsorganen beschränkt. Zu (3): Kooperationsabkommen nehmen langfristig angelegte Vereinbarungen wirtschaftlicher, technischer und wissenschaftlicher Zusammenarbeit auf. Im Gegensatz zu den Handelsabkommen besteht für sie keine volle Unionskompetenz, sondern lediglich eine Konsultationspflicht. Diese Eigenart des Kooperationsabkommens erlaubt es, mit ihm die Zuständigkeit der Union zu unterlaufen. Die Regierungen der beteiligten 298
Handlungsbevollmächtigter
Staaten wirken beim Zustandekommen und der Durchführung der Kooperation mit. Siehe auch: → Außenwirtschaftspolitik. Handelsregister das bei den Amtsgerichten geführte öffentliche Verzeichnis der → Kaufleute und → Handelsgesellschaften. Seit 2007 werden die H. elektronisch geführt und können bundesweit über www.handelsregister.de eingesehen werden. Handelsschulen eine auf dem Hauptschulabschluß oder einem als gleichwertig anerkannten Abschluß auf bauende, zweijährige berufsbezogene Schulform, die allgemeine und fachtheoretische kaufmännische Kenntnisse vermittelt und die Absolventen auf eine spätere Tätigkeit in kaufmännischen und verwaltenden Berufen vorbereitet. Mit dem Abschluß der zweijährigen Handelsschule wird meist formal auch die Mittlere Reife erworben. Siehe auch: → Höhere Handelsschulen. M. M. B. Handelsverträge → Handelspolitik. Handelsvertreter selbständiger → Kaufmann, der in einem festen Vertragsverhältnis für das → Handelsgewerbe eines anderen → Unternehmers Geschäfte vermittelt oder in dessen Namen abschließt (§ 84 Abs. 1 Handelsgesetzbuch). Er kann auch für mehrere → Unternehmen gleichzeitig tätig sein. Handelswechsel aus einem Warengeschäft hervorgehende → Wechsel. Gegensatz: → Finanzwechsel. Handelskammern → Industrie- und Handelskammern. Handlungsbevollmächtigter derjenige, dem die Befugnis erteilt wurde alle Geschäfte und Rechtshandlungen vorzunehmen, die der Betrieb eines derartigen → Handelsgewerbes (d. h. eines Handelsgewerbes wie das, in dem er in Diensten steht und nicht eines beliebigen Handelsgewerbes) gewöhnlich mit sich bringt (§ 54 Abs. 1 Handelsgesetzbuch [HGB]). Nach dem Umfang der Vollmacht werden drei Arten
Handlungsbevollmächtigter
unterschieden: (1) die allgemeine Handlungsvollmacht (Generalvollmacht), die zur Vornahme aller Geschäfte und Rechtshandlungen ermächtigt, die der Betriebeines derartigen Handelsgewerbes mit sich bringt; (2) die Arthandlungsvollmacht (Teilvollmacht), die zur dauernden Vornahme einer ganz bestimmten Gattung von Geschäften (z. B. Wareneinkauf) berechtigt; (3) die Spezialvollmacht (Einzelvollmacht), die die Vornahme bestimmter einzelner Geschäfte erlaubt (z. B. Einzug eines Geldbetrages, Kauf eines Grundstückes). – Über eine Sonderform der Handlungsvollmacht verfügen Angestellte in Läden oder Warenlagern (§ 56 HGB). Sie ermächtigt jeden, der in einem Laden oder Warenlager beschäftigt ist, zu Verkäufen oder Empfangnahmen, die in einem derartigen Betrieb gewöhnlich anfallen. Der H. handelt nicht im eigenen Namen, sondern im Namen des Unternehmensinhabers (§ 164 Bürgerliches Gesetzbuch). Er unterschreibt mit einem Zusatz zu seinem Namen, wie i. V. (in Vollmacht) oder i. A. (im Auftrag). Ohne ausdrückliche Ermächtigung sind dem H. folgende Geschäfte untersagt: Belastung oder Veräußerung von Grundstücken, Führung von Prozessen, Aufnahme von → Darlehen, Eingehung von Wechselverbindlichkeiten (→ Wechsel). – Die Erteilung der Handlungsvollmacht kann schriftlich, mündlich oder auch stillschweigend durch Duldung bestimmter Handlungen erfolgen. Die Handlungsvollmacht erlischt durch: → Widerruf, → Kündigung des Dienstverhältnisses, Zeitablauf (bei vereinbarter Frist), freiwillige oder zwangsweise Auflösung des Geschäftes, nach Erledigung des Auftrages (bei Einzelvollmacht). Handlungskompetenz die effektive Fähigkeit eines Menschen, konkrete Handlungen (wie Tun, Sprechen, Denken) situationsgerecht jeweils neu zu realisieren oder zu aktualisieren (L. Reetz). Siehe auch: → ökonomische H. handlungsorientierter Unterricht Lehrveranstaltungen, die auf die Bewältigung von Handlungssituationen abzielen.
Handlungsorientierung
Siehe dazu: → Rollenspiel, → Fallstudie, → Projekt, → Planspiel, → Zukunftswerkstatt, → Szenario-Technik, → Produktlinienanalyse, → Handlungsorientierung. Handlungsorientierung Entwicklung: Seit den 1970er Jahren sind Termini wie H., → Handungskompetenz, handlungsorientiertes Lernen u. ä. in einer fast schon inflationären Weise in das Zentrum bildungstheoretischer und bildungspraktischer Überlegungen gerückt. In seinem Kern greift das Anliegen einer Handlungsbezogenheit von Lernen auf alte Konzepte zurück. Bereits bei Pestalozzi (1746 – 1827) klingt in der Forderung nach ganzheitlichem Lernen, nach Lernen „mit Kopf, Herz und Hand“ ein Kernelement handlungsorientierten Lernens an. Die Reformpädagogik im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, insbesondere die Arbeitssschulbewegung, die in Deutschland vor allem von Gaudig, Kerschensteiner und Scheibner geprägt wurde, ging von der Überzeugung aus, dass das Lernen an realen Handlungsabläufen für den personalen Aufbau am wirksamsten sei und nimmt damit bedeutsame Anliegen heutigen handlungsorientierten Lernens vorweg. Ähnliches gilt für das projektorientierte Lernen, das vor allem von Dewey und Kilpatrick in den 1920er und 30er Jahren in den USA systematisiert und ausgebaut wurde. Die Intensivierung der Diskussion in der jüngeren Vergangenheit wird aus zwei Quellen gespeist. Zum einen knüpft sie an die reformpädagogische Orientierung vom Kinde aus an, also an Formen kindgerechten Lernens. Zum anderen verweist sie auf tatsächliche oder vermeintliche neue Anforderungen in einer komplexer gewordenen Umwelt und deren rasche Veränderungen im technischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Bereich, die adäquate Lernformen verlangen. Der Komplexität realer Lebenssituationen soll vor allem durch Ganzheitlichkeit des Lernvorgangs entsprochen werden. Die raschen Veränderungen haben eine kurze Verfallszeit von Wissenselementen zur Folge. Dadurch werden Fähigkeiten zum selbstständigen Erwerb des jeweils benötigten Wissens, das Lernen des Lernens, immer wichtiger. 299
Handlungsorientierung
Das Bestehen in Lebenssituationen verlangt vom einzelnen Handlungsfähigkeit; diese muß durch Lernvorgänge erworben bzw. durch Lehrvorgänge vermittelt werden. Als Voraussetzung für eine entsprechende → Handlungskompetenz werden Fachkompetenz, Methodenkompetenz und Humanbzw. Sozialkompetenz verstanden. Eine wichtige Rolle spielen hierbei die sogenannten → Schlüsselqualifikationen. Darunter werden fachunspezifische Fähigkeiten wie Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit, Abstraktionsfähigkeit, vernetztes Denken usw. verstanden. Begriff: Die intensive Verwendung des Terminus H. hat (noch) nicht zu einem eindeutigen und einheitlichen Begriffsverständnis geführt. Aus der Vielzahl der Deutungsversuche lassen sich zwei grundlegende Sichtweisen ableiten, die auf die oben bezeichneten unterschiedlichen Zugangswege zurückzuführen sind. Die an Formen kindgerechten Lernens anknüpfende Position sieht handlungsorientiertes Lernen dadurch charakterisiert, dass Schülerhandlungen in den Mittelpunkt des Lernvorgangs gestellt werden. H. ist Lernen durch Handeln, ist schüleraktives Lernen. H. wird so zu einem Kriterium der methodischen Gestaltung von Lernen. Die ausgewählten Methoden müssen in doppeltem Sinne ganzheitlich sein. Zum einen müssen sie den Lernenden mit allen Sinnen ansprechen, insbesondere muss ein ausgewogenes Verhältnis von Kopf-, Herz- und Handarbeit erreicht werden. Zum anderen müssen – im Gegensatz zum fachsystematischen Lernen – alle Inhalte, Probleme und Fragestellungen des Handlungsgegenstandes einbezogen werden. Als besonders geeignete Verfahrensweisen erscheinen Gruppen- und Partnerarbeit und → Projektunterricht. Mit einem solchen Lernen verbinden sich Annahmen höherer Lernmotivation, fachübergreifender Einsichten in Zusammenhänge usw. Die zweite Sichtweise versteht H. als Zieldimension. Handlungsorientiertes Lernen ist Lernen zum Handeln. Das Handeln können im Leben ist der Maßstab und Lernvorgänge sind so zu gestalten, dass Handlungskompetenz erreicht wird. Die methodische Gestal300
Handlungsorientierung
tung des Unterrichts ist prinzipiell offen. Eine Mittlerposition nimmt jenes Verständnis von H. ein, das von Handlungsfähigkeit im Leben als Ziel ausgeht, dieses jedoch nur durch handelndes Lernen als realisierbar ansieht. Einem ganz oder überwiegend auf die Methode bezogenem Verständnis handlungsorientierten Lernens wird kritisch entgegengehalten, dass es die Zweckrationalität von Handeln vernachlässigt und Gefahr läuft, in bloßen unterrichtlichen Aktionismus zu verfallen. H. und ökonomische Bildung: Ökonomische Bildung dient der Vorbereitung auf ökonomisch geprägte Lebenssituationen. Für die Bewältigung solcher Lebenssituationen kommt der Fähigkeit zu kompetentem Handeln große Bedeutung zu. Ökonomisches Lernen hat daher Handlungsfähigkeit für reale Lebenssituationen anzustreben. Handlungsfähigkeit ist aber nicht alleiniges Ziel. Vor allem zur Bewältigung gesellschaftlicher Lebenssituationen ist in aller Regel nicht Handlungsfähigkeit, sondern Urteilsfähigkeit die bedeutsamere → Qualifikation. Klärungsbedürftig ist die Frage, wie handlungsorientiertes ökonomisches Lernen zu gestalten ist. Eine einfache Übernahme des gängigen methodischen Konzepts handlungsorientierten Lernens erscheint aus mehreren Gründen problematisch. Zum einen sind Adressaten ökonomischer Bildung in der Regel bereits älter, zum anderen ergeben sich Anforderungen an eine Fachsystematik des Lernens, die durch die „Zufälligkeiten“ von Projekten nicht eingelöst werden können. Vor allem im Rahmen beruflichen ökonomischen Lernens müssen auch spezifische Rahmenbedingungen, z. B. die einer Teilzeitberufsschule, berücksichtigt werden. Es ist Aufgabe der → Wirtschaftsdidaktik, unter Berücksichtigung fachlicher, adressatenspezifischer und organisatorischer Bedingungen ökonomischen Lernens Strukturen und Formen des Lehrens und Lernens zu entwickeln, die geeignet sind, die benötigte Handlungskompetenz zu vermitteln. Ohne Zweifel spielt dabei aktives Handeln der Lernenden für den Erwerb von Handlungskompetenz eine bedeutsame Rolle.
Handlungsorientierung
Dort, wo es möglich und sinnvoll ist, sollte es daher in den Lernprozess einbezogen werden. Handlungsfähigkeit erzeugendes Lernen muss aber darüber hinausgehen. Handeln wird durch das Denken gesteuert und planvolles Handeln hat eine bestimmte Struktur. Es ist notwendig, die Bedingungen planvollen Handelns zu analysieren und zu strukturieren und Handlungsstruktur und Lernstruktur aufeinander zu beziehen. Lernhandeln und lehrgangsmäßige Phasen systematischen Fachlernens sind dabei in ein ausgewogenes Verhältnis und in eine zweckmäßige Abfolge zu bringen. Prof. Dr. Hans-Jürgen Albers, Schwäbisch Gmünd Handlungsvollmacht → Handlungsbevollmächtigter. Handwerkskammern öffentlich-rechtlich konstituierte (→ Körperschaften des öffentlichen Rechts) regionale Selbstverwaltungsorgane des Handwerks. Die Kammerbezirke decken sich in der Regel mit Regierungsbezirken. Die Zugehörigkeit zu den H. erstreckt sich nach § 90 Handwerksordnung auf selbständige Handwerker, Inhaber handwerklicher Gewerbebetriebe, Handwerksgesellen und Auszubildende im Handwerk (Handwerkslehrlinge). Neben der allgemeinen Interessenvertretung des Handwerks obliegen den H. Einzelaufgaben, wie Erlaß von Gesellenund Meisterprüfungsordnungen, Vorschriften über die Ausbildung, Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Handwerkern und deren Auftraggebern, Bereitstellung von Sachverständigen, Unterstützungsmaßnahmen für notleidende Handwerker u. a. Die Organe der H. umfassen: Mitgliederversammlung (Vollversammlung), Vorstand und Ausschüsse (für regelmäßige oder zeitweilige Aufgaben). Die H. unterstehen der Aufsicht der obersten Landesbehörde; sie sind auf Länderebene im Handwerkstag, die (Länder-)Handwerkstage ihrerseits im Deutschen Handwerkskammertag zusammengeschlossen. „Hartz IV“ umgangssprachlich für → Arbeitslosengeld II.
Haushalt
Hartz-Gesetze die aus dem → Hartz-Konzept erwachsenen Gesetze für moderne Dienstleistungen am → Arbeitsmarkt. Es beinhalten: H. I: Einführung der → Personal-Service-Agenturen (PSA); H. II: Einführung der Ich-AG (ausgelaufen ab 1. 7. 2006); H. III: Organisationsform der → Bundesagentur für Arbeit (BA); H. IV: Zusammenlegung von Arbeitslosenund Sozialhilfe zum → Arbeitslosengeld II; Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt. Hartz-Konzept Im Spätsommer 2002 unter dem Titel „Moderne Dienstleistungen am → Arbeitsmarkt“ vorgelegter Abschlußbericht der von Bundeskanzler Gerhard Schröder einberufenen, unter Leitung des VW-Personalvorstandes Peter Hartz stehenden Regierungskommission zur Reform der → Arbeitsmarktpolitik. Hauptveranlagung Begriff des Steuerrechts; Hauptsteuerfestsetzung, sie erfolgt bei der → Grundsteuer im Anschluß an die allgemeine Feststellung des → Einheitswertes. Hauptversammlung → Aktiengesellschaft und → Kommanditgesellschaft auf Aktien. Haushalt 1. privater H.: Oberbegriff für eine aus einer Einzelperson oder einer Personenmehrheit (z. B. Ehepaar, Familie) bestehende Einheit des Verbrauchs. Seine typische Handlung ist der → Konsum und diesem vorgelagert die → Nachfrage von → Konsumgütern. Darüber hinaus ist der private H. Anbieter von → Produktionsfaktoren zum Zwecke der Erzielung von → Einkommen (→ Arbeitseinkommen, → Vermögenseinkommen). Die produktive Tätigkeit der Haushaltsmitglieder (z. B. Hausfrau) im privaten H. wird in der → Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht erfaßt. 2. öffentlicher H.: Oberbegriff für die der Befriedigung von → Kollektivbedürfnissen dienenden Einrichtungen der → Gebietskörperschaften einschließlich der Sozialversicherungshaushalte, wie → gesetzliche Rentenversicherung, → gesetzliche Kran301
Haushalt
kenversicherung, → gesetzliche Unfallversicherung, → Arbeitslosenversicherung, → Pflegeversicherung. Haushaltslehre ⇒ Hauswirtschaftslehre Die staatlich institutionalisierte haushaltsbezogene Bildung entwickelte sich parallel zur Ausdifferenzierung von Erwerbs- und Hauswirtschaft durch die Industrialisierung. Die Bewältigung der veränderten Lebensund Arbeitsbedingungen und die Nutzung von Erkenntnissen zur wissenschaftlichen Haushaltsführung konnten durch bloße Tradierung von Erfahrungen nicht gewährleistet werden. Vor allem in den sozial schwächeren Bevölkerungsschichten bedrohte der ‚Zerfall‘ von Haushalt und Familie die (Arbeits-)Moral und die politische und ökonomische Stabilität. Zudem mussten Haushalte und Hausfrauen neuen Typs an die Erfordernisse der industrialisierten Gesellschaft angepasst werden. Das Konstrukt des „natürlichen Wesens“ der Frau, das in Haushalts- und Mutterpflichten seine Erfüllung findet, sollte den Widerspruch zwischen dem Gleichheitsanspruch der Aufklärung und der geschlechtsspezifischen und -hierarchischen Arbeitsteilung lösen. Diese Ziele ließen sich jedoch nicht ohne begleitende pädagogische Bemühungen durchsetzen. H. steht so in der Tradition der Mädchen- und Armenbildung (Tornieporth 1979, zum internationalen Vergleich s. Kettschau et al. 1993). Durch die Kulturhoheit der Bundesländer unterscheiden sich nicht nur die Bezeichnungen sondern auch Ziele, Inhalte und Institutionalisierung des H.unterrichts. Dennoch sind gemeinsame Entwicklungen und Tendenzen unverkennbar: Durch die Bildungsreform der 1970er Jahre kam es zu einem Wechsel von der handwerklich normativ orientierten Mädchenbildung zu einer stärker verwissenschaftlichten H., von nun an für Mädchen und Jungen. Gleichzeitig wurde der Bezug zu den sich etablierenden Haushalts- und Ernährungswissenschaften gestärkt. Die Integration des Wissenschaftsund Lebensweltbezugs kennzeichnet die Diskussionen seit den 1990er Jahren. 302
Haushaltslehre
Richtungsweisend für die Institutionalisierung in einigen Bundesländern war, dass H. zusammen mit den Fächern Wirtschaft und Technik im Bereich → Arbeitslehre zusammengefasst wurde. Dies brachte eine methodische und auch teilweise inhaltliche Abkehr vom traditionellen – auf den privaten Lebensbereich ausgerichteten – haushaltsbezogenen Unterricht. Im Zentrum der Arbeitslehre steht weniger die private Alltagsbewältigung als die Orientierung auf das spätere Erwerbsleben. Dadurch steht das Fach in einem Spannungsverhältnis zwischen dem Anspruch der Fachvertreter, die Bildung für einen bewussten Umgang mit komplexer werdenden Lebensbedingungen vermitteln wollen, und dem hinzugekommenen bildungspolitischen Auftrag der Berufsvorbereitung (vgl. Tornieporth & Bigga 1994). Von einer verbands- und fächer- bzw. disziplinübergreifenden Arbeitsgruppe ist ein neues Kerncurriculum für die Domäne Arbeit-Haushalt-Technik-Wirtschaft entwickelt worden (http://www.sowi-onlinejournal.de/2006–3/kecubht082006.htm). Um den bildungspolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen angemessen zu begegnen, wird eine Vereinbarung zwischen der Orientierung auf Markt- und Erwerbssystem und auf die Verantwortung für die private Alltagsbewältigung bzw. Lebensführung gesucht. Mit dem Konzept der Work-Life-Balance soll die damit verbundene Aufgabe für die Haushalte bzw. Haushaltsmitglieder gekennzeichnet werden. In anderen Bundesländern (wie z. B. Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein) bekommt Gesundheit einen größeren Stellenwert im Fachauftrag. Die im Zuge der ‚Pisa-Diskussion‘ entwickelte Auseinandersetzung um → Kompetenzen und → Standards und der Bezug auf den Kompetenzbegriff des Bildungsforschers Weinert stärkt den Anspruch auf eine sinnvolle Integration von Wissen und Können (also auch Fähigkeiten, Fertigkeiten und Motivation/Volition), um Handlungsfähigkeit und -bereitschaft zu entwickeln (Methfessel, 2005). Die unterschiedlichen Entwicklungen beinhalten höhere Ansprüche, stehen jedoch
Haushaltslehre
zugleich einem z. T. geringerem Stundenvolumen und vermehrtem fachfremden Unterricht gegenüber. Im Widerspruch zu der quantitativen und qualitativen Bedeutung, die der Arbeit in Familie und Haushalt für unsere Gesellschaft zukommt (nach Ergebnissen der letzten Zeitbudgetstudie sind dies mehr als 50 % der gesellschaftlichen Arbeitszeit), kommt es institutionell zu einer tendenziellen Verdrängung der H. aus den ,höheren‘ Schultypen und zu einer Verlagerung vom Pflicht- in den Wahlbereich. Da das Wahlverhalten immer noch geschlechtsspezifisch ist – viel mehr Mädchen als Jungen wählen H. – wird die Tradition der Armen- und Mädchenbildung fortgesetzt (Methfessel & Kettschau 1994). Wechselnde Termini spiegeln das jeweilige Verständnis des Fachs und das bildungspolitische Interesse wider (vom Hauswirtschaftsunterricht bis zu Mensch und Umwelt). Bislang haben sich die Fachdidaktiker auf H. geeinigt, weil dies „aus fachdidaktischer Sicht die umfassendere Bezeichnung ist“ (Grundsatzpapier, in Meyer-Harter 1989, S. 222). Die Fachbezeichnung steht allerdings wieder (weiter) zur Diskussion. In der Haushaltswissenschaft wird auch der Begriff private Lebensführung präferiert. Aktuell gibt es eine breite Diskussion, ob das Fach umzugestalten und umzubenennen ist in „Ernährungs- und Verbraucherbildung (EVB) bzw. Konsum, Ernährung, Gesundheit. Für diese Neuorientierung wurde ein curricularer Referenzrahmen entwickelt, in dem zentrale Inhaltsbereiche der H. übernommen und mit einer neuen Orientierung vermittelt werden (Heseker et al. 2005; www.evb-online.de, Methfessel 2009). Diese Entwicklung wird inzwischen durch die Kooperation mit Fachkollegen der Schweiz und Österreich in einer D-A-CHArbeitsgemeinschaft vorangetrieben (vgl. Dach-Erklärung, 2009, www.habifo.de/ dach.html). Ein zentrales Problem der H. bilden die Ausbildungs- und Qualifikationsmöglichkeiten der Lehrkräfte. H. sollte Bildung zur Bewältigung komplexer Lebenssituationen vermitteln. Hierzu sind ein interdisziplinärer Zugang, profundes Grundlagenwis-
Haushaltslehre
sen und Detailkenntnisse Voraussetzung. Diesem inhaltlich wie methodisch hohen Anspruch wurde nur zögernd entsprochen. In den Bundesländern entwickeln sich die wissenschaftliche Disziplin und die darauf fußende Lehramtsausbildung sehr unterschiedlich und wird unter dem ökonomischen Druck der Hochschulen auch ‚eingespart’. In einigen Bundesländern (Bayern und Baden-Württemberg) gibt es noch die Fachlehrerausbildung an spezifischen Seminaren. In den Schulen nimmt im Zuge des Lehrkräftemangels und der neuen Entwicklung der Fächerverbünde zudem der fachfremd erteilte Unterricht zu. Überholte Selbst- und Fremdbilder der Lehrkräfte fördern zudem eine normativ-handwerklich orientierte Nahrungszubereitung noch sehr. Fehlende Professionalisierungsstrukturen (z. B. über Supervision und verpflichtende und in ihrer Qualität abgesicherte Fortbildungen) verstärken dies. In der neueren Fachdidaktik ist ein stärkerer Bezug zum lebensweltorientierten Unterricht (reflektiert, in kritischer Auseinandersetzung mit den Begrenzungen der Lebenswelt), ein über die traditionelle Produktion (Nahrungszubereitung) hinausgehendes Verständnis der Handlungsorientierung und eine stärkere Orientierung auf die eigen- und sozialverantwortliche Lebensführung festzustellen (Methfessel & Schlegel-Matthies 2003, Heseker et al., 2005, D-A-CH, 2009). Die Didaktik der H. geht von den komplexer werdenden Aufgaben des privaten Haushalts unter sich wandelnden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen aus (Thiele-Wittig 1996; Methfessel & Schlegel-Matthies 2003). Dabei wird die Befähigung zur privaten Alltagsbewältigung und zur persönlichen Lebensgestaltung in sozialer, ökonomischer und ökologischer Verantwortung angestrebt. Daraus ergibt sich ein umfassendes Fachverständnis, das, von einfachen ausführenden Tätigkeiten bis zu komplexen Managementaufgaben reichend, auch eine Orientierung in den vielfach verknüpften Beziehungen zwischen Haushalt und → Gesellschaft umfasst. Zum Verständnis von Handlungsmustern und -spielräumen müssen sozio303
Haushaltslehre
ökonomische, sozio- und interkulturelle (Schlegel-Matthies 2005) und kulturhistorische Hintergründe und Zusammenhänge berücksichtigt werden. Man strebt – in Abkehr von der unreflektierten Tradierung von Handlungsmustern und Normen – ein bewusstes, d. h. reflektiertes sowie eigenund sozialverantwortliches, d. h. auch nachhaltiges Haushaltshandeln bzw. → Verbraucherverhalten an (Schlegel-Matthies 2004). Dies gilt als Teil der Entwicklung eines verantwortlichen Lebensstils (und des damit verbundenen → Konsums) und betrifft vor allem die Bereiche Ressourcenmanagement, reflektierter Konsum, Ernährung, Gesundheit, → Umwelt und (familiäres) Zusammenleben im Haushalt. Dabei werden biographische Entwicklungen und die kindheits- und jugendspezifischen Bedingungen und Interessen (z. B. Identitätsentwicklung) bei der Wahl von Unterrichtsinhalten und -methoden berücksichtigt (vgl. Entwicklung der Diskussion in der Fachdidaktischen Zeitschrift Haushalt & Bildung). Die zu erwerbenden Kompetenzen beziehen sich – im Rahmen der grundlegenden Orientierung auf eine eigen- und sozialverantwortliche Lebensführung – auf die genannten Inhalte ebenso wie auf die verschiedenen Tätigkeitsbereiche des Haushalts, so auf den hauswirtschaftlichen (Erstellung oder Bearbeitung von → Gütern und die Erbringung von → Dienstleistungen), den haushälterischen Bereich (Information, Entscheidung, → Planung, → Organisation etc.), die Gestaltungsarbeit, die den jeweiligen Lebensstil konstituiert, sowie auf das (partnerschaftliche) Zusammenleben. Sie sollen zur Bewältigung von Alltagssituationen dienen (Grundsatzpapier, in Meyer-Harter1989, S. 219–228; Methfessel & Kettschau 1994; Methfessel & SchlegelMatthies, 2003; Methfessel 2005). H. verknüpft die unterschiedlichen Dimensionen und kommt dabei ohne eine Orientierung an der Umsetzung und ohne die Aneignung konkreter Fertigkeiten nicht aus, denn Arbeit im Haushalt kennt strukturell keine Arbeitsteilung zwischen ‚Kopf- und Handarbeit‘. Haushaltspraxis umfasst dabei aber über die Nahrungszubereitung hinaus wei304
Haushaltslehre
tere Felder der Hausarbeit, z. B. im Rahmen des Verbraucherhandelns und der ‚neuen Hausarbeit‘ (VZBV, 2005). Zudem soll die Möglichkeit genutzt werden, die Integration des Wissens in das jeweilige Alltagshandeln zu verstärken. Literatur: Bender, Ute (2007): Fachdidaktische und allgemeindidaktische Theorien im Dialog über haushaltsbezogenen Unterricht. In: Hauswirtschaft und Wissenschaft 55, S. 179–191. Haushalt & Bildung. Fachdidaktische Zeitschrift für Gesundheit – Umwelt – Zusammenleben – Verbraucherfragen – Beruf. Schneider-Verlag Hohengehren; Heseker, Helmut et al. (2005): Reform der Ernährungs- und Verbraucherbildung in Schulen. Das Modellprojekt REVIS. In: Heseker, Helmut (Hg.): Neue Aspekte der Ernährungsbildung (207–213). Frankfurt; dies. (2005): Schlussbericht des Modellprojekts „Reform der Ernährungsund Verbraucherbildung in Schulen“ (REVIS). Paderborn (www.evb-online.de); Heindl, Ines (2009): Ernährungsbildung – curriculare Entwicklung und institutionelle Verantwortung. In: Ernährungsumschau 56 (10) 568–573; Kettschau, Irmhild et al. (Hg.) (1993): Jugend, Familie und Haushalt. Internationale Beiträge zu Entwicklung und Lebensgestaltung. Baltmannsweiler; Methfessel, Barbara (2005): Bildungsstandards für den Bereich Haushalt mit Schwerpunkt Ernährung und Verbraucherbildung. In: Bigga, Regine & Holzendorf, Ulf (Hg.): Bildungsstandards. Eine Diskussion um Arbeitslehre – Haushalt – Technik – Textilarbeit – Wirtschaft (11–39). Berlin; dies. (2009): Anforderungen an eine Reform der schulischen Ernährungs- und Verbraucherbildung. In Kersting, M. (Hg.), Kinderernährung aktuell. Schwerpunkte für Gesundheitsförderung und Prävention (S.102–116, 211–213). Sulzbach: Umschau Verlag; dies. & Kettschau, Irmhild (1994): Koedukative Haushaltslehre – Partnerschaftliches Leben? In: Glumpler, Edith (Hg.): Koedukation. Entwicklungen und Perspektiven (86–106). Bad Heilbrunn; dies. & Schlegel-Matthies, Kirsten (Hg.) (2003): Fokus Haushalt – Beiträge zur Sozioökonomie des Haushalts. Baltmannsweiler; Meyer-
Haushaltslehre
Haustürgeschäfte
Harter, Renate (Hg.) (1989): Hausarbeit und Bildung. Zur Didaktik der Haushaltslehre. Frankfurt; Schlegel-Matthies, Kirsten (2004): Verbraucherbildung im Projekt REVIS. Paderborner Schriften zur Ernährungs- und Verbraucherbildung (Bd. 2). Paderborn (www.evb-online.de); dies. (2005): Fachdidaktische Perspektiven auf den Umgang mit Heterogenität im haushaltsbezogenen Unterricht. In: Bräu, Karin & Schwerdt, Ulrich (Hg.): Heterogenität als Chance. Vom produktiven Umgang mit Gleichheit und Differenz in der Schule (197–217). Münster; Thiele-Wittig, Maria (1996): Neue Hausarbeit im Kontext der Bildung für Haushalts- und Lebensführung. In: Oltersdorf, Ulrich & Preuß, Thomas (Hg.): Haushalte an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend (342–362). Frankfurt/M.; Tornieporth, Gerda (1979): Studien zur Frauenbildung. Weinheim; dies. & Bigga, Regine (Hg.) (1994): Erwerbsarbeit – Hausarbeit. Strukturwandel der Arbeit als Herausforderung an das Lernfeld Arbeitslehre. Baltmannsweiler; Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (VZBV) (Hg.) (2005): Neue Hauswirtschaft. Ein Material für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren der hauswirtschaftlichen und familienbezogenen Weiterbildung. Berlin. Prof. Dr. Barbara Methfessel, Heidelberg Haushaltswissenschaft interdisziplinäre (Haushaltsökonomik, Haushaltssoziologie,Haushaltstechnik)Wissenschaft vom → Wirtschaften der → Privathaushalte sowie der Groß- beziehungsweise Anstaltshaushalte. Hausratversicherung Versicherung von → beweglichen Sachen des privaten Lebensbereichs, die sich in der jeweiligen Wohnung des Versicherungsnehmers befinden. Der Versicherungsschutz bezieht sich auf Hausratsschäden durch Feuer, Einbruchdiebstahl beziehungsweise Raub. Schäden durch Leitungswasser sowie Sturm und Hagel können durch eine Zusatzversicherung abgedeckt werden. Für darüber hinausreichende Schäden wird der
Umfang des Versicherungsschutzes unterschiedlich geregelt. Einen Versicherungsschutz für den gesamten Hausrat (Einrichtungsgegenstände, Geund Verbrauchsgüter), der sich in der jeweiligen Wohnung des Versicherungsnehmers befindet, sieht die Verbundene H. vor. Einbezogen in diese erweiterte H. werden überdies weitere Gegenstände, wie Campingausrüstungen, bestimmte Wertgegenstände (→ Bargeld, Goldmünzen, → Wertpapiere), Arbeitsgeräte und Einrichtungsgegenstände, die dem Beruf oder Gewerbe des Versicherungsnehmers dienen. Auch fremdes Eigentum ist mitversichert. Die Verbundene H. umfaßt eine Absicherung gegen Feuer, Einbruchdiebstahl, Beraubung, Leitungswasser- und Sturmschäden. Glasbruch und Fahrraddiebstahl können zusätzlich einbezogen werden. Hausse länger anhaltender starker Kursanstieg (→ Kurs) an der → Börse. Gegensatz: → Baisse. Haustürgeschäfte Als H. gelten nach § 312 BGB n. F. Verträge zwischen einem → Unternehmer und einem → Verbraucher, die eine entgeltliche Leistung zum Gegenstand haben, und zu deren Abschluß der Verbraucher – durch mündliche Verhandlungen an seinem Arbeitsplatz oder im Bereich einer Privatwohnung, – anläßlich einer vom Unternehmer oder von einem Dritten zumindest auch im Interesse des Unternehmers durchgeführten Freizeitveranstaltung oder – im Anschluß an ein überraschendes Ansprechen in Verkehrsmitteln oder im Bereich öffentlich zugänglicher Verkehrsflächen bestimmt worden ist. Bei H. steht dem Verbraucher ein → Widerrufsrecht nach § 355 BGB n. F. zu. Der Widerruf muß keine Begründung enthalten und ist in Textform oder durch Rücksendung der Sache innerhalb von zwei Wochen gegenüber dem Unternehmer zu erklären. Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung. Die Frist beginnt mit dem Zeit305
Haustürgeschäfte
punkt, zu dem dem Verbraucher eine deutlich gestaltete Belehrung über sein Widerrufsrecht in Textform mitgeteilt worden ist. Ist der Vertrag schriftlich abzuschließen, so beginnt die Frist nicht zu laufen, bevor dem Verbraucher auch eine Vertragsurkunde, sein schriftlicher Antrag oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder des Antrags zur Verfügung gestellt werden. – Bei der Lieferung von Waren beginnt die Frist nicht vor dem Tag ihres Eingangs beim Empfänger. Das Widerrufsrecht erlischt spätestens sechs Monate nach Vertragsabschluß. Dem Verbraucher kann anstelle des Widerrufsrechts ein Rückgaberecht nach § 356 BGB n. F. eingeräumt werden. Hauswirtschaft → Haushaltslehre. Hauswirtschaftslehre ⇒ Haushaltslehre. Hayek, Friedrich August von *1899 (Wien) †1992 (Freiburg), 1974 Nobelpreisträger in →Wirtschaftswissenschaften. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft und der Ökonomie wird er Leiter des von → Ludwig von Mises gegründeten Österr. Konjunkturforschungsinstituts. Seine frühen ökonomischen Schriften sind stark von Mises geprägt, insbesondere das Buch Geldtheorie und Konjunkturtheorie (1929). 1934 nimmt er eine Professur an der London School of Economics an. Er avanciert zum bedeutenden Kritiker des Keynesianismus (→ Keynessche Theorie). 1944 erscheint seine bekannteste politische Streitschrift Road of Serfdom, in der er die schleichende Erosion der liberalen → Marktwirtschaft als Ursache aller totalitären Systeme ausmacht. Dabei weist er besonders auf die strukturelle Ähnlichkeit linker und rechter Gewaltregime hin. Ab 1950 lehrt er an der University of Chicago, wo er The Constitution of Liberty (1960) verfaßt. Das Buch analysiert die Rechtsgrundlagen einer liberalen marktwirtschaftlichen Ordnung auf der Basis eines evolutionären Denkansatzes – ein Thema, das er in Law, Legislation and Liberty (3 Bde., 1973 ff.) vertieft. Lehrstühle in Freiburg (ab 1962) und Salzburg folgen. Neben seinen rechtstheoretischen und wirtschafts306
Hedge-Fonds
wissenschaftlichen Büchern veröffentlicht H. u. a. in den Bereichen Psychologie (The Sensory Order, 1952), Wissenschaftstheorie (Rules, Perception and Intelligibility, 1962), Geschichte (Capitalism and the Historians, hrsg. 1960) und Ideengeschichte (Dr. Bernard Mandeville, 1966). Dies läßt sein Werk über den Rahmen der → Ökonomie hinausgehen und zu einer umfassenden Beschreibung der Grundlagen einer liberalen Gesellschaftsordnung werden. Literatur: Eamonn Butler, Hayek: His Contribution to the Political and Economic Thought of Our Time, London 1983; A. Ebenstein, Friedrich Hayek: A Biography, London/New York 2001; Hans Jörg Hennecke: Friedrich August von Hayek. Die Tradition der Freiheit, Düsseldorf 2000; ders.: Friedrich August von Hayek zur Einführung, Hamburg 2008; Kurt R. Leube/Albert H. Zlabinger, The Political Economy of Freedom. Essays in Honour of F. A. Hayek, Wien 1984; Erich u. Monika Streissler, Denker der Freiheit: Friedrich August von Hayek, St. Augustin 1993. D. D. Hayek-Gesellschaft → Friedrich August von Hayek-Gesellschaft e. V. Hebesatz der zur Ermittlung der → Grund- und → Gewerbesteuer von den einzelnen Gemeinden festzusetzende vom-Hundert-Satz, mit dem der → Steuermeßbetrag multipliziert wird, um zur Steuerschuld zu gelangen. Hedge-Fonds ähnlich wie jeder aktiv gemanagte → Investmentfonds folgen die H. dem allgemeinen Grundprinzip, → Wertpapiere, die als unterbewertet eingeschätzt werden, gegenüber dem Vergleichsindex höher zu gewichten, und solche, die als überbewertet angesehen werden, diesem gegenüber unterzugewichten. Der gravierende Unterschied zu einem normalen Investmentfonds besteht jedoch darin, daß dieser die Gewichtung bestimmter Papiere im Extremfall allenfalls auf Null reduzieren kann, während der H. zur Risikoabsicherung (→ Hedging) auf den → Terminmärkten auch die Mög-
Hedge-Fonds
lichkeit des Leerverkaufs (short selling) in Betracht zieht. Diese Managementstrategie ist insbesondere unter Einbezug von → Derivaten (→ Futures, → Optionen, Swaps) äußerst riskant. Hedging Vorgehensweise zur vollständigen oder teilweisen Risikobegrenzung bei → Wertpapier-, → Währungs- und Warengeschäften durch Auf bau einer Gegenposition in derselben Geschäftsart. Weitverbreitet insbesondere zur Absicherung gegen Wechselkursrisiken. Heimarbeiter Personen, die in eigener Arbeitsstätte (in der Regel bei sich zu Hause) allein oder mit Familienangehörigen im Auftrag von Gewerbetreibenden oder zwischengeschalteten Vermittlern (sogenannten Zwischenmeistern) gewerblich arbeiten, jedoch die Verwertung ihrer Arbeitsergebnisse dem Auftraggeber überlassen. H. gelten als → arbeitnehmerähnliche Personen. Auf sie finden die allgemeinen → Arbeitszeitregelungen keine Anwendung. Da sie ihre → Arbeitszeit und Arbeitsleistung selbst bestimmen, beschränkt sich das Heimarbeitsgesetz auf zwei Schutzregelungen. Zum einen haben Auftraggeber und Zwischenmeister dafür Sorge zu tragen, daß bei Ausgabe und Abnahme von Heimarbeit unnötige Zeitversäumnisse vermieden werden. Zum anderen soll derjenige, der Heimarbeit an mehrere Personen vergibt, die Arbeitsmenge auf die Beschäftigten gleichmäßig unter Berücksichtigung ihrer Leistungsfähigkeit und der ihrer Mitarbeiter verteilen. Heizkostenabrechnung → Heizkostenverordnung. Heizkostenverordung Rechtsgrundlage für die Verrechnung von → Kosten zentraler Heiz- und Warmwasseranlagen (Heizkostenabrechnung). Sie bestimmt (unabhängig von eventuell anders lautenden Vereinbarungen im → Mietvertrag oder früherer Regelungen), daß diese zumindest teilweise verbrauchsabhängig abgerechnet werden müssen. So müssen zwischen 50 und 70 Prozent der Heizkosten wie auch der Warmwasserkosten nach
Heizungsnebenkosten
Verbrauch auf die einzelnen Mietparteien verteilt werden. Um dies zu ermöglichen, müssen alle Heizkörper des Hauses mit Heizkostenverteilersystemen ausgerüstet und einmal jährlich abgelesen werden. Die restlichen Heizkosten können verbrauchsabhängig (in der Regel nach der Wohnfläche) abgerechnet werden. Ausnahmen von dieser verbrauchsabhängigen Abrechnung der Heiz- und Warmwasserkosten sind zulässig: in Zweifamilienhäusern, in denen der Vermieter selbst mitwohnt; in Fällen, in denen die Verbrauchserfassung nicht möglich oder unwirtschaftlich ist; in Heimen; bei Verwendung einer besonders energiesparenden Heizungsanlage (z. B. Solaranlage). Rechnet der Vermieter verbrauchsunabhängig ab, so ist der Mieter berechtigt, von dem auf ihn entfallenden Heizkostenanteil 15 Prozent in Abzug zu bringen. Mit den Heizungskosten dürfen folgende Heizungsnebenkosten abgerechnet werden: Betriebsstrom (Stromkosten für Umwälzpumpe, Ölpumpe und Regelungsanlage), Bedienungskosten, Wartungskosten (keine Reparaturkosten!), Reinigungskosten (z. B. Öltankreinigung), Schornsteinfegerkosten (so auch Immissionsmessungen), Mietkosten für die Heizkostenverteiler (aber nur, wenn nicht die Mehrheit der Mieter der Anmietung widersprochen hat!), Kosten des vom Vermieter beauftragten (Wärme-) Meßdienstes. Sonderregelungen hinsichtlich der Heizkostenabrechnung ergeben sich für Gemeinschaftsräume. Heizkörper in Treppenhäusern, Waschküchen, Trocken- und Partyräumen müssen nicht mit Heizkostenverteilern ausgerüstet sein. Die hier entstehenden Heizkosten werden dem aufzuteilenden Gesamtverbrauch des Hauses zugeschlagen. Eine Ausnahme hiervon bilden Räume mit außergewöhnlich hohem Energieverbrauch, wie Saunen und Schwimmbäder. Sie müssen mit Heizkostenverteilern ausgerüstet und so ihr Verbrauch erfaßt werden. Heizungsnebenkosten → Heizkostenverordnung. 307
Hemmung der Verjährung
Hemmung der Verjährung d. i. Stillstand des Fristenablaufs; der Zeitraum, während dessen die → Verjährung gehemmt ist, wird nicht in die → Verjährungsfrist eingerechnet (§ 209 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Sie regelt sich nach den §§ 203 ff. BGB. → Verjährung. Herausgabepflicht des Arbeitnehmers Der → Arbeitnehmer ist nach Abschluß seiner Dienste verpflichtet, dem → Arbeitgeber alles herauszugeben, was er zu ihrer Erbringung von diesem erhielt (§ 667 Bürgerliches Gesetzbuch). Herstellergarantie eine dem Käufer – neben den gesetzlichen Gewährleistungsanspruchsrechten (→ Gewährleistungsansprüche) gegenüber dem Verkäufer – zusätzliche Ansprüche einräumende Verpflichtung seitens des Herstellers. Die Garantieerklärung erfolgt freiwillig und ist deshalb in ihrer Gestaltung ins Belieben des Erklärenden (Herstellers) gestellt. Auch kann der Hersteller festlegen, wie sich der Kunde im Garantiefall zu verhalten hat. So wird in der Regel verlangt, daß → Garantie nur gegen Vorlage des ausgefüllten (Datum des Kaufes und Name des Händlers) → Garantiescheines zusammen mit dem defekten Gerät gewährt wird. Ob Garantieschein und defektes Gerät dem (Fach)-Händler oder unmittelbar dem Hersteller einzureichen sind, ergibt sich ebenfalls aus dem Garantieschein. Herstellkosten ⇒ Herstellungskosten. Herstellungskosten ⇒ Herstellkosten Gesamtheit der mit der Herstellung eines Produktes anfallenden → Kosten (→ Einzelkosten und → Gemeinkosten). Siehe auch → Kalkulation. Hilfe zur Selbsthilfe zentraler Grundsatz der bundesdeutschen → Entwicklungspolitik. Über seine Befolgung soll den → Entwicklungsländern insbesondere hinsichtlich der Armutsbekämpfung eine – wirtschaftlich, sozial und politisch – tragfähige Grundlage für die Ingangsetzung des erforderlichen Entwick308
Hinterlegung
lungsprozesses vermittelt werden. Diese Absicht verspricht dort Erfolg, wo es gelingt, die Regierungspolitik der Entwicklungsländer dazu zu veranlassen, die Eigenanstrengungen armer Bevölkerungsgruppen zu unterstützen und die Rahmenbedingungen für deren schöpferische Entfaltung zu verbessern. Die Befolgung des Grundsatzes H. wird heute zunehmend auch für andere Politikbereiche reklamiert, so insbesondere für die → Sozialpolitik. Hilfslöhne → Löhne, die nicht als → Fertigungslöhne in die → Kostenrechnung eingehen; dies sind insbesondere Löhne für nicht unmittelbar am zu fertigenden Produkt verrichtete → Arbeit, die der Herstellung somit nur indirekt dient, wie beispielsweise: Löhne für Transport- und Reinigungsarbeiten, Löhne für Lagerarbeiten. Hilfspfändung → Zwangsvollstreckung. Hilfsstoffe Begriff der → Kostenrechnung; benennt die neben den → Rohstoffen (als hauptsächlicher Stoff bestandteil) in die zu fertigenden Produkte eingehenden nebensächlichen Stoffe. So ist bei der Herstellung eines Holztisches das Holz Rohstoff während der Leim und die Farbe H. sind. Hinterbliebenenrente im Rahmen der → gesetzlichen Rentenversicherung, → Unfallversicherung und → Kriegsopferversorgung den Hinterbliebenen eines Versicherten beziehungsweise Versehrten zustehende Leistung in Geld. Hinterlegung mit unterschiedlicher Bedeutung belegter Begriff: 1. allgemein: Übergabe von Wertgegenständen an einen Dritten zur Auf bewahrung. 2. im Schuldrecht: Übergabe von Geld, Wertpapieren und Kostbarkeiten an das Amtsgerichts des → Erfüllungsortes (amtliche Hinterlegungsstelle) durch den → Schuldner: (1) im Falle des → Annahmeverzuges des → Gläubigers; (2) bei einem in der Person des Gläubigers liegenden Grund (z. B. → Geschäftsunfähigkeit ohne gesetz-
Hinterlegung
lichen Vertreter); (3) bei entschuldbarer Unkenntnis über die Person des Gläubigers. Hinterlegungsverkauf → Annahmeverzug. Hinweispflicht dem Handwerker aus → Reparaturvertrag obliegende Pflicht, den Kunden darauf hinzuweisen, falls eine Reparatur wirtschaftlich nicht sinnvoll ist, da ihre Kosten den Wert der zu reparierenden → Sache übersteigen. Historische Schule volkswirtschaftliche Forschungsrichtung ab Mitte des 19. Jahrhunderts, die als Reaktion auf die klassische englische – angeblich zu rationalistische – Nationalökonomie (→ Klassiker) verstanden werden kann. Sie bemühte sich um eine empirische Fundierung der → Volkswirtschaftslehre unter Berücksichtigung einschlägiger sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse, so insbesondere der Ethnologie, Soziologie, Psychologie, Rechts-, Religions- und Geschichtswissenschaft. Die Grundüberzeugung der H. mündet in die These, daß die wirtschaftlichen Erscheinungen historisch bedingt seien. Sie müßte sich nicht zuletzt dieserhalb den Vorwurf gefallen lassen, theoriefeindlich zu sein. Zu den namhaftesten Vertretern der H. zählen: B. Hildebrand, W. Roscher, G. Schmoller, K. Bücher, G.F. Knapp, → M. Weber, A. Spiethoff. Hochkonjunktur ⇒ Boom. Hochschulen Sammelbezeichnung für Einrichtungen der wissenschaftlichen Forschung und Lehre, insbesondere für → Universitäten, → Pädagogische H., Theologisch-philosophische H., Medizinische H., Technische H. und darüber hinaus für Musik- und Kunst-H., Gesamt-H. sowie → Fach- H. H. gehören zum tertiären Bildungsbereich. Sie bereiten auf berufliche Tätigkeiten vor, die die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden oder die Fähigkeit zu künstlerischer Gestaltung beziehungsweise Ausübung erfordern. Ihr Besuch setzt in der Regel die → (Fach-)→ H.-reife voraus.
Höhere Handelsschulen
Hochschulreife bildungsmäßige Eingangsvoraussetzung für den Besuch einer → Hochschule. Es wird zwischen Allgemeiner H. (Studienberechtigung für alle Fachrichtungen an allen Hochschultypen), fachgebundener H. (Studienberechtigung für bestimmte Fachrichtungen an allen Hochschultypen), Fachhochschulreife (Studienberechtigung für alle Fachrichtungen an → Fachhochschulen und z.T. an → Berufsakademien) und fachgebundener Fachhochschulreife (Studienberechtigung für bestimmte Fachrichtungen an Fachhochschulen und z.T. an Berufsakademien) unterschieden. M. M. B. Hochschulzugangsberechtigung → Hochschulreife. Höchstarbeitszeit → Arbeitszeit. Höchstpreise staatlich festgesetzte Preisobergrenzen für (1) bestimmte Güter, um die finanzielle Belastung der Nachfrage in Grenzen zu halten, oder für (2) alle Güter (Preis- u./oder Lohnstop), um den Preisauftrieb (→ Inflation) zu bremsen. Häufig anzutreffende Folgeerscheinungen sind: Rationierung (staatliche Zuteilung) der betroffenen Güter und → schwarze Märkte. Gegensatz: → Mindestpreise. Siehe → staatliche Preispolitik. höhere Gewalt ein von außen kommendes, unvorhersehbares und außergewöhnliches Ereignis, das auch durch äußerste vom Betroffenen zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet werden kann (z. B. Unwetter, Überschwemmung). Höhere Handelsschulen eine zweijährige auf der Mittleren Reife oder einem als gleichwertig anerkannten Abschluß auf bauende, berufsbezogene Schulform, die allgemeine und fachtheoretische kaufmännische Kenntnisse vermittelt. Mit dem Abschluß der H. wird lt. sog. „11-Länder Abkommen“ in elf Bundesländern der theoretische Teil der → Fachhochschulreife erworben; durch eine zusätzliche → Berufsausbildung oder Berufstätigkeit kann die Allgemeine Fachhochschulreife 309
Höhere Handelsschulen
Homo oeconomicus
erworben werden. Vereinzelt existiert auch die einjährige H. für Abiturienten, als Vorbereitung auf eine kaufmännische Berufsausbildung, mit der diese dann auch u. U. verkürzt werden kann. Siehe auch → Handelsschule. M. M. B.
rücksichtigt man zusätzlich, daß in diesem Menschenbild Nutzen auch nicht ordinal (wie etwa Temperatur) meßbar ist, so wird deutlich, warum die → Wirtschaftswissenschaft auf der Basis ihres Menschenbildes keine „objektive“ Werttheorie entwickelt hat.
Holding-Gesellschaft Dachgesellschaft (Obergesellschaft), die selbst keine → Güter produziert und vertreibt, sondern lediglich die → Beteiligungen (Kapitalanteile) der unter dem gemeinsamen „Dach“ vereinten → Unternehmen (Tochtergesellschaften) hält, verwaltet und über diese (Beteiligungen) Einfluß (auf die jeweiligen Unternehmen) nimmt. H. bilden in der Regel die Führungsspitzen von → Konzernen.
Geschichtlich betrachtet stellt die Einführung des H. durch Moralphilosophen und Ökonomen der „schottischen Aufklärung“, insbesondere durch → Adam Smith (1723 – 1790), eine „optimistische Wende“ der Menschenbilddiskussion dar. Bis dahin hat ein pessimistisches Menschenbild die Theoriebildung dominiert, wie es zum Beispiel von Hobbes (1588 – 1679) oder unter Einschränkungen von Machiavelli (1469 – 1527) geprägt worden ist. Der Mensch als „des Menschen Wolf“ (Hobbes) hat nicht nur als egoistisches, sondern als unstetes, also ruheloses und durch vielerlei verderbliche Leidenschaften getriebenes, machtgieriges Wesen gegolten („natural man“ im Unterschied zu „economic man“, also homo oeconomicus). H. ist hingegen von Interessen und nicht von Leidenschaften geleitet, und interessegeleitete Menschen werden im Unterschied zu leidenschaftsgeleiteten als zuverlässig, zielstrebig und methodisch angesehen. Die Genußsucht und andere verderbliche Leidenschaften werden zum Beispiel durch den Erwerbstrieb gezähmt (→ Hume, 1711 – 1776). H. kann daher als optimistische, friedliche und geregelte Verhältnisse vorzeichnende Antwort auf das düstere Menschenbild des siebzehnten Jahrhunderts angesehen werden.
Home Banking ⇒ Electronic Banking. Homo oeconomicus kann als Sammelbegriff für auf Individuen bezogene Annahmen und Hypothesen angesehen werden, welche Wirtschaftstheoretiker zugrunde legen, wenn sie Modelle menschlichen Verhaltens entwickeln. Solche Modelle betreffen sowohl das Verhalten des einzelnen Menschen als auch das Verhalten von Kollektiven, wobei das Handeln von Kollektiven stets auf das Handeln von Individuen zurückgeführt wird. Von besonderer Bedeutung sind dabei die folgenden Ausgangspunkte: – Individuen handeln zielgerichtet und wollen durch ihre Handlungen ihre eigene Situation verbessern. – Individuen handeln rational, d. h. sie versuchen, ihre Ziele mit minimalem Ressourceneinsatz zu erreichen bzw. mit ihren verfügbaren → Ressourcen maximale Zielerfüllungsgrade zu erreichen. Auf diesen Grundlagen basierende Modelle beschreiben menschliches Verhalten als nutzenmaximierend, wobei → Nutzen – unter Einschränkungen auch als „Lebensqualität“ übersetzbar – subjektiv ist: Nutzen ist interpersonell weder vergleichbar noch addierbar, und außer dem einzelnen selbst gibt es letztlich keine Instanz, welche den individuellen Nutzen bestimmen kann. Be310
Aus heutiger Sicht ist festzustellen, daß der Optimismus, der die ersten Auftritte von H. in der sozialwissenschaftlichen Arena begleitet hat, oft durch die historische Entwicklung widerlegt worden ist: Keineswegs ist eine wesentlich durch Interessen, insbesondere durch wirtschaftliche Interessen bestimmte Welt automatisch eine humane und friedfertige. Die Gegenüberstellung von Leidenschaften und Interessen prägt die aktuelle Diskussion auch wenig. Sie ist aber von großer Bedeutung für die optimistischen Auffassungen der ökonomischen Klassik (bes. Smith), welche die Maximie-
Homo oeconomicus
rung der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt eben nicht aus der Verfolgung individueller Leidenschaften, sondern individueller Interessen abgeleitet hat. Der asketische, leidenschaftskritische Aspekt dieses Menschenbildes ist auch für die Religionssoziologie, insbesondere für die Arbeiten → Max Webers („Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“, 1904) von Bedeutung. H. hat in der Folge der ökonomischen Klassik zahlreiche Veränderungen, Einengungen und auch Erweiterungen erfahren. Eine entschieden verengende Verwendung des Begriffs durch die neoklassischen Ökonomen (z. B. Marshall, 1842 – 1924) hat die Voraussetzung dafür geschaffen, daß sich die Wirtschaftswissenschaft zu einer exakten Wissenschaft entwicklen konnte. Restriktive Ausgangsformen ermöglichten eine wirtschaftswissenschaftliche Grundlagenforschung, welche die meisten der heute noch gültigen und zentralen Theoreme der Mikroökonomie erarbeitet hat. Zu diesen Annahmen gehört i. d. R., daß das Individuum jede einzelne Entscheidung unter vollständiger Information über alle verfügbaren Handlungsmöglichkeiten trifft und als „Permanentkalkulator“ mit unbegrenzter Informationsverarbeitungskapazität ausschließlich egoistische Ziele anstrebt. Für die Entwicklung einer exakten, quantitativ orientierten Wirtschaftswissenschaft ist dieser restriktive Ansatz so erfolgreich gewesen, daß vielfach der weitergehende, anthropologische und politische Gehalt des Menschenbildes der ökonomischen Klassik in Vergessenheit gerät. Diskussionen innerhalb der neoklassischen Ökonomie selbst sowie Kontroversen mit anderen ökonomischen Schulen und insbesondere die mangelnde Vereinbarung mit empirischen Forschungsergebnissen haben dazu geführt, daß das Menschenbild der Ökonomie in jüngerer Zeit zahlreiche Veränderungen und Erweiterungen erfahren hat, ohne daß allerdings die grundlegenden Konzepte der → Rationalität und der Verfolgung des → Eigeninteresses aufgegeben worden sind. Moderne Wirtschaftswissenschaft unterstellt keine vollständige In-
Homo oeconomicus
formation der Akteure, sondern trägt dem Umstand Rechnung, daß die Erlangung von Informationen mit → Kosten verbunden ist und Entscheidungen daher meist unter unvollständiger Information getroffen werden. Vielfach wird auch nur eingeschränkte Rationalität unterstellt: Statt → Nutzenmaximierung zu betreiben strebt das Individuum die Erreichung von Anspruchsniveaus an („Satisficing“). Solche und weitere „Auflockerungen“ führen zu einer größeren Realitätsnähe ökonomischer Modelle, ohne jedoch grundlegende Theoreme der Wirtschaftstheorie zu „gefährden“. Nicht nur materielle → Güter stiften H. Nutzen, sondern auch immaterielle Güter: Nutzen, aber auch Kosten können physische, psychische und soziale Dimensionen aufweisen. Zu solchen immateriellen Gütern mögen Prestige und Bequemlichkeit gehören, aber auch Geborgenheit und Sicherheit. Die Verbesserung der eigenen Situation muß nicht mit Egoismus identisch sein: H. mag selbst ein höheres Nutzenniveau erreichen, wenn er die Situation anderer verbessert. Dies gilt etwa für Eltern, die zugunsten ihrer Kinder Verzicht üben, weil deren Wohlergehen den Eltern Freude spendet. Das Konzept des H. wird zunehmend auf Bereiche angewendet, welche traditionell nicht der Ökonomie zugerechnet werden. Eine solche sich nicht material, sondern allein über ihre Methodik definierende Wirtschaftswissenschaft („Ökonomik“) hat zum Beispiel Theorien der Ehe, der Kriminalität, der Rassendiskrimierung und des Suchtverhaltens (→ G. S. Becker, 1992 Nobelpreis f. Wirtschaftswissenschaft) hervorgebracht. Der Ökonomik wird dabei häufig „Methodenimperialismus“ vorgeworfen; dem läßt sich allerdings entgegnen, daß jede Wissenschaft die Freiheit haben sollte, Hypothesen auch zu „fremden“ Gebieten zur Diskussion zu stellen und sich mit anderen Ansätzen zu messen. In jedem Fall hat durch die recht stürmische Entwicklung im Bereich der Ökonomik die Diskussion um H. an Aktualität und Brisanz gewonnen. Literatur: Schlösser, Hans-Jürgen: Das Menschenbild in der Ökonomie, Die Problematik von Menschenbildern in den Sozial311
Homo oeconomicus
wissenschaften, dargestellt am Beispiel des homo oeconomicus in der Konsumtheorie, Köln 1992; Kirchgässner, Gebhard: Homo oeconomicus, Das ökonomische Modell individuellen Verhaltens und seine Anwendung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, ergänzte und erweiterte 3. Aufl., Tübingen 2008. Prof. Dr. Hans Jürgen Schlösser, Siegen Honorarverordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) Verordnung über die Berechnung der Leistungsentgelte der Architekten und Ingenieure in der Fassung vom 10. 11. 2001, derzufolge sich deren schriftlich vereinbarten Honorare im Rahmen bestimmter Mindestund Höchstsätze zu halten haben. horizontaler Unternehmungszusammenschluß → Unternehmungszusammenschlüsse. Horten das – über die notwendige Barreserve hinaus – in → privaten Haushalten oder → Unternehmen gehaltene → Geld. Im Gegensatz zum → Sparen, das der → Vermögensbildung dient, ist H. unwirtschaftlich, da es keine → Zinsen bringt. Human Capital ⇒ Humankapital. Humanisierung der Arbeitswelt ⇒ Humanisierung des Arbeitslebens. Humanisierung des Arbeitslebens ⇒ Humanisierung der Arbeitswelt. Die Forderung, → Arbeit und Technik dem Menschen anzupassen sowie die Bedingungen der Erwerbsarbeit human und sozial zu gestalten, blieb in der Entwicklung der Industriegesellschaft lange Zeit unbeachtet. Sie war von betriebswirtschaftlicher Rationalität und von der Faszination des technisch Machbaren überlagert; die individuellen und gesellschaftlichen Implikationen von Arbeit wurden im Hinblick auf mögliche Alternativen in der Arbeitsgestaltung und -organisation nicht mit dem erforderlichen Nachdruck bedacht. 312
Humanisierung des Arbeitslebens
Seit Ende der 1960er Jahre rückt die Frage nach den Bedingungen, unter denen der Mensch seiner Erwerbsarbeit nachkommen muss, stärker ins Zentrum sozialpolitischer Diskussion. Mit der sozial-liberalen Koalition gewinnen diejenigen Kräfte stärkeren Einfluss, die den arbeitenden Menschen mit seinen Interessen im Arbeitsprozess mehr in den Mittelpunkt rücken. Die Notwendigkeit zur menschengerechten Gestaltung von Erwerbsarbeit als einer politischen und betrieblichen Gestaltungsaufgabe wird durch das staatliche Aktions- und Forschungsprogramm „Humanisierung des Arbeitslebens“ (HdA) (1974–1989) im Bewusstsein der Akteure auf betrieblicher Ebene verankert. Das staatliche Forschungs- und Entwicklungsprogramm „Arbeit und Technik“, das auch den Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Arbeitspraxis unterstützt, löst das HdA-Programm ab (1989–1996). An beide Programme knüpft das Rahmenkonzept der Bundesregierung „Innovative Arbeitsgestaltung – Zukunft der Arbeit“ (2001) an. Neue Gestaltungsformen der Arbeit, der Wandel der Arbeitsstrukturen und -verhältnisse stehen dabei im Mittelpunkt. Die menschlichen Fähigkeiten – die Humanressourcen – werden als wichtigste Quelle für Unternehmenserfolg und Innovationen in Wirtschaft und Gesellschaft angesehen. Im Jahre 2002 entsteht die „Initiative Neue Qualität der Arbeit“ (INQA), gemeinschaftlich getragen von Bund und Ländern, Unternehmen, → Wirtschaftsverbänden und → Gewerkschaften. Sie widmet sich der Beantwortung der Frage: Wie soll unsere Arbeitswelt künftig aussehen? Generell betrachtet, verfolgt die Initiative das Ziel, wettbewerbsfähige Arbeitsplätze und persönlichkeitsfördernde Arbeitsbedingungen in Einklang zu bringen. Seit Anfang dieses Jahrhunderts erfährt die Diskussion über die menschengerechte Arbeitsgestaltung durch die Gewerkschaften neue Impulse. Auf der Grundlage des IGMetall-Projekts „Gute Arbeit“ beschließt 2006 der DGB-Bundeskongress gemeinsame Anstrengungen für eine „humane und gute Arbeit“. Unter dieser Perspektive
Humanisierung des Arbeitslebens
werden, gewissermaßen an die HdA-Erfahrungen und -Erkenntnisse anknüpfend, auch die psychischen und sozialen Aspekte der Arbeit bei der Gestaltung einer modernen Arbeitswelt berücksichtigt, wie z. B. Kompetenzentwicklung, Leistungsdruck, Verhältnis von beruflichem und privatem Leben, Arbeitsplatzsicherheit etc. Sichtbares Zeichen dieser gewerkschaftlichen Initiative ist der DGB-Index „Gute Arbeit“, der eine Kennzahl für die Qualität der Arbeit aus der Sicht der Beschäftigten durch differenzierte Bewertungen ihrer Arbeitssituation liefern soll. Folgt man der sozialpolitischen Debatte und dem arbeitswissenschaftlichen Diskurs, ist zu konstatieren, dass der Begriff H. mehr und mehr vermieden wird. Seit den 1990er Jahren wird den Fragen nach der humanen Qualität von Arbeit nicht mehr die zentrale Aufmerksamkeit geschenkt. Die Dominanz der marktzentrierten Perspektiven in den Unternehmen, die → Rationalisierung und Reorganisierung in den Betrieben aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit und die Sicherung der Beschäftigung angesichts großer → Arbeitslosigkeit führen zu einem nachlassenden Interesse an H. Der Druck der Veränderungen an den internationalen Märkten bewirkt eine differenziertere Interpretation der human- und sozial verträglichen Arbeitsgestaltung: Den betriebswirtschaftlichen Interessen und Notwendigkeiten der Betriebe wird der Primat gegenüber den Interessen und Fähigkeiten der Beschäftigten eingeräumt. Wenn die Sorge um die Sicherheit eines Arbeitsplatzes größer wird als die Sorge um die Sicherheit am Arbeitsplatz, dann treten Humanisierungsgesichtspunkte eher in den Hintergrund. Andererseits sind die im Kontext des Begriffs H. entwickelten und erprobten Strategien, Maßnahmen und Lösungen nach wie vor im beruflichen Alltag präsent. In die Arbeitsgesetze haben viele Erkenntnisse und Ergebnisse der Humanisierungsaktionen Eingang gefunden. Auch sind die mit H. gemeinten Sachverhalte immer noch Gegenstand entsprechender politischer, wissenschaftlicher, gewerkschaftlicher und
Humanisierung des Arbeitslebens
betrieblicher Diskurse – wenn auch unter anderen Akzentsetzungen und veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Es darf nicht übersehen werden, dass die substanziellen Erfahrungen, Ergebnisse und Erkenntnisse aus den vielfältigen Maßnahmen zur H. nicht an diesen Begriff gebunden sind. Er unterliegt seit jeher einem Bedeutungswandel, der abhängt von den jeweiligen Branchen, den Betriebsgrößen, der Produkt- und Dienstleistungsvielfalt, dem Qualifikationsprofil der Beschäftigten usw. Die Bedingungen für Humanisierungsmöglichkeiten hängen zudem in stärkerem Maße als etwa noch vor drei Jahrzehnten von strategischen Unternehmensentscheidungen ab, insofern sie bestimmt werden durch Entwicklungen auf den internationalen Märkten, besonders dem → Finanzmarkt. Bei den Maßnahmen zur H. werden → Arbeitsschutz, Technik, Organisation und Qualifikation in einem Beziehungsgeflecht gesehen. Es geht darum ● eine potenzielle Belastung zu erkennen und deren Verringerung durch Alternativen bei der Arbeitsplatzgestaltung, möglichst bereits vorbeugend, zu ermöglichen ● das Humanisierungspotenzial hinsichtlich seiner ökonomischen und ökologischen Implikationen realistisch einzuschätzen. Dabei müssen Faktoren berücksichtigt werden, die allein oder in ihrem Zusammenwirken auf eine konkrete Arbeitssituation Einfluss nehmen: Arbeitsplatz, Arbeitsinhalt, Arbeitsmittel, Arbeitsaufgabe, Arbeitsorganisation, → Arbeitsstrukturierung, Kompetenzprofil der arbeitenden Personen. Wegen der Komplexität der Aufgabe, die Arbeit menschengerecht und sozial verträglich zu gestalten, wird die Realisierung von Teilzielen der H. angestrebt, die allein oder kombiniert in betrieblichen Situationen realisiert werden sollen. Dabei geht es u. a. darum ● Belastungen durch die Arbeitsumgebung abzubauen ● die physische und psychische Gesundheit zu schützen 313
Humanisierung des Arbeitslebens
● Arbeitszeiten für Betrieb und Beschäftigte akzeptabel festzusetzen ● enge Taktbindungen bei Fließfertigung zu vermeiden ● Kompetenzen zur Geltung zu bringen und weiter zu entwickeln ● auf neue Aufgaben durch rechtzeitige Weiterbildung vorzubereiten ● Isolierung am Arbeitsplatz durch Möglichkeiten zu sozialen Kontakten zu vermeiden ● Arbeitsinhalte möglichst in größere Aufgabenzuschnitte einzubetten ● Kontrollen durch Informationstechnologien auf ein akzeptables Maß zu reduzieren. Ein Beispiel für H.-Maßnahmen aus dem Bereich der Arbeitsstrukturierung: Taktgebundene Arbeiten sind wegen ihrer Restriktionen und zeitlichen Einschränkungen stark belastend; die Handlungsspielräume der arbeitenden Menschen, d. h. ihre Tätigkeits-, Entscheidungs- und Kontrollspielräume können durch neue Formen der Arbeitsorganisation vergrößert werden. Als Varianten gelten als hinreichend erprobt: Verringerung von Zeitzwängen, systematischer Arbeitsplatzwechsel (→ job rotation), Arbeitserweiterung (→ job enlargement), Arbeitsbereicherung (→ job enrichment), (teil-)autonome Gruppenarbeit. Die Gestaltung der Arbeitswirklichkeit ist zwar letztlich Aufgabe der einzelnen Unternehmen; die Spielräume aber werden durch Gesetze, Verordnungen, Standards, tarifvertragliche Vereinbarungen etc. festgelegt. In dem Zusammenhang ist die Arbeit der folgenden Institutionen zu verorten: Die staatlich organisierte Gewerbeaufsicht, die in den Bundesländern in verschiedenen Behörden integriert ist, sorgt für die Einhaltung der Sicherheits- und Gesundheitschutzvorschriften zum Schutz von Beschäftigten und der Gesetze und Regelwerke mit ihren Zielvorgaben für die Güte von Luft und Wasser oder für Lärmimmissionen. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) ist als Spitzenverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften und der 314
Humanisierung des Arbeitslebens
Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand u. a. zuständig für Durchführung, Koordinierung und Förderung gemeinsamer Maßnahmen sowie der Forschung auf dem Gebiet der Prävention von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren. Aus wissenschaftlicher Sicht befasst sich die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) als Einrichtung des Bundes mit der Gestaltung einer sicheren und gesunden Arbeitswelt. Sie engagiert sich u. a. für gesunde und sichere Arbeitsbedingungen als entscheidenden Faktor sowohl des sozialen Fortschritts als auch des globalen → Wettbewerbs. Eine wichtige und öffentlichkeitswirksame Abteilung des BAuA ist die Deutsche Arbeitsschutzausstellung (DASA). Ihre Aktivitäten zielen darauf ab, den Arbeitsschutz in den Zusammenhang von Wettbewerbsfähigkeit, Sozialverträglichkeit und Nachhaltigkeit zu stellen. Im Mittelpunkt steht der Mensch in einer ganzheitlichen Sicht mit seinen körperlichen, seelischen, sozialen und kulturellen Gegebenheiten und Interessen. Sowohl mit ständigen als auch mit wechselnden Ausstellungen sowie mit vielen informativen Veröffentlichungen und Veranstaltungen zu Schwerpunktthemen bietet die DASA ein öffentliches Forum zur Information und Diskussion über die Zukunft einer humanen Arbeitswelt. Sie gehört zu den ersten Adressen für Pädagogen im Bereich der → ökonomischen und technischen Bildung. Im Bereich der → Arbeitswissenschaften gibt es in ihren Teildisziplinen eine große Fülle an Publikationen, die sich mit humanund sozialgerechter Gestaltung der Arbeit beschäftigen. Die meisten orientieren sich strukturell an ihrer Bezugswissenschaft, z. B. → Arbeitspädagogik, Arbeitsmedizin, Arbeitspsychologie, Arbeitswirtschaft oder der ingenieurwissenschaftlich geprägten → Ergonomie. Besonders hilfreich sind für Pädagogen solche Konzeptionen, die sich interdisziplinär, d. h. in der Perspektive verschiedener arbeitswissenschaftlicher Teildisziplinen, mit konkreten Aufgaben der Arbeitsgestaltung befassen.
Humanisierung des Arbeitslebens
In den vergangenen vier Jahrzehnten sind in der Arbeitswelt viele nachhaltige Verbesserungen der → Arbeitsbedingungen erreicht worden. Die Ursachen für Belastungen am Arbeitsplatz ändern sich mit dem technischen Wandel, mit der Internationalisierung der Wertschöpfung, mit der Nachhaltigkeitsdebatte und nicht zuletzt mit dem demographischen Wandel der Gesellschaft. Insofern bleiben die Aufgaben der humanund sozialgerechten Gestaltung von Arbeit eine stets aktuelle Herausforderung und erfordern immer wieder neue angemessene Lösungen. Deshalb muss eine zukunftsorientierte ökonomisch-technische Bildung die Jugendlichen über die Notwendigkeit aufklären, ● die Gestaltung der konkreten Arbeitsbedingungen als Aufgabe im Kontext des technischen und ökonomischen Wandels zu begreifen ● menschengerechte, sozialverträgliche und umweltschonende Lösungen bei der Gestaltung von Arbeitsplätzen und der Organisation von Arbeit anzustreben ● Kompetenzen zu entwickeln, um entsprechend den individuellen Erfordernissen und den betrieblichen Gegebenheiten die vorfindliche Arbeitsrealität mitgestalten zu können ● ihre Stellung im Arbeitsleben durch Bildungsinteresse und Bereitschaft zur Weiterqualifizierung zu festigen. Literatur: Benthin, Rainer; Brinkmann, Ulrich (Hrsg.): Unternehmenskultur und Mitbestimmung. Betriebliche Integration zwischen Konsens und Konflikt. Frankfurt: Campus (2007); DGB-Index Gute Arbeit. http://www.dgb-index-gute-arbeit. de; inqa.de – Initiative Neue Qualität der Arbeit: http://www.inqa.de; Landau, Kurt: Lexikon Arbeitsgestaltung. Best Practice im Arbeitsprozess. Wiesbaden: Universum (2007); Luczak, Holger; Volpert, Walter (Hrsg.): Handbuch Arbeitswissenschaft. Stuttgart: Schäffer-Poeschel (1997); Sauer, Dieter: Arbeit im Übergang. Zeitdiagnosen. Hamburg: VSA (2005); Schröder, Lothar; Urban, Hans-Jürgen (Hrsg.): Gute Arbeit. Handlungsfelder für Betriebe, Politik und
Hume, David
Gewerkschaften. Frankfurt a. M.: Bund (2009); Zeitschrift für Arbeitswissenschaft mit bemerkenswertem online-Angebot (u. a. ausgewählte Artikel im Volltext): http:// www.zfa-online.de/index.html. Folgende Adressen bieten den Pädagogen nützliche, stets aktuelle Informationen: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: http://www.baua.de; Deutsche Arbeitsschutzausstellung (DASA): http:// www.dasa-dortmund.de; Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: http://www.dguv. de; Gesellschaft Arbeit und Ergonomie – online e.V.: http://www.ergo-online.de; Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e. V.: http://www.gfa-online.de/index.php. Prof. Dr. Wilfried Hendricks, Berlin Humankapital ⇒ Human Capital die auf Grund natürlicher Dispositionen (Anlagen) verfügbaren insbesondere aber durch → Bildung erworbenen Fähigkeiten, die der einzelne zur Einkommenserzielung in den → Produktionsprozeß einbringen kann. → Ausgaben für Bildung (insbesondere Schul- und Berufsbildung) bedeuten in diesem Verständnis → Investitionen in H. Hume, David *1711 (Edinburgh) †1776 (ebd.). Hauptsächlich als Philosoph (Treatise of Human Nature, 1740) und Historiker (History of England, 1754 – 62) bekannt, beeinflußte H. auch das ökonomische Denken seiner Zeit in ungeheuerem Maße. Einige seiner Essays: Moral, Political and Literary (1741 ff.) sind wirtschaftspolitischen Themen gewidmet. In seinen philosophischen Schriften präsentiert sich H. als extremer antirationalistischer Skeptiker, der an kein durch Erfahrung gewinnbares allgemeines Wissen (Induktion) glaubt. Daraus resultiert seine Ablehnung umfassender Planung in politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Fragen. Institutionen wie → Eigentum und Recht seien evolutionär entstanden und hätten sich im Laufe der Geschichte als nützlich erwiesen. Auch sein weitgehendes Eintreten für den → Freihandel leitet sich aus der Skepsis gegenüber planerischer Vernunft ab. 315
Hume, David
Wichtigster Beitrag H. zum ökonomischen Denken ist eine Widerlegung der merkantilistischen Kernthese, daß der Reichtum eines Landes durch die Einfuhr von Gold gesteigert werden könne. H. Einfluß auf die Ideen seines Freundes → Adam Smith ist kaum zu überschätzen, weshalb er zu den wichtigsten Vorläufern modernen ökonomischen Denkens gerechnet werden muß. Literatur: F. A. von Hayek, Die Rechtsund Staatsphilosophie David Humes; in: ders. Freiburger Studien, Tübingen 1969, S. 232 ff; F. Klemme, Die Volkswirtschaftlichen Ansichten David Humes, Jena 1990; W. L. Taylor, Francis Hutcheson and David Hume as Predecessors of Adam Smith, Durham 1965. D. D. Hypothek §§ 1113 – 1190 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); die Belastung eines Grundstücks zur Sicherung einer → Forderung, derzufolge der → Gläubiger – falls die Forderung nicht erfüllt wird – die → Zwangsvollstrekkung in das Grundstück verlangen und sich daraus befriedigen kann. In der Regel ist der Grundstückseigentümer gleichzeitig der → Schuldner. Es ist aber auch möglich, daß ein Dritter sein Grundstück als Sicherheit für die Schuld eines anderen zur Verfügung stellt und hypothekarisch belasten läßt. Die allgemein übliche Form der H. ist die der Verkehrshypothek. Sie dient normalerweise der Baufinanzierung. Bei ihr braucht der Gläubiger zur Geltendmachung seiner
316
Hypothekenschuld
H. das Bestehen seiner Forderung nicht nachzuweisen. Die Verkehrshypothek kann als Brief- oder Buchhypothek gestaltet werden. Bei der Briefhypothek wird über das → Grundpfandrecht ein H.-brief ausgestellt, das ist eine amtliche Urkunde über die Eintragung der H. im → Grundbuch. Erst mit der Übergabe dieses Briefes erwirbt der Gläubiger das Grundpfandrecht. Der Hypothekenbrief hat die Funktion, das Grundpfandrecht verkehrsfähig (mobil) zu machen. Seine weitere Übertragung braucht nicht mehr ins Grundbuch eingetragen zu werden; sie erfolgt in der Regel durch Übergabe des H.-briefes mit schriftlicher Abtretungserklärung (am besten mit → öffentlicher Beglaubigung.). – Bei der Buchhypothek wird kein Brief ausgestellt, was durch Vermerke im Grundbuch festgestellt wird. Weniger gebräuchlich ist die Sicherungshypothek (die als solche im Grundbuch bezeichnet werden muß). Bei ihr hat der H.-Gläubiger zur Geltendmachung seines Grundpfandrechtes das Bestehen einer persönlichen Forderung nachzuweisen. Die Sicherungshypothek ist immer Buchhypothek. Hypothekarkredit ⇒ Hypothekenschuld hypothekarisch (→ Hypothek) gesichertes → Darlehen. Hypothekenschuld ⇒ Hypothekarkredit.
IAA
Ideologie
I IAA Abk. für: → Internationales Arbeitsamt. IAB Abk. für: → Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. IBAN → Überweisung. IBRD Abk. für: International Bank for Reconstruction and Development. → Weltbank. Identifikationsnummer Nach dem Steueränderungsgesetz 2003 ist für jeden Steuerpflichtigen die Einführung eines bundeseinheitlichen Ordnungsmerkmals (steuerliches Identifikationsmerkmal) vorgegeben. → Natürliche Personen erhalten mit ihrer Geburt eine Steuer-I. (SteuerID) und behalten diese bis 20 Jahre nach ihrem Tod; wirtschaftlich Tätige erhalten eine Wirtschafts-I. Diese neue, elfstellige Steuernummer (Zahlencode) wird vom Bundeszentralamt für Steuern zusammenund zugestellt. Ideologie Der Begriff der I. hat in seiner bald 300-jährigen Geschichte sehr unterschiedliche Ausprägungen erfahren. Danach können weite und enge I.-begriffe unterschieden werden: – I. als Denksystem und Theorie mit dem Anspruch, die Gesellschaft in umfassender Weise zu analysieren und zu erklären (z. B. → Marxismus). – I. als politische Grundrichtung oder Weltanschauung, als eine spezifische Form der Gesellschaftsinterpretation und -bewertung (z. B. Konservatismus). – I. als politischer Kampfbegriff mit der Intention, den politischen Gegner herabzusetzen bzw. seine wissenschaftliche Integrität und Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen (z. B. Diffamierung des politischen Gegners). Eine Analyse der verschiedenen I.-begriffe ergibt folgende gemeinsamen Begriffsmerkmale:
– Verschleierungscharakter: alle I.-begriffe gehen aus von der prinzipiellen Möglichkeit objektiver Erkenntnis und bezeichnen eine Form der Verhüllung, Verschleierung und Verfälschung der Erkenntniswirklichkeit. – Rechtfertigungscharakter: I. gehören prinzipiell herrschaftsgeordneten Gesellschaften an und sind insofern Aussagen von Personen oder Personengruppen, die Herrschaft anstreben, erhalten oder erweitern wollen. – Wahrheitskern: I. entspringen immer einer Auffassung von Wirklichkeit, die mit dieser nur teilweise übereinstimmt. Weder die platte Lüge noch der Irrtum sind daher mit I. gleichzusetzen. Das Spezifikum der ideologischen Aussage besteht gerade darin, daß sie allemal hinter der bereits möglich gewordenen (oder schon einmal erreichten) ‚Einsicht‘ zurückbleibt. Es empfiehlt sich, von einem engen I.-begriff auszugehen, da weite I.-begriffe stets in der Gefahr stehen, alle gesellschaftsbezogenen Aussagen dem I.-verdacht zu unterwerfen (z. B. der Panideologismus Karl Mannheims). Das I.-problem ist wissenschaftstheoretisch von verschiedenen erkenntnistheoretischen und methodologischen Positionen angegangen worden. Hierbei kann prinzipiell zwischen einer positivistischen und einer marxistischen I.-lehre unterschieden werden. Der positivistische I.-begriff geht aus von der theoretischen oder Erkenntniswirklichkeit als dem Inbegriff der raum-zeitlich bestimmten, unmittelbar oder mittelbar sinnlich wahrzunehmenden Erscheinungen. Die ideologische Abweichung von der Erkenntniswirklichkeit besteht darin, daß eine Aussage sich gar nicht auf ein Erkenntniswirkliches bezieht oder beschränkt, sondern wirklichkeitsfremde Elemente enthält, d. h. die ideologische Aussage ist kraft ihrer Art und ihres Gegenstands der empirischen Bestätigung oder Widerlegung unzugänglich (vgl. Geiger 1968, 44). Im Gegensatz hierzu stellt die 317
Ideologie
marxistische Ideologienlehre auf den ökonomischen Entstehungszusammenhang und die gesellschaftliche Funktion von I. ab. I. sind bei → Marx eine Funktion der Produktionsverhältnisse, also der ökonomischen Basis und insofern Überbauphänomene. Den Kern der marxistischen I.-lehre umreißt der vielzitierte Satz: „Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d. h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht“ (Marx/Engels 1973, 46). Diese beiden Wurzeln des I.-problems verweisen auf zwei Ebenen der Ideologiekritik: (1) Zunächst ist eine Aussage, die unter I.-verdacht steht, einer erkenntnistheoretischen und logischen Analyse zu unterziehen (positivistische I.-kritik). Hierbei geht es um die Überprüfung des Wahrheitsgehalts und um die immanente Kritik der kognitiven Inhaltsstruktur der Aussage, insbesondere um die Aufdeckung offener und/oder versteckter Werturteile. Typische Verfahrensmängel in der Argumentation als Merkmale ideologischer Aussagen sind hierbei: Vermischung von Tatsachen und Werturteilen; Voraussetzungen, aus denen Schlüsse gezogen werden, sind unrichtig oder unvollständig; das zu Beweisende wird stillschweigend schon in die Voraussetzungen der Aussage aufgenommen; Hypothesen werden unversehens in feste Behauptungen verwandelt; falsche oder einseitige kausale Beziehungen werden hergestellt; partikulare Interessen werden als Gesamtinteressen ausgewiesen; vorgefundene Sachverhalte werden in unzulässiger Weise verallgemeinert. (2) Auf der zweiten Ebene von I.-kritik geht es um die Aufdeckung des Systems funktionaler Beziehungen zwischen I.-produzent, I.-adressat und ideologischer Aussage (soziologische I.-kritik). Wer ist I.-produzent? Welche Interessen verfolgt er kraft seines Amtes bzw. seiner gesellschaftlichen bzw. politischen Position? Welche ‚ideologische Botschaft‘ will er dem I.-adressaten nahebringen? Durch welche Argumentations318
Ideologie
muster will er den I.-adressaten von der Richtigkeit seines Handelns und Verhaltens überzeugen? Welche Ansprüche, Machtund Herrschaftsinteressen sollen begründet und abgesichert werden? I.-kritik als Aufgabe der Schule und des Unterrichts ist insbesondere im wirtschaftsund sozialkundlichen Lernbereich eine unabdingbare Voraussetzung für Aufklärung und Entdogmatisierung, für das Vermögen, eigene Interessen zu erkennen, zu analysieren und sie gegebenenfalls gegen den Anspruch konkurrierender Interessen durchzusetzen und für die Möglichkeit, Herrschafts- und Machtpositionen in der Gesellschaft zu erkennen und durch politisches Handeln abzubauen. Die Aufgaben der I.-kritik, die zugleich als pädagogischer Lernzielkatalog verstanden werden können, können nach Hans Albert (1968, 88 ff.) wie folgt zusammengefaßt werden: I.-kritik hat die Aufgabe, die Ergebnisse und Methoden kritischen Denkens für die Bildung des sozialen Bewußtseins und damit auch der öffentlichen Meinung fruchtbar zu machen; sie soll einen Beitrag zur Förderung der Erziehung zu rationalem Problemlösungsverhalten leisten; sie soll Methoden lehren, die es dem einzelnen ermöglichen, sich ein selbständiges Urteil zu bilden und damit Strategien der Immunisierung, der Verdunkelung, Vernebelung und Verklärung, also: dogmatische Verfahrensweisen zu durchschauen; sie soll die Immunität der Mitglieder einer Gesellschaft gegen irrelevante Arten der Argumentation erhöhen und sie zugleich empfänglich machen für echte und relevante Kritik; sie soll zu einer Korrektur bestimmter Vorurteile beitragen, besonders solcher Vorurteile, die sozial und politisch sehr wirksam sind; sie darf sich nicht allein mit sprachlichen Mitteln zufriedengeben, sondern muß sich auch anderer Mittel der Bewußtseinsschärfung (z. B. Literatur, Kunst usw.) bedienen, soweit sie Aufklärung und Entdogmatisierung zu befördern vermögen. Mit dieser weitgehenden Identität von Wissenschaftszielen und Lernzielen bietet Albert eine wissenschaftstheroretisch und methodologisch begründete Programmatik
Ideologie
der I.-kritik, die im wirtschafts- und sozialkundlichen Unterricht in didaktische Kategorien umzusetzen ist. Literatur: Albert, H.: Traktat über kritische Vernunft. Tübingen 1968; Boudon, R.: Ideologie. Geschichte und Kritik eines Begriffs. Reinbek bei Hamburg 1988; Geiger, T.: Ideologie und Wahrheit, Neuwied 19682; Hofmann, W.: Universität, Ideologie, Gesellschaft, Frankfurt 1968; Marx, K./Engels, F.: Die deutsche Ideologie, MEW 3, Berlin 1973; Matz, U.: Die Bedeutung der Ideologien in der heutigen Welt. Köln 1986; Salamun, K.: Ideologien und Ideologiekritik. Darmstadt 1992; Straßner, E.: Ideologie Sprache Politik. Grundfragen ihres Zusammenhangs. Tübingen 1987; Weinbrenner, P.: Zur Ideologiekritik wirtschafts- und sozialkundlicher Lehr- und Lernmittel, in: Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“, Nr. B 35/1973. Prof. Dr. Peter Weinbrenner, Bielefeld Ideologiekritik → Ideologie. IHK ⇒ Industrie- und Handelskammer(n). ILO Abk. für: International Labour Organization. 1919 gegründet mit Sitz in Genf, seit 1946 Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Ihre allgemeine Zielsetzung ist die weltweite Verbesserung der → Arbeitsbedingungen. Zu ihrer Verfolgung erarbeitet sie internationale Empfehlungen und versucht mit ihren Mitgliedsstaaten zur Ratifizierung entsprechender Übereinkommen zu gelangen. IMF Abk. für: International Monetary Fund ⇒ Internationaler Währungsfonds. Immobilien ⇒ unbewegliche Sachen. → Sachen. Immobilienfonds → Fonds.
Individualgüter
Imperialismus 1. allgemein: Staatliche Politik der territorialen Ausdehnung und Machterweiterung mittels diplomatischer wie auch militärischer Intervention. 2. im engeren Sinn: Nach den frühen (z. T. von religiösem u. missionarischem Sendungsbewußtsein getragenen) Eroberungen von England, Frankreich, Spanien und Portugal in Amerika die seit der Mitte des 19. Jh. betriebene Expansionspolitik der europäischen Staaten (England, Frankreich, Deutschland, Portugal, Belgien, die Niederlande) in Asien und Afrika. Import ⇒ Einfuhr der Bezug von → Gütern (→ Sachgütern und → Dienstleistungen) aus dem Ausland. Importkartell → Kartell, dessen Vereinbarung die → Einfuhr von → Gütern (→ Sachgütern und → Dienstleistungen) betrifft (z. B. bestimmte Mengen). Improvisation Begriff der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre: spontane Entscheidung; kann durch Eintreten nicht vorhergesehener Umstände erforderlich werden. Gegensatz: planmäßige (eingehend reflektierte) unternehmerische → Entscheidung. Incentive Anreiz, durch den ein bestimmtes Verhalten stimuliert werden soll; z. B. erhöhte Arbeitsleistung durch Leistungsprämien (→ Leistungszulage). indirekte Kosten ⇒ Gemeinkosten. indirekte Steuern → Steuern. Individualbedürfnisse → Bedürfnisse, die von ihrem Träger (in der Regel) selbst befriedigt werden können (z. B. Wunsch nach Nahrung, Kleidung, Wohnung, PKW, Ferienreise). Gegensatz: → Kollektivbedürfnisse. Individualgüter ⇒ private Güter → Güter. 319
Individualismus
Individualismus wissenschaftliche Lehre/Auffassung, die das → Individuum mit seinen Interessen und → Bedürfnissen in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung stellt und zur Begründung ethischer und gesellschaftlicher Wertvorstellungen heranzieht; so insbesondere der → Liberalismus. Gegensatz: → Kollektivismus. Individualprinzip aus dem → Individualismus abgeleiteter Grundsatz der → Leistungsgesellschaft, demzufolge jeder die Freiheit haben soll, seine Lebensbedingungen selbst zu gestalten. Diesem Grundsatz folgt die eigenverantwortliche → Selbstvorsorge. Gegensatz: → Sozialprinzip. Individualversicherung ⇒ Privatversicherung ⇒ private Versicherung Gesamtheit all jener → Versicherungen, die von den Versicherungsnehmern freiwillig zur persönlichen Risikoabdeckung abgeschlossen werden. Ausgenommen von dieser auf Freiwilligkeit beruhenden Vertragsversicherung sind bestimmte Versicherungsbereiche, in denen eine gesetzliche Versicherungspflicht besteht (z. B. → Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung). Es lassen sich im wesentlichen folgende I.-gruppen ausmachen: → Sachversicherungen, → Personenversicherungen, → Haftpflichtversicherungen, → Rechtsschutzversicherungen. Gegensatz: → Sozialversicherungen. Individuum der Mensch als (ganzheitliches) Einzelwesen, das in seiner Besonderheit einmalig ist. Indossament formgebundene schriftliche Erklärung des Inhabers eines → Orderpapieres (z. B. eines → Wechsels) auf dessen Rückseite, daß der aus dem Papier Verpflichtete statt an ihn (den bisherigen Inhaber und → Indossanten) an die von ihm genannte Person zu leisten habe. 320
Industrie- und Handelskammer(n) (IHK)
Indossant derjenige, der durch → Indossament ein → Orderpapier überträgt. industrielle Revolution die durch die industrielle Entwicklung bedingte Umgestaltung der Arbeits- und Sozialordnung in Europa, vornehmlich zwischen ca. 1750 und 1850. Der Begriff i. wurde von Friedrich → Engels und Louis A. Blanqui geprägt. Industrieobligationen → Schuldverschreibungen namhafter → Unternehmen der Privatwirtschaft. Ihre Rückzahlung und → Verzinsung sichern: die wirtschaftliche Lage und Ertragskraft des jeweiligen Unternehmens; → Grundpfandrechte auf dessen Grundbesitz oder die schuldrechtliche Verpflichtung des Emittenten (des Ausgebers der I.), den Grundbesitz nicht anderweitig zu belasten und anderen → Gläubigern keine besseren → Sicherheiten zu gewährleisten (Negativerklärung). Am → Kapitalmarkt gelten I. im Vergleich zu → öffentlichen Anleihen und → Bankschuldverschreibungen als risikoreicher. Sie sind nicht → mündelsicher. Ihre Bedeutung als Finanzierungsinstrument wie auch als Anlagemöglichkeit ist stark im Schwinden begriffen. Industriepädagogik → Wirtschaftspädagogik. Industriepolitik → Strukturpolitik. Industrie- und Handelskammer(n) (IHK) regional gegliederte Selbstverwaltungsorganisationen zur Interessenvertretung der gewerblichen Wirtschaft (Industrie, Handel, Banken, Verkehr und andere Dienstleistungsbereiche). Die einschlägigen Gewerbetreibenden sind kammerzugehörig kraft Gesetz (Zwangsmitgliedschaft). Die I. fördern die → Unternehmen und beraten sie in wirtschaftlichen Angelegenheiten; darüber hinaus sind sie Träger der → Berufsausbildung. Ihre Organe werden demokratisch gewählt (Vollversammlung, Präsidium, Präsident, Hauptgeschäftsführer). Spitzenorgan der I. ist der → Deutsche Industrie- und Handelskammertag.
Inflation
Innovation
Inflation Prozeß anhaltender Preisniveausteigerungen (→ Preisniveau) und damit verbundenen Kaufkraftverlustes (→ Kaufkraft).
Inhaberscheck → Scheck, der auf den Inhaber oder auf eine bestimmte Person mit dem Zusatz „oder Überbringer“ ausgestellt wird.
Inflationsrate durchschnittliche jährliche Steigerung des → Preisniveaus.
Inhaberschuldverschreibung → Schuldverschreibung (→ Anleihe), bei der die in ihr verbrieften Rechte von ihrem jeweiligen Besitzer (Inhaber) geltend gemacht werden können. Die I. wird durch → Einigung und → Übergabe übertragen.
informationelle Selbstbestimmung Begriff des Arbeitsvertragsrechts. Das Recht auf i. sichert grundsätzlich jedem → Arbeitnehmer die Befugnis, selbst zu bestimmen, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Daten offengelegt werden. Einschränkungen dieses Rechtes sind nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit zulässig. Siehe auch → Datenschutz, betrieblicher. Infrastruktur wirtschaftlich-organisatorischer Unterbau einer → Volkswirtschaft, der sich insbesondere in deren Verkehrs- und Kommunikationseinrichtungen, Energieversorgung und Bildungseinrichtungen niederschlägt. Informationsgesellschaft → Wissensgesellschaft. Inhaberaktie in Deutschland übliche Form der → Aktie. Bei ihr können die (in der Aktie) verbrieften Mitgliedschaftsrechte (an der → Aktiengesellschaft) von jedem Besitzer (Inhaber) der Aktie geltend gemacht werden. Die I. wird durch → Einigung und → Übergabe übertragen. Inhaberklausel Vermerk auf einem → Wertpapier, wonach der Inhaber (Besitzer, → Besitz) desselben zur Geltendmachung der Rechte aus dem Papier befugt ist. Inhaberpapiere → Wertpapiere, deren verbriefte Rechte vom jeweiligen Inhaber (Besitzer, → Besitz) geltend gemacht werden können. I. können durch → Einigung und → Übergabe (→ Eigentumserwerb) übertragen werden, ohne daß auf der Urkunde (d. h. auf dem I.) ein entsprechender Vermerk erfolgen muß. I. sind unter anderen: → Inhaberaktie, → Inhaberschuldverschreibung, → Wechsel mit Blankoindossament, → Überbringerscheck.
Inkasso Einziehung fälliger → Forderungen, insbesondere von Rechnungen, → Wechseln, → Schecks u. a. Inkassobüro gewerbliches → Unternehmen (→ Gewerbebetrieb), das sich mit der Einziehung fremder → Forderungen befaßt. Inländerkonzept → Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Inlandskonzept → Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Inlandsprodukt Begriff der → Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung; das Ergebnis der wirtschaftlichen Tätigkeit im Inland (einschließlich der hier von Ausländern ausgeübten). Differenziert läßt sich das I. wie folgt berechnen: gesamtwirtschaftlicher Umsatz aufgrund inländischer → Produktion – Vorleistungen = Bruttowertschöpfung + nichtabzugsfähige → Umsatzsteuer + Einfuhrabgaben = Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen – → Abschreibungen = Nettoinlandsprodukt zu Marktpreisen – → indirekte Steuern + → Subventionen = Nettoinlandsprodukt zu → Faktorkosten. Innovation (lat. = Neuerung) Umsetzung von Erfindungen im → Produktionsprozeß, auf Produktebene (Produktinnovation) wie auch auf Verfahrensebene (Prozeßinnovation). → technischer Fortschritt. 321
Input
Input ⇒ Aufwand. Insassen-Unfallversicherung → Unfallversicherung. Insassenversicherung ⇒ Kraftfahrtunfallversicherung gewährt (unabhängig von der → Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung) → Versicherungsschutz bei Kraftfahrzeugunfällen, bei denen Insassen (oder Berufsfahrer) zu Schaden kommen. Sie wird in verschiedenen Ausgestaltungen angeboten. Insolvenz ⇒ Zahlungsunfähigkeit sie ist dann gegeben, wenn ein → Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat oder einen wesentlichen Teil seiner → Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen kann. Insolvenzgeld gesetzlich garantierte (→ Geld-)Leistung, die im Falle der → Insolvenz des arbeitgebenden → Unternehmens die → Arbeitnehmer für die letzten 3 Monate beanspruchen können (§§ 183 ff. SGB III). Das I. wird im Umlageverfahren über Arbeitgeberbeiträge durch die → Berufsgenossenschaften finanziert. Die → Agentur für Arbeit kann einen Vorschuß auf das I. erbringen (§ 186 SGB III). Insolvenzmasse das gesamte → Vermögen, das dem → Schuldner zur Zeit der Eröffnung des → Insolvenzverfahrens gehört und das er während desselben erlangt. Die I. ergibt sich nach → Aussonderung derjenigen Gegenstände, die dem Schuldner nicht gehören. Insolvenzordnung Rechtsgrundlage des am 1.1.1999 in Kraft getretenen neuen Insolvenzrechts. → Insolvenzverfahren. Insolvenzplan Plan zur Befriedigung der absonderungsberechtigten → Gläubiger und der Insolvenzgläubiger, zur Verwertung der → Insolvenzmasse und deren Verteilung an die Beteiligten sowie zur Haftung des Schuldners nach Beendigung des → Insolvenzverfahrens (§§ 217 ff. InsO). 322
Insolvenzverfahren
Insolvenzverfahren Während im Falle der → Zahlungsunfähigkeit (Insolvenz) des → Schuldners zur Befriedigung eines einzelnen → Gläubigers die → Zwangsvollstreckung dient, greift zur Befriedigung mehrerer Gläubiger seit dem 1. 1. 1999 die neue → Insolvenzordnung (InsO). Diese gilt einheitlich im gesamten Bundesgebiet und löst die bis dahin gültige Konkurs- und Vergleichsordnung in den alten und die Gesamtvollstreckungsordnung in den neuen Bundesländern ab. Mit seinem Reformwerk versucht der Gesetzgeber einen dem modernen Wirtschaftsleben angepaßten Rahmen für die → Liquiditation beziehungsweise die → Sanierung notleidender Unternehmen wie auch – und das ist das grundlegend Neue – für die Restschuldbefreiung von Verbrauchern durch Einführung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens zu schaffen. Als Verbraucher klassifiziert das Bundesministerium der Justiz → Arbeitnehmer und Empfänger von Versorgungsleistungen sowie Rentner und Pensionäre. Auch ehemalige → Selbständige, sofern deren Vermögensverhältnisse überschaubar sind, werden ihnen zugerechnet. Alle anderen Personen, also freiberuflich tätige Selbständige wie Ärzte, Rechtsanwälte oder Architekten, Kleingewerbetreibende und Unternehmer werden dem durch die Verbraucherinsolvenzordnung begünstigten Personenkreis nicht zugerechnet und können demnach eine Befreiung von ihren Schulden nur im Rahmen des Regelinsolvenzverfahrens (d. h. des normalen I.) und des sich gegebenenfalls anschließenden Restschuldbefreiungsverfahrens erlangen. Bei Regelinsolvenzverfahren wird die Restschuldbefreiung durch einen → Insolvenzplan erreicht, der die Befriedigung der Gläubiger regelt. Kommt ein solcher Plan jedoch nicht zustande, steht auch diesen Personen nach Aufhebung des I. wie den Verbrauchern das Restschuldbefreiungsverfahren offen. Während die Unternehmensinsolvenz als ein Spezialproblem einer gesonderten Betrachtung überwiesen werden kann, soll hier das allgemeine Interesse erheischende
Insolvenzverfahren
Verbraucherinsolvenzverfahren eingehend dargestellt werden. Dem Verbraucherinsolvenzverfahren liegt die Absicht zu Grunde, überschuldeten Personen durch Restschuldbefreiung einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen. Verbunden ist diese Absicht mit dem sozialpolitischen Ziel, die für die Betroffenen mit einer Überschuldung einhergehenden sozialen Probleme und die aus diesen erwachsenden gesellschaftlichen Folgelasten einzudämmen. Das Verbraucherinsolvenzverfahren ist in vier Phasen gegliedert: 1. Phase: Außergerichtlicher Einigungsversuch des Schuldners mit seinen Gläubigern. Zunächst obliegt dem Schuldner die Pflicht, ernsthaft zu versuchen, sich mit seinen Gläubigern auf der Grundlage eines Planes außergerichtlich zu einigen, indem er ihnen einen Vergleich (so z. B. Ratenzahlung, Stundung oder Teilerlaß) vorschlägt. Bei diesem Einigungsversuch hat sich der Schuldner der Mithilfe einer als geeignet anerkannten Schuldnerberatungsstelle oder einer geeigneten Person oder Einrichtung (z. B. eines Rechtsanwaltes, Notars, Steuerberaters oder einer Verbraucherzentrale) zu bedienen. Scheitert dieser Einigungsversuch, so hat sich dies der Schuldner durch eine dieser vorgenannten Personen oder Einrichtungen bestätigen zu lassen. 2. Phase: Gerichtliches Verfahren über den Schuldenbereinigungsplan Nach vergeblichem Einigungsversuch mit seinen Gläubigern kann der Schuldner beim Insolvenzgericht (d. i. das zuständige Amtsgericht) einen Antrag auf Eröffnung des gerichtlichen Insolvenzverfahrens stellen. Seinem Antrag hat der Schuldner folgende Unterlagen beizufügen: – die von der als geeignet anerkannten Stelle oder geeigneten Person oder Einrichtung ausgestellte Bescheinigung über den gescheiterten Einigungsversuch mit den Gläubigern; – ein Einkommens- und Vermögensverzeichnis, aus dem die gesamte Einkommens- und Vermögenslage des Antragstellers ersichtlich wird;
Insolvenzverfahren
– ein Verzeichnis aller Forderungen, die der Antragsteller gegenüber Dritten hat; – ein Verzeichnis aller Verbindlichkeiten, die der Antragsteller hat; – einen Schuldenbereinigungsplan. Bei der Zusammenstellung dieser Unterlagen nimmt der Schuldner zweckmäßigerweise die Hilfe der anerkannten Person/ Einrichtung in Anspruch. Das Gericht wird auf der Grundlage des eingereichten Schuldenbereinigungsplanes und der Erfahrungen aus dem außergerichtlichen Einigungsversuch erneut versuchen, eine Einigung zwischen Schuldner und Gläubigern herbeizuführen. Es verschickt deshalb Kopien der eingereichten Unterlagen an alle beteiligten Gläubiger und bittet sie um eine Stellungnahme. Um das Verfahren nicht zu verschleppen, wird bei den Gläubigern, die sich zu den ihnen überlassenen Unterlagen nicht innerhalb eines Monats rückäußern, Zustimmung unterstellt. Falls sich einzelne Gläubiger ohne für das Gericht ersichtlichen Grund einer wirtschaftlich sinnvollen Einigung widersetzen, kann dieses (Gericht) deren Zustimmung ersetzen. Ein derartiges gerichtliches Vorgehen ist aber nur dann zulässig, wenn die Mehrheit der Gläubiger (Kopfmehrheit), die Forderungen über mehr als die Hälfte der Gesamtforderung (Kapitalmehrheit) hat, der vorgetragenen Lösung zustimmt. Wird der Schuldenbereinigungsplan angenommen, wird das Verfahren durch Gerichtsbeschluß beendet. Der Schuldner hat nunmehr die im Schuldenbereinigungsplan vorgegebenen Leistungen in der festgelegten Zeitfolge zu erbringen. Widrigenfalls können die Gläubiger Vollstreckung beantragen. Kann keine Einigung erzielt werden, wird das gerichtliche Insolvenzverfahren eröffnet. 3. Phase: Gerichtliches Insolvenzverfahren Das gerichtliche I. ist kostenpflichtig. Es sind Gerichtsgebühren und die gerichtlichen Auslagen (z. B. Veröffentlichungskosten) zu zahlen. Die Höhe der Gebühren hängt im Einzelfall von der sogenannten Aktions323
Insolvenzverfahren
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)
masse, das heißt dem Wert des Schuldvermögens ab. Auch der Treuhänder im I. und in der Wohlverhaltensperiode hat Anspruch auf Vergütung. Das Gericht prüft zunächst, ob – der Schuldner die Verfahrenskosten als Vorschuß auf bringen kann; – Gründe gegen eine Restschuldbefreiung vorliegen (bspw. die Durchführung eines I. mit Restschuldbefreiung während der letzten zehn Jahre, falsche Angaben in den vorgelegten Verzeichnissen, falsche Angaben während der letzten drei Jahre bei Kreditanträgen oder bei Anträgen auf öffentliche Leistungen oder zur Vermeidung von Zahlungen an öffentliche Stellen, eine rechtskräftige Verurteilung wegen einer Insolvenzstraftat). Verläuft diese Prüfung ohne negative Befunde, bestimmt das Gericht einen Treuhänder beziehungsweise einen Insolvenzverwalter, an den der Schuldner den pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens abzuführen hat. Der Treuhänder/Insolvenzverwalter verteilt diesen dann an die Gläubiger. 4. Phase: Wohlverhaltensperiode mit anschließender Restschuldbefreiung In einer der Durchführung des Insolvenzverfahrens folgenden sechsjährigen Wohlverhaltensperiode hat der Schuldner den pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens an den Treuhänder/Insolvenzverwalter abzuführen. Außerdem obliegen dem Schuldner während dieser Wohlverhaltensperiode folgende Pflichten (→ Obliegenheitspflichten): – im Falle von Arbeitslosigkeit sich um eine „zumutbare Arbeit“ zu bemühen und dieses Bemühen auch nachzuweisen; – dem Gericht jeden Wechsel der Arbeitsstelle und/oder des Wohnsitzes mitzuteilen; – Erbschaften zur Hälfte an den Treuhänder/Insolvenzverwalter abzuführen; – Änderungen in seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen dem Gericht anzuzeigen. Im fünften Jahr der Wohlverhaltensperiode werden dem Schuldner 10 Prozent und im sechsten Jahr 15 Prozent des pfändbaren 324
Teils seiner Einkünfte belassen. Über diese Maßnahme soll er stimuliert werden, durchzuhalten. Hat der Schuldner bis zum Ende der Wohlverhaltensperiode die ihm auferlegten Pflichten gewissenhaft erfüllt und gibt er den Gläubigern keinen Anlaß, den Widerruf der Restschuldbefreiung bei Gericht zu beantragen, wird er durch Gerichtsbeschluß von seinen restlichen Schulden befreit. Institut der deutschen Wirtschaft Köln Das I. wurde 1951 unter dem Namen „Deutsches Industrieinstitut“ gegründet. Ihm gehören die wichtigsten Wirtschafts- und → Arbeitgeberverbände als ordentliche Mitglieder sowie zahlreiche Fach- und Regionalverbände wie auch → Unternehmen als außerordentliche Mitglieder an. Wissenschaftliche Analyse, breite Information und gezielte Beratung markieren die Institutsarbeit. Das Forschungsprogramm widmet sich anhand jeweils aktueller Fragestellungen dem Zusammenwirken von Staat und → Markt, → Arbeit und → Kapital, → Gewerkschaften und Unternehmen, → Bildung und Technik, Binnen- und Außenwirtschaft. Themen und Ergebnisse werden in Form von Kongressen, Fachtagungen, Workshops, Seminaren sowie zahlreichen Publikationen für unterschiedliche Adressaten auf bereitet. Neben wissenschaftlichen Fachbüchern und Periodika liegt ein Schwerpunkt der Veröffentlichungsprogramme auf Infodiensten und populären Broschüren. Als speziellen Service bietet das I. darüber hinaus eine Reihe von eigenen Wirtschafts-Datenbanken an. R.W. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) 1967 gegründete Forschungseinrichtung der → Bundesagentur für Arbeit. Ihre Aufgabe besteht nach § 280 SGB III darin, Lage und Entwicklung der → Beschäftigung und des → Arbeitsmarktes im allgemeinen und nach → Berufen, Wirtschaftszweigen und Regionen sowie die Wirkungen der aktiven → Arbeitsförderung zu beobachten, zu untersuchen und auszuwerten.
Institutionenökonomik
Institutionenökonomik Die ökonomische Analyse von Institutionen hat eine rasante Entwicklung erfahren. Zwar hatten bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts Vertreter der „alten Institutionenökonomik“ wie John Commons, Thorstein Veblen und – für den deutschen Sprachraum – Gustav Schmoller den institutionellen Rahmen einer → Volkswirtschaft zum Forschungsgegenstand. Doch nicht zuletzt wegen unzureichender theoretischer Fundierung endete diese Denkschule in einer Sackgasse. Dies änderte sich mit der analytischen Bearbeitung institutioneller Fragen mit dem Instrumentarium individueller (meist: begrenzter) → Rationalität durch die Vertreter der Neuen Institutionenökonomik (NIÖ). Dabei verhalf vor allem Ronald → Coase’s berühmter Aufsatz „The Nature of the Firm“ aus dem Jahre 1937 der NIÖ zu ihrem methodisch-analytischen Rüstzeug. Coase legte dort nahe, die Kosten von Tauschtransaktionen zu berücksichtigen. In den 60er und 70er Jahren erweiterten vor allem James → Buchanan, Douglass North und Oliver Williamson die NIÖ um spezifische Sichtweisen und zentrale Fragestellungen. In den 80er und 90er Jahren hat die NIÖ ihren Durchbruch erzielt, so daß sie zu Beginn des 21. Jahrhunderts als grundlegend akzeptierte Erweiterung der in der Wirtschaftstheorie lange vorherrschenden → Neoklassik gelten kann. Ausgangspunkt der NIÖ ist die Kritik an der Neoklassik. Im Mittelpunkt der Kritik steht die weitgehende Ausklammerung von Institutionen, den grundlegenden Spielregeln der Gesellschaft. Bei gleichzeitiger Abstraktion von begrenzter Rationalität und → Transaktionskosten setzen sich in der Neoklassik immer die optimalen Lösungen durch. Dieses Ergebnis des „neoklassischen Modellplatonismus“ (Hans Albert) stimmt jedoch mit der Wirklichkeit nur in den seltensten Fällen überein. Demgegenüber wendet sich die NIÖ verstärkt den Zügen der Wirklichkeit und den Regelmäßigkeiten des realen Geschehens zu: Begrenzte Informationsverarbeitungskapazitäten, Informations- und Tauschkosten und die institutionellen Rahmenbedingungen finden systematisch Be-
Institutionenökonomik
rücksichtigung. Mit der expliziten Einbeziehung von Institutionen in die Theorie wird das ökonomische Forschungsinteresse auch auf politische, soziale, bürokratische und kulturelle Handlungs- und Entscheidungssysteme und -Prozesse ausgeweitet. Damit werden die „blutleeren“, raum-, zeit- und institutionenlosen neoklassischen Denkmodelle mit empirischem Gehalt gefüllt. Bei den Ansätzen der NIÖ steht immer (zumindest) eine der beiden folgenden Fragen im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses: In welchem Maße beeinflussen bestimmte Institutionen das menschliche Verhalten? Dies ist die Frage nach individuellen Wahlhandlungen innerhalb bestehender institutioneller Regeln (choice within institutions). Wie läßt sich die Entstehung von Institutionen erklären? Dies ist die Frage nach den zentralen Bedingungsfaktoren für die institutionelle Wahl (institutional choice). Unbeschadet dieser Gemeinsamkeit präsentiert sich die NIÖ nicht als ein in sich geschlossenes Theoriegebäude. Sie stellt vielmehr eine in diverse Forschungsschwerpunkte aufgesplitterte theoretische Entwicklung dar. Diese läßt sich je nach konkreter Fragestellung in vier Hauptrichtungen differenzieren: 1. Der → Property Rights-Ansatz stellt im Gegensatz zu traditionellen ökonomischen Ansätzen nicht auf Produktionsfaktoren und Güter, sondern auf institutionell definierte Eigentums- und Verfügungsrechte (bzw. Nutzungsrechte) ab. Property Rights umfassen die Rechte auf Nutzung eines Gutes (usus), auf Einbehaltung der Erträge aus einer Nutzung (usus fructus), auf Änderung der Form und Substanz eines Gutes (abusus) sowie auf Weiterveräußerung. Der Property Rights-Ansatz nimmt an, daß die Ausgestaltung der Eigentums- und Verfügungsrechte die Allokation und Nutzung wirtschaftlicher Ressourcen auf spezifische und vorhersehbare Weise beeinflußt. Er fragt nach der Ausgestaltung der Property Rights und deren ökonomischen Konsequenzen. Eine weitere zentrale Fragestellung ist die nach der Entstehung und der Veränderung von Property Rights. Dabei werden die Änderungen von Eigentumsregelungen als 325
Institutionenökonomik
Reaktion auf Ressourcenverknappungen aufgefaßt. 2. Der Principal-Agent-Ansatz thematisiert die Wechselbeziehungen zweier Akteure unter besonderer Berücksichtigung kostspieliger und unvollständiger Information. Eine Principal-Agent-Beziehung liegt vor, wenn ein Akteur (der Agent) Entscheidungen trifft, die nicht nur das eigene, sondern auch das Wohlergehen eines anderen Akteurs (des Principals) betreffen. Voraussetzung für Principal-Agent-Probleme ist eine asymmetrische Informationsverteilung zugunsten des Agenten. Der PrincipalAgent-Ansatz klassifiziert drei Optionen opportunistischen Verhaltens des Agenten: Zum einen kann der Agent Eigenschaften vor dem Principal verschleiern (hidden characteristics). Diese als adverse selection bezeichnete Problematik tritt vor Vertragsabschlüssen auf (z. B. Einstellung von Personal). Zum anderen kann der Agent bestimmte Informationen vor dem Principal zurückhalten (hidden information). Dieses als → moral hazard bezeichnete Problem tritt nach Vertragsabschluß auf (z. B. ArztPatient-Verhältnis). Ebenfalls nach Vertragsabschluß relevant wird das Problem des hold up, bei dem der Agent seine wahren Absichten zunächst zurückhält (hidden intention), um im nachhinein die Abhängigkeit des Principals auszunutzen (z. B. Automobilzulieferer und Autofabrik). Der Principal-Agent-Ansatz klassifiziert nicht nur Interaktionsbeziehungen, sondern schlägt auch konkrete Lösungsstrategien wie Planungs- und Kontrollsysteme, Beteiligungssysteme und Sicherheitsgarantieen vor. 3. Die durch den Transaktionskostenansatz erfolgte explizite Berücksichtigung von Transaktionskosten trägt dem Sachverhalt Rechnung, daß finanzielle, zeitliche und physische Anstrengungen erforderlich sind, um Vertragspartner aufzufinden, die zu tauschenden Eigenschaften einer Sachoder Dienstleistung zu messen und Verträge abzuschließen. Transaktionskosten umfassen: Such- und Informationskosten, Durchführungskosten, Kontrollkosten. Von diesen sogenannten Markttransaktionskosten lassen sich Unternehmenstrans326
Institutionenökonomik
aktionskosten (Kosten der Erfüllung von Arbeitsverträgen) und politische Transaktionskosten (Einrichtungs-, Erhaltungs- und Veränderungskosten des Gemeinwesens) abgrenzen. Die für die Transaktionskostentheorie grundlegende Annahme der begrenzten Rationalität impliziert, daß Unsicherheit herrscht – und zwar sowohl über die Verhaltenseigenschaften der Transaktionsbeteiligten als auch über die objektiven Umwelteigenschaften der Märkte, auf denen die Transaktionen angesiedelt sind. Die Transaktionskostentheorie macht Vorschläge, wie diese Unsicherheit gemanaged werden kann. Dabei hängt die optimale Gestaltung der Unsicherheitmanagementsysteme („governance structures“) von den vier zentralen transaktionskostenrelevanten Eigenschaften einer Austauschbeziehung ab: der Häufigkeit von Transaktionen zwischen den Beteiligten, der mit der Transaktion verbundenen Unsicherheit, der Spezifität der mit der Transaktion verbundenen Investitionen der Beteiligten sowie der Transaktionsatmosphäre. 4. Schließlich lassen sich einem institutionenökonomischen Forschungsprogramm im weiteren Sinne die unterschiedlichen → Public Choice-Ansätze zuschlagen, die meist neben der NIÖ als eigene Forschungsrichtungen genannt werden. Diese Ansätze, zu denen insbesondere die → Neue Politische Ökonomie, die → Ökonomische Theorie der Bürokratie, die Konstitutionelle Ökonomik und die Theorie des institutionellen Wandels zu zählen sind, befassen sich mit dem Zustandekommen und der Funktionsweise öffentlicher Regeln unter der Annahme eigennützig und rational agierender Politiker und Bürokraten. Nach diesen Ansätzen sind nicht schlechte (ineffiziente) Politiker und Bürokraten verantwortlich für eine schlechte (ineffiziente) Politik, sondern vielmehr die institutionellen Bedingungen, unter denen Politik betrieben wird. Das normative Augenmerk dieser Ansätze gilt daher den Bedingungen für die Schaffung von Institutionen, welche Anreize für die stärkere Berücksichtigung übergreifender wirtschaftspolitischer und gesellschaftlicher Interessen bereitstellen.
Institutionenökonomik
Der Bezug auf die Public Choice-Ansätze bietet sich an, um das Verständnis für die Funktionsweise moderner Demokratien zu fördern. Gerade in der jüngsten Wirtschaftskrise (2008/2010) scheint die Auffassung en vogue, dass „richtige“ wirtschaftspolitische Konzepte an gierigen Managern und unfähigen bzw. unwilligen Politikern und Bürokraten scheitern. Politische und bürokratische Entscheidungen werden häufig (vorschnell) als egoistisch und unfähig abqualifiziert, ohne dass die Funktionsmechanismen demokratischer Verfahren ins Blickfeld geraten. Hier erweist sich ein Bezug auf die Public Choice-Ansätze als nützlich. Hier werden Politiker und Bürokraten als rationale Individuen unter ihren jeweiligen spezifischen Rahmenbedingungen modelliert. Politisches Handeln wird nicht mehr – wie bislang – als altruistische Gemeinwohlorientierung interpretiert. Damit bekommen die für Machterhaltung oder -erlangung maßgeblichen Handlungsanreize besondere Bedeutung. Unter den verfassungsmäßigen Rahmenbedingungen einer parlamentarischen Demokratie sind die Handlungsanreize für die Politiker die Wählerstimmen. Dieser Perspektivwechsel von den individuellen Motivationen auf die Rahmenbedingungen kann wichtig sein, um Politikverdrossenheit oder gar einer Legitimationskrise der Demokratie vorzubeugen: Nicht die Politiker sind zu ändern, sondern deren Rahmenbedingungen – z. B. durch den Einbau von Verschuldungsbremsen für öffentliche Haushalte. Insofern können Public Choice-Ansätze dazu beitragen, die problemlösungsrelevanten Fragen richtig zu stellen. Nach diesen Ansätzen sind die richtigen Anreize für die stärkere Berücksichtigung übergreifender wirtschaftspolitischer und gesellschaftlicher Interessen in den institutionellen Rahmenstrukturen, unter denen Politik betrieben wird, zu implementieren. Die zentrale Frage lautet dann nicht mehr: Wie bekommen wir bessere Politiker oder bessere Parteien? Vielmehr muss die für Bildungsprozesse immer aktuelle Popper'sche Frage gestellt werden: „Was können wir tun, um unsere Institutionen so zu gestalten, dass
Interesse
schlechte oder untüchtige Herrscher möglichst geringen Schaden anrichten können?“ Diese Fragestellung ist für geld-, umwelt-, finanz-, Wettbewerbs- und arbeitsmarktpolitische Sachverhalte relevant. Zusammengefaßt läßt sich sagen, daß das hier skizzierte Forschungsprogramm der NIÖ ebenso anspruchsvoll wie praktisch bedeutsam ist: Anspruchsvoll deshalb, da bislang vernachlässigte Zusammenhänge zwischen Institutionen, Verhalten und ökonomischer Entwicklung (von Unternehmen und Volkswirtschaften) theoretisch entwikkelt werden. Praktisch bedeutsam ist dieses Theoriewissen insofern, als die Einsicht in die institutionellen Wirkungsweisen und Entstehungsbedingungen die ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Bedingungsfaktoren offenbart, unter denen die moderne Gesellschaftsentwicklung stattfindet. Literatur: Erlei, M./Leschke, M./Sauerland, D. (2007): Neue Institutionenökonomik, Stuttgart. Richter, R./Furubotn, E. (2003): Neue Institutionenökonomik, 2. Auflage, Tübingen. Voigt, S. (2009: Institutionenökonomik, Stuttgart. Prof. Dr. Jan Karpe, Köln Instrumente der Wirtschaftspolitik ⇒ wirtschaftspolitische Instrumente → Wirtschaftspolitik. Integration 1. betriebswirtschaftlich: Zusammenschluß mehrerer → Unternehmen (→ Kartell, → Konzern). 2. volkswirtschaftlich: Abbau von Behinderungen im zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehr. Es lassen sich folgende I.-stufen unterscheiden: (1) Präferenzzone (geringere → Zölle auf → Gütern aus Mitgliedsländern), (2) → Freihandelszone, (3) → Zollunion, (4) gemeinsamer Markt siehe bspw. → Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, (5) → Wirtschaftsunion. Interdependenz wechselseitige Abhängigkeit ökonomischer Prozesse infolge der → Arbeitsteilung. Interesse Rechtsbegriff im Zusammenhang der Bemessung von → Schadensersatz aus → Ver327
Interesse
trag; er umschreibt den vom Geschädigten in Rechnung zu stellenden Ausgleichsanspruch. Es sind folgende I. zu unterscheiden: 1. das negative I. (Vertrauensinteresse, z. B. bei → Anfechtung eines Irrtums): der Ersatzberechtigte ist so zu stellen, als wäre der Vertrag nicht geschlossen worden (z. B. Ersatz der Vertragskosten). 2. das positive I. (Erfüllungsinteresse; steht in der Regel dann an, wenn Schadensersatz wegen Nichterfüllung gefordert wird): der Ersatzberechtigte ist zu so zu stellen, als wäre der Vertrag ordnungsgemäß erfüllt worden. 3. das versicherte I. (Versicherungsrecht): wird dann relevant, wenn der Versicherungsnehmer oder Versicherte durch Eintritt des Versicherungsfalles einen Schaden erleidet (z. B. Minderung des Wertes einer → Sache). Siehe auch → rechtliches I. sowie → berechtigtes I. Interessenausgleich Begriff aus dem Betriebsverfassungsrecht. Nach § 112 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) hat der → Unternehmer bei einer → Betriebsänderung zu versuchen, mit dem → Betriebsrat eine Einigung darüber anzustreben, ob, wann und in welcher Weise diese durchgeführt werden soll. – Kommt ein I. nicht zustande, so können der Unternehmer und der Betriebsrat den Präsidenten der Regionaldirektion für Arbeit um Vermittlung ersuchen. Geschieht dies nicht oder bleibt der Vermittlungsversuch ergebnislos, so können der Unternehmer oder der Betriebsrat die → Einigungsstelle anrufen (§ 112 Abs. 2 BetrVG). Unternehmer und Betriebsrat sollen der Einigungsstelle Vorschläge zur Beilegung der Meinungsverschiedenheiten über den I. unterbreiten. Die Einigungsstelle hat eine Einigung der Parteien zu versuchen (§ 112 Abs. 3 BetrVG). Siehe auch → Sozialplan. Interessengemeinschaft (IG) horizontaler (gleiche Produktionstufe) oder vertikaler (vor- u./oder nachgelagerte Produktionsstufen) Zusammenschluß (meist als → Gesellschaft des bürgerlichen Rechts) rechtlich selbständig bleibender → Unternehmungen zur Wahrung und Förderung gemeinsamer Interessen. Im Bereich dieser gemeinsamen Interessen geben die ange328
interne Kosten
schlossenen Unternehmungen ihre wirtschaftliche Selbständigkeit auf. I. werden insbesondere als Betriebs-, Verteilungs-, Produktions-, Rationalisierungs- und Gewinngemeinschaften (Gewinnverteilung, Gewinnpoolung nach bestimmtem Schlüssel) geführt. Die I. ist zwischen → Kartell und → Konzern einzuordnen; die Grenzen zu beiden Konzentrationsformen sind fliessend. Interessenverband → Kooperation, zwischenbetriebliche. Internalisierung Übernahme → externer Kosten in die interne → Kostenrechnung. Internationaler Währungsfonds (IWF) 1944 auf einer in Bretton-Woods (USA) abgehaltenen internationalen Währungs- und Finanzkonferenz beschlossene und 1945 errichtete Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Washington. Dem I. gehören gegenwärtig (2012) 187 Staaten an. Seine vornehmliche Aufgabe besteht darin, die Mitgliedsländer zu einer engen Zusammenarbeit auf währungspolitischem Gebiet zu führen. Ein dafür eingerichteter Fonds wird von den Mitgliedsländern in Höhe zugeteilter Quoten durch Gold, Landeswährung oder durch → Sonderziehungsrechte gespeist. Das ursprünglich auf → feste Wechselkurse zwischen den Mitgliedsländern abgestellte System brach 1973 zusammen. Seither gilt ein System → flexibler Wechselkurse. Das Gold hat seine Vorrangstellung im IWF eingebüßt, während die Sonderziehungsrechte an Bedeutung gewannen. Internationales Arbeitsamt (IAA) ständiges Sekretariat der → ILO (International Labour Organisation) in Genf. Widmet sich insbesondere der Überwachung der Einhaltung der von der ILO verabschiedeten internationalen Konventionen, Empfehlungen und Programme. interne Kosten die mit der → Produktion eines → Gutes im produzierenden → Betrieb entstehenden → Kosten. Gegensatz: → externe Kosten.
Internetbanking
IWF
Internetbanking ⇒ Electronic Banking.
Investmentfonds → Fonds.
internetgestütztes Lernen → computergestütztes Lernen.
Investmentgesellschaften ⇒ Kapitalanlagegesellschaften → Gesellschaften, die → Fonds (als Sondervermögen) bilden, in die sie → Wertpapiere nach dem Grundsatz der Risikomischung aufnehmen und darüber kleingestückelte Anteilscheine (→ Investmentzertifikate) ausgeben. Die Erwerber solcher Anteilscheine werden anteilig zu Miteigentümern (→ Miteigentum) am Fondsvermögen. (Die Anteilscheine der I. lauten deshalb meist nicht auf einen → Nennwert, sondern auf Anteile am gesamten Fonds.) Die Risikomischung gestaltet sich in der Weise, daß der Fonds aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Wertpapieren (→ Aktien der verschiedensten Wirtschaftszweige, → festverzinsliche Wertpapiere) sowie aus → Immobilien gebildet wird. Entsprechend lassen sich → Aktienfonds, → Rentenfonds, gemischte Fonds und → Immobilienfonds ausmachen. Die → Erträge der Investmentfonds (→ Zinsen, → Dividenden, realisierte Kursgewinne, Bezugsrechtserlöse) werden entweder an die Inhaber der Anteilscheine ausgeschüttet oder aber dem Fondsvermögen zugeschlagen (thesauriert), was dann den Wert der Anteilscheine erhöht. Der Wert der Anteile wird täglich nach dem Börsenkurs ermittelt. Nach § 1 KWG gelten I. als → Kreditinstitute und unterliegen damit der Bankenaufsicht.
Intervention allgemein: staatliche Eingriffe in den → Markt. Interventionismus wirtschaftspolitische Auffassung, derzufolge die → Wirtschaft eines Landes mehr oder weniger der staatlichen Einflußnahme bedarf. Der I. setzt sich damit in Gegensatz zum klassischen → Liberalismus, der für eine möglichst staatsfreie Wirtschaft eintritt. Interventionspunkte Tiefst- (unterer → Devisenkurs) und Höchstkurse (oberer Devisenkurs), die die zentrale Währungsbehörde eines Landes ggfs. festlegen kann und damit die → Bandbreite für zulässige Schwankungen des → Wechselkurses in einem System → fester oder begrenzt → flexibler Wechselkurse markiert. Zur Begrenzung der Schwankungen des Wechselkurses innerhalb der Bandbreite intervenieren die Währungsbehörden durch An- beziehungsweise Verkauf von → Devisen. Siehe auch: → EWWU. Investition Verwendung finanzieller Mittel zur Beschaffung von → Produktionsfaktoren. Investitionsgüter → Güter. investive Gewinnbeteiligung → Gewinnbeteiligung. Investivlohn → Vermögensbildung der Arbeitnehmer. Investmentbanken → Banken, deren Geschäftsaktivitäten sich im Wesentlichen auf die → Vermögensverwaltung, den Handel mit → Wertpapieren sowie die Unterstützung von → Unternehmen bei Kapitalaufnahmen (z. B. Börsengängen) erstrecken. Investment Banking die Geschäftsaktivitäten von → Investmentbanken.
Investmentzertifikat → Investmentgesellschaften. Irrtum 1. allgemein: das Auseinanderfallen von Vorstellung und Wirklichkeit. 2. zivilrechtlich: die unbewußte Nichtübereinstimmung von tatsächlichem Willen und abgegebener Erklärung. Ein rechtserheblicher I. berechtigt zu → Anfechtung der abgegebenen Erklärung. IWF Abk. für: → Internationaler Währungsfonds.
329
Jahresarbeitsentgeltgrenze
Job Enrichment
J Jahresarbeitsentgeltgrenze ⇒ Versicherungspflichtgrenze. Jahreswirtschaftsbericht Nach § 2, (1) Stabilitätsgesetz von der Bundesregierung dem Bundestag und Bundesrat und damit der gesamten Öffentlichkeit im Januar eines jeden Jahres vorzulegender Bericht, der die aktuelle konjunkturelle (→ Konjunktur)Lage in Deutschland analysiert, die zur Erfüllung der im Gesetz genannten wirtschaftspolitischen Ziele beziehungsweise die von der Regierung geplanten (Jahresprojektion) erforderlichen Maßnahmen aufzeigt und eine Stellungnahme zum Jahresgutachten des → Sachverständigenrates (zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung) gibt. Jevons, William Stanley *1835 (Liverpool), †1882 (Bexhill), lehrt ab 1866 in Manchester und von 1876 bis 1880 in London → politische Ökonomie. Er gehört neben dem Österreicher → Carl Menger zu den wichtigsten Begründern der neo-klassischen Rückbesinnung auf die theoretische Ökonomie. Wie Menger stellt er die Grenznutzenlehre in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. In seinem Hauptwerk The Theory of Political Economy (1871) entwickelt er → Gossens Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen zu einer Theorie des Grenzleids weiter. Jeder → Nutzen wirddemnach mit einem Opfer erkauft (z. B. eine gewinnbringende Produktionssteigerung durch mehr Arbeitsaufwand). Sobald der Nutzen durch das Leid kompensiert ist, wird jegliche → Produktion eingestellt. Diesen „final degree of utility“ stellt J. anhand eines mathematischen Kurvenmodells, in dem sich die fallende Nutzenkurve und die steigende Leidkurve in einem Koordinatensystem treffen, dar. Außerdem entwirft J. erstmals das Modell eines vollkommenen → Marktes, der von einem Indifferenzgesetz beherrscht wird, wonach gleiche → Güter auf dem gleichen Markt zum gleichen Zeitpunkt den gleichen → Preis erzielen. 330
J. Ideen, die von seinem Schüler → Alfred Marshall weiterentwickelt und -verbreitet wurden, leiten in der anglo-amerikanischen Ökonomie eine Renaissance der mathematischen → Wirtschaftstheorie ein. Literatur: Hutchison, T. W.: The Politics and Philosophy in Jevon’s Political Economy; in: The Manchester School, No. 50/4,1982; Keynes, J. M., William Stanley Jevons, A Centenary Allocution on his Life and Work as Economist and Statistican, in: Royal Statistical Society, 99/3, 1936; H. M. Niemeier, William Stanley Jevons und Alfred Marshall. Untersuchungen zum Verhältnis von Ökonomie und Weltanschauung in der frühen englischen Neoklassik, Regensburg 1990; Robbins, L. C., The Place of Jevons in the History of Economic Thought; in: ders., The Evolution of Modern Economic Theory, London 1970. D. D. Job-Aqtiv-Gesetz v. 1.1.2002 (Aqtiv = Abk. für: Aktivieren, qualifizieren, trainieren, investieren, vermitteln); Instrument der → Arbeitsmarktpolitik. Job-Center werden nach dem Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz IV) vom 24. 12. 2003 mit Wirkung vom 1. 1. 2005 gemäß § 9 Abs. 1a SGB III von den → Agenturen für Arbeit als einheitliche Anlaufstellen für all diejenigen eingerichtet, die einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz suchen. In den J. werden diese Personen informiert, ihr Beratungs- und Betreuungsbedarf geklärt und der erste Integrationsschritt (in den Arbeitsmarkt) verbindlich vereinbart. Job Design → Arbeitsstrukturierung. Job Enlargement → Arbeitsstrukturierung. Job Enrichment → Arbeitsstrukturierung.
Job Rotation
Jugend- und Auszubildendenvertretung
Job Rotation → Arbeitsstrukturierung.
auf die gesundheitliche Betreuung (§ 32 ff. JArbSchG).
Job Sharing ⇒ Arbeitsplatzteilung.
Die Einhaltung des J. untersteht der Überwachung durch das Gewerbeaufsichtsamt.
Joint Venture Form der dauerhaften oder projektbezogenen wirtschaftlichen Zusammenarbeit selbständig bleibender → Unternehmen, insbesondere einheimischer und ausländischer Unternehmen in → Entwicklungsländern. Jugendarbeitsschutz gesetzliche Grundlage: Gesetz zum Schutz der arbeitenden Jugend (Jugendarbeitsschutzgesetz [JArbSchG] v. 12. 4. 1976 mit späteren Änderungen); es gilt für Kinder und Jugendliche bis zum Alter von 18 Jahren. Die Beschäftigung von Kindern (→ Kinderarbeit) ist grundsätzlich nicht gestattet. Die → Arbeitszeit Jugendlicher ist gesetzlich geregelt (§ 8 JArbSchG), ebenso die Pausen und Ruhezeiten (§§ 11 ff. JArbSchG). Jugendliche dürfen nicht mit Arbeiten betraut werden, die ihre Leistungsfähigkeit übersteigen, bei denen sie sittlichen Gefahren ausgesetzt sind, die mit Unfallgefahren verbunden sind, bei denen ihre Gesundheit durch außergewöhnliche Hitze oder Kälte oder starke Nässe gefährdet wird und bei denen sie schädliche Einwirkungen von Lärm, Erschütterungen, Strahlen oder von giftigen, ätzenden oder reizenden Stoffen ausgesetzt sind. Grundsätzlich dürfen Jugendliche schließlich auch nicht beschäftigt werden: (1) mit → Akkord- und Fließarbeiten, bei denen durch ein gesteigertes Arbeitstempo ein höheres Entgelt erzielt werden kann, (2) mit solchen Arbeiten, bei denen das Arbeitstempo nicht nur gelegentlich vorgeschrieben, vorgegeben oder auf andere Weise erzwungen wird, (3) in einer Arbeitsgruppe mit Erwachsenen, die Arbeiten der unter (1) genannten Art verrichten, (4) mit Arbeiten unter Tage und (5) durch Personen, die zu Freiheitsstrafen verurteilt worden sind und die gegen bestimmte Strafvorschriften verstoßen haben. Für Jugendliche besteht seitens des → Arbeitgebers eine besondere → Fürsorgepflicht, insbesondere auch im Hinblick
Jugend- und Auszubildendenversammlung die → Jugend- und Auszubildendenvertretung kann vor oder nach jeder → Betriebsversammlung (d. h. also grundsätzlich in einem zeitlichen Zusammenhang mit einer solchen) im Einvernehmen mit dem → Betriebsrat eine betriebliche J. einberufen. Im Einvernehmen mit Betriebsrat und → Arbeitgeber kann die betriebliche J. auch zu einem anderen Zeitpunkt einberufen werden (§ 71 Betriebsverfassungsgesetz [BetrVG]). Der Arbeitgeber ist zu den J. unter Mitteilung der Tagesordnung einzuladen. Auch der Betriebsratsvorsitzende oder ein von ihm beauftragtes Betriebsratsmitglied kann an der Versammlung teilnehmen. Hinsichtlich der zeitlichen Lage der J. und der Erstattung des Entgeltausfalles gelten die für die Betriebsversammlung getroffenen Regelungen entsprechend (§ 44 BetrVG). Jugend- und Auszubildendenvertretung In → Betrieben mit in der Regel mindestens 5 → Arbeitnehmern, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (jugendliche Arbeitnehmer) oder die zu ihrer → Berufsausbildung beschäftigt sind (→ Auszubildende, → Anlernlinge, → Praktikanten, Umschüler, → Volontäre) und das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, werden J. gewählt (§ 60 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz [BetrVG]). Voraussetzung für diese Wahl ist, daß der betreffende Betrieb einen → Betriebsrat hat. Wahlberechtigt sind alle jugendlichen → Arbeitnehmer unter 18 Jahren und Auszubildende unter 25 Jahren (§ 61 Abs. 1 BetrVG). Wählbar sind alle Arbeitnehmer des Betriebes, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ausgenommen solche, die dem Betriebsrat angehören (§ 61 Abs. 2 BetrVG). Die Wahl erfolgt geheim und unmittelbar (§ 63 Abs. 1 BetrVG). Die Regelwahl für die Bildung der J. ist die Verhältniswahl. Lediglich dann, wenn nur ein Wahlvorschlag eingereicht wird oder nur ein Jugend- und Auszubildendenvertreter zu wählen ist, findet die Wahl 331
Jugend- und Auszubildendenvertretung
nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl statt. Das Wahlvorschlagsrecht für die J. entspricht dem bei der Wahl des Betriebsrates (§ 63 BetrVG); es haben somit auch die im Betrieb vertretenen → Gewerkschaften ein eigenständiges Recht zur Einreichung von Wahlvorschlägen. – Die regelmäßigen Wahlen zur J. finden alle zwei Jahre in der Zeit vom 1. Oktober bis zum 30. November statt (§ 64 Abs. 1 BetrVG). Die Größe der J. ist nach der Anzahl der im Betrieb beschäftigten jugendlichen Arbeitnehmer und Auszubildenden gestaffelt (§ 62 Abs. 1 BetrVG). Die J. nimmt nach § 60 Abs. 2 BetrVG die besonderen Belange der jugendlichen Arbeitnehmer und Auszubildenden unter 25 Jahren gegenüber dem Betriebsrat wahr. Die J. hat nach § 70 Abs. 1 BetrVG folgende allgemeine Aufgaben: (1) Maßnahmen beim Betriebsrat zu beantragen, die dem zu vertretenden Personenkreis dienen, insbesondere Fragen der → Berufsbildung; (2) Maßnahmen beim Betriebsrat zu beantragen, die der Durchsetzung der tatsächlichen Gleichstellung des zu vertretenden Personenkreises entsprechend § 80 Abs. 1 Nr. 2a u. 2b BetrVG dienen; (3) darüber zu wachen, daß die gegenüber dem zu vertretenden Personenkreis geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, → Tarifverträge und → Betriebsvereinbarungen beachtet werden; (4) Anregungen des zu vertretenden Personenkreises, insbesondere in Fragen der Berufsbildung, entgegenzunehmen und, falls sie berechtigt erscheinen, beim Betriebsrat auf eine Erledigung hinwirken. Die J. hat die vertretenen Jugendlichen und Auszubildenden über den Stand und das Ergebnis der Verhandlungen zu informieren; (5) die Integration ausländischer Mitglieder des zu vertretenden Personenkreises zu fördern und entsprechende Maßnahmen beim Betriebsrat zu beantragen. – Zur Durchführung ihrer Aufgaben ist die J. durch den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend zu unterrichten; sie kann darüber hinaus verlangen, daß ihr der Betriebsrat die zur Durchführung ihrer Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung stellt (§ 70 Abs. 2 BetrVG). Soweit auf An332
Jugend- und Auszubildendenvertretung
regung des von der J. vertretenen Personenkreises Maßnahmen beim → Arbeitgeber zu beantragen sind, kann dies nur über den Betriebsrat geschehen. Der Betriebsrat ist nach § 80 Abs. 1 BetrVG verpflichtet, solche Anregungen gegenüber dem Arbeitgeber zu verfolgen. Die J. kann zu allen Betriebsratssitzungen einen Vertreter entsenden. Werden in diesen Sitzungen Angelegenheiten behandelt, die besonders jugendliche Arbeitnehmer und Auszubildende angehen, so hat zu diesen Tagesordnungspunkten die gesamte J. ein Teilnahmerecht (§ 67 Abs. 1 BetrVG). Soweit die vom Betriebsrat zu fassenden Beschlüsse überwiegend jugendliche Arbeitnehmer und Auszubildende betreffen, haben alle Jugend- und Auszubildendenvertreter volles Stimmrecht (§ 67 Abs. 2 BetrVG). Erachtet die Mehrheit der Jugendund Auszubildendenvertreter einen Beschluß des Betriebsrates als eine erhebliche Beeinträchtigung wichtiger Interessen des von ihnen vertretenen Personenkreises, so ist auf ihren Antrag der Beschluß auf die Dauer von einer Woche auszusetzen, damit zwischenzeitlich eine Verständigung (gegebenenfalls mit Hilfe der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften) versucht werden kann (§ 66 Abs. 1 BetrVG). In Betrieben mit in der Regel mehr als 50 jugendlichen Arbeitnehmern und Auszubildenden kann die J. während der → Arbeitszeit Sprechstunden einrichten. Zeit und Ort dieser Sprechstunden sind durch Betriebsrat und Arbeitgeber zu vereinbaren (§ 69 Abs. 1 BetrVG). Bestehen in den verschiedenen Betrieben eines → Unternehmens mehrere J., so ist eine Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung zu errichten (§ 72 Abs. 1 BetrVG). Jedes Mitglied der Gesamt-J. hat so viele Stimmen, wie in dem Betrieb, in dem es gewählt wurde, jugendliche Arbeitnehmer und Auszubildende in der Wählerliste eingetragen sind (§ 72 Abs. 7 BetrVG). Die Gesamt-J. kann nach Verständigung des → Gesamtbetriebsrates Sitzungen abhalten (§ 73 Abs. 1 BetrVG).
JUMP
JUMP Abk. für: Jugend mit Perspektive. Von der rot-grünen Bundesregierung 1999 geschaffenes Sonderprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Mittels Qualifizierungs- und Beschäftigungsangeboten sollen die Chancen arbeitsloser Jugendlicher unter 25 Jahren auf einen Ausbildungsplatz verbessert werden. Jährliche Fördersumme 1 Mrd. Euro. Juniorenfirma ⇒ Schülerfirma. juristische Person Vereinigung von Personen zur Erreichung eines gemeinsamen Zweckes oder Vermögensmasse, die von der Rechtsordnung mit einer eigenen → Rechtsfähigkeit ausgestattet wurden und somit eine eigene → Rechtspersönlichkeit besitzen. Neben den (1) j. des öffentlichen Rechts (wie z. B. Bund, Länder, Gemeinden, → Berufsgenossenschaften, Versicherungsanstalten, Rundfunkanstalten, Hochschulen, → Industrie- und Handelskammern, → Handwerkskammern, Ärztekammern, die staatlich anerkannten Kirchen, Stiftungen des öffentlichen Rechts) sind es insbesondere (2) die j. des privaten
juristische Person
Rechts (wie z. B. → Aktiengesellschaften, → Kommanditgesellschaften auf Aktien, → Gesellschaften mit beschränkter Haftung, → Genossenschaften, → Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit), denen im Wirtschaftsleben Bedeutung zukommt. Diese j. des privaten Rechts haben einen Namen, der geschützt ist wie der Name eines Menschen. Ähnlich dem Wohnsitz einer natürlichen Person haben sie einen Geschäftssitz als Mittelpunkt ihrer Rechtsverhältnisse. Die j. selbst (als Rechtsgebilde) kann selbstverständlich nicht handeln. Sie schafft sich deshalb für diesen Zweck entsprechende Organe und bedient sich dieser. So haben alle j. einen Vorstand. Durch seinen Mund (d. h. durch seine Verlautbarungen) bekunden sie ihren Willen und durch seine Hand (d. h. seine Handlungen) setzen sie ihre Vorhaben in die Tat um, das heißt schließen sie ihre → Rechtsgeschäfte ab. Der Vorstand ist gleichsam der gesetzliche Vertreter der j. Die j. ist verantwortlich; sie haftet für jeden Schaden, den einer ihrer (unternehmens-)verfassungsmäßig berufenen Vertreter in Ausübung seiner Dienste einem Dritten durch eine zum → Schadensersatz verpflichtende Handlung zufügt.
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Käuferstreik
Kalkulation
K Käuferstreik → Boykott. Kalkulation Um ein möglichst exaktes Bild von den mit der Herstellung eines Gutes verbundenen → Kosten zu bekommen, stellt der Unternehmer eine entsprechende Rechnung (Kalkulation) auf. Das Wesen dieser Rechnung besteht darin, daß zunächst die sogenannten → direkten Kosten, auch → Einzelkosten genannt, so insbesondere die → Materialund → Lohnkosten, anhand von Aufzeichnungen (Lohnabrechnungen, Materialentnahmescheine u. a.) für das betreffende Erzeugnis erfaßt werden. Alle übrigen sogenannten → Gemeinkosten, so insbesondere → Materialgemeinkosten, → Fertigungsgemeinkosten, → Verwaltungsgemeinkosten und → Vertriebsgemeinkosten werden den direkten Kosten nach einem bestimmten (durch Kostenanalysen ermittelten) Verteilungsschlüssel anteilmäßig zugeschlagen. Der Auf bau einer solchen Zuschlagskalkulation folgt im wesentlichen folgendem Muster (Prozentsätze beispielhaft):
Für den Händler gestaltet sich die Verkaufskalkulation wesentlich einfacher. Während er Fracht, Rollgelder, → Zölle und Transportversicherung als Einzelkosten der gekauften Ware direkt zurechnen kann, müssen die → Geschäftskosten als Gemeinkosten wiederum mit Hilfe eines erfahrungsmäßig ermittelten Schlüssels auf sämtliche Waren umgelegt werden. Der Auf bau einer solchen Verkaufskalkulation folgt im wesentlichen folgendem Muster: ������������������� �������� � � � ������ ��� ��������� ����������������� � � � ������ ��� ��������� ���������������� � � ������������ ����������� � � � ��������������� ����������������� � � � ������ ���������������� � � � ������ ��� ������ ����������������� � � � ������ ��� ������ ������������������� ������ �� �� �� �� ���� ��������������
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Kalkulation
Der kalkulatorische Angebotspreis gibt dem Unternehmer lediglich einen Anhalt darüber, was er unter Zugrundelegung seiner Kosten, eines bestimmten → Gewinnes und gegebenenfalls bestimmter Zu- und Abschläge verlangen müßte. Ob er allerdings diesen so ermittelten (→ Angebots-) → Preis auch tatsächlich verlangen kann, hängt von den Gegebenheiten am → Markt ab. Für die Höhe des am Markt zu realisierenden Preises (des Marktpreises) sind nämlich nicht die Kosten des einzelnen Anbieters ausschlaggebend, sondern das Verhalten der Mitanbieter (Konkurrenten) und der Nachfrager.
Kapitalismus
Kapitalanlagegesellschaften ⇒ Investmentgesellschaften. Kapitalbeteiligung → Mitarbeiterbeteiligung. Kapitalbilanz ⇒ Kapitalverkehrsbilanz. Kapitaldeckungsverfahren Finanzierungsform der gesetzlichen → Rentenversicherung, derzufolge die Beiträge der Versicherten (zur Rentenversicherung) nach deren mutmaßlichen (späteren) Rentenansprüchen bemessen werden. Die Beitragszahler bilden damit jeweils den zur Finanzierung ihrer Rentenansprüche notwendigen Kapitalfonds. Gegensatz: → Umlageverfahren.
Kalkulationskartell → Kartell, dessen Vereinbarung die → Lieferungsbedingungen sowie die → Preise auf der Basis einer einheitlichen → Selbstkostenrechnung betrifft.
Kapitaleinkommen → Einkommen.
Kannkaufmann → Kaufmann.
Kapitalgesellschaften → Unternehmungsformen.
Kapazität das Leistungsvermögen eines → Betriebes in einem bestimmten Zeitraum. Kapazitätsgrenze maximales (technisch höchstmögliches) Leistungsvermögen (→ Kapazität) eines → Betriebes in einem bestimmten Zeitraum. Kapital 1. allgemein: ein abgeleiteter (derivativer) → Produktionsfaktor. Dies besagt, daß es nicht ursprünglich (originär) vorhanden ist, sondern immer erst hergestellt werden muß. Dieser Produktionsfaktor umfaßt die Gesamtheit aller hergestellten Produktionsmittel, das sind alle Werkzeuge, Maschinen, maschinelle Anlagen und Bauten, die der Herstellung von → Gütern dienen. Erst dieses K. – das auch Produktivkapital, Realkapital, Sachkapital, → Betriebsmittel genannt wird – ermöglicht die für Industriegesellschaften typischen hohen Produktionserträge. 2. betriebswirtschaftlich: das → Vermögen einer → Unternehmung, das nach seinen Finanzierungsquellen in (a) → Eigenkapital und (b) Fremdkapital unterschieden wird.
Kapitalgüter ⇒ Investitionsgüter ⇒ Produktionsgüter → Güter. Kapitalismus ist ein vielschichtiger Begriff, der im 19. Jahrhundert bei sozialistischen Autoren auftaucht, mit dem sie die damals aufkommende Wirtschaftsweise kennzeichnen wollten. Der ursprüngliche, in allen Begriffsvarianten anklingende Sinn von K. erschließt sich nur einer historischen Betrachtung: In England setzte im späten 18. Jahrhundert die industrielle Revolution ein, zunächst in der Textilproduktion, sodann in anderen Wirtschaftsbereichen. Durch die Erfindung neuer Kraft- und Werkmaschinen wurde ein früher unbekanntes Produktionsniveau erreicht. Eine erste Voraussetzung für die industrielle Revolution war ein freies Unternehmertum, das weder vom Staat gegängelt noch durch Feudalismus und Zunftwesen gefesselt war, eine zweite der Zwang zum Fortschritt durch → Wettbewerb, sofern die wirtschaftliche Existenz des → Unternehmens erhalten werden sollte. Die industrielle Revolution verbreitete sich von England aus auf andere Länder – in Europa, auf Nord335
Kapitalismus
Kapitalismus
amerika, Australien, Neuseeland und Südafrika – und auf deren Kolonien. Sie leitete die Entwicklung in Blöcke reicher und armer Länder ein, die gegenwärtig das internationale Wirtschaftsgeschehen durchzieht.
überwinden oder zu beseitigen gilt (reformerischer oder revolutionärer Sozialismus). Dieser Kampf wird durch eine Reihe von angeblichen Mängeln des K. gerechtfertigt, von denen einige erwähnt seien.
Auf der Suche nach einer Formel, die den komplexen Vorgang der industriellen Wirtschaftsweise im 19. Jahrhundert mit einem Begriff erfaßt, sprachen → Karl Marx (1818 – 1883) und → Friedrich Engels (1820 – 1895) von einer „kapitalistischen Ordnung“ und „kapitalistischen Gesellschaft“, ihre Anhänger in der sozialistischen Populärliteratur nur noch von „Kapitalismus“. In die deutsche wirtschaftswissenschaftliche Literatur fand der Begriff, da ihn viele Nationalökonomen als emotional geprägt, vorwissenschaftlich und unpräzise ablehnten, nur zögernd und bis heute nur begrenzt Eingang, anders als im angelsächsischen Bereich, wo er auch in der → Wirtschaftswissenschaft verbreitet ist. Unter den deutschen Ökonomen haben sich nach der Jahrhundertwende Max Weber (1864 – 1920) und Werner Sombart (1863 – 1941) mit dem K. eingehend beschäftigt. Von Sombart stammt die beliebte, tatsächlich irreführende Unterscheidung zwischen Früh-, Hochund Spätkapitalismus. Eine gewisse Renaissance der früheren Debatte läßt sich in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts verzeichnen.
Sozialistische Kritiker behaupten, ein freier → Markt und Wettbewerb erfordere eine „Ethik des Egoismus“ oder „Entsolidarisierung“. Die Gewinnerzielung leite das menschliche Handeln, auf der Strecke blieben die Schwachen. Verbreitet ist – auch unter Nichtsozialisten – die Auffassung, K. führe zu einer „ungerechten“ → Einkommensverteilung. Alle Ideale des Sozialismus – Gleichheit, Solidarität und Gerechtigkeit – würden im K. tiefgreifend verletzt. Diese Kritik verkennt die Wirklichkeit und übersieht dreierlei: Erstens ist menschliches Fehlverhalten – wie Egoismus, rücksichtsloses Gewinnstreben und Ausbeutung anderer – nicht an ein bestimmtes → Wirtschaftssystem gebunden, sondern auch und vor allem in sozialistischen Regimen zu beobachten. Zweitens ist ein Wirtschaftssystem eine Verfahrensweise zur Lösung der wirtschaftlichen → Knappheit und in diesem Sinne keine Werteordnung, die offen bleibt. Drittens muß und kann – im Hinblick auf die im Wettbewerb nicht vertretenen Personen – die Vergütung durch den Markt nicht die letzte Antwort für die Einkommensverteilung sein.
Diese Entstehung des Begriffs verdeutlicht, daß er häufig in der Verbindung mit → Sozialismus auftaucht. Geschichte ist für Karl Marx, dem Begründer des „wissenschaftlichen Sozialismus“, ein dialektischer Prozeß, der notwendig und gesetzmäßig ablaufe. Die jeweiligen Produktionsverhältnisse, die das Bewußtsein der Menschen nach seiner Auffassung bestimmen, enthielten in ihrem Schoß die Kräfte zu ihrer Zerstörung und Überwindung. Die herrschende kapitalistische Ordnung werde durch ihren Gegensatz, den Sozialismus, abgelöst, der das Endziel und das Ende der Geschichte sei, in dem nicht mehr die Klasse der Kapitalisten, sondern das Proletariat in einer klassenlosen Gesellschaft herrsche. K. wird bei diesem Geschichtsverständnis für alle Sozialisten zur Signatur für ein System, das es zu
Nicht leugnen läßt sich die enorme wirtschaftliche Überlegenheit des K. gegenüber allen Wirtschaftssystemen, die wir bisher kennen. Nur wegen der industriellen Revolution war es möglich, die in Europa seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts sprunghaft anwachsende Bevölkerung mit → Gütern zu versorgen. Die europäische Bevölkerung wuchs von 180 (im Jahr 1800) auf 420 Millionen (1905). Angesichts der weltweiten Bevölkerungsexplosion in den letzten Jahrzehnten ist es sogar gerechtfertigt, von der Unvermeidlichkeit des K. zu sprechen, weil andernfalls große Teile der Weltbevölkerung nicht am Leben erhalten werden könnten. Daß Sozialismus im Vergleich zum K. zu relativer oder absoluter Armut führt, ist lange Zeit als Propaganda überzeugter Liberaler – etwa eines → Lud-
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Kapitalismus
wig von Mises (1881 – 1973) – abgetan worden, nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums in den achtziger Jahren aber für jedermann evident. Das weltweite Ende des realen Sozialismus hat ganze Bibliotheken mit kapitalistischen Untergangsprognosen – von Karl Marx bis Joseph Alois Schumpeter (1883 – 1950) – zu Makulatur werden lassen. Die Offenheit für eine Werteordnung und das Prinzip der Freiheit verbinden K. und Demokratie, die deshalb in den führenden Ländern der Welt eine selbstverständliche Einheit bilden. Die wirtschaftswissenschaftliche Tradition in Deutschland erfaßt die vom Begriff K. umschriebenen Sachverhalte durch eine ordnungstheoretische Analyse. K. ist danach ein gesamtwirtschaftliches Lenkungssystem mit folgenden Merkmalen: → Privateigentum an → Produktionsmitteln, freie Preisbildung auf Märkten, Gewinnorientierung, staatliche Rahmenordnung. Liegen diese Merkmale vor, kommt es zu einer einzel– und gesamtwirtschaftlichen Abstimmung der Pläne von → Haushalten und Unternehmen im Wettbewerb, bei der mehr Wünsche in Erfüllung gehen und die wirtschaftlichen → Ressourcen besser genutzt werden als in anderen bekannten Lenkungssystemen. Es trägt nur zur Verwirrung bei, wenn dieses Ergebnis an einem rein theoretisch formulierten gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht gemessen wird, bei dem niemand seine Lage verbessern kann, ohne daß sich die eines anderen verschlechtert. Ein solches Gleichgewicht ist tatsächlich nicht erreichbar, weil es unter anderem ein Wissen voraussetzt, daß niemand von uns hat oder haben könnte. Im Wettbewerb des K., der nach der allgemein akzeptierten Charakterisierung durch → Friedrich August von Hayek (1899 – 1992) ein Entdeckungsverfahren ist, wird einerseits neues Wissen besser als bei einer → zentralen Planung genutzt, andererseits kein Wissen angemaßt. Die ordnungstheoretische Analyse des Wirtschaftssystems im Sinne des bedeutendsten deutschen Ordnungstheoretikers → Walter Eucken (1891 – 1950) besagt noch nichts über die konkrete Ausgestaltung der gesamtwirtschaftlichen Lenkung, der
Kapitalverkehrsbilanz
→ Ordnungspolitik. Sollen z. B. bestimmte soziale Härten, die Kinderreichtum und Dauerarbeitslosigkeit nach sich ziehen können, durch Eingriffe der → Wirtschaftspolitik gemildert werden, liegt eine andere Ausprägung von K. vor, als ohne solche Eingriffe. Bei dieser Vorgehensweise lassen sich wissenschaftlich die Varianten des gesamtwirtschaftlichen Lenkungssystems – etwa eine → „Soziale Marktwirtschaft“ – im einzelnen beschreiben, ohne daß man auf den vagen Ausdruck K. zurückgreifen muß. Deshalb kann man auf diesen Begriff in der Wirtschaftswissenschaft verzichten. Literatur: Eucken, W.: Die Grundlagen der Nationalökonomie, 9. A., Berlin – Göttingen – Heidelberg 1989; Friedman, M.: Kapitalismus und Freiheit, Stuttgart 1962; Hayek, F. A. v.: Der Wettbewerb als Entdekkungsverfahren, Kiel 1968; Schumpeter, J. A.: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 6. A., München 1986; Seldon, A.: Capitalism, Oxford 1990; Watrin, Chr., u. a. (Hrsg.): Widersprüche der Kapitalismuskritik, Bern 1976. Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Artur Woll, Siegen Kapitalmarkt → Markt für langfristige → Kredite (→ Anleihen) und → Beteiligungen (→ Aktien, Anteile). Gegensatz: → Geldmarkt. Kapitalverkehr Gesamtheit der finanziellen Transaktionen, das heißt der Übertragungen von → Kaufkraft, zwischen Inland und Ausland. Sie werden in der → Kapitalverkehrsbilanz erfaßt. Kapitalverkehrsbilanz ⇒ Kapitalbilanz Teilbilanz der → Zahlungsbilanz. Gegenüberstellung aller Kapitalbewegungen zwischen In- und Ausland während einer Periode (Kalenderjahr), gegliedert nach kurzfristigem (→ Forderungen und → Verbindlichkeiten mit einer Laufzeit bis zu 1 Jahr, Geschäfte mit Geldmarktpapieren [so z. B. Schatzanweisungen], Anzahlungen sowie Gewährung und Inanspruchnahme von → Zahlungszielen im Güterverkehr) und 337
Kapitalverkehrsbilanz
langfristigem (insbesondere Verkäufe von → Aktien) Kapitalverkehr. Kapitalversicherung Versicherungsform, bei der die Leistung des Versicherers in der Zahlung einer bestimmten, im Versicherungsvertrag vereinbarten Kapitalsumme besteht (z. B. → Lebensversicherung, → Unfallversicherung). Die Zahlung erfolgt entweder bei Eintreten des Versicherungsfalles oder nach Ablauf der Versicherung. Gegensatz: → Rentenversicherung. KAPOVAZ Abk. für: kapazitätsorientierte variable → Arbeitszeit (→ Teilzeitarbeit). Vereinbaren → Arbeitnehmer und → Arbeitgeber, daß die Teilzeitarbeit hinsichtlich ihrer zeitlichen Lage und Dauer an den Arbeitsanfall angepaßt wird, so muß nach den Bestimmungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) eine bestimmte Dauer der Arbeitszeit festgelegt werden. Es kann sich dabei um eine bestimmte Wochen-, Monatsoder Jahresarbeitszeit handeln. Wurde eine bestimmte Arbeitsdauer nicht festgelegt, so gilt eine wöchentliche Arbeitszeit von 10 Stunden als vereinbart (§ 12 Abs. 1 TzBfG). Siehe auch: → Arbeit auf Abruf. Kappungsgrenze → freifinanzierter Wohnraum. Karenzentschädigung Entschädigung in Geld für ein vereinbartes → Wettbewerbsverbot. Wird im → Arbeitsvertrag für die Zeit nach Beendigung des → Arbeitsverhältnisses ein Wettbewerbsverbot vereinbart, so ist dessen Rechtswirksamkeit an die Voraussetzung geknüpft, daß der bisherige → Arbeitgeber zum Ausgleich dafür eine monatliche Entschädigung zahlt. Die Entschädigung muß mindestens die Hälfte des vom → Arbeitnehmer zuletzt bezogenen → Arbeitsentgeltes betragen (§ 74 Abs. 2 Handelsgesetzbuch [HGB]). Der Arbeitnehmer muß sich jedoch auf diese Entschädigung anrechnen lassen, was er bei einem anderen Arbeitgeber oder durch selbständige → Arbeit verdient oder böswillig zu verdienen verabsäumt (§ 74 c HGB, beispielsweise durch Bequemlichkeit oder Trägheit). Die Anrechnung kann jedoch nur 338
Kartell
dann erfolgen, wenn Entschädigung und Verdienst beim neuen Arbeitgeber zusammen mehr als 110 Prozent des Arbeitsentgeltes beim alten Arbeitgeber übersteigen. Ist der Arbeitnehmer durch das Wettbewerbsverbot genötigt, seinen Wohnsitz zu verlegen, so gelten statt 110 Prozent 125 Prozent (§ 74 c Abs. 1 HGB). Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber auf Verlangen Auskunft über die Höhe seines Verdienstes zu geben (§ 74 c Abs. 2 HGB). Kartell vertraglicher Zusammenschluß von → Unternehmungen einer → Branche (horizontaler Zusammenschluß), die rechtlich selbständig bleiben, aber einen Teil ihres wirtschaftlichen Handlungsspielraumes aufgeben. Es verfolgt die Absicht, den → Markt für bestimmte Produkte durch → Wettbewerbsbeschränkung zu beeinflussen und damit die Gewinnsituation der (kartellierten) Anbieter zu verbessern. Die Mitglieder verpflichten sich zur Einhaltung bestimmter Vereinbarungen und zur Zahlung einer → Konventionalstrafe für den Fall deren Nichteinhaltung. Da K. den wirtschaftspolitischen Grundsätzen unserer → Marktwirtschaft widersprechen, sind sie grundsätzlich verboten. Nach der 7. Novelle zum → Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB; auch Kartellgesetz genannt) v. 15. 7. 2005 überträgt das Gesetz den Unternehmen die Verantwortung, die Legalität ihres Verhaltens selbst einzuschätzen. D. h., die Unternehmen dürften ohne Zutun der Behörde mit anderen Unternehmen kooperieren, solange sie damit nicht gegen das Kartellverbot verstoßen. Es gilt die sogenannte Legalausnahme. Dieser Ermessensspielraum impliziert für die Verantwortllichen allerdings auch das Risiko – im Falle der Fehleinschätzung – vom zur nachträglichen Kontrolle befugten → Kartellamt mit entsprechenden Sanktionen belegt zu werden. Der Bundeswirtschaftsminister kann nach § 42 GWB K., die an sich verboten sind, genehmigen (sogenannte Ministerkartelle), sofern die Beschränkung des Wettbewerbs überwiegend aus Gründen der Gesamtwirtschaft und des → Gemeinwohles notwendig
Kartell
ist oder eine unmittelbare Gefahr für den Bestand des größeren Teils der Unternehmungen eines Wirtschaftszweiges besteht. Siehe auch: → Kartellpolitik. Kartellamt → Bundeskartellamt. Kartellgesetz ⇒ Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Kartellpolitik fußt auf dem sogenannten Kartellverbot des § 1 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), der Vereinbarungen unter Marktkonkurrenten dann als unwirksam erklärt, wenn diese eine Beschränkung des → Wettbewerbs beabsichtigen. Diesem Verbot liegt die berechtigte Befürchtung zugrunde, daß → Kartelle Angebots- und Produktionsbedingungen in einer marktwirtschaftlichen Vorstellungen abträglichen Weise beeinflussen könnten. Als typische Beispiele wettbewerbswidriger Kartellabsprachen gelten → Preis- und → Gebietskartelle. Nach herrschender Rechtssprechung liegt eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des § 1 GWB auch ohne vertragliche Festlegung vor, wenn sie den gemeinsamen wettbewerbsbeschränkenden Zweck der Kontrahenten erfüllt. Diese Auslegung bleibt allerdings problematisch, da das Gesetz keine klaren Anhaltspunkte dafür abgibt, durch was der Tatbestand der Wettbewerbsbeschränkung erfüllt ist. Auch durch das in § 1 GWB aufgenommene Verbot der Verhaltensabstimmung konnte diese Rechtsunsicherheit nicht restlos behoben werden. Erfaßt werden durch diese Neuregelung nämlich nur solche Fälle, in denen sich Konkurrenten über ihr künftiges Wettbewerbsverhalten bewußt abstimmen. In der Praxis bestehen erhebliche Schwierigkeiten, ein solcherart abgestimmtes Verhalten nachzuweisen, zumal es auch durch eine Verbandsempfehlung erwirkt werden kann. Die Neufassung des GWB von 2005 sieht eine Reihe von Freistellungen vom Verbot des § 1 vor. So sind nach § 2 Abs. 1 freigestellt: Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereini-
Kategorienlehre, wirtschaftsdidaktische
gungen oder abgestimmte Verhaltensweisen, die unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne daß den beteiligten Unternehmen (1) Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerläßlich sind, oder (2) Möglichkeiten eröffent werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten. – Diesen Freistellungserfordernissen des § 2 Abs. 1 GWB fügen sich nach § 2 Abs. 1 GWB auch Vereinbarungen zwischen miteinander in Wettbewerb stehenden Unternehmen und Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen, die die Rationalisierung wirtschaftlicher Vorgänge durch zwischenbetriebliche Zusammenarbeit zum Gegenstand haben, soweit (1) dadurch der Wettbewerb auf dem Markt nicht wesentlich beeinträchtigt wird und (2) die Vereinbarung oder der Beschluß dazu dient, die Wettbewerbsfähigkeit kleiner oder mittlerer Unternehmen zu verbessern. Kartellverbot → Kartellpolitik. Kassenarzt zur Behandlung der Mitglieder der (Pflicht-) Krankenkassen (→ gesetzliche Krankenkassen), das heißt der → Kassenpatienten, zugelassener Arzt. Kassenärztliche Vereinigungen → Körperschaften des öffentlichen Rechts, die die Rechte (insbesondere Abrechnungen) der → Kassenärzte gegenüber den (Pflicht-)Krankenkassen (→ gesetzliche Krankenkassen) wahrnehmen und die ärztliche Versorgung sicherstellen. Kassenpatient → Arztvertrag. Katalogisierungsverfahren → Arbeitsbewertung. Kategorienlehre, wirtschaftsdidaktische → wirtschaftsdidaktische Grundkategorien. 339
Kaufkraft
Kaufkraft gibt die mit einer bestimmten Geldmenge käuflich zu erstehende Gütermenge an. Kaufkraftverlust die im Zeitverlauf abnehmende → Kaufkraft infolge Inflationierung (→ Inflation) der → Preise. Kaufmann 1. Kaufmann im Sinne des Handelsgesetzbuches (HGB § 1 neue Fassung v. 22. 6. 1998) ist jeder → Gewerbetreibende, es sei denn, daß sein → Unternehmen nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert. Den sogenannten Minderkaufmann nach § 4 HGB alte Fassung gibt es nicht mehr. Gewerbetreibende, deren Unternehmen nach Art und Umfang keinen kaufmännischen Geschäftsbetrieb erfordern (d. s. die sogenannten Kleingewerbetreibenden), unterliegen ausschließlich dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Sie üben wohl ein → Gewerbe aus, gelten aber vor dem Gesetz als Nichtkaufleute. Diesen Gewerbetreibenden (zu denen auch reine Dienstleister gehören) steht es frei, die Kaufmannseigenschaft zu erwerben, indem sie sich ins → Handelsregister eintragen lassen. Eine solche Eintragung trägt für diesen Personenkreis (Kannkaufleute nach § 2 HGB) rechtsbegründenden (konstitutiven) Charakter. Mit der Eintragung übernimmt er alle Rechte und Pflichten eines Kaufmanns (z. B. Recht eine → Firma zu führen, unverzügliche → Rügepflicht bei → Mängeln beim → Handelskauf, Gültigkeit von → Bürgschaften und Schuldanerkenntnissen auch bei mündlicher Vereinbarung, erhöhter → Zins bei → Verzug, Bestellung von → Prokuristen etc.). Die bislang für die Eintragung dieses Personenkreises ins Handelsregister notwendige Überprüfung der erforderlichen betrieblichen Größenverhältnisse entfällt nunmehr. Für diejenigen Gewerbetreibenden, die von dieser Möglichkeit der Eintragung ins Handelsregister keinen Gebrauch machen, besteht ab dem Zeitpunkt, zu dem ihr Unternehmen einen Umfang erreicht, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Ge340
Kaufvertrag
schäftsbetrieb erfordert, die Pflicht, sich ins Handelsregister eintragen zu lassen. Diese Eintragung ins Handelsregister hat nunmehr aber allein rechtsbekundenden (deklaratorischen) Charakter. Dies bedeutet, daß das Handelsgesetzbuch für Unternehmen der maßgeblichen Größenordnung ab der Erreichung derselben und nicht erst ab der Eintragung ins Handelsregister gilt. – Für die Beurteilung der Größenverhältnisse, die eine Eintragung ins Handelsregister erfordern, gilt die bisherige Rechtsprechung. Ihrzufolge ist dafür eine Gesamtwürdigung der relevanten betrieblichen Aspekte, wie → Umsatz, Anzahl der Beschäftigten, Größe der Räumlichkeiten, Teilnahme am Wechsel- und Scheckverkehr, Komplexität der Geschäftsvorgänge etc. maßgeblich. Der formale Akt der Eintragung ins Handelsregister ist nicht das entscheidende Faktum. 2. Die Berufsbezeichnung K. mit einem spezifizierenden Zusatz (z. B. Hotelk./-kauffrau, K./Kauffrau im Einzelhandel) ersetzt seit 1. 9. 2000 die frühere Bezeichnung „Kaufmannsgehilfe“ und wird von den → Industrie- und Handelskammern an Absolventen einer kaufmännischen → Ausbildung vergeben. kaufmännische Berufsausbildung berufliche Ausbildung nach dem → dualen System im kaufmännischen Bereich; wird üblicherweise vor der Industrie- und Handelskammer mit dem Kaufmannsgehilfenbrief abgeschlossen. Der k. sind diverse andere wirtschafts- und verwaltungsbezogene Ausbildungsgänge integriert, wie z. B. Sozialversicherungs-, Steuerfach- und Verwaltungsfachangestellter, Rechtsanwalts- und Notarfachangestellter u. a. M. M. B. Kaufvertrag 1. Der K. (§§ 433 ff. BGB) ist ein gegenseitiger Vertrag (§§ 320 ff. BGB), der auf den Austausch von → Sachen (§§ 90 ff. BGB), → Rechten (z. B. → Forderungen, Gesellschaftsanteile) oder auch von Sach- und Rechtsgesamtheiten (z. B. Unternehmen) gegen → Geld gerichtet ist. Der Abschluß des K. erfolgt im Wege einer rechtsgeschäftlichen (§§ 104 ff. BGB) → Einigung der Par-
Kaufvertrag
teien durch ein entsprechendes → Angebot einer Partei und die → Annahme dieses Angebots durch die andere Partei (§§ 145 ff. BGB). Der K. ist grundsätzlich → formfrei; der → notariellen Beurkundung (§ 128 BGB; BeurkG) bedürfen allerdings z. B. der K. über ein Grundstück (§ 311b Abs. 1 BGB) oder über gegenwärtiges Vermögen (§ 311b Abs. 3 BGB), der K. zwischen künftigen gesetzlichen Erben über den gesetzlichen Erbteil oder den Pflichtteil (§ 311b Abs. 5 BGB), der Erbschaftskauf (§ 2371 BGB) und der K. über GmbH-Geschäftsanteile (§ 15 Abs. 4 GmbHG). Durch das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vom 26. November 2001 (BGBl. I, S. 3138) wurden auch zahlreiche den K. betreffende gesetzliche Regelungen geändert. Insbesondere wurden die §§ 433 ff. BGB dem neu konzipierten Leistungsstörungsrecht des Allgemeinen Schuldrechts angepaßt und es wurde die Verbrauchsgüterrichtlinie 99/44 vom 25. Mai 1999 (Abl. EG Nr. L 171, S. 12) umgesetzt. 2. Durch den K. verpflichtet sich der Verkäufer, dem Käufer die Kaufsache – durch Besitzverschaffung – zu übergeben und ihm das Eigentum an der Kaufsache (§ 433 Abs. 1 BGB) bzw. das verkaufte Recht (§ 453 BGB) zu verschaffen. Da der K. den Verkäufer nur verpflichtet, erlangt der Käufer nicht bereits mit Abschluß des K. Eigentum an der Kaufsache bzw. die Rechtsinhaberschaft, sondern es bedarf hierzu noch eines besonderen → Erfüllungsgeschäfts (sog. Abstraktionsprinzip), insbesondere einer Eigentumsübertragung der Kaufsache (§§ 929 ff.; 873, 925 BGB) oder einer → Abtretung des verkauften Rechts (§§ 398 ff. BGB). Darüber hinaus ist der Verkäufer verpflichtet, dem Käufer über die den verkauften Gegenstand betreffenden rechtlichen Verhältnisse die nötige Auskunft zu erteilen und ihm die zum Beweis des verkauften Rechts dienenden Urkunden herauszugeben (Nebenpflicht aus § 433 Abs. 1 BGB). Soweit nichts anderes vereinbart ist (z. B. die Klauseln „ab Lager“, „ab Fabrik“, „cif“, „frei Haus“, „fio“, „fas“), hat der Verkäufer die Kosten der Übergabe der verkauften Sache – nicht
Kaufvertrag
aber die Kosten der Versendung nach einem anderen Ort als dem → Erfüllungsort (vgl. unten 3. und 4.) – zu tragen (§ 448 Abs. 1 BGB); der Verkäufer trägt ferner die Kosten der Begründung oder Übertragung des verkauften Rechts (§ 453 Abs. 2 BGB). 3. Der Käufer ist verpflichtet, den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen (§ 433 Abs. 2 BGB). Der Kaufpreis ist in Geld zu entrichten, anderenfalls liegt Tausch vor (§ 480 BGB). Die Höhe des Kaufpreises kann grundsätzlich frei bestimmt werden, die Bestimmung kann auch einem Dritten (z. B. durch eine Schiedsgutachterklausel) überlassen werden (§§ 317 ff. BGB). Häufig befinden sich in K. zur Bestimmung des Kaufpreises auch besondere Klauseln (z. B. „Börsenpreis“, „brutto für netto“, „Preis freibleibend“, „Selbstkostenpreis“). Die Zahlung des Kaufpreises hat grundsätzlich in bar zu erfolgen. In der Praxis wird allerdings häufig bargeldlose Zahlung gestattet. Eine solche Gestattung ist insbesondere in der Angabe der Bankverbindung auf einer Rechnung zu erblicken; erfüllt ist die Zahlungsverpflichtung bei einer → Überweisung aber erst mit der Gutschrift auf dem → Konto des Verkäufers. Wird Zahlung durch → Scheck oder → Wechsel gestattet, erfolgt diese nur erfüllungshalber (§ 364 Abs. 2 BGB), d. h. die Zahlungsverpflichtung ist erst mit der Einlösung erfüllt. Soll der Kaufpreis nicht sofort vollständig entrichtet werden, vereinbaren die Parteien i. d. R. einen Eigentumsvorbehalt, d. h. der K. wird zwar unbedingt geschlossen und dem Käufer wird die Kaufsache auch übergeben, die Verschaffung des Eigentums an der Kaufsache steht aber unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Kaufpreiszahlung (§ 449 BGB; §§ 929 ff., 158 Abs. 1 BGB); der Verkäufer bleibt also auch nach der Übergabe der Kaufsache zunächst deren Eigentümer. Mit vollständiger Zahlung des Kaufpreises tritt die Bedingung ein und das Eigentum an der Kaufsache geht automatisch auf den Käufer über. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Käufer an der Kaufsache ein Recht zum Besitz und ein (übertragbares) Anwartschaftsrecht auf Erwerb des Eigentums. Handelt es sich bei 341
Kaufvertrag
dem Käufer um einen → Verbraucher (§ 13 BGB) und wird ihm (z. B. beim Kauf eines Kfz) zur Finanzierung des Kaufpreises von einem Unternehmer (§ 14 BGB) durch einen Darlehensvertrag Zahlungshilfe gewährt, sind für den Darlehensvertrag (→ Darlehen) die Vorschriften über → Verbraucherdarlehen (§§ 491 ff. BGB) zu beachten. Bilden der K. und der Darlehensvertrag eine wirtschaftliche Einheit, weil der Verkäufer gleichzeitig der Darlehensgeber ist oder weil der Darlehensgeber sich beim Abschluß des Darlehensvertrages der Hilfe des Verkäufers bedient (§ 358 BGB: Verbundene Verträge), kann der Käufer die Rückzahlung des Darlehens insoweit verweigern, wie ihm aus dem K. bspw. wegen der Mangelhaftigkeit des Kaufgegenstandes (unten 4.) Rechte gegen den Verkäufer zustehen (sog. Einwendungsdurchgriff, § 359 BGB). Den Käufer trifft neben der Pflicht zur Zahlung des Kaufpreises auch die Pflicht zur Abnahme der Kaufsache (§ 433 Abs. 2 BGB). Die Nichterfüllung der Abnahmepflicht kann nicht nur → Annahmeverzug (§§ 293 ff. BGB) des Käufers zur Folge haben, sondern auch → Schuldnerverzug (§§ 286 ff. BGB), da es sich bei der Abnahmepflicht um eine einklagbare (Neben-) Pflicht des Käufers handelt; wird die Abnahmepflicht vertraglich zu einer Hauptpflicht gemacht (z. B. beim Verkauf leicht verderblicher Waren), können die §§ 320 ff. BGB eingreifen. Weitere kaufrechtliche Nebenpflichten des Käufers sind insbesondere die Übernahme der Kosten einer Versendung der Kaufsache an einen anderen Ort als den Erfüllungsort (§ 448 Abs. 1 BGB; unten 4.) und der Grundbuch- und Beurkundungskosten beim Kauf eines Grundstücks (§ 448 Abs. 2 BGB). 4. Werden Pflichten aus dem K. nicht oder nicht fristgerecht erfüllt, gelten die Vorschriften des Allgemeinen Schuldrechts über Leistungsstörungen (§§ 275 ff.; §§ 320 ff. BGB). Sie werden aber durch kaufrechtliche Sonderregeln ergänzt und teilweise verdrängt. So geht die Gefahr des zufälligen Untergangs und der zufälligen Verschlechterung der Kaufsache mit deren Übergabe auf den Käufer über (§ 446 Satz 1 342
Kaufvertrag
BGB: Übergang der Preisgefahr), d. h. trotz des Untergangs oder der Verschlechterung der Kaufsache bleibt der Käufer in diesen Fällen zur vollständigen Zahlung des Kaufpreises verpflichtet; versendet der Verkäufer auf Wunsch des Käufers die Kaufsache an einen anderen Ort als den Erfüllungsort (§ 269 BGB: für Verpflichtung des Verkäufers vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen grundsätzlich der Wohnsitz des Verkäufers), geht die Preisgefahr mit der Übergabe der Kaufsache an die Transportperson über (§ 447 BGB). 5. Bei Sach- oder Rechtsmängeln des Kaufgegenstands gelten ebenfalls kaufrechtliche Sonderregeln. Der Verkäufer hat dem Käufer die Kaufsache frei von Sachmängeln (§ 434 BGB) und Rechtsmängeln (§ 435 BGB) zu verschaffen (§ 433 Abs. 1 Satz 2 BGB). Ein Sachmangel liegt vor, wenn die Kaufsache nicht die vereinbarte Beschaffenheit hat. Ist eine Vereinbarung über die Beschaffenheit der Kaufsache nicht getroffen worden, liegt ein Sachmangel vor, wenn sich die Kaufsache nicht für die nach dem Kaufvertrag vorausgesetzte Verwendung eignet oder wenn sie sich nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet und nicht die Beschaffenheit aufweist, die bei solchen Kaufsachen üblich ist und die der Käufer erwarten kann (§ 434 Abs. 1 Satz 2 BGB); außerdem liegt ein Sachmangel vor, wenn die Kaufsache nicht die Beschaffenheit aufweist, die der Käufer nach den öffentlichen Äußerungen (z. B. durch Werbung) des Verkäufers oder Herstellers erwarten kann, es sei denn, der Verkäufer mußte die öffentliche Äußerung des Herstellers nicht kennen oder sie war zum Zeitpunkt des Abschlusses des K. bereits berichtigt oder sie spielte für die Kaufentscheidung keine Rolle (§ 434 Abs. 1 Satz 3 BGB). Ein Rechtsmangel liegt vor, wenn Dritte in Bezug auf die Kaufsache Rechte geltend machen können, die der Käufer im Kaufvertrag nicht übernommen hat (§ 435). Ist der Kaufgegenstand mangelhaft, kann der Käufer gemäß § 437 BGB zunächst Nacherfüllung (§ 439 BGB: Beseitigung des Mangels oder Lieferung einer mangelfreien Sache) verlangen, bei deren Scheitern
Kaufvertrag
von dem K. zurücktreten (§§ 440, 323, 326 Abs. 5 BGB) oder den Kaufpreis mindern (§ 441 BGB), und neben oder statt der vorgenannten Rechte Schadensersatz (§§ 440, 280, 281, 283, 311a BGB) oder Ersatz vergeblicher Aufwendungen (§ 284 BGB) verlangen. Handelt es sich bei dem Kaufgegenstand um eine Forderung oder ein sonstiges Recht, gelten die vorstehend für den Kauf einer Sache dargestellten Grundsätze entsprechend (§ 453 Abs. 1 BGB). Der Verkäufer haftet für den rechtlichen Bestand der verkauften Forderung bzw. des verkauften Rechts, ferner für deren rechtliche Durchsetzbarkeit und die Übertragbarkeit (§ 453 Abs. 1 BGB); der Verkäufer einer Forderung haftet aber vorbehaltlich einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung nicht für die Zahlungsfähigkeit des Schuldners der verkauften Forderung. Die Mängelansprüche des Käufers werden häufig durch vertragliche Vereinbarungen (z. B. Allgemeine Geschäftsbedingungen des Verkäufers) oder durch Gesetz (§ 442 BGB: Kenntnis des Käufers vom Mangel) eingeschränkt oder ausgeschlossen. Einer vertraglichen Beschränkung der Mängelansprüche des Käufers wegen Sach- oder Rechtsmängeln der Kaufsache werden aber insbesondere durch §§ 305 ff. BGB (Regelungen über → Allgemeine Geschäftsbedingungen) und durch § 444 BGB (kein wirksamer Haftungsausschluß bei arglistigem Verschweigen des Mangels oder bei Abgabe einer Garantie) Grenzen gesetzt. Für den Verbrauchsgüterkauf (§§ 474 ff. BGB) gelten seit 1. Januar 2002 ferner ergänzende Sonderregeln. Ein Verbrauchsgüterkauf liegt vor, wenn ein Verbraucher (§ 13 BGB) von einem Unternehmer (§ 14 BGB) eine (neue oder gebrauchte) bewegliche Sache kauft. Bei einem Verbrauchsgüterkauf ist es dem Unternehmer weitgehend verwehrt, seine Haftung für Sach- und Rechtsmängel von vorne herein vertraglich auszuschließen (§ 475 BGB). Außerdem wird bei einem innerhalb von sechs Monaten nach Übergabe der Kaufsache vom Käufer angezeigten Mangel vermutet, daß dieser bereits bei Übergabe der Kaufsache vorhanden war,
Kaution
d. h. der Verkäufer muß gegebenenfalls beweisen, daß erst der Käufer den Mangel herbeigeführt hat (§ 476 BGB). Besonderheiten gelten noch für den Handelskauf zwischen Kaufleuten (§§ 343 ff., §§ 373 ff. HGB), insbes. hat der Kaufmann als Käufer die Ware unverzüglich zu untersuchen und Mängel dem Verkäufer unverzüglich anzuzeigen (§ 377 HGB). Die → Verjährungsfrist für Mängelansprüche des Käufers beträgt grundsätzlich zwei Jahre (§ 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB), 30 Jahre bei Vorhandensein bestimmter dinglicher Rechte eines Dritten an der Kaufsache (§ 438 Abs. 1 Nr. 1 BGB), und fünf Jahre bei Bauwerken und bei Sachen, die für ein Bauwerk verwendet worden sind und die die Mangelhaftigkeit des Bauwerks verursacht haben (§ 438 BGB Abs. 1 Nr. 2 BGB). 6. Gesetzlich geregelte Sonderformen des Kaufes sind der Kauf auf Probe (§§ 454 f. BGB), der Wiederkauf (§§ 456 ff. BGB) und der Vorkauf (§§ 463 ff. BGB). Für den internationalen Kauf von Waren ist das Wiener UN-Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf (CISG) vom 11. April 1980 zu beachten. Literatur: Palandt, Otto, Bürgerliches Gesetzbuch, 68. Aufl. 2009, §§ 433 ff. BGB; Bitter/Meidt, ZIP 2001, 2114; Huber, NJW 2002, 1004; Schmidt-Räntsch, J., Das neue Schuldrecht – Anwendung und Auswirkungen in der Praxis, Köln 2002; Reinicke/ Tiedtke, Kaufrecht: Einschließlich Abzahlungsgeschäfte, AGB-Gesetz, Eigentumsvorbehalt, Factoring, Fernabsatzverträge und elektronischer Geschäftsverkehr, UNKaufrecht und Verbrauchsgüterkaufverträge, 8. Aufl. 2008. Dr. Robin Dörrie, Mannheim Kaution zuweilen von Vertragspartnern zur Sicherung der Einhaltung eines → Vertrages verlangter Geldbetrag. K. sind vor allem bei → Mietverträgen üblich, um die Forderung des Vermieters nach dem Auszug des Mieters wegen rückständiger → Miete, erforderlichen → Schönheitsreparaturen u. ä. zu sichern. Der Vermieter → freifinanzierten Wohnraumes darf vom Mieter zur Siche343
Kaution
rung von (auch nur eventuellen) Ansprüchen aus dem Mietvertrag eine K. bis zur Höhe von 3 Monatsmieten verlangen. Für → öffentlich geförderten Wohnraum darf eine solche Sicherheitsleistung nur im Umfang möglicher künftiger Ansprüche gegenüber dem Mieter wegen Sachbeschädigung oder unterlassener Schönheitsreparaturen gefordert werden. Barkautionen sind dem Mieter zu verzinsen. Kerncurriculum allgemein anerkannte zentrale Bildungsinhalte eines Unterrichtsfaches auf den verschiedenen Jahrgangsstufen. Siehe auch → K. der ökonomischen Bildung. Kerncurriculum der ökonomischen Bildung Kerncurricula (→ Kerncurriculum) der → ökonomischen Bildung werden gegenwärtig auf breiter Ebene intensiv diskutiert, können aber noch nicht hinreichend verbindlich definiert werden. Siehe auch: → Kompetenzen der ökonomischen Bildung. Kernzeit Begriff aus dem Kontext zur sogenannten → gleitenden Arbeitszeit. Meint die → Arbeitszeit, während der der → Arbeitnehmer im → Betrieb anwesend sein muß. KAW Abk. für: → Konzertierte Aktion Weiterbildung. Kettenarbeitsvertrag Aneinanderreihung befristeter → Arbeitsverträge. Mit Fristablauf des jeweiligen Arbeitsvertrages beginnt ein neuer. Das → Arbeitsverhältnis erfährt durch eine solche Rechtskonstruktion faktisch keine Unterbrechung. K. sind grundsätzlich zulässig. Es darf jedoch durch ihren Abschluß der → Kündigungsschutz nicht umgangen werden. Keynes, John Maynard (seit 1942 Lord Keynes of Tilton), *1883 (Cambridge) †1946 (Firle, Sussex) wird 1919 berühmt, als er die Delegation des britischen Schatzamtes bei den Friedensverhandlungen in Versailles unter Protest 344
Keynes, John Maynard
verläßt und in seinem Buch The Economic Consequences of the Peace die verheerenden ökonomischen und politischen Folgen der im Friedensvertrag Deutschland aufgezwungenen Reparationen aufdeckt. Auch als Professor im Cambridge ist er politisch als Berater der Liberalen Partei und des Schatzamtes aktiv. Seinen größten Einfluß auf die → Wirtschaftswissenschaften erlangt er mit dem Werk The GeneralTheory of Employment, Interest and Money (1936), das die Denkschule des Keynesianismus (→ Keynessche Theorie), der später so renommierte Ökonomen wie Joan Robinson oder (Sir) John Hicks angehören werden, begründet. Es handelt sich hier um eine rein makroökonomische Richtung, die wirtschaftspolitische Probleme ausschließlich in statistischen Aggregatgrößen (z. B. Gesamtnachfrage) mißt. K. ist der Meinung, daß auch unter den Bedingungen eines Marktgleichgewichtes eine hohe → Arbeitslosigkeit herrschen könne. Diese sei Produkt einer zu geringen Gesamtnachfrage. Der Staat sollte hier antizyklisch eingreifen und die → Nachfrage durch expansive (teilweise inflationäre) → Geld- und Ausgabenpolitik ankurbeln. Diese – in Ansätzen bereits von → Malthus entwickelte – Idee, ist bis heute vielerorts die Grundlage der → Beschäftigungspolitik, obwohl sie in den westlichen Ländern bereits durch das Auftreten der → Stagflation (→ Arbeitslosigkeit und → Stagnation trotz hoher → Inflation) in den 1970er Jahren ihre Grenzen erreichte. Neuere Ökonomen, insbesondere die Monetaristen (→ Milton Friedman) und die Mikroökonomen der → „Österreichischen Schule“ (→ Friedrich August von Hayek) haben daher substantielle Einwände gegen die Thesen von K. formuliert. Literatur: Blomert, R.: John Maynard Keynes, Reinbek 2007; Buchanan, J. M., et al.: The Economic Consequences of Mr. Keynes, London 1978; Hayek, F. A. v.,: A Tiger by the Tail. The Keynesian Legacy of Inflation, hrsg. v. S. Shenoy, London 1972; Leijonhufvud, A.: Keynes and the Classics, London 1969; Moggridge, D.: John Maynard Keynes, München 1977; Pigou, A. C.: Keynes’ General Theory. A Retrospective
Keynes, John Maynard
Kinderzuschlag
View, London 1950; Wilke, G.: John Maynard Keynes, Frankfurt/New York 2002. D. D.
auf Antrag zugelassen (§§ 5, 6 JArbSchG). Auch für die Landwirtschaft sieht das Gesetz Sonderregelungen vor.
Keynessche Theorie auf der Grundlage seiner 1936 erschienenen „Allgemeinen Theorie der Beschäftigung des Zinses und des Geldes“ (kurz: „General Theory“) sieht → Keynes → Einkommen und → Beschäftigung in Abhängigkeit von der Gesamtnachfrage, das heißt der volkswirtschaftlichen → Nachfrage nach → Gütern. Nach seinem Dafürhalten werden die Produzenten auf die Dauer nicht mehr Güter herstellen, als nachgefragt werden. Die Produktion ihrerseits bestimmt den → Bedarf an Arbeitskräften, die Beschäftigung. Hieraus folgt für ihn: Reicht die private Nachfrage nicht aus, um aus einer (konjunkturellen) Beschäftigungskrise herauszukommen, so muß der Staat diese (Nachfrage-)Lücke durch verstärkte Nachfrage seinerseits schließen. Kritik an dieser Auffassung wird vor allem durch den → Monetarismus und die → angebotsorientierte Wirtschaftspolitik geübt. Siehe auch → Beschäftigungspolitik.
Kinderfreibetrag zur Abgeltung der laufenden Aufwendungen für den Unterhalt von Kindern festgesetzter Betrag, der bei der Ermittlung des → zu versteuernden Einkommens (→ Einkommensteuer) in Abzug gebracht werden darf.
KfW Bankengruppe Abk. für: Kreditanstalt für Wiederauf bau; 1948 errichtet mit Sitz in Frankfurt a.M., fungiert die Einrichtung des Bundes und der Länder als Förderbank der deutschen Wirtschaft und als Entwicklungsbank für Transformations- und → Entwicklungsländer. KG Abk. für: → Kommanditgesellschaft. KGaA Abk. für: → Kommanditgesellschaft auf Aktien. Kilometerleasing → Leasing. Kinderarbeit Die Beschäftigung von Kindern (unter 14 Jahren) ist nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) grundsätzlich verboten. Ausnahmen sind für Kinder über 3 beziehungsweise 6 Jahre bei Musik- und Theateraufführungen, im Rundfunk und bei Filmaufnahmen täglich bis zu 2, 3 oder4 Stunden
Kindergeld aus öffentlichen Mitteln gewährte Leistung für Kinder. Nach § 1 Abs. 2 Bundeskindergeldgesetz erhält K. ohne Rücksicht auf → Einkommen und → Vermögen, wer in der Bundesrepublik Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat; ebenso während eines Auslandaufenthaltes vorübergehend abgeordnete → Arbeitnehmer oder Angehörige des → öffentlichen Dienstes, Versorgungsempfänger und Entwicklungshelfer. Es wird für jedes eheliche, nichteheliche, für ehelich erklärte oder adoptierte Kind gezahlt, ebenso für jedes in den → Haushalt aufgenommene Stief- oder Pflegekind sowie für aufgenommene oder überwiegend unterhaltene Enkel oder Geschwister. Nach dem 16. bis zum 25. Lebensjahr des Kindes wird K. nur gewährt, wenn dieses sich in Schul- oder → Berufsausbildung befindet und aus dem → Ausbildungsverhältnis weniger als eine bestimmte (festgelegte) Summe monatlich bezieht, beziehungsweise weniger als eine bestimmte (festgelegte) Summe monatlich als Unterhaltsgeld erhält. Das K. bezweckt, Familien mit Kindern einen wirtschaftlichen Ausgleich für die durch diese verursachten Belastungen zu gewähren. Siehe auch → Familienpolitik. Kinderzuschlag seit 1. 1. 2005 nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II) gewährte → Sozialleistung, die die Notwendigkeit der Gewährung von → Arbeitslosengeld II beziehungsweise → Sozialgeld vermeiden soll. Rechtsgrundlage ist § 6a Bundeskindergeldgesetz. K. wird danach dann gewährt, wenn das → Einkommen der Eltern für deren Lebensunterhalt an sich ausreicht, aber wegen des/der im Haushalt lebenden minderjähri345
Kinderzuschlag
gen Kindes/Kinder Arbeitslosengeld II zu bewilligen wäre. Kirchensteuer von steuerberechtigten Religionsgemeinschaften je nach Bundesland in unterschiedlicher Höhe und nach unterschiedlichen Bemessungsgrundlagen erhobene → Steuer. Im Regelfall errechnet sie sich in einem Prozentsatz (derzeit 8 oder 9 %) der → Einkommen- beziehungsweise → Lohnsteuer unter Berücksichtigung von Kinderfreibeträgen. Die K. kann jedoch nur einen bestimmten Höchstsatz des Einkommens (ca. 3,5 %) ausmachen (Kirchensteuerkappung). Klage das an das Gericht gerichtete Gesuch des Klägers um Rechtsschutz durch Urteil. Die K. kann sich richten auf: (1) Verurteilung des Beklagten zu einer Leistung oder Unterlassung (Leistungsklage); (2) Feststellung eines Rechtsverhältnisses, der Echtheit oder Unechtheit einer Urkunde (Feststellungsklage); (3) Begründung, Änderung oder Auflösung eines Rechtsverhältnisses (Gestaltungsklage). Die Einleitung eines Prozesses durch Erhebung einer K. (Klageerhebung) erfolgt nach § 253 Zivilprozeßordnung durch Zustellung einer vom Kläger bei Gericht in zweifacher Ausfertigung eingereichten Klageschrift an den Beklagten. Klageerhebung → Klage. Klageverfahren → Klage. Klassifikationsverfahren → Arbeitsbewertung. Klassiker der klassischen Nationalökonomie (Höhepunkt Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts in Großbritannien) zuzurechnende Denker. Herausragende Vertreter: → David Hume (1711 – 1776), → Adam Smith (1723 – 1790), → Thomas Robert Malthus (1766 – 1834),→ DavidRicardo(1772 – 1823), → John Steward Mill (1806 – 1873), → Jean Baptiste Say (1767 – 1832). 346
Klimapolitik
klassischer Liberalismus → Liberalismus, ökonomischer, → Klassiker. klassische Produktionsfunktion ⇒ Produktionsfunktion vom Typ A ⇒ Gesetz vom abnehmenden Bodenertrag ⇒ Gesetz vom abnehmenden Ertragszuwachs → Produktionstheorie 1. kleine Aktiengesellschaft → Aktiengesellschaft. Klimapolitik K. erscheint als eine logische Ausweitung der am 1. Januar 1970 von US-Präsident Richard Nixon mit dem National Environmental Policy Act aus der Taufe gehobenen → Umweltpolitik. Auch der heute beinahe inflationär gebrauchte Begriff „Umweltschutz“ (Environmental Protection) wurde erst durch dieses Gesetz geprägt. Zwar gab es schon etwa ein Jahrhundert früher erste Gesetze wie den britischen Alcali Act von 1863 oder die Gewerbeordnung (GewO) des Norddeutschen Bundes von 1869, die dem gleichen Anliegen dienten. Doch war ihr Anspruch weitaus bescheidener. Das gilt auch für spätere umweltbezogene Gesetze und Verordnungen wie das deutsche Wasserhaushaltsgesetz von 1957 und die Technische Anleitung (TA) Luft von 1964, eine aus dem § 16 der GewO abgeleitete Verwaltungsvorschrift für die Begrenzung gewerblicher Staub- und Schadgas-Emissionen durch den Einbau von Filtern und die Erhöhung der Fabrikschornsteine. Diese Regulierungsansätze stellten begrenzte Reaktionen auf Engpässe der industriellen Nutzung natürlicher Ressourcen dar. Sowohl bei Nixons Umweltschutzgesetz als auch bei dem im Folgejahr verabschiedeten Umweltprogramm der deutschen Bundesregierung ging es dagegen um viel mehr: „Unerwünschte Nebenwirkungen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen sollen rechtzeitig erkannt und durch weit vorausschauende Umweltplanung vermieden werden“, heißt es im deutschen Umweltprogramm von 1971. Hier ist das erst später so getaufte „Vorsorgeprinzip“ (precautionary principle) angesprochen. Auf diesem
Klimapolitik
Prinzip, das erst in der Rio-Deklaration von 1992 definiert wurde, fußt auch die K., die mit der Einsetzung des Intergovernmental Panels on Climate Change (IPCC) durch die World Meteorological Organisation (WMO) und das UN Environment Program (UNEP) im Jahre 1988 beginnt. In der 1992 auf dem „Erd-Gipfel“ von Rio de Janeiro verabschiedeten Rahmenkonvention zur Verhinderung gefährlicher Klimaveränderungen (UN Framework on Climate Change, UNFCC) und in der Rio-Deklaration wird das Vorsorgeprinzip wie folgt definiert: „Drohen schwerwiegende oder bleibende Schäden, so darf ein Mangel an vollständiger wissenschaftlicher Gewissheit kein Grund dafür sein, kostenwirksame Maßnahmen zur Vermeidung von Umweltverschlechterungen aufzuschieben.“ (Grundsatz 15 der RioDeklaration). Diese Definition weist darauf hin, dass das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Schwachpunkt des Vorsorgeprinzips und einer darauf auf bauenden zentralistischen Welt-K. ist. Es ist fraglich, ob eine mäßige Erwärmung der Erde überhaupt schädlich ist. Überlieferungen aus dem warmen Hochmittelalter und der darauf folgenden „Kleinen Eiszeit“ des 17. und 18. Jahrhunderts weisen darauf hin, dass Warmzeiten die wirtschaftliche Entwicklung begünstigten und die Abkühlung eine weitaus größere Gefahr darstellt. In den bislang vier vom IPCC vorgelegten „Assessment Reports“ wurde die Kostenfrage nur grob behandelt. Deshalb beauftragte die britische Regierung den ehemaligen Chefökonomen der Weltbank Sir Nicholas Stern mit einer gründlicheren Kosten-Nutzen-Bewertung der K. Der Ende Oktober 2006 vorgelegte „Stern-Review“ schätzt die volkswirtschaftlichen Kosten einer ungebremsten Erderwärmung auf 5 bis 20 Prozent des → Bruttosozialprodukts (BSP). Ein Prozent des BSP reiche hingegen aus, um den Ausstoß von „Treibhausgasen“ so weit zu senken, dass die Erderwärmung 2 Grad Celsius nicht überschreitet. Diese Schätzung setzt freilich voraus, dass es tatsächlich einen engen Zusammenhang zwischen der Zunahme des Gehalts der Luft an „Treibhausgasen“, insbesondere Kohlen-
Knappheit
stoffdioxid (CO2), und dem Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um etwa 0,7 Grad Celsius im 20. Jahrhundert gibt. Das aber lässt sich weder experimentell noch statistisch beweisen. Der „Stern Review“ wurde nicht nur von Ökonomen wie William Nordhaus von der Yale University, sondern auch von Mike Hulme, dem Direktor des Tyndall Centre for Climate Change Research in Norwich, heftig kritisiert. Nordhaus wirft Stern vor, beim Kosten-Nutzen-Vergleich viel zu niedrige Diskontierungssätze angewandt zu haben. Hulme war von der britischen Regierung ursprünglich selbst wegen einer Kosten-Nutzen-Bewertung der K. angesprochen worden, sah sich wegen der unsicheren Datenlage aber außerstande, diesen Auftrag auszuführen. Die Aufdeckung von Datenmanipulationen an der ebenfalls in Norwich angesiedelten Climate Research Unit (CRU) der University von East Anglia im November 2009 („Climategate“) hat ihn in seiner Zurückhaltung bestätigt. Der ergebnislose Verlauf der 15. Konferenz der UNFCC-Vertragsstaaten („COP 15“) im Dezember 2009 in Kopenhagen hängt auch damit zusammen. Der Verdacht, K. in Form des Kampfes gegen die Erderwärmung (Mitigation) koste erheblich mehr, als sie je einbringen kann, konnte nicht entkräftet werden. Vernünftiger erscheint es, auf die Anpassung (Adaptation) an den unvermeidlichen Klimawandel zu setzen. Diese bedarf im Unterschied zur Mitigation keiner zentraler Vorgaben. Vielmehr käme es darauf an, die Menschen vor Ort selbst frei entscheiden zu lassen, in welcher Form sie dem Klimawandel individuell und/oder gemeinschaftlich begegnen wollen. Siehe auch: → Umweltpolitik Edgar L. Gärtner (D.E.A.), Frankfurt a. M. Knappheit die Begrenztheit der → Güter im Verhältnis zu ihrer Begehrtheit; mit anderen Worten: die Diskrepanz zwischen den → Bedürfnissen und den zu ihrer Befriedigung dienenden Gütern. 347
Koalitionsfreiheit
Koalitionsfreiheit das nach dem Grundgesetz Art. 9 Abs. 3 jedermann, also nicht nur allen Deutschen, zustehende Recht, zur Wahrung und Förderung der Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden. Die K. bezieht sich vor allem auf die Gründung und den Bestand von Organisationen, die der kollektiven Gestaltung des Arbeits- und Wirtschaftslebens dienen, so insbesondere auf → Gewerkschaften und → Arbeitgeberverbände sowie auf die diesen zustehende → Tarifautonomie. Körperschaft Vereinigung, die als → juristische Person eigene → Rechtsfähigkeit besitzt und durch sogenannte Organe vertreten wird. Es werden unterschieden: → K. des privaten Rechts und → K. des öffentlichen Rechts. Körperschaften des öffentlichen Rechts → juristische Personen des öffentlichen Rechts, insbesondere Verbände des öffentlichen Rechts, die außerhalb der durch die Behörden dargestellten Staatsverwaltung öffentliche Aufgaben unter staatlicher Aufsicht und gegebenenfalls unter Einsatz hoheitlicher Mittel wahrnehmen (z. B. Gemeinden, Kreise, Ortskrankenkassen, Landesversicherungsanstalten, → Berufsgenossenschaften). Eine Sonderstellung nehmen die Kirchengemeinden ein. Siehe auch → Körperschaft. Körperschaften des privaten Rechts → juristische Personen des privaten Rechts, insbesondere → Aktiengesellschaft, → Kommanditgesellschaft auf Aktien, → Gesellschaft mit beschränkter Haftung, → Genossenschaft, rechtsfähiger → Verein. Siehe auch → Körperschaft. Körperschaftsteuer ist die Einkommensteuer von → Körperschaften. Ihre Rechtsgrundlagen sind das Körperschaftsteuergesetz (KStG) in der Fassung vom 15. 10. 2002 mit späteren Änderungen sowie die KörperschaftsteuerDurchführungsverordnung 1994 in der Fassung vom 22. 2. 1996 mit späteren Änderungen. Unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig sind Körperschaften, → Personenvereinigungen und Vermögensmassen, 348
Kollektiveigentum
die ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland haben (§ 1 KStG). Beschränkt körperschaftsteuerpflichtig sind diese, soweit sie ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Ausland haben, mit ihren inländischen → Einkünften (§ 2 KStG). Befreit von der K. sind unter anderen die → Bundesbank, bestimmte Vermögen des Bundes, kirchlichen, gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken dienende Körperschaften, Pensions-, Kranken- und Unterstützungskassen sowie die → Gewerkschaften (§§ 5, 6 KStG). – Die K. bemißt sich nach dem → zu versteuernden Einkommen (Besteuerungsgrundlage, § 7 KStG). Dieses bestimmt sich nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes (→ Einkommensteuer) und des K.-gesetzes. Im Gegensatz zum Einkommensteuerrecht, das das zu versteuernde Einkommen allein aus den 7 → Einkunftsarten ermittelt, fallen nach den K.-recht bei buchführungspflichtigen Körperschaften alle Einkünfte als solche aus → Gewerbebetrieb – auch → Schenkungen, → Erbschaften und andere einmalige Zuflüsse – unter die Steuerpflicht. Das zu versteuernde Einkommen wird nach § 23 Abs. 1 KStG allgemein mit einem Steuersatz von 15 vom Hundert belegt. Kohäsionsfonds Einrichtung der → EU, die mittels finanzieller Beiträge der Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhaltes (Kohäsion) und der Solidarität unter den Mitgliedsländern dienen soll. Förderungsobjekte des K. sind insbesondere Vorhaben im Bereich der Umwelt sowie transeuropäische Netze auf dem Gebiet der Infrastruktur. Kollektivbedürfnisse → Bedürfnisse, die von ihrem Träger in der Regel (in Ermangelung der entsprechenden finanziellen Mittel) nicht selbst befriedigt werden können (z. B. Verlangen nach Krankenhaus, Straßen, Theater, Bildungseinrichtungen, innere u. äußere Sicherheit) und deshalb nur kollektiv, das heißt vom Staat, bedient werden können. Gegensatz: → Individualbedürfnisse. Kollektiveigentum ⇒ Gemeineigentum.
Kollektivgüter
Kollektivgüter ⇒ öffentliche Güter → Güter. Kollektivismus Sammelbegriff für gesellschaftspolitische Lehren/Auffassungen, die den Menschen in erster Linie als Sozialwesen sehen. Seine gesellschaftlichen Verbindungen, wie beispielsweise Familie, Betrieb, Gemeinde, Staat, repräsentieren für ihn (den K.) mehr als die Summe von Individuen; sie erlangen gleichsam eine höherwertige, überindividuelle Eigenpersönlichkeit. Als solche gelten sie den Individuen gegenüber vorrangig in der Befriedigung ihrer → Bedürfnisse. Was dem Kollektiv dient, hat Vorrang: → Gemeinnutz geht vor Eigennutz. Gegensatz: → Individualismus. Kombilohn beschäftigungspolitisches Instrument zur Schaffung von Arbeitsplätzen im Niedriglohnbereich. Er sieht vor, daß Empfänger von → Arbeitslosengeld II, die bereit sind, eine niedrig bezahlte Arbeit anzunehmen, auf ihren (Niedrig-)Lohn einen staatlichen (Lohn-)Zuschuß (→ Transfer) erhalten. Kommanditaktionär → Kommanditgesellschaft auf Aktien. Kommanditgesellschaft (KG) wird in den §§ 161 – 177 Handelsgesetzbuch abgehandelt. Sie ist die vertragliche Vereinigung von zwei oder mehreren Personen (auch → juristische Personen können Gesellschafter sein) zum Betrieb eines → Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher → Firma. Im Gegensatz zur → offenen Handelsgesellschaft haftet/haften ein oder mehrere Gesellschafter, die Kommanditisten, gegenüber den Gesellschaftsgläubigern nur beschränkt, das heißt mit ihrer Einlage ins Gesellschaftsvermögen. Die Haftung der übrigen Gesellschafter, der Komplementäre (persönlich haftende Gesellschafter), ist unbeschränkt, das heißt sie haften (wie die Gesellschafter der offenen Handelsgesellschaft) mit ihrem gesamten Geschäfts- und Privatvermögen (→ Vermögen). Die K. gibt dem Kommanditisten die Möglichkeit, sich mit auf die Einlage begrenz-
Kommanditist
tem Risiko am → Unternehmen kapitalmässig zu beteiligen, ohne selbst mitzuarbeiten. Für den/die Komplementär(e) liegt der Vorteil dieser Unternehmensrechtsform darin, daß er/sie durch Aufnahme von Teilhabern (Kommanditisten) die Kapitalbasis des Unternehmens erweitern kann/können, ohne dadurch in der Geschäftsführung wesentlich eingeschränkt zu werden. Die K. kann aus verschiedenen Gründen aufgelöst werden, so zum Beispiel: durch Beschluß der Gesellschafter, durch → Kündigung, infolge → Insolvenz(-eröffnung) über das Gesellschaftsvermögen oder das Vermögen eines Gesellschafters. Der Tod eines Kommanditisten führt jedoch nicht zur Auflösung der Gesellschaft. Der Kapitalanteil des Verstorbenen geht – soweit nichts anderes vereinbart – auf die Erben über. Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) → Unternehmung mit → eigener Rechtspersönlichkeit, bei der mindestens ein Gesellschafter den Gesellschaftsgläubigern unbeschränkt haftet (persönlich haftender Gesellschafter oder Komplementär genannt) und weitere Gesellschafter an dem in → Aktien zerlegten → Grundkapital beteiligt sind (dies sind die sogenannten Kommanditaktionäre), ohne persönlich für die → Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu haften. Die Organe der K. entsprechen denen der → Aktiengesellschaft. Die Komplementäre bilden den nicht absetzbaren Vorstand. In der Hauptversammlung beschließen die Kommanditaktionäre unter anderem über die Gewinnverwendung, stellen den Jahresabschluß fest und entlasten den → Vorstand und den → Aufsichtsrat. Der Aufsichtsrat wird ähnlich wie bei der → Aktiengesellschaft zu ⅔ von den Kommanditaktionären und zu ⅓ von den → Arbeitnehmern der Gesellschaft gewählt. Persönlich haftende Gesellschafter können nicht in den Aufsichtsrat gewählt werden. Die Rechtsgrundlagen für die K. sind das Handelsgesetzbuch und das Aktiengesetz. Kommanditist → Kommanditgesellschaft. 349
Kommission Berufs- und Wirtschaftspädagogik
Kommission Berufs- und Wirtschaftspädagogik Wissenschaftliche Kommission in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE). In diesem Rahmen verfolgt sie das Ziel, die wissenschaftliche Berufs- und Wirtschaftspädagogik durch Zusammenwirken und Gedankenaustausch ihrer Mitglieder zu fördern. Zu diesem Zweck finden in der Regel zweimal jährlich Tagungen und Kongresse statt. Mitglieder sind Personen, die sich durch wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiet der Berufsund Wirtschaftspädagogik ausgewiesen haben. Hauptarbeitsgebiete sind Förderung desberufs- und wirtschaftspädagogischen Nachwuchses, Klärung von Ausbildungsund Prüfungsfragen für Berufs- und Wirtschaftspädagogen, Aufarbeitung und Diskussion wissenschaftstheoretischer, historischer, institutioneller und organisatorischer Grundlagen wirtschafts- und berufsbezogener Bildung sowie die Berufsbildungsforschung. H. J. A. Kommunalobligationen ⇒ Kommunalschuldverschreibungen → festverzinsliche Wertpapiere, die von Realkreditinstituten auf Grund von → Darlehen an kommunale → Körperschaften (wie Gemeinden u. a.) ausgegeben werden. K. sind → mündelsicher. Die Sicherung der K. ist außer durch die Darlehen durch die allgemeine Leistungs- und Steuerkraft der darlehnsnehmenden beziehungsweise darlehnsverbürgenden öffentlichen Körperschaft gewährleistet. Kommunalschuldverschreibungen ⇒ Kommunalobligationen. Kommunalsteuern ⇒ Gemeindesteuern. Kommunismus Bezeichnung für politisch-ökonomische Entwürfe, die die Gleichheit der Menschen in ihren Lebensbedingungen und → gemeinsames Eigentum an den → Produktionsmitteln fordern. Von Karl → Marx und Friedrich → Engels wurde der K. zu einer → Ideologie ausgeformt, die ihren totalitä350
Kommunitarismus
ren Anspruch bis Ende der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts weit über die Sowjetunion hinaus durchzusetzen versuchte. → Marxismus – Leninismus. Kommunitarismus Der K. ist in den achtziger Jahren in den USA als Reaktion auf den Linksliberalismus und dessen atomistische Soziallehre, seinen „falschen“ → Individualismus, entstanden. Er beleuchtet die Tatsache, daß sich der Mensch immer nur in Beziehung zu seinen Mitmenschen in „Gemeinschaften“ entwickeln kann und von dorther Grenzen und Sinnhorizont seines Handelns erfährt. Bekannteste Vertreter sind Michael Walzer, M. Sandel, R. N. Bellah, B. Barber, Françis Fukuyama u. a. Der Schwerpunkt des K. liegt auf der Analyse der moralischen und institutionellen Voraussetzungen der Freiheit. Er will spontanes Gemeinschaftshandeln und republikanischen Bürgersinn neu beleben – nicht durch politischen Zwang, sondern durch moralische Überzeugungsarbeit. Soweit er sich dem Thema „institutionelle Voraussetzungen der Freiheit“ widmet, lässt er sich in die rechtsliberale Linie von Montesquieu bis F. A. von → Hayek einordnen. Seine Leitfrage: Welche Institutionen müssen gegeben sein, damit sich die individuelle Freiheit erhält? Institutionen und die ihnen entsprechenden Sitten und Gewohnheiten schaffen stabile Handlungserwartungen und gegenseitiges Vertrauen als „Sozialkapital“. Intakte Institutionen sind darum Standortvorteile. Die Kommunitarier beklagen soziale Desintegrationserscheinungen, die sich in steigenden Kriminalitätsziffern, Scheidungsraten, Verwahrlosung der Jugend und allgemeiner „Dezivilisierung“ äußern. Als Ursache dieser Fehlentwicklung wird bei Kommunitariern wie Etzioni besonders der → Wohlfahrtsstaat herausgestellt. Er zerstört Eigenverantwortlichkeit und die freie Solidarität der Gemeinschaften. Jedoch kann auch vom → Markt her eine Zersetzung institutioneller Strukturen stattfinden, indem anstelle gemeinschaftlicher Beziehungen „monetarisierte“ Verhältnisse treten. Die „Atomisierung der Gesellschaft“ fördert den totalen Staat. Kommunitarier
Kommunitarismus
haben ein praktisches Programm der Entstaatlichung, der politischen Dezentralisation und einer Stärkung nichtstaatlicher Initiativen ebenso wie des republikanischen „Gemeinsinns“ entwickelt. Wenn auch der K. insoweit positiv zu bewerten ist und seit jeher ein wichtiger Bestandteil der liberalen Theorie war, neigen doch einige seiner Vertreter zur Marktfeindlichkeit, ja sogar zu einer wohlfahrtsstaatlichen Versorgung als Ausdruck gemeinschaftlichen „Teilens“. Literatur: Diaphanes, R. E.: Communitas, Zürich 2005; Honneth, A. (Hrsg.): K. Eine Debatte über die moralischen Grundlagen moderner Gesellschaften, Frankfurt/M., 3. Aufl., 1995; Reese-Schäfer, W.: Kommunitarismus, Frankfurt/M., 2001; Sochoric, S.: Kommunitarismus: Definition, Ideengeschichte, Entwicklung, politische Praxis, München 2009; Walzer, M. K.: Kritik und Gemeinsinn, Zürich 2005. Prof. Dr. Gerd Habermann, Berlin komparative Kostenvorteile → Theorie der komparativen Kosten. Kompetenzen die beim Individuum verfügbaren und durch dieses erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die in variablen Situationen anstehenden Problemlösungsmöglichkeiten erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können (F. Weinert). Mit dieser Begriffsdefinition wird über die Listung von Lehrstoffen und -inhalten hinaus auf situative Problemlösungsfähigkeit orientiert. In Abgrenzung zur Differenzierung nach Sach-, Methoden-, Sozial- und Personalkompetenz werden K. an fachliche Grundlagen gebunden. B. M. Kompetenzen der ökonomischen Bildung (1) → Kompetenzen als Ziel von Bildungsprozessen: Nach den für Deutschland wenig erfolgreichen Ergebnissen der internationalen Leistungsstudien um die Jahrtausendwende sollte das Bildungswesen grund-
Kompetenzen der ökonomischen Bildung
legend durch → Bildungsstandards neu gesteuert werden. Diese sollten definieren, was Lernenden am Ende einer bestimmten Stufe des Bildungswesens – am Ende der Grundschule, der Mittelstufe oder der Oberstufe – in den einzelnen Fächern können sollten. Bildungsprozesse sollten künftig Kompetenzen fördern. Kompetenzen sind nach dem Psychologen Franz Weinert (2001, 27f.) definiert als „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“. (2) Kompetenzen versus → Qualifikationen: Im Unterschied zu Kompetenzen beziehen sich Qualifikationen auf das erkennbare Bewältigen extern vorgegebener, funktionaler Anforderungen, wie sie durch die Bildungsabnehmer formuliert werden. Bedingt durch den dynamischen Wandel der Arbeitswelt mangelnd prognostizierbar erfolgte in den 1970er Jahren ihre inhaltliche Entkernung zu sog. → Schlüsselqualifikationen, wie etwa Kooperations- und Problemlösefähigkeit. Da die Ziele, Interessen und Bereitschaften des Individuums im Qualifikationsbegriff vernachlässigt wurden, orientierten sich die Berufspädagogen an dem Begriff Kompetenz, da dieser die Entwicklung der Persönlichkeit berücksichtigt. Sie bezogen ihn aber ebenfalls – in Anlehnung an Heinrich Roth – vor allem auf die überfachlichen Fähigkeiten Sach-, Sozialund Personalkompetenz als Komponenten beruflicher Handlungskompetenz. (3) Fachliche Konkretisierung von Kompetenzen: Die nach Pisa neu zu entwickelnden Ziele des Bildungswesens sollten sich weiterhin orientieren an Bildungszielen. Die Kompetenzen sollten ausgerichtet sein auf Persönlichkeitsentwicklung, die Aneignung wissenschaftlicher und kultureller Traditionen, die Bewältigung praktischer Lebensanforderungen und die aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben (vgl. Klieme u. a. 2007). Bildungsstandards sollten die Kom351
Kompetenzen der ökonomischen Bildung
petenzen für bestimmte Jahrgangsstufen als erwartete Lernergebnisse in Stufen konkretisieren und den Kern des Faches beinhalten. Das verfügbare Wissen, Verstehen von Zusammenhängen und die Fähigkeit, Fertigkeit und Bereitschaft zur Anwendung in einfachen und komplexen Anwendungssituationen soll in Stufen gegliedert und in Aufgaben konkretisiert werden, um unterschiedliche Niveaus des Lernstands bestimmen, diagnostizieren und testen zu können. Aus diesen Anforderungen resultierte endgültig die Verabschiedung von inhaltsleeren formalen Kompetenzen und die Suche nach fachlich konkretisierten, auf Anwendungsfelder bezogene Problemlösekompetenzen, in denen gleichzeitig Konzepte und Kategorien des fachlichen Denkens spezifiziert werden konnten, ohne in die Stofffülle und Inhaltskataloge vergangener Zeiten zurückzufallen. (4) Ökonomische Handlungskompetenz für ökonomisch geprägte Lebenssituationen: Die Orientierung an Kompetenzen hat auch in der → Wirtschaftsdidaktik eine lange Tradition. Bodo Steinmann entwickelte mit Dietmar Ochs Ende der 1970er Jahre die Konzeption „Qualifizierung für Lebenssituationen“ als Befähigung zum mündigen Entscheiden und Handeln in ökonomisch geprägten Lebenssituationen als → Konsumenten, → Erwerbstätige und Wirtschaftsbürger. Für Bodo Steinmann (1995: 11 f.) ist das Ziel eine auf Mündigkeit ausgerichtete ökonomische Handlungskompetenz als „Befähigung zu (Mitwirkung und Teilhabe an) ökonomischen Entscheidungen und Handlungen mit dem Ziel der individuellen Entfaltung, der Gestaltung toleranzbestimmter sozialer Beziehungen sowie der Schaffung einer lebenswerten Gesellschaft“. Diese ökonomische Handlungskompetenz setzte sich – analog zu den Berufspädagogen – zusammen aus Sach- und Wertekompetenz sowie Individual- und Sozialkompetenz. Dabei geht es um Fähigkeiten und Bereitschaften – als Sachkompetenz, „Strukturelemente und -zusammenhänge sowie Gestaltungsmöglichkeiten von Wirtschaftsordnung, 352
Kompetenzen der ökonomischen Bildung
-ablauf, -bereichen und -entwicklungen erkennen und erklären zu können“, – als Wertekompetenz, „die erkannten und erklärten Strukturelemente und -zusammenhänge sowie Gestaltungsmöglichkeiten im Hinblick auf Chancen und Gefährdungen selbstbestimmter und verantwortungsbewusster Lebensgestaltung beurteilen zu können“, – als Individual- und Sozialkompetenz einen eigenen Standpunkt entwickeln und ihn selbstständig oder gemeinschaftlich in Entscheidungen und Handlungen umsetzen zu können. (5) Synthese wirtschaftsdidaktischer Konzeptionen durch die Kompetenzdiskussion: Um Problemlösekompetenzen zu definieren, ökonomische Entscheidungs- und Handlungsfelder zu bestimmen sowie den Kern ökonomischer Bildung auszumachen, konnte die Wirtschaftsdidaktik zur Konkretisierung ökonomischer Kompetenzbereiche auf unterschiedliche fachdidaktische Konzeptionen zurückgreifen und diese zusammenführen: – Die Bestimmung von Problemlösekompetenzen konnte sich an Ansätzen zur Förderung ökonomischer Handlungskompetenz orientieren (z. B. Hans Jürgen Albers, Franz-Josef Kaiser, Hans Kaminski, Gerd Schweizer, Bodo Steinmann, Birgit Weber und Bernd Weitz). Ausgerichtet auf die Grundstruktur planvollen Handelns mussten lösungsbedürftige Probleme beschrieben und eingegrenzt, gewünschte Zielvorstellung gegenübergestellt, analysiert, alternative Lösungsmöglichkeiten abgewogen und in ihren Folgen abgeschätzt, Entscheidungen getroffen, ihre Ergebnisse verglichen und analysiert werden. – Zur Bestimmung der ökonomischen Entscheidungs- und Handlungsfelder, in denen solche Problemlösekompetenzen zur Bewältigung individueller Lebenssituationen und zur gesellschaftlichen Teilhabe erforderlich waren, konnte eine Orientierung erfolgen an dem Konzept Qualifizierung für Lebenssituationen nach Bodo Steinmann und Dietmar Ochs
Kompetenzen der ökonomischen Bildung
bzw. ergänzend ausgerichtet auf die Sektoren des → Wirtschaftskreislaufes → Haushalte, → Unternehmen, Staat und Ausland im Gefüge der realen → Wirtschaftsordnung nach Hans Kaminski. – Zur Bestimmung des fachlichen Kerns konnte zurückgegriffen werden auf die Kategorien der kategorialen Wirtschaftsdidaktik von Erich Dauenhauer, Hermann May und Klaus Peter Kruber, die dem Individuum Orientierung in der komplexen Lebenswirklichkeit geben und ihm ermöglichen, im Besonderen das Allgemeine bzw. das Typische zu erkennen. Ergänzend herangezogen werden konnte die von Gerd-Jan Krol als Kern ökonomischer Bildung ausgemachte ökonomische Denkmethode zur Analyse von Anreizen, Restriktionen, Handlungskonsequenzen und Dilemmastrukturen in modernen Gesellschaften. Durch diese Synthese wird eine fachlich fundierte Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit impliziter Bestandteil von Problemlösekompetenzen für die Anwendung in ökonomischen Entscheidungs- und Handlungsfeldern, die analog der fachdidaktischen Erschließung von Inhalten und der wissenschaftlichen Gewinnung von Erkenntnissen nach Problembeschreibung, Erklärung und Beeinflussung verlaufen können. (6) Kompetenzbereiche ökonomischer Bildung: Auf der Jahrestagung 2004 der Deutschen Gesellschaft für ökonomische Bildung verständigte sich die Mehrheit der deutschen Wirtschaftsdidaktiker auf die folgenden fünf Kompetenzbereiche: 1. Entscheidungen ökonomisch begründen: Individuen sollen befähigt werden als Verbraucher, Berufswähler, Erwerbstätige und Wirtschaftsbürger ökonomische Entscheidungen bewusster, rationaler unter Abwägung von Kosten und Nutzen, dem Vergleich von Alternativen, der Berücksichtigung der Rahmenbedingungen und Konsequenzen für das eigene Wohl und das Wohl aller zu treffen. 2. Handlungssituationen ökonomisch analysieren: Individuen sollen befähigt
Kompetenzen der ökonomischen Bildung
werden, Anreize und Restriktionen zu analysieren, um eigene Handlungsspielräume wahrnehmen, Entscheidungen verbessern und im Bewusstsein der Konsequenzen verantwortungsbewusster handeln, aber auch das Verhalten anderer auf Veränderungen erklären, prognostizieren und beeinflussen zu können. 3. Ökonomische Systemzusammenhänge erklären: Individuen sollen befähigt werden, die Wirkungen und Nebenwirkungen von Einflüssen und praktizierten oder unterlassenen Maßnahmen zu verstehen, die sich aus den Interdependenzen moderner Gesellschaften ergeben, die vielfältige Koordinationserfordernisse zeitigen und angemessene Koordinationsmechanismen (Märkte, Netzwerke, Hierarchien) erfordern. 4. Rahmenbedingungen der Wirtschaft verstehen und mitgestalten: Individuen sollen Ordnungsbedürftigkeit, Gestaltungsfähigkeit und Wandelbarkeit des wirtschaftlichen Systems verstehen, um die durch Wirtschaftsordnung und -politik bestimmten Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handeln verstehen, beurteilen, beeinflussen und mitgestalten zu können. 5. Konflikte perspektivisch und ethisch beurteilen: Individuen sollen Konflikte durch wirtschaftliche Handlungen und Auswirkungen wirtschaftspolitischer Maßnahmen aus der Perspektive unterschiedlicher Akteure wahrnehmen und mit ökonomischen und ethischen Entscheidungs- und Beurteilungskriterien (Effizienz und → Rationalität, Entfaltung, → Partizipation, Sicherheit, Wohlstand, Freiheit, Gerechtigkeit, → Nachhaltigkeit) bewerten können. Die ökonomischen Entscheidungs- und Handlungsfelder, in denen die Kompetenzen angewendet werden sollen, sowie Konzepte und Denkmethoden als erforderlicher fachlicher Kern ökonomischer Bildung sind in die jeweiligen stufenbezogenen Standards integriert. Auf diese Weise sollen die Lernenden sowohl für ihre gegenwärtigen als auch künftigen Rollen als Konsumenten, Berufswähler und Wirtschaftsbürger fach353
Kompetenzen der ökonomischen Bildung
lich fundierte und auf wirtschaftliche Entscheidungsfelder bezogene Orientierungs-, Analyse-, Urteils-, Entscheidungs- und Handlungskompetenz erwerben, die es ihnen erlaubt, mit Hilfe ökonomischer Denkinstrumente Anforderungen in ökonomischen Lebenssituationen zu bewältigen und problematische Entwicklungen sowie ihre Gestaltungsmöglichkeiten kompetent und verantwortlich sowohl zum eigenen Wohl als auch zum Wohl aller zu nutzen. (7) Herausforderungen und Kritik – Als curriculare Planungshilfe ist die analytische Trennung in fünf Kompetenzbereiche hinderlich. So beziehen sich die ersten beiden Kompetenzbereiche vor allem auf die Interaktionsebene in der Mikroperspektive, die nächsten beiden auf die Koordinationsebene der Makroperspektive, während der fünfte Kompetenzbereich ausgerichtet auf ethische und mehrperspektivische Beurteilung sowohl für die Mikro- als auch die Makroperspektive bedeutsam ist. – Für die Lehr-Lernforschung stellt sich die Frage der angemessenen Eignung und Realisierung der Standards nach Altersstufen als Mindest- oder Regelstandards sowie die Spezifizierung der Zielerreichungsniveaus. – Für eine angemessene Kompetenzförderung und -diagnose bedarf es der Entwicklung angemessener Lern- und Testaufgaben. – In ihrer Ausrichtung auf messbare Leistungen entziehen sich Interessen, Neigungen und Bereitschaften den Tests, so dass die formulierten Standards tendenziell eher Qualifikationserwartungen bzw. einen Maßstab der Performanz einer nicht explizit messbaren Kompetenz darstellen. – Eine alleinige Orientierung an ökonomischen Fachkonzepten und Denkmethoden zur Konkretisierung ökonomischer Problemlösekompetenzen erscheint fraglich, da sie zwar Erkenntnis-, weniger aber Entscheidungs- und Handlungshilfe bieten. 354
Konjunktur
Siehe auch: → Standards der ökonomischen Bildung. Literatur: Deutsche Gesellschaft für ökonomische Bildung (Hrsg.) 2004: Kompetenzen der ökonomischen Bildung für allgemein bildende Schulen und Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss (www. degoeb.de). Klieme, Eckhard, u. a. 2007. Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards. – Expertise. 2007, 2. Aufl. (Hg.) BMBF), Bonn, Berlin. Steinmann, Bodo 1995: Verankerung von Methoden in einem auf ökonomische Handlungskompetenz ausgerichteten Curriculum. In: Steinmann, Bodo; Weber, Birgit, Hg. Handlungsorientierte Methoden in der Ökonomie. Neusäß, 10–16. Weber, Birgit 2005: Bildungsstandards, Qualifikationserwartungen und Kerncurricula: Stand und Entwicklungsperspektiven der ökonomischen Bildung In: Weitz, Bernd O. (Hg.) 2005: Standards in der ökonomischen Bildung, Bergisch Gladbach, S. 17–49. Weinert, Franz E. 2001: Leistungsmessung in Schulen – Eine umstrittene Selbstverständlichkeit. In: ders. (Hg.): Leistungsmessung in Schulen. Weinheim u. Basel. Weitz, Bernd O. (Hrsg.) 2006: Kompetenzentwicklung, -förderung und -prüfung in der ökonomischen Bildung. Bergisch Gladbach. Prof. Dr. Birgit Weber, Bielefeld Komplementär → Kommanditgesellschaft und manditgesellschaft auf Aktien.
→ Kom-
komplexe Systeme → Chaostheorie, ökonomische. Konditionenkartell → Kartell, das unter seinen Mitgliedern (selbständige → Unternehmen) einheitliche Verkaufsbedingungen (→ Geschäfts-, → Lieferungs-, → Zahlungsbedingungen einschließlich → Skonti) festlegt, ohne Preisabsprachen zu treffen. Konjunktur die Veränderung der volkswirtschaftlichen Aktivitäten im Zeitverlauf. Die Veränderung kann mittels verschiedener gesamtwirtschaftlicher Größen (Aggregate), wie zum Beispiel reales → Bruttoinlandspro-
Konjunktur
dukt (BSP), → Volkseinkommen, → Beschäftigung, Auftragseingänge, ermittelt werden. Diese Aggregate schwanken im Zeitverlauf in unterschiedlichem Ausmaß um eine mehr oder weniger gerade Mittellagelinie, den Trend, und markieren damit eine Wellenbewegung. Diese Wellenbewegung im Zeitverlauf, die auch als Konjunkturzyklus bezeichnet wird, läßt sich schematisch in 4 Phasen (Konjunkturphasen) gliedern. Der untere (A) und obere (B) Umkehrpunkt der Wellenlinie markieren die Krisen. Es lassen sich folgende K.-phasen ausmachen: (1) → Aufschwung (Expansion), (2) → Boom (Hochkonjunktur), (3) → Abschwung (Rezession), (4) → Depression (Tiefstand).
Konsensgesellschaft
Konjunkturpolitik Gesamtheit der Maßnahmen zur Beeinflussung von → Konjunkturschwankungen. → Stabilitätspolitik. Konjunkturschwankungen ⇒ Konjunkturzyklen → Konjunktur. Konjunkturzyklen ⇒ Konjunkturschwankungen → Konjunktur. Konkurrenz ⇒ Wettbewerb. Konkurrenzverbot ⇒ Wettbewerbsverbot. Konkurs veraltete Bezeichnung für gerichtlich angeordnetes Zwangsverfahren über das → Vermögen eines zahlungsunfähigen → Schuldners. Die dem Konkurs innewohnende Rechtsproblematik wurde von der am 1. 1. 1999 in Kraft getretenen → Insolvenzordnung aufgenommen. Konkursausfallgeld → Insolvenzgeld. Konkursmasse → Insolvenzmasse.
Konjunkturausgleichsrücklage nach § 15 → Stabilitätsgesetz auf Anordnung der Bundesregierung durch Rechtsverordnung von Bund und Ländern aus Steuereinnahmen zu bildende und bei der → Bundesbank unverzinslich zu haltende Guthaben. Die Bildung solcher Guthaben bedeutet Abzug von → Kaufkraft aus dem → Wirtschaftskreislauf. Die Freigabe der Guthaben (ebenfalls durch Rechtsverordnung der Bundesregierung) bedeutet zusätzliche potentielle (Staats-)→ Nachfrage. Sowohl die Bildung als auch die Freigabe von K. erfolgt in der Absicht, durch (Staats-) Nachfrageentzug beziehungsweise (Staats-) Nachfrageausweitung die jeweilige konjunkturelle Situation zu beruhigen beziehungsweise zu beleben. → Stabilitätspolitik. Konjunkturphasen → Konjunktur.
Konkursverfahren → Insolvenzverfahren. Konsensgesellschaft In seinem Buch „Im Joch des Profits?“ sieht Klaus von Dohnanyi die von ihm als Deutsches Modell und Erfolgsmodell gepriesene deutsche Variante des → Sozialstaats gefährdet. Der „gesellschaftliche Verband“ könne wegen der „neuen, grenzenlosen Bedingungen“ (sprich: → Globalisierung) die Freiheit und Sicherheit des Einzelnen nur noch sehr eingeschränkt gewährleisten. Während die → Wirtschaft längst begonnen habe, sich in ihren Organisationsformen auf die Regeln der Globalisierung einzustellen, folge der Staat bei der „Organisation der Gesellschaft“ viel zu zögerlich diesen Veränderungen. Solle es nicht zu „unberechenbarem Aufstand“ kommen, so müsse der Staat einen „neuen Sozialstaat“ organisieren, der die Bürger zu mehr Selbstverantwortung 355
Konsensgesellschaft
befähige, und dieser neue Sozialstaat müsse als „neuer Konsens“ der politischen Parteien und des Wählervolkes erstritten werden. Zur dringlichen Errichtung des neuen deutschen Sozialstaatsmodells bedürfe es somit der K. Hier wird deutlich, daß es sich bei der K. um einen neuen Begriff aus dem reichhaltigen Arsenal des → Etatismus handelt, gemünzt einerseits für die Ohren des staatsgläubigen und staatshörigen Volkes, und andererseits als (wie üblich) selbsterteilte Handlungsvollmacht an die politischen Machteliten. Dohnanyi bezeichnet die „Rekonstruktion von erfaßbarer Eigenverantwortung“ ausdrücklich als eine Aufgabe politischer Organisationen, als ein Werk für „Sozialingenieure“ (S. 269) und bedauert, daß angeblich konsensbildende Kollektivinstitutionen wie die → Konzertierte Aktion des ehemaligen Wirtschafts- und Finanzministers → Karl Schiller nicht weiterentwickelt werden konnten. Für die Gutgläubigen unter den politischen Figuren war der Gleichmarsch der korporativistischen Funktionäre nach den Trommelschlägen von Konkordanzparteien schon immer ein Wunschtraum. Zum Etatismus in der besagten Vorstellungswelt tritt also dessen natürlicher Kumpan, der → Korporativismus. Der wesentliche Unterschied zwischen → Organisation (z. B. die Organisationsstruktur eines Unternehmens) und Ordnung (z. B. der rechtsstaatliche Ordnungsrahmen einer freien Gesellschaft) gehört offenbar noch immer nicht zum Kenntnisstand der politischen Kaste; ein Unterschied, der nichts Geringeres markiert als die Trennlinie zwischen den Gegensatzpaaren Freiheit oder Knechtschaft, Persönliche Autonomie oder staatsgefütterte Hörigkeit und Rechtsstaat oder kollektivistischer Zwangsstaat. Die diesbezügliche Taubheit der Politik ist zugleich ihr natürliches Überlebenskalkül: würde die freiheitliche Alternative – Ordnung statt Organisation – doch den Verzicht auf den Anspruch bedeuten, das Leben der Menschen umfassend bestimmen zu dürfen, ja dominieren zu müssen – und das wäre gleichbedeutend mit dem Verzicht auf Macht, Ansehen und Pfründe der Akteure. 356
Konsensgesellschaft
Wer das Blendwerk fertig bringen will, das, was der Sozialstaat weitgehend zerstört hat, nämlich die Selbst- oder Eigenverantwortlichkeit der Menschen, ausgerechnet vermittels eines „neuen Sozialstaats“ wiedererstarken zu lassen, bedarf freilich des Verbalzaubers der K. Ebenso, wer den absehbaren finanziellen und moralischen Bankrott des Sozialstaats nicht seiner ihm immanenten Zerstörung ökonomischer Effizienz und seinen → moral hazards (falsche moralische Anreize) zuschreibt, sondern der Globalisierung. Wenn die deutsche Gesellschaft eines übergreifenden Konsenses bedarf, dann wäre es aktuell – und schon lange – die freiheits- und wohlstandssichernde Einsicht in die Weisheit des kurzen Satzes „Markt oder Befehl“, in die Tatsache also, daß jede Problemlösung, die den angeblich „kalten“ – in Wirklichkeit aber kooperativen und friedlichen Marktmechanismen entzogen wird, unweigerlich in den problemkumulierenden und Zwietracht säenden Händen der politischen Machteliten landet. Ludwig von → Mises hatte schon in den vierziger Jahren – mit Blick auf das → Böhm-Bawerk’sche Diktum „Macht oder ökonomisches Gesetz“ – erkannt: Nur wenn man die Illusion hege, das ökonomische Gesetz aushebeln und stattdessen auf die politische Macht setzen zu können, glaube man auch an das Lieblingsmärchen der Bürokratie von der Möglichkeit und Notwendigkeit eines „Konsenses der verschiedenen Machtpositionen“. Letztlich steht dahinter das etatistische und kollektivistische Bild von der Gesellschaft als einem Klassenkampf der Sonderinteressen, der politisch gebändigt werden müsse. (Zynischerweise entspricht dieses Gesellschaftsbild tatsächlich der Realität, sobald der Interventions- und Regulierungsstaat das Leben der Menschen vollständig politisiert und die natürliche Marktgesellschaft mit irgendeiner Variante aus der zirzensischen Vielfalt „Dritter Wege“ ruiniert hat.) Ebenso dringlich wäre der Rückgewinn des antitotalitären Konsenses, der in der deutschen Nachkriegsgesellschaft lange Zeit lebendig war, nun aber im politisch gezielt veranstalteten Kampfgeschrei „gegen
Konsensgesellschaft
rechts“ untergegangen ist. In einem ganz anderen Sinne als von ihren Begriffsschöpfern gemeint und gewollt, ist im bunderepublikanischen Spaß- und Schreckensalltag des Jahrtausendwechsels tatsächlich das Realmodell einer K. entstanden, nämlich einer solchen, die sich von der Einheitsphalanx aus Politik und Medien dazu verführen ließ, mit dem Rechts-Trick implizit den ideologischen Katalog der Sozialistischen Internationale zum Heiligen Gral zu kören. Daß der Totalitarismus – nicht nur der rote sondern auch der braune – fast immer und überall ein sozialistischer war, geht hierbei vollständig verloren. Eine solche K. verliert (wieder einmal – und zum wievielten Male eigentlich!?) zunächst ihren Verstand – und bald darauf auch ihre Freiheit und Würde. Literatur: Klaus von Dohnanyi: Im Joch des Profits?, DVA, Stuttgart 1999; Ludwig von Mises: Bureaucracy, Yale University Press, New Haven, 1944 (s. a. Roland Baader, Hrsg.: Logik der Freiheit. Ein Ludwigvon-Mises-Brevier, Ott Verlag, Thun 2000); Walter Hamm: Am Grab des Konsensualismus, in: Frankfurter Allemeine Zeitung v. 28. 4. 2004, Nr. 99, S. 11. Dipl.-Volkswirt Roland Baader, Waghäusel Konsum 1. privater K.: Verbrauch von → Gütern durch die → privaten Haushalte; 2. K. des Staates (Staatskonsum, Staatsverbrauch): → Eigenverbrauch des Staates. Konsument ⇒ privater Haushalt. Bezieher und Verbraucher von → Konsumgütern. Konsumentenerziehung ⇒ Konsumerziehung ⇒ Verbrauchererziehung ⇒ Verbraucherbildung. Konsumentensouveränität Leitbild der → Verbraucherpolitik, wonach die → Bedürfnisse der Konsumenten (der → privaten Haushalte) bei Freiheit der Einkommensverwendung (→ Konsumfreiheit) und → Wettbewerb zwischen den Produ-
Konsumentenverhalten
zenten die Höhe und Zusammensetzung des Güterangebotes bestimmen. Konsumentenverhalten ⇒ Verbraucherverhalten. meint das Verhalten einzelner Personen oder Personengruppen beim Kauf und → Konsum wirtschaftlicher → Güter. Die vielfältigen Facetten dieses Verhaltens sind Gegenstand der K.-forschung. Die moderne K.-forschung stellt einen interdisziplinär ausgerichteten, empirisch geprägten Forschungszweig dar, der Erkenntnisse und Methoden insbesondere aus der → Wirtschaftswissenschaft, Psychologie und Soziologie zusammenführt. Historische Vorläufer sind insbesondere in der mikroökonomischen Haushaltstheorie (mit ihrem Menschenbild des → Homo oeconomicus) sowie in einigen Forschungszweigen der Psychologie (z. B. Instinkt-, Lern-, Motivationstheorien, tiefenpsychologische Theorien) zu sehen. Je nach Betrachtungsweise lässt sich dieses Forschungsfeld mittlerweile als weitgehend verselbständigte Disziplin, aber auch als zentrales Teilgebiet der betriebswirtschaftlichen Absatzlehre (Marketinglehre) auffassen. Großen Aufschwung nahm die K.-forschung seit den 1960er Jahren mit der Etablierung der Marketinglehre als einer speziellen → Betriebswirtschaftslehre. Durch die systematische Ausrichtung der Unternehmensaktivitäten auf den Absatzmarkt rückt der Konsument in den Mittelpunkt der Marketingpolitik. Dabei interessieren vornehmlich Fragen im Zusammenhang mit seinen Kaufentscheidungen. Als angewandte Wissenschaft stellt die K.-forschung neben explikativen Aussagen auch Gestaltungsempfehlungen und Entscheidungsregeln für den praktischen Einsatz der Marketinginstrumente (Produkt-, Preis-, Kommunikationsund Distributionspolitik) zur Verfügung. Eher stiefmütterlich wird dagegen in der Fachliteratur die Anwendung von Erkenntnissen zum K. in nicht-kommerziellen Praxisfeldern behandelt, z. B. im Bereich der staatlichen → Verbraucherpolitik, des sozialen → Marketing (Social Marketing) oder des Wettbewerbsrechts. 357
Konsumentenverhalten
In der Forschung dominieren Fragestellungen, die sich auf das Entscheidungsverhalten beim Kauf beziehen. „Kauf“ wird dabei relativ weit gefasst; es fallen hierunter die Vorkaufphase, der „eigentliche“ Kauf bzw. die Phase der Kaufrealisierung und die Nachkaufphase. Begrifflich wird dieser Verhaltensausschnitt auch als Käuferverhalten bezeichnet. Der vorherrschende forschungsleitende Bezugsrahmen für die Entwicklung bzw. Weiterentwicklung theoretischer Ansätze zur Erklärung des K. ist das SOR-Paradigma des Neobehaviorismus (S: Stimulus, O: Organismus, R: Reaktion). Hiernach werden die im Individuum (Organismus) sich abspielenden verhaltenssteuernden psychischen Prozesse explizit zum Untersuchungsgegenstand gemacht. Diese intrapersonalen Verhaltensdeterminanten bezeichnet man als intervenierende Variablen (auch: theoretische Konstrukte). Hierzu zählen beispielsweise Einstellung, Motivation, Risikowahrnehmung oder Involvement. Da diese nicht direkt beobachtbar sind, müssen sie mittels verbaler (z. B. Fragen im Rahmen eines Fragebogens), physiologischer (z. B. elektrischer Hautwiderstand) oder motorischer Indikatoren (z. B. Gestik, Körperhaltung) operationalisiert werden. Die bekanntesten Käuferverhaltensmodelle, die eine Vielzahl von intervenierenden Variablen zusammenführen und deren Wirkungsbeziehungen untereinander beschreiben (sog. „Totalmodelle“), stammen von Howard/Sheth und Blackwell/Miniard/Engel. Neben wenigen Totalmodellen existiert eine relativ große Anzahl sog. „Partialmodelle“. In ihnen wird das (komplexe) Beziehungsgeflecht der das Verhalten beeinflussenden Größen (Variablen) auf nur eine oder relativ wenige reduziert. Großes Forschungsinteresse haben beispielsweise das Einstellungs-, Image-, Involvementmodell, das Modell der kognitiven Dissonanz und das Modell des erlebten Risikos auf sich gezogen. Je nach Anzahl (eine Person oder mehrere Personen) und Art der Entscheidungsträger (→ privater Haushalt oder → Unternehmung bzw. Institution) lassen sich vier 358
Konsumentenverhalten
Grundtypen von Kaufentscheidungen unterscheiden: (1) Kaufentscheidung des Konsumenten, (2) Kaufentscheidung der Familie, (3) Kaufentscheidung des Einkäufers und (4) Kaufentscheidung des Einkaufsgremiums (Buying-Center). Eine kaum noch zu überblickende Anzahl empirischer Forschungsbeiträge behandelt Fragen im Zusammenhang mit dem Entscheidungsprozess beim Konsumenten und in der Familie. Vergleichsweise weniger intensiv sind bislang Kaufentscheidungen von Einkäufern und Einkaufsgremien in Unternehmen erforscht worden. Das Käuferverhalten ist vor allem durch folgende Merkmale gekennzeichnet: – Zweckorientierung: Der Konsument erlangt mit dem Kauf die Befriedigung von → Bedürfnissen; im Unternehmen strebt beispielsweise der Einkäufer die Erreichung von Unternehmenszielen an. – Vielfältige Aktivitäten: Hierunter fallen z. B. Auswahl, Erwerb, Lagerung, Verwendung und Entsorgung von Produkten, Informationssuche und -verarbeitung, Transport- und Zahlungsaktivitäten. – Prozesscharakter: Einteilung des Kaufentscheidungsprozesses in Anregungs-, Such-, Bewertungs- und Auswahlphase, Realisierungs- bzw. Kaufdurchführungsphase und Nachkaufphase. – Psychische Einflussgrößen: Damit sind aktivierende und kognitive Prozesse gemeint. Zu den aktivierenden Prozessen – sie werden auch als menschliche Antriebskräfte bezeichnet – werden z. B. Emotion, Motivation und Einstellung gezählt. Kognitive Prozesse beziehen sich auf Vorgänge der gedanklichen Informationsverarbeitung. Sie umfassen vor allem Wahrnehmung, Denken, Lernen, Entscheidung und Informationsspeicherung. – Soziale Einflussgrößen: Sie können z. B. von der Kultur, Subkultur, sozialen Schicht oder Bezugsgruppe ausgehen. – Personen- und Situationsabhängigkeit: Verschiedene Erfahrungen, Bedürfnisse, Interessen etc. führen zu unterschiedlichem Käuferverhalten; ebenso können
Konsumentenverhalten
situative Faktoren wie Zeitdruck, finanzielle Lage oder Verwendungszweck den Ablauf des Kaufentscheidungsprozesses in unterschiedlicher Weise beeinflussen. Nach dem Ausmaß der gedanklichen (kognitiven) Steuerung einer Kaufentscheidung lassen sich vier Kaufentscheidungsarten benennen: (1) Extensive Kaufentscheidungen: Die gedankliche Beteiligung des Konsumenten ist hierbei groß. Es liegt ein echtes Problemlösungsverhalten vor. Diese Art der Kaufentscheidung ist insbesondere bei Produkten mit hohem Neuigkeitsgrad und hoher finanzieller Mittelbindung zu erwarten. (2) Limitierte Kaufentscheidungen: Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass der Entscheidungsprozess aufgrund vorliegender Erfahrungen aus früheren Käufen eine Einschränkung erfährt. Das kognitive Engagement in der Such- und Bewertungs-/Auswahlphase ist mehr oder weniger stark begrenzt. (3) Habituelle Kaufentscheidungen: Die kognitive Steuerung ist nur gering ausgeprägt, d. h. der Kaufentscheidungsprozess läuft gleichsam „automatisch“ ab. Ihm liegen bewährte Entscheidungsregeln zugrunde. Die Such- und Bewertungs-/Auswahlphase spielen i.d.R. keine Rolle. (4) Impulsive Kaufentscheidungen: Sie werden gedanklich kaum bzw. wenig kontrolliert. Kennzeichnend hierfür ist eine stark reizgesteuerte Reaktion des Konsumenten, d. h. er folgt gleichsam „spontanen“ Anregungen (durch → Werbung oder Verkaufsförderung) am Einkaufsort. Such- und Bewertungs-/Auswahlphase entfallen hierbei völlig. Trotz der Vielzahl theoretischer Ansätze und immer weiter verfeinerter Messmethoden ist das K. bislang nur zu einem geringen Teil erklärbar. Auch der verstärkte Rückgriff auf kognitivistische Konzepte konnte hieran nur wenig ändern. Eine geschlossene, erklärungskräftige Theorie des K. mit großer Reichweite ist nach dem heutigen Stand der Forschung kaum zu erwarten. Wichtige Impulse für die Weiterentwicklung der Konsumentenverhaltensforschung dürften von den in der Soziologie und Psy-
Konsumerismus
chologie diskutierten Handlungstheorien in Verbindung mit qualitativ-interpretativen Ansätzen ausgehen. Ob dagegen die derzeit im Trend liegende psychobiologische Verhaltensforschung (Neuroökonomie, insbes. Neuromarketing) fruchtbare Impulse für die Forschung zu liefern vermag, ist eher fraglich. Literatur: Assual, H.: Strategie Approach, Boston 2004; Bänsch, A.: Käuferverhalten, 9. Aufl., München 2002; Blackwell, R. D./Miniard, P. W./Engel, J. F.: Consumer Behavior, 10. Aufl., Mason, Ohio, 2006; Foscht, T./Swoboda, B.: Käuferverhalten, 3. Aufl., München 2009; Geise, W.: Einstellung und Marktverhalten. Eine Analyse der theoretisch-empirischen Bedeutung des Einstellungskonzepts im Marketing und Entwicklung eines Forschungsprogramms aus alltagstheoretischer Perspektive, Thun und Frankfurt/M. 1984; Hirschman, E. C./ Holbrook, M. B.: Postmodern Consumer Research: The Study of Consumption as Text, Newbury Park, Calif., 1992; Howard, J. A./Sheth, J. N.: The Theory of Buyer Behavior, New York 1969; Hoyer, W. D./MacInnis, D. J.: Consumer Behavior, 4. Aufl., Boston 2007; Kroeber-Riel, W./Weinberg, P./Gröppel-Klein, A.: Konsumentenverhalten, 9. Aufl., München 2008; Möll, T.: Messung und Wirkung von Markenemotionen – Neuromarketing als neuer verhaltenswissenschaftlicher Ansatz, Wiesbaden 2007; Schiffmann, L. G./Kanuk, L. L./Hansen, H.: Consumer Behavior, Harlow 2007; Solomon, M./Bamossy, G./Askegaard, S.: Konsumentenverhalten. Der europäische Markt, München 2007; Trommsdorff, V.: Konsumentenverhalten, 7. Aufl., Stuttgart 2009; Wilkie, W. L.: Consumer Behavior, 3. Aufl., New York u. a. 1994. Prof. Dr. Wolfgang Geise, Mönchengladbach Konsumerismus in den USA in den 50er Jahren aufgekommene und danach in der westlichen Welt zunehmend in Erscheinung tretende Verbraucherbewegung, die mehr oder weniger kämpferisch einen Ausbau der Verbraucherpolitik fordert. 359
Konsumerziehung
Konsumerziehung ⇒ Konsumentenerziehung ⇒ Verbrauchererziehung ⇒ Verbraucherbildung. Konsumforschung analysiert und dokumentiert das → Verbraucherverhalten auf → Märkten für → Konsumgüter. Konsumfreiheit Leitbild der → Verbraucherpolitik, das für den Konsumenten (den → privaten Haushalt) die Möglichkeit fordert, sein → Einkommen nach seinen persönlichen Wertschätzungen (Präferenzen) verwenden zu können. Die K. gilt als Voraussetzung für → Konsumentensouveränität. Konsumgüter → Güter. Konsumvermögen ⇒ Gebrauchsvermögen. Kontensparen ansammeln von Geldvermögen (→ Vermögen) auf einem → Sparkonto. Die rechtliche Grundlage des K. bildet der → Sparvertrag. → Gläubiger einer → Spareinlage (d. h. der Herausgabeanspruchsberechtigte) können wahlweise der Kontoinhaber, der Einzahlende oder eine dritte Person sein. Entscheidend ist dafür der Wille des Einzahlenden. Wichtige Leitsätze zur Gläubigerschaft bei Spareinlagen hat der Bundesgerichtshof in einem Urteil vom 22./23. 6. 1965 verkündet: (1) Gläubiger einer Spareinlage wird grundsätzlich der Einzahlende und nicht derjenige, auf dessen Namen das Sparbuch ausgestellt ist. (2) Über die Gläubigerschaften entscheidet letztlich allein der Wille des Einzahlenden. Er kann die Forderung auf Rückzahlung der Spareinlage unmittelbar in der Person eines Dritten entstehen lassen. (3) Ein Übergang der → Forderung aus dem Sparguthaben auf einen Dritten kann nicht schon aus der Tatsache gefolgert werden, daß der Einzahlende Sparkonto und → Sparbuch auf den Namen des Dritten errichtet. Im Streitfall kommt diesem Umstand aber wesentliche Bedeutung zu. (4) In der Übergabe des Sparbuches ist regelmässig auch eine Abtretung des Sparguthabens 360
Kontensparen
(→ Abtretung von Forderungen) zu sehen. Der rechtmäßige Inhaber des Sparbuches soll auch Gläubiger der Sparanlage sein. Diese Annahme entspricht der Verkehrsauffassung. Die → Verzinsung der Spareinlagen erfolgt in Abhängigkeit vom jeweiligen (je nach Marktlage sich verändernden) → Zinssatz und der vereinbarten Anlagedauer sowie der Höhe des Anlagebetrages. Änderungen des Zinssatzes können vom Kreditinstitut durch einseitige Änderungserklärung vorgenommen werden. Die im Verlauf des Jahres auflaufenden → Zinsen werden zum Ende des Kalenderjahres gutgeschrieben und vom Beginn des neuen Kalenderjahres an zusammen mit dem Sparkapital verzinst. Die Spareinlagen können (nur) nach → Kündigung und Ablauf der Kündigungsfrist zurückgefordert werden. Es gilt zu unterscheiden zwischen allgemeirer Kündigungsfrist und vereinbarter. Die allgemeine Kündigungsfrist beträgt 3 Monate. Abweichend von dieser Regelung erlaubt die Verordnung über die Rechnungslegung der Kreditinstitute (RechKredV) in § 21 Abs. 4, daß innerhalb von 30 → Zinstagen 2000 Euro ohne Kündigung abgehoben werden können. Die Zeitspanne von 30 Zinstagen wird vom Zeitpunkt der ersten Abhebung an gerechnet. Wird dieser Freibetrag innerhalb des 30-Tage-Zeitraums nicht in Anspruch genommen, so verfällt er. Eine Kündigung kann frühestens einen Tag nach der Einzahlung der Spareinlage ausgesprochen werden. Die allgemeine Kündigungsfrist gilt immer dann, wenn keine längere Kündigungsfrist ausdrücklich vereinbart wurde. Die Kreditinstitute sind gehalten, „Sonderbedingungen für den Sparverkehr“ zu erlassen; wie die Praxis zeigt, sind diese bei allen Instituten ähnlich. So bieten heute die meisten Keditinstitute Sonderformen (z. B. Zuwachssparen, Wachstumssparen) für längerfristige (an bestimmte Mindestbeträge gebundene) Spareinlagen mit garantierten gestaffelten Zinssätzen für die gesamte Laufzeit (zwischen 3 u. 6 Jahren) an. Hierbei muß der Sparer beachten, daß der Sparbetrag erst nach neun Monaten unter Einhaltung der 3-monatigen Kündigungs-
Kontensparen
frist für ihn verfügbar ist. Die Zinsen werden jährlich gutgeschrieben (Zinseszinseffekt!). Eine Erhöhung des Anlagebetrages ist nicht möglich. Die Kündigung einer Spareinlage kann von jedem Vorleger eines Sparbuches → formfrei vorgenommen werden. – Spareinlagen können nach den „Sonderbedingungen für den Sparverkehr“ (die von jedem Kreditinstitut individuell gestaltet werden können) ausnahmsweise auch vorzeitig zurückgefordert werden. In diesem Fall ist der zurückgezahlte Betrag als Vorschuß zu verzinsen. Auf die Berechnung von → Vorschußzinsen kann im Falle einer wirtschaftlichen Notlage des Sparers verzichtet werden. Verfügungen über Spareinlagen dürfen nach § 21 Abs. 4 RechKredV grundsätzlich nur gegen Vorlage des Sparbuches zugelassen werden. Da Kreditinstitute grundsätzlich an jeden Vorleger des Sparbuches auszahlen können, besteht für den Sparer diesbezüglich ein nicht zu übersehendes Risiko. In der Praxis schützt man sich deshalb vor Verfügungen durch Unbefugte mittels: Ausweiskarten, Kennworte, Sperrvermerke, Hinterlegung des Sparbuches in Ausnahmefällen bei der Bank. Das Abhandenkommen oder die Vernichtung eines Sparbuches ist dem Kreditinstitut sofort anzuzeigen. Dieses sperrt daraufhin das Sparguthaben. Die Legitimationswirkung des Sparbuches wird durch die Verlustanzeige aufgehoben. Konto (ital.: il conto = die Rechnung) die (buchhalterische) Erfassung und Gegenüberstellung von Wertbewegungen (Zu- u. Abgängen, → Aufwendungen u. → Erträgen). Es lassen sich unterscheiden: (1) Bestandskonten: für bestimmte Vermögens- und Schuldenteile (z. B. → Immobilien, Barbestände, → Forderungen, → Verbindlichkeiten, → Kredite); (2) Erfolgskonten: für Aufwendungen/→ Kosten u. Erträge (z. B. Mietkosten, Schuldzinsen, Steuern, Mieterträge, Umsatzerlöse, Zinserträge). Die Bestandskonten sind in Soll- und Habenseite, die Erfolgskonten in Aufwands- und Ertragsseite gegliedert.
Konventionalstrafe
Kontokorrent (ital.: conto corrente = laufende Rechnung) die in einer andauernden Geschäftsverbindung aus Leistung und Gegenleistung sich ergebende fortlaufende Rechnungsführung. Das K. wird in regelmäßigen Zeitabständen abgerechnet und ausgeglichen. Kontokorrentkonto ⇒ laufendes Konto ⇒ Girokonto. Kontokorrentkredit von → Kreditinstituten in laufender Rechnung gewährter kurzfrister → Personalkredit. Kontopfändung → Lohn-/→ Gehaltspfändung vom Lohn-/ Gehaltskonto des → Arbeitnehmers. Hier gilt es bestimmte Besonderheiten zu beachten: Auf Antrag des → Schuldners muß das Vollstreckungsgericht eine Pfändung des Guthabens bis zu dem Kontobetrag aufheben, der dem nicht pfändbaren Teil des → Arbeitseinkommens für die Zeit von der Pfändung bis zur nächsten Lohn- oder Gehaltszahlung entspricht (§ 850 k Zivilprozeßordnung). Seit 1. 7. 2010 gilt ergänzend das Gesetz zur Reform des Kontopfändungsschutzes. Kontrahierungszwang ⇒ Abschlußzwang. Kontrolle Vergleich der Zielgrößen (Soll-Werte) mit den tatsächlichen Ergebnissen (Ist-Werten), um eventuelle Abweichungen festzustellen, die Ursachen dafür auszumachen und möglicherweise Konsequenzen daraus abzuleiten. Neben der → Planung, → Organisation, → Realisation (Produktion) ist die K. ein konstitutives Element der betrieblichen Ordnung. Konventionalstrafe ⇒ Vertragsstrafe. vertragliche Vereinbarung, derzufolge der → Schuldner bei Nichterfüllung oder nicht ordnungsgemäßer Erfüllung seiner beziehungsweise einzelner Vertragspflichten (so z. B. bei Nichteinhaltung bestimmter Lieferungs- oder Fertigstellungstermine) eine bestimmte Geldsumme zu bezahlen hat (§§ 339 ff. Bürgerliches Gesetzbuch). 361
Konvergenzkriterien
Konzernsprecherausschuß
Konvergenzkriterien → Europäische Wirtschafts- und Währungsunion.
wenn diese Möglichkeit nicht durch Beschränkung oder zeitweiligen Ausschluß des Umtausches beschnitten wird.
Konvergenzthese auf den niederländischen Nationalökonomen Jan Tinbergen (1903 – 1994) zurückreichende Behauptung, derzufolge sich die kapitalistischen und sozialistischen → Wirtschaftsordnungen einander annäherten, so daß es durch Mischung ihrer „positiven“ Elemente zu einer „optimalen“ Ordnung käme. Diese prognostische Behauptung erfuhr gewisse Modifikationen und zusätzliche Einbringungen durch den Kanadier John Kenneth → Galbraith (geb. 1908) und andere Wirtschaftswissenschaftler. Als gemeinsame Ursache der Konvergenz wurde die technisch-ökonomische Entwicklung gesehen, deren Sachgesetzlichkeiten sich die marktwirtschaftlichen wie die sozialistisch-zentralistischen Wirtschaftsordnungen nicht entziehen könnten, sondern vielmehr mit ähnlichen institutionellen und sozialen Strukturen sowie wirtschaftspolitischen Maßnahmen entsprechen müßten. Die Entideologisierung und Entpolitisierung der → Wirtschaftspolitik und der ökonomischen Problemlösungsstrategien wurden als Zwangsläufigkeit unterstellt. – Die jüngere Entwicklung hat die K. klar widerlegt. Der Zusammenbruch der sozialistischen Staatswirtschaften kann nicht als ein Aufeinanderzubewegen interpretiert werden, sondern muß als eine einseitige Aufgabe der bis dahin geltenden ideologischen Positionen gesehen werden. In den westlichen Ländern haben dagegen → Deregulierung und → Privatisierung den Einfluß des Staates auf das Wirtschaftsgeschehen – wenn auch noch nicht im wünschenswertem Umfang – deutlich zurückgedrängt. Nicht weniger, sondern mehr Markt lautet hier die allgemeine Forderung.
Konzentration (Zusammen-)Ballung wirtschaftlicher Potentiale. Ökonomische K.-vorgänge lassen sich in verschiedenen Bereichen feststellen, so als: (1) Betriebskonzentration, Zusammenlegung von Produktionseinheiten, (2) Unternehmenskonzentration, Zusammenschlüsse von → Unternehmen (→ Unternehmungszusammenschlüsse, (3) Vermögenskonzentration (→ Vermögen), Akkumulation von Vermögenswerten bei → natürlichen und → juristischen Personen, (4) Einkommenskonzentration (→ Einkommen, → Einkommensverteilung).
Konvertibilität die Möglichkeit, fremde → Zahlungsmittel in heimisches → Geld und umgekehrt heimisches Geld in fremde Zahlungsmittel umzutauschen. Diese Möglichkeit ist Voraussetzung dafür, daß ein Güteraustausch zwischen In- und Ausland praktiziert werden kann. Freie K. ist nur dann gegeben, 362
Konzern horizontaler (d. h. auf der gleichen Produktionsstufe), vertikaler (d. h. auf vor- oder nachgelagerten Produktionsstufen) oder branchenfremder Zusammenschluß (in der Regel durch kapitalmäßige Verflechtung im Wege des Kaufes und Austausches von → Aktien und entsprechende → Verträge) von → Unternehmungen, die rechtlich selbständig bleiben, aber ihre wirtschaftliche Selbständigkeit aufgeben. Eine einheitliche Leitung (durch → Konzentration des → Kapitals oder durch Personalunion des Managements im → Vorstand und in den gegenseitigen → Aufsichtsräten) bestimmt die Konzernpolitik und koordiniert die → Produktion sämtlicher zum K. gehörender Unternehmungen und → Betriebe. Ziel der K.-bildung ist weniger die → Marktbeherrschung als vielmehr die → Rationalisierung des technischen Produktionsablaufs. Konzernbetriebsrat kann als gesetzliche Vertretung der Belegschaft eines → Konzerns durch Beschlüsse der → Gesamtbetriebsräte errichtet werden. Setzt sich zusammen aus je 1 bis 2 Mitgliedern aller → Gesamtbetriebsräte; ist zuständig für Angelegenheiten, die den Gesamtkonzern oder mehrere Konzernunternehmen betreffen (§§ 54 ff. Betriebsverfassungsgesetz). Konzernsprecherausschuß → Sprecherausschuß.
Konzertierte Aktion
Konzertierte Aktion das nach § 3 → Stabilitätsgesetz vorgesehene gleichzeitige, aufeinander abgestimmte Verhalten der → Gebietskörperschaften, → Gewerkschaften und → Arbeitgeberverbände zur Erreichung der ebendort genannten → wirtschaftspolitischen Ziele. Die Bundesregierung liefert der K. die erforderlichen gesamtwirtschaftlichen Orientierungsdaten. Die K. ist aus ordnungspolitischer Sicht (→ Ordnungspolitik) umstritten, da sie versucht, → Löhne und → Preise politisch zu manipulieren. Von den im Stabilitätsgesetz für die K. vorgesehenen Möglichkeiten wurde bislang kaum Gebrauch gemacht. Konzertierte Aktion Weiterbildung (KAW) seit 1987 in unregelmäßigen Zeitabständen zusammenkommendes, Ziele und Maßnahmen der → beruflichen Weiterbildung beratendes Gremium unter Beteiligung von Bund, Ländern, → Sozialpartnern und Weiterbildungsträgern. Kooperationsabkommen → Handelspolitik. Kooperation, zwischenbetriebliche Zusammenarbeit zwischen rechtlich und wirtschaftlich selbständig bleibenden → Unternehmen. In der Regel wird die K. in der Form der Arbeitsgemeinschaft (so z. B. im Baugewerbe, wo sich mehrere Handwerksmeister oder Bauunternehmer einmalig auf eine gewisse Dauer in einer → Gesellschaft des bürgerlichen Rechts zur gemeinsamen Durchführung eines größeren Bauvorhabens zusammentun) oder des Interessenverbandes (z. B. Interessenverbände des Handels) praktiziert. Kopfpauschale → Bürgerversicherung. Kopfsteuer Besteuerungsform, bei der jeder Steuerpflichtige mit dem gleichen Steuerbetrag belastet wird, ohne Berücksichtigung seiner persönlichen Verhältnisse, wie → Einkommen, → Vermögen, Familienstand, Leistungsfähigkeit etc.
Kosten-Nutzen-Analyse
Korporatismus vom lat. corporatio (= Körperlichkeit) abgeleiteter Begriff, der die Einbindung gesellschaftlicher Organisationen (d. h. Korporationen, z. B. → Gewerkschaften, → Arbeitgeberverbände) in die staatliche Willensbildung/Entscheidungsfindung umschreibt. Kosten die mit der → Produktion eines → Gutes verbundenen → Aufwendungen. Diese (betriebsbedingten) Aufwendungen sind teils fix, teils variabel; sie werden deshalb als → fixe K. beziehungsweise → variable K. bezeichnet. Fixe K. und variable K. zusammen ergeben die → Gesamtkosten. Außer den im produzierenden → Betrieb entstehenden K., den sogenannten → internen K., können mit der Produktion von Gütern auch K. außerhalb des produzierenden Betriebes entstehen. Es sind dies die sogenannten → externen K. Darüber hinaus lassen sich die mit der Abwicklung einer wirtschaftlichen Transaktion verbundenen sogenannten → Transaktionskosten ausmachen. Neben der die K. der gesamten Produktion erfassenden Gesamtkostenbetrachtung ist auch eine Stückkostenbetrachtung möglich. Sie versucht, die auf das einzelne Produkt (Stück) entfallenden K., die → Stückkosten, zu erfassen. Diese umfassen sowohl die → Einzelkosten (→ direkte K.) als auch die → Gemeinkosten. Siehe auch: → Kalkulation, → Kostenrechnung. Kostenfunktion Funktionalbeziehung zwischen → Kosten als abhängigen Variablen und → Output (→ Ertrag). Siehe: → Kostentheorie. Kostenmiete die → Miete, die zur Deckung der laufenden → Aufwendungen (→ Kosten) des Vermieters erforderlich ist. → Öffentlich geförderter Wohnraum (⇒ Sozialwohnungen) darf vom Vermieter nur zur K. in Rechnung gestellt werden. Kosten-Nutzen-Analyse ⇒ Cost-Benefit-Analyse Wirtschaftlichkeitsberechnung für Projekte der → öffentlichen Hand, wie Krankenhäu363
Kosten-Nutzen-Analyse
Kostentheorie
ser, Bildungseinrichtungen, Verkehrswege und anderes. Es werden dabei die anfallenden → Kosten dem → Nutzen des jeweiligen Projektes gegenübergestellt. Es wird dabei versucht, die → externen Effekte wie auch immaterielle Vor- und Nachteile (z. B. erhöhter oder verminderter Freizeitwert der betroffenen Gegend) zu erfassen und – soweit dies möglich – für Nutznießer eine entsprechende Kostenbeteiligung sowie für Geschädigte eine entsprechende Entschädigung ins Kalkül einzubeziehen.
zeigen sich die → variablen Kosten in ihrem Verlauf als Spiegelbild (Inverse) der Ertragskurve.
Kostenrechnung Ermittlung aller in einem → Betrieb mit der → Produktion eines → Gutes entstehenden → Kosten (tatsächliche Kosten, IstKosten) um einerseits (positive/negative) Abweichungen zu den geplanten Kosten (Soll-Kosten) zu erfassen und daraus gegebenenfalls entsprechende Konsequenzen abzuleiten und andererseits wirklichkeitsnähere Kostenansätze für die Zukunft treffen zu können. Darüber hinaus dient die K. als Grundlage für die (→ Stückkosten-) → Kalkulation. Kostentheorie Verstehen wir unter → Kosten die mit ihren → Preisen bewerteten (Produktions-)Faktoreinsatzmengen, so lassen sich aus den → Produktionsfunktionen (→ Produktionstheorie) leicht die entsprechenden → Kostenfunktionen ableiten. 1. Die Kostenfunktion zur → Produktionsfunktion vom Typ A Die Aussage des → Ertragsgesetzes, daß ab einer bestimmten Einsatzmenge (→ Input) weitere Faktoreinsätze (z. B. → Arbeit) zu sinkenden Ertragszuwächsen führen, schließt die Erkenntnis ein, daß die → Produktion zusätzlicher Gutseinheiten ab einer bestimmten Ausbringungsmenge zunehmende Einsatzmengen des variablen (→ Produktions-)Faktors bedingt. Damit (Gesamt-)Ertrag in Mengeneinheiten (Ausbringungsmenge) Kosten des variablen Faktors Arbeit in GE 364
Erweitern wir das zur Veranschaulichung der Produktionsfunktion vom Typ A (siehe dort!) gewählte Zahlenbeispiel um die Kosten von 100 Geldeinheiten (GE) je Arbeitseinheit, dann können wir den verschiedenen Ausbringungsmengen die Kosten des variablen (Produktions-)Faktors Arbeit, die sogenannten variablen Kosten, zuordnen und erhalten folgende Tabelle.
0
5
14
25
34
40
43
0
100
200
300
400
500
600
Kostentheorie
Kostentheorie
Die in einer Gesamtschau mit der Ertragskurve ausgewiesene Grafik läßt deutlich werden, daß die variablen Kosten mit zunehmender Ausbringung (→ Output) zunächst degressiv (abnehmend), danach progressiv (zunehmend) steigen. Ziehen wir in unsere Betrachtung neben den variablen Kosten auch die → fixen Kosten ein, verschiebt sich die Kurve der variablen Kosten um den Betrag der fixen Kosten nach oben und wird damit zur → Gesamtkostenkurve. Für unser Beispiel sei angenommen, daß die fixen Kosten in der Pacht bestünden und mit 200 GE zu veranschlagen seien. Die Kostenkurve ändert sich dann wie auf Seite 365 dargestellt. 2. Die Kostenfunktion zur → Produktionsfunktion vom Typ B Das zur Verdeutlichung der Produktionskosten vom Typ B (siehe dort!) gewählte Zahlenbeispiel soll nunmehr durch die für die mechanisierte Arbeit (Gabelstapler/Fahrer) anfallenden Kosten ergänzt werden. Diese mögen sich pro Arbeitstag wie folgt zusammensetzen: Lohnkosten für Fahrer Abschreibungen für Gabelstapler Sonstige Kosten (Energie, Reparaturen etc.)
160 GE 200 GE 40 GE
400 GE Beziehen wir die so ermittelten variablen Tageskosten je Gabelstapler/Fahrer auf die mit unterschiedlicher Personal-/Maschinenausstattung erbrachten Tagesleistungen (beförderten Paletten), so ergibt sich folgende Tabelle (siehe unten).
Auch hier ergeben sich die Gesamtkosten aus der Addition der fixen und variablen Kosten. Unterstellen wir für das gewählte Zahlenbeispiel fixe Kosten (z. B. für Raummiete) in Höhe von 200 GE, dann verschiebt sich die Kurve der variablen Kosten wiederum um den Betrag der fixen Kosten
Die Übertragung dieser Werte in die Grafik der entsprechenden Produktionsfunktion (siehe rechts oben) läßt wiederum deutlich werden, daß sich die Kostenfunktion als Spiegelbild derselben gestaltet. Anzahl der beförderten Paletten (Output) Kosten der eingesetzten Gabelstapler/Fahrer (Input) in GE
0
200
400
600
800
1000
0
400
800
1200
1600
2000 365
Kostentheorie
nach oben und wird damit zur Gesamtkostenkurve. Der lineare (geradlinige) Gesamtkostenkurvenverlauf gilt als typisch für die industrielle Produktion. Es läßt sich jedoch feststellen, daß die Gesamtkosten regelmässig überproportional ansteigen, wenn der → Betrieb an seine → Kapazitätsgrenze vorstößt. In dieser Situation werden nämlich die Produktionsfaktoren häufig überbeansprucht, was beispielsweise zu verstärktem Maschinenverschleiß und erhöhtem Krankenstand führen kann. Grafisch läßt sich dies wie folgt veranschaulichen:
Kostentransparenz → Markttransparenz. Kostenvoranschlag ausführliche Berechnung der voraussichtlich entstehenden → Kosten für die im → Werkvertrag versprochene Leistung. Der K. kann unverbindlich oder verbindlich sein. Beim unverbindlichen K. behält sich der Hersteller/Handwerker vor, mit der Endabrechnung seiner Leistung höher oder niedriger (als veranschlagt) zu liegen. Eine Überschreitung des Voranschlags muß sich allerdings in Grenzen halten. Nach gängiger Rechtssprechung liegt hier die zumutbare Obergrenze etwa bei 15 Prozent. Wird ein verbindlicher K. (der als solcher ausdrücklich erklärt werden muß!) abgegeben, so muß sich der Hersteller/Handwerker in seiner Endabrechnung strikt an diesen Preis halten. Kostenüberschreitungen gehen zu seinen Lasten. Feststellungen in → Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die besa366
Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung
gen, daß vereinbarte oder veranschlagte → Preise bis zu bestimmten Beträgen oder Prozentsätzen überschritten werden dürfen, sind nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes unwirksam. Kraftfahrtunfallversicherung ⇒ Insassenversicherung. Kraftfahrtversicherung umfaßt eine Gruppe von Versicherungsarten, die die Risiken aus dem Gebrauch von Kraftfahrzeugen abdeckt. Im einzelnen gehören dazu: die → Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, die → Fahrzeugversicherung (Teil- oder Vollkaskoversicherung) und die → Insassenversicherung. Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung → Kraftfahrtversicherung, zu deren Abschluß jeder Halter eines Kraftfahrzeuges oder Anhängers verpflichtet ist. Sie umfaßt die Deckung von Personen-, Sach- und sonstigen Vermögensschäden (→ Schaden), die durch den Gebrauch dieses Fahrzeuges verursacht werden. Der Umfang der → Haftung bezieht sich bei Schäden im Straßenverkehr nicht nur auf die Verschuldenshaftung (→ Verschulden) des Fahrers gemäß §§ 823 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (→ unerlaubte Handlung), sondern auch auf eine verschuldensunabhängige Haftung (→ Gefährdungshaftung) seitens des Kraftfahrzeughalters. Dieser ist nämlich nach § 7 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz verpflichtet, alle Schäden zu ersetzen (→ Schadensersatz), die durch die Inbetriebnahme des Kraftfahrzeuges anderen Personen zugefügt werden. Der Versicherer dieses Risikos haftet bei Personenschäden auch Mitinsassen gegenüber, ja sogar gegenüber dem mitfahrenden Halter des Kraftfahrzeuges. Die Haftung für Sach- und Vermögensschäden kann jedoch unter besonderen Umständen ausgeschlossen werden. Der Umfang der Gefährdungshaftung ist durch verschiedene gesetzlich festgelegte Höchstbeträge begrenzt. Der Geschädigte kann seinen Schadensersatzanspruch nicht nur gegen den Schädiger (Unfallgegner) geltend machen, sondern gemäß § 3 Nr. 1 Pflichtversicherungsgesetz auch unmittelbar gegen den Haftpflichtversicherer.
Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung
Die Tarife der K. sind nach objektiven (technische Merkmale, KW-Werte bei PKW, Verwendungszweck, wie z. B. Eigennutzung) und subjektiven (Regionalklassen, Berufsgruppe, wie z. B. Beamte, Landwirte) Gefahrenmerkmalen gestaltet. Entsprechend der Dauer der Schadenfreiheit erhält der Versicherungsnehmer einen Schadenfreiheitsrabatt. Auf Grund der gemeldeten Schäden wird zum Jahresende die bisherige Schadenfreiheits- beziehungsweise Schadensklasse überprüft und gegebenenfalls eine entsprechende Höher- oder Rückstufung veranlaßt. Um bei einem kleineren Unfall nicht zurückgestuft zu werden, kann es für den Versicherungsnehmer sinnvoll sein, die → Kosten der Reparatur selbst zu tragen. Bei geringen Schäden eröffnen die Versicherer den Versicherungsnehmern die Möglichkeit, diese innerhalb eines Zeitraumes von 6 Monaten nachzumelden. Eine solche Nachmeldung kann insbesondere dann angezeigt sein, wenn ein weiterer Unfall hinzukommt und damit auch die Übernahme der Kosten aus dem ersten Unfall für den Versicherungsnehmer nicht mehr interessant ist. Der Versicherungsschutz beginnt mit der Aushändigung der Versicherungsdoppelkarte (vorläufige Deckung). Durch sie ist dem Erwerber eines Kraftfahrzeuges auch schon bei der An- oder Ummeldung für den Fall eines Unfalles Schadensersatz garantiert. Dieser vorläufige Versicherungsschutz erlischt, wenn die erste Prämie nicht rechtzeitig gezahlt wird. Erst nach deren Entrichtung besteht endgültiger Versicherungsschutz. Der räumliche Geltungsbereich der K. ist grundsätzlich nur Europa. Eine Ausweitung auf außereuropäische Länder ist gegen einen entsprechenden Aufpreis möglich. Auch in der K. hat der Versicherte → Obliegenheiten, deren Verletzung dem Versicherer das Recht gibt, nach Abwicklung des Schadensfalles vom Versicherten die teilweise Rückerstattung von Ersatzleistungen zu verlangen. Die wichtigsten Obliegenheiten sind: (1) Der Verwendungszweck des Fahrzeuges darf nicht geändert werden; (2) der Fahrer muß einen gültigen
Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung
Führerschein haben; (3) das Fahrzeug muß betriebstauglich sein; (4) der Versicherte muß nach einem Unfall zu dessen Aufklärung und, soweit dies möglich ist, zu dessen Schadensminderung beitragen (keine Fahrerflucht, erforderliche Hilfeleistung für Verletzte!). Abweichend von den Regelungen zu den Obliegenheiten bei Gebrauch des Fahrzeuges in den Allgemeinen Bedingungen in der Kraftfahrzeugversicherung (AKB) gilt nach den Vorschriften des reformierten Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) seit dem 1. 1. 2009 Folgendes: (1) Leistungsfreiheit oder Leistungskürzung: Bei vorsätzlicher Verletzung einer in den AKB vereinbarten Obliegenheit bei Gebrauch des Fahrzeuges besteht kein Versicherungsschutz. Bei grob fahrlässiger Verletzung ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Die Beweislast, daß keine grobe → Fahrlässigkeit vorliegt, trägt der Versicherungsnehmer. – Gegenüber dem Versicherungsnehmer, dem Halter oder dem Eigentümer besteht nur dann kein oder eingeschränkter Versicherungsschutz, wenn dieser die Verletzung der in den AKB vereinbarten Pflicht, keinen unberechtigten Fahrer, keinen Fahrer ohne Fahrerlaubnis oder keinen fahruntüchtigen Fahrer fahren zu lassen, selbst begangen oder schuldhaft ermöglicht hat. – Abweichend zur obigen Darlegung ist der Versicherer zur Leistung verpflichtet, soweit der Versicherungsnehmer nachweist, daß die Pflichtverletzung weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung und den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich war. Dies gilt nicht bei arglistiger Pflichtverletzung. (2) Beschränkung der Leistungsfreiheit: Die Leistungsfreiheit beziehungsweise Leistungskürzung kann dem Versicherungsnehmer und den mitversicherten Personen gegenüber höchstens auf die zu der in diesen Fällen vereinbarten Grenze beschränkt werden. Dies gilt entsprechend bei Gefahrerhöhung. – Gegenüber einem Fahrer, der das Fahrzeug durch eine vorsätzlich begangene Straftat erlangt, ist der Versicherer 367
Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung
vollständig von der Verpflichtung zur Leistung frei. Die → Kündigung der K. hat spätestens 3 Monate vor Ablauf des Versicherungsjahres zu erfolgen. Sie ist außerdem nach einem Schadensfall, einer (polizeilichen) Abmeldung oder einem Verkauf des Kraftfahrzeuges möglich. Geschieht dies nicht, so verlängert sich der Vertrag automatisch um 1 Jahr. Die Kündigung muß schriftlich erfolgen (möglichst Einschreiben mit Rückschein!). Kraftfahrzeugsteuer Rechtsgrundlage: Kraftfahrzeugsteuergesetz (KraftStG) von 2002 und Kraftfahrzeugsteuer-Durchführungsverordnung von 2002 mit späteren Änderungen. Die K. wird für das Halten (oder widerrechtliche Benutzen) sämtlicher im Straßenverkehr zugelassener Kraftfahrzeuge erhoben. Steuerbefreiung gilt unter anderem für: Fahrzeuge von Bund, Ländern und Gemeinden, der Bundeswehr, der Polizei, Straßenunterhaltungsfahrzeuge, Krankentransportfahrzeuge für Blinde und außergewöhnlich Gehbehinderte. Sonstige Schwerbehinderte, die in ihrer Bewegungsfreiheit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind, erhalten eine Steuerermäßigung von 50 Prozent. Die Steuervergünstigungen stehen den Berechtigten nur auf Antrag zu (§ 3 a KraftStG). Die Steuerpflicht besteht für die Zeit der Zulassung des Kraftfahrzeuges; sie wird unterbrochen durch freiwillige Abmeldung (z. B. im Winter) oder durch behördliche Zwangsabmeldung. Bemessungsgrundlage: (1) Bei Krafträdern gilt der Hubraum. (2) Bei Personenkraftwagen bemißt sich die Steuer nach der Kraftfahrzeugsteuerreform seit 1. 7. 2009 für Neuwagen nicht mehr allein nach dem Hubraum, sondern überwiegend nach dem Kohlendioxyd-Ausstoß; alte Fahrzeuge werden voraussichtlich ab 2013 in die Neuregelung eingezogen. (3) Bei den übrigen Fahrzeugen gilt das verkehrsrechtlich zulässige Gesamtgewicht; bei Kraftfahrzeugen mit einem solchen über 3500 Kilogramm gehen Schadstoff- und Geräuschemissionen zusätzlich in die Bemessung ein (§ 8 KraftStG). Hinsichtlich des in Ansatz zu bringenden Steuersatzes unterschei368
Krankenversicherung
det das Gesetz drei Gruppen von Fahrzeugen: Krafträder, Personenkraftwagen und alle übrigen Fahrzeuge (§ 9 KraftStG). Die Steuer ist grundsätzlich im voraus zu entrichten. Krankengeld → gesetzliche Krankenversicherung und → gesetzliche Unfallversicherung. Krankenhaustagegeldversicherung → private Krankenversicherung. Krankenhausvertrag → Arztvertrag. Krankenkassen Träger der → gesetzlichen Krankenversicherung in der Rechtsform der → Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie umfassen: die Allgemeinen Ortskrankenkassen, die Betriebskrankenkassen, die Innungskrankenkassen, die Knappschaftskrankenkasse, die Landwirtschaftlichen Krankenkassen und die Ersatzkassen (wie beispielsweise Deutsche Angestellten-Krankenkasse, Barmer u. a.). Zwischen den verschiedenen K. besteht für die Versicherungsnehmer seit 1996 eine weitgehende Wahlfreiheit. Krankentagegeldversicherung → private Krankenversicherung. Krankenversicherung dient zur Deckung der → Kosten, die zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit und Arbeitskraft im Krankheitsfall erforderlich sind, sowie zum Ausgleich des krankheitsbedingten Einkommensausfalles. Es ist zu unterscheiden zwischen gesetzlicher K. und privater K. I. Die gesetzliche K. hat ihre gesetzlichen Grundlagen hauptsächlich im V. Buch des → Sozialgesetzbuches (SGB V), das 1989 das II. Buch der Reichsversicherungsordnung abgelöst hat und mit der Aufnahme des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz) per 1. 4. 2007 die Gesundheitsreform 2007 einleitete. Noch in der Reichsversicherungsordnung verblieben sind die Vorschriften über die Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft und die sonstigen Hilfen
Krankenversicherung
(Sterilisation/Schwangerschaftsabbruch) sowie die diese betreffenden Regelungen im Kassenarztrecht. Die Vorschriften über die K. der land- und forstwirtschaftlichen → Unternehmer und ihrer mitarbeitenden Familienangehörigen enthält das Zweite Gesetz über die K. der Landwirte. Die Rechtsbezüge für die K. der → Arbeitslosen finden sich im SGB III (Arbeitsförderung), für die der Künstler und Publizisten im Künstlersozialversicherungsgesetz. Darüber hinaus gelten das I. und X. Buch des Sozialgesetzbuches. Der Versicherungspflicht unterliegen: Arbeiter und Angestellte bis zu einem bestimmten Verdienst (→ Versicherungspflichtgrenze 2011: 4125 Euro monatlich/49 500 Euro jährlich), Rentner, Arbeitslose, Wehrdienstund Bundesfreiwilligendienstleistende sowie → Auszubildende. Beschäftigte, deren Verdienst über der Pflichtgrenze liegt, und Personen, die nicht mehr versicherungspflichtig sind – so beispielsweise Beschäftigte, die sich selbständig machten, – können sich weiterversichern lassen. Die Träger der K. sind die → Krankenkassen. Die von ihnen zu erbringenden Leistungen erstrecken sich je nach (gewähltem) Tarif auf: (1) Vorsorgeuntersuchungen und Vorsorgekuren, (2) Krankenhilfe (ärztliche und zahnärztliche Behandlung, Versorgung mit Arznei-, Verbands- u. Heilmitteln, Körperersatzstücke, orthopädische u. andere Hilfsmittel, Zuschüsse zu den Kosten für Zahnersatz u. Zahnkronen, häusliche Krankenpflege, Belastungserprobung u. Arbeitstherapie, Zahlung von Krankengeld, d. s. nach Beendigung der Lohnfortzahlung von der 7. Woche an 70 Prozent des → Bruttolohnes zuzüglich Familienzuschläge ), (3) Mutterschaftshilfe (ärztliche u. finanzielle Hilfe während u. nach der Schwangerschaft), (4) Familienhilfe für Ehegatten und Kinder des Versicherten (Vorsorgemaßnahmen, ärztliche Betreuung, Krankenpflege, Familienmutterschaftshilfe), (5) Haushaltshilfe. Die Krankenkassen finanzieren sich aus Beiträgen, die sich 2011 im Durchschnitt (der Krankenkassen) auf 15,5 % des Bruttolohnes des jeweiligen Arbeitnehmers beziffern; davon trägt der Arbeitgeber 7,3 %
Krankenversicherung
und der Arbeitnehmer 8,2 % (d. s. 7,3 % plus Sonderbeitrag von 0,9 %). Für die Bruttoverdienste gilt eine → Beitragsbemessungsgrenze (2011: 4125 Euro monatlich/49 500 Euro jährlich). Die Krankenkassenbeiträge für versicherte Rentner werden von den → Rentenversicherungen, die für Arbeitslose von der → Bundesagentur für Arbeit geleistet. Die Beziehungen zwischen Ärzten, Zahnärzten und Krankenkassen werden durch das Gesetz über das Kassenarztrecht von 1955 (weiterentwickelt durch Gesetz 1977 sowie modifiziert durch das Gesundheitsstrukturgesetz v. 1993) geregelt. Die Gesundheitsreform 2007 brachte Neuerungen auf mehreren Stufen: 1. April 2007: Früher gesetzlich Versicherte ohne aktuellen Versicherungsschutz müssen wiederum in eine gesetzliche Krankenkasse ihrer Wahl eintreten. Sie erhalten einen Standardtarif. – Gesetzliche Krankenversicherungen (GKV) können Wahltarife anbieten. 1. Juli 2008: Der „Spitzenverband der Krankenkassen“ ersetzt die sieben bisherigen Krankenkassenspitzenverbände. – In der Privaten Krankenversicherung (PKV) wird der erweiterte Standardtarif eingeführt. 1. Januar 2009: Einführung eines einheitlichen Beitragssatzes für alle in der GKV Versicherten. Es gilt nunmehr Versicherungspflicht für alle Bürger. – Gleichzeitig wird ein Basistarif eingeführt. Außerhalb dieses Basistarifes müssen alle Kassen Wahltarife (Hausmodelle, strukturierte Behandlungsprogramme u. Integrierte Versorgung sowie Modelle für besondere ambulante Versorgungsformen) anbieten. Sie können Tarife mit Selbstbehalten, mit Leistungsverzicht wie auch mit variabler Kostenerstattung anbieten. – Mit der Einführung des Gesundheitsfonds fließen die lohnbezogenen Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie die staatlichen Zuschüsse aus Steuermitteln nicht mehr an die verschiedenen Kassen, sondern an diesen. Aus ihm (dem Gesundheitsfonds) erhalten die Kassen dann einen Anteil, der die nach Alter, Geschlecht und Krankheitsrisiko gewichteten 369
Krankenversicherung
Anspruchspotentiale der Versicherten ausgleichen soll (Risikoausgleich). – Die Krankenkassen können darüber hinaus von ihren jeweiligen Versicherten direkt einen ergänzenden Zusatzbeitrag erheben. Dabei wird ihnen freigestellt, diesen prozentual zum Einkommen oder als Kopfpauschale zu erheben. Der Zusatzbeitrag wird auf 1 % des Einkommens begrenzt (Überforderungsklausel). Es können allerdings auch zusätzliche Beiträge bis zu 8,– Euro monatlich ohne Einkommensprüfung erhoben werden. – Kassen, die weniger ausgeben als sie Mittel aus dem Gesundheitsfonds erhalten, können ihren Mitgliedern Rückerstattungen zukommen lassen. 1. Januar 2011: Bündelung des Beitragseinzuges in der GKV. II. Die private K. hat ihre Rechtsgrundlagen in den allgemeinen Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes und des Gesetzes über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz). Auf ihnen entwickelten sich brancheneinheitliche Musterbedingungen, die – ergänzt durch unternehmensspezifische Tarif bedingungen – die Allgemeinen Versicherungsbedingungen bilden. Die privaten Krankenversicherer unterstehen dem → Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen. Die private K. kann als → Schadenversicherung oder → Summenversicherung abgeschlossen werden. Sie umfaßt folgende Versicherungsarten: die Krankheitskostenversicherung, die Krankentagegeldversicherung, die Krankenhaustagegeldversicherung und sonstige selbständige Teilversicherungen (Zusatzversicherungen). 1. Die Krankheitskostenversicherung erstattet dem Versicherten die Kosten medizinisch notwendiger ambulanter Heilbehandlung (ärztliche Beratung, Behandlung u. Medikamente), stationärer Behandlung (Unterkunft, Verpflegung u. Behandlung im Krankenhaus) und Zahnbehandlung einschließlich Zahnersatz und Kieferorthopädie. Eine → Selbstbeteiligung des Versicherungsnehmers an den Kosten der Krankheit ist bei ambulanter Behandlung, bei Medika370
Krankenversicherung
menten sowie bei Zahnkosten möglich. Entsprechend der Höhe der Selbstbeteiligung vermindert sich die vom Versicherungsnehmer zu zahlende Versicherungsprämie. 2. Die Krankentagegeldversicherung deckt bei krankheits- oder unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit – ab einem bestimmten zu vereinbarenden Tag – den Verdienstausfall durch eine pro Tag festgelegte Summe. Die Höchstgrenze des Krankentagegeldes bildet das durchschnittliche → Nettoeinkommen des Versicherten. Die Zahlung von Krankentagegeld wird in der Regel auf Dauer (d. h. ohne zeitliche Begrenzung) vereinbart. Die Leistungspflicht des Versicherers endet jedoch stets dann, wenn der Versicherte das 65. Lebensjahr erreicht, beziehungsweise berufs- oder erwerbsunfähig wird. 3. Krankenhaustagegeldversicherung gewährt dem Versicherten bei Krankenhausaufenthalt tageweise eine vertraglich vereinbarte Summe. Diese Versicherung wird im allgemeinen abgeschlossen, um den Unterschiedsbetrag zwischen den von der Krankheitskostenversicherung gedeckten Aufwendungen und den insgesamt in Rechnung gestellten Kosten des Krankenhausaufenthaltes ganz oder teilweise zu ersetzen. 4. Zusatzversicherungen werden zur Ergänzung des K.-schutzes abgeschlossen. Sie übernehmen bestimmte Kosten wie beispielsweise Kosten für Unterbringung in einem Ein- oder Zweibettzimmer, Pflegekrankenversicherung (bei Pflegebedürftigen), Krankheitskostenversicherung für Auslandsreisen. Die Leistungen und Beiträge (Prämien) der privaten K. richten sich nach dem dem jeweiligen Vertrag zugrundeliegenden Tarif. Für die Beitragshöhe ist außerdem das persönliche Risiko des Antragstellers (Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen) bedeutsam. Eine Beitragsrückgewähr kann – entsprechend der Ertragslage des Versicherers – dann erfolgen, wenn vom Versicherten innerhalb eines Kalenderjahres keine Versicherungsleistungen in Anspruch genommen werden.
Krankenversicherung
Für den Versicherten besteht nach Abschluß einer K. zunächst eine Wartezeit, vor deren Ablauf grundsätzlich kein Versicherungsschutz besteht. Neben der allgemeinen Wartezeit gibt es besondere Wartezeiten. Die allgemeine Wartezeit beträgt 3 Monate. Ausgenommen hiervon sind Ansprüche auf Grund von Unfällen und Versicherungsverträge, die von einem mindestens schon 3 Monate privat versicherten Versicherungsnehmer für seinen Ehegatten (innerhalb von 2 Monaten nach der Eheschliessung) oder von einem schon mindestens 3 Monate versicherten Elternteil für ein Neugeborenes (innerhalb von 2 Monaten nach der Geburt) rückwirkend zum Ersten des Geburtsmonates abgeschlossen werden. Die besonderen Wartezeiten betragen 8 Monate und gelten für Entbindungen, Psychotherapie, Zahnbehandlung, Zahnersatz und Kieferorthopädie. – Weitgehender Wartezeiterlaß wird von den Versicherern in der Regel dann gewährt, wenn der Antragsteller seine Gesundheit durch ein ärztliches Zeugnis belegt oder von der gesetzlichen K. überwechselt. Die Frage nach einem Überwechseln von der gesetzlichen K. in die private K. stellt sich für all jene Arbeitnehmer, deren durchschnittliches Monatseinkommen die Versicherungspflichtgrenze übersteigt. Bei der Krankheitskostenversicherung steht dem Versicherer keine Möglichkeit der ordentlichen → Kündigung zu. Bei den anderen Arten der K. besteht für ihn ein Kündigungsrecht innerhalb der ersten drei Versicherungsjahre. Ein außerordentliches Kündigungsrecht wie auch das Recht auf → Anfechtung des Versicherungsvertrages (wegen → arglistiger Täuschung) steht dem Versicherer bei allen Arten der K. zu, wenn der Versicherte die im Versicherungsvertrag verlangten Auskünfte unvollständig oder nicht wahrheitsgemäß erteilt hat. Seit 2010 sind die Beiträge zur K. weitgehend von der → Lohn-/→ Einkommensteuer freigestellt. Krankheitskostenversicherung → private Krankenversicherung.
Kreditkosten
Krankmeldung Mitteilung des → Arbeitnehmers an den → Arbeitgeber im Falle einer Erkrankung. Nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFzG) sind die Anzeige- und Nachweispflichten für alle Arbeitnehmer einheitlich geregelt. → Arbeiter und → Angestellte haben bei einer länger als drei Tage dauernden Erkrankung ihrem Arbeitgeber eine ärztliche Bescheinigung über die → Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer vorzulegen. Der Krankheitsbefund (Art der Krankheit) ist dem Arbeitgeber nur in Ausnahmefällen (z. B. bei wiederkehrenden gleichartigen Erkrankungen) anzugeben. Wird die im (ersten) ärztlichen Attest genannte voraussichtliche Krankheitsdauer überschritten, so hat der Arbeitnehmer ein weiteres Attest nachzureichen. Solange der Arbeitnehmer die vorgeschriebene ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit nicht vorlegt, kann der Arbeitgeber die → Lohnfortzahlung verweigern (§ 7 EntgFzG). Kredit → Darlehen. Kreditinstitute → Unternehmungen, die → Bankgeschäfte betreiben, deren Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert (§ 1 Kreditwesengesetz). Kreditkarte bargeldloses → Zahlungsmittel; berechtigt den Inhaber bei den Vertragsunternehmen Rechnungen ohne → Bargeld zu begleichen. Der K.-inhaber unterschreibt in der Regel lediglich einen Abrechnungsbeleg, den das Vertragsunternehmen ausstellt. Die in Anspruch genommenen Kreditbeträge werden einmal monatlich mit einer Gesamtrechnung im → Lastschriftverfahren von seinem (angegebenen) → Konto eingezogen. Für die K. wird ihrem Inhaber eine jährliche Gebühr in Rechnung gestellt. Die bekanntesten K. sind: American Express, Mastercard, Visa, Diners Club. Kreditkosten alle aus der Inanspruchnahme eines → Kredites dem Kreditnehmer erwachsenden 371
Kreditkosten
finanziellen Belastungen, so insbesondere → Zins, → Provision und Nebenkosten. Kreditsicherung Um das durch den Kreditgeber mit der Gewährung eines → Darlehens eingegangene → Risiko zu mindern, verlangt dieser – soweit er sein Vertrauen nicht allein auf die Person des Kreditnehmers, deren guten Ruf, ihr → Einkommen und/oder → Vermögen setzt (Personalkredit) – vom Kreditnehmer die (Ab-)Sicherung des gewährten → Kredites durch die Mithaftung (→ Haftung) weiterer Personen (Personensicherheiten, so insbesondere durch → Bürgschaft), durch Sachwerte (so insbesondere durch → Sicherungsübereignung, → Grundpfandrechte [→ Hypothek, → Grundschuld]) oder Rechte (so insbesondere → Forderungsabtretung, → Wechsel) (Sachsicherheiten). Kreditwesen Als K. i. w. S. bezeichnet man die Gesamtheit der → Kreditinstitute in einer Volkswirtschaft. Dazu zählen in Deutschland die → Deutsche Bundesbank als Zentralbank und die → Geschäftsbanken. Die Deutsche Bundesbank hat ihre wesentlichen Funktionen als → Notenbank und als Trägerin der → Geldpolitik im Rahmen der → Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion an die → Europäische Zentralbank abgegeben. Sie ist seit dem 1. 1. 1999 als nationale Zentralbank in das Eurosystem integriert. Die Geschäftsbanken sind das K. i. e. S. Sie sind in einem besonderen Bundesgesetz, dem Gesetz über das Kreditwesen, kurz KWG genannt, aus dem Jahr 1961 geregelt. Das KWG hat seitdem, nicht zuletzt aufgrund europäischer Richtlinien, zahlreiche Änderungen erfahren. Ähnlich wie in Deutschland, gibt es auch in den anderen entwickelten Volkswirtschaften spezielle Bankgesetze. Dies ist notwendig, weil die Kreditinstitute eine Schlüsselposition im Wirtschaftsleben einnehmen. Sie sind vor allem Finanzintermediäre zwischen Geld- und Kapitalanlegern und Kreditnehmern. Sie können nicht einfach, wie alle übrigen Wirtschaftssubjekte, dem 372
Kreditwesen
Markt überlassen werden, denn Bankinsolvenzen würden weit über das eigene Unternehmen und die direkten Kunden hinaus andere → Wirtschaftssubjekte mit in den Strudel ziehen und großen volkswirtschaftlichen Schaden anrichten. Um dem vorzubeugen, gibt es in allen entwickelten Volkswirtschaften eine Bankenaufsicht, die oft der Zentralbank obliegt. In Deutschland ist die → Bundesanstalt für Finanzdienstleistungaufsicht (BaFin), Bonn und Frankfurt (Main), zugleich Bankenaufsicht, Versicherungsaufsicht und Aufsicht über die Wertpapiermärkte. Sie arbeitet eng mit der Deutschen Bundesbank zusammen. Ferner gibt es Einlagen- oder Institutssicherungssysteme, die verhindern, daß (Klein)Anleger durch eventuelle Bankinsolvenzen geschädigt werden. Wer in Deutschland ein Kreditinstitut gründen will, bedarf dazu der Genehmigung der BaFin. Die Banklizenz wird nur erteilt, wenn u. a. ein hinreichendes Eigenkapital und persönliche Zuverlässigkeit der Gesellschafter und der Geschäftsleiter sowie deren fachliche Eignung gegeben sind (vgl. §§ 33 KWG). Auch der laufende Geschäftsbetrieb der Kreditinstitute wird von der Bankenaufsicht permanent überwacht. Dazu dienen u. a. Rechtsverordnungen und Erlasse der BaFin, regelmäßige Meldungen der Geschäftsbanken an die Bundesbank (Bilanzstatistik) und auch direkte Kontrollen. „Kreditinstitute“ (im Sinne der Geschäftsbanken) sind im KWG legal definiert, sodaß exakt feststeht, welche Unternehmen Kreditinstitute sind (und damit der Bankenaufsicht unterstehen) und welche nicht. In § 1 Abs. 1 Satz 1 heißt es: „Kreditinstitute sind Unternehmen, die Bankgeschäfte gewerbsmäßig oder in einem Umfang betreiben, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert.“ Dann folgt enumerativ ein Katalog von elf Bankgeschäften, zu denen u. a. das Einlagenschäft, das Kreditgeschäft, das Depotgeschäft und das Investmentgeschäft gehören.
Kreditwesen
Die Kreditinstitute umfassen zunächst drei Bankengruppen: die Kreditbanken einschließlich der Deutschen Postbank, die Sparkassen mit 12 Landesbanken/Girozentralen sowie die Kredigenossenschaften (Volks- u. Raiffeisenbanken) mit 2 Genossenschaftlichen Zentralbanken. Hinzu kommen Spezialbanken, wie zum Beispiel Bausparkassen, Pfandbrief banken und Kapitalanlagegesellschaften (→ Investmentgesellschaften). Zu den Kreditbanken zählen die vier Großbanken (Deutsche Bank, Bayerische HypoVereinsbank, Commerzbank, Postbank), Regionalbanken und sonstige Kreditbanken sowie Zweigstellen ausländischer Banken. Die Kreditbanken werden in der Rechtsform einer AG oder einer GmbH betrieben. An ihnen sind i. d. R. zahlreiche Aktionäre, auch Belegschaftsmitglieder, beteiligt. Die Bayerische HypoVereinsbank ist eine Tochter der italienischen Bank UniCredit. Die Sparkassen sind (von wenigen „freien“ = privaten Sparkassen abgesehen) Anstalten des öffentlichen Rechts, die von den Kommunen (Städten, Kreisen, kommunalen Zweckverbänden) getragen werden. Die Volks- und Raiffeisenbanken sind eingetragene Genossenschaften, denen viele Millionen private Personen (= Kunden) als Mitglieder angehören. Die drei genannten Bankengruppen werden in der Literatur auch als die drei Säulen der deutschen Kreditwirtschaft bezeichnet. Sie sind durchweg Universalbanken, d. h. Institute, die grundsätzlich alle üblichen Bankgeschäfte mit allen Zielgruppen (private Haushalte, Unternehmen, Institutionen) betreiben. Die Spezialbanken sind meist Tochterunternehmen dieser UniversalbankMuttergesellschaften. Das Vorhandensein zahlreicher dezentral arbeitender Kreditinstitute hat u. a. zur Folge, daß das einzelne Institut nur einen kleinen Anteil am gesamten Bankenmarkt besitzt. Das deutsche Kreditwesen ist also nicht sehr stark konzentriert. Diese hohe Dezentralität des deutschen Kreditwesens hat die ausgewogene wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands zweifellos
Kreditwesen
begünstigt. Es gibt eben keinen zentralen Bankenplatz, an dem z. B. über die Vergabe großer Kredite auch in der Provinz entschieden wird, sondern es gibt Hauptstellen von Geschäftsbanken in zahlreichen – auch kleineren – Städten. Banken dürfen nicht verwechselt werden mit Bankstellen. Dazu zählen neben den Hauptstellen der Geschäftsbanken deren Zweigstellen. Deutschland besitzt im internationalen Vergleich ein besonders dichtes Bankstellennetz. Die Zahl der Geschäftsbanken nimmt seit Jahrzehnten durch Fusionen benachbarter Institute ab. Diese Verringerung der Bankenzahl wird sich fortsetzen (Economies of Scale). Die Zahl der Bankstellen nimmt seit dem Ende der 1990er Jahre ebenfalls ab und wird weiter abnehmen. Aus Kostengründen werden unrentable Geschäftsstellen geschlossen oder mit Nachbarstellen zusammengelegt. Dies geschieht nur innerhalb der drei „Säulen“ des Kreditgewerbes. Wegen unterschiedlicher Zielsetzungen und der gegebenen Rechtsforminkompatibilität wird es bis auf weiteres nicht zu gruppenübergreifenden Fusionen kommen. Es gibt daneben eine Tendenz zum sog. „Multi-Kanal-Vertrieb“, d. h. Finanzdienstleistungen werden nach Wahl des Kunden z. B. über Geschäftsstellen, über Telefon („Call Center“), über elektronische Netze (Online- oder Internetbanking) und über den Außendienst (auch) der „Verbundpartner“ (Allfinanzangebot) vertrieben. Einigen Direktbanken (ohne Zweigstellen) ist inzwischen ein beachtlicher Einbruch in das traditionelle deutsche Kreditwesen (mit Filialen) gelungen. Darüber hinaus gibt es ferner eine Tendenz, neben den allgemeinen Finanzdienstleistungsfilialen spezialisierte Vertriebsstellen zu errichten, z. B. für Immobilienvermittlung und -finanzierung sowie für Vermögensberatung. Im Zuge der aufgezeigten Entwicklung ist die Anzahl der Beschäftigten im deutschen K. erheblich zurückgegangen und wird vor373
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aussichtlich weiter abnehmen. Dies wird z. T. nicht augenfällig, weil zugleich eine Tendenz zur Teilzeitbeschäftigung besteht und ferner Mitarbeiter in outgesourcten Bereichen, insbesondere in der outgesourcten Geschäftsabwicklung weiterbeschäftigt werden. Neben den Konzentrationstendenzen innerhalb der drei Säulen wird es weiter zunehmend zu einer gruppenübergreifenden Kooperation im back-office-Bereich (Innendienst) kommen, insbesondere in der Abwicklung des → Zahlungsverkehrs und der Wertpapiergeschäfte. Dazu zwingt der allgemein bestehende Zwang, die insgesamt unbefriedigende Rentabilität (Return on Equity) zu verbessern. Professor Dr. Günter Ashauer †, Köln Kreditwürdigkeit die durch persönliches Vertrauen (des Kreditgebers) und/oder → Sachsicherheiten begründete Bonität eines potentiellen Kreditnehmers. Kreislauf, (volks-)wirtschaftlicher → Wirtschaftskreislauf. Kriegsopfer Personen, die eine Kriegsbeschädigung erlitten haben (Kriegsbeschädigte) wie auch Hinterbliebene von Personen, die an den Folgen einer solchen Schädigung gestorben sind (Kriegshinterbliebene). Kriegsopferversorgung staatliche Leistungen an → Kriegsopfer. Krise → Konjunktur. Kündigung I. allgemein: → empfangsbedürftige Willenserklärung, durch die die Beendigung eines Rechtsverhältisses, meist nach Ablauf einer Frist, bewirkt werden soll. Eine fristlose K. ist in der Regel nur aus → wichtigem Grunde möglich. II. K.-modalitäten bei verschiedenen Rechtsverhältnissen. 1. → Berufsausbildungsverhältnis: Während der → Probezeit kann das Ausbildungsverhältnis von beiden Seiten fristlos 374
Kündigung
gekündigt werden. Gründe dafür müssen nicht angegeben werden (§ 15 Abs. 1 Berufsbildungsgesetz [BBiG]). Die K. kann sich grundsätzlich auf Gründe stützen, die mit dem Berufsausbildungsverhältnis nicht in Zusammenhang stehen. Nach der Probezeit kann das Ausbildungsverhältnis von beiden Seiten nur außerordentlich aus wichtigem Grund gekündigt werden. Die K. hat schriftlich unter Angabe der K.-gründe zu erfolgen. Die K. ist ausgeschlossen, wenn die K.-gründe dem Kündigenden länger als 2 Wochen bekannt sind (§ 15 Abs. 4 BBiG). Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen K. liegt immer dann vor, wenn die Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses bis zum Ende der Ausbildungszeit dem Kündigenden – unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles – nicht mehr zugemutet werden kann. (Fehlerhafte Leistungen des → Auszubildenden stellen in der Regel keinen K.-grund dar; sie dürfen eher als typisch für ein Ausbildungsverhältnis angesehen werden!) Wenn der Auszubildende die Berufsausbildung aufgeben oder eine andere Berufsausbildung beginnen möchte, kann er ebenfalls außerordentlich kündigen (→ Berufsänderungskündigung). Die K. hat schriftlich unter Angabe des K.-grundes zu erfolgen. Ob der Auszubildende nach erfolgter K. die Berufsausbildung tatsächlich aufgibt oder eine andere anstrebt, ist ohne Bedeutung. – Wird das Berufsausbildungsverhältnis vorzeitig aus wichtigem Grunde gelöst, so kann der Vertragspartner – → Schadensersatz verlangen, wenn der andere den Grund der Auflösung zu vertreten hat (§ 16 BBiG). Der Schadensersatzanspruch muß jedoch innerhalb von 3 Monaten nach Auflösung des Berufsausbildungsverhältnisses geltend gemacht werden (§ 16 BBiG). 2. → Arbeitsverhältnis: (1) Die ordentliche K. ist grundsätzlich nur bei Arbeitsverhältnissen zulässig, die auf unbestimmte Zeit eingegangen wurden. Bei befristeten Arbeitsverhältnissen ist eine ordentliche K. nicht möglich; es sei denn, daß bei ihnen ausnahmsweise vertraglich eine solche vorgesehen wurde, was häufig formularmäßig geschieht. Die ordentliche K. des Arbeits-
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verhältnisses durch den → Arbeitnehmer bedarf grundsätzlich keines sachlichen Grundes. Dagegen erfordert die ordentliche K. durch den → Arbeitgeber einen Grund, der sie sozial rechtfertigt. Der Arbeitnehmer genießt nämlich einen allgemeinen → Kündigungsschutz. Die ordentliche K. unterliegt bestimmten → Kündigungsfristen. Eine K., mit der lediglich einzelne Bedingungen des → Arbeitsvertrages geändert werden sollen (Teilkündigung) ist unzulässig. Wird dagegen einem Vertragspartner durch Arbeitsvertrag, → Betriebsvereinbarungen oder → Tarifvertrag das Recht eingeräumt, einzelne Vertragsbedingungen – soweit sie sich auf Nebenleistungen beziehen – einseitig zu ändern, so handelt es sich um einen grundsätzlich zulässigen Widerrufsvorbehalt. Die Vereinbarung eines solchen Widerrufsvorbehaltes ist nach § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nur dann unwirksam, wenn sie den Kündigungsschutz unterläuft. Macht der Begünstigte von seinem vereinbarten Widerrufsrecht Gebrauch, so hat dies gemäß § 315 BGB nach → billigem Ermessen zu erfolgen. – Wird der bisherige Arbeitsvertrag bei gleichzeitigem Angebot eines neuen abgeänderten Vertrages gekündigt oder wird mit dem Vorschlag der Änderung einzelner → Arbeitsbedingungen gleichzeitig der gesamte Arbeitsvertrag gekündigt, so handelt es sich um eine → Änderungskündigung. Änderungskündigungen sind rechtlich zulässig. Soweit sie jedoch vom Arbeitgeber ausgehen, unterliegen sie den Bestimmungen des K.-schutzes. (2) Die außerordentliche (fristlose) K. ist eine vorzeitige und ohne Beachtung der sonst geltenden K.-fristen erfolgende Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Sie ist in der Regel fristlos; der Kündigende kann jedoch auch eine gewisse Frist einräumen. Voraussetzung für eine außerordentliche K. ist das Vorliegen eines → wichtigen Grundes. Nach § 626 BGB kann ein Arbeitsverhältnis von jeder Vertragspartei aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer K.-frist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsseiten die Fortsetzung des Dienstverhältnis-
Kündigung
ses bis zum Ablauf der K.-frist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Wann die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist, kann nicht generell gesagt werden, sondern nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und im Zusammenhang mit der bisherigen Entwicklung des Arbeitsverhältnisses. Im allgemeinen können unter anderen folgende Gründe eine außerordentliche K. rechtfertigen (Kündigungsgründe): (a) der Arbeitnehmer kommt trotz mehrmaliger → Abmahnung ständig zu spät zur Arbeit, kommt überhaupt nicht oder verläßt vorzeitig den Arbeitsplatz; (b) der Arbeitnehmer weigert sich beharrlich, Arbeitsanweisungen zu befolgen und ihm übertragene Arbeiten zu verrichten; (c) der Arbeitnehmer nimmt → Schmiergelder, Bestechungsgelder oder ähnliches an; (d) der Arbeitnehmer wirbt seinem Arbeitgeber Arbeitskräfte ab; (e) der Arbeitnehmer verstößt gegen das → Wettbewerbsverbot; (f) der Arbeitnehmer verletzt grob seine → Verschwiegenheits- oder → Treuepflicht; (g) der Arbeitnehmer wird (schwer) handgreiflich gegenüber Arbeitskollegen, Vorgesetzten oder dem Arbeitgeber; (h) der Arbeitnehmer begeht schwere Straftaten gegen seinen Arbeitgeber. – Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes darf eine außerordentliche (fristlose) K. nur dann ausgesprochen werden, wenn alle anderen – nach den jeweiligen Umständen möglichen und angemessenen milden – Mittel (z. B. Abmahnung, → Versetzung, einverständliche Abänderung des Arbeitsvertrages, außerordentliche Änderungskündigung oder ordentliche K.) ausgeschöpft sind. Auch die außerordentliche K. kann in Form einer Änderungskündigung erfolgen; dies ist allerdings nur dann möglich, wenn eine umgehende Änderung der Arbeitsbedingungen unaufschiebbar notwendig ist und die neuen Bedingungen dem Arbeitnehmer zumutbar sind. Nach § 626 Abs. 2 BGB kann die außerordentliche K. nur innerhalb von 2 Wochen nach Kenntnis der für die K. maßgebenden Tatsachen erfolgen. Das Recht zur außerordentlichen K. kann vertraglich nicht ausgeschlossen werden. 375
Kündigung
Gemäß Neufassung des § 623 BGB müssen → Arbeitsverhältnisse ausnahmslos schriftlich gekündigt werden. Es ist unerheblich, ob es sich dabei um fristgemäße oder fristlose K. handelt, ob die K. vom → Arbeitgeber oder → Arbeitnehmer ausgeht. Mit Wirkung der Änderung des SGB III zum 1.1.2006 sind Arbeitnehmer nach § 37b verpflichtet, sich spätestens drei Monate vor Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses bei der → Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden. Liegen zwischen der Kenntnis des Beendigungszeitpunktes und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses weniger als drei Monate, so hat die Meldung innerhalb von drei Tagen nach Kenntnis desselben (Beendigungszeitpunktes) zu erfolgen. Die persönliche Arbeitslosmeldung ist unverzichtbare Anspruchsvoraussetzung zum Bezug von → Arbeitslosengeld I und → Arbeitslosengeld II. 3. → Mietverhältnis: Eine K. ist immer nur dann möglich, wenn ein K.-grund vorliegt. Die möglichen K.-gründe werden nachfolgend aufgezeigt. Nach § 573 Abs. 1 BGB darf der Vermieter nur dann kündigen, wenn er ein → berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Die Pflicht des Vermieters zur Angabe eines K.grundes entfällt, wenn er mit dem Mieter in einem Wohngebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen logiert (§ 573a BGB). Neben der ordentlichen Kündigung (die eine von der Mietdauer abhängige → K.-frist einzuhalten hat) kennt das BGB im § 543 die außerordentliche fristlose K. aus wichtigem Grund: Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden (Mieter oder Vermieter) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere eines → Verschuldens der Vertragsparteien, die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der K.-frist nicht zugemutet werden kann. Weitere wichtige Gründe liegen vor, wenn (a) dem Mieter der vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache ganz oder teilweise nicht rechtzeitig gewährt oder wieder entzogen wird, (b) der Mieter die ihm bezüglich der Mietsache obliegenden Sorgfaltspflichten grob vernachlässigt, (c) der Mieter mit 376
Kündigungsfristen
seiner Mietzahlung für zwei aufeinanderfolgende Termine in Verzug gerät. – Besteht der wichtige Grund in der Verletzung einer Pflicht aus dem → Mietvertrag, so ist die Kündigung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten angemessenen Frist oder nach erfolgter → Abmahnung zulässig. 4. Versicherungsverträge: Sie können gekündigt werden: (1) vom Versicherungsnehmer: (a) zum Ablauf der Versicherung, (b) in den meisten Versicherungszweigen nach Eintritt eines → Schadens; (2) vom Erwerber der versicherten Sache bei Besitzwechsel; (3) vom Versicherungsunternehmen: (a) zum Ablauf der Versicherung, (b) bei Verletzung vertraglicher Anzeigepflichten, (c) bei bestimmten Gefahrenerhöhungen, (d) bei Nichtzahlung fälliger Prämien, (e) bei Besitzwechsel der versicherten Sache gegenüber dem Erwerber, (f) in den meisten Versicherungszweigen nach Eintritt eines Schadens. – Siehe auch die Ausführungen zu den einzelnen → Versicherungen. III. bei anderen Rechtsverhältnissen: siehe dort.
Kündigung bei Arbeitsplatzteilung → Arbeitsplatzteilung.
Kündigungsfristen I. bei ordentlicher → Kündigung von → Arbeitsverhältnissen: sind durch Gesetz (ordentliche K.), → Tarifvertrag oder (Einzel-) → Arbeitsvertrag festgelegt. Bei Kündigungen durch den → Arbeitgeber gilt für → Arbeiter und → Angestellte nach dem Kündigungsfristengesetz (Gesetz zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten) bundeseinheitlich eine Grundkündigungsfrist von 4 Wochen zum 15. eines Monats oder zum Monatsende. Ansonsten sieht dieses Gesetz bei Kündigungen durch den Arbeitgeber für Arbeiter und Angestellte einheitlich folgende K. vor:
Kündigungsfristen
Kündigungsschutz
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Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer bleiben die Zeiten der Betriebszugehörigkeit vor Vollendung des 25. Lebensjahres unberücksichtigt. – Das K.-gesetz läßt kürzere eigenständige tarifvertragliche Regelungen zu, wenn diese einheitliche Fristen für Arbeiter und Angestellte vorsehen. Sind die Arbeitsvertragsparteien nicht tarifgebunden (→ Tarif bindung), so können sie kürzere tarifvertragliche K. nur in der Weise übernehmen, daß sie den Tarifvertrag insoweit zum Inhalt des Arbeitsvertrages machen. Einzelvertraglich können die gesetzlichen und tarifvertraglichen K. allenfalls verlängert, nicht aber gekürzt werden. Vereinbarte K. dürfen für den → Arbeitnehmer nicht länger sein als für den Arbeitgeber. Für Schwerbehinderte beträgt die gesetzliche K. mindestens 4 Wochen. Der Arbeitgeber darf nur kündigen, wenn er die Zustimmung des Integrationsamtes für Schwerbehinderte eingeholt hat. Für das Probearbeitsverhältnis bestehen keine gesetzlichen Sonderregelungen. Für → Aushilfsarbeitsverhältnisse können kürzere als die gesetzlichen K. vereinbart werden. II. bei → Mietverhältnissen: Die Fristen der ordentlichen Kündigung für Mietverhältnisse auf unbestimmte Zeit bestimen sich nach § 573c BGB n.F. Danach ist eine Kündigung spätestens am dritten Werktag eines Kalendermonats zum Ablauf des übernächsten Monats zulässig. Die K. für den Vermieter verlängert sich nach fünf und acht Jahren seit der Überlassung des Wohnraumes um jeweils drei Monate. Eine abweichende Vereinbarung zum Nachteil des Mieters ist unwirksam!
Bei Wohnraum der nur zur vorübergehenden Inanspruchnahme vermietet wurde, kann eine kürzere K. vereinbart werden. Bei Wohnraum, der Teil der vom Vermieter selbst bewohnten Wohnung ist und den der Vermieter überwiegend mit Einrichtungsgegenständen ausgestattet hat, ist die Kündigung spätestens am 15. eines Monats zum Ablauf dieses Monats zulässig. Eine abweichende Vereinbarung zum Nachteil des Mieters ist unwirksam. III. bei anderen Rechtsverhältnissen: siehe dort. Kündigungsfristen bei Sparverträgen → Kontensparen. Kündigungsgeld(er) → Spareinlagen, die nach einer bei → (Spar-) Vertragsabschluß vereinbarten → Kündigung und einer dieser folgenden Kündigungsfrist (von mindestens 1 Monat) dem Anleger verfügbar sind. – Wird/werden K. bei Fälligkeit nicht in Anspruch genommen, so bleibt/bleiben dies/diese weiterhin K. Siehe auch: → Kontensparen. Kündigungsgründe → Kündigung. Kündigungsschutz A. allgemein: gesetzliche Bestimmungen zum Schutz des sozial schwächeren Vertragspartners vor einer → Kündigung. B. K. in ausgewählten Vertragsverhältnissen I. → Arbeitsverhältnis: Hier gibt es zwischen allgemeinem und besonderem K. zu unterscheiden. Der allgemeine K. gilt für alle unter das K.-gesetz fallenden → Arbeitnehmer; der besondere K. hingegen nur für bestimmte Arbeitnehmer. Beide Arten des K. lassen das Kündigungsrecht des Arbeitnehmers unberührt. 1. allgemeiner K.: Der allgemeine K. gipfelt in der Aussage, daß Kündigungen nicht sozial ungerechtfertigt, das heißt sozialwidrig, sein dürfen. Dem allgemeinen K. unterliegen nur die ordentlichen Kündigungen. Eine außerordentliche (fristlose) Kündigung kann somit nicht daraufhin überprüft werden, ob sie sozial ungerechtfertigt ist. Der allgemei377
Kündigungsschutz
ne K. findet nur auf Arbeitsverhältnisse Anwendung, die im Zeitpunkt der Kündigung ohne Unterbrechung länger als 6 Monate bestanden (§ 1 Kündigungsschutzgesetz [KSchG]). Das K.-gesetz gilt seit 1. 1. 2004 nur für → Betriebe, die regelmäßig mehr als 5 Arbeitnehmer (ausschließlich der zu ihrer → Berufsausbildung beschäftigten Personen) beschäftigen (§ 23 KSchG), wobei seit dem 1. 5. 1985 nur solche Arbeitnehmer berücksichtigt werden können, deren regelmäßige → Arbeitszeit wöchentlich 10 oder monatlich 45 Stunden übersteigt. – Leitende Angestellte genießen auch den K. Auf Kündigungen und Entlassungen als Maßnahmen von → Arbeitskämpfen findet das K.-gesetz keine Anwendung (§ 25 KSchG). – Als sozial ungerechtfertigt gelten Kündigungen dann, wenn sie nicht durch bestimmte Gründe gerechtfertigt sind. Diese Gründe müssen nach § 1 KSchG (1) in der Person des Arbeitnehmers liegen oder (2) in dem Verhalten des Arbeitnehmers oder (3) durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt sein. Die aufgeführten Kündigungsgründe unterliegen allesamt dem → Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. – In der Person des Arbeitnehmers liegende Kündigungsgründe (personenbedingte Kündigungsgründe) sind solche, die erwiesenermaßen vorliegen, ohne daß der Arbeitnehmer dafür verantwortlich gemacht werden muß. Die wohl häufigsten personenbedingten Kündigungsgründe sind: die Erkrankung des Arbeitnehmers, die Abnahme seiner körperlichen und/oder geistigen Leistungsfähigkeit, mangelnde Eignung oder Anpassungsfähigkeit. Eine Kündigung wegen fortdauernder Krankheit (Dauererkrankung) ist dann möglich, wenn (a) der Arbeitnehmer auch in der Vergangenheit langfristig erkrankt war, (b) auch in Zukunft mit langfristiger Erkrankung zu rechnen ist, (c) die Erkrankung des Arbeitnehmers zu betrieblichen Störungen führt, (d) eine Versetzung des Arbeitnehmers im Betrieb nicht möglich ist. Eine Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankung in der Vergangenheit ist dann möglich, wenn (a) der Arbeitnehmer in der Vergangenheit öfters kurzfristig erkrankt 378
Kündigungsschutz
war, (b) auch in Zukunft mit häufiger Kurzerkrankung zu rechnen ist, (c) die Erkrankung des Arbeitnehmers zu betrieblichen Störungen führt, (d) eine Versetzung des Arbeitnehmers im Betrieb nicht möglich ist. Kündigungsgründe, die im Verhalten des Arbeitnehmers liegen (verhaltensbedingte Kündigungsgründe) sind vor allem Vertragsverletzungen. Das Verhalten muß nicht gegen den Arbeitgeber gerichtet sein, es kann sich auch im Verhältnis zu den Arbeitskollegen oder Dritten (z. B. Kunden) offenbaren. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechend kann der Arbeitgeber in der Regel eine verhaltensbedingte Kündigung erst dann aussprechen, wenn er den Arbeitnehmer zuvor abgemahnt hat. Gründe für die personenbedingte und verhaltensbedingte Kündigung müssen jeweils von einer gewissen Erheblichkeit sein. – Dringende betriebsbedingte Kündigungsgründe umfasssen innerbetriebliche und außerbetriebliche Umstände. Die erforderliche Dringlichkeit der betriebsbedingten Gründe ist dann gegeben, wenn die Kündigung bei umfassender Interessenabwägung unvermeidbar ist. Liegen dringende betriebsbedingte Kündigungsgründe vor, so bedarf es der Auswahl, wem von mehreren Arbeitnehmern gekündigt werden kann (soziale Auswahl). Der Arbeitgeber ist nach § 1 Abs. 3 KSchG verpflichtet, bei dieser Auswahl soziale Gründe zu berücksichtigen. Dabei ist maßgebend, welcher Arbeitnehmer auf seinen Arbeitsplatz am wenigsten angewiesen ist. Als Auswahlgesichtspunkte gelten demzufolge beispielsweise: Kinderzahl, Lebensalter, unter Umständen auch die Vermögenslage. Der Arbeitgeber hat einem gekündigten Arbeitnehmer auf dessen Verlangen die Gründe mitzuteilen, die ihn zu dieser sozialen Auswahl veranlaßten. Gelangt der Arbeitnehmer daraufhin zur Auffassung, daß seine Kündigung sozial ungerechtfertigt sei, so ist er dafür darlegungs- und beweispflichtig. Der gekündigte Arbeitnehmer hat das Recht: (1) binnen 1 Woche nach der Kündigung Einspruch beim → Betriebsrat/→ Personalrat einzulegen, damit dieser versucht, eine Verständigung mit dem Arbeitgeber
Kündigungsschutz
herbeizuführen; (2) binnen 3 Wochen nach Zugang der Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung zu erheben, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst wurde (K.-klage bei ordentlicher Kündigung). Nach § 13 Abs. 3 KSchG kann eine K.-klage unabhängig von der 3-wöchigen Klagefrist erhoben werden, wenn mit der Klage andere Rechtsmängel der Kündigung geltend gemacht werden als das Fehlen eines sozial rechtfertigenden Grundes (K.-klage wegen sonstiger Rechtsmängel der Kündigung). Der K. greift auch bei → Änderungskündigungen. 2. besonderer K.: Einen besonderen, über den allgemeinen K. hinausgehenden K. sieht der Gesetzgeber für bestimmte Arbeitnehmergruppen vor, so insbesondere für Betriebsratsmitglieder und andere betriebsverfassungsrechtliche Funktionsträger, Wehrdienstleistende, Schwerbehinderte, Schwangere, Mütter und Erziehungsurlauber sowie → Auszubildende. 3. K. bei → Massenentlassungen: Wenn erkennbare Veränderungen des Betriebes innerhalb der nächsten 12 Monate voraussichtlich dazu führen, eine Massenentlassung vorzunehmen, ist der Arbeitgeber verpflichtet, dies der Agentur für Arbeit unverzüglich schriftlich anzuzeigen. Die Anzeige der Massenentlassung löst hier eine einmonatige Sperrfrist aus. Vor dem Ablauf dieser Sperrfrist werden Entlassungen nur mit Zustimmung der Agentur für Arbeit wirksam. Die Agentur für Arbeit kann ihre Zustimmung zur Massenentlassung an Auflagen binden. II. Mietverhältnis: Beim befristeten → Mietvertrag (Zeitmietvertrag, § 575 BGB) wird ein Mietverhältnis auf bestimmte Zeit eingegangen. Es empfiehlt sich dann, wenn der Vermieter nach Ablauf der Mietzeit die Räume (a) als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushaltes nutzen möchte, (b) beseitigen oder wesentlich verändern möchte oder (c) einem ihm zur Dienstleistung Verpflichteten vermieten möchte. Der Grund für die Befristung des Mietverhältnisses hat der Vermieter dem Mieter bei Vertrags-
Kündigungsschutz
abschluss schriftlich mitzuteilen. Während der Laufzeit des Zeitmietvertrags ist der Mieter vor einer ordentlichen Kündigung durch den Vermieter geschützt. Der Mieter kann vom Vermieter frühestens vier Monate vor Ablauf der Befristung verlangen, daß er ihm binnen eines Monats mitteilt, ob der Befristungsgrund noch besteht. Erfolgt diese Mitteilung später, so kann der Mieter eine Verlängerung des Mietverhältnisses um den Zeitraum der Verspätung verlangen (erweiterter K.). Entfällt der Grund der Befristung, so kann der Mieter eine Verlängerung des Mietverhätnsses auf unbestimmte Zeit verlangen. Der wohl bedeutsamste Mieterschutz wird durch die gesetzlichen → Kündigungsfristen II. begründet. Besondere Regelungen zum Schutze des Mieters sieht der Gesetzgeber bei der Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen vor. So kann ein Vermieter, der eine bislang vermietete Wohnung in eine Eigentumswohnung umwandeln und verkaufen möchte, den bisherigen Mieter dieserhalb nicht kündigen. – Auch dem Käufer einer solchen Eigentumswohnung gegenüber genießt der bisherige Mieter (dieser Wohnung) besonderen Schutz. Nach § 577a BGB kann der neue Eigentümer diesem gegenüber drei Jahre lang kein → berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses anmelden. (Nach §§ 577a Abs. 2 BGB verlängert sich diese Frist bis zu zehn Jahre, wenn die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemesenen Bedingungen in einer Gemeinde oder einem Teil einer Gemeinde besonders gefährdet ist und diese Gebiete durch Rechtsverordnung einer Landesregierung als solche bestimmt sind.) Eine Kündigung unter Berufung darauf ist erst nach Ablauf dieser Zeitspanne (Beginn der Laufzeit ist der Tag der Eintragung des Eigentumswechsels ins → Grundbuch) möglich und kann dann erst unter Wahrung der gesetzlichen Kündigungsfrist erfolgen. Die Sozialklausel ist wohl das einschneidenste Instrument des K. Dieser in § 574 BGB verankerten Bestimmung zufolge hat der Mieter das Recht, einer wirksamen 379
Kündigungsschutz
Kündigung zu widersprechen und vom Vermieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses zu verlangen, wenn dessen Beendigung für ihn (den Mieter) oder seine Familie eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung des berechtigten Interesses des Vermieters nicht zu rechtfertigen wäre. Eine solche Härte liegt nach Auffassung des Gesetzgebers insbesondere dann vor, wenn angemessener Wohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann. (Die bisherige Rechtsprechung kennt als weitere Härtefälle: schwere Erkrankungen, hohes Alter, lange Wohndauer, geringes Einkommen, Schwangerschaft, bevorstehendes Examen.) Dies bedeutet, daß der Mieter für sich und seine zum Haushalt gehörende Familie eine menschenwürdige Unterbringung verlangen kann, wobei die für den neuen Wohnraum zu zahlende Miete im Verhältnis zum Familieneinkommen (unter Einbezug möglichen → Wohngeldes) zumutbar sein muß. Das Gericht hat schließlich die Widerspruchsgründe zu prüfen, mit den vom Vermieter genannten Kündigungsgründen abzuwägen und zu entscheiden. Der Widerspruch muß schriftlich erklärt werden. Er kann vom Mieter bis zum ersten Termin eines eventuellen Räumungsprozesses vorgebracht werden. (Sollte allerdings der Vermieter den Mieter auf die Möglichkeit des Widerspruches hinweisen, so muß der Mieter diesen spätestens 2 Monate vor Ablauf der Kündigungsfrist erklären.) Der K. ist ausgeschlossen unter anderem für Wohnraum, der nur zur vorübergehenden Nutzung vermietet wurde (beispielsweise als Ferienwohnung) oder innerhalb der Vermieterwohnung liegt und auch von diesem möbliert wurde. Auch Mieter von Wohnraum in Studenten- und Jugendwohnheimen genießen keinen K. (§ 549 Abs. 2 BGB). Kündigungsschutzklage → Kündigungsschutz. Kündigungsschutzrecht → Kündigungsschutz. Kündigung von Spareinlagen → Kontensparen. 380
Kulturökonomie
Kulturökonomie unterwirft den wirtschaftlich bedeutsamen Sektor Kultur (einschließlich der Kunst1) typischen ökonomischen Fragestellungen, beispielsweise derjenigen nach der Preisbildung für Kulturgüter. Da Kulturgüter (vom Buch bis zur Theateraufführung) zum erheblichen Teil in Wirtschaftssektoren hergestellt, bewertet, vertrieben, ge- und verbraucht werden, in denen das freie Spiel von → Angebot und → Nachfrage nicht zugelassen bzw. nicht zweckmäßig ist, erstreckt sich der Untersuchungshorizont der K. auf die nichtmarkt- und marktgesteuerte Ökonomie gleichermaßen. Der Anteil des Kultursektors am → Bruttoinlandsprodukt wird auf ein Prozent und somit für das Jahr 2004 auf rund 22 Mrd. Euro geschätzt. Das ergibt eine „Kulturquote“ je Einwohner in Deutschland von 250,00 Euro. Laut Kulturfinanzbericht (KFB) 2003 des Statistischen Bundesamtes wurden für die Kultur im Bund, in den Ländern und Kommunen 8,2 Mrd. Euro ausgegeben. „Den größten Teil (44,6 % oder 3,72 Mrd. Euro) an den Kulturausgaben trugen die Gemeinden. Die Kulturausgaben der Länder (einschließlich Stadtstaaten) lagen bei 3,59 Mrd. Euro (43,0 %). Der Bund stellte insgesamt weitere 1,04 Mrd. Euro (12,4 %) zur Verfügung. Insgesamt stellten die öffentlichen Haushalte hierfür 1,66 % ihres Gesamtetats bzw. 101,5 Euro je Einwohner zur Verfügung“ (KFB). Hinzu kommen private bzw. unternehmerische Kulturaufwendungen. Nach Angaben des Arbeitskreises Kultursponsoring im Kulturkreis der deutschen Wirtschaft (BDI) entfielen auf Kultursponsoring von Unternehmen rd. 400 Mio. Euro, wobei Stiftungen 125 Mio. Euro ausgaben. Unter den Wirtschaftszweigen fördern die Kreditinstitute am häufigsten, und unter diesen nehmen die Sparkassen die Spitzenstellung ein. Jeder vierte Industriebetrieb beteiligt sich an der Kulturförderung, Musik sowie Brauchtums- und Heimatpflege waren die vorrangigen Fördersektoren des Kultursponsoring. In den öffentlichen Kulturhaushalten waren die allgemeine Kulturpflege, das Theater- und Konzertwesen, die Kunsthochschulen, die Museen und die Denkmal-
Kulturökonomie
pflege die Hauptkostenstellen. Eine sektorale Aufschlüsselung der kulturökonomischen Aktivitäten im nichtstaatlichen Sektor ist mangels statistischer Erfassung nicht möglich, da Gemäldeanschaffungen usw. von Unternehmen und Privathaushalten nicht meldepflichtig sind. Insgesamt dürften speziell kulturökonomische Sektoren (Theater, Museen, Verlage, Orchester u. a.) etwa 500 000 Menschen beschäftigen. Die Wertschöpfungssektoren, in denen materielle und immaterielle Kulturgüter hergestellt werden, gliedern sich in:2 Kulturelles Erbe (Denkmalschutz, Archive, Museen u. a.), Druckerzeugnisse und Literatur, Musik, Darstellende Kunst, Bildende Kunst, Film und Fotografie, Hörfunk und Fernsehen, sonstige Sektoren (Kulturzentren in Gemeinden u. a.) und Kulturverwaltung. Die in die K. eingebundenen Wirtschaftssubjekte können gegliedert werden in Kulturschaffende (Künstler, Lektoren u. a.), Kulturverwalter, Kulturpfleger, Kulturförderer (Sponsoren), Kulturvermarkter und Kulturverbraucher. Die Forschung im Bereich der K. hat es mit drei Schwierigkeiten zu tun.3 Sie darf sich nicht auf ästhetische Urteile einlassen, die ihrerseits aber bei der Wertbeimessung (Preise) eine große Rolle spielen; sie hat es in Grenzbereichen mit einem unscharfen Kulturgüterbegriff zu tun;4 und sie hat es mit nichtöffentlichen Informationsnetzen zu tun (Juryentscheidungen, Anschaffungsentscheidungen für Landeskinder-Kunst in Ministerien u.v.a.). Das Untersuchungsinteresse der K.-Forschung richtet sich auf folgende Felder:5 private K.-Förderung (Frage: Nach welchen Kriterien werden K.Ausgaben getätigt? usw.), K.-Förderung der öffentlichen Hände (Frage: Inwieweit spielen Kosten-Nutzen-Überlegungen eine Rolle? usw.), K.-Sektoren (Frage: Wie stark ist das Stadt-Land-Gefälle in der K.? usw.), K.Schaffende (Frage: Wie ist die Ertragslage bei K.-Vollerwerbsunternehmen? usw.), K.Vermarkter (Frage: Welche Preisfindungssysteme herrschen vor? usw.), K.-Verbraucher (Frage: Wie hoch ist die Ausstattung der Haushalte mit Kulturgütern? usw.). Vordringlich erscheinen die Erforschung des
Kulturökonomie
Subventionsbetriebs in der K. und die Wertfindungsmechanismen. Denn von deren Transparenz sowie Kosten-Nutzen-Bilanz6 hängt die Begrenzung von Ressourcenvergeudungen und der Zielerreichungsgrad des Kulturnutzens ab. K. ist eine der fachwissenschaftlichen Grundlagenabteilungen der ökonomischen Bildung. In der → Wirtschaftsdidaktik und in der Ökonomiebildung i.w.S. wurden, soweit erkennbar, kulturökonomische Erziehungs- und Bildungsfragen bisher nicht gestellt. Obschon bereits Kinder und Jugendliche Kulturgüter (Fernsehsendungen u. a.) täglich nachfragen und konsumieren, werden sie über die ökonomischen Dimensionen des Kulturbetriebes nicht aufgeklärt. Kulturökonomisches Wissen könnte z. B. die medienkritische Haltungserziehung unterstützen und ganz allgemein den Kulturkonsum auf eine einsichtsvolle Wertebasis stellen. Buch- und Gerätedesign z. B. erscheinen i.d.R. allenfalls als ästhetisches, nicht aber als ökonomisches Schaffensund Vermarktungsphänomen. Daher kann das Ziel, exemplarische Einblicke in die enormen Wertschöpfungsleistungen der Kultursektoren zu verschaffen, als eine Zukunftsaufgabe der Wirtschaftsdidaktik und ökonomischen Bildung angesehen werden. 1 Zur begrifflichen Bestimmung von Kultur und Kunst vgl. Dauenhauer, E. (Hrsg.): Kultur– und Kunstökonomie, Teil I, Grundlegung eines Forschungsprogramms, Heft 15 der Schriftenreihe „Beruf, Wirtschaft, Humankapital“, Landau 1992, S. 10 – 17. 2 Info-Institut für Wirtschaftsforschung: Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Kunst und Kultur, München 1988, S. 11. 3 Dauenhauer, E., a.a.O., S. 33: 4. Das Forschungsprogramm. 4 Die Info-Einteilung z. B. rechnet Sport, Natur und Umwelt noch zur K. 5 Dauenhauer, E., a.a.O., S. 36 ff. 6 Dauenhauer, E. (Hrsg.): Kultur- und Kunstökonomie, Teil 2, Landau 1992, S. 5 ff.: Kosten-Nutzen-Analysen als Instrumente kultur- und kunstökonomischer Wertfindungs- und Entscheidungsprozesse. 381
Kulturökonomie
Literatur: Bendixen, P.: Einführung in die Kultur- und Kunstökonomie, 2. Aufl., Wiesbaden 2001; Dauenhauer, E. (Hrsg.): Kultur- und Kunstökonomie, Teil 1 u. 2, Landau 1993/93; Frey, B. S.: Arts & Economics – Analysis & Cultural Policy, 2. Aufl., Heidelberg 2003; Blümle, G. u. a. (Hrsg.): Perspektiven einer kulturellen Ökonomie, Münster 2004. Prof. Dr. Erich Dauenhauer, Landau Kunstfehler → Arztvertrag. Kurs ⇒ Börsenkurs der an der → Börse für → Effekten, → Devisen und Waren sich entwickelnde → Preis. Der K. wird an (deutschen Börsen) für → festverzinsliche Wertpapiere in Prozent des Nennbetrages (→ Nennwert) und für → Aktien in Euro je Stück angegeben; er wird vom Kursmakler auf Grund der vorliegenden Kauf- und Verkaufaufträge ermittelt. Kurswert der sich auf Grund des → Börsenkurses ergebende Wert eines → Wertpapiers. Kurzarbeit Einschränkung der betrieblichen → Arbeitszeit infolge Auftragsmangels oder schlechten Wetters mit entsprechender Lohnminderung (§§ 169 – 182 SGB III); darf/dürfen vom → Arbeitgeber nur dann angeordnet werden, wenn solche in einem → Tarifvertrag oder in einer → Betriebsvereinbarung unter bestimmten Voraussetzungen festgelegt wurde(n) oder die betroffenen → Arbeitnehmer solcher/solchen zustimmen (Urteil des Bundesarbeitsgerichtes vom 25. 11. 1981). Darüber hinaus ist – falls tarifvertraglich nichts Abweichendes bestimmt ist – das Mitbestimmungsrecht des → Betriebsrates zu wahren. Im Falle
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Kurzarbeitergeld
mangelnder Befugnis zur Einführung von K. verbleibt dem Arbeitgeber nur die → Änderungskündigung. Wird K. rechtzeitig bei der → Agentur für Arbeit angemeldet, so kann den betroffenen Arbeitnehmern → Kurzarbeitergeld gewährt werden. Kurzarbeitergeld von der → Bundesagentur für Arbeit bei Verdienstausfall durch → Kurzarbeit gewährter Einkommensausgleich. Je nach Familienstand erhält der betroffene → Arbeitnehmer Leistungen in Höhe von 60 beziehungsweise 67 Prozent der Nettoentgeltdifferenz (§ 178 SGB III). Bei der Ermittlung der Nettoentgelte wird für den Sozialversicherungsabzug (→ Sozialversicherung) pauschal 21 Prozent des jeweiligen Bruttoentgeltes angesetzt. Die Gewährung von K. ist grundsätzlich auf 6 Monate begrenzt. Bei Vorliegen außergewöhnlicher Verhältnisse kann sie durch Rechtsverordnung auf bis zu 24 Monate ausgedehnt werden. Nach dem zum 10. 4. 2006 in Kraft getretenen Gesetz zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung (§ 175 SGB III) erhalten → Arbeitnehmer der Baubranche bei Arbeitsausfall wegen kalter Witterung in der Zeit von Dezember bis März K. soweit zuvor ein eventuell angespartes Arbeitszeitguthaben aufgelöst wurde. Die → Arbeitgeber müssen für diese Zeit lediglich die abgesenkten → Sozialversicherungsbeiträge abführen. Nach § 175 a SGB III haben Arbeitnehmer Anspruch auf Wintergeld als ZuschußWintergeld (in Höhe von bis zu 2,50 Euro je ausgefallene Arbeitsstunde, wenn zu deren Ausgleich Arbeitszeitguthaben aufgelöst und die Inanspruchnahme des Saison-K. vermieden wird) und Mehraufwands-Wintergeld (in Höhe von 1,00 Euro für jede in der Zeit vom 15. Dezember bis zum letzten Februartag geleistete berücksichtigungsfähige Arbeitsstunde).
Länderfinanzausgleich
Lausanner Schule
L Länderfinanzausgleich Regelung des → Finanzausgleichs mit dem Ziel, den in ihrem → Steueraufkommen (u. damit in ihrer Finanzkraft) ungleichen (Bundes-)Ländern entsprechend ihren Aufgaben (u. damit ihres Finanzbedarfes) einen angemessenen finanziellen Mittelausgleich zu verschaffen (Art. 107 Abs. 2 Grundgesetz). Ländersteuern → Steuern, deren Aufkommen (→ Steueraufkommen) den (Bundes-)Ländern zufließt (so z. B. → Erbschaftsteuer, → Kraftfahrzeugsteuer, → Grunderwerb- u. sonstige → Verkehrsteuern [soweit sie nicht an den Bund fließen]). Laissez-faire wörtlich: „Laßt machen“ (besser: Laßt laufen), ein französisches Sprichwort des wirtschaftlichen → Liberalismus insbesondere des 19. Jahrhunderts, nach dem sich die → Wirtschaft möglichst frei von staatlichen Eingriffen entfalten solle. Laffer-Theorem finanzwissenschaftliches Theorem des amerikanischen Ökonomen Arthur B. Laffer (geb. 1940). Ihm zufolge wirken zu hohe Steuersätze leistungshemmend, damit wachstumsmindernd und führen dement-
sprechend zu einem niedrigeren Steueraufkommen als dies bei geringeren Steuersätzen erwartet werden kann. Die sogenannte Laffer-Kurve bringt dieses Phänomen anschaulich zum Ausdruck (siehe Schaubild). Landeskartellämter dem → Bundeskartellamt nachgeordnete Behörden zur Wahrnehmung der sich aus dem → Kartellgesetz ergebenden Verwaltungsaufgaben und Befugnisse auf Länderebene. Landeszentralbanken (LZB) durch Strukturreform der Bundesbank von 2002 veraltete Bezeichnung für die nunmehr uneigenständigen Hauptverwaltungen (insgesamt 9) der → Deutschen Bundesbank. Landwirtschaftskammern berufsständische Vereinigungen zur Wahrnehmung der Interessen der Land- und Forstwirtschaft auf Bezirksebene. Lastschrift im kaufmännischen Rechnungswesen die Verbuchung einer zu erbringenden Leistung zulasten einer Person oder eines → Unternehmens. Gegensatz: → Gutschrift. Lastschriftverfahren → Abbuchungsauftrag → Einzugsermächtigung. laufendes Konto ⇒ Kontokorrentkonto → Girokonto. Laufzeit 1. finanztechnisch: Zeitraum zwischen Ausstellung und → Tilgung einer Zahlungsverpflichtung; zum Beispiel beim → Wechsel bis zum → Verfalltag, bei → Anleihen bis zur Rückzahlung. 2. produktionstechnisch-organisatorisch: Zeitraum der Inbetriebnahme von Maschinen. Lausanner Schule von Léon → Walras und Vilfredo → Pareto begründete wirtschaftstheoretische Schule mathematischer Ausrichtung. 383
Lean Management
Lean Management ⇒ schlankes Management auf den verschiedenen betrieblichen Führungsebenen reduzierte Personalstärke in der Absicht, die einschlägige Effizienz zu steigern und die Kosten zu senken. Lean Production ⇒ schlanke Produktion → Arbeitsstrukturierung. Learning by Doing auf John Dewey (1859 – 1952) zurückreichender pädagogischer Ansatz, der „Lernen durch Handeln“ und damit praktisches Tun als Erfahrungs- und Erkenntnisquelle propagiert. Leasing Abart der → Miete; eine Art mittel- und langfristiger Vermietung von → Konsumund → Investitionsgütern an Privatpersonen und → Unternehmen. Die Vermietung wird von den Herstellern selbst oder durch speziell zu diesem Zweck begründete, zwischen sie und die Abnehmer (→ private Haushalte/Unternehmen) geschaltete (L.-) → Gesellschaften (oft Tochtergesellschaften der Hersteller) vollzogen. L. kann heute als eine Ergänzung oder Alternative zum → Finanzierungskauf gesehen werden, insbesondere in Ermangelung entsprechender Barmittel. Im Gegensatz nämlich zum Finanzierungskauf wird dem L.-nehmer in den L.-raten lediglich der laufende Wertverlust der geleasten Sache belastet. Zu diesen (im Vergleich zum Finanzierungskauf) niedrigeren L.-raten kommt jedoch beim L.-geschäft das in der Regel vom L.-nehmer zu tragende (ebenfalls als Kostengröße zu bewertende) Restwertrisiko. Wird nämlich der dem L.vertrag zugrunde gelegte kalkulierte Restwert (der geleasten Sache) nach Auslauf des L.-vertrages durch Verkauf des zurückgegebenen Gutes nicht realisiert, so hat der L.-nehmer diesen Fehlbetrag dem L.-geber gegenüber auszugleichen und damit eine zusätzliche finanzielle Belastung in Kauf zu nehmen. Diesem „totalen“ Restwertrisiko steht zudem nur eine eingeschränkte Mehrerlöschance gegenüber. Bringt nämlich der Verkauf des zurückgegebenen L.-gutes einen seinen kalkulierten Restwert über384
Leasing
steigenden Erlös, so bekommt davon (nach geltendem Steuerrecht) der (bisherige) L.nehmer lediglich 75 Prozent, während die verbleibenden 25 Prozent dem L.-geber zufließen. Schließlich muß auch die in der Regel zu Beginn des Vertrages zu leistende Sonderzahlung in Höhe von 20 – 30 Prozent des Kaufpreises (des betreffenden Gutes) gesehen werden. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte kann das L.-geschäft für den privaten Kunden dennoch interessant sein, es muß aber nicht! Sein Reiz kann insbesondere darin liegen, daß die L.-firma ihre günstigen Einkaufskonditionen (zumindest teilweise) an den L.-nehmer weitergibt und darüber hinaus das L.-gut (möglicherweise) in gewissen Zeitabständen gegen ein neues, technisch weiter entwickeltes austauscht. Für den gewerblichen Kunden kann L. insbesondere unter steuerlichen Gesichtspunkten Vorteile bringen. Er kann nämlich die Sonderzahlung (zu Beginn des Vertrages) wie auch die L.-raten als → Kosten absetzen und darüber hinaus die → Mehrwertsteuer als → Vorsteuer in Abzug bringen. L.-verträge können auf verschiedene Weise zustandekommen. So besteht einerseits für den interessierten Kunden (u. potentiellen L.-nehmer) die Möglichkeit, das von ihm gewünschte Gut beim Händler auszusuchen, um sich dann an eine L.-gesellschaft (L.-geber) zu wenden, die dieses Gut im eigenen Namen und auf eigene Rechnung vom Händler kauft und es schließlich an ihn (den L.-nehmer) vermietet, least. Andererseits kann sich der L.-nehmer aber auch gleich an den L.-geber wenden und dessen Branchenkenntnis und Sachverstand bei der Beschaffung des gewünschten Gutes in Anspruch nehmen. Das Geld für den Kauf des L.-gutes beschafft sich die L.-gesellschaft (L.-geber) bei einem → Kreditinstitut. In der Folgezeit hat nun der L.-nehmer die monatlichen L.raten an den L.-geber zu zahlen. Der L.-vertrag kennt keine spezielle gesetzliche Regelung; er ist ein Produkt der Rechtsprechung und kommt in verschiedenen Formen vor. Ihnen zufolge gilt es bei Abschluß eines L.-vertrages folgendes zu beachten: (1) der L.-vertrag bedarf der → Schriftform; (2) der L.-nehmer kann seine auf Abschluß
Leasing
des L.-vertrages gerichtete → Willenserklärung binnen 1 Woche widerrufen (→ Widerruf); (3) der L.-geber hat den L.-nehmer über dessen → Widerrufsrecht zu belehren; (4) ist die Belehrung unzureichend, erlischt das Widerrufsrecht des L.-nehmers erst, wenn der Vertrag von beiden Seiten erfüllt worden ist, spätestens jedoch 1 Jahr nach Vertragsabschluß; (5) Voraussetzungen und Folgen von → Kündigung und → Rücktritt wegen → Zahlungsverzug bestimmen sich nach dem Gesetz und dürfen davon abweichend nicht zum Nachteil des Verbrauchers vereinbart werden. Außer den Hauptpflichten (Übergabe des gebrauchstauglichen u. funktionsfähigen L.-gutes einerseits u. Zahlung der L.-raten andererseits) obliegen den Vertragsparteien bedeutsame Nebenpflichten. So muß der L.geber (L.-gesellschaft) den L.-nehmer über das L.-gut aufklären und ihm hinsichtlich dessen Nutzung, Handhabung und Pflege (Wartung) beraten. Für Verstöße gegen diese Pflicht haftet die L.-gesellschaft. Auch hat sie für ein etwaiges Fehlverhalten des Händlers bei den Vertragsverhandlungen oder bei der Auslieferung der Ware einzustehen. Die L.-gesellschaft darf den L.-nehmer im Gebrauch des L.-gutes nicht stören und hat nach Ablauf des Vertrages die bestmögliche Verwertung des L.-gutes zu besorgen. – Die dem L.-nehmer obliegenden Nebenpflichten sind weitreichender als die des Mieters. So darf der L.-nehmer in Wahrnehmung seines Nutzungsrechtes das L.-gut Dritten nicht zum Gebrauch überlassen, er muß dasselbe instandhalten, etwaige Schäden auf seine Kosten reparieren und → Mängel beheben lassen. Auch etwaige Garantie- oder → Gewährleistungsansprüche sind von ihm geltend zu machen. Die Risiken des Verlustes und der Beschädigung des L.-gutes liegen ebenfalls beim L.-nehmer. Selbst wenn die Sache durch Dritte mutwillig beschädigt und damit unbrauchbar wird oder gar gestohlen wird, kann er (außer beim KfzL.) den Vertrag nicht vorzeitig kündigen. Der L.-nehmer hat sogar für → Zufall und → höhere Gewalt einzustehen. Neben den aufgezeigten Risiken übernimmt der L.nehmer eine Reihe von Verhaltens- und Ob-
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hutspflichten (z. B. Kfz-Unfallversicherung, Wartungsdienste), deren Verletzung ihn gegenüber dem L.-geber schadensersatzpflichtig (→ Schadensersatz) macht. Bei allen (L.-) Vertragsformen übernimmt der L.-nehmer die Vollamortisationsgarantie, das heißt die gesamten Kosten. Diese umfassen: Die Anschaffungs- und Finanzierungskosten, die Vertragskosten (sie schliessen ein: → Vertriebskosten, Kosten für Bonitäts- und Vertragsprüfung, Vorfinanzierungskosten, → Gewerbesteuer, Versicherungskosten, laufende → Verwaltungskosten, Verwertungskosten) und den Gewinnzuschlag des L.-gebers. Je nach Vertragsform gestaltet sich die volle Kostenübernahme in unterschiedlicher Weise. Beim Restwertleasing trägt der L.-nehmer das Restwertrisiko. Die realistische Einschätzung des Restwertes ist hier der eigentliche Problempunkt. Wird die → Kalkulation auf einem überhöhten Restwert aufgebaut, so ergeben sich wohl entsprechend niedrige Monatsraten, die dann aber am Vertragsende dem L.-nehmer die sich zwischen den zu hoch kalkulierten Restwert und dem tatsächlich zu erzielenden Erlös (Verkaufswert) ergebende Wertdifferenz zur Zahlung bescheren. Wird andererseits die Kalkulation auf einem zu niedrig angesetzten Restwert aufgebaut, so ergeben sich entsprechend höhere Monatsraten; von dem den zu niedrig kalkulierten Restwert übersteigenden Mehrerlös erhält der L.nehmer jedoch nur 75 Prozent. Handelt es sich um einen L.-vertrag mit Andienungsrecht, so kann dieser am Vertragsende vom L.-nehmer den Kauf des L.-gutes zu dem bei Vertragsabschluß festgelegten Restwert verlangen. Auch bei dieser Regelung ist der L.-geber eindeutig im Vorteil. Liegt nämlich der Marktwert des L.-gutes nach Ablauf des Vertrages über dem (vertraglich) festgelegten Restwert, so wird der L.-geber auf die Wahrnehmung seines Andienungsrechtes verzichten und die Chance des Mehrerlöses für sich nutzen. Entspricht der (vertraglich) festgelegte Restwert jedoch dem Marktwert oder liegt er gar darüber, wird er von seinem Andienungsrecht Gebrauch machen und vom L.-nehmer den 385
Leasing
Ankauf des L.-gutes und damit die festgelegte Restwertsumme verlangen. In der Kfz-Branche wird sehr häufig das Kilometerleasing vereinbart. Bei dieser Vertragsform richtet sich der Abschluß über eine bestimmte Kilometerleistung, derentsprechend die vom L.-nehmer zu entrichtenden Monatsraten kalkuliert werden. Mehr- oder Minderkilometer werden am Vertragsende nach einem festgelegten Satz nachgezahlt beziehungsweise rückvergütet. Hier trägt der L.-geber das Restwertrisiko. Dem L.-nehmer verbleibt lediglich das Risiko der Beschädigung oder der Zerstörung des L.-gutes. Diese Risiken sind jedoch in der Regel durch eine Versicherung (→ Vollkaskoversicherung) abgedeckt. Die → Haftung für → Mängel des L.-gutes wird gewöhnlich vom L.-geber ausgeschlossen. Der L.-geber tritt nämlich die ihm aus dem Kauf des Gutes zustehende Garantie- und Gewährleistungsansprüche an den L.-nehmer ab, der sich damit wegen eines mangelhaften L.-gutes selbst an den Lieferanten wenden muß. Es stehen dem L.nehmer dabei die Rechte des Käufers aus → Kaufvertrag bei mangelhafter Lieferung (→ Mängelhaftung) zu. Die vorzeitige Beendigung des L.-vertrages wirft immer wieder ernsthafte Probleme auf. Diese sind insbesondere dann gegeben, wenn der L.-geber infolge Zahlungsverzuges des L.-nehmers von seinem außerordentlichen Kündigungsrecht Gebrauch macht (→ Kündigung, fristlose). In diesem Fall wird der L.-nehmer gegenüber dem L.geber schadensersatzpflichtig. Die Ermittlung des → Schadens ist sehr kompliziert und für den L.-nehmer häufig nur schwer nachvollziehbar. Ganz allgemein läßt sich sagen, daß sich die Schadensersatzforderung des L.-gebers aus der Summe der restlichen L.-raten zusammensetzt, die der L.-nehmer bei störungsfreiem Vertragsablauf noch zu zahlen gehabt hätte. Da diese Summe sofort fällig ist, muß ihr Barwert ebenso wie der kalkulierte Restwert durch → Abzinsung auf den Fälligkeitstermin errechnet werden. Von dieser so ermittelten Schadensersatzsumme werden die vom L.-geber ersparten Kosten (d. s. insbeson386
lebenslanges Lernen
dere Verwaltungskosten, Risikokosten u. Objektsteuern) in Abzug gebracht. – Beim Kfz-L. mit Kilometervertrag ist der L.nehmer für den Fall, daß der Wagen ohne sein → Verschulden gestohlen wird oder Totalschaden erleidet, zu einer vorzeitigen Kündigung berechtigt. Dieses außerordentliche Kündigungsrecht steht ihm auch dann zu, wenn es im Vertrag nicht erwähnt ist. Zur Regulierung eines Unfallschadens ist der L.-nehmer ermächtigt und verpflichtet, die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag (Vollkasko) geltend zu machen. Der L.geber seinerseits ist berechtigt, aus der vom L.-nehmer beantragten und zur Abdeckung der ihm entstehenden Reparaturkosten großteils verwendeten Versicherungsleistung Ersatz für die Wertminderung seines L.-gutes zu verlangen. Lean Management ⇒ schlankes Management auf den verschiedenen betrieblichen Führungsebenen reduzierte Personalstärke in der Absicht, die einschlägige Effizienz zu steigern und die Kosten zu senken. Lebenshaltungskosten der tatsächliche → Aufwand, den Ein- und Mehr-Personen-Haushalte im Rahmen ihres → Einkommens bei vernünftiger Haushaltsführung für Ernährung, Kleidung, Wohnung, Heizung, Verkehrsmittel und sonstige kulturelle → Bedürfnisse bestreiten müssen. Lebenshaltungskostenindex ⇒ Preisindex für die Lebenshaltung der allgemein verwandte Indikator für die Preisentwicklung auf dem Konsumgütermarkt. → Warenkorb. lebenslanges Lernen 1. allgemein: Das Konzept des l. geht davon aus, dass jeder in allen Lebensphasen und allen Lebensbereichen, an verschiedenen Lernorten und in vielfältigen Lernformen lernt, sein gesamtes Leben lang. L. bezieht dabei das formale, nicht-formale und informelle Lernen ein. Verstanden wird Lernen dabei als konstruktives Verarbeiten von Informationen und Erfahrungen zu Kenntnissen, Einsichten und schließlich
lebenslanges Lernen
zu → Kompetenzen. Die Bedeutung des l. hat in den vergangenen Jahrzehnten stark zugenommen. In den vergangenen Jahren hat das l. gar Einzug in verschiedene bildungspolitische Konzepte gefunden. Etwa im österreichischen Regierungsprogramm von 2004. Auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung erarbeitete 2004 eine „Strategie für l. in der Bundesrepublik Deutschland“. 2. auf der Grundlage des → Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen (EQR): Ausgehend davon, dass Bildung für die Entwicklung der europäischen wissensbasierten Gesellschaft und Wirtschaft unverzichtbar ist, hat auch die Europäische Union die Bedeutung des l. erkannt und einen gemeinsamen europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) entwickelt, der die verschiedenen nationalen Qualifikationssysteme miteinander verknüpft. Hierzu wurden acht Niveaus von Bildung durch eine Reihe von Deskriptoren definiert, die die Lernergebnisse beschreiben, die für die Erlangung der diesem Niveau entsprechenden Qualifikationen in allen europäischen Qualifikationssystemen erforderlich sind. In der Praxis soll der EQR als Übersetzungsinstrument dienen, um Qualifikationen über europäische Grenzen hinaus verständlicher zu machen. Dabei umfasst der EQR die allgemeine und die Erwachsenenbildung, die berufliche → Aus- und → Weiterbildung sowie die Hochschulbildung. Der EQR ist mit dem im Rahmen des → Bologna-Prozesses entwickelten Qualifikationsrahmen für Hochschulbildung vollständig kompatibel. Insbesondere die EQR-Deskriptoren der Niveaus 5 – 8 beziehen sich auf die im Rahmen des Bologna-Prozesses beschlossenen Niveaus der Hochschulausbildung. Auch das europäische Bildungsprogramm für l. basiert auf dem EQR. Das Programm besteht aus den Einzelprogrammen COMENIUS (Schulbildung), ERASMUS (Hochschulbildung), LEONARDO DA VINCI (berufliche Bildung), GRUNDTVIG (Allgemeine Erwachsenenbildung) und bereichsübergreifenden Querschnittsprogrammen (politische Zusammenarbeit und Sprachenlernen) sowie der Aktion JEAN MONNET (Europäische Integration). Teilnehmende Länder sind die
Lebensversicherung
27 EU-Mitgliedstaaten, Island, Liechtenstein, Norwegen und die Türkei. Die Teilnahme der Schweiz ist geplant. M. M. B. Lebensstandard Höhe des Verbrauchs/der Ausstattung eines → privaten Haushalts oder einer Gruppe privater Haushalte von/mit → Konsumgütern. Lebensversicherung Neben den allgemeinen Rechtsgrundlagen für Versicherungen (d. s.: Bürgerliches Gesetzbuch, Versicherungsvertragsgesetz [VVG] u. die Allgemeinen und Besonderen Versicherungsbedingungen) gelten für die L. speziell die Vorschriften §§ 150 – 171 VVG sowie die Allgemeinen Lebensversicherungsbedingungen. Eine L. kann unter verschiedenen Absichten abgeschlossen werden. Ihr Grundanliegen ist wohl immer, eine finanzielle Sicherung oder Versorgung zu garantieren, so die Versorgung der Hinterbliebenen beim Tod des Versicherten, die finanzielle Absicherung für bestimmte Ereignisse (→ Berufsunfähigkeit, → Pflegebedüftigkeit, Heirat), die Sicherstellung der Erfüllung bestimmter Pflichten (Rückzahlung von → Krediten u. ä.) über den Tod des Versicherten hinaus und schließlich auch die → private Altersvorsorge durch das gebildete → Vermögen. Die Versicherungsleistung kann in der Zahlung einer einmaligen Kapitalsumme (→ Kapitalversicherung) bestehen oder in bestimmten, regelmäßig wiederkehrenden Zahlungen, einer Rente (→ Rentenversicherung). In beiden Fällen steht eine bei Vertragsabschluß vereinbarte Geldsumme zur Disposition (→ Summenversicherung). – L. werden in der Regel als → Einzelversicherungen abgeschlossen, in bestimmten Fällen als → Gruppenversicherungen. Der Eintritt des Versicherungsfalles (Tod, bestimmtes Alter) verpflichtet den Versicherer, die vereinbarte Leistung zu erbringen. Die Pflicht des Versicherungsnehmers umfaßt neben der Beitragszahlung die Information des Versicherers über bestimmte Sachverhalte (Anzeigepflicht), so insbesondere über alle Umstände, die für die Übernahme der 387
Lebensversicherung
→ Gefahr (durch den Versicherer) erheblich sind, über Veränderungen während der Laufzeit des Vertrages sowie über den Eintritt des Versicherungsfalles (→ Obliegenheiten). Die Höhe des Beitrages richtet sich nach der Ausgestaltung der Versicherung, dem Eintrittsalter des Versicherten und nach der Versicherungs- und Beitragszahlungsdauer. Die Beitragshöhe bleibt über die gesamte Laufzeit gleich. Der Versicherungsnehmer hat in der Regel zum Ende des Versicherungsjahres ein Recht auf → Kündigung des Versicherungsvertrages. Macht er von diesem Kündigungsrecht Gebrauch, so kann er wohl nicht mehr die gezahlten Beiträge zurückfordern, er hat aber Anspruch auf bestimmte garantierte Leistungen. Diese können in der Auszahlung des sogenannten → Rückkaufswertes bestehen oder in einer prämienfreien Versicherung. Die Inanspruchnahme des Rückkaufswertes ist insbesondere in den ersten Jahren wirtschaftlich wenig attraktiv, da dieser hier derart niedrig ist, daß der Kündigende einen Verlust hinnehmen muß. Der Wechsel zu einer anderen Versicherung ist unter diesen Bedingungen meist wenig lohnend. Es ist deshalb eher die Möglichkeit zu erwägen, die bisherige Versicherung in eine beitragsfreie mit herabgesetzter Versicherungssumme umzuwandeln. Dies ist dann möglich, wenn sich die Beitragszahlung bereits über einen Zeitraum von mindestens 3 Jahren erstreckte und damit ein entsprechender Rückkaufswert beziehungsweise Überschuß gegeben ist. Der Versicherer kann die vertraglich vereinbarte Leistung verweigern und den Vertrag lösen, wenn der Versicherungsnehmer mit der Beitragszahlung in Rückstand gerät oder wenn dieser Selbstmord begeht. Eine ärztliche Gesundheitsprüfung wird vom Versicherten in der Regel nur bei größeren Versicherungssummen oder bei höherem Alter verlangt. Im allgemeinen verlassen sich die Versicherer in ihrer Risikoabwägung auf die Selbstauskunft des Antragstellers. Wenn der Antragsteller dabei unwahre oder unvollständige Auskünfte gibt, obgleich eine wahrheitsgemäße Antwort für den Versicherer hinsichtlich seiner Bereit388
Lebensversicherungskredit
schaft zum Vertragsabschluß von Bedeutung gewesen wäre, kann dieser während der ersten drei Jahre nach Vertragsabschluß den Vertrag lösen. Zur Abdeckung des Berufsunfähigkeitsrisikos des Versicherungsnehmers kann die L. um eine Berufsunfähigkeits(zusatz-)versicherung ergänzt werden. Ihre Leistung besteht bei Vorliegen von → Berufsunfähigkeit in der Beitragsbefreiung für die Hauptversicherung sowie in der Zahlung einer Rente bis zur Fälligkeit der Hauptversicherung. Der Versicherungsnehmer kann dem Versicherer jederzeit Bezugsberechtigte für die im Versicherungsfall fällige Versicherungsleistung nennen (→ Bezugsberechtigung). Beiträge für eine L. (ausgenommen solche für eine fondsgebundene L.) galten bis zum 31. 12. 2004 als → Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Einkommensteuergesetz) und konnten als solche innerhalb bestimmter Höchstgrenzen als → Sonderausgaben von den zu versteuernden → Einkünften abgesetzt werden. – Nach dem zum 1. 1. 2005 in Kraft getretenen Alterseinkünftegesetz wurde dieses Steuerprivileg für ab diesem Zeitpunkt abgeschlossene Kapitallebensversicherungen aufgehoben. Auszahlungen aus Altverträgen bleiben aus Gründen des Vertrauensschutzes weiterhin steuerfrei. – Die Kapitalerträge (d. s. die Unterschiedsbeträge zwischen der eingezahlten Beitragssumme u. dem Auszahlungsbetrag) aus ab dem 1. 1. 2005 abgeschlossenen Neuverträgen müssen bei Laufzeitende versteuert werden. Die betreffende Steuer bemißt sich nach dem Alter des Versicherten und dessen persönlichem Einkommensteuersatz. Abweichend zur allgemeinen Regelung der Widerrufsfrist bei Versicherungsverträgen (§ 8 VVG) beträgt dieselbe bei L. 30 Tage (§ 152 VVG). Lebensversicherungskredit Darlehensgeschäft (→ Darlehen), bei dem dem Kunden über einen sehr langen Zeitraum von 10 bis 12 Jahren ein bestimmter Kredit zu einem im Zeitverlauf variablen → Zins gewährt und dieser (Kredit) mit einer gleichzeitig abgeschlossenen Kapitalle-
Lebensversicherungskredit
bensversicherung (→ Lebensversicherung) verbunden wird. Der Kunde zahlt über die gesamte → Laufzeit dieses Kredits lediglich Kreditzinsen und die Prämien für die → Kapitalversicherung. Die → Tilgung des Kredits fällt nicht in seinen Zuständigkeitsbereich. Sie erfolgt erst am Ende der Laufzeit aus der dort fälligen und ausgezahlten Kapitallebensversicherung. Diese Kreditform kann für den Kreditnehmer vorteilhaft sein; sie kann aber auch für diesen erhebliche finanzielle Nachteile bringen. Auf diese Gefahr hat die Bank durch entsprechende Aufklärung hinzuweisen; sie macht sich im Unterlassungsfalle schadensersatzpflichtig. Lehre ⇒ Berufsausbildung. Lehrling ⇒ Auszubildender. Lehrwerkstatt betriebspädagogische räumlich-organisatorische Einrichtung der betrieblichen → Berufsausbildung, in der dem → Auszubildenden (ggfs. auch → Praktikanten u. → Volontären) fachpraktische → Qualifikationen und fachtheoretische Kenntnisse durch → Ausbilder vermittelt werden. Leiharbeit ⇒ Leiharbeitsverhältnis ⇒ Zeitarbeit ⇒ Arbeitnehmerüberlassung. Leiharbeitsverhältnis ⇒ Leiharbeit ⇒ Arbeitnehmerüberlassung. Leihe die unentgeltliche Überlassung des Gebrauchs einer → Sache mit der Verpflichtung zur Rückgabe (§§ 598 – 604 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Der Unterschied zur → Miete besteht in der Unentgeltlichkeit; der Unterschied zum → Darlehen besteht darin, daß die Sache nur zum Gebrauch und nicht zum Verbrauch überlassen wird. – Der Entleiher hat die gewöhnlichen Erhaltungskosten der Sache zu tragen und darf dieselbe nur vertragsmäßig gebrauchen. Für Veränderungen oder Verschlechterungen, die auf vertragsgemäßen Gebrauch zurückzuführen sind, hat der Entleiher nicht auf-
Leistungszulage
zukommen (§§ 599 ff. BGB). Er haftet für jedes → Verschulden, darf die Sache nicht weiterverleihen und muß sie nach Zeitablauf oder → Kündigung zurückgeben. Bei vertragswidrigem Gebrauch und wenn der Verleiher die Sache unvorhergesehen selbst benötigt, kann dieser fristlos kündigen. Ist die Vertragsdauer weder vertraglich noch durch den Zweck bestimmt, so kann der Verleiher die Sache jederzeit zurückfordern. Leistung Menge oder Wert der im betrieblichen → Produktionsprozeß hergestellten → Güter. Leistungsbilanz Teil der → Zahlungsbilanz. Gegenüberstellung der in einer Periode (Jahr) getätigten → Exporte und → Importe an Waren und → Dienstleistungen. Leistungsgesellschaft Gesellschaft, in der sich die materiellen und sozialen Rechte und Chancen ihrer Mitglieder nach deren Beitrag zur volkswirtschaftlichen → Wertschöpfung bemessen. Leistungsgrad → Arbeitsbewertung. Leistungslohn Form des → Arbeitsentgeltes, bei der die während der Anwesenheitszeit im → Betrieb erbrachte Leistung die Berechnungsgrundlage für dasselbe abgibt. Die wichtigsten L.-formen sind der → Akkordlohn und der → Prämienlohn. Gegensatz: → Zeitlohn. Siehe auch: → Lohnformen. Leistungsprinzip marktwirtschaftlicher Verteilungsgrundsatz (→ Einkomensverteilung), wonach der Anteil des einzelnen am → Volkseinkommen sich nach seinem Leistungsbeitrag dazu gestalten soll. Leistungszulage zusätzliches Entgelt für besondere Arbeitsleistungen, so insbesondere für → Überstunden, → Nachtarbeit, → Arbeit an Sonn- und Feiertagen wie auch für besonders schmutzige, gefährliche oder sonstwie erschwerte Arbeit. 389
leitender Angestellter
leitender Angestellter → Angestellter. Leitkurs → Wechselkurs einer → Leitwährung. Leittextmethode pädagogische Organisationsform für schulische wie auch betriebliche Lernprozesse. Sie verbindet strukturierte Informationspakete (sog. Leittexte) mit einer entsprechend gestalteten (Lern-)Umgebung und dem Angebot an die Lernenden, die erforderlichen Lernformen und Lernzeiten frei zu wählen. Die Leittexte umfassen neben den deskriptiven Situations- und Problemvorgaben und den diese ergänzenden Erläuterungen die daran geknüpften Aufgabenstellungen sowie Hinweise auf die zu deren Lösung geeigneten Hilfsintrumente. Hinzu kommen die für die einzelnen Lernschritte erforderlichen Kontrollkriterien. So gestaltet, erlaubt die L. den Lerndenden eine weitgehende Selbststeuerung des Lernvorganges. Die Aufgabe der Lehrpersonen (Lehrer/ Ausbilder) beschränkt sich im wesentlichen darauf, die Leittexte bereitzustellen, die Lernumgebung zu gestalten und mit den notwendigen Zugriffsmöglichkeiten auszustatten sowie die individuellen Lernprozesse durch Anregungen, Rückfragen, Ratschläge und aufmerksame Begleitung der Ergebniskontrollen zu begünstigen. Leitwährung → Währung eines Landes, an deren Kurs (→ Leitkurs) sich andere Länder mit ihren Währungen orientieren. Trotz zeitweiliger Ansehensverluste kommt dem US-Dollar noch immer die Funktion einer L. zu. Leitzins(en) → Basiszinssatz. Leninismus → Marxismus – Leninismus. Liberalismus, wirtschaftlicher ⇒ Wirtschaftsliberalismus „Die wirtschaftliche Freiheit hat keine Sicherheit ohne politische Freiheit, und die politische Freiheit findet ihre Sicherheit nur in der wirtschaftlichen Freiheit.“ 390
Liberalismus, wirtschaftlicher
Dieser Satz des großen deutschen Liberalen Eugen Richter (1838 – 1906) zeigt den engen Zusammenhang zwischen den politischen und ökonomischen Postulaten des Liberalismus. Der Wirtschaftsliberalismus, d. h. die Forderung nach Freihandel und → Marktwirtschaft mit geringstmöglicher Beschränkung des einzelnen in seinen ökonomischen Aktivitäten, ist kaum vom politischen und rechtsstaatlichen Liberalismus zu trennen. Dieser Zusammenhang kann von beiden Seiten her gesehen werden. Für viele frühe Liberale ist die Forderung nach Freiheit wirtschaftlicher Betätigung Ausfluß ihres Politik- und Rechtsverständnisses, das auf dem → Naturrecht beruht. Dies wird deutlich bei den frühesten Verfechtern wirtschaftlicher Freiheit, den französischen Physiokraten. Der Titel des Hauptwerkes dieser Schule, nämlich Physiocratie ou Constitution Naturelle du Gouvernement (1768) von → François Quesnay zeigt dies. Auch → Adam Smith, dessen wirtschaftsliberale Ideen im Wealth of Nations (1776) sich aus seinem moralphilosophischen Werk Theory of Moral Sentiments (1759) ergeben, ist keine Ausnahme, da sich seine Forderungen nicht nur aus ökonomischer Analyse ergeben, sondern auch aus der Forderung nach der „natürlichen Freiheit“, die jedem Bürger und damit jedem Wirtschaftsakteur zusteht. Umgekehrt entsteht gleichzeitig eine Denkrichtung, die liberale Politik- und Rechtsvorstellungen aus ökonomischen Ansätzen entwickelt. In dem Werk Introduction to the Principles of Morals and Legislation (1776) gründet der Engländer Jeremy Bentham die moralphilosophische Schule des → Utilitarismus, die ihre Prinzipien aus dem ökonomischen Axiom der individuellen → Nutzenmaximierung gewinnt und in der ebenfalls ökonomisch gedachten Forderung nach dem „größten Glück der größten Zahl“ gipfelt. Die frühen Utilitaristen setzen sich vehement für liberale Ziele in der → Wirtschaftspolitik ein. Bentham bekämpft in der Schrift Defence of Usury (1817) das Verbot des Zinswuchers; sein bedeutendster Schüler, James Mill, ist mit seiner Schrift An Essay on the Impolicy of a Bounty on the Ex-
Liberalismus, wirtschaftlicher
portation of Grain (1805) ein früher Gegner des Agrarprotektionismus. Der Utilitarismus hat für die Entwicklung des L. zwei Folgen. Zum einen kann die Betonung der Maximierung von Glück politisch der wirtschaftlichen Freiheit zuwiderlaufen. Glück könnte demnach als politisch machbar und erzwingbar betrachtet werden. Dies wird deutlich bei James Mills Sohn → John Stuart Mill, der in seinen späteren Schriften – insbesondere den letzten Ausgaben der 1848 erstmals erschienenen Principles of Political Economy – sich offen zum → Sozialismus bekennt. Hingegen bleiben die naturrechtlich orientierten Ökonomen des 19. Jh. den ursprünglichen Freiheitspostulaten treu. → Frédéric Bastiat sei genannt, der in seinem Hauptwerk Harmonies Economiques (1850) das wohl wichtigste Werk zur geistigen Fundierung des Manchester-Liberalismus (→ Manchestertum) liefert. Die Manchester-Liberalen um Richard Cobden und John Bright setzen in den 1840er Jahren die liberale freihändlerische Politik in England und Teilen Europas durch. Bastiats ökonomischer und naturrechtlicher Optimismus wird durch den so bewirkten enormen Aufschwung der Wirtschaft und die Beendigung der Not der arbeitenden Bevölkerung bestätigt. Zum anderen führt der Utilitarismus dazu, daß sich eine reine Ökonomie entwickelt, die zwar das utilitaristische Axiom individueller Nutzenmaximierung als Grundtheorem beibehält, aber sonst moralphilosophische Erwägungen vermeidet. Die Ökonomie als Einzelwissenschaft wird so endgültig etabliert. Erst gegen Ende des 19. Jh. entwickelt diese wissenschaftliche Ökonomie Impulse, die den utilitaristischen Ansatz wieder in eine liberale Richtung lenken, um den nun massiv auftretenden etatistischen Tendenzen in der Politik (z. B. Bismarcks → Sozialstaat) entgegenzutreten. Die mit → Carl Mengers Buch Grundsätze der Volkswirthschaftslehre (1871) begründete → Österreichische Schule oder Ökonomie verfeinert das utilitaristische Axiom in Form individueller Präferenzhierarchien, die eine subjektive Wert- und Preislehre fundieren und die zu
Liberalismus, wirtschaftlicher
differenziert sind, um als Grundlage einer staatlichen Glückserzwingung (die bei Bentham theoretisch möglich ist) zu dienen. Nur der → Markt kann die Koordination der Wirtschaft ermöglichen. Das von Adam Smith erstmals verwendete Argument, staatliche Lenkung der Wirtschaft setze ein Wissen voraus, für das „keine menschliche Weisheit oder Kenntnis jemals ausreichen könnte“, wird hier theoretisch begründet. Aus der Österreichischen Schule gehen entschiedene Verfechter des Liberalismus hervor. → Eugen von Böhm-Bawerk widerlegt in dem Werk Kapital und Kapitalzins (1884) die Marx’sche Mehrwerttheorie, Kernstück der sozialistischen Angriffe gegen die liberale Wirtschaftslehre, so gründlich, daß → Marx darüber den dritten Band von Das Kapital nicht veröffentlicht (der postum erscheint). Überhaupt gehören liberale Wirtschaftstheoretiker bald zu den wenigen Warnern vor dem drohenden Zeitalter des Totalitarismus. In der Zeit zwischen den Weltkriegen ist es der Österreicher → Ludwig von Mises, der mit einem rein ökonomischen Liberalismus die Prinzipien von Freiheit, → Eigentum und Marktwirtschaft aufrechterhält. Liberalismus sei nur angewandte Nationalökonomie. Zu seinen grossen Verdiensten gehört der auf Basis der Menger’schen Werttheorie geführte Beweis, daß → Planwirtschaften vor einem unlösbaren Kalkulationsproblem stünden, das langfristig ihr Scheitern bewirke. Mises’ Schüler → Friedirch A. von Hayek weist in dem im Londoner Exil verfassten Buch Road to Serfdom 1944 nach, daß sowohl der nationalsozialistische als auch der stalinistische Totalitarismus Produkt einer schrittweisen Erosion der Marktwirtschaft seien. Mit der wirtschaftlichen Freiheit seien alle anderen Freiheiten zerstört worden. Die Erfahrungen mit den Totalitarismen des 20. Jh. führen nach dem 2. Weltkrieg zu einer Renaissance des Liberalismus, bei der besonders der Schutz wirtschaftlicher Freiheit durch die staatliche Ordnung betont wird. Die wichtigsten Repräsentanten dieser Neo- oder Ordo-Liberalismus genannten Richtung sind der Amerikaner Frank H. Knight und die Deutschen → Wilhelm 391
Liberalismus, wirtschaftlicher
Röpke und → Walter Eucken. Letztere haben entscheidenden Anteil an der geistigen Vorbereitung des deutschen „Wirtschaftswunders“. Seither gab es viele Versuche, den Wirtschaftsliberalismus moralphilosophisch zu fundieren. Hayeks The Constitution of Liberty (1960), das ein evolutionär gewachsenes (nicht legislativ gesetztes) Recht als Voraussetzung der Marktwirtschaft sieht, sei genannt – ebenfalls das Buch Anarchy, State, Utopia (1973) des US-Philosophen Robert Nozick, das aufgrund einer minimalstaatlichen Vertragstheorie die Selbstbstimmung des einzelnen in den Vordergrund stellt. Umgekehrt ist auch die ökonomische Analyse politischer Institutionen und Prozesse bei vielen Wirtschaftsliberalen in den Blickpunkt gerückt. Die → Public ChoiceÖkonomie (z. B. der Amerikaner → James Buchanan) untersucht u. a. die Frage, worin die Ursachen liegen, daß der Staat sich bisher kaum auf das für Liberale notwendige Minimum der Sicherung der Rechts-, Friedens- und Eigentumsordnung beschränken ließ. Damit werden wichtige Impulse für die moderne liberale Verfassungstheorie geliefert. Der Liberalismus begründet damit nicht nur das in der Praxis erfolgreichste Wirtschaftssystem. Er beweist auch, daß er als geistige Kraft noch lange zukunftsweisend wirken kann. Literatur: Charles Gide/Charles Rist, Geschichte der volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen, 2. Aufl., Jena 1921; Friedrich A. Hayek, Liberalismus, Tübingen 1976; Ludwig von Mises, Die Nationalökonomie. Theorie des Handelns und Wirtschaftens, Genf 1940; ders., Wirtschaftlicher Liberalismus, in: Handbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 6, Göttingen 1959; Ralph Raico, Die Partei der Freiheit, Stuttgart 1999. Dr. Fritz Goergen, Köln Libertäre ⇒ Libertarians → Libertarismus. 392
Lieferungsverzug
Libertarianism ⇒ Libertarismus. Libertarians ⇒ Libertäre → Libertarismus. Libertarismus ⇒ Libertarianism eine von → Murray N. Rothbard begründete Bewegung, die eine radikale Erneuerung des → Liberalismus „jenseits von rechts und links“ anstrebt. Ihr polit-ökonomisches Programm geht aus dem 1973 edierten Werk „For A New Liberty – The Libetarian Manifesto“ (deutsche Erstausgabe: Eine neue Freiheit – Das libertäre Manifest, Berlin 1999) hervor. Die Anhänger dieser Bewegung werden gemeinhin als Libertarians oder (deutschsprachig) Libertäre bezeichnet. Lieferungsbedingungen im Geschäftsverkehr übliche Festlegungen zwischen Käufer und Verkäufer über spezielle Einzelheiten der Lieferung, so insbesondere über Verpackung, Liefertermin, → Erfüllungsort. Die L. können sich im Einzelfall aus dem Gesetz ergeben oder vertraglich vereinbart werden; vereinfachend werden sie häufig (zusammen mit den → Zahlungsbedingungen) im Rahmen der → Allgemeinen Geschäftsbedingungen den → Kauf- oder → Werkverträgen zugrundegelegt. Lieferungs- und Zahlungsbedingungen → Lieferungsbedingungen, → Zahlungsbedingungen. Lieferungsverzug → Verzug mit einer Lieferung (Leistung). Der L. tritt nach § 286 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) n. F. ein, wenn der Schuldner (Verkäufer) auf eine nach Eintritt der Fälligkeit der Leistung erfolgte → Mahnung des Gläubigers (Käufers) nicht liefert. Der Mahnung stehen die Erhebung der → Klage auf Leistung sowie die Zustellung eines → Mahnbescheids im → Mahnverfahren gleich. – Der Mahnung bedarf es nicht, wenn (1) für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist, (2) der Leistung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine ange-
Lieferungsverzug
messene Zeit für die Leistung in der Weise bestimmt ist, daß sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen läßt, (3) der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert, (4) aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des Verzugs gerechtfertigt ist. Der Schuldner kommt nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstandes unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat. Leistet der Verkäufer im Falle des L. nach erfolglosem Ablauf einer angemessenen Frist (soweit Fristsetzung nach §§ 323 Abs. 2 oder 281 Abs. 2 BGB n. F. nicht entbehrlich) nicht (Nichtleistung), stehen dem Käufer folgende Rechte (Lieferungsverzugsrechte) zu: (1) → Rücktritt wegen nicht oder nicht vertragsgemäß erbrachter Leistung (§ 323 Abs. 1 BGB n. F.), (2) → Schadensersatz und Rücktritt (§ 325 BGB n. F.), (3) Schadensersatz wegen Pflichtverletzung (§ 280 Abs. 1 u. 3 BGB n. F.) oder (4) Schadensersatz statt der Leistung wegen nicht oder nicht wie geschuldet erbrachter Leistung (§ 281 BGB n. F.). Lieferungsverzugsrechte → Lieferungsverzug. Limited Company (Ltd.) Laut Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 5. 11. 2002 ist die englische → Unternehmensrechtsform der L. in der gesamten → EU rechtsfähig. Mit Urteil vom 13. 3. 2003 hat sich der Bundesgerichtshof den Vorgaben des EuGH angeschlossen. Die L. ist geeignet, an die Stelle der → GmbH zu treten und damit deren bürokratische, zeitaufwendige und insbesondere haftungsrechtliche Vorgaben (Haftungskapital der L. Euro 1,50 statt Euro 25000 der GmbH!) zu umgehen. Liquidation Abwicklung der noch anstehenden Besorgungen eines (infolge → Insolvenz oder anderer Gründe) aufgelösten → Unternehmens; so insbesondere: Beendigung der noch laufenden Geschäfte, Einziehung der bestehenden → Forderungen, Umsetzung des noch vorhandenen → Vermögens in → Geld und Verteilung der so erlangten
List, Friedrich
(finanziellen) Mittel an die Anspruchsberechtigten. Liquidität flüssige (d. h. sofort verfügbare) → Zahlungsmittel. Lissabon-Erklärung die im Jahr 2000 vom Europäischen Rat in Lissabon verkündete Absicht, innerhalb von 10 Jahren die → Europäische Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Die diesbezügliche Agenda umfaßt wirtschafts- (insb. → Wachstum u. → Beschäftigung), sozial- und umweltpolitische Ziele. List, Friedrich * 1789 (Reutlingen) † 1846 (Kufstein), nach einer Professur für Staatswissenschaften in Tübingen in den Jahren 1817 bis 1819 gründet er den Deutschen Handels- und Gewerbeverein, um für eine → Zollunion in Deutschland zu kämpfen. Dies bringt ihn in Gegensatz zur württembergischen Regierung, die ihn mit Haft bedroht. Er wandert in die USA aus, wo er sich für die Schutzzollbewegung engagiert und einen erheblichen Einfluß auf die dortigen protektionistischen Ökonomen (z. B. Henry C. Carey) ausübt. Als Diplomat nach Deutschland zurückgekehrt, setzt er sich vor allem für die Schaffung eines einheitlichen Eisenbahnnetzes im Deutschen Bund und für eine starke Schutzzollpolitik ein. Der Widerspruch zwischen seiner durchaus liberalen Position in der innerdeutschen → Wirtschaftspolitik, die auf Schaffung einer Freihandelsregion abzielt, und seinen äußerst nationalistischen und protektionistischen Forderungen in der → Außenhandelspolitik findet in seinem Hauptwerk Das nationale System der politischen Ökonomie (1841) seine Erklärung. L. wendet sich darin gegen die theoretisch argumentierende klassische → Ökonomie, die in einem universell gültigen Freihandelspostulat gipfelt. L. dagegen argumentiert historisch-empirisch, wobei er zu dem Schluß gelangt, daß es die Notwendigkeit von Erziehungszöllen gibt, um weniger entwickelten Länder eine geschützte industrielle Entwicklung zu erlauben. Erst dann 393
List, Friedrich
hätten sie die historische Stufe erreicht, um am → Freihandel zu partizipieren. Dieses Argument wird auch heute noch häufig zur Rechtfertigung von → Entwicklungspolitik verwendet, obwohl seine theoretische Gültigkeit schon zu L. Zeiten (etwa im Lichte von → Ricardos Theorie des komparativen Vorteils [→ Theorie der komparativen Kosten], die die Wettbewerbsfähigkeit auch unterentwickelterer Ökonomien nachweist) und seine empirische Bestätigung in der modernen Entwicklungspolitik anzweifelbar bleiben. Obwohl L. letztlich auf eine freihändlerische Position abzielt, dienten seine Argumente bisher in der Praxis ausschließlich zur Rechtfertigung des → Protektionismus. Literatur: H. Besters (Hrsg.), Die Bedeutung Friedrich Lists in Vergangenheit und Gegenwart 1990; Chu-Song Yi, Friedrich Lists Kritik an Adam Smith, Seoul 2000; R. Gerlach, Imperialistisches und kolonialistisches Denken in der politischen Ökonomie Friedrich Lists, Hamburg 2009; A. Sommer, Friedrich Lists System der politischen Ökonomie, Jena 1927; W. Strösslin, Friedrich Lists Lehre von der wirtschaftlichen Entwicklung. Zur Entwicklungstheorie und Politik, Basel/Tübingen, 1968. D. D. Lizenz Befugnis, das → Recht eines anderen (in der Regel gegen entsprechendes → Entgelt [L.-gebühren]) zu benutzen. Lohn → Arbeitsentgelt. Lohnabtretungsklausel → Abtretung von Forderungen. Lohnabzüge die vom Bruttoarbeitsentgelt (Bruttoverdienst, → Bruttolohn) vom → Arbeitgeber vorzunehmenden und gegebenenfalls abzuführenden Abzüge. Sie umfassen: → Lohnsteuer, → Kirchensteuer, die Arbeitnehmerbeiträge zur → Kranken-, → Renten-, → Arbeitslosen und → Pflegeversicherung sowie Beträge auf Grund von → Lohnpfändung, Beträge auf Grund vertraglicher Vereinbarung der Parteien (Arbeitgeber 394
Lohnfortzahlung
und → Arbeitnehmer) über das → Arbeitsverhältnis und der diese ergänzenden gesetzlichen oder tarifvertraglichen Bestimmungen (privatrechtliche L., so z. B. wegen Schlechtleistung oder Schädigung oder kraft → Zurückbehaltungsrecht des Arbeitgebers [in den Fällen, in denen diesem eine Gegenforderung gegenüber dem Arbeitnehmer zusteht] oder wegen → Abtretung einer Lohnforderung durch den Arbeitnehmer an einen Dritten), Beiträge an → Unterstützungskassen, Beiträge an → Gewerkschaften, Beiträge zur → Vermögensbildung. Lohndrift Abweichung der tatsächlich bezahlten → Löhne (→ Effektivlohn) von den tarifvertraglich vereinbarten Löhnen (→ Tariflohn). Lohnformen → Entlohnungsformen. Lohnfortzahlung Fortzahlung des → Arbeitsentgeltes im Krankheitsfall, bei Kuren und Heilverfahren sowie bei sonstigen persönlichen Hinderungsgründen. I. L. im Krankheitsfall: Bei unverschuldeter → Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit hat jeder → Arbeitnehmer für die Dauer von 6 Wochen einen gesetzlichen Anspruch auf Lohn- oder Gehaltsfortzahlung. Dieser Anspruch ist für alle Arbeitnehmer (→ Arbeiter, → Angestellte sowie die zu ihrer → Berufsausbildung Beschäftigten) einheitlich im Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfall (Entgeltfortzahlungsgesetz, EntGFzG) §§ 1 – 9 i. Verb. m. Art. 7 Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte (SozVersKorrektG) v. 1. 1. 1999 geregelt. Der Anspruch entsteht frühestens nach vierwöchiger ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses (§ 3 Abs. EntgFzG). → Krankmeldung. Die Höhe der L. richtet sich nach dem Arbeitsentgelt, das dem Arbeitnehmer bei der für ihn vorgeschriebenen regelmäßigen Arbeitszeit zusteht. Hat der Arbeitnehmer vor seiner Arbeitsunfähigkeit regelmäßig → Mehrarbeit geleistet, so gehört diese Mehrarbeitszeit – sofern sie mutmaßlich während der
Lohnfortzahlung
Zeit der Arbeitsunfähigkeit in etwa gleichem Umfang geleistet worden wäre – zur regelmäßigen lohnfortzahlungsrelevanten Arbeitszeit. Bislang geleistete → Überstunden sind nach Art. 7, 1 b) SozVersKorrektG nicht mehr lohnfortzahlungsrelevant. – Die Ansprüche der Arbeiter und der Angestellten auf Lohn-/Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall können grundsätzlich weder durch → Tarifvertrag noch durch Einzelvereinbarung zu ihrem Nachteil abgeändert werden. II. L. bei Kuren und Heilverfahren: Die Vorschriften bezüglich der L./Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall gelten für alle Arbeitnehmer (§ 1 EntgFzG) entsprechend für die Arbeitsverhinderung infolge einer Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation, die ein Träger der gesetzlichen Renten-, Kranken- oder Unfallversicherung, eine Verwaltungsbehörde der Kriegsopferversorgung oder ein sonstiger Sozialleistungsträger bewilligt hat und die in einer Einrichtung der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation stationär durchgeführt wird. Ist der Arbeitnehmer nicht Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse oder nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert, gelten die §§ 3 bis 4 a und 6 bis 8 EntgFzG entsprechend (§ 9 EntgFzG). Der Arbeitnehmer ist verpflichtet dem Arbeitgeber den Zeitpunkt des Antritts der entsprechenden Maßnahme sowie die voraussichtliche Dauer derselben wie auch deren Verlängerung mitzuteilen und ihm die einschlägigen Bescheinigungen unverzüglich vorzulegen (§ 9 Abs. 2 EntgFzG). Soweit ein Anspruch auf L. oder Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall besteht, dürfen bei Arbeitern wie bei Angestellten Kuren und Schonzeiten nicht auf den → Urlaub angerechnet werden. III. L. bei sonstigen persönlichen Hinderungsgründen: Der Anspruch auf Lohnoder Gehaltsfortzahlung steht nach § 616 BGB jedem Arbeitnehmer für den Fall zu, daß er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein → Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert wird. Solche in der Person des Arbeitnehmers liegende
Lohngestaltung, betriebliche
Gründe, die die Arbeit nicht unmöglich,aber nicht zumutbar machen, können sein: Sterbefall, Geburt oder Begräbnis in der Familie, eigene Hochzeit, eigene Silberhochzeit, goldene Hochzeit der Eltern, Arztbesuch ohne Arbeitsunfähigkeit, schwerwiegende Erkrankung von nahen Angehörigen. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes (Urteil v. 19.4.1978) stellt die Erkrankung eines im Haushalt des Arbeitnehmers lebenden Kindes unter 8 Jahren ebenfalls einen solchen Grund dar. Falls eine Betreuung des Kindes durch den Arbeitnehmer (nach ärztlichem Zeugnis) erforderlich ist, weil eine andere im Haushalt lebende Person hierfür nicht zur Verfügung steht, hat dieser bis zu 5 Tagen Anspruch auf L. Eine persönliche Verhinderung der aufgezeigten Art hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber sobald wie möglich mitzuteilen. Ein Verstoß gegen diese Pflicht führt zwar nicht zum Verlust des Lohnanspruches, kann aber schadensersatzpflichtig machen und in besondersschweren Fällen zur → Kündigung berechtigen. – Von der gesetzlichen Bestimmung zur L. bei sonstigen persönlichen Hinderungsgründen kann durch Tarifvertrag oder Einzelvereinbarung auch zum Nachteil des Arbeitnehmers abgewichen werden. Lohngestaltung, betriebliche soziale betriebliche Angelegenheit, die nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 Betriebsverfassungsgesetz dem erzwingbaren → Mitbestimmungsrecht des → Betriebsrates unterliegt. Die L. im Sinne dieser Bestimmung betrifft die Festlegung allgemeiner Grundsätze zur Lohnfindung aus Gründen der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit und Lohntransparenz. Die L. umfaßt neben dem eigentlichen → Arbeitsentgelt alle weiteren Formen des Entgeltes, die aufgrund eines → Arbeitsverhältnisses gewährt werden (so u. a. → Leistungs- u. → Erschwerniszulagen, → Altersversorgung, → Gratifikationen, → Urlaubsgelder, → Arbeitgeberdarlehen, → Personaleinkauf). Auch alle allgemeinen freiwilligen Leistungen des → Arbeitgebers, wie zum Beispiel Zulagen, die zusätzlich zum tariflich geregelten Entgelt gezahlt werden, betreffen die mitbestimmungspflichtige L. 395
Lohngleichheit
Lohngleichheit aus dem Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz abgeleiteter Grundsatz, der besagt, daß in einem → Arbeitsverhältnis für gleiche oder gleichwertige → Arbeit nicht wegen des Geschlechtes des → Arbeitnehmers eine geringere Vergütung vereinbart werden darf als bei einem Arbeitnehmer des anderen Geschlechtes. Lohngruppe Klassifikationskriterium bei der → Arbeitsbewertung anhand bestimmter Lohngruppenmerkmale. Lohngruppenverfahren → Arbeitsbewertung. Lohnkosten Summe der → Bruttolöhne, die ein → Unternehmen während eines bestimmten Zeitraumes als → Arbeitsentgelt für die mit der betrieblichen Leistungserstellung Befaßten aufwendet (⇒ Fertigungskosten). Die L. umfassen die → Fertigungseinzelkosten und → Fertigungsgemeinkosten; hinzu kommen die → Lohnnebenkosten. Lohnminderung Abzüge vom → Arbeitsentgelt durch den → Arbeitgeber. Grundsätzlich steht es dem Arbeitgeber nicht zu, einem mangelhaften Arbeitsergebnis oder einer nicht ordnungsgemäßen Arbeitsleistung durch L. zu begegnen. Dies selbst dann nicht, wenn der → Arbeitnehmer schuldhaft (→ Verschulden) handelt. Kann dem Arbeitnehmer jedoch bewußte Langsamkeit oder Schlechtarbeit nachgewiesen werden, so kann ihm nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes (Urteil v. 17.7.1970) der Lohnanspruch wegen Rechtsmißbrauch versagt werden. – Bei Akkord- oder Prämienentlohnung (→ Akkordlohn, → Prämienlohn) wird häufig tarif- oder einzelvertraglich vereinbart, daß die Vergütung nur bei mängelfreier → Arbeit gewährt wird. Eine solche Regelung ist laut Urteil des Bundesarbeitsgerichtes v. 15.3.1960 zumindest dann zulässig, wenn den Arbeitnehmer ein Verschulden an der mangelhaften Arbeitsleistung (Schlechtleistung) trifft. 396
Lohnpfändung
Lohnnebenkosten ⇒ Lohnzusatzkosten zusätzlich zum → Arbeitsentgelt vom → Arbeitgeber zu tragende → Lohnkosten. Die L. umfassen gesetzlich vorgeschriebene wie auch tarifvertraglich vereinbarte und freiwillige betriebliche Leistungen. (1) gesetzlich vorgeschriebene Leistungen: Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitgebers, Beiträge zur → Berufsgenossenschaft, Aufwendungen nach dem Mutterschutzgesetz und dem Schwerbehindertengesetz, bezahlte Feiertage und sonstige Ausfalltage; (2) tarifvertraglich vereinbarte und freiwillige betriebliche Leistungen: → Urlaub einschließlich → Urlaubsgeld, Sonderzahlungen (Gratifikationen, 13. Monatsgehalt), betriebliche → Altersvorsorge, → Vermögensbildung, Familienbeihilfen, → Ausund → Weiterbildung, Betriebsverpflegung. Lohnpfändung → Arbeitseinkommen unterliegen nach § 850 Zivilprozeßordnung (ZPO) der → Pfändung nur in dem durch §§ 850 a – 850 i ZPO bestimmten Umfang; es besteht für sie ein bestimmter Pfändungsschutz. Danach sind unpfändbar: die Hälfte des Einkommens aus → Überstunden, → Urlaubsgeld, Aufwandsentschädigung, Auslösungsgelder und sonstige soziale Zulagen für auswärtige Beschäftigungen, Weihnachtsvergütungen bis zur Hälfte des monatlichen Arbeitseinkommens (höchstens aber bis 500 Euro), Heirats- und Geburtshilfen, Erziehungsgelder, Studienbeihilfen und ähnliche Bezüge (§ 850 a ZPO). Bedingt pfändbar (d. h. bei fruchtloser Pfändung in das bewegliche Vermögen gemäß Anordnung des Vollstreckungsgerichtes, § 850 b ZPO) sind → Renten, die auf Grund von Körper- und Gesundheitsschäden gezahlt werden, sowie Unterhaltsrenten nach gesetzlicher Vorschrift. Pfändungsfrei sind im allgemeinen Arbeitseinkommen bis 990 Euro monatlich (unterste Grenze für Ledige ohne Kinder; § 850 c ZPO). Gewährt der Schuldner auf Grund gesetzlicher Verpflichtung Unterhalt (Ehegatten, frühere Ehegatten, Verwandte, nichteheliche Kinder), so erhöht sich der unpfändbare Teil des Einkommens nach
Lohnpfändung
bestimmten Sätzen. Siehe auch → Kontenpfändung von Arbeitseinkommen. Lohnpolitik Gesamtheit der Maßnahmen und Aktivitäten des Staates und der an der Lohnbildung beteiligten Parteien (d. s. insbesondere die → Arbeitsmarktparteien u. die → Betriebe), über die diese versuchen auf die Lohnbildung, die Lohnhöhe und die Lohnstruktur Einfluß zu nehmen. (1) Die staatliche L. in der Bundesrepublik Deutschland beschränkt sich weitgehend auf → Einkommenspolitik sowie auf die Vermittlung und → Schlichtung bei → Arbeitskämpfen. (2) Die L. der Arbeitsmarktparteien (→ Tarifvertragsparteien) richtet sich hauptsächlich auf den Abschluß von → Tarifverträgen; dabei sind die Zielvorstellungen von → Gewerkschaften und → Arbeitgeberverbänden von unterschiedlichen Vorgaben geprägt. (3) Die betriebliche L. bleibt weitgehend darauf beschränkt, unternehmensinterne Ergänzungen zum einschlägigen → Tarifvertrag vorzunehmen, so insbesondere übertarifliche Lohnzuschläge und zusätzliche Lohndifferenzierungen. Lohn-Preis-Spirale inflationsverursachender (→ Inflation) oder inflationsverstärkender Entwicklungsprozeß, der durch die → Überwälzung von Lohnerhöhungen auf die (Produkt-) → Preise und in der Folge durch die Erwirkung weiterer Lohnerhöhungen wegen der gestiegenen Produktpreise (usw.) ausgelöst und perpetuiert wird. Lohnquote der prozentuale Anteil der → Löhne und → Gehälter am → Volkseinkommen. Lohnsatz → Entlohnungsformen. Lohnspreizung (stärker) differenzierende Lohngestaltung im Niedriglohnbereich, d. h. für Geringqualifizierte. Lohnsteuer Bei → Einkünften aus nichtselbständiger → Arbeit (→ Gehalt, → Arbeitslohn, → Sachbezüge, → Ruhegeld u. a.) wird die → Einkommensteuer durch Abzug vom
Lohnsteuer
Arbeitslohn erhoben. Die L. ist somit eine besondere Art der Einkommensteuer (§ 38 Abs. 1 Einkommensteuergesetz [EStG]). Der → Arbeitgeber hat die L. zu berechnen, einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen (§ 38 Abs. 3 EStG). Die gesetzlichen Grundlagen der L. bilden die §§ 19, 38 – 42 EStG, die Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) von 1989 mit späteren Änderungen sowie die Lohnsteuer-Richtlinien von 2011. Nicht zum steuerpflichtigen Arbeitslohn gehören die nach §§ 3 ff. EStG steuerfreien Einkünfte des → Arbeitnehmers, wie beispielsweise Reisekostenvergütungen (aus öffentlichen Mitteln), bestimmte → Abfindungen (bis zu bestimmten Höchstbeträgen), → Wohngeldzahlungen, Jubiläumsgeschenke bis zu einer bestimmten Höhe, gesetzliche und tarifliche Zuschläge für → Sonn- und → Feiertags- sowie → Nachtarbeit (ebenfalls bis zu bestimmten Höchstgrenzen), Trinkgelder, Bergmannsprämien. Hinzu kommen bestimmte Aufwendungen des Arbeitgebers auf Grund gesetzlicher Verpflichtung für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers. Die Höhe der L. ergibt sich aus den Einkommensteuertabellen (Grund- u. Splittingtabellen) unter Zugrundelegung der Angaben der Lohnsteuerkarte. Diese wird von der Gemeindebehörde ausgestellt und weist neben Namen, Geburtstag und Wohnort des Arbeitnehmers dessen Familienstand, Religionszugehörigkeit, → Steuerklasse (in Buchstaben), die Anzahl der Kinderfreibeträge sowie gegebenenfalls vom Finanzamt auf Antrag einzutragende → Freibeträge (§ 39 a EStG) für → Werbungskosten (soweit der Arbeitnehmer-Pauschbetrag von 920 Euro überstiegen wird), → Sonderausgaben (soweit der Pauschbetrag von 36 Euro für Ledige/72 Euro für Verheiratete überstiegen wird) sowie → außergewöhnliche Belastungen aus. Etwaige Pauschbeträge für Behinderte und Hinterbliebene werden auf Antrag der Gemeindebehörde eingetragen. Voraussetzung für die vorgenannten Eintragungen ist, daß der zu berücksichtigende Betrag insgesamt 310 Euro übersteigt (§§ 39 a Abs. 4 u. 33 b EStG). Der Arbeitgeber ist 397
Lohnsteuer
verpflichtet, diese Angaben bei der monatlichen Berechnung der L. zu berücksichtigen. Falls keine Freibeträge eingetragen wurden, hat er den Arbeitnehmer-Pauschbetrag, den Sonderausgaben-Pauschbetrag, eine etwaige → Vorsorgepauschale und einen → Altersentlastungsbetrag zu berücksichtigen und die einbehaltene L. sowie die → Kirchensteuer und den → Solidaritätszuschlag an das Finanzamt abzuführen (→ Abzugsverfahren). In der L.-karte wird der unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer in → Steuerklassen eingereiht. Dabei gilt folgende Ordnung (§ 38 b EStG): – Steuerklasse I: – ledig, – verheiratet mit im Ausland lebendem Ehegatten oder dauernd getrennt lebend, – in eingetragener Lebenspartnerschaft lebend, – verwitwet oder geschieden, – die Voraussetzungen der L.-klasse III oder IV werden nicht erfüllt; – Steuerklasse II: – allein erziehend sowie die Voraussetzungen für die L.-klasse I vorliegend, – Verwitwete mit mindestens einem Kind; – Steuerklasse III: – verheiratet und nicht dauerhaft getrennt lebend, – zusammen lebende Ehegatten, von denen nur einer berufstätig ist, – es wurde die Steuerklassenkombination III/V gewählt; – Steuerklasse IV: – verheiratet und nicht dauerhaft getrennt lebend, – beide Ehegatten sind berufstätig; – Steuerklasse V: – verheiratet und nicht dauerhaft getrennt lebend, – beide Ehegatten sind berufstätig, – es wurde die Steuerklassenkombination III/V gewählt; – Steuerklasse VI: – es bestehen mehrere Arbeitsverhältnisse, 398
Lohnstückkosten
– von dem/den Arbeitgeber(n) in Ansatz gebracht, bei dem/denen keine L.-karte vorgelegt wurde. Wenn sich die Steuerklasse zu Ungunsten eines Arbeitnehmers geändert hat oder die Voraussetzungen für einen eingetragenen Freibetrag wegfallen, ist die entsprechende Eintragung auf der L.-karte zu berücksichtigen. Die Berichtigung ist von der Behörde vorzunehmen, die die Eintragung vorgenommen hat. Für den Fall, daß die im Verlauf eines Kalenderjahres vom Arbeitgeber einbehaltene L. höher war als die auf den Jahreslohn tatsächlich entfallende, wird der Unterschiedsbetrag auf Antrag des Steuerpflichtigen durch das Finanzamt rückerstattet (→ Arbeitnehmerveranlagung § 46 EStG). Ein Antrag auf → Einkommensteuerveranlagung erscheint zweckmäßig wenn: (1) der Antragsteller während des Jahres nur zeitweise gearbeitet hat (z. B. ein Student, Schüler), (2) sich die Steuerklasse zu Gunsten des Arbeitnehmers geändert hat (z. B. durch Heirat oder Geburt eines Kindes, zusätzlicher → Kinderfreibetrag), (3) Werbungskosten, Sonderausgaben etc. höher sind als die in den L.-tabellen eingearbeiteten Pauschalen beziehungsweise der Arbeitnehmer sich keine Freibeträge in die L.-karte eintragen ließ. – Die Möglichkeit, einen Antrag auf Einkommensteuerveranlagung zu stellen, endet mit dem Ablauf des zweiten Jahres, das dem Jahr folgt, für das ein Antrag gestellt wurde. Die → L.-bescheinigung, das ist die Bescheinigung über die abgeführte L.- und → Kirchensteuer, erfolgt am Jahresende durch den Arbeitgeber auf der L.-karte zusammen mit dem Ausweis der Dauer des → Arbeitsverhältnisses und des → Bruttolohnes. Lohnsteuerbescheinigung → Lohnsteuer. Lohnsteuerkarte → Lohnsteuer. Lohnstückkosten die auf eine bestimmte Produkteinheit entfallenden → Lohnkosten. Sie gelten als In-
Lohnstückkosten
dikator für die Wettbewerbsfähigkeit eines → Arbeitnehmers oder einer Gesamtheit von Arbeitnehmern zwischen einzelnen → Unternehmen, Wirtschaftszweigen oder Regionen/Ländern. Lohntarif → Tariflohn, → Lohntarifvertrag, → Tarifvertrag. Lohntarifvertrag → Tarifvertrag. Lohnzahlung Entrichtung des → Arbeitsentgeltes. Die L. erfolgt, falls keine anderen Vereinbarungen getroffen wurden, erst nach Leistung der → Arbeit, das bedeutet nach bestimmten Zeitabschnitten. Der → Arbeitnehmer hat ein Anrecht auf pünktliche L. Gewerbliche Arbeitnehmer haben (falls nichts anderes vereinbart wurde) Anspruch auf wöchentliche L., → Angestellte auf monatliche Gehaltszahlung. L. wie auch Gehaltszahlung hat in Landeswährung zu erfolgen und muß, soweit nicht Banküberweisung vereinbart wurde, dem Empfänger bar ausgezahlt werden. – Nach § 107 Gewerbeordnung (GewO) in der Fassung vom 22. 2. 1999 können Arbeitgeber und Arbeitnehmer Sachbezüge als Teil des Arbeitsentgelts vereinbaren, wenn dies dem Interesse des Arbeitnehmers oder der Eigenart des Arbeitsverhältnisses entspricht. In Anrechnung auf das Arbeitsentgelt vereinbarungsgemäß überlassene Waren sind zu ihren durchschnittlichen Selbstkosten abzurechnen. – Sachleistungen gelten steuerrechtlich als Einkommen und sind in ihrem Gegenwert wie Geldeinkommen zu versteuern. – Für die Auszahlung der Arbeitsentgelte werden Lohn- und Gehaltslisten aufgestellt. Sie weisen die Bruttoverdienste, die Abzüge (→ Lohnabzüge) und den Nettoverdienst aus. Lohnzusatzkosten ⇒ Lohnnebenkosten. Lombardierung → Verpfändung von beweglichen → Sachen und Rechten, insbesondere von → Wertpapieren, Edelmetallen, → Wechseln, Waren und → Forderungen an eine Bank (→ Kreditinstitut) (siehe dazu §§ 1204 – 1996 Bür-
LZB
gerliches Gesetzbuch) zwecks Einräumung eines → Kredites (→ Lombardkredit). Lombardkredit → Kredit einer Bank im Wege der → Lombardierung. Ltd. Abk. für: → Limited Company. Ludwig-Erhard-Stiftung e.V. wurde 1967 durch Altbundeskanzler Prof. Dr. Ludwig → Erhard in Bonn gegründet (Anschrift: Johanniterstraße 8, 53113 Bonn). Sie ist von Parteien und → Verbänden unabhängig und hat die Aufgabe, freiheitliche Grundsätze in Politik und → Wirtschaft durch staatsbürgerliche Erziehungs- und Bildungsarbeit sowie durch wissenschaftliche Tätigkeit auf dem Gebiet der → Wirtschafts- und → Ordnungspolitik zu fördern. Die wissenschaftliche Arbeit der L. dient der Fortentwicklung und Stärkung der freiheitlichen → Wirtschaftsordung. Publikationen, Vorträge und Symposien sollen in der Öffentlichkeit Verständnis für die → Soziale Marktwirtschaft wecken. Die L. unterhält ein Dokumentationszentrum über Ludwig Erhard, sein Leben und Wirken, das der zeitgeschichtlichen Erhard-Forschung Zugang zu wichtigen Quellen vermittelt. Die L. vergibt Preise für Wirtschaftspublizistik sowie für Verdienste um die Soziale Marktwirtschaft. Bei Bedarf nimmt sie zu grundsätzlichen Fragen der Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung gegenüber jedermann Stellung. Die Arbeit der L. ist nicht auf die Bundesrepublik Deutschland beschränkt. Die L. beschäftigt sich auch mit Herausforderungen aus dem Systemwechsel in Staaten des früheren Ostblocks. Besonderer Schwerpunkt ihrer Tätigkeit sind gegenwärtig der wirtschaftliche und soziale Auf bau in den neuen Bundesländern, die Wirtschaftsordnung der → Europäischen Union und der Entwicklungsländer. H. F. W. LZB Abk. für: → Landeszentralbank(en). 399
Maastricht-Kriterien
Mängel
M Maastricht-Kriterien → Staatsverschuldung. Maastricht, Verträge von → EWWU. MACH’S RICHTIG Medienkombination zur → Berufsaufklärung für Schüler der Sekundarstufe I, hrsgg. von der → Bundesagentur für Arbeit. Wurde 2008 durch das neue Medienpaket → www.planet-beruf.de ersetzt. Mängel Rechtsbegriff für Fehler in der tatsächlichen Beschaffenheit einer → Sache (Sachmängel) oder im Recht (Rechtsmängel). Je nach → Schuldverhältnis lassen sich spezielle M. ausmachen, so insbesondere beim: 1. → Kaufvertrag: Sachmängel können sich hier auf verschiedene Tatbestände beziehen. Es können Qualitätsmängel (Fehler der Sache, verdorbene Sache, technische Fehler, Bruchschäden, Fehlen einer zugesicherten Eigenschaft, z. B. kochfest, lichtecht, wasserdicht, stoß- und bruchsicher), Quantitätsmängel (Abweichung von der vertraglich vereinbarten Menge) oder Gattungsmängel (Lieferung einer anderen als der vereinbarten Sache, z. B. Pils statt Exportbier) sein. Nicht immer sind diese M. sofort bei Empfang, Übergabe der Ware erkennbar; je nachdem, ob es offene M. (bei Inaugenscheinnahme der Ware klar erkennbar; Webfehler, Farbfehler u. ä.), versteckte M. (zunächst nicht erkennbar; nicht lichtecht, nicht wasserdicht, nicht kratzfest u. ä.) oder aber sogar arglistig verschwiegene M. (vom Lieferer absichtlich verheimlichte M.; ein Unfallwagen wird wider besseres Wissen als „unfallfrei“ verkauft u. ä.) sind. Nach § 434 Abs. 1 BGB n. F. ist eine Sache frei von Sachmängeln, wenn sie bei → Gefahrenübergang die vereinbarte Beschaffenheit hat. Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist die Sache frei von Sachmängeln, wenn sie sich (1) für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet, sonst (2) für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei 400
Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Dazu gehört auch, daß die Sache den Anforderungen genügt, die der Käufer nach den öffentlichen Äußerungen des Verkäufers oder Herstellers insbesondere aus deren Werbung für dieselbe oder der Etikettierung derselben erwarten kann (§ 434 Abs. 1 Satz 3 BGB n. F.). Ein Sachmangel ist nach § 434 Abs. 2 BGB n. F. auch dann gegeben, wenn die vereinbarte Montage (der Sache) durch den Verkäufer oder dessen → Erfüllungsgehilfen unsachgemäß durchgeführt worden ist. Ein Sachmangel liegt bei einer zur Montage bestimmten Sache ferner vor, wenn die Montageanleitung mangelhaft ist, es sei denn, die Sache ist fehlerfrei montiert worden. – Die Sache ist nach § 435 BGB n. F. frei von Rechtsmängeln, wenn Dritte in Bezug auf die Sache keine oder nur die im Kaufvertrag übernommmenen Rechte gegen den Käufer geltend machen können. Einem Rechtsmangel steht es gleich, wenn im → Grundbuch ein Recht eingetragen ist, das nicht besteht. 2. → Mietvertrag (Wohnungsmiete): Beeinträchtigungen der vertragsgemäßen (Wohnungs-)Nutzung infolge auftretender M. oder des Fehlens einer zugesicherten Eigenschaft. Der Mieter hat dem Vermieter M. an der Mietsache unverzüglich mitzuteilen (§ 536 c BGB) und ihm damit Gelegenheit zu geben, diese zu beheben. Der Mieter ist seiner Pflicht, M. anzuzeigen, nur dann enthoben, wenn der Vermieter oder sein Hausmeister diese kennt, oder aber, wenn der Vermieter gar nicht in der Lage ist, den/die M. abzustellen. 3. → Reisevertrag: Nach § 651 c Abs. 1 BGB liegt ein Reisemangel immer dann vor, wenn die tatsächliche Leistung des Reiseveranstalters hinter der im Reisevertrag vereinbarten zurückbleibt. Geringfügige Abweichungen der erbrachten Leistung(en) von der/den vereinbarten Leistung(en) hat der Reisende hinzunehmen. Ob Beeinträchtigungen einer Reise durch → höhere Gewalt als Reisemangel gelten, ist in der Rechtsprechung strittig. Liegt ein Reisemangel vor, so muß der betroffene Reisende diesen melden
Mängel
und zunächst Abhilfe, das heißt Herstellung des vertragsgemäßen Zustandes verlangen. Dieses Verlangen hat er gegenüber der örtlichen Reiseleitung geltend zu machen; es sei denn, daß der Reiseveranstalter dem Reisenden in den Reiseunterlagen bestimmte andere Personen als Ansprechpartner benannt hat. Mängelanzeige vom Empfänger einer mangelhaften (→ Mängel) Leistung (z. B. Käufer [→ Kaufvertrag], Mieter, [→ Mietvertrag], Reisenden [→ Reisevertrag]) an den Leistenden, (z. B. Verkäufer, Vermieter, Reiseveranstalter) gerichtete Bekundung des/ der festgestellen Mangels/Mängel. Die M. ist Voraussetzung für die Geltendmachung entsprechender Ansprüche (→ Mängelhaftung). Mängelhaftung das Einstehenmüssen des Erbringers einer mangelhaften (→ Mängel) Leistung (z. B. Verkäufer [→ Kaufvertrag], Handwerker [→ Werkvertrag, → Reparaturvertrag]) für die Mängel derselben. Die Ansprüche des Empfängers der mangelhaften Leistung auf → Gewährleistung (→ Gewährleistungsanspüche) sind je nach Art der Mängel und des → Vertrages unterschiedlich geregelt. magisches Dreieck → wirtschaftspolitische Ziele. Mahnbescheid → Mahnverfahren. Mahnung Aufforderung eines → Gläubigers an seinen → Schuldner, die geschuldete Leistung zu erbringen. Mahnverfahren Kommt der Schuldner seiner Pflicht zur Zahlung nicht rechtzeitig nach, so empfiehlt sich für den → Gläubiger folgende Vorgehensweise: 1. außergerichtlicher M.: (1) zunächst Erinnerung an die zu begleichende Schuld durch Zusendung einer Rechnungskopie; (2) danach (falls keine Zahlung erfolgte) Mahnschreiben (→ Mahnung) mit Hinweis auf Fälligkeit der Schuld und Aufforderung zur Zahlung; (3) danach (falls keine Zahlung erfolgte) Ankündigung
Mahnverfahren
des Einzuges der Geldforderung durch → Postnachnahme oder ein → Inkassobüro; (4) danach (falls noch keine Zahlung erfolgte) Veranlassung der Postnachnahme oder → Abtretung der Forderung an ein Inkassobüro; (5) danach (falls noch immer keine Zahlung erfolgte) letztes Mahnschreiben und Androhung gerichtlicher Schritte. – 2. gerichtliches M. (§§ 688 – 703 d Zivilprozeßordnung [ZPO]): soll dem Gläubiger möglichst rasch zu einem → Vollstreckungsbescheid verhelfen. Es wird eingeleitet durch den Antrag des Gläubigers auf Erlaß eines Mahnbescheides beim zuständigen Amtsgericht (d. i. das Amtsgericht, in dessen Bezirk der Antragsteller [Gläubiger] seinen Wohnsitz bzw. seine geschäftliche Niederlassung hat). Der Mahnbescheid ist eine gerichtliche Mahnung, durch welche der Schuldner aufgefordert wird, die Schuld samt → Kosten und → Zinsen binnen einer Frist von 2 Wochen zu bezahlen oder beim Amtsgericht Widerspruch zu erheben (Widerspruchsfrist). Der Antrag auf Erlaß eines Mahnbescheides wird mit einem Formularsatz gestellt. (Gründet sich der Anspruch des Gläubigers auf eine Schuldurkunde, eine Scheck- oder Wechselforderung, so ist ein Urkunden-, Scheck- oder Wechselmahnbescheid zu erlassen.) Das Amtsgericht stellt (ohne zu prüfen, ob der vom Antragsteller erhobene Anspruch gerechtfertigt ist) den Mahnbescheid dem Schuldner zu und gibt dem Gläubiger Nachricht vom Zustellungstag. Erhebt der Schuldner Widerspruch (dies ist schriftlich bei dem Gericht, das den Mahnbescheid erlassen hat, solange möglich, wie der Vollstreckungsbescheid nicht verfügt ist), so wird der Antrag einer Partei von Amts wegen der Rechtsstreit dem für das Streitverfahrens zuständigen Gericht zur Einleitung eines → Klageverfahrens zugeleitet. Dieses Gericht fordert alsdann den Antragsteller auf, seinen Anspruch in einer Klageschrift zu begründen, und bestimmt nach Eingang dieser Begründung einen Verhandlungstermin. Erhebt der Schuldner keinen Widerspruch, so kann der Gläubiger binnen 6 Monaten nach Zustellung des Mahnbescheides beim Amtsgericht Antrag auf Erlaß des → Vollstreckungsbescheides stellen. Der Vollstreckungsbescheid 401
Mahnverfahren
kann dem Schuldner von Amts wegen durch das Gericht (z. B. durch die Post mit Zustellungsurkunde) oder auf Antrag des Gläubigers durch einen Gerichtsvollzieher zugestellt werden. Gegen den Vollstrekkungsbescheid kann der Schuldner binnen 2 Wochen nach Zustellung → Einspruch einlegen; der Rechtsstreit wird dann an dem im Mahnbescheid angegebenen Gericht des Schuldners im Wege des Klageverfahrens behandelt. Falls der Schuldner keinen Einspruch erhebt, kann der Gläubiger nunmehr → Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners betreiben. Verläuft die → Pfändung fruchtlos oder unbefriedigend, so ist der Schuldner auf Antrag des Gläubigers verpflichtet, eine eidesstattliche Versicherung über die Vollständigkeit eines von ihm aufgestellten Vermögensverzeichnisses abzugeben. Zuständig hierfür ist das Prozeßgericht. Der Gläubiger erhält auf Antrag eine Abschrift des Vermögensverzeichnisses. Erscheint der Schuldner nicht zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung oder verweigert dieselbe, so kann der Erlaß eines Haftbefehls gegen ihn beantragt werden. Die Verhaftung erfolgt durch den Gerichtsvollzieher. Die Haft darf die Dauer von 6 Monaten nicht übersteigen. – Muß der Gläubiger befürchten, daß das gerichtliche M. nicht zum Ziel führt, scheint es vorteilhafter, gleich Klage zu erheben. Mit der seit 2008 geltenden → EU-Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 wurde ein Europäisches M. eingeführt. Dieses führt bei unbestrittenen zivil- und handelsrechtlichen Geldforderungen im grenzüberschreitenden Verkehr zur Vereinfachung und Beschleunigung sowie zur Verringerung der Verfahrenskosten. Die Verordnung regelt den freien Verkehr Europäischer Zahlungsbefehle (der Zahlungsbefehl entspricht in seiner rechtlichen Konstruktion im wesentlichen dem [gerichtlichen] Mahnbescheid) in den Mitgliedstaaten (mit Ausnahme von Dänemark) durch Festlegung von Mindestvorschriften, bei deren Einhaltung die Zwischenverfahren im Vollstreckungsmitgliedstaat, die bisher für die Anerkennung und Vollstreckung erforderlich waren, entfallen. – Erhebt der Empfänger eines solchen Zah402
Malthus, Thomas Robert
lungsbefehls innerhalb von 30 Tagen keinen Widerspruch gegen denselben, erklärt das Gericht diesen für vollstreckbar. – Für die Bearbeitung von Anträgen im Europäischen M. ist in Deutschland allein das Amtsgericht Berlin-Wedding zuständig. Makroökonomie ökonomischer Gegenstandsbereich, in dem gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge untersucht werden. Zentrale Fragestellungen: Bestimmungsgründe für die Höhe des → Volkseinkommens und der → Beschäftigung, für die Konjunkturverläufe; Ursachen und Wirkungen von → Inflation; Auswirkungen von Staatsaktivitäten; Wirkungszusammenhänge des → Außenhandels. Gegensatz: → Mikroökonomie. makroökonomisch ⇒ gesamtwirtschaftlich. Malthus, Thomas Robert *1766 (Rookery, England), †1834 (Bath), ist zunächst Pfarrer, bevor er 1805 am Kollegium der Ostindischen Kompanie in Hailesbury zum ersten Professor der → Politischen Ökonomie in England wird. Sein Ruhm basiert auf der Schrift An Essay on the Principle of Population (1798), die sich gegen den optimistischen Utopismus des anarchistischen Philosophen und Romanciers William Godwin (Political Justice, 1793) wendet. Der Pessimismus des Essays gründet auf der Annahme, daß die Bevölkerung in geometrischer Progession (d. h. mit konstanten → Wachstumsraten) wachse, während die → Produktion von Nahrung nur in arithmetischer Progression (d. h. mit gleichbleibender quantitativer Zunahme, die zugleich rückläufige Wachstumsraten bedeute) zunehme. Obwohl es für diese Annahme weder zwingende theoretische Gründe noch einen allgemeingültigen empirischen Beleg gibt, übt sie einen enormen Einfluß auf die Diskussion um staatliche Geburtenkontrolle (vor allem in den USA Ende des 19. Jh.) aus. In seinem Werk Principles of Political Economy (1820) entwickelt M. eine Theorie allgemeiner Überproduktions- und Absatzkrisen (general glut), die nur durch künstliche Stimulierung der → Nachfrage
Malthus, Thomas Robert
(d. h. Überwindung der Unterkonsumption) zu bekämpfen seien. Diese Theorie, die bei ihm zu einer äußerst konservativen Rechtfertigung einer „unproduktiven“ konsumierenden Aristokratie führt, entfacht eine Kontroverse mit dem Franzosen → J. B. Say, der die Auffassung vertritt, Produktion schaffe sich immer auch Nachfrage. Trotzdem wird M. Position noch 1936 die Basis der Argumentation von → J. M. Keynes, der in seiner General Theory damit die Forderung nach staatlicher Vollbeschäftigungspolitik begründet. Literatur: C. Brinkmann (Hrsg.), Godwin – Malthus. Wirtschaftsfreiheit und Wirtschaftsgesetz in der englischen ökonomischen Klassik, Stuttgart, 1948; G. F. McCleary, The Malthusian Population Theory, London 1953; F. Oppenheimer, Das Bevölkerungsgesetz des T. R. Malthus und die neuere Nationalökonomie, Berlin/Bern 1901; H. Winkler, Malthus: Krisenökonom und Moralist, Innsbruck 1999. D. D. Management Personen mit dispositiven Tätigkeiten in der Unternehmensleitung (Top-M.) wie auch solche mit Anordnungsbefugnis auf mittleren (Middle-M.) und unteren (Lower-M.) Unternehmensebenen. Manchestertum Die Begriffe M., Manchester-Liberalismus und oft auch Manchester-Kapitalismus werden in aller Regel herabsetzend gebraucht. Sie sollen insbesondere Verhaltensweisen – meist von → Unternehmern – charakterisieren, die über das Streben nach → Gewinn/ Profit alle anderen Werte aus den Augen verloren haben. So werden dann oft Ellenbogenkapitalismus und Freibeutertum mit M. gleichgesetzt. Diejenigen, die M. in diesem Sinne verwenden, wissen nicht, daß sie das Opfer einer Meinungsmanipulation des konservativen Parteiführers und späteren britische Premierministers Benjamin Disraeli geworden sind (William Grampp, Erich Streißler). Er wollte damit eine Gruppe von Industriellen und Publizisten treffen, die sich um die Handelskammer von Manchester, dem
Manchestertum
bedeutenden britischen Industriezentrum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, gebildet hatte. Diese Gruppe trat für die Abschaffung der Getreidezölle ein, um die im Vereinten Königreich ständig und stark steigenden Getreidepreise zu bremsen. Das aber hätte die Einnahmen der Grundbesitzer getroffen. Diese Gruppe bildete das politische Rückgrat der Konservativen („Tories“) und setzte ihr Gruppeninteresse – steigende Einnahmen aus hoch gehaltenen Getreidepreisen – mit dem nationalen Interesse gleich. So lag es dann nahe, die Manchestergruppe als gewinnsüchtig oder – schlimmer noch – als Vaterlandsverräter zu ächten. Es ging dabei letztlich um den Gegensatz von → Freihandel und der Erhaltung von Privilegien für bestimmte Gruppen. In diesem Sinne hatte bereits der Nationalökonom → David Ricardo theoretische Vorarbeit geleistet. Wenn man – so seine Argumentation – der arbeitenden Klasse in England helfen wolle, so sei eine → Einkommensumverteilung über die steuerliche Abschöpfung von Gewinnen kontraproduktiv, weil über die geschmälerte betriebliche Ertragskraft die Investitionstätigkeit gemindert werde. Damit gehe aber auch die Beschäftigung zurück. Allein die Senkung der Getreidezölle könne Abhilfe schaffen, da vor allem niedrigere Lebensmittelpreise – und die Preise für Getreideprodukte determinierten das Agrarpreisniveau und damit maßgeblich auch die → Kaufkraft der Lohnbezieher – die Realeinkommen der Arbeiter ansteigen ließen. Weiter nehme so die Aufnahmebereitschaft ausländischer → Märkte für englische Industrieprodukte zu, wenn mehr Lebensmittel nach England geliefert werden könnten und damit die Exporterlöse ausländischer Produzenten stiegen. Um dieses Ziel durchzusetzen, hatte sich Ricardo ins britische Unterhaus wählen lassen. Er konnte für sein Vorhaben werben, durchsetzen konnte er es nicht – noch nicht. Der öffentliche Widerhall auf die propagandistisch geschickt aufgezogene Kampagne der Manchestergruppe wurde schließlich so stark, daß eine große Gruppe der Konservativen unter Sir Robert Peel glaubte, sich 403
Manchesterturm
gegen die Abschaffung der Getreidezölle nicht länger sperren zu können. Im Jahre 1846 wurden die Getreidezölle abgeschafft – 23 Jahre nach Ricardos Tod. Dieses Ergebnis ist um so bemerkenswerter, als sich das Unterhaus zum großen Teil aus (adeligen) Großgrundbesitzern zusammensetzte, die mit der Abschaffung der Getreidezölle zugleich ihre → Einkommen erheblich schmälerten (Alfred Kruse). Freilich spalteten sich zunächst die Konservativen – unter tätiger Mithilfe von Disraeli –, und Sir Robert Peel verlor das Amt des Premierministers. Die Manchestergruppe kämpfte aber auch für eine bessere schulische Ausbildung der Arbeiterklasse und forderte ein entsprechend stärkeres staatliches Engagement. Ein besser ausgebildeter Arbeiterstand sei zunächst ein stabilisierendes politisches Element und vor allem eine notwendige Voraussetzung für weitere Produktivitätsfortschritte. Auch hieran erkennen wir, daß die Interessen von Unternehmern und → Arbeitern in weiten Teilen zusammenfallen können. Aufregend an der Manchestergruppe war aber vor allem ein Drittes – aufregend vor allem für die im vorigen Jahrhundert dominierenden Tories. Genereller Freihandel galt der Manchestergruppe als bestmögliche Kooperation zwischen Nationen, weil so die Landwirte, Fabrikanten und Kaufleute zu möglichst produktiver Ausschöpfung der → Ressourcen angeregt und auch gezwungen würden. Daher wandte sich diese Gruppe gegen eine imperialistische Außenpolitik. Der Einsatz des Militärs und schließlich auch von Finanzmitteln zur Vorhaltung einer Infrastruktur, um die Rohstoffe und Vorräte von Kolonien ausbeuten zu können, sei letztlich kostspieliger als der Einkauf von Rohstoffen und Waren auf freien Märkten. Ganz im Gegensatz zu → Marx, Rosa Luxemburg, Lenin und deren geistigen Nachfolgern ist der Imperialismus eben nicht die Fortentwicklung des kapitalistischen Wirtschaftssystems, um den tendenziellen Fall der Profitrate zumindest vorübergehend zu stoppen, sondern das Ziel einer politischen Klasse, die so ihren Herrschaftsanspruch 404
Manko-Haftung
ausbaut und sich im Erfolg weltweiter Eroberungen sonnt. Imperialismus ist aus der Perspektive des M. gegen die vitalen wirtschaftlichen und sozialen Interessen einer Nation gerichtet. Umso überraschender, daß sich Disraelis Diffamierung einer Gruppe, die sich für die wirtschaftlichen und sozialen Interessen gerade der Arbeiterschaft, für freien Handel unter allen Völkern und für die Freiheit der Nationen allgemein eingesetzt hat, in den Köpfen gerade derjenigen festgesetzt hat, die sich für gebildet halten. Literatur: Carl Brinkmann, Richard Cobden und das Manchestertum, Berlin 1924; William D. Grampp, The Manchester School of Economics, Oxford 1960; Alfred Kruse, Art. Manchesterschule, in Handwörterbuch der Sozialwissenschaft, Bd. 7, Stuttgart u. a. 1961, S. 113 – 116; Joseph A. Schumpeter, Geschichte der ökonomischen Analyse, Bd. I, Göttingen 1965, S. 496 – 500; Erich Streißler, Macht und Freiheit in der Sicht des Liberalismus, in: Macht und ökonomisches Gesetz, hrsg. von Hans Karl Schneider und Christian Watrin, Schriften des Vereins für Socialpolitik, N. F. Bd. 74 Berlin 1973, S. 1391 – 1426. Prof. Dr. Dr. h.c. Joachim Starbatty, Tübingen Mangel → Mängel. Mangelfolgeschaden Schaden, der seinerseits die Folge eines vorausgegangenen anderen Schadens (→ Mängel) ist. Beispiel: Beim PKW-Ölwechsel wurde nur unzureichend neues Öl eingefüllt, so daß sich kurz darauf die Kolben des Motors festfraßen. Manko Fehlbetrag, Fehlbestand (z. B. in der Kasse oder dem Warenlager). Manko-Haftung für ein → Manko haftet der → Arbeitnehmer – falls nichts anderes vereinbart wurde – nur bei → Verschulden. Ein mit der Leitung eines → Betriebes betrauter Arbeitnehmer haftet – falls keine M. vereinbart wurde – für Kassen- und Lagerfehlbestände ohne Verursachungs- und Verschuldungs-
Manko-Haftung
Marktformen
nachweis nur dann, wenn er den alleinigen Zugang zur Kasse beziehungsweise zum Lager hatte (Urteil des Bundesarbeitsgerichtes v. 27.2.1970). Die Vereinbarung einer M. ohne Verschuldensnachweis ist nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes nur dann rechtswirksam, wenn dem erhöhten Haftungsrisiko des Arbeitnehmers ein angemessener wirtschaftlicher Ausgleich (beispielsweise ein entsprechender Gehaltszuschlag) zugeordnet wird. Manpower-Ansatz ⇒ Manpower-Requirement-Approach methodisches Konzept in der → Bildungsplanung und → Bildungsökonomie, demzufolge sich die → Qualifikation von Arbeitskräften (→ Ausbildung, → Weiterbildung) an der in Abhängigkeit vom → technischen Fortschritt und → Wirtschaftswachstum zu erwartenden arbeitsmarktspezifischen Nachfrage nach solchen zu orientieren habe. Manpower-Requirement-Approach ⇒ Manpower-Ansatz. Manteltarif die für längere Zeit gefaßte Regelung der allgemeinen → Arbeitsbedingungen (Lohngruppeneinteilung, Akkord- und Zulagesystem u. a.). → Manteltarifvertrag, → Tarifvertrag. Manteltarifvertrag → Tarifvertrag. Marketing das auf den Absatzmarkt bezogene Entscheidungsverhalten kommerzieller → UnAngebot
Nachfrage
viele
ternehmen. Es umfaßt eine spezifisch marktorientierte Denkhaltung, den Einsatz von Instrumenten zur Schaffung von Präferenzen und Wettbewerbsvorteilen am → Markt sowie eine systematische Entscheidungsfindung und deren Institutionalisierung im M.-Management (Nieschlag/ Dichtl/Hörschgen). Markt der Ort, an dem → Angebot und → Nachfrage aufeinandertreffen und zu Preisbildung und Tausch (Kauf u. Verkauf) führen. Dieses Aufeinandertreffen vollzieht sich bei „Tante Emma“ an der Ecke wie im großen Verbrauchermarkt draußen vor der Stadt, es vollzieht sich auf der „Hannover-Messe“ wie auf der Wertpapiermesse in Frankfurt. Marktbeherrschung Marktstellung eines Marktteilnehmers, die durch keinen wesentlichen → Wettbewerb beeinträchtigt wird oder als überragend einzustufen ist. Marktbeherrschende → Unternehmen unterliegen in Deutschland der → Mißbrauchsaufsicht. Marktformen → Angebot und → Nachfrage können einander in unterschiedlicher Strukturierung begegnen. Sie können sich aus vielen einzelnen Anbietern und Nachfragern rekrutieren, aus einigen wenigen oder aus je einem. Je nach Anzahl der Anbieter und Nachfrager sprechen wir von einer anderen M. Nach Heinrich von Stackelberg lassen sich im wesentlichen unten stehende Möglichkeiten unterscheiden. Siehe auch: → Marktmodelle. wenige
einer
viele
1. Vollständige Konkurrenz
2. Nachfrageoligopol
3. Nachfragemonopol
wenige
4. Angebotsoligopol
5. Zweiseitiges (bilaterales) Oligopol
6. Beschränktes Nachfragemonopol
einer
7. Angebotsmonopol
8. Beschränktes Angebotsmonopol
9. Zweiseitiges (bilaterales) Monopol 405
marktinkonform
marktinkonform Als m. gelten alle Maßnahmen, die den Preismechanismus und die durch ihn bewirkte Selbststeuerung des Wirtschaftsprozesses behindern oder aufheben. marktkonform Als m. gelten alle Maßnahmen, „die den → Preismechanismus und die durch ihn bewirkte Selbststeuerung des Wirtschaftsprozesses nicht aufheben, sondern von ihm als neue ‚Daten’ assimiliert werden“ (E. Tuchtfeld). Marktmacht die Fähigkeit „durch Vorzugspositionen auf dem → Markt anderen den eigenen Willen bei einem bestimmten Tauschakt aufzuzwingen“ (H. J. Seraphim). Siehe auch: → Marktbeherrschung. Marktmechanismus das Streben der Marktkräfte (d. s. → Angebot und → Nachfrage) nach einem Ausgleich der angebotenen/nachgefragten Gütermengen über den → Gleichgewichtspreis. Siehe auch: → Preismechanismus. Marktmodelle die idealtypische Verkürzung der Marktrealität auf eine leicht überschaubare Anzahl wesentlicher Marktbeziehungen. Der marktwirtschaftliche Preisbildungsprozeß läßt sich in idealtypischer Verkürzung am ehesten in der (fiktiven) → Marktform der vollständigen Konkurrenz aufzeigen. Hier steht einer Vielzahl von Nachfragen (→ private Haushalte) eine Vielzahl von Anbietern (kleine → Unternehmen) gegenüber. Jeder Marktteilnehmer der beiden Parteien sei hinsichtlich seiner Größe so unbedeutsam, daß er den Marktpreis nicht zu beeinflussen vermag. Es sei weiter unterstellt, daß Anbieter und Nachfrager über alle für sie bedeutsamen Faktoren des Marktgeschehens – so insbesondere das jeweilige Gut und seine Eigenschaften, die angebotene und nachgefragte Menge sowie die Güterpreise – bestens informiert seien. Es herrsche für sie vollkommene → Markttransparenz! Die Anpassungsfähigkeit der Marktteilnehmer sei unendlich schnell. – Treffen unter diesen Annahmen → Angebot 406
Markttransparenz
und → Nachfrage aufeinander, dann bildet sich ein → Preis heraus, bei dem beide, → Angebot (d. h. die angebotene Menge) und Nachfrage (d. h. die nachgefragte Menge), einander gleich sind. Dieser sogenannte Gleichgewichtspreis „räumt den Markt“, das heißt, die zu diesem Preis angebotene Gütermenge wird restlos gekauft. Die genau entgegengesetzte Situation zur vollständigen Konkurrenz, nämlich die Konkurrenzlosigkeit, begegnet uns in der Marktform des Monopols, bei dem ein Anbieter (Angebotsmonopol) oder ein Nachfrager (Nachfragemonopol) den Markt beherrscht. Für sie ist der Preis nicht mehr gegeben, sondern eine veränderbare Größe. Siehe → Angebotsmonopol. Die Marktform des Oligopols ist dadurch gekennzeichnet, daß sich nur wenige Wettbewerber den Markt teilen. Für diese wenigen Wettbewerber ist der Preis wohl nicht mehr eine vorgegebene Größe (ein Datum), aber auch nicht frei setzbar, da sie starke Konkurrenten haben. Siehe → Angebotsoligopol. Marktordnungen staatliche Eingriffe in das Marktgeschehen mittels Geboten und Verboten zum Schutz bestimmter Marktteilnehmer oder zur Beeinflussung von Güterangebot und -nachfrage. Vorwiegend Schutzfunktion haben die M. im Arzneimittel-, Lebensmittel- und Waffengesetz, wo Herstellungs- und Verwendungsverbote bestehen. Lenkungsfunktion dagegen haben die M. in den Bereichen Verkehr, Energie und insbesondere Landwirtschaft, wo bestimmte → Unternehmen Einkaufs- und Absatzmonopole (→ Monopol) besitzen. Siehe auch: → Agrarmarktordnungen. Markttransparenz (relative) Überschaubarkeit des → Marktes insbesondere die Zugänglichkeit der Informationen, die für die Kauf- und Verkaufsentscheidung des einzelnen Marktteilnehmers bedeutsam sind. Diese Informationen beziehen sich im wesentlichen auf die für die Bedarfsdeckung grundsätzlich in Frage kommenden → Sachgüter und → Dienstleistungen (Gütertransparenz), die Eigen-
Markttransparenz
schaftsmerkmale der angebotenen Sachgüter und Dienstleistungen (Nutzen- und Gebrauchswerttransparenz), ihre → Preise und ihre finanziellen Folgebelastungen (Preis- und Kostentransparenz) sowie die für ihren Bezug wissenswerten Quellen (Bezugsquellentransparenz). Marktversagen Versagen des marktwirtschaftlichen (→ Marktwirtschaft) → Preismechanismus, insbesondere dort, wo der Staat → Kollektivgüter anbietet. Marktwirtschaft ⇒ Verkehrswirtschaft ⇒ Wettbewerbswirtschaft → Wirtschaftsordnung, bei der die Abstimmung (Koordination) der individuellen Wirtschaftspläne über → Märkte erfolgt, auf denen → Wettbewerb herrscht. Neben dem Wettbewerb fundieren folgende Elemente diese Wirtschaftsordnung: → Privateigentum, freie Konsum- und Arbeitsplatzwahl, freie Spar- und Investitionsentscheidungen. In der M. sind die individuellen → Einkommen von der persönlichen Leistung und der → Marktmacht des einzelnen abhängig. Der Staat beschränkt sich darauf, lediglich → Kollektivbedürfnisse zu befriedigen. Gegensatz: → Zentralverwaltungswirtschaft. Marshall, Alfred *Clapham (1842) †Cambridge (1924), lehrt von 1885 bis 1908 → Ökonomie in Cambridge. Seine Hauptwerke The Principles of Economics (1890) und Industry and Trade (1919) machen ihn zum herausragenden Vertreter der sog. englischen Neoklassik (→ Neoklassiker). Es handelt sich dabei um eine Denkrichtung, die wieder an die theoretische Ökonomie der englischen Klassiker (→ Smith, → Ricardo etc.) anknüpfen will, die Mitte des 19. Jahrhunderts gegenüber empirischen Strömungen (z. B. die deutsche → Historische Schule) in die Defensive geraten war. Dazu übernimmt M. die neueren Erkenntnisse der Grenznutzentheorie (→ Menger, → Jevons etc.) und ergänzt diese durch eine Grenzleidtheorie, die er zu einer Neuformulierung der Kostentheorie verwendet. Kosten werden demnach durch
Marx, Karl
Arbeitsleid und Verzögerung von Genuß subjektiv bestimmt. Darüber hinaus kommt M. das Verdienst zu, zahlreiche praktische Probleme der Ökonomie theoretisch formuliert zu haben. Dazu gehört das Konstrukt der „repräsentativen Firma“. Zusammen mit den Begriffen von „internen“ und „externen“ Ersparnissen entwickelt M. damit eine umfassende Theorie der → Produktion. Wichtig ist auch die Einführung des Begriffes der Elastizität, der erklärt, warum Marktveränderungen und die Konsumenten- oder Produzentenreaktionen, die darauf folgen, sich nicht in einem festen und vorherberechenbaren Verhältnis zueinander entwickeln – etwa wenn die Schwankungen des Getreidepreises nicht dem Umfang des verursachenden Ernteausfalls entspricht. Literatur: R. Frisch, Alfred Marshall’s Theory of Value; in: Quarterly Journal of Economics, Bd. 64, 1950; H. M. Niemeier, William Stanley Jevons und Alfred Marshall. Untersuchungen zum Verhältnis von Ökonomie und Weltanschauung in der frühen englischen Neoklassik, Regensburg 1990; A. C. Pigou, Alfred Marshall and Current Thought, London 1953. D. D. Marshall-Plan nach dem amerikanischen Außenminister George C. Marshall benannter, am 3.4.1948 in Kraft getretener Plan zum wirtschaftlichen Wiederauf bau Westeuropas nach dem 2. Weltkrieg mittels amerikanischer Warenkredite und sonstiger Wirtschaftshilfe. Siehe auch: → ERP. Marx, Karl wurde am 5. Mai 1818 in Trier geboren. Sein Vater, ein Anwalt, und seine Mutter entstammten gebildeten jüdischen Familien. Vom Jurastudium, das er 1835 in Bonn aufnahm, wechselte er während seiner Berliner Jahre zum Studium der Philosophie, das er mit der Promotion abschloß. Als eigenwilliger Junghegelianer wurde er 1842 Chefredakteur der linksliberalen Rheinischen Zeitung, die 1843 wegen ihrer scharfen Staats- und Gesellschaftskritik verboten wurde. Zum Sozialisten /Kommu407
Marx, Karl
nisten wandelte er sich während seines anschließenden Aufenthalts in Frankreich, wo auch die lebenslängliche Freundschaft mit → Friedrich Engels begann. In den revolutionären Wirren des Jahres 1848 kehrte er nach Deutschland zurück und setzte seine Tätigkeit als Redakteur fort, ohne sich offen zum → Kommunismus zu bekennen, obgleich er schon zu Beginn des Jahres das Kommunistische Manifest veröffentlicht hatte. 1849 mußte er erneut Deutschland verlassen und fand auf Dauer Aufnahme in England. Neben seiner Tätigkeit als Sekretär der Internationalen Arbeiter-Assoziation 1864 – 1872 verfaßte er laufend Artikel zu politischen Tagesfragen. Im Mittelpunkt stand die revolutionäre Agitation, die durch sein Lebenswerk Das Kapital auf eine wissenschaftliche Basis gestellt werden sollte. Ohne sichtbaren Erfolg starb er am 14. März 1883 in London. In den folgenden Jahren gelang es Engels, ihn zum Führer der SPD (Parteitag 1890) zu machen, der keiner von beiden je angehört hatte. K. L. Marxismus-Leninismus meint die Lehre des → Karl Marx (1818 – 1883) und seines Freundes → Friedrich Engels (1820 – 1895), wie sie durch Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin (1870 – 1924) modifiziert worden ist. Der M. ist eine Weltanschauung, die von sich behauptet, wissenschaftlich fundiert zu sein und den Schlüssel zur Lösung aller Welträtsel zu liefern. Nicht ein Geistwesen, sondern die Materie, d. h. das Stoffliche, naturwissenschaftlich Erfaßbare, ist danach der Urgrund allen Seins. Die Entwicklung zu Höherem (vom Anorganischen zum Organischen, vom Pflanzlichen zum Tierischen, vom Tier zum Menschen) vollzieht sich gemäß den Gesetzen der Dialektik, so dem „Gesetz des Umschlags von Quantität in Qualität“. Diese Dialektik lenkt auch die Menschheitsgeschichte: Die Urgesellschaft wies paradiesische Züge auf. In ihr waren schon vier Grundfreiheiten verwirklicht: Freiheit von → Arbeits408
Marxismus-Leninismus
teilung, Entfremdung, → Privateigentum, Ausbeutung. Dann kam durch die Arbeitsteilung der Sündenfall, der die Klassenformationen der menschlichen Gesellschaft schuf (Sklaven: Sklavenhalter, Leibeigene: Feudalherren, Proletarier: Kapitalisten). Der → Kapitalismus ist die letzte Klassengesellschaft. Auch sie wird überwunden durch den Aufstand der Unterdrückten, die durch die Diktatur des Proletariats die Rückkehr zur herrschaftslosen Urgesellschaft vorbereiten. Der Sündenfall und die Klassenkämpfe hatten durchaus ihr Gutes. In Anlehnung an die Hegelsche Philosophie, wonach sich der Weltprozeß in These, Antithese und Synthese vollzieht, heißt es im Marxismus, daß die Verneinung der Urgesellschaft durch die Klassengesellschaft, insbesondere die Arbeitsteilung, die Verbesserung der Arbeitserfahrung und der Arbeitsgeräte bewirkt hat, so daß der Kapitalismus geradezu unendlichen Reichtum produziere. Da dieser im → Sozialismus/→ Kommunismus auf alle verteilt wird, finden die vier ursprünglichen Freiheiten ihre Krönung durch die Freiheit von Not und Furcht. Damit beginnt die eigentliche Menschheitsgeschichte. Bereits zu ihren Lebzeiten erwarteten Marx und Engels voll Ungeduld den Ausbruch der sozialistischen Revolution. Der knapp 50 Jahre jüngere Lenin wollte sich nicht länger auf die notwendige Automatik des Geschichtsprozesses verlassen, hielt es vielmehr für angezeigt, durch schlagkräftige Berufsrevolutionäre die Geburtswehen der alten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger gehe, abzukürzen. Dies und die lehrbuchartige Auf bereitung des Marxismus ergibt den M. Kritik: Der M. ist keine Wissenschaft, sondern eine verweltlichte Ersatzreligion. Die Lehre des Karl Marx ist nicht das Ergebnis eines langen Gelehrtenlebens, vielmehr Ausfluß einer außergewöhnlichen Phantasie, der die Wirklichkeit keine Schranken setzt, eines schier maßlosen Selbstbewußtseins, das alles Überkommene verachtet, und einer schier unstillbaren revolutionären Sehnsucht.
Marxismus-Leninismus
Die dialektischen „Gesetze“ sind naturwissenschaftlich Humbug. Das Marxsche Geschichtsbild ist in allen wesentlichen Punkten wirklichkeitsfern. Der Kommunismus ist nicht der Beginn der eigentlichen Menschheitsgeschichte, vielmehr haben sich rund 70 Jahre nach der ersten sozialistischen Revolution (1917) die meisten der ehemals marxistisch-leninistischen Staaten ihrer von oben verordneten Diesseitsreligion entledigt. Literatur: Kalokowski, Leszek, Die Hauptströmungen des Marxismus. Entstehung, Entwicklung, Zerfall, München 1981, 3 Bde., hier insbes. Bd. 1; Löw, Konrad, Die Lehre des Karl Marx. Dokumentation-Kritik, Köln 2. A., 1989; ders., Marx und Marxismus. Eine deutsche Schizophrenie. Texte, Thesen, Quellen, München 2001; Marx, Karl/Engels, Friedrich, Marx/Engels-Werke, 42 Bände, Berlin (Ost) 1956 ff. Prof. Dr. Konrad Löw, Bayreuth Massegläubiger Gläubiger im → Insolvenzverfahren, die vorrangig vor allen übrigen Insolvenzgläubigern volle Befriedigung ihrer → Forderungen aus der → Insolvenzmasse verlangen können (§§ 53 – 55 Insolvenzordnung). Es handelt sich dabei ausschließlich um Ansprüche, die durch das Insolvenzverfahren oder während desselben entstehen, so insbesondere Kosten des Insolvenzverfahrens und → Masseverbindlichkeiten. Massenentlassung ist nach § 17 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz dann gegeben, wenn: (1) in → Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 → Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer, (2) in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern 10 Prozent der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer, (3) in Betrieben mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern mindestens 30 Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen entlassen werden. → Kündigungsschutz I., 3. Massenfertigung ⇒ Massenproduktion
Mehrarbeit
industrielles Produktionsverfahren, bei dem die Fertigung in großer Stückzahl erfolgt und damit – infolge des abnehmenden Anteils der → Fixkosten am produzierten Stück – zu sinkenden → Stückkosten. Siehe auch: → Kostentheorie. Massenproduktion ⇒ Massenfertigung. Masseverbindlichkeiten nach § 53 InsO die Kosten des Insolvenzverfahrens sowie die sonstigen M. gemäß § 55 InsO. Material Sammelbegriff für alle in den → Produktionsprozeß eingehenden Stoffe; das sind: → Rohstoffe, → Hilfsstoffe, → Betriebsstoffe, Fertigteile, Kleinmaterial u. a. Materialgemeinkosten die mit der Beschaffung, Prüfung, Lagerung und Abnahme des Materials verbundenen → Kosten. Sie umfassen insbesondere die → Personalkosten der im Einkauf, im Lager und mit der Prüfung beschäftigten Personen, → Abschreibungen und Instandhaltung der Lagergebäude und Lagereinrichtungen, anteilige Versicherungskosten für Lager und Bestände, Heizungs- und Beleuchtungskosten, → Verzinsung des in den Lagerbeständen investierten → Kapitals. Materialkosten Summe von → Einzelkosten für Material und → Materialgemeinkosten. Maximalprinzip → ökonomisches Prinzip. Mehrarbeit die über die gesetzliche → Arbeitszeit hinaus geleistete → Arbeit. Der → Arbeitgeber ist in beschränktem Umfang im Rahmen seines → Direktionsrechtes zur Anordnung von M. berechtigt; er hat dabei jedoch die besonderen Schutzbestimmungen (z. B. für Jugendliche, Frauen) zu beachten. Teilzeitbeschäftigte (→ Teilzeitarbeitsverhältnis) sind in der Regel nicht zu M. verpflichtet. Die Zeiteinteilung von M. unterliegt der Mitbestimmung des → Betriebsrates (§ 87 Abs. 1 Ziff. 3 Betriebsverfassungsgesetz). M. ist vergütungspflichtig. 409
Mehrwertsteuer
Mehrwertsteuer ⇒ Umsatzsteuer. Meistbegünstigung → Meistbegünstigungsprinzip. Meistbegünstigungsprinzip Außenhandelsprinzip, demzufolge sich ein Land einem Partnerland gegenüber verpflichtet, die gleichen Zollvergünstigungen zu gewähren, die es dem meistbegünstigten Drittland einräumt. Die Meistbegünstigungsklausel des → GATT-Abkommens verlangt die Weitergabe von Zollsenkungen an alle Mitgliedsländer; sie wurde 1995 von der → WTO übernommen. → Zollunionen und → Freihandelszonen sowie allgemeine Handelspräferenzen gegenüber → Entwicklungsländern unterliegen nicht dieser Bestimmung. Meister-BAföG → Ausbildungsförderung → Berufsförderung. Menger, Carl *1840 (Neusandez) †1921 (Wien). Zunächst als Journalist, dann als Erzieher des österreichischen Kronprinzen Rudolph tätig, wird M. 1879 Professor der Nationalökonomie in Wien. In seinem Hauptwerk Grundsätze der Volkswirtschaftslehre (1871) entwickelt er unabhängig von → W. Stanley Jevons und → Hermann Heinrich Gossen eine auf dem Prinzip des → Grenznutzen basierende theoretische Fundierung der → Wirtschaftswissenschaft, die sich bei ihm vollständig auf einige axiomatische Theoreme ableiten läßt. Grundlage seiner Theorie ist die Wertlehre. Er wird damit zum Begründer der → Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Während die bisherige → Ökonomie im Gefolge von → Adam Smiths äußerst problematischer Unterscheidung von natürlichem → Preis (der sich aus objektiven Vorleistungen ergibt) und Marktpreis (der sich aus der → Nachfrage ergibt) spätestens bei → Marx zu einer Rehabilitierung prä-moderner Vorstellungen vom objektiven (gerechten) → Wert führt, schafft M. eine Theorie, die auch makroökonomische Vorgänge aus einer rein subjektiven Wertlehre mikroökonomisch erfaßt. Der damit verbundene radikal theoretisch argumentierende me410
MERCOSUR
thodologische → Individualismus M. erregt den Widerspruch der Vertreter der rein empirischen → Historischen Schule der Deutschen Nationalökonomie. Insbesondere mit Gustav Schmoller trägt M., der seine Position hierbei in dem Buch Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften und der politischen Oekonomie insbesondere (1883) darlegt, einen heftigen Methodenstreit aus. Viele große österreichische Ökonomen gehen aus seiner Schule hervor, etwa → Eugen von Böhm-Bawerk, → Ludwig von Mises und der Nobelpreisträger → Friedrich August von Hayek. Vor allem in Amerika findet sein Denken heute besonderen Anklang (Israel Kirzner, → Murray Rothbard, etc.). Literatur: F. A. v. Hayek, Carl Menger; in: ders., The Collected Works of F. A. Hayek, Bd. 3, Chicago 1992, S. 96 ff.; G. Ritzel, Schmoller versus Menger. Eine Analyse des Methodenstreits im Hinblick auf den Historismus in der Nationalökonomie, Offenbach 1951; J. Dobretsberger, Zur Methodenlehre Carl Mengers und der österreichischen Schule, in: Neue Beiträge zur Wirtschaftstheorie. Festschrift für Hans Mayer, Wien, 1949; I. Kirzner, Carl Menger and the Subjectivist Tradition in Economics; in: ders., The Meaning of Market Process, London/ New York 1992, S. 70 ff.; G.-P. Sandye, Evolution of Austrian Economics: From Menger to Lachmann, London/New York 1999. D. D. Menschenbild Vorstellungskomplex vom Wesen des Menschen. Siehe hierzu insbesondere: → Homo oeconomicus, → Individualismus (→ Liberalismus), → Kollektivismus (→ Sozialismus). MERCOSUR Abk. für Mercado Commún del Sur; Mitgliedstaaten des 1991 gegründeten gemeinsamen Marktes (→ Zollunion) sind: Argentinien, Brasilien, Paraquay, Uruguay und Venezuela. Assoziierte Staaten sind: Bolivien, Chile, Peru, Kolumbien und Ecuador. Als vorrangiges Ziel gilt die Schaffung eines gemeinsamen Marktes mit freiem Verkehr von Gütern, Dienstleistungen und Produkti-
MERCOSUR
onsfaktoren zwischen den Mitgliedstaaten, u. a. durch die Abschaffung von → Zöllen, nicht-tarifären Handelshemmnissen und jedweden Maßnahmen gleicher Wirkung. Der M. und die → Europäische Union haben 1995 ein Assoziationsabkommen getroffen, welches als Vorstufe zum Abschluß eines Freihandelsabkommens (→ Freihandelszone) gilt. Die einschlägigen Verhandlungen sind seit 2004 über Fragen der Öffnung des Europäischen Marktes für Agrarprodukte aus den M.-Ländern ins Stocken geraten. meritorische Güter → Güter zur Befriedigung von → Bedürfnissen, die beim einzelnen häufig nicht in wünschenswertem (!) Umfang ausgeprägt sind (z. B. Theater, Museen, Bildung). Diese auf R. A. Musgrave zurückreichende Unterscheidung steht in deutlichem Gegensatz zum Konzept der → Konsumentensouveränität.
Mietvertrag
einheiten. Siehe auch: → Verhaltensökonomie. Midijobs → geringfügige Beschäftigungsverhältnisse. Miksch, Leonhard 1901 – 1950, Nationalökonom; lehrte in Frankfurt a. M., Mannheim und Freiburg i. Brsg. (bis 1950). Vertreter des → Neoliberalismus. Herausragende Publikationen: Gibt es eine allgemeine Überproduktion? (1929), Wettbewerb als Aufgabe (1927, 2. Aufl. 1947). Miete ⇒ Mietvertrag. Mieterhöhung → Mietvertrag. Mieterschutz → Kündigungsschutz II.
Merkantilismus → Wirtschaftsordnung, die insbesondere zwischen 1600 und 1750 in den absolutistischen Staaten Westeuropas praktiziert wurde. Ihr Ziel war die Mehrung des nationalen Reichtums. Zu diesem Zweck wurden die inländischen Produzenten gegenüber der ausländischen Konkurrenz durch → Schutzzölle abgeschirmt (→ Protektionismus) und der → Außenhandel staatlich gefördert, um eine → aktive Handelsbilanz zu erreichen.
Mietpreisüberhöhung → freifinanzierter Wohnraum.
Merkantilisten Anhänger des → Merkantilismus. Hervorragende Vertreter: in Frankreich: Ludwig XIV. mit Minister Colbert, in Deutschland: Friedrich der Große, in England: Oliver Cromwell.
Mietvertrag Durch den formlos gültigen gegenseitigen schuldrechtlichen M. wird zwischen Vermieter = Sacheigentümer und Mieter = Nutzer die im Gegensatz zur → Leihe entgeltliche Gebrauchsüberlassung von → Sachen (bewegliche und unbewegliche) auf bestimmte oder unbestimmte Zeit vereinbart. Miete ist nur Sachgebrauch im Gegensatz zur → Pacht, die Fruchtziehung beinhaltet und sich auch auf → Rechte beziehen kann. Durch Vorvertrag kann künftige Gebrauchsüberlassung durch Vormiete = Recht auf künftigen Eintritt in einen mit einem Dritten bereits bestehenden M., durch Mietoption = künftiger bedingungsabhängiger Vertrag, durch Doppelvermietung oder Untervermietung = Weitervermietung einer
methodologischer Individualismus wissenschaftstheoretischer Erklärungsansatz, der das Verhalten von Kollektiven, d. h. das Handeln von Gruppen und auf gesellschaftlicher Ebene, aus dem Handeln von Individuen ableitet. M.a.W.: Das Handeln von Gruppen und auf gesellschaftlicher Ebene wird aus der Zielverfolgung relevanter, individueller Entscheidungsträger erklärt. Kollektive repräsentieren aus dieser Sicht keine eigenständigen Entscheidungs-
Mietspiegel Übersichten über die ortsübliche → Miete, die von den Gemeinden und/oder den Hauseigentümer- und Mietervereinen erstellt werden. Mietverhältnis das durch einen → Mietvertrag begründete Rechtsverhältnis.
411
Mietvertrag
bereits gemieteten Sache und durch Anmietrecht = Verpflichtung des Vermieters zum Anbieten an den Berechtigten für den Fall der Gebrauchsüberlassung, vereinbart werden. Ähnliche Verträge mit Anwendung von Mietrecht sind Mietkauf, → Leasingverträge, Heimverträge usw. M. ist nach dem Reformgesetz vom 19.06.2001 geregelt in den §§ 535 bis 580 a BGB n. F. und aufgegliedert in I. Allgemeine Vorschriften, die unabhängig von der Art der gemieteten Sache für alle Arten von M. gelten; II. Vorschriften, die nur Wohnraum betreffen; III. M. über andere Sachen (Geschäftsräume, aber auch Grundstücke, registrierte Schiffe.) Alle M. unterstehen als Dauerschuldverhältnisse im besonderen Maße → Treu und Glauben, begründen somit ein besonderes Vertrauensverhältnis. Sie werden durch formfreie Vereinbarungen geschlossen, → Schriftform ist – mit Ausnahmen – zur Wirksamkeit nicht erforderlich. Der Vermieter ist zur Gebrauchsüberlassung und Sacherhaltung, der Mieter zur Zahlung der Miete und Sorgfaltspflichten bei Sachgebrauch verpflichtet. Bei Verstößen hat der Mieter Recht auf → Minderung, Zinsbefreiung, → Schadensersatz oder Aufwendungsersatz. Erhaltungsverpflichtungen des Vermieters sind vertraglich abdingbar, was meistens bei Wohnraum durch vereinbarte Pflicht des Mieters zu Schönheitsreparaturen erfolgt. Der Mieter hat diese Verpflichtung aber nur, wenn sie ausdrücklich und im Einklang mit den nach neuem Schuldrecht (§§ 305 ff. BGB) zulässigen Klauseln (Recht der → Allgemeinen Geschäftsbedingungen) vereinbart ist. Der Mieter hat die Miete pünktlich und – nach der Reform 2001 jetzt auch gesetzliche Regel – zu Beginn, spätestens bis zum 03. Werktag der einzelnen vereinbarten Zinsabschnitte zu entrichten. Maßstab für Miethöhe ist der vereinbarte Zeitabschnitt (in der Regel: Monat). 412
Mietvertrag
Erheblicher → Verzug berechtigt den Vermieter zur → fristlosen Kündigung. Der Mieter hat Obhutspflichten auf die Mietsache. Deren Verletzung gibt dem Vermieter das Recht auf Schadensersatz. Notwendige Verwendungen des Vermieters sind zu ersetzen. Gebrauchsüberlassung an Dritte (Untervermietung) bedürfen der Zustimmung des Vermieters, die dieser nur aus wichtigem Grund verweigern darf. Der M. endet durch Zeitablauf, Aufhebungsvereinbarung oder → Kündigung, zu der jede Vertragspartei berechtigt ist, gegebenenfalls fristlos bei wichtigem Grund. Wichtige Gründe einer fristlosen Kündigung sind z. B.: – Sachentzug der Mietsache durch den Vermieter; – Vertragswidriger Gebrauch der Mietsache durch den Mieter, wie z. B. Störung; – Sachgefährdung durch Vernachlässigung; – Unbefugte Gebrauchsüberlassung an Dritte; – Zahlungsverzug des Mieters. Bei Pflichtverletzungen ist fristlose Kündigung aber erst nach Ablauf einer gesetzten Abhilfefrist zulässig, es sei denn, dies verspricht keinen Erfolg (§ 543 BGB). Ersatzansprüche des Vermieters wegen Verschlechterung oder Veränderung der Mietsache und Verwendungsansprüche des Mieters auf die Mietsache verjähren in sechs Monaten nach deren Rückgabe bzw. Mietende (§ 548 BGB). Ein wesentlicher Kern des Mietrechts betrifft die Wohnraummiete. Sie nimmt nach dem Mietrechtsreformgesetz 2001 den breitesten Raum ein, zumal bisher wichtige Regelungen in Spezialgesetzen nunmehr ins BGB eingearbeitet wurden, insbesodere das frühere Miethöhegesetz (MHG). Im BGB befindet sich nun das gesamte private Wohnraummietrecht. Reformziel war ferner eine inhaltliche Anpassung an veränderte gesellschaftliche Realitäten wie gestiegenes Lebensalter, Mobilitätsanforderungen der modernen Arbeitswelt und die Zunahme neuer Lebensformen aber auch Schaffung von Anreizen zu einem umweltbewußten Verhalten der Vertragsbeteiligten.
Mietvertrag
Wechselt die Person des Vermieters durch dessen Tod oder Veräußerung der Mietsache, ändert dies nichts an dem M. Insofern gilt der Grundsatz „Kauf bricht nicht Miete“ (§ 566 BGB) für jede Form der Veräußerung. Wird nach der Überlassung an den Mieter im Zusammenhang mit einem Verkauf der Wohnung an dieser Wohnungseigentum begründet, steht dem Mieter ein allerdings nur einmaliges Vorkaufsrecht an der Wohnung zu (§ 577 BGB). Auch hat in einem solchen Fall der Erwerber erst nach Ablauf von drei Jahren das Recht zu einer Kündigung wegen Eigenbedarfs oder erforderlicher wirtschaftlicher Verwertung. Für den Wohnraummietvertrag gelten neben den allgemeinen Bestimmungen die besonderen Regelungen der §§ 549 bis 577a BGB. Die Bestimmungen gelten nicht oder nur eingeschränkt für Überlassung von – Wohnraum zu vorübergehendem Gebrauch; – möbliertem Wohnraum in vom Vermieter selbst bewohnter Wohnung; – sozialem Wohnraum bei Notbedarf; – Wohnungen in Studenten- und Jugendheimen. Nur der für länger als ein Jahr geschlossene Mietvertrag bedarf der Schriftform (§ 550 BGB). Mietkautionen sind höchstens bis zu drei Nettomonatsmieten zulässig, die der Mieter in drei gleichen monatlichen Teilzahlungen leisten muß. Kautionen sind vom Vermieter getrennt von seinem Vermögen als Spareinlage anzulegen. Andere Sicherungsvereinbarungen sind zulässig. Der Vermieter hat für Zahlungsrückstände an eingebrachten Sachen des Mieters ein Pfandrecht. Das → Vermieterpfandrecht kann durch Geldentschädigung abgewendet werden (§§ 539, 552, 562 bis 662 d BGB). Die Gebrauchsüberlassung an Dritte muß bei berechtigtem Interesse, gegebenenfalls gegen angemessene Mieterhöhung, gestattet werden, es sei denn, ein wichtiger Grund rechtfertige die Versagung. Der Mieter hat Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen auf die Mietsache zu
Mietvertrag
dulden, insbesondere auch zum Zwecke der Energieeinsparung. Mieterhöhungen sind hierauf nur im Rahmen des allgemein Üblichen zulässig (§ 554 BGB). Nach der Behinderten dienenden Bestimmung der „Barrierefreiheit“ (§ 554a BGB), wonach der Vermieter einer vom Mieter gewünschten und durchgeführten baulichen Veränderung zu einer behindertengerechten Nutzung der Mietsache in der Regel zustimmen muß, notfalls aber nur gegen Sicherheitsleistung des Mieters zum Rückbau. Mit der Reform 2001 sind die verstreuten Regelungen über die Betriebskosten nunmehr in den §§ 556 bis 556 b BGB zusammengefaßt. Auf den Mieter umlagefähige Betriebskosten sind nunmehr in der seit 1. 1. 2004 geltenden Betriebskostenverordnung geregelt und auch dort einzeln aufgeführt (BGBl. I S. 2346, 2347). Sie können wie bisher als Pauschale oder Vorauszahlung vereinbart werden. Die Berechnung hat jährlich und spätestens 12 Monate nach Ablauf des Abrechnungszeitraums zu erfolgen. Ergeben sich aufgrund der Abrechnung Veränderungen, dürfen beide Parteien eine angemessene Anpassung der vereinbarten Vorauszahlungen oder Pauschalen vornehmen. Mieterhöhungen (§§ 557ff. BGB) unterliegen Rahmenregelungen. Staffelmieten (§ 557a BGB) sind in jährlichen Intervallen unbefristet vereinbar. Mieterhöhungen können auch an den Lebenskostenindex angepaßt werden. Ansonsten verlangt das Gesetz bei Mieterhöhungen zeitliche (Kappungsgrenze jetzt 20 % innerhalb von drei Jahren) und vertragliche Grenzen und eine Überprüfung durch ein Vergleichsmietverfahren oder einen qualifizierten → Mietspiegel am Ort. Mietwucher unterliegt Straf bestimmungen in § 291 Abs. 1 StGB, § 5 Wirtschafts-Strafgesetz. Mit der Reform wurde das Eintrittsrecht bei Tod des Mieters mit Rücksicht auf die gesellschaftliche Wirklichkeit auf alle Lebenspartner – ungeachtet ihrer sexuellen Orientierung – erweitert. Mit diesen setzt sich daher automatisch das Mietverhältnis fort (§ 536 BGB). 413
Mietvertrag
Ein generelles Tierhaltungsverbot ist im Wohnraummietvertrag nicht zulässig. Es ist bei vom Mieter gewünschter Tierhaltung immer eine Interessenabwägung im Einzelfall vorzunehmen. Das Gleiche gilt für die Anbringung von Parabolantennen, die aus Gründen der Informationsfreiheit, bei ausländischen Mietern gegebenenfalls auch aus Gründen der Religionsfreiheit, nicht grundsätzlich verwehrt werden darf. Die gängige Vertragspraxis, dem Mieter die Schönheitsreparaturen aufzuerlegen, ist durch neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eingeschränkt worden. Danach sind insbesondere formularmäßig vereinbarte starre Quotenabgeltungsklauseln und starre Renovierungsfristen unzulässig und führen gegebenenfalls zur völligen Nichtigkeit der Abwälzung der Renovierungspflicht auf den Mieter. Eine so für ungültig erklärte Vertragsklausel berechtigt den Vermieter nicht, hierauf eine Mieterhöhung zu stützen. Nach wie vor gilt der bisherige Kündigungsschutz im sozialen Mietrecht. Die ordentliche Kündigung bei Wohnraummietverträgen setzt nach § 573 BGB berechtigtes Interesse des Vermieters voraus, wie schuldhafte Vertragsverletzung, Eigenbedarf, wirtschaftliche Unzumutbarkeit. Die Kündigungsfrist beträgt drei Monate für Mieter und Vermieter. Für den Vermieter verlängert sich die Frist nach fünfjähriger Mieterdauer um drei Monate auf sechs Monate, nach achtjähriger Mieterdauer um weitere drei Monate auf neun Monate. Die Kündigung bedarf der Schriftform. Für Altverträge, also vor dem 1. 9. 2001 abgeschlossene Mietverträge, gelten nach einer Entscheidung des BGH aber für den Mieter die in Mietverträgen formularmäßig wiedergegebenen und vereinbarten längeren Kündigungsfristen fort. Hierzu hat der Gesetzgeber mit Änderungsgesetz vom 26. Mai 2005 ausdrücklich bestimmt, daß für Kündigungen von Altmietverträgen, die ab dem 1. Juni 2005 zugehen, die neue dreimonatige Kündigungsfrist des Mieters nicht gilt, wenn in diesen Verträgen längere Kündigungsfristen durch Allgemeine Geschäftsbedingungen vereinbart worden sind 414
Mietvertrag
(BGBl. I S. 1425). Die Kündigung des Vermieters muß die Angabe der Gründe enthalten. Der Wohnraumkündigung kann der Mieter widersprechen (Sozialklausel des § 574 BGB) und die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn das Mietvertragsende für ihn eine nicht zu rechtfertigende Härte bedeuten würde. Erforderlich ist eine Abwägung des Vermieter- und Mieterinteresses, über die im Zweifel das Gericht entscheidet. Neben Wohnraummietverhältnissen auf unbestimmte Zeit ist die Möglichkeit von Zeitmietverträgen bei Wohnraum allerdings nach der Reform nur noch unter bestimmten Voraussetzungen, die im Bereich des Vermieters liegen müssen, möglich. Danach kann ein Wohnraummietverhältnis auf bestimmte Zeit bei anschließendem Eigenbedarf des Vermieters, geplanten baulichen Veränderungen oder Überlassungsabsicht an Bedienstete geschlossen werden. Anders als vor der Reform endet bei Vorliegen des Befristungsgrundes das Zeitmietverhältnis, ohne daß der Mieter Verlängerung oder Fortsetzung aus sozialen Gründen verlangen kann (§ 575 BGB). Auf dem Umweg eines beiderseitigen befristeten Kündigungsverzichtes in Schriftform läßt der Bundesgerichtshof jedoch jetzt insofern auch diese Konstruktion eines Zeitmietvertrages zu. Mit der Umsetzung einer Diskriminierungsverbotsrichtlinie der EU durch das „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“ hat die Vertragsfreiheit im Mietrecht eine nicht unerhebliche Einschränkung erfahren. So besteht ein allgemeines Verbot der Benachteiligung und Diskriminierung wegen ethnischer Herkunft. Dies gilt sowohl bei Vertragsverhandlungen, Vertragsgestaltungen, der Vertragsdurchführung als auch bei der Vertragsbeendigung. Verstöße hiergegen können Ansprüche auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden begründen. Bis jetzt wird jedoch ein den Verstoß heilender Kontrahierungszwang aus dem Gesetz nicht abgeleitet. Der M. ist einer der bedeutendsten schuldrechtlichen Vertragstypen. Ein ausgewogenes Mietrecht bildet eine elementare
Mietvertrag
Grundlage eines funktionierenden Wirtschaftslebens und prägt bei Wohnraummiete entscheidend ein sozial ausgeglichenes Verhältnis zwischen Eigentümer und Nutzer. Literatur: Grundmann, Birgit, Die Mietrechtsreform, NJW 8/2001, S. 2497 ff.; Palandt, Otto, BGB-Kommentar, 69. Aufl., München 2009; Schmidt-Futterer, Wolfgang, Mietrecht, Kommentar, 9. Aufl., München 2006; Sternel, Friedemann, Mietrecht aktuell, 4. Aufl., Köln 2009. Dr. Walter Schubert, Gengenbach Mietwucher Form des → Wuchers. Mietzins Vergütung für die vertragsgemäße Gebrauchs-/Nutzungsüberlassung der vermieteten → Sachen oder Räume. Siehe auch: → Mietvertrag, → Mietpreisüberhöhung, → Mietwucher. Mikroökonomie ökonomischer Gegenstandsbereich, in dem die Verhaltensweisen einzelner → Wirtschaftseinheiten (Einzelpersonen, → Haushalte, → Unternehmen), die → Märkte einzelner → Güter (Konsumgüter-, Investitionsgütermärkte) wie auch die Beziehungen zwischen einzelnen Wirtschaftseinheiten und einzelnen Gütern untersucht werden. Gegensatz: → Makroökonomie. mikroökonomisch ⇒ einzelwirtschaftlich. Mill, John Stuart *1806 (London) †1873 (Avignon), erhält von seinem Vater, dem ebenfalls berühmten utilitaristischen Historiker und Ökonomen James Mill, eine gründliche philosophische und ökonomische Ausbildung. Zwischen 1823 und 1858 ist er in leitender Funktion bei der Ostindischen Gesellschaft tätig. Von 1856 bis 1868 sitzt er für die Liberalen im britischen Unterhaus. In seinem umfangreichen und vielseitigen Werk finden sich Schriften zur Weiterentwicklung der utilitaristischen Ethik (Utilitarianism, 1861) und zur Wissenschaftsund Erkenntnistheorie des Positivismus (A
Minderung
System of Logic, 1843). Berühmt wird vor allem sein Essay On Liberty (1859), in dem er die Entwicklung der individuellen Persönlichkeit in den Mittelpunkt stellt und die Freiheit (weitgehend) nur da eingeschränkt sehen will, wo sie die Freiheit anderer gefährdet. In seinen ökonomischen Schriften weicht er von diesem radikalen liberalen Credo bisweilen signifikant ab. Vor allem sein Hauptwerk Principles of Political Economy (1848), das ihn zum letzten Vertreter der „klassischen“ Nationalökonomie macht und für den Rest des 19. Jh. zum ökonomischen Standardwerk in England wird, stellt er die liberale Position des → Laissez-faire erheblich in Frage. Dazu trägt er vor allem seine eher künstliche Unterscheidung von → Produktion (die frei von politischer Kontrolle erfolgen soll) und → Distribution von Wohlstand (die vom Staat geregelt werden könne) bei. In späteren kleinen Schriften (z. B. Chapters on Socialism, posthum 1879) bekennt sich M. daher auch offen zum → Sozialismus, den er nicht im Widerspruch zu seinen bisherigen liberalen Grundsätzen sieht. Literatur: R. J. Halliday, Political thinkers: John Stuart Mill, London 2004; S. Hollander, The Economics of John Stuart Mill, Toronto 1986; N. B. de Marchi, The Success of Mill’s Principles; in: History of Political Economy, Vol. 6, 1974, S. 119 ff.; Pedro Schwartz, The New Political Economy of J. S. Mill, Durham 1972; E. W. Streissler (Hrsg.): John Stuart Mill, Berlin 2002. D. D. Minderentschädigung im Falle der → Unterversicherung unter der vertraglich vereinbarten Entschädigung liegende Abgeltung eines → Schadens; so insbesondere bei der → Hausrat- und Wohngebäudeversicherung und der → Reisegepäckversicherung. Minderung beim → Kauf- oder → Werkvertrag die Herabsetzung des vereinbarten Entgeltes wegen eines → Mangels der gekauften Sache beziehungsweise des hergestellten Werkes. Nach § 441 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch 415
Minderung
ist das Entgelt in dem Verhältnis herabzusetzen, in dem die/das mangelhafte Sache/ Werk wertmäßig hinter der/dem mangelfreien zurückbleibt. Ein vergleichbares Recht steht dem Mieter bei Mängeln an der Mietsache (→ Mietvertrag) oder dem Reisenden bei einem → Reisemangel (→ Reisevertrag) zu. Mindestanlagedauer → Kontensparen. Mindestkündigungsfristen I. bei → Arbeitsverhältnissen siehe → Kündigungsfristen I.; II. bei → Mietverhältnissen siehe → Kündigungsfristen II., III. bei anderen Rechtsverhältnissen siehe dort. Mindestlohn betragsmäßig bestimmtes → Arbeitsentgelt, das nicht unterschritten werden darf. Das bundesdeutsche Sozialsystem kennt keinen generell gesetzlichen M., wohl aber den branchenspezifischen tarifvertraglichen (→ Tariflohn). Die Rechtsgrundlage dieser Entgeltregelung ergibt sich aus § 3 bzw. § 8 Abs. 3 Arbeitnehmer-Entsendegesetz. – Zum garantierten M. bei → Akkordarbeit siehe: → Entlohnungsformen. Mindestpreise staatlich festgelegte (administrierte) → Preise, die nicht unterschritten, wohlaber überschritten werden dürfen. Mit der Festsetzung von M. schützt der Staat das → Angebot (z. B. landwirtschaftliche Erzeugnisse). Die M. liegen über dem Preis, der sich bei freier Preisentwicklung ergeben würde. Die Folge dieser preispolitischen Maßnahme des Staates ist ein Angebotsüberhang. Erfolgen keine weiteren Staatseingriffe, die eine Reduktion des Angebotes durch Produktionsbeschränkungen oder eine Stärkung der → Nachfrage mittels Abnahmezwang bewirken, drückt die überschüssige Angebotsmenge auf den Preis und wirkt damit der staatlichen Mindestpreispolitik entgegen. Gegensatz: → Höchstpreise. Siehe → staatliche Preispolitik. Mindestreservepolitik Maßnahmen der → Zentralbank zur Regelung der durch die → Kreditinstitute bei ihr zu unterhaltenden Pflichtguthaben (Min416
Minimalkostenkombination
destreserven). Die Mindestreserven der Kreditinstitute bemessen sich zum einen nach der Höhe ihrer Nichtbankeneinlagen, zum anderen nach dem Mindestreservesatz, der im → ESZB einheitlich auf 2 Prozent festgelegt wurde. Die Mindestreserven werden im ESZB zum Hauptrefinanzierungssatz verzinst. Die Mindestreserve ist für das ESZB ein wichtiges geldpolitisches Instrument. Es dient in erster Linie dazu, die Geldmarktzinsen zu stabilisieren und eine strukturelle Liquiditätslücke des Bankensystems herbeizuführen oder zu vergrößern. Siehe auch: → Geldpolitik. Mindestruhezeiten → Ruhezeiten. Mindesturlaub gesetzlich festgelegte Mindestdauer der jährlichen bezahlten Erholungsfreizeit (→ Urlaub). Der M. beträgt nach dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) ohne Rücksicht auf das Alter des → Arbeitsnehmers 24 Werktage; als Werktage gelten alle Kalendertage außer Sonn- und Feiertage, also grundsätzlich auch die arbeitsfreien Samstage. Von den Mindestregelungen des BUrlG kann zu Ungunsten des Arbeitnehmers nur in → Tarifverträgen abgewichen werden. Der Arbeitnehmer kann somit nicht auf seinen Urlaub verzichten (Unabdingbarkeit des M.). Besserstellungen der Arbeitnehmer durch Einzelarbeitsvertrag oder → Betriebsvereinbarungen sind zulässig. Mini-GmbH (umgangssprachlich) ⇒ Unternehmergesellschaft(UG),haftungsbeschränkt. Minijobs → geringfügige Beschäftigungsverhältnisse. Minimalkostenkombination Kostenminimierungsproblem bei der → Produktion von → Gütern. Bei dieser soll die optimale Kombination der erforderlichen → Produktionsfaktoren gefunden werden. Mit anderen Worten: Eine bestimmte Produktmenge soll mit den geringstmöglichen → Kosten beziehungsweise mit einer bestimmten Kostensumme soll die größtmögliche Produktmenge realisiert werden. → Kostentheorie.
Minimalprinzip
Minimalprinzip → ökonomisches Prinzip. Ministererlaubnis → Fusionskontrolle. Ministerkartell → Kartell. Mises, Ludwig von *1881 (Lemberg, Galizien) †1973 (New York). Anfänglich noch Anhänger der deutschen → Historischen Schule der Nationalökonomie (z. B. in Die Entwicklung des gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisses in Galizien, 1902) wird M. bald unter dem Einfluß → Eugen von Böhm-Bawerks eifriger Verfechter der → Österreichischen Schule mit ihrer rein theoretisch und mikroökonomisch begründeten subjektiven Wert- und Preislehre. Sein Werk Theorie des Geldes und der Umlaufmittel (1912) entwickelt diese Lehre weiter und wird zu einem Standardwerk in seinem Fachgebiet. In seinem Aufsatz Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen (1920) und in dem Buch Die Gemeinwirtschaft (1932) weist er nach, daß → Planwirtschaften die Grundlage zur ökonomischen Kalkulation fehlt, weshalb sie langfristig scheitern müßten. Dies führt zu heftigen Kontroversen mit sozialistischen Ökonomen wie Oskar Lange. Mit den Werken Liberalismus (1927) und Die Nationalökonomie (1940) verteidigt er konsequent die liberale → Wirtschaftsordnung. Nach der Besetzung Österreiches 1938 geht er zunächst in die Schweiz, dann in die USA ins Exil. Wegen der Radikalität seiner marktwirtschaftlichen Theorien bekommt er erst nach vielen Jahren eine Professur an der New Yorker Universität, wo er bis zur Emeritierung 1969 lehrt. In Amerika veröffentlicht er zahlreiche Schriften gegen den sozialistischen Zeitgeist (z. B. The AntiCapitalist Mentality, 1956) und zur wissenschaftstheoretischen Fundierung seiner ökonomischen Ideen (Theory and History 1957). Zahlreiche bedeutende Schüler haben sein Werk weitergeführt – etwa → Friedrich A. von Hayek (Nobelpreis 1974), Israel Kirzner und → Murray Rothbard. Literatur: Eamonn Butler, Ludwig von Mises: Fountainhead of the Modern Microeco-
Mitbestimmung
nomics Revolution, Brookfield 1988; Bettina Bien Greaves/Robert McGee, Mises: An Annotated Bibliography, Irvington 1991; Jörg Guido Hülsmann, Mises: The Last King of Liberalism, Auburn 2007; Murray N. Rothbard, Ludwig von Mises: Scholar, Creator, Hero, Auburn, 1988; Albert H. Zlabinger, Denker der Freiheit: Ludwig von Mises, St. Augustin 1994. D. D. Mißbrauchsaufsicht Befugnis des → Bundeskartellamtes zur Wahrung eines wirksamen → Wettbewerbs. Die Politik der M. ist darauf gerichtet, den Mißbrauch von Unternehmens- oder → Marktmacht zu verhindern. Ihre zentralen Probleme leiten sich aus § 19 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen her. Sie betreffen die Sachverhalte → Marktbeherrschung und → Mißbrauch von Marktmacht. Mißbrauch von Marktmacht liegt vor, wenn diese (→ Marktmacht) zum Nachteil anderer Marktteilnehmer eingesetzt wird. M. kann einerseits durch Diskriminierung oder Behinderung (→ Behinderungsmißbrauch), andererseits durch Ausbeutung (→ Ausbeutungsmißbrauch) betrieben werden. Mitarbeiterbeteiligung eine das reine Lohnarbeit-Verhältnis übersteigende → Partizipation des → Arbeitnehmers am arbeitgebenden → Unternehmen, so insbesondere durch Kapital- und/oder Erfolgsbeteiligung. Siehe auch: → Vermögensbildung der Arbeitnehmer. Mitbesitzer → Besitz. Mitbestimmung M. in der → Wirtschaft ist eine der ältesten Forderungen der Arbeiterbewegung und eng mit der Entwicklung der → Gewerkschaften verbunden. Sie geht zurück auf das Verlangen der Gesellenvereine des frühen 19. Jahrhunderts, die eine Beteiligung an den Entscheidungen der Fabrikherren und Handwerksmeister einforderten und an die Tradition der bis ins Mittelalter zurückgehenden Gesellenmitbestimmung in den Zünften, Gilden und Knappschaften 417
Mitbestimmung
anknüpften. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts ließ der Glaube an das baldige Ende des → Kapitalismus die Diskussion um eine M. überflüssig erscheinen. Mit dem Zweifel an der Richtigkeit der Marxschen Thesen (→ Marx) erhielten jedoch die M.-Forderungen neuen Auftrieb. Die sehr intensiven Bemühungen der → Arbeitnehmer nach dem Ersten Weltkrieg wurden durch die Zeit des Nationalsozialismus zwar unterbrochen, führten jedoch nach 1945 schnell zu gesetzlichen M.-regelungen im Rahmen der → Sozialen Marktwirtschaft, nämlich zur „Montan-Mitbestimmung“ (1951) und zum „Betriebsverfassungsgesetz“ (1952). Diese wurden seither weiter ausgebaut. Die gesetzlichen Regelungen bestehen heute in: 1. Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz) vom 4. Mai 1976 mit späteren Änderungen Es gilt für alle → Kapitalgesellschaften mit mehr als 2000 Arbeitnehmern, soweit diese Gesellschaften nicht unter die MontanM. fallen. Die M. vollzieht sich über den → Aufsichtsrat des Unternehmens, in dem die gleiche Anzahl von Vertretern der Kapitalgeber und der Arbeitnehmer sitzen. Die Arbeitnehmervertreter setzen sich aus Arbeitnehmern des Unternehmens (→ Arbeiter und → Angestellte) und aus Vertretern der Gewerkschaften zusammen. Um bei Kampfabstimmungen Patt-Situationen zu vermeiden, hat der Aufsichtsratsvorsitzende, der – falls keine Einigung über seine Person erfolgt – von den Vertretern der Kapitalseite gewählt wird, zwei Stimmen. Die Gewerkschaften sehen in dieser Regelung ihre Forderung nach ‚paritätischer M.‘ nicht erfüllt. 2. Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie (Montan-Mitbestimmung) vom 21. Mai 1951 mit späteren Änderungen Es gilt für die „Montan-Unternehmen“, d. h. Unternehmen des Bergbaus sowie der Eisen und Stahl erzeugenden (nicht verar418
Mitbestimmung
beitenden!) Industrie, soweit diese Kapitalgesellschaften sind und mehr als 1000 Arbeitnehmer beschäftigen. Durch Ergänzungsgesetze und Sicherungsvorschriften ist die Montanmitbestimmung bislang auch für einen Teil solcher Unternehmen erhalten geblieben, die sich im Zuge des wirtschaftlichen Strukturwandels vom Montanbereich weg entwickelt haben. Wie nach dem M.-gesetz vollzieht sich die M. über den Aufsichtsrat, der aus einer gleichen Anzahl von Vertretern der Kapitalgeber und der Arbeitnehmer besteht (paritätische M.). Zu dieser paritätischen Zahl von Interessenvertretern kommt ein zusätzliches Aufsichtsratsmitglied, das von beiden Seiten akzeptiert sein muss, als sogenannter „neutraler Mann“, um Patt-Situationen zu vermeiden. Den Gewerkschaften ist hier also gegenüber dem M.-gesetz eine stärkere Stellung eingeräumt. Das Montan-Mitbestimmungsergänzungsgesetz von 1956 mit späteren Änderungen erfasst in Erweiterung zum Montan-M.-gesetz Unternehmen, die selbst keine Montanunternehmen sind, aber einen Montankonzern durch Vertrag oder faktisch (d. h. tatsächlich, z. B. durch Aktienmehrheit) beherrschen (Konzernobergesellschaften). Das Gesetz findet Anwendung auf Unternehmen in der Rechtsform der → Aktiengesellschaft und der → Gesellschaft mit beschränkter Haftung, sofern mindestens ein unter das MontanMitbestimmungsgesetz fallendes Unternehmen zum Konzern gehört. 3. Betriebsverfassungsgesetz von 1952 in der Fassung vom 25. September 2001 unter Berücksichtigung des Drittelbeteiligungsgesetz vom 18. Mai 2004 Das Betriebsverfassungsgesetz von 1952 gilt, seit das M.-gesetz 1976 in Kraft ist, nur noch für Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien mit weniger als 2000 Arbeitnehmern (ausgenommen Familiengesellschaften mit weniger als 500 Arbeitnehmern) sowie für sonstige Kapitalgesellschaften und → Genossenschaften mit mehr als 500 Arbeitnehmern. Nach diesem Gesetz müssen ⅓ der Aufsichtsratsmitglieder aus Vertretern der Arbeitnehmer bestehen.
Mitbestimmung
4. Betriebsverfassungsgesetz vom 15. Jan. 1972 mit späteren Änderungen Es gilt für alle → Betriebe mit mindestens fünf ständigen Arbeitnehmern, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Die M. vollzieht sich – im Gegensatz zu den anderen Gesetzen – hier nicht über Aufsichtsräte, sondern durch → Betriebsräte und → Jugendvertretungen. Der Betriebsrat hat echte M.-rechte in sozialen und bestimmten personellen Angelegenheiten (z. B. bei Arbeitzeit-Einteilung, → Urlaubsplänen, Überwachungsregelungen, Festlegung von → Akkord- und → Prämiensätzen, Einstellungen und Versetzungen von Mitarbeitern u. a.m.). In diesen Fällen ist ohne seine Zustimmung keine Regelung möglich. Soweit jedoch nur – bei bestimmten personellen und bei wirtschaftlichen Angelegenheiten – Mitwirkungs- oder Anhörungsrechte gegeben sind (z. B. bei → Kündigungen, bei Berufsbildungsmaßnahmen, bei der Änderung von Arbeitsverfahren u. a.m.), kann der Betriebsrat Entscheidungen der Unternehmensleitung nicht verhindern. 5. Bundespersonalvertretungsgesetz vom 15. März 1974 mit späteren Änderungen und unter Brücksichtigung der Personalvertretungsgesetze der Bundesländer Das Betriebsverfassungsgesetz gilt nicht für die Betriebe und Verwaltungen der öffentlichen Hand (Bund, Länder, Gemeinden und andere Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts). Um auch bei den Arbeitsbeziehungen im öffentlichen Dienst dem M.-prinzip Geltung zu verschaffen, regeln die Personalvertretungsgesetze von Bund und Ländern in weitgehender Analogie zum Betriebsverfassungsgesetz die M. Das dem Betriebsrat vergleichbare Gremium ist bei der Personalvertretung der Personalrat. Die Stellungnahmen zur M. sind naturgemäß kontrovers. Von den Kritikern wird vorgetragen, dass man dem Ziel, die Entfremdungssituation des arbeitenden Menschen zu mildern, in keiner Weise näher gekommen sei; die M. wäre vor allem eine Angelegenheit von Funktionären, die ein den Arbeitnehmern entfremdetes Eigenleben führten. Von den Befürwortern der M.
mithelfende Familienangehörige
wird dagegen vorgetragen, dass die gegenwärtige Form der M. nur ein erster Schritt zur echten Partizipation der Arbeitnehmer sein könne. Diese dürfte jedoch einen noch langen Weg erforderlich machen, denn im Zuge der → Globalisierung sind in Europa nur Mitbestimmungs-Ansätze sichtbar und weltweit nicht einmal diese. Zu den Ansätzen gehört, dass im Rahmen der EU seit 2002 eine Richtlinie Informations- und Konsultationsverfahren mit den Arbeitnehmern für alle Betriebe mit mehr als 50 Beschäftigten vorschreibt. Daneben gibt es in den Ländern der → EU vielfältige, meist weniger wirksame Beteiligungsformen der Arbeitnehmer an betrieblichen Entscheidungsprozessen, die u. U. die M. reduzieren, wenn z. B. in Deutschland ansässige Unternehmen durch ausländische Rechtsformen die Mitbestimmungsgesetze unterlaufen. Literatur: Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.): Mitbestimmung 2008, Bonn 2008; J. B. Donges/J. Eekhoff u. a.: Unternehmensmitbestimmung ohne Zwang, Stiftung Marktwirtschaft 2007; P. Hanau/P. Ulmer/M. Habersack: Mitbestimmungsrecht, Beck'sche Kurz-Kommentare Bd. 24. München 20062; Horst-Udo Niedenhoff: Mitbestimmung in der Bundesrepublik Deutschland. Köln 200514; Alexander Dilger: Ökonomik betrieblicher Mitbestimmung, München/Mering 2002. Prof. Dr. Dietmar Krafft, Münster Mitbestimmungsgesetz Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer vom 4.5.1976. Siehe: → Mitbestimmung. Mitbestimmungsrecht 1. jeder gesetzlich begründete Rechtsanspruch auf → Mitbestimmung. 2. alle gesetzlichen Regelungen zur Mitbestimmung. Miteigentum (nach Bruchteilen) → Eigentum. mithelfende Familienangehörige 1. in der amtlichen Statistik: Familienangehörige, die in einem → Betrieb mitarbeiten, der von einem Familienmitglied als → Selbständigem geleitet wird, ohne dafür → Lohn oder → Gehalt zu erhalten und ohne zur → 419
mithelfende Familienangehörige
gesetzlichen Rentenversicherung angemeldet zu sein. 2. im Steuerrecht: im Betrieb eines Familienmitgliedes mitarbeitende und dafür Entgelt beziehende Familienangehörige. Mitwirkung Beteiligung von → Arbeitnehmern beziehungsweise → Beriebsrat an der betrieblichen Willensbildung. Die M.-möglichkeiten schreibt das Betriebsverfassungsgesetz in den §§ 74 – 113 fest; sie erstrecken sich auf die Ebene des → Arbeitsplatzes wie auch auf die des → Betriebes. Mitwirkungsrecht 1. jeder gesetzlich begründete Rechtsanspruch auf → Mitwirkung. 2. alle gesetzlichen Regelungen zur Mitwirkung. Mobbing nach Urteil des Landesarbeitsgerichts Thüringen v. 10. 4. 2001 (AZ: 5Sa 403/00) fortgesetzte, aufeinander auf bauende oder ineinander übergreifende, der Anfeindung, Schikane oder Diskriminierung dienende Verhaltensweisen, die in ihrer Gesamtheit das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder andere ebenso geschützte Rechte, wie die Ehre oder die Gesundheit des Betroffenen, verletzen. – Rechtsgrundlagen: Art. 1 u. 2 Grundgesetz; § 626 Brügerliches Gesetzbuch. Mobilien ⇒ bewegliche Sachen. → Sachen. modifizierter Güterstand → eheliches Güterrecht. Monetarismus aus der Kritik an → Keynes (→ Keynessche Theorie), insbesondere dessen Mißachtung der → Geldpolitik, entstandene volkswirtschaftliche Lehrmeinung, derzufolge die → Geldmenge von entscheidender Bedeutung für die Höhe des nominalen → Inlandsprodukts ist. Nach Auffassung der Monetaristen ist der → Wirtschaftskreislauf über die Geldmengensteuerung regulierbar. Hauptvertreter: → Milton Friedman, Karl Brunner (1919 – 1989), Alan Meltzer (geb. 1928). Siehe auch: → Neoklassiker. 420
Mont Pèlerin Society
Monoberufe → Ausbildungsberufe, die keine weitergehende Spezialisierung zulassen. Monopol → Marktform, bei der ein Anbieter (→ Angebotsmonopol) oder ein Nachfrager (Nachfragemonopol den → Markt beherrscht. Private M. bleiben die Ausnahme. Sie bilden sich in der Regel dort heraus, wo auf Grund einer eng begrenzten Nachfrage die Aufteilung der Marktbedienung auf mehrere Anbieter betriebswirtschaftlich uninteressant ist oder aber die Produktionstechnik und das Know-how so hochwertig sind, daß – unter Berücksichtigung der relativ niedrigen Produktpreise – der Auf bau von Konkurrenzpositionen wenig attraktiv ist. Monopolkommission gemäß der 2. Novelle zum → Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) auf Vorschlag der Bundesregierung berufenes Gremium. Ihm obliegt einerseits Stand und Entwicklung der → Unternehmenskonzentration wie auch die Entscheidungspraxis bezüglich marktbeherrschender Unternehmen (→ Marktbeherrschung) und → Fusionskontrolle zu beurteilen; andererseits ist es damit betraut, Vorschläge für Gesetzesänderungen zu machen. Über diese Institutionalisierung unabhängiger wettbewerbspolitischer Beratungs- und Kontrolltätigkeit soll auch der Einfluß der Wirtschaft auf die staatliche Gestaltung des → Wettbewerbs zurückgedrängt werden. Montan-Mitbestimmungsergänzungsgesetz → Mitbestimmung. Montan-Mitbestimmungsgesetz → Mitbestimmung. Montanunion → EGKS. Mont Pèlerin Society 1947 von Friedrich August von → Hayek zusammen mit Karl → Popper, Walter → Eucken und Milton → Friedman am Fuße des Mont Pèlerin am Genfer See gegründete Vereinigung liberaler Ökonomen, die sich die Verbreitung freiheitlicher und marktwirtschaftlicher Ideen zum Ziel setzte. Seither trifft sich die Gesellschaft jähr-
Mont Pèlerin Society
lich in Regional Meetings und alle 2 Jahre zu einem General Meeting an wechselnden Orten. Zu ihren Mitgliedern zählen zahlreiche Nobelpreisträger. Moral Hazard die Gefahr einer sich nach Abschluß eines → Vertrages bei den Partnern einschleichenden abnehmenden Moralität und einer sich daraus entwickelnden Verhaltensänderung zum Nachteil des/der anderen. M. kann insbesondere durch Egoismus aber auch durch Informationsassymetrie (diskretionären Handlungsspielraum) befördert werden. Moral Suasion Versuch, durch Überzeugungsarbeit, insbesondere moralische Appelle (z. B. Sparappell, Bildungsappell), bei bestimmten Adressatengruppen entsprechende Verhaltensänderungen zu erwirken. M. ist ein „weiches“ → wirtschaftspolitisches Instrument, das besonders von liberalen Wirtschaftspolitikern geschätzt wird. → Ludwig Erhard galt als ein anerkannter Meister der M. Müller-Armack, Alfred *1901 (Essen) †1978 (Köln), lehrt ab 1938 an der Universität Münster, ab 1950 an der Universität zu Köln → Volkswirtschaft und Soziologie. In zahlreichen Werken wie Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft (1947), Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik (1966) oder Genealogie der Sozialen Marktwirtschaft (1974) verficht er wirtschaftspolitische Vorstellungen, die denen des → Ordo-Liberalismus der → Freiburger Schule (z. B. → Walter Eucken) sehr nahestehen. Von ihm stammt der Begriff → „Soziale Marktwirtschaft“, der zum Markenzeichen des bundesdeutschen Wirtschaftswunders nach dem 2. Weltkrieg wird. Hinter diesem Konzept steht allerdings eine Auffassung über den Umfang staatlicher → Intervention in die → Marktwirtschaft, der deutlich über die ordo-liberale Idee der Wettbewerbsordnung hinausgeht und auch Raum für eine aktivere → Sozialpolitik läßt. Dies mag eine Konzession an die politische Praxis gewesen sein, da M. 1952 bis 1958 die Abteilung → Wirtschaftspolitikim Bundeswirt-
„Multi“
schaftsministerium unter → Ludwig Erhard leitet. Von 1958 bis 1963 ist er Staatssekretär für Europäische Angelegenheiten. Sein Eintreten für eine über die wirtschaftliche Einigung hinausgehende politische Vertiefung des europäischen Einigungsprozesses (z. B. in Auf dem Weg nach Europa, 1971) führt zu Kontroversen mit zahlreichen Ordo-Liberalen (z. B. → Wilhelm Röpke). Literatur: Andreas Müller-Armack, Alfred Müller-Armack; in: V. Laitenberger (Hrsg.), Soziale Marktwirtschaft. Bilanz und Perspektive, Bonn 1988, S. 115 ff.; R. H. Hasse/F. Quaas (Hrsg.), Wirtschaftsordnung und Gesellschaftskonzept: Zur Integrationskraft der Sozialen Marktwirtschaft, Bern/Stuttgart/Wien 2002. D. D. mündelsicher → Mündelsicherheit. Mündelsicherheit besondere Sicherheit bei der Anlage von Geldern, insbesondere Mündelgeldern (d. s. Gelder von unter Vormundschaft oder Pflegschaft stehenden Personen). § 1807 Bürgerliches Gesetzbuch nennt eine Reihe von Anlagearten, die als mündelsicher gelten, so unter anderem die Anlage: (1) in sicheren inländischen → Hypotheken-, → Grundund → Rentenschulden, (2) in → Bundesund Länderanleihen, (3) in → Pfandbriefen, → Kommunalobligationen, (4) als → Spareinlagen bei inländischen öffentlichen Sparkassen beziehungsweise Banken, die über eine Einlagensicherung verfügen. Münzhoheit das Recht des Staates, das Münzwesen hinsichtlich Stückelung, Metallart, Metallgehalt und Münzgewicht zu regeln; sie umfaßt auch das Münzregal, das ist das Recht, Münzen zu prägen oder prägen zu lassen. Die M. liegt bei der Bundesregierung. Diese Zuständigkeit wird durch die Einführung des → Euro-Bargeldes zum 1.1.2002 nicht berührt. „Multi“ ⇒ multinationaler Konzern ⇒ multinationales Unternehmen. 421
multinationaler Konzern
multinationaler Konzern ⇒ „Multi“ ⇒ multinationales Unternehmen. multinationales Unternehmen ⇒ „Multi“ ⇒ multinationaler Konzern ist ein → Unternehmen, das über Niederlassungen und Produktionsstätten in zwei oder mehr Staaten verfügt, einen großen Teil seiner Umsätze im Ausland tätigt und seine strategische Unternehmensplanung international ausrichtet. Die Auslandsniederlassungen sind i. d. R. rechtlich selbständig, d. h. ein m. ist fast immer ein multinationaler → Konzern. Die Expansion der m. begann nach dem 2. Weltkrieg. Bis zum Ende der 60er Jahre kamen fast alle m. aus den USA. Technologischer Vorsprung, Finanzkraft und die Überbewertung des Dollar waren die Grundlagen für die weltweite Expansion von US-Konzernen. Das rasche → Wirtschaftswachstum und die wirtschaftliche Integration in Europa lockten zahlreiche Unternehmen aus den USA an. Seit Mitte der 70er Jahre gehen m. nicht mehr nur von den USA aus. Besonders europäische und japanische Unternehmen entwickelten sich zu m. und dehnten ihre Aktivitäten auch auf den amerikanischen Markt aus. Deutschland, das in den 50er und 60er Jahren beim Auf bau seiner → Wirtschaft stark vom Nettozufluß ausländischer Direktinvestitionen profitiert hatte, investiert heute sehr viel mehr → Kapital im Ausland, als von dort hereinströmt. Neben die m. aus den Industrieländern treten seit den 80er Jahren solche aus → Schwellenländern (z. B. Südkorea). Auch sind m. nicht mehr auf Urproduktion und Industrie beschränkt, sondern finden sich zunehmend im tertiären Sektor. Zu den m. zählen Industrie- und Handelsunternehmen, Medienkonzerne, → Banken, → Versicherungen, Hotelketten usw. Auch zahllose mittlere Unternehmen sind, wenn nicht weltweit, so doch europaweit tätig. Die Bedeutung der m. für die Weltwirtschaft wird u. a. dadurch unterstrichen, daß ihr Anteil am Außenhandel der Industriestaaten auf ca. 80 % geschätzt wird. Ein großer Teil davon dürfte interner Handel innerhalb des 422
multinationales Unternehmen
Zulieferer- und Vermarktungsnetzes multinationaler Konzerne sein. Ein anschauliches Beispiel ist das komplizierte Netz von Produktionsstätten großer Automobilunternehmen in verschiedenen Ländern mit ihren Vertriebsgesellschaften und mit dem Kranz von (vielfach wirtschaftlich abhängigen) Zuliefererfirmen, Handels- und Reparaturunternehmen in aller Welt. An erster Stelle der Motive für die Gründung von m. stehen die Erschließung neuer und die Sicherung bestehender Absatzmärkte. Zu beobachten ist eine Tendenz zur „Globalisierung von Märkten“: → Produktion und → Marketing vor Ort sichern Präsenz und erleichtern rasches und flexibles Eingehen auf spezielle Markterfordernisse und landesspezifische Konsumgewohnheiten. In bestimmten Branchen erfordern extrem hohe Entwicklungs- und Markteinführungskosten eine weltweite Absatzplanung. Nur so können die hohen → Kosten bis zur Marktreife des Produkts auf eine hinreichende Absatzmenge verteilt werden (Bsp. Luft- und Raumfahrtindustrie). Ein weiteres Motiv für m. ist die Ausnutzung von Standortvorteilen, insbesondere von unterschiedlichen Arbeitskosten. Technisch weniger komplexe, arbeitsintensive Produktionen oder Teilprozesse werden in Länder mit niedrigeren → Lohnkosten verlagert (Bsp. Bekleidungsindustrie: Produktentwicklung, Design und Marketing durch das Markenunternehmen in Deutschland oder Italien, Zuschnitt und Verarbeitung in Polen). Auch die Sicherung der Rohstoffversorgung kann (Bsp. Mineralöl- oder Stahlindustrie) ein wichtiger Grund für Auslandsinvestitionen sein. Von wachsender Bedeutung ist das Bestreben, Zugang zu neuen Technologien oder zum innovativen Know How an Hightech-Standorten zu erhalten. Kapitalstarke m. übernehmen innovative kleine Unternehmen und sorgen für die breite Einführung der Erfindungen am → Markt (Computer-, Pharmaindustrie). Weitere Motive liefern von Staaten gesetzte Rahmenbedingungen (→ Steuern, → Subventionen). Schließlich kann auch regionale Integration von Staaten Anreize für m. schaffen: Schließen sich → Volkswirtschaf-
multinationales Unternehmen
ten durch Abbau von → Handelshemmnissen im Innern und Vereinheitlichung von → Zöllen zusammen, entsteht ein Anreiz für Firmen aus Drittländern, sich durch Gründung oder Erwerb von → Betrieben den Marktzugang „zu Binnenmarktbedingungen“ zu sichern. Die kontroverse Diskussion um die m. konzentriert sich auf die volkswirtschaftlichen und politischen Wirkungen der großen multinationalen Konzerne. Die Auslandsaktivitäten kleinerer Unternehmen geraten selten ins Blickfeld und werden überwiegend positiv gewertet. Unumstritten ist der positive Beitrag von m. zur Vertiefung der internationalen → Arbeitsteilung, zur Ausweitung des Welthandels und zur Durchsetzung technologischen Wissens und neuer Managementtechniken. Damit verbessern sie wichtige Voraussetzungen des Wirtschaftswachstums und tragen zur Öffnung von Grenzen und zur Vernetzung von Volkswirtschaften bei. In Industrieländern sind sie in die wirtschaftliche, soziale und politische Ordnung ihrer Gastländer eingebunden und unterscheiden sich nicht grundsätzlich von „einheimischen“ Unternehmen. Demgegenüber bleiben m. in → Entwicklungsländern oft eine „technologische Insel“, und große m. verfügen nicht selten über ökonomische Macht und politischen Einfluß im Gastland. Die volkswirtschaftlichen Wirkungen von m. sind sehr komplex. Im Kapitalexportland wird vielfach der Verlust von → Arbeitsplätzen befürchtet, insbesondere wenn die Investition in „Niedriglohnländer“ geht. Dem steht die Sicherung von Arbeitsplätzen im „Stammbetrieb“ durch Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens und durch die Erhaltung oder Erschließung von Absatzmärkten im Ausland gegenüber. Im Gastland führt die Errichtung neuer Betriebe zu zusätzlichen Arbeitsplätzen. Das Auftreten ausländischer Unternehmen belebt den → Wettbewerb auf abgeschotteten Märkten. Neue Produkte und Produktionsverfahren, neue Marketing- und Managementmethoden zwingen die inländischen Anbieter zu verstärkten innovativen Anstrengungen. → Kartelle und verkrustete → Oligopolmärkte werden aufgebrochen,
multinationales Unternehmen
die gestiegene Wettbewerbsintensität nutzt den Konsumenten. Der Markteintritt von m. kann aber auch (aus Angst vor „Überfremdung“ wichtiger Wirtschaftszweige) zu einer vom Staat unterstützten Konzentration nationaler Unternehmen führen. In einer solchen nationalistischen Industriepolitik liegen erhebliche Gefahren für die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs. Wechselseitige Verflechtung von Volkswirtschaften durch m. führt zu vermehrtem Austausch von Führungspersonal undIdeen, schafft eigentumsmäßige Bindungen und führt zu verstärktem Interesse am Wohlergehen der Wirtschaft der Partnerländer. Wechselseitige Verflechtungen durch m. können so auch politisch zu einem Integrationsfaktor werden (Bsp. Binnenmarkt der → EU). Andererseits kann die globale Ausrichtung der m. zu Konflikten mit Zielen nationaler Politik führen. Durch konzerninterne Gewinnverlagerung in Länder mit günstigerer Besteuerung oder durch Verlagerung von Unternehmensaktivitäten in Länder mit weniger strengen Wettbewerbs- oder Umweltschutzvorschriften können sie teilweise nationale → Wirtschaftspolitiken unterlaufen. Große m. besitzen Handlungsspielräume, die zu Machtmißbrauch gegenüber Nachfragern, Konkurrenten und Regierungen führen können. Nationale Wirtschaftspolitik greift vielfach zu kurz, eine internationale → Wettbewerbspolitik existiert noch nicht. Umso wichtiger ist es, daß eine internationale Rahmenordnung (wie sie in der → World Trade Organization WTO, der Nachfolgeorganisation des → GATT, angestrebt wird) durch Abbau von Handelshemmnissen sicherstellt, daß die „Multis“ wirksamem Wettbewerb ausgesetzt bleiben. Aktuelle Zahlen zu den größten (meistens multinationalen) Unternehmen finden sich regelmäßig in der amerikanischen Zeitschrift FORTUNE und werden auch in der jeweils letzten Nummer eines Jahres des Wirtschaftsmagazins „Wirtschaftswoche“ veröffentlicht. Literatur: D. Budzinski, W. Kerber: Megafusionen, Wettbewerb und Globalisierung, 423
multinationales Unternehmen
Stuttgart, 2003; R. E Caves: Multinational Enterprise and Economic Analysis, Oxford 1986; G. Jones: Multinationals and Global Capitalism, Oxford 2005; J. Kleinert: The Role of Multinational Enterprises in Globalization, Berlin 2004; E. Koch: Globalisierung der Wirtschaft, München 2000; S. Müller, M. Kornmeier: Streitfall Globalisierung, München/Wien 2001; M. Perlitz: Internationales Management, 4. Aufl. Stuttgart 2000; R. Reich: Die neue Weltwirtschaft, Berlin 1993; M. Wortmann: Direktinvestitionen, Arbeitsplatzexporte und Wettbewerbsfähigkeit, Bonn 1997. Prof. Dr. K. P. Kruber, Kiel Multiplikator (lat.: Vervielfacher) zeigt auf, um das Wievielfache zusätzliche → Ausgaben (Konsum-, Investitions-, Staatsausgaben) das → Volkseinkommen anwachsen lassen. Multiplikatoreffekt die sich argumentativ auf den → Multiplikator gründende Erscheinung, daß zusätzliche → Ausgaben (Konsum-, Investitions-, Staatsausgaben) das → Volkseinkommen um ein Vielfaches des → Wertes derselben ansteigen lassen. Mutterschaftsgeld Regelleistung der → gesetzlichen Krankenversicherung im Rahmen der → Mutterschaftshilfe für die Zeit der Mutterschutzfristen (6 Wochen vor der Geburt bis 8 oder 12 Wochen nach der Geburt) gemäß § 13 Abs.1 Mutterschutzgesetz i. Verb. m. § 200 Reichsversicherungsordnung.
424
Mutterschutz
Mutterschaftshilfe Regelleistung der → gesetzlichen Krankenversicherung an weibliche Mitglieder vor und nach der Entbindung. Die Leistungen umfassen ärztliche Betreuung und Hilfe sowie Hebammenhilfe, Versorgung mit Arznei, Verbands- und Heilmittel, Pflege in der Entbindungs- und Krankenanstalt, Hilfe und Wartung durch Hauspflegerinnen sowie → Mutterschaftsgeld und ein Pauschbetrag für die im Zusammenhang mit der Entbindung entstehenden Aufwendungen. Mutterschutz Allgemeine Rechtsgrundlage ist der nach Art. 6 Abs. 4 Grundgesetz garantierte Anspruch jeder Mutter auf Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft. Der spezielle Schutz der erwerbstätigen Mutter ist durch das Mutterschutzgesetz geregelt. Werdende Mütter dürfen in den letzten 6 Wochen vor der Entbindung nicht beschäftigt werden. Nach der Entbindung besteht ein generelles Beschäftigungsverbot für weitere 8 Wochen. Die werdende oder stillende Mutter darf nicht mit schwerer körperlicher oder gesundheitsschädigender → Arbeit beschäftigt werden; ebenso ist die Beschäftigung in → Akkordarbeit nicht zulässig. Es besteht bis zum Ablauf von 4 Monaten nach der Entbindung ein absolutes → Kündigungsverbot, wenn dem → Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft oder Entbindung bekannt war oder innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird.
Nachbesserung
nachhaltige Entwicklung
N Nachbesserung ⇒ Nacherfüllung. Beseitigung eines → Mangels. Ist das durch den → Unternehmer (z. B. Handwerker), insbesondere aus → Dienstvertrag, → Werkvertrag oder → Reparaturvertrag, herzustellende Werk nicht von der vereinbarten Beschaffenheit, so hat der Auftraggeber einen Anspruch auf N. Er kann dafür dem Unternehmen eine Frist (Nachbesserungsfrist) setzen und nach ungenutztem Ablauf derselben den Mangel selbst auf dessen Rechnung beseitigen lassen. Die dem Unternehmer gesetzte Frist zur N. muß angemessen und außerdem mit der Erklärung verbunden sein, daß nach Ablauf derselben die Beseitigung des Mangels abgelehnt werde.
des einzelnen → Unternehmens nach einem bestimmten → Konsumgut beziehungsweise → Investitionsgut. Diese Nachfrage ist in Abhängigkeit zum → Preis des betreffenden Gutes zu sehen. Allgemein läßt sich sagen, daß die Nachfrage mit sinkendem Preis zunimmt und mit steigendem Preis abnimmt. Diese Feststellung läßt sich graphisch wie folgt veranschaulichen (Nachfragekurve):
Nachbesserungsfrist → Nachbesserung. Nacherbe → Vor- und Nacherbfolge. Nacherbfolge → Vor- und Nacherbfolge. Nacherfüllung das dem Käufer (→ Kaufvertrag) oder dem Besteller (→ Werkvertrag, → Reparaturvertrag) einer Ware/Werkleistung im Falle deren Mangelhaftigkeit (→ Mängel) nach § 439 resp. § 634 Bürgerliches Gesetzbuch zustehende Recht auf Mangelbeseitigung/ Neulieferung/Neuanfertigung. Nachfrage die auf dem → Markt bekundete Absicht eines → Wirtschaftssubjektes, ein bestimmtes → Gut zu erwerben. Zu unterscheiden sind: (1) individuelle N. (d. i. die N. des einzelnen Wirtschaftssubjektes); (2) gesamtwirtschaftliche N. (d. i. die N. aller Wirtschaftssubjekte einer → Volkswirtschaft), (3) N. der → privaten Haushalte; (4) N. des Staates. Nachfragefunktion ⇒ Nachfragekurve. I. einzelwirtschaftlich: die → Nachfrage des einzelnen → Konsumenten beziehungsweise
II. gesamtwirtschaftlich: Faßt man die Nachfrage der einzelnen Konsumenten beziehungsweise Unternehmen zusammen, so ergibt sich die gesamtwirtschaftliche Nachfrage der Konsumenten (gesamtwirtschaftliche Nachfrage nach Konsumgütern) beziehungsweise der Unternehmen (gesamtwirtschaftliche Nachfrage nach Investitionsgütern). Die gesamtwirtschaftliche Nachfragekurve fällt ebenfalls von links oben nach rechts unten! Nachfragekurve ⇒ Nachfragefunktion. Nachfrist eine nach Fristablauf noch bestehende oder gesetzte Frist. 1. ⇒ Nachbesserungsfrist.2. bei Schuldnerverzug (→ Lieferungsverzug/→ Zahlungsverzug). nachhaltige Entwicklung ⇒ Nachhaltigkeit ⇒ Sustainable Development. 425
nachhaltiges Management
nachhaltiges Management Managementkultur (→ Management), die in die unternehmerischen Entscheidungen nicht nur die ökonomischen, sondern auch die sozialen und ökologischen Konsequenzen derselben einbezieht. Nachhaltigkeit ⇒ nachhaltige Entwicklung ⇒ Sustainable Development. Nachmeldung → Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung. Nachschußpflicht durch Gesetz, Satzung oder → Vertrag festgelegte oder ausgeschlossene, beschränkte oder unbeschränkte Verpflichtung von Gesellschaftern, unter bestimmten Voraussetzungen (meist → Sanierung der → Gesellschaft) an ihre Gesellschaft betragsmäßig beschränkte oder unbeschränkte (Nach-) Zahlungen auf die schon geleisteten Einzahlungen (auf die Gesellschaftsanteile) zu entrichten. So sind beispielsweise die Gesellschafter einer → Genossenschaft im Falle der → Insolvenz verpflichtet, Nachschüsse zu leisten, wenn die → Insolvenzmasse zur Befriedigung der → Gläubiger nicht ausreicht. Nachtarbeit Erwerbstätigkeit zwischen 22 Uhr und 6 Uhr. Zur N. ist ein → Arbeitnehmer nur verpflichtet, wenn diesbezüglich entsprechende Vereinbarungen getroffen wurden. Siehe auch: → Arbeitszeitschutz, → Nachtarbeitsverbot. Nachtarbeitsverbot 1. Jugendliche dürfen zwischen 20 Uhr und 6 Uhr generell nicht beschäftigt werden. Ausnahmen sind für Jugendliche über 16 Jahre zulässig und zwar: im Gaststätten- und Schaustellergewerbe (bis 22 Uhr), in Bäckereien und Konditoreien (ab 5 Uhr), Jugendliche über 17 Jahre ab (4 Uhr), in mehrschichtigen Betrieben bis 23 Uhr, in der Landwirtschaft ab 5 Uhr oder bis 21 Uhr (§§ 13 u. 14 Jugendarbeitsschutzgesetz). 2. Werdende und stillenden Mütter dürfen zwischen 20 Uhr und 6 Uhr nicht beschäftigt werden (§ 8 Mutterschutzgesetz). 426
Namensscheck
Nachteilsausgleich (bei Betriebsänderung) Beginnt ein → Unternehmer mit der Durchführung einer nach § 111 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) beteiligungspflichtigen Betriebsänderung, ohne zuvor einen Interessenausgleich mit dem → Betriebsrat versucht zu haben, so können die → Arbeitnehmer, die durch diese Betriebsänderung wirtschaftliche Nachteile (z. B. niedrigeren Verdienst, höhere Fahrtkosten zur neuen Arbeitsstätte) erleiden, dafür vom Unternehmer für die Dauer von bis zu 12 Monaten einen Ausgleich verlangen (§ 113 Abs. 2 BetrVG). Nachveranlagung Begriff des Steuerrechts; nachträgliche Steuerfestsetzung, so beispielsweise bei der → Grundsteuer: N. des Steuermeßbetrages im Falle einer Nachfeststellung des → Einheitswertes. NAFTA Abk. für: North American Free Trade Agreement; Nordamerikanisches Freihandelsabkommen (→ Freihandelszone) von 1992, umfassend Kanada, USA und Mexiko. Als ökonomisches Gegengewicht zu → EU konzipiert. Es sind jedoch weder eine → Wirtschaftsunion noch eine einheitliche → Außenwirtschaftspolitik angestrebt. Namensaktien → Aktien, die auf den Namen des → Aktionärs ausgestellt sind. Dieser Aktionär wird im Aktienbuch der betreffenden → Aktiengesellschaft eingetragen. Verkauft der Aktionär seine Aktie, so muß er dies der Gesellschaft zwecks Umschreibung im Aktienbuch mitteilen. Die Übertragung der Aktie erfolgt durch → Indossament. Gegensatz: → Inhaberaktie. Vinkulierte N. sind eine besonders strenge Form der N.; sie sind nur mit Zustimmung der Aktiengesellschaft übertragbar. Namensscheck → Scheck, der auf einen namentlich bezeichneten Berechtigten lautet. Soweit der N. nicht (wie üblich) mit einer → Inhaberklausel versehen ist, gilt er als → Orderscheck.
NASDAQ
NASDAQ Abk. für: National Association of Securi ties Dealers’ Automated Quotation System. Computerisierter Freiverkehrswertpapier handel in den USA. Der N. Composite Index enthält mehr als 3000 Werte des außerbörs lichen (Over the Counter, OTC) Handels verschiedener → Branchen. Nationaleinkommen → Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Nationaler Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs (Ausbildungsspakt) am 16. 6. 2004 zwischen der Bundesregie rung und den Spitzenverbänden der deut schen Wirtschaft mit dem Ziel geschlossen, in enger Zusammenarbeit mit den Ländern jedem ausbildungswilligen und ausbildungs fähigen jungen Menschen ein Ausbildungs angebot zu machen. Die Spitzenververbän de der Wirtschaft wollen die erforderlichen Ausbildungsplätze einwerben. Der Pakt wurde 2010 bis zum Jahr 20 14 verlängert. natürliche Person jeder Mensch. N. sind nach unserem Recht ohne Unterschied rechtsfähig (→ Rechtsfä higkeit) und können damit Träger von Rech ten und Pflichten sein. Naturrecht(e) → in der Tradition der antiken griechischen N.-philosopie stehendes Recht oder Rechts system, das im Gegensatz zum „positiven“, vom Menschen gesetzten und historisch wandelbaren Recht jedermann bestimmte zeitüberdauernde unabdingbare Rechte zu gesteht. Als elementare N. gelten: das Recht auf Unversehrbarkeit des Körpers und der Gesundheit, das Recht auf Eigentum, das Recht auf Freiheit (= Abwesenheit von will kürlichem Zwang [F. A. v. Hayek]). Nebenbeschäftigung → Arbeitsverhältnis, in das der → Arbeit nehmer seine Arbeitskraft nur in einem re lativ geringen Zeitumfang einbringt. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 Viertes Buch Sozialgesetz buch (SGB IV) ist dieser dann gegeben, wenn die Tätigkeit innerhalb eines Kalen derjahres auf längstens 2 Monate oder 50 Arbeitstage begrenzt zu sein pflegt oder im voraus vertraglich begrenzt ist. Für N.
netto
besteht Versicherungsfreiheit, so insbeson dere hinsichtlich der gesetzlichen → Kran kenversicherung, → Rentenversicherung, → Arbeitslosenversicherung und → Pflege versicherung. Siehe auch: → geringfügige Beschäftigung(sverhältnisse). Nennbetrag ⇒ Nominalwert → Nennwert Nennbetragsaktien → Aktien, bei denen der → Nennwert auf gedruckt ist. Sie müssen auf mindestens einen → Euro lauten. Höhere Aktiennenn beträge müssen auf volle Euro lauten (§ 8, 2 AktG). Gegensatz: → Stückaktien. Nennwert ⇒ Nennbetrag ⇒ Nominalwert der auf einem → Wertpapier aufgedruckte Geldbetrag. So lauten bei Neuemissionen → Aktien, → Pfandbriefe oder → Anleihen auf N. von 1 Euro (nur Aktien), 100 Euro, 1000 Euro oder ein beliebiges Vielfaches von 1000. Gegensatz: → Kurswert. nennwertlose Aktie ⇒ Stückaktie. Neoklassik die auf W. S. → Jevons, L. → Walras, A. → Marshall zurückgehende volkswirt schaftliche (Problem-)Sicht, die davon ausgeht, daß alle Entscheidungsträger, so insbesondere die → privaten Haushalte und → Unternehmen, ihre Entscheidungen un abhängig voneinander auf Grund ihrer in dividuellen Wertschätzungen (Präferenzen) so treffen, daß ihr subjektiver → Nutzen maximiert wird (→ Nutzenmaximierung). Die neoklassische Theorie verbindet sich mit dem → Monetarismus und artikuliert sich seit Mitte der 1970er Jahre als Gegen position zur → Keynes’schen Theorie in der → angebotsorientierten Wirtschaftspolitik. Neoliberalismus → Liberalismus, wirtschaftlicher. netto (ital. = rein), bedeutet: „nach Abzug“ be stimmter Teile (z. B. Verpackung vom Ge samtgewicht) beziehungsweise Beträge 427
netto
(z. B. → Rabatt, → Skonto vom Listenpreis). Gegensatz: → brutto. Nettoeinkommen ⇒ Reineinkommen das einem Einkommensbezieher (→ Einkommen) nach Abzug der → direkten Steuern und → Sozialbeiträge vom → Bruttoeinkommen verbleibende Resteinkommen. Nettogehalt der einem → Angestellten/ → Beamten nach Abzug aller → Steuern und gegebenenfalls → Sozialversicherungsbeiträge vom → Bruttogehalt ausgezahlte Rest des → Arbeitsentgeltes. Gegensatz: → Bruttogehalt. Nettolohn der einem → Arbeiter nach Abzug aller → Steuern und → Sozialversicherungsbeiträge vom → Bruttolohn ausgezahlte Rest des → Arbeitsentgeltes. Gegensatz: → Bruttolohn. Neubeginn der Verjährung (bis zum 31.12.2001 [Schuldrechtsmodernisierung] Unterbrechung der → Verjährung) d. i. eine erneute Ingangsetzung der → Verjährungsfrist (§ 212 Bürgerliches Gesetzbuch). → Verjährung. Neue Institutionenökonomik → Institutionenökonomik. Neue Österreichische Schule Die Österreichische Schule ist in ihrer Anfangszeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (→ Menger, → Böhm-Bawerk u. a.) ein noch weitgehend auf ihr Ursprungsland beschränktes Phänomen. In der empirischen → Ökonomie dominiert die deutsche → Historische Schule (Schmoller), während in der theoretischen Ökonomie die englische Neo-Klassik (→ Marshall), die von einem ähnlichen Ansatz (subjektive Preisund Wertlehre/Grenznutzentheorie) ausgeht, das Feld beherrscht. Erst in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg beginnt sie, internationale Bedeutung zu gewinnen. Dies bewirken vor allem die Lehraufträge von österreichischen Ökonomen in der angelsächsischen Welt: → Friedrich August von Hayek (London ab 1933/Chicago ab 1950), 428
Neue Politische Ökonomie
→ Joseph A. Schumpeter (Harvard ab 1934) sowie der seit 1940 im amerikanischen Exil lebende → Ludwig von Mises und zahlreiche seiner Schüler. Hayek und Mises tragen in dieser Zeit zur Schaffung einer konsistenten wirtschaftspolitischen Theorie bei, in dem sie aus der subjektiven Preis- und Werttheorie Mengers eine systematische Kritik am → Sozialismus und → Interventionismus entwickeln. Besonders Hayek baut die ursprünglich als reine Ökonomie konzipierte Denkrichtung zur umfassenden Sozialphilosophie aus. Vor allem in den USA werden seither die Ideen der N. in großem Umfang rezipiert und weiterentwickelt. Dort wird der Terminus Austrian (engl. für österreichisch) zum Synonym für die subjektivistische und mikroökonomische Ausrichtung der modernen → Wirtschaftswissenschaft. Zu den bedeutendsten amerikanischen Vertretern gehören Israel Kirzner, der eine Theorie des Unternehmertums entwickelt, und → Murray Rothbard, der die Mises’sche Sozialismuskritik zur Fundierung eines liberalen → Anarchismus (Libertarianism) verwendet. Zahlreiche andere Denkrichtungen (z. B. die → Public Choice-Schule) werden von den Austrians geprägt. Seit den 1980er Jahren beginnt sich der Einfluß der Schule auch in Europa – insbesondere in England (Kevin Dowd u. a.) – deutlich bemerkbar zu machen. Literatur: I. Kirzner, The Meaning of Market Process, London 1991; Peter J. Boettke (Hrsg.), The Elgar Companion to Austrian Economics, Aldershot 1994. D. D. Neue Politische Ökonomie Ansatz zur Neuorientierung der Theorie der → Wirtschaftspolitik in Anknüpfung an die klassische (liberale) → Politische Ökonomie. Wie bei den → Klassikern wird der Rolle der politischen Institutionen (Parteien, Regierungen, Verwaltungen) besonderes Interesse gewidmet. Im Gegensatz zur neoklassischen-wohlfahrtsökonomischen Theorie wird jedoch die Annahme aufgegeben, daß die politischen Institutionen selbstlos und somit gemeinwohlorientiert
Neue Politische Ökonomie
handeln würden. Die Politiker werden vielmehr als Stimmenmaximierer gesehen, das heißt als Personen, die über ihr Handeln ein Maximum an Wählerstimmen zu gewinnen versuchen. Siehe auch: → Public Choice, → Ökonomische Theorie der Bürokratie, → Ökonomische Theorie der Politik. New Economy die sich im ausgehenden 20. Jh. auf neuen Technologien, bahnbrechenden → Produktinnovationen und weltweiter Vernetzung anbahnende und ins 21. Jh. ausbreitende wirtschaftliche Entwicklung. Nichtarbeitnehmer Begriff des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG). Nach § 5 Abs. 2 BetrVG: (1) in → Betrieben einer → juristischen Person die Mitglieder des Organs zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person (Vorstandsmitglieder einer → AG und Geschäftsführer einer → GmbH); (2) die Gesellschafter einer → oHG oder die Mitglieder einer anderen Personengesamtheit, soweit sie durch Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung der Personengesamtheit oder zur Geschäftsführung berufen sind, in deren Betrieben; (3) Personen, deren Beschäftigung nicht in erster Linie ihrem Erwerb dient, sondern vorwiegend durch Beweggründe karitativer oder religiöser Art bestimmt ist (z. B. Mönche, Ordensschwestern); (4) Personen, deren Beschäftigung nicht in erster Linie ihrem Erwerb dient und die vorwiegend zu ihrer Heilung, Wiedereingewöhnung, sittlichen Besserung oder Erziehung beschäftigt werden (z. B. aus Gründen der Rehabilitation beschäftigte Körperbehinderte, ferner Geisteskranke u. Suchtkranke); (5) der Ehegatte, Lebenspartner, Verwandte und Verschwägerte ersten Grades, die in häuslicher Gemeinschaft mit dem → Arbeitgeber leben. Nichtbanken Begriff der Geldtheorie und → Geldpolitik; Sammelbezeichnung für → private und → öffentliche Haushalte sowie → Unternehmen in Gegenüberstellung zu den → Banken.
Nichtzulassungsbeschwerde
Nichtigkeit vollständige rechtliche Wirkungslosigkeit einer → Willenserklärung beziehungsweise eines → Rechtsgeschäftes. Nichtig sind im einzelnen: (1) Willenserklärungen von Geschäftsunfähigen (→ Geschäftsunfähigkeit; §§ 105,1 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]); (2) Willenserklärungen, die im Zustand der Bewußtlosigkeit oder vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit abgegeben wurden (§ 105, 2 BGB); (3) Willenserklärungen, die zum Schein abgegeben wurden (§ 117 BGB); (4) Willenserklärungen, die offensichtlich nicht ernst gemeint sind (sog. Scherzgeschäfte, § 118 BGB); (5) Rechtsgeschäfte von beschränkt Geschäftsfähigen (→ Geschäftsfähigkeit), wenn der gesetzliche Vertreter die erforderliche Zustimmung nicht erteilt; (6) Rechtsgeschäfte, die gegen eine gesetzliches Verbot verstoßen (§ 134 BGB); (7) Rechtsgeschäfte, die gegen die guten Sitten verstoßen (dazu gehören auch wucherische Geschäfte, bei denen die Notlage, der Leichtsinn oder die Unerfahrenheit der Geschäftspartner ausgenützt wurden, § 138 BGB); (8) Rechtsgeschäfte, die gegen die gesetzlichen oder rechtsgeschäftlich bestimmten → Formvorschriften verstoßen (§ 125 BGB). nicht-lineare Systeme → Chaostheorie, ökonomische. nichtrechtsfähiger Verein → Verein. Nichtveranlagungsbescheinigung ⇒ NV-Bescheinigung wessen → zu versteuerndes Einkommen (einschließlich Zinsen- u. Dividendenerträge) jährlich den → Grundfreibetrag (2012: 8004 Euro für Ledige/16008 Euro für zusammenveranlagte Ehegatten) nicht übersteigt, kann bei seinem Finanzamt eine N. beantragen, die ihn berechtigt, → Einkünfte, → Zinsen und → Dividende ohne Steuerabzug zu vereinnahmen. Vor allem für Kinder und Rentner interessant! nicht vertretbare Sachen → Sachen. Nichtzulassungsbeschwerde → Arbeitsgerichtsbarkeit. 429
Niederlassungsfreiheit
Niederlassungsfreiheit aus dem Grundrecht der → Freizügigkeit abgeleitetes Recht, sich an jedem beliebigen Ort innerhalb des Bundesgebietes niederzulassen, Grundeigentum zu erwerben und → Gewerbe aller Art zu betreiben. Die N. besteht auch für nichtgewerbliche → Berufe (→ Berufsfreiheit). Die Bürger der → Europäischen Union genießen innerhalb der Unionsstaaten das Recht auf Niederlassung zur beruflichen Tätigkeit. Nießbrauch das Recht, einen fremden Gegenstand zu besitzen und alle anfallenden Nutzungen aus ihm zu ziehen. Zu den Nutzungen gehören die Sachfrüchte (z. B. Getreide, Obst) und die Rechtsfrüchte (z. B. → Zinsen einer → Forderung, → Mietzins eines Hauses/einer Wohnung). Der N. erlischt mit dem Todes des Nießbrauchers oder durch Aufgabe. §§ 1030 ff. Bürgerliches Gesetzbuch. Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaft von der Schwedischen Reichsbank im Einvernehmen mit der Nobelstiftung (vom schwedischen Industriellen Alfred Nobel [1833 – 1896] gegründet und seit 1901 als Preisvergeber tätig) ausgesetzter Preis für → Wirtschaftswissenschaft, der seit 1969 jährlich verliehen wird.
Nutzenmaximierung
der und/oder Dritte → Leistungen ohne Gewinninteresse (→ Gewinn) erbringen; so zum Beispiel unter der Rechtsform der gemeinnützigen → GmbH oder des → eingetragenen Vereins. Nord-Süd-Konflikt Wohlstandsgefälle zwischen den meist auf dem nördlichen Teil des Globus liegenden (reichen) Industrieländern und den meist auf der Südhälfte liegenden (armen) → Entwicklungsländern. Normenkartell → Kartell, das Vereinbarungen über die einheitliche Anwendung von Normen (→ Normung) zum Inhalt hat. Normung Vereinheitlichung von Maßen, Formen, Bestandteilen, Herstellungsverfahren, Begriffen, Arten, Bezeichnungen und anderem bei → Werkstoffen sowie Halb- und Fertigfabrikaten. notarielle Beurkundung → Beurkundung. → Form (Rechtsgeschäfte). Noten ⇒ Banknoten.
Nominaleinkommen das in → Geld ausgedrückte → Einkommen eines → Wirtschaftssubjektes. Gegensatz: → Realeinkommen.
Notenbank zur Notenausgabe (→ Noten) berechtigte Bank; in der Regel die → Zentralbank (→ Bundesbank), in der → EWWU die → EZB.
Nominallohn das in → Geld ausgedrückte → Arbeitsentgelt. Gegensatz: → Reallohn.
Notifikation(spflicht) ⇒ Benachrichtigungs(pflicht).
Nominalwert ⇒ Nennbetrag ⇒ Nennwert. Nominalzins der auf den → Nennwert bezogene Ertrag (→ Zins) eines (festverzinslichen) → Wertpapiers. Gegensatz: → Realzins. Non-Profit-Organisationen (NPO) Einrichtungen in frei-gemeinnütziger (→ Gemeinnützigkeit) oder privat-gewerblicher Trägerschaft, die ergänzend zum → Markt und/oder Staat für ihre Mitglie430
Nottestament → Testament. NPO ⇒ Non-Profit-Organisationen. Nutzen Zustand erreichter Bedürfnisbefriedigung (→ Bedürfnisse), der den → privaten Haushalten aus dem → Konsum von → Gütern erwächst. Nutzenmaximierung Handlungsstreben des in der Verwendung seiner finanziellen Mittel nach dem → öko-
Nutzenmaximierung
nomischen Prinzip verfahrenden → privaten Haushalts. Nutzentransparenz → Markttransparenz. Nutzwertanalyse 1. Ursprung. Die N. (auch: Punktbewertungsverfahren oder Scoring-Modell genannt) wurde in den USA unter der Bezeichnung „utility analysis“ entwickelt. In Deutschland machte sie Zangemeister (1970) als Methodik zur systematischen Entscheidungsvorbereitung bekannt. In der → Betriebswirtschaftslehre gilt sie als Managementtechnik und exaktes Entscheidungsverfahren. In Lehrbüchern finden sich ausgearbeitete Beispiele, unter anderem zur Auswahl des Betriebsstandorts, von Lieferanten, Personal und Marketinginstrumenten (siehe Schierenbeck 1998, Vahs 2005, Wöhe 2000). Ihrer Methodik bedient sich auch die → Stiftung Warentest bei der Verarbeitung der Ergebnisse von Waren- und Dienstleistungstests. 2. Bildungsziel. Im Ökonomieunterricht dient die N. dem Auf- und Ausbau der Analyse- und Entscheidungskompetenz als Teil der Fachkompetenz sowie der domänenspezifischen Methodenkompetenz. Um Handlungssituationen ökonomisch analysieren zu können, müssen die Schüler lernen, ihre tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten zu ermitteln und die Handlungsgrenzen zu berücksichtigen. Um Entscheidungen ökonomisch begründen zu können, müssen sie lernen, die objektiven Folgen alternativer Handlungen zu ermitteln, diese anhand ihrer subjektiven → Präferenzen zu bewerten und die aus individueller Sicht beste Alternative auszuwählen. 3. Voraussetzungen. Die N. ist als Universalmethode zur rationalen Entscheidungsfindung auf inhaltlich sehr verschiedene Auswahlprobleme sinnvoll anwendbar. Mindestens folgende Voraussetzungen müssen dafür gegeben sein: 1) Es existieren mehrere Lösungsalternativen. 2) Keine Alternative ist auf den ersten Blick eindeutig überlegen. 3) Der Vergleich soll anhand quantitativer und qualitativer Merkmale erfolgen. 4) Der Aufwand zur Ermittlung
Nutzwertanalyse
der besten Alternative steht in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung des Auswahlproblems. 4. Methodik. Die N. dient der optimalen Entscheidung. Dazu werden alle Lösungsalternativen systematisch miteinander verglichen. Sie werden zunächst anhand entscheidungsrelevanter, quantitativer (z. B. → Kosten, → Umsatz, → Gewinn) und qualitativer (z. B. Zuverlässigkeit, Service, Qualifikation) Kriterien bewertet. Ihr Zielerreichungsgrad wird in Punktwerten ausgedrückt, z. B. auf einer Skala von 1 (sehr schlecht) bis 10 (sehr gut). Alle Kriterien sind aus dem für das Auswahlproblem relevanten Zielsystem abgeleitet. Durch die Transformation der verschiedenen Merkmalsausprägungen in einen einheitlichen, dimensionslosen Maßstab (Nutzwerte, Punktwerte, Scores) werden die Zielerreichungsgrade miteinander verrechenbar. Um der unterschiedlichen Bedeutung der Entscheidungskriterien Rechnung zu tragen, werden die Bewertungsergebnisse mit einem Faktor gewichtet, z. B. mittels Prozentwerten oder ganzer Zahlen zwischen 1 (wenig wichtig) und 5 (sehr wichtig). Durch die Multiplikation der Gewichte je Entscheidungskriterium mit den Bewertungspunkten der Lösungsalternative und die anschließende Addition der gewichteten Teilwerte ergibt sich der Gesamtwert für die Lösungsalternativen. Die Alternative mit der höchsten Gesamtpunktzahl (= Nutzwert) ergibt die optimale Entscheidung. Da die N. anhand systematischer Rechenschritte zur optimalen Lösung führt, gilt sie als ein exaktes Optimierungsverfahren. Ihre Besonderheit ist, dass neben quantitativen auch qualitative Entscheidungskriterien – und damit ein mehrdimensionales Zielsystem – berücksichtigt werden. Die Methode macht Entscheidungsprozesse transparent und für andere nachvollziehbar. 5. Unterrichtsverlauf. Als Mikromethode des Unterrichts muss die N. stets in ein Unterrichtskonzept oder eine Makromethode (z. B. → Fallmethode) integriert werden. Ihr eigener Ausgangspunkt ist das Optimierungsproblem mit der Frage: „Welche Lösung ist die beste?“ Der Unterrichtsverlauf 431
Nutzwertanalyse
Nutzwertanalyse
Lösungsalternativen A1
A3 Gewichtete Teilwerte A3
Bewertung A3
Gewichtete Teilwerte A2
Bewertung A2
Gewichtete Teilwerte A1
Bewertung A1
Gewicht
Bewertung/Gewichtung der Lösungsalternativen Entscheidungskriterium
A2
K1:
(z. B. quantitatives Kriterium)
15
9
135
3
45
6
90
K2:
(z. B. qualitatives Kriterium)
60
5
300
7
420
8
480
K3:
…
25
10
250
9
225
2
Summe/Nutzwert
100
685
690
50 620
Abb.: Vereinfachtes Schema der Nutzwertanalyse mit Zahlenbeispiel. In Anlehnung an: Wildner 2007, S. 39. folgt von da an der inneren Entscheidungslogik der Methode. Er gliedert sich deshalb in die vier Schritte: 1) Bestimmung relevanter Entscheidungskriterien zur Bewertung der Lösungsalternativen, 2) Gewichtung der Kriterien gemäß ihrer Bedeutung (z. B. gemäß der Präferenzordnung des Anwenders) durch Verteilung von 100 Gewichtspunkten auf die Kriterien, 3) Bewertung der Lösungsalternativen für jedes Kriterium mittels Punktwerten, 4) Ermittlung der Alternative mit dem höchsten Nutzwert. Auf Schritt 2 kann bei Einführung der Methode gegebenenfalls verzichtet werden, um die Schüler dessen Notwendigkeit entdecken zu lassen. 6. Einsatzmöglichkeiten. Ein früher Einsatz der N. in der Sekundarstufe I ist möglich, wenn die Komplexität niedrig gehalten wird. Gestaltungselemente sind das zugrunde liegende Optimierungsproblem, die Zahl der Lösungsalternativen, die Zahl der Entscheidungskriterien sowie die Einfachheit und Eindeutigkeit der Bewertung. Die Möglichkeit, die Komplexität sukzessive zu steigern, erlaubt einen wiederholten Einsatz in höheren Klassen sowie in der Sekundarstufe II im Sinne eines Spiralcurriculums. 7. Beispiele. → Konsumenten, Geldanleger, Kreditnehmer, Versicherte, Berufswähler, Erwerbstätige und Wirtschaftsbürger tref432
fen zahlreiche Auswahlentscheidungen, die als lebenspraktische Beispiele zur Einübung der N. herangezogen werden können: z. B. Entscheidungen über die Anschaffung langlebiger → Gebrauchsgüter oder deren → Finanzierung, zwischen verschiedenen Formen der → Geldanlage, konkurrierenden Nachhilfeinstituten oder Fahrschulen. Auch die → Berufswahl und die Wahl des Praktikumsbetriebes lassen sich mit der N. rational anleiten. 8. Potenziale. → Ökonomische Bildung konzentriert sich extensional auf Entscheidungen, die in → privaten Haushalten, → Betrieben und → Unternehmen sowie in Einrichtungen des Staates typischerweise getroffen werden. Intensional schließt sie nur rationale Entscheidungen ein, die auf einem Vergleich von Alternativen nach Nutzen- und Kostengesichtspunkten basieren. Es wird dabei unterstellt, dass das einzelne → Wirtschaftssubjekt das individuell beste Ergebnis erzielen möchte. In elaborierter Form beruht die Entscheidung auf der Anwendung ökonomischer Abwägungsverfahren. Die Besonderheit der ökonomischen Begründung von Entscheidungen ist in dem Versuch der Optimierung in Anbetracht der Knappheit zu sehen. Die N. repräsentiert dieses Spezifikum ökonomischen Denkens und damit die ökonomische Rationalität prototypisch. Ist den Schülern auch die
Nutzwertanalyse
Auslotung des Handlungsspielraums und die Ermittlung der Lösungsalternativen übertragen (und nicht vorgegeben), so kann mit ihr auch die Fähigkeit, Handlungssituationen ökonomisch zu analysieren, trainiert werden. Die methodisch angeleitete Lösung lebenspraktischer Auswahlprobleme fördert sowohl die ökonomische Fachkompetenz als auch die fachspezifische Methodenkompetenz. In den Entscheidungskriterien sowie in den Gewichtungsfaktoren kommen zudem die persönlichen Präferenzen, Ziele und Werthaltungen zum Ausdruck (Selbstkompetenz als Ziel ökonomischer Bildung). 9. Grenzen. Die Subjektivität im Bewertungs- und Gewichtungsprozess führt allerdings auch zu Kritik an der Methode, denn sie erschwert die intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Entscheidung und eröffnet Möglichkeiten der Manipulation. Das formale Vorgehen und die in Zahlen ausgedrückten Bewertungen allein können Objektivität und Exaktheit nicht garantieren. Wo qualitative Entscheidungskriterien nicht relevant und objektive Bewertungen möglich sind, sind daher andere exakte Optimierungsverfahren vorzuziehen, z. B. die
NV-Bescheinigung
Kapitalwertmethode bei der Investitionsrechnung. Literatur: Retzmann, Thomas/Höckesfeld, Nadja (2010): Die Nutzwertanalyse in der ökonomischen Verbraucherbildung. In: Thomas Retzmann [Hrsg.] Finanzkompetenz und ökonomische Verbraucherbildung. Schwalbach/Ts. Schierenbeck, Henner (1998): Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre. 13. Aufl., München. Vahs, Dietmar/ Schäfer-Kunz, Jan (2005): Einführung in die Betriebswirtschaftslehre. 4. Aufl., Stuttgart, S. 79–81. Wildner, Claudia (2007): Die Nutzwertanalyse. In: Thomas Retzmann [Hrsg.]: Methodentraining für den Ökonomieunterricht. Schwalbach/Ts., S. 35–45. Wöhe, Günther (2000): Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre. 20. Aufl., München. Zangemeister, Christof (1970): Nutzwertanalyse in der Systemtechnik. München. Prof. Dr. Thomas Retzmann, Duisburg-Essen NV-Bescheinigung ⇒ Nichtveranlagungsbescheinigung.
433
Objektsteuern
öffentlicher Glaube des Grundbuchs
O Objektsteuern → Besitzsteuern. Obliegenheiten ⇒ Obliegenheitspflichten 1. allgemein: auf Gesetz oder → Vertrag beruhende, regelmäßig nicht erzwingbare besondere Pflichten. 2. im Versicherungsrecht: vom Versicherer dem Versicherungsnehmer auferlegte Verhaltenspflichten, deren schuldhafte Verletzung den Versicherer seiner Leistungspflicht enthebt. Das Versicherungsvertragsgesetz unterscheidet O., die der Versicherungsnehmer vor Eintritt des Versicherungsfalles und solche, die er nach dessen Eintritt zu beachten hat. Siehe insbesondere: → Haftpflichtversicherung, → Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, → Reisegepäckversicherung. Obliegenheitspflichten ⇒ Obliegenheiten. Obligationen ⇒ Schuldverschreibungen ⇒ Rentenpapiere ⇒ Anleihen. Oder-Konto → Gemeinschaftskonto. OECD Abk. für: Organization for Economic Cooperation and Development = Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Nachfolgeorganisation der → OEEC seit 1960. Umfaßt gegenwärtig weltweit 34 Mitgliedsländer, die sich in demokratischer und marktwirtschaftlicher Ausrichtung zu folgenden Zielen bekennen: Förderung nachhaltigen Wirtschaftswachstums, Anstrebung einer höheren Beschäftigung, Steigerung des Lebensstandards, Stabilerhaltung des Preisniveaus. Darüber hinaus sollen die → Entwicklungsländer unterstützt und der Welthandel erweitert werden. Siehe auch: → Entwicklungshilfe. OEEC Abk. für: Organization for European Economic Cooperation. 1948 von 17 europäischen 434
Ländern gegründet, um die Verwendung der ERP-Mittel (→ ERP-Kreditprogramm) und den Wiederauf bau ihrer Wirtschaften zu koordinieren. Wurde 1960 in eine neue Organisation, die → OECD, umgestaltet. öffentliche Abgaben → Abgaben. öffentliche Anleihen → Anleihen. öffentliche Beglaubigung → Form (Rechtsgeschäfte). im Gegensatz zur → notariellen Beurkundung die/das nach § 129 Bürgerliches Gesetzbuch von einem Notar (oder einer entsprechenden Amtsperson) lediglich bekundete (beglaubigte) Unterschrift/Handzeichen auf einer von einer Person schriftlich abgegebenen Erklärung. öffentliche Beurkundung → Form (Rechtsgeschäfte). öffentliche Güter ⇒ Kollektivgüter → Güter. öffentliche Hand Bezeichnung für → Körperschaften des öffentlichen Rechts, insbesondere hinsichtlich ihrer unternehmerischen Tätigkeit (öffentliche → Betriebe) oder ihres → Vermögens. öffentliche Versteigerung → Versteigerung. öffentlicher Dienst berufliche Tätigkeit (als → Beamter, → Angestellter oder → Arbeiter) bei den → Körperschaften des öffentlichen Rechts. öffentlicher Glaube des Grundbuchs nach § 891 Bürgerliches Gesetzbuch darf vermutet, das heißt angenommen werden, daß das → Grundbuch die Grundstücksrechte richtig und vollständig widergibt. Die Bedeutung dieser Vermutung liegt darin, daß das Bestehen der eingetragenen und das Nichtbestehen der gelöschten Rechte im Prozeß keines Beweises bedarf.
öffentlicher Haushalt
öffentlicher Haushalt → Haushalt. öffentlich geförderter Wohnraum ⇒ Sozialwohnungen. Öffnungsklauseln, tarifvertragliche Festlegungen im → Tarifvertrag, die unter bestimmten Voraussetzungen Vereinbarungen zu Ungunsten der → Arbeitnehmer zulassen. Öko-Audit ⇒ Umwelt-Audit eine Art ökologischer Betriebsprüfung, die die verschiedenen betrieblichen Funktionsbereiche systematisch erfaßt, bewertet und dokumentiert. Das Ö. wird durch EGVerordnung vom 29. 6. 1993 (Verordnung Nr. 1836/93 des Rates über die freiwillige Beteiligung gewerblicher Unternehmen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung) angeregt. In Deutschland sind die Umsetzungsbestimmungen seit April 1995 in Kraft. Eine Erweiterungsverordnung, die das Ö. auch auf Dienstleistungssektoren wie Handel, Verkehr, Gastgewerbe, Kredit- und Versicherungswirtschaft sowie die Kommunalverwaltungen ausdehnt, trat im Februar 1998 in Kraft. Ökologie Wissenschaft von den Beziehungen lebender Organismen untereinander wie auch mit ihrer belebten und unbelebten natürlichen Umwelt. Das besondere Interesse gilt den Auswirkungen der Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung. ökologische Marktwirtschaft ⇒ ökosoziale Marktwirtschaft. Ökonometrie besonderer Zweig der mathematischen → Wirtschaftstheorie, der auf die Verbindung von quantitativer ökonomischer Theorie und empirischer Wirtschaftsforschung abhebt. Sie befaßt sich insbesondere mit der empirischen Überprüfung theoretischer Modelle und bemüht sich zu möglichst exakten numerischen Aussagen zu gelangen.
Ökonomie des Glücks
Ökonomie vom griech. oikos = das Haus, abgeleitete Bezeichnung für → Wirtschaft. Ökonomie des Glücks Was lässt sich aus ökonomischer Sicht zum Glück sagen? Sollte dieses Thema nicht eher den Philosophen, Theologen oder Psychologen überlassen werden? In der Tat haben diese sich ausführlich mit Glück befasst. Im Vordergrund steht dabei die Befindlichkeit der einzelnen Personen. Daraus ist sogar so etwas wie eine „Glücksindustrie“ entstanden, die den Menschen Ratschläge erteilt, wie sich glücklich leben lässt. Mehr überrascht, dass sich heute auch Wirtschaftswissenschaftler intensiv mit dem Thema beschäftigen. Dies ist kein Zufall, denn das letzte Ziel des Wirtschaftens liegt in der Maximierung des Nutzens (→ Nutzenmaximierung) der Menschen angesichts beschränkter Möglichkeiten. In der Wirtschaftstheorie wurde allerdings dieser Nutzen bisher nicht quantitativ erfasst. Die wichtigsten Aussagen über das Verhalten der Menschen in der Wirtschaft lassen sich nämlich theoretisch und empirisch ableiten, ohne dass der Nutzen gemessen wird. Dies gilt vor allem für das grundlegende Nachfragegesetz. Dieses besagt, dass bei steigendem Preis für ein Gut oder eine Dienstleistung die nachgefragte Menge zurückgeht. In jüngster Zeit hat sich die Situation in der Forschung drastisch geändert. Sozialpsychologen haben gezeigt, dass sich das Glücksempfinden von Personen mithilfe sorgfältiger Befragungen befriedigend messen lässt. Eine zufällige Stichprobe von Leuten wird nach ihrer subjektiven Zufriedenheit mit dem Leben befragt, wobei sie auf einer Skala von l („ganz und gar unzufrieden“) bis 10 („ganz und gar zufrieden“) antworten können. Für die Schweiz wurde in den Jahren 1992 bis 1994 eine derartige Untersuchung durchgeführt, wobei über 6000 Personen persönlich angesprochen wurden. Ein grosser Anteil der Schweizer fühlt sich nach eigenem Bekunden „zufrieden“ oder „ganz und gar zufrieden“. Wenn man an die vielen griesgrämig aussehenden Straßenbahnfah435
Ökonomie des Glücks
rer am Morgen denkt, mag dies vielleicht erstaunen. Tatsächlich stufen sich aber die Schweizer gerade auch im Vergleich zu den Angehörigen anderer Länder als durchaus glücklich ein. Dieser Befund ist gut gesichert: Wer sich selbst als glücklich einstuft, wird auch von der Umgebung als glücklich eingeschätzt und lacht im Gespräch mit ändern auch mehr. Wichtiger als sich mit dem durchschnittlichen Glücksniveau zu beschäftigen, ist jedoch zu erfahren, auf welche Ursachen zurückzuführen ist, dass Menschen glücklich sind. Der Zusammenhang zwischen dem individuellen Glück und dessen Ursachen lässt sich mithilfe statistischer (ökonometrischer) Methoden ableiten. Es können drei Gruppen von Ursachen unterschieden werden: l. Demografische Faktoren Der wichtigste Faktor ist die Gesundheit. Wer krank ist, fühlt sich weit weniger glücklich, als wer gesund ist. Es lässt sich auch eine Entwicklung des Glücks im Verlauf des Alters feststellen. Das Wohlbefinden fällt von der Jugend bis zur Mitte der 30er Jahre leicht ab. Danach nimmt es wieder zu. Die beiden erwähnten Einflüsse der Gesundheit und des Alters werden dabei unabhängig voneinander erfasst. Wer somit im Alter krank ist, fühlt sich weniger glücklich als jemand, der sich guter Gesundheit erfreut – was heute immer mehr Senioren erleben dürfen. Es ist eine wichtige Erkenntnis, dass Älterwerden nicht notwendigerweise mit einem Verlust an Lebensqualität verbunden ist. Paare sind glücklicher als Singles und Alleinerziehende. Frauen im Berufsleben sind genauso zufrieden mit ihrem Leben wie Männer. Hausfrauen sind jedoch glücklicher. 2. Wirtschaftliche Faktoren Unter den wirtschaftlichen Bestimmungsgründen dominiert die Arbeitslosigkeit. Wer keine Arbeit hat, büßt ganz wesentlich an Wohlbefinden ein. Etwas überraschend steigert ein höheres Einkommen das Glücksempfinden nur wenig. Bezieher hö436
Ökonomie des Glücks
herer Einkommen fühlen sich zwar glücklicher als solche mit tieferem Verdienst, aber der Unterschied ist nicht sehr groß. In vielen Ländern ist das Einkommen pro Kopf in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen, die Indikatoren für das Glück haben sich aber kaum verändert. Einkommen an sich bringt offensichtlich wenig Zufriedenheit, entscheidend ist vielmehr der Vergleich mit anderen Personen. Eine allgemeine Einkommenssteigerung macht nicht viel glücklicher, wichtiger ist, ob man mehr verdient als die Nachbarn oder Kollegen. 3. Institutionelle Faktoren Mein Mitarbeiter Alois Stutzer und ich haben noch einen ganz anderen Einfluss auf das Glück nachweisen können. Wir zeigen mittels eines Vergleichs des Wohlbefindens in den unterschiedlichen Kantonen der Schweiz, dass zwei für unser Land typische politische Institutionen von großer Bedeutung sind: Je stärker entwickelt die Institutionen der direkten Demokratie sind, desto glücklicher sind die Menschen. Können sich die Bürger mittels Initiativen und Referenden unmittelbar politisch beteiligen, sind die Politiker gezwungen, auf deren Wünsche einzugehen. Zum Nutzen aus dem vorteilhaften Ergebnis kommt mein Nutzen aus der Beteiligungsmöglichkeit an sich. Wenn die Bürger das politische Geschehen mitbestimmen können, sind sie auch bereit, Entscheidungen zu akzeptieren, die ihnen ansonsten nicht unbedingt gefallen. Dieses Ergebnis entspricht früheren Forschungsresultaten, die ebenfalls günstige Auswirkungen der direkten Demokratie auf die Wirtschaft festgestellt haben. So wurde etwa nachgewiesen, dass je stärker ausgeprägt die direktdemokratischen Institutionen sind, desto geringer die staatliche Verschuldung pro Einwohner, desto höher die Steuermoral und desto geringer deshalb die Steuerhinterziehung sowie desto höher das Pro-Kopf-Einkommen ist. Auch der Föderalismus als zweite grundlegende politische Institution der Schweiz beeinflusst das Glücksempfinden wesentlich. Je stärker die Gemeindeautonomie ausgeprägt ist, desto zufriedener sind die Einwohner. Politische Dezentralisierung er-
Ökonomie des Glücks
weist sich demnach auch aus dieser Warte als wichtig. Aus diesem Grund sollten Vorschläge, Gemeinden und Kantone zu fusionieren, mit Skepsis behandelt werden. Die Bürger fühlen sich offensichtlich in den historisch gewachsenen politischen Einheiten wohl, und deshalb sollen sie erhalten und nicht zerstört werden. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sollten von all jenen zur Kenntnis genommen werden, die das Ausmaß an direkter Demokratie vermindern und den Föderalismus einschränken wollen. Es sollte im Gegenteil alles versucht werden, die direkten Mitwirkungsrechte der Bürger zu stärken und die Entscheidungsrechte weitgehend zu dezentralisieren. Glück hat viel mit den wirtschaftlichen und institutionellen Gegebenheiten zu tun. Im Gegensatz zu manchen Auffassungen wird Glück nicht nur im engen privaten Raum bestimmt, sondern hat eine wichtige gesellschaftliche Komponente. Damit hängt das Glück der Menschen auch von der Politik ab. Wir in der Schweiz haben den Vorzug, in der direkten Demokratie und dem Föderalismus Institutionen zu besitzen, die zwar nicht ideal sind, aber doch dem Glück der Menschen förderlich sind. Literaturhinweise: Frey, Bruno (2008): Happiness: A Revolution in Economics. Cambridge, MA und London, England: MIT Press. Frey, Bruno/Alois Stutzer (2002): Happiness and Economics. How the Economy and Institutions affect human WellBeing. Princeton, New Jersey: Princeton University Press. Gilbert, Daniel (2007): Ins Glück stolpern: Über die Unvorhersehbarkeit dessen, was wir uns am meisten wünschen. München: Riemann. Layard, Richard (2009): Die glückliche Gesellschaft. Kurswechsel für Politik und Wirtschaft, Franfurt am Main: Campus. Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Bruno S. Frey, Zürich/Schweiz Ökonomie des privaten Haushalts ⇒ Wirtschaftslehre des privaten Haushalts Ökonomisches Verhalten hat zwei Aspekte: einen materiellen, das ist der Aspekt der Güterversorgung für die Bedarfsdeckung
Ökonomie des privaten Haushalts
und Bedürfnisbefriedigung, und einen formalen, das ist der Aspekt der Entscheidung zwischen Alternativen. Beide Aspekte sind eine Konsequenz der Güterknappheit. Zur Überwindung der → Knappheit organisieren die Menschen den Wirtschaftsprozeß und bilden ökonomische Institutionen. Zu diesen Institutionen gehören → private und → öffentliche Haushalte und → Unternehmen sowie → Märkte. Private Haushalte sind durch ihre Mitglieder agierende Institutionen, deren Hauptfunktion die unmittelbare Bedarfsdeckung ist, d. h. die Organisation der ersten und letzten Produktions- und Konsumprozesse in der gesamtwirtschaftlichen Gütertransformation. Alleinstehende und Primärgruppen, wie Familien und Wohngemeinschaften, gründen und führen private Haushalte, um ihre personalen Versorgungsprozesse eigenverantwortlich, kostengünstig und zufriedenstellend zu vollziehen. Die Steuerung des Haushaltsprozesses erfolgt nicht nur über Märkte, sondern vor allem durch individuelle → Bedürfnisse und haushaltsinterne Koordinationsmechanismen, wie Liebe, Drohung und Verhandlung. Der Haushaltsprozeß zielt letztlich auf die Erhaltung und Entwicklung der Vitalfunktionen der Haushaltsmitglieder. Der permanente Abfluß an Energie muß ausgeglichen werden, und das materielle Versorgungsniveau soll im Normalfall erhöht werden bzw. nicht unter eine kritische Schwelle sinken. Dafür müssen → Güter, z. B. → Arbeit und → Geld, als → Ressourcen eingesetzt und zunächst konsumierbare Güter erstellt werden, die konsumiert und – über die Regeneration der Haushaltsmitglieder und das damit gebildete Humanvermögen – erneut als Ressourcen genutzt werden können bzw. zur Aneignung von Ressourcen befähigen. Der Haushaltsprozeß ist folglich ein metabolischer Prozeß, der auf der Zufuhr, Transformation und Abfuhr von Materie und Energie einschließlich Informationen basiert und Austauschbeziehungen mit der sozioökonomischen und ökologischen → Umwelt erfordert. Dies setzt Entscheidungen über die Beschaffung und Verwendung von Gütern voraus, insbesondere über 437
Ökonomie des privaten Haushalts
Arbeitsangebot, Konsumgüternachfrage und → Vermögensbildung. Mit der Verfolgung der persönlichen Interessen der Haushaltsmitglieder konstituieren die privaten Haushalte zugleich im wesentlichen die sozioökonomischen Makrostrukturen der Bevölkerung, → Wirtschaft und → Gesellschaft. Diese Prozesse sind jedoch überwiegend nicht zielgerichtet und unkoordiniert. Für die Ö. spielen diese Zusammenhänge gleichwohl insofern eine Rolle, als normgebende Institutionen, wie Staat und Wissenschaft, diesbezügliche Anforderungen stellen und Empfehlungen geben, z. B. zum → Umweltschutz beizutragen, die im Werte- und Zielsystem des Haushalts Berücksichtigung finden bzw. Rahmenbedingungen des Haushaltsprozesses darstellen. Der Haushaltsprozeß ist ein spezifischer Transformationsprozeß, in dessen Verlauf die Bedürfnisse der Haushaltsmitglieder in Haushaltsziele und die Ressourcen des Haushalts in Haushaltsendprodukte umgewandelt werden. Die Bedürfnisse beziehen sich auf grundlegende Aspekte des Lebens, wie Nahrung, Gesundheit, Prestige und Liebe. Diese werden nach Maßgabe persönlicher Wertschätzungen und aktueller Handlungsmöglichkeiten in konkreten Wünschen zum Ausdruck gebracht und damit als Ziele formuliert. Individualziele sind nur in Einpersonenhaushalten mit Haushaltszielen identisch. In Mehrpersonenhaushalten ist eine Zielabstimmung erforderlich. Die gemeinsame Zielfindung kann durch Unterordnung, Tausch oder Verhandlung („Familienkonferenz“) erfolgen. Die angestrebten Haushaltsendprodukte sind immaterielle Güter, und zwar Humanvermögen und positive mentale Zustände der Haushaltsmitglieder, wie Zufriedenheit. Diese resultieren aus der Nutzung überwiegend vom Markt beschaffter Vorleistungen, z. B. Haushaltsgeräte und Nahrungsgüter, und selbst erstellter Zwischenprodukte, wie der Haushaltsinfrastruktur, z. B. der eingerichteten Wohnung, und unmittelbar konsumreifen Gütern, z. B. verzehrfertigen Mahlzeiten. Formal läßt sich die Haushaltsproduktion durch eine Produktionsfunktion und die Bedürfnisbefriedigung als Satisfizierung 438
Ökonomie des privaten Haushalts
oder Maximierung einer Nutzenfunktion darstellen. Während die Konsumleistungen, wie Nährstoffumsatz, Schlaf und Freizeitgestaltung, selbst vollzogen werden müssen, kann die Haushaltsproduktion von anderen Haushaltsmitgliedern übernommen oder zum Teil ausgelagert werden, z. B. in Restaurants und Wäschereien. Die Erstellung der Zwischenprodukte, also der unmittelbare Versorgungsprozeß, ist Dienstleistungsproduktion, die von keiner anderen Institution als privaten Haushalten in vergleichbarer Weise sowohl einzelwirtschaftlich kostengünstig als auch persönlich zufriedenstellend erbracht werden kann, weil die Haushaltsmitglieder ihre Bedürfnisse am besten kennen und der Haushaltsprozeß in Mehrpersonenhaushalten einen permanenten Kommunikationsprozeß zwischen den Haushaltsmitgliedern einschließt. Auf allen Stufen des haushaltsinternen Produktions- und Konsumprozesses fallen – je nach Aktivitätsbereich in unterschiedlichem Umfang – unbeabsichtigte Kuppelprodukte und damit gesamtwirtschaftliche Kosten an, von denen die Umweltbelastungen, insbesondere feste und gasförmige Emissionen, besonders problematisch sind. Der haushaltsinterne Transformationsprozeß ist nicht nur ein Zielbildungs- sowie Produktions- und Konsumprozeß, sondern auch ein Prozeß der Einkommensentstehung und -verwendung. Das Geldeinkommen ist dabei allerdings nur ein Teil und eine Zwischenstufe des → Einkommens. Die gesamte Arbeitszeit der Haushaltsmitglieder ist das potentielle Einkommen, das auf Erwerbsarbeit und Haushaltsproduktion verteilt wird und zu einem Geld- und Naturaleinkommen führt. Das Geld wird in → Konsum- und → Investitionsgüter umgewandelt, die in der Haushaltsproduktion verarbeitet und schließlich konsumiert werden. Die damit bewirkte Versorgungs- und Lebenszufriedenheit ist das letztlich erzielte Einkommen der Haushaltsmitglieder. Einkommensverwendung ist folglich nicht nur die Verteilung der Ausgaben auf Marktentgelte und Steuerzahlungen, sondern – grundlegend – die Verteilung der Zeit bzw. des Aktivitätspotentials auf Erwerbsarbeit, Haushaltsproduktion,
Ökonomie des privaten Haushalts
Freizeit und Regeneration und die damit verbundenen sonstigen Gütereinsätze. Zu den grundlegenden und regelmäßigen Entscheidungen des privaten Haushalts gehören die Verteilung des Aktivitätspotentials der Haushaltsmitglieder auf die verschiedenen Arbeits- und Freizeitbereiche, die Verwendung des Geldeinkommens für konsumtive und investive Ausgaben sowie die Verteilung der Konsumausgaben auf die zu beschaffenden Marktgüter und der → Investitionen auf die Anlagealternativen. Weniger regelmäßige Entscheidungen betreffen die personelle Haushaltszusammensetzung sowie die → Aus- und → Weiterbildung der Haushaltsmitglieder. Die Entscheidungen werden teils emotional, teils rational getroffen und soweit wie möglich routinisiert, weil damit die Entscheidungskosten, vor allem die Informationsbeschaffung und Abstimmung, entfallen. Folglich kann auch Gewohnheitshandeln rational sein. Die rationalen Entscheidungen sind teils wertrational, teils zweckrational fundiert. Wertrationalität oder haushälterische Vernunft (Egner) ist an ethischen Prinzipien i. w. S. orientiert, z. B. an politischen, religiösen oder sozialen Maximen. Zweckrationalität oder ökonomische Rationalität ist am individuellen Kosten-Nutzen-Kalkül (→ Homo oeconomicus-Modell) orientiert, d. h. die Handlungsalternativen werden nach Maßgabe ihres Beitrags zur → Nutzenmaximierung, also in der Rangfolge der erwarteten Überschüsse der → Nutzen über die → Kosten, gewählt. Wenn altruistische Motive als Argumente in der Haushaltsnutzenfunktion berücksichtigt werden, läßt sich auch Wertrationalität als individuelles KostenNutzen-Kalkül deuten. Tatsächlich erfährt wohl nicht nur der Beschenkte, sondern auch der Schenkende eine Nutzenstiftung. Vollständige Entscheidungsprozesse mit Informationssuche, Alternativenbeurteilung, Entschluß und Kontrolle werden am ehesten dann vollzogen, wenn es sich um stark ressourcenbindende und seltene Entscheidungen handelt, bei denen Traditionen vergleichsweise unbedeutend sind und zugleich Bewertungsmaßstäbe durch den Markt bereitgestellt werden. Beispiele dafür
Ökonomie des privaten Haushalts
sind vor allem Investitionen in Geld- und Sachvermögen, Käufe langlebiger → Gebrauchsgüter, die Wahl der Einkaufsstätten für Güter des täglichen → Bedarfs und Bildungsentscheidungen. Auch die Partnerwahl und die Entscheidung für oder gegen Nachwuchs kann Ergebnis eines solchen Entscheidungsprozesses sein. Die empirische Entscheidungstheorie legt allerdings dar, dass Entscheider nicht nur in der Beschaffung und Verarbeitung von Informationen kapazitätsmäßig beschränkt sind, sondern auch Irrtümern bei der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen unterliegen, z. B. Zeitkosten vernachlässigen und Wahrscheinlichkeiten falsch einschätzen. Entgegen der Annahme der normativen Entscheidungstheorie bewerten Entscheider gegebene Alternativen im Zuge einer mentalen Transformation nach bestimmten subjektiven Regeln und mit Bezug auf auf Orientierungspunkte, die nicht ein für allemal festliegen. Folglich verhalten sie sich nicht in dem Sinne rational, wie es in der mikroökonomischen Theorie angenommen wird. Literatur: Boulding, Kenneth E.: A Preface to Grants Economics. The Economy of Love and Fear. New York 1981; Egner, Erich: Der Haushalt. Eine Darstellung seiner volkswirtschaftlichen Gestalt. 2., umgearbeitete Aufl., Berlin 1976; Jungermann, Helmut/ Pfister, Hans-Rüdiger/Fischer, Katrin: Die Psychologie der Entscheidung. Eine Einführung. 2. Aufl., München 2005; Kahneman, Daniel/Tversky, Amos (Hrsg.): Choices, Values and Frames. Cambridge 2000; Methfessel, Barbara: Hausarbeit zwischen individueller Lebensgestaltung, Norm und Notwendigkeit. Ein Beitrag zur Sozioökonomie des Haushalts. Baltmannsweiler 1992; Piorkowsky, Michael-Burkhard: Haushaltsökonomie. In: Kutsch, Thomas/Piorkowsky, Michael-Burkhard/Schätzke, Manfred: Einführung in die Haushaltswissenschaft. Haushaltsökonomie, Haushaltssoziologie, Haushaltstechnik. Stuttgart 1997; Raffée, Hans: Haushalte, private. In: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft. Teilband 1. 5. völlig neu gestaltete Aufl., Stuttgart 1993, Sp. 1644 – 1663; Schweitzer, Rosemarie von: 439
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Einführung in die Wirtschaftslehre des privaten Haushalts. Stuttgart 1991; Seel, Barbara: Ökonomik des privaten Haushalts. Stuttgart 1991; Zimmermann, Klaus F./Vogler Michael (eds): Family, Household and Work, Berlin-Heidelberg 2003. Prof. Dr. M.-B. Piorkowsky, Bonn ökonomische Bildung 1. Zum Bildungsbegriff: Akzeptieren wir die Sichtweise auf „Bildung“ als Ausstattung von Individuen mit solchen Kenntnissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Haltungen und Einsichten (Kompetenzen), mit deren Hilfe sie Lebenssituationen selbstverantwortlich bewältigen können, dann meint „ö.“ eben jene spezifischen Kompetenzen, die Situationen bewältigen helfen, denen wir das Attribut „ökonomisch“ zuschreiben. Diese Situationen lassen sich fachwissenschaftlich aus der Perspektive der Wirtschaftswissenschaften zunächst recht klar umschreiben. Demnach ist effektives problemlösendes Handeln und Kommunizieren gefragt, das geprägt ist durch → Bedürfnisse, → Knappheit von Gütern und Produktionsfaktoren, → Wettbewerb, mit Opportunitätskosten verbundende Wahlentscheidungen, Erfassung von Kreislaufzusammenhängen, der Berücksichtigung von Zielkonflikten sowie der Notwendigkeit der Koordination von Wirtschaftsprozessen. Sie können als bildungsbedeutsam gelten, wenn sie zugleich auch beachtliche Möglichkeiten der Persönlichkeitsentwicklung offerieren. Es ist üblich, diese Situationen mit den Handlungsbereichen des Konsumenten, des → Arbeitnehmers und Berufstätigen, des Wirtschaftsbürgers anzugeben. Wird der Bildungsbegriff im Sinne von personalen Kompetenzen zur Lebensbewältigung verwendet, macht es allerdings wenig Sinn, allgemeine von beruflicher und spezieller ö. unterscheiden zu wollen, ohne den Bildungsbegriff konkret auf den situativen Kontext mit den darin handelnden und kommunizierenden Individuen zu beziehen. Sinnvoller scheint es zu sein, Bildung nach den spezifischen Handlungs- und Erfahrungsfeldern der Lernenden sowie nach dem Grad der darin zu erwerbenden Handlungsfähigkeit zu unterscheiden. 440
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2. Grundlegende ökonomische Grundbildung: Ö. schließt ökonomisches Wissen als effektives Handlungswissen ein. Es ist effektiv, wenn es wirtschaftliches Handeln im Denken, in der Motorik und in der Sprache auslöst und neue Wahrnehmungen, Einsichten und Erkenntnisse im Rahmen operativer Schemata mit früheren Erfahrungen zusammenfaßt. Grundlegend ist ö. dann, wenn sie in möglichst allen, dem Lernenden zugänglichen ökonomischen Handlungsbereichen erzeugt wird und darüber hinaus im operationalen Zusammenhang des Erwerbs von ökonomischem Wissen mit dem Gestalten ökonomischer Situationen und dem sozialen Verhalten in ökonomischer Sprache und Kommunikation befördert wird. Grundlegende ö. weist deshalb Lernende auf die Bedeutung dieser Bildung für die Gestaltung einer Vielzahl ihrer Lebenssituationen hin und zeigt ihnen zugleich die mögliche Komplexität dieser Bildung als Voraussetzung für erfolgreiches ökonomisches Handeln an. Sie kann beispielsweise eine kritische Überprüfung der traditionellen wirtschaftlichen Fortschritts- und Wachstumsmodelle mit ihren auf permanente Neuschöpfung von Bedarfen und Nachfragemustern ausgelegten Wirtschaftsprozessen befördern. Ö. kann mit ihrer ethischen Dimension dazu anleiten, Lösungen für Dilemmata-Situationen mit ihrer Komplexität zu erfassen und mitzugestalten. Diese Situationen sind typisch für wirtschaftliche Zusammenhänge und entstehen immer dann, wenn erkennbare Vorteile für einen selbst zu Nachteilen für andere an dem Sachverhalt direkt beteiligte und auch unbeteiligte Personen führen können. Schließlich kann ö. Sprache und Kommunikation mit gesellschaftsökonomischen Argumenten anreichern sowie eine systemisch angelegte Aufklärung über Arbeits- und Beschäftigungsmärkte leisten. 3. Situative Ausprägungen ö.: (1) Berufliche ö.: Eine situative Ausprägung erfährt grundelgende ö. im Medium von → Berufsausbildung und beruflicher Tätigkeit. Darin erscheint ö. deutlich differenzierter als in allgemeinökonomischen Zusammenhängen beispielsweise als strukturiertes Fachwis-
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sen über grundlegende Zusammenhänge in einzelnen betriebswirtschaftlichen Entscheidungsbereichen wie Fertigung, Materialwirtschaft, → Marketing, Personalwirtschaft, in der Kompetenz für die Gestaltung von Büroarbeitsplätzen, im solidarischen Handeln zusammen mit anderen Arbeitnehmern bei der Durchsetzung von Einkommensinteressen oder in der fachkompetenten sprachlichen Auseinandersetzung mit der Ausbildungsleitung. Sie schließt eine berufs- und berufsfeldübergreifende ökonomische Grundbildung und eine wirtschaftsberufliche Bildung als ökonomische Fachbildung ein. (2) ö. für private Lebenssituationen: Eine ö., mit der spezielle Interessen und Neigungen verfolgt oder aber Pflichten erfüllt werden, wird häufig als spezielle ö. bezeichnet. Sie erweist sich beispielsweise in der rationalen Verwendung des Familieneinkommens für → Konsumgüter, bzw. der Vorbeugung von privater Überschuldung, → Sparen und Altersvorsorge, → Investition in → Bildung sowie im effektiven → Hauswirtschaften, in Kosten-Nutzen-Überlegungen oder bei der Pflege eines teuren Hobbys. Ö. für private Lebenssituationen ist also Bildung für einen Lebensbereich, der noch relativ frei ist für individuelles und kollektives Gestalten ohne soziale Festlegungen, auf den jedoch zunehmend auch wirtschaftliche Interessen handlungsregulierend einwirken. (3) ö. für soziales Handeln in öffentlichen Bereichen: Berufliche und private Lebenssituationen sind auf vielfältige Weise systematisch miteinander vernetzt und reguliert durch (marktwirtschaftliche) Grundordnungen, Institutionen im Wirtschaftsprozeß und soziale Festlegungen in der Form von Normen und wirtschaftsethischen Imperativen. Ö. für soziales, d. h. aufeinanderbezogenes wirtschaftliches Handeln umfaßt deshalb Wissen von der Position des Bürgers im → Wirtschaftssystem, vom Zusammenhang individueller und kollektiver ökonomischer Interessen anderer Personen, Gruppen und Organisationen, von wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Aktivitäten des Staates und von systemischen Zusammenhängen des Wirtschaftssystems mit
ökonomische Bildung
anderen sozialen Systemen wie Erziehung, Recht und Politik. Ö. ist eine notwendige Voraussetzung für Einsichten in die systemische Vernetzung von → Wirtschaft und → Gesellschaft sowie für deren Weiterentwicklung durch aktives Mitgestalten in sozialen Bereichen. Die Ursachen und Folgen der jüngsten Finanzkrise unterstreichen die Bedeutung der ö.: Sie sollte demnach zur Bildung mündiger Wirtschaftsbürgerinnen und Wirtschaftsbürger beitragen. (4) Zum Problem fachwissenschaftlicher Leitdisziplinen für ö.: Immer wieder wurde und wird versucht, ö. in den Eigenschaften von Lehrinhalten zu suchen und dieses Problem durch eine Zuordnung zu fachwissenschaftlichen Leitdisziplinen zu bearbeiten. So werden beispielsweise spezielle Betriebswirtschaftslehren den speziellen kaufmännischen → Berufen, allgemeine → Betriebswirtschafts- und → Volkswirtschaftslehre einer ökonomischen Allgemeinbildung, die Konsumökonomie der → Konsumentenerziehung, die Arbeitsökonomie der Arbeitserziehung, die → Umweltökonomie und die neueren Theorieansätze einer nachhaltig wirtschaftenden Unternehmung der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung zugewiesen. Dabei wird unterstellt, daß die Beschreibung von Handlungsfeldern, die Individuen mit ihren konkreten Handlungen anfertigen, mit Schneidungen von den wissenschaftlichen Disziplinen zumindest vergleichbar sind. Diese Unterstellung läßt sich aber weder erkenntnistheoretisch noch empirisch absichern ebensowenig wie der daraus abgeleitete Schluß, daß ein an fachwissenschaftlichen Leitdiziplinen orientiertes fachliches Lernen in der Schule schon hinreicht, um ökonomische Handlungskompetenz befördern zu können. Und wenn dann noch allein die → Wirtschaftswissenschaften als Leitdisziplin für eine ö. akzeptiert werden, hat das wohl eher mit liebgewonnener Tradition denn mit erkenntnistheoretischer Reflexion zu tun. Jedes ökonomische Fachwissen muß sich immer erst als effektives Handlungswissen erweisen. Das ist der Fall, wenn es bei Lernenden Handlungen auslösen kann, die von ihnen zu Erfahrungen verarbeitet und 441
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mit bisherigem Wissen strukturell zu neuen Erfahrungen verknüpft werden können, die wiederum Handlungen auslösen usw. Das immer wiederkehrende Argument, ökonomisches Fachwissen habe sich bereits im wissenschaftlichen Handeln und Kommunizieren als effektiv erwiesen, ist für die Vermittlung von Handlungsfähigkeit an Lernende als prinzipiell irrelevant zurückzuweisen. → Wirtschaftsdidaktik kann dieses Argument immer nur als eine Hypothese annehmen, die einer sorgfältigen empirischen Prüfung unterzogen werden muß. Die ständige Überprüfung der Relevanz von Fachwissenschaften für das Befördern ö. ist deshalb eine der wichtigen Aufgaben wirtschaftsdidaktischer Forschung. (5) Zum Problem einer berufsbezogenen ö.: Seit 1996 wird der berufsbezogene Unterricht in der Berufsschule nach dem Lernfeldkonzept gestaltet. Lernfelder sind didaktisch auf bereitete berufliche Handlungsfelder. Handlungsfelder sind zusammenhängende Aufgabenkomplexe mit beruflichen sowie lebens- und gesellschaftsbedeutsamen Handlungssituationen, zu deren Bewältigung die berufliche Erstausbildung einen Beitrag leisten soll. Ein solches Handlungsfeld von Industriekaufleuten ist z. B. die Kontrolle der Lagerbestände und das Auslösen eventuell notwendiger Bestellvorgänge. In diesem Handlungsfeld sind bestimmte betriebliche Handlungen zusammengefaßt: buchhalterische Erfassung von Lagerbeständen, Beschaffen von Informationen über die aktuellen Lagerbestände, Bewerten der Lagerbestände mittels Kennziffern, Auslösen des Beschaffungsvorgangs etc. Handlungsfelder beschreiben also die zukünftige Berufspraxis von → Auszubildenden inhaltlich und konkretisieren die an sie gestellen Anforderungen. Mit der Orientierung an Handlungsfeldern und den darin identifizierbaren Anforderungen verändert sich die Sichtweise auf ö. aber grundlegend: Nicht die fachwissenschaftlich begründete Systematik der Wirtschaftswissenschaften sondern die Systematik des Handelns in wirtschaftsberuflichen Situationen ist zum zentralen Kriterium für eine berufsbezogene ö. geworden. Anstelle 442
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der Orientierung an einer Fachwissenschaft tritt die Orientierung an tatsächlich vorfindlichen Arbeits- und Geschäftsprozessen. Ob damit jedoch die zuvor skizzierten Probleme einer an fachwissenschaftlichen Leitdisziplinen orientierten ö. bearbeitet werden können, ist zumindest fraglich. Völlig unklar ist beispielsweise, wie aus dem situativen Lernen am Fall ein systematisches Handlungswissen erwachsen soll. Auch stellt sich die Frage, inwieweit die Orientierung an vorfindlichen Arbeits- und Geschäftsprozessen nicht mit einer „funktionalistischen“ Anpassung der Lernprozesse auf aktuell am Arbeitsmarkt nachgefragte Qualifikationen einhergeht und dabei die Leitidee einer berufsübergreifenden, allgemeinen ökonomischen Bildung auf der Strecke bleibt. Auch die neue Sichtweise auf ö., die an empirisch vorfindlichen Arbeitsund Geschäftsprozessen anknüpft, muß auf pädagogische und didaktische Relevanz überprüft werden, wenn sie denn überhaupt noch den Bildungsbegriff ernst nimmt. Literatur: Albers, H.-J., Allgemeine sozioökonomisch-technische Bildung. Zur Begründung ökonomischer und technischer Elemente in den Curricula allgemeinbildenden Unterrichts. Köln, Wien 1987; Hedtke, R.: Sozialwissenschaftliche ökonomische Bildung. In: Fischer, A. (Hrsg.): Ökonomische Bildung – Quo Vadis?, Bielefeld 2006, S. 95–119; Kaiser, F.-J./Kaminski, H.: Methodik des Ökonomie-Unterrichts, Bad Heilbrunn 1994; Kaminski, H.: Ökonomische Bildung und Gymnasium. Ziele, Inhalte, Lernkonzepte des Ökonomieunterrichts, Neuwied 1996; ders.: Ökonomische Bildung und Schule, Neuwied 1999; Kruber, K.-P.: Hinführung zu „Denken in ökonomischen Kategorien“ als Aufgabe des Wirtschaftsunterrichts. In: Weitz, B. O. (Hrsg.): Standards in der ökonomischen Bildung, Bergisch-Gladbach 2005, S. 40–55; May, H.: Didaktik der ökonomischen Bildung, 8. Aufl., München 2010; ders.: Handbuch zur ökonomischen Bildung, 9. Aufl., München 2008; Rebmann, K./Tenfelde, W./Uhe, E.: Berufs- und Wirtschaftspädagogik. Eine Einführung in Strukturbegriffe, 3. Aufl., Wiesbaden 2005. Ulrich, P.: Wirtschafts-
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bürgerkunde als Orientierung im politischökonomischen Denken. In: Zeitschrift für Sozialwissenschaften und ihre Didaktik, 2001, 2 (http://www.sowi-onlinejournal. de/2001–2/wirtschafts buergerkunde_ulrich.htm); Wuttke, E.: Zur Notwendigkeit der Integration ökonomischer Bildung in die Allgemeinbildung und in die Lehrerbildung. In: Bolscho, D./Hauenschild, K. (Hrsg.): Ökonomische Bildung mit Kindern und Jugendlichen, Frankfurt a. M. 2008, S. 133–144. Prof. Dr. Walter Tenfelde, Hamburg/ Dr. Tobias Schlömer, Oldenburg ökonomische Entscheidungstheorie Entscheidungen treffen besagt, sich für oder gegen Handlungsalternativen auszusprechen; insofern sind Entscheidungen konstitutive Elemente menschlichen Verhaltens. Ihre wissenschaftliche Analyse ist Anliegen einer allgemeinen, soweit wirtschaftliche Sachverhalte tangiert sind, speziell der ö. Deren Untersuchungsgegenstand sind demzufolge gleichermaßen Entscheidungen von Konsumenten, (innerhalb) von Betrieben wie auch der volkswirtschaftlichen Entscheidungsträger (Regierung, → Zentralbank, → Tarifpartner). Im Wechselspiel zwischen Fällen von Entscheidungen und der Entlastung von ebendenen durch Gewohnheiten, Institutionen oder unbedachte, impulsive Handlungen kann Wirtschaften charakterisiert werden. Konsequenterweise herrscht in der → Betriebswirtschaftslehre eine entscheidungsorientierte Denkrichtung vor, die Entscheidungen ins Zentrum einzelwirtschaftlicher Analyse rückt. Innerhalb der → Volkswirtschaftslehre finden sich entsprechende Elemente in der → Wirtschaftspolitik, welche die Abläufe nationalen bzw. supranationalen Wirtschaftsgeschehens zu gestalten sucht, was in Entscheidungsakte mündende Willensbildungsprozesse voraussetzt. Die Beschreibung und Erklärung in der Wirklichkeit beobachtbarer Entscheidungsabläufe ist Aufgabe einer deskriptiven Entscheidungstheorie. Vielfältige, Zeit beanspruchende und vielschichtige Teiloperationen kennzeichnen reale ökonomische Entscheidungen. Eingefangen wird dies in
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Prozessmodellen, die (beispielsweise) trennen in (1) Anregung und Erkennen eines lösungsbedürftigen Problems, welches den Entscheidungsprozess überhaupt in Gang setzt, (2) die Suche nach Handlungsalternativen, (3) die Sammlung und Auswertung aller relevanten Informationen über die Handlungsalternativen und deren voraussichtlichen Konsequenzen, (4) die Prüfung, inwieweit diese Handlungsalternativen tatsächlich den angestrebten Zielen genügen („Alternativbewertung“), sowie in (5) den finalen Entschluss als Bereitschaft, die bedachte und ausgewählte Maßnahme tatsächlich in konkretes Handeln umsetzen zu wollen. Prozessmodelle stellen diese Teilschritte als solches fest, die sich durch Vorund Rückkopplungen, Auslassungen, Verzweigungen, Unterzyklen zu einem mehr oder weniger komplexen Gebilde zusammenfügen. Auf diese Weise kann den Ursachen bestimmter – etwa effizienter – Entscheidungsabläufe nachgegangen werden, um hieraus Erfahrungen zu sammeln bzw. Prognosen für künftige Entscheidungsfindungsprozesse abzugeben; insofern kann eine derartige Vorbereitung von Entscheidungen mit → Planung gleichgesetzt werden. Da derartige Ergebnisse maßgeblich vom jeweiligen Verhalten der beteiligten oder betroffenen Personen beeinflußt sind, bedarf deskriptive Entscheidungsforschung verhaltenswissenschaftlicher Orientierung mit ausgeprägt empirischer Methodik. Allerdings ist die Qualität bislang auf diese Weise gewonnener Erkenntnisse entweder von nur geringem Informationsgehalt oder an sehr einengende Voraussetzungen gebunden. Die präskriptive Richtung der Entscheidungstheorie setzt vornehmlich in Phase (4) an: Sie will unter Handlungsmöglichkeiten die tatsächlich vorziehenswürdigste herausfiltern. Das ist von den jeweils zugrundeliegenden Präferenzen, nämlich der Ziel-, Zeit- und Sicherheitspräferenz, abhängig. Die hervorragende Bedeutung der Zielpräferenz basiert darin, dass „ziellose“ Entscheidungen in der Realität natürlich vorkommen, sich jedoch einer systematischen und nachprüf baren Auseinandersetzung entzie443
ökonomische Entscheidungstheorie
hen. Ziele sind Ausdruck einer Festlegung: Diesen oder jenen (End-)Zustand will man erreichen! Typische ökonomische Zielsetzungen eines Konsumenten sind → Einnahmen/→ Ausgaben, Produktarten und -qualitäten. Bei → Unternehmungen stehen neben denLeistungszielen(Produktarten,-mengen, -qualitäten) die Formalziele wie → Gewinn, Zahlungsfähigkeit, aber auch die Verwirklichung einer angestrebten Unternehmungskultur. Hingegen bezeichnen → Wachstum, → Preisstabilität, → Vollbeschäftigung und „gerechte“ → Einkommensverteilung charakteristisch volkswirtschaftliche Größen. Indem jeder Handlungsalternative die jeweils erwartete Zielwirkung zugeordnet wird, kann anhand einer derartigen Ergebnismatrix der Zielerfüllungsgrad gemessen und mit dem angestrebten Niveau verglichen werden. Gewöhnlich treten innerhalb der Handlungsalternativen Konflikte auf, falls eine befriedigende Erfüllung einer Zielsetzung miteinem schwachen Ergebnisbeitrag bei einer anderen einhergehen – und umgekehrt. Drei prinzipiell denkbare Wege zur Auflösung solcher Konflikte stehen zur Verfügung: Die Suche nach neuen Handlungsmöglichkeiten oder präziseren Informationen bedeutet eine Rückkopplung in vorgelagerte Phasen des Entscheidungsprozesses. Die Anpassung der Zielpräferenz – verschärfend oder abschwächend – verändert die Auswahlkriterien. Schließlich – und das ist der Kern der präskriptiven Entscheidungstheorie – wird mittels entscheidungslogischer Kalküle und mathematischer Modelle versucht, den Zielkonflikt zu bewältigen, indem die Handlungsalternativen in der Rangfolge ihrer Gesamtzielwirksamkeit geordnet werden. Praktisch bedeutsame Instrumente hierzu sind einmal Nutzwertanalysen („Punktbewertungsverfahren“, „Scoring-Modelle“), zum anderen alle Varianten der mathematischen Optimierung. Erschwert wird eine eindeutige Rangreihung stets, wenn neben der Ziel- noch eine Zeitpräferenz besteht, d. h. ein Zielbeitrag wird in seinem Wert (auch) davon beeinflußt, zu welchem Zeitpunkt er realisiert werden kann. Einnahmen werden im allgemeinen höher geschätzt, je früher sie zufliessen, Ausgaben hingegen gerne in 444
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die fernere Zukunft verschoben. Ganz allgemein ist mit dem Zukunftsbezug von Entscheidungen das Problem der Unsicherheit der Informationen verbunden: Mehrere Zustände sind möglich, aber man weiß nicht, welcher davon letztlich Realität wird. Dem versucht die Sicherheitspräferenz insofern zu entsprechen, als ein vielleicht schlechterer Zielerreichungsgrad aufgrund der größeren Wahrscheinlichkeit seines Eintretens dennoch vorgezogen wird. Lassen sich solche Wahrscheinlichkeiten präzise quantifizieren, spricht man von Entscheidungen unter Risiko. Die relativen Häufigkeiten von Schadensfällen bei → Versicherungen (z. B. Unfälle) sind Beispiele erfolgreicher Anwendungen derartiger Modelle. Ohne explizite Einbeziehung von Wahrscheinlichkeitsaussagen handelt es sich um Entscheidungen unter Ungewissheit, die je nach Risikoeinstellung der beteiligten Person(-en) aufzulösen sind. Einem Pessimisten kann eben empfohlen werden, diejenige Alternative zu wählen, die beim Zusammentreffen aller ungünstigen Ereignisse noch das relativ beste Ergebnis verspricht. Soweit bewusst agierende Gegenspieler (etwa Geschäfts-, Tarifpartner, Konkurrenten) die Zielerreichung (mit-)beeinflussen, kommen Modelle der → Spieltheorie zum Einsatz. Demgegenüber beinhaltet die Delegation von Entscheidungsbefugnissen die Gefahr, dass der Beauftragte seinen Handlungsspielraum bzw. seinen Informationsvorsprung zum eigenen Vorteil ausnutzt; hier muss durch geeignete Sanktionsdrohungen oder positive Anreize – z. B. durch Gewinnbeteiligung eines beauftragten Managers – gegengesteuert werden (Principal-Agent-Theorie). Im Vergleich zur differenziert ausgebauten präskriptiven ist die normativ-rechtfertigende Entscheidungstheorie in der → Wirtschaftswissenschaft eher ein Randthema (mit zunehmender Bedeutung). Die Möglichkeit, überhaupt bzw. „so und nicht anders“ zu entscheiden (und infolgedesssen zu handeln) umschließt Verantwortung (→ Wirtschaftsethik). Dies erfordert sowohl eine Überprüfung der Ziele, der Richtigkeit der Wege, Mittel und Methoden, als auch die Berücksichtigung der „Neben-Wirkungen“
ökonomische Entscheidungstheorie
(wie ökologische Risiken oder Sozialverträglichkeit), die, obschon nicht angestrebt, regelmäßig mit ökonomischen Realisierungen einhergehen. Das Leitbild der (Erziehung zur) → Rationalität des Wählens erfährt hier insofern eine neue Dimension, als die Entscheidungsfindung nicht nur auf ihre logisch-sachliche Richtigkeit, sondern auf ihre Konsequenzen unter jedwedem, das menschliche Dasein und die Ethik des Zusammenlebens betreffenden Aspekt hin analysiert wird. Prof. Dr. Raimund Schirmeister, Düsseldorf ökonomische Evolution → ökonomische Theorie der Evolution. ökonomische Experimente → Experimentelle Ökonomie. ökonomische Grundkategorien das auf das Stoffallgemeine, das heißt auf Einsichten in die Grundstrukturen, reduzierte wirtschaftliche Bildungsgut. Solche als theoretische Kategorien (Stoffkategorien) zu verstehende Grundeinsichten wollen das Sachallgemeine des wirtschaftlichen Bildungsgutes erfassen und damit Gerüstgleiches wie auch stoffliche Prinzipien offenlegen. Als Stoffkategorien lassen sich folgende Feststellungen ausmachen: (1) menschliches Handeln ist bedürfnisgetrieben, (2) die → Knappheit der → Güter zwingt den Menschen zu wirtschaftlichem Handeln, (3) wirtschaftliches Handeln ist konfliktgeprägt, (4) wirtschaftliches Handeln ist entscheidungsbestimmt, (5) wirtschaftliches Handeln ist risikobehaftet, (6) wirtschaftliches Handeln ist nutzenrespektive gewinnorientiert, (7) wirtschaftliches Handeln impliziert → Arbeitsteilung, (8) wirtschaftliches Handeln schafft → Interdependenz, (9) wirtschaftliches Handeln bedarf der Koordination, (a) → Markt bedeutet → Wettbewerb, (b) Wettbewerb dient dem → Gemeinwohl, (c) Wettbewerb wird durch das menschliche Machtstreben ständig bedroht, (10) wirtschaftliches Handeln führt zu Ungleichheit, (11) Ungleichheit induziert Leistungsstreben, Fortschritt und Wohlstand, (12) Wohlstand fundiert Freiheit und Macht, (13) jeder ist sein eigener
Ökonomische Theorie der Bürokratie
→ Unternehmer, (14) wirtschaftliches Geschehen vollzieht sich in Kreislaufprozessen (→ Wirtschaftskreislauf). Für die unterrichtliche Praxis ergibt sich die Forderung, diese wirtschaftlichen Stoffstrukturen immer wieder an neuen Stoffsituationen herauszuarbeiten und zu verifizieren und damit den Schülern zur Einsicht zu verhelfen, daß es sich bei den speziellen wirtschaftlichen Erscheinungsbildern nicht um zeitliche oder umstandsbedingte Zufälligkeiten handelt, sondern um etwas im wirtschaftlichen Bereich Typisches. Damit vollzieht sich ein Brückenschlag zwischen Stoff- und Bildungskategorie (wirtschaftsdidaktische Grundkategorien). Bildend sind nämlich nicht die besonderen Sachverhalte als solche, sondern die an ihnen oder in ihnen zu gewinnenden Struktureinsichten oder Gesetzeskenntnisse, die erfaßten Prinzipien oder die erfahrenen Motive, die beherrschten Methoden oder die verstandenen Fragerichtungen, die angeeigneten Grundformen oder Kategorien (W. Klafki). (Zur eingehenden Abhandlung der ö. siehe May, H., Didaktik der ökonomischen Bildung, 8. Aufl., München 2010, inbes. Kapitel II.) Ökonomische Theorie der Bürokratie ist ein Teilbereich der → Neuen Politischen Ökonomie im Rahmen der → Institutionenökonomik. Es wird davon ausgegangen, dass die öffentliche Verwaltung in demokratischen Systemen eine gewisse Selbständigkeit gegenüber der Regierung hat und gegenüber regierungsfremden Einflüssen zum Beispiel von Interessengruppen und Vertretern anderer Verwaltungen eine gewisse Offenheit aufweist. Die öffentliche Verwaltung ist nicht bloßes ausführendes Organ legislativer Entscheidungen, sondern man berücksichtigt explizit, dass die in der Verwaltung Tätigen mit Rationalverhalten eigene Ziele verfolgen. Bei der Maximierung ihrer individuellen Nutzenfunktion unterliegen die Mitglieder der Bürokratie allerdings drei Einschränkungen: der ökonomischen Restriktion durch die Höhe des zur Verfügung stehenden Budgets, der administrativen Begrenzung durch die gel445
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tenden Verwaltungsvorschriften und der politischen Restriktion der Vermeidung von dauerhaften, tiefgehenden Konflikten mit Regierung und Parlament sowie mit gut organisierten Interessengruppen. Ausgehend von den Grundlagenarbeiten von Tullock (1965) und Downs (1967) hat Niskanen (1971) die Ö. weiterentwickelt und den Modellansatz stärker formalisiert. Es wird angenommen, dass die Mitglieder der Bürokratie aus ihrer jeweiligen individuellen Interessenposition heraus entscheiden und handeln. Bei Downs ist das Motivbündel der Verwaltungsmitglieder vielfältig: nicht nur Prestige, Macht, Einkommen und Karriere, sondern auch Engagement für → Ideologien, Loyalität zu bestimmten Wertvorstellungen, Verpflichtung zur Professionalität und moralischer Integrität. Zwischen diesen individuellen Motiven und der Ausstattung sowie den Veränderungen der Verwaltung gibt es ein Wechselverhältnis, das Gegenstand der institutionenökonomischen Analyse wird. Nach Niskanen beziehen sich die Interessen der Verwaltungsmitglieder in der Regel nicht ausschließlich auf die Ausführung der von Parlament und Regierung vorgegebenen Aufgaben, sondern unmittelbar auf die Verfolgung eigener Motive. Es wird angenommen, dass die Maximierung der individuellen Nutzenfunktion am besten durch die Maximierung des Budgets, das der einzelnen Abteilung oder Verwaltungseinheit zur Verfügung steht, zu erreichen ist. Zwischen der Größe des Budgets der Verwaltungseinheit (oder auch der Gesamtzahl der Mitarbeiter) und den Elementen der individuellen Nutzenfunktion wird eine positive Korrelation unterstellt. Das Verhalten der Mitglieder der Bürokratie wird in der Verhaltenshypothese der Budgetmaximierung erfasst. Grundlage der weiteren Analyse ist die analoge Verwendung des Tauschmodells: Die Verwaltung bietet die Bereitstellung öffentlicher Leistungen an, wie die Erstellung einer bestimmten Infrastruktur oder die Überwachung der Einhaltung von gesetzlichen Vorgaben, und die Tauschpartner – mittelbar das Parlament und unmittelbar die Regierung als die die Finanzmittel bereitstellenden Institutionen 446
Ökonomische Theorie der Bürokratie
– bieten das Verwaltungsbudget an. Es besteht hier die → Marktform eines bilateralen → Monopols, wobei allerdings die Verwaltung einen Informationsvorsprung hat. So verfügt sie normalerweise über weit bessere Informationen über die Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit staatlicher Maßnahmen als die Politiker. Diesen Informationsvorsprung nutzen die Verwaltungsmitglieder, um die Höhe des Budgets und die Größe der Verwaltung zu verteidigen und um durch die Übernahme zusätzlicher Aufgaben oder neuer Tätigkeitsfelder, z. B. im → Umweltschutz und in der staatlichen Daseinsvorsorge, die Bürokratie zu vergrößern (Ziel der Outputmaximierung). Ist die Verhandlungsposition der Verwaltung angesichts knapper Finanzmittel relativ schwach, so besteht ein Anreiz zur Ausweitung von Regulierungen und bürokratischen Interventionen. Insgesamt tendieren die Verwaltungen dazu, ihr Leistungsangebot über die Nachfrage hinaus zu erhöhen, es kommt zu Überproduktion und Verschwendung von Finanzmitteln. Kosten- und Effizienzüberlegungen haben für das einzelne Mitglied der Verwaltung eine nur sehr geringe Bedeutung, da die Mehrkosten einer expandierenden, wenig effizienten Bürokratie den einzelnen Bürger als Steuerzahler ja nur geringfügig belasten würden. Auch existiert bei mangelnden Wettbewerb zwischen Bürokratien kein Druck zur Senkung der Verwaltungskosten. Es fehlen somit endogene Mechanismen, die auf eine möglichst effiziente Ressourcen- und Faktorkombination hinwirken. In theoretischen und empirischen Arbeiten der Ö. befasst man sich heute mit einzelnen politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen (z. B. den institutionellen Ursachen der Informationsasymmetrie), die es öffentlichen Verwaltungen – wie auch den Bürokratien der EU – ermöglichen, eigene Ziele zu verfolgen und im Eigeninteresse zu handeln. Man entwickelt und testet Hypothesen zum Verhalten von Bürokratien, um letztendlich zu Erkenntnissen über bessere Kontrollmöglichkeiten von öffentlichen Verwaltungen in Demokratien zu kommen. Literatur: Feld, L. P./Frey, B. S./Kirchgässner, G.: Demokratische Wirtschaftspolitik.
Ökonomische Theorie der Bürokratie
Theorie und Anwendung, 4., neubearb. Aufl. München 2009; Holzinger, K.: Ökonomische Theorien der Politik, Wiesbaden 2010. Prof. Dr. Ronald Clapham, Siegen ökonomische Handlungskompetenz → Handlungskompetenz in alltäglichen wirtschaftlichen Situationen. Ökonomische Theorie der Eigentumsrechte ⇒ Theorie der Property Rights ⇒ Property Rights ⇒ Verfügungsrechte ist ein Teilgebiet der Neuen Institutionenökonomik (NIÖ), der ökonomischen Analyse von Systemen formaler und informeller Regeln. Der Analyserahmen der → Wirtschaftstheorie wird heute durch die Einbeziehung von Institutionen erheblich erweitert. Während die neoklassische Theorie zunächst den institutionellen Rahmen von marktwirtschaftlichen Tauschprozessen als gegeben ansah und sich damit nicht befasste, werden jetzt dessen Entstehung, Wirkung und Veränderung Gegenstand wirtschaftstheoretischer Untersuchungen. Es geht um die Erklärung empirisch beobachtbarer institutioneller Bedingungen und um die fundierte Begründung für geeignete Institutionen, um das Verhalten der Menschen in die wirtschaftlich optimale Richtung leiten zu können. Zwar hat man sich schon früher sowohl in der deutschen Historischen Schule (2. Hälfte des 19. Jahrhunderts) als auch bei den amerikanischen Institutionalisten (20er Jahre des 20. Jahrhunderts) mit institutionellen Fragen beschäftigt, aber die damaligen Arbeiten waren deskriptiv und nicht theorieorientiert. Die moderne Institutionenökonomik umfasst vier Spezialgebiete: 1. die Neue → Politische Ökonomie, in der die ökonomische Analyse auf politikwissenschaftliche Bereiche angewendet wird, wie zum Beispiel die Theorie des Staates, der Bürokratie und des Wahlverhaltens; 2. die Neue Institutionenökonomik (New Institutional Economics), die Institutionen wie zum Beispiel → Eigentumsordnungen (Property-Rights-Ansatz), → Märkte, → Unternehmen, Staat und Währungsord-
Ökonomische Theorie der Eigentumsrechte
nung mit ökonomischen Analysemethoden untersucht; 3. die ökonomische Analyse des Rechts, die wirtschaftliche Konsequenzen der Rechtsordnung und Rechtsprechung (z. B. Regeln der Schadenshaftung) behandelt; 4. die Neue Österreichische Schule (Neo-Austrian-School), die sich mit der „spontanen“ Entwicklung von sozialen Institutionen aus dem ökonomischen Interesse der Individuen befasst. Alle diese Richtungen der Institutionenökonomik gehen von drei wirtschaftstheoretischen Grundannahmen aus. Erstens unterstellt man methodologischen → Individualismus in dem Sinne, dass Handlungen sozialer Gruppen (z. B. Staat, Partei, Unternehmen) nur von den Einstellungen und Verhaltensweisen ihrer individuellen Mitglieder her zu erklären sind. Zweitens wird individuelle Rationalität – entweder als perfektes oder als eingeschränktes rationales Verhalten – angenommen. Drittens wird das Konzept der → Transaktionskosten verwendet, das sich mit den → Kosten befasst, die bei Transaktionen auf Märkten entstehen. Es geht um Kosten der Informationsbeschaffung, Vertragsanbahnung, Vereinbarung, Abwicklung, Kontrolle und Anpassung, die alle von der Ausgestaltung der marktrelevanten Institutionen abhängen. Die Ö., der Property-Rights-Ansatz, untersucht den Einfluss von sozial anerkannten, auf Konvention, Tradition, gesetztem Recht oder auf Vertrag basierenden institutionellen Regelungen auf das wirtschaftliche Verhalten. Für den Begriff Property Rights werden in der deutschen Literatur auch die Bezeichnungen Eigentums-, Verfügungs-, Handlungs- oder Nutzungsrechte verwendet. Die Entstehung der Eigentumsrechte, ihre strukturellen Besonderheiten und ihre Anreiz- und Sanktionswirkungen werden untersucht, um institutionelle Bedingungen des wirtschaftlichen Handelns aufzudecken. Die wichtigsten Überlegungen sind: Die Verfügung über die Verwendung von knappen Ressourcen erfolgt letztendlich immer durch Individuen, deren Verfügungsberechtigung durch eine Ordnung bestimmt wird, die spontan entstanden oder durch eine Autorität vorgegeben sein 447
Ökonomische Theorie der Eigentumsrechte
kann. Beispiele für Ordnungen sind Verfassung, Gesetz, Vertrag, Organisationsregel, Gewohnheitsregel, implizites Einverständnis u. a. Die Legitimität der Ordnung wird garantiert, sei es rein innerlich (affektuell, religiös, wertrational), sei es durch äußere Sanktionen (Missbilligung, Rechtsprechung). Da man annimmt, dass die Individuen grundsätzlich rational handeln, lassen sich Aussagen darüber formulieren, wie sie sich im Durchschnitt unter bestimmten institutionellen Rahmenbedingungen verhalten werden. Damit hat man Kenntnisse darüber, welche Institutionen man benötigt bzw. wie sie ausgestaltet werden müssen, um ein gewünschtes Durchschnittsverhalten der Individuen zu erreichen. Zu den absoluten Eigentumsrechten gehören die Rechte auf Erwerb, Gebrauch, Belastung und Übertragung von Gütern sowie die Rechte, sich die Früchte der Erträge aus Gebrauch oder Veräußerung aneignen zu können. Hinzu kommen die immateriellen Rechte (z. B. Urheberrecht und Markenzeichen). Diese Verfügungsrechte sind gekennzeichnet durch absolute Herrschaftsmacht des Berechtigten. Diese Rechte waren Gegenstand der ersten Arbeiten zur Ö. (insb. Coase, Alchian, Demsetz, Furubotn). Relative Verfügungsrechte entstehen vor allem aus → Schuldverhältnissen, die sich durch → Vertrag oder Gesetz ergeben. Von relativen Verfügungsrechten in einem erweiterten Sinne spricht man auch bei Rechten aufgrund persönlicher Beziehungen, wie zum Beispiel Kunden- und Lieferantenbeziehungen, politischen Verbindungen, nationalen und religiösen Zugehörigkeiten, Familienbeziehungen u. a. Da diese Rechte schwer abgrenzbar und absicherbar sind, müssen die Vertragsparteien eine ganze Reihe von Vorkehrungen zur Absicherung treffen, was zusätzliche Transaktionskosten verursacht. Die relativen Verfügungsrechte sind der Gegenstand der Theorie der Transaktionskosten (North, Williamson). Die Kernhypothese der Ö. ist, dass die Nutzung knapper Ressourcen in spezifischer und vorhersagbarer Weise von der Ausgestaltung der Verfügungsrechte abhängt. Deren Veränderungen bewirken positive oder negative 448
Ökonomische Theorie der Politik
finanzielle Anreize für die rational handelnden Individuen, d. h. sie haben Einfluss auf die → Allokation von → Ressourcen, auf die Produktionsstruktur, auf die → Einkommensverteilung u. a. Eigentumsrechte beinhalten ein Bündel von Einzelrechten an Sachen und anderen marktfähigen Gütern, wodurch einzelne Verfügungs- und Nutzungsbefugnisse entstehen. Die ökonomischen Folgen von Eigentumsrechten hängen davon ab, in welchem Ausmaß individuelle Rechte an einer Sache definiert sind. Ein geringer Spezifikationsgrad, d. h. eine Verdünnung individueller Rechte, liegt dann vor, wenn die Eigentumsrechte auf mehrere Personen verteilt sind. Der geringe Spezifikationsgrad kann formal und/oder materiell verursacht sein. Unter der Annahme marktwirtschaftlicher Koordination bei → vollständiger Konkurrenz hat die neoklassische Theorie eine Kernhypothese zu den ökonomischen Wirkungen von Property Rights entwickelt: Je umfassender und genauer ein Eigentumsrecht einem Individuum Verfügungs- und Nutzungsbefugnisse vermittelt und je freizügiger darüber nach dem Grundsatz der Einheit von Verfügung und Haftung disponiert werden kann, desto stärker ist der Anreiz, das Eigentum nutzenmaximierend zu verwenden. Dieser Erklärungsansatz lässt Tendenzvoraussagen über das Verhalten der → Wirtschaftssubjekte bei unterschiedlich ausgestalteten Eigentumsrechten zu. Literatur: Kirchner, Ch.: Ökonomische Theorie des Rechts, Berlin-New York 1997; Richter, R./Furubotn, E. G.: Neue Institutionenökonomik. Eine Einführung und kritische Würdigung, 3. Aufl., Tübingen 2003; Williamson, O. E.: Die ökonomischen Institutionen des Kapitalismus: Unternehmen, Märkte, Kooperationen, Tübingen 1990. Prof. Dr. Ronald Clapham, Siegen Ökonomische Theorie der Politik ist ein Forschungsansatz auf dem Gebiet der Neuen Politischen Ökonomie im Rahmen der Neuen Institutionenökonomik (NIÖ). Es geht um eine breit angelegte Betrachtungsweise in einem neuen, interdisziplinären
Ökonomische Theorie der Politik
Ansatz, in dem ausgehend von der Denkweise und den Instrumenten der → Wirtschaftswissenschaft politologische, juristische und soziologische Fragestellungen aufgegriffen werden. Zunächst hatte man sich mit der Funktionsweise parlamentarischer Demokratien befasst. Ausgangspunkt waren die Überlegungen → Schumpeters (1942), die parlamentarische Demokratie als dynamischen → Wettbewerb von in Parteien organisierten Politikern um eine möglichst große Zahl von Wählerstimmen zu interpretieren. Politiker und Wähler werden in ihren Handlungen von individuellen Nutzenvorstellungen geleitet. Politiker – als politische Unternehmer – treten nicht in vikarischer Funktion auf, d. h. als gewählte Repräsentanten der Wähler, die den gesamtwirtschaftlichen Wohlstand zu maximieren versuchen. Das Ziel von Politikern als rationale Nutzenmaximierer ist die Wahl bzw. die Wiederwahl in ein Staatsamt, denn damit sind Vorteile in Form von Macht, Prestige und Einkommen verbunden. Regierungsmitglieder verfolgen also eigene Zielsetzungen und streben die Maximierung des eigenen → Nutzens an. Damit wird die gemeinwohlorientierte Staatsauffassung aufgegeben, die Politiker, Parteien und staatliche Organe allein im Auftrag und Interesse der Gesamtheit der Wähler handeln sieht. In Analogie zu den Ergebnissen des wirtschaftlichen Wettbewerbs, bei dem unter bestimmten Bedingungen trotz der Zielsetzung individueller Nutzenmaximierung durchaus positive Resultate für die Gesellschaft entstehen können, kann auch der politische Wettbewerb zu einer bestmöglichen Erfüllung der Wählerwünsche führen. Dieser Denkansatz eröffnete neue Erkenntnisse über die Parteienkonkurrenz in der Demokratie, über die Ausrichtung von Parteiprogrammen an Wählerpräferenzen und über optimale Wettbewerbsintensität zwischen Parteien. Die neuen Erkenntnisse über die Funktionsweise parlamentarischer Demokratien haben auch die wirtschaftspolitische Analyse erheblich erweitert. → Wirtschaftspolitik wird nämlich nicht länger isoliert von den politischen Zusammenhängen betrachtet,
Ökonomische Theorie der Politik
sondern sie wird Teil des politischen Prozesses. Soweit die ökonomischen Entwicklungen die Wahlentscheidungen beeinflussen, versteht man Wirtschaftspolitik als ein Instrument der Politik, um wirtschaftliche Variable nach politischen Präferenzen zu verändern. Wirtschaftspolitik kann so als ein endogenes Element des politischen Prozesses erklärt werden. Diese Grundgedanken sind zunächst von Downs (1957) auf demokratische ZweiParteiensysteme und später in Erweiterung auf verschiedene sozialwissenschaftliche Fragestellungen (z. B. Verhalten von Parteien, Verbänden, Bürokratien und internationalen Organisationen) und auf die Untersuchung staatlicher, nicht-marktwirtschaftlicher Entscheidungsprozesse (Public Choice) angewendet worden (→ Buchanan, Tullock, Olson, Niskanen, Bernholz, Frey, Kirchgässner). In politisch-ökonomischen Modellen wird das Verhalten der Regierung als kollektiver Entscheidungsträger erklärt. Angenommen wird, dass das Wahlverhalten der Wähler durch die Wirtschaftsentwicklung beeinflusst wird, wobei sie eine ungünstige Wirtschaftslage der Regierung anlasten, und dass die an der Wiederwahl interessierte Regierung die Wirtschaftsentwicklung im Sinne der Wähler beeinflusst. Auf diesen Annahmen bauen die politischökonomischen Erklärungen auf, die folgende Grundstruktur aufweisen: Ziel der Regierung ist es, eigene Wertvorstellungen unter der Nebenbedingung der Wiederwahl zu realisieren. Erwartungen über die Chance der Wiederwahl werden aus der auf Umfrageergebnissen beruhenden Regierungspopularität abgeleitet. Deren Abhängigkeit von der Entwicklung ökonomischer Variablen wird in der „Popularitätsfunktion“ der Regierung abgebildet. Unter der Annahme, dass die Regierung die relevanten ökonomischen Variablen durch wirtschaftspolitische Maßnahmen beeinflussen kann, wird sie, um ihre Wiederwahl zu sichern, mit entsprechendem wirtschaftspolitischen Instrumenteneinsatz reagieren, d. h. zwischen Popularität und Instrumenteneinsatz wird ein Zusammenhang hergestellt (Reaktionsfunktion). 449
Ökonomische Theorie der Politik
Dieser Modellansatz wird heute zur politischen Erklärung insbesondere von Allokations- und Distributionspolitik und von → Konjunkturpolitik herangezogen. Das allokations- und verteilungspolitische Verhalten der Regierung hängt davon ab, welche wahlpolitische Bedeutung sie einzelnen Gruppen der Gesellschaft – insbesondere den gut organisierten Interessengruppen – und bestimmten wirtschaftspolitischen Programmen und Projekten zumisst. So wird sie ein Projekt bevorzugen, bei dem der eintretende Nutzen z. B. für eine Wirtschaftsbranche sichtbar und unmittelbar ist, während die → Kosten möglichst auf viele verteilt unsichtbar bleiben. Bei der Konjunkturpolitik – als ein Anwendungsbeispiel der Ö. – wird in der Tradition der politischen Ökonomie vermutet, dass die Regierung zur Sicherung der Wiederwahl wichtige makroökonomische Variable – vor allem → Arbeitslosenquote und → Inflationsrate – manipuliert. In der Nachwahlperiode kann durch restriktive Wirtschaftspolitik die Inflationsrate zu Lasten des → Beschäftigungsgrades gesenkt werden, dagegen wird es kurz vor dem Neuwahltermin darauf ankommen, die → Arbeitslosigkeit durch staatliche Nachfrageimpulse zu verringern, während die Folgen steigender → Staatsverschuldung und inflationäre Effekte erst nach der Wahl eintreten. Empirische Tests haben allerdings bisher keine überzeugenden politisch-ökonomischen Konjunkturerklärungen ergeben. Schwächen des Modellansatzes sind beim Regierungsverhalten die Vernachlässigung der politischen Orientierung an Partikularinteressen und beim Wählerverhalten die Reduzierung der komplex wahrgenommenen und bewerteten ökonomischen Wirklichkeit auf nur wenige makroökonomische Variable wie Arbeitslosenquote und Inflationsrate. Ferner ist zweifelhaft, ob die Regierung das notwendige Wissen über Ziel-Mittel-Zusammenhänge der Wirtschaftspolitik hat. Die Ö. hat in den letzten Jahrzehnten die Kernhypothese vom eigennützigen Verhalten von Politikern und Regierungen in parlamentarischen Demokratien auf neue Sachgebiete und eine große Zahl von Unter450
ökonomisches Prinzip
suchungsobjekten ausgedehnt. Es werden Denkweisen und Methoden der modernen Wirtschaftstheorie auf verschiedene Politikfelder angewendet. Der Analyseansatz war sehr erfolgreich für die erweiterte Erklärung von Entscheidungen bei der → Stabilitäts- und → Außenwirtschaftspolitik, der Politik der Staatsverschuldung und der sozialen Sicherung und der Politik der Regulierung, → Deregulierung und → Privatisierung. Literatur: Feld, L. P./Frey, B. S./Kirchgässner, G.: Demokratische Wirtschaftspolitik. Theorie und Anwendung, 4., neubearb. Aufl., München 2009; Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, Bd. 1–22 (1982–2005) u. Conferences on New Political Economy, Bd. 23–26 (2006–2009), Tübingen. Prof. Dr. Ronald Clapham, Siegen ökonomisches Prinzip ⇒ wirtschaftliches Prinzip ⇒ Wirtschaftlichkeitsprinzip Verhaltensregel für wirtschaftliches Handeln. Nach dem ö. handelt, wer das Verhältnis zwischen dem Ausmaß der Zielerreichung und den für die Erreichung des Zieles aufzuwendenden → Ressourcen optimiert. Entsprechend existieren zwei Fassungen dieser Handlungsmaxime. Entweder wird mit gegebenen Mitteln ein maximaler Zielerreichungsgrad angestrebt (Maximalprinzip) oder ein gegebenes Ziel mit dem geringstmöglichen Mitteleinsatz zu erreichen versucht (Minimalprinzip). Auch die Minimierungsvariante führt letztlich zu einem größtmöglichen Maß an Bedürfnisbefriedigung: Bei gegebenem Zielerreichungsgrad führt Handeln nach dem ö. zur Ersparnis von Ressourcen, die dann für die Erreichung weiterer Ziele zur Verfügung stehen. Das Minimumprinzip setzt daher voraus, daß die eingesparten Mittel anderweitig verwendet werden können. Es lohnt nicht, „mit einem Minimum an Zeitaufwand zum Bahnhof zu rasen, um dort eine Viertelstunde länger auf den Zug zu warten“ (Schneider 1993, S. 124). Das ö. als Anleitung zum Vernunfthandeln in einer Welt knapper Ressourcen und konkurrierender Ziele ist
ökonomisches Prinzip
präskriptiv zu verstehen und besagt nicht, daß Menschen diese Empfehlung generell beachten; seine Verwirklichung ist nicht zuletzt wesentlich vom Informationsstand des Handelnden abhängig, und vielfach würde sich Extremierungshandeln wegen der dabei enstehenden Informationskosten gerade als unwirtschaftlich erweisen. In der beschriebenen Fassung ist das ö. mit dem formalen Rationalprinzip identisch und als generelle Anleitung zu planmäßigem, zweckorientiertem Handeln an sich nicht auf die im ontologischen Sinne „ökonomischen“ Probleme der Vermögenserhaltung und -mehrung oder der Güterversorgung beschränkt. Es ist vielmehr auf beliebige Mittel (z. B. → Konsumgüter, → Produktionsfaktoren, Zeit, allgemein → Kosten jeder Art) und Ziele (z. B. Produktionsmenge, → Gewinn, Gesundheit, Prestige, allgemein Nutzengrößen jeder Art) anwendbar und insofern ethisch neutral. Vor allem die neuere Ökonomik faßt das ö. stärker formal als Grundsatz der optimalen Allokation knapper Mittel jeder Art auf konkurrierende Ziele jeder Art und prüft seine Anwendungsmöglichkeiten zur Erhellung menschlichen Verhaltens auch in nicht-wirtschaftlichen Lebensbereichen, so z. B. bei Entscheidungen über die Familiengröße, bei der Aufteilung der Lebenszeit auf Schlaf- und Wachzeiten, beim Umgang mit der eigenen Gesundheit oder bei der Übertretung von Gesetzen (vgl. einführend Becker 1993, Ramb/Tietzel 1993). Sie geht dabei von stabilen Zielsystemen (Präferenzen) aus und versucht zu prognostizieren, wie sich die Veränderung von Rahmenbedingungen (Restriktionen) auf das Verhalten des Menschen auswirken kann, wenn er dem ö. folgt. In den → Wirtschaftswissenschaften wird das ö. traditionell jedoch meist auf Probleme des Gelderwerbs und der Befriedigung materieller → Bedürfnisse begrenzt und sowohl auf gesamtwirtschaftliche als auch auf einzelwirtschaftliche Fragestellungen angewendet. Einzelwirtschaftlich lassen sich eine mengenmäßige und eine wertmäßige Fassung der ö. unterscheiden. Nach der mengenmäßigen Fassung soll mit einem gegebenen Einsatz an Produktionsfaktoren
ökonomisches Prinzip
der größtmögliche Güterertrag erzielt oder ein gegebener Güterertrag mit geringstmöglichem Faktoreinsatz erwirtschaftet werden. Ob das ö. im konkreten Fall erfüllt ist, hängt generell jedoch weitgehend von der Bewertung der eingesetzten Mittel und der erreichten Zwecke ab und ist daher nicht objektiv entscheidbar. Während beispielsweise dem Techniker im Einzelfall das ö. als erfüllt gelten mag, hat der Betriebswirt zu bedenken, daß in marktwirtschaftlichen Systemen Faktormärkte über den Wert von Produktionsfaktoren und Gütermärkte über den Wert von wirtschaftlichen Handlungsergebnissen bestimmen. Nach der wertmäßigen Fassung des ö. soll entsprechend bei gegebenen Kosten ein maximaler Erlösbetrag oder ein gegebener Erlösbetrag mit minimalen Kosten erwirtschaftet werden. Das ö. ist dann erfüllt, wenn das Verhältnis zwischen marktmäßig bewerteten Kosten und Leistungen optimiert wird. Das Gewinnmaximierungsprinzip (auch: erwerbswirtschaftliches Prinzip) kann insofern als spezifische Konkretisierung des ö. in → Marktwirtschaften gelten. Volkswirtschaftlich gilt das ö. als erfüllt, wenn mit den gegebenen → Ressourcen (z. B. Bodenschätze, menschliche Arbeitskraft) ein maximaler Bedarfsdeckungsgrad erreicht wird (Maximumvariante). Angesichts der ökologischen und sozialen Bedrohungen in der Gegenwart rückt jedoch zunehmend auch die auf Selbstbescheidung zielende Minimumvariante in den Blick: es wird vielfach auch darum gehen müssen, einen angemessenen Bedarf mit minimalem Ressourceneinsatz zu befriedigen. Zunehmend setzt sich auch die Erkenntnis durch, daß ein maximaler Bedarfsdeckungsgrad nicht mit maximalem Wohlstandsniveau gleichzusetzen ist. Als bloß formale Sollvorschrift im Sinne einer Empfehlung für die optimale Gestaltung wirtschaftlichen Handelns ist das ö. kaum umstritten, grenzt es doch → Wirtschaftlichkeit von Mißwirtschaft, rationale Entscheidung von Fehlentscheidung ab. Als problematisch wird jedoch zunehmend erkannt, daß ein Handeln nach dem ö. auf einzelwirtschaftlicher Ebene nicht immer 451
ökonomisches Prinzip
die Einhaltung des ö. auf gesamtwirtschaftlicher Ebene sichert (→ externe Effekte) und wirtschaftliche Ergiebigkeit nicht immer mit sozialer, technischer oder ökologischer Ergiebigkeit zusammenfallen muß. Die Auswahl einer dem ö. genügenden Handlungsalternative kann im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten. Für den Fall ungewisser Zukunftserwartungen hat die → Entscheidungstheorie verschiedene Entscheidungsregeln entwickelt, die ein Entscheiden nach dem ö. ermöglichen sollen. Unterschieden werden Entscheidungen unter Sicherheit, Risiko und Unsicherheit. Im Falle von Sicherheit sind alle Alternativen und für jede Alternative eine eindeutige Konsequenz bekannt. Bei Risiko kennt man für jede Alternative mehrere, unterschiedlich wahrscheinliche Konsequenzen; diese können dann mit ihren Wahrscheinlichkeiten gewichtet und in Erwartungswerte für jede Alternative umgeformt werden (BayesRegel). Im Falle von Unsicherheit sind auch die Wahrscheinlichkeiten unbekannt. Welche Entscheidung dem Entscheidungsträger dann als rational gilt, hängt in diesem Fall weitgehend von seiner persönlichen Risikoneigung ab; entsprechend können sehr unterschiedliche Entscheidungsregeln (z. B. Maximax-Regel, Maximin-Regel, Savage-Niehans-Regel) zur Anwendung kommen. Unsicherheiten über Handlungskonsequenzen, die durch bewußt handelnde Gegenspieler (z. B. Wettbewerber) ausgelöst werden, analysiert die → Spieltheorie. Im Falle von Zielkonflikten kommen spezielle Instrumente zum Einsatz, so etwa die Nutzwertanalyse. Literatur: Becker, G. S.: Der ökonomische Ansatz zur Erklärung menschlichen Verhaltens. 2. Aufl. Tübingen 1993; Gäfgen, G.: Theorie der wirtschaftlichen Entscheidung. 3. Aufl. Tübingen 1974; Ramb, B.-T./ Tietzel, M. (Hg.): Ökonomische Verhaltenstheorie. München 1993; Schneider, D.: Betriebswirtschaftslehre. Bd. 1: Grundlagen. München, Wien 1993; Wöhe, G./Döring, U.: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre. 23. Aufl. München 2008. Prof. Dr. Georg Hans Neuweg, Linz 452
ökosoziale Marktwirtschaft
Ökonomismus Betrachtungsweise, die individuelle wie auch gesellschaftliche Handlungen und Handlungsprozesse ausschließlich unter dem Aspekt des rational Wirtschaftlichen zu beurteilen versucht. ökosoziale Marktwirtschaft In der ökologischen Marktwirtschaft rückt der → Produktionsfaktor → Umwelt immer mehr in den Mittelpunkt und wird ebenso wichtig wie die Produktionsfaktoren → Kapital und → Arbeit. Der → Umweltpolitik wird der gleiche Rang eingeräumt wie der → Wirtschafts- und → Sozialpolitik. Die Wiederherstellung der natürlichen Umwelt und der sparsame Umgang mit knappen → Ressourcen werden zu prioritären Handlungsfeldern der Politik. Ökologische Marktwirtschaft impliziert die beiden Forderungen: Mehr → Ökologie in der → Marktwirtschaft und mehr Marktwirtschaft in der Ökologie. Während es bei der ersten Forderung um Stellenwert und Gewichtung umweltpolitischer Maßnahmen geht, ist bei der zweiten Forderung die Art und Wirkungsweise der umweltpolitischen Instrumente angesprochen. Anstelle der statisch wirkenden Ordnungsvorschriften treten wirtschaftliche und fiskalische Instrumente der Umweltpolitik in den Vordergrund, die nach dem → Verursacherprinzip eine Internalisierung der → externen Kosten bewirken sollen. Umweltfreundliches Verhalten muß sich für Verbraucher wie Produzenten lohnen. Ökologische Marktwirtschaft will die der Marktwirtschaft immanenten kreativen, unternehmerischen Kräfte für das Finden umweltoptimaler Lösungen mobilisieren. Der → Wettbewerb als Entdeckungsverfahren ist für die Ziele der Umweltpolitik zu nutzen. Die Politik hat die Aufgabe, die Wirksamkeit der → Märkte bei der Überwindung von → Knappheiten auch für das → Gut Umwelt, Natur oder limitierter Ressourcen nutzbar zu machen. Umweltverträgliches Wirtschaften muß sich lohnen. Da die Umwelt bislang nicht als ökonomisches Gut im Knappheitssinne betrachtet wurde, wurde sie in der → volkswirtschaft-
ökosoziale Marktwirtschaft
lichen Gesamtrechnung nicht entsprechend berücksichtigt. Auch heute sind die diversen Ansätze, die Social costs, Social benefits oder externe Kosten monetär zu bewerten, recht umstritten. Während in der → Sozialen Marktwirtschaft diese Kosten, die von den einzelnen → Unternehmen und Kommunen verursacht werden, in der Regel von der Allgemeinheit als eine Art „Gemeinlast“ getragen werden, wird in der ö. durch das „Internalisieren der externen Kosten“ das Verursachersprinzip angewandt. Der Verursacher trägt die Kosten für die Einhaltungen der formulierten Auflagen (wie z. B. Einschränkung, Umstellung, Verlagerung oder Stillegung der → Produktion), deren Ziel es ist, Umweltbelastungen zu verringern bzw. ganz zu vermeiden und externe Kosten, die in der Regel von der Allgemeinheit getragen werden (z. B. Aufwendungen für Luft-, Gewässer- und Bodenschutzmaßnahmen bzw. komplizierte und finanziell aufwendige Sanierungsmaßnahmen) zu privatisieren. Neben den ordnungsrechtlichen Auflagen, die man auch als klassisches umweltpolitisches Instrumentarium bezeichnen kann, kommt der konkreten Umweltplanung eine komplementäre Bedeutung zu. Eine gezielt ökologisch definierte Planung vermeidet bereits im Vorfeld ein unnötiges Maß an Umweltbelastungen. Beispiele vorausschauender Planung sind präzise Gebietsausweisungen für umweltfreundlichere Produktionsstandorte, Verkehrswege sowie die damit verbundenen Ausgleichsräume, also all das, was man unter dem Stichwort ökologieadäquate Infrastrukturpolitik subsumieren könnte. Hierzu gehören mittelund längerfristige Entflechtungen bereits bestehender Strukturen zwischen Produktions- und Wohnorten. Das umweltpolitische Instrumentarium umfaßt primär folgende Kategorien: a) Übergreifende Gesamtplanungen, wie die der Raumordnung, der Landesentwicklung sowie der Regional- und Bauleitplanung. b) Umweltsignifikante Strukturplanungen, wie beispielsweise Verkehrsplanung, En-
ökosoziale Marktwirtschaft
ergie- und Ressourcenplanung, Wasser-, Abfall- und Luftreinhalteplanung und c) → Umweltverträglichkeitsprüfungen, besonders für solche Projekte, die nicht bereits durch eine spezielle Gesetzgebung öffentlich geregelt sind. Bei dem Bestreben nach dauerhafter Entwicklung müssen die mit der Planung beauftragten Stellen und öffentlichen Behörden, denen die Verantwortung obliegt, eine Optimierung der „Mischung“ aus Industrie, Energie, Verkehr, besiedelten Gebieten, Freizeit und Tourismus, zusätzlichen → Dienstleistungen und unterstützender Infrastruktur sicherstellen, die mit der Belastungsfähigkeit der Umwelt vereinbar ist. Das Abstecken eines dementsprechend umfassenden Rahmens für Planung, Entwicklung und → Umweltschutz erfordert die Anwendung des → Subsidiaritätsprinzips durch Entscheidungen auf der am besten geeigneten Ebene. Die Integration der Umweltverträglichkeitsprüfung in den Makroplanungsprozeß würde nicht nur den Umweltschutz erhöhen und eine Optimierung der Ressourcenbewirtschaftung fördern, sondern auch dazu beitragen, die Disparitäten im internationalen und interregionalen Wettbewerb um neue Entwicklungsprojekte zu reduzieren. Selbst die besten ordnungsrechtlichen Auflagen und Kontrollen im Rahmen der Umweltüberwachung können nicht ausschliessen, daß Unternehmen aus sogenannten Kostengründen immer wieder versuchen werden, Umweltschutzauflagen zu umgehen bzw. deren Realisierung zumindest zu verzögern. Deshalb ist eine marktorientierte Umweltpolitik, die ökonomische Anreize bietet, unumgänglich. Ökologisches Wirtschaften muß sich lohnen, d. h., eine marktorientierte Umweltpolitik muß so strukturiert sein, daß für diejenigen, die sich umweltadäquat verhalten, ein monetärer oder sonstiger Anreiz besteht. Die am Wirtschaftsprozeß Beteiligten sollen dabei die Möglichkeit erhalten, in den umweltpolitisch notwendigen Grenzen flexibel zuagieren und sich möglichst kostengünstig auf diese Umweltschutzerfordernisse 453
ökosoziale Marktwirtschaft
einstellen zu können. Es soll der → Eigennutz, d. h. das Streben nach möglichst hohem Gewinn bzw. Konsumentennutzen von → Arbeitnehmern, → Unternehmen und Verbrauchern für den Umweltschutz mobilisiert werden. Die Formel lautet: „Umweltschutz durch Eigennutz“. Obwohl der Wert vieler Umweltkomponenten nur schwer in Geldeinheiten auszudrükken ist und bei besonders wichtigen oder seltenen Umweltressourcen auf gar keinen Fall beziffert werden sollte, sind Bewertungs-, Preisgestaltungs- und Bilanzierungsmechanismen doch ein entscheidender Faktor für die Realisierung einer dauerhaften und umweltgerechten Entwicklung. Ökonomische Bewertungen können den Wirtschaftsbeteiligten helfen, bei Investitions- oder Verbrauchsentscheidungen die Umweltverträglichkeit zu berücksichtigen. Wo Marktkräfte wirken, sollten die → Preise die → Gesamtkosten widerspiegeln, die der Gesellschaft für Herstellung und → Verbrauch entstehen, wobei die Umweltkosten einzuschließen sind. Um Umweltkosten im Hinblick auf eine umwelteffiziente Preisgestaltung bewerten zu können, sind u. a. folgende Schritte erforderlich: – die volkswirtschaftliche Bewertung der natürlichen und umweltrelevanten Ressourcen; – die Ausweitung und Anpassung traditioneller Hilfsmittel für die Erstellung von Wirtschaftsstatistiken auf der Grundlage von Forschungsaktivitäten auf nationaler und internationaler Ebene, einschließlich einer Änderung von ökonomischen Schlüsselindikatoren wie dem → Bruttoinlandsprodukt, um so den Wert von natürlichen und umweltrelevanten Ressourcen bei der Festsetzung von derzeitigen und zukünftigen → Einkommen zu berücksichtigen und Umweltzerstörung und Umweltschäden in zugeordneten monetären Werten auszudrücken; – die Entwicklung von sinnvollen Methoden für Kosten-Nutzen-Analysen und Leitlinien für politische Maßnahmen und Aktionen, die die Umwelt und die natürlichen Ressourcen beeinträchtigen; 454
ökosoziale Marktwirtschaft
– die Neudefinition von Bilanzierungskonzepten regeln; – Konventionen und Methoden, um sicherzustellen, daß der Verbrauch und die Nutzung von Umweltressourcen als Teil der Gesamtproduktionskosten berücksichtigt werden und sich dies in den Marktpreisen widerspiegelt. Solche Maßnahmen müssen geeignete Prüfungen und Kontrollen enthalten, um → Markttransparenz und fairen → Wettbewerb zu garantieren. Um das Bewußtsein von Unternehmen für Umweltprobleme zu sichern und zu verbessern und um sicherzustellen, daß alle Umweltkosten und -gefährdungen berücksichtigt werden und diese Kosten ein wichtiges Entscheidungselement darstellen, sollten die Unternehmen – in ihren Jahresberichten Einzelheiten über ihre Umweltpolitik und -aktivitäten sowie deren Auswirkungen darlegen; – in ihren Jahresabschlüssen die Kosten für Umweltprogramme darlegen (dies erfordert eine klare Definition dieser Kosten); – Rückstellungen für Umweltgefährdungen und zukünftige Umweltausgaben in ihre Jahresabschlüsse aufnehmen. Größere Schritte zur konkreten Realisierung von Teilelementen der ö. leistet seit vielen Jahren die → Europäische Union. Ihre Politik der „nachhaltigen Entwicklung“ (→ sustainable development) gilt heute als ein Eckpfeiler der Unionsaktivitäten. Im Juni 2001 verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs der EU auf ihrem Gipfeltreffen in Göteborg eine europäische Strategie für die nachhaltige Entwicklung. Am 11. Juni 2002 beschließen das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union das 6. Umweltaktionsprogramm unter dem Titel „Umwelt 2010: Unsere Zukunft liegt in unserer Hand.“ Dieses zukunftsweisende Programm konzentriert sich auf folgende Schwerpunkte: – – – –
Klimaänderungen Schutz von Natur und Artenvielfalt Gesundheit und Lebensqualität Ressourcenmanagement und Abfallrecycling.
ökosoziale Marktwirtschaft
Bei diesem Aktionsprogramm geht es nicht allein um neue Rechtsvorschriften. Die EU stellt fest, daß sie im Umweltbereich immer weniger selbst die Marschroute vorgibt und stattdessen auf die berechtigten Anliegen einer zunehmend sachkundigen Öffentlichkeit Rücksicht nimmt. Freiwillige Umweltschutzvereinbarungen mit der Industrie können z. B. effizienter sein als Gesetze, die von oben oktroyiert werden. Die Institutionen vor Ort können besser als politische Entscheidungsträger am grünen Tisch beurteilen, welche Schritte zum Schutz ihrer konkreten Umwelt angebracht sind. Flankiert werden diese Maßnahmen von geltenden Umweltstandards, die von den zum 1. Mai 2004 neu beigetretenen mittel-, ost- und südeuropäischen Ländern eingehalten werden müssen, wollen diese gleichberechtigte Partner in der EU werden. Ergänzend sei noch die Richtlinie 2004/35 erwähnt. Sie regelt u. a. die Haftung für Umweltschäden nach dem → Verursacherprinzip und wurde zum 30. 4. 2007 von den EU-Staaten in nationales Recht umgesetzt. Die → Umweltpolitik der EU und ihr Erweiterungsprozeß bieten eine große Chance für mehr direkte ökosoziale Marktwirtschaft. Literatur: Klug, Wolfgang: Mit Konzept planen – effektiv helfen. Ökosoziales Case Management, Oldenburg 2003; Radermacher, Franz J.: Global Marshall Plan. Ein Planetary Contract – Für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft, Wien 2005; Radermacher, Franz J./Obermüller, Marianne/Spiegel, Peter: Global Impact, München – Wien 2009; Welscher, Robert: Projekt 20XX. Global Mind. Im Versagen liegt unsere Zukunft, Module Nature 2009. Prof. Dr. Bernd Henning, Schwäbisch Gmünd Ökosteuer ⇒ Umweltsteuer. Ökosystem auf Lebewesen bezogenes und nur mit diesen zusammen existierendes oder zu verwendendes Umweltteilsystem. Österreichische Grenznutzenschule ⇒ Österreichische Schule
offene Handelsgesellschaft (oHG)
⇒ Wiener Schule ⇒ Grenznutzenschule die schwerpunktmäßig zwischen der Mitte des 19. und dem Beginn des 20. Jahrhunderts durch Hermann Heinrich → Gossen, Friedrich von Wieser, Eugen von → BöhmBawerk, Léon → Walras und andere repräsentierte Schule der → Volkswirtschaftslehre, die sich vorrangig mit der Theorie des → Grenznutzens und einer darauf fußenden Preis- und Verteilungstheorie befaßte. Die Ö. bildete eine Gegenposition zu der zeitgleich in Deutschland vertretenen jüngeren → Historischen Schule. Österreichische Schule ⇒ Grenznutzenschule ⇒ Wiener Schule ⇒ Österreichische Grenznutzenschule. offene Fonds → Fonds. offene Handelsgesellschaft (oHG) wird in den §§ 105 – 160 Handelsgesetzbuch abgehandelt. Sie ist die (gesellschaftsvertragliche) Vereinigung von zwei oder mehreren Personen (auch → juristischen Personen) zum Betrieb eines → Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher → Firma. Die Gesellschafter haften unbeschränkt (d. h. mit ihrem gesamten Geschäfts- u. Privatvermögen) und gesamtschuldnerisch (d. h. jeder Gesellschafter haftet für die gesamten → Schulden des → Unternehmens). Die Gesellschafter sind Mitunternehmer und Miteigentümer (→ Miteigentum) der Gesellschaft. Die Gesellschaft selbst besitzt keine → Rechtsfähigkeit, wohl aber Prozeßfähigkeit. Die Gesellschaft entsteht und wird damit auch nach außen wirksam mit Geschäftsbeginn, spätestens mit der Eintragung ins → Handelsregister. Die o. gilt als Arbeitsgemeinschaft, in der jeder Gesellschafter berechtigt und verpflichtet ist, in der Geschäftsführung mitzuarbeiten, es sei denn, daß der Gesellschaftsvertrag eine andere Regelung (z. B. Einzelgeschäftsführung) vorsieht. Das gleiche gilt für die Vertretung der Gesellschaft nach außen, das heißt Dritten gegenüber. Der Gesellschaftsvertrag kann einen Gesellschafter von der Vertretung ganz ausschließen oder 455
offene Handelsgesellschaft (oHG)
ihn an die Mitvertretung eines anderen Gesellschafters oder eines → Prokuristen binden. Der Ausschluß der Vertretungsmacht ist Dritten gegenüber allerdings nur dann wirksam, wenn er ins Handelsregister eingetragen ist. Einschränkungen der Vertretungsmacht sind dagegen unzulässig. Die o. kann aus verschiedenen Gründen aufgelöst werden, so zum Beispiel: durch Beschluß der Gesellschafter, durch → Kündigung, infolge Insolvenzeröffnung (→ Insolvenz) über das Gesellschaftsvermögen oder das → Vermögen eines Gesellschafters. – Durch den Tod eines Gesellschafters endigt die o. nur, wenn nicht vereinbart ist, daß sie mit den Erben des Verstorbenen oder unter den verbleibenden Gesellschaftern fortgeführt werden soll. Offenlegungspflicht ⇒ Publizitätspflicht. Offenmarktpolitik Kauf und Verkauf von → Wertpapieren durch die → Zentralbamk am offenen, anonymen → Markt. Die Transaktion kann mit kurzund langlaufenden Wertpapieren betrieben werden; sie ist sowohl von/an → Banken als auch Nichtbanken möglich. Die Zentralbank kann die Wertpapiere endgültig (outright) oder nur für eine bestimmte Zeit (z. B. 14 Tage) ankaufen/verkaufen. Offenmarktgeschäfte mit Rückkaufsvereinbarung werden auch als Pensionsgeschäfte bezeichnet. – Für das → ESZB ist die O. eines der wichtigsten Instrumente zur Steuerung der → Zinsen und der Liquidität auf dem → Geldmarkt; es gibt über dieses Instrument Signale hinsichtlich seines geldpolitischen Kurses. Offerte ⇒ Antrag ⇒ Angebot. Offizialdelikte Straftaten, die von Amts wegen (durch die Staatsanwaltschaft) verfolgt werden. Gegensatz: → Antragsdelikte. Offshoring Auslagerung von Unternehmensteilen an kostengünstigere Standorte, in der Regel in Länder mit niedrigerem Lohnniveau. 456
Option(en)
oHG Abk. für: → offene Handelsgesellschaft. Oligopol → Marktform, die durch wenige etwa gleich starke Anbieter (O. im engeren Sinn, → Angebots-O.) beziehungsweise Nachfrager (Oligopson) beziehungsweise Anbieter und Nachfrager (bilaterales O.) gekennzeichnet ist. Der einzelne Anbieter/Nachfrager muß mit dem Einfluß seines Marktverhaltens auf den Markt und damit auf das Marktverhalten seiner Konkurrenten rechnen. Der → Preis ist bei dieser Marktform für den einzelnen Anbieter/Nachfrager keine vorgegebene Größe (Datum). Onlinebanking ⇒ Electronic Banking. OPEC Abk. für Organisation of Petroleum Exporting Countries; 1960 gegründete Organisation erdölexportierender Länder mit dem Zielbündel einer gemeinsam abgestimmten Erdölpolitik, einer staatlichen Beteiligung an den Erdölkonzernen und einer weitgehenden Bestimmung der Weltmarktpreise für Erdöl. Opportunitätskosten bringen den Nutzenentgang zum Ausdruck, der bei konkurrierenden Verwendungsmöglichkeiten knapper Mittel zwangsläufig auftritt. So muß ein Individuum bei Befriedigung seines → Bedürfnisses X durch das → Gut A notgedrungenerweise auf die Befriedigung des Bedürfnisses Y durch das Gut B verzichten. Mit anderen Worten: Mit dem Kauf des Gutes A muß das Individuum zwangsläufig auf den Kauf des Gutes B verzichten und es entgeht ihm damit dessen → Nutzen. Dieser Nutzenentgang des Gutes B markiert die O. des Gutes A. Option(en) (lat. optio = das Recht zu wünschen) 1. Vertraglich begründete Anwartschaft, ein nach → Preis und Menge vom Geschäftspartner festgesetztes → Angebot zeitlich befristet anzunehmen. 2. An den Terminbörsen gehandelte spezielle Finanzinstrumente. Sie beinhalten eine Vereinbarung zwischen zwei Personen (Käufer u. Verkäufer), die
Option(en)
dem Käufer das Recht und dem Verkäufer die Pflicht vermittelt, eine bestimmte Menge eines Anlageobjektes (z. B. → Aktien, → Anleihen, → Währungen, → Rohstoffe) zu einem im voraus festgelegten Zeitpunkt (Verfalldatum) zu kaufen oder verkaufen. Optionsanleihen → Schuldverschreibungen, die dem Inhaber zu seinem Forderungsrecht (Rückzahlungs- u. Zinsanspruch) ein → Bezugsrecht auf → Aktien der ausgebenden → Aktiengesellschaft verbriefen. Das Bezugsrecht ist in Form des der Anleiheurkunde beigegebenen → Optionsscheines veräußerbar und wird börsenmäßig gehandelt. Das Forderungsrecht wird durch die Wahrnehmung des Bezugsrechtes nicht berührt. Die Schuldverschreibung bleibt erhalten und wird planmäßig getilgt (→ Tilgung). Optionsschein eigenständiges → Wertpapier, das dem Inhaber das Recht (nicht die Pflicht!) verbrieft, einen bestimmten Basiswert (Kontraktinstrument) während einer bestimmten Frist (Optionsfrist) zu einem festgelegten → Preis (Optionspreis) zu kaufen beziehungsweise zu verkaufen. ordentliche Kündigung → Kündigung. Order (engl. = Auftrag, Befehl) Kauf- oder Verkaufsauftrag. Orderklausel Vermerk auf → Wertpapieren, durch den diese zu → Orderpapieren werden. Orderpapiere → Wertpapiere, die auf den Namen eines bestimmten Berechtigten lauten und die durch → Indossament auf einen neuen Eigentümer übertragen werden können. Geborene O. sind vor allem der → Wechsel, die → Namensaktie und der auf einen Namen lautende → Scheck. Gekorene O. sind insbesondere Lade- und Lagerscheine sowie bestimmte → Schuldverschreibungen und Schatzanweisungen.
Ordnungspolitik
Orderscheck → Scheck mit Nennung des Begünstigten. Der Scheck als geborenes → Orderpapier wird durch → Indossament übertragen. ordnungsinkonform mit der geltenden → Wirtschaftsordnung nicht harmonierend. Als o. gelten wirtschaftspolitische Maßnahmen (→ Wirtschaftspolitik) dann, wenn diese den in der jeweiligen Wirtschaftsordnung angelegten Zielen (→ wirtschaftspolitische Ziele) und Prinzipien widersprechen und damit zu Effizienzverlusten der betreffenden Ordnung führen. Gegensatz: → ordnungskonform. ordnungskonform mit der geltenden → Wirtschaftsordnung harmonierend. Als o. gelten wirtschaftspolitische Maßnahmen (→ Wirtschaftspolitik) dann, wenn sie den in der jeweiligen Wirtschaftsordnung angelegten Zielen (→ wirtschaftspolitische Ziele) und Prinzipien entsprechen und damit der Effizienz dieser Ordung dienen. Gegensatz: → ordnungsinkonform. Ordnungspolitik Der Begriff O. hat eine lange Geschichte; er war stets umstritten und hat sich bis zur Gegenwart zu keiner einheitlichen Vorstellung geklärt. Bis in das 18. Jahrhundert hinein war die Wirtschaft den Fürsten verpflichtet (→ Merkantilismus). Ihre Entwicklung durch die obrigkeitliche „Wohlstandspolitik“ sollte vor allem der Machtentfaltung und Repräsentation der absoluten Herrscher dienen. Hierzu wurden in erster Linie der Handel und das einheimische Gewerbe gefördert (→ Marktordnungen). Dieser → Protektionismus wurde schon früh kritisiert (Dudley North, 1691). Dem Geschäftsmann Adrien-Marie Legendre wird zugeschrieben, dem Finanzminister von Ludwig XIV., Jean Baptiste Colbert, geraten zu haben, der Wirtschaft umfassende Freiheit zu gewähren und die Entscheidungen der Wirtschaftenden zu akzeptieren: die Welt bewege sich von selbst: „Laissez-faire, lassez-passer: le monde va de lui même!“ 457
Ordnungspolitik
Mit der Maxime → „Laissez-faire!“ wurde die staatliche O. begründet, zugleich aber auch der Gegensatz zwischen einer streng liberalen (→ physiokratischen, → manchesterliberalen) und einer sozial-liberalen Position (Kathedersozialismus, → Verein für Socialpolitik) aufgeworfen: – In streng liberaler Sicht ist Wirtschaftsfreiheit ein natürliches Recht der Menschen, das jedem bedingungslos gewährt werden muss. Mithin ist es Aufgabe der O., unbedingte Wirtschaftsfreiheit zu sichern, und sonst nichts. – In sozial-liberaler Sicht ist Wirtschaftsfreiheit ein Vorrecht, das einzelnen gewährt werden kann, das sich aber durch Leistungen für das → Gemeinwohl legitimieren muss. In dieser Sicht geht es nicht um Wirtschaftsfreiheit allein, sondern auch um soziale Anliegen, die in Verbindung mit der Wirtschaftsfreiheit erfüllt werden müssen. Dabei ist das Problem zu lösen, dass jeder Versuch, Freie auf die Erfüllung bestimmter Zwecke zu verpflichten, eine Freiheitsbeschränkung bedeutet. Offensichtlich kann die Antinomie zwischen Freiheit und sozialer Bindung nur gelöst werden, wenn die sozialen Anforderungen freiwillig erfüllt oder wie von „unsichtbarere Hand“ bewirkt werden (→ Adam Smith). Der → Neoliberalismus, der sich in Deutschland nach Kriegsende etabliert hat, hat sich eindeutig zur sozial-liberalen Position bekannt. Selbst Friedrich A. von → Hayek, der oft als entschiedener Verfechter einer extremen Laissez-faire-Haltung angesehen wird, hob ausdrücklich hervor: „Der Liberalismus lehrt, dass wir den bestmöglichen Gebrauch von den Kräften des → Wettbewerbs machen sollen, ... er lehrt aber nicht, dass wir die Dinge sich selbst überlassen sollen.“ (Der Weg zur Knechtschaft, 1944) Die neoliberale O. hat sich damit eine doppelte Aufgabe gestellt: Sie wollte Wirtschaftsfreiheit sichern und musste genau bestimmen, was zu tun ist, wenn die „unsichtbare Hand“ versagt, wenn soziale Fragen ungelöst bleiben oder mit der Wirtschaftsfreiheit soziale Fragen sogar neu aufgeworfen werden. Die Erfahrungen mit 458
Ordnungspolitik
der → Wirtschafts- und → Sozialpolitik seit Einführung der → Gewerbefreiheit und der frühen Industrialisierung zeigten, dass diese Aufgabe schwer zu lösen ist. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die Neoliberalen in Deutschland die Obliegenheiten der O. unterschiedlich definiert haben: – → Walter Eucken und die von ihm begründete → „Freiburger Schule“ forderten von der O. die systematische Konstituierung einer „Wettbewerbsordnung der ,vollständigen Konkurrenz‘“. In Bereichen, in denen sich keine derartige Wettbewerbsordnung verwirklichen lässt, verlangten sie die Beschränkung der Eingriffe des Staates in die Wirtschaft auf „regulative Maßnahmen“. – → Alexander Rüstow hielt es für nötig, dass sich der Staat aus der Wirtschaft generell heraushält und ihr allenfalls bei nicht selbst verschuldeten Schwierigkeiten – zum Beispiel bei technischen Fortschritten, politischen Umbrüchen oder abrupten handelspolitischen Veränderungen – Unterstützungen (→ Subventionen) gewährt. – → Wilhelm Röpke meinte, dass die marktwirtschaftliche Konkurrenz die Kräfte schwächt, die eine Gesellschaft solidarisch zusammenhält. Er plädierte für eine O., in der Maßnahmen zur Herstellung der Wettbewerbsordnung mit gesellschaftspolitischen Aktionen verbunden werden: Neben der Errichtung der → Marktwirtschaft gelte es, die gesellschaftliche Integration zu stärken. – → Alfred Müller-Armack sprach sich dafür aus, die Marktwirtschaft als perfektes Organisationsmittel nur im Bereich der Erzeugung von Waren und Diensten anzuerkennen und die → Einkommensverteilung, die sich im marktwirtschaftlichen Prozess ergibt, nach sozialen Kriterien und staatlichen Erfordernissen zu korrigieren. – Auch die O., die → Ludwig Erhard nach 1948 im Rahmen der → Sozialen Marktwirtschaft in Westdeutschland betrieb, beruhte auf der neoliberalen Überzeugung, dass eine systematisch und konsequent eingerichtete Marktwirtschaft
Ordnungspolitik
viele, aber nicht alle sozialen Fragen selbsttätig löst. Die Vorschläge von Röpke erschienen Erhard nicht operational genug; gegen die ordnungspolitischen Ergänzungs- und Korrekturmaßnahmen, die Eucken, Rüstow und Müller-Armack vorschlugen, hatte er Bedenken. – Eucken verweise zwar zu Recht darauf, dass nicht allein der staatliche Protektionismus, sondern auch das „selbstgeschaffene Recht der Wirtschaft“ (Hans Großmann-Doerth) die Wirtschaftsfreiheit und damit die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft einschränkt und dass Vermachtungstendenzen in der Wirtschaft und → Monopole durch eine entschiedene → Wettbewerbspolitik bekämpft werden müssen (→ Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen). Erhard akzeptierte die von Eucken genannten „konstituierenden Prinzipien einer Wettbewerbsordnung“ als unverzichtbare Voraussetzungen für freies Wirtschaften, meinte aber, dass die geforderte „Verwirklichung einer idealtypischen Ordnung im konkreten historischen Moment“ zu weit ginge. Streng durchgeführt, begründe sie eine konstruktivistische Politik, die nach → Karl R. Popper unweigerlich totalitaristische Züge annehmen müsse. Andererseits könne die Kombination von konstituierenden und regulierenden Prinzipien, deren Zuständigkeitsbereich Eucken nicht klar genug gegeneinander abgrenze, zu wirtschaftspolitischem Punktualismus führen. – Der Vorschlag von Rüstow, die Wirtschaft bei notwendigen Anpassungsprozessen zu unterstützen, ihr jedoch Subventionen zur Erhaltung von Unternehmen zu verweigern, unterstelle der Politik Wissen, das sie nicht besitzen kann. Politiker könnten nicht unterscheiden, ob wirtschaftliche Schwierigkeiten vorübergehender oder dauerhafter (struktureller) Natur sind. Allenfalls im Nachhinein könnten Anpassungs- und Erhaltungssubventionen voneinander unterschieden werden. – Eine Einkommensumverteilung, wie sie Müller-Armack vorschlägt, lehnte Erhard
Ordnungspolitik
ab, weil mit ihr die in der Marktwirtschaft unverzichtbaren Leistungsanreize geschmälert und Anspruchsmentalitäten geschaffen werden. Die Wirtschaftsaktivität würde dadurch von der Leistungserbringung auf unproduktive Verteilungskämpfe verlagert. Erhard wollte die Soziale Marktwirtschaft keinesfalls dualistisch – als Verbindung von marktwirtschaftlicher Effizienz und sozialen Leistungen –, sondern als „Wirtschaftspolitik aus einem Guss“ verstanden wissen. Seine O. sollte zeigen, dass „gute Wirtschaftspolitik die beste Sozialpolitik“ ist. Die von Erhard im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft betriebene O. begann 1948 mit der Freigabe der Preise und der Aufhebung der Bewirtschaftung. Danach setzte sie stark auf das Verbot von unlauteren Geschäftspraktiken (→ Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb), von wettbewerbswidrigen Absprachen (→ Kartelle), auf den → Verbraucherschutz sowie auf Zulassung und Beaufsichtigung in heiklen Geschäftsbereichen, beispielsweise im Geld- und Finanzwesen (→ Bankgeschäfte, → Kreditwesen). Erhard schuf in seinem Zuständigkeitsbereich als Bundesminister für Wirtschaft einen Rahmen für die freie Betätigung aller Wirtschaftenden, indem Verhaltensweisen, die Dritten schaden, als Missbrauch der Wirtschaftsfreiheit bezeichnet, verboten oder mit Bußgeldern und Strafen bedroht wurden. Die Erhardsche O. vermied jede positive Umschreibung von Freiheitsräumen und jede Einflussnahme auf das wirtschaftliche Verhalten der einzelnen. Nach Erhards Rücktritt aus der aktiven Politik Ende 1966 wurde im Zuge der Verbreitung des keynesianischen Denkens (→ Keynessche Theorie) die O. zunehmend in den Dienst von wachstums- und konjunkturpolitischen Zielsetzungen gestellt (→ Stabilitätsgesetz, → Wachstumspolitik). Um die gesetzten gesamtwirtschaftlichen Ziele zu erreichen, wurden prozesspolitische Maßnahmen (→ Globalsteuerung) für unverzichtbar angesehen. Zwar wurde der O. dabei eine Priorität gegenüber der 459
Ordnungspolitik
→ Prozesspolitik zugebilligt; prozesspolitische Maßnahmen sollten nur dort erfolgen, wo die O. versagt. Doch auch mit dieser Festlegung wurde die O. instrumentalisiert: Sie sollte die Ziele der Globalsteuerung erreichen, damit prozesspolitische Interventionen unterbleiben können. Inzwischen ist das von den Neoliberalen in Deutschland gepflegte „Denken in Ordnungen“ nahezu vollständig durch ein „Denken in wirtschaftspolitischen Zielen und Regelkreisen“ abgelöst. Die wissenschaftlichen Bemühungen um eine Präzisierung des Begriffs O. haben diesen Trend unterstützt. So wurde beispielsweise das Leitbild der neoliberalen Wettbewerbspolitik, die zweckfreie Garantie von unbedingter Wettbewerbsfreiheit, zum Leitbild eines „→ funktionsfähigen Wettbewerbs“ umgeprägt. Ziel ist dabei nicht mehr, die Freiheit des Wettbewerbs zu garantieren, sondern den Wettbewerb so auszugestalten, dass er gewünschte Marktergebnisse erbringt. Diese neue Orientierung hat in der praktischen Politik dazu geführt, dass der Begriff O. zu einem vieldeutigen, häufig benutzten Schlagwort verkommen ist. In der Regel werden der O. jetzt alle Maßnahmen zugeordnet, die statt strikter Verbote bzw. Gebote nur Anreize für das gewünschte Verhalten setzen. Kritische Neoliberale behaupten, dass das ursprüngliche, von allen Neoliberalen verfolgte Anliegen, die staatliche Einflussnahme auf die Wirtschaft durch eine O. zu ersetzen, mit der Wirtschaftsfreiheit und → soziale Gerechtigkeit verbürgt werden, gescheitert sei: Die gegenwärtige Wirtschaftspolitik trage unverkennbar die Züge der merkantilistischen Wirtschaftssteuerung. Dr. Horst Friedrich Wünsche, Bonn Ordoliberalismus → Liberalismus, wirtschaftlicher.
460
Outsourcing
Organisation betriebswirtschaftlicher Begriff; bedeutet sowohl die Tätigkeit des Organisierens als auch die durch diese Tätigkeit geschaffenen betrieblichen Tatbestände. Diese Tatbestände repräsentieren ein System dauerhafter Regelungen, das möglichst viele Entscheidungen in die → Planung einbezieht. Die O. steht damit im Dienste der Planung. Ihr Ziel ist die Herstellung einer strukturierten Ordnung, die die Vielzahl unterschiedlicher Betriebsaufgaben zu einer funktionsfähigen Einheit verbindet. So werden einerseits im Rahmen der betrieblichen Aufbau-O. die Beiträge der einzelnen Aufgabenträger zur Realisierung des Betriebszieles klar umrissen und herausgestellt, während andererseits in der betrieblichen Ablauf-O. die räumliche und zeitliche Ordnung der Arbeitsabläufe erfolgt. Voraussetzung für solche Dauerregelungen ist jedoch immer, daß es sich bei den zu organisierenden Vorgängen um gleichartige und wiederkehrende handelt. ortsübliche Vergleichsmiete wird gebildet aus den üblichen Entgelten, die in der Gemeinde für Wohnraum vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage in den letzten vier Jahren vereinbart worden sind (§ 558 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch). Siehe auch: → freifinanzierter Wohnraum. Output → Ausbringung. Outsourcing aus Rationalisierungserwägungen praktizierte Ausgliederung von Teilen der betrieblichen Produktion und/oder Entwicklung und Überantwortung derselben auf fremde (darauf spezialisierte) → Unternehmen (Zulieferer, Systemlieferanten u. a.).
Pacht
Pareto, Vilfredo
P Pacht rechtliche Grundlage §§ 581 – 597 Bürgerliches Gesetzbuch; die vertragliche Überlassung von → Sachen oder → Rechten zum Gebrauch und Fruchtgenuß gegen Entgelt. Dies bedeutet: Der Pächter einer Sache (beispielsweise eines Gartens, einer Gastwirtschaft) darf dieselbe gebrauchen (hier: den Garten bestellen, die Gastwirtschaft betreiben) und darüber hinaus die Früchte, nämlich den Ertrag der Sache (hier: die Früchte des Bodens u. der Bäume, den Ertrag der Gastwirtschaft), ernten (= ziehen) und hat dafür einen entsprechenden → Pachtzins zu entrichten. Somit können nur solche Gegenstände verpachtet werden, die Früchte abwerfen. Zu beachten gilt: (1) Früchte stehen dem Pächter nur in dem Umfang zu, als sie nach den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft als Ertrag anzusehen sind. (2) Das mitverpachtete Inventar eines (bebauten) Grundstücks muß der Pächter erhalten und gegebenenfalls gewöhnlichen Abgang ersetzen; hat er das Inventar zum Schätzwert mit Rückgabeverpflichtung übernommen, so muß er es auf seine → Gefahr erhalten und ergänzen; ein eventueller Mehr- oder Minderwert wird bei Beendigung des P.-verhältnisses verrechnet. (3) Für die → Forderungen aus P.-verhältnis können sowohl ein → Verpächterpfandrecht als auch das → Pächterpfandrecht herangezogen werden. – Im allgemeinen gelten für die P. die gleichen Rechtsvorschriften wie für die → Miete. Pachtvertrag → Pacht. Pachtzins die für eine → Pacht zu entrichtende Vergütung. Pächterpfandrecht gesetzliches → Pfandrecht des Pächters (→ Pacht) an den in seinen → Besitz gelangten Inventarstücken für → Forderungen, die sich auf das mitgepachtete Inventar beziehen (§ 583 Bürgerliches Gesetzbuch).
Pädagogische Hochschulen (PH) ⇒ Universitys of Education heute nur noch in Baden-Württemberg bestehende wissenschaftliche Hochschulen, die in erster Linie Studiengänge für die Lehrämter an Grund- und Hauptschulen, Realschulen und Sonderschulen, daneben aber auch andere pädagogische (Auf bau-) Studiengänge mit Diplom-, Magister Artium- oder Promotion (Dr. paed.)-Abschluß anbieten. Parentelensystem → Erbfolge, gesetzliche. Pareto-Optimum → Pareto, Vilfredo. Pareto, Vilfredo *1848 (Paris) †1932 (Céligny, Schweiz), italienischer Ökonom und Soziologe, ist als promovierter Ingenieur zunächst an führender Stelle in der Eisenindustrie tätig, bevor er 1893 bis 1911 als Nachfolger seines Lehrers → Léon Walras Professor für → politische Ökonomie in Lausanne wird. In seinen Hauptwerken Cours d’économie politique (2 Bde., 1896 f.) und Trattato di sociologia generale (2 Bde., 1916) baut er die neoklassische Gleichgewichtstheorie vermittels mathematischer Methoden systematisch aus, um eine den exakten Wissenschaften entsprechende Sozial- und Wirtschaftslehre zu schaffen. Dabei bedient er sich einer Theorie der Wahlakte, die Substitutionsvorgänge veranschaulichen soll. Demnach können für den Kunden unterschiedliche Mengen-Güter-Kombinationen den gleichen → Nutzen haben, sodaß er sich ihnen gegenüber „indifferent“ verhält. Diese Nutzengleichung veranschaulicht er mit Hilfe sogenannter „Indifferenzkurven“. Damit kann P. das optimale Konsumentengleichgewicht bestimmen. Es ist erreicht, wenn kein Konsument in der Lage ist, eine höher präferierte Mengen-Güter-Kombination zu erreichen, ohne andere Konsumenten zur Wahl einer niedriger eingeschäzten Kombination zu zwingen. Dieser Gleichgewichtspunkt wird seither in der Ökonomie als das „Pareto461
Pareto, Vilfredo
Optimum“ bezeichnet, das vor allem in der modernen → Wohlfahrtsökonomie (Pigou, Hicks) eine wichtige Rolle spielt. In späteren Jahren entwickelt der anfänglich gemäßigt liberale P. eine Theorie vom „Kreislauf der Eliten“, deren autoritärer Konservatismus den italienischen Faschismus beeinflußt. Literatur: L. Bruni, Vilfredo Pareto and the Birth of Modern Microeconomics, Cheltenham 2002; G. Eisermann, Vilfredo Pareto als Nationalökonom und Soziologe, Tübingen 1961, ders., Vilfredo Paretos System der allgemeinen Soziologie, Stuttgart 1962; R. Hamann, Paretos Elitentheorie und ihre Stellung in der neueren Soziologie, Stuttgart 1964; J. Schumpeter, Vilfredo Pareto; in: Quarterly Journal of Economics; No. 61, 1949. D. D. Pariser Club 1956 unter Führung der französischen Regierung ad hoc gegründetes multinationales Gremium zur Aushandlung von Umschuldungsabkommen zwischen Schuldner- und Gläubigerländern. Er besitzt keine festgelegte Organisationsstruktur mit schriftlich fixierten Statuten und festem Mitgliederkreis. Die Gläubigerländer rekrutieren sich im wesentlichen aus den in der → OECD zusammengeschlossenen Industrieländern. Jeder öffentliche Gläubiger hat aber grundsätzlich Zugang zum P., wenn er dessen ungeschriebene Regeln akzeptiert. Die Bundesregierung wird bei Umschuldungsverhandlungen des P. federführend durch das Bundeswirtschaftsministerium vertreten. Parität (lat. = Gleichheit); 1. P. der → Kaufkraft: Gleichheit der Kaufkraft verschiedener → Währungen; 2. P. von Währungen: Wertverhältnis zweier Währungen. Siehe auch: → Wechselkurs. paritätische Mitbestimmung → Mitbestimmung. Partizipation (lat. = Teilnahme, Teilhabe); Begriff, der insbesondere im Zusammenhang mit der 462
Pendlerpauschale
→ Humanisierung der Arbeit die Beteiligung der → Arbeitnehmer an bestimmten betrieblichen Gremien und Entscheidungsprozessen zum Ausdruck bringt. P. wird vielfach als zentrales Element von Demokratisierung und Emanzipation verstanden. Passiva ⇒ Passivseite ⇒ Passivposten (lat.) Plural von Passivum; Sammelbezeichnung für alle auf der Passivseite der → Bilanz ausgewiesenen Posten, so insbesondere: → Kapital, → Verbindlichkeiten, → Rücklagen, → Rückstellungen, Wertberichtigungen, passive Rechnungsabgrenzungsposten. Gegensatz: → Aktiva. passive Zahlungsbilanz → Zahlungsbilanz. Passivposten ⇒ Passivseite ⇒ Passiva. Passivseite ⇒ Passivposten ⇒ Passiva. Patent ein vom Patentamt für eine Erfindung verliehenes ausschließliches → Recht zur Benutzung und gewerblichen Vewertung der Erfindung. Paternalismus vom lat. pater (= Vater) abgeleiteter Begriff, der einen außerfamiliären Herrschafts- und Führungsstil (z. B. in → Unternehmen, im Staat) umschreibt, der mit dem Anspruch väterlicher Besorgtheit auftritt und daraus fürsorglich-bevormundende, die individuelle Selbstverantwortung unterlaufende Zwangsmaßnahmen (so insbesondere im Bereich der → Sozialversicherung) ableitet. Siehe auch: → Sozialstaat. Pauschalpreis ⇒ Flatrate. Pauschalreise → Reisevertrag. Pendlerpauschale ⇒ Entfernungspauschale.
Pensionsfonds
Pensionsfonds → betriebliche Altersvorsorge. Pensionsgeschäfte → Offenmarktpolitik. Pensionskasse → betriebliche Altersvorsorge. Pensionszusage ⇒ Direktzusage → betriebliche Altersvorsorge. Performance (engl. = Leistung) 1. Kursverlauf eines → Wertpapiers; 2. Wertentwicklung eines → Portfeuilles oder eines → Fonds. Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers Recht des → Arbeitnehmers auf Achtung seiner Person, ihrer sozialen Geltung und des ihr unmittelbar zugehörenden Daseinsbereichs. Dieses Recht des Arbeitnehmers hat auch der → Arbeitgeber mit der Eingehung eines → Arbeitsvertrages zu wahren. Er ist deshalb verpflichtet, seine Arbeitnehmer vor einer Verletzung ihrer P. zu schützen. Gelingt ihm dies nicht (z. B. im Datenbereich), so erwachsen dem Arbeitnehmer daraus entsprechende Ansprüche: (1) auf Unterlassung künftiger Verletzungen, (2) auf → Schadensersatz und → Schmerzensgeld wegen Verletzung vertraglicher Pflichten und → unerlaubter Handlungen. Zur Wahrung der P. seiner Arbeitnehmer muß der Arbeitgeber insbesondere die → Personalakten so auf bewahren, daß sie Dritten nicht zugänglich sind. Darüber hinaus hat er ärztliche Atteste und Unterlagen (Gesundheitsdaten) gesondert zu archivieren und damit der Möglichkeit einer allgemeinen Einsichtnahme in der Personalabteilung vorzubeugen. Das P. wird in diesem Bezug bereits dann verletzt, wenn der Arbeitgeber hinsichtlich der Personalakte die erforderlichen Schutzmaßnahmen unterläßt und nicht erst dann, wenn Unbefugte von ihrem Inhalt Kenntnis erlangen. Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers gegen anonyme technische Kontrolleinrichtungen (d. s. technische Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistungen der → Arbeitnehmer zu überwachen), wird durch § 87 Abs. 1 Nr. 6
Personalentwicklung
Betriebsverfassungsgesetz gedeckt. Diese Rechtsvorschrift unterstellt das vorgenannte Problemfeld dem → Mitbestimmungsrecht des → Betriebsrates. Siehe auch: → Überwachungseinrichtungen, betriebliche. Personalakte die über den einzelnen → Arbeitnehmer eines → Unternehmens aktenmäßig oder innerhalb einer Datenbank gesammelten Informationen, so insbesondere: Bewerbungsschreiben, Personalbogen, → Arbeitsvertrag, Zeugnisse, Leistungsbeurteilungen, Verwarnungen und andere. Nach § 83 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) hat der Arbeitnehmer das Recht, in seine P. Einsicht zu nehmen. Die Führung von Geheimakten ist unzulässig. – Entsprechen Teile der P. nicht der Wahrheit, so kann der Arbeitnehmer Richtigstellung oder Entfernung derselben verlangen. Erklärungen des Arbeitnehmers zum Inhalt der P. sind dieser auf dessen Verlangen beizufügen (§ 83 Abs. 2 BetrVG). Siehe auch: → Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers. Personaleinkauf verbilligter Einkauf von betriebseigenen Produkten durch die → Arbeitnehmer des → Unternehmens; gilt als Entgeltbestandteil. Siehe auch: betriebliche → Lohngestaltung. Personalentwicklung Die Sicherstellung von betrieblicher Innovations- und Anpassungsfähigkeit im Konkurrenzwettbewerb zählt zu den zentralen Aufgaben einer strategischen Unternehmensplanung, in der die Personalpolitik eine wichtige Funktion übernimmt. Unter dem Begriff des Human Resource Management (HRM) hat sich die betriebliche Personalpolitik in ihren Inhalten, Methoden, Instrumenten wie auch in der strategischen Ausrichtung seit den 1990er Jahren deutlich verändert (vgl. Barthel 2004). Zentrales Anliegen des HRM-Konzeptes ist es, durch Investitionen in das → Humankapital, definiert als die Kombination von Wissen, Fähigkeiten, Erfahrungen, Fertigkeiten, Motivationen, Verhaltensdispositionen u. a. der Belegschaftsmitglieder, dem Betrieb langfristige Wettbewerbsvortei463
Personalentwicklung
le am → Markt zu verschaffen, was durch das Alleinstellungsmerkmal eines spezifischen Humankapitalbestands und die Betriebsbindung des Mitarbeiters realisierbar erscheint. Beim HRM geht es darum, die sogenannten weichen Faktoren wie z. B. die Dynamik der Organisation, die Qualität der Betriebsführung und letztlich die Kompetenzpotenziale der Belegschaft zu stärken, um damit das gesamte betriebliche Leistungsvermögen zu optimieren. Insbesondere die individuellen Entwicklungskorridore durch Qualifizierung und → Weiterbildung der betrieblichen Mitarbeiter werden dabei nicht primär unter dem Blickwinkel eines Kostenfaktors gesehen, sondern unter der Perspektive einer Investition zwecks Erhöhung des betrieblichen Leistungspotenzials betrachtet. Die betriebliche Personalpolitik als Gegenstand des HRM beschäftigt sich mit allen vergangenheits-, gegenwarts- und zukunftsbezogenen Aspekten der betrieblichen Personalversorgung. Sie kann auf ein breites Spektrum von Maßnahmen und Instrumenten zurückgreifen und ist in der Regel in die zentralen betrieblichen Entscheidungsprozesse eingebettet bzw. flankiert diese. Die Personalplanung soll gewährleisten, den Reaktionszeitraum auf sich verändernde Rahmenbedingungen durch die Entwicklung eines jeweils situationsangepassten personalpolitischen Profils bei der wechselseitigen Zuordnung von Arbeitsplätzen und Arbeitskräften zu verringern. Eingebettet in die Personalplanung ist die P., deren originäre Aufgabe und Funktion es ist, im Sinne einer innerbetrieblichen Personalbeschaffung das betriebliche Arbeitskraftpotential den veränderten Anforderungen und Strukturen möglichst in prospektiver Perspektive anzupassen. Der Begriff P. hat seit Mitte der 1970er Jahre verstärkt Eingang in die wissenschaftliche Literatur gefunden und in der Folge die Praxis der betrieblichen Personalpolitik vornehmlich in Großbetrieben stimuliert (vgl. Olfert 2006). Bei der begrifflichen Definition bzw. der Nomenklatur von P. existiert nicht zuletzt aufgrund eines interdisziplinären Zugangs eine Vielzahl 464
Personalentwicklung
von Gegenstandsbeschreibungen mit unterschiedlichen aufgabenbezogenen und vor allem strategischen Reichweiten in der Unternehmenspolitik, wodurch Begriffe, Definitionen, Verständnis, Instrumente und Bezüge variieren und diffundieren (vgl. Becker 2009; Gaugler 2004). Nach Becker (2009, S. 4) umschließt die P. „alle Maßnahmen der Bildung, der Förderung und der Organisationsentwicklung, die von einer Person oder Organisation zur Erreichung spezieller Zwecke zielgerichtet, systematisch und methodisch geplant, realisiert und evaluiert werden.“ Für Münch (1995) stellt sich die P. als das Feld derjenigen Maßnahmen dar, „die geeignet sind, die Handlungskompetenz der Mitarbeiter weiterzuentwickeln, zu erhalten und ständig zu erneuern, und zwar mit dem Ziel, den Unternehmenserfolg unter weitestgehender Berücksichtigung der Mitarbeiterinteressen zu sichern“ (S. 15/16). Zu diesem Zweck muss diese den „entstehenden Bedarf identifizieren oder nach Möglichkeiten prognostizieren, geeignete Methoden und Konzepte zur Weiterentwicklung des vorhandenen Personals ausarbeiten, das passende Personal auswählen, die entsprechenden Maßnahmen organisieren oder durchführen sowie deren Erfolg kontrollieren“, wobei „nicht nur fachliche Fertigkeiten, sondern ein ausreichendes fachlich-funktionales Wissen und Können, methodische Fähigkeiten, soziale Kompetenz sowie Motivation“ zu berücksichtigen sind. Nach Geißler (2006, S. 205) konstituiert sich die P. „im Spannungsfeld zwischen Soll-Anforderungen und Ist-Qualifikationen“. Diese Differenz definiert den P.-bedarf. Er ist für die P. von größter Bedeutung nicht nur deshalb, weil sich auf ihn argumentationslogisch alle P.-maßnahmen beziehen und begründen müssen, sondern auch deshalb, weil es sich hierbei um eine politische Größe handelt, die von gegensätzlichen Interessen und Vorstellungen bestimmt ist. So können die subjektiv normierten Gestaltungsansprüche der Arbeitnehmer an und in den Arbeitsvollzügen wie auch bei der Artikulation des Qualifikationsbedarfs mit den Organisationsinteressen kollidieren, so dass durch
Personalentwicklung
P. die betrieblichen Interessen (der Kapitalverwertung) mit den individuellen Ansprüchen auf Entfaltung und Qualifizierung ausbalanciert werden müssen, was durchaus problembehaftet und zum Konfliktfeld für die betrieblichen Interessenvertreter werden kann. Veränderte Rationalisierungsstrategien und neue Formen der Betriebsorganisation im Einklang mit neuen Managementphilosophien sehen P. im Kontext von Organisationsentwicklung, wobei betriebliches Lernen und Qualifizierung diesem Primat untergeordnet ist. Organisationsentwicklung meint die Veränderung von Einstellungen und Verhaltensformen der Organisationsmitglieder, so dass damit in erster Linie Verhaltensänderungen durch organisationales Lernen erforderlich sind. Das notwendige permanente, auf die Prozesse bezogene „Change-Management“ bildet die konzeptionelle Klammer, um alte, gewachsene Strukturen, Prinzipien, Hierarchien, Machtkonstellationen, Werte, Normen, Regeln und Symbole aufzubrechen und sie in veränderte Lösungsund Gestaltungsverfahren für die Bewältigung neuer (Lern-)Anforderungen zu überstellen. Mit dem Konzept und der Förderung unternehmenskultureller Integrationsansätze (corporate identity) verbindet sich die Perspektive, Personal- und Organisationsentwicklung als wechselseitigen Prozess zu begreifen, der das individuelle Lernen der Belegschaftsmitglieder ermöglicht, Identifikation stiftet und gleichzeitig die Voraussetzungen für das Lernen in der (Betriebs-)Organisation schafft. Auf der Seite der Arbeitnehmer bzw. Belegschaften erfordert diese Option nicht nur die generelle Erhöhung von Akzeptanz gegenüber betrieblichen Lernanforderungen, sondern auch die Ausrichtung der subjektiven Lerninteressen und -motivationen auf veränderte Rahmensetzungen. Daran sind die Ziele geknüpft, die auf der Ebene von Veränderungen in den Verhaltensdispositionen der Arbeitnehmer wie z. B. die Herstellung überdauernder Arbeits- und Leistungsmotivationen, der betrieblichen Mobilitäts- und Weiterbildungsbereitschaft wie auch der Wahrnehmung individueller Entfaltungspotentiale
Personalentwicklung
(Partizipation) im Arbeitsprozess abstellen. Strategische P.-konzepte als Ausformung des „Human Resources Management“ nehmen dies auf und betrachten die Ganzheitlichkeit des menschlichen Arbeitspotentials und dessen Integration in die Unternehmensorganisation als Ausgangspunkt einer Bewältigungsstrategie, die dauerhafte Lernfähigkeit und -bereitschaft voraussetzt. Die betriebliche Weiterbildungspolitik bzw. die Organisation betrieblichen Lernens im Kontext personalentwicklungspolitischer Aktivitäten standen in den letzten 30 Jahren unter dem Druck permanenter Modernisierung. Mit der sukzessiven Implementierung neuer Techniken und den ihnen innewohnenden arbeitsorganisatorischen Entwicklungspotenzialen begannen in den 1970er und 80erjahren die traditionellen Rationalisierungsmuster tayloristisch-fordistischer Produktion ihre prägende Kraft und Leitbildfunktion für Rationalisierungsprozesse zu verlieren. Abgelöst wurde dieses Muster durch Formen einer prozessbezogenen Arbeitsorganisation, die nicht nur neue Rationalisierungspotenziale beinhaltete, sondern auch die betrieblichen Lernprozesse veränderte und der betrieblichen P. neue Orientierungen abverlangte. Geißler/Orthey (2008, S. 4ff.) sehen als Rationalisierungsstrategie die pädagogische Indienstnahme des Lernens durch die Mitarbeitersubjektivität als Form einer neuen „Rationalisierungsqualität“. Lernen ist für sie die zentrale „Kategorie reflexiver systemischer Rationalisierung“ im Vollzug der Durchsetzung und Flankierung posttayloristischer Arbeits-, Betriebs- und Organisationsformen, wie sie z. B. in Team- und Gruppenarbeitsmodellen, Projektarbeit und jüngst auch in fraktalen und virtuellen Unternehmenskonzepten ihren Niederschlag gefunden haben. In diesem Kontext geht es nicht nur um Qualifizierung, sondern um Reflexion, Kompensations-, Legitimierungs- und Koordinationsleistungen, funktional also um die Lösung von Selektionsproblemen (in der Karriere und in den Kommunikations- und Beziehungsgestaltungen). Lernprozesse werden durch die Verwendung von „Sprachspielen“ wie z. B. P., → lebens465
Personalentwicklung
langes Lernen, Wissensmanagement und Kompetenzmanagement in Form reflexiver Rationalisierung (Stichwort Metakognition) auf Dauer zur Anpassung an sich verändernde betriebliche Umwelten gestellt. P. wird in diesem Kontext zum Vehikel, die entstehende Last der Autonomie organisations- und weiterbildungsstrategisch über eine permanente Selbst-Thematisierung der Belegschaften, die den Organisationsblick auf die Arbeitsprozessinteraktionen und die darin eingebauten Freiheitsgrade und Refugien der Arbeitnehmer lenkt, aufzufangen. Begreift man den neuen Typ prozessorientierter Arbeitsorganisation als einen langfristig kontinuierlichen Entwicklungstrend, so müssen folglich die betriebliche Qualifizierung und Weiterbildung innerhalb der P. zum integralen und strategischen Bestandteil des gesamten Innovationsprozesses werden. Dies erfordert für die betriebliche Seite die Entwicklung neuer Steuerungsfunktionen bei der organisatorischen Einbindung der Qualifizierung bzw. dem Lernen in die Personalplanung. Dies betrifft nicht nur den Aspekt der Organisation bezüglich der kontinuierlichen Ermöglichung des Lebenslangen Lernens, sondern auch den Aspekt des Subjekts im Sinne der Erhaltung seiner → Beschäftigungsfähigkeit (employability). Mit der Dynamisierung der Arbeitsorganisation und der auf dezentrale Verrichtung von Aufgaben und Verantwortung gerichtete Transformation haben sich die Koordinaten der Lernorganisation und der Lernformen verändert. Seit geraumer Zeit ist eine Renaissance von nicht formalen und informellen Lernformen zu verzeichnen, die gegenüber den klassischen Formen des organisierten Lernens an Bedeutung und vor allem an wissenschaftlicher Aufmerksamkeit gewonnen haben. Zugleich hat der Begriff der Kompetenz(entwicklung) in der P. Einzug gehalten. Die in diesem Zusammenhang stehende Aufwertung des Arbeitsprozesses als Lernfeld, die unter dem Stichwort „dezentrales Lernen bzw. „Lernen im Prozess der Arbeit“ die Diskussion um die betriebliche Personal- und Organisationsentwicklung maßgeblich mitbestimmt, deuten eine tendenzielle Ortsver466
Personalentwicklung
änderung des Lernens an. Der eingeschlagene Veränderungspfad signalisiert einen Bedeutungsverlust des institutionalisierten, organisierten Lernens in systematisierten und „verschulten“ Curricula. Damit wird eine Entwicklung forciert, die die betriebliche Qualifizierung aus der „Exklusivität“ der klassischen Lehrgänge und traditionellen Lernortkonfigurationen tendenziell herauslöst. Die Hoffnung ist, hierdurch auftretende Transferprobleme vom Lernfeld ins betriebliche Funktionsfeld zu reduzieren. Die Rückführung des Lernens in die Arbeitsvollzüge durch entsprechend konfigurierte Lehr-/Lernkonzepte orientiert sich demzufolge daran, Aneignungsform und Verwendungssituation zu integrieren, um erworbenes Fachwissen selbständig und in selbstregulierten Handlungssituationen wirksam werden zu lassen. Konsequenterweise wird die Figur des dezentralen Lernens von der individuellen Ebene auf die der Organisation gehoben und mit dem Begriff des „lernenden Unternehmens“ oder der „lernenden Organisation“ verbunden (Argyris/Schön 1999). Der Trend zu einer „Entgrenzung“ und „Verflüssigung“ institutionalisierter Formen des Lernens und die in diesem Zusammenhang auftretenden veränderten Aneignungsformen beim Lernen im Prozess der Arbeit haben den Diskurs um den Kompetenzbegriff und vor allem die Frage der Messung, Zertifizierung bzw. Dokumentation von Kompetenzen forciert. Fragen der Personalplanung und der betrieblichen Qualifizierung und Weiterbildung sind Gegenstand rechtlicher Normierungen. Die → Betriebsverfassung als Grundlage der betrieblichen Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer reguliert im → Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) eine Vielzahl von Beteiligungsrechten des Betriebsrates. Dies betrifft soziale Angelegenheiten (§§ 87–89), die Gestaltung von Arbeitsplätzen, Arbeitsabläufen und Arbeitsumgebungen (§§ 90–91), personelle (§§ 92–105) und wirtschaftliche Angelegenheiten (§§ 106–113). Der → Betriebsrat bzw. die Arbeitnehmervertretungen können bei Maßnahmen der Personalplanung und P. wie auch der betrieblichen
Personalentwicklung
Weiterbildung mitwirken und sogar initiativ werden, indem Qualifizierungsmaßnahmen auch gegen den Willen des Arbeitgebers durchgesetzt werden (§ 92). In spezifischen → Tarifverträgen werden zudem Fragen der betrieblichen Qualifizierung und P. thematisiert. Allerdings sind die vorliegenden Tarifverträge zur Weiterbildung sehr heterogen, da sie sich in ihren Geltungsbereichen, in ihrem Begriffsverständnis und ihrer Regelungsdichte deutlich unterscheiden. Darüber hinaus existieren als weiteres Gestaltungselement für Fragen der betrieblichen Personalplanung und Qualifizierung → Betriebsvereinbarungen, die als betriebliche Bündnisse jenseits tariflicher Regulierungen anzusehen sind. Im dominanten Leitbild betrieblicher Personalpolitik werden die Beschäftigten als disponible Größe betrachtet und Veränderungsprozesse erscheinen als „naturwüchsiger“ und nur zum Teil als gestaltbarer Faktor. Betriebliche Weiterbildung ist nach wie vor „top down“ und angebotsorientiert organisiert und erfolgt in der Regel durch betriebliche Anordnung oder durch Vorschlag des Vorgesetzten. Die dahinterstehende zentrale Erklärungsfigur ist der „sachlich-funktionale“ Bildungsbedarf, der sich aus den beschriebenen Leistungsanforderungen betrieblicher Arbeitsorganisation ergibt, der aber auch die subjektiven Ansprüche an die Gestaltung von Arbeit und Lernen berücksichtigen kann. Die Stärkung einer beteiligungsorientierten partizipativen Personal- und Bildungsplanung im Sinne eines „bottom-up-Ansatzes“, in dem die individuellen Lerninteressen und die Lernansprüche der Belegschaften im Sinne einer nachfrageorientierten dialogischen Personal- und Bildungsplanung aufgenommen werden, hat sich in der Praxis bislang kaum durchsetzen können, da die betriebliche Personalpolitik und die darunter rangierende Qualifizierungspolitik im Vergleich zu anderen betrieblichen Politikfeldern nach wie vor unterschwellig akzeptiert wird. Institutionell und professionell ist in der P. keine eindeutige Entwicklung auszumachen. P. erfolgt sowohl dezentralisiert in den einzelnen Betriebsbereichen durch den unmit-
Personalentwicklung
telbaren Vorgesetzen oder zentralisiert von Spezialisten in einer originären Fachabteilung. Gerade mit der Beschäftigtenzahl des Unternehmens steigt der Institutionalisierungs- und Professionalisierungsgrad der P. an. Demgegenüber haben Klein- und Mittelbetriebe (KMU) Probleme in der strategischen Ausrichtung ihrer P. und fallen aus diesem Grund in ihren Qualifizierungs- und Weiterbildungsaktivitäten – zumindest in quantitativer Hinsicht – gegenüber Großbetrieben zurück. Wertschöpfungs- und Profit-Center sind die vordergründige Form der Institutionalisierung von Personalarbeit im Allgemeinen und von P. im Speziellen, um unternehmerisches, ökonomisch-rationales Handeln in der Personalarbeit und P. zu forcieren (Wunderer/Dick 2007). Diese Ökonomisierung lässt sich auch an der Verbreitung von Personal- und → Bildungscontrolling zur Legitimation gerade als Komponente der Unternehmenssteuerung nachweisen. Die Frage der Professionalität und Professionalisierung ist allerdings aufgrund des offenen Berufs- und Tätigkeitszugangs unbeantwortet da auch keine originär akademische Ausbildung hierfür besteht. Die Professionalisierung und damit verbunden die notwendigen fachwissenschaftlichen Kenntnisse und Fähigkeiten von Personalentwicklern stellen ein noch umfassendes Desiderat in der Forschung dar. In der betriebswirtschaftlichen Managementliteratur, die die Mitgestaltungsrechte der Arbeitnehmer als relevantes Thema für die P. vernachlässigt, wird zumeist auf ein mehr oder minder geschlossenes und in sich differenziertes System der Personalwirtschaft verwiesen. Für die verschiedenen Konzepte, Verfahren und Methoden kann jedoch kein allgemeingültiger Anspruch erhoben werden, denn die jeweilige einzelbetriebliche Problemlage verlangt in der Regel nach einem einzelbetrieblichen Lösungsansatz. Ein Blick in die Praxis der P. in vielen Betrieben zeigt, dass ein Bündel von fallorientierten und isolierten Einzelmaßnahmen aus dem potentiellen Repertoire personalentwickelnder Maßnahmen zwar zur Anwendung gelangt, aber von ihnen nur wenig Impulse und Stimulanzen aus467
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gehen, da sie ohne systematischen Bezug und strategische Orientierung eingesetzt werden. Die Vernachlässigung der strategischen Dimension durch die Betriebe begründet sich im kurzfristigen betriebswirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Denken als des „shareholder-value“. Investitionen in die Humanressourcen entfalten ihre Wirkungen erst nach längerer Zeit. Im kurzfristigen Kalkül hingegen verursachen sie Kosten, so dass das „return-on-investment“ durch die Kurzfristperspektive aus dem Blickwinkel fällt und die Kostenargumente verstärkte Berücksichtigung bei der Entscheidung finden. Die fehlende strategische Ausrichtung der P. stellt die Arbeitnehmervertretung daher vor die Aufgabe, sich als Promotoren einer auf die Zukunft gerichteten P. im Sinne der Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen bezüglich der Qualifizierung, der Arbeitsgestaltung, der Arbeitsorganisation, der Arbeitsplatzsicherheit und nicht zuletzt höherer Einkommen und Aufstiegschancen aktiv zu profilieren. Ob jedoch die modernistisch verpackten Formeln und Konzepte der P., die für die Bewältigung des notwendigen Wandels vorgeschlagen werden, das halten was sie versprechen, ist eher fraglich. Viele dieser Konzepte transportieren „alten Wein in neuen Schläuchen“, lediglich die Begrifflichkeit ist semantisch gewendet aufgeladen. Es ist nicht ausgemacht, ob die gegenwärtige Praxis der P. den an sie gestellten Anforderungen gerecht werden kann. Überschaut man einen Zeitraum von 30 Jahren Konzeptentwicklung und Empirie, so kann man beobachten, dass die Betriebe mit einer den eigenen Bedarfen und den Interessen der Arbeitnehmer gerecht werdenden P. nicht weitergekommen sind. Exemplarisch lässt sich dies an der Alterung der Belegschaft festmachen. Nach Jahren des „Jugendwahns“ und der High-Potential-Förderung besteht noch keine Antwort auf die P. der älteren Klientel, die aufgrund der gewachsenen und noch wachsenden betriebswirtschaftlichen Bedeutung nicht weiter ignoriert werden kann. Allerdings weist der Generationsbegriff in der P. weder eine theoretische Konsistenz auf, noch geht des468
Personalentwicklung
sen alltagssprachlicher Gebrauch über die „ältere Betriebsgeneration“ hinaus. Zudem ist nach wie vor offen, ob Bedarf an Weiterbildung nur innerbetrieblich allein an den Geschäftsprozessen orientiert zu klären ist, ob Zieldefinitionen aus technisch-organisatorischen Entwicklungsperspektiven ableitbar sind, und ob die eingesetzten Methoden den Umstand berücksichtigen, dass auch für Lernprozesse in der betrieblichen Weiterbildung die subjektiven Einstellungen der Teilnehmer unverzichtbar zu berücksichtigen sind. Dies gilt umso mehr, je umfangreicher Subjektivität im Arbeitsprozess erwartet wird. Angesichts dieser ungelösten Fragen ist es nicht verwunderlich, dass sich die Betriebe bei der systematischen Befassung mit Weiterbildung zurückhalten und sich mehr der breiter angelegten P. zuwenden. Des Weiteren wird die Studienreform (BolognaReform) und die Veränderungen im Berufsbildungssystem die Notwendigkeit interner Personalentwicklung weiter verstärken. Durch die neuen Studienstrukturen und durch die Etablierung eines ersten, berufsqualifizierenden Bachelor-Abschlusses mit dem Fokus einer beruflichen Grundlagenausbildung wird das betriebliche Lernen im Rahmen von P.-prozessen verstärkt werden müssen. Literatur: Argyris, C./Schön, D.A.: Die Lernende Organisation. Grundlagen, Methode, Praxis. Stuttgart 1999. Barthel, W. u. a.: Humankapital im Unternehmen – Ansätze zur Bewertung. In: Hasebrook, J./ZawackiRichter, O./Erpenbeck, J. (Hrsg.): Kompetenzkapital. Verbindung zwischen Kompetenzbilanzen und Humankapital. Frankfurt/ Main 2004, S. 17–50. Becker, M.: Personalentwicklung. Bildung, Förderung und Organisationsentwicklung in der Praxis. Stuttgart 2009. Dobischat, R./Düsseldorff, K.: Personalentwicklung und Arbeitnehmer. In: Tippelt, R./von Hippel, A. (Hrsg.): Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung. Wiesbaden 2009, S. 917 – 937. Gaugler, E./ Oechsler, W.A./Weber, W. (Hrsg.): Handwörterbuch des Personalwesens. Stuttgart 2004. Geißler, H.: Integration von Personalund Organisationsentwicklung in der beruflichen Bildung. In: Arnold, R./Lipsmeier,
Personalentwicklung
A. (Hrsg.): Handbuch der Berufsbildung. Wiesbaden 2006, S. 204–224. Geißler, Kh., A./Orthey, F. M.: Lernen in Unternehmen als Modernisierungsstrategie. Situation und Perspektive betrieblicher Bildungspolitik. In: Laske, S./Orthey, A./Schmid, M.: PersonalEntwickeln. Köln 2008. Münch, J.: Personalentwicklung als Mittel und Aufgabe moderner Unternehmensführung. Bielefeld 1995. Olfert, K.: Personalwirtschaft. Ludwigshafen 2006. Wunderer, R./Dick. P.: Personalmanagement – Quo vadis? Analysen und Prognosen zu Entwicklungstrends Personalwirtschaft. 5. überarb. Aufl. 2007 Prof. Dr. Rolf Dobischat, Duisburg-Essen Personalfragebogen die dem → Arbeitgeber Aufschluß über die Person sowie über die Kenntnisse und Fähigkeiten derselben geben sollen, bedürfen der Zustimmung des → Betriebsrates (§ 94 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz). Personalkosten die Gesamtheit der durch den betrieblichen Einsatz von → Arbeitnehmern und → leitenden Angestellten entstehenden → Kosten. Die P. umfassen: → Fertigungslöhne, → Hilfslöhne, → Gehälter, gesetzliche und freiwillige soziale → Aufwendungen sowie alle übrigen → Personalnebenkosten. Personalkredit → Kreditsicherung. Personalnebenkosten die vom → Arbeitgeber zusätzlich zum → Arbeitsentgelt zu tragenden → Personalkosten, so insbesondere: (1) gesetzlich und tarifvertraglich festgelegte → Aufwendungen, wie Arbeitgeberanteil zur → Sozialversicherung, → Beiträge zur → Berufsgenossenschaft, Leistungen nach dem Schwerbeschädigtengesetz und dem Mutterschutzgesetz, bezahlte Abwesenheit vom → Betrieb (→ Urlaub, Feiertage, Krankheitstage), Leistungen nach dem → Betriebsverfassungsgesetz; (2) freiwillige Leistungen, so insbesondere zur → Ausbildung und → Fortbildung, → Altersvorsorge, Werkskantine, sonstiger Personal- und Sozialaufwand.
Personengesellschaften
Personalplanung unternehmerische Disposition über den gegenwärtigen und zukünftigen Personalbedarf sowie die sich daraus ergebenden personellen Maßnahmen einschließlich solche der → Berufsbildung. Im Zusammenhang mit der P. hat der → Arbeitgeber mit dem → Betriebsrat über Art und Umfang der erforderlichen Maßnahmen und über die Vermeidung von Härten zu beraten (§ 92 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz [BetrVG]). Der Anspruch des Betriebsrates auf Unterrichtung und Beratung besteht auch dann, wenn keine umfassende beziehungsweise nur eine lückenhafte P. praktiziert wird. Soweit im → Betrieb noch keine P. betrieben wird, kann der Betriebsrat dem Arbeitgeber Vorschläge für die Einführung einer Personalplanung und deren Durchführung machen (§ 92 Abs. 2 BetrVG). Personalrat die in Behörden und → Unternehmen des Bundes, der Länder, der Gemeinden sowie → der Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts gewählte Vertretung der → Beamten, → Angestellten und → Arbeiter. Der P. hat eine mit dem → Betriebsrat vergleichbare Rechtsstellung und Funktion. Rechtsgrundlage: → Personalvertretungsgesetz. Personal-Service-Agenturen (PSA) von der → Agentur für Arbeit nach § 37c SGB III autorisierte Personen/Einrichtungen, die sich um die Vermittlung von → Arbeitslosen in → Arbeit bemühen sowie dieselben (soweit dies möglich) bei ihrer beruflichen (Wieder-)Eingliederung unterstützen und erforderlichenfalls weiterbilden (→ Weiterbildung). Personalvertretung → Bundespersonalvertretungsgesetz. Personengesellschaften → Handelsgesellschaften ohne eigene → Rechtspersönlichkeit, bei denen die Mitarbeit und die Einflußnahme der Gesellschafter auf die jeweilige Gesellschaft im Vordergrund stehen. P. sind: → offene Handelsgesellschaft, → Kommanditgesellschaft, → stille Gesellschaft. Gegen469
Personengesellschaften
satz: → Kapitalgesellschaften. Siehe auch: → Unternehmungsformen. Personensicherheiten → Kreditsicherung. Personensteuern → Besitzsteuern. Personenvereinigungen Zusammenschlüsse von → Personen in den Organisationsformen von → Gesellschaften oder → Vereinen zur Verfolgung eines gemeinsamen Zieles. Personenversicherungen Sammelbezeichnung für → Versicherungen, bei denen die versicherte → Gefahr in der Körperlichkeit einer Person liegt. Die wichtigsten P. sind: → Lebensversicherung, → Unfallversicherung und → Krankenversicherung. Pfändung Maßnahmen der → Zwangsvollstreckung; staatliche Beschlagnahme von körperlichen → Sachen sowie → Forderungen und → Rechten. I. die P. von körperlichen Sachen wird durch den Gerichtsvollzieher vorgenommen. Bei sich im Gewahrsam des Schuldners befindlichen Sachen, wie Geld, Kostbarkeiten und Wertsachen, erfolgt die P. dadurch, daß der Gerichtsvollzieher diese in → Besitz nimmt. Andere verwertbare Gegenstände des Schuldners bleiben zwar in dessen Gewahrsam, werden aber durch Anbringung von Siegeln (Pfandmarken; ihre Entfernung oder Beschädigung ist nach § 136 Abs. 2 Strafgesetzbuch straf bar!) oder auf andere Weise als gepfändet gekennzeichnet. Von den körperlichen Sachen sind nach § 811 Zivilprozeßordnung (ZPO) unpfändbar: 1. die dem persönlichen Gebrauch oder dem Haushalt dienenden Sachen (Kleider, Betten, Haus- u. Küchengeräte u. a.); 2. die für die Haushaltsführung über einen Zeitraum von 4 Wochen benötigten Nahrungs-, Beleuchtungs- u. Heizungsmittel oder der zu ihrer Beschaffung erforderliche Geldbetrag; 3. die zur Berufsausübung unentbehrlichen Gegenstände (Berufskleidung, Bücher, Werkzeuge u. ä.). Es soll damit eine sogenannte Kahlpfändung vermieden werden und dem → Schuldner weiterhin 470
Pfand
eine bescheidene Haushaltsführung, die Ausübung seines → Berufes und gegebenenfalls die Fortführung seines → Betriebes in bescheidenem Umfang ermöglicht werden. Besonders wertvolle, an sich unpfändbare Gegenstände (z. B. goldene Uhr, Pelzmantel, Fernsehapparat) können gegen einfache Ersatzstücke ausgetauscht werden (→ Austauschpfändung, § 811 a ZPO). – Die Verwertung der gepfändeten Sachen erfolgt in der Regel im Wege der → öffentlichen Versteigerung. Bei fruchtloser Pfändung (d. h. wenn nichts zu holen ist!) muß der Schuldner auf Antrag des → Gläubigers an Eides statt versichern, daß er sein → Vermögen in dem von ihm aufzustellenden Verzeichnis (Vermögensoffenbarung) vollständig angegeben hat. Zur Erzwingung der Vermögensoffenbarung kann Haftbefehl erlassen werden (→ Beugehaft). II. die P. von Forderungen und anderen Rechten fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich des Gerichtsvollziehers, sondern wird durch das Amtsgericht durch einen (vom Gläubiger beantragten) Pfändungs- und Überweisungsbeschluß veranlaßt. Durch ihn gebietet das Gericht dem Drittschuldner, die Zahlung, das heißt die Begleichung der Forderung, an den Schuldner zu bewirken; gleichzeitig wird dem Schuldner verboten, nach Eingang der Zahlung über dieselbe zu verfügen. Der Gläubiger ist berechtigt, die eingegangene Zahlung im eigenen Namen einzuziehen. Nach § 835 Abs. 1 ZPO ist dem Gläubiger die gepfändete Geldforderung zur Einziehung an Zahlungsstatt zu überweisen. Siehe auch: → Lohnpfändung und → Kontenpfändung. pfändungsfrei → Lohnpfändung. Pfändungsschutz → Lohnpfändung. Pfändungs- und Überweisungsbeschluß → Pfändung. Pfand ein durch ein → Pfandrecht belasteter Gegenstand.
Pfandbriefe
Pfandbriefe → festverzinsliche Wertpapiere, die von privaten Hypothekenbanken und Realkreditanstalten (d. s. → Kreditinstitute, die → Hypothekarkredite gewähren u. sich die Mittel hierzu durch Ausgabe von P. beschaffen) ausgegeben werden. Der Gesamtbetrag der umlaufenden P. muß in Höhe des → Nennwertes durch → Hypotheken und → Grundschulden gedeckt sein. Außer den Dekkungswerten haftet den → Gläubigern der P. das gesamte sonstige → Vermögen des jeweiligen Realkreditinstitutes. Pfandmarke → Pfändung. Pfandrecht das dingliche Recht, sich wegen einer → Forderung aus einem fremden Gegenstand (→ Sache) zu befriedigen. Rechtsgrundlage: §§ 1204 – 1296 Bürgerliches Gesetzbuch. Pflegesatz → Arztvertrag. Pflegeversicherung zum 1.1.1995 eingeführte → Pflichtversicherung zur Absicherung des Pflegefallrisikos. Der Pflicht zur sozialen P. unterliegt jeder, der in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist; wer privat krankenversichert ist, muß eine private P. abschließen. Der Beitrag für die soziale P. beträgt 1,95 % des beitragspflichtigen Einkommens (2011: → Beitragsbemessungsgrenze 44 550 Euro jährlich/3712,50 Euro monatlich). Die Beiträge werden in der Regel je zur Hälfte von → Arbeitnehmern und → Arbeitgebern gezahlt! Mit dem am 1. 1. 2005 in Kraft getretenen Gesetz zur Berücksichtigung der Kindererziehung im Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung müssen kinderlose Versicherte zwischen 23 und 65 Jahren einen Beitragszuschlag von 0,25 Prozent vom beitragspflichtigen Einkommen zahlen. Für Wehr- und Ersatzdienstleistende sowie Empfänger von → Arbeitslosengeld II entfällt der Beitragszuschlag. Unterhaltsberechtigte Kinder und Ehepartner sind im Rahmen der Familienversicherung mitversichert. Rentner tragen seit dem 1. 4. 2004 die Beiträge allein! Auch → Arbeitslose
Pflichtversicherung
sind voll in die P. einbezogen. Für sie zahlt die → Agentur für Arbeit bzw. der Bund die Beiträge. Mit Inkrafttreten der Pflegereform 2008 (Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung) zum 1. 7. 2008 griffen eine Reihe von Neuerungen/Änderungen Platz: Erhöhung der Pflegesätze an die Preisentwicklung ab 2015; Änderungen in der häuslichen Pflege; Änderungen in der stationären Pflege; Begutachtungsfristen beim Pflegeantrag; Pflegestützpunkte für Berufstätige; Pflegestützpunkte und Pflichtberatung; die Vorversicherungszeit (d. h. die notwendige Versicherungszeit vor Inanspruchnahme von Leistungen) wird von 5 auf 2 Jahre verkürzt. Seit 2010 sind die → Beiträge zur P. weitgehend von der → Lohn-/→ Einkommensteuer freigestellt. Pflichtkrankenkassen → Krankenkassen. Pflichtteil Begriff des Erbrechtes; hier wird die → Testierfreiheit des Erblassers durch das Recht auf den P. (Pflichtteilsrecht) bestimmter Angehöriger eingeschränkt (§§ 2303 – 2338 Bürgerliches Gesetzbuch). Dieses Recht besteht darin, daß die Kinder, der Ehegatte oder die Eltern des Erblassers dann, wenn sie von diesem durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen sind, den Erben gegenüber einen Mindestanspruch auf den sogenannten P. anmelden können. Dieser Anspruch richtet sich auf eine Geldzahlung in Höhe der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteiles des Berechtigten (→ gesetzliche Erbfolge). Pflichtversicherung ⇒ Zwangsversicherung durch Gesetz erzwungene → Versicherung. P. ist insbesondere in der → Sozialversicherung gegeben; sie ist aber auch in der → Individualversicherung anzutreffen, so insbesondere bei der → KraftfahrzeugHaftpflichtversicherung und der öffentlichrechtlichen Gebäudeversicherung. 471
Physiokraten
Physiokraten (Physiokratie = griech. Naturherrschaft) gelten als die Begründer der modernen → Volkswirtschaftslehre; traten besonders in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts in Frankreich in Erscheinung, so insbesondere François → Quesnay (1694 – 1774) mit seinem Tableau Economique und J. B. Turgot (1727 – 1781) mit seinem → Gesetz vom abnehmenden Bodenertrag. PIN → Bankcard ec. Planspiel 1. Ursprung. P. wurden als Kriegsspiele bereits um 3000 v. Chr. durchgeführt. Wahrscheinlich dienten sie als Ausgangspunkt für Strategiespiele wie Schach. Aus Simulationen kriegerischer Strategien im 17. und 18. Jahrhundert entwickelte sich das Sandkastenspiel, welches geographische Gegebenheiten taktisch relevanter Orte aufzeigt. Das erste Unternehmensplanspiel wurde in der Mitte des 20. Jahrhunderts durch die American Management Association entwikkelt und fortan in elaborierter Form als Ausbildungsmethode sowohl in der Wirtschaft als auch im Bildungssektor eingesetzt. 2. Bildungsziele. Im Ökonomieunterricht können P. der Förderung verschiedener domänenspezifischer → Kompetenzen dienen. Unternehmensplanspiele erfordern, verschiedene Handlungssituationen ökonomisch zu analysieren und Entscheidungen unter Abwägung von → Kosten-Nutzen-Aspekten ökonomisch zu begründen. P. fördern zudem die Kompetenz, ökonomische Systemzusammenhänge zu erklären, insofern sie systemisches bzw. vernetztes Denken erfordern. Kooperativ ausgerichtete P. trainieren außerdem die Kompetenz, Konflikte perspektivisch und ethisch zu beurteilen. 3. Methodik. P. sind – neben → Rollenspielen und → Fallstudien – eine Simulationsmethode, die sich durch den Modellcharakter und das spielerische Element auszeichnet. Das Modell, das dem Spiel zugrunde liegt, bildet den ausgewählten Realitätsausschnitt mit seinen relevanten Faktoren und seinen ökonomischen Rahmenbedingungen 472
Planspiel
in didaktisch verkürzter Form ab. Durch die → didaktische Reduktion wird die komplexe Realität für die Schüler besser fassbar. Das Spiel dynamisiert die im Modell festgelegten Sachverhalte, indem die Spieler gefordert sind, Entscheidungen zu treffen. Dadurch verändert sich die ursprünglich statische Ausgangssituation des Spiels und es entstehen Situationsfolgen. Bei allen Entscheidungen agieren die Lernenden in dem Bewusstsein, dass ihr Handeln keine realen Folgen nach sich ziehen wird. Dies ermöglicht ein risikoloses Probehandeln zur Vorbereitung auf reale Entscheidungssituationen. Meist werden Spielgruppen gebildet, die ihre Spielzüge gemeinsam beraten und Entscheidungen treffen. Die Prozesse in und zwischen den Gruppen werden durch verbindliche Spielregeln gesteuert. 4. Unterrichtsverlauf. Vor Spielbeginn ist eine ausführliche Einführung wichtig, um die Schüler auf die zu übernehmenden Rollen vorzubereiten und um Rückfragen während des Spiels zu vermeiden. Gegebenenfalls sollte der Spielleiter einen Zeitplan austeilen. Die Spielleitung wird in der Regel vom Lehrenden übernommen. Er führt die Ausgangssituation ein, erläutert die Spielregeln, bildet Spielgruppen, nimmt die Spielzüge entgegen und leitet diese gegebenenfalls an die anderen Spielgruppen weiter, meldet die Spielergebnisse zurück und bringt gegebenenfalls Einspielungen exogener Ereignisse; er achtet auf die Einhaltung der Spielregeln und ahndet Regelverstöße; er dokumentiert den Spielverlauf (z. B. auf einer Spielleiterkarte) und moderiert die Auswertung des Spiels. Innerhalb der einzelnen Spielperioden analysieren die Gruppen zunächst die jeweilige Ausgangssituation unter Berücksichtigung der vorhandenen Informationen und des Problems, sie reflektieren die sich bietenden Handlungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Problemlösung und wägen diese gegeneinander ab, bevor es zu einer Entscheidung kommt. Im Anschluss an jede Spielperiode erfahren die Spieler die Resultate ihrer Entscheidung und müssen der durch vorherige Entscheidungen veränderten Ausgangssituation Rechnung tragen. Die Auswertung
Planspiel
der Spielzüge, -strategien und -ergebnisse sowie des zugrunde liegenden Modells dient der Sicherung des Lernerfolgs. 5. Einsatzmöglichkeiten. Voraussetzung für den Einsatz von P. ist, dass sich der gewählte Realitätsausschnitt in einem Modell darstellen lässt. Während quantitative P. auf bestimmte Größen wie Gewinn ausgerichtet sind, eignen sich qualitative P. zur Beurteilung von Verhandlungsergebnissen oder ethischen Entscheidungen. Während quantitative P. wie beispielsweise Unternehmensplanspiele aufgrund ihres hohen Komplexitätsgrades vor allem in der Sekundarstufe II und der → beruflichen Bildung einsetzbar sind, eignen sich qualitative P. bereits in der Sekundarstufe I des allgemeinbildenden Schulwesens (vgl. Seeber 2007). Komplexe P. werden über mehrere Tage gespielt. 6. Beispiele. Für die → ökonomische Bildung gibt es viele verschiedene P., die teils auf dem Papier, teils computerunterstützt (offline oder online) bestritten werden. Die Entwicklung der Computertechnik hat die diesbezüglichen Möglichkeiten stark erweitert. Es gibt Unternehmensplanspiele (z. B. TopSim) ebenso wie makroökonomische P. (z. B. MACRO). Manches LehrLern-Arrangement, das als ökonomisches Experiment bezeichnet wird, fällt unter die Kategorie der P. Sehr weit verbreitet ist das P. Börse, das jährlich vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband für Schüler und Studenten angeboten wird. Zusammenstellungen von P. finden sich online unter www. bildungsserver.de sowie bei Blötz (2008) und Klippert (2008). 8. Potenzial. P. sind für den Ökonomieunterricht aus folgenden Gründen besonders geeignet. 1) Realitätsbezug: Den Schülern wird die Möglichkeit eröffnet, in realitätsnahen Situationen ökonomische Entscheidungen zu treffen. 2) Vernetztes Denken: Die Komplexität der Modelle erfordert vernetztes Denken sowie das Denken in Zusammenhängen. 3) Handlungsorientierung: Fachkompetenz wird mit fächerübergreifenden Kompetenzen wie personaler Kompetenz und Methoden- und Sozialkompetenz verknüpft. 4) Motivation der Lernenden: Die motivationsfördernde Wirkung
Planung
ist empirisch belegt. 5) Phänomenologische Vorgehensweise: Es erfolgt eine Konfrontation mit alltäglichen Problemen des Wirtschaftsgeschehens (Seeber 2007). 9. Grenzen. Der mit dieser Methode verbundene erhöhte Zeit- und Organisationsaufwand lässt sich nur schwer an die Stundentaktung anpassen. Die Umsetzung eines P. erfordert in der Regel mehrere Tage, an denen nur das jeweilige P. gespielt wird. Problematisch kann sich auch die Lernerfolgskontrolle gestalten, da die üblichen Möglichkeiten hier nicht geeignet erscheinen (vgl. Seeber 2007). Im Hinblick auf die Komplexität der P. gilt es zu berücksichtigen, dass ein dem Leistungsvermögen der Schüler entsprechender Grad an Komplexität gewählt wird. Ist das P. zu komplex, so ist es den Schülern nicht möglich, diese Strukturen nachzuvollziehen und angemessen zu handeln (vgl. Kaiser/Kaminski 1999). Literatur: Blötz, Ulrich [Hrsg.] (2008): Planspiele in der beruflichen Bildung. 4. Aufl., Bonn. Kaiser, Franz-Josef/Kaminski, Hans (1999): Methodik des Ökonomie-Unterrichts. 3. Aufl., Bad Heilbrunn, S. 171–188. Klippert, Heinz (2008): Planspiele. 10 Spielvorlagen zum sozialen, politischen und methodischen Lernen in Gruppen. 5. Aufl., Weinheim und Basel. Liening, Andreas/ Kirchner, Martin (2011): Computergestützte Planspiele im Ökonomieunterricht. In: Thomas Retzmann [Hrsg.]: Methodentraining für den Ökonomieunterricht 2. Schwalbach/Ts. May, Hermann (2010): Didaktik der ökonomischen Bildung. 8. Aufl., München. Seeber, Günter (2007): Planspiele im Ökonomieunterricht. In: Thomas Retzmann [Hrsg.]: Methodentraining für den Ökonomieunterricht. Schwalbach/Ts., S. 155–167. Prof. Dr. Thomas Retzmann, Duisburg-Essen Planung I. betriebswirtschaftlich (dezentrale P., Unternehmensplanung): gedankliche Vorwegnahme zukünftigen Handelns. P. ist damit ein willensbildender, prinzipiell systematischer Entscheidungsprozeß mit dem Ziel, zukünftige Entscheidungs- oder Handlungsspielräume zielbezogen einzu473
Planung
engen und zu strukturieren (W. Delfmann). Siehe auch: → Organisation. II. volkswirtschaftlich (zentrale P., volkswirtschaftliche Gesamtplanung): Aufstellung eines langfristigen koordinierten gesamtwirtschaftlichen Planes für alle Wirtschaftszweige. → Planwirtschaft. Planwirtschaft ⇒ Zentralverwaltungswirtschaft. Politik 1. politikwissenschaftlich: das institutionalisierte Verfahren, durch das die Mitglieder einer Gemeinschaft danach streben, gemeinsame Ziele zu erreichen (James M. → Buchanan). 2. ökonomisch: → Ökonomische Theorie der P. Politik der sozialen Sicherung (i. e. S.) Aktionsbereich der → Sozialpolitik, der um die Gewährleistung der materiellen Grundlage einer menschenwürdigen Lebensführung bemüht ist, insbesondere im Falle vorzeitiger → Berufs- und → Erwerbsunfähigkeit, Unfall, Krankheit, Alter, Tod des Ernährers und → Arbeitslosigkeit. Politik des billigen Geldes geldpolitisches Konzept (→ Geldpolitik), das über eine Senkung des → Basiszinssatzes und eine Erhöhung des → Geldvolumens die Investitionsneigung der → Unternehmer positiv zu beeinflussen und damit die → Konjunktur zu beleben versucht. Die P. hat sich weitgehend als untauglich erwiesen. Politische Ökonomie wirtschaftspolitische Konzeption der klassischen (liberalen) Ökonomen, wie Adam → Smith, David → Ricardo, John Stuart → Mill und anderer, die die Rolle der politischen Institutionen (Parteien, Regierungen, Verwaltungen) mit in ihre sozio-ökonomischen Untersuchungen einbezogen haben. Popper, Karl Raimund (seit 1964 Sir Karl), *1902 (Wien) †1994 (London), Philosoph und Wissenschaftstheoretiker; setzt sich in seinem Werk Die Logik der Forschung (1935) mit der Wissenschaftstheorie der Neo-Positivisten des Wiener Kreises (Carnap, Neurath u. a.) auseinander. Deren These, daß wissenschaft474
Popper-Kriterium
liche Theorien durch Empirie (induktiv) beweisbar und von unwissenschaftlichen Theorien abgrenzbar seien, entgegnet er, daß alle wissenschaftlichen „Gesetze“ nur Hypothesen seien, die nicht empirisch beweisbar wären. Um dem Kriterium der Wissenschaftlichkeit zu genügen, müßten diese Hyothesen aber empirisch (deduktiv) falsifizierbar sein. P. begründet damit die Schule des Kritischen Rationalismus. Im neuseeländischen Exil (1937 – 45) entwikkelt er in dem Buch The Open Society and Its Enemies (1945) daraus eine Kritik aller totalitären politischen Systementwürfe von Platon bis → Marx, denen er das Experiment von schrittweisen Reformen ( piecemeal social engineering) entgegenhält, die jederzeit offen diskutierbar sein müßten. Seit 1946 in London, vertieft P. seine Wissenschaftstheorie in zahlreichen Werken (z. B. Conjectures and Refutations, 1963). In den 1960/70er Jahren setzt er sich politisch mit dem Neo-Marxismus, der besonders in Deutschland (Adorno, Marcuse u. a.) Anhänger findet, auseinander. Zu erwähnen sei noch sein Beitrag zur Hirntheorie in The Self and Its Brain (mit J. C. Eccles, 1977). Obwohl selbst kein Ökonom, ist sein Einfluß auf die → Wirtschaftswissenschaft enorm. → F. A. v. Hayeks evolutionäre Theorie der → Marktwirtschaft ist stark von P. beeinflußt. Aber auch interventionistische Ökonomen finden in seinem Plädoyer für piecemeal social engineering häufig ihre Bestätigung. Literatur: Jürgen August Alt, Karl R. Popper, Frankfurt/New York 1992; Eberhard Döring, Karl R. Popper: Einführung in Leben und Werk, Hamburg 1987; Klaus Hansen (Hrsg.), Kritischer Rationalismus und politischer Liberalismus, Gummersbach 1982; P. A. Schilpp (Hrsg.), The Philosophy of Karl Popper, 2 Bde., LaSalle 1974. D. D. Popper-Kriterium wissenschaftstheoretischer Ansatz von Karl → Popper, demzufolge jede Hypothese wie auch jede Theorie der Überprüfung und Widerlegung durch Beobachtung und Tatsachen, d. h. der Falsifikation, offenstehen muß.
Portefeuille
Portefeuille Bestand an → Wertpapieren. Portfolioinvestitionen 1. nach den internationalen Standards der → Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und Zahlungsbilanzstatistik: Unternehmensbeteiligungen unter 10 Prozent von Inländern im Ausland und von Ausländern im Inland. Höhere Beteiligungen gelten als → Direktinvestition. 2. die deutsche Zahlungsbilanzstatistik verwendet einen Grenzwert von 20 Prozent. Postnachnahme → Auslieferung von Briefen, Postkarten, Päckchen, Paketen, Postgütern (bis zu einem Nachnahmewert von 1600 Euro) gegen → Barzahlung. Der Barbetrag wird vom ausliefernden Postboten mittels → Zahlschein auf das gewünschte Konto des Absenders der Nachnahmesendung eingezahlt. PPP → Public Private Partnership. Präferenzen subjektive Wünsche, Wertschätzungen, Appetenzen, Motive, Ziele u. a., die das Individuum in einer Entscheidungssituation (z. B. beim → Kauf von → Konsumgütern) leiten. Prämie 1. Form der Entlohnung: → Prämienlohn. 2. Entgelt für die Gewährung von → Versicherungsschutz: → Versicherungsprämie. Prämienanpassungsklausel Regelung im Rahmen der Versicherungsbedingungen zur Erleichterung der Prämienanhebung dem Grunde und der Höhe nach. Weithin üblich im Bereich der Allgemeinen → Haftpflichtversicherung, → Krankenversicherung, → Verbundene Hausrat- und → Wohngebäudeversicherung und der → Rechtsschutzversicherung. Prämienlohn → Entlohnungsformen. Prämiensatz → Prämienlohn unterliegt nach § 87 Abs. 1 Nr. 11 Betriebsverfassungsgesetz dem → Mitbestimmungsrecht des → Betriebsrates.
Preisbindung der zweiten Hand
Praktikant Person, die vor oder während eines Studiums an einer → Fachhochschule oder einer wissenschaftlichen → Hochschule eine freiwillige oder vorgeschriebene praktische betriebliche (ggfs. auch soziale oder pädagogische) Tätigkeit (Praktikum) absolviert. Ein solches Beschäftigungsverhältnis ist vertragsrechtlich nicht normiert. Wurde bei einem solchen Beschäftigungsverhältnis kein → Arbeitsvertrag abgeschlossen, so gelten dafür die Vorschriften des Berufsbildungsgesetzes als unabdingbare Mindestnormen, und zwar mit der Maßgabe, daß die gesetzliche Probezeit verkürzt, die Niederschrift des Vertrages unterlassen und bei vorzeitiger Lösung des Verhältnisses (nach Ablauf der Probezeit) kein → Schadensersatz verlangt werden kann(§ 26 Berufsbildungsgesetz). → Praktikantenvertrag. Praktikantenvertrag → Vertrag für ein Praktikumsverhältnis (→ Praktikant) ist gesetzlich nicht geregelt, aber durchaus zulässig. Er kann als befristeter → Arbeitsvertrag oder als Vertrag eigener Art, seltener nach dem Muster des → Berufsausbildungsvertrages abgeschlossen werden. Praktikum die von einem → Praktikanten absolvierte praktische Tätigkeit. Siehe auch: → Betriebspraktikum. praktische Wirtschaftspolitik → Wirtschaftspolitik. Preis → der in Geldeinheiten ausgedrückte Tauschwert eines → Gutes; er bildet sich aus dem Kräftespiel von → Angebot und → Nachfrage am → Markt oder er wird staatlich festgesetzt (administrierte P.). Preisbindung der zweiten Hand ⇒ vertikale Preisbindung vertragliche Verpflichtung des Abnehmers (Händlers) einer Ware durch den Hersteller derselben, diese (Ware) nur zu dem von ihm (dem Hersteller) festgesetzten → Preis zu verkaufen. In Deutschland ist die P. bei Verlagserzeugnissen gegeben; hier verpflichtet sich der Buchhändler in einem Revers ge475
Preisbindung der zweiten Hand
genüber dem Verlag, die von diesem festgesetzten Ladenpreise einzuhalten.
Private Equity
→ Güter einer → Volkswirtschaft. Das P. zeigt die → Kaufkraft des → Geldes an.
Preisempfehlung unverbindliche (vertikale) Preisvorgabe vom Hersteller, Importeur oder Großhändler an den (Einzel-)Händler. Gegensatz: → Preisbindung der zweiten Hand.
Preisniveaustabilität ⇒ Preisstabilität ⇒ Stabilität des Preisniveaus.
Preisführer ein Anbieter, der aufgrund seiner Marktstellung den Zeitpunkt und das Ausmaß von Preisveränderungen bestimmen kann, da er davon ausgehen kann, daß seine Konkurrenten ihm mit ihren → Preisen folgen werden. P.-schaft ist typisch für → Oligopole.
Preisstabilität ⇒ Preisniveaustabilität ⇒ Stabilität des Preisniveaus → wirtschaftspolitisches Ziel, den binnenwirtschaftlichen Wert des → Geldes (d. h. den Wert des Geldes im eigenen Land) stabil zu halten und damit auch die allgemeine Höhe der Preise (→ Preisniveau), speziell der Konsumgüterpreise.
Preisindex Anzeigegröße für eine durchschnittliche Preisentwicklung von → Gütern. P. können nach verschiedenen (statistischen) Methoden errechnet werden, so zum Beispiel nach Laspeyres: Verhältnis (Division) des Wertes eines bestimmten → Warenkorbes der Basisperiode, bewertet zu → Preisen der Berichtsperiode und dem Wert des gleichen Warenkorbes bewertet zu Preisen der Basisperiode. Preisindex für die Lebenshaltung ⇒ Lebenshaltungskostenindex. Preiskartell befristete Vereinbarung zwischen rechtlich und wirtschaftlich selbständig bleibenden → Unternehmen desselben Produktionszweiges hinsichtlich der Gestaltung ihrer → Lieferungs- und Zahlungsbedingungen sowie ihrer → Preise. → Kartell. Preismechanismus der von den → Preisen der → Güter ausgehende Anpassungsdruck auf das → Angebot und die → Nachfrage von/nach ihnen. Über die Preise der Güter wird das Angebot und die Nachfrage von/nach ihnen so beeinflußt, daß sich schließlich ein Ausgleich derselben (d. s. Angebot u. Nachfrage) einstellt und damit der → Markt geräumt wird. Siehe auch: → Marktmechanismus. Preisniveau die durch Preisindices (→ Preisindex) näherungsweise ausgedrückte Preishöhe aller 476
Preispolitik, staatliche → staatliche Preispolitik.
Preistransparenz → Markttransparenz. private (kapitalgedeckte) Altersvorsorge ⇒ Eichel-Rente ⇒ Riester-Rente ⇒ Rürup-Rente. Private Banking umfaßt die bankenmäßige Betreuung meist vermögender Kunden, insbesondere hinsichtlich deren Vermögensberatung (Anlagevorschläge) und → Vermögensverwaltung. private Güter ⇒ Individualgüter → Güter. Privateigentum → Eigentum einer → natürlichen oder privaten → juristischen Person; durch Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz geschützt. Enteignung nur durch Gesetz bei angemessener Entschädigung erlaubt. Gegensatz: → Gemeineigentum. Private Equity meist über einen → Fonds getätigte Eigenkapital- oder eigenkapitalähnliche Investments in nicht börsennotierte → Unternehmen. Neben der Expansionsfinanzierung kann es sich dabei auch um Hilfe zur Konsolidierung oder zur Rückkehr in die Gewinnzone (Turnaround) handeln. Die solchen Beteiligungen unterlegte Absicht ist
Private Equity
weniger eine laufende Ertragserzielung, als vielmehr attraktive spätere Verkaufserlöse. private Krankenversicherung → Krankenversicherung. private Rentenversicherung Versicherungsform, bei der die Leistung des Versicherers in regelmäßig wiederkehrenden Zahlungen, → einer Rente, besteht (z. B. → Lebensversicherung). Gegensatz: → Kapitalversicherung. privater Haushalt ⇒ Privathaushalt → Haushalt. privater Verbrauch in der Verwendungsrechnung des → Inlandsprodukts (→ Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung) die Waren- und Dienstleistungskäufe der → privaten Haushalte für Konsumzwecke (→ Konsum) sowie der → Eigenverbrauch privater Organisationen ohne Erwerbscharakter. private Versicherung ⇒ Privatversicherung → Individualversicherung. Privathaushalt ⇒ privater Haushalt → Haushalt. Privatisierung → Überführung von Staatsvermögen in privates → Eigentum. Privatpatient → Arztvertrag. Privatrechtsgesellschaft Zwei unter Ökonomen und politischen Philosophen nahezu einhellig akzeptierte Aussagen sind: – Jedes → „Monopol“ ist aus Sicht von → Konsumenten „schlecht.“ Monopol ist dabei, in klassischer Weise definiert, als ein einem einzigen Dienstleistungs- oder Güterproduzenten verliehenes Privileg, d. h. als Abwesenheit „freien Eintritts“ in einen bestimmten Produktionsbereich. Nur ein Produzent A darf ein bestimmtes → Gut X herstellen. Ein solcher Monopolist ist „schlecht“ für Konsumenten weil, vor potenziellen Anbieterkonkurrenten
Privatrechtsgesellschaft
geschützt, der Preis seines Produkts höher und dessen Qualität niedriger sein wird als bei freier → Konkurrenz. – Die Produktion von „Sicherheit“ ist die erstrangige Aufgabe des „Staates.“ Sicherheit wird dabei in der weiten, in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung verwendeten Bedeutung verstanden: als Schutz von Leben, Eigentum und dem Streben nach Glück vor innerer und äußerer Agression, d. h. Kriminalität und Krieg. Staat, in Übereinstimmung mit allgemein akzeptierter Terminologie, ist definiert als territorialer Monopolist der Produktion von Recht und Ordnung, d. h. als Letztentscheidungs- und -durchsetzungsinstanz in allen Konfliktfällen. Obwohl beide Aussagen offenkundig miteinander unvereinbar sind, hat dieser Umstand Ökonomen und Philosophen nur selten Sorge bereitet, und wenn doch, so ist es die typische Reaktion gewesen, die ausnahmslose Geltung der ersteren, nicht aber der letzteren Aussage in Zweifel zu ziehen. Im Gegensatz zu dieser „orthodoxen“ Reaktion gibt es schlagende theoretische Gründe (und Berge empirischer Evidenz) dafür, umgekehrt die Geltung letzterer Aussage zu bestreiten. Wenn eine Agentur Letztenscheidungsbefugnis in sämtlichen Fällen von Konflikt hat, dann hat sie diese Befugnis auch bezüglich aller Konfliktfälle, die sie selbst involvieren. Dementsprechend muß es erwartet werden, daß der Monopolist nicht bloß als Vermeider und Schlichter von Konflikten tätig wird, sondern daß er insbesondere auch Konflikte provoziert, um sie dann zu eigenen Gunsten zu entscheiden. Wenn man nur an den Staat appellieren kann, um Gerechtigkeit zu erfahren, wird Gerechtigkeit zugunsten des Staates pervertiert. Mehr noch, als Letztentscheidungsinstanz verfügt der Staat auch über territoriale Steuerhoheit, d. h. er darf einseitig, ohne die Zustimmung aller davon Betroffenen, den Preis festlegen, den die ihm unterworfenen Privatrechtssubjekte für das staatlich erbrachte, pervertierte Recht zu entrichten haben. Eine steuerfinanzierte Agentur, die beansprucht, Leben und Eigentum zu schüt477
Privatrechtsgesellschaft
zen, ist freilich ein Widerspruch in sich: ein enteignender Eigentumsschützer. Motiviert wie jedermann durch → Selbstinteresse und → Arbeitsleid, aber ausgestattet mit der einzigartigen Befugnis → Steuern zu erheben, ist es darum zu erwarten, daß die Agenten des Staates stets versuchen werden, die Ausgaben für Sicherheit zu maximieren und gleichzeitig die tatsächliche Produktion von Sicherheit zu minimieren. Je mehr Geld man ausgeben kann und je weniger man dafür arbeiten muß, umso besser ist man dran. Aus der Ablehnung der zweiten Aussage ergibt sich die Forderung nach einer reinen Privatrechtsordnung: einer Gesellschaft, in der jede Person und Institution ein- und denselben Rechtsregeln unterworfen ist. Es gibt in dieser Gesellschaft kein sogenanntes „öffentliches Recht“, das Staatsangestellten funktionelle Privilegien gegenüber bloßen Privatpersonen einräumt. Es gibt in ihr keinerlei „öffentliche“, sondern ausschließlich im Privateigentum befindliche Güter. Es gibt kein Monopol- und kein Steuerprivileg. Umgekehrt ist eine P. positiv dadurch ausgezeichnet, daß die Produktion von Recht und Ordnung in ihr von frei finanzierten und im Wettbewerb miteinander befindlichen Sicherheitsunternehmen (Versicherungs-, Polizei, und Schlichtungsagenturen) übernommen wird. Wettbewerb unter diesen Agenturen führt dazu, daß der Preis für Sicherheit (per Werteinheit) tendenziell fällt, während er unter gegenwärtigen monopolistischen Bedingungen ständig steigt. Sicherheitsgüter und -leistungen stehen im Wettbewerb mit anderen Gütern und Leistungen. Je mehr Ressourcen der Produktion von Sicherheit zugeleitet werden, umso weniger Ressourcen verbleiben, um andere Bedürfnisse zu befriedigen. Ähnlich sind Sicherheitsleistungen, die einer Personengruppe A zugutekommen, nicht mehr verfügbar für andere Gruppe B. Unabhängig von freiwilligen Konsumentenentscheidungen und jeglicher Gewinn-Verlust-Rechnung sind die Allokationsentscheidungen des Staates in dieser Hinsicht willkürlich. In einem System wettbewerblich betriebener Sicherheitsproduktion verschwindet demgegenüber alle Willkür. Sicherheit erhält 478
Privatrechtsgesellschaft
die ihr in den Augen der Konsumenten angemessen erscheinende relative Bedeutung, und niemandes Sicherheit wird auf Kosten der Sicherheit anderer begünstigt. Während Staaten immer und überall darauf bedacht sind, ihre Bevölkerung zu entwaffnen und somit eines zentralen Mittels der Selbstverteidigung zu berauben, kommt es in einer P. zur umgekehrten Tendenz einer systematischen Volksbewaffnung. Versicherungsgesellschaften belohnen bewaffnete, und insbesondere in der Handhabung von Waffen ausgebildete Personen mit niedrigeren Versicherungsprämien, genauso wie sie heute schon die Besitzer von Warnanlagen und Safes belohnen. Während Staaten von Natur aus aggressiv sind, da sie die mit Aggression verbundenen → Kosten auf andere Personen, d.s. die Steuerzahler, abwälzen können, sind Versicherungagenturen von Natur aus defensivfriedfertig. Einerseits ist jede Aggression kostspielig, erfordert höhere Prämien und führt somit zum Verlust von Kunden. Andererseits sind nicht alle Risiken versicherbar. Nur Risiken, die den Charakter von „Unfällen“ haben, sind versicherbar. Risiken dagegen, deren Wahrscheinlichkeit durch individuelle Handlungswahlen beeinflußt werden können, sind nicht versicherbar. Diese Nichtversicherbarkeit individueller Handlungen und Gefühle bedeutet konkret, daß keine Versicherung bereit ist, das Schadensrisiko abzudecken, das aus provokanten Handlungen des Versicherungsnehmers resultiert. Jeder Versicherer wird vielmehr darauf bestehen, daß sich sämtliche Versicherungsnehmer verpflichten, auf Provokationen aller Art zu verzichten. Schließlich hat ein System konkurrierender Sicherheitsproduzenten eine zweifache Auswirkung auf die Entwicklung des Rechts. Zum einen erlaubt es eine größere Variabilität des Rechts als es unter monopolistischen Bedingungen der Fall ist. Die Sicherheitsproduzenten können nicht nur hinsichtlich des Preises, sondern auch mittels Produktdifferenzierung konkurrieren. Katholische Produzenten bieten kanonisches Recht an, jüdische Produzenten mosaisches Recht, moslemische Produzenten
Privatrechtsgesellschaft
Produkthaftung
islamisches Recht usw. Niemand muß unter „fremdem“ Recht leben.
Privattestament → Testament.
Zum anderen fördert dasselbe System privater Rechts- und Ordnungsproduktion eine Tendenz zur Rechtsvereinigung. Das „heimische“ – kanonische, mosaische, römische usw. – Recht findet nur auf diejenigen Personen Anwendung, die es gewählt haben. Das kanonische Recht z. B. wird nur auf bekennende Katholiken und bei intrakatholischen Zwistigkeiten angewendet. Doch kann es auch zu Streit zwischen Katholiken und Moslems kommen, und beide Rechtsordnungen mögen in bestimmten Fällen nicht zum gleichen Urteil gelangen. In diesem Fall gibt es für alle betroffenen Parteien – Versicherer und Versicherte – nur eine Lösung. Ein jeder Versicherer muß sich und seine Klienten von Anfang an dem Urteil eines unabhängigen Schlichters unterwerfen. Dieser Schlichter ist nicht nur unabhängig, er ist auch die einhellige Wahl beider Versicherer. Der Schlichter wird gewählt aufgrund der gemeinsamen Erwartung, daß er die Fähigkeit besitzt wechselseitig annehmbare Lösungen in Fällen von Inter-Gruppen-Konflikten zu formulieren. Scheitert er an dieser Aufgabe und verkündet Urteile, die von der einen oder der anderen Seite als „unfair“ angesehen werden, so wird er im nächsten Fall von einem anderen, konkurrierenden Schlichter, abgelöst werden.
Privatversicherung ⇒ private Versicherung ⇒ Individualversicherung.
Zusammenfassend kann gesagt werden: Im Unterschied zur gegenwärtigen etatistischen Praxis gibt es in einer P. mit konkurrierenden Sicherheitsanbietern Verträge, sowohl zwischen Versicherern und Versicherten als auch zwischen Versicherern und Schlichtern; diese Verträge können nicht einseitig, sondern immer nur im beiderseitigen Einverständnis geändert werden, d. h. es gibt stabiles Recht statt fluktuierend-flexibler Gesetzgebung – und damit echte Rechtssicherheit. Darüber hinaus ergibt sich als Resultat der andauernden Kooperation verschiedener Versicherer und Schlichter eine Tendenz zur Vereinheitlichung des Eigentums- und Vertragsrecht und der Harmonisierung von Verfahrens-, Beweis, und Schlichtungsregeln. Prof. Dr. Hans-Hermann Hoppe, Nevada (USA)
Probearbeitsverhältnis → Probearbeitsvertrag. Probearbeitsvertrag Vereinbarung einer Einstellung als → Arbeitnehmer auf Probe. Die Probezeit, die in der Regel nicht länger als 6 Monate dauert, soll beiden Vertragsparteien die Möglichkeit geben, sich gegenseitig zu erproben. Ein solches Probearbeitsverhältnis ist ein völlig gültiges → Arbeitsverhältnis, auf das alle arbeitsrechtlichen Gesetze, → Tarifverträge und → Betriebsvereinbarungen anzuwenden sind. Das Arbeitsverhältnis ist hier von Anfang an unbefristet. Während der Probezeit kann allerdings von beiden Seiten mit der kürzestmöglichen → Kündigungsfrist gekündigt (→ Kündigung) werden. – Zulässig ist auch der Abschluß eines P. als befristeter Arbeitsvertrag, so daß dieser mit Ablauf der Probezeit automatisch endet. Probezeit → Probearbeitsvertrag. Bezüglich Berufsausbildungsverhältnis siehe: → Berufsausbildungsvertrag. Produkthaftung Wenn früher ein Käufer durch eine im Handel erstandene fehlerhafte Ware zu → Schaden kam, konnte er gegen den Hersteller dieses Produktes lediglich Ansprüche auf Ersatz des entstandenen Schadens aus der verschuldensabhängigen → Haftung für → unerlaubte Handlung (Delikthaftung, § 823 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) stellen. Diesem unbefriedigenden Zustand hat der Gesetzgeber mit dem verschuldensunabhängigen Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) vom 15. 12. 1989 Rechnung getragen. Es ergänzt die bis dahin geltende Herstellerhaftung. Ein durch ein fehlerhaftes Produkt zu Schaden gekommener Käufer kann sich mit seinem Schadensersatzanspruch nunmehr nicht nur an den Hersteller wenden, sondern darüber hinaus an den als Hersteller auftretenden Händler („Quasi479
Produkthaftung
Hersteller“), den Zulieferer, Importeur, den Vertriebshändler und den Lieferanten. Diese haftungserweiternde Regelung ist heute insbesondere für all jene Fälle bedeutsam, bei denen der tatsächliche Hersteller – irgendwo im Ausland – nicht oder nicht verläßlich festgestellt und zur Rechenschaft gezogen werden kann. Die (verschuldensabhängige) Haftung des Herstellers aus unerlaubter Handlung ist dann angezeigt, wenn er seine sogenannte → Verkehrssicherungspflicht verletzt hat, das heißt fehlerhafte Produkte (auch Einzelteile eines Produktes!) in den (Handels-) Verkehr gebracht hat, bei deren Ingebrauchnahme dem Erwerber, sonstigen Benutzern oder unbeteiligten Dritten Schaden entstand. Um seiner Verkehrssicherungspflicht zu genügen, muß der Hersteller nach herrschender Rechtsprechung folgendes sicherstellen: (1) die ordnungsgemäße Planung, Entwicklung und Konstruktion des Gutes; (2) die ordnungsgemäße Fertigung des Produktes; (3) die ordnungsgemäße Beschreibung des Produktes und dessen Ingebrauchnahme (Instruktion); (4) die ordnungsgemäße Produktbeobachtung und Reaktion auf festgestellte (mögliche) Gefahrenquellen. – Das im Rahmen der Delikthaftung vorausgesetzte Verschulden des Herstellers muß vom Geschädigten nachgewiesen werden. Der Nachweis betrifft im einzelnen, daß: (1) der beklagte Fehler dem Produkt bereits zum Zeitpunkt seiner Überlassung (seines Verkaufes) anhaftete und sich nicht erst später einstellte; (2) gerade dieser Fehler beim bestimmungsgemäßen Gebrauch des Produktes den beklagten Schaden verursachte und (3) den Hersteller ein → Verschulden trifft. – Aus der Erkenntnis heraus, daß es für den Geschädigten im allgemeinen aufgrund mangelnder Einblicke in den betrieblichen → Produktionsprozeß des Herstellers äußerst schwierig ist, diesem eine Verletzung seiner Fabrikations- und Konstruktionspflicht nachzuweisen, hat der Bundesgerichtshof (1988) für diesen Teilbereich des (Hersteller-)Verschuldens eine Umkehr der → Beweislast vorgenommen. Demnach gilt der beklagte Fehler als vom Hersteller verschuldet, wenn ihm nicht der Nachweis ge480
Produkthaftung
lingt, daß ihn kein Verschulden trifft. – Für die Instruktionspflicht sowie die Produktbeobachtungs- und Reaktionspflicht hat der Geschädigte jedoch in vollem Umfang den Beweis für die Schuld des Herstellers zu erbringen. Für den Nachweis einer Verletzung der Produktbeobachtungs- und Reaktionspflicht hat der Geschädigte insbesondere darzulegen, daß: (1) die Gefährlichkeit des Produktes bereits lange genug vor dem Schadensereignis erkennbar war, da sich die Anzeichen dafür häuften; (2) der Hersteller der drohenden Gefahr durch Warnung des Verbrauchers oder Rückruf des Produktes hätte begegnen müssen; (3) er entsprechende Warnungen beachtet oder dem Rückruf Folge geleistet hätte und damit der Schadensfall vermeindbar gewesen wäre. Während die aufgezeigte und konkretisierte Verkehrssicherungspflicht nur bei schuldhafter Verletzung durch den Hersteller den Verbraucher zu Schadensersatzansprüchen berechtigt, stehen ihm solche nach dem P.gesetz bereits dann zu, wenn das Produkt nicht den allgemeinen und berechtigterweise zu erwartenden Standards entspricht oder einfach fehlerhaft ist und damit nicht die erforderliche Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände von ihm erwartet werden kann (§ 3 Prod HaftG). Ein Verschulden des Herstellers muß dabei nicht vorliegen. – Die Beweispflicht des Geschädigten in solchen Fällen scheitert nicht selten daran, daß er nicht zu beweisen vermag, daß das Produkt nicht den berechtigten Sicherheitserwartungen der Allgemeinheit entsprach. Dieser Beweis ist insbesondere bei neuen Produkten bisweilen nicht oder nur schwer zu erbringen. Während die verschuldensabhängige Delikthaftung grundsätzlich alle Sachschäden abdeckt, werden nach der verschuldensunabhängigen P. nur sogenannte → Folgeschäden erfaßt und nur insoweit diese beschädigten → Sachen privat genutzt werden. Eine Ausnahme zuerkennt die Rechtsprechung den sogenannten → „weiterfressenden Mängeln“. – Ansprüche aus Personen- und Gesundheitsschäden können sowohl im Rahmen der Delikthaftung als auch nach dem P.-gesetz gestellt werden.
Produkthaftung
→ Schmerzensgeld kann jedochnur aufgrund unerlaubter Handlung (Delikthaftung, § 847 BGB) verlangt werden. – Für reine Vermögensschäden (wie beispielsweise entgangener Gewinn) kann weder nach der Delikthaftung noch nach dem P.-gesetz Ersatz gefordert werden. – Bei Sachschäden hat der Geschädigte nach § 11 ProdHaftG einen Schaden bis zu 500 Euro selbst zu tragen. Die P. kann weder durch vertragliche Vereinbarung noch durch → Allgemeine Geschäftsbedingungen beschränkt oder ausgeschlossen werden (§ 14 ProdHaftG). Die P.-ansprüche (Delikthaftung wie auch nach ProdHaftG) verjähren nach 3 Jahren. Ihre Geltendmachung unterliegt bei der Delikthaftung einer Frist von 30 Jahren, nach ProdHaftG einer solchen von 10 Jahren. Da in einer modernen hoch arbeitsteiligen (→ Arbeitsteilung) → Wirtschaft Produkte in der Regel im Zusammenwirken einer Vielzahl von → Betrieben gefertigt werden, stellt sich im Falle der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen sehr häufig die Frage nach dem Verantwortlichen. Hier gilt allgemein, daß derjenige haftet, in dessen Zuständigkeitsbereich der beklagte Fehler fällt. Zulieferer haften demnach für Fehler an von ihnen gefertigten Teilen. Hersteller des Endproduktes für die ordnungsgemäße Verarbeitung der Teile. Ist der Verantwortliche nicht zu ermitteln, so können alle Beteiligten gemeinsam haftbar gemacht werden. Das P.-gesetz gilt nicht für fehlerhafte Arzneimittel (§ 15 ProdHaftG). Die Haftung für solche ist durch das Arzneimittelgesetz v. 1976 geregelt. Für Schäden, die durch das Arzneimittelgesetz nicht abgedeckt sind, gilt darüber hinaus noch die Delikthaftung. Produkthaftungsgesetz → Produkthaftung. Produktinformation Aufklärung über Waren im Rahmen der → Verbraucherinformation (→ Verbraucherpolitik). P. werden den Waren als eine Art Steckbrief beigegeben und geben Auskunft über wichtige Produkteigenschaften.
Produktionsmittel
Produktinnovation → Innovation. Produktion Herstellung von → Gütern durch Kombination der → Produktionsfaktoren. Produktionsfaktoren ⇒ Ressourcen die im → Produktionsprozeß in die Produkte eingehenden elementaren Bestandteile. Es sind dies nach der herkömmlichen Einteilung: → Boden, → Arbeit und → Kapital. Produktionsfunktion funktionale Beziehung zwischen der Produktionsausbringung (⇒ Ertrag, ⇒ Output) eines → Betriebes und den dafür erforderlichen Einsatzmengen (⇒ Input) der → Produktionsfaktoren. Siehe: → Produktionstheorie. Produktionsfunktion vom Typ A ⇒ klassische Produktionsfunktion ⇒ Gesetz vom abnehmenden Bodenertrag ⇒ Gesetz vom abnehmbarenden Ertragszuwachs → Produktionstheorie 1. Produktionsfunktion vom Typ B → Produktionstheorie 2. Produktionsgüter ⇒ Investitionsgüter ⇒ Kapitalgüter → Güter. Produktionskartell befristete Vereinbarung zwischen rechtlich und wirtschaftlich selbständig bleibenden → Unternehmen desselben Produktionszweiges über bestimmte Produktionsmengen/Produktionsquoten. → Kartell. Produktionspotential 1. betriebswirtschaftlich: der maximal oder optimal erreichbare → Output. 2. volkswirtschaftlich: das maximal oder optimal erreichbare reale → Bruttoinlandsprodukt. Produktionsmittel ⇒ produzierte Produktionsmittel → Kapital (→ Produktionsfaktor). 481
Produktionsprozeß
Produktionstheorie
Produktionsprozeß das Zusammenwirken der → Produktionsfaktoren zur betrieblichen Leistungserstellung. Produktionstheorie Die Herstellung von → Gütern erfolgt allgemein über die Kombination der → Produktionsfaktoren → Arbeit, → Boden und → Kapital unter Einbezug des → technischen Fortschritts. Der Ort der → Produktion ist der Betrieb. Da die Produktionsfaktoren knapp (→ Knappheit) sind, wird der dem → ökonomischen Prinzip folgende → Unternehmer bestrebt sein, diese wirtschaftlich einzusetzen. Dies bedeutet, daß er eine bestimmte Produktmenge mit den geringstmöglichen → Kosten beziehungsweise mit einer bestimmten Kostensumme die größtmögliche Produktmenge zu realisieren versucht. Diese Feststellung sei durch ein einfaches Zahlenbeispiel verdeutlicht. Zur Herstellung von 100 Hemden können Hand- und Maschinenarbeit in unterschiedlicher Weise kombiniert werden (siehe unten): Das Herstellungsverfahren 1 erweist sich am kostengünstigsten, das heißt, es verwirklicht die sogenannte → Minimalkostenkombination. Für seinen Einsatz hätte sich der Unternehmer zu entscheiden. Die hier auf der Basis austauschbarer (substitutiver) Produktionsfaktoren gewonnene Erkenntnis läßt sich anhand der → Produktionsfunktion vom Typ A veranschaulichen. – In der wohl größeren Anzahl der Fälle lassen sich die am → Produktionsprozeß beteiligten Produktionsfaktoren nicht
Herstellungsverfahren 1 Herstellungsverfahren 2 Herstellungsverfahren 3
oder nur sehr schwer untereinander austauschen (substituieren). Es handelt sich dann um limitationale (d. h. hinsichtlich ihrer Einsatzmenge in strenger Beziehung zur geplanten Produktmenge stehende) Produktionsfaktoren. Über solche limitationale Produktionsfaktoren sich vollziehende Produktionsprozesse lassen sich anhand der Produktionsfunktion vom Typ B verdeutlichen. 1. Die Produktionsfunktion vom Typ A Die Produktionsfunktion vom Typ A, auch klassische Produktionsfunktion oder Ertragsgesetz genannt, läßt sich besonders anschaulich am Beispiel der landwirtschaftlichen Gütererzeugung erklären. Angenommen ein Landwirt besäße 10 Morgen Land, auf dem er Kartoffeln anbaut. Seine Anbaufläche (Produktionsfaktor Boden) läge damit Arbeitseinsatz in Zeiteinheiten (AE)
(Gesamt-) Ertrag in Mengeneinheiten (ME)
– 1 2 3 4 5 6 7
–
Handarbeit in Stunden 10 12,5 15
Ertragszuwachs in ME je 1 AE (Grenzertrag) 5 9 11 9 6 3 2
5 14 25 34 40 43 41
Maschinenstunden 7,5 6,25 5
Setzen wir die Arbeitsstunde mit Euro 25,– und die Maschinenstunde mit Euro 40,– an, so lassen sich die Produktionskosten der drei Herstellungsverfahren wie folgt ermitteln: Herstellungsverfahren 1 Herstellungsverfahren 2 Herstellungsverfahren 3 482
Euro 10,5 × 25 + Euro 7,5 × 40 = Euro 550,– Euro 12 × 25 + Euro 6,25 × 40 = Euro 562,50 Euro 15 × 25 + Euro 5 × 40 = Euro 575,–
Produktionstheorie
fest (konstant) und kann somit – zumindest kurzfristig – nicht erweitert werden. Auch der Produktionsfaktor Kapital, der hier die landwirtschaftlichen Maschinen und die Düngemittel umfasse, sei in seinem Einsatz konstant gehalten. Variabel sei lediglich der Produktionsfaktor Arbeit, der hier als Jäten und Hacken zum Tragen käme. Verändert nun der Landwirt bei Konstanthaltung der beiden Faktoren Boden und Kapital die auf den Kartoffelanbau verwendete Arbeit, so variieren die anfallenden Erträge typischerweise (siehe Tabelle auf der vorhergehenden Seite). Die Tabelle und deren Umsetzung in einen S-förmigen Kurvenverlauf (siehe unten) geben zu erkennen, daß zunehmender Arbeitseinsatz zunächst zu progressiv (stark), dann zu degressiv (schwächer) ansteigenden Erträgen führt. Ab einem Arbeitseinsatz von sechs Zeiteinheiten nimmt der Gesamtertrag absolut ab. Die Ertragszuwächse (Grenzerträge) steigen zunächst bis zum Wendepunkt (W) der Gesamtkurve an, um dann bis zum Maximum (M) dieser Kurve abzunehmen. Nach diesem Punkt nimmt der Gesamtertrag ab, die Grenzerträge werden negativ; die Produktion ist ökonomisch nicht mehr sinnvoll. Diese Feststellungen markieren die sogenannte Ertragskurve, beziehungsweise das sogenannte Ertragsgesetz (Gesetz vom abnehmenden Bodenertrag, klassische Produktionsfunktion).
Produktionstheorie
Anzahl der eingesetzten Gabelstapler/ Fahrer (Input)
Anzahl der beförderten Paletten (Output)
– 1/1 2/2 3/3 4/4 5/5
– 200 400 600 800 1000
Grenzertrag
200 200 200 200 200
Es besagt, daß bei konstanter Anbaufläche und steigendem Arbeitseinsatz die Ertragszuwächse ab einer gewissen Grenze abnehmen. 2. Die Produktionsfunktion vom Typ B Die für die Produktionsfunktion vom Typ A unterstellte begrenzte Substituierbarkeit von Produktionsfaktoren muß – zwar nicht generell, aber doch für weite Bereiche der Wirtschaft – verneint werden. So ist insbesondere die industrielle Produktion zum weitaus größten Teil durch feste, das heißt limitationale oder sich gegenseitig ergänzende (komplementäre) Faktoreinsatzverhältnisse gekennzeichnet. Die Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Boden (Werkstoffe) stehen hier meist in einem technisch genau bestimmten Verhältnis zueinander. Dieser produktionstechnische Zusammenhang sei wiederum anhand eines Zahlenbeispiels verdeutlicht: Ein Arbeiter befördere mit einem Gabelstabler pro Arbeitstag 200 Paletten. Sollen mehr Paletten befördert werden, müssen (wir unterstellen, daß keine Überstunden geleistet werden!) in entsprechender Anzahl zusätzliche Gabelstapler und Fahrer zum Einsatz kommen. Fahrer und Gabelstapler stehen zueinander in einem komplementären Verhältnis. Die funktionale Beziehung zwischen → Input (eingesetzte Gabelstapler/Fahrer) und → Output (Anzahl der beförderten Paletten) ließe sich für diesen Produktionszusammenhang wie oben aufgezeigt beziffern: 483
Produktionstheorie
Tabelle und grafischer Verlauf der Produktionsfunktion lassen erkennen, daß der Output (Ertrag) bei fortlaufender Erhöhung des Einsatzes an Arbeitskräften und Fahrzeugen proportional ansteigt. Die Grenzerträge bleiben gleich. Die Produktionsfunktion vom Typ B hat einen linearen (geradlinigen) Verlauf. Produktivität Verhältnis von → Output (erzeugte Gütermenge) zu → Input (Einsatzmenge an → Produktionsfaktoren [= Faktoreinsatzmenge]). Produktivvermögen → Erwerbsvermögen. Produktlinienanalyse 1. Ursprung. Die P. wurde am Ökoinstitut e.V. Freiburg entwickelt (siehe PÖW 1987, Eberle/Grießhammer 1996), um die ökologischen, sozialen und ökonomischen Auswirkungen von Produkten über ihren gesamten Lebensweg zu erfassen, zu vergleichen und zu bewerten. Sie stellt eine Erweiterung der Produkt-Ökobilanz dar, welche lediglich die ökologischen Folgen bilanziert. Vom Umweltbundesamt (1997) stammt ein frühes Beispiel: Waschen und Waschmittel. Wicke u. a. (1992) prüften die P. für das betriebliche Umweltmanagement. Für die → ökonomische Bildung adaptiert wurde sie von Weinbrenner (1996) und Retzmann (1997). Inzwischen wurde die P. zur Methode „PROSA – Product Sustainability Assessment“ weiterentwickelt, für die erste Anwendungsbeispiele vorliegen (siehe www.prosa.org). 2. Bildungsziel. „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ – so ist der pädagogische Gesamtrahmen für alle Ansätze um484
Produktlinienanalyse
welt- und entwicklungsorientierter Bildung überschrieben. Die frühen umweltpädagogischen Ansätze verfolgten das Ziel, das Umweltbewusstsein der Schüler zu wecken und zu schärfen. Doch dieses schlägt sich vielfach nicht im Handeln nieder. Da ökonomische Bildung den Erwerb von → Handlungskompetenz beabsichtigt, sollte mit der P. eher die Förderung des ökologischen Verantwortungsbewusstseins angestrebt werden (grundlegend: Hoff 1998; darauf auf bauend: Retzmann 2006, S. 337ff.). Dies ist die individuelle Bereitschaft, tatsächlich Verantwortung für die Entstehung oder Vermeidung ökologischer Folgen wirtschaftlichen Handelns zu übernehmen bzw. problemadäquat anderen Handlungsebenen und Akteuren zuzuweisen. 3. Methodik. Drei Grundgedanken bilden den methodischen Kern der P.: 1) Die Bilanzierung des gesamten Produktlebenszyklus von der Forschung und Entwicklung über die Gewinnung der → Rohstoffe, die Herstellung, den Vertrieb, den → Konsum bis zur Entsorgung einschließlich der Transporte. 2) Die Dreidimensionalität der Analyse, die den drei Säulen der → Nachhaltigkeit (→ Ökologie, → Ökonomie und Soziales) entspricht. 3) Die Produktlinienmatrix, die man erhält, wenn man die Lebenszyklusphasen und die Analysekriterien kreuzt (siehe Abb. auf der nächsten Seite). 4. Unterrichtsverlauf. Die P. ist ein komplexes Lehr-Lern-Arrangement der ökonomischen Bildung für eine → nachhaltige Entwicklung. Sie kann am besten als Projekt (ggf. fächerübergreifend) realisiert werden. Folgende Sequenzierung des Lehr-LernProzesses hat sich bewährt (ausführlich: Retzmann 2007): 1) Untersuchungsobjekt und Produktalternative bestimmen, 2) Produktlinie rekonstruieren und Bilanzraum bestimmen, 3) Untersuchungskriterien bestimmen, 4) Produktlinienmatrix erstellen, 5) Informationen beschaffen/Produktlinienmatrix ausfüllen, 6) Informationen bewerten, 7) Handlungskonsequenzen ermitteln. 5. Einsatzmöglichkeiten. Ein früher Einsatz der P. im Sachunterricht der Grundschule ist möglich, wenn ein lebensnahes Beispiel
Produktlinienanalyse
Transport
Lebenszyklusphasen " Entsorgung
Ge-/Verbrauch
Vertrieb
Herstellung
Rohstoffgewinnung
Produktlinienanalyse
A nAlysekriterien !
Natur Dimensionen
Gesellschaft Wirtschaft
Rohstoffverbrauch Energieverbrauch Wasserverbrauch Emissionen Abfälle Existenzbedingungen Arbeitsbedingungen Gesundheitliche Auswirkungen Strukturelle Auswirkungen Lebensqualität Preisgestaltung Beschäftigungssituation Kosten Betriebsentwicklung Subventionen Abb.: Beispiel einer Produktlinienmatrix mit geringer Komplexität gewählt wird und Anschaulichkeit Vorrang vor methodischer Stringenz hat. Ein „Klassiker“ ist das Unterrichtsprojekt „Vom Korn zum Brot“, bei dem der Lebensweg des Getreidekorns vom Anbau auf dem Bauernhof über die Verarbeitung in der Mühle bis zur Herstellung des Endprodukts beim Bäcker erkundet wird. In den Sekundarstufen I und II können die Anforderungen an das methodische Vorgehen und die Selbstständigkeit der Schüler erhöht werden. Im → berufsbildenden Schulwesen bietet sich die P. besonders bei jenen kaufmännischen Berufen an, deren Objekt stofflicher Natur ist (vor allem Waren- und Industriekaufleute). Sie kann dort aus der Unternehmensperspektive erfolgen und im Rahmen der unterrichtlichen Behandlung des Supply-Chain-Managements eingeführt werden. 6. Potenziale. Im Orientierungsrahmen „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“
zählt die P. zu den innovativen Lernformen, -verfahren und -methoden (vgl. BLK 1998, 34). Um mit Hilfe der P. die Weiterentwicklung des ökologischen Verantwortungsbewusstseins zu fördern, ist eine dreigleisige Bildungsstrategie erforderlich: Erstens muss das Wissen über ökologische Probleme strukturell weiterentwickelt werden, denn es kommt weniger auf den Wissensumfang als vielmehr auf die Struktur des Nachdenkens über ökologische Probleme an. Erstrebenswert ist die Fähigkeit zu systemischem Denken in komplexen UrsacheWirkungs-Zusammenhängen. Zweitens ist die moralische Urteilskompetenz möglichst so weit zu entwickeln, dass der universale Geltungsanspruch des Prinzips der Nachhaltigkeit verstanden werden kann: Mit ihm wird Verteilungsgerechtigkeit zwischen Industrie- und → Entwicklungsländern sowie zwischen lebenden und künftigen Generationen postuliert. Drittens muss das Kon485
Produktlinienanalyse
trollbewusstsein qualitativ weiter entwikkelt werden, damit die Schüler realistisch einschätzen können, wie die verschiedenen Handlungsebenen (→ Ordnungspolitik, → Unternehmen, → Konsumenten) zusammen wirken müssen, damit die kollektiven Umweltprobleme – wenn überhaupt – lösbar werden. Die Umwelt- und Sozialverträglichkeit sowie die Wirtschaftlichkeit von Produkten bilden allerdings ein „magisches Dreieck“, das nur – immerhin – partiell aufgelöst werden kann. Bleiben die drei Säulen der Nachhaltigkeit im konkreten Einzelfall unverträglich, so erfordert dies eine Prioritätensetzung. Die P. trägt insofern dazu bei, Konflikte bei der Bewirtschaftung knapper → Ressourcen ethisch beurteilen zu können. Sie erfordert Ambiguitätstoleranz, denn sie wirkt damit einer sozial-romantischen Harmonievorstellung entgegen. 7. Grenzen. Lebensweganalysen nach ökologischen, sozialen und ökonomischen Kriterien sind aufwendig. Für Bildungszwecke eignen sich nur sehr einfache Produkte, bei denen lokale oder regionale Erkundungsmöglichkeiten (Informationsgewinnung!) bestehen. Den wissenschaftlichen Ansprüchen an Genauigkeit und Vollständigkeit nachzueifern, erscheint nicht sinnvoll. Die → didaktische Reduktion der komplexen Methode ist ebenso notwendig wie legitim. Mögliche Reduktionen sind unter anderem Transportwegebilanzen und CO2-Bilanzen. Ein verwandtes Konzept neueren Datums, das immer mehr Beachtung findet, ist der „ökologische Fußabdruck“. Die individuelle Entwicklung des ökologischen Verantwortungsbewusstseins vollzieht sich über Jahre, d. h. generelle Fortschritte sind nicht bereits nach Durchführung eines Unterrichtsprojekts zu erwarten. Gleichwohl kann der Ökonomieunterricht diesem langfristigen Prozess wichtige, ja sogar unverzichtbare Impulse geben. Literatur: BLK – Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung [Hrsg.] (1998): Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Orientierungsrahmen. Materialien zur Bildungsplanung und zur Forschungsförderung, Heft 69, Bonn. Eberle, Ulrike/Grießhammer, Rainer [Hrsg.] 486
Profitcenter
(1996): Ökobilanzen und Produktlinienanalysen. Freiburg. Hoff, Ernst (1998): Verantwortungsbewußtsein und Industriearbeit im Zeichen der Umweltkrise. In: Gerhard Blickle [Hrsg.]: Ethik in Organisationen. Konzepte, Befunde, Praxisbeispiele. Göttingen, S. 71–92. PÖW – Projektgruppe Ökologische Wirtschaft [Hrsg.] (1987): Produktlinienanalyse. Bedürfnisse, Produkte und ihre Folgen. Wege aus der Krise, Bd. 4, Köln. Retzmann, Thomas (1997): Die Produktlinienanalyse – eine Methode zum beruflich-ökonomischen Lernen. In: Josef Aff/Margret Wagner [Hrsg.]: Methodische Bausteine der Wirtschaftsdidaktik. Wien, S. 255–292. Retzmann, Thomas (2006): Didaktik der berufsmoralischen Bildung in Wirtschaft und Verwaltung. Norderstedt. Retzmann, Thomas (2007): Die Produktlinienanalyse in der ökonomischen Bildung. In: Ders. [Hrsg.] (2007): Methodentraining für den Ökonomieunterricht. Schwalbach/ Ts., S. 169–184. Umweltbundesamt [Hrsg.] (1997): Produktlinienanalyse Waschen und Waschmittel. Von Rainer Grießhammer/ Dirk Bunke/Carl-Otto Gensch, Öko-Institut e. V. Freiburg. Forschungsbericht 102 07 202, UBA-FB 97-009, Berlin. Weinbrenner, Peter (1996): Wege zu einem globalen umwelt- und sozialverträglichen Konsum. Aufgezeigt an der Produktlinienanalyse eines Lebensmittels. Stiftung Verbraucherinstitut, Berlin. Wicke, Lutz/Haasis, HansDietrich/Schafhausen, Franzjosef/Schulz, Werner (1992): Betriebliche Umweltökonomie. München. Prof. Dr. Thomas Retzmann, Duisburg-Essen Produzent Hersteller, Erzeuger; → Unternehmer in der Industrie oder → Urproduktion. Produzentenhaftung → Produkthaftung. produzierte Produktionsmittel ⇒ Produktionsmittel → Kapital (→ Produktionsfaktoren). Profitcenter Unternehmensbereich mit eigener Verantwortung für geschäftlichen Erfolg.
programmierter Unterrichtt
programmierter Unterrichtt auf objektivierte Lehr-Lern-Programme gestützte Selbstlernverfahren, die auf die unmittelbare Mitwirkung einer Lehrperson verzichten lassen. Das jeweilige Medium kann in Form eines programmierten Textes, einer Video- oder Tonkassette und/oder eines Computerprogrammes (→ computergestütztes Lernen) vorgegeben werden. Projekt ⇒ Vorhaben ⇒ Projektmethode. Projektmethode ⇒ Projekt ⇒ Vorhaben Ausgangsbasis und historische Entwicklung: Das Wort „Projekt“ geht auf das lateinische Wort proicere zurück und wird im heutigen Sprachgebrauch im Sinne von „planen, vorauswerfen, entwerfen“ verwendet. Damit wird gleichzeitig vom Begriff her die praktische Verwirklichung eines Planes mitgedacht. Der Begriff „Projekt“ ist nicht auf den pädagogischen Bereich beschränkt, sondern findet in Wirtschaft, Verwaltung, Forschung eine eigenständige Verwendung: Bau-Projekt, Forschungsprojekt, Ausbildungsprojekt usw. Insgesamt wird jedoch unter der P. eine Unterrichtsform verstanden, die getragen wird von einer Sichtweise des Unterrichts, bei der von einem zunehmend gleichberechtigten Rollenverständnis von Lehrenden und Lernenden ausgegangen wird und die Projektgruppe im Sinne einer gemeinsamen Zielsetzung ihre Lern- und Arbeitsschritte gemeinsam plant, durchführt und reflektiert. Quellen des Projektgedankens: Generell lässt sich zeigen, dass die historischen Entwicklungslinien der P. bis in die Anfangsphase des 20. Jahrhunderts reichen und sich verbinden mit Namen wie Dewey, Kilpatrick, Snedden, Richards (vgl. Kaiser/Kaiser). Dabei hat vor allem Dewey als ein theoretischer Begründer der P. zu gelten und zwar im Zusammenhang mit einer pädagogischen Konzeption, die – basierend auf einem erkenntnisphilosophischen Prag-
Projektmethode
matismus – fordert, Leben, Denken, Tun, Handeln und Wissen sowie Schule und ausserschulische Wirklichkeit miteinander zu verbinden (F. Kost 1977, 134 ff.). Die Diskussion um die P. wird, jenseits ihres nordamerikanischen Ursprungs, im europäischen Raum durch die Reformpädagogik des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts getragen (vgl. Kerschensteiner 1968; Gaudig 1922; Haase 1932; Otto 1914) sowie durch die Arbeitsschulbewegung in ihrer bürgerlichen und sozialistischen Ausrichtung (vgl. Kerschensteiner 1904; Oestreich 1921; Blonskij 1973; Makarenko 1961). Über den tatsächlichen Ursprung wird noch immer gestritten (vgl. Frey 2002, S. 29ff.; Knoll 1991; Schreier 2004). P. und generelles Lernkonzept: Es ist zu beachten, dass die P. sich in das generelle Lernkonzept eines Faches oder eines Lernbereiches einzufügen hat. Die zu beobachtende Tendenz, die P. in der organisatorischen Form der „Projektwoche“ z. B. lediglich als Motivationsvehikel bzw. als Belohnungsinstrument für einen sonst eher öden Schulalltag einzusetzen und sie z. B. häufig an das Schuljahresende zu plazieren, verleiht den Projektwochen nicht selten den Charakter von Sport- und Spielewochen bzw. von Spaß- und Freizeitveranstaltungen. Zielsetzungen: Wenn die Bedeutung der P., mit denen die didaktischen Potentiale sich kaum ausschöpfen lassen, vor allem auch im Hinblick für die künftige berufliche Tätigkeit zusammenfassend betrachtet wird, lassen sich drei Zielsetzungen erkennen: (1) Im Rahmen der P. sollen die Schüler → Kompetenzen im Sinne von Fähigkeiten und Fertigkeiten erwerben, die von ihnen als zukünftige Berufstätige verlangt werden. Sie ist eine „Form der lernenden Betätigung, die bildend wirkt“. (Frey 2002, 14) (2) Durch die P. sollen extra-funktionale Qualifikationen wie Problemlösungsfähigkeit, Teamfähigkeit, Denklebendigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Planungsfähigkeit, Kreativität, Kritikfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein 487
Projektmethode
gefördert werden, die für die Bewältigung der beruflichen Aufgaben an Bedeutung zunehmen. Dies wird erreicht durch die Grundforderung der P., dass die Projektgruppen ihre Arbeit soweit wie möglich selbständig und eigenverantwortlich planen und ausführen, „sich ein Betätigungsgebiet vornehmen, sich über geplante Betätigungen verständigen, das Betätigungsgebiet entwickeln und die dann verstärkten Aktivitäten im Betätigungsgebiet zu einem sinnvollen Ende führen“ (Frey 2002, S. 14). Das Ergebnis kann ein Produkt oder auch eine Dienstleistung sein. (3) Überall dort, wo schulisches Lernen in Routinearbeit zu erstarren droht, soll die Projektarbeit diese durch besondere Aufgabenstellungen und Vorhaben durchbrechen und Arbeit initiieren, die von dem Jugendlichen besondere Denkanstrengungen, Kreativität, Phantasie und Eigeninitiative verlangt und zu einer veränderten Rhythmisierung des Schullebens beitragen. Im Sinne einer „gemäßigt konstruktivistischen“ Methodikkonzeption wird für den Projektunterricht eine Unterrichtsgestaltung gefordert, die Tun und Denken miteinander verbindet, die an den Erfahrungen der Schüler anknüpft, deren Fähigkeiten zur Mit- und Selbstorganisation entwickelt und die Bereitschaft und Fähigkeit zu gemeinsamem Handeln und Entscheiden fördert. Für die P. werden verschiedene Phasenabläufe diskutiert, die jedoch jenseits aller unterschiedlichen begrifflichen Fassungen gemeinsame Merkmale aufweisen. Viele Autoren beziehen sich auf Kilpatrick und sehen zumindest die Phasen Zielsetzung, Planung, Durchführung, Beurteilung als kennzeichnend für die P. an. K. Frey (1982 ff.) hat sieben Komponenten der P. für einen idealisierten Projektablauf vorgeschlagen, die die o. g. vier Phasen enthalten, jedoch wird die besondere didaktische Zielsetzung des idealtypisch konstruierten Projektablaufs durch sog. „Fixpunkte“ und „Meta-Interaktionen“ deutlicher kenntlich. 488
Projektmethode
Grundsätzlich lassen sich zwei Varianten der P. im Unterrichtsalltag unterscheiden: a) Der Einsatz der P. in dem regulären Jahresarbeitsplan eines Faches oder Lernbereiches. Die Schüler arbeiten in einem bestimmten Zeitraum (z. B. 8 Wochen) an einem Projektthema, ohne dass der übrige Stundenplan für die Schüler völlig außer Kraft gesetzt wird. b) Die Projektwoche. Sie ist eine dramaturgische Sonderform der P., bei der der schulische Regelunterricht zumeist für die ganze Schule zugunsten der Projektwoche unterbrochen wird. Dazu werden thematisch ausgewiesene Projektgruppen mit jahrgangs- und gruppenübergreifender Zusammensetzung gebildet. Am Ende der Projektwoche werden ihre Ergebnisse auf einer gemeinsamen Veranstaltung präsentiert. Projektmerkmale: Es gibt einige Projektmerkmale, die in der Literatur eine breite Anerkennung finden, allerdings auf einem Kontinuum von tatsächlicher und anzustrebender Realisation zu beurteilen sein werden (Kaiser/Kaminski 2010). (1) Produkt- und Handlungsorientierung: Dieses Merkmal soll sicherstellen, dass dem Primat der Handlung im Erkenntnisprozess eine zentrale Bedeutung zuerkannt wird. Grundlage des Lernens ist die Arbeitspraxis, die in der Regel auf die Erstellung eines Produktes oder einer → Dienstleistung abzielt. Diese Aktivität ist nicht allein im Sinne einer „Handarbeitsschule“ zu deuten, sondern damit ist auch eine Aktivität auf der Ebene „von Überlegungen, konsequenter Abstraktionen und verbalen Manipulationen“ (Piaget) gemeint. Die Aktivität ist in einen Handlungszusammenhang einzubetten, der im konkreten Handeln, Tun, Ausführen seine notwendigen aber jedoch nicht hinreichenden Bedingungen hat, d. h. sie ist in einen theoretischen Reflexionszusammenhang zu stellen; Theorie und Praxis sind dialektisch aufeinander zu beziehen. Der warnende Hinweis Kerschensteiners (1854–1932) gilt immer noch: „Der Schüler erhält keinen Begriff vom kategorischen Im-
Projektmethode
perativ, wenn er ein Portrait von Kant abzeichnet.“ (2) Interdisziplinarität: Das Kriterium verlangt, dass Lernen nicht ausschließlich aus der Sicht einzelner Disziplinen bzw. einzelner Fächer erfolgen sollte, weil dies der Komplexität von Projektthemen in der Regel nicht angemessen ist. Themenstellungen aus der → Ökonomie werden zumeist nur in ihrer Verflochtenheit mit politischen und sozialen Aspekten angemessen zu bearbeiten sein. Damit werden Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse erforderlich, die nicht selten über den Horizont eines einzelnen Faches hinausweisen. Aber auch hier ist ein warnender Hinweis erforderlich: Interdisziplinäres Arbeiten setzt schon rein logisch disziplinäres Arbeiten voraus. Die neuere Lernpsychologie zeigt immer wieder, dass fachlich definierte Disziplinen notwendig als Lerndomänen und als Wissenssysteme unerlässlich für kognitives Lernen sind (vgl. E. Weinert). Schulfächer sind durchaus solche Lerndomänen, die man in dieser Perspektive als Orte des kulturellen Gedächtnisses mit der Struktur einer Sammlung (vgl. Duncker 1997, 124) bezeichnen könnte, in denen die Lernenden Kategorien und Ordnungsschemata erwerben, die das fachliche „Wechselgeld“ für „überfachlichen Handel“ darstellen. Unter der Annahme des generell konstruktiven Charakters menschlicher Erkenntnis, zeigt sich, dass die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht so aufgenommen wird „wie sie ist“, sondern als ein Bedeutungszusammenhang, der als Ergebnis sozialer Aushandlungsprozesse (sozialer Konstruktivismus) verstanden werden kann (Kaminski 2007). Insofern bietet die P. einen didaktisch fruchtbaren Ansatz, diese historisch gewachsene Ordnung eines Schulfaches für eine Zeit außer Kraft zu setzen, um neue SinnZusammenhänge zu entdecken, aber immer nur dann, wenn Disziplinarität gegen Interdisziplinarität nicht ausge-
Projektmethode
spielt wird, sondern aufeinander bezogen werden. (3) Schülerorientierung: Dieses Kriterium beinhaltet, dass die Interessen und Bedürfnisse der Lernenden in besonderer Weise zu berücksichtigen sind, weil dadurch Motivation für und die Identifikation mit der Projektarbeit gefördert werden kann. Auch ist zu beachten, dass mit der Findung des Projektthemas nicht gleichsam von Beginn an die Schülerinteressen eindeutig beschrieben sind und der Fortgang der Projektarbeit ein für allemal definiert ist. Nicht alles was Schüler spontan interessant finden, ist schon damit für den Projektunterricht legitimiert. Zweifelsfrei sollte immer wieder versucht werden, an den Lern- und Erfahrensinteressen der Lernenden anzusetzen. Dies ist notwendig, aber keinesfalls weder hinreichend für die Ziel- und Inhaltsbestimmungen von Unterricht noch für die der P. (4) Situations- und Gesellschaftsbezug: Die Schülerorientierung kann sich letztlich nur dann positiv in der Projektarbeit entfalten, wenn die besondere Situation der Klasse, der Schule, der Gemeinde, der Region usw. berücksichtigt wird. Dabei können Projekte einmal gesellschaftliche Probleme aufgreifen und „öffentlich“ machen (z. B. durch eine Dokumentation, Ausstellung, Vorführung o. ä.) oder ein für die Gesellschaft, die Projektgruppe, die Schule, die Region usw. nützliches Produkt hervorbringen. Mit der Öffnung der Projektarbeit für die Arbeits- und Wirtschaftswelt, das politische und gesellschaftliche Leben, erhält diese eine Problemschärfe, die von allen Beteiligten ein nicht unerhebliches Maß an Verantwortung abverlangt. Projektarbeit bleibt auch dann eine schulische Veranstaltung, wenn sie gesellschaftliche Konflikte thematisiert. D. h. die pädagogische Verantwortung des Lehrenden gebietet es, die Projektteilnehmer auf die Implikationen ihres Projekthandelns zu verweisen und den Verwertungs- und Verwendungszu489
Projektmethode
sammenhang ihres Handelns deutlich zu machen. (5) Gemeinsame Organisation von Lernprozessen: Der immanente Charakter der P. verlangt nach einer Realisierungsform, die die Projektteilnehmer bei der Zielsetzung, Planung, Durchführung und Reflexion des Projektes beteiligt. Dies kann nicht bedeuten, dass die Planungs- und Entscheidungsprozesse im Projekt unbeeinflusst von Lehrenden stattfinden müssen, vor allem nicht bei Projektgruppen, die erste Erfahrungen mit dieser Methode gewinnen. Jedoch zeigen die Projekterfahrungen, dass die Lernenden unabdingbar einen gewissen Freiraum für Planungs- und Entscheidungsverfahren haben müssen, wenn die pädagogischen Zielsetzungen der P. erreicht werden sollen. Besonders wichtig ist es, dass die Projektteilnehmer den lernorganisatorischen Rahmen der P. sowie wichtige Phasen der Projektarbeit als Gesamtszenario erkennen und die Möglichkeit haben, zu ihrem Verhalten und ihren Aktionen im Unterricht Distanz zu gewinnen, „um die Ziele ihres Handelns, ihre Auswirkungen, ihren Sinn und ihre Hintergründe kritisch zu betrachten und zu erörtern“ (Werres 1976, 75–89). Frey spricht in diesem Zusammenhang von „situativer Distanz“ (2002, 24). Dafür bieten sich Formen des sog. Meta-Unterrichts an (vgl. auch Kaminski/ Reuter-Kaminski 1986, 17). Unterrichtliche Realisationsmöglichkeiten (vgl. Kaiser/Kaminski 2010): Projektplanungen können, wie nicht selten in der Alltagspraxis zu beobachten ist, zu kaschiertem Frontalunterricht mit anderem Etikett degradieren. Gibt es keine Planungsphasen, kann Projektunterricht auch in Beliebigkeit ausarten. Vor allem muss auch davor gewarnt werden, idealtypische Projektmerkmale „abzuarbeiten“. Vielmehr muss es darum gehen, mit Blick auf eine bestimmte Lerngruppe und unter Berücksichtigung einer konkreten schulischen Situation, Schritt für Schritt den Umgang mit der P. zu verbessern, d. h. 490
Projektmethode
es ist zu überlegen, welche Voraussetzungen sind bei den Schülern vorhanden, inwieweit haben sie schon bestimmte Projekterfahrungen, beherrschen sie die erforderlichen Grundfertigkeiten im Umgang mit der P., wie verschiedene Formen der Gruppenarbeit (arbeitsgleiche, arbeitsteilige), und verschiedene Planungstechniken; über welche Erfahrungen und Kenntnisse zur P. die Lehrenden selbst verfügen. Wer bisher nur im herkömmlichen Klassenunterricht gearbeitet hat, wird mit seiner neuen Lehrerrolle im Projektunterricht mit neuen sozialen, psychologischen Anforderungen Schwierigkeiten zu erwarten haben. Desweiteren gilt es zu berücksichtigen, welche Team-Erfahrungen es an der Schule bisher gibt, wie flexibel die Schulleitung auf neue organisatorische Herausforderungen reagiert, wie das pädagogische Selbstverständnis des Kollegiums aussieht, welche „internen“ Gruppen- und Cliquenbildungen mit jeweils unterschiedlichen pädagogischen Konzepten an der Schule vorhanden sind, wer aus dem Kollegium welche Position an der Schule vertritt und welche Reputation diese Kollegen haben. Literatur: Bastian, J. u. a. (Hg.) (2004): Theorie des Projektunterrichts, Hamburg, 2. Aufl.; Bastian, J. (2004): Projektunterricht und Leistung, in Ders.: Theorie des Projektunterrichts, S. 231–244; Blonskij, P. P. (1973): Die Arbeitsschule. Teil I und II (Original: Trudovaja Skola. Moskau 1919), Paderborn; Dewey, J./Kilpatrik, W. H. (1935): Der Projekt-Plan – Grundlegung und Praxis, hg. von Peter Petersen, Weimar; Frey, K. (2002): Die Projektmethode – Der Weg zum bildenden Tun, Weinheim/Basel, 9. Aufl.; Gaudig, H. (1922): Freie geistige Schularbeit in Theorie und Praxis, Breslau; Haase, O. (1932): Gesamtunterricht, Training, Vorhaben – drei Elementarformen des Volksschulunterrichts. Die Volksschule, 28 u. 727–733; Frankfurt/M.; Kaiser, F.-J./ Kaminski, H. (2010): Methodik des Ökonomieunterrichts, 4. Aufl., Bad Heilbrunn/ Obb.; Kaminski, H./Reuter-Kaminski, O. (1986): Die Einführung von Schülern in aktive Lernverfahren des Arbeitslehreunterrichts mit Hilfe von Bildsymbolen, in:
Projektmethode
arbeiten + lernen -Die Arbeitslehre, 8. Jg., Heft 45. Velber. 17 IT.; Kerschensteiner, G. (1904): Begriffe der Arbeitsschule, 10. Aufl., München; ders. (1968): Die Schule der Zukunft, eine Arbeitsschule. Festrede zur Pestalozzifeier am 12. Jan. 1909 in der Peterskirche zu Zürich, in: Kerschensteiner, G.: Ausgewählte pädagogische Schriften, Bd. II: Texte zum pädagogischen Begriff der Arbeit und zum Rollenspiel, Fallstudie, Köln, 219ff.; Knoll, M.: Projektmethode und fächerübergreifender Unterricht – eine historisch- systematische Perspektive, in: Duncker, L.Popp. W. (Hrsg.) Über Fachgrenzen hinaus – Chancen und Schwierigkeiten des fächerübergreifenden Lehrens und Lernens, Bd. l, Heinsberg 1997, S. 206–225; Makarenko, A. S. (1969): Ein pädagogisches Poem. Der Weg ins Leben (1933–1935), in: Ausgewählte pädagogische Schriften, besorgt von H. Wittig, Paderborn; Oestreich, P. (1921): Zur Produktionsschule, Berlin; Otto, B. (1914): Die Zukunftsschule, Berlin; Werres, W. (1976): Meta-Unterricht: Ein Programm für die Erneuerung von Schule und Unterricht, in: Ders. (Hrsg.): Innovationsmodelle für Schule und Unterricht, Kastellaun, 75ff. Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Kaminski, Oldenburg Projektunterricht → Projektmethode. Prokura die umfassendste Handlungsvollmacht mit gesetzlich festgelegtem, grundsätzlich unbeschränktem Umfang (§§ 48 – 53 Handelsgesetzbuch [HGB]). Sie berechtigt zu allen Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen, die der Betrieb irgendeines → Handelsgewerbes mit sich bringt (§ 49(1) HGB]. – Nur der → Inhaber des Handelsgeschäftes oder sein gesetzlicher Vertreter kann P. erteilen. Sie muß ausdrücklich (schriftlich oder mündlich) erteilt werden. Sie muß zur Eintragung ins → Handelsregister angemeldet werden. Man unterscheidet folgende Arten von P.: (1) die Einzelprokura, wenn eine Person allein vertretungsbefugt ist; (2) die Gesamtprokura, wenn mehrere Personen ge-
Prolongation
meinschaftlich vertretungsbefugt sind und damit nur gemeinsam handeln können; (3) die Filialprokura, wenn sich die Vollmacht auf die Geschäfte einer Filiale beschränkt. – Der → Prokurist ist direkter Vertreter des Unternehmensinhabers. Er handelt in dessen Namen, unterzeichnet mit seinem Namen und einem die P. anzeigenden Zusatz (ppa. od. pp.). Der Unternehmer kann den Umfang der P. im Innenverhältnis (d. h. im → Unternehmen) beliebig einschränken. Im Außenverhältnis (d. h. Dritten, außenstehenden Personen gegenüber) ist sie jedoch unbeschränkbar. – Die P. berechtigt nicht zu höchstpersönlichen → Rechtsgeschäften des Unternehmers, wie: Veräußerung oder Belastung von Grundstücken; die Unterzeichnung von → Bilanz, Inventar, Steuererklärungen; die Erteilung der P.; die Aufnahme von Gesellschaftern. – Die P. erlischt durch: Widerruf, Beendigung des Dienstverhältnisses, Tod des Prokuristen, Aufgabe beziehungsweise → Insolvenz des Unternehmens. Das Erlöschen der P. ist zur Eintragung ins Handelsregister anzumelden. Prokurist der mit → Prokura ausgestattete Bevollmächtigte eines → Kaufmanns. Prolongation (lat. = Verlängerung). 1. beim Bankkredit (→ Kredit): Verlängerung der Kreditfrist auf Antrag des Kreditnehmers und durch (schriftliche) Bestätigung seitens der → Bank. 2. beim → Wechsel: Verlängerung der → Laufzeit des Wechsels. Durch die P. gewährt der → Aussteller dem → Bezogenen einen (weiteren) Zahlungsaufschub. Die P. erfolgt durch Ausstellung und Akzeptierung (→ Akzept) eines neuen Wechsels. Ist der Aussteller noch im → Besitz des ersten akzeptierten Wechsels, so gibt er diesen nach Erhalt des neuen Akzeptes dem Bezogenen zurück. Hat er den ersten Wechsel weitergegeben, so überweist er dem Bezogenen den zur Einlösung des alten Akzeptes erforderlichen Betrag. – Alle → Kosten, die durch die Prolongation entstehen (→ Diskont, Auslagen), trägt der Bezogene. 491
Property Rights
Property Rights ⇒ Verfügungsrechte ⇒ Theorie der Property Rights ⇒ Ökonomische Theorie der Eigentumsrechte. Protektionismus → Außenhandelspolitik, die auf den Schutz inländischer → Produzenten gegen die ausländische → Konkurrenz gerichtet ist. Protest 1. im Wechselrecht (insb. Wechselgesetz Art. 44, 70, 80): die amtliche Beurkundung (durch einen Notar oder Gerichtsbeamten), daß der → Wechsel am Fälligkeitstag ordnungsgemäß vorgelegt und nicht eingelöst wurde. Der P. muß rechtzeitig, das heißt an einem der beiden auf den Fälligkeitstag folgenden Werktage erfolgen. Die P.-urkunde ist Voraussetzung für den Regreß (→ Rückgriff). 2. im Scheckrecht (→ Scheck; insbes. Scheckgesetz Art. 40): die amtliche Beurkundung der Zahlungsverweigerung der bezogenen → Bank. Geringe praktische Bedeutung, da der Rückgriff des Scheckinhabers gegen den Scheckverpflichteten nicht des P. bedarf. Provision Entgelt für denjenigen, der in Ausübung eines → Handelsgewerbes einem anderen Geschäfte besorgt (§ 354 Handelsgesetzbuch). Die P. wird in der Regel in Prozenten des Wertes eines Gegenstandes (Ware, → Umsatz) oder einer → Dienstleistung (z. B. → Kredit) erhoben. Prozeßinnovation → Innovation. Prozeßpolitik ⇒ Ablaufpolitik → Wirtschaftspolitik regulierenden Charakters; sie richtet sich auf die Steuerung der gewählten → Wirtschaftsordnung. Dabei gilt ihre besondere Aufmerksamkeit den kurzfristigen Bewegungsvorgängen, so insbesondere den Markt- und Konjunkturschwankungen. Gegensatz: → Ordnungspolitik. PSA → Personal-Service-Agenturen. 492
Public Choice
Public Choice ⇒ Constitutional Economics ⇒ Theorie der öffentlichen Wahlhandlungen Das Grundanliegen der P.-Schule, die Idee, nicht nur Marktprozesse, sondern auch politische Abläufe und Institutionen ökonomisch zu analysieren, ist so alt wie die Ökonomie als Wissenschaft selbst. → Adam Smith deutet ähnliches 1776 in seinem Werk The Wealth of Nations bei seiner Kritik des → Merkantilismus an. Die durch ihn erzeugte Monopolisierung einzelner begünstigter Branchen führe dazu, so Smith, daß sich letztlich die privaten ökonomischen Interessen von außen des Staates durch „Einschüchterung“ bemächtigten. Der Staat ist bei ihm keine gerechte und neutrale Instanz, die über wirtschaftlichen Interessen steht, sondern wird von jenen „geschickten, listenreichen und schlauen Geschöpfen, gemeinhin Staatsmänner oder Politiker genannt“, regiert, die „sich nach den Interessengruppen mit ihrer lauten Aufdringlichkeit … richten“. In Ansätzen findet sich dies bei vielen klassischen Ökonomen des 19. Jahrhunderts, besonders bei denen der staatskritischen liberalen Denkschule. Als Beispiel mag → Frédéric Bastiats Schrift L’état von 1849 dienen, die den Staat und seine Neigung zu Eingriffen in die Wirtschaft beleuchtet, und dabei das ökonomische Motiv der Bereicherung (spoliation) in den Vordergrund stellt. Der Staat ist demnach eine „große Fiktion, in der jedermann auf Kosten von jedermann zu leben versucht.“ Nicht nur von Ökonomen werden derartige Versuche unternommen, sondern auch von verfassungsjuristisch orientierten Autoren. Ein Beispiel ist der amerikanische Staatsmann und Philosoph John C. Calhoun, der in seiner Speech on the Force Bill 1833 anhand spieltheoretischer Modelle den Nachweis führt, daß demokratische Institutionen aufgrund des Majoritätsprinzips die Entwicklung zu hoher Steuerbelastung in besonderem Maße fördern. Aber erst 1962 soll die ökonomische Analyse politischer Prozeße und Institutionen zu einem systematischen Theoriegebäu-
Public Choice
de entwickelt werden. In diesem Jahr erscheint in den Vereinigten Staaten das Buch The Calculus of Consent von → James M. Buchanan (Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften 1986) und Gordon Tullock. Das Buch, das auch auf Vorarbeiten anderer Ökonomen zurückgreifen kann (z. B. Anthony Downs' Werk An Economic Theory of Democracy, 1957), begründet eine neue Forschungsrichtung unter dem Namen P., die sich mit den ökonomischen Ursachen öffentlicher Wahlakte und Entscheidungen auseinandersetzt. Hierbei geht es nicht um empirische Bestandsaufnahme, sondern vielmehr um ökonomische Theorie. Ihr liegt ein methologischer Individualismus zugrunde, der das rationale und auf Vorteil bedachte Kalkül des einzelnen als Basis von öffentlichen Entscheidungen theoretisch voraussetzt, selbst wenn es sich um Kollektiventscheidungen von Gremien und Institutionen handelt. Es wird dabei vorausgesetzt, daß auch in der Politik die Akteure nach Anreizen handeln – so wie sie es auch im Wirtschaftsleben tun. In einer Demokratie wäre zum Beispiel die Aussicht auf Wahlstimmenmaximierung ein solcher Anreiz. Eines der Felder, das von der P.-Ökonomie häufig behandelt wird, ist daher die Frage nach der Auswirkung institutioneller Arrangements auf Entscheidungen. Tullock hat dies in seinem 1976 vom britischen Institute of Economic Affairs veröffentlichten Buch The Vote Motive ausgeführt, in dem er u. a. Fragen klärt, ob ein Verhältniswahlrecht im Vergleich zum Mehrheitswahlrecht die Polarisierung im Parteienspektrum begünstige. Besonderes Interesse findet vor allem die Erklärung von politischen Prozessen, in denen Interessengruppen und -koalitionen staatliche Institutionen zu ihren ökonomischen Zwecken instrumentalisieren. Das ist verbunden mit einer fundamentalen Kritik von → Wohlfahrtsstaat und Demokratie in ihrer verfassungsrechtlich unbeschränkten Form. Beide begünstigen diese Instrumentalisierung, da Politiker in ihnen besonders vielen Anreizen ausgesetzt sind, die es für sie ökonomisch rational machen, eher kurzfristigen Überlegungen zu folgen, statt
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langfristig angelegte → Ordnungspolitik zu betreiben. Die Erosion der → Marktwirtschaft ist damit vorprogrammiert. Mancur Olson erweitert mit diesem Argument den P.-Ansatz 1982 um eine kulturhistorische Dimension. In seinem Buch The Rise and Decline of Nations führt er den ökonomischen Niedergang von Staaten (z. B. England nach dem 2. Weltkrieg) auf die Verfestigung „rentensuchender“ Interessengruppen im politischen System zurück. Dies macht zusätzliche grundsätzliche Überlegungen notwendig. Eine gegenüber der Analyse politischer Prozesse wichtige Rolle spielt im Denken der P.-Schule daher die konstitutionelle Voraussetzung für diese Prozesse. Aufgrund des hohen Rangs, den die Analyse von Verfassungsregeln dabei einnimmt, hat sich vor allem in Großbritannien in starkem Maße neben P. auch der etwas verengtere Begriff Constitutional Economics eingebürgert. Bei der Erstellung von Verfassungsregeln als einem dem politischen Prozeß vorhergehenden Vorgang wird angenommen, daß ökonomisch rationale Individuen unter einem „Schleier des Nichtwissens“ agieren. Die individualistische Grundlage von P. bekommt hier einen normativen statt methodologischen Charakter. Buchanan hat dies u. a. 1985 zusammen mit Geoffrey Brennan in The Reason of Rules ausgeführt. Dort formuliert er eine an die Gerechtigkeitstheorie des Philosophen John Rawls (A Theory of Justice, 1971) angelehnte Vertragstheorie, die einen strikten Konstitutionalismus fundiert. Damit hat die P.-Theorie den Rahmen der ökonomischen Theorie transzendiert und wird auch für den Bereich der politischen Philosophie überaus fruchtbar. Bei der von den P.-Ökonomen entwickelten Variante der Vertragstheorie wird vorausgesetzt, daß Verfassungsregeln nicht der gleichen Ergebnisorientierung unterworfen sein dürfen wie das Handeln innerhalb dieser Regeln. Die Vertragspartner sollen daher die Regeln so konstituieren, als ob sie die für sie relevanten Vor- und Nachteile, die sich aus dem neuen Verfassungsarrangement ergeben, nicht kennen. Unter dem hypothetischen „Schleier des Nichtwissens“ würde keine Gemeinschaft 493
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einer Regel zustimmen, die von vornherein für einen Teil dieser Gemeinschaft diskriminierend ist. In der Tat entsprechen nur wirklich einstimmig beschlossene Regeln dem rationalen → Selbstinteresse aller. Eine so zugleich ökonomisch und vertragstheoretisch begründete Verfassung dient dem Zweck, den Staat daran zu hindern, Sonderinteressen per Zwang durchzusetzen. Sie wäre damit auch Garant einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Die Probleme des Wachstums von Bürokratien, Steuerlasten und öffentlichen Haushaltsdefiziten, die in allen Industrieländern kaum noch zu lösen sind, zeigen, daß der politische Prozeß nicht mehr in diesem gewünschten Sinne kontrolliert wird. Der Anreiz für Politiker, zwecks Stimmenmaximierung, einflußreichen Interessengruppen nachzugeben, ist zu groß. Die bisherigen konstitutionellen Arrangements haben versagt. Bei einer Tagung der → Mont Pèlerin Society bemerkt Buchanan 1993 daher auch recht pessimistisch: „Es existiert nirgendwo eine liberale Verfassung.“ Ralf Dahrendorf hat 1986 P. als „die Tagesordnung der Theorie der Politik in den 1970er und 1980er Jahren“ bezeichnet. Die politische Entwicklung scheint zu zeigen, daß sie es auch darüber hinaus in Zukunft bleiben wird. Siehe auch: → Ökonomische Theorie der Bürokratie.
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Publizitätspflicht
Literatur: James M. Buchanan/Gordon Tulock, The Calculus of Consent, Ann Arbor 1962; James M. Buchanan/Geoffrey Brennan, The Reason of Rules, New York/Cambridge 1985 (dt.: Die Begründung von Regeln, Tübingen 1993); James D. Gwartney/ Richard E. Wagner (Hrsg.), Public Choice and Constitutional Economics, London 1988; Hartmut Kliemt, Papers on Buchanan and Related Subjects, München 1990; Mancur Olson, The Rise and Decline of Nations, New Haven 1982; Jane Shaw, Public Choice; in: Fortune Encyclopedia of Economics, New York 1993, S. 150 ff; Gordon Tullock, The Vote Motive, London 1976. Dr. Detmar Doering, Berlin Public Private Partnerships (PPP) Finanzierung, Bau und Betrieb von bislang in der Regel öffentlichen Infrastrukturprojekten (→ Infrastruktur; wie z. B. Autobahnen, Schulbauten) durch private Träger. Publizitätspflicht ⇒ Offenlegungspflicht die allen → Kapitalgesellschaften und → Personengesellschaften ohne → natürliche Personen als persönlich haftende Gesellschafter (z. B. → GmbH & Co. → KG) nach § 325 HGB obliegende Pflicht, den kaufmännischen Jahresabschluß im Elektronischen Bundesanzeiger zu veröffentlichen.
Qualifikation
Qualifikationsforschung
Q Qualifikation Befähigung, Eignung. Fähigkeit zur Ausübung bestimmter Tätigkeiten/→ Berufe. → Qualifikationsforschung. Siehe auch: → Schlüsselqualifikationen. Qualifikationsforschung Der Begriff der → Qualifikation wurde in den 1960er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts zu einer zentralen Kategorie der bildungstheoretischen und -politischen Diskussion. Fortschreitende Industrialisierung und Produktivkraftentwicklung rückten die gesellschaftliche Funktion von Schule(n) in den Vordergrund. Die → Bildungsökonomie stellte den Zusammenhang von → Wirtschaftswachstum und Bildungsinvestitionen heraus. Investierte Bildungsausgaben hatten sich den Prüfkriterien ökonomischer Effizienz und Rentabilität zu stellen. Eine „überholte Vorstellung von → Bildung“ hatte verhindert, „daß die Bildungseinrichtungen im Einklang mit den wirklichen → Bedürfnissen von → Gesellschaft und → Wirtschaft gebraucht wurden“ und „die ökonomische Planung der Bildungsarbeit sabotiert“ (Edding 1963, S. 106 f.) wurde. In der von der Bildungsökonomie angestossenen Curriculumdiskussion wurde nach exakten Verhaltensdispositionen bzw. „Qualifikationen“ gefragt, deren Beherrschung als notwendige Voraussetzung zur Bewältigung jetziger und zukünftiger „Lebenssituationen“ postuliert wurde. Unter Qualifikation im weiteren Sinn kann somit die in Sozialisations- und Bildungsprozessen erworbene → Handlungskompetenz für die Übernahme verschiedener Lebensrollen verstanden werden. „Im Hinblick auf die Verwertbarkeit im privaten Leben, im Beruf, in der Gesellschaft, ist der Lernerfolg eine Qualifikation“ (Deutscher Bildungsrat 1974, S. 65). Der ökonomische → Bedarf bildete die „sachnotwendige“ Legitimationsgrundlage der Bestimmung von Qualifikationen im engeren Sinn. Darunter versteht man das „Arbeitsvermögen“ als Gesamtheit individueller Fähigkeiten, Kenntnisse, Fertigkei-
ten und Verhaltensmuster, die dem einzelnen die Erfüllung von Anforderungen in bestimmten Arbeitssituationen auf Dauer ermöglichen und bestimmte Arbeitsfunktionen bewältigen lassen. „Qualifikation bedeutet somit die an das arbeitende Subjekt gebundenen Voraussetzungen des Produktions- und Reproduktionsprozesses“ (Baethge 1976, S. 479) in der jeweiligen gesellschaftlichen Arbeits- und Berufsrolle. Auf Erwerbsarbeit bezogene Qualifikationsprozesse haben sich an den erwarteten Entwicklungen im Beschäftigungssystem auszurichten (Bolder 2009, S. 819). Berufliche Q. umfaßt drei Gegenstandsbereiche (vgl.: Dedering/Schimming 1984, S. 6): a) Entstehung und Entwicklung von Qualifikationen in Bildungs- und Sozialisationsprozessen („Ausbildungsqualifikation“), womit sich die Bildungs- und Curriculumforschung beschäftigt; b) Bedarf und Verwendung von Qualifikationen in Arbeitsprozessen incl. der Mitgestaltung der Arbeitssituation als Forschungsgegenstand der Berufsforschung, die die Entwicklung und Konzipierung aktueller bzw. voraussehbarer Qualifikationsstrukturen sich zur Aufgabe macht („Verwertungsqualifikation“); c) Abstimmung zwischen Ausbildungsund Verwertungsqualifikation am → Arbeitsmarkt. Berufliche → Arbeit ist in Form typischer Kombinationen von Arbeitsverrichtungen und dazu notwendiger Qualifikationen organisiert. Institutionalisierte Lernprozesse bereiten auf das Arbeitsleben vor und vermitteln die im Arbeitsprozeß benötigten beruflichen Qualifikationen. Diese können jedoch durch technologische Entwicklungen oder durch erzwungene Arbeitsmobilität zumindest teilweise wieder entwertet werden. Insbesondere enge funktions- und betriebsabhängige Qualifikationsprofile schränken die Verwertbarkeit und die Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt ein. Deshalb strebt man in neuen → Ausbildungsordnun495
Qualifikationsforschung
gen und Berufsprofilen polyvalente Qualifikationsstrukturen mit Transferqualität an. Ein breiter Qualifikationssockel mit zusätzlich dynamischen Qualifikationen zur elastischen Anpassung an sich verändernde Arbeitsstrukturen soll für eine möglichst dauerhafte Verwertbarkeit des Arbeitsvermögens und für flexible Rekrutierung von Arbeitskräften durch → Betriebe sorgen. Mit der Q. beschäftigen sich unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen mit je spezifischen Erkenntnisinteressen. Welche Auswirkungen der Einsatz neuer Technologien und neuer Formen der → Arbeitsorganisation und Arbeitsgestaltung in der Industrie auf die → Arbeitsbedingungen der dort Beschäftigten hat und welche Veränderungen von Arbeitsanforderungen und subjektiven Handlungskompetenzen sich dadurch ergeben, ist zentraler Forschungsgegenstand des industriesoziologischen Arbeitsplatzstrukturansatzes. Kern/Schumann (1970) unterscheiden bei der Qualifikationsanalyse zwischen prozeßgebundenen Qualifikationen, die auf die technischen Erfordernisse eines bestimmten Arbeitsprozesses ausgerichtet sind und prozeßungebundenen Qualifikationen, „die zwar an einem bestimmten Produktionsverfahren erlernt und trainiert sein mögen, die an dieses jedoch nicht gebunden sind und ohne größere Schwierigkeiten auf neue Arbeitsbereiche übertragen werden können“ (Teil I, S. 68), also flexibel einsetzbar sind. Zu den prozeßgebundenen Arbeitskompetenzen zählen handwerkliche und technische Qualifikationen wie z. B.: manuelle Geschicklichkeit, Kenntnis um die Eigenschaften der Werkstoffe, Kenntnis technischer Funktionszusammenhänge, Kenntnis der Bedienungs- und Wirkungsweise von Apparaturen und Maschinen. Zu den prozeßunabhängigen Qualifikationen gehören: – Flexibilität, d. h. Anpassungsfähigkeit an neue Anforderungen und Tätigkeitsinhalte; – technische Intelligenz, d. h. Fähigkeit zum Problemlösen durch kausales, abstrahierendes, hypothetisches Denken (z. B. bei der Fehlersuche); 496
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– Perzeption, d. h. Wahrnehmungsfähigkeit von Veränderungen in einem komplexen Signalsystem; – technische Sensibilität, d. h. Einfühlungsvermögen in komplexe technische Zusammenhänge sowie Funktionswissen für angemessene Eingriffe in den Produktionsprozeß; – Verantwortung, d. h. Fähigkeit zur gewissenhaften, zuverlässigen und selbständigen Erledigung der Arbeitsaufgabe. Die Veränderung industrieller Produktionsbedingungen hat einen Wandel der Qualifikationsstruktur im Sinne einer tendenziellen Verlagerung von prozeßgebundenen zu prozeßunabhängigen Qualifikationen zur Folge. Verstärkt müssen sozialnormative Anforderungen, wie z. B. der sorgfältige Umgang mit Arbeitsmitteln und die Einhaltung von Qualifikationsnormen, erfüllt werden. Die unterstellte universelle Transferierbarkeit prozeßunabhängiger Qualifikationen ist jedoch empirisch nicht hinreichend gesichert. Die vielfach angenommenen höheren Qualifikationsanforderungen als Folge technologischer Innovationen und organisatorischer Rationalisierungsmaßnahmen konnten von Kern/Schumann nicht empirisch bestätigt werden. Der Komplexitätszuwachs der Qualifikationsstrukturen wird durch Polarisierung der Belegschaft mehr als kompensiert; d. h. für einen großen Teil der von den technischen Neuerungen betroffenen Beschäftigten erfolgt sogar eine Dequalifizierung bis zum „Verlust an fachlich qualifizierten Arbeitsmöglichkeiten“ (Mickler u. a. 1977, S. 515) besonders im Fertigungs- und Montagebereich industrieller → Produktion, der durch das Anwachsen planender und konstruierender Funktionen in vor- und nachgelagerten Bereichen der Produktion nicht voll ausgeglichen wird. In den 1980er Jahren hat die industriesoziologische Forschung einen deutlichen Trend zur Requalifizierung der Erwerbsarbeit bei gleichzeitiger Bedeutungszunahme von Segmentationsprozessen auf dem Arbeitsmarkt festgestellt. Angesichts heutiger Produktvielfalt und Produktionsflexibilität garantieren → Arbeitnehmer mit hoher
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fachlicher Kompetenz zeitökonomische Arbeitsabläufe. Der arbeitspsychologische Ansatz der Handlungsstrukturanalyse (Volpert 1974) versucht aufgaben- und personenbezogene Elemente der Arbeitstätigkeit gleichermassen zu erfassen. Entsprechend den drei Hauptregulationsebenen individuellen Handelns werden ebenenspezifische Qualifikationsanforderungen abgeleitet: – Sensumotorische „Fertigkeiten“, die durch Übung erworbene, stereotype Handlungseinheiten darstellen, vollziehen sich in ihrer Anwendung unterhalb der Bewußtseinsschwelle. – Auf der perzeptiv-begrifflichen Regulationsebene laufen „stets bewußtseinsfähige, wenn auch nicht immer bewußtseinspflichtige“ (Hacker 1973, S. 118) Vorgänge ab, welche auf der Wahrnehmung und Verarbeitung von nicht völlig vorhersehbaren Signalen im Rahmen allgemeiner Handlungsschemata, d. h. eng umgrenzter Muster beruhen. Die flexible Anwendung von Aktionsprogrammen entsprechend den variablen Bedingungen der jeweiligen Handlungssituation setzt Formen des „Könnens“ voraus. – Auf der intellektuellen Regulationsebene sind vorbereitende, begleitende und nachbereitende Aufgaben mit großer Variabilität zu bewältigen. Es gilt Situationsbedingungen zu analysieren, Handlungspläne zu entwickeln, Alternativen gedanklich durchzuspielen, Störungen zu antizipieren und Korrekturen vorzunehmen. Zur Erfüllung dieser intellektuellen Funktionen müssen generelle Problemlösungsprinzipien verfügbar sein. Volpert bezeichnet diese Qualifikationsanforderung als „verallgemeinerte Verfahren“. Eine empirische Bewährung des Konzeptes, in der konkrete Qualifikationsanforderungen bestimmter Arbeitsaufgaben nach Art und Ausmaß der intellektuellen, perzeptiv-begrifflichen und sensumotorischen Inhalte bestimmt werden, ist bis jetzt nicht hinreichend gelungen. Die weitere Ausdifferenzierung des Drei-Ebenen-Modells von Volpert durch Oesterreich (1981) auf ein operationales Zehn-Stufen-Schema der
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Problemhaltigkeit von Arbeitsaufgaben sowie durch Hackers Konzept der objektiven und subjektiven Freiheitsgrade sind vielversprechende Ansätze zur Ermittlung und Bewertung von Qualifikationsanforderungen entsprechend der Komplexität der Aufgabeninhalte. Durch die Ableitung von Lernzielen und -inhalten aus den Merkmalen der Aufgabenstruktur sollen arbeits- und berufspädagogische Curricula begründet werden. Die arbeitsmarktorientierte Flexibilitätsforschung des IAB (→ Institut für Arbeitsmarkt- u. Berufsforschung; Einrichtung der → Bundesagentur für Arbeit) nimmt angesichts vorfindbarer Substituierbarkeit unterschiedlicher Abschlußqualifikationen sowie uneindeutiger Determiniertheit des Personaleinsatzes durch den Personalbedarf ein „elastisches“ Verhältnis zwischen → Bildungs- und Beschäftigungssystem an. Das Flexibilitätsmodell versucht die Mobilitätsspielräume (auf Arbeitnehmerseite) und die Substitutionsspielräume (der Betriebe) bei der Besetzung von → Arbeitsplätzen zu ermitteln. Diese empirisch-analytische Vorgehensweise der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung erhält eine „normativ-pädagogische Ergänzung“ (Dedering/Schimming 1984, S. 112) durch das von Mertens (1974) enwickelte Konzept der → „Schlüsselqualifikationen“. Dieses versucht in konstruktiver Absicht mit dem Dilemma fertigzuwerden, auf Zukunft hin ausbilden zu müssen, ohne genau zu wissen, welche Qualifikationsanforderungen an die Arbeitskräfte in der Zukunft gestellt werden. Die Unvorhersehbarkeit künftiger Entwicklungen und die immer schnellere Entwertung erworbener Arbeitsqualifikationen verlangt ein berufsübergreifendes Qualifikationskonzept von universaler und antizipatorischer Reichweite: „Schlüsselqualifikationen sind demnach solche Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, welche nicht unmittelbaren und begrenzten Bezug zu bestimmten, disparaten praktischen Tätigkeiten erbringen, sondern vielmehr (a) die Eignung für eine große Zahl von Positionen und Funktionen als alternative Option zum gleichen Zeitpunkt und (b) die Eignung für die Bewältigung 497
Qualifikationsforschung
einer Sequenz von (meist unvorhersehbaren) Änderungen und Anforderungen im Laufe des Lebens“ (Mertens 1974, S. 40). Es geht also um Qualifikationen, die in die Lage versetzen, ganzheitliche Aufgaben zu lösen und auf zukünftige Anforderungen adäquat zu reagieren. Gefragt sind generalisierbare Bildungselemente mit hohem Abstraktionsgrad, die als „Schlüssel zur raschen und reibungslosen Erschließung von wechselndem Spezialwissen“ dienen können (Mertens 1974, S. 36). Dabei wird unterschieden zwischen Basisqualifikationen mit vertikalem Anwendungstransfer (z. B. logischesDenken, analytisches Vorgehen), Horizontalqualifikationen als Fähigkeit des raschen Zugriffs zu gespeicherten Informationen für die Lösung einer ad hoc auftretenden Problemstellung, Breitenelemente zur Bewältigung praktischer Anforderungen an unterschiedlichen Arbeitsplätzen (z. B. Meßtechnik, Wartung, → Arbeitsschutz) und Vintage-Faktoren zur Überwindung intergenerativer Bildungsdifferenzen. Arbeitsmarktforschung und Schlüsselqualifikationskonzept des IAB zielen auf flexible Abstimmung des quantitativen und qualitativen Arbeitskräfteangebots mit dem gegenwärtigen und zukünftigen Bedarf am Arbeitsmarkt. Eine konkrete Operationalisierung der Qualifikationen für schulische Lernprozesse leistet das Schlüsselqualifikationskonzept nicht, obwohl es eine normative Konstruktion idealtypischer Qualifikationsstrukturen darstellt, welche im Bildungssystem vermittelt werden sollen. Diesem Anspruch für die Curriculumkonstruktion wollte Mertens auch gar nicht gerecht werden. Von seiten der → Berufspädagogik erhielt das Schlüsselqualifikationskonzept von Mertens, welches sich auf materiale und formale Lerninhalte mit seinen vier Typen von Bildungselementen beschränkt hatte, eine Modifikation und Erweiterung um personale Verhaltensweisen, worunter individuelle, soziale, sittliche Verhaltensweisen sowie Arbeitsverhalten/→ Arbeitstugenden subsumiert werden (Bunk/Kaiser/Zedler 1991). Außerdem wurde der Frage nach adäquaten Unterrichtsmethoden und -formen zur Ver498
Qualifikationsforschung
mittlung solcher Schlüsselqualifikationen in Schulen und in der betrieblichen Unterweisung/Ausbildung nachgegangen. Durch Bildung vermittelte → Kompetenzen stellen eine gewichtige Determinante für Wirtschaftswachstum und Innovationsfähigkeit dar. Globalisierung und technischer Fortschritt führen zu einem steigenden Bedarf hoch qualifizierter Arbeitskräfte. Die internationale Arbeitskräftemobilität erfordert eine Vergleichbarkeit der Qualifikationen und Kompetenzen. Dabei zeigt sich eine Präferierung des britischen Modells der Modularisierung beruflicher Aus- und Weiterbildung mit dem Ziel spezifischer → employability. Die Perspektive in der Q. hat sich dementsprechend auf die Kompetenzen verschoben. Dies ist jedoch keineswegs ein Paradigmenwechsel (Bolder 2009). Arbeitsplatzbezogene Handlungskompetenz in Form von Schlüsselqualifikationen (Mertens 1974) haben eingegrenzte berufsspezifische Fertigkeiten bereits kritisch in Frage gestellt. Erwerbsarbeitsbezogene Kompetenzen können als Ergebnis beruflicher/betrieblicher Sozialisation und entsprechender Arbeitserfahrungen gewertet werden (Drexel 2008). Für die Erforschung des „Dreiecks“ Arbeit – Qualifikation – Kompetenzen erscheint die sozialisatorisch-biographische Genese von Kompetenz ein vielversprechender Ansatz (Hohner/Hoff 2008). Innerhalb der Q. lassen sich uneinheitliche Terminologie beim Qualifikationsbegriff und bei beruflichen Kompetenzen sowie unterschiedliche Konkretheit, Praxisnähe, Operationalisierung (z. B. von arbeitsprozeßabhängigen Anforderungsmerkmalen) und Erkenntnisinteressen konstatieren. Der Theorierahmen bewegt sich zwischen polarisierten Positionen: Qualifikationsanforderungen werden einerseits als abhängige Variable der Technik gesehen, andererseits gelten innovatorische Qualifikationspotentiale der Arbeitskräfte als bewegender Faktor des technisch-organisatorischen Strukturwandels der Betriebe. Somit lassen sich Vielfalt, Relevanz und unterschiedlicher Verwendungszusammenhang der Q. erklären.
Qualifikationsforschung
Literatur: Alex, L./Bau, H. (Hrsg.): Wandel beruflicher Anforderungen. Der Beitrag des BIBB zum Auf bau eines Früherkennungssystems Qualifikationsentwicklung. Bielefeld 1999; Baethge, M.: Qualifikation – Qualifikationsstruktur. In: Wulf, Ch. (Hrsg.): Wörterbuch der Erziehung. München 1976, S. 478 – 484; Bolder, A.: Arbeit, Qualifikation und Kompetenzen. In: Tippelt, R./Schmidt, B. (Hrsg.): Handbuch Bildungsforschung. Wiesbaden ²2009, S. 813 – 843; Buchtemann, Ch. F.: Veränderung des Qualifikationsbedarfs. In: Europäische Zeitschrift für Berufsbildung (1999) 16, S. 66 – 69; Bunk, G. P./Kaiser, M./Zedler, R.: Schlüsselqualifikationen - Intention, Modifikation und Realisation in der beruflichen Aus- und Weiterbildung. In: Mitt AB 2, 1991, S. 365 – 374; Dedering, H./Schimming, P.: Qualifikationsforschung und arbeitsorientierte Bildung. Opladen 1984; Deutscher Bildungsrat. Empfehlungen der Bildungskommission. Zur Neuordnung der Sekundarstufe II. Konzept für eine Verbindung von allgemeinem und beruflichem Lernen. Stuttgart 1974; Drexel, I.: Neue Konzepte des Lernens im und für den Betrieb – Berufsbildungsforschung und bildungspolitische Wende. In: Bolder, A./Dobischat, R./ Hendrich, W. (Hrsg.): Eigen-Sinn und Widerstand. Kritische Beiträge zum Kompetenzentwicklungsdiskurs. Wiesbaden 2009, S. 102 – 119; Edding, F.: Ökonomie des Bildungswesens. Lehren und Lernen als Haushalt und als Investition. Freiburg i. Br. 1963; Hacker, W.: Allgemeine Arbeits- und Ingenieurpsychologie. Berlin (DDR) 1973; Hohner, H.-U./Hoff, E.-H.: Berufliche Entwicklung und Lauf bahnberatung. In: Petermann, F./Schneider, W.(Hrsg.): Enzyklopädie der Psychologie, Themenbereich C: Theorie und Forschung, Serie V: Entwicklungspsychologie, 7: Angewandte Entwicklungspsychologie, Göttingen 2008, S. 827 – 857; Kern, H./Schumann, M.: Industriearbeit und Arbeiterbewusstsein. Teil I und II. Frankfurt a. M. 1970; Mertens, D.: Schlüsselqualifikationen. Thesen zur Schulung für eine moderne Gesellschaft. In: Mitt AB 1, 1974, S. 36 – 43; Mickler, O./Mohr, W./Kadritzke, U.: Produktion und Qualifikation. Bericht über die Hauptstudie. Teil I und II (SOFI).
Quesnay, François
Göttingen 1977; Oesterreich, R.: Handlungsregulation und Kontrolle. München 1981; Volpert, W.: Handlungsstrukturanalyse als Beitrag zur Qualifikationsforschung. Köln 1974; Wenger, L.: Forschungsrahmen zukünftiger Qualifikationsforschung. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 93 (1997) 4, S. 384 – 404. Dr. Andreas Gmelch, Bamberg Qualifikationswandel → Berufs- und Qualifikationswandel. qualifiziertes Zeugnis → Zeugnis. Qualitätsmängel → Mängel. qualitatives Wachstum → Sustainable Development. Quantitätsmängel → Mängel. Quellensteuer Sammelbezeichnung für → Steuern, die an der Quelle der steuerpflichtigen Zahlung (im Abzugsverfahren) erhoben werden. In Deutschland unterliegen der Quellenbesteuerung die → Lohnsteuer sowie die → Abgeltungsteuer. Quesnay, François *1694 (Méré, nahe Versailles) †; 1774 (Versailles), ist zunächst als Arzt für Madame de Pompadour (ab 1749) und später als Leibarzt Ludwigs XV. tätig. Erst im Alter widmet er sich ökonomischen Studien. Diese machen ihn zum Hauptvertreter der sog. französischen Physiokratie (→ Physiokraten). In seinem Hauptwerk Tableau économique (1758) unternimmt er eine umfassende theoretische Kritik der wirtschaftspolitischen Grundlagen des → Merkantilismus. Hatte der Merkantilismus den Volkswohlstand nur aus der → Geldmenge abgeleitet, so entwickelt Q. erstmals eine umfassende Theorie eines ökonomischen → Kreislaufs, der auch andere → Güter und → Werte umfaßt und den Zusammenhang → Produktion, → Distribution und → Konsum erklärt. Er läßt dabei allerdings nur die Landwirtschaft als produktiv gelten, während z. B. Handel und → Gewerbe „steril“ 499
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(unproduktiv) seien, da sie nur umsetzen, was die Landwirtschaft (und damit die Natur, die alleine Wert schafft) hervorbringt. Dies wird später von → Adam Smith, zu dessen unmittelbaren Vorläufern er gehört, und der darauf folgenden Ökonomie zurecht verworfen. Einflußreich ist Q. auch deshalb, weil er dem wirtschaftspolitischen Merkantilismus den → Freihandel gegenüberstellt. Der Begriff des → Laissez-faire wird von ihm popularisiert und u. a. in den von seinem Schüler Du Pont de Nemours unter dem Titel Physiocratie ou constitution naturelle du gouvernement (1767/68) herausgegebenen Vorlesungen naturrechtlich abgesichert. Literatur: M. Blaug (Hrsg.), François Quesnay (Elgar Reference Collection), Cheltenham 1991; H. Higgs, The Physiocrats, New York 1897 (Reprint 1952); Y. Guyot, Quesnay et la Physiocratie, Paris 1896. D. D. Quittung schriftliche Bescheinigung über den Empfang einer Geld-, Sach- oder Dienstleistung;
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Quotenregelung
meist auf entsprechenden Vordrucken mit Name und Wohnung des Empfängers, gegebenenfalls Betrag sowie Grund der Zahlung, Unterschrift des Empfängers. Der Erbringer einer Leistung kann von Empfänger derselben nach § 368 Bürgerliches Gesetzbuch eine Q. verlangen. Quotenkartell befristete Vereinbarung zwischen rechtlich und wirtschaftlich selbständig bleibenden → Unternehmen desselben Produktionszweiges hinsichtlich der Gestaltung ihrer Produktions- und Absatzquoten. → Kartell Quotenregelung Nach der zum 1. 1. 2008 in Kraft getretenen Neufassung des Versicherungsvertragsgesetzes darf eine → Versicherung ihre Leistung aus einem durch → Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers verursachten Schadensfall nur entsprechend der Schwere dessen Verschuldens kürzen. – Eine totale Leistungsverweigerung seitens des Versicherers ist nur noch bei vorsätzlichem (→ Vorsatz) Handeln des Versicherten möglich!
Rabatt
Rating
R Rabatt Nachlaß auf den → Verkaufspreis. → Verkaufskalkulation. Rangänderung im → Grundbuch Änderung des Ranges eines eingetragenen Rechtes, insbesondere bei → Grundpfandrechten (§ 880 Bürgerliches Gesetzbuch). Rangfolgeverfahren → Arbeitsbewertung. Rangvorbehalt Der Eigentümer eines Grundstückes kann sich bei der Belastung dieses Grundstückes mit einem Recht die Befugnis vorbehalten, ein anderes, dem Umfang nach bestimmtes Recht, mit dem Range vor jenem Recht im → Grundbuch eintragen zu lassen. Ranking Rangliste. Ratenkredit → Kredit an Privatpersonen (Konsumenten) wie auch an gewerbliche Kleinbetriebe, der in festen Raten (Teilzahlungen) zurückzuzahlen ist. Ratenlieferungsverträge R. sind nach § 505 BGB n. F. → Verträge zwischen einem → Verbraucher und einem → Unternehmer, bei denen die → Willenserklärung des Verbrauchers auf den Abschluß eines Vertrages gerichtet ist, der – die Lieferung mehrerer als zusammengehörend verkaufter Sachen in Teilleistungen zum Gegenstand hat und bei dem das Entgelt für die Gesamtheit der Sachen in Teilzahlungen zu entrichten ist, oder – die regelmäßige Lieferung von Sachen gleicher Art zum Gegenstand hat, oder – die Verpflichtung zum wiederkehrenden Erwerb oder Bezug von Sachen zum Gegenstand hat. R. bedürfen der schriftlichen Form (→ Schriftform), es sei denn, daß dem Verbraucher die Möglichkeit verschafft wird, die Vertragsbestimmungen einschließlich der → Allgemeinen Geschäftsbedingungen
bei Vertragsabschluß abzurufen und in wiedergabefähiger Form zu speichern. Der Unternehmer hat dem Verbraucher den Vertragsinhalt in Textform mitzuteilen. Dem Verbraucher steht bei einem R. gemäß § 355 BGB n. F. ein → Widerrufsrecht zu. Der Widerruf muß keine Begründung enthalten und ist in Textform oder durch Rücksendung der Sache innerhalb von zwei Wochen gegenüber dem Unternehmer zu erklären; zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung. Die Widerrufsfrist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem dem Verbraucher eine deutlich gestaltete Belehrung über sein Widerrufsrecht in Textform mitgeteilt worden ist. Ist der Vertrag schriftlich abzuschließen, so beginnt die Frist nicht zu laufen, bevor dem Verbraucher auch eine Vertragsurkunde, der schriftliche Antrag des Verbrauchers oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder des Antrags zur Verfügung gestellt werden. Das Widerrufsrecht erlischt spätestens sechs Monate nach Vertragsabschluß. Bei der Lieferung von Waren beginnt die Frist nicht vor dem Tag ihres Eingangs beim Empfänger. Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) → COMECON. Rating Bewertung der Kreditwürdigkeit eines → Schuldners, um die Risikoprämie kalkulieren zu können. Je nach Art der Schuldner (Staaten und andere öffentliche Schuldner, → Unternehmen, Privatpersonen) und der Schuldverhältnisse (Kreditgeschäfte, → Emissionen) kommen verschiedene spezialisierte R.-verfahren zum Einsatz. Sie beruhen auf qualitativen, statistischen oder daraus abgeleiteten hybriden Methoden. Im Bereich der Staats- und Unternehmensfinanzierung haben sich die Standards der R.-agenturen etabliert, die auch als External Credit Assessment Institutions (ECAI) für → Basel II anerkannt sind. Im Bereich der Kreditgeschäfte mit Privatpersonen 501
Rating
werden überwiegend quantitative Methoden eingesetzt (lineare und die logistische multivariate Regression, Diskriminanzanalyse oder auch neuronale Netze). Die hieraus abgeleiteten Berechnungsformeln für das Privtkundenrating werden üblicherweise als Scorekarten bezeichnet. Das Erfolgsgeheimnis dieser Scoarkarten liegt in der Verknüpfung externer Informationen – etwa von Auskunfteien – mit den internen Zahlungserfahrungen eines Kreditgebers. F. B. Rationalisierung Unter R. wird im allgemeinen die möglichst effiziente Erreichung von Zwecken verstanden. Der zugrunde liegende Begriff der Rationalität ist also als Zweck-Mittel-Rationalität gefaßt und vom lateinischen Wort „ratio“ (= Vernunft) abgeleitet. In diesem Sinne heißt rationalisieren „vernünftig gestalten“ und R. allgemein die Verwirklichung des Vernunftprinzips. Soweit es um den Bereich der → Wirtschaft geht, verläuft R. zweckgerichtet zur Erhöhung der → Wirtschaftlichkeit durch Senkung der → Kosten, Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit u. a. R. der Arbeit kann im umfassenden Sinne von technisch-organisatorischem Wandel definiert werden als Veränderung der Werkstoffe, des Produkts, der Produktionsmethoden und der (technischen, wirtschaftlichen und sozialen) Organisation mit dem Ziel, die Qualität der Arbeit zu verbessern und ihre Quantität je Produktionseinheit zu erhöhen. Vier Aspekte werden mit dem R.-begriff angesprochen, nämlich unternehmerische Motive, welche den R.-prozeß auslösen, Ziele, die mit R. verfolgt werden, Methoden der R. und schließlich die sich einstellenden Effekte bzw. Folgen. Es ist davon auszugehen, daß ein R.-prozeß deshalb stattfindet, weil entweder durch inner- oder außerorganisatorische Beeinträchtigungen (Defizitansatz) oder auch aus immanenten Vervollkommnungsbestrebungen heraus (Wachstumsansatz) übergreifende Motive der Entscheidungsträger berührt werden. Motiv kann die Profitoptimierung 502
Rationalisierung
(Leistungsmotiv) sein, die dann eingeleitet wird, wenn die Ertragsstruktur der betrieblichen Organisation gefährdet ist. Auch wenn die hierarchische Struktur der betrieblichen Organisation defizitär ist, setzt die Kontrolloptimierung aus einem Machtmotiv heraus ein. Hinzu kommt eine Optimierung, wenn die soziale Struktur der betrieblichen Organisation nicht mehr zeitgemäß ist. Alle Motive setzen entweder voraus, daß mittelbar die materielle und immaterielle Situation des Entscheidungsträgers gefährdet ist oder aber unmittelbar aufgrund einer autonomen Entfaltung des besagten Motivs verändert werden soll. Die Motive werden auch von den Änderungen der ökonomischen Rahmenbedingungen beeinflußt. Die Hinwendung zu einer kapitalintensiveren → Produktion, die generell für Industrieunternehmen auszumachen ist, bedeutet, daß eine intensive Nutzung der Maschinen und Anlagen zu gewährleisten ist, soll überhaupt eine angemessene → Rendite erzielt werden. Ein weiteres Motiv, das zahlreiche → Unternehmen zur R. zwingt, ist in der Verschärfung des internationalen → Wettbewerbs zu sehen. Hinzu kommt, daß Sättigungserscheinungen auf klassischen Absatzmärkten Unternehmen vor neue Probleme stellen, kaufkräftige → Nachfrage vermehrt in den Dienstleistungssektor übergeht und sich Käuferpräferenzen rascher wandeln. Nicht zuletzt deshalb nehmen Produkt- und Prozeßinnovationen bei immer kürzer werdenden Marktzyklen kontinuierlich zu. Die zweite Phase des R.-prozesses ist die Entwicklung und Bestimmung von Rationalisierungszielen. Rationalität der Unternehmen und → Betriebe bedeutet ökonomische Rationalität, die ganz allgemein auf Rentabilitätserhöhung gerichtet ist. Der wohlüberlegte, planvolle und vorausberechnete Einsatz von technischen, arbeitsorganisatorischen und ökonomischen Mitteln sowie menschlicher Arbeitskraft erfolgt zur möglichst effizienten Erreichung von Zwecken, nämlich zur Produktivitätssteigerung, Kostensenkung, Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und → Arbeitsmärkte. Hierbei ist nicht anzunehmen, daß die Erstellung der Ziele immer widerspruchsfrei
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erfolgt. So kann z. B. ein Zielkonflikt darin bestehen, daß zum einen die Entscheidungsgewalt innerhalb der Unternehmung zentralisiert werden soll, andererseits aber im Rahmen eines lean management ein offeneres zwischenmenschlicheres Miteinander angestrebt ist. → Arbeitnehmer und ihre → Gewerkschaften setzen zur Wahrung ihrer Interessen den unternehmerischen R.bestrebungen die Forderung nach Sicherung von Beschäftigung und → Einkommen, Gesundheit, Qualifikation und → Mitbestimmung entgegen. Die Geschichte der → Arbeitsteilung und R. ist deshalb von diesen unterschiedlichen Zielsetzungen geprägt worden.
tionstechnologischen Gesamtsystem. Zwar verläuft die Einführung integrativer Computertechnologien in den Sektoren unterschiedlich, jedoch gleichen sich allgemein Industrie- und Büroarbeit allmählich einander an. Das gesamte Betriebssystem wird flexibler, aber auch transparenter und ist dem direkten Zugriff jederzeit zugänglich. Die Zunahme weltweit verbundener Informationsnetze schafft neue Möglichkeiten der → lean production und der just-in-timeSysteme, der Auslagerung ganzer Fabriken in Billiglohnländer, der Schaffung kleinerer, relativ selbständiger Betriebseinheiten bis hin zur Vereinzelung von Tele-Heimarbeitsplätzen.
Die Rationalisierungsmethoden – auch R.maßnahmen bzw. -strategien genannt – bilden die dritte Phase des R.-prozesses und werden nicht selten als R. im eigentlichen Sinne eingestuft. Sieht man einmal von weniger thematisierten R.-methoden wie → Normung, Standardisierung und → Typisierung ab, so lassen sich zwei Methoden, nämlich die technische und organisatorische, unterscheiden. Während die technischen R.-methoden mit dem Prinzip der Mechanisierung und Automatisierung verknüpft und auf den Ersatz von → Arbeit gerichtet sind, betreffen die arbeitsorganisatorischen R.-maßnahmen den Einsatz von Arbeit. Als dritte bedeutsame Größe wird neben Technik und Arbeitsorganisation die Politik herausgestellt. Die hier analytisch getrennt betrachteten Aspekte sind jedoch oft miteinander verzahnt und bedingen sich tendenziell und graduell gegenseitig. Die konkrete Gestaltung von Technik, Arbeitsorganisation und betrieblicher Hierarchie ist nicht sachzwanghaft festgelegt, sondern läßt alternative Lösungen zu; welche Gestaltungsform schließlich verwirklicht wird, hängt von den jeweiligen Interessenauseinandersetzungen auf betrieblicher (Unternehmensleitung, → Betriebsrat, Arbeitnehmer) und überbetrieblicher Ebene (Unternehmensverbände, Gewerkschaften, Staat) ab. Seit den 80er Jahren vollzieht sich R. als komplexe Restrukturierung der Produktion durch Integration aller betrieblichen Funktionsbereiche in einem informa-
Als abschließende Phase des R.-prozesses sind die sich einstellenden Effekte bzw. Folgen der durchgeführten Maßnahmen anzusehen. Eine Verschärfung von R.-ausmaß und -tempo mit massiven beschäftigungspolitischen Auswirkungen ist feststellbar. Einsparungen erfolgen durch sogenannte Freisetzungen, Umsetzungen oder fiktive Einsparungen durch fehlende Einstellungen. Veraltete Betriebe werden insolvent oder stillgelegt. Seit den 60er Jahren beherrschen in der Bundesrepublik die R.investitionen deutlich die gesamte Investitionstätigkeit. In vielen Einzelfallstudien sind die arbeitsplatzsparenden Wirkungen durch neue Technologien nachgewiesen worden. Allerdings ist eine Verallgemeinerung auf gesamtwirtschaftliche Beschäftigungseffekte problematisch, da die indirekten Wirkungen in anderen Branchen und auch die Impulse zur Mehrproduktion, die vom technischen Fortschritt mittelbar ausgelöst werden, mitberücksichtigt werden müßten. Es bedarf der Analyse komplexer Wirkungszusammenhänge. Einfache Antworten auf anscheinend klare Fragen sind in vielen Fällen hier schon allein deshalb nicht möglich, weil die Situation ständig wechselt. Wenn auch das strukturbedingte Ausmaß sich so nicht einfach ermitteln läßt, ist auch zukünftig davon auszugehen, daß, auch bei steigendem → Wirtschaftswachsstum, mit anhaltender struktureller → Arbeitslosigkeit und globaler technologiebedingter Arbeitsplatzvernichtung zu rechnen sein wird. 503
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Maßnahmen zur R. der Arbeit schließen eine → Humanisierung des Arbeitslebens zwar nicht aus; Humanisierungskonzepte sind aber nur insoweit durchsetzbar, wie sie den Verwertungsbedingungen des Kapitals nicht zuwiderlaufen. Die Belange der Arbeitnehmer sind also nicht eigentliches Ziel, sondern lediglich Nebenbedingung und Ergebnis der betrieblichen Veränderungen. Damit ist angedeutet, daß Maßnahmen zur R. nicht von vornherein „sachzwanghaft“ festgelegt sind, sondern meist Gestaltungsspielräume aufweisen, die für eine Humanisierung der Arbeit genutzt werden können. Entsprechend geht es in der Auseinandersetzung zwischen den Interessenpositionen um die Berücksichtigung von Möglichkeiten einer menschengerechten Arbeitsgestaltung bei R.-strategien. Erweiterte Chancen zur Humanisierung bestehen bei einer umfassenden Neustrukturierung der Produktionsorganisation. Solche Maßnahmen werden in den letzten Jahren verstärkt angewendet. Die R.-situation ist im Wesentlichen durch vier Apsekte gekennzeichnet: 1. Es kommen neue Techniken zum Einsatz. Diese basieren auf der Mikroelektronik und sind durch eine hohe Einsatzflexibilität gekennzeichnet, so daß sie vielseitig und in vernetzter Form Verwendung finden können. 2. Mit dem breiteren Zugriff technischer Systeme hat sich die Gestaltbarkeit der Arbeit erhöht: Die Arbeit kann von der Technik abgekoppelt werden. Entsprechend betrachten die Betriebe die Arbeitsorganisation als eigenständiges und zunehmend als das zentrale Aktionsfeld ihrer R.-bemühungen. 3. R.-maßnahmen betreffen nicht mehr nur einzelne Werkzeuge, Maschinen und Arbeitsplätze („punktuelle R.“), sondern es werden ganze Systeme ausgewechselt („systemische R.“), und die neuen Funktionsbereiche werden horizontal und vertikal integriert. Im Gegensatz zu den traditionellen, oftmals auf den Produktionsbereich fokussierten Rationalisierungsbemühen wird bei der Systemrationalisierung das Unternehmen mit all seinen Bereichen in Input, Out504
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put, Personal, Technologie und Organisation erfasst. Hierzu kann eine grundlegende Schwachstellenanalyse der Einflussgrößen zu einer Systemwirtschaftlichkeit beitragen. Allerdings kann die ausschließliche Konzentration auf Rationalisierungsaktivitäten dann zu fatalen Folgen der Unternehmensentwicklung führen, wenn notwendige Innovationen vernachlässigt werden. Die Rationalisierungseffekte nehmen dann ab. Dagegen könnten durch Innovationen in Prozess und Produkt die Marktposition prinzipiell verbessert und zugleich bisher unbekannte Rationalisierungsreserven erschlossen werden. 4. Um im Zeitalter der → Globalisierung konkurrenzfähig zu bleiben, verstärken viele Unternehmen ihre Rationalisierungsmaßnahmen, gliedern z. B. nicht zum Kerngeschäft gehörende Aktivitäten aus. Unternehmen und Konzerne agieren multinational, z. B. indem sie sich über Ländergrenzen hinweg zusammenschließen, in Niedriglohnländern neue Produktionen aufbauen und Betriebe dorthin verlagern. Dadurch haben sie die Möglichkeit, internationale Differenzen in der Lohnarbeit auszunutzen. In der neuen R.-situation deutet sich ein arbeitspolitischer Paradigmenwechsel an. Dieser besteht darin, daß die traditionellen tayloristischen Konzepte der Arbeitsteilung durch neue Produktionskonzepte ersetzt werden. Ihr wesentliches Kennzeichen sind ganzheitliche Zuschnitte der Arbeitsaufgaben mit erweiterten Autonomiespielräumen für die Arbeitenden. Neue Produktionskonzepte gibt es in den Kernsektoren der großindustriellen Fertigung, z. B. im Maschinenbau in flexiblen Fertigungssystemen und in der Automobilindustrie an Montagebändern. Sie kommen dort zur Anwendung, weil die Unternehmensleitungen sie auch unter Rentabilitätsgesichtspunkten als sinnvoll betrachten. Durch technisch-organisatorische Produktivitätserhöhungen verschieben sich physische zu vorwiegend psychischen Belastungen am Arbeitsplatz. Allerdings schafft In-
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formationstechnologie auch eine neue Qualität von Arbeit. Die Belastungen stehen nicht mehr so in einem engen Zusammenhang mit der sachlich-technischen Seite des Arbeitsprozesses als vielmehr mit seiner funktionell-organisatorischen Struktur. Einigkeit besteht darüber, daß mit der R. eine Verlagerung von fachlichen, berufsbezogenen zu überfachlichen, abstrakteren Qualifikationsanforderungen (wie z. B. Reaktionsschnelligkeit, Konzentrationsvermögen, Abstraktionsfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit) einhergeht. Dr. Gottfried Feig, Kassel Rationalisierungskartell Vereinbarung zwischen rechtlich und wirtschaftlich selbständig bleibenden → Unternehmen desselben Produktionszweiges über die → Rationalisierung wirtschaftlicher Vorgänge zum Zwecke der Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit/→ Wirtschaftlichkeit in technischer, betriebswirtschaftlicher oder organisatorischer Hinsicht. → Kartell. Rationalität R. als Merkmal von Entscheidungenund resultierenden Handlungen kennzeichnet die objektive Anpassung der Mittel (Handlungsalternativen) an die Zwecke; als menschliche Attitüde meint R. ein darauf gerichtetes bewußtes Streben, das insbesondere von gefühlsgesteuertem, gewohnheitsorientiertem und nachahmendem Verhalten abgegrenzt werden kann. Um die logische und empirische Analyse rationalen menschlichen Entscheidungshandelns bemüht sich insbesondere die → Entscheidungstheorie. R. als Norm: → Das Rationalprinzip als Handlungsmaxime gebietet vernünftiges Handeln. Das entscheidungslogische Rationalprinzip ( formale R., Zweck-R.) fordert Vernünftigkeit in der Mittelwahl; zu verwirklichen ist jene Handlungsalternative, die ein angestrebtes Ziel bestmöglich erreicht, oder, wenn der Zielerreichungsgrad gegeben ist, jene Handlungsalternative, die den geringstmöglichen Mitteleinsatz nach sich zieht, und zwar jeweils unabhängig von der Frage, ob das Ziel selbst „vernünftig“ ausgewählt ist. Formale R. wird konstatiert, indem man die gewählten Mit-
tel an den Zielen des Akteurs prüft. Diese Fassung des Rationalprinzips ist mit dem → ökonomischen Prinzip identisch, und als bloßes Effizienzprinzip ethisch indifferent. Zwar ist formale R. immer relativ und kann nicht rationaler sein als das Ziel, dem sie dient; gleichwohl ist das in ihr aufgehobene Bild des freien, aufgeklärten Menschen, der aktiv handelt und gestaltet, auch pädagogisch relevant (vgl. Neuweg 1997). Das substantielle Rationalprinzip (materielle R., Wert-R.) fordert dagegen Vernünftigkeit in Ziel- und Mittelwahl und ist insofern absolut; es bezieht sich auf die Rechtfertigung der auszuwählenden Handlungsalternativen und Nebenwirkungen vor sich und anderen. Substantielle R. wird konstatiert, indem man die vom Akteur gewählten Ziele und Mittel mit als richtig angesehenen Zielen vergleicht. Welche Ziele und daraus resultierenden Handlungsalternativen und Nebenwirkungen im Einzelfall als verantwortbar gelten, worin also substantielle R. bestehen soll, hängt weitgehend von ethischen Überzeugungen ab. So lassen sich mit Relevanz für wirtschaftliche Handlungen etwa eine wirtschaftliche, eine soziale, eine technische und eine ökologische R. unterscheiden. R. als Verhaltenshypothese: Generell erweist es sich als schwierig, das Rationalprinzip als Hypothese zu falsifizieren. Zu unterscheiden ist zwischen subjektiver und objektiver R. Objektiv rational handelt, wer die tatsächlich bestgeeignete Handlungsalternative ergreift, wie sie auch für einen außenstehenden, vollständig informierten Beobachter als solche erkennbar ist. Subjektiv rational handelt, wer die vor dem Hintergrund seines (unter Umständen unvollständigen oder mit Irrtum behafteten) Informationsstandes bestgeeignete Handlungsalternative wählt. Das Vorliegen subjektiver R. ist schwer nachzuprüfen, weil der Beobachter nicht wissen kann, was der Entscheidende im Entscheidungszeitpunkt wußte und dachte. Objektive wie subjektive R. schließlich können nur konstatiert werden, wenn die Ziele des Handelnden bekannt sind. Erschließt man diese Ziele aus seinen Handlungen, ist das Rationalprinzip als Hypothe505
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se nicht mehr widerlegbar. Inwieweit Menschen in bestimmten Situationen tatsächlich vernünftig handeln, versucht insbesondere die empirisch-realistische Entscheidungstheorie zu klären; sie analysiert im interdisziplinären, v. a. verhaltenswissenschaftlichen Zugriff die kognitiven Prozesse, die dem Entscheidungshandeln zugrundeliegen (klassisch: Kirsch 1977, Simon 1957) und wendet sich psychologischen und soziologischen Rationalitätshemmnissen zu. Gegen die Modellannahme einer absoluten R. wird u. a. eingewandt, daß Menschen über eine begrenzte Informationsverarbeitungskapazität verfügen, Informationen bevorzugen, die ihrer Erwartungshaltung entsprechen, Nebenwirkungen häufig übersehen, Langzeitwirkungen unterschätzen, Informationen über unangenehme Konsequenzen unterdrücken, in hohem Maße routinisiert handeln u. dgl. Allgemein ist davon auszugehen, daß Rationalhandeln in der Praxis selten Maximierungshandeln, sondern eher das bewußte Treffen einer befriedigenden, wenn auch nicht optimalen, Wahl ist. R. in der ökonomischen Theorie: Die → Wirtschaftswissenschaften kennzeichnen den Menschen traditionell als Entscheidungswesen. Während insbesondere die entscheidungsorientierte und die verhaltenstheoretische → Betriebswirtschaftslehre von vergleichsweise schwachen R.annahmen ausgehen, dominiert in der → Volkswirtschaftslehre, v. a. in den einfachen Modellen der Mikroökonomik, die Modellvorstellung des uneingeschränkt rational handelnden → homo oeconomicus; auf der Grundlage vollständiger Information über alle Handlungsalternativen und ihre Auswirkungen und ausgestattet mit einer unbegrenzten Informationsverarbeitungskapazität maximiert er seinen individuellen Nutzen. Sein anthropologischer und methodologischer Stellenwert (Hypothese, Semifiktion, Fiktion oder Norm) ist umstritten (vgl. Schlösser 1992, S. 33 ff., Schneider 1995, S. 126 ff., Neuweg 2003). Die traditionelle Mikroökonomik arbeitet mit Modellen formaler und substantieller R. gleichermaßen. In der Haushaltstheorie werden rationale Wahlhandlungen zwischen Güterbün506
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deln angenommen, ohne den Haushalt auf konkrete Bewertungskriterien, Motive oder Ziele festzulegen (formale R.). In der Theorie der Unternehmung dagegen wird angenommen, daß für die Wahl der Produktionspläne das Bewertungskriterium Gewinnhöhe herangezogen wird (substantielle R.). Typisch für die ältere Volkswirtschaftslehre ist die Annahme, die eigennutzorientierte R. der Individuen führe letztlich auch zu einem gesamtwirtschaftlich „rationalen“ Ergebnis. Mit zunehmendem Zweifel an der quasiautomatischen Parallelschaltung individueller und kollektiver R. rückt jedoch die Notwendigkeit einer rationalen → Wirtschaftspolitik und die Frage nach der Ausrichtung ihrer substantiellen R. in den Blick (→ Wohlfahrtsökonomie). Die neuere Ökonomik gibt den substantiellen, auch in der Haushaltstheorie primär auf materielle Güter und Wünsche gerichteten R.-begriff zugunsten einer mehr formalen Variante zunehmend auf und prägt stärker formalwissenschaftliche Züge aus. Zwar wird den Akteuren weiterhin → Eigennutz unterstellt; das Eigennutzaxiom schließt aber auch immaterielle Güter ein. Die ökonomische Verhaltenstheorie entwickelt sich auf diese Weise zunehmend zu einem allgemeinen sozialwissenschaftlichen Ansatz zur Erklärung und Prognose menschlichen Verhaltens in auch außerwirtschaftlichen Situationen (vgl. Becker 1993; Frey 1990, Krol 2005, McKenzie/Tullock 1984). So werden z. B. Probleme der → Berufswahl oder das Heirats- und Freizeitverhalten einer ökonomischen Analyse zugänglich. Empirischen Gehalt gewinnt der Ansatz insbesondere auch dadurch, daß er R. auf sich selbst anwendet: Wenn die → Kosten einer extensiven Entscheidung (insbesondere die zusätzlichen Informationskosten) den → Nutzen in Gestalt einer Verbesserung des Entscheidungsergebnisses übersteigen, kann Gewohnheitsverhalten durchaus rational sein und so das Rationalprinzip eher bestätigen als widerlegen. Die erstaunlichen Erklärungsleistungen der ökonomischen Verhaltenstheorie sind durchaus dazu angetan, R. als Erklärungsprinzip zu rehabilitieren; allerdings ist der Vor-
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wurf einer gewissen Tautologisierung ihres Grundmodells, wie ihn jede Formalisierung und Subjektivierung des R.-begriffes mit sich bringt, nur in dem Maße zu entkräften, in dem es zum einen gelingt mitanzugeben, was die Menschen jeweils konkretinhaltlich als Nutzen und was als Kosten in ihr Rationalitätskalkül einspeisen, und zum anderen menschliches Handeln nicht nur im nachhinein erklärt sondern auch prognostiziert wird. Ein gegenläufiger Trend zur inhaltlichen Entleerung des Rationalprinzips, wie er in der modernen ökonomischen Verhaltenstheorie zum Ausdruck kommt, ist in der anhaltenden Diskussion um die → Wirtschafts- und Unternehmensethik zu erkennen, die auf eine substantielle Grundlegung ökonomischer R. drängt (vgl. Ulrich 1993, 2001; Neuweg 1997). Literatur: Bamberg, G./Coenenberg, A. G.: Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre. 14. Aufl. München 2008; Becker, G. S.: Der ökonomische Ansatz zur Erklärung menschlichen Verhaltens. 2. Aufl. Tübingen 1993; Frey, B. S.: Ökonomie ist Sozialwissenschaft. München 1990; Gäfgen, G.: Theorie der wirtschaftlichen Entscheidung. 3. Aufl. Tübingen 1974; Kirsch, W.: Einführung in die Theorie der Entscheidungsprozesse. 2. Aufl. Wiesbaden 1977; Krol, G. J.: Ökonomische Verhaltenstheorie. In: Handbuch zur ökonomischen Bildung. Hg. v. H. May. 9. Aufl. München, Wien 2008, S. 15 ff.; McKenzie, R. B./Tullock, G.: Homo oeconomicus. Frankfurt, New York 1984; Neuweg, G. H.: Wirtschaftspädagogik u. „ökonomische Verhaltenstheorie“. In: Konzeptionelle Ansätze ökonomischer Bildung. Hg. v. K.-P. Kruber. Bergisch Gladbach 1997, S. 103 ff. ; Neuweg, G. H.. Zwischen Standesamt und Scheidungsrichter: Die Wirtschaftspädagogik und der „homo oeconomicus“. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik 99 (2003) 3, S. 350 – 367. Schlösser, H. J.: Das Menschenbild in der Ökonomie. Köln 1992; Schneider, D.: Betriebswirtschaftslehre. Bd. 1: Grundlagen. 2. Aufl. München, Wien 1995; Simon, H. A.: Administrative Behavior. 2. Aufl. New York 1957. Ulrich, P.: Transformation der ökonomischen Vernunft. 3. Aufl. Bern,
Rau, Karl Heinrich
Wien 1993; Ulrich, P.: Integrative Wirtschaftsethik. 4. Aufl. Bern, Wien 2008. Prof. Dr. Georg Hans Neuweg, Linz Rationalprinzip ⇒ Vernunftprinzip. Rationierung Einschränkung der → Nachfrage. → staatliche Preispolitik. Rau, Karl Heinrich *1792 (Erlangen) †1870 (Heidelberg), wird 1822 Professor für Staatswirtschaft in Heidelberg. 1839 wird er in die Erste Kammer Badens berufen und 1848 wird er Mitglied der Paulskirchenversammlung in Frankfurt. Anfänglich ist Rau in seinen Schriften (z. B. Grundriß der Kameralwissenschaft, 1823) noch stark der Kameralistik, der deutschen Sonderform des → Merkantilismus, verpflichtet. In seinem bekanntesten Werk, dem Lehrbuch der politischen Ökonomie (3 Bde, 1826 ff.), steht er schon ganz in der moderneren klassischen Tradition der englischen Nationalökonomie, vor allem der → Adam Smiths. Das Buch ist die erste systematische Darlegung der neuen → Ökonomie in Deutschland und macht R. zum eigentlichen Begründer der deutschen → Volkswirtschaftslehre. R. Verdienste liegen weniger in seiner Originalität als ökonomischer Denker, als vielmehr in seiner Fähigkeit zu systematisieren. Die Einteilung der → Wirtschaftswissenschaften in Volkswirtschaftslehre, Volkswirtschaftspolitik und Betriebswirtschaft stammt von ihm. In späteren, verbesserten Auflagen des Lehrbuchs, das bis Ende des Jahrhunderts Standardwerk in Deutschland ist, wendet sich R. immer mehr einer liberalen und freihändlerischen Position zu, der er anfänglich noch sehr skeptisch gegenüberstand. 1858 wird er Mitbegründer des Kongreß der Volkswirthe, der wichtigsten Organisation der Freihandelsbewegung in Deutschland. Literatur: H. C. Recktenwald, Rau, Karl Heinrich; in: The New Palgrave, Bd. IV, S. 96 f.; P. Rosner, Wirtschaftsliberalismus und Staatseingriffe bei Karl Heinrich Rau, Wien 1988; H. Winkel, Die deutsche Natio507
Rau, Karl Heinrich
Rechtsmittel
nalökonomie im 19. Jahrhundert, Darmstadt 1972, S. 20 ff. D. D. Realeinkommen Gütermenge, die mit einem bestimmten → Nominaleinkommen gekauft werden kann. Zur Berechnung des R. dividiert man das Nominaleinkommen durch einen entsprechenden → Preisindex (z. B. → Lebenshaltungskostenindex). Realisation im betriebswirtschaftlichen brauch ⇒ Produktion.
Sprachge-
Realkapital → Kapital. Reallohn Gütermenge, die mit einem bestimmten → Nominallohn gekauft werden kann. Zur Berechnung des R. dividiert man den Nominallohn durch einen entsprechenden → Preisindex (z. B. → Lebenshaltungskostenindex). Realsteuern → Besitzsteuern. Realzins der tatsächliche Ertrag (→ Zins) eines → Wertpapiers aus dem/der jeweiligen → Kurs bzw. → Dividende. Gegensatz: → Nominalzins. Recht 1. im objektiven Sinn: die Gesamtheit der geltenden Rechtsnormen. 2. im subjektiven Sinn: → Anspruch. 3. im wirtschaftlichen Sinn: soweit R. gehandelt werden (z. B. → Patente, → Lizenzen, Nutzungsrechte wie → Miete, → Pacht) gelten sie als → Güter. rechtliches Interesse liegt vor, wenn Rechtsverhältnisse oder ein Rechtsstreit der Betroffenen berührt wird; so setzt unter bestimmten Umständen Akteneinsicht (bei Ämtern) durch Unbeteiligte die Glaubhaftmachung eines r. voraus. Nicht zu verwechseln mit → berechtigtem Interesse. 508
Rechtsbehelfe 1. generell: Bezeichnung für → Rechtsmittel. 2. speziell: prozessuale Möglichkeiten zur Herbeiführung einer Nachprüfung ergangener Entscheidungen außerhalb der eigentlichen Rechtsmittel. 3. Arten: (a) förmliche R.; sie sind meist an eine bestimmte Frist und → Form gebunden (z. B. → Einspruch). (b) unvollkommene R.; sie sind in der Regel nicht an eine bestimmte Frist oder Form gebunden (z. B. Dienstaufsichtsbeschwerde). Rechtsbeschwerde → Rechtsbehelf, mit dem nur Rechtsverletzungen (z. B. im Steuerrecht, → Arbeitsrecht) gerügt werden können. Siehe auch: → Beschwerde. rechtsfähiger Verein → Verein. Rechtsfähigkeit die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Die R. besitzen alle → natürlichen und → juristischen Personen. Rechtsgeschäfte aus einer oder mehreren → Willenserklärungen sich ergebende Tatbestände, aus denen sich Rechtsfolgen entwickeln. Je nachdem, ob R. durch die Willenserklärung einer Person (z. B. → Kündigung, → Testament) oder durch inhaltlich übereinstimmende Willenserklärungen von zwei oder mehreren Personen (Parteien) zustande kommen, spricht man von einseitigen oder mehrseitigen R. Mehrseitige R. werden allgemein als → Verträge bezeichnet. Allgemeine Vorschriften über R.: §§ 104 – 185 Bürgerliches Gesetzbuch, so insbesondere bezüglich → Nichtigkeit, → Anfechtung, → Formvorschriften. Rechtsmängel → Mängel. Rechtsmittel förmliche, gesetzlich zugelassene → Rechtsbehelfe zur Erwirkung der Überprüfung einer Entscheidung. R. sind: gegen Urteile eines Gerichtes → Berufung und → Revision; in bestimmten Fällen → Einspruch und → Beschwerde.
Rechtsordnung
Rechtsordnung ist die Gesamtheit aller Gesetze, Rechtssätze und Rechtsvorschriften, die die Grundprinzipien des Zusammenlebens der Gemeinschaft regelt, das Verhältnis der Menschen zueinander, zu übergeordneten Hoheitsträgern oder zwischen diesen. Sie bildet in sich eine Einheit, in welcher Spannungsverhältnisse und Widersprüche zum Ausgleich gebracht werden. Menschliches Verhalten, das der R. entspricht, wird als rechtmäßig, das ihr widersprechende Verhalten als rechtswidrig bezeichnet. Die R. ist nicht statisch, sondern variiert in Raum und Zeit. Was hier und heute der R. entspricht, unterliegt dem → Wertewandel zeitlicher und örtlicher Gepflogenheiten. Neben der jeweiligen R. stehen andere, fremde R. Verschieden von ihr ist oftmals die Rechtswirklichkeit. Die Regeln der rechtlichen Ordnung können ausdrücklich gesetzt oder ungeschrieben sein. Gesetz im materiellen Sinne ist jede Rechtsnorm, während als Gesetz im formellen Sinne jeder Beschluß der zur Gesetzgebung zuständigen Organe verstanden wird, der im verfassungsmäßig vorgesehenen förmlichen Verfahren ausgefertigt und verkündigt ist. Gesetz ist damit jede geschriebene Rechtsnorm einschließlich der Verfassungsbestimmungen, Rechtsverordnungen, Satzungen und unmittelbar anwendbares EG-Recht. Wegen des Vorrangs der Verfassung sind Gesetze nur gültig, wenn sie nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen. Aufgrund der Normenhierarchie sind sämtliche formellen Gesetze mit höherem Rang ausgestattet als die auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen, Satzungen, → Tarifverträge und → Betriebsvereinbarungen. Die R. werden gegenüber den Satzungen, die Tarifverträge gegenüber den Betriebsvereinbarungen als höherrangig angesehen. Der Rang des für anwendbar erklärten Völkerrechts in der innerstaatlichen Normenhierarchie ist nicht abschließend geklärt. Die R. umfaßt eine beträchtliche Anzahl untergesetzlicher Vorschriften, an deren Zustandekommen die Legislative nicht beteiligt ist. Die zunächst nur intern geltenden Verwaltungsvorschriften wirken zunehmend als gesetzesauslegende, ermessen-
Rechtsordnung
slenkende oder auch – rechtsstaatlich bedenklich – als gesetzesvertretende Anordnungen nach außen. Die Verwaltungsvorschriften im engeren Sinne werden durch Regelungen ergänzt, die wie Verwaltungsvorschriften angewendet werden, wie z. B. DIN-Normen oder technische Regeln. Neben dem nur bei Verfassungsmäßigkeit gültigen geschriebenen Recht ist Teil der R. das ungeschriebene Recht. Damit sind grundlegende Prinzipien der R. angesprochen, die sich in unterschiedlichen Ausprägungen entfalten. Das Recht im Sinne der Gerechtigkeit, der sich das „Gesetz“ in totalitären Regimen der Vergangenheit zunehmend entfremdete, hat namentlich Bedeutung für die Anwendung der Gesetze durch Exekutive und Judikative – ungeachtet der Bindung an geschriebene Rechtsnormen bleibt sie zugleich der Gerechtigkeit verpflichtet. Zudem ist die Geltung von Gewohnheitsrecht anerkannt, das aber bei grundrechtsbeschränkender Wirkung nicht mehr neu entstehen kann. Recht und Moral entsprechen sich nicht zwangsläufig. Die Moral betrifft die Gesinnung des Menschen, während das staatlich institutionalisierte Recht sein äußeres Verhalten im Zusammenleben mit Dritten regelt. Scheinbar ungeachtet dieser Trennung ordnet das geschriebene Recht einschneidende Rechtsfolgen an, wenn eine Tat, vgl. § 228 StGB, oder ein Rechtsgeschäft, vgl. § 138 BGB, gegen die → ,guten Sitten‘ verstößt. Ein solcher Verstoß liegt vor, wenn eine Handlung dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden zuwiderläuft. Die ‚guten Sitten‘ sind jedoch weder im Sinne historisch überlieferter Moralauffassungen noch gesinnungsethischer Sittlichkeit zu verstehen, sondern als Minimum an sittlicher Handlungsweise bei dem zu beurteilenden Vorgehen. Was das ethische Minimum ausmacht, ist auf der Grundlage des materiellen Rechtsstaatsprinzips den Grundwerten der geltenden R., in Ermangelung einer rechtlichen Konkretisierung den anerkannten moralischen und ethischen Vorstellungen der Gesellschaft zu entnehmen. Bei Einteilung nach dem Gegenstand der rechtlichen Regelung wird unterschieden 509
Rechtsordnung
zwischen öffentlichem und privatem Recht. Das öffentliche Recht regelt das Verhältnis des einzelnen zu den Trägern öffentlicher Gewalt sowie das der Verwaltungsträgerzueinander. Dazu zählen u. a. Völker-, Staats-, Verwaltungs-, Kirchen-Strafrecht, aber auch Zivilprozess- und Strafprozeßrecht. Das Privatrecht ordnet die Rechtsbeziehungen zwischen Gleichberechtigten. Zentrale Regelungsmaterien sind das Bürgerliche Gesetzbuch mit seinen Ergänzungsgesetzen, das Handels-, Wechsel-, Scheck- und Wertpapierrecht, das Urheber- und Erfinderrecht und das Privatversicherungsrecht. Dieser strikten Trennung entziehen sich einige Bereiche des Wirtschafts-, Sozial- und → Arbeitsrechts. Kann von der Rechtsnorm durch Vereinbarung der Parteien abgewichen werden, so handelt es sich um nachgiebiges, anderenfalls um zwingendes Recht. Materielles Recht ordnet das Recht als solches, wie z. B. das bürgerliche Recht oder auch das Strafrecht. Demgegenüber werden die Normen, die der Durchsetzung des materiellen Rechts dienen, wie das Zivilprozeßrecht, das Strafprozeßrecht oder das Verwaltungsprozeßrecht, als formelles Recht bezeichnet. Prof. Dr. Brigitte Tag, Zürich Rechtspersönlichkeit → Rechtsfähigkeit. Rechtsschutz → Rechtsschutzversicherung. Rechtsschutz für Grundstückseigentum und Miete → Rechtsschutzversicherung. Rechtsschutz für Vereine → Rechtsschutzversicherung. Rechtsschutzversicherung Für die Durchsetzung von Rechtsansprüchen reicht häufig das eigene Engagement nicht aus. Sie erfordert vielmehr das Spezialwissen von Anwälten und nötigenfalls den Gang vor Gericht, das heißt die Klageerhebung. Dies kann unter Umständen mit erheblichen → Kosten verbunden sein, die – zumal wenn sie in ihrer endgültigen Höhe nicht abzusehen sind – manch einen Anspruchsberechtigten resignieren las510
Rechtsschutzversicherung
sen. Hier greift die Idee der R. Platz. Die R. übernimmt die zur Wahrung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers entstehenden Kosten. Diese umfassen: Rechtsanwaltskosten (für einen Anwalt nach freier Wahl am Ort des zuständigen Gerichts; Mehrkosten eines auswärtigen Anwalts gehen zu Lasten des Versicherungsnehmers), Gerichtskosten, Kosten für Privatgutachten usw. Außerdem unterstützt der Rechtsschutzversicherer den Versicherungsnehmer bei der Schadensfeststellung und bei der Auswahl eines entsprechenden Rechtsanwaltes. Eine rechtliche Beratung des Versicherungsnehmers ist dem Versicherer jedoch untersagt. Die R. unterliegt den Bestimmungen des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG, §§ 125 – 129); spezielle Vorschriften wurden in dieses Gesetz nicht aufgenommen. Es gelten außerdem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB). Heute werden folgende Arten von R. angeboten: 1. Rechtsschutz für den Verkehr: (a) den auf den Versicherungsnehmer persönlich bezogenen Verkehrs-Rechtsschutz, (b) den auf ein bestimmtes Fahrzeug bezogenen Fahrzeug-Rechtsschutz, (c) den für Berufsfahrer und vorwiegend mit fremden Fahrzeugen fahrende Personen angelegten Fahrer-Rechtsschutz. 2. Familienrechtsschutz: Er gewährt Rechtsschutz für die gesamte Familie des Versicherungsnehmers und zwar in zwei Beitragsklassen: (a) für Unselbständige (→ Arbeitnehmer, Hausfrauen, Rentner) und (b) für Selbständige (unter Ausschluß deren beruflicher Risiken; deren Rechtsschutz kann gesondert versichert werden). 3. Firmen-Rechtsschutz für Gewerbetreibende und freiberuflich Tätige. 4. Rechtsschutz für Vereine. 5. Rechtsschutz für Grundstückseigentum und Miete. 6. Rechtsschutzkombinationen: Sie verbinden Rechtsschutzarten nach Lebensbereichen, wie beispielsweise Verkehrs- und Familienrechtsschutz oder Landwirtschaftsund Verkehrsrechtsschutz für land- und forstwirtschaftliche Betriebe. Werden Gefahren aus dem Bereich der R. neben anderen Gefahren versichert, so müs-
Rechtsschutzversicherung
sen im Versicherungsschein der Umfang der Deckung in der R. und die hierfür zu entrichtende Prämie gesondert ausgewiesen werden (§ 126 VVG). Die in der Vergangenheit von Versicherern vielfach gepflegte Praxis, den Versicherungsvertrag dann zu kündigen, wenn bei einzelnen Versicherungsnehmern eine Schadenshäufigkeit festgestellt wurde, ist nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 27. 3. 1991 für alle vor dem 31. 12. 1991 abgeschlossenen R.-verträge unzulässig (§ 19 Abs. 2 ARB ist unwirksam!). Nur bei ab Jahresbeginn 1992 bestehenden oder sogenannten „umgestellten Verträgen“ kann der Versicherer Kunden mit einer bestimmten Schadenshäufung (2 Versicherungsfälle innerhalb von 12 Monaten!) kündigen. Recruiting Anwerbung und Auswahl von Personal. Seihe hierzu auch: → Assessment-Center. Rediskont(ierung) Weiterverkauf von diskontierten (→ Diskont), das heißt angekauften → Wechseln durch eine → Bank an die Zentralbank. Seit Beginn der → EWWU (1. 1. 1999) von der → Bundesbank nicht mehr praktiziert. Rediskontkontingent Höchstbetrag, bis zu dem eine → Bank angekaufte, das heißt diskontierte (→ Diskont) → Wechsel an die → Zentralbank zur Beschaffung flüssiger Mittel weiterverkaufen, das heißt rediskontieren (→ Rediskont) kann. Das R. wird für jede Bank von der Zentralbank festgelegt. Seit Beginn der → EWWU (1.1.1999) von der Bundesbank nicht mehr praktiziert. Redistribution ⇒ Umverteilung. Reduktion, didaktische → didaktische Reduktion. REFA ursprünglich (1929) Reichsausschuß für Arbeitszeitermittlung, seit 1977 REFA-Verband für Arbeitsstudien und Betriebsorganisation e. V.
Regreß
REFA-Studien vom → REFA-Verband für Arbeitsstudien und Betriebsorganisation e. V. betriebene → Arbeitszeit- und → Arbeitsablaufstudien. Mittels R. wird als Bezugsleistung für Arbeitsleistungen eine Normalleistung ermittelt. → Arbeitsbewertung. REFA-Verband für Arbeitsstudien und Betriebsorganisation e. V. → REFA. Referenzkurse Mit der Einführung des Eurohandels zum 1. 1. 1999 wurde die Deutsche Devisenbörse aufgelöst. An Stelle deren bisheriger Devisenkursnotierungen trat auf Beschluß der → EZB vom 7. 7. 1998 ein System von R. Dieses System sieht folgende Regelungen vor: (1) In den Teilnehmerländern der → EWWU entfällt das offizielle Devisenfixing. Die EZB veröffentlicht täglich um ca. 14.15 Uhr die zwischen deren Mitgliedstaaten vereinbarten R.; (2) die R. werden nach der indirekten Methode notiert, d. h.: 1 Euro = x Fremdwährungseinheiten; (3) → Geldkurse und → Briefkurse entfallen; es werden lediglich Mittelkurse bekanntgegeben; (4) es bleibt den Nationalbanken überlassen, weitere Kurse zu veröffentlichen. Regelungsabrede formlose (→ formfrei) mündliche Vereinbarung zwischen → Arbeitgeber und → Betriebsrat. R. haben keine Dauerwirkung, das heißt sie enden mit Ablauf der Zeit, für die sie eingegangen wurden, durch Zweckerreichung, → Aufhebungsvertrag oder durch → Kündigung. Die R. kommt insbesondere in Eilfällen oder bei Einzelmaßnahmen (z. B. → Überstunden) in Betracht. Regionaldirektion(en) für Arbeit → Bundesagentur für Arbeit. Regionalpolitik → Strukturpolitik. Regreß → Rückgriff; auch im Sinne von Anspruch auf → Schadensersatz verwendet. 511
Regulierung
Regulierung Eingriffe des Staates, insbesondere in die → Konsum-, → Gewerbe- und → Vertragsfreiheit, durch gesetzliche Vorgaben außerhalb der allgemeingültigen Ordnungsprinzipien. Reichensteuer (sog.) → Einkommensteuer. Reineinkommen → Nettoeinkommen. Reinertrag ⇒ Reingewinn. Reingewinn ⇒ Reinertrag der positive Saldo (= Differenz) aus der Summe der → Erträge und der Summe der → Aufwendungen. → Gewinn- und Verlustrechnung. Reisegepäckversicherung Versicherung zum Schutz gegen Beschädigungen und Verlust des Reisegepäcks. Für eine R. gelten neben den allgemeinen Rechtsgrundlagen die Allgemeinen Bedingungen für die Versicherung von Reisegepäck (AVBR). – Durch den Versicherungsvertrag wird nicht nur das (Reise-)Gepäck des Vertragschließenden versichert, sondern auch das Gepäck seiner mitreisenden, mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Angehörigen. Gepäckstücke unterliegen erst von dem Zeitpunkt an dem Versicherungsschutz, an dem sie zum unverzüglichen Antritt der Reise aus der Wohnung (zum Zug, Auto oder anderem) gebracht werden. Nach Beendigung der Reise muß der Versicherte die Gepäckstücke wieder unverzüglich in die Wohnung bringen. – Das versicherte Reisegepäck umfaßt sämtliche Gegenstände des persönlichen Reisebedarfs. Ausgenommen sind: (1) → Geld, → Wertpapiere, Fahrkarten, Urkunden, Dokumente sowie Kontaktlinsen und Prothesen; (2) Land-, Luft- und Wasserfahrzeuge mit Ausnahme von Falt- und Schlauchbooten, die solange versichert sind, als sie sich nicht im bestimmungsgemäßen Gebrauch befinden. – Ein eingeschränkter Versicherungsschutz gilt für Wertsachen, wie Pelze, Schmuck, Fotoapparate, Film- und Vi512
Reisegepäckversicherung
deogeräte. Die Versicherung knüpft deshalb an ihre Bereitschaft, einen eventuell eintretenden Schaden/Verlust zu regulieren, die Einhaltung gewisser Sicherheitsvorkehrungen durch den Versicherten. Dieser muß nämlich die Wertsachen: (1) bestimmungsgemäß tragen oder benützen, (2) in persönlichem Gewahrsam sicher verwahren und mit sich führen, (3) einem Beherbergungsbetrieb (Hotel, Pension u. ä.) zur Auf bewahrung übergeben oder (4) in einem ordnungsgemäß verschlossenen Raum oder einer bewachten Garderobe auf bewahren (lassen). – Auch dann, wenn der Versicherte die ihm obliegenden Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat, werden Schäden/ Verluste an/von Wertgegenständen nur bis zu 50 Prozent der Versicherungssumme ersetzt. Der Versicherungsschutz entfällt vollständig, wenn sich die Wertgegenstände in einem unbeaufsichtigt abgestellten Fahrzeug oder Anhänger befanden. Als beaufsichtigt gilt ein Gegenstand nur dann, wenn der Versicherte oder eine Vertrauensperson von diesem ständig anwesend ist und die Sache nicht aus den Augen läßt. – Vom Versicherungsschutz ausgenommen sind Schäden/Verluste, die durch Krieg, Bürgerkrieg, innere oder kriegsähnliche Unruhen, durch radioaktive Gefahrenherde, durch Beschlagnahme, Entziehung oder sonstige Eingriffe von staatlicher Seite herbeigeführt werden. Ebenfalls nicht durch die R. abgedeckt sind Schäden/Verluste an/ von Gepäckstücken, die während des Zeltens oder Campings entstehen. Derlei Risiken können bei manchen Versicherern gegen einen Aufpreis mitversichert werden. – Für verlorengegangene Gegenstände des Reisegepäcks tritt die Versicherung nur dann ein, wenn diese nicht liegen-, stehenoder hängengelassen wurden. Aber auch in diesen Fällen zahlt die Versicherung nur 10 Prozent der Versicherungssumme bis höchstens 400 Euro. Dieselbe Begrenzung des Versicherungsschutzes gilt für Geschenke und Reiseandenken. – Werden Gegenstände des Reisegepäcks aus einem Kraftfahrzeug oder einem Anhänger gestohlen, so deckt die Versicherung den Schaden nur, wenn alle Fenster und Türen geschlossen beziehungsweise abgeschlossen waren. Darüber
Reisegepäckversicherung
hinaus haben die Versicherungen ihre Ersatzpflicht für Diebstähle aus Kraftfahrzeugen und Anhängern durch folgende Klauseln weiter eingeschränkt: (1) Der Schaden muß zwischen 6.00 und 22.00 Uhr eingetreten sein (Tageszeitklausel); (2) das Fahrzeug muß in einer abgeschlossenen Garage abgestellt sein (Parkhäuser u. Tiefgaragen erfüllen diese Anforderung nicht!); (3) der Schaden muß während einer Unterbrechung der Fahrt von nicht mehr als 2 Stunden eingetreten sein. Nach § 11 Abs. 1 AVBR darf der Versicherer seine Leistung ganz oder teilweise (→ Quotenregelung) verweigern, wenn der Versicherungsnehmer den Schadensfall durch → Vorsatz oder grobe → Fahrlässigkeit herbeigeführt hat. Auch bei der R. hat der Versicherte im Schadensfall eine Reihe von → Obliegenheiten, deren grob fahrlässige oder vorsätzliche Nichtbeachtung die Versicherung von der Leistungspflicht ganz oder teilweise befreit. So muß der Versicherte: (1) unverzüglich das Beförderungsunternehmen oder den Beherbergungsbetrieb von dem bei ihm entstandenen Schaden in Kenntnis setzen; (2) falls der Schaden durch straf bare Handlung entstanden ist, unverzüglich Anzeige bei der (örtlich) zuständigen Polizeidienststelle erstatten und sich darüber eine Bescheinigung ausstellen lassen; (3) falls etwas verloren ging, im Fundbüro nachfragen, ob etwas abgegeben wurde; (4) unverzügliche Schadensmeldung an die Versicherung (in der Regel nach Rückkehr von der Reise) erstatten; (5) den Schaden möglichst gering halten, gegebenenfalls weitere Schäden abwenden und den eventuellen Weisungen des Versicherers folgen; (6) das ihm Mögliche zur Aufklärung des Falles tun; (7) die ihm verfügbaren Belege zum versicherten Reisegepäck der Versicherung einreichen oder (falls möglich/zumutbar) beschaffen. Weist der Versicherer dem Versicherten nach, daß er falsche Angaben über den Schadensfall machte, so kann er die Schadensregulierung verweigern. Es empfiehlt sich, darauf zu achten, daß der tatsächliche Wert des Reisegepäcks nicht höher liegt als die Versicherungssumme,
Reisevertrag
da sonst → Unterversicherung vorliegt und damit die Versicherung im Schadensfall entsprechend weniger zahlt. Der tatsächliche Wert der Reisegepäckstücke bemißt sich nach dem sogenannten Zeitwert. Dies ist der Betrag, der erforderlich wäre, um die Gegenstände neu am Wohnort des Versicherten zu kaufen unter Abzug eines dem Zustand der versicherten Sachen (d. h. eines der Abnutzung) entsprechenden Betrages. Reisemangel → Mängel 3. Reiserücktritt → Reisevertrag. Reisevertrag → Vertrag zwischen Reiseveranstalter (Reisebüro) und Reisendem. Der R. wird durch das → Reisevertragsgesetz geregelt. Danach ist der Reiseveranstalter zur Erbringung der zugesagten Leistungen und der Reisende zur Zahlung des vereinbarten Reisepreises verpflichtet. Der Veranstalter haftet für die zugesagten Leistungen nach → Gewährleistungsansprüchen ähnlich dem Kauf (→ Kaufvertrag). Bei der sogenannten Pauschalreise verpflichtet sich der Reiseveranstalter zur Erbringung verschiedener (mindestens 2) Hauptleistungen (Unterkunft, Verpflegung, Transport) und Sonderleistungen/Nebenleistungen (wie Ausflüge, Unterricht u. ä.). Eine Vertragsklausel, wonach der Veranstalter einzelne Leistungen lediglich vermittelt, ist bei den Hauptleistungen unzulässig, bei Nebenleistungen nur unter deutlichem Hinweis darauf. – Hinsichtlich der angebotenen, im Reiseprospekt beschriebenen Leistungen hat der Reisveranstalter – vor allem bei dem angebotenen Hotel – deren Eigenschaften wahrheitsgemäß zu beschreiben, wobei er auch auf bedeutsame negative Eigenschaften (Strandentfernung, Baustellenlärm, laute Musik von Night-Clubs u. a.) hinzuweisen hat. Werden mit dem Veranstalter Sonderleistungen vereinbart, so werden diese Bestandteil des R. – Zu den Nebenpflichten des Reiseveranstalters zählen insbesondere: Informationspflicht über Einreisebestimmungen und über im voraus bekannte bevorstehende Beeinträchtigungen, Obhuts513
Reisevertrag
und Fürsorgepflicht hinsichtlich der körperlichen Unversehrtheit des Reisenden und seines Vermögens. – Der vom Reisenden zu zahlende Reisepreis ergibt sich verbindlich aus der Reisebestätigung. Die Zahlung erfolgt in der Regel in zwei Teilbeträgen: eine Anzahlung bei Erhalt der Reisebestätigung, die Restzahlung nach Zugang der wichtigsten Reiseunterlagen (wie Flugtickets, Hotelgutscheine u. a.) gewöhnlich kurz vor Antritt der Reise. Treten im Verlauf der Reise Mängel (siehe weiter unten Reisemangel) in Erscheinung, so ist der Reisende verpflichtet, diese → unverzüglich der Reiseleitung anzuzeigen. Auf zumutbare Ersatzangebote seitens der Reiseleitung muß der Reisende eingehen. Vor Antritt der Reise kann der Reisende nach § 651 i Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in jedem Fall zurücktreten (Reiserücktritt); er muß dann jedoch in der Regel dem Reiseveranstalter eine Entschädigung (Stornopauschale) zahlen, die in ihrer Höhe jedoch recht unterschiedlich ausfallen kann. Das Recht zur vorzeitigen → Kündigung des R. steht nach § 651j BGB sowohl dem Reisenden als auch dem Reiseveranstalter dann zu, wenn die Reise durch → höhere Gewalt, die bei Vertragsabschluß nicht vorhersehbar war, erheblich erschwert, gefährdet oder beeinträchtigt wird. Nach § 651 c Abs. 1 BGB liegt ein Reisemangel immer dann vor, wenn die tatsächliche Leistung des Reiseveranstalters hinter der im R. vereinbarten zuzurückbleibt. Geringfügige Abweichungen der erbrachten Leistung(en) von der/den vereinbarten Leistung(en) hat der Reisende hinzunehmen. Liegt ein Reisemangel vor, muß der betroffene Reisende zunächst Abhilfe, das heißt Herstellung des vertragsgemäßen Zustandes, verlangen. Dieses Verlangen hat er gegenüber der örtlichen Reiseleitung geltend zu machen; es sei denn, daß der Reiseveranstalter dem Reisenden in den Reiseunterlagen bestimmte andere Personen als Ansprechpartner benannt hat. Die Reiseleitung muß zeitlich und örtlich erreichbar sein. Es kann dem Reisenden bei Auslandsreisen nicht zugemutet werden, sich mit dem 514
Reisevertrag
Reisveranstalter in Deutschland in Verbindung zu setzen. Die verlangte Abhilfe hat gegebenenfalls in kürzester Zeit ohne zusätzliche Kostenbelastung (Aufpreis) zu erfolgen. Es kann dabei dem Reisenden zugemutet werden, daß er in eine andere, gleichwertige aber mangelfreie Unterkunft umzieht. Wird keine oder keine anspruchsgerechte Abhilfe geschaffen, so stehen dem Reisenden folgende Rechte zu: (1) Er kann nach Verstreichen einer gesetzten Frist zur Selbsthilfe greifen und Ersatz der ihm dabei entstehenden Kosten verlangen (z. B. Umzug in ein anderes Hotel). (2) Er kann – wenn nach gesetzter Frist erhebliche Mängel nicht behoben sind – den Vertrag vorzeitig kündigen und vom Reiseveranstalter seine unverzügliche Beförderung nach Hause verlangen. Eine Berechnung der bis dahin am Urlaubsort erbrachten Leistungen muß sich der Reisende nur dann gefallen lassen, wenn sie für ihn überhaupt noch einen Wert hatten. (3) Er kann am Urlaubsort bleiben und wegen Reisemängel eine Minderung des Reisepreises und damit eine Teilrückerstattung der bereits bezahlten Reisekosten verlangen. Voraussetzung für eine Minderung des Reisepreises ist die unverzügliche Anzeige des Mangels und die verlangte Abhilfe. Führt der Reisemangel beim Reisenden zusätzlich zu einem Körperschaden, so trifft den Veranstalter unter Umständen eine zusätzliche → Schadensersatzpflicht (§ 651 f Abs. 1 BGB). Ein Anspruch auf zusätzliches → Schmerzensgeld für erlittenen Körperschaden steht dem Reisenden allerdings nur dann zu, wenn der Tatbestand der → unerlaubten Handlung vorliegt, der ein eigenes → Verschulden des Reiseveranstalters oder seiner Verrichtungshilfen (d. s. Angestellte des Reisebüros, Reiseleiter) voraussetzt. Ist die Reise vereitelt oder beeinträchtigt worden, so steht dem Betroffenen nach § 651 f Abs. 2 BGB ein zusätzlicher Anspruch auf eine angemessene Entschädigung wegen „verlorener“ Urlaubszeit zu. Dieser Tatbestand ist dann gegeben, wenn: (1) die Reise überhaupt nicht stattfand und der Betroffene seinen Urlaub zu Hause ver-
Reisevertrag
brachte oder (2) die Reise wegen einer berechtigten Kündigung vorzeitig abgebrochen wurde oder (3) die Reise mit solchen Mängeln behaftet war, daß sie als „Reinfall“ qualifiziert werden muß. Der Reiseveranstalter kann seine → Haftung gegenüber den oben aufgezeigten Schadensersatzansprüchen auf das Dreifache des Reisepreises beschränken (§ 651 h Abs. 1 BGB). Diese Beschränkung gilt jedoch nur solange, als der Reiseveranstalter oder seine Mitarbeiter nicht vorsätzlich (→ Vorsatz) oder grob fahrlässig (→ Fahrlässigkeit) gehandelt haben. Der Reisende muß sämtliche Ansprüche innerhalb eines Monates nach Beendigung der Reise gegenüber dem Reiseveranstalter geltend machen (§ 651 g Abs. 1 BGB). Eine gegebenenfalls am Urlaubsort gegenüber der örtlichen Reiseleitung abgegebene → Mängelanzeige befreit nicht von dieser Pflicht. Weigert sich der Reiseveranstalter ganz oder teilweise, die Ansprüche des Reisenden zu regulieren, dann muß dieser – um seine Ansprüche nicht zu verlieren – innerhalb von 6 Monaten (nach Zurückweisung seines Anspruches durch den Veranstalter) → Klage erheben. Die Vorschriften des R.-rechtes sind auf Ferienhausverträge entsprechend anzuwenden. Reisevertragsgesetz v. 4. 5. 1979 geregelt in §§ 651 a – k Bürgerliches Gesetzbuch. REITs Abk. für Real Estate Investment Trusts; → Immobilienfonds in der → Unternehmensrechtsform einer → Aktiengesellschaft, deren → Investitionen ausschließlich in → Immobilien erfolgen. Von Kapitalanlegern können Fondsanteile über → Aktien der Fondsgesellschaft erworben werden. Relevanzprinzipien, wirtschaftsdidaktische Ein Kernproblem des Wirtschaftslehreunterrichts liegt in der Frage, nach welchen Prinzipien die Auswahl der Lernziele und -inhalte erfolgen soll, denn die unübersehbare Fülle der sich grundsätzlich anbietenden Informationen erfordert zwingend
Relevanzprinzipien, wirtschaftsdidaktische
eine Selektion. Es gibt zahlreiche Bemühungen um Kriterienbildung, in denen versucht wird, durch prägnante Leitideen eine intersubjektiv nachvollziehbare Inhaltsauswahl zu begründen. Bis heute sind Klafkis fünf Grundfragen der didaktischen Analyse aus den 1960er Jahren bekannt: Gesucht wird nach dem allgemeinen Sinn- und Sachzusammenhang, der Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung, der Struktur und den besonderen Fällen zur Veranschaulichung eines möglichen Inhalts. Angelehnt an Reetz wird in der wirtschaftsdidaktischen Diskussion insbesondere die Kombination von drei Leitideen als sinnvoll angesehen: 1. Wissenschaftsprinzip: Demzufolge sollte zunächst nichts gelehrt werden, was den aktuellen Standards und Erkenntnissen der Wissenschaft widerspricht. Ferner sind bei der Stoffauswahl fundamentale Grundbegriffe und sachliche Zusammenhänge zu erfassen, typische Erkenntnismethoden und Arbeitstechniken zu vermitteln. Bei konkurrierenden Theorierichtungen sollte eine dem wissenschaftlichen Diskussionsstand unangemessene Einseitigkeit vermieden werden. Für den Wirtschaftslehreunterricht sind dabei nicht nur die → Volks- und → Betriebswirtschaftslehre relevante Bezugspunkte. Die Erkenntnisse benachbarter Disziplinen wie Psychologie, Politologie, Soziologie, Jurisprudenz usw. sind einzuschließen. 2. Situations- oder Praxisprinzip: Der Unterricht sollte sich auf gegenwärtige und zukünftige Lebenssituationen der Lernenden in den Feldern → Arbeit und → Beruf (Beruf und → Berufswahl, Arbeitsplatzanforderungen, → Arbeitsentgelt usw.), → Konsum (Verbrauch und → Sparen, → Markt, Preisbildung, → Werbung, usw.) und Gesamtwirtschaft (→ Steuern, öffentliche Leistungen, → Geldwert, → Arbeitslosigkeit, ökologische Probleme, internationale Wirtschaft usw.) beziehen und zu deren Bewältigung qualifizieren. Dieses erfordert, – „die methodischen Instrumente zur Identifikation, Beschreibung und Prognose von Lebenssituationen weiterzuentwikkeln; 515
Relevanzprinzipien, wirtschaftsdidaktische
– Erhebungen und Analysen gesellschaftlicher Leistungsanforderungen in gezielt pädagogischer Perspektive durchzuführen …; – Erfahrungswissen von Praktikern für situationsspezifische Problemlösungen zu sammeln …“ (Hentke 1986, S. 117) 3. Persönlichkeitsprinzip: Der Lernende soll zu einer Persönlichkeit entwickelt werden, die über Sach-, Selbst- und Sozialkompetenz verfügt. Es werden auch die Begriffe Tüchtigkeit, Selbstbestimmung (Autonomie) und Verantwortung genannt. Tüchtigkeit ist die Fähigkeit zur sachgerechten und wirksamen Problemlösung in den drei vorgenannten Situationsfeldern. Selbstbestimmung bedeutet selbstbewußtes und kritisch reflektiertes Handeln. Verantwortung letztlich besagt, die sozialen Folgen individuellen Handelns zu berücksichtigen. Solche Obliegenheiten entstehen beispielsweise bei den ökologischen Konsequenzen von Konsum und Arbeit, bei Verpflichtungen gegenüber Mitarbeitern und Kunden, für den Wähler, das Mitglied von Wirtschaftsverbänden oder → Gewerkschaften. (Vgl. zu 2. und 3. Kruber). Die R. sind interdependent; die Frage ihrer Gewichtung ist kontrovers. Reetz beispielsweise ordnet dem Wissenschaftsprinzip nur eine subsidiäre und regulierende Funktion zu (S. 221); Persönlichkeits- und Situationsprinzip werden konstitutive Bedeutung beigemessen (S. 129). In Hentkes Arrangement hingegen – von ihm als curriculares Relevanzdreieck bezeichnet – ist letztlich das Persönlichkeitsprinzip ausschlaggebend, dem Wissenschafts- und Praxisprinzip als im wesentlichen gleichberechtigt untergeordnet sind. Modifizierte Vorschläge zu den R. stammen von Neuweg. Für ihn reicht das „herrschende Set“ der drei Kriterien nicht aus. Die notwendige Ergänzungsfunktion erfüllt nach seiner Auffassung das Problemprinzip als Innovationsparadigma, wobei er als Problem jede Abweichung vom gesamtgesellschaftlichen Wohl (bonum commune) definiert. Der gesellschaftliche Idealzustand soll in herrschaftsfreien diskursiven Aushandlungsprozessen bestimmt werden. 516
Relevanzprinzipien, wirtschaftsdidaktische
Im Schüler sollen jene Kompetenzen gefördert werden, die zur Teilnahme am rationalen Diskurs befähigen, womit eine Verschränkung des Persönlichkeits- und Problemprinzips angestrebt wird. Gegen Neuwegs Vorschläge müssen verschiedene Bedenken erhoben werden: 1) Die Begriffsbildung ist unbefriedigend, weil ein Problem gemeinhin jegliche Fragestellung oder zu lösende Aufgabe darstellt. Zahlreiche Probleme sind auch dem Wissenschafts-, Situations- und Persönlichkeitsprinzip immanent, und damit nimmt die Konfusion bedenkliche Formen an. Für das von Neuweg Gemeinte ist der Begriff Gemeinwohlprinzip sicherlich angemessener. 2) Das Gemeinwohlprinzip wird innerhalb der drei traditionellen Relevanzkriterien durchaus berücksichtigt. Was das Wissenschaftsprinzip anbelangt, so mag es zutreffen, daß in bestimmten betriebswirtschaftlichen Forschungsrichtungen die gesellschaftlichen Folgewirkungen einzelwirtschaftlichen Handelns zu wenig berücksichtigt werden. Ein solches Defizit kann aber sicherlich nicht den Wirtschaftswissenschaften insgesamt angelastet werden. Ferner ist Neuwegs Versuch, den Gemeinwohlaspekt aus dem Situationsprinzip auszugliedern, nicht zwingend, und letztlich beinhaltet auch das Persönlichkeitsprinzip in seinem Ausprägungsmerkmal der Sozialkompetenz den Gemeinwohlaspekt. Wenn Neuweg dennoch befürchten mag, daß gesamtgesellschaftliche Problemanzeigen im curricularen Relevanzdreieck aus dem Blickfeld geraten, so mag eine explizite Nennung des Gemeinwohls zulässig sein. Es handelt sich aber wohl kaum um ein Innovationsparadigma. 3) Es ist durchaus strittig, ob die Bedingungen realistisch sind, unter denen im herrschaftsfreien Diskurs der gesellschaftliche Idealzustand gefunden werden soll. Literatur: Hentke, R.: Situationsprinzip versus Wissenschaftsprinzip – eine Scheinalternative. Oder: Wider den ‚Pendelkurs‘ in der Wirtschaftsdidaktik, in: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 1986, S. 109 – 119; derselbe: Zur Problematik der
Relevanzprinzipien, wirtschaftsdidaktische
Rent seeking
Reduktion oder Transformation – dargestellt an wirtschaftsberuflichen Lerninhalten, in: Wirtschaft und Erziehung, 1991, S. 242 – 247; Kruber, K. P.: Didaktische Kategorien der Wirtschaftslehre, in: arbeiten und lernen, Nr. 7 (1992), S. 5 – 9; May, H.: Didaktik der ökonomischen Bildung, insb. Kapitel II., 8. Aufl., München 2010; Neuweg, G. H.: Das Problemprinzip als wirtschaftsdidaktisches Innovationsparadigma, in: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 1992, S. 3 – 17; derselbe: Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsdidaktik, Bergisch-Gladbach 1992; Reetz, L.: Wirtschaftsdidaktik, Bad Heilbrunn/ Obb. 1984; Euler, D./Hahn, A.: Wirtschaftsdidaktik, Bern 2004, insb. 121 – 125. Dr. Gerhard Trilling, Duisburg Remittent ⇒ Wechselnehmer. Rendite ⇒ effektiver Jahreszins.
Rente 1. allgemein: durch Gesetz oder Vertrag begründete regelmäßig wiederkehrende Geldleistungen. Nach der Dauer der Auszahlung lassen sich Zeitrenten, Leibrenten und ewige R. (d. s. Zahlungen aus dem Zinsertrag einer festen Kapitalsumme) unterscheiden. 2. speziell: (1) Leistungen aus der Beamtenversorgung und der → Sozialversicherung (siehe auch → dynamische Rente); (2) festes und regelmäßig wiederkehrendes → Einkommen aus angelegtem Kapitalvermögen (z. B. aus → Pfandbriefen, → Obligationen [→ Rentenpapiere] oder Grundbesitz). Siehe Übersicht zu den Bestimmungsfaktoren der Rentenhöhe. Rent seeking das (individuelle) Bestreben, über die staatliche → Sozial- und Wohlfahrtspolitik vermittelte (→ Renten-)Einkommen zu erlangen. Siehe auch: → Sozialstaat, → Wohlfahrtsstaat.
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Rentenfonds
Rentenfonds Sondervermögen einer → Kapitalanlagegesellschaft (⇒ Investmentgesellschaft), das vorwiegend oder ausschließlich in → Rentenpapieren angelegt ist. Siehe auch: → Fonds. Rentenformel Schema (siehe unter → Rentenversicherung) zur Berechnung der Höhe der monatlichen → Rente. Rentengarantie die (seit 15. 7. 2009) aus § 68 a SGB VI abzuleitende Regelung, daß → Renten auch bei Lohnrückgängen (→ Lohn) nicht gekürzt werden. Rentenpapiere ⇒ Schuldverschreibungen ⇒ Obligationen ⇒ Anleihen. Rentenreform Neugestaltung der → gesetzlichen Rentenversicherung auf der Grundlage des Rentenreformgesetzes v. 1999 und des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit v. 2001 (Sozialgesetzbuch VI) sowie der Rentenreformen von 2004 und 2007. Rentenschuld besondere Art der → Grundschuld, bei der im Gegensatz zu dieser kein Kapital, sondern eine → Rente aus dem Grundstück zu zahlen ist (§§ 1199 – 1203 Bürgerliches Gesetzbuch). Die R. ist wie die Grundschuld nicht an eine persönliche → Forderung gebunden. Sie kann abgelöst werden; die Ablösesumme muß bei der Bestellung bestimmt und im → Grundbuch eingetragen werden. Rentenversicherung I. gesetzliche R.: Rechtliche Grundlagen: Das VI. Buch des → Sozialgesetzbuches. Hiernach unterliegen alle gegen Entgelt beschäftigten → Arbeiter und → Angestellten wie auch → Auszubildende sowie Wehr- und Zivildienstleistende der Versicherungspflicht. Auch Bezieher von Lohnersatzleistungen (wie z. B. → Krankengeld, → Arbeitslosengeld I u. II) sowie Bezieher von Vorruhestandsgeld sind versiche518
Rentenversicherung
rungspflichtig; ebenso unterliegen Personen, für die eine Kindererziehungszeit anzurechnen ist, der Versicherungspflicht; des weiteren unter bestimmten Voraussetzungen: Behinderte, Personen, die in besonderen Einrichtungen für eine Erwerbstätigkeit befähigt werden sollen, sowie Mitglieder geistlicher Genossenschaften, Diakonissen und Angehörige ähnlicher Gemeinschaften. Eine weitere rechtliche Grundlage bildet das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung v. 1999, das vor allem die Zeit der Kindererziehung verbessert berücksichtigt, das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit v. 2001, das Altersvermögensgesetz (Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung u. zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvermögens) von 2001, das Altersvermögensergänzungsgesetz von 2001 sowie die Rentenreform von 2004. – Von der Versicherungspflicht ausgenommen sind Angehörige eines anderen Versorgungssystems, so insbesondere Beamte und andere öffentliche Bedienstete, die aber (falls sie ohne Anwartschaft auf Versorgung aus ihrem Dienstverhältnis ausscheiden) in der gesetzlichen R. noch versichert werden. Angehörige einer berufsständischen Versorgungseinrichtung (z. B. Ärzte, Rechtsanwälte) können sich von der Versicherungspflicht befreien lassen. Träger der R.: 1. für Arbeiter: die Deutschen Rentenversicherungen in den einzelnen Bundesländern und die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See; 2. für Angestellte: Deutsche Rentenversicherung Bund in Berlin. Ihre Leistungen umfassen: (1) Heilbehandlung (Maßnahmen zur Wiederherstellung der → Erwerbsfähigkeit, (2) → Berufsförderung und Umschulungsmaßnahmen (→ Umschulung, berufliche) zur Wiedererlangung eines Arbeitsplatzes, (3) ergänzende Leistungen (soziale Betreuung u. Zahlung von Überbrükkungsgeldern während der Heilbehandlung u. Berufsförderung), (4) Rentenzahlungen, (5) → Altersruhegeld (⇒ Altersrente); (6) → Berufsunfähigkeitsrente (Teilrente; nur noch für Versicherte, die vor Inkrafttreten der Reform [1. 1. 2001] das 40. Lebens-
Rentenversicherung
jahr vollendet hatten), (7) → Erwerbsminderungsrente (entweder als Teilrente oder als Vollrente), (8)→ Hinterbliebenenrente an Witwen, Witwer und Waisen. Die laufenden Renten werden regelmäßig – teils automatisch, teils gesetzlich – an die Entwicklung des Lohn- und Preisniveaus angepaßt (dynamisiert, → dynamische Rente). Die Höhe der Monatsrente läßt sich mittels der Rentenformel (s. S. 518) berechnen. Die R. finanzieren sich zum einen aus den je zur Hälfte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufzubringenden Beiträgen (2011: 19,9 % des Bruttoverdienstes bis zur → Beitragsbemessungsgrenze von 66 000 Euro jährlich/5500 Euro monatlich in den alten Bundesländern bzw. 57 600 Euro jährlich/4800 Euro monatlich in den neuen Bundesländern), zum anderen aus Bundeszuschüssen. Mit Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes zum 1. 1. 2005 werden die Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen R. bis 2025 schrittweise von der Steuer freigestellt. Zunächst sind 60 Prozent derselben (maximal 12000 Euro) als → Sonderausgaben (§ 10 Abs.3 Einkommensteuergesetz [EStG] abzugsfähig. Diese Freistellung der Beiträge steigt bis 2025 jährlich um 2 Prozentpunkte auf 100 Prozent (maximal 20000 Euro). Geringerverdiener können damit gegenüber der vorherigen Regelung (Steuerfreistellung der gesamten Arbeitnehmerbeiträge) allerdings schlechter gestellt sein. Für sie gilt deshalb bis 2014 eine „Günstigkeitsprüfung“. Derzufolge können sie für diese Zeitspanne die alte Regelung in Anspruch nehmen. – Im Gegenzug zu den aufgezeigten Beitragsfreistellungen sind die Rentenauszahlungen (§ 22 EStG) ab 2005 mit 50 Prozent, steigend jährlich um 2 Prozent, ab 2040 zu 100 Prozent der Einkommensteuer unterworfen. – Für die bis und im Jahr 2005 in Rente Gehenden unterliegt diese ebenfalls zu 50 Prozent der Besteuerung. Der dabei ermittelte nominale steuerfreie Betrag wird für den Rest deren Lebens festgeschrieben. Steigen die Renten dieser Personen im Zeitverlauf, erhöht sich der steuerfreie Betrag nicht mehr. Diese Festschreibung des steuerfreien Nominalbetrages erfolgt auch bei allen
Rentenversicherung
(2005) folgenden Renten-Jahrgängen, bei denen der anfängliche steuerpflichtige prozentuale Anteil zudem langsam angehoben wird: bis 2020 steigt der Eingangssatz jährlich um 2 Prozentpunkte von ursprünglich 50 auf dann 80 Prozent. Danach jährlich um einen Prozentpunkt auf schließlich 100 Prozent im Jahr 2040. Nach dem Rentenversicherungs-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 30. 3. 2007 (Rentenreform 2007), das die Rente mit 67 Lebensjahren festschreibt, ergeben sich folgende Neuerungen: (1) von 2012 an steigt die Altersgrenze bei der Altersrente schrittweise bis 2029 von 65 auf 67 Jahre; (2) grundsätzlich werden die Altersgrenzen auch bei anderen Renten um 2 Jahre erhöht; (3) Versicherten, die vor Erreichen des Rentenalters in den Ruhestand gehen möchten, werden 0,3 Prozent Abzug je Monat in Anrechnung gebracht; der frühestmögliche Rentenbeginn steigt schrittweise bis 2029 auf 63 Jahre (mit einem Rentenabschlag von 14,4 Prozent); (4) ausnahmsweise können Arbeitnehmer, die mehr als 45 Beitragsjahre nachweisen können, ohne Abschlag mit 65 Jahren in Rente gehen; als Beitragsjahre gelten auch Kindererziehungszeiten; (5) langjährig Versicherte (mit mindestens 35 Versicherungsjahren), die derzeit mit 63 Jahren unter Inkaufnahme eines Rentenabschlages von 7,2 Prozent in Rente gehen dürfen, können auch künftig mit 63 in den Vorruhestand, allerdings nur mit einem Abschlag von 14,4 Prozent. Abeitnehmer, die bis 1954 geboren wurden und im Vertrauen auf die bisherigen Altersgrenzen bis 31. 12. 2006 einen Altersteilzeitvertrag abgeschlossen haben, können weiterhin mit 62 Jahren in den Vorruhestand und mit 65 abschlagsfrei in Rente gehen. Wer wegen seines Gesundheitszustandes nur weniger als drei Stunden am Tag arbeiten kann, hat weiterhin Anspruch auf eine volle Erwerbsminderungsrente. Wer drei bis sechs Stunden arbeiten kann, erhält eine anteilige Rentenzahlung. Hier ergeben sich keine Änderungen! Ab 2011 können bis dahin (wegen einer seit 2005 bestehenden Schutzklausel) unterlas519
Rentenversicherung
sene Kürzungen der Altersrente schrittweise nachgeholt werden. II. → private R.: → Lebensversicherung, → Riester-Rente; Rürup-Rente, Eichel-Rente. Reparaturkostenabrechnung die Abrechnung von → Kosten der Wiederherstellung (eines Gutes) durch den Handwerker; sie darf nach § 632 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch nur den „üblichen“ → Preis veranschlagen. Dieser stellt auf die örtlichen (Großstadt- u. Provinzpreise) und in gewissem Umfang auf die betrieblichen (hochtechnisierter Großbetrieb u. vorwiegend in Handarbeit betriebener Kleinbetrieb) Verhältnisse ab und kann deshalb nicht genau festgelegt werden. Hält der Kunde den vom Handwerker verlangten Preis für unangemessen hoch, so kann er sich an eine → Schiedsstelle wenden. Kann hier keine Einigung erreicht werden, so steht der Gang vor Gericht offen, das einen Sachverständigen zur Begutachtung heranziehen wird. Reparaturvertrag 1. Unter Reparatur ist die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit einer defekten Sache zu verstehen (wie beispielsweise der Austausch defekter Bremsen bei einem Kfz, die Behebung eines Wasserrohrbruchs in einem Haus, die Reinigung verschmutzter Kleidung, das Besohlen von Schuhen u. v. a. m.). Die Reparatur neuer Sachen ist Bestandteil des ursprünglichen Erwerbsgeschäfts. Im Rahmen der am 01.01.2002 in Kraft getretenen Schuldrechtsmodernisierungsnovelle schuldet der Verkäufer die Lieferung des Kaufgegenstandes frei von Sach- und Rechtsmängeln. Damit gehört die Lieferung einer mangelfreien Sache nunmehr zur Hauptleistungspflicht des Verkäufers (§ 433 BGB). Dies führt zu einer Änderung desbisherigen Gewährleistungsrechts beim Kauf. Der Käufer hat nunmehr im Fall der Mangelhaftigkeit des Kaufgegenstandes als vorrangigen Rechtsbehelf einen Anspruch auf Nacherfüllung (§ 437 BGB), wobei er nach seiner Wahl als Nacherfüllung Beseitigung des Mangels (= Reparatur) oder Lieferung einer mangelfreien Sache verlangen kann 520
Reparaturvertrag
(§ 439 BGB). Die Reparatur ist damit Bestandteil der Hauptleistungspflicht des Verkäufers, der ja aufgrund des Kaufvertrages die Lieferung eines mangelfreien Kaufgegenstandes schuldet. Von einem selbständigen R. im hier interessierenden Sinne kann nur bei gebrauchten Sachen die Rede sein. 2. Der (selbständige) R. ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) nicht als eigenständiger Vertragstypus geregelt. Das BGB kennt insoweit nur den → Dienst- und den → Werkvertrag als gesetzliche Vetragstypen. Der Dienstvertrag ist rein tätigkeitsbezogen. Für ihn ist die soziale Abhängigkeit des → Arbeitnehmers vom → Arbeitgeber und daraus resultierend die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers kennzeichnend. Der Werkvertrag ist dagegen erfolgsbezogen. Der Werkunternehmer schuldet dem Besteller (Kunde) die Herstellung des vereinbarten Werkes. Hier fehlt eine dem Dienstvertrag vergleichbare soziale Komponente. Da es auch beim (selbständigen) R. um das Bewirken eines Erfolges geht, nämlich um die Wiederherstellung der Funktionstauglichkeit der defekten Sache, wird der R. typologisch dem Werkvertragsrecht zugeordnet. Auf ihn finden folglich die gesetzlichen Regeln der §§ 631 ff. BGB Anwendung. Neben den Normen des Werkvertragsrechts kommen beim R. häufig auch noch die Bestimmungen des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (nunmehr geregelt in §§ 305 bis 310 BGB) zum Zuge, denn im R.bereich werden häufig branchenspezifische Klauseln für die Vertragsgestaltung verwendet. Beispielhaft sei insoweit auch auf das Kfz-Gewerbe verwiesen, wo der Zentralverband des Kfz-Handwerks für seine Mitgliedsfirmen „Reparaturbedingungen“ entworfen hat und deren vertragliche Verwendung empfiehlt. Ähnliches gilt für den Elektrobereich, wie auch für das chemische Reinigungsgewerbe. Derartige als → allgemeine Geschäftsbedingungen zu qualifizierende Reparaturbedingungen erlangen für die konkreten R. jedoch nur dann Verbindlichkeit, wenn sie gemäß § 305 BGB ausdrücklich (d. h. mit Billigung des Bestellers als dem Kunden) zum Vertragsbe-
Reparaturvertrag
standteil gemacht worden sind. Es ist dies das sogenannte „Kleingedruckte“, welches sich meist auf der Rückseite des Vertragsformulars befindet und auf dessen vertragliche Einbeziehung der Kunde ausdrücklich hingewiesen werden muß. 3. Die vom Besteller (= Kunde) für die vereinbarte Werkleistung (= Reparatur) zu erbringende Gegenleistung ist der Werklohn. Sofern kein festbemessener Werklohn vereinbart worden ist, schuldet der Besteller die übliche Vergütung (§ 632 Abs. 2 BGB). Das ist im Reparaturgewerbe der branchenspezifische Stundenlohn zzgl. eventuellem Materialaufwand. In einzelnen Branchen, wie beispielsweise im chemischen Reinigungsgewerbe, gibt es aktuelle Preislisten, die als sogenannte Taxen im Sinne von § 632 Abs. 2 BGB zu qualifizieren sind (→ Reparaturkostenabrechnung). Verbindliche Kostenvoranschläge, deren Einholung sich in jedem Fall bei größeren Reparaturen empfiehlt, schützen den Besteller vor unangenehmen Überraschungen bei der Werklohnabrechnung. Sie dürfen nur unwesentlich (bis zu ca. 10 %) überschritten werden. Liegt ein unverbindlicher Kostenvoranschlag vor und zeichnet sich ab, daß die Reparatur nicht ohne eine wesentliche Überschreitung des Anschlags ausführbar ist, dann hat der Besteller ein Kündigungsrecht (§ 650 BGB). Der Werkunternehmer kann in einem solchen Falle nur seine effektiven Aufwendungen ersetzt verlangen. Handelt es sich um eine größere Reparatur, die sich aus mehreren selbständigen Teilen zusammensetzt, dann kann der Werkunternehmer für die vertragsgerechte Erbringung in sich abgeschlossener Reparaturleistungen Abschlagszahlungen verlangen (§ 632 a BGB). Dies kann z. B. bei umfangreichen Reparaturen an einem Gebäude der Fall sein. 4. Der Besteller ist gemäß § 640 BGB verpflichtet, das vertragsmäßig hergestellte Werk, beim R. also die reparierte Sache, abzunehmen. → Abnahme heißt in diesem Kontext, körperliche Hinnahme des Werks und dessen Billigung als vertragsgemäße Erfüllung des R. Bei der Reparatur erkennbarer Mängel liegt die Abnahme im Zwei-
Reparaturvertrag
fel in der körperlichen Übernahme des reparierten Gegenstandes (Abnahme durch schlüssiges Verhalten). Bei der Reparatur verdeckter Mängel wird man die für die Abnahme erforderliche Billigung des Bestellers erst annehmen können, wenn dieser nicht binnen einer angemessenen Frist die Fehlerhaftigkeit der Reparatur rügt. Ist die Reparatur fehlerhaft ausgeführt worden und nimmt der Besteller den Gegenstand in Kenntnis dieses Umstandes ab, dann kann er die sich aus der mangelhaften Reparatur ergebenden Rechte (Nachbesserung, Gewährleistung) nur geltend machen, wenn er sie sich bei der Abnahme ausdrücklich vorbehalten hat. Der Abnahme steht es gleich, wenn der Besteller verpflichtet war, den reparierten Gegenstand binnen einer ihm vom Unternehmer bestimmten angemessenen Frist abzunehmen und dies nicht getan hat. 5. Die Rechtsfolgen mangelhaft ausgeführter Reparaturen richten sich nach §§ 633 bis 634 BGB. Hat der Werkunternehmer die Reparatur mangelhaft durchgeführt, ist er zur → Nacherfüllung (§ 634 BGB) verpflichtet. Der Werkunternehmer kann, sofern der Besteller Nacherfüllung verlangt, nach seiner Wahl den Mangel beseitigen (= Reparatur) oder ein neues Werk herstellen (§ 635 BGB). Denn er schuldet ja als Hauptleistungspflicht den Erfolg, d. h. die Wiederherstellung der Funktionstauglichkeit der defekten Sache. Der Besteller kann dem Werkunternehmer zur Vornahme der Nacherfüllung eine Frist setzen. Nach deren erfolglosem Ablauf ist der Besteller berechtigt, den Mangel des Werkes selbst zu beseitigen und Ersatz der insoweit erforderlich gewordenen Aufwendungen vom Werkunternehmer zu verlangen, es sei denn, der Werkunternehmer verweigert die Nacherfüllung zu Recht (§ 637 Abs. 1 und 2 BGB). Für die im Rahmen der Selbstvornahme zur Beseitigung des Mangels erforderlichen Aufwendungen kann der Besteller vom Unternehmer Vorschuß verlangen (§ 637 Abs. 3 BGB). Der Besteller kann ferner neben der Selbstvornahme Ersatz für von dieser nicht erfaßte Schäden verlangen (§ 280 BGB) und unter den Voraussetzungen des Verzuges 521
Reparaturvertrag
(§ 286 BGB) auch den Verzugsschaden geltend machen. Sofern die Mängelbeseitigung (= Reparatur) im Rahmen der dem Werkunternehmer obliegenden Nacherfüllung nicht oder nicht vollständig gelingt, vom Werkunternehmer verweigert wird oder dem Besteller unzumutbar ist, kann der Besteller vom Werkvertrag (= R.) zurücktreten oder aber Schadensersatz verlangen. Einer besonderen Fristsetzung bedarf es in diesem Fall nicht (§ 636 BGB). Die Geltendmachung von Schadensersatz setzt jedoch eine Pflichtverletzung und damit ein Vertretenmüssen des Mangels durch den Werkunternehmer sowie die Kausalität von Mangel und beim Besteller eingetretenem Schaden voraus. Statt des Rücktritts vom Vertrag kann der Besteller jedoch auch den Werklohn durch Erklärung gegenüber dem Werkunternehmer mindern. Im Rahmen der Minderung ist der Werklohn in dem Verhältnis herabzusetzen, in welchem zur Zeit des Vertragsschlusses der Wert des Werkes in mangelfreiem Zustand zu dem wirklichen Wert gestanden haben würde (§ 638 BGB). Seine Gewährleistungshaftung wegen fehlerhafter Ausführung des Reparaturauftrages kann der Unternehmer nur in den Grenzen von § 639 BGB ausschließen, also nicht im Falle arglistigen Verschweigens des Mangels. Kommen allgemeine Geschäftsbedingungen zum Zuge, so kann nur die Haftung für leichte Fahrlässigkeit ausgeschlossen werden (§ 309 Ziff. 7 BGB). Bei Zugrundelegung einer Schadenspauschale in allgemeinen Geschäftsbedingungen, wie dies beispielsweise im chemischen Reinigungsgewerbe üblich ist, darf dem Kunden der Nachweis eines konkret höheren Schadens nicht abgeschnitten werden (§ 309 Ziff. 5 BGB). 6. Der Besteller hat gem. § 649 BGB das Recht, den R. bis zur Vollendung der Reparatur zu kündigen, ohne daß es der Angabe besonderer Kündigungsgründe bedarf. Er muß in diesem Fall jedoch die vereinbarte Vergütung zahlen, abzüglich der Aufwendungen, die der Unternehmer durch die Nichtausführung des R. erspart hat. 522
Reservewährung
7. Da der Unternehmer in der Regel vorleistungspflichtig ist, räumt ihm das Gesetz über § 647 BGB ein sogenanntes Werkunternehmerpfandrecht an der ihm zur Reparatur übergebenen Sache des Bestellers zur Sicherung seiner Reparaturkostenforderung (= Werklohnforderung) ein. Voraussetzung für die Entstehung des Werkunternehmerpfandrechts ist jedoch die Identität von Besteller und Eigentümer. An bestellerfremden Sachen kann ein Werkunternehmerpfandrecht nicht entstehen. Auf Grund dieses Werkunternehmerpfandrechts kann sich der Unternehmer wegen seiner Werklohnforderung durch Verwertung der reparierten Sache des Bestellers befriedigen. Beziehen sich die Reparaturarbeiten auf ein Bauwerk (Gebäude) oder den Teil eines Bauwerks, so hat der Werkunternehmer gegen den Besteller wegen seines den geleisteten Reparaturarbeiten entsprechenden Werklohnes Anspruch auf Einräumung einer Sicherungshypothek (Bauhandwerkerhypothek i. S. von § 648 BGB). Für die von ihm zu erbringenden Vorleistungen kann der Werkunternehmer, der eine Reparatur an einem Bauwerk übernommen hat, vom Besteller eine angemessene Sicherheitsleistung verlangen, von deren Erhalt er die Durchführung der Reparatur abhängig machen darf (§ 648 a BGB). Literatur: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 4, Schuldrecht Besonderer Teil II (Henssler) 5. Auflage 2009; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), 68. Auflage 2009; Kothe/Micklitz/Rott/Tonner/Willingmann, Das neue Schuldrecht, Kompaktkommentar 2002; Jauernig, BGB Kommentar, 13. Auflage, 2009; Dauner-Lieb/Konzen/K. Schmidt, Das neue Schuldrecht in der Praxis, Akzente – Brennpunkte – Ausblick, 2003; Medicus, Schuldrecht II (Besonderer Teil), 14. Auflage, 2007; Brox/Walker, Besonderes Schuldrecht, 33. Auflage, 2008. Dr. Norbert Fehl, Mannheim Reservewährung eine → Leitwährung, in der im internationalen Handel vorzugsweise abgerechnet wird und in der Länder mit anderer → Wäh-
Reservewährung
rung deshalb gerne ihre → Währungsreserven anlegen. Als R. fungieren: der US-Dollar der Euro, der Yen, der Schweizer Franken wie auch das Englische Pfund Sterling. Ressourcen ⇒ Produktionsfaktoren. Restschuldbefreiung → Insolvenzverfahren. Restschuldversicherung besondere Form der Risikolebensversicherung; wird heute vielfach zur Sicherung von Ratenkreditverträgen (→ Ratenkredit) im Falle von Tod oder → Arbeitsunfähigkeit abgeschlossen. Die Versicherungsdauer entspricht der Laufzeit des → Kredites. Restwertleasing → Leasing. Restwertrisiko → Leasing. Revision I. im Zivilprozeß: → Rechtsmittel, mit dem die rechtliche Überprüfung eines Urteils des Oberlandesgerichtes durch den Bundesgerichtshof begehrt wird (§§ 545 – 566 Zivilprozeßordnung). II. in der Arbeitsgerichtsbarkeit: Rechtsmitel gegen Urteile des Landesarbeitsgerichtes soweit sie (die R.) durch das Landesarbeitsgericht oder das Bundesarbeitsgericht zugelassen wurde (§§ 72 ff. Arbeitsgerichtsgesetz [ArbGG]). Gegen eine Nichtzulassung der R. durch das Landesarbeitsgericht kann bei bestimmten kollektivrechtlichen Streitigkeiten → Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht eingelegt werden. Für den Fall, daß der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommt und sie kollektiv-rechtliche Interessen betrifft, läßt das Gesetz (§ 76 ArbGG) die sogenannte Sprungrevision zu. Diese R. kann gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes unter Umgehung eines Landesarbeitsgerichtes direkt beim Bundesarbeitsgericht eingelegt werden, sofern die Gegenpartei schriftlich ihr Einverständnis erklärt hat und die Zulassung (der Sprungrevision) vom Arbeitsgericht auf Antrag im Urteil oder nachträglich durch Beschluß erfolgte.
Ricardo, David
III. in der Sozialgerichtsbarkeit: Rechtsmittel gegen Urteile des Landessozialgerichtes beim Bundessozialgericht. In Ausnahmefällen kann auch gegen Entscheide der Sozialgerichte unter Umgehung des Landessozialgerichtes unmittelbar R. beim Bundessozialgericht, sogenannte Sprungrevision, eingelegt werden, wenn damit eine höchstrichterliche Grundsatzentscheidung herbeigeführt werden soll. IV. in Steuersachen: Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung (sei es der Vorbescheid oder das verkündete Urteil) des Finanzgerichtes beim Bundesfinanzhof. R. ist nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich. REX deutscher Rentenindex, der aus den Kursen der → Bundesanleihen, → Bundesobligationen, Bundesschatzanweisungen sowie der → Anleihen und → Obligationen der Treuhandanstalt berechnet wird. Rezession ⇒ Abschwung. RGW Abk. für: → Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe. Ricardo, David *1772 (London) †1823 (Galcombe Park), erwirbt sich zunächst als Bankier und Börsenmakler ein enormes Vermögen, bevor er nationalökonomischer Schriftsteller und Abgeordneter des britischen Unterhauses (seit 1819) wird. Sein Ruhm als Ökonom basiert auf dem 1817 erschienenen Werk The Principles of Political Economy and Taxation, das ihn zum wichtigsten Autoren der klassischen Nationalökonomie nach → Adam Smith macht. Die von ihm darin entwickelten Theoreme übten nachhaltigen Einfluß auf die → Ökonomie des 19. Jh. aus. Sein sog. → Ertragsgesetz, welches das Produktionswachstum durch die kaum vergrösserbare Menge des Bodens begrenzt sieht, inspiriert den Amerikaner Henry George (Progress and Poverty, 1879) zu seinen Ideen über Landreform, die letztlich auf der Abschaffung des Eigentumsrechtes an Land basieren. R. sich aus dem Ertragsgesetz ableitendes ehernes Lohngesetz, daß der An523
Ricardo, David
Risikoausschluß
teil des → Lohnes am → Volkseinkommen nicht steigerbar sei, führt später zu Rechtfertigungen staatlich erzwungener → Umverteilungspolitik. Seine Wert- und Preistheorie, die den natürlichen → Preis als Produkt vorher geleisteter → Arbeit deutet, liefert die Grundlage zur marxistischen Arbeitswerttheorie. Diese Folgewirkungen würden R. sicher befremdet haben, da er konsequent für Marktfreiheit und → Freihandel eintrat, die er als das einzige Mittel sah, um die Verelendung der Massen zu bekämpfen. R. übte daher auch einen nachhaltigen Einfluß auf die liberale Freihandelsbewegung Englands der 1840er Jahre um Richard Cobden und John Bright aus. Literatur: F. A. von Hayek, David Ricardo, Chambers’ Encyclopedia, Vol. IV, 1950; ders., Drei Erläuterungen zum Ricardo-Effekt; in: ders., Freiburger Studien, Tübingen 1969, S. 266 ff.; S. Hollander, The Economics of David Ricardo, Toronto 1979; T. Peach (Hrsg.), David Ricardo. Critical Resposes, London/New York 2003. D. D. Richtpreise staatlich festgesetzte → Preise, von denen in begrenztem Umfang nach oben und nach unten Abweichungen erlaubt sind. Je nachdem haben sie dann den Charakter von → Höchst- oder → Mindestpreisen, allerdings in der Regel nicht mit dem gleichen Verbindlichkeitsanspruch. Verstöße gegen R. sind nicht ohne weiteres straf bar. Riester-Rente ⇒ private (kapitalgedeckte) Altersvorsorge nach dem Altersvermögensgesetz seit dem 1. 1. 2002 angebotene, mit dem Namen des seinerzeitigen Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung belegte private Altersvorsorge, die zusätzlich zu der → gesetzlichen Rentenversicherung allen diesbezüglichen Versicherungspflichtigen wie durch Empfängern von Besoldung nach dem Bundesbesoldungsgesetz, Empfängern von Amtsbezügen aus einem Amtsverhältnis, versicherungsfrei Beschäftigten und von der Versicherungspflicht befreiten Beschäftigten ebensow wie Beamten, Richtern, Be524
rufssoldaten und Soldaten auf Zeit offensteht. Um den Altersvorsorgeanspruch zu erwerben, hat der genannte Personenkreis entsprechende Altersvorsorgebeiträge (nach § 82 Einkommensteuergesetz [EStG]) zu entrichten. Zusammen mit der/den dafür nach Abschnitt XI EStG zustehenden Zulage(n) (Grundzulage nach § 84 EStG u. ggfs. Kinderzulage nach § 85 EStG) kann diese der Zulageberechtigte von seinem → Einkommen als → Sonderausgaben (§ 10a Abs. 1 EStG) in Abzug bringen. Ist der Sonderausgabenabzug für den Steuerpflichtigen günstiger als der Anspruch auf die Zulage(n) nach Abschnitt XI EStG, erhöht sich die unter Berücksichtigung des Sonderausgabenabzugs ermittelte tarifliche → Einkommensteuer um den Anspruch auf Zulage(n). In den anderen Fällen scheidet der Sonderausgabenabzug aus. Die „Günstigerprüfung“ wird von Amts wegen vorgenommen (§ 10a Abs. 2 EStG). Die R. kann über vier Produktgruppen aufgebaut werden: Banksparpläne, Fondssparpläne, → Rentenversicherungen sowie selbstgenutzte Wohnimmobilien und zertifizierte Bausparverträge („Wohn-Riester“, Eigenheimrente). Die → Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht läßt über ihre Zertifizierungsstelle nur solche Verträge zu, die bestimmten gesetzlichen Mindestanforderungen genügen. Nach dem am 1. 1. 2005 in Kraft getretenen Alterseinkünftegesetz hat der Anleger die Möglichkeit, zu Beginn der Auszahlungsphase 30 Prozent des angesparten Kapitals zur freien Verwendung zu entnehmen. Infolge der sog. „Unisex-Tarife“ zahlen Männer und Frauen seit 1. 1. 2006 bei Neuverträgen die gleichen Beiträge und erhalten auch die gleichen monatlichen Leistungen. Risiko ⇒ Gefahr. Risikoausschluß im Versicherungswesen der Ausschluß von bestimmten Gefahren durch den Versicherer. So kann beispielsweise nach § 5 der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen
Risikoausschluß
Rohstoffe
(AUB) der Versicherer bei bestimmten Risiken die Leistung ausschließen; dieser R. gilt insbesondere für Unfälle, die durch eine zeitweise Bewußtseinsstörung (z. B. Trunkenheit) verursacht wurden. Risikomanagement Damit versuchen → Unternehmen, ihren Fortbestand zu sichern und den Unternehmenswert zu erhöhen. Anhand der konkreten Zukunftsziele identifizieren sie die möglichen Risiken, die den künftigen Erfolg bedrohen können. Mit dem systematischen Einsatz von Steuerungsmaßnahmen wirken Unternehmen dem entgegen. Die methodischen Ansätze reichen von → Szenario-Techniken und Expertenbefragungen bis zu mathematischen Modellierungen und statistischen Analyseverfahren. Je nach Einstellung des Unternehmens (risikoavers, risikoneutral oder risikofreudig) wird eine Strategie zur Risikominimierung entwikkelt. Das Ziel ist dabei stets gleich: Identifikation, Messung und Steuerung der Gefahrenpotenziale für die unterschiedlichen Unternehmensbereiche. Bei der Messung der Risiken wird zwischen qualitativ und quantitativ unterschieden. Die quantitative Messung drückt das Risiko in einem Geldwert aus, die qualitative weist eine Risikomaßzahl zu. Große Unternehmen und → Aktiengesellschaften sind dazu verpflichtet, ein quantitatives R. zu betreiben. Die realistische Bewertung der Risiken stellt für die Unternehmen ein Problem dar: Sie vertrauen dabei weitgehend auf subjektive Annahmen. Aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen (Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Untenehmensbereich, SarbanesOxley-Act) liegen die Schwerpunkte der betrieblichen Risikobetrachtung auf den Finanzrisiken, den organisatorischen, operativen und technischen Risiken sowie dem Reputationsrisiko. Als größtes Risiko gelten jedoch die Handelnden des Unternehmens: Sie können Änderungen der Umwelt wie Marktrisiken oder Technologierisiken nicht optimal einschätzen und entsprechend darauf reagieren. F. B.
Röpke, Wilhelm *1899 (Schwarmstedt) †1966 (Genf), wird 1924 in Jena jüngster Professor in Deutschland. Es folgen Professuren in Graz und Marburg, bevor er 1933 zunächst nach Istanbul und dann nach Genf (ab 1937) ins Exil geht, wo er bis zu seinem Tode lehrt. Nach zahlreichen Arbeiten über Konjunkturpolitik (z. B. Krise und Konjunktur, 1932) legt er in seinem Werk Die Lehre von der Wirtschaft (1943) die Grundzüge seines wirtschaftspolitischen Denkens systematisch dar. R. begründet darin einen → Neo-Liberalismus, der dem der → Freiburger Schule (z. B. → Walter Eucken) ähnelt. Sich gleichermaßen von sozialistischer → Planung und → Laissez-faire-Kapitalismus (zu dem er bisweilen äußerst künstliche Gegensätze auf baut) absetzend, fordert R. eine staatliche Wettbewerbsordnung, die erst wirtschaftliche Freiheit möglich macht. Wie Eucken betont auch er die Interdependenz von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Zahlreiche Bücher weisen daher weit über die → Wirtschaftswissenschaften hinaus und befassen sich mit umfassender Gesellschafts- und Kulturkritik. Die Gesellschaftskrisis der Gegenwart (1942), Civitas Humana (1944), Das Kulturideal des Liberalismus (1947) u. a. R., der die Regierung Adenauer maßgeblich berät, wird häufig als der archetypische Denker der frühen Bundesrepublik gesehen. Literatur: H. Gerken, Die Sozial- und Wirtschaftslehre Wilhelm Röpkes in ihrer Bedeutung für die Pädagogik, Mülheim 1958; R. Hahn, Denker der Freiheit: Wilhelm Röpke, St. Augustin 1995; H.-J. Hennecke, Wilhelm Röpke – Ein Leben in der Brandung, Stuttgart 2005; H. Peukert, Das sozialökonomische Werk Wilhelm Röpkes, Frankfurt 1992. D. D. Rohstoffe Ausgangs- und Grundstoffe, die in den → Fertigungsprozeß eingehen und dort zum Bestandteil der erzeugten Produkte werden. 525
Rollenspiel
Rollenspiel 1. Verbreitung. Kinder verarbeiten die komplexe Realität häufig spontan im freien R., so auch ihr Erleben der wirtschaftlichen Wirklichkeit. Ein Beispiel dafür ist der Kaufladen: Spielerisch imitiert und variiert das Kind abwechselnd die von ihm beobachteten Verhaltensmuster von Käufer und Verkäufer im Einzelhandel. Dem zunächst rituellen Handlungsvollzug folgt das begriffliche Verständnis dieses Interaktionszusammenhangs sowie der Bedingungen für das Gelingen dieser elementaren wirtschaftlichen Transaktion: Es entsteht ein mentales Modell der sozialen Welt, hier der → Wirtschaft. Diese Neigung zum kindlichen R. begünstigt den intentionalen Einsatz des R. schon im Sachunterricht der Grundschule. In den Sekundarstufen I und II wird das R. sowohl reproduzierend als auch zunehmend antizipierend eingesetzt. Letzeres bereitet auf zukünftige Lebenssituationen vor. In der → beruflichen Bildung dienen R. oftmals dem Training professioneller Verhaltensmuster, z. B. für Beratung und Verkauf. R. sind ebenso in der Erwachsenenbildung, in Managementschulungen sowie in der Personal- und Organisationsentwicklung weit verbreitet, auch in den von psychotherapeutischen Ansätzen beeinflussten Erscheinungsformen des Psycho- und Soziodramas. 2. Bildungsziele. Die Bedeutung des R. für den Ökonomieunterricht resultiert daraus, dass wirtschaftliches Handeln ganz überwiegend in soziale Zusammenhänge eingebettet ist, so dass der Handelnde über Fach- und Sozialkompetenz zugleich verfügen muss. Dabei sind → Kooperation und → Konkurrenz die im wirtschaftlichen Bereich vorherrschenden Sozialbeziehungen. R. sollten daher im Ökonomieunterricht dazu genutzt werden, die fachliche und soziale Kompetenzentwicklung zu integrieren, indem sie ökonomisch geprägte Lebenssituationen simulieren, sodass domänenspezifische Kenntnisse und Fähigkeiten im unmittelbaren Zusammenhang mit Kenntnissen über Verhaltenserwartungen in sozialen Situationen erworben werden können. Die Kenntnis sozialer Erwar526
Rollenspiel
tungen soll Entlastung, Orientierung und Handlungssicherheit im wirtschaftlichen Feld schaffen, die Einübung rollenspezifischen Verhaltens das individuelle Verhaltensrepertoire erweitern. Neben der Ausbildung von Rollenidentität als Teilnehmer im Wirtschaftsgeschehen ist auch eine kritische Rollendistanz anzustreben, vor allem bei Belastung der Person durch wirtschaftsethisch fragwürdige Rollenerwartungen. 3. Abgrenzung. R. zählen wie → Planspiele, Konferenzspiele und → Fallstudien zu den Simulationsmethoden. Anders als bei Planspielen gibt es nicht unbedingt mehrere Spielrunden, zudem ist der Formalisierungsgrad geringer. Es werden meist weniger engmaschige Spielregeln vorgegeben, so dass die Handlungsmöglichkeiten nicht so stark eingeschränkt sind. Konferenzspiele vereinigen als Mischform die Charakteristika von R.- und Planspielen: In einer moderierten Konferenz nehmen die Schüler die Rolle von Repräsentanten ein, die in einem Aushandlungsprozess organisierte Gruppeninteressen vertreten. Anders als R. können Fallstudien auf schriftliche Ausarbeitungen beschränkt sein. R. sind aufgrund ihres Spielcharakters mit Interaktionsspielen und szenischen Spielen verwandt, jedoch abgrenzbar. Bei Interaktionsspielen stehen Spannung, Spaß und Erholung im Vordergrund. Beim szenischen Spiel (mit seinen Varianten freies darstellendes Spiel und Theater) werden Aufführungen gegebenenfalls vor einem Publikum inszeniert, die über Rollenerfahrungen hinausgehende, kreative, auch persönlichkeitsbezogene Erfahrungen ermöglichen. 4. Grundlagen. Dem R. liegt der in der Soziologie zentrale Begriff der sozialen Rolle zugrunde, welche als die Summe normativer Verhaltenserwartungen definiert ist, die von einer oder mehreren Bezugsgruppe(n) an Inhaber bestimmter Positionen gestellt werden. Obschon an die Individuen herangetragen, beziehen sie sich doch auf die sozialen Positionen, die sie einnehmen, z. B. die des → Konsumenten, Geldanlegers, → Auszubildenden oder → Arbeitgebers. Sind die einzunehmenden Rollen detailliert normiert, handelt es sich um „role taking“
Rollenspiel
(Rollenübernahme); können oder müssen die Rollen von ihren Trägen nach eigenen Vorstellungen ausgefüllt werden, spricht man von „role making“ (Rollengestaltung). Rollenkonflikte sind Diskrepanzen zwischen den Erwartungen des Rollenträgers und der Bezugsgruppe(n). Die Rollentheorie nach T. Parsons stellt die funktionalen Aspekte der Rollenübernahme wie Wertverwirklichung und Systemstabilität in den Vordergrund. Das interaktionistische Rollenkonzept nach G. H. Mead fokussiert im Gegensatz dazu den Handlungsspielraum des Rolleninhabers und die kritische Reflexion der Rolle. 5. Anwendungsmöglichkeiten. Gegenstand des R. ist im Ökonomieunterricht stets eine sozialökonomische Situation, in der mindestens zwei Rollenträger interagieren und dadurch eine wirtschaftliche Beziehung eingehen, ausgestalten oder beenden. Die wirtschaftliche und berufliche Wirklichkeit bietet für R. vielfältige Anknüpfungsmöglichkeiten: z. B. das Verkaufsgespräch zwischen Konsument und Verkäufer, die Reklamation des Kunden beim Handwerker, das Auswahlgespräch zwischen Bewerber und Arbeitgeber oder die Entgeltverhandlung zwischen → Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Die wichtigsten Auswahlkriterien sind die Zielgruppenädaquanz und die Exemplarität der beispielhaften sozialökonomischen Situation. Dass einige Autoren das R. auf die Simulation sozialer Konflikte oder Entscheidungssituationen reduzieren, ist nicht nachvollziehbar. R. können in unterschiedlichen Unterrichtsphasen initiiert werden. In der Einstiegsphase schaffen sie vor allem einen gemeinsamen Erlebnishintergrund. In der Erarbeitungsphase können Muster sozialer Interaktionen analysiert, in der Vertiefungsphase rollentypische Verhaltensweisen eingeübt werden. Neben möglichst realitätsgetreuen Simulationen werden gelegentlich auch Verfremdungen der Realität oder rein fiktive, jedoch strukturgleiche Situationen inszeniert, deren Interpretation aber kognitiv anspruchsvolle Analogieschlüsse erfordert. Sogar sprachfreie R. sind denkbar, indem beispielsweise konkludentes Handeln von
Rollenspiel
Vertragsparteien simuliert wird. In der beruflichen Bildung werden R. schließlich als Formen handlungsorientierter Abschlussprüfung eingesetzt und das rollenadäquate Verhalten benotet. 6. Ablauf. Angeleitete R. sollten anders als spontane R. vom Lehrenden in mindestens drei Phasen unterteilt werden, deren zeitliche Gewichtung variieren kann: 1) Vorbereitung: Die Schüler werden mit der Spielsituation vertraut gemacht. Meist geschieht dies mittels Informationskarten. Die Spieler erhalten zusätzlich rollenspezifische Informationen und Anweisungen auf Rollenkarten, der Rest der Klasse erhält Beobachtungsaufgaben und Protokollbogen. Gegebenenfalls muss der Klassenraum entsprechend her- und eingerichtet werden. 2) Spiel: Die ausgewählte Situation wird durchgespielt; währenddessen protokollieren die Beobachter die Interaktionen. Gegebenenfalls erfolgt eine Wiederholung des R. mit einem Rollentausch oder Spielerwechsel. 3) Auswertung: Rollenverhalten, Spielverlauf und -ergebnisse werden anhand der protokollierten Beobachtungen rekonstruiert, interpretiert und reflektiert, wobei die Lernziele erkenntnisleitende Funktion haben. Videoaufzeichnungen erleichtern die Rekonstruktion. Die Rollenspieler sollen sowohl das eigene (Rollen-)Verhalten als auch das (Rollen-)Verhalten der Mitspieler reflektieren – einschließlich der Wirkung auf die Beobachter, die anschließend ein Feedback geben. Einsatzfertig ausgearbeitete R. fassen Ziele, Verlauf und Regieanweisungen meist noch auf einer Spielleiterkarte übersichtlich zusammen. 7. Potenzial. Ganz generell sind Simulationen eine im Ökonomieunterricht unverzichtbare Ergänzung zu Realbegegnungen. Bleibt der Realitätsbezug gewahrt, wirken R. – obwohl Simulation – nicht artifiziell. In R. können bekannte Lebenssituationen nachgespielt, abgewandelt oder verfremdet und reflektiert werden, z. B. um dysfunktionale Verhaltensmuster zu überwinden. Ebenso kann eine Konfrontation mit unbekannten bzw. zukünftigen Situationen erfolgen, um Vorerleben und nicht sanktioniertes, dadurch relativ angstfreies Probehan527
Rollenspiel
deln zu ermöglichen, das der besseren Bewältigung der späteren Ernstsituation dient. R. eignen sich, um typische wirtschaftliche Interaktionen und Beziehungen im Klassenzimmer zu simulieren. Die dabei gegebenenfalls auftretenden Intra- und InterRollenkonflikte können zielgerichtet ausgewertet werden. R. wird oft attestiert, eine Perspektivenübernahme zu ermöglichen bzw. die Fähigkeit dazu zu fördern. Dies muss jedoch differenziert betrachtet werden. Im R. angelegt ist, dass sich die Spieler in die Situation und Position eines bestimmten Akteurs begeben, um dessen Rolle einzunehmen. Sich in die Lage eines Anderen zu versetzen ist jedoch etwas anderes, als in dessen Haut zu schlüpfen, wie Adam Smith schon 1759 in seinem Werk „Theory of moral sentiments“ klar unterschieden hat. Letztgenanntes wird durch das Spielen einer Rolle und die damit einhergehende Reproduktion von erwartetem Rollenverhalten eher gehemmt, wenn nicht gar verhindert; um die Weltsicht und Gefühle einer Person in einer bestimmten Situation nachzuempfinden eignet sich eher das szenische Spiel. Nicht zuletzt werden durch R. auch Selbst- und Fremdbeobachtungsfähigkeiten trainiert. 8. Grenzen. Auf zwei Fehlentwicklungen, die den Bildungsauftrag gegebenenfalls konterkarieren können, sei hingewiesen. 1) Verkürzung der Person auf die Rolle: Zwar kann der soziologische Rollenbegriff auf wirtschaftliche Kontexte angewandt werden und dadurch soziale Interaktionen und Beziehungen erhellen, doch dürfen die Akteure in R. nicht derart verkürzt werden, dass sie nur noch als Positionsträger und nicht mehr als Individuen erscheinen. 2) Unkritische Anpassung an tradierte Verhaltensnormen: Zwar ist die Kenntnis gesellschaftlicher, in der Regel sanktionierter Verhaltensnormen wichtig, um sich in sozialen Kontexten angemessen (rollenkonform) zu verhalten, doch dürfen diese nicht als absolut gültig und unveränderlich erscheinen, sondern müssen als kulturrelativ und gestaltbar erkannt werden. Diesen Gefahren kann entgegengewirkt werden, indem neben Rollenidentität auch per528
Rothbard, Murray N(ewton)
sonale Identität zugelassen und neben Rollenübernahme auch Rollendistanz gefördert wird. Dass bei Schülern vereinzelt Akzeptanzschwierigkeiten auftreten („kindische Rollenspiele“), dass Rollen verlassen, überzeichnet oder gar parodiert werden, ist kein grundsätzlicher Einwand. Ersterem kann präventiv entgegengewirkt werden, letzteres kann metakommunikativ reflektiert werden und insofern Erkenntnisse anstoßen. Literatur: Ebbers, Ilona (2011): Zum Rollenspiel und Szenischen Spiel in der ökonomischen Bildung – Unterschiede und Verbindungen. In: Retzmann, Thomas [Hrsg.]: Methodentraining für den Ökonomieunterricht II. Schwalbach/Ts. Gmelch, Andreas (2001): Rollenspiel. In: Schweizer, Gerd/ Selzer, Helmut M.: Methodenkompetenz lehren und lernen. Dettelbach, S. 193–197. Kaiser, Franz-Josef/Kaminski, Hans (1999): Methodik des Ökonomie-Unterrichts. Grundlagen eines handlungsorientierten Lernkonzepts mit Beispielen. 3. Aufl., Bad Heilbrunn/Obb., S. 128–156. Lindner, Johannes/Peter, B. (1997): Das Rollenspiel: Theoretische Grundlagen. In: Aff, Josef: Methodische Bausteine der Wirtschaftsdidaktik. Wien, S. 233–254. May, Hermann (2010): Didaktik der ökonomischen Bildung. 8. Aufl., München, S. 83–87. Meyer, Hilbert (1987): Unterrichtsmethoden II. Praxisband. Berlin. S. 357–365. Prof. Dr. Thomas Retzmann, Duisburg-Essen Rothbard, Murray N(ewton) *1926 (New York) †1995 (Las Vegas), studiert zunächst an der New Yorker Universität bei → Ludwig von Mises, dessen konsequenter methodologischer → Individualismus auch die Basis aller seiner ökonomischen Schriften bildet. R. wird 1962 durch sein Werk Man, Economy and State zu einem der führenden Vertreter der → Österreichischen Schule der Nationalökonomie in den USA. Das Werk ist ein groß angelegter Versuch, eine Gesamtdarstellung der → Ökonomie aus a priori gegebenen Axiomen abzuleiten. Seine ökonomischen Theorien führen ihn zu einem marktwirtschaftlichen → Liberalismus, der an Radikalität selbst den seines Lehrers Mises
Rothbard, Murray N(ewton)
Rürup-Rente
übertrifft. In For A New Liberty (1973) verbindet er den methodologischen Individualismus mit einer an die Theorien von John Locke anknüpfenden Naturrechtsphilosophie, die das Recht des einzelnen auf seinen Körper und sein → Eigentum als unveräußerlich sieht. R. zieht daraus den Schluß, daß sämtliche traditionellen Kernbereiche staatlichen Handelns – inklusive innere und äußere Sicherheit – dem → Markt überlassen werden sollten. Bei dieser Libertarianism (→ Libertarismus) genanntenDenkrichtung, deren geistiger Hauptrepräsentant R. wird, werden die Grenzen zwischen Anarchismus und Liberalismus verwischt. Mit der Gründung der erfolglosen amerikanischen Libertarian Party 1971, von der er sich aber bald wieder trennt, versucht R. auch den Einstieg in die Politik. Seine monumentale Ökonomiegeschichte An Austrian Perspective on the History of Economic Thought (2 Bde., 1995) bleibt mit seinem Tod unvollendet. Literatur: D. Gordon, Murray N. Rothbard: A Scholar in Defence of Freedom, Washington 1986; S. Blankertz, Die Freiheit ist unteilbar: In Memoriam Murray N. Rothbard; in: liberal, 2/1995, S. 107 ff.; J. Raimondo, En Enemy of the State: The Life of Murray N. Rothbard, New York 2000. D. D. Rückgaberecht bei → Verbraucherverträgen nach § 356 Bürgerliches Gesetzbuch: → Fernabsatzverträge, → Haustürgeschäfte, → Teilzahlungsgeschäfte. Rückgriff ⇒ Regreß Geltendmachung einer → (Schadensersatz-)Forderung gegenüber einem Dritten. I. im Wechselrecht (Art. 43 – 54 Wechselgesetz): Geltendmachung der Ansprüche des → Gläubigers eines zu → Protest gegangenen → Wechsels gegenüber den aus dem Wechsel Verpflichteten (d. s. → Aussteller, alle Vormänner, → Indossanten, Wechselbürgen). II. im Scheckrecht (Art. 40 – 48 Scheckgesetz): Geltendmachung der Ansprüche des Gläubigers eines nicht eingelö-
sten → Schecks gegenüber den Indossanten und dem Aussteller. Rückkaufswert Geldsumme, die dem Versicherungsnehmer bei vorzeitiger → Kündigung einer → Lebensversicherung vom Versicherer angeboten wird. Die Höhe des R. richtet sich nach der aus den Sparanteilen der Prämie gebildeten Prämienreserve sowie dem darauf entfallenden Anteil an der Gewinnbeteiligung. Rücklagen das auf der → Passivseite der → Bilanz neben dem → Kapital ausgewiesene variable → Eigenkapital. Rückstellungen Sicherheitsreserve, die für am Bilanzstichtag bestehende, jedoch der Höhe nach noch nicht (exakt) feststehende, Verpflichtungen beziehungsweise Verluste auf der Passivseite der → Bilanz ausgewiesen wird. Rücktritt einseitige empfangsbedürftige → Willenserklärung, die einen gültigen → Vertrag rückwirkend aufhebt, so daß der vor Abschluß des Vertrages bestehende Rechtszustand wieder hergestellt wird. Das R.-recht kann für bestimmte → Rechtsgeschäfte vertraglich vereinbart werden oder aber gesetzlich (insbesondere beim gegenseitigen Vertrag, §§ 346 ff. Bürgerliches Gesetzbuch) vorgesehen sein (→ Kaufvertrag, → Werkvertrag). Rürup-Rente ⇒ Basisrente (seit 2004 angebotene) nach dem Ökonomen Bert Rürup benannte → private Altersvorsorge in Form der → privaten Rentenversicherung, die im Gegensatz zur deren klassischer Ausgestaltung oder zur → RiesterRente kein Kapitalwahlrecht kennt. Die → Beiträge zum Auf bau der R. können im Rahmen der gesetzlichen Höchstbeträge unter folgenden Voraussetzungen einkommensteuerwirksam als → Sonderausgaben (§ 10 Abs.1 Ziff. 2b Einkommensteuergesetz) vom Gesamtbetrag der → Einkünfte in Abzug gebracht werden: (1) Der Versicherungsvertrag darf ausschließlich die Zah529
Rürup-Rente
lung einer lebenslangen monatlichen Leibrente vorsehen; (2) die Rente darf nicht vor Vollendung des 60. Lebensjahres gezahlt werden; (3) die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag dürfen nicht vererbt, beliehen, veräußert oder kapitalisiert werden; dem Begünstigten darf kein Anspruch auf vorzeitige Auszahlung eingeräumt werden. Der Abschluß einer R. eignet sich in besonderer Weise für Selbständige mit einer relativ hohen Steuerbelastung, denen eine entsprechende Absicherung über die RiesterRente oder eine → betriebliche Altersvorsorge nicht offensteht. Rüstow, Alexander 1885 – 1963, Nationalökonom; lehrte nach Tätigkeiten in Verwaltung (Reichskartellamt) und Wirtschaft (Syndikus) in München, Istanbul und Heidelberg (bis 1955). Vertreter des → Neoliberalismus, 1955 – 1963 Vorsitzender der → „Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft“. Herausragende Publikationen: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus (1949), Ortsbestimmung der Gegenwart, 3 Bde. (1951 – 1957), Wirtschaftspolitik und Moral (1962). Rüstzeit → Arbeitszeitstudien. Rufbereitschaft Bereitstehen zum Arbeitseinsatz auf Abruf; nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 Betriebsverfassungsgesetz mitbestimmungspflichtige (→ Mitbestimmung) Regelung im Rahmen der betrieblichen Arbeitszeitordnung. Ruhegeld I. Leistung aus → Sozialversicherung; siehe → Altersruhegeld. II. Leistung aus → betrieblicher Altersvorsorge. Ruhepausen die zwischen der täglichen → Arbeitszeit angeordneten Erholungszeiten (Vesperpause, Mittagspause u. ä.). Die R. werden durch die → Arbeitszeitordnung bestimmt. Frauen und Jugendliche genießen gegenüber den Männern besondere Vergünstigungen.
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Rule of Law
Ruhezeiten die zwischen den Arbeitstagen angeordneten → Freizeiten. Nach Beendigung der täglichen → Arbeitszeit ist dem → Arbeitnehmer eine ununterbrochene R. von 11 Stunden zu gewähren (§ 5 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz [ArbZG]). Für bestimmte Beschäftigungsbereiche oder Arbeiten, bei denen besondere Gefahren für die Arbeitnehmer zu erwarten sind (→ gefahrgeneigte Arbeit), kann dieser Zeitraum zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer ausgedehnt werden (§ 8 ArbZG). In Krankenhäusern, in Pflegeeinrichtungen, im Gaststätten- und Beherbergungswesen, in Verkehrsbetrieben, beim Rundfunk, in der Landwirtschaft und Tierhaltung kann die Ruhezeit um bis zu 1 Stunde verkürzt werden, wenn innerhalb eines Kalendermonats oder innerhalb von 4 Wochen ein Ausgleich bei einer anderen R. auf 12 Stunden erfolgt (§ 5 Abs. 2 ArbZG). Andererseits können in Krankenhäusern und anderen Pflegeeinrichtungen Kürzungen der R. durch Inanspruchnahme während des → Bereitschaftsdienstes oder der → Ruf bereitschaft zu anderen Zeiten ausgeglichen werden (§ 5 Abs. 3 ArbZG). Für Kraftfahrer und Beifahrer sehen die Vorschriften der Europäischen Union geringere Ruhezeiten vor. Abweichende Regelungen zu den vorgenannten R. sind nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 ArbZG möglich. Während der R. dürfen Arbeitnehmer zu keinen Arbeiten herangezogen werden, auch nicht zu solchen zu Hause, oder lediglich zur → Arbeitsbereitschaft. Dagegen können Abrufzeiten, die dem Arbeitnehmer ohne Inanspruchnahme frei zur Verfügung standen, auf die R. angerechnet werden. ruinöse Konkurrenz extremes marktwirtschaftliches Wettbewerbsverhalten, das auf den Ruin von Mitbewerbern – etwa durch Preisunterbietung unter den → Selbstkosten (Preisschleuderei) – gerichtet ist. Rule of Law Herrschaft des Rechts; wird gewöhnlich mit Rechtsstaat übersetzt.
Sachbezüge
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
S Sachbezüge Sachleistungen (z. B. Kost, Unterkunft, Kleidung u. a.), die einem → Arbeitnehmer vom → Arbeitgeber als Teil des → Arbeitsentgeltes erbracht werden; sie können – soweit vereinbart – nach den allgemein geltenden Sachbezugswerten (ausgewiesen in der jeweils geltenden Sachbezugsordnung) in Ansatz gebracht werden. Sachdarlehen Als S. (§§ 607 – 609 BGB n. F.) bezeichnet man die Überlassung von vertretbaren → Sachen (zum Verbrauch). Es kommt durch die Hingabe der Darlehenssache an den Darlehensnehmer oder durch Umwandlung einer schon bestehenden Schuld in eine Darlehensschuld zustande. Der Darlehensnehmer ist zur Zahlung eines Darlehensentgelts und bei Fälligkeit zur Rückerstattung von Sachen in gleicher Art, Güte und Menge verpflichtet. Ist für die Rückerstattung der überlassenen Sache keine Zeit bestimmt, hängt die Fälligkeit davon ab, daß der Darlehensgeber oder Darlehensnehmer kündigt. Ein auf unbestimmte Zeit abgeschlossener S.-vertrag kann, soweit nicht ein anderes vereinbart ist, jederzeit vom Darlehensgeber oder Darlehensnehmer ganz oder teilweise gekündigt werden. Ein Entgelt hat der Darlehensnehmer spätestens bei Rückerstattung der überlassenen Sache zu bezahlen. Sachen im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches alle körperlichen Gegenstände. Zu unterscheiden: I. (1) unbewegliche S. (Immobilien), d. s. Grundstücke (bebaute u. unbebaute); (2) bewegliche S. (Mobilien), d. s. alle übrigen S. II. (1) vertretbare S., d. s. solche S., die im Verkehr nach Zahl, Maß oder Gewicht bestimmt werden, also S., die ohne weiteres durch ein anderes Exemplar der gleichen Gattung ersetzt werden können (z. B. Waren einer bestimmten Handelsklasse); (2) nichtvertretbare S., d. s. S., die in ihrer Art einmalig sind und deshalb nicht durch ein anderes Exemplar ersetzt werden
können (z. B. ein bestimmtes Kunstgemälde [Unikat]). Sachenrecht übergreifende Bezeichnung für die im dritten Buch des Bürgerlichen Gesetzbuches geregelte Rechtsmaterie. Gegensatz: → Schuldrecht. Sachgüter → Güter. Sachkapital → Kapital. Sachmängel → Mängel. Sachsicherheiten → Kreditsicherung. Sachunterricht geschlossener, vorfachlicher Unterrichtsbereich, der über die vier Jahre Grundschule hinweg geographische, historische, volkskundliche, wirtschaftskundliche, sozialkundliche, technische und naturkundliche Sach- und Problemverhalte thematisiert. Sachversicherung Versicherung von Sachwerten (→ Sachen) beziehungsweise gegen → Schäden an solchen. Grundsätzlich kann alles versichert werden, soweit es für den Versicherer attraktiv erscheint. Große in- und ausländische Versicherungsunternehmen machen entsprechende (auch auf ganz individuelle Bedürfnisse zugeschnittene) → Angebote. Die gängigen S. werden zu weitgehend genormten (d. h. einheitlich gehaltenen) Bedingungen angeboten. Als besonders beliebt gelten: → Hausrat- und → Wohngebäudeversicherung, → Reisegepäckversicherung und → Kraftfahrtversicherung. Darüber hinaus: → Einbruch- und Raubversicherung, Feuerversicherung, Glasversicherung, Leitungswasserversicherung u.a.m. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung auf der Grundlage des Gesetzes über die Bildung eines S. vom 14. August 1963 (mit verschiedenen Änderungen) gebildetes Gre531
Sachverständigenrat zur Begutachtung … Samstags- und Sonntagsarbeit für Jugendliche, Verbot der
mium aus fünf unabhängigen Sachverständigen (den sog. „fünf Weisen“) zur jährlichen Begutachtung der → gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. Die Ratsmitglieder werden für die Dauer von jeweils 5 Jahren vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung ernannt. Wiederberufungen sind möglich. Der S. hat sein Gutachten bis zum 15. 11. eines jeden Jahres der Bundesregierung zuzuleiten. Das Gutachten stellt die gesamtwirtschaftliche Lage und die absehbare Entwicklung derselben dar. Dabei sollen mögliche Abweichungen von den anzustrebenden → wirtschaftspolitischen Zielen (→ Preisniveaustabilität, hoher → Beschäftigungsstand, → außerwirtschaftliches Gleichgewicht, stetiges und angemessenes → Wachstum) und Ansatzpunkte zu deren Vermeidung respektive Beseitigung aufgezeigt werden. Der S. soll jedoch keine Empfehlungen für bestimmte wirtschaftsund sozialpolitische Maßnahmen aussprechen. saisonale Schwankungen volkswirtschaftliche Wachstumsschwankungen im Verlauf eines Jahres. Saisonbetriebe → Unternehmen, deren → Produktion/ → Umsatz im Jahresverlauf größeren, regelmäßig wiederkehrenden Schwankungen unterliegt, die ihre Ursache im Wechsel der Jahreszeiten oder in Sitten und Gewohnheiten haben (z. B. Almbetriebe, Wintersporthotels, Seebäder, Eisdielen, Lebkuchenfabrikation u.a.m.). Saisonkurzarbeitergeld → Kurzarbeitergeld für Beschäftigte am Bau. Samstags- und Sonntagsruhe für Jugendliche ⇒ Samstags- und Sonntagsarbeit für Jugendliche, Verbot der Samstags- und Sonntagsarbeit für Jugendliche, Verbot der ⇒ Samstags- und Sonntagsruhe für Jugendliche Nach § 15 Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) dürfen Jugendliche nur an 5 Ta532
gen in der Woche beschäftigt werden; Samstag und Sonntag sind für sie grundsätzlich arbeitsfrei. Jugendliche, die ausnahmsweise an Samstagen oder Sonntagen arbeiten, haben Anspruch auf Freistellung an einem anderen berufsschulfreien Arbeitstag derselben Woche. – Ausnahmen von der Samstagsruhe (d. h. vom Verbot der Samstagsarbeit) sieht das Gesetz (§ 16 JArbSchG) in folgenden Fällen vor: (1) in Krankenanstalten sowie in Alten-, Pflege- und Kinderheimen, (2) in offenen Verkaufsstellen, in Betrieben mit offenen Verkaufsstellen, in Bäkkereien und Konditoreien, im Friseurhandwerk, (3) im Verkehrswesen, (4) im Familienhaushalt, (5) im Gaststätten- und Schaustellergewerbe, (6) bei Musikaufführungen, Theatervorstellungen und anderen Aufführungen, (7) bei Aufnahmen im Rundfunk und Fernsehen auf Ton- und Bildträgern sowie bei Film- und Fotoaufnahmen, (8) beim Sport, (9) im ärztlichen Notdienst, (10) in Reparaturwerkstätten für Kraftfahrzeuge. – Werden Jugendliche am Samstag beschäftigt, so ist ihnen die Fünf-TageWoche durch Freistellung an einem anderen berufsschulfreien Arbeitstag derselben Woche sicherzustellen. Diese Freistellung kann auch an einem eventuell bestehenden Betriebsruhetag (z. B. im Friseurhandwerk oder Gaststättengewerbe) erfolgen (§ 16 Abs. 3 JArbSchG). – Ausnahmen von der Sonntagsruhe (d. h. vom Verbot der Sonntagsarbeit) läßt das Gesetz (§ 17 JArbSchG) nur in eng begrenztem Umfang zu: (1) in Krankenanstalten sowie in Alten-, Pflegeund Kinderheimen, (2) in der Landwirtschaft und Tierhaltung mit Arbeiten, die auch an Sonn- und Feiertagen naturnotwendig vorgenommen werden müssen, (3) im Familienhaushalt, wenn der Jugendliche in die häusliche Gemeinschaft aufgenommen ist, (4) im Schaustellergewerbe, (5) bei Musikaufführungen, Theatervorstellungen und anderen Aufführungen, (6) bei Direktsendungen im Rundfunk und im Fernsehen, (7) im Sport, (8) im ärztlichen Notdienst, (9) im Gaststättengewerbe. – Mindestens 2 Sonntage im Monat müssen beschäftigungsfrei sein. – Werden Jugendliche am Sonntag beschäftigt, so sind sie, unabhängig von der Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden, an
Samstags- und Sonntagsarbeit für Jugendliche, Verbot der
einem berufsschulfreien Arbeitstag derselben Woche von der Arbeit freizustellen. In Betrieben mit einem berufsschulfreien Betriebsruhetag kann die Freistellung auch an diesem Tage erfolgen. Sanierung Organisatorische wie auch finanzielle Maßnahmen zur Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit (Wiedergesundung) eines finanziell in Schwierigkeiten geratenen → Unternehmens. Die finanziellen S.-maßnahmen bestehen in der Regel in der Zuführung von → Eigenkapital. Satzung die vertraglichen Bestimmungen über die Verfassung von Vereinigungen, → Gesellschaften u. ä. Say, Jean Baptiste *1767 (Lyon) †1832 (Paris), beginnt seine Karriere als Journalist, tritt unter Napoleon kurze Zeit in den Staatsdienst, bis es zum Bruch zwischen dem Kaiser und den Liberalen kommt, betreibt anschließend von 1806 – 13 eine Baumwollspinnerei, widmet sich dann Vorlesungen über → Politische Ökonomie, um ab 1819 als Professor in Paris in diesem Fach zu lehren. Seine beiden Hauptwerke sind die Traité d’économie politique (1803) und der Cours complet d’économie politique practique (1828). Gemeinhin werden sie als der Beginn der klassischen Ökonomie als Wissenschaft in Frankreich betrachtet. Lange Zeit wurde S. in der Fachwelt als Epigone abgetan, weil sein Werk im wesentlichen eine Systematisierung der Lehren → Adam Smiths darstellt. Dies wird der Originalität S. kaum gerecht, da in der Systematisierung des methodologisch eher noch undurchdachten Smithschen Werkes schon ein Verdienst liegt. → Frédéric Bastiat argumentiert deshalb 1850 in seinen Harmonies Economiques, daß erst S. durch seine kohärente Theorie Smiths Werk zur wirklichen Wissenschaft gemacht hätte. Darüber hinaus verdankt die Ökonomie S. auch etliche neue Theoreme, von denen das sog. „Saysche Theorem“ das berühmteste ist. Dieses Gesetz besagt, daß → Produktion auch immer → Nachfrage schaffe. Allgemeine Ab-
Schadensersatz
satzkrisen seien daher in einem funktionierenden → Markt nicht möglich. Damit setzt sich Say in Gegensatz zu dem Engländer → T. Robert Malthus, der staatliche Nachfragestimulierung zur Behebung solcher Krisen vorgeschlagen hatte. Literatur: S. Hollander, Jean-Baptiste Say and the Classical Canon in Economics: The British Connection in French Classicism, London/New York 2005; Hutt, W. H.: A Rehabilitation of Say’s Law, Athens/Ohio 1974; Krelle, W.: Das Saysche Theorem in der Nationalökonomie, Freiburg 1947; Sowell, Th.: Say’s Law. An Historical Analysis, Princeton 1972. D. D. Saysches Theorem → Say, Jean Baptiste SCE → Societas Cooperativa Europaea. Schaden durch einen bestimmten Umstand sich einstellender materieller oder ideeller Nachteil. Im bürgerlichen Recht: Unterschied zwischen dem Vermögensbestand vor und nach dem (schadenstiftenden) Ereignis. Schadensersatz I. allgemein: Abgeltung des → Schadens, der einem anderen durch einen vom Ersatzpflichtigen zu vertretenden Umstand entstanden ist. II. im bürgerlichen Recht (§§ 249 – 255 BGB) bedeutet S., daß jeder Nachteil (materiell wie auch immateriell [z. B. Ehrverletzung, Beleidigung]), den eine Person ohne ihren Willen erlitten hat, so zu ersetzen ist, daß der frühere Zustand wieder hergestellt wird. (So ist beispielsweise die beschädigte Sache zu reparieren oder für eine zerstörte Sache gleichwertiger Ersatz zu liefern). Ein Anspruch auf Geld besteht grundsätzlich nicht. Ausnahmen: (1) wenn die Herstellung nicht möglich ist oder zur Entschädigung des Geschädigten nicht genügt (§ 251 BGB); (2) wenn der Geschädigte dem Schädiger eine angemessene Frist zur Herstellung gesetzt hat und der Schädiger diese ungenutzt verstreichen ließ (§ 250 BGB); (3) wenn die Herstellung nur mit unverhältnismäßigen 533
Schadenersatz
Aufwendungen verbunden ist (§ 251 Abs. 2 BGB); (4) bei → S. wegen Nichterfüllung. Der Umfang (die Höhe) eines materiellen S. richtet sich nach dem Wert, den die Sache für den Geschädigten hatte. Ein eventueller Liebhaberwert bleibt jedoch unberücksichtigt. Der S. darf nicht zu einer Bereicherung des Geschädigten führen. Besonderheiten: (1) der S. umfaßt auch den entgangenen Gewinn (§ 252 BGB); (2) wegen eines immateriellen Schadens muß nur Ersatz geleistet werden, wenn das Gesetz dies (wie beispielsweise beim Schmerzensgeld) ausdrücklich bestimmt (§ 253 BGB B); (3) Mitverschulden des Geschädigten kann zur Schadensteilung wie auch unter Umständen zu Wegfall des S.-anspruches führen (§ 254 BGB). Die Prüfung, ob ein S. überhaupt in Frage kommt, hat sich von der Frage leiten zu lassen, ob zwischen dem eintretenden Schaden und dem Verhalten des Schädigers ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Als Ursache wird im bürgerlichen Recht jedes Ereignis angesehen, das nach der Lebenserfahrung geeignet ist, den eingetretenen Schaden herbeizuführen. Es wird also darauf abgestellt, daß mit dem Schadenseintritt nach allgemeiner Lebenserfahrung zu rechnen war. Es scheiden somit alle ursächlichen Zusammenhänge aus, die außerhalb der Wahrscheinlichkeit liegen.
Scheck
hatte. Siehe insbesondere: → Kaufvertrag, → Werkvertrag, → Dienstvertrag, → Reparaturvertrag, → Reisevertrag. Schadenfreiheitsrabatt ein in bestimmten Versicherungszweigen wegen des individuellen oder allgemeinen günstigen Schadenverlaufes gewährter Nachlaß auf die zu zahlende (Versicherungs-)Prämie. Siehe insbesondere: → Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung. schaden- und gefahrgeneigte Arbeit Tätigkeit, bei deren Vollzug dem → Arbeitnehmer mit hoher Wahrscheinlichkeit – auch wenn er im allgemeinen Sorgfalt walten läßt – einmal ein Versehen unterläuft. Diese Schaden- oder Gefahrgeneigtheit kann zum Beispiel durch das bearbeitete Material, die Situation, die besondere Nervenanspannung, die Arbeitstechnik oder anderes bedingt sein. Die → Haftung des Arbeitnehmers bei s. entfällt bei fehlendem → Verschulden; sie ist jedoch stets gegeben bei → Vorsatz. Schadenversicherung Sammelbezeichnung für alle Versicherungsformen, die einen konkreten Vermögensschaden ersetzen. Siehe auch: → private Krankenversicherung.
Schadensersatzpflicht → Schadensersatz.
Schattenwirtschaft derjenige Teil gesamtwirtschaftlicher Aktivität, der von der amtlichen Statistik nicht erfaßt wird und somit nicht in die Berechnung des → Inlandsproduktes eingeht. Die S. umfaßt: Selbstversorgung (Hausfrauenarbeit, Heimwerkertätigkeit, Gartenarbeit u. a.), Nachbarschaftshilfe, → Schwarzarbeit, kriminelle Geschäfte (z. B. Drogenhandel, illegaler Waffenhandel).
Schadensersatz wegen Nichterfüllung → Schadensersatz, der unter bestimmten Voraussetzungen (z. B. Schuldnerverzug, → Unmöglichkeit der Leistung) wegen Nichterbringung oder nur teilweiser Erbringung der geschuldeten Leistung gefordert werden kann. Der S. ist immer in Geld zu erbringen. Die Höhe des Geldersatzes bemißt sich nach dem Interesse, das der Ersatzberechtigte an der Leistungserbringung
Scheck Anweisung an ein → Kreditinstitut für Rechnung (d. h. zu Lasten) des → Ausstellers einen bestimmten Geldbetrag zu zahlen. – Der S. ist kein → gesetzliches Zahlungsmittel. Die Übergabe eines S. zur → Tilgung einer → Schuld ist eine Leistung → erfüllungshalber. Die Schuld wird erst getilgt, wenn das bezogene Kreditinstitut den S. einlöst.
Eine S.-pflicht kann sich u. a. aus → Vertrag (insbesondere aus gegenseitigen Verträgen: → Kaufvertrag, → Werkvertrag, → Reparaturvertrag, → Arbeitsvertrag, → Ausbildungsvertrag, → Arztvertrag, → Krankenhausvertrag, → Reisevertrag u. a.) wie auch aus → unerlaubter Handlung ergeben.
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Scheck
Der S. muß nach Art. 1 Scheckgesetz folgende Bestandteile enthalten: (1) die Bezeichnung „Scheck“ im Text der Urkunde; (2) die unbedingte Anweisung, eine bestimmte Geldsumme zu zahlen; (3) das bezogene Kreditinstitut; (4) den Zahlungsort; (5) Ort und Tag der Ausstellung; (6) die Unterschrift des Ausstellers. Aus Sicherheitsgründen und zur Vereinfachung des S.-verkehrs erkennen die Kreditinstitute nur S.ziehungen (d. h. S.-ausstellungen) auf von ihnen ausgegebenen (S.-)Vordrucken an. Ein S. ohne den Vermerk „Nur zur Verrechnung“ gilt als → Barscheck. Trägt ein S. den Aufdruck oder die Aufschrift „Nur zur Verrechnung“, so gilt er als → Verrechnungsscheck. Aufgrund des auf jedem S.-formular eingedruckten Vermerkes „oder Überbringer“ (sogenannte Überbringerklausel) kann ein S. formlos weitergegeben werden. Das bezogene Kreditinstitut ist berechtigt, aber nicht verpflichtet, die Legitimation des Überbringers zu überprüfen. Das bezogene Geldinstitut ist durch die Ausstellung eines S. lediglich zur Zahlung angewiesen, nicht jedoch verpflichtet. Eine Ausnahme von dieser Regelung gilt für den → bestätigten Bundesbankscheck. Der S. ist bei Sicht zahlbar. Wird der S. innerhalb der gesetzlichen Vorlegefristen (im Inland 8 Tage, 20 Tage für im europäischen Ausland oder in einem das Mittelmeer angrenzenden Land ausgestellte S., 70 Tage für in überseeischen Ländern ausgestellte S.) vorgelegt und vom bezogenen Geldinstitut nicht eingelöst (dies ist dann möglich, wenn: das Konto des Ausstellers keine ausreichende Deckung aufweist; der S. widerrufen [gesperrt] wurde; die Vorlegefrist abgelaufen ist), so hat der S.-berechtigte (das ist der S.-inhaber) die Pflicht, seinen unmittelbaren Vormann (das ist derjenige, der ihm gegebenenfalls den S. weitergegeben hat) sowie den Aussteller innerhalb von 4 Werktagen zu benachrichtigen und das Recht, → Rückgriff zu nehmen (Regreßrecht) gegen die → Indossanten und den Aussteller. Der S.-inhaber kann dieses Rückgriffsrecht jedoch nur ausüben, wenn er die Verweigerung der Einlösung nach-
Schichtarbeit
weist und zwar durch einen Vorlegungsvermerk des Geldinstituts oder durch eineöffentliche Urkunde (→ Protest). Als nicht unproblematisch gestaltet sich zuweilen die Frage, wer das Risiko der Fälschung und des Diebstahles von S. trägt. Hierzu gilt es zunächst festzustellen, daß jede Bank verpflichtet ist, die ihr vorgelegten S. auf die Echtheit ihrer Unterschrift zu prüfen. Verletzt das Geldinstitut seine Prüfungspflicht, so macht es sich schadensersatzpflichtig. Hat der Kunde jedoch durch mangelnde Sorgfalt bei der Auf bewahrung der S.-formulare deren mißbräuchliche Verwendung begünstigt, so kann ihm ein Teil des → Schadens selbst angelastet werden. – Im Falle von Verlust oder Diebstahl von S.formularen ist die sofortige Sperrung der S. angezeigt. Das heißt, das Geldinstitut wird von dem Vorfall in Kenntnis gesetzt und darum gebeten, ab sofort keine S. mehr einzulösen. Schenkung unentgeltliche vertragliche Zuwendung aus dem Vermögen des Schenkers zur Bereicherung des Beschenkten (§§ 516 – 534 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Die S. bedarf keiner besonderen → Form. Das Versprechen jedoch muß gerichtlich oder notariell beurkundet werden (→ öffentliche Beurkundung). – Der Schenker kann sein Geschenk zurückfordern, wenn er unverschuldet in Not gerät oder wenn sich der Beschenkte gegenüber dem Schenker oder einem nahen Angehörigen desselben groben Undanks schuldig gemacht hat. Die Herausgabe des Geschenkes kann nur nach den Vorschriften über → ungerechtfertigte Bereicherung (§§ 812 – 822 BGB) verlangt werden (d. h. grundsätzlich nur, soweit der Beschenkte noch bereichert ist). Schenkungsteuer → Erbschaft- und Schenkungsteuer. Schichtarbeit abwechselnde Übernahme eines → Arbeitsplatzes durch zwei (Zwei-Schichten-Betrieb) oder drei (Drei-Schichten-Betrieb) → Arbeitnehmer im Verlauf eines Tages. Für die betroffenen Arbeitnehmer ist damit die Schwierigkeit der tageszeitlich wech535
Schichtarbeit
Schiller, Karl
selnden → Arbeitszeit verbunden. Zu S. sind Arbeitnehmer nur verpflichtet, wenn darüber entsprechende Vereinbarungen getroffen wurden. Die Einführung oder der Abbau von S. und alle damit zusammenhängenden Fragen sind mitbestimmungspflichtig (→ betriebliche Mitbestimmung). – Für Frauen und Jugendliche bestehen bestimmte Schutzvorschriften. Schichtzeit die bei → Schichtarbeit für eine Schicht (→ Arbeitszeit + Pausen) angesetzte Zeitspanne. Hinsichtlich der S. gelten für Jugendliche bestimmte Schutzvorschriften. Schickschulden Leistungen, die der → Schuldner – soweit nichts anderes vereinbart wurde – auf seine Kosten und → Gefahr an den Wohn- beziehungsweise Geschäftssitz des → Gläubigers zu übermitteln (schicken) hat; zum Beispiel: Geldschulden. Schiedsstellen Einrichtungen zur Klärung von Problemund Streitfällen zwischen den Marktpartnern; so insbesondere die S. von → Industrie- und Handelskammern, → Handwerkskammern, Ärztekammern, Architektenkammern. Siehe auch: → Gutachterstellen und → Schlichtungsstellen. Schiedsverfahren → Schlichtungsrecht, barkeit.
→ Arbeitsgerichts-
Schiller, Karl geb. am 24. 4. 1911 in Breslau, gestorben am 26. 12. 1994 in Hamburg, war einer der führenden deutschen Wirtschaftspolitiker. Nach Studium (1934 Diplom-Volkswirt) und Promotion zum Dr. rer. pol. (1935 bei Carl Brinkmann über das Thema „Arbeitsbeschaffung und Finanzordung“) leitete er zunächst eine Forschungsgruppe am Institut für Weltwirtschaft in Kiel. 1939 erfolgte die Habilitation an der Universität Kiel. Von 1941 – 45 war Schiller Kriegsteilnehmer. 1947 wurde er als Professor an die Universität Hamburg berufen. Beeindruckt von Kurt Schumacher schloß er sich der SPD an. Er wurde Wirtschafts- und Verkehrssenator in Hamburg (1948 – 53), Wirtschaftssena536
tor in Berlin (1961 – 1965), wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im deutschen Bundestag und von 1966 – 1972 bekleidete er zunächst das Amt des Bundeswirtschaftsministers und 1971/72 in Personalunion auch des Bundesfinanzministers („Superminister“). Am 7. 7. 1972 trat er aus Protest gegen die → Finanzpolitik seiner Partei von beiden Ämtern zurück und verließ gleichzeitig die SPD. In den Folgejahren war er vielfach als wirtschaftspolitischer Berater im In- und Ausland tätig. Gleichzeitig war er als elder statesman ein vielbeachteter Kritiker der → Wirtschaftspolitik verschiedener Regierungskoalitionen. 1980 nahm er die Mitgliedschaft in der SPD wieder auf, bekleidete aber keine Parteiämter mehr. S. richtete seine wissenschaftliche und öffentliche Arbeit an der Grundlegung einer modernen Wirtschaftspolitik aus. Als einer der Väter des Godesberger Programms der SPD ging es ihm darum, seine Partei vom Ballast des → Marxismus zu befreien, um in ihr eine marktwirtschaftlich orientierte Politik heimisch zu machen („Marktwirtschaft von links“). Als Bundeswirtschaftsminister versuchte er marktwirtschaftliches Denken mit dem damals vorherrschenden Keynesianismus (→ Keynessche Theorie) zu verbinden („Synthese von keynesianischer Botschaft und Freiburger Imperativ“). Sein Konzept der → „Globalsteuerung“ der Wirtschaft überschätzte die Steuerungsfähigkeit der modernen, international stark verflochtenen deutschen Wirtschaft erheblich. Seit Beginn der achtziger Jahre betonte Schiller, der als Wirtschaftsminister wichtige marktwirtschaftliche Reformen durchgesetzt hatte, immer stärker die Notwendigkeit, den protektionistischen und besitzstandswahrenden Tendenzen in der deutschen Wirtschaft Einhalt zu gebieten. S. war ein energischer Befürworter der deutschen Einheit; er kritisierte jedoch in seinem letzten Buch die mit ihr einhergehenden wirtschaftspolitischen Fehlentwicklungen. Auswahl aus den Schriften S.: Marktregelung und Marktordnung in der Weltagrarwirtschaft (1940); Der Ökonom und die Gesellschaft. Das freiheitliche und sozi-
Schiller, Karl
ale Element in der modernen Wirtschaftspolitik. (1964); Reden zur Wirtschaftspolitik (1966 – 1972; 10 Bände); Der schwierige Weg in die offene Gesellschaft. Kritische Anmerkungen zur deutschen Vereinigung (1994). C. W. schlanke Produktion ⇒ Lean Production → Arbeitsstrukturierung. schlankes Management ⇒ Lean Management. Schlechtleistung → Lohnminderung. Schlechtwettergeld → Kurzarbeitergeld für Beschäftigte am Bau. Schlichtung → Schlichtungsrecht. Schlichtungsabkommen Vereinbarungen der → Tarifvertragsparteien zur Erweiterung der → Friedenspflicht. Sie sehen im allgemeinen vor, daß Kampfmaßnahmen erst dann ergriffen werden können, wenn ein eingeleitetes → Schlichtungsverfahren vor einer → Schlichtungsstelle ergebnislos verlief. Schlichtungsrecht Können sich die → Tarifvertragsparteien in ihren Verhandlungen um den Abschlußeines neuen → Tarifvertrages nicht einigen, wird häufig ein Schlichtungsverfahren in Gang gesetzt. Dieses Schlichtungsverfahren unterliegt der Absicht, bestehende Interessengegensätze abzubauen und den Ausbruch eines → Arbeitskampfes zu vermeiden. Sollte ein Arbeitskampf bereits ausgebrochen sein, so kann im Wege der Schlichtung versucht werden, den → Arbeitsfrieden wiederherzustellen. Es lassen sich zwei Schlichtungsverfahren unterscheiden: die vereinbarte Schlichtung und die staatliche Schlichtung. 1. Die vereinbarte Schlichtung basiert auf einer Musterschlichtungsvereinbarung, die der → Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die → Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) ihren Mitgliedern empfohlen ha-
Schlichtungsrecht
ben. Die Tarifvertragsparteien sind großteils in besonderen → Schlichtungsabkommen (z. B. Schlichtungs- u. Schiedsvereinbarung in der Metallindustrie) dahingehend übereingekommen, vor Beginn eines Arbeitskampfes eine Schlichtung durchzuführen. Die dafür einzurichtenden Schlichtungsstellen sind mit Beisitzern der streitenden Parteien und in der Regel mit einem oder zwei unparteiischen Vorsitzenden besetzt. Führt das Schlichtungsbemühen dieses Gremiums zu einer Einigung der Tarifvertragsparteien, so repräsentiert diese einen Tarifvertrag. Führt das Schlichtungsbemühen zu keiner Einigung oder wird der von der Schlichtungsstelle unterbreitete Einigungsvorschlag nicht von beiden Tarifvertragsparteien angenommen, ist die Schlichtung gescheitert. Die → Friedenspflicht besteht dann nicht mehr und der Arbeitskampf kann beginnen. 2. Grundlage der staatlichen Schlichtung ist das Kontrollratsgesetz Nr. 35 v. 20. 8. 1946 über das Ausgleichs- und Schiedsverfahren in Arbeitsstreitigkeiten (gilt nicht im Saarland!), zu dem einige Bundesländer Ausführungsvorschriften erlassen haben. Diese staatlichen Regelungen greifen jedoch nur dann Platz, wenn (1) der Tarifvertrag keine Schlichtungsstelle vorsieht und sich einer oder beide Tarifpartner diesbezüglich an die oberste Landesarbeitsbehörde gewandt hat/haben oder (2) das vereinbarte Schlichtungsverfahren ergebnislos verlief und die Tarifvertragsparteien sich daraufhin an die oberste Landesarbeitsbehörde gewandt haben. – Beim staatlichen Schlichtungsverfahren gilt es, das von der obersten Landesarbeitsbehörde (Landesschlichter) durchzuführende Vermittlungsverfahren und das eigentliche Schiedsverfahren zu unterscheiden. Das Schiedsverfahren kann immer erst dann eingeleitet werden, wenn entweder das (staatliche) Vermittlungsverfahren oder das (von den Tarifvertragsparteien) vereinbarte Schlichtungsverfahren scheiterte oder aber ein Schlichtungsverfahren garnicht vereinbart wurde. Das (staatliche) Schiedsverfahren wird durch einen mit Zustimmung beider Parteien konstituierten staatlichen Schiedsausschuß (bestehend aus einem Vorsitzenden und Vertretern der → Arbeit537
Schlichtungsrecht
geber und → Arbeitnehmer) geführt. Der Schiedsspruch dieses (Schieds-)Ausschusses ist nur bindend, wenn ihn beide Tarifparteien annehmen. Schlichtungsstellen Einrichtungen zur Klärung von Problemund Streitfällen zwischen den → Tarifpartnern. Siehe: → Schlichtungsrecht. Schlichtungsverfahren → Schlichtungsrecht. Schlüsselqualifikationen 1. S.: Qualifikationsanforderungen oder Kompetenzen? „S.“ ist eine häufig benutzte Verständigungsformel für eine Reform der → beruflichen Bildung. Mit Hilfe dieses Begriffs orientieren sich Schule, → Betrieb und → Bildungspolitik auf eine neu zu entwickelnde Programmatik beruflichen Lehrens und Lernens. Wenngleich S. auf Veränderungen im schulischen und betrieblichen Lernen abzielen, ist der Begriff nicht etwa von Berufspädagogen in die Diskussion eingeführt worden. Es war die breit angelegte Debatte über die Flexibilisierung des Arbeitskräfteeinsatzes in der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, mit der er in den frühen 1970er Jahren bekannt wurde. Dieser Debatte lag die Einsicht zugrunde, daß zuverlässige Prognosen zukünftiger Tätigkeitsanforderungen prinzipiell nicht möglich sind, die Vermittlung berufsrelevanten Fachwissens deshalb immer ein riskanter Versuch bleiben muß, auf rasch wechselnde Anforderungen im Arbeitsmarkt eine pädagogische Antwort zu finden. Mit S. sind dagegen Fähigkeiten, Einstellungen und Strategien gemeint, die Individuen helfen, sich an Nichtprognostizierbares anpassen zu können. Sie sind nicht unmittelbar auf bestimmte Tätigkeiten bezogen, sondern erweisen ihre Eignung in der Bewältigung einer Folge überwiegend nicht-vorhersehbarer Anforderungsänderungen, die sich im Laufe individueller Berufsbiografien ergeben. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre wurde die Forderung nach S. erneut aufgegriffen, diesmal jedoch ausdrücklich mit dem Blick auf Qualifikationsanforderungen der zukünftigen Arbeitswelt und begründet 538
Schlüsselqualifikationen
vor allem mit den zu erwartenden Veränderungen der betrieblichen Organisationsund Arbeitsstrukturen. Mit dem Einzug moderner Unternehmensführungskonzepte wie der Balanced Scorecard, dem Supply Chain Management oder dem Qualitätsmanagement werden Wertschöpfungsketten mit Geschäfts- und Arbeitsprozessen zum Ausgangspunkt der Beschreibung von Beruf und Arbeit. Die Folge ist, dass sich betriebliche → Arbeit nicht mehr länger funktionsorientiert abgrenzen und entsprechend beschreiben lässt, sondern arbeitsbereichsbzw. prozessübergreifend und ganzheitlich organisiert ist. Von berufspädagogischer Seite wurde seitdem das Konzept verfolgt, zukünftige Anforderungen an Arbeit und → Beruf curriculum- und lerntheoretisch mit den anthropologisch begründeten Ansprüchen des Individuums zu verknüpfen. Allerdings werden derzeit zwei grundsätzlich verschiedene Wege, auf denen diese Verknüpfung hergestellt werden soll, beschritten: ein erster Weg, auf dem von den Anforderungen der Arbeits- und Berufswelt zum Individuum vorangeschritten wird, d. h. gleichsam von „außen“ nach „innen“ im Sinne Theodor Litts. Und ein zweiter Weg, der umgekehrt von „innen“ nach „aussen“ führt. 2. Zwei Wege einer Annäherung an S.: Grundthema auf dem ersten Weg einer curriculumtheoretischen Annäherung sind Qualifikationen als Voraussetzungen für Flexibilität in der Anpassung an veränderte und sich schnell verändernde Anforderungen neuer Technologien und einer flexiblen Arbeitsorganisation. Gesucht werden vor allem solche Qualifikationen, die weniger situationsabhängig sind, nicht so schnell veralten und mit deren Hilfe auf neu zu gestaltende Arbeitsorganisationen flexibel reagiert werden kann. Gefragt sind weniger arbeitsplatzbezogene Kenntnisse und Fertigkeiten, sondern diejenigen Qualifikationen, mit denen sich bisher unbestimmte Arbeitsgebiete „erschließen“ lassen. Vor allem kognitive Fähigkeiten wie Entscheidungs- und Problemlösefähigkeiten in Verbindung mit Informationsverarbeitung, for-
Schlüsselqualifikationen
malen und anwendungsbezogenen Fähigkeiten der selbständigen Arbeitsausführung und Arbeitskontrolle sowie Fähigkeiten aus dem Bereich sozialen Verhaltens wie Konfliktfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit, aufgabenbezogene Sprachkenntnisse und Kooperationsfähigkeit werden als S. genannt. Bezogen auf innovative Zukunftsmärkte wie beispielsweise der Vermarktung von Umwelttechniken und Umweltdienstleistungen gehören zunehmend auch das Bewusstsein und der Wille für Veränderungen zu den S. Ausgangspunkt für den zweiten Weg einer Annäherung an S. ist die Persönlichkeit des Individuums und seine daraus abgeleiteten Bildungsansprüche, wie sie schon der Deutsche Bildungsrat vor allem mit der Betonung der Selbstreferenz des Handelns (Selbständigkeit, Selbstorganisation, Selbstverantwortung) und der Entwicklung autonomer Handlungsfähigkeit, des kritischen Denkens, des solidarischen Verhaltens und der moralischen Reife aufgezeigt hat. S. werden dann als Kompetenzen, als Vorstellung von einer ganzheitlichen Bildung formuliert. Wenngleich auf diesem Weg die Anforderungen des Beschäftigungssystems nicht mehr der Ausgangspunkt für die Ermittlung von S. sind, werden sie daraufhin untersucht, ob und inwieweit sie auch beachtliche Möglichkeiten der Kompetenzentwicklung einschließen. 3. Beförderung von S. im integrierten Lernen: Bisher konnten S. noch nicht überzeugend als ein begrenztes Set von Qualifikationen oder Kompetenzen identifiziert werden. Da sie aber vornehmlich im selbstorganisierenden Lernen befördert werden und diese Qualität des Lernens in dem Maße erreicht wird, in dem es als integriertes Lernen erzeugt werden kann, können im Modell des integrierten Lernens weitere Annäherungen an S. erreicht werden. Integriertes Lernen stellt eine Verknüpfung von Handlung und Erfahrung zu einer operational nicht auflösbaren Einheit her. In diesen Prozessen der Verknüpfung früherer mit jetzigen Erfahrungen zu effektivem Wissen entsteht Sach- bzw. Fachkompetenz. Integriertes Lernen schließt aber
Schlüsselqualifikationen
auch Wissensanwendung und das tatsächliche Herstellen eigener Ideen und Vorstellungen ein. In diesen Prozessen entsteht Gestaltungskompetenz. Eine dritte Komponente integrierten Lernens ist die Beförderung von Prozessen des sozialen Handelns. Darin entstehen Kommunikation und Sprache als Ausprägungen von Sozialkompetenz. Werden diese drei Komponenten des (integrierten) Lernens nunmehr miteinander verknüpft, können in diesen kreisstrukturell organisierten Lernprozessen weitere Kompetenzen befördert werden: Methodenkompetenz in der Verknüpfung von Fachund Gestaltungskompetenz, moralische Kompetenz in der Verknüpfung von Sozialund Gestaltungskompetenz und Abstraktionsfähigkeit in der Verbindung von Fachund Sozialkompetenz. Diese sechs Kompetenzen dürfen deshalb als Schlüsselkompetenzen bezeichnet werden, weil sie als notwendige und zugleich hinreichende Bedingungen den Zugang zur Konstruktion ganzheitlicher Lernprozesse „erschließen“. Mit der Verknüpfung von Kompetenzen im Modell des integrierten Lernens kann zudem eine Erziehung begründet werden, die den „ganzen Menschen“ im Blick behält. Von diesem Standpunkt aus betrachtet erscheint es dann auch legitim zu sein, die Programmatik einer Beförderung von S. oder Schlüsselkompetenzen über die → Berufsbildung hinaus auch in andere pädagogische Handlungsfelder hineinzutragen und sie dort an Themen wie → Ökologie, → Dritte Welt, Friedenssicherung oder den globalen Schlüsselproblemen unserer menschlichen Existenz (W. Klafki) zu überprüfen. Literatur: Arnold, R.: Schlüsselqualifikationen – „Fachwissen in der Krise“ oder Erziehung zur Inkompetenz? In: Seyd, W./Witt, R. (Hrsg.): Situation, Handlung, Persönlichkeit. Kategorien wirtschaftspädagogischen Denkens. Festschrift für Lothar Reetz, Hamburg 1996, S. 57 – 70; Becker, M.: Personalentwicklung. Bildung, Förderung und Organisationsentwicklung in Theorie und Praxis, 4. Aufl., Stuttgart 2005; Beiler, J./ Lumpe, A./Reetz, L. (Hrsg.): Schlüsselqualifikation, Selbstorganisation, Lernorganisation, Hamburg 1994; Bunk, G. P., „Schlüs539
Schlüsselqualifikationen
selqualifikationen“ anthropologisch-pädagogisch begründet. In: Sommer, K. H. (Hrsg.): Betriebspädagogik in Theorie und Praxis. Festschrift für Wolfgang Fix zum 70. Geburtstag, Esslingen 1990, S. 175 ff.; Clement, U. (Hrsg.): Kompetenzentwicklung in der beruflichen Bildung, Opladen 2002; Döring, R., Das Konzept der Schlüsselqualifikationen – Ansätze, Kritik und konstruktivistische Neuorientierung auf der Basis der Erkenntnisse der Wissenspsychologie, Hallstadt 1994; Dubs, R.: Entwicklung von Schlüsselqualifikationen in der Berufsschule. In: Arnold, R./Lipsmeier, A. (Hrsg.): Handbuch der Berufsbildung, Opladen 1995, S. 171 – 182; Franke, G., Facetten der Kompetenzentwicklung, Bielefeld 2005; Mertens, D.: Schlüsselqualifikationen. Thesen zur Schulung einer neuen Gesellschaft In: Mitteilungen aus der Arbeitsmarktund Berufsforschung, 1 (1974), S. 36–43; Reetz, L.: Zum Zusammenhang von Schlüsselqualifikationen – Kompetenzen – Bildung, in: Tramm, T./Sembill, D./Klauser, F./John, E. G. (Hrsg.), Professionalisierung kaufmännischer Berufsbildung, Frankfurt a. M. 1999, S. 32–51; Reinisch, H.: Kompetenz, Qualifikation und Bildung: Zum Diskurs über die begriffliche Fassung von Zielvorgaben für Lernprozesse. In: Minnameier, G./Wuttke, E. (Hrsg.): Berufs- und wirtschaftspädagogische Grundlagenforschung. Lehr-Lern-Prozesse und Kompetenzdiagnostik, Frankfurt a. M. 2006, S. 259–272; Schiersmann, C.: Berufliche Weiterbildung. Wiesbaden 2007. Schlömer, T.: Berufliches Handeln und Kompetenzen für nachhaltiges Wirtschaften. Ein Referenzmodell auf der Grundlage theoretischer und empirischer Explorationen, Mering 2009; Wittwer, W.: Veränderungskompetenz, in: berufsbildung, 2007, 103/104, S. 3–7; Zabeck, J., Schlüsselqualifikationen – Zur Kritik einer didaktischen Zielformel. In: Wirtschaft und Erziehung, 1989, 3, S. 77 ff.; ders.: Schlüsselqualifikationen. Ein Schlüssel für die antizipative Berufsbildung. In: Achtenhagen, F. (Hrsg.): Duales System zwischen Tradition und Innovation, Köln 1991, S. 47 – 64. Prof. Dr. Walter Tenfelde, Hamburg/ Dr. Tobias Schlömer, Oldenburg 540
Schönheitsreparaturen
Schmerzensgeld billige Entschädigung in Geld für die Verletzung persönlicher Rechtsgüter, so insbesondere für Körperverletzung, Gesundheitsschädigung, Freiheitsentzug, sittliche Verfehlung gegen eine Frau (§ 847 Bürgerliches Gesetzbuch); nach der Rechtsprechung auch für die Verletzung allgemeiner Persönlichkeitsrechte. Anspruchsberechtigt ist nur der unmittelbar Verletzte. Die Höhe des Anspruches richtet sich nach Art und Schwere der Verletzung sowie nach den persönlichen und finanziellen Verhältnissen der Beteiligten. Schmiergelder Beträge, die jemandem, der zur Wahrnehmung von Interessen einer anderen Person verpflichtet ist, zugewendet werden, um ein bestimmtes Verhalten zu erwirken oder ein solches nachträglich zu belohnen, und deren Zuwendung von den Beteiligten als ein unlauteres Verhalten erkannt wird. Nicht als S. einzustufen sind: kleine Geschenke, übliche Trinkgelder, Einladung zum Essen in angemessenem Rahmen. I. zivilrechtlich stellt die Hingabe von S.einen sittenwidrigen Akt dar und kann deshalb kein → Rechtsgeschäft begründen. II. arbeitsrechtlich ist dem → Arbeitnehmer die Annahme von S. verboten. III. strafrechtlich ist das Verbot der S.-annahme enger gefaßt. Ihm zufolge machen sich Arbeitnehmer nur straf bar, wenn sie im geschäftlichen Verkehr einen Vorteil als Gegenleistung dafür fordern, sich versprechen lassen oder annehmen, daß sie einen Wettbewerber beim Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen in unlauterer Weise bevorzugen (§ 299 Strafgesetzbuch). – Außer einer Strafe kommen als Rechtsfolgen bei Verstößen gegen das arbeitsrechtliche wie auch das strafrechtliche Verbot der S.-annahme in Frage: → Kündigung, Schadensersatzverpflichtung, Pflicht zur Herausgabe des erlangten Vorteiles. Schönheitsreparaturen – falls durch → Mietvertrag nichts anderes festgelegt – alle jene Instandsetzungen, die durch die Abnutzung „normalen“ Bewohnens erforderlich werden (Streichen, Kal-
Schönheitsreparaturen
ken oder Tapezieren der Wände u. Decken, Streichen von Fußböden, Heizkörpern, Heizungsrohren, Innentüren sowie Innenseiten der Fenster u. Außentüren; Türen von Wand- und Einbauschränken, soweit es sich nicht um Möbelstücke, sondern um Wandverkleidungen handelt. Das Abschleifen u. Versiegeln von Parkettböden sowie die Erneuerung von Teppichböden fallen nicht unter S.). S. fallen grundsätzlich in die Zuständigkeit des Vermieters. Der Mieter kann somit nur dann für S. in Anspruch genommen werden, wenn dies in einem frei ausgehandelten Mietvertrag ausdrücklich vereinbart ist. Schriftform → Form (Rechtsgeschäfte). Schülerfirma ⇒ Juniorenfirma ein von → Auszubildenden/Schülern unter dem Schirm eines Ausbildungsbetriebes oder einer Schule eigenverantwortlich gegründetes und unter längerfristigen Perspektiven geführtes Übungsunternehmen. Angeboten und abgerechnet werden selbst produzierte Waren respektive selbst erbrachte → Dienstleistungen. S. fügen sich der pädagogischen Absicht des projektorientierten Lernens. Siehe auch: → Projektmethode. SCHUFA Abk. für: Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung; seit 2000 SCHUFA Holding AG, Wiesbaden. Informationsdienstleister, der seinen Vertragspartnern (→ Kreditinstitute und andere gewerbliche Anbieter von Finanz-, Waren- oder Dienstleistungskrediten) bonitätsrelevante Auskünfte zu → natürlichen Personen liefert. Die diesbezüglichen Daten erhält die S. von ihren Vertragspartnern und aus öffentlichen Schuldnerverzeichnissen. S. BusinessLine bietet Informationen über Freiberufler, Kleingewerbetreibende und Gesellschafter oder Geschäftsführer kleiner → Kapitalgesellschaften sowie → juristische Personen. In 2009 erste Schritte der Internationalisierung mittels → Joint Venture mit dem isländischen Unternehmen Creditinfo Group hf. Neben Scoring-Dienstleistungen
schuldhafte Unkenntnis
entwickelt die S. komplexe Systeme zum Entscheidungsmanagement sowie → BaselII-Lösungen, die Kreditinstituten eine risikoabhängige Eigenkapitalhinterlegung einschließlich der IT-Anbindung und des Reportings ermöglichen. Die S. verfügt über einen Bestand von rund 440 Millionen Vertragsdaten zu rund 65 Millionen volljährigen Personen. Sie speichert keine Informationen zu Einkommen, Erwerbsstatus, Vermögen oder Staatsangehörigkeit. Seit 2010 übernimmt die S. auch Bonitätsbeurteilungen von → Unternehmen. D. S. Schulden ⇒ Verbindlichkeit(en) ⇒ Fremdkapital gegenüber Personen, → Unternehmen oder dem Staat in der Zukunft zu erbringende (Geld-)Leistungen. S. werden in Unternehmen auf der → Passivseite der → Bilanz ausgewiesen. Schuldenbereinigungsplan → Insolvenzverfahren. Schuldenbremse am 12. 6. 2009 in Art. 109 getroffene grundgesetzliche Neuregelung (GG), derzufolge die Bundesländer ab dem Jahr 2020 keine neuen Schulden mehr aufnehmen dürfen und dem Bund von 2016 an in wirtschaftlich „normalen“ Zeiten nur noch eine (strukturelle) Nettokreditaufnahme von maximal 0,35 Prozent des → Bruttoinlandsproduktes pro Jahr zugestanden wird. Ausnahmen sind dem Bund ausschließlich bei Naturkatastrophen oder schweren → Rezessionen gestattet. Übergangsregelungen für Bund und Länder sieht Art. 143 d Abs. 1 GG vor. – Die neuen Vorgaben zur Schuldenregelung orientieren sich am Mittelfristziel des strukturell ausgeglichenen Haushalts des → Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts. Siehe auch: → Staatsverschuldung. Schuldenprävention → Finanzkompetenz → Verschuldung, private schuldhafte Unkenntnis → Anfechtung. 541
Schuldner
Schulleistungstest zur Messung der ökonomischen Bildung
Schuldner derjenige, der einem anderen (dem → Gläubiger) auf Grund eines → Schuldverhältnisses eine Leistung zu erbringen hat (§ 241 Bürgerliches Gesetzbuch). Schuldnerverzug nach § 286 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gerät der → Schuldner in → Verzug, wenn er die fällige Leistung trotz → Mahnung nicht erbringt. Ist die Fälligkeit der Leistung durch ein kalendermäßiges Datum bestimmt, so gerät der Schuldner bei Nichterfüllung bis zu diesem Datum auch ohne Mahnung in Verzug (§ 286 Abs. 2 BGB). Der Schuldner gerät nicht in Verzug, wenn die Nichtleistung auf nicht von ihm zu vertretende Umstände zurückzuführen ist (§ 286 Abs. 4 BGB). Schuldrecht übergreifende Bezeichnung für die im Recht der Schuldverhältnisse des Bürgerlichen Gesetzbuches geregelte Rechtsmaterie. Gegensatz: → Sachenrecht. Schuldschein ⇒ Schuldurkunde eine vom → Schuldner über eine Schuldverpflichtung (i.d.R. eine Geldsumme) ausgestellte Urkunde. Der S. dient dem → Gläubiger zur Beweiserleichterung. Die Angabe des Schuldgrundes ist nicht erforderlich. Das → Eigentum am S. steht dem Gläubiger zu (§ 952 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Der S. ist kein → Wertpapier. Nach bewirkter Leistung kann der Schuldner neben der → Quittung Herausgabe des S. verlangen (§ 371 BGB). Schuldscheindarlehen → Darlehen, die ohne sonstige → Sicherheiten gegen → Schuldschein gewährt werden. Darlehensgeber sind neben den → Kreditinstituten insbesondere Lebensversicherungen, → Pensionskassen, die → Sozialversicherungsträger, → die Bundesagentur für Arbeit und die → Arbeitslosenversicherung. S. werden meist nur an öffentliche Einrichtungen und besonders kreditwürdige → Unternehmen gewährt. 542
Schuldübernahme Übernahme einer → Schuld durch einen Dritten (§§ 414 ff. Bürgerliches Gesetzbuch). Die S. erfolgt durch → Vertrag zwischen dem neuen → Schuldner und dem → Gläubiger oder zwischen dem alten und neuen Schuldner. Der neue Schuldner darf dem Gläubiger alle Einwendungen des alten Schuldners entgegenhalten, nicht aber solche, die aus dem der S. zugrunde liegenden Rechtsverhältnis herrühren. Der Gläubiger wird in der Regel einer S. nur dann zustimmen, wenn sich seine Gläubigerposition nicht verschlechtert. Schuldverhältnis im Sinne des Bürgerlichen Rechtes das zwischen zwei (oder mehreren) Personen bestehende Rechtsverhältnis, auf Grund dessen die eine Person von der anderen oder beide gegenseitig voneinander ein Tun oder Unterlassen verlangen können. S. können durch → Vertrag (z. B. → Kaufvertrag, → Darlehen, → Arbeitsvertrag) und kraft Gesetzes (z. B. → unerlaubte Handlung, → ungerechtfertigte Bereicherung) entstehen. Schuldverschreibungen ⇒ Obligationen ⇒ Rentenpapiere ⇒ Anleihen. SCHULE WIRTSCHAFT → Bundesarbeitsgemeinschaft WIRTSCHAFT.
SCHULE
Schulleistungstest zur Messung der ökonomischen Bildung ⇒ Test of Economic Literacy ⇒ Wirtschaftsbildungstest Was Schüler in wirtschaftsbezogenen Schulfächern, vor allem in → Betriebs- und → Volkswirtschaftslehre, lernen, wird – wie das Wissen in anderen Fächern – hauptsächlich mit den traditionellen mündlichen und schriftlichen Prüfungen ermittelt. Die Abneigung der Lehrer in deutschsprachigen Ländern gegen „objektive Leistungsmessung“ hat die Entwicklung und Verbreitung gültiger Prüfverfahren weitgehend verhindert. Eine Übersicht über S. (Brickenkamp 1983) nennt lediglich einen Test zur Prü-
Schulleistungstest zur Messung …
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fung ökonomischen Wissens und Denkens: den BWL-Test (Krumm/Seidel 1970). Die herkömmlichen Prüfungsverfahren genügen den in der Testtheorie entwickelten Kriterien nicht. Die mit ihnen ermittelten Meßergebnisse bzw. Urteile sind nicht hinreichend objektiv und zuverlässig und damit nicht hinreichend gültig. „Objektivität“ bezieht sich auf die Frage, in welchem Ausmaß die Schülerleistungen vom Prüfer unabhängig sind. Unter „Zuverlässigkeit“ (oder Reliabilität) wird der Grad an Genauigkeit verstanden, mit dem ein Prüfungsverfahren etwas mißt; unter „Gültigkeit“ (Validität) versteht man die Genauigkeit, mit der in einer Prüfung das gemessen wird, was tatsächlich gemessen werden soll. Im Lichte dieser drei Kriterien schneiden die herkömmlichen Prüfverfahren in der Schule schlecht ab. Auch die Beurteilung der gemessenen Lernleistung ist – unabhängig von der ihr vorausgehenden Messung – unbefriedigend. In aller Regel wird in der Schulpraxis nicht hinreichend unterschieden, was genau das Urteilskriterium sein soll: die Ausgangslage des Schülers (also der Lernzuwachs), das Lehrziel (somit der Abstand der Leistung zum Ziel) oder die Durchschnittsleistung der Gruppe (Klasse), der der Prüfling gerade angehört, d. h. der Lehrer hat keine „Standardnormen“ zur Verfügung. In der Schul- und Ausbildungspraxis wird (ständig wechselnd) ein diffuses Gemenge dieser drei Kriterien angewandt. Schließlich konzentriert sich die herkömmliche Schulleistungsmessung auf die Messung und Beurteilung von kognitiven Leistungen und läßt affektives Verhalten ausser acht (Krumm 1989). Dieser Situation entspricht, daß sich die deutschsprachige Erziehungswissenschaft kaum damit beschäftigte, wie ökonomische Bildung gemessen werden kann, bzw. wie es mit der Wirtschaftsbildung von Schülern oder Erwachsenen steht. Das Interesse an ökonomischer Bildung läßt zunächst fragen, wie dieses Konstrukt gefaßt werden soll. Den bislang überzeugendsten Vorschlag hat Beck (1989) zur Diskus-
Abb. 1: Ein dreidimensionales Modell zur Definition von ökonomischer Bildung (nach Beck) sion gestellt. Zur Fassung des Konstrukts „Wirtschaftsbildung“ unterscheidet er drei Dimensionen: (1.) wirtschaftliches Wissen und Denken, (2.) ökonomische Einstellungen und (3.) ökonomisch moralische Reflexionsfähigkeit. Im Lichte dieses Ansatzes gibt die Position einer Person in dem folgenden Modell (Abb. 1) Grad und Art ihrer ökonomischen Bildung an: Person 1 ist „ökonomisch hochgebildet“, Person 2 ist es „mittelmäßig“, Person 3 ist ökonomisch gar nicht gebildet. Die übrigen eingefügten Positionen charakterisieren extreme Einseitigkeiten: Position 4 bzw. 8 den „hochinformierten und sehr bzw. gar nicht motivierten Kapitalisten“, Position 5 und 7 charakterisiert einen ökonomisch stark bzw. gar nicht interessierten, hochmoralischen Menschen, der ökonomisch unwissend ist. 6 ist eine Person, die sich hochinteressiert zeigt, aber weder zu sachlichen noch zu moralisch gültigen Urteilen fähig ist. 9 ist ein Mensch, der sachlich und moralisch überzeugt, sich jedoch nur gezwungen ökonomischen Problemen zuwendet. Die wenigen deutschsprachigen Beiträge zum Stand der ökonomischen Bildung beschränken sich auf die Untersuchung des „Wirtschaftswissens“. Daten zu ökonomischen Einstellungen interessierten höchstens nebenbei im Zusammenhang mit der Untersuchung anderer Einstellungen (z. B. im Rahmen von Interessentests), sie wurden aber nicht gemeinsam mit ökonomischem Wissen und Denken untersucht. Untersuchungen zur ökonomisch moralischen Re543
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flexionsfähigkeit konnten bisher nicht gefunden werden. Einen ersten Versuch, „ökonomische Bildung“ auf der Basis des skizzierten Modells zu erfassen und dazu die erforderlichen Instrumente zu entwickeln, haben Beck und Krumm unternommen (1991 und 1994). Zur Erfassung „ökonomischen Wissens und Denkens“ und „ökonomischer Einstellungen“ wurden zwei Instrumente herangezogen, die in den USA entwickelt und dort vielfach und ergiebig eingesetzt wurden: der „Test of Economic Literacy – TEL“ (Soper/Walstad 1987) und der Einstellungsfragebogen „Survey of Economic Attitudes“ (Walstad/Soper 1983). Zur Erfassung der ökonomisch moralischen Reflexionsfähigkeit wurden Dilemma-Aufgaben des „Moralischen Urteilstests“ von Lind (1978) herangezogen. Die oben genannten Testgütekriterien der adaptierten Instrumente sind befriedigend erfüllt. Inhaltsanalytische Vergleiche mit deutschen und österreichischen Lehrplänen aller Schultypen und insbesondere die Urteile von Experten (Wirtschaftswissenschaftlern und Lehrern) zeigen, daß die Inhaltsvalidität der deutschen Fassung des TEL, des „Wirtschaftskundlicher Bildungs-Test (WBT)“, gut ist. Die drei Instrumente eignen sich somit zur Erfassung der drei Dimensionen ökonomischer Bildung. Sie wurden bisher bei Absolventen aller Schultypen in Deutschland, Österreich und der Schweiz eingesetzt (Beck/Krumm 1994, 1998) und hierbei weiteren Analysen unterzogen. Die Befunde informieren über das Niveau ökonomischer Bildung von Schulabgängern und etlicher ihrer Korrelate, sie erlauben Vergleiche mit dem Bildungsstand in anderen europäischen Ländern, den USA und Japan (Walstad 1994), und sie helfen das Niveau der ökonomischen Bildung zu beurteilen: Die Daten aus den deutschsprachigen Ländern stimmen im Blick auf die Bildungsziele nachdenklich. Die bislang vorliegenden Befunde regen schließlich an, sich vertieft mit dem Konstrukt „ökonomische Bildung“, seiner Dimensionalität und Operationalisierung zu beschäftigen. Nur wenn die damit verbun544
Schulleistungstest zur Messung …
denen Fragen hinreichend beantwortet sind, kann geprüft werden, was Schule zur Hebung der „ökonomischen Bildung“ beiträgt und was bildungspolitisch und pädagogisch getan werden kann, damit sich das Niveau der ökonomischen Bildung verbessert. Der WBT (Wirtschaftskundlicher Bildungs-Test) ist 1998 bei Hogrefe erschienen. Die Testmappe enthält eine Handanweisung, Aufgabenhefte der zwei Testformen A und B, Aufgabenblätter für zwei Testformen und die dazu gehörigen Testschablonen. Die Handanweisung informiert über „Durchführung und Auswertung“, „Hinweise zur Interpretation“, „Schul- und ausbildungspraktische Funktionen“, „Individuelle Aufgabenzusammenstellung“, „Testentwicklung“, „Teststatistische Charakteristika“, „Aufgaben und Lösungshinweise“ sowie die Normen für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Der Test wurde in verschiedenen Untersuchungen eingesetzt. Weiske (2003) hat eine repräsentative Stichprobe von Mittelschülern der Klasse 10 in Sachsen damit getestet und die Leistungen dieser Schüler anhand der Normen im WBT mit den Leistungen der Schüler in Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen verglichen. Straka & Lenz (2003 a und 2003 b) haben anhand von 7 Konstrukten Bestimmungsfaktoren fachkompetenten Handelns kaufmännischer Berufschüler untersucht. „Wirtschaftliche Bildung“ haben sie mit dem WBT erfaßt. Die empirische Überprüfung ihres Strukturmodells informiert über den Effekt der Variable „ökonomische Bildung“ auf die „Fachkompetenz“. Literatur: Beck, K., „Ökonomische Bildung“ – Zur Anatomie eines wirtschaftspädagogischen Begriffs. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 1989 (85), 579 – 596; Beck, K./Krumm, V., Economic literacy in german-speaking countries and the United States. First steps to a comparative study. In: Economia, 1991 (1), 17 – 23; dies., Economic literacy in germanspeaking countries and the United States. Methods and first results of a comparative study. In: Walstad, W. B. (Ed.): An international perspective on economics educati-
Schulleistungstest zur Messung …
on. Boston 1994, 183 – 202; Brickenkamp, R., Handbuch psychologischer und pädagogischer Tests. Göttingen 1983; Krumm, V., Leistung – Schulleistung – Schulleistungsmessung. In: Wulf, Chr. (Hrsg.): Wörterbuch der Erziehung. München 19897, 382 – 388; ders.: Probleme der interkulturell vergleichenden Schulleistungsmessung mit dem Test of Economic Literacy. In: Achtenhagen, F./John, E. G. (Hrsg.): Mehrdimensionale Lehr-Lern-Arrangements. Innovationen in der kaufmännischen Aus- und Weiterbildung. Wiesbaden 1992, 584 – 611; Krumm, V./Seidel, G., Wirtschaftslehretest (BWL). Schulleistungstest für Abschlußklassen an kaufmännischen Berufsund Berufsfachschulen. Herausgegeben von K. H. Ingenkamp in der Reihe Deutsche Schultests. Weinheim 1970; Lind, G., Wie mißt man moralische Urteile? Probleme und Möglichkeiten der Messung eines komplexen Konstrukts. In: Portele, G. (Hrsg.): Sozialisation und Moral. Weinheim 1978, 171 – 201; Soper, J. C./Walstad, W. B., Test of Economic Literacy. Second edition. Examiner’s Manual. New York: Joint Council on Economic Education 1987; Walstad, W. B. (Ed), An international perspective on economics education. Boston 1994; Walstad, W. B./Soper, J. C.: Measuring economic attitudes in high school. In: Theory and Research in Social Education, 1983, XI (1), 41 – 54; Beck, K./Krumm, V. (1998). Wirtschaftskundlicher Bildungs-Test (WBT). Göttingen: Hogrefe; Weiske, M. (2003): Ökonomische Kompetenz sächsischer Mittelschüler. Eine deskriptive Analyse auf der Basis des Wirtschaftskundlichen Bildungs-Tests (WBT). Dresdner Beiträge zur Wirtschaftspädagogik. Nr. 1 (2003). Technische Universität Dresden; Straka, G. A./ Lenz, K. (2003 a): Was trägt zur Entwicklung von Fachkompetenz in der Berufsausbildung bei? In: Schweizerische Zeitschrift für das kaufmännische Bildungswesen (im Druck); Straka, G. A./Lenz, K. (2003 a): Bestimmungsfaktoren fachkompetenten Handelns kaufmännischer Berufsschülerinnen und Berufsschüler. Ergebnisse einer unterrichtsbegleitenden Pilotstudie. In: Empirische Pädagogik. Müller, K./Fürstenau, B./ Witt, R.: Ökonomische Kompetenz sächsi-
Schumpeter, Joseph Alois
scher Mittelschüler und Gymnasiasten. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Band 103/2007, S. 227. Prof. Dr. Volker Krumm, Salzburg Schumpeter, Joseph Alois *1883 (Triesch) † 1950 (Taconic, Conn./ USA), lehrt als Professor zunächst an den Universitäten in Tschernowzy (1909), Graz (1911 – 1919), Bonn (1925 – 32) und ab 1932 in Harvard/USA. 1919 ist er für kurze Zeit österreichischer Finanzminister. Als Schüler von → Eugen v. Böhm-Bawerk ist er zunächst der Grenznutzentheorie der → Österreichischen Schule verpflichtet, nimmt aber bald auch andere Einflüsse auf (→ Leon Walras, → Vilfredo Pareto etc.). Schon in seinem Frühwerk Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung (1912) nimmt S. das Thema auf, in dem er seine größten wissenschaftlichen Leistungen erbringen soll, nämlich die wirtschaftliche Entwicklung und ihre Gesetzmäßigkeiten. S. Ansichten gehen von dem Gegensatz zwischen einem statischen und einem dynamischen Kreislaufprozeß aus. In dem hypothetischen statischen Modell, das auf der Walrasschen Gleichgewichtstheorie basiert, entspricht die → Nachfrage immer dem → Angebot, weshalb es weder → Zinsen, → Gewinne o. ä. gibt. Es ist rein mathematisch darstellbar. In der (realen) dynamischen Wirtschaft träten stets Veränderungen auf; es gibt Gewinne, Zinsen u. ä., die auf dem Wirken des „dynamischen Unternehmers“ beruhten, der in einem Prozeß „schöpferischer“ Zerstörung durch Innovationen Gewinne und Konjunkturaufschwünge herbeiführt. In seinem Hauptwerk Capitalism, Socialism and Democracy (1942) vertritt er die Auffassung, daß der → Kapitalismus trotz seiner Erfolge untergehe, während der → Sozialismus unvermeidbar und praktikabel sei. Zu erwähnen sei noch seine großangelegte Ökonomiegeschichte A History of Economic Analysis (postum, 1954). Literatur: Hayek, F. A. v.: Joseph Schumpeter; in: ders., The Collected Works of F. A. Hayek, Bd. 3, Chicago 1992, S. 160 ff.; Lehnis, F.: Der Beitrag des späten Schumpeter zur Konjunkturforschung, Stuttgart 1960; 545
Schumpeter, Joseph Alois
Lutz, F.: Das Konjunkturproblem in der Nationalökonomie, Jena 1932; Schäfer, A.: Die Kraft der schöpferischen Zerstörung, Frankfurt 2008; Streller, R.: Statik und Dynamik in der theoretischen Nationalökonomie, Leipzig 1926. D. D. Schutzzoll Einfuhrabgabe auf bestimmte Auslandsgüter zum Schutz der inländischen Wirtschaft vor der ausländischen → Konkurrenz. Schwarzarbeit im Sinne des § 1 des Gesetzes zur Bekämpfung der S. und illegalen Beschäftigung in der Fassung v. 23. 7. 2004 liegt dann vor, wenn jemand wirtschaftliche Vorteile in erheblichem Umfang durch die Ausführung von → Dienst- oder Werkleistungen erzielt, obwohl er (1) der Verpflichtung zur unverzüglichen Mitteilung an die → Agentur für Arbeit nicht nachgekommen ist; oder (2) der Verpflichtung zur Anzeige vom Beginn des selbständigen Betriebes eines stehenden Gewerbes nicht nachgekommen ist oder die erforderliche Reisegewerbekarte nicht erworben hat; oder (3) ein Handwerk als stehendes → Gewerbe selbständig betreibt, ohne in die Handwerksrolle eingetragen zu sein. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden als S. die verschiedenen Formen der illegalen Beschäftigung bezeichnet; so hauptsächlich die Beschäftigung eines → Arbeitnehmers, bei der vom → Arbeitgeber die → Lohnsteuer und → Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt werden, obwohl der Arbeitgeber dazu verpflichtet gewesen wäre. Andere Formen der illegalen Beschäftigung sind: illegale → Arbeitnehmerüberlassung, illegale Ausländerbeschäftigung. schwarzer Markt ⇒ Schwarzmarkt. Schwarzmarkt ⇒ schwarzer Markt → Markt für illegale Bedarfsdeckung; tritt insbesondere bei Bewirtschaftung, Kontingentierung und staatlicher Unterbindung der Güterversorgung in Erscheinung. Die S.-preise liegen in der Regel höher als die 546
Scientific Management
auf freien Märkten zu erwartenden → Preise (Beispiele: Rauschgifthandel, Prohibition, Devisenbewirtschaftung). Schwellenländer → Entwicklungsländer mit einem verhältismäßig fortgeschrittenen Entwicklungsstand. Eine feste Abgrenzung gibt es nicht. Nach der Klassifikation der → Weltbank sind ihnen all jene Staaten zuzurechnen, deren jährliches Pro-Kopf-Einkommen derzeit etwa zwischen 4000 und 12 000 USDollar liegt. Schwellenpreise eine besondere Form der → administrierten Preise auf dem europäischen Agrarmarkt, zu denen die Konkurrenzprodukte in die Union eingeführt werden dürfen. Die S. sind für die Berechnung der variablen → Abschöpfungen und → Erstattungen beim → In- und → Export von Agrarprodukten maßgebend. Schwerbehinderte Personen, die körperlich, geistig oder seelisch behindert und auf Grund dieses Umstandes nicht nur vorübergehend um mindestens 50 % in ihrer → Leistungsfähigkeit gemindert sind (§ 2 Abs. 1 u. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB IX]), sofern diese Einschränkung von der zuständigen Stelle (Versorgungsamt) ausdrücklich anerkannt wurde. Personen mit einer Behinderung von 30 bis 50 Prozent können unter bestimmten Voraussetzungen den S. gleichgestellt werden (§ 2 Abs. 3 SGB IX). S. genießen den besonderen Schutz und die besondere Fürsorge des Staates, insbesondere hinsichtlich: (1) Fürsorgebetreuung, (2) Arbeitsvermittlung, Berufsfürsorge, → Berufsförderung, (3) → Arbeitszeitschutz, (4) → Kündigungsschutz, (5) Angestelltenversicherungsrente nach Vollendung des 60. Lebensjahres. Schwerpunktstreik → Streik. Scientific Management ⇒ wissenschaftliche Betriebsführung → Betriebsführung.
SDR
SDR Abk. für: Special Drawing Rights. → Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds. SE ⇒ Europäische Aktiengesellschaft. Sektoren der Volkswirtschaft ⇒ volkswirtschaftliche Sektoren die im Rahmen der → Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zu (Wirtschafts-)Bereichen zusammengefaßten → Wirtschaftseinheiten: (1) → Unternehmen (d. s. erwerbswirtschaftliche private u. öffentliche → Betriebe); (2) Staat (einschließlich → Sozialversicherungen), (3) → private Haushalte (einschließlich privater Organisationen ohne Erwerbscharakter, wie → Vereine, Stiftungen, Parteien, Kirchen u. a.). Selbständiger eine in eigener Verantwortung für eigene Rechnung arbeitende Person: → Unternehmer (→ Gewerbetreibender) oder Ausübender eines → freien Berufes (Arzt, Anwalt etc.). Selbstbeteiligung Beteiligung eines Versicherungsnehmers an dem vom Versicherer zu deckenden → Schaden; m.a.W.: der Versicherungsnehmer hat einen Teil des Schadens (bis zu einer bestimmten absoluten Höhe oder einem prozentualen Anteil) selbst zu tragen. → Fahrzeugversicherung, → Krankheitskostenversicherung. Selbsteintrittsrecht Recht einer → Rechtspersönlichkeit in ein zwischen anderen Rechtspersönlichkeiten bestehendes Rechtsverhältnis einzutreten. So kann beispielsweise bei Verstößen gegen gesetzliche → Wettbewerbsverbote der → Arbeitgeber beziehungsweise das arbeitgebende → Unternehmen in die verbotswidrig abgeschlossenen Verträge des → Arbeitnehmers (§ 61 Handelsgesetzbuch), des → Auszubildenden), des → Volontärs eintreten. Selbstfinanzierung → Finanzierung aus (→ Unternehmens-) → Gewinnen.
Selbstorganisation
Selbsthilfe eigenmächtigeRechtssicherungoderRechtsverwirklichung. Nach § 228 Bürgerliches Gesetzbuch ist S. ausnahmsweise gestattet, wenn obrigkeitliche Hilfe zur rechten Zeit nicht zu erlangen ist, und wenn die Gefahr besteht, daß ohne sofortiges Eingreifen die Verwirklichung eines Anspruches vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Selbsthilfeverkauf beim → Handelskauf im Falle des → Annahmeverzuges des Käufers Verkauf der Ware an Dritte (§ 373 Handelsgesetzbuch). Voraussetzung ist grundsätzlich die vorherige Androhung des S. Der Verkauf erfolgt durch → öffentliche Versteigerung, ausnahmsweise freihändig, wenn die Ware einen Börsen- oder Marktpreis hat. Käufer und Verkäufer können bei der öffentlichen Versteigerung mitbieten. Der Verkäufer kann den Erlös aus S. behalten und mit seiner → Forderung gegenüber dem in Annahmeverzug geratenen Käufer aufrechnen. Einen Mehrerlös hat er herauszugeben. Alle Kosten, die dem Käufer durch S. entstehen, kann er vom säumigen Käufer verlangen. Selbstinteresse ⇒ Eigeninteresse. Selbstkosten die Gesamtheit aller mit der betrieblichen Leistungserstellung entstandenen → Kosten je Stück. Die S. umfassen somit die jedem Produkt direkt zurechenbaren → Einzelkosten für Material (→ Rohstoffe) und Fertigung (→ Löhne) wie auch die nicht direkt zurechenbaren → Gemeinkosten (wie → Material-, → Fertigungs-, → Verwaltungs- u. → Vertriebsgemeinkosten). Die S. zuzüglich eines Gewinnzuschlages ergeben den Verkaufspreis. Siehe auch: → Kalkulation. Selbstkostenrechnung Bereich des betrieblichen Rechnungswesens, dem die Ermittlung der → Selbstkosten obliegt. Die S. liefert Basiswerte für die → Kostenrechnung, → Kalkulation. Selbstorganisation → Chaostheorie, ökonomische. 547
selbstschuldnerische Bürgschaft
selbstschuldnerische Bürgschaft → Bürgschaft. Selbstverantwortung ⇒ Eigenverantwortung S. bedeutet im allgemeinen das Einstehen für selbst verursachte Konsequenzen. Darüber hinaus ist mit ihr sowohl die empfundene oder zugedachte Pflicht, bestimmte Aufgaben der Eigenfürsorge wahrzunehmen, als auch die Durchführung solcher Aufgaben gemeint. D. h., der Begriff S. wird zur Bestimmung einer moralischen Empfindung (sich selbstverantwortlich fühlen), aber auch zur Charakterisierung bestimmter Handlungen (S. zeigen) genutzt. Darüber hinaus wird er in vielfältiger Weise verwendet, u. a. im moralischen, legalen, aber auch im ökonomischen und sozialen Sinne, wobei gegenseitige Implikationsverhältnisse bestehen können, aber nicht müssen. Die Idee der S. im moralischen und legalen Sinne ist vor allem durch den → Klassischen Liberalismus geprägt worden. Sie steht für die Auffassung, dass der Urheber einer Tat für die Folgen seiner Handlung einzustehen habe. Dabei wird in der Regel Urheberschaft im vollen Sinne vorausgesetzt, d. h., es wird angenommen, der Handelnde sei eine hinreichende Bedingung für die Tat und habe sie aus freien Stücken sowie in Kenntnis der zu erwartbaren Folgen ausgeführt. Ob auch Unterlassungen von prinzipiell durchführbaren Handlungen (z. B. unterlassene Hilfeleistung) dem Verantwortungsbereich einer Person zuzuordnen sind, wird kontrovers diskutiert. Im ökonomischen Sinne meint S. die Internalisierung selbst verursachter Externalitäten (→ externe Effekte). Die Deutung der S. im sozialen Sinne ist weitaus umstrittener und weicht oftmals vom klassischen Urheberschaftsprinzip sowie dem liberalen Ideal der eigenen Für- und Vorsorge ab. Das gilt vor allem für sozial- und wohlfahrtsstaatliche Theorien. In ihnen wird Schlechtergestellten die S. ganz oder partiell in Abrede gestellt, Bessergestellten jedoch uneingeschränkt zugestanden und Fremdverantwortung zugewiesen (Eigentum verpflichtet). Dies geschieht u. a. unter Zuhilfenahme bestimmter Postulate (→ Solidarität, → sozi548
Selbstverantwortung
ale Gerechtigkeit, etc.). Kritiker solcher sozial- und wohlfahrtsstaatlicher Auffassungen verweisen u. a. auf die Ungleichbehandlung, die darin implizierte Ungerechtigkeit, die Zersetzung moralischer Kräfte (→ moral hazard) unter den von der S. ganz oder teilweise Freigestellten (Humboldt) und die Minderung ökonomischer Effizienz. S. und Urheberschaft. Die im Klassischen Liberalismus vorgenommene enge Verknüpfung von S. und Urheberschaft kann bis in die Antike (z. B. Aristoteles) zurückverfolgt werden. Sie ist für denjenigen, der die Prinzipien von Freiheit und → Eigentum teilt, letztlich eine handlungslogische Implikation: Folgen freiwilliger Handlungen, die sich auf die Freiheit und das Eigentum anderer (negativ) auswirken, sind grundsätzlich selbst zu tragen, es sei denn, vertragliche Vereinbarungen oder allseits anerkannte Konventionen stünden diesem Prinzip entgegen. Insofern geht es beim Zusammenhang von S. und Urheberschaft vor allem um die Internalisierung selbstverursachter negativer Externalitäten, die sich direkt auf andere auswirken. In neueren Theorien werden auch solche Handlungen diskutiert, die sich nicht auf fremdes → Privateigentum erstrecken und somit lediglich indirekte Auswirkungen auf andere haben (können), z. B. durch die Verwendung → freier Güter (Umweltverschmutzung). Die Problematik der Zuordnung indirekter negativer Externalitäten liegt darin, dass Uneinigkeit hinsichtlich der Nutzenpräferenz freier Güter herrscht. S. und Selbstvor(für)sorge. Für den Zusammenhang zwischen S. und Selbstvor(für) sorge spielen die direkten Auswirkungen individueller Handlungen auf Dritte kaum eine Rolle. Vielmehr steht hier eine andere logische Implikation im Vordergrund, die sich ergibt, wenn man die Prinzipien von Freiheit und Eigentum anerkennt. Demnach trägt jeder die Verantwortung für sein gegenwärtiges und künftiges Wohlergehen selbst. Im 19. Jahrhundert steigt das Interesse an der Frage, ob, wodurch und warum (einige) Individuen für sich keine (Vor)Sorge treffen (können oder wollen) und inwiefern solche Fälle für andere, trotz fehlen-
Selbstverantwortung
der verbindlicher Begründungen (z. B. Fürsorgeverträge), Verantwortungen für Dritte auslösen können – z. B. in Fällen unverschuldeter Not. Mitunter wird zur Abwendung solcher Folgen die Einführung einer allgemeinverbindlichen → Selbstvorsorge vorgeschlagen. Diese soll Dritte vor den Kalamitäten unterlassener Hilfeleistung bewahren (Hayek). Die Entbindung von S. und die damit korrespondierende Zuweisung von Vor- und/oder Fürsorgeverantwortung an Dritte wird in aller Regel in Abhängigkeit zum Verhältnis der betroffenen Personen untereinander und ihrer Zustimmung zur Änderung der Verantwortungszuordnung betrachtet. Vereinfacht formuliert: Je näher die Personen zueinander stehen, desto unproblematischer die Verantwortungszuordnung und die Zustimmung zu derselben (→ Subsidiaritätsprinzip). In kollektivistischen Theorien ist eine Loslösung von diesen Parametern zu beobachten. So wird im Rahmen einer kollektivistischen → Solidarität gefordert, Verantwortung für Schlechtergestellte auch dann zu übernehmen, wenn keine persönliche Verbindung oder Nähe zu diesen bestehe (z. B. → Entwicklungshilfe) und unabhängig davon, ob die Verantwortungsübernehmer der ihnen zugedachten Rolle zustimmen oder nicht. In der Theorie sozialer Gerechtigkeit (→ soziale Gerechtigkeit) ist die Auffassung anzutreffen, bereits fiktive Gesellschaftsverträge könnten zur Einschränkung oder Aufhebung des Selbstverantwortungsprinzips führen und die Zuweisung von Fremdverantwortung begründen. Kritiker dieser Auffassung weisen u. a. darauf, dass fiktive Verträge lediglich Postulate darstellen, also keine Kontrakte sind, und folglich nicht den Verbindlichkeitsstatus von Verträgen in Anspruch nehmen können (Jasay). Literatur: Hayek, F.A. von, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Band 2, Landsberg 1981. Humboldt, W. von, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen (1792), Stuttgart 1991. Jasay, A. de, Liberale Vernunft, soziale Verwirrung, Colombo 2008. Anderson, J., Verantwortung, in: Handbuch der Politischen Philosophie und Sozialphilosophie, Hg. Stefan Go-
Sicherheiten
sepath, Wilfried Hinsch und Beate Rösler, Berlin 2008. Werner, M. H., Verantwortung, in: Handbuch Ethik, Hg. Marcus Düwell, Christoph Hübenthal, Micha H. Werner, Stuttgart 2006. Prof. Dr. Hardy Bouillon, Wien Selbstvorsorge aus dem → Individualprinzip abgeleitete Verhaltensmaxime, derzufolge jeder – soweit dies in seinen Kräften steht – selbst für sich zu sorgen und auch für die Zukunft (einschließlich der [möglichen] Schicksalsfälle) in angemessener Weise Vorsorge zu treffen hat. SEPA Abk. für: Single Euro Payments Area. Vereinheitlichte Zahlungsrichtlinien für den Überweisungsverkehr innerhalb der → EUStaaten sowie Island, Norwegen, Liechtenstein, Monaco und Schweiz. In diesem Raum können → Unternehmen und Privatleute in beschleunigter Abwicklungszeit ohne Betragslimit zu Inlandskonditionen → Überweisungen vornehmen. Sie benötigen die auf den hierfür verfügbaren Überweisungsformularen (→ Überweisungsauftrag) ausgewiesenen/auszuweisenden internationalen Bankkontonummern (International Bank Account Number [IBAN]) vom Überweisenden und Begünstigten sowie die internationale Bankleitzahl (Bank Identifier Code [BIC]) des begünstigen → Kreditinstituts. Sharholder Value sinngemäß: Aktionärsnutzen. Nach dem S.Konzept sind → Unternehmen so zu führen, daß der → Wert ihres → Eigenkapitals möglichst groß wird. Die Unternehmenspolitik hat sich am Interesse der Kapitalgeber auszurichten. Im Gegensatz hierzu: → Stakeholder Value. Sicherheiten im Zusammenhang mit der Vergabe von → Krediten vom Kreditgeber, in der Regel eine Bank, zur Verminderung des (Verlust-) → Risikos auf Seiten des Kreditnehmers geforderte realisierbare Vermögenswerte oder → Bürgschaften. Je nach Höhe des zu gewährenden Kredites verlangt der Kre549
Sicherheiten
ditgeber entsprechende Zugriffsrechte auf das Vermögen, so insbesondere → Pfandrecht an → Wertpapieren, Waren, → Forderungen, Grundstücken (→ Hypothek u. → Grundschuld), → Sicherungsübereignung, → Forderungsabtretung. Sicherheitsbeauftragter nach § 22 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch in → Unternehmen mit regelmäßig mehr als 20 Beschäftigten unter Mitwirkung des → Betriebsrates zu bestellende Person, die den Unternehmer bei der Durchführung des Unfallschutzes zu unterstützen und sich laufend von der ordnungsgemäßgen Benutzung der vorgeschriebenen Schutzvorrichtungen zu überzeugen hat. Sicherungsabtretung → Forderungsabtretung. Sicherungseigentum durch → Sicherungsübereignung erworbenes → Eigentum. Sicherungshypothek → Hypothek. Sicherungsübereignung gesetzlich nicht geregelter, aber in der Praxis entwickelter und in der Rechtsprechung anerkannter → Vertrag, durch den der → Schuldner dem → Gläubiger zur Sicherung seiner → Schuld das → Eigentum an einer → beweglichen Sache (oder einer Sachgesamtheit) überträgt, diese (Sache) selbst aber im → Besitz behält. Um die nach § 929 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zur → Übereignung erforderliche → Übergabe der Sache zu vermeiden, wird im allgemeinen ein Leihvertrag (→ Leihe) oder ein Verwahrungsvertrag (→ Verwahrung) geschlossen. Der Sicherungsgeber (Kreditnehmer) leiht vom Sicherungsnehmer (das ist in der Regel ein → Kreditinstitut) die übereignete Sache oder verwahrt dieselbe für diesen. Durch dieses → Besitzmittlungsverhältnis zwischen Kreditnehmer und Kreditgeber wird erreicht, daß der Kreditnehmer weiterhin Besitzer der Sache bleibt, das Kreditinstitut jedoch Eigentümer nach § 930 BGB wird. Zwischen Schuldner und Gläubiger wird die Abrede getroffen, daß sich zwar der Gläubiger bei nicht rechtzeitiger 550
Sklavensyndrom
Begleichung der Schuld aus der übereigneten Sache befriedigen kann, nach ordnungsgemäßer Erfüllung seiner → Forderung jedoch das Eigentum auf den Schuldner zurückübertragen muß. Die S. verschafft dem Gläubiger treuhänderisches (→ Treuhand) Eigentum (d. h. die Stellung des Gläubigers nach außen, Dritten gegenüber, entspricht der des tatsächlichen Eigentümers). Der S. kommt im konsumökonomischen Bereich, insbesondere bei der Finanzierung von Personenkraftwagen mit → Ratenkrediten, Bedeutung zu. Die genaue Kennzeichnung des Fahrzeuges erfolgt durch die Angabe von Kraftfahrzeugart, Fabrikat, polizeilichem Kennzeichen und Fahrgestellnummer im S.-vertrag. Aus Sicherheitsgründen verlangt das Kreditinstitut die Übergabe des Kraftfahrzeugbriefes. Das Kreditinstitut entscheidet von Fall zu Fall, ob die Kraftfahrzeugzulassungsstelle von der S. in Kenntnis gesetzt wird. Bejahendenfalls hat dies den Zweck, die Ausstellung eines Ersatzbriefes ohne Zustimmung des Kreditinstitutes zu verhindern. Sichteinlagen Guthaben auf → Kontokorrent- oder → Girokonten, über die der Einleger jederzeit – ohne vorherige → Kündigung – das heißt „bei Sicht“ verfügen kann, sei es in Form von Barabhebungen, Scheckziehungen (→ Scheck), mittels → Bankcard ec oder → Überweisungsaufträgen. Sittenwidrigkeit Begriff des Bürgerlichen Rechts. Nach § 138 Bürgerliches Gesetzbuch ist ein → Rechtsgeschäft, das gegen die → guten Sitten verstößt, nichtig. Sklavensyndrom in → Sozial- und Wohlfahrtsstaaten zu beobachtendes Phänomen, daß die mit zunehmender staatlicher Zwangsversorgung einhergehende Entmündigung des einzelnen von diesem nicht mehr als persönliche Freiheitsbeschränkung, sondern vielmehr als angenehme Entlastung empfunden wird. (May, H., Das Sklavensyndrom, in: Die Welt v. 10. 9. 2008, S. 8.)
Skonto
Skonto (ital. sconto = Abzug) Mehrzahl: Skonti; prozentualer Preisnachlaß, der vom Lieferanten oft dann gewährt wird, wenn der Rechnungsbetrag innerhalb einer bestimmten Frist bezahlt wird. So wird beispielsweise in den → Zahlungsbedingungen von → Kaufverträgen häufig ein S. von 2 % bei Zahlung innerhalb von 10 Tagen angeboten. Smith, Adam *1723 (Kirkcaldy) †1790 (Edinburgh). Als Schüler des schottischen Philosophen Francis Hutcheson übernimmt S. 1752 den Lehrstuhl für Moralphilosophie an der Universität von Glasgow. Sein 1759 erscheinendes Werk Theory of Moral Sentiments wird eines der Hauptwerke der Schottischen Schule der Moralphilosophie. Dabei ist die Billigung von Handlungen von der vorgestellten Sympathie eines unparteiischen Zuschauers das objektive Wertkriterium. S. nimmt damit Kants Lehre vom kategorischen Imperativ in vielen Punkten vorweg. 1776 erscheint sein bekanntes Werk The Wealth of Nations. Vorherige Theorien der französischen → Physiokraten aufnehmend, gilt das Buch als der eigentliche Beginn der → Ökonomie als Wissenschaft. Zugleich ist es eines der wichtigsten Werke zur Begründung des klassischen → Liberalismus marktwirtschaftlicher Prägung, der den bisher dominierenden – und von S. heftig kritisierten – → Merkantilismus abzulösen beginnt. Obwohl er den → Eigennutz (und nicht die Sympathie) zur Grundlage ökonomischen Handelns erklärt, leitet S. seine Thesen in hohem Maße von den moralphilosophischen Forderungen der Theory of Moral Sentiments ab, die eine neutrale unparteiische Haltung des Staates gegenüber den wirtschaftenden Bürgern nahelegen. Sein – von einigen Ausnahmen abgesehen – konsequentes Eintreten für die „unsichtbare Hand“ des → Marktes und den → Freihandel basiert außerdem auf der Einsicht, daß durch die fortgeschrittene → Arbeitsteilung die Wirtschaftsprozesse so komplex werden, daß der Staat nicht mehr über das nötige Wissen zur Wirtschaftslenkung verfügen kann. In seinen nur als Vorlesungsmit-
SoFFin
schriften überlieferten Lectures on Jurisprudence untermauert er diese wirtschaftspolitischen Einsichten juristisch mit naturrechtlichen Argumenten. Kleinere Schriften über Linguistik, Astronomie, Rhetorik u. a. runden das Bild von S. als großem Universalgelehrten ab, der die Grundlagen der gesamten modernen Ökonomie gelegt hat. Literatur: Brühlmeier, Daniel, Denker der Freiheit: Adam Smith, St. Augustin 1992; ders.: Die Rechts- und Staatslehre von Adam Smith und die Interessentheorie der Verfassung, Berlin 1988; Raphael, D. D., Adam Smith, Oxford 1985; Ross, J. A., Adam Smith. Leben und Werk, Düsseldorf 1998; Streminger G., Adam Smith, Reinbek 1989; West, E. G., Adam Smith and Modern Economics, Aldershot 1990. D. D. Snobeffekt die Erscheinung, daß eine bestimmte Person(engruppe) ein bestimmtes → Gut deshalb nicht (mehr) nachfragt, weil eine andere Person(engruppe) sich (nunmehr) diesem (Gut) zuwendet. So wendet sich der „Snob“ beispielsweise (deshalb) von einer (bislang für ihn als exklusiv geltenden) Automarke ab, weil sich der „Plebs“ (die „breite Masse“) ihrer (zunehmend durch steigende → Nachfrage) bemächtigt. Social Management → Betriebsführung. Societas Cooperativa Europaea (SCE) ⇒ Europäische Genossenschaft. SoFFin Abk. für Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung; durch Gesetz vom 17. 10. 2008 geschaffene Einrichtung des Bundes zur Stabilisierung des deutschen Finanzsystems durch Überwindung von Liquiditätsengpässen (→ Liquidität) und zur Stärkung der Eigenkapitalausstattung (→ Eigenkapital) von Finanzunternehmen. Der → Fonds kann von solchen Unternehmen Risikopositionen (z. B. → Forderungen, → Wertpapiere) übernehmen und dafür sichere Schuldtitel (→ Schuldverschreibungen) des Bundes liefern wie auch sich an solchen beteiligen und damit deren Eigenkapital aufstocken. 551
Solidarität
Solidarität Im allgemeinen bezeichnet der Begriff der S. Empfindungen von Gemeinschaft oder Zusammengehörigkeit – teils im beschreibenden, teils im appellativen Sinn. Das Adjektiv „solidarisch“ wird nicht nur zur Kennzeichnung moralischer Regungen, sondern auch zur Charakterisierung von Handlungen verwendet, denen Gemeinschaftssinn als Motiv unterstellt wird. Als Topos ist die S. vor allem der neuzeitlichen Moral- und Sozialphilosophie zuzuordnen. Im Sinne eines Gegenseitigkeit inkludierenden Haftungsmotivs (einer für alle, alle für einen), aber auch im begriffshistorischen Sinne, wird die S.-idee bereits im römischen Recht vorweggenommen. Die dort formulierte obligatio in solidum bezeichnet das gegenseitige schuldrechtliche Verhältnis, in dem der Einzelne und die Gemeinschaft durch Übereinkunft zueinander stehen, und spiegelt so die Idee der (→ Versicherung auf Gegenseitigkeit) wider. Als Tugend kennt die S. eine individualistische und eine kollektivistische Variante. Kollektivistische S. Die kollektivistische Variante der S. prägt vor allem Frankreich und gewinnt als drittes Element der Revolutionslosung Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit prominente Bedeutung. Seitdem breitet sie sich aus und wirkt bis in die Gegenwart hinein. Nationale wie internationale Arbeiterbewegungen greifen die kollektivistische Variante auf und verwenden auch den Begriff der S. (z. B., Solidarnoczs, internationale S.). Typisch für die kollektivistische Deutung der S. bleibt der Verzicht auf die individuelle Zustimmung. Insofern eignet sich der S.-begriff auch als Kampfbegriff. In der gegenwärtigen Moralphilosophie spielt die kollektivistische S. eine große Rolle, z. B. bei Habermas, der sie die Kehrseite der Gerechtigkeit nennt (Habermas 1986), oder im → Kommunitarismus (Taylor 1987). War das Applikationsgebiet zeitweise auf Aspekte der intranationalen S. begrenzt, wird es neuerdings wieder ausgeweitet (internationale S.). In der Theorie der globalen S. (Brunkhorst 2002) dominiert der appellative Charakter. 552
Solidarität
Das Phänomen der Empfindung kollektiver Zusammengehörigkeit wird kaum bestritten, kann aber – wie alle empirischen Befunde – per se keine normative Kraft entwickeln. Da aus beschreibenden Aussagen allein keine Normen abgeleitet werden können (naturalistischer Fehlschluss), kommen Behauptungen, es sei eine moralische Pflicht des Einzelnen, für das – wie auch immer zu verstehende – → Gemeinwohl einzutreten, nicht über den Status eines Postulats hinaus. Individualistische S. Anders als die kollektivistische Variante, entwickelt der individualistische Typus der S. weder ein theoretisches, noch ein begriffsgeschichtliches Eigenleben. Vielmehr geht seine Grundidee in Themen wie Fürsorgepflicht und Philanthropie auf, die sich auf liberal-konservative Prinzipien und Werte – Freiheit, Verantwortung, Familie, Freundschaft u. ä. – zurückführen lassen. So deutet z. B. Hume die Nächstenliebe als Regung und Handlungsmotiv, die sich in empfundener und handelnder Fürsorge für die (verwandtschaftlich wie wahlverwandtschaftlich) Nächsten zeigt, und rechnet sie zum Inventar moralischer Konventionen. Hayek deutet die individualistische S. als Selektionsvorteil der Kleingruppe und Selektionsnachteil der Großgruppe. Anders als die kollektivistische S., ist die individualistische S. vom Einzelnen moralisch leistbar, weil sie auf den Kreis der persönlich Bekannten (Familienmitglieder, Freunde) beschränkt bleibt und keine moralische Empfindung für anonyme Personen einfordert. Insofern ist moralphilosophisch umstritten, ob Philanthropie (Menschenliebe, Wohltätigkeit) überhaupt eine moralische Kategorie ausfüllt oder rationales Kalkül ist. Spenden wir aus Menschenliebe oder um Ruhe zu haben? (Mandeville). Die katholische Soziallehre laviert zwischen individualistischer und kollektivistischer S.: Ob im Christentum mit Nächstenliebe die Liebe zum Nächsten (im Sinne Humes) oder zu allen Menschen gemeint ist, ist umstritten. Ökonomie und S. Im Vergleich zur kollektivistischen S. (die oft nur Appellationsfunk-
Solidarität
tion hat), ist die individualistische S. empirischer Überprüf barkeit leicht zugänglich. Insofern ist sie für ökonomische Modelle und Theorien (z. B. Rational Choice und → Public Choice) brauchbarer als ihr kollektivistisches Pendant. Nach wie vor ist allerdings umstritten, inwiefern individualistische S. moralische Eigenständigkeit besitzt. Das zeigt sich in der Streitfrage, ob Altruismus als eine eigenständige Empfindung oder als reziproker Egoismus zu verstehen sei. Obgleich die kollektivistische S. weitaus größere Schwierigkeiten aufwirft als ihr individualistisches Gegenstück, ist ihr die ungleich größere Aufmerksamkeit beschieden. Das gilt insbesondere für das Feld der politischen Instrumentalisierung (Bsp. → S.-zuschlag). Literatur: Bayertz, K., Solidarität, Frankfurt 1998. Brunkhorst, H., Solidarität, Frankfurt 2002. Habermas, J., Gerechtigkeit und Solidarität, in: Zur Bestimmung der Moral, Hg. W. Edelstein, G. Nummer-Winkler, Frankfurt 1986. Hayek, F.A. von, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Band 2: Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit, Landsberg 1981. Hume, D., Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral (1751), Hamburg 1972. Mandeville, B., Die Bienenfabel (1705), Frankfurt 1968. Taylor, C., Aneinander vorbei, in: Kommunitarismus, Hg. A. Honneth, Frankfurt 1993. Machan, T., Generosity, Washington 1998. Prof. Dr. Hardy Bouillon, Wien Solidaritätsprinzip 1. allgemein: Orientierungs- und Verhaltensprinzip, das die Gemeinsamkeit zur Maxime erhebt. 2. in der christlichen Sozialethik: Zuordnungsprinzip, das die gegenseitige Bezogenheit von Mensch und Gesellschaft festschreibt. 3. Grundsatz der → Sozialversicherung, nach dem die (Versicherungs-)Risiken von den Versicherten gemeinsam getragen werden. Siehe auch: → Solidarität. Solidaritätsstreik → Streik. Solidaritätszuschlag ein im Rahmen des → Solidarpaktes ab 1995 auf die → Lohn- und → Einkommen-
Sonderschicht(en)
steuer sowie auf die → Körperschaftsteuer erhobener Zuschlag von zunächst 7,5 %, ab 1998 5,5 %. Der S. wird in den alten wie auch in den neuen Bundesländern erhoben. Solidarpakt I u. II S. I: Im März 1993 durch Vertreter von Bund, Ländern und Parteien für die Finanzierung der Deutschen Einheit ab 1995 getroffene Regelungen. Lief 2004 aus. S. II: Als Nachfolgeprogramm des S. I im Juni 2001 beschlossen, sieht für die Jahre 2005 bis 2019 Bundeshilfen für die neuen Länder in einem Gesamtumfang von rd. 156,5 Mrd. Euro vor. Die Mittelvergabe ist degressiv gestaltet und dient im wesentlichen der Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen. Soll linke Seite eines (Bestands-)→ Kontos. Gegensatz: → Haben. Sonderausgaben Begriff des Einkommensteuerrechts für bestimmte in §§ 10, 10 b – 10 i Einkommensteuergesetz aufgezählte Aufwendungen, die, soweit sie weder → Betriebsausgaben noch → Werbungskosten sind, in der → Lohnund → Einkommensteuer als Kosten der Lebensführung vom Gesamtbetrag der → Einkünfte in Abzug gebracht werden können. Unbeschränkt abzugsfähig sind: auf besonderen Verpflichtungen beruhende → Renten und dauernde Lasten, → Kirchensteuer, Steuerberatungskosten u. a.; beschränkt abzugsfähig sind: → Vorsorgeaufwendungen, Aufwendungen des Steuerpflichtigen oder seines Ehegatten für die → Berufsausbildung oder → Weiterbildung in einem nicht ausgeübten → Beruf, Unterhaltsleistungen an den geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden Ehegatten, Spenden für anerkannte Zwecke und Parteien u. a. Sondergut → eheliches Güterrecht. Sonderschicht(en) vorübergehende Verlängerung der betrieblichen → Arbeitszeit. Die Einführung von S. unterliegt der → Mitbestimmung des → Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 Betriebsverfassungsgesetz. 553
Sondervermögen der öffentlichen Hand
Sondervermögen der öffentlichen Hand spezielle Vermögen der Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Gemeinden), die von deren übrigen Vermögen getrennt geführt und verwaltet werden. Sondervermögen des Bundes verwaltungsmäßig vom übrigen Bundesvermögen getrennte Vermögen des Bundes (z. B. → ERP-Sondervermögen). Die S. haben einen eigenen Haushalt. Sondererziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds ⇒ Special Drawing Rights → Buchkredite, die der → Internationale Währungsfonds seinen Mitgliedsländern in einem bestimmten Verhältnis zu den von ihnen gezeichneten Quoten am Fonds einräumt. Sonntagsarbeit → Arbeitsverbot an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen. Sonntagsruhe → Arbeitsverbot an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen. Sorten ausländische Banknoten und Münzen im → Besitz von Inländern. Sortenkurs → Kurs von → Sorten, der sich frei nach → Angebot und → Nachfrage am → Markt (Bankschalter) entwickelt. Der S. wird nicht amtlich festgestellt; er orientiert sich aber an dem an der → Börse notierten → Devisenkurs der jeweiligen → Währung. Sozialabgaben ⇒ Sozialbeiträge ⇒ Sozialversicherungsbeiträge die im Rahmen der → Sozialversicherung zu entrichtenden Zwangsbeiträge. Sozialbeiträge ⇒ Sozialversicherungsbeiträge ⇒ Sozialabgaben. soziale Aufwendungen ⇒ Sozialkosten ⇒ soziale Leistungen ⇒ Personalnebenkosten. 554
soziale Gerechtigkeit II
soziale Auswahl (Kündigung) Liegen dringende betriebsbedingte → Kündigungsgründe vor, so bedarf es der Auswahl, wem von mehreren → Arbeitnehmern gekündigt werden kann. Der → Arbeitgeber ist nach § 1 Abs. 3 Kündigungsschutzgesetz verpflichtet, bei dieser Auswahl soziale Gründe zu berücksichtigen. Dabei ist von besonderem Interesse, welcher Arbeitnehmer auf seinen → Arbeitsplatz am wenigsten angewiesen ist. Als Auswahlgesichtspunkte gelten demzufolge beispielsweise: Kinderzahl, Lebensalter, unter Umständen auch die Vermögenslage. – Berücksichtigt der Arbeitgeber bei der Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer soziale Gründe nicht oder nicht ausreichend, so ist die → Kündigung trotz dringender betrieblicher Erfordernisse sozial ungerechtfertigt. Der Arbeitgeber hat einem gekündigten Arbeitnehmer auf dessen Verlangen die Gründe mitzuteilen, die ihn zu dieser s. veranlaßten. Gelangt der Arbeitnehmer daraufhin zu der Auffassung, daß eine Kündigung sozial ungerechtfertig sei, so ist er dafür darlegungs- und beweispflichtig. soziale Betriebsführung → Betriebsführung. soziale Bindung des Eigentums → Eigentum. soziale Gerechtigkeit I sozial-ethischer Normenkomplex, in den im wesentlichen folgende Zielvorstellungen eingehen: (1) Startgerechtigkeit, das heißt Gewährung möglichst gleicher materieller Ausgangschancen; (2) Gleichbehandlung gleicher Tatbestände wie auch von Mann und Frau; (3) Lohngerechtigkeit, Preisgerechtigkeit sowie Ausgleich starker Einkommens- und Vermögensunterschiede, insbesondere im Sinne des Ausgleichs unterschiedlicher Familienlasten; (4) Hilfe für sozial Schwache (Behinderte, Leistungsschwache, Obdachlose). soziale Gerechtigkeit II Wann immer auf dem freien → Markt die „gewünschten“ Resultate ausbleiben, wird die Klage von der sozialen Ungerechtigkeit laut. Und weil der Markt nie alle Bedürfnisse ausreichend befriedigt und befriedigen
soziale Gerechtigkeit II
kann (was in der Natur der knappen Güter begründet ist), wird diese Klage – ob berechtigt oder unberechtigt – wohl nie verstummen. Die → soziale Marktwirtschaft versucht dem Rechnung zu tragen, indem sie vorgibt, soziale Ungerechtigkeiten des freien Marktes auszugleichen. So gesehen, will sie als Synonym einer sozial gerechten Marktwirtschaft verstanden werden. Ob sie diesem Anspruch gerecht wird oder nicht, wird im folgenden untersucht. Der Begriff der s. ist erst seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert gebräuchlich. Heute gehört er zu den schillernsten Termini der → politischen Ökonomie. Die ihm zugrunde liegende Idee reicht weit zurück. In der Regel wird auf Aristoteles (384 – 324 v. Chr.) verwiesen. Dieser unterscheidet in seiner Nikomachischen Ethik V (NE) zwischen einer allgemeinen und einer partikularen Gerechtigkeit. Danach ist im allgemeinen Sinne gerecht, wer tugendhaft lebt, d. h. mutig, mäßig, freigiebig. Die allgemeine Gerechtigkeit dient demnach der Charakterisierung von Handlungen. Anders die partikulare Gerechtigkeit. Sie wird von Aristoteles zur Bewertung von Austauschhandlungen herangezogen und selbst noch einmal unterteilt, nämlich in eine ausgleichende (kommutative) und eine austeilende (distributive) Gerechtigkeit. Die ausgleichende Gerechtigkeit gelte, so Aristoteles, den Tauschhandlungen des freiwilligen und unfreiwilligen Verkehrs. Nicht so die austeilende Gerechtigkeit. Sie befinde proportional zur Leistung der Betroffenen über die öffentliche „Zuerteilung von Ehre oder Geld oder anderen Gütern“ (NE 1130b30). Ehre, wem Ehre gebührt und „ … wenn z. B. eine Geldverteilung aus öffentlichen Mitteln stattfindet, so muß sie nach dem Verhältnis geschehen, das die Leistungen der Bürger zueinander haben“ (NE 1131b29). Aristoteles ist unmißverständlich: Jeder nach seiner Leistung. Andere Parameter, wie etwa Bedürftigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe u. ä., spielen bei der Festlegung der aristotelischen Verteilungsgerechtigkeit keine Rolle. Sie gewinnen erst in den neueren Theorien s. an Bedeutung.
soziale Gerechtigkeit II
Es weist viel darauf hin, daß Aristoteles die beiden Gerechtigkeitstypen menschlicher Interaktionen komplementär verstanden wissen wollte. Was aber, wenn die Frage nach dem internen Leistungsverhältnis der Bürger uneins beantwortet wird? Werden die Zuerteilungen von Geld und Ehre dann ausgesetzt oder die Meinungen der Minderheit überstimmt? Im ersten Fall ist die Idee der s. pointenlos, im zweiten nicht mehr komplementär zur Idee der ausgleichenden Gerechtigkeit. Diese prinzipielle Spannung zwischen der kommutativen und der distributiven Gerechtigkeit scheint Aristoteles nicht bedacht zu haben. Von Mill bis Rawls und darüber hinaus haben die Vertreter moderner Theorien der s. meistens eine von Aristoteles abweichende Auffassung. Das gilt sowohl mit Blick auf die Parameter der Verteilungsgerechtigkeit als auch, wenn auch im geringeren Maße, hinsichtlich der Komplementarität der Gerechtigkeitstypen. Moderne Umverteilungsbefürworter verweisen auf die Tendenz des Marktes, eine ungleiche Güterverteilung unter den Akteuren herbeizuführen, setzen diese Ungleichheit ohne weiteres mit Ungerechtigkeit gleich und fordern eine Umverteilung der Güter zur Herstellung der Verteilungsgerechtigkeit. Zu diesem Konglomerat diverser Postulate kann folgendes bemerkt werden: 1. Will man sowohl der Forderung nach → Redistribution als auch der austeilenden Gerechtigkeit Rechnung tragen, sind Zusatzannahmen notwendig, insbesondere die Annahme, daß alle Beteiligten (Geber und Empfänger) der → Umverteilung freiwillig zustimmten. Unter welchen Bedingungen diese Annahme zuträfe, wird kontrovers diskutiert. So wird von manchen behauptet, daß alle Beteiligten unter dem Schleier der Unkenntnis einer bestimmten Umverteilung beipflichteten (Rawls). Andere wiederum glauben, der Menschen Neigung nach Übereinkunft führe sie einhellig zur Auffassung, eine bestimmte Redistribution sei unabweisbar (Scanlon). Beide Vorstellungen verquickend, meint eine 555
soziale Gerechtigkeit II
andere Gruppe, eine gewisse Umverteilung könne von allen unparteiisch gutgeheißen werden (Barry). All diesen Auffassungen ist eins gemeinsam: Sie nennen zwar (unterschiedliche) Bedingungen, unter denen eine Redistribution Einstimmigkeit unter allen Beteiligten erzielen könnte. Sie erbringen aber nicht den Nachweis, daß diese Bedingungen in unserer Welt erfüllt sind. Mehr noch: Sie postulieren ein → Menschenbild, das den bewährten empirischen Befunden zuwiderläuft (Flew). Menschen neigen dazu, ihre eigenen Interessen zu verfolgen und fremden, divergierenden Interessen vorzuziehen. In der Kenntnis und im Bewußtsein unserer Interessen sind wir außerstande, in Unkenntnis unserer Interessen, unparteiisch oder vorrangig harmoniebedürftig zu entscheiden. 2. Von den meisten Verteilungstheoretikern wird selten erkannt oder gar erwähnt, daß ungleiche Marktergebnisse nicht ohne weiteres ungerechte Resultate sind, sondern, sofern sie unter Wahrung der ausgleichenden Gerechtigkeit zustandegekommen sind, per se gerechte Ergebnisse genannt werden müssen. Eine Folge dessen ist, daß die Umverteilung eine ungerechte Handlung im Sinne der austeilenden Gerechtigkeit ist, weil sie unrechtmäßig „einigen rechtmäßig erworbenes Eigentum wegnimmt, um es an andere, die dessen nicht unrechtmäßig beraubt wurden, zu transferieren“ (Flew). Insofern sind die ausgleichende Gerechtigkeit und die austeilende Gerechtigkeit nicht nur nicht komplementär, sondern sogar kontradiktorisch. 3. Außerdem wird meist übersehen, daß der Vorwurf, der freie Markt führe zur ungerechten Güterverteilung, den Markt als etwas interpretiert, das er weder ist noch sein kann: ein Akteur. Auf diese Unmöglichkeit hat Hayek hingewiesen, als er darauf aufmerksam machte, daß der Vorwurf der sozialen Ungerechtigkeit des freien Marktes so wenig gerechtfertigt sei wie sein Gegenteil. Das Verteilungsergebnis des freien Marktes resultiere, so Hayek, aus dem Zusammenspiel 556
soziale Gerechtigkeit II
unzähliger Akteure, die allesamt eigene Ziele verfolgten. Es sei nicht das Resultat einer Planung oder einer individuellen Handlung. Da man aber nur Ergebnisse, denen eine Absicht vorausgehe, einer moralischen Kategorie zuordnen könne, sei es prinzipiell unsinnig, Marktergebnisse zu moralisieren. Der Markt könne also weder sozial gerechte noch sozial ungerechte Ergebnisse liefern. Den o. g. Theorien s. ist gemein, daß sie die Legitimität des Erwerbs von → Gütern, der unter Einhaltung kommutativer Gerechtigkeit stattfindet, nicht prinzipiell anzweifeln und die austeilende Gerechtigkeit als Ergänzung zur ausgleichenden Gerechtigkeit verstanden wissen wollen. Hierin unterscheiden sie sich von anderen Verteilungstheorien, die diese Legitimität partiell bezweifeln und die distributive Gerechtigkeit sozusagen als Legitimierungshelfer rechtfertigen. Vertreter dieser Auffassung (Feinberg, Griffin) argumentieren, jeder Gütererwerb gründe auf der Existenz bestimmter gewachsener Güter (z. B. Traditionen, Sitten, Gebräuche etc.), die allen Mitgliedern der Gesellschaft gleichermaßen gehörten. Wer mehr erwerbe als andere, nutze diese Güter mehr als andere. Daher sei es recht und billig, daß er die anderen wegen seines höheren Individualnutzens „entschädige“. In dieser Konzeption werden Umverteilungen quasi als Mautgebühren für → öffentliche Güter interpretiert und gerechtfertigt. Zu dieser Auffassung s. kann folgendes bemerkt werden: 1. Traditionen, Sitten, Gebräuche u. ä. „Gesellschaftsgüter“ sind positive Externalitäten früherer Handlungen oder Tauschakte. Per definitionem sind sie weder internalisiert noch → private Güter. Sie gehören also nicht allen, sondern niemandem. 2. Anders als manch anderes Gut, nimmt ihr Nutzen durch Gebrauch zu statt ab. (Traditionen, Sprachen, Riten, Manieren wie überhaupt alle kulturelle Regeln verschwinden bekanntlich mit der Zeit, wenn sie nicht gepflegt werden.) Da die Nutzung der vermeintlichen „Gesellschaftsgüter“ deren Wert mehrt, wäre, per im-
soziale Gerechtigkeit II
possible, nur eine Umverteilung von den behäbigen zu den eifrigen Marktakteuren legitimiert, nicht aber umgekehrt. Literatur: Aristoteles: Nikomachische Ethik. Philosophische Schriften 3, Hamburg 1995; Barry, B.: A Treatise on Social Justice, Vol. 2: Justice as Impartiality, Oxford 1995; Bouillon, H.: Wirtschaft, Ethik und Gerechtigkeit, Flörsheim 2010; Feinberg, J.: Harm to Others, Oxford 1984; Flew, A.: Social Democracy and the Myth of Social Justice, in: Libertarians and Liberalism, Hg. H. Bouillon, Aldershot 1996; Griffin, J.: Well-Being, Oxford 1986; Hayek, F. A. von: Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Band 2: Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit, Landsberg 1981; Jasay, A. de: Über Umverteilung, in: Wider die Wohlfahrtsdiktatur, Hg. R. Baader, Gräfelfing 1995; Rawls, J.: A Theory of Justice, Oxford 1972; Scanlon, T. M.: Contractualism and Utilitarianism, in: Utilitarianism and Beyond, Hg. A. Sen, Williams, B., Cambridge 1982. Prof. Dr. Hardy Bouillon, Wien Sozialeinrichtungen soziale betriebliche Angelegenheit, die nach § 87 Abs. 1 Nr. 8 Betriebsverfassungsgesetz dem erzwingbaren → Mitbestimmungsrecht des → Betriebsrates unterliegt. Zu den S. im Sinne dieser Bestimmung zählen: Werkskantinen, Werksküchen, Sportanlagen, Bibliotheken, Erholungsheime, Fortbildungseinrichtungen, Kindergärten. Diese Einrichtungen müssen allerdings eine gewisse Organisation aufweisen und über abgesonderte Teile konkreter Mittel verfügen. Dem Betriebsrat steht das Recht zu, darüber mitzubestimmen, in welcher Form die Einrichtung geführt werden soll (beispielsweise als nichtrechtsfähiger → Verein oder als unselbständiger Teil des → Betriebes). Zur mitbestimmungspflichtigen Ausgestaltung solcher Einrichtungen gehören unter anderem die Nutzung, die Aufstellung von Grundsätzen über die Verwendung der zur Verfügung stehenden Mittel. Hinsichtlich der Verwaltung unterliegen dem Mitbestimmungsrecht nicht nur die Aufstellung allgemeiner Verwaltungsrichtlinien, sondern auch die einzelnen Verwaltungsmaßnahmen (z. B. Öffnungszeiten, Kantinenpreise).
Soziale Marktwirtschaft
soziale Kosten ⇒ volkswirtschaftliche Kosten auf Grund negativer → externer Effekte (z. B. Umweltverschmutzung) entstehende → Kosten, die vom Verursacher nicht getragen werden. soziale Krankenversicherung ⇒ gesetzliche Krankenversicherung. soziale Leistungen ⇒ soziale Aufwendungen ⇒ Sozialkosten ⇒ Personalnebenkosten. Soziale Marktwirtschaft ist ein vieldeutiger Begriff. 1. In der Regel bezeichnet er ein → Wirtschaftssystem, in dem Ergebnisse marktwirtschaftlicher Prozesse durch Staatseingriffe korrigiert werden. Dahinter steht die Annahme, daß Marktergebnisse zwar leistungs-, aber nicht sozial gerecht seien. → Soziale Gerechtigkeit verlange, allen Gesellschaftsmitgliedern – Leistungsfähigen wie Leistungsunfähigen – sichere Existenzgrundlagen zu bieten. Kennzeichen dieses Typs von S. ist deshalb eine Ergänzung der → Marktwirtschaft durch eine staatliche Politik der Umverteilung von → Einkommen oder → Vermögen. Diese Vorstellung von S. ist in sich widersprüchlich, denn Umverteilungen haben ungünstige Rückwirkungen auf Marktprozesse: Durch Schmälerung von Markteinkommen werden das Leistungsvermögen und die Leistungsbereitschaft der Betroffenen gemindert; durch Zuteilung von Mitteln ohne Leistung wird die Leistungsmotivation der Begünstigten gesenkt. Darüber hinaus schafft jede Umverteilungsmaßnahme Präzedenzfälle und begründet damit neue Forderungen. Die staatliche → Umverteilungspolitik führt tendenziell zum Schwund von Initiative, Engagement und Risikobereitschaft in der → Wirtschaft und damit zur Aushöhlung der Marktwirtschaft, andererseits drängt sie zum Ausbau des → Sozialund → Wohlfahrtsstaates. Erfahrungsgemäß scheitert Politik dieser Art am zunehmenden → Wachstum sozialer Ansprüche 557
Soziale Marktwirtschaft
bei laufender Minderung der wirtschaftlichen Leistung. 2. Ludwig → Erhard hat eine andere Vorstellung von S. entwickelt. Ausgangspunkt seiner wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Konzeption ist die Überzeugung, daß sich Markteinkommen sowohl leistungs- als auch sozial gerecht gestalten lassen. Damit wird Umverteilung als politisches Prinzip überflüssig. Die → Wirtschaftspolitik erfüllt die soziale Verpflichtung; die → Sozialpolitik wird auf ihren ursprünglichen Zweck konzentriert, unter strenger Beachtung des → Subsidiaritätsprinzips nur wirklich Leistungsunfähige zu unterstützen. Die Realisierung dieser Vorstellung von S. setzt eine Reihe unverzichtbarer Rahmenbedingungen voraus: a) Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Überzeugung, daß alles → Wirtschaften seinen Sinn darin hat, → Bedarf zu befriedigen. Folglich hat sich die → Produktion an Verbrauchswünschen zu orientieren. Produktionen, die aus anderen Gründen – zum Beispiel aus beschäftigungs- oder regionalpolitischen Motiven – in Gang gesetzt oder aufrecht erhalten werden, verstoßen gegen diese Funktionsbestimmung des Wirtschaftens. Das hat weitreichende Folgen, denn aus der Sinngebung der Marktwirtschaft, dem → Verbrauch zu dienen, begründet sich letztlich der Wettbewerbsgedanke als Grundelement der S.: Wirtschaftliche Leistungen sollen sich im → Wettbewerb dem Urteil der Verbraucher stellen und nicht nach anderen Erwägungen bewertet werden. b) Wettbewerb ist nur mit Mitteln möglich, über die Wirtschaftende frei verfügen können. Das ist durch → Privateigentum, → Vertragsfreiheit und ungehindertem Zugang zu → Märkten gewährleistet. Aber erst im Rahmen einer verläßlichen Privatrechtsordnung – zu der private Haftungsregeln ebenso gehören wie eine kalkulierbare staatliche Wirtschaftspolitik – können längerfristig fundierte Wirtschaftsentscheidungen getroffen werden. Darüber hinaus ist Wettbewerb nur möglich, wo eine verläßliche Geldordnung existiert. Ohne → Geld, dem jedermann vertraut, ist 558
Soziale Marktwirtschaft
der Wettbewerb auf einzelne Tauschhandlungen eingeschränkt. → Walter Eucken hat diese Grundbedingungen als „konstituierende Prinzipien der Wettbewerbsordnung“ zusammengefaßt. Diese „konstituierenden Prinzipien“ sind notwendige, aber nicht hinreichende Elemente der S. c) Da sich in einer Marktwirtschaft Verbraucherwünsche nur als → Kaufkraft bemerkbar machen können, muß sich in der Regel jedes → Bedürfnis auf ein Einkommen, damit meistens auf einen Beitrag zur Produktion stützen, aus dem ein solches Einkommen fließt. Die S. verlangt demgemäß, daß niemand vom Marktgeschehen ausgeschlossen und jedem die Chance geboten wird, sein Einkommen eigenständig zu erwirtschaften. Das bedeutet unter anderem, daß → Vollbeschäftigung zu den unverzichtbaren Bedingungen der S. gehört. Allerdings ist der Bereich der „Vollbeschäftigungspolitik“ durch den erstgenannten Punkt der Verbraucherautonomie eng begrenzt. Eine keynesianische Wirtschaftssteuerung mit dem alleinigen Ziel der Vollbeschäftigung ist nach der Konzeption der S. nicht zulässig, weil sich die Produktion am Bedarf orientieren soll, und S. nicht als Arbeitstherapie betrieben werden darf. d) Das diesem Konzept der S. zugrundeliegende Subsidiaritätsprinzip der → sozialen Sicherheit verlangt, daß alle Wirtschaftenden soweit wie möglich selbst für Risiken des Lebens vorsorgen. Diese → Selbstvorsorge erfordert allen zugängliche Versicherungssysteme, vor allem aber → Geldwertstabilität, denn die Selbstvorsorge schließt auch die Vorsorge für das Alter ein, erfordert also lebenslanges Ansparen von Vermögen und Versicherungsansprüchen. Unter inflationären Bedingungen ist solche Vorsorge unmöglich. Neben diesen Rahmenbedingungen, die eine S. konstituieren und die durch → Ordnungspolitik hergestellt werden müssen, stellt das Programm der S. der Wirtschaftspolitik laufende Aufgaben: a) Wirtschaften ist in der Regel Wirtschaften mit Geld, kein Realtausch. Die am Markt gezahlten → Preise drücken deshalb stets Zahlungsbereitschaft aus, sie spiegeln
Soziale Marktwirtschaft
jedoch nicht immer Nutzenbewertungen angemessen wider, denn aus einem größeren Vermögen können → Güter, die ein anderer dringender braucht, leichter erworben werden. Auf Märkten überlagern sich in der Regel Nutzenbewertungen und ökonomische Macht; unter Umständen kann die ökonomische Macht zum entscheidenden Faktor in Marktprozessen werden. Vielfach kann das hingenommen werden, weil Marktwirtschaften viele Substitutionsmöglichkeiten, Beschäftigungs- und Produktionsalternativen bieten. Aber Marktverdrängungen können auch systematisch betrieben werden und sich bewußt darauf richten, Existenzen zu ruinieren und Lebensplanungen zunichte zu machen. Solche ruinösen Formen des Wettbewerbs müssen im Rahmen der S. durch → Wettbewerbspolitik unterbunden werden. Ziel der Wettbewerbspolitik ist, den Wettbewerb zu kontrollieren und gegebenenfalls zu regulieren, damit er in den Bahnen des Leistungswettbewerbs verläuft. b) Für eine unabhängige Lebensplanung und Existenzsicherheit sind durch Vollbeschäftigung garantierte Einkommen nicht immer ausreichend. Wer sich im täglichen Konkurrenzkampf behaupten muß, muß Veränderungen, Verbesserungen und → technischem Fortschritt aufgeschlossen gegenüberstehen und gelegentlich größere Risiken auf sich nehmen. Risiken können zu Erfolgen, aber auch zu Mißerfolgen führen, die nur verkraften kann, wer auf entsprechendes Vermögen zurückgreifen kann. Da technische Neuerungen sich zudem häufig nur mit großem → Aufwand realisieren lassen, während sich die Ertragschancen noch nicht absehen lassen, ergeben sich hier systematische Barrieren für den wirtschaftlichen Fortschritt. Aus derartigen Überlegungen heraus wird es in der S. als Aufgabe des Staates angesehen, die Grundlagenforschung und die Entwicklung zukunftsträchtiger Techniken zu fördern. Das kann auf unterschiedliche Weise geschehen: Infrastrukturinvestitionen können günstige Standortbedingungen für → Unternehmen schaffen. Investitionszuschüsse und → Bürgschaften können risikomindernd
Sozialgeld
wirken und leistungsfähigen, aber kapitalschwachen Bevölkerungsschichten – insbesondere den → Unternehmern in der jüngeren Generation – den Zugang zu → Produktivvermögen erleichtern. Dr. Horst Friedrich Wünsche, Bonn sozialer Frieden → Arbeitsfrieden. soziales Dilemma ein durch individuelles rationales (nutzenorientiertes) wirtschaftliches Handeln hervorgerufenes unerwünschtes Nebenergebnis auf gesellschaftlicher Ebene (wie z. B. Umweltschäden). soziale Sicherheit sozial-ethischer Normenkomplex, der sich wie folgt umschreiben läßt: Sicherung der wirtschaftlichen und sozialen Existenz bestimmter sozialer Gruppen gegen allgemeine Lebensrisiken, wie Unfall, Krankheit, Invalidität, Alter, → Arbeitslosigkeit und Tod des Ernährers. Die in solcher Weise zu sichernden Gruppen werden im politischen Entscheidungsprozeß definiert. soziale Sicherung ⇒ System der sozialen Sicherung ⇒ soziales Netz die durch das → Sozialstaatsprinzip veranlaßte Gesamtheit der gesetzgeberischen Maßnahmen, insbesondere in den Bereichen der → Sozialversicherung, → Sozialhilfe, → Vermögensbildung der Arbeitnehmer u. a. . Siehe auch: → Sozialpolitik. soziales Netz ⇒ System der sozialen Sicherung ⇒ soziale Sicherung. Sozialgeld nach dem zum 1. 1. 2005 in Kraft getretenen II. Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) gewährte staatliche Fürsorgeleistungen (§ 28 SGB II) an selbst nicht erwerbsfähige (→ Erwerbsfähigkeit) (Familien-)Angehörige, die mit erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und 559
Sozialgeld
bei → Erwerbsminderung haben oder diese Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes nicht ausreichen. Das S. mindert sich um das zu berücksichtigende → Einkommen und → Vermögen des Leistungsempfängers. Sozialgerichtsbarkeit besondere Gerichtsbarkeit für Streitigkeiten im Bereich des Sozialrechtes. Sie gewährt dem Bürger aus konkretem Anlaß Rechtsschutz gegenüber der Verwaltung. Ihre Zuständigkeit erstreckt sich auf Angelegenheiten der → Sozialversicherung, des Kassenarztrechtes, der → Bundesagentur für Arbeit, der Kriegsopferversorgung und des Kindergeldrechtes. Gerichtsverfassung und Verfahren der S. sind durch das Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Fassung vom 23. 9. 1975 mit späteren Änderungen geregelt. Der Auf bau der S. ist dreistufig: die Sozialgerichte, die Landessozialgerichte und das Bundessozialgericht. Die Sozialgerichte bilden Kammern für einzelne Rechtsbereiche. Diese Kammern sind mit einem Vorsitzenden (Berufsrichter) und zwei ehrenamtlichen Richtern als Beisitzer besetzt. Durch Klage vor dem Sozialgericht kann ein sich ungerecht behandelt fühlender Bürger die gerichtliche Nachprüfung eines Verwaltungsaktes – meist mit dem Ziel, dessen Aufhebung oder Veränderung einzuleiten – verlangen. Dieser Klageweg kann jedoch in der Regel nur dann beschritten werden, wenn in einem außergerichtlichen Vorverfahren der Widerspruch des Betroffenen gegen den Verwaltungsakt von der Verwaltungsbehörde durch einen Bescheid zurückgewiesen wurde (§§ 78, 83 SGG). – Gegen Urteile der Sozialgerichte kann → Berufung beim → Landessozialgericht eingelegt werden (§ 29 SGG). Die Landessozialgerichte sind in Senate gegliedert, die jeweils mit 3 Berufsrichtern (davoneinem Vorsitzenden) und 2 ehrenamtlichen Richtern besetzt sind. Es werden Fachsenate gebildet. Das Landessozialgericht als zweite Instanz prüft einen Streitfall noch einmal in vollem Umfang unter sachlichen und rechtlichen Gesichtspunkten und führt eine Entscheidung herbei. In Ausnahmefällen kann gegen Ent560
Sozialhilfe
scheide der Sozialgerichte (erste Instanz) unter Umgehung des Landessozialgerichtes unmittelbar → Revision beim Bundessozialgericht (→ Sprungrevision) eingelegt werden, wenn damit eine höchstrichterliche Grundsatzentscheidung herbeigeführt werden soll. Gegen Urteile der Landessozialgerichte kann Revision beim Bundessozialgericht in Kassel eingelegt werden, das darüber in Senaten entscheidet. Die Senate sind mit 3 Berufsrichtern besetzt. Ein Großer Senat sorgt für die Einheitlichkeit der Sozialrechtsprechung (§§ 36 – 50 SGG). Verfahren vor den Sozialgerichten sind grundsätzlich kostenfrei. Es können einem Beteiligten jedoch die Kosten auferlegt werden, die er dem Gericht oder einem anderen Beteiligten durch Mutwillen, Verschleppung oder Irreführung verursacht hat (§§ 183, 192 SGG). Die Entscheidung eines Gerichtes ist vollstreckbar, wenn es keinen Aufschub gewährt (§ 199 SGG). Sozialgesetzbuch Kodifikation des (lange Zeit in einer Vielzahl von Einzelgesetzen zersplitterten) Sozialrechts. Zum Regelungsbereich des S. gehören außer der → Sozialversicherung vor allem die Sozialförderung (→ Ausbildungsförderung, Kindergeld, Wohngeld u. a.), die Grundsicherung für Arbeitsuchende, das Sozialhilferecht sowie die Sozialversorgung (Versorgungs-, Flüchtlings-, Heimkehrerwesen u. a.). Das S. umfaßt derzeit die Bücher I. bis XII. Die weitere Ausgestaltung ist noch offen. Sozialhilfe nach der zum 1. 1. 2005 in Kraft getretenen Sozialhilfereform (XII. Buch des Sozialgesetzbuches [SGB XII]) ist S. als Hilfeleistung zum Lebensunterhalt für Personen konzipiert, die bei Bedürftigkeit sonst keine Leistungen erhalten (weder als Personen im Alter von 15 – 65 Jahren das → Arbeitslosengeld II, noch als 65-Jährige oder Ältere bzw. als dauerhaft voll Erwerbsgeminderte die Leistungen der Grundsicherung im Alter u. bei Erwerbsminderung).
Sozialismus
Sozialismus Der Begriff S. wird in teilweise verschiedenen Bedeutungszusammenhängen benutzt. So versteht man darunter sowohl (a) eine politische und gesellschaftliche Doktrin als auch (b) eine darauf auf bauende soziale und politische Bewegung, die in Ablehnung des modernen → Kapitalismus und des für ihn charakteristischen individuellen Gewinnund Machtstrebens die am → Gemeinwohl orientierte gesellschaftliche Bindung und Verpflichtung des Individuums betont und die durch die Industrialisierung geschaffenen sozialen und politischen Ungleichheiten und „Klassenverhältnisse“ durch Revolutionen oder Reformen zu überwinden trachtet. Darüber hinaus wird unter S. (c) auch eine → Eigentums-, → Wirtschafts- und → Sozialordnung verstanden, die insbesondere durch Sozialisierung, d. h. Verstaatlichung der wichtigeren → Produktionsmittel gekennzeichnet ist, um hierdurch die Warenproduktion zu kontrollieren und die geschaffenen → Güter an alle Mitglieder der Gesellschaft „gerechter“ zu verteilen. Nach → Karl Marx gilt der S. als Übergangsstadium vom Kapitalismus zum → Kommunismus, der seinerseits von ihm als die höchste Form des S. begriffen wird. Von daher wird auch verständlich, daß S. und Kommunismus die gleiche ideologische Tradition haben und beide Bezeichnungen bis ins 20. Jh. hinein auch synonym verwandt wurden. Die Geschichte des S. reklamiert für sich zahllose kritische Ideen am Besitz und an den Reichen, wobei teilweise weit zurückgegriffen wird auf historische Proteste gegen Ungerechtigkeit und Unfreiheit im alten China und in Persien, bei den Propheten des Alten Testaments, in der Lehre Jesu (vgl. insbes. die Bergpredigt) und im Frühchristentum, bei den Kirchenvätern bis hin zu den großen Mönchsorden (Benediktiner, Dominikaner, Franziskaner) und bestimmten Reformatoren (Hus, Münzer). Historisch bedeutsam wird zunächst vor allem der nach der Schrift „Utopia“ (1516) des englischen Lordkanzlers und späteren katholischen Märtyrers Thomas Morus (1478 – 1535) sog. utopische S., der dann in teilweise religiöser, teilweise säkularisierter Form bei
Sozialismus
den großen Utopisten und Frühsozialisten (wie bspw. Francis Bacon und Robert Owen in England, Tomaso Campanella in Italien, Claude-Henri de Saint-Simon, Charles Fourier und Pierre-Joseph Proudhon in Frankreich oder Johann Gottlieb Fichte und Wilhelm Weitling in Deutschland) neben tiefen Einsichten in die damaligen sozialen und politischen Verhältnisse eine große, oft auch weltfremde Sehnsucht nach einer besseren und glücklicheren Welt zum Ausdruck bringt. Wie diese Sehnsucht zu verwirklichen sei, – darüber waren sich diese Denker, die übrigens soziologisch meist nicht zu den unterdrückten Klassen zählten, keineswegs einig. Teils vertrauten sie eher naiv auf eine zwingende politische Attraktivität ihrer idealistischen Gesellschaftsmodelle, teils auf die rationale oder emotionale Wirkung ihrer humanen Appelle bei aufgeschlossenen Mitgliedern des herrschenden Bürgertums, teils auch auf einen konspirativen politischen Umsturz zur Realisierung ihrer Ideen. Auch gesellschaftskritisch gingen diese Vertreter des frühen S. von unterschiedlichen Bezugspunkten aus. So machte z. B. derAgrarsozialismus die Besitzverhältnisse an Grund und Boden auf dem Lande für die sozialen Probleme der Industrialisierung verantwortlich. Fichte (1726 – 1814) glaubte im ‚pFreihenndel“ die Ursache des endlosen Krieges aller gegen alle zu erkennen und postulierte als Abhilfe den „geschlossenen Handelsstaat“. Fourier (1772 – 1837) dagegen diagnostizierte den „Parasitismus“ des Handels als die Wurzel gesellschaftlicher Mißstände, während Owen (1771 – 1858) die Gegensätze von agrarischer und industrieller sowie von produktiver und unproduktiver → Arbeit anprangerte und sie – ähnlich wie Fourier – durch die Einrichtung von → Genossenschaften aufzulösen trachtete. Proudhon (1809 – 1865) wiederum kritisierte vor allem die sozialen Auswirkungen des industriellen Kapitalismus, empfahl einen „positiven Anarchismus“ und die Einrichtung einer Gesellschaft vieler Kleinproduzenten, die ihre Waren nach den Prinzipien der Gleichheit des → Eigentums, der freiwilligen Gegenseitigkeit und 561
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der solidarischen Interessen gewinnlos und gerecht austauschen sollten. Saint-Simon (1760 – 1825) schließlich knüpfte angesichts der nachrevolutionären feudalen Restauration in Frankreich an die Ideen der Französischen Revolution an, betonte jedoch den geistigen Führungsanspruch des Unternehmers über den Arbeiter, der jetzt allerdings im Gegensatz zum Feudalismus, nicht mehr als Untertan, sondern als Genosse angesehen wurde; die neue industrielle Klasse sollte eine solidarische Gemeinschaft von Fabrikanten, Arbeitern, Gelehrten und Künstlern sein. Während sich der frühe S. nicht als eine Angelegenheit der Arbeiterklasse, sondern eher als ein Gebot der „guten Menschen“ verstand, bereiteten SaintSimon und seine Schule die Entstehung des nachfolgenden marxistischen S. vor, indem sie den S. eng mit der Industriegesellschaft verbanden und in einem radikalen gegengesellschaftlichen Entwurf mit internationalem Anspruch die Notwendigkeit der Integration der „proletarischen Klasse“ in „sozialer Brüderlichkeit“ postulierten. Den moralischen Forderungen und reformerischen Konstruktionen der Utopisten und Frühsozialisten wird von Karl Marx (1818 – 1883) und → Friedrich Engels (1820 – 1895) der sog. „wissenschaftliche“ S. entgegengesetzt, der angeblich den entsprechenden Nachweis erbringt, daß die gesellschaftliche Entwicklung mit geschichtlicher Gesetzmäßigkeit zum S. führt: gleichsam naturgesetzlich notwendig entwickelten sich die ökonomischen Produktionsweisen, das gesellschaftliche Bewußtsein und schließlich die revolutionäre Aktion des klassenbewußten Proletariats, das damit den S. als erste Phase der einheitlichen kommunistischen Gesellschaftsformation herbeiführe. Im marxistischen Verständnis wäre infolge der revolutionär erreichten gesellschaftlichen Verfügung über die Produktionsmittel die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen aufgehoben, die Arbeit selbst wandele sich von einem entfremdeten Mittel der Lebensbestreitung zu einem neuen Lebensbedürfnis und führe schließlich auch zum Typ einer neuen (sozialistischen) Persönlichkeit. Wenngleich 562
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die soziale Gleichheit im S. noch nicht verwirklicht sei, so beruhe die sozialistische Klassenstruktur doch auf dem Bündnis der Arbeiterklasse mit den Genossenschaftsbauern, der Schicht der Intelligenz und der Handwerker. Die Staatsgewalt habe u. a. die Aufgabe, vor „inneren Feinden“, zu denen die Angehörigen der ehemals herrschenden Klasse, der Bourgeoisie, gehören, zu schützen. Im Gegensatz zur revolutionären Ungeduld von Marx verfolgte Ferdinand Lasalle (1825 – 1864) mit seinem „Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein“ keine gewaltsame, sondern eine demokratisch legitimierte „Revolution“: über das allgemeine Wahlrecht für die arbeitende Bevölkerung und über entsprechende Mehrheitsentscheidungen könne der Prozeß radikaldemokratischer Reformpolitik eingeleitet werden. Aus solchen Überlegungen entwickelte sich der evolutionäre oder auch revisionistische S., der durch schrittweise Reformen innerhalb des parlamentarisch-verfassungsmäßigen Rahmens den Einfluß der Arbeiter auf die Entscheidungsprozesse in Staat und Wirtschaft auszuweiten und damit den Kapitalismus inhaltlich auszuhöhlen trachtete. Zwischen diesen beiden Positionen gab es historisch zahlreiche Differenzierungen in bezug auf den Weg zum S. Der Syndikalismus, eine Form des Gewerkschaftssozialismus, war ebenso wie Teile der sozialistischen „Internationalen“ oder die späteren sozialistischen Richtungen in den Diktaturund Entwicklungsländern ausgesprochen antiparlamentarisch und revolutionär. Der bis auf den Frühsozialismus zurückgreifende christliche S. versuchte insbesondere in der Weimarer Zeit (z. B. Paul Tillich) eine Verbindung zwischen christlicher Glaubenserwartung und sozialistischer Lebensordnung herzustellen, erlangte indessen politisch kaum Einfluß. Im 20. Jh. gewann vielmehr der revolutionäre S. unter dem prägenden Einfluß von Bolschewismus, → Leninismus und Stalinismus in Rußland (ab 1917) und Maoismus in China (ab 1949) weltgeschichtliche Bedeutung. In der inzwischen untergegangenen UdSSR und den von ihr nach dem
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2. Weltkrieg beherrschten Ostblockstaaten entwickelte sich in Synthese von totalitärer Herrschaft einer Partei und rigoroser Zwangsverwaltungswirtschaft ein repressiv-bürokratischer Staatssozialismus als sog. „real existierender S.“. Jeder Versuch zur Verwirklichung eines freiheitlich-humanen S. („mit menschlichem Antlitz“) wurde dort durch das Militär als entscheidender Stütze dieser autoritären Herrschaftssysteme brutal zerschlagen. Da die für wirtschaftliche Entwicklungen und internationale Konkurrenzfähigkeit unentbehrliche individuelle Initiative, Kreativität und Leistungsbereitschaft nicht zuletzt aufgrund mangelnder Rechtsstaatlichkeit weitgehend blockiert war, scheiterte der diktatorische Staatssozialismus an seiner zunehmenden → Stagnation und Inflexibilität und führte schließlich ab der Wende von 1989 auch zum politischen Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion und des gesamten Ostblocks. In der Volksrepublik China versucht eine diktatorische Elite den Staatssozialismus noch mit Hilfe einer begrenzten marktwirtschaftlich ausgerichteten Modernisierung zu konservieren. In den westlichen Industriegesellschaften trug dagegen der reformorientierte und sich zum Parlamentarismus bekennende demokratische S. mit entsprechend ausgerichteten → Gewerkschaften und an politischem Einfluß gewinnenden Arbeiterparteien wesentlich zur Durchsetzung von mehr → sozialer Gerechtigkeit beim Auf bau eines modernen → Sozialstaates bei. Prof. Dr. Hans Peter Henecka, Heidelberg Sozialklausel → Kündigungsschutz II. Sozialkosten die in der betrieblichen → Kostenrechnung zu erfassenden → Personalnebenkosten. Sozialleistungen Leistungen des Staates oder von → Körperschaften des öffentlichen Rechtes auf Grund von Sozialgesetzen, wie zum Beispiel Leistungen der → Sozialversicherung, soziale Entschädigungen, → Wohngeld, → Kinder-
geld, Jugendhilfe, → Sozialhilfe, → Ausbildungsförderung, → Arbeitsförderung u. a. Sozialordnung bezeichnet die Gesamtheit der gesetzlichen und anderen institutionellen Rahmenbedingungen für das auf soziale Ziele gerichtete Handeln der → privaten Haushalte sowie der staatlichen und nicht-staatlichen Träger der → Sozialpolitik (Träger der freien Wohlfahrtspflege, Kirchen, Verbände, Gewerkschaften). Die S. als Teilordnung der Gesellschaftsordnung und die ihr entsprechende Sozialpolitik sind auf vielfältige Weise mit der → Wirtschaftsordnung und der → Wirtschaftspolitik verbunden. Die Gestaltung einer menschenwürdigen sozialen Ordnung in einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung, die im Rahmen des Rechtsstaates wirtschaftliche Freiheit gewährleistet, war und ist in der → Sozialen Marktwirtschaft eine Hauptaufgabe. Deren Lösung wird auf der Grundlage der Prinzipien der Personalität (Individualität), der Solidarität und der Subsidiarität angestrebt. Entsprechend der Grundwerte Eigenverantwortung und solidarischer Ausgleich ist die S. durch Anwendung von Selbsthilfe-, Versicherungs-, Versorgungs- und Fürsorgeprinzip geprägt. Grundlegende Norm der S. ist das → Sozialstaatsprinzip als generalklauselartige Staatszielbestimmung in Art. 20 und 28 GG. Es sollen die Lebensbedingungen einzelner und sozialer Gruppen sowie deren soziale Stellung in der Gesellschaft gesichert und verbessert werden. Das Sozialstaatsprinzip schafft die Legitimation für staatliche Sozialpolitik und für das Teilhaberecht der Bürger an staatlichen Leistungen. Zur S. gehört die Absicherung gegen existenzielle soziale Risiken, d. h. der Schutz und die wirtschaftliche Absicherung von Individuen und Gruppen gegen allgemeine Lebensrisiken, wie Krankheit, → Arbeitslosigkeit und Alter. Entsprechende Sozialversicherungssysteme sind die → Kranken-, → Pflege-, → Arbeitslosen- und → Rentenversicherung, die überwiegend als Pflichtversicherung der Beschäftigten organisiert sind. Deren Leistungen werden allerdings nicht nur durch die Beiträge der → Arbeit563
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geber und → -nehmer zur → Sozialversicherung, sondern zum Teil auch durch staatliche → Transfers von Steuermitteln finanziert. Nach der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft geht eine moderne S. allerdings über diese Schutz- und Fürsorgefunktionen hinaus. Zusätzlich umfasst sie erstens Maßnahmen zur Förderung des sozialen Ausgleichs, wie die → Ausbildungsförderung, die → Sparförderung und den öffentlich geförderten Wohnungsbau. Zweitens soll erreicht werden, dass für den einzelnen bei der Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeiten die Persönlichkeitsrechte gewahrt und gefördert werden. Daher sind Normen des Arbeitnehmerschutzes aufgestellt worden. Sie umfassen den Gefahrenschutz (Regeln der Gewerbeordnung zum Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefahren für Leben und Gesundheit) und den Betriebsschutz (Sonderregeln für einzelne Betriebe, z. B. Bergwerke, Chemiebetriebe). Ferner gibt es den → Arbeitszeitschutz, der Umfang und Zeiten der Arbeit gegen Entgelt regelt. Schließlich besteht ein öffentlich-rechtlicher Vertragsschutz für das einzelne → Arbeitsverhältnis, um die Abhängigkeit der Beschäftigten vom Arbeitgeber zu vermindern. Dem Schutz der Arbeitnehmer dienen auch die Normen zur Ausgestaltung der → Betriebsund Unternehmensverfassung, hier insbes. das → Betriebsverfassungsgesetz und die Gesetze über die → Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Unternehmen. Der soziale Ausgleich in einer modernen Industriegesellschaft bliebe jedoch begrenzt, wenn nicht die Beziehungen zwischen den Arbeitsmarktverbänden, die im Rahmen der → Tarifautonomie Probleme der Arbeitsbedingungen regeln, in Richtung einer Sozialpartnerschaft gestaltet würden. Leitgedanke dieser dritten Erweiterung der S. ist, dass trotz bestehender Interessenkonflikte zwischen den → Tarifparteien Verfahren gefunden werden können, die die Konflikte zwischen Arbeitgebern und -nehmern regelbar machen. Das gesamte Tarifvertrags-, Einigungs- und Schlichtungswesen folgt dieser Überlegung. Eine Kooperation der Arbeitsmarktverbände besteht bei der Ar564
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beitsmarktverwaltung und den Sozialversicherungen, wo sie paritätisch in Angelegenheiten der Selbstverwaltung mitwirken. Eine vierte, erhebliche Erweiterung im heutigen Verständnis der S. erfolgt durch den Leitgedanken einer Verbesserung der Chancengleichheit. In diesem Sinne wird soziale Gerechtigkeit von den Startbedingungen des Einzelnen her beurteilt. Es sollen die Chancen der individuellen Verwirklichung verbessert werden, die ganz allgemein den fairen Zugang zu Rechten, Freiheiten, → Einkommen, → Vermögen sowie Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten betreffen. Insgesamt ist die deutsche S. durch einen komplexen und hohe Kosten verursachenden → Sozialstaat geprägt. Auf die gesetzlichen Sozialversicherungen wurden viele allgemeine Staatsaufgaben – also versicherungsfremde Leistungen – abgewälzt, so zum Beispiel auf die Krankenversicherung die beitragsfreie Mitversicherung von Familienangehörigen, auf die Rentenversicherung die Kriegsfolgelasten und die Frühverrentung und auf die Arbeitslosenversicherung die Berufsbildung, die Arbeitsbeschaffung und die Vorruhestandsregelung. Die im Laufe der Jahre ausgeweiteten sozialpolitischen Kompetenzen und Interventionen des Staates haben zu der Entwicklung in Richtung eines → Wohlfahrtsstaates geführt: Dem Einzelnen wird Verantwortung für die Existenz- und Zukunftssicherung immer weiter abgenommen, sie wird auf sozialstaatliche Institutionen übertragen. Durch das System der → Sozialabgaben und der Transferleistungen erfolgt – zusätzlich zum Steuersystem – eine erhebliche → Umverteilung der auf dem Marktprozess beruhenden primären → Einkommensverteilung. Die große Akzeptanz der heutigen S. bei der Bevölkerung ist trotz stark gestiegener Sozialabgaben und der hohen → Sozialquote darauf zurückzuführen, dass sie existenzielle Unsicherheiten für den Einzelnen verringert und Anpassungen an neue Arbeits- und Lebensbedingungen im Zeitalter der Globalisierung erleichtert. Literatur: Frerich, J./Frey, M.: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutsch-
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land, 3 Bde., 2. Aufl., München 1996; Lampert, H./Althammer, J.: Lehrbuch der Sozialpolitik, 8., überarb. u. vollst. aktual. Aufl., München 2007. Prof. Dr. Ronald Clapham, Siegen Sozialpartner ⇒ Tarifvertragsparteien. Sozialpartnerschaft das durch die → Sozialpartner gebildete wirtschaftliche und soziale Kooperationsverhältnis. Sozialpflichtigkeit des Eigentums ⇒ soziale Bindung des Eigentums → Eigentum. Sozialplan Einigung zwischen → Arbeitgeber und → Betriebsrat über den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den → Arbeitnehmern infolge einer geplanten → Betriebsänderung entstehen (§ 112 Abs. 1 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz); so beispielsweise über: Abfindungen bei → Kündigungen, Umzugskosten bei → Versetzungen, Zulagen oder Lohnausgleich bei verschlechterten → Arbeitsbedingungen u. a. Kommt eine Einigung nicht zustande, so können Arbeitgeber oder Betriebsrat den Präsidenten der jeweiligen → Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit um Vermittlung ersuchen. Beide können auch die → Einigungsstelle anrufen. Kommt vor dieser keine Einigung zustande, so kann sie auch gegen den Willen des Arbeitgebers einen verbindlichen S. aufstellen (Erzwingbarkeit des S.). Sozialpolitik Begriff und Begründung: S. im weiteren Sinne umfaßt alle Maßnahmen staatlicher und öffentlich-rechtlicher Institutionen sowie von Gruppen und Verbänden, die darauf abzielen, die wirtschaftliche und soziale Stellung von wirtschaftlich bzw. sozial als schwach angesehenen Personengruppen zu verbessern. Darüber hinaus umfaßt die S. Maßnahmen, die verhindern sollen, dass wirtschaftlich gesicherte Personen durch Eintritt existenzgefährdender → Risiken (z. B. Krankheit, Unfall, → Ar-
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beitslosigkeit, Invalidität und Alter) in den Zustand wirtschaftlicher und/oder sozialer Schwäche absinken. S. hat demnach drei Funktionen: Schutzfunktion: Gesellschaftsmitglieder, die nicht in der Lage sind, ihre Existenz durch Arbeitsleistungen zu sichern, wie z. B. Behinderte oder dauernd Kranke, sollen wirtschaftlich und sozial integriert werden. Wenn man von einer grundsätzlichen Unterlegenheit des nicht organisierten → Arbeitnehmers am → Arbeitsmarkt gegenüber dem Kapitaleigner ausgeht, so umfaßt die Schutzfunktion auch → Mitwirkungs- und → Mitbestimmungsregelungen in → Betrieb und → Unternehmung. Produktivitätsfunktion: Da annähernd 90 % der → Erwerbstätigen als Arbeitnehmer tätig sind, d. h. vom regelmäßigen Bezug eines → Arbeitseinkommens abhängig, soll S. Maßnahmen zur Erhaltung und Schaffung von → Arbeitsplätzen beinhalten (→ Arbeitsmarktpolitik) und bei vorübergehendem Verlust der Arbeitsfähigkeit (z. B. durch Krankheit) Maßnahmen zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit umfassen. Verteilungsfunktion: S. bedeutet → Umverteilungspolitik, wenn durch → Steuern und → Beiträge den Beziehern von Leistungseinkommen Mittel entzogen werden, die anderen als bedürftig geltenden Personen zugute kommen (z. B. als → Sozialgeld, → Sozialhilfe, → Wohngeld). Leitbilder und Ordnungsprinzipien: Das Ausmaß der S. und damit der Zuständigkeit des Staates hängt von den gesellschaftspolitischen Leitbildern ab. Dem Leitbild der marktwirtschaftlich organisierten → Leistungsgesellschaft würde es entsprechen, wenn die Verantwortung für die Existenzsicherung beim einzelnen läge (→ Individualprinzip). Eigenvorsorge gegenüber existenzbedrohenden Risiken ist – bei entsprechendem → Einkommen – durch→ Sparen möglich. Die Abdeckung von Risiken durch Ansparprozesse setzt jedoch voraus, dass diese Risiken hinsichtlich ihrer Höhe und des zeitlichen Eintreffens abschätzbar sind. Vermögensverluste, die durch → Inflation und Kriegsfol565
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gen eingetreten sind, machen deutlich, dass sich Grundrisiken nicht hinreichend durch Sparen abdecken lassen. Wesentliche Bedeutung für die freiwillige Eigenvorsorge kommt dagegen dem Versicherungsprinzip zu. Die Daseinsvorsorge nach dem Versicherungsprinzip erfolgt durch Zusammenschluß gleichartig bedrohter Personen zu einer Gefahrengemeinschaft, innerhalb derer ein Risikoausgleich durchgeführt wird. Die Beitragszahlung begründet einen Rechtsanspruch auf Entschädigung bei Eintritt des Risikofalls, wobei die Entschädigungsleistungen in ihrer Höhe von den gezahlten Beiträgen abhängig sind (Äquivalenzprinzip). Eine weitergehende Zuständigkeit des Staates für die Existenzsicherung und den Ausgleich zwischen wirtschaftlich/sozial schwachen und stärkeren Gruppen entspricht dem Leitbild des → Sozialstaates. Die Zuständigkeit des Staates wird durch folgende Argumente begründet: (1) Bezieher niedriger Einkommen sind wirtschaftlich nicht in der Lage, Eigenvorsorge auf der Basis von Sparen und privater Versicherung zu betreiben. Die Sicherung des materiellen Existenzminimums wird in diesen Fällen zur staatlichen Aufgabe. Hier kommt statt des Versicherungsprinzips das Fürsorgeprinzip zum Zuge. So hat in der Bundesrepublik Deutschland jeder bei nachweisbarer Bedürftigkeit einen Rechtsanspruch auf Fürsorge, ohne dass er zu einer Gegenleistung oder zur Rückzahlung herangezogen werden kann. (2) Künftige → Bedürfnisse werden von den Bürgern in der Regel unterschätzt, mögliche Einkommenssteigerungen werden überbewertet, die langfristige Eigenvorsorge wird vernachlässigt (Argument des Leichtsinns und der Kurzsichtigkeit). Bei Eintritt des Risikofalles wird die Gemeinschaft mit den Kosten belastet. Daraus folgt der Ruf nach einer staatlich verfügten → Pflichtversicherung, durch die der Staat die Eigenvorsorge der Bürger sozusagen „erzwingt“. Die Finanzierung erfolgt überwiegend aus → Beiträgen der Versicherten. (3) Die Abhängigkeit der meisten Erwerbstätigen als Arbeitnehmer vom regelmäßigen Bezug eines Arbeitseinkommens macht 566
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es erforderlich, dass bei Eintritt des Risikofalls (z. B. Arbeitslosigkeit, → Berufsund → Erwerbsunfähigkeit) ein Ausgleich durch die → Gesellschaft erfolgt. Dazu ist die Bildung großer Kollektive erforderlich, die über ein entsprechend hohes Mittelaufkommen verfügen, um einen sozialen Ausgleich auch in einer großen Zahl von Fällen zu bewältigen (z. B. Massenarbeitslosigkeit, „Rentnerberg“). Mit der Zuständigkeit des Staates für die Existenzsicherung der Bürger tritt das Sozialprinzip in den Vordergrund. In der historischen Entwicklung ist der Zuständigkeitsbereich des Staates immer weiter im Sinne des → Sozialstaatsprinzips ausgedehnt worden. Bereiche der S.: (1) Produktionsbereich: In Zusammenhang mit der Schutzfunktion der S. konzentrieren sich sozialpolitische Maßnahmen auf den betrieblichen Bereich. Maßnahmen des → Arbeitsschutzes und der → Betriebs- und Unternehmensverfassung (Mitwirkung und Mitbestimmung) bilden Schwerpunkte sozialpolitischen Handels in diesem Bereich. (2) Arbeitsmarkt: Zu den Maßnahmen, die im Sinne der Produktivitätsfunktion den Arbeitsmarkt beeinflussen, gehören → Berufsberatung, Arbeitsvermittlung, → Ausund Fortbildungsförderung, Mobilitätshilfen, Qualifizierungsprogramme und → Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auf der Basis des SGB III (→ Arbeitsförderung). Eine weitergehende Beeinflussung durch den Staat im Sinne einer Vollbeschäftigungspolitik ist je nach Leitbild (s. o.) umstritten. Beruhen die Minderung oder der Verlust der → Erwerbsfähigkeit auf einem Unfall im beruflichen Bereich, so ist die gesetzliche → Unfallversicherung zuständig. Sachleistungen der Unfallversicherung bestehen in medizinischen und berufsfördernden Maßnahmen zur Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit. Auch bei der gesetzlichen → Krankenversicherung wird ein Teil der Leistungen nach dem Sachleistungsprinzip erbracht, d. h. Vorsorgemaßnahmen, Leistungen bei Krankheit und Rehabilitation dienen der Wiederherstellung der Arbeits-
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fähigkeit bzw. dem Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile. (3) Konsumbereich: Eine Vielzahl von → Transferleistungen (z. B. Wohngeld, → Kindergeld, → Arbeitslosengeld I u. II, Sozialgeld, Sozialhilfe, Teilrente wegen Berufsunfähigkeit oder → Erwerbsminderungsrente, Pflegeleistungen → Altersrente) dienen dazu, bei Eintritt des Risikobzw. Versicherungsfalles den Betroffenen die Aufrechterhaltung ihres → Lebensstandards oder zumindest eines Existenzminimums (z. B. durch Sozialhilfe u. Sozialgeld) zu ermöglichen. Da die Mittelauf bringung im Umlageverfahren durch Steuern und Beiträge der Erwerbstätigen erfolgt, tritt in diesem Bereich die Verteilungsfunktion in den Vordergrund. Literatur: Kaminski, Hans, Sozialpolitik, in: Handbuch zur ökonomischen Bildung, Hrsg. Hermann May, 9. Aufl., München 2008, S. 417 – 440; Kath, Dietmar, Sozialpolitik, in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 7. Aufl., München 1999, S. 477 – 541. Prof. Dr. Horst Friedrich, Köln Sozialprinzip Orientierungs- und Verhaltensmaxime, die die Existenzsicherung der Bürger in die Zuständigkeit des Staates (→ soziale Sicherung) verweist. Siehe auch: → Solidaritätsprinzip. Gegensatz: → Individualprinzip. Sozialprodukt heute: Nationaleinkommen; → Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Sozialquote Sozialausgaben in Prozent des → Bruttoinlandsprodukts. Sozialstaat 1. Begriff und Entstehung: Neben der Sorge um das tägliche Brot sind in jeder Gesellschaft, wenn sie die Größe der kleinen Gruppe, des Clans oder Stammes nennenswert übersteigt, zwei ökonomische Probleme zu bewältigen: (1) die Bereitstellung von Mitteln für nachwachsende Generationen und (2) die Versorgung jener Menschen, die aus mannigfachen Gründen nicht oder
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nicht mehr am arbeitsteiligen Produktionsprozess teilnehmen, so die Alten, Kranken, Arbeitslosen oder Rentner. Aber auch die nicht oder nicht mehr am Erwerbsprozess Teilnehmenden sind in fast allen Fällen indirekt mit dem produktiven Teil der Wirtschaft verbunden. In modernen Industriegesellschaften ist es in der Regel mehr als die Hälfte der jeweiligen Bevölkerung. Diesen Teil einer Ökonomie kann man, wenn der staatliche Einfluss beachtlich ist, als Bereich des Sozialen oder als „Sozialstaat“ bezeichnen. Im deutschen Fall paart sich der S. mit einem demographischen Problem, das möglicherweise durch denselben mitverursacht ist, nämlich der starke Rückgang der Geburten seit dem sogenannten Pillenknick in den sechziger Jahren. Dieser bedeutet (im Rahmen des sogenannten Generationenvertrages), dass die Einhaltung künftiger Zahlungsverpflichtungen nur dann möglich wird, wenn von den dann Arbeitenden weitere Belastungen geschultert werden. Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland wird der 1949 entstandene deutsche Staat als „sozialer Bundesstaat“ bzw. „sozialer Rechtsstaat“ bezeichnet. Nähere Aufschlüsse darüber, welche Aufgaben ein solcher Staat wahrzunehmen hat und wo dessen Grenzen liegen, werden in der Verfassung nicht genannt. Im Zuge der Zeit ist jedoch die Zahl der vom Staat wahrzunehmenden Aufgaben ungemein gewachsen und sie nimmt ständig zu. Bedient man sich des → Bruttoinlandsproduktes (BIP) als Maß für die wirtschaftliche Aktivität eines Landes, so fließen ungefähr dreißig Prozent des jährlichen BIP in diesen Sektor. Ökonomisch gesehen hat ein S. heutiger Prägung vor allem dreierlei zu leisten: die Sorge für die → Ausbildung von Kindern und Jugendlichen, soweit sie nicht von den Eltern getragen wird. M.a.W. es müssen vor allem → Investitionen in künftiges → Humankapital getätigt werden. Ferner müssen zahlreiche Risiken (wie Krankheit oder → Arbeitslosigkeit) aufgefangen werden. Und schließlich sind Mittel für die Weiterexistenz von rund zwanzig Millionen Al567
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ten und Rentnern ganz oder zumindest teilweise aufzubringen. Die wichtigste Einrichtung zur Bewältigung dieser Aufgaben war über lange Zeiträume der menschlichen Entwicklung hinweg die drei Generationen umfassende Großfamilie in ihren verschiedenen Ausprägungen. Das Leben in solchen Verbänden spielt in Asien auch heute noch eine Rolle. Im Westen hingegen ist es seit Jahrzehnten rückläufig. Hier treten schon früh vor allem religiöse Lehrer auf, welche die Fürsorge und den Schutz der Armen und Kranken als Pflicht aller Mitglieder einer Gesellschaft fordern. Im europäischen Mittelalter widmen sich besonders kirchliche Orden und Klöster diesen Aufgaben. Damals bilden sich erstmals Einrichtungen der Krankenpflege im Rahmen von Gilden, Genossenschaften oder Vereinen heraus. Städte und Gemeinden erlassen Armengesetze und errichten sogenannte Armenhäuser. Als Institutionen zur Absicherung des Lebensrisikos entstehen im 17. Jahrhundert private → Lebensversicherungen (Frerich, Frey). Im Zuge des Aufkommens von Nationalstaaten setzt sich diese Entwicklung fort. Die eigentlichen Umbrüche vollziehen sich aber erst im Zuge der Auflösung der „alten“ Gesellschaft in den letzen beiden Jahrhunderten. Die industrielle Revolution auf der einen und die liberalen Reformen des 19. Jahrhunderts auf der anderen Seite setzen eine außerordentliche Zunahme der Bevölkerung in Gang, die in den sich industrialisierenden Ländern von einem noch stärkeren Anstieg des allgemeinen Wohlstandes begleitet ist. Die für frühere Jahrhunderte typische Armut breiter Schichten der Bevölkerung geht rapide zurück. In Deutschland entsteht der S. im heutigen Sinne allerdings erst auf dem Höhepunkt der sogenannten kapitalistischen Entwicklung im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts. 2. Zum politischen Hintergrund des deutschen Sozialstaates: Als Magna Charta des deutschen S. wird vielfach die Kaiserliche Botschaft von 1881 bezeichnet. In ihr wird der Anspruch angemeldet, dass „die sozialen Schäden (der damaligen Zeit C.W.) nicht ausschließlich im Wege der Repressi568
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on sozialdemokratischer Ausschreitungen, sondern gleichmäßig (auch C.W.) auf dem Wege der positiven Förderung des Wohls der Arbeiter“ zu bekämpfen seien. Politischer Hintergrund der kaiserlichen Stellungnahme war das Bismarcksche Verbot der Sozialdemokratie von 1878. Mit diesem beraubte der Reichskanzler die Arbeiterschaft ihres politischen Armes, glaubte aber gleichzeitig die dadurch verloren gegangene Loyalität der Arbeiter gegenüber der Krone durch eine „leistungsstarke, mit erheblicher Beteiligung des Staates zu errichtende Sozialversicherung“ zurückgewinnen zu können (Frerich, Frey). Bismarcks politischer Coup misslang. Unabhängig davon aber schuf er die politische Grundlage für eine staatliche → Sozialpolitik, wie sie in den großen Auseinandersetzungen um die „soziale Frage“ von vielen,(keineswegs aber allen) Sozialreformern gefordert wurde. Von hier aus entfaltet sich bis in unsere Tage das deutsche Modell des S., welches sprichwörtlich von der Wiege (z. B. Kinder- und → Elterngeld) bis zur Bahre (→ Pflegeversicherung) reicht. Dieser Entwicklung stehen ähnliche, aber meist sich erst im 20. Jahrhundert entwikkelnde Sozialsysteme anderer westlicher Ländern zur Seite, so die als „→ Wohlfahrtsstaaten“ bezeichneten Formen in den skandinavischen Ländern und in Großbritannien. Anders als das deutsche Vorbild mit seiner Lohnbezogenheit (und deren oberer Begrenzung) sind diese steuerfinanziert und zeichnen sich durch behördliche Zuteilung medizinischer oder sozialer Leistungen aus. Die vor allem nach dem zweiten Weltkrieg in Osteuropa eingeführte und mittlerweile zusammengebrochene Wirtschaftslenkung sowjetischen Typs umschloss noch wesentlich weitere Bereiche des Sozialen, so die planerische Einbindung der Berufs- und Beschäftigungswahl in das staatliche Planungs- und Zuteilungssystem, welches dem Einzelnen nur geringe Freiheitsspielräume einräumte. Der deutsche S. der Nachkriegszeit unterscheidet sich von diesen Konzeptionen dadurch, dass er Hand in Hand geht mit dem Auf bau einer umfassenden funktionsfä-
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higen Marktwirtschaft (→ Soziale Marktwirtschaft). Er enthält seit neuerem auch bescheidene Elemente der freien Wahl durch die Versicherten und war ursprünglich als Selbstverwaltung der Versicherten gedacht. Die Lohnbezogenheit der Abgaben sollte – im Gegensatz zu den Wohlfahrtsstaaten – das Bewusstsein besser wach halten, dass selbst die → Güter im S. der Knappheitsrestriktion (aller → Ressourcen) unterliegen und somit nicht beliebig austeilbar sind. 3. Entwicklung und Krise des deutschen S.: Die Gründung des deutschen S. zum Ende des 19. Jahrhunderts vollzog sich in einer Phase schnellen Wachstums der Bevölkerung bei gleichzeitig hoher Zunahme des allgemeinen Wohlstands. Vor allem liberale Kräfte wehrten sich damals gegen die Verstaatlichung der sozialen Einrichtungen (Bamberger, Schulze-Delitzsch), konnten jedoch nicht das Prinzip der Selbstverwaltung hinreichend durchsetzen. Schon bald zeigte sich, dass das zugrundeliegende Versicherungsprinzip staatlicherseits nicht eingehalten wurde und – gewollt oder ungewollt – politische Umverteilungsziele Eingang in das System fanden. In der Nachkriegszeit lösten sich Überschüsse und Defizite der Sozialkassen häufig ab. Überschüsse führten meist schnell zu neuen Ausgaben. Defizite führten u. a. zur Einbeziehung weiterer Gruppen in die → Zwangsversicherung (Landwirte, Handwerker, Teile der → freien Berufe) oder zum Heraufsetzen der Pflichtversicherungsgrenzen. In den Phasen schnellen → Wirtschaftswachstums Westdeutschlands nach dem zweiten Weltkrieg galt das damalige → System der sozialen Sicherung weithin als vorbildlich, als Verwirklichung des Programms der Sozialen Marktwirtschaft, nach dem die Produktivität einer gut funktionierenden Marktwirtschaft mit einer ausreichender Risikoabdeckung für möglichst alle Bürger zu verbinden ist. Im Vergleich zum zweiten deutschen Staat erwies sich der westdeutsche S. als wesentlich leistungsfähiger als das kollektivistisch-sozialistische System. Mitte der siebziger Jahre jedoch geriet die westdeutsche
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Wirtschaftsentwicklung, vor allem durch den Druck der → Lohnpolitik, in Schwierigkeiten. Anders als in früheren → Konjunkturzyklen wurde in Phasen des Konjunkturaufschwunges die Arbeitslosigkeit der jeweils vorausgegangenen Abschwungphase nicht mehr weitgehend abgebaut. Im Gegenteil, sie nahm vielmehr von Zyklus zu Zyklus zu. Die sich mittlerweile auf mehrere Millionen belaufende Arbeitslosigkeit wurde u. a. durch politische Fehlanreize erzeugt. Zahlreiche Reformversuche erwiesen sich jedoch als erfolglos. Seit Ende der achtziger Jahre sind auch in anderen westlichen Wohlfahrtsstaaten ausgeprägte Krisen des S. zu beobachten. Die Finanzmittel der Sozialkassen halten mit der Ausgabendynamik demokratischer Regierungen nicht Schritt; die Abgabenlasten müssen folglich ständig direkt oder indirekt erhöht werden. In Deutschland erreichen sie bezogen auf das → Einkommen eines durchschnittlichen Arbeitnehmers (unter Einschluss des Arbeitgeberanteils, der ökonomisch gesehen ein Lohnbestandteil ist) mittlerweile mehr als 40 Prozent. Hinzukommen noch direkte und indirekte Abgaben und Gebühren für öffentliche Leistungen, so dass vielfach die Hälfte des vom Einzelnen erwirtschafteten Einkommens der individuellen Disposition entzogen ist. Als Verursacher der im sozialen Bereich fortwährend auftretenden „Kostenexplosionen“ werden genannt: in der Altersrente der dramatische Rückgang der Geburtenzahl bei steigender Lebenserwartung und gleichzeitiger Weigerung, die → Arbeitszeit nennenswert zu erhöhen. Hinzu kommen zahlreiche Varianten der Frühverrentung, ferner vielfache Möglichkeiten, die individuellen Anspruchsgrundlagen so zu gestalten, dass sie kostentreibend statt -senkend wirken, sowie schließlich die durch den demokratischen Wettkampf um Wählerstimmen erzeugte ständige Vermehrung der Leistungsversprechen seitens der Politiker, ohne Klärung der Frage wer, welche Lasten zu tragen habe. Wenig beachtet werden dabei auch die zahlreichen ökonomischen Fehlanreize des 1957 eingeführten → Umlageverfahrens. Sie schlagen sich nicht zuletzt im genera569
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tiven Verhalten breiter Schichten nieder, da der Verzicht auf eigene Nachkommen keine negative finanzielle Folgen für den späteren Rentenbezug hat. 4. Zur Reform des S.: Die Krise des S. hat zu anhaltenden Diskussionen über Reformen und Reformmöglichkeiten geführt. Ökonomisch geht es dabei um die Frage, welche Sicherungsaufgaben sich kostengünstiger durch staatliche Einrichtungen wahrnehmen lassen und welche vorteilhafter und kostengünstiger durch freie → Verträge auf → Märkten bewältigt werden könnten. Gesellschaftspolitisch ausgedrückt: Wie weit soll die → Selbstverantwortung des Einzelnen und wieweit die staatliche Daseinsfürsorge gehen? Ökonomisch gesehen sind also die Nutzen-Kostenverhältnisse verschiedener Arrangements zu vergleichen. Für alle Situationen gültige Antworten dürfte es hier kaum geben. In vergleichender Sicht haben die heutigen Sicherungssysteme den Nachteil, dass sie weitgehend monopolistisch betrieben werden und auf Zwangsmitgliedschaft beruhen. Die Versicherten haben keine Möglichkeiten, ihren Präferenzen Ausdruck zu verleihen. Maßgebend sind vielmehr die paternalistischen Vorstellungen der die Allokations- und Verteilungsentscheidungen fällenden Bürokraten und Politiker. Hinzu kommt die starke Umverteilungskomponente, die der deutschen Zwangsversicherung innewohnt, d. h. die fehlende individuelle Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung. Dieses Ungleichgewicht findet auch seinen Niederschlag in der „Versicherung“ von Nichtzahlern (z. B. Migranten) oder von Zahlern mit nicht kostendeckenden Beiträgen. Begründet wird eine solche Politik meist mit dem Solidaritätsgedanken (→ Solidarität), der sich in diesem Fall aber nicht auf kleine, sich selbst kontrollierende Gruppen sondern auf große anonyme Gruppen mit Millionen Mitgliedern bezieht. Anonymität und Versicherungszwang erzeugen jedoch Anreize zur Illoyalität gegenüber den Sozialkassen und zum → Trittbrettfahrerverhalten. Volkswirtschaftlich bewirkt ein so in die Höhe getriebener Sozialkonsum in einem 570
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lohnbezogenen Sozialsystem hohe Lohnbzw. Lohnnebenkosten. Diese sind im Zuge der → Globalisierung nicht nur von Nachteil für die Standortqualität eines Landes. Gleichzeitig wirken sie auch auf das Sparverhalten und damit auf die Investitionen negativ. Die Zahl der Vorschläge zur Reform des deutschen S. sind Legion. Vieles ist punktuell orientiert, beachtet also nicht, dass der S. ähnlich wie die → Wirtschaftsordnung ein hochkomplexes und zusammenhängendes Ganzes ist (Breyer). In diesem Zusammenhang ist daraufhin zu weisen, dass die weitgehende Verstaatlichung des sozialen Bereiches in der jüngeren Vergangenheit auf der verbreiteten Neigung beruht, dass die staatliche Lenkung und Kontrolle eine vermeintlich bessere Garantie der sozialen Sicherung biete als die Risikoabsicherung über Märkte. Im deutschen S. sind jedoch z. B. die Rentenzahlungen nur der Sache, nicht aber der Höhe nach gewährleistet. Die politische Devise, die Renten seien sicher, ist mithin irreführend. Der sogenannte → Generationenvertrag im Rahmen des Umlageverfahrens ist eine Fiktion, die auf der problematischen Annahme beruht, dass noch nicht geborene Geschlechter bereit sind, ihn auch noch in ferner Zukunft zu erfüllen. Auch das Verständnis der heutigen Staaten als mehr oder minder geschlossene Versicherungsvereine für das Auffangen sozialer Risiken steht mittlerweile auf schwankendem Boden in einer Welt, die nicht nur Wanderungen von → Kapital unbeschränkt sondern auch Wanderungen von Personen in steigendem Maße zulässt. Diese zunehmende internationale Mobilität stellt jedoch nationalstaatlich organisierte Sozialsysteme vor schwer lösbare Kontrollprobleme. Vielfach wird deswegen heute die Frage gestellt, ob und inwieweit vor allem die Alterssicherung den Märkten anvertraut werden kann. Die sogenannte → Riester-Rente – entstanden aus dem immer dramatischer werdenden Demographieproblem – ist ein erster Schritt in Richtung einer Ablösung der sozialen Sicherung vom Nationalstaat. Ordnungspolitisch ist eine stärkere Hinwendung zu privater und damit marktwirt-
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schaftlich verfasster Vorsorge kein Schritt in Richtung eines „laissez-faire-Kapitalismus“, wie gerne behauptet wird. Es handelt sich auch nicht um eine Zerschlagung des S. bis auf wenige Reste, wie einige meinen. Die Aufgabe des Staates würde sich vielmehr im Rahmen einer sich als Soziale Marktwirtschaft verstehenden Ordnung primär auf die Setzung der Spielregeln für jene Güter und → Dienstleistungen konzentrieren, die nach den bisherigen Erfahrungen staatlicherseits nicht befriedigend bereitgestellt werden können. Eine Verlagerung von Teilen der Alterssicherung in die Kapitaldeckung, von der die sogenannte Riester-Rente ausgeht, setzt allerdings voraus, dass die → Finanzmärkte sich als so stabil erweisen, wie es die Verfechter kapitalbasierter Renten erwarten. Diese Vermutung wird jedoch durch die Finanzkrise von 2008/09 in Frage gestellt. Gleichzeitig wird sichtbar, dass die langfristige Verfolgung des Zieles → Geldwertstabilität unter heutigen ordnungspolitischen Bedingungen mit großen Risiken befrachtet ist. 5. Zur Beurteilung des S.: Die Sicherung der menschlichen Existenz in jenen Phasen des Lebens, in denen der Einzelne nicht produktiv am Prozess des arbeitsteiligen Wirtschaftens teilnimmt, ist – wie eingangs bemerkt – ein Problem, das sich in jeder Gesellschaftswirtschaft stellt. Im Zuge der sozialen Evolution hat es zahlreiche – manchmal auch abschreckende – Lösungen gegeben. Es waren allerdings nicht allein die Kritiker des Marktes, welche in der Vergangenheit privat-marktwirtschaftliche Möglichkeiten der sozialen Sicherung ablehnten. Auch der philosophische Individualismus der Moderne feierte die Loslösung aus den „Fesseln der Großfamilie“ und den „Zwängen der alten Gesellschaft“ als großen sozialen Fortschritt im Prozess der Emanzipation der Menschheit und befürwortete gleichzeitig das S.-modell. Dabei wurde jedoch übersehen, wie einschneidend und unvorhersehbar der S. in die individuelle Lebensplanung eingreift, wenn er den Auf bau und die Funktionsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme an sich zieht.
Sozialstaat
Die weitgehende Verstaatlichung des sozialen Sektors in jüngerer Zeit hat überdies die problematische Folge, dass sich bei den Versicherten die Meinung breit macht, es sei nicht ihre eigene sondern die Aufgabe des Staates Vorsorge für die Absicherung lebenswichtiger Lebensrisiken zu betreiben. Eine solche Aufgabenteilung kann nicht einmal in der Fiktion einer stationären Wirtschaft von Erfolg gekrönt sein. Erst recht gilt das für die heutige dynamische Wirtschaftsweise, in der das Morgen nicht dem Heute gleicht. Eine marktwirtschaftliche Ordnung impliziert, dass der Einzelne seine Aufmerksamkeit und seine Talente nicht nur auf die Einkommenserzielung richtet, wo er oft überraschend findig ist, sondern dass er auch jenen Teil seines Lebens, an dem er nicht am volkswirtschaftlichen Produktionsprozess teilnimmt, ebenso zum Gegenstand seiner Aufmerksamkeit und seines Erfindungsreichtums macht, wie das für das sonstige Wirtschaftsleben der Fall ist. Es sprechen folglich gute Gründe dafür, dass eine Verlagerung der Vorsorge für Lebensrisiken hin zu den Einzelnen neue Ideen und soziale Innovationen zu Tage fördert, welche sich im bürokratischen S. niemals entwickeln werden. Literatur: Soziale Marktwirtschaft: Anspruch und Wirklichkeit seit fünfzig Jahren. Zugleich Bd. 48 Ordo-Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft Stuttgart 1997, S. 385- 548. Breyer, Friedrich u. a. Reform der sozialen Sicherung. Springer 2004. Frerich, Johannes und Martin Frey, Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland. 3 Bde, 2. Aufl. Oldenbourg 1996. „Soziale Ungleichheit, Sozialpolitik und Soziale Marktwirtschaft“ Sonderheft der Zeitschrift für Wirtschaftspolitik. Hrsg. vom Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln. Verlag Lucius und Lucius, Stuttgart. Herausgegeben von Nils Goldschmidt und Joachim Zweynert. 59. Jahrgang (2010, Heft 1). Prof. Dr. Christian Watrin, Köln 571
Sozialstaatsprinzip
Sozialstaatsprinzip die aus Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz abgeleitete Forderung, daß der Staat nach den Grundsätzen → sozialer Gerechtigkeit gestaltet sein soll. Das S. ist ein sogenannter Programmsatz, das heißt, es gilt als Richtlinie und Zielbestimmung für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung. → Sozialstaat. Sozialversicherung Mit einem Anteil von über 60 % der gesamten Sozialausgaben verkörpern derzeit die einzelnen Zweige der S., nämlich die → Rentenversicherung (mit 32 %), die → gesetzliche Krankenversicherung (21 %), die → Pflegeversicherung (2,5 %), die → Arbeitslosenversicherung (4 %) und die → Unfallversicherung (1,5 %) den Kernbereich der → sozialen Sicherung in Deutschland. Einrichtungen nach anderen Gestaltungsprinzipien wie dem Fürsorgeprinzip (z. B. → Sozialhilfe bzw. Grundsicherung) oder dem Versorgungsprinzip (z. B. → Kindergeld) haben hier nur zweitrangige Bedeutung. Konstitutiv für die S. ist das Versicherungsprinzip, das aus der → Individualversicherung (Privatversicherung) modifiziert übernommen wurde. Danach werden von gleichartigen Risiken bedrohte Personen zur Abdeckung von Schadensfolgen oder von besonderen Bedarfslagen in besonderen Versicherungsgemeinschaften zusammengeschlossen, in denen die Ausgaben für vorab vereinbarte Leistungen bei Versicherungsfällen statistisch kalkuliert und über risikoäquivalente → Beiträge auf die Versicherten umgelegt werden. Der Anspruch auf Leistungen der Versicherungsgemeinschaft wird somit durch Beitragszahlungen erworben, die zum Leistungsanspruch ökonomisch annähernd gleichwertig sind (versicherungstechnisches Äquivalenzprinzip). In der S. wird das Versicherungsprinzip in einigen Punkten modifiziert. (1) Es besteht ein staatlicher Versicherungszwang, d. h. ein bestimmter Personenkreis (z. B. → Arbeitnehmer) muss in eine bestimmte S. eintreten, eventuell ergänzt durch eingeschränkte Möglichkeiten für freiwilligen 572
Sozialversicherung
Beitritt. (2) Die Träger der S. sind staatliche → Körperschaften mit Selbstverwaltung, an der Vertreter der Versicherten und der → Arbeitgeber teilhaben. (3) Der Staat beteiligt sich an der Aufbringung der Mittel (z. B. durch den Bundeszuschuss in der gesetzlichen Alterssicherung). (4) Die Beiträge wie auch die im Versicherungsfall zu beanspruchenden Leistungen werden staatlich festgelegt, wobei unter sozialpolitischen Gesichtspunkten in vielfältiger Weise vom versicherungstechnischen Äquivalenzprinzip abgewichen wird (z. B. in der gesetzlichen Krankenversicherung bei der Beitragsbemessung für Arbeitnehmer nach Lohnhöhe und bei der beitragsfreien Mitversicherung von nicht arbeitenden Familienangehörigen). Damit werden in der S. systematische Umverteilungseffekte erzeugt, zulasten von Teilgruppen von Versicherten, denen Beiträge oberhalb der versicherungstechnischen Äquivalenz abverlangt werden und zugunsten von Teilgruppen mit unteräquivalenten Beitragszahlungen. Dank des Versicherungszwanges kann die S. politisch gewollt als Instrument zur → Umverteilung ausgestaltet werden, was üblicherweise mit besonderen Auslegungen des → Solidaritätsprinzips gerechtfertigt wird. Wesentliche Zweige der S. sind in Deutschland bereits in den 80er Jahren des neunzehnten Jahrhunderts entstanden (Gesetz über die Krankenversicherung der Arbeiter 1883, Unfallversicherungsgesetz 1884, Gesetz über die Invaliditäts- und Alterssicherung 1889). Das Angestelltenversicherungsgesetz kam 1911 dazu und das Gesetz über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung 1927. Die letzte Säule des deutschen Systems der S. wurde 1995 mit der Pflegeversicherung errichtet. Dazwischen lag die Einbeziehung von selbständigen Handwerkern (1938), Landwirten (1957) und selbständigen Künstlern und Publizisten (1983) in besonders geregelte Zweige der S. Auch weitere Gruppen von Selbständigen wurden obligatorisch einbezogen oder erhielten Beitrittsmöglichkeiten. Die zuerst nur für Arbeiter konzipierte, dann auch auf Angestellte und etliche selbständige Erwerbstätige ausgedehnte S.
Sozialversicherung
umfasst mit der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung heutzutage über 90 % der Bevölkerung. Bei der Versicherungspflicht geht die → Sozialpolitik von der Vermutung aus, dass der einzubeziehende Personenkreis nicht oder nicht ausreichend in der Lage ist, die zu versichernden Risiken selbst abzudekken. Die Versicherungspflicht dient sowohl dem Schutz der Versicherten wie auch der staatlichen Gemeinschaft, die sonst bei individuellen Notlagen im Rahmen der → Sozialhilfe helfen müsste, wodurch auch jene belastet würden, die ihrerseits durch eigene Beiträge oder Ersparnisse dafür sorgen, dass sie anderen nicht zur Last fallen. Die Versicherungspflicht kann politisch allerdings auch genutzt oder missbraucht werden, um für Umverteilungszwecke im Rahmen der S. zusätzliche Beitragseinnahmen zu erschließen. Historisch bedingt ist die deutsche S. immer noch hauptsächlich als Arbeitnehmerversicherung konzipiert und in besonderer Weise mit → Arbeitsverhältnissen verknüpft. (1) Im Regelfall ergibt sich die Versicherungspflicht aus abhängiger Beschäftigung, wobei der Arbeitgeber durch Anmeldung und Beitragsabführung für die Erfüllung zu sorgen hat. (2) Dabei werden die Sozialversicherungsbeiträge als Prozentsatz des Bruttoarbeitslohns bemessen. (3) In der Regel werden die Beiträge hälftig zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgeteilt. Ökonomisch betrachtet ist es indes fraglich, inwieweit diese Abgaben über Löhne oder Preise überwälzt werden und wer danach tatsächlich die Abgabenlast trägt. Nachdem sie in der Summe bis Ende der 1970er Jahre noch unter 30 % lagen, überschritten die lohnbezogenen Beitragssätze (ohne Unfallversicherung) seit Mitte der 1990er Jahre zeitweise die Marke von 40 %, auf die sie laut wiederholten Regierungserklärungen begrenzt werden sollten. 2011 lagen sie mit 19,9 % für die Rentenversicherung, 15,5 % für die Krankenversicherung, 1,95 % für die Pflegeversicherung und 3,0 % für die Bundesagentur für Arbeit bei insgesamt 40,35 %. Angesichts der absehbaren demographischen Entwicklung mit einer
Sozialversicherung
starken Zunahme des Zahlenverhältnisses von Rentnern zu Erwerbstätigen (Rentnerquotient) ist längerfristig mit einem deutlichen Anstieg des Gesamtbeitragssatzes zu rechnen. Deshalb wird bereits seit längerer Zeit in Wissenschaft und Politik diskutiert, ob das bisherige Leistungsniveau beibehalten werden kann, oft verbunden mit der grundsätzlichen Frage nach der Rolle und dem Ausmaß des → Sozialstaates. Zur weiteren Entwicklung der S. sind vor allem folgende Punkte strittig: − Verringerung des Leistungsumfanges z. B. Absenkung des Rentenniveaus in der staatlichen Alterssicherung, zeitliche Begrenzung der Leistungen der Arbeitslosenversicherung und Einschränkungen beim Leistungsumfang der Krankenversicherung; − Verbreiterung der Einnahmebasis z. B. durch die Einbeziehung weiterer gesellschaftlicher Gruppen (Freiberufler, Selbständige) in die Versicherungspflicht und/oder weiterer Einkommensarten (z. B. Mieteinkünfte, Kapitalerträge) in die Beitragsbemessung, wie es vor allem mit Konzepten einer → Bürgerversicherung propagiert wird – oder auch durch Ausweitung von steuerfinanzierten Zuschüssen; − Partielle oder radikale Abkoppelung der Sozialversicherungsbeiträge von betrieblichen Lohnkosten durch Begrenzung der Arbeitgeberbeiträge oder gänzlicher Abkehr von der lohnbezogenen Beitragsbemessung, z. B. mit Kopfpauschalen in der Kranken- und Pflegeversicherung; − Stärkere Betonung der individuellen Verantwortlichkeit verbunden mit finanziellen Anreizen für private Vorsorge, z. B. staatliche Zuschüsse für ergänzende → private Altersvorsorge (→ RiesterRente), oder für sparsame Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen, z. B. Selbstbeteiligung bei Arzneimitteln oder beim Arztbesuch. Prof. Dr. Helmut Winterstein, Prof. Dr. Hermann Scherl, Erlangen-Nürnberg 573
Sozialversicherungsausweis
Sozialversicherungsausweis Um eine mißbräuchliche Inanspruchnahme von → Sozial(versicherungs)leistungen zu erschweren, wurde für alle sozialversicherungspflichtigen → Arbeitnehmer der S. eingeführt. Dieser Ausweis enthält den Vor- und Familiennamen (dazu gegebenenfalls auch den Geburtsnamen) des Beschäftigten und die von der → Rentenversicherung vorgegebene Versicherungsnummer. Bei Beginn der → Beschäftigung muß der Ausweis dem → Arbeitgeber vorgelegt werden, der dann die Anmeldung zur → Sozialversicherung vornimmt. Um zu verhindern, daß jemand bestimmte Sozialleistungen in Anspruch nimmt, obwohl er gleichzeitig einer Beschäftigung nachgeht, sollen die → Agenturen für Arbeit und Sozialämter und können die → Krankenkassen verlangen, daß der S. solange bei ihnen hinterlegt wird, wie sie zum Beispiel → Arbeitslosengeld I u. II, Unterhaltsgeld, → Sozialhilfe, → Krankengeld oder Verletztengeld zahlen. Auch der Arbeitgeber hat das Recht, den S. für die Dauer der → Lohn- und Gehaltsfortzahlung an einen erkrankten Arbeitnehmer einzuziehen. Sozialversicherungsbeiträge ⇒ Sozialbeiträge ⇒ Sozialabgaben. Sozialversicherungspflicht → Pflichtversicherung. sozialwidrige Kündigung → Widerspruchsrecht des Betriebsrates bei ordentlicher Kündigung. Sozialwissenschaften ⇒ Gesellschaftswissenschaften umfassen (nach allgemeiner Auffassung) diejenigen Wissenschaften, die sich mit dem Menschen als sozialem Wesen befassen, so insbesondere Soziologie, Politologie, Rechtswissenschaft, → Wirtschaftswissenschaft u. a. Sozialwohnungen ⇒ öffentlich geförderter Wohnraum. Sparbereitschaft ⇒ Sparneigung ⇒ Sparwilligkeit 574
Sparbuch
die individuelle Bereitschaft zu sparen; sie ist außer durch die → Sparfähigkeit durch eine Vielzahl von Einflußgrößen bestimmt, die zum Teil schwer zu fassen sind. → Sparmotive. Sparbriefe von → Kreditinstituten angebotene (wertpapierähnliche) → Schuldverschreibungen für die mittelfristige Anlage von Spargeldern. Der Mindestanlagebetrag beläuft sich je nach Anbieter auf Euro 2500 oder Euro 5000. Die Laufzeit beträgt zwischen 1 und 10 Jahren. Für die gesamte Laufzeit wird ein → Festzins vereinbart. Hinsichtlich der Zinszahlung, des Ausgabepreises und des Rückzahlungspreises lassen sich folgende Möglichkeiten unterscheiden: (1) normalverzinsliche S. (Ausgabe zum Nennwert, Rückzahlung bei Fälligkeit zum Nennwert, Zinszahlung jährlich oder halbjährlich); (2) abgezinste S. (Ausgabe zu dem um → Zinsen u. → Zinseszinsen für die gesamte Laufzeit verminderten Nennwert, keine laufenden Zinszahlungen); (3) aufgezinste S. (Ausgabe zum Nennwert, Rückzahlung zum Nennwert zuzüglich der Zinsen u. Zinseszinsen für die gesamte Laufzeit, keine laufenden Zinszahlungen). – Eine Rückzahlung des S. vor Fälligkeit ist in der Regel vertraglich ausgeschlossen. Sparbuch das von einer → Sparkasse (Sparkassenbuch) oder einer → Bank dem Inhaber eines → Sparkontos ausgehändigte gebundene oder in Loseblattform geführte Buch. Im S. werden alle Kontoveränderungen, also Einzahlungen, Abhebungen und Zinsgutschriften festgehalten. Das S. muß auf den Namen des Kontoinhabers ausgestellt sein. Ein S. ist eine Schuld- und Beweisurkunde und deshalb kein selbständiger Träger der → Forderung aus der → Spareinlage. Die Sparkasse/Bank ist zur Prüfung der Legitimation des Vorzeigers berechtigt,aber nicht verpflichtet. Ein Sparguthaben kann nicht durch Übereignung des S. übertragen werden, sondern nur durch → Abtretung der Forderung.
Spareinlagen
Spareinlagen die bei einer → Sparkasse oder → Bank auf einem → Sparkonto eingelegten Spargelder. Rechtliche Grundlage ist § 21 Abs. 4 der Verordnung über die Rechnungslegung der Kreditinstitute v. 11.12.1998. Als S. dürfen derzufolge nur unbefristete Gelder ausgewiesen werden, die folgende Voraussetzungen erfüllen: (1) Sie sind durch Ausfertigung einer Urkunde, insbesondere eines → Sparbuches als S. gekennzeichnet; (2) sie sind nicht für den → Zahlungsverkehr bestimmt; (3) sie werden nicht von → Kapitalgesellschaften, → Genossenschaften, wirtschaftlichen → Vereinen oder → Personengesellschaften angenommen; (4) sie haben eine → Kündigungsfrist von mindestens drei Monaten. Sparbedingungen, die dem Kunden erlauben, über seine Einlagen mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten bis zu einem bestimmten Betrag, der jedoch je → Sparkonto und Kalendermonat 2000 Euro nicht übersteigen darf, ohne → Kündigung zu verfügen, schließen deren Einordnung als S. nicht aus. Siehe auch: → Kontensparen. Sparen Nichtkonsum von Einkommensteilen. S. bedeutet somit Konsumverzicht. Die Ersparnisse wachsen den → privaten Haushalten als → Vermögen zu. Sparer-Pauschbetrag Begriff des Einkommensteuerrechts; Freibetrag, den jeder Steuerpflichtige bei der Ermittlung seiner → Einkünfte aus Kapitalvermögen in Anrechnung bringen darf. Der S. beläuft sich jährlich auf 801 Euro; bei zusammenveranlagten Ehegatten auf 1602 Euro. Siehe auch: → Freistellungsauftrag. Sparfähigkeit das Vermögen eines → Wirtschaftsubjektes, Ersparnisse zu bilden; maßgeblich bestimmt durch die Höhe seines → Einkommens. Sparförderung Gesamtheit der staatlichen Maßnahmen (→ Sparprämien, → Arbeitnehmersparzulage) zur Anregung der Sparbereitschaft und zur Veranlassung entsprechender Spa-
Sparkonto
rakte bei Beziehern mittlerer und niedriger → Einkommen (Einkommensobergrenze!). Sparguthaben ⇒ Spareinlagen. Sparkassen überwiegend (d. h. mit Ausnahme der Freien S.) öffentlich-rechtliche → Kreditinstitute (→ Körperschaften des öffentlichen Rechts). Die für diese bislang geltenden staatlichen Garantien, nämlich Anstaltlast und Gewährträgerhaftung durch Kommune, Kreis und Bundesland, sind zum 19. 7. 2005 entfallen. Nach Nr. 28 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Sparkassen (AGBSp) sind die S. dem Sicherungssystem der Deutschen Sparkassen-Finanzgruppe angeschlossen. → Spareinlagen bei den öffentlich-rechtlichen S. sind als → mündelsicher anerkannt. Die öffentlich-rechtlichen S. sind regional in Sparkassen- und Giroverbände mit regionalen Girozentralen zusammengeschlossen und haben im Deutschen Sparkassen- und Giroverband e. V. in Berlin ihre Organisationsspitze. Sparkassenbriefe → Sparbriefe. Sparkassenbuch → Sparbuch. Sparkassenobligationen → Sparschuldverschreibungen. Sparkonto bei einem → Kreditinstitut geführtes → Konto, das nicht zum Zwecke des → Zahlungsverkehrs, sondern der Geldanlage eingerichtet wurde. Einzahlungen, Zinsgutschriften und Auszahlungen werden in einem → Sparbuch festgehalten. Über → Spareinlagen darf nicht durch → Scheck oder → Überweisung verfügt werden (§ 21 Abs. 4 Verordnung über die Rechnungslegung der Kreditinstitute); dagegen sind Überweisungen von Bankkonten auf S. (ausgenommen laufende Gehalts- oder Pensionszahlungen) zulässig. Das S. muß immer ein Guthaben aufweisen; ohne ein solches erlischt es. 575
Sparmotive
Sparmotive Beweggründe für die Bildung von Ersparnissen, so insbesondere: Vorsorge für Notfälle (Krankheit, → Arbeitslosigkeit), grössere Anschaffungen in der Zukunft (Haus, Auto, Eigentumswohnung, Möbel), Ferienreise, → Vermögensbildung, Zukunftssicherung und → Altersvorsorge. Daneben spielen sicherlich die wirtschaftlichen Zukunftserwartungen eine gewichtige Rolle. Sind diese Erwartungen düster, drohen vielleicht sogar wirtschaftliche Einbrüche (→ Rezession, Auftragsrückgänge, Entlassungen), so sehen sich die → privaten Haushalte im allgemeinen eher veranlaßt, Ersparnisse zu bilden, als in Zeiten wirtschaftlicher Zuversicht. Auch die → Geldentwertung hat ihre Auswirkungen auf die → Sparneigung. So führen hohe → Inflationsraten in der Regel zu einer abnehmenden Sparneigung (Flucht in die Sachwerte!), während ein (relativ) stabiler Geldwert die Ersparnisbildung begünstigt. Die Höhe der Bankzinsen bleibt auch nicht ohne Einfluß auf die Sparbereitschaft. Darüber hinaus ist immer der → Konsum in Konkurrenz zum → Sparen zu sehen. Ist gegenwärtiges Konsumieren verlockender als ein kurz-, mittel- oder langfristiger Zinsgewinn oder eine größere Anschaffung in der Zukunft, so unterbleibt eben das Sparen oder erfolgt nur in eingeschränktem Umfang. Sparneigung ⇒ Sparwilligkeit ⇒ Sparbereitschaft. Sparobligationen ⇒ Sparschuldverschreibungen. Sparprämie 1. im Rahmen der staatlichen Förderung der → Vermögensbildung der Arbeitnehmer gewährter Sparanreiz. 2. von den → Kreditinstituten bei bestimmten → Sparverträgen am Ende der → Laufzeit auf das gebildete Sparvermögen gewährter Geldbetrag. 3. Bestandteil der Versicherungsprämie in der → Lebensversicherung. Sparquote der Teil des → Volkseinkommens, der gespart (d. h. nicht konsumiert) wird. Die durchschnittliche S. gibt an, wieviel in ei576
Sparvertrag
ner → Volkswirtschaft durchschnittlich von einer Einheit des Volkseinkommens gespart wird; sie liegt in Deutschland meist bei 12 – 13 Prozent. Sparschuldverschreibungen ⇒ Sparobligationen von → Banken und → Sparkassen (Sparkassenobligationen) über den Schalter angebotene nicht börsenfähige (d. h. nicht zum Handel an der → Börse zugelassene), → mündelsichereOrderschuldverschreibungen (d. s. → Wertpapiere, die zwar eine bestimmte, namentlich bezeichnete Person als berechtigt benennen, aber durch schriftliche Erklärung auf dem Papier [→ Indossament] und Übergabe des Papieres an eine andere Person übertragen werden können; § 363 Handelsgesetzbuch) mit → Laufzeiten zwischen 4 und 10 Jahren. Das → Kreditinstitut garantiert einen → Festzins für die gesamte Laufzeit. Hinsichtlich der Zinszahlung, des Ausgabepreises und des Rückzahlungspreises lassen sich folgende Möglichkeiten unterscheiden: (1) normalverzinsliche S. (Ausgabe zum → Nennwert oder zum „Hauskurs“ [d. i. der Ausgabepreis, der vom Kreditinstitut unter Berücksichtigung der aktuellen Kapitalmarktsätze festgelegt wird], Rückzahlung bei Fälligkeit zum Nennwert, Zinszahlung jährlich oder halbjährlich); (2) abgezinste S. (Ausgabe zum Nennwert abzüglich der → Zinsen u. → Zinseszinsen für die gesamte Laufzeit, gegebenenfalls zum „Hauskurs“ [siehe oben!], Rückzahlung bei Fälligkeit zum Nennwert, keine laufenden Zinszahlungen); (3) aufgezinste S. (Ausgabe zum Nennwert, gegebenenfalls zum „Hauskurs“ [siehe oben!], Rückzahlung zum Nennwert zuzüglich der Zinsen u. Zinseszinsen für die gesamte Laufzeit, keine laufenden Zinszahlungen). – Eine Rückgabe der S. vor Fälligkeit ist in der Regel möglich. Die Abrechnung erfolgt dann zu einem speziellen festgesetzten Rücknahmepreis („Hauskurs“, siehe oben!). Sparvertrag schuldrechtlicher → Vertrag. Nach herrschender Rechtsauffassung kommt dieser Vertrag mit der Einzahlung der (ersten) → Spareinlage und der Aushändigung der
Sparvertrag
Sparurkunde (d. i. das → Sparbuch), teilweise auch von Einzelsparurkunden in Loseblattform, zustande. (Der → Antrag auf Eröffnung eines → Sparkontos u. die → Annahme dieses Antrages stellen lediglich einen Vorvertrag zur Begründung eines S. dar). Im S. werden unter anderem festgelegt: Gläubigerschaft, → Verzinsung, Kündigungsfristen, Sicherungsvereinbarungen gegen unberechtigte Verfügungen. → Kontensparen.
Spieltheorie
Spezialisierungskartell → Kartell, das Vereinbarungen über die → Rationalisierung wirtschaftlicher Vorgänge durch → Spezialisierung zum Inhalt hat. Spezialvollmacht → Vollmacht, die den → Bevollmächtigten (nur) zur Vornahme eines bestimmten Geschäftes oder einiger bestimmter Geschäfte ermächtigt. Gegensatz: → Generalvollmacht.
Sparwilligkeit ⇒ Sparneigung ⇒ Sparbereitschaft.
Spezieskauf ⇒ Stückkauf Kauf einer → nichtvertretbaren Sache.
Spekulation(sgeschäfte) Geschäfte, die auf Gewinnerzielung aus Preisveränderungen gerichtet sind. Beispiele: (1) Kauf eines Grundstückes in der Hoffnung, dasselbe zu einem späteren Zeitpunkt zu einem höheren Preis verkaufen zu können (= S. à la → Hausse); (2) Verkauf von → Wertpapieren in der Hoffnung, diese zu einem späteren Zeitpunkt zu einem niedrigeren → Kurs wieder kaufen zu können (= S. à la → Baisse).
Spieltheorie beschäftigt sich mit strategischen Entscheidungssituationen, in denen Interessenskonflikte und/oder Koordinationsprobleme zwischen verschiedenen Akteuren bestehen. Sie teilt sich in zwei Gebiete: Die kooperative und die nichtkooperative S. Die kooperative S. untersucht Situationen, in denen die Spieler bindende Vereinbarungen treffen können. Sie geht davon aus, daß exogene Mechanismen die Einhaltung der → Verträge durchsetzbar machen und untersucht, welche Lösungen als Ergebnis von Kooperation zu erwarten sind. Die Lösung hängt zum einen davon ab, welches Ergebnis ohne Kooperation zustande käme (dem Konflikt- oder Drohpunkt), zum anderen von der Verhandlungsstärke der beteiligten Spieler. Die kooperative S. geht in der Regel axiomatisch vor: Sie formuliert bestimmte (mehr oder weniger) plausible Anforderungen, die jede Verhandlungslösung – unabhängig von konkreten spezifischen institutionellen Details – erfüllen sollte, wie etwa: (1) Individuelle Rationalität (jeder einzelne Spieler erhält mindestens soviel, wie er für sich allein ohne Kooperation erreichen könnte), (2) Paretoeffizienz (bei der Verhandlungslösung kann keiner sich besser stellen, ohne einen anderen Spieler schlechter zu stellen). Je nachdem, welche weiteren Axiome dem Verhandlungsspiel zugrundegelegt werden, erhält man unterschiedliche Lösungen (etwa die Nash-Lösung – sowie bei Verhandlungen mit mehr als zwei Spielern, bei denen Koalitionsbildung be-
Spekulationsgewinne aus → Spekulation(sgeschäften) resultierende Gewinne. Sperrfrist bei Massenentlassungen → Kündigungsschutz I, 3. Sperrung von Schecks → Scheck. Spezialisierung 1. betriebswirtschaftlich: Beschränkung des betrieblichen Fertigungsprogrammes auf eine geringe Anzahl von Produkten oder ein einziges Erzeugnis. Sie begünstigt die Ausweitung der → Arbeitsteilung zwischen den → Betrieben und führt häufig zu (kapitalmäßigen) Verflechtungen (Konzernbildung). 2. beruflich: qualifikatorische Beschränkung/Vertiefung auf/in ein bestimmtes Fachgebiet, das in einem größeren, umfassenderen Tätigkeitsfeld angesiedelt ist (z. B. Kardiologie als Fachgebiet der Inneren Medizin).
577
Spieltheorie
Spieltheorie
Unternehmen B Unternehmen A
N
K
N
(0,0)
(150, −10)
K
(−10, 150)
(100, 100)
Abbildung 1 rücksichtigt wird – u. a. Kern und ShapleyWert ). Die nichtkooperative S. untersucht dagegen das individuell rationale Entscheidungsverhalten der einzelnen Spieler unter der Annahme, daß keine Mechanismen existieren, die die Einhaltung von Verträgen bindend durchsetzen können. Eine Vereinbarung wird nur dann eingehalten, wenn dies im Eigeninteresse aller Spieler liegt. Zur Analyse eines Spiels ist zunächst die Beschreibung der Spielsituation erforderlich. Eine Darstellungsform ist die Matrix (vgl. Abb. 1), die die denkbaren Ergebnisse des Spiels in Abhängigkeit der möglichen Strategiekombinationen aller Spieler angibt. Zum anderen kann die Beschreibung in der extensiven Form anhand eines Spielbaums erfolgen, der die möglichen Spielzüge der einzelnen Spieler detailliert angibt (vgl. Abb. 2). Ein Beispiel für ein nichtkooperatives Spiel: Lohnt es sich, Kartellabsprachen in einem Duopol (= Marktform mit nur zwei Anbietern) einzuhalten? Die → Unternehmen A und B können zwischen zwei Strategien wählen: Kooperation (K) durch Preisabsprache oder Nichtkooperation (N). In Abbildung 1 sind die → Gewinne beider Unternehmen (GA, GB) als Resultat der gewähl-
Abbildung 2: Markteintrittsspiel 578
ten Strategien eingezeichnet. Der → Wettbewerb bei Nichtkooperation (N, N) reduziert die Gewinne auf (0, 0). Kooperation (K, K) würde beiden einen Duopolgewinn ermöglichen: (100, 100). Hält sich aber nur B an die Preisabsprache, während A davon abweicht (die Kombination (N, K)), würde A davon profitieren (GA = 150), während B → Verluste erleidet (GB = – 10). Umgekehrt bei (K, N). Im betrachteten Spiel ist es eine dominante Strategie, nicht zu kooperieren: Gleichgültig, welche Strategie der Gegenspieler wählt, bringt N immer einen höheren Gewinn als K. Nur die Kombination (N, N) ist ein Gleichgewicht, obwohl beide Unternehmen besser gestellt wären, wenn sie kooperieren. Diese Spielsituation bezeichnet man als Gefangenendilemma. In den meisten Spielen gibt es jedoch keine dominanten Strategien. Welche Strategie individuell optimal ist, hängt dann davon ab, wie sich die anderen Spieler verhalten. John Nash (1950) entwickelte für solche Spiele ein allgemeines Lösungskonzept, das sog. Nash-Gleichgewicht. Ein Nash-Gleichgewicht ist dadurch charakterisiert, daß die Strategien der einzelnen Spieler wechselseitig beste Antworten darstellen: Kein Spieler darf einen Anreiz haben, von seiner eigenen Strategie abzuweichen, sofern sich alle anderen an die betrachteten Strategiekombinationen halten. Nash wies nach, daß bei Spielen mit einer beliebigen (endlichen) Anzahl von Spielern unter relativ allgemeinen Bedingungen ein Gleichgewicht existiert. Möglicherweise existiert nur ein Gleichgewicht in gemischten Strategien; d. h., einzelne Spieler entscheiden dann mit Hilfe eines Zufallsmechanismus. Häufig existieren aber in einem Spiel mehrere Nash-Gleichgewichte, von denen manche unplausibel sind. Konzepte zur Verfeinerung des Nash-Gleichgewichtes versuchen, unplausible Gleichgewichte auszuschließen. Ein wegweisender Beitrag hierfür ist die Arbeit von Reinhard Selten (1965) über teilspielperfekte Gleichgewichte. Zur Illustration ein einfaches Markteintrittsspiel (Abbildung 2): Ein etablierter Monopolist M ist mit der Gefahr des Markteintritts eines potentiellen Konkurrenten K
Spieltheorie
konfrontiert. Sobald K in den → Markt eingetreten ist, hat der Monopolist zwei Alternativen. Er kann entweder einen aggressiven Preiskampf (P) durchführen, der beiden Anbietern einen Verlust V < 0 zufügt, oder er kann in eine friedliche Marktteilung (T) einwilligen, die beiden den Duopolgewinn Gd > 0 ermöglicht. K’s Entscheidung, ob er in den Markt eintritt (E) oder nicht (N), hängt von seiner Erwartung über das spätere Verhalten von M ab. Bleibt er dem Markt fern (N), kann sich M den Monopolgewinn G m > Gd sichern, während K leer ausgeht (mit einer Auszahlung in Höhe von 0). Die Entscheidungssituation läßt sich in extensiver Form durch folgenden Spielbaum darstellen (wobei gilt G m > Gd > 0 > V): Am ersten Knoten entscheidet K, ob er in den Markt eintritt; am zweiten entscheidet dann M, ob er kämpft. Im Markteintrittsspiel (Abb. 2) hat M ein starkes Interesse daran, mit einem Preiskampf zu drohen, um so K vom Markteintritt abzuhalten. Schenkt K der Drohung Glauben, dann bleibt er dem Markt fern; unter der Voraussetzung, daß K nicht eintritt, ist es wiederum für den Monopolisten optimal, mit dem Preiskampf zu drohen. Die Kombination (N, P) ist ein Nash-Gleichgewicht. Dieses Gleichgewicht ist aber nicht plausibel: Sobald K in den Markt eintritt, sind die vorher angekündigten Drohungen irrelevant. Für das Teilspiel, das im Knotenpunkt B beginnt, besteht die einzig rationale Wahl von M in der Marktteilung T. Damit aber ist die Drohung mit einem Preiskampf nicht glaubwürdig. Sobald K einen Zug außerhalb des betrachteten Nash-Gleichgewichtes durchführen würde, würde auch M von der ursprünglichen Strategie abweichen. Selten (1965) fordert, ein Gleichgewicht sollte in folgendem Sinn perfekt sein: Es darf für keinen Spieler optimal sein, an irgendeinem Teilspiel, das an einem beliebigen Knoten des Spielbaums beginnt, von der Gleichgewichtsstrategie abzuweichen. Teilspielperfektheit ist ein stärkeres Konzept als das Nash-Gleichgewicht, weil es auch optimales Verhalten für Züge außerhalb des betrachteten Gleichgewichtspfades verlangt: Im betrachteten Bei-
Spieltheorie
spiel ist nur das Gleichgewicht (E, T) teilspielperfekt. Die Forderung nach Teilspielperfektheit führt hier also zu einem eindeutigen Gleichgewicht. Die Abschreckungsstrategie ist eine leere Drohung; sie ist nicht glaubwürdig. Man würde intuitiv erwarten, daß bei wiederholten Spielen Abschreckung wirksamer wird (Gleiches gilt für Kooperation beim Problem des Gefangenendilemmas). Wie Selten (1978) in seinem Aufsatz zum Handelskettenparadox nachwies, kommt aber bei endlich wiederholten Spielen das gleiche Ergebnis zustande wie im Markteintrittsspiel. Dagegen stellt Abschreckung (bzw. Kooperation) bei unendlich wiederholten Spielen oder bei Spielen mit asymmetrischer Information ein plausibles Gleichgewicht dar. In komplexeren Spielsituationen, insbesondere in Spielen mit unvollständiger Information, werden weitere Verfeinerungen des Nash-Gleichgewichts (etwa das Konzept der Trembling hand oder das sequentielle Gleichgewicht ) zur Eliminierung unplausibler Gleichgewichte verwendet. Gerade zur Analyse von Situationen mit unvollständiger Information liefert die Spieltheorie wegweisende Beiträge. John C. Harsanyi (1967/68) entwickelte (als Verallgemeinerung des Nash-Gleichgewichtes) das Konzept des Bayesschen Gleichgewichts, mit dessen Hilfe das Ausnutzen strategischer Informationsvorteile analysiert werden kann. Die S. liefert eine abstrakte formale Sprache, die zunächst v. a. in der Industrieökonomie verwendet wurde (vgl. das Lehrbuch von Tirole, 1988). Mittlerweile aber finden sich spieltheoretische Methoden in allen Teilgebieten der → Wirtschaftswissenschaft. In der Theorie der → Wirtschaftspolitik beispielsweise hat die S. zu einem ganz neuen Verständnis wirtschaftspolitischer Institutionen geführt: Sie ermöglicht es erst, Glaubwürdigkeit und Reputation von Politikmaßnahmen modellanalytisch faßbar zu machen (vgl. Persson/Tabellini, 2000). Eine unterhaltsame erste Einführung in die S. bieten Dixit/Nalebuff (1995). Holler/Illing (2000) liefern einen umfassenden 579
Spieltheorie
Überblick über die Grundlagen. Viele ökonomische Anwendungen finden sich in Gibbons (1992) und Dutta (1999). Die S. findet auch in anderen Wissenschaften immer stärkere Beachtung: So dient die evolutorische Spieltheorie (vgl. Holler/Illing (2000), Kap. 8) in der Biologie zur Erklärung von Selektionsprozessen. Literatur: Dixit, A./Nalebuff, B. J. (1995): Spieltheorie für Einsteiger. Strategisches Know How für Gewinner, Stuttgart; Dutta, P. (1999): Strategies and Games, Cambridge (Mass.); Gibbons, R. (1992): A Primer in Game Theory, New York u. a.; Harsanyi, J. (1967/8): Games with Incomplete Information Played by Bayesian Players, in: Management Science 14, S. 159 – 182, 320 – 334, 486 – 502; Holler, M./Illing, G. (2008): Einführung in die Spieltheorie, 7. Auflage, Berlin u. a.; Myerson, R. (1997): Game Theory, Analysis of Conflict, Cambridge (Mass.); Nash, J. (1950): Equilibrium Points in NPerson Games, in: Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA, 36, S. 48 – 49; Persson, T./Tabellini, G. (2000): Political Economics – Explaining Economic Policy, Cambridge (Mass.); Selten, R. (1965): Spieltheoretische Behandlung eines Oligopolmodells mit Nachfrageträgheit, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 12, S. 301 – 324 und 667 – 689; Selten, R. (1978): The Chain Store Paradox, in: Theory and Decision 9, S. 127 – 159; Tirole, J. (1988): The Theory of Industrial Organization, Cambridge (Mass.). Prof. Dr. Gerhard Illing, München. Spitzenrefinanzierungsfazilität → Fazilitäten. Splitting-Verfahren → Einkommensteuer. Sport-Unfallversicherung → Unfallversicherung. Sprecherausschuß Interessenvertretung der → leitenden Angestellten gegenüber dem → Arbeitgeber nach dem Sprecherausschußgesetz (SprAuG). 1. Betriebs-S.: Nach § 1 SprAuG sind in → Betrieben mit in der Regel 10 leitenden 580
Sprecherausschuß
Angestellten S. zu wählen. Leitende Angestellte in Betrieben mit in der Regel weniger als 10 Angestellten wählen den S. in dem Betrieb des → Unternehmens mit, der in der Regel 10 leitende Angestellte hat. 2. Gesamt-S.: Bestehen in einem Unternehmen (d. h. in dessen verschiedenen Betrieben) mehrere Betriebs-S., so werden diese (in Entsprechung zum → Gesamtbetriebsrat) nach §§ 16 – 19 SprAuG durch einen Gesamt-S. ergänzt. 3. Unternehmens-S.: Die leitenden Angestellten können mehrheitlich verlangen, daß anstelle von BetriebsS. und eines Gesamt-S. ein UnternehmensS. gebildet wird (§ 20 SprAuG). Diese Möglichkeit besteht dann, wenn keiner der Betriebe über 10 leitende Angestellte verfügt, das Unternehmen insgesamt jedoch mindestens diese Anzahl beschäftigt (§ 20 Abs. 1 SprAuG). 4. Konzern-S.: In einem → Konzern schließlich kann nach §§ 21 – 24 SprAuG ein Konzern-S. gebildet werden. Die regelmäßigen S.-wahlen finden alle 4 Jahre in der Zeit vom 1. März bis zum 31. März statt (nachdem die ersten regelmäßigen Wahlen 1990 stattfanden, folgten die nächsten 1994, 1998, 2002 usw.). Der S. besteht in Betrieben/Unternehmen mit 10 bis 20 leitenden Angestellten aus 1 Person, 21 bis 100 leitenden Angestellten aus 3 Mitgliedern, 100 – 300 leitenden Angestellten aus 5 Mitgliedern und über 300 leitenden Angestellten aus 7 Mitgliedern. An den Sitzungen des S. kann der Arbeitgeber dann teilnehmen, wenn er eine Sitzung verlangt hat oder zu einer solchen eingeladen wurde. In Entsprechung zur → Betriebsversammlung soll der S. einmal im Jahr während der → Arbeitszeit eine nichtöffentliche Versammlung der leitenden Angestellten zum Zweck des Informations- und Meinungsaustausches abhalten (§ 15 SprAuG). Dabei berichtet der S. über seine Tätigkeit und der Arbeitgeber über die Angelegenheiten der leitenden Angestellten und über die wirtschaftliche Lage und Entwicklung des Betriebes/Unternehmens. Der S. muß eine Versammlung einberufen, wenn es der Arbeitgeber oder ein Viertel der leitenden Angestellten verlangt (§ 15 Abs. 1 SprAuG).
Sprecherausschuß
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 und § 20 Abs. 1 Satz 2 SprAuG hat der S. mit dem Arbeitgeber und dem → Betriebsrat vertrauensvoll unter Beachtung der → Tarifverträge zum Wohl der leitenden Angestellten und des Betriebes/Unternehmens zusammenzuarbeiten. In Entsprechung zur Regelung des § 78 Betriebsverfassungsgesetz haben dabei Arbeitgeber und S. Betätigungen zu unterlassen, durch die der Arbeitsablauf beziehungsweise der Betriebsfrieden beeinträchtigt werden (§ 2 Abs. 2 SprAuG). Diese betriebliche Friedenspflicht betrifft insbesondere das Arbeitskampfverbot sowie die parteipolitische Betätigung. Nicht betroffen ist die Behandlung von Angelegenheiten tarifpolitischer, sozialpolitischer und wirtschaftlicher Art, die den Betrieb/das Unternehmen oder die leitenden Angestellten unmittelbar betreffen (§ 2 Abs. 4 SprAuG). Der S. hat keine → Mitbestimmungsrechte, wohl aber stehen ihm verschiedene andere Rechte, insbesondere solche hinsichtlich Unterrichtung, Anhörung, Beratung sowie auf freiwillige Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber, zu. Sprungrechtsbeschwerde (Arbeitsrecht) → Arbeitsgerichtsbarkeit. Sprungrevision → Revision. staatliche Preispolitik Ökonomische wie auch außerökonomische Überlegungen können den Staat veranlassen, preisbeeinflussend in den Marktprozeß einzugreifen. Er kann dabei → Höchstpreise, → Mindestpreise, → Festpreise und → Richtpreise festlegen. Staatsausgaben Ausgaben des Staates (d. s. Bund, Länder u. Gemeinden). Die S. lassen sich gliedern in: Sachaufwand (z. B. Bau von Krankenhäusern, Schulen, Straßen etc.), Personalaufwand (→ Gehälter u. → Löhne für → Beamte, → Angestellte u. → Arbeiter im → öffentlichen Dienst), → Sozialleistungen, → Subventionen. Stausausgabenquote ⇒ Staatsquote.
Staatsversagen
Staatseigentum ⇒ Gesellschaftseigentum ⇒ gesellschaftliches Eigentum ⇒ Volkseigentum ⇒ Kollektiveigentum ⇒ Gemeineigentum. Staatseinnahmen Einnahmen der → öffentlichen Haushalte. Die wichtigsten S. sind: → Steuern, steuerähnliche Abgaben insbesondere → Sozialversicherungsbeiträge, → Gebühren, → Beiträge, Erwerbseinkünfte insbesondere aus Grundstücksverkäufen und Unternehmertätigkeit. Zur Schließung von Finanzierungslücken verschafft sich der Staat Finanzmittel durch Kreditaufnahme auf dem → Kapitalmarkt. Staatsfonds → Fonds, deren → Kapital sich im → Eigentum eines Staates befindet. Sie spielen eine gewichtige Rolle auf den internationalen → Finanzmärkten. So verfügen beispielsweise derzeit der S. der Volksrepublik China über ein Volumen von 1,2 Billionen und der ADIA S. der Vereinigten Arabischen Emirate über ein solches von nahezu 900 Milliarden Dollar. Staatskonsum ⇒ Staatsverbrauch → Eigenverbrauch. Staatsquote ⇒ Staatsausgabenquote das Verhältnis der gesamten → Staatsausgaben einschließlich der → Sozialabgaben zum → Bruttoinlandsprodukt. Staatsverbrauch ⇒ Staatskonsum → Eigenverbrauch. Staatsversagen wird im allgemeinen dort reklamiert, wo der → Markt wirkungsvoller arbeitet als der Staat. Aus der Feststellung von S. wird häufig die Forderung nach → Privatisierung der betreffenden Staatsaktivitäten beziehungsweise der betreffenden Staatsunternehmen abgeleitet. 581
Staatsverschuldung
Staatsverschuldung Sind in einem Haushaltsjahr die → Staatsausgaben höher als die → Staatseinnahmen, so entsteht ein Defizit. Wird das Defizit, also der Betrag, um den im Haushaltsjahr die Ausgaben die Einnahmen übersteigen, durch neue → Schulden finanziert, so werden diese neuen Schulden als Neuverschuldung bzw. als Nettokreditaufnahme bezeichnet. Die Summe der in den vergangenen Haushaltsjahren insgesamt aufgelaufenen Schulden heißt Gesamtverschuldung. Die Bruttokreditaufnahme umfaßt zusätzlich zur Nettokreditaufnahme noch die Schulden, die aufgenommen werden, um alte Schulden abzulösen. Die Neuaufnahme von → Krediten zur Begleichung alter Schulden heißt Umschuldung. Ein „Teufelskreis“ entsteht, wenn neue Schulden aufgenommen werden, um die → Zinsen der alten Schulden zu bezahlen. Dagegen besteht die → Tilgung von Schulden darin, daß Kredite zurückgezahlt werden, ohne daß dafür neue Schulden aufgenommen werden. Verschuldet sich der Staat, so tritt er als Kreditnachfrager auf. Dies führt ceteris paribus zu Zinserhöhungen und in der Folge zur Verdrängung solcher Nachfragekomponenten, die vom Zins abhängen. Dabei handelt es sich in erster Linie um die privaten Investitionen, insbesondere am Bau. Die S. stellt dann eine Wachstumsbremse dar, weil der „Verdrängungseffekt“ dazu führt, daß die Produktionskapazitäten wegen der verminderten Investitionstätigkeit langsamer oder gar nicht wachsen. Wenn die → Zentralbank die → Geldmenge erhöht, um die Zinsen niedrig zu halten und den Verdrängungseffekt zu vermeiden, führt die S. in die → Inflation. Die S. beeinträchtigt die Generationengerechtigkeit. Etwa 60 Prozent der → Gläubiger der deutschen → öffentlichen Hand sind Ausländer. So fließen dem Staat aus dem Ausland Kredite zu, die später, also von der nächsten Generation, die selbst nicht in den Genuß dieser Mittel gekommen ist, an das Ausland zurückgezahlt werden müssen. Aber auch, wenn die Gläubiger Inländer sind, die Rückzahlung der Kredite also von Inländern der nächsten Generation an 582
Staatsverschuldung
Inländer der nächsten Generation erfolgt, stellt eine hohe S. eine Erblast dar, denn ein Staat, der immer stärker durch Zinsverpflichtungen belastet wird, verliert seine Gestaltungsmöglichkeiten. Eine günstigere Bewertung erfährt die S. aus der Sicht der nachfrageorientierten → Wirtschaftspolitik, die auf den englischen Ökonomen John Maynard → Keynes zurückgeht. → „Deficit Spending“ des Staates soll in der → Rezession einen Mangel an privater Güternachfrage ausgleichen; das Defizit soll dann nach der wirtschaftlichen Erholung wieder abgetragen werden. Ohne auf die grundsätzliche Kritik an dieser Konzeption einzugehen, welche die von Keynes unterstellten Wirkungszusammenhänge bestreitet, bleibt allerdings festzustellen, daß es in der Vergangenheit nicht gelungen ist, die Schulden tatsächlich zurückzuzahlen. Hinzu tritt, daß ein erheblicher Teil des Defizits nicht konjunkturbedingt, sondern strukturell ist. Für diesen Teil des Defizits zieht die Argumentation der nachfrageorientierten → Stabilitätspolitik auf keinen Fall. Infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise steigt die S. in der Bundesrepublik Deutschland seit 2009 kontinuierlich. Nach Schätzungen der Bundesbank haben die Schulden der öffentlichen Haushalte im ersten Quartal 2011 einen neuen Rekordstand von mehr als 1,7 Billionen Euro erreicht. Im Vergleich zum ersten Quartal 2010 haben sie vorläufigen Berechnungen zufolge damit um 4,1 Prozent oder 68 Milliarden Euro zugenommen. Im Zuge der Krise hat der Bund auch seine Neuverschuldung drastisch ausgeweitet. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes (Pressemitteilung Nr. 075 vom 24. 02. 2011) belief sich das staatliche Defizit Deutschlands im Jahr 2010 auf 82,0 Milliarden Euro und entsprach somit, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt 2010, einer Defizitquote von 3,3 Prozent. Dadurch kommt es zu Abweichungen vom „Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt“. In diesem Zusammenhang hat die EU bereits in der Vergangenheit Defizitverfahren eingeleitet, um den Schuldenabbau in
Staatsverschuldung
Deutschland zu erzwingen. Bereits 2003 wurde ein solches Strafverfahren eingeleitet, welches jedoch im Juni 2007 wegen guter Führung geschlossen wurde. Der → „Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt“ wurde 1997 geschlossen, um zu verhindern, dass durch ein übermäßiges Verschuldungsverhalten der Euroländer die Stabilität des Euros gefährdet wird. Dieser Pakt stellt folgende Anforderungen an die Staatshaushalte der Mitgliedsländer („Maastricht-Kriterien“):“ – maximale Gesamtverschuldung von 60 % des Bruttoinlandsprodukts, – maximale Neuverschuldung von 3 % des Bruttoinlandsprodukts, – bei drohendem Verstoß Abmahnung durch die EU, – eventuell Geldstrafen bis 0,5 % des Bruttoinlandsprodukts. Ob Sanktionen ergriffen werden, wenn eine Regierung gegen die Kriterien verstößt, entscheidet der Europäische Rat, der allerdings gerade von den Regierungen gebildet wird, die in die Haushaltsdisziplin genommen werden sollen. Kritiker bemängeln daher, daß es an wirksamen Sanktionen fehle. Hinzu tritt, daß der Pakt 2005 verwässert worden ist: Jetzt darf die Neuverschuldung bis zu drei Jahre über 3 % liegen, und außerdem ist eine höhere Neuverschuldung zulässig zur Reform von Rentensystemen, wegen der Kosten für Europas Vereinigung, wegen Beiträgen für die internationale Solidarität und zum Erreichen europäischer Politikziele. Die Formulierungen sind inoperational und gefährden eine effektive Kontrolle. Die volkswirtschaftliche Bedeutung der S. läßt sich auch aus der Stellung des Staates im → Wirtschaftskreislauf herleiten. Von besonderer Wichtigkeit ist hier der Kreislaufzusammenhang von Staatsdefizit und Zahlungsbilanzdefizit. In einer geschlossenen → Volkswirtschaft ohne Staatstätigkeit gilt (ex post) die Gleichheit von → Ersparnis S und → Investition I (Gleichung 3). Das → Volkseinkommen Y wird entweder für → Konsum C oder → Investition I verwendet (Gleichung 1), und die → Haushalte konsumieren das Einkommen oder sparen es (Gleichung 2). Daraus folgt die Identität
Stabilitätsgesetz
von Investition und Ersparnis: Es kann nur investiert werden, was gespart, also nicht konsumiert wird. (1) Y = C + I (2) Y = C + S (3) S = I. Verbraucht der Staat auch Teile des Volkseinkommens und erhebt er bei den Haushalten → Steuern, so sind Staatsausgaben ASt sowie Steuern T zu berücksichtigen. Den Haushalten steht dann nur noch das um T verringerte Volkseinkommen für Sparen und Konsumieren zur Verfügung (Gleichung 5). Handelt es sich um eine offene Volkswirtschaft, so treten zusätzlich → Exporte und → Importe auf. Die drei Gleichungen verändern sich zu (4) Y = C + I + ASt + Ex − Im (5) Y − T = C + S (6) S = I + (ASt − T ) + (Ex − Im). Die erste Klammer in Gleichung 6 enthält das staatliche Defizit, die zweite Klammer stellt den → Außenbeitrag dar. Er wird negativ, wenn die Importe höher sind als die Exporte. Die Gleichung bringt zum Ausdruck, daß im Fall eines staatlichen Defizits die inländische Ersparnis die inländischen Investitionen und das staatliche Defizit abdecken muß, andernfalls muß die Volkswirtschaft einen negativen Außenbeitrag aufweisen. Dieser Kreislaufzusammenhang von Staatsdefizit und Zahlungsbilanzdefizit ist zum Beispiel für die Politik des Internationalen Währungsfonds bedeutsam, der Staaten mit hoher Auslandsverschuldung dazu anhält, das Staatsdefizit abzubauen, um Zahlungsbilanzdefizite zu bekämpfen. Prof. Dr. Hans-Jürgen Schlösser, Siegen Stabilisierungspolitik ⇒ Stabilitätspolitik. Stabilität des Preisniveaus ⇒ Preisniveaustabilität ⇒ Preisstabilität. Stabilitätsgesetz → Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft. 583
Stabilitätspakt
Stabilitätspakt ⇒ Europäischer Stabilitäts- und Wachstumspakt. Stabilitätspolitik ⇒ Stabilisierungspolitik In → Marktwirtschaften versuchen die autonomen → Wirtschaftssubjekte ihre Interessen über den → Markt zum Ausgleich zu bringen. Dieses Unterfangen kann insgesamt – mangels einer zentralen Abstimmung – nur in Ausnahmefällen gelingen; die Regel ist ein Ungleichgewicht zwischen der von den Privaten, dem Staat und dem Ausland insgesamt entwickelten → Nachfrage und dem → Angebot der → Produzenten. Dieses Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage bedeutet Über- beziehungsweise Unterauslastungen des Produktionspotentials. Dies aber führt im Zeitverlauf zu steigenden beziehungsweise fallenden → Wachstumsraten des realen → Inlandsproduktes verbunden mit Über- respektive → Unterbeschäftigung. Es bilden sich sogenannte → Konjunkturschwankungen (man spricht auch von Konjunkturen oder Konjunkturzyklen). Wenn auch jeder Konjunkturzyklus eigene Besonderheiten aufweist, so läßt sich doch ein Grundmuster des Konjunkturverlaufes ausmachen, das durch folgende vier Phasen gekennzeichnet ist: → Aufschwung (Expansion), → Hochkonjunktur (Boom), → Abschwung (Rezession), → Krise (Depression). Zur schematischen Darstellung eines Konjunkturzyklus’ siehe unter → Konjunktur. – Solche gesamtwirtschaftlichen Aktivitätsschwankungen treten in Marktwirtschaften in unregelmäßigen Zeitabständen und in unterschiedlichen Intensitäten auf. Sie bringen zum Teil erhebliche Unsicherheiten für die in die Zukunft gerichteten Dispositionen der Wirtschaftssubjekte und verhindern damit vielfach klare Entscheidungen. Darüber hinaus führen sie – insbesondere bei lang anhaltender → Arbeitslosigkeit – zu hohen sozialen Kosten und nicht selten zu wachsendem Vertrauensschwund in den Staat und seine → Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. – Diesen aus der wirtschaftlichen Instabilität erwachsenden Gefahren ist der Staat bestrebt entgegenzuwirken, indem er die 584
Stabilitätspolitik
Voraussetzungen für ein stetiges inflationsfreies → Wirtschaftswachstum zu schaffen und bereits eingetretene Fehlentwicklungen zu korrigieren versucht. Widerherstellung und Wahrung des → gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes finden ihren Niederschlag in der staatlichen S. – Wie diese S. zu gestalten sei, darüber gehen die Meinungen auseinander, je nachdem, welche Annahmen über die marktwirtschaftlichen Prozeßabläufe getroffen respektive vertreten werden. Heute sind es im wesentlichen zwei Ansätze, die die Auseinandersetzung um die geeignete stabilitätspolitische Vorgehensweise bestimmen: das Konzept der nachfrageorientierten S. und das der angebotsorientierten S. I. Die Konzeption der nachfrageorientierten S. gründet auf der Erklärung der gesamtwirtschaftlichen Aktivitätsschwankungen von → John Maynard Keynes (1883 – 1946). Der englische Nationalökonom geht davon aus, daß es auf den Märkten für → Güter und → Produktionsfaktoren kein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht bei → Vollbeschäftigung gäbe. Damit setzt er sich in Gegensatz zu den klassisch-liberalen Wirtschaftswissenschaftlern (→ Klassiker) und deren neoklassischen Gefolgsleuten (→ Neoklassiker), die von der Vorstellung ausgehen, daß marktwirtschaftliche Ordnungen gleichsam selbstätig über den → Preis (mechanismus) im Gleichgewicht gehalten würden und Unterbeschäftigung durch zu hohe Löhne bedingt sei. Keynes begründet seine Meinung damit, daß die Nachfrage der privaten Konsumenten und Investoren jeweils an bestimmte (Zukunfts-)Erwartungen geknüpft sei und damit in aller Regel zu groß oder zu gering sei, um das Angebot der Produzenten aufzunehmen oder mit anderen Worten: das Produktionspotential gleichmäßig und inflationsfrei auszulasten. In diese – nach Keynes’ Auffassung – für Marktwirtschaften typische Ungleichgewichtssituation im privaten Sektor habe nun der Staat in der Weise ausgleichend und damit stabilisierend einzugreifen, daß er das schwankende (zyklische) Nachfrage- beziehungsweise Ausgabeverhalten der Privaten durch
Stabilitätspolitik
gegengerichtete (antizyklische) Nachfrageimpulse ergänze und damit eine gleichmäßige Auslastung des volkswirtschaftlichen Produktionspotentials zu Gunsten von Vollbeschäftigung gewährleiste. Dem Staat obliegt es somit, zur Sicherung der Vollbeschäftigung prozeßpolitische Maßnahmen (→ Prozeßpolitik) zu ergreifen. Als Instrumente einer solchen antizyklischen Nachfragesteuerung (auch als antizyklische Konjunkturpolitik oder → Globalsteuerung bezeichnet) werden vor allem Staatsausgabenerhöhungen zur Nachfragebelebung beziehungsweise Steuersenkungen zur Ankurbelung der privaten Konsum- und Investitionsnachfrage empfohlen. Zur Finanzierung dieser Maßnahmen wird eine zusätzliche Staatsverschuldung (→ Deficit spending) vorgeschlagen, die dann in der nächsten Hochkonjunktur (u. a. aus den dort zu erwartenden erhöhten Steuereinnahmen) abzutragen sei. Das Hauptgewicht der nachfrageorientierten S. liegt somit offensichtlich auf der variierenden Einnahmen- und Ausgabengestaltung des Staatshaushaltes (→ Fiskalpolitik). – Der → Geldpolitik kommt in diesem Konzept eher eine untergeordnete bis flankierende Bedeutung zu. Sie soll insbesondere im Aufschwung das Zinsniveau niedrighalten und so über eine → „Politik des billigen Geldes“ die Investoren in ihrer Investitionsneigung günstig beeinflussen. – Insgesamt läßt sich die vom Staat im Rahmen der nachfrageorientierten S. wahrgenommene Aufgabe als ein fallweises fiskal- und einkommenspolitisches Gegensteuern sehen, das darauf gerichtet ist, die gesamtwirtschaftlichen Aktivitäten zu stabilisieren und das Wirtschaftswachstum zu fördern. II. Die Konzeption der angebotsorientierten S. basiert auf einer Fortschreibung des klassisch-liberalen Gedankengutes, insbesondere auf den monetaristischen Vorstellungen des amerikanischen Nationalökonomen → Milton Friedman (1912 – 2006). Sie erwuchs aus der Kritik der keynesianischen S. und gipfelt in der Feststellung: die gesamtwirtschaftlichen Aktivitätsschwankungen sind die Folge staatlicher Eingriffe. Es seien insbesondere konjunkturpo-
Stabilitätspolitik
litische Maßnahmen, punktuelle Eingriffe in den Marktprozeß, die Ausweitung des staatlichen Sektors, die Erhöhung der staatlichen Ausgabenlast sowie die leistungshemmende Ausweitung → sozialer Sicherungen, die diese Instabilität hervorrufen. Der private Sektor sei nämlich – solange freier → Wettbewerb herrsche – grundsätzlich stabil. Diese Tatsache schließe kurzund mittelfristige Marktungleichgewichte – wie sie insbesondere durch von außen (nicht aus der Wirtschaft selbst) kommende Einflüsse verursacht werden – keinesfalls aus. Solche Gleichgewichtsstörungen würden in aller Regel sehr rasch vom Markt absorbiert und bedürfen nicht der staatlichen → Intervention. Die Aufgabe des Staates im Rahmen der S. bestehe darin, das Geldmengenwachstum (→ Geldmenge) am Wirtschaftswachstum auszurichten (→ Monetarismus) und damit dem Ziel der → Preisniveaustabilität Rechnung zu tragen, das seinerseits als eine der zentralen Voraussetzungen für ein langfristig stabiles Wirtschaftswachstum und damit für die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit gilt. → Geld(mengen)politik wird im Konzept der angebotsorientierten S. als vorrangig eingestuft. Ihr gegenüber tritt die → Fiskalpolitik zurück. Sie hat in diesem Konzept in erster Linie die Anpassungsfähigkeit des privaten Sektors an die sich wandelnden Bedingungen des wirtschaftlichen Handelns (Nachfrageänderungen, → technischer Fortschritt) durch eine Verstetigung der öffentlichen Haushaltspolitik unter Einschluß der → Steuerpolitik, die die Ausgabenlast mindert und damit die Leistungsbereitschaft anhebt, zu verbessern. Der wagemutige → Unternehmer gilt in diesem Konzept als eine unverzichtbare Größe. Ihm fällt die Aufgabe zu, neue Märkte zu erschließen (→ Produktinnovation) und neue Verfahren einzuführen (→ Prozeßinnovation), kurz: den ökonomischen Fortschritt zu induzieren. Eine solche unternehmerische Initiative setzt jedoch im Verständnis der angebotsorientierten S. bestimmte ökonomische Rahmenbedingungen voraus. So sollte sich insbesondere unternehmerischer Wagemut lohnen können und dürfe keineswegs durch zu hohe → Gewinnsteuern im Keime erstickt werden. Die 585
Stabilitätspolitik
Angebotstheoretiker fordern deshalb entsprechende Steuersenkungen, insbesondere eine Verringerung der → Steuerprogression. Die argumentative Grundlage dieser Forderung bildet das sogenannte → LafferTheorem. – In der aufgezeigten Ausrichtung ist angebotsorientierte S. auf langfristige Wirkung angelegt. Auch sie möchte zusätzliche Nachfrage schaffen. Im Gegensatz zum nachfrageorientierten keynesianischen Strategiekonzept soll diese Nachfragebelebung jedoch nicht direkt über eine Erhöhung der → Staatsausgaben wie auch über Steuersenkungen initiiert werden, sondern indirekt über die Ausweitung dauerhaft rentabler Produktionen und die aus diesen erwachsenden → Einkommen. Staffelmietvertrag → Mietvertrag, der Regelungen darüber enthält, wieviel → Miete nach Ablauf bestimmter Zeitabstände bezahlt werden muß. Stagflation Wortverbindung aus → Stagnation und → Inflation; umschreibt eine wirtschaftliche Situation, die durch stagnierendes (stockendes) → Wirtschaftswachstum bei gleichzeitiger inflationärer Preisentwicklung gekennzeichnet ist. Stagnation stockendes → Wirtschaftswachstum. Stakeholder Value singemäß: Arbeitnehmer-Interesse. Im Gegensatz zum → Shareholder-Value-Konzept geht das S.-Konzept davon aus, daß die Unternehmenspolitik nicht allein dem Interesse der Kapitalgeber folgen dürfe, sondern auf den Ausgleich konkurrierender materieller wie auch immaterieller Interessen interner und externer Anspruchsgruppen abstellen müsse. Neben den Ansprüchen der Kapitalgeber müßten auch die Interessen der Arbeitskräfte des → Unternehmens wie gegebenenfalls auch die aus dem gesellschaftlichen Umfeld (Gemeinde, Land) in der Unternehmenspolitik berücksichtigt werden. Stammaktie die normale Form der → Aktie, die dem Inhaber die gewöhnlichen, im Aktiengesetz 586
Standards der ökonomischen Bildung
vorgesehenen Mitgliedschaftsrechte, insbesondere Stimm- und Dividendenbezugsrecht, gewährt. Stammeinlagen → Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Stammkapital → Gesellschaft mit beschränkter Haftung. standardbasierte Bildungspläne → Bildungsstandards. Standards → Bildungsstandards. Standards der ökonomischen Bildung S. stellen normative Anforderungen an den Teilbereich des Lehrens und Lernens in der Schule dar, der sich mit wirtschaftlichem Handeln beschäftigt. Der Begriff der Bildungsstandards bezieht sich auf die Qualität von Schule und Unterricht. Jedoch ist seine Anwendung auf Bildungsprozesse Erwachsener möglich. Bildungsstandards haben in den letzten Jahren im Zuge der TIMSS- (Baumert et al. 1997, Baumert, Bos & Lehmann 2000), PISA-Studie (OECD 2001, Baumert et al. 2001, Baumert et al. 2002) und anderer ähnlich gelagerter Schulleistungsstudien in die bildungspolitische Debatte Einzug gehalten. Alle diese Studien stehen als Indikator für einen Wandel in der Bildungspolitik von der Inputorientierung hin zur Outputorientierung. Unter Inputorientierung versteht man dabei die bisher vorherrschende Orientierung an Lehrplänen, Kerncurricula etc. Grob gesagt, also was an Inhalten in Schüler „hineingesteckt“ wird. Demgegenüber fokussiert die Outputorientierung auf das, was Schüler tatsächlich lernen. Dass zwischen Input und Output in Bildungssystemen ein beträchtlicher Unterschied bestehen kann, konnte mit den weiter oben genannten Schulleistungsstudien erstmals messbar gemacht werden. Zentral hinsichtlich der Messbarkeit von Bildungsergebnissen ist der Begriff der → Kompetenz. Einzelne Kompetenzen werden dabei zu Kompetenzmodellen zusammengefasst, die Teildimensionen enthalten und unterschiedliche Kompetenzstufen für
Standards der ökonomischen Bildung
diese Dimensionen festlegen. Jede Kompetenzstufe ist durch kognitive Prozesse und Handlungen von bestimmter Qualität spezifiziert, die Schüler auf dieser Stufe bewältigen können, nicht aber Schüler auf niedrigeren Stufen (vgl. Klieme et al., 2007). Sollen nun Kompetenzen nicht nur gewissermaßen im „luftleeren Raum“ messbar gemacht werden, müssen vorher verbindliche Bildungsstandards festgelegt werden. Diese bestimmen, was Schüler in einem bestimmten Alter in einem bestimmten Bereich können sollen. Während für verschiedene andere Fächer (z. B. Mathematik, Deutsch) bereits recht ausgefeilte Bildungsstandards existieren, befinden sich die S. derzeit in einem Entwicklungsprozess. Eine Erschwernis besteht dabei in der großen Inhomogenität der ökonomischen Bildungslandschaft in Deutschland. Da Wirtschaft an deutschen Schulen in den unterschiedlichsten Fächerkombinationen gelehrt und gelernt wird, kann von ähnlichen Lehrplänen und Lernzielen oder gar einem Kanon → ökonomischer Bildung nicht gesprochen werden. Jedoch kann man sich auf der Outputseite Standards für die ökonomische Bildung durchaus als möglich denken. Ihre Ausgestaltung kann sich an verschiedenen Zugängen orientieren. Die → Deutsche Gesellschaft für ökonomische Bildung (DeGöB) hat Standards vorgelegt, die sich an den nachfolgenden ökonomischen Entscheidungssituationen orientieren, vor die Schüler gestellt werden können: ● Handlungssituationen ökonomisch analysieren, ● ökonomische Systemzusammenhänge erklären, ● Entscheidungen ökonomisch begründen, ● Rahmenbedingungen der Wirtschaft verstehen und mitgestalten, ● Konflikte perspektivisch und ethisch beurteilen. Ein anderer, derzeit diskutierter Ansatz, fußt auf den Rollen, die Schüler im Bereich des ökonomischen Handelns einnehmen können, nämlich ● Verbraucher,
Standards der ökonomischen Bildung
● Erwerbstätige, ● Wirtschaftbürger. Eine Anforderung, die an (ökonomische) Bildungsstandards gestellt wird, ist, dass sie prinzipiell mittels geeigneter Aufgaben messbar sein müssen. Die tatsächliche Messung der aufgeführten S. steht jedoch zum momentanen Zeitpunkt noch aus und stellt ein derzeit stark beforschtes Feld dar. Siehe auch: → Kompetenzen der ökonomischen Bildung. Literatur: Baumert, J., Artelt, C., Klieme, E., Neubrand, M., Prenzel, M., Schiefele, U., Schneider, W., Tillmann, K. J., & Weiß, M. (Eds.). (2002). PISA 2000. Die Länder der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich. Opladen: Leske + Budrich (254 p.). Baumert, J., Bos, W., & Lehmann, R. (Eds.). (2000). TIMSS/III. Dritte Internationale Mathematik- und Naturwissenschaftsstudie – Mathematische und naturwissenschaftliche Bildung am Ende der Schullaufbahn: Vol. 1. Mathematische und naturwissenschaftliche Grundbildung am Ende der Pflichtschulzeit. Opladen: Leske + Budrich (362 p.). Baumert, J., Bos, W., & Lehmann, R. (Eds.). (2000). TIMSS/III. Dritte Internationale Mathematik- und Naturwissenschaftsstudie – Mathematische und naturwissenschaftliche Bildung am Ende der Schullauf bahn: Vol. 2. Mathematische und physikalische Kompetenzen am Ende der gymnasialen Oberstufe. Opladen: Leske + Budrich (466 p.). Baumert, J. et al. (1997). TIMSS – Mathematisch-Naturwissenschaftlicher Unterricht im internationalen Vergleich. Deskriptive Befunde. Opladen: Leske + Budrich. Baumert, J., Klieme, E., Neubrand, M., Prenzel, M., Schiefele, U., Schneider, W., Stanat, P., Tillmann, K.-J., & Weiß, M. (Eds.). (2001). PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. Opladen: Leske + Budrich (548 p.). Klieme, E., Avenarius, H., Blum, W., Döbrich, P., Gruber, H., Prenzel, M., Reiss, K., Riquarts, K., Rost, J., Tenorth, H.-E., Vollmer, H. J.: Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards. Bonn: BMBF (2007), 224 S. OECD (2001): Lernen für das Leben. Erste Ergebnisse der 587
Standards der ökonomischen Bildung
internationalen Schulleistungsstudie PISA 2000. Paris: OECD. Prof. Dr. Hans-Jürgen Schlösser, Siegen Standortsicherungsgesetz v. 1993; von der Absicht getragen, den wirtschaftlichen Standort Bundesrepublik Deutschland (d. h. → Investitionen in der Bundesrepublik) attraktiver werden zu lassen. Start up junges, aufstrebendes → Unternehmen. Statistisches Bundesamt zum Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums gehörende (Bundes-)Behörde in Wiesbaden mit Zweigstelle in Berlin und Außenstelle in Düsseldorf, deren Hauptaufgabe nach dem Gesetz über die Statistik für Bundeszwecke (Bundesstatistikgesetz) v. 14. 3. 1980 in der Vorbereitung, Erhebung und Auf bereitung von Bundesstatistiken (so z. B. Volkszählung, → Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, Preisentwicklung) besteht. Stellensuche, Freistellung zur → Freistellung zur Stellensuche. Stellvertretung 1. allgemein: Handeln anstelle eines anderen. 2. zivilrechtlich: Handeln in fremdem Namen für fremde Rechnung. Die Befugnis zur S. kann auf Gesetz (gesetzlicher Vertreter) oder auf → Vertrag (→ Vollmacht) beruhen. Die Wirkung der Rechtshandlungen, die ein Stellvertreter in Wahrnehmung seiner Vertretungsmacht ausübt, trifft den Vertretenen allein und unmittelbar. stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum Umschreibung der Zielvorstellung (→ wirtschaftspolitische Ziele) von → Wirtschaftswachstum im → Stabilitätsgesetz. Steuerarten → Steuern. Steueraufkommen Summe der Steuereinnahmen des Staates in einem Rechnungsjahr (i.d.R. Kalenderjahr). 588
Steuern
Steuerbemessungsgrundlage die technisch-physische oder wertmäßige Größe, die der Ermittlung der Steuerschuld zugrunde gelegt wird (z. B. → zu versteuerndes Einkommen bei der → Einkommensteuer). Steuerbescheid der nach § 122 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) bekanntgegebene Verwaltungsakt (der Steuerbehörde, Finanzamt), der eine → Steuer festsetzt, voll oder teilweise von einer Steuer freistellt (→ Freistellungsbescheid) oder einen Antrag auf Steuerfestsetzung ablehnt (§ 155 Abs. 1 AO). Steuererklärung Wissens- und Willenserklärung über steuerlich erhebliche Sachverhalte, so insbesondere über die Grundlagen der Besteuerung (z. B. → Einkommen, → Vermögen). Siehe auch: → Steuern, → Einkommensteuer. Steuergerechtigkeit ethisch-sozialpolitischer Grundsatz der Besteuerung; zielt ab auf eine der individuellen Leistungsfähigkeit entsprechende Steuerbelastung. Verwirklicht beispielsweise in der progressiven Gestaltung des Einkommensteuertarifs (→ Steuerprogression, → Einkommensteuer). Steuer-Idendifikationsnummer → Identifikationsnummer. Steuerklassen 1. im Einkommensteuerrecht: festgelegte Einteilung in Klassen nach dem Familienstand der unbeschränkt Steuerpflichtigen zur Berechnung der → Lohnsteuer. 2. im Erbschaftsteuerrecht: festgelegte Einteilung in Klassen nach dem persönlichen Verhältnis des Erwerbers zum Erblasser/ Schenker zur Berechnung der → Erbschaftund Schenkungsteuer. Steuern In jedem Gemeinwesen, das gemeinschaftliche → Bedürfnisse erfüllt, müssen hierfür Mittel zur Verfügung stehen. Aus dieser Einsicht heraus erbrachten die Mitglieder der Gesellschaft zunächst freiwillige Naturalleistungen für Gemeinschaftsaufgaben. Der Name „Steuern“ folgte dabei dem althochdeutschen „stiura“, was die Bedeu-
Steuern
tung von „Stütze“, „Unterstützung“, „Beihilfe“ hatte. Im Begriff der „Aussteuer“ ist der ursprüngliche Wortsinn noch erhalten geblieben. Mehr und mehr entwickelte sich die S. jedoch zu einer verbindlichen, letztlich auch rechtlichen Verpflichtung in Form einer finanziellen Leistung: „S. sind Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen … allen auferlegt werden …“ (Abgabenordnung § 3,1). Zu den S. werden i. d. R. auch → Zölle und → Abschöpfungen (bei grenzüberschreitenden Aktivitäten) gezählt. Die S. unterscheiden sich von anderen Geldleistungen an den Staat durch die fehlende spezielle Gegenleistung, die z. B. für die Entrichtung von → Gebühren und → Beiträgen typisch ist, die nur derjenige zahlen muß, der eine besondere Leistung von der öffentlichen Hand geboten erhält (Parkgebühr, Anliegerbeitrag u. a.). Die für alle S. geltenden gemeinsamen Regeln, sind in der Abgabenordnung (AO) von 1977 (mit späteren Änderungen) enthalten. Der wichtigste Teil sind dabei die Vorschriften über die Durchführung des Besteuerungsverfahrens. Damit soll sichergestellt werden, daß einheitliche Besteuerungsverfahren gelten und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Interessen der Allgemeinheit und denen der einzelnen S.pflichtigen besteht. Zu diesem Zweck sind die Rechte und Pflichten der Finanzverwaltung und der S.pflichtigen detailliert dargelegt. Die AO gibt einheitlich für alle S. Aufschluß, wie die S. festzusetzen und wann sie zu entrichten sind. Sie gilt grundsätzlich für alle S. Die AO beschreibt auch die Regelungen über die S.erklärungs- und Buchführungspflichten, wobei keine bestimmte Technik vorgeschrieben wird, sondern nur, daß nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung verfahren werden soll. Neben der AO besteht eine Vielzahl von S.gesetzen, -verordnungen und -durchführungsbestimmungen. Sie regeln für die einzelne S.-art, in welchen Fällen die S. entsteht.
Steuern
Der Ausbau des Besteuerungssystems ist in der Vergangenheit häufig in Verbindung mit kriegerischen Auseinandersetzungen erfolgt, in deren Verlauf neue und/oder höhere S. erhoben wurden, die sich jedoch dann – neben Gebühren und Beiträgen – meist zu Dauerbelastungen entwickelten und die → Staatsquote laufend erhöhten. Obwohl in der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik Deutschland viele S.-arten abgeschafft wurden (z. B. Salz- oder Spielkarten-s.), gibt es derzeit noch rund 35 S.-arten. S. können in unterschiedlicher Art und Weise aufgegliedert werden: Nach den Hoheitsträgern, denen die S. zufließen: – Gemeinschafts-s. (lt. Art. 106 Abs. 3 GG), z. B. Einkommen-s., – Bundes-s., z. B. Mineralöl-s., – Landes-s., z. B. Kfz-s., – Gemeinde-s., z. B. Grund-s. Daneben erheben einige Kirchen in der Bundesrepublik Kirchen-s. nach dem Gegenstand der Besteuerung: – Einkommens- und Besitz-s. (z. B. Lohns.), – Verkehrs-s. (z. B. Umsatz-s.), – Verbrauch-s. (z. B. Tabak-s.), nach der Überwälzungsmöglichkeit: – direkte S., die vom S.-pflichtigen (→ private Haushalte, → Unternehmen) gezahlt und selbst getragen werden (z. B. Einkommen-s., Kfz-s.), – indirekte S., die auf Güter aufgeschlagen werden (Umsatz-s., Mineralöl-s), so daß die steuerpflichtigen Unternehmen zwar die S. an den Staat abführen, sie aber über den Preis auf die Verbraucher abwälzen. Mit einem gegenwärtigen Anteil von rund 32 bzw. 28 % am gesamten S.-aufkommen sind die → Umsatz-/Mehrwert-s. und die → Lohn-s. die wichtigsten Einnahmequellen der öffentlichen Hände in der Bundesrepublik Deutschland. Seit den 1950er Jahren vollzieht sich die Entwicklung des S.-systems in der Bundesrepublik nicht unbeeinflußt durch die → Europäische Gemeinschaft. So wurde zur Vereinheitlichung schon 1968 die aus dem Jah589
Steuern
re 1918 stammende kumulative Umsatzs. in eine Mehrwert-s. umgewandelt. Vielfältige Veränderungen sind im Zuge der Schaffung des europäischen Binnenmarktes schon vorgenommen worden und stehen noch bevor, da derzeit alle Mitgliedsländer der → EU eigene, unterschiedliche S.-systeme haben. Literatur: Stobbe, Thomas, Steuern kompakt, Sternenfels, 9. Aufl. 2010; Wacker, Wilhelm H., Seibold, Sabine, Oblau, Markus, Lexikon der Steuern, 2. Aufl., München 2005. Prof. Dr. Dietmar Krafft, Münster Steuerpolitik steuerliche Maßnahmen (z. B. Variation der Steuersätze u. der Steuerbemessungsgrundlagen) im Dienste der → Finanz- und → Wirtschaftspolitik. Steuerprogression überproportional ansteigender Steuertarif (→ Steuersatz). Steuerrückerstattung → Steuerverfahren. Steuersatz Verhältnis der Steuerschuld (Steuerbetrag) zur → Steuerbemessungsgrundlage. Steuerüberwälzung einzelwirtschaftliche Weitergabe von Steuerbelastungen über die → Preise von → Gütern oder → Produktionsfaktoren an Lieferanten (Vorwälzung) oder Abnehmer (Weiterwälzung). Steuerumgehung Mißbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des privaten Rechtsverkehrs zur Umgehung oder Minderung → öffentlicher Abgaben. Steuerverfahren Die Erhebung der Steuern erfolgt über zwei Verfahren: das Veranlagungsverfahren und das Abzugsverfahren. Beim Veranlagungsverfahren hat der Steuerpflichtige dem Finanzamt alle Angaben zu machen, die zur Errechnung der Steuerschuld erforderlich sind. Die Veranlagung, d. h. die Festsetzung der Steuerschuld, erfolgt dann vom Finanz590
Stiftung Warentest
amt aufgrund der eingereichten → Steuererklärung. In einem → Steuerbescheid erhält alsdann der Steuerpflichtige Aufschluß über die Höhe seiner Steuerschuld und die Art ihrer Berechnung. Bereits geleistete Vorauszahlungen werden von der Steuerschuld abgezogen. Die Steuerschuld ist binnen eines Monats zu begleichen. Über Vorauszahlungen zuviel gezahlte Steuer wird rückerstattet (Steuerrückerstattung). Schließlich wird dem Steuerpflichtigen mitgeteilt, welche (Steuer-)Vorauszahlungen bei der jeweiligen Steuer er künftig vierteljährlich zu leisten hat. Beim Abzugsverfahren wird die zu entrichtende Steuerschuld von dem zur Abführung Verpflichteten (z. B. Arbeitgeber: → Lohnsteuer; Bank: → Abgeltungsteuer) errechnet, einbehalten und an das Finanzamt abgeführt. – Dem Steuerpflichtigen werden die einbehaltenen und abgeführten Steuerbeträge bescheinigt. Wird der Steuerpflichtige nach Jahresende veranlagt, so muß er diese Bescheinigung mit einer Steuererklärung dem Finanzamt einreichen, damit die bereits abgeführten Beträge von der veranlagten Steuerschuld abgezogen werden können. Steuervorauszahlungen → Steuerverfahren. Stiftung des privaten Rechts: Eine als selbständige Rechtspersönlichkeit (→ juristische Person) geltende Vermögensmasse, deren Erträgnisse nach dem Willen des Stifters einem bestimmten dauernden (i.d.R. gemeinnützigen) Zweck gewidmet sind (§§ 80 – 88 Bürgerliches Gesetzbuch). Diese rechtsfähigen S. werden durch → Rechtsgeschäft in → Schriftform oder durch letztwillige Verfügung (→ Testament) errichtet; die → Rechtsfähigkeit wird durch die behördliche → Genehmigung erlangt. – Nichtrechtsfähige S. entstehen durch Zuwendungen mit der Auflage, diese ausschließlich für den vorgesehenen Zweck zu verwalten beziehungsweise zu verwenden; sie unterliegen allgemeinen Vorschriften. Stiftung Warentest 1964 durch die Bundesregierung gegründetes unabhängiges Warentestinstitut mit Sitz
Stiftung Warentest
in Berlin, dessen Aufgabe darin besteht, die Öffentlichkeit über objektiv feststellbare Merkmale des Nutz- und Gebrauchswertes von Waren und Leistungen zu unterrichten, die überregional in grundsätzlich gleichbleibender Beschaffenheit angeboten werden. Veröffentlichungsorgan der Testergebnisse ist die Zeitschrift „test“. Stigler, George J. geb. 1911 in Renton (USA), gest. 1991 in Chicago, war Professor für → Volkswirtschaftslehre an mehreren amerikanischen Universitäten, unter anderem an der Columbia-Universität und seit 1959 bis zu seinem Tode 1991 an der Universität Chicago. Er studierte an den Universitäten in Washington, an der Northwestern-University und an der Universität Chicago. Seine wichtigsten akademischen Lehrer waren Frank Knight und Theodore Schultz. Neben → Milton Friedman war S. der Hauptvertreter der Chicago-Schule. 1982 erhielt er den Nobelpreis, insbesondere für seine Arbeiten über staatliche Regulierungen und deren Auswirkungen auf → Märkte. Im wesentlichen kam S. dabei zu dem Ergebnis, daß staatliche Regulierungen ihr Ziel selten erreichen und oft den Verbraucherinteressen widersprechen. Einer der wichtigsten Beiträge S. war sein 1962 erschienener Aufsatz Information in the Labour Market, in welchem er Informationsprobleme in den Vordergrund stellte und die Suchtheorien der → Arbeitslosigkeit begründete. Weitere Arbeiten S. befaßten sich mit allgemeiner Gleichgewichtstheorie, Oligopoltheorie, Industrieökonomik und der Geschichte der → Wirtschaftstheorie. Die wissenschaftliche Originalität der Arbeiten S. liegt in ihrer unorthodoxen Gedankenführung, der Schärfe und Klarheit der Argumentation und immer wieder in der Anführung überraschenden, bislang unbekannten empirischen Materials aus den unterschiedlichsten Bereichen. Nicht zuletzt trug sein trockener Humor dazu bei, daß viele seiner Schriften intensiv gelesen und in breiten Kreisen diskutiert wurden; hierzu gehört insbesondere seine Arbeit The Poli-
Stock Options
tics of Political Economists (1959), in der S. die Tätigkeit des Wirtschaftswissenschaftlers zu politischen Grundhaltungen in Beziehung setzte. H. J. S. stille Gesellschaft vertragliche Beteiligung einer → natürlichen oder → juristischen Person oder einer → Gesellschaft (eines sogenannten „Stillen“) mit einer Einlage (Geld-, Sach- oder Dienstleistungen) am → Handelsgewerbe eines anderen (→ Kaufmann oder → Handelsgesellschaft) entsprechend §§ 230 – 236 Handelsgesetzbuch. Die Einlage des „Stillen“ geht in das → Vermögen des Geschäftsinhabers über; er (der „Stille“) hat zu diesem die Rechtsstellung eines → Gläubigers. Es besteht nur eine Gewinn- und (in der Regel beschränkte) Verlustgemeinschaft; die Beteiligung am→ Verlust kann ausgeschlossen werden. Die stille Beteiligung tritt nach außen nicht in Erscheinung. Der stille Gesellschafter nimmt an der Geschäftsführung nicht teil; er hat auch bei außergewöhnlichen Handlungen kein Widerspruchsrecht, aber ein Kontrollrecht wie ein → Kommanditist. Man unterscheidet zwei Arten der s.: (1) die typische s. Sie liegt vor, wenn bei einer Auseinandersetzung eine Beteiligung an den stillen → Rücklagen ausgeschlossen ist. (2) die atypische s. Sie ist dann gegeben, wenn der „Stille“ im Innenverhältnis am Vermögen beteiligt ist. Dieser nimmt dann bei einer Auflösung der Gesellschaft und bei einer Auseinandersetzung an den stillen Rücklagen teil. – Steuerrechtlich wird der stille Gesellschafter als Teilhaber behandelt und sein Gewinnanteil als → Einkünfte aus Gewerbebetrieb erfaßt. Stoffkategorie → wirtschaftliche Stoffkategorie. Stock Options ⇒ Aktienoptionen Mitarbeitern, insbesondere Führungskräften, von → Unternehmen zur partiellen Leistungsabgeltung gewährtes Recht, → Aktien ihres Unternehmens zu einem vorher festgelegten Preis innerhalb einer bestimmten Zeitspanne zu erwerben oder zu verkaufen. 591
strategische Allianzen
strategische Allianzen Kooperationsabkommen zwischen weltweit operierenden Großunternehmen zur Sicherung und Verbesserung ihrer Wettbewerbsposition. S. erstrecken sich großteils auf Forschung und Entwicklung, Finanzierung und Vertrieb; daneben können aber auch Marktabsprachen und Gebietsaufteilungen zu ihrem Gegenstand gemacht werden. Streik gemeinsame planmäßige Niederlegung der → Arbeit durch mehrere → Arbeitnehmer mit dem Ziel, günstigere → Arbeitsbedingungen in Form eines → Tarifvertrages durchzusetzen und danach die Arbeit wieder aufzunehmen. Auch die teilweise Verweigerung oder Verzögerung/Verschleppung der Arbeit („Dienst nach Vorschrift“, Bummel-s.) fügt sich dieser Absicht und bedeutet S. – Der S. unterliegt dem Gebot der Verhältnismäßigkeit, das heißt, er muß in seiner Zielsetzung wie auch in seiner Durchführung die wirtschaftlichen Möglichkeiten beachten und darf nicht dem → Gemeinwohl schaden. Aus dieser Vorgabe erwachsen nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes für jeden S. drei wesentliche Konsequenzen: (1) Der S. darf nur als letzte Maßnahme nach Ausschöpfung aller sonstigen Möglichkeiten (Ultima-ratioPrinzip) ergriffen werden; (2) der S. muß fair geführt werden und darf nicht die Vernichtung des Gegners bezwecken (Vernichtungs-s.); (3) beide → Tarifvertragsparteien müssen nach Beendigung des S. möglichst schnell den → Arbeitsfrieden wiederherstellen. – Ein S. ist grundsätzlich nur dann rechtmäßig, wenn er von einer → Gewerkschaft nach dem Scheitern von Tarifverhandlungen eingeleitet und durchgeführt wird. Erfolgt die Arbeitsniederlegung ohne die vorherige Billigung der zuständigen Gewerkschaft und wird sie auch nicht nachträglich von dieser genehmigt und übernommen, so ist sie rechtswidrig (wilder S.). – Ein S. darf nicht gegen die tarifvertragliche → Friedenspflicht verstoßen. Nach Ablauf der Friedenspflicht darf ein S. nur dann eingeleitet und durchgeführt werden, wenn zuvor die zur Verhandlung anstehenden Forderungen genannt und über die592
Streik
se auch Tarifverhandlungen geführt wurden. Eine Ausnahme von dieser Regelung ist nur dann möglich, wenn der → Arbeitgeber Verhandlungen über eine Forderung der Gewerkschaft von vornherein ablehnt. – Ein geregelter S.-verlauf folgt im allgemeinen folgendem Muster: (1) Beschluß der Gewerkschaft zur Einleitung des S., (2) Beschluß der Gewerkschaft zur Durchführung einer → Urabstimmung der Gewerkschaftsmitglieder, (3) Aufforderung der Gewerkschaftsmitglieder zur Urabstimmung, (4) Urabstimmung, (5) Genehmigung des S.beschlusses durch das zuständige Gewerkschaftsorgan, (6) Herausgabe des S.-befehls an die Gewerkschaftsmitglieder und (7) tatsächliche Arbeitsniederlegung. – Um eine geordnete Durchführung von → Arbeitskämpfen zu erwirken, hat der → Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Richtlinien zur Führung von Arbeitskämpfen, sogenannte → Arbeitskampfrichtlinien, erlassen. Je nach der mit einer Arbeitsniederlegung verbundenen Absicht, lassen sich verschiedene S.-arten unterscheiden: (1) Voll-s.: Es werden entweder alle Arbeitgeber eines Wirtschaftszweiges bestreikt oder alle Arbeitnehmer eines → Betriebes streiken. (2) Teil- oder Schwerpunkt-s.: Lediglich bestimmte Abteilungen eines Betriebes oder bestimmte Schlüsselbetriebe eines Wirtschaftszweiges werden bestreikt. (3) General-s.: Alle Arbeitnehmer legen die Arbeit nieder. (4) Warn-s.: Kurze, zeitlich befristete Arbeitsniederlegungen, die in sachlichem und zeitlichem Zusammenhang mit laufenden Tarifverhandlungen stehen. (Nach Urteil des Bundesarbeitsgerichtes v. 21. 6. 1988 unzulässig!). (5) Sympathie- und Solidaritäts-s.: S., die zur Unterstützung von streikenden Arbeitnehmern einer anderen Gewerkschaft geführt werden. (Nach Urteil des Bundesarbeitsgerichtes v. 12. 1. 1988 unzulässig!) – Bei einem unzulässigen (rechtswidrigen) S. hat der Arbeitgeber einen Unterlassungsanspruch. Diesen kann er auch schon im Wege der → einstweiligen Verfügung durchsetzen. Darüber hinaus ergeben sich für ihn Schadensersatzansprüche. – Arbeitnehmern – auch → Betriebsratmitgliedern –, die sich an rechtswidrigen
Streik Streikgeld
S. beteiligen, kann der Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen außerordentlich kündigen (→ Kündigung). Die Kündigungen bedürfen nicht der Zustimmung des → Betriebsrates. – Für die Dauer des S. erhalten diejenigen Gewerkschaftsmitglieder, die mindestens 3 Monate ihrer Gewerkschaft angehören → S.-geld. Nichtorganisierte Arbeitnehmer, die unter den S. fallen, erhalten unter bestimmten Voraussetzungen vom Staat → einen finanziellen Beitrag zur Sicherung des Lebensunterhaltes (§ 20 SGB II). Streikgeld Für die Dauer eines (genehmigten) → Streiks von den → Gewerkschaften ihren Mitgliedern (mit mindestens dreimonatiger Zugehörigkeit) gewährte Unterstützung von etwa zwei Drittel ihres → Bruttolohnes. Strukturpolitik ist für marktwirtschaftlich verfaßte → Volkswirtschaften neben der Wirtschaftsordnungspolitik (Politik der stabilen Rahmenbedingungen) und der Wirtschaftsprozeßpolitik (Makrosteuerungs-, → Konjunkturpolitik) eine weitere Variante der → Wirtschaftspolitik, die nicht zuletzt aufgrund von Strukturkrisen zunehmend in Wissenschaft und Politik an Bedeutung gewonnen hat. Nach dem Gegenstandsbereich kann S. in sektorale S. (auf Wirtschaftssektoren und Branchen oder spezifische → Güter und → Dienstleistungen [z. B. Infrastrukturdienste] bezogen), in regionale S. (auf Regionen bezogen) und in Einzelwirtschaftspolitik, d. h. auf einzelne → Betriebe oder Gruppen von Betrieben, z. B. den Mittelstand, bezogene S. unterteilt werden. Nach den verfolgten Zielen kann zwischen Strukturerhaltungs-, Strukturanpassungs- und Strukturgestaltungspolitik unterschieden werden. Erhaltungs-, Anpassungs- und Gestaltungsziele können sowohl bei der sektoralen und regionalen S. als auch bei der Einzelwirtschaftspolitik verfolgt werden. Diese drei Möglichkeiten von S. stehen jeweils in einen bestimmten Kontext zum marktwirtschaftlichen System und werden deshalb hinsichtlich ihrer unterschied-
Strukturpolitik
lichen Marktkonformitätsgrade auch differenziert beurteilt. Erhaltungspolitik stellt auf die Erhaltung von Sektoren, Branchen oder Einzelwirtschaften ab und ist gegen den Markttrend gerichtet, d. h., daß ohne spezifische Erhaltungsmaßnahmen sich die Strukturen im marktwirtschaftlichen Anpassungsprozeß ändern würden. Beispiele für solche Fälle sind in der Agrarpolitik (Erhaltung wirtschaftlich schwacher Betriebe, die bei funktionierendem → Wettbewerb selektiert würden) und in der Montanindustrie (Erhaltung ineffizienter Kohlezechen) zu finden. Eine solche Erhaltungspolitik ist bei Zugrundelegung des → marktwirtschaftlichen Referenzsystems als → marktinkonform zu bewerten und deshalb höchst umstritten, zumal die Notwendigkeit einer Autarkiepolitik durch das Zusammenwachsen von Märkten (→ Europäische Union, Welthandelsordnung, → WTO) kaum mehr überzeugend begründet werden kann. Allenfalls könnte höchstens in Grenzsituationen (Energiekrise) noch eine Strukturerhaltungspolitik vertreten werden (Kohlereserve, Nahrungsmittelreserve), ohne damit allerdings das hohe Subventionsvolumen, das Staaten in die Erhaltung bestimmter Branchen investieren, rechtfertigen zu können. Die normative Theorie kann unter den heutigen ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen kaum noch überzeugende Argumente für eine reine Erhaltungspolitik liefern. Die eigentlichen Gründe für die Gewährung von Erhaltungssubventionen oder entsprechender Schutzräume (Wettbewerbsausnahmebereiche) sieht die → Neue Politische Ökonomie bzw. die positive, d. h. auf Faktenerklärung gerichtete Theorie, in dem Einfluß partikularer Interessen und im Verhalten der Politiker, die durch Gewährung von → Subventionen und Privilegien an mächtige Interessengruppen vorwiegend Stimmenmaximierungs- und damit Machterhaltungspolitik betreiben. Dagegen ist die Strukturanpassungspolitik als → marktkonform einzustufen und steht deshalb nicht im Konflikt mit dem Referenzsystem → Marktwirtschaft, weil diese Variante von S. eine Anpassung an den Markttrend fördert. Der am Markt orientier593
Strukturpolitik
te Strukturwandlungsprozeß wird beeinflußt, weil die Anpassungsvorgänge in der Realität mit erheblichen Friktionen ablaufen können. Hierbei kann das Ziel eine bewußte Verzögerung (um einen durch Schrumpfungprozesse in Altindustrien ausgelösten sprunghaften Anstieg der → Arbeitslosigkeit zu verhindern bzw. abzuschwächen) oder eine bewußte Beschleunigung des Anpassungsprozesses sein. Eine solche vorübergehende und nicht dauerhafte Flankierung des Strukturwandels ist sinnvoll, denn Arbeitsplatzabbau und Wachstumseinbußen durch Degeneration von Altindustrien können in aller Regel nicht sofort von den positiven Entwicklungen in aufstrebenden Branchen aufgefangen werden. Strukturgestaltungspolitik, die dem staatlichen Träger weite Gestaltungsmöglichkeiten einräumt, gründet auf der Theorie des → Marktversagens und der Marktunmöglichkeit, weil das marktwirtschaftliche Koordinations- und Lenkungssystem nicht anwendbar ist oder mit erheblichen Mängeln verbunden ist (→ externe Effekte). Bei rein öffentlichen Gütern (z. B. viele Infrastrukturdienste), bei denen das Marktausschlußprinzip und die Rivalität beim → Konsum nicht gegeben ist, bei Vorliegen eines natürlichen → Monopols, bei zu hoher privater Risikoaversion oder bei totalen positiven und negativen Externalitäten ist der Staat als Produzent bzw. Anbieter bestimmter Güter und Dienstleistungen oder zumindest als Anreizgeber gefordert. Neben den rein → öffentlichen Gütern fallen auch die → meritorischen und demeritorischen Güter in diesen Bereich. Diese Güter können zwar privatwirtschaftlich im → Wettbewerb angeboten werden, aber aus bestimmten Gründen (verzerrte Präferenzen der → Wirtschaftssubjekte, Verteilungsaspekte, Nachfragelenkung, externe Effekte, Kuppelprodukte) werden diese Güter öffentlich bereitgestellt, um sie zu fördern (Meritorisierung) oder zurückzudrängen (Demeritorisierung, z. B. bei Drogen, Tabak, Alkohol). Meritorische Güter sind z. B. im Bildungswesen und Gesundheitssektor zu finden. Das Ziel, durch aktive Beeinflussung oder gar Korrektur die Privat594
Strukturpolitik
nachfrage in die erwünschte Richtung zu lenken, kann staatliches Engagement sinnvoll begründen. Allerdings handelt sich aus der Sicht des methodologischen → Individualismus eine aktive lenkende Strukturgestaltungspolitik („vorausschauende Industriepolitik“) den Vorwurf der Bevormundung, des → Paternalismus und der Anmaßung von Wissen (v. Hayek) ein, weshalb aus rein individualistischer Sicht eine staatliche Strukturgestaltungspolitik oder „Mikrosteuerung“ (Hoppmann) abgelehnt und S. auf marktkonforme Anpassungspolitik reduziert wird. Das Beispiel der Kernenergie zeigt, wie sehr sich Einschätzungen bezüglich des Stellenwertes einer Technologie ändern können (massive Förderung in den siebziger Jahren, wachsender Widerstand in Politik und Gesellschaft Anfang der achtziger Jahre, Beschluß der deutschen Bundesregierung über den langfristigen Ausstieg durch Kernenergiekonsens vom 14.06.2000). In vielen Fällen kann sektorale S. mit Industriepolitik gleichgesetzt werden. Unter Industriepolitik sind alle Maßnahmen zu verstehen, die dazu bestimmt sind, gezielt → Wirtschaftssektoren oder → Branchen quantitativ und qualitativ zu beeinflussen (z. B. 100 000-Dächer-Programm zur Förderung der Solarkraft, ökologischer Umbau der Landwirtschaft, High-Technology-Programme). Die Ziele der Industriepolitik können auf die Erhaltung, auf die Anpassung, aber auch auf die Gestaltung von Sektoren und Branchen gerichtet sein. Ferner kann Industriepolitik sowohl binnenwirtschaftliche als auch außenwirtschaftliche Aspekte haben. Zu beachten ist, daß der Begriff der „Industrie“ weit gefaßt wird. Es liegt der angelsächsische Industriebegriff zugrunde, der auch den Dienstleistungsbereich (Banken, Versicherungen, Verkehr) umfaßt. Eine einheitliche Bewertung der Industriepolitik kann nicht abgegeben werden. Um eine Bewertung vorzunehmen, ist es notwendig, das jeweils verfolgte Ziel und die Eingriffintensität in den → Marktmechanismus zu betrachten. So sind industriepolitische Maßnahmen zur Bereitstellung von öffentlichen Gütern (z. B. Grundlagen-
Strukturpolitik
forschung, Infrastrukturdienste) marktneutrale und notwendige Staatsaktivitäten, während beispielsweise protektionistische Maßnahmen, wie Einfuhrkontingente und eine „agressive“ Industrie- und → Außenhandelspolitik mit dem Ziel der Marktmachtgewinnung auf globalen Märkten, marktinkonform sind. Auf europäischer Ebene ist die Industriepolitik im Vertrag von → Amsterdam (Titel XVI/Artikel 157) verankert. Die Mitgliedsstaaten werden verpflichtet, die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Industrien zu sichern. Die Märkte der EU sollen zu diesem Zweck ein offenes und wettbewerbsorientiertes System bilden. Auch die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen wird als ein wichtiges industriepolitisches Ziel gesehen (siehe hierzu S. als Einzelwirtschaftspolitik). Neben der sektoralen S. und den darauf beruhenden sektorspezifischen Programmen hat in den vergangenen Jahren die regionale S. in Theorie und Politik an Bedeutung gewonnen (Art. 72 GG Angleichung der Lebensverhältnisse, Gemeinschaftsaufgabe Regionale Wirtschaftsstruktur, Regionalisierung der Regionalpolitik in NordrheinWestfalen, Europäischer Strukturfonds). Regionalpolitik stellt auf die Entwicklung und Gestaltung regionaler Strukturen in einer Volkswirtschaft ab. Auch die regionale S. kann erhaltend, anpassend (z. B. in monostrukturierten Montanregionen), aber auch gestaltend ausgerichtet sein. In der regionalen Strukturpolitik werden drei spezifische Ziele verfolgt: Das Wachstumsziel als gesamtwirtschaftliches Ziel stellt auf die Maximierung des → Bruttoinlandsprodukts in der gesamten Volkswirtschaft durch Mobilisierung von Wachstumsreserven in Teilgebieten ab. Diese Politik läuft weitgehend auf die passive Sanierung von Regionen, d. h. auf die Abwanderung von Arbeitskräften aus produktivitätsschwachen in produktivitätsstärkere Regionen hinaus. Das Stabilitätsziel verfolgt die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen und Einkommenserzielungsmöglichkeiten in strukturschwachen, monostrukturierten Regionen durch eine gezielte Diversifikationspolitik. Ziel ist
Strukturpolitik
eine aktive Sanierung strukturschwacher und besonders konjunkturanfälliger Regionen. Das mit Gerechtigkeitsvorstellungen begründete Ausgleichsziel will interregionale Unterschiede hinsichtlich der Entlohnung, der Qualität der Arbeitsplätze und der regionalen Versorgung mit öffentlichen und privaten Diensten abbauen (Beseitigung eines interregionalen Strukturgefälles). Um das Ausgleichsziel zu erreichen, wird durch gezielte Förderung versucht, sog. Wachstumspole in ländlichen Gebieten, in altindustriellen, monostrukturierten Regionen anzusiedeln. Wachstumspole sind Industrien mit positiven Effekten auf andere (vor- oder nachgelagerte) Branchen bzw. Betriebe. Durch die Ansiedlung profitieren auch die schon örtlich ansässigen Unternehmen, außerdem folgen weitere Betriebe dem Wachstumspol. Die regionale S., die nach dem 2. Weltkrieg aus dem landwirtschaftlich geprägten Bayern eine moderne Industrieregion machte, kann in der Wachstumspoltheorie ihre wissenschaftliche Begründung finden. Hiermit kann auch erklärt werden, wie ehemalige Wachstumspole durch ihre Degeneration zum Schrumpfungspol mit negativen Effekten auf die gesamte Region werden. Besonders gravierende Einschnitte sind festzustellen, wenn die dominanten Industrien monostrukturierter Regionen (z. B. Montanindustrie im Ruhrgebiet und im Saarland, Werften an der Nordseeküste) einem Schrumpfungsprozeß ausgesetzt sind. Das Wachstumsziel als gesamtwirtschaftlich ausgerichtetes Ziel steht im Konflikt mit dem Stabilitäts- und Ausgleichsziel. Wachstumszielorientierte Regionalpolitik läuft letztlich in erster Linie auf eine passive Sanierung von Problemregionen hinaus, wodurch ein regionales Strukturgefälle sogar noch verstärkt werden kann. Deshalb liegt in der Regionalpolitik das Schwergewicht auf solchen strukturpolitischen Maßnahmen, die das Stabilitäts- und Ausgleichsziel als höherrangige Ziele verfolgen. Heute stehen deshalb Maßnahmen der aktiven Sanierung von Problemregionen im Vordergrund. 595
Strukturpolitik
S. als Einzelwirtschaftspolitik, die auf die Förderung bestimmter Betriebe oder Betriebsgruppen abstellt, spielte früher eine eher untergeordnete Rolle. Der Vertrag von Amsterdam wertete diese Art der S. deutlich auf. Durch den Titel XVI/Artikel 157 EU-Vertrag werden die Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in ihrer Initiative und Weiterentwicklung zu fördern. Gründe für die Förderung der KMU sind ihre im Vergleich zu Großunternehmen wesentlich höhere Innovationskraft und ihre höhere Anpassungsflexibilität bei veränderten Rahmenbedingungen. Ferner stellen KMU den überwiegenden Teil der Ausbildungsplätze zur Verfügung. Zudem produzieren sie weniger kapitalintensiv als Großunternehmen, wodurch positive Beschäftigungswirkungen entstehen. Schließlich kann eine gezielte Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen auch der Vermachtung von Märkten entgegenwirken. Literatur: Brösse, U.: Industriepolitik, München 1996; Cox, H. (Hrsg.): Öffentliche Dienstleistungen in der Europäischen Union – Spannungsfeld zwischen Service Public und Wettbewerbsprinzip, Baden-Baden 1996; Daumann, F./Oberender, P.: Industriepolitik, München 1995; Mensch, G.: Das Technologische Patt – Innovationen überwinden die Depression, Frankfurt am Main 1975; Peters, H.-R.: Wirtschaftspolitik, München 2000. Prof. Dr. Helmut Cox, Duisburg Strukturwandel eine – im Gegensatz zu saisonalen oder konjunkturellen Veränderungen – dauerhafte Veränderung einer wirtschaftlich-technischen Konstellation; zeigt sich insbesondere als Folge des → technischen Fortschritts. Beispiele: Kohlebergbau, Stahlindustrie, Landwirtschaft. → Strukturpolitik. Stückaktien → Aktien, die nicht auf einen → Nennbetrag lauten, sondern einen bestimmten Anteil am → Grundkapital verbriefen. Der Anteil am Grundkapital bestimmt sich nach der Anzahl der S.; er errechnet sich durch Division des Grundkapitals durch die An596
Studienabschlüsse, wirtschaftswissenschaftliche
zahl der S. Der auf die einzelne S. entfallende Anteil am Grundkapital darf einen → Euro nicht unterschreiten (§ 8, Abs. 3 u. 4 AktG). Gegensatz: → Nennbetragsaktien. Stückelung Einteilung einer → Emission von → Aktien oder sonstigen → Wertpapieren in verschiedene → Nennbeträge bzw. Stücke. Stückelungsverbot nach § 7 Bundesurlaubsgesetz. Der → Urlaub des → Arbeitnehmers soll, da er dessen Erholung dienen soll, grundsätzlich – soweit nicht dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe seine Aufteilung erforderlich machen – nicht in Raten, sondern zusammenhängend gewährt werden. Kann der Urlaub in begründeten Fällen nicht zusammenhängend gewährt werden und hat der Arbeitnehmer Anspruch auf mehr als 12 Werktage, so muß einer der Urlaubsteile mindestens 12 aufeinanderfolgende Werktage umfassen. Stückgeldakkord → Entlohnungsformen. Stückkauf ⇒ Spezieskauf. Stückkosten ⇒ Durchschnittskosten die → Kosten für eine Mengeneinheit eines produzierten Gutes. Sie werden ermittelt, indem man die → Gesamtkosten durch die hergestellte Menge dividiert. → Kostentheorie. Stücklohn → Entlohnungsformen. Stückzeit → Arbeitszeitstudien. Stückzeitakkord → Entlohnungsformen. Studienabschlüsse, wirtschaftswissenschaftliche in der Regel ein an einer → Berufsakademie, → Fachhochschule, wissenschaftlichen Hochschule (Universität, Technische Universität etc.) oder an einer sonstigen gleichgestellten (Hoch-)Schule erwor-
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bener berufsqualifizierender Abschluß mit Hochschul- oder Staatsprüfung (Staatsexamen). Die klassischen Studienfächer sind „Betriebswirtschaftslehre“ (BWL), „Volkswirtschaftslehre“ (VWL) und beide Fächer integrierend die „Wirtschaftswissenschaften“ (vereinzelt auch unter der Bezeichnung „Ökonomie“). Daneben finden sich Studiengänge wie der der mehr betriebswirtschaftlich betonten → „Wirtschaftspädagogik“ als auch interdisziplinäre, aus einer ökonomischen und anderen, insbesondere naturund sozialwissenschaftlichen Disziplinen (s. u.), kombinierte. In der Regel wurden bisher im Hauptstudium eines Diplomstudiengangs ein oder mehrere Schwerpunktfächer gewählt. Die Absolventen der Betriebswirtschaftslehre werden je nach Studienschwerpunkt in den Bereichen Finanz-, Rechnungswesen-, Steuer- und Treuhandwesen, Controlling, Personalwesen/Organisation, Marketing, Verkauf und Vertrieb und in der Unternehmensführung eingesetzt. Mögliche Schwerpunktfächer innerhalb der Volkswirtschaftslehre sind vielfältig, meist Internationale (Wirtschafts-)Beziehungen, Finanzwissenschaft und Transferwirtschaft, Wirtschaftspolitik und Binnenhandelspolitik. Die Einsatzgebiete liegen schwerpunktmäßig im Bereich Kreditwesen/Finanzwirtschaft, Politik/Öffentlicher Dienst und Rechts-, Steuer- und Wirtschaftsberatung, überschneiden sich z. T. jedoch auch mit denen der Betriebswirte. Im Hauptstudium der Wirtschaftswissenschaften sind meist ein oder mehrere Schwerpunkte aus dem Bereich BWL oder VWL zu wählen, während die Einsatzgebiete je nach Schwerpunktstudium zwischen den Einsatzgebieten der BWL und VWL variieren. Das Studium der Wirtschaftspädagogik ist als Lehramtsstudium anzusehen und vermittelt neben betriebs- und volkswirtschaftlichen Elementen vor allem pädagogische und psychologische Studieninhalte und bereitet (vorrangig) auf eine spätere Tätigkeit zur Vermittlung kaufmännischer und wirtschaftswissenschaftlicher Inhalte an wirtschaftlichen Schulen vor.
angehenden Diplom-Handelslehrer werden ausschließlich an Wissenschaftlichen Hochschulen (Universitäten, Technischen Universitäten etc.) ausgebildet. Grundsätzlich ließ sich bisher formal zwischen den praxisbezogenen Abschlüßen an → Berufsakademien (Hochschulabschluß mit dem Zusatz [BA]) und → Fachhochschulen (inkl. → Fachhochschulen für Öffentliche Verwaltung; Hochschulabschluss mit Zusatz [FH]) und an den theoriebezogenen wissenschaftlichen Hochschulen unterscheiden.
Die S. können in der Regel jeweils an allen Hochschulformen erworben werden, nur die
Die Anfänge der S. im westlichen Nachkriegsdeutschland außerhalb des Universitätsbereichs gehen auf die Höheren Wirtschaftsfachschulen zurück, die im weitesten Sinne auf die Traditionen einschlägiger Einrichtungen im 18. Jh. sowie der Handelshochschulen Ende des 19. und Anfang des 20. Jh. anknüpften. Da Letztere nach und nach in den Universitäten aufgingen, wurden die Höheren Wirtschaftsfachschulen gegründet, um die Lücke zwischen beruflicher Ausbildung und Universitätsstudium zu schließen. In der Regel wurden an den Höheren Wirtschafsfachschulen die Abschlüsse Betriebswirt (grad.), Finanzwirt (grad.) und Wirtschaftsingenieur (grad.) erreicht, die rechtlich den heutigen Abschlüssen Diplom-Betriebswirt (FH), Diplom-Finanzwirt (FH) und Diplom-Wirtschaftsingenieur (FH) gleichgestellt sind. Die Nachfolger der früheren Höheren Wirtschaftsfachschulen sind die heutigen, seit 1969 in Westdeutschland bestehenden → Fachhochschulen, die durch eine praxisbezogene Lehre eine auf wissenschaftlicher Grundlage beruhende → berufliche Bildung vermitteln sollen, im Gegensatz zu den Universitäten aber nicht mit einem institutionellen Promotionsrecht ausgestattet sind und sich im Gegensatz zu den Universitäten durch wesentlich kürzere Studienzeiten auszeichnen. Im wirtschaftswissenschaftlichen Bereich werden üblicherweise die Abschlüsse Diplom-Betriebswirt (FH), DiplomKaufmann (FH), Diplom-Wirtschaftsingenieur (FH), Diplom-Wirtschafsinformatiker (FH), Diplom-Verwaltungsbetriebswirt (FH) und Diplom-Volkswirt (FH) erworben. Es besteht, im Gegensatz zur weit 597
Studienabschlüsse, wirtschaftswissenschaftliche
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verbreiteten Annahme, üblicherweise kein qualitativer, quantitativer oder gar formalrechtlicher Unterschied zwischen den Abschlüssen Diplom-Betriebswirt (FH) und Diplom-Kaufmann (FH).
plin als Haupt- oder Nebenfach erworben werden.
Die DDR-Fachschulabschlüsse und Abschlüsse der Ingenieurschulen entsprechen unter bestimmten Voraussetzungen laut des Einigungsvertrages den Abschlüssen an den Vorgängereinrichtungen der heutigen Fachhochschulen im ehemaligen Bundesgebiet. Eine Nachdiplomierung – ähnlich der Abschlüsse der Höheren Wirtschaftsfachschulen –, die dann zur Führung des entsprechenden Diplomgrades mit dem Zusatz (FH) berechtigt, kann beantragt werden. Die S. an den → Berufsakademien gehen auf die seit 1974 in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein angebotene Ausbildung nach dem dualen System (betriebliche Ausbildung und Studium) zurück. Im ökonomischen Bereich wurde hier bisher in der Regel, neben den Zwischenabschlüssen Wirtschafsassistent (BA), Wirtschaftsinformatikassistent (BA) und Wirtschaftsingenieurassistent (BA), der Abschluß DiplomBetriebswirt (BA), Diplom-Wirtschaftsinformatiker (BA) oder Diplom-Wirtschaftsingenieur (BA) erworben. Die stark theorieorientierten S. an den Universitäten und sonstigen wissenschaftlichen und ihnen gleichgestellten Hochschulen gehen im weitesten Sinne auf die Handlungsakademien im 18. Jh. und die Handelshochschulen Ende des 19. und Anfang des 20. Jh. zurück, bis das wirtschaftswissenschaftliche Studium an diesen Einrichtungen akademisiert wurde und die Handelshochschulen in den Universitäten aufgingen. Die klassischen Studienfächer und ihre Abschlüsse sind hier die Betriebswirtschaftslehre (Diplom-Betriebswirt und DiplomKaufmann), Wirtschaftspädagogik/Lehramt Wirtschaftslehre (Diplom-Handelslehrer bzw. Diplom-Wirtschaftspädagoge), Volkswirtschaftslehre (Diplom-Volkswirt) und Wirtschaftswissenschaften / Ökonomie (Diplom-Ökonom bzw. Diplom-Wirtschaftswissenschaftler). Außerdem konnte bisher auch ein Magister Artium (M. A.) einer wirtschaftswissenschaftlichen Diszi598
Interdisziplinäre Studiengänge mit wirtschaftswissenschaftlichen Anteilen, grundständig bzw. als Auf baustudiengang und in der Regel an allen Hochschulformen studierbar, sind z. B. Wirtschaftsrecht (DiplomWirtschaftsjurist), Wirtschaftsingenieurwesen (Diplom-Wirtschaftsingenieur), Wirtschaftsinformatik (Diplom-Wirtschaftsinformatiker), Wirtschafts- bzw. Finanzmathematik (Diplom-Wirtschaftsmathematiker), Wirtschaftsphysik (Diplom-Wirtschaftsphysiker) oder auch Kulturmanagement (Diplom-Kulturmanager bzw. DiplomKulturwirt) und Wirtschafsübersetzen/kommunikation (Diplom-Wirtschaftsübersetzer); u. U. jeweils auch mit den entsprechenden Zusätzen für Fachhochschulen (FH) und vereinzelt auch für Berufsakademien (BA). Im weitesten Sinne können auch die Abschlüsse der Universitätsdisziplinen Arbeits- und Verwaltungswissenschaften zu den S. gezählt werden. Seit einigen Jahren werden die S. an allen Hochschulformen auf das gestufte System Bachelor/Master nach dem angelsächsischen Vorbild und in Zusammenhang mit dem sog., auf die 1999 von 29 europäischen Staaten unterzeichnete Bologna-Erklärung zurückzuführenden, → BolognaProzeß umgestellt, der die Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraums bis zum Jahre 2010 zum Ziel hat. Grundständige Studiengängeführen demnach in 3 – 4 Jahren zu ersten berufsqualifizierenden Abschlüssen wie Bachelor (vereinzelt auch in der lateinischen Form Bakkalaureat zu finden) mit einem Zusatz der jeweiligen Studienrichtung „Business Administration“, „Business Studies“, „Economics“, „Finance“, „Wirtschaftskommunikation“, „Wirtschaftspolitik“ etc. Bei den Master-Studiengängen wird zwischen konsekutiven (inhaltlich auf einem BachelorAbschluß auf bauenden bzw. ihn fortführenden Master-Studiengängen) und nichtkonsekutiven Studiengängen (meist weiterbildende und Auf baustudiengänge) unterschieden. Letztere können allein durch die Abschlußbezeichnung von den konsekuti-
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Substitution
ven Abschlüssen nicht unterschieden werden. Die üblichen Master-Abschlüsse im Bereich Wirtschaftswissenschaften sind „Master of Science“ (MSc.) und“ Master of Arts“ (M. A.) mit dem Zusatz der Studienrichtung, z. B. „Business Administration“, „Business Studies“, „Economics“, „Finance“ etc., oder auch „Master of“ mit Zusatz (z. B. „Master of Finance“ oder „Master of Business Administration“). Die Bachelor- und Masterabschlüsse an den jeweils verschiedenen Hochschulformen (→ Berufsakademie, → Fachhochschule, wissenschaftliche Hochschule) sind grundsätzlich rechtlich gleichgestellt. Ein konsekutiver Masterabschluß einer Fachhochschule berechtigt demnach ebenso wie ein Universitäts-Master, u.U. reicht auch ein Bachelor einer Berufsakademie, Fachhochschule oder Universität, grundsätzlich und direkt zur Promotion in einer wirtschaftswissenschaftlichen Disziplin. Durch diese soll die besondere Befähigung zu selbständiger wissenschaftlicher Arbeit nachgewiesen werden. Üblicherweise wird die Promotion bzw. ein Doktorandenstudium auf wirtschaftswissenschaftlichem Gebiet bzw. in ökonomisch orientierten interdisziplinären Bereichen mit den Titeln Doctor oeconomiae (Dr. oec.), Doctor rerum oeconomicarum (Dr. rer. oec.), Doctor rerum politicarum (Dr. rer. pol.), vereinzelt aber auch mit den Titeln Doctor scientarium politicarum (Dr. sc. pol.), Dr. oeconomiae publicae (Dr. oec. publ.), Doctor philosophiae (Dr. phil.), Doctor juris (Dr. jur.) und Doctor rerum naturalium (Dr. rer. nat.) abgeschlossen.
Bankakademie (Bankbetriebswirt und diplomierter Bankbetriebswirt), Industrieund Handelskammern (Betriebswirt [IHK] und Wirtschaftsübersetzer [IHK]), Handwerkskammern (Betriebswirt [HWK]) Wirtschafts-Fachschulen (Staatlich geprüfter Betriebswirt), Bayerische Akademie für Außenwirtschaft (Betriebswirt [BAA]), Deutsche Immobilienakademie (DiplomImmobilienökonom [DIA]) und sonstiger Auf bau-, Weiterbildungs- und Kontaktstudiengänge, die nicht mit einem akademischen Grad, sondern mit einem Zertifikat oder sonstigen Hochschulzeugnis (z. B. „Hochschulfachökonom“) abschließen. Marcin M. Bobrowski, MSc., Bremen
Ökonomische, formal aber nichtakademische, meist staatliche, staatlich anerkannte, öffentlich-rechtliche aber auch rein private Abschlüsse können z. B. an den → Verwaltungs- und Wirtschaftsakademien (z. B. Betriebswirt [VWA]), → Wirtschaftsakademien (z. B. Betriebswirt [WA]) und z. T. auch an den — Berufsakademien (z. B. Betriebswirt [BA]) erworben werden. Außerdem vergeben einige Fachhochschulen den postgradualen, formal auch nichtakademischen Abschluß Betriebswirt (FH). Ökonomische, formal jedoch ebenso wenig akademischen Abschlüsse, sind ferner die Abschlüsse der
Studiendarlehen ⇒ Studienkredit von verschiedenen → Kreditinstituten zu unterschiedlichen Konditionen zur (Teil) Finanzierung des Lebensunterhaltes von Studierenden während ihres Studiums und eventuell weiterer damit einhergehender Kosten (z. B. Studiengebühren) angebotene → Darlehen. Studienkredit ⇒ Studiendarlehen. Stundung Vereinbarung zwischen → Gläubiger und → Schuldner, durch die die Fälligkeit (u. damit die gerichtliche Durchsetzbarkeit) einer → Forderung hinausgeschoben und die → Verjährung gehemmt (→ Hemmung) wird. Subjektsteuern ⇒ Personensteuern → Besitzsteuern. Subsidiaritätsprinzip sozial-ethischer Grundsatz, demzufolge jegliche gesellschaftliche Hilfe für ein Individuum oder eine Gruppe von Individuen erst dann erfolgen soll, wenn diese selbst nicht mehr fähig sind, sich selbst zu helfen. Substitution (lat.: substituere = ersetzen) die Ersetzung eines wirtschaftlichen → Gutes durch ein anderes. 599
substitutive Produktionsfaktoren
substitutive Produktionsfaktoren untereinander austauschbare → Produktionsfaktoren. → Produktionstheorie. Subventionen staatliche Finanzhilfen an → Unternehmen. Summenversicherung → Versicherung, die den Versicherer verpflichtet, nach Eintritt des Versicherungsfalles die bei Vertragsabschluß vereinbarte Geldsumme zu leisten. Diese Versicherungsleistung kann in einer Summe erfolgen oder in bestimmten, regelmäßig wiederkehrenden Teilsummen als Rente. Typische S.: → Lebensversicherung, → Unfallversicherung. Sustainable Development ⇒ nachhaltige Entwicklung In Europa wurde der Gedanke der Nachhaltigkeit erstmals in einer Forstordnung des Klosters Mauermünster im Elsaß aus dem Jahr 1144 gefunden. In der Waldwirtschaft allgemein anerkannt wurde er freilich erst später. Die Europäer hatten Raubbau an ihren Wäldern getrieben, Holz, ein wichtiger Rohstoff, war knapp und drohte die Wirtschaft zu lähmen. Um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert setzte sich das Nachhaltigkeitsprinzip schließlich durch – laut Forstordnung durfte fortan nicht mehr Holz geschlagen werden als nachwächst. Dieser Grundsatz wurde als Grundgesetz einer geordneten Waldwirtschaft von Deutschland aus in alle Teile der Welt exportiert. Etymologisch gesehen entstammt Nachhaltigkeit also nicht einem Naturschutz-, sondern einem auf Stetigkeit ausgerichteten Nutzungsdenken. Das ökonomische Prinzip, nicht vom Kapital, sondern von den Zinsen zu leben, fand außerhalb des Waldes im Umgang der Menschen mit den natürlichen Ressourcen kaum Beachtung. Erst 1984 wurde der Begriff „nachhaltige“ oder „tragfähige Entwicklung“ („Sustainable Development“) durch die von der UNO eingesetzte Weltkommission für Umwelt und Entwicklung unter Führung der norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland wiederentdeckt und belebte die politische und akademische Diskussion über die Zukunft der 600
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Menschheit Ende dieses Jahrzehnts. Auf der Konferenz der Vereinten Nationen 1992 in Rio de Janeiro fand das Konzept eine breite Zustimmung der Weltstaatengemeinschaft (Agenda 21) sowie der Nachfolgekonferenz 2002 in Johannesburg. Die Debatten richten sich seither auf Überlegungen zur Förderung des Nachhaltigkeitsgedankens aller gesellschaftlicher Akteure auf der ökonomischen, ökologischen und sozialen Ebene lokal, regional, national und global. – Die Begriffe „Nachhaltigkeit“, „nachhaltige Entwicklung“, „Zukunftsfähigkeit“ und „Sustainable Development“ werden in Deutschland häufig gleichsinnig gebraucht. Ziel einer nachhaltigen Entwicklung ist es, die Produktivität und den immateriellen Nutzengewinn von Natur und Umwelt auf Dauer zu erhalten. Dieses Ziel wird bei der heutigen Wirtschaftsstruktur noch nicht durchgängig erkennbar. Weder im Bereich der Energienutzung noch im Verbrauch von nicht erneuerbaren Ressourcen ist eine langfristige Nutzung gemäß heutiger Produktionsbedingungen und Nutzungsraten vorstellbar. Schon heute ist es aber möglich und sinnvoll, Wege und Strategien zu entwickeln, um diesem Ziel näherzukommen. Der Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung ist durch vier Prinzipien gekennzeichnet: ● Erhöhung der Ressourcenproduktivität: Der Nutzengewinn durch den Einsatz von natürlichen Ressourcen muß ständig verbessert werden, damit der Anteil des Verbrauchs vom natürlichem Kapitalstock für eine gegebene Menge an Gütern und Dienstleistungen stetig sinkt. Voraussetzung dafür ist das Wachstum des künstlichen Kapitalstocks, denn nur bei entsprechender Vermehrung des künstlichen Kaptialstocks kann die Wohlfahrt eines Landes zumindest konstant gehalten werden. ● Anerkennung der Grenzen der Substituierbarkeit zwischen natürlichem und künstlichem Kapitalstock: Im ökonomischen Weltbild bestimmt die monetäre Bewertung eines Gutes die Tauschrate gegenüber alternativen Gütern. Für bestimmte Güter ist diese Austauschre-
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gel jedoch ausser Kraft gesetzt, da ihre Produktion oder ihr Konsum mit so hohen externen Kosten verbunden sind, daß unendliche Kompensationen der Geschädigten notwendig wären, um eine effiziente Lösung herzustellen. Wäre etwa die Atemluft durch die Emission eines giftigen Gases gefährdet, so gäbe es volkswirtschaftlich keinen noch so großen wirtschaftlichen Nutzen, der die Folgen dieser Vergiftung für die Menschheit als ganzes kompensieren könnte. Innerhalb kurzer Zeit wäre die Menschheit nämlich ausgestorben. Aus diesem Grunde muß auf der Basis naturwissenschaftlicher Erkenntnisse (vor allem der Ökologie) die für das Überleben der Menschheit notwendigen natürlichen Kreisläufe identifiziert und durch politische Maßnahmen geschützt werden. ● Beachtung der Resilienz (Elastizität) von anthropogenen Ökosystemen: Erneuerbare Ressourcen erscheinen aufgrund ihrer Regenerationsfähigkeit beliebig lange nutzbar zu sein. Dies gilt aber nur dann, wenn sie auch gegenüber Veränderungen der natürlichen anthropogenen Umwelt eine geringe Verwundbarkeit aufweisen. Monokulturen oder auf maximalen Ertrag getrimmte Produktionsflächen können unter optimalen Bedingungen einen konstanten Ertrag pro Zeiteinheit erwirtschaften. Verändern sich aber die Bedingungen (sei es durch die ständige Überforderung des Produktionsmediums, etwa des Bodens, oder durch Interaktionen mit der Umwelt, etwa verstärkter Befall durch Krankheiten und Parasiten) brechen solche Systeme zusammen, d. h., es kommt zu einer schlagartigen Verringerung des Ertrags oder noch schlimmer zu einer dauerhaften Verringerung oder Vernichtung des Ertragspotentials solcher Systeme. Die entwaldeten Inseln Griechenlands sind ein beredtes Beispiel für einen solchen Prozeß der Ertragsvernichtung über Jahrhunderte hinweg. Eine nachhaltige Wirtschaftsstruktur muß solche Verwundbarkeiten einbeziehen. ● Einbeziehung sozialer Werte im Umgang mit Umwelt und Natur: Während die öko-
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nomische Sichtweise den in Preisen bewertbaren Nutzen von Umwelt und Natur im Auge hat und sich die Naturwissenschaften im wesentlichen auf die Funktion von systemerhaltenden Kreisläufen und Strukturen beschränken, verbinden soziale Systeme mit Umwelt und Natur eine Reihe von ästhetischen und symbolischen Qualitäten, die für das persönliche Wohlergehen der Menschen von zentraler Bedeutung sind, die aber im herkömmlichen Wirtschaftsprozeß meist unterbewertet werden, weil sie den Charakter → öffentlicher Güter besitzen, die in dezentral organisierten Ökonomien nicht im notwendigen Maße bereitgestellt werden. Aus diesem Grunde ist es sinnvoll von „Lebensqualität“ zu sprechen, wenn die Kombination von Nutzen und sozialen Wertzuweisungen gemeint ist. Beides, der konkrete Nutzen, den eine Gesellschaft aus der Nutzung der Umwelt zieht, und die Lebensfreude bzw. Genugtuung, die der Mensch aus der Betrachtung, Aufnahme und Verinnerlichung von Umwelt und Natur schöpfen kann, müssen als Gradmesser der Nachhaltigkeit herangezogen werden. Hieraus kann folgende Definition für nachhaltige Entwicklung gewählt werden: Eine nachhaltige, auf Dauer angelegte Entwicklung muß den Kapitalstock an natürlichen Ressourcen so weit erhalten, daß die Lebensqualität zukünftiger Generationen gewährleistet bleibt. Es kommt darauf an, die Kontinuität in der Verfügbarkeit über natürliche Ressourcen sowie den Erhalt der Aufnahmekapazität der Biosphäre für anthropogen ausgelöste oder beeinträchtigte Stoffströme in einem Maße zu gewährleisten, daß auch künftige Generationen ein ähnliches Wohlfahrtsniveau halten können wie die heutigen Generationen. Auch wenn diese Definition ökonomische und ökologische Begriffe enthält, so ist die Forderung nach nachhaltiger Entwicklung eine ethisch motivierte Norm, die sich weder aus dem Effizienzkriterium der → Ökonomie noch aus den Grenzüberlegungen der → Ökologie ergibt. Nachhaltigkeit ergibt sich aus dem Prinzip der Gleich601
Sustainable Development
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behandlung von Menschen über die Zeit. Analog zu den Menschenrechten ist die Norm der Nachhaltigkeit eine begrenzende Bedingung für ökonomisches Handeln, ohne dabei den Grundanspruch der Ökonomie, das menschliche Wirtschaften nach Effizienzkriterien zu gestalten, in Frage zu stellen oder sogar außer Kraft zu setzen.
nen. Wenn sie diese nicht nutzen wollen, ist dies nicht weiter problematisch, nicht einmal eine Verschwendung von Ressourcen, da folgende Generationen ja wieder ihre Meinung ändern können. Werden sie jedoch von der Möglichkeit ausgeschlossen, diese Erfahrungen zu machen, verlieren sie an Lebensqualität.
Einige Begriffe und Definitionen sind erklärungsbedürftig. Zunächst einmal wird unterstellt, daß die natürlichen Ressourcen nur gestreckt werden können, allerdings mit dem Ziel, ihre Funktion für die Erzeugung von Wohlfahrt zu erhalten. Letztlich wird dieses Ziel nur erreicht werden können, wenn erstens die von Menschen erwünschten Funktionen (auch die immateriellen), die durch den natürlichen Kapitalstock erfüllt werden können, auch in Zukunft garantiert und zweitens alle → Bedürfnisse kommender Generationen durch eine Mischung von natürlichem und künstlichen Elementen des Kapitalstocks gedeckt werden können, wobei in begrenztem Umfang Substitutionen möglich sind.
Konzeptionell ist also davon auszugehen, daß die physischen, ökonomischen und sozialen Grundlagen, die zu einem bestimmten Niveau an Lebensqualität führen, auch für künftige Generationen Bestand haben müssen.
Welche sind aber die Bedürfnisse der künftigen Generationen? Es wäre zu einfach, die heutige Bedürfnislage in die Zukunft fortzuschreiben. Die heute vorliegenden Präferenzen für bestimmte Güter werden vorübergehender Natur sein, also nicht einfach in die Zukunft fortgeschrieben werden können. Mit dem Begriff der Lebensqualität wird diesem Anspruch Rechnung getragen. Der Begriff macht nicht nur Sinn, um die Koppelung von Nutzen und Wertzuweisungen zum Ausdruck zu bringen, sondern auch, um eine Abstraktion von vorübergehenden Modeerscheinungen vornehmen zu können. Lebensqualität umfaßt die sozialen Erfahrungen, die das persönliche Wohlergehen bestimmen, sowie die objektiven Bedingungen, die solche Erfahrungen erst ermöglichen. Auch wenn man die genauen Anforderungen an Erfahrungen zukünftiger Generationen nicht kennen kann, so läßt sich doch im voraus bestimmen, welches Potential erhalten bleiben muß, um diesen Generationen überhaupt erst die Möglichkeit einzuräumen, bestimmte (heute erwünschte) Erfahrungen sammeln zu kön602
Die besondere Attraktivität des Begriffs „nachhaltige Entwicklung“ besteht in der Kombination zweier intuitiv gegensätzlicher Forderungen: der nach schonender Umweltnutzung und der nach weiterer wirtschaftlicher Entwicklung. Dabei ist von einigen Autoren immer wieder betont worden, daß „Entwicklung“ nur Strukturwandel, aber nicht → Wachstum im ökonomischen Sinne umfassen dürfe. Wiewohl nicht auszuschließen ist, daß eine auf Nullwachstum ausgerichtete Wirtschaft prinzipiell möglich ist und sicher auch mit dem intuitiven Verständnis von Nachhaltigkeit besser korrespondiert als eine auf Wachstum ausgerichtete → Wirtschaftsordnung, so erscheint diese Lösung aus vier Gründen problematisch: (1) Solange Menschen mit Wohlfahrt auch Produkte verbinden, kann eine Verringerung des natürlichen Kapitalstocks nur dann zur Konstanz oder sogar Verbesserung des Wohlfahrtsniveaus führen, wenn gleichzeitig das Arsenal des künstlichen Kapitalstocks anwächst. Prinzipiell ist eine Entlastung der Umwelt durch höhere Effizienz ihrer Nutzung nur durch eine Erhöhung des künstlichen Kapitalstocks möglich, wenn die Wohlfahrt nicht sinken soll. Vieles spricht dafür, daß einer Erhöhung des künstlichen Kapitalstocks keine immanenten Beschränkungen entgegenstehen. Genährt wird diese Hoffnung vor allem durch die Erkenntnis, daß „Wissen“ ein produktiver Faktor
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ist, der sich beliebig vervielfältigen läßt (keine Rivalität). (2) Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus sind marktwirtschaftliche Ordnungen in unterschiedlicher Ausprägung zum weltweiten Standard geworden. Innerhalb dieser Ordnungen vollzieht sich der Strukturwandel nur durch Aussicht auf Wachstum. Im Prinzip könnten sich wachsende und schrumpfende Branchen die Waage halten; dies kann aber niemand von vornherein steuern. Sofern man an der Investitionsfreiheit festhält, ohne die marktwirtschaftliche Systeme nicht lebensfähig wären, muß auch mit Wachstum gerechnet werden. (3) Wenn man davon ausgeht, daß → Preise in einer Marktwirtschaft die relativen Knappheiten widerspiegeln, dann gibt es letztlich kein Argument dafür, warum man einen Zustand, in dem sich alle wohler fühlen als vorher, ablehnen sollte. Sofern die Marktunvollkommenheiten, die bei der Bewertung des natürlichen Kapitalstocks (und auch anderweitig) auftreten, durch die Festlegung neuer Spielregeln überwunden werden können, ist nichts dagegen einzuwenden, daß die Menschen ihre Lebensverhältnisse ständig verbessern wollen. (4) Nullwachstum ist bestenfalls für die in weitgehender Affluenz lebenden Industrienationen sinnvoll, aber sicher nicht für die in → Armut und Verelendung lebenden Menschen in den → Entwicklungsländern. Ein Konzept wie die nachhaltige Entwicklung sollte zumindest von den Grundprinzipien her für alle gelten, selbst wenn einzelne Elemente regional angepaßt werden müssen. Aus diesen vier Gründen erscheint es angebracht, den Mechanismus des Wachstums, der zweifelsohne Mitverursacher der negativen Umweltwirkungen gewesen – und immer noch – ist, als integralen Bestandteil eines nachhaltigen → Wirtschaftssystems anzuerkennen, ihn aber so mit neuem Leben zu versehen, daß er nicht mehr im Widerspruch zur zweiten Forderung, der nach Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen,
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steht. Als Begriff für eine nach bestimmten Kriterien gesteuerte oder beeinflußte wirtschaftliche Entwicklung hat sich der Terminus „qualitatives Wachstum“ eingebürgert. Dabei grenzt das Projekt den Qualitätsanspruch des Wachstums auf „ökologische“ Aspekte ein. Die ebenfalls häufig mit dem Begriff verbundenen sozialen oder politischen Vorgaben für wünschbare Entwicklungstendenzen sollen hier nicht explizit einbezogen werden, nicht etwa weil sie weniger wichtig wären, sondern weil sonst das Konzept der Nachhaltigkeit mit zu vielen (teils gegenläufigen) Forderungen überfrachtet und von zu vielen externen Werturteilen abhängig wäre. Qualitatives Wachstum bedeutet in diesem Sinne, daß sich die Ressourcenproduktivität im Prozeß der Wertschöpfung ständig erhöht. Die durch Wachstum erziele Erhöhung der Leistungen einer → Volkswirtschaft müssen mit immer geringeren Vorleistungen an nicht erneuerbaren Ressourcen und an Umweltbelastung erzielt werden. Das Ziel besteht darin, eine Parallele zu der historischen Leistung der enormen Erhöhung der → Arbeitsproduktivität pro Stunde zu schaffen und eine neue Ära der Erhöhung der Naturproduktivität (pro Einheit Energie oder Rohstoff) einzuläuten. Qualitatives Wachstum ist also dadurch gekennzeichnet, daß die reale Wohlfahrt einer Volkswirtschaft ansteigen kann, obgleich der Verbrauch an Ressourcen und die Belastung der Umwelt abnehmen. Dabei lassen sich drei Stadien von qualitativem Wachstum unterscheiden: ● In einer ersten Phase bedeutet qualitatives Wachstum, daß sich der Ressourceneinsatz pro Einheit → Bruttoinlandsprodukt stetig verringert. Jedes Produkt soll weniger Ressourcen verbrauchen als das vorhergegangene. Das gilt natürlich auch für die Nutzung der Umwelt als Senke für nicht mehr benötige Abfälle. Diese erste Phase des qualitativen Wachstums haben die meisten Industrieländer bereits bei den meisten Wirtschaftsgütern erreicht. ● In einer zweiten Phase bedeutet qualitatives Wachstum, daß sich der Ressourcen603
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einsatz pro Kopf der Bevölkerung stetig verringert. Hier kommt also hinzu, daß die Einspareffekte durch bessere Umweltnutzung höher sein müssen als die zusätzliche Ressourceninanspruchnahme durch Wachstum von Produktion und Konsum. Wachsen würden in der zweiten Phase nur solche Branchen, die überproportional hohe Wertschöpfung bei geringerem Verbrauch an Umwelt versprechen. Diese zweite Phase des qualitativen Wachstums ist nur in einigen wenigen Produktionszweigen bislang erfüllt. ● In einer dritten Phase bedeutet qualitatives Wachstum, daß sich der Ressourceneinsatz pro Volkswirtschaft und damit indirekt global verringert. Zweite und dritte Phase sind für Gesellschaften ohne Bevölkerungswachstum identisch. In den Ländern aber, in denen durch eine hohe Geburtenrate oder durch Migration die Bevölkerung weiter anwächst, muß in der dritten Phase auch der absolute Ressourceneinsatz abnehmen. Die dritte Phase des qualitativen Wachstums wird sich am schwersten realisieren lassen. Qualitatives Wachstum ist keine Illusion. Die durch den Fortschritt der Wissenschaft geschaffene neue Dimension einer Substitution von Material und Energie durch Software und Know-how eröffnet eine neue Dimension qualitativen Wachstums. Diese Innovationen schaffen die Basis dafür, daß sich die Bedingungen für die Verwirklichung der zweiten Phase des qualitativen Wachstums auf allen Sektoren einstellen. Natürlich gewähren auch die Zukunftstechnologien keine „Wertschöpfung zum Nulltarif“. Wirtschaftliches Wachstum, das sich zunehmend vom Ressourcenbedarf abkoppelt, ist weder nebenwirkungsfrei, noch kann es beliebig den Rohstoff- und Energieinput reduzieren. Es gibt keine hundertprozentige Kreislaufwirtschaft – zumindest nicht bei der heutigen Bevölkerungsdichte. Aber der Spielraum, der sich auftut, ist weit. In diesem Zusammenhang werden Potentiale zur Steigerung der Ressourcenproduktivität diskutiert. Sie lassen sich vereinfacht als Suffizienzstrategien bei der Rol604
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le der Verbraucher und Effizienzstrategien (Faktor-X-Innovationen) zur Steigerung der Ressourcenproduktivität v. a. bei den Unternehmen beschreiben. Der Gedanke verbesserter Ressourcennutzung wird v. a. durch Schmidt-Bleek (2007) bzw. Jäger (2007) vertreten (Motto: „Doppelter Wohlstand bei halbiertem Naturverbrauch“ = Faktor 4). Politische Umsetzungsebenen der Nachhaltigkeit beginnen bei Lokale-Agenda-21Initiativen, der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung, dem Cardiff-Prozess und der Lissabon-Strategie der Europäischen Union, den Projekten der Vereinten Nationen (Commission on Sustainable Development, UN-Konventionen, UN-Konferenzen), das in einem politischen Steuerungskonzept der „Global Governance“ mündet. Mit ihm verbindet sich der Versuch, angesichts erkennbarer politischer Steuerungsdefizite die vielfältigen globalen Probleme und die Phänomene des globalen Wandels beherrschbarer zu machen und Globalisierungsprozesse auf dem Hintergrund des Nachhaltigkeitsleitbildes zu gestalten. Dabei geht es auch um einen Umgang mit Verschiedenheit, der Klärung des Streits um Gerechtigkeit sowie Markt, Moral und Recht sowie Akteure und Institutionen im „nachhaltigen Weltregieren“ (Müller 2008, S. 258). Literatur: Brown, L./M. Renner/B. Halweil: Vital Signs – Zeichen der Zeit 2000/2001. Schlüsselindikatoren der Weltentwicklung, Schwalbach 2000; Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Umweltpolitik. Agenda 21, Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro, Dokumente, Bonn 1997; BUND/Misereor (Hg.): Zukunftsfähiges Deutschland. Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung, Basel-Boston-Berlin 1996; Erbrich, P.: Grenzen des Wachstums im Widerstreit der Meinungen. Leitlinien für eine nachhaltige, ökologische, soziale und ökonomische Entwicklung, Stuttgart 2004; Jäger, Jill: Was verträgt unsere Erde noch? Wege in die Nachhaltigkeit, Frankfurt 2007; Meyer, Bernd: Wie muss die Wirtschaft umgebaut werden? Perspektiven einer nachhal-
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tigen Entwicklung, Frankfurt 2008; Müller, Harald: Wie kann eine neue Weltordnung aussehen? Wege in eine nachhaltige Politik, Frankfurt 2008; Sen, Amartya: Ökonomie für den Menschen, München–Wien 2000; Schmit-Bleek, Friedrich: Nutzen wir die Erde richtig? Die Leistungen der Natur und die Arbeit des Menschen, Frankfurt 2007; Suchanek, Andreas: Normative Umweltökonomik. Zur Herleitung von Prinzipien rationaler Umweltpolitik, Tübingen 2000; Stern, Nicholas: The Economics of Climate Chance. The Stern Review, Cambridge 2007; Stiftung Entwicklung und Frieden: Globale Trends 2004/2005. Fakten, Analysen, Prognosen, Frankfurt 2003; Umweltbundesamt: Nachhaltiges Deutschland. Wege zu einer dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung, Berlin 1997; Weltbank (Hg.): Chancengerechtigkeit und Entwicklung. Weltenwicklungsbericht 2006, Kleve 2006; Worldwatch Institute (Hg.): Zur Lage der Welt 2008. Auf dem Weg zur nachhaltigen Marktwirtschaft? Münster 2008. Prof. Dr. Jürgen Lackmann, Weingarten Sympathiestreik → Streik. Synergetik → Chaostheorie, ökonomische. Syndikat straffste Form des → Kartells mit gemeinsamer zentraler Verkaufs- und Abrechnungsorganisation mit eigener → Rechtspersönlichkeit. System der sozialen Sicherung ⇒ soziales Netz ⇒ soziale Sicherung. System vorbestimmter Zeiten (SvZ) Begriff aus der → Arbeitsbewertung. Verfahren zur Ermittlung von Zeitvorgaben für manuelle Tätigkeit auf Grund differenzierter Mikrobewegungsstudien. Mit Hilfeexakt definierter Grundbewegungen (Hinlangen, Bringen, Greifen, Vorrichten, Fügen, Loslassen) werden Standardzeitwerte ermittelt und Bewegungstabellen gebildet, die die Bezugsleistung für die Messung des → Leistungsgrades normieren.
Szenariotechnik
Szenariotechnik 1. Ursprung. Die S. entstammt der strategischen Planung. Zunächst simulierten Militärstrategen Kriegskonstellationen und prüften die Erfolgsaussichten alternativer Kriegsstrategien. Alsbald entdeckten → Unternehmen die Methode, um sich auf mögliche Marktentwicklungen vorzubereiten, die in einer turbulenter werdenden Unternehmensumwelt immer weniger abschätzbar sind. Inzwischen nutzen Ministerien, Behörden und Bürgerinitiativen sie, um politische Probleme zu bearbeiten. Bekannt geworden ist das Szenario über die „Grenzen des Wachstums“ im gleichnamigen Bericht an den Club of Rome (1972). Gleiches gilt für die Szenarien über die „voraussichtlichen Veränderungen der Bevölkerung, der natürlichen Ressourcen und der Umwelt auf der Erde bis zum Ende dieses Jahrhunderts“ (unter anderem Klimaszenarien) in der Studie „Global 2000“ im Auftrag des amerikanischen Präsidenten Carter (1977). Für die → ökonomische Bildung wurde die S. vor allem von Weinbrenner (1995/1998) und Retzmann (1996/2001) adaptiert. 2. Bildungsziele. Folgende Ziele sollten damit im Ökonomieunterricht verfolgt werden: 1) Weltverständnis: Die wechselseitige Erschließung von Heranwachsendem und Welt (Klafki) ist infolge der zunehmenden Komplexität und Dynamik der technischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklung schwieriger geworden. Dafür sollen Szenarien Denkmodelle bieten. 2) Denken in Alternativen: Die S. soll es ermöglichen, Zukunft im Plural zu denken („Zukünfte“). Zugleich soll schon die Gegenwart als Resultat einer auch anders möglichen Entwicklung erscheinen. 3) Selbstwirksamkeitsüberzeugung: Die Heranwachsenden sollen sich als Gestalter ihrer eigenen Lebenssituation begreifen. Ein etwaiges Ohnmachtsgefühl soll der Einsicht weichen, dass die Zukunft individuell und politisch gestaltbar ist. 4) Lebensbewältigung: Die Schüler sollen aktuelle und zukünftige ökonomisch geprägte Lebenssituationen kompetent und autonom bewältigen können. Um die dafür erforderlichen → Kompetenzen zu entwickeln, müssen die Anforderungen an 605
Szenariotechnik
die Handelnden bekannt sein. Um diese wiederum zu bestimmen, müssen Lebenssituationen antizipiert werden. 3. Begriff. Szenarien sind verschriftlichte, hypothetische Zukunftsbilder von sozio-ökonomischen Realitätsausschnitten. Sie beschreiben Zukunftsalternativen anhand qualitativer Merkmale und quantitativer Daten in Form vernetzter Modelle. Szenarien bündeln alternative Projektionen von Veränderungen einzelner Einflussfaktoren und geben die Bedingungen an, die dazu führen können. Dadurch zeigen sie ein Spektrum möglicher Zukünfte auf. Der Zeithorizont kann kurz-, mittel- oder langfristig sein. Da sie systematisch entwickelt werden, ist ihre Entstehung intersubjektiv nachvollziehbar. 4. Abgrenzung. Szenarien sind von anderen Formen der Auseinandersetzung mit der Zukunft abzugrenzen. (1) Prognosen und Vorhersagen, z. B. globale Klimaprognosen oder Wettervorhersagen: Diese beruhen auf (natur)wissenschaftlichen Theorien, Beobachtungen bzw. Messungen und/ oder auf statistischen Extrapolationen von Trends. (2) Prophezeiungen: An die einmalige persönliche Gabe eines Propheten kann man nur glauben – oder eben auch nicht. (3) Utopien, wie sie z. B. in Zukunftswerkstätten entwickelt werden. Szenarien müssen möglich sein, obwohl sie unwahrscheinlich sein dürfen, denn nur dann kann man sich auf das Eintreten des Unwahrscheinlichen vorbereiten. (4) Visionen, d. h. rein normative Wunschvorstellungen einer Zukunft, wie sie sein soll. Gleichwohl bedarf es normativer Maßstäbe, um von Best- und Worst-Case-Szenarien zu sprechen. 5. Szenariotypen. Die einfachste Form sind spontane Ad-hoc-Szenarien, die sich durch die schlichte Frage „Was wäre, wenn …?“ stimulieren lassen. In der Regel wird eine strategisch wichtige Variable hypothetisch verändert, um herauszufinden, wie sich daraufhin alle anderen für die Situation relevanten Variablen verändern. Eine komplexere, sehr eingängige Form sind systematisch erarbeitete Best- und Worst-Case-Szenarien. Sie bündeln positive bzw. negative Entwicklungen einzelner Faktoren zu ei606
Szenariotechnik
nem Extrem-Szenario des betrachteten Realitätsausschnitts, z. B. in Form eines „Horrorszenarios“, das dem anderen Extrem – der bestmöglichen Entwicklung – kontrastierend gegenübergestellt wird. Trendszenarien schreiben die gegenwärtige Situation in die Zukunft fort. Üblicherweise werden diese drei Typen mittels des „SzenarioTrichters“ veranschaulicht (siehe Abb.). Alternative Szenarien können aber auch frei von derartigen Bewertungen sein, indem sie Zukünfte auf der Grundlage unterschiedlicher Megatrends (z. B. → Globalisierung, demografischer Wandel, Gleichberechtigung) modellieren. Best-Case-Szenario
Trend-Szenario
Worst-Case-Szenario
Gegenwart
kurzfristig
mittelfristig
langfristig
Zukunft
Abb.: Szenariotrichter mit Szenariotypen 6. Unterrichtsverlauf. Für die strategische Unternehmensplanung werden sehr komplexe Szenarien in einem sieben- bis achtstufigen Prozess systematisch und methodisch elaboriert entwickelt – gegebenenfalls sogar computerunterstützt. Im Ökonomieunterricht ist dagegen ein didaktisch stark vereinfachtes Vorgehen angemessen, das zumindest folgende Schritte beinhaltet: 1) Problemanalyse: Ausgangspunkt jedes Szenarios ist ein reales Problem. 2) Eingrenzung: Der modellierte Realitätsausschnitt muss sachlich, räumlich (z. B. lokal, regional, national, global) und zeitlich (kurze, mittlere, lange Frist) eingegrenzt werden. 3) Bestimmung von Einflussbereichen und Einflussfaktoren, die in dem betrachteten Realitätsausschnitt besonders wirksam sind. 4) Entwicklung zweier Extrem-Szenarien: Einzelne Projektionen auf Faktorenebene werden zu umfassenden und stimmigen Zukunftsbildern zusammengefasst. 5) Strategien und Maßnahmen, z. B. zur Ver-
Szenariotechnik
meidung des Worst-Case-Szenarios und zur Annäherung an das Best-Case-Szenario. 7. Potenziale. Der Mensch ist wohl das einzige Lebewesen, das seine eigene Zukunft antizipieren und darüber reflektieren kann. Nur er kann eine andere Realität als die Gegenwart entwerfen und danach streben, diese zu verwirklichen oder zu vermeiden. Diese spezifisch menschliche Fähigkeit kann für die Antizipation und Gestaltung der individuellen Zukunft, aber auch der Zukunft der Menschheit genutzt werden. Die S. lässt sich für die individuelle Lebens-, Berufs- und Karriereplanung (z. B. alternative Wege der beruflichen Entwicklung) ebenso nutzen, wie für die → Entrepreneurship-Education (z. B. alternative Marktentwicklungen als Teil des BusinessPlans). Es können aber auch politische Szenarien konstruiert werden, um zukunftsfähige, d. h. insbesondere sozial- und umweltverträgliche Formen des Wirtschaftens zu entwerfen und deren Umsetzung zu forcieren. Die spezifischen Leistungen der S. lassen sich wie folgt zusammenfassen: Szenarien machen die Möglichkeit alternativer Zukünfte anschaulich. Für Schüler ist dies gegebenenfalls ein notwendiger Anstoß, die eigenen Kräfte zu mobilisieren, um ihr Leben bestmöglich zu gestalten. Im Idealfall erwerben sie die Haltung, dass es meist viele Optionen gibt und Ausweglosigkeit eher eine Ausnahmeerscheinung darstellt. Zugleich wirken Szenarien einer Allmachtsphantasie entgegen, denn die prinzipielle Unsicherheit über die Zukunft ist und bleibt stets präsent, weil nicht die wahrscheinlichste Entwicklung, sondern eine mögliche Entwicklung modelliert wird, die so – aber auch anders – eintreten kann. 8. Grenzen. Die bloße Aufforderung zu kreativen Ad-hoc-Szenarien fördert noch nicht die Methodenkompetenz. Dazu müssen die Schüler die Methodik erlernen, wie intersubjektiv nachvollziehbare Szenarien systematisch entwickelt werden. Weil dies hohe Anforderungen stellt, findet der Schwierigkeitsgrad von Gegenstand und Vorgehensweise seine Grenze im Leistungsvermögen der Zielgruppe. Bei wiederholter Anwendung der S. kann die Schwierigkeit suk-
Szenariotechnik
zessive gesteigert werden. Gegebenenfalls ist es erforderlich, die Szenarioanalyse der Szenariokonstruktion vorzuschalten, um die Begriffe und methodischen Instrumente an fertigen Szenarien einzuüben, bevor den Schülern die Aufgabe gestellt werden kann, eigene Szenarien zu entwickeln. Die dafür erforderliche Zeit ist gewiss ein Anwendungshemmnis. Werden Best- und WorstCase-Szenarien von Gruppen entwickelt, deren Mitglieder gegensätzliche Wertesysteme haben, so führt dies zu Wertkonflikten. Wegen ihres Bildungspotenzials ist die S. dennoch neben der → Zukunftswerkstatt eine wichtige zukunftsorientierte Methode, die allerdings andere Schwerpunkte setzt und andere Zukünfte entwickelt (mögliche Szenarien statt utopischer Visionen). Literatur: Kaiser, Franz-Josef/Kaminski, Hans (1999): Methodik des ÖkonomieUnterrichts. 3. Aufl. Bad Heilbrunn/Obb., S. 207–231. Retzmann, Thomas (1996): Die Szenario-Technik – Eine Methode für ganzheitliches Lernen im Lernfeld Arbeitslehre. In: awt-info. Hrsg. v. der Forschungsstelle an der Pädagogischen Hochschule Weingarten, Bereich Arbeitslehre. 15. Jg., Heft 2, S. 13–19. Retzmann, Thomas (2001): Die Szenariotechnik – ein komplexes Lehr-/Lern-Arrangement für die interdisziplinäre politische Bildung im Fach Sozialwissenschaften. In: Gegenwartskunde. 50. Jg., Heft 3. S. 363–374. Retzmann, Thomas (2011): Szenarioanalyse und -konstruktion im Ökonomieunterricht. In: Ders. [Hrsg.]: Methodentraining für den Ökonomieunterricht 2. Schwalbach/Ts. Sprey, Michael (2003): Zukunftsorientiertes Lernen mit der Szenariomethode. Bad Heilbrunn/ Obb. Weinbrenner, Peter (1995): Auto 2010 – Ein Szenario zum Thema „Auto und Verkehr“. In: Bodo Steinmann/Birgit Weber [Hrsg.]: Handlungsorientierte Methoden in der Ökonomie. Neusäß, S. 432–441. Weinbrenner, Peter (1998): Auto 2010 – Die Szenariotechnik als Methode im lokalen Agenda-21-Prozeß. In: Heino Apel u. a. [Hrsg.]: Wege zur Zukunftsfähigkeit – ein Methodenhandbuch. Bonn, S. 136–158. Prof. Dr. Thomas Retzmann, Duisburg-Essen 607
Tätigkeitsschutz (für Betriebsratsmitglieder)
Tarifregister
T Tätigkeitsschutz (für Betriebsratsmitglieder) Soweit nicht zwingende betriebliche Notwendigkeiten entgegenstehen, haben Mitglieder des → Betriebsrates einschließlich eines Zeitraumes von einem Jahr nach Beendigung ihrer Amtszeit Anspruch auf Zuweisung einer höherwertigen Tätigkeit, wenn vergleichbare → Arbeitnehmer infolge der betriebsüblichen Entwicklung inzwischen solche ausüben (§ 37 Abs. 5 Betriebsverfassungsgesetz). Tagesgeld(konto) Form der Geldanlage, bei der der Anleger einem → Kreditinstitut einen bestimmten Betrag über einen unbestimmten Zeitraum (meist über 1–12 Monate) zur Verfügung stellt. Der Unterschied zum → Festgeld oder → Termingeld liegt in der täglichen Verfügbarkeit, derzufolge die → Verzinsung auch entsprechend niedriger ist (i. d. R. 2 – 4 v. H.). Siehe auch: → Kontensparen.
Tarifvertrages nicht mehr Mitglied einer der betreffenden Tarifvertragsparteien sind, es aber beim Abschluß des Tarifvertrages waren (die T. besteht für die Dauer des Tarifvertrages); (4) Mitglieder von → Verbänden, die ihrerseits Spitzenverbänden angehören, wenn diese selbst einen Tarifvertrag abgeschlossen haben; (5) Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die unterdie → Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Tarifvertrages fallen. Siehe auch: → Tarifvertrag. Tariffähigkeit → Tarifvertrag. Tarifgebundenheit ⇒ Tarifbindung. Tarifkommissionen die von den → Arbeitgeberverbänden und den → Gewerkschaften gebildeten Kommissionen zur Führung der Tarifvertragsverhandlungen (→ Tarifvertrag).
Tara (arab.), das Verpackungsgewicht einer Ware; . Bruttogewicht ⁄. Tara = Nettogewicht.
Tariflohn der im Rahmen eines → Tarifvertrages vereinbarte → Lohn (→ Ecklohn).
Tarifautonomie die den → Gewerkschaften und → Arbeitgeberverbänden durch Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (→ Koalitionsfreiheit) garantierte Freiheit, ihre arbeitsrechtlichen Beziehungen ohne staatliche Einmischung in → Tarifverträgen zu regeln. Der Staat tritt lediglich im → öffentlichen Dienst als → Tarifvertragspartei oder bei Schlichtungsverhandlungen (→ Schlichtungsrecht) als gebetener Vermittler auf.
Tarifnormen → Tarifvertrag.
Tarifbindung ⇒ Tarifgebundenheit Bindung an die Normen des → Tarifvertrages. Tarifgebunden sind: (1) → Arbeitgeber, die selbst → Tarifvertragspartei sind (→ Firmentarifvertrag); (2) Arbeitgeber und → Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt der Geltung eines Tarifvertrages Mitglied einer der betreffenden → Tarifvertragsparteien sind; (3) Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens eines 608
Tarifparteien ⇒ Sozialpartner ⇒ Arbeitsmakrtparteien ⇒ Tarifparner ⇒ Tarifvertragsparteien. Tarifpartner ⇒ Sozialpartner ⇒ Arbeitsmarktparteien ⇒ Tarifparteien ⇒ Tarifvertragsparteien. Tarifpolitik Gesamtheit der von den → Tarifvertragsparteien zur Einflußnahme auf den → Tarifvertrag ergriffenen Maßnahmen. Tarifregister beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales geführtes Verzeichnis, in dem Abschluß, Änderung, Beendigung und → Allgemeinverbindlichkeitserklärung von → Ta-
Tarifregister
rifverträgen eingetragen werden (§ 6 Tarifvertragsgesetz). Auch bei den Arbeitsministerien der Bundesländer werden T. geführt. Tarifvertrag ist die Vereinbarung zwischen einer → Gewerkschaft und einem → Arbeitgeberverband bzw. einem → Arbeitgeber mit dem Ziel, die → Arbeitsbedingungen in einer → Branche oder einem → Unternehmen generalisierend festzulegen. Der Begriff „T.“ ist anachronistisch, hat sich aber eingebürgert und erhalten seit frühindustriellen Zeiten, in denen die T. primär die Lohntarife der → Arbeiter festsetzten. Moderne T. regeln neben dem Entgelt alle denkbaren Aspekte des → Arbeitsverhältnisses. Zu beachten ist, daß der T. ausschließlich das „Wie“, nicht jedoch „Ob“ des Arbeitsverhältnisses regeln kann: Begründung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses finden ihren Rechtsgrund nicht im T., sondern in einem individuellen Rechtsakt zwischen → Arbeitnehmer und → Arbeitgeber (→ Arbeitsvertrag, Aufhebungsvertrag, → Kündigung). Wichtigste Rechtsnorm für die T. ist das → Tarifvertragsgesetz (TVG). T. müssen schriftlich geschlossen werden (§ 1 Abs. 2 TVG). Sie sind vom Arbeitgeber an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen (§ 8 TVG). Die Urschrift oder eine beglaubigte Kopie ist dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) kostenfrei innerhalb eines Monats nach Abschluß zu übersenden (§ 7 TVG), da das Ministerium ein – allgemein einsehbares – → Tarifregister führt (§ 6 TVG). Während auf Arbeitgeberseite auch ein einzelner Arbeitgeber Vertragspartei sein kann (Firmen- bzw. Haustarif), ist auf Arbeitnehmerseite nur eine Gewerkschaft abschlußberechtigt. Ein T. kann daher weder von einem → Betriebsrat noch von einer Mehrheit von Arbeitnehmern (z. B. in einer → Betriebsversammlung) geschlossen werden. Allerdings gibt es immer wieder politische Diskussionen darüber, ob den Betriebsräten – evtl. in Abhängigkeit von einem zusätzlichen Votum der Belegschaft – die Kompetenz eingeräumt werden soll, Abweichungen von Tarifklauseln zu vereinbaren („be-
Tarifvertrag
triebliche Bündnisse für Arbeit“). Das gegenwärtige Recht verbietet ein solches Vorgehen. § 77 Abs. 3 BetrVG untersagt den Betriebsräten, → Betriebsvereinbarungen über Materien zu schließen, die im T. geregelt sind, während umgekehrt die → Tarifparteien durchaus betriebsverfassungsrechtliche Fragen regeln dürfen (Tarifvorbehalt). Der Tarifvorbehalt beruht darauf, daß das Recht der Gewerkschaften, T. abzuschliessen, aus dem Grundgesetz abgeleitet wird (Art. 9 Abs. 3 GG), mithin als „Verfassungsgrundrecht“ der Gewerkschaften gilt. Daher ist es juristisch umstritten, ob und wie weit der Gesetzgeber in dieses Recht eingreifen darf. Der T. hat ein hybrides Wesen; er ist sowohl Vertrag als auch Rechtsnorm. Sein obligatorischer (vertraglicher) Teil bestimmt die Rechte und Pflichten der Tarifparteien. Dazu zählt neben den sog. Durchführungspflichten oder Regelungen zur Laufzeit bzw. Kündigung vor allem die → Friedenspflicht. Aus dem Abschluß des T. folgt automatisch, d. h. ohne daß es einer besonderen Vereinbarung darüber bedürfte, eine relative Friedenspflicht, die es den Parteien für die Laufzeit des Vertrags untersagt, wegen Forderungen, die tariflich geregelt sind, einen → Arbeitskampf auszurufen. Diese Verknüpfung zwischen T. und Arbeitskampf beruht auf ständiger Rechtsprechung; eine gesetzliche Regelung (z. B. in Form eines Streikgesetzes) existiert nicht. Der Abschluß eines (neuen) T. ist auch das einzig zulässige Streikziel. Funktionell im Vordergrund steht der normative Teil des T., der die inhaltlichen Regeln für die Arbeitsverhältnisse vorgibt. Der normative Teil verschafft dem einzelnen Arbeitnehmer – vergleichbar einer gesetzlichen Norm – zwingende Rechtsansprüche (§ 4 Abs. 1 TVG), die der Arbeitnehmer ggf. gegen den Arbeitgeber einklagen kann. Der Arbeitnehmer kann mit dem Arbeitgeber keine Arbeitsbedingungen vereinbaren, die von den tariflichen Mindeststandards nach unten abweichen; im Arbeitsvertrag dürfen allein „günstigere“ Regelungen getroffen werden (sog. → Günstigkeitsprinzip, § 4 Abs. 3 TVG). Die günstigeren Tarifnor609
Tarifvertrag
men verdrängen automatisch die „schlechteren“ Arbeitsvertragsregelungen. Traditionell spiegelt sich das Günstigkeitsprinzip im Dreiecksverhältnis Gesetz-T.-Arbeitsvertrag wider: Das Gesetz schreibt Mindestregeln vor, die keinesfalls unterschritten werden dürfen. Der T. baut darauf auf und „verbessert“ in breiterem Rahmen die gesetzlichen Standards. Der Arbeitsvertrag „verbessert“ dann noch einmal einzelne Tarifstandards. Die Regelungsmacht der Tarifparteien beschränkt sich ausschließlich auf das Setzen von Mindeststandards; folglich darf der T. den Arbeitsvertragsparteien die Vereinbarung günstigerer Arbeitsbedingungen nicht verbieten. Das TVG sagt indes nicht, was günstiger ist. Die Rechtsprechung läßt den Günstigkeitsvergleich lediglich innerhalb abgrenzbarer Sachgruppen zu (Lohn, Urlaub etc.); so kann ein Arbeitnehmer z. B. nicht auf Lohnbestandteile verzichten, um seinen Arbeitsplatz „sicherer“ zu machen. Die → Tarif bindung gilt bis zum Ablauf des T. (§ 3 Abs. 3 TVG). Tarifgebunden sind allerdings nur die Mitglieder der → Tarifvertragsparteien (§ 3 Abs. 1 TVG). Auf der Arbeitgeberseite ist demnach nur der Arbeitgeber gebunden, der Mitglied des tarifschließenden Arbeitgeberverbands ist, soweit er nicht unmittelbar einen Haustarif geschlossen hat. Der Arbeitgeber kann sich seiner Tarif bindung während der tarifvertraglichen Laufzeit auch nicht durch Austritt aus dem Arbeitgeberverband entziehen. Auf der Arbeitnehmerseite ist nur der Arbeitnehmer gebunden, der a) bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber beschäftigt ist und b) Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft ist. Fehlt es an der Gewerkschaftszugehörigkeit, besteht keine Tarif bindung, selbst wenn der Arbeitgeber tarifgebunden ist. Eine enge Ausnahme von diesem Grundsatz sieht § 3 Abs. 2 TVG für sog. betriebliche Fragen vor, d. h. für Materien, die aus organisatorischen Gründen einheitlich geregelt werden müssen (z. B. Betriebsöffnungszeiten, Gesundheitskontrollen etc.). Es ist jedoch zulässig, daß der Arbeitgeber dem nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer z. B. einen geringeren 610
Tarifvertrag
Lohn zahlt oder weniger Urlaub gewährt. Das verstößt nicht gegen den allgemeinen arbeitsrechtlichen → Gleichbehandlungsgrundsatz. Der normative Teil behält seine Wirksamkeit zunächst auch nach Ablauf des T. bei (sog. Nachwirkung); allerdings dürfen dann die Tarifnormen durch die Arbeitsvertragsparteien frei abgeändert werden (§ 4 Abs. 5 TVG), so daß das Günstigkeitsprinzip einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung „nach unten“ nicht mehr entgegenstünde. Um eine Umgehung des Schutzes, den die Nachwirkung des T. vermittelt, zu verhindern, erkennt die Rechtsprechung im Zweifel Vereinbarungen, die „auf Vorrat“ den Tarifstandard für die Zeit nach Ablauf der Tarif bindung unterschreiten, nicht an; denkbar ist eine Ausnahme von diesem Grundsatz allein dann, wenn die Vereinbarung zeitnah vor Ablauf der Tarif bindung mit dem Ziel geschlossen wird, eine sich auf Grund der Nachwirkung ergebende Situation spezifisch zu regeln. Wird dagegen ein früherer T. durch einen späteren abgelöst, ersetzen die Normen des neuen T. die alten Tarifnormen vollständig. Das Günstigkeitsprinzip findet keine Anwendung; eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen – z. B. im Wege eines Sanierungstarifvertrags – ist statthaft. In seltenen Fällen hat die Rechtsprechung unter dem Aspekt besonderen Vertrauensschutzes Ausnahmen von diesem Grundsatz zugelassen (z. B. bei Eingriffen in Betriebsrentenregelungen). In vielen Branchen und Betrieben ist es aus personalpolitischen Erwägungen üblich, die Tarifnormen auch auf „Außenseiter“, d. h. Arbeitnehmer ohne Gewerkschaftszugehörigkeit oder Arbeitnehmer, die Mitglied einer anderen als der tarifschließenden Gewerkschaft sind, zu erstrecken. Diese Erstreckung geschieht über eine Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag. Die Klausel enthält i. d. R. eine sog. dynamische Verweisung auf den „jeweils anwendbaren“ T. Die Tarifparteien dürfen den Arbeitsvertragsparteien die Vereinbarung solcher Bezugnahmeklauseln nicht verbieten; allerdings erlaubt die jüngste Rechtsprechung – anders als früher –, dass einzelne Tarifleistungen nur für Mitglieder der tarifschlies-
Tarifvertrag
senden Gewerkschaft vorgesehen sind, soweit der T. die freiwillige Gewährung seitens des Arbeitgebers an die Außenseiter nicht ausdrücklich untersagt (sog. einfache Differenzierungsklauseln). Umgekehrt dürfen die Tarifparteien den Arbeitgeber nicht verpflichten, die Tarifklauseln zwingend auch auf die Außenseiter anzuwenden, weil dies gegen die sog. negative → Koalitionsfreiheit der gewerkschaftlich nicht gebundenen Arbeitnehmer verstößt. Rechtsgrundlage für die über die Bezugnahmeklausel aus den Tarifnormen abgeleiteten Ansprüche bleibt der Arbeitsvertrag. Damit würde an sich das Günstigkeitsprinzip als Sperre eingreifen, falls es zu einer „verschlechternden“ Tarifablösung kommt. Um dieses Ergebnis zu vermeiden, bemühte die Rechtsprechung früher alle Kniffe der juristischen Auslegungskunst und interpretiert die Klauseln als „Gleichstellungsabreden“, d. h. als Regelungen, die allein die Gleichbehandlung der nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer mit den tarifgebundenen bezweckten. Auch hier hat die Rechtsprechung eine Wende vollzogen und prüft jetzt genau anhand des Wortlauts der Bezugnahmeklausel, ob sich aus ihr die Festschreibung eines bestimmten tariflichen Bestands oder der Wille, jeweils dem Tarifstandard zu folgen, herauslesen lässt. Wird der Betrieb veräußert, liegt ein sog. Betriebsübergang vor. Nach § 613a Abs. 1 BGB gehen die Arbeitsverhältnisse im veräußerten Betrieb unter Wahrung der vertraglichen Rechte und Pflichten auf den Erwerber über. Gilt im übernehmenden Unternehmen ein T., werden die Tarifnormen, die die Arbeitsverhältnisse im veräußerten Betrieb regeln, – ggf. verschlechternd – abgelöst. Voraussetzung dafür ist indes die beiderseitige Tarif bindung, d. h., es kommt zur Ablösung nur, falls der T. im übernehmenden Unternehmen von den gleichen Tarifparteien geschlossen wurde wie der T., der im übernommenen Betrieb gegolten hatte. Fehlt es an dieser Voraussetzung, transformieren sich die Tarifnormen, die im veräußerten Betrieb gegolten hatten, kraft Gesetzes in die Einzelarbeitsverhältnisse und dürfen innerhalb eines Jahres nach Be-
Tarifvertrag
triebsübergang nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden (sog. Veränderungssperre). Die Geltung des T. im Betrieb wird nicht durch die Eröffnung des → Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers beeinträchtigt. Für den Insolvenzverwalter ist das nur eingeschränkt belastend, weil er die Möglichkeit hat, kurzfristig und unter erleichterten Bedingungen die Arbeitsverhältnisse zu kündigen (§ 113 InsO). Allgemein rechtfertigen wirtschaftliche Probleme nach der Rechtsprechung nicht den fristlosen „Ausstieg“ aus der Tarif bindung. Um Entlassungen zu verhindern, werden die Gewerkschaften aber oft bereit sein, über einen Sanierungstarifvertrag zu verhandeln. Durch → Allgemeinverbindlicherklärung des BMAS kann die Tarif bindung ausnahmsweise auf alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer innerhalb des tariflichen Geltungsbereichs ausgedehnt werden (§ 5 TVG). Die Allgemeinverbindlicherklärung setzt voraus, daß sie im öffentlichen Interesse geboten ist. Für allgemeinverbindlich erklärte T. finden sich vor allem in gewerkschaftlich schwach organisierten Branchen (z. B. Baubranche). Das vorausgehende Verfahren ist relativ komplex; es verlangt u. a. den Antrag einer Tarifvertragspartei, das Einvernehmen des beim BMAS gebildeten Tarifausschusses, in dem die Spitzenverbände der Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertreten sind, sowie ein Beschäftigtenquorum, d. h., daß die bereits tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50 % der Arbeitnehmer des tariflichen Geltungsbereichs beschäftigen. Das → Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG), das ursprünglich erlassen worden war, um Lohndumping in der Baubranche durch den Einsatz von aus dem Ausland entsandten Arbeitern zu verhindern, erlaubt in ausgewählten Branchen die Allgemeinverbindlicherklärung von T. durch Rechtsverordnung mittels eines – gegenüber § 5 TVG – vereinfachten Verfahrens (§ 7 AEntG). Die Rechtsverordnung wird abhängig vom Abstimmungsverhältnis im Tarifausschuss entweder vom BMAS oder von der Bundesregierung insgesamt erlassen. Außer auf die Baubranche findet das Gesetz nach sei611
Tarifvertrag
ner letzten Fassung vom 20. 4. 2009 Anwendung auf die Gebäudereinigerbranche, Briefdienstleistungen, Sicherheitsdienste, Bergbauspezialarbeiten in Steinkohlebergwerken, Wäschereidienste im Objektkundengeschäft, Abfallentsorgung sowie Weiterbildungsdienstleistungen nach dem SGB (§ 4 AEntG); Sonderregeln gelten für den Pflegebereich (§§ 10 ff. AEntG). Schließlich ermöglicht das Mindestarbeitsbedingungengesetz (MiArbG) vom 22. 4. 2009 die Allgemeinverbindlicherklärung von Mindestentgelten. Beim BMAS jeweils für einzelne Wirtschaftszweige gebildete Fachausschüsse, in die Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter entsandt werden, bestimmen für diesen Wirtschaftszweig, soweit in ihm die tarifgebundenen Arbeitgeber bundesweit weniger als 50 % der unter diesen tariflichen Geltungsbereich fallenden Arbeitnehmer beschäftigen, Mindestarbeitsentgelte, die auf Vorschlag des BMAS von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung für verbindlich erklärt werden können (§§ l, 4 MiArbG). Arbeitgeber müssen dann diese Mindestarbeitsentgelte zahlen, selbst wenn für sie an sich ungünstigere Tariflöhne gelten; allerdings gibt es eine Bestandsschutzklausel für ungünstigere Tariflöhne in T., die vor dem 16. 7. 2008 geschlossen wurden, solange diese T. gelten bzw. auch für Nachfolgetarifverträge, die unmittelbar an die in ihrem Bestand geschützten T. anschließen (§ 8 MiArbG). Im Bereich der → Leiharbeit, die vom Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) geregelt wird, ist das Günstigkeitsprinzip regelrecht auf den Kopf gestellt. Vom Gesetz zunächst vorgesehen ist die Gleichstellung der verliehenen Arbeitnehmer hinsichtlich der Arbeitsbedingungen mit den vergleichbaren Arbeitnehmern im Entleihbetrieb (§ 9 Nr. 2 AÜG). Durch T. können von diesem gesetzlichen Standard nach unten abweichende Arbeitsbedingungen vereinbart werden. Darüber hinaus ermöglicht das Gesetz bei Vorliegen eines solchen T. die Übernahme des schlechteren Tarifstandards in die Arbeitsverträge von nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern. Dr. Roland Abele, Frankfurt a. M. 612
Taylor, Frederick Winslow
Tarifvertragsgesetz v. 25. 8. 1969 mit späteren Änderungen und Durchführungsverordnung regelt die gesamten Rechtsfolgen, die sich aus einem → Tarifvertrag und dessen → Allgemeinverbindlichkeitserklärung ergeben. Tarifvertragsparteien ⇒ Tarifpartner ⇒ Sozialpartner ⇒ Arbeitsmarktparteien die am Abschluß eines → Tarifvertrages beteiligten, tariffähigen (→ Tariffähigkeit) Parteien; d. s. auf Arbeitgeberseite neben den → Arbeitgeberverbänden jeder einzelne → Arbeitgeber, auf Arbeitnehmerseite lediglich die → Gewerkschaften. Taschengeldgeschäfte → Geschäftsfähigkeit. Taschengeldparagraph → Geschäftsfähigkeit. Tausch 1. volkswirtschaftlich: die Elementarform von → Wirtschaft schlechthin; Hingabe eines Gutes (Waren, → Dienstleistungen, → Geld) gegen ein anderes Gut. Der T. (u. damit der Wirtschaftsverkehr) wird dadurch veranlaßt, daß die → Wirtschaftssubjekte den → Wert der Güter, die sie erwerben wollen, im Zeitpunkt des T. höher einschätzen als den Wert der Güter, die sie hinzugeben bereit sind. 2. rechtlich: zweiseitiges → Rechtsgeschäft, bei dem eine Sache gegen eine andere Sache hingegeben wird. Auf den T. finden die Vorschriften über den → Kaufvertrag entsprechende Anwendung (§§ 515, 433 ff. Bürgerliches Gesetzbuch). Taylor, Frederick Winslow 1856 – 1915, amerikanischer Ingenieur und Betriebsberater, Vater des nach ihm benannten Taylor-Systems, das in seinem 1911 erschienenen berühmten Werk The Principles of Scientific Management (deutsch: Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung, München - Berlin 1917) seinen wesentlichen Niederschlag fand. → Taylorismus, → wissenschaftliche Betriebsführung.
Taylorismus
Taylorismus die auf die amerikanischen Ingenieure Frederick Winslow → Taylor und Frank Bunker Gilbreth (1863 – 1924) zurückreichende Theorie der → wissenschaftlichen Betriebsführung, die einen engen Zusammenhang von → Arbeitszufriedenheit und → Arbeitsproduktivität unterstellt und dabei den Arbeitsanreiz auf die Lohnzufriedenheit reduziert. Durch → Rationalisierung des Arbeitsablaufes (über Zeit- und Bewegungsstudien) sollen Produktivitätszuwächse realisiert und damit Lohnsteigerungen ermöglicht werden. Die Interessen von → Arbeitnehmern (höhere → Löhne) und → Arbeitgebern (höhere → Produktivität) werden als gleichgerichtet gesehen. – Diese technizistische Sicht der Arbeitswelt sowie die einseitige Auffassung der (ausschließlich) lohnbedingten Arbeitsmotivation erwiesen sich bald als unzureichend und damit als ergänzungsbedürftig. Der T. fand seine Gegenposition im Konzept der → sozialen Betriebsführung. TecDAX Abk. für Technologiewerte-Deutscher Aktienindex. Im Rahmen der Neuordnung der Aktienmarktsegmente 2003 eingeführter Aktienindex. Umfaßt die 30 größten in Deutschland gehandelten Technologiewerte unterhalb des → DAX. technischer Fortschritt Weiterentwicklung der Technik und damit der Produktionsverfahren und Produkte; mit anderen Worten: die Umsetzung von Erfindungen (inventions) in produktionstechnische und güterwirtschaftliche Neuerungen (innovations). Der t. ist Grundlage des betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Produktivitätszuwachses. Teilbesitzer → Besitz. Teilkaskoversicherung → Fahrzeugteilversicherung. Teilkündigung → Kündigung II., 2. Teilstreik → Streik.
Teilzahlungsgeschäfte
Teilurlaub Teil des einem → Arbeitnehmer zustehenden Urlaubs. Nach § 5 Abs. 1 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) hat ein Arbeitnehmer, der erst in der zweiten Hälfte eines Kalenderjahres in ein → Arbeitsverhältnis eintritt, Anspruch auf Gewährung eines T., da er in diesem Kalenderjahr nicht mehr die volle Wartezeit (6 Monate) erbringen kann. T. kann nach § 5 Abs. 1 BUrlG auch derjenige Arbeitnehmer beanspruchen, der vor erfüllter Wartezeit (d. h. vor Ablauf von 6 Monaten) sein Arbeitsverhältnis löst. – Derjenige Arbeitnehmer, der nach erfüllter Wartezeit in der ersten Hälfte eines Kalenderjahres sein Arbeitsverhältnis löst, hat ebenfalls einen T.-anspruch. Teilzahlung ⇒ Abschlagszahlung Zahlung eines Teilbetrages einer → Schuld. Eine T. muß vom → Gläubiger nur angenommen werden, wenn eine solche vertraglich vereinbart wurde (§ 266 Bürgerliches Gesetzbuch). Ausnahme: bei → Wechsel und → Scheck; hier darf der Inhaber eine T. nicht zurückweisen. Teilzahlungsgeschäfte T. (d. s. Geschäfte zwischen einem → Unternehmer und einem → Verbraucher, bei denen die Kaufpreissumme in Teilbeträgen beglichen wird) haben nach § 502 BGB n. F. bestimmten Formvorschriften zu genügen. Die vom Verbraucher zu unterzeichnende Vertragserklärung muß angeben: – den → Barzahlungspreis; – den → Teilzahlungspreis (Gesamtbetrag von Anzahlung und allen vom Verbraucher zu entrichtenden Teilzahlungen einschließlich Zinsen und sonstigen Kosten); – Betrag, Anzahl und Fälligkeit der einzelnen Teilzahlungen; – den → effektiven Jahreszins; – die Kosten einer Versicherung, die im Zusammenhang mit dem T. abgeschlossen wird; – die Vereinbarung eines → Eigentumsvorbehalts oder einer anderen zu bestellenden Sicherheit. 613
Teilzahlungsgeschäfte
Der Angabe eines Barzahlungspreises und eines effektiven Jahreszinses bedarf es nicht, wenn der Unternehmer nur gegen Teilzahlung Sachen liefert oder Leistungen erbringt. Das T. ist nichtig, wenn die → Schriftform nicht eingehalten ist oder wenn eine der vorgenannten Angaben fehlt. Dem Verbraucher steht nach § 355 BGB n. F. ein → Widerrufsrecht zu. Der Widerruf muß keine Begründung enthalten und ist in Textform oder durch Rücksendung der Sache innerhalb von zwei Wochen gegenüber dem Unternehmer zu erklären; zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung. Die Widerrufsfrist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem dem Verbraucher eine deutlich gestaltete Belehrung über sein Widerrufsrecht in Textform mitgeteilt worden ist. Bei Lieferung von Waren beginnt die Frist nicht vor dem Tag ihres Eingangs beim Empfänger. Das Widerrufsrecht erlischt spätestens sechs Monate nach Vertragsabschluß. Anstelle des Widerrufsrechts kann dem Verbraucher nach § 356 BGB n. F. ein Rückgaberecht eingeräumt werden. Der Unternehmer kann von einem T. wegen → Zahlungsverzuges des Verbrauchers nach § 503 Abs. 2 BGB n. F. nur dann zurücktreten, wenn – der Verbraucher mit mindestens zwei aufeinanderfolgenden Teilzahlungen ganz oder teilweise rückständig ist und – der Unternehmer dem Verbraucher erfolglos eine zweiwöchige Frist zur Zahlung des rückständigen Betrages mit der Erklärung gesetzt hat, daß er bei Nichtzahlung innerhalb der Frist die gesamte Restschuld verlange. Erfüllt der Verbraucher seine → Verbindlichkeiten aus dem T. vorzeitig, so vermindert sich der Teilzahlungspreis um die Zinsen und sonstigen laufzeitabhängigen Kosten, die bei gestaffelter Berechnung auf die Zeit nach der vorzeitigen Erfüllung entfallen. Teilzahlungspreis bei → Teilzahlungsgeschäften der vom → Verbraucher zu zahlende Gesamtbetrag von Anzahlung und allen zu entrichtenden 614
Teilzeitbeschäftigung
→ Teilzahlungen einschließlich → Zinsen und sonstigen Kosten. Teilzeitarbeit ⇒ Teilzeitbeschäftigung → Teilzeitarbeitsverhältnis. Teilzeitarbeitsverhältnis Nach § 2 Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (Teilzeit- und Befristungsgesetz-TzBfG) v. 1. 1. 2001 gelten alle diejenigen → Arbeitnehmer als teilzeitbeschäftigt, deren regelmäßige Wochenarbeitszeit kürzer ist als die der vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer des → Betriebes. In der Regel ist die tägliche → Arbeitszeit verkürzt. Als Teilzeitarbeit gilt aber auch, wenn ein Arbeitnehmer nur an einzelnen Tagen in der Woche oder im Monat arbeitet oder in unregelmäßigen Zeitabständen. Als teilzeitbeschäftigt gilt nach § 2 Abs. 2 TzBfG auch ein Arbeitnehmer, der eine geringfügige Beschäftigung (→ geringfügiges Beschäftigungsverhältnis) nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch ausübt. – Der Teilzeitarbeitsvertrag wird wie jeder andere → Arbeitsvertrag zwischen → Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschlossen. Dies kann ausdrücklich oder stillschweigend geschehen, befristet oder unbefristet. Auf das T. findet das → Arbeitsrecht mit seinen Schutzgesetzen im selben Umfang Anwendung wie auf das Vollzeitarbeitsverhältnis. Lediglich sozialversicherungsrechtlich und lohnsteuerrechtlich gelten für geringfügig beschäftigte Teilzeitarbeitnehmer zum Teil Sonderregelungen. Nach § 8 Abs. 7 TzBfG haben Arbeitnehmer in Betrieben mit mehr als 15 Mitarbeitern einen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit, wenn nicht betriebliche Gründe entgegenstehen. Teilzeitbeschäftigte dürfen nicht schlechter gestellt werden als Vollzeitkräfte, insbesondere hinsichtlich Entlohnung, Zusatzleistungen und → Weiterbildung. Teilzeitbeschäftigte → Teilzeitarbeitsverhältnis. Teilzeitbeschäftigung ⇒ Teilzeitarbeit → Teilzeitarbeitsverhältnis.
Telebanking
Telebanking ⇒ Electronic Banking. Telefondaten eine Erfassung von T. (unter Speicherung von Datum, Uhrzeit, Dauer, Zielnummer) ist – soweit Privatgespräche auf Diensttelefonen geführt werden – nach dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) zulässig. Eine Zustimmung des → Arbeitnehmers ist nach §§ 3 und 23 BDSG nicht erforderlich. Telefonwerbung Nach dem am 4. 8. 2009 in Kraft getretenen Gesetz zur Bekämpfung unerlaubter T. werden Werbeanrufe als unzumutbare Belästigung des jeweiligen Adressaten eingestuft. Einschlägige Anrufer müssen deshalb zu Beginn einer diesbezüglichen Kontaktaufnahme die Erlaubnis der kontaktierten Person hierfür einholen und dürfen ihre Telefonnummer nicht unterdrücken. – Verstöße gegen diese Vorgaben können mit Bußgeldern von bis zu 50 000 Euro belegt werden. Tele-Learning Lernangebote über das Internet. → computergestütztes Lernen. Tele-Teaching Lehrangebote über das Internet. Siehe auch: → computergestütztes Lernen. Tendenzbetriebe Bezeichnung des → Betriebsverfassungsgesetzes und des → Mitbestimmungsgesetzes für Einrichtungen (→ Betriebe, → Unternehmen), die unmittelbar und überwiegend bestimmte geistig-ideelle Zielsetzungen verfolgen, so insbesondere für Einrichtungen, die politischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen dienen (beispielsweise Büros und Betriebe der politischen Parteien, Verwaltungen und Einrichtungen der → Gewerkschaften u. → Arbeitgeberverbände, Wohlfahrtseinrichtungen, Heime, Schulen, Internate, Museen, Bibliotheken, Theater u. a.) sowie für Betriebe und Unternehmen auf dem Gebiet der Berichterstattung und der Meinungsäußerung (Zeitungen u. Zeitschriftenverlage, Nachrichtenagenturen, Rundfunk u. Fernsehanstalten).
Terms of Trade
Tendenzschutz die Nichtanwendung von Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes auf → Tendenzbetriebe, soweit die Eigenart dieser Betriebe einer Anwendung (solcher Vorschriften) entgegenstehen. Bei gesetzlichen → Beteiligungsrechten des → Betriebsrates wäre dies dann der Fall, wenn durch deren Ausübung die geistig-ideelle Zielsetzung des Betriebes ernstlich beeinträchtigt würde. Termineinlagen ⇒ Termingeld(er). Termingeld(er) ⇒ Termineinlagen meist größere (runde) Geldbeträge (etwa ab 5000 Euro), die – um entsprechende Zinserträge zu erzielen – für mindestens 30 Tage (u. normalerweise nicht länger als 1 Jahr) angelegt werden. Der von den Banken/Sparkassen auf diese gewährte → Zinssatz richtet sich außer nach der Höhe des Anlagebetrages nach der Anlagedauer. Je länger die Laufzeit, desto höher der Zinssatz! Siehe auch: → Kontensparen. Termingeschäfte Finanzkontrakte, deren Abschluß und Erfüllung zeitlich auseinanderfallen. Die häufigsten Formen von T. sind: → Optionen, → Futures und → Zertifikate. Terminmärkte → Märkte, auf denen → Termingeschäfte abgewickelt werden. Terms of Trade das internationale, reale Güteraustauschverhältnis, oder anders ausgedrückt: der in Einheiten anderer → Güter ausgedrückte → Preis eines international gehandelten Gutes auf dem Weltmarkt (A. Woll). Die T. sind somit ein Maß dafür, wieviel Einfuhrgüter gegen eine Einheit Ausfuhrgüter eingetauscht werden können. Statistisch werden die T. angegeben als das Verhältnis des Index der Ausfuhrpreise zu dem Index der Einfuhrpreise, gemessen in einer → Währung. Sinkende Einfuhrpreise bei konstanten oder steigenden Ausfuhrpreisen sowie steigende Ausfuhrpreise bei konstanten oder sinkenden Einfuhrpreisen bedeuten ei615
Terms of Trade
nen Anstieg und somit eine Verbesserung der T., da für die gleiche Exportmenge mehr importiert werden kann. Ein Sinken und somit eine Verschlechterung der T. ergibt sich aus einer Umkehrung der oben angeführten Prozesse. Testament letztwillige Verfügung, die eine Person über ihr → Vermögen im Hinblick auf ihren Tod trifft. Es lassen sich folgende Formen unterscheiden: 1. Das öffentliche T.: Es wird vor einem Amtsrichter oder einem Notar unter Hinzuziehung eines Urkundsbeamten oder (in besonderen Fällen) zweier Zeugen errichtet. Dabei kann der Erblasser seinen letzten Willen mündlich oder durch Übergabe einer offenen oder verschlossenen Schrift erklären (§ 2232 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). 2. Das eigenhändige T. (Privat-t.): Es wird vom Erblasser ohne Hinzuziehung einer Urkundsperson oder von Zeugen durch eine von ihm eigenhändig verfaßte und unterschriebene Erklärung errichtet. Orts- und Zeitangabe sind nicht erforderlich, aber zweckmäßig, da das letzte T. maßgebend ist (§§ 2247, 2253 ff. BGB). 3. Das Not-t.: Dieses außerordentliche T. kann in besonderen Fällen errichtet werden, so bei Todesgefahr vor zwei Zeugen zu Protokoll des Bürgermeisters, bei Verkehrssperre in gleicher Form oder mündlich vor drei Zeugen, während einer Seereise vor drei Zeugen (§§ 2249 – 2251 BGB). Es wird hinfällig, wenn der Erblasser drei Monate nach seiner Errichtung noch lebt (§ 2252 BGB). 4. Das gemeinschaftliche T.: Es kann nur von Ehegatten errichtet werden. Dies muß entweder eigenhändig (als Privat-t.) oder öffentlich (als öffentliches T.) erfolgen. Während beim öffentlichen T. der letzte Wille zu Protokoll gegeben wird, genügt beim Privat-t., wenn ein Ehegatte das gemeinschaftliche T. eigenhändig abfaßt und der andere dieses – möglichst unter Angabe von Ort und Zeit (Sollvorschrift!) – unterschreibt. 5. Das Berliner T. (§ 2269 BGB): Es ist eine beliebte Variante des gemeinschaftlichen T. Bei ihm setzen sich die Ehegatten gegenseitig als Erben ein und bestimmen, daß nach dem Tode des zuletzt Verstorbenen der beiderseitige Nachlaß einem Dritten (z. B. Kin616
Teufelskreis der Armut
der, Enkel) zufallen soll. Es darf im Zweifelsfalle angenommen werden, daß dieser Dritte (Schlußerbe) für den gesamten Nachlaß (d. h. das Vermögen beider Ehegatten) als Erbe des zuletzt verstorbenen Ehegatten eingesetzt ist. Die Befugnis zur Errichtung, Änderung oder Aufhebung eines T. setzt die → Testierfähigkeit des Erblassers voraus. Minderjährige ab 16 Jahren können nur ein öffentliches T. durch mündliche Erklärung oder Übergabe einer offenen Schrift vor einem Notar errichten. Ein → Vertrag, durch den sich jemand verpflichtet, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder nicht zu errichten, aufzuheben oder nicht aufzuheben, ist nichtig (→ Testierfreiheit). Testierfähigkeit Fähigkeit, ein → Testament rechtswirksam zu errichten. – Minderjährige über 16 Jahren sind nur beschränkt testierfähig; sie können nach §§ 2247 Abs. 4 und 2233 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) lediglich öffentliche Testamente (vor einem Notar) errichten. Rechtlich testierunfähig sind gemäß § 2229 Abs. 1 BGB Personen unter 16 Jahren sowie nach § 2229 Abs. 4 BGB Geistes- und Bewußtseingestörte. Faktisch testierunfähig sind nach § 2233 BGB stumme und schreibensunkundige Minderjährige sowie Stumme, die weder schreiben noch lesen können. Testierfreiheit Grundsatz des → Erbrechtes, demzufolge der Erblasser selbst durch Verfügung von Todes wegen bestimmen kann, an wen sein → Vermögen nach seinem Tode fallen soll. (Einschränkung nur durch → Pflichtteil!) Test of Economic Literacy ⇒ Wirtschaftsbildungstest → Schulleistungstest zur Messung der ökonomischen Bildung. Teufelskreis der Armut Argumentationsmuster zur Erklärung mangelhafter Entwicklung von Ländern. Es besagt in seiner einfachsten Darstellung folgendes: Armut bedeute Unterernährung, diese führe zu Krankheit und diese wieder-
Teufelskreis der Armut
um verwehre über eine aus ihr resultierende geringe → Arbeitsproduktivität den Ausbruch aus der Armut beziehungsweise verstärke diese; mit anderen Worten: Die Armut der Entwicklung setze sich zwangsläufig fort (siehe Schaubild 1).
Schaubild 1 Mehr ökonomisch akzentuiert lautet der Begründungszusammenhang: Das niedrige Produktionsniveau ließe nur geringe → Einkommen zu; zu geringe Einkommen ermöglichten nur geringe Ersparnisse und diese wiederum erlaubten nicht die als Voraussetzung einer Erhöhung des Produktionsniveaus erforderliche Kapitalbildung (→ Kapital) (siehe Schaubild 2). Unterentwicklung erweise sich als eine (ökonomische) Falle, aus der eine Befreiung aus eigener Kraft nicht möglich sei.
Schaubild 2 So einleuchtend diese Teufelskreise in ihrer inneren Logik erscheinen mögen, so wenig können sie als allgemeine Begründung von
Theorie der komparativen Kosten
Unterentwicklung und der Verharrung in dieser genügen. Die Ursachen von Unterentwicklung sind sicherlich recht unterschiedlich und bedürfen ebenso wie die Möglichkeiten ihrer Überwindung differenzierter Würdigung. Gerade in jüngster Zeit zeigen Länder wie Südkorea, Taiwan, Hongkong, Singapur auf äußerst eindrucksvolle Weise, daß Ausbrüche aus der Unterentwicklung auch ohne große fremde Hilfe durchaus möglich sind. Mit → Wachstumsraten (1980 – 2000) zwischen 50 und 80 % liessen sie in ihrem Entwicklungstempo selbst wirtschaftlich erfolgreiche Industrieländer deutlich hinter sich. Zweifelsohne können und sollen diese Beispiele nicht die fatale Situation beschönigen, in der sich viele → Entwicklungsländer befinden; sie liefern aber den Beweis dafür, daß Unterentwicklung sehr wohl im Wege eigener Anstrengungen zu begegnen ist. Keinesfalls kann aber aus der Tatsache der Unterentwicklung ein Anspruch auf staatliche Hilfe seitens der hochentwickelten Industrieländer abgeleitet werden. Siehe auch: → Entwicklungspolitik. theoretische Wirtschaftspolitik → Wirtschaftspolitik. Theorie der Bürokratie ⇒ Ökonomische Theorie der Bürokratie. Theorie der Eigentumsrechte ⇒ Theorie der Property Rights ⇒ Property Rights ⇒ Ökonomische Theorie der Eigentumsrechte. Theorie der komparativen Kosten → Volkswirtschaften nutzen die Möglichkeiten der internationalen → Arbeitsteilung. Sie produzieren in erster Linie solche → Güter, die sie günstiger als ausländische Volkswirtschaften herstellen können. Man spricht hierbei von absolut niedrigeren → Kosten beziehungsweise dem absoluten Kostenvorteil. Die USA haben beispielsweise weltweit einen absoluten Kostenvorteil beim Anbau von Weizen; Brasilien hingegen besitzt einen absoluten Kostenvorteil beim Anbau von Kaffee. Bei einem international vollständig freien Austausch der Güter führt 617
Theorie der komparativen Kosten
diese Situation dazu, dass die USA sich weitgehend auf die → Produktion von Weizen und Brasilien auf die von Kaffee beschränkt. Damit haben beide Länder Kostenvorteile. Diese Erkenntnis ist keineswegs neu. Sie wurde vielmehr bereits von dem englischen Wirtschaftswissenschaftler Adam → Smith (1723 – 1790) festgestellt. „Was aber vernünftig im Verhalten einer einzelnen Familie ist, kann für ein mächtiges Königreich kaum töricht sein. Kann uns also ein Land eine Ware liefern, die wir selbst nicht billiger herzustellen imstande sind, dann ist es für uns einfach vorteilhafter, sie mit einem Teil unserer Erzeugnisse zu kaufen, die wir wiederum günstiger als das Ausland herstellen können“ (Smith 1776). Der englische Nationalökonom David → Ricardo (1772 – 1823) führte in seiner T. 1817 den Nachweis, daß zwei Handelspartner selbst dann durch internationale Arbeitsteilung Vorteile ziehen können, wenn eines der Länder sämtliche Produkte billiger erzeugen kann. Man spricht in diesem Zusammenhang von komparativen (vergleichsweisen) Kostenvorteilen. Die im Kontext volkswirtschaftlicher Überlegungen zur Vorteilhaftigkeit des → Außenhandels und der internationalen Arbeitsteilung angesiedelte Theorie Ricardos löste die Vorstellungen des → Merkantilismus aus dem 17. Jahrhundert ab. Ziel der Merkantilisten war eine → aktive Handelsbilanz, das heißt, einen möglichst hohen Überschuß der → Exporte über die → Importe zu erzielen. Welches Interesse verbanden prominente Merkantilisten wie der Minister Ludwig des XIV., Baptiste Colbert (1619 – 1683) damit, mehr Geld im Ausland zu verdienen als dort auszugeben? Die Erklärung ist, damals wurde in Gold und Silber bezahlt: und was das Interesse des Landes war, bestimmte der König. Der schätzte nicht nur das Edelmetall als Schmuck und Statussymbol, er konnte es vor allem unmittelbar zur Finanzierung seiner Machtentfaltung ausgeben, für das Heer, die Flotte, die Kolonien usw. Die preußischen Könige nahmen dies zum Vorbild; gehortetes Gold, auf bewahrt im Ju618
Theorie der komparativen Kosten
liusturm des Spandauer Schlosses, war etwasanderes als die Ersparnisse des Staates in heimischer Währung heute: damit ließen sich Kriege finanzieren, ohne die Wirtschaftskraft des eigenen Volkes zu belasten. Man konnte es im Notfall für den Kauf ausländischer Waren verwenden (vgl. Wittekind 1994, S. 207). Den merkantilistischen Vorstellungen von der Vorteilhaftigkeit des Außenhandels folgt David Ricardos liberale Theorie in England, wonach dem freien Außenhandel das gleiche Prinzip zugrunde zu legen ist, wie dem Handel der → Wirtschaftssubjekte im Inland, nämlich die Arbeitsteilung. Nicht jeder kann alles produzieren, nicht gleich billig und nicht gleich gut und selbst, wenn – um einen Vergleich von Paul Samuelson zu gebrauchen – ein Rechtsanwalt einer Kleinstadt nicht nur ein guter Anwalt, sondern auch noch der beste Maschinenschreiber ist, lohnt es sich für ihn, eine Schreibdame zu engagieren, wird doch seine juristische Tätigkeit wesentlich besser entlohnt, als die Arbeit der Hilfskraft. So kommt nach Ricardo ein Handel zwischen zwei Ländern selbst dann zustande und verläuft zu beiderseitigem Vorteil, wenn das eine Land dem anderen in allen Produktionsbelangen (absolut) überlegen ist. Das Prinzip der komparativen Kosten besagt, daß sich dann jedes der beiden Länder auf diejenigen Produkte spezialisiert, die es besonders günstig herstellen kann (vgl. Wittekind 1994, S. 208). David Ricardo beschäftigte sich insbesondere mit dem Problem, daß mit dem absoluten Kostenvorteil (siehe oben) nur ein Teil des Außenhandels erklärt werden kann, denn wie verhält sich ein Land, das in der Lage ist, alle gewünschten Produkte zu geringeren Kosten herzustellen als das Ausland? Es hätte nach dem Prinzip des absoluten Kostenvorteils keinen Anreiz mit dem Ausland in Handelsbeziehungen zu treten. David Ricardo führte den Beweis, daß es unter bestimmten Voraussetzungen auch für ein solches Land von Vorteil sein kann, mit anderen Ländern Handel zu treiben. Er wählte ein Modell, in dem zwei Länder jeweils zwei Güter mit zwei → Produktions-
Theorie der komparativen Kosten
Theorie der komparativen Kosten
faktoren herstellen. Die Produktionskosten werden durch die Anzahl der eingesetzten Arbeitsmengen bestimmt, der Handel findet dabei in der Form des Naturalaustausches statt, also ohne Zwischenschaltung des Geldes als ein allgemein anerkanntes Zahlungsmittel. Als Beispiel (vgl. Funck 1968, S. 65 f.) sei angenommen, dass in den USA und Großbritannien pro Periode je 100 Arbeitseinheiten (AE) zur Verfügung stehen, mit denen alternativ folgende Gütermengen erzeugt werden können: Gut
USA
GB
Weizen
24
10
Leinen
18
16
Die USA haben also in der Erzeugung beider Güter einen absoluten Kostenvorteil, da sie bei einem vorgegebenen Arbeitseinsatz von beiden Gütern mehr produzieren als Großbritannien. Der Vorteil der Weizenproduktion ist indes größer als bei der des Leinens (24 : 10 > 18 : 16), während Großbritannien den geringeren Nachteil bzw. einen komparativen Vorteil bei der Leinenerzeugung hat. David Ricardos Behauptung ist nun, daß es von gemeinsamem Vorteil ist, wenn sich jedes Land auf die Güter spezialisiert und auch diejenigen ausschließlich produziert, für die es einen solchen komparativen Kostenvorteil besitzt und sie gegen das andere, ausschließlich vom Ausland hergestellte Gut, tauscht, sofern es die Eigenproduktion nicht selbst ganz verbraucht. Die USA produzieren und exportieren demnach den Weizen, Großbritannien das Leinen. Der beiderseitige Vorteil dieser Arbeitsteilung kann an dem genannten Zahlenbeispiel verdeutlicht werden. Die USA können maximal 24 Einheiten Weizen (E. W.) produzieren, die einen Verzicht auf 18 Einheiten Leinen (E. L.) bedeuten. Die Kosten einer Weizeneinheit betragen damit 0,75 Einheiten Leinen und die einer Leineneinheit 1,33 Weizeneinheiten. Für Großbritannien können die gleichen Überlegungen angestellt werden, so daß sich folgendes Preisverhältnis ergibt:
USA
GB
Weizenkosten
0,75 E. L. 1 E. W.
1,6 E. L. 1 E. W.
Leinenkosten
1,33 E. W. 0,625 E. W. 1 E. L. 1 E. L.
Hieraus sehen wir sofort, daß die Weizenproduktion in den USA, die Leinenproduktion dagegen in Großbritannien relativ kostengünstig ist, muß dieses Land doch für eine Einheit Tuch 0,625 Einheiten Weizen ausgeben, die USA aber 1,33. Diese im Zustand der → Autarktie geltenden Preise werden sich mit der Aufnahme von Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern einander angleichen. Spielt sich auf dem gemeinsamen → Markt für Weizen ein Preis zwischen 0,75 oder 1,6 Einheiten Tuch ein, z. B. 1,2, so haben beide Länder einen Vorteil davon, da die USA jetzt mehr Leinen als bisher für ihren Weizen eintauschen können, Großbritannien dagegen für den Kauf von Weizen weniger Leinen hergeben muß. Für beide Länder ist es damit vorteilhaft, ausschließlich jene Güter zu produzieren und zu tauschen, für die es einen komparativen Kostenvorteil besitzt. Damit kann der Gesamtverbrauch in beiden Ländern erhöht werden. So plausibel diese einfachen Überlegungen erscheinen mögen, so bleibt doch zu bedenken, daß es sich hierbei um ein Modell handelt, also um ein vereinfachtes Abbild der realen Welt. Es kann damit nicht die Richtung aller einzelnen Handelsströme erklären und ist insofern bereits häufig durch empirische Untersuchungen falsifiziert worden. Sein Wert aber besteht darin, daß es die entscheidenden Determinanten des Außenhandels aufdeckt, von zweitrangigen Einflussfaktoren abstrahiert und damit die relevanten Zusammenhänge erhellt (vgl. Funck 1968, S. 65 ff.). In der Entstehungszeit der T. war diese hilfreich im Kampf des damaligen Bürgertums gegen die Macht einzelner Händler, denen die englische Krone das alleinige Recht zum (Außen-)Handel mit bestimmten Gü619
Theorie der komparativen Kosten
tern verliehen hatte. Die Nationalstaaten auf dem Kontinent zogen zunächst keine praktischen Schlüsse aus den Überlegungen Ricardos. In Deutschland erdachte vielmehr Friedrich → List (1789 – 1846) seine Lehre von den „produktiven Kräften“, wonach es sinnvoll war, die Entwicklung der heimischen Wirtschaft durch → Schutzzölle gegen ausländische Güter zu fördern. Heute sind die Volkswirte und Wirtschaftspolitiker mehr oder minder Anhänger der Freihandelstheorie, das heißt einer Welt ohne Zölle und ohne quantitative oder qualitative Beschränkungen von Im- und Exporten, denn zu offenkundig geriet die internationale Arbeitsteilung im Verlaufe der Geschichte zum Vorteil insbesondere der Industrienationen. Literatur: Baßeler, U./Heinrich, J./Utecht, B.: Grundlagen und Probleme der Volkswirtschaft. 18. Aufl. – Köln 2006; Funck, R.: Außenwirtschaft. In: Ehrlicher, W. u. a. (Hrsg.): Kompendium der Volkswirtschaftslehre. Bd. II. Göttingen 1968, S. 65 – 104; Gahlen, B./Hardes, H.-D./Rahmeyer, F./ Schmidt, A.: Volkswirtschaftslehre. Eine problemorientierte Einführung. 20. Aufl. – Stuttgart 1999; Rose, K.: Theorie der Außenwirtschaft. 14. Aufl. – München 2006; Smith, Adam: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776); zit. Nach der 5. Aufl. (1789) übersetzt von H. C. Recktenwald. – München 1974. S. 371; Weitz, B. O. (Hrsg.): Betrifft Volkswirtschaft. 5. Aufl. – Troisdorf 2006; Wittekind, H.: Einführung in die Volkswirtschaftslehre. Opladen 1994. Prof. Dr. Bernd O. Weitz †, Köln Theorie der Property Rights ⇒ Property Rights ⇒ Ökonomische Theorie der Eigentumsrechte. Tiefstand → Depression. Tilgung I. allgemein: regelmäßige Ab- beziehungsweise Rückzahlung einer langfristigen 620
Tilgungsverrechnung
→ Schuld in Teilbeträgen, die in unterschiedlicher Weise berechnet werden. II. Die T. von → Schuldverschreibungen kann planmäßig und außerplanmäßig erfolgen. 1. Die planmäßige T. wird gemäß dem bei der → Emission der Schuldverschreibungen veröffentlichten T.-plan durchgeführt. Dabei ergeben sich folgende Möglichkeiten: (1) Rückzahlung der gesamten → Anleihe am Ende der → Laufzeit; (2) Rückzahlung entsprechend einer Auslosung von Serien, Reihen, Gruppen oder Endziffern; (3) freihändiger Rückkauf zu Lasten eines planmäßig dotierten T.-fonds. 2. Die außerplanmäßige T. umfaßt zusätzliche T., die zum Teil auf die planmäßige T. späterer Jahre angerechnet werden. Im einzelnen ergeben sich folgende Möglichkeiten: (1) Rückzahlung vorzeitig nach → Kündigung der gesamten Anleihe oder eines Teiles der Anleihe; (2) Rückzahlung entsprechend der Auslosung zusätzlicher Serien, Reihen, Gruppen oder Endziffern; (3) freihändiger Verkauf an der → Börse. Tilgungsverrechnung rechnerische Gestaltung einer → Tilgung. – Die über lange Jahre geübte Bankenpraxis, den Kunden zu monatlichen oder vierteljährlichen Tilgungszahlungen zu verpflichten, ihm jedoch die laufenden → Zinsen nach dem Schuldenstand vom Ende des vergangenen Kalenderjahres zu berechnen, ist heute nach verschiedenen höchstrichterlichen Urteilen nur noch unter der Voraussetzung aufrechtzuerhalten, daß die kundenbelastende Wirkung der T. von der Bank in ihren → Geschäftsbedingungen ausdrücklich dargelegt wird. Von dieser Regelung sind allerdings drei Fälle ausgenommen: (1) Die Finanzierung wurde vor dem 1. 4. 1977 abgeschlossen und es erfolgte danach keine Veränderung der Vertragsbedingungen, so zum Beispiel der Zinsen (eine Neufassung der Vertragsbedingungen bedeutet Abschluß eines neuen → Vertrages!); (2) der → effektive Jahreszins war bei Vertragsabschluß genau ausgewiesen; (3) dem Kreditnehmer wurde bereits bei Vertragsabschluß ein auf die Tilgungsregelung bezogener, verständlicher (nicht verklausulierter) Tilgungsplan ausgehändigt. – Allen anderen
Tilgungsverrechnung
durch ungerechtfertigte T. betroffenen Kunden zuerkennt der Bundesgerichtshof einen Anspruch auf Neuberechnung und Erstattung der zuviel geleisteten Beträge. Die Neuberechnung muß für den Kreditnehmer verständlich und übersichtlich sein sowie eine geordnete und nachvollziehbare Zusammenstellung der einzelnen Beträge enthalten. Die Bank darf dafür keine Kosten in Rechnung stellen. Die Pflicht der → Kreditinstitute zur Erstattung der von den Kreditnehmern (auf Grund der falschen T.) zuviel geleisteten Zinsen verjährt nach Bundesgerichtshofurteil erst nach 30 Jahren. Tobin-Steuer nach dem amerikanischen Ökonomen und Nobelpreisträger James Tobin (1918 – 2002) benannte Steuer auf (spekulative) Devisentransaktionen. Wird insbesondere von den Globalisierungsgegnern (→ Globalisierung) favorisiert. Tocqueville, Charles Alexis Henri Clérel de, * 1805 (Verneuil-sur-Seine) † 1859 (Cannes), französischer Jurist, Soziologe, Historiker und Politiker. Reiste 1831 im Dienst der Regierung in die Vereinigten Staaten von Amerika, um deren Strafvollzugssystem zu studieren. Ein „Nebenprodukt“ dieser Reise war sein Hauptwerk De la démocratie en Amérique (2 Bde., Paris 1835/1840). Dieses Buch enthält nicht nur Analysen, die die Entstehung und das Funktionieren der amerikanischen Demokratie in ihrem sozialen und historischen Kontext deuten. Sie behandelt auch auf grundsätzliche Weise das Spannungsverhältnis zwischen Demokratie und Gleichheit auf der einen und Freiheit auf der anderen Seite. Der Freiheit stets als Selbstzweck Vorrang gebend, begreift Tocqueville egalitäre Tendenzen als Gefahr. Nur unter den günstigen Umständen, die in Amerika vorherrschten, könne eine reine Demokratie liberal sein. Nach seiner Rückkehr nach Frankreich ging Tocqueville in die Politik, zunächst als Deputierter (1839 – 1848), dann – während der Februarrevolution – als Mitglied der Gesetzgebenden Versammlung. Hier wandte er sich als konstitutioneller Monarchist vor
Totalitarismus
allem gegen alle sozialistischen Bestrebungen. 1849 wurde er Außenminister. Nach dem Staatsstreich Louis Napoleons wurde Tocqueville verhaftet, aber bald entlassen. Danach folgte keine weitere politische Betätigung. 1856 veröffentlichte er sein zweites Hauptwerk L’Ancien Régime et la Révolution. Darin führt er das Umschlagen der Französischen Revolution in die Terrorherrschaft u. a. darauf zurück, daß sich die Revolutionäre und ihre Vordenker nie wirklich von den zentralistischen und etatistischen Vorstellungen der von ihnen bekämpften absolutistischen Monarchie gelöst hatten. Literatur: K. Herb/O. Hidalgo, Alexis de Tocqueville. Frankfurt/New York 2005; M. Hereth, Tocqueville zur Einführung, Hamburg 2001; K. Pisa, Alexis de Tocqueville: Prophet des Massenzeitalters, Stuttgart 1984. D. D. Torkontrolle körperliche Kontrolle (Leibesvisitation) der → Arbeitnehmer beim Verlassen des → Betriebes zur Vorbeugung gegen Werksdiebstähle; kann durch → Betriebsvereinbarung, → Arbeitsordnung, → Arbeitsvertrag, → Tarifvertrag oder Dienstvorschrift eingeführt werden. Die Einführung unterliegt der → Mitbestimmung des → Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz. Totalitarismus politische Gewaltherrschaft, unter der das gesamte politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche, kulturelle und weitgehend auch das persönliche Leben staatlich kontrolliert und entsprechend der herrschenden → Ideologie reglementiert (gleichgeschaltet) wird. Im Unterschied zu den alten Formen der Gewaltherrschaft, wie Tyrannis, Absolutismus u.ä., ist der T. eine Staatsordnung des Industriezeitalters mit modernen Technologien der Massenbeeinflussung, -kontrolle und -unterdrückung. Scheindemokratische Strukturen fungieren als Blendwerk. Die (monopolistische) Einheitspartei mit ihren staatstreuen Kadern sichert das System. 621
Trade-off
Trade-off Unvereinbarkeit von zwei Zielen. Die Verfolgung des einen geht zu Lasten des anderen. Trainee-Programme betriebsinterne Ausbildungsprogramme von unterschiedlicher Dauer (üblicherweise 6 – 18 Monate), meist für Hochschulabsolventen, als Vorbereitung auf mittlere Führungspositionen. M. M. B. Training off the Job → Fortbildung außerhalb der angestammten betrieblichen Arbeitsstätte. Training on the Job → Fortbildung am angestammten betrieblichen → Arbeitsplatz. Training near the Job → Fortbildung an einem der angestammten Beschäftigung verwandten betrieblichen → Arbeitsplatz. Träger der Wirtschaftspolitik → Wirtschaftspolitik. Transaktionskosten die mit der Abwicklung einer Transaktion (= ökonomische Aktivität) auf → Märkten oder in → Unternehmen entstehenden → Kosten, so zum Beispiel für Vertragsabschlüsse, zur Durchsetzung von Vertragsansprüchen bei Streitigkeiten, für Transport der → Güter, für Wartezeiten bis zur Verfügbarkeit. Transfereinkommen → Einkommen. Transferleistungen ⇒ Transferzahlungen ⇒ Transfers. Transfers ⇒ Transferleistungen ⇒ Transferzahlungen (lat.: transferre = übertragen) Zahlungen ohne ökonomische Gegenleistungen an → private Haushalte. Nach dem Geber der T. kann man staatliche und private T. unterscheiden. Staatliche T. sind zum Beispiel: Leistungen der → Sozialversicherung, Stipendien für Studenten, Beamtenpensionen. 622
Treu und Glauben
Private T. sind karitative Leistungen der Kirchen, Unterstützungszahlungen durch → Gewerkschaften (z. B. Streikgelder) und private Wohltätigkeitsvereine, Leistungen der privaten Versicherungen und schließlich Hilfeleistungen unter Verwandten. Transferzahlungen ⇒ Transferleistungen ⇒ Transfers. Trassat ⇒ Bezogener. Tratte (lat.: trahere = ziehen) gezogener → Wechsel, insbesondere der Wechsel, der vom → Bezogenen (Trassat) noch nicht angenommen (akzeptiert, → Annahme eines Wechsels) wurde. Treuepflicht 1. allgemein: Die Vertragspartnern aus ihrem Vertragsverhältnis erwachsende Pflicht, sich zueinander nach → Treu und Glauben zu verhalten. 2. im → Arbeitsrecht: Die dem → Arbeitgeber und → Arbeitnehmer aus einem → Arbeitsverhältnis erwachsende Pflicht, sich gegenseitig Schaden fernzuhalten. So obliegt dem Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer insbesondere eine → Fürsorgepflicht, während der Arbeitnehmer insbesondere der → Gehorsamspflicht, dem Verbot der Annahme von → Schmiergeldern, des Verrats von → Betriebsgeheimnissen und dem → Wettbewerbsverbot unterliegt. Die Verletzung der T. kann ein → wichtiger Grund zur → Kündigung sein und unter Umständen Ansprüche auf → Schadensersatz nach sich ziehen. Treuhand Rechtsverhältnis, bei dem eine Person (der Treugeber) ein bestimmtes Recht auf eine andere Person (den Treuhänder) mit der Auflage überträgt, von diesem (Recht) unter bestimmten Voraussetzungen in eigenem Namen in einem bestimmten Sinne Gebrauch zu machen. Treu und Glauben allgemeiner Grundsatz des Privatrechtes (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch), demzufolge jeder am Rechtsverkehr Beteiligte sich bei der Ausübung seiner Rechte und bei
Treu und Glauben
der Erfüllung seiner Pflichten so zu verhalten hat, wie es den herrschenden sozialethischen Wertvorstellungen entspricht. Wann ein Verstoß gegen T. vorliegt, kann nicht generell bestimmt, muß vielmehr fallweise entschieden werden. Trial and Error Problemlösungsmethode, die auf Versuch und Irrtum setzt und über die daraus resultierenden Handlungsänderungen den Zielpfad einengt. Trinkgelder besondere, meist freiwillige Zuwendungen für geleistete Dienste. Von → Arbeitnehmern vereinnahmte T. unterliegen nach dem Gesetz zur Steuerfreistellung von Arbeitnehmertrinkgeldern v. 8.8.2002 nicht mehr der → Einkommensteuer. Trittbrettfahrer-Verhalten ⇒ free rider position. Trucksystem → teilweise oder vollständige Entlohnung in Waren.
Typung
Trust horizontaler (d. h. im selben Produktionszweig) oder vertikaler (d. h. in unterschiedlichen Produktionszweigen) Zusammenschluß von → Unternehmen, die ihre wirtschaftliche und zumeist auch rechtliche Selbständigkeit aufgeben. Die sich zusammenschließenden Unternehmen verschmelzen (fusionieren, → Fusion) zu einem Unternehmen. Typenkartell Vereinbarung zwischen rechtlich und wirtschaftlich selbständig bleibenden → Unternehmen desselben Produktionszweiges über die einheitliche Anwendung von Typen (→ Typung). → Kartell. Typisierung ⇒ Typung. Typung ⇒ Typisierung Vereinheitlichung und damit die Beschränkung der Gestaltungsformen von zusammengesetzten mehrteiligen Produkten.
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Überbringerklausel
Überweisung
U Überbringerklausel → Scheck. Überbringerscheck ⇒ Inhaberscheck. Übergabe → Übereignung. Überlassungsvertrag (Leiharbeitsverhältnis) → Arbeitnehmerüberlassung. Überschuldung → Insolvenzverfahren → Verschuldung, private. Überstunden die die betriebliche → Arbeitszeit übersteigende Tätigkeit (i. G. zur → Mehrarbeit). Ob der → Arbeitgeber – außer in Notfällen oder bestimmten Ausnahmesituationen – allein aufgrund seines → Weisungsrechtes Ü. anordnen kann, ist umstritten. – Teilzeitbeschäftigte sind in der Regel nicht verpflichtet, Ü. zu leisten. Hochbezahlten → leitenden Angestellten sind Ü. zuzumuten (Urteil des Bundesarbeitsgerichtes v. 13. 6. 1967). Nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 Betriebsverfassungsgesetz ist die Einführung von Ü. mitbestimmungspflichtig (→ Mitbestimmung des → Betriebsrates in sozialen Angelegenheiten) und zwar auch dann, wenn der Arbeitgeber diese nur für einen → Arbeitnehmer vorsieht, vorausgesetzt allerdings, daß noch ein kollektiver Bezug vorliegt. Überstundenvergütung Abgeltung von → Überstunden in Geld. Für geleistete Überstunden (das ist die Zeit, um die die regelmäßige betriebliche → Arbeitszeit überschritten wird) sind Zuschläge nur zu zahlen, wenn dies durch → Tarifvertrag, → Betriebsvereinbarung oder Einzelvertrag vereinbart ist. Eine zusätzliche Vergütung für Überstunden (Überstundenzuschlag) setzt voraus, daß für die Überstundenarbeit als solche überhaupt eine Grundvergütung zu zahlen ist. Ein Überstundenzuschlag ist also nicht bei höheren Angestellten zu zahlen, bei denen Überstunden als durch das normale Gehalt abgegolten anzusehen sind. Bei → Auszubildenden muß eine Ü. ge624
zahlt werden; Überstunden dürfen bei diesen nicht durch verringerte Arbeitszeiten an den anderen Arbeitstagen ausgeglichen werden (§ 10 Abs. 3 Berufsbildungsgesetz). Überwachungseinrichtungen (betriebliche) technische Gerätschaften, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistungen der → Arbeitnehmer zu überwachen; ihre Einführung und Anwendung unterliegen dem → Mitbestimmungsrecht des → Betriebsrates (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz). → Persönlichkeitsschutz der Arbeitnehmer. Überwälzung ⇒ Steuerüberwälzung. Überweisung Als Ü. bezeichnet man den Vorgang, daß → Kreditinstitute einen zur Zahlung anstehenden Geldbetrag vom → Konto des Zahlers (durch Lastschrift) auf das Konto des Empfängers (als Gutschrift) umbuchen. Eine Ü. kann veranlaßt werden durch: 1. → Überweisungsauftrag, 2. → Dauerauftrag, 3. → Einzugsermächtigung, 4. → Abbuchungsauftrag. Seit Anfang 2008 ist der Ü.-verkehr in den 27 EU-Staaten sowie Island, Norwegen, Lichtenstein und der Schweiz durch die Realisierung eines einheitlichen europäischen Zahlungsverkehrsraumes (Single Euro Payments Area [→ SEPA]) normiert. In diesem Raum können nunmehr Firmen und Privatleute in beschleunigter Abwicklungszeit (ab 2012 innerhalb eines Tages) ohne Betragslimit zu Inlandskonditionen Ü. vornehmen. Sie benötigen die auf den hierfür geschaffenen Ü.-formularen ausgewiesenen/auszuweisenden internationalen Bankkontonummern (International Bank Account Number [IBAN]) vom Überweisenden und Begünstigen sowie die internationale Bankleitzahl (Bank Identifier Code [BIC]) des begünstigten Kreditinstituts. Das traditionelle Ü.-system wird für eine bislang noch nicht definitiv fixierte Übergangszeit im Parallelbetrieb beibehalten.
Überweisungsauftrag
Überweisungsauftrag formularmäßige Anweisung eines (→ Giro-) → Kontoinhabers an ein → Kreditinstitut, einen bestimmten Betrag an einen bestimmten (im Formular genannten) Empfänger, das heißt auf dessen im Formular genanntes Konto, zu überweisen (→ Überweisung). Das Kreditinstitut ist dabei streng an die Anweisung ihres Kunden gebunden. Sie hat die Überweisung strikt auf das vom Kunden angegebene Empfängerkonto vorzunehmen; eine etwaige Klausel in den → Geschäftsbedingungen, welche die Überweisung auch auf ein anderes Konto des Empfängers vorsieht, ist unwirksam. Solange der Betrag dem Empfänger noch nicht gutgeschrieben ist, kann der Ü. ohne Angabe eines Grundes jederzeit vom auftragerteilenden Kunden widerrufen werden. Siehe auch: → Überweisungsvertrag. Überweisungsbeschluß → Pfändungs- und Überweisungsbeschluß. Überweisungsverkehr → Überweisung. Überweisungsvertrag das nach §§ 676 a – 676 c BGB den → Überweisungsauftrag umfassende Rechtsinstitut. Überziehen Abheben eines das bestehende Guthaben oder den eingeräumten → Kredit eines Bankkontos übersteigenden Betrages. UG (haftungsbeschränkt) Abk. für: → Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt). Umgruppierung jede Änderung der → Eingruppierung von → Arbeitnehmern und damit jede Höherund Herabstufung wie auch jede Anpassung an Änderungen des für den → Betrieb maßgeblichen Gehalts- oder Lohnsystems. U. unterliegen als personelle Einzelmaßnahmen in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern der → Mitbestimmung des → Betriebsrates (§ 99 Betriebsverfassungsgesetz). Umkehr der Beweislast → Beweislast.
Umsatzsteuer
Umlageverfahren Finanzierungsform der gesetzlichen → Rentenversicherung, derzufolge die Erwerbstätigen aus ihrem → Einkommen Beiträge (zur Rentenversicherung) in solcher Höhe leisten (müssen), daß diese (Beiträge) die → Rente der sich im Ruhestand befindenden (Renten-)Anspruchsberechtigten sicherstellen (→ Generationenvertrag). Gegensatz: → Kapitaldeckungsverfahren. Umlaufvermögen Sammelbegriff für jene Vermögensteile, die einem → Unternehmen (im Gegensatz zum → Anlagevermögen) nicht dauerhaft angehören, sondern zum Verbrauch oder zur Weiterveräußerung (d. h. zum → Umsatz) bestimmt sind. Zum U. gehören insbesondere: → Roh-, → Hilfs- und → Betriebsstoffe, Halb- und Fertigfabrikate, → Forderungen, → Wertpapiere, → Schecks, Kassenbestände, Bankguthaben u. a. Umsatz Gesamtheit der verkauften Gütereinheiten (→ Güter) eines → Unternehmens; kann nach Menge und Wert differenziert betrachtet werden: (1) mengenmäßig: die nach Maß/ Gewicht bemessenen verkauften Gütermengen (d. i. der Absatz); (2) wertmäßig: die mit ihren → Preisen multiplizierten verkauften Gütermengen (d. i. der Erlös). Umsatzsteuer ⇒ Mehrwertsteuer auf alle entgeltlichen Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Rahmen einer selbständigen gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit ausführt, auf den → Eigenverbrauch sowie auf die → Einfuhr in das Zollgebiet (Einfuhrumsatzsteuer) erhobene → Steuer. Ihre rechtliche Grundlage bildet das Umsatzsteuergesetz (UStG) in der Fassung von 1999 und die Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung von 1999 mit späteren Änderungen. Von der U. befreit sind nach § 4 UStG unter anderem: Ausfuhrlieferungen und Lohnveredlungen an Gegenständen der → Ausfuhr, → Umsätze für die Seeschiffahrt und die Luftfahrt, grenzüberschreitende Beförderungen von Gegenständen, die Gewährung von → Krediten, Umsätze im Einla625
Umsatzsteuer
gengeschäft wie auch im → Zahlungs- und Überweisungsverkehr (→ Überweisung), die Vermietung (→ Miete) und Verpachtung (→ Pacht) von Grundstücken, die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Krankengymnast oder aus einer heilberuflichen Tätigkeit, die Umsätze der gesetzlichen Träger der → Sozialversicherung, die Leistungen der anerkannten Wohlfahrtsverbände, der staatlichen oder gemeindlichen Theater, Orchester, Museen, Archive und Büchereien, die Beherbergung sowie die Erbringung von Naturalleistungen in Einrichtungen, die überwiegend Jugendliche zu Erziehungs-, Ausbildungs-, Fortbildungs- oder Pflegezwecken aufnehmen. Bemessungsgrundlage der Besteuerung sind in der Regel die zwischen dem Lieferanten und Empfänger einer Ware oder Dienstleistung vereinbarten, nur um die U. gekürzten Entgelte (§ 16 Abs. 1 UStG). Entgeltminderungen wie → Rabatte, → Skonti, Wechselzinsen, Nachlässe und Forderungsausfälle dürfen in Abzug gebracht werden. Nicht zum Entgelt gehören Beträge, die ein Unternehmen im Namen und für Rechnung eines anderen vereinbart und verausgabt, so zum Beispiel U., Versandfrachten, → Versicherungsprämien, ferner Auslagen von Spediteuren, Frachtführern und → Handelsvertretern für ihre Auftraggeber (§ 10 Abs. 1 UStG, sogenannte durchlaufende Posten). Bei Eigenverbrauch werden als Bemessungsgrundlage herangezogen (§ 10 Abs. 4 UStG): (1) bei Entnahme von Gegenständen: der gemeine Wert (d. i. der Einkaufswert); (2) bei Verwendung von Gegenständen: die → Kosten, → Aufwendungen. Bei Einfuhr gilt als Bemessungsgrundlage der Zollwert zuzüglich → Zoll, → Verbrauchsteuer und Beförderungskosten bis zum ersten inländischen Bestimmungsort (§ 11 UStG). Bei zollfreier Einfuhr tritt an die Stelle des Zollwertes das Entgelt. Der Steuersatz beträgt (seit 1. 1. 2007) in der Regel 19 vom Hundert (§ 12 Abs. 1 UStG). Ein ermäßigter Steuersatz von 7 vom Hundert gilt nach § 12 Abs. 2 UStG für: (1) Lieferungen, Eigenverbrauch, Einfuhr und unionsinternen Erwerb bestimmter Gegen626
Umsatzsteuer
stände (die in einer Anlage zum UStG zusammengestellt sind), insbesondere landwirtschaftliche Erzeugnisse, Bücher, Zeitschriften, Noten; (2) die Vermietung der in der Anlage zum UStG aufgeführten Gegenstände; (3) die Tätigkeiten von → Körperschaften und Anstalten, die gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwekken dienen, und andere mehr; (4) Hotelübernachtungen (seit 1. 1. 2010). – Jeder Unternehmer, der steuerpflichtige Lieferungen oder sonstige Leistungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 u. 3 UStG ausführt, ist berechtigt und, soweit er diese Lieferungen und Leistungen an einen anderen Unternehmer und für dessen Unternehmen erbringt, auf dessen Verlangen verpflichtet, Rechnungen auszustellen, in denen die Steuer gesondert ausgewiesen ist. Die Rechnungen müssen außerdem Namen und Anschrift des Lieferanten und des Empfängers, Gegenstand und Zeitpunkt der Lieferung sowie das Entgelt enthalten (§ 14 Abs. 1 UStG). Von der geschuldeten U. können in Abzug gebracht werden: (1) die auf den Eingangsrechnungen ausgewiesenen Steuerbeträge (als Vorsteuer, Vorsteuerabzug), (2) die entrichtete Einfuhrumsatzsteuer. – Vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist nach § 15 Abs. 2 UStG die Steuer für Lieferungen, die Einfuhr und den unionsinternen Erwerb von Gegenständen sowie für die sonstigen Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung folgender Umsätze verwendet: (1) steuerfreie Umsätze, (2) Umsätze außerhalb des Erhebungsgebietes, die steuerfrei wären, wenn sie im Erhebungsgebiet ausgeführt würden; (3) unentgeltliche Lieferungen und sonstige Leistungen, die steuerfrei wären, wenn sie gegen Entgelt ausgeführt würden. Der Unternehmer hat nach § 18 Abs. 1 UStG bis zum 10. Tag nach Ablauf jedes Kalendermonats (Voranmeldungszeitraum) eine Voranmeldung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck abzugeben, in dem er die Steuer für den Voranmeldezeitraum selbst zu berechnen hat. Gleichzeitig hat er die entsprechende Vorauszahlung zu leisten, die sich durch Abzug der Vorsteuer von der Steuerschuld ergibt. Übersteigt die Summe
Umsatzsteuer
der abziehbaren Vorsteuer die Steuerschuld, wird dem Steuerschuldner der Überschuß erstattet. – Für das abgelaufene Kalenderjahr (oder für einen eventuell kürzeren Besteuerungszeitraum) hat der Unternehmer eine (Umsatz-)Steuererklärung abzugeben. Nach dieser (Selbst-)Veranlagung erhält er einen (Umsatz-)Steuerbescheid (§ 18 Abs. 3 UStG). Die monatlichen Vorauszahlungen bemessen sich nach der Jahres-(umsatz-) steuerschuld. Beträgt die letzte Jahressteuerschuld weniger als 6136 Euro, so ist der Unternehmer erst nach Vierteljahresschluß zur Voranmeldung verpflichtet (§ 18 Abs. 2 UStG). Besondere Regelungen sieht das Gesetz (§ 19 UStG) für Kleinunternehmer vor. Falls bei diesen der Umsatz im Vorjahr 17 500 Euro nicht überstiegen hat und im laufenden Kalenderjahr 50 000 Euro voraussichtlich nicht übersteigen wird, wird von ihnen keine U. erhoben. Umsatzsteuerbescheid → Umsatzsteuer. Umsatzsteuererklärung → Umsatzsteuer. Umschulung, berufliche → berufliche Umschulung. Umverteilung ⇒ Redistribution → Einkommensumverteilung → Vermögensumverteilung. Umverteilungspolitik (degenerative) Entwicklungsform der → Sozialpolitik, die sich insbesondere seit den 1970er Jahren zunehmend mit dem Ziel einer Egalisierung der individuellen → Einkommen (u. → Vermögen) durchzusetzen vermochte. Tatsächlich nahm in der Zwischenzeit der Umfang der → Einkommensumverteilung durch → Steuern (progressive Gestaltung der → Lohn- u. → Einkommensteuer [→ Steuerprogression]), → Sozialabgaben und → Transfers erheblich zu. Diese Entwicklung führte vor allem im Kernbereich der Sozialpolitik zu beträchtlichen Kostensteigerungen. Folgeerscheinungen: Wettbewerbsverzerrungen, Produktionsdrosselungen, Arbeitskräftefreisetzun-
Umwelterziehung
gen, Produktionsauslagerungen in Länder mit niedrigeren → Löhnen und (bedeutend) niedrigeren → Lohnnebenkosten, Staatsverdrossenheit. Umwelt 1. generell: „Komplex der Beziehungen einer Lebenseinheit zu ihrer spezifischen Umgebung“; … sie ist „stets auf Lebewesen bezogen und kann nicht unabhängig von diesen existieren oder verwendet werden“ (Sachverständigenrat für Umweltfragen), sie vereint diese gleichsam in spezifischen Teilsystemen (→ Ökosystemen). 2. speziell: Lebensraum des Menschen, dem vier zentrale Funktionen (Umweltfunktionen) zukommen: (1) Die Versorgung der Gesellschaft mit Produkten und → Gütern zur Befriedigung von Elementarbedürfnissen beziehungsweise zur Ermöglichung von → Produktion (Produktionsfunktion); (2) die Aufnahme der Aktivitäten, Erzeugnisse und Abfälle menschlichen Handelns (Trägerfunktion); (3) der Austausch von Informationen (Informationsfunktion); (4) der Ausgleich des durch den Menschen beanspruchten und belasteten Naturhaushaltes (Regelungsfunktion). Umweltabgaben Zwangsabgaben auf die Verursachung von (Schadstoff-)→ Emissionen. Diesen Zwangsabgaben unterliegt die Absicht, bei den Verursachern von Emissionen Anstrengungen auszulösen, diese zu vermeiden oder einzuschränken, das heißt zusätzlichen → Umweltschutz in Anspruch zu nehmen beziehungsweise Umweltschutztechnik weiterzuentwickeln. Umwelt-Audit ⇒ Öko-Audit. Umweltbenutzungslizenzen ⇒ Umweltlizenzen ⇒ Umweltzertifikate ⇒ Emissionszertifikate. Umwelterziehung In Produktions- und Arbeitsprozessen, mit Konsum- und Freizeitaktivitäten nutzen und belasten Menschen ihre → Umwelt. Anliegen der U. muß es sein, dazu beizutragen, daß Menschen ihre Handlungen im 627
Umwelterziehung
Hinblick auf die Umwelt bewußt gestalten und an einem Leitziel orientieren. Dieses Leitziel könnte – angesichts der besorgniserregenden, die Existenz der Menschheit bedrohenden weltweiten Umweltprobleme – Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen heißen. Bereitschaft und Befähigung, an der Gestaltung der Umwelt im Sinne dieses Ziels mitzuwirken, läßt sich als ökologische → Handlungskompetenz bezeichnen. Diese erfordert Sachkompetenz (Umweltwissen), Wertekompetenz (Umweltbewußtsein) sowie Individual- und Sozialkompetenz, um Umweltwissen – geleitet vom Umweltbewußtsein – in selbständige, eigen- und mitverantwortete Umweltentscheidungen und -handlungen umsetzen zu können. Unumstritten ist, daß ökonomisch-fachwissenschaftlich fundierte Curricula in ihrer fachspezifischen Beschränkung nur einen Beitrag, nicht aber die alleinige Grundlage für zielorientierte Umweltentscheidungen und -handlungen liefern können. Angesichts unterschiedlicher inhaltlicher Vorstellungen über ökologische Handlungskompetenz ist allerdings umstritten, wie dieser ökonomische Beitrag aussehen kann. Es lassen sich zwei didaktisch-methodische Konzeptionen zur U. im Hinblick auf ihre fachwissenschaftliche Orientierung grundlegend voneinander unterscheiden (vgl. Weber 1997): (1) In einer ersten Gruppe von Ansätzen, zu der im Rahmen der → Verbraucherbildung insbesondere Krol (1993, Diermann/Krol 1993) und im Rahmen der → beruflichen Bildung Nibbrig (1988, 1991) sowie die Autoren eines Modellversuchs zur Umweltbildung an kaufmännischen Schulen (Kaiser u. a. 1993) beitragen, wird die ökologische Handlungskompetenz in → Haushalten und → Betrieben im Rahmen der die bestehende → Wirtschaftsordnung kennzeichnenden ökonomischen → Rationalität gesehen. Dabei erfolgen jedoch unterschiedliche Gewichtungen: Während die konsumorientierten volkswirtschaftlichen Konzepte (1 a) von der Wirksamkeit eines ökonomischen Verhaltensmodells ausgehen, nach dem Individuen eigennützig und rational handeln, 628
Umwelterziehung
und dieses (zumindest kurzfristig) am erfolgreichsten tun, wenn sie sich an der Verbesserung des Umweltzustandes nicht beteiligen (→ Gefangenendilemma), betonen die arbeitsorientierten betriebswirtschaftlichen Konzepte (1 b) die Spielräume, die in → Unternehmen im Rahmen der ökonomischen Rationalität bestehen, um ein aktives, innovatives, offensives und antizipatives Umweltverhalten entwickeln zu können. Aus dieser fachwissenschaftlichen Orientierung erwächst eine ökologische Handlungskompetenz, die zum einen auf die Mitgestaltung ökologisch und ökonomisch effizienter staatlicher Rahmenbedingungen und Maßnahmen abzielt und die zum anderen auf sachkompetente, flexible, engagierte und kreative Nutzung der Instrumentarien umweltgerechten Verhaltens innerhalb dieser Rahmenbedingungen vertraut. Zu den Inhalten für die Vermittlung dieser Handlungskompetenz gehören Analysen der ökonomisch-ökologischen Zusammenhänge, der Umweltsituation und ihrer Ursachen, der Ansatzpunkte und Maßnahmen einer ökologisch und ökonomisch effizienten → Umweltpolitik, vor allem aber der Möglichkeiten eines individuellen umweltgerechten Verhaltens im privaten, öffentlichen und beruflichen Bereich sowie ihrer Restriktionen. Dabei wird zunehmend auf die theoretischen Erkenntnisse der → Institutionenökonomik zurückgegriffen. (2) In einer zweiten Gruppe von Ansätzen, die insbesondere Weinbrenner (1989), Buddensiek (1991) und Lackmann (1991) vertreten, wird die ökologische Handlungskompetenz eher in Abhängigkeit von einer Erweiterung der ökonomischen Rationalität gesehen. Aus der Globalität der Umweltkrise sowie einer stärkeren Gewichtung der Bedrohung der Menschheit wird die Notwendigkeit gefolgert, das geltende Wachstumsparadigma und die vorherrschenden ökonomisch rationalen Verhaltensweisen durch ein Begrenzungsparadigma in Richtung auf einen sozial- und umweltverträglichen Lebensstil zu verändern. Auf diese Weise soll Verantwortung für die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen für die jetzige und
Umwelterziehung
für zukünftige Generationen übernommen werden. Alle Bürger sollen sich dabei ineinem offenen Diskurs an der ökologischen Gestaltung der → Wirtschaft (→ Gesellschaft) beteiligen. Aus dieser fachwissenschaftlichen Orientierung resultiert eine ökologische Handlungskompetenz, die sich in Anerkennung einer auf Umweltverträglichkeit ausgerichteten Rationalität an der Minimierung der ökologischen Folgen des eigenen individuellen und des politischen Verhaltens sowie an der Suche nach alternativen Lebensformen für eine (sozial- und) umweltverträgliche Zukunft orientiert. Zu den Inhalten für die Vermittlung dieser Handlungskompetenz gehören in erster Linie eine Analyse der ökologischen Folgen des Alltagshandelns, der Industriegesellschaft und des → Wachstums sowie eine kritische Auseinandersetzung zugrundeliegender Denkformen, Einstellungen und Werte. Wichtig ist darüber hinaus – wie auch in der ersten Gruppe von Ansätzen – ein Methodeneinsatz, der Individual- und Sozialkompetenz fördert, um auf die (erfolgreiche) Teilnahme am gesellschaftlichen Diskurs zur Zukunftsgestaltung vorzubereiten. (3) Eine Zusammenfassung und Bewertung der beiden Ansätze gibt – stark vereinfacht – folgendes Bild: Der erste Ansatz zielt auf Umweltwissen und Umweltbewußtsein, um zum einen für die hauptsächlich vom Staat getragene ökologische Weiterentwicklung der bestehenden Wirtschaftsordnung einzutreten und um zum anderen alle Möglichkeiten zu nutzen, innerhalb dieses (sich verändernden) Rahmens umweltbewußt und zielorientiert zu handeln. Der zweite Ansatz zielt auf Umweltwissen und Hervorbringung eines veränderten Umweltbewußtseins, um an der ökologischen Weiterentwicklung der Wirtschaft bzw. Gesellschaft durch Begrenzung von Ansprüchen mitzuwirken. So gesehen verhalten sich beide Ansätze komplementär zueinander. Sie sind im Lichte einer auf Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen ausgerichteten ökologischen Handlungskompetenz miteinander zu verknüpfen, um den möglichen Beitrag der
Umwelterziehung
Ökonomie zur U. vollständig zu beschreiben. Für eine Verknüpfung sprechen folgende Gründe: 1.: Da unbestritten ist, daß neben dem → Verursacher- und Vorsorgeprinzip die Kooperation zwischen den handelnden Menschen Voraussetzung für eine (erfolgreiche) Umweltpolitik ist, können in einer Demokratie staatliche Rahmenbedingungen nur dann so verändert werden, daß sie ein ökologisch und ökonomisch effizientes Verhalten auslösen (Ansatz 1 a), wenn gleichzeitig das Bewußtsein der Menschen in Richtung auf Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen verändert wird (insbesondere Ansatz 2). 2.: Die Erfahrung zeigt, daß (in die Zukunft weisende) ethische Orientierungen, wie die Verantwortung für zukünftige Generationen, Menschen der → Dritten Welt und die Natur (Ansätze 1 b und 2), sich gegenüber dem die ökonomischen Handlungen leitenden → Selbstinteresse nur selten behaupten können, so daß Ethiker die Ergänzung individualethischer um sozial(struktur)ethische Ansätze in Form der Gestaltung von Rahmenbedingungen für erforderlich halten (Ansatz 1 a). 3.: Die Beschäftigung mit der globalen Umweltkrise macht deutlich, daß ihre Bewältigung nur gelingen kann, wenn die Industrieländer Umweltnutzungen und -belastungen abbauen, um Raum zu schaffen für bescheidene Entwicklungen in Ländern der Dritten Welt und so die Umwelt für künftig lebende Generationen zu erhalten. Zum umweltgerechten Wirtschaften (Ansatz 1) muß deshalb eine Begrenzung umweltbelastender Ansprüche (Ansatz 2) treten. 4. Eine Zusammenfassung der möglichen Beiträge der ökonomischen Bildung zur U. kann sich angesichts der globalen Dimension der Umweltprobleme nicht auf individuelles und politisches Handeln in Nationalstaaten beschränken (vgl. Weber 1997): Im Rahmen internationaler Wirtschaftsbeziehungen erfolgt nämlich in den Nationalstaaten eine Verschiebung von Verantwortung, so daß Urteilsfähigkeit darüber erforderlich wird, 629
Umwelterziehung
– ob es sich um globale, grenzüberschreitende oder nationale Umweltschäden handelt – inwieweit internationale Kooperation notwendig oder nationale Alleingänge möglich sind, – welche unterschiedlichen umweltpolitischen Instrumente zur Lösung beitragen können. Durch einschlägige Erkenntnisse wird die ökologische Handlungskompetenz des ersten Ansatzes in notwendiger Weise erweitert, während die Kenntnis von tragfähigen Konzepten zur Einschränkung armutsbedingter Umweltzerstörung und wohlstandsbedingter Verschwendung knapper Umweltgüter die ökologische Handlungskompetenz des zweiten Ansatzes stärkt. U. muß mehr leisten, als jungen Menschen das Hineinwachsen in vorgefundene (bzw. sich verändernde) ökonomisch-ökologische Strukturen zu erleichtern; sie muß auch dazu beitragen, Strukturen, die dem Ziel der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Wege stehen, zu verändern. Ökologische Handlungskompetenz hat immer auch eine emanzipatorische Komponente. Wenn es um den langfristigen Prozeß der Schaffung eines geänderten Umweltbewußtseins als Voraussetzung für eine nachhaltige ökologische Entwicklung in der Welt geht, ist die Erziehung zuallererst gefragt. Literatur: Buddensiek, W.: Wege zur ÖkoSchule. Lichtenau 1991; Diermann, H./ Krol, G.-J.: Umweltbildung/Umwelterziehung in der Sekundarstufe I – Eine Methodenkonzeption zur unterrichtlichen Aufarbeitung ökologischer und sozialökonomischer Aspekte. In: Verbrauchererziehung und Wirtschaftliche Bildung 4/1993, S. 1 – 16; Kaiser, F.-J./Siggemann, M./Brettschneider, V./Flottmann, H.: Umweltbildung. Unterrichtsbausteine für die Höhere Berufsfachschule. Lernprogramm zur Umweltbildung an kaufmännischen Schulen (LUKAS), Paderborn 1993; Krol, G.-J.: Umweltprobleme aus ökonomischer Sicht – Zur Relevanz der Umweltökonomie für die Umweltbildung. In: May H. (Hrsg.), Handbuch zur ökonomischen Bildung 9. Aufl., München 2008, S. 483 – 507; Lackmann, J.: 630
Umweltökonomie
Wirtschaft und Umwelt. In: Lackmann, J. (Hrsg.), Arbeit und Beruf im Spannungsfeld von technischer Entwicklung und Ökologie. Braunschweig 1991, S. 235 – 250; Nibbrig, B.: Betrieblicher Umweltschutz. In: Verbrauchererziehung und Wirtschaftliche Bildung, 4/1991, S. 1 – 15; Weber, B.: Handlungsorientierte ökonomische Bildung: Nachhaltige Entwicklung und Weltwirtschaftsordnung. Neusäß 1997; Weinbrenner, P.: Die Zukunft der Industriegesellschaft im Spannungsfeld von Fortschritt und Risiko sowie Ökonomie und Ökologie im politischen Interessenkonflikt. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.) 1989, S. 29 – 50, S. 332 – 380. Prof. Dr. Bodo Steinmann/ Prof. Dr. Birgit Weber, Bielefeld Umweltlizenzen ⇒ Umweltbenutzungslizenzen ⇒ Umweltzertifikate ⇒ Emissionszertifikate. Umweltökonomie (1) Die U. geht von der Erkenntnis aus, daß alle wirtschaftlichen Prozesse der Güterentstehung, -verteilung und -verwendung die → Umwelt nutzen und belasten. Zum einen nehmen alle → Produktionen die Umwelt als → Produktionsfaktor in Anspruch (z. B. durch den Abbau von Rohstoff- und Energievorräten, durch den Anbau landwirtschaftlicher Produkte sowie durch die Verwendung als Standort für Produktions-, Verkehrs-, Wohn- und Freizeitzwecke). Dabei führt die Verwendung nicht erneuerbarer natürlicher → Ressourcen und des Bodens zu einer Verringerung der begrenzten Vorräte. Dadurch wird – abgesehen von der Verschlechterung der Aussichten für die zukünftige Produktions- und Konsumtätigkeit – über eine Einschränkung des Lebensraums für Tiere und Pflanzen und über eine Verminderung der Regenerationsfähigkeit der Natur die Lebensqualität der Menschen beeinträchtigt. Zum anderen wird die Umwelt als ein Bekken zur Aufnahme von Produkten genutzt, die im Wirtschaftsprozeß nicht (weiter)verwendet werden, weil sie bei Produktion und
Umweltökonomie
→ Konsum unerwünscht sind (Abfallprodukte). Hierbei handelt es sich vor allem um Emissionen von Abfallstoffen (Stäuben, Abgasen, Abwässer), von Abfallenergien (Lärm, Abwärme, Strahlung) und von festen Abfällen in Form von Müll. Diese an die Atmosphäre, den Boden, das Wasser abgegebenen Abfallprodukte der Produktions- und Konsumprozesse werden – unter Einbeziehung der Verteilungs- und Umwandlungsfähigkeit der Natur – u. U. zu Schadstoffen, zu Imissionen. Schadstoffe (wie Lärm, Gifte in Atemluft, Boden und Trinkwasser, sowie Strahlung) gefährden nicht nur unmittelbar die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen. Sie wirken auch mittelbar über eine Schädigung von Tier- und Pflanzenwelt (Aussterben von Vogel- und Säugetierarten, Speicherung von Giften in Nahrungsmitteln, verminderte Wuchsleistung von Pflanzen) und von → Sachgütern (z. B. Korrosion von Baudenkmälern) gefährdend auf die Menschen ein. Des weiteren liegt der U. die Erkenntnis zugrunde, daß die im Rahmen der bestehenden → Wirtschaftsordnung auf Güterversorgung ausgerichteten Wirtschaftsprozesse die Erhaltung der Umwelt vernachlässigen. Dafür gibt es zahlreiche Indizien wie Klimaveränderungen, Zerstörung der Wälder, Verschmutzung der Meere und Flüsse, Belastung des Grundwassers, Bedrohung der Artenvielfalt etc. – Erscheinungen, zu denen vor allem die Industrienationen mit ihrer auf materiellen Wohlstand ausgerichteten Lebensweise beitragen. (2) Diese Erkenntnisse bestimmen die Aufgaben der U. auf allen Ebenen der ökonomischen Betrachtung: auf der betriebswirtschaftlichen, der volkswirtschaftlichen und der internationalen Ebene. Dieser Artikel konzentriert sich auf die volkswirtschaftliche U., die folgende Aufgaben hat: Sie muß – Ursachen für die Vernachlässigung der Umwelterhaltung in Wirtschaftsordnung und -abläufen ergründen; – Zielvorgaben und Prinzipien einer Politik zur Erhaltung der Umwelt diskutieren, – ursachenadäquate, ziel- und prinzipienbezogene Instrumente der → Umwelt-
Umweltökonomie
politik im Hinblick auf ihre ökologische und ökonomische Wirksamkeit sowie ihre Einsatzbedingungen hin untersuchen und schließlich – diese Überlegungen zu konzeptionellen Beiträgen für eine ökologische Ausgestaltung der Wirtschaft bzw. Wirtschaftsordnung verdichten. (3) Ursachen: Die marktwirtschaftliche Ordnung vertraut bei der Realisierung einer bestmöglichen Güterversorgung im Kern auf das → Selbstinteresse der Individuen, für das als wichtigste kontrollierende Kraft ein unter Wettbewerbsbedingungen funktionierender → Marktmechanismus wirkt. Informationen werden in diesem System dadurch geliefert, daß Marktteilnehmer ihre Kauf- und Verkaufsabsichten mit dazugehörigen Preis- und Mengenangaben am → Markt ankündigen. Da unterstellt werden kann, daß es der natürliche Trieb des einzelnen ist, seine Wirtschaftslage zu verbessern (→ Gewinnmaximierung, Ausgabenminimierung) und sein → Eigentum zu vermehren, folgen daraus Reaktionen, die die bestmögliche Produktion bewirken – und das ist die, die am Markt mit den größten → Gewinnen honoriert wird, weil sie sich zur Befriedigung der dort artikulierten → Bedürfnisse besonders eignet (äußere Rationalität), und die, die mit einem ökonomischen Einsatz der knappen Produktionsfaktoren erfolgt (innere Rationalität). Eine Ordnung, die sich in dieser Weise an den Grundsätzen der äußeren und inneren Rationalität (Lenkung der Produktion durch → Nachfrage und → Kosten) orientiert, trägt der Erhaltung der Umwelt nur ungenügend Rechnung, denn Umweltmedien haben die Eigenschaft von Kollektivgütern, d. h. von ihrer Nutzung, aber auch ihrer Beschädigung kann niemand ausgeschlossen werden. So setzen die Nachfrager im marktwirtschaftlichen System zum einen kaum in ausreichender Weise Signale, die → Unternehmen veranlassen, umweltfreundlicher zu produzieren, da ihre i. d. R. mit höheren Kosten belastete umweltfreundliche Handlung in ihrer Wirkung ungewiß ist (→ Gefangenendilemma). 631
Umweltökonomie
Zum anderen verhalten sich Unternehmen rational und systemgerecht, wenn sie alle Möglichkeiten der Kosteneinsparung nutzen, und dazu gehört auch, entstehende Kosten durch Umweltnutzung und -belastung soweit wie möglich auf die Gesellschaft auszulagern (→ externe Effekte). Auch die Nutzung erschöpf barer Ressourcen erfolgt unter ökonomischem Kalkül und nicht nach Abbauregeln, die die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, auch für zukünftige Generationen, zum Gegenstand haben. Wird das Gefangenendilemma nicht korrigiert und die Entstehung negativer externer Effekte nicht verhindert, dann bedeutet ein Wachstum der Produktion auch immer ein Wachstum von Schadstoff belastung und Ressourcenverbrauch. (4) Ziele und Prinzipien: Defizite bei den ordnungsgestaltenden Grundsätzen der äusseren und inneren Rationalität im Hinblick auf die Erhaltung der Umwelt begründen die Notwendigkeit staatlicher Interventionen. Diese sind auf ökologische Ziele und Prinzipien hin zu konzipieren. Aus der globalen Umweltbetrachtung stammt das Ziel einer ökologisch tragfähigen Entwicklung, womit eine langfristige und umfassende Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen gemeint ist. Um dieses Ziel erreichen zu können, müßten bestimmte Regeln bei der Nutzung erneuerbarer und nicht-erneuerbarer Ressourcen sowie bei der Belastung der Ökosysteme mit Schadstoffen eingehalten werden. Zur Erreichung dieses Ziels soll sich die Umweltpolitik an den Prinzipien der Verursachung, der Vorsorge und der Kooperation orientieren. Durch die Anwendung des Verursacherprinzips wird erreicht, daß diejenigen, die die Umwelt belasten, auch die Kostentragen und nicht die Allgemeinheit. Die Fehlallokation der Produktionsfaktoren, die durch Vernachlässigung der Umwelt entsteht, wird korrigiert, und aus dem Selbstinteresse heraus entwickeln sich Anreize zur Verminderung von Umweltnutzung und -belastung. Das Vorsorgeprinzip führt zur Schonung von Ressourcen. Anstelle einer nachträg632
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lichen Kompensation von Schäden erfolgt eine kostengünstigere präventive Umweltpolitik, so daß nicht revidierbare Folgeschäden vermieden werden. Mit Beachtung des Kooperationsprinzips auf nationaler und internationaler Ebene schließlich werden ökologische und ökonomische Ineffizienzen vermieden, die bei der Durchsetzung von Maßnahmen gegen Widerstreben oder im Alleingang entstehen. (5) Instrumente der Umweltpolitik: Um das Ziel einer ökologisch tragfähigen Entwicklung zu realisieren und Umweltprinzipien anzuwenden, stehen zahlreiche Instrumente zur Verfügung, von denen die wichtigsten im folgenden genannt werden sollen: Im Rahmen einer auf Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen ausgerichteten → Umwelterziehung, einer auf Gebiete, Ressorts und Projekte bezogenen Umweltplanung staatlicher Behörden und eines durch Umwelthaftung, Grundrecht oder Staatsziel sowie Verbandsklage gekennzeichneten Umweltrechts werden – neben den subsidiären Selbstverpflichtungsabkommen der Wirtschaft gegenüber dem Staat – im wesentlichen drei Kategorien von Instrumenten diskutiert: Flexible Umweltauflagen (Kompensationen), → Umweltsteuern und → -abgaben sowie Zertifikate. Diese Instrumente weisen im Hinblick auf ihre ökologische Wirksamkeit, ihre ökonomische Effizienz und ihre Einsatzbedingungen erhebliche Unterschiede auf. Sie sind immer dann geeignet, in ursachenadäquaten, ziel- und prinzipienbezogenen Maßnahmenkonzepten eingesetzt zu werden, wenn sie – praktikabel und politisch durchsetzbar – Anreize zur Reduzierung von Umweltnutzung und -belastung bieten und wenn sich diese Reduzierung auf möglichst kostengünstige Weise verwirklichen läßt. (6) Überlegungen zur Gewinnung konzeptioneller Beiträge für eine ökologische Ausgestaltung der Wirtschaft führen in Abhängigkeit von den Defiziten bei der umweltzielorientierten Lenkung von Wirtschaftsprozessen zu den folgenden zwei Ansätzen: 1. Bei einer Veränderung der inneren Rationalität durch eine ökologische Reform
Umweltökonomie
des Steuer- und Abgabewesens wird Umweltorientierung von kostenvermeidenden Reaktionen der Wirtschaftenden erwartet. Die Erhebung von → Steuern und → Abgaben auf Ressourcenverbrauch und Emissionen löst einen Kostenvergleich zwischen Steuer- bzw. Abgabenhöhe und Vermeidung bzw. Verminderung der Umweltnutzung aus und führt – wenn der Vergleich zuungunsten der zu tragenden Steuer bzw. Abgabenlast ausfällt – zu den im Hinblick auf das Ziel der ökologisch tragfähigen Entwicklung gewünschten Veränderungen von Produktion und Konsum. Dieser Ansatz fußt – im Gegensatz zu Kompensations- und Zertifikatelösungen, die zu ähnlichen Ergebnissen führen können, – auf bekannten Instrumenten, auf Steuern und Abgaben, bei denen allerdings unter der ökologischen Zielsetzung nicht die Einnahmewirkungen, sondern die Ausweichwirkungen im Vordergrund stehen. Deshalb ist dieser Ansatz wohl am ehesten zu realisieren. Allerdings sind die Konturen eines umfassenden Konzepts noch weitgehend verschwommen und seine Implementationsprobleme, wie z. B. die Sozialverträglichkeit einer ökologischen Steuerreform, noch zu lösen. 2. Bei einer Veränderung der äußeren Rationalität durch Reform bestehender Nachfragelenkung der Produktion wird die Umweltorientierung von Unternehmen aufgrund von Kauf-(Kredit-, und Anlage-)entscheidungen der Nachfrager, Kreditgeber und Investoren erwartet. Vier Bedingungen kennzeichnen dieses Konzept, das die Stärkung des Umweltbewußtseins von Nachfragern über eine Veränderung institutioneller Rahmenbedingungen absichern und beschleunigen will. Es sind dies: – Anerkennung der Umweltorientierung von Produktionsprozessen als gesellschaftliche Aufgabe von Unternehmen, – Entwicklung, Durchführung und Veröffentlichung von Analysen zur Umweltbeanspruchung von Produkten und Produktionen, – Bewertung der Analyseergebnisse durch Umweltexpertengruppen sowie
Umweltökonomie
– Umsetzung der Kontrollergebnisse in Kauf-(Kredit- und Anlage-)entscheidungen. Viele Elemente dieses Konzepts sind bereits vorhanden, wie Ökoregeln für Manager, Grundsätze für ökologischen Landbau, Umweltschutznormen, Produktlinienanalysen, Umweltbilanzen, aktive Umweltschutzgruppen, ökologische Medienkampagnen, Umweltbeauftragte in Wirtschaft und Staat, Umweltberatungen für Konsumenten etc. Es kommt darauf an, sie zu einem Gesamtkonzept zu verdichten, das umweltpolitisch verfolgt werden könnte. Beide Konzepte sind gleichermaßen erforderlich, denn eine an Verursacher- und Vorsorgeprinzipien orientierte ökologische Reform des Steuer- und Abgabewesens kann nur erfolgreich sein, wenn gleichzeitig die Wirtschaftenden aufgrund eines Bewußtseins, das auf Erhaltung natürlicher Lebensgrundlagen ausgerichtet ist, zur Kooperation bereit sind. Individuelles und nationalstaatliches Handeln stoßen jedoch angesichts globaler Umweltprobleme schnell an Grenzen, so daß neben einer Auseinandersetzung mit nationalen Wirtschaftsordnungen und -abläufen auch die globale Dimension der Umweltproblematik untersucht werden muß, wie z. B. die Einbeziehung ökologischer Erfordernisse in den Welthandel und die Möglichkeit und Grenzen internationaler Kooperation zum Schutz globaler Umweltgüter. Literatur: Altmann, J.: Umweltpolitik, Stuttgart 1998; Cansier, D.: Umweltökonomie, Stuttgart 1996; Endres A.: Umweltökonomie, Stuttgart 2007; Endres, A./Querner I.: Die Ökonomie natürlicher Ressourcen, Darmstadt 20002; Frey, B. S.: Umweltökonomie, Göttingen/Zürich 19923; Jänikke, M./Kunig, Ph./Stitzel, M.: Lern- und Arbeitsbuch Umweltpolitik, Bonn 20022; Möller, H.-W.: Umweltschutz in der sozialen Marktwirtschaft, Köln u. a., 1993; Pätzold, J./Mussel, G.: Umweltpolitik, Berlin 1996; Steinmann, B.: Die ökologische Krise zwischen Staats- und Marktversagen – Eine ordnungspolitische Analyse, in: Wege aus der ökologischen Krise; Fragen der Freiheit, H. 222, Mai/Juni 1993, S. 22 ff.; Sucha633
Umweltökonomie
Umweltpolitik
nek, A.: Normative Umweltökonomik. Zur Herleitung von Prinzipien rationaler Umweltpolitik. Tübingen 2000; Vornholz G.: Zur Konzeption einer ökologisch tragfähigen Entwicklung. Marburg 1993; Weber, B.: Nachhaltige Entwicklung und Weltwirtschaftsordnung. Probleme – Ursachen – Lösungsmöglichkeiten, Opladen 1998; Weinmann, J..: Umweltökonomie. Eine theoretische Einführung, Berlin u. a. 1995; Wicke, L.: Umweltökonomie, eine praxisorientierte Einführung, München 19934.
gungen für die Inanspruchnahme von Umwelt in Form von → Auflagen, → Geboten, Umweltverträglichkeitsprüfungen und Umweltbewirtschaftungsplänen festgelegt. (2) Durch Kompensations- und Zertifikationslösungen wird der → Marktmechanismus in Gang gesetzt. Danach können umweltbelastende → Unternehmen in einer abgegrenzten Region sogenannte → Umweltbenutzungslizenzen (übertragbare Emissionsrechte) handeln, die den maximalen Schadstoff festlegen.
Prof. Dr. Bodo Steinmann/ Prof. Dr. Birgit Weber, Bielefeld
Wie der Sachverständigenrat für Umweltfragen wiederholt betonte, wird in der bundesdeutschen U. den ökonomisch ausgerichteten Instrumenten bislang vergleichsweise wenig Gewicht beigemessen. Er empfiehlt deshalb der Bundesregierung künftig den verstärkten Einsatz ökonomischer und flexibler Instrumente (so insbesondere kooperative Selbstverpflichtungen der Verursacher, gezielten Einsatz von staatlichen Fördermitteln für umweltverträgliche Umstrukturierung von → Produktionsprozessen, weitere finanzielle und steuerliche Anreize für umweltschonendes Verhalten, Benutzervorteile wie beispielsweise die Benutzung lärmarmer Fahrzeuge in Zonen, die aus Gründen des Lärmschutzes für den Verkehr gesperrt sind, Kompensationsregelungen, Abgabenlösungen, wie sie das Abwassergesetz enthält u. a.). Der Rat sieht die auf dem → Verursacherprinzip basierende → Gefährdungshaftung als eine der → Marktwirtschaft adäquate Lösung an. Er plädiert deshalb für eine Verschärfung der rechtlichen Sanktionen zur Abschreckung potentieller Umweltschädiger. Die strenge Überwachung der Eingriffsquellen mit ihren Emissionen und der von den Immissionen betroffenen Umweltsektoren gilt ihm als geboten.
Umweltpolitik Politikbereich, der sich den Schutz der → Umwelt (Umweltschutz) beziehungsweise der → Umweltfunktionen zur Aufgabe macht. Die Hauptziele der U. sind: (1) Die Beseitigung bereits eingetretener Umweltschäden, (2) die Ausschaltung oder Minderung gegenwärtig bestehender Umweltgefährdungen, (3) die Vorbeugung gegenüber Umweltgefährdungen und -schäden. – Die Ursachen der über den Umweltschutz anzugehenden Umweltschäden und -gefährdungen werden in den menschlichen Umwelteingriffen gesehen. In Wahrnehmung ihrer Schutzaufgabe konzentriert sich die U. im wesentlichen auf folgende Aufgabenbereiche: (1) Naturschutz und Landschaftspflege; (2) Belastung und Schutz der Böden; (3) Luftbelastung und Luftreinhaltung; (4) Gewässerzustand und Gewässerschutz; (5) Verunreinigungen in Lebensmitteln und (6) Lärm. – In Verfolgung seiner umweltpolitischen Ziele und zur Wahrnehmung der ihm daraus erwachsenden Aufgaben kann sich der Staat verschiedener Instrumente bedienen. Zunächst kann er mit wirtschaftlichen Anreizen (Steuervergünstigungen, → Subventionen) das → Eigeninteresse von Unternehmern, Konsumenten und Kommunen an umweltschonendem Verhalten fördern. Soweit die auf diesem Wege erreichten Effekte nicht ausreichen, kann sich der Staat das gewünschte (umweltschonende) Verhalten durch Setzung von Rahmenbedingungen erzwingen. Hierfür gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten: (1) Durch Vorgabe eines rechtlichen Rahmens werden die Bedin634
Eine wirksame U. läßt sich nicht im nationalen Alleingang bewältigen; sie ist international zu betreiben. Die Bundesrepublik Deutschland bemühte sich deshalb in früherer Zeit sowohl innerdeutsch im Verhältnis zur DDR (Umweltvereinbarung v. 8. September 1987) wie auch auf europäischer Ebene (unter Einschluß der Ostblockstaaten wie CSSR, Ungarn, Rumänien), zu um-
Umweltpolitik
weltpolitischen Abstimmungen zu gelangen. Diese Bemühungen wurden in jüngerer Zeit unter veränderten politischen Rahmenbedingungen verstärkt fortgesetzt. Besondere Bedeutung für den → EU-Bereich erlangt die → Einheitliche Europäische Akte v. 1. Juli 1987, die die U. der Gemeinschaft als eigene, originäre Aufgabe zuweist und wichtige Grundsätze und Handlungskriterien für den gemeinsamen Umweltschutz im → EWG-Vertrag festlegt. Eine umweltpolitische Zusammenarbeit zwischen der → Europäischen Gemeinschaft und der → Europäischen Freihandelszone wurde am 25./26. Oktober 1987 in Noordwijk (Niederlande) beschlossen. Diese „Erklärung von Noordwijk“ sieht vor, gemeinsame umweltpolitische Ziele und Strategien zu entwikkeln. – Auch im Europarat, der → OECD, in der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (ECE) und anderen internationalen Organisationen ist die Bundesrepublik bestrebt, ihre umweltpolitischen Vorstellungen zu verdeutlichen und länderübergreifend abzustimmen. U. auf globaler Ebene erlebte ihre Geburtsstunde 1992 auf dem sog. Erdgipfel in Rio de Janeiro. Hier wurde erstmals von einer weltumfassenden Staatengemeinschaft, den United Nations (UN), eine Klimakonvention (UN-Klimakonvention) verabschiedet, deren Ziel es ist, die Konzentration der Treibhausgase zu stabilisieren. Die Industrieländer verpflichten sich – mehr moralisch als verbindlich – ihren Kohlendioxyd-Ausstoß bis zum Ende des Jahrzehnts auf das Niveau von 1990 zu reduzieren. – Auf dem ersten Folgetreffen 1995 in Berlin verabschiedeten die Konventionsparteien das sog. Berliner Mandat, demzufolge bis zu ihrer übernächsten Zusammenkunft neue Verpflichtungen für die Industrieländer auszuhandeln sind. 1997 in Kyoto wurden im sog. Kyoto-Protokoll für die Industrieländer verbindliche Minderungspflichten und sog. flexible Mechanismen festgelegt, die es ihnen erleichtern sollen, die Vorhaben zu erreichen. – Auf den Folgetreffen 1998 in Buenos Aires, 1999 in Bonn sowie 2000 in den Haag blieb es weitgehend bei unverbindlichen Absichtserklärungen. 2001
Umweltsteuer
in Bonn scheint schließlich nach langem Ringen der Durchbruch gelungen. Das 1997 in Kyoto vereinbarte Klimaschutz-Protokoll wird von der Staatengemeinschaft – trotz Ablehnung durch die USA – zur Ratifizierung freigegeben. Die Regeln für die Reduzierung von Kohlendioxyd- und fünf weitere Treibhausgas-Emissionen seitens der Industrieländer werden festgelegt. Sie hätten ihre Emissionen in der Zeit von 2008 bis 2012 um durchschnittlich 5,2 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Für die Nichteinhaltung der Vorgaben werden Sanktionen normiert und ein Kontrollgremium eingerichtet. – Die Ratifizierung des Kyoto-Protokolls selbst wurde im Herbst 2001 in Marrakesch beschlossen. Die Delegierten aus rund 180 Ländern – ausgenommen die USA – einigten sich auf ein umfassendes Regelwerk zur Durchsetzung desselben. – Nach zwischenzeitlicher Ratifizierung des Kyoto-Protokolls (auch) durch die EU-Mitgliedstaaten und Rußland (2004) – die USA haben ihre Ablehnung desselben auf dem UNKlimagipfel in Buenos Aires im Dezember 2004 erneut bekräftigt – trat dieses am 16. Februar 2005 offiziell in Kraft. Die Zukunft der U. wird nach allgemeiner Einschätzung davon abhängen, ob Industrie und → Entwicklungsländer sich auf eine gemeinsame Strategie einigen können, den Ausstoß von Treibhausgasen bis zur Mitte des Jahrhunderts zu halbieren. Ein Folgeabkommen zu dem 2012 auslaufenden KyotoProtokoll sollte rechtzeitig klären, was nach diesem Zeitpunkt geschehen soll. Ein solches Folgeabkommen müßte konsequenterweise die USA und China mit einbeziehen. Der weltweite Handel mit Treibhausgasrechten konnte damit seinen (wenn auch nur zögerlich aufgenommenen) Lauf nehmen. Siehe auch: → Umwelterziehung, → Umweltökonomie, → Klimapolitik. Umweltschutz → Umweltpolitik. Umweltsteuer ⇒ Ökosteuer auf den Verbrauch von → Umwelt erhobene → Steuer, so insbesondere höhere Energiesteuern, Steuern auf Verpackungs- und Pro635
Umweltsteuer
duktionsmittel, die bei der Entsorgung in besonderem Maße die Umwelt belasten. Umweltzertifikate ⇒ Umweltbenutzungslizenzen ⇒ Umweltlizenzen ⇒ Emissionszertifikate. unbewegliche Sachen ⇒ Immobilien → Sachen. Und-Konto → Gemeinschaftskonto. unerlaubte Handlung Begriff des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB); eine schuldhafte, das heißt vorsätzliche (→ Vorsatz) oder fahrlässige (→ Fahrlässigkeit) Rechtsverletzung, die außerhalb eines Vertragsverhältnisses begangen wird (§ 823 BGB), zum Beispiel: Diebstahl, Unterschlagung, Körperverletzung, Sachbeschädigung, Gesundheitsschädigung. Wer eine u. begeht, ist zum → Schadensersatz verpflichtet. unerlaubte Telefonwerbung → Telefonwerbung. Unfallverhütung die den Trägern der gesetzlichen → Unfallversicherung obliegende Pflicht, durch fachlich vorgebildete und erfahrene Aufsichtsbeamte die Einhaltung der Vorschriften zur technischen und psychologischen U. wie auch die unfallverhütenden betrieblichen Regelungen seitens der Unternehmer zu überwachen. Unfallverhütungsrecht basiert auf § 15 Abs. 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII), der die Träger der gesetzlichen → Unfallversicherung (→ Berufsgenossenschaften für den gewerblichen, landwirtschaftlichen u. öffentlichen Bereich) ermächtigt, Unfallverhütungsvorschriften zu beschliessen. In diesen Unfallverhütungsvorschriften sind unter anderem auch Anweisungen darüber gegeben, mittels welcher Einrichtungen, Anordnungen und Maßnahmen die → Arbeitgeber → Arbeitsunfälle zu verhüten haben (→ Unfallverhütung). Die Unfallverhütungsvorschriften werden von Fachaus636
Unfallversicherung
schüssen in den Dachverbänden der Berufsgenossenschaften erarbeitet. → Arbeitsschutzrecht. Unfallversicherung I. gesetzliche U. (Zweig der → Sozialversicherung) wird durch die Bestimmungen des Siebten Buches des → Sozialgesetzbuches (SGB VII) geregelt. Ihnen zufolge unterliegen dem Versicherungszwang alle gegen Entgelt beschäftigten → Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf die Höhe ihres → Einkommens sowie → Auszubildende und → Arbeitslose. → Beamte unterliegen besonderen beamtenrechtlichen Unfallfürsorgevorschriften. Die Träger der U. sind für die in privaten → Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer die nach Berufsgruppen gegliederten → Berufsgenossenschaften, für Arbeitslose die → Bundesagentur für Arbeit und für die im → öffentlichen Dienst Stehenden Bund, Länder und Gemeinden. Ihre Leistungen folgen der Rangordnung: → Unfallverhütung – Rehabilitation – → Schadensersatz. Sie erstrecken sich im einzelnen auf: (1) Unfallverhütung und -aufklärung, (2) Erste Hilfe und Heilbehandlung sowie Krankengeld während deren Verlauf, (3) berufsfördernde Leistungen, damit der Verletzte seinen früheren → Beruf wieder ausüben beziehungsweise in einen neuen Beruf eintreten oder einen neuen → Arbeitsplatz finden kann, (4) Verletztenrente nach Beendigung der Heilbehandlung bei mindestens 20 % Erwerbsminderung, (5) → Hinterbliebenenrente, (6) Kapitalabfindung statt Verletztenoder Hinterbliebenenrente, (7) Sterbegeld. Die Geldleistungen werden in der Regel nach dem Jahresverdienst des Geschädigten vor Unfalleintritt berechnet. Sie sind durch Gesetz an die allgemeine Lohnentwicklung angepaßt (dynamisiert). Der Leistungsanspruch gegenüber der U. besteht bei → Arbeitsunfällen und → Wegeunfällen sowie bei → Berufskrankheiten. Die Leistungen der U. werden von Amts wegen festgestellt. Hierzu bedarf es der Anzeige des → Arbeitgebers. Der Arbeitgeber ist zur Abgabe der Anzeige verpflichtet. – Die U. werden von den Arbeitgebern durch → Beiträge finanziert. Ihre Höhe richtet sich zum einen nach den → Verdiensten der versicherten Arbeit-
Unfallversicherung
nehmer, zum anderen nach der Unfallgefahrenklasse, der der einzelne → Betrieb entsprechend der in ihm herrschenden Unfallund Berufskrankheitsgefahren zugeordnet ist. – Die Berufsgenossenschaften überwachen die Einhaltung und Durchführung der Unfallverhütungsvorschriften durch ihre Mitglieder und beraten diese. II. private U. Sie dient der Deckung des (allgemeinen) Unfallrisikos. Als Unfall gilt nach § 1 Allgemeine Unfallversicherungsbedingungen (AUB) ein plötzliches Ereignis, das von außen auf den Körper einer Person einwirkt, so daß sie unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Als → Individualversicherung bezieht sich die private U. auf Unfälle aller Art. Sie kann für jede Person zwischen 14 und 75 Jahren abgeschlossen werden. Die Rechtsgrundlagen der privaten U. sind neben den allgemeinen Vorschriften des privaten Versicherungswesens speziell die Regelungen der §§ 178 – 191 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) sowie die Allgemeinen und besonderen Unfallversicherungsbedingungen (AUB). Die private U. kann sich – je nach Ausgestaltung des Versicherungsvertrages – allgemein auf die Abdeckung von Unfallrisiken beziehen oder sich auf einzelne besondere Gefahren beschränken (beispielsweise Insassen-U., Sport-U.); sie kann sich auf einzelne Personen oder mehrere Personen (Familien-U., Gruppen-U.) beziehen. Die U. zahlt im Versicherungsfall grundsätzlich eine bestimmte Geldsumme (→ Summenversicherung). Im einzelnen können folgende Leistungsvereinbarungen getroffen werden: Leistung im Todesfall, Invaliditätsentschädigung bei dauernder Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit gemäß einer → Gliedertaxe, (Krankenhaus-) Tagegeld und Genesungsgeld bei vorübergehender Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit, Übergangsentschädigung während einer Wiedereingliederungszeit in das Berufsleben, Übernahme von Bergungs- und Heilbehandlungskosten. Der Versicherungsnehmer verpflichtet sich zur Zahlung der Versicherungsprämie ent-
Unfallversicherung
sprechend der Tarife, deren Höhe sich nach der Gefahrengruppe bestimmt, der der Versicherte mit seinem ausgeübten Beruf zuzuordnen ist (Gefahrengruppe A: kaufmännische u. verwaltende Tätigkeiten, Gefahrengruppe B: körperliche u. handwerkliche Berufe). Änderungen des im Versicherungsschein ausgewiesenen Berufes (Beschäftigung, Tätigkeit) des Versicherten sind dem Versicherer anzuzeigen. Sollen die Versicherungsleistungen an die Einkommensentwickelung gekoppelt werden, so kann dies im Rahmen einer dynamischen U. erfolgen. Sie sieht eine jährliche Erhöhung der Versicherungssumme um einen bestimmten Prozentsatz gegen eine entsprechende Prämiensteigerung vor. Eine besondere Form der privaten U. ist die U. mit Prämienrückgewähr, bei der alle geleisteten Beiträge unabhängig von geleisteter Unfallentschädigung bei Tod des Versicherten und/oder bei Erreichen eines bestimmten Alters oder zu einem bestimmten Termin zurückgezahlt werden. Die Prämienrückgewähr läßt sich damit begründen, daß die gesamten Versicherungsleistungen und anfallenden Verwaltungskosten allein aus den → Zinsen gedeckt werden, die der Versicherer aus der rentierlichen Anlage der (Versicherten-)Beiträge erwirtschaftet. Der Versicherungsnehmer kann bei dieser Versicherung zusätzlich an einem eventuell anfallenden Überschuß beteiligt werden. Für Ansprüche aus einer privaten U. ist es bedeutungslos, ob der Unfall des Versicherten durch eigene oder fremde → Fahrlässigkeit oder durch → höhere Gewalt verursacht wurde. Liegt fremdes → Verschulden (Fremdverschulden) vor, kann dementsprechend der Versicherte neben der Versicherungsleistung zusätzlich Schadensersatz vom Schädiger (Unfallverursacher) oder von dessen Versicherung verlangen. Man kann auch bei zwei oder mehr Unfallversicherern versichert sein und sich von diesen für ein- und denselben Schadensfall doppelt und mehrfach entschädigen lassen. Voraussetzung ist allerdings, daß man bei Abschluß der zweiten und jeder weiteren Versicherung dem Neuversicherer das Bestehen der ersten und aller weiteren 637
Unfallversicherung
Versicherung(en) angibt oder dies (soweit gefragt) auf Unfallmeldebögen mitteilt. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung des U.-vertrages steht dem Versicherungsnehmer immer dann zu, wenn ein Versicherungsfall entschädigt wurde oder er gegen den Versicherer eine Entschädigungsklage erhoben hat. Wird der Versicherungsvertrag vor Ablauf des Versicherungsjahres beendigt, so kann der Versicherer nur die anteilige (d. h. die bis zu diesem Zeitpunkt rechnerisch aufgelaufene) Prämie verlangen. Nach § 5 der AUB kann der Versicherer bei bestimmten Risiken die Leistung ausschließen (→ Risikoausschluß). ungerechtfertigte Bereicherung Begriff des Bürgerlichen Rechts (§§ 812 – 822 Bürgerliches Gesetzbuch); ist dann gegeben, wenn jemand ohne rechtlichen Grund auf Kosten eines anderen einen Vermögensvorteil erlangt, so zum Beispiel durch irrtümliche Doppelbezahlung einer Rechnung oder Leistung(en) auf Grund eines nichtigen (→ Nichtigkeit) → Vertrages. Der ohne Rechtsgrund Bereicherte ist verpflichtet, das Erlangte zurückzugeben. Ungleichheit Die Durchführung von Markttransaktionen benötigt keine Gleichheit, weder unter den Akteuren, noch unter den Verteilungsergebnissen. Insofern bieten U. zu Beginn als auch infolge von Marktbeziehungen Anregungen zu allerlei theoretischen Erklärungsansätzen und normativen Empfehlungen. Der Begriff der U. verweist bei diesen vor allem auf Unterschiede in den Vermögens- und Einkommensverhältnissen, oft in Begleitung diverser Appelle zu deren Angleichung (→ Umverteilung) oder Aufhebung (→ Egalitarismus). In älteren Theorien dominiert die Betrachtung von U. unter inländischen Akteuren. In ihnen geht es auch vornehmlich um Angleichungen auf nationaler Ebene (Tullock). In neuerer Zeit geht der Blick über diesen Adressatenkreis weit hinaus (globale Gerechtigkeit, → Solidarität) (Sen). Mehr noch, die jüngere Theoriebildung kennt neben einer territorialen Ausweitung, auch eine temporale Ausdeh638
Ungleichheit
nung des Applikationsgebietes (→ Generationenvertrag, Intergenerationengerechtigkeit). Gegenstand der traditionellen wie auch der ausgeweiteten Diskussion sind, neben den rein materiellen U. zwischen Personen und Gruppen, die immateriellen U. sowie deren Quellen, von denen einige biologischen (z. B. Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft), andere kulturellen Ursprungs (z. B. Religion, Kulturkreis, Stand) sind. Auch die Diskussion immaterieller U. wird meist mit Vorschlägen angereichert, die eine Angleichung, Aufhebung oder Kompensation von Disparitäten aufgrund bestimmter Zielvorgaben (z. B. → soziale Gerechtigkeit) vorsehen oder kompensatorische Maßnahmen aus der (oft „ungerecht“ genannten) U. fordern (positive Diskriminierung). In der Regel pflegt der Grad der Beanstandung von U. mit dem Maß und der Art einherzugehen, in dem der Mensch auf die U. anderer Einfluss nehmen kann. So wird die auf individuelle Leistungsunterschiede rückführbare U. seltener beanstandet als jene, die auf Glück (Geschlecht, gesellschaftlicher Status etc.) gründet, und diese wiederum seltener als jene, die auf absichtliche Ausgrenzung (legale Diskriminierung, Marktabschottung) beruht. Insbesondere U., die aus Rechts- und Vertragsbrüchen resultieren, werden als legitimierungsbedürftig erachtet und fordern – im Falle ausbleibender Rechtfertigung – wegen der Abmachungs- bzw. Normverletzung die Wiederherstellung des Status quo. U. ist nicht gleichbedeutend mit Ungerechtigkeit (Hayek). D. h., U., egal ob materieller oder immaterieller Natur, die keine Normverletzung inkludieren, enthalten per se keinen Grund zur Angleichung oder Gleichheitsherstellung. Daher müssen Theorien, die eine Änderung von U. (trotz Normkonformität) verlangen, auf externe normative Annahmen zurückgreifen, um ihre Forderungen begründen zu können. Viele dieser Begründungsversuche, egal ob in natur-, vernunft- vertragsrechtlich oder anderweitig fundierten Normsystemen, gründen in der Idee, U. sei per se legitimierungsbedürftig, Gleichheit hingegen nicht. Die mit die-
Ungleichheit
ser Idee einhergehenden Probleme zeigen sich in der Diskussion materieller und immaterieller U. auf unterschiedliche Weisen. Materielle U. Schon vor Eintritt in den Markt verfügen die Akteure über unterschiedliche materielle Ausstattungen. Sie entspringen teils der Natur (Talent, Wille, Leistungsfähigkeit), teils der Herkunft (Erbe, gesellschaftlicher Status) und nehmen Einfluss auf die Verteilung der Marktergebnisse. Insbesondere in relativen Besserstellungen, die nicht (oder nicht nur) auf eigene Verdienste rückführbar sind, sehen Umverteilungstheoretiker einen Grund zur Intervention. Die dabei verwendeten Komplementärgründe reichen von Egalitäts- und Gerechtigkeitsidealen bis hin zur Idee der materiellen Chancengleichheit. Vor allem letztere wird in der Umverteilungstheorie gerne als logische Ergänzung zur legalen Chancengleichheit dargestellt, obwohl sie mit dieser logisch inkompatibel ist und obwohl unklar ist, inwiefern ungleiche, aber nicht ungerechte, Güterverhältnisse eine Änderung rechtfertigen (Jasay). Immaterielle U. Auch die immateriellen Ausstattungsmerkmale der Marktakteure sind ungleich. Indem der Markt ungleich auf diese Merkmale reagiert (Diskriminierung), haben sie auch materielle U. zur Folge. Vertreter der These, U. sei gleichbedeutend mit Ungerechtigkeit, fordern, dass die auf immaterielle U. rückführbaren negativen Diskriminierungen durch positive Diskriminierungen (z. B. Bevorzugung bestimmter Gruppen bei Stellenneubesetzungen) zu korrigieren und/oder negative Diskriminierungen als Unrecht zu ahnden seien. Kritiker dieser Auffassungen verweisen u. a. darauf, dass diese Forderungen auf einer unzulässigen Gleichsetzung von U. und Ungerechtigkeit beruhten, folglich selbst ungerecht seien und legale U. förderten; ferner, dass sie in der Praxis kaum effektiv umsetzbar seien und zur Gängelung und letztlich Lähmung wirtschaftlicher Aktivitäten führten. Legale U. Die Quellen legaler U. sind, neben den modernen o.g. positiven Diskriminierungen, die klassischen Bevorzugungen von Personen (z. B. die im Absolutis-
unlauterer Wettbewerb
mus übliche Stellung des Monarchen über dem Recht). Die klassisch liberale Forderung nach Gleichheit vor dem Gesetz (rule of law) tritt U. entgegen, die sich im Rechtssystem eines Staates manifestieren können. Rechtliche Entscheidungen dürfen demnach nur ohne Ansehen der Person getroffen werden. In nicht-demokratischen Staaten finden vor allem die klassischen Formen legaler U. Anwendung, während in demokratischen Staaten der modernen Variante legaler U. der Vorzug eingeräumt wird (Politische Korrektheit). Literatur: Bouillon, H., Wirtschaft, Ethik und Gerechtigkeit, Flörsheim 2010. Goldschmidt, N., Generationengerechtigkeit, Tübingen 2009. Hayek, F.A. von, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Band 2: Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit, Landsberg 1981. Hinsch, W., Gerechtfertigte Ungleichheiten, Berlin 2002. Jasay, A. de, Justice, luck, liberty, in: Liberty and Justice, Hg. Tibor Machan, Stanford 2006. Kersting, W., Kritik der Gleichheit, Weilerswist 2002. Koller, P., Gleichheit, in: Handbuch der Politischen Philosophie und Sozialphilosophie, Hg. Stefan Gosepath, Wilfried Hinsch und Beate Rösler, Berlin 2008. Sen, A., Ökonomische Ungleichheit, Frankfurt 1975. Tullock, G., Patriotic Egalitarianism, in: Values and the Social Order, Band 2: Society and Order, Hg. Gerard Radnitzky und Hardy Bouillon, Aldershot 1995. Prof. Dr. Hardy Bouillon, Wien Universität → Hochschule. University of Applied Siences ⇒ Fachochschulen. University of Cooperative Education ⇒ Berufsakademien. University of Education ⇒ Pädagogidsche Hochschulen. unlauterer Wettbewerb mißbräuchliches Konkurrenzverhalten; untersagt nach § 3 → Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) unlautere Wettbewerbshandlungen, die geeignet sind, den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber, der Verbraucher oder der sonstigen 639
unlauterer Wettbewerb
Marktteilnehmer nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen. – Als markante Beispiele für solche Handlungen nennt § 4 UWG: Ausübung von (psychischem) Druck, Ausnutzung geschäftlicher Unerfahrenheit, verschleierte Werbung beziehungsweise Verkaufsförderungsmaßnahmen, Preisausschreiben oder Gewinnspiele mit Werbecharakter ohne klar erkennbare Teilnahmebedingungen, Herabsetzung oder Verunglimpfung von Mitbewerbern, wahrheitswidrige Behauptungen über Mitbewerber oder Produkte derselben, Anbieten von nachgeahmten Produkten (Fälschungen), Behinderung von Mitbewerben. – Darüber hinaus gelten als unlauter: irreführende Werbung (§ 5 UWG) und vergleichende Werbung, soweit sich diese nicht eindeutig und ausschließlich auf die zu vergleichenden Produkte bezieht (§ 6 UWG). Wer vorsätzlich oder fahrlässig unlautere Wettbewerbshandlungen vornimmt, ist den Mitbewerbern zum Ersatz des ihnen daraus entstehenden Schadens (→ Schadensersatz) verpflichtet (§ 9 UWG). Schadensersatzansprüche aus unerlaubten Wettbewerbshandlungen verjähren in der Regel in sechs Monaten (§ 11 UWG). Unmöglichkeit der Leistung Begriff des Bürgerlichen Rechts für eine Situation, die den → Schuldner einer Leistung hindert, dieselbe zu erbringen. Die Rechtsfolgen der Unmöglichkeit einer vertraglich vereinbarten oder sonstwie geschuldeten Leistung regeln sich nach §§ 265, 275, 280 – 282, 286 f., 308, 311 a u. 326 Bürgerliches Gesetzbuch. unpfändbar (Unpfändbarkeit) → Pfändung. unselbständig Beschäftigter → Unselbständiger. Unselbständiger ein in Diensten eines → Selbständigen beziehungsweise in abhängiger Stellung in der → Wirtschaft oder in Behörden oder Institutionen Beschäftigter; er ist → Arbeitnehmer: → Arbeiter, → Angestellter oder → Beamter. 640
Unternehmer
Unterbeschäftigung ⇒ Arbeitslosigkeit. Unterbrechung der Verjährung → Neubeginn der Verjährung. Unterhaltsanspruch das Recht von Sozialhilfeempfängern (→ Sozialhilfe) gegenüber ihren Angehörigen, das sind in der Regel ihre Ehepartner (§ 1360 BGB) und Kinder (§ 1601 BGB), auf Zahlung von Unterhalt. Dieser U. geht mit der Zahlung von Sozialhilfe auf die Gemeinde (Sozialamt) über (§ 94 SGB XII). Das Sozialamt kann Angehörige nur insofern in Anspruch nehmen, als diese leistungsfähig sind. Zum Nachweis ihrer Leistungsfähigkeit sind diese verpflichtet, ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse offenzulegen. Unternehmen ⇒ Unternehmung die organisatorisch-rechtliche Einheit zur Verfolgung wirtschaftlicher Zwecke. Ein U. kann aus mehreren → Betrieben bestehen; es kann aber auch keinen Betrieb haben wie beispielsweise die → Holding-Gesellschaft. In der Alltagssprache werden die Begriffe Betrieb und U. häufig gleichgesetzt. Unternehmenskonzentration → Unternehmungszusammenschlüsse. Unternehmensmitbestimmung ⇒ Mitbestimmung. Unternehmensrechtsformen ⇒ Unternehmungsformen. Unternehmenssprecherausschuß → Sprecherausschuß. Unternehmenszusammenschlüsse ⇒ Unternehmungszusammenschlüsse. Unternehmer 1. betriebswirtschaftlich: Person, die eine → Unternehmung (d. h. die Herstellung u. den Verkauf von → Gütern) plant und gründet und/oder selbständig und verantwortlich leitet und damit ein persönliches Risiko und/oder Kapitalrisiko übernimmt. Je nachdem, ob der U. Eigentümer/Miteigentümer der Unternehmung ist oder lediglich (leitender) → Angestellter darin, spricht
Unternehmer
man von Eigentümerunternehmer (z. B. bei der → Einzelunternehmung, → Personengesellschaft, Familien-Aktiengesellschaft) oder Angestelltenunternehmer (z. B. Vorstandsmitglieder einer großen Aktiengesellschaft). 2. rechtlich: → Natürliche oder → juristische Person oder eine rechtsfähige → Personengesellschaft (§ 14 Abs. 2 BGB), die bei Abschluß eines → Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt (§ 14 Abs. 1 BGB). Unternehmergesellschaft (UG), haftungsbeschränkt ⇒ Mini-GmbH (umgangssprachlich) Mit dem am 1. 11. 2008 in Kraft getretenen Gesetz zur Modernisierung des GmbHRechts und zur Bekämpfung von Mißbräuchen (MoMiG) erhielt die traditionelle → GmbH eine Art Einstiegsvariante in Form der U. Sie erfordert kein → Stammkapital und kann mit einer Einlage von 1 Euro gegründet werden. Bei Übernahme des Musterprotokolls des revidierten GmbH-Gesetzes entfallen die Gründungsgebühren; die notarielle Beurkundung beträgt lediglich 20 Euro plus eine Registergebühr. Um eine entsprechende Kapitaldecke anwachsen zu lassen, muß das Untenehmen jährlich mindestens ein Viertel des Gewinns als → Rücklage bilden und in die → Bilanz aufnehmen. Sobald diese Rücklage auf 25 000 Euro angewachsen ist (also auf das Mindestkapital der GmbH) kann die U. (auf GmbH) umfirmieren (muß dies aber nicht!). Die → Firma muß zwingend und eindeutig den Zusatz UG oder U. (haftungsbeschränkt) führen. Unternehmung ⇒ Unternehmen. Unternehmungsformen ⇒ Unternehmensrechtsformen Die U. ist die gesetzlich vorgeschriebene Form, in der sich eine → Unternehmung entfalten darf. Sie regelt insbesondere die Rechtsbeziehungen unter den die Unternehmung tragenden Personen (= Innenverhältnis) und der Umwelt (= Außenverhältnis).
Unternehmungsformen
Das Außenverhältnis bezeichnet die Beziehungen zu den Kunden, den Lieferanten und staatlichen Stellen, das Innenverhältnis die Beziehungen zwischen Geschäftsführung und → Arbeitnehmern. Es werden hauptsächlich unterschieden: 1. → Einzelunternehmungen (Einzelkaufmann, Einzelfirma; vgl. §§ 1 – 104 HGB) 2. → Gesellschaftsunternehmungen 2.1 → Personengesellschaften 2.1.1 → offene Handelsgesellschaft (oHG; vgl. §§ 105 – 160 HGB) 2.1.2 → Kommanditgesellschaft (KG; vgl. §§ 161 – 177 HGB) 2.1.3 → stille Gesellschaft (vgl. §§ 335 – 342 HGB) 2.2 → Kapitalgesellschaften 2.2.1 → Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH; vgl. GmbHGesetz), → Limited Company (Ltd.), haftungsbeschränkte → Unternehmergesellschaft (UG) 2.2.2 → Aktiengesellschaft (AG; vgl. Aktiengesetz), → Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea, SE) 2.2.3 → Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA; vgl. §§ 278 – 290 AktG sowie §§ 161 – 177 HGB) 3. Gesellschaften besonderer Art 3.1 → Genossenschaften (eG; vgl. GenG) u. → Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea, SEC) 3.2 → Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG; vgl. VAG) 3.3 Mischformen Zahlenmäßig überwiegen die Einzelunternehmungen. Es folgen GmbH, oHG, KG und Genossenschaften, schließlich AG und KGaA. Im wirtschaftlichen Geschehen stehen die großen AG mit bis zu mehreren 100 000 Mitarbeitern im Vordergrund. Insbesondere die Gründer einer Unternehmung müssen sich für eine dieser Rechtsformen entscheiden. Eine optimale Entscheidung wird u. a. von den Antworten auf die folgenden Fragen abhängen: 641
Unternehmungsformen
– Wer haftet den → Gläubigern? Wie weit geht die → Haftung? Wie wird sie wirksam? – Wer führt die Geschäfte und vertritt die Unternehmung nach außen? – Welche Möglichkeiten der Kapitalbeschaffung (= Finanzierungsmöglichkeiten) sind gegeben? – Wie wird die U. besteuert – zahlen die Gesellschafter oder die → Gesellschaft? – Wie teuer ist die Rechtsform (Gebühren für Handelsregistereintragung, vorgeschriebene Prüfungen und Veröffentlichungen von → Bilanzen und Geschäftsberichten)? – Wen muß die Unternehmung über welche Tatbestände mittels Jahresabschluß, Lagebericht u. ä. unterrichten (sogenannte Publizitätspflicht)? – Wie kann der → Gewinn bzw. → Verlust verteilt werden? – Welche Organe der → Mitbestimmung sind vorgeschrieben (→ Betriebsrat bzw. Arbeitnehmervertretung im → Aufsichtsrat)? Grundsätzlich kann jeder eine Unternehmung gründen – es herrscht → Gewerbefreiheit. Allerdings gibt es Beschränkungen in den Fällen, wo es der Schutz der Öffentlichkeit erfordert (z. B. → Banken, → Versicherungen, Atomkraftwerke). Für einige Branchen ist die U. vorgeschrieben – z. B. für Hypothekenbanken und → Investmentgesellschaften. Die Einzelunternehmung ist die am häufigsten anzutreffende U. Sie findet sich insbesondere im Handwerk, in der Landwirtschaft und im Handel. Bei ihr sind → Eigentum und Entscheidungsrecht sowie → Risiko und Haftung in der Hand des Einzelunternehmers (= Inhabers) vereinigt. Personengesellschaften werden gewählt, wenn die Personen und ihre Arbeitskraft, ihre Haftung und → Kreditwürdigkeit im Vordergrund stehen. Wollen mindestens zwei Geschäftsleute unter gemeinschaftlicher → Firma ein Gewerbe betreiben und ihren Gläubigern unbeschränkt haften, so werden sie die klassische oHG gründen. Ihre Haftungsregeln sind bemerkenswert: 642
Unternehmungsformen
– Die Gesellschafter haften unbeschränkt, d. h. mit Geschäfts- und Privatvermögen. – Sie haften unmittelbar, d. h. jeder Gesellschafter kann durch den Gläubiger direkt in Anspruch genommen werden. – Sie haften gesamtschuldnerisch (= solidiarisch), d. h. jeder Gesellschafter haftet für die ganze Schuld; er kann sich z. B. nicht darauf berufen, daß er nur zu einem Drittel an der Gesellschaft beteiligt ist. Die KG ist dadurch gekennzeichnet, daß es bei ihr zwei Gruppen von Gesellschaftern gibt: → Kommanditisten (= Teilhafter) und → Komplementäre (= Vollhafter). Die Kommanditisten können nur ihre Beteiligungssumme verlieren; sie sind nicht unmittelbar an der Geschäftsführung beteiligt. Die Komplementäre haften wie die oHG-Gesellschafter auch mit ihrem Privatvermögen und nehmen die Geschäftsführung wahr. Will sich jemand „unerkannt“ am Geschäft eines anderen beteiligen, so wird die stille Gesellschaft gewählt. Die Beteiligung wird nicht bekanntgemacht. Für die Kapitalgesellschaften sind folgende Merkmale kennzeichnend: – Statt der persönlichen Mitarbeit steht die Auf bringung des → Kapitals im Vordergrund. – Die Teilhaber können anonym bleiben. – Die Geschäftsführung wird von angestellten Geschäftsführern übernommen. – Oft ist die Zahl der Teilhaber so groß, daß der einzelne ohne wesentlichen Einfluß auf die Geschäftsführung bleibt. – Die Kapitalgesellschaft ist eine → juristische Person – sie besteht unabhängig von ihren Gründern und Gesellschaftern, kann im eigenen Namen vor Gericht auftreten sowie Verträge schließen. Die GmbH bietet den Gesellschaftern den Vorteil, daß ihre Verlustgefahr auf ihre zumeist gering bemessene Einlage beschränkt bleibt (Mindeststammkapital: 25 000 Euro). An die Stelle der GmbH kann seit 2003 die → Limited Company (Ltd.) treten. Seit Ende 2008 existiert zur traditionellen GmbH eine Art Einstiegsvariante in Form der haftungsbeschränkten → Unternehmergesellschaft. Sie erfordert kein Stammkapi-
Unternehmungsformen
tal und kann mit einer Einlage von 1 Euro gegründet werden. Die AG finanziert sich über den Verkauf von Beteiligungsrechten an weitgehend unbekannt bleibende Kapitalanleger, denen entsprechende Gewinne in Aussicht gestellt werden. Die Kapitalgeber – → Aktionäre genannt – sind der Gesellschaft regelmäßig nicht persönlich bekannt und haften lediglich mit dem eingebrachten Kapital. Das → Grundkapital der AG ist in einzelne Teile – → Aktien genannt – aufgeteilt, die bei Gründung insgesamt mindestens 50 000 Euro ausmachen müssen. Seit Ende 2004 können Unternehmen in Deutschland auch die Rechtsform der → Europäischen Aktiengesellschaft wählen. Die KGaA hat mindestens einen persönlich haftenden Gesellschafter (= Komplementär) neben den Kommanditaktionären(= Kommanditisten). Bei der Genossenschaft handelt es sich um eine → Personenvereinigung mit nicht geschlossener Mitgliederzahl, die nach dem Gesetz darauf gerichtet ist, die Wirtschaft der Mitglieder durch gemeinsames Wirtschaften zu fördern. Sie ist eine Selbsthilfeeinrichtung und weist kein gesetzlich vorgeschriebenes Kapital auf. 2006 wurde nicht nur das Recht der Genossenschaft novelliert, sondern auch die Rechtsgrundlagen für eine vereinfachte, eigenständige Genossenschaftsform, die → Europäische Genossenschaft, geschaffen. Der VVaG ist eine Sonderform der Privatversicherung – die Versicherten bilden einen → Verein. Ihre Beiträge sichern den Geschäftsbetrieb. Gewinne kommen ihnen zugute; Verluste führen zu Beitragserhöhungen. Mischformen entstehen, wenn z. B. Personen- und Kapitalgesellschaften kombiniert werden: GmbH & Co. KG. Dahinter verbirgt sich eine KG, deren Komplementär (= Vollhafter) eine GmbH ist, die letztlich nicht „voll“, sondern „beschränkt“ haftet. Entsprechend ist die Konstruktion einer AG & Co. KG. Prof. Dr. Heinz G. Golas †, Berlin
Unternehmungszusammenschlüsse
Unternehmungszusammenschlüsse Zusammenarbeit (→ Kooperation) oder Zusammengehen (→ Konzentration) von → Unternehmungen. Wirtschaftliche Konzentrationen lassen sich auf verschiedene Grundtypen zurückführen: (1) Betriebskonzentration (Veränderung der technisch-wirtschaftlichen Struktur von → Betrieben hin zum Großbetrieb), (2) Unternehmungskonzentration (Veränderung der rechtlichen Struktur von Unternehmungen hin zu größeren Unternehmenseinheiten), (3) Kapitalkonzentration (Veränderung der Eigentumsverhältnisse durch Kapitalumschichtungen oder Kapitalübernahmen und daraus erwachsenden Kapitalverflechtungen in Richtung Großkapital). – Die Übergänge zwischen diesen Grundtypen wirtschaftlicher Konzentration sind im allgemeinen fließend. So ziehen Betriebskonzentrationen meist einher mit Unternehmungskonzentrationen und diese wiederum mit Kapitalkonzentrationen. In rechtlicher Hinsicht reichen solche Zusammenschlüsse von der schriftlichen oder mündlichen Vereinbarung (→ Vertrag) bis hin zur Verschmelzung (→ Fusion) von Unternehmungen. In betriebswirtschaftlicher Hinsicht reichen solche wirtschaftlichen Konzentrationen von völliger Entscheidungsfreiheit der Beteiligten bis hin zur totalen Unterwerfung derselben unter die Anordnungen der Zentrale. Gehören die beteiligten Unternehmungen der gleichen Produktions- oder Handelsstufe an (z. B. mehrere Brauereien oder Reifenhersteller), so spricht man von horizontalem U.; sind die beteiligten Unternehmungen dagegen auf verschiedenen Produktions- oder Handelsstufen angesiedelt (z. B. Bergwerke, Eisenhütte, Gießerei), so spricht man von vertikalen U. Verbinden sich Unternehmungen aus völlig verschiedenen Wirtschaftsbereichen (z. B. Brauerei u. Zigarettenhersteller), so spricht man von branchenfremden (oder anorganischen) U. Es lassen sich folgende Arten von U. unterscheiden: das → Kartell, die → Interessengemeinschaft, der → Konzern, der → Trust. 643
Unterstützungskasse
Urlaub
Unterstützungskasse → betriebliche Altersvorsorge. Untervermächtnis → Vermächtnis. Unterversicherung Begriff aus dem Versicherungsrecht. Der Tatbestand der U. ist nach § 75 Versicherungsvertragsgesetz dann gegeben, wenn die Versicherungssumme (Höchstsumme) niedriger ist als der Wert der versicherten Gegenstände. Liegt U. vor, so leistet der Versicherer im Schadensfall nur eine anteilige Entschädigung; diese ist durch das Verhältnis von Versicherungssumme zum Versicherungswert bestimmt. Entschädigung = Schaden ×
Versicherungssumme ________________ Versicherungswert
Das Problem der U. stellt sich insbesondere bei der → Hausrat- und → Wohngebäudeversicherung sowie bei der → Reisegepäckversicherung. unverzüglich Begriff des Bürgerlichen Rechts; ist als „ohne schuldhaftes Zögern“ zu interpretieren. Urabstimmung Abstimmung der Gewerkschaftsmitglieder darüber, ob gestreikt werden soll oder nicht. → Streik. Urlaub Zeitraum, in dem der → Arbeitnehmer unter Weiterzahlung seines → Lohnes von der → Arbeit freigestellt ist. Diese bezahlte Freizeit soll der Wiederherstellung und Erhaltung seiner Arbeitskraft dienen (Erholungsurlaub). Eine diesem U.-zweck widersprechende Erwerbstätigkeit (→ Urlaubsarbeit) ist deshalb dem Arbeitnehmer während des U. nicht gestattet. Nach § 1 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf U. Dieser U. hat – ohne Rücksicht auf das Alter des Arbeitnehmers – eine gesetzliche Mindestdauer von 24 Werktagen (gesetzlicher → Mindesturlaub). Die tarifvertraglichen U.-regelungen liegen heute weit über dem gesetzlichen Mindesturlaub. Voller U.-anspruch wird erst nach sechsmonatigem Bestehen des → Arbeitsverhältnisses 644
erworben. Einen Teilurlaubsanspruch von 1 ⁄12 des Jahresurlaubes für jeden Monat des Bestehens des Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitnehmer dann, wenn er im Laufe eines Kalenderjahres an einer Arbeitsstelle tätig ist und wegen Nichterfüllung der Wartezeit in diesem Kalenderjahr keinen vollen U.-anspruch erwirbt oder wenn er vor erfüllter Wartezeit aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet oder nach erfüllter Wartezeit in der ersten Hälfte des Kalenderjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet (§ 5 Abs. 1 BUrlG). – Bruchteile von U.-tagen, die mindestens einen halben Tag ergeben, sind auf volle U.-tage aufzurunden. Erkrankt der Arbeitnehmer während des U., so werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der → Arbeitsunfähigkeit nicht auf den Jahresurlaub angerechnet (§ 9 BUrlG). – Die Abgeltung von U. durch Geld (Urlaubsabgeltung) ist grundsätzlich verboten. – Nimmt der Arbeitnehmer seinen U. nicht in Anspruch, so verfällt dieser. Eine Ausnahme von dieser Regelung sieht § 7 Abs. 4 BUrlG vor. Ihmzufolge kann eine U.-abgeltung dann erfolgen, wenn der U. wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Die Höhe der Abgeltung ergibt sich aus dem zuletzt bezogenen → Arbeitseinkommen. Bei der zeitlichen Festlegung des U. sind die U.-wünsche der Arbeitnehmer zu berücksichtigen, wenn nicht dringende betriebliche Belange oder unter sozialen Gesichtspunkten vorrangige U.-wünsche anderer Arbeitnehmer entgegenstehen. – Die Aufstellung allgemeiner U.-grundsätze und eines → U.-planes, sowie die Festsetzung der zeitlichen Lage des U. für einzelne Arbeitnehmer, wenn zwischen den Beteiligten kein Einverständnis erzielt wurde, unterliegt dem → Mitbestimmungsrecht des → Betriebsrates (§ 87 Abs. 1 Nr. 5 Betriebsverfassungsgesetz). Vom Erholungsurlaub zu unterscheiden sind sonstige Freistellungen (Beurlaubungen), zum Beispiel aus persönlichen Gründen (Stellensuche, Eheschließung, Todesfall in der Familie, Niederkunft der Ehefrau), zur Ausübung staatsbürgerlicher Rechte und
Urlaub
Pflichten, aus Gründen des → Mutterschutzes u.a.m. Hierfür gelten besondere gesetzliche und tarifvertragliche Bestimmungen. Urlaubsabgeltung → Urlaub. Urlaubsarbeit dem Urlaubszweck widersprechende Erwerbsarbeit während des gesetzlichen → Urlaubs. Nach § 8 Bundesurlaubsgesetz verboten. Eine ausgeübte Erwerbstätigkeit läuft dem Urlaubszweck nicht zuwider, wenn sie der Erholung (d. h. dem körperlichen Ausgleich) des → Arbeitnehmers dient. Verstößt der Arbeitnehmer gegen das Verbot der U., so kann der → Arbeitgeber das → Urlaubsgeld wohl nicht zurückfordern (Urteil des Bundesarbeitsgerichtes v. 25. 2. 1988), hat aber Anspruch auf Schadensersatz, auf Unterlassung der U. und kann eventuell kündigen. Urlaubsgeld zusätzlich zum regulären → Lohn vom → Arbeitgeber dem → Arbeitnehmer für den → Urlaub gewährter Geldbetrag. Eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung von U. sieht das Gesetz nicht vor, wird aber in zahlreichen → Tarif- und → Arbeitsverträgen vereinbart. Die Höhe des U. ist dabei recht unterschiedlich geregelt. Es gibt keine einheitlichen Grundsätze. Urlaubsplan systematische Übersicht über die Urlaubszeiten der → Arbeitnehmer eines → Unternehmens. Der U. dient als Grundlage für die
UWG
Einteilung von Urlaubsvertretungen; er unterliegt dem → Mitbestimmungsrecht des → Betriebsrates (§ 87 Abs. 1 Nr. 5 Betriebsverfassungsgesetz). Urproduktion Nutzung des Bodens durch Anbau und Abbau, so insbesondere in den Bereichen Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, Energie- und Wasserversorgung, Bergbau. Urteil gerichtliche Entscheidung, insbesondere im Zivilprozeß (§§ 300 – 329 Zivilprozeßordnung), unter freier Würdigung der erhobenen Beweise. Das U. enthält die Bezeichnung der Parteien und des Gerichtes, die U.-formel, den Tatbestand und die Entscheidungsgründe. Das U. wird von Amts wegen den Parteien zugestellt. Utilitarismus auf den englischen Nationalökonomen J. Bentham (1748 – 1832) und → J. St. Mill zurückreichende sozialphilosophische Auffassung, die im „Nützlichen“ den Maßstab für sittlich-moralisches bzw. wirtschaftlich sinnvolles Handeln erkennt. Durch das Streben des einzelnen nach größtmöglichem persönlichen → Nutzen wird die Wohlfahrt der Gesamtheit maximiert. Aus dem U. leitet der → Liberalismus das politische Ideal der weitgehend staatsfreien Wirtschaft ab. UWG Abk. für: → Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb.
645
Valuta
Verbindung
V Valuta Sammelbegriff für fremde → Währungen. Valutierung ⇒ Wertstellung Festsetzung des Tages (Datums), ab dem (i. d. R. bei einer → Bank) eine → Gutschrift verzinst wird beziehungsweise bei einer → Lastschrift die → Verzinsung endet. Gemäß § 187 Bürgerliches Gesetzbuch hat die Verzinsung von Eingängen auf Bankkonten spätestens einen Tag nach Eingang zu beginnen beziehungsweise kann bei Rückzahlungen frühestens einen Tag vor Rückzahlung beendet werden. Eine verzögerte V. von Bareinzahlungen ist nicht zulässig (Urteil des Bundesgerichtshofes v. 17. 1. 1989). variable Kosten ⇒ veränderliche Kosten → Kosten, deren Höhe vom → Beschäftigungsgrad (d. h. von der Ausbringungsmenge) des → Betriebes abhängig ist; so zum Beispiel → Materialkosten, → Fertigungslöhne. Gegensatz: → fixe Kosten. Siehe: → Kostentheorie. Venture Capital Risikokapital zur → Finanzierung innovativer, zukunftsträchtiger, aber zugleich wagnisreicher Projekte. veränderliche Kosten ⇒ variable Kosten. Veranlagung Festsetzung von → Steuern. Die V. erfolgt dort, wo es nach Art der Steuern einer eingehenden Erforschung des Sachverhaltes bedarf, so beispielsweise bei der → Einkommensteuer, → Vermögensteuer. Veranlagungsverfahren Verfahren zur Steuerfestsetzung bei regelmäßig wiederkehrenden → Steuern. Siehe: → Steuerverfahren. Veranlagungszeitraum Zeitspanne, für die die → Veranlagung von → Steuern erfolgt. 646
Verarbeitung 1. wirtschaftlich: Umwandlung (Transformation) von → Rohstoffen respektive Zwischenprodukten in Endprodukte. 2. rechtlich: Herstellung einer neuen → Sache aus „altem“ Stoff (z. B. Herstellung von Brot aus Mehl). Mit der V. verändert sich die Gebrauchsfähigkeit des „alten“ Stoffes. Verbände 1. allgemein: Zusammenschlüsse (Vereinigungen) von Personen mit interessenbezogener Zwecksetzung. 2. speziell: beruflich/ wirtschaftlich orientierte Personen-/Unternehmervereinigungen, wie Berufsverbände (Vereinigungen von Personen des gleichen → Berufes), Wirtschaftsverbände (Vereinigung von → Unternehmern des gleichen Wirtschaftszweiges), → Arbeitgeberverbände, Arbeitnehmerverbände (→ Gewerkschaften). Verbändestaat umschreibt die politische Allgegenwart von → Verbänden, insbesondere deren rechtlich fundierte, institutionalisierte Präsenz in den Gremien des Deutschen Bundestages mit dem Recht auf Anhörung im Gesetzgebungsverfahren. Seit 1974 sind die Verbände in der sogenannten Lobbyliste des Deutschen Bundestages eingetragen; sie beziffern sich derzeit auf über 2000. In ihrem privilegien- oder rentensuchenden (→ Rent seeking) Zusammenwirken mit den auf Wählerstimmen bedachten Politikern lassen sie unser Staatswesen zu einer „Schacherdemokratie“ (Friedrich A. von → Hayek) verkommen. Verbindlichkeiten ⇒ Fremdkapital ⇒ Schulden. Verbindung im rechtlichen Sinn das Zusammenfügen von Gegenständen mit → beweglichen oder → unbeweglichen Sachen. Die V. mehrerer Sachen miteinander bewirkt grundsätzlich noch keinen Untergang des (bisherigen) → Eigentums an den bislang getrennten Sachen; es sei denn, daß die bislang getrenn-
Verbindung
ten Sachen wesentliche Bestandteile der neuen, einheitlichen Sache werden (§§ 946, 947 Bürgerliches Gesetzbuch). Werden die bislang getrennten Sachen nicht wesentliche Bestandteile der neuen, einheitlichen Sache, so erwerben die bisherigen Eigentümer der Teile → Miteigentum an der neuen Sache. Die Miteigentumsanteile bestimmen sich nach dem Verhältnis des Wertes der verbundenen Sachen im Zeitpunkt der V. Verbot der Verhaltensabstimmung → Kartellpolitik. Verbrauch ⇒ Konsum. Verbraucher 1. wirtschaftlich: Letztes Glied im Wirtschaftsprozeß. 2. rechtlich: Jede → natürliche Person, die ein → Rechtsgeschäft zu einem Zweck abschließt, der weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann (§ 13 BGB). Verbraucheraufklärung die insbesondere der Familie darüber hinaus aber auch der Schule und den → Verbraucherorganisationen zufallende Aufgabe, den jungen Menschen über die Entwicklung seiner → Bedürfnisse aufzuklären und darüber eine kritische Reflexion seiner → Bedarfe zu erwirken. Siehe auch: → Verbrauchererziehung, → Verbraucherinformation, → Verbraucherpolitik. Verbraucherberatung die insbesondere durch → Verbraucherberatungsstellen (d. s. vor allem → Verbraucherselbst- und → Verbraucherfremdorganisationen) ausgeübte Tätigkeit. Verbraucherberatungsstellen Einrichtungen zur Beratung der Verbraucher, insbesondere → Verbraucherselbstund → Verbraucherfremdorganisationen. Verbraucherbildung ⇒ Verbrauchererziehung ⇒ Konsumentenerziehung ⇒ Konsumerziehung Unter V. (engl. Consumer Education) wird der auf die Verbraucherrolle des Bürgers bezogene Qualifikationsauftrag allgemei-
Verbraucherbildung
ner, beruflicher und lebenslanger Bildung in allen Zweigen und auf allen Stufen des Bildungssystems verstanden. Von Verbrauchersozialisation unterscheidet sie der Lehrplanbezug, von → Verbraucherinformation und → -beratung das System organisierter Lernprozesse, vom → Marketing der Vorrang der Persönlichkeitsbildung und der Aufklärung. Als bildungspolitische Querschnittsaufgabe umfasst V. die auf den handelnden Menschen zielende Vermittlung praktischer Fähigkeiten und entscheidungsrelevanter Kenntnisse. Dazu gehören: ● Schlüsselkompetenzen der → ökonomischen Bildung, ● Schlüsselkompetenzen der Ernährungsbildung, ● Schlüsselkompetenzen der finanziellen Allgemeinbildung, ● Schlüsselkompetenzen der zivilgesellschaftlichen Bildung, ● Schlüsselkompetenzen der Erziehung zum nachhaltigen Konsum. Der Sinnhorizont dieser → Kompetenzen wird durch einen Kanon von Leitlernzielen der V. erschlossen, der bereits Ende der 1970er Jahre in Grundzügen formuliert wurde: 1. Entwicklung kritischen Bewußtseins, 2. Entwicklung sozialer Konsumentenverantwortung, 3. Handlungsfähigkeit zur Verwirklichung nachhaltigen Konsumverhaltens, 4. Handlungsfähigkeit zur Verwirklichung der Einheit von Ernährung, Gesundheit, Esskultur und aktiver Lebensgestaltung, 5. Handlungsfähigkeit zur Mitwirkung an zivilgesellschaftlichen Aktivitäten. Genese der V.: Historisch ist die V. in der Tradition der hauswirtschaftlichen Mädchen- und Frauenbildung in der 2. Hälfte des 19. Jh. verwurzelt. Infolge der vom Deutschen Ausschuss für das Erziehungsund Bildungswesen Mitte der 1960er Jahre angestoßenen Bildungsreform hat sich im Verständnis von → Haushalt ein Paradigmenwechsel vollzogen, dessen Reformimpulse, verstärkt durch (haushalts-)wissenschaftliche Erkenntnisfortschritte, bis heute fortwirken. Der Haushalt wird als sozioökonomische und produktive Einheit sowie 647
Verbraucherbildung
als didaktisches Zentrum begriffen, von dem aus männliche und weibliche Jugendliche die Interdependenzen von Haushalt und Gesellschaft, Produktion und → Konsum, → Wirtschaft und → Markt, Gesundheit und Ernährung, Rechten und Pflichten, Mensch und → Umwelt erfahren, reflektieren und mitgestalten können. Bei der Entwicklung und laufenden Reform der Lehrpläne in den Ländern folgen die Kultusministerien der Bundesländer naturgemäss ihren aktuellen weltanschaulichen und schulpolitischen Prioritäten. Die von der KMK in den Jahren 1977 und 1994 vorgelegten Berichte zum Sachstand der V. in der Schule dokumentieren in der Tat eine breite Vielfalt von Ansätzen, die in Fächerzuordnung, Stundentafel, Inhalten und Methoden weder eine wissenschaftlich begründete Konzeption noch einen länderübergreifenden Harmonisierungswillen erkennen lassen. Akteure der V.: Ein starker Innovationsschub erfolgte durch die Einrichtung und (Wieder-)Besetzung von Professuren für → Wirtschaftschaftswissenschaft und Didaktik, → Arbeitslehre/Wirtschaft (Haushalt); → Haushaltswissenschaft u. a. an Universitäten und Pädagogischen Hochschulen. In Kooperation und mit Unterstützung von Bundes- und Landesministerien, Bundeszentrale für politische Bildung, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, → Verbraucherorganisationen einschließlich der → Stiftung Warentest (Wettbewerb Jugend testet), Rundfunkanstalten, Verlagen, Schulen u. a. wurde ein beachtliches Forschungs- und Entwicklungsprogramm geschaffen. Die gegenwärtige Bilanz der V., beginnend mit den „Fallstudien zur Verbraucherbildung“ sowie den Lehrplananalysen zur Verbrauchererziehung in Nordrhein-Westfalen und Bremen aus den 1970er Jahren bis zum länderübegreifenden REVIS-Curriculum (Reform Ernährungs- und Verbraucherbildung in Schulen) von 2005 und der darauf fußenden Einführung des Faches „Verbraucherbildung“ (statt Haushaltslehre) in Schleswig-Holstein 2009/2010 reichend, offenbart ein ausserordentlich breites und 648
Verbraucherbildung
beachtliches Anforderungs- und Leistungsspektrum. Zivilgesellschaftliche und politische Partner der V.: Die V. gehört neben Verbraucherinformation, → Verbraucherschutz und organisierte Interessenvertretung zu den unbestrittenen Instrumenten der → Verbraucherpolitik. Seit ihrer Gründung haben sich die von 1953 bis 2001 in der → Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände AgV zusammengeschlossenen Verbraucherverbände für den Auf- und Ausbau der V. in Allgemein-, → Berufs- und Erwachsenenbildung eingesetzt. Ein Höhepunkt dieser Bemühungen war die Gründung der Stiftung Verbraucherinstitut (VI) durch die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände AgV und die Stiftung Warentest im Jahre 1978. Die V. gehörte zum Kerngeschäft des überwiegend vom Bundeswirtschaftsministerium finanzierten Verbraucherinstituts, das bis zu seiner Fusion mit dem Verbraucherzentrale Bundesverband vzbv im Jahre 2001 zahlreiche Publikationen zu den konzeptionellen Grundlagen der V., Lehrerhandreichungen, Arbeitsmaterialien für Schüler, Tagungsberichte und diverse Medien herausgab. Ferner kooperierte das Verbraucherinstitut bei der Organisation von Fortbildungsveranstaltungen mit den Lehrerweiter- und –fortbildungseinrichtungen der Länder. Nach einem Jahrzehnt des Stillstands erhielt die V. Ende 2010 durch die „Bildungsinitiative Verbraucherkompetenz“, ein vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, ferner einem Netzwerk von Verantwortlichen aus den Kultus- und Verbraucherschutz-Ministerien sowie vom Verbraucherzentrale Bundesverband vzbv geförderter Projektverbund, einen vielversprechenden Wachstumsimpuls. Die zunächst auf Bund und Länder zielende Forderung nach V. für alle Schüler aller Schulstufen und -formen wurde in den 1970er Jahre auch auf die Europäische Union ausgedehnt. Vom ersten EU-Seminar zur Verbraucherbildung 1977 in London über die Aufnahme des Rechts auf V. in § 169 des EU-Vertrages bis hin zur Projektförderung
Verbraucherbildung
des europaweit agierenden Consumer Citizenship Networks (CCN) 2004–2009 wurde die V. durch die EU-Kommission dauerhaft unterstützt. Mit Beginn der politischen Wende von 1989 gehörte die V. zum Kernbestand von Projekten zum Auf bau von Verbraucherorganisationen in fast allen mittelund osteuropäischen Ländern, an der Spitze die EU-Beitrittskandidaten, z. B. Polen, Slowakei, Slovenien, Estland. Zusätzlich zu den Projektmitteln nationaler Regierungen und der EU-Kommission wurde die V. insbesondere von den skandinavischen Staaten tatkräftig gefördert. Mit ihrer Unterstützung konnte die Zeitschrift „News & Information about Consumer Education“ (NICE-Mail) von 1994 bis 2007 als Kommunikationsmedium für das informelle Netz der Verbrauchererzieher in Europa (ENCE) herausgegeben werden. Auf private Initiative wurde im Jahr 2000 an der Technischen Universität Berlin ein nicht dotierter Preis, der Tower Person Award for Consumer Educators in Europe and International (TOPACE), zur Anerkennung von besonderen Leistungen bei der Föderung der V. gestiftet. Auch außerhalb der EU fiel die Forderung nach V. auf fruchtbaren Boden. Auf Initiative der Regierung Japans veröffentlichte die → OECD im März 2009 einen Bericht zur Situation und Perspektive der Verbraucherbildung weltweit. Unter den 13 Teilnehmerstaaten stammen 6 aus Europa. Die Bundesrepublik nahm an der freiwilligen Umfrage der OECD nicht teil. Angesichts der Komplexität und Dynamik, denen die V. im Spannungsfeld von Entwicklungen in der Pädagogik, in der Politik, in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, vor allem in der Verbraucher-, Umwelt- und Klimaschutzpolitik permanent ausgesetzt ist, gehört ihre Modernisierung und grenzüberschreitende Harmonisierung zu den dauerhaften Herausforderungen der Bildungsreform in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland und in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Literatur: Dörge, F.-W./Steffens, H. (Hrsg.): Fallstudien zur Verbraucherbildung, Bde. 1–5, Ravensburg 1974–1980, Kaminski,
Verbraucherdarlehen(svertrag)
H.: Verbrauchererziehung in der Sekundarstufe I, Bad Heilbrunn 1978; Lackmann,J. (Hrsg.): Verbraucherpolitik und Verbraucherbildung, Weingarten 2002; OECD: Promoting Consumer Education-Trends, Policies and Good Practices, Paris 2009; Pleiß, M.: Konsumentenerziehung, in May, H. (Hrsg.): Handbuch zur ökonomischen Bildung, 9. Aufl., München 2005, S. 97 ff.; Preuß,V./Steffens, H. (Hrsg.): Marketing und Konsumerziehung, Frankfurt/M. 1993; Schlegel-Matthies, K.: Verbraucherbildung im Forschungsprojekt REVIS-Grundlagen, in: Heseker, H. (Hrsg.): Paderborner Schriften zur Ernährungs- und Verbraucherbildung, Band 02, Paderborn 2004; Steffens, H.: Strategie der Verbraucherbildung, in: Biervert, B.u. a. (Hrsg.): Verbraucherpolitik in der Marktwirtschaft, Reinbek b. Hamburg 1978, S.224ff.; Verbraucherzentrale Bundesverband (Hrsg.): „PISA“ in der Verbraucherbildung, Berlin 2005 Prof. Dr. Dr. h.c. Heiko Steffens, Berlin Verbraucherdarlehen(svertrag) Durch den Darlehensvertrag (§ 488 BGB n. F.) wird der Darlehensgeber verpflichtet, dem Darlehensnehmer einen Geldbetrag in der vereinbarten Höhe zur Verfügung zu stellen. Der Darlehensnehmer ist verpflichtet, einen geschuldeten Zins zu zahlen und bei Fälligkeit das zur Verfügung gestellte → Darlehen zurückzuerstatten. Entgeltliche Darlehensverträge zwischen einem → Unternehmer als Darlehensgeber und einem → Verbraucher als Darlehensnehmer (V.) sind nach § 492 BGB n. F., soweit nicht eine strengere Form vorgeschrieben ist, schriftlich abzuschließen. Die vom Darlehensnehmer zu unterzeichnende Vertragserklärung muß angeben: – den Nettobetrag, gegebenenfalls die Höchstgrenze des Darlehens; – den Gesamtbetrag aller vom Darlehensnehmer zur Tilgung des Darlehens sowie zur Zahlung der Zinsen und sonstigen Kosten zu entrichtenden Teilzahlungen; – die Art und Weise der Rückzahlung des Darlehens; – den Zinssatz und alle sonstigen Kosten des Darlehens; 649
Verbraucherdarlehen(svertrag)
– den → effektiven Jahreszins; – die Kosten einer Restschuld- oder sonstigen Versicherung, die im Zusammenhang mit dem V. abgeschlossen wird; – zu bestellende Sicherheiten. Der Darlehensgeber hat dem Darlehensnehmer eine Abschrift der Vertragserklärungen zur Verfügung zu stellen. Die vorgenannten Bestimmungen gelten nach § 491 BGB n. F. nicht für V., – bei denen das auszuzahlende Darlehen (Nettodarlehen) 200 Euro nicht übersteigt; – die ein → Arbeitgeber mit seinem → Arbeitnehmer zu → Zinsen abschließt, die unter den marktüblichen Zinsen liegen; – die im Rahmen der Förderung des Wohnungswesens und des Städtebaus zu Zinssätzen abgeschlossen werden, die unter den marktüblichen Sätzen liegen; – die der Finanzierung des Erwerbs von → Wertpapieren, → Devisen, → Derivaten oder Edelmetallen dienen; – bei denen ein → Kreditinstitut einem Darlehensnehmer das Recht einräumt, sein laufendes Konto in bestimmter Höhe zu überziehen (d. h. für Überziehungskredite). Dem Darlehensnehmer steht beim V. ein → Widerrufsrecht nach § 355 BGB n. F. zu. Der Widerruf muß keine Begründung enthalten und ist innerhalb von zwei Wochen in Textform gegenüber dem Darlehensgeber zu erklären; zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem dem Darlehensnehmer eine deutlich gestaltete Belehrung über sein Widerrufsrecht in Textform mitgeteilt worden ist. Die Frist beginnt nicht zu laufen, bevor dem Darlehensnehmer auch eine Vertragsurkunde, sein schriftlicher Antrag oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder seines Antrages zur Verfügung gestellt werden. Das Widerrufsrecht erlischt spätestens sechs Monate nach Vertragsabschluß. Der Darlehensnehmer kann nach § 489 BGB n. F. den Darlehensvertrag ganz oder teilweise kündigen, – wenn die Zinsbindung vor der für die Rückzahlung bestimmten Zeit endet 650
Verbraucherfremdorganisationen
und keine neue Vereinbarung über den → Zinssatz getroffen ist, unter Einhaltung einer → Kündigungsfrist von einem Monat, frühestens für den Ablauf des Tages, an dem die Zinsbindung endet; – wenn das Darlehen nicht durch ein → Grundpfandrecht gesichert ist, nach Ablauf von sechs Monaten nach dem vollständigen Empfang unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten; – in jedem Fall nach Ablauf von zehn Jahren nach dem vollständigen Empfang unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten. Der Darlehensnehmer kann einen Darlehensvertrag mit veränderlichem Zinssatz jederzeit unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten kündigen. Der Darlehensnehmer kann nach § 490 Abs. 2 BGB n. F. einen Darlehensvertrag, bei dem für einen bestimmten Zeitraum ein fester Zinssatz vereinbart und das Darlehen durch ein Grundpfandrecht gesichert ist, unter Einhaltung der Kündigungsfristen des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB n. F. vorzeitig kündigen, wenn seine berechtigten Interessen dies gebieten. Der Darlehensgeber kann nach § 490 Abs. 1 BGB n. F. den Darlehensvertrag vor Auszahlung des Darlehens im Zweifel stets, nach Auszahlung in der Regel nur dann fristlos kündigen, wenn in den Vermögensverhältnissen des Darlehensnehmers oder in der Werthaltigkeit einer für das Darlehen gestellten Sicherheit eine wesentliche Verschlechterung eintritt oder einzutreten droht und dadurch die Rückerstattung des Darlehens gefährdet wird. Verbrauchererziehung ⇒ Konsumentenerziehung ⇒ Konsumerziehung ⇒ Verbraucherbildung. Verbraucherfremdorganisationen Träger spezieller verbraucherpolitischer Aktivitäten; gehen in aller Regel nicht aus Verbraucherinitiativen hervor, sondern aus solchen anderer Interessengruppen oder Organisationen, denen an einer Stärkung der Verbraucherposition gelegen ist. Die wohl bedeutendste bundesdeutsche V. ist der
Verbraucherfremdorganisationen
2000 gegründete Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (vzbv), die Dachorganisation der 16 Verbraucherzentralen in den Bundesländern sowie 22 weiterer verbraucher- und sozialorientierter bundesdeutscher Organisationen mit Sitz in Berlin. In ihm verschmolzen im Zuge einer Strukturreform der deutschen Verbraucherorganisationen die traditionsreiche Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände e. V. (AgV), die Stiftung Verbraucherinstitut (VI) und der Verbraucherschutzverein (VSV). Die zweite, äußerst aktive V. ist die 1964 von der Bundesregierung ins Leben gerufene → Stiftung Warentest (Berlin) mit ihrer Zeitschrift „test“ und „Finanztest“. Das Hauptanliegen beider Organisationen ist eine Verbesserung der → Markttransparenz wie auch die Bildung eines stärkeren Verbraucherbewußtseins. → Verbraucherselbstorganisationen, → Verbraucherpolitik. Verbraucherinformation die von nichtstaatlichen und staatlichen Einrichtungen (→ Verbraucherverbände, → Verbraucherzentralen, → Verbraucherberatungsstellen, → Verbraucherorganisationen) wie auch von Seiten der → Produzenten den Verbrauchern zur Optimierung ihrer Kaufentscheidungen angebotenen Nachrichten. V. zielt auf eine Erhöhung der → Markttransparenz. Verbraucherinsolvenzverfahren → Insolvenzverfahren. Verbraucheroganisationen spezielle Träger verbraucherpolitischer Aktivitäten (→ Verbraucherpolitik; → Verbraucherfremdorganisationen, → Verbraucherselbstorganisationen. Verbraucherpolitik Im Rahmen der gegenwärtigen Ordnung der → Sozialen Marktwirtschaft läßt sich die V. als ein eigenständiger Bereich der → Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik erkennen. Dabei umfaßt die V. im weitgefaßten Sinne sämtliche Maßnahmen, die auf eine Stärkung der Stellung des Verbrauchers im Marktgeschehen abzielen. Herkömmlicherweise wird daher die V. in die Bereiche
Verbraucherpolitik
→ Verbraucherschutz (rechtliche Maßnahmen), → Verbraucherinformation (aufklärende Maßnahmen) und → Verbrauchererziehung (Bildungsmaßnahmen) unterteilt. Weder im Grundgesetz noch im Vertrag zur Gründung der → Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft werden Verbraucherbelange erwähnt. Die Förderung des → Wettbewerbs, steigendes → Wirtschaftswachstum, ausgedehnter Handel sowie der Abbau von → Handelshemmnissen wurden u. a. als wirtschaftliche Ziele propagiert, mit denen gewissermaßen von selbst Verbraucherinteressen bestmöglich mitverfolgt werden sollten und die eigenständige V. als überflüssig erscheinen ließen. Dem lag die Vorstellung zugrunde, daß die Verbraucher in einer marktwirtschaftlichen Ordnung über ihre → Nachfrage die Steuerung der Gesamtproduktion von → Gütern und → Dienstleistungen erreichen können. Die Verbraucherentscheidungen seien Wahlhandlungen, und zwar in dem Sinne, daß jeder Konsument täglich über den Kauf oder über die Ablehnung von Gütern und Dienstleistungen letzthin ein Produktionsurteil fällt. Andererseits wird jedoch entgegnet, daß der Verbraucher nur schwerlich diese Stellung erreichen kann, da er in vielfältiger Weise von den Anbietern beeinflußt wird. Nicht der frei entscheidende Konsument, sondern der außengeleitete Konsument mit manipulierten → Bedürfnissen sei der Prototyp heutiger Industriegesellschaften, ein Opfer raffiniert ausgeklügelter Werbestrategien und des verschwenderischen Massenkonsums. Außerdem sei zu bedenken, daß die → Einkommen der Konsumenten keineswegs gleichmäßig verteilt sind. In der Folgezeit zeigte sich jedoch, daß z. B. → Wettbewerbsbeschränkungen, unlauteres Geschäftsgebaren und aggressive Marketingstrategien die Stellung der Verbraucher im → Markt zunehmend verschlechterten. Als Ende der 1960er Jahre der Konsumerismus in den USA beachtliche Erfolge im Interesse von Verbrauchern erlangen konnte, Anfang der 1970er Jahre deutliche Unterschiede in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung feststellbar waren, wurden in Anlehnung an die von Präsi651
Verbraucherpolitik
dent John F. Kennedy im Jahre 1962 an den amerikanischen Kongreß gerichtete Verbraucherbotschaft fünf grundlegende Rechte dem Verbraucher zugestanden: Recht auf Schutz seiner Gesundheit und Sicherheit, Recht auf Schutz seiner wirtschaftlichen Interessen, Recht auf Wiedergutmachung erlittenen Schadens, Recht auf Unterrichtung und → Bildung, Recht auf Vertretung (Recht, gehört zu werden). Seit dem Vertag über die Gründung der → Europäischen Union (Maastricht, 1992) wurde die Verbraucherpolitik, verankert in § 129 a EGV, zu einem expliziten Gegenstand der gemeinsamen Politik. Die Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz der Europäischen Kommission folgte im Jahre 2007 dieser grundsätzlichen Zielsetzung und verankerte die „Verbraucherpolitische Strategie der EU 20072013 – Stärkung der Verbraucher, Verbesserung des Verbraucherwohls, wirksamer Verbraucherschutz“ – Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und an den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss. Als Fazit hat sich die EUKommission in dieser Strategie zum Ziel gesetzt: „Verbraucherpolitik ist auf einzigartige Weise dazu geeinget, der EU zu verhelfen, die doppelte Herausforderung mit Namen ‚Wachstum und Beschäftigung‘ und ‚Zurück zur Bürgernähe‘ zu bestehen. Zielvorstellung der Kommission ist es, bis zum Jahr 2013 allen Bürgern in der EU deutlich vor Augen führen zu können, dass sie ohne Bedenken überall in der EU einkaufen können, ob im Laden um die Ecke oder im Internet, weil sie sich darauf verlassen können, gleichermaßen rechtlich geschützt zu sein.“ (Verbraucherpolitische Strategie der EU 2007–2013, Seite 25). Bereits im Jahre 1985 übernahmen die Vereinten Nationen acht Konsumentenrechte (World Consumer Rights), die mittlerweile allgemein international anerkannt sind: “The right to satisfaction of basic needs: To have access to basic essential goods and services, adequate food, clothing, shelter, health care, education and sanitation. The right to safety: To be protected against products, production processes and serv652
Verbraucherpolitik
ices, which are hazardous to life or health. The right to be informed: To be given facts needed to make an informed choice, and to be protected against dishonest or misleading advertising and labelling. The right to choose: To be able to select from a range of products and services, offered at competitive prices with an assurance of satisfactory quality. The right to be heard: To have consumer interests represented in the making and execution of government policy, and in the development of products and services. The right to redress: To receive a fair settlement of just claims, including compensation for misrepresentation, shoddy goods or unsatisfactory services. The right to consumer education: To acquire knowledge and skills needed to make informed, confident choices about goods and services while being aware of basic consumer rights and responsibilities and how to act on them. The right to a healthy environment: To live and work in an environment that is non-threatening to the well being of present and future generations.’’ Darüber hinaus wurde der 15. März zum World Consumer Rights Day erklärt. Des weiteren wurde im Rahmen der Analyse des Konsumverhaltens davon ausgegangen, daß im groben Raster mindestens vier Verhaltensweisen der Verbraucher maßgeblich für Kaufentscheidungen sind: Rationalverhalten (idealtypischer Konsument mit vollständigen Informationen), Impulsverhalten (zufällige und willkürlich determinierte Kaufentscheidungen), Gewohnheitsverhalten (Orientierung an früheren Entscheidungen mit positiven Erfahrungen) und sozial abhängiges Verhalten (Entscheidungen mit interpersoneller Abhängigkeit). Es ist eine nicht zu leugnende Tatsache, daß die Mehrzahl der Konsumenten nur über eine unzureichende, unvollständige → Markttransparenz in bezug auf → Preise, Quantität, Qualität, räumliche und zeitliche, sowie umweltfreundliche Ausprägung der Produkte verfügt. Betrachten die Konsumenten z. B. lediglich den Preis als Orientierungsgröße für ihre Konsumentscheidungen, dann werden häufig Preisabweichungen gar nicht vollständig wahr-
Verbraucherpolitik
genommen. Hält der Konsument den Preis für einen Qualitätsmaßstab, dann droht ihm die Gefahr, daß er bewußt überteuerten Angeboten zum Opfer fällt. Der Mangel an Kenntnissen über die Qualität der angebotenen Produkte ist einmal die Folge der im Zuge der Industrialisierung sich ergebenden Vielfalt an Produkten und zum anderen das Ergebnis der Produktdifferenzierung und sonstiger Marketingaktivitäten der → Unternehmungen. Oft genug verfügt der Konsument auch nicht über die entsprechenden technischen Kenntnisse zur Überprüfung der Qualität sowie der Umweltfreundlichkeit, und nicht selten werden die technischen Merkmale nur sehr verklausuliert oder sogar unzureichend angegeben. Staatlich unterstützte Verbraucherinstitutionen (→ Verbraucherzentralen, → Stiftung Warentest) geben den Konsumenten Informationen über die Qualität von Gütern und Dienstleistungen. Dabei zeigt sich jedoch, daß gerade einkommens- und bildungsschwache Bevölkerungsgruppen von diesen Informationsangeboten nur unwesentlich erreicht werden, was z. T. an der Informationsgestaltung und -verteilung, aber sicherlich auch an den äußerst bescheidenden Mittelzuweisungen der öffentlichen Hand an die Verbraucherinstitutionen liegt. Eine mögliche Hilfestellung für einkommensund bildungsschwache Bevölkerungsgruppen (Sozialhilfeempfänger, → Arbeitslose, kinderreiche Alleinerziehende) wäre durch eine → Verbraucherberatung in den jeweiligen Stadtteilen bzw. Gemeinden gegeben, zumal häufig schwerwiegende Problemlagen (Ehestreitigkeiten, Alkoholismus, Drogenabhängigkeit, Straftaten) ihre Ursache auch in der geringen Fähigkeit zur Gestaltung des Haushaltsgeschehens (→ Ratenlieferungsverträge, Überschuldung) haben. Aus den dargelegten Schwächen der → Konsumentensouveränität könnte zu der Forderung gelangt werden, daß zur besseren Wahrung der Konsumenteninteressen Verbraucherzusammenschlüsse in staatlich unterstützten Verbraucherverbänden oder privaten Verbrauchervereinen notwendig wären. Dem läßt sich entgegenhalten, daß Verbraucherverbände als systemwidri-
Verbraucherpolitik
ge Gruppenorganisationen in der → Marktwirtschaft, die dezentrale Entscheidungen der Konsumenten verlangt, prinzipiell keinen Raum hätten. Des weiteren ist zu beachten, daß in der Regel die Verbrauchervertreter von → Verbraucherorganisationen entsendet werden, die meistens nicht über eine ausreichende Basislegitimation verfügen (keine oder nur eine geringe Anzahl an Direktmitgliedern) und zudem häufig eine eher mittelschichtorientierte Vertretung von Verbraucherinteressen betreiben. In der Realität zeigt sich im Gegensatz zu der äußerst geringen Organisationsfähigkeit der Konsumenten, daß der Unternehmenssektor seine ökonomischen Interessen zum Teil in ausgeprägten und schlagkräftigen Organisationen verfolgt. Der Aufbau von organisierter Gegenmacht der Konsumenten, vor allem der breiten Masse der Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen, könnte sicherlich notwendig werden, je „vermachteter“ die Unternehmensseite sich darstellt. Auch wären partiell Käuferstreiks (Käuferboykotts) dahingehend zu untersuchen, ob solidarisches Handeln einzelner Verbrauchergruppen Angebotskonditionen nicht mehr kampflos hinzunehmen erwirkt. Im Rahmen des Verbraucherschutzes wurden daher durch gesetzliche Maßnahmen (z. B. Änderung des → Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, → Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, → Haustürgeschäfte) und höchstrichterliche Entscheidungen die rechtliche Stellung der Verbraucher gegenüber den Anbietern verbessert. Andererseits wurde behauptet, daß der Verbraucher in einer dynamischen Wirtschaftsentwicklung durch gesetzliche Maßnahmen kaum vollständig geschützt werden kann. Gleichwohl, dies führt eher zu der Frage der Reaktionsfähigkeit des Gesetzgebers und der wirtschaftlich vertretbaren Kosten von Verbraucherschutzmaßnahmen, als zu der prinzipiellen staatlichen Verpflichtung gegenüber jenen Verbrauchern, die ihre Konsumbelange nur unzureichend wahrnehmen können. Auch gilt es zu bedenken, daß rechtliche Maßnahmen, die ein individuelles Klagerecht ermöglichen, in der Realität nur von einigen wenigen, meistens finan653
Verbraucherpolitik
ziell abgesicherten Verbrauchern wahrgenommen werden. Es trifft sicherlich zu, daß die Verbraucher infolge mangelnder Markttransparenz der Informationshilfe von Verbraucherverbänden, Verbraucherzentralen und von unabhängigen Warentest-Institutionen sowie des rechtlichen Verbraucherschutzes bedürfen. → Verbraucheraufklärung (z. B. Einkaufs-, Ernährungs-, Energie- und Budgetberatung) müssen die eigenständigen Bemühungen der Konsumenten um ein autonomes Konsumverhalten unterstützen. Dies kann sich aber nur dann als sinnvoll erweisen, wenn die → Verbrauchererziehung im Bildungswesen, sozusagen von der Grundschule bis zur Hochschule, einen festen Platz hat. Die Verbrauchererziehung verdeutlicht sich in der Forderung nach Vermittlung von Einsichten und der Anleitung zu Handlungsstrategien, die die Schüler befähigen sollen, ihre Lebensbedingungen im Konsumund Produktionsbereich aus der Position des Verbrauchers zu erkennen und entsprechend im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung zu verändern, die staatliche V. in ihren Grundzügen zu verstehen und Mitbestimmungsmöglichkeiten an ihrer Gestaltung zu erkennen sowie schließlich die Wahrnehmung des → Verbraucherrechts sowohl gegenüber dem gewerblichen als auch dem öffentlichen Anbieterbereich zu ermöglichen. Prof. Dr. W. Chr. Fischer, Townsville (Australien) Verbraucherrecht Gesamtheit der Gesetze wie auch die aus der richterlichen Rechtsfindung erwachsenen Rechtsnormen, die die dem → Konsum der → privaten Haushalte zugrunde liegenden Rechtsbeziehungen regeln; so insbesondere: die einschlägigen Teile des Bürgerlichen Gesetzbuches und des Handelsgesetzbuches. Verbraucherschutz rechtlicher Schutz des Verbrauchers; umfaßt zwei Teilbereiche: 1. Schutz der Gesundheit. Ihm dienen eine Vielzahl von Rechtsvorschriften, die sich einerseits auf Produk654
Verbraucherverträge
te (Lebensmittelgesetz, Arnzeimittelgesetz u. a.), andererseits auf Produktionsverfahren (Bundesimmissionschutzgesetz, Abwasserbeseitigungsgesetz u. a.) beziehen. Auch die → Produzentenhaftung kann diesem Bereich zugeordnet werden. 2. Schutz der Marktstellung. Ihr dienen insbesondere rechtliche Vorschriften zur Erhöhung der → Markttransparenz (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Fertigpackungsverordnung, Verbot der → Preisbindung u. a.) wie auch zur Stärkung der Rechtsposition des Verbrauchers gegenüber dem Anbieter (so bei Ratenzahlungsverträgen, → Haustürgeschäften, Reisen (→ Reisevertrag), → Mietverhältnissen, Fernunterricht. Verbraucherselbstorganisationen Träger spezieller verbraucherpolitischer Aktivitäten; gehen aus Initiativen von Verbrauchern zu gemeinsam verbundenem Handeln hervor. Auch sie unterliegen der Absicht, die Marktposition des Verbrauchers durch Interessenbündelung zu verbessern. Neben einer Vielzahl in der Rechtsform des eingetragenen Vereins bestehender örtlicher Verbraucherinitiativen – vorrangig zur Vertretung spezieller Verbraucherinteressen, wie zum Beispiel der Deutsche Mieterbund oder die Automobilverbände ADAC und AvD – bilden sich gelegentlich auch Spontanzusammenschlüsse von Verbrauchern zur Boykottierung bestimmter Waren, Preise und/oder Produzenten beziehungsweise Händler mit der Absicht, den Anbieter zu einer Änderung seines Marktverhaltens zu veranlassen. → Verbraucherfremdorganisationen, → Verbraucherpolitik. Verbraucherverbände → Verbände, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Verbraucher durch entsprechende Informationen (→ Verbraucherinformation) aufzuklären (→ Verbraucheraufklärung) und zu beraten (→ Verbraucherberatung). Verbraucherverhalten ⇒ Konsumentenverhalten. Verbraucherverträge → Verträge, die zwischen einem → Unternehmer und einem → Verbraucher abgeschlossen werden.
Verbraucherzentralen
Verbraucherzentralen auf Länderebene (mit örtlichen Beratungsstellen) operierende, unabhängige, größtenteils öffentlich finanzierte, gemeinnützige Organisationen im Dienste der Verbraucherinteressen. Haben nach § 3 Nr. 8 Rechtsberatungsgesetz das Recht, Verbraucher in Rechtsfragen zu beraten; darüberhinaus können sie diese gegebenenfalls auch gerichtlich vertreten. → Verbraucherzentrale Bundesverband, → Verbraucherinformation, → Verbraucherberatung. Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv) in Berlin residierende Dachorganisation der 16 → Verbraucherzentralen der (Bundes-) Länder und von 25 verbraucherpolitisch orientierten Organisationen. Sie vertritt die Interessen der → Verbraucher gegenüber Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auf Bundesebene. Verbrauchsgüter → Güter. Verbrauchsgüterkauf → Kaufvertrag 5. Verbrauchsteuern → Steuern, die auf den → Verbrauch bestimmter → Güter erhoben werden (z. B. Mineralölsteuer, Tabaksteuer, Branntweinsteuer, Kaffeesteuer). verbundene Hausratversicherung → Hausratversicherung. verbundene Wohngebäudeversicherung → Wohngebäudeversicherung. Verdienst ⇒ Arbeitslohn ⇒ Lohn ⇒ Arbeitsentgelt. Verdrängungswettbewerb marktwirtschaftliches Wettbewerbsverhalten, das auf die Verdrängung von Konkurrenten vom Markt gerichtet ist. Verein im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) eine Vereinigung von Personen, die auf den Wechsel der Mitglieder abstellt und so konstruiert ist, daß die jeweiligen Mit-
Vergleichswohnungen
glieder für den Bestand der Vereinigung nicht wesentlich sind. Seine → Rechtsfähigkeit (rechtfähiger V.) erlangt der V. durch Eintragung ins V.-register oder durch staatliche Verleihung (§ 22 BGB). Der nichtrechtsfähige V. (d. i. ein V., der weder im V.register eingetragen ist, noch durch staatliche Verleihung die Rechtsfähigkeit erlangt hat) untersteht, obwohl er keine → Gesellschaft ist, den für die Gesellschaft geltenden Vorschriften. vereinbarte Güterstände → eheliches Güterrecht. Verein für Socialpolitik → Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften – Verein für Socialpolitik –. Verfügung 1. im öffentlilchen Recht: staatlicher Verwaltungsakt, der sich als Gebot, Verbot oder Erlaubnis an eine oder mehrere Person(en) richtet. 2. im Zivilrecht: Jedes → Rechtsgeschäft, durch das ein Recht unmittelbar aufgehoben, übertragen, seinem Inhalt nach verändert oder belastet wird (z. B. → Übereignung, → Verpfändung, → Abtretung einer Forderung). Verfügungsrechte ⇒ Property Rights ⇒ Ökonomische Theorie der Eigentumsrechte. Vergleich → Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewißheit über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird (§ 779 Bürgerliches Gesetzbuch). Der V. kann außergerichtlich (außergerichtlicher V.) wie auch gerichtlich (gerichtlicher V.) geschlossen werden. → Insolvenzverfahren. Vergleichsmiete, ortsübliche → Mietvertrag. Vergleichswohnungen Begriff des Mietrechtes. Als V. gelten Wohnungen, für die bereits → Mieten in der Höhe bezahlt werden, die der Vermieter zu verlangen beabsichtigt. Diese Wohnungen müssen vom Vermieter genau beschrieben werden, so daß sie vom Mieter genau aus655
Vergleichswohnungen
findig gemacht und überprüft werden können. Der Vermieter muß dem Mieter 3 V. nennen. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ⇒ Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 1. im Verwaltungsrecht: Die öffentliche Verwaltung darf in die Rechtsphäre des Bürgers nur insoweit eingreifen, als es erforderlich ist; die Wirkungen des Eingriffs dürfen nicht im Mißverhältnis zum beabsichtigten Erfolg stehen. 2. im → Arbeitsrecht, insbesondere im Kündigungsrecht: Die in § 1 Kündigungsschutzgesetz für ein → Arbeitsverhältnis aufgeführten Kündigungsgründe unterliegen dem V. So muß der → Arbeitgeber vor einer → Kündigung wegen fortdauernder Krankheit (Dauererkrankung) zunächst versuchen, den krankheitsbedingten Arbeitsausfall durch Überbrükkungsmaßnahmen (z. B. Einstellung einer Hilfskraft, Veränderung der → Arbeitsorganisation) zu verkraften; eine verhaltensbedingte Kündigung kann vom Arbeitgeber erst dann ausgesprochen werden, wenn der → Arbeitnehmer zuvor abgemahnt (→ Abmahnung) wurde. Verhaltensökonomie Die V. (englisch: behavioural economics) ist zurzeit eines der dynamischsten Forschungsfelder in der → Wirtschaftstheorie und der → Finanzwissenschaft (einen guten Überblick liefert Beck 2009). Verschiedene Ökonomen und Psychologen haben für ihre bahnbrechenden Arbeiten auf diesem Gebiet Nobelpreise erhalten. In ihren verschiedenen Entwicklungslinien hat die V. wichtige Beiträge zur Erweiterung des Verständnisses von → Wirtschaftssubjekten geliefert. Sie ist damit ein interessantes Beispiel für die Fähigkeit der Ökonomik als Wissenschaft, sich neuen Ansätzen zu eröffnen und lange Zeit als Standard betrachtete Annahmen kritisch zu hinterfragen. Die zumeist experimentelle Vorgehensweise sowie manche aus den neuen Erkenntnissen abgeleiteten Politikempfehlungen (dazu Falk 2003) sind allerdings umstritten, weil sie oft paternalistische Thesen beinhalten. Der Diskurs über die Bewertung und Politikimpli656
Verhaltensökonomie
kationen verhaltensökonomischer Erkenntnisse ist daher noch in vollem Gange. Worum geht es in der V.? Die V. ist, ebenso wie die neoklassische Ökonomik, positivistisch geprägt, d. h. sie bedient sich der empirischen Falsifizierung rigoros (i. d. R. mathematisch) formulierter Hypothesen, um Erkenntnisfortschritt zu erzielen. Im Gegensatz zur → Neoklassik ziehen Verhaltensökonomen aber realistische Annahmen unrealistischen vor. Ihr Ansatz besteht nicht darin, menschliches Verhalten mit ökonomischen Methoden zu erklären, sondern darin, die neoklassischen Annahmen in Bezug auf die → Rationalität von Wirtschaftssubjekten kritisch zu hinterfragen. Es geht also um die Berücksichtigung psychologischer Prinzipien menschlicher Entscheidungen, z. B. sozialer Einflüsse, kognitiver Faktoren oder auch von Emotionen, Instinkten usw. Die meisten dieser Prinzipien werden mit dem ökonomischen Standardpaket an Annahmen über die Rationalität von Wirtschaftssubjekten (→ Homo oeconomicus) nicht erfasst. Das neoklassische → Menschenbild des Homo oeconomicus (dazu Schlösser 1992) beinhaltet die fundamentale Annahme der vollkommenen individuellen Rationalität. Das bedeutet: Es wird unterstellt, dass Homines oeconomici Entscheidungen so treffen, indem mit gegebenem Ressourceneinsatz eine Zielfunktion maximiert bzw. ein gegebener Zielerreichungsgrad mit einem minimalen Ressourceneinsatz angestrebt wird. Die V. akzeptiert dieses Grundkonzept, geht aber davon aus, dass der individuellen Rationalität menschlicher Entscheidungsträger mehr oder weniger enge Grenzen gesetzt sind (Simon 1987, S. 221). Wenn dies so ist, sollte Ziel der Forschung sein, empirisch zu erfassen, wodurch menschliche Rationalität unter welchen Rahmenbedingungen in welchen Aspekten begrenzt wird. Hieraus lassen sich ggfs. Gesetzmässigkeiten ableiten, mit deren Hilfe die ökonomische Theorie realistischer gestaltet werden kann. Die umfangreiche und schnell wachsende Literatur zur V. kann man grob in vier große Kategorien einteilen: Die erste be-
Verhaltensökonomie
Verhaltensökonomie
fasst sich mit grundsätzlichen Fragen der Rationalität, die zweite mit der Erklärung sog. „entscheidungstheoretischer Anomalien“ mit Hilfe psychologischer Methoden, die dritte mit Phänomenen wie Fairness, Altruismus, Reziprozität sowie sozialen Präferenzen und die vierte mit der Ineffizienz von Märkten und Herdenverhalten. Diese vier Ansätze sollen im Folgenden kurz, teilweise anhand von ausgewählten Beispielen, skizziert werden. Der älteste verhaltensökonomische Ansatz befasst sich mit „eingeschränkter Rationalität“. Eine der frühesten Arbeiten zu diesem Thema stammt von Herbert A. Simon (1947). Simon kritisierte an der herkömmlichen Entscheidungstheorie, dass Menschen entgegen der Homo oeconomicus-Annahme keine unbegrenzten kognitiven Ressourcen zur Entscheidungsfindung zur Verfügung stehen. Informationen können nur begrenzt und kontextabhängig wahrgenommen, gespeichert und verarbeitet werden. Aus diesem Grund bedienen Menschen sich in komplexen Entscheidungssituationen oft Heuristiken und Faustregeln, die sich als brauchbar erwiesen haben. Unter gegebenen Rahmenbedingungen ist dieses Verhalten rational. Gerd Gigerenzer und Reinhard Selten (2002) demonstrieren bspw. wie sich mit vereinfachten Entscheidungsregeln oft überraschend gute Ergebnisse erzielen lassen. Auf diesem Gebiet konnte sich bislang aber noch keine einheitliche Stoßrichtung entwickeln. Leider bleibt daher der Beitrag dieses viel versprechenden Ansatzes zur
ökonomischen Mainstream-Forschung verhältnismäßig gering. Die zweite große Stoßrichtung der V. befasst sich mit entscheidungstheoretischen Anomalien. Hier geht es darum, bestimmte, mit dem Homo oeconomicus-Konzept nicht in Einklang stehende Paradoxien zu lösen und allgemeinere Entscheidungstheorien zu formulieren, bei denen derartige Anomalien vermieden werden. Diese Forschungsrichtung befasst sich mit Verhalten bei Unsicherheit, Risiko sowie intertemporalen Entscheidungen und hat sich als sehr fruchtbar und erfolgreich erwiesen. Viele ihrer Erkenntnisse sind heute Teil der MainstreamÖkonomik. Die Vorgehensweise soll hier kurz anhand von drei Beispielen erläutert werden. 1.) Betrachten wir zuerst das sog. „AllaisParadoxon“. Hier geht es darum, dass Menschen in reproduzierbaren Experimenten dazu neigen, ein Verhalten an den Tag zu legen, welches mit der neoklassischen Erwartungsnutzentheorie unvereinbar ist. Betrachten wir dazu die folgende Versuchsanordnung (siehe Schaubild): Die Versuchsteilnehmer werden befragt, welche von beiden A-Lotterien sie bevorzugen und anschließend welche von beiden B-Lotterien. Die meisten Befragten entscheiden sich für die Lotterien A-1 und B-2 Die Erwartungsnutzentheorie postuliert aber, dass sie sich für B-1 entscheiden müssten, wenn sie zuvor A-1 gewählt haben. Eine mögliche Erklärung ist, dass Versuchspersonen monotone Transformationen der Wahrscheinlich-
Wahlmöglichkeit A Lotterie
A-1
A-2
Wahrscheinlichkeit
Gewinn
1
3.000 €
0
0€
0,8
4.000 €
0,2
0€
Wahlmöglichkeit B Erwartungswert
Lotterie
3.000 €
B-1
3.200 €
B-2
Wahrscheinlichkeit
Gewinn
Erwartungswert
0,25
3.000 €
0,75
0€
750 € 750 €
0,2
4.000 €
0,8
0€
800 €
Schaubild: Allais-Paradoxon 657
Verhaltensökonomie
keiten auf hohem Niveau (100 % im Vergleich zu 80 %) und solche auf niedrigem Niveau (25 % im Vergleich zu 20 %) unterschiedlich wahrnehmen. Eine andere ist, dass sichere Auszahlungen, wie bei A-1, als besonders wünschenswert wahrgenommen werden und „rationale“ Entscheidungen daher verzerren. Diese und ähnliche Paradoxien (z. B. das Ellsberg- und das Sankt Petersburg-Paradox) wurden von Verhaltensökonomen aufgegriffen und zur Verbesserung der ökonomischen Entscheidungstheorie genutzt. Von Daniel Kahneman und Amos Tversky (1979) stammt ein entscheidungstheoretischer Ansatz, der als „Prospekttheorie“ bekannt ist und darauf abzielt, diese Anomalien zu vermeiden. 2.) Das zweite Beispiel betrifft die Frage der sog. „Zeitkonsistenz“. Zeitkonsistenz bedeutet, dass Beurteilungen hinsichtlich der Wünschbarkeit von Alternativen im Zeitablauf stabil sind. Dieses wichtige Konzept findet Anwendung sowohl in der → Spieltheorie als auch in der → Wirtschaftspolitik. Ein schönes Beispiel für fehlende Zeitkonsistenz ist das des Rauchers, der sich jeden Tag aufs neue vornimmt, am nächsten Tag mit dem Rauchen aufzuhören, aber seine guten Vorsätze am folgenden Tag über den Haufen wirft und sich aufs Neue vornimmt, am nächsten Tag mit dem Rauchen aufzuhören. Die neoklassische ökonomische Theorie unterstellt, dass solche Probleme beim Homo oeconomicus nicht auftreten. Da dieser die Zukunft exponenziell abschreibt, d. h. zukünftige Konsequenzen mit einer konstanten Abschreibungsrate gewichtet, verhält er sich zeitkonsistent. In Experimenten zeigt sich aber, dass die Abschreibungsrate von Versuchspersonen nicht unbedingt konstant ist. Der Grad der gefühlten Ungeduld steigt, wenn Entscheidungen näher rücken. Dieses Phänomen ist als „hyperbolische Zeitpräferenz“ bekannt. Eine mögliche psychologische Erklärung ist die, dass die Inkonsistenz durch Belohnungsaufschub verursacht wird. 3.) Das dritte Beispiel ist das der „FramingEffekte“. Das Framing, also die narrative Einrahmung der gestellten Entscheidungsprobleme in Experimenten, spielt bei Ver658
Verhaltensökonomie
suchspersonen eine viel wichtigere Rolle als lange Zeit angenommen. Tversky und Kahneman (1981) haben dies sehr eindringlich mit Experimenten der folgenden Art illustriert. Versuchspersonen wurden befragt, welche von beiden Alternativen sie bevorzugen: Frage A: Stellen Sie sich vor, eine Epidemie ist ausgebrochen, die ohne Impfung für 600 Menschen tödlich verlaufen würde. Sie sollen die Entscheidung darüber treffen, mit welchem Impfstoff diese geimpft werden sollen. Bei Impfstoff A-1 werden 200 Menschen überleben. Bei Impfstoff A-2 werden mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3 alle 600 Menschen überleben. Frage B: Stellen Sie sich vor, eine Epidemie ist ausgebrochen, die ohne Impfung für 600 Menschen tödlich verlaufen würde. Sie sollen die Entscheidung darüber treffen, mit welchem Impfstoff diese geimpft werden sollen. Bei Impfstoff B-1 werden 400 Menschen sterben. Bei Impfstoff B-2 werden mit einer Wahrscheinlichkeit von 2/3 alle 600 Menschen sterben. Interessanterweise wählen bei Frage A die meisten Versuchspersonen die Alternative A-1, bei Frage B aber die Alternative B-2. Tversky und Kahneman führen dies auf die Einrahmung der Fragen zurück: Während Frage A positiv formuliert ist (Menschen überleben) ist Frage B negativ formuliert (Menschen sterben). Sie argumentieren, dass, wenn man die Aufmerksamkeit von Versuchspersonen auf sichere Verluste lenkt, diese gravierender wahrgenommen werden als mögliche Gewinne. Dieser, als „Verlustaversion“ bekannte Effekt wird inzwischen von Finanzwissenschaftlern herangezogen, um Spekulationsverhalten besser zu verstehen. Spekulationsverhalten ist Schwerpunkt der dritten Stoßrichtung der V. Forscher untersuchen hier → Marktversagen (vor allem bei spekulativen Märkten). Im Mittelpunkt dabei steht die Frage, warum Marktakteure nicht so, wie von der ökonomischen Theorie vorhergesagt, auf Anreize reagieren, die durch den → Marktmechanismus entstehen. Dies kann individuelle aber auch sozialpsychologische Ursachen haben; die Zusam-
Verhaltensökonomie
menhänge zwischen diesen sind sehr komplex. Für die vielfältigen Abweichungen von den neoklassischen Verhaltensannahmen gibt es daher auch vielfältige psychologische Erklärungen (dazu Shleifer 2000): Investoren, die durch den psychologischen Effekt der „Misserfolgsvermeidung“ motiviert werden, schieben möglicherweise verlustreiche Verkäufe hinaus, um sich das eigene Versagen nicht eingestehen zu müssen. Dies würde ihre Verlustaversion erklären. Andere unterliegen möglicherweise einer kognitiven Fehleinschätzung von Risiken, der sog. „Fehleinschätzung des Spielers“, und können verführt werden, einen Absturz des Kurses einer Aktie als umso wahrscheinlicher wahrzunehmen, je länger sie durchgängig gestiegen ist. Die vierte große Stoßrichtung der V. befasst sich mit Fairness, Altruismus, Reziprozität und ähnlichen sozialpsychologischen Determinanten menschlichen Verhaltens. Diese Formen des „eingeschränkten Egoismus“ werden ebenfalls von der Homo oeconomicus-Annahme nicht berücksichtigt. Es lassen sich leicht reproduzierbare Experimente durchführen, die diese Anomalien aufzeigen. Im sog. „Diktatorspiel“ wird z. B. einer Versuchsperson die Möglichkeit gegeben, „diktatorisch“ über die Aufteilung einer Belohnung (z. B. eines Geldbetrags) zwischen sich selbst und einer weiteren Person zu entscheiden. Der Homo oeconomicus würde die gesamte Belohnung für sich selbst einfordern. Ein überraschend hoher Anteil realer Versuchspersonen zeigt sich hingegen bereit, die Belohnung 50 : 50 aufzuteilen und zwar auch, wenn das Experiment mit anonymen Versuchspersonen durchgeführt wird. Ähnliches Verhalten offenbart sich im sog. „Ultimatumspiel“, einer Version des Diktatorspiels, bei der die zweite Versuchsperson die Möglichkeit erhält, den Diktator durch Vernichtung der Belohnung zu bestrafen, wenn dessen gewählte Aufteilung als ungerecht empfunden wird. Der Homo oeconomicus würde den Diktator nie bestrafen. Auch hier zeigt sich, dass viele Versuchspersonen bereit sind, unfaires Verhalten negativ zu sanktionieren, auch wenn es eine Schädigung der eigenen kurzfristi-
Verjährung
gen Interessen beinhaltet. Erweiterungen dieser Experimente lassen sich zur Bereitstellung öffentlicher Güter formulieren (vgl. Fehr/Gächter 2000). Im Ergebnis zeigt sich hier, dass Bestrafung die Höhe der in das öffentliche Gut investierten Beiträge erhöht. Ohne Bestrafung nimmt hingegen die Bereitschaft zu kooperieren rapide ab. Die Autoren interpretieren die Ergebnisse ihrer Experimente dahingehend, dass starke psychologische Motive der Bestrafung von Trittbrettfahrern zugrunde liegen. Sie erklären das Zustandekommen von altruistischer Kooperation also mit Emotionen. Diese sind zu einem gewissen Maße ererbt. Literatur: Beck, H. (2009): Wirtschaftspolitik und Psychologie: Zum Forschungsprogramm der Behavioral Economics. ORDO, Bd. 60, S. 3–35. Falk, Armin (2003): Homo Oeconomicus versus Homo Reciprocans: Ansätze für ein neues wirtschaftspolitisches Leitbild?, Perspektiven der Wirtschaftspolitik, Bd. 4, Nr. 1, S. 141–172. Fehr, E., S. Gächter (2000): Cooperation and Punishment in Public Goods Experiments. American Economic Review, Vol. 90, Nr. 4, S. 980–994. Kahneman, D., Tversky, A. (1979): Prospect Theory: An Analysis of Decision under Risk. Econometrica, Vol. 47, Nr. 2, S. 263–291. Tversky, A., Kahneman, D. (1981): The Framing of Decisions and the Psychology of Choice. Science, Vol. 211, S. 453–458. Gigerenzer, G., Selten, R. (2002): Bounded Rationality. The Adaptive Toolbox. Cambridge. Schlösser, H. J. (1992): Das Menschenbild in der Ökonomie. Köln. Shleifer, A. (2000): Inefficient Markets: An Introduction to Behavioral Finance. Oxford. Simon, H. A. (1947): Administrative Behaviour. New York. Simon, H. A. (1987): Behavioural Economics. The New Palgrave: A Dictionary of Economics, Vol. 1, S. 221–224. Prof. Dr. Athanassios Pitsoulis, Cottbus Verjährung Das Recht, von jemanden eine Leistung zu verlangen (einen → Anspruch zu stellen), unterliegt der V. (§§ 194 ff. Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). V. ist der Verlust der Erzwingbarkeit eines Anspruches infol659
Verjährung
ge Zeitablaufes. Der Anspruch des → Gläubigers bleibt wohl auch weiterhin bestehen; der → Schuldner erwirbt jedoch mit der V. des Anspruches die Einrede der V. und damit das Recht, die Leistung zu verweigern. Hat der Schuldner aber trotz V. bereits geleistet, so kann er das Geleistete nicht zurückfordern (§ 214 Abs. 2 BGB). Die regelmäßige V.-frist beträgt 3 Jahre (§ 195 BGB n. F.). Sie beginnt mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Gläubiger Kenntnis von den anspruchsbegünstigenden Umständen und der Person des Schuldners erlangt oder ohne grobe → Fahrlässigkeit erlangen müßte (§ 199 Abs. 1 BGB n. F.). Ohne die Kenntnis des Gläubigers verjähren Anspüche in 10 Jahren von der Fälligkeit an (§ 199 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 u. Abs. 4 BGB n. F.). Eine zehnjährige V.-frist gilt für alle Ansprüche auf Übertragung des Eigentums an einem Grundstück sowie auf Begründung, Übertragung oder Aufhebung eines Rechts an einem Grundstück oder auf Änderung des Inhalts eines solchen Rechts sowie die Ansprüche auf die Gegenleistung (§ 196 BGB n. F.). Einer dreißigjährigen V.-frist unterliegen nach § 197 Abs. 1 Nr. 1 – 5 BGB n. F.), soweit nicht ein anderes bestimmt ist, 1. Herausgabeansprüche aus Eigentum und anderen dinglichen Rechten, 2. familien- und erbrechtliche Ansprüche, 3. rechtskräftig festgestellte Ansprüche, 4. Ansprüche aus vollstreckbaren → Vergleichen oder vollstreckbaren Urkunden und 5. Ansprüche, die durch die im → Insolvenzverfahren erfolgte Feststellung vollstreckbar geworden sind. Soweit unter 2. genannte Ansprüche regelmäßig wiederkehrende Leistungen oder Unterhaltsleistungen und unter 3. bis 5. genannte Ansprüche künftig fällig werdende regelmäßig wiederkehrende Leistungen zum Inhalt haben, tritt an die Stelle der dreissigjährigen V.-frist die regelmäßige V.frist (von 3 Jahren). 660
Verjährung
Die nicht der regelmäßigen V.-frist unterliegenden Schadensersatzansprüche verjähren nach § 199 Abs. 3 BGB n. F. – ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 10 Jahren von ihrer Entstehung an und – ohne Rücksicht auf ihre Entstehung und die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an. Andere Ansprüche als Schadensersatzansprüche verjähren ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in zehn Jahren von ihrer Entstehung an (§ 199 Abs. 4 BGB n. F.). Die V.-frist von Ansprüchen, die nicht der regelmäßigen V.-frist unterliegen, beginnt, soweit nicht eine andere V.-frist bestimmt ist, mit der Entstehung des jeweiligen Anspruchs (§ 200 BGB n. F.). Die V. von festgestellten Ansprüchen nach § 197 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 BGB n. F. beginnt mit der Rechtskraft der Entscheidung, der Errichtung des vollstreckbaren Titels oder der Feststellung im → Insolvenzverfahren (§ 201 BGB n. F.). Besondere V.-fristen von 2 Jahren gelten für → Mängelrügen aus dem → Kaufund → Werkvertrag. Die Ersatzansprüche des Vermieters/Verleihers aus → Mietvertrag/→ Leihe wegen Verschlechterung der Miet-/Leihsache und Mieters/Entleihers wegen Verwendungen (Aufwendungen zur Erhaltung und Verbesserung einer Sache) auf die Miet-/Leihsache verjähren nach 6 Monaten. Eine → Hemmung der V. (d. i. ein Stillstand des Fristenablaufs; der Zeitraum, währenddessen die V. gehemmt ist, wird nicht in die V.-frist eingerechnet [§ 209 BGB n. F.]) sieht das neu gefaßte Schuldrecht in folgenden Fällen vor: Hemmung der V. bei Verhandlungen nach § 204 BGB n. F. (1) Die V. wird gehemmt durch 1. die Erhebung der Klage auf Leistung oder auf Feststellung des Anspruchs, auf Erteilung der Vollstreckungs-
Verjährung
klausel oder auf Erlaß des Vollstrekkungsurteils, 2. die Zustellung des Antrags im vereinfachten Verfahren über den Unterhalt Minderjähriger, 3. die Zustellung des → Mahnbescheids im → Mahnverfahren, 4. die Veranlassung der Bekanntgabe des Güteantrags der bei einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle oder, wenn die Parteien den Einigungsversuch einvernehmlich unternehmen. bei einer sonstigen Gütestelle, die Streitbeilegungen betreibt, eingereicht ist; wird die Bekanntgabe demnächst nach der Einreichung des Antrags veranlaßt, so tritt die Hemmung der Verjährung bereits mit der Einreichung ein, 5. Geltendmachung der Aufrechnung des Anspruchs im Prozeß, 6. die Zustellung der Streitverkündung, 7. die Zustellung des Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens, 8. den Beginn eines vereinbarten Begutachtungsverfahrens oder die Beauftragung des Gutachters in dem Verfahren nach § 641 a BGB, 9. die Zustellung des Antrages auf Erlaß eines → Arrestes, einer → einstweiligen Verfügung oder einer einstweiligen Anordnung, oder, wenn der Antrag nicht zugestellt wird, dessen Einreichung, wenn der Arrestbefehl, die einstweilige Verfügung oder die einstweilige Anordnung innerhalb eines Monates seit Verkündung oder Zustellung an den Gläubiger dem Schuldner zugestellt wird, 10. die Anmeldung des Anspruchs im → Insolvenzverfahren, 11. den Beginn des schiedsrichterlichen Verfahrens, 12. die Einreichung des Antrags bei einer Behörde, wenn die Zulässigkeit der Klage von der Vorentscheidung dieser Behörde abhängt und innerhalb von drei Monaten nach Erledigung des Gesuchs die Klage erhoben wird; dies gilt entsprechend für bei einem
Verjährung
Gericht oder bei einer in Nummer 4 bezeichneten Gütestelle zu stellende Anträge, deren Zulässigkeit von der Vorentscheidung einer Behörde abhängt, 13. die Einreichung des Antrags bei dem höheren Gericht, wenn dieses das zuständige Gericht zu bestimmen hat und innerhalb von drei Monaten nach Erledigung des Gesuchs die Klage erhoben oder der Antrag, für den die Gerichtsstandsbestimmung zu erfolgen hat, gestellt wird, und 14. die Veranlassung der Bekanntgabe des erstmaligen Antrags auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe; wird die Bekanntgabe demnächst nach der Einreichung des Antrags veranlaßt, so tritt die Hemmung der Verjährung bereits mit der Einreichung ein. (2) Die Hemmung nach (1) endet sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens. Gerät das Verfahren dadurch in Stillstand, daß die Parteien es nicht betreiben, so tritt an die Stelle der Beendigung des Verfahrens die letzte Verfahrenshandlung der Parteien, des Gerichts oder der sonst mit dem Verfahren befaßten Stelle. Die Hemmung beginnt erneut, wenn eine der Parteien das Verfahren weiter betreibt. (3) Auf die Frist nach (1) 9, 12 und 13 finden die §§ 206, 210 und 211 BGB n. F. entsprechend Anwendung. Hemmung der V. bei Leistungsverweigerungsrecht nach § 205 n. F. Die V. ist gehemmt, solange der Schuldner auf Grund einer Vereinbarung mit dem Gläubiger vorübergehend zur Verweigerung der Leistung berechtigt ist. Hemmung der V. bei höherer Gewalt nach § 206 BGB n. F. Die V. ist gehemmt, solange der Gläubiger innerhalb der letzten sechs Monate der V.frist durch höhere Gewalt an der Rechtsverfolgung gehindert ist. Hemmung der V. aus familiären und ähnlichen Gründen nach § 207 BGB n. F. 661
Verjährung
(1) Die V. von Ansprüchen zwischen Ehegatten ist gehemmt, solange die Ehe besteht. Das Gleiche gilt für Ansprüche zwischen 1. Lebenspartnern, solange die Lebenspartnerschaft besteht, 2. Eltern und Kindern und dem Ehegatten eines Elternteils und dessen Kindern während der Minderjährigkeit der Kinder, 3. dem Vormund und dem Mündel während der Dauer des Vormundschaftsverhältnisses, 4. dem Betreuten und dem Betreuer während der Dauer des Betreuungsverhältnisses und 5. dem Pflegling und dem Pfleger während der Dauer der Pflegschaft. Die V. von Ansprüchen des Kindes gegen den Beistand ist während der Dauer der Beistandschaft gehemmt. (2) Die nachfolgenden Bestimmungen des § 208 BGB n. F. bleiben unberührt. Hemmung der V. bei Ansprüchen wegen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nach § 208 BGB n. F. Die V. von Ansprüchen wegen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung ist bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres des Gläubigers gehemmt. Lebt der Gläubiger von Ansprüchen wegen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung bei Beginn der V. mit dem Schuldner in häuslicher Gemeinschaft, so ist die V. auch bis zur Beendigung der häuslichen Gemeinschaft gehemmt. Ablaufhemmung bei nicht voll Geschäftsfähigen nach § 210 BGB n. F. (1) Ist eine geschäftsunfähige oder in der → Geschäftsfähigkeit beschränkte Person ohne gesetzlichen Vertreter, so tritt eine für oder gegen sie laufenden V. nicht vor dem Ablauf von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt ein, in dem die Person unbeschränkt geschäftsfähig oder der Mangel der Vertretung behoben wird. Ist die V.-frist kürzer als sechs Monate, so tritt der für die V. bestimmte Zeitraum an die Stelle der sechs Monate. (2) Die unter (1) getroffenen Darlegungen finden keine Anwendung, soweit eine in 662
Verjährung
der Geschäftsfähigkeit beschränkte Person prozeßfähig ist. Ablaufhemmung in Nachlaßfällen nach § 211 BGB n. F. Die V. eines Anspruchs, der zu einem Nachlaß gehört oder sich gegen einen Nachlaß richtet, tritt nicht vor dem Ablauf von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt ein, indem die Erbschaft von dem Erben angenommen oder das → Insolvenzverfahren über den Nachlaß eröffnet wird oder von dem an der Anspruch von einem oder gegen einen Vertreter geltend gemacht werden kann. Ist die V.-frist kürzer als sechs Monate, so tritt der für die V. bestimmte Zeitraum an die Stelle der sechs Monate. Einen Neubeginn der V. (früher: Unterbrechung der V.; d. i. eine erneute Ingangsetzung der V.-frist) sieht die am 1.1.2002 in Kraft getretene Schuldrechtsreform in § 212 BGB n. F. unter bestimmten Voraussetzungen vor. (1) Die V. beginnt erneut, wenn 1. der Schuldner dem Gläubiger gegenüber den Anspruch durch Abschlagszahlung, Zinszahlung, Sicherheitsleistung oder in anderer Weise anerkennt oder 2. eine gerichtliche oder behördliche Vollstreckungshandlung vorgenommen oder beantragt wird. (2) Der erneute Beginn der V. infolge einer Vollstreckungshandlung gilt als nicht eingetreten, wenn die Vollstreckungshandlung auf Antrag des Gläubigers oder wegen Mangels der gesetzlichen Voraussetzungen aufgehoben wird. (3) Der erneute Beginn der V. durch den Antrag auf Vornahme einer Vollstrekkungshandlung gilt als nicht eingetreten, wenn dem Antrag nicht stattgegeben oder der Antrag vor der Vollstrekkungshandlung zurückgenommen oder die erwirkte Vollstreckungshandlung nach (2) aufgehoben wird. Die Hemmung, die Ablaufhemmung und der Neubeginn der V. gelten nach § 213 BGB n. F. auch für Ansprüche, die aus demselben Grund wahlweise neben dem Anspruch oder an seiner Stelle gegeben sind.
Verjährungsfristen
Verjährungsfristen → Verjährung. Verkaufskalkulation → Kalkulation. Verkehrshypothek → Hypothek. Verkehrs-Rechtsschutz → Rechtsschutzversicherung. Verkehrssicherungspflicht die dem Eröffner eines Verkehrs (z. B. Strasse, Weg, Durchgang, Übergang, Baugrube auf der Straße, Treppe in Miethaus) obliegende Pflicht, erforderliche Sicherungsmaßnahmen zum Schutze Dritter zu treffen. Haftbar ist derjenige, der den Verkehr eröffnet, also nicht zwangsläufig der Eigentümer. Die V. gilt im übertragenen Sinn auch für den Hersteller beziehungsweise Vertreiber von Produkten. Siehe dazu: → Produkthaftung. Verkehrssitte die im jeweiligen (Geschäfts-)Verkehr tatsächlich geltende Gepflogenheit. Die V. beruht auf einem zur Regel gewordenen Verhalten. Bei der Auslegung von → Verträgen (§ 157 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) und der näheren Bestimmung der von einem → Schuldner zu erbringenden Leistung ist neben → Treu und Glauben (§ 242 BGB) auch die V. zu berücksichtigen. Verkehrsteuern → Steuern, die an Vorgänge des Wirtschaftslebens und des Verkehrs mit → Gütern und Leistungen anknüpften (z. B. → Umsatz-, → Kapitalverkehr-, → Grunderwerb-, → Kraftfahrzeugsteuer). Verkehrs- und Familienrechtsschutz → Rechtsschutzversicherung. Verkehrswirtschaft ⇒ Wettbewerbswirtschaft ⇒ Marktwirtschaft. Verlust Begriff des kaufmännischen Rechnungswesens; in der → Gewinn- und Verlustrechnung der Betrag, um den die → Aufwendungen die → Erträge übersteigen. Gegensatz: → Gewinn.
Vermittlungsgutschein (VGS)
Vermächtnis Begriff des Erbrechts; testamentarisch (→ Testament) bestimmte Vermögenszuwendung des Erblassers an eine Peson, die er nicht zum Erben einsetzt. Der so Begünstigte (Vermächtnisnehmer) erhält dann ein Forderungsrecht gegen denjenigen, der in der Regel dieses V. erfüllen und den vermachten Vermögenswert herausgeben muß. Das V. kann sich auf Gegenstände und Rechte erstrecken. Die vermachten Gegenstände gehen zunächst in das → Eigentum des zur Leistung Verpflichteten über. – Möchte der Erblasser einem Erben den Erhalt eines bestimmten Gegenstandes sichern, so kann er ihm diesen als sogenanntes Vorausvermächtnis (§ 2150 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) zuwenden. – Bei einem Wahlvermächtnis (§ 2154 BGB) kann der Begünstigte einen von mehreren Gegenständen wählen. – Ein Untervermächtnis liegt vor, wenn der V.-nehmer einem Dritten einen Vermögensvorteil zu verschaffen hat. Vermieterpfandrecht das dem Vermieter von (bebauten) Grundstücken wegen seiner → Forderungen aus dem Mietverhältnis (→ Mietvertrag) zustehende gesetzliche → Pfandrecht an den vom Mieter eingebrachten pfändbaren (→ Pfändung, I.) → Sachen (§§ 562 – 562 d Bürgerliches Gesetzbuch). Das V. erlischt mit der Entfernung der Sachen, falls diese nicht ohne Wissen oder gegen Widerspruch des Vermieters erfolgt. Vermischung Begriff des Bürgerlichen Rechts; liegt vor, wenn → bewegliche Sachen, die verschiedenen Eigentümern gehören, derart miteinander vermengt werden, daß sie nicht mehr oder nur mit unverhältnismäßig hohen → Kosten getrennt werden können (§ 948 Bürgerliches Gesetzbuch). Durch die V. erwerben die Eigentümer der bis dahin getrennten Sachen in der Regel → Mieteigentum an der Gesamtheit der vermischten Sache. Vermittlungsgutschein (VGS) ein nach § 16 SGB II von der → Bundesagentur für Arbeit oder einem → Jobcenter einem Arbeitssuchenden überlassener Bon, 663
Vermittlungsgutschein (VGS)
den dieser einem privaten Arbeitsvermittler zur Abgeltung dessen (Vermittlungs-)Dienste (in eine mindestens 15 Wochenstunden umfassende sozialversicherungspflichtige Tätigkeit) in Zahlung geben kann. Vermittlungsverfahren → Schlichtungsrecht. Vermögen 1. im Sinne des Bürgerlichen Rechts: die Gesamtheit der einer Person zustehenden geldwerten → Güter. 2. im wirtschaftlichen Sinne: (1) die → Aktivseite der → Bilanz mit → Anlagevermögen und → Umlaufvermögen. (2) → Erwerbsvermögen und → Gebrauchsvermögen. Vermögensbildung 1. allgemein: die individuelle Bildung von → Erwerbsvermögen wie auch → Humankapital der → privaten Haushalte durch → Sparen. 2. speziell: → V. der Arbeitnehmer. Vermögensbildung der Arbeitnehmer ⇒ Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand Neben den allgemeinen gesellschaftspolitischen Überlegungen, die letztlich in der Absicht gipfelten, ein Bollwerk gegen den → Sozialismus zu errichten, waren es in der Vergangenheit vor allem sozialpolitische Erwägungen, die zur Begründung der Forderung nach V. angestellt wurden. Den weitgehend vermögenslosen → Arbeitnehmern sollte über den Erwerb von → Vermögen – gemeint ist → Erwerbsvermögen – eine zusätzliche Einkommensquelle eröffnet werden (Ertragsfunktion). Mit der Erhöhung ihres → Einkommens durch den Bezug von → Zinsen und/oder → Dividenden sollte ihr wirtschaftlicher Rückhalt und damit ihre Stellung in der lohnpolitischen Auseinandersetzung verbessert werden. Schließlich sollte das zu erwerbende Vermögen seinem Inhaber eine zusätzliche Sicherheit in Notfällen vermitteln (Sekuritätsfunktion) sowie eine unabhängigere und durch mehr Selbstverantwortung charakterisierte Lebensgestaltung ermöglichen. Der Wunsch nach Überwindung des Nur-Lohnarbeit-Verhältnisses und nach Abbau der 664
Vermögensbildung der Arbeitnehmer
Gegensätze zwischen → Kapital und → Arbeit verbindet diese Teilziele. Die in jüngerer Zeit mit der Forderung nach V. vertretene vermögenspolitische Absicht zielt eindeutig auf eine Beteiligung der Arbeitnehmer am → Produktivvermögen. Dies geschieht weniger aus gesellschafts- und sozialpolitischen Erwägungen als vielmehr aus der wirtschaftspolitischen Notwendigkeit, der bedrohlich unterkapitalisierten deutschen Wirtschaft (insbesondere in den neuen Bundesländern) verstärkt → Eigenkapital zuzuführen, ihre (finanzielle) Liquidität zu begünstigen und damit die Voraussetzungen für → Wirtschaftswachstum und → Beschäftigung zu verbessern. Die Maßnahmen zur Förderung der V. konzentrier(t)en sich im wesentlichen auf drei Bereiche: die staatliche Sparförderung, den Investivlohn und die Gewinnbeteiligung. 1. Sparförderung: Im Wege der Sparförderung versuchte der Staat, die Sparbereitschaft der Bezieher mittlerer und niedriger Einkommen (Einkommensobergrenze!) durch die Gewährung finanzieller Vergünstigungen – Steuernachlässe und → Sparprämien – anzuregen und entsprechende Sparakte zu veranlassen. Durch die Bindung dieser Vergünstigungen an eine bestimmte Mindestanlagedauer ist der Sparer zu möglichst langfristiger Vermögensbildung angehalten. 2. Investivlohn: Der Investivlohn ist ein – aufgrund tarifvertraglicher Vereinbarung (→ Tarifvertrag) oder gesetzlicher Regelung – zusätzlich zum laufenden Lohn gewährter Lohnanteil, der dem Arbeitnehmer nicht bar ausbezahlt, sondern für eine bestimmte Mindestzeit vermögenswirksam angelegt wird. Der Investivlohn erhöht somit die → Sparfähigkeit der Arbeitnehmer und verstärkt – in dem Umfang, in dem diese ihr freiwilliges → Sparen nicht einschränken – auch deren tatsächliche Spartätigkeit. – Die Weichen für die Durchsetzung dieses Konzepts, des „Sparens ohne Konsumverzicht“ (O. v. Nell-Breuning), stellte der Staat durch einschlägige Gesetzgebung (Gesetze zur Förderung der V.). Sie begünstigte die investive Lohnbindung zu-
Vermögensbildung der Arbeitnehmer
nächst (Erstes Vermögensbildungsgesetz von 1961, 312,– DM-Gesetz) in Einzelverträgen und → Betriebsvereinbarungen, später (Zweites Vermögensbildungsgesetz von 1965 und Drittes Vermögensbildungsgesetz von 1970, 624,– DM-Gesetz) auch in → Tarifverträgen. Durch die mit dem Dritten Vermögensbildungsgesetz vollzogene Abkehr vom Prinzip der Steuerbegünstigung für Arbeitnehmer und die Einführung von Prämien, die diese auf allen gesetzlich in die Vermögensbildung einbezogenen Einkommensstufen gleichermaßen begünstigte, verstärkte sich die Anlagebereitschaft weiterhin, so daß sich tatsächlich weite Bevölkerungskreise am volkswirtschaftlichen Vermögenszuwachs beteiligten. Mit der Weiterentwicklung des Dritten Vermögensbildungsgesetzes im Vierten (936,– DMGesetz von 1984) und Fünften (von 1987) trug die Bundesregierung der betriebswirtschaftlichen Notwendigkeit Rechnung, daß auch kleineren und mittleren Unternehmen die von ihnen zu erbringenden zusätzlichen Lohnteile (Investivlöhne) – falls gewünscht – als Finanzierungsmittel zur Verfügung stehen. Mit der Aufstockung des Förderungsbetrages auf jährliche 936,– DM und der Erweiterung des Anlagekatalogs, insbesondere auf typische stille Beteiligungen (→ stille Gesellschaft), wurde die Möglichkeit der Rückleitung investiver Lohnteile in die sie erbringenden Unternehmen geschaffen. Die Handlungsmöglichkeiten der → Tarifpartner und Unternehmen im Bereich der Vermögenspolitik wurden damit erheblich verbessert. Mit dem Fünften Vermögensbildungsgesetz wurden außerdem die Möglichkeiten der Arbeitnehmer zur Kapitalbeteiligung erweitert und erleichtert: Erhöhung des → Lohnsteuer – Freibetrages für Vermögensbeteiligungen nach § 19 a Einkommenssteuergesetz; Zulassung von Beteiligungssondervermögen im Investmentgesetz, die außer → Wertpapieren auch stille Beteiligungen an nicht börsennotierten Unternehmen aufnehmen können; Erwerb von Vermögensbeteiligungen und einfachere Förderungsvorschriften, wonach nunmehr die Arbeitnehmer mit → vermögenswirksamen Leistungen verbriefte Vermögensbeteiligungen unmittelbar vom → Arbeitge-
Vermögensbildung der Arbeitnehmer
ber erwerben können, ohne daß ein → Vertrag mit einem → Kreditinstitut erforderlich ist. Das in der Neufassung des Fünften Vermögensbildungsgesetzes von 1990 aus dem Förderungskatalog gestrichene → Konten- und Versicherungssparen sollte eine weitere Konzentration der Sparleistungen auf das neu zuwachsende Produktivvermögen bewirken. Das Fünfte Vermögensbildungsgesetz in seiner aktuellen Fassung vom 4. 3. 1994 wurde zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. 7. 2009. Über die → vermögenswirksamen Leistungen und deren mögliche Anlageformen bestimmt § 2. 3. Gewinnbeteiligung: Unter Gewinnbeteiligung wird die Teilhabe der Arbeitnehmer an den Unternehmenserträgen verstanden. Werden derartige Gewinnanteile nicht zur konsumtiven Verwendung freigegeben, sondern der investiven Bindung unterworfen, so sprechen wir von investiver Gewinnbeteiligung. Sie stellt die Gewinnbeteiligung im engeren, vermögenspolitischen Sinne dar. – Die investive Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer ist in vielfältiger Ausgestaltung denkbar. Sie könnte tarifvertraglich oder gesetzlich fundiert sein oder aber auf freiwilliger Basis praktiziert werden. Darüber hinaus könnte sie betrieblich wie auch überbetrieblich organisiert sein. Als vermögenspolitisches Instrument hat sie in der Bundesrepublik Deutschland bisher lediglich als betriebsbezogene Beteiligung der Arbeitnehmer am Unternehmenskapital Berücksichtigung gefunden. Dennoch kommt gerade ihr in jüngerer Zeit erhöhte Aufmerksamkeit zu. – Wie die Ausgestaltung der investiven Gewinnbeteiligung im Einzelfall auch immer geartet sein mag, trägt sie für das gewährende Unternehmen – gleichermaßen wie der Investivlohn – kostenähnlichen Charakter, so daß dieses in der Regel bestrebt sein dürfte, die Gewinnbeteiligung in seinen Produktpreisen weiterzugeben (d. h. zu überwälzen). Die Notwendigkeit der → Überwälzung dürfte für finanzschwache Unternehmen im allgemeinen erst dann entfallen, wenn – wie dies auch für den Investivlohn gilt – die vermögenswirksamen Leistungen als Kapitalanlage oder → Darlehen im auf665
Vermögensbildung der Arbeitnehmer
bringenden Unternehmen verbleiben oder in dasselbe zurückgeleitet werden und damit ihren kostenähnlichen Charakter verlieren und den von Selbstfinanzierungsmitteln (→ Selbstfinanzierung) annehmen. Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand ⇒ Vermögensbildung der Arbeitnehmer. Vemögenseinkommen ⇒ Besitzeinkommen ⇒ Kapitaleinkommen → Einkommen. Vermögensoffenbarung → Pfändung. Vermögenspolitik strebt die → Vermögensbildung der Arbeitnehmer an. Vermögensteuer eine vom → Vermögen → natürlicher Personen und → Körperschaften erhobene → direkte Steuer. Durch Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 22. Juni 1995 (BStBl. II, S. 665) ist ihre Erhebung ab 1. Januar 1997 nicht mehr möglich. Vermögensumverteilung Korrektur der bestehenden → Vermögensverteilung durch staatliche, insbesondere steuerliche Umverteilungsmaßnahmen. Vermögensverteilung die statistische Verteilung des volkswirtschaftlichen → Vermögens auf die → Sektoren und auf die einzelnen Gruppen von → Wirtschaftssubjekten. Vermögensverwaltung ⇒ Asset Management. vermögenswirksame Leistungen auf der Grundlage des Fünften Vermögensbildungsgesetzes von 1994 mit späteren Änderungen, zuletzt durch Gesetz vom 16. 7. 2009, sind Geldleistungen, die der → Arbeitgeber in folgenden Anlageformen für den → Arbeitnehmer anlegt als: (1) Sparbeiträge des Arbeitnehmers auf Grund eines Sparvertrages über → Wertpapiere oder andere Vermögensbeteiligungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1, § 4), (2) Aufwendungen des Arbeitnehmers auf Grund eines Wertpapier-Kaufvertrages (§ 2 Abs. 1 Nr. 2; § 5), (3) Auf666
Verpächterpfandrecht
wendungen des Arbeitnehmers auf Grund eines Beteiligungs-Vertrages oder eines Beteiligungs-Kaufvertrages (§ 2 Abs. 1 Nr. 3, §§ 6, 7), (4) Aufwendungen des Arbeitnehmers nach den Vorschriften des Wohnungsbau-Prämiengesetzes (§ 2 Abs. 1 Nr. 4), (5) Aufwendungen des Arbeitnehmers zum Bau, Erwerb, Ausbau oder zur Erweiterung eines Wohngebäudes oder einer Eigentumswohnung sowie eines Dauerwohnrechtes oder eines Grundstückes im Inland (§ 2 Abs. 1 Nr. 5), (6) Sparbeiträge des Arbeitnehmers auf Grund eines Sparvertrages (§ 2 Abs. 1 Nr. 6, § 8), (7) Beiträge des Arbeitnehmers auf Grund eines Kapitalversicherungsvertrages (§ 2 Abs. 1 Nr. 7, § 9). Anspruch auf v. haben → Arbeiter, → Angestellte, → Auszubildende, → Heimarbeiter sowie → Beamte, Richter, Berufssoldaten, und Soldaten auf Zeit. Der Arbeitgeber oder Dienstherr kann auf Grund Gesetzes oder durch → Tarifvertrag, → Betriebsvereinbarung oder Einzelvertrag wie auch durch bindende Festsetzungen nach dem Heimarbeitsgesetz zur Gewährung v. verpflichtet sein. Auf schriftlichen Antrag des Arbeitnehmers sind Teile seines Arbeitslohnes vermögenswirksam anzulegen (§§ 10, 11). Siehe auch: → Vermögensbildung der Arbeitnehmer. vernetztes Lernen → Computer-gestütztes Lernen. Vernichtungsstreik → Streik. Vernunftprinzip ⇒ Rationalprinzip Orientierungsprinzip menschlichen Handels, nach dem alles Tun sich an der Vernunft (lat. ratio) auszurichten und damit der Absicht zu folgen habe, den Erfolg im Verhältnis zum gegebenen Einsatz zu maximieren. Siehe auch: → ökonomisches Prinzip, → Homo oeconomicus. Verpächterpfandrecht gesetzliches → Pfandrecht des Verpächters (→ Pachtvertrag) an den in seinen → Besitz gelangten Inventarstücken für → Forderungen aus dem Pachtverhältnis (§ 592 Bürgerliches Gesetzbuch).
Verpfändung
Verpfändung die rechtsgeschäftliche (d. h. durch → Vertrag) Bestellung eines → Pfandrechtes. Verpflichtungsgeschäft → Rechtsgeschäft, das eine → Verbindlichkeit begründet, der in der Regel durch eine → Verfügung entsprochen werden muß. So muß zum Beispiel beim → Kaufvertrag dem V. (eine bestimmte Ware zu liefern u. das → Eigentum daran zu verschaffen) die Verfügung in Form der → Übereignung der Kaufsache folgen. Verrechnungsscheck → Scheck, der auf der Vorderseite mit dem Aufdruck oder der Aufschrift „nur zur Verrechnung“ versehen ist. Dieser Vermerk bewirkt, daß der Scheck nicht bar ausgezahlt werden darf, sondern nur noch im Wege der → Gutschrift auf einem → Konto eingelöst werden kann. Eine Streichung des Vermerkes „nur zur Verrechnung“ gilt als nicht erfolgt. Der Verrechnungsvermerk kann vom → Aussteller und jedem Inhaber angebracht werden. Jeder → Barscheck kann somit durch einen entsprechenden Vermerk zu einem V. gemacht werden. Versandkosten → Aufwendungen, die mit dem Versand einer Ware entstehen. Sofern nichts anderes vereinbart, bestimmt sich die Übernahme der V. nach dem → Erfüllungsort. (Eine vertragliche V.-regelung hat allerdings keinen Einfluß auf den Erfüllungsort; § 269, 3 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Die → Kosten der Übergabe, insbesondere die Kosten des Messens und Wiegens gehen zu Lasten des Verkäufers; die Kosten der Abnahme und Versendung nach einem anderen Ort als dem Erfüllungsort trägt der Käufer (§ 448 BGB). Verschmelzung ⇒ Fusion. Verschulden liegt nach Bürgerlichem Recht immer dann vor, wenn der Betreffende oder ein in seinen Diensten stehender Mitarbeiter fahrlässig (→ Fahrlässigkeit) oder vorsätzlich (→ Vorsatz) handelt.
Verschuldung, private
Verschuldung, private Das Kreditvolumen der → privaten Haushalte in Deutschland ist in den letzten 20 Jahren absolut und im Vergleich zu deren Haushaltseinkommen stetig gestiegen. Im Jahr 2010 betrug das Konsumkreditvolumen in Deutschland ca. 229 Mrd. €, dies entsprach einem Anteil von 12,4 % am → Bruttoinlandsprodukt. V. kann in diesem Sinne als Vorwegnahme künftigen → Einkommens zur Erweiterung des laufenden Einkommens, bezogen auf das Durchschnittseinkommen des gesamten Lebenszyklus, definiert werden, das auch gemeinsam mit dem verfügbaren → Vermögen des jeweiligen Haushaltes nicht ausreicht, um größere Investitionen oder das aktuelle Wohlstandsniveau ohne Fremdmittel zu finanzieren. Entscheidet sich also der private Haushalt, vorgezogenen Konsum und reale → Vermögensbildung durch → Kredit zu finanzieren, entstehen dadurch Vorbelastungen des bei den meisten Haushalten mit der Erwerbslebenszeit steigenden zukünftigen Einkommens durch Zins- und Tilgungszahlungen. Überschuldung ist im Vergleich dazu ein relativer Begriff, der nicht von der absoluten Kredithöhe ausgeht, sondern von der Höhe der Liquiditätsreserven des → Schuldners; d. h., ein Haushalt kann sogar schon bei relativ geringer V. überschuldet sein, wenn er seiner aus dem Schuldendienst resultierenden Zahlungspflicht nicht mehr ordnungsgemäß nachkommen kann. Die Problemintensität ist am größten bei Kreditnehmern mit niedrigem Einkommen und bei (Konsum-)Krediten an ledige oder jüngere Kreditnehmer. Gleichzeitig sind besserverdienende Schuldner, die z. B. Wohnungsbaukredite oder hypothekarisch gesicherte Kredite aufgenommen haben, eher selten von Überschuldung betroffen. Probleme treten vor allem dann auf, wenn der Lebensstandard in Relation zum Einkommen aufgrund gescheiterter Planungen oder Fehlentscheidungen zu hoch liegt oder das tatsächliche Einkommen aufgrund zu optimistischer Schätzungen hinter der zum Zeitpunkt der Kreditaufnahme erwarteten Einkommensentwicklung zurückbleibt. 2011 sind in Deutschland ca. 6,5 Mio. (9,5 %) Personen überschuldet. Damit ist 667
Verschuldung, private
fast jeder siebte Privathaushalt von Verbzw. Überschuldung betroffen. Dabei sind die Schuldensummen (→ Schulden) und die Anzahl der Schuldverhältnisse der Jugendlichen und jungen Erwachsenen alarmierend angestiegen. Mit der V. einher gehen eine Vielzahl sozialisationsspezifischer Ursachen, die im tatsächlichen Konsumverhalten zusammentreffen: Die im Zuge des sozialstrukturellen gesellschaftlichen Wandels zunehmende Individualisierung und Eigenverantwortlichkeit zur finanziellen Vorsorge und Sicherung schafft nicht nur eine größere Komplexität vieler (finanzieller) Entscheidungssituationen, sondern führt auch zu einer Abnahme der Stabilität der individuellen Arbeitsbiografien, des familiären Zusammenhalts und des gesellschaftlichen Umfeldes; vor allem ein niedriges Bildungsniveau, die niedrige soziale Herkunft der Eltern und ein bevormundender Erziehungsstil, aber auch Erfahrungslücken und eine unwirtschaftliche Haushaltsführung können sich verstärkend auf die finanzielle Problemlage auswirken. Generell gilt: Je mehr Schulden ein Haushalt hat, umso größer ist seine Sensitivität gegenüber kritischen Lebensereignissen. → Arbeitslosigkeit verursacht dann einen besonders großen Schock, wenn längerfristige und höhere Schuldendienstverpflichtungen bereits einen relativ großen Teil des Einkommens in Anspruch nehmen. Die Berliner Schuldnerberatung hat die wichtigsten Überschuldungsursachen aus ihrer Beratungspraxis in eine vorläufige Rangfolge gebracht: An erster Stelle steht die Arbeitslosigkeit, gefolgt von einer schlechten Haushalts- und Budgetplanung, schließlich können neben einer Trennung/Scheidung, einem Todesfall/Unfall oder ein mit einem niedrigen Lebensstandard einher gehendes kontinuierlich niedriges Einkommen, aber auch eine gescheiterte Selbstständigkeit, eine Krankheit oder Suchtproblematik bis hin zu einer schlechten Kredit- oder Wirtschaftsberatung eine Überschuldungssituation verursachen. Besonders Jugendliche sind innerhalb ‚ihrer‘ Peer-Group einem ständig wachsenden Konsumdruck ausgesetzt; d. h., viele Jugendliche leben „über ihre Verhältnisse“, um nicht sozial ausge668
Verschuldung, private
grenzt zu werden. Außerdem verändert sich mit dem Beginn der Volljährigkeit in vielen Fällen das Konsumverhalten nachhaltig, wobei u. a. größere Anschaffungen, eine schlechte Wirtschaftsplanung oder steigende fixe → Lebenshaltungskosten im Zuge der eigenen Haushaltsgründung die wichtigsten Ursachen für eine Überschuldung sind. Meistens endet die eigene Schuldenregulierung mit kurzfristigen Schnelllösungen, z. B. wiederholte Umschuldung durch Kettenkreditverträge (‚Verschuldungskarussell‘), ständige Kontoüberziehung, bei Kreditrationierung der Hausbank Wechsel zu vielfältigen Online-Kreditangeboten usw., weshalb mittlerweile die Hälfte aller Privatkredite für Umschuldungen verwendet wird! Stattdessen sollte der Schuldner die Überschuldungskrise möglichst frühzeitig akzeptieren und – evtl. auch gemeinsam mit der Schuldnerberatung – nachhaltige Entschuldungs- und Krisenbewältigungsstrategien entwickeln (z. B. Einkommensanstieg, Konsumverzicht, → Transferleistungen, Erstellung eines Haushaltsbudgets oder sogar eine → Verbraucherinsolvenz). Gerade wenn es darum geht, eine Haushalts- und Budgetplanung zu erstellen oder durch Vertragsänderungen Einsparmöglichkeiten zu realisieren, weist die Schuldnerberatung regelmäßig auf große Defizite ihrer Klientel in der finanziellen Bildung und bei Grundkenntnissen im Umgang mit → Finanzdienstleistungen hin. Ziel jeder Entschuldungsstrategie muss es dabei sein, vor allem existenzbedrohende Schulden, wie zum Beispiel Mietschulden, Energieschulden usw., als Erstes zu tilgen oder Ratenzahlungen zu vereinbaren. Umschuldungen sind nur in engen Grenzen ratsam, um zum Beispiel einen relativ teuren Dispositionskredit durch einen niedrigverzinslichen → Ratenkredit zu tilgen und anschließend den Dispositionsrahmen niedrig zu halten oder auf Null zu setzen, wodurch eine dauerhafte Neu-v. mittels Kontoüberziehung zukünftig verhindert wird. 2009 ist der Anteil der Ratenkredite an den Konsumkrediten z. B. auf fast 61 % (140,3 Mrd. Euro) gestiegen! Folgt auf einen Zahlungsverzug eine zivilrechtliche Klage eines Gläubigers, um seine → Forderungen ein-
Verschuldung, private
zutreiben, droht dem Schuldner die → Zwangsvollstreckung, die als → Konto-, → Lohn- und → Gehalts- oder Vermögenspfändung aber erst ab einem monatlichen Einkommen über dem Existenzminimum von 989,99 € netto möglich ist. Gemäß Zivilprozessordnung besteht das Klageverfahren aus einem → Mahnverfahren, einem → Mahnbescheid und einem → Vollstreckungsbescheid, der als gerichtlich erwirkter Titel über 30 Jahre lang vollstreckbar ist. Der Schuldner gibt im Zuge des Klageverfahrens eine eidesstattliche Versicherung ab, muss seine Vermögensverhältnisse offen legen und erhält neben einem → SCHUFA-Eintrag einen Eintrag ins zentrale Schuldnerverzeichnis. Wurden im Laufe der Zeit doch zu viele Schulden angesammelt, besteht eine endgültige Entschuldungsmöglichkeit im Verbraucherinsolvenzverfahren, das im Jahr 2009 in 130 698 Fällen als letzter Ausweg aus der ‚Schuldenfalle‘ beantragt wurde. Als Erstes muss der Schuldner dazu eine Schuldenübersicht erstellen und den aktuellen Schuldenstand ermitteln, das heißt, alle Gläubiger müssen aufgelistet und alle Forderungen der Höhe und dem jeweiligen Stand nach (Mahnverfahren, Zwangsvollstreckung usw.) aufgezählt werden. Anschließend erarbeitet die Schuldnerberatungsstelle gemeinsam mit den Gläubigern und dem Schuldner einen Schuldenbereinigungsplan, um die Schulden außergerichtlich zu tilgen, was umso besser gelingt, je weniger Gläubiger es gibt. Scheitert jedoch der Einigungsversuch kann ein Antrag auf Eröffnung der Verbraucherinsolvenz gestellt werden. Liegen keine Versagensgründe (z. B. Krediterschleichung, Verschleierung der Vermögenssituation usw.) vor, kann es zu Ratenzahlungen mit einzelnen Gläubigern oder sogar zur Restschuldbefreiung nach einer Wohlverhaltensphase nach 6 Jahren kommen. Zwar ist die Überschuldung noch kein Massenphänomen, aber gerade bei sozial benachteiligten Familien sollte über Angebote nachgedacht werden, um ihre → Finanzkompetenzen zu verbessern und ihnen mehr Problembewusstsein zu vermitteln, damit möglichst frühzeitig geeignete Entschuldungsstrategien entwickelt werden können.
Verschwiegenheitspflicht
Literatur: Angele, J./Frank-Bosch, B./Neuhäuser, J.: Überschuldung privater Personen und Verbraucherinsolvenzen. In: Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Wirtschaft und Statistik, 11/2008, S. 963 ff.; Korczak, D.: Erfolgreiche Strategien der Überschuldungsprävention. In: Pro Jugend (Hrsg.): Schulden machen ist nicht schwer. Strategien der Überschuldungsprävention bei Jugendlichen, 1/2010, S. 4 ff.; Lange, E.: Zur Verschuldung von Kindern und Jugendlichen zwischen 10 und 24 Jahren – Ambivalenzen in Sozialisation zum marktkonformen Verbraucher. In: Jäckel (Hrsg.): Ambivalenzen des Konsums und der werblichen Kommunikation. Wiesbaden 2007; Mantseris, N.: Finanzielle Bildung als Schuldenprävention. Zu einem Konzept „Finanzkompetenz“. In: NDV – Nachrichtendienst des Vereins für öffentliche und private Fürsorge, 88/2008, S. 220 ff.; Piorkowsky, M.B.: Verarmungsgründe und Armutsprävention bei Privathaushalten. Bonn 2000; ders.: Finanzmanagement und Budgetverwaltung in privaten Haushalten. In: Gräbe (Hrsg.): Vom Umgang mit Geld. Finanzmanagement in Haushalten und Familien. Frankfurt a. M. 1998; Schulz-Nieswandt, F./Kurscheid, C.: Die Schuld an der Schuld – Zur Überschuldung privater Haushalte. Hamburg 2007. Prof. Dr. Wolfgang Weng, Berlin Verschwiegenheitspflicht Pflicht zum Stillschweigen über bestimmte Tatsachen, insbesondere im Rahmen eines → Arbeitsverhältnisses. 1. V. des → Arbeitnehmers: Die unbefugte Mitteilung von → Geschäfts- und → Betriebsgeheimnissen Dritten gegenüber ist nach § 17 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder mit Geldstrafe bedroht. Arbeitnehmer, die dieser strafrechtlichen V. zufolge Geheimnisse, die ihnen im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses anvertraut oder zugänglich gemacht wurden, während der Dauer des Arbeitsverhältnisses zu Zwecken des Wettbewerbes, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht, dem → Arbeitgeber Schaden zuzufügen, weitergeben, unterliegen dieser Strafandrohung. Es gilt jedoch zu beachten, daß der Arbeitgeber nicht die 669
Verschwiegenheitspflicht
Geheimhaltung von Tatsachen verlangen kann, wenn dafür kein → berechtigtes Interesse besteht (Urteil des Bundesgerichtshofes vom 15. 5. 1955). – Die arbeitsrechtliche V. umfaßt Tatsachen, die dem Arbeitnehmer im Rahmen seiner betrieblichen Tätigkeit wie auch privat zur Kenntnis gelangen; für die Verletzung dieser Pflicht ist nicht erforderlich, daß sie zum Zwecke des Wettbewerbs, zugunsten eines Dritten, aus Eigennutz oder um dem Arbeitgeber zu schaden, erfolgt. Es genügt die fahrlässige (→ Fahrlässigkeit) Verletzung dieser V., um sich schadensersatzpflichtig (→ Schadensersatzpflicht) zu machen oder gegebenenfalls entlassen zu werden. Mitglieder des → Betriebsrates unterliegen der besonderen V. (→ Geheimhaltungspflicht). 2. V. des Arbeitgebers: Sie gilt für solche Tatsachen, an deren Geheimhaltung der Arbeitnehmer ein berechtigtes Interesse hat (beispielsweise Gesundheitszustand, persönliche Verhältnisse, → Zeugnisse, → Einkommen). Diese V. gilt gegenüber Mitarbeitern des → Betriebes (ausgenommen Mitarbeiter u. Vorgesetzte, die in Wahrnehmung ihrer Funktion über diese Tatsachen Bescheid wissen müssen!) wie gegenüber sonstigen Dritten. Versetzung die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches, die voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet, oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist (§ 95 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz [BetrVG]). 1. innerbetrieblich: nur dann zulässig, wenn sie betriebsnotwendig ist, der neue Arbeitsplatz dem Betreffenden zugemutet werden kann und mit ihr keine finanzielle Schlechterstellung verbunden ist, insbesondere bei Aufnahme entsprechender Abmachungen im → Dienst- oder → Arbeitsvertrag. 2. zwischenörtlich: im allgemeinen nur dann zulässig, wenn eine solche Möglichkeit ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart wurde oder wenn sich der → Arbeitnehmer im Einzelfall damit einverstanden erklärt. – V. erfordern die Zustimmung des → Betriebsrates (§ 95 Abs. 1 BetrVG). 670
Versicherungspflichtgrenze
Versicherung Absicherung (einer Person, eines → privaten Haushalt, eines → Unternehmens) gegen bestimmte → Risiken. → V. auf Gegenseitigkeit, → V. nach → Prämien. Versicherung auf Gegenseitigkeit Zusammenschluß von gleichartig Gefährdeten zu einer Gefahrengemeinschaft. Die bis zum Ende eines Geschäftsjahres eingetretenen → Schäden und → Kosten werden von den Versicherten untereinander durch eine Umlage verrechnet. Auf diese Umlage werden in der Regel Vorschüsse (Vorauszahlungen) geleistet. Versicherung nach Prämien → Versicherung, bei der der Versicherer (das Versicherungsunternehmen) das → Risiko des Eintritts eines bestimmten → Schadens gegen eine einmalige oder laufende Prämienzahlung übernimmt. Versorgungsanwartschaft → betriebliche Altersvorsorge. Versicherungsdoppelkarte → Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung. Versicherungspflicht gesetzliche Verpflichtung eine bestimmte → Versicherung abzuschließen, so insbesondere zum Schutz eines (möglicherweise) geschädigten Dritten (z. B. → Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, Feuerversicherung) oder aufgrund staatlicher Fürsorge (z. B. → Sozialversicherung). Versicherungspflichtgrenze ⇒ Jahresarbeitsentgeltgrenze jährliches Höchsteinkommen, bis zu dem für → Arbeiter und → Angestellte in der → gesetzlichen Krankenversicherung und → Pflegeversicherung → Versicherungspflicht besteht. Die V. wird von der Bundesregierung jährlich durch Rechtsverordnung an die Einkommensentwicklung angepaßt (SGB VI). Bei Überschreiten der V. sind die einschlägigen Arbeitnehmer nicht mehr versicherungspflichtig, können sich aber freiwillig weiterversichern lassen (§ 7 SGB VI).
Versicherungsprämie
Versicherungsprämie Entgelt für die Gewährung von → Versicherungsschutz. Die Zahlung der vereinbarten V. obliegt dem Versicherungsnehmer nach § 1 Versicherungsvertragsgesetz als Vertragspflicht. Nach dem Versicherungsvertragsrecht ist der Versicherer grundsätzlich erst dann zur Leistung verpflichtet, wenn die Erstprämie entrichtet wurde. Bis dies geschehen ist, genießt der Versicherungsnehmer keinen Versicherungsschutz (es sei denn, daß etwas anderes ausdrücklich vereinbart wurde!). Nach Auffassung der Gerichte ist der Versicherer auch dann von seiner Leistungspflicht befreit, wenn die Erstprämie nur teilweise gezahlt wurde. – Gerät der Versicherungsnehmer mit der Zahlung einer Folgeprämie in → Verzug, entfällt der Versicherungsschutz nicht automatisch. Versicherungsschein (Police) vom Versicherer ausgestellte Urkunde über den Inhalt eines abgeschlossenen Versicherungsvertrages. Der Versicherungsnehmer hat nach § 3 Versicherungsvertragsgesetz einen → Anspruch auf Aushändigung des V. Versicherungsschutz Übernahme bestimmter → Risiken (Gefahrtragung) im Rahmen einer → Versicherung. Die vertragliche Vereinbarung von V. durch einen Versicherer bedeutet, daß dieser bei Eintritt des Versicherungsfalles die vereinbarten Leistungen zu erbringen hat. Der V. kann vertraglich auch eingeschränkt werden (eingeschränkter V.), so zum Beispiel bei der → Reisegepäckversicherung. Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG) eine mit → eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattete, besondere → Unternehmungsform der → Privatversicherung, bei welcher die Versicherungsnehmer mit dem Abschluß des Versicherungsvertrages Mitglieder des Vereins werden. Die Leistungen an die Versicherten werden aus den → Beiträgen gezahlt. Überschüsse werden an die Versicherten rückvergütet, Fehlbeträge durch Beitragserhöhungen (Nachschüsse) ausgeglichen. Mit der → Kündigung des Versicherungsvertrages endet auch die Mit-
Verträge
gliedschaft. Die Organe des V. sind: Vorstand (Geschäftsführung und Vertretung), Aufsichtsrat (Kontrolle) und oberste Vertretung (beschlußfassendes Organ), die in der Regel aus Vertretern besteht, die von den Mitgliedern gewählt wurden. Versorgungsfall → betriebliche Altersvorsorge. Versorgungsfreibetrag Begriff des Erbschaftsteuerrechtes, demzufolge im Falle des Todes eines Ehegatten dem überlebenden Ehegatten und den Kindern ein in seiner Werthöhe bestimmter steuerfreier Erwerb zusteht (§ 16 Erbschaftu. Schenkungsteuergesetz). → Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuer. Versteigerung ⇒ Auktion. Verkauf einer → Sache oder eines Rechtes an den Meistbietenden. Die V. kann freiwillig durch einen Auktionator oder Kraft Gesetzes durch einen Gerichtsvollzieher (→ Zwangsversteigerung) erfolgen. Verteilerschlüssel für Betriebskosten Begriff aus dem Mietrecht; Umrechnungsgröße für → Betriebskosten auf die Mieter. Der V. wird normalerweise im → Mietvertrag festgelegt und nimmt die Wohnfläche oder die auf die einzelnen Wohnungen entfallenden Personen als Maßstab. Verteilung → Einkommensverteilung, → Vermögensverteilung. Verteilungsrechnung → Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Verteilzeit → Arbeitszeitstudien. vertikale Preisbindung → Preisbindung der zweiten Hand. vertikaler Unternehmungszusammenschluß → Unternehmungszusammenschlüsse. Verträge mehrseitige (d. h. unter Teilnahme von zwei und mehr Parteien) → Rechtsgeschäfte; kommen durch → Antrag und → Annahme (entsprechender → Willenserklärungen) 671
Verträge
zustande (→ Vertragsabschluß). Siehe auch: → Vertragserfüllung. Vertragsabschluß Zustandekommen eines → Vertrages. Ein zweiseitiger Vertrag (d. i. der Vertrag im engeren Sinne) kommt zustande durch zwei übereinstimmende → Willenserklärungen. Die in der Regel zuerst erfolgende Willenserklärung ist das → Angebot (auch Antrag genannt), ihr folgt als Zustimmungserklärung die → Annahme (d. i. die zweite Willenserklärung). Der Vertrag ist mit der Annahme des Angebots abgeschlossen. Vertragserfüllung Erbringung der durch einen → Vertrag eingegangenen Verpflichtungen. – Durch Abschluß eines Vertrages wird ein → Schuldverhältnis begründet, dessen Beteiligte als → Gläubiger und → Schuldner bezeichnet werden. Der Gläubiger kann vom Schuldner eine Leistung verlangen (er hat gegen diesen eine → Forderung), was gleichzeitig bedeutet, daß der Schuldner dem Gläubiger zur Leistung verpflichtet ist (er hat diesem gegenüber eine → Schuld). – Bei einem Schuldverhältnis können auf der Schuldnerwie auf der Gläubigerseite mehrere Personen stehen. Wird die Leistung von mehreren Personen geschuldet und ist diese teilbar, so gilt – falls nichts anderes vereinbart wurde – jeder Schuldner als zu gleichen Teilen verpflichtet (§ 420 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Ist die Leistung nicht teilbar, so haften sämtliche Schuldner als → Gesamtschuldner, das heißt, daß jeder verpflichtet ist, die gesamte Leistung zu erbringen. Diese Leistung kann jedoch vom Gläubiger nur einmal gefordert werden (§ 421 BGB). – Haben mehrere Gläubiger eine teilbare Leistung zu beanspruchen, so steht im Zweifel (d. h. wenn nichts anderes vereinbart ist) jedem Gläubiger der gleiche Anteil zu (§ 420 BGB). Sind sie jedoch, was ausdrücklich vereinbart sein muß, → Gesamtgläubiger, so ist jeder Gläubiger berechtigt, die ganze Leistung zu fordern, egal ob es sich um teilbare oder unteilbare Leistungen handelt (§ 428 BGB). – Die Leistung ist in der Regel sofort fällig. Es kann jedoch auch eine Zeit für die Leistung vereinbart werden. 672
Vertriebskosten
Vertragsfreiheit das → Schuldrecht beherrschender (in Art. 2 Grundgesetz verankerter) Grundsatz. Die V. läßt sich in dreifacher Hinsicht interpretieren als: 1. Abschlußfreiheit (jeder kann mit jedem nach Belieben → Verträge abschließen); 2. Gestaltungsfreiheit (die Vertragspartner können den Inhalt ihres Vertrages frei bestimmen) und 3. Formfreiheit (Verträge können im allgemeinen in jeder beliebigen Form (d. h. schriftlich, mündlich oder stillschweigend) abgeschlossen werden. – Der V. sind nur dort Grenzen gesetzt, wo ihr zwingende Vorschriften entgegenstehen, so zum Beispiel → Formvorschriften, gesetzliche Verbote, ein Verstoß gegen die → guten Sitten (§ 138 BGB) oder wo ein → Abschlußzwang vorliegt. Die Möglichkeit, Verträge frei zu gestalten, wurde in den letzten fünfzig Jahren zunehmend durch → Allgemeine Geschäftsbedingungen eingeschränkt. Vertragsstrafe ⇒ Konventionalstrafe. vertretbare Sachen → Sachen. Vertretbarkeit ⇒ Fungibilität. Vertretungsmacht Befugnis im Namen und mit Wirkung für einen Dritten → Rechtsgeschäfte abzuschließen. Vertretungspflicht → Arbeitsplatzteilung. Vertriebsgemeinkosten → Vertriebskosten, die in ihrer für das einzelne Produkt (Stück) anfallenden Höhe nicht genau erfaßt werden können und deshalb diesem nach einem bestimmten Schlüssel zugerechnet werden. Vertriebskosten die mit dem Absatz von Waren und Leistungen anfallenden → Kosten (z. B. → Personalkosten, → Provisionen, Frachten, Rollgeld, Werbeausgaben, Messe- u. Reisekosten, Verpackungskosten, → Umsatzsteuer).
Verursacherprinzip
Verzug
Verursacherprinzip volkswirtschaftlicher Grundsatz, nach dem die → Kosten der Umweltbelastung von den → Wirtschaftssubjekten zu tragen sind, die sie verursacht haben. Verwahrung die Auf bewahrung → beweglicher Sachen für andere. Verwahrungsvertrag → Vertrag, der die → Verwahrung einer → beweglichen Sache zum Inhalt hat (§§ 688 – 700 Bürgerliches Gesetzbuch). Die Verwahrung kann entgeltlich oder unentgeltlich erfolgen. Bei der unentgeltlichen Verwahrung ist der Verwahrer nur zu Sorgfalt wie in eigenen Angelegenheiten verpflichtet, bei entgeltlicher Verwahrung haftet er für jedes → Verschulden. Verwaltungsgemeinkosten → Verwaltungskosten. Verwaltungskosten die durch die Unternehmensverwaltung bedingten → Kosten (z. B. → Personalkosten, Licht, Heizung, → Miete, → Pacht, Büroeinrichtung, Bürobedarf, [Unternehmens-] → Steuern u. → Abgaben, Porti, Telefongebühren). V. tragen in der Regel den Charakter von → Gemeinkosten (Verwaltungsgemeinkosten). Verwaltungs- und Wirtschaftsakademien (VWA) nichtstaatliche, z. T. auch öffentlich-rechtliche, auf die 1919 gegründete Verwaltungsakademie Berlin zurückgehende Einrichtungen des tertiären und quartären Bildungsbereiches, die in beruflichen Ausbildungsgängen nach dem → dualen System (betriebliche Ausbildung und Studium) Abiturienten bzw. berufsbegleitend als Weiterbildung junge Berufstätige in 6 Semestern meist zu wirtschaftlichen Berufsabschlüssen (z. B. Betriebswirt [VWA] oder Verwaltungs-Betriebswirt [VWA]) führen. Im Gegensatz zu den meisten → Berufsakademien kann an den V. kein akademischer Abschluß erworben werden. Siehe auch → Wirtschaftsakademien (WA). M. M. B.
Verwendungsrechnung → Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Verwertung der Pfandsache Befriedigung des → Gläubigers aus der Pfandsache (→ Pfand). Die V. ist erst möglich, wenn die gesicherte → Forderung fällig (→ Fälligkeit einer Forderung) und nicht getilgt ist (Pfandreife). Die Pfandsache wird grundsätzlich durch → öffentliche Versteigerung verwertet. In Abstimmung mit dem Eigentümer der Pfandsache kann eine andere Verwertungsart gewählt werden. Verwertungsaufschub → Vollstreckungsschutz. Verwirkung Die verzögerte Geltendmachung eines Rechtes kann in Ausnahmefällen nach → Treu und Glauben zur V. des Rechtes führen. Wenn der → Schuldner nach dem bisherigen Verhalten des → Gläubigers nicht mehr mit der Geltendmachung des Rechtes zu rechnen brauchte und auch nicht mehr damit gerechnet hat (z. B. V. von → Schadensersatzansprüchen infolge verspäteter Geltendmachung, des Kündigungsrechtes, von Ansprüchen aus → Arbeitsverhältnis). Die V. ist ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung. Verzinsung Zahlung von nach → Zinssätzen berechneten Teilbeträgen auf den → Nennwert einer ausgeliehenen Geldsumme (z. B. → Spareinlagen, → Anleihen) als → Preis für deren Bereitstellung. Verzug bei nicht rechtzeitiger Leistung des → Schuldners (→ Schuldnerverzug) oder bei Nichtannahme einer Leistung durch den → Gläubiger (→ Annahmeverzug) eintretender Rechtszustand. Aus dem V. ergeben sich bestimmte Rechtsfolgen. Die zum 1.1.2002 in Kraft getretene Schuldrechtsreform hat den V. in § 286 BGB wie folgt neu geregelt: (1) Leistet der Schuldner auf eine → Mahnung des Gläubigers, die nach dem Eintritt der → Fälligkeit erfolgt, nicht, so kommt er durch diese Mahnung in V. Der Mahnung stehen die Erhebung der 673
Verzug
→ Klage auf Leistung sowie die Zustellung eines → Mahnbescheids im → Mahnverfahren gleich. (2) Der Mahnung bedarf es nicht, wenn 1. für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist, 2. der Leistung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für die Leistung in der Weise bestimmt ist, daß sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen läßt (z. B. „Zahlung 14 Tage nach Erhalt der Ware“), 3. der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert, 4. aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des V. gerechtfertigt ist. (3) Der Schuldner einer Entgeltforderung (d. s. insbesondere Kaufpreis- oder Werklohnforderungen) kommt spätestens in V., wenn er nicht innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufstellung leistet; dies gilt gegenüber einem Schuldner, der → Verbraucher (§ 13 BGB) ist, nur, wenn auf diese Folgen in der Rechnung oder Zahlungsaufstellung besonders hingewiesen worden ist. Wenn der Zeitpunkt des Zugangs der Rechnung oder Zahlungsaufstellung unsicher ist, kommt der Schuldner, der nicht Verbraucher ist, spätestens 30 Tage nach Fälligkeit und Empfang der Gegenleistung in V. (4) Der Schuldner kommt nicht in V. solange die Leistung infolge eines Umstandes unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat. Nach § 288 BGB n. F. hat der Schuldner während des V. eine Geldschuld mit 5 Prozentpunkten über dem → Basiszinssatz pro Jahr zu verzinsen. Bei Rechtsgeschäften, an denen kein Verbraucher beteiligt ist, liegt der Verzugszinssatz 8 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Verzugszinsen die von einem in → Verzug geratenen → Schuldner (→ Schuldnerverzug) für sei674
Volkseinkommen
ne (nicht beglichene) Geldschuld zu zahlenden → Zinsen. VGR Abk. für: → Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Vierte Welt pauschale Bezeichnung für die am wenigsten entwickelten Länder. → Entwicklungspolitik. vinkulierte Namensaktie → Namensaktie. Volatilität Maß für die Schwankungsbreite von Aktienkursen (daneben auch von Devisenkursen u. → Zinssätzen) innerhalb einesbestimmten Zeitraumes, meistens einesJahres. Je größer die Schwankungsbreite (d. h. je volatiler die → Aktie), desto höher deren Kursrisiko. Die V. wird mit Hilfestatistischer Streuungsmaße, wie Varianz oder Standardabweichung, gemessen. Eine V. von 20 Prozent auf der Basis eines Jahres bedeutet, daß der Kurs in diesem Zeitraum durchschnittlich zwischen 80 und 120 Prozent des aktuellen (Kurs-) Wertes geschwankt hat. Volksaktien → im Zuge der → Privatisierung industriellen Bundesvermögens (Preußag, VW, VE BA) mit dem Ziel einer breitgestreuten → Vermögensbildung (der Arbeitnehmer) ausgegebene → Aktien. V. wurden in der Regel mit Sozialrabatt Personen mit niedrigem → Einkommen angeboten. Volkseigentum ⇒ Staatseigentum ⇒ Gesellschaftseigentum ⇒ gesellschaftliches Eigentum ⇒ Kollektiveigentum ⇒ Gemeineigentum. Volkseinkommen eine der zentralen Größen der → Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung; wird dort nach dem Inländerkonzept ermittelt. Es umfaßt danach die Summe aller → Erwerbs- und → Vermögenseinkommen, die Inländern zugeflossen sind. Siehe: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung.
Volkswirtschaft
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Volkswirtschaft die Gesamtheit aller wirtschaftlichen Einrichtungen und Aktivitäten eines Staates. Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung Die V. (VGR) ist Teil der amtlichen Statistik. Sie ist eine ex-post-Rechnung, d. h. sie bezieht sich auf eine vergangene Periode. Das System der VGR ist international weitgehend vereinheitlicht, so dass länderübergreifende Vergleiche möglich sind. Die V. für Deutschland entspricht dem ESVG (Europäisches System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen), das seinerseits auf dem SNA (System of National Accounts) der UNO basiert. Aufgabe: Die V. soll ein quantitatives Gesamtbild des wirtschaftlichen Geschehens in einer → Volkswirtschaft liefern und insbesondere durch Angabe der in einer Wirtschaftsperiode neu geschaffenen Werte (Inlandsprodukt, Nationaleinkommen, Volkseinkommen) Auskunft über die Wirtschaftsleistung eines Landes geben. Ihre Ergebnisse sollen den Istzustand beschreiben und helfen, wirtschaftspolitische Entscheidungen angemessen und rechtzeitig zu treffen sowie Chancen, Grenzen und Wirkun-
gen von Maßnahmen abzuschätzen. Weiterhin ist die V. eine wichtige Datenquelle für wirtschaftstheoretische Analysen. System: Die V. erfaßt die für die Beschreibung des Wirtschaftsablaufs wichtigen wirtschaftlichen Aktivitäten aller Wirtschaftseinheiten (Personen, Unternehmen, staatliche Stellen). Um angesichts der großen Zahl von Wirtschaftseinheiten (allein ca. 37,5 Mio. → private Haushalte) und der Vielfalt der wirtschaftlichen Vorgänge die Darstellung übersichtlich zu halten, werden gleichartige Wirtschaftseinheiten zu Sektoren und Wirtschaftsbereichen und gleichartige Vorgänge zu Tätigkeiten zusammengefaßt (aggregiert). Sektoren der V.: ● Nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften (AG, GmbH, oHG, KG u. a.) ● Finanzielle Kapitalgesellschaften (v. a. Banken und Versicherungen) ● Staat (Bund, Länder, Gemeinden, Sozialversicherung) ● Private Haushalte (private Haushalte, Einzelunternehmen, Händler, Gastwirte, Freiberufler u. a.) 675
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung
● Private Organisationen ohne Erwerbszweck (politische Parteien, Gewerkschaften, Kirchen u. a.)
Vorleistungen: Güterkäufe inländischer Wirtschaftseinheiten von anderen in- oder ausländischen Wirtschaftseinheiten.
● Übrige Welt (alle Wirtschaftseinheiten mit Sitz/Wohnsitz außerhalb des Wirtschaftsgebietes)
Abschreibungen: Wertminderung des Anlagevermögens durch Verschleiß und technisches oder wirtschaftliches Veralten.
Wirtschaftsbereiche der V.:
Investitionen: Aufwendungen der Unternehmen für Ersatz oder Erweiterung von Anlagen sowie Vorratsveränderungen.
● Land-, Forstwirtschaft, Fischerei ● Produzierendes Gewerbe ● Baugewerbe ● Handel, Gastgewerbe, Verkehr ● Finanzierung, Vermietung, Unternehmensdienstleister ● Öffentliche und Private Dienstleister Tätigkeiten sind die Aktivitäten der Wirtschaftseinheiten (Produktion, Einkommensentstehung, -verteilung und -verwendung, Vermögensänderung). Für jeden Sektor wird für jede Tätigkeit in der V. ein Konto geführt. Wichtige Begriffe: Die V. unterscheidet Inlandskonzept und Inländerkonzept. Das Inlandskonzept erfaßt alle wirtschaftlichen Vorgänge im Inland; das Inländerkonzept erfaßt alle wirtschaftlichen Vorgänge von Personen und Institutionen, die ihren Sitz/ Wohnsitz im Inland haben (= Inländer). Bruttoinlandsprodukt: Wert aller in einer Periode im Inland hergestellten Güter. Bruttonationaleinkommen (früher: Bruttosozialprodukt): Summe der von allen Inländern erwirtschafteten Primäreinkommen. Volkseinkommen: Summe aller Primäreinkommen, die Inländern letztlich zugeflossen sind. Primäreinkommen: Einkommen aus wirtschaftlicher Tätigkeit; Erwerbs- und Vermögenseinkommen (Arbeitnehmerentgelt + Unternehmens- und Vermögenseinkommen). Sekundäreinkommen (abgeleitete Einkommen): Einkommen, die nicht aus wirtschaftlicher Tätigkeit herrühren (Transfereinkommen wie Renten, Kindergeld, Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe usw.). 676
Außenbeitrag: Ausfuhr von Waren und Dienstleistungen abzüglich Einfuhr von Waren und Dienstleistungen (→ Zahlungsbilanz). Gliederung: Die V. gliedert sich in eine Entstehungs-, Verteilungs- und Verwendungsrechnung. Die Entstehungsrechnung erfaßt das Produktionsergebnis der inländischen Wirtschaftsbereiche in einer bestimmten Wirtschaftsperiode. Das Ergebnis ist das Bruttoinlandsprodukt. Land- und Forstwirtschaft, Fischerei Produzierendes Gewerbe Baugewerbe Handel, Gastgewerbe und Verkehr Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleister + Öffentliche und Private Dienstleister = Bruttoinlandsprodukt + + + +
Entstehungsrechnung Die Verwendungsrechnung gibt Aufschluss darüber, wo die hergestellten Güter verwendet wurden. Der Außenbeitrag ergibt sich als Differenz zwischen Exporten und Importen von Waren und Dienstleistungen, spiegelt also den Nettogüteraustausch mit dem Ausland wider. + + = + =
Private Konsumausgaben Konsumausgaben des Staates Bruttoinvestitionen Inländische Verwendung Außenbeitrag (Exporte – Importe) Bruttoinlandsprodukt Verwendungsrechnung
Die Verteilungsrechnung gibt Auskunft über die Verteilung des Volkseinkommens.
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung
Arbeitnehmerentgelt + Unternehmens- und Vermögenseinkommen = Volkseinkommen Verteilungsrechnung Prof. Dr. Hans-Jürgen Albers, Schwäbisch Gmünd volkswirtschaftliche Kosten ⇒ soziale Kosten. volkswirtschaftliche Sektoren ⇒ Sektoren der Volkswirtschaft. Volkswirtschaftslehre oder allgemeiner → Wirtschaftswissenschaft mit der → Betriebswirtschaftlehre als Teildisziplin, die sich in besonderer Weise mit der → Unternehmung beschäftigt, hat in den letzten Dekaden in eindrucksvoller Weise ihren Anwendungsbereich auf Gebiete verwandter Sozialwissenschaften (Recht, Geschichte, Soziologie, Psychologie, Politologie, Soziobiologie) ausgeweitet, so dass eine Abgrenzung der Disziplin von der Problemstellung her wenig sinnvoll scheint. Falls man indessen das Ziel einer Einheit der Sozialwissenschaft anstrebt, sind diese erweiterten Aktivitäten fruchtbare Vorbedingungen für eine Synthese. Argumentiert man mehr traditionell, so untersucht die V. die sozialen Interaktionen eigeninteressierter (self-interested) Akteure auf Güter-, Faktor- und Finanzmärkten. Kategorien wie → Knappheit, → Kosten, → Präferenzen, Opportunitäten usw. sind dabei für die Begründung der V. von besonderer Bedeutung. Um sprachliche Missverständnisse hier und in anderen Zusammenhängen zu vermeiden, sei einleitend festgehalten: Die Präferenzen der Akteure sind rational, wenn sie vollständig und transitiv sind. Nur wenn dies der Fall ist, lässt sich eine Nutzenfunktion ableiten. Existiert eine Nutzenfunktion, dann ist der Akteur eigeninteressiert. Eigennützig (selfish) ist er dann, wenn er sich nur um seine eigenen Belange kümmert. Das existentielle Umfeld des Menschen ist eine Welt allgemeiner Knappheit, die dadurch beschrieben wird, dass seine Wün-
Volkswirtschaftslehre
sche unbegrenzt, seine produktiven Möglichkeiten aber begrenzt sind. Darüber hinaus ist die Zukunft für den Menschen in hohem Maße unsicher, mit der Folge, dass er die zukünftigen Konsequenzen seiner Handlungen nur unvollständig abzuschätzen vermag. Jede Handlung wiederum bedingt Kosten, erfasst durch den → Wert der am höchsten bewerteten aufgegebenen (nicht realisierten) Alternative. Knappheit und unbegrenzte Wünsche schaffen Interessenkonflikte (Wettbewerbssituationen), wobei nicht der → Wettbewerb per se, sondern die Art der Konfliktlösungsmechanismen die ökonomische Problemstellung formuliert. Das Spektrum reicht hier von ökonomischem Wettbewerb mit institutionalisierten Tauschaktionen über politische Allokationsmechanismen in Demokratien bis hin zu militärischen Aktionen. Im Gegensatz z. B. zu vielen Soziologen fühlen sich Wirtschaftswissenschaftler einem → methodologischen Individualismus verpflichtet, der die Analyse auf den einzelnen Akteur in seinem sozialen Umfeld ausrichtet. Dieser Akteur (→ Homo oeconomicus) wiederum ist innovativ, ressourcenbewusst und verhält sich in wiederkehrenden Situationen konsistent. Trotz immer stärkerer Formalisierung der Disziplin lassen sich die grundlegenden Charakteristika des ökonomischen Erklärungsansatzes einfach isolieren. Die Menschen unterscheiden sich zwar in ihren fundamentalen Wünschen und → Bedürfnissen (ihren Präferenzen), doch gilt folgendes einfache Muster nomologischen Typs: Für jeden Menschen sind einige → Güter (breit verstanden unter Einbeziehung von Zielen, Wünschen, Werten, Prinzipien usw.) knapp. Diese knappen Güter heißen ökonomische Güter. Der Mensch erstrebt immer mehrere ökonomische Güter gleichzeitig. (Unternehmer maximieren zwar → Gewinne, doch ist dies nicht Beschreibung ihrer Präferenzen, sondern Ergebnis eines marktlich gesteuerten Disziplinierungsprozesses.) Der Mensch ist bereit, etwas von jedem Gut aufzugeben, wenn er in adäquater Weise über ein Mehr an anderen Gütern kompensiert wird. (Daraus folgt, dass eine Hierarchie der Bedürfnis677
Volkswirtschaftslehre
se, wie sie z. B. der Psychologe A. H. Maslow propagiert, empirisch zu verwerfen ist.) Die Menge eines oder mehrerer Güter, die ein Akteur bereit ist, maximal aufzugeben, um eine Einheit mehr eines beliebigen anderen Gutes zu erhalten, gibt den subjektiven Wert dieses Gutes an. Dieser Wert wird für den Menschen umso niedriger sein, je größer die bereits verfügbare Menge des betrachteten Gutes ist. Es ist Lernziel wirtschaftswissenschaftlicher Anfängerveranstaltungen zu zeigen, dass das angeführte Modell in Verbindung mit spezifischen produktionstechnischen Annahmen in der Lage ist, die wesentlichen ökonomischen Prinzipien von → Tausch, → Produktion, → Spezialisierung, Marktpreisbildung, die Rolle des → Geldes in einer Tausch- und Produktionswirtschaft, die Zusammenhänge von → Organisation und → Kooperation in Teamproduktionsarrangements (Unternehmung) und weitere Themen systematisch zu behandeln. Es lässt sich zeigen, dass unter bestimmten Annahmen der → Marktmechanismus zu einer Allokation aller gegenwärtigen und zukünftigen Güter führt, die Pareto-effizient ist, d. h. kein Akteur kann bessergestellt werden, ohne einen anderen Akteur schlechter zu stellen. Bleiben Verteilungsfragen ausgeblendet, ist die Rolle des Staates minimal: Über einen kollektiven Zwangsmechanismus werden individuelle → Eigentumsrechte an den Anfangsausstattungen und Erträgen dieser Ausstattungen als notwendige Voraussetzungen für ein effizientes institutionelles Marktarrangement etabliert und im Zeitablauf garantiert. Ökonomen argumentieren, dass selbst dann, wenn das Potential des marktwirtschaftlichen Allokationsmechanismus voll genutzt wird, Fälle verbleiben, bei denen Staatstätigkeit gegenüber dem → Markt einen komparativen Vorteil hat. → Marktversagen gegen → Staatsversagen abzuwägen ist eine empirische Problemstellung für eine komparativ institutionelle Analyse, mit der sich die moderne politische Ökonomik beschäftigt. Notwendige Bedingungen für eine weitergehende staatliche Aktivität ergeben sich durch sog. Marktversagensfälle: → Öf678
Volkswirtschaftslehre
fentliche Güter, (z. B. Landesverteidigung, Fernsehsignale) sind im Gegensatz zu privaten Gütern durch Nichtrivalität im → Konsum und durch mangelnde Ausschließbarkeit charakterisiert. Die Schwierigkeit, adäquate Nutzergebühren zu erheben, schafft Anreize zu Trittbrettfahrerverhalten seitens der Nutzer und führt damit im Allgemeinen zu einer suboptimalen Versorgung. Sog. technologische Externalitäten (z. B. Umweltprobleme in der kleinen Gruppe) begründen einen Konflikt zwischen individuellem Maximierungsverhalten und der Erreichung einer Pareto-optimalen (→ ParetoOptimum) Ressourcenallokation. Steigende Skalenerträge sind eine mögliche Ursache für Marktversagen, da eine einzelne Unternehmung einer Branche über Gewinnmaximierungskalküle nicht in der Lage ist, ihre Kosten zu decken. Die Gefahr liegt hier in der Monopolisierung der Branche. Ein komplexes analytisches Problem schaffen Fälle von Marktversagen aufgrund von Informationsunvollkommenheiten. Allerdings, und dies ist ein wesentlicher Beitrag des Nobelpreisträgers R. H. → Coase, vermögen die Akteure im Rahmen des Marktmechanismus häufig selbst institutionelle Arrangements zu entwickeln, um Allokationsverzerrungen durch sog. Marktversagensfälle zu überwinden. Der Katalog der Begründung staatlicher Eingriffe erweitert sich mit der Einbeziehung von Verteilungszielen, die häufig etwas vage durch Kriterien der → sozialen Gerechtigkeit begründet werden. Die angeführten Probleme fallen in den Bereich der Mikroökonomik, die entweder in einer Partialanalyse z. B. einzelne Märkte oder in einer allgemeinen Analyse den Preisbildungsprozess unter Einbeziehung aller Akteure untersucht. Makroökonomische Analyse versucht demgegenüber die Komplexität dieser allgemeinen Gleichgewichtsanalyse dadurch zu vermeiden, dass sie von sog. kollektiven Akteuren – → Haushalte, Unternehmen oder Staat – ausgeht, deren Interaktionen häufig über simultane Gleichungen erfasst werden. Erklärte Variable dieser Systeme sind z. B. das → Sozialprodukt, der → Zinssatz, das → Preisniveau oder das Beschäf-
Volkswirtschaftslehre
tigungsniveau. Probleme wie Sicherung der → Beschäftigung, → Preisniveaustabilität, → Wachstum und → Zahlungsbilanzausgleich stehen im Vordergrund der Untersuchungen, wobei → Geld und → Fiskalpolitik die wesentlichen zentralen Steuerungsaufgaben beschreiben. Inwieweit makroökonomische Aggregate selbst sinnvoll zu begründen sind, ist im Wesentlichen eine empirische Frage, doch bleibt das Problem der mikroökonomischen Fundierung sog. makroökonomischer Verhaltensgleichungen methodologisches Leitmotiv. Konjunktur- und Finanzkrisen resultieren, wenn die gesamtwirtschaftliche Koordinierung versagt, wobei häufig der Bankensektor die Ausgangssituation bestimmt. Wie bereits der einfache Giralgeldschöpfungsmultiplikator deutlich macht, sind Banken im hohen Maße interdependent. Diese Interdependenz führt häufig zu Ansteckung und sog. Herdenverhalten mit der Gefahr eines Gefangenendilemmas (→ Spieltheorie). Jede Wissenschaft muss sich auf einem offenen Markt für Ideen bewähren. Ein „imperialistisch“ ausgerichtetes Wissenschaftsprogramm wie das der V. kultiviert ein besonderes Problembewusstsein für Schwachstellen, mit dem Bemühen, eine empirisch leistungsfähigere Theorie zu formulieren, die die auftretenden Probleme im Anwendungsfeld systematisch zu beseitigen sucht. Allgemeine Hinweise: Die Bezeichnung Volkswirtschaftslehre wurde von Gottlieb Hufeland (1760–1817) vorgeschlagen, um deutlich zu machen, dass die Analyseeinheit das Individuum ist und nicht ein kollektiver Akteur wie der Staat. Hufeland war ein überzeugter Anhänger von → Adam Smith, ohne allerdings dessen Arbeitswertlehre zu übernehmen: Neue Grundlegung der Staatswirthschaftskunst, 1. Teil: Gießen, Wetzlar: Tasche und Müller, 1807 und 2. Teil: Gießen: E. F. L. Gottgetreu Müller, 1813. Eine Fülle von empirischen Anwendungen der ökonomischen Analyse findet sich bei bei → Gary S. Becker, Der ökonomische Ansatz zur Erklärung menschlichen Verhaltens, Tübingen, 1982. Ronald H. Coase (Essays on Economics and Econo-
Volkswirtschaftslehre
mists, Chicago, 1994) korrigiert viele vordergründige Argumente für staatliche Aktivität unter marktwirtschaftlicher Perspektive. Eine immer noch lesenswerte Begründung für die Rolle des Staates in marktwirtschaftlichen Systemen bleibt Adam Smith, der Vater der modernen Wirtschaftswissenschaften, in: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, Glasgow Edition of the Works and Correspondence of Adam Smith, Oxford, 1976–1983, Book IV, Chapter IX (deutsche Übersetzung liegt vor). Xiaokai Yang (1948–2004), ein hochinteressanter Ökonom, der leider allzu früh verstorben ist, greift die klassische (Smithsche) Problematik von → Spezialisierung, → Arbeitsteilung und → Wachstum auf und korrigiert damit die etwas einseitige Standardausrichtung der neoklassischen Problematik der optimalen Ressourcenallokation für einen gegebenen Grad der Ressourcenknappheit: Xiaokai Yang, Economics: New Classical versus Neoclassical Frameworks, New York: Blackwell, 2001. Yang liefert nicht nur eine Analytik der fortgeschrittenen Mikroökonomik, sondern formuliert neben seinen eigenen neu-klassischen Ansätzen auch neuere Probleme wie endogene → Transaktionskosten, alternative Strukturen von Eigentumsrechten, die neue Institutionenlehre der modernen Unternehmung, Kontrakttheorie, um nur einige zu nennen. Die Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008/09 hat ein erneutes Interesse an → John Maynard Keynes geweckt: The General Theory of Employment, Interest and Money, 1936, deutsche Übersetzung: Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, 10. verbesserte Auflage, Berlin: Duncker und Humblot, 2000. Nützlicher, was die Interpretation der Großen Depression und von Krisen im Allgemeinen betrifft, sind indessen die Arbeiten von Irving Fisher, Booms and Depression and Related Workings, herausgegeben von William J. Barber als Volume 10, The Works of Irving Fisher, London 1997. Systematische wirtschaftsgeschichtliche Untersuchungen scheinen die These zu bestätigen, dass grössere Krisen im Wesentlichen unvermeidbar sind und darüber hinaus nicht vorher679
Volkswirtschaftslehre
sagbar bleiben. Ein Klassiker bleibt weiterhin Charles P. Kindleberger, Manias, Panics and Crashes: A History of Financial Crashes, 5. Auflage, bearbeitet von Robert Aliber, New York: Wiley, 2005. Eine neuere Studie stammt von Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff, This Time is Different. Eight Centuries of Financial Folly, Princeton: Princeton University Press, 2009. Spezielle Literatur: a) Grundlagen: Peter Bofinger, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre: Eine Einführung in die Wissenschaft von Märkten, 2. aktualisierte Auflage, mit CD-Rom, München: Pearson Studium, 2006; N. Gregory Mankiw und Mark P. Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 4. Auflage, Stuttgart: Schäffer, Pöschel, 2008; b) Mikroökonomik: Hal R. Varian, Grundzüge der Mikroökonomie, 7. überarbeitete und verbesserte Auflage, München: Oldenbourg, 2007; Robert S. Pindyck und Daniel Rubinfeld, Mikroökonomie, 6. aktualisierte Auflage, München: Pearson Studium, 2005. c) Makroökonomik: Olivier Blanchard und Gerhard Illing, Makroökonomik, Theorie und Politik, 4. Auflage, München: Pearson Studium, 2006; N. Gregory Mankiw, Makroökonomik, 5. Auflage, Stuttgart: Schäffer, Pöschel, 2003. Prof. Dr. Hans G. Monissen, Würzburg Vollamortisationsgarantie → Leasing. Vollbeschäftigung ist dann gegeben, wenn alle Arbeitswilligen eine → Beschäftigung haben beziehungsweise eine solche (ihnen zumutbare) ohne länger anhaltende Wartezeiten finden können. Die praktische → Wirtschaftspolitik ist bereit, bis zu einer → Arbeitslosenquote von 3 Prozent von V. zu sprechen. → Ziele der Wirtschaftspolitik. Vollkaskoversicherung ⇒ Fahrzeugvollversicherung. Vollmacht eine durch einseitige empfangsbedürftige → Willenserklärung erteilte Befugnis (→ Vertretungsmacht), im Namen und mit Wirkung für einen Dritten (Vollmacht680
Vollstreckungsbescheid
geber) → Rechtsgeschäfte abzuschließen, Rechtshandlungen vorzunehmen und Erklärungen entgegenzunehmen. Die V. entsteht in der Regel durch entsprechende Erklärung des Vollmachtgebers gegenüber dem zu Bevollmächtigenden; sie erlischt durch Beendigung des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses (z. B. → Dienstvertrag), durch → Widerruf und durch Tod des Bevollmächtigten. vollständige Konkurrenz → Marktmodelle. vollstreckbarer Titel ⇒ Vollstreckungstitel Urkunde, die die → Zwangsvollstreckung ermöglicht, so insbesondere: rechtskräftiges oder für vorläufig vollstreckbar erklärtes → Urteil, → Arrest, → einstweilige Verfügung, → Vollstreckungsbescheid, Schiedsspruch, Prozeßvergleich, Kostenfestsetzungsbeschluß, vollstreckbare Urkunde, Zuschlagsbeschluß bei der Versteigerung von Grundstücken, Auszug aus der Insolvenztabelle oder dem Gläubigerverzeichnis (§ 794 Zivilprozeßordnung). Seit 21. 10. 2005 gibt es einen einheitlichen v. für den Bereich der → Europäischen Union; allerdings nur insoweit, als es sich um unbestrittene → Forderungen handelt, das heißt um solche Titel, deren Berechtigung der jeweilige → Schuldner anerkannt hat. Vollstreckung zwangsweise Durchsetzung richterlicher Anordnungen insbesondere von → Vollstreckungstiteln (→ Zwangsvollstreckung) oder von öffentlich-rechtlichen → Forderungen. Vollstreckungsbescheid vollstreckbar erklärter → Mahnbescheid; wird im → Mahnverfahren auf Antrag des → Gläubigers erteilt, wenn der → Schuldner keinen Widerspruch (gegen diesen) erhoben hat. Der V. entspricht einem Versäumnisurteil und berechtigt den Antragsteller, die → Zwangsvollstreckung zu betreiben. Der Antragsgegner kann gegen den V. binnen 2 Wochen seit Zustellung desselben → Einspruch erheben. Erhebt er keinen Einspruch, so erlangt der V. Rechtskraft.
Vollstreckungsschutz
Vollstreckungsschutz Schutz des → Schuldners vor einer unbillig harten → Zwangsvollstreckung. Bei sämtlichen Arten der Zwangsvollstreckung kann nach § 765 a Zivilprozeßordnung [ZPO] das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Schuldners jede Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen. Voraussetzung für dieses gerichtliche Vorgehen zum Schutze des Schuldners ist, daß die Vollstreckungsmaßnahmen wegen ganz besonderer Umstände eine Härte gegenüber dem Schuldner darstellen würden, die mit den → guten Sitten (§ 138 Bürgerliches Gesetzbuch) nicht vereinbar wären (z. B. → Vollstreckung eines Räumungsurteiles gegen einen schwerkranken Schuldner). Besondere Vorschriften über V. bestehen bei → Urteilen oder → Vergleichen über Wohnungsräumung (§§ 721, 794 a ZPO). Darüber hinaus kann das Vollstreckungsgericht nach § 813 a ZPO auf Antrag des Schuldners die → Verwertung gepfändeter → Sachen zeitweilig unter Anordnung von Zahlungsfristen aussetzen (Verwertungsaufschub). Vollstreckungstitel ⇒ vollstreckbarer Titel. Vollstreik → Streik. Volontär Person, die zum Zwecke einer elementaren → Qualifikation in einem bestimmten Fachgebiet/Bereich (z. B. kaufmännischer Bereich, technischer Bereich) praktisch tätig wird. Ein solches Volontariat wird zuweilen auch als Voraussetzung eines bestimmten Studiums (z. B. Wirtschaftswissenschaften, Ingenieurwissenschaften) verlangt. Rechtsgrundlage bildet der auf eine bestimmte Dauer abgeschlossene V.-vertrag. Er verpflichtet den Betriebsinhaber, dem V. Gelegenheit zum gewünschten Qualifikationserwerb zu bieten und für die dafür erforderliche Anleitung zu sorgen; der V. seinerseits verpflichtet sich die ihm übertragenen Aufgaben gewissenhaft zu erledigen. Der V.vertrag sieht in der Regel kein Entgelt vor. Vorausvermächtnis → Vermächtnis.
Vorschußzinsen
Vorbehaltsgut → eheliches Güterrecht. Vorerbe → Vor- und Nacherbfolge. Vorhaben ⇒ Projekt ⇒ Projektmethode. vorläufige Deckungszusage ⇒ vorläufiger Deckungsschutz Vereinbarung (zwischen Versicherungsgeber u. Versicherungsnehmer) von vorläufigem → Versicherungsschutz ab Antragstellung (→ Antrag) und damit vor Ausfertigung des → Versicherungsscheines und Zahlung der Erstprämie. V. werden in fast allen Versicherungszweigen abgegeben; sie müssen jedoch ausdrücklich vereinbart werden, aus Beweisgründen möglichst schriftlich! vorläufiger Deckungsschutz ⇒ vorläufige Deckungszusage. Vorlegefrist Zeitraum, innerhalb dessen ein bestimmtes Dokument zur Geltendmachung damit verbriefter → Ansprüche vorgelegt werden muß. Siehe dazu insbesondere: → Scheck und → Wechsel. Vorsatz 1. im Zivilrecht: die bewußte Herbeiführung oder Inkaufnahme eines → Schadens. 2. im Strafrecht schließt V. zusätzlich zum vorgenannten Tatbestand das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit des Handelns ein. Vorschlagswesen (betriebliches) die Beteiligung der Mitarbeiter eines → Unternehmens am Reflexionsprozeß über betriebliche Zustände und Vorgänge. Die Einführung als auch die Ausgestaltung von Grundsätzen über das betriebliche V. unterliegt nach § 87 Abs. 1 Nr. 12 der → Mitbestimmung des → Betriebsrates. Vorschußzinsen als „Strafzinsen“ berechnete → Zinsen, wenn über → Spareinlagen ohne Einhaltung der → Kündigungsfrist verfügt wird. 681
Vorsorgeaufwendungen
Vorsorgeaufwendungen Begriff des Einkommenssteuerrechts (§§ 10, 10 a EStG); umfaßt → Aufwendungen, die einer bestimmten Vorsorge dienen, wie: → Beiträge zu → Kranken-, Pflege-, → Unfall- und → Haftpflichtversicherung, zur → gesetzlichen und → privaten Rentenversicherung und zur → Arbeitslosenversicherung; ferner Beiträge zu bestimmten → Versicherungen auf den Erlebens- oder Todesfall. V. sind – abhängig vom Familienstand und vom Alter des Steuerpflichtigen – bis zu bestimmten Höchstbeträgen vom Gesamtbetrag der → Einkünfte abzugsfähig. Siehe: → Einkommensteuer. Vorsorgepauschale Begriff des Einkommensteuerrechts; festgesetzter Mindestbetrag, mit dem → Vorsorgeaufwendungen von → Arbeitnehmern bei der Ermittlung der steuerlichen Bemessungsgrundlage abgezogen werden können. Vorstand geschäftsführendes Organ zahlreicher privat- oder öffentlich rechtlicher → Personenvereinigungen oder → Körperschaften, so insbesondere von → Vereinen, → Aktiengesellschaften, → Kommanditgesellschaften auf Aktien, → Genossenschaften, Sozialversicherungsträgern. Vorsteuer → Umsatzsteuer.
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vzbv
Vorsteuerabzug → Umsatzsteuer. Vor- und Nacherbfolge Begriffe des → Erbrecht für eine bestimmte Erbregelung. Beabsichtigt der Erblasser sein → Vermögen zunächst einer Person zufallen zu lassen, von der dieses dann nach einer bestimmten Zeit oder nach Eintritt eines bestimmten Ereignisses eine andere Person erben soll, so kann er durch → Testament oder → Erbvertrag einen Vor- und einen Nacherben bestimmen. Durch eine solche Regelung kann das Vermögen erhalten, seine Nutzung aber mehreren Personen nacheinander zugänglich gemacht werden. Es gilt aber zu bedenken, daß bei einer solchen Erbregelung sowohl der Vorerbe als auch der Nacherbe erbschaftsteuerpflichtig werden. Vorzugsaktie → Aktie, die gemäß § 11 Aktiengesetz mit bestimmten Vorrechten (z. B. eine erhöhte → Dividende) ausgestattet ist. Aktien ohne Stimmrecht können nur als V. ausgegeben werden. VVaG Abk. für: → Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. vzbv Abk. für: → Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. → Verbraucherfremdorganisation.
Wachstum
Wachstumspolitik
W Wachstum ⇒ Wirtschaftswachstum. Wachstumspolitik ist der Teil der → Wirtschaftspolitik, der auf das langfristige Anwachsen des realen → Sozialproduktes gerichtet ist. Ansatzpunkte der W. sind Größe und Struktur des gesamtwirtschaftlichen Produktionspotentials. Gegenüber der traditionellen Orientierung am quantitativen Wachstum des → Bruttoinlandsproduktes (BIP) pro Kopf der Bevölkerung zwischen sukzessiven Zeitperioden gewinnt heute angesichts des Ziels verbesserter Lebensqualität die Zusammensetzung des Sozialproduktes (qualitatives Wachstum bzw. → nachhaltige Entwicklung) an Bedeutung. Zudem sind in der W. die Zusammenhänge von Wachstums-, Stabilitäts- und Verteilungszielen zu beachten. So wird in Deutschland in § 1 → Stabilitätsgesetz das Ziel → stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum in Verbindung mit den Zielen → Stabilität des Preisniveaus, hoher → Beschäftigungsgrad und → außenwirtschaftliches Gleichgewicht vorgegeben. In der → EU soll die → nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines „ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität“ (Art. 3 Vertrag von Lissabon) erreicht werden. Als Determinanten der Sozialproduktsteigerung werden in der Wachstumstheorie die Quantität und die Qualität der → Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital sowie der → technische Fortschritt genannt. Die Art und Weise der Verwendung dieser Faktoren im Produktionsprozess (Allokation), hängt in starkem Maße von den institutionellen Rahmenbedingungen eines Landes ab. In der → Marktwirtschaft sind systembedingt Höhe und Struktur des Wirtschaftswachstums das unbekannte Ergebnis millionenfacher autonomer Entscheidungen von Haushaltungen (→ Haushalt), → Unternehmen und staatlichen Stellen. → Marktkonforme W. beinhaltet zum einen Verbesserungen der Wachstumsbedingungen (z. B.
Kredit- und Steuersystem, Wettbewerbsregeln), ist also marktwirtschaftliche → Ordnungspolitik. Zum anderen beeinflusst W. einzelne Wachstumsdeterminanten. Maßnahmen zur quantitativen Veränderung der Produktionsfaktoren setzen beim → Arbeitsangebot und beim Kapitaleinsatz an. Das Arbeitsvolumen kann durch Überstunden (Anreizwirkungen über tarifvertragliche und steuerliche Maßnahmen) und durch Erhöhung des inländischen Arbeitskräfteangebotes bei stärkerer Einbeziehung weiblicher Arbeitskräfte und bei Verlängerung der Lebensarbeitszeit vergrößert werden; auch die Förderung der Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte ist möglich. Die volkswirtschaftliche Ausstattung mit → Sachkapital wird durch → Sparen und Investieren (→ Investition) verändert, z. B. durch Maßnahmen zur Förderung der privaten Ersparnisbildung (Spar- und Bausparprämien, Steuervergünstigungen, → Investivlohn) und der Investitionsförderung (Investitionsprämien, Abschreibungserleichterungen, staatliche Bürgschaften und Beteiligungen am Investitionsrisiko). Die qualitative Beeinflussung der Produktionsfaktoren betrifft zum einen die Verbesserung des → Humankapitals durch Förderung der allgemeinen Bildung, spezifischer → Ausbildung, → Umschulung und → Fortbildung in Verbindung mit der Bereitstellung von geeigneten Bildungseinrichtungen. Die Kapitalqualität wird durch den technischen Fortschritt (in Produktionsanlagen gebundener Fortschritt) gefördert. Schaffung und Verbesserung personengebundenen technologischen Wissens erfolgen durch Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen (direkte und indirekte finanzielle Förderung der Grundlagenforschung, der angewandten Forschung und der technologischen Innovation) sowie durch Erfahrungen im Produktionsprozess (→ learning by doing). Zur verbesserten Faktorallokation ist es erforderlich, dass der Marktund Preismechanismus in möglichst allen Wirtschaftsbereichen funktionsfähig ist. 683
Wachstumspolitik
Währungspolitik
Dazu sind institutionelle Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Wettbewerbsfreiheit herstellen und sichern. Voraussetzungen für den unbehinderten Marktzutritt und -austritt von Unternehmen sind insbesondere die Handels- und Gewerbefreiheit sowie die Vertragsfreiheit. Die unternehmerische Entscheidungs- und Handlungsfreiheit kann vor allem mit Maßnahmen gegen Wettbewerbsbeschränkungen durch → Kartelle, → Unternehmenskonzentration und Missbrauch wirtschaftlicher Macht gefördert werden. Die W. beeinflusst die Struktur des Wirtschaftswachstums zum einen dadurch, dass sie das Verhältnis von → privaten zu → öffentlichen (und → meritorischen) Gütern durch Einwirken auf die Faktorallokation mittels → Steuern und → Subventionen verändert. Zum anderen führen umweltpolitische Zielsetzungen dazu, die Qualität des privaten Güterangebots durch → Umweltabgaben (nach dem → Verursacherprinzip) und durch Subventionen (nach dem Gemeinlastprinzip) zu beeinflussen. Literatur: Molitor, B.: Wirtschaftspolitik, 7., erw. Aufl. München 2007; Weimann, J.: Wirtschaftspolitik. Allokation und kollektive Entscheidung, 5., verb. Aufl., Berlin-Heidelberg 2009; Wildmann, L.: Wirtschaftspolitik. Module der Volkswirtschaftlehre, Bd. III, München 2007. Prof. Dr. Ronald Clapham, Siegen Wachstumsrate der Anstieg des realen → Volkseinkommens (→ Bruttoinlandsprodukt), absolut oder pro Kopf der Bevölkerung, zwischen aufeinanderfolgenden Zeitperioden. Wachstumszyklen Schwankungen des → Produktionspotentials. Im Gegensatz zu: → Konjunkturzyklen und → Branchenzyklen. Währung 1. die → Geldverfassung eines Landes resp. eines Währungsraumes. 2. die Währungseinheit eines Landes resp. eines Währungsraumes; zum Beispiel der Euro in den Mit684
gliedsstaaten der → Europäischen Währungsunion. Währungspolitik Unter W. verstehen wir die Gesamtheit der Maßnahmen zur Regelung des Zahlungsverkehrs mit dem Ausland. (Da mit der Verwirklichung der → Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion [EWWU] zum 1. 1. 1999 die Wechselkursgrenzen zwischen den Mitgliedsländern entfallen sind, stellt sich das Problem der äußeren Stabilität der gemeinsamen → Währung, des → Euro, lediglich gegenüber den Währungen der → EU-Staaten, die nicht der EWWU angehören, und den Währungen der sogenannten Drittstaaten [so z. B. gegenüber dem US-Dollar u. dem japanischen Yen].) Sie steht im Dienste des → Außenhandels und ist hier vor die Aufgabe gestellt, „die internationale → Arbeitsteilung in der Güterproduktion zu ermöglichen und zu verbessern“ (A. Woll); sie trägt damit instrumentellen Charakter. Eine dem freien Außenhandel verpflichtete W. ist darauf angelegt, die internationalen Währungsbeziehungen möglichst umfassend zu ordnen. Eine solche internationale Währungsordnung ist an folgende Voraussetzungen gebunden: – → Konvertibilität der → Währungen, – unbeschränkter → Kapitalverkehr, – systemkonforme Mechanismen des → Zahlungsbilanzausgleichs. Konvertibilität der Währungen bedeutet die Möglichkeit, fremde → Zahlungsmittel in heimisches → Geld und umgekehrt heimisches Geld in fremde Zahlungsmittel umzutauschen. Diese Möglichkeit ist Voraussetzung dafür, daß ein Güteraustausch (Waren und → Dienstleistungen) zwischen Inund Ausland praktiziert werden kann. Ein Importeur kann nämlich nur dann in beliebigem Umfang → Güter aus dem Ausland einführen, wenn er die dafür in Auslandswährung (z. B. US-Dollar, japanische Yen) zu entrichtenden Kaufpreise über den (unbeschränkten) Umtausch seiner Inlandswährung in die gewünschte Auslandswährung zahlen kann. Freie Konvertibilität ist nur dann gegeben, wenn diese Möglichkeit nicht durch Beschränkung oder zeitweili-
Währungspolitik
gen Ausschluß des Umtausches beschnitten wird. Unbeschränkter Kapitalverkehr ist die Voraussetzung, daß knappes → Kapital an die Orte des dringendsten → Bedarfs fließen kann. Nur wenn diese Möglichkeit gegeben ist, somit das Geldkapital (Investitionen) von den höchsten Ertragsraten angezogen wird, kann sich die internationale Arbeitsteilung durchsetzen. Freie Konvertibilität und unbeschränkter Kapitalverkehr bedingen sich gegenseitig. Ein mechanischer Zahlungsbilanzausgleich soll verhindern, daß anhaltende Zahlungsbilanzüberschüsse oder -defizite und daraus resultierende Rückwirkungen auf das inländische → Preisniveau Beschränkungen des freien Güter- und Devisenverkehrs erforderlich machen. Die im Zuge dieser Zielverfolgung zu ergreifenden zahlungsbilanzpolitischen Maßnahmen bilden heute das Kernstück der W. Mit der Entscheidung für das Prinzip der Außenhandelsfreiheit (→ Außenwirtschaftsfreiheit) ist in der Bundesrepublik Deutschland der unbeschränkte Kapitalverkehr bei freier Konvertibilität garantiert. Die Ordnung der internationalen Zahlungsbeziehungen ist – insbesondere hinsichtlich ihrer währungspolitischen Implikationen – für die Bundesrepublik Deutschland durch die Mitgliedschaften – im → Internationalen Währungsfonds (IWF, International Monetary Fund, IMF), – im → Zehnerklub (Gremium der zehn Hauptindustrieländer des Westens; nach Beitritt zahlreicher weiterer Länder ist das Gremium erweitert worden [→ Zwanziger-Klub bzw. später → Gruppe 24]), – bei der → Weltbank (Internationale Bank für Wiederauf bau und Entwicklung, International Bank for Reconstruction and Development, IBRD), – in der → Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) und – im → Europäischen Wechselkursmechanismus II (WKM II) bestimmt.
Wandelanleihe
Das → Europäische Währungssystem (EWS), das 1979 in Kraft getreten ist und in der → EG/→ EU eine Zone der Währungsstabilität schaffen sollte, wurde zum 1. 1. 1999 von der → Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) abgelöst. Nach diesem Zeitpunkt gibt es zwischen den EWWU-Teilnehmern und solchen Teilnehmern der → Europäischen Union, die zwar der Wirtschaftsunion aber noch nicht der Währungsunion angehören (derzeit [2011] Dänemark, Lettland u. Litauen) das sogenannte → WKM II. In diesem praktizieren die Währungsunion-Teilnehmer und -Nichtteilnehmer ein System → fester Wechselkurse mit → Bandbreiten. Großbritannien und Schweden sind mit ihren Währungen vorerst nicht im WKM II. Zur schrittweisen Verwirklichung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) nach den Vereinbarungen von Maastricht (9./10. Dezember 1991) siehe: → EWWU. Währungsreserven die der → Zentralbank eines Landes zur Erfüllung ihrer internationalen Zahlungsverpflichtungen zur Verfügung stehenden → Zahlungsmittel, so insbesondere: → Devisen, → Sorten, Gold, die Reserveposition beim → IWF sowie → Sondererziehungsrechte beim IWF. Währungsunion → Europäische Wirtschafts- und Währungsunion. Wahlvermächtnis → Vermächtnis. Walras, Marie Esprit Léon 1834 – 1910, bedeutender französischer Nationalökonom der → Grenznutzenschule. Sein Hauptverdienst liegt in der mathematischen Darstellung der allgemeinen volkswirtschaftlichen Interdependenz in einem simultanen statistischen Gleichungssystem. Hauptwerke: Eléments d’économie politique pure (1874/1877), Etudes d’économie politique appliquée (1898). Wandelanleihe ⇒ Wandelobligation ⇒ Wandelschuldverschreibung. 685
Wandelobligation
Wandelobligation ⇒ Wandelanleihe ⇒ Wandelschuldverschreibung. Wandelschuldverschreibung ⇒ Wandelobligation ⇒ Wandelanleihe → Schuldverschreibung von → Aktiengesellschaften (§ 221 Aktiengesetz), die dem Inhaber neben dem → Anspruch auf Rückzahlung des → Nennwertes und → Zinsen ein Recht auf Umtausch in → Aktien oder ein → Bezugsrecht auf Aktien verbrieft. Warenkorb eine bestimmte Anzahl repräsentativ für die Konsumausgabengestaltung eines privaten städtischen → Haushalts geltender → Sachgüter und → Dienstleistungen (Nahrungsmittel, Kleidung, Tabakwaren, Hausrat, → Versicherungen, ärztliche Leistungen, Verkehrsleistungen, Mietwohnungen, Reisen u. a.). Sobald sich in den Verbrauchsgewohnheiten der Privathaushalte grundlegende Veränderungen ergeben, wird die Zusammensetzung des W. vom → Statistischen Bundesamt entsprechend korrigiert. Der W. wird für die Berechnung des → Lebenshaltungskostenindex herangezogen. Warnstreik → Streik. Wartezeit 1. im → Arbeitsrecht: Mindestdauer des → Arbeitsverhältnisses, die für einen → Anspruch auf → Urlaub vorausgesetzt wird. Nach § 4 Bundesurlaubsgesetz wird der volle Urlaubsanspruch erst 6 Monate nach Beginn des Arbeitsverhältnisses erworben. Für die Entstehung des Urlaubsanspruches ist es unerheblich, ob der → Arbeitnehmer in dieser Zeit gearbeitet hat oder nicht. Er erwirbt diesen Anspruch auch, wenn er vom ersten Tag des Arbeitsverhältnisses an arbeitsunfähig war. Wird das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der W. gelöst, so erwirbt der Arbeitnehmer einen anteiligen Urlaubsanspruch. 2. In der → Sozialversicherung: Mindestversicherungszeit, die für einen Leistungsanspruch vorausgesetzt wird. So besteht in der gesetzlichen → Rentenversicherung bei 686
Wechsel
einer → Rente wegen → Berufs- oder → Erwerbsunfähigkeit eine W. von 60 Kalendermonaten; ein Anspruch auf → Altersrente für Angestellte setzt eine W. von 180 Kalendermonaten voraus. 3. in der → Individualversicherung: Mindestversicherungszeit, die für einen Leistungsanspruch vorausgesetzt wird. So ist bei der privaten → Krankenversicherung eine allgemeine W. von 3 Monaten üblich; in Einzelfällen kann je nach Tarif und Leistung eine besondere W. vereinbart werden. Auch bei Lebensversicherungen sind W. üblich. Web 2.0 informationstechnisches Schlagwort, das auf eine Vielzahl interaktiver und kooperativer Elemente des Internets, insbesondere des World Wide Webs Bezug nimmt. Es signalisiert in Anlehnung an die Versionsnummern von Softwareprodukten eine – sich etwa ab 2005 etablierende – neue Generation des Webs und grenzt diese gegenüber früheren Nutzungsformen desselben ab. Siehe auch: → computergestütztes Lernen. Weber, Max 1864 – 1920, berühmter deutscher Jurist, Nationalökonom und Soziologe; lehrte in Freiburg i. Brsg. und in Heidelberg; Einstellung der Lehrtätigkeit infolge Krankheit 1899. Seine besondere Bedeutung für die Wirtschaftswissenschaft liegt in seinen methodologischen Untersuchungen sowie in seinen Darlegungen über die Zusammenhänge zwischen protestantischer (calvinistischer, puritanischer) Ethik und der Entstehung des → Kapitalismus. Hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Thematik bedeutsame Werke: Wirtschaft und Gesellschaft (1921), Gesammelte Aufsätze zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte (1924). Wechsel Urkunde, in welcher der → Gläubiger (→ Aussteller) den → Schuldner (→ Bezogenen) auffordert, eine bestimmte Geldsumme zu einem späteren Zeitpunkt an eine bestimmte Person (→ Wechselnehmer) oder an eine von dieser genannte Adresse (→ Order) zu zahlen. Durch Annahme dieses ge-
Wechsel
zogenen W. (→ Tratte) im Wege der Unterschriftleistung (Akzeptleistung) erkennt der Bezogene diese Schuld an und verpflichtet sich zu deren Begleichung. (Der gezogene W. wird so durch die Unterschrift des Bezogenen zum → Akzept, das heißt zum angenommenen W.) Der vom Bezogenen angenommene (d. h. akzeptierte) W. geht an den Aussteller zurück. Dieser bewahrt ihn in der Regel bis zum Fälligkeitstermin auf, um ihn dann dem Bezogenen zur Einlösung (Zahlung) vorzulegen (zu präsentieren). (Siehe Schaubild) Er (der Aussteller) kann das Akzept auch → zahlungshalber an einen Gläubiger weitergeben oder aber einem → Kreditinstitut zur → Diskontierung einreichen. Nach Art. 1 Wechselgesetz muß eine W.-Urkunde (d. h. der W.) ganz bestimmte Angaben enthalten (sogenannte gesetzliche Bestandteile des W.). Es sind dies: Die Bezeichnung „Wechsel“ im Text der Urkunde; die unbedingte Anweisung, eine bestimmte Geldsumme zu zahlen; der Name des Bezogenen; die Verfallzeit; die Angabe des Zahlungsortes; der Name des W.-nehmers; Ort und Tag der Ausstellung; die Unterschrift des Ausstellers. Aus Gründen der Sicherheit und der Vereinfachung des W.-verkehrs wird in der Praxis für die Ausstellung eines W. ein Einheitsformular verwendet (DIN 5004), das man im allgemeinen in Schreibwarengeschäften erhält.
Wechselklage
Bei der Weitergabe des W. ist auf seiner Rückseite ein Übertragungsvermerk (→ Indossament) anzubringen. Wird ein W. vom Bezogenen nicht akzeptiert, beziehungsweise nicht oder nur teilweise vom W.-verpflichteten eingelöst, so stehen dem W.-inhaber (W.-berechtigten) folgende Möglichkeiten offen: (1) Er kann → W.-klage erheben oder (2) er kann einen → W.-mahnbescheid beantragen oder (3) er nimmt → Rückgriff (Regreß). Voraussetzung für den Rückgriff ist jedoch der → Protest. Den W.-inhaber und die → Indossanten trifft die → Benachrichtigungspflicht. Zur Vermeidung des W.-protestes und der W.-klage kann der W. prolongiert werden (→ Prolongation). Wechseldiskontkredit Bankkredit, der durch den Ankauf von → Wechseln aus dem Besitz des Kreditnehmers abgesichert wird. Die Bank gewährt den Wechselbetrag abzüglich des → Diskontabschlages und erwirbt dafür die im jeweiligen Wechsel verbrieften Zahlungsansprüche. Wechselinhaber Inhaber eines → Wechsels. Wechselklage Urkundenprozeß, durch den der Wechselberechtigte (→ Wechsel) sehr schnell einen 687
Wechselklage
→ vollstreckbaren Titel erhält (§§ 602 f. Zivilprozeßordnung). Wechselkurs gibt an, wieviel ausländische Währungseinheiten für eine Einheit inländischer → Währung getauscht werden (Mengennotierung). So werden beispielsweise (Herbst 2011) 1,3469 US Dollar oder 1,2207 Schweizer Franken gegen 1 Euro getauscht. Der W. ist der reziproke Wert des → Devisenkurses. Währungspolitisch werden → feste und → flexible W. unterschieden. Wechselmahnbescheid → Mahnbescheid infolge einer nicht erfüllten Wechselverbindlichkeit; wird im Rahmen des → gerichtlichen Mahnverfahrens ausgestellt. Wechselnehmer ⇒ Remittent derjenige, an den oder an dessen → Order der im → Wechsel genannte Betrag gezahlt werden soll. Wechselprotest → Protest. Wegeunfall Unfall auf dem direkten Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, gleichgültig, welches Verkehrsmittel benutzt wurde. W. gilt in der gesetzlichen → Unfallversicherung als → Arbeitsunfall. Wegezeit Zeit für die Überwindung der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Die W. zählt nicht zur → Arbeitszeit. Weisungsrecht des Arbeitgebers ⇒ Direktionsrecht des Arbeitgebers Recht des → Arbeitgebers, dem → Arbeitnehmer Anordnungen in bezug auf Art, Inhalt und Umfang der → Arbeit zu erteilen sowie Arbeitsort und -zeit zu bestimmen. Die Grenzen des W. sind durch gesetzliche Vorschriften (so insbesondere durch Art. 1 Grundgesetz u. das darin geschützte → Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers), → Tarifverträge, → Betriebsvereinbarungen und → Arbeitsverträge gezogen. Das W. greift in der Regel dort Platz, wo der genaue Inhalt der Arbeitspflicht des Arbeit688
Weiterbildung, betriebliche
nehmers sowie Ort und Zeit der Leistungserbringung durch einschlägige Gesetze, Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen und Arbeitsverträge nicht hinreichend bestimmt sind. Weiterbeschäftigungsanspruch Rechtsanspruch des → Arbeitnehmers auf Weiterbeschäftigung; besteht grundsätzlich auch nach Ausspruch einer → Kündigung während der → Kündigungsfrist. Nach § 102 Abs. 5 Betriebsverfassungsgesetz hat ein Arbeitnehmer einen W., wenn: (1) der → Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine → ordentliche Kündigung ausgesprochen hat, (2) der → Betriebsrat der ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen hat (→ Widerspruchsrecht des Betriebsrates bei ordentlicher Kündigung), (3) der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben hat, daß das → Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst worden ist, (4) der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung verlangt. – Der betriebsverfassungsrechtliche W. bezieht sich nur auf eine ordentliche Kündigung des Arbeitgebers, nicht jedoch auf eine → außerordentliche Kündigung. Der Arbeitgeber kann sich im Wege der → einstweiligen Verfügung durch das → Arbeitsgericht von der Weiterbeschäftigungspflicht entbinden lassen, wenn: (1) die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder mutwillig erscheint oder (2) die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren Belastung des Arbeitgebers führen würde oder (3) der Widerspruch des Betriebsrates offensichtlich unbegründet war. Weiterbildung die durch technisch-ökonomischen Fortschritt (→ technischen Fortschritt) erzwungene Aktualisierung und Erweiterung der beruflichen Erstqualifikation. Siehe auch: → Bildungssystem. Weiterbildung, berufliche → berufliche Weiterbildung. Weiterbildung, betriebliche → betriebliche Weiterbildung.
Weltbank (IBRD)
Weltbank (IBRD) genaue Bezeichnung: International Bank for Reconstruction and Development, Internationale Bank für Wiederauf bau und Entwicklung. Sitz in Washington D.C. (USA). Aufgabe: Finanzierung langfristiger Wiederauf bau- und Entwicklungsprogramme in den Mitgliedsländern (ca. 150). Maßgeblich am → ERP-Programm beteiligt; heute schwerpunktmäßig in den → Entwicklungsländern engagiert. Siehe auch: → Weltwirtschaftsordnung. Weltbankgruppe bestehend aus den drei internationalen Finanzierungsinstitutionen: → Weltbank, Internationale Entwicklungsorganisation (IDA) und Internationale Finanzcorporation (IFC). Welthandelsorganisation (WTO) → WTO. Weltwährungsfonds ⇒ IMF ⇒ Internationaler Währungsfonds. Weltwirtschaftskrise die sich von 1928 bis 1933 in fast allen Industrieländern der Welt ausbreitende Große → Depression mit Massenarbeitslosigkeit, sinkenden → Preisen und → Löhnen sowie verherenden Bankenzusammenbrüchen. Weltwirtschaftsordnung Internationale Wirtschaftsbeziehungen (Warenhandel, Dienstleistungsverkehr, unentgeltliche Übertragungen und Kapitaltransaktionen) und grenzüberschreitende Arbeitskräftebewegungen nahmen nach 1945 stetig und sehr stark zu. Der Welthandel wuchs schneller als die Weltproduktion. Der Austausch von Dienstleistungen, weltweite Direktinvestitionen und internationale Finanzmärkte erreichten in den letzten Dekaden eine immense Dichte und Expansion. Die vielfältigen Transaktionen, wechselseitigen Abhängigkeiten, insbesondere die asymmetrische Interdependenz zwischen den Akteuren der internationalen Wirtschaftsbeziehungen (den Trägern der staatlichen → Wirtschaftspolitik, privaten und öffentlichen → Wirtschaftssubjekten, inter-
Weltwirtschaftsordnung
nationalen Organisationen u. a.) erfordern ein ordnungspolitisches Regelwerk für Verhaltensnormen und Sanktionen. Die Grundsätze, Normen, Konventionen und Entscheidungsverfahren, die völkerrechtlich verankert und institutionell in den multilateralen oder supranationalen Organisationen gestaltet und überwacht werden, bilden die W. Im 19. Jahrhundert gestaltete und sicherte die Hegemonialmacht England den Ordnungsrahmen der Weltwirtschaft auf der Grundlage der klassisch-liberalen Wirtschaftsund Außenhandelstheorie (→ Smith, → Ricardo), die den freien Welthandel (Höhepunkt des Liberalismus in den 1860er Jahren) begründete. Die monetären Beziehungen zwischen den Ländern wurden durch das Goldwährungssystem (Goldstandard in England 1823, Deutschland 1871) geordnet, das den Automatismus des Zahlungsbilanzgleichgewichts herstellte und eine staatliche Wirtschaftssteuerung (→ Konjunktur-, → Beschäftigungspolitik) ausschloß. Diese W. wurde mit „Erziehungszollpolitik“ (→ Friedrich List) der neuen Industrienationen Deutschland, Frankreich u. a. infragegestellt und brach mit und nach dem Ersten Weltkrieg und vollends in der Weltwirtschaftskrise 1929 – 32 zusammen. Der handelskriegerische Protektionismus und das Abwertungswettrennen ließen den Welthandel auf ein Minimum reduzieren, die Währungsverhältnisse zerrütten und Volkswirtschaften in tiefe → Depression stürzen. Bereits im Laufe des Zweiten Weltkriegs stellten die Westalliierten Überlegungen über die zukünftige Gestaltung der weltwirtschaftlichen Beziehungen an. Die Wiederherstellung der alten Ordnung wurde ausgeschlossen. Nicht das Goldwährungssystem, vielmehr die Ideen und Ergebnisse der Währungskonferenz von Genua 1924 bildeten Anknüpfungspunkte. Das neue ordnungspolitische Regelwerk sollte einen Handlungsraum für nationalstaatliche Wirtschaftspolitik zulassen, den Zielen des weltweiten → Wirtschaftswachstums, des Wohlstands und des hohen Beschäftigungsniveaus und der Stabilität dienen. Das normen- und regelgeleitete Verhalten der Akteure in den internationalen Wirtschafts689
Weltwirtschaftsordnung
beziehungen sollte nunmehr durch die Errichtung von weltwirtschaftspolitischen Institutionen gewährleistet werden. Die W. der Nachkriegszeit basiert im wesentlichen auf zwei Säulen: Welthandels- und Weltwährungsordnung, die institutionell im → GATT/→ WTO und im → IWF sowie der → Weltbankgruppe verankert wurden. (1) Die Havanna-Charta 1945 intendierte eine liberale Welthandelsordnung, jedoch mit zahlreichen Ausnahmeregelungen (z. B. Zulassung von Freihandelszonen, Zollunionen; Art. 24) und Einschränkungen (NichtGeltung und Suspendierung von Grundsätzen für Fälle von Agrarmärkten und von struktureller Zahlungsbilanzstörung u. a.) und sah die Errichtung einer internationalen Handelsorganisation (ITO) mit eigener Satzung und Kompetenzen vor. Die Charta scheiterte am US-Kongress aufgrund gegensätzlicher Interessen, so daß daraus lediglich ein Abschnitt General Agreement on Tariffs and Trade (GATT: Internationales Zoll- und Handelsabkommen) als Übergangslösung in Kraft gesetzt werden konnte. GATT hat folgende Grundsätze für die Gestaltung des Welthandels: – Kein Land darf als Handelspartner diskriminiert und schlechter gestellt werden. Aus dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung folgt, daß die einem Handelspartner gewährte Vergünstigung, z. B. ein niedriger Zollsatz für bestimmte Industrieprodukte, auch allen anderen Mitgliedsländern (Vertragsparteien) unverzüglich und uneingeschränkt einzuräumen ist (Meistbegünstigungsgrundsatz). – Der freie Welthandel ist das Oberziel des GATT. Deshalb ist die Beseitigung von → Handelshemmnissen eine wichtige Aufgabe der internationalen Handelspolitik. Die Beseitigung der Handelserschwernisse soll auf der Basis gegenseitiger Zugeständnisse erreicht werden (Reziprozitätsgrundsatz). – Der Grundsatz der Liberalisierung des Welthandels soll durch folgende Bestimmungen des GATT realisiert werden: – Ausländische Waren sind wie die inländischen Waren zu behandeln; 690
Weltwirtschaftsordnung
– mengenmäßige Einschränkungen, Export- und Importgenehmigungsverfahren sowie Einfuhrabgaben sind verboten; – eine Ware darf im Ausland nicht unter ihrem Inlandpreis verkauft werden, d. h. Dumping ist nicht gestattet. Wenn ein solcher Fall vorliegt, darf das Importland Anti-Dumpingzölle anwenden. – Um schrittweise die Handelshemmnisse zu beseitigen, führen die Mitgliedsländer des GATT Verhandlungen, Zollrunden genannt, durch. Im Rahmen des GATT werden die Entscheidungen über den Abbau der Handelsschranken durch Übereinstimmung aller Vertragsparteien getroffen (multilaterales Verhandlungsverfahren). Seit 1966 und 1970 gelten für → Entwicklungsländer Ausnahmen von Reziprozität und Allgemeine Zollpräferenzen. In den bisherigen GATT-Runden (insbesondere in der Kennedy-Runde 1963 – 67, Tokio-Runde 1973 – 79, Uruguay-Runde 1986 – 94) konnten Zölle in den → OECD-Ländern für Industrieprodukte auf einen Durchschnitt von ca. 3,0 % gesenkt werden. Was so erfolgreich war, wurde jedoch durch enorme Zunahme von nicht-tarifären Handelsbeschränkungen (Mengenkontingente, „freiwillige“ Exportselbstbeschränkungsabkommen, Anti-Dumpingmaßnahmen, → Subventionen u. a.) seit 1974 immer mehr zunichte gemacht. Die wichtigsten Ergebnisse der bisher erfolgreichsten multilateralen Verhandlungsrunde, der Uruguay-Runde, sind: – Agrarprodukte sind nunmehr in das GATT-System einbezogen und die Mitgliedsstaaten, vor allem → EU, werden für den Abbau von Agrarsubventionen bis 2001 um 20 % verpflichtet. – Textil- und Bekleidungshandel, der seit 1961 im Welttextilabkommen reglementiert war, wird wieder den GATT-Grundsätzen (mit einer Übergangszeit von zehn Jahren) unterworfen. – Dienstleistungshandel wurde mit einem Rahmenabkommen (General Agreement on Trade in Services: GATS) in das GATT-System integriert. Jedoch sind ei-
Weltwirtschaftsordnung
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nige zwischen den USA und EU umstrittene Bereiche (Film, Fernsehen, AirbusSubventionen u. a.) ausgeklammert. Um die diskrimierende Behandlung von multinationalen Unternehmen zu unterbinden, werden Regeln für ausländische Direktinvestitionen im Abkommen TRIMS (Trade-Related Investment Measures) getroffen. GATT geht in der neu gegründeten Welthandelsorganisation (→ WTO) auf. Damit wird WTO mit eigener Rechtspersönlichkeit neben IWF und → Weltbank (IBRD) die dritte wichtige Organisation der W. Alle Mitgliedsstaaten der WTO übernehmen GATT-Regeln und die Einzelabkommen. „Regionalausnahme“, die Zulassung von Freihandelszonen und Zollunionen (nach Art. 24 GATT sind bisher über 70 Regionalabkommen zugelassen) wurde präzisiert. Nunmehr müssen diese innerhalb von zehn Jahren ohne Ausnahme eines Wirtschaftsbereiches realisiert werden. Die Ergebnisse der Uruguay-Runde haben die Welthandelsordnung erheblich reformiert, aber Problembereiche „Umwelt und Handel“ und „Wettbewerbssicherheit im Welthandel“ unbeantwortet gelassen.
(2) Die Weltwährungsordnung, die zweite Säule der bestehenden W., wurde mit dem Bretton-Woods-Abkommen von 1944 geschaffen, das durch die Reformen von 1968 (Einführung von Korbwährung, Sonderziehungsrechte) und von 1976 (Zulassung von unterschiedlichen Wechselkursregelungen) weiterentwickelt wurde. Das BrettonWoods-Währungssystem beruhte a) auf den festen Wechselkursen, für deren Einhaltung – in einer Bandbreite von 2 % die Zentralbanken der Mitgliedsstaaten sorgen mußten, b) auf der Verpflichtung der US-Zentralbank, Währungsreserven, die in USDollar gehalten wurden, in Gold umzutauschen (1 Feinunze Gold zu 35 Dollar). Die Währungsturbulenzen 1970 – 1973 setzten diesem System ein Ende. Der Internationale Währungsfonds (IWF) erfüllt als supranationale Organisation eine wichtige Funktion dadurch, daß er mit De-
Weltwirtschaftsordnung
visenkrediten zur Überwindung von Zahlungsbilanzproblemen der Mitgliedsländer beiträgt. Die Finanzmittel des IWF stammen aus Beiträgen von Mitgliedsländern. Die Höhe des Beitrages, aber auch der Umfang der Kredite, die von einem Land bei Bedarf in Anspruch genommen werden können, sowie der Stimmenanteil richten sich nach einer Quote, die jedem Mitglied unter Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit zugewiesen wird. In Höhe der Quote sind Einzahlungen an den Fonds zu leisten, und zwar im allgemeinen zu einem Viertel in → „Sonderziehungsrechten“ (SZR), der Reservewährung des IWF, und zu drei Vierteln in Landeswährung. Zum Ausgleich von Zahlungsbilanzdefiziten können die Mitglieder im Rahmen ihrer Quote beim IWF Devisen gegen Hergabe eigener Währung kaufen. Seit Mitte der siebziger Jahre traten jedoch so starke Zahlungsbilanzungleichgewichte auf, daß sie mit den vom IWF normalerweise gewährten Überbrückungshilfen nicht mehr zu bewältigen waren. Daher wurden zusätzliche Kreditmöglichkeiten geschaffen, die in erster Linie den → Entwicklungsländern zugute kamen. Daß die Kreditvergabe durch den Fonds unter strengen wirtschaftspolitischen Auflagen erfolgt, trug ihm aber vielfach den Vorwurf ungerechtfertigter Einmischung in die Politik der Defizitländer ein. Die Stabilisierungs- und Anpassungspolitik des IWF ist in der Verschuldungskrise der Entwicklungsländer seit 1982 konzeptionell und bezüglich ihrer Ergebnisse umstritten. (3) Die Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD: → Weltbank) wurde 1944 als „Zwillingsorganisation“ des IWF errichtet. Ihre Aufgabe konzentriert sich seit den 60er Jahren auf die Finanzierung von Projekten und anpassungspolitischen Maßnahmen in den Entwicklungsländern. Die Weltbank ist mit ihren Töchterinstitutionen Internationale Finanz-Corporation (IFC) und Internationale Entwicklungsorganisation (IDA) eine der wichtigsten supranationalen Organisationen der Weltwirtschaft. Internationale Wirtschaftsbeziehungen sind zunehmend auf die Triade (USA, EU und 691
Weltwirtschaftsordnung
Japan) konzentriert: Ca. 65 % des Welthandels und Kapitalverkehrs entfällt auf diese Zentren der Weltwirtschaft. Die wachsende Regionalisierung gerät in Konflikt mit dem Grundsatz des Multilateralismus der W. Dazu geben die schwerwiegenden Probleme der weltwirtschaftlichen Integration der Entwicklungs- und Transformationsländer, die Erosion der Weltwährungsordnung durch unkontrollierte internationale Finanzmärkte, der Neoprotektionismus und die Globalisierung der Produktion Anlaß, die Grundsätze, Verhaltensregeln und den institutionellen Rahmen der bestehenden W. kritisch zu überprüfen. Dies könnte der zweite Anlauf werden, die W. zu reformieren, nachdem der erste von Entwicklungsländern in den 70er Jahren unternommene Versuch, eine „Neue W.“ zu errichten, scheitern mußte. Literatur: Busch, A./Plümpert, T. (Hrsg.): Nationaler Staat und internationale Wirtschaft, Baden-Baden 1999; Engels, B. (Hrsg.): Perspektiven einer neuen internationalen Handelspolitik, Hamburg 1993; Eschenburg, R./Dabrowski, M. (Hrsg.): Konsequenzen der Globalisierung – Ökonomische Perspektiven für Lateinamerika und Europa, Münster 1998; Fricke, W. (Hrsg.): Globalisierung und institutionelle Reform; Jahrbuch Arbeit und Technik, Bonn 1997; Kaltenborn, M.: Entwicklungsvölkerrecht und Neugestaltung der internationalen Ordnung, Berlin 1998; Klein, M./Meng, W./ Rode, R. (Hrsg.): Die neue Welthandelsordnung der WTO, Amsterdam 1998; Lechner, F. J./Boli, J. (Eds.): The Globalization Reader. Oxford 2000; Rotte, R.: Das internationale System zwischen Globalisierung und Regionalisierung, Baden-Baden 1996; Sautter, H., Weltwirtschaftsordnung, München 2004. Prof. Dr. Alparslan Yenal, Berlin/Leipzig Werbung im Sinne von Wirtschaftswerbung ist in erster Linie Absatzwerbung. Sie stellt eine planmäßige Beeinflussung von Einzelpersonen oder Gruppen dar, mit dem Ziel, Meinungen zu bilden oder zu beeinflussen und das Nachfrageverhalten zu steuern, d. h. es 692
Werbung
entweder zu stabilisieren (Erhaltungswerbung) oder es zu verändern (Einführungsund Expansionswerbung). Die früher vorwiegend intuitiv betriebene W. ist in neuerer Zeit zu einer systematischen und wissenschaftlich fundierten betrieblichen Strategie geworden („Absatzforschung“, → „Marketing“, „Werbepsychologie“). Professionalisierung und beträchtliche Ausweitung der W. haben u. a. zur Schaffung eines → Ausbildungsberufs („Werbekaufmann“) und zur Gründung von Dienstleistungsunternehmen („Werbeagenturen“) geführt, die W. als Betriebszweck und im Auftrag betreiben. Funktionen: W. dient im allgemeinen der Kontaktanbahnung und der Kommunikation zwischen den beiden Marktseiten → Angebot und → Nachfrage. Im Rahmen dieser allgemeinen Aufgabe erfüllt W. vor allem eine Informationsfunktion und eine Stimulationsfunktion. Die Informationsfunktion dient den Interessen von Anbietern und Nachfragern gleichermaßen. Der Anbieter macht den Nachfragern sein → Produkt und den damit verbundenen → Nutzen bekannt. Für den Nachfrager gehört die W. ohne Zweifel zu den wichtigsten Informationsquellen über Vorhandensein von und Veränderungen bei Produkten, über Verwendungsmöglichkeiten und über Erwerbsbedingungen. Da die durch W. vermittelten Informationen aber weder vollständig noch neutral sind, benötigt der Verbraucher für eine möglichst rationale Entscheidung weitere Informationsquellen (→ Verbraucherorganisationen, Testzeitschriften, Freunde, Bekannte usw.). Die Stimulationsfunktion soll potenzielle Käufer dazu bewegen, das Produkt eines bestimmten Anbieters zu kaufen. Teilaspekte sind Schaffung und Lenkung von → Bedarf, Schaffung eines positiven Produktimages und schließlich Auslösung eines produktspezifischen Kaufaktes. Vor allem an der Schaffung und Lenkung von Bedarf entzündet sich häufig Werbekritik. Befürchtet wird, dass durch raffiniert verpackte, suggestive, an das Unterbewußtsein gerichtete Appelle, die → Konsumentensouveränität untergraben, „unechte → Bedürfnisse“ geweckt bzw. vorhan-
Werbung
dene Bedürfnisse manipuliert und letztlich die Nachfrager dazu verleitet werden, Dinge zu kaufen, die sie „eigentlich“ gar nicht wollen und nicht brauchen („geheime Verführer“). Information und Stimulation sind i. d. R. in einer bestimmten Werbemaßnahme miteinander verknüpft. Für den Empfänger der Werbebotschaft ergibt sich daraus die Schwierigkeit, sachliche Informationen über das Produkt von Überredungen zu trennen. Gegenstände der W. sind zum einen Aussagen über das Produkt selbst (→ Preis, Beschaffenheit, Leistungsmerkmale, Verwendungsmöglichkeiten usw.) und zum anderen über den Nutzen, der mit dem Besitz oder der Verwendung des Produktes verbunden ist. Aussagen zum Nutzen können sich sowohl auf den Grundnutzen (z. B. Fortbewegung und individuelle Mobilität beim Auto) als auch auf Zusatznutzen beziehen (z. B. Bequemlichkeit, Prestigewert des Autos). Insbesondere bei den Versprechungen über Zusatznutzen sind dem Werbegestalter kaum Grenzen gesetzt. Einklagbar sind diese Nutzenversprechen i.d.R. nicht, da die Rechtsprechung davon ausgeht, dass der Normalverbraucher erkennt, dass es sich hierbei um einen Werbeslogan und nicht um eine Sachaussage handelt. Durchführung: Die Werbetreibenden bemühen sich, durch zahlreiche Mittel die Wirksamkeit der Werbeaussagen zu erhöhen. Neben einer eingängigen Sprache ist vor allen Dingen die visuelle Gestaltung von Bedeutung. Die Auswahl und die spezifische Wiedergabe der Motive, in deren Umgebung das eigentliche Produkt dargestellt wird, sollen bei den Nachfragern positive Assoziationen auslösen. Zum einen sollen (z. B. durch schöne Landschaften, gutaussehende Personen, angenehme Situationen) Sehnsüchte angesprochen und Identifikationswünsche hervorgerufen werden, wobei die W. suggeriert, das diese durch den Kauf des Produktes gestillt bzw. erfüllt werden. Zum anderen werden auch bestimmte Mittel zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit der Werbebotschaft eingesetzt. Dazu gehört u. a., daß das Produkt in unmittelbare Beziehung zu einer bestimmten Person (Sportler, Schauspieler
Werbung
usw.) oder zu bestimmten Personengruppen (Ärzten, Wissenschaftlern usw.) gebracht wird. Auch die W. mit Testergebnissen erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Wortwahl, Wahl des Umgebungsmotivs sowie Art und Weise der Präsentation bestimmter Personengruppen sind oftmals Gegenstand von Kritik und gerichtlichem Vorgehen. Dies gilt vor allem für den Einbezug von Kindern und die Darstellung von Frauen als Sexualobjekt oder in sogenannten typisch weiblichen Rollen. Werbemittel und Werbeträger dienen der Verbreitung der Werbebotschaft. Als Werbemittel werden die sachlichen und personellen Ausdrucksformen bezeichnet. Die häufigsten sind Gespräche, Anzeigen, Fernseh- und Hörfunkspots, Prospekte, Plakate, Werbefilme. Nach den verwendeten Zeichensystemen lassen sich visuelle, akustische und audiovisuelle Mittel unterscheiden. Werbeträger („Streumedien“) sind die Gegenstände und Einrichtungen, über die die Werbemittel an die Zielperson(en) herangetragen werden. Die wichtigsten Werbeträger sind Pressemedien, Fernsehen, Rundfunk, Anschlagsäulen und -tafeln, Wände, Kinos, Verkehrsmittel usw. Unter Werbeerfolg werden die Wirkungen von Werbemaßnahmen verstanden. Die Messung von Werbeerfolg ist außerordentlich schwierig. Da die Güternachfrage von verschiedenen, gleichzeitig wirkenden Faktoren abhängig ist, müssten diese in ihrem Einfluss isoliert werden (können), um zuverlässige Aussagen über die Wirkung einer bestimmten Werbemaßnahme machen zu können. Das Ergebnis einer Werbeerfolgskontrolle hängt auch davon ab, zu welchem Zeitpunkt sie durchgeführt wird. Gemessen werden u. a. Umsatzänderung, Entwicklung der Marktanteile, Streuerfolg. Einschränkungen für W. dienen vor allem dem → Verbraucherschutz und dem Persönlichkeitsschutz. Sie richten sich insbesondere gegen Missbrauch durch falsche Angaben, irreführende Informationen, übertriebene Versprechungen, moralisch oder ästhetisch abzulehnende Darstellungen, Verunglimpfungen usw. Die wichtigsten gesetzlichen Regelungen in Deutschland sind 693
Werbung
das → Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb und das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz. Im Wege der freiwilligen Selbstbeschränkung hat sich die Werbewirtschaft einen Ehrenkodex zugelegt, der auch Werbeaussagen erfasst, die sich zwar noch im gesetzlich zulässigen Rahmen bewegen, aber nach Sitte und Anstand oder aus der kritischen Sicht der Gesellschaft nicht vertretbar erscheinen. Entsprechende Vereinbarungen beziehen sich u. a. auf die W. mit und vor Kindern, die W. für alkoholische Getränke, die W. mit unfallriskanten Bildmotiven und auf die Darstellung von und Aussagen über Frauen in der W. Wichtigstes Organ der freiwilligen Selbstkontrolle ist der 1972 vom Zentralausschuss der Werbewirtschaft (ZAW) gegründete Deutsche Werberat. Seine Aufgabe ist es, durch geeignete Maßnahmen die W. im Hinblick auf Inhalt, Aussage und Gestaltung weiterzuentwickeln, verantwortungsbewusstes Handeln zu fördern und Missstände im Werbewesen festzustellen und zu beseitigen. Zur Vorlage von Beschwerden beim Werberat ist jedermann berechtigt; die häufigsten Beschwerdeführer sind verbraucherpolitische Organisationen. Beurteilung: Aus betrieblicher Sicht wird W. als unverzichtbares absatzpolitisches Instrument angesehen. Die gesamtwirtschaftliche Einschätzung ist ambivalent. Einerseits trägt W. zur → Markttransparenz bei, andererseits verschlechtert die z. T. übermäßige Produktdifferenzierung („Markenhypertrophie“) die Marktübersicht. W. fördert einerseits einen funktionierenden → Wettbewerb, kann andererseits aber auch wettbewerbsbeschränkend wirken, wenn eine Konzentration der Nachfrage auf die werbeintensivsten Anbieter erfolgt. Eine durch W. hervorgerufene Erhöhung der Konsumneigung ist in Zeiten von Unterbeschäftigung positiv, kann aber in Zeiten von → Voll- oder Überbeschäftigung auch die Inflationsgefahr erhöhen. Der Information über Produkte steht die Gefahr einer Manipulation der Nachfrager gegenüber. Ob W. das Gesamtvolumen des → Konsums überhaupt beeinflussen kann, erscheint zweifelhaft. Da die für Konsum694
Werbungskosten
zwecke verwendeten Einkommensanteile relativ konstant bzw. kaum durch W. beeinflussbar sind, ist W. wohl in erster Linie ein Kampf um Marktanteile. Strittig ist ebenfalls, ob W. beim Verbraucher tatsächlich neue Bedürfnisse entstehen lässt oder lediglich latent vorhandene Bedürfnisse manifest werden läßt. Die Antwort hängt nicht zuletzt davon ab, wie speziell Bedürfnisse verstanden werden. Das Bedürfnis, ein bestimmtes Auto zu fahren, hängt zweifellos auch von dem durch W. aufgebauten Produktimage ab. Die Bedürfnisse nach komfortabler Fortbewegung, Sicherheit, Erregung von Aufsehen usw. sind dagegen nicht erst durch W. entstanden. Insofern zielt W. weniger auf Entstehung oder Manipulation von Bedürfnissen ab, sondern mehr auf die Art und Weise der Bedürfnisbefriedigung, auf das Mittel, mit dem ein vorhandenes Bedürfnis befriedigt wird. Prof. Dr. Hans-Jürgen Albers, Schwäbisch Gmünd Werbungskosten Begriff des Einkommensteuerrechts; Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen (§ 9 Einkommensteuergesetz). Dazu gehören: (1) im Bereich der nichtselbständigen Arbeit: Kosten für Arbeits- und Dienstkleidung, Kosten für Arbeitsmittel (z. B. Fachliteratur, Werkzeuge, Bürobedarf), Kosten für ein Arbeitszimmer und dessen Ausstattung, Beiträge zu Berufsverbänden, Prozeßkosten bei Verfahren vor dem Arbeitsgericht, berufliche → Haftplichtversicherung und der berufliche Anteil an einer → Rechtsschutzversicherung/→ Unfallversicherung, Fortbildungskosten, gegebenenfalls Kontoführungsgebühren, Kosten für berufliche Internetnutzung, Kosten für Fahrten zwischen Wohn- und Arbeitsstätte; (2) im Bereich der → Einkünfte aus Vermietung: Schuldzinsen und Geldbeschaffungskosten im Zusammenhang mit der Finanzierung eines vermieteten Objekts, → Abschreibungen auf die → Herstellkosten oder Anschaffungskosten eines vermieteten Objekts, → Grundsteuer und Gebäudeversicherungen.
Werkmietwohnung
Werkmietwohnung Wohnräume in werkseigenem Gebäude, die den → Arbeitnehmern mit Rücksicht auf das Bestehen eines → Arbeitsverhältnisses vermietet werden; ihre Zuweisung und → Kündigung sowie die allgemeine Festlegung der Nutzungsbedingungen (d. s. u. a. Inhalt der → Mietverträge u. der Hausordnung, allgemeine Grundsätze der Mietzinsbildung) unterliegen nach § 87 Abs. 1 Nr. 9 Betriebsverfassungsgesetz dem erzwingbaren → Mitbestimmungsrecht des → Betriebsrates. Werkstoffe umfassende Bezeichnung für all diejenigen → Roh- und → Hilfsstoffe, Halb- und Fertigfabrikate, die neben den → Betriebsmitteln und der → Arbeit in den → Fertigungsprozeß eingehen und zu Bestandteilen des herzustellenden Produktes werden. Werkverkauf ⇒ Factory Outlet. Werkvertrag (§§ 631 ff. Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). → Vertrag, durch den sich der Auftragnehmer (→ Unternehmer) verpflichtet, eine bestimmte Sache (Werk) herzustellen oder eine solche zu verändern (Beispiel: Ein Schneider fertigt einen Maßanzug). Der Unternehmer verpflichtet sich, die Sache so herzustellen, daß sie die zugesicherten Eigenschaften hat und nicht mit Fehlern behaftet ist, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder dem nach dem Vertrag vorausgesetzten Gebrauch aufheben oder mindern. Die Leistung des Unternehmers besteht aus der fachkundig eingebrachten Arbeit nebst stofflichen Zutaten zum Werk (so liefert der Schneider als Zutaten: Stoff, Knöpfe, Faden, Futterstoff). Der Unternehmer hat nach § 633 BGB n. F. dem Besteller das Werk frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen. Das Werk ist frei von → Sachmängeln, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit hat. Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist das Werk frei von Sachmängeln, – wenn es sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte, sonst – für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei
Werkvertrag
Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werkes erwarten kann. Einem Sachmangel steht es gleich, wenn der Unternehmer ein anderes als das bestellte Werk oder das Werk in zu geringer Menge herstellt. Das Werk ist frei von → Rechtsmängeln, wenn Dritte in Bezug auf das Werk keine oder nur die im Vertrag übernommenen Rechte gegen den Besteller geltend machen können. Der Besteller (Auftraggeber) verpflichtet sich zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung. Ist das Werk mangelhaft, kann der Besteller nach § 634 BGB n. F., wenn die Voraussetzungen der folgenden Vorschrift erfüllt sind und soweit nicht ein anderes bestimmt ist, – nach § 635 BGB n. F. Nacherfüllung verlangen, – nach § 637 BGB n. F. den Mangel selbst beseitigen und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen, – nach den §§ 636, 323 und 326 Abs. 5 BGB n. F. von dem Vertrag zurücktreten oder nach § 638 BGB n. F. die Vergütung mindern und – nach den §§ 636, 280, 281, 283 und 311 a BGB n. F. Schadensersatz oder nach § 284 BGB n. F. Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen. Nacherfüllung: Verlangt der Besteller Nacherfüllung, so kann der Unternehmer nach seiner Wahl den Mangel beseitigen oder ein neues Werk herstellen. Der Unternehmer hat die zum Zweck der Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen, insbesondere Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten zu tragen. Selbstvornahme: Nach erfolglosem Ablauf einer vom Besteller zur Nacherfüllung bestimmten angemessenen Frist kann dieser den Mangel selbst beseitigen und Ersatz der erforderliche Aufwendungen verlangen. Die Fristsetzung ist entbehrlich, wenn – der Unternehmer die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert, – der Unternehmer die Leistung zu einem im Vertrag bestimmten Termin oder in695
Werkvertrag
nerhalb einer bestimmten Frist nicht bewirkt und der Besteller im Vertrag den Fortbestand seines Leistungsinteresses an die Rechtzeitigkeit der Leistung gebunden hat oder – besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen. Der Bestimmung einer Frist bedarf es auch dann nicht, wenn die Nacherfüllung fehlgeschlagen oder dem Besteller unzumutbar ist. Kommt nach der Art der Pflichtverletzung eine Fristsetzung nicht in Betracht, so tritt an deren Stelle eine Abmahnung. Rücktritt: Erbringt der Unternehmer seine fällige Leistung nicht oder nicht vertragsgemäß, so kann der Besteller, wenn er diesem erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt hat, vom Vertrag zurücktreten. Unter den Voraussetzungen des § 323 Abs. 2 BGB n. F. ist eine Fristsetzung entbehrlich, wenn der Unternehmer die Nacherfüllung ernsthaft und endgültig verweigert oder, wenn die Nacherfüllung fehlgeschlagen oder dem Besteller unzumutbar ist. Kommt nach der Art der Pflichtverletzung eine Fristsetzung nicht in Betracht, so tritt an deren Stelle eine Abmahnung. Minderung: Statt zurückzutreten, kann der Besteller die Vergütung durch Erklärung gegenüber dem Unternehmer mindern. Bei der Minderung ist die Vergütung in dem Verhältnis herabzusetzen, in welchem zur Zeit des Vertragsabschlusses der Wert des Werks in mangelfreiem Zustand zu dem wirklichen Wert gestanden hätte. Die Minderung ist, soweit erforderlich, durch Schätzung zu ermitteln. Schadensersatz: Soweit der Unternehmer die fällige Leistung nicht oder nicht wie geschuldet erbringt und diesen Umstand zu vertreten hat (§ 276 BGB n. F.), kann der Besteller unter den Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 BGB n. F. Schadensersatz statt der Leistung verlangen, wenn er dem Unternehmer erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung gesetzt hat. Die Fristsetzung ist entbehrlich, 696
Werkvertrag
wenn der Unternehmer die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert oder besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruches rechtfertigen. Kommt nach Art der Pflichtverletzung eine Fristsetzung nicht in Betracht, so tritt an deren Stelle eine Abmahnung. Anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung kann der Besteller nach § 284 BGB n. F. Ersatz der Aufwendungen verlangen, die er im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung gemacht hat und billigerweise machen durfte, es sei denn, deren Zweck wäre auch ohne die Pflichtverletzung des Unternehmers nicht erreicht worden. Die → Verjährung der in § 634 BGB n. F. bezeichneten Mängelansprüche aus W. erfolgt nach § 634 a BGB n. F. – vorbehaltich der fünfjährigen Verjährungsfrist in zwei Jahren bei einem Werk, dessen Erfolg in der Herstellung, Wartung oder Veränderung einer Sache oder in der Erbringung von Planungs- oder Überwachungsleistungen hierfür besteht, – in fünf Jahren bei einem Bauwerk und einem Werk, dessen Erfolg in der Erbringung von Planungs- und Überwachungsleistungen hierfür besteht und – im übrigen in der regelmäßigen Verjährungsfrist von 3 Jahren (§ 195 BGB n. F.). Hat der Unternehmer den Mangel arglistig verschwiegen, so verjähren die Ansprüche ihm gegenüber erst nach drei Jahren. Die zwei- und die fünfjährige Verjährungsfrist beginnen mit der Abnahme des Werkes. Die regelmäßige, dreijährige Verjährungsfrist beginnt mit Ablauf des Jahres, in dem der Besteller Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen erlangt oder ohne grobe → Fahrlässigkeit erlangen müßte (§ 199 Abs. 1 BGB n. F.). Bevor das Werk mangelfrei hergestellt ist, besteht für den Besteller keine Abnahmepflicht. Nach der Abnahme ist der Besteller für eventuelle Mängel beweispflichtig. Die Vergütung wird erst mit der Abnahmepflicht fällig.
Werkvertrag
Zur Sicherstellung seiner → Forderungen hat der Unternehmer an → beweglichen Sachen ein gesetzliches → Pfandrecht und bei Bauwerken einen Anspruch auf → Eintragung einer → Sicherungshypothek auf das Grundstück. Die → Gefahr des zufälligen (→ Zufall) Untergangs der hergestellten Sache trägt grundsätzlich der Unternehmer. Mit der Abnahme des Werkes geht die Gefahr auf den Besteller über (→ Gefahrübergang); wenn er in → Annahmeverzug gerät, schon vorher. Auf Verträge, die die Lieferung herzustellender beweglicher Sachen zum Gegenstand haben, finden die Vorschriften über den → Kaufvertrag Anwendung (§ 651 BGB n. F.). Die Vorschriften über den Kaufvertrag finden auch Anwendung, soweit Vertragsgegenstand nicht vertretbare → Sachen (d. s. nach individuellen Merkmalen zu bestimmende Sachen, wie z. B. Gemälde, handgefertigter Schmuck [Unikate]) sind. Die Vorschriften des BGB zum W. werden in der Regel durch → Allgemeine Geschäftsbedingungen ergänzt. Die §§ 305 – 310 BGB n. F. beschränken diese Möglichkeiten im Interesse des Verbrauchers. Wert die Bedeutung, die → Gütern hinsichtlich ihrer Fähigkeit, → Bedürfnisse zu befriedigen, zugemessen wird. Bestimmend für diese Bedeutungszumessung ist einerseits der → Nutzen, den das jeweilige Gut bei der Bedürfnisbefriedigung stiftet, andererseits der Grad seiner → Knappheit. Wertewandel In den westlichen Industriegesellschaften hat in den letzten Jahrzehnten ein umfassender Modernisierungsschub stattgefunden, der mit einem ebenso tiefgreifenden soziokulturellen Wandel einherging. Ursächlich hierfür sind im wesentlichen fundamentale technologische Veränderungen, die den Übergang zu einer hoch arbeitsteiligen und vielfältig ausdifferenzierten Dienstleistungsgesellschaft zur Folge hatten. Dabei entstanden neue Erwerbs- und Berufsstrukturen mit anspruchsvolleren Anforderungsprofilen und Funktionser-
Wertewandel
wartungen, die zunächst in der Arbeitswelt mentale und kulturelle Anpassungsprozesse nach sich zogen. In Form einer Initialzündung wirkten sie jedoch von dort, hierin ihren Ausgangsrahmen sprengend, weit in die Gesamtgesellschaft hinein, wo sie für eine revolutionäre Transformation der allgemeinen Bewußtseinslagen prägewirksam wurden. Dies führte zu ernormen normativen Verwerfungen und Verunsicherungen, die sich in allen Lebensbereichen, in der Familie, dem Bildungs- und Erziehungswesen, im Arbeits- und Freizeitbereich wie auch in der Politik konstatieren lassen. Die verschiedenen Dimensionen dieses gesamtgesellschaftlichen mentalen Qualitätssprungs können heute mit Hilfe der sozialwissenschaftlichen Theorie vom W. umfassend beschrieben und interpretiert werden. Deren Anfänge reichen in die 1970er Jahre zurück, als Roland Inglehart das Begriffspaar Materialismus/Postmaterialismus zur Kennzeichnung des W. in die Diskussion einführte. Seiner Auffassung nach vollzog sich in der Bevölkerung der westlichen Demokratien seit den frühen 1960er Jahren eine „stille Revolution“, in der materialistische Wertpräferenzen zunehmend durch postmaterialistische ersetzt würden. Unter materialistischen Werten verstand Inglehart ökonomisch-wohlfahrtsstaatlich begründete Forderungen nach stabilen wirtschaftlichen Verhältnissen, nach → Wirtschaftswachstum, → Preisstabilität bzw. nach innerer und äußerer Sicherheit. Als postmaterialistische Werte bezeichnete er dagegen immaterielle, am Kriterium der Lebensqualität orientierte Forderungen nach persönlicher Selbstverwirklichung und Partizipation, nach sozialer Achtung oder nach Verwirklichung ideell-ästhetischer Bedürfnisse wie schönere Städte oder Erhalt der Natur. In der Folgezeit war das zunächst sehr erfolgreiche Konzept Ingleharts heftiger Kritik ausgesetzt. Sie bezog sich auf logische Unstimmigkeiten, die dichotomische Begrifflichkeit, voluntaristische Einseitigkeiten sowie die unzureichende Validität seiner Meßinstrumente. In den 1980er Jahren entwickelte dann der Speyerer Soziologe Helmut Klages zusammen mit seinen 697
Wertewandel
Mitarbeitern einen methodisch und theoretisch wesentlich differenzierteren W.-Ansatz, der sich seitdem in Deutschland zunehmend durchsetzte. Zur Kennzeichnung des W. unterschied er ebenfalls zwischen zwei globalen, miteinander kontrastierenden Wertegruppen, die jedoch in der Bevölkerung – im Gegensatz zu Inglehart – sehr unterschiedliche Mischverhältnisse eingehen: Pflicht- und Akzeptanzwerte auf der einen Seite mit schrumpfender, Selbstentfaltungswerte mit expandierender Tendenz auf der anderen Seite. Vor allem zwischen den frühen 1960er Jahren und der Mitte der 1970er Jahre, so sein Fazit, habe ein epochaler W.-schub stattgefunden. In einer generellen Weise läßt sich nach Klages der W. als Übergang von einem nomozentrischen zu einem autozentrischen Selbst- und Wertverständnis beschreiben, in dem das originäre Selbst, die eigenen Lebensinteressen zur Leitinstanz des Fühlens und Denkens aufrücken. Entsprechend ist eine starke Individualisierung und Pluralisierung, ein allgemeiner Trend zur Liberalisierung und Entnormativierung wie auch eine allgemeine Zunahme instrumenteller Einstellungen zu beobachten. Gleichzeitig gehen mit dem gewachsenen Selbstentfaltungsstreben sowohl vermehrte Anspruchshaltungen als auch verminderte Zufriedenheitsdispositionen einher. Grundsätzlich besteht seit dem W. eine größere Empfindlichkeit gegenüber faktischen oder vermuteten Widerständen, Einschränkungen, Selbstständigkeitsgefährdungen aus dem Raum der gesellschaftlichen Umwelt. Autoritativen Außenanforderungen, hierarchisch geordneten Sozialzusammenhängen, regulativen Normen wie auch den Identifikations- und Akzeptanzwünschen aus der Organisations- und Institutionenwelt steht man kritisch und mit gewachsener Distanz gegenüber. Dies heißt aber nicht, daß die Übernahme von Pflichten und Verantwortung, die Akzeptanz vorgegebener Zielsetzungen, die Hinnahme-, Bindungs- und Folgebereitschaft in großem Stil nun verweigert werden. Neu ist, daß dies nun alles weit stärker in Abhängigkeit von individuell-personalen Voraussetzungen gewährt wird. Die persönliche Motivation, das Streben nach Optionsvielfalt, 698
Wertewandel
selbst gewonnene Einsichten und Überzeugungen, individuelle Nutzenkalküle bzw. die autonome Entscheidungsfindung rücken nun in den Vordergrund. In diesem Kontext haben sich nach Klages in der Bevölkerung der Bundesrepublik insgesamt 5 verschiedene Mentalitätstypen herauskristallisiert. 1999 stellten in der trendsensiblen Altergruppe der 18 – 30-jährigen die „autoritätsfixierten Konventionalisten“, an denen der W. praktisch vorbeigelaufen ist, insgesamt 9 % (1993: 10 %), die „nonkonformen Idealisten“, die einseitig entfaltungsorientierte und emanzipatorische Ziele anstreben, dagegen 18 % (1993:15 %). Beide Wertegruppen stellen gewissermaßen die extremen Randausprägungen des Nomo- bzw. des Autozentrikers dar. Rund zwei Drittel der Altersgruppe weisen dagegen mehr oder minder stark gemischte Wertmuster auf. Die „perspektivenlosen Resignierten“, Menschen mit ausgesprochener Identitätsschwäche, die sowohl durch geringe Pflicht- und Akzeptanzbereitschaft, wie auch durch ein geringes Selbstentfaltungsstreben, starke Privatisierungsneigung und eine instrumentell-kalkulatorische Schonhaltung charakterisiert sind, kommen auf 10 % (1993:10 %). Als eigene Wertegruppe neu hinzugekommen ist seit Mitte der achtziger Jahre der „hedonistische Materialist“ (Hedomat), der einseitig auf hohen Lebensstandard und Lebensgenus fixiert ist, eine geringe Integrationsneigung aufweist und nur geringes Interesse an gesellschaftlichen und politischen Fragen zeigt. Dieser problematische Persönlichkeitstypus erreichte 1999 immerhin 27 % (1993:31 %). Daneben hat sich aber auch ein anderer – geradezu idealer Wertetypus – kräftig nach oben entwickelt, nämlich der „aktive Realist“, der inzwischen mit 36 % (1993:34 %) eine Spitzenposition einnimmt. Bei diesem zu Aktivität und Engagementbereitschaft neigenden werte-synthetischen Typus sind beide Wertepole gleichermaßen in hoher Niveauausprägung präsent. Es handelt sich um eine psychisch ausgesprochen starke Persönlichkeit mit ausgeprägter Leistungs- und Erfolgsorientierung, die weit stärker auf Selbst- als auf Fremd-
Wertewandel
kontrolle setzt. Im Arbeitsleben baut der „aktive Realist“ auf den Einsatz eigener Kreativität, auf Eigeninitiative und Mitgestaltung, doch bejaht er in nüchterner Einschätzung von institutionellen Erfordernissen auch Normen und Regeln, die er allerdings mit eigenen subjektiven Bedürfnislagen möglichst zu harmonisieren sucht. Dieser zukunftsträchtige Typus kann zugleich als der ideal verfaßte Mensch der Moderne gelten, der am ehesten in der Lage ist, sich den zahlreichen Herausforderungen gewachsen zu zeigen, die mit dem raschen sozioökonomischen Wandel verbunden sind. Dieses empirisch fundierte Panorama der bundesrepublikanischen Wertelandschaft vermittelt zugleich auch die Erkenntnis, daß pauschale und kulturpessimistische Bewertungen des W. als Wertezerfall oder Werteverlust die komplexe Realität verfehlen. So wird z. B. in der öffentlichen Diskussion häufig über geradezu anomische Entnormativierungs- und Entsolidarisierungstendenzen, über ausufernden Egoismus und → Individualismus, sich ausbreitende Ellenbogenmentalität oder Sozialstaatsausbeutung Klage geführt. Ohne Zweifel sind diese Bewußtseinshaltungen in den einzelnen Wertegruppen mehr oder minder stark vorhanden. Doch wie jedes Umbruchsphänomen enthält der W. neben Risiken ebenso auch Chancen, die meist viel zu wenig gewürdigt werden. So ist die Gesellschaft insgesamt offener, toleranter, unverkrampfter geworden, ist der Respekt vor der persönlichen Individualität des anderen ebenso gewachsen wie das Ausmaß an kritisch-rationaler Kommunikation und entsprechendem Verhalten. Auch bei den wertewandelbedingten Veränderungen des Arbeitlebens ist deshalb vor einfacher SchwarzWeiß-Malerei zu warnen. Dies gilt z. B. für die kulturpessimistische Deutung des amerikanischen Soziologen Daniel Bell (1975), der ausgehend von einer „Entfesselung des Selbst“ die weitgehende Ausbreitung einer einseitig konsumistisch-hedonistischen Lebensweise prognostizierte, durch welche die Arbeitsdisziplin und die traditionelle Leistungsethik – zugleich die zentralen Pfeiler der modernen Arbeits- und Wirtschafts-
Wertewandel
gesellschaft – in selbstzerstörerischer Weise untergraben würden. Ähnliche Thesen vertrat Elisabeth-Noelle-Neumann, die auf der Grundlage von Allensbacher Daten seit längerem bei den Deutschen eine schwindende Arbeitsmoral, einen Rückgang der → Arbeitsfreude sowie eine wachsende Freizeitorientierung konstatierte. Neuere Allensbacher Untersuchungen zeigen jedoch, daß sich Pflicht- und Akzeptanzwerte in Teilen sogar wieder im Aufwind befinden. Dies hängt damit zusammen, daß der im Zeichen der Globalisierung verschärfte Standortwettbewerb sowie die prekäre Arbeitsmarktsituation adäquate individuelle Wertanpassungen erzwingen. Gerade auch im Wertespektrum der Jüngeren ist seit einigen Jahren ein beachtlicher Bedeutungszuwachs der Leistungsbereitschaft zu registrieren, wird Arbeit als Wert für das Wohlbefinden zunehmend wichtiger. Ebenso läßt sich auch bei den traditionellen Werten Anstand, Höflichkeit, Pflichterfüllung, SichEinfügen in eine Ordnung, seit etwa Mitte der 1990er Jahre eine gewisse Renaissance beobachten. Vieles spricht daher für die neuerliche Annahme von Noelle-Neumann, daß der seit 30 Jahren andauernde Wertewandel an sein Ende gekommen sein dürfte, zumal Ende der 1990er Jahre die bis dahin vorhandene westdeutsche Generationenkluft hinsichtlich Wertefragen, Moralvorstellungen und Einstellungen gegenüber verschiedenen Lebensbereichen (z. B.Religion, Sexualität und Politik) nicht mehr existent sei. Der Zeitgeist der kommenden Jahre, so das Fazit, dürfte deshalb an manche zwischenzeitlich vernachlässigte Traditionen anknüpfen, eine Rückkehr in die 1950er Jahre jedoch auszuschließen sein. Man wird sich künftig somit nicht auf eine Trendumkehr, sondern auf ein produktives Nebeneinander und ein Sich-Ergänzen von Pflicht- und Akzeptanzwerten einzustellen haben. Dies gilt gerade auch für den Bereich der Arbeits- und Berufswelt, wo es darauf ankommt, die Wertverwirklichungsbedürfnisse der → Arbeitnehmer und die entsprechenden Wertverwirklichungsangebote der Arbeitswelt aufeinander abzustimmen. Die Befunde der empirischen Werteforschung 699
Wertewandel
zeigen, daß der Leistungswille, die Mobilitätsbereitschaft, die → Arbeitsfreude und das Wohlbefinden am → Arbeitsplatz signifikant geradezu nach oben schnellen, wenn die → Arbeit Möglichkeiten personeller Mitgestaltung und Mitentscheidung als Selbstverwirklichung, als Chance sich selbst mit seinem je eigenen Persönlichkeitspotential eigenverantwortlich „einzubringen“ bereithält und die Arbeitsorganisation zudem vielfältige und flexible Optionschancen im Blick auf Familie und Freizeit offen hält. Die wertewandelbedingten Erwartungshaltungen der Arbeitnehmer korrespondieren so durchaus mit den objektiven Veränderungstrends in der Produktionswelt, in der mit zunehmender Digitalisierung und Automatisierung statt hierarchiefixierter Anweisungsempfänger zunehmend eigenverantwortliche und selbstständige Mitarbeiter gefragt sind. Nur so kann das Innovationspotential, die Kreativität und Leistungsmotivation der Beschäftigten in optimaler Weise, d. h. schnell und flexibel auf das Marktbedürfnis reagierend, ausgeschöpft werden. Damit zeichnet sich eine Entwicklung ab, in der der Faktor Mensch, seine personalen Ressourcen und Fähigkeiten für die → Wirtschaft zu einer neuen kulturellen Herausforderung wird, in der jene → Unternehmen einen Standortvorteil haben werden, denen es gelingt die bislang viel zu wenig genutzten Wertpotentiale auszuschöpfen, die der W. bereithält. Sowohl für die → Gewerkschaften wie für die Unternehmen könnte deshalb die Förderung und Propagierung des „aktiven Realisten“ durch entsprechende wertepolitische Modernisierungsstrategien eine in jeder Hinsicht lohnende Aufgabe darstellen. Literatur: Klages, H.: Wertedynamik. Über die Wandelbarkeit des Selbstverständlichen, Zürich 1988; Hepp, G. F.: Wertewandel. Politikwissenschaftliche Grundfragen, München 1994; Gensicke, T.: Deutschland im Übergang. Lebensgefühl, Wertorientierungen, Bürgerengagement (Speyerer Forschungsberichte 204), Speyer 2000; Noelle-Neumann, E., Petersen, T.: Zeitenwende. Der Wertewandel 30 Jahre später, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 29, 2001, 700
Wertpapiere
S. 15 – 22; Klages, H.: Brauchen wir eine Rückkehr zu traditionellen Werten? Ebenda, S. 7 – 14; Hepp, G. F.: Wertewandel und bürgerschaftliches Engagement – Perspektiven für die politische Bildung, ebenda, S. 31 – 38; Opaschowski, H. W.: Die westliche Wertekultur auf dem Prüfstand. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 52 – 53, 2001, S. 7 – 17; Klages, H.: Der blockierte Mensch. Zukunftsaufgaben gesellschaftlicher und organisatorischer Gestaltung, Frankfurt/ Main 2002; Hillmann, K. H.: Wertwandel. Ursachen-Tendenzen-Folgen, Würzburg 2003; Gensicke, T.: Zeitgeist und Wertorientierungen, in: Deutsche Shell (Hrsg.), Jugend 2006. Eine pragmatische Jugend unter Druck, Frankfurt a. M. 2006.. Prof. Dr. Gerd Hepp, Heidelberg Wertpapiere W. sind Urkunden, die dem Inhaber ein Vermögensrecht (Geldwerte, Sachwerte) bescheinigen. Er kann sich gegen diese Urkunde den durch diese verbrieften Wert übergeben lassen oder das Vermögensrecht auf Dritte übertragen. Juristisch kann man bei W. unterscheiden: sachenrechtliche W. = Hypotheken-, Grundschuld- und Rentenbriefe, schuldrechtliche W. = → Wechsel, → Schecks, → Schuldverschreibungen, Mitgliedschaftspapiere = → Aktien. Eine eher ökonomische Unterscheidung wäre dagegen: Waren-W. = Ladescheine, Konnossemente, Lagerscheine u. a., Geld-W. = Schecks, Wechsel, → Banknoten u.a., Kapital-W. = – vertretbare d. s. Effekten (Aktien, → Anleihen u. a.), – nicht vertretbare d. s. Hypothekenbriefe, → Sparbriefe u. a. Im engen Sinne versteht man unter W. nur die → „Effekten“, d. h. W., die der Kapitalanlage dienen und laufende Erträge erbringen, die nur der Besitzer der Urkunde geltend machen kann. Effekten sind „vertretbar“, d. h. die ausgegebenen Urkunden haben alle die gleiche Beschaffenheit und ihre
Wertpapiere
Wertpapiere
Gliederung von Effekten nach: Übertragungsfähigkeit
verbrieftem Recht
Ertragsart
→ Inhaberpapiere, z. B. Inhaberaktien
Gläubigerpapiere, z. B. Schuldverschreibungen
festverzinsliche Papiere, z. B. Schuldverschreibungen
→ Orderpapiere, z. B. Namensaktien
Beteiligungspapiere, z. B. Aktien
Papiere mit variablem Ertrag, z. B. Aktien
Rektapapiere
Miteigentumspapiere, z. B. Investmentzertifikate
Mischformen mit z. T. festem Zins und zusätzlichem Gewinnanteil, z. B. Gewinnobligationen
Zahl ist genau festgelegt, so daß sie als völlig identische Stücke gehandelt werden können. Dies ist auch die Voraussetzung für den Handel an der Wertpapierbörse. Effekten können je nach der Form der Übertragung der Vermögensrechte sein: – Inhaberpapiere, auf denen nur der Schuldner verzeichnet ist, während Gläubiger der jeweilige Besitzer ist. Die Mehrzahl der an der Börse gehandelten W. sind Inhaberpapiere. – Orderpapiere, auf denen die Namen von Schuldner und Gläubiger eingetragen werden. Sie können nur durch schriftlichen Übertragungsvermerk (→ Indossament) auf dem Wertpapier an den jeweils neuen Eigentümer weitergegeben werden. – Rektapapiere, bei denen der Schuldner nur zur Zahlung an den auf dem Papier genannten Gläubiger (oder seinen Rechtsnachfolger) verpflichtet ist. Nach der Art des Rechtes, das durch das W. dokumentiert wird, teilt man auch ein in: – Gläubigerpapiere, wie Anleihen, → Obligationen, Lagerscheine usw., – Beteiligungspapiere, wie Aktien usw., – Miteigentumspapiere, wie → Investmentzertifikate usw. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal, das häufig als Entscheidungskriterium bei der Geldanlage gilt, ist die Frage des → Ertrages. Es gibt W., bei denen ein gleichbleibender Ertrag für die gesamte Laufzeit garantiert ist (z. B. 6 % Jahreszins), während der Ertrag bei anderen W. unregelmäßige
Schwankungen aufweist oder ganz ausbleiben kann, sog. Dividendenpapiere (z. B. Aktien). Die Gläubigerpapiere (Anleihen, Schuldverschreibungen) gewähren kein → Eigentum, jedoch: – das Recht, bei Fälligkeit mindestens den Nennbetrag des W. zurückzuerhalten, – das Recht, gegen Vorlage des → Zinsscheines einen im voraus festgelegten → Zins zu erhalten, – in Sonderfällen ist auch ein Anspruch auf → Gewinnbeteiligung gegeben (bei Gewinnobligationen). Für Gläubigerpapiere kann es verschiedene Aussteller (Emittenten) geben: – öffentliche Hand = Bund, Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände (z. B. → Bundesanleihen, → -schatzbriefe, -anweisungen, Länderanleihen, Schatzwechsel, → Kommunalobligationen u. a.), – Kreditinstitute, wie Sparkassen, Banken (z. B. Hypothekenbriefe, → Pfandbriefe, Sparbriefe, Obligationen, → Zertifikate u. a.), – private Unternehmen wie Versicherungen, Industrie- und Handel (→ Schuldscheindarlehen, → Industrieobligationen u. a.), – ausländische Emittenten (→ Auslandsanleihen, Währungsanleihen u. a.). Beteiligungspapiere, bei denen die Aktien dominieren, bescheinigen eine Beteiligung am gezeichneten Kapital. Bei einer → Aktiengesellschaft gewähren sie: 701
Wertpapiere
Wettbewerb
– das Recht auf die in der → Hauptversammlung beschlossene → Dividende, – das → Bezugsrecht bei der Ausgabe neuer Aktien, – Stimm- und Auskunftsrechte in der → Hauptversammlung, – Anspruch auf Anteil am Liquidationserlös bei Auflösung der Gesellschaft. In der Regel werden Aktien als → Inhaberaktien ausgegeben, d. h. sie sind formlos übertragbar. Zunehmend werden auch → Namensaktien ausgegeben, die nur durch Indossament übertragbar sind, oder sogar → vinkulierte Namensaktien, deren Übertragung an die Zustimmung der Aktiengesellschaft gebunden ist. Die beiden letzten Formen bieten den Organen der Aktiengesellschaft eine größere Sicherheit gegen „feindliche Übernahmen“, weil der Kreis der Aktionäre dann bekannt ist. Man unterscheidet bei den Aktien auch → Stammaktien und → Vorzugsaktien, wobei sich die unterschiedliche Qualität auf das Stimmrecht, die Dividende oder den Anteil am Liquidationserlös beziehen kann. Soweit die Aktien an der → Börse eingeführt sind, werden laufend die → Kurse festgesetzt, die Ausdruck für den gegenwärtigen Wert eines Anteils sind. Miteigentumspapiere, wie Investment-Anteile, sind Anteilsrechte an → Kapitalanlagegesellschaften, die – je nach Zielsetzung – unterschiedliche W. kaufen und zu → Investment-Fonds zusammenfassen. Durch die Mischung der verschiedenen W. im Fondsvermögen soll das Risiko eingeschränkt werden. → Investment-Zertifikate werden nicht an der Börse notiert, sondern von den Investment-Gesellschaften jeweils aus den Kursen der im Fonds befindlichen W. errechnet und veröffentlicht. Literatur: Lindmayer, Karl H., Geldanlage und Steuer 2010, Wiesbaden 2010; May, Hermann, Geldanlage – Vermögensbildung, 4. Aufl., München 2009. Prof. Dr. Dietmar Krafft, Münster Wertpapierfonds → Fonds. 702
Wertpapiersparen Anlage von Spargeldern in → Wertpapieren. Wertschöpfung Begriff der → Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung für die Gesamtheit der in einer → Volkswirtschaft während eines bestimmten Zeitabschnittes (Rechnungsperiode) durch die Kombination der → Produktionsfaktoren geschaffenen (wirtschaftlichen) Werte. Die Wertschöpfung ist somit das Ergebnis der Produktionstätigkeit. – Mit W. kann auch die betriebliche Produktionstätigkeit umschrieben werden. Wertstellung ⇒ Valutierung. Wettbewerb ⇒ Konkurrenz Wirtschaftlicher W. bezeichnet eine Rivalitätsbeziehung zwischen Wirtschaftseinheiten beim Bemühen um vorteilhafte Ergebnisse am → Markt. Durch (im Rahmen der Rechtsordnung) ungehinderte Möglichkeiten, sich am Austausch von Waren, → Dienstleistungen und → Kapital zu beteiligen, durch freie Bestimmung von Art und Umfang von → Produktion und → Konsum werden Eigeninitiative und innovative Kreativität der → Wirtschaftssubjekte mobilisiert (W. als Entdeckungsverfahren, → F. A. v. Hayek). Durch Kostensenkung, Verbesserung der → Produkte, Erschließung neuer Absatzwege, kreative → Werbung usw. kann der Wettbewerber → Gewinne erzielen (Anreizfunktion des W.). Nachlassende Leistungsfähigkeit wird durch → Verluste „bestraft“ (Sanktionsfunktion des W.). Die Notwendigkeit, in der Konkurrenz mit anderen Anbietern Kunden für die eigenen Leistungen finden zu müssen, zwingt das → Eigeninteresse in den Dienst gesellschaftlicher Ziele (ethische Rechtfertigung des W., → A. Smith). W. ist ein Ausleseprozeß, in dem bestehende Strukturen einer ständigen Gefährdung durch neue, bessere Lösungen ausgesetzt sind (W. als Prozeß schöpferischer Zerstörung, → J. Schumpeter). Wettbewerbswirtschaften sind durch hohe Dynamik des
Wettbewerb
wirtschaftlichen → Strukturwandels gekennzeichnet. W. erfüllt ökonomische und gesellschaftspolitische Funktionen: W. zwingt → Unternehmen, solche → Güter zu produzieren, die den → Bedürfnissen der Konsumenten entsprechen (Steuerungsfunktion), → Produktionsfaktoren möglichst effizient einzusetzen (Allokationsfunktion), ständig nach kostengünstigeren Produktionsverfahren und neuen Produkten zu suchen (Innovationsfunktion), auf Änderungen der Angebots- oder Nachfragebedingungen flexibel zu reagieren (Strukturanpassungsfunktion). W. ermöglicht leistungsbedingte Gewinne – aber er baut diese Gewinne wieder ab, wenn andere Unternehmen gleiche oder bessere Leistungen erbringen (Einkommensverteilungsfunktion). W. eröffnet Unternehmern und Verbrauchern Wahl- und Handlungsmöglichkeiten bei der eigenverantwortlichen Disposition über Produktionsfaktoren und → Einkommen (Freiheitsfunktion) und er sorgt für die Begrenzung wirtschaftlicher Macht (Kontrollfunktion). W. setzt → Privateigentum an → Produktionsmitteln, → Vertrags- und → Gewerbefreiheit voraus. Auch staatliches Eigentum an Produktionsmitteln ist mit einer W.-ordnung vereinbar, wenn die Staatsunternehmen in Konkurrenz mit privaten Unternehmen stehen und ihre Rechtsform gewährleistet, daß der Staat für Verluste haftet. Die mit W. verbundene wirtschaftliche Existenzgefährdung erfordert Maßnahmen zur → sozialen Sicherung. Sozial- und bildungspolitische Maßnahmen sind ferner erforderlich, um die Startchancen und die Konkurrenzfähigkeit weniger leistungsfähiger Personen zu verbessern und zu erhalten (→ Soziale Marktwirtschaft). Das Streben, sich wettbewerbsbedingtem Leistungsdruck zu entziehen und der Anreiz, als Monopolist Macht und Einkommensposition dauerhaft sichern zu können, führen zu einer der → Marktwirtschaft immanenten Tendenz, den W. zu beschränken. Technologische Entwicklungen (Kostenvorteile von Großbetrieben bei hohem Fixkostenanteil: economies of scale), Risikostreuung durch Erweiterung der Angebotspalet-
Wettbewerb
te (economies of scope), Erschließung neuer Märkte durch Angliederung von Unternehmen und andere Gründe führen zu steigender Unternehmenskonzentration, die den W. behindern kann. Erhaltung von W. erfordert Spielregeln, die vom Staat durchzusetzen sind (→ Wettbewerbspolitik). In der → Wirtschaftstheorie lassen sich verschiedene Konzepte des W. unterscheiden. Vertreter der klassischen Nationalökonomie (A. Smith 1723 – 1790) forderten den freien Leistungswettbewerb. Sie wandten sich v. a. gegen die Reglementierung von Gewerbe, Handel und Außenwirtschaft durch den merkantilistischen Staat des 18. Jh. Gefährdungen des W. durch private Kartellabsprachen wurden zwar gesehen, bei offenen Märkten aber nicht für dauerhaft durchsetzbar gehalten. Eine spezielle Politik zur Durchsetzung des W. war nach dieser Auffassung nicht erforderlich. Im Zuge der Industrialisierung im 19. und zu Beginn des 20. Jh. verliefen Konzentrationsprozesse weitestgehend unkontrolliert. Der Sherman Act von 1890 bedeutete den Beginn der Antitrustpolitik in den USA. In Deutschland forderte der → Ordoliberalismus (→ W. Eucken 1891 – 1950) eine vom Staat durchgesetzte Wettbewerbsordnung (→ Kartellverbot, strenge → Fusionskontrolle). Die Konzeption des Ordoliberalismus spielte bei der Entstehung der Wettbewerbspolitik in der Bundesrepublik Deutschland eine wichtige Rolle. Ihr Leitbild war das preistheoretische Modell der vollkommenen Konkurrenz, das sich allerdings wettbewerbspolitisch als wenig praktikabel erwies. Am Leitbild der vollkommenen Konkurrenz wird von der Theorie der „workable competition“ (J. M. Clark 1884 – 1963) kritisiert, daß eine atomistische Marktstruktur weder realistisch noch wünschenswert sei. W. ist ein dynamischer Prozeß: Durch den Vorstoß eines Unternehmens (durch eine Preissenkung, ein neues oder verbessertes Produkt) werden Reaktionen der Konkurrenten ausgelöst, die ihrerseits Anstöße zu weiteren W.-handlungen darstellen. Funktionsfähiger W. führt zu Ungleichheit und ist vereinbar mit gewissen „Un703
Wettbewerb
Wettbewerbspolitik
vollkommenheiten“ der Märkte (ungleiche Unternehmensgrößen, heterogene Produkte, begrenzte → Markttransparenz). Funktionsfähig ist der W., wenn er gute Marktergebnisse erbringt. Die Marktergebnisse (→ Preise, Breite und Qualität des Güterangebots, Rate des → technischen Fortschritts) sind das Ergebnis des Marktverhaltens der Anbieter (ihrer Preis-, Sortiments-, Innovationspolitik), das maßgeblich durch die Marktstruktur (Zahl und Marktanteile der Anbieter und Nachfrager, Marktzugangshemmnisse usw.) bestimmt wird. Wichtigster Ansatzpunkt für wettbewerbspolitische Maßnahmen ist die Marktstruktur: Ein gewisses Maß an Konzentration ist wettbewerbsfördernd, weil es die Innovationskraft der Anbieter stärkt; bei zu hoher Konzentration dagegen erlahmt der Wettbewerbsprozeß. Die W.-politik soll durch Fusionskontrolle von Großunternehmen einerseits und Förderung von Kooperation und Zusammenschluß von (zu) kleinen Unternehmen andererseits wettbewerbsoptimale Marktstrukturen sichern.
Wettbewerbsbeschränkungen jede freiwillige oder erzwungene Aufhebung, Verhinderung oder Beeinträchtigung der freien → Konkurrenz am → Markt, sei dies durch staatliche Maßnahmen oder durch unternehmerische Initiativen. → Kartellpolitik, → Wettbewerbspolitik.
In den USA entstand in der Auseinandersetzung mit der Theorie der workable competition das neoklassische Konzept der Chicago School (→ G. J. Stigler 1911 – 1991). Es wendet sich gegen eine an Marktanteilswerten und (oft fragwürdigen) Effizienzkriterien orientierte W.-politik, die im Ergebnis häufig zu staatlich gelenkter Konzentrationsförderung und Subventionierung („Industriepolitik“) führt. Die Chicago School fordert klare gesetzliche Regeln gegen private → Wettbewerbsbeschränkungen (z. B. → Kartelle) und den Abbau von (nicht selten vom Staat z. B. durch → Zölle, → Subventionen oder staatliche → Monopole errichteten) Zugangshemmnissen zu den Märkten (barriers to entry). Bei freiem Marktzugang (contestable markets) sind auch marktbeherrschende Unternehmen unbedenklich, da potentielle Konkurrenz besteht und sie unter Wettbewerbsdruck geraten, sobald sie Leistungsschwächen aufweisen (Bsp. Abbau der zunächst marktbeherrschenden Stellung von IBM durch amerikanische Newcomer und japanische Importe, Bsp. Telekommunikationsmarkt in
Wettbewerbspolitik ist ein Teil marktwirtschaftlicher → Ordnungspolitik zur Bekämpfung von → Wettbewerbsbeschränkungen. Wettbewerbsbeschränkend wirken v.a. → Kartelle, Unternehmenskonzentration und staatliche Marktregulierung. Absprachen über → Preise und Konditionen, Aufteilung von Absatzgebieten u.ä. (Kartelle) führen zur Monopolisierung von → Märkten. Schließt sich ein grosses → Unternehmen mit einem anderen zusammen (→ Fusion) oder erwirbt es die Mehrheit des Kapitals von Konkurrenzfirmen oder von Unternehmen auf anderen Märkten (Konzernbildung), so kann es eine marktbeherrschende Stellung erringen. → Monopole oder marktbeherrschende Unternehmen können durch Ausbeutung oder Diskriminierung von Kunden oder Lieferanten oder durch Behinderung von Konkurrenten den → Wettbewerb verfälschen oder unterbinden. Ungehemmte Unternehmenskonzentration führt zur Ballung wirtschaftlicher Macht. Zur Erhaltung des Leistungswettbewerbs müssen wettbewerbsbeschränkende Verhaltenswei-
704
Deutschland nach Aufhebung des Postmonopols). Angesichts zunehmend weltweiter Unternehmensverflechtungen stellt der Abbau von Marktzugangshindernissen die wohl wirksamste Politik zur Sicherung von W. dar (→ multinationale Unternehmen). Literatur: Kerber, W.: Wettbewerbspolitik, in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 9. Aufl. München 2007, S. 297 – 362; Kruber, K. P.: Funktionen des Wettbewerbs und Leitbilder der Wettbewerbspolitik, in: H. May (Hrsg.): Handbuch zur ökonomischen Bildung, 9. Aufl. München 2008, S. 297 – 313; Schmidt, J.: Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 8. Aufl. Stuttgart 2005. Prof. Dr. K. P. Kruber, Kiel
Wettbewerbspolitik
Wettbewerbspolitik
sen und Konzentrationsvorhaben untersagt und bestehende Monopole entflochten oder staatlicher Mißbrauchskontrolle unterstellt werden. W. i. w. S. umfaßt auch den Abbau staatlicher Wettbewerbsbeschränkungen (Marktregulierung, Einfuhrhindernisse usw.). Die wichtigsten Grundlagen der W. in Deutschland bilden das → Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und das → Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Mit der Realisierung des Binnenmarkts in der → EU ist die europäische → Fusionskontrolle von wachsender Bedeutung.
→ Marktbeherrschung wie auch des Mißbrauchs Beweisprobleme. Durch Einführung des Begriffs „überragende Marktstellung“ und von Vermutungskriterien für das Vorliegen von Marktbeherrschung mit der GWB-Reform von 1973 konnte die Justiziabilität der Mißbrauchsaufsicht und der gleichzeitig eingeführten Fusionskontrolle verbessert werden. Marktbeherrschung wird vermutet, wenn ein Unternehmen über ein Drittel, drei Unternehmen mehr als die Hälfte oder fünf Unternehmen mehr als zwei Drittel der Umsätze eines Marktes bestreiten (§ 19 Abs. 3).
Das GWB (27. 7. 1957; Neufassung 1. 1. 1999, zuletzt geändert am 7. 7. 2005) regelt im wesentlichen drei Problemfelder. Das → Kartellverbot wendet sich gegen wettbewerbsbeschränkende Absprachen zwischen konkurrierenden Unternehmen. § 1 enthält ein generelles Kartellverbot und das Verbot aufeinander abgestimmter Verhaltensweisen (sog. „Frühstückskartelle“). → Preis-, Submissions- und → Gebietskartelle sind in jedem Fall verboten. Bei anderen Absprachen zwischen Unternehmen sind auch positive Wirkungen möglich, die evtl. die wettbewerbsbeschränkenden überwiegen. So können z. B. Absprachen zur Vereinheitlichung von Normen, Kalkulationsverfahren oder Zahlungsbedingungen die Marktübersicht für Kunden erleichtern und den Wettbewerb verbessern. → Normen-, → Kalkulations- und → Konditionenkartelle können deshalb vom Kartellamt freigestellt werden. Das gleiche gilt für Rationalisierungs- und Kooperationsvereinbarungen zwischen miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen (§ 3 „Mittelstandskartelle“).
Seit Einführung der Fusionskontrolle (zum 1. 1. 1974) steht ein wirksameres Instrument zur Vorbeugung von marktbeherrschenden Unternehmenszusammenschlüssen zur Verfügung. Entsprechend der Ambivalenz von Unternehmenszusammenschlüssen, die einerseits wettbewerbsfördernde Effekte (Markterschließung, → Rationalisierung, Stärkung der Innovationskraft) haben können, andererseits wirksame Mittel zur Marktbeherrschung sein können, beschränkt sich die Fusionskontrolle nur auf Fälle, von denen eine Wettbewerbsgefährdung erwartet werden kann. Aufgreifkriterium ist u. a. ein Mindestumsatz der beteiligten Unternehmen von 500 Mio. Euro (§ 35). Solche Zusammenschlußvorhaben sind – soweit sie nicht der Europäischen Fusionskontrolle unterliegen – vorher beim Bundeskartellamt anzumelden (§ 39). Im Verfahren vor dem Bundeskartellamt haben die Unternehmen die Möglichkeit, wettbewerbsfördernde Wirkungen darzulegen. Wettbewerbsbeschränkende Zusammenschlüsse können untersagt oder mit Auflagen genehmigt werden (§ 40).
Eine vorbeugende Kontrolle von → Unternehmenszusammenschlüssen und Möglichkeiten zur Entflechtung von Monopolen konnten 1957 politisch nicht durchgesetzt werden. Marktbeherrschende Unternehmen unterliegen allerdings der → Mißbrauchsaufsicht durch das → Bundeskartellamt (§ 19). Die Ausnutzung einer marktbeherrschenden Position durch Ausbeutung, Behinderung oder Diskriminierung anderer Marktteilnehmer ist untersagt. In der Praxis ergeben sich sowohl beim Nachweis der
Vom Kartellverbot ausgenommen sind die Landwirtschaft (§ 28) und die Preisbindung von Zeitungen und Zeitschriften (§ 30). Zur Durchführung des GWB wurde mit dem Bundeskartellamt (BKA, in Bonn) eine eigene, von Weisungen unabhängige Behörde geschaffen (§ 51). Gegen Entscheidungen des BKA ist Klage vor dem Kammergericht Berlin bzw. dem Bundesgerichtshof als höchster Instanz möglich. Der Bundesminister für Wirtschaft kann in Ausnahme705
Wettbewerbspolitik
fällen „aus Gründen der Gesamtwirtschaft und des Gemeinwohls“ vom BKA untersagte Kartelle und Fusionsvorhaben genehmigen (→ „Ministererlaubnis“ § 42). Ein in der Öffentlichkeit viel beachtetes, heftig umstrittenes Beispiel war 2002 die Übernahme der Ruhrgas AG durch den Energiekonzern E. ON, die zu einer nachhaltigen Schwächung des Wettbewerbs auf dem deutschen Energiemarkt führte. E. ON und die Bundesregierung setzten die Fusion „aus strukturpolitischen Gründen und mit Rücksicht auf die Stellung am Weltmarkt“ gegen das BKA durch. Zunehmende weltwirtschaftliche Handelsverflechtung und die Verwirklichung des Binnenmarktes der EU erweitern die Märkte über nationale Grenzen hinaus. Die Globalisierung von Produktion und Handel fördert den Wettbewerb und bricht die Marktmacht nationaler Monopole. Es entstehen aber auch neue Gefährdungen des Wettbewerbs durch grenzüberschreitende Konzentration (→ multinationale Unternehmen). Eine internationale W. ist bisher nicht in Sicht. Eine Ausnahme bildet die W. der → EU, deren Anfang bis zur Gründung der → Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) am 1. 1. 1958 zurückreicht. Die Wettbewerbsregeln der EU (Art. 101 – 106 in der Konsolidierten Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union vom 9. 5. 2005) verbieten Kartelle und die mißbräuchliche Ausnutzung von Marktmacht, soweit sie zu einer Beeinträchtigung des freien Handels in der EU führen. Mit der Verordnung 4064/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (21. 12. 1989; Neufassung in der Fusionskontrollverordnung FKVO 0139/04; 20. 1. 2004) wurde eine europäische Fusionskontrolle für grenzüberschreitende Zusammenschlüsse von Großunternehmen eingeführt. Der EU-Kontrolle unterliegen „Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung“. Aufgreifkriterium ist ein Gesamtumsatz der beteiligten Firmen von weltweit mindestens 5 Mrd. Euro, oder „ein gemeinschaftsweiter Gesamtumsatz von mindestens zwei beteiligten Unternehmen von jeweils mehr als 250 706
Wettbewerbspolitik
Mio. Euro“, wenn davon mehr als ein Drittel außerhalb des jeweiligen „Heimatlandes“ erzielt wird (Art. 1 FKVO). „Mammuthochzeiten“ unterliegen seither einer auf den gemeinsamen Markt der EU bezogenen supranationalen Wettbewerbskontrolle, die im Grundsatz dem GWB nachgebildet ist. Allerdings besteht ein wichtiger Unterschied: Die Durchsetzung des Wettbewerbs unterliegt im GWB einer unabhängigen Behörde (BKA). Erst in einer nachgelagerten Phase und nur unter bestimmten Voraussetzungen können industriepolitische Argumente („national bedeutsamer Technologiekonzern“) vom Wirtschaftsminister zur Geltung gebracht werden. Die europäische W. wird von der EU-Kommission ausgeübt. Industriepolitische Überlegungen spielen in diesem politischen Gremium von vornherein eine größere Rolle und können leicht gegenüber der W. dominieren. Die Kommission kann von Personen und Unternehmen Auskünfte verlangen (Art. 11) und Geldbußen und Zwangsgelder verhängen (Art. 14, 15). Ihre Entscheidungen können vor dem Europäischen Gerichtshof auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden (Art. 16). Das UWG ist das älteste deutsche Wettbewerbsgesetz (7. 6. 1909; Neufassung 8. 7. 2004). Es enthält „Spielregeln“ für fairen Wettbewerb und Vorschriften zum Schutz der Verbraucher. In einer Generalklausel untersagt es unlautere Wettbewerbshandlungen im Geschäftsverkehr (§ 3). Als unlautere Praktiken gelten z. B. Täuschungen, Drohungen, Verbreitung falscher Behauptungen über Konkurrenten, Ausnutzen der geschäftlichen Unerfahrenheit von Kindern und Jugendlichen (§ 4). Das UWG verbietet irreführende → Werbung durch falsche Angaben über Beschaffenheit, Zwecktauglichkeit, Verfügbarkeit, Herstellungsart, Auszeichnungen von Waren (§ 5). Bisherige Sonderregelungen für Räumungs-, Saisonschluß- und Jubiläumsverkäufe sind entfallen, es gelten die allgemeinen Regeln für Preisnachlässe (§ 5 Abs. 4). Gegen unlauteren Wettbewerb können Konkurrenten, Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, Wirtschaftsverbände und → Verbraucherorganisationen (nicht einzelne
Wettbewerbspolitik
Verbraucher) klagen (§ 8). Geklagt werden kann auf Unterlassung, Schadensersatz (§ 9) und u.U. auf Abschöpfung des unrechtmäßig erzielten Gewinns an den Bundeshaushalt (§ 10). Die → Monopolkommission dokumentiert und analysiert in 2-jährigem Rhythmus die aktuelle W. in Deutschland und in der EU, Sie besteht aus 5 unabhängigen Fachleuten (§ 44 GWB). Literatur: Cini, Michelle: Competition Policy in the European Union, 2. ed. Basingstoke 2009; Kerber, Wolfgang: Wettbewerbspolitik, in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 9. Aufl. München 2007; Neumann, Manfred: Wettbewerbspolitik. Geschichte, Theorie und Praxis, Wiesbaden 2001; Schmidt, Ingo: Europäische Wettbewerbspolitik und Beihilfenkontrolle, 2. Aufl. München 2006; Monopolkommission: 18. Hauptgutachten, Berlin 2008. Prof. Dr. Klaus-Peter Kruber, Kiel Wettbewerbsprinzip wirtschaftspolitischer Grundsatz, der die Gewährleistung eines → funktionsfähigen Wettbewerbs auf der Anbieterseite im Interesse der Nachfrager fordert. Wettbewerbsverbot ⇒ Konkurrenzverbot gesetzliche Bestimmung oder vertragliche Vereinbarung, die bestimmten Personen konkurrierende Aktivitäten zu denen einer anderen Person (z. B. → Arbeitgeber) respektive eines → Unternehmens untersagt. 1. für den → Arbeitnehmer: Der Arbeitnehmer darf, solange sein → Arbeitsverhältnis währt, seinem Arbeitgeber keine Konkurrenz machen. Dieses W. hindert den Arbeitnehmer jedoch nicht, Geschäfte in einem anderen Gewerbezweig als dem des Arbeitgebers zu tätigen (→ Nebenbeschäftigung). Verstößt der Arbeitnehmer gegen das W., so kann der Arbeitgeber je nach Lage des Falles das Arbeitsverhältnis kündigen oder → Schadensersatz verlangen. Nach § 61 Handelsgesetzbuch (HGB) kann der Arbeitgeber jedoch auch in die vom Arbeitnehmer eingegangenen → Verträge ein-
Wettbewerbsverbot
treten (→ Selbsteintrittsrecht). – Das W. des Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber endet grundsätzlich mit dem Arbeitsverhältnis. Soll es über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus gelten, muß dies vereinbart werden (vertragliches W.). Die Vereinbarung hat schriftlich zu erfolgen und ist überdies an die Aushändigung einer vom Arbeitgeber unterzeichneten Urkunde mit den vereinbarten Bestimmungen an den bisherigen Arbeitnehmer gebunden (§ 74 HGB). Einer solchen Vereinbarung sind jedoch durch Gesetz und Rechtsprechung enge Grenzen gesetzt. – Wichtigste Voraussetzung für die rechtswirksame Vereinbarung eines für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltenden W. ist die Zahlung einer monatlichen Entschädigung (→ Karenzentschädigung) durch den früheren Arbeitgeber. – Das W. kann höchstens 2 Jahre über die Beendigung des Arbeitsverhältnises hinaus ausgedehnt werden. Es ist nach § 74 a HGB unverbindlich, soweit es nicht dem Schutze eines berechtigten geschäftlichen Interesses des Arbeitgebers dient und soweit es unter Berücksichtigung der gewährten Entschädigung nach Ort, Zeit oder Gegenstand eine unbillige Erschwerung des Fortkommens des Arbeitnehmers enthält. – Das W. ist nichtig, soweit es minderjährigen Arbeitnehmern gegenüber erwirkt wird oder auf Ehrenwort oder unter ähnlichen Versicherungen eingegangen wird (§ 74 a Abs. 2 HGB). – Eine Wettbewerbsabrede, derzufolge der Arbeitgeber nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur dann die Hälfte des zuletzt gewährten Leistungsentgeltes zu zahlen hat, wenn er die Einhaltung des W. beansprucht, oder derzufolge der Arbeitnehmer nur mit Zustimmung des Arbeitgebers in einem oder für ein Konkurrenzunternehmen tätig sein darf, ist unverbindlich (bedingtes W.). Solche bedingten W. kämen nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil v. 4. 6. 1985) im Ergebnis einem entschädigungslos vereinbarten W. gleich. 2. für den → Auszubildenden: Vereinbarungen im Rahmen des → Ausbildungsvertrages, die dem Auszubildenden für die Zeit nach Beendigung des Ausbildungsver707
Wettbewerbsverbot
hältnisses ein W. auferlegen, sind nach § 12 Abs. 1 Berufsbildungsgesetz (BBiG) nichtig. Die Vereinbarung eines W. ist nur unter der Voraussetzung möglich, daß der Auszubildende während der letzten 6 Monate seiner Ausbildung für die Zeit nach Beendigung derselben ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit eingeht (§ 12 Abs. 1 BBiG). Wettbewerbswirtschaft ⇒ Verkehrswirtschaft ⇒ Marktwirtschaft. wichtiger Grund Begriff des Bürgerlichen Rechts, der insbesondere im Zusammenhang mit der → Kündigung länger dauernder Rechtsverhältnisse (z. B. eines → Arbeitsverhältnisses oder eines → Mietverhältnisses) von Bedeutung ist. Allgemein gelten als w. solche Umstände, die es für den betroffenen Vertragspartner unzumutbar werden lassen, das Rechtsverhältnis weiterhin aufrechtzuerhalten. Es kann immer nur in Würdigung des Einzelfalles entschieden werden, was als w. zu gelten hat. widerrechtliche Drohung → Anfechtung. Widerruf Begriff des Bürgerlichen Rechts; einseitige, formfreie (→ Formfreiheit), → empfangsbedürftige Willenserklärung, die auf die Aufhebung eines Rechtsverhältnisses oder die Beendigung einer Rechtswirkung gerichtet ist. Widerrufsrecht bei → Verbraucherverträgen nach § 355 Bürgerliches Gesetzbuch: → Fernabsatzverträge, → Haustürgeschäfte, → Teilzahlungsgeschäfte. Widerrufsvorbehalt → Kündigung II., 2. Widerspruch gegen Mahnbescheid → Mahnverfahren. Widerspruchsrecht des Betriebsrates bei ordentlicher Kündigung Der → Betriebsrat kann einer → ordentlichen Kündigung bei Vorliegen folgender im § 102 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) genannter Gründe innerhalb einer Woche 708
Wiener Schule
schriftlich widersprechen: (1) der → Arbeitgeber hat bei der Auswahl des zu kündigenden → Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte (→ soziale Auswahl bei Kündigung) nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt; (2) die Kündigung verstößt gegen Richtlinien, die über die personelle Auswahl bei Kündigungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbart wurden (§ 95 BetrVG); (3) der zu kündigende Arbeitnehmer kann an einem anderen → Arbeitsplatz im selben → Betrieb oder in einem anderen Betrieb desselben → Unternehmens weiterbeschäftigt werden; (4) die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers ist nach zumutbaren Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen möglich; (5) eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen ist möglich und der Arbeitnehmer hat sein Einverständnis damit erklärt. Der zu Recht sowie frist- und ordnungsgemäß eingelegte Widerspruch des Betriebsrates macht die Kündigung sozial ungerechtfertigt (§ 1 Kündigungsschutzgesetz) und damit unwirksam, sofern der Arbeitnehmer unter das Kündigungsschutzgesetz fällt und innerhalb von 3 Wochen → Kündigungsschutzklage erhebt. Bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsschutzprozesses hat der Arbeitnehmer einen → Weiterbeschäftigungsanspruch. Widerspruchsrecht des Mieters Der Mieter kann nach § 574 Bürgerliches Gesetzbuch der → Kündigung eines → Mietverhältnisses über Wohnraum widersprechen und vom Vermieter die Fortsetzung desselben verlangen, wenn die vertragsmäßige Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter oder seine Familie eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung des → berechtigten Interesses des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Eine Härte liegt auch vor, wenn angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann. Wiederauflebungsklausel → Vergleichsverfahren. Wiener Schule ⇒ Österreichische Grenznutzenschule.
WIKIs
WIKIs → computergestütztes Lernen. wilder Streik → Streik. Willenserklärung im Sinne des Bürgerlichen Rechts eine Willensäußerung (d. i. eine Erklärung einer Person), die geeignet ist und darauf abzielt, eine bestimmte Rechtswirkung herbeizuführen. Die Herbeiführung dieser Rechtswirkung (d. h. das Wirksamwerden der W.) macht es erforderlich, daß die W. entsprechend kundgetan wird. Vor diesem Erfordernis ist zu unterscheiden zwischen empfangsbedürftigen und nicht empfangsbedürftigen W. Nicht empfangsbedürftige W. werden wirksam, sobald sie abgegeben, das heißt erkennbar gemacht sind (z. B. → Testament). Empfangsbedürftige W. werden erst dann wirksam, wenn sie dem Empfänger (d. h.demjenigen, für den sie bestimmt sind) zugehen. Zugegangen ist eine W., sobald sie in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist. Der Einwurf einer schriftlichen Erklärung in den (Haus-)Briefkasten desAdressaten oder die Aushändigung derselben an diesen bedeutet Zugang. Auch im Falle der Annahmeverweigerung ist eine Erklärung zugegangen. Empfangsbedürftig sind beispielsweise alle Vertragserklärungen wie auch die → Kündigung. – Da die empfangsbedürftige W. erst mit ihrem Zugang wirksam wird, kann sie bis zu diesem, das heißt vor dem Zugehen und gleichzeitig mit dem Zugehen, widerrufen (→ Widerruf) werden. Wintergeld → Kurzarbeitergeld. Wirtschaft die Gesamtheit der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den → Wirtschaftssubjekten, die durch → Arbeitsteilung und Gütertausch miteinander in Verbindung stehen. Wirtschaften das Bestreben der → Wirtschaftssubjekte, die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel (d. h. in der Regel das zur Verfügung stehende → Geld) so zu verwenden, daß sie ihnen (1) als Konsumenten den höchsten
Wirtschaftsakademien (WA)
→ Nutzen (→ Nutzenmaximierung) und (2) als Unternehmer den höchsten Gewinn (→ Gewinnmaximierung) bringen. W. folgt dem aus dem → Vernunftprinzip abgeleiteten → ökonomischen Prinzip. wirtschaftliche Bildungskategorien → ökonomische Grundkategorien. wirtschaftliche Entwicklung → Evolutionsökonomie. wirtschaftliche Stoffkategorien → ökonomische Grundkategorien. wirtschaftliches Prinzip ⇒ Wirtschaftlichkeitsprinzip ⇒ ökonomisches Prinzip. Wirtschaftlichkeit Kennzahl, die sich aus dem Verhältnis von → Ertrag und → Aufwand beziehungsweise von → Leistung und → Kosten ergibt: Ertrag Leistung W. = ________ bzw. ________ Kosten . Aufwand Die W. gibt Auskunft darüber, inwieweit nach dem → ökonomischen Prinzip verfahren wurde. Wirtschaftlichkeitsprinzip ⇒ wirtschaftliches Prinzip ⇒ ökonomisches Prinzip. Wirtschaftsakademien (WA) im Gegensatz zu den → Berufsakademien, nichtstaatliche Einrichtungen des tertiären Bildungsbereiches; seit 1975 in Hamburg, außerdem heute in Brandenburg, Bremen (Akademie der Wirtschaft), RheinlandPfalz und Sachsen. Sie führen in beruflichen Ausbildungsgängen nach dem → dualen System (betriebliche Ausbildung und Studium) Abiturienten in 6 bzw. berufsbegleitend als → Weiterbildung junge Berufstätige in 2 bis 6 Semestern meist zu wirtschaftlichen Berufsabschlüssen (z. B. Betriebswirt [WA]. Diese Abschlüsse unterscheiden sich in den einzelnen Bundesländern inhaltlich z.T. erheblich voneinander. Im Gegensatz zu den meisten Berufsakademien kann an den W. kein akademischer Abschluß erworben werden. Siehe auch → Verwaltungs- und Wirtschaftsakademien (VWA). M. M. B. 709
Wirtschaftsausschuß
Wirtschaftsausschuß Informations- und Beratungsgremium, das nach § 106 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) in allen → Unternehmen mit in der Regel mehr als 100 ständig beschäftigten → Arbeitnehmern einzurichten ist und der Zusammenarbeit zwischen dem Unternehmer und dem → Betriebsrat oder dem → Gesamtbetriebsrat dient. Der W. besteht aus mindestens 3 und höchstens 7 Mitgliedern, die dem Unternehmen angehören müssen, darunter mindestens 1 Betriebsratmitglied. Zu Mitgliedern des W. können auch → leitende Angestellte bestellt werden. Die Mitglieder des W. sollen die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderliche fachliche und persönliche Eignung besitzen (§ 107 Abs. 1 BetrVG). Sie werden vom Betriebsrat für die Dauer seiner Amtszeit bestellt. Besteht ein Gesamtbetriebsrat, so bestimmt dieser die Mitglieder des W.; die Amtszeit der Mitglieder endet in diesem Fall in dem Zeitpunkt, in dem die Amtszeit der Mehrheit der Mitglieder des Gesamtbetriebsrates abgelaufen ist (§ 107 Abs. 2 BetrVG). Der W. soll einmal monatlich zusammentreten. An den Sitzungen hat der Unternehmer oder sein Vertreter teilzunehmen. Er kann sachkundige Arbeitnehmer des Unternehmens hinzuziehen (§ 108 Abs. 3 BetrVG). Der W. hat die Aufgabe, wirtschaftliche Angelegenheiten mit dem Unternehmer zu beraten und den Betriebsrat zu unterrichten (§ 106 Abs. 3 BetrVG). Der Unternehmer hat den W. rechtzeitig und umfassend über die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen zu unterrichten sowie die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Personalplanung darzustellen (§ 106 Abs. 2 BetrVG). Der Jahresabschluß ist dem W. unter Beteiligung des Betriebsrates zu erläutern (§ 106 Abs. 5 BetrVG). Wirtschaftsbildungstest ⇒ Test of Economic Literacy ⇒ Schulleistungstest zur Messung der ökonomischen Bildung. Wirtschaftsdidaktik ⇒ Didaktik der Wirtschaftslehre 1. Begriff und Gegenstand: Wörtlich übersetzt meint Didaktik „Lehrkunst“ und ver710
Wirtschaftsdidaktik
weist damit auf eine Teildisziplin der Erziehungswissenschaft, die Theorie des institutionalisierten Lehrens und Lernens. Von dieser weiten Fassung des Begriffs sind die engeren Deutungen einer Theorie des Unterrichts oder einer Theorie der Bildungsinhalte bzw. des Lehrplanes zu unterscheiden. → Wirtschaft ist ein soziales System neben anderen wie Recht, Politik oder Erziehung, das im Prozeß der gesellschaftlichen und funktionalen Ausdifferenzierung entstanden ist. Es wird angenommen, daß Handeln und Kommunizieren in diesem System faktisch durch systemspezifische Sinnkriterien reguliert wird, die ökonomisch sinnvolles von pädagogisch, politisch oder rechtlich sinnvollem Handeln trennen. In einer normativen Umschreibung wird ökonomisches Handeln üblicherweise als rationales Handeln bezeichnet, das geprägt ist durch → Bedürfnisse, → Knappheit von Gütern und Produktionsfaktoren, → Wettbewerb, mit Opportunitätskosten verbundene Wahlentscheidungen, die Erfassung von Kreislaufzusammenhängen, der Berücksichtrigung von Zielkonflikten sowie der Notwendigkeit der Koordination von Wirschaftsprozessen. W. ist demnach die erziehungswissenschaftliche Theorie, die angibt, was als effektives wirtschaftliches Handeln und Kommunizieren gelten soll, die über Voraussetzungen und Bedingungen einer Beförderung ökonomischer Kompetenzen aufklärt und Möglichkeiten der Gestaltung von institutionalisierten Lehr- und Lernprozessen aufzeigt. 2. Aufgabenbereiche wirtschaftsdidaktischer Reflexion: Vier Ebenen wirtschaftsdidaktischer Reflexion lassen sich auf der Folie eines allgemeinen Modells für wissenschaftliche Erklärungen unterscheiden: (1) Beschreibung der von W. zu befördernden → Kompetenzen, mit denen effektives wirtschaftliches Handeln und Kommunizieren erzeugt wird, (2) Konzeptualisierung von Theorien und Modellen der W., (3) wirtschaftsdidaktische Konstruktion von Lehr- und Lernprozessen sowie (4) Beobachtung, Beschreibung und Bewertung der
Wirtschaftsdidaktik
überprüf baren Performanzen wirtschaftlichen Handelns und Kommunizierens. Auf der ersten Reflexionsebene entsteht eine wirtschaftsdidaktische Zieltheorie. Sie gibt an, was konkret unter effektivem wirtschaftlichem Handeln und Kommunizieren verstanden werden soll, welche wirtschaftlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, Einsichten und Haltungen als ökonomische Kompetenzen zu befördern sind und in Lehr- und Lernprozessen auch tatsächlich befördert werden können. Zielbeschreibungen und Begründungen orientieren sich dabei an solchen Lebenssituationen, in denen wirtschaftliches Handeln und Kommunizieren angefordert wird und sich als effektiv erweisen muß: in den Situationen des Konsumenten, des → Arbeitnehmers und Berufstätigen, des Wirtschaftsbürgers. Auf der zweiten Reflexionsebene werden explikative Hypothesen entwickelt und zu wirtschaftsdidaktischen Theorien und Modellen ausgearbeitet. Neben originären Konzeptionen wie beispielsweise problemund entscheidungsorientierten Entwürfen stehen Adaptationen allgemeindidaktischer Konzepte. Für die Entwicklung explikativer Hypothesen bedeutsam haben sich auch Theorieimporte aus Lern- und Kognitionstheorien, Handlungs- und Sozialisationstheorien, aus System- und Modelltheorie sowie aus einigen Verhaltenstheorien erwiesen. Eine Konzeptualisierung von Theorien und Modellen der W. umfasst ferner die Festsetzung und Feststellung der Eingangsvoraussetzungen für die Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen in Unterricht und → Ausbildung. Damit werden kontrovers diskutierte Probleme hinsichtlich der → Ausbildungsreife junger Menschen in der W. aufgegriffen. Auf der dritten Reflexionsebene einer wirtschaftsdidaktischen Pragmatik werden Anleitungen für didaktische Konstruktionen entworfen. Beispielhaft ist die Unterrichtsplanung auf der Basis von Unterrichtsmodellen. Diese stellen hypothetische Aussagen über ein wirtschaftsdidaktisches Handlungsfeld dar, definieren die Konstruktionsbedingungen, offenbaren die Wertprämis-
Wirtschaftsdidaktik
sen, legen die interessengeleitete Begründung und Auswahl inhaltlicher und methodischer Entscheidungen offen, zeigen Beispiele für unterrichtliche Realisationen auf. Eine vierte wirtschaftsdidaktische Reflexionsebene wird mit der Evaluation erreicht. Evaluation meint die Beobachtung, Sammlung und Auswertung von Daten mit dem Ziel, Lehren und Lernen zu beschreiben, zu beurteilen, zu steuern und zu verbessern. Geschieht Evaluation durch Beobachtung und Bewertung von Verhalten in Lehrund Lernprozessen, ist zumeist von intrinsischer oder Inputevaluation die Rede. W. mußaber auch bewerten, inwieweit sich der Lernerfolg nicht nur in Unterricht und Ausbildung, sondern auch in „realen“ Situationen wirtschaftlichen Handelns als effektiv erweist. Dann wird der Output extrinsisch evaluiert. 3. Problembereiche einer W.: (1) Auswahl von Inhalten und Zielen: Sollen Entscheidungen getroffen werden über Inhalte (und Methoden) des Lehrens und Lernens, dann ist zu fragen, ob und ggf. welche der Fachwissenschaften, die sich mit dem Phänomen „Wirtschaft“ beschäftigen, als Bezugsdisziplinen herangezogen werden können. Zu prüfen ist insbesondere, ob die Methoden der Erkenntnisgewinnung möglicher Bezugsdisziplinen denjenigen der W. vergleichbar sind, weil diese in entscheidendem Maße die Inhalte (und Methoden) der W. beeinflussen. W. muß sich deshalb mit den Fachwissenschaften epistemologisch auseinandersetzen und sich in dieser Auseinandersetzung eigenständig entwickeln. Außerdem kann sie aus einer allgemeinen Didaktik heraus entwickelt werden und sich dann als erziehungswissenschaftliche Disziplin beweisen. Ein zweites Auswahlproblem ergibt sich bezüglich der Ziele. Wirtschaftsdidaktische Forschung hat für dieses Auswahlproblem verschiedene Regelsysteme bereitgestellt, mit deren Hilfe solche Entscheidungen zumindest angeleitet werden können. Zu diesen Regelsystemen – sie werden auch als curriculare → Relevanzprinzipien bezeichnet – zählen das Wissenschaftsprinzip zur Regulierung der Findung und Ermittlung 711
Wirtschaftsdidaktik
von Lernzielen über die Analyse von Fachstrukturen, das Situationsprinzip für die Analyse von Lebenssituationen, das Persönlichkeitsprinzip für eine Bewertung des Lernens als Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung. Zudem stellt die → Handlungsorientierung als didaktisches Prinzip der systematischen Verknüpfung von Handeln und Erfahren im Prozess der Kognition ein weiteres wichtiges Regulierungssystem für die Zielauswahl dar. (2) Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen: Prinzipiengeleitete Vorentscheidungen sind nur erste Festlegungen. Weitere erfolgen im Zuge der Modellierung von Lehr- und Lernprozessen und unter Berücksichtigung von Bedingungen, die die Lernenden einbringen. Eine Modellierung schließt zum einen die Strukturierung des Lernprozesses als Entscheidung über die im Lernprozeß zu befördernden Kompetenzen ein. Desweiteren wird in der Modellierung die Organisation des Lernprozesses festgelegt, wofür in älteren didaktischen Konzepten überwiegend linearsequenziell fortschreitende Organisationsformen beispielsweise als Stufenmodelle empfohlen werden. Aktueller sind dagegen kreisstrukturelle Organisationen des Lernprozesses, die kognitionswissenschaftlich überzeugender begründet und mit Hilfe kybernetischer und systemtheoretischer Anleitungen modelliert werden können. Zur Modellierung zählt weiterhin die Methodik als realisierte Gestaltung des Vorgehens. Methodische Entscheidungen schlagen sich vor allem im Unterrichten nieder: Beispielsweise verwirklicht in der traditionellen Form des belehrenden Unterrichts als Vortrag von Lehrern und Schülern oder als Gespräch mit lehrerdominanten Sprechanteilen, ergänzt durch sporadisch einsetzende schüleraktivierende Lehr- und Lernformen. Sie sind besonders geeignet für das Befördern von Kommunikation und wirtschaftlichen Handlungen, die hohe Interaktionsstabilität erfordern. Auf der anderen Seite stehen schüleraktivierende Aktionsformen wie → Fallstudien, → Projektmethode, → Planspiel, Simulationsspiele, Szenarien u. a. Sie eignen sich besonders für die Bewältigung kom712
Wirtschaftsdidaktik
plexer Lernprozesse, die Orientierungshandeln erfordern, in denen Interaktionsstabilität nicht einfach vorausgesetzt, sondern erst in sozialen Prozessen der gegenseitigen Interpretation von Handlungen erzeugt werden müssen. Diese Methoden werden zukünftig besonders für eine Beförderung von Kompetenzen für selbstorganisierendes und selbstqualifizierendes Lernen bedeutsam sein. Auch im betrieblichen Lernen fließen methodische Entscheidungen ein. Grundsätzlich lassen sich Lernkonzepte hier danach differenzieren, ob es sich um Lernen in einer zumeist institutionalisierten Lernumgebung (systematisches Lernen) oder um Lernen in der Arbeitsumgebung (situatives Lernen) handelt. Eine Mischform dieser beiden Pole stellen die Lern- und Arbeitsaufgaben dar, mit denen Lernen am Arbeitsplatz mit dem Anspruch eines systematischen Lernens vermittelt werden soll, indem Erfahrungswissen, das am Arbeitsplatz erworben wurde, theoriegeleitet zum strukturierten Fachwissen verallgemeinert wird. Literatur: Achtenhagen, F.: Didaktik des Wirtschaftslehreunterrichts, Opladen 1984; Bachmann, W.: Theoretische Grundlagen einer handlungsorientierten Wirtschaftsdidaktik, Bergisch-Gladbach 1988; Dauenhauer, E.: Kategoriale Wirtschaftsdidaktik, 3 Bände, Münchweiler/Rod., 2. Auflage, 2005; Euler, D./Hahn, A.: Wirtschaftsdidaktik, 2. Aufl., Bern 2007; Horlebein, M.: Wirtschaftsdidaktik für berufliche Schulen, Hohengehren 2005; Kaiser, F.-J., Kaminski, H. (Hrsg.): Wirtschaftsdidaktik, Bad Heilbrunn 2003; Kaiser, F.-J., Kaminski, H.: Methodik des Ökonomieunterrichts, 3. Aufl., Bad Heilbrunn 1999; Kaminski, H.: Grundlegende Elemente einer Didaktik der Wirtschaftserziehung, Bad Heilbrunn 1977; ders. (Hrsg.): Ökonomie – Grundlagen wirtschaftlichen Handelns, Braunschweig 2005; May, H.: Didaktik der ökonomischen Bildung, 7. Aufl., München 2009; Rebmann, K.: Didaktik beruflichen Lehrens und Lernens. In: Grundlagen der Weiterbildung, Praxishilfen, 2004, 57, S. 1– 20; Rebmann, K./ Tenfelde, W.: Betriebliches Lernen, Mering 2008; Reetz, L.: Wirtschaftsdidaktik, Bad
Wirtschaftsdidaktik
Heilbrunn 1984; Seeber, G.: Forschungsfelder der Wirtschaftsdidaktik: Herausforderungen – Gegenstandsbereiche – Methoden, Schwalbach 2009; Tramm, T. (Hrsg.): Prozeßsorientierte Wirtschaftslehre, Troisdorf 2002. Prof. Dr. Walter Tenfelde, Hamburg/ Dr. Tobias Schlömer, Oldenburg wirtschaftsdidaktische Grundkategorien → ökonomische Grundkategorien. Wirtschaftseinheit ⇒ Wirtschaftssubjekt. Wirtschaftsethik → Ethik der Marktwirtschaft. Wirtschaftsgymnasium berufliches Gymnasium, das meist 3-jährig in Auf bauform, in Baden-Württemberg jedoch auch 6- und in Bayern 9-jährig geführt wird und vertiefte kaufmännische Inhalte vermittelt. Der Abschluß des W. führt im allgemeinen zur Allgemeinen → Hochschulreife, zum Teil auch zur fachgebundenen Hochschulreife (Fachabitur) und damit zu einer auf bestimmte Fachrichtungen beschränkten Studienberechtigung. M. M. B.
Wirtschaftskreislauf
Transaktionen als „Ströme“ und die Wirtschaftssubjekte als „Sektoren“ erscheinen. Zwischen den einzelnen Sektoren fliessen also verschiedene Ströme. Die Idee des „Kreislaufs der Wirtschaft“ geht – in Anlehnung an den Blutkreislauf – zurück auf den französischen Arzt François → Quesnay, der im Jahr 1758 sein „Tableau économique“ veröffentlichte. Der W. veranschaulicht die ökonomischen Verflechtungen in einer → Volkswirtschaft; er kann darüber hinaus als Grundlage für die quantitative Erfassung der verschiedenartigen wirtschaftlichen Transaktionen und die Beobachtung von Veränderungen im zeitlichen Ablauf dienen. Die Kreislaufdarstellung erfolgt in Form von realen Strömen (Abgabe von → Produktionsfaktoren wie → Arbeit, → Kapital, Bereitstellung von → Gütern usw.) oder von monetären Strömen (Zahlung von → Lohn, von → Mieten, von Konsumausgaben usw.).
Wirtschafts-Identifikationsnummer → Identifikationsnummer. Wirtschaftskreislauf Die → Arbeitsteilung hat die ursprüngliche Einheit von → Produktion und → Konsum der Waren und der → Dienstleistungen innerhalb der häuslichen Gemeinschaft aufgehoben. Die Folge sind vielfältige Wirtschaftsbeziehungen zwischen den → Wirtschaftssubjekten, d. h. den → Haushalten, den → Unternehmungen, den staatlichen Verwaltungen und dem Ausland. Es kommt durch die Arbeitsteilung zu ökonomischen Transaktionen, wie Kauf und Verkauf von Gütern, Kreditgewährung und -rückzahlung, Abgabe von Arbeitsleistungen an die Unternehmen und den Staat, Bereitstellung von Grund und Boden, Zahlung von → Einkommen, Steuerzahlungen, Bezug von Gütern aus dem Ausland usw. Alle diese Beziehungen lassen sich in einer graphischen Übersicht darstellen, in der die
Der Kreislauf mit realen und monetären Strömen zeigt neben dem Sektor „Haushalte“ (H), nur den Sektor „Unternehmen“ (U) auf. Er ist die einfachste Form der Darstellung wirtschaftlicher Zusammenhänge, bei der jede Form von staatlicher Aktivität, Beziehungen zum Ausland und der Verzicht auf den Konsum von produzierten Gütern vernachlässigt wird, um das Grundschema arbeitsteiliger Prozesse stärker zu betonen. Dieses Beispiel zeigt auch, daß man unterschiedliche Kreislaufkonstruktionen erstellen kann, je nachdem, welche Zusammenhänge man verdeutlichen will. 713
Wirtschaftskreislauf
Will man den Kreislauf realer Wirtschaftsbeziehungen darstellen und die quantitativen Größen aufzeigen, welche die Sektoren verbinden, dann kann man ihn nur in Form von monetären Strömen erfassen, weil sich verschiedenartige Leistungen und Güter real nicht addieren lassen. Wie sollte man Äpfel und Birnen, aber auch Haarschnitte und Rechtsberatung wohl mengenmäßig zusammenfassen? Der Generalnenner ist das → Geld, das für die Faktorleistungen und für die Güter gezahlt wird. Ein solcher Kreislauf kann, wenn er mit Zahlen gefüllt wird, einen sehr anschaulichen Einblick in die wirtschaftliche Situation einer Volkswirtschaft vermitteln. Er zeigt z. B. auf, welche Teile des Einkommens der Haushalte für → Konsum und für Abgaben an den Staat verwendet werden und welche zurückgelegt, d. h. gespart werden. Er zeigt die Wirtschaftsbeziehungen zum Ausland auf und stellt die Umverteilungsfunktion des Staates in einer Volks714
Wirtschaftskreislauf
wirtschaft dar. Vergleiche der Kreisläufe von Jahr zu Jahr oder von Volkswirtschaft zu Volkswirtschaft liefern plastische Einblicke in ökonomische Entwicklungen. Die heute gebräuchlichste Darstellung von Kreislaufschemata stellt auf die Sektoren – private Haushalte, – Unternehmungen, – Staat, – Ausland und – Vermögensbildung ab, wobei u. U. diese Sektoren noch in Untersektoren aufgeteilt sind (Staat = Gebietskörperschaften, Sozialversicherung u. a. m.) und jeder Sektor genau definierte Funktionen ausübt. Die Funktionen der privaten Haushalte, die im W. berücksichtigt werden, sind an den Strömen ablesbar, die den Sektor H tangieren. Es sind in erster Linie der Kauf von Konsumgütern und die Lieferung von Faktorleistungen. Bei diesen handelt es sich um:
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Arbeitseinkommen = Lohn, Gehalt, Unternehmergewinn Kapitaleinkommen = Zinsen, Dividende Bodeneinkommen = Miete, Pacht. Nicht erfaßt werden in dieser Betrachtung die Tätigkeiten innerhalb eines Haushalts wie Kochen, Reinigen, Erziehen usw. Dies liegt daran, daß in den offiziellen Erhebungen über die volkswirtschaftliche Leistung,den Berechnungen des → Bruttoinlandsprodukts, die häusliche Tätigkeit nicht mit erfaßt wird. Unternehmen in dem hier relevanten Sinne sind alle Stätten, in denen zum Zwecke der Produktion von Gütern Faktorleistungen eingesetzt werden. Unternehmen können nicht konsumieren oder sparen, sondern erfüllen im W. folgende Funktionen: Faktorleistungen beschaffen und entlohnen, Güter produzieren und gegen Entgelt verkaufen, Investitionen tätigen sowie Güter importieren und exportieren. Auch der Staat greift in verschiedensten Formen in den Wirtschaftsablauf ein und wird als Wirtschaftssubjekt tätig. Unter Staat ist eine Vielzahl von öffentlichen Haushalten (Bund, Länder, Gemeinden, Sozialversicherungsträger u. a.) zu verstehen, die genau wie die vielen privaten Haushalte und die Unternehmen in einem Sektor zusammengefaßt werden. Zu den ökonomischen Aktivitäten des Staates gehört u. a. die Erzielung von Einnahmen (→ Steuern, → Gebühren, → Sozialversicherungsbeiträge u. a.), die Produktion von öffentlichen Dienstleistungen (Verwaltung, Gerichtsbarkeit, Polizei u. a.) für die er eine Reihe von Gütern bei den Unternehmen einkaufen muß (Papier, Computer usw.) und die → Umverteilung von Geld zwischen den Haushalten (Einzug von Sozialabgaben – Auszahlung von Renten, Kindergeld usw.). Im Kreislaufschema läßt sich die Fülle der Aktivitäten als Ströme zu den anderen Sektoren darstellen. Das Ausland wird in seinen Beziehungen zur heimischen Volkswirtschaft mit der Lieferung (→ Export) und dem Bezug (→ Import) von Gütern miterfaßt. Dabei ergibt sich in der Regel ein Ungleichgewicht in Form von Export- oder Importüberschüssen. Diese werden in dem Sektor „Vermö-
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gensänderung“ registriert, den man als „volkswirtschaftliches Lagerhaus“ ansehen kann, in das Importüberschüsse aus dem Ausland und von den Haushalten nicht konsumierte Güter aus inländischer Produktion fließen. Sie werden verwendet, um entweder den Unternehmen die Möglichkeit zu bieten, ihre Produktionskapazitäten zu erweitern (→ Investition) oder ausländischen Volkswirtschaften mehr Güter zur Verfügung zu stellen als man selbst bezogen hat (Exportüberschüsse). Dabei muß man berücksichtigen, daß die Ströme zwischen den Sektoren nur Zahlen der volkswirtschaftlichen Buchhaltung darstellen und nicht konkrete Güter. Dies bedeutet auch, daß – wie in den Konten einer jeden Buchhaltung – die Summe aller einfließenden Ströme in einen Sektor immer identisch mit der Summe aller ausfließenden Ströme ist. Die Summe der Einkommen der Haushalte entspricht also exakt der Summe aller Konsumausgaben, gezahlten Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen und der Ersparnis. Gleiches kann man für die anderen Sektoren ableiten. Literatur: Brümmerhoff, Dieter, Volkswirtschaftliche Gesammtrechnungen, 8. Aufl., München–Wien 2007; Krafft, Dietmar: Wirtschaftskreislauf und Sozialprodukt, Einführung in die Wirtschaftswissenschaft, Münster/Hamburg 1994; May, Hermann, Didaktik der ökonomischen Bildung, 8. Aufl., München 2010, S. 23 – 31. Prof. Dr. Dietmar Krafft, Münster Wirtschaftslehre 1. Gegenstand und historische Entwicklung W. hat sich als Fach und/oder als Teilbereich eines Lernfeldes (z. B. → Arbeitslehre) im Fächerkanon der Hauptschule/Realschule weitgehend etablieren können. Im allgemeinbildenden Gymnasium ist W. in den alten Bundesländern nur vereinzelt verankert (z. B. Bayern). In den neuen Bundesländern ist jedoch bei den Lehrplanentwicklungen in den verschiedenen Schulformen festzustellen, dass der Bereich „Wirtschaft“ auch im Gymnasium zunehmend berücksichtigt wird (z. B. Sachsen, Thüringen, Sachsen715
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Anhalt) (vgl. Bertelsmann u. a. 1999) (vgl. Sachsen-Anhalt).
und zukünftiger Lebenssituationen zu befähigen.
Die Entwicklung der W. in der Sekundarstufe I ist zu trennen von der des Faches W. in den berufsbildenden Schulen und der Sekundarstufe II, wenn sich auch hinsichtlich einer Reihe didaktischer Fragestellungen durchaus Überschneidungen ergeben, und die lange Tradition der → Berufs- und → Wirtschaftspädagogik auf die W.-diskussion der Sekundarstufe I nicht ohne Einfluss gewesen ist.
Historisch ist die ökonomische Bildung als Allgemeinbildung in der Sekundarstufe I in der Bundesrepublik verknüpft mit der Entwicklung der Arbeitslehre seit dem Gutachten des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen vom 2. 5. 1964. Diese Entwicklung ist für die Einschätzung der ökonomischen Bildung von erheblicher Bedeutung, wobei auf die historischen Ursprünge ökonomischer Bildung und Erziehung im 18. und 19. Jahrhundert hier nicht eingegangen wird (vgl. Bokelmann 1964).
Die Diskussion um die Notwendigkeit eines Faches W. ist immer auch eine Diskussion um die generellen Zielsetzungen von Allgemeinbildung. Hier ist zu beobachten, dass bis in die Gegenwart bildungstheoretische Auseinandersetzungen mit neuhumanistischen Denk- und Argumentationsfiguren arbeiten, die in der bildungspolitischen Praxis dazu geführt haben, dass → ökonomische Bildung noch kein integraler Bestandteil aller Schulformen, besonders nicht des Gymnasiums ist, wenn auch in dieser Schulform ein Umdenken zu erkennen ist und sich vereinzelt wirtschaftsaffine Inhaltsbereiche wiederfinden lassen. Die Diskussionen zur W. lassen sich in neuerer Zeit subsumieren unter dem Begriff „ökonomische Bildung“. Ein Fach W. mit dem Ziel, ökonomische Bildung im Rahmen von Allgemeinbildung zu fördern, muss sich seiner Zielsetzungen vergewissern, wenn es in ein generelles Zielsystem von Bildung und Erziehung eingebettet werden soll. In dem hier verstandenen Sinne wird ökonomische Bildung als Gesamtheit aller erzieherischen Bemühungen in allgemeinbildenden Schulen verstanden, Kinder und Jugendliche mit solchen Kenntnissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Verhaltensbereitschaften und Einstellungen auszustatten, die diese in die Lage versetzen, sich mit den ökonomischen Bedingungen ihrer Existenz und deren sozialen, politischen, rechtlichen, technischen und ethischen Dimensionen auf privater, betrieblicher, volkswirtschaftlicher und weltwirtschaftlicher Ebene auseinanderzusetzen, mit dem Ziel, sie zur Bewältigung und Gestaltung gegenwärtiger 716
Das Gutachten von 1964 hatte auf die Etablierung der Arbeitslehre im Fächerkanon der Hauptschule einen entscheidenden Einfluss, war aber gleichzeitig mitverantwortlich dafür, dass der hauptschulspezifische Charakter der Arbeitslehre weitgehend festgeschrieben wurde, indem der Beruf als ein „didaktisches Zentrum“ dieses neuen Faches und die Hauptschule zugleich als „Eingangsstufe der beruflichen Bildung“ definiert wurden: Arbeitslehre als Arbeiterbildung, Arbeitslehre als „Blaujackenfach“. Die weitere Entwicklung ist in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich verlaufen, und zwar vor allem hinsichtlich der zur Verfügung gestellten Stundendeputate, der Organisationsstruktur (Fach, Fachverbund), des Verbindlichkeitsgrades für Lehrpläne und Rahmenrichtlinien (Kerncurricula) sowie mit Blick auf die Auswahl der Lehrplaninhalte und die Entwicklung von Referenzsystemen. Am ehesten ergibt sich noch eine weitgehende Übereinstimmung auf der Ebene allgemeiner Zielproklamationen zwischen den einzelnen Bundesländern. Diese Übereinstimmung besteht in der generellen Absicht, Schüler auf künftige Arbeits- und Lebenssituationen in den Bereichen → Arbeit, → Beruf, → Konsum, Staat und internationale Wirtschaftsbeziehungen vorzubereiten. Der Versuch von 1987, „Empfehlungen zu einem Lernfeld Arbeitslehre für die Sekundarstufe I“ mit der Beschreibung von Gegenstandsbereichen durch die Kultusmini-
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sterkonferenz (KMK) zu entwickeln, scheiterte seinerzeit nicht nur bildungspolitisch, sondern das zum „Material“ herabgestufte Papier war in seinen Grundannahmen, in seiner wissenschaftstheoretischen sowie in seiner fachdidaktischen/lernbereichsdidaktischen Fundierung problematisch und weder in den Bundesländern noch in der Scientific Community konsensfähig. Der Eingang der Arbeitslehre in gymnasiale Lehrpläne misslang weitgehend. Hinsichtlich der Organisationsstruktur, die für die Etablierung der ökonomischen Bildung von kaum zu überschätzender Bedeutung ist, sind vor allem zwei Organisationsformen zu unterscheiden: Arbeitslehre als Fach und Arbeitslehre/Wirtschaft als ein Kooperationsbereich aus verschiedenen Fächern ökonomischer Bildung (z. B. Arbeit/ Wirtschaft/Technik, → Hauswirtschaft). Diese unterschiedlichen Organisationsformen sind Ausdruck einer konzeptionellen Differenz zwischen jenen Vertretern der ökonomischen Bildung, die für ein eigenständiges Fach W. o. ä. plädieren und jenen Vertretern, die die ökonomische und technische Bildung integrativ in einem Fach verankert wissen wollen. Die scheinbare Plausibilität der Forderung nach fachübergreifenden, interdisziplinären Sichtweisen verdeckt zu leicht die ausbildungsorganisatorischen, fachwissenschaftlichen, fachdidaktischen und fachmethodischen Implikationen fachübergreifender, interdisziplinärer Zusammenarbeit. Für die ökonomische Bildung zeigt sich, dass alle sog. Integrationslösungen zumeist zu Lasten der Vermittlung von elementaren ökonomischen Erkenntnissen gehen. Angesichts der historischen Dimension der Entwicklung des allgemeinbildenden schulischen Fächerkanons ist ein Fach W. noch eher im bildungspolitischen Inkubationsstadium, so dass theoriegeleitete Gegenstandsbeschreibungen in den letzten Jahrzehnten nur vereinzelt zu finden sind (Ochs/ Steinmann 1978; Kruber 1992; Rosen u. a. 1999; Kaminski/Eggert 2008). Die Entwicklung eines Referenzsystems ist für die Entwicklung eines Ziel-, Inhalts- und Lernkonzepts der ökonomischen Bildung von
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zentraler Bedeutung, ebenso für die Konstruktion von Lehrplänen/Rahmenrichtlinien/Kerncurricula, von Studiengängen an Hochschulen, für die konzeptionelle Ausgestaltung von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, für die Generierung von Fragestellungen und Aufgabenfeldern einer fachdidaktischen Entwicklungsforschung und schließlich für die inhaltliche Denomination von Stellen für wissenschaftliches Personal in Studiengängen, die künftige Lehrkräfte für ein Fach W. ausbilden. Darüber hinaus ist die Entwicklung von Referenzsystemen auch ein wichtiger Beitrag für die Frage nach dem Verhältnis von Fächern zueinander (z. B. W. und Politik, W. und Technik, W. und Hauswirtschaft usw.) und damit für die Analyse von Möglichkeiten fachüberschreitender Zusammenarbeit. Es besteht die Gefahr, dass sonst jedwede „fach“-überschreitende Zusammenarbeit zu didaktisch voluntaristischen Lösungen verführt und Beliebigkeit zum dominierenden Prinzip bei der Ziel-Inhaltsbestimmung wird. Dies wird insbesondere durch die Standard-Debatten (vgl. Klieme u. a. 2003) in Deutschland und die damit verknüpften Kompetenzmodelle von zunehmender Bedeutung werden. 2. Perspektivische Aufgabenfelder für die Weiterentwicklung der ökonomischen Bildung Bei der Entwicklung einer konzeptionellen Gesamtvorstellung der ökonomischen Bildung im Rahmen eines Faches W. sind zwingend zu berücksichtigen – das schulische Bedingungsfeld (mit schulformspezifischen Besonderheiten, Fachstruktur, Organisationsstruktur, Ausbildungsstand der Lehrkräfte usw.) – die Situation in Lehre und Forschung an den Hochschulen und Universitäten und – die bildungspolitischen Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland. Wenn dieser unauflösbare Zusammenhang bei den weiteren Implementierungsversuchen vernachlässigt wird, werden die Versuche scheitern, ökonomische Bildung zum integralen Bestandteil einer modernen All717
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gemeinbildungskonzeption zu machen und die entsprechende Akzeptanz bei der Elternschaft und in der → Bildungspolitik zu erzeugen. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass sich ein Fach W. im allgemeinbildenden Schulwesen, besonders in der Sekundarstufe I, bis auf weiteres noch immer in einer Innovationssituation befindet, und für die Weiterentwicklung alle Faktoren zu berücksichtigen sind, die diesen Innovationsprozess beeinflussen (z. B. Ausbildungsstand der Lehrkräfte, Hochschulsituation, Rekrutierungssystem für wissenschaftliches Personal, Forschungssituation an Universitäten, System von Lehrerfortund Weiterbildung, KMK-Bildungspolitik, schulformspezifische Besonderheiten usw.). In der letzten Dekade zeigt sich eine veränderte Diskussionslage in den gymnasialen Schulformen, die dazu führt, dass diese mehr und mehr – wenn nicht schon ein eigenständiges Fach Wirtschaft – so doch Mischkonstrukte zwischen Politik und Wirtschaft etablieren (vgl. z. B. Niedersachsen, Schleswig-Holstein, NordrheinWestfalen, Hessen). Damit verbunden sind heftige „Abwehrreaktionen“ seitens der Politischen Bildung, die, fachdidaktisch wenig überzeugend, verbandspolitisch jedoch zu geradezu denunziatorischen Argumentationsmustern führen (vgl. Hedtke 2008, Kaminski 2009). Dennoch wird diese Diskussion nur zielführend sein, wenn für die Entwicklung einer Gesamtkonzeption a) die Eigenlogik des Politischen mit b) der Eigenlogik des Ökonomischen c) curricular in Beziehung gesetzt wird, um auf diese Weise d) ein Referenzsystem für ein Fach Politik – Wirtschaft zu entwickeln, das e) sich sowohl in der grundständigen Ausbildung an Hochschulen als auch in der Fortund Weiterbildung widerspiegelt, wobei es noch auf viele Jahre hinaus einen erheblichen Nachqualifizierungsbedarf von Lehrkräften für die ökonomische Bildung geben wird und insbesondere ein Qualifizierungsbedarf bei Lehrkräften der Politischen Bildung im Bereich Ökonomie gegeben ist. 718
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In neuerer Zeit lässt sich beobachten, dass insbesondere in den allgemeinbildenden Gymnasien lebhafte Diskussionen stattfinden, ökonomische Bildung zum integralen Bestandteil der Allgemeinbildung zu machen. Wesentlich dazu beigetragen haben die von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen entwickelten Memoranden zur ökonomischen Bildung (vgl. Beirat für ökonomische Bildung des Deutschen Aktieninstituts e.V. 1999, 2008; BDA und DGB 2000) einschließlich entsprechender Pilotprojekte mit unterrichtspraktischen Umsetzungsversuchen in den gymnasialen Oberstufen (vgl. Bertelsmann Stiftung u. a. 1998ff.). Diese Initiativen zeigen deshalb eine besondere Wirkung für die Weiterentwicklung der ökonomischen Bildung, weil fachdidaktische Entwicklungsforschung, neue Methodenkonzepte, unterrichtspraktische Realisierungsversuche einschließlich der Entwicklung von Unterrichtsmaterialien sowie die Beeinflussung bildungspolitischer Rahmenbedingungen (z. B. Forderung eines Faches Wirtschaft, W. o. a.) in einem engen Zusammenhang stehen. Allerdings lassen sich auch hier wieder gleiche Argumentationslinien um Fach- und Integrationslösungen finden, wie sie immer bei neuen inhaltlichen Feldern anzutreffen sind, die Eingang in die allgemeinbildenden Schulen finden sollen, weshalb interessenund fachpolitische Argumentationslinien selten sauber von administrativen und didaktischen getrennt werden können. 3. Lernkonzept Generell hat ein Fach W. wie wenige andere Fächer im allgemeinbildenden Schulsystem die Möglichkeit, eine neue Lern- und Leistungsqualität durch eine konsequente Verknüpfung von Theorie und Praxis zu entwikkeln. → Planspiele, Expertenbefragungen, Übungsformen, → Praktika, → Fallstudien, → Betriebserkundungen usw. lassen sich zu einem Lernkonzept verbinden, das modernen lerntheoretischen, fachdidaktischen und allgemeinpädagogischen Erkenntnissen entspricht (vgl. Kaiser/Kaminski 2010). Das in neuerer Zeit zu beobachtende Plädoyer für ein Methodenkonzept zur ökonomischen Bildung basiert auf den lern- bzw.
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handlungstheoretischen Grundannahmen des Schweizers Aebli, auf der Basis der genetischen Epistemologie Piagets sowie auf damit verbundenen „gemäßigt konstruktivistischen Ansätzen“ (vgl. Mandl/Reinmann/Rothmeier 1995; Reusser 2006). Hinsichtlich der Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen ist aus konstruktivistischer Sicht die Grundannahme von Bedeutung, dass Wissen ein Konstruktionsakt des Individuums ist und Lernen sich als ein aktiver, konstruktiver Prozess in einem bestimmten Handlungskontext vollzieht. Diese Position steht in Konkurrenz zu traditionellen Unterrichtsphilosophien mit der Ansicht, dass das Wissen und die Fertigkeiten, die zu bestimmten Problemlösungen benötigt werden, sich „objektiv“ festlegen und an die Lernenden vermitteln lassen. Es zeigt sich jedoch, dass es in der Praxis einen inflationären und undifferenzierten Gebrauch des Begriffs „Handlung“ mit vielfältigen Missverständnissen gibt, die eher an „Geschaftlhuberei“ erinnern, als an lerntheoretisch fundierte Methodenkonzeptionen. Da die Bedeutung der fachlichen Domäne für die Entwicklung von Lehr- Lernarrangements wieder zunehmend in den Blickpunkt von didaktischen Forschungsstrategien kommt (vgl. Klieme u. a. 2003, Helmke 2009), wird den Beziehungen zwischen Lehrperson und Gegenstand, Lehrperson und Lernenden und Lernenden und Gegenstand für die Weiterentwicklung einer konstruktivistischen Unterrichtskultur hohe Bedeutung zukommen. Dabei wird es darum gehen müssen, für die ökonomische Bildung einen Lehr- und Forschungszusammenhang zu etablieren, der drei wesentliche Annahmen zu berücksichtigen hat: – Fachliche Inhalte lassen sich nicht als „fertige Stoffe“ betrachten, sondern sie müssen in ihrer Konstruktion als etwas „Gewordenes“ interpretiert werden. Dies erfordert eine Auseinandersetzung mit der Tiefenstruktur der Ökonomie. – Ein konstruktivistisches Lern- und Interaktionsverständnis wird dann gegeben sein, „wenn Schülerinnen und Schüler
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ausreichend Gelegenheit zu erfahrungsorientiertem, verständnisvollem, problemorientiertem und dialogischem Lernen erhalten“ (Reusser 2006, S. 163) – Der Lehrperson muss eine „multifunktionale Rolle im Spannungsfeld zwischen direkter Instruktion und indirekter, prozessorientierter Lernbegleitung und Unterstützung“ zugestanden werden (a.a.O.). Dies wird insbesondere für die Weiterentwicklung von Lehr- Lernarrangements in der ökonomischen Bildung deshalb von so hoher Bedeutung sein, weil ihre Anfälligkeit gegenüber einem vereinfachten Theorie-Praxis-Verständnis durch ihre Nähe zu komplexen Unterrichtsverfahren wie Erkundungen, → Projekten, Praktika, Schülerfirmen usw. in der Unterrichtspraxis beängstigend groß ist (vgl. Kaminski/Krol u. a. 2005). Für die Weiterentwicklung der ökonomischen Bildung wird es deshalb erforderlich sein, im Zusammenhang mit der Entwicklung von Referenzsystemen das Verhältnis zwischen Fachdidaktik und Fachwissenschaft weiter zu präzisieren. Die Facetten dieses Verhältnisses reichen von wissenschaftstheoretischen, bildungs- und hochschulpolitischen bis hin zu wissenschaftsorganisatorischen und standespolitischen Problemstellungen. Für die fachwissenschaftliche Fundierung der W. kann nicht nur auf eine einzige Bezugsdisziplin zurückgegriffen werden. Damit sind die disziplinimmanenten wissenschaftstheoretischen und methodologischen Schwierigkeiten unterschiedlicher Bezugsdisziplinen (z. B. → Wirtschaftswissenschaft, Soziologie, Politologie usw.) unter fachdidaktischen Kriterien und Zielsetzungen zu reflektieren und bei der Curriculumentwicklung zu beachten (vgl. Kaminski/ Eggert 2008). Für die Bestimmung des Verhältnisses möglicher fachwissenschaftlicher Bezugsdisziplinen zum Fach W. ist auch die Weiterentwicklung des fachwissenschaftlichen Diskussionsstandes vor allem in den Wirtschaftswissenschaften (z. B. Neue → Institutionenökonomik) zu beachten und das Erkenntnisprogramm der Ökonomik (vgl. Ho719
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mann/Suchanek 2005) danach zu befragen, welchen Beitrag es für eine fachliche Fundierung der ökonomischen Bildung in allgemeinbildenden Schulen leisten kann (vgl. Kruber 1994, Krol/Zoerner 2008). Literatur:; Bertelsmann Stiftung u. a. (Hrsg.) (1999): Wirtschaft in der Schule – Eine umfassende Analyse der Lehrpläne für Gymnasien, Gütersloh; Bokelmann. H. (1964): Die ökonomisch-sozialethische Bildung, Heidelberg; Bundesvereinigigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und Deutscher Gewerkschaftsbund (2000): Wirtschaft – notwendig für schulische Allgemeinbildung – Gemeinsame Initiative von Eltern, Lehrern, Wissenschaft, Arbeitgebern und Gewerkschaften, Berlin; Deutsches Aktieninstitut, Beirat für ökonomische Bildung des Deutschen Aktieninstituts e.V. (1999, 2008): Memorandum zur ökonomischen Bildung. Ein Ansatz zur Einführung des Schulfaches Ökonomie an allgemeinbildenden Schulen, hg. v. R. von Rosen, Frankfurt a.M.; Deutscher Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen (1966): Empfehlungen zum Auf bau der Hauptschule vom 2. Mai 1964. In: Empfehlungen und Gutachten des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen 1953–1965. Gesamtausgabe, Stuttgart, S. 366ff.; Hedtke, R. (2008): Wirtschaft in der Schule – Ökonomische Bildung als politisches Projekt. In: GWP 4/2008, S. 445–461; Helmke, A. (2009): Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität – Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts, 2. aktualisierte Auflage; Homann, K., Suchanek, A (2005): Ökonomik – Eine Einführung, Tübingen; Kaminski, H. (2009): Anmerkungen zum „Oldenburger Ansatz ökonomischer Bildung“. In: GWP 4/2009, S. 547–560; Kaiser, F.-J./Kaminnski, H. (2010): Methodik des Ökonomieunterrichts – Grundlagen eines handlungsorientierten Lernkonzepts mit Beispielen, 4. Aufl., Bad Heilbronn/Obb.; Kaminski/Eggert (2008): Konzeption für die ökonomische Bildung als Allgemeinbildung von der Primarstufe bis zur Sekundarstufe II; Kaminski/Krol u. a. (2005): Praxiskontakte: Zusammenarbeit zwischen Schule und Wirtschaft, Braunschweig; Klieme, 720
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E. u. a. (2003): Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards, Frankfurt a.M.; Krol G.-J./Kaminski, H. (2008): Ökonomische Bildung: legitimiert, etabliert, zukunftsfähig, Bad Heilbrunn; Krol G.-J./Zoerner, A. (2008): Ökonomische Bildung, Allgemeinbildung und Ökonomik. In: Kaminski, H./ Krol, G.-J. (Hrsg.) (2008), S. 91–129; Kruber, K. P. (1992): Didaktische Kategorien der Wirtschaftslehre. In: arbeiten + lernen /Wirtschaft, H. 7, 1992, S. 5–9; Kruber, K.P. (Hrsg.) (1994): Didaktik der ökonomischen Bildung, Baltmannsweiler; Mandl, H./Reinmann-Rothmeier, G. (1995): Unterrichten und Lernumgebungen gestalten (Forschungsbericht Nr. 60, Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Pädagogische Psychologie und Empirische Pädagogik) München; May, H. (2010): Didaktik der ökonomischen Bildung, 8. Aufl., München; Ochs, D./Steinmann, B. (1978): Beitrag der Ökonomie zu einem sozialwissenschaftlichen Curriculum. In: Forndran, E. u. a. (Hrsg.): Studiengang Sozialwissenschaften: Zur Definition eines Faches, Düsseldorf , S. 186ff.; Reusser, K. (2006): Konstruktivismus – Vom epistemologischen Leitbegriff zur Erneuerung der didaktischen Kultur, in: Baer, M. u. a.: Didaktik auf psychologischer Grundlage – Von Hans Aeblis kognitionspsychologischer Didaktik zur modernen Lehr- und Lernforschung, Bern, S. 151–168; Rosen, R. von (Hrsg.) (1999): Memorandum zur ökonomischen Bildung – Ein Ansatz zur Einführung des Schulfaches Ökonomie an allgemeinbildenden Schulen, 2. Aufl., Frankfurt/M. Prof. Dr. Dr. h. c. Hans Kaminski, Oldenburg Wirtschaftslehre des privaten Haushalts ⇒ Ökonomie des privaten Haushalts. Wirtschaftsliberalismus ⇒ Liberalismus, wirtschaftlicher. Wirtschaftsordnungen → Wirtschaftssysteme/Wirtschaftsordnungen. Wirtschaftspädagogik 1. Die W. sowie ihre Vorläufer sind seit den Anfängen des 20. Jahrhunderts an deut-
Wirtschaftspädagogik
schen wissenschaftlichen Hochschulen durch Lehrstühle vertreten. Wenngleich sich wirtschaftspädagogische Reflexionen von der antiken Pädagogik über die Handwerkslehre und die Ausbildung der Kaufleute im Mittelalter sowie die Industriepädagogik des 18. Jahrhunderts bis hin zur Neuzeit finden lassen, so konstituierte sich die W. als eigene Disziplin erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. „Aus praktischen Anweisungen über die Unterrichtskunst im Buchhalten und Rechnen, aus methodischen Richtlinien im Briefschreiben und in der Handelskunde, die in Deutschland schon aus dem 15. und 16. Jahrhundert auf uns überkommen sind, hat sich in einem halben Jahrtausend nach und nach die wissenschaftliche W. als eine umfassende und problemreiche pädagogische Spezialdisziplin entwickelt, die im Geiste → Friedrich Lists zu ihrem Teile mitwirken könnte und sollte, die notwendigen ökonomischen Forderungen unseres Alltags im Sinne der Humanität zu verwirklichen.“ (Löbner, in: Röhrs 1967, 327 f.). Die Entwicklung der W. als selbständige Disziplin vollzog sich im engen Zusammenhang mit der Handelsschulidee. Da ab 1900 Handelslehrer an den gerade gegründeten Handelshochschulen ihr Studium aufnahmen, etablierte sich dort die Handelsschulpädagogik, die vorrangig durch die Denkkategorien Herbarts geprägt war. Die Weiterentwicklung zur W. erfolgte durch Feld und Löbner. Friedrich Feld, der in der einschlägigen berufspädagogischen Literatur häufig als Begründer der W. angesehen wird, griff vorrangig auf die berufsbildungstheoretischen Vorstellungen Kerschensteiners und Sprangers zurück. Auf der Basis der Sprangerschen Kulturphilosophie, die die → Wirtschaft und den ökonomischen Menschen aufwertete, begründete er das theoretische Fundament der W. Nach 1930 verstand er die → Berufspädagogik als Teil der W. und entwarf als Teildisziplinen die → Betriebs- und W. Demgegenüber gelangte Walter Löbner unter Umgehung der → Berufe und „durch Überwindung der kulturbereichlichen Autonomie von Wirtschaft und Erziehung di-
Wirtschaftspädagogik
rekt von der Handelsschulpädagogik zur W.“ (Pleiß 1982, 193). In der Folge richteten Wirtschaftshochschulen und -fakultäten ab 1930 wirtschaftspädagogische Lehrstühle ein. 2. Im Hinblick auf die Standortbestimmung wird die W. entweder als Disziplin verstanden, die auf die Erziehung zum kaufmännisch-betrieblichen Handeln beschränkt bleibt oder als Disziplin angesehen, die sich auf die erzieherische Problematik aller Wirtschaftsbereiche, d. h. auch des gewerblichen, landwirtschaftlichen und hauswirtschaftlichen Bereichs, ausweitet. Für die Erforschung und die Analyse der Beziehungen zwischen Erziehung und Wirtschaft werden aus der Perspektive des jeweiligen Arbeits- und Forschungsschwerpunkts unterschiedliche Termini verwendet. Wird die menschliche Arbeit zum zentralen Untersuchungsgegenstand erhoben, so spricht man von Arbeitspädagogik. Werden vorrangig berufliche Tätigkeiten, berufliche Anforderungen und berufliche → Aus-, → Fort- und → Weiterbildung in den Mittelpunkt gestellt, so wird die Bezeichnung Berufspädagogik gewählt. Von Betriebs- bzw. Industriepädagogik wird vor allem gesprochen, wenn die intentionalen Erziehungsleistungen und die möglichen funktionalen Prägekräfte der → Betriebe untersucht werden. Sofern in der Literatur ausdrücklich zwischen Berufspädagogik, Sozialpädagogik und W. unterschieden wird, werden in der Regel die drei Disziplinen als erziehungswissenschaftliche Spezialdisziplinen direkt aus der Erziehungswissenschaft abgeleitet. Unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der W. werden darüber hinaus dann vertreten, wenn das Schwerpunktgewicht dieser Disziplin in den wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Bereich hineinverlegt wird, wie das an der Position von Friedrich Schlieper deutlich wird, der ausdrücklich hervorhebt, „daß die Lehre von der Wirtschaftserziehung wohl mehr eine wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Disziplin mit erziehungswissenschaftlicher Blickrichtung ist 721
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als eine Erziehungswissenschaft mit wirtschaftlicher Ausrichtung.“ (Schlieper, in: Röhrs 1967, 118) Aufgrund des komplexen Forschungsgegenstands der W. ist die herrschende Meinung, daß die W. als Wissenschaft ihre Forschungsmethoden sowohl aus den Erziehungswissenschaften als auch aus den → Wirtschaftswissenschaften ableitet. „Im Schnittpunkt des ökonomisch-pädagogischen Kraftfeldes liegt der Standort der W., der sich aus dem Zusammentreffen der beiderseitigen Wege und Ziele ergibt. Durch diese Wechselbeziehungen verschmelzen zwei Disziplinen zu einer neuen, selbständigen Wissenschaft, in der die Wirtschaft den Forschungsraum und die Pädagogik die Orientierungslinien bildet. Als Synthese von pädagogischen und ökonomischen Wechselbeziehungen bedarf sie sowohl der Erkenntnis der allgemeinen Erziehungswissenschaft als auch der Erkenntnis, die aus dem Wirtschaftsleben, dem Bereich der Einzel- und Gesamtwirtschaften gewonnen sind.“ (Urbschat 1955, 683) Der Wirtschaftspädagoge, der sich als Erziehungswissenschaftler versteht, richtet primär sein Augenmerk auf den Menschen in der Wirtschaft. „Der Wirtschaftspädagoge sieht die wirtschaftlich-technische Umgebung als Aufgabe, die dem Menschen gestellt ist; er versetzt sich aber auch in die besondere Situation des wirtschaftsabhängigen und wirtschaftsgestaltenden Menschen hinein. Bei der Lösung dieser Aufgabe bildet der Mensch spezifische Fähigkeiten und angepaßte Verhaltensweisen aus; gleichzeitig bleiben aber auch zahlreiche Entfaltungsmöglichkeiten ungenutzt. Das Abwägen der bildenden und verbildenden Kräfte in der Auseinandersetzung des Menschen mit der Wirtschaft ist eine der wesentlichsten Aufgaben der Wirtschaftserziehung.“ (Linke, in: Röhrs 1967, 129) 3. Die W. als Wissenschaft umfaßt als Aufgabenbereiche die Grundfragen und die Probleme einer allgemeinen Wirtschaftserziehung, die Analyse berufs- und wirtschaftspädagogischer Einrichtungen (Schule, Betriebe, Verbände) ebenso wie die Fragen der Pädagogik der Wirtschaftsberu722
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fe, als auch die Didaktik und Methodik des Wirtschaftslehreunterrichts an Schulen. Im Hinblick auf die inhaltliche Ausgestaltung des Unterrichts an → beruflichen Schulen und das Studium für Lehrer der Sekundarstufe II beruflicher Fachrichtung stehen vorrangig Fragen der → Wirtschaftsdidaktik, die sich mit der Transformation erziehungswissenschaftlicher und wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse auf die Ebenen schulischer und betrieblicher Curricula befassen, im Mittelpunkt. Der Ausbau und die Weiterentwicklung der W. als wissenschaftliche Disziplin steht im engen Zusammenhang mit der akademischen Diplom-Handelslehrerausbildung an Universitäten. Das Studium der DiplomHandelslehrer umfaßt in der Regel die Pflichtfächer W., Allgemeine → Betriebsund → Volkswirtschaftslehre sowie ein Pflichtwahlfach bzw. zwei Spezielle Wirtschaftslehren. W. kann außerhalb des Studiengangs für Diplom-Handelslehrer u. U. noch studiert werden als Wahlfach für die Prüfung zum Diplomkaufmann, Diplomvolkswirt usw. Die jüngeren wirtschaftspädagogischen Untersuchungen gehen in der Regel davon aus, daß die W. nach dem Selbstverständnis der Lehrstuhlinhaber, auch wenn die entsprechenden Lehrstühle in den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten verankert sind (z. B. in Frankfurt, Göttingen, Köln, Oldenburg, Paderborn, Mainz, München, Nürnberg, Wien), nicht als Spezialdisziplin der Wirtschaftswissenschaften, sondern als erziehungswissenschaftliche Disziplin angesehen werden kann (vgl. Stratmann 1979). Im Rahmen des „Bologna-Prozesses“ (→ Bologna-Beschluß) haben die Bildungsministerien der Europäischen Union im Jahre 1999 beschlossen, an den Hochschulen gestufte Bildungsgänge mit international anerkannten Gradbezeichnungen wie Bachelor und Master einzuführen. Das hat zur Folge, daß sich die universitäre Ausbildung der W. in einem Umstrukturierungsprozess befindet, der in einem Bachelor – Masterstudium münden wird. Auch wenn die Entwicklung im Detail noch unklar ist, so sind jedoch einige Eckpunk-
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te festgelegt: Die Bachelor- und Masterabschlüsse sind eigenständige berufsqualifizierende Hochschulabschlüsse. Die Regelstudienzeiten für Bachelor-Studiengänge betragen mindestens drei, höchstens vier Jahre und für Master-Studiengänge zusätzlich mindestens ein Jahr und höchstens zwei Jahre. Zu den Forderungen der Bologna-Erklärung gehören zudem eine Modularisierung der Studiengänge und die Einführung eines Kredit-Pointe-Systems (ECTS). Interviews der Zeitschrift „Wirtschaft und Erziehung“ mit Lehrstuhlinhabern der Wirtschafts- und Berufspädagogik mehrerer deutscher Universitäten (z. B. Aachen, Chemnitz, Köln, Konstanz, Mainz, Nürnberg, Paderborn) haben verdeutlicht, dass die Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge die Arbeit an den Universitäten insbesondere administrativ belastet. Zugleich wurde deutlich, dass die Hochschulen weiterhin große Anstrengungen unternehmen müssen, um die Studiengänge erfolgreich auf Bachelor- und Masterabschlüsse umzustellen und gleichzeitig die hohen Qualitätsstandards der Universitäten zu sichern (vgl. Hambusch, 2009). Literatur: Abraham, K.: Wirtschaftspädagogik. Grundfragen wirtschaftlicher Erziehung, Heidelberg 19662; Bader, R./Jenewein, K.: Professionalisierung sichern und erweitern. In: Die berufsbildende Schule 56 (2004) 1, S. 9 – 16; Bokelmann, H.: Die ökonomisch-sozialethische Bildung, Heidelberg 1964; Bundesverband der Lehrer an Wirtschaftsschulen e. V. (Hrsg.): Wirtschaftspädagoge: Beruf mit Zukunft. Heft 40 der Sonderschriftenreihe des VLW, Wolfenbüttel 20002; Czycholl, R.: Wirtschaftsdidaktik, Trier 1974; Dörschel, A.: Einführung in die Wirtschaftspädagogik, München 19754; Geerkens, L./Pätzold, G./Busian, A.: Die Reform der Lehrerausbildung – Qualitätssteigerung oder Rückschritt. In: Der berufliche Bildungsweg, Heft 9/2005; Hambusch, R.: Das Düsseldorfer Parlament beantwortet Schwerpunktfragen zu den Themen Lehrerbildung und BolognaProzess. In: Wirtschaft und Erziehung. Heft 7– 8, 2009; Huisinger, R./Lisop, I.: Wirtschaftspädagogik, München 1999; Kaiser,
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F. J. (Hrsg.): Berufliche Bildung in Deutschland für das 21. Jahrhundert; Beiträge zur Berufsbildungsforschung der AG BFN Nr. 4, Nürnberg 2000; Kaiser F.-J./Pätzold, G. (Hrsg.): Wörterbuch Berufs- und Wirtschaftspädagogik. Bad Heilbrunn 20062; Lisop/Markert/Seubert: Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Kronberg 1976; Müllges, U. (Hrsg.): Handbuch der Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Bd. 1 u. 2, Düsseldorf 1979; Pleiß, U.: Wirtschaftslehrerbildung und Wirtschaftspädagogik, Göttingen 1973; Pleiß, U.: Wirtschaftspädagogik, Bildungsforschung, Arbeitslehre, Heidelberg 1982; Röhrs, H. (Hrsg.): Die Wirtschaftspädagogik – eine erziehungswissenschaftliche Disziplin? Frankfurt/M. 1967; Schelten, A.: Einführung in die Berufspädagogik, Stuttgart 19942 Schlieper, F.: Allgemeine Berufspädagogik, Freiburg i. Br. 1963; Schmiel, M.: Berufspädagogik, Teil 1: Grundlagen, Trier 1976; Sloane, P. F. E./Twardy, M./Buschfeld, D.: Einführung in die Wirtschaftspädagogik Paderborn, München, Wien, Zürich 1998; Stratmann, K. W.: Berufs- und Wirtschaftspädagogik, in: Groothoff, H. H. (Hrsg.): Die Handlungs- und Forschungsfelder der Pädagogik. Differentielle Pädagogik. Teil 2, Königstein 1979; Stratmann, K. W./Bartel, W. (Hrsg.): Berufspädagogik. Ansätze zu ihrer Grundlegung und Differenzierung, Köln 1975; Urbschat, F.: Die wissenschaftlichen Grundlagen der Wirtschaftspädagogik, in: Wirtschaft und Erziehung, H. 11/1955; Voigt, W.: Einführung in die Berufs- und Wirtschaftspädagogik, München 1975. Prof. Dr. Dr. h. c. Franz-Josef Kaiser, Paderborn Wirtschaftspolitik Unter W. versteht man heute allgemein die politischen Aktivitäten des Staates im Bereich der → Wirtschaft. W. repräsentiert damit einen Teil der Staatspolitik. Diese praktische W. ist deutlich zu unterscheiden von der theoretischen W. Sie hat die wissenschaftliche Befassung mit der praktischen W. zum Inhalt. – Das Verhältnis zwischen praktischer W. und theoretischer W. ist häufig gespannt. Die Ursachen dafür sind in den unterschiedlichen Interessen 723
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und Denkkategorien von Politik und Wissenschaft zu suchen. Bei der praktischen W. liegt das Hauptproblem in der tatsächlichen oder vermeintlichen Unvereinbarkeit zwischen ökonomischen und politischen Sachzwängen. – Die Vielzahl der Aktivitäten, die die staatliche W. ausmachen, lassen sich im wesentlichen in zwei Politik- oder Aufgabenbereiche gliedern: die → Ordnungspolitik und die → Prozeßpolitik. Die ökonomischen Probleme, die den Staat zu entsprechenden Maßnahmen veranlassen, sind sehr vielgestaltig. Dennoch weisen sie – losgelöst von ihrem konkreten Bezug – bei näherer Betrachtung die gleiche logische Struktur auf, die auf drei konstitutiven Elementen gründet: der Lage, den Zielen und den Instrumenten. Konkret offenbaren sich ökonomische Probleme als Abweichung zwischen Lage (das ist der Ist-Zustand) und Zielen (das ist der Soll-Zustand). Diese Abweichung zwischen Ist- und SollZustand gilt es mit Hilfe der verfügbaren wirtschaftspolitischen Instrumente zu überwinden. Diese Maßnahmen dürfen dann als erfolgreich gelten, wenn die Abweichung von Ist- und Soll-Zustand behoben oder doch zumindest günstiger gestaltet werden konnte. Die Instrumente (auch Mittel genannt), die dem Staat zur Verfügung stehen, sind recht vielfältig. Die wirtschaftspolitischen Aktivitäten des Staates sollten dem → Rationalprinzip entsprechen. Die Frage, inwieweit dies geschieht, berührt auch die Frage, ob diese Maßnahmen der → Wirtschaftsordnung entsprechen, in die die betreffende Wirtschaft gestellt ist oder nicht. Je nachdem sprechen wir von → ordnungskonformen oder → ordnungsinkonformen Maßnahmen. Wird das Prinzip der Ordnungskonformität speziell auf den → Markt bezogen, so sprechen wir von Marktkonformität. Auch hier gilt es → marktkonforme und → marktinkonforme Maßnahmen zu unterscheiden. I. Ziele der W. (wirtschaftspolitische Ziele): Als allgemein anerkanntes wirtschaftspolitisches Globalziel gilt die Maximierung des gesellschaftlichen Wohlstandes. Diese hochabstrakte Zielvorgabe wird in der einschlägigen Literatur in recht unter724
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schiedlicher Weise aufgeschlüsselt. Weit verbreitet ist die differenzierende Zielbündelung: → Vollbeschäftigung, → Stabilität des Preisniveaus und → außenwirtschaftliches Gleichgewicht, gängigerweise als sogenanntes „magisches Dreieck“ bezeichnet. Hierbei weist die Bezeichnung „magisch“ auf die große Schwierigkeit hin, alle Ziele gleichzeitig zu erreichen. Man spricht in diesem Zusammenhang von Zielkonflikten. – Der Zielbündelung des „magischen Dreiecks“ werden andere, erweiterte Zielkombinationen – so durch Vorgaben wie: wirtschaftliches → Wachstum, gleichmäßigere → Einkommensverteilung, Bewirkung und Sicherung einer optimalen Umweltqualität – zur Seite gestellt. Es wird dann häufig vom „magischen Viereck“, „magischen Fünfeck“ oder gar vom „magischen Polygon (Vieleck)“ gesprochen. Das → Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums in der Wirtschaft (Stabilitätsgesetz) benennt die für die Bundesrepublik Deutschland geltenden wirtschaftspolitischen Ziele wie folgt: (1) Vollbeschäftigung, (2) Stabilität des Preisniveaus, (3) außenwirtschaftliches Gleichgewicht, (4) stetiges und angemessenes Wachstum. Dieser Zielkatalog gilt als wirtschaftspolitische Handlungsanweisung für die Bundesregierung. Diese hat nach § 1 Stabilitätsgesetz jeweils in ihrem (jährlich vorzulegenden) → Jahreswirtschaftsbericht eine Operationalisierung (Konkretisierung, Präzisierung) dieser Ziele vorzunehmen. – Die Tatsache, daß die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen untereinander teilweise konkurrieren (Zielkonkurrenz), zwingt den Wirtschaftspolitiker, eine Rangordnung (Präferenzordnung) der anzustrebenden Ziele aufzustellen. Eine solche Präferenzordnung ist mit subjektiven beziehungsweise gruppenspezifischen Wertungen verknüpft. So lassen sich bei den verschiedenen politischen Gruppierungen (Parteien) und den großen gesellschaftlichen Gruppen (→ Arbeitsmarktparteien) auch recht unterschiedliche Zielbevorzugungen feststellen. Diese für unsere freiheitliche Gesellschaft typische Pluralität wirtschaftspolitischer (Ziel-) Präferenzvorstellungen, die nun keineswegs als starr anzusehen sind, haben ihre
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Abstimmung im Wege demokratischer Entscheidungsfindung zu suchen. II. Träger der W.: Träger der deutschen W. sind Bund, Länder und Gemeinden mit ihren Parlamenten, Regierungen und Behörden. Der maßgebliche wirtschaftspolitische Einfluß erfolgt jedoch durch die für den gesamten Staat zuständigen Einrichtungen. Wirtschaftspolitische Einflußmöglichkeiten der Länder auf Bundesebene bestehen lediglich über den Bundesrat. Ansonsten beschließt das Parlament die Gesetze und damit die langfristigen Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen Entwicklung. Die Regierung und die ihr untergeordneten Verwaltungsbehörden besorgen die laufende Politik. Die → Bundesbank ist beauftragt, die W. der Bundesregierung zu unterstützen; sie ist dabei jedoch nicht weisungsgebunden, somit relativ autonom. Ihr obliegt im wesentlichen die Regelung des wirtschaftlichen Geldumlaufes, sowie im Zusammenwirken mit dem → Europäischen System der Zentralbanken die Stabilerhaltung der → Währung. Die Rechtsprechung kontrolliert die Ausführung der Gesetze. In Wahrnehmung dieser Aufgabe kommt dem Bundesverfassungsgericht und den letztinstanzlichen Gerichten besondere wirtschaftspolitische Bedeutung zu. – Als weisungsgebundene Träger der staatlichen W. mit öffentlich-rechtlichen Entscheidungsfunktionen fungieren das → Bundeskartellamt, → die Bundesagentur für Arbeit, das Bundesamt für Umwelt, die → Landeskartellämter sowie die → Regionaldirektionen für Arbeit. – Bestimmte wirtschaftspolitische Aufgaben im Ausbildungs-, Prüfungs-, Schieds- und Schlichtwesen wurden zur Entlastung der staatlichen Verwaltung auf öffentlich-rechtlich konstituierte Selbstverwaltungsorgane der Wirtschaft (→ Industrie- u. Handelskammern, → Handwerkskammern, → Landwirtschaftskammern) übertragen. Sie vertreten als autonome Entscheidungsträger die Interessen ihrer Mitglieder und versuchen die wirtschaftspolitische Willensbildung in diesem Sinne zu beeinflussen. Neben den nationalen Trägern wirtschaftspolitischer Entscheidungen erlangen in
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Deutschland zunehmend auch internationale (supranationale) Instanzen wirtschaftspolitische Bedeutung. So schafft die → Europäische Union durch Beschlüsse ihrer Organe in ihren Mitgliedsländern zum Teil unmittelbar geltendes, zum Teil auszuführendes Recht. Die Träger staatlicher W. sind in ihrer Entscheidungsfindung fortwährend der Einflußnahme ausgesetzt. Im nationalen Raum sind es insbesondere Parteien, → Verbände, Kirchen, marktmächtige → Unternehmen, Massenmedien sowie die Wissenschaft (über Beratergremien), die Interessen und Vorstellungen in den staatlichen Willensbildungsprozeß einzubringen versuchen. Von außen sind es internationale Organisationen, so insbesondere die Unterorganisationen der Vereinten Nationen wie die → Weltbank, der → Weltwährungsfonds, das → Internationale Arbeitsamt, die wirtschaftspolitische Empfehlungen aussprechen und Wünsche vortragen. III. Instrumente der W.: Als wirtschaftspolitische Instrumente (Mittel) bezeichnet man die der Verfolgung bestimmter wirtschaftspolitischer Zielsetzungen dienenden staatlichen Maßnahmen. Diese Maßnahmen waren in der bundesdeutschen W. bislang recht uneinheitlich. Während bis in die Mitte der 1960er Jahre eindeutig die ordnungspolitischen Instrumente überwogen, gewannen danach die prozeßpolitischen erheblich an Bedeutung. Allgemein ließ sich eine Zunahme der Staatsaktivitäten (ordnungs- und prozeßpolitisch) im Zeitverlauf feststellen. – Dennoch, der → Wettbewerb wurde in all diesen Jahren allgemein als das tragende Element unserer Wirtschaftsordnung anerkannt. Seine Wahrung und Weiterentwicklung im Rahmen der → Wettbewerbspolitik genoß deshalb immer eine gewisse Sonderstellung gegenüber den anderen traditionellen wirtschaftspolitischen Instrumenten, so der → Stabilitätspolitik, der → Sozialpolitik wie auch der → Außenwirtschaftspolitik. Neben diesen traditionellen wirtschaftspolitischen Instrumenten lassen sich als neuere Instrumente die sektorale → Strukturpolitik, die → Umweltpolitik sowie die → Bildungspolitik ausmachen. 725
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Sonstige wirtschaftspolitische Instrumente wie die → Geldpolitik, die → Beschäftigungspolitik u. a. werden in der Regel in den Dienst der mittels der traditionellen Instrumente betriebenen Politik gestellt. wirtschaftspolitische Instrumente ⇒ Instrumente der Wirtschaftspolitik → Wirtschaftspolitik. wirtschaftspolitische Ziele ⇒ Ziele der Wirtschaftspolitik → Wirtschaftspolitik. Wirtschaftssektoren Gliederung der produzierenden → Wirtschaft in drei Bereiche: 1. primärer Sektor: → Urproduktion; 2. sekundärer Sektor: Weiterverarbeitung (d. s. Handwerk u. Industrie); 3. tertiärer Sektor: → Dienstleistungen. Wirtschaftsstruktur das Verhältnis der einzelnen Wirtschaftsbereiche und → Wirtschaftssektoren zur gesamten → Volkswirtschaft. Siehe auch: → Strukturpolitik. Wirtschaftssubjekt ⇒ Wirtschaftseinheit wirtschaftlich Handelnder; W. sind: Einzelpersonen (so z. B. Mitglieder → privater Haushalte, Unternehmer, → Arbeitgeber, → Arbeitnehmer), Personenzusammenschlüsse (so z. B. private Haushalte, → Unternehmen, → Gesellschaften, → Vereine), der Staat (Bund, Länder, Gemeinden, → Körperschaften des öffentlichen Rechts). Wirtschaftssysteme/Wirtschaftsordnungen Wirtschaftssysteme sind idealtypische Gebilde, die die Gesamtheit der Beziehungen zwischen den produzierenden und den konsumierenden Wirtschaftseinheiten regeln. Auf dieser Basis bilden solche Beziehungen ein Interaktionsgefüge, das durch abhängig aufeinander bezogene Verhaltensweisen wie Entscheidungen und Handlungen der am ökonomischen Willensbildungsprozeß beteiligten Einheiten geprägt ist. Als Resultat ergibt sich der Wirtschaftsprozeß, der → Produktion, → Distribution und Konsumtion von → Gütern und → Dienst726
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leistungen in einer → Volkswirtschaft regelt. Der Informations- und Entscheidungsprozeß im Rahmen eines Wirtschaftssystems durchläuft dabei folgende Stufen: – Informationsgewinnung, – Informationsverarbeitung, – Informationsweitergabe, – Entscheidungsfindung, – Planaufstellung, – Koordinierung, – Durchsetzbarkeit, – Kontrolle. Ergänzt wird dieses Beziehungsgeflecht durch das individuelle Verhalten der Wirtschaftseinheiten; das heißt, inwieweit wirken sich dort stimulierende Aspekte wie Motivation usw. aus? Das Wirtschaftssystem hängt von vielerlei Faktoren ab, die z. B. soziokultureller, rechtlicher, institutioneller und natürlicher Art sein können, wobei die unterschiedlichsten Kombinationen möglich sind. Ideltypisch lassen sich Wirtschaftssysteme in zwei Arten unterscheiden: Freie → Marktwirtschaft und → Zentralverwaltungswirtschaft. Wirtschaftssysteme sind abhängig von gesellschaftspolitischen Vorstellungen. Die marktwirtschaftliche Lösung des ökonomischen Lenkungsprozesses basiert aufden Gedanken des → Liberalismus von → Adam Smith, während der Ansatz der Zentralverwaltungswirtschaft auf den → MarxismusLeninismus zurückgeht. So sichern totalitäre Systeme ihre Macht in der Regel ökonomisch durch zentralistisch geleitete Wirtschaftssysteme ab. Politische Demokratisierungsstrukturen gehen oft einher mit wirtschaftlichen Dezentralisierungsprozessen. Im Zentrum der Zentralverwaltungswirtschaft existiert eine zentrale staatliche Planungsinstanz, die sowohl für Produktion, Distribution als auch Konsumtion zuständig ist. Alle Wirtschaftseinheiten haben diese Pläne verbindlich zu erfüllen. Staatliche Kontrollinstanzen sind bei Nichterfüllung autorisiert, entsprechende Sanktionen vorzunehmen. Die gesamte Volkswirtschaft wird wie eine Art Monopolunterneh-
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men geleitet. Deshalb gilt → Privateigentum an → Produktionsmittel als mit einer Zentralverwaltungswirtschaft unvereinbar, da individuelle Eigentumsverhältnisse und damit private Verfügungsgewalt den Intentionen dieser Form des Wirtschaftssystems widersprechen würden. In dieser hierarchisch geordneten Struktur existiert weder Produzenten- noch → Konsumentensouveränität. Alle ökonomischen Aktivitäten sind dem Staat untergeordnet. Im Gegensatz dazu verläuft der Planungsprozeß im Modell der freien Marktwirtschaft völlig individualistisch und autonom. Alle am Wirtschaftsprozeß Beteiligten handeln im eigenen Interesse und in eigener Verantwortung. Der Marktmechanismus funktioniert nach den Gesetzen von → Angebot und → Nachfrage, wobei der → Preis als Regulator fungiert (Lenkungsfunktion des Preises). Privateigentum an den Produktionsmitteln, freier Zugang zu den → Märkten und ein ungehinderter → Wettbewerb sind die notwendigen Voraussetzungen für das Wirtschaftssystem der freien Marktwirtschaft. Der Staat verhält sich ökonomisch passiv und beschränkt seinen Tätigkeitsbereich auf die Verordnung und Einhaltung der geltenden Gesetze. Wirtschaftssysteme sind Idealtypen, die in dieser Form in der Realität nicht vorkommen. Tatsächlich existieren nur Mischformen, die jedoch aufgrund ihrer Merkmale konkret dem einen oder anderen System zugeordnet werden können. Wirtschaftsordnungen sind real existierende Gebilde, wie z. B. die → Soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland, die rechtlich und institutionell die Struktur des Zusammenlebens der am Wirtschaftsprozeß Beteiligten konkret in einer arbeitsteiligen Volkswirtschaft bestimmen. Zwar sind solche Regeln und Institutionen der Wirtschaftsordnung auf das ökonomische Zusammenleben bezogen, aber nicht zwangsläufig nur wirtschaftlicher Natur. Ökonomische Verhaltensweisen und -normen sind sowohl vom sittlichen und sozialen Empfinden geprägt als auch Bestandteil des Rechtsdenkens. So sind die meisten
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Regeln und Normen einer real existierenden Volkswirtschaft gesetzlich festgelegte Daten und damit Bestandteil der Rechtsordnung. Wirtschafts- und sozialpolitische Institutionen wie die zuständigen Parlamente und ihre Exekutivorgane auf Bundes-, Länder- und Gemeindeebene sowie die Behörden der Wirtschaftsverwaltung (z. B. → Bundeskartellamt, Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen usw.) sind keine primär ökonomischen Institutionen, obwohl sie maßgebend die Wirtschafts- und Sozialordnung prägen. Die Wirtschaftsordnung umfaßt also alle Regeln, Normen und Institutionen, die als Rahmenbedingungen die ökonomischen Entscheidungs- und Handlungsspielräume der am Wirtschaftsprozeß Beteiligten festlegen. Als Kriterien zur Klassifizierung von Wirtschaftsordnungen dienen unter anderem Formen der → Planung und Lenkung, des → Eigentums, der Markt- und Preisbildung, der Unternehmensorganisation sowie der Geld- und Finanzwirtschaft. Die dort vorhandenen vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten determinieren die Ausprägungen konkreter Wirtschaftsordnungen. So können beispielsweise Planung und Lenkung dezentral oder zentral erfolgen. Das Eigentum an den Produktionsmitteln kann sowohl privater, staatlicher als auch gesellschaftlicher Art sein, während bei der Markt- und Preisbildung die Palette vom Polypol bis zum → Oligopol denkbar ist, Zwischenformen eingeschlossen. → Unternehmensformen, die nach dem Gewinn-, Plan- oder Einkommensprinzip organisiert sind, wären möglich. Im Rahmen der Geldund Finanzwirtschaft sind unterschiedliche Organisationskriterien im Banken-, Währungs- und Steuersektor denkbar. Die Diskussion über alternative W. ist durch die Auflösung des Ostblocks beziehungsweise den Zerfall der Sowjetunion etwas in den Hintergrund getreten. Literatur: Gutzeit, Walter: Wirtschaftssysteme in der Entwicklung. Theorieansatz für die gesamtwirtschaftliche Organisation einer Volkswirtschaft, Berlin, Wien 2006; 727
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Hödl, Erich (Hrsg.): Aspekte einer europäischen Wirtschaftsordnung, Marburg 2006; Sertel, Murat R.; Koray, Semih (Hrsg.): Advances in Economic Design, Heidelberg 2007; Wenzelburger, Joachim: Learning in Economic Systems with Expectations Feedback, Berlin 2006. Prof. Dr. Bernd Henning, Schwäbisch Gmünd Wirtschaftstheorie Teildisziplin der → Wirtschaftswissenschaft, die sich darum bemüht, aus der (meist abstrahierenden) Beobachtung wirtschaftlichen Geschehens Gesetzmäßigkeiten oder zumindest auffällige Regelmäßigkeiten abzuleiten. Sie versucht, logisch stimmige Aussagen von allgemeiner Gültigkeit zu formulieren und damit den Zugang zum Verständnis wirtschaftlicher Prozesse zu erleichtern. Wirtschaftsunion → Integration. Siehe auch: → Europäische Wirtschafts- und Währungsunion. Wirtschaftsverbände Zusammenschlüsse von → Wirtschaftssubjekten zum Zwecke der Interessenbündelung und darüber zur Einflußnahme auf wirtschafts- und gesellschaftspolitische Willensbildungsakte, z. B. → Arbeitgeberverbände, → Gewerkschaften, → Verbraucherverbände, Bauernverband. Wirtschaftsverfassung Gesamtheit aller Rechtsnormen (Verfassung, Gesetze, Rechtsordnungen), die die → Wirtschaftsordnung eines Staates festlegen. Wirtschaftswachstum ⇒ Wachstum die Zunahme des realen → Bruttoinlandsproduktes zwischen aufeinanderfolgenden Zeitperioden. Wirtschaftswissenschaft wissenschaftliche Disziplin, deren Erkenntnisobjekt die → Wirtschaft ist. Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Reflexion ist das Phänomen der Güterknappheit (→ Knappheit) und das Problem ihrer Begegnung. In Deutschland ist die W. traditio728
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nellerweise in die Teildisziplinen → Volkswirtschaftslehre, Finanzwissenschaft und → Betriebswirtschaftslehre gegliedert. Wirtschaftswunder volkstümlicher Ausdruck für den schnellen bundesdeutschen wirtschaftlichen Aufschwung mit hohen → Wachstumsraten und rascher Erhöhung des → Lebensstandards in den 1950er Jahren. Wissen I. Unübersichtliche Begriffsfamilie für W.tatbestände In den empirischen (des Alltags), historischen (der Ideengeschichte), ökonomischen (des Informationssektors der → Wissensgesellschaft), systematischen (der Wissenschaft) und virtuellen (der elektronischen Netzwerke wie dem → Internet) W.-räumen ist Platz für W. aller Arten, in jeder Menge und Güte, Zusammensetzung und Sortierung. Der ebenso vielseitige W.-gebrauch erstreckt sich über das gesamte Spektrum der gesellschaftlichen → W.-arbeitsteilung. Zur art-, funktions- oder bereichsspezifischen Erfassung, Darstellung und Verwendung der natürlichen, technischen, künstlichen W.-bestände steht eine weit verzweigte Begriffsfamilie zur Verfügung, zu denen alle W.-schaften kognitive Konzepte beigetragen haben. Die Psychologie spricht von ‚Überzeugungen‘ und ‚Urteilen‘ sowie alles umfassend von ‚Kognition‘. In der Soziologie und den Medienwissenschaften geht es um ‚Kommunikation‘; in der Rechtswissenschaft um ‚(freie) Meinung‘; in der Theologie um den ‚(wahren) Glauben‘; in der Ökonomie um den ‚Datenkranz‘ der Wirtschaft; in der Informatik um ‚(syntaktische) Information‘ in der Repräsentationsform von ‚Zeichen‘ oder ‚Daten‘. Die Nachrichtentechnik spricht von ‚Signalen‘, der Journalismus von ‚Nachrichten‘, die traditionelle Epistemologie von ‚Erkenntnissen‘, die moderne W.-lehre von ‚Hypothesen‘, die W.-schaft selbst von ‚Entdeckungen‘, die Technik von ‚Erfindungen‘, die Philosophie nach wie vor von ‚Wissen‘ im Vollsinne von wahrheitsgesicherten Aussagen.
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Mit dem W. als solchem beschäftigt sich seit altersher die Philosophie, mit wissenschaftlicher Erkenntnis die Wissenschaftstheorie, mit subjektivem W. die Psychologie. Heute ist W. ein typisches Querschnittsthema, mit dem sich alle in Frage kommenden Kognitions- oder W.-wissenschaften intensiv aber separat befassen: ohne integratives Konzept, einheitliche Theorie und interdisziplinäre Zusammenarbeit. Immerhin liefern die einschlägigen Fachwissenschaften wichtige Forschungsstücke zur Analyse der wissenschaftlichen, gesellschaftlichen, individuellen W.-lage unserer Zeit. Zur getrennten Konzeptualisierung dieser Gemengelage gibt es syntaktische, semantische und pragmatische Informationstheorien; für kriteriengebundene W.-sorten die Erkenntnis- und Wissenschaftslehre; für die kognitiven Illusionen des Alltagswissens die W.-psychologie. II. Differentielles W.-konzept mit drei W.modulen W. ist ein Querschnittsthema für alle W.schaften, aber keine diffuse Leerformel für unverbindliche Generalklauseln wie ‚Alles ist Information‘ (Kybernetik, Biologie, Physik) oder ‚Alles ist Kommunikation‘ (Soziologie, Medienwissenschaft). Sowohl in der historischen Breite der Artenbildung (W.-klassifikation) als auch in der systematischen Zusammensetzung aus eigenständigen Funktionskomponenten (W.modulen) sowie in der ordnungspolitischen Rahmung (→ Ordnungspolitik, → Wissensordnung, → Wissensregime) ist W. kein homogenes Gebilde mit einem Einheitsprofil nahtlos verschmolzener Eigenschaften. Modularisiert als Information, Erkenntnis und Kenntnis bzw. Können, ist W. ein kognitives, kulturelles und zunehmend auch technisches Montageprodukt aus inhaltlichen, methodischen und pragmatischen Bausteinen mit biologischen (Natürliche Intelligenz), technischen (Künstliche Intelligenz), gesellschaftlichen (→ Wissensgesellschaft) und wirtschaftlichen (→ Wissensökonomie) Schnittstellen. Die Artenvielfalt des W. erfordert zur Kennung, Kultivierung und Kritik der gesell-
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schaftlichen W.-bestände ein umfassendes W.-konzept von hoher Integrationskraft und breiter Anschlußfähigkeit für rechts-, wirtschafts-, wissens- und kulturpolitische Überlegungen, zur geschichtlichen Überlieferung (W.-tradierung von Generation zu Generation durch Schulen und Bibliotheken) sowie für handlungspraktische Maßnahmen (Qualitätssicherung durch Kriterienbindung, → W.-management u. dgl.). Mit Hilfe einer differentiellen – d. h. für W.arten, -anforderungen, -eigenschaften etc. trennscharfen und sie im gemeinsamen W.raum genau positionierenden – W.-theorie läßt sich die Artenvielfalt des W. erfassen, ohne bestimmte W.-arten zu diskriminieren (wie Karl R. → Popper) oder alle zu nivellieren (wie Paul K. Feyerabend). Dazu dient ein modularisiertes W.-konzept mit drei unabhängig variierenden, frei kombinierbaren und gesondert anschlußfähigen Bestandteilen (Bausteinen, W.-modulen). Das i nformAtionsmodul zur inhaltlichen W.-bestimmung als stellvertretende Wiedergabe von Sachverhalten (symbolische Darstellung durch Zeichen, Worte, Sätze, Bilder): Inhaltlich betrachtet, ist W. nichtleere, ansonsten kriterienfreie ‚bloße‘ Information über aussagenbezogene Tatbestände, unbeschadet aller weitergehenden Anforderungen und Eigenschaften. Nach der dafür maßgeblichen semantischen Informationstheorie besteht der Informationsgehalt von Aussagen in der Menge der durch sie behauptungsgemäß ausgeschlossenen Möglichkeiten, unabhängig von der Richtigkeit (Geltung, Wahrheit) und Wichtigkeit (Wertung) der formulierten Information. Das erkenntnismodul zur epistemischen und methodischen W.-validierung als qualifizierte Information: Geltungsmäßig betrachtet, sind Erkenntnisse kriteriengebundene, an besonderen Geltungskriterien und Gütemaßen ausgerichtete und dadurch mehr oder weniger ‚gehobene‘ Informationen. Als betont wissenschaftliche Erkenntnisse mit überprüftem Geltungsanspruch und höchsten Gütemerkmalen resultieren sie typischerweise aus den 729
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forscherischen W.-aktivitäten (→ Wissensarbeitsteilung) von Experten. Das k enntnismodul zur pragmatischen W.-bewertung als aktivierte Informationen bzw. Erkenntnisse, die nach alternativen Präferenzen aktuell ‚zur Kenntnis genommen‘ werden. Ob als explizit artikuliertes (lautes Denken, gelehrte und gelernte Fähigkeiten) oder implizit wirkendes (stilles Denken, praktisches Können, inkorporierte Kompetenzen) W., repräsentieren Kenntnisse die nach bestimmten Präferenzen (Wertschätzungen) und Opportunitäten (Zugänglichkeit, Verfügbarkeit, Brauchbarkeit, Kosten) ausgewählten Informationen oder Erkenntnisse für wissensbasiertes Problemlösungsverhalten. Dafür gibt es Präferenzpostulate zugunsten von Neuigkeit, Wichtigkeit, Brauchbarkeit etc. (Informationspräferenzen wie z. B. ‚allgemeine Aussagen sind wissenswerter als besondere‘; Erkenntnispräferenzen wie z. B. ‚wissenschaftliche Erkenntnisse sind zuverlässiger als journalistische Nachrichten‘; Kenntnispräferenzen wie z. B. ‚kritische Stellungnahmen sind interessanter als zustimmende‘). Was die drei W.-module unter sich gleichzeitig durchgängig verbindet und eigenständig trennt, ist das Unabhängigkeitspostulat: Was informativ ist, muß nicht richtig sein; was wahr ist, muß nicht wichtig sein; was wahr und/oder wichtig ist, muß nicht vorzugswürdig sein! Wir können uns für triviales, falsches, unnützes W. entscheiden. III. Ökonomisches W. Das ökonomische, im weitesten Sinne wirtschaftsbezogene W. zeigt dasselbe Bild wie alle gesellschaftlichen W.-bereiche von vergleichbarer Größe und Bedeutung. Es gibt verschiedene Arten und Träger, unterschiedliche Quellen und Qualitäten, bestimmte Zwecksetzungen und breite Anwendungen. Theorienwissen der Forscher und Erfahrungswissen der Akteure repräsentieren verschiedene W.-arten in sozial getrennter Trägerschaft der Wirtschaftswissenschaften einerseits und der Wirtschaftssubjekte andererseits. Auch andere ökonomische Tatbestände kann man ganz oder teilweise 730
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mit dem W.-thema verbinden und daraufhin untersuchen, wie weit sie inhaltlich aus ‚W.stoff‘ bestehen, mehr oder weniger wissensbasiert sind oder als Problemlösungsprozesse ‚über W. ablaufen‘. Die → W.-ökonomie befasst sich mit den Kenntnissen der Marktteilnehmer und den W.-vorteilen der Unternehmer. Die → Betriebswirtschaftlehre rekonstruiert den Informationsfluß in hierarchischen Organisationen. Die Managementlehre untersucht Betriebsführung durch W. im Zusammenspiel von Information und Gegeninformation. Desgleichen betrachtet die Kommunikationsökonomie Werbung als Information, wenn auch weniger über Produkteigenschaften als über Medienanforderungen für das knappe Wirtschaftsgut ‚Aufmerksamkeit‘. Um für jeden Fall zu sehen, was davon kriteriengebundene oder kriterienfreie Information, hochqualifizierte Erkenntnis, nach irgendwelchen Präferenzen ausgewählte Kenntnis ist, braucht man eine differentielle W.-theorie, welche die zugrunde liegenden W.-module identifizieren und nach Art, Anforderungen, Eigenschaften und Grenzen bestimmen kann. Im Rahmen der W.ordnung und W.-arbeitsteilung, aber auch mit fachwissenschaftlichen Lehren der W.ökonomie, des → Humankapitals etc. erfasst die kognitive Wende der Sozialwissenschaften zur Umprogrammierung der Untersuchungen vom äußeren Verhalten (Behaviorismus) zu den immanenten W.-bezügen des menschlichen Verhaltens (Kognitivmus) auch die moderne Ökonomie. Literatur: Zur Grundlegung der differentiellen W.-theorie H. F. Spinner, Das modulare Wissenskonzept des Karlsruher Ansatzes der integrierten Wissensforschung; in: Karsten Weber u. a., Hrsg., Wissensarten, Wissensordnungen, Wissensregime, Wiesbaden 2002, S. 13 – 46. Zur Wissensterminologie und zum Verbund der Wissenswissenschaften H. F. Spinner, Die Architektur der Informationsgesellschaft, Berlin 1998. Zur Wissenschaftslehre und Theorie der semantischen Information K. R. Popper, Logik der Forschung (1935), 11. Aufl, Tübingen 2005. Zum Modularisierungsprogramm
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in der modernen Betriebswirtschaftslehre A. Picot, R. Reichwald, R. T. Wigand, Die grenzenlose Unternehmung, 5. Aufl., Wiesbaden 2003. Prof. Dr. Helmut F. Spinner, Karlsruhe Wissensarbeitsteilung I. Arbeitsteilige Wissenstätigkeiten und Wissenseinrichtungen Gleichgültig, ob als Arbeit oder Spiel betrieben, zur Problemlösung oder Unterhaltung eingesetzt, individuell oder kollektiv ausgeübt, sind die Wissenstätigkeiten des Menschen von der Erzeugung bis zur Endnutzung von den ‚normalen‘ Aktivitäten unterschieden. Zu den Besonderheiten zählen u. a. die hochgradige Selbstmotivation bei den schöpferischen Wissenstätigkeiten, die überdurchschnittliche Eigenleistung beim Wissenserwerb (durch Aufmerksamkeit, Aufnehmen, Lernen), das Eigeninteresse und die Schenkungsbereitschaft bei der Wissensverbreitung (durch Weitersagen, Aufklärung, Kommunikation) sowie die oft ‚uninteressierte‘, zweckfreie Wissensnutzung. Auch wenn die meiste Arbeit am Wissen stark subjektzentriert ist und deshalb als höchstpersönliche Angelegenheit mehr als die meisten nichtkognitiven Aktivitäten in einer Hand – oder in einem Kopf – zusammengefaßt bleibt, zeichnet sich spätestens beim Übergang zu intersubjektiven, funktional ausgegliederten, sachlich verstandenen und berufsmäßig betriebenen Wissensaktivitäten eine ‚kognitive → Arbeitsteilung‘ auf allen Ebenen ab (individuell, institutionell, organisatorisch, national und international). Und wie andere Arbeiten, so muß auch die geteilte Wissensarbeit irgendwie wieder zusammengebracht werden, um die Wissensprobleme der modernen Gesellschaft lösen zu können. Zur wohlbekannten klassischen Arbeitsteilung der ökonomischen Aktivitäten kommt nicht erst in der → Wissensgesellschaft, nun aber mit Anspruch auf gleiche Aufmerksamkeit, die nicht minder bedeutsame W. hinzu, mit der sich die → Ordnungspolitik noch kaum befaßt. Wirtschaftsarbeitsteilung und W. sind zwar in vielem familienähnlich, aber in ihren Grundstrukturen
Wissensarbeitsteilung
und Funktionsabläufen keineswegs strukturgleiche Zwillinge. Obgleich ganzheitlicher und subjektgebundener als andere Tätigkeiten, unterscheidet sich die W. von der ‚normalen‘ wirtschaftlichen und sozialen Arbeitsteilung nicht weniger als die Wissensgüter von Sachgütern und die → Wissensordnung von der → Wirtschaftsordnung (→ Wissensregime). II. Funktionsmodell der W. Die gesellschaftliche W. umfaßt die Wissenstätigkeiten und Wissenseinrichtungen im gesamten Funktionsspektrum von der Wissenserzeugung über die Wissensverarbeitung und Wissensverteilung, ggfs. auch Wissensvernichtung (ganz legal durch Kassation, Datenlöschung etc.; illegal durch Bücherverbrennung oder Ermordung von Zeugen). Einige Fertigkeiten oder Verfahren erfahren durch die Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK) eine enorme technische Verstärkung und ökonomische Aufwertung, während andere – im Guten und Schlechten – sozusagen natur- oder kulturbelassen bleiben, wie der Vergleich von natürlicher und künstlicher Intelligenz zeigt. Deshalb ist die W. nicht einfach eine stärker wissensbezogene Parallelaktion zur geläufigen Arbeitsteilung der Wirtschaftstätigkeiten, sondern zeigt viele Eigentümlichkeiten und teilweise erhöhte Anforderungen, denen die Ordnungspolitik Rechnung tragen muß. Die wissenschaftliche Untersuchung und ordnungspolitische Gestaltung der funktionellen, institutionellen und professionellen W. erfordert ein Funktionsmodell, welches die Wissensarbeiten nach Aufgaben, Ausbildung, Ausstattung etc. unter Personen und Einrichtungen aufteilt, die Abläufe koordiniert und die Ergebnisse zusammenführt. Der Bogen spannt sich von derIdeen(er)findung über deren Ausarbeitung und Entwicklung bis zur sogenannten Endnutzung, die dem Prozeß aber kein Ende setzt, sondern ihn in Gang hält. Das Funktionsmodell zur Erfassung und Erklärung der W. auf den drei analytischen Ebenen der Leistungen (Fähigkeiten, Fertigkeiten), Einrichtungen (Institutionen, 731
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Organisationen, Traditionen) und Professionen (Kompetenzen, Berufe) faßt die Tätigkeitsfelder nach ihren typischen Anforderungsprofilen, Tätigkeitsmerkmalen, Leistungskriterien, Berufsqualifikationen, Einbettungen etc. in fünf Gruppen zusammen. Ohne Anspruch auf überschneidungsfreie Trennschärfe und abschließende Vollständigkeit ergibt das folgenden Überblick (nach Spinner 1998): Die Forschungsgruppe der im weitesten Sinne forscherischen, recherchierenden, investigativen Wissenstätigkeiten, -berufe, -einrichtungen arbeitet vor allem auf den entdeckungs-, erfindungs-, problemlösungs-, erzeugungsbetonten Neuheitsfeldern in der Wissenschaft, Technik, Wirtschaft etc. Die Verarbeitungsgruppe der prozessierenden (im Sinne von „processing“) Funktionen umfaßt die Tätigkeiten und Einrichtungen zur technischen oder untechnischen Wissensverarbeitung und -darstellung mit Hilfe von Kopf oder Computer. Die Dokumentationsgruppe der sammelnden Wissenstätigkeiten befaßt sich mit der Wissensverwahrung, -verwaltung, -verfügbarkeitshaltung, typischerweise in den ABD-Einrichtungen der Archive, Bibliotheken, Dokumentationszentren, einschließlich Museen. Die Verbreitungsgruppe der verteilenden Wissenstätigkeiten sorgt für Wissensverbreitung, -transport, -transfer etc. durch Kulturtechniken (Schrift und Druck) und IuK-Technologien (Print- und Bildmedien, Informationsdienste aller Art). Die Nutzungsgruppe der praktischen Wissensaktivitäten übernimmt sozusagen den verbleibenden Rest, vom individuellen Wissenserwerb durch auswählende Kenntnisnahme – je nach Präferenzen: des Neuen, Wahren, Wichtigen, Nützlichen, Unterhaltsamen – zum beliebigen Gebrauch. III. Technische Unterstützung und ordnungspolitische Gestaltung der W. Um eine gleichzeitig hochgradig ausdifferenzierte und insgesamt doch koordinierte W. zu ermöglichen, sind funktions- bzw. 732
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gruppenspezifische Regelungen der Wissensordnung erforderlich, die trotz des hohen Selbststeuerungspotentials der Wissenstätigkeiten wohl nicht allein dem freien Spiel der Geisteskräfte, den ökonomischen Anreizen des Marktregimes oder den technischen Automatismen überlassen bleiben können. Das sind Problemstellungen für die Ordnungstheorie und Gestaltungsaufgaben für die Ordnungspolitik. Für beides ist die Erfahrungswelt ein Kampfplatz der Wissensregime und die Netzwelt ein Experimentierfeld für neuartige Lösungsvorschläge zur De- und Reregulierung der Wissenstätigkeiten. Je schöpferischer, desto störanfälliger sind sie bei unsensibler Engführung durch staatliche oder privatwirtschaftliche Forschungs-, Wissenschafts- oder Informationspolitik. Die Technisierung nicht nur durch das wissenschaftlich-technische Wissen (Verwissenschaftlichung), sondern neuerdings auch des Wissens selber (Informatisierung) erfaßt die aufgeführten Wissensaktivitäten in unterschiedlichem Ausmaß: am wenigsten die kreativen Erzeugungs-, am stärksten die rechenhaften Verarbeitungsprozesse. Das schafft eine neue Wissenslage, mit technisch bedingten Ungleichheiten zwischen informationsreichen korporativen (Behörden, Organisationen, Konzerne, Medienunternehmen) und informationsarmen individuellen Akteuren (Personen). Die in der Realwelt funktionell, vielfach auch institutionell und beruflich ausgeprägte traditionelle W. ist bereits durch die teils dramatischen Leistungsverbesserungen bei den technisch unterstützten rechenhaften Funktionsgruppen erheblich verschoben worden. Als Wissensveränderungstechniken, die im Gegensatz zu den wissensfixierenden traditionellen Kulturtechniken (Schrift, Druck) den Änderungswiderstand des Materials (Gedächtnis, Buch, Bild) gegen nachträgliche Wissensrevisionen praktisch auf Null reduzieren, stehen die modernen Wissenstechniken trotz aller Künstlichkeit und Geistlosigkeit dem Selbstverständnis des Menschen in der Informationsgesellschaft näher als jede andere Technik.
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Die IuK-Technologien haben die Leistungskurve somit nicht generell nach oben verschoben. Den positiven Ausschlägen stehen ernüchternde Stillstände gegenüber. Schon deshalb führt die technologische Weiterentwicklung der Informationsgesellschaft nicht zwangsläufig in die kognitive anspruchsvollere → Wissensgesellschaft. Literatur: Spinner, Helmut F., Die Architektur der Informationsgesellschaft – Entwurf eines wissensorientierten Gesamtkonzepts, Aufl., Berlin 1998; Wilke, Helmut, Systemisches Wissensmanagement, Stuttgart 1998, Kap. 2 zur Wissensarbeit. Prof. Dr. Helmut F. Spinner, Karlsruhe wissenschaftliche Betriebsführung ⇒ Scientific Management → Betriebsführung. Wissensgesellschaft I. Entwicklungstendenzen zur Informations- und Wissensgesellschaft Die aktuellen Diskussionen um die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft im 21. Jahrhundert drehen sich um familienähnliche, aber noch weitgehend unbestimmte Vorstellungen von Informations-, Kommunikations- oder Wissensgesellschaften, denen fünf Grundzüge gemeinsam sind: – die flächendeckende technische Ausstattung mit den Basis- und Infrastrukturen der modernsten Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK) anstelle tradierter Kulturtechniken; – die inhaltliche Ausrichtung auf eine für das Informations- im Gegensatz zum Wissenschaftszeitalter verbreiterte, heterogene Wissensbasis, die nur mit einer kriterienfreien Summenformel Wissen aller Arten, in jeder Menge und Güte erfaßbar ist (Spinner 1994); – die unumgängliche Zwischenschaltung von Medien in alle Informations- und Kommunikationsprozesse, wobei breiteste Massenmedialität und engste Privatheit sich keineswegs ausschließen; – die faktische Verdoppelung des Wissensraumes durch virtuelle Welten und die damit verbundene Verdreifachung der sozialen Koordinationsmechanismen durch
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neuartige Netzgebilde (neben den überlieferten Organisations- und Marktmodellen); – die kompensatorische Aufladung der virtuellen, (noch) offenen Netze mit mehr oder weniger phantastischen ‚Visionen‘, welche die bestehenden Verhältnisse der Realwelt in utopische Gegenbilder der Enthierarchisierung, Herrschaftsfreiheit, Zugangsoffenheit, Partizipationssymmetrie, Eigentumslosigkeit (‚Wissenskommunismus‘, Allmende, Free Source) etc. verkehren. Schlagwortartig benannt, handelt es sich hier um eine elektronische, neuerdings digitale Revolution; ergänzend dazu um eine informationelle Wende zur Wissensorientierung bei gleichzeitiger Tieferlegung des kognitiven Schwerpunktes auf technisierbare, mediengeeignete ‚niedere‘ Wissensarten und Kommunikationsformen, einschließlich ihrer ‚flachen‘ Vernetzung anstelle strenger Hierarchisierung. Das unterscheidet die gegenwärtige Informatisierung der Gesellschaft von der seitherigen Verwissenschaftlichung. Die visionären Überbauten bilden dazu ein ideologisches Kontrastprogramm. Das sind Komponenten für ein noch unabgestimmtes, allenfalls partiell realisierbares Entwicklungskonzept von der Industrie- über die Informations- zur Wissensgesellschaft. Für die elektronische Revolution sind technische Innovationen die treibenden Kräfte; für die informationelle Wende langanhaltende überdurchschnittliche Wachstumsprozesse des Wissens (Informationsexplosion und -implosion); für die Medienfunktionen Änderungen in der gesellschaftlichen → Wissensarbeitsteilung und den gesamtgesellschaftlichen Informationsströmen zwischen Staat, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft; für die Visionen Erwartungen an die W., die nicht mehr und nicht weniger sein sollte als eine besser infomierte, besser informierende Gesellschaft. II. Wissensbezogene Gesellschaftsmodelle In der Hoffnung auf innovative Lösungen der drängendsten Probleme unserer Zeit richtet sich das Hauptinteresse der Poli733
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tik, Öffentlichkeit, Wissenschaft und Wirtschaft auf neue, wissensbezogene Grundkonzepte. Nach vorherrschender Meinung verkörpert die mit großen Erwartungen verbundene ‚Zukunftsvision Informationsgesellschaft‘ – in der öffentlichen Diskussion neuerdings verdrängt durch das stärker inhaltlich bezogene und qualitätsbewußte Konzept der „W.“ – nicht nur ein kurzfristiges Übergangsstadium der höchstentwickelten Industriegesellschaften, sondern eine neue Stufe oder Ebene. In Verbindung mit den modernen Informations- und Kommunikationstechnologien erhalten demnach die Wissensfaktoren den Stellenwert einer universellen Ressource für Innovation, Beschäftigung, Produktivität, Macht und Problemlösefähigkeit schlechthin. Hier sehen manche Autoren die Epochenschwelle zum Informationszeitalter des eigentlichen ‚Informationalismus‘ (Castells 2003) anstelle des Kapitalismus, Industrialismus und der in allen Gesellschaften schon immer in Mengen versammelten Information. Für den Auf bau und die Funktionsweise einer Wissensgesellschaft ist Wissen eine durchlaufende Kategorie. Der Wissensbezug aller Überlegungen ist zwar durchgängig, aber vieldeutig. Er kann sich auf sehr verschiedene Wissenstatbestände beziehen. Die im folgenden erläuterten Gesellschaftsmodelle berücksichtigen nur bestimmte Wissensarten, -eigenschaften, -tätigkeiten oder -techniken. Deshalb liefern sie allenfalls Vorstufen oder Zwischenstadien zu einem erst in Umrissen erkennbaren Gesamtkonzept der allseitigen W. Zur konzeptuellen Erfassung der wissenstechnischen Ursachen und gesellschaftlichen Veränderungen im Sinne einer Informations- oder Wissensgesellschaft konkurrieren folgende wissensorientierte Gesellschaftsmodelle: (1) Das ökonomische Sektorenmodell (→ Wirtschaftssektoren) gliedert in der Arbeitsmarktstatistik aus dem tertiären Sektor der Dienstleistungen die Informationstätigkeiten aus und verselbständigt sie zum vierten Produktionssektor: dem Informationssektor. Demnach ist aus der herkömmlichen Industriegesellschaft über die Zwischensta734
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tion der Dienstleistungsgesellschaft eine Informationsgesellschaft geworden, wenn die Mehrzahl der Beschäftigten in Informationsberufen oder -bereichen arbeitet bzw. nach anderer Indikatorenauswahl: wenn ihr Beitrag zum → Bruttoinlandsprodukt absolut oder relativ am größten ist. Der statistische Bezug auf die sehr weit gefaßten Wissenstätigkeiten ist zwar breit, aber inhaltlich völlig unbestimmt und erfaßt eher pauschalierte Sparten als spezifische Funktionen der Wissensarbeitsteilung. Die umwälzenden Auswirkungen der elektronischen Revolution auf die gesamte strukturelle Konfiguration der Gesellschaft wird mit dieser Schwerpunktverlagerung der Beschäftigung nicht erklärt. (2) Das nachindustrielle Achsenmodell sieht im theoretischen Wissen und der damit befaßten technischen Intelligenz die hauptsächliche Innovationsquelle und den Motor der gesellschaftlichen Entwicklung. Um dieses axiale Prinzip dreht sich demnach die ganze Informationsgesellschaft (Bell 1975). Mit der unterstellten Zentralität des theoretischen Wissens wird, wenn auch vor allem im Hinblick auf die Sozialstruktur (dazu Kaase 1999), auf die wissenschaftlich-technischen Wissensarten und Forschungstätigkeiten Bezug genommen, jedoch die fast noch größere gesellschaftliche Transformationskraft der IuK-Technologien in den außerwissenschaftlichen Anwendungsfeldern der Massenmedien, Informationsdienste, Verwaltungsarbeiten etc. unterschätzt. Deren stark zunehmende Bedeutung unterscheidet die breit angelegte postindustrielle Informationsgesellschaft von einer hochspezialisierten Wissenschaftsgesellschaft (Kreibich 1986). (3) Das soziologische Wissensherrschaftsmodell konkretisiert das populäre Schlagwort ‚Wissen ist Macht‘ im Hinblick auf bestimmte Wissensarten, deren Verfügbarkeit den Wissensbesitzern massive Informationsbegriffe gestattet (dazu Spinner, Nagenborg, Weber 2001). Demnach ermöglicht die Monopolisierung von religiösem oder politischem Heilswissen eine Wissensherrschaft der Intellektuellen (Schelsky 1975); von Risikoinformationen durch Experten-
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kreise eine Wissensenteignung der Laien (Beck 1986); von personenbezogenem Datenwissen durch Verwaltungsorgane und Sicherheitsdienste die Verhaltenskontrolle der Staatsbürger (Volkszählungsurteil 1983 des Bundesverfassungsgerichts; dazu Spinner, Nagenborg, Weber 2001). Mit Ausnahme des letztgenannten Falles handelt es sich hier um den eher untechnischen Herrschaftsmodus des Wissensgebrauchs, für den in der Informationsgesellschaft durch die Speicherungs- und Verarbeitungskapazitäten der IuK-Technologien sowie die ‚unübersehbaren Sichtbarkeitseffekte‘ der Massenmedien allerdings neue Anwendungsmöglichkeiten mit verschärfter Wirkung entstehen. Die Kontroll- und Manipulierungsfunktionen machen das Wissensherrschaftsmodell in der Kritik zum Sammelbecken für die gesellschaftlichen Auswirkungen der IuK-Technologien, zumeist als negativer Zurechnungspunkt für pauschale Risikoabschätzungen bis hin zu Horrorvisionen namens Mikropolis, Technotopia, Überwachungsstaat, Medienterror u. dgl. (4) Das elektronische Vernetzungsmodell ist ganz auf das Phänomen großer Informationsnetze ausgerichtet, deren freitragende Architektur und selbststeuernde Interaktionsmuster im E(lektronischen)-Stil neuartiger Globalität, Umfänglichkeit, Offenheit, Flexibilität, Schnelligkeit, Vernetzung, Virtualität auf die Erfordernisse des Informationszeitalters zugeschnitten erscheint. Realisiert in der neuen Gestalt und globalen Größenordnung von abgelösten, weitgehend entmaterialisierten (virtuellen), flach angelegten (hierarchiefreien), eigengesetzlich arbeitenden elektronischen Netzwelten, bildet das INTERNET das maßgebliche Strukturmodell für die ‚wahre‘ Informationsgesellschaft als Netzwerkgesellschaft (Castells 2003). Zur vollen Wirksamkeit kommt die virtuelle Netzwerkgesellschaft allerdings wohl nur im abgekoppelten Wissensraum des Cyberspace (vgl. Bühl 2000) und auch hier nur für bestimmte technikgängige Funktionsgruppen der gesellschaftlichen → Wissensarbeitsteilung.
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Zur Bipolarität der entweder zentral oder dezentral gesteuerten → Wirtschaftssysteme kommt damit die dritte Möglichkeit der Aktivierung und Ausbreitung von Steuerungsimpulsen durch Ansteckung hinzu (nach dem konnektionistischen Modell der nachbarschaftlich vernetzten Neuronenaktivierung im Gehirn). Für die Koordinierung des sozialen Handelns und die Steuerung komplexer Vorgänge steht damit neben Organisation und Markt das Netzparadigma zur Verfügung, welches das sog. Organisationsgesetz der Merkmaltrias von Größe, Hierarchisierung und Zentralisierung sozialer Systeme durchbricht (dazu Spinner 1998, S. 207 ff.). Die Netzwerkgesellschaft hat den größtmöglichen Bezug, wenn nicht auf die Wissensarten und -inhalte, so doch auf die Wissenstechniken. Allerdings bringt sie auch bei voller Ausnutzung ihrer Leistungspotentiale weder (künstliche) Intelligenz noch (elektronische) Demokratie, weder mehr Rationalität noch weniger Konflikte. (5) Das vom ordnungspolitischen Denken der neoliberalen Rechts- und Wirtschaftswissenschaften angeregte philosophischinterdisziplinäre Ordnungsmodell sieht in möglichst autonomen → Wissensordnungen mit problemspezifischen Regelungen für Qualitäts-, Schutz- und Verbreitungszonen des Wissens, desgleichen auch für die Funktionsgruppen der Wissensarbeitsteilung, den Schlüssel zum Verständnis desInformationszeitalters. Vor allem für die Weiterentwicklung der inhaltsindifferenten (kriterienfreien) Informationsgesellschaft zu einer inhaltsbewußten, kriteriengebunden Wissensgesellschaft liefern Ordnungen die nichttechnische Architektur, modulare Wissenskonzepte die Bausteine und Qualitätskriterien die Maßstäbe. Das Ordnungsmodell eröffnet den breitesten Wissensbezug und kommt damit einer Gesamtkonzeption am nächsten, nicht zuletzt auch zur Wahrung der Wissensfreiheiten gegenüber den derzeitigen Überlagerungsversuchen durch nichtkognitive → Wissensregime. Literatur: Beck, Ulrich, Risikogesellschaft, Frankfurt am Main 1986; Bell, Daniel, Die 735
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nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt und New York 1975; Bühl, Achim, Die virtuelle Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, Opladen 2000; Castells, Manuel, Das Informationszeitalter, 3 Bde, Wiesbaden 2003; Kreibich, Rolf, Die Wissensgesellschaft, Frankfurt am Main 1986; Schelsky, Helmut, Die Arbeit tun die anderen, Opladen 1975; Spinner, Helmut F., Die Wissensordnung – Ein Leitkonzept für die dritte Grundordnung des Informationszeitalters, Wiesbaden 1994; Spinner, Helmut F., Die Architektur der Informationsgesellschaft, Berlin 1998; Spinner, Helmut F., Michael Nagenborg und Karsten Weber, Bausteine zu einer neuen Informationsethik, Berlin 2001. Prof. Dr. Helmut F. Spinner, Karlsruhe Wissensmanagement I. Arbeitsdefinition W. bündelt die Beiträge ökonomischer (Betriebswirtschaftslehre, insbes. Management- und Organisationsheorien), kognitiver (Wissenschaftstheorie, Wissenspsychologie) und technologischer (Informatik, Informationstechnologie, Informations- u. Kommunikationstechnologien) Disziplinen zum bestmöglichen Gebrauch von zweckbestimmtem Wissen als Ressource und → Produktionsfaktor. Ergänzend zu den verstreuten Marktinformationen und dem findigen Gelegenheitswissen (→ Wissensökonomie) befasst sich das W. mit der organisationalen Wissensbasis von und in Unternehmen, um die Firmeninformation und -kommunikation strategisch zu planen und unternehmerisch zu steuern (im Rahmen der → Wissensarbeitsteilung mit Schwerpunkt auf der Informationsverarbeitung, -bewertung und -nutzung). Die ungeordneten (in Gemengelagen), unstimmigen (mit Desinformationen und kognitiven Dissonanzen), unausgeschöpften (wegen unvollständiger Kenntnis und beschränkter Verfügbarkeit) Wissensbestände aus Informationen und Erkenntnissen (→ Wissen) sind durch reflektiertes, technisch gestütztes W. in aktivierte Kenntnisse bzw. inkorporierte Kompetenzen (→ Humankapital) zu überführen. Das Ziel sind wissensorientiert ler736
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nende Individuen, Institutionen und Gesellschaften. II. Qualitatives Wissensmanagement Hat die junge Fachrichtung des W. zwar noch kein disziplinäres Paradigma (als theoretische Musterlösung für eine ganze Problemfamilie), so doch programmatische Ansätze und summarische Lehrbücher (Lehner 2009, Probst et al. 2006). Was die Wissenswissenschaften zum qualitativen W. beitragen, ist ein Testkanon für die qualitative Wissensauswahl zum operativen W. Um unser Wissen hochselektiv nach Massgabe pragmatischer Wissenspräferenzen in den dritten Modus der aktivierten Kenntnisse bzw. inkorporierten Kompetenzen zu überführen, wird die Hauptfrage Was wollen, müssen, können wir hier und jetzt wissen? in sechs Hilfsfragen ausgefächert: (1) Inhaltsfrage: Was ist informativ, was leer? (2) Geltungsfrage: Was ist richtig, was falsch? (3) Originalitätsfrage: Was ist neu, was alt? (4) Relevanzfrage: Was ist relevant, was irrelevant? (5) Verfügbarkeitsfrage: Was ist verfügbar, was unzugänglich? (6) Schutzfrage: Ist das Wissen nach innen und/ oder nach außen schutzbedürftig? Daraus ergeben sich sechs kritische Vorbehalte, die als Heurismen (Suchverfahren, Faustregeln) des qualitativen W. dienen: Erstens der Informationsvorbehalt: Nicht alles, was als Wissen präsentiert wird, ist informativ! Zweitens der Richtigkeitsvorbehalt: Nicht alle Informationen sind zutreffend! Drittens der Originalitätsvorbehalt: Nicht alles Wahre ist neu! Viertens der Relevanzvorbehalt: Fast alles ist irrelevant (für die Lösung klar definierter Probleme)! Fünftens der Verfügbarkeitsvorbehalt: Am wenigsten von all dem ist hier und jetzt verfügbar.
Wissensmanagement
Sechstens der Schutzvorbehalt: Ungeschütztes Wissen schafft allenfalls flüchtigen Wissensvorsprung. III. Operatives Wissensmanagement auf drei Ebenen Der operative Übergang erfolgt auf drei Ebenen: zum individuellen W. von Personen, zum organisationalen W. von Unternehmen sowie zum gesellschaftlichen W. von Nationen oder Staaten, mit jeweils besonderen Anforderungen und Bedingungen. Die → Wirtschaft besteht aus → Märkten und → Unternehmungen, mit ökonomischtechnischen → Wissensregimen. Unternehmungen erfordern W. für hierarchische Organisationen, in denen die internen Wissensbestände, Informationsflüsse, Kommunikationsbeziehungen den Machtlinien zuwider laufen. Erschwerend für organisationales W. sind die drei wissensfremden Faktoren Hierarchie, Macht und Grösse des Organisationsregimes, deren kognitive Dysfunktionalität von der Nichtbeachtung (in innerbetrieblichen Parallelwelten) bis zur Konfrontation und Überlagerung gehen kann. IV. Duales Wissensmanagement mit verbundener Doppelstrategie Der nicht alles verändernde, aber alle Ebenen und Bereiche kategorial durchlaufende Beitrag der Informations- und Kommunikationstechnologien zum dualen W. besteht in der Schaffung grenzenloser elektronischer Wissensräume (INTERNET) sowie in der Optionsverdopplung durch technische Lösungen auch für nichttechnische Problemstellungen (Spinner 1994). Dadurch werden einige bislang unüberwindbare personelle (kognitive Limits der Kapazität, Geschwindigkeit, Genauigkeit, Verarbeitung) und organisationale (s. III) Friktionen der Wissensarbeit kompensiert, mit technologischen Durchbrüchen zur vollen Verfügbarkeit (s. II) der verdateten Wissensbestände zur Verarbeitung, Vernetzung, Visualisierung etc. Das ermöglicht dem W. die Doppelstrategie, im Hinblick auf die technologische Analogiesierbarkeit, Abbildbarkeit,
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Modelllierbarkeit der Problemstellungen die technischen und nichttechnischen Lösungen in einen zielführenden Leistungswettbewerb zu bringen (Spinner 2010). Literatur: Lehner, F., Wissensmanagement, 3. Aufl., München 2009; Davenport, T. H. und L. Prusak, Wenn Ihr Unternehmen wüsste, was es alles weiß, Landsberg/Lech 1998; Spinner, H. F., Die Architektur der Informationsgesellschaft, Berlin 1998; ders., Wissenspartizipation und Wissenschaftskommunikation in drei Wissensräumen; in: P. P. Ohly und J. Sieglerschmidt, Hrsg., Wissensspeicher in digitalen Räumen, Würzburg 2010; Stock, W. G. und M. Stock, Wissenspräsentation, München 2008. Prof. Dr. Helmut F. Spinner, Karlsruhe. Wissensordnung I. Drei Grundordnungen der modernen Gesellschaft Wie das Recht eine → Rechtsordnung und die Wirtschaft eine → Wirtschaftsordnung, so braucht die Welt des Wissens eine W., welche den Besonderheiten des teils höchstpersönlichen, teils hochtechnisierten Wissensstoffes und seiner vielfältigen rechtlichen, wirtschaftlichen, politischen Bedeutung für Mensch und Gesellschaft gerecht wird: psychologisch als Orientierungswissen für das Neugierwesen Mensch; ökonomisch als Informationsressource für den Produzenten; massenmedial als Unterhaltungsware für den → Konsumenten; politisch als Pro- oder Gegeninformation der Regierten für die Regierung; soziologisch als Alltagskommunikation im privaten sowie als öffentliche Meinung im gesellschaftlichen Bereich; strategisch als Problemlösungswissen für die wissensgeleitete Weiterentwicklung der Gesellschaft. Die drei Grundordnungen bilden den maßgeblichen Bezugsrahmen für die Wissensaktivitäten und Wissenschaftsinstitutionen sowie die sonstigen Informations- und Kommunikationseinrichtungen (IuK) der modernen Gesellschaft. Der Bogen spannt sich von der freien Forschung und Lehre (Art. 5 III GG) über die persönliche Meinungsbildung der Bürger bis zum freien In737
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formationsfluß (Free Flow of Information) im Rahmen einer noch zu bildenden Weltinformationsordnung. Zu den tradierten Wissenskulturen (Wissenschaft, → Bildungssystem, Printmedien) sind die elektronischen Wissensräume der globalen Informationsnetze gekommen, deren neue Wissensordnung erst im Entstehen ist. Das wissenschaftlich-technische Wissen muß in der Wissenschaft erzeugt, in der Praxis angewandt, durch die Technik realisiert und von der Industrie verwertet werden. Das Verbraucherwissen über die eigenen Bedürfnisse und Mittel wird vom Markt aufgenommen und in die Wirtschaft als Grundlage für Produktionsentscheidungen eingespeist (nach der Informationstheorie des → Marktes in der → Wissensökonomie). Die freie Meinung der Bürger ist als demokratische Kontrolle politisch zu respektieren und als private Persönlichkeitsentfaltung verfassungsrechtlich zu schützen. Die journalistische Gegeninformation der Presse zur Korrektur des Selbstbestätigungsfehlers der sozialen Systeme und das Infotainment der Massenmedien vervollständigen den nichtwissenschaftlichen Bereich. Dafür ist die Rechtsordnung mit ihren erzwingbaren Minimalstandards zu permissiv und die Wirtschaftsordnung mit der wirksamen Diskriminierung durch → Kosten und → Preise zu restriktiv. Was darüber hinausgeht, sind ordnungspolitische Gestaltungsaufgaben der W., die zum zentralen Konfliktfeld der → Wissensgesellschaft für kontroverse Entwicklungen geworden ist (Verdatung der Gesellschaft und Datenschutzbewegung; Informationseingriffe durch Massenmedien und Privatheit; Innovationschutz durch Copyright bzw. Patente und Informationsteilhabe durch offenen Zugang mit freiem Gebrauch). Das macht die mehr oder weniger autonome W. zur dritten gesellschaftlichen Grundordnung und erfordert für die → Europäische Union eine fünfte Verkehrsfreiheit für Information & Kommunikation (neben Personen, Waren, → Dienstleistungen und → Kapital). 738
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II. Das Rahmenkonzept der autonomen W. Die W. umfaßt das Insgesamt der konstitutiven (ordnungspolitischen, verfassungsrechtlichen, gesellschaftlichen, kulturellen, wissenschaftlichen) Leitbestimmungen, der zusätzlich auferlegten normativen (ethischen, methodischen, juristischen, ökonomischen, politischen, pragmatischen, etc.) Regelungen und der faktischen Randbedingungen für alle Wissensaktivitäten, Informationstatbestände und Kommunikationsvorgänge. Die W. regelt – im indirekten Sinne einer ordnungspolitischen Rahmung und strategischen Regulierung, ohne die Inhalte und Abläufe im einzelnen vorzuschreiben –, die gesamten Wissensaktivitäten der Erzeugung (in und außerhalb der Wissenschaft), Verarbeitung (untechnisch oder durch EDV), Anwendung (in der Praxis), Verwirklichung (in der Technik, als Artefakte), Verwertung (in der Wirtschaft, als Informationsressource und Wissensware), Verwaltung (in bürokratischen Organisationen und durch Wissensdienste), Verteilung (durch die Medien), Verfügung (mit oder ohne Rechtstitel), Nutzung (durch Befugte, Betroffene, Beteiligte oder Dritte) von Informationen. Das betrifft Wissen aller Arten und Zusammensetzungen, in jeder Menge und Güte, unbeschadet ihrer Wahrheit, Vernünftigkeit, Wissenschaftlichkeit und sonstigen Qualifikationen. Es schließt den engeren Bereich der Wissenschaft ebenso ein wie die außerwissenschaftlichen Informationsbereiche des Alltagswissens, der Massenmedien (Nachrichten, Unterhaltung, Werbung), der Verwaltungsakte, des Bildungs- und Erziehungswesens u. dgl. Wo lebenswichtiges Wissen durch Zugangsbeschränkung oder Gebrauchsverbote zum Machtfaktor wird und Informationseingriffe ermöglicht, muß die W. durch Eingriffsregelungen informationsethische (dazu Spinner, Nagenborg, Weber 2001) und durch informationelle Gewaltenteilung politische Rahmenbedingungen setzen. Dasselbe gilt für die Gewährleistung von Chancengleichheit für alle Formen der Gegeninformation (Kritik, Korrektur, Aufklärung, Recherche).
Wissensordnung
Der philosophisch-sozialwissenschaftliche Begriff der W. ist somit weiter und sein Regelungsfeld artenreicher als der juristischtechnische Begriff der „Informationsordnung“ (Zöllner 1990), welche sich bis jetzt im wesentlichen auf rechtstechnische und -politische Fragen des Datenschutzes, Erfinder-, Urheber-, Medienrechts beschränkt. Hier bahnt sich ein Fundamentalkonflikt zwischen der deutschen bzw. europäischen Perspektive der öffentlich-rechtlich zu regelnden Persönlichkeitsentfaltung und der amerikanischen Perspektive des privatrechtlichen Eigentumsschutzes an, der im derzeitigen Verdrängungswettbewerb der → Wissensregime ausgetragen wird. III. Ordnungspolitische Wissenszonen Im Hinblick auf die maßgeblichen Problemlagen lassen sich die gesellschaftlichen Informationsfelder und deren höchst unterschiedliche akademische, archivarische, ökonomische, technologische, bürokratische, geheimdienstliche etc. Bereichsordnungen auf drei größere Wissenszonen aufteilen. Dafür bildet die W. den gemeinsamen Bezugsrahmen. Ordnungspolitisch gesehen geht es darum, das gesamte Informations- und Kommunikationsgebiet (IuK) so zu rahmen, daß – sensible Informationen auf Zeit oder auf Dauer geschützt, – freie Informationen ungehindert verbreitet, – anspruchsvolle Informationen beständig verbessert werden. Das ergibt drei ordnungspolitische Wissenszonen für die Wissensaktivitäten im Allgemeinen und IuK-Technologien im Besonderen: Erstens Schutzzonen für schutzwürdige und -bedürftige Informationsbestände und Kommunikationsvorgänge, welche Abwehrmöglichkeiten gegenüber unerwünschten Informationseingriffen gewährleisten. Derartige Schutzzonen sind einzurichten: Zum einen für das Privatleben der Individuen, welches u. a. durch die Datenschutz-Gesetzgebung auf Dauer zu schützen ist; zum anderen für die schöpferischen Tätigkeiten nutzbarer Inventionen und Innovationen,
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welche u. a. durch Urheber- und Patentrecht sowie durch die Gewerblichen Schutzrechte einen beschränkten Schutz auf Zeit erhalten unter Vermeidung von unbeschränkten → Monopolen; darüber hinaus für sicherheitsspezifische Wissensdienste und Informationsbestände, die aus Gründen ihrer Natur und Funktion nicht öffentlich zugänglich sein dürfen. Zweitens Verbreitungszonen für die öffentliche Information und Kommunikation, welche den ungehinderten Informationszugang und freien Informationsfluß gewährleisten, einschließlich der Gegeninformation. Das geht von der individuellen Meinungsäußerung im Alltag bis zur veröffentlichten Information in den Massenmedien. Darunter fällt vor allem die auf breitester Basis verteilte Low Quality Information aus den weltumspannenden Medienszenarien der Unterhaltung, Werbung, teils auch der Nachrichten. Drittens Qualitätszonen für nachhaltig verbesserungsbedürftige Wissensbestände und Forschungsaktivitäten, insbesondere im Bereich von Wissenschaft und Technik, um die beständige Verbesserungsfähigkeit des jeweiligen Wissensstandes zu ermöglichen. Es geht hier um die höchstentwickelten und gerade deshalb nie abgeschlossenen Wissensarten, die dem wissenschaftlich-technischen Erkenntnisfortschritt unterliegen. IV. Sonderregelungen der alten (‚klassischen‘) W. Für den Auf bau der Klassischen W. in abgekoppelten eigenständigen Sondermilieus (Spinner 1985) der qualifizierten Wissenstätigkeiten (Forschung, Recherche, Gutachten, Kritik etc.) sind vier ordnungspolitische Trennungspostulate konstitutiv (Spinner 1994): Erstens die Trennung von Erkenntnis und Eigentum, worauf sowohl der ‚Wissenskommunismus‘ (früher Allmende, heute Free Source) der Wissenschaft als auch die ‚freie Meinung‘ des Bürgers beruhen, an der ihm bewußt keine Eigentumsrechte (d. h. Verfügungsmonopol mit Ausschlußbefugnis gemäß § 903 BGB) eingeräumt werden. 739
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Zweitens die Trennung von Ideen und Interessen, damit die Wissenschaft nicht zur ‚interessierten‘ → Ideologie und die Öffentliche oder private Meinung nicht zur staatlich oder wirtschaftlich ‚gelenkten‘ Information werden. Drittens die Trennung von Theorie und Praxis, damit durch Entlastung von Folgehaftung die Möglichkeit zum theorieförmigen Erkennen weiter gehen kann als die Notwendigkeit zum praktischen Handeln. Viertens die Trennung von Wissenschaft und Staat bzw. Wissen und Macht, um einen möglichst staatsfernen, interventionsfreien gesellschaftlichen Wissensraum für unabhängige Wissenseinrichtungen (Wissenschaft, Presse, Rundfunk, Fernsehen) und gesicherte Wissensfreiheiten (für forscherische, kommunikative, werbende, kritische Wissenstätigkeiten) zu schaffen. Das sind klassische Sonderregelungen der ‚alten‘ W., wie sie mit mehr oder weniger großen Abstrichen in der Wissenschaftsverfassung für die traditionelle Gelehrtenrepublik und in der Republik für das Modell der liberalen Öffentlichkeit (Habermas 1990) historische Institutionalisierungsformen gefunden haben. V. Neue W. für das Informationszeitalter Im Übergang von der Industrie- zur → Wissensgesellschaft ist auch eine neue W. im Entstehen. Denn das Informationszeitalter bringt mehr ins Spiel als lediglich neue, technisierte Wissensarten (wie das Datenwissen), Wissensrechte (z. B. der informationellen Selbstbestimmung) und elektronische Wissensräume (Internet). Zu den unmittelbaren, meßbaren Technikfolgen erster Art (→ Kosten, Risiken, Schäden) kommen mittelbare Technikfolgen zweiter Art, die Änderungen im gesamten Ordnungsrahmen der modernen Gesellschaft auf nationaler und internationaler Ebene bewirken. Die sogenannten Megatrends der Technisierung, Kommerzialisierung und Globalisierung von Information & Kommunikation verursachen die gegenwärtige stille Revolution eines Wandels der W. Dieser besteht in der vor allem technikinduzierten und marktgetriebenen Aufhebung der klas740
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sischen Trennungen durch gegenläufige Fusionen, unter Bildung von Volleigentum auch an geistigen Gütern, Ideen/InteressenVerschmelzungen (Finalisierung), Theorie/ Praxis-Verbindungen und Angleichung des wissenschaftlich-kulturellen Sondermilieus an die Normalbedingungen des durch nichtkognitive → Wissensregime beherrschten gesellschaftlichen Umfelds. Die Exterritorialisierung der Welt des Wissens wird durch den Wandel der W. nicht völlig aufgehoben aber doch wesentlich verschoben in genau jene Richtungen, denen die Klassische W. einen Riegel vorschieben wollte, ohne sie je ganz ausschließen zu können. Über die bisherigen Ausnahmeregelungen des Urheber- und Patentrechts für geistiges Eigentum hinaus entstehen neue Formen des Wissenseigentums. Dasselbe gilt für die Finalisierung der nunmehr höchst ‚interessierten‘ Forschung. An die Stelle der nie ganz sauberen Trennungen von Ideen und Interessen, Theorie und Praxis, von Wissenschaft und Staat treten Gemengelagen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Technik, in denen zusammenrückt, was die Klassische W. getrennt hat. Deren operative Trennungsnormen werden durch die neueren Entwicklungen zwar ausgehebelt, in ihren ordnungspolitischen Zielsetzungen aber keineswegs annulliert. Damit stellt sich die Frage nach der dreifachen Übertragbarkeit der Klassischen W. erstens von der Vergangenheit auf die Zukunft, zweitens von der Wissenschaft auf die anderen Wissensbereiche der Gesellschaft, drittens von der Realwelt auf die elektronische Netzwelt. Die Übertragung kann nicht in der Rückkehr zur alten Ordnung bestehen, sondern nur in der Umstellung auf funktionale Äquivalente für die Trennungsnormen, wie sie teilweise im öffentlich-rechtlichen Bereich der dualen Mediensysteme zu finden sind. Solche Konturen einer Neuen W. für elektronische Netzwelten zeichnen sich zum Beispiel in der Open Source-Bewegung der Software-Diskussion ab. Literatur: Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit, Neuaufl., Frankfurt am Main 1990; Spinner, Helmut F.: Das „wissenschaftliche Ethos“ als Sonderethik
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des Wissens, Tübingen 1985; Spinner, Helmut F.: Die Wissensordnung – Ein Leitkonzept für die dritte Grundordnung des Informationszeitalters, Wiesbaden 1994; Spinner, Helmut F./Nagenborg, Michael/Weber, Karsten: Bausteine zu einer neuen Informationsethik, Berlin 2001; Zöllner, Wolfgang: Informationsordnung und Recht, Berlin u. New York 1990. Prof. Dr. Helmut F. Spinner, Karlsruhe Wissensökonomie I. Wissen als Inhalt der Wirtschaftswissenschaften Wie jede Wissenschaft, stellt die Ökonomie erklärende Theorien zur Lösung ökonomischer Probleme auf. Sie gilt in dieser Hinsicht als fortgeschrittenste Sozialwissenschaft, die mit dem Programm der Universellen Ökonomie ihren Zuständigkeitsanspruch inzwischen so weit ausgedehnt hat, daß grundsätzlich alles menschliche Verhalten in den ökonomischen Erklärungsbereich fällt. Das macht sie zu einem wissenschaftlichen Erkenntnisunternehmen, welches mit ökonomischem Theorienwissen arbeitet, aber nicht zur eigentlichen W., die das Wissensthema ausdrücklich in ihren Untersuchungsbereich aufnimmt. In dieser instrumentellen Funktion gehört das Wissen der Wissenschaftler zum zentralen Inhalt der Wirtschaftswissenschaften, aber nicht als verhaltensmitbestimmender Faktor der Akteure zum Gegenstand der Analyse. II. Klassischer Ansatz: Wissen als Informationsfiktion der idealisierten Modellkonstruktion Ob als Anbieter oder Nachfrager, Produzent oder → Konsument, Individuum oder Organisation, müssen die Marktteilnehmer die entscheidungsrelevanten Bedingungen für ihr ökonomisches Verhalten kennen, die sie als Daten, Umstände, → Präferenzen ihrem Handeln zugrunde legen. Für das menschliche Verhalten nach dem ökonomischen Rationalitätsprinzip (→ Vernunftprinzip) postuliert das Referenzmodell der klassischen Ökonomie vollkommene → Märkte mit höchstgesteigerten In-
Wissensökonomie
formationsannahmen des Allwissenheitsstandpunktes: Alle wissen alles, jederzeit und gleichermaßen, irrtumsfrei und kostenlos, mit sofortiger und reibungsfreier Umsetzbarkeit des perfekten Wissens in rationales Handeln. Was damit für die ökonomischen Modellwelten vor aller Erfahrung (a priori) ‚angenommen‘ wird, ist volle → Markttransparenz über → Angebot und → Nachfrage, → Preise und Produkteigenschaften etc. gemäß folgenden Wissensfiktionen: (1) Mit der Allwissenheitsannahme werden quantititave Wissenslücken ausgeschlossen, einschließlich vollkommener Voraussicht über die Zukunft. (2) Mit der Richtigkeitsannahme werden qualitative Wissensfehler (Irrtümer, Täuschungen, Verzerrungen) außer Betracht gelassen. (3) Mit der Symmetrieannahme wird Gleichverteilung des Wissens über alle individuellen Unterschiede, Rollen- und Funktionsdifferenzierungen hinweg postuliert. Es gibt weder zeitweilige, zufällige Wissensvorsprünge noch strukturelle, rollen- oder funktionsbedingte Wissenüberlegenheiten und -unterlegenheiten, die man ausnutzen könnte (Wissensarbitrage). (4) Nach der Homogenitätsannahme kann es auf einem Markt für gleichartige Güter nur einen Preis geben (Einheitspreis für Einheitsgüter; ohne Qualitäts- und Preisarbitrage). (5) Mit der Gratisannahme wird das Kostenproblem eliminiert. Die Verschaffung von Markttransparenz ist eine Garantieleistung des Wirtschaftssystems, welche keinerlei Informationskosten verursacht (Zeitaufwand, Suchkosten, Lizenzgebühren etc.) und deshalb auch keine Anreize zur Informationssuche bietet. (6) Mit der Rationalitätsannahme des sog. → ökonomischen Prinzips werden Realisierungsdefizite, Effizienzverluste etc. beim Übergang vom angenommenen Wissen zum wirklichen Handeln ausgeschlossen. Die Marktteilnehmer handeln nach subjektiv bestem und objektiv bestmöglichen Wissen. 741
Wissensökonomie
Kritisch betrachtet, sind das irreale Nirwana-Fiktionen der ‚reinen‘ Ökonomie; subjektiv betrachtet, kognitive Illusionen der Marktteilnehmer (im Sinne der Wissenspsychologie). Aber diese Vollkommenheitsannahmen sind nicht nur unrealistisch, sondern wären auch unerwünscht, weil sie dynamischen → Wettbewerb unmöglich machen würden. Das Wissensproblem wird so nicht gelöst, sondern aufgelöst. Der klassische Ansatz hat kein Wissensproblem, weil er es als zu lösendes ökonomisches Problem nicht stellt. III. Neoklassischer Ansatz: Wissen als Gegenstand der mikroökonomischen Informationsökonomie Unbeschadet vieler technischer (Immaterialität), rechtlicher (Besitzflüchtigkeit), ökonomischer (als → öffentliches Gut) Sondereigenschaften, kann Wissen so begehrt, knapp, wertvoll sein wie andere → Güter. Als → Ressource (→ Produktions- und Kostenfaktor, → Humankapital), Produkt und → Konsumgut wird es nun zum Gegenstand ökonomischer Untersuchungen. Dazu ist keine wissenschaftliche Revolution des ökonomischen Denkens erforderlich, sondern lediglich die Ersetzung der Wissensfiktionen (zur Kritik vgl. Picot, Wittmann) durch realistische Wissenshypothesen über mehr oder weniger intransparente Märkte: (1) Alle Marktteilnehmer haben Wissenslücken über das, was sie sie nicht zur Kenntnis nehmen wollen (zu aufwändig), können (Privatwissen der anderen über ihre Präferenzen), dürfen (z. B. Betriebsgeheimnisse über Produkteigenschaften) oder weil es gar kein einschlägiges Wissen gibt (z. B. über die Zukunft). (2) Das verfügbare Wissen ist mehr schlecht als recht, immer verzerrt (,biased’), oft falsch oder zumindest übervereinfacht. Irren ist nicht nur menschlich, sondern auch ökonomisch. Die Marktteilnehmer müssen sich mit dem Teilwissen begnügen, das sie haben oder im verkürzten Generierungsverfahren mit sog. Heuristiken gewinnen können, indem sie z. B. vom Preis auf die Produktqualität schließen. 742
Wissensökonomie
(3) Von individuellen Wissensunterschieden abgesehen, gibt es informationelle Asymmetrien zwischen den ökonomischen Gruppen. Über die Produkte wissen die Hersteller mehr als die Nutzer, über die Marktlage die Anbieter mehr als die Nachfrager, über ihre Pläne die Unternehmen mehr als Außenstehende. (4) Auf wirklichen, unübersichtlichen Märkten gibt es für gleiche Güter unterschiedliche Preise, zufällig oder absichtlich. (5) Die Erzeugung, Verarbeitung, Auswertung von Wissen verursacht vielfältige → Kosten. Wem sie zur Last fallen, hängt davon ab, ob Wissen als privates (kommerzialisiert als Ware) oder als öffentliches Gut (sozialisiert durch Wissensallmende) betrachtet wird. (6) Die Marktteilnehmer handeln nicht nach dem bestmöglichen Wissen ohne Rationalitäts- und Effizienzdefizite, sondern nach den verfügbaren Kenntnissen mit – auch kognitiv – beschränkter Rationalität (Konzept der Limited Rationality von Herbert A. Simon). Mit diesen Ausgangshypothesen steigt die neoklassische Informationsökonomie in den 60er und 70er Jahren bei der konventionell gestellten Kostenfrage ein und setzt sich fort mit dem Verteilungsproblem der informationellen Asymmetrien. Das Ergebnis sind Suchverfahren und Marktmodelle zur Reduzierung von Preis- und Qualitätsunsicherheit sowie Anreizkonzepte zur Ausnützung von Wissensvorsprüngen. Die Lösungsvorschläge (z. B. für die Suche nach dem niedrigsten Preis) sind jedoch größtenteils so kompliziert, daß sie für gewöhnliche Marktteilnehmer kaum verständlich, praktisch unanwendbar und bei sehr teuren (Luxuskonsum) und besonders schlechten (sog. Zitronen) Gütern unanwendbar sind (zur Kritik vgl. Kunz). IV. Neoliberaler Ansatz: Marktökonomie für konstitutionelle Unwissenheit und unternehmerische Findigkeit Wo der neoklassische Ansatz (→ Neoklassik) lediglich eine Gegenstandserweitung zur Einbeziehung von Kosten-, Verteilungs- und Anreizaspekten der Informati-
Wissensökonomie
onsproblematik macht, wird der Wissensbezug im neoliberalen Ansatz (→ Neoliberalismus) der neueren → Österreichischen Schule neu ausgerichtet: einerseits von statischen Gleichgewichtslehren auf dynamische Wettbewerbsbetrachtungen; andererseits von suchenden Ermittlungsverfahren gegebener Marktdaten auf findige Entdekkungsverfahren verstreuter Kenntnisse und findigen Unternehmerwissens. Ausgangspunkt ist → Hayeks wegweisende Fragestellung nach der Rolle von Annahmen und Aussagen über das bruchstückartige und wechselhafte Wissen der Beteiligten beim spontan und dezentral wohlkoordinierten Zusammenwirken im nicht nur arbeitsteiligen, sondern auch wissensteiligen Marktprozeß. Darauf gibt die neoliberale Informationsökonomie eine doppelte Antwort für die Marktteilnehmer im allgemeinen und die → Unternehmer im besonderen: Hayeks eigene Antwort ist das Konzept der konstitutionellen Unwissenheit aufgrund „der Tatsache unabänderlicher Unwissenheit konkreter Umstände“ (Hayek 1969, S. 171), deren Kenntnis auf die Marktteilnehmer aufgeteilt ist und niemals an einer Stelle konzentriert werden kann. Für die über die ganze Gesellschaft verstreuten Kenntnisse der besonderen Umstände von Ort und Zeit, objektiven Bedingungen und subjektiven Erwartungen (Präferenzen, Preise, Produkte, Situationen etc.) ist der Markt ein geradezu wunderbar leistungsfähiges Entdeckungsverfahren, das Preissystem eine selbstgesteuerte Koordinierungsmethode und der Wettbewerb ein schneller Korrekturmechanismus. Deshalb ist die freie → Marktwirtschaft nicht nur der zentralen Wirtschaftsplanung des → Sozialismus, sondern auch anderen Wissensanmaßungen (Hayek 1996) wissensüberlegen. Die ergänzende Antwort zum wissensorientierten Unternehmertum gibt Kirzner mit dem Findigkeitskonzept des unternehmerischen Verhaltens, womit „das Element der Aufmerksamkeit für sich neu bietende Gelegenheiten“ (Kirzner 1988, S. 18) gemeint ist, z. B. Gewinngelegenheiten für Unternehmer oder Preisvorteile (Arbitrage) für
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Konsumenten. Genau genommen ist das eine Art Metawissen darüber, wo man nach Wissen suchen muß. Findigkeit (alertness) kennzeichnet alles unternehmerische Problemlösungsverhalten, für das man weder ein eigenes Unternehmen braucht noch Kapitalist sein muß. V. Modularisierter Ansatz der integrierten Wissensforschung: Dreifache Wissensökonomik Der neoliberale Ansatz geht zwar mit seinem dynamischen Wissensverständnis über den neoklassischen Ansatz hinaus, ist aber selbst nicht weniger partiell. Wenn dieser eine Informationsökonomik liefert, dann jener eine Kenntnisökonomik im Sinne des modularisierten Wissenskonzepts (→ Wissen). Beide Ansätze bleiben beschränkt auf bestimmte Wissensarten und Wissensträger. Von ihrer kaum überbrückbaren Unterschiedlichkeit abgesehen, wären sie auch im Zusammenschluß noch keine umfassende Wissensökonomik für alle Wissensmodule (→ Wissen). Mangels adäquater Wissenstheorie können daran auch die neuesten Beiträge (Held u. a., Modaschl/Stehr) nichts ändern. Die in Teilbereichen kognitiv gewendete Ökonomie hat bislang keine Erkenntnisökonomik für die höheren Wissensarten und Wissenstätigkeiten; die noch nicht ökonomisch gewendete Wissenstheorie keine passende Ökonomik. Aber die Umrisse einer wirtschaftstheoretisch umfassenden, wissenstheoretisch differenzierten W. sind sichtbar, die Schnittstellen markiert, die Wege offen. Literatur: Arrow, K. J., The Economics of Information, Oxford 1984. Hayek, F. A. von, Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, Erlenbach-Zürich 1952; ders., Freiburger Studien, Tübingen 1969; ders., Die Anmaßung von Wissen, Tübingen 1996. Held, M. u. a. Hrsg., Jahrbuch Normative und institutionelle Grundfragen der Ökonomik, Bd. 3: Ökonomik des Wissens, Marburg 2004. Hopf, M., Informationen für Märkte und Märkte für Informationen, Frankfurt am Main 1983. Kirzner, I. M., Wettbewerb und Unternehmertum, Tübingen 1978; ders., Unternehmer und Marktdynamik, 743
Wissensökonomie
Wissensregime
München und Wien 1988. Kunz, H., Marktsystem und Information, Tübingen 1985. Moldaschl M., Stehr, N., Hrsg., Knowledge Economy, Marburg 2005. Picot, A. u. a., Die grenzenlose Unternehmung, 5. Aufl., Wiesbaden 2003. Wittmann, W., Unternehmung und unvollkommene Information, Köln und Opladen 1959. Prof. Dr. Helmut F. Spinner, Karlsruhe Wissensregime I. Ökonomische, politologische und technologische Regimebegriffe In den modernen Sozialwissenschaften wird der Regimebegriff gebraucht zur Bezeichnung von dominant gewordenen Herrschafts-, Leitungs-, Lenkungs-, Regierungs(„Governance“), Kooperations- und Organisationsformen. Im Hinblick darauf ist zum Beispiel in der → Ökonomie die Rede von „Produktions- bzw. Betriebsregimen“ (z. B. des Fordismus); in den Politikwissenschaften von „autoritären“ und „demokratischen Regimen“; in der Soziologie von „urbanen“ und „regionalen Regimen“; in der Theorie der internationalen Politik von „weltpolitischen Regimen“ u. dgl. Kennzeichnend für diese noch klärungsbedürtige Begrifflichkeit (zum Grundansatz vgl. Eisner 1993) ist der Bezug auf regierende Imperative (Forschungs-, Macht-, Markt-, Managementimperative), mit anleitenden Direktiven und vollziehenden Maßnahmen. Inzwischen benutzt auch die moderne Wissenschaftsforschung den noch ebenso unklaren Begriff des „epistemischen Regimes“, um neue Modi der Wissenserzeugung, -verwendung, -organisation (dazu speziell Gibbons u. a. 1994) zu beschreiben (vgl. Elzinga 1993 und Ziman 1994). Dezidierter gilt das für die Technikforschung, welche mit dem technologischen Regimebegriff die Überlagerungs- und Vereinnahmungstrategien der zur Wissensmacht gewordenen Bio- und Infotechnologien brandmarkt (Barben 1998, Barben und Abels 2000, Martinsen 1997). II. Ordnungsrahmen für Wissensgüter 744
Systematisch läßt sich der Begriff des W. aus dem Wissenskonzept selbst und dem Rahmenkonzept der → Wissensordnung entwickeln, um die Hegemonisierung von Wissenstatbeständen (Arten, Ordnungen, Tätigkeiten, Institutionen) durch nichtkognitive, neuerdings insbesondere ökonomische Auslegungen, Anforderungen und Ausnutzungen zu bezeichnen (Spinner 1997). „Information ist Information, weder Materie noch Energie“, lautet das vielzitierte Wiener-Diktum (Wiener 1963, S. 192). Diese informationstheoretische Einsicht gilt auch für den semantischen Informationsgehalt des Wissens und dessen Höherqualifizierung zur wissenschaftlichen Erkenntnis. Im weiteren Zusammenhang der darauf ansetzbaren Rahmenbedingungen betrachtet, kann Wissen aufgefaßt und zugeordnet werden: ● als Rechtsgut dem juristischen Ordnungsrahmen des staatlichen Schutzes durch Öffentliches Recht, Privatrecht, Strafrecht, Informationsrecht (einschließlich Sonderregelungen des Urheber- und Patentrechts, von Staatsverträgen über Kulturerbe etc.); ● als Wirtschaftsgut (→ Ressource, Ware) dem ökonomischen Ordnungsrahmen der wirksamen Diskriminierung durch → Preise; ● als Erkenntnisgut dem davon ordnungspolitisch abgekoppelten (‚entlasteten‘, d. h. rechtlich geschützten, ökonomisch alimentierten) akademischen Ordnungsrahmen der Freien Forschung & Lehre (Art. 5 III GG); ● als Technikartefakt dem zumeist inhaltlich kriterienfreien artifiziell-formalen Ordnungsrahmen der technischen Standards (vgl. Lessig 1999). III. Wissensregime Ordnungen sind „rahmende“ Leitbestimmungen und Randbedingungen, die allgemeine Ziele und Regeln vorgeben. Im Gegensatz dazu sind Regime unmittelbar bestimmend und inhaltlich eingreifend, mit Hegemonialbestreben (Dominanz, Überlagerung) und Monopolisierungstendenz.
Wissensregime
Ordnungen wirken durch Anreize (ökonomisch z. B. durch Gewinngelegenheiten) und Verbote, die nichts unmittelbar vorschreiben; Regime dagegen durch Zielvorgaben und Gebote. Die Extremform von Regimen wäre das „persönliche Regiment“ von Monarchen; die Mischform das sog. Auftragsprinzip des preußischen Generalstabs (Oetting 1993). Wenn im Zuge der durch „universelle Ökonomie“ (vgl. Radnitzky 1992, Olson 1991) und „planetarische Technik“ (Martin Heidegger) forcierten Globalisierungs-, Kommerzialisierungs-, Privatisierungs- und Informatisierungstendenzen lockere Wissensordnungen herkömmlicher Art durch rigorose W. mit nichtkognitiven Ordnungszielen und Regelwerken überlagert oder verdrängt werden, dann zeichnen sich folgende ordnungspolitische Einbahnstraßen zu den neuen W. des Informationszeitalters ab: ● totale Verrechtlichung unter der Dominanz des Privatrechts, also mit den drei zentralen Rechtsinstituten Eigentum, Haftung, Vertrag; ● universelle Ökonomisierung im Hinblick auf die ordnungspolitische Renormalisierung der Wissensgüter und Wissensmärkte, über das gesamte Spektrum von „normalen“ Gütermärkten (z. B. für Bücher ohne Preisbindung), Spezialmärkten (wohl „sortiert“ nach dem Fachgeschäftsprinzip) und Supermärkten (wahllos „kommerzialisiert“ nach dem Warenhausprinzip); ● elitäre Isolierung durch überzogene Privilegierung und ordnungspolitische Exterritorialisierung innerhalb der gesellschaftlichen Umwelten (z. B. von Expertenzirkeln oder Sondermilieus der Wissenschaft, Kunst, Literatur); ● künstliche Technisierung (Informatisierung) gemäß arbiträren Formaten, Protokollen, Prozeduren unter Verlust z. B. des impliziten Gehalts, des sozialen Kontextes, der natürlichen Intelligenz und alltäglichen Heuristik. Gegenwärtig tobt der Verdrängungswettbewerb dieser W. in der Real- wie in der Netzwelt. In weiten Teilen des Wissensraums, vor allem auch in den für e-commerce offe-
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nen Informationsnetzen, droht gleichzeitig die Vollkommerzialisierungder Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK)-Wachstumsbranchen (Nachrichten, Unterhaltung, Sport, Werbung, Geschäftsverkehr) durch Marktregime und die Überlagerung durch das neue Technikregime der Internet-Codes (Lessig 1999). Beides sind Regelgeber ohne parlamentarische Kontrolle, demokratische Wahlen (trotz ICANN) und informationelle Gewaltenteilung. Unter der Vorherrschaft einer innenpolitisch hegemonial, außenpolitisch imperial gewordenen ordnungspolitischen Programmatik können sich rechtliche, ökonomische, technische, administrative, unter besonderen Voraussetzungen sogar kognitive W. (vgl. Spinner 1997) bilden, welche die gesellschaftlichen Wissensverhältnisse auf wissensfremde Werte, Ziele, Nutzungen umpolen, die Wissenslage auch inhaltlich verzerren und die eingespielte funktionale → Wissensarbeitsteilung tiefgreifend ändern. Begünstigt durch die globalen Entwicklungen, breiten sich Hand in Hand das ökonomische W. für vollkommerzialisierte Information & Kommunikation in den nichtwissenschaftlichen Sektoren und das Technikregime der vermeintlich nur verfahrensmäßigen Standards in den elektronischen Netzwelten aus. Ersteres marktgetrieben, letzteres mit der normativen Kraft des Faktischen verschieben nachhaltig die Einfluß- und Abwehrlinie zwischen den zweckfreien und kommerziellen Wissenstätigkeiten und -bereichen. W. sind in ihren sachgemäßen Grenzen ordnungspolitisch sinnvoll, gesellschaftlich nützlich und im größeren Ordnungsrahmen auch verfassungsverträglich, soweit sie weder umfassend noch alleinbestimmend sind. In Schach gehalten werden sie durch einen für die neuen Bedingungen des Informationszeitalters fortentwickelten Ordnungspluralismus. Dazu gehört unverzichtbar eine eigenständige relativ autonome Wissensordnung, welche der Eigenwertigkeit und Kultivierungsnotwendigkeit des Wissens, seiner Bedeutung für die menschliche Freiheit und die gesellschaftliche Entwicklung gerecht wird. 745
Wissensregime
Wohlfahrtsökonomie
Literatur: Barben, Daniel und Gabriele Abels, Hrsg., Biotechnologie, Globalisierung, Demokratie, Berlin 2000; Druey, Jean Nicolas, Information als Gegenstand des Rechts, Zürich u. Baden-Baden 1995; Eisner, Marc Allen, Regulatory Politics in Transition, Baltimore 1993; Gibbons, Michael u. a., The New Production of Knowledge, London, Thousands, Oaks, New Delhi 1994; Lessig, Lawrence, Code and other Laws of Cyberspace, New York 1999; Martinsen, Renate, Hrsg., Politik und Biotechnologie, Baden-Baden 1997 (darin Richard Lehne über „Marktregime“ und Volker Heins über „Früchte des Wissens“); Olson, Mancur, Umfassende Ökonomie, Tübingen 1991; Oetting, Dirk W., Auftragstaktik, Frankfurt am Main – Bonn 1993; Radnitzky, Gerard, Hrsg., Universal Economics, New York 1992; Spinner, Helmut F., Die Wissensordnung – Ein Leitkonzept für die dritte Grundordnung des Informationszeitalters, Wiesbaden 1994; Spinner, Helmut F., Wissensregime der Informationsgesellschaft, in: Jahrbuch Telekommunikation und Gesellschaft, Bd. 5, 1997, S. 65 – 79; Wiener, Norbert, Kybernetik, 2., rev. Aufl., Düsseldorf u. Wien 1963; Ziman, John, Prometheus Bound, Cambridge 1994. Prof. Dr. Helmut F. Spinner, Karlsruhe WKM II Abk. für → Europäischer Wechselkursmechanismus II. Wohlfahrtsdemokratie → Wohlfahrtsstaat. Wohlfahrtsökonomie untersucht die Bestimmungsgründe des gesellschaftlichen Wohlstandes und die Bedingungen, unter denen er maximiert wird. Sie will die Wohlfahrtseffekte wirtschaftspolitischer Maßnahmen beurteilen und solche Maßnahmen nennen, durch welche der gesellschaftliche Wohlstand erhöht wird (Beraterfunktion des Wohlfahrtsökonomen). Sie muß dazu verschiedene Verteilungen, zum Beispiel von → Einkommen, hinsichtlich ihrer Wohlfahrtswirkung vergleichen können. 746
Die Ursprünge der Wohlfahrtstheorie liegen im Utilitarismus, beginnend mit Jeremy Bentham, der die Auffassung vertrat, die Nutzen der Individuen in einer Gesellschaft könnten zur Berechnung des größten Glücks aller addiert werden. Auf dieser Grundlage bauten Pigon und Bergson die „ältere“ Wohlfahrtstheorie auf. Wenn die → Nutzen der Individuen addiert werden, müssen sie interpersonal vergleichbar sein. Diese Annahme der älteren Wohlfahrtstheorie ist seit den dreißiger Jahren immer wieder kritisch hinterfragt worden, die Diskussion geht dabei über die engeren Grenzen der → Wirtschaftswissenschaft hinaus bis in das Gebiet der politischen Philosophie. Harrod hat deutlich gemacht, daß die Rolle des Wohlfahrtsökonomen als politischer Berater (s. o.) einen Nutzenvergleich zwischen Individuen zwingend erfordert, und er hat dafür plädiert, daß die dabei notwendigen Wertungen von Wohlfahrtsökonomen vorgenommen werden sollten. Sein wichtigster Gegenspieler, Lionel Robbins, vertrat dagegen, → Jevons folgend, die Auffassung, daß es keine Möglichkeit gebe, den Nutzen für verschiedene Personen zu vergleichen, und daraus zog Robbins die Konsequenz, daß die wohlfahrtsökonomische Analyse nicht vollständig und bruchlos in die Politik überführt werden kann. Aus dieser Sicht kann die W. keine weitgehenden Vorschläge bei der Beratung der Regierungstätigkeit begründen. Die neuere Wohlfahrtstheorie versucht, auf die Annahme zu verzichten, die Nutzen verschiedener Personen seien vergleichbar und damit addierbar. Sie geht dabei von einer der zentralen Aussagen → Adam Smiths aus: Jeder einzelne, nur auf sein eigenes Wohlergehen bedacht, wird von einer „unsichtbaren Hand“ geleitet, um einen Zweck zu fördern, dessen Erfüllung er nicht beabsichtigt hat: durch die Verfolgung des eigenen Interesses fördert er das der Gesellschaft. Neoklassische Ökonomen (→ Neoklassiker) haben auf dieser Grundlage gezeigt, daß das → Eigeninteresse bei Tauschprozessen zu einer Verbesserung für die Beteiligten führt, ohne daß irgend je-
Wohlfahrtsökonomie
mand schlechter gestellt wird. Sind keine freiwilligen Tauschhandlungen mehr möglich, ist ein soziales Optimum erreicht. Dies gilt freilich nur unter recht restriktiven Bedingungen (z. B. keine → externen Effekte, keine → Transaktionskosten). In diesem Modell kommt staatlichen Maßnahmen nur eine minimale Rolle zu: der notwendige „Minimalstaat“ (Nozick) beschränkt sich auf den Schutz vor Kriminalität und auf die Durchsetzung von Verträgen. Wie aber sind staatliche Maßnahmen zu beurteilen, die über den Rahmen des Minimalstaats hinausgehen? Wohlfahrtstheorie auf der Basis individueller → Nutzenmaximierung ohne interpersonellen Nutzenvergleich führt zum Wohlfahrtskriterium von → Pareto: Eine wirtschaftspolitische Maßnahme verbessert dann und nur dann die Lage der Gesellschaft, wenn sie mindestens ein Individuum besser und kein Individuum schlechter stellt. → Buchanan und Tullok betonen, daß solche staatlichen Maßnahmen die einstimmige Unterstützung rationaler, nutzenmaximierender Individuen gewinnen werden. Sind sämtliche derartige Verbesserungsmöglichkeiten ausgeschöpft, so erreicht die Gesellschaft ihr Pareto-Optimum, welches freilich von der Ausgangsverteilung, die nicht problematisierbar ist, abhängt. Paretos Kriterium drohte die Wohlfahrtstheorie in der politischen Beratungspraxis zu marginalisieren, da in der Realität die meisten wirtschaftspolitischen Maßnahmen irgend jemanden schlechter stellen. Einen Versuch, dieses Problem zu überwinden, ohne dabei in die leichtfertige Annahme interpersonaler Nutzenvergleiche zurückzufallen, stammt von Kaldor: Eine Maßnahme läßt sich wohlfahrtstheoretisch positiv bewerten, wenn sie einem Individuum (oder einer Gruppe) so hohe Vorteile verschafft, daß diejenigen, die durch die Maßnahme einen Verlust erleiden, von den Gewinnern voll entschädigt werden können. Erfolgt die Entschädigung tatsächlich (was in Kaldors Vorschlag unklar bleibt), so wäre niemand schlechter gestellt, wohl aber mindestens einer besser, und somit wäre das Pareto-
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Kriterium und das damit verbundene Einstimmigkeitsprinzip erfüllt. Allerdings hat Samuelson gezeigt, daß Kaldors Kompensationskriterium in der Praxis ebenfalls kaum anwendbar ist: höchstwahrscheinlich wird keine Maßnahme ausreichende Prüfungen durchlaufen, die tatsächlich sicherstellen, daß die Verluste kompensierbar sind bzw. kompensiert werden und die „Gewinner“ dann immer noch besser stehen. Zusätzlich ist dem Kaldor-Kriterium entgegen gehalten worden, daß unklar ist, welche Effekte eine die Leistungsmotivation mindernde kompensatorische → Umverteilung auf das Wohlfahrtspersonal der Gesellschaft hat. Auf dem Prinzip der individuellen Nutzenmaximierung beruht letztlich auch das Wohlfahrtskriterium von Rawls: Eine Maßnahme wird wohlfahrtstheoretisch positiv bewertet, wenn sie die Wohlfahrt desjenigen Individuums erhöht, das in der Gesellschaft am schlechtesten gestellt ist. Das Prinzip läuft auf die Maximierung der Wohlfahrt des jeweils am schlechtesten gestellten Gesellschaftsmitgliedes hinaus (Maximim-Prinzip). Freilich wird im Moment der Durchführung Einstimmigkeit über die Maßnahme nicht wahrscheinlich sein, werden doch viele Individuen möglicherweise schlechter gestellt, ohne eine Kompensation zu erhalten. Rawls löst das Einstimmigkeitsproblem in einem „Gedankenexperiment“: Die Individuen schließen in einer Ausgangssituation, in welcher sie keine Kenntnis über ihre soziale Position in der Gesellschaft und ihre Präferenzen haben („Schleier der Unwissenheit“) einen Gesellschaftsvertrag darüber, wie politisch zu verfahren ist. Dieser Schleier der Unwissenheit, also die total unbekannte Zukunft, stellt sicher, daß gerechte und unparteiische Regeln für die Politik festgelegt werden. Rationale, nutzenmaximierende Individuen werden sich einstimmig für eine Regel nach Rawls entscheiden. Dem Ansatz von Rawls ist unter anderem entgegengehalten worden, daß sein Gedankenexperiment nicht zwingend zum RawlsKriterium führt, sondern auch ganz andere Wohlfahrtsmodelle ermöglicht. Insbe747
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sondere ist darauf hingewiesen worden, daß nur sehr risikoscheue Individuen Rawls’ Regel wählen würden. Auf der Basis der bisher diskutierten Wohlfahrtskriterien sind verschiedene Wohlfahrtsfunktionen entwickelt worden, die unterschiedliche Modelle der normativen Wirtschaftswissenschaft konstituieren. Hinzu treten nicht-individualistische Wohlfahrtsfunktionen, zum Beispiel „paternalistische“ Sichtweisen, die etwa deutlich werden, wenn eine sich als fürsorglich verstehende Regierung Schnaps und Zigaretten besteuert oder den Konsum bestimmter, für die Bevölkerung als besonders zuträglich angesehener, von dieser selbst aber offensichtlich nicht so geschätzter Güter fördert (Meritorische Güter). Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang der Ansatz des „Spezifischen Egalitarismus“ von Tobin erlangt, der eine egalitäre Verteilung bzw. Minimalstandards nicht für alle, sondern nur für bestimmte Güter postuliert: zum Beispiel Grundnahrungsmittel in Kriegszeiten, medizinische Versorgung u. a. Auch in diesen Fällen stellt sich die Frage der ethischen Legitimation. Ein wichtiger, in seiner Bedeutung für die W. lange verkannter Beitrag wurde von Arrow geleistet: Er untersuchte die Möglichkeit, daß nicht ein beratender Wohlfahrtsökonom, sondern die Gesellschaft selbst durch Abstimmungen eine Entscheidung herbeiführt. Arrow untersuchte dazu unterschiedliche Wahlregeln und Abstimmungsverfahren. Sein Ergebnis bestand nicht nur in einer Bedeutungsminderung des Wohlfahrtsökonomen als (besser)wissender Regierungsberater, sondern auch in beunruhigenden Modellen, die zeigen, daß und unter welchen Bedingungen in einer Demokratie Abstimmungsergebnisse zu erwarten sind, die gängigen Rationalitätsbegriffen widersprechen. Dies verdeutlicht die Komplexität des Problems staatlicher Maßnahmen, welche die Wohlfahrt der Gesellschaft erhöhen sollen. Literatur: Atkinson, Anthony B./Stiglitz, Joseph E.: Lectures on Public Economics. 2. Aufl., London u. a. 1989; Coleman, James S., Grundlagen der Sozialtheorie, Bd. 3: Die Mathematik der sozialen Handlung, Mün748
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chen 1994; Frey, René L., Wirtschaft, Staat und Wohlfahrt: Eine Einführung in die Nationalökonomie. 11. überarbeitete u. ergänzte Aufl., Basel u. a. 2002; Kirsch, Guy: Neue politische Ökonomie. 5., neubearb. u. erw. Aufl., Stuttgart 2004; Mishan, F. J.: Ein Überblick über die Wohlfahrtsökonomik 1939 – 1959, in Gäfgen, Gérard (Hrsg.): Grundlagen der Wirtschaftspolitik, 3. Aufl., Köln 1970, S. 110 – 176; Schumann, Jochen/ Meyer, Ulrich/Ströbele, Wolfgang Johann: Grundzüge der mikorökonomischen Theorie. 8., überarb. Aufl., Berlin 2007; Stiglitz, Joseph E.: Economics of the Public Sector. 3. Aufl., New York 1999. Prof. Dr. Hans Jürgen Schlösser, Siegen Wohlfahrtsstaat Der Staat und seine „Wohltaten“. Der Staat ist ein territorialer Monopolist in Bezug auf Gewalt. Sein Lebenselexier sind Steuereinnahmen. Daher produziert er, als Kuppelprodukt, äußere Sicherheit. Denn er muß seine Steuerbasis gegen potentiell mit ihm konkurrierende, andere „Regierungen“ verteidigen. Aus dem gleichen Grund, aber in der Praxis erst in zweiter Linie, produziert er innere Sicherheit. Auch viele andere sogenannte → öffentliche Güter (d. h. aus → Steuern finanzierte → Güter und → Dienstleistungen) sind Kuppelprodukte in o.g. Sinn. Bereits die Straßen des Römischen Reiches dienten primär dem Transport von Militär und dem Zugang zu Steuersubjekten. Obwohl er Gewaltmonopol besitzt, ist der Staat von der Zustimmung zumindest gewisser, entscheidender Bevölkerungskreise abhängig. Um breite Schichten der Bevölkerung „bei der Stange“ zu halten, verspricht der Staat „Wohltaten“ aller Art, tritt als paternalistischer „Vater Staat“ auf. Solche „Wohltaten“ bedingen → Umverteilung. Die „Wohltaten“ wendeten sich anfangs an die ärmeren Schichten, wurden aber sukzessive ausgedehnt, so daß sie heute – nivellierend – die gesamte Bevölkerung erfassen. Sie reichen von expliciten Transfers, den sogenannten öffentlichen Gütern, bis zur Sozialisierung aller Lebensrisiken wie im modernen W. In Kriegszeiten ist diese Zustim-
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mung besonders wichtig. Deshalb kann man das Phänomen des „kriegs-induzierten Sozialismus“ beobachten. Die zweite besonders wichtige Triebfeder des W. ist die Demokratisierung. Je mehr das Wahlrecht auf der Einkommensskala nach unten erweitert wird, desto mehr Umverteilung. Deshalb ist „Wohlfahrtsdemokratie“ treffender als „W.“ Geschichte. Der W. ist (trotz vieler Vorläufer) eine europäische Entwicklung. Deutlich ausgeprägt ist er im Preußischen „Sozialen Königtum“, das paternalistisch das Leben seiner Bürger bis in die Details hinein regulierte (Gerd Habermann). Nach Perioden von liberalen Einflüssen wurde das wohlfahrtsstaatliche Denken preußischer Provenienz durch Bismarck wiederbelebt und in seine moderne Form gebracht. Man spricht deshalb von Bismarckismus. Die meisten unserer heutigen wohlfahrtsdemokratischen Einrichtungen gehen darauf zurück. Von Deutschland aus infizierte der Bismarckismus mehr oder weniger die westliche Welt – von Roosevelts „New Deal“, zum Beaverige Plan, zur nationalsozialistischen Volksgemeinschaft und zum schwedischen egalitaristischen „Volksheim“ sozialdemokratischer Prägung. Das 20. Jahrhundert ist das Zeitalter der Demokratie und des → Sozialismus. Demokratie und Sozialismus sind wie zwei Seiten einer Münze. Legitimation. Ursprünglich war ein wesentlicher Teil der Motivation für Umverteilung humanitäre Rücksicht auf Arme. Heute ist das zur moralisierenden Legende geworden, denn Umverteilung an echte Arme macht nur einen winzigen Teil der Umverteilung aus. Die Umverteilung geschieht nämlich vor allem innerhalb der mittleren Schichten. Der Politiker kauft Stimmen mittels Wahlgeschenke; sie werden finanziert mit Mitteln, die den Bürgern zwangsweise abgenommen werden. Da heute die Empfänger der Wohltaten (Transfers, Subsidien usf.) und die „Dummen“, die sie zwangsweise finanzieren, weitgehend ein und dieselben Personen sind, bietet es sich an, den Gesellschaftstypus, der diesem Staat entspricht, die „Umrühr-Gesellschaft“ zu nennen – Antony de Jasays „Churning Society“. Die Intransparenz des Systems sorgt dafür, daß
Wohlfahrtsstaat
kaum auszumachen ist, wer zu den Trittbrettfahrern und wer zu den „Dummen“ gehört. Der Wettbewerb der Parteien kann die Situation nicht verbessern, weil die Politiker ihre → Kosten externalisieren, auf andere abwälzen. Sie pflegen die Illusion, man könne auf Dauer auf Kosten anderer leben. Das demokratische Umverteilungsspiel. „Sozialistisch“ wird hier definiert anhand des Verhältnisses von Individual- und Kollektiventscheidungen. Als Feststellungsmethode für den Grad von „sozialistisch“ kann der Anteil von Steuern und anderen Zwangsabgaben am → Bruttonationaleinkommen, die Staatsverschuldung, → Staatsausgabenquote und → Abgabenquote verwendet werden. Der Bürger stellt fest, daß ihm bereits als durchschnittlichem → Arbeitnehmer (bei einer heute in Deutschland aktuellen Abgabenquote von gut 50 %) mehr als die Hälfte der von ihm erworbenen → Einkommen vom Staat seiner individuellen Verfügung entzogen wird. Über die Verwendung der anderen Hälfte wird kollektiv entschieden. Die Abgabenquote ist gleichzeitig ein grober, aber brauchbarer Indikator für das Ausmaß von Zwang und Entmündigung des Bürgers – der „Entmündigungskoeffizient“. Die Wohlfahrtsdemokratie hat eine Eigendynamik (GR in Baader 1995 b). Mit Wahlzyklen werden neue „soziale Rechte“ erfunden. Sie werden als Besitzstand erlebt. Daraus ergibt sich eine Art Ratsche-Effekt – zurückdrehen ist unmöglich. Politiker, die dem nach dem süßen Gift des W. süchtig gewordenen Elektorat eine Entwöhnungskur verordnen wollen, werden sofort von den Medien diffamiert. In einer Demokratie mit unqualifiziertem Wahlrecht gibt es keine endogene Barriere für Umverteilung. Und die Dynamik würde sich bis zum Kollaps der Wirtschaft auswirken. „Natürliche“ Begrenzungen. Die interindividuelle Umverteilung führt zu den bekanntesten Perversitäten des W. (→ Mindestlohn erhöht die → Arbeitslosigkeit, Mietkontrolle zerstört schließlich die Wohnsubstanz usf.). Sie führt zur Effizienzverlusten. Die intertemporale Umverteilung führt zur Schulden-Falle. Beide greifen aber erst im Spätstadium. 749
Wohlfahrtsstaat
Bewußte Bremsversuche – historische Wellenbewegungen. England 1979, USA 1980, Schweden 1991 sind Beispiele. Politiker, die zu bremsen versuchen, müssen zu unpopulären Maßnahmen greifen. Schwache und kurzlebige Regierungen sind nicht im Stande, den Staat schlanker zu machen, bestenfalls in kurzen Episoden. Deshalb finden wir die bekannten Wellenbewegungen der jüngsten Geschichte. Die o.g. Beispiele waren kurzlebig. Eine tiefe Krise könnte zu einer Systemänderung führen. Ob sie die Situation noch schlimmer macht oder zu einer drastischen Verbesserung führt, wird von den historischen Gegebenheiten, der Gunst der Stunde usf. abhängen. Selbstverteidigungsmaßnahmen des Bürgers. Die Einstellung des Bürgers zu einem Staat mit konfiskatorischer Besteuerung wird negativ. Es werden ihm auch die → Opportunitätskosten der Wohlfahrtsdemokratie bewußt. Er wandert ab in die inoffizielle Wirtschaft, bringt seine Ersparnisse ins Ausland und als letzte Maßnahme emigriert er. Das betrifft den unternehmerischen und hochqualifizierten Teil der Bevölkerung. Im „Informationszeitalter“ hat sich die Technik als befreiender Faktor erwiesen. Dank der zunehmenden Mobilität von wohlstandschaffenden Ressourcen und technischen Innovationen wird die relative Stärke des freien → Marktes und der vom Markt generierten Institutionen gegenüber dem Staat zunehmen. Gegenmaßnahmen des Staates und der europäische W. Der Nationalstaat erhöht seine Kontrollmechanismen; eine Staaten-Assoziation strebt nach einem BesteuerungsKartell von Staaten, die die betreffende Gruppe zu einer Art protektionistischen Festung machen würden. „Maastricht“ wird sich als eine gewaltige Transfermaschinerie erweisen mit dem Ziel, die „Wohlstandskluft einzuebnen“ („Soziale Charter“). Im europäischen W. werden → Ressourcen entmutigt, zu denjenigen Standorten zu wandern, wo sie am produktivsten wären. Die Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaft als Ganzes wird verringert, was zu protektionistischen Maßnahmen führen wird. Eine solche Konstruktion wird schließlich kolla750
Wohngebäudeversicherung
bieren wie es der Ostblock tat. Aber vorher wird sie enorme Kosten verursachen, von den Opportunitätskosten gar nicht zu sprechen. Siehe auch → Sozialstaat. Literatur: Baader, R.: Kreide für den Wolf. Die tödliche Illusion vom besiegten Sozialismus. Böblingen 1991; ders.: Die EUROKatastrophe. Für Europas Vielfalt – gegen Brüssels Einfalt. Böblingen 1993; ders. (Hrsg.): Die Enkel des Pericles. Liberale Positionen zu Sozialstaat und Gesellschaft. Gräfelfing 1995 a; ders. (Hrsg.): Wider die Wohlfahrtsdidaktur. Gräfelfing 1995 b; ders.: Fauler Zauber. Schein und Wirklichkeit des Sozialstaats. Gräfelfing: Resch Verlag, 1997; Habermann, G.: Der Wohlfahrtsstaat. Geschichte eines Irrwegs. Berlin 1994; Huntford, G.: The New Totalitarians. London 1971; Jasay, A. de.: The State. Oxford 1985; ders.: Against Politics – On Government, Anarchy, and Order. London: Routledge, 1997; Karlson, N.: ed., Can the Problems of Modern Welfare State such as Sweden be Solved? Stockholm 1995; Radnitzky, G. and Bouillon, H.: eds., Government – Servant or Master?, Amsterdam/Atlanta (GA) 1993; diess.: eds., Values and the Social Order. 2 vols., Aldershot (England) 1995; Radnitzky, G., ed., 1997. Values and the Social Order, Vol. 3, Voluntary versus coercive oders. Aldershot (England); Radnitzky, G., „Sorting social systems – Voluntary vs. coercive orders“, Einleitungskapitel von Radnitzky, ed., 1997, op. cit., pp. 1 – 59; Seldon, A.: The State is Rolling Back. London 1994; Zetterberg, H. L.: Before and Beyond the Welfare State. Stockholm, 1995. Prof. Dr. Gerard Radnitzky†, Trier Wohnbeihilfe ⇒ Wohngeld. Wohngebäudeversicherung zusammenfassende Bezeichnung für verschiedene → Sachversicherungen, die → Schäden an Wohngebäuden abdecken, die durch Feuer, Sturm, Hagel, Leitungswasser, Glasbruch, Schwamm u. a. entstehen können. Diese Gefahren können einzeln oder in Form einer sogenannten verbundenen W. versichert werden. Die W. ist
Wohngebäudeversicherung
in manchen Bundesländern gesetzlich vorgeschrieben. Wohngeld ⇒ Wohnbeihilfe Mietzuschuß (für Mieter) oder Lastenzuschuß (für Wohnungs-/Hauseigentümer), wenn für ein angemessenes Wohnen Aufwendungen zu erbringen sind, die nicht zumutbar erscheinen (§§ 7, 26 Sozialgesetzbuch, Buch I Allgemeiner Teil). Das Wohngeldgesetz sieht eine differenzierte Regelung vor. Die Höhe des W. richtet sich nach der Anzahl der zum Haushalt gehörenden Familienmitglieder, nach dem Familieneinkommen, nach Ausstattung und Alter der Wohnung und nach der Größe der Gemeinde. Zuständig für Anträge und Entscheidungen sind in der Regel die örtlichen Verwaltungsbehörden. „Wohn-Riester“ → Riester-Rente. Wohnungsbaupolitik → Wohnungspolitik. Wohnungseigentum Sondereigentum (Sonderart des → Eigentums), das sich nach dem Wohnungseigentumsgesetz (Gesetz über das Wohnungseigentum u. das Dauerwohnrecht v. 15. 3. 1951 [WoEigG] mit späteren Änderungen, zuletzt v. 7. 7. 2009) bestimmt. Das W. besteht nach § 1 WoEigG aus dem Sondereigentum an einer Wohnung einschließlich der dazugehörenden Bestandteile, wie nichttragende Fußböden, Innenwände, Deckenverschalung, eingebaute Schränke u. a., verbunden mit einem Miteigentumsanteil nach Bruchteilen (→ Miteigentum) an dem gemeinschaftlichen Eigentum. (Gebäudeteile, die der gewerblichen Nutzung unterliegen, wie Läden, Büroräume, Werkstätten, werden als Teileigentum bezeichnet.) Das Miteigentum erstreckt sich auf alle Gebäudeteile, die für das Haus selbst oder dessen Sicherheit erforderlich sind (Grundstück, Fundament, tragende Mauern) oder dem gemeinschaftlichen Gebrauch der Wohnungseigentümer dienen (Treppenhaus, Heizungsanlage, Aufzug, Gemeinschaftsantenne u. a.). Sondereigentum und Miteigentumsanteil sind un-
WTO
trennbar miteinander verbunden. Die Übertragung des W. ist deshalb nur zusammen mit dem Miteigentumsanteil möglich. Sie kann von einer – allerdings nur aus wichtigem Grund zu versagenden – Zustimmung Dritter (z. B. andere Wohnungseigentümer) abhängig gemacht werden. Rechte am Miteigentumsanteil erstrecken sich immer auch auf das zu ihm gehörende Sondereigentum. Übertragung und Aufhebung von W. erfolgt durch → Auflassung und → Eintragung ins → Grundbuch. Für jeden Miteigentumsanteil wird ein Grundbuchblatt angelegt. Der schuldrechtliche → Vertrag bedarf der → öffentlichen (notariellen) Beurkundung. Wohnungspolitik Aktionsbereich staatlicher → Sozialpolitik, indem es einerseits darum geht, einen den politischen Vorstellungen nach Umfang, Struktur, Qualität und Preis entsprechenden Wohnungsbau zu sichern (Wohnungsbaupolitik) und andererseits die Nutzung, Verteilung, Erhaltung und Bewirtschaftung des Wohnungsbestandes zu gewährleisten (Wohnungsbestandspolitik). Workshop pädagogische Arbeitsform bei den unterschiedlichsten Bildungsveranstaltungen (besonders in der → Weiterbildung), bei der die Teilnehmer vorgegebene Problemstellungen gemeinsam mit Fachleuten (Moderatoren) diskutieren und zu bearbeiten versuchen. WTO Abk. für: World Trade Organisation (Welthandelsorganisation). Löst 1995 das → GATT ab. In der internationalen → Handels- und Wirtschaftspolitik die dritte Säule neben der → Weltbank und dem → Internationalen Währungsfonds (IWF). Als Kern einer neuen → Weltwirtschaftsordnung ist die W. Verhandlungsforum, Instanz zur Schlichtung von Streitigkeiten unter den 153 (Stand: 2012) Mitgliedsländern und Verbindungsstelle zu IWF und Weltbank. Oberste Instanz der W. ist eine Ministerkonferenz, die mindestens alle zwei Jahre tagen soll; Sitz in Genf. 751
Wucher
Wucher Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen, um sich oder einem Dritten einen vermögensmäßigen Vorteil zu verschaffen, der in einem auffälligen Mißverhältnis zu der Leistung steht. Ein wucherischer → Vertrag ist nichtig (→ Nichtigkeit, § 138 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch). Das
752
www.planet-beruf.de
Strafrecht sieht für W. Geld- und Freiheitsstrafen vor. WWU Abk. für → Europäische Wirtschafts- und Währungsunion. www.planet-beruf.de Medienpaket zur → Berufsorientierung für Schüler der Sekundarstufe I, hrsg. von der → Bundesagentur für Arbeit.
XETRA
Zahlungsbilanz
X XETRA Abk. für Exchange Electronic Trading. Von der Deutsche Börse AG 1997 eingeführtes elektronisches Wertpapierhandelssystem. Mit ihm erhalten alle Marktteilnehmer in der → EU und der Schweiz einen dezentralen Marktzugang in einem offenen Orderbuch (von 9.00 bis 17.30 Uhr MEZ).
Z Zahlschein Formblatt zur Bareinzahlung eines Geldbetrages auf ein eigenes oder fremdes → Konto bei einer → Bank/→ Postbank oder → Sparkasse. Zahlung, bargeldlose → bargeldloser Zahlungsverkehr.
→ Teilzahlung, Vorauszahlung, Nachnahme), → Zahlungsziel, → Rabatte, → Skonti, → Boni. Die Z. sind häufig mit → Lieferungsbedingungen zu Lieferungs- und Zahlungsbedingungen verbunden oder durch → Allgemeine Geschäftsbedingungen geregelt. Zahlungsbilanz
Zahlung, halbbare → halbbarer Zahlungsverkehr. Zahlungsbedingungen Bedingungen, die der Hersteller/Verkäufer einer Ware respektive Dienstleistung für die Bezahlung derselben stellt; sie sind Bestandteil des jeweiligen → Vertrages und erstrecken sich auf Zahlungstermin, Zahlungsmodalitäten (wie: → Barzahlung,
stellt ein zusammengefaßtes Bild der wirtschaftlichen Transaktionen zwischen Inländern und Ausländern dar. Wirtschaftliche Transaktionen sind Übertragungen von Gütern, Vermögen und Kapital. Inländer sind alle → Wirtschaftssubjekte (Personen, Unternehmen, öffentliche Einrichtungen), die ihren Wohnsitz bzw. Sitz im Inland haben, unabhängig von Staatsangehö-
Außenhandel (Waren) Leistungsbilanz Zahlungsbilanz
Dienstleistungen Erwerbs- und Vermögenseinkommen Laufende Übertragungen
Vermögensübertragungen Kapitalbilanz Saldo der statistisch nicht aufgliederbaren Transaktionen Struktur der Zahlungsbilanz 753
Zahlungsbilanz
Zahlungsbilanz
Unterbilanzen und Gegenstände der Zahlungsbilanz Unterbilanz Außenhandel (Handelsbilanz)
Dienstleistungen (Dienstleistungsbilanz)
Erwerbs- und Vermögenseinkommen (Einkommensbilanz) Laufende Übertragungen (Übertragungsbilanz)
Vermögensübertragungen (Vermögensbilanz)
Kapitalbilanz
Statistisch nicht aufgliederbare Transaktionen
Gegenstände Warenexporte – Warenimporte Verkäufe (Exporte) von Dienstleistungen – Käufe (Importe) von Dienstleistungen U. a. Lohnveredelung, Transithandel, Auslandsreiseverkehr (Ausgaben deutscher Touristen für Auslandsreisen werden als Importe von Dienstleistungen gezählt) Fremde Leistungen – Eigene Leistungen Erwerbseinkommen und Kapitalerträge Fremde Leistungen – Eigene Leistungen U. a. Nettozahlungen an internationale Organisationen, Heimatüberweisungen der Gastarbeiter Fremde Leistungen – Eigene Leistungen Einmalige Übertragungen (u. a. Schuldenerlasse, Erbschaften, Schenkungen)
Kapitalimport – Kapitalexport
Direktinvestitionen Wertpapiere Finanzderivate übriger Kapitalverkehr Veränderung der Währungsreserven des Eurosystems
Ungeklärte Beträge, Restposten, Saldenausgleich
Gegenstände der Teilbilanzen der Zahlungsbilanz
754
● ● ● ● ●
Zahlungsbilanz
Zahlungsbilanz
Wichtige Posten der deutschen Zahlungsbilanz (in Mrd Euro) Position I.
2007
Leistungsbilanz 1. Warenhandel 1) Ausfuhr (fob) 1) Einfuhr (fob) 1) 2. Dienstleistungen (fob) darunter Reiseverkehr 3. Erwerbs- und Vermögenseinkommen (Saldo) darunter Vermögenseinkommen 4. Laufende Übertragungen darunter Nettoleistungen zum EU-Haushalt 2) Sonstige laufende öffentliche Leistungen an das Ausland (netto)
II. Vermögensübertragungen (Saldo)
3)
III. Kapitalbilanz (Netto-Kapitalexport: -) 1. Direktinvestitionen Deutsche Anlagen im Ausland Ausländische Anlagen im Inland 2. Wertpapiere Deutsche Anlagen im Ausland darunter: Aktien Anleihen 4) Ausländische Anlagen im Inland darunter: Aktien Anleihen 4) 3. Finanzderivate 4. Übriger Kapitalverkehr 5) Monetäre Finanzinstitute 6) darunter kurzfristig Unternehmen und Privatpersonen darunter kurzfristig Staat darunter kurzfristig Bundesbank 5. Veränderung der Währungsreserven zu Transaktionswerten (Zunahme: -) 7) IV. Saldo der statistisch nicht aufgliederbaren Transaktionen (Restposten)
2008
2009
2010
+ 181,2 + 199,5 987,4 787,9 − 28,8
154,8 179,5 1.018,9 839,3 − 26,9
+ 133,7 + 135,7 832,5 696,8 − 19,0
+ 141,4 + 157,0 983,4 826,4 − 22,0
− +
34,3 43,3
− +
34,7 35,6
− +
33,3 50,1
− +
32,4 44,5
+ −
43,1 32,8
+ −
35,1 33,4
+ −
50,2 33,0
+ −
44,8 38,1
−
16,9
−
15,9
−
15,6
−
18,6
−
0,4
−
1,1
−
3,2
−
4,3
+
0,1
−
0,2
+
0,1
−
0,6
− − − + + − + − + + + − − − − − + + + −
210,2 66,1 124,7 58,6 153,8 148,0 21,9 101,2 301,8 52,8 198,4 86,1 210,8 153,1 40,6 8,4 17,4 5,0 7,8 54,4
− − − + + + + − + − + − − − + + + + + −
160,2 49,8 52,7 2,9 51,4 25,1 39,1 24,2 26,3 34,7 29,8 30,2 129,6 129,2 0,3 20,7 17,3 9,1 10,5 30,2
− 145,4 − 29,2 − 56,3 + 27,1 − 82,7 − 69,1 − 2,8 − 81,2 − 13,6 + 2,3 − 71,7 + 12,4 − 49,1 + 61,7 + 59,8 − 24,5 − 4,0 − 3,2 − 0,6 − 83,0
− − − + − − + − + − + − + + + − − + + −
131,4 44,3 79,2 34,8 124,9 171,3 0,2 156,1 46,4 4,1 48,3 17,6 57,1 214,7 142,9 47,8 2,8 32,3 85,3 142,1
−
1,0
−
2,0
+
3,2
−
1,6
+
28,9
+
5,6
+
11,6
−
9,4
+ +
1 Spezialhandel nach der amtlichen Außenhandelsstatistik einschl. Ergänzungen; Einfuhr ohne Fracht- und Seetransportversicherungskosten, die in den Dienstleistungen enthalten sind. — 2 Ohne Erhebungskosten, EAGFL (Ausrichtungsfonds), Regionalfonds und sonstige Vermögensübertragungen, soweit erkennbar. — 3 Einschl. Kauf/Verkauf von immateriellen nichtproduzierten Vermögensgütem. — 4 Ursprungslaufzeit über ein Jahr. — 5 Enthält Finanz- und Handelskredite, Bankguthaben und sonstige Anlagen. — 6 Ohne Bundesbank. — 7 Ohne SZR-Zuteilung und bewertungsbedingte Veränderungen. Differenzen in den Summen durch Runden der Zahlen. Quelle: Deutsche Bundesbank (Stand: März 2011)
755
Zahlungsbilanz
rigkeit oder Besitzverhältnissen. Ausländer sind alle Wirtschaftssubjekte mit Wohnsitz bzw. Sitz im Ausland. So zählen beispielsweise Gastarbeiter und in ausländischem Besitz sich befindende Inlandsbetriebe als Inländer, Touristen aus einem anderen Land als Ausländer. Struktur: Die Z. gliedert sich in Leistungsbilanz, Bilanz der Vermögensübertragungen und Kapitalbilanz. Die Leistungsbilanz umfaßt alle Waren- und Dienstleistungsumsätze, Erwerbs- und Vermögenseinkommen und die laufenden Übertragungen. Die Salden aus Warenhandels- und Dienstleistungsbilanz werden zum Außenbeitrag zusammengefaßt. Bei den Vermögensübertragungen handelt es sich um einmalige Leistungen, die nur das Vermögen der beteiligten Länder verändern (z. B. Schuldenerlasse, Erbschaften, Schenkungen usw.). In der Kapitalbilanz wird eine funktionale Unterteilung der Kapitalbewegungen in die Hauptkategorien Direktinvestitionen, Wertpapieranlagen, Finanzderivate, übriger Kapitalverkehr sowie Veränderung der Währungsreserven des Eurosystems. Buchungen: Die Z. ist ein Kontensystem, auf dem nach dem Prinzip der doppelten Buchführung jede Transaktion einmal im Soll und einmal im Haben festgehalten wird. Diese zweimalige Erfassung führt dazu, daß die Z. formell immer ausgeglichen ist. Jede Teilbilanz kann als ein Konto angesehen werden, welches durch den Saldo ausgeglichen wird. Überwiegen in der Gesamtbilanz die empfangenen Zahlungen die geleisteten Zahlungen, so wird von einer aktiven Zahlungsbilanz oder – weil der Saldo positiv ist – von einer positiven Zahlungsbilanz gesprochen; im anderen Falle von einer passiven oder negativen Zahlungsbilanz. Analoges gilt für die Teil- und Unterbilanzen. Trotz größter Genauigkeit können nicht alle grenzüberschreitenden Aktivitäten zuverlässig erfaßt oder eindeutig zugeordnet werden. Da sie zum Ausgleich der Zahlungsbilanz fehlen, sind sie in ihrer Höhe bekannt; allerdings weiß man nicht, um welche Art von Transaktionen es sich dabei handelte. Sie können daher nicht einzelnen Teil- oder 756
Zahlungsunfähigkeit
Unterbilanzen zugeordnet werden, sondern werden als statistisch nicht aufgliederbare Transaktionen (Restposten, ungeklärte Beträge) in einer Summe festgehalten. Somit wird der Ausgleich der Zahlungsbilanz letztlich erst über diesen Posten hergestellt. Prof. Dr. Hans-Jürgen Albers, Schwäbisch Gmünd Zahlungsbilanzausgleich → Zahlungsbilanz → Währungspolitik. zahlungshalber ⇒ erfüllungshalber besagt, daß die alte → Verbindlichkeit neben der neuen bestehen bleibt und erst erlischt, wenn der → Gläubiger restlos befriedigt ist (z. B. der → Schuldner gibt zur Abdeckung einer Verbindlichkeit einen → Scheck oder einen → Wechsel). Zahlungskosten die mit der Zahlung eines Schuldbetrages verbundenen → Kosten (z. B. Überweisungsgebühren, Courtage, Abwicklungsprovision etc.); sie gehen nach § 270 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch zu Lasten des → Schuldners. Zahlungsmittel → Geld sowie alle geldähnlichen Forderungsrechte (→ Forderungen) dessen/deren sich der → Zahlungsverkehr bedient; das sind im wesentlichen: (1) → Bargeld (Papier- u. Münzgeld), (2) → Buchgeld/→ Giralgeld, (3) Geldersatzmittel, wie → Scheck, → Wechsel, → Überweisung. Gesetzliche Z. in Deutschland bzw. der → EWWU sind Scheidemünzen (Münzgeld) und Banknoten (Zentralbankgeld). Zahlungsverkehr Gesamtheit aller Zahlungsvorgänge innerhalb einer → Volkswirtschaft (nationaler Z.) beziehungsweise zwischen verschiedenen Volkswirtschaften (internationaler Z.). Die Träger des Z. sind in- und ausländische → Kreditinstitute sowie die → Deutsche Bundesbank. Zahlungsunfähigkeit → Insolvenz.
Zahlungsvertrag
Zahlungsvertrag durch das nach §§ 676 d u. 676 e BGB geregelte Rechtsinstitut verpflichtet sich ein zwischengeschaltetes → Kreditinstitut gegenüber einem anderen Kreditinstitut im Rahmen des Überweisungsverkehrs einen Überweisungsbetrag an ein weiteres Kreditinstitut oder an das Kreditinstitut des Begünstigten weiterzuleiten. Zahlungsverzug → Verzug mit der Erbringung einer Geldleistung. Der Z. wird in § 286 insbes. Abs. 3 BGB n. F. neu geregelt. Voraussetzung: Der Schuldner einer Geldforderung kommt danach spätestens in Verzug, wenn er nicht innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufstellung leistet; dies gilt gegenüber einem Schuldner, der → Verbraucher ist, nur, wenn auf diese Folgen in der Rechnung oder Zahlungsaufstellung besonders hingewiesen worden ist. Wenn der Zeitpunkt des Zugangs der Rechnung oder Zahlungsaufstellung unsicher ist, kommt der Schuldner, der nicht Verbraucher ist, spätestens 30 Tage nach Fälligkeit und Empfang der Gegenleistung in Verzug. – Der Schuldner kommt nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstandes unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat. – Kommt der Käufer in Z., dann kann der Verkäufer wahlweise folgendes verlangen beziehungsweise tun (Zahlungsverzugsrechte): (1) Zahlung der Kaufpreissumme, (2) Zahlung der Kaufpreissumme und → Schadensersatz (→ Verzugszinsen, § 288 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB] n. F.), (3) → Rücktritt vom → Vertrag (Rücknahme der Ware), (4) Schadensersatz statt der Leistung (Rücknahme der Ware bei Inrechnungstellung der Rücknahmekosten, der Verzugszinsen und eines eventuellen Mindererlöses bei Weiterverkauf). – Rücktritt vom Vertrag und Schadensersatz wegen Nichterfüllung kann der Verkäufer erst dann geltend machen, wenn er dem Käufer eine angemessene Nachfrist gesetzt und ihm kundgetan hat, daß er nach Ablauf der Frist entweder vom Vertrag zurücktritt oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangt. – Ermittlung des Schadens: Nimmt der Verkäufer wegen des ausstehenden Zah-
Zentralplan
lungseinganges einen → Kredit auf, so errechnet sich der Schaden aus → Kreditkosten und Kreditzinsen (→ Zinsen). Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem → Basiszinssatz. Bei → Rechtsgeschäften, an denen ein → Verbraucher nicht beteiligt ist, beträgt der Zinssatz für Entgeltforderungen acht Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Zahlungsverzugsrechte → Zahlungsverzug. Zehnerklub Gremium der zehn Hauptindustrieländer des Westens (USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada, Niederlande, Belgien, Schweden). Mit dem Beitritt zahlreicher weiterer Länder ist dieses erweitert worden, zunächst zum Zwanzigerklub, später zur Gruppe 24. Der Z. und seine Nachfolgegruppierungen bieten über einen Sonderkreditfonds Unterstützung bei Zahlungsbilanzschwierigkeiten und sind darüber hinaus bestrebt, die internationale Währungsunion stabiler zu halten. Zeitarbeit ⇒ Arbeitnehmerüberlassung. Zeitlohn → Entlohnungsformen. Zeitlohnsatz → Entlohnungsformen. Zeitmietvertrag → Kündigungsschutz, II. Mietverhältnis. Zentralbank zentrale staatliche Bank; in der Bundesrepublik Deutschland die in das → ESZB eingebundene → Bundesbank. Zentralbankgeld von der → Zentralbank den → Kreditinstituten über sogenannte befristete Transaktionen (14-tägige Hauptfinanzierungsgeschäfte, 3-monatige Basistender, → Spitzenrefinanzierungsfazilität) zur Überwindung von Liquiditätsengpässen zur Verfügung gestelltes → Geld. Zentralplan zentraler Wirtschaftsplan einer → Zentralverwaltungswirtschaft. Er fixiert die Ent757
Zentralplan
scheidungen der Planbehörde über Art, Umfang und Qualität der → Produktion sowie über deren Verteilung an andere → Betriebe und die → privaten Haushalte. Zentralverwaltungswirtschaft ⇒ Planwirtschaft ⇒ Befehlswirtschaft Wir tschaftssystem/Wir tschaftsordnung (→ Wirtschaftssysteme/→ Wirtschaftsordnungen) mit zentraler Planungsbehörde, die in Jahresplänen – die ihrerseits in mehrjährige Perspektivpläne integriert sind (→ Zentralplan) – Art und Umfang der → Produktion sowie deren Verteilung festlegt. Die Pläne haben Direktivcharakter (Befehlscharakter). Die ausführenden → Betriebe sind somit Befehlsempfänger; ihre individuellen Entscheidungsspielräume sind damit großteils aufgehoben und durch die zentrale Planhoheit des Staates ersetzt. Zertifikate i. d. R. von einer Fondsgesellschaft (→ Fonds) emittierte → Wertpapiere (meist → Schuldverschreibungen), deren → Kurs sich an der Entwicklung eines Basiswertes (Underleying; z. B. → Aktien, Aktienkorb, → Aktienindex, → Währungen) ausrichtet. Zession ⇒ Forderungsabtretung ⇒ Abtretung von Forderungen. Zeugnis in arbeitsrechtlicher Sicht. Jeder → Arbeitnehmer (auch → Beamte) hat das Recht, bei Beendigung seines → Arbeitsverhältnisses von seinem (bisherigen) → Arbeitgeber ein Arbeits- oder Dienstzeugnis zu verlangen. Die Rechtsgrundlage für diesen → Anspruch findet sich in § 109 Gewerbeordnung, § 630 Bürgerliches Gesetzbuch, für → Auszubildende § 16 Berufsbildungsgesetz. Der Anspruch besteht unabhängig von der Dauer des Arbeitsverhältnisses. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Erteilung eines Z. kann durch Parteivereinbarung nicht ausgeschlossen werden. Das Z. ist grundsätzlich vom Arbeitgeber persönlich oder von einem dazu bestellten Vertreter der Personalabteilung auszustellen; es ist schriftlich zu erteilen und zu unterschreiben. 758
Zeugnis
Für die Abfassung eines Z. lassen sich im wesentlichen vier Grundsätze ausmachen: (1) es soll der Wahrheit entsprechen (Grundsatz der Wahrheit), (2) es soll von verständnisvollem Wohlwollen getragen sein (Grundsatz des Wohlwollens), (3) es soll alle wesentlichen Tatsachen und Bewertungen enthalten, die für die Gesamtbeurteilung des Arbeitnehmers von Bedeutung sind (Grundsatz der Vollständigkeit), (4) schließlich soll es der Persönlichkeit des Arbeitnehmers Rechnung tragen (Grundsatz der individuellen Beurteilung). Der Grundsatz der Zeugniswahrheit genießt Vorrang („Wahrheit vor Wohlwollen!“). Das Arbeitsleben kennt im wesentlichen zwei Arten von Z.: das einfache Z. und das qualifizierte Z. 1. das einfache Z. muß Angaben über die Person des Beschäftigten sowie über die Art und Dauer der Tätigkeit enthalten (Beschäftigungsnachweis). Die Art der Tätigkeit muß dabei so vollständig und genau beschrieben sein, daß sich künftige Arbeitgeber ein ausreichendes Bild über die bislang ausgeübte Tätigkeit des Bewerbers machen und beurteilen können, ob er sich für die von ihnen angebotene Stelle eignet (Urteil des Bundesarbeitsgerichtes v. 12. 8. 1976). 2. das qualifizierte Z. hat auf Wunsch des Beschäftigten auch über seine Führung und über seine Leistung zu berichten. – Während sich der Bericht über die Führung vor allem mit dem Sozialverhalten (Verhalten gegenüber Vorgesetzten, Mitarbeitern u. Untergebenen) befaßt, betrifft der Bericht über die Leistung hauptsächlich die Fachkenntnis, Arbeitsbereitschaft, Arbeitsinitiative, Arbeitsqualität und Fleiß. – Das qualifizierte Z. vereinigt eine doppelte Absicht: Es soll einerseits dem Arbeitnehmer als aussagekräftige Unterlage für eine neue → Bewerbung dienen und andererseits einem möglichen Arbeitgeber für eine eventuelle Einstellung bedeutsame Informationen bieten. Diese doppelte Absicht macht deutlich, daß sowohl eine Unterbewertung als auch eine Überbewertung des Arbeitnehmers mit den Interessen der beiden Parteien nicht zu vereinbaren ist. – Als wichtige Charakterisierung, insbesondere in → Berufen, in denen
Zeugnis
dem Beschäftigten Vermögenswerte anvertraut werden, gilt die Ehrlichkeit. Fehlt im Z. eines mit einer entsprechenden Beschäftigung befaßten Arbeitnehmers dieses Attribut, so muß fast zwangsläufig auf das Gegenteil (Unehrlichkeit) geschlossen werden. – Die Charakterisierungen „gewissenhaft“ und „verantwortungsbewußt“ sind ebenfalls sehr bedeutsame und für bestimmte Positionen (fast) unverzichtbare (Z.-)Attribute. – Beendigungsgründe für das Arbeitsverhältnis dürfen nur auf ausdrücklichen Wunsch des zu Beurteilenden ins Z. aufgenommen werden. – Ein nicht verlangtes qualifiziertes Z. kann der Arbeitnehmer zurückweisen und ein einfaches Z. verlangen. Weist ein Z. falsche Aussagen und/oder Beurteilungen auf, so kann der Arbeitnehmer ein neues Z. verlangen. Hat ein Arbeitgeber aus eigenem → Verschulden ein Z. nicht, unrichtig oder verspätet erteilt, so ist er dem Arbeitnehmer zum Ersatz des → Schadens verpflichtet, der ihm daraus entsteht (Urteil des Bundesarbeitsgerichtes v. 25. 10. 1967). Zeugnisformulierungen, die eine andere als aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer treffen, sind verboten. Die vorausgegangenen Darlegungen gelten analog für die Z.-pflicht des → Ausbildenden gegenüber dem Auszubildenden. Zeugnispflicht des Arbeitgebers → Zeugnis. Zeugnispflicht des Ausbildenden → Zeugnis. Ziele der Wirtschaftspolitik ⇒ wirtschaftspolitische Ziele → Wirtschaftspolitik I. Zins → Preis für die Überlassung von → Kapital beziehungsweise → Geld. Der Z. wird üblicherweise in Prozenten der Kapital-/Geldsumme angegeben und auf ein Jahr bezogen (Zinssatz). Siehe auch: → Effektivzins, → Nominalzins. Zinsen Pluralform von → Zins.
Zugabe
Zinseszins(en) → Zins auf aufgelaufene Zinsbeträge, die der zu verzinsenden Kapital-/Geldsumme zugeschlagen werden. Nach § 248 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist die Berechnung von Z. grundsätzlich verboten; für → Kreditinstitute gelten jedoch Sonderregelungen (§§ 248 Abs. 1, 2, BGB, 353, 355 Handelsgesetzbuch). Zinsfuß ⇒ Zinssatz → Zins. Zinssatz ⇒ Zinsfuß → Zins. Zinsschein → festverzinslichen Wertpapieren angeschlossene Berechtigungsscheine zur Geltendmachung des → Anspruches auf die jeweils fälligen → Zinsen. Zinstage die bei der Berechnung von → Zins in Anrechnung gebrachten Tage. Dabei wird in Deutschland der Monat allgemein mit 30 Tagen und das Jahr mit 360 Tagen angesetzt. Zölle → Abgaben, mit denen der Staat den grenzüberschreitenden Warenverkehr belegt; sie bilden eine Einrichtung zur Entkoppelung von Inland- und Weltmarktpreisen. Siehe auch: → Binnenzölle, → Außenzölle, → Handelspolitik. Zollunion Zusammenschluß von zwei oder mehreren Staaten zur Liberalisierung des Handels untereinander (durch Aufhebung der → Binnenzölle) und zur Festsetzung eines gemeinsamen → Außenzolls gegenüber Drittländern. Siehe auch: → EWWU. Zufall im Rechtssinne ein vom → Schuldner in der Regel nicht zu vertretendes unverschuldetes (→ Verschulden) Ereignis. Siehe: → höhere Gewalt, → Gefahrenübergang. Zugabe kostenfreie Mitlieferung/Gewährung von Waren oder → Dienstleistungen (z. B. Ser759
Zugabe
viceleistungen) wie auch die Einräumung von Preisnachlässen (→ Rabatt). Zugewinnausgleich → eheliches Güterrecht. Zugewinngemeinschaft → eheliches Güterrecht. Zukunftswerkstatt 1. Ursprung. Die Methode der Z. geht auf den österreichischen Publizisten und Zukunftsforscher Robert Jungk (*1913, †1994) zurück, der sie seit den 1960er Jahren aus der politischen Praxis heraus entwickelte. Mit ihrer Hilfe sollten die von politischen Entscheidungen betroffenen Bürger am demokratischen Prozess der Willensbildung beteiligt werden. 1981 wurde die Z. erstmals in Buchform vorgestellt. Seither weitete sich ihr Anwendungsgebiet immer stärker in Richtung Bildung und Organisationsentwicklung aus. Inzwischen hat sie Eingang in Richtlinien, Lehrpläne und Schulbücher für die → ökonomische sowie die politische Bildung gefunden. Sie wird ausserdem als Methode der Schulentwicklung eingesetzt.
Zukunftswerkstatt
2. Bildungsziele. Folgende Ziele sollen mit Z. im Ökonomieunterricht verfolgt werden: 1) Denken in Alternativen: Z. ermöglichen es, Zukunft im Plural zu denken („Zukünfte“). 2) Selbstwirksamkeitsüberzeugung: Die Heranwachsenden sollen sich als Gestalter ihrer eigenen Lebenssituation begreifen. Ein etwaiges Ohnmachtsgefühl soll der Einsicht weichen, dass die eigene Zukunft (mit)gestaltbar ist. 3) Partizipationsfähigkeit: Die Schüler sollen befähigt werden, sich an politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Sie sollen lernen, eigene Positionen zu vertreten, andere Positionen zu berücksichtigen und gemeinsame Positionen zu entwickeln. 3. Methodik. Es gibt diverse Dokumentationen und Anleitungen mit vielfältigen methodischen Anregungen für die Durchführung von Z. Bei allen Unterschieden im Detail folgt die Werkstattarbeit doch einigen verbindlichen Prinzipien: 1) Konstitutiv ist der Dreischritt von Kritik, Utopie und Handlung, der nicht verkürzt werden darf. 2) Die Teilnehmerorientierung verlangt, dass ausschließlich mit dem Wissen
Abb.: Die Grundstruktur der Zukunftswerkstatt (Quelle: Jungk/Müllert 2000, S. 221) 760
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der Teilnehmer gearbeitet wird. Z. aktivieren und stimulieren daher deren Problemlösungsfähigkeit und Kreativität. 3) Es werden verschiedene Arbeitsweisen genutzt, um den Teilnehmern rational-analytische und intuitiv-emotionale Problemzugänge zu ermöglichen. Das Zusammenspiel dieser grundverschiedenen geistigen Fähigkeiten des Menschen wird durch die Doppelhelix (siehe Abbildung) metaphorisch angedeutet. 4) Durch die Verschriftlichung bzw. Visualisierung aller (!) Teilnehmeräußerungen soll keine Idee verloren gehen und die gleichberechtigte Teilhabe der Teilnehmer gefördert werden. 4. Verlauf. Dem Dreischritt von Kritik, Utopie und Handlung entsprechen die drei Werkstattphasen, die den Kernbereich einer Z. bilden. Im Einzelnen sind dies: 1) Kritik- oder Beschwerdephase: Die Teilnehmer äußern ungefiltert und ehrlich ihre persönliche Kritik zu dem für die Z. ausgewählten Sachverhalt, um drängende Probleme zu identifizieren. Die Berechtigung der geäusserten Kritik darf nicht diskutiert oder gar abgesprochen werden (striktes Diskussionsverbot!). 2) Phantasie- oder Utopiephase: In dieser Phase soll ein Stimmungswechsel herbeigeführt werden. Die Teilnehmer verlassen den „Boden der Realität“ und entwickeln – frei von Restriktionen – Vorstellungen einer idealen Zukunft. Dabei schon an deren Realisierbarkeit zu denken, würde die Produktion von Wünschen hemmen und wäre ein Vorgriff auf Phase 3. 3) Handlungs- oder Realisierungsphase: Es werden konkrete Handlungspläne zur Verbesserung der problematischen Ausgangssituation und zur Annäherung an das Idealbild entworfen! Nunmehr ist „Bodenhaftung“ gefordert! Um aus dem Wünschenswerten das Machbare herauszukristallisieren, werden die in der Realität gegebenen zeitlichen, personellen, sachlichen und finanziellen Restriktionen beachtet. Einige Autoren empfehlen, die drei genannten Phasen gleich zu gewichten, andere favorisieren ein Verhältnis von 1 : 2 : 4, um der Entwicklung von Handlungsoptionen und -plänen Priorität einzuräumen. Letztlich muss dies jeweils ziel-, situations- und adressatenab-
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hängig entschieden werden. Dieser Kernbereich der Z. ist eingebettet in eine Vorbereitungsphase und eine Nachbereitungsphase, die vielfach so genannte Permanente Werkstatt. 5. Potenziale. Aufgrund der Universalität ihrer Methodik eignet sich die Z. für zahlreiche Themenfelder des Ökonomieunterrichts. Erforderlich ist lediglich, dass die mit ihr bearbeiteten inhaltlichen Problemstellungen zukunftsrelevant sind und eine Gemeinschaft oder die Gesellschaft insgesamt betreffen – und nicht lediglich ein Individuum. Die in Z. angewandten Mikromethoden und Kreativitätstechniken setzen keine besondere Methodenkompetenz der Teilnehmer voraus. Die Schlichtheit der eingesetzten Methoden und Instrumente erlaubt den flexiblen Einsatz bei vielen verschiedenen, auch bildungsfernen Zielgruppen. Eine wichtige subjektive Voraussetzung für die Teilnahme an einer Z. ist das Gefühl, von dem zu lösenden Problem betroffen zu sein. Idealerweise bestimmen es die Teilnehmer in der Vorbereitungsphase selbst. Weitere Voraussetzungen sind der Wunsch nach einer gemeinsamen Problembearbeitung und die Bereitschaft, an einer Problemlösung mitzuwirken. Z. sollen keine unverbindlichen Diskussionsrunden, sondern folgenreiche Zusammenkünfte sein. Eine erfolgreiche Z. erkennt man demnach daran, dass sie praktische Folgen zeitigt. Dass zwischen Defizitanalyse und Lösungssuche Utopien entwickelt werden, ist mit der Erwartung verknüpft, dass die Teilnehmer dadurch ermutigt werden, mehr Handlungsoptionen als möglich zu erachten. Die Schüler können sich dadurch im Erfolgsfall als Gestalter der eigenen Lebenssituation erfahren und Selbstbewusstsein gewinnen. 6. Grenzen. Z. stellen hohe, im Unterricht nicht gerade alltägliche Anforderungen an die Moderationskompetenz der Leiter, die nicht allein durch das Studium einer Fibel erlangt werden kann. Ideal, aber aufwendig ist die Weiterbildung zum Z.-Moderator. In jedem Fall sollten Lehrer an einer professionell moderierten Z. teilgenommen haben, bevor sie selbst eine Z. mit Schülern durchführen. Zwar hilft das in der Literatur 761
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vorfindliche phasenspezifische Regelwerk, eine produktive Werkstattarbeit zu gewährleisten. Da sich das Handlungswissen eines erfahrenen Moderators aber nur bedingt in Regeln explizieren lässt, dürfen diese nicht – in unterrichtstechnologischer Manier quasi rezeptologisch – als Erfolgsgaranten missverstanden werden. Die meist vorgesehene Aufteilung in Gruppen erfordert den Einsatz mehrerer Moderatoren und dementsprechende räumliche Bedingungen. Die Prinzipien der Werkstattarbeit, die phasenspezifischen Regeln und die Kreativitätstechniken treffen gelegentlich auf Akzeptanzschwierigkeiten bei den Teilnehmern, was in Störungen der Werkstattarbeit münden kann. Gleichwohl ist die Z. aufgrund ihres Bildungspotenzials neben der → Szenariotechnik eine wichtige zukunftsorientierte Methode für die ökonomische Bildung, die jedoch andere Schwerpunkte setzt und andere Zukünfte entwickelt (utopische Visionen statt mögliche Szenarien). Literatur: Burow, Olaf-Axel/NeumannSchönwetter, Marina (1997) [Hrsg.]: Zukunftswerkstatt in Schule und Unterricht. 2. Aufl., Hamburg. Dauscher, Ulrich (2005): Moderationsmethode und Zukunftswerkstatt. 3. Aufl., Neuwied. Jungk, Robert/Müllert, Norbert (2000): Zukunftswerkstätten. Mit Phantasie gegen Routine und Resignation. 6. Aufl., München. Kaiser, Franz-Josef/Kaminski, Hans (1999): Methodik des Ökonomie-Unterrichts. Grundlagen eines handlungsorientierten Lernkonzepts mit Beispielen. 3. Aufl., Bad Heilbrunn/Obb., S. 331–338. Kuhnt, Beate/Müllert, Norbert (2004): Moderationsfibel Zukunftswerkstätten: verstehen – anleiten – einsetzen. Das Praxisbuch zur Sozialen Problemlösungsmethode Zukunftswerkstatt. 3. Aufl., Münster. Stange, Waldemar (1996): Planen mit Phantasie. Zukunftswerkstatt und Planungszirkel für Kinder und Jugendliche. Hrsg. v. Deutschen Kinderhilfswerk e. V. und Aktion Schleswig-Holstein – Land für Kinder – bei der Landesregierung Schleswig Holstein, Berlin/Kiel. Weinbrenner, Peter (1988): Zukunftswerkstätten – eine Methode zur Verknüpfung von ökonomischem, ökologischem und politischem Lernen. In: 762
Zusatzversicherung
Gegenwartskunde, Nr. 4/1988, S. 527–570. Weinbrenner, Peter/Häcker, Walter (1991): Zur Theorie und Praxis von Zukunftswerkstätten. In: Bundeszentrale für politische Bildung [Hrsg.]: Methoden in der politischen Bildung – Handlungsorientierung. Bonn, S. 115–149. Prof. Dr. Thomas Retzmann, Duisburg-Essen Zurückbehaltungsrecht 1. allgemein: Recht des → Schuldners, eine fällige Leistung zu verweigern, bis der → Gläubiger eine ihm (dem Schuldner gegenüber) aus demselben Rechtsverhältnis obliegende und ebenfalls fällige Verpflichtung erfüllt hat (§ 273 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). 2. im → Arbeitsrecht: Steht dem → Arbeitnehmer aus seinem → Arbeitsverhältnis gegenüber dem → Arbeitgeber ein fälliger → Anspruch zu, den dieser noch nicht erfüllt hat, so erwächst ihm daraus ein Z. an seiner → Arbeit (§ 273 BGB) und er wird damit von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei, ohne seinen Lohnanspruch zu verlieren. Es gilt allerdings zu beachten, daß der Arbeitnehmer von seinem Z. nur dann Gebrauch machen kann, wenn ein entsprechender Anspruch vorliegt (§ 242 BGB). Ein geringfügiger Zahlungsanspruch rechtfertigt keine Arbeitseinstellung. Zusatzurlaub der dem → Arbeitnehmer neben dem → Mindesturlaub nach Bundesurlaubsgesetz bei schwerer und gesundheitsschädlicher Arbeit, bei → Schichtarbeit und bei Schwerbehinderung nach Gesetz oder → Tarifvertrag zustehende zusätzliche → Urlaub. Zusatzversicherung zusätzlich zu einem bestehenden Versicherungsvertrag abgeschlossene → Versicherung, die den durch diesen gewährten Versicherungsschutz ergänzt und erweitert. Z. sind in fast allen Zweigen der → Individualversicherung möglich (siehe bspw. → private Krankenversicherung); darüber hinaus werden sie häufig neben der → Sozialversicherung abgeschlossen.
Zuschlag
Zuschlag 1. bei Auktionen und sonstigen → Versteigerungen: die → Annahme des durch den Bietenden abgegebenen → Angebotes (§ 156 Bürgerliches Gesetzbuch). Die Annahme wird in der Regel durch einen akustisch deutlich vernehmbaren Hammerschlag des Auktionators/Versteigerers signalisiert. 2. im → Arbeitsrecht: zusätzlich zum normalen → Entgelt gewährter Lohnteil (z. B. für → Überstunden, → Sonn-, → Feiertags- u. → Nachtarbeit). Zuschlagskalkulation → Kalkulation. Zustimmung im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches die Einverständniserklärung eines Dritten mit einem zwischen anderen Personen vorzunehmenden/vorgenommenen → Rechtsgeschäft (§§ 182 ff. Bürgerliches Gesetzbuch). Z. vor Vornahme des Rechtsgeschäftes: → Einwilligung; Z. nach Vornahme des Rechtsgeschäftes: → Genehmigung. Beispiel: → Verträge Minderjähriger bedürfen der Z. des gesetzlichen Vertreters (→ Geschäftsfähigkeit 2.). Siehe auch: → Arztvertrag. zu versteuerndes Einkommen → Einkommensteuer. Zwangshypothek besondere Form der → Sicherungshypothek, deren → Eintragung (ins → Grundbuch) vom → Gläubiger des Grundstückeigentümers auf Grund eines → vollstreckbaren Titels beim Grundbuchamt beantragt werden kann (§ 867 Zivilprozeßordnung). Zwangsversicherung ⇒ Pflichtversicherung. Zwangsversteigerung Verwertung einer → Sache durch staatlichen Hoheitsakt im Wege der → Versteigerung. 1. Z. → beweglicher Sachen (§§ 814 ff. Zivilprozeßordnung): frühestens eine Woche nach → Pfändung durch den Gerichtsvollzieher. Ort, Zeit und Gegenstand der Versteigerung sind öffentlich bekanntzugeben. Der → Zuschlag erfolgt an den Meist-
Zwangsvollstreckung
bietenden nach dreimaliger Aufforderung. Das Gebot muß mindestens die Hälfte des gewöhnlichen Verkaufswertes der Sache erreichen; Gold- und Silbersachen dürfen nicht unter ihrem Metallwert zugeschlagen werden; → Wertpapiere mit Börsen- und Marktpreis können freihändig zum Tagespreis verkauft werden. 2. Z. eines Grundstückes wird vom jeweils zuständigen Amtsgericht durchgeführt. Es setzt das sogenannte „geringste Gebot“ fest, durch das gewährleistet wird, daß die Verfahrenskosten und die vorrangigen → Forderungen gedeckt sind. Gebote unter dem geringsten Gebot werden bei der Versteigerung nicht zugelassen. Wird aus der Versteigerung ein Überschuß erlöst, so gehört dieser dem bisherigen Grundstückseigentümer; droht ein Mindererlös, so können die → Gläubiger das Grundstück selbst ersteigern, um es gegebenenfalls später günstiger zu veräußern. Die Z. wird nach dem Gesetz über die Z. und Zwangsvollstreckung geregelt. Zwangsverwaltung besondere Form der → Zwangsvollstrekkung; bei ihr bleibt dem Grundstückseigentümer sein Eigentumsrecht erhalten, es wird ihm aber das Verfügungsrecht über das Grundstück (bspw. es zu verkaufen) entzogen. Das Gericht setzt nämlich einen Zwangsverwalter ein, der die Erträgnisse des Grundstücks einzieht und nach Abzug der entstehenden Kosten an die → Gläubiger abführt. Dies geschieht so lange, bis die Gläubiger befriedigt sind. Die Z. wird nach dem Gesetz über die → Zwangsversteigerung und Z. geregelt. Zwangsvollstreckung (§§ 704 ff. Zivilprozeßordnung [ZPO]); die mit staatlichen Machtmitteln erzwungene Befriedigung eines privatrechtlichen → Anspruches. Voraussetzung für eine Z. ist, daß der → Gläubiger gegen den → Schuldner einen → vollstreckbaren Titel hat. Die Durchführung der Z. kann auf verschiedene Weise erfolgen, je nachdem, ob sie in das bewegliche Vermögen oder in das unbewegliche Vermögen des Schuldners bewirkt wird. 763
Zwangsvollstreckung
Nach EU-Verordnung (EG) Nr. 805/1005 gibt es seit 2005 einen einheitlichen vollstreckbaren Titel für den Bereich der Europäischen Union (Europäischer Vollstrekkungstitel [EVT]); allerdings nur insoweit als es sich um unbestrittene Forderungen handelt; das heißt um solche Titel, deren Berechtigung der jeweilige Schuldner anerkannt hat. 1. Z. in das bewegliche Vermögen: Zum beweglichen Vermögen zählen körperliche → Sachen sowie → Forderungen und andere → Rechte. Die Z. erfolgt durch → Pfändung und → Verwertung. Z. in → Grundpfandrechte wird dadurch bewirkt, daß die Pfändung auf Grund des gerichtlichen → Pfändungsbeschlusses in das → Grundbuch eingetragen wird. Ist über die → Hypothek oder → Grundschuld ein Brief ausgestellt (→ Briefhypothek, → Briefgrundschuld), ist die Entstehung des → Pfandrechtes an die → Übergabe des Briefes gebunden. Falls der Schuldner den Brief nicht herausgibt, kann sich der Gläubiger diesen durch eine sogenannte Hilfspfändung verschaffen. Das gleiche gilt für die Beschaffung von → Sparbüchern bei Pfändung in Sparkonten (§ 836 Abs. 3 ZPO). 2. Z. in das unbewegliche Vermögen wird bewirkt durch Eintragung einer → Sicherungshypothek oder durch → Zwangsversteigerung oder → Zwangsverwaltung des Grundbesitzes. Die Eintragung einer Sicherungshypothek zu Lasten des Grundstükkes des Schuldners dient der Sicherung der Rechte des Gläubigers. Die → Eintragung beim Grundbuchamt (Amtsgericht) erfolgt auf Antrag des Gläubigers (→ Zwangshypothek). Bei sämtlichen Arten der Z. genießt der Schuldner unter bestimmten Voraussetzungen → Vollstreckungsschutz.
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Zweiter Bildungsweg
Mit der ab 2008 geltenden EU-Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 wird ein Europäisches Mahnverfahren eingeführt. Dieses führt bei unbestrittenen zivil- und handelsrechtlichen Geldforderungen im grenzüberschreitenden Verkehr zur Vereinfachung und Beschleunigung sowie zur Verringerung der Verfahrenskosten. Die Verordnung regelt den freien Verkehr Europäischer Zahlungsbefehle (Der Zahlungsbefehl entspricht in seiner rechtlichen Konstruktion im wesentlichen dem [gerichtlichen] → Mahnbescheid.) in den Mitgliedstaaten (mit Ausnahme von Dänemark) durch Festlegung von Mindestvorschriften, bei deren Einhaltung die Zwischenverfahren im Vollstreckungsmitgliedstaat, die bisher für die Anerkennung und Vollstreckung erforderlich waren, entfallen. Zwanzigerklub aus dem → Zehnerklub hervorgegangene Gruppierung vorwiegend westlicher Industriestaaten im → Internationalen Währungsfonds, die sich schließlich zur → Gruppe 24 erweiterte. Zweite Welt überholte Bezeichnung für den früheren kommunistischen Ostblock zur Abgrenzung gegenüber der → Ersten Welt und der → Dritten und → Vierten Welt. zweiter Arbeitsmarkt die von Ländern und Gemeinden im Rahmen von → Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bereitgestellten Arbeitsplätze zur Beschäftigung von → Arbeitslosen. Zweiter Bildungsweg führt junge Praktiker über berufsbezogene Bildungseinrichtungen (→ Berufsauf bauschule, → Fachoberschule, Vorsemester) zur → Fach- beziehungsweise → Hochschulreife.