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German Pages 655 [656] Year 2014
ili M M
Finanzdienstleistungen Darstellung - Analyse - Kritik
von Universitätsprofessor
Dr. Michael Bitz Professor für Betriebswirtschaftslehre insbesondere Bank- und Finanzwirtschaft und
Dr. Gunnar Stark
8., vollständig überarbeitete und wesentlich erweiterte Auflage
Oldenbourg Verlag München Wien
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
© 2008 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, [email protected] Herstellung: Anna Grosser Coverentwurf: Kochan & Partner, München Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Gesamtherstellung: Druckhaus „Thomas Müntzer" GmbH, Bad Langensalza ISBN 978-3-486-58630-5
Vorwort zur 8. Auflage Nimmt man die freundliche Aufnahme, die die vorangegangenen Auflagen der „Finanzdienstleistungen" bei Studenten und Fachkollegen, aber auch Praktikern und Rezensenten gefunden haben, zum Maßstab, so hat sich das Konzept dieses Werkes über nunmehr 15 Jahre hinweg bewährt. Wir haben es daher in der nun vorgelegten Neuauflage im Grundsatz beibehalten, jedoch ein siebtes Kapitel „Finanzdienstleistungen in der Kritik" neu aufgenommen. In diesem Kapitel werden einige der Vorwürfe, denen sich die Anbieter von Finanzdienstleistungen auch in einer breiteren Öffentlichkeit häufig ausgesetzt sehen, dargestellt und mit von Fall zu Fall durchaus wechselnden Ergebnissen - auf ihre Stichhaltigkeit überprüft. Selbstverständlich haben wir auch die in ihrer Struktur unverändert gebliebenen ersten sechs Kapitel gründlich überarbeitet und an die aktuellen Gegebenheiten auf dem Markt für Finanzdienstleistungen angepasst. Neben einer Vielzahl punktueller Änderungen und Ergänzungen wurden dabei insbesondere Ausführungen zu Zins- und Kreditderivaten, Anlage- und Discountzertifikaten, Hedgefonds und ABS-Finanzierungen neu aufgenommen. Bei der Erstellung dieser Neuauflage sind wir von mehreren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unseres Lehrstuhls an der FernUniversität in Hagen unterstützt worden. Unser Dank gilt dabei insbesondere Frau Claudia Barcarolo und Frau Marlis Kiewer für die schreibtechnische Umsetzung des Textes sowie Herrn Uwe Helling für das überaus gründliche Korrekturlesen und die wertvolle Unterstützung bei der Überarbeitung und Ergänzung. Für die Aktualisierung diverser Verzeichnisse bedanken wir uns bei Frau Hildegard Guderian und den studentischen Hilfskräften Anastasia Peniker, Illas Mokanis und Gökhan Kurtulus. Michael Bitz
Gunnar Stark
Vorwort zur 1. Auflage Mit dem vorliegenden Lehrbuch verfolge ich das Ziel, einen systematischen Überblick über die grundlegenden Funktionen der auf Finanzmärkten agierenden Anbieter sowie die Eigenarten und Einsatzmöglichkeiten der von ihnen angebotenen Finanzdienstleistungen zu vermitteln. Das Spektrum der behandelten Gegenstände reicht von der Finanzierung und der Vermögensanlage bei Banken und Versicherungen über die verschiedenen Formen von Wertpapier- und Wertpapiertermingeschäften bis hin zum Abschluss von Versicherungsverträgen und ähnlichen Maßnahmen zur Risikoverlagerung. Im Unterschied zu der im einschlägigen finanzierungstheoretischen, bankbetrieblichen und versicherungswirtschaftlichen
VI
Vorwort
Schrifttum ansonsten üblichen Betrachtungsweise erfolgt die Darstellung in diesem Buch primär aus der Sicht der die verschiedenen Finanzdienstleistungen nachfragenden Haushalte und Unternehmen. Mittelbar ist diese Sichtweise allerdings auch für die marktgerechte Ausgestaltung des Angebotes von Finanzdienstleistungen bedeutsam. Unbeschadet der unverzichtbaren theoretischen Fundierung sind die folgenden Ausführungen ganz überwiegend so gehalten, dass sie sich auch dem interessierten Laien erschließen. Dementsprechend breit ist der Adressatenkreis dieses Buches. In erster Linie wendet es sich an Studierende wirtschaftswissenschaftlicher Studiengänge an Universitäten und Fachhochschulen; aber auch für Studenten an Berufs- und Wirtschaftsakademien und vergleichbaren Bildungseinrichtungen, insbesondere im versicherungs- und bankwirtschaftlichen Bereich, kann das vorliegende Lehrbuch von Nutzen sein. Darüber hinaus kommen Praktiker aus den verschiedensten Bereichen ebenfalls als Adressaten dieses Buches in Betracht: Hier ist zum ersten an Mitarbeiter von Banken, Versicherungen und anderen Anbietern von Finanzdienstleistungen zu denken; zum zweiten an Angestellte, die in ihren Unternehmen für Finanzierung, Vermögensanlage oder Risikomanagement zuständig sind; zum dritten aber auch an Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte und die Angehörigen anderer Berufsgruppen, die im Zuge ihrer Beratungstätigkeit auch immer wieder mit verschiedenen Arten von Finanzdienstleistungen konfrontiert werden. Schließlich kann das vorliegende Buch auch privaten Nachfragern nach Finanzdienstleistungen von Nutzen sein, die sich persönlich über Möglichkeiten und Ausgestaltungsformen der Finanzierung, der Vermögensanlage oder des Abschlusses von Versicherungsverträgen orientieren wollen. Bei der Konzipierung und Erstellung dieses Buches bin ich von mehreren Mitarbeitern meines Lehrstuhls tatkräftig unterstützt worden. Mein Dank dafür gilt insbesondere Frau Dipl.-Kfm. Marion Keseling, Herrn Dipl.-Volksw. Dirk Kaiser, Herrn Dipl.-Oec. Dirk Matzke, Herrn Dipl.-Oec. Heinz Rittich, Herrn Dipl.-Kfm. Reinhard Schulte, Herrn Dipl.-Kfm. Ralf Strauß und Frau Dipl.-Kfm. Sabine Weidekind. Für die schreibtechnische Umsetzung danke ich außerdem Frau Marlis Kiewer und insbesondere Frau Brigitte Kamrath. Trotz dieser vielfältigen Unterstützung gehen alle Fehler, die in dem vorliegenden Text vermutlich immer noch verblieben sind, natürlich allein zu meinen Lasten. Michael Bitz
Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis Abkürzungsverzeichnis 1 1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.2.1 1.1.2.2 1.1.2.3 1.1.2.4
Finanzintermediäre als Anbieter von Finanzdienstleistungen
XIII XV XVII
1
Grundlagen Grundprobleme nicht organisierter Finanzmärkte Finanzintermediäre Grundbegriffe Grundfunktionen von Finanzintermediären im engeren Sinne Grundfunktionen von Finanzintermediären im weiteren Sinne Klassifikation von Finanzintermediären nach Adressaten und Ausmaß der erbrachten Transformationsleistungen
16
1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.2.5
Struktur und Leistungsangebot der deutschen Bankwirtschaft Vorüberlegungen Begriff und Arten von Geschäftsbanken Das Leistungsangebot von Universalbanken im Überblick Die Struktur des deutschen Universalbankensystems Die Spezialbanken
18 18 20 23 27 30
2
Das Angebot von Finanzierungsleistungen
33
2.1 2.1.1 2.1.2
Grundbegriffe Vorbemerkung Zur allgemeinen Systematisierung von Instrumenten der Fremdfinanzierung Zinsverrechnungsmodalitäten Zahlungsmodalitäten Kündigungsmodalitäten Besicherungsmodalitäten Kategorien von Gläubigerrisiken Vermögensverteilung im Insolvenzverfahren Instrumente zur Begrenzung von Gläubigerrisiken durch vertragliche Vereinbarungen
33 33
2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.1.6 2.1.6.1 2.1.6.2 2.1.6.3
2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3
Kurzfristige Finanzierung durch Finanzintermediäre Vorbemerkung Kontokorrent- und Lombardkredite Finanzierung durch Abtretung von Forderungen
1 1 4 4 8 13
34 37 45 48 51 51 53 60 64 64 65 67
vm
Inhaltsverzeichnis
2.2.3.1 2.2.3.2 2.2.3.3 2.2.3.4 2.2.3.5 2.2.4
Vorbemerkungen Zessionskredite Diskontkredite Factoring ABS-Finanzierungen Kreditleihe
2.3
2.3.2.1 2.3.2.2 2.3.2.3 2.3.2.4 2.3.3 2.3.3.1 2.3.3.2 2.3.3.3
Mittel- und langfristige Kreditfinanzierung durch Finanzintermediäre Grundbegriffe Mittel- und langfristige Kredite von Banken und Bausparkassen Hypothekarkredite Bauspardarlehen Ratenkredite Investitions- und Kommunalkredite Kredite von Versicherungen Allgemeine Grundbegriffe Schuldscheindarlehen an gewerbliche Unternehmen Darlehen an private Haushalte
91 91 97 102 107 109 109 112 114
2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.3.1 2.4.3.2 2.4.3.3 2.4.3.4 2.4.4
Leasing Begriffliche und rechtliche Grundlagen Steuerliche und bilanzielle Behandlung von Leasingverträgen Kriterien zur Beurteilung von Leasingangeboten Problemstellung Quantitative Analyse Qualitative Analyse Mögliche Leasing-Vorteile Der deutsche Leasingmarkt
117 117 122 126 126 127 131 138 140
2.5 2.5.1 2.5.2 2.5.3
Eigenfinanzierung durch Finanzintermediäre Grundbegriffe Eigenfinanzierung durch Banken und Versicherungen Eigenfinanzierung durch Kapitalbeteiligungs- und Wagnisfinanzierungsgesellschaften
143 143 145
2.3.1 2.3.2
2.6 2.6.1 2.6.2 2.6.3
Emissionsfinanzierung Grundbegriffe Rechtliche Voraussetzungen der Emissionsfinanzierung Die Mitwirkung von Kreditinstituten bei der Emissionsfinanzierung
67 73 74 77 82 90
91 91
147 153 153 157 159
Inhaltsverzeichnis
IX
2.7 2.7.1 2.7.2 2.7.3 2.7.4
Zinsderivate Grandlegendes Forward /FRA Zinsswap Cap
162 162 164 167 172
3
Vermögensanlage in Wertpapieren
175
3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.2.1 3.1.2.2 3.1.2.3 3.1.2.4 3.1.2.5 3.1.3
Grundbegriffe Begriff und Arten von Wertpapieren Der Börsenhandel von Wertpapieren Aufgaben und Akteure Marktzulassung und Marktsegmente im Aktienhandel Handels-und Kursermittlungsformen Parkett-und Computerhandel Insider-Regelungen Vermittlungs- und Verwahrleistungen bei der Vermögensanlage in Wertpapieren
175 175 176 176 179 183 189 190
195 195 197 197 198 203 207 210 212 215 216 216 219 221 221
3.2.4.3
Vermögensanlage in Aktien Vorüberlegungen Ausgestaltungsformen von Aktien Einführung Nennwert- und Stückaktien Inhaber- und Namensaktien Stamm- und Vorzugsaktien Die Stimmberechtigung von Aktien Ausstehende Einlagen Zusammenfassung Exkurs: Das Eigenkapital der Aktiengesellschaft Begriff und Funktion des Eigenkapitals Der bilanzielle Ausweis des Eigenkapitals Die Ausgabe von Aktien (Aktienemission) Die erstmalige öffentliche Aktienausgabe Die Ausgabe junger Aktien bei börsennotierten Aktiengesellschaften Marktreaktionen bei der Ausgabe junger Aktien
3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.2.1 3.3.2.2 3.3.2.3 3.3.2.4
Vermögensanlage in Anleihen und Genussscheinen Grandbegriffe Ausstattungscharakteristika von Anleihen und Genussscheinen Rückzahlungsregelungen Zinsregelungen Insolvenzregelungen Bezugsrechte gegenüber dem Emittenten
244 244 245 245 251 255 258
3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.2.1 3.2.2.2 3.2.2.3 3.2.2.4 3.2.2.5 3.2.2.6 3.2.2.7 3.2.3 3.2.3.1 3.2.3.2 3.2.4 3.2.4.1 3.2.4.2
192
224 232
χ
Inhaltsverzeichnis
3.3.3
Zusammenfassender Gesamtüberblick
263
3.4 3.4.1
Vermögensanlage in Investmentzertifikaten Grundkonzept und Ausgestaltungsformen von Investmentgesellschaften Das Angebot deutscher offener Investmentfonds Hedgefonds Vermögensanlage in geschlossenen Immobilienfonds und ausländischen Investmentzertifikaten
267
3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.5 3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.5.4
267 275 281 286
Anlagezertifikate Vorbemerkungen Formenüberblick Emission und Handel Exemplarische Beleuchtung wichtiger Formen: Discountzertifikat und Aktienanleihe
288 288 291 294
4
Vermögensanlage bei Banken und Versicherungen
303
4.1
Allgemeine Grundbegriffe
303
4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.2.1 4.2.2.2 4.2.2.3
Vermögensanlage bei Banken Sicht- und Termineinlagen (Depositen) Spareinlagen und Sparbriefe Spareinlagen Sparverträge Sparbriefe
304 304 307 307 309 310
4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.2.1 4.3.2.2 4.3.2.3 4.3.2.4 4.3.3
Lebensversicherungsverträge als Vermögensanlage Problemstellung Ausgestaltungsformen von Lebensversicherungen Leistungsvoraussetzungen Versicherungsleistungen Beitragszahlungen Überschussbeteiligung Besonderheiten fondsgebundener Lebensversicherungen
311 311 312 312 314 318 322 326
5
Börsenmäßige Wertpapiertermingeschäfte
329
5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.2.1 5.1.2.2 5.1.2.3 5.1.3
Grundbegriffe Arten von Termingeschäften Elementare Risiko-Chance-Positionen Problemstellung Einzelgeschäfte Kombinierte Geschäfte Anlagestrategische Einsatzmöglichkeiten von Termingeschäften
329 329 333 333 334 338
296
343
Inhaltsverzeichnis
XI
5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4
Ausgestaltung des Terminhandels Überblick Marktteilnehmer und Aufträge an der Terminbörse Handelsobjekte an der Terminbörse Clearing-System
364 364 365 367 374
6
Risikoübernahme als Finanzdienstleistung
379
6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.2.1 6.1.2.2 6.1.2.3
Allgemeine Vorüberlegungen Problemstellung Das versicherungstheoretische Grundmodell Die Ausgangssituation Das Modell der Gefahrengemeinschaft Versicherungsschutz als Marktleistung
379 379 380 380 382 386
6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.2.1 6.2.2.2 6.2.3 6.2.3.1 6.2.3.2
Risikoübernahme durch Versicherungen Grundbegriffe Versicherungsarten Güterversicherungen Personenversicherungen Versicherungsformen Grundlegende Erscheinungsformen Franchise-Tarife
391 391 392 392 395 397 397 403
6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3
Risikoübernahme durch Kreditinstitute Vorüberlegungen Aval- und Akzeptkredite Risikoübernahme durch Kreditgarantiegemeinschaften
406 406 407 409
6.4 6.4.1 6.4.2 6.4.3
Kreditderivate Begriff, Funktionen und Kategorien von Kreditderivaten Risikodiversifikation durch Kreditderivate: Ein Beispiel Ausgewählte Grundformen von Kreditderivaten
411 411 413 420
7
Finanzdienstleistungen in der Kritik
425
7.1
Vorbemerkung
425
7.2 7.2.1 7.2.1.1 7.2.1.2 7.2.1.3 7.2.1.4 7.2.2 7.2.2.1 7.2.2.2
Ausgewählte „kritische" Finanzdienstleistungen Anlageleistungen Die Kapitallebensversicherung - Anlegerschädigung? Wertpapier-Investmentfonds - Anlegertäuschung? „Strukturierte" Anlagezertifikate Anlageleistungen mit Hebelwirkung Finanzierungsleistungen Die Bausparfinanzierung - ein Schneeballsystem? Tilgungsaussetzungsmodelle
426 426 426 431 439 444 457 457 464
χπ
Inhaltsverzeichnis
7.3 7.3.1 7.3.2 7.3.2.1 7.3.2.2 7.3.3
Finanzdienstleistungsvertrieb, -information und -Werbung Allgemeine Kritik an Beratungs-bzw. Vermittlungsleistungen Kritik an ausgewählten Informationsleistungen Börsendienstliche Anlageempfehlungen und-systeme Die Leistungen der Schufa Zins- und Renditeangaben in der Finanzwerbung
473 473 477 All 480 484
7.4
Schlussbemerkung
492
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben Numerischer Anhang Literaturhinweise Literaturverzeichnis Glossar Stichwortverzeichnis
493 557 563 567 573 627
Abbildungsverzeichnis Abb. 1.01: Finanzkontrakte zwischen originären Geldnehmern und -gebern Abb. 1.02: Ausgleich von Finanz-und Anlagebedarf Abb. 1.03: Tätigkeitsfelder von Finanzintermediären Abb. 1.04: Funktionen von Finanzintermediären im engeren Sinne Abb. 1.05: Funktionen und Erscheinungsformen von Finanzintermediären im weiteren Sinne
2 4 6 12 15
Abb. 1.06: Struktur des Geschäftsbankensystems in der Bundesrepublik Deutschland Abb. 1.07: Βankleistungen im Überblick
22 26
Abb. 2.01: Phasen der Gläubiger-Schuldner-Beziehung Abb. 2.02: Erscheinungsformen von Factoringverträgen
51 81
Abb. 2.03: Vermögensblöcke bei Versicherungsunternehmen Abb. 2.04: Grundlegende Vertragsformen des Finanzierungsleasing und Anforderungen der Leasingerlasse Abb. 2.05: Phasen der Wagnisfinanzierung Abb. 2.10: „Lebenslauf' eines Forward Rate Agreement (FRA) Abb. 2.06: Zinsswap Abb. 2.08: Ergebnisfunktion eines Caps für einen Zahlungszeitpunkt
122 151 166 168 173
Abb. Abb. Abb. Abb.
178 215 219 219
3.01: 3.02: 3.03: 3.04:
Akteure an deutschen Wertpapierbörsen Ausgestaltungsformen von Aktien Entstehung des Eigenkapitals Eigenkapitalausweis bei Kapitalgesellschaften
Abb. 3.05: Anlässe zur Ausgabe junger Aktien Abb. 3.06: Aktiensplitting und nominelle Kapitalerhöhung Abb. 3.07: Effekte von Aktiensplitting und nominellen Kapitalerhöhungen Abb. 3.08: Voraussetzung für die Ausgabe junger Aktien gegen Einlagen Abb. 3.09: Kompensationseffekte des Bezugsrechtes Abb. 3.10: Ankündigungs-, Verwässerungs- und Kompensationseffekt Abb. 3.11: Rückzahlungskurs einer indexierten Anleihe Abb. 3.12: Ausgestaltungsmöglichkeiten von Anleihen Abb. 3.13: LEVERAGE-Effekt: Zeitliche Entwicklung der Renditegrößen Abb. 3.14: Zahlungsprofil von Aktie und Discountzertifikat Abb. 3.15: Gewinn-/Verlustprofil von Aktie und Discountzertifikat
109
224 226 228 230 242 243 249 264 272 298 299
XIV
Abbildungsverzeichnis
Abb. 4.01: Grundvarianten der Überschussbeteiligung
325
Abb. 5.01: Arten von Termingeschäften Abb. 5.02: Käufer im Fixgeschäft
332 334
Abb. 5.03: Abb. 5.04: Abb. 5.05: Abb. 5.06: Abb. 5.07: Abb. 5.08:
335 336 336 337 337 339
Verkäufer im Fixgeschäft Käufer einer Kaufoption (Long Call) Stillhalter einer Kaufoption (Short Call) Käufer einer Verkaufsoption (Long Put) Stillhalter einer Verkaufsoption (Short Put) Kombination von Fixkauf und Kauf einer Verkaufsoption
Abb. 5.09: Long Straddle Abb. 5.10: Short Straddle Abb. 5.11: Endvermögen bei Aktien- und Optionskauf (risikoerhöhende Bull-Strategie) Abb. 5.12: Endvermögen bei Aktien- und Optionskauf (risikobegrenzende Bull-Strategie) Abb. 5.13: Endvermögen bei Aktienkauf und Verkauf von Verkaufsoptionen Abb. 5.14: Call Bull Price Spread Abb. 5.15: Endvermögen bei Terminverkauf und Verkaufsoptionen Abb. 5.16: End vermögen bei Terminverkauf und Verkauf von Kaufoptionen Abb. 5.17: Call Bear Price Spread Abb. 6.01: Abb. 6.02: Abb. 6.03: Abb. 6.04: Abb. 6.05: Abb. 6.06: Abb. 6.07:
Bereiche der Güterversicherung Bereiche der Versicherung von Aktiven Unbegrenzte Interessenversicherung Erstrisikoversicherung Vollwertversicherung bei Überversicherung (D > VW) Vollwertversicherung bei Unterversicherung (D < VW) Vollwertversicherung mit modifizierter Unterversicherungsregelung Abb. 6.08: Unbegrenzte Interessenversicherung mit prozentualem Selbstbehalt Abb. 6.09: Unbegrenzte Interessenversicherung mit absolutem Selbstbehalt
342 342 345 347 349 351 353 354 357 392 393 398 399 401 402 403 404 405
Abb. 6.10: Unbegrenzte Interessenversicherung und Integralfranchise
405
Abb. 6.11 : Zahlungsvereinbarungen einiger Kreditderivate)
422
Tabellenverzeichnis Tab. 2.01: Verschiedene Fristeneinteilungen
34
Tab. 2.02: Vergleich von Kreditangeboten
44
Tab. 2.03: Vermögensverteilung im Insolvenzverfahren
53
Tab. 2.04: Die wichtigsten Absonderungssicherheiten im Überblick
55
Tab. 2.05: Zahlungsreihe von Leasing und Kreditkauf ohne Steuern
128
Tab. 2.06: Steuerliche Konsequenzen von Kreditkauf und Leasing
129
Tab. 2.07: Zahlungsreihe von Leasing und Kreditkauf mit Steuern
130
Tab. 2.08: Entwicklung der Eigenkapitalausstattung deutscher Unternehmen des nichtfinanziellen Bereichs
148
Tab. 2.09: Swapsätze (Quelle: WestLB; Stand: September 2007)
171
Tab. 3.01 : Marktsegmente an der FWB
181
Tab. 3.02: Festpreisverfahren und Bookbuilding
223
Tab. 6.01: Schadenssummen und ihre Eintrittswahrscheinlichkeiten
383
Tab. 6.02: Pro-Kopf-Schaden und Eintrittswahrscheinlichkeiten
383
Tab. 7.01: Die Überrenditen der „besten" Fonds
432
Tab. 7.02: Die CSL-Zahlungen im Falle flacher Zinsstruktur, aus Sicht der Kommune, in Mio. Euro
450
Tab. 7.03: Die Segmente von Finanzierung und Investition der betrachteten Finanzdienstleistungen mit Hebelwirkung
455
Tab. 7.04: Ergebnisse der Tilgungsaussetzung für alternative Investitionsrenditen
466
Tab. 7.05: Volumina ausgewählter Anlageformen in Mrd. Euro (Stand 2006/2007)
560
Abkürzungsverzeichnis μ (müh) σ (sigma)
Erwartungswert Standardabweichung
A A (Kapitel 3) A (Kapitel 5) Abb. Abs. AG AktG Aufl.
Anzahl der Aktien vorgesehener Anlagebetrag Abbildung Absatz Aktiengesellschaft Aktiengesetz Auflage
Β b Β Β (als Kurszusatz) b (als Kurszusatz) b (in Kapitel 6) BA BaFin BGB BörsG BR bspw.
Bezugsverhältnis Wert des Bezugsrechts Brief bezahlt Bewertungskennzahl Berichtigungsaktien Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bürgerliches Gesetzbuch Börsengesetz Bezugsrecht beispielsweise
c
Cbi
Kurs des Basiswertes Börsenkurs einer Aktie Aktienkurs nach Ausgabe junger Aktien Kurs des Basiswertes Bilanzkurs
CD CE
Certificate of Deposits Auszahlungskurs, Emissionskurs
C
cA c
An CB
D D D (in Kapitel 6) DAX DCM
Dividende Deckungssumme Deutscher Aktienindex Direkt Clearing Mitglied
χνιπ
Abkürzungsverzeichnis
DG Bank Ds DSGV DSL Bank DV
Deutsche Genossenschaftsbank Dividendensatz der Stammaktien Deutscher Sparkassen- und Giroverband Deutsche Siedlungs- und Landesrentenbank Dividendensatz der Vorzugsaktien
E ECU eG EK ESichAEntschG EURIBOR
European Currency Unit eingetragene Genossenschaft Eigenkapital Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz European Inter Bank Offered Rate
F f. FAZ ff. FWB
folgende Frankfurter Allgemeine Zeitung fortfolgende Frankfurter Wertpapierbörse
G G G (als Kurszusatz) GCM GK GmbH GmbHG H H HGB I i (Kapitel 6) i (Kapitel 2) i.d.R. i.e.S. InsO i.S.v. InvG
Gewinn Geld General Clearing Mitglied Grundkapital Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH-Gesetz
gemeindespezifischer Gewerbesteuerhebesatz Handelsgesetzbuch
Intensität des Versicherungsschutzes Nominalzins in der Regel im engeren Sinne Insolvenzordnung im Sinne von Investmentgesetz
Abkürzungsverzeichnis
Κ KfW KG KWG
XIX
Kreditanstalt für Wiederaufbau Kommanditgesellschaft Kreditwesengesetz
L lfd. LIBOR
laufender/e/es London Inter Bank Offered Rate
M Mio. Mrd.
Millionen Milliarden
Ν Ν η (Kapitel 2) η (Kapitel 6) NCM NW
Anzahl der jungen Aktien Laufzeit in Jahren Zahl der an einer Gefahrengemeinschaft beteiligten Personen Nicht Clearing Mitglied Nennwert
Ρ Ρ Ρ,ρ (Kapitel 6) p.a. PfandBG PRAUF PublG
Prämie des Optionsgeschäftes Wahrscheinlichkeit per anno (pro Jahr) Pfandbriefgesetz Prämienaufkommen Publizitätsgesetzt
Q q
Versicherungsquote bei einer prozentualen Selbstbeteiligung
R r rat
RechKredV
S S (Kapitel 6) S (Kapitel 2) S.
effektiver Zins rationiert Verordnung über die Rechnungslegung der Kreditinstitute
Schaden Steuersatz Seite
XX
s. s.o. s.u. sog. Τ Τ
Abkürzungsverzeichnis
siehe siehe oben siehe unten sogenannte/er/es
Tab.
„mittlere" Kreditlaufzeit: Durchschnitt aus der gesamten Laufzeit und der Laufzeit bis zur ersten Tilgungsrate Tabelle
u u.U.
unter Umständen
V ν V v. VA VAG vgl. VVG VW
prozentualer Dividendenvorzug Verlust von Vorzugsaktien Versicherungsaufsichtsgesetz vergleiche Versicherungsvertragsgesetz Versicherungswert
Ζ Ζ (Kapitel 5) Ζ z.T. ZPO
Zahl der zu erwerbenden Optionen Zinsbetrag zum Teil Zivilprozessordnung
1
Finanzintermediäre als Anbieter von Finanzdienstleistungen
1.1
Grundlagen
1.1.1
Grundprobleme nicht organisierter Finanzmärkte
In geldwirtschaftlich organisierten Marktsystemen kann es dazu kommen, dass einzelne Wirtschaftssubjekte in bestimmten Perioden beabsichtigen, insbesondere für die Beschaffung von Produktionsfaktoren oder zu Konsumzwecken, mehr Geld auszugeben, als ihnen, vor allem aus ihrem Erwerbs- oder Arbeitseinkommen, an Einzahlungen zufließen wird. Diese Wirtschaftssubjekte haben ein Interesse daran, ihre leistungswirtschaftlichen Aktivitäten durch gesonderte Finanztransaktionen zu ergänzen, um den entsprechenden Finanzierungsbedarf zu decken. Wir wollen diese Wirtschaftseinheiten im Folgenden als (originäre) Geldnehmer bezeichnen. Andere Wirtschaftssubjekte mögen zum gleichen Zeitpunkt beabsichtigen, für eine bestimmte Periode weniger an Auszahlungen zu leisten, als ihnen an Einzahlungen zufließen wird. Diese Wirtschaftssubjekte haben dementsprechend ein Interesse daran, die sich bildenden Zahlungsmittelüberschüsse zunächst möglichst sicher, darüber hinaus womöglich aber auch noch ertragbringend in künftige Perioden zu transferieren. Auch bei dieser Gruppe von Wirtschaftssubjekten besteht dementsprechend ein zu dem der ersten Gruppe gerade komplementär gelagerter Bedarf an ergänzenden Finanztransaktionen. Wir wollen die Wirtschaftseinheiten dieser Gruppe im Folgenden als (originäre) Geldgeber bezeichnen. Die Gesamtheit derartiger Transaktionen einschließlich der sich dabei herausbildenden Usancen und der sie beeinflussenden institutionellen Rahmenbedingungen kann als Finanzmarkt bezeichnet werden. In seiner einfachstdenkbaren, gewissermaßen „archaischen" Urform kann dieser Finanzmarkt allein als Geflecht einer Vielzahl von Verträgen gedacht werden, die zwischen den potentiellen Geldnehmern der ersten Gruppe und den potentiellen Geldgebern der zweiten Gruppe jeweils unmittelbar und ganz individuell, ohne allgemein vorgegebene Rahmenregelungen und ohne jegliche Einwirkung Dritter, vereinbart werden. Abbildung 1.01 verdeutlicht schematisch ein derartiges Geflecht von Finanzkontrakten zwischen den originären Geldnehmern (GN) und den originären Geldgebern (GG). Von den GG ausgehende Pfeile sollen dabei die Bereitstellung der vereinbarten Zahlungsmittel verdeutlichen, die von den GN ausgehenden Pfeile deren - wie auch immer geartete - Rückzahlungsversprechen.
2
1 Finanzintermediäre als Anbieter von Finanzdienstleistungen
GG. GN
GG2 GG3 - GG4
GN2
GN3 GG5 GN4 Abb. 1.01: Finanzkontrakte zwischen originären Geldnehmern und -gebern
In der hier zunächst unterstellten Welt eines völlig unorganisierten Finanzmarktes stellen sich dem Abschluss derartiger Finanzkontrakte verschiedene Arten von „Marktwiderständen" entgegen, die sich - ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu den folgenden vier Problemgruppen bündeln lassen: (1)
Informationsprobleme
Den potentiellen Vertragsparteien stellen sich zunächst mindestens die folgenden drei Arten von Informationsproblemen: •
Sie müssen zunächst Kenntnis von der Existenz geeigneter Marktpartner erlangen.
•
Finanzkontrakte sind konstitutiv dadurch gekennzeichnet, dass Leistung und Gegenleistung zeitlich auseinanderfallen: Der Geldgeber erbringt seine Hauptleistung, nämlich die Bereitstellung von Zahlungsmitteln, typischerweise kurz nach Abschluss des Vertrages; als Gegenleistung erhält er seitens des Geldnehmers allerdings zunächst nur das Versprechen auf spätere Rückzahlungen. Potentielle Geldgeber haben dementsprechend in aller Regel ein Interesse daran, sich bereits vor Vertragsabschluss ein Bild von der Verlässlichkeit ihres Vertragspartners und des von ihm als Gegenleistung abgegebenen Rückzahlungsversprechens zu machen.
•
Schließlich kann bei beiden Vertragsparteien das Bedürfnis bestehen, sich darüber zu informieren, welche Konditionen nach der aktuellen Marktlage als angemessen zu betrachten wären.
1.1 Grundlagen
(2)
3
Stiickelungsprobleme
Anlage- und Finanzbedarf von zwei miteinander in Verbindung tretenden Marktpartnern müssen dem Betrage nach nicht übereinstimmen. Ein Kontrakt kommt in einer solchen Situation nur zustande, wenn zumindest ein Partner bereit ist, sich der anderen Seite anzupassen, indem er entweder seine Zahlungspläne ändert oder weitere Marktpartner zur Abdeckung des noch offenen Anlage- oder Finanzbedarfs sucht.1) (3)
Fristenprobleme
Selbst bei betragsmäßiger Übereinstimmung von Anlage- und Finanzbedarf ist es möglich, dass die Vorstellungen der beiden Parteien über die Dauer des beabsichtigten Finanzkontraktes divergieren. Wiederum kommt ein Vertrag nur zustande, wenn zumindest eine Seite bereit ist, von ihren ursprünglichen Fristenvorstellungen abzuweichen, oder davon ausgehen kann, in späteren Zeitpunkten weitere Marktpartner zur Realisierung der eigenen Fristenvorstellungen zu finden. (4)
Risikoprobleme
Ob der Geldgeber die bei Vertragsabschluss fest vereinbarten oder in sonstiger Weise in Aussicht gestellten Rückzahlungen später auch wirklich erhält, hängt -
von der Ausgangssituation des Geldnehmers im Zeitpunkt der Mittelvergabe,
-
der späteren Umweltentwicklung sowie
-
von dessen weiterer Geschäftspolitik
ab, ist bei Abschluss des Finanzkontraktes also noch ungewiss. Ein Vertrag kommt somit nur zustande, wenn der Geldgeber bereit ist, solche Risiken mindestens in dem Maße zu tragen, wie sie ihn nach seinem persönlichen Informationsstand über die drei genannten Risikoeinflussfaktoren treffen können. Probleme aller vier Kategorien stellen selbstverständlich keine unüberwindlichen Hindernisse dar, können entsprechende Vertragsabschlüsse allerdings mit ganz erheblichen Transaktionskosten belasten und dazu führen, dass das Ausmaß von Finanzkontrakten, die auf einem derartigen „archaischen" Finanzmarkt tatsächlich abgeschlossen werden, sehr viel geringer ausfällt, als das auf einem komfortabler organisierten Finanzmarkt der Fall wäre. Es liegt daher in der Logik eines marktwirtschaftlichen Systems, dass in einer solchen „archaischen" Welt weitere Wirtschaftssubjekte auftreten, die sich - selbstverständlich ihren eigenen wirtschaftli-
1
Zur Terminologie sei noch angemerkt, dass es sich im theoretischen Schrifttum in Anlehnung an die Gegebenheiten der industriellen Produktion eingebürgert hat, von „Losgrößenproblemen" statt von Stückelungsproblemen zu reden.
4
1 Finanzintermediäre als Anbieter von Finanzdienstleistungen
chen Vorteil verfolgend - bereit halten, die potentiellen Geldgeber und -nehmer bei der Bewältigung der genannten Probleme zu unterstützen. Im theoretischen Sprachgebrauch werden derartige „Unterstützer" häufig als „Finanzintermediäre", in der Alltagssprache als „Finanzdienstleister" bezeichnet. Wir folgen hier der wissenschaftlich geprägten Terminologie, wobei wir in der im folgenden Abschnitt näher zu verdeutlichenden Weise zwischen Finanzintermediären im weiteren und im engeren Sinne unterscheiden werden.
1.1.2
Finanzintermediäre
1.1.2.1 Grundbegriffe Grundsätzlich sind zwei elementare Formen denkbar, in denen Finanzintermediäre den originären Geldnehmern und -gebern dabei behilflich sein können, den soeben erläuterten vier Kategorien von „Marktwiderständen" zu begegnen und damit zum Ausgleich von Anlage- und Finanzbedarf beizutragen. Abbildung 1.02 verdeutlicht diese beiden Formen schematisch.
F i n a n z i n t e r m e d iiäre ä r e i.w.S.
G E L D Ν E Η M E R
|
Hilfe beim Abschluss v o n direkten Kontrakten
F i n a n z i n t e r m e d i ä r e i.e.S.
Rückzahlungsansprüche
Rückzahlungsverpflichtungen
Abb. 1.02: Ausgleich von Finanz- und Anlagebedarf
Zum einen ist es denkbar, dass die originären Geldgeber und Geldnehmer - wie auf der archaischen Ausgangsform des Finanzmarktes - unmittelbar miteinander Kontakt aufnehmen und direkt miteinander Finanzkontrakte abschließen, dabei jedoch durch andere Marktteilnehmer, die wir als Finanzintermediäre im weiteren Sinne bezeichnen wollen, in unterschiedlicher Weise unterstützt werden. Eine derartige Unterstützung kann etwa in Beratungs- und Vermittlungsleistungen bestehen; wie werden darauf im Abschnitt 1.1.2.3 noch etwas näher eingehen.
1.1 Grundlagen
5
Zum anderen ist es aber auch vorstellbar, dass sich am Finanzmarkt „Spezialisten" herausbilden, die in der Weise zum Ausgleich von Anlage- und Finanzbedarf beitragen, dass sie sich bereithalten, -
einerseits Zahlungsmittel von den originären Geldgebern gegen das Versprechen späterer Rückzahlungen entgegenzunehmen (Anlageleistung) und
-
andererseits den originären Geldnehmern die benötigten Zahlungsmittel ebenfalls gegen das Versprechen späterer Rückzahlungen zur Verfügung zu stellen (Finanzierungsleistung).
Diese SpezialUnternehmen werden häufig als Finanzintermediäre im engeren Sinne bezeichnet. Finanzintermediäre i.e.S. treten also einerseits als Geldnehmer auf und werden auf der anderen Seite zugleich als Geldgeber tätig. In ihren Bilanzen stehen sich dementsprechend überwiegend Geldvermögenspositionen (auf der Aktivseite) und Zahlungsverpflichtungen (auf der Passivseite) gegenüber. Durch die Tätigkeit von Finanzintermediären i.e.S. wird das ansonsten zustande kommende unmittelbare Anspruchs- und Verpflichtungsverhältnis zwischen originären Geldgebern und -nehmern durch zwei eigenständige Vertragsverhältnisse ersetzt, in denen der Finanzintermediär gegenüber den originären Geldgebern die Rolle des Geldnehmers und damit des RückZahlungsverpflichteten übernimmt, gegenüber den originären Geldnehmern hingegen als Geldgeber auftritt und damit zugleich als Anspruchsberechtigter. Stellt man sich als weiteren Entwicklungsschritt eine Welt vor, in der mehrere Finanzintermediäre agieren, so ist die weitergehende Vorstellung naheliegend, dass neben den genannten Vertragsverhältnissen zwischen Finanzintermediären und den originären Geldgebern und -nehmern auch noch finanzielle Beziehungen zwischen verschiedenen Finanzintermediären entstehen. Der Ausgleich zwischen originärem Anlage- und Finanzbedarf wird dann nicht durch einen einzigen Finanzintermediär herbeigeführt, sondern durch ein ganzes System vielfältig untereinander verflochtener Intermediäre. In einem solchen System von Finanzintermediären sind dann auch Akteure vorstellbar, die gar nicht mehr mit originären Geldnehmern und/oder originären Geldgebern in Kontakt treten, sondern nur noch mit Finanzintermediären. Für den Brückenschlag zur Wirtschaftspraxis ist es wichtig zu beachten, dass durch die Unterscheidung zwischen Finanzintermediären im engeren und weiteren Sinne bestimmte Funktionsrollen definiert werden, die von den real existierenden Wirtschaftssubjekten möglicherweise ausschließlich, möglicherweise aber auch in den unterschiedlichsten Gemengelagen mit anderen Arten von wirtschaftlichen Aktivitäten ausgefüllt werden können. Grundsätzlich können dabei die sechs durch Abbildung 1.03 verdeutlichten Konstellationen unterschieden werden.
I Finanzintermediäre als Anbieter von Finanzdienstleistungen
6
Abb. 1.03: Tätigkeitsfelder von Finanzintermediären
Neben den beiden „reinen Fällen" von Unternehmen, die ausschließlich als Finanzintermediäre im engeren Sinne (Fall la) oder im weiteren Sinne (Fall 2a) agieren, sind die vier in der Abbildung verdeutlichten „Mischformen" denkbar und im realen Leben auch anzutreffen. Der ausschließlich mit der Vermittlung von Finanzierungskontrakten befasste Finanzmakler wäre ein Beispiel für den „reinen" Finanzintermediär im weiteren Sinne, die klassische Bank, die ihre Tätigkeiten allein auf das Einlagen- und das Kreditgeschäft beschränkt, ein Beispiel für den „reinen" Finanzintermediär im engeren Sinne. Die Banken, wie sie uns heutzutage in Deutschland und weltweit entgegentreten, sind allerdings zumeist durch ein sehr viel breiteres Angebotssortiment gekennzeichnet und dem Typ 3b zuzurechnen. D.h., sie agieren in etlichen Geschäftsfeldern durchaus als Finanzintermediäre im engeren Sinne, erbringen zugleich jedoch auch die für Finanzintermediäre im weiteren Sinne typischen Beratungs- und Vermittlungsleistungen und betätigen sich schließlich auch noch in sonstigen Geschäftsbereichen, z.B. im Immobiliengeschäft. Ungeachtet dieser real anzutreffenden Überlagerung unterschiedlicher Aktivitätsbereiche werden wir uns im Folgenden darauf beschränken, die Funktionen der beiden „reinen" Grundtypen la und 2a etwas näher zu betrachten.
Übungsaufgabe 1.01: Seit etlichen Jahren beobachtet man, dass sich Unternehmen und öffentliche Stellen bei der Beschaffung von Finanzmitteln zunehmend -
von der direkten Kreditfinanzierung bei Banken abwenden und
-
insbesondere über die Emission von Wertpapieren direkte Geschäfte mit den originären Geldgebern abschließen.
Dieser Prozess der „Desintermediation" wird in der Wirtschaftspresse häufig mit Schlagworten wie „vorbei an den Banken" kommentiert. In Bankenkreisen spricht man in diesem Zusammenhang von einer „Verschiebung vom Zinsgeschäft zum Provisionsgeschäft". Erläutern Sie, was mit den drei fett gedruckten Textteilen gemeint sein dürfte, und nehmen Sie dazu ggf. kritisch Stellung!
1.1
Grundlagen
7
Agieren in einer Wirtschaft mehrere Finanzintermediäre, so ist es möglich, dass neben den genannten Vertragsverhältnissen zwischen Finanzintermediär und den eigentlichen Geldgebern und -nehmern auch noch finanzielle Beziehungen zwischen verschiedenen Finanzintermediären entstehen. Der Ausgleich zwischen originärem Anlage- und Finanzbedarf wird dann nicht durch einen einzigen Finanzintermediär herbeigeführt, sondern durch ein ganzes System vielfältig untereinander verflochtener Intermediäre. In der Bundesrepublik Deutschland umfasst dieses System insbesondere Kreditinstitute einschließlich Teilzahlungsbanken und Realkreditinstituten, -
Bausparkassen, Kapitalanlagegesellschaften, Leasing- und Factoringunternehmen, Kapitalbeteiligungsgesellschaften einschließlich Wagnisfinanzierungsgesellschaften, Venture-Fonds etc. sowie
-
Anbieter von Kapital-Lebensversicherungen.
Darüber hinaus ist es zweckmäßig, auch sonstige Versicherungsunternehmen zu den Finanzintermediären im engeren Sinne zu zählen, soweit deren primäre Tätigkeit dadurch gekennzeichnet ist, dass sie sich verpflichten, ihren Vertragspartnern bestimmte möglicherweise entstehende Zahlungsverpflichtungen und sonstige finanzielle Beanspruchungen abzunehmen oder eventuell auftretende Vermögensminderungen durch entsprechende Zahlungen auszugleichen. Derartige Leistungen stehen zunächst in keinem Zusammenhang mit dem für die Tätigkeit von Finanzintermediären bislang als konstitutiv angesehenen Ausgleich von Anlage- und Finanzbedarf. Zwei Aspekte sprechen dennoch dafür, Versicherungsunternehmen in Übereinstimmung mit großen Teilen des Schrifttums den Finanzintermediären im engeren Sinne zuzurechnen: •
Zum einen kann die Motivation originärer Geldgeber, in bestimmten Perioden Gelder anzulegen und dadurch zukünftige Zahlungsansprüche zu erwerben, in dem Wunsch nach Vorsorge für mögliche Zukunftsrisiken bestehen. Genau dieser Wunsch kann aber auch den Anlass zum Abschluss eines Versicherungsvertrages darstellen. Aus der Sicht des Geldanlegers bzw. Versicherungsnehmers können Geldanlage und Versicherungsabschluss also durchaus funktional ähnliche, substitutionale Handlungsmöglichkeiten bilden.
•
Zum zweiten kommt es bei den Anbietern von Versicherungsleistungen häufig dazu, dass die Einzahlungen, die ihnen von der Gesamtheit ihrer Versicherungsnehmer zufließen, die an diese zu leistenden Auszahlungen übersteigen, so dass ein vorübergehender Anlagebedarf besteht, der die Versicherungsunternehmen zugleich auch als Geldgeber auftreten lässt.
g
1 Finanzintermediäre
als Anbieter von
Finanzdienstleistungen
Somit ist die gesamte Tätigkeit von Versicherungsunternehmen in aller Regel dadurch gekennzeichnet, dass sie -
einerseits Zahlungsmittel gegen die bedingte Verpflichtung zukünftiger Zahlungen entgegennehmen und andererseits Zahlungsmittel gegen den Erwerb unbedingter künftiger Rückzahlungsansprüche an andere Geldnehmer weiterleiten,
was den für die zuvor genannten Finanzintermediäre im engeren Sinne kennzeichnenden Merkmalen sehr nahe kommt.
1.1.2.2 Grundfunktionen von Finanzintermediären im engeren Sinne Banken, aber auch andere Unternehmen wie z.B. Factoringinstitute oder Leasingunternehmen,1) die als Finanzintermediäre im engeren Sinne tätig sind, können Probleme aller vier im Abschnitt 1.1.1 vorgestellten Problemgruppen reduzieren. Man bezeichnet diesen Effekt häufig als Transformationsfunktion und unterscheidet im Einzelnen zwischen Informationsbedarfs-, Losgrößen-, Fristen- und Risikotransformation. (1)
Informationsbedarfstransformation
Banken und andere Finanzintermediäre, die mit einer Vielzahl von Geldgebern und -nehmern Geschäfte abschließen, ersparen beiden Seiten die individuelle Suche nach geeigneten Marktpartnern. Der Informationsbedarf der eigentlichen Geldgeber und -nehmer reduziert sich auf die Kenntnis eines geeigneten Finanzintermediärs. Da Finanzintermediäre i.e.S. den eigentlichen Geldnehmern gegenüber als Anspruchsberechtigte auftreten, übernehmen sie zugleich deren Bonitätsprüfung. Der primäre Informationsbedarf der eigentlichen Geldgeber reduziert sich damit zugleich auf die Abschätzung der Bonität des Finanzintermediärs. Dieses Urteil wird dadurch erleichtert, dass zahlreiche Finanzintermediäre, wie z.B. Banken und Versicherungen, aufsichtsrechtlichen Regelungen unterworfen werden, mit dem Ziel, die Ansprüche der originären Geldgeber zu schützen. Ein unserem real existierenden Bankensystem entsprechender, gut ausgebauter Apparat von Finanzintermediären, die zusätzlich noch bestimmten Publizitätsvorschriften unterworfen sind, ermöglicht es originären Geldgebern und -nehmern schließlich auch, sich vergleichsweise einfach über marktgerechte Konditionen zu informieren.
1 Vgl. dazu Abschnitte 2.3.4 und 2.4.
1.1 Grundlagen
(2)
9
Losgrößentransformation
Indem sich Finanzintermediäre im engeren Sinne bereit halten, innerhalb bestimmter Grenzen beliebige Zahlungsmittelbeträge entgegenzunehmen und bereitzustellen, nehmen sie den originären Geldgebern und -nehmern zumindest einen großen Teil ihrer Stückelungsprobleme ab. Dabei erledigt sich das Gros dieser Probleme angesichts der Vielzahl von Geschäften auf beiden Seiten weitgehend von selbst. Ein funktionsfähiges System zum Ausgleich bei einzelnen Finanzintermediären verbleibender „Spitzen", wie z.B. der Geldmarkt1), erhöht zudem die Transformationseffizienz. (3)
Fristentransformation
Soweit Banken oder andere Finanzintermediäre i.e.S. sich bereit halten, Beträge von den Geldgebern für andere Fristen entgegenzunehmen, als sie diese den Geldnehmern überlassen, tragen sie zugleich auch zum Abbau der Fristenprobleme bei. Die - etwa für viele Banken - typische Transformation kürzerer Einlagefristen in längere Kreditfristen wird durch folgende vier einander überlagernden Phänomene ermöglicht: •
Prolongation: Oftmals belassen Einleger ihre Gelder länger bei einer Bank als zunächst vereinbart oder legen frei werdende Beträge erneut an.
•
Substitution: Selbst wenn einzelne Einleger ihre Gelder bei Fälligkeit abziehen, kann der Zahlungsmittelfluss häufig durch neu zufließende Einlagen anderer Einleger ausgeglichen werden.
•
Aktive Geldaufnahme: Weiterhin ist es Banken möglich, sich am Geldmarkt aktiv um die Aufnahme kurz- und mittelfristiger Gelder bei anderen Banken zu bemühen.
•
Vorfällige Abtretung: Schließlich ist es in bestimmtem Umfang auch möglich, noch längere Zeit laufende Zahlungsansprüche bereits vor Fälligkeit an andere Marktpartner abzutreten. Dies ist insbesondere dann recht einfach, wenn die Ansprüche in börsengehandelten Wertpapieren verbrieft sind oder von einem potenten Marktpartner - etwa einer Zentralbank -standardmäßig angekauft werden.
Fähigkeit und Bereitschaft zur Fristentransformation werden allerdings durch die damit verbundenen Risiken begrenzt. So besteht zunächst das sog. Geldanschlussrisiko, d.h. die elementare Gefahr, dass die genannten vier Effekte und Gestaltungsmöglichkeiten in ihrer Gesamtheit nicht ausreichen, die benötigten Zahlungsmittel bereitzustellen.
1
Als „Geldmarkt" bezeichnet man die Gesamtheit von Transaktionen zum kurzfristigen Liquiditätsausgleich zwischen den Banken.
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1 Finanzintermediäre
als Anbieter von
Finanzdienstleistungen
Und selbst wenn es gelingt, den Geldanschluss durch Prolongation bisheriger und Attrahierung neuer Einlagen oder die vorfällige Abtretung von Aktiven zu gewährleisten, verbleiben Zins- und Kursänderungsrisiken. Das heißt, es besteht die Gefahr, dass Geldanschluss oder vorfallige Abtretung nur zu höheren Zinsen bzw. gesunkenen Kursen möglich sind. Soweit Banken oder andere Finanzintermediäre i.e.S. die Verträge mit ihren Geldgebern und -nehmern mit Zinsgleitklauseln oder ähnlichen Vereinbarungen ausstatten, wälzen sie allerdings einen Teil der aus der Fristentransformation resultierenden Risiken letztlich doch wieder auf diese ab.
(4)
Risikotransformation
Durch den Eintritt eines Finanzintermediärs zwischen originäre Geldgeber und -nehmer kann schließlich auch das Ausfallrisiko, dem die Geldgeber hinsichtlich der vorgesehenen Rückzahlungsbeträge ausgesetzt sind, verändert werden. Dafür sind insbesondere die folgenden drei Teileffekte maßgeblich: •
Risikodiversifikation: Selbst wenn ein Finanzintermediär ohne jegliches Eigenkapital agieren sollte, die ihm überlassenen Einlagen jedoch an eine Vielzahl voneinander mehr oder weniger unabhängiger Geldnehmer weiterleitet, kann das Risiko der originären Geldgeber im Vergleich zum Abschluss einer entsprechenden Menge unmittelbarer Kontrakte mit wenigen originären Geldnehmern in dem Ausmaß verringert werden, wie die Gefahr, dass die Rückzahlungsbeträge hinter dem vorgesehenen Umfang zurückbleiben, bei den einzelnen Geldnehmern unterschiedlichen Eintrittsursachen unterliegt. Auch wenn die Möglichkeit des völligen Ausfalls bei jedem einzelnen Engagement ein spürbares Ausmaß aufweisen sollte, wird die Gefahr des gleichzeitigen Ausfalls aller Engagements mit steigender Zahl von Einzelengagements, die unterschiedlichen Risikoeinflüssen unterliegen, immer kleiner.
•
Intermediärhaftung: Zusätzlich zu derartigen Diversifikationseffekten wird die Risikoposition der Geldgeber insgesamt im Vergleich zum Abschluss einer entsprechenden Anzahl unmittelbarer Kontrakte mit originären Geldnehmern genau in dem Umfang verbessert, wie dem Finanzintermediär als -
Leistung seiner Eigenkapitalgeber oder als Ergebnis früher erwirtschafteter Gewinne über die erworbenen Kreditforderungen hinaus zusätzliche Haftungsmasse zur Verfügung steht oder
-
externe Haftungsträger für die Verbindlichkeiten des Finanzintermediärs einstehen.
1.1 Grundlagen
•
11
Risikoselektion und -gestaltung: Die aus Intermediärhaftung und Risikodiversifikation resultierenden Transformationseffekte würden selbst dann eintreten, wenn der Finanzintermediär die Finanzierungswünsche der originären Geldnehmer genau in dem gleichen Ausmaß und unter den gleichen Bedingungen erfüllen würde, wie dies bei unmittelbaren Vertragsabschlüssen durch die originären Geldgeber selbst der Fall wäre. Diese Übereinstimmung ist jedoch nicht zwingend. Vielmehr kann angenommen werden, dass Finanzintermediäre als Folge ihrer Spezialisierung auf Finanzgeschäfte im Wege der Kreditwürdigkeitsprüfung die mit einem potentiellen Engagement verbundenen Risiken besser erkennen. Dies ermöglicht ihnen dann, diese Risiken als unmittelbarer Geldgeber durch geeignete Sicherungs- und Kontrollmaßnahmen zu begrenzen oder aber auf als besonders riskant identifizierte Engagements ganz zu verzichten.
Der skizzierte Diversifikationseffekt ermöglicht es Finanzintermediären schließlich auch, die Bedingungsstruktur der übernommenen Zahlungsverpflichtungen systematisch anders zu gestalten als die der eigenen Zahlungsansprüche gegenüber den Geldnehmern. Diese Art der Risikotransformation kann am Beispiel der Versicherungen am einfachsten verdeutlicht werden. Diese erwerben mit den ihnen zufließenden Geldern überwiegend unbedingte Zahlungsansprüche; die Geldnehmer sind im einfachsten Fall verpflichtet, den ihnen überlassenen Betrag zuzüglich der vereinbarten Zinsen unabhängig davon an die Versicherung zurückzuzahlen, wie sich die eigene wirtschaftliche Situation entwickelt. Auf der anderen Seite geben die Versicherungsunternehmen ihren eigenen Geldgebern jedoch in der Weise bedingte Zahlungsversprechen, dass die Höhe des Geldgeberanspruchs davon abhängig gemacht wird, wie sich bestimmte, im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch unsichere Größen zukünftig entwickeln werden. Bei Versicherungsverträgen handelt es sich bei den Bedingungen für den Eintritt einer Zahlungspflicht regelmäßig um Ereignisse, durch die der Versicherte einen materiellen oder immateriellen Schaden erleidet. Daneben finden sich auch Beispiele für die Übernahme in anderer Weise bedingter RückZahlungsverpflichtungen von Finanzintermediären. Dies ist etwa der Fall, wenn Finanzintermediäre den eigentlichen Geldgebern gegenüber als Garanten und Bürgen auftreten oder auch als Stillhalter bei Wertpapieroptionsgeschäften. Wir werden darauf später noch näher eingehen. Folgende Abbildung fasst die vier Arten von Transformationsleistungen und die für sie maßgeblichen Komponenten, die von Finanzintermediären im engeren Sinne erbracht werden, noch einmal kompakt zusammen:
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1 Finanzintermediäre als Anbieter von Finanzdienstleistungen
Informationsbedarfs transformation • Existenz von Marktpartnern • Bonität v o n G e l d n e h m e r n • Marktgerechte Konditionen
Losgrößentransformation
Fristentransformation •
Prolongation
•
Substitution
• Aktive G e l d a u f n a h m e • Vorfällige Abtretung
Risikotransformation •
Diversifikation
•
Intermediärhaftung
• Risikoselektion und -gestaltung Abb. 1.04: Funktionen von Finanzintermediären im engeren Sinne
Übungsaufgabe 1.02: Im Folgenden finden Sie einige Aussagen zur Transformationsfunktion von Banken. Nehmen Sie dazu jeweils kurz Stellung! a) Zinsgleitklauseln sind in erster Linie ein Instrument, um die mit der Kreditvergabe verbundenen Ausfallrisiken zu begrenzen. b) Zinsgleitklauseln sind in erster Linie ein Instrument, um die mit der Fristentransformation verbundenen Zinsänderungsrisiken zu begrenzen. c)
Kreditsicherheiten sind in erster Linie ein Instrument, um die mit der Fristentransformation verbundenen Zinsänderungsrisiken zu begrenzen.
d) Kreditsicherheiten sind in erster Linie ein Instrument, um die mit der Kreditvergabe verbundenen Ausfallrisiken zu begrenzen. e) Für eine Bank, die kürzere Einlagenfristen in längere Kreditfristen transformiert, besteht die wichtigste Rolle des Geldmarktes in der Möglichkeit, von Zeit zu Zeit auftretende Liquiditätsüberschüsse zinsbringend anzulegen.
1.1 Grundlagen
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1.1.2.3 Grundfunktionen von Finanzintermediären im weiteren Sinne Statt selbst als Geldgeber und -nehmer aufzutreten, zielt die Geschäftstätigkeit von Unternehmen, die als Finanzintermediäre im weiteren Sinne auftreten, definitionsgemäß darauf, den unmittelbaren Abschluss von Finanzkontrakten zwischen den originären Geldgebern und -nehmern einfacher und kostengünstiger herbeizuführen oder überhaupt erst zu ermöglichen. Hier sind mit -
Vermittlungsleistungen,
-
Informationsleistungen sowie Risikoübernahmeleistungen
insbesondere drei Kategorien von Leistungen zu unterscheiden: (1)
Vermittlungsleistungen
Vermittlungstätigkeiten, wie sie auch in anderen Wirtschaftsbereichen von Maklern wahrgenommen werden, können im finanziellen Sektor im Einzelnen noch danach differenziert werden, ob sie sich auf die -
Herbeiführung eines unmittelbaren Vertrages zwischen Geldnehmern und gebern oder die
-
Übertragung bereits existierender Ansprüche von einem bisherigen Anleger auf einen neuen Anleger
beziehen. Vermittlungsleistungen der ersten Art werden zum Teil auch von Finanzintermediären im engeren Sinne erbracht (z.B. im Emissionsgeschäft der Banken), daneben aber auch von Finanzmaklern und Kreditvermittlern. Während erstere typischerweise zur Deckung des Finanzbedarfs von Unternehmen durch intermediäre, z.T. auch originäre Geldgeber beitragen, vermitteln letztere insbesondere zwischen nicht gewerblichen, privaten Geldnehmern und Banken als intermediären Geldgebern. Weiterhin gehören zu dieser Vermittlergruppe die Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler sowie verschiedene Arten von Vertriebsorganisationen zum Absatz von Investmentzertifikaten und ähnlichen Anlageformen. Vermittlungsleistungen der zweiten Art sind in der Bundesrepublik Deutschland typisch für Wertpapiermakler, die Kauf- und Verkaufsaufträge in börsengehandelten Wertpapieren zum Ausgleich bringen. Allerdings nehmen sie ihre Vermittlungsaufträge nur von einer kleinen Anzahl von Börsenhändlern entgegen, bei denen es sich in aller Regel um Beauftragte von Kreditinstituten handelt, die ih-
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1 Finanzintermediäre
als Anbieter von
Finanzdienstleistungen
rerseits neben Eigengeschäften zugleich Aufträge für ein breiteres Anlegerpublikum ausführen und somit noch einmal eine der eigentlichen Maklertätigkeit vorgeschaltete Vermittlungsfunktion übernehmen. Banken, die sich ganz überwiegend auf dieses Geschäftsfeld spezialisiert haben, bezeichnet man auch als Broker-Banken. Unabhängig von derartigen Details wird den originären Geldgebern (Anlegern) für die Abwicklung von Wertpapiergeschäften auf jeden Fall ein mehrstufiges Vermittlungssystem zur Verfügung gestellt, bei dem es in aller Regel völlig unerheblich, oftmals sogar überhaupt nicht feststellbar ist, zwischen welchem bisherigen Anleger und welchem neuen Anleger sich die konkrete Übertragung der entsprechenden Wertpapiere vollzieht. Für die Effizienz der Vermittlungstätigkeit ist nicht nur die Leistungsfähigkeit der Wertpapiermakler und der vorgeschalteten Kreditinstitute bedeutsam, sondern darüber hinaus auch die Ausgestaltung des gesamten institutionellen Rahmens, innerhalb dessen sich der Wertpapierhandel abspielt. Unter diesem Aspekt sind auch die Wertpapierbörsen insgesamt als Finanzintermediäre im weiteren Sinne anzusehen. Denn ihre Einrichtungen tragen wesentlich dazu bei, die Kosten für die Herbeiführung eines Vertragsabschlusses zu senken. Auf die wichtigsten Gegebenheiten des Börsenwesens in Deutschland werden wir im Abschnitt 3.1.2 noch näher eingehen.
(2)
Informationsleistungen
Leistungen der zweiten Kategorie, also die Bereitstellung von Informationen über Existenz und Qualität potentieller Geldnehmer sowie verschiedener Anlagemöglichkeiten, insbesondere in börsengehandelten Wertpapieren, werden zum einen häufig von Banken in Ergänzung ihres sonstigen Geschäfts mit erbracht, zum anderen aber auch von weitgehend auf diese Tätigkeiten spezialisierten Institutionen wie zum Beispiel -
Börsendiensten, die ihre Leser regelmäßig mit speziell aufbereiteten Informationen über die Entwicklung bestimmter Börsensegmente - bis hin zu Anlageempfehlungen - versorgen,
-
Rating-Agenturen (wie Moody's oder Standard & Poor's), die Wertpapieremittenten ständig auf ihre Bonität untersuchen und die dabei gewonnene Einschätzung durch die Einordnung der Unternehmen und der von ihnen ausgegebenen Wertpapiere in verschiedene Bonitätsklassen publizieren, oder Evidenz-Zentralen (wie z.B. die Schufa), die Informationen über relevante Verhaltensweisen von Geldnehmern sammeln und sie an bestimmte Geldgeber weiterleiten.
1.1 Grundlagen
(3)
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Risikoübernahmeleistungen
Auch Leistungen der dritten Kategorie, also die Übernahme bestimmter Anlagerisiken, werden z.T. von Unternehmen, die schon als Finanzintermediäre im engeren Sinne tätig sind, insbesondere von Banken in Ergänzung ihrer sonstigen Transaktionen mit erbracht. Daneben existieren aber etwa mit Kreditkartenunternehmen und Kreditversicherern weitere Institutionen, deren primärer Geschäftszweck in der Übernahme derartiger Risiken besteht. Kreditkartenunternehmen erlauben es ihren Kunden, Rechnungen bei Vorlage der Kreditkarte „per Unterschrift" zu begleichen. Dabei übernimmt das Kreditkartenunternehmen die Begleichung der Rechnung unabhängig davon, ob der Kreditkarteninhaber die ihm später belastete Summe ausgleicht oder nicht. Mit der primären Funktion der Übernahme von Ausfallrisiken geht eine kurzfristige Kreditgewährung an die Kreditkarteninhaber einher, so dass Kreditkartenunternehmen auch als Finanzintermediäre i.e.S. eingeordnet werden könnten. Kreditversicherer übernehmen gegen Zahlung einer Prämie das Risiko des Ausfalls einer Forderung. Je nach dem für die Entstehung der Forderungen maßgeblichen Geschäft unterscheidet man verschiedene Versicherungsarten wie z.B. Warenkredit-, Finanzkredit-, Teilzahlungskredit- oder Ausfuhrkreditversicherungen. Folgendes Schema verdeutlicht noch einmal zusammenfassend die wichtigsten Erscheinungsformen von Finanzintermediären im weiteren Sinne: Vermittlungsleistungen • Abschluss von Finanzkontrakten - Kreditvermittler - Finanzmakler - Versicherungsvertreter und -makler - Vertriebsorganisationen • Übertragung bestehender Kontrakte - Wertpapierbörsen - Wertpapiermakler Informationsleistungen • Börsendienste • Rating-Agenturen • Evidenz-Zentralen Risikoübernahmeleistungen • Kreditkartenunternehmen • Kreditversicherungen Abb. 1.05: Funktionen und Erscheinungsformen von Finanzintermediären im weiteren Sinne
16
1 Finanzintermediäre als Anbieter von Finanzdienstleistungen
1.1.2.4 Klassifikation von Finanzintermediären nach Adressaten und Ausmaß der erbrachten Transformationsleistungen Um zu verdeutlichen, in welcher Weise die verschiedenen Finanzintermediäre zum Ausgleich von originärem Anlage- und Finanzbedarf beitragen, kann man diese nach zwei einander überlagernden Kriterien einteilen, nämlich -
ob sie ihre Leistungen überwiegend unmittelbar originären Geldgebern oder -nehmern anbieten oder schwerpunktmäßig nur innerhalb des Intermediärsystems tätig sind, oder
-
welche der genannten Transformationsleistungen für ihr spezifisches Profil in erster Linie kennzeichnend sind.
Man erhält so folgende Einteilung: (1)
Originäre Geldgeber und -nehmer als überwiegende Adressaten Universalbanken, Realkreditinstitute, Bausparkassen und Versicherungen wenden sich sowohl bei der Geldbeschaffung als auch bei der Geldanlage in großem Umfang an originäre Geldgeber und -nehmer. Sie nehmen im Allgemeinen alle vier Arten von Transformationsleistungen wahr. Dabei ergibt sich das spezifische Leistungsprofil der Versicherungen insbesondere durch das Prinzip der Risikotransformation mittels bedingter Verpflichtungsstrukturen. Die Besonderheit von Realkreditinstituten wird demgegenüber durch Risikotransformation mittels Risikodiversifikation und -Selektion bestimmt, während der Aspekt der Fristentransformation für diese Institute im Vergleich zu anderen Kreditinstituten eher nachrangige Bedeutung hat. Das Spezifikum der Bausparkassen schließlich besteht darin, dass sich deren aktuelle Geldnehmer ganz überwiegend aus früheren Geldgebern rekrutieren. Die Tabelle im numerischen Anhang am Schluss des Buches vermittelt einen gewissen Überblick über das Ausmaß, in dem Kreditinstitute, Versicherungen und Bausparkassen gegenüber verschiedenen Gruppen originärer Geldgeber und -nehmer Transformationsleistungen erbringen.
(2)
Originäre Geldnehmer und intermediäre Geldgeber als überwiegende Adressaten Leasing- und Factoringunternehmen wenden sich ebenso wie Teilzahlungsbanken (zumindest traditioneller Prägung) und Kapitalbeteiligungsgesellschaften typischerweise nur hinsichtlich der Mittelverwendung an originäre Geldnehmer, während sie ihren eigenen Finanzbedarf überwiegend bei anderen Finanzintermediären decken. In analoger Weise ist auch die Tätigkeit von Kreditvermittlern ganz überwiegend auf die Vermittlung zwi-
1.1 Grundlagen
17
sehen originären Geldnehmern und intermediären Geldgebern ausgerichtet, wobei die Transformation des Informationsbedarfs den wichtigsten Leistungsschwerpunkt darstellt. Das Spezifische der durch die vier zuerst genannten Typen von Finanzintermediären im engeren Sinne erbrachten Transformationsleistungen besteht demgegenüber in erster Linie in der jeweils besonderen Form der Geldvergabe. Dabei steht bei den Kapitalbeteiligungsgesellschaften, insbesondere in ihrer Erscheinungsform als Wagnisfinanzierungsgesellschaften, eindeutig der Aspekt der Risikotransformation im Vordergrund und zwar in der Weise, dass Unternehmen Finanzierungsmöglichkeiten geboten werden, die von originären Geldgebern angesichts der erheblichen RückZahlungsrisiken gar nicht oder nur in deutlich geringerem Ausmaß bereitgestellt würden. Für Factoringinstitute ist demgegenüber die Finanzierung von Unternehmen durch den vorfälligen Aufkauf von Forderungen typisch, während Leasinggesellschaften Unternehmen und zunehmend auch privaten Haushalten in der Weise indirekte Finanzierungsleistungen anbieten, dass sie von ihren Kunden benötigte Investitionen oder (langlebige) Konsumgüter selbst erwerben und diesen gegen die laufende Zahlung von Leasingraten zur Nutzung überlassen. Die Tabelle im numerischen Anhang am Schluss des Buches nennt aktuelle Zahlen zum Volumen der von Factoringinstituten gehaltenen Forderungen und über die im Wege des Leasing sowie durch Kapitalbeteiligungsgesellschaften finanzierten Investitionen.
(3)
Originäre Geldgeber und intermediäre Geldnehmer als überwiegende Adressaten Kapitalanlagegesellschaften, Versicherungsvertreter und -makler, Wertpapiermakler und -börsen sowie Börsendienste und Ratingagenturen wenden sich mit ihrem Leistungsangebot primär an originäre (und auch intermediäre) Geldgeber, kaum jedoch an originäre Geldnehmer. Für Kapitalanlagegesellschaften ist das Prinzip der Risikodiversifikation das konstitutive Merkmal: Mit der Ausgabe von Investmentzertifikaten bieten sie Geldgebern diversifizierte Anlagemöglichkeiten, die diese allein schon aus Stückelungsgründen oftmals gar nicht hätten realisieren können. Damit transformieren sie zugleich Informationsbedarf und Betrag. Fristentransformation betreiben sie hingegen nur insoweit, wie sie sich zur jederzeitigen Rücknahme der ausgegebenen Zertifikate bereithalten; da der Rücknahmepreis jedoch auf der Basis der jeweiligen Kurswerte des Fondsvermögens berechnet wird, verbleiben die Risiken der Fristentransformation letztlich doch beim Geldgeber.
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1 Finanzintermediäre als Anbieter von Finanzdienstleistungen
Versicherungsvertreter und Makler vermitteln praktisch ausschließlich Leistungen intermediärer Geldnehmer, eben der Versicherungen, und wenden sich dabei überwiegend an originäre Geldgeber und vermindern deren Informationsbedarf. Auch Wertpapierbörsen und die dort tätigen Makler reduzieren in erster Linie den Informationsbedarf der Anleger hinsichtlich möglicher Handelspartner. Zugleich tragen sie mit der Zusammenführung unterschiedlich dimensionierter Kauf- und Verkaufsaufträge auch zur Betragstransformation bei. Indirekt erleichtern sie damit natürlich den Emittenten börsengehandelter Wertpapiere, also bestimmten originären und intermediären Geldnehmern, den Vorgang der Mittelbeschaffung. Diesen indirekten Effekt entfalten schließlich auch Börsendienste und Ratingagenturen, deren primäre Leistung in der Verminderung des Informationsbedarfs der Geldgeber über die Qualität bestimmter Anlageformen besteht. Die Tabelle im numerischen Anhang am Schluss des Buches nennt aktuelle Zahlen zum Volumen der von Kapitalanlagegesellschaften erbrachten Transformationsleistungen.
(4)
Finanzintermediäre als überwiegende Adressaten Schließlich gibt es Finanzintermediäre, die sich mit ihrem Leistungsangebot ganz überwiegend weder an originäre Geldgeber noch an originäre Geldnehmer wenden, sondern in erster Linie an andere Finanzintermediäre. Das trifft auf einige Spezialbanken zu, die sich weitgehend auf das Interbankgeschäft beschränken sowie auf RückVersicherungsmakler. Auch Evidenzzentralen, wie z.B. die Schufa in Deutschland oder das Institute of International Finance im internationalen Kreditgeschäft, bieten ihre Leistungen ganz überwiegend nur anderen Finanzintermediären an.
1.2
Struktur und Leistungsangebot der deutschen Bankwirtschaft
1.2.1
Vorüberlegungen
In dem überwiegend theoretisch ausgerichteten Abschnitt 1.1 haben Sie die grundlegenden Funktionen kennengelernt, die insbesondere Banken in ihrer Funktion als Finanzintermediäre sowohl im engeren als auch im weiteren Sinne bei dem Ausgleich von Anlage- und Finanzbedarf ausüben. Wir wollen uns in diesem Abschnitt nun mit den wichtigsten Elementen beschäftigen, die das konkret existierende Bankensystem kennzeichnen. Das deutsche Bankensystem gliedert sich grundsätzlich in -
das Zentralbankensystem und
-
das System der Geschäftsbanken.
1.2 Struktur und Leistungsangebot
der deutschen
Bankwirtschafi
19
Im Rahmen dieses betriebswirtschaftlich ausgerichteten Vertiefungsfaches interessieren in erster Linie die Geschäftsbanken, mit denen wir uns dementsprechend in den Abschnitten 1.2.2 bis 1.2.5 ausführlicher beschäftigen wollen. Der Vollständigkeit halber wollen wir diesen Ausführungen jedoch einige skizzenhafte Hinweise auf das Zentralbanksystem voranstellen. Dieses System umfasst zunächst die in Frankfurt ansässige Europäische Zentralbank (EZB), die zusammen mit den nationalen Zentralbanken aller „Euro"Länder das sogenannte Eurosystem bildet. Die vordringliche Aufgabe von EZB und Eurosystem besteht in der Wahrung der Preisstabilität im Euro-Raum. Die wichtigsten Instrumente zur Realisierung dieses Ziels bestehen in verschiedenen Formen sogenannter Offenmarktgeschäfte des Eurosystems mit den Geschäftsbanken, durch die diesen in mehr oder weniger großem Umfang und zu jeweils wechselnden Zinskonditionen Zahlungsmittel in Form von Zentralbankguthaben überlassen werden. Zudem kann die EZB die Geschäftsbanken mit dem Instrument der Mindestreservepflicht dazu verpflichten, einen bestimmten Prozentsatz ihrer Kundeneinlagen (z.B. 2%) auf einem Einlagenkonto des Eurosystems „stillzulegen". Die Deutsche Bundesbank ist die Zentralbank der Bundesrepublik Deutschland. Ihre geldpolitischen Aufgaben beschränken sich auf die Entgegennahme von Weisungen des EZB-Direktoriums. Im Rahmen dieser Weisungen ist die Bundesbank z.B. bei der Abwicklung von Offenmarktgeschäften zwischen der EZB und den deutschen Geschäftsbanken beteiligt. Daneben nimmt die Bundesbank etliche weiterer Aufgaben wahr: •
Sie ist die „Bank der Banken" in Deutschland. Alle Geschäftsbanken müssen bei ihr Konten unterhalten, deren Nummern übrigens mit den Ihnen bekannten Bankleitzahlen übereinstimmen. Auch müssen die deutschen Geschäftsbanken die von der EZB festgelegten Mindestreserven bei der Bundesbank unterhalten.
•
Die Bundesbank ist die Hausbank des Bundes und wirkt bei der Emission von Bundeswertpapieren mit. Sie verwaltet zudem Devisenreserven und Goldvorräte.
•
Sie ist zuständig für die Ausgabe der Euro-Münzen in Deutschland und die Bargeldversorgung der deutschen Kreditinstitute.
•
Die Bundesbank wirkt ferner bei der Beaufsichtigung der Geschäftsbanken mit und erstellt bank- und volkswirtschaftliche Statistiken und Gutachten.
1 Finanzintermediäre als Anbieter von Finanzdienstleistungen
20
1.2.2
Begriff und Arten von Geschäftsbanken
Die Geschäftstätigkeit deutscher Banken ist durch eine Vielzahl von Gesetzen, Verordnungen etc. reglementiert. Ein Großteil dieser Vorschriften zielt darauf ab, Bankkunden vor der Übervorteilung beim Vertragsabschluss und vor Verlusten aus abgeschlossenen Verträgen zu schützen. Zentrale Bedeutung kommt dabei dem Kreditwesengesetz (KWG) zu, in dem - nebenbei bemerkt - nicht von „Banken", sondern von „Kreditinstituten" die Rede ist. Wir wollen hier beide Ausdrücke synonym verwenden. In § 1 des KWG werden Kreditinstitute als Unternehmen definiert, die Bankgeschäfte betreiben. Was unter Bankgeschäften zu verstehen ist, wird danach abschließend aufgezählt. Diese Liste umfasst u.a. die folgenden hier zur beispielhaften Verdeutlichung aufgezählten Geschäftsarten: Einlagengeschäft Annahme fremder Gelder mit dem Versprechen der späteren Rückzahlung, unabhängig davon, ob Zinsen vergütet werden oder nicht. Kreditgeschäft Gewährung von Darlehen und von Akzeptkrediten. Diskontgeschäft Ankauf von Wechseln und Schecks vor ihrer Fälligkeit. Effektengeschäft Durchführung von Kauf- und Verkaufaufträgen in Wertpapieren für andere. Depotgeschäft Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren für andere. Investmentgeschäft Bildung von Sondervermögen aus Wertpapieren, Immobilien oder Beteiligungen, das nach dem Prinzip der Risikomischung verwaltet wird, und Ausgabe kleingestückelter Anteile an diesem Sondervermögen. Girogeschäft Durchführung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs. Emissionsgeschäft Übernahme von Wertpapieren für eigenes Risiko zur Platzierung oder die Übernahme gleichwertiger Garantien.
1.2 Struktur und Leistungsangebot der deutschen Bankwirtschaft
21
Rechercheaufgabe:*) Eine aktuelle Lesefassung des Kreditwesengesetzes finden Sie auf der Internetseite der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFin): •f
www.bafin.de
Verschaffen Sie sich dort - oder auf anderem Wege - einen Überblick über die Gesamtheit der in § 1 definierten Bankgeschäfte!
Voraussetzung dafür, dass ein Unternehmen als Kreditinstitut gilt und damit den Vorschriften des KWG unterliegt, ist, dass es mindestens eine dieser Geschäftsarten betreibt, und zwar in einem solchen Umfang, dass dies „einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert" (§ 1 Abs. 1, Satz 1 KWG). Von dieser Regelung ausgenommen sind lediglich die in § 2 KWG genannten Institutionen und Unternehmen, darunter unter anderem auch -
die Deutsche Bundesbank,
-
Versicherungsunternehmen sowie
-
Pfandleihinstitute.
Die Gruppe der Kreditinstitute im Sinne von § 1 KWG wollen wir im Folgenden in Abgrenzung zum Bereich des Zentralbanksystems als die Geschäftsbanken bezeichnen. Die Geschäftsbanken können in Anlehnung an die Statistik der Deutschen Bundesbank in der durch Abb. 1.06 verdeutlichten Weise in mehrere Gruppen untergliedert werden.
* Im Laufe dieses Buches werden Sie ab und an auf „Rechercheaufgaben" treffen, die Ihnen den Anlass geben sollen, sich über das eine oder andere rechtliche, institutionelle oder statistische Detail selbst - in der Regel mit Hilfe des Internets - zu informieren. Zu diesen Aufgaben präsentieren wir Ihnen aus naheliegenden Gründen keine Lösungshinweise.
22
1 Finanzintermediäre als Anbieter von Finanzdienstleistungen
Geschäftsbanken
Universalbanken
Private Geschäftsbanken („Kreditbanken")
Sparkassensektor
Genossenschaftssektor
Spezialbanken
Realkreditinstitute
Bausparkassen
Banken mit Sonderaufgaben
Kapitalanlagegesellschaften
Wertpapiersammelbanken
sonstige Banken
Abb. 1.06:
Struktur des Geschäftsbankensystems in der Bundesrepublik Deutschland
Universalbanken sind dadurch gekennzeichnet, dass sie ein breites Spektrum der allgemein nachgefragten Bankleistungen anbieten, während sich die Spezialbanken - ihrer Bezeichnung entsprechend - oftmals nur auf eine einzige Geschäftsart konzentrieren. Um Ihnen eine grobe Vorstellung von der Anzahl der verschiedenen, in Deutschland tätigen Kreditinstitute zu geben, sei erwähnt, dass sich die Zahl der Genossenschaftsbanken auf etwas über 1.000 und die der Sparkassen auf knapp 500 beläuft, während die privaten Geschäftsbanken mit weniger als 300, zumindest ihrer Anzahl nach, die kleinste Universalbankengruppe darstellen. Die Zahl der Spezialbanken ist naturgemäß sehr viel geringer; insgesamt gibt es von ihnen weniger als 200.
Rechercheaufgabe: Über aktuelle Entwicklungen können Sie sich in der „Bankenstatistik" der Deutschen Bundesbank auf dem Laufenden halten, die Sie den monatlich erscheinenden , .Monatsberichten" entnehmen können oder im Internet finden: •
www.bundesbank.de
Unter den Rubriken „Statistik" finden Sie eine Vielzahl statistischer Informationen, insbesondere zur „Bankenstatistik". Versuchen Sie dort über die Statistik „wichtige Aktiva und Passiva der Banken in Deutschland nach Bankengruppen" genauere Zahlen über die Stärke der drei Gruppen von Universalbanken herauszufinden!
1.2 Struktur und Leistungsangebot der deutschen Bankwirtschaft
23
Wir werden im Folgenden zunächst den Bereich der Universalbanken etwas näher verdeutlichen (Abschnitte 1.2.3 und 1.2.4) und anschließend kurz auf die Spezialbanken eingehen (Abschnitt 1.2.5).
1.2.3
Das Leistungsangebot von Universalbanken im Überblick
Universalbanken sind dadurch gekennzeichnet, dass sie ein breites Spektrum unterschiedlicher Finanzdienstleistungen anbieten. Dabei können mit Anlageleistungen, -
Finanzierungsleistungen,
-
Risikoübernahmeleistungen sowie
-
Zahlungsverkehrsleistungen
vier grundlegende Kategorien von Bankleistungen unterschieden werden. Im Hinblick auf diese Leistungen treten Banken einerseits als unmittelbare Vertragspartner, also als Finanzintermediäre i.e.S. auf, bei anderen Leistungen erbringen Banken hingegen nur Vermittler- und Beratungsleistungen, agieren also als Finanzintermediäre i.w.S. (1)
Anlageleistungen
Banken halten sich zum einen bereit, Gelder in verschiedenen Formen zur verzinslichen Anlage - etwa als Spar- oder Termineinlagen - entgegenzunehmen. Daneben sind Banken bei anderen Formen der Vermögensanlage als Vermittler tätig. Dies gilt insbesondere für den Erwerb von Wertpapieren sowie auch für die Vermögensanlagen in Lebensversicherungen. In Abrundung derartiger Vermittlungsleistungen bieten die Banken zudem etliche weitere Dienstleistungen an, wie z.B. die Anlage- und Vermögensberatung, die Verwahrung von Wertpapieren, die Ausübung von Stimmrechten etc. (2)
Finanzierungsleistungen
Als Gegenpol zu dem Einlagengeschäft bieten Universalbanken zugleich ein breites Spektrum unterschiedlicher Formen von Darlehen an, wobei sie selbst unmittelbar als Gläubiger auftreten. Daneben treten Banken jedoch auch im Finanzierungsbereich als Vermittler auf. So gehört etwa die Mithilfe bei der Ausgabe von Wertpapieren anderer Emittenten seit langem zum traditionellen Bankgeschäft. Hinzu kommen aber auch weitere Vermittlungen, etwa von Leasingangeboten, Hypothekarkrediten, Factoringabschlüssen etc. Auf einige ausgewählte Finanzierungsleistungen werden wir in Kapitel 2 noch etwas näher eingehen.
24
(3)
1 Finanzintermediäre
als Anbieter von
Finanzdienstleistungen
Risikoübernahme
Die Übernahme bestimmter Arten von Risiken in Form von Bürgschaften und Garantien sowie ggf. auch durch das Akzeptieren von Wechseln stellt ein weiteres Segment traditioneller Bankleistungen dar. Ahnlich wie schon im Hinblick auf die Anlageleistungen angemerkt - und z.T. in Überlagerung mit diesem Leistungsbereich - werden Banken zudem auch beim Abschluss der unterschiedlichsten Versicherungen vermittelnd tätig. (4)
Zahlungsverkehrsleistungen
Die Zahlungsverkehrsleistungen der Banken beziehen sich in erster Linie auf den bargeldlosen Zahlungsverkehr. Ausgangspunkt für die Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr ist der Unterhalt von Bankguthaben in Form sogenannter Sichteinlagen. Darunter versteht man Guthaben, -
die jederzeit in beliebiger Höhe wieder abgerufen werden können und über die außer durch Barabhebung auch unbegrenzt mit den Instrumenten des bargeldlosen Zahlungsverkehrs (s.u.) verfügt werden kann.
Die Abrechnung der Zahlungsbewegungen erfolgt auf sog. Girokonten (auch laufendes Konto, Lohn- und Gehaltskonto, Kontokorrentkonto oder ähnlich genannt). Dabei gestatten die Banken dem Kontoinhaber häufig, das Konto zu „überziehen", d.h. auch dann noch bargeldlose Zahlungen zu leisten, wenn das Konto gar nicht mehr einen entsprechenden Guthabenbestand aufweist. Aus dem Guthaben wird dann vorübergehend eine häufig als Dispo-Kredit oder auch Kontokorrentkredit bezeichnete Verbindlichkeit. Guthaben auf derartigen Konten werden in aller Regel sehr niedrig (z.B. mit 0,5% p.a.) oder gar nicht verzinst. Bei Überziehungen werden demgegenüber recht hohe Zinsen belastet; die Sätze wechseln je nach der gesamten Zinssituation, liegen aber nicht selten oberhalb von 10% p.a. Die Abrechnung der Girokonten erfolgt in der Regel quartalsmäßig, gelegentlich auch monatlich. Dabei werden die im Abrechnungszeitraum aufgelaufenen Guthabenzinsen gutgeschrieben, während die Schuldzinsen und etwaige Kontoführungsgebühren belastet werden. Leistungen des bargeldlosen Zahlungsverkehrs sind darauf ausgerichtet, den Ausgleich eines Zahlungsanspruchs in der Weise zu bewirken, dass eine Buchungskette ausgelöst wird, durch die eine Belastung auf dem Konto des Zahlungsverpflichteten erfolgt und zugleich -
eine Gutschrift auf einem Konto des Anspruchsberechtigten verursacht wird.
1.2 Struktur und Leistungsangebot der deutschen Bankwirtschaft
25
Dazu stehen mit der Überweisung, dem Scheck und der Lastschrift im wesentlichem drei Instrumente bereit. Mit der Überweisung weist der Zahlungsverpflichtete seine Bank an, unter Belastung seines Kontos die Gutschrift auf dem Empfängerkonto zu bewirken. Sofern dessen Konto nicht auch bei der beauftragten Bank geführt wird, bedarf es dazu möglicherweise etlicher Zwischenschritte über mehrere Banken hinweg.
Übungsaufgabe 1.03: ALPHA hat bei der BETA-Versand AG Bücher im Rechnungsbetrag von 1.000 Euro bestellt und will diesen Betrag durch Überweisung von seinem Girokonto bei der Α-Bank auf das BETA-Konto bei der B-Bank begleichen. Das Girokonto von ALPHA weist aktuell ein Guthaben von 2.500 Euro auf; die BETA hat ihren Kontokorrentkredit zu 987.000 Euro beansprucht. Der Verkehr zwischen A- und B-Bank wird über ihre Konten bei der Zentralbank (Z) abgewickelt, die beide Guthaben von mehreren Mio. Euro aufweisen. Beschreiben Sie genau (auch anhand der jeweiligen Buchungssätze bei Α, Β und Z), welche Kontobewegungen durch die Abwicklung der betrachteten Überweisung ausgelöst werden!
Der Scheck stellt - insoweit wie die Überweisung - eine Anweisung des Scheckausstellers an seine Bank dar, eine bestimmte Zahlung zu leisten. Durch den weithin üblichen Zusatz „nur zur Verrechnung" wird dabei sichergestellt, dass die Ausführung dieser Anweisung nicht durch Barzahlung, sondern ebenfalls nur im Wege einer Kontengutschrift erfolgen kann. Im Gegensatz zur Überweisung geht die Initiative zur Ausführung der in dem Scheck enthaltenen Anweisung jedoch nicht von dem Zahlungsverpflichteten, sondern von dem Empfänger selbst aus. Dazu reicht er den ihm von den Zahlungspflichtigen übergebenen Scheck seiner Bank ein, die ihn - möglicherweise wieder über mehrere Zwischenschritte - an die Bank des Ausstellers zur Belastung von dessen Konto weiterleitet. Bei der Lastschrift schließlich liegt die Initiative für den konkreten Zahlungsvorgang ausschließlich beim Zahlungsempfänger. Er wendet sich ohne weitere Beteiligung des Zahlungsverpflichteten über seine eigene Bank - und ggf. wieder eine Kette zwischengeschalteter weiterer Banken - durch Vorlage des sog. Lastschriftformulars an dessen Bank mit der Bitte, die gewünschte Buchungskette auszulösen und das Konto des Zahlungsverpflichteten zu belasten. Dieser „Verfügung über ein fremdes Konto" liegt entweder eine unmittelbare Ermächtigung des Zahlungsempfängers durch den Zahlungsverpflichteten zugrunde, die sog. Einzugsermächtigung, -
oder ein pauschaler Auftrag, den der Zahlungspflichtige seiner Bank erteilt hat, der sog. Abbuchungsauftrag.
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als Anbieter von
Finanzdienstleistungen
Als ergänzende Dienstleistung bieten die Banken sogenannte Scheck- oder Bankkarten an. Über die Magnetstreifencodierung kann die Scheckkarte zur Begleichung bestimmter Einkäufe im Zuge des Lastschriftverfahrens genutzt werden. Überragende Bedeutung hat in Deutschland die EC-Karte (Eurocheque-Karte) gewonnen. Folgendes Schema fasst die wichtigsten Arten von Bankdienstleistungen noch einmal überblickartig zusammen:
Abb. 1.07: Bankleistungen im Überblick
1.2 Struktur und Leistungsangebot
1.2.4
der deutschen
Bankwirtschaft
27
Die Struktur des deutschen Universalbankensystems
Im Einzelnen umfassen die Universalbanken drei große Bankengruppen, nämlich -
die privaten Geschäftsbanken (in der Bundesbankstatistik missverständlich als „Kreditbanken" bezeichnet),
-
die Institute des Sparkassensektors und
-
die Banken des Genossenschaftssektors,
die im Folgenden jeweils kurz charakterisiert werden.
Die privaten Geschäftsbanken Diese Bankengruppe wird nach der Statistik der Deutschen Bundesbank weiter untergliedert in die -
Großbanken (z.B. die Deutsche Bank AG);
-
Regionalbanken und sonstige Kreditbanken (wie z.B. die Bankgesellschaft Berlin AG);
-
Zweigstellen ausländischer Banken (wie z.B. ABN AMRO Bank - Deutschland AG).
Zur Vertretung gemeinsamer Interessen haben sich die privaten Geschäftsbanken im Bundesverband deutscher Banken e.V. zusammengeschlossen. Im Bereich dieses Verbandes ist ein Einlagensicherungsfonds (sog. Feuerwehrfonds) gebildet worden. Aus diesem Fonds sollen die Einleger von Kreditinstituten, die ihren RückZahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen können, die entsprechenden Leistungen erhalten. Die maximale Sicherungsleistung für den einzelnen Einleger ist allerdings auf einen Betrag in Höhe von 30% des Eigenkapitals des jeweiligen Instituts begrenzt. Dies führt bei privaten Anlegern in aller Regel zu einer vollständigen Sicherung ihrer Einlagen. Die Mitgliedschaft in diesem Sicherungsfonds ist allerdings nicht zwingend vorgeschrieben, so dass einzelne Kreditinstitute ihm nicht angehören. Für diese Institute greift das Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz (ESichAEntschG). Danach haben die Ein- bzw. Anleger - sofern ein Institut nicht in der Lage ist, die Einlagen zurückzuzahlen oder Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften zu erfüllen - einen Rechtsanspruch auf Entschädigung. Dieser ist allerdings gem. § 4 ESichAEntschG der Höhe nach begrenzt auf 90 % der Gesamtheit aller Einlagen eines Kunden bzw. der Gesamtheit aller Forderungen eines Kunden aus Wertpapiergeschäften und den Gegenwert von 20.000 Euro.
28
1 Finanzintermediäre
als Anbieter von
Finanzdienstleistungen
Die Banken dieser Gruppe werden ausschließlich in Rechtsformen des privaten Rechts betrieben, wobei die Kapitalgesellschaften, also GmbH und AG, deutlich überwiegen. Die Neuzulassung von Banken in der Rechtsform des Einzelkaufmanns ist seit der Novelle des Kreditwesengesetzes im Jahre 1976 nicht mehr möglich. Etliche dieser Institute, insbesondere die Großbanken, unterhalten oftmals 100%ige Beteiligungen an verschiedenen Spezialbanken, insbesondere an Realkreditinstituten, Bausparkassen und Kapitalanlagegesellschaften. Der Sparkassensektor Diese Bankengruppe besteht aus -
den Sparkassen, deren Geschäftstätigkeit grundsätzlich auf ihr Geschäftsgebiet (Gemeinde, Kreis) beschränkt ist,
-
den Landesbanken (früher auch als „Girozentralen" bezeichnet), die in bestimmten Regionen als Spitzeninstitut des dortigen Sparkassenbereichs fungieren sowie der DEKA-Bank - Deutsche Kommunalbank als Zentralinstitut des gesamten Sparkassensektors, die zum 1. Januar 1999 aus der Fusion der Deutschen Girozentrale - Deutsche Kommunalbank und der Deka Bank GmbH entstand.
Abgesehen von wenigen sog. „freien" Sparkassen werden die Sparkassen als Anstalten des öffentlichen Rechts überwiegend von Gemeinden oder Kreisen getragen. Die Landesbanken und die DEKA-Bank sind ebenfalls juristische Personen des öffentlichen Rechts; ihre Träger sind in jeweils unterschiedlicher Zusammensetzung die regionalen Sparkassen- und Giroverbände, die zugehörigen lokalen Sparkassen und verschiedene öffentliche Gebietskörperschaften bzw. die Landesbanken und der DSGV. Dem Sparkassensektor angegliedert oder nahestehend sind außerdem verschiedene Spezialbanken, insbesondere Bausparkassen (LBS) und Kapitalanlagegesellschaften. Der Wahrnehmung gemeinsamer Aufgaben dienen mehrere regionale Sparkassenund Giroverbände sowie als übergeordnete Verbandsorganisation der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV). Zur Sicherung der Einlagen bestehen mehrere regionale Sicherungsfonds der Sparkassen sowie die Sicherungsfonds der Landesbanken und Landesbausparkassen. Sämtliche Fonds sind untereinander zu einem umfassenden Haftungsverbund verknüpft.
1.2 Struktur und Leistungsangebot der deutschen Bankwirtschaft
29
Der Genossenschaftssektor Diese Bankengruppe umfasst -
i. d. R. nur lokal tätige Kreditgenossenschaften, die häufig als „Volksbanken", „Spar- und Darlehenskassen" oder „Raiffeisenbanken" firmieren sowie
-
zwei genossenschaftliche Zentralbanken (DZ-Bank AG und WGZ-Bank eG).
Auf regionaler Ebene sind regionale Genossenschaftsverbände tätig, die gemeinsam mit den übergeordneten Instituten dem Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V. angehören. Im Rahmen dieses Zentralverbandes ist auch ein zentraler Garantiefonds gebildet worden, dessen Aufgabe es ist, die Mitgliedsbanken zu unterstützen, wenn deren Existenz bedroht ist. Die Kreditgenossenschaften werden - ebenso wie die WGZ-Bank eG - ganz überwiegend in der Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft (eG) geführt. Die andere Zentralbank wird demgegenüber als Aktiengesellschaft (DZ-Bank AG) betrieben. Über unterschiedliche Beteiligungsformen bestehen außerdem enge Beziehungen zu verschiedenen Spezialbanken, insbesondere Realkreditinstituten, Bausparkassen und Kapitalanlagegesellschaften. Die Marktanteile der drei großen Bankengruppen im Geschäft mit der privaten Kundschaft liegen in etwa bei 50% für den Sparkassensektor, -
30% für die privaten Geschäftsbanken, wovon wiederum rd. 2/3 auf die Großbanken entfallen, sowie 20% für den Genossenschaftssektor.
Rechercheaufgabe: Überprüfen Sie die letzten Angaben mit Hilfe der Monatsberichte der Deutschen Bundesbank oder über das Internet •
www.bundesbank.de
Stellen Sie an Hand des statistischen Teils soweit wie möglich fest, wie sich die „Kredite an Nichtbanken" und die „Einlagen von Nichtbanken" prozentual auf die drei Gruppen von Universalbanken verteilen!
30
1.2.5
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Finanzdienstleistungen
Die Spezialbanken
Spezialbanken sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich auf einen eingeschränkten Kreis von Bankgeschäften spezialisiert haben und diese ausschließlich oder zumindest ganz überwiegend betreiben. Im Gegensatz zu den Universalbanken erbringen die Spezialbanken also nicht das gesamte Spektrum bankbetrieblicher Leistungen. Realkreditinstitute zeichnen sich dadurch aus, dass sie -
langfristige, grundpfandrechtlich gesicherte Kredite (Hypothekarkredite) und Darlehen an öffentliche Stellen (Kommunaldarlehen)
vergeben. Die Mittelbeschaffung erfolgt durch breit gestreute Ausgabe von Schuldverschreibungen in Form von sogenannten Pfandbriefen. Schuldner dieser Schuldverschreibungen sind die Realkreditinstitute. Die aus der Darlehensvergabe resultierenden Ansprüche gegenüber Grundeigentümern und Kommunen bilden jedoch eine gesonderte Deckungsmasse für diese Schuldverschreibungen, so dass diese indirekt letztlich durch „Grund und Boden" bzw. die „Steuerkraft der Kommunen" gesichert ist. Lange Zeit war es ein Privileg der Realkreditinstitute und der Landesbanken, sich durch die Ausgabe von Pfandbriefen zu finanzieren. Seit 2005 steht dieses Recht allen Kreditinstituten zu, die bestimmte Voraussetzungen des Pfandbriefgesetzes erfüllen. Bausparkassen nehmen auf der Basis langfristig abgeschlossener Bausparverträge Spareinlagen entgegen. Nach Erreichen einer bestimmten Sparsumme (und ggf. weiterer Voraussetzungen) werden die Guthaben ausgezahlt und zusätzliche Bauspardarlehen zur langfristigen Finanzierung des Baus, des Erwerbs, der Renovierung oder der Entschuldung von Wohneigentum gewährt. Diese Darlehen werden i.d.R. durch nachrangige Grundpfandrechte gesichert. Das Spezifikum von Bausparkassen besteht dabei darin, dass sich die aktuellen Geldnehmer überwiegend aus früheren Bausparen! rekrutieren.
Übungsaufgabe 1.04: ALPHA hat eine Immobilie im geschätzten Verkehrswert von 500.000 Euro erworben. Finanziert hat er den Erwerb aus eigenen Mitteln und -
einem Darlehen der Hypo-Bank von 280.000 Euro, für das eine entsprechende Grandschuld „an erster Stelle" eingetragen ist sowie
-
einem nachrangig gesicherten Bauspardarlehen von 120.000 Euro.
1.2 Struktur und Leistungsangebot der deutschen Bankwirtschaft
31
Nach einiger Zeit muss ALPHA die Zahlungen an die Banken einstellen und seine Immobilie wird zwangsweise versteigert. Wie wird der Versteigerungserlös auf die Beteiligten aufgeteilt, wenn dieser nach Abzug aller Kosten (1) 250.000 Euro (2) 350.000 Euro (3) 450.000 Euro beträgt?
Banken mit Sonderaufgaben stellen eine recht heterogene Gruppe von Banken dar, die überwiegend historisch bedingte Sonderaufgaben wahrzunehmen haben, die von anderen Instituten nicht hinlänglich erfüllt werden (können). Zu den bekanntesten Instituten dieser Gruppe zählen: •
Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) Ursprüngliche Aufgabe: Vergabe von Darlehen zum „Wiederaufbau" der deutschen Wirtschaft nach dem 2. Weltkrieg im Rahmen des sog. MarshallPlans; heutige Aufgabe: Förderung der Bereiche Infrastruktur, Soziales und Bildung oder Umwelt. Darüber hinaus bietet die KfW-Mittelstandsbank, die durch Fusion von Deutscher Ausgleichsbank (DtA) und KfW entstanden ist, Förderprogramme aus den Bereichen Unternehmensfinanzierung, Existenzgründung und Beteiligungsfinanzierung.
•
Landwirtschaftliche Rentenbank Aufgabe: Finanzierungsleistungen im Bereich der Land- und Forstwirtschaft.
•
Deutsche Siedlungs- und Landesrentenbank (DSL Bank) Aufgabe: Finanzierung ländlicher Infrastrukturinvestitionen. Heute ist die DSL Bank ein Geschäftsbereich der Deutschen Postbank AG und bietet Finanzdienstleistern Immobilien-Finanzierungsleistungen für deren Kunden an.
•
Industriekreditbank AG - Deutsche Industriebank Aufgabe: Vergabe von lang- und mittelfristigen Investitionskrediten unter besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse von Klein- und Mittelunternehmen.
32
1 Finanzintermediäre als Anbieter von Finanzdienstleistungen
Kapitalanlagegesellschaften - häufig auch als Investmentgesellschaften bezeichnet - bündeln die Gelder vieler verschiedener Anleger, indem sie verbriefte Anteile an Investmentfonds ausgeben (sog. Investmentzertifikate) und diese Fonds nach dem Prinzip der Risikomischung verwalten. Sie erweitern damit die Anlagemöglichkeiten von Geldgebern, denen entweder wegen nicht ausreichender Größe ihres Geldvermögens oder infolge unzureichenden ökonomischen Wissens bestimmte Geldanlagen nicht zur Verfügung stehen. Wertpapiersammelbanken übernehmen für die übrigen Banken und deren Kunden die Verwahrung und Verwaltung von börsengängigen Wertpapieren wie z.B. börsennotierten Schuldverschreibungen oder Aktien. In Deutschland betreibt dieses Geschäft z. Zt. nur ein Institut, das heute unter der Bezeichnung Clearstream firmiert. Es ist Abwicklungspartner für alle Geschäfte in Xetra, dem elektronischen Handelssystem der Börse, und Zentralverwahrer für deutsche Wertpapiere. Auf internationaler Ebene ist es in der Funktion Verwahrung und Geschäftsabwicklung mit Lagerstätten in rund 50 Ländern präsent. Unter die Rubrik „Sonstigen Banken" fällt neben den sogenannten Servicebanken auch die Deutsche Postbank AG. Servicebanken übernehmen ζ. B. die Wertpapierabwicklung, den Zahlungsverkehr oder die Depotverwaltung im Zuge des sogenannten Outsourcing (gesetzlich geregelt in § 25a KWG) von anderen Banken.
Übungsaufgabe 1.05: Erläutern Sie für die nachfolgend genannten Institutionen, ob es sich um Kreditinstitute im Sinne des KWG handelt sowie worin die besonderen Spezifika bei der Geldaufhahme und Geldvergabe bestehen! a)
Realkreditinstitute
b) Wertpapierbörsen c) Kapitalanlagegesellschaften d) Spielbanken e) Deutsche Bank AG f)
Deutsche Bundesbank
2
Das Angebot von Finanzierungsleistungen
2.1
Grundbegriffe
2.1.1
Vorbemerkung
Wie wir gesehen haben, bieten die Finanzintermediäre den übrigen Wirtschaftssektoren einerseits Finanzierungs- und andererseits Anlageleistungen an. Diese beiden Angebotsarten sollen im Folgenden etwas näher dargestellt werden, wobei wir in diesem Kapitel zunächst das Angebot von Finanzierungsleistungen betrachten. Grundsätzlich können Finanzintermediäre solche Leistungen in zweifacher Weise anbieten, nämlich -
zum einen, indem sie selbst unmittelbar als Geldgeber auftreten (Eigenleistung),
-
zum anderen, indem sie Geldgeber vermitteln (Vermittlungsleistung).
Den eindeutigen Schwerpunkt des Leistungsangebots der Finanzintermediäre im engeren Sinne bilden dabei die Eigenleistungen, die wir im Folgenden in den Abschnitten 2.2 bis 2.5 näher darstellen werden. Bei diesen von Finanzintermediären i.e.S. selbst erbrachten Finanzierungsleistungen stehen Maßnahmen der Fremdfinanzierung - der Finanzintermediär erwirbt mit der Zahlungsmittelüberlassung Forderungen gegen seinen Kunden, wird also dessen Gläubiger - im Vordergrund. Für die nachfolgende Darstellung der entsprechenden Finanzierungsinstrumente erweist es sich als zweckmäßig, einige allgemeine Grundbegriffe vorab zu erläutern. Dies geschieht in den folgenden Abschnitten 2.1.2 bis 2.1.6, ehe in den Abschnitten 2.2 bis 2.4 einige bedeutsame Instrumente der Fremdfinanzierung ausführlicher dargestellt werden. Der Abschnitt 2.5 widmet sich dann einer im Vergleich zur Fremdfinanzierung viel seltener erbrachten Eigenleistung von Finanzintermediären i.e.S, nämlich der Eigenfinanzierung - der Finanzintermediär erwirbt mit der Zahlungsmittelüberlassung keine Gläubigerposition, sondern Teilhaberrechte. Daneben treten insbesondere Banken, aber gelegentlich auch andere Unternehmen, nur vermittelnd auf. Dies ist bei der Emissionsfinanzierung der Fall, bei der sich Unternehmen (oder auch die öffentliche Hand) in der Weise Zahlungsmittel beschaffen, dass sie einem breiten Anlegerpublikum Wertpapiere in kleiner Stückelung zum Kauf anbieten. Bei der „Platzierung" dieser Wertpapiere, in denen Gläubiger- oder Teilhaberrechte verbrieft sein können, übernehmen in der Regel sog. Emissionskonsortien von Banken eine vermittelnde Funktion. Wir werden darauf im Abschnitt 2.6 näher eingehen.
34
2.1.2
2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
Zur allgemeinen Systematisierung von Instrumenten der Fremdfinanzierung
Instrumente der Fremdfinanzierung können nach unterschiedlichen Gesichtspunkten systematisiert werden. Einige der gängigsten Systematisierungskriterien sind die folgenden, deren im Einzelfall jeweils anzutreffende Ausprägung Antwort auf die Fragen erteilt, wer, wofür, wie und wie lange Kredit gibt. Fristigkeit des Finanzkontraktes Dieses Kriterium bezieht sich -
bei Finanzkontrakten, die auf unbestimmte Dauer abgeschlossen werden, auf die vereinbarte Kündigungsfrist,
-
ansonsten auf den Zeitraum bis zur Beendigung des Kontraktes, i.d.R. durch vollständige Tilgung der (Rest-)Schuld.
Die daran anknüpfende Einteilung in kurz-, mittel- und langfristige Finanzierung ist allerdings insofern etwas problematisch, als keine natürlichen oder allgemein definierten Abgrenzungen zwischen diesen Fristigkeitsstufen bestehen. Folgende Tabelle verdeutlicht dies an Hand der in -
den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank und
-
den Vorschriften für die Bilanzierung von Verbindlichkeiten bei Kapitalgesellschaften gem. §§ 268 Abs. 5, 285 Nr. la HGB
anzutreffenden Abgrenzungen. Fristigkeit
Deutsche Bundesbank
HGB
kurzfristig
bis zu einem Jahr
bis zu einem Jahr
mittelfristig
über ein Jahr, bis unter vier Jahren
über ein Jahr, bis zu fünf Jahren
langfristig
vier Jahre und darüber
mehr als fünf Jahre
Tab. 2.01: Verschiedene Fristeneinteilungen
Herkunft des Gläubigers Nach diesem Kriterium ist speziell bei der Finanzierung von Unternehmen zunächst zu unterscheiden, ob der Gläubiger dem Leistungsbereich oder dem Finanzbereich des Schuldnerunternehmens zuzurechnen ist. Dem Leistungsbereich zuzurechnen sind vor allem Anzahlungen von Kunden und Kredite von Lieferanten; auf derartige Finanzierungsinstrumente werden wir hier nicht weiter eingehen. Im Finanzbereich können entsprechend den verschiedenen Wirtschaftssubjekten folgende Gläubiger unterschieden werden:
2.1
Grundbegriffe
35
Privatpersonen, insbesondere Gesellschafter des Schuldnerunternehmens (Gesellschafterdarlehen), -
Unternehmen, vor allem Kreditinstitute (Bankkredite) und Versicherangen (Versicherungsdarlehen) sowie die Öffentliche Hand (Staatskredite, häufig mit Subventionscharakter).
Zweck des Finanzkontraktes Im Hinblick auf dieses Kriterium findet man zunächst die grundlegende Unterscheidung zwischen -
Investitionsfinanzierung (z.B. Investitionskredit, Investitionsgüterleasing etc.) und
-
Konsumfinanzierang im weiteren Sinne (z.B. Anschaffungsdarlehen, Konsumgüterleasing etc.).
Als weitere nach dem Zweck benannte Kredite findet man z.B. den Saisonkredit, den Überbrückungskredit, den Importkredit, den Baukredit, den Effektenkredit etc. Geld- oder Kreditleihe Die Geldleihe besteht in der zeitweiligen Überlassung von Zahlungsmitteln. Diese Zahlungsmittelüberlassung geschieht in der Regel sofort bzw. recht bald nach dem Abschluss des Kreditvertrages, zuweilen jedoch auch zu einem erheblich späteren Zeitpunkt, z.B. zwei Jahre nach Vertragsabschluss („ForwardDarlehen"). Der Gläubiger verpflichtet sich also, Zahlungsmittel an den Schuldner zu übertragen, der seinerseits die Verpflichtung eingeht, Zahlungsmittel in der ihm überlassenen Höhe zuzüglich der vereinbarten Zinsen zu einem oder mehreren späteren Zeitpunkten an seinen Geldgeber zu zahlen. Bei der Kreditleihe werden dem Schuldner demgegenüber gar keine Zahlungsmittel übertragen; der Gläubiger verpflichtet sich vielmehr lediglich für den Fall zur Zahlung, dass der Schuldner seinen Verpflichtungen einem Dritten gegenüber nicht nachkommen kann. Dadurch, dass der Gläubiger sich zur Abdeckung gewisser Verbindlichkeiten des Schuldners verpflichtet, werden für letzteren insbesondere dann die Möglichkeiten der eigenen Kreditaufnahme verbessert, wenn die Bonität des (Kreditleihe-) Gläubigers in den Augen sonstiger Kreditgeber besser erscheint als seine eigene. Formen der Kreditleihe sind insbesondere der Akzeptund der Avalkredit, auf die wir im Abschnitt 2.2 noch näher eingehen werden. Auf die teils gesetzlich, teils in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Kreditgebern geregelten Kündigungsmöglichkeiten werden wir im Abschnitt 2.1.5 noch näher eingehen.
36
2 Das Angebot von
Finanzierungsleistungen
Übertragbarkeit der Ansprüche Neben den bislang erörterten Elementen eines Finanzkontraktes kann es für den Geldgeber auch von Interesse sein, welche Möglichkeiten bestehen, seine Ansprüche - z.B. aus Gründen der eigenen Liquiditätssicherung - schon vor Fälligkeit an einen Dritten zu übertragen. Unter diesem Aspekt sind zwei Fälle zu unterscheiden: •
Der Finanzkontrakt ist durch eine Urkunde verbrieft, die als Wertpapier zu qualifizieren ist. In diesem Fall setzt die Geltendmachung des verbrieften Rechts die Vorlage der Urkunde voraus.
•
Der Finanzkontrakt ist nicht durch eine Wertpapierurkunde verbrieft. Dies ist z.B. der Fall, wenn ein Gläubiger eine Buchforderung gegenüber dem Schuldner hat, wie z.B. beim Kontokorrentkredit oder beim offenen, d.h. nicht durch Wechsel verbrieften Lieferantenkredit. Dies ist auch beim sog. Schuldscheindariehen der Fall, da der in diesem Fall ausgestellte Schuldschein nicht den Charakter eines Wertpapiers hat. Die zugrundeliegende Forderung kann also auch ohne Vorlage des Schuldscheins geltend gemacht werden: dessen Vorlage erleichtert allerdings im Streitfall den Nachweis, dass der Anspruch zu recht geltend gemacht wird.
In diesem Zusammenhang können mit der Übertragungsmöglichkeit folgende Wertpapierarten unterschieden werden: •
Inhaberpapiere lauten auf den Inhaber. Das verbriefte Recht wird durch die Übereignung der Urkunde übertragen. Normale Stammaktien oder Inhaberschuldverschreibungen oder auch der übliche (Inhaber)Scheck sind Beispiele für derartige Wertpapiere.
•
Orderpapiere lauten auf den Namen einer bestimmten Person oder an deren „Order". Das verbriefte Recht wird durch Indossierung der Urkunde und Übergabe der indossierten Urkunde übertragen. Als Indossament bezeichnet man den Übertragungsvermerk auf der Rückseite der Urkunde. Zu den Orderpapieren zählen z.B. Wechsel oder Namensaktien, die trotz dieser Bezeichnung gerade keine Namenspapiere sind (s. nächster Punkt). Für börsengehandelte Namensaktien ist die Übertragung per Indossament allerdings sehr schwerfällig. Daher wurde für die Börsenabwicklung ein System geschaffen, das auch eine Übertragung durch reine Buchungsakte auf den Depotkonten von Käufer und Verkäufer ermöglicht. Dies bleibt aber jenen Namensaktien vorbehalten, die in ein speziell für Namensaktien bestehendes, elektronisches Abwicklungssystem einbezogen sind.
2.1 Grundbegriffe
•
37
Namenspapiere (Rektapapiere) lauten auf den Namen einer bestimmten Person. Das verbriefte Recht wird im Gegensatz zu den Inhaber- und Orderpapieren nicht durch Übereignung der Urkunde übertragen, sondern durch Abtretung des Rechts (Zession). Der Eigentumsübergang an der Urkunde folgt dem Übergang des in der Urkunde verbrieften Rechts. Als Beispiel sei die Briefhypothek genannt, die nach § 1154 BGB durch schriftliche Abtretung der Forderung und Übergabe des Hypothekenbriefes vollzogen werden kann.
Nicht in der Form von Wertpapieren ausgestaltete Forderungen können durch Vertrag auf einen Dritten übertragen werden (Zession). Der Abtretungsvertrag wird zwischen dem Gläubiger der Forderung und dem Dritten ohne Mitwirkung des Schuldners geschlossen. Der Schuldner braucht von der Abtretung nicht benachrichtigt zu werden. Mit Abschluss des Abtretungsvertrages tritt der neue Gläubiger an die Stelle des bisherigen Gläubigers. Neben den bisher skizzierten Kriterien werden Instrumente der Fremdfinanzierung insbesondere durch die Zinsverrechnungsmodalitäten, -
die Zahlungsmodalitäten, die Kündigungsmodalitäten und
-
die Besicherungsmodalitäten
näher charakterisiert. Auf diese Aspekte gehen wir in den folgenden vier Abschnitten gesondert ein.
2.1.3
Zinsverrechnungsmodalitäten
Bezüglich der Verzinsung sind insbesondere Höhe und Bezugsgröße des Nominalzinses sowie die Termine der Zinsbelastung zu beachten. Der Nominalzins bezeichnet den vertraglich vereinbarten Zinssatz, der bei der in ihren Varianten im Folgenden noch näher darzustellenden Berechnung der jeweiligen Zinsschuld anzusetzen ist. Bezüglich der Festlegung seiner Höhe bestehen im Wesentlichen folgende vier Möglichkeiten: •
Der Zinssatz wird für die gesamte Laufzeit des Kreditvertrages starr festgelegt.
•
Der Zinssatz wird für einen Teilabschnitt des Kreditvertrages starr festgelegt. Am Ende der entsprechenden Zinsbindungsfrist ist im Rahmen des ansonsten unverändert fortbestehenden Kreditverhältnisses eine neue Zinsvereinbarung zu treffen. Häufig wird dem Kreditnehmer zu diesen Zeitpunkten allerdings zusätzlich ein Kündigungsrecht zugestanden.
38
2 Das Angebot von
Finanzierungsleistungen
•
Der Zinssatz wird an eine andere Größe gekoppelt, z.B. an einen Marktzinssatz. Eine entsprechende Zinsgleitklausel könnte etwa vorsehen, dass der jeweils anzurechnende Zinssatz um 3 Prozentpunkte über dem jeweiligen Satz für kurzfristige Refinanzierungsgeschäfte der Europäischen Zentralbank liegt. Eine andere verwendete Bezugsgröße stellt der sog. EURIBOR dar, d.h. der Zinssatz, zu denen Banken in der Europäischen Währungsunion bereit sind, anderen Banken kurzfristig, z.B. für 3 Monate, Geld zu leihen.
•
Der Kreditgeber kann den anzusetzenden Zinssatz entsprechend einer vereinbarten Zinsgleitklausel jeweils an die „allgemeine Zinsentwicklung" anpassen.
Bei der Bezugsgröße interessiert die Frage, auf welche Größe der in Prozent ausgedrückte Nominalzinssatz zur Berechnung der jeweiligen Zinsbelastung bezogen wird. Hier sind zunächst zwei Grundformen zu unterscheiden: •
Als Bezugsgröße für die Zinsberechnung dient die verbleibende Restschuld.
•
Alternativ kann der Gesamtbetrag ohne Rücksicht auf bereits erfolgte Tilgung Bezugsgröße für die Zinsberechnung sein.
•
Eine dritte Variante besteht darin, dass grundsätzlich zwar die Restschuld die Bezugsgröße für den Zins bildet, unteijährliche Tilgungen jedoch nur mit einer bestimmten Verzögerung zinswirksam erfasst werden.
Die Zins termine schließlich legen die Zeitpunkte der buchmäßigen Zinsbelastung, d.h. der Erhöhung der jeweils bestehenden Schuld um den Zinsbetrag fest. Hierbei ist zum einen die Abrechnungspenode festzulegen, also zu fixieren, ob die Belastung z.B. monatlich, quartalsweise oder jährlich vorgenommen wird. Zum anderen ist zu bestimmen, zu welchen Terminen innerhalb der Abrechnungsperiode die Belastung erfolgt, also etwa vorschüssig (d.h. zu Periodenbeginn), nachschüssig ( d.h. zu Periodenende) oder zu einem Zwischentermin. Angesichts der zahlreichen, preisbeeinflussenden Faktoren, wie z.B. eines Disagios (s. unten Abschnitt 2.1.4), verschiedener Zins- und Tilgungstermine, eventueller Bearbeitungsgebühren etc., besitzt der Nominalzins nur eine begrenzte Aussagekraft. Man versucht daher durch den sog. Effektivzins in einer einzigen Kennzahl auszudrücken, welche durchschnittliche jährliche prozentuale Belastung sämtliche Zahlungen für Zins und Tilgung sowie sonstige preisbestimmende Bestandteile darstellen, wenn man sie auf den effektiven Auszahlungsbetrag bezieht und unter Berücksichtigung von Zins und Zinseszins auf die gesamte Laufzeit umrechnet. Die Berechnung des Effektivzinses ist im Allgemeinen mathematisch recht aufwendig (Iterati ν verfahren), das folgende Beispiel erläutert eine Näherungsformel.
2.1 Grundbegriffe
39
Beispiel 2.01: Berechnet werden soll der effektive Zinssatz eines Kredites über nominal 100.000 Euro, Auszahlung zu 95%. Nominalzins i = 10%, Laufzeit η = 4 Jahre. Tilgung in 4 gleichen Jahresraten jeweils am Ende der Periode (Ratentilgung), Zinsbelastung (bezogen auf die jeweilige Restschuld am Jahresanfang) und Zinszahlung jeweils zum Jahresende. Zur Ermittlung der effektiven Zinsbelastung r kann dann beispielsweise folgende Näherungsformel verwendet werden: 100-Cp •100
i CE
= =
Nominalzins Auszahlungskurs =100 ./. Disagio
Τ
=
„mittlere" Kreditlaufzeit, definiert als Durchschnitt aus der gesamten Kreditlaufzeit (4 Jahre) und der Laufzeit bis zur ersten Tilgungsrate (1 Jahr).
Für die Daten unseres Beispiels gilt also i = 10%, C E = 95% und Τ = 2,5. Mithin errechnet sich als Näherungswert für die Effektiv Verzinsung: 10 + r =
5 ^-100
= 12,63%
95 Der finanzmathematisch exakte Wert beträgt demgegenüber 12,51%, liegt im vorliegenden Fall also etwas unter dem Näherungswert. Allgemein ist dieser Fehler umso größer, -
je länger die Laufzeit des Kredites (T) und
-
je größer das Disagio ( 100 - C E ) ist.
Weitere Divergenzen treten bei der Berücksichtigung unteqährlicher Zahlungen auf.
Mit der in dem Beispiel verwendeten Näherangsformel lassen sich sehr einfach weitere preisbestimmende Faktoren berücksichtigen: •
Zusätzliche einmalige
Kreditkosten, w i e z.B. Bearbeitungsgebühren, Provi-
sionen etc., können bei Umwandlung in Prozent des Kreditbetrages durch entsprechende Erhöhung des Disagios berücksichtigt werden. •
Zusätzliche laufende
Kreditkosten, die jährlich in gleicher Höhe anfallen,
lassen sich als entsprechende Erhöhung des Nominalzinssatzes einbeziehen.
40
2 Das Angebot von
Finanzierungsleistungen
Übungsaufgabe 2.01: Gehen Sie von dem vorstehenden Beispiel aus und stellen Sie fest, wie sich die näherungsweise bestimmte Effektivverzinsung verändert, wenn bei jeweils ansonsten unveränderten Daten a) eine einmalige Bearbeitungsgebühr von 200 Euro bei der Auszahlung bzw. b) eine jährliche Bearbeitungsgebühr von 50 Euro zusätzlich in Rechnung gestellt würde !
Der Vorteil einer derartigen Kennzahl, in der alle preisbestimmenden Faktoren vereint sind, wird darin gesehen, dass einem potentiellen Kreditnehmer der Vergleich zwischen verschiedenen Kreditangeboten erleichtert wird, diesem also zur Entscheidungsfindung dient. Diese Ansicht hat sich auch der Gesetzgeber zu eigen gemacht und in der Preisangabenverordnung vorgeschrieben, bei der Werbung mit konkreten Kreditkonditionen sowie bei der Unterbreitung von Finanzierungsangeboten den sog. effektiven Jahreszins anzugeben. Durch diese Vorschrift soll eine möglichst hohe Preistransparenz bei Krediten gewährleistet werden. Der effektive Jahreszins nach der Preisangabenverordnung stellt unter Berücksichtigung unteijährlicher Zahlungen einen finanzmathematisch exakten Wert dar: die Anwendung von Näherungsformeln ist für Preisangaben im Sinne der Preisangabenverordnung nicht zulässig. Die Berechnung eines Effektivzinssatzes stellt also einen Versuch dar, zumindest die unmittelbar quantitativ fassbaren Elemente verschiedener Kredite (und auch Anlagemöglichkeiten) zu Vergleichszwecken durch eine einzige Kennzahl zum Ausdruck zu bringen. Es gibt jedoch grundlegende konzeptionelle Zweifel an der Tauglichkeit derartiger Kennzahlen, die im Kern alle darauf hinauslaufen, in der einen oder der anderen Detailvariante den internen Zinsfuß einer Zahlungsreihe zu bestimmen. Ungeachtet dieser theoretisch wohlfundierten Einwände, wird in der Finanzpraxis jedoch ständig mit derartigen Kennzahlen hantiert. Banken sind aufgrund der Preisangabenverordnung (PAngV) sogar in bestimmten Fällen verpflichtet, bei der Werbung für Kreditangebote und beim Abschluss entsprechender Verträge den "effektiven Jahreszins" anzugeben. Wir wollen daher hier kurz die Grundidee von Effektivzinsberechnungen kurz verdeutlichen und uns dabei auf die AIBD-Methode1) beschränken, die seit dem Jahr 2000 auch in der PAngV vorgeschrieben wird. Ausgangspunkt dieser Methode ist die zeitpunktgenaue Darstellung des mit einem Kreditvertrag verbundenen Stroms von Zahlungen an den Kreditnehmer (Einzahlungen) und dessen Zahlungen an die Bank (Auszahlungen). Die PAngV enthält
1 AIBD: Association of International Bond Dealers, Name inzwischen geändert in International Securities Market Association (ISMA), die Bezeichnung der Methode nach dem alten Namen hat sich aber erhalten.
41
2.1 Grundbegriffe
hier präzisierende Regelungen, welche zusätzliche Elemente neben der eigentlichen Kreditsumme und den Zins- und Tilgungszahlungen wie z.B. Provisionen, Gebühren etc. im Einzelnen in die Ermittlung der Zahlungsreihe einzubeziehen sind und wie sämtliche Zahlungen zeitlich zu lokalisieren sind. Bei einer einmal gegebenen Zahlungsreihe wird dann - genau wie bei dem Konzept des internen Zinsfußes - derjenige Zinssatz gesucht, auf dessen Basis die Endwerte - oder äquivalent dazu - die Kapitalwerte der Einzahlungen einerseits und der Auszahlungen andererseits übereinstimmen. Zur konkreten Umsetzung dieses Ansatzes ist es dann noch erforderlich, die genauen Verzinsungsmodalitäten festzulegen, die den notwendigen Auf- oder Abzinsungsoperationen - insbesondere bei unteqährlichen Zahlungen - zugrunde zulegen sind. Der AIBD-Ansatz und damit auch die PAngV verwenden hier die formal besonders einfache Methode der exponentiellen Verzinsung, die folgendes Beispiel veranschaulicht.
Beispiel 2.02: Die BETA-GmbH benötigt im Zusammenhang mit einer mittelfristigen Auftragsfertigung zum 31. Oktober des laufenden Jahres für 18 Monate einen Kredit in der Größenordnung von 1 Mio. Euro. Die Hausbank unterbreitet ein entsprechendes Angebot zu folgenden Konditionen: •
Nominelle Kreditsumme 1 Mio. Euro.
•
Auszahlung zu 98%.
•
Gesamtfällige Tilgung zum Ende des ersten Quartals des übernächsten Jahres.
•
Nominalzins 6% p.a.; quartalsweise Zinszahlungen von jeweils 1,5% der nominellen Kreditsumme vom Ende des letzten Quartals des laufenden Jahres bis zum Ende des ersten Quartals des übernächsten Jahres.
Bezeichnet man das Ausgangs- und die beiden Folgejahre einfach mit 01, 02, 03 und unterstellt man vereinfachend für alle Quartale exakt die Länge eines Vierteljahres1*, so kann das Kreditangebot durch folgende Zahlungsreihe verdeutlicht werden (Zahlenangaben in 1.000 Euro): _ Quartal
Zahlung zum „ _ f , Quartalsende
01
3.
+ 980
01
4.
-15
02
1.
-15
02
2.
-15
02
3.
-15
02
4.
-15
03
1.
-1.015
Jahr
1 Die PAngV sieht hier eine differenziertere Vorgehensweise vor.
42
2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
Bezeichnet q = (1 + r) den auf das Jahr bezogenen Aufzinsungsfaktor, so gilt für die Endwerte der Einzahlungen (EW e ) und der Auszahlungen (EW A ) bei exponentieller Aufzinsung (in 1.000 Euro) EW E (q) = 980 q 6 / 4 EW A (q)
und
= 15 · ( q 5 / 4 + q 4 / 4 + q 3 / 4 + q 2 / 4 + q 1 / 4 ) + 1.015.
Die einzelnen Zahlungen werden also mit Aufzinsungsfaktoren multipliziert, deren Exponent dem als Jahresbruchteil ausgedrückten Abstand der jeweiligen Zahlungen vom Endzeitpunkt der Kreditlaufzeit entspricht. Gesucht wird der kritische Wert r* des Zinssatzes bzw. q* des Zinsfaktors, für den die beiden Endwerte übereinstimmen, also EW E (q*) = EW A (q*) gilt. Zieht man als erste Näherung für den gesuchten Effektivzins den vereinbarten Nominalzins von 6% p.a. heran, so gilt für die beiden Endwerte: 6/4
EW e (6%)
= 980 1,06'
1.069,51 und
EW a (6%)
=
1.093,37.
Die beiden Endwerte liegen also noch deutlich auseinander. Da E W e aufgrund des früher liegenden Zahlungsschwerpunktes spürbar stärker auf Erhöhungen des Kalkulationszinsfußes reagiert als E W a , muss der Zinsfuß tendenziell erhöht werden, um beide Endwerte einander anzunähern. Setzt man nun als zweiten Versuch einen Zins von 8% an, so erhält man: EW e (8%)
= 1.099,92 und
EW a (8%)
=
1.094,49.
Da jetzt EW E > EW A gilt, ist der Satz von 8% offenbar zu hoch gewählt. Die Möglichkeit, die Gleichung EW E = EW A explizit nach q* oder r* aufzulösen, besteht allerdings nur in weinigen Spezialfällen, die in unserem Beispiel nicht gegeben sind. Mit Hilfe der aktuell verfügbaren Rechnertechnik ist es jedoch nicht sonderlich aufwendig, den effektiven Jahreszins mit gewünschter Genauigkeit in einem Iterationsverfahren, also durch „systematisches Probieren", herauszufinden. Man erhält in unserem Beispiel so den Wert von ziemlich exakt 7,63%.
A n der A I B D - M e t h o d e wird gelegentlich kritisiert, dass sie die real anzutreffenden Verzinsungsmodalitäten nicht exakt abbildet; Vereinbarungen mit der v o n d i e s e m Verfahren unterstellten exponentiellen Verzinsung sind in der Praxis absolut unüblich. D e m steht als Vorteil dieser M e t h o d e allerdings der U m s t a n d g e g e n über, dass sie einen sehr einfachen U m g a n g mit unteijährlichen Zahlungen erlaubt. Überlagert werden derartige rechentechnische Z w e c k m ä ß i g k e i t s e r w ä g u n g e n allerdings v o n den grundlegenden Einwänden g e g e n die Tauglichkeit v o n Effektivzinsgrößen als Kennzahlen zur Beurteilung v o n Kreditangeboten. D e n j e n i g e n unter Ihnen, die sich für diese Problematik näher interessieren, bieten die f o l g e n d e n Ü b u n g s a u f g a b e n d i e Möglichkeit, d i e beiden zuletzt angesprochenen
Aspekte
2.1 Grundbegriffe
43
selbst weiter zu vertiefen. Ansonsten können Sie aber auch unmittelbar zur Lektüre von Abschnitt 2.1.4 übergehen.
Übungsaufgabe 2.02: Alternativ zu dem endfälligen Kredit aus dem obigen Beispiel bietet die Hausbank der BETAGmbH einen .Annuitätenkredit" zu folgenden Konditionen an: •
Nominelle Kreditsumme 1 Mio. Euro.
•
Auszahlung zu 98%.
•
Verzinsung und Tilgung durch sechs „Annuitäten" von jeweils 173.000, zahlbar jeweils am Quartalsende, und zwar vom letzten Quartal des laufenden Jahres bis zum ersten Quartal des übernächsten Jahres.
Die Zahlungsreihe hätte also folgendes einfaches Aussehen (Angaben in 1.000 Euro): TU Jahr
η .. ì Quartal
Zahlung zum „ _ , . Quartalsende
01
3.
+ 980
01
4.
-173
02
1.
-173
02
2.
-173
02
3.
-173
02
4.
-173
03
1.
-173
Versuchen Sie den effektiven Jahreszins dieses Kreditangebotes nach der AIBD-Methode herauszufinden!
Wenn Sie richtig gerechnet haben, werden Sie einen Wert ermittelt haben der um rund 0,5%-Punkte unter dem für den endfälligen Kredit ermittelten Effektivzins von 7,63% liegt. Kann daraus wirklich schon geschlossen werden, dass der Annuitätenkredit günstiger ist? Betrachten Sie zur näheren Untersuchung dieser Frage die in der letzten Spalte der nachfolgenden Tabelle noch einmal angegebenen Zahlungsdifferenzen zwischen den beiden Kreditarten (Zahlenangaben in 1.000 Euro)!
44
2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
Quartal
Endfálliger Kredit
AnnuitätenKredit
01
3.
+ 980
+ 980
±0
01
4.
-15
-173
-158
Jahr
Zahlungsdifferenz
02
1.
- 15
-173
-158
02
2.
-15
-173
-158
02
3.
-15
-173
-158
02
4.
-15
-173
-158
03
1.
-1.015
-173
+842
Tab. 2.02:
Vergleich von Kreditangeboten
Der Vergleich der beiden Kreditarten kann also auf die Frage zugespitzt werden, ob -
ein fünf mal jeweils zum Quartalsende auftretendes Zahlungsdefizit von 158.000 Euro, also von insgesamt 790.000 Euro durch
-
einen zusätzlichen Zahlungsüberschuss von 842.000 Euro am Ende des letzten Quartals
überkompensiert wird oder nicht. Im ersten Fall wäre der Annuitätenkredit vorteilhaft, andernfalls der endfällige Kredit. Um die gestellte Frage zu beantworten, ist es notwendig, sich Gedanken darüber zu machen, welche Zinseffekte Zahlungsspitzen der in der letzten Spalte der Tabelle verdeutlichten Art auslösen. Je geringer diese Zinseffekte ausfallen, desto eher ist das Annuitätendarlehen vorteilhafter. Ab einer bestimmten Grenze „kippt" die Entscheidung jedoch zugunsten des endfälligen Kredits.
Übungsaufgabe 2.03: Gehen Sie von den Daten aus Tabelle 2.02 aus und nehmen Sie weiter an, dass die BETAGmbH die in den fünf ersten Quartalen entstehenden Zahlungsspitzen jeweils durch eine stärkere Beanspruchung des Kontokorrentkredits ausgleichen muss. Der Nominalzins beträgt 10% p.a., die Zinsabrechnung erfolgt jeweils zum Quartalsende zu 2,5%! Um welchen Betrag würde der Kontokorrentkredit am Ende des ersten Quartals des übernächsten Jahres stärker oder niedriger beansprucht sein, wenn die BETA-GmbH den (scheinbar) „billigeren" Annuitätenkredit an Stelle des endfälligen Kredits aufnehmen würde?
2.1 Grundbegriffe
2.1.4
45
Zahlungsmodalitäten
Nachdem über die Zinsverrechnungsmodalitäten (und ggf. analog vorhandenen Gebührenverrechnungsregelungen) festgelegt wird, wie sich der jeweils zwischen den Vertragsparteien „ausstehende" Kontosaldo ermittelt, behandeln die Zahlungsmodalitäten die damit noch nicht berührte Frage, wann und in welcher Höhe eine Vertragspartei der anderen Zahlungsmittel zu übertragen hat. Bei der Festlegung der Höhe des Finanzierungsbetrages sind folgende drei Größen zu unterscheiden: •
Der Nennbetrag ist eine rein rechnerische Größe, die Bemessungsgrundlage für verschiedene Rechnungen ist, z.B. für die Berechnung der Höhe von Zinsen.
•
Der Auszahlungsbetrag ist der Betrag, der tatsächlich ausgezahlt wird, d.h. der effektive Mittelzufluss beim Schuldner. Der Auszahlungsbetrag wird häufig in Prozent des Nennbetrages ausgedrückt und als „Auszahlungs- oder Emissionskurs" bezeichnet, z.B. Ausgabe von Bundesanleihen zu 101% oder Auszahlung von Hypothekendarlehen zu 95%. Ist der Auszahlungsbetrag höher als der Nennbetrag, so bezeichnet man die Differenz als (Emissions-) Agio, im umgekehrten Falle als (Emissions-)Disagio oder Damnum. Neben der Höhe des Nominalzinses beeinflusst die Gestaltung des Auszahlungskurses die Verzinsung. Während die Nominalzinshöhe der Grobeinstellung dient, wird ein Agio bzw. Disagio häufig zur Feineinstellung der Verzinsung vereinbart (vgl. im Einzelnen Abschnitt 2.1.4).
•
Die Schuld bezeichnet jenen Betrag, der dem Gläubiger zu tilgen ist. Er stimmt in der Bundesrepublik in der Regel mit dem Nennbetrag überein.
Bei den Zahlungsterminen sind analog zur Zinsverrechnung wieder die Zahlungsperiode und die Zahlungstermine innerhalb dieser Perioden festzulegen. Dabei können Verrechnungs- und Zahlungstermine übereinstimmen, müssen es jedoch keineswegs, bzw. können gar vom Schuldner bestimmt werden. (Letzteres ist bei der Verrechnung nur dann zu beobachten, wenn der Schuldner durch Kündigung innerhalb einer Abrechnungsperiode eine wirksame „Endabrechnung erzwingt".) Für den Gläubiger gibt es häufig nur einen Zahlungstermin, der mit dem Beginn des Darlehensverhältnisses zusammenfällt; manchmal werden aber auch für die Gläubigerleistung mehrere Zahlungstermine festgelegt, z.B. bei einer Hypothekarkreditauszahlung nach Baufortschritt oder bei einem Studienkredit jeden Monat eine Rate. Bei der Bemessung der laufenden Zahlungshöhe für den Schuldner werden insbesondere vier Varianten praktiziert:
46
2 Das Angebot von
Finanzierungsleistungen
•
Der Zahlungsbetrag ist - innerhalb gewisser Grenzen - in das Belieben des Schuldners gestellt. Diese Gestaltung kennzeichnet den Kontokorrentkredit, wo zugleich auch die Zahlungstermine weitestgehend in die Entscheidungssphäre des Schuldners gestellt sind. Die Konstruktion, dass nicht der Schuldner, sondern der Gläubiger den Tilgungsverlauf in nennenswertem Umfang nach eigenem Ermessen bestimmen kann, ist demgegenüber seltener anzutreffen.
•
Der Schuldner hat stets einen Betrag in genau jener Höhe zu entrichten, der gerade als Zins der Schuld hinzugefügt wurde. Auf diese Weise bleibt der Kontosaldo während der Laufzeit konstant und es bedarf einer endfälligen Zahlung in Höhe der Schuld, um das Darlehensverhältnis zu erlöschen. Typisch ist diese Tilgungsform etwa für die meisten festverzinslichen Wertpapiere wie z.B. Bundesanleihen. Sie bedeutet für den Schuldner eine außerordentlich hohe Liquiditätsbelastung zum Tilgungszeitpunkt.
•
Der Schuldner hat einen konstanten periodischen Betrag zu zahlen, der von Beginn an größer ist als der auf die zugehörige Periode entfallende Zins. Dadurch sinkt die Schuld mit zunehmender Laufzeit immer weiter herab, bis sie schließlich vollständig getilgt ist („Annuitätentilgung").
•
Der Schuldner zahlt einen periodisch konstanten Anteil, der einem bestimmten Bruchteil der Schuld bzw. ihres Nennbetrages entspricht plus einen Betrag in Höhe der auf die letzte Zahlungsperiode verrechneten Zinsen. Dadurch wird die gesamte Zahlungshöhe mit jeder Zahlung kleiner („Ratentilgung").
Einen besonderen Extremfall bildet die Zinskumulation, bei der die Zahlung von Zins und Zinseszins erst für das Ende des Finanzkontraktes vorgesehen ist, wie es beispielsweise bei den sog. Zero-Bonds der Fall ist. Wir wollen an dieser Stelle das Folgende rekapitulieren. Bezüglich der Vergütung bzw. Tilgung von Finanzierungsleistungen sind drei Ebenen streng voneinander zu trennen: •
Zum ersten die Ebene von Verrechnungs- und Zahlungsregelungen, die üblicherweise verwendet werden, um den gesamten Zahlungsstrom einer Finanzierungsbeziehung zu determinieren. Diese Regelungen sind vertraglich fixiert, es ist dies die juristische Komponente der Finanzierungsleistung, die Regelungsebene.
•
Die erste Ebene wird insbesondere dann wichtig, wenn es zwischen Schuldner und Gläubiger zu Uneinigkeiten oder Leistungsstörungen kommt. Ansonsten könnte man ihrer regelmäßig entbehren und in einen Kreditvertrag etwa schlicht nichts weiter hineinschreiben als: „Der Gläubiger zahlt am 25. Juli 09 dem Schuldner 184.000 Euro, der Schuldner zahlt am 25. Juli der
2.1 Grundbegriffe
47
Jahre 10 bis 16 dem Gläubiger jeweils 33.210,58 Euro." Das ist die ökonomisch-finanzielle Komponente der Finanzierungsleistung, die Zahlungsebene. •
Während die Regelungsebene also die primäre Aufgabe hat, die Zahlungsebene hervorzubringen, verwendet die dritte Ebene hingegen die Zahlungsebene als Ausgangspunkt, um deren Information in einer einzigen Zahl zu verdichten, dem Effektivzins. Der Effektivzins ist ein Kunstprodukt finanzmathematischer Überlegungen. Er tritt - entgegen häufiger anderslautender Darstellung - sowohl auf der Regelungs- wie auf der Zahlungsebene niemals direkt hervor, auch wenn er im Kreditvertrag genannt ist. Die dritte Ebene ist eine reine Bewertungsebene.
Übungsaufgabe 2.04: Der Vertrag über ein Darlehen weist u.a. folgende Klauseln auf: 1. Der Zinssatz beträgt 7% pro Jahr und ist bis zum 31.12.2019 unveränderlich. Spätestens 4 Wochen vor Ablauf der Zinsbindungsfrist kann jede Partei verlangen, dass über die Bedingungen für die Darlehensgewährung neu zu verhandeln ist. 2. Die Auszahlung des Darlehens erfolgt zu 100%. 3. Die Zinsen werden aus dem, jeweils valutierten Kapital" berechnet und jeweils zum Ende des laufenden Kalenderhalbjahres belastet; Tilgungsbeträge werden jeweils zum Ende des laufenden Kalenderhalbjahres vom Kapital schuldmindernd abgeschrieben. 4. Die Zinsen sind in vierteljährlichen Teilbeträgen jeweils am Ende des zweiten Quartalsmonats zu zahlen. 5. Die Tilgung erfolgt mit 1% des ursprünglichen Darlehensbetrages zuzüglich der durch die Rückzahlung ersparten Zinsen. 6. Die jährliche Leistungsrate (Zinsen und Tilgung) ist vierteljährlich zu den Zinsterminen gem. 4 zu zahlen. a) Beschreiben Sie unter Rückgriff auf die Ausführungen in den Abschnitten 2.1.3 und 2.1.4 in der dort verwendeten Terminologie möglichst präzise die vereinbarten Modalitäten! b) Angenommen, das Darlehen sei zum 1.1.2013 im Betrage von 100.000 Euro ausgezahlt worden. Versuchen Sie, die Kontoabrechnung für das erste Jahr und die am 31.12.2013 verbliebene Restschuld zu bestimmen.
48
2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
2.1.5
Kündigungsmodalitäten
Die Festlegung der Voraussetzungen, unter denen ein Kredit gekündigt werden kann, und der dabei einzuhaltenden Fristen ist grundsätzlich Sache der beiden vertragsschließenden Parteien. Der Gesetzgeber regelt zunächst nur ganz allgemein in § 488 BGB, dass Darlehen, die auf unbestimmte Zeit gewährt worden sind, von beiden Seiten mit einer Frist von 3 Monaten gekündigt werden können. Diese Vorschrift kommt allerdings überhaupt nur dann zur Anwendung, wenn im Kreditvertrag nichts anderes vereinbart worden ist. Dies ist allerdings der Ausnahmefall, da bei der Vergabe eines Kredits in aller Regel die Kündigungsrechte der Parteien explizit geregelt werden. Dabei sind die Vertragspartner jedoch nicht völlig frei; vielmehr haben sie die Vorschriften des § 489 BGB über das ordentliche Kündigungsrecht des Kreditnehmers zu beachten. Mit dieser Regelung räumt der Gesetzgeber Kreditnehmern unter bestimmten Voraussetzungen Kündigungsrechte ein, die auch durch eine ausdrückliche Vereinbarung der Parteien nicht wirksam ausgeschlossen werden können. D.h. selbst wenn ein Kreditnehmer einen Vertrag unterzeichnet, der den Ausschluss eines in § 489 BGB vorgesehenen Kündigungsrechts enthält, ist er an diesen Teil des Vertrages nicht gebunden und kann von dem entsprechenden Kündigungsrecht dennoch wirksam Gebrauch machen. Andererseits ist die Vereinbarung weitergehender Kündigungsmöglichkeiten als den in § 489 BGB vorgesehenen rechtswirksam. Die Regelung des § 489 BGB selbst ist relativ komplex und differenziert Art und Ausmaß des Kündigungsrechts nach der Person des Kreditnehmers, dem Verwendungszweck des Kredits, der Art der gestellten Sicherheiten, der Laufzeit des Kredits und der Art der getroffenen Zinsvereinbarung. Im Einzelnen ergeben sich folgende Festlegungen: (1)
Kredite an private Haushalte und Unternehmen mit variabler Verzinsung Der Kreditnehmer kann jederzeit unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 3 Monaten kündigen.
(2)
Kredite ohne variable Verzinsung an private Haushalte („Verbraucher"), soweit sie grundpfandrechtlich gesichert sind und Unternehmen a)
Kredite mit festem Zins für die gesamte Laufzeit Der Kreditnehmer kann den Kredit nach 10 Jahren unter Wahrung einer Kündigungsfrist von 6 Monaten kündigen. Daraus folgt, dass den Kreditnehmern bei Festzinskrediten mit einer Laufzeit von weniger als zehn Jahren ein gesetzliches Kündigungsrecht nicht zusteht, was selbstverständlich die Vereinbarung eines vertraglichen Kündigungsrechts nicht ausschließt.
2.1 Grundbegriffe
b)
49
Kredite mit einer Zinsbindungsfrist von weniger als 10 Jahren für einen Teil der Laufzeit Solange vor oder bei Ablauf der Zinsbindungsfrist nicht schon wieder eine neue Vereinbarung für den nachfolgenden Finanzierungsabschnitt getroffen worden ist, kann der Kreditnehmer den Vertrag unter Wahrung einer Kündigungsfrist von 1 Monat frühestens zum Ablauf der Zinsbindungsfrist kündigen.
c)
Kredite mit einer Zinsbindungsfrist von mehr als 10 Jahren für einen Teil der Laufzeit Dem Kreditnehmer stehen die Kündigungsmöglichkeiten gem. a) und b) wahlweise offen, wobei sich die Zehnjahresfrist allerdings nur während der ersten Zinsbindungsphase vom Auszahlungszeitpunkt an berechnet; später tritt der Beginn der laufenden Zinsbindungsfrist an dessen Stelle. Der Schuldner eines Darlehens, das bei einer Laufzeit von 25 Jahren zunächst mit einer 15-jährigen Zinsbindung ausgestattet war, kann also beispielsweise im 12-ten Jahr jederzeit mit einer 6monatigen Kündigungsfrist oder zum Ende der Zinsbindungsfrist mit einer 1-monatigen Kündigungsfrist kündigen.
(3)
Kredite an private Haushalte, soweit sie nicht grundpfandrechtlich gesichert sind, mit festem Zins für einen Teil oder die gesamte Laufzeit Unabhängig von Laufzeit und Zinsbindungsfrist kann der Kreditnehmer nach Ablauf von 6 Monaten jederzeit unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 3 Monaten kündigen. Außerdem kann er in den unter (2) dargestellten Fällen auch jeweils frühestens zum Ende der Zinsbindungsfristen unter Wahrung einer Kündigungsfrist von nur einem Monat kündigen.
Rechercheaufgabe: Aus dieser gesetzlichen Vorschrift ergibt sich für den Kreditnehmer auch dann ein Kündigungsanreiz, wenn er gar nicht über die zur Kredittilgung nötigen Zahlungsmittel verfügt, er sich diese aber zufolge gesunkener Kreditzinsen oder einer verbesserten Bewertung seiner Bonität über einen neuen Kredit günstiger beschaffen kann (Umschuldung). Versuchen Sie einmal zu erkunden, inwieweit in der Werbung für Konsumentenkredite die Banken einander ihre Kunden abzunehmen streben, indem genau dieser Sachverhalt herausgestellt wird!
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(4)
2 Das Angebot von
Finanzierungsleistungen
Kredite an öffentliche Haushalte Ohne gesonderte vertragliche Vereinbarung gelten die Regelungen gem. (1) und (2). Gegenüber dieser Kreditnehmergruppe ist ein vertraglicher Ausschluss des gesetzlichen Kündigungsrechtes jedoch zulässig.
Die dargestellten Regelungen gelten nicht für Schuldverhältnisse, die durch die Emission von Schuldverschreibungen (vgl. dazu Abschnitt 2.6) begründet werden. Dem Emittenten einer Industrieanleihe oder eines Pfandbriefes stehen die gesetzlichen Kündigungsrechte gem. § 489 BGB also nicht zu. Analoge Vorschriften über ein ordentliches Kündigungsrecht des Kreditgebers bestehen nicht. Hier sind der Gestaltungsfreiheit der Parteien keine speziellen Schranken gesetzt. Mit dem gesetzlich geregelten (§ 490 Abs. 1 BGB) außerordentlichen Kündigungsrecht sichern sich Kreditgeber die Möglichkeit, einen Kredit unabhängig von der Laufzeit und allen sonstigen Kündigungsklauseln jederzeit fristlos zu kündigen und die sofortige Tilgung zu verlangen, sofern bestimmte, näher spezifizierte Voraussetzungen vorliegen. Zu diesen Voraussetzungen zählen etwa üblicherweise ein Verzug des Schuldners mit den fälligen Zinsund Tilgungsleistungen um mehr als 14 Tage oder eine deutliche Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Lage bzw. der Werthaltigkeit einer Kreditbesicherung. Auch dem Darlehensnehmer ist gesetzlich ein außerordentliches Kündigungsrecht eingeräumt worden (§ 490 Abs. 2 BGB). Er kann mit einer Frist von drei Monaten kündigen, wenn ein „berechtigtes Interesse dies gebietet". Ein solcher Fall ist insbesondere etwa dann gegeben, wenn ein Kreditnehmer eine zur Besicherung des Kredites verwendete Sache infolge veränderter Lebensumstände anders verwenden möchte, also beispielsweise nach einer Scheidung oder einem Arbeitsortswechsel sein Eigenheim zu veräußern gedenkt. Allerdings soll dem Gläubiger aus dem außerordentlichen Kündigungsrecht seines Schuldners kein Nachteil erwachsen. Daher muss der außerordentlich kündigende Kreditnehmer dem Kreditgeber den aus der vorzeitigen Kündigung entstehenden Schaden durch einen Geldbetrag ersetzen (Vorfälligkeitsentschädigung).
Übungsaufgabe 2.05: Geben Sie für folgende Situationen jeweils an, zu welchem Termin der Kreditnehmer frühestens kündigen kann! a) Investitionskredit an eine GmbH über 20 Jahre (1) mit festem Zins für die gesamte Laufzeit, (2) mit variablem Zins. b) Wie a), jedoch ist der Zins jeweils für Teilabschnitte festgelegt worden, zuletzt mit Ablauf des 8. Kreditjahres für die nächsten 8 Jahre. Welche Kündigungsmöglichkeiten hat die GmbH
2.1 Grundbegriffe
51
(1) acht Monate, (2) einen Monat vor Ablauf der augenblicklichen Zinsbindungsperiode zum Ende des 16. Jahres? c) Wie ändert sich die Antwort zu b), wenn die am Ende des 16. Jahres auslaufende Zinsbindungsperiode mit einer Vereinbarung zu Beginn des 6. Jahres begonnen hat? d) Sie haben als privater Verbraucher vor einem halben Jahr einen unbesicherten Konsumentenkredit bei einer Bank mit einer Laufzeit von 8 Jahren aufgenommen, dessen Zins für die gesamten 8 Jahre festgeschrieben ist. Wie können Sie kündigen?
2.1.6
Besicherungsmodalitäten
2.1.6.1 Kategorien von Gläubigerrisiken Gläubiger gewähren Kredite im Vertrauen darauf, dass die vereinbarten Leistungen vom Schuldner vertragskonform erbracht werden. Allerdings unterliegen die Ansprüche der Gläubiger verschiedenen Risiken, auf die im Folgenden einzugehen sein wird. Dabei bietet es sich an, die Gläubigerrisiken nach den einzelnen Phasen zu systematisieren, die im Ablauf einer Gläubiger-Schuldner-Beziehung unterschieden werden können. Es sind dies folgende drei Phasen:
0
+
+
o : Neutraler Ausgang des Gläubiger Schuldner-Kontaktes + : Positiver Ausgang des Gläubiger Schuldner-Kontaktes - : Negativer Ausgang des Gläubiger Schuldner-Kontaktes
Abb. 2.01 : Phasen der Gläubiger-Schuldner-Beziehung
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2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
Entscheidungsphase In dieser Phase entscheidet der Gläubiger über die Vergabe, Kündigung oder Prolongation eines Kredits. Soweit die zur Fundierung der Kreditvergabeentscheidung benötigten Informationen vom Schuldner selbst gegeben werden, ist der Gläubiger der Gefahr ausgesetzt, dass der Schuldner die Vermögenssituation und Ertragsaussichten günstiger darstellt, als es in Wirklichkeit der Fall ist, und der Gläubiger sich aufgrund unvollständiger oder verfälschter Informationen für die Vergabe oder Prolongation des Kredits entscheidet, obwohl er bei besserem Informationsstand den Kreditantrag des Schuldners abgelehnt hätte. Diese Risikokategorie soll im Folgenden als Informationsrisiko bezeichnet werden.
Vertragsphase Ist die Kreditbeziehung zustande gekommen oder fortgesetzt worden, so besteht die Gefahr, dass sich die wirtschaftliche Lage des Schuldners soweit verschlechtert, dass die pflichtgemäße Erfüllung seiner finanziellen Verpflichtungen allgemein nicht mehr gewährleistet ist und über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Wir wollen diese Gefahr als Insolvenzrisiko bezeichnen. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ein Unternehmensvermögen bedeutet insbesondere, dass -
die bisherigen Eigentümer oder die von ihnen beauftragten Geschäftsführer die Verfügungskompetenz über das Unternehmen verlieren, und stattdessen
-
ein Insolvenzverwalter mit dem Ziel eingesetzt wird, das verbliebene Vermögen im Interesse der Gläubiger zu verwerten und den Verwertungserlös unter diesen zu verteilen.
Das Insolvenzrisiko kann zum einen durch unternehmensexterne Entwicklungen sowie unternehmerische Entscheidungen im Rahmen der ursprünglichen Investitionspolitik beeinflusst werden. Zum anderen kann auch eine Änderung der bei Vertragsabschluss vereinbarten Investitions- oder Finanzierungspolitik c.p. zu einer Erhöhung des Insolvenzrisikos führen. Unter Investitionsrisiko versteht man demnach die Gefahr, dass der Kreditnehmer nach Vertragsabschluss eine andere, für den Kreditgeber riskantere als die vereinbarte Investitionspolitik betreibt. Das Finanzierungsrisiko hingegen resultiert aus einer möglichen Erhöhung des Verschuldungsgrades des Kreditnehmers. Sowohl die Anwendung einer riskanteren Investitionspolitik als auch ein höherer Verschuldungsgrad erhöhen i.d.R. die Insolvenzwahrscheinlichkeit des Kreditnehmers.
2.1
Grundbegriffe
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Abwicklungsphase Im Zuge des Insolvenzverfahrens schließlich ist der einzelne Gläubiger der Gefahr ausgesetzt, dass seine Ansprüche nur zum Teil oder im Extremfall gar nicht erfüllt werden können. Wir wollen diese Gefahr als Verlustrisiko bezeichnen.
2.1.6.2 Vermögensverteilung im Insolvenzverfahren Für die vorausschauende Analyse des Verlustrisikos ist es von ausschlaggebender Bedeutung, dass das bei Insolvenzeintritt verbliebene Vermögen keineswegs gleichmäßig auf die Gläubiger aufgeteilt wird; vielmehr ergeben sich verschiedene Rangklassen von Gläubigern, wie folgendes Schema verdeutlicht, das wir anschließend schrittweise erläutern werden
Bruttovermögen des Unternehmens ./. Aussonderungen (§§ 47-48 InsO) =
Insolvenzmasse i.S.v. §§ 35-36 InsO
./. Absonderungen (§§ 49-51 InsO) = „Freie Aktiva" . /. Kosten des Insolvenzverfahrens (§§ 53-54 InsO) ./. Masseverbindlichkeiten (§§ 53 u. 55 InsO) =
„Teilungsmasse"
. /. Ansprüche „einfacher" (unbesicherter, nicht nachrangiger) Insolvenzgläubiger (§38 InsO) =
Masse zur Befriedigung nachrangiger Insolvenzgläubiger (§ 39 InsO)
Tab. 2.03: Vermögensverteilung im Insolvenzverfahren
Aussonderungen Aussonderungsrechte stehen insbesondere solchen Personen zu, die Eigentümer von Gegenständen sind, die sich bei Verfahrenseröffnung im Besitz des Schuldners befanden. Das trifft etwa auf einen Mietwagen, einen nur zu Demonstrationszwecken bereitgestellten PC oder auch auf Vorräte zu, die unter einfachem Eigentumsvorbehalt geliefert und noch nicht bezahlt worden sind. Sollte der Insolvenzverwalter ebenfalls nicht zur Zahlung aus der Insolvenzmasse bereit sein, können die Eigentümer verlangen, dass der Insolvenzverwalter die entsprechenden Gegenstände aus dem übernommenen Vermögen „aussondert" und ihnen zurückgibt. Eine Abweichung von dem Prinzip, dass dem juristischen Eigentümer ein Aus-
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2 Das Angebot von
Finanzierungsleistungen
sonderungsrecht zusteht, besteht lediglich in den Fällen, in denen zur Sicherung eines Anspruchs gegen das Unternehmen ein Vermögensgegenstand formal übereignet oder eine Forderung des Unternehmens - etwa gegenüber einem eigenen Abnehmer - abgetreten worden ist (Sicherungsübereignung bzw. Sicherungszession). Trotz der formaljuristischen Position als Eigentümer steht dem Anspruchsberechtigten hier nur ein Absonderungsrecht (s.u.) zu. Das nach der Aussonderung verbleibende Vermögen, also zum einen das Vermögen, das dem Schuldnerunternehmen zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört, zum anderen das Vermögen, welches das Schuldnerunternehmen während des Verfahrens noch erlangt, wird als Insolvenzmasse bezeichnet (§ 35 InsO).
Absonderungen Insbesondere im Zusammenhang mit der Gewährung von Krediten und Darlehen werden häufig zusätzliche Vereinbarungen getroffen, durch die bestimmte Vermögensgegenstände in der Weise für einen bestimmten Gläubiger ,reserviert" werden, dass diesem ein exklusives Zugriffsrecht auf diese Gegenstände zusteht, um seine Forderungen zu befriedigen. Im Insolvenzverfahren werden diese „Sicherungsgüter" zu Gunsten des Gläubigers „abgesondert" verwertet, z.B. durch Verkauf oder Versteigerung. In Abweichung zu der bis 1998 gültigen Insolvenzordnung wird der Erlös aus der Verwertung beweglicher Gegenstände und Forderungen, die dem Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters unterliegen, vor der Befriedigung des absonderangsberechtigten Gläubigers um einen Kostenbeitrag gekürzt (§ 170 InsO). Mit diesem Kostenbeitrag, dessen Höhe sich aus § 171 InsO ergibt, sollen die mit Absonderungsrechten verbundenen Bearbeitungskosten, insbesondere die Kosten der Feststellung und der Verwertung des Sicherungsgegenstandes, abgedeckt werden. Erlöse aus der Verwertung als Sicherung bereitgestellter Grundstücke bleiben demgegenüber von einer entsprechenden Kostenbelastung weitgehend frei. Für den absonderungsberechtigten Gläubiger ergeben sich daraus folgende Konsequenzen: •
Bleibt der Verwertungserlös (abzüglich eventuell anfallender Umsatzsteuer) einer mit Absonderungsrechten belasteten beweglichen Sache oder Forderung hinter der Summe aus Forderungsbetrag und Feststellungs- und Verwertungskosten zurück, so erzielt der absonderungsberechtigte Gläubiger keine volle Befriedigung seiner Forderung. Er hat jedoch gem. § 52 InsO in Höhe der verbleibenden Forderung einen weiteren Anspruch, der innerhalb der Rangklasse der ungesicherten Gläubiger (s.u.) einzuordnen ist. Das gleiche gilt - von einigen Besonderheiten abgesehen - , wenn der ungekürzte Erlös aus der Verwertung eines Grundstücks hinter dem Forderungsbetrag zurückbleibt.
•
Übersteigt der erzielte Verwertungserlös (abzüglich eventuell anfallender Umsatzsteuer) einer mit Absonderangsrechten belasteten beweglichen Sache oder Forderung die Summe aus Forderungsbetrag und Feststellungs-
2.1 Grundbegriffe
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und Verwertungskosten, so erzielt der absonderungsberechtigte Gläubiger die volle Befriedigung seiner Forderung. Der verbleibende Überschussbetrag kommt den im Rang folgenden Gläubigern zugute. Die wichtigsten - in folgender Tabelle aufgeführten - Instrumente, mit denen eine derartige Reservierung erreicht werden kann, zählen zu den sogenannten Realsicherheiten. Art der Sicherheit
Typischerweise reservierte Vermögensgegenstände
Zustandekommen des Sicherungsrechts
Grundpfandrechte (Hypothek, Grundschuld)
Grundstücke und Gebäude
Eintragung im Grundbuch
Mobiliarpfandrecht
Wertpapiere
Übergabe des Pfandgutes an den Geldgeber
Sicherungsübereignung
Maschinen, Fahrzeuge, Vorräte
Abschluss eines Sicherungs- und Abtretungsvertrages, wonach der Geldnehmer den Sicherungsgegenstand
Sicherungsabtretung
-
an den Geldgeber zur Sicherheit übereignet,
-
ihn jedoch weiter nutzen kann und
-
bei Zahlungsverzug an den Geldgeber zur Befriedigung seiner Forderung herauszugeben hat.
Forderungen von Lieferanten Abschluss eines Sicherungs- und aus Lieferungen auf Ziel Abtretungsvertrages
Tab. 2.04: Die wichtigsten Absonderungssicherheiten im Überblick
Aufrechnungen Soweit zwei Personen einander gleichartige Leistungen, speziell Zahlungen, schulden, können die wechselseitigen Forderungen unter bestimmten Voraussetzungen gegeneinander aufgerechnet werden. Als Ergebnis der Aufrechnung sind beide Forderungen in dem Ausmaß, in dem sie sich decken, als erloschen anzusehen. Von dieser Möglichkeit kann nach Maßgabe der §§ 94-96 InsO auch im Insolvenzverfahren Gebrauch gemacht werden. Das Ergebnis ist ähnlich wie bei der Absonderung: Der Anspruch des zur Aufrechnung berechtigten Gläubigers wird zwar nicht durch die Verwertung eines „reservierten" Vermögensgegenstandes erfüllt, jedoch dadurch, dass er von der ansonsten bestehenden Verpflichtung befreit wird, dem insolventen Unternehmen die eigentlich geschuldete Zahlung oder sonstige Leistung zu erbringen.
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Kosten des Insolvenzverfahrens und Masseverbindlichkeiten Die nach Absonderung und Aufrechnung verbleibenden Vermögensgegenstände sind zunächst zur Abdeckung der Verfahrenskosten und der sogenannten Masseverbindlichkeiten zu verwenden. Zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zählen in erster Linie die Verfahrenskosten, insbes. Vergütung und Auslagen des Insolvenzverwalters, Versteigerungs- und Gerichtskosten etc. Ist davon auszugehen, dass das noch vorhandene Vermögen nicht einmal die Kosten des Verfahrens bis zum sog. „Berichtstermin" (§ 29 Abs. 1 InsO) deckt, so ist der Insolvenzantrag gemäß § 26 Abs. 1 InsO „mangels Masse" abzulehnen. Wird der Insolvenzantrag „mangels Masse" abgelehnt, erfolgt das, was durch das Insolvenzverfahren eigentlich vermieden werden soll: Einzelvollstreckungsversuche der verschiedenen Gläubiger im Windhundverfahren. Vor 1999, d.h. bei der seinerzeit gültigen Konkursordnung, war dies in Deutschland - vielfach beklagt - bei der Mehrzahl der Konkursanträge der Fall. Die Masseverbindlichkeiten umfassen demgegenüber insbesondere Zahlungsverpflichtungen aus Geschäften, die der Insolvenzverwalter im Zuge des Insolvenzverfahrens noch vorgenommen hat (z.B. zur Fertigstellung eines begonnenen Auftrags) oder aus der Abwicklung gegenseitiger Verträge, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens schon abgeschlossen, aber noch nicht erfüllt worden waren und die der Insolvenzverwalter noch abwickelt (z.B. Abruf bestellter Ware durch den Insolvenzverwalter). Für den Fall, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht von Anfang an „mangels Masse" abgelehnt worden ist (s.o.), geht der Gesetzgeber in der Regel davon aus, dass alle Masseverbindlichkeiten befriedigt werden können, und sieht daher zunächst keine bestimmte Rangfolge der genannten Ansprüche untereinander vor. Sollte sich im Zuge des Insolvenzverfahrens allerdings herausstellen, dass es doch nicht möglich sein wird, alle Masseforderungen zu befriedigen, so sieht der Gesetzgeber auch innerhalb dieser Gruppe von Ansprüchen gemäß § 209 InsO eine weitere Abstufung vor. Unbesicherte (nicht nachrangige) Insolvenzgläubiger Hat die Insolvenzmasse zur Befriedigung der absonderungsberechtigten Insolvenzgläubiger, der Verfahrenskosten und der Masseverbindlichkeiten ausgereicht, kommt endlich die Stunde der „par conditio creditorum": Die verbliebene Restmasse wird in gleichen Quoten auf die unbesicherten Insolvenzgläubiger nach der Höhe ihrer noch nicht befriedigten Forderungen verteilt. Diese Gläubigergruppe umfasst zum einen solche Gläubiger, für deren Ansprüche weder Sicherheiten bestehen noch ein gesetzlicher Vorrang vorgesehen ist und
2.1
Grundbegriffe
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zum anderen Sicherungsgläubiger, soweit ihre Ansprüche durch die Verwertung der Sicherheiten nicht vollständig befriedigt werden konnten. Zur Terminologie sei noch angemerkt, dass der prozentuale Anteil, in dem die Insolvenzforderungen der unbesicherten Insolvenzgläubiger erfüllt werden, - in Anlehnung an den früher geläufigen Begriff der Konkursquote - als Insolvenzquote bezeichnet werden kann.
Übungsaufgabe 2.06: Im Wirtschaftsteil Ihrer Tageszeitung lesen Sie in einem Artikel „Pleiten über Pleiten - Vom Elend des deutschen Insolvenzrechts" unter anderem folgende Ausführungen: „In mehr als 75% aller Unternehmenspleiten gehen die Gläubiger völlig leer aus, weil ein Insolvenzverfahren mangels Masse erst gar nicht stattfinden kann. Und in den wenigen Fällen, in denen es überhaupt zu einem solchen Verfahren kommt, erhalten die Gläubiger des Unternehmens lediglich die sogenannte Insolvenzquote, im Durchschnitt der letzten Jahre nicht einmal 5% ihrer Forderungen." Nehmen Sie zu diesen beiden Aussagen kritisch Stellung!
Nachrangige Insolvenzgläubiger Sollte der - wohl eher seltene - Fall eintreten, dass nach der vollständigen Befriedigung aller ungesicherten Gläubiger noch verteilbares Vermögen übrig bleibt, so werden eventuell verbleibende Forderungen nachrangiger Gläubiger in einer bestimmten Rangfolge gemäß § 39 InsO befriedigt. Hierzu zählen - und zwar in der genannten Rangfolge - Ansprüche aus -
Zinsrückständen, die seit Verfahrenseröffnung für die Forderungen (aller Gläubiger) aufgelaufen sind,
-
Kosten, die den einzelnen Insolvenzgläubigern durch die Teilnahme am Insolvenzverfahren erwachsen sowie Forderungen auf die Rückgewähr sogenannter kapitalersetzender Gesellschafterdarlehen.
Zudem kann schon bei der Gestaltung von Forderungen, die eigentlich zu einem Anspruch als „normaler", nicht nachrangiger Gläubiger führen würden, zwischen Gläubiger und Schuldner ein Nachrang im Insolvenzverfahren vereinbart werden. Die Rangstufe solcher Ansprüche innerhalb der Gesamtheit der nachrangigen Insolvenzgläubiger richtet sich nach der konkret getroffenen Abrede. Ist lediglich ein „Insolvenznachrang" ohne genauere Spezifizierung vereinbart, so erfolgt eine mögliche Befriedigung in der allerletzten Klasse, also nach den Ansprüchen aus „kapitalersetzenden" Gesellschafterdarlehen
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Materiell ist das Insolvenzverfahren beendet, sobald die gesamte Insolvenzmasse nach den zuvor dargestellten Regeln an die Gläubiger verteilt worden, das Unternehmen also vollständig liquidiert ist. In formeller Hinsicht wird das Verfahren durch einen Aufhebungsbeschluss des zuständigen Gerichtes beendet. Soweit es sich bei dem Gemeinschuldner um eine natürliche Person handelt, können die nicht befriedigten Gläubiger danach wieder versuchen, ihre Ansprüche im Wege der Einzelvollstreckung zu realisieren, was immerhin dann von Erfolg sein kann, wenn der Gemeinschuldner später wieder „zu Geld kommt". In diesem Zusammenhang soll auch kurz auf die Möglichkeit der Restschuldbefreiung eingegangen werden. Sie ist in den §§ 286 - 303 der Insolvenzordnung geregelt und verfolgt die Ziele, die Gesamtheit der Gläubiger bestmöglich zu befriedigen und einem redlichen Schuldner, der gläubigerschädigendes Verhalten unterlässt, von seinen Schulden endgültig zu befreien. Restschuldbefreiung können nur natürliche Personen beantragen, über deren Vermögen vorher ein Insolvenzverfahren durchgeführt worden ist, welches nicht zu einer vollständigen Befriedigung der Gläubiger geführt hat. Nur der Schuldner selbst kann den schriftlichen Antrag bei dem für ihn zuständigen Insolvenzgericht stellen. Der Schuldner muss sich bereit erklären, während der sog. Wohlverhaltensperiode von sechs Jahren einen gewissen Teil seiner laufenden Bezüge aus einem Arbeitsverhältnis an einen vom Gericht zu bestimmenden Treuhänder abzutreten, der die Zahlungen einmal im Jahr an die Gläubiger verteilt. Um nur dem redlichen Schuldner eine endgültige Schuldenbereinigung zu ermöglichen und Missstände zu verhindern, wird dem Antrag auf Restschuldbefreiung nur stattgegeben, wenn keine Versagungsgründe, wie z.B. eine Verletzung der Obliegenheiten1) oder ein Kreditbetrug, vorliegen. Während der Wohlverhaltensperiode sind Zwangsvollstreckungen für einzelne Gläubiger verboten. Bereits bestehende Lohn- oder Gehaltsabtretungen haben nur noch drei Jahre Bestand. Andere Kreditsicherheiten werden durch ein Restschuldbefreiungsverfahren hinsichtlich der aus ihnen resultierenden Rechte nicht berührt. Allerdings ist eine - unter Umständen nicht unerhebliche - Kostenbeteiligung des Gläubigers für Feststellung und Verwertung der Sicherheiten zu berücksichtigen. Am Ende der Wohlverhaltensperiode wird der Schuldner von allen nicht erfüllten Forderungen seiner Gläubiger befreit. Mitschuldner und Bürgen haften den Gläubigern gegenüber für die Forderungen jedoch weiter, ohne selbst die Möglichkeit des Rückgriffs auf den Schuldner zu haben.
1
Zu den Obliegenheiten des Schuldners zählen beispielsweise gemäß § 295 der Insolvenzordnung die Pflicht, sich um eine angemessene Erwerbstätigkeit zu bemühen oder Vermögen aus einer Erbschaft zur Hälfte an den Treuhänder herauszugeben.
2.1 Grundbegriffe
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D i e Regelung, die Gläubiger an den Kosten für Feststellung und Verwertung der Sicherheiten zu beteiligen, kann tendenziell dazu führen, dass Gläubiger den i m Falle der Insolvenz zu tragenden Kostenanteil bereits bei der Sicherheitenbestellung antizipieren und einkalkulieren, so dass in B e z u g auf einen konkreten Kredit eine Überbesicherung erfolgt oder der d e m Schuldner insgesamt zur Verfügung stehende Kreditrahmen bei g l e i c h e m U m f a n g möglicher Sicherheiten
einge-
schränkt wird. B e i Personen- oder Kapitalgesellschaften s o w i e bei Genossenschaften ist die Möglichkeit, später noch „zu Geld zu kommen", h i n g e g e n ausgeschlossen, da diese i m Z u g e der z w a n g s w e i s e n Liquidation ja ihre Existenz verlieren. Verbleibt - als eher theoretischer Ausnahmefall - nach der Befriedigung aller Gläubiger und der D e c k u n g sämtlicher Verfahrenskosten ein Vermögensrest, steht dieser den Gesellschaftern zu.
Beispiel 2.03: Für die X-GmbH ist das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Es kommt zur Einzelliquidation aller Vermögensgegenstände der X-GmbH. Der Insolvenzverwalter hat unter anderem folgende Ansprüche zu berücksichtigen: 1. Die CASH-Bank verlangt die Rückzahlung des Kontokorrentkredits mit einem aktuellen Stand von 125.700 Euro. Zur Sicherung für diesen Kredit waren Warenbestände (sicherungs-) übereignet worden. Deren Verkauf bringt - nach Abzug von Feststellungs-, Verwertungskosten und Umsatzsteuer - einen Erlös von 162.500 Euro. 2.
Die Waren KG hatte der GmbH unter Eigentumsvorbehalt Waren zum Vorzugspreis von 60.000 Euro geliefert. Die Ware ist noch nicht bezahlt, aber noch vorhanden. Mangels ihm erkennbarer Verwertungsmöglichkeiten ist der Insolvenzverwalter nicht bereit, die Kaufpreiszahlung noch zu erbringen. Die KG tritt daher von dem Kaufvertrag zurück, macht aber von ihrem Eigentumsvorbehalt Gebrauch und verlangt die Ware heraus, die sie im Endergebnis aber nur für 45.000 Euro an einen anderen Interessenten verkaufen kann.
3.
Eine Bäckerei hat der GmbH für Brötchenlieferungen 4.500 Euro in Rechnung gestellt. In etwa gleichzeitig hat die GmbH der Bäckerei eine fast neuwertige PC-Anlage zum Preis von 3.600 Euro überlassen. Beide Rechnungen sollten jeweils „sofort" bezahlt werden, stehen de facto aber noch aus.
4.
Der Einzelkaufmann Alfons hat eine umfangreiche Bestellung aufgegeben und bereits 6.400 Euro als Anzahlung geleistet. Er verlangt nun Auslieferung der inzwischen bei der GmbH „zur Probe" angelieferten Waren, hilfsweise Rückzahlung der geleisteten Anzahlung.
Nimmt man einmal an, die Forderungen der unbesicherten Insolvenzgläubiger (vgl. Tabelle 2.03), könnten nur zu 5% befriedigt werden, so ergeben sich in den vier genannten Fällen folgende Ergebnisse: 1. Die CASH-Bank erhält die ihr zustehenden 125.700 Euro in voller Höhe. An dem darüber hinaus erzielten Verkaufserlös der sicherungsübereigneten Waren partizipiert sie allerdings nicht. Ihre Befriedigungsquote beträgt also 100%.
2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
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2. Die WAREN KG erhält die gelieferten Waren vollständig zurück, verliert dafür aber ihren Kaufpreisanspruch von 60.000 Euro. Da sie die zurückerhaltene Ware letztlich aber nur für 45.000 Euro verkaufen kann, erleidet sie im Vergleich zur ordnungsgemäßen Vertragserfüllung einen Verlust von 15.000 Euro. Diesen Verlust kann sie auch im Rahmen des weiteren Insolvenzverfahrens nicht - etwa als Schadenersatzanspruch - geltend machen, so dass sie im Endeffekt eine Befriedigungsquote von 75% erreicht. 3. Es ist davon auszugehen, dass die Bäckerei die Forderungen gegeneinander aufrechnen kann. Sie entzieht sich so der Verpflichtung, 3.600 Euro an die KG zahlen zu müssen, und nimmt dafür eine Minderung des ihr zustehenden Zahlungsanspruchs um denselben Betrag, also von 4.500 Euro auf 900 Euro in Kauf. Diesen Restanspruch kann sie allerdings noch als unbesicherte Insolvenzforderung geltend machen und so immerhin noch weitere 45 Euro erlangen. Insgesamt trifft sie ein Verlust von 855 Euro, was einer Befriedigungsquote von 81% ihres ursprünglichen Anspruchs von 4.500 Euro entspricht. 4.
Alfons schließlich hat Pech. Trotz der Vorauszahlung hat er keinen Anspruch auf Auslieferung der bestellten Ware. Er kann lediglich die Rückzahlung der im voraus geleisteten 6.400 Euro verlangen. Da es sich dabei jedoch um eine unbesicherte Insolvenzforderung handelt, erhält er ganze 320 Euro, also eine Befriedigungsquote von nur 5%.
Übungsaufgabe 2.07: Gehen Sie von den Daten aus dem letzten Beispiel aus und nehmen Sie weiterhin an, dass die Forderungen der unbesicherten Gläubiger zu 5% befriedigt werden. Untersuchen Sie nochmals die Befriedigungsquote der vier Gläubiger für den Fall, dass alternativ folgendes unterstellt wird: 1. Der Verkauf der sicherungsübereigneten Warenbestände erbringt nach Abzug der Kostenbeiträge gemäß § 171 InsO einen Erlös von nur 115.300 Euro. 2. Der Waren KG gelingt es, die zurückerhaltenen Waren für 72.000 Euro an einen anderen Interessenten zu verkaufen. 3. Der Preis für die Brötchen belief sich nur auf 3.200 Euro.
2.1.6.3 Instrumente zur Begrenzung von Gläubigerrisiken durch vertragliche Vereinbarungen Aufgrund der mit der Vergabe eines Kredites verbundenen Risiken wird der Gläubiger bemüht sein, sich gegen die eben genannten Kreditrisiken zu schützen. Der Begrenzung des Informationsrisikos dienen die vielfaltigen Verfahren der Kreditwürdigkeitsanalyse und der Schuldnerüberwachung, auf die im Rahmen dieses Buches allerdings nicht weiter eingegangen werden soll. Gegen die Folgen aus dem Informationsrisiko resultierender Fehlentscheidungen und damit zugleich gegen das Insolvenz- und Verlustrisiko, können sich Gläubiger zudem in gewissem Umfang durch die Vereinbarung außerordentlicher Kündigungsmöglichkeiten schützen. Diese räumen ihnen die Möglichkeit ein, die Ver-
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Grundbegriffe
61
bindlichkeit vor Ablauf der ursprünglich vorgesehenen Laufzeit fällig zu stellen, wenn sich die Vermögenssituation des Schuldners in zunächst nicht erwarteter Weise negativ entwickelt oder sonstige Unregelmäßigkeiten auftreten. Solche Kündigungsmöglichkeiten sehen etwa die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Kreditinstitute allgemein für den Fall unrichtiger Angaben des Schuldners über seine Vermögenslage sowie bei einer wesentlichen Verschlechterung seiner Vermögensverhältnisse vor. Darüber hinaus kann dieses Kündigungsrecht individualvertraglich konkretisiert oder erweitert werden. Während solche Kündigungsklauseln auf eine risikobedingte Fälligstellung der Verbindlichkeiten abzielen, werden im Folgenden fünf Gruppen verschiedener Instrumente erörtert, die dazu beitragen sollen, die Chancen auf eine möglichst vollständige Realisierung einer Forderung auch ohne deren vorzeitige Kündigung zu erhöhen.
(1)
Erlangung von Prozessualvorteilen
Das Merkmal dieser Gruppe von Sicherungsmitteln besteht darin, dass bei unveränderten Haftungsverhältnissen die Risiken der Rechtsverfolgung durch die Art des Vertragsabschlusses verringert werden. Hier wäre als klassisches Beispiel die Ausstellung eines Wechsels über den kreditierten Betrag zu nennen. Das Akzept des Wechsels durch den Schuldner eröffnet den Gläubigern im Ernstfall erheblich schnellere Zugriffsmöglichkeiten als Ergebnis des schnell abwickelbaren Wechselprozesses (vgl. Art. 43-54 WG; §§ 602 ff. ZPO). So kann der Wechselschuldner etwa nur noch Einwände gegen die Gültigkeit des Wechsels erheben (z.B. gefälschte Unterschrift o.ä.), nicht jedoch aus dem der Wechselausstellung zugrundeliegenden Geschäft (z.B. Kaufpreisminderung o.ä.). Ähnliche, wenn auch schwächere Wirkungen entfalten auch schon geeignete Formen der Beurkundung. Sie erleichtern es in einem möglichen Streitfall zumindest, den Nachweis zu führen, dass der reklamierte Anspruch auch wirklich besteht.
(2)
Einschränkung der schuldnerischen Handlungsfreiheit
Durch eine Beschränkung der Handlungsfreiheit des Schuldners lässt sich sowohl das Finanzierungs- als auch das Investitionsrisiko verringern. In der Kreditvergabepraxis findet man daher verschiedene Instrumente, mit denen Gläubiger auf die Geschäftspolitik des Schuldners Einfluss zu nehmen versuchen. Beispielhaft seien genannt: -
Die Delegierung von Angehörigen von Kreditinstituten in die Aufsichtsgremien von Gesellschaften,
-
die Bindung der Kreditvergabe an ganz bestimmte Verwendungen der überlassenen Kapitalbeträge oder
62
-
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die an die Kreditvergabe geknüpfte Verpflichtung, dass der Schuldner ganz bestimmte risikopolitische Maßnahmen ergreift, wie z.B. den Abschluss eines Versicherungsvertrages, durch den das Risiko des Untergangs eines Vermögenswertes abgedeckt wird.
Während die gerade angeführten Instrumente vornehmlich auf das Investitionsrisiko ausgerichtet sind, soll durch die Vereinbarung von sogenannten Negativklauseln vornehmlich das Finanzierungsrisiko beeinflusst werden. Durch solche Vereinbarungen kann der Schuldner beispielsweise verpflichtet werden, anderen Gläubigern keine Sicherheiten zu geben oder die Verschuldung seines Unternehmens innerhalb bestimmter Grenzen zu halten.
(3)
Erhöhung des individuell haftenden Vermögens zu Lasten anderer Gläubiger (Reservierung)
Da die Verpflichtung des Schuldners zu Wohlverhalten nur einen relativen Schutz gewährleistet und zudem mit hohem Transaktions- und Kontrollaufwand verbunden ist, bieten sich als einfachere und wirksamere Sicherungsmöglichkeiten die verschiedenen Formen der „Reservierung" von Vermögenswerten an. Das Merkmal dieser sogenannten Realsicherheiten besteht darin, dass der begünstigte Gläubiger einen im Einzelnen näher bestimmten Teil der Haftungsmasse insgesamt zu seiner ausschließlichen Befriedigung zugeordnet erhält, so dass sich die den übrigen Gläubigern haftende Masse in entsprechendem Umfang vermindert. Der Sicherungsgläubiger verbessert seine eigene Position also stets zu Lasten der übrigen Gläubiger. Die wichtigsten Instrumente zur Erlangung eines entsprechenden Aus- oder Absonderungsrechts haben Sie im vorangegangenen Abschnitt schon kennengelernt (vgl. insbesondere Tab. 2.04.).
(4)
Erhöhung des individuell haftenden Vermögens ohne Schlechterstellung anderer Gläubiger (Gläubigersubstitution)
Während bei den Realsicherheiten die individuelle Besserstellung eines Gläubigers tendenziell mit einer Schlechterstellung aller oder einzelner anderer Gläubiger verknüpft ist, da die insgesamt verfügbare Haftungsmasse ja stets unverändert bleibt, besteht bei anderen Sicherungsformen die Möglichkeit, die eigenen Forderungen zu besichern, ohne dadurch die den anderen Gläubigern verbleibende Haftungsmasse zu vermindern. Dies ist etwa bei der Bürgschaft (§§ 765-778 BGB) der Fall. Ihre Funktion besteht darin, dass sich ein Dritter, der Bürge, verpflichtet, für die Erfüllung der Verbindlichkeiten des Schuldners einzustehen. Wird der Bürge aufgrund der Bürgschaft in Anspruch genommen, so erwirbt er eine Forderung gegen den ursprünglichen Schuldner und tritt im Insolvenzverfahren an die Stelle des von ihm befriedigten Primärgläubigers. Aus Sicht des Schuldners tritt an die Stelle des durch die Bürgschaft gesicherten Erstgläubigers
2.1
Grundbegriffe
63
also der Bürge als Sekundärgläubiger. Für die übrigen Gläubiger wird durch diese Form der Sicherung die eigene Position also weder verbessert noch verschlechtert. Bürgschaftsähnlich ist auch die gesetzlich nicht geregelte Garantie, durch die sich ein Dritter, der Garant, verpflichtet, dafür zu sorgen, dass der Gläubiger befriedigt wird. Zum Schutze der Gläubiger einer Untergesellschaft im Konzern können schließlich auch sog. Patronatserklärungen der Obergesellschaft dienen, deren Sicherungswert vom konkreten Inhalt der Haftungs- oder Erfolgszusage bestimmt wird. Unter dem Begriff „Patronatserklärung" zusammengefasste Erklärungen der Obergesellschaft können von solchen, die nur „a warm feeling" verschaffen, bis zu effektiven Garantiezusagen reichen. Das Spektrum entsprechender Formulierungen reicht von der Erklärung, man sei mit der Kreditaufnahme der Tochtergesellschaft einverstanden, bis hin zu Zusagen folgender Art: „Sie haben unserer Tochtergesellschaft einen Kredit in Höhe von Euro ... eingeräumt. Wir (Muttergesellschaft) übernehmen hiermit die uneingeschränkte Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass unsere Tochtergesellschaft in der Zeit, in der sie den bei Ihnen in Anspruch genommenen Kredit einschließlich Zinsen und Nebenkosten nicht vollständig zurückgezahlt hat, in der Weise geleitet und ausgestattet wird, dass sie stets in der Lage ist, ihren Verbindlichkeiten fristgemäß nachzukommen".
(5)
Erhöhung des insgesamt haftenden Vermögens (Haftungserweiterung)
Schließlich ist es auch möglich, dass im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung Maßnahmen vereinbart werden, durch die die Haftungsmasse, die der Gläubigergesamtheit zur Verfügung steht, insgesamt erhöht wird, indem über das bislang haftende Vermögen hinaus zusätzliche externe Haftungstatbestände vereinbart werden. Ein solcher Effekt kann etwa durch den Abschluss eines Verlustübernahmevertrages erzielt werden. Dabei verpflichtet sich ein Unternehmen, z.B. die Obergesellschaft innerhalb eines Konzernverbundes, etwaige Verluste des kreditnehmenden Tochterunternehmens auszugleichen. Durch den Abschluss eines solchen Vertrages vermindern sich für die Gläubiger des verlustabführenden Unternehmens offensichtlich sowohl das Insolvenzrisiko wie auch das Verlustrisiko. Demgegenüber sind die Gläubiger des verlustübernehmenden Unternehmens negativ betroffen, da sich für sie Insolvenz- und Verlustrisiko erhöhen. Auch Patronatserklärungen können eine ähnliche Funktion übernehmen, sofern sie nicht auf eine einzelne Verbindlichkeit bezogen sind, sondern auf die Zahlungsfähigkeit des jeweiligen Unternehmens ganz allgemein abstellen.
64
2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
2.2
Kurzfristige Finanzierung durch Finanzintermediäre
2.2.1
Vorbemerkung
In der Bankpraxis kennt man unterschiedliche Bezeichnungen zur Unterscheidung verschiedener Kreditangebote. Derartige Bezeichnungen weisen zum Teil eine instituts- oder institutsgruppenspezifische Prägung auf, zum Teil haben sie allgemeine Verbreitung gefunden. Dabei beziehen sich die zur näheren Charakterisierung einer Kreditform herangezogenen Termini auf unterschiedliche Kategorien von Kreditmerkmalen. So ist etwa, wie wir in den folgenden Darstellungen noch näher sehen werden -
beim „Kontokorrentkredit" der spezifische Abwicklungsmodus begriffsprägend, bei „Lombardkredit", „Zessionskredit" oder „Hypothekarkredit" die spezielle Sicherungsform,
-
beim „Konsumentenkredit" die Peson des Kreditnehmers,
-
beim „Kleinkredit" die Kreditsumme oder
-
beim „kurzfristigen Kredit" die Laufzeit der Finanzierungsvereinbarung.
Offensichtlich können sich die so geprägten Begriffe überlappen. So kann etwa - wie gleich noch deutlicher wird - ein Kontokorrentkredit je nach der zugrundeliegenden Sicherungsform zugleich ein Lombard- oder Zessionskredit, ein Konsumentenkredit zugleich ein Kleinkredit, ein Lombardkredit zugleich ein kurzfristiger Kredit etc. sein. Ein zusätzliches terminologisches Problem resultiert daraus, dass Bankkredite zum Teil als „Kredite" bezeichnet werden, zum Teil aber auch als „Darlehen",1) ohne dass eine klare Trennlinie für die Verwendung der einen oder der anderen Bezeichnung ausgemacht werden kann. Wir können das Dilemma, das sich aus dieser begrifflichen Unordnung für den in diesem Buch angestrebten Versuch einer systematischen Darstellung pragmatisch lösen, indem wir die Behandlung unterschiedlicher Kreditformen den verschiedenen Abschnitten dieses Buches nach den Merkmalen zuordnen, die uns jeweils als die „gewichtigs-
1 Zur rechtlichen Differenzierung Kredit/Darlehen: Ein Darlehen (Sachdarlehen) bezeichnet die Überlassung von Geld (bzw. Sachen); der Darlehensschuldner schuldet dem Darlehensgläubiger Geld (bzw. Sachen gleicher Menge und Güte). „Kredit" hingegen erfasst als Oberbegriff eine Schuld (üblicherweise eine Geldschuld), der nicht notwendig eine Überlassung des Geschuldeten vorangehen muss. Beispielsweise hat der Nachbar, der sich am Sonntag mit drei Eiem aushelfen lässt, eine Darlehensschtúd, ebenso der Bankkunde, der sein Girokonto „überzogen" hat. Der Kunde hingegen, der sich von seinem Lieferanten „auf Ziel" beliefern lässt, hat „lediglich" eine Kreditschuld.
2.2 Kurzfristige Finanzierung durch Finanzintermediäre
65
ten" erscheinen. Die Gliederung der folgenden drei Abschnitte in ihrer nicht vollauf überzeugenden Systematik ist ein Ergebnis dieser Pragmatik.
2.2.2
Kontokorrent- und Lombardkredite
Ein Kontokorrentkredit (§§ 355-357 HGB) wird durch die Einräumung einer Kreditlinie seitens eines Kreditinstituts gewährt. Die zugesagte Kreditlinie stellt den Höchstbetrag dar, bis zu dem das Kontokorrentkonto überzogen werden darf. Die Inanspruchnahme des Kontokorrentkredits nimmt der Kreditnehmer jeweils nach eigenem Bedarf vor, so wie das die Abwicklung seines laufenden Zahlungsverkehrs jeweils erfordert. Der Kontokorrentkredit wird in der Regel entweder „bis auf weiteres" mit kurzer, z.B. vierzehntägiger, Kündigungsfrist gewährt oder für eine feste Laufzeit von höchstens einem Jahr. Allerdings erfolgt oftmals eine ständige „Prolongation" mit der Konsequenz, dass der Kontokorrentkredit de facto dann langfristig zur Verfügung steht. Für die Finanzplanung eines Unternehmens ist jedoch zu beachten, dass die Gefahr einer Kündigung seitens der Bank gerade dann besonders groß ist, wenn sich das Unternehmen in einer wirtschaftlich schwierigen Lage befindet, i.d.R. also ganz besonders auf den Fortbestand der Kreditbeziehung angewiesen ist. Vor der Einräumung einer Kreditlinie führt das Kreditinstitut regelmäßig eine bankübliche Kreditwürdigkeitsprüfung des potentiellen Kreditnehmers durch. Als Kreditsicherheiten für einen Kontokorrentkredit kommen die Bürgschaft, die Forderungsabtretung, die Sicherungsübereignung u.a. in Betracht; hat das Kreditinstitut eine besonders starke Verhandlungsposition, wird dem Kreditnehmer gelegentlich zudem die Verpflichtung zur vollständigen Abwicklung aller finanziellen Transaktionen über das Kreditinstitut auferlegt werden. Diesem wird dadurch die laufende Überwachung der wirtschaftlichen Entwicklung des Schuldners wesentlich erleichtert, wodurch die Chancen einer „rechtzeitigen" Kündigung verbessert werden. Die Kosten des Kontokorrentkredites setzen sich üblicherweise zusammen aus dem Sollzins nach jeweiliger Inanspruchnahme, eventuell zusätzlich einer Bereitstellungsprovision auf die bereitgestellte (= Kreditlinie), aber nicht in Anspruch genommene Summe und ggf. weiterer Preisbestandteile (z.B. Kontoführungsgebühren). Die Sollzinsen werden den Kontokorrentkonten häufig quartalsweise nachschüssig belastet. Dadurch ergibt sich für die auf das ganze Jahr bezogene Zinsbelastung ein etwas höherer Wert als der zugrundeliegende Soll-Zinssatz.
66
2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
Beispiel 2.04: Ein Kontokorrentkredit wird quartalsweise abgerechnet; der Sollzins beträgt 12% p.a. Der Einfachheit halber sei unterstellt, dass -
der Kredit zum 1.1. einen Stand von 100.000 Euro aufweist und
-
während des gesamten Jahres keinerlei Aus- oder Einzahlungen erfolgen.
Der Schuldbestand am Jahresende beträgt dann nicht etwa 112.000 Euro (100.000 Euro Anfangsschuld + 12.000 Euro Zinsen), sondern bestimmt sich wie folgt: Stand zu Beginn d. 1. Quartals +
Zins für das 1. Quartal*) Stand zu Beginn d. 2. Quartals
+
Zins für das 2. Quartal Stand zu Beginn d. 3. Quartals
+
Zins für das 3. Quartal*) Stand zu Beginn d. 4. Quartals Zins für das 4. Quartal
Endbestand
100.000 3.000 103.000 3.090 106.090 3.183 109.273
**)
3.278 112.551
**)
*) Jeweils 12/4 = 3% auf den Schuldbestand zu Quartalsbeginn. Auf volle Euro gerundet. Dadurch, dass die erste Zinsbelastung schon nach drei Monaten erfolgt und darauf in der Folgezeit Zinseszinsen anfallen und ähnliches für die zweite und dritte Belastung gilt, ergibt sich auf das ganze Jahr bezogen also eine effektive Zinslast von über 12,5%.
Die Höhe des Zinssatzes ist in aller Regel nicht dem Prozentsatz nach fest vereinbart, sondern variabel: -
Entweder behält sich die Bank eine jederzeitige Anpassung der Konditionen vor
-
oder der Sollzins ergibt sich als Zuschlag zu einer anderen Zinsgröße, z.B. dem Zinssatz für kurzfristige Refinanzierungsgeschäfte bei der Zentralbank.
Die erstgenannte Regelung ist vor allem bei sog. Dispositionskrediten an Private anzutreffen, während die von einem Zentralbanksatz abhängige Verzinsung eher für Kredite an Unternehmen typisch ist. Verfügt der Kreditnehmer durch Überweisungen, Daueraufträge, Barabhebungen, Ausstellungen von Schecks etc. in einem solchen Ausmaß über sein Konto, dass die Kreditlinie überschritten würde, so kann die Bank die Ausführung der entsprechenden Aufträge ablehnen. Oftmals werden (kurzfristige) Überschreitungen der Linie jedoch stillschweigend geduldet; dem Kreditnehmer wird dann ein „Über-
2.2 Kurzfristige
Finanzierung
durch
Finanzintermediäre
67
Ziehungsprovision" genannter Strafzins zusätzlich zu dem ohnedies anfallenden Sollzins in Rechnung gestellt. Ein Lombardkredit ist ein Kredit gegen die Verpfandung beweglicher Sachen. Das können Wertpapiere, Edelmetalle oder Waren sein. Der maximale Kreditbetrag ergibt sich aus der ermittelten Beleihungsgrenze, die bei Wertpapieren i.d.R. zwischen 50% und 75% ihres Kurswertes liegt. Die Laufzeit des Lombardkredites ist generell kurz. Die Kosten werden durch den Soll-Zinssatz bestimmt, der gewöhnlich 0,5% - 2% über dem Spitzenrefinanzierungssatz der Zentralbank liegt. Der Spitzenrefinanzierungssatz bezeichnet den Zinssatz, zu dem die nationalen Zentralbanken ihrerseits Kreditinstituten Liquidität entweder in Form von Übernacht-Pensionsgeschäften oder als Übernacht-Pfandkredite zur Verfügung stellen. Der Zinssatz dieser Spitzenrefinanzierungsfazilität bildet im Allgemeinen die Obergrenze für den Tagesgeldsatz.
2.2.3
Finanzierung durch Abtretung von Forderungen
2.2.3.1 Vorbemerkungen Bei vielen Unternehmen resultiert ein Teil ihres Finanzierungsbedarfs aus dem Umstand, dass die Absatzleistungen, die sie ihren Abnehmern erbringen, nicht sofort im Absatzzeitpunkt bezahlt werden, sondern erst in einem mehr oder weniger großen zeitlichen Abstand danach. Bilanziell schlägt sich ein solcher „Umsatz auf Ziel" bekanntlich in dem Ausweis von „Forderungen aus Lieferungen und Leistungen" nieder. Eine seit langem in unterschiedlichen Varianten genutzte Möglichkeit, den daraus resultierenden Finanzierungsbedarf zumindest teilweise durch Rückgriff auf seine eigenen Ursachen zu decken, besteht in dem Versuch, diese Forderungsbestände schon vor Fälligkeit „zu Geld zu machen". Die Praxis kennt in diesem Zusammenhang etliche Instrumente, die zum Teil seit jeher von (Universal-)Banken als Eigenleistung im Rahmen ihres Kreditgeschäfts angeboten werden. Daneben gibt es aber auch Instrumente jüngeren Datums, die von speziellen Finanzdienstleistern bereitgestellt werden, wobei Banken allerdings zumeist als Vermittler und Berater auftreten. Wir werden Ihnen in den folgenden Abschnitten vier Gruppen derartiger Finanzierungsinstrumente kurz vorstellen und dabei -
in den Abschnitten 2.2.3.2 und 2.2.3.3 mit dem Zessions- und dem Diskontkredit zwei Angebote aus dem „klassischen" Banksortiment darstellen, anschließend
-
im Abschnitt 2.2.3.4 mit dem Factoring auf ein zwar jüngeres, aber inzwischen auch schon fest etabliertes Finanzierungsinstrument eingehen und abschließend
2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
68
-
im Abschnitt 2.2.3.5 die Grundstruktur sogenannter ABS-Konstruktionen verdeutlichen, deren Lebenszyklus sich - zumindest in Deutschland - noch in einer relativ frühen Phase befindet.
Bevor wir auf die spezifischen Besonderheiten dieser Finanzierungsinstrumente eingehen, ist es jedoch sinnvoll, einige allgemeine Aspekte, die für ihre wirtschaftliche Bewertung bedeutsam sind, „vor die Klammer" zu ziehen. Es sind dies -
zum einen die Effekte, die mit dem Einsatz dieser Instrumente verbunden sind, sowie
-
zum anderen die direkten und indirekten Kosten, die durch sie verursacht werden.
Im Hinblick auf die Effekte spricht man in diesem Zusammenhang häufig davon, dass derartige Finanzierungsinstrumente im Wesentlichen drei Funktionen erfüllen können, nämlich eine Finanzierungsfunktion, eine Risikofunktion (auch „Delkrederefunktion") und eine Dienstleistungsfunktion (auch „Servicefunktion"). Als Finanzierungsfunktion bezeichnet man den schon eingangs erwähnten Umstand, dass die aus dem Absatzprozess entstandenen Forderungen bei dem betrachteten Unternehmen schneller zu Zahlungsflüssen führen als das ohne den Einsatz des entsprechenden Instrumentes der Fall wäre. Wie stark dieser Effekt ausgeprägt ist, hängt vor allem davon ab, -
zu welchem Anteil und
-
wie schnell nach ihrer Entstehung
die zugrundeliegenden Forderungen zu Zahlungsflüssen führen. Die Risikofunktion bezieht sich auf die Möglichkeit, dass sich das betrachtete Unternehmen mit der Abtretung seiner Forderungen zugleich auch der damit verbundenen Ausfallrisiken entledigt. Zur näheren Beurteilung dieses Effektes kommt es in erster Linie darauf an, -
in welchem Ausmaß das Risiko an einen Dritten übertragen wird und
-
unter welchen Voraussetzungen - schon bei Zahlungsverzögerung oder etwa erst bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens - dies der Fall ist.
Unter der Servicefunktion schließlich versteht man den möglicherweise auftretenden Effekt, dass für das betrachtete Unternehmen mit der Übertragung seiner Forderungen auch die Notwendigkeit der sogenannten Debitorenbuchhaltung entfällt, worunter man neben rein buchhalterischen Tätigkeiten auch weitere Aufgaben wie die Terminüberwachung sowie das Mahn- und Inkassowesen zusammenfasst.
2.2 Kurzfristige Finanzierung durch Finanzintermediäre
69
Zu einer fundierten Beurteilung der mit den verschiedenen Finanzierungsinstrumenten verbundenen Konsequenzen reicht die oberflächliche Betrachtung dieser drei Funktionen allein allerdings nicht aus. Von entscheidender Bedeutung ist vielmehr die Frage, welche Sekundäreffekte die Forderungsabtretung nach sich zieht, d.h. welche Folgewirkungen entstehen, die ohne die Abtretung der Forderungen unterblieben wären. Eine derartige Folgeanalyse ist im Hinblick auf alle drei Funktionen vonnöten. Wir wollen uns hier im Interesse einer exemplarischen Verdeutlichung allerdings auf die Finanzierungsfunktion beschränken und dabei auch nur einige besonders nahe liegende Anpassungsmaßnahmen betrachten. Geht man zunächst einmal davon aus, dass die Forderungsabtretung als Primäreffekt zu einer Erhöhung des Zahlungsmittelbestandes führt, so können grundsätzlich die folgenden drei Kategorien von Sekundäreffekten unterschieden werden: (1)
Der primäre Zahlungsmittelzufluss wird zu einer weiteren Vermögensumschichtung genutzt. Das Spektrum entsprechender Folgemaßnahmen reicht vom Erwerb schnell liquidierbarer Wertpapiere oder der Bildung von Festgeldanlagen über die (vorgezogene) Beschaffung von Vorratsgütern bis hin zur Finanzierung von Anlageninvestitionen.
(2)
Der primäre Zahlungsmittelzufluss führt als Sekundäreffekt zu einer Schuldenminderung. Hier ist zunächst an einen Abbau von Kontokorrentverbindlichkeiten zu denken. Wird der laufende Zahlungsverkehr - wie das häufig anzutreffen ist - über das Kontokorrentkonto abgewickelt, so ist die Minderung dieses Kredits gar kein Sekundäreffekt, sondern der unmittelbare Primäreffekt der Forderungsabtretung, an den sich möglicherweise gar kein weiterer Folgeeffekt mehr anschließen muss. Daneben ist es allerdings auch denkbar, dass die Forderungsabtretung zunächst zu einer Erhöhung des Zahlungsmittelbestandes führt, die dann jedoch dazu genutzt wird, Festkredite bei Banken oder Lieferantenkredite abzubauen oder gar nicht erst in Anspruch zu nehmen.
(3)
Der primäre Zahlungsmittelzufluss wird zur Finanzierung aufwandswirksamer Auszahlungen genutzt, etwa für zusätzliche Werbemaßnahmen, die ansonsten erst später durchgeführt worden wären.
Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass derartige Sekundäreffekte in den unterschiedlichsten Gemengelagen und auch mit Änderungen im Zeitablauf auftreten können. Eng zusammenhängend mit der Art der mit der Forderungsabtretung verknüpften Sekundäreffekte ist die - gelegentlich etwas überbetonte - Frage, welche bilan-
70
2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
ziellen Konsequenzen, insbesondere im Hinblick auf den Verschuldungsgrad,1) damit letztlich verbunden sind. Zur Beurteilung dieser Frage ist zunächst zu klären, ob die Forderungen nach ihrer Abtretung -
immer noch bilanziell auszuweisen sind oder
-
auszubuchen sind.
Im ersten Fall geht der primäre Zahlungsmittelzufluss mit dem Ausweis zusätzlicher Verbindlichkeiten einher (Buchung: „Kasse/Bank an Verbindlichkeiten"), bewirkt zunächst also eine Bilanzverlängerung. Im zweiten Fall (Buchung: „Kasse/Bank an Forderungen") schlägt sich der Primäreffekt in einem Aktivtausch nieder. Die endgültige bilanzielle Wirkung hängt dann jedoch auch noch davon ab, zu welcher Kategorie von Sekundäreffekt es kommt. Das folgende - in etlichen Elementen bewusst einfach konstruierte - Beispiel verdeutlicht einige der Konstellationen, die dabei letztlich eintreten können.
Beispiel 2.05: Die ALPHA AG verfügt kurz vor Ende des Geschäftsjahres über Forderungen von 20 Mio. Euro, die erst im Laufe des kommenden Geschäftsjahres fällig werden. Ein Finanzinstitut zahlt der AG gegen Abtretung der Forderungen 20 Mio. Euro, die als Primäreffekt zu einer Erhöhung des Bankguthabens der AG führen. Als Sekundärmaßnahme erwägt die AG, -
als Möglichkeit (1), in entsprechendem Umfang Wertpapiere zu erwerben, oder
-
als Möglichkeit (2), einen gerade zur Prolongation anstehenden Festkredit bei der Hausbank von bislang 50 Mio. Euro nur noch im Volumen von 30 Mio. Euro weiterzuführen.
Je nachdem, ob die Forderungen nach ihrer Abtretung weiter bei der ALPHA AG bilanziert werden (Variante I) oder nicht (Variante Π), ergeben sich folgende buchmäßige Effekte:
Variante I Der Primäreffekt kann durch den Buchungssatz „Bankguthaben an So. Verbindlichkeiten" beschrieben werden. Möglichkeit (1): Die weitere Verwendung der zugeflossenen Gelder zum Erwerb von Wertpapieren manifestiert sich in dem Buchungssatz „Wertpapiere an Bankguthaben".
1 Als Verschuldungsgrad bezeichnet man allgemein - mit kleineren Detailvariationen - das Verhältnis zwischen dem bilanziell ausgewiesenen Fremdkapital (Rückstellungen, Verbindlichkeiten und passive Rechnungsabgrenzungsposten) und dem bilanziellen Eigenkapital.
2.2 Kurzfristige Finanzierung durch
Finanzintermediäre
71
Fasst man beide Buchungsvorgänge zusammen, so kann der Gesamteffekt letztlich durch den Buchungssatz „Wertpapiere an Verbindlichkeiten" beschrieben werden. Bilanziell stellt sich die gesamte Transaktion also letztlich wie ein kreditfinanzierter Wertpapierkauf dar, schlägt sich also in einer Bilanzverlängerung nieder und führt damit verknüpft zu einer Erhöhung des Verschuldungsgrades.
Möglichkeit (2): Werden die zugeflossenen Gelder zur Tilgung von Bankverbindlichkeiten verwendet, so lautet der entsprechende Buchungssatz „Bankverbindlichkeiten an Bankguthaben". Der Gesamteffekt kann mithin durch den Buchungssatz „Bankverbindlichkeiten an So. Verbindlichkeiten" abgebildet werden. Die gesamte Transaktion führt letztlich also zu einem Passivtausch, Bilanzsumme und Verschuldungsgrad bleiben unverändert.
Variante Π Der Primäreffekt der Forderungsabtretung lässt sich jetzt durch den Buchungssatz Bankguthaben an Forderungen" beschreiben. Möglichkeit (1): Der Kauf von Wertpapieren wird isoliert betrachtet nach wie vor durch den Buchungssatz „Wertpapiere an Bankguthaben" beschrieben, so dass ein Gesamteffekt eintritt, dem der Buchungssatz „Wertpapiere an Forderungen" entspricht. Die Maßnahme schlägt sich letztlich also in einem Aktivtausch nieder. Bilanzsumme und Verschuldungsgrad bleiben wiederum unverändert. Möglichkeit (2):
Wird der primäre Zahlungsmittelfluss schließlich entsprechend dem
Buchungssatz ,3ankverbindlichkeiten an Bankguthaben" zum Abbau von Verbindlichkeiten genutzt, so manifestiert sich der Gesamteffekt in dem Buchungssatz „Bankverbindlichkeiten an Forderungen", führt also zu einer Bilanzverkürzung und damit auch zu einer Reduzierung des Verschuldungsgrades.
72
2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
Den soeben dargelegten positiven Effekten, die mit einer Abtretung von Forderungen möglicherweise verbunden sein können, stehen auf der anderen Seite diverse Kosten gegenüber. Diese werden gelegentlich gedanklich in zwei Gruppen eingeteilt, nämlich -
in die direkten Kosten, die sich unmittelbar in Geldbeträgen niederschlagen, sowie
-
in sonstige negative Effekte, die mit der einen oder anderen Variante der Forderungsabtretung verbunden sein können, jedoch nicht unmittelbar in „Mark und Pfennig" quantifiziert werden können (indirekte Kosten).
Direkte Kosten resultieren ganz überwiegend aus Zahlungen, die das betroffene Unternehmen im Zusammenhang mit der Forderungsabtretung an einen oder mehrere Geschäftspartner leisten muss. Die Art dieser Kosten kann zwischen den verschiedenen Instrumenten deutlich divergieren. In formaler Hinsicht lassen sie sich immerhin im Wesentlichen in drei Gruppen einteilen: •
Zinsen und zinsähnliche Kosten sind dadurch gekennzeichnet, dass sie zum einen von der bereitgestellten Finanzierungssumme und zum anderen von der Bereitstellungsdauer abhängen.
•
Volumenabhängige Kosten werden demgegenüber nur durch das Volumen der abgetretenen Forderungen oder des dadurch bewirkten Mittelzuflusses bestimmt.
•
Transaktionsfixe Kosten schließlich fallen unabhängig von Zahlungsvolumen und -dauer für bestimmte Aktivitäten in fester Höhe an.
Es bedarf nicht großer Phantasie sich vorzustellen, dass diese Kostenkategorien in der Praxis in den unterschiedlichsten Gemengelagen und mit diversen Detailvariationen auftreten können. Das gilt erst recht für die indirekten Kosten, die mit den verschiedenen Instrumenten der Forderungsabtretung verbunden sein können. Von besonderem Gewicht dürften in vielen Fällen allerdings die folgenden drei Aspekte sein: •
Zum einen können Imageprobleme auftreten. Zumindest bestimmte Formen der Abtretung von Forderungen werden in einer eher konservativen Sichtweise gelegentlich als ein Zeichen von finanzieller Schwäche oder gar wenig soliden Finanzgebarens angesehen. Zwar kann der Einsatz derartiger Finanzierungsinstrumente de facto durchaus ein Beleg für ein effizientes Finanz- und Risikomanagement sein. Diese Erkenntnis allein hilft betroffenen Unternehmen jedoch so lange wenig, wie die eigenen Geschäftspartner nicht auch davon überzeugt werden können. Halten diese die Forderungsabtretung für ein Schwächezeichen, so muss das Unternehmen die Gefahr
2.2 Kurzfristige
Finanzierung
durch
Finanzintermediäre
73
ins Kalkül einbeziehen, dass sich die eigenen Lieferanten mit Lieferungen auf Ziel zurückhalten oder die Abnehmer aus Vorsicht schon nach anderen Lieferanten Ausschau halten. •
Ein zweites Problemfeld ergibt sich daraus, dass der Kundenkontakt reduziert wird. Insbesondere die Möglichkeiten, gelegentliche Überschreitungen von Zahlungszielen angesichts der insgesamt guten Geschäftsbeziehung stillschweigend zu akzeptieren oder ausstehende Beträge nicht durch offizielle Schreiben, sondern durch bestehende persönliche Kontakte informell anzumahnen, können je nach den Modalitäten der Forderungsabtretung drastisch eingeschränkt werden.
•
Ein drittes Problem kann darin bestehen, dass das Unternehmen durch ein festes, auf Dauer angelegtes Arrangement zur Forderungsabtretung einen gewissen Autonomieverlust hinnehmen muss und in eine mehr oder weniger starke Abhängigkeit von dem entsprechenden Geschäftspartner geraten kann.
Wir werden im Folgenden bei der Charakterisierung der verschiedenen Instrumente zur Abtretung von Forderungen jeweils sowohl auf die spezifische Ausprägung der drei grundlegenden Funktionen als auch die verschiedenen Kostenaspekte kurz eingehen.
2.2.3.2 Zessionskredite Zessionskredite sind dadurch gekennzeichnet, dass ein Unternehmen der kreditgebenden Bank die eigenen Absatzforderungen als Sicherheit für den gewährten Kredit abtritt. Die Bank erwirbt damit das Recht, für den Fall, dass der Kredit nicht vereinbarungsgemäß „bedient" wird, auf die Zahlungseingänge aus den abgetretenen Forderungen zuzugreifen. Oftmals werden entsprechende Vereinbarungen ,/evolvierend" getroffen. Das bedeutet, dass die im Absatzprozess permanent neu entstehenden Forderungen in den Sicherungspool aufgenommen werden und die sukzessive durch Zahlung erlöschenden „Altforderungen" ersetzen. Grundsätzlich können Kredite jeglicher Art in dieser Weise mit Forderungsbeständen abgesichert werden. Besonders häufig werden aber Kontokorrentkredite (vgl. Abschnitt 2.2.2) - zumindest teilweise - durch die Abtretung von Forderungen besichert. Dabei trifft man typischerweise auf folgende Ausprägungen der drei grundlegenden Funktionen:
74
2 Das Angebot von
Finanzierungsleistungen
•
Finanzierungsfunktion: Grundsätzlich kann das Beleihungsvolumen frei vereinbart werden. Typischerweise sind allerdings Quoten von 60% bis 70% anzutreffen; d.h. einem Unternehmen mit einem Forderungsvolumen, das um 10 Mio. Euro schwankt, würde darauf allein eine Kreditlinie in der Größenordnung von 6 bis 7 Mio. Euro eingeräumt.
•
Risikofunktion: Die Forderungen werden ausschließlich „zur Sicherheit" abgetreten. Kommt es zu Forderungsausfällen, so muss das betrachtete Unternehmen uneingeschränkt für den beanspruchten Kontokorrentkredit geradestehen. Es trägt also ungeachtet der erfolgten Abtretung das volle Ausfallrisiko.
•
Servicefunktion: Das abtretende Unternehmen ist im Regelfall nach wie vor für die gesamte Debitorenbuchhaltung zuständig.
Dementsprechend werden die abgetretenen Forderungen auch in bilanzieller Hinsicht nach wie vor dem betrachteten Unternehmen zugerechnet. Je nach der Verwendung der bereitgestellten Kreditsumme kommt es somit entweder zu einer Bilanz Verlängerung oder einem Passivtausch (vgl. Beispiel 2.05). Die direkten Kosten des Zessionskredits resultieren ganz überwiegend aus den Kontokorrentzinsen, liegen also eher am oberen Ende des Zinsspektrums. Die Gefahr von indirekten Kosten ist demgegenüber eher gering.
2.2.3.3 Diskontkredite Als Diskontkredit bezeichnet man die Überlassung von Zahlungsmitteln im Zusammenhang mit dem Ankauf eines Wechsels (= „Diskontierung") durch eine Bank aus dem Wechselbestand eines Unternehmens. Diesem werden dabei Zahlungsmittel in Höhe der um den Diskontabschlag (s. u.) verminderten Wechselsumme schon vor dem Fälligkeitstermin des eingereichten Wechsels zur Verfügung gestellt. Oft wird zwischen Bank und Unternehmen eine Diskontkreditlinie vereinbart, d. h. das maximale Volumen, bis zu dem die Bank sich bereithält, Wechsel mit zuvor ebenfalls festgelegten Qualitätsmerkmalen anzunehmen. Die Entstehung eines Wechsels läuft typischerweise wie folgt ab: •
Ein Unternehmen liefert an einen Abnehmer „auf Ziel", d.h. der Rechnungsbetrag ist erst eine bestimmte Frist, z.B. 90 Tage, nach Eingang der Rechnung fällig.
•
Gleichzeitig stellt der Lieferant eine Wechselurkunde aus, die die Anweisung an den Abnehmer enthält, zum Fälligkeitstermin die geschuldete Summe zu zahlen. Man sagt auch: der Lieferant als „Aussteller" „zieht" einen Wechsel auf seinen Abnehmer, den „Bezogenen".
2.2 Kurzfristige
Finanzierung
durch
Finanzintermediäre
75
•
Dieser „gezogene" Wechsel (auch „Tratte" genannt) wird dem Bezogenen vorgelegt, der mit seiner Unterschrift quer auf der Vorderseite des Wechsels die darin enthaltene Anweisung zur Zahlung akzeptiert und damit die wechselrechtliche Zahlungsverpflichtung übernimmt.
•
Anschließend wird der nun auch als „Akzept" bezeichnete Wechsel an den Lieferanten zurückgegeben. Dieser kann ihn nach eigenem Gutdünken bis zur Fälligkeit im Bestand halten oder aber zu einem Diskontkredit nutzen.
Einen solchen Wechsel, dem eine Warenlieferung oder eine Dienstleistung zugrunde liegt, bezeichnet man auch als Handelswechsel, im Gegensatz zum Finanzwechsel, dem ein reiner Finanzkontrakt zugrunde liegt. Die Verwendung von Wechseln und deren Refinanzierung durch einen Diskontkredit hat lange Tradition, ist in den letzten Jahren jedoch - aus hier nicht näher zu analysierenden Gründen - etwas „aus der Mode" gekommen. Die direkten Kosten für den Kreditnehmer eines Diskontkredites ergeben sich in erster Linie aus dem Diskontabschlag bei Ankauf des Wechsels, der in der Regel 1 bis 3 Prozentpunkte über dem kurzfristigen Zinssatz für Interbankenkredite liegt. Die Kosten bewegen sich also eher im unteren bis mittleren Bereich des Zinsspektrums für Unternehmensfinanzierungen. Aus dieser kurzen Charakterisierung lassen sich folgende Hinweise auf die Ausprägung der grundlegenden Funktionen ableiten: •
Finanzierungsfunktion: Der Finanzierungseffekt beim Verkauf einer Wechselforderung ist vergleichsweise hoch. Bei einer Restlaufzeit von 4 Monaten und einem Diskontabschlag von 6% p.a. etwa würde ein Wechsel über 100.000 Euro mit einem Abschlag von 2% (6% pro Jahr auf 4 Monate bezogen), also zu 98.000 Euro ausgezahlt.
•
Risikofunktion: Ähnlich wie beim Zessionskredit verbleibt das Ausfallrisiko in vollem Umfang bei dem einreichenden Unternehmen. Zwar ermöglicht die Ausgestaltung der Absatzforderung als Wechselanspruch einen schnelleren Zugriff auf das Vermögen des Schuldners. Jedoch ist dies keine Folge des Diskontkredits; dieser Effekt ist vielmehr allein eine Folge der wechselmäßigen Verbriefung und tritt auch auf, wenn das Unternehmen den Wechsel bis zur Fälligkeit einfach im Bestand hält.
•
Servicefunktion: Der Bank obliegt die unmittelbare Überwachung der Fälligkeitstermine sowie die Vorlage des Wechsels beim Schuldner. Insoweit wird das Unternehmen von diesen Aufgaben entlastet. Da allerdings stets die Gefahr droht, dass der Wechsel nicht eingelöst und das Unternehmen selbst in Anspruch genommen wird, ist es erforderlich, doch eine Art Schattenbuchführung über die weitergegebenen, aber noch nicht eingelösten Wechsel zu führen.
2 Das Angebot von
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Finanzierungsleistungen
Eine solche Schattenbuchführung ist auch im Hinblick auf die bilanzielle Behandlung notwendig. Zwar werden die Wechselforderungen bei der Weitergabe an die Bank ausgebucht. Das Unternehmen muss allerdings zum Jahresende „unter dem Bilanzstrich" die aus den weitergegebenen Wechseln noch bestehenden Eventualverbindlichkeiten als Merkposten angeben. Die direkten Kosten für die Inanspruchnahme von Diskontkrediten liegen tendenziell im unteren Bereich des Zinsspektrums. Im Übrigen gilt der Diskontkredit traditionell als „feines" Finanzierungsinstrument, so dass Imageprobleme im Allgemeinen nicht zu erwarten sind. Als Probleme können die Unterbrechung des Kundenkontaktes und die Gefahr eines etwas „ruppigeren" Inkassos durch die Bank verbleiben. Da nun aber das „Platzen" eines Wechsels weiterhin als sehr negatives Signal über die wirtschaftliche Lage des Bezogenen gewertet wird, geht dieser im Allgemeinen ohnehin von der Notwendigkeit aus, den Wechsel bei Fälligkeit umgehend begleichen zu müssen. Folgendes Beispiel verdeutlicht die Abrechnung eines Diskontkredites:
Beispiel 2.06: Wechselsumme 10.000 Euro, Laufzeit 90 Tage, Diskontsatz: 9%. Der Auszahlungsbetrag errechnet sich dann wie folgt: Wechselsumme ./.
10.000,- Euro
Diskontabschlag für 90 Tage, pro Quartal 9% : 4 = 2,25%
./.
Diskontprovision, z.B. 0,40%
=
Auszahlung
225,- Euro 40,- Euro 9.735,- Euro
Zum Kostenvergleich mit den Zinsbelastungen anderer Kreditarten ist es üblich, den effektiven Jahreszins bei Inanspruchnahme des Diskontkredits zu bestimmen. Zunächst ist das Jahresäquivalent nach folgender Formel zu ermitteln:
Jahresäquivalent: (Diskontabschlag + Diskontprovision) ·
360 Tage Laufzeit des Kredites
Für die Errechnung des effektiven Jahreszinses bezieht man das Jahresäquivalent auf die effektive Kreditsumme, also auf den oben ermittelten Auszahlungsbetrag: effektiver Jahreszins =
Jahresäquivalent effektive Kreditsumme
100
2.2 Kurzfristige Finanzierung durch Finanzintermediäre
360 Tage
(Diskontabschlag + Diskontprovision)
Laufzeit des Kredits
:
77
IUU
Wechselsumme - Diskontsumme - Diskontprovision 1.060,-Euro •100
=
10,
9.735,-Euro
2.2.3.4 Factoring In seiner am weitesten verbreiteten Standardform ist das Factoring dadurch gekennzeichnet, dass ein spezielles Factoringinstitut im Rahmen eines Pauschalvertrages -
die Forderungen eines Unternehmens aus Lieferungen und Leistungen aufkauft,
-
sie unmittelbar nach ihrem Entstehen bevorschusst und
-
zugleich das Risiko eines etwaigen Zahlungsausfalls übernimmt.
In der einschlägigen Terminologie wird der Verkäufer der Forderungen als Anschlusskunde bezeichnet; die Schuldner der verkauften Forderungen nennt man Debitoren. Grundlage der Zusammenarbeit zwischen Factor und Anschlusskunde ist ein i.d.R. für eine Laufzeit von mehreren Jahren abgeschlossener Factoringvertrag, der beim Standard-Factoring typischerweise u.a. folgende Elemente enthält: Verpflichtung des Anschlusskunden, dem Factor sämtliche Forderungen aus Lieferungen und Leistungen zum Kauf anzubieten, soweit nicht explizite Obergrenzen oder generelle Ausnahmen im Hinblick auf spezielle Abnehmergruppen vereinbart sind; Verpflichtung des Anschlusskunden, seine Rechnungen mit einem Vermerk zu versehen, aus dem die Abtretung der Forderung an den Factor klar ersichtlich ist, und die Zahlung auf ein Konto des Factoringinstituts zu erbitten;1)
1
Häufig bieten Factoringgesellschañen ihren Kunden als weitere Dienstleistung auch an, die Fakturierung zu übernehmen, also die Rechnungen für den Anschlusskunden zu erstellen und zu versenden. Diese Serviceleistung verschafft den Factoringgesellschaften dabei zugleich die Möglichkeit sicherzustellen, dass der offene Abtretungsvermerk auch wirklich auf den Rechnungen angebracht wird.
78
2 Das Angebot von
Finanzierungsleistungen
Übertragung der an den verkauften Forderungen bestehenden Sicherungsrechte (z.B. Eigentumsvorbehalt) auf den Factor; Ausschluss eines Rückgriffsrechts des Factors auf den Anschlusskunden, wenn der Debitor ohne rechtlichen Grund die Zahlungsziele nicht einhält; Festlegung, bis zu welchem Prozentsatz die angekauften Forderungen sofort ausbezahlt werden (i.d.R. zwischen 80% und 90% des Forderungsbetrages); Bestimmung der verschiedenen Gebührensätze und der dafür vorgesehenen Bezugsgrößen. Der Einbehalt eines Teils der Forderungen dient zur Deckung von berechtigten Kürzungen des Rechnungsbetrages durch die Debitoren, z.B. bei der Beanspruchung von Skonti, bei Reklamationen etc. Die Auszahlung der ggf. um entsprechende Kürzungen verminderten Restbeträge erfolgt jeweils regelmäßig bei Zahlungseingang. Überschreitet der Debitor allerdings das gesetzte Zahlungsziel, so wird der Restbetrag entweder sofort oder nach Ablauf einer gewissen Wartefrist unabhängig davon ausgezahlt, ob der Debitor inzwischen geleistet hat oder nicht. Bei dem soeben skizzierten Standardtyp des Factoring sind alle drei möglichen Grundfunktionen einer Forderungsabtretung deutlich ausgeprägt: •
Finanzierungsfunktion: Je nach der Höhe der vereinbarten Einbehaltsquote beläuft sich die Finanzierungswirkung des Factoring auf 80 bis 90% der abgetretenen Forderungen. Es wird also eine deutlich höhere Quote als beim Zessionskredit erreicht, bei dem die Forderungen in der Regel ja nur zu 60 bis 70% beliehen werden. Auf der anderen Seite bleibt das Factoring deutlich hinter dem Diskontkredit mit Quoten zwischen 97% und 99% der Wechselsumme zurück. Die Nutzung des Diskontkredits setzt aber naturgemäß voraus, dass über die zugrundeliegende Forderung überhaupt ein Wechsel ausgestellt wird. Dies ist in etlichen Branchen durchaus anzutreffen, in anderen Bereichen hingegen völlig unüblich. Typische Adressaten von Factoringangeboten stellen dementsprechend ganz überwiegend solche Unternehmen dar, deren Forderungen nicht wechselmäßig unterlegt sind.
•
Risikofunktion: Bezüglich der Risikowirkungen ist das Standardfactoring den beiden klassischen Formen forderungsgestützter Bankkredite eindeutig überlegen. Denn sowohl beim Zessions- als auch beim Diskontkredit verbleibt das Ausfallrisiko bei dem Unternehmen. Eine ähnliche Risikowirkung wie beim Factoring könnte allenfalls durch eine Kreditversicherung erreicht werden, wie sie in Deutschland von einigen SpezialVersicherern angeboten wird. Zu beachten ist allerdings, dass im Rahmen derartiger Kreditversicherungen üblicherweise nicht die gesamte Forderung abgesichert wird, sondern eine quotale Selbstbeteiligung des Versicherungsnehmers, oftmals in der Größenordnung um 30%, vorgesehen wird. Zudem ist die Zahlungspflicht des Versicherers i.d.R. nicht bereits im Fälligkeitszeit-
2.2 Kurzfristige Finanzierung durch
Finanzintermediäre
79
punkt der Forderung gegeben, sondern in der Regel erst bei Feststellung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners. Beim Standardfactoring kann der Anschlusskunde hingegen davon ausgehen, dass ihm spätestens im Fälligkeitszeitpunkt einer Forderung (oder nach einer weiteren Sperrfrist von wenigen Monaten) der gesamte Rechnungsbetrag durch den Factor ausgezahlt wird.
•
Servicefunktion: Welcher Wert der Möglichkeit einer mehr oder weniger weitgehenden Auslagerung der Debitorenbuchhaltung beizumessen ist, hängt sehr stark von der spezifischen Situation des jeweiligen Einzelfalls ab. Verfügt ein Unternehmen über die notwendige EDV-Ausstattung sowie das erforderliche Personal und kann dieses nur begrenzt anderweitig eingesetzt werden, so dürfte der Vorteil einer Auslagerung geringer sein als etwa bei einem expandierenden Unternehmen, das zur Bewältigung der entsprechenden Aufgaben auf Dauer zu weiteren Investitionen und zur Einstellung zusätzlicher Mitarbeiter gezwungen wäre.
In bilanzieller Hinsicht bewirkt Factoring in der bislang ausschließlich betrachteten Standardform eine sofortige Ausbuchung der abgetretenen Forderungen. Somit kann hier je nach den aus dem Zahlungsmittelzufluss resultierenden Sekundäreffekten möglicherweise eine u.U. erwünschte Bilanzverkürzung erreicht werden. Die mit einem Factoringvertrag verbundenen direkten Kosten knüpfen in der Regel an drei Funktionen an: •
Der Factor belastet die an den Anschlusskunden ausgezahlten Beträge sowie etwaige Rückerstattungen an die Debitoren jeweils zeitgleich einem Konto, auf dem andererseits Zahlungen der Debitoren als Gutschriften erfasst werden. Bleibt die Zahlung aus, so erfolgt vermittels der Delkrederefunktion im Fälligkeitszeitpunkt - oder nach Ablauf der vertraglich vorgesehenen Wartefrist - ebenfalls die Gutschrift des Rechnungsbetrages. Die Salden, die dieses Konto aufweist, werden nach Art eines Kontokorrentkontos abgerechnet und in der Regel auch zu solchen Sätzen verzinst, die in etwa den üblichen Zinssätzen für Kontokorrentkredite entsprechen, die ja bekanntlich eher am oberen Ende des Zinsspektrums liegen.
•
Für die Übernahme des Ausfall-Risikos verlangen die Factoringgesellschaften in diesem Kontext häufig als „Delkrederegebühr" bezeichnete Zahlungen zwischen 0,1 und 1,0% des abgetretenen Forderungsvolumens. Die Höhe dieses in jedem Einzelfall individuell vereinbarten Satzes hängt von der erwarteten Ausfallhäufigkeit ab.
•
Die verschiedenen Dienstleistungen schließlich werden üblicherweise mit Sätzen zwischen 0,5 und 2,5% des abgetretenen Forderungsvolumens in Rechnung gestellt. Die Höhe dieses ebenfalls in jedem Einzelfall gesondert festzulegenden Satzes hängt zum einen von dem jeweiligen Umfang des
2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
80
Leistungsangebots ab, zum anderen aber auch von der durchschnittlichen Höhe der Forderungsbeträge. Insgesamt steht dem recht umfangreichen Leistungsbündel des Standardfactoring also ein ebenfalls erheblicher Block direkter Kosten gegenüber und auch die indirekten Kosten sind angesichts des vergleichsweise Jungen" Lebensalters des Factoring in Deutschland sowie die längere und stärkere Bindungswirkung eines Factoringvertrages oftmals von erheblichem Gewicht. So war das Factoring - im Gegensatz zu den schon länger eingeführten Instrumenten des Zessions- und Diskontkredits in Deutschland lange mit dem Odium des leicht Unseriösen umgeben. Um zunächst überhaupt die ersten Factoringgeschäfte realisieren zu können, haben die ersten in Deutschland tätigen Factoringgesellschaften in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zunächst als spezielle „deutsche" Variante das sogenannte „stille" Factoring erfunden, bei dem auf den offen auf den Rechnungen angebrachten Abtretungsvermerk verzichtet wurde. Der Debitor zahlte dementsprechend - ungeachtet der ihm ja gar nicht bekannten Forderungsabtretung - in gewohnter Weise an seinen Lieferanten, also den Anschlusskunden. Dieser wiederum musste den Zahlungseingang angesichts der zuvor schon von dem Factor erhaltenen Zahlungen dann an diesen weiterleiten. Dass das stille Factoring inzwischen nur noch selten anzutreffen ist, mag ein Indikator dafür sein, dass das Factoring die ursprünglichen Imageprobleme im Wesentlichen überwunden hat. Ab und an kann man aber nach wie vor gewisse Vorbehalte gegen dieses Finanzierungsinstrument antreffen. Auch der mit dem Abschluss eines zumeist ja auf mehrere Jahre ausgelegten Factoringvertrages verbundene Autonomieverlust dürfte in aller Regel von größerem Gewicht sein als bei Zessions- oder Diskontkrediten. Ist die für die Debitorenbuchhaltung notwendige Infrastruktur erst einmal abgebaut, so kann das die eigene Verhandlungsposition bei Auslaufen des Factoringvertrages schwächen und es dem Factoringinstitut erleichtern, für einen Anschlussvertrag höhere Gebührensätze durchzusetzen.
Übungsaufgabe 2.08: Die Anbieter von Factoringleistungen preisen in den entsprechenden Firmenbroschüren sowie in Verbandspublikationen oftmals als einen gewichtigen Vorteil des Factoring, dass allein diese „umsatzsynchrone Finanzierung" den Anschlusskunden in die Lage versetze, die eigenen Wareneingänge sofort unter Abzug von Skonto zu bezahlen und dadurch den extrem teuren Lieferantenkredit zu vermeiden. Nehmen Sie zu dieser Werbebotschaft kritisch Stellung!
2.2 Kurzfristige Finanzierung durch
Finanzintermediäre
81
Der bislang skizzierte Standardtyp des Factoring ist dadurch gekennzeichnet, dass Finanzierungs-, Risiko- und Servicefunktion deutlich ausgeprägt sind. Über diesen Standardtyp hinaus findet man allerdings noch weitere Varianten von Factoringverträgen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass eine der drei Funktionen aus der Vereinbarung ausgespart wird. •
So verbleibt etwa beim unechten Factoring, auch „Recourse Factoring" genannt, demgegenüber das Ausfallrisiko beim Anschlusskunden. Bei dieser Variante ist der Anschlusskunde mithin verpflichtet, die im Hinblick auf eine bestimmte Debitorenforderung schon erhaltenen Zahlungen an den Factor zurückzuerstatten, sofern diese Forderung ausfällt.
•
Das Fälligkeits-Factoring, auch „Maturity Factoring" genannt, ist dadurch gekennzeichnet, dass die Finanzierungsfunktion völlig oder zumindest weitgehend entfällt. Zahlungen von dem Factor erhält der Anschlusskunde bei dieser Variante erst zu den jeweiligen Fälligkeitsterminen der abgetretenen Forderungen oder zum durchschnittlichen Fälligkeitstermin eines Forderungspools.
•
Beim Eigenservice-Factoring, auch als „New Factoring" oder „InhouseFactoring" bekannt, schließlich wird die gesamte Debitorenbuchhaltung beim Anschlusskunden belassen. Dieser verwaltet also - zumeist EDVgestützt - für den Factor den Teil von dessen Forderungen, die ursprünglich einmal seine eigenen waren.
Die folgende Abbildung verdeutlicht noch einmal zusammenfassend die grundlegenden Erscheinungsformen von Factoringverträgen.
Abb. 2.02: Erscheinungsformen von Factoringverträgen
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2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
Übungsaufgabe 2.09: Unternehmer ANKUND verschickt nur jeweils zu Beginn eines Monats eine Rechnung über einen Rechnungsbetrag von 1 Mio. GE mit Fälligkeit zum Ende des folgenden Monats und ohne Skontoabzugsmöglichkeit. Alle lfd. Zahlungen von ANKUND werden über ein Kontokorrentkonto abgewickelt, das ständig negative Salden aufweist, dessen Kreditlinie aber zu keinem Zeitpunkt ausgeschöpft wird. Für das Kontokorrentkonto gilt ein Sollzinssatz von 13,2% p.a. und ist eine monatliche Zinsabrechnung vereinbart. ANKUND wird nun ein Factoringvertrag zu folgenden Konditionen angeboten: -
Auszahlung von 80% des Rechnungsbetrages bei Rechnungsversand und des Restbetrages bei Rechnungsfälligkeit.
-
Verzinsung des Factoringkontos mit 1% pro Monat mit monatlicher Zinsabrechnung (Belastung auf dem Factoringkonto).
-
Für die Übernahme der Delkrederefunktion und der Debitorenverwaltung sind bei Forderungsabtretung von ANKUND 3% des Rechnungsbetrages durch separate Überweisung zu zahlen.
a) Soll ANKUND auf das Factoring-Angebot eingehen, wenn er -
Endvermögensmaximierung anstrebt,
-
bei Inanspruchnahme des Angebots monatlich (jeweils am Monatsende fallige) Auszahlungen von 5.000 GE im Bereich der Debitorenverwaltung einsparen kann und
-
er mit Sicherheit davon ausgeht, dass seine Kunden bei Fälligkeit den Rechnungsbetrag ohne Kürzungen zahlen?
b) Wie ist das Factoring-Angebot zu beurteilen, wenn ANKUND bei sonst unveränderten Daten davon ausgeht, dass seine Kunden vom Rechnungsbetrag im Durchschnitt 5% berechtigte Kürzungen vornehmen? c) Wie ist das Factoring-Angebot zu beurteilen, wenn ANKUND zusätzlich zu den berechtigten Rechnungskürzungen unter b) davon ausgehen muss, dass ein Anteil von α seiner Rechnungen wegen Zahlungsunfähigkeit seiner Kunden unbeglichen bleibt und er bei einer Bewertung unsicherer Zahlungsströme dem Erwartungswertprinzip folgt?
2.2.3.5 ABS-Finanzierungen Die Abkürzung ABS steht in diesem Kontext für „Asset Backed Securities", übersetzt in etwa: „durch (Forderungs-) Bestände gesicherte Wertpapiere". Aus den USA kommend sind ABS-Konstruktionen - in den unterschiedlichsten Detailvarianten und auch mit variierenden Bezeichnungen - seit dem Ende des letzten Jahrhunderts zunehmend auch in Deutschland zu beobachten. Als gemeinsames Grundmerkmal sind all diese Konstruktionen in der sogenannten „regulären" Form durch das Zusammenwirken von drei Akteursgruppen mit folgenden Rollenverteilungen gekennzeichnet:
2.2 Kurzfristige Finanzierung durch Finanzintermediäre
83
•
Ein Unternehmen als Initiator (englisch: Originator) des ganzen Geschäftes verfügt aus der eigenen Absatztätigkeit in größerem Umfang über Forderungsbestände, möglicherweise auch mit längeren, über ein Jahr hinausreichenden, Restlaufzeiten.
•
Diese Forderungen werden an eine eigens zu diesem Zweck gegründete Zweckgesellschaft (englisch: Special Purpose Vehicle) verkauft.1)
•
Den Kaufpreis finanziert die Zweckgesellschaft, indem sie an einen Kreis (zumeist institutioneller) Investoren Wertpapiere („Securities") verkauft, die bestimmte Ansprüche auf den aus dem Forderungspool resultierenden Zahlungsfluss verbriefen.
Die Bezeichnung des Unternehmens als „Initiator" der gesamten Aktion kann allerdings u.U. eher formaler Natur sein. Oftmals bieten nämlich Banken ihren Kunden als Alternative zu klassischen Formen der forderungsgestützten Finanzierung an, für sie eine ABS-Konstraktion zu arrangieren, wobei sie dann zumeist auch schon eine Zweckgesellschaft „an der Hand haben". Eigentliche Initiatoren sind in solchen Fällen also die Banken, die dann bei der weiteren Abwicklung der Transaktion u.U. noch diverse weitere Funktionen übernehmen, möglicherweise aber auch weitgehend im Hintergrund bleiben. Die „Asset Backed Securities" sind also die Wertpapiere, die letztlich die Investoren halten. Bei deren Ausgestaltung sind zwei Grundtypen zu unterscheiden: •
Beim sogenannten Pass-Through-Typ werden die aus dem Forderungspool resultierenden Zahlungen unmittelbar an die Investoren weitergeleitet. Die Zweckgesellschaft - oder eine für sie tätige Institution - ist dabei praktisch nur als „Vermögensverwalter" für die Investoren tätig, selbst aber nicht Schuldner der ausgegebenen Wertpapiere. Die Stellung der Investoren gleicht somit der der Inhaber von Investmentzertifikaten.
•
Die entgegengesetzte Möglichkeit, der Pay-Through-Typ, besteht darin, die Papiere als festverzinsliche Wertpapiere auszugestalten, deren Schuldner die Zweckgesellschaft ist, deren Haftungspotenzial sich jedoch im Wesentlichen auf die erworbenen Forderungsbestände beschränkt. Die Zweckgesellschaft leitet die Rückflüsse aus dem Forderungspool jedoch nicht „wie sie kommen" an die Investoren weiter, sondern nach dem für die ausgegebenen Wertpapiere vorgesehenen Zins- und Tilgungsplan. Zwischenzeitlich entstehende Liquiditätsüberschüsse werden verzinslich angelegt.
1
Dieser definitive Verkauf („True Sale") der Forderungen ist das entscheidende Merkmal der „regulären" Form von ABS-Konstruktionen. Daneben kennt man „synthetische" Formen, bei denen lediglich die mit den Forderungsbeständen verknüpften Ausfallrisiken - gegen die Zahlung entsprechender Prämien - an andere Marktteilnehmer übertragen werden.
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2 Das Angebot von
Finanzierungsleistungen
Bei beiden Grundtypen, die selbstverständlich in den unterschiedlichsten Mischungen und Varianten anzutreffen sind, besteht weiterhin die häufig genutzte Möglichkeit, die Wertpapiere in verschiedene Tranchen mit unterschiedlichen Anspruch- und Risikostrukturen aufzugliedern. So kann man etwa auf Papiere der (risikoärmeren) „Senior Class" und der (risikoreicheren) „Junior Class" treffen. Möglicherweise gibt es auch eine dazwischen angesiedelte „Mezzanine Class" oder eine noch risikoreichere „Equity Class". Dabei kann es vorkommen, dass die Wertpapiere der risikoreichsten Klasse ganz oder teilweise von dem Initiator selbst übernommen werden, dieser also in gewissem Umfang „im Risiko" bleibt. Oftmals treten bei ABS-Finanzierungen noch weitere Akteure auf, die spezielle Funktionen von Finanzintermediären im weiteren Sinne wahrnehmen, so zum Beispiel -
Ratingagenturen, die die Qualität des Forderungspools und der Wertpapiere der verschiedenen Tranchen beurteilen, um den Investoren damit die Risikoeinschätzung zu erleichtern,
-
Banken, die bei der Konzipierung der gesamten ABS-Konstruktion sowie der Emission der Wertpapiere mitwirken und möglicherweise durch Garantiezusagen oder ähnliche Verpflichtungen einen Teil der Risiken übernehmen,
-
Treuhänder, die die ordnungsgemäße Verwendung der eingehenden Gelder im Interesse der Investoren überwachen, Serviceunternehmen, die die Forderungsverwaltung, das Mahnwesen und den Forderungseinzug übernehmen.
Auf der anderen Seite sind aber auch Konstruktionen zu finden, bei denen der Initiator - wie gerade schon erwähnt - selbst gewisse Risiken übernimmt oder die Verwaltung des Forderungspools bei sich behält. Im einfachsten Fall wird eine ABS-Konstruktion einmalig aufgelegt und nach dem Rückfluss aller Forderungen aufgelöst; anschließend folgt eventuell eine neue ABS-Maßnahme. Es besteht aber auch die Möglichkeit revolvierender Konstruktionen. Dabei kauft das SpezialUnternehmen permanent weitere Forderungen auf, die bei dem Initiator entstehen, und refinanziert sich durch die Ausgabe weiterer Wertpapiere. Eine andere Variante besteht darin, dass eine Zweckgesellschaft die Forderungsbestände mehrerer Unternehmen aufkauft und als Basis für die beabsichtigte Ausgabe der Wertpapiere zu einem Pool zusammenfasst.
2.2 Kurzfristige Finanzierung durch Finanzintermediäre
85
Übungsaufgabe 2.10: ABS-Konstruktionen werden oftmals als Möglichkeiten zur „Verbriefung von Forderungen" bezeichnet. Was ist von dieser Formulierung zu halten?
Angesichts der außerordentlich zahlreichen Ausgestaltungsmöglichkeiten von ABS-Konstruktionen ist es kaum möglich, ganz generelle Aussagen über Nutzen und Kosten dieses „modernen" Finanzierungsinstrumentes zu treffen. •
Immerhin ist die Finanzierungsfunktion bei der regulären Form deutlich ausgeprägt. Ihre Stärke wird wesentlich dadurch bestimmt, zu welchen Konditionen die von der Zweckgesellschaft ausgegebenen Wertpapiere bei den Investoren platziert werden können und welche Transaktionskosten dabei anfallen. Bei synthetischen Konstruktionen hingegen entfällt die Finanzierungsfunktion - ähnlich wie beim Fälligkeitsfactoring - völlig.
•
Die Ausprägung der Risikofunktion hängt entscheidend von der im Detail gewählten Konstruktion ab. Das Spektrum denkbarer Gestaltungsformen reicht
•
-
von der Übertragung sämtlicher Ausfallrisiken an die Zweckgesellschaft und von dieser an die Investoren
-
bis zu der entgegengesetzten Konstruktion, dass der Initiator, etwa durch die Übernahme der „Equity Class" oder durch sonstige Zusagen, die Ausfallrisiken im Wesentlichen nach wie vor selbst trägt.
Eine ähnliche Spannbreite möglicher Ausgestaltungsformen trifft man auch im Hinblick auf die Servicefunktion. Es gibt ABS-Konstruktionen, bei denen die komplette Verwaltung der verkauften Forderungen Aufgabe des Initiators bleibt. Ebenso gut ist es möglich, dass die Zweckgesellschaft selbst oder ein von ihr beauftragtes Serviceunternehmen diese Tätigkeiten übernimmt.
In bilanzieller Hinsicht bewirkt eine ABS-Maßnahme in der regulären „TrueSale"-Variante - ähnlich wie beim Standardfactoring - eine sofortige Ausbuchung der verkauften Forderungsbestände und kann somit je nach den folgenden Sekundäreffekten möglicherweise zu einer Bilanzverkürzung und einer Verminderung des Verschuldungsgrades führen. Die direkten Kosten von ABS-Maßnahmen resultieren zum einen aus einmaligen und laufenden Transaktionskosten etwa in Form von Gebühren, Provisionen etc., die je nach Ausgestaltung des Programms insbesondere für
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-
2 Das Angebot von
Finanzierungsleistungen
die Entwicklung des Konzepts und den Abschluss der zugrunde liegenden Verträge, die Etablierung der Zweckgesellschaft,
-
die Emission der Wertpapiere sowie deren Rating, die Verwaltung des Forderungspools und
-
die Übernahme gewisser Risiken durch Dritte
zu entrichten sind. Hinzu kommen die Renditeansprüche der Investoren, denen die auszugebenden Wertpapiere durch ihren Ausgabepreis einerseits sowie die in ihnen verbrieften Zahlungsansprüche andererseits gerecht werden müssen, um überhaupt absetzbar zu sein. Diese Kosten lassen sich selbst im konkreten Einzelfall nicht so ohne weiteres einfach durch eine Zahl ausdrücken, geschweige denn in allgemeiner und abstrakter Form. Nichtsdestoweniger wird in diesem Punkt die Basis für einen entscheidenden Vorteilhaftigkeitsfaktor von ABS-Konstruktionen gesehen, und zwar für den Fall, dass -
das Initiator-Unternehmen „als Ganzes" nicht den Bonitätsanforderungen entspricht, die notwendig sind, um Wertpapiere mit einem hinlänglich guten Rating „am Markt" platzieren zu können, durch die Beschränkung der verbrieften Ansprüche auf die Rückflüsse aus dem Forderungspool jedoch ein solches Rating erreicht werden kann.
Der dadurch erzielbare Vorteil ist dann „brutto" umso größer, je weiter -
die wie auch immer im Einzelnen zu bestimmenden Renditeansprüche der Investoren einerseits und
-
die Kosten, die mit Instramenten der klassischen Bank- oder Factoringfinanzierung üblicherweise verbunden sind, andererseits
auseinanderklaffen. Wirklich vorteilhaft ist eine ABS-Maßnahme allerdings erst dann, wenn der so möglicherweise entstehende Bruttovorteil auch noch die entstehenden Transaktionskosten übersteigt. Folgendes insbesondere im Hinblick auf die Risikowahrnehmung der Akteure bewusst einfach gewähltes Beispiel sowie die damit verknüpfte Übungsaufgabe verdeutlichen abschließend die angesprochenen Aspekte.
2.2 Kurzfristige Finanzierung durch Finanzintermediäre
87
Beispiel 2.07: Die ALPHA AG verfügt über einen Bestand an unverzinslichen Forderungen mit einem in einem Jahr fälligen RückZahlungsanspruch von insgesamt 106 Mio. Euro. Nach Erfahrungen der Vergangenheit ist damit zu rechnen, dass „im Schnitt" 10% der Forderungen ausfallen, so dass nur mit einem Rückzahlungsbetrag von 95,4 Mio. Euro gerechnet wird. Alternativ dazu wird es jedoch auch als möglich - wenn auch nicht sehr wahrscheinlich - erachtet, dass -
entweder alle Forderungen zu 100% beglichen werden
-
oder sogar Ausfälle von 20% eintreten.
Neben dem ,4m Schnitt" erwarteten Rückzahlungsbetrag von 95,4 Mio. Euro werden also alternativ als optimistische Variante Rückflüsse von 106 Mio. Euro sowie als pessimistische Variante Rückflüsse von nur 84,8 Mio. Euro für möglich gehalten. Dabei werden diese beiden Extrementwicklungen jeweils als gleich wahrscheinlich bzw. unwahrscheinlich eingeschätzt. Im Bereich der kurzfristigen Finanzierung steht der ALPHA AG zum einen ein unabhängig von dem Forderungspool besicherter Kontokorrentkredit zu 10% p.a. zur Verfügung. Zum anderen ist die Hausbank bereit, auf den Forderungsbestand einen Zessionskredit als einjährigen Festkredit im Volumen von 70 Mio. zu gewähren, auf den in einem Jahr 75 Mio. Euro zurückzuzahlen sind, was einer Verzinsung von 7,143% entspricht. Alternativ ergibt sich für die ALPHA AG nun die Möglichkeit zu einer ABS-Maßnahme, bei der der gesamte Forderungspool an die GAMMA Zweckgesellschaft abgetreten wird, die Verwaltung der Forderungen allerdings nach wie vor von der ALPHA AG wahrgenommen wird. Die GAMMA emittiert zwei Klassen von Wertpapieren: •
Die Inhaber der Senior-Class haben Anspruch auf die „ersten 74,2 Mio. Euro", die aus dem Forderungspool zurückfließen. Die Investoren, die Gelder ansonsten nur zu maximal 5,5% anlegen können, sind mit einer Rendite von 6% zufrieden, wären also bereit, 74,2/1,06 = 70 Mio. Euro für die Papiere der (letztendlich risikolosen) Senior-Class zu zahlen.
•
Den Inhabern von Papieren der Junior-Class steht „der Rest" der sich ergebenden Rückflüsse zu, „im Schnitt" also 95,4 - 74,2 = 21,2 Mio. Euro, möglicherweise aber auch 106 74,2 = 31,8 Mio. Euro oder nur 84,8 - 74,2 = 10,6 Mio. Euro. An dem durchschnittlich erwarteten Rückfluss von 21,2 Mio. Euro gemessen, weisen diese Papiere also erhebliche Risiken, aber auch große Chancen auf. Diese Papiere sollen „am Markt" zum Preis von 19 Mio. Euro absetzbar sein, was einer „Abzinsung" des ,4m Schnitt" erwarteten Rückflussbetrages von 21,2 Mio. Euro mit ca. 11,6% entspricht.
Das Finanzmanagement der ALPHA erwägt zunächst die Möglichkeit, diese ABS-Maßnahme durchzuführen, die Papiere der Junior-Class jedoch selbst zu übernehmen. Parallel dazu wird der klassische Zessionskredit ins Auge gefasst. Die folgenden beiden Tabellen verdeutlichen die mit den beiden Varianten verbundenen Zahlungsströme in den Zeitpunkten t = 0 und t = 1, wobei für den Zeitpunkt t = 1 die drei alternativ möglichen Entwicklungen A (bester Fall), Β (wahrscheinlichster Fall) und C (schlechtester Fall) berücksichtigt werden:
2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
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Zessionskredit Zahlungen Forderungspool
t=0
-
t=1 A
Β
C
+106,0
+95,4
+84,8
Zahlungen Festkredit
+70
-75,0
-75,0
-75,0
Gesamtzahlungen
+70
+31,0
+20,4
+9,8
ABS
t=0
t=1 A
Β
C
Verkauf Forderungspool
+89
-
-
-
Rückkauf Junior-Class
-19
+31,8
+21,2
+10,6
Gesamtzahlungen
+70
+31,8
+21,2
+10,6
Vernachlässigt man zunächst Transaktionskosten, so erkennt man sofort, dass die ABSMaßnahme dem Festkredit von der Hausbank eindeutig Uberlegen ist: Der Finanzierungseffekt im Zeitpunkt t = 0 ist bei beiden Maßnahmen identisch; im Zeitpunkt t = 1 kann die ALPHA AG jedoch auf jeden Fall, d.h. unabhängig davon, welche Entwicklung eintritt, über 800.000 Euro mehr verfügen. Die Erklärung für diesen ganz eindeutigen Vorteil resultiert aus zwei Elementen der betrachteten Beispielsituation: •
Zum einen findet letztlich kein Risikotransfer statt. Durch die Übernahme der gesamten Junior-Class verbleibt das gesamte Ausfallrisiko bei der AG. Darin stimmen die beiden zu vergleichenden Finanzierungsinstrumente also überein.
•
Der Vergleich kann somit auf die reine Finanzierungsfunktion reduziert werden. Und hier kommt der Umstand zum Tragen, dass sich die Investoren mit einer Rendite von 6% zufrieden geben, die AG im Vergleich zur Bankfinanzierung mit einem Zinssatz von 7,143% also 1,143%-Punkte an Finanzierungskosten einsparen kann. Bezogen auf das Finanzierungsvolumen von 70 Mio. Euro entspricht das genau dem Differenzbetrag von 800.000 Euro.
In der spezifischen Aufbereitung unseres Beispiels resultiert die Vorteilhaftigkeit der ABS-Konstruktion aus der Ausnutzung eines für die ABS-Philosophie grundlegenden Ungleichgewichts auf dem Finanzmarkt: Die Investoren haben zunächst nur die Möglichkeit, Geld zu 5,5% anzulegen; die ALPHA AG ihrerseits müsste für Bankkredite mehr als 7% bezahlen. Finden beide Seiten „an der Bank vorbei" direkt zueinander, so entsteht ein Kooperationsvorteil von gut 1,5%-Punkten, der in bestimmter Weise aufgeteilt werden kann.
2.2 Kurzfristige Finanzierung durch Finanzintermediäre
89
Übungsaufgabe 2.11: Gehen Sie von den Gegebenheiten des Beispiels 2.05 aus! a) Wie groß ist der zuletzt angesprochene Kooperationsvorteil und wie wird er zwischen den Investoren und der ALPHA AG aufgeteilt? b) Nehmen Sie nun zusätzlich an, dass die Konstruktion des gesamten ABS-Konzepts und die Emission der Wertpapiere Kosten verursachen, die sich in einem Abschlag von der Summe niederschlagen, die die GAMMA im Zeitpunkt t = 0 an die ALPHA AG weiterleitet! Wie hoch dürfte dieser Abschlag höchstens sein, damit die ABS-Maßnahme nicht unvorteilhaft wird? Unterstellen Sie dabei, dass die ALPHA Zahlungsdefizite der ABSMaßnahme gegenüber dem Festkredit durch Beanspruchung des 10%-igen Kontokorrentkredits ausgleichen kann! c) Nehmen Sie nun an, der Kostenabschlag würde sich auf 1 Mio. Euro belaufen, also oberhalb der gemäß b) ermittelten Obergrenze liegen! Ehe die ABS-Maßnahme deshalb „ad acta" gelegt wird, macht die Assistentin des Finanzvorstandes folgenden „Rettungsvorschlag": „Wenn wir die Junior-Class selbst übernehmen, behalten wir doch letztlich genau die Risiken, die wir ansonsten auch hätten. Also müssen wir doch gar nicht mit dem hohen Risikozuschlag der externen Investoren rechnen. Wir können den erwarteten Rückzahlungsbetrag von 21,2 Mio. Euro also nur mit 6% statt mit 11,6% abzinsen. Das bringt einen Gegenwartswert von genau 20 Mio. Euro, statt der bislang nur angesetzten 19 Mio. Euro. Das deckt alle Kosten und lässt die ABS-Maßnahme doch vorteilhaft bleiben." Nehmen Sie zu dieser Argumentation kritisch Stellung! d) Nachdem sich die Argumentation der Assistentin gemäß c) letztlich nicht als stichhaltig erwiesen hat, startet sie einen weiteren Versuch, das von ihr favorisierte ABS-Konzept doch noch zu retten. Dazu schlägt sie nun vor, auch die Papiere der Junior-Class fur 19 Mio. Euro „an den Markt" zu geben und damit zum einen den „vollen Finanzierungseffekt" und außerdem auch noch den „kompletten Risikotransfer" des ABS-Konzeptes zu nutzen. Wir wäre diese Lösung im Vergleich zu dem Zessionskredit bei der Hausbank zu beurteilen?
90
2.2.4
2 Das Angebot von
Finanzierungsleistungen
Kreditleihe
Abschließend sind die beiden wichtigsten Instrumente der Kreditleihe zu erörtern, die bekanntlich gar nicht unmittelbar zu einem Zahlungsmittelzufluss führen, die Finanzierungsmöglichkeiten jedoch insoweit indirekt verbessern, als die Kreditaufnahme bei Dritten erleichtert wird. Die beiden wichtigsten Instrumente dieser Kategorie stellen der Akzept- und der Avalkredit dar. Ein Akzeptkredit wird einem Unternehmen gewährt, indem ein Kreditinstitut einen von dem Unternehmen ausgestellten Wechsel als Bezogener akzeptiert, d.h. sich durch Vermerk auf der Vorderseite des Wechsels (Akzept) verpflichtet, diesen zu dem angegebenen Fälligkeitstermin einzulösen. Das Unternehmen kann diesen als Bankakzept bezeichneten Wechsel dann z.B. zur Bezahlung von Rechnungen an die eigenen Lieferanten weitergeben oder bei anderen Banken diskontieren lassen. Diese erwerben somit nicht eine Forderung gegenüber dem betrachteten Unternehmen, sondern gegenüber der - in ihrem Urteil eventuell bonitätsmäßig besseren - Akzeptbank. Im Innenverhältnis zu der Bank ist das Unternehmen allerdings verpflichtet, dieser die Wechselsumme zum Fälligkeitstermin zur Verfügung zu stellen. Bei vertragskonformem Ablauf wird die Bank also liquiditätsmäßig überhaupt nicht belastet. Sie trägt allerdings das Risiko, dass das Unternehmen seiner Zahlungsverpflichtung nicht nachkommt. Die Übernahme dieses Risikos lässt sich die Bank durch die von dem Unternehmen zusätzlich zu zahlende Akzeptprovision (Größenordnung 1 bis 3% p.a.) vergüten. Häufig wird das Bankakzept allerdings von der akzeptgebenden Bank selbst diskontiert. In diesem Fall wird aus der Kreditleihe dann eine kurzfristige Geldleihe. Im Vergleich zu einem einfachen Buchkredit an das betrachtete Unternehmen hat das für die Bank den Vorteil, dass sie selbst sich bei Bedarf durch weitere Abtretung ihres eigenen Akzepts einfacher refinanzieren kann. Der Avalkredit besteht in der Übernahme einer Bürgschaft oder einer Garantie durch eine Bank gegenüber Dritten im Auftrag ihres Kunden. Ein Avalkredit ist für einen Kunden in dem Fall zweckmäßig, wenn ein Gläubiger für versprochene Leistungen oder bestehende Forderungen Sicherheiten verlangt. Die Laufzeit des Avalkredits ist durch den Zweck der Bürgschaft bzw. der Garantie determiniert. Es gibt unbefristete, die Regel jedoch sind kurzfristige Avalkredite. Für die Einräumung des Avalkredits berechnet die Bank eine Avalprovision. Diese ist abhängig vom Zweck, von der Laufzeit und von den möglicherweise gestellten Sicherheiten. In der Regel werden monatlich oder vierteljährlich etwa 1,5 bis 3% p.a. von der Bürgschafts-/Garantiesumme als Avalprovision berechnet und dem Kreditnehmer belastet.
2.3 Mittel- und langfristige Kreditfinanzierung
durch
Finanzintermediäre
2.3
Mittel- und langfristige Kreditfinanzierung durch Finanzintermediäre
2.3.1
Grundbegriffe
91
In diesem Abschnitt werden Kreditformen betrachtet, deren Laufzeit in der Regel über ein Jahr, oft auch über vier Jahre hinausgeht. Üblicherweise wird für solche Kreditverhältnisse ein fester Zahlungsplan vereinbart, zumeist im Gewand einer Raten- oder Annuitätentilgung. Angesichts der längeren vertraglichen Bindung kommt den Kreditsicherheiten bei diesen Kreditverhältnissen im Allgemeinen eine noch größere Bedeutung zu als im Bereich der kurzfristigen Finanzierung. Die folgenden Ausführungen in diesem Abschnitt sind im Einzelnen wie folgt aufgebaut: •
Im Abschnitt 2.3.2 werden zunächst vier verschiedene Formen von Bankkrediten betrachtet.
•
Anschließend werden im Abschnitt 2.3.3 die beiden wichtigsten Formen, in denen Versicherungen Kreditleistungen erbringen, behandelt.
2.3.2
Mittel- und langfristige Kredite von Banken und Bausparkassen
2.3.2.1 Hypothekarkredite Ebenfalls privaten Haushalten - in ähnlicher Weise aber auch Unternehmen bieten Banken zur Finanzierung von Bauvorhaben sowie zum Erwerb von Grundund Wohneigentum zweckgebundene langfristige Darlehen in Form sog. Hypothekar- oder Realkredite an. Diese Finanzierungsangebote sind im Allgemeinen durch folgende Merkmale gekennzeichnet, was Abweichungen im Einzelfall nicht ausschließt: (1)
Hypothekarkredite werden in aller Regel als Annuitätendarlehen gewährt; d.h. die jährliche Summe aus Zins und Tilgung bleibt während der gesamten Laufzeit (oder eines Finanzierungsabschnitts; s.u.) konstant. Da sich der Zins aber - zuweilen von leichten Modifikationen bei unteqährlichen Zahlungen abgesehen - grundsätzlich auf die jeweilige Restschuld bezieht, geht der Zinsanteil von Jahr zu Jahr zurück, während der Tilgungsanteil „um die ersparten Zinsen" steigt. Die faktischen Zahlungen erfolgen allerdings in aller Regel nicht nur einmal jährlich, sondern in mehreren unteijährlichen Raten, wobei für Arbeitnehmer monatliche Zahlungen am häufigsten anzutreffen sein dürften, für Selbständige sind auch Quartalszahlungen sehr üblich. Das für die Jahreszahlung Gesagte gilt dann ganz genauso auch für die unteijährige Zahlung: von Rate zu Rate steigt der Tilgungsanteil zu Lasten des
92
2 Das Angebot von
Finanzierungsleistungen
Zinsanteils ein wenig an - und auch die Bezeichnung „Annuitätendarlehen" bleibt erhalten, auch wenn man nun ebenso gut von einem Quartalitäts- bzw. Mensuitätsdarlehen sprechen könnte. Der für das erste Jahr maßgebliche Tilgungsanteil wird in der Regel als glatter Prozentsatz des Darlehensnennwertes festgelegt, wobei 1%, z.T. auch 2%, weithin üblich sind, aber auch jeder andere Satz vereinbart werden kann. Die letzte Rate, mit deren Zahlung das Darlehen vollständig getilgt ist, ist zwangsläufig fast immer geringer als die Annuität. Gelegentlich treten weitere einmalige Kosten wie „Bearbeitungsgebühren", „Wertermittlungskosten" etc. auf. Zudem hat der Kreditnehmer unmittelbar die Kosten für die Bestellung der Sicherheiten (Grundbucheintragung etc.; s.u.) zu tragen.
Beispiel 2.08: Zum 01.01. des Jahres 09 wird ein Darlehen über 100.000 Euro zu folgenden Konditionen gewährt: -
Zinssatz
-
Tilgung
8% p.a.; 1% p.a. plus ersparte Zinsen;
-
Disagio
4%.
Der Darlehensnehmer erhält also de facto nur 96.000 Euro ausgezahlt und erbringt dafür einen jährlichen Kapitaldienst von 9.000 Euro (= 9% von 100.000 Euro).
Übungsaufgabe 2.12: Gehen Sie von den in vorstehendem Beispiel genannten Darlehensbedingungen aus und unterstellen Sie, dass der Kapitaldienst jährlich nachschüssig erfolgt! a) Berechnen Sie die am Ende des ersten und am Ende des zweiten Jahres noch verbleibende Restschuld! b) Schätzen Sie „nach Gefühl" die Laufzeit und die Effektivzinsbelastung des dargestellten Darlehens!
Zuweilen wird bei Hypothekarkrediten ein Disagio („Abgeld"/„Abschlag") vereinbart, d.h., die anfangliche Darlehensschuld ist größer als der Nennbetrag bzw. Auszahlungsbetrag des Darlehens. Zum Ausgleich für diesen Auszahlungsabschlag ist der Nominalzins üblicherweise geringer als bei einem vergleichbaren vollausgezahlten Kredit. Disagien waren früher wegen ihrer steuerlichen Vorteile beliebt und üblich, die heute jedoch nur noch selten bestehen.
2.3 Mittel- und langfristige Kreditfinanzierung durch Finanzintermediäre
93
Zu beachten ist freilich, dass die Finanzierungswirkung eines Darlehens bei gegebenem Nominalbetrag umso kleiner wird, je höher das Disagio ist. Kann der entsprechende Fehlbetrag nicht aus anderen Mitteln abgedeckt werden, so muss der Nennbetrag des Darlehens entsprechend heraufgesetzt werden, um auf die effektiv benötigte Summe zu kommen. Eine andere Variante besteht in der zusätzlichen Aufnahme eines sog. Tilgungsstreckungsdarlehens (auch Disagiodarlehen) in Höhe des Disagios. Bei dieser Konstruktion bleibt der ursprüngliche Hypothekarkredit in den ersten Jahren tilgungsfrei, er ist lediglich zu verzinsen. In dieser Zeit ist dafür zunächst das Tilgungsstreckungsdarlehen abzutragen. Die Kreditinstitute sind dabei häufig bemüht, die Konditionen so festzusetzen, dass der gesamte Kapitaldienst während der ersten Jahre (= Zins auf Hypothekarkredit + Zins und Tilgung des Tilgungsstreckungsdarlehens) mit der späteren Annuität auf den Hypothekarkredit in etwa übereinstimmt.
Beispiel 2.09: Neben dem o. g. Darlehen (8% Zins; 1% Tilgung; 4% Disagio) biete die Bank als Alternative ein Darlehen zu 8,5% Zins bei 1% Tilgung und 100%-iger Auszahlung. Benötigt der Darlehensnehmer genau 100.000 Euro, so bestehen folgende Möglichkeiten: (1) Aufnahme des 100%-Darlehens über 100.000 Euro: -
Auszahlung 100.000 Euro,
-
jährliche Belastung 9.500 Euro,
-
Laufzeit 28 Jahre,
-
Schlusszahlung im 28. Jahr 5.756 Euro.
(2) Aufnahme des 96%-Darlehens im Nennwert von 104.167 Euro (= 100.000/0,96): -
Auszahlung 100.000 Euro,
-
jährliche Belastung 9.375 Euro = 8% Zins + 1% Tilgung,
-
Laufzeit 29 Jahre,
-
Schlusszahlung im 29. Jahr 5.243 Euro.
(3) Aufnahme des 96%-Darlehens im Nennwert von 100.000 Euro und eines Tilgungsstreckungsdarlehens über 4.000 Euro. Bei einer Laufzeit von 5 Jahren und einem Zinssatz von 8,5% führt das Tilgungsstreckungsdarlehen zu einer Annuität von 1.015 Euro. Es ergeben sich also folgende Werte: -
Auszahlung 96.000 + 4.000 = 100.000 Euro,
-
jährliche Belastung (erste fünf Jahre) 9.015 Euro), jährliche Belastung (ab 6. Jahr) 9.000 Euro,
-
Laufzeit 34 Jahre,
-
Schlusszahlung im 34. Jahr 5.034 Euro.
94
2 Das Angebot von
Finanzierungsleistungen
Bei der Finanzierung von Bauvorhaben erfolgt die Auszahlung des Hypothekarkredits häufig in einzelnen Tranchen „nach Baufortschritt" oder sogar erst nach Fertigstellung des Gebäudes. In diesen Fällen kann die Situation eintreten, dass die Zahlungsverpflichtungen des Bauherrn früher anfallen als die Auszahlung des Hypothekarkredits. Für solche Fälle bieten Banken die Möglichkeit der Zwischenfinanzierung durch einen kurzfristigen, i.d.R. tilgungsfreien, also nur zu verzinsenden Kredit, der anschließend durch den langfristigen Hypothekarkredit abgelöst wird.
Übungsaufgabe 2.13: Vergleichen Sie die in dem letzten Beispiel dargestellten Finanzierungsvarianten und kommentieren Sie Ihren Vergleich kurz!
Die Laufzeit von Realkrediten wird üblicherweise nicht explizit festgelegt, sondern ergibt sich implizit aus den vereinbarten Konditionen. Bei anfänglichen Tilgungssätzen von 1% (2%) liegt die Gesamtlaufzeit in der Größenordnung von 25 bis 35 (20 bis 25) Jahren. Im Fall eines zusätzlichen Tilgungs streckungsdarlehens erhöht sich die Laufzeit natürlich um die anfänglichen tilgungsfreien Jahre.
Beispiel 2.10: In Abhängigkeit des anfanglichen Tilgungssatzes (= Annuitätssatz minus Zinssatz) ergeben sich die in der nachfolgenden Tabelle beispielhaft wiedergegebenen Gesamtlaufzeiten in Jahren. Dabei ist unterstellt, dass der Zinssatz während der gesamten Darlehenslaufzeit ein einheitliches Niveau aufweist, nämlich in der mittleren Spalte 8% und in der rechten Spalte 5%. Tilgungssatz
Laufzeit bei 8% Zins
Laufzeit bei 5% Zins
1%
28,5
36,7
2%
20,9
25,7
3%
16,9
20,1
Man erkennt zweierlei: Zum einen die beschleunigende Wirkung leicht erhöhter Annuitäten (man beachte, dass etwa eine Tilgungssatzverdoppelung von 1 auf 2% die laufende Zahlungsbelastung für den Schuldner nur um 11% (bei 8% Zins) bzw. 17% (bei 5% Zins) erhöht), und zum anderen die längeren Laufzeiten bei geringerem Zins. Letzteres erklärt sich einfach dadurch, dass die Tilgungswirkung „ersparter Zinsen" bei hohem Zins größer ist.
2.3 Mittel- und langfristige Kreditfinanzierung
(2)
durch
Finanzintermediäre
95
Üblicherweise werden die Zinsen von Realkrediten allerdings nur für einen kürzeren Zeitraum als die Gesamtlaufzeit fest vereinbart. Die gängigsten Zinsbindungsfristen belaufen sich auf 5 und 10 Jahre, aber auch kürzere Fristen (2 oder 4 Jahre) sind ebenso anzutreffen wie die Vereinbarung jederzeit variierbarer Zinssätze. Auch längere Fristen als 10 Jahre werden angeboten; es ist gar möglich und wird teils auch betrieben, den Zinssatz für die Gesamtlaufzeit von etwa 20 bis 30 Jahren fest zu vereinbaren. Allerdings ist der Kreditnehmer vermöge des in Abschnitt 2.1.5 dargestellten gesetzlichen Kündigungsrechtes nie für länger als 10 Vi Jahre an den solchermaßen vereinbarten Zinssatz gebunden; der Kreditgeber aber sehr wohl und es ist anzunehmen, dass er sich diese asymmetrische Zinsrisikoverteilung in einem entsprechend erhöht kalkulierten Kreditzinssatz vergüten lässt, so dass die zum Schutze des Kreditnehmers bestehende Gesetzeslage diesem durchaus auch - vertraglich nicht „ausheilbare" - Nachteile erzeugen kann. Am Ende dieser Fristen ist im Rahmen der ansonsten weiter bestehenden Darlehensbedingungen eine neue Vereinbarung über den Zinssatz und ggf. auch ein neuerliches Disagio herbeizuführen. Daneben wird dem Darlehensnehmer allerdings häufig auch die Möglichkeit eingeräumt, das Darlehen ohne zusätzliche Kosten zu kündigen und die am Ende des jeweiligen Finanzierungsabschnittes gegebene Restschuld in einer Gesamtzahlung zu tilgen. Eine solche Klausel liegt vor allem im Interesse des Darlehensnehmers, da sie ihm die Möglichkeit gibt, auf günstigere Finanzierungsangebote umzusteigen, -
damit zugleich eine bessere Verhandlungsposition hinsichtlich einer Fortführung des Darlehens bei dem bisherigen Geldgeber aufzubauen und
-
eventuell zusätzliche Tilgungsleistungen ohne Zusatzkosten in den gesamten Finanzierungsverlauf einzubauen.
Als weiteres Vertragsmerkmal ist die eventuelle Vereinbarung sog. Sondertilgungen zu nennen. Diese ist regelmäßig so ausgestaltet, dass der Kreditnehmer das Recht, aber nicht die Pflicht hat, außerhalb der ansonsten festgelegten Zahlungsbedingungen seine Kreditschuld durch eine oder mehrere besondere, auf eine Maximalsumme beschränkte Zahlungen vorzeitig herabzusenken, wobei der Maximalbetrag -
entweder im Gesamtzeitraum der Zinsbindungsfrist nicht überschritten werden darf
-
oder sich auf einen bestimmten Kalenderzeitraum bezieht, also etwa als jährlich höchstens zulässiges Sondertilgungsvolumen ausgestaltet ist.
96
2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
Bezüglich der Höhe der (effektiven) Zinssätze in Abhängigkeit von der Zinsbindungsfrist lassen sich keine generellen Aussagen treffen. Tendenziell kann jedoch festgestellt werden, dass in Zeiten allgemein relativ niedriger Zinsen die Effektivzinssätze umso höher sind, je länger die Zinsbindungsfrist ist, -
(3)
während in Zeiten relativ hoher Zinsen eher das Gegenteil zu beobachten ist.
Die Besicherung von Realkrediten erfolgt durch die Bestellung von Grundpfandrechten, d.h. die Belastung eines Grundstücks durch Eintragung einer Hypothek oder einer Grundschuld in das Grundbuch. Dem aus dieser Eintragung Begünstigten steht damit das Recht zu, seine Ansprüche bei Zahlungsverzug des Schuldners unter Einhaltung bestimmter Verfahrensvorschriften (Einzelzwangsvollstreckung) durch Verwertung des Grundstücks zu befriedigen. Im Insolvenzfall steht ihm dementsprechend das Recht auf eine abgesonderte Befriedigung zu. Aus diesem Wesensmerkmal des Realkredits leitet sich auch die in der Bankpraxis gängige Bezeichnung Hypothekarkredit ab, obwohl heutzutage häufiger auf die Grundschuld als auf die Hypothek als Sicherungsinstrument zurückgegriffen wird. Derartige Kredite werden üblicherweise nur im Rahmen einer Beleihungsgrenze von 60% des Beleihungswertes vergeben. Der Beleihungswert wird in der Regel durch einen Sachverständigen geschätzt und leitet sich im Allgemeinen aus den folgenden drei Wertkomponenten ab: •
Sachwert von Grundstück und Gebäude: Dabei orientiert man sich an durchschnittlichen Bodenpreisen und Baukosten sowie dem Alter des Gebäudes.
•
Ertragswert·. Dabei versucht man, den langfristig erzielbaren Überschuss der (eventuell fiktiven) Mieteinnahmen über die laufenden Instandhaltungsausgaben abzuschätzen und zu kapitalisieren.
•
Verkehrswert\ Man versucht, jenen Preis abzuschätzen, der bei einer Veräußerung von Grundstück und Gebäude im Bewertungszeitpunkt erzielt werden könnte. Daher ist der Verkehrswert auch gesetzlich (§ 194 Baugesetzbuch) mit dem Begriff des „Marktwert" gleichgesetzt.
Je nach Institutsgruppe richtet sich die Technik der Beleihungswertermittlung für Hypothekarkredite nach amtlichen Vorschriften (z.B. für Pfandbriefe emittierende Banken nach der Beleihungswertermittlungsverordnung) oder hausinternen Richtlinien.
2.3 Mittel- und langfristige Kreditfinanzierung
durch
Finanzintermediäre
97
Das Angebot von Hypothekarkrediten stellt die traditionelle Domäne der Hypothekenbanken dar. Daneben treten inzwischen aber auch Universalbanken aller drei Gruppen als Geldgeber auf. Ergänzend dazu halten sich die meisten Universalbanken außerdem bereit, ihren Kunden Hypothekarkredite von Hypothekenbanken aus dem eigenen Konzern- oder Gruppenverbund zu vermitteln und dabei verschiedene verwaltende und vorbereitende Aktivitäten genau so abzuwickeln, als ob sie selbst als unmittelbarer Darlehensgeber aufträten. Der Kunde tritt bei dieser häufig geübten Praxis mit der Hypothekenbank als seinem effektiven Geldgeber praktisch überhaupt nicht in Kontakt. Das Volumen der für die Wohnraumfinanzierung in Deutschland vergebenen Hypothekenkredite ist erheblich und zeugt von der Bedeutung, den diese Finanzdienstleistung sowohl für die Bankwirtschaft als auch für die Volkswirtschaft insgesamt hat. Für einen zahlenmäßigen Eindruck dieser Bedeutung beachten Sie bitte wiederum die numerisch-empirische Darstellung im numerischen Anhang.
2.3.2.2 Bauspardarlehen Als weitere Form zur Finanzierung des Erwerbs und Baus von Wohnungseigentum bieten Bausparkassen - ebenfalls zweckgebundene - Bauspardarlehen an. Die Gewährung eines solchen Darlehens setzt voraus, dass der Kunde zuvor einen Bausparvertrag abgeschlossen hat und auf diesen über einen gewissen Zeitraum hinweg Sparleistungen erbracht hat. Der Bausparvertrag wird in aller Regel auf eine bestimmte Bausparsumme abgeschlossen. Zentrales Ziel eines Bausparers ist die Zuteilung, das ist das Recht, von der Bausparkasse eine Zahlung in Höhe der Bausparsumme zu erhalten. Dieses Ziel ist erreicht, wenn fünf Voraussetzungen erfüllt sind: 1.
Seit dem Vertragsabschluss ist eine tariflich bestimmte Frist („Mindestsparzeit") von z.B. 18 oder 48 Monaten verstrichen. Viele Tarife verzichten auf diese Frist aber gänzlich.
2.
Das Guthaben auf dem Bausparkonto hat ein tariflich fixiertes Mindestsparguthaben erreicht oder überschritten (in älteren Bauspartarifen 40%, heute zumeist 50% der Bausparsumme.)
3.
Der „Mindestsparverdienst" ist erreicht; der Sparverdienst ist eine nach der Logik eines „Zeit-mal-Geld-Systems" erfasste Größe, die in einer Zahl verdeutlicht, wie lange jeweils und mit welchem Volumen sämtliche zwischenzeitlich erreichten Bausparguthabenkontosalden dem Bausparkollektiv „gewährt wurden". Der Sparverdienst wird auf die Bausparsumme und einige technische Faktoren zu einer laufend berechneten Bewertungszahl normiert. Die individuelle Bewertungszahl des Bausparvertrages muss ein tariflich fixiertes Niveau (Mindestbewertungszahl) aufweisen.
98
2 Das Angebot von
Finanzierungsleistungen
4.
Die von den Bausparkassen regelmäßig für die Gesamtheit ihrer Bausparkunden berechnete Zuteilungsmasse als Differenz aus zuzuteilenden Bausparsummen einerseits sowie Sparleistungen (inkl. Guthabenzinsen) und Tilgungen andererseits muss ein hinreichendes Maß aufweisen, was bauspartechnisch in die Anforderung übersetzt wird, dass die individuelle Bewertungszahl mindestens das Niveau einer nicht tariflich, sondern nach den jeweiligen finanziellen Möglichkeiten fixierten Zielbewertungszahl aufweisen muss. Die Zielbewertungszahl kann die Mindestbewertungszahl ggf. erheblich überschreiten.
5.
Der Bausparer muss hinreichende Sicherheiten stellen.
Sind alle fünf Voraussetzungen erfüllt und begeht der Bausparer seinen vollen Zahlungsanspruch, so -
erhält er eine Zahlung in Höhe der Bausparsumme und
-
schuldet der Bausparkasse einen Betrag in Höhe der Differenz von Bausparsumme und seinem angesparten Bausparguthaben (Endbestand) zuzüglich einer Gebühr auf das so entstandene Darlehen.
Der aus einem Bausparvertrag insgesamt, d.h. als Summe von Sparleistung und Darlehen, resultierende Finanzierungsbetrag stimmt also zwangsläufig mit der Bausparsumme überein. Der Bausparer ist allerdings keineswegs zur Darlehensaufnahme gezwungen; er kann vielmehr - je nach Tarifbedingungen - den Vertrag auch zeitweilig ruhen lassen oder weitere Beträge darauf ansparen oder natürlich sich das Guthaben ohne Darlehensergänzung auszahlen lassen. Die während der Sparphase entstehenden Guthaben werden mit einem tariflich für die gesamte Vertragsdauer einheitlich festgelegten Zinssatz verzinst, der in der Regel unter den Zinssätzen vergleichbarer langfristiger Sparverträge liegt. Traditionell betrug dieser Sparzins 3% p.a. Inzwischen bieten die Bausparkassen aber verschiedene Vertragsvarianten mit Sparzinsen zwischen ca. 0% und 4% an. Die laufenden Sparbeiträge werden traditionell durch die Vereinbarung eines festen Prozentsatzes der Bausparsumme (z.B. 0,5% pro Monat) definiert, wobei höhere Sonderzahlungen allerdings regelmäßig akzeptiert werden. Zu beachten ist noch, dass dem Bausparer bei Abschluss des Vertrages eine Abschlussgebühr in der Größenordnung von 1% der Bausparsumme belastet wird, die mit den ersten Sparleistungen verrechnet wird.
2.3 Mittel- und langfristige Kreditfinanzierung
durch
Finanzintermediäre
99
Die in der Darlehensphase gewährten Bauspardarlehen sind weiterhin im Allgemeinen durch folgende Komponenten gekennzeichnet: (1)
Die Darlehen werden wie die Hypothekarkredite als Annuitätendarlehen gewährt und zwar in Höhe der Differenz zwischen Bausparsumme und Bausparguthaben. Die Auszahlung der Darlehenssumme erfolgt traditionellerweise zu 100%; einige Tarife sehen allerdings die Möglichkeit eines Disagios vor. Unabhängig davon wird das Darlehenskonto allerdings mit einer Darlehensgebühr (i.d.R. 2% oder 3% der Darlehenssumme) belastet. Die Laufzeit der Bauspardarlehen ist angesichts des von Anfang an höheren Tilgungsanteils deutlich kürzer als bei Hypothekarkrediten. Sie liegt im Allgemeinen zwischen 8 und 12 Jahren.
(2)
Der Darlehenszins liegt üblicherweise 2%-Punkte über dem Sparzins, beträgt bei dem traditionellen Modell mit 3%-igem Sparzins also 5% p.a. Sieht man von Niedrigzinsphasen ab, ist die Verzinsung in aller Regel damit deutlich niedriger als bei Hypothekarkrediten. Zudem ist der Zinssatz für die gesamte Darlehenslaufzeit fixiert. Demgegenüber ist der (anfängliche) Tilgungsanteil deutlich höher als die bei Hypothekarkrediten gängigen Sätze von 1% oder 2%. Je nach den Einzelheiten des Tarifs beläuft sich der gesamte Kapitaldienst für einen bei ca. 40% der Bausparsumme zugeteilten Vertrag pro Jahr auf ca. 12% der Darlehenssumme. Dabei sind die Zahlungen üblicherweise in gleichbleibenden Monatsraten zu erbringen. Zusätzlich kann einmal jährlich eine im Zeitablauf fallende Prämie aus einer obligatorischen Restschuldversicherung anfallen, die die Bausparkassen im Rahmen eines Gruppenversicherungsvertrages für ihre Darlehensnehmer abschließen.
(3)
Die Besicherung der Bauspardarlehen erfolgt ebenfalls durch die Bestellung von Grundpfandrechten. Allerdings bestehen zwei Besonderheiten im Vergleich zu Hypothekarkrediten: •
Die Bausparkassen akzeptieren auch Grundpfandrechte an zweiter Rangstelle, z.B. hinter einer „ersten Hypothek" zur Besicherung eines Hypothekarkredits. Bei einer Verwertung des Grundstücks, etwa im Wege einer Zwangsversteigerung, wird dann zunächst der Gläubiger der ersten Hypothek befriedigt, während der Bausparkasse nur der darüber hinausgehende Versteigerungserlös zusteht.
•
Zudem werden Bauspardarlehen im Allgemeinen bis zu einer Gesamtbelastung von 80% des Beleihungswertes gewährt. Darüber hinausgehende Beleihungen werden bei der Stellung zusätzlicher Sicherheiten akzeptiert.
2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
100
Beispiel 2.11: Der Beleihungswert einer Eigentumswohnung wird mit 250.000 Euro veranschlagt. Ein Bausparer verfugt über die beiden zugeteilten Bausparverträge: -
Bausparkasse A: Bausparsumme
50.000 Euro
Bausparguthaben
20.000 Euro
Bausparkasse B: Bausparsumme
70.000 Euro
Bausparguthaben
30.000 Euro
Unterstellt man einmal, dass der Beleihungswert mit dem aktuellen Kaufpreis der Wohnung übereinstimmt, so könnte die Finanzierung des Wohnungskaufs wie folgt vorgenommen werden: Hypothekarkredit einer Bank
130.000 Euro
Bauspardarlehen A
30.000 Euro
Bauspardarlehen Β
40.000 Euro
Eigenmittel aus Bausparguthaben Summe
50.000 Euro 250.000 Euro
Zur Sicherung der Darlehen würden folgende Grundpfandrechte eingetragen: -
Eine erstrangige Hypothek zugunsten der Bank über 130.000 Euro (entspr. 52% des Beleihungswertes).
-
Zwei nachrangige, untereinander gleichrangige Hypotheken zugunsten der beiden Bausparkassen über 30.000 Euro und 40.000 Euro.
Der insgesamt ausgeschöpfte Beleihungsrahmen beliefe sich also genau auf 80%. Wird der Wohnungskäufer noch vor der ersten Tilgungsleistung zahlungsunfähig und wird die Wohnung versteigert, so ergibt sich folgende Aufteilung des Erlöses: (1) Versteigerungserlös 220.000 Euro Alle Darlehensgeber werden voll befriedigt (200.000 Euro). Die restlichen 20.000 Euro stehen dem bisherigen Eigentümer zu oder fließen in die Insolvenzmasse. (2) Versteigerungserlös 186.000 Euro Die Bank als Inhaber der ersten Hypothek erhält die vollen 130.000 Euro. Die restlichen 56.000 Euro werden im Verhältnis der Darlehenssummen von 3 : 4 auf die beiden Bausparkassen aufgeteilt; also erhält A 24.000 Euro und Β 32.000 Euro.
2.3 Mittel- und langfristige Kreditfinanzierung durch Finanzintermediäre
101
Übungsaufgabe 2.14: Gehen Sie von den Daten des vorstehenden Beispiels aus und unterstellen Sie, dass die Bank einen Hypothekarkredit von maximal bis 60% des Beleihungswertes vergibt und die Bausparkassen nicht bereit sind, eine Uber 80% des Beleihungswertes hinausgehende Gesamtbelastung zu akzeptieren! a) Wie hoch wäre der nicht aus Bausparverträgen und Hypothekarkrediten abdeckbare Finanzierungsbedarf, wenn nur der Bausparvertrag A existierte, die insgesamt 70.000 Euro aus Bausparvertrag Β hingegen nicht verfügbar wären! b) Wie hoch wäre der nicht aus Bausparverträgen und Hypothekarkrediten abdeckbare Finanzierungsbedarf, wenn zwar beide Bausparverträge wie angegeben bestehen, der Kaufpreis der Wohnung jedoch 320.000 Euro beträgt, also 70.000 Euro über dem Beleihungswert liegt? c) Vergleichen Sie die Ergebnisse zu a) und b) und geben Sie einen kurzen Kommentar!
Wegen der heute im Bausparwesen herrschenden Tarifvielfalt, die den Bausparkunden ein umfangreiches, schwer überschaubares Geflecht von Flexibilitäten im Bausparablauf ermöglichen, sei auf die an unserem Lehrstuhl in Hagen entstandene Dissertationsschrift „Bausparfinanzierung versus Freie Finanzierung" von Stark (2003) verwiesen, die eine systematische Beschreibung und Analyse des Tarifspektrums bietet. Benötigt ein Bausparer bereits vor der Zuteilung des Bausparvertrages Finanzierungsmittel, besteht die Möglichkeit der sog. Zwischenfinanzierung1X Dabei vergibt die Bausparkasse selbst oder auch ein anderes Kreditinstitut ein Darlehen in Höhe der gesamten Bausparsumme. Bei Zuteilung des Bausparvertrages wird der Zwischenkredit durch die Auszahlung der Bausparsumme abgelöst. Tritt die Bausparkasse selbst als Zwischenfinancier auf, so besteht die Sicherheit für den Zwischenkredit zum einen in dem bereits angesparten Bausparguthaben sowie zum anderen in einem bereits bei Vergabe des Zwischenkredits einzutragenden Grundpfandrecht, das nach der Ablösung als Sicherheit für das nachfolgende Bauspardarlehen weitergeführt wird. Tritt hingegen ein anderes Kreditinstitut als Zwischenkreditgeber auf, so sind verschiedene Modelle denkbar. Eine Möglichkeit
1 In der Praxis wird bei nicht ganz einheitlichem Sprachgebrauch noch zwischen Vor- und Zwisdienfinanzierung eines Bausparvertrages unterschieden. Von einer Vorfinanzierung ist dann die Rede, wenn das Bausparguthaben die für die Zuteilung tariflich vorgesehene Mindestsparleistung (i.d.R. 40% der Bausparsumme) noch nicht erreicht hat. Von Zwischenfinanzierung (im engeren Sinne) wird dementsprechend gesprochen, wenn bei einem Bausparvertrag zwar die Mindestsparleistung erreicht ist, die Bewertungszahl (s. o.) aber noch nicht die notwendige Höhe erreicht hat, so dass die Zuteilung noch aussteht. Nach dieser Unterscheidung erstreckt sich eine Vorfinanzierung somit regelmäßig über einen längeren Zeitraum als eine Zwischenfinanzierung.
102
2 Das Angebot von
Finanzierungsleistungen
besteht darin, dass das Grundpfandrecht von Anfang an zugunsten der Bausparkasse bestellt wird und diese -
entweder gegenüber der Bank die Gewährleistung für die Rückzahlung des Zwischenkredits übernimmt oder das Grundpfandrecht treuhänderisch für die Bank verwaltet
-
oder das Grundpfandrecht an die Bank unter der Bedingung abtritt, dass dieses bei Ablösung des Zwischenkredits rückübertragen wird.
Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass das Grundpfandrecht zunächst zugunsten der Bank eingetragen wird und diese es später an die Bausparkasse abtritt. Zusätzlich ist es möglich, dass der Bausparer seine Ansprüche aus dem Bausparguthaben zur Sicherheit an die Bank abtritt.
2.3.2.3 Ratenkredite Kreditinstitute bieten privaten Haushalten zur Anschaffung - in der Regel langlebiger - Gebrauchsgüter oder auch zur Finanzierung anderer Vorhaben (Reisen, Ausbildungsmaßnahmen etc.) Darlehen an, die ganz allgemein als Ratenkredite bezeichnet werden. Daneben findet man aber auch verschiedene andere Bezeichnungen wie z.B. Konsumentenkredit, Anschaffungsdarlehen, Privatdarlehen, etc. (1)
Die Laufzeit liegt im Allgemeinen zwischen drei und sechs Jahren. Der Kreditbetrag schwankt zwischen einigen tausend und einigen zehntausend Euro, liegt in der Regel aber deutlich unter 50.000 Euro. Die Tilgung erfolgt zumeist in gleichbleibenden Monatsraten. Der anfängliche Schuldbetrag enthält häufig eine Bearbeitungsgebühr in der Größenordnung von 2% des Nennbetrages.
(2)
Die Zinsen werden bei der traditionellen Variante, wie sie zum Beispiel Sparkassen weiterhin betreiben, als Monatsprozentsatz ausgedrückt und unabhängig von erbrachten Tilgungsleistungen auf die ursprüngliche Kreditsumme bezogen. Sie sind zusammen mit den Tilgungsraten in aller Regel ebenfalls monatlich fällig. Für den in finanziellen Angelegenheiten wenig erfahrenen Betrachter birgt diese traditionelle Gestaltung der Konditionen von Konsumentenkrediten die Gefahr in sich, die daraus resultierende effektive Zinsbelastung zu unterschätzen. Dafür sind vier Aspekte maßgeblich: •
Zum ersten wirkt die Angabe eines Monatszinses rein optisch niedriger als die Angabe eines zwölfmal so großen Jahreszinses.
•
Zum zweiten bezieht sich dieser Zins auf die Anfangsschuld; die Zinsbelastung nimmt in Bezug auf die jeweils noch verbliebene Restschuld im Zeitablauf also ständig zu.
2.3 Mittel- und langfristige Kreditfinanzierung durch Finanzintermediäre
103
•
Zum dritten werden die Zinszahlungen nicht erst am Jahresende, sondern bereits früher, nämlich monatlich fällig.
•
Zum vierten erhöht die formal nicht als Zins ausgewiesene Bearbeitungsgebühr auch noch die effektiven Kreditkosten.
Beispiel 2.12: Die Kunden-Bank finanziert einem jungen Ehepaar einen Teil der Wohnungseinrichtung und vergibt einen Kredit von 30.000 Euro zu folgenden Konditionen: -
Laufzeit
5 Jahre, d.h. 60 Monate;
-
Tilgung
60 nachschiissige Monatsraten;
-
Bearbeitungsgebühr
2% der Kreditsumme;
-
Zins
0,5% der ursprünglichen Kreditsumme pro Monat.
Der von dem Ehepaar insgesamt zu leistende Kapitaldienst berechnet sich dann wie folgt: Kreditbetrag
30.000 Euro
+ Bearbeitungsgebühr 2% v. 30.000 Euro + Zins 60 χ (0,5% v. 30.000 Euro)
600 Euro 9.000 Euro 39.600 Euro
Dementsprechend gilt für die pro Monat zu erbringende Zahlung: 39 600 Monatszahlung = — ^ —
= 660 Euro.
Der effektive Jahreszins beläuft sich auf 12,1%.
Die moderne Variante vermeidet diese Nachteile. Sie gestaltet Konsumentenkredite einfach als Annuitätendarlehen aus, so wie wir sie vom Hypothekarkredit kennen (Abschnitt 2.3.2.1). (3)
Als Maßnahmen zur Besicherung von Ratenkrediten trifft man vor allem -
die Sicherungsübereignung, insbesondere bei Krediten zur Anschaffung langlebiger Gebrauchsgüter (z.B. Automobile),
-
die sicherungsweise Abtretung von Lohn- oder Gehaltsansprüchen und
-
die Mitverpflichtung anderer Personen, insbesondere von Ehegatten, Eltern etc.
104
2 Das Angebot von
Finanzierungsleistungen
Parallel dazu findet man auch die Verknüpfung des Ratenkredits mit einer i.d.R. zugunsten des Kreditgebers abgeschlossenen Restschuldversicherung. Bei Eintritt des Schadensfalls, z.B. Tod oder Erwerbslosigkeit des Kreditnehmers, zahlt die Versicherungsunternehmung im Todesfall die vereinbarte Todesfallzahlung direkt auf das Kreditkonto. Die Todesfallleistung der Restschuldversicherung ist so bemessen, dass sie sich dem Schuldsaldo des Kreditkontos im Zeitablauf exakt oder zumindest ungefähr anpasst, d.h. die Versicherung gleicht diesbezüglich einer Risikolebensversicherung mit fallender Versicherungssumme. Die Zahlung im Todesfall liegt also in der Größenordnung des dann bestehenden Kontosaldos. Der danach auf dem Konto verbleibende Restsaldo besteht dann zu Gunsten bzw. zu Lasten des Erbes des Kreditnehmers. Im Falle er Erwerbslosigkeit übernimmt das Versicherungsunternehmen die Zahlung der Kreditraten so lange wie der Erwerbslosigkeitsstatus andauert. Das Kreditrisiko wird somit auf einen Dritten, eben die Versicherung, übergewälzt. Die dafür falligen Prämien hat regelmäßig der Kreditnehmer zu tragen; häufig werden sie zusätzlich zu Zins, Tilgung und Bearbeitungsgebühr in die laufenden Monatsraten einbezogen. Ratenkredite werden in aller Regel in standardisierter Form angeboten; der Kreditnehmer kann lediglich innerhalb bestimmter Unter- und Obergrenzen Kreditbetrag und -laufzeit frei wählen - selbstverständlich nur insoweit, wie das Kreditinstitut ihn für hinlänglich kreditwürdig erachtet. Bei den Anbietern solcher Kredite lassen sich insbesondere zwei Gruppen unterscheiden. Zum einen bieten Sparkassen, Genossenschaftsbanken und auch zahlreiche private Kreditbanken seit etlichen Jahren standardmäßig Ratenkredite an. Zum anderen gibt es Kreditbanken, deren Geschäftsfeld ganz überwiegend in der Vergabe von Krediten der beschriebenen Art an Private liegt. Viele dieser spezialisierten Institute, z.B. die Banktöchter von Automobilherstellern, sind allerdings zunehmend dazu übergegangen, einerseits ihr Aktivgeschäft über die Vergabe von Ratenkrediten an private Haushalte hinaus auszuweiten, z.B. durch Kredite an Unternehmen sowie Leasinggeschäfte, und -
andererseits zur Refinanzierung auch Spar-, Termin- und Sichteinlagen entgegenzunehmen (vgl. dazu Kapitel 4).
2.3 Mittel- und langfristige Kreditfinanzierung durch Finanzintermediäre
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Übungsaufgabe 2.15: Die Kunden-Bank vergibt einen Kredit in Höhe von 60.000 Euro zu folgenden Konditionen: -
Laufzeit
3 Jahre, d.h. 36 Monate;
-
Tilgung
36 nachschüssige Monatsraten;
-
Bearbeitungsgebühr
2% der Kreditsumme;
-
Zins
0,38% der ursprünglichen Kreditsumme pro Monat.
Ermitteln Sie die monatliche Ratenlast!
Ergänzend ist noch auf den Umstand einzugehen, dass Ratenkredite in nicht unerheblichem Umfang durch Vermittler zustande kommen. Dabei sind zwei Gruppen von Vermittlern zu unterscheiden: (1)
Verschiedene Handelsunternehmen sowie von bestimmten Herstellern abhängige Händlernetze bieten ihren Kunden als Instrument der Verkaufsförderung die Finanzierung der gekauften Ware an. Dabei treten die Händler jedoch nur noch selten selbst als Kreditgeber bei einem solchen Abzahlungskauf auf; üblicherweise wird vielmehr parallel zu dem Kaufvertrag der Kredit einer kooperierenden Bank vermittelt, oftmals ohne dass dies dem Kunden überhaupt richtig bewusst wird. In einigen Fällen haben große Handelsunternehmen und Produkthersteller allerdings konzerneigene Kreditinstitute gegründet, die die entsprechenden Ratenkredite vergeben. Dies ist insbesondere bei den Automobilherstellern und im Versandhandel der Fall. Für eine solche Politik dürfte neben der Möglichkeit, an den Kreditgeschäften selbst zu verdienen, die Absicht maßgeblich sein, über die Gestaltung der Kreditkonditionen ein weiteres absatzpolitisches Instrument zu erhalten.
(2)
Außerdem gibt es eigenständige Kreditvermittler, die überwiegend privaten Haushalten Bankkredite vermitteln. Dabei ist der Rahmen für die Vermittlungstätigkeit in der Regel durch eine feste vertragliche Vereinbarung zwischen Bank und Vermittler, den sog. „Einreichervertrag", geregelt. Die Vermittler werden in der Öffentlichkeit weithin als wenig seriös angesehen und nicht nur mit der wenig freundlichen Bezeichnung „Kredithaie" bedacht, sondern auch unmittelbar für die Höhe der effektiven Kreditzinsen sowie rüde Methoden bei der Eintreibung von Zins und Tilgung verantwortlich gemacht. Zur Einordnung solcher weit verbreiteten Klischeevorstellungen ist folgendes zu beachten: •
Die Kreditvermittler erbringen ihren Kunden durchaus zusätzliche Dienstleistungen, wie z.B. vergleichende Informationen über die Konditionen verschiedener Kreditangebote, Beratungen auch außerhalb banküblicher Geschäftszeiten, Unterstützung bei der Aufbereitung von Sicherheiten etc. Dass für diese Leistungen vom Grundsatz her ein
2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
106
Entgelt in Form einer Maklercourtage gerechtfertigt ist, kann nicht ernsthaft bezweifelt werden. Strittig kann allenfalls die angemessene Höhe der Courtage sein, die sich im Allgemeinen in der Größenordnung von 3 bis 6% des effektiven Kreditbetrages bewegt. •
Zugleich stellen die Kreditvermittler für die mit ihnen kooperierenden Kreditinstitute eine Art flexiblen Außendienst dar, durch den in bestimmtem Ausmaß Akquisitions- und Verwaltungskosten eingespart werden können. Dass auch für diese Leistung ein Entgelt angemessen ist, dürfte grundsätzlich ebenfalls außer Zweifel stehen. Die entsprechende Provision liegt im Allgemeinen bei 0,2% bis 0,25% des Produktes aus Kreditsumme und Laufzeit (in Monaten).
•
Im Übrigen ist zu beachten, dass die Kreditvermittler gar nicht selbst als Kreditgeber auftreten und somit auch nicht für die Kreditkonditionen und, wenn überhaupt, im Auftrag der Banken für das Inkasso verantwortlich sind. Allerdings ist es üblich, die bei der Bank beantragte Kreditsumme über den von dem Kunden primär benötigten Betrag hinaus um die bei Auszahlung des Kredits fällige Maklercourtage zu erhöhen. So werden etwa bei einer Courtage von 5% statt der benötigten 10.000 Euro direkt 10.500 Euro als Kredit beantragt; bei der Auszahlung dieser Summe fließen dann 500 Euro als Courtage an den Kreditvermittler und der Kunde erhält die effektiv benötigten 10.000 Euro.
•
Problematisch ist in diesem Zusammenhang allerdings die zumindest in der Vergangenheit von verschiedenen Kreditinstituten geübte Praxis, die an den Vermittler abzuführende Provision in Form des sogenannten „Packing", d.h. durch eine entsprechende Erhöhung des Monatszinses auch noch auf den Kreditnehmer abzuwälzen. Soweit erkennbar, sind die Banken allerdings in den letzten Jahren zunehmend von der Praxis des Packing abgerückt und vergeben vermittelte Kredite zu den gleichen Konditionen wie vergleichbare „Schalterkredite".
Weder die Vermittlung von Krediten noch die Berechnung eines Entgeltes dafür sind an sich als bedenklich anzusehen; hier besteht kein grundsätzlicher Unterschied zum Angebot anderer Dienstleistungen. Die eigentlichen Probleme der Kreditvermittlung resultieren vielmehr aus der Gefahr, dass sich der Vermittler bei der Beratung seiner Kunden weniger von deren wohlverstandenen Interessen als vom eigenen Provisionsstreben leiten lässt und insbesondere in finanziellen Dingen unerfahrene Personen durch ständig neue Abschlüsse, Umschuldungsmaßnahmen, Ablösekredite etc. in eine lang andauernde, bis an die Grenze ihrer finanziellen Belastbarkeit gehende Verschuldung treibt.
2.3 Mittel- und langfristige Kreditfinanzierung durch Finanzintermediäre
107
Abschließend ist auch noch auf die gesetzlichen Regelungen zum Verbraucherdarlehen nach §§491 ff. BGB hinzuweisen. Mit diesen soll ein Verbraucherschutz im finanzwirtschaftlichen Bereich bewirkt werden. Dementsprechend ist der Anwendungsbereich auf fast alle Arten von Krediten an Verbraucher mit einem Nettodarlehensbetrag von mehr als. 200 Euro festgelegt. Einen einschneidenden Tatbestand stellen in diesem Zusammenhang die vielfältigen Informationspflichten des Kreditgebers dar, wie zwingende Mindestangaben über die Höhe der Gesamtbelastung aus der Kreditaufnahme (effektiver Jahreszins), Zahlungsmodi und alle Kosten einschließlich zu tragender Vermittlungskosten und zu bestellende Sicherheiten sowie Formvorschriften fur den Geschäftsabschluss. Zielsetzung ist die Schaffung einer möglichst einheitlichen Basis für Kostenvergleiche mit anderen Angeboten.
2.3.2.4 Investitions- und Kommunalkredite Außer privaten Haushalten bieten Kreditinstitute selbstverständlich auch Unternehmen und Selbständigen sowie öffentlichen Stellen Möglichkeiten der langfristigen Fremdfinanzierung. Man bezeichnet solche Kredite im Allgemeinen als Investitionskredite bzw. Kommunaldarlehen. Investitionskredite werden häufig zweckgebunden zur Beschaffung von Gebäuden, Maschinen und Geräten, EDV-Ausstattungen, Geschäfts- und Praxiseinrichtungen, Fahrzeugen und Transporteinrichtungen sowie zur Vergrößerung von Vorratslagern an Unternehmen oder Selbständige, wie z.B. Ärzte, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer etc. gewährt. Diese Kredite sind bei vielfaltigen Varianten im Einzelfall ganz allgemein durch folgende Merkmale charakterisiert: (1)
Die Laufzeit liegt zumeist im Bereich von 8 bis 15 Jahren und wird häufig mit der voraussichtlichen Nutzungsdauer oder der steuerlichen Abschreibungsdauer der finanzierten Gegenstände synchronisiert. Die Tilgung erfolgt in aller Regel nach einem festen Plan als Raten- oder Annuitätentilgung (vgl. Abschnitt 2.1.4); mitunter findet man auch sog. „Festdarlehen", bei denen die Tilgung erst am Ende der Laufzeit in einem einzigen Betrag erfolgt. Da die Vereinbarung eines Disagios bei gewerblichen Kreditnehmern meist keine besonderen steuerlichen Vorteile bringt, werden Investitionskredite häufig zu pari ausgezahlt.
(2)
Die Zinssätze für Investitionskredite liegen u.U. in Abhängigkeit von der Bonität des Kreditnehmers in der Größenordnung der Zinsen für Hypothekarkredite. Dabei ist sowohl die Vereinbarung eines variablen Zinses als auch eine Zinsfestschreibung für mehrere Jahre oder auch die gesamte Darlehenslaufzeit möglich.
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2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
(3)
Als Sicherheiten dienen in erster Linie die finanzierten Gegenstände selbst, die entweder durch die Eintragung von Grundpfandrechten (bei Grundstücken und Gebäuden) oder durch Sicherungsübereignung (bei beweglichen Gegenständen) zu Gunsten des Geldgebers belastet werden. Hinzu treten je nach den Gegebenheiten des Einzelfalls Bürgschaften (z.B. von GmbHGesellschaftern), Patronatserklärungen (z.B. von Muttergesellschaften) oder die Abtretung von Ansprüchen aus einer Lebensversicherung oder künftigen Honorarforderungen (z.B. von Ärzten).
Investitionskredite werden in den allermeisten Fällen nach den Gegebenheiten des Einzelfalls ausgehandelt, stellen also eine Individualfinanzierung dar. Mittleren und kleinen Unternehmen und Selbständigen bieten viele Kreditinstitute allerdings auch standardisierte Programmkredite an. Außerdem wirken die Kreditinstitute bei der Abwicklung unterschiedlichster öffentlicher Kreditprogramme mit, die zur Förderung bestimmter Branchen, Regionen, Investitionsarten oder zu ähnlichen gesamtwirtschaftlichen Zwecken durchgeführt werden und in der Regel durch spezielle Zinsvergünstigungen gekennzeichnet sind. Derartige Kreditprogramme werden regelmäßig über bestimmte Kreditinstitute mit Sonderaufgaben, wie z.B. die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW; vgl. Abschnitt 1.2.5) abgewickelt; die Auszahlung der Kreditbeträge erfolgt üblicherweise jedoch unter Zwischenschaltung einer Universalbank, in der Regel der Hausbank des Kreditnehmers. Die Rolle der zwischengeschalteten Bank kann dabei im Detail unterschiedlich ausgestaltet sein: •
Bei durchgeleiteten Krediten tritt die Bank selbst als Kreditgeber auf und trägt auch das volle Kreditrisiko. Die ihr im Gegenzug aus dem Sonderprogramm bereitgestellten Mittel dienen lediglich der Refinanzierung. Rückzahlungsverpflichteter ist jedoch die Bank, und zwar unabhängig davon, ob der eigene Kreditnehmer seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommt oder nicht.
•
Bei den Treuhandkrediten übernimmt die Bank hingegen kein Kreditrisiko, dieses verbleibt bei dem ursprünglichen Kreditgeber. Im einzelnen kann die Bank dabei den Kredit entweder von vornherein im Namen des ursprünglichen Kreditgebers gewähren, also als reiner Vermittler auftreten (sog. Verwaltungskredite) oder aber im eigenen Namen vergeben, sich jedoch bei Zahlungsschwierigkeiten des Kreditnehmers ein Rückgriffsrecht auf den ursprünglichen Kreditgeber einräumen lassen (sog. durchlaufende Kredite).
Als Kommunaldarlehen schließlich bezeichnet man langfristige Kredite an Bund, Länder, Gemeinden und vergleichbare öffentliche Kreditnehmer. Typisch für diese Kredite ist, dass sie ausnahmslos ohne Bereitstellung von Kreditsicherheiten vergeben werden, während im Hinblick auf die sonstigen Ausgestaltungsmerkmale keine systematischen Unterschiede zu den Investitionskrediten an Unternehmen bestehen.
2.3 Mittel- und langfristige Kreditfinanzierung
2.3.3
durch
Finanzintermediäre
109
Kredite von Versicherungen
2.3.3.1 Allgemeine Grundbegriffe Versicherungen, und in ganz besonderem Maße Lebensversicherungsunternehmen, sind dadurch gekennzeichnet, dass sie über lange Jahre hinweg aus den abgeschlossenen Versicherungsverträgen höhere Einzahlungen erzielen, als sie an Auszahlungen für Versicherungsleistungen zu erbringen haben. Dementsprechend sind die Versicherungen bemüht, die entstehenden Einzahlungsüberschüsse mittel- bis langfristig anzulegen. Das gesamte Anlagevolumen von Versicherungen (vgl. den numerischen Anhang am Ende des Buches) ist auch gesamtwirtschaftlich von erheblicher Bedeutung. Bei der Anlage ihres Vermögens können die Versicherungsunternehmen allerdings nicht völlig frei entscheiden; sie sind vielmehr an bestimmte aufsichtsrechtliche Vorschriften gebunden, die im Folgenden in ihren wichtigsten Grundzügen skizziert werden sollen. Ausgangspunkt dieser Darstellungen bildet die durch Abb. 2.03 verdeutlichte horizontale Verknüpfung bestimmter „Vermögensblöcke" mit bestimmten Passiven.
Sicherungsvermögen
Deckungsrückstellungen
sonstiges gebundenes Vermögen
sonstige versicherungstechnische Passiva
fondsfreies Vermögen
Eigenkapital und sonstige nicht versicherungstechnische Passiva
Abb. 2.03: Vermögensblöcke bei Versicherungsunternehmen
Die Deckungsrückstellungen stellen bei den meisten Versicherungen den größten Passivposten dar. Sie sollen die Leistungsverpflichtungen, die auf die Versicherungsunternehmen aus den bereits abgeschlossenen Versicherungsverträgen in Zukunft zukommen werden, verdeutlichen. Sie ergeben sich rechnerisch als versicherungsmathematisch bestimmter Gegenwartswert aller zukünftigen Leistungsverpflichtungen aus abgeschlossenen Verträgen abzüglich des Gegenwartswertes der noch ausstehenden Prämienzahlungen der Versicherten. Aufgrund einschlägiger versicherungsaufsichtsrechtlicher Vorschriften haben die Versicherungen in Höhe ihrer jeweiligen Deckungsrückstellungen ein gesondert zu verwaltendes Treuhandvermögen zu unterhalten, das im Insolvenzverfahren zur ausschließlichen Befriedigung der Versicherten dient, das sogenannte Sicherungsvermögen. Neben den Deckungsrückstellungen weisen die Bilanzen von Versicherungsunternehmen auf der Passivseite weitere Rückstellungen, Verbindlichkeiten und Rechnungsabgrenzungsposten auf, die unmittelbar aus dem Versicherungsgeschäft resultieren. In Höhe dieser „sonstigen versicherungstechnischen Passiva" haben die Versicherungsunternehmen ebenfalls nach besonderen Anlagevorschrif-
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2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
ten entsprechende Vermögenswerte zu unterhalten, das „sonstige gebundene Vermögen". Sicherungsvermögen und sonstiges gebundenes Vermögen werden dabei für verschiedene Betrachtungen begrifflich zu dem „gebundenen Vermögen" insgesamt zusammengefasst. Die restlichen Aktiva, die bilanziell zwangsläufig der Summe aus Eigenkapital und nicht versicherungstechnischem Fremdkapital entsprechen, werden schließlich als „Freies Vermögen" der Versicherungen bezeichnet. Bezüglich der Anlage des Versicherungsvermögens lassen sich die Vorschriften des Versicherungsaufsichtsrechts in zwei Gruppen einteilen, nämlich zum einen in Vorschriften, die sich ganz allgemein auf die gesamte Vermögensanlage, also einschließlich des freien Vermögens, beziehen sowie zum zweiten in Spezialvorschriften für die Anlage des gebundenen Vermögens und insbesondere des Sicherungsvermögens. Allgemeine Anlagegrundsätze gemäß § 54 VAG Gemäß § 54 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) haben die Versicherungsunternehmen ihre Vermögenswerte unter Beachtung der Grundsätze der Sicherheit, der Rentabilität, der Liquidität sowie der Mischung und Streuung anzulegen. •
Das Prinzip der Sicherheit wird allgemein dahingehend interpretiert, dass nur solche Anlagen vorgenommen werden können, bei denen mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zumindest mit dem Rückfluss des eingesetzten Kapitals zu rechnen ist. Als Implikation wird daraus die Verpflichtung der Versicherung abgeleitet, vor der Anlage ihrer Mittel hinlängliche Bonitätsanalysen durchzuführen, soweit wie möglich zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen zu treffen (z.B. durch Beanspruchung von Kreditsicherheiten) sowie die Sicherheit der Vermögensanlagen ständig zu überwachen.
•
Der Grundsatz der Rentabilität bedeutet, dass die Versicherungen bei der Vermögensanlage auf laufende Erträge in angemessener Höhe zu achten haben. Bei der Ermittlung der laufenden Erträge sind dabei nicht nur jährliche Zahlungen wie Zinsen, Dividenden, Mieten etc. zu berücksichtigen, sondern auch Kursgewinne und -Verluste. Relevant ist dabei die nach Steuern erzielbare Rendite. Es leuchtet unmittelbar ein, dass der Grundsatz der Rentabilität leicht zu Konflikten mit dem Grundsatz der Sicherheit führen kann, da - wenn auch nicht ausnahmslos - tendenziell davon ausgegangen werden kann, dass sich Vermögensanlagen im Durchschnitt umso höher rentieren, je höher die mit ihnen verbundenen Risiken sind.
•
Der Grundsatz der Liquidität wird allgemein dahingehend interpretiert, dass das Versicherungsunternehmen bei der Gestaltung seiner Vermögensanlage die jederzeitige Zahlungsfähigkeit des Versicherungsunternehmens selbst zu beachten hat. Es ist also nicht für jeden einzelnen Vermögensge-
2.3 Mittel- und langfristige Kreditfinanzierung
durch
Finanzintermediäre
111
genstand eine hohe Liquidität als solche gefordert, es geht vielmehr um die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit des Unternehmens insgesamt. •
Der Grundsatz der Mischung und Streuung schließlich verlangt, volkstümlich gesprochen, nicht alles auf ein Pferd zu setzen, das Vermögen also auf eine Vielzahl von Anlageformen aufzuteilen, die jeweils unterschiedlichen, voneinander möglichst unabhängigen Risikoursachen unterliegen. Kriterien für eine entsprechende Diversifikation der Vermögensanlage können also verschiedene Sektoren sein (z.B. Anlagen im öffentlichen Bereich, im Bankensektor, im nichtfinanziellen Sektor, bei privaten Haushalten), verschiedene Branchen, unterschiedliche Regionen oder unterschiedliche Anlagetypen (z.B. Grundstücke, Beteiligungen, Fremdfinanzierungstitel etc.).
Die genannten vier Grundsätze weisen der Vermögensanlage von Versicherungen zwar eine grobe Richtung, belassen den Unternehmen im Detail jedoch noch einen sehr breiten Gestaltungsspielraum. Spezielle Anlagevorschriften für das gebundene Vermögen Der im Rahmen der allgemeinen Anlagegrundsätze noch verbleibende Handlungsspielraum wird im Hinblick auf das gebundene Vermögen weiter eingeschränkt. Dabei bedient sich der Gesetzgeber eines dreistufigen Vorschriftensystems. •
•
Auf der ersten Stufe werden durch § 54a Abs. 2 VAG und in der Anlageverordnung (AnlV) die für das gebundene Vermögen überhaupt nur zulässigen Anlageformen enumerativ und abschließend aufgeführt. Es sind dies in grob vereinfachter Darstellungsweise 1.
in der Regel besonders gesicherte Darlehen an die öffentliche Hand, Kreditinstitute, Unternehmen aus der Europäischen Union von hinlänglicher Bonität sowie eigene Versicherungsnehmer,
2.
festverzinsliche Wertpapiere von Emittenten aus der Europäischen Union, sofern dort zum amtlichen Handel zugelassen,
3.
Aktien sowie Anteile an Kapitalgesellschaften, Kommanditanteile sowie Beteiligungen als stiller Gesellschafter oder Inhaber von Genussrechten in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union,
4.
Grundbesitz sowie Anteile an Wertpapier- und Immobilienfonds.
Auf der zweiten Stufe legt der Gesetzgeber in der Anlageverordnung in Konkretisierung des allgemeinen Grundsatzes der Mischung und der Streuung sowohl für verschiedene Kategorien von Vermögensanlagen als auch einzelne Anlagen prozentuale Höchstgrenzen fest. So dürfen beispielsweise Grundstücksanlagen (Immobilien) insgesamt 25% und die Anlage in ei-
112
2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
nem einzelnen Grundstück 10% des gebundenen Vermögens nicht übersteigen. •
Auf der dritten Ebene schließlich werden bestimmte Mindestqualitätsanforderungen für ganz bestimmte Anlageformen definiert. Dabei hat es der Gesetzgeber aus Zweckmäßigkeits- und Flexibilitätsüberlegungen heraus den zuständigen Aufsichtsbehörden überlassen, derartige Grundsätze in Anpassung an die sich im Zeitablauf ändernden Gegebenheiten, etwa in speziellen „Rundschreiben", zu formulieren. Als Musterbeispiel für derartige Präzisierungen können die im ,.Leitfaden für die Vergabe von Unternehmerkrediten (Kreditleitfaden)" enthaltenen Vorschriften für die Vergabe von Darlehen an gewerbliche Unternehmen angesehen werden. Wir werden auf die wichtigsten dieser Vorschriften im nachfolgenden Abschnitt noch näher eingehen.
2.3.3.2 Schuldscheindarlehen an gewerbliche Unternehmen Eine Möglichkeit der Vermögensanlage für Versicherungsunternehmen besteht in der Vergabe von Darlehen an Unternehmen des nichtfinanziellen Sektors. Da derartige Darlehen ursprünglich ausnahmslos in Form eines Schuldscheines beurkundet wurden, werden sie auch heute noch generell als Schuldscheindarlehen bezeichnet, obwohl auf die Ausstellung eines Schuldscheines inzwischen oftmals verzichtet wird. Im Allgemeinen sind Schuldscheindarlehen durch folgende Merkmale gekennzeichnet, was individuelle Abweichungen im Einzelfall nicht ausschließt: (1)
Die Laufzeit liegt im Bereich von fünf bis zehn Jahren. Der Kreditbetrag übersteigt in aller Regel die Grenze von 500.000 Euro und kann durchaus über 100 Mio. Euro hinausgehen. Die Schuldscheindarlehen sind entweder als gesamtfällige Schulden ausgestaltet oder sind in gleichmäßigen Raten zu tilgen, wobei u.U. einige tilgungsfreie Jahre vereinbart werden. Die Vereinbarung eines Disagios ist ebensowenig üblich wie die Berechnung von Bearbeitungsgebühren oder ähnlichen Preiselementen.
(2)
Die Verzinsung orientiert sich an der Zinsentwicklung am Rentenmarkt und liegt regelmäßig um ca. 1/4 bis 1/2%-Punkt über der Rendite vergleichbarer Industrieobligationen, wobei dieser Zinssatz in aller Regel für die gesamte Darlehenslaufzeit festgeschrieben wird. Die Zinszahlungen sind zumeist halbjährlich oder jährlich nachschüssig fallig. Angesichts der genannten Zinsdifferenz im Vergleich zu der Anlage in festverzinslichen Wertpapieren liegt die Attraktivität der Vermögensanlage in Form von Schuldscheindarlehen für Versicherungsunternehmen auf der Hand. Andererseits kann diese Finanzierungsform aber auch für die Industrieunternehmen Vorteile bieten, da die bei der Emission von Industrieobli-
2.3 Mittel- und langfristige Kreditfinanzierung durch Finanzintermediäre
113
gationen entstehenden effektiven Finanzierungskosten angesichts der Aufwendungen für die Emission, die Börseneinführung etc. rund 1 bis 2 Prozentpunkte über der für den Anleger erreichbaren Rendite liegen. (Vgl. dazu Abschnitt 2.6). (3)
Soweit die Vergabe von Schuldscheindarlehen als Anlage des gebundenen Vermögens, insbesondere des Sicherungsvermögens erfolgt, sind die durch das Versicherungsaufsichtsgesetz und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vorgegebenen Sicherungskriterien zu beachten. Neben einer ausreichenden Bonität ist als Regelfall die Bestellung erstrangiger Grundpfandrechte vorgesehen. Dabei wird bei der Beleihung von gewerblichem Grundbesitz lediglich eine Quote von maximal 50% als erstrangig akzeptiert. Mit Zustimmung der BaFin kann die Bestellung entsprechender Grundpfandrechte auch durch eine Negativerklärung des Darlehensnehmers ersetzt werden. Eine solche Negativerklärung kann etwa - neben der Verpflichtung, bestimmte noch darzustellende Kennzahlenrelationen einzuhalten - die Zusage zum Inhalt haben, dass Grundstücke, die die Voraussetzungen für die Belastung durch Grundpfandrechte, die von der Versicherungsaufsicht akzeptiert werden, erfüllen, nicht später veräußert oder für andere Verbindlichkeiten belastet werden. Zur Beurteilung der Bonität eines Unternehmens sind - neben der Würdigung aller Gegebenheiten des Einzelfalls - insbesondere die Ausprägungen dreier von der Aufsicht festgelegter Kennzahlen von Bedeutung1): Die Gesamtkapitalrendite als Verhältnis von Betriebsergebnis und Zinsaufwand zu dem durchschnittlichen Gesamtkapital soll mindestens 6% betragen; -
die Entschuldungsdauer als Verhältnis von „bereinigtem Gläubigerkapital" zum Cash How darf 7 Jahre nicht überschreiten; der Finanzierungskoeffizient legt fest, dass das „bereinigte Gläubigerkapital" maximal das zweifache des „bereinigten Eigenkapitals" zuzüglich der Pensionsrückstellungen betragen darf.
Zusätzlich wird im Falle der Sicherheitenbestellung eine Eigenkapitalquote von 20% als Nebenbedingung gefordert. Bei Vorliegen einer Negativvereinbarung erhöht sich diese Quote auf 30%.
1
Die in den einzelnen Kennzahlen enthaltenen Ausdrücke werden nach bestimmten Vorgaben gesondert ermittelt.
114
2 Das Angebot von
Finanzierungsleistungen
Bezüglich der Modalitäten bei der Vergabe derartiger Schuldscheindarlehen sind insbesondere die folgenden drei Varianten zu beobachten: •
Die einfachste, aber dennoch am seltensten anzutreffende Form besteht darin, dass ein Versicherungsunternehmen ein entsprechendes Darlehen unmittelbar an ein Industrieunternehmen vergibt.
•
Angesichts der Probleme, geeignete Geldnehmer und -geber zusammenzuführen, ist es allerdings eher üblich, dass ein spezieller Finanzmakler oder auch ein Kreditinstitut bei der Vergabe geeigneter Darlehen als Vermittler auftritt und unter Umständen auch gewisse weitere Dienstleistungen übernimmt, z.B. bei der Beratung des kreditsuchenden Unternehmens, um die Voraussetzungen für die „Sicherungsvermögensfähigkeit" zu erreichen.
•
In den letzten Jahren hat sich allerdings zunehmend die Variante durchgesetzt, dass zunächst Kreditinstitute gegenüber den Unternehmen als Kreditgeber auftreten und die aus der Vergabe dieses Darlehens erworbenen Ansprüche erst in einem zweiten Schritt an ein (oder auch in Teilen an mehrere) Versicherungsunternehmen abtreten. Dabei besteht auch die Möglichkeit, die aus der Darlehensvergabe erworbenen Ansprüche zunächst nur für einen kürzeren Zeitraum als die Darlehenslaufzeit an ein Versicherungsunternehmen abzutreten. Nach Ablauf des ersten Abtretungszeitraums kann das Kreditinstitut dann entweder für den Restzeitraum selbst als definitiver Darlehensgeber auftreten oder sich um die erneute Abtretung an ein anderes oder auch dasselbe Versicherungsunternehmen bemühen. Eine auf diese Weise evtl. entstehende Kette mehrerer aufeinanderfolgender zeitlich begrenzter Abtretungen der Ansprüche aus einem Schuldscheindarlehen bezeichnet man auch als „Revolving-Geschäft".
2.3.3.3 Darlehen an private Haushalte Außer an Unternehmen können Lebensversicherer auch an ihre eigenen Versicherten, in der Regel private Haushalte, Darlehen vergeben. Dabei sind zwei Varianten zu unterscheiden: •
Beim Policendarlehen gewährt das Versicherungsunternehmen dem eigenen Kunden ein Darlehen bis zur Höhe des Rückkaufwertes der bestehenden Versicherungsverträge. Der Rückkaufwert einer Lebensversicherung entspricht - vereinfacht dargestellt - dem Betrag, auf den der Versicherte Anspruch hätte, wenn er den Versicherungsvertrag ohne Eintritt des Versicherungsfalles vorzeitig kündigen würde. Es ist dies der sogenannte „Sparanteil", der während der Dauer eines Lebensversicherungsvertrages laufend anwächst. Das Versicherungsunternehmen bedarf bei derartigen Darlehen keiner weiteren Sicherheit; zahlt nämlich der Darlehensnehmer die geschul-
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durch
Finanzintermediäre
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dete Summe nicht zurück, so entfällt im Gegenzug die Verpflichtung der Versicherung, den Sparanteil gegebenenfalls auszuzahlen. •
Bei dem Vorauszahlungsdarlehen wird ein Versicherungsvertrag demgegenüber ungeachtet des bereits erreichten Rückkaufwertes in Höhe der vollen Versicherungssumme beliehen. Bei dieser Form der Darlehensgewährung geht das Versicherungsunternehmen somit ein deutlich höheres Risiko ein, so dass bei dieser Darlehensform üblicherweise zusätzliche Sicherheiten verlangt werden.
Im Einzelnen sind Policen- und Vorauszahlungsdarlehen üblicherweise durch folgende Konditionen gekennzeichnet: (1)
Die Laufzeit dieser Darlehen gleicht zumeist der Restlaufzeit des zugrunde liegenden Versicherungsvertrages, kann jedoch auch kürzer sein. Das Volumen eines solchen Darlehens entspricht im Falle des Policendarlehens einem Betrag von 80 bis 100% des im Vergabezeitpunkt erreichten Rückkaufwertes bzw. beim Vorauszahlungsdarlehen üblicherweise der Versicherungssumme. Die Auszahlung erfolgt meist zu 100%, im Einzelfall ist jedoch auch die Vereinbarung eines Disagios möglich. Während der Darlehenslaufzeit ist eine Tilgung generell nicht vorgesehen, vielmehr besteht die Grundkonzeption dieser Form der Darlehensgewährung in der Vorstellung, dass das gewährte Darlehen bei Ablauf des Versicherungsvertrages aus der dann fällig werdenden Versicherungssumme als gesamtfällige Schuld getilgt wird. Üblicherweise wird allerdings das Recht eingeräumt, das Darlehen vorzeitig in Teilen oder auch vollständig zu tilgen. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass der Versicherungsfall eintritt, der Versicherte also verstirbt. In dieser Situation wird die dann in voller Höhe fällig werdende Versicherungssumme dazu verwendet, den aufgenommenen Kredit vollständig abzutragen.
(2)
Die Versicherungsunternehmen sind im Allgemeinen bemüht, bei der Vergabe von Policen- oder Vorauszahlungsdarlehen eine Rendite zu erzielen, die der Verzinsung sonstiger Anlagemöglichkeiten zumindest gleichkommt. Bedenkt man jedoch, dass der Zins für die Anlage z.B. in Pfandbriefen oder Industrieanleihen auf der einen Seite und der Zins für die Aufnahme von Darlehen durch Privatpersonen auf der anderen Seite durchaus um mehrere Prozentpunkte divergieren können, so wird sofort deutlich, dass es im Einzelfall durchaus möglich ist, einen Zinssatz zu finden, der für die Versicherungsunternehmen einerseits eine durchaus attraktive Rendite darstellt, für den privaten Darlehensnehmer jedoch zugleich eine im Vergleich zu anderen Finanzierungsmöglichkeiten billigere Form der Darlehensaufnahme beinhaltet.
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2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
(3)
Wie schon eingangs erwähnt, bedarf es bei der Vergabe eines auf den Rückkaufwert der zugrundeliegenden Versicherung beschränkten Policendarlehens keiner weiteren Kreditsicherheiten. Anders verhält es sich demgegenüber bei einem Vorauszahlungsdarlehen, da hier die Darlehenssumme im Allgemeinen deutlich über den Rückkaufwert des zugrunde liegenden Versicherungsvertrages hinausgeht. Die häufigste Anwendungsform des Vorauszahlungsdarlehens liegt dementsprechend auch in der Finanzierung des Baus oder Erwerbs von Wohnungseigentum, wobei Grundstücke und Gebäude durch die Eintragung entsprechender Grundpfandrechte als zusätzliche Sicherheit herangezogen werden. Dabei akzeptieren die Versicherungen im Allgemeinen analog zu den Banken eine Belastung bis zu 60% des Beleihungswertes.
Beispiel 2.13: Betrachten wir noch einmal die im Beispiel zu Abschnitt 2.3.2.2 vorgestellte Situation. Zum Erwerb einer Eigentumswohnung waren dort 250.000 Euro vorgesehen worden, 50.000 Euro aus Eigenmitteln, 70.000 Euro aus Bauspardarlehen und die restlichen 130.000 Euro waren durch einen Hypothekarkredit von einer Bank abzudecken. Alternativ zur Aufnahme des Hypothekarkredits könnte der Erwerber -
einen Lebensversicherungsvertrag über 130.000 Euro abschließen und
-
zugleich bei der Versicherungsgesellschaft ein bei Fälligkeit der Lebensversicherungssumme rückzahlbares Darlehen über 130.000 Euro aufnehmen. Unterstellt man, dass der Versicherte 30 Jahre alt ist, der Versicherungsvertrag auf 35 Jahre abgeschlossen wird und die jährliche Versicherungsprämie 2.847,- Euro beträgt und nimmt man weiterhin an, dass das gewährte Darlehen bei 100%-iger Auszahlung zu 8% zu verzinsen ist, so ergeben sich folgende Belastungen für den Darlehensnehmer: Zinsbelastung p.a. Versicherungsprämie p.a. Gesamtbelastung p.a.
10.400,- Euro 2.847,- Euro 13.247,-Euro
Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der im Erlebensfall nach 35 Jahren zu erwartende Rückzahlungsbetrag auf Grund der Überschussbeteiligung deutlich über die zur Darlehenstilgung benötigte Summe von 130.000 Euro hinausgehen würde. Es würde daher naheliegen, den Versicherungsvertrag gar nicht über 130.000 Euro, sondern etwa nur über 100.000 Euro abzuschließen, was zu folgender Gesamtbelastung führte: Zinsbelastung p.a. Versicherungsprämie p.a. Gesamtbelastung p.a.
10.400,- Euro 2.180,- Euro 12.580.- Euro
2.4 Leasing
117
Inwieweit solche Finanzierungsmodelle aus Sicht des Kunden überhaupt sinnstiftend sind, werden wir in Kapitel 7 diskutieren.
2.4
Leasing
2.4.1
Begriffliche und rechtliche Grundlagen
Die Bezeichnung „Leasing" wird für eine Vielzahl unterschiedlicher Vertragsformen verwendet, so dass es kaum möglich ist, den Begriff des Leasing umfassend zu definieren. Immerhin lassen sich einige Eigenschaften konstatieren, die die so bezeichneten Verträge üblicherweise aufweisen. So besteht ein Kennzeichen darin, dass sich der Eigentümer eines Gebrauchsgutes, der sog. Leasinggeber, verpflichtet, diesen Gegenstand dem sog. Leasingnehmer gegen Zahlung eines periodisch zu erbringenden Entgelts, der sog. Leasingraten, für eine begrenzte Zeitdauer zur Nutzung zu überlassen. Insoweit enthalten Leasingverträge als Kern mehr oder weniger deutliche Elemente eines traditionellen Mietvertrages. Dementsprechend ist im allgemeinen Sprachgebrauch auch keine klare Grenze mehr zwischen dem einfachen Mietvertrag und einem Leasingvertrag erkennbar. Üblicherweise sind Vereinbarungen, für die die Bezeichnung „Leasing" verwendet wird, jedoch weiterhin dadurch gekennzeichnet, dass sie über die Regelung der reinen Gebrauchsüberlassung hinaus in mehr oder weniger großem Umfang weitere Vertragselemente enthalten, die für traditionelle Mietverträge untypisch sind. Im Hinblick auf diese ergänzenden Vertragsklauseln existiert ein breites Kontinuum an grundsätzlichen Ausgestaltungsmöglichkeiten. Dabei stellen die allgemein als „Operate-Leasing" und als „Finanzierungsleasing" bezeichneten Vertragstypen zwei besonders profilierte Enden dieses Kontinuums dar, wobei in der realen Welt zahlreiche Zwischenformen existieren. Verträge des Operate-Leasing weisen insbesondere folgende Merkmale auf: •
Die Verträge werden für eine im Vergleich zu der üblichen Einsatzdauer des Objektes kurze Dauer abgeschlossen oder sind - bei Abschluss auf unbestimmte Dauer - von beiden Seiten kurzfristig kündbar. Der Leasinggeber kann mithin nicht davon ausgehen, dass ein einziger Leasingvertrag schon ausreicht, das Leasingobjekt zu „amortisieren", d.h. die Anschaffungs- oder Herstellungskosten, die Zinskosten und die anteiligen laufenden Verwaltungskosten des Leasinggebers abzudecken. Diese Amortisation des Leasinggegenstandes kann im Allgemeinen erst durch eine Kette mehrerer aufeinander folgender Leasingverträge erreicht werden.
•
Das Objektrisiko verbleibt wie bei herkömmlichen Mietverträgen beim Leasinggeber, der insbesondere die Gefahr des zufälligen Untergangs, des Diebstahls, der Überalterung, technischer Defekte etc. trägt.
118
•
2 Das Angebot von
Finanzierungsleistungen
Die beiden zuvor genannten Umstände gemeinsam veranlassen Leasinggeber häufig, dem Leasingnehmer die Gebrauchsüberlassung nur im Verbund mit einem Vertrag über laufende Service- und Wartungsleistungen anzubieten, die der Leasinggeber selbst oder ein von ihm beauftragtes Unternehmen erbringt.
Verträge des Finanzierungsleasing weisen demgegenüber üblicherweise folgende Merkmale auf: •
Die Verträge sind für eine längere Zeitspanne für beide Seiten unkündbar. In der Praxis liegt diese sog. Grundmietzeit zumeist in der Größenordnung von 60 bis 80% der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer, wie sie sich aus den AfA-Tabellen der Finanzverwaltung ergibt.
•
Dabei sind die Verträge typischerweise so ausgestaltet, dass die Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Objektes, die Zinskosten und die laufenden Verwaltungskosten des Leasinggebers insgesamt durch eine etwaige Anfangszahlung, die laufenden Leasingraten und etwaige Zahlungen bei Beendigung des Leasingvertrages voll abgedeckt werden. Ein einziger Leasingvertrag bringt dem Leasinggeber also üblicherweise die volle Amortisation des Objektes. Dies gilt unbeschadet der später noch zu erläuternden Unterscheidung zwischen sog. Voll- und Teilamortisationsverträgen.
•
Die Objektrisiken werden für die Dauer des Leasingvertrages durch entsprechende Vertragsklauseln weitgehend entweder unmittelbar oder zumindest in ihren monetären Konsequenzen auf den Leasingnehmer abgewälzt. Dieser wird etwa verpflichtet, auf eigene Kosten verschiedene Objektversicherungen abzuschließen oder eventuell auftretende Defekte selbst zu beheben.
•
Häufig bieten die Leasinggeber allerdings trotzdem ergänzende Serviceund Wartungsverträge an, ohne dass man dies jedoch als ein zwingendes Merkmal des Finanzierungsleasing ansehen kann.
Im Folgenden wollen wir nur noch das Finanzierungsleasing betrachten. Dabei ist es müßig, darüber zu reflektieren, ob das Finanzierungsleasing „dem Wesen der Sache nach" wirklich ein Finanzierungsinstrument darstellt, oder ob es eher als Investitionsmaßnahme oder gar als eine Aktivität sui generis anzusehen ist. Für das Finanzmanagement eines Unternehmens oder auch den Privatmann stellt das Finanzierungsleasing häufig eine Alternative zum unmittelbaren Kauf eines entsprechenden Objektes und seiner Finanzierung aus frei verfügbaren Mitteln oder durch die Aufnahme eines Kredits dar. Dabei unterscheiden sich Leasing- und Kaufalternativen zumindest für die Grundmietzeit praktisch nicht hinsichtlich der Nutzbarkeit des Objektes und der daraus resultierenden Erträge, sondern in erster Linie in den dafür aufzubringenden Zahlungsströmen, also den Leasingraten bzw. den Zins- und Tilgungsleistungen. Insofern erscheint es sinnvoll, das Finanzierungsleasing im Kontext mit Fremdfinanzierungsleistungen zu behandeln.
2.4 Leasing
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Beim Finanzierungsleasing haben sich im Laufe der Zeit zwei Vertragstypen herausgebildet, die als Voll- und Teilamortisationsverträge bezeichnet werden. Vollamortisationsverträge sind dadurch gekennzeichnet, dass die während der Grundmietzeit fest vereinbarten Leasingraten zu einer vollen Amortisation des Leasingobjektes führen, also sowohl dessen Anschaffungs- oder Herstellungskosten als auch die laufenden Zins- und Verwaltungskosten des Leasinggebers abdecken. Bei Teilamortisationsverträgen decken die während der Grundmietzeit anfallenden Leasingraten demgegenüber die genannten Kosten nicht voll ab. Eine vollständige Amortisation wird allerdings ebenfalls erreicht, und zwar durch zusätzliche Vereinbarungen über die weitere Verwendung des Leasingobjektes nach Ablauf der Grundmietzeit und etwaige Abschlusszahlungen des Leasingnehmers. Insofern ist die Bezeichnung 7ei7amortisationsverträge eigentlich nicht ganz zutreffend. Für die Beurteilung von Leasingangeboten ist - neben der Höhe der vorgesehenen Leasingraten - bedeutsam, welche Regelungen für die Zeit nach Ablauf der Grundmietzeit vorgesehen sind. Grundsätzlich sind in diesem Punkt beliebige Vereinbarungen denkbar. Die überwiegende Mehrzahl der in der Praxis tatsächlich anzutreffenden Vereinbarungen folgt allerdings einem der sechs durch die Leasingerlasse1) von 1971 und 1975 geprägten Modelle. Diese Erlasse beziehen sich auf die Frage, welche Vertragspartei bei Verträgen des Mobilienleasing für steuerliche Zwecke als wirtschaftlicher Eigentümer des Leasingobjektes anzusehen ist. Die Antwort auf diese Frage ist generell an Hand sämtlicher Gegebenheiten des konkreten Einzelfalls zu geben. Durch die Erlasse sind jedoch einige besonders prägnante Ausgestaltungsformen von Leasingverträgen präzisiert worden, bei deren Vorliegen das Leasingobjekt - wie bei der „normalen" Miete - steuerlich dem Leasinggeber zugerechnet wird. Die wesentliche Stoßrichtung der Erlasse besteht dabei darin, Kriterien dafür festzulegen, unter welchen Voraussetzungen der Leasinggeber „gerade noch hinlänglich" vom wirtschaftlichen Schicksal des Leasingobjektes betroffen ist, obwohl ein Großteil der mit dem Objekt verbundenen Chancen und Risiken - im Gegensatz zu einem traditionellen Mietverhältnis - vom Leasingnehmer getragen werden. Die Erlasse definieren dementsprechend am Beispiel von sechs verschiedenen, seinerzeit in der Praxis am häufigsten anzutreffenden Vertragstypen jeweils quantitativ fassbare Kriterien für eine „gerade noch hinlängliche Betroffenheit" des Leasinggebers.
1
Vgl. Schreiben des Bundesministers der Finanzen: Ertragsteuerliche Behandlung von LeasingVerträgen über bewegliche Wirtschaftsgüter vom 19.4.1971, IV B/2 - S. 2170 - 31/71; Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 22.12.1975: Steuerrechtliche Zurechnung des Leasing-Gegenstandes beim Leasinggeber, IV B/2 - S. 2170 - 161/75.
120
2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
Um gelegentlich auftretenden Missverständnissen vorzubeugen, sei darauf hingewiesen, dass die Leasingerlasse andere Vertragsgestaltungen in keiner Weise ausschließen. Die steuerliche Behandlung solcher „nicht erlasskonformen" Verträge ist dann auf der Grundlage allgemeiner steuerlicher Beurteilungskriterien und im Vergleich mit den in den Erlassen explizit präzisierten Vertragsformen nach den konkreten Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen. Angesichts der in diesen Fällen möglicherweise bestehenden Rechtsunsicherheit verwundert es allerdings nicht, dass die standardmäßig angebotenen Leasingverträge in den allermeisten Fällen „erlasskonform" ausgestaltet sind und somit keine Zweifel über die steuerliche Behandlung bestehen. Nichtsdestoweniger findet man in der Praxis neben der überwiegenden Mehrzahl (zumindest annähernd) erlasskonformer Verträge auch immer wieder Vertragsmodelle mit zum Teil deutlich abweichenden Vereinbarungen, die mitunter sogar ganz bewusst darauf abzielen, eine andere steuerliche Zurechnung zu erreichen, als das bei den standardmäßig angebotenen Leasingverträgen üblich ist. Den Vorgaben der Leasingerlasse entsprechend findet man bei Vollamortisationsverträgen für das Ende der Grundmietzeit die drei Varianten, dass -
das Objekt an den Leasinggeber zurückgegeben und von diesem beliebig verwendet werden kann,
-
der Leasingnehmer das Objekt zu einem zuvor festgelegten Preis kaufen kann, aber nicht muss (Kaufoption) oder
-
der Leasingnehmer das Objekt zu einer ebenfalls zuvor schon festgelegten (niedrigeren) Anschlussmiete weiter mieten kann, aber nicht muss (Mietverlängerungsoption).
Die „hinlängliche Betroffenheit" sieht der Erlassgeber dabei dann noch als gegeben an, wenn -
das Objekt am Ende der Grundmietzeit eine planmäßige Restlebensdauer hat, die mindestens 10% seiner betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer ausmacht und
-
bei den Verträgen mit Option der zuvor festgelegte Kaufpreis bzw. die Anschlussmiete eine solche Höhe aufweisen, dass die Entscheidung des Leasingnehmers, die Option auszuüben, nicht schon so gut wie sicher „vorprogrammiert" ist, sondern es eines „echten", von den konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls abhängigen Entscheidungskalküls bedarf.
Dementsprechend darf die Grundmietzeit erlasskonformer Leasingverträge generell nicht 90% der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer übersteigen; zudem werden in Abhänigkeit von Anschaffungskosten und Abschreibungsdauer des Objektes Untergrenzen für Kaufpreis bzw. Anschlussmiete definiert.
2.4 Leasing
121
Bei Teilamortisationsverträgen findet man demgegenüber die folgenden drei Varianten: •
Bei Verträgen mit Andienungsrecht hat der Leasinggeber das Wahlrecht, das Leasingobjekt nach eigenem Gutdünken zu verwenden oder es dem Leasingnehmer zu einem bereits bei Vertragsabschluss festgelegten Preis zu verkaufen.
•
Verträge mit Aufteilung des Mehrerlöses sehen demgegenüber zwingend die Veräußerung des Leasingobjektes (durch den Leasinggeber) vor. An einem gegenüber dem vertraglich fixierten kalkulatorischen Restwert möglicherweise eintretenden Mehrerlös wird der Leasingnehmer zu einem bestimmten Prozentsatz - i.d.R. 75% - beteiligt; ein etwaiger Mindererlös hingegen ist durch den Leasingnehmer zu 100% auszugleichen.
•
Sogenannte kündbare Leasingverträge schließlich werden auf unbestimmte Zeit geschlossen und können nach Ablauf der Grundmietzeit, allerdings nicht früher, vom Leasingnehmer jederzeit gekündigt werden. Dabei ist eine Abschlusszahlung in Höhe der durch die bis dahin erfolgten Leasingraten noch nicht gedeckten Gesamtkosten zu leisten. Allerdings sind 90% des von der Leasinggesellschaft möglicherweise erzielten Veräußerungserlöses auf die Restzahlung anzurechnen.
Durch eine entsprechende Festlegung von Andienungspreis, Restwert oder Abschlusszahlung wird somit auch bei Teilamortisationsverträgen letztendlich eine Vollamortisation erreicht. Dabei sieht der Erlassgeber eine „hinlängliche" Restbetroffenheit des Leasinggebers bei diesen drei Vertragstypen zum einen durch die schon von den Vollamortisationsverträgen bekannte Begrenzung der Grundmietzeit auf 90% der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer sowie durch folgende weitere Elemente als gegeben an: •
Bei Verträgen mit Mehrerlösaufteilung darf der Anteil des Leasinggebers am Mehrerlös 25% nicht unterschreiten.
•
Bei kündbaren Leasingverträgen dürfen maximal 90% des Veräußerungserlöses zu Gunsten des Leasingnehmers auf die von ihm zu leistende Abschlusszahlung angerechnet werden.
Die folgende Abbildung verdeutlicht noch einmal zusammenfassend die sechs grundlegenden Erscheinungsformen von (erlasskonformen) Leasingverträgen.
122
2 Das Angebot
von
Finanzierungsleistungen
Vertragsformen des Finanzierungsleasing
Vollamortisationsverträge
Teilamortisationsverträge
(GMZ< 0,9 BGN)
( G M Z < 0,9 BGN)
GMZ: Grundmietzeit;
BGN: Betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer;
LG: Leasinggeber;
LN: Leasingnehmer
Abb. 2.04: Grundlegende Vertragsformen des Finanzierungsleasing und Anforderungen der Leasingerlasse
Der Vollständigkeit halber ist zum Abschluss dieses einleitenden Abschnitts noch das Verfahren des Sale-and-Lease-Back zu erwähnen. Davon spricht man, wenn der Eigentümer eines zumeist langlebigen Investitionsgutes, z.B. eines Bürogebäudes, dieses an eine Leasinggesellschaft verkauft und gleichzeitig darüber einen Leasingvertrag (zumeist mit Kaufoption am Ende der Grundmietzeit) abschließt, so dass er den verkauften Gegenstand wie zuvor selbst betrieblich nutzen kann. Auf der Seite des Verkäufers und Leasingnehmers kann für ein solches Vorgehen neben dem hier besonders klar erkennbaren Finanzierungseffekt die Absicht maßgeblich sein, das Jahresergebnis durch den ertragswirksamen Ausweis der realisierten „stillen Reserven", d.h. der Differenz zwischen dem vereinbarten Kaufpreis und dem Restbuchwert, positiv zu beeinflussen.
2.4.2
Steuerliche und bilanzielle Behandlung von Leasingverträgen
Leasingobjekte verbleiben juristisch gesehen im ausschließlichen Eigentum des Leasinggebers; die Möglichkeiten ihrer Nutzung und auch die typischen Eigentümerrisiken werden hingegen für einen erheblichen Zeitraum auf den Leasingnehmer übertragen. Unter steuerlichen Gesichtspunkten stellt sich daher die Frage, wem die Leasinggegenstände zuzurechnen sind. Je nach der Antwort auf diese Frage ergeben sich folgende Konsequenzen:
2.4 Leasing
123
Zurechnung zum Leasinggeber Wird der Leasinggegenstand steuerlich dem Leasinggeber zugerechnet, so hat das für ihn folgende Konsequenzen: •
Der Gegenstand zählt zu seinem Vermögen und erhöht damit die Bemessungsgrundlage von Substanzsteuern.
•
Der Leasinggeber schreibt den Gegenstand ab, was die Bemessungsgrundlage von Ertragsteuern mindert.
•
Die vereinnahmten Leasingraten gelten dementsprechend in voller Höhe als Ertrag und erhöhen die Bemessungsgrundlagen der Ertragsteuern.
Beim Leasingnehmer hat eine steuerliche Zurechnung des Leasinggegenstandes zum Leasinggeber folgende Konsequenzen: •
Die Bemessungsgrundlage von Substanzsteuern bleibt unberührt, da der Leasinggegenstand steuerlich ja dem Leasinggeber gehört.
•
Die verausgabten Leasingraten mindern hingegen als Aufwand die Bemessungsgrundlagen von Ertragsteuern. Diese Konsequenz ergibt sich zumindest für Unternehmen und Selbständige, während private Haushalte Leasingraten in aller Regel steuerlich nicht als Aufwand geltend machen können.
Es ist jedoch zu beachten, dass seit 1997 die Vermögenssteuer abgeschafft ist und die Gewerbekapitalsteuer nicht mehr erhoben wird, so dass z.Zt. faktisch - sieht man von der Grundsteuer ab - keine Substanzsteuern zu berücksichtigen sind. Dennoch wird die Argumentation im Folgenden - auch wegen der Unwägbarkeit steuerlicher Änderungen - auch ein Augenmerk auf die substanzsteuerlichen Auswirkungen von Leasingverträgen richten. Zurechnung zum Leasingnehmer In diesem Fall wird der Leasingvertrag steuerlich ähnlich wie ein Abzahlungskauf behandelt. Dementsprechend werden die Leasingraten fiktiv jeweils in einen Tilgungs- und einen Kostenanteil aufgeteilt. Beim Leasinggeber wird dann nur der Kostenanteil erfolgswirksam mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Bemessungsgrundlage der Ertragsteuern erfasst. Der gewerbliche Leasingnehmer hingegen verrechnet diesen Zinsanteil sowie die auf das Objekt vorzunehmenden Abschreibungen als Aufwand, wodurch sich seine Bemessungsgrundlage der Ertragsteuern mindert. Auf der anderen Seite wird der Leasinggegenstand als positiver Bestandteil und die TilgungsVerpflichtung gegenüber dem Leasinggeber als negativer Bestandteil seinem Vermögen zugerechnet. Verwerfungen zwischen dem Wert des Leasinggegenstandes und der Höhe der Tilgungsverpflichtung
124
2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
schlagen sich dann in der Bemessungsgrundlage der - zur Zeit in Deutschland nicht erhobenen - Substanzsteuern nieder. Bei der Beantwortung der Frage, welche der beiden Zurechnungsmöglichkeiten maßgeblich ist, ist generell an Hand sämtlicher Gegebenheiten des konkreten Einzelfalles festzustellen, welche Vertragspartei im steuerlichen Sinne als wirtschaftlicher Eigentümer anzusehen ist. Im Hinblick auf die in der Praxis am weitesten verbreiteten Vertragsformen des Mobilien-Leasing hat der Bundesminister für Finanzen dazu in den Jahren 1971 und 1975 in den oben bereits angesprochenen Erlassen Stellung genommen. Demnach ist der Leasinggegenstand auf jeden Fall immer dann dem Leasinggeber zuzurechnen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: (1)
Die Grundmietzeit muss mindestens 40%, darf jedoch nicht mehr als 90% der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer des Leasingobjektes betragen.
(2)
Bei Vollamortisationsverträgen müssen zusätzlich folgende Bedingungen erfüllt sein:
(3)
•
Bei Verträgen mit Kaufoption darf der Kaufpreis nicht niedriger sein als der auf der Basis linearer Abschreibung ermittelte Restbuchwert des Leasinggegenstandes am Ende der Grundmietzeit.
•
Bei Verträgen mit Mietverlängerungsoption hingegen muss die Anschlussmiete so bemessen sein, dass die entsprechenden Leasingraten die linearen Abschreibungen auf den am Ende der Grundmietzeit verbliebenen Restbuchwert mindestens abdecken.
•
Bei Verträgen ohne Optionsrecht erfolgt die Zurechnung auf jeden Fall zum Leasinggeber, sofern nur die Bedingung (1) erfüllt ist.
Bei Teilamortisationsverträgen sind demgegenüber folgende Vorgaben zu beachten: •
Bei Verträgen mit Andienungsrecht des Leasinggebers erfolgt die Zurechnung auf jeden Fall zum Leasinggeber.
•
Bei unbefristeten Verträgen mit Kündigungsrecht des Leasingnehmers erfolgt die Zurechnung zum Leasinggeber, wenn die Abschlusszahlung die bis zum Kündigungszeitpunkt noch nicht gedeckten Gesamtkosten des Leasinggebers abdeckt, wobei allerdings 90% des aus der Veräußerung des Leasinggegenstandes erzielten Erlöses auf die Abschlusszahlung angerechnet werden.
2.4 Leasing
•
125
Bei Verträgen, die nach Ablauf der Grundmietzeit die Veräußerung des Leasingobjektes und die Aufteilung des Erlöses vorsehen, erfolgt die Zurechnung zum Leasinggeber, wenn folgende Vereinbarung getroffen wurde: Ist der Veräußerungserlös niedriger als die bis zum Ende der Grundmietzeit noch nicht gedeckten Gesamtkosten des Leasinggebers (Restamortisation), so muss der Leasingnehmer den Fehlbetrag ausgleichen. Übersteigt der Veräußerungserlös hingegen die Restamortisation, so erhält der Leasinggeber mindestens 25% des Mehrerlöses, während der Rest an den Leasingnehmer auszuzahlen ist.
Um Missverständnissen vorzubeugen, sei darauf hingewiesen, dass die dargestellten Regelungen der beiden Leasingerlasse die Möglichkeit, Leasingverträge praktisch beliebig auszugestalten, überhaupt nicht einschränken. Es ist also keineswegs verboten, etwa die Grundmietzeit auf 30% oder 100% der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer festzulegen oder bei Teilamortisationsverträgen mit Mehrerlösbeteiligung den Anteil des Leasinggebers auf weniger als 25% festzulegen. Die Erlasse verdeutlichen lediglich an Hand der in der Praxis am häufigsten anzutreffenden Vertragstypen, unter welchen Voraussetzungen der Leasinggegenstand steuerlich dem Leasinggeber zuzurechnen ist. Dabei ist auch nicht ausgeschlossen, dass die Finanzverwaltung auch bei anderen, in den Erlassen gar nicht angesprochenen Vertragskonstruktionen das Leasingobjekt ebenfalls dem Leasinggeber zurechnen würde. Im Interesse der eigenen steuerrechtlichen Sicherheit orientieren sich die Anbieter von Leasingleistungen allerdings in aller Regel an den Vorgaben der Erlasse und gestalten ihre Verträge standardmäßig „erlasskonform" aus. Mithin kann in der Praxis zumeist davon ausgegangen werden, dass die steuerliche Zurechnung des Leasingobjektes zum Leasinggeber erfolgt, der Leasingnehmer mithin die Leasingraten in voller Höhe steuermindernd absetzen kann. Von der steuerlichen Zurechnung grundsätzlich zu trennen ist die Frage, wie die Unternehmen Objekte, die Gegenstand von Leasingverträgen sind, und die mit diesen Verträgen verknüpften Zahlungen im handelsrechtlichen Jahresabschluss zu erfassen haben. Die im Schrifttum dazu vertretenen Ansichten sind keineswegs einheitlich. In der praktischen Handhabung allerdings orientiert man sich, soweit erkennbar, ganz überwiegend an der steuerlichen Behandlung. Mithin werden die Leasingobjekte in aller Regel beim Leasinggeber aktiviert und bei ihm abgeschrieben, während die Leasingraten voll ertragswirksam erfasst werden. Die Bilanz des Leasingsnehmers bleibt hingegen unberührt, während die Leasingraten in seiner Gewinn- und Verlustrechnung als Aufwand erfasst werden.
2 Das Angebot von
126
2.4.3
Finanzierungsleistungen
Kriterien zur Beurteilung von Leasingangeboten
2.4.3.1 Problemstellung Leasing stellt häufig eine unter mehreren Finanzierungsalternativen dar. Es stellt sich daher die Frage, an Hand welcher Kriterien ein entsprechender Vergleich sinnvollerweise vorgenommen werden sollte. Diese Frage stellt sich umso mehr, als in der Leasingwerbung aber auch in anderen Darstellungen oftmals zahlreiche tatsächliche oder auch nur vermeintliche Vorteile des Leasing gegenüber anderen Finanzierungsmöglichkeiten sehr plakativ und suggestiv herausgestellt werden und der Adressat dieser Aussagen oftmals gar nicht in der Lage ist, die vorgetragenen Argumente sachgerecht zu würdigen. Um beispielhaft zu verdeutlichen, wie man bei einer hier erforderlichen Vorteilhaftigkeitsanalyse grundsätzlich vorgehen könnte, wollen wir uns auf folgenden Vergleich beschränken: Ein fest vorgegebener Investitionsgegenstand kann entweder im Wege des Leasing beschafft oder käuflich erworben und durch Beanspruchung vorhandener Kreditlinien sowie Aufnahme weiterer Darlehen finanziert werden, wobei das gekaufte Objekt im Wege der Sicherungsübereignung oder der grundpfandrechtlichen Belastung als Kreditsicherheit fungiert. Bei dem damit angesprochenen Vergleich „Leasing versus Kreditkauf' ist es zweckmäßig, in zwei Schritten vorzugehen und in einem ersten Schritt diejenigen Konsequenzen der beiden Finanzierungsalternativen gegenüberzustellen, die sich eindeutig in monetären Größen quantifizieren lassen (s. Abschnitt 2.4.3.2), und -
in einem zweiten Schritt sonstige Effekte zu vergleichen, die sich nicht unmittelbar quantifizieren lassen, nichtsdestoweniger aber entscheidungsrelevant sein können (s. Abschnitt 2.4.3.3).
2.4
Leasing
127
2.4.3.2 Quantitative Analyse Zur beispielhaften Verdeutlichung betrachten wir die Anschaffung einer maschinellen Anlage mit einem Anschaffungspreis von 2 Mio. Euro.1) Für die Maschine soll eine Nutzungsdauer von 5 Jahren und eine lineare Abschreibung über diese Nutzungsdauer unterstellt werden. Zu dieser Maschine mögen folgende - einem realen Fall nachgebildete, aber vereinfacht dargestellte - Finanzierungsangebote einer Bank und einer Leasinggesellschaft vorliegen: •
Kredit über 2 Mio. Euro, Laufzeit 4 Jahre, zu verzinsen und zu tilgen in 3 gleichbleibenden nachschüssigen Jahresraten von 600.000 Euro und einer Abschlusszahlung am Ende des 4. Jahres von 617.311 Euro, was einer Verzinsung von 8% auf die jeweilige Restschuld zu Jahresbeginn entspricht.
•
Leasing mit einer Grundmietzeit von 3 Jahren; die jährlich nachschüssig fallige Leasingrate beträgt 564.000 Euro; am Ende der Grundmietzeit, also am Ende des dritten Jahres, wird die Maschine auf Grund des vorgesehenen Andienungsrechtes für 800.000 Euro an den Leasingnehmer veräußert.
Der Einfachheit halber wird unterstellt, dass die mit dem Betrieb der Maschine verbundenen Aufwendungen für Versicherungen, Kostensteuern, Pflege etc. in beiden Fällen genau übereinstimmen und die Anlage am Ende des vierten Jahres verkauft wird, wobei der Resterlös unabhängig von der zuvor gewählten Finanzierungsform ist. Die quantitative Analyse kann sich in diesem Fall auf den Vergleich der unmittelbar aus den Verträgen resultierenden Zahlungsströme sowie der daraus folgenden steuerlichen Effekte beschränken. Ohne die Berücksichtigung steuerlicher Aspekte lassen sich die beiden Alternativen aus Sicht des Leasingnehmers zunächst durch folgende Zahlungsreihen verdeutlichen:
1
Beiden Finanzierungsvarianten ist der gleiche Wert für die Anschaffungskosten zugrunde gelegt worden. Ist dies nicht der Fall (weil z.B. bei Kauf ein zusätzlicher Rabatt ausgehandelt werden kann oder, umgekehrt, die Leasinggesellschaft günstigere Einkaufsbedingungen durchsetzen kann), so schlägt sich das in entsprechend modifizierten Zahlungsreihen nieder.
128
Zahlungsreihen Startzeitpunkt
2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
Kreditkauf
Leasing
-1)
1. Jahr
- 600.000 Euro
- 564.000 Euro
2. Jahr
- 600.000 Euro
- 564.000 Euro
3. Jahr
- 600.000 Euro
4. Jahr
2
- 1.364.000 Euro3) -2)
-617.311 Euro )
1) Die Zahlung des Kaufpreises von 2 Mio. Euro wird durch die Aufnahme des Kredits gerade ausgeglichen. 2) Der Erlös aus dem Verkauf der Anlage am Ende des vierten Jahres fällt bei beiden Varianten in gleicher Höhe an und kann daher unberücksichtigt bleiben. 3) Neben der Leasingrate ist der Restkaufpreis von 800.000 Euro fallig. Tab. 2.05: Zahlungsreihe von Leasing und Kreditkauf ohne Steuern
Da Leasing einerseits und Kreditkauf andererseits in aller Regel mit unterschiedlichen steuerlichen Konsequenzen verbunden ist, stellen die in der Tabelle dargestellten Zahlungsreihen vor Steuern allein allerdings noch keine sinnvolle Beurteilungsbasis dar. Vielmehr sind zusätzlich die steuerlichen Auswirkungen der beiden Finanzierungsvarianten in die Betrachtung mit einzubeziehen. Dazu gehen wir von folgenden vereinfachenden Annahmen über die steuerlichen Gegebenheiten aus: Es werden zwei Arten von Ertragsteuern berücksichtigt. Als Bemessungsgrundlage der Ertragsteuer I wird der Saldo aller Aufwendungen und Erträge des abgelaufenen Geschäftsjahres und als Steuersatz werden 15% unterstellt. Als Bemessungsgrundlage der Ertragsteuer II wird ebenfalls der Saldo aller Aufwendungen und Erträge unterstellt. Allerdings sollen Zinsaufwendungen in die Berechnung dieser Bemessungsgrundlage nur zu 75% und Leasingraten zu 95% eingehen. Für Ertragsteuer II wird ebenfalls ein Steuersatz von 15% unterstellt. Ertragsteuerzahlungen der jeweils anderen Kategorie bleiben in den Bemessungsgrundlagen beider Steuern unberücksichtigt. Die Zahlung beider Steuern wird am Ende eines Geschäftsjahres fällig. Die Ertragsteuer I könnte damit in etwa als die in der Realität anzutreffende Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer interpretiert werden und Ertragsteuer Π in etwa als Gewerbeertragsteuer. Mit den hier unterstellten ertragsteuerlichen Annahmen wird von einer Vielzahl real existierender Detailregelungen abstrahiert. Z.B. wird abstrahiert von Freibetragsregelungen, Unterschieden zwischen Thesaurierungsund Ausschüttungsbelastung, Unterschieden zwischen gewerblichen und sonstigen Einkünften, regionalen Unterschieden in der Höhe des Steuersatzes, Steuervorauszahlungen und Abschlusszahlungen etc. Da diese Detailregelungen je nach konkretem Einzelfall oft nur in unterschiedlichem Maße relevant sind und zudem einem stetigen Wandel unterliegen, erscheint es allerdings zur Vermittlung des grundsätzlichen Rechenkonzeptes sinnvoll, von ihnen zu abstrahieren.
2.4 Leasing
129
Aus den Vorgaben ergeben sich für die beiden Finanzierungsalternativen dann die in den folgenden Tabellen dargestellten steuerlichen Konsequenzen. Mit einem - (+) versehene Zahlen bezeichnen dabei steuerliche Mehrbelastungen (Einsparungen). In der Darstellung bleiben steuerliche Wirkungen von Abschreibungen i m vierten Jahr und des Resterlöses unberücksichtigt, da diese bei Leasing und Kaufvariante in gleicher Höhe anfallen.
Kreditkauf 2. Jahr
3. Jahr
4. Jahr
Restschuld Zinsen Abschreibung'^
2.000.000 160.000 400.000
1.560.000 124.800 400.000
1.084.800 86.784 400.000
571.584 45.727
Ertragsteuer I - Minderung der Bemessungsgrundlage2' - Steuereinsparung
- 560.000 + 84.000
- 524.800 + 78.720
- 486.784 + 73.018
- 45.727 + 6.859
Ertragsteuer Π - Minderung der Bemessungsgrundlage3' - Steuereinsparung
- 520.000 + 78.000
- 493.600 + 74.040
- 465.088 + 69.763
- 34.295 + 5.144
+ 162.000 + 152.760 Leasing
+ 142.781
+ 12.003
1. Jahr
Summe der Steuereinsparung Leasingrate
564.000
564.000
564.000
Ertragsteuer I - Minderung der Bemessungsgrundlage - Steuereinsparung
- 564.000 + 84.600
- 564.000 + 84.600
- 564.000 + 84.600
Ertragsteuer Π - Minderung der Bemessungsgrundlage4' - Steuereinsparung
- 535.800 + 80.370
- 535.800 + 80.370
- 535.800 + 80.370
Summe der Steuereinsparung
+ 164.970
+ 164.970
+ 164.970
-
-
-
-
1) Die Abschreibung im vierten Jahr bleibt unberücksichtigt, da dann nach der Konstruktion des Beispiels bei der Leasingvariante eine Abschreibung in gleicher Höhe anfallt. 2) Die Bemessungsgrundlage vermindert sich um die Summe aus Zinsen und Abschreibungen. 3) Die Bemessungsgrundlage vermindert sich um die Summe aus 75% der Zinsen und den vollen Abschreibungen. 4) Die Bemessungsgrundlage vermindert sich um 95% der Leasingraten. Tab. 2.06: Steuerliche Konsequenzen von Kreditkauf und Leasing
Fasst man die unmittelbaren Zahlungseffekte und die Steuereffekte beider Finanzierungsvarianten jeweils zusammen, so ergeben sich die in folgender Tabelle dargestellten Zahlungsreihen nach Steuern.
130
2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
Kreditkauf 1. Jahr
2. Jahr
3. Jahr
4. Jahr
Zahlung vor Steuern
-600.000
- 600.000
-600.000
-617.311
Steuereinsparung
+ 162.000
+ 152.760
+ 142.781
+ 12.003
Zahlung nach Steuern
- 438.000
-447.240
- 457.219
- 605.308
4. Jahr
Leasing 1. Jahr
2. Jahr
3. Jahr
Zahlung vor Steuern
- 564.000
- 564.000
- 1.364.000
Steuereinsparung
+ 164.970
+ 164.970
+
Zahlung nach Steuern
-399.030
- 399.030
-1.199.030
-
164.970 -
Tab. 2.07: Zahlungsreihe von Leasing und Kreditkauf mit Steuern
Per Saldo ist die Leasingvariante also im ersten, zweiten und vierten Jahr mit niedrigeren Auszahlungen verbunden, bringt allerdings zum Ende der Grundmietzeit im dritten Jahr eine erheblich höhere Zahlungsbelastung. Eine eindeutige Aussage über die Vorteilhaftigkeit der einen oder der anderen Variante, ist wie ganz allgemein, so auch in diesem Fall also wiederum erst auf der Basis weiterer finanzmathematischer Operationen möglich. Im praktischen Anwendungsfall empfiehlt es sich dabei allerdings, zusätzlich die aus den unterjährlichen Zahlungen resultierenden Zinseffekte und die damit weiterhin verbundenen steuerlichen Auswirkungen zu erfassen. In unserem Beispiel zeigt eine nähere finanzmathematische Analyse, dass bei den vorliegenden Daten die Kreditkaufvariante sowohl für einen Privatmann, der keinerlei steuerliche Effekte zu beachten hat, als auch für ein Unternehmen, das die dargestellten Steuerwirkungen zusätzlich ins Kalkül ziehen muss, die günstigere Alternative darstellt. Dieses Ergebnis kann natürlich nicht verallgemeinert werden. Immerhin reicht dieses Beispiel jedoch aus, um die in der Leasingwerbung gelegentlich suggerierte Vorstellung zu widerlegen, bei Einbeziehung aller steuerlichen Effekte sei das Leasing quasi zwangsläufig die günstigere Finanzierungsform.
Übungsaufgabe 2.16: Die ALPHA-GmbH will eine Maschine beschaffen, die Anschaffungskosten betragen 100.000 Euro; die Abschreibungsdauer (bei linearer Abschreibung) beträgt 5 Jahre. Der ALPHAGmbH liegen die beiden folgenden Finanzierungsangebote vor: •
Kredit über 100.000 Euro; Laufzeit 4 Jahre; Tilgung in 4 gleichen Raten jeweils zum Jahresende; Zinsen 10% pro Jahr auf die zu Jahresbeginn vorhandene Restschuld, zahlbar am Jahresende.
•
Leasing für 4 Jahre; jährlich am Jahresende fallige Leasingrate 30.000 Euro.
2.4 Leasing
131
Stellen Sie die zahlungsmäßigen Konsequenzen für die ALPHA-GmbH tabellarisch dar, die mit diesen beiden Finanzierungsvarianten verbunden sind, sowohl mit als auch ohne Berücksichtigung von Steuern. Gehen Sie von den im Text angegebenen Steuersätzen und Prämissen aus und unterstellen Sie dabei, dass die Maschine im Falle des Kaufes zum Ende des 4. Jahres für genau 10.000 Euro verkauft werden kann!
2.4.3.3 Qualitative Analyse Auf Grund der Verschiedenartigkeit der rechtlichen Rahmendaten, die für Leasing und Kreditkauf maßgeblich sind, sowie der Geschäftspolitik von Leasingunternehmen und Kreditinstituten bedarf ein fundierter Vergleich der beiden Finanzierungsinstrumente über die Betrachtung der unmittelbar quantifizierbaren monetären Konsequenzen hinaus der Analyse weiterer, sog. qualitativer Aspekte. Es ist im Rahmen dieses Buches unmöglich, die Vielzahl möglicherweise auftretender Effekte dieser Art umfassend zu behandeln. Wir wollen uns daher auf die folgenden vier Aspekte beschränken, denen in den meisten praktischen Anwendungsfällen das größte Gewicht zukommen dürfte. (1)
Restnutzung bei unterschiedlicher Nutzungsdauer Das Beispiel im vorigen Abschnitt war so konstruiert, dass das Investitionsobjekt bei beiden Finanzierungsvarianten gleich lange betrieblich genutzt und schließlich von dem Unternehmen veräußert wird. In der Realität muss dies allerdings keineswegs der Fall sein. Je nach der Ausgestaltung des Leasingvertrages kann vielmehr auch die Situation auftreten, dass das Objekt dem Unternehmen nach Ablauf der Grundmietzeit definitiv nicht mehr zur Verfügung steht, während es im Falle des Kreditkaufs selbstverständlich weiter genutzt werden kann. In diesem Fall muss der Nutzen, den das Unternehmen noch aus dem Objekt ziehen könnte, zusätzlich zu Lasten der Leasingvariante in das Kalkül einbezogen werden. Die einfachste Möglichkeit dazu ist dann gegeben, wenn angenommen werden kann, dass das Unternehmen das Objekt auch im Fall des Kaufs im gleichen Zeitpunkt wie beim Leasing verkaufen würde. In einem quantitativen Vergleich der im vorigen Abschnitt beschriebenen Art wäre der geschätzte Veräußerungserlös dann der Kaufvariante zusätzlich „gutzuschreiben". Ist hingegen anzunehmen, dass das Objekt im Fall des Kaufs - im Gegensatz zum Leasing - noch für eine gewisse Zeit genutzt würde, so müsste versucht werden, die daraus resultierenden Nettovorteile abzuschätzen und zu Gunsten der Kaufvariante zu berücksichtigen. Wäre hingegen davon auszugehen, dass der Leasinggegenstand bei Vertragsende sofort im Wege des Leasing oder des Kaufs durch einen neuen ersetzt würde, so müssten die
132
2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
daraus resultierenden Finanzierungskosten ebenso wie im Vergleich zu dem alten Objekt eventuell eintretende Einsparungen sonstiger Kosten oder Mehrerträge abgeschätzt und zu Lasten bzw. zu Gunsten der Leasingvariante erfasst werden. Es bedarf keiner Erläuterung, dass es sich dabei um Schätzund Prognoseprobleme handelt, für die in der praktischen Anwendung oftmals kaum eine eindeutige Lösung gefunden werden kann. Dies rechtfertigt es jedoch keineswegs, derartige Aspekte einfach zu vernachlässigen, wie das in einschlägigen Darstellungen aus der Leasingbranche nicht selten geschieht. Gelegentlich wird sogar versucht, aus der Not eine Tugend zu machen und behauptet, Leasing erleichtere die Erneuerung des Anlagenparks und die Anpassung an den technischen Fortschritt. Wenn die Finanzierungsform überhaupt einen Einfluss auf die genannten Phänomene hat, dürfte eher das Gegenteil richtig sein. Denn, wie wir unten noch näher sehen werden, erlaubt der kreditfinanzierte Kauf in aller Regel jederzeit - und nicht nur gerade bei Ende der Grundmietzeit - flexiblere Möglichkeiten zur Anpassung an sich ändernde Gegebenheiten. Und selbst wenn die im Vergleich zur betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer kürzere Grundmietzeit gerade die im Hinblick auf die Anpassung an den technischen Fortschritt optimale Nutzungsdauer wäre, so ist der Investor ja in keiner Weise daran gehindert, dies auch im Wege des Kreditkaufs entsprechend zu handhaben.1) Und auch die in diesem Zusammenhang suggerierte Vorstellung, die Leasinggesellschaften wüssten eigentlich besser als die investierenden Unternehmen, in welchem Rhythmus Anlagen erneuert werden sollten, überzeugt nicht. (2)
Unterschiede in der Finanzierungswirkung Im Einzelfall ist es möglich, dass die Leasinggesellschaft bereit ist, das Objekt zu 100% zu finanzieren, während ein Kreditinstitut nur bereit ist, auf das Objekt einen geringeren Kredit zu gewähren. Um den Kauf dennoch durchzuführen, muss der Investor mithin den Fehlbetrag entweder aus frei verfügbaren Mitteln und ungenutzten Kreditlinien aufbringen oder gegen Stellung weiterer Sicherheiten einen zusätzlichen Kredit aufnehmen. In allen Fällen wird der dem Investor noch verbleibende Finanzierungsspielraum bei der Entscheidung für das Leasing also weniger stark eingeschränkt als
1 Dies schließt nicht aus, dass das Unternehmen selbst u.U. nur einen niedrigeren Erlös für das gebrauchte Investitionsobjekt erzielen kann als die Leasinggesellschaft. Ein solcher Verwertungsvorsprung der Leasinggesellschaft ist für den Leasingnehmer jedoch nur dann von Bedeutung, wenn er davon in irgendeiner Weise profitiert. Je nach Vertragsgestaltung kann das etwa in Form entsprechend niedriger Leasingraten oder durch Teilhabe am Liquidationserlös der Fall sein. Genau diese Komponenten sind jedoch Gegenstand der quantitativen Analyse, so dass es insoweit nicht nur überflüssig, sondern sogar falsch wäre, diesen Aspekt zusätzlich noch einmal als „qualitatives" Argument zu werten.
2.4 Leasing
133
beim Kauf. Wenn damit zu rechnen ist, dass der Finanzierungsspielraum des Investors in den kommenden Jahren effektiv an seine Grenzen stößt oder bei der Entscheidung für den Kauf zumindest auf teurere Finanzierungsformen übergegangen werden muss, so kann die größere Finanzierungswirkung des Leasing somit zweifellos einen in Rechnung zu stellenden Vorteil darstellen.!) Entgegen einem in der Leasingwerbung verbreiteten Slogan ist es allerdings keineswegs zwingend, dass nur Leasing eine 100%-ige Objektfinanzierung erlaubt. Diese Aussage ist in zweifacher Hinsicht zu modifizieren: •
Zum einen geben sich auch Leasinggesellschaften keineswegs blindlings mit der Sicherung ihrer Ansprüche an den Leasingnehmer durch das Objekt allein zufrieden. Je nach Einschätzung der Bonität des Kunden werden u.U. ebenfalls zusätzliche Sicherheiten oder bei Vertragsabschluss fällige Vorauszahlungen verlangt.
•
Zum anderen sind auch Kreditinstitute im Einzelfall je nach Bonität des Kunden und der Art des Investitionsobjektes bereit, die Anschaffung zu 100% mit einem Kredit zu finanzieren.
Es kommt also letztlich immer auf die Gegebenheiten des Einzelfalles an, wobei zusätzlich zu beachten ist, dass von verschiedenen Leasinggesellschaften ebenso wie von verschiedenen Banken unter Umständen unterschiedliche Angebote erwartet werden können. Allgemeingültige Aussagen nach Art des oben genannten Slogans sind nicht möglich. Allerdings könnten folgende drei Gründe dafür sprechen, dass Leasinggesellschaften tendenziell eher zu einer 100%-igen Objektfinanzierung bereit sind als Banken:
1
•
Zum ersten kann eine Leasinggesellschaft im möglichen Insolvenzfall des Leasingnehmers auf Grund des ihr zustehenden Aussonderungsrechtes die Realisierung der eigenen Ansprüche schneller betreiben und über einen etwaigen Verwertungserlös freier verfügen als ein Kreditgeber, dem als Sicherungseigentümer oder Grundpfandrechtsgläubiger nur ein Absonderungsrecht zusteht.
•
Zum zweiten verfügen Leasinggesellschaften auf Grund ihrer eigenen Tätigkeit, z.B. auf dem Gebrauchtmaschinen- oder Immobilienmarkt, oder ihrer Anbindung an eine entsprechende Handelsorganisation oftmals über ein höheres Verwertungs-Know-How als Kreditinstitute,
Bei einer, im Abschnitt 2.4.3.2 mehrfach angedeuteten, aber nicht weiter durchgeführten, finanzmathematischen Analyse der Zahlungsströme kann der Umstand unterschiedlicher Finanzierungskosten allerdings in gewissem Umfang berücksichtigt werden, stellt insoweit also keinen zusätzlichen „qualitativen" Aspekt dar.
134
2 Das Angebot von
Finanzierungsleistungen
für die die Verwertung etwa einer gebrauchten Maschine nicht zum üblichen Tagesgeschäft gehört. •
(3)
Zum dritten kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Leasinggesellschaften insgesamt - zumindest in der Vergangenheit - bereit waren, höhere Risiken zu übernehmen als die Banken. In der zweiten Hälfte der 80er Jahre hat dies allerdings etliche auch sehr namhafte Leasinggesellschaften in ganz erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten gebracht. Seitdem ist in der Leasingbranche tendenziell ein gewisser Rückgang der Risikobereitschaft zu erkennen.
Bilanzwirksamkeit von Leasingverträgen Wie oben bereits dargestellt wurde, werden Leasinggegenstände in aller Regel vom Leasingnehmer ebenso wenig bilanziert wie die aus dem Leasingvertrag resultierenden Verpflichtungen. Im Vergleich zum Kreditkauf werden also das Anlagevermögen, die Verbindlichkeiten und dementsprechend auch die Bilanzsumme niedriger ausgewiesen. In einschlägigen Darstellungen wird dieser Umstand häufig in recht blumigen Formulierungen („Schonung der Bilanz" etc.) als weiterer Vorteil des Leasing angepriesen, ohne allerdings weiter zu begründen, welchen Nutzen der Leasingnehmer daraus ziehen sollte. Im einzelnen könnten folgende drei Aspekte zu beachten sein: •
Unter Umständen kann die Leitung eines Unternehmens ein Interesse daran haben, bestimmte Investitionen vor gewissen Bilanzlesern geheim zu halten, z.B. vor Konkurrenten, Abnehmern oder Lieferanten. Diese Absicht kann durch die Finanzierung im Wege des Leasing in aller Regel eher realisiert werden als bei einem kreditfinanzierten Kauf. Allerdings ist zu beachten, dass im Sinne von § 267 HGB „große" und „mittelgroße" Kapitalgesellschaften gem. § 285 Nr. 3 HGB verpflichtet sind, den Gesamtbetrag der aus der Bilanz nicht erkennbaren sonstigen finanziellen Verpflichtungen in einem gesonderten Anhang anzugeben; dazu zählen insbesondere Verpflichtungen aus Leasingverträgen.
•
Für verschiedene Bilanzkennzahlen, z.B. die Relation von Anlagevermögen zu Eigenkapital oder den Quotienten aus Fremd- und Eigenkapital, ergeben sich beim Leasing niedrigere und damit nach gängiger Interpretation „günstigere" Werte. Dies - so wird gelegentlich argumentiert - erhöht die Kreditwürdigkeit des Unternehmens und erleichtert somit weitere Finanzierungsmöglichkeiten. In der Tat ist es richtig, dass professionelle Kreditgeber, insbesondere Banken, bei der Kreditwürdigkeitsanalyse unter anderem auch derartige Kennzahlen beachten. In aller Regel wird dabei jedoch nicht unmittelbar auf den vorgelegten Jahresabschluss zurückgegriffen. Dieser wird vielmehr
2.4
135
Leasing
durch verschiedene Korrekturen der Ausgangsdaten aufbereitet. Dabei ist es inzwischen weithin üblich geworden, bestehende Leasingverträge abzufragen und in entsprechende Rechnungen einzubeziehen. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Entscheidung für einen Leasingvertrag im Vergleich zum Kreditkauf - auch bei oberflächlicher Betrachtung - keineswegs ausschließlich zu „günstigeren" Kennzahlenwerten führen muss. Vielmehr ist es durchaus möglich, dass andere Kennzahlen - z.B. verschiedene Cash-Flow-Relationen - schlechter ausfallen. •
Schließlich knüpfen sowohl das HGB als auch das Publizitätsgesetz gewisse auf den Jahresabschluss bezogene Verpflichtungen, insbesondere Gliederungs-, Offenlegungs- und Prüfungspflichten, an die Größe des Unternehmens. Dabei wird die Zugehörigkeit eines Unternehmens zu einer bestimmten Größenklasse jeweils davon abhängig gemacht, dass zwei der drei Kriterien „Umsatz", „Bilanzsumme" und Beschäftigtenzahl" oberhalb bestimmter Grenzwerte liegen. Die Möglichkeit, durch Leasing die Bilanzsumme kleiner zu halten als beim Kreditkauf, kann dementsprechend immer dann von Vorteil sein, wenn ein Unternehmen dadurch den „Aufstieg" in die nächst höhere Größenklasse vermeiden oder zumindest hinauszögern kann. Dies setzt voraus, dass von den beiden übrigen Merkmalen gerade eines ober- und eines unterhalb eines Grenzwertes liegt und sich die Bilanzsumme vor der betrachteten Investition knapp unterhalb der kritischen Grenze bewegt.
In den genannten drei Fällen kann die Bilanzunwirksamkeit von Leasingverträgen also in der Tat von Vorteil sein. Ob die dafür notwendigen Voraussetzungen erfüllt sind, muss allerdings in jedem Einzelfall überprüft werden. Aussagen von ganz allgemeiner Gültigkeit hingegen sind auch hier nicht möglich.
(4)
Risikounterschiede Als letzter wichtiger Aspekt ist die Frage zu untersuchen, inwieweit die Risikosituation des Investors durch die Wahl zwischen Leasing und Kreditkauf beeinflusst wird. Dabei sind vor allem folgende drei Aspekte zu bedenken: •
Das Eigentiimerrisiko, also die Gefahr des Unterganges, der Beschädigung etc., liegt beim Kreditkauf ausschließlich beim Investor als Eigentümer. Beim Leasing bleibt hingegen der Leasinggeber Eigentümer. Wie oben bereits erwähnt, sind die in der Praxis zu beobachtenden Leasingverträge jedoch in aller Regel so ausgestaltet, dass der Leasinggeber von allen hier einschlägigen Vermieterpflichten freige-
2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
136
stellt wird und das Eigentumsrisiko weitestgehend auf den Leasingnehmer abgewälzt wird. Unter diesem Gesichtspunkt weisen Kreditkauf und Finanzierungsleasing somit üblicherweise keine entscheidungsrelevanten Unterschiede auf. •
Ähnliches gilt für das Gewährleistungsrisiko. Bei Sachmängeln an dem gekauften Objekt stehen dem Käufer die gesetzlichen und vertraglichen Gewährleistungsansprüche gegenüber dem Hersteller oder Lieferanten unmittelbar zu. Außer im Fall des reinen Herstellerleasing ist das bei Leasing zunächst nicht der Fall, da j a die Leasinggesellschaft und nicht der Investor Vertragspartner des Herstellers oder Lieferanten ist. Die Leasingverträge sehen allerdings standardmäßig vor, dass sämtliche Gewährleistungs-, Garantie- und Schadensersatzansprüche der Leasinggesellschaft gegenüber dem Hersteller oder Lieferanten an den Leasingnehmer abgetreten werden, während zugleich alle Gewährleistungspflichten des Leasinggebers selbst ausgeschlossen werden. Insoweit ergibt sich auch im Hinblick auf das Gewährleistungsrisiko letztlich kein ökonomisch relevanter Unterschied zwischen Kauf und Leasing. Lediglich in dem praktisch wahrscheinlich nicht sehr häufigen Fall der von Anfang an gegebenen Gebrauchsuntauglichkeit des Objektes weist ein Leasingengagement den Vorteil auf, dass der Investor kostenfrei von dem Vertrag zurücktreten und nach eigenem Ermessen anders disponieren kann. Beim Kreditkauf hingegen kann er natürlich ebenfalls nachträglich vom Kaufvertrag zurücktreten, der Kreditvertrag mit seinen Verpflichtungen bleibt davon jedoch zunächst unberührt.
•
Weiterhin ist jeder Investor dem Fehlinvestitionsrisiko ausgesetzt, d.h. der Gefahr, dass sich Nutzungsmöglichkeiten des Investitionsobjektes de facto schlechter darstellen als ursprünglich erwartet. Die Gründe dafür mögen von technischen Neuentwicklungen über das Auftreten neuer Konkurrenten, Verschiebungen der Nachfragegewohnheiten bis hin zu Änderungen rechtlicher Vorschriften unterschiedlichster Art reichen. Diesem Risiko ist der Investor unabhängig von der Art der gewählten Finanzierung ausgesetzt, so dass sich auch daraus zunächst kein zusätzliches Entscheidungskriterium zwischen Leasing und Kreditkauf herleiten lässt. Welche Folgen sich aus der Realisierung des Fehlinvestitionsrisikos ergeben, hängt allerdings mitentscheidend davon ab, wie flexibel der Investor auf die eingetretene Situation reagieren kann (Anpassungsflexibilität). Unter diesem Gesichtspunkt erweist sich der Kreditkauf in aller Regel als die günstigere Variante, da der Investor in diesem Fall sehr viel leichter, schneller und mit besserer Aussicht auf wirtschaftlichen Erfolg in der Lage ist, die ihm sinnvoll erscheinenden Anpassungsmaßnahmen durchzufüh-
2.4 Leasing
137
ren, die von der Durchführung technischer Änderungen über die vorübergehende Stilllegung bis hin zum vorzeitigen Verkauf reichen können. Insbesondere während der unkündbaren Grundmietzeit ist der Leasingnehmer demgegenüber in seiner Anpassungsflexibilität deutlich eingeschränkt. Als Fazit lässt sich festhalten, dass es sicherlich sinnvoll ist, die auf eine reine Betrachtung der unmittelbar monetär fassbaren Konsequenzen beschränkte quantitative Analyse durch eine Untersuchung qualitativer Gesichtspunkte zu ergänzen, wie wir sie zuletzt unter (1) bis (4) ansatzweise verdeutlicht haben. Dabei hat sich allerdings gezeigt, dass diese Aspekte keineswegs zwingend nur zu Gunsten des Leasing sprechen. Wiederum kommt es auf die Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls an. Dieses eigentlich nicht sonderlich überraschende Ergebnis verdient deshalb besondere Betonung, weil nicht nur durch Darstellungen aus der Leasingbranche selbst, sondern auch in Abhandlungen „neutraler" Autoren über Leasing hartnäckig entgegengesetzte Vorstellungen verbreitet werden. Dabei werden die vermeintlichen Vorteile des Leasing oftmals gleich dutzendweise zwar ohne sonderliche Systematik, dafür jedoch mit einer gewissen oberflächlichen Plausibilität präsentiert, die den mit den zugrundeliegenden Sachverhalten nicht hinlänglich vertrauten Leser durchaus in die Irre führen können. Als Beispiel für ein solches zumindest missverständliches Werbeargument sei abschließend kurz die häufig verbreitete Behauptung untersucht, Leasing erlaube eine Finanzierung nach dem Prinzip „pay as you earn". Ganz abgesehen von dem Umstand, dass die englische Formulierung in ihrer Kürze wohl die Vorstellung evozieren soll, hier würden Prinzipien erfolgreichen und modernen amerikanischen Managements formuliert, legt dieser Slogan alternativ oder auch kumulativ zwei verschiedene Interpretationen nahe: •
Zum einen kann „pay as you earn" als Hinweis darauf verstanden werden, dass beim Leasing eine sofortige Liquiditätsbelastung in Höhe des Anschaffungspreises vermieden wird und die Zahlungen erst zeitlich mit der betrieblichen Nutzung des Objektes anfallen. Dies ist sicherlich richtig, kann jedoch durch die Koppelung von Kauf- und Kreditvertrag in prinzipiell gleicher Weise erreicht werden. In dieser Interpretation erweist sich „pay as you earn" letztlich als Eigenschaft jeder Art projektbezogener Finanzierung und bezeichnet somit überhaupt keine Besonderheit des Leasing.
•
Zum zweiten suggeriert der Slogan „pay as you earn", die Leasingraten stellten ertrags- oder gewinnabhängige Belastungen dar, die bei schlechter Ertragslage gar nicht oder nur in geringerem Umfang fallig würden. Eine solche Regelung ist in aller Regel jedoch nicht anzutreffen, vielmehr stellen die Leasingraten genau wie der Kapitaldienst aus Krediten üblicherweise fe-
138
2 Das Angebot von
Finanzierungsleistungen
ste, von der Ertragslage völlig unabhängige Zahlungsverpflichtungen dar. Insoweit übermittelt „pay as you earn" also gar nichts anderes als eine falsche Botschaft. „Pay - whether you earn or not" wäre sicherlich sehr viel korrekter, nur eben nicht werbewirksam. In ähnlicher Weise erweisen sich auch etliche andere Slogans, mit denen vermeintlich vorteilhafte Eigenschaften des Leasing ins rechte Licht gerückt werden sollen, bei näherer Analyse als zumindest äußerst missverständliche, wenn nicht gar irreführende Aussagen. Das alles ändert auf der anderen Seite natürlich nichts daran, dass je nach den Gegebenheiten des konkreten Einzelfalls Leasing durchaus die günstigere Finanzierungsalternative darstellen kann. Woraus eine solche Vorteilhaftigkeit möglicherweise resultieren kann, wird im folgenden Abschnitt in Grundzügen verdeutlicht.
2.4.3.4 Mögliche Leasing-Vorteile Funktionsanalytisch kann Leasing insofern als eine Form der Arbeitsteilung angesehen werden, als der Investor das Objekt im Gegensatz zum Kreditkauf nicht selbst beschafft, finanziert, versteuert und am Ende verwertet, sondern diese Funktionen der Leasinggesellschaft überlässt. Wie bei allen Formen der Arbeitsteilung kann dies immer dann für beide Seiten Vorteile bringen, wenn dadurch insgesamt Kosten eingespart oder zusätzliche Erträge erzielt werden. Für derartige komparative Vorteile zugunsten des Leasing sind vor allem folgende Ansatzpunkte denkbar. (1)
Niedrige Anschaffungs- oder Herstellungskosten Bei der Beschaffung von Leasinggegenständen kann eine Leasinggesellschaft unter Umständen als Großeinkäufer günstigere Preise durchsetzen, als das dem Investor alleine möglich wäre. Beim Immobilienleasing ist zudem vorstellbar, dass entsprechend ein spezialisiertes Leasingunternehmen die während der Bauphase notwendigen Planungs- und Überwachungsaktivitäten effektiver vornehmen und damit eine Senkung der Herstellungskosten bewirken kann.
(2)
Niedrige laufende Kosten Weiterhin ist es möglich, dass bestimmte laufende Kosten, die der Sache nach auch beim Kreditkauf entstehen, niedriger ausfallen, wenn sie bei der Leasinggesellschaft und nicht bei dem Investor selbst entstehen. So ist es etwa vorstellbar, dass sich eine Leasinggesellschaft als großer Kunde oder eventuell auch als Tochterunternehmen eines Kreditinstituts zu Zinssätzen refinanzieren kann, die niedriger sind als die Finanzierungskosten, die der Investor selbst als Kreditnehmer zu tragen hätte. Ebenso ist es vorstellbar, dass die Leasinggesellschaft beim Abschluss von Versicherungs- oder War-
2.4 Leasing
139
tungsverträgen günstigere Konditionen erzielen kann. Schließlich ist es auch möglich, dass die Steuerlast, die beim Leasingnehmer und -geber entsteht, insgesamt niedriger ausfällt als die steuerliche Belastung, die der Investor im Falle des Kreditkaufs alleine zu tragen hätte. Insbesondere im Bereich der Gewerbesteuer sind derartige Einsparungen möglich, sei es allein schon auf Grund unterschiedlicher Hebesätze, sei es wegen der Ausnutzung steuerlicher Sondervorschriften, die zwar die Leasinggesellschaften, nicht jedoch der Investor selbst in Anspruch nehmen können. (3)
Höhere Verwertungserlöse Bei solchen Leasingverträgen, bei denen das Objekt am Ende der Vertragslaufzeit von der Leasinggesellschaft verwertet wird, kann ein weiterer Vorteil daraus resultieren, dass dieser auf Grund des oben schon erwähnten höheren Verwertungs-Know-How dabei geringere Transaktionskosten entstehen und ein höherer Preis erzielt wird.
Übersteigen etwaige Vorteile der genannten Art in ihrer Gesamtheit die Verwaltungs- und Vertriebskosten, die der Leasinggesellschaft natürlich auch entstehen, so entsteht ein Potenzial an Nettovorteilen, von dem bei geeigneter Vertragsgestaltung beide Vertragsparteien profitieren können. Ein weiterer Vorteil von Leasingverträgen könnte daraus resultieren, dass dabei gewisse Risiken anders verteilt werden als beim Kreditkauf. Führt dies zu einer Risikoallokation, bei der die Risiken auf den Marktpartner verlagert werden, der sie z.B. auf Grund besserer Diversifikationsmöglichkeiten leichter tragen kann, so begründet dies ebenfalls ein Potenzial für beiderseits vorteilhafte Vertragsgestaltungen. Im Bereich von Leasingverträgen kommen hier insbesondere die bereits mehrfach erwähnten Verwertungsrisiken in Betracht. Außerdem ist es denkbar, dass die vergleichsweise weitgehenden Einschränkungen der Verfügungsmöglichkeit des Leasingnehmers über das Leasingobjekt zu einer Reduzierung der Geldgeberrisiken beitragen können, was wiederum Spielraum dafür eröffnet, die wie in Kredit- so auch in Leasingkonditionen implizit enthaltenen Risikoprämien herabzusetzen.
2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
140
2.4.4
Der deutsche Leasingmarkt
Das Transaktionsvolumen auf dem deutschen Leasingmarkt hat eine gesamtwirtschaftlich beachtliche Größenordnung erreicht. So belief sich das Volumen der im Wege des Leasing finanzierten Investitionen nach Angaben des Ifo-Instituts im Jahre 2005 auf mehr als 51 Mrd. Euro; das entspricht einem Anteil von über 19% an allen gesamtwirtschaftlichen Investitionen.1) Will man diese Globalangaben etwas differenzieren, so liegt es nahe, jeweils die Anbieter, die Nachfrager und die Objekte von Leasingverträgen näher zu betrachten. Im Hinblick auf die Anbieter von Leasingleistungen wird üblicherweise zwischen Herstellerleasing und institutionellem Leasing unterschieden. Beim Herstellerleasing tritt -
das Hersteller- oder Händlerunternehmen selbst oder eine im Konzern des Hersteller- oder Händlerunternehmens befindliche „Leasing-Tochter"
als Leasinggeber auf. In diesem Zusammenhang wird das Angebot von Leasingleistungen oftmals weniger als eigenständiges Geschäft zur Gewinnerzielung angesehen, sondern als Instrument zur Absatzförderung. Dieses Modell hat insbesondere in der Automobilbranche in den letzten Jahren weite Verbreitung gefunden; dementsprechend zählen die Leasinggesellschaften einiger großer deutscher Automobilkonzerne auch zu den kapital- und umsatzstärksten Anbietern auf dem Leasingmarkt. Institutionelles Leasing wird demgegenüber durch hersteller- und händlerunabhängige Anbieter von Leasinggeschäften betrieben. Dabei handelt es sich ganz überwiegend um Unternehmen, deren Anteile von Kreditinstituten und anderen Finanzintermediären gehalten werden. Bezüglich der Absatzpolitik dieser Leasinggesellschaften haben insbesondere die folgenden drei Varianten Bedeutung: (1)
Institutionelles Leasing im engeren Sinne Die Leasinggesellschaft selbst bemüht sich um die Gewinnung von Kunden, denen sie Leasing als Variante zur Finanzierung eines von dem Kunden selbst ausgesuchten oder in Auftrag gegebenen Investitionsprojektes anbietet. Insbesondere im Bereich des Immobilienleasing (s.u.) werden derartige Offerten oftmals durch umfangreiche Angebote von Planungs-, Überwachungs- und sonstigen Serviceleistungen ergänzt.
1
Vgl. STÄDTLER (2006), S. 66.
2.4 Leasing
(2)
141
Vertriebsleasing Die Leasinggesellschaft arbeitet mit mehreren Hersteller- oder Handelsunternehmen in der Weise zusammen, dass letztere weitgehend die Kundenkontakte übernehmen und diesen als Instrument der eigenen Absatzförderung die Vermittlung eines Leasingvertrages mit der kooperierenden Leasinggesellschaft anbieten.
(3)
Drittvertriebsleasing Die Leasinggesellschaft arbeitet mit einem oder mehreren Kreditinstituten in der Weise zusammen, dass diese ihren Kunden in Ergänzung verschiedener anderer Finanzierungsmöglichkeiten die Vermittlung eines Leasingvertrages mit einer Leasinggesellschaft anbieten. Mehrere Banken oder Bankengruppen haben in den letzten Jahren zu diesem Zweck eigene Leasingunternehmen gegründet.
Die Nachfrager nach Leasingleistungen sind insbesondere Unternehmen, aber auch - mit wachsenden Zuwachsraten in den letzten Jahren - Selbständige und private Haushalte. Nach den oben bereits zitierten Angaben des Ifo-Instituts durch STÄDTLER (2006) entfielen 2004 von den gesamten Leasinginvestitionen
auf das verarbeitende Gewerbe 19,2%, auf die Anbieter sonstiger Dienstleistungen wie Hotels und Gaststätten, Verlage und Werbeagenturen bis hin zu Ärzten, Rechtsanwälten, Architekten etc. 35,3%,
auf die Anbieter im Bereich „Verkehr und Nachrichtenübermittlung" 12,9%,
-
auf den Handel 11,7% und auf die privaten Haushalte 10,0%.
Bezüglich der Leasingobjekte unterscheidet man allgemein zwischen Immobilien- und Mobilienleasing, deren Bedeutung in den letzten Jahren unterschiedlich war. Die Quote an den gesamten Neuinvestitionen wuchs beim Mobilien-Leasing von 17,0% im Jahr 1995 auf 24,6% im Jahr 2005, beim Immobilien-Leasing stieg sie von 4,6% auf 7,8%. Das Mobilienleasing erfasst inzwischen fast alle Arten von Investitionsgütern und auch zunehmend langlebige Konsumgüter. Die weitaus wichtigsten Objekte stellen dabei Fahrzeuge aller Art sowie Büromaschinen einschließlich EDV-Ausstattung dar; nach Angaben des Ifo-Instituts wurden 2004 61,1% aller Neuinvestitionen im Fahrzeugbereich von Leasinggesellschaften fin a n z i e r t ( v g l . STÄDTLER 2 0 0 6 ) .
142
2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
Übungsaufgabe 2.17: Auf den Internet-Seiten der CTB LEASING GmbH ist der folgend wiedergegebene Text über das Leasing zu lesen:
Leasing rechnet sich Für den Leasingnehmer ergeben sich gegenüber der bankgemäßigten Objektfinanzierung im Wesentlichen folgende Vorteile: 1. Feste gleichbleibende Zinsen Gleichbleibende Leasing-Zahlungen bilden eine klare Kalkulationsgrundlage für die gesamte Vertragsdauer. 2. Liquidität Leasing ist eine 100%ige Finanzierung, bestehende Kreditspielräume bleiben erhalten. 3. Steuern Beim Leasingnehmer fallen keine investitionsbezogenen Steuern an. 4. Rentabilität Niedrigere Gesamtkosten im Vergleich zu anderen Finanzierungsalternativen. 5. Pay as you earn Nutzung gegen Miete. Sie können das Objekt vom ersten Tag an gegen Zahlung der monatlichen Leasingraten voll nutzen. Die Investitionen erwirtschaften die Kosten „von selbst" aus laufenden Erträgen. 6. Wiederbeschaffung Der Entschluss zur Erneuerung der Anlage nach Ende der Mietzeit fällt leichter. 7. Bilanzierung Leasing ist bilanzneutral. Geben Sie eine ausführliche kritische Diskussion zu den behaupteten Vorteilen des Leasing! Wägen Sie für jeden der sieben Punkte einzeln, inwieweit der Vorteil tatsächlich gegeben ist und auf welchen Prämissen er gegebenenfalls beruht!
2.5 Eigenfinanzierung durch Finanzintermediäre
2.5
Eigenfinanzierung durch Finanzintermediäre
2.5.1
Grundbegriffe
143
Maßnahmen der Eigenfinanzierung sind dadurch gekennzeichnet, dass einem Unternehmen durch Transaktionen außerhalb seines Leistungsbereichs Zahlungsmittel durch Geldgeber zugeführt werden, die dafür gewisse Teilhaberrechte erhalten, denen im Insolvenzverfahren jedoch keine Gläubigeransprüche zustehen. Art und Ausgestaltung der Teilhaberrechte hängen zum einen von den durch die Rechtsform des Unternehmens vorgegebenen gesetzlichen Bestimmungen ab, zum anderen von den darüber hinausgehenden Konkretisierungen durch den jeweiligen Gesellschafts vertrag. Zu diesen Rechten gehören insbesondere das Recht, in bestimmtem Umfang nach individuellem Ermessen Entnahmen zu tätigen, oder der Anspruch auf Beteiligung an einer beschlossenen Ausschüttung, -
der Anspruch auf Anteil am Liquidationserlös sowie
-
bestimmte Mitwirkungs- und Kontrollbefugnisse, die vom einfachen Stimmrecht in der Gesellschafterversammlung bis zur unmittelbaren Beteiligung an der Geschäftsführung reichen können.
Bezüglich der mit dem Erwerb der Teilhaberrechte verbundenen Pflichten ist insbesondere von Bedeutung, ob -
lediglich die Verpflichtung übernommen wird, der Gesellschaft einen bestimmten Einlagebetrag zu erbringen, oder
-
auch nach vollständiger Leistung der Einlage immer noch die Verpflichtung besteht, in begrenztem oder unbegrenztem Umfang auch mit dem Privatvermögen für die Verbindlichkeiten des Unternehmens einzustehen.
Bekanntlich hängt dies vor allem von der Rechtsform des Unternehmens ab. Bilanziell schlagen sich Maßnahmen der Eigenfinanzierung in der Weise nieder, dass einerseits die Position Kasse/Bank um den effektiv eingezahlten Betrag steigt und sich andererseits als Gegenbuchung dazu das Eigenkapital in entsprechendem Umfang erhöht. Bei Kapitalgesellschaften kann es vorkommen, dass der von dem Geldgeber effektiv eingezahlte Betrag hinter der von ihm insgesamt übernommenen Einlagenverpflichtung zurückbleibt. In diesem Fall wird die Position „gezeichnetes Kapital" zwar um den Gesamtbetrag der übernommenen Einlage erhöht, der Betrag der „ausstehenden Einlagen" jedoch davon abgesetzt, so dass das Eigenkapital per Saldo auch nur um den effektiv eingezahlten Betrag steigt.
144
2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
Beispiel 2.14: Die Bilanz einer GmbH weist folgende Struktur auf: (Mio. Euro)
Aktiva Anlagevermögen Immat. Vermögen Sachanlagen Finanzanlagen
Passiva
Eigenkapital Gezeichn. Kapital Rücklagen
0,9 2,4
2,6 &4
3,0
3,9 Rückstellungen
2,9
Verbindlichkeiten
4,1
Umlaufvermögen Vorräte Forderungen
3,1 2,6
Kasse, Bank
04
61 10.0
10.0
Im Zuge einer Expansionsstrategie tritt ein neuer Gesellschafter in die Gesellschaft ein und übernimmt einen Gesellschaftsanteil von 800.000 Euro, auf den er sofort 500.000 Euro einzahlt. Die neue Bilanz hat dann folgendes Aussehen (Änderungen in Kursivdruck): Aktiva
(Mio. Euro)
Anlagevermögen Immat. Vermögen Sachanlagen Finanzanlagen
Passiva
Eigenkapital 0,9 0,6
2,4 3,9
Umlaufvermögen Vorräte Forderungen
3,1 2,6
Kasse, Bank
M
Gezeichn. Kapital (./.) Ausst. Einlagen Rücklagen
3,4 0,3 &4
3,5
Rückstellungen
2,9
Verbindlichkeiten
4,1
M 10.5
10.5
Die durch Einzahlung auf das Bankkonto erbrachten Einlagen bleiben selbstverständlich in aller Regel nicht in dieser Form erhalten, sondern werden im Zuge der weiteren Geschäftstätigkeit in andere Vermögenswerte umgewandelt, zum Abbau von Verbindlichkeiten herangezogen oder zur Bestreitung sonstiger Auszahlungen, z.B. für Löhne, Mieten etc. verwendet.
Im Hinblick auf die unmittelbare Finanzwirksamkeit ergeben sich aus Maßnahmen der Eigenfinanzierung keine Unterschiede zur Aufnahme von Fremdkapital in gleichem Umfang. Der Unterschied zur Fremdfinanzierung besteht vielmehr in folgenden beiden zukunftsbezogenen Sachverhalten: •
Aus der Eigenkapitalaufnahme entstehen in der Zukunft keine juristisch zwingenden Auszahlungserfordernisse, so dass die zukünftige Liquiditätslag e bei ansonsten gleichen Gegebenheiten weniger belastet wird als bei der Aufnahme von Fremdkapital und den daraus resultierenden Zahlungsverpflichtungen.
2.5 Eigenfinanzierung durch Finanzintermediäre
•
145
Dementsprechend steht der mit der Eigenkapitalaufnahme verbundenen Erhöhung des Gesamtvermögens keine entsprechende Steigerung der daraus zu befriedigenden Gläubigeransprüche gegenüber, so dass nicht nur die Haftungsmasse des Unternehmens sondern auch der HaftungsÜberschuss steigt.
Insoweit ist es durchaus gerechtfertigt, wenn die Eigenfinanzierung im Vergleich zur Fremdfinanzierung als die für das Unternehmen „weniger risikoreiche" Finanzierungsform angesehen wird, da sowohl die Gefahr künftiger Illiquidität als auch das Überschuldungsrisiko tendenziell vermindert werden. Um gelegentlich anzutreffenden Missverständnissen vorzubeugen, sei darauf hingewiesen, dass Maßnahmen der Eigenfinanzierung zwar zwangsläufig das Eigenkapital des Unternehmens erhöhen, umgekehrt jedoch nicht jede Zunahme des Eigenkapitals Ergebnis eines Vorgangs der Eigenfinanzierung in dem hier verwendeten Sinne sein muss. Um dies einzusehen, ist zunächst zu beachten, dass das (bilanzielle) Eigenkapital definitionsgemäß die Differenz zwischen dem (bilanziell ausgewiesenen) Vermögen und den (bilanziell ausgewiesenen) Schulden, also das (bilanzielle) Reinvermögen, wiedergibt. Dieses Reinvermögen nimmt nun aber genau dann zu, wenn das Vermögen stärker steigt (oder weniger stark sinkt) als die Schulden. Das aber ist nicht nur bei der Eigenfinanzierung der Fall, sondern auch dann, wenn das Unternehmen aus der laufenden Geschäftstätigkeit Gewinne erzielt, die über die Ausschüttungen an die Anteilseigner hinausgehen. Ein Zuwachs des Eigenkapitals, der auf dem zuletzt angesprochenen Wege zustande kommt, wird im einschlägigen Schrifttum sehr häufig, aber wie wir meinen missverständlicherweise, als Selbstfinanzierung oder Finanzierung aus einbehaltenen Gewinnen bezeichnet, obwohl keineswegs zwangsläufig unterstellt werden kann, dass ein bilanziell ausgewiesener Gewinn tatsächlich zugleich finanzwirksam ist, d.h. sich in einem entsprechenden Zahlungsmittelzufluss niederschlägt.
2.5.2
Eigenfinanzierung durch Banken und Versicherungen
In den Abschnitten 1.1.2.2., 2.2. und 2.3 haben wir gesehen, dass insbesondere Banken, aber auch Versicherungen, in sehr großem Umfang zur Fremdfinanzierung der Unternehmen beitragen, indem sie selbst direkt als Geldgeber auftreten. Im Bereich der Eigenfinanzierung gilt dies zumindest in dieser unmittelbaren Form nicht. Vielmehr treten Banken und Versicherungen bei der unmittelbaren Eigenfinanzierung deutscher Unternehmen im Vergleich zu anderen Geldgebergruppen eher in den Hintergrund.
146
2 Das Angebot von
Finanzierungsleistungen
Diese Aussage bezieht sich wohlgemerkt nicht generell auf den Erwerb von Unternehmensanteilen und Beteiligungen durch Banken und Versicherungen, sondern auf die unmittelbare Eigenfinanzierung der Unternehmen. Denn, soweit sich entsprechende Erwerbungen in der Weise vollziehen, dass die entsprechenden Unternehmensanteile über die Börse oder auf sonstige Weise von den bisherigen Anteilseignern aufgekauft werden, handelt es sich für das betrachtete Unternehmen ja überhaupt nicht um einen FinanzierungsVorgang. Unmittelbare Finanzierungswirkungen entfaltet ein solcher Vorgang vielmehr bei dem bisherigen Eigentümer der Anteile, für den der Anteilsverkauf eine Umwandlung von Anteilsvermögen in liquide Mittel darstellt, während für das betreffende Unternehmen lediglich ein Wechsel der Anteilseigner eintritt, der jedoch keine Finanzwirksamkeit entfaltet. Die Gründe, warum sich Banken und Versicherungen im unmittelbaren Eigenfinanzierungsgeschäft so zurückhalten, sind unterschiedlicher Natur. Zum einen dürfen Banken und Versicherungen auf Grund aufsichtsrechtlicher und anderer gesetzlicher Vorgaben nur in begrenztem Umfang Unternehmensanteile erwerben. So sieht § 12 Abs. 1 Satz 2 KWG etwa vor, dass grundsätzlich „ein Kreditinstitut an Unternehmen des nichtfinanziellen Sektors keine Beteiligungen halten darf, deren Nennbetrag zusammen 60 von Hundert des haftenden Eigenkapitals des Einlagenkreditinstitutes übersteigt." Die Beschränkung des Anteilsbesitzes auf einen Betrag, der zwangsläufig niedriger als das Eigenkapital ist, stellt eine ganz erhebliche Restriktion dar, wenn man bedenkt, dass die Bilanzsumme deutscher Kreditinstitute im Allgemeinen das 20- bis 30-fache ihres Eigenkapitals ausmacht. Eine ähnliche Wirkung haben auch § 54 VAG bzw. die Anlageverordnung. Danach wird der gesamte Besitz von Versicherungen an Aktien und sonstigen Unternehmensanteilen auf 35% des Sicherungsvermögens und 35% des sonstigen gebundenen Vermögens beschränkt (vgl. dazu auch Abschnitt 2.3.3). Die Vermögensanlage in nicht börsennotierten Anteilswerten wird darüber hinaus auf 10% des Sicherungsvermögens bzw. des sonstigen gebundenen Vermögens begrenzt. Schließlich ist auch das höchstzulässige Engagement bei einer einzelnen Gesellschaft jeweils auf 10% des Nominalkapitals dieser Gesellschaft beschränkt. Selbst wenn Kreditinstitute und Versicherungen dies wollten, wäre es ihnen also aufsichtsrechtlich verwehrt, in größerem Umfang als unmittelbarer Eigenmittelgeber aufzutreten. Zudem ist allerdings auch die Geschäftspolitik dieser beiden Gruppen von Finanzintermediären in aller Regel gar nicht darauf ausgerichtet, den ohnehin relativ engen aufsichtsrechtlichen Rahmen auszuschöpfen, da diese Institute offensichtlich die höheren Risiken scheuen, die mit dem Erwerb von Eigenfinanzierungstiteln im Vergleich zur Vergabe von Krediten oder der Vermögensanlage in festverzinslichen Wertpapieren verbunden sind. An diesem generellen Befund ändern auch gelegentliche spektakuläre Übernahmetransaktionen nichts. Wenn etwa eine Großbank von einer Holding-Gesellschaft einen nennenswerten
2.5 Eigenfinanzierung
durch
Finanzintermediäre
147
Anteil aller Aktien eines großen Industrieunternehmens erwirbt, so sorgt ein solcher Vorgang zwar für Schlagzeilen, ist aber sowohl im Vergleich zum Kreditgeschäft des Instituts als auch in Relation zur gesamten Eigenkapitalausstattung der deutschen Unternehmen insgesamt eher von untergeordneter Bedeutung (Zur Veranschaulichung der Größenordnungen vgl. wieder den numerischen Anhang). Zudem handelt es sich bei einem solchen Anteilserwerb - wie oben schon erläutert wurde - für das betrachtete Unternehmen ohnehin gar nicht um einen Finanzierungsvorgang, sondern um die Übertragung bereits bestehender Unternehmensanteile von dem bisherigen Eigentümer auf einen neuen.
2.5.3
Eigenfinanzierung durch Kapitalbeteiligungs- und Wagnisfinanzierungsgesellschaften
Der folgenden Darstellung vorausgeschickt seien die Hinweise, dass •
zum einen die hier vorgenommene Abschichtung zweier verschiedener Gattungen finanzintermediärer Eigenfinanciers in Beteiligungsfinancier einerseits und Wagnisfinancier andererseits inhaltlich zwei Reinformen der geschäftlichen Ausrichtung von Finanzdienstleistern als Eigenfinanciers erfasst. Diese Reinformen sind in der Praxis durchaus auch häufig anzutreffen, jedoch gibt es ebenfalls zahlreiche Financiers, die sich beiden Formen widmen, teils mit deutlichem Akzent auf einen Bereich, teils derart gleichgewichtig gemischt, dass eine trennscharfe Zuordnung schwerfällt.
•
Zum anderen werden die beiden Erscheinungsformen begrifflich nicht einheitlich erfasst. Während häufig die hier genannten Begriffe „Kapitalbeteiligung" und „Wagnisfinanzierung" benutzt werden, trifft man auch oft auf die angelsächsischen Entsprechungen „Private Equity" und „Venture Capital", wobei die letztere zuweilen aber - vermutlich eingedenk der im ersten Spiegelpunkt angedeuteten inhaltlichen Mischung beider Formen - auch synonym für jedwede Erscheinung finanzintermediärer Eigenfinanzierung gebraucht wird.
Die dargestellte Zurückhaltung der beiden wichtigsten Gruppen von Kapitalsammeisteilen unseres Wirtschaftssystems dürfte eine unter mehreren Ursachen dafür sein, dass die Eigenkapitalquote der deutschen Unternehmen über Jahrzehnte hinweg eine rückläufige Tendenz aufgewiesen hat. Wie folgende Tabelle verdeutlicht, ist die durchschnittliche Eigenkapitalquote aller deutscher Unternehmen des nichtfinanziellen Sektors von 30,9% in der Mitte der 60er Jahre über 27,4% Anfang der 70er Jahre bis zum Jahr 1985 auf 18,3% gesunken und bewegt sich seitdem mit leichten Schwankungen um 20%.
148
2 Das Angebot von
1970
1980
1990
Finanzierungsleistungen
2000
2004
Eigenkapital 1 ' 2 '
215,7
323,4
474,5
370,0
471,9
Fremdkapital1'
572,3
1.193,4
2.111,5
1.780,0
1.582,7
27,4
21,3
18,3
17,2
23,0
Eigenkapitalquote3'
1) Angaben in Mrd. Euro 2) Abzüglich Berichtigungsposten zum Eigenkapital 3) Verhältnis des Eigenkapitals zur Summe aus Eigen- und Fremdkapital in% Quelle: DEUTSCHE BUNDESBANK
Tab. 2.08:
Entwicklung der Eigenkapitalausstattung deutscher Unternehmen des nichtfinanziellen Bereichs
Die Werte für die einzelnen Unternehmen streuen natürlich ganz erheblich um die angegebenen Durchschnittswerte. Eine Detailanalyse zeigt dabei unter anderem, dass die Eigenkapitalausstattung der zahlenmäßig großen Gruppe von Unternehmen, denen die Möglichkeiten der Emissionsfinanzierung (s. Abschnitt 2.6) verschlossen sind, besonders niedrige Eigenkapitalquoten aufweist. Diese Entwicklung, die seit langem aus verschiedenen Gründen gesamtwirtschaftlich als unerwünscht angesehen und etwa unter dem Schlagwort der „Eigenkapitallücke" beklagt wird, hat bereits Ende seit der 60er Jahre Anlass gegeben, spezielle Kapitalbeteiligungsgesellschaften als Anbieter von Möglichkeiten zur Eigenfinanzierung ins Leben zu rufen, deren Aktivitäten man heute, wie oben angedeutet, häufig mit dem Ausdruck „Private Equity" erfasst. Diese Gründungen wurden meistens von mehreren Kreditinstituten, staatlichen Einrichtungen und weiteren Initiatoren aus unterschiedlichen Bereichen getragen. Aus steuerlichen, haftungsrechtlichen und publizitätspolitischen Gründen wurde für die Kapitalbeteiligungsgesellschaften zumeist die Rechtsform der GmbH oder GmbH & Co. KG gewählt. Aufgabe der Kapitalbeteiligungsgesellschaften sollte es sein, sich als Spezialfinanzierungsinstitut gerade an nicht emissionsfähigen, mittelständischen Unternehmen mit Kapitaleinlagen zu beteiligen. Zu diesem Zweck boten und bieten sie als institutionelle Investoren den kooperationsbereiten Unternehmen in der Regel Einlagen als Kommanditist, GmbH-Gesellschafter, Aktionär oder auch stiller Gesellschafter 1 ) an. Mit dem zu finanzierenden Unternehmen wird dabei i.d.R. das Recht bzw. die Verpflichtung des Rückkaufs der Anteile vereinbart. Im Gegensatz zu Holdinggesellschaften streben die Kapitalbeteiligungsgesellschaften keine Mehrheitsbeteiligung und somit Beherrschung der anderen Unternehmen an, sondern verstehen sich tendenziell eher als „neutraler Gesellschafter" mit eingeschränktem Einfluss auf die tägliche Unternehmensführung und die Geschäftspolitik. Allerdings sehen die vertraglichen Vereinbarungen häufig einen Katalog
1
Vgl. dazu auch die nachfolgende Übungsaufgabe.
2.5 Eigenfinanzierung durch Finanzintermediäre
149
zustimmungspflichtiger Maßnahmen vor, der besonders einschneidende Entscheidungen von der Zustimmung der Kapitalbeteiligungsgesellschaft abhängig macht. Beispiele hierfür sind etwa Großinvestitionen, die gravierende Ausweitung der Verschuldung, wichtige Veränderungen im Gesellschafterkreis oder größere Grundstücksgeschäfte.
Übungsaufgabe 2.18: Erläutern Sie, warum die Beteiligung als stiller Gesellschafter a)
in dem hier definierten Sinne nicht als Eigenfinanzierung angesehen werden kann,
b) dennoch je nach Ausgestaltungsform verschiedene eigenfinanzierungsähnliche Merkmale aufweisen kann! Hinweis: Lesen Sie die Vorschriften gem. §§ 230 bis 237 HGB!
Die Beteiligungspolitik der Kapitalbeteiligungsgesellschaften war von Anfang an durch strenge Anforderungen an die kapitalsuchenden Unternehmen gekennzeichnet. Bei den Unternehmen, denen die Mittel zumeist für Erweiterungs- und Rationalisierungsinvestitionen zur Verfügung gestellt werden, muss es sich um gesunde, bereits etablierte Unternehmen handeln, von denen eine dem Risiko und der Kapitalmarktsituation entsprechende Rendite erwartet werden kann. Die Gewinn- und Verlustbeteiligung wird individuell ausgehandelt. Es kommen sowohl einfache Quotenregelungen vor (z.B. Beteiligung am Gewinn und Verlust der Partnergesellschaft mit 25%) als auch differenzierte Staffelungen (Unternehmerlohn und Gewinntantieme, fixe Basisverzinsung und unterschiedliche Quoten für die Verteilung des Restgewinns). Des Weiteren wird die Beteiligung davon abhängig gemacht, dass das Unternehmen über ein erfahrenes Management, ein effizientes Rechnungswesen, gut eingeführte Produkte und eine gesicherte Marktstellung verfügt, die Entwicklungs- und Ertragsaussichten also insgesamt als sehr positiv einzustufen sind. Etwas überspitzt formuliert sollen also gerade solche Unternehmen gefördert werden, die es eigentlich nicht sonderlich nötig hätten. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass es den Kapitalbeteiligungsgesellschaften nicht gelungen ist, die als gewünschte Partner für sie in Frage kommenden Unternehmen in großem Umfang von den Vorteilen einer derartigen Kooperation zu überzeugen. Als Ursache dafür ist neben der konservativen, bankähnlichen Geschäftspolitik auf der einen Seite, bei der Sicherheiten und laufende Verzinsung höher bewertet werden als die Chance, Wertsteigerungen zu realisieren, auf der anderen Seite vor allem die Befürchtung der Unternehmensinhaber maßgeblich, dass die Aufnahme eines neuen Teilhabers, und noch dazu eines finanziell sehr viel potenteren, unabhängig von der rechtlichen Ausgestaltung der entsprechenden Verträge de facto doch zu unliebsamen Abhängigkeitsverhältnissen führen könnte.
150
2 Das Angebot von Finanzierungsleistungen
Es mag offen bleiben, inwieweit derartige Befürchtungen berechtigt waren oder sind und ob nicht die Abhängigkeit von einem großen Kreditgeber genauso einengend und lästig sein kann. Festzuhalten bleibt auf jeden Fall, dass die Ende der 60er Jahre im Zusammenhang mit der Gründung von Kapitalbeteiligungsgesellschaften gehegte Euphorie zwischenzeitlich einer sehr viel nüchterneren Einschätzung gewichen ist. Kapitalbeteiligungsgesellschaften in der soeben skizzierten traditionellen Ausrichtung stellten aufgrund ihrer restriktiven Beteiligungspolitik nur für einen äußerst kleinen Kreis von mittelständischen Unternehmen eine interessante Finanzierungsalternative dar. Insbesondere junge bzw. neu gegründete, stark innovativ ausgerichtete Unternehmen können deren hohe Anforderungen nicht erfüllen. Gerade diesen Unternehmen wird jedoch ein hohes Maß an Flexibilität und Kreativität bei der Entwicklung neuer Produkte und moderner Verfahren zugeschrieben, die für ein exportorientiertes und vergleichsweise rohstoffarmes Industrieland wie die Bundesrepublik Deutschland zur Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit von großer Bedeutung sind. Zur Förderung technischer Innovationen und deren Umsetzung wurden daher Anfang der 80er Jahre - zusätzlich zu den diversen bereits existierenden staatlichen Maßnahmen -sogenannte Wagnisfinanzierungsgesellschaften gegründet, deren Angebot nach ihrem amerikanischen Vorbild auch in Deutschland als Venture Capital bezeichnet wird. Es handelt sich dabei um Gründungen, die zum Teil von der Kredit- und Versicherungswirtschaft, zum Teil von öffentlichen Stellen, zum Teil aber auch von der Industrie selbst getragen werden. Genauso wie die traditionellen Kapitalbeteiligungsgesellschaften sollen die Wagnisfinanzierungsgesellschaften kleinen und mittleren Unternehmen Eigenmittel für eine begrenzte Zeit - in der Regel 5 bis 10 Jahre - zur Verfügung stellen. Auch hier werden üblicherweise lediglich Minderheitsbeteiligungen angestrebt. Die konzeptionellen Unterschiede dieser beiden Finanzierungseinrichtungen hingegen sind vor allem durch drei Aspekte charakterisiert: •
Die Wagnisfinanzierungsgesellschaften beteiligen sich vornehmlich an jungen, innovativen Unternehmen in zukunfts- und wachstumsträchtigen Branchen - wie z.B. Mikroelektronik, Biochemie oder Gentechnik - , denen die Mittel für die Finanzierung ihrer riskanten, aber zugleich auch recht chancenreichen Projekte fehlen. Die Bereitschaft dieser Unternehmen, Beteiligungsrechte zu vergeben, wird daher im Vergleich zu den typischen Kunden der Kapitalbeteiligungsgesellschaften als deutlich höher eingeschätzt. In der Regel ist es so, dass sich die Produkte bzw. Verfahren dieser Unternehmen am Ende der Entwicklungs- oder am Beginn der Markteinführungsphase befinden. Ziel ist es, nicht nur die Entwicklung technischer Innovationen zu unterstützen, sondern auch Finanzmittel für deren erfolgreiche Vermarktung bereitzustellen.
2.5 Eigenfinanzierung durch
151
Finanzintermediäre
•
Die Motivation beim Eingehen einer Wagnisbeteiligung liegt nicht primär in der Erzielung von Erträgen aus der laufenden Erfolgsbeteiligung, sondern vielmehr in der Erwartung eines langfristigen Wertzuwachses der Anteile, der bei einer späteren Veräußerung realisiert werden soll. Zur Risikobegrenzung innerhalb einer Wagnisbeteiligungsgesellschaft wird dabei eine Diversifizierung der Beteiligungen sowohl über die Technologiebereiche als auch über die Entwicklungsphasen der Unternehmen angestrebt. Das bedeutet, dass nicht nur Griindungs-, sondern auch Wachstumsfinanzierungen durchgeführt werden.
•
Die Wagnisfinanzierung umfasst neben der reinen Bereitstellung von „Risikokapital" zusätzlich auch die intensive und systematische betriebswirtschaftliche Betreuung und Beratung der Geldnehmer. Soweit es die getroffenen Vereinbarungen vorsehen, kann dies - als Äquivalent für die Übernahme höherer Risiken - bis zur aktiven Teilnahme an der Geschäftsführung gehen. Dabei wird von der Vorstellung ausgegangen, dass derartige Unternehmen, die natürlicherweise in einem sehr schmalen Segment über ein recht hohes technisches Wissen verfügen, häufig Defizite im betriebswirtschaftlichen Bereich aufweisen. Ihnen sollen Hilfestellungen etwa bei der Entwicklung geeigneter Marketing-Konzepte oder aber auch bei der Konzipierung unternehmensinterner Kontroll- und Steuerungsmechanismen gegeben werden. Phase
Grundlagenentwicklung
Entwicklung zur MarktProduktionsreife einführung
MarktReife durchdringung
Gewinn '
Verlust
210
5.1 Grundbegriffe
351
EV7 = 2 3 1 + ί°
Uio-C 0
EV8 =189 + C-160 50
/ C < 210 / C > 210
/ C < 160 /160 < C < 210 / C > 210
Abbildung 5.14 verdeutlicht diese drei Strategien, von denen uns hier primär die Spread-Strategie Sg interessiert, grafisch.
EV EV-, y
500·
EV 4 400· 300· 1
200'
EV 5
Gewinnschwelle
100'
C
0 ' - 100--
100 / 200
300
400
··'··!
\
:
500 !"
Abb. 5.14: Call Bull Price Spread
Ein Call Bull Price Spread in der hier betrachteten Form stellt eine sogenannte „konservative" Spekulationsstrategie dar, denn das Potenzial eines möglichen Gewinns ist begrenzt, in unserem Beispiel auf 31 Euro. Allerdings ist auch das Verlustpotenzial begrenzt, und zwar stärker als beim reinen Kauf einer Kaufoption (s. o. Strategie S3), da dem Anleger ja weitere Beträge aus dem Verkauf der zweiten Kaufoption und dessen verzinslicher Anlage zufließen. Kurssteigerungen des Basistitels schließlich haben nur insoweit einen positiven Einfluss auf das Endvermögen, wie sie sich innerhalb des „Spreads", d.h. zwischen den unterschiedlichen Basispreisen der beiden Kaufoptionen, im Beispiel also zwischen 160 und 210, bewegen. Das, gemessen am Gesamtvermögen, relativ geringe Verlustpotenzial resultierte in unserem Beispiel allerdings aus der speziellen Annahme,
352
5 Börsenmäßige
Wertpapiertermingeschäfte
dass insgesamt nur 10% des verfügbaren Vermögens in Optionen investiert werden. Ähnlich wie unter (bl) gezeigt, können allerdings auch Spread-Strategien mit einem „Hebel" versehen werden. In unserem Beispiel etwa wäre es möglich, mit dem vorhandenen Anfangsvermögen 10 Spreads zu realisieren und auf jegliche festverzinsliche Anlage zu verzichten. Wie Sie sich selbst leicht verdeutlichen können, würde die EV-Linie dieser Strategie für Kurse bis 160 den Wert 0 aufweisen, dann für Kurse zwischen 160 und 210 mit einem 10-fachen Hebel von 0 auf 500 steigen, auf weitere Kurssteigerungen dann jedoch nicht mehr reagieren. Wir wollen die weitere Analyse derartiger Spread-Strategien ebenso wie die Möglichkeit, auch mit Verkaufsoptionen einen Bull-Spread zu realisieren, ihren eigenen Überlegungen überlassen.
(c)
Bear-Strategien (cl) Erwerb von Verkaufsoptionen und Terminverkauf einer Aktie Ähnliche Aussagen, wie sie unter (bl) hinsichtlich der Spekulation auf steigende Kurse abgeleitet worden sind, lassen sich auch für die Spekulation auf fallende Kurse herleiten. Als Instrumente stehen hier der - ggf. durch Verkauf einer Kauf- und Kauf einer Verkaufsoption synthetisch nachzubildende - Terminverkauf sowie der Erwerb von Verkaufsoptionen zur Auswahl. Zur beispielhaften Verdeutlichung legen wir wieder die oben genannten Daten zugrunde und betrachten analog zu (bl) folgende drei Strategien: S9 :
Terminverkauf einer Aktie zu 210; Festzinsanlage in t = 0 von 200 Euro.
S 1 0 : Kauf von 10 Verkaufsoptionen. S n : Kauf von 1 Verkaufsoption; Festzinsanlage in t = 0 von 180 Euro. Für die Endvermögensfunktionen gilt dann: EV 9 = 2 1 0 + ( 2 1 0 - C ) = 4 2 0 - C 10 · ( 2 1 0 - C )
/C 210
ev10 = ;
210-C
/ C < 210
0
/ C > 210
E V U = 189 +
Abb. 5.15 verdeutlicht die durch diese Funktionen dargestellten Zusammenhänge grafisch.
5.1
Grundbegriffe
353
1
Gewinnschwelle
C 100--
Abb. 5.15: Endvermögen bei Terminverkauf und Verkaufsoptionen
Im Hinblick auf fallende Kurse stellen sich Beziehungen der Strategien Sg, S jo und S n zueinander genau so dar, wie wir das für die jeweils analogen Strategien Sj, S2 und S3 im Hinblick auf steigende Kurse bereits näher aufgezeigt haben. Bei Sjq wird im Vergleich zur Aktienanlage wiederum ein Hebel von 10 : 1 wirksam; das bei S ^ erzielbare Endvermögen hingegen bleibt wiederum um eine „Versicherungsprämie" hinter dem beim direkten Terminverkauf erzielbaren Wert zurück. Wiederum tritt auch bei Strategie Sjq der Totalverlust der eingesetzten Mittel ein, sofern der Kurs den vereinbarten Basispreis übersteigt; bei Strategie Su hingegen bleibt der Verlust wiederum auf die Differenz zwischen Optionspreis und Zinsgewinn beschränkt. Abweichend zu der unter (bl) untersuchten Situation ist beim Terminverkauf (S9) der Maximalverlust jedoch nicht auf den ursprünglichen Mitteleinsatz begrenzt, sondern kann diesen bei entsprechend hoher Kurssteigerung sogar noch übersteigen.1)
1
Steigt der Aktienkurs etwa auf 500, so bringt der für 210 vereinbarte Terminverkauf isoliert betrachtet einen Verlust von 290 Euro. Dem steht aus der Festgeldanlage ein Rückzahlungsbetrag incl. Zins von 210 Euro gegenüber, so dass per Saldo über den Verlust der ursprünglich eingesetzten Mittel hinaus weitere 80 Euro Verlust eintreten.
354
5 Börsenmäßige
Wertpapiertermingeschäfte
(c2) Verkauf von Kaufoptionen und Terminverkauf einer Aktie (Stillhalter-Bear-Strategie) In diesem Abschnitt sollen analog zu Abschnitt (b2) short calls mit Terminverkäufen verglichen werden. Dabei werden wir wiederum die Daten aus dem Ausgangsbeispiel in (a) zugrunde legen und jeweils die Betrachtung auf die beiden Möglichkeiten beschränken, eine oder zehn Optionen zu verkaufen. Die Strategien sind folgende: S9 :
Terminverkauf einer Aktie zu 210 Euro; Festzinsanlage in t=0 von 200 Euro.
S ¡2 : Verkauf von 10 Kaufoptionen; festverzinsliche Anlage von 400 Euro. Sj3 : Verkauf von 1 Kaufoption; festverzinsliche Anlage von 220 Euro. Für die Endvermögensfunktionen gilt dann: EV9 = 420 - C (s.o.) 0
/C < 210
10 ( C - 2 1 0 )
/C > 210
0
/C < 210
C - 210
/ C > 210
EV 12 = 420 -
Die Abbildung 5.16 verdeutlicht die dargestellten Zusammenhänge wiederum grafisch.
Gewinnschwelle
•
EV 1 2
I
EVg
C
EV0
Abb. 5.16: Endvermögen bei Terminverkauf und Verkauf von Kaufoptionen
5.1 Grundbegriffe
355
Die hier gezeigten Strategien weisen für den Fall steigender Kurse prinzipiell ein unbegrenztes Verlustpotenzial auf. Dabei schlägt wiederum das Verlustrisiko umso stärker durch, j e größer der Hebel ist. Lediglich bei einem Hebel von 1 : 1 (Strategie S13) bleibt der Verlust j e w e i l s um den Optionspreis incl. dem daraus resultierenden Zinsgewinn hinter dem des fixen Terminverkaufs zurück. Der Maximalgewinn ist demgegenüber bei allen Strategien begrenzt; bei S9 und S12 gerade auf die Summe aus -
Zinsgewinn auf das Anfangsvermögen und Basispreis (im vorliegenden Fall gleich dem Gesamtpreis aller Optionen) plus Zinsgewinn.
B e i Strategie S13 fällt der Maximalgewinn entsprechend niedriger aus. Die hier gezeigten Strategien stellen insbesondere bei der Erwartung nicht oder (leicht) fallender Kurse eine interessante Spekulationsmöglichkeit dar. B e i der Erwartung deutlich fallender Kurse beinhaltet die in ( c l ) vorgestellte Strategie im Allgemeinen die größeren Gewinnmöglichkeiten. B e i allen Stillhalterstrategien bringt das Eingehen offener Positionen zwangsläufig zugleich auch z.T. nicht unerhebliche Risiken mit sich. Deren A u s m a ß hängt, w i e schon unter ( b l ) und ( c l ) verdeutlicht wurde, wiederum von dem Hebel ab. Im Gegensatz zu den unter ( b l ) und ( c l ) betrachteten Optionsstrategien mit 1 : 1 Hebel (Strategien S 5 und S13) nicht der Fall. Die bei diesen Strategien verbleibende Verlustgefahr folgt generell proportional der A b - und Aufwärtsentwicklung des Aktienkurses, lediglich ein wenig um den Optionspreis „gedämpft". B e i m Vergleich von short- und long-Positionen ist schließlich auch noch ein Unterschied bei der Gestaltung des Hebels zu beachten. D a der K a u f von Optionen den sofortigen Einsatz von Mitteln verlangt, wird der bei baren Mitteln begrenzt; er ergibt sich konkret als Quotient aus dem Kassakurs und dem Optionspreis. Stillhalterpositionen hingegen können im Prinzip ohne den Einsatz von Mitteln aufgebaut werden; mithin ergibt sich daraus keine Beschränkung des maximal realisierbaren Hebels. Dieser kann theoretisch in beliebige Größenordnungen gesteigert werden. In der praktischen Durchführung ergeben sich allerdings insoweit doch wieder Restriktionen, weil es für das Eingehen von short-Positionen notwendig ist, bei den entsprechenden Börseninstanzen sogenannte Margins zu leisten, d.h. Sicherheiten in Form von G e l d oder Wertpapieren zu hinterlegen. Die einschlägigen
356
5 Börsenmäßige
Wertpapiertermingeschäfte
Regelungen sind an den einzelnen Börsen unterschiedlich; sie bewirken jedoch generell eine gewisse Begrenzung des Ausmaßes, in dem ein einzelner Marktteilnehmer offene Stillhalterpositionen eingehen kann. In gleicher Weise wird durch derartige Marginsregelungen im Übrigen zugleich auch das Volumen beschränkt, in dem ein einzelner Marktteilnehmer auf die im Abschnitt 5.1.2 unter (4) verdeutlichten Weise fixe Termingeschäfte synthetisch nachbilden kann.
(c3) Bear-Spread-Strategien Ein Beispiel für einen Spread, der in der Erwartung fallender Kurse eingesetzt wird, ist der Call Bear Price Spread, wobei ein Call mit einem relativ niedrigen Basispreis verkauft wird und ein Call mit einem relativ hohen Basispreis gekauft wird. Wir greifen auf die aus (b3) schon bekannten Daten zurück und betrachten nun die folgenden drei Strategien: S|4 : Kauf einer Kaufoption (210/20); verzinsliche Anlage von 180 Euro (Rückzahlungsbetrag: 189 Euro). 5 1 5 : Verkauf einer Kaufoption (160/40): verzinsliche Anlage von 240 Euro (Rückzahlungsbetrag: 252 Euro). 5 1 6 : Kombination von S 1 4 und S 1 5 , d.h. Kauf der Kaufoption (210/20) und Verkauf der Kaufoption (160/40); verzinsliche Anlage von 220 Euro (Rückzahlungsbetrag: 231 Euro). Für die Endvermögensfunktionen gilt dann: / C < 210 EV 1144 = 189 +
/ C > 210
/ C < 160 E V 15 „ = 252 +
/ C > 160
0 EV l f i = 231 + U 6 0 - C -50
/ C < 160 / 1 6 0 < C < 210 / C > 210
Abbildung 5.17 verdeutlicht die durch die Funktionen dargestellten Zusammenhänge grafisch.
357
5.1 Grundbegriffe
EV
Analog zu der unter (b3) verdeutlichten Bull-Spread-Strategie sind auch bei der Bear-Spread-Strategie Gewinne und Verluste begrenzt, eine Abhängigkeit des Endvermögens von der Kursentwicklung des Basistitels besteht wiederum nur innerhalb des Kursspreads, im Beispiel also für Kurse zwischen 160 und 210. Allerdings ist die „Richtung" der Endvermögenskurve - der Natur einer Bear-Strategie entsprechend - gerade entgegengesetzt so, dass niedrigere Kurse des Basistitels zu günstigeren Ergebnissen führen. Die auch hier bestehenden Möglichkeiten, auch Bear-Spread-Strategien statt mit Kauf- auch mit Verkaufsoptionen zu realisieren oder sie mit „Hebeln" zu versehen, wollen wir wiederum ihren eigenen Überlegungen überlassen. (d)
Strategien auf die Volatilität der Kursentwicklung
Neben den Strategien, die auf die künftige Kursentwicklung abzielen, gibt es auch solche, die auf die Volatilität der zukünftigen Kursentwicklung ausgerichtet sind. Innerhalb der letzteren Gruppe kann man zwei grundsätzliche Strategien unterscheiden: solche, die mit einer relativ hohen Volatilität rechnen (Long Straddle), und solche, die mit einer relativ geringen Volatilität rechnen (Short Straddle). (dl) Long Straddle: Strategie auf starke Kursänderungen Wie wir bereits in Abschnitt 5.1.2 (5) gesehen haben, werden beim Long Straddle gleichzeitig eine Kauf- und eine Verkaufsoption mit demselben Basiswert zum selben Basispreis sowie zum selben Termin gekauft.
358
5 Börsenmäßige
Wertpapiertermingeschäfte
Wie die Abbildung 5.09 zeigt, ist das Verlustpotenzial dabei auf die Summe der beiden Optionspreise begrenzt. Das Gewinnpotenzial ist umso höher, je größer die Differenz zwischen zukünftigem Kurswert und Basispreis ist, d.h. der Inhaber eines Long Straddle verdient sowohl an starken Kurssenkungen als auch an starken Kurssteigerungen. Das Gewinnpotenzial bei steigenden Kursen ist theoretisch unbegrenzt, bei fallenden Kursen ist es auf die Differenz zwischen Basispreis (der Verkaufsoption) und der Summe der beiden Optionspreise begrenzt. Der Inhaber eines Long Straddle profitiert also immer dann, wenn sich der Basiswert möglichst weit von dem vereinbarten Basispreis fortbewegt - sei es nach oben oder sei es nach unten. (d2) Short Straddle: Strategie auf geringe Kursänderungen Bei einem Short Straddle wird gleichzeitig bei einer Verkaufs- und bei einer Kaufoption eine Stillhalterposition eingenommen (gleicher Basispreis und gleicher Verfalltermin). Das Verlustpotenzial bei einem Short Straddle ist bei starken Kurssenkungen bzw. bei starken Kurssteigerungen besonders hoch. Bei steigenden Kursen ist der Maximalverlust theoretisch unbegrenzt, bei fallenden Kursen ist der Maximalverlust auf die Differenz zwischen Basispreis und der Summe der beiden Optionspreise begrenzt. Das Gewinnpotenzial ist auf die Summe der beiden Optionsprämien begrenzt. Der Straddle-Stillhalter profitiert davon, wenn der Kurs möglichst wenig vom vereinbarten Kurs abweicht.
(2)
Hedging-Strategien Während die im vorangegangenen Abschnitt behandelten Spekulationsstrategien alle darauf hinauslaufen, Kursänderungsrisiken in mehr oder weniger großem Ausmaß bewusst in Kauf zu nehmen, besteht das Ziel des Hedging gerade entgegengesetzt darin, bestimmte Risiken, die sich aus zuvor abgeschlossenen Primärgeschäften ergeben, durch ergänzende Sekundärgeschäfte zu vermindern oder im Extremfall völlig zu beseitigen. Dieser Effekt kann immer dann erreicht werden, wenn die Sekundärgeschäfte in Abhängigkeit von dem Eintritt der maßgeblichen Zufallsereignisse, z.B. der Entwicklung eines bestimmten Aktienkurses, gerade in entgegengesetzter Weise zu Gewinnen oder Verlusten führen wie die Primärgeschäfte.
5.] Grundbegriffe
359
Als besonders prägnantes Beispiel für derartige Hedgingstrategien mit Hilfe von Wertpapiertermingeschäften wollen wir die Möglichkeit zur Absicherung eines gegebenen Aktienbestandes gegen etwaige Kursverluste betrachten. Im Wesentlichen bestehen dazu zwei Möglichkeiten: a)
Fixgeschäfte
Der Anleger verkauft seinen Bestand - ggf. durch ein synthetisches Geschäft gemäß Abschnitt 5.1.2, Teil (4) - per Termin und sichert sich damit bis zum Erfüllungstermin gegen Kursschwankungen ab, wobei sich ihm im Erfüllungstermin grundsätzlich zwei Möglichkeiten bieten: •
In Erfüllung des Termingeschäfts baut er seinen Bestand definitiv ab. Er hat sich dann bereits bei Abschluss des Termingeschäfts definitiv den Verkaufspreis gesichert und ist von möglicherweise nachfolgenden Kurssenkungen nicht mehr betroffen. Allerdings verzichtet er damit zugleich auch auf die Chance steigender Kurse.
•
Er behält seinen Bestand und deckt sich in Erfüllung des Termingeschäfts zu dem dann aktuellen Kurs ein. Ist der Kurs zwischenzeitlich gesunken, realisiert er aus dem Termingeschäft einen Gewinn, der den an seinem Bestand eingetretenen Wertverlust kompensiert. Bei einer zwischenzeitlichen Kurssteigerung hingegen führt das Termingeschäft zu einem Verlust, der jedoch durch den Wertzuwachs an seinem Bestand kompensiert wird.
In beiden Fällen entledigt sich der Anleger also des Risikos fallender Kurse; der „Preis" dafür besteht in dem gleichzeitigen Verzicht auf die Chance von Kurssteigerungen.
Übungsaufgabe 5.05: Anleger MUTIG hat vor 4 Monaten 100.000 Euro in Aktien der PHOENIX AG angelegt. Seitdem ist der Kurs von 200 in den Bereich um 300 gestiegen. MUTIG rechnet subjektiv nicht mit weiteren Kurssteigerungen und würde den Kursgewinn gerne realisieren. Ihn stört allerdings der Umstand, dass er Kursgewinne, die innerhalb eines halben Jahres anfallen, versteuern muss. Am Optionsmarkt werden auf einen Basispreis von 300 bezogene 6 Monats-Optionen (puts und calls) zu 20 gehandelt. Zeigen Sie auf, wie MUTIG sich durch ein „synthetisches" Fixgeschäft gemäß Relation (5.02) den Kursgewinn sichern kann, ohne dabei steuerpflichtige Gewinne zu erzielen! Verdeutlichen Sie Ihre Überlegungen auch an Hand einer Grafik nach Art der Abbildungen 5.11 bis 5.13!
360
5 Börsenmäßige
Wertpapiertermingeschäfte
Bislang haben wir unterstellt, dass das im Bestand befindliche Wertpapier zugleich auch exakt Gegenstand des Termingeschäftes ist. Eine ähnlich risikobegrenzende Wirkung kann allerdings auch erreicht werden, wenn ein anderes (reales oder synthetisches) Wertpapier per Termin verkauft wird, von dem zu erwarten ist, dass es sich in seiner Kursentwicklung in etwa gleichgerichtet zum Kurs des abzusichernden Bestandes bewegt. So kann etwa -
ein breit gestreutes Portefeuille deutscher Aktien annähernd durch den Verkauf eines Futures auf einen deutschen Aktienindex abgesichert werden oder
-
eine im Bestand befindliche 8%-Anleihe der Deutschen Post AG mit 9-jähriger Restlaufzeit durch den Terminverkauf einer synthetischen, langfristigen Bundesanleihe.
b)
Verkaufsoptionen
Ähnliche Effekte können auch durch den Kauf einer Verkaufsoption erreicht werden. •
Sinkt der Kurs des abzusichernden Bestandes unter den Basispreis, so übt der Anleger sein Optionsrecht aus und liefert entweder aus seinem Bestand oder - falls er den Bestand beibehalten will - einem Deckungsgeschäft. Die Effekte sind insoweit die gleichen wie beim Terminverkauf; allerdings entstehen zusätzlich fixe Kosten in Höhe des Optionspreises.
•
Steigt der Kurs hingegen, so lässt der Anleger die Option verfallen und profitiert - sei es durch Verkauf, sei es durch Wertzuwachs des Bestandes - von der Kurssteigerung, soweit sie den Optionspreis übersteigt.
Während der Anleger beim Fixverkauf die Abwälzung des Kursverlustrisikos mit dem Verzicht auf mögliche Kursgewinne „bezahlt", bleibt dem Käufer der Verkaufsoption diese Chance erhalten, er zahlt dafür durch die Entrichtung des fixen Optionspreises.
Übungsaufgabe 5.06: Gehen Sie von den Daten der Übungsaufgabe 5.05 aus und zeigen Sie nun, wie der angestrebte „Gewinntransfer" über die 6-Monats-Frist zumindest annähernd auch durch den alleinigen Kauf einer Verkaufsoption bewerkstelligt werden kann! Unterstellen Sie dabei, MUTIG würde die dazu benötigten Mittel durch einen Kredit mit einem Zins von 7% p.a. finanzieren! Bedienen Sie sich zur Lösung wiederum einer Grafik und vergleichen Sie das Ergebnis mit dem als Lösung von Übungsaufgabe 5.05 abgeleiteten Resultat!
5.1 Grundbegriffe
(3)
361
Arbitragestrategien Ein weiteres Motiv zum Engagement in Wertpapiertermingeschäften kann in der Absicht bestehen, zu einem ersten Geschäft im Idealfall gleichzeitig, ansonsten kurz darauf, ein zweites Geschäft abzuschließen, das -
in seiner Risiko-Chance-Position der des ersten Geschäftes gerade entgegengesetzt ist, so dass sich Risiken und Chancen per Saldo aufheben und per Saldo eine sicher vorhersehbare Zahlungsreihe entsteht, die •
entweder sofort im Abschlusszeitpunkt einen sicheren Gewinn aufweist oder
•
eine höhere Verzinsung erbringt als die ansonsten mögliche sichere Alternativanlage.
Grundsätzlich sind derartige Arbitragemöglichkeiten in verschiedener Hinsicht denkbar, insbesondere -
hinsichtlich der gleichen Objekte an verschiedenen Terminbörsen,
-
an der gleichen Terminbörse zwischen verschiedenen Formen und Kombinationen von Termingeschäften in dem gleichen Basiswert,
-
zwischen Kassa- und Terminbörse in dem gleichen Basiswert.
Beispiel 5.01: a) Die ABC-Aktie wird aktuell zum Kassakurs von C 0 = 530 Euro gehandelt; jederzeitige ausübbare Kaufoptionen auf die ABC-Aktie mit einem Basispreis von 500 Euro notieren zu Ρ = 20 Euro. In diesem Fall führte folgende Arbitragetransaktion zu einem sicheren Gewinn: -
Kauf einer Kaufoption und sofortige Ausübung („Preis": 500 + 20 = 520 Euro),
-
gleichzeitiger Verkauf einer Aktie im Kassahandel (Preis 530 Euro).
b) Die XY-Aktie wird aktuell zum Kassakurs von 200 Euro gehandelt, Kauf und Verkaufsoptionen per 6 Monate mit einem Basispreis von 210 Euro werden zu 20 Euro gehandelt. Liquide Mittel können für beliebige Zeiträume zu 8% p.a. sicher angelegt werden. Für einen Anleger, der über einen Anlagebetrag von 20.000 Euro verfügt, wäre dann folgende Kombination von Geschäften lohnend: -
Er kauft 100 XY Aktien zum Kurs von 200 Euro.
-
Zugleich „verkauft" er im Wege eines synthetischen Fixgeschäfts gem. Abschnitt 5.1.2, Teil (4), 100 XY-Aktien per Termin zum Kurs von 210 Euro, wird also Stillhalter einer Kaufoption und zugleich Inhaber einer Verkaufsoption.
Im Fälligkeitszeitpunkt sind zwei Konstellationen zu unterscheiden:
362
5 Börsenmäßige
Wertpapiertermingeschäfte
1) Der Aktienkurs liegt unter 210. Dann nutzt der Anleger seine Verkaufsoption und verkauft den vorhandenen Aktienbestand zu 21.000 Euro. 2) Der Aktienkurs liegt über 210. Dann wird der Anleger als Stillhalter der Kaufoption in Anspruch genommen und verkauft ebenfalls den vorhandenen Bestand zu 21.000 Euro. Aus dem geschilderten Geschäft erzielt der Anleger also in einem Halbjahr mit einem Einsatz von 20.000 Euro einen sicheren Vermögenszuwachs von 1.000 Euro. Bei der alternativ möglichen festverzinslichen Anlage hätte er jedoch nur einen Zinsgewinn von 800 Euro erzielen können. Für alle Anleger, die Mittel - als Ergebnis unmittelbarer Vereinbarungen oder als Resultante eines Bündels anderer Vereinbarungen - festverzinslich und sicher anlegen wollen, wäre es somit vorteilhaft, statt der unmittelbaren festverzinslichen Anlage zu 8% p.a. das geschilderte Arbitragegeschäft durchzuführen. Dementsprechend würden Kaufoptionen verstärkt angeboten, Verkaufsoptionen hingegen verstärkt nachgefragt.
Wie die geschilderten Beispiele ebenfalls deutlich machen, liegt das Dilemma der Arbitrage darin begründet, dass sie stets Wirkungen entfaltet, die ihr selbst die Basis entziehen. So dürfte im Beispiel a) bei ABCAktien zu einem Kurs von 530 Euro ein hohes Angebot, aber kaum Nachfrage vorliegen, während Kaufoptionen zu 20 Euro stark nachgefragt würden, aber nur wenig Bereitschaft bestehen dürfte, entsprechende Stillhalterpositionen einzugehen. Ein Ausgleich von Angebot und Nachfrage könnte mithin erst bei einem niedrigeren Aktienkurs und/oder höheren Optionspreis gefunden werden, also etwa bei der Konstellation C 0 = 522, Ρ = 25. In ähnlicher Weise würde auch im Beispiel b) die im Hinblick auf das Zinsniveau „zu große" Differenz zwischen Kassa- und (implizitem) Terminkurs über Arbitragegeschäfte der geschilderten Art dazu führen, dass -
der Kassakurs wegen des zunehmenden Kaufinteresses steigt,
-
der Preis von Verkaufsoptionen wegen des zunehmenden Kaufinteresses ebenfalls steigt,
-
der Preis von Kaufoptionen hingegen wegen des zunehmenden Angebotsdruckes fällt.
Schließlich wäre es je nach der gesamten Marktsituation auch noch denkbar, dass der Zins für kurzfristige Anlagen steigt. Auf gut funktionierenden Märkten, wie es Wertpapierbörsen üblicherweise sind, können sich somit in aller Regel nur kurzfristig und in geringfügigem Ausmaß lohnende Arbitragemöglichkeiten in dem skizzierten Sinne bieten.
5.1 Grundbegriffe
363
Übungsaufgabe 5.07: Gehen Sie von den Daten des letzten Beispiels unter b) aus! a) Bei welchem Anlagezins würde sich bei ansonsten unveränderten Daten eine Arbitrage der geschilderten Art gerade nicht mehr lohnen? b) Welche Beziehung müsste zwischen den Preisen für Kauf- und Verkaufsoptionen herrschen, damit bei sonst unveränderten Daten gegenüber dem Beispiel die geschilderte Arbitrage nicht mehr lohnt?
Im einschlägigen Sprachgebrauch fasst man den Begriff der Arbitrage allerdings auch weiter und versteht darunter auch noch das gewinnbringende Ausnutzen geeigneter Kurskonstellationen zu verschiedenen, nicht allzu weit auseinanderliegenden Zeitpunkten. Ein Arbitrageur in diesem Sinne geht also zunächst eine offene Position der im Abschnitt 5.1.3, Teil (1) erläuterten Art ein, jedoch nicht mit dem Ziel, diese bis zum Vertragsende offen zu halten, sondern mit der Absicht, sich möglichst schnell durch ein geeignetes Gegengeschäft „glatt" zu stellen und dabei einen Gewinn zu realisieren. Erweitert man den Arbitragebegriff in dieser Weise, so gewinnt über die bislang verdeutlichten Arbitrageformen hinaus die Möglichkeit an Bedeutung, einen zunächst abgeschlossenen Terminkontrakt auf dem Sekundärmarkt wieder zu verkaufen. Im Gegensatz zur zeitgleichen Arbitrage kann der Anleger bei dieser intertemporalen Arbitrage jedoch nicht sicher sein, dass es ihm die Marktentwicklung auch wirklich erlauben wird, das zunächst abgeschlossene Primärgeschäft durch ein späteres Gegengeschäft mit Gewinn auszugleichen. Auf der anderen Seite besteht natürlich auch bei einem zunächst in spekulativer Absicht im Sinne von Abschnitt 5.1.3, Teil (1) abgeschlossenen Geschäft die Möglichkeit, sich bei einer günstigen Marktkonstellation vor Fälligkeit gewinnbringend glatt zu stellen. Mit anderen Worten: Im konkreten Anwendungsfall sind die Grenzen zwischen Arbitrage- und Spekulationsgeschäften sehr viel weniger scharf, als das im einschlägigen Schrifttum häufig dargestellt wird. Ähnliches gilt im Übrigen auch für die Unterscheidung zwischen Hedging- und Arbitragegeschäften einerseits, sowie Hedging- und Spekulationsgeschäften andererseits. In reiner Form markieren diese drei Geschäftstypen eher die Eckpunkte eines Dreiecks, dessen übrige Punkte die verschiedenen Zwischenformen zwischen den drei „reinen" Extremtypen verdeutlichen.
364
5 Börsenmäßige Wertpapiertermingeschäfte
Übungsaufgabe 5.08: An einem Terminmarkt herrschen folgende Gegebenheiten: -
Terminkurs der XY-Aktie per 6 Monate:
-
Preis einer Kaufoption mit dem Basispreis von 200 Euro in XY-Aktien per 6 Monate:
20 Euro
Preis einer Verkaufsoption mit dem Basispreis von 200 Euro per 6 Monate:
18 Euro
-
200 Euro
a) Verdeutlichen Sie, welche Arbitragemöglichkeiten sich in dieser Situation bieten würden! Beachten Sie dabei die Ausführungen unter (4) im Abschnitt 5.1.2.3 und vernachlässigen Sie bei der rechnerischen Herleitung Zinseffekte und Transaktionskosten! b) Welche Kurstendenzen würden durch das Bestehen von Arbitragemöglichkeiten der unter a) abzuleitenden Art ausgelöst?
5.2
Ausgestaltung des Terminhandels
5.2.1
Überblick
In Deutschland waren börsenmäßige Termingeschäfte jeder Art nach einer ersten Blüte in den zwanziger Jahren über Jahrzehnte hinweg verboten. Erst im Jahre 1970 wurden in einigen ausgewählten Wertpapieren Optionsgeschäfte wieder zugelassen. Der Präsenzhandel mit Optionen fand zuletzt an den Wertpapierbörsen in Frankfurt, Düsseldorf und Berlin statt. Anfang des Jahres 1990 hat die Deutsche Terminbörse (bis 1998 „DTB", seitdem „Eurex Deutschland"; bei allgemeingültigen Aussagen wird im Folgenden der Einfachheit halber nur von „Terminbörse" gesprochen) in Frankfurt ihre Tätigkeit aufgenommen, an der ausschließlich Termingeschäfte abgewickelt werden. Im Gegensatz zu den übrigen traditionellen Börsen, bei denen sich der Handel zu bestimmten Börsenstunden in Anwesenheit der Händler und Makler vollzieht, stellt die Terminbörse eine reine Computerbörse dar. Der Handel wird also ausschließlich über Terminals der zum Handel an der Terminbörse zugelassenen Marktteilnehmer (der sog. Börsenteilnehmer) abgewickelt. Diese sind mit dem Zentralcomputer der Terminbörse verbunden, der zum ersten mittels des sog. Terminbörse-Handelsbildschirms ständig einen Überblick über die aktuelle Marktlage durch Angabe von Kursen, Angeboten, Nachfragen etc. („market and size") vermittelt,
5.2 Ausgestaltung des Terminhandels
365
zum zweiten ständig weitere Aufträge oder sonstige Offerten der Marktteilnehmer entgegennimmt und -
zum dritten während der festgelegten Handelszeit automatisch alle miteinander kompatiblen Aufträge nach dem Prinzip des fortlaufenden Handels zusammenführt, insoweit also zugleich eine Funktion von Maklern wahrnimmt.
Die Terminbörse hat ihren Betrieb 1990 zunächst mit dem Handel in einigen ausgewählten Aktienoptionen begonnen. Seitdem wurde das Angebot der Terminbörse mehrfach erweitert, so dass inzwischen auch Futures auf Indices und auf idealtypische Anleihen mit unterschiedlichen Restlaufzeiten sowie Optionen auf Indices und auf einige der genannten Futures gehandelt werden können. Auf die wichtigsten der nach Börsengesetz, Eurex-Trading-Bedingungen und Eurex-Clearing-Bedingungen maßgeblichen Bestimmungen für Termingeschäfte werden wir in Grundzügen im Folgenden eingehen.
5.2.2
Marktteilnehmer und Aufträge an der Terminbörse
Die Terminbörse ist eine Computerbörse, die nach dem Marketmakerprinzip arbeitet. Die Teilnahme am Handel an der Terminbörse setzt die Zulassung durch den Börsenvorstand voraus. Diese ist an die Erfüllung verschiedener Voraussetzungen in persönlicher, sachlicher und finanzieller Hinsicht geknüpft. Im einzelnen sind die folgenden beiden Gruppen von Marktteilnehmern zu unterscheiden: •
Händler geben ihre Aufträge über ihre Terminals in den „Markt" (also den Zentralcomputer der Terminbörse). Dabei kann es sich sowohl um Eigengeschäfte als auch um die Erledigung von Kundenaufträgen handeln.
•
Market Maker sind verpflichtet, in den von ihnen betreuten Basiswerten auf Anfrage sog. Quotes (auch bid-ask-spread genannt) zu stellen, d.h. jeweils einen Preis zu nennen, zu dem sie bereit sind, die entsprechende Position auf eigene Rechnung zu übernehmen, und einen zweiten Preis, zu dem sie bereit sind, die entsprechende Position auf eigene Rechnung abzugeben. Market Maker können aber auch unaufgefordert ihre jeweiligen Quotes bekanntgeben, an die sie dann bis zur Bekanntgabe neuer Werte gebunden sind.
Unter den an der Terminbörse agierenden Personen befinden sich also - im Gegensatz zu den Präsenzbörsen - überhaupt keine Makler. Den rein mechanischen Teil ihrer Aufgabe - die Zusammenführung zueinander passender Aufträge - übernimmt in der noch näher zu charakterisierenden Weise der Zentralcomputer der Terminbörse. Ansonsten wird darauf gesetzt, dass Market Maker, die daran
366
5 Börsenmäßige
Wertpapiertermingeschäfte
interessiert sind, per Saldo keine offenen Positionen aufzubauen, aber in möglichst großem Umfang an den Spannen zwischen den eigenen Käufen und Verkäufen zu verdienen, in Konkurrenz mit anderen Market Makern dazu beitragen, -
ständig möglichst „marktgerechte" Kurse zu nennen und zugleich für eine weitestgehende „Räumung" des Marktes zu sorgen.
Aufträge, die von den Händlern in den Markt gegeben werden, können limitiert oder uniimitiert erteilt werden. Dabei können oder müssen sie zum Beispiel durch eine der folgenden Gültigkeitsklauseln gemäß den Eurex-TradingBedingungen konkretisiert werden:1) •
Good-till-cancelled: Sofern der Auftrag nicht sofort zur Ausführung gelangt, bleibt er so lange gültig, bis er widerrufen wird.
•
Good-till-date: Sofern der Auftrag nicht sofort zur Ausführung gelangt, bleibt er bis zum Ablauf der angegebenen Frist gültig.
Limitierte Aufträge können darüber hinaus als sog. eingeschränkt limitierte Aufträge zusätzlich mit einer der folgenden Ausführungsklauseln versehen werden: •
Fill-or-kill: Sofern der Auftrag nicht sofort vollständig ausgeführt wird, ist er umgehend wieder zu löschen.
•
Immediate-or-cancel: Der Auftrag soll umgehend ganz oder, sofern dies nicht möglich ist, auch nur teilweise ausgeführt werden; der nicht sofort ausführbare Rest ist wieder zu streichen.
Zudem gibt es die Möglichkeit Stop-Aufträge zu stellen. In diesem Fall gibt der Kunde einen gewünschten Preis an, bei deren Erreichen es zur Auftragsausführung als Bestens- oder Billigst-Order kommt. Für die weitere Behandlung der in der einen oder anderen Weise spezifizierten Aufträge der Händler wie auch der Quotes der Market Maker ist entscheidend, in welcher der folgenden in den Eurex-Trading-Bedingungen präzisierten Handelsphasen sie erfolgen: •
Pre-Trading-Periode: In der vorbörslichen Phase können Aufträge und Quotes eingegeben werden. Ein Handel, d.h. eine Zuordnung von Angebot und Nachfrage, erfolgt noch nicht; alle Eingaben werden gesammelt.
1
Die hier genannten Auftragstypen werden i.d.R. auch bei dem bereits erwähnten XETRAHandel genutzt.
5.2 Ausgestaltung des Terminhandels
367
•
Opening-Periode: Bei Eröffnung des Börsenhandels wird für jede Kontraktkategorie gemäß den näheren Bestimmungen der Eurex-TradingBedingungen nach dem Meistausführungsprinzip ein Eröffnungskurs ermittelt.
•
Trading-Periode: Anschließend werden die Geschäfte in der Handelsphase nach dem Prinzip des Ihnen bereits bekannten fortlaufenden Handels weiter abgewickelt.
•
Post-Trading-Periode: Für eine gewisse Zeit nach Beendigung der Handelsphase können weitere Aufträge und Quotes eingegeben werden, die allerdings erst am nächsten Börsentag im Verbund mit den weiteren Aufträgen in der nächsten vorbörslichen Phase zur Ausführung gelangen können.
Die Erfüllung von Aufträgen, das sog. Matching, kann also nur in der Openingund der Trading-Periode erfolgen, und zwar sowohl in der Weise, dass Aufträge von Händlern mit passenden Quotes der Market Maker zusammengeführt werden, -
als auch dadurch, dass miteinander kompatible Aufträge verschiedener Händler zusammengeführt werden.
Die Ermittlung des Eröffnungskurses sowie die ständige Zuordnung von Angebot und Nachfrage werden dabei ohne jegliche menschliche Einwirkung durch den zentralen Computer der Terminbörse vorgenommen. Die für das zugrundeliegende Programm maßgeblichen Regelungen über die Art und Weise, wie die Aufträge zusammengeführt werden, sind in den Eurex-Trading-Bedingungen fixiert.
5.2.3 a)
Handelsobjekte an der Terminbörse Optionsgeschäfte an der Terminbörse1)
Neben den vier Grundpositionen des Käufers einer Kaufoption (Long Call), des Stillhalters einer Kaufoption (Short Call), des Käufers einer Verkaufsoption (Long Put) und -
des Stillhalters einer Verkaufsoption (Short Put)
1 Vgl. dazu das Informationsangebot der Eurex im Internet unter http://www.eurexchange.com.
368
5 Börsenmäßige
Wertpapiertermingeschäfte
können an der Terminbörse außerdem verschiedene Formen kombinierter Aufträge in den Markt gegeben werden. Dabei handelt es sich um zwei zur gleichen Zeit eingegebene Einzelaufträge -
über Kauf und/oder Verkauf derselben Anzahl von Kontrakten desselben Produkts,
-
die sich jedoch in Bezug auf Fälligkeit und Basispreis unterscheiden können, wobei die Ausführung der Kauf- und Verkaufsaufträge voneinander abhängig sind.
Welche Kombinationsformen im Einzelnen in dieser Weise standardmäßig gehandelt werden können, legt der Börsenvorstand fest. Unter anderem können sich aus den Kombinationen der Geschäfte folgende Grundtypen ergeben: •
Straddles: Kombination von einem Call und einem Put desselben Basiswertes mit gleicher Laufzeit und gleichem Basispreis jeweils entweder als Käufer beider Optionen (Long Straddle) oder als Stillhalter beider Optionen (Short Straddle).
•
Strangles: Kombination von einem Call und einem Put desselben Basiswertes mit gleicher Laufzeit, aber unterschiedlichem Basispreis jeweils entweder als Käufer (Long Strangle) oder als Stillhalter (Short Strangle).
•
Vertical Spreads (auch Price Spread genannt): Kauf eines Put (Call) und gleichzeitiger Verkauf eines Put (Call) mit gleicher Laufzeit, aber anderem Basispreis.
•
Horizontal Spreads (auch Time Spread genannt): Kauf eines Put (Call) und gleichzeitiger Verkauf eines Put (Call) mit gleichem Basispreis, aber anderer Laufzeit.
Im Hinblick auf die Laufzeit sind zunächst die folgenden beiden Begriffe zu erläutern: •
Der (monatliche) Verfalltag ist der auf den dritten Freitag im Monat folgende Börsentag.
•
Der Quartals-Verfalltag ist der (monatliche) Verfalltag im letzten Monat eines jeweiligen Quartals (also März, Juni, September und Dezember).
Aktienoptionen werden an der Terminbörse entsprechend ihren Verfallsmonaten in drei Gruppen gehandelt. Beispielhaft werden an dieser Stelle die Laufzeiten der sog. Gruppe A näher erläutert. Bis zum letzten Börsentag vor dem Verfalltag des laufenden Monats werden Optionen auf Aktien dieser Gruppe jeweils für sechs verschiedene Verfallmonate gehandelt:
5.2 Ausgestaltung des Terminhandels
369
bis zum Verfalltag des laufenden Monats, bis zum Verfalltag des Folgemonats, -
bis zum Verfalltag des übernächsten Monats und
-
bis zu den drei nächsten danach liegenden Quartalsverfalltagen.
Die Ausübung von Optionsrechten auf Aktien ist an jedem Börsentag, letztmalig am letzten Handelstag vor dem Verfalltag möglich. Die Terminbörse stellt sicher, dass für jeden Put und jeden Call für jeden Fälligkeitstermin jeweils mindestens drei Serien mit unterschiedlichen Basispreisen zur Verfügung stehen, und zwar mit je einem Basispreis -
in the money, at the money und out of the money.1)
Beispiel 5.02: Der aktuelle Kassakurs einer Aktie beträgt 503 GE. Bei der Eröffnung des Optionshandels dieses Wertes zu einem neuen Verfalltermin könnten dementsprechend etwa folgende Preisstufen vorgesehen werden: 550: in the money für Puts, out of the money für Calls 500: at the money 480: in the money für Calls, out of the money für Puts
Im Laufe des weiteren Handels in der Folgezeit können dann allerdings je nach der Kassakursentwicklung des Basiswertes weitere Preisstufen hinzukommen. Bei der zwischenzeitlichen Ausgabe von Bezugsrechten wird der Basispreis bereits abgeschlossener Optionen um einen Betrag ermäßigt, der dem Wert des Bezugsrechts nach einer von der Terminbörse festgelegten Formel entspricht. Divi-
1
„In the money", also ,4m Geld", bedeutet, dass sich die Ausübung der Option für den Optionsinhaber bei Fälligkeit lohnen würde, falls die derzeitigen Kurse auch bei Fälligkeit gelten würden, d.h. also z.B. für den Fall eines Calls, dass der Kurs des Basistitels oberhalb des Ausübungspreises liegt. Die Ausübung einer Option, würde sich nicht lohnen, wenn die Option „out of the money" ist. In diesem Fall wäre bei dem genannten Call der Kurswert unterhalb des Ausübungspreises. Bei „at the money"-Optionen liegt der Kurswert des Basistitels nahe am Ausübungspreis.
370
5 Börsenmäßige
Wertpapiertermingeschäfte
denden, Boni oder sonstige Barausschüttungen hingegen führen nicht zu einer Veränderung der Basispreise. Anders als die bislang vorgestellten Aktienoptionen ist die DAX-Option ein Indexoptionskontrakt. Dieser Art eines Optionskontraktes liegt kein handelbares Gut (wie z.B. 100 Aktien), sondern der Wert des Deutschen Aktienindex (DAX) zugrunde. Der DAX wird aus den Kursen von 30 von der Börse ausgewählten Standardwerten, die an den deutschen Börsen gehandelt werden, innerhalb der Börsenhandelszeit in kurzen, regelmäßigen Zeitabständen laufend neu berechnet. Im Gegensatz zu den Aktienoptionen ist die DAX-Option vom europäischen Typ; d.h. sie kann nur genau zu dem vorgesehenen Ausübungstag ausgeübt werden. Dabei stehen jeweils 12 verschiedene Termine zur Auswahl. Die für die Basispreise geltenden Preisabstufungen hängen von der Laufzeit des Kontraktes ab. Bei Laufzeiten von bspw. 6 Monaten existieren jeweils Preisabstufungen von 50 Indexpunkten. Bei Einführung eines neuen Verfallmonats werden mindestens fünf (maximal neun) neue Basispreise eingeführt, und zwar im Vergleich zum aktuellen Indexstand je mehrere in-the-money und out-of-the-money sowie einer at-the-money. Die hierzu benötigten Schlussabrechnungspreise des DAX werden als Durchschnittswert des Index aus den Indexberechnungen am letzten Handelstag innerhalb eines spezifischen Zeitraumes des Börsenhandels der Frankfurter Wertpapierbörse (XETRA-Handel) ermittelt. Ebenso wie bei den Optionen auf Aktien nehmen auch hier Dividendenzahlungen keinen Einfluss, da bei der Berechnung des zugrundeliegenden Index die Dividendenabschläge auf die eingehenden Aktienkurse herausgerechnet werden. Im Gegensatz zu den bislang vorgestellten Optionskontrakten bezieht sich die Option auf den BUND- (bzw. BOBL-) Future nicht auf einen originären oder synthetischen Wert des Kassamarktes, sondern auf einen anderen Terminkontrakt, den BUND- (bzw. BOBL-) Future (vgl. Unterpunkt b). So erwirbt der Käufer einer derartigen Kaufoption das Recht, BUND- (bzw. BOBL-) Futures zu kaufen. Bei Ausübung wird aus seiner bedingten Optionsposition eine unbedingte Kauf(Long-)Position im Future. Als Käufer einer Verkaufsoption wird auf der anderen Seite das Recht erworben, Futures zu verkaufen, d.h. bei Ausnutzung der Optionsposition eine Verkaufs- (Short-) Position im Future einzunehmen. Die kleinste Preisänderung beträgt hier 0,01, was bei einem Nominalwert von 100.000 Euro einem Tick-Wert von Euro 10 entspricht.
5.2 Ausgestaltung des
b)
Terminhandels
371
Futuresgeschäfte an der Terminbörse
Neben den unter Teil a) dargestellten Optionen werden an der Terminbörse unter anderem Futures auf Indices und auf (synthetische) Anleihen gehandelt. An dieser Stelle sollen nur einige wichtige Futuresgeschäfte kurz vorgestellt werden: •
Der DAX-Future bezieht sich ebenso wie die DAX-Option auf den deutschen Aktienindex.
•
Der DJ EURO STOXX 50 Future bezieht sich auf den sog. Dow Jones EURO STOXX 50. Der DJ EURO STOXX 50 ist ein weiterer Aktienindex, der aus den Kursen von 50 ausgewählten Standardwerte aus der Euro-Zone gebildet wird.
•
Der langfristige BUND-Future bezieht sich auf eine idealtypische 6%-ige Schuldverschreibung des Bundes mit 8V2 bis lOVi-jähriger Restlaufzeit, die in dieser Form gar nicht wirklich im Umlauf sein muss. Der (hypothetische) Kurs dieser Anleihe wird nach einer bestimmten finanzmathematischen Formel aus den tatsächlichen Zins- und Kurskonstellationen abgeleitet.
•
Der mittelfristige BOBL-Future weist die gleichen Kontraktspezifikationen wie der langfristige BUND-Future auf, er erfordert jedoch die Lieferung von Bundesanleihen mit 4 Vi- bis 5 '¿-jähriger Restlaufzeit.
•
Der kurzfristige SCHATZ-Future weist die gleichen Kontraktspezifikationen wie der langfristige BUND-Future auf, er erfordert jedoch die Lieferung von Bundesanleihen mit 1 3á- bis 2 14—jähriger Restlaufzeit.
Die Aufträge in den Futures können entweder reine Kauf- oder Verkaufsaufträge sein oder sog. Time Spreads, bei denen dieselbe Anzahl von Kontrakten, die sich nur in der Fälligkeit unterscheiden, einerseits gekauft und andererseits verkauft werden. In allen Fällen können die Gegenstände des Geschäftes in aller Regel gar nicht effektiv geliefert werden. Daher geht auch die Vereinbarung der Vertragspartner z.B. beim DAX-Future vielmehr dahin, dass die am sog. Schlussabrechnungstag bestehende Differenz zwischen -
dem vereinbarten Basispreis (Indexstand) und
-
dem für den Erfüllungstag maßgeblichen Indexstand
in bar ausgeglichen wird.1)
1
Der Barausgleich findet jedoch bereits sukzessive während der Laufzeit durch eine tägliche Verrechnung (Daily Settlement) statt. Vgl. Abschnitt 2.5.2.4.
372
5 Börsenmäßige
Wertpapiertermingeschäfte
Beim Abschluss eines Futures auf eine Bundesanleihe (BUND, BOBL, SCHATZ) verpflichtet sich der Verkäufer hingegen effektiv, Bundesanleihen in dem vereinbarten Volumen zu liefern. Er hat jedoch das Recht, dazu nach seiner Wahl eine beliebige - allerdings bestimmte Kriterien, z.B. bezüglich Ursprungslaufzeit und Mindestemissionsvolumen erfüllende - Bundesanleihe mit einer Restlaufzeit zwischen 8,5 und 10,5 Jahren, 4,5 - 5,5 Jahren bzw. 1,75 - 2,25 Jahren (je nach Art des BUND-Futures) zu verwenden. Der im Hinblick auf die Lieferung einer idealtypischen Anleihe vereinbarte Basispreis wird dabei im Hinblick auf Zinsausstattung und Restlaufzeit der effektiv gelieferten Anleihe korrigiert. Dazu gibt die Terminbörse jeweils für alle lieferbaren Bundesanleihen Umrechnungsfaktoren bekannt, die nach einer festgelegten finanzmathematischen Formel ermittelt werden. Die von dem Käufer definitiv zu erbringende Zahlung kann also je nachdem, welche Anleihe konkret geliefert wird, mehr oder weniger stark von dem ursprünglich vereinbarten Basispreis abweichen.
Beispiel 5.03: Ein langfristiger BUND-Future über nominal 100.000 Euro ist zum Basispreis von 95 Euro pro 100 Euro Nominalwert abgeschlossen worden. Der Verkäufer muss am 10. Dezember des Jahres 001 erfüllen. Gäbe es zu diesem Termin eine 6%-ige Bundesanleihe mit genau 10-jähriger Restlaufzeit, so müsste der Käufer vereinbarungsgemäß 95.000 Euro dafür bezahlen. Tatsächlich liefert der Verkäufer die 7,25%-ige Bundesanleihe mit Fälligkeit im Januar des Jahres 011 und laufenden Zinszahlungen am 20. Januar jeden Jahres. Die tatsächlich gelieferte Anleihe ist wegen ihres deutlich höheren Coupons (7,25% anstatt 6%) offensichtlich wertvoller als die idealtypische Bundesanleihe. Mithin wird der Basispreis von 95 nach oben korrigiert. Die Korrektur erfolgt anhand eines Preisfaktors, dessen Berechnung den Nominalzins der gelieferten Anleihe, deren Restlaufzeit in Jahren sowie den Zeitraum bis zur nächsten Zinszahlung berücksichtigt. In unserem Fall beträgt der Preisfaktor 1,085456. Statt 95.000 Euro wären also 95.000 · 1,085456 = 103.118 Euro zu bezahlen. Dieser Betrag erhöht sich außerdem um die Stückzinsen, also den Anteil der am 20. Januar folgenden Zinszahlung von insgesamt 7.250 Euro, der zeitanteilig noch dem Verkäufer zusteht. Im vorliegenden Fall wären das angesichts der (rechnerischen) Differenz von 40 Tagen zwischen 10. Dezember und 20. Januar und einem zu 360 Tagen gerechneten Jahr (320/360) · 7.250 = 6.444 Euro. Die von dem Käufer in Erfüllung des Vertrages zu erbringende Gegenleistung setzt sich also insgesamt aus folgenden Komponenten zusammen: Basispreis
95.000 Euro
+ Preiszuschlag nach Formel (0,085456 • 95.000 Euro )
8.118 Euro
+ Stückzinsen
6.444 Euro 109.562 Euro
5.2 Ausgestaltung des Terminhandels
373
Die einzelnen Futures werden jeweils in folgender Weise in verschiedenen Laufzeitvarianten gehandelt: •
Bei den Index-Futures kommt als Erfüllungstag nur jeweils der erste Börsentag der Monate März, Juni, September und Dezember in Frage, der auf den dritten Freitag des Monats folgt. Die Liefertage der drei Varianten des Futures auf Bundesanleihen sind hingegen die ersten Börsentage, die auf den 9. Kalendertag der genannten Monate folgen.
•
Bis zum zweiten Börsentag bzw. bei DAX-Futures bis zum ersten Tag vor dem Erfüllungs- bzw. Liefertag werden allerdings immer nur Futures für die kommenden drei Erfüllungs- bzw. Liefertermine gehandelt. Danach wird der Handel für den unmittelbar bevorstehenden Liefertermin eingestellt und gleichzeitig der Handel für den neun Monate später liegenden Termin neu eröffnet.
Beispiel 5.04: Am 03. September 001 sind DAX-, DJ EURO STOXX 50-, BUND-, BOBL- und SCHATZFutures im Handel mit folgenden Verfallsmonaten: -
September 001
-
Dezember 001
-
März 002
Ende September 001 ist der Handel zum Verfallsmonat September 001 natürlich nicht mehr möglich; statt dessen können Geschäfte zum Juni 002 getätigt werden.
Mit dem Angebot des DAX-Future sowie der auf den DAX bezogenen Option wird es möglich, -
einerseits auf eine fallende oder eine steigende Kurstendenz des deutschen Aktienmarktes insgesamt zu spekulieren,
-
andererseits aber auch vorhandene Aktienportefeuilles in bestimmtem Umfang gegen Kursrisiken abzusichern.
Da der hypothetische Kurs einer 6%-igen Bundesanleihe mit 8,5- bis 10,5-jähriger oder 4,5- bis 5,5-jähriger Restlaufzeit nur von der Zinsentwicklung abhängt, ermöglichen es die BUND-Futures und die darauf bezogenen Optionen,
374
5 Börsenmäßige
Wertpapiertermingeschäfte
-
einerseits auf steigende oder auf fallende Zinsen und dementsprechend auf fallende oder auf steigende Anleihekurse zu spekulieren,
-
andererseits aber auch vorhandene Bestände festverzinslicher Wertpapiere gegen zinsänderungsbedingte Kursrisiken abzusichern.
5.2.4
Clearing-System
Unter der Bezeichnung Clearing ist im weiteren Sinne die Gesamtheit der Maßnahmen zur Abwicklung, Besicherung sowie geld- und stückmäßigen Regulierung (Clearing im engeren Sinne) zu verstehen. Ausschließliche Clearingstelle der EUREX ist die EUREX CLEARING AG, die zugleich auch in alle abgeschlossenen
Geschäfte umgehend selbst eintritt, so dass insoweit letztlich nur Rechtsbeziehungen zwischen der Terminbörse einerseits und einzelnen Börsenteilnehmern andererseits entstehen.
Beispiel 5.05: Während der Handelsphase gibt ein Market Maker einen Quote für einen bestimmten Call mit den Preisen 50 (Kauf) und 52 (Verkauf) in den Markt. Im Markt befinden sich zur Zeit -
von Bank A ein uniimitierter Kaufauftrag für einen Call über 100 Aktien,
-
von Bank Β ein auf 52 limitierter Kaufauftrag für einen Call über 200 Aktien und
-
von Bank C ein auf 49 limitierter Verkaufsauftrag für einen Call über 250 Aktien.
Der Terminbörse-Computer führt die drei Händleraufträge mit dem Quote des Market Maker zusammen, woraus dann durch den sofortigen Eintritt der Terminbörse folgende Rechtsbeziehungen resultieren: (1) Die Terminbörse ist gegenüber den Banken A und Β in der Position des Stillhalters einer Kaufoption über 100 bzw. 200 Aktien. Sie ist außerdem gegenüber der Bank C in der Position des Käufers einer Kaufoption über 250 Aktien. (2) Zugleich ist die Terminbörse gegenüber dem Market Maker -
zum einen in der Position des Käufers einer Kaufoption über 300 Aktien und
-
zum anderen in der Position des Stillhalters einer Kaufoption über 250 Aktien.
Der generelle Eintritt der Terminbörse in alle Geschäfte hat neben der Vereinfachung der Abrechnung für die Marktteilnehmer insbesondere den Vorteil, dass die Bonität und Leistungsfähigkeit des Marktpartners, dem der eigene Auftrag zunächst zugeführt wird, für sie unerheblich ist. Ausschließlich die Terminbörse mit ihrer gemeinhin als absolut erstklassig angesehenen Bonität steht für die Auftragserfüllung gerade.
5.2 Ausgestaltung des Terminhandels
375
Allerdings können nicht alle zum Handel an der Terminbörse zugelassenen Händler in dieser Weise in unmittelbare Rechtsbeziehung zu der Terminbörse treten. Vielmehr sind folgende drei Kategorien von Börsenteilnehmern zu unterscheiden:1) •
Ein General-Clearing-Mitglied (GCM) kann zum einen Eigengeschäfte abschließen und dadurch in der skizzierten Weise unmittelbarer Vertragspartner der Terminbörse werden. Zum anderen tritt es gegenüber der Terminbörse auch für solche Geschäftsabschlüsse als unmittelbarer Vertragspartner auf, die aus Aufträgen der von ihm „betreuten" Nicht-ClearingMitglieder (s.u.) resultieren.
•
Ein Direkt-Clearing-Mitglied (DCM) hingegen kann nur aus Eigengeschäften Vertragspartner der Terminbörse werden.
•
Ein Nicht-Clearing-Mitglied (NCM) schließlich kann zwar ebenfalls am Börsenhandel teilnehmen, also etwa Quotes abfragen und Aufträge in den Markt geben. Gelangt der Auftrag allerdings zur Ausführung, so wird das „betreuende" GCM - quasi stellvertretend für das NCM - Vertragspartner der Terminbörse und - in entgegengesetzter Richtung - zugleich Vertragspartner seines NCM. Grundlage hierfür bilden die Eurex-ClearingBedingungen.2)
Die Ratio dieser Regelung wird aus dem folgenden Beispiel erkennbar: Stillhalter gegenüber der Terminbörse ist nicht die Bank C, sondern Bank X, die als GCM deutlich höheren finanziellen Anforderungen genügen muss. Selbst wenn Bank C bei der Erfüllung der aus dem eingegangenen Terminkontrakt resultierenden Verpflichtungen in Probleme geraten sollte, berührt dies die Terminbörse nicht, solang nur die GCM-Bank X leistungsfähig bleibt.
1
Im Juni 2004 befanden sich unter den 407 Börsenmitgliedern 50 General-Clearing-Mitglieder, 43 Direkt-Clearing-Mitglieder und 314 Nicht-Clearing-Mitglieder. Aktuelle Zahlen finden Sie unter http://www.eurexchange.com.
2
Um möglichen Missverständnissen sofort vorzubeugen, sei darauf hingewiesen, dass hier nur von den Beziehungen verschiedener Börsenteilnehmer untereinander die Rede ist. Davon zu trennen ist die Frage, ob ein Händler im Rahmen seiner eigenen Anlagepolitik oder für Kunden Aufträge in den Markt gibt. Zur Abwicklung von Kundenaufträgen sind Mitglieder aller drei Kategorien berechtigt.
376
5 Börsenmäßige
Wertpapiertermingeschäfte
Beispiel 5.06: In unserem vorangegangenen Beispiel sei zusätzlich unterstellt, Bank C sei ein NCM, das von der Bank X als GCM betreut wird. Die beiden nachfolgenden Skizzen verdeutlichen 1.
das Zustandekommen des Geschäftsabschlusses (Matching) und
2.
die daraus entstehende Kette von vertraglichen Ansprüchen:
Market
Nachfrage Call
Maker
Market Käufer Call y
Angebot Call r
T
^ ^ Matching
Käufer Call
>
^
χ
Käufer Call ^
ßank (
Die GCM-Bank X tritt also gegenüber der Terminbörse in die Position des Stillhalters einer Kaufoption und zugleich gegenüber der Bank C in die Position des Käufers eines entsprechenden Calls.
Die Clearing-Regelung erlaubt es den Marktteilnehmern zugleich, einmal eingegangene Positionen schon vor Fälligkeit „glatt" zu stellen, indem sie das entsprechende Gegengeschäft abschließen, also z.B. auf einen Long Put oder den Verkauf eines Futures einen Short Put bzw. den Kauf eines Futures in demselben Basiswert, zum selben Verfallstag und mit demselben Basispreis folgen lassen. Da Rechtsbeziehungen in beiden entgegengesetzten Termingeschäften nur gegenüber der Terminbörse begründet werden, heben sich Rechte und Pflichten gerade gegenseitig auf. Wären hingegen für den Fall des Optionsgeschäftes der Optionsanspruch und die Stillhalterverpflichtung gegenüber unterschiedlichen Vertragsparteien entstanden, käme es ggf. trotz Glattstellung immer noch in beiden Geschäften zu Lieferungen. Durch das Entfallen dieser Notwendigkeit wird dementsprechend auch der Umfang der zur Erfüllung der Optionsgeschäfte notwendigen Wertpapierlieferungen drastisch reduziert. Verständlich wird hierdurch, warum an vielen Terminbörsen (u.a. die EUREX) in aller Regel nur ein äußerst geringer Bruchteil der abgeschlossenen Termingeschäfte auch tatsächlich ausgeübt wird; die ganz überwiegende Mehrheit der Positionen, sowohl short als auch long, werden vielmehr vor Fälligkeit durch ein Gegengeschäft glattgestellt. Neben der Differenzierung in unterschiedliche Zulassungsvoraussetzungen für Börsenmitglieder sichert die Terminbörse ihre Ansprüche zusätzlich durch die börsentägliche Neufestsetzung des von den Clearing-Mitgliedern insgesamt zu leistenden Gesamtvolumens an Sicherheiten. Übersteigen die bereits gestellten Sicherheiten das erforderliche Maß, kann über den „freien" Teil beliebig disponiert werden. Erreichen die Sicherheiten hingegen den Soll-Wert nicht, muss ein Ausgleich spätestens bis zum Morgen des nachfolgenden Börsentages erfolgt sein. Gemäß der Terminbörse-Clearing-Bedingungen sind GC-Mitglieder verpflichtet,
5.2 Ausgestaltung des Terminhandels
377
den von ihnen betreuten NC-Mitgliedern mindestens in der Höhe Sicherheiten abzuverlangen, wie sie die Terminbörse von einem Clearing-Mitglied mit einer entsprechenden Position verlangen würde. Als Sicherungsmaßnahme wird für das Optionsgeschäft folgende Vorgehensweise befolgt: •
Börsentäglich wird für jedes Basispapier je Clearing-Mitglied die per Saldo „offene" Stillhalterposition ermittelt, d.h. der Überschuss der eingegangenen Stillhalterverpflichtungen (short positions) über entsprechende Optionsrechte (long positions).
•
Von der Anzahl der Aktien, die der so ermittelten offenen Stillhalterposition gemäß aus Short Calls möglicherweise zu liefern wären, wird die Anzahl der entsprechenden Aktien abgezogen, die bereits zugunsten der Terminbörse hinterlegt sind (kongruente Deckung).
•
Für die danach noch offenen Liefer- und Zahlungsverpflichtungen ist der Terminbörse in Form der sog. Margin zusätzlich Sicherheit in Geld oder Wertpapieren zu leisten. Dabei ist das Ausmaß der zu leistenden Sicherheiten tendenziell umso größer, je weiter die Optionen „in the money" sind. Mit der sog. Premium Margin sollen bei Optionen diejenigen Kosten abgedeckt werden, die sich bei einer Glattstellung zum aktuellen Marktpreis ergeben würden.
Bei Futureskontrakten und Optionen auf Futures ist keine der Premium Margin vergleichbare Sicherheitsleistung notwendig, da Gewinne und Verluste börsentäglich verrechnet werden (Daily Settlement). Für sämtliche Kontrakte (Optionen, Futures und Optionen auf Futures) deckt die sog. Additional Margin darüber hinaus die Kosten ab, die der Clearing-Stelle im ungünstigsten Fall bis zum nächsten Börsentag entstehen könnten. Sie ist der Kern des sog. Risk-Based-Margining-Systems der Terminbörse, welches das Ausmaß der verlangten Sicherheitsleistungen nicht mehr rein additiv aus den Sicherheitsanforderungen verschiedener offener Positionen ableitet. Vielmehr werden nach diesem Prinzip alle Options- und Futures-Positionen eines Clearing-Mitglieds gemeinsam der Margin-Berechnung zugrundegelegt. Dabei werden insbesondere die Volatilität, d.h. das Ausmaß der in der Vergangenheit beobachteten Kursschwankungen der einzelnen Titel, und -
die Korrelationen, d.h. das Ausmaß, in dem Kursschwankungen von je zwei Titeln eher gleichgerichtet, entgegengesetzt oder ohne erkennbaren Zusammenhang verlaufen sind, mit berücksichtigt.
378
5 Börsenmäßige
Wertpapiertermingeschäfte
Das Ziel des Risk-Based-Margining-Systems ist es, Kombinationen von Optionen auf Aktien, Optionen auf Futures und Futures auf ihr Gesamtrisiko hin zu überprüfen. Positionen mit entgegengesetztem Risikopotenzial sollen auf diese Weise angemessen berücksichtigt werden. Wie bereist erwähnt, werden für jedes Clearing-Mitglied börsentäglich die rechnerischen Gewinne oder Verluste für jede einzelne Futures-Position und jede einzelne Position aus Optionen aus Futures gegenüber dem letzten Börsentag ermittelt und dem Mitglied gutgeschrieben oder belastet. Grundlage für die Ermittlung von Gewinn oder Verlust ist dabei der Vergleich des in dem betrachteten Kontrakt vereinbarten Basispreises mit dem am Ende des jeweiligen Börsentages festgestellten Marktpreises, der sog. tägliche Abrechnungspreis.
Beispiel 5.07: Ein Clearing-Mitglied verkauft 20 DAX-Futures per März des kommenden Jahres zum Basispreis von 3876,5 GE an einen Market Maker. Der für den Abschlusstag maßgebliche Abrechnungspreis betrage 3881,0 GE. Der Abrechnungspreis liegt also um 9 Ticks, entsprechend 112,5 GE pro Kontrakteinheit, über dem Basispreis (ein Tick entspricht 0,5 Punkte und wird mit 12,5 GE vergütet). Mithin erfolgt -
beim Käufer eine Gutschrift von 2.250 GE und
-
beim Verkäufer eine Belastung von 2.250 GE.
Sinkt der Abrechnungspreis am Folgetag auf 3879, also um 4 Ticks, so erfolgt jetzt -
beim Käufer eine Belastung von 1.000 GE und
-
beim Verkäufer eine Gutschrift in entsprechender Höhe.
Das skizzierte Prinzip des Daily Settlement bewirkt im Allgemeinen, dass sich bei den einzelnen Marktteilnehmern unrealisierte Gewinne oder Verluste nur in geringem Ausmaß aufbauen können und sich dementsprechend auch die im Erfüllungszeitpunkt effektiv noch offene Differenz (bzw. die Differenz zwischen dem Wert der zu liefernden Anleihen und der Gegenleistung) in engen Grenzen halten. Die von der Terminbörse zu tragenden Realisationsrisiken werden somit zusätzlich begrenzt. Weitere Vorteile des Clearings ergeben sich auch im Hinblick auf die Abwicklung des Zahlungsverkehrs. Alle Clearingmitglieder gleichen börsentäglich (außer mit den von ihnen betreuten NC-Mitgliedern) lediglich mit der Terminbörse den Saldo der aus der Gesamtheit aller getätigten Transaktionen resultierenden Zahlungsansprüche und -Verpflichtungen aus.
6
Risikoübernahme als Finanzdienstleistung
6.1
Allgemeine Vorüberlegungen
6.1.1
Problemstellung
In den Kapiteln 2 bis 5 haben wir uns vorwiegend mit zwei Arten von Finanzdienstleistungen beschäftigt, nämlich zunächst mit Finanzierungsleistungen, die von verschiedenen Finanzintermediären teils als Eigen-, teils als Vermittlungsleistungen erbracht werden (Kapitel 2), sowie -
anschließend mit Anlageleistungen, bei denen Finanzintermediäre teils als unmittelbare Geldnehmer, teils wiederum als Vermittler auftreten (Kapitel 3 bis 5).
Bei etlichen dieser Leistungen war zudem als mehr oder weniger gewichtige Nebenwirkung der Effekt zu verzeichnen, dass verschiedene Arten finanzwirtschaftlicher Risiken durch die Tätigkeit der Finanzintermediäre vermindert werden.
Übungsaufgabe 6.01: Verdeutlichen Sie an Hand von drei Beispielen Ihrer Wahl die zuletzt aufgestellte These, wonach verschiedene Arten der bislang erörterten Finanzdienstleistungen zugleich zur Verminderung bestimmter finanzwirtschaftlicher Risiken beitragen!
Darüber hinaus bieten Finanzintermediäre in verschiedenen Feldern die Übernahme von Risiken jedoch als eigenständige Marktleistung an. Dieser Geschäftsbereich ist natürlich zunächst die Domäne der Versicherungen. In bestimmten Segmenten bieten jedoch auch andere Finanzdienstleistungsunternehmen wie z.B. Banken oder Kreditkartenorganisationen vergleichbare Leistungen an. Bevor wir uns in den Abschnitten 6.2 und 6.3 einen groben Überblick über die institutionellen Gegebenheiten des Versicherungsgeschäfts verschaffen, wollen wir uns zuvor kurz an Hand eines bewusst einfach gehaltenen und auf eine beispielhafte Darstellung beschränkten Modells mit einem für die Möglichkeit der Risikoübernahme als Marktleistung konstitutiven Phänomen beschäftigen, dem Risikoausgleich im Kollektiv.
380
6.1.2
6 Risikoübernahme als Finanzdienstleistung
Das versicherungstheoretische Grundmodell
6.1.2.1 Die Ausgangssituation Wir unterstellen, eine größere Anzahl von Fahrradbesitzern sei - jeweils für ein Jahr betrachtet - in folgender Weise der Gefahr eines Diebstahls ausgesetzt: •
Mit 90%-iger Wahrscheinlichkeit kommt es zu keinem Diebstahl; der Schaden beträgt also 0 Euro.
•
Mit einer Wahrscheinlichkeit von ρ = 0,1, d.h. 10%, kommt es hingegen zu einem Diebstahl; der Schaden beläuft sich dann auf S = 500 Euro.
Um Risikosituationen dieser Art vergleichen zu können, ist es seit langem üblich, auf bestimmte wahrscheinlichkeitstheoretische Parameter zurückzugreifen, wobei dem Erwartungswert μ (griech. „müh") und der Standardabweichung σ (griech. „sigma") besondere Prominenz zukommt. Der Erwartungswert μ wird allgemein berechnet, indem man zunächst jeden möglichen Ergebniswert mit der zugehörigen Eintrittswahrscheinlichkeit multipliziert und diese Produkte anschließend addiert. In unserem Ausgangsbeispiel gilt also ganz einfach μ! = 0,9 0 + 0,1 -500 = 50!) Der Erwartungswert des Schadens, die Schadenserwartung, beträgt in unserem Fall also 50 Euro. Die Berechnung der Standardabweichung σ ist etwas komplizierter: •
Zunächst bildet man für jeden möglichen Ergebniswert die Differenz zum Erwartungswert μ. In unserem Beispiel also: 0 - 50 = -50 und 500 -50 = 450.
•
Anschließend quadriert man diese Differenzen. Also (-50) 2 = 2.500 und 4502 = 202.500.
•
Diese Quadratwerte werden dann mit den zugehörigen Eintrittswahrscheinlichkeiten multipliziert und aufaddiert. Das so erzielte Zwischenergebnis wird allgemein als Varianz bezeichnet. In unserem Beispiel ergibt sich für die Varianz also: 0,9 · 2.500 + 0,1 · 202.500 = 2.250 + 20.250 = 22.500
1
Die hier und im Folgenden häufiger benutzten Indizes bei μ und σ beziehen sich auf die Zahl der betrachteten Personen.
6.1 Allgemeine Vorüberlegungen
•
381
Aus dem so gefundenen Wert wird als letzter Schritt zur Ermittlung von σ schließlich die Wurzel gezogen. Also
V 22.500 = 150.
Zusammenfassend kann für unser Ausgangsbeispiel also geschrieben werden:
Für Situationen, in denen es mit der Wahrscheinlichkeit ρ zu einem Schaden S und mit der Gegenwahrscheinlichkeit (1 — p) zu keinem Schaden kommt, kann gezeigt werden, dass sich μ und σ allgemein nach folgenden Formeln berechnen lassen: (6.01) (6.02)
μι =p-S = Vp ( l - p ) · S
μ ist dabei ein Indikator für die im statistischen Durchschnitt zu erwartende durchschnittliche Schadenhöhe, σ ist hingegen ein Indikator für das Ausmaß, indem die tatsächlich eintretenden Ergebnisse von dem rechnerischen Erwartungswert abweichen können, besagt also etwas über die Größe der Unsicherheit, der sich die betrachteten Personen ausgesetzt sehen. Im Folgenden wollen wir eine im einschlägigen Schrifttum gängige Annahme übernehmen und unterstellen, dass die betrachteten Personen in der Weise risikoscheu eingestellt sind, dass sie bei gegebenem Unsicherheitsgrad (σ) eine niedrigere Schadenserwartung (μ) einer höheren vorziehen und -
bei gegebener Schadenserwartung (μ) einen niedrigeren Unsicherheitsgrad (σ) einem höheren vorziehen.
382
6 Risikoiibemahme als Finanzdienstleistung
Übungsaufgabe 6.02: Gehen Sie von folgenden Schadenssituationen A bis E aus:
Ρ
S
A Β C
10%
500
20% 12,5%
400
D
20%
300
E
5%
700
375
a) Bestimmen Sie jeweils μ und σ! b) Angenommen, eine im zuvor definierten Sinne risikoscheue Person habe die Wahl zwischen den Schadenssituationen Α, Β und C. Für welche würde sie sich - als kleinstes Übel - entscheiden? Begründen Sie Ihre Antwort! c) Beantworten Sie Frage b) erneut für den Fall, dass die Wahl zwischen C, D und E besteht!
6.1.2.2 Das Modell der Gefahrengemeinschaft Als nächstes wollen wir nun annehmen, zwei Fahrradbesitzer kämen auf die Idee, in der Weise eine „Gefahrengemeinschaft" zu bilden, dass alle eventuell auftretenden Schäden - unabhängig davon, wessen Fahrrad ggf. gestohlen wird - gemeinsam getragen werden. Was ändert sich dadurch für jeden einzelnen, wenn wir weiterhin unterstellen, die Gefahr, dass einem der beiden das Rad gestohlen wird, sei völlig unabhängig davon, ob es bei dem anderen zu einem Diebstahl kommt und umgekehrt? Zunächst erkennt man, dass es jetzt nicht mehr nur die beiden Möglichkeiten „Schaden" oder „kein Schaden" gibt. Vielmehr können nun insgesamt drei verschiedene Situationen eintreten, nämlich die, dass es zu keinem, zu einem oder zu zwei Diebstählen kommt. Die ersten drei Spalten von Tabelle 6.01 verdeutlichen diese drei Konstellationen und die zugehörigen Schadenssummen insgesamt sowie pro Kopf des einzelnen Partners.
6.1 Allgemeine
383
Vorüberlegungen
Zahl der Schäden
Zahl der Konstellation
Schadenssumme
Wahrscheinlichkeit
insgesamt
pro Kopf
(1)
(2)
(3)
0
0
0
1
l-0,9
1
500
250
2
2-0,9-0,1
2
1.000
(4)
500
1
(5)
l-O.l
2
2
:81% :18% :1%
Tab. 6.01 : Schadenssummen und ihre Eintrittswahrscheinlichkeiten
Im Hinblick auf die Eintrittswahrscheinlichkeiten dieser drei Konstellationen ist zweierlei zu beachten. (1)
Allgemein ergibt sich die Wahrscheinlichkeit dafür, dass zwei voneinander unabhängige Ereignisse zugleich eintreten, einfach als Produkt der jeweils zugehörigen Eintrittswahrscheinlichkeiten. So erhält man die in Spalte 5 von Tab. 6.01 wiedergegebenen Werte für die Möglichkeiten von 0 bzw. 2 Schäden.
(2)
Kann ein bestimmtes Ereignis auf verschiedene Weisen durch das Zusammentreffen von zwei voneinander unabhängigen Ereignissen zustande kommen, so sind die gem. (1) ermittelten Wahrscheinlichkeitsprodukte aufzuaddieren oder - bei wertmäßiger Identität - mit der Zahl der zu diesem Ergebnis führenden Konstellationen zu multiplizieren. So ergibt sich der in Tab. 6.01 für die Möglichkeit genau eines Schadens angegebene Wahrscheinlichkeit von 18% als Summe aus 9% für den Diebstahl des einen Fahrrads und weiteren 9% für den Diebstahl des anderen Fahrrads.
In Tab. 6.02 sind zur Verdeutlichung noch einmal die Schadensverteilungen (pro Kopf) zusammengestellt, denen sich ein einzelner Fahrradbesitzer gegenübersieht, je nachdem ob er einen etwaigen Schaden isoliert zu tragen hat, oder sich mit einem Partner zu einer Gefahrengemeinschaft zusammengeschlossen hat.
Gruppengröße
2
1
Pro-Kopf-Schaden
0
500
0
250
500
Wahrscheinlichkeit
90%
10%
81%
18%
1%
Tab. 6.02:
Pro-Kopf-Schaden und Eintrittswahrscheinlichkeiten
Vergleicht man diese beiden Verteilungen, so erkennt man auf den ersten Blick zweierlei Effekte, die durch die Bildung der Gefahrengemeinschaft entstanden sind:
384
6 Risikoübernahme
als
Finanzdienstleistung
Die Eintrittswahrscheinlichkeiten für die beiden Extremwerte (0 und 500) sind in gleicher Weise um 9%-Punkte kleiner geworden, was bei der Schadenswahrscheinlichkeit mit einer Reduktion von 10% auf 1% natürlich relativ viel stärker ins Gewicht fällt als bei der Wahrscheinlichkeit für den schadensfreien Fall. -
Zugleich ist nun jedoch ein in der Ausgangssituation gar nicht erreichbarer „mittlerer" Schadenswert von 250 mit einer Wahrscheinlichkeit von 18% möglich geworden.
Die Zusammenfügung von zwei identischen Schadenssituationen zu einer Gefahrengemeinschaft der geschilderten Art hat die Risikosituation der Beteiligten also auf jeden Fall verändert. Wie diese Veränderung zu bewerten ist, hängt grundsätzlich natürlich von den subjektiven Präferenzen der Beteiligten ab. Geht man allerdings weiterhin davon aus, dass diese in dem oben definierten Sinne risikoscheu eingestellt sind, so lassen sich weitere Aussagen dadurch gewinnen, dass wir für die neue Situation wiederum μ und σ berechnen. Man erhält so nach den oben verbal umschriebenen Rechenregeln: μ 2 =0,81-0+0,18-250 + 0,01-500 = 50
Vergleicht man diese Werte mit den für die Ausgangssituation bestimmten Größen (μ! = 50; a j = 150), so erkennt man, dass -
die Schadenserwartung völlig unverändert geblieben ist,
-
der durch die Standardabweichung gemessene Unsicherheitsgrad jedoch spürbar kleiner geworden ist.
Wie Sie wahrscheinlich schon vermutet haben, ist dieser Befund kein Zufall, sondern hat Methode. Werden nämlich mehrere - allgemein - einfache Schadensverteilungen der in unserer Ausgangssituation betrachteten Art in eine Gefahrengemeinschaft eingebracht, so gilt - wie sich allgemein zeigen lässt - für die auf die Verteilung der Pro-Kopf-Schäden bezogenen Parameter: (6.03)
(6.04)
1 μ η = — n - p - S = p-S = ^ η
6.1 Allgemeine
Vorüberlegungen
385
Überprüft man (6.04) für unser Beispiel numerisch, so erhält man mit 150
150
V2
1,4142
-τ- =
1Λ
, ,
.
D
106,1 eine Bestätigung. β °
Mit zunehmender Größe des zu einer Gefahrengemeinschaft zusammengeschlossenen Kollektivs wird der Unsicherheitsgrad - bei gleich bleibender Schadenserwartung - also immer kleiner, allerdings nicht proportional, sondern gedämpft nach dem Prinzip der Quadratwurzel. Dementsprechend bewirkt also etwa eine Vervierfachung (Verneunfachung) der Kollektivgröße nur eine Halbierung (Drittelung) des Unsicherheitsgrades.
Übungsaufgabe 6.03: Machen Sie sich die zuletzt abgeleiteten Zusammenhänge selbst noch einmal klar und gehen Sie zunächst davon aus, dass sich vier Fahiradbesitzer zu einer Gefahrengemeinschaft zusammenschließen! a)
Ermitteln Sie die Verteilung der möglichen Pro-Kopf-Schäden in einer Aufstellung nach Art von Tab. 6.01!
b) Geben Sie kurz Ihre Eindrücke beim Vergleich dieser Verteilung mit der ursprünglichen Schadensverteilung wieder! c)
Berechnen Sie aus dieser Verteilung nach der eingangs angegebenen verbalen Umschreibung die Parameter μ 4 und σ 4 und überprüfen Sie die gefundenen Ergebnisse mit Hilfe der Formeln (6.03) und (6.04)!
Schließt sich nun eine größere Zahl von Fahrradbesitzern zu einer Gefahrengemeinschaft zusammen, so bleibt unter unseren bisherigen Annahmen der Durchschnittsschaden unverändert, während der Unsicherheitsgrad über den tatsächlich zu tragenden Pro-Kopf-Schaden immer kleiner wird. Schon bei einer Gruppengröße von 900 (mit agoo = 5) beläuft sich die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der tatsächlich eintretende Pro-Kopf-Schaden im Bereich von 50 ± 20 Euro liegt, auf über 99,99%. Bei einer Gruppengröße von 10.000 (mit σ = 1,5) gilt dieser Sicherheitsgrad bereits für eine Schadensmarge von 50 ± 6 Euro. Für Personen, die in der eingangs definierten Weise risikoscheu sind, bringt der Zusammenschluss zu einer Gefahrengemeinschaft also deutliche Vorteile: das ursprünglich vergleichsweise hohe Risiko wird durch den Risikoausgleich im Kollektiv ganz erheblich reduziert. Die Bildung einer solchen Gefahrengemeinschaft kann daher sogar dann noch lohnend sein, wenn deren Organisation (Abschluss der Verträge, Erhebung der Umlage zur Abwicklung eingetretener Schäden etc.) zusätzliche Kosten verursacht.
386
6 Risikoübernahme
als
Finanzdienstleistung
Übungsaufgabe 6.04: Gehen Sie von den Daten unserer bisherigen Beispiele aus und unterstellen Sie zusätzlich, der Fahrradbesitzer V. ORSICHT „bewerte" Risikosituationen der betrachteten Art nach der Bewertungsfunktion b = μ + 0,1 σ Eine Risikosituation wird also als umso weniger unangenehm eingeschätzt, je niedriger der zugehörige b-Wert ist. a) Bestimmen Sie die b-Werte für einen Fahrradbesitzer (1) in der Ausgangssituation („Einzelkämpfer"), (2) als Mitglied einer Gefahrengemeinschaft von 900 Personen, und kommentieren Sie Ihr Ergebnis! b) Angenommen, die Organisation der Gefahrengemeinschaft verursacht Kosten von 10 Euro pro Kopf. Wie würde ORSICHT jetzt die Mitgliedschaft in der Gefahrengemeinschaft beurteilen? c) Berechnen Sie die kritische Grenze für die Organisationskosten, bei deren Überschreiten ORSICHT die Mitgliedschaft in der Gefahrengemeinschaft nicht mehr als vorteilhaft ansehen würde!
6.1.2.3 Versicherungsschutz als Marktleistung Im vorigen Abschnitt haben wir, ohne dies explizit so zu benennen, die Grundstruktur eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit skizziert. Die zuletzt verdeutlichte Konstellation, dass etliche Personen bereit sein könnten, sogar eine etwas höhere Gesamtbelastung in Kauf zu nehmen, wenn sich dadurch der Unsicherheitsgrad der auf sie zukommenden Belastungen nur hinlänglich reduziert, weist zugleich auf die Möglichkeit hin, Risikoübernahme (Versicherungsschutz) als Marktleistung anzubieten. Um dies näher zu verdeutlichen, greifen wir auf das in Übungsaufgabe 6.03 betrachtete Modell der Vierer-Gemeinschaft zurück. Für den dabei möglicherweise auftretenden Geiamischaden errechnet sich μ | = 0,6561-0 + 0,2916-500 + 0,0486-1.000 + 0,0036-1.500 + 0,0001-2.000 = 200 = 0,6561 · (-200) 2 + 0,2916 · 3002 + 0,0486 · 8002 + 0,0036 · 1.3002 + 2Ί1/2
0,001-1.8002
=300
6.1 Allgemeine
Vorüberlegungen
387
Auch hinter diesen Ergebnissen steht natürlich eine allgemeine Gesetzmäßigkeit, die - nach wie vor nur für den Fall einfacher Schadensverteilungen der hier betrachten Art - durch die folgenden Formeln verdeutlicht werden: (6.05)
μ® = η · μ ι = η · μ η
(6.06)
σ® = σ Γ λ / η ~ = σ η · η
wobei nach wie vor μ 1 ;
die gem. (6.01) und (6.02) definierten Parameter für die ursprünglich
einfache Schadensverteilung bezeichnen und μ,,, σ η die gem. (6.03) und (6.04) definierten Parameter für die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Pro-Kopf-Schäden in einer Gefahrengemeinschaft von η Personen.
Nehmen wir nun an, die vier Fahrradbesitzer seien, aus welchen Gründen auch immer, nicht in der Lage, eigeninitiativ eine Gefahrengemeinschaft der im Abschnitt 6.1.2.2 behandelten Art zu bilden. Ein cleverer Geschäftsmann überlege jedoch, ob es hier nichts zu verdienen gebe. Auch ihm sind Risiken per se zwar nicht angenehm; sofern die dafür erlangbare Prämie jedoch „stimmt", ist er durchaus bereit, Risiken zu übernehmen. Unterstellen wir der Einfachheit halber, alle beteiligten Personen würden Risikosituationen in übereinstimmender Weise mittels der Funktion b = μ + 0,1 · σ bewerten, wobei μ bekanntlich den Erwartungswert der auf die betrachtete Person insgesamt zukommenden Belastungen darstellt. Ein negativer μ-Wert würde also anzeigen, dass im Durchschnitt gerade keine Belastung zu erwarten ist, sondern im Gegenteil eine Einzahlung oder ein sonstiger Vorteil zu erwarten ist. Unser Geschäftsmann überlegt nun, den vier Fahrradbesitzern anzubieten, sie gegen eine Prämie von 60 Euro bei einem möglichen Diebstahl mit 500 Euro zu entschädigen. Folgende Rechnung zeigt, dass dies ein für beide Seiten vorteilhaftes Geschäft sein kann: (1)
Für jeden einzelnen Fahrradbesitzer gilt ohne Versicherungsvertrag bekanntlich μ) = 50, a j = 150 und dementsprechend b = 50+ 15 = 65 . Schließt er hingegen den angebotenen Versicherungsvertrag ab und unterstellt man, dass der Versicherer seine Verpflichtungen bei möglichen Schadensfällen auf jeden Fall nachkommen kann, so gilt μ = 60, σ = 0 und somit b = 60 + 0 = 60 . Für den einzelnen Fahrradbesitzer ist es also eindeutig von Vorteil, sich auf den angebotenen Versicherungsvertrag einzulassen.
6 Risikoübernahme als Finanzdienstleistung
388
(2)
Für den Anbieter der Versicherungsleistung steht der Schadenerwartung von μ| = 200 eine Prämieneinnahme von 4 · 6 0 = 240 gegenüber. Mithin ergibt sich für ihn aus dem Versicherungsgeschäft per Saldo ein erwarteter Überschuss von 4 0 Euro. Dementsprechend gilt für den Versicherer μ = 2 0 0 240 = - 4 0 . Dafür muss der Geschäftsmann jedoch ein Risiko von σ | = 300 übernehmen. Fasst man nun Erwartungswert und Risikoindikator in der gewohnten Weise zu einer Bewertungskennzahl zusammen, so erhält man mit b = - 4 0 + 0,1 - 3 0 0 = - 1 0 einen negativen Wert für den Belastungsindikator, also einen Hinweis auf die subjektive Vorteilhaftigkeit des Geschäftes. Sofern es unserem Geschäftsmann also gelingt, vier Versicherungsverträge der betrachteten Art abzuschließen, so stellt er sich dabei besser als bei Verzicht auf dieses Geschäft (b = 0).
Unser bewusst einfach gewähltes Beispiel zeigt deutlich, dass es durchaus möglich sein kann, -
Versicherungsverträge mit Aussicht auf Gewinn für den Anbieter als Marktleistungen anzubieten, durch deren Abschluss sich zugleich auch die Versicherten besser stellen als ohne Abschluss eines solchen Vertrages.
Der Grund für diese Möglichkeit liegt wiederum in den Phänomenen des Risikoausgleichs im Kollektiv, das sich jetzt allerdings zunächst der Versicherer selbst zu Nutzen macht. Indirekt partizipieren natürlich die Versicherten ebenfalls insoweit davon, wie die von ihnen zu zahlende Prämie niedriger ist als der b-Wert, mit dem sie die Situation ohne jegliche Versicherung bewerten. Dabei bleibt die Möglichkeit zum Abschluss beiderseits vorteilhafter Versicherungsverträge auch dann noch bestehen, wenn berücksichtigt wird, dass dem Anbieter Transaktionskosten entstehen.
6.1 Allgemeine Vorüberlegungen
389
Übungsaufgabe 6.05: Der clevere Geschäftsmann unseres Beispiels rechnet damit, dass 10.000 Fahrradbesitzer einen Versicherungsvertrag abschließen werden. Das Prämienaufkommen soll seinen Vorstellungen nach zumindest folgende drei Komponenten abdecken: •
Die Höhe der insgesamt zu erwartenden Schadenszahlungen (μ£),
•
einen Risikozuschlag in Höhe des Dreifachen der Standardabweichung (σβ) der gesamten Schadenssumme und
•
die erwarteten Transaktionskosten in Höhe von 75.000 Euro.
a) Berechnen Sie μ 8 und σ® nach den einschlägigen Formeln! b) Berechnen Sie die nach den oben genannten Vorgaben mindestens notwendige Höhe des gesamten Prämienaufkommens und die entsprechende Versicherungsprämie pro Einzelvertrag! c) Nehmen Sie an, die Versicherung werde letztendlich zu einer Prämie von 63,25 Euro angeboten. Zerlegen Sie diesen Betrag rechnerisch in die vier Komponenten -
Schadenserwartung,
-
Risikozuschlag,
-
Kostenanteil und
-
Gewinnanteil.
d) Was würde sich an der Kalkulation gem. Aufgabenteilen b) und c) ändern, wenn davon ausgegangen werden könnte, dass sich nicht nur 10.000, sondern 40.000 Fahrradbesitzer zum Abschluss einer Versicherung entschließen werden?
U m zu weitgehenden Schlussfolgerungen vorzubeugen, sei abschließend darauf hingewiesen, dass unser einfaches Modell zwar in den Grundzügen die Struktur der bei Versicherungsverträgen auftretenden Phänomene gut verdeutlicht, in der konkreten Ausprägung der verwendeten Formeln allerdings an die folgenden Voraussetzungen gebunden ist, die in der Versicherungspraxis in dieser strengen Form in aller Regel nicht erfüllt sind. (1)
Alle potentiellen Versicherungsnehmer sind einer in sämtlichen Fällen genau übereinstimmenden einfachen Schadensverteilung ausgesetzt. Die Möglichkeit einer betragsmäßigen Streuung der Schadensbeträge kann in das Modell allerdings eingebaut werden. Es wird dadurch formal komplizierter, die Grundaussagen bleiben jedoch unberührt.
(2)
Die Schadenswahrscheinlichkeiten werden auch nicht dadurch beeinflusst, dass die Versicherten nach Abschluss eines Versicherungsvertrages ihr Verhalten unbewusst oder bewusst, aus Nachlässigkeit, Fahrlässigkeit oder gar Vorsatz, in der Weise ändern, dass eher mit einem Schaden zu rechnen ist als im Fall ohne Versicherungsschutz.
390
6 Risikoäbemahme
als
Finanzdienstleistung
Das im Gegensatz zu unseren vereinfachenden Modellannahmen real durchaus existierende Phänomen des sog. Moral Hazard beeinträchtigt nicht nur die Aussagekraft unseres Modells, sondern stellt ein zentrales Problem der Versicherbarkeit von Risiken überhaupt dar. In der Praxis versuchen Versicherer dieses Problems durch verschiedene Maßnahmen Herr zu werden wie z.B. die akribische Untersuchung der Schadensursachen, insbesondere im Hinblick auf die Mitwirkung des Versicherten selbst, -
die Ausstattung von Versicherungsverträgen mit Selbstbeteiligungsregelungen oder Rückerstattungsansprüchen für den Fall der Schadensfreiheit, die Differenzierung der Versicherungsprämien nach den in der Vergangenheit tatsächlich in Anspruch genommenen Leistungen.
Diese und ähnliche Maßnahmen sollen dazu dienen, Anreize zu Verhaltensweisen des Moral Hazard zu vermindern.
(3)
Die Schadenswahrscheinlichkeiten in jedem Einzelfall sind unabhängig davon, ob bei anderen Versicherten ein Schaden auftritt oder nicht. Diese Annahme der stochastischen Unabhängigkeit war eine zentrale Prämisse unserer wahrscheinlichkeitstheoretischen Ableitungen, insbesondere der grundlegenden Formeln (6.04) und (6.06). Vom statistischen Instrumentarium her bereitet es keine grundsätzlichen Schwierigkeiten auch die Möglichkeiten voneinander mehr oder weniger stark abhängiger Schadensursachen in das Modell einzubeziehen. Allerdings schwindet die für den Versicherungseffekt fundamentale Möglichkeit des Risikoausgleichs im Kollektiv umso mehr, je stärker die einzelnen Schadensmöglichkeiten voneinander abhängen. Sind im Extremfall die Wahrscheinlichkeiten für den Eintritt der Schäden bei den einzelnen Versicherten in der Weise miteinander verknüpft, dass es entweder überall oder nirgends zu einem Schaden kommt, so findet auch bei einem noch so großen Kollektiv überhaupt kein Risikoausgleich mehr statt: Die Standardabweichung für den Pro-Kopf-Schaden bleibt - entgegen (6.04) bei wachsendem η unverändert (σ η = Oj), während die Standardabweichung für die gesamte Schadenssumme - entgegen (6.06) - streng proportional zur Größe des Kollektivs wächst (σΒ = η · a¡). Dieses Phänomen liefert auch die Rechtfertigung für die bei verschiedenen Versicherungszweigen zu beachtende Praxis, solche Arten von Schäden aus dem Versicherungsschutz auszuschließen, die auf eine einheitliche breitflächig wirkende Risikoursache (z.B. kriegerische Ereignisse) zurückzuführen sind.
6.2 Risikoübernahme durch Versicherungen
6.2
Risikoübernahme durch Versicherungen
6.2.1
Grundbegriffe
391
Der Grandstruktur nach sind „reine" Versicherungsverträge in der Weise asymmetrisch gestaltet, dass die Vertragspartner der Versicherangsunternehmen mit der Verpflichtung zur Zahlung der Prämien unbedingte Zahlungsverpflichtungen eingehen, dafür von den Versicherungen in der Weise bedingte Zahlungsversprechen erhalten, dass die Höhe ihres Anspruchs davon abhängt, ob und in welchem Umfang ein zuvor genau definierter „Schaden" eintritt. Im Hinblick auf die Art des versicherten „Schadens" werden Versicherungsleistungen oft in die beiden elementaren Zweige -
der Güterversicherung einerseits und
-
der Personenversicherung andererseits
eingeteilt. Güterversicherungen sind idealtypisch dadurch gekennzeichnet, dass der versicherte Schaden die Vermögenslage des Versicherten unmittelbarer trifft und die Höhe der erfolgenden Versicherungsleistung aus der tatsächlich eingetretenen Vermögensminderung abgeleitet wird. Bei Personenversicherungen trifft der Schaden demgegenüber zunächst die versicherte Person (z.B. durch Krankheit), was mittelbar jedoch Auswirkungen auf deren Vermögenslage (z.B. als Folge von Medikamenten- und Behandlungskosten) haben kann. Die Differenzierung von Versicherungsleistungen in Güter- und Personenversicherungen wird von einer zweiten Einteilungsmöglichkeit überlagert, die sich auf die Bemessung der im Schadensfall zu erbringenden Versicherungsleistung bezieht: •
Zum einen ist es möglich, dass sich die Versicherungsleistung nach der effektiv messbaren Vermögensminderung bemisst, die in mittelbarer oder unmittelbarer Folge des Schadensereignisses eingetreten ist. Dies ist z.B. der Fall, wenn sich die Versicherungsleistung etwa nach den entstandenen Krankenhaus- oder Werkstattkosten richtet.
•
Zum anderen ist es aber auch möglich, dass bei Eintritt eines bestimmten Schadensfalls eine in ihrer Höhe vorab fixierte Versicherungsleistung fällig wird, und zwar unabhängig davon, wie hoch die aus dem schädigenden Ereignis letztlich resultierende Vermögensminderang ist. Von dieser Möglichkeit wird naheliegender Weise insbesondere in solchen Fällen Gebrauch
392
6 Risikoübernahme als Finanzdienstleistung
gemacht, in denen eine Quantifizierung der Vermögensminderung nur schwer oder gar nicht möglich ist. Als klassisches Beispiel kann die RisikoLebensversicherung dienen, bei der es beim Tod des Versicherten auf jeden Fall zur Auszahlung der vereinbarten Summe kommt, ohne dass es einer - wie auch immer zu bewerkstelligenden - Ermittlung der damit verbundenen Vermögensminderung bedarf. Allgemein ist das zuletzt dargestellte Modell der reinen Summenversicherung im Bereich der Personenversicherungen häufiger anzutreffen. Für die Güterversicherungen hingegen ist die reine Summenversicherung gem. § 1 Abs. 1 VVG allgemein nicht zulässig. Hier dominiert der Typ der eigentlichen Schadensversicherung in den unterschiedlichsten Varianten, die insbesondere aus verschiedenen Regelungen von Selbstbeteiligungen und Höchstentschädigungen resultieren. Im Folgenden werden wir der im einschlägigen Schrifttum gängigen Einteilung in Güter- und Personenversicherungen folgen und die wichtigsten Erscheinungsformen dieser beiden Versicherungszweige im Abschnitt 6.2.2 kurz darstellen. Im Abschnitt 6.2.3 werden wir dann über die bereits erläuterte Unterscheidung zwischen Schadens- und Summenversicherungen hinaus noch kurz auf verschiedene Regelungsvarianten hinsichtlich der im Versicherungsfall zu erbringenden Leistungen eingehen.
6.2.2
Versicherungsarten
6.2.2.1 Güterversicherungen Die verschiedenen Arten von Güterversicherungen werden häufig in die folgenden drei Bereiche unterteilt:
Abb. 6.01 : Bereiche der Güterversicherung
(1)
Die Versicherung von Aktiven Die „Versicherung von Aktiven" bezieht sich auf solche Vermögensgegenstände, die bei Unternehmen typischerweise auf der Aktivseite ihrer Bilanz abgebildet werden. Dabei ist es üblich, die entsprechenden Versicherungsverträge in der aus Abb. 6.02 erkennbaren Weise weiter zu differenzieren.
6.2 Risikoiibemahme durch Versicherungen
393
Abb. 6.02: Bereiche der Versicherung von Aktiven
Bei der Sachversicherung i.e.S. gilt das Prinzip der „Spezialität der Gefahrendeckung". Es sind nur die Risiken gedeckt, die ausdrücklich im Einzelnen aufgezählt werden. Sie lässt sich in zwei Typen unterscheiden, die hier anhand der Feuer- und Maschinenversicherung charakterisiert werden sollen: Typ Feuerversicherung: -
Eine Vielzahl von Objekten (Gebäude, Maschinen, Vorräte etc.)
-
wird gegen eine eng begrenzte Zahl von Gefahren versichert (Brand, Blitz, Explosion).
Versicherungsverträge dieser Art werden häufig nach der zu deckenden Gefahr benannt. So kennt man z.B. die Leitungswasserversicherung, die Sturmversicherung oder die Einbruchdiebstahlversicherung etc. Typ Maschinenversicherung: -
Ein bestimmtes Objekt
-
wird gegen alle oder zumindest die Mehrzahl der für seinen Betrieb typischen Gefahren versichert.
Diese Versicherungsverträge werden in der Regel nach den versicherten Gütern benannt. So kennt man etwa die Hausratversicherung, die Tierversicherung, die Bauwesenversicherung oder die Kraftfahrzeug-KaskoVersicherung.
394
6 Risikoiibemahme
als
Finanzdienstleistung
Nach der gängigen Sichtweise ist die Sachversicherung i.e.S. im Allgemeinen dadurch gekennzeichnet, dass sich die Gegenstände, auf die sich der Versicherungsschutz bezieht, üblicherweise an einem bestimmten Ort oder in einem bestimmten ständigen Einsatzgebiet befinden. Im Gegensatz hierzu wird der Versicherungsschutz bei der Transportversicherung nur für die Dauer des Transports gewährt.1) Sie ist durch folgende Merkmale charakterisiert: -
Sie versichert sowohl eine Vielzahl von beförderten Gütern (Kargoversicherung)
-
als auch die Transportmittel (Kaskoversicherung)
-
gegen eine Vielzahl von Gefahren während des Transports.
Über die Versicherung der Güter und Transportmittel gegen Beschädigung und Untergang hinaus erfolgen i.d.R. noch -
eine Ertrags- oder Gewinnversicherung sowie
-
eine Haftpflichtversicherung.
Die Transportversicherung ist also nur mit Einschränkungen der Versicherung von Aktiven zurechenbar. Bei der Versicherung von finanziellen Gütern handelt es sich um die Versicherung unkörperlicher Vermögenswerte, d.h. in erster Linie Forderungen. Die Versicherung erfolgt durch eine Kreditversicherung, die in unterschiedlichen Formen auftreten kann, z.B. als Warenkredit-, Finanzkredit-, Teilzahlungskredit·, Ausfuhrkredit- oder Hypothekenversicherung. (2)
Die Versicherung von Passiven (Aufwandversicherung) Das Reinvermögen eines Wirtschaftssubjektes wird nicht allein durch die Höhe der vorhandenen Aktiva bestimmt, sondern auch durch die Schulden. Solche Belastungen können durch „Zufall" entstehen und somit Gegenstand von Versicherungsverträgen sein. Sofern man unter Passiven nur die Schulden versteht, kann man daher auch von einer Versicherung gegen die Erhöhung von Passiven sprechen. Parallel wird für die entsprechenden Versicherungsverträge auch der Begriff „Aufwandversicherung" mit dem Hinweis darauf verwendet, dass es hier um die Absicherung gegen möglicherweise
1
Es kann zu Überschneidungen kommen, da die Transportversicherung häufig auch Vor- und Zwischenlagerung einschließt. Erwähnenswert ist die Entwicklung von übergreifenden Versicherungen, z.B. der Kühlgüterversicherung (Transport und Lagerung).
6.2 Risikoübernahme durch Versicherungen
395
entstehende Aufwendungen gehe. Dies trifft jedoch letztlich auch auf die Aktivenversicherung zu. Typische Beispiele für eine Passivenversicherung stellen die verschiedenen Formen der Haftpflichtversicherung dar. Sie schützt den Versicherungsnehmer vor dem unvorhergesehenen Entstehen von Zahlungsverpflichtungen aus Haftpflichtansprüchen, denen er sich etwa als Kraftfahrzeughalter, Hersteller bestimmter Produkte, Bauherr oder Tierhalter ausgesetzt sehen kann. Ähnliche Funktionen übernehmen die Maschinengarantieversicherung, die Computermissbrauchsversicherung, die Kautionsversicherung oder die Rechtsschutzversicherung. (3)
Die Ertragsversicherung Eine weitere Gefährdung der wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens kann daraus resultieren, dass zunächst erwartete Erträge, d.h. Vermögenszuwächse, als Folge zufälliger Ereignisse entfallen. Zur Absicherung gegen bestimmte Formen derartiger „Schäden" kann ebenfalls auf verschiedene Versicherungsangebote zurückgegriffen werden. Prominentestes Beispiel für eine Ertragsversicherung ist die Betriebsunterbrechungsversicherung, die in der Regel im Zusammenhang mit einer Feuer- oder einer Maschinenversicherung (s.o.) abgeschlossen wird. Sie deckt den Ertragsausfall ab, der durch vorübergehenden Betriebsstillstand als Folge eines Feuer- oder Maschinenschadens eintreten kann. Auch die (landwirtschaftliche) Hagelversicherung kann letztlich der Ertragsversicherung zugerechnet werden, da nicht nur der Wert der zerstörten Frucht, sondern darüber hinaus auch der entgehende Ernteertrag versichert sind.
6.2.2.2 Personenversicherungen Die drei wichtigsten Erscheinungsformen der Personenversicherung sind die Lebens-, die Kranken- und die Unfallversicherung. Auf die Lebensversicherung sind wir bereits im Abschnitt 4.3 eingegangen, so dass hier nur noch die Kranken- und die Unfallversicherung kurz darzustellen sind. (1)
Die Krankenversicherung Die (private) Krankenversicherung deckt als Krankheitskostenversicherung zunächst die Aufwendungen ab, die als Folge einer Krankheit zu deren Heilung oder laufender Behandlung entstehen. Im Gegensatz zur Lebensversicherung als Summenversicherung stellt sie also eine Schadensversicherung dar, die konzeptionell in etwa dem zunächst nur für den Bereich der Güterversicherungen definierten Typ der Maschinenversicherung entspricht.
396
6 Risikoübernahme als Finanzdienstleistung
Hinzu tritt die sogenannte Tagegeldversicherung, die in der Regel in der Weise nach Art einer Summenversicherung ausgestaltet ist, dass dem Versicherungsnehmer für jeden Tag krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit oder Aufenthaltstag in einem Krankenhaus ein fester Betrag ausgezahlt wird (Kranken- und Krankenhaustagegeldversicherung). Für den Abschluss solcher Versicherungen dürfte überwiegend das Motiv maßgeblich sein, aus einer Krankheit resultierende Verdienstausfälle (z.B. als Selbständiger) in bestimmtem Umfang auszugleichen. Insoweit kann die Tagegeldversicherung also durchaus als eine auf den Bereich der Personenversicherung bezogene Form der Ertragsversicherung angesehen werden. (2)
Die Unfallversicherung Die Unfallversicherung versichert gegen die unterschiedlichsten Schäden, die die versicherten Personen als Folge eines Unfalls erleiden können. Lassen sich Lebens- und Krankenversicherung untereinander nach der Art des Schadens (Tod oder Krankheit) recht klar voneinander abgrenzen, so ist eine derartige Abgrenzung gegenüber der Unfallversicherung nicht möglich. Das liegt daran, dass die Unfallversicherung Schäden unterschiedlichster Art erfasst, sofern sie aus einer bestimmten Ursache, nämlich einem Unfall resultieren. Sie ähnelt insofern der Sachversicherung vom Typ der Feuerversicherung. Im Einzelnen kann die Unfallversicherung - überwiegend in Form der Summenversicherung1) - unter anderem folgende Leistungen umfassen: -
Zahlung der Versicherungssumme beim unfallbedingten Tode des Versicherten,
-
Zahlung von Kranken- und Krankenhaustagegeld für die Dauer einer ärztlichen Behandlung oder eines Krankenhausaufenthaltes,
-
Erstattung unfallbedingter Heil- und Behandlungskosten,2)
-
Zahlung der vollen oder anteiligen Versicherungssumme bei unfallbedingter Invalidität, je nach dem Invaliditätsgrad.
1
Lediglich die in einer Unfallversicherung möglicherweise enthaltenen Heilkosten- und Bergungskostenversicherungen stellen eine Abweichung vom Prinzip der Summenversicherung dar.
2
S. vorige Fußnote.
6.2 Risikoübernahme durch Versicherungen
397
Die entsprechenden Verträge können auf einzelne Leistungsarten oder bestimmte Arten von Unfällen begrenzt werden. Je nach den versicherten Risiken stellt die Unfallversicherung also eine Kombination von SpezialLebensversicherung, Spezial-Krankenversicherung etc. dar.
Übungsaufgabe 6.06: Versuchen Sie bei den im Folgenden genannten Versicherungszweigen, soweit möglich, jeweils anzugeben, welchen der in den Abschnitten 6.2.2.1 und 6.2.2.2 dargestellten Kategorien sie zuzuordnen sind. Geben Sie insbesondere an, ob sie -
der Güter- oder der Personenversicherung,
-
der Schadens- oder der Summenversicherung,
-
der Aktiven-, Passiven- oder Ertragsversicherung zuzurechnen sind!
a) Schwamm- und Hausbockkäferversicherung, b)
Filmausfallversicherung,
c)
Kraftfahit-Gepäckversicherung,
d)
Reise-Rücktrittskosten-Versicherung,
e)
Krankenhauskostenzusatzversicherung
f)
Konsumentenkreditversicherung
6.2.3
Versicherungsformen
6.2.3.1 Grundlegende Erscheinungsformen Mit der Unterscheidung verschiedener Versicherungs/orme« zielt man üblicherweise auf eine Differenzierung von Versicherungsverträgen nach dem Umfang der im Versicherungsfall zu erbringenden Leistung. Bei der Summenversicherung (s.o.) ergibt sich die Leistung unabhängig von der Höhe des tatsächlich eingetretenen Schadens aus der vertraglich vereinbarten Versicherungssumme, eventuell multipliziert mit der Zahl der „Schadenseinheiten" (z.B. Aufenthaltstage im Krankenhaus bei der Krankenhaustagegeldversicherung). Bei der Schadensversicherung hingegen ist die Versicherungsleistung nach näherer Maßgabe der konkret vereinbarten Bedingungen aus dem in seiner Höhe nachzuweisenden Schaden abzuleiten. Bezeichnet man den nach Eintritt des Versicherungsfalls ermittelten Schaden als S und die daraufhin fällig werdende Leistung des Versicherungsunternehmens als „Entschädigung" E, so bedarf es zur Konkretisierung eines Versicherungsvertrages u.a. der genauen Fixierung der Entschädigungsfunktion E = f(S),
398
6 Risikoübernahme als Finanzdienstleistung
d.h. einer Regel, durch die jedem möglichen Schadensbetrag eine bestimmte Entschädigungssumme zugeordnet wird. Den Quotienten _
Entschädigung (E) Schaden (S)
bezeichnet man dabei als Intensität des Versicherungsschutzes. In Deutschland ist die Entschädigungsleistung gem. § 55 VVG generell auf die Höhe des eingetretenen Schadens, also eine Intensität von eins, beschränkt. Auf der anderen Seite ist es jedoch möglich und in vielen Versicherungszweigen auch üblich, die Konditionen so zu vereinbaren, dass die Intensität generell oder unter bestimmten Umständen kleiner als 1 wird. Nach diesem Kriterium sind im Einzelnen insbesondere die folgenden Grundtypen der Schadensversicherung zu unterscheiden, die realiter in verschiedenen Varianten und zum Teil auch Kombinationen anzutreffen sind. Die dafür üblichen Bezeichnungen folgen allerdings keinem einheitlichen System und sind nur aus der historischen Entwicklung zu erklären.
(1)
Unbegrenzte Interessenversicherung Im Versicherungsfall wird der entstandene Schaden in voller Höhe abgedeckt. Für Entschädigungsfunktion und Intensität gilt somit einfach (6.07)
E = S
und
i = 1.
Die Abhängigkeit der Versicherungsleistung E sowie der Intensität i von der Schadenssumme S entspricht also den einfachen, in Abb. 6.03 wiedergegebenen Verlaufsformen.
0 S Abb. 6.03: Unbegrenzte Interessenversicherung
6.2 Risikoübernahme durch Versicherungen
399
Ein prominentes Beispiel für die unbegrenzte Interessenversicherung stellt die Krankenversicherung dar. (2)
Erstrisikoversicherung Im Versicherungsfall wird der entstandene Schaden (S) voll, maximal jedoch in Höhe der vereinbarten Versicherungssumme, der sog. Deckungssumme (D), ausgeglichen. Für Entschädigungsfunktion und Intensität gilt also (6.08)
sofern S < D
E
sofern S > D 1,
sofern S < D
D/S, sofern S > D Abb. 6.04 verdeutlicht diese Versicherungsform wiederum grafisch. E
D
S
D
S
0
Abb. 6.04: Erstrisikoversicherung
Hauptanwendungsgebiete der Erstrisikoversicherung sind insbesondere die verschiedenen Arten von Haftpflichtversicherungen.
400
6 Risikoäbemahme als Finanzdienstleistung
Übungsaufgabe 6.07: Die HEUREKA AG beliefert den nordamerikanischen Markt mit diversen Haarwuchs- und Enthaarungspräparaten. Gegen die damit verbundenen Haftpflichtrisiken hat sie bei der SECURA eine Produkthaftpflichtversicherung vom Typ einer Erstrisikoversicherung mit einer Deckungssumme von 10 Mio. Euro pro Schadensfall abgeschlossen. Kurz darauf stellt sich heraus, dass das Enthaarungsmittel NIVELLA zu erheblichen Pigmentstörungen auf den behandelten Hautpartien führt. Die HEUREKA wird daraufhin verurteilt, an die Betroffenen Schadensersatz- und Schmerzensgeldzahlungen (S&S) zu leisten, und nimmt dementsprechend die SECURA in Anspruch. a) Bestimmen Sie jeweils, -
zu welchem Prozentsatz die gesamten S&S-Zahlungen von der SECURA getragen werden sowie
-
welchen Restbetrag die HEUREKA selbst tragen muß,
wenn sich die S&S-Zahlungen insgesamt auf einen Gegenwert von (1)
8 Mio. Euro
(2)
16 Mio. Euro
(3)
25 Mio. Euro
belaufen! b) Zeichnen Sie die Intensitätsfunktion der abgeschlossenen Versicherung möglichst genau in das folgende Diagramm ein! i ''
!! !I
I
1 L I j 1
1
1 0
(3)
10
20
30
40
S (Mio. Euro)
Vollwertversicherung in traditioneller Form Während sich die unbegrenzte Interessenversicherung und die Erstrisikoversicherung typischerweise auf Situationen beziehen, in denen für die eventuell auftretenden Schadensbeträge keine „natürliche" Obergrenze existiert, findet die Vollwertversicherung Anwendung, wenn eine Obergrenze für die möglichen Schäden definiert werden kann. Man bezeichnet diese Obergrenze häufig als den Versicherungswert (VW).
401
6.2 Risikoübernahme durch Versicherungen
Wie die Erstrisikoversicherungen ist auch die Vollwertversicherung zusätzlich durch die Vereinbarung einer Versicherungssumme (D) gekennzeichnet. Diese begrenzt bei der traditionellen Form der Vollwertversicherung aber nicht nur den maximalen Erstattungsbetrag, sondern auch den tatsächlichen Erstattungsbetrag bei kleineren Schäden, indem der vereinbarten Versicherungssumme (D) der Versicherungswert (VW) gegenübergestellt wird. Die in einem konkreten Schadensfall erfolgende Versicherungsleistung bestimmt sich dabei in folgender Weise nach dem Verhältnis der Größen D und VW: •
Gilt D > VW (Überversicherung) oder D = VW (Vollversicherung), so wird der tatsächlich eintretende Schaden zu 100% ausgeglichen; es gilt also (6.09)
•
Liegt hingegen Unterversicherung vor (D < VW), so wird der tatsächlich eintretende Schaden nur entsprechend der Relation von D zu VW ausgeglichen; es gilt also i = D/VW < 1. (6.10)
Die Abbildungen 6.05 und 6.06 verdeutlichen Entschädigungs- und Intensitätsfunktion für die beiden Konstellationen D > VW und D < VW. E VW
VW D
S
Abb. 6.05: Vollwertversicherung bei Überversicherung (D > VW)
VW
D
S
402
6 Risikoübernahme
als
Finanzdienstleistung
1 D/VW
H
D VW
D
1—
VW
Abb. 6.06: Vollwertversicherung bei Unterversicherung (D < VW)
Formen der Vollwertversicherung findet man in unterschiedlichen Detailvarianten vor allem in verschiedenen Zweigen der Sachversicherung wie z.B. im privaten Bereich in der Hausratversicherung.
Übungsaufgabe 6.08: Gehen Sie von den Abbildungen 6.05 und 6.06 aus! a)
Die in Abb. 6.05 dargestellten Kurvenverläufe decken sich weitgehend mit den entsprechenden Darstellungen für die unbegrenzte Interessenversicherung nach Abb. 6.03. Erläutern Sie kurz, worin sich die beiden Versicherungsformen dennoch unterscheiden!
b)
Wie ist in Abb. 6.06 jeweils der vertikale Abstand zwischen den dargestellten Funktionen (durchgezogenen Linien) und den darüber eingezeichneten (steigenden bzw. parallelen) Hilfslinien zu interpretieren?
(4)
Vollwertversicherung mit modifizierter Unterversicherungsregelung In Ergänzung zu der soeben dargestellten traditionellen Ausgestaltungsform der Vollwertversicherung hat sich Ende des 20. Jahrhunderts eine neuere Variante entwickelt, die durch eine Unterversicherungsverzichtsklausel gekennzeichnet ist. Mit diesem Musterbeispiel eleganter sprachlicher Gestaltungskunst wird die Vereinbarung bezeichnet, dass auch im Unterversicherungsfall unterhalb der Deckungssumme liegende Schäden dennoch zu 100% ausgeglichen werden. Für die E- und i-Funktion gilt also:
(6.11)
E =
S, sofern S < D D, sofern S > D 1,
ι
=
sofern S < D
D/S, sofern S > D .
6.2 Risikoübernahme
durch
Versicherungen
403
Analog zu den ganz ähnlichen Regelungen bei der Erstrisikoversicherung nach Abb. 6.04 haben diese Funktionen das in Abb. 6.07 wiedergegebene Aussehen. Der Unterschied zur Darstellung in Abb. 6.04 besteht wiederum lediglich darin, dass die E- und i-Kurven nicht für unbegrenzte positive S-Werte definiert sind, sondern nur innerhalb des Bereiches S < VW.
Abb. 6.07: Vollwertversicherung mit modifizierter Unterversicherungsregelung
In der Praxis ist diese modifizierte Form der Vollwertversicherung etwa im „oberen Segment" der Hausratversicherung anzutreffen, d.h. in Verträgen, bei denen die Versicherungssumme pro versichertem Quadratmeter Wohnfläche einen gewissen Mindestbetrag übersteigt.
6.2.3.2 Franchise-Tarife Im Versicherungsbereich versteht man unter Franchiseklauseln1) zusätzliche Vereinbarungen in einem Versicherungsvertrag, wonach der Versicherungsnehmer generell oder unter bestimmten Voraussetzungen einen Teil des aufgetretenen Schadens selbst trägt. Man spricht dabei auch von „Selbstbeteiligung" oder „Selbstbehalt". Derartige Franchisevereinbarungen können grundsätzlich mit allen vier Grundformen von Versicherungsverträgen kombiniert werden, die Sie gerade im Abschnitt 6.3.1 kennengelernt haben. Für die folgende Darstellung der beiden wichtigsten Erscheinungsformen von Franchisevereinbarungen gehen wir der Einfachheit halber jedoch davon aus, dass der Basisvertrag, der nun um eine Franchiseklausel ergänzt werden soll, eine Erstrisikoversicherung darstellt. Im Einzelnen sind im Bereich von Franchisevereinbarungen die folgenden drei Grundtypen zu unterscheiden, die in der Versicherungspraxis in unterschiedlichen Detailvarianten und zum Teil auch in Kombination miteinander anzutreffen sind.
1
Das Wort „Franchise" wird in diesem Kontext französisch ausgesprochen [f rä' J i . z ö ] und darf nicht mit der - englisch ausgesprochenen - Bezeichnung für lizenzierte Vertriebssysteme verwechselt werden.
404
(1)
6 Risikoübernahme
als
Finanzdienstleistung
Prozentualfranchise Bei diesem Franchisetyp ersetzt das Versicherungsunternehmen nur einen zuvor festgelegten Prozentsatz q (0 < q < 1) des aufgetretenen Schadens; der Versicherte übernimmt also einen prozentualen Selbstbehalt von (1 - q ) . Für die E- und i-Funktion gilt somit: (6.12)
E = q · S
und
i = q.
Die entsprechenden Grafiken haben mithin folgendes Aussehen, das dem der traditionellen Vollwertversicherung im Unterversicherungsfall gemäß Abb. 6.06. stark ähnelt.
VW
S
s
Abb. 6.08: Unbegrenzte Interessenversicherung mit prozentualem Selbstbehalt
In der Versicherungspraxis sind derartige Tarife etwa in der Krankheitskosten- oder auch der Kreditversicherung anzutreffen. (2)
Abzugsfranchise Bei diesem Franchisetyp wird ein Schaden in dem Ausmaß ersetzt, wie er eine zuvor vereinbarte Mindesthöhe (M) übersteigt. Der Versicherte trägt also einen absoluten Selbstbehalt in entsprechender Höhe. Für die bekannten Funktionen gilt somit: (6.13)
E =
ι
=
0,
wenn S < M
S - M , wenn S > M 0,
wenn S < M
1
M , wenn S > M S
6.2 Risikoübernahme durch Versicherungen
405
Die zugehörigen Kurven haben somit folgendes Aussehen.
ι" 1--
S
M
M
S
Abb. 6.09: Unbegrenzte Interessenversicherung mit absolutem Selbstbehalt
Tarife mit Abzugsfranchisen sind beispielsweise in der KraftfahrzeugKasko-Versicherung weit verbreitet. (3)
Integralfranchise Wie bei der Abzugsfranchise werden auch bei diesem Franchisetyp Schäden unterhalb einer Mindestsumme M nicht erstattet, höhere Schadenssummen jedoch in vollem Umfang und nicht nur in Höhe des über M hinausgehenden Betrages. Somit gilt hier: (6.14)
E
0, wenn S < M S, wenn S > M 0, wenn S < M 1, wenn S > M
Die zugehörigen Kurvenzüge sind dementsprechend jeweils durch eine Sprungstelle bei S = M gekennzeichnet.
ι" 1 --
M
S
M
Abb. 6.10: Unbegrenzte Interessenversicherung und Integral franchise
S
406
6 Risikoiibemahme als Finanzdienstleistung
In der Praxis sind Vereinbarungen von Integralfranchisen eher selten anzutreffen; man findet sie jedoch beispielsweise im Bereich der Seewarenversicherung.
Übungsaufgabe 6.09: a) Welche Gründe können für ein Versicherungsunternehmen generell dafür sprechen, Franchise-Tarife anzubieten? b) Welche Gründe können für einen Versicherungsnehmer dafür sprechen, einen FranchiseTarif an Stelle einer Vollversicherung zu wählen?
6.3
Risikoübernahme durch Kreditinstitute
6.3.1
Vorüberlegungen
Wie in den vorangegangenen Kapiteln an mehreren Stellen, insbesondere in Kapitel 1, dargestellt wurde, tragen Kreditinstitute durch ihre sonstigen Geschäfte zugleich auch dazu bei, ihren Kunden gewisse Risiken abzunehmen. Ist die Risikoverminderung bei den bislang betrachteten Marktangeboten von Kreditinstituten jedoch eher ein Nebeneffekt der primären Leistung, so gibt es auch einzelne Bereiche, in denen Kreditinstitute - ähnlich wie Versicherungen - die Übernahme von Risiken als eigenständige Hauptleistung anbieten. Zu den Anbietern derartiger Leistungen zählen zum einen die Universalbanken und einzelne Kreditinstitute mit Sonderaufgaben, die ihren Kunden Avalkredite und Akzeptkredite zur Verfügung stellen. Wir werden darauf im Abschnitt 6.4.2 näher eingehen. Außerdem gibt es in Deutschland sog. Kreditgarantiegemeinschaften, auch „Bürgschaftsbanken" genannt, die sich als Selbsthilfeeinrichtungen bestimmter Gewerbezweige darauf spezialisiert haben, zugunsten ihrer Mitglieder Bürgschaften oder Garantien zu vergeben. Wir werden sie im Abschnitt 6.4.3 behandeln. Schließlich kann auch bei dem Angebot von Factoringinstituten der Aspekt der Risikoübernahme von mehr oder weniger großer Bedeutung sein. Wir sind darauf schon im Abschnitt 2.2.3.4 ausführlich eingegangen, so dass sich hier eine weitere Erörterung erübrigt.
6.3 Risikoübemahme
6.3.2
durch
Kreditinstitute
407
Aval- und Akzeptkredite
Aval- und Akzeptkredite sind gemeinsam dadurch gekennzeichnet, dass sich die kreditgebende Bank zur Zahlung eines bestimmten Geldbetrages für den Fall verpflichtet, dass ihr eigener Kunde seinen Verpflichtungen gegenüber Dritten nicht nachkommt. Die Bank erbringt zunächst also keine unmittelbare Finanzierungsleistung, übernimmt mit der entsprechenden Eventualverpflichtung jedoch ein ähnliches Risiko, als wenn sie dem eigenen Kunden unmittelbar einen zahlungswirksamen Kredit in der entsprechenden Höhe gegeben hätte. Die in dieser Weise auf den Kunden übertragene Kreditwürdigkeit der Bank erleichtert es diesem, von dritter Seite „Kredit" im weitesten Sinne des Wortes zu erlangen. (1)
Der Avalkredit Beim Avalkredit übernimmt die Bank die Haftung für die Erfüllung der Verbindlichkeiten ihres Kunden gegenüber einem Dritten in Form einer Bürgschaft oder einer Garantie. Hauptanwendungsgebiet für die in aller Regel selbstschuldnerische Bankbürgschaft ist die Sicherung von bestimmten Ansprüchen öffentlicher Stellen, die vorübergehend gestundet werden, wie z.B. Zollgebühren, Bahnfrachtgelder, Holzkaufgelder (gegenüber den staatlichen Forstverwaltungen) oder Branntweinkaufgelder gegenüber der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein. Weiterhin geben Banken Prozessbürgschaften, Bürgschaften für den noch ausstehenden Einlagebetrag bei nicht voll eingezahlten Aktien oder Bürgschaften gegenüber anderen Kreditgebern etwa im Rahmen von Β auz wischenfinanzierung. Während die Bürgschaft akzessorischen Charakter hat, dass heißt an Existenz und Höhe der zugrundeliegenden Forderung gegenüber dem eigenen Kunden gebunden ist, stellt die Garantie ein abstraktes Zahlungsversprechen dar, das unabhängig von einer Hauptforderung besteht. Garantieleistungen von Banken sind insbesondere in folgenden Anwendungsbereichen anzutreffen: •
Verpflichtung zur Übernahme der Vertragsstrafe, wenn der Bieter bei einer Ausschreibung den erteilten Zuschlag dann doch nicht annimmt (Bietungsgarantie) oder ein Lieferant die vereinbarte Lieferungs- oder Leistungsverpflichtung nicht erfüllt (Lieferungs- und Leistungsgarantie).
•
Verpflichtung zur Rückzahlung einer an einen Auftragnehmer geleisteten Anzahlung für den Fall, dass dieser seiner Lieferungs- oder Leistungspflicht nicht nachkommt (Anzahlungsgarantie).
408
6 Risikoübernahme als Finanzdienstleistung
•
Verpflichtung zur finanziellen Abgeltung von Gewährleistungsansprüchen für den Fall, dass das verpflichtete Unternehmen diesen Ansprüchen nicht nachkommt (Gewährleistungsgarantie).
•
Absicherung eines Reeders gegen alle Schäden, die daraus resultieren können, dass er Ware an den Empfänger aushändigt, obwohl das vorgesehene Konnossement nicht vorliegt oder inhaltlich von den vereinbarten Bedingungen abweicht (Konnossementsgarantie).
Die Laufzeit des Avalkredits ist durch den Zweck der Bürgschaft bzw. der Garantie determiniert. Es gibt unbefristete, die Regel jedoch sind kurzfristige Avalkredite. Für die Einräumung des Avalkredits berechnet die Bank eine Avalprovision. Diese ist abhängig vom Zweck, von der Laufzeit und von den möglicherweise gestellten Sicherheiten. In der Regel werden monatlich oder vierteljährlich etwa 1,5 bis 3% p.a. von der Bürgschaft/Garantiesumme als Avalprovision berechnet und dem Kreditnehmer belastet. (2)
Der Akzeptkredit Ein Akzeptkredit wird einem Unternehmen gewährt, indem ein Kreditinstitut einen von dem Unternehmen ausgestellten Wechsel als Bezogener akzeptiert, d.h. sich durch Vermerk auf der Vorderseite des Wechsels (Akzept) verpflichtet, diesen zu dem angegebenen Fälligkeitstermin einzulösen. Das Unternehmen kann diesen als Bankakzept bezeichneten Wechsel dann z.B. zur Bezahlung von Rechnungen an die eigenen Lieferanten weitergeben oder bei anderen Banken diskontieren lassen. Diese erwerben somit nicht eine Forderung gegenüber dem betrachteten Unternehmen, sondern gegenüber der - in ihrem Urteil eventuell bonitätsmäßig besseren - Akzeptbank. Im Innen Verhältnis zu der Bank ist das Unternehmen allerdings verpflichtet, dieser die Wechselsumme zum Fälligkeitstermin zur Verfügung zu stellen. Bei vertragskonformem Ablauf wird die Bank also liquiditätsmäßig überhaupt nicht belastet. Da die Bank jedoch unabhängig von ihren internen Vereinbarungen mit ihrem Kunden auf jeden Fall zur Einlösung des Wechsels verpflichtet ist, übernimmt sie damit das Risiko, dass der Kunde seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommt. Die für die Übernahme dieses Bonitätsrisikos zu zahlende Akzeptprovision wird in der Regel als Pro-Monat-Satz auf den Wechselbetrag berechnet und liegt in der Größenordnung von 1/8% bis 1/4% p.m. Außerdem werden häufig gewisse Bearbeitungskosten in Rechnung gestellt. Häufig wird das Bankakzept von der akzeptgebenden Bank selbst diskontiert. In diesem Fall wird aus der Kreditleihe dann eine kurzfristige Geldleihe. Im Vergleich zu einem einfachen Buchkredit an das betrachtete Unternehmen hat das für die Bank den Vorteil, dass sie selbst sich bei Bedarf durch weitere Abtretung ihres eigenen Akzepts leichter refinanzieren kann.
6.3 Risikoübernahme durch Kreditinstitute
409
Besondere Bedeutung hat die Risikoübernahme in Form eines Akzeptkredits bei der Finanzierung von Außenhandelsgeschäften in Form des sog. Rembourskredits erlangt. Der Importeur zieht dabei auf eine Bank einen Wechsel, den diese für Rechnung des Importeurs oder seiner Bank akzeptiert und dem Exporteur gegen Vorlage der vereinbarten Transportdokumente aushändigt. Soweit Banken Aval- und Akzeptkredite der soeben erläuterten Weise vergeben, besteht ihre primäre Leistung in der Übernahme bestimmter Risiken, insoweit also durchaus in versicherungsähnlichen Leistungen. Ein Spezifikum dieser Art von Risikoübernahme, das sie von dem Gros der Versicherungsleistungen unterscheidet, besteht jedoch darin, dass die Risikoübernahme von entscheidender Bedeutung für ein Vertragsverhältnis zwischen dem Kunden der Bank und einem Dritten ist, wobei dieser Dritte in aller Regel der Begünstigte ist, -
während der Bankkunde zunächst der mit der Aval- oder Akzeptprovision Belastete ist.
Während bei Versicherungsverträgen - von einzelnen Ausnahmen abgesehen der zur Prämienzahlung verpflichtete Versicherungsnehmer selbst auch unmittelbar der Begünstigte ist, der gegebenenfalls Anspruch auf die Versicherungsleistung hat, zielt ein Aval- oder Akzeptkredit auf die Begünstigung eines Geschäftspartners des Kreditnehmers ab. Dieser profitiert allerdings indirekt auch von der vereinbarten Kreditleihe, jedoch gerade nicht durch die tatsächliche Beanspruchung der zugesagten Risikoübernahme, sondern dadurch, dass es ihm die erfolgte Risikoübernahme durch die Bank erst ermöglicht, ein für ihn vorteilhaftes Geschäft abzuschließen, das andernfalls mangels hinlänglicher eigener Kreditwürdigkeit in der Form gar nicht zustande gekommen wäre. Insofern führen weder der Aval- noch der Akzeptkredit zu einem direkten Zahlungsmittelzufluss durch die Bank. Die Finanzierungsmöglichkeiten werden jedoch insoweit indirekt verbessert, als die Kreditaufnahme bei Dritten erleichtert wird. Somit erfüllt die Aufnahme von Aval- und Akzeptkrediten neben der Risikoübernahmefunktion auch eine Finanzierungsfunktion.
6.3.3
Risikoübernahme durch Kreditgarantiegemeinschaften
In ähnlichem Sinne ist auch das Leistungsangebot der sog. Bürgschaftsbanken zu sehen. Durch die Übernahme von Bürgschaften oder Garantien soll den der Selbsthilfeeinrichtung angehörenden Unternehmen die Kreditaufnahme bei anderen Institutionen, in der Regel Banken, erleichtert oder überhaupt erst ermöglicht werden.
410
6 Risikoübernahme
als
Finanzdienstleistung
Die Kreditgarantiegemeinschaften, die insbesondere in den Bereichen von Handel und Handwerk, mittelständischer Industrie, Hotel- und Gaststättengewerbe, Gartenbau, Verkehrsgewerbe und gemeinnützigem Wohnungsbau gebildet worden sind, betreiben in aller Regel ausschließlich das Avalkreditgeschäft und sind damit gem. § 1 Abs. 1 Nr. 8 KWG Kreditinstitute. Sie werden ganz überwiegend in der Rechtsform der GmbH betrieben. Neben den bereits im Abschnitt 6.4.2 besprochenen Bietungs-, Lieferung- und Leistungs-, Auszahlungs- sowie Gewährleistungsgarantien übernehmen diese Gesellschaften insbesondere -
Kreditbürgschaften für Existenzgründungs-, Investitions- und Betriebsmittelkredite,
-
Leasing-Bürgschaften sowie Beteiligungsgarantien bei der Beteiligung von Kapitalbeteiligungsgesellschaften (vgl. Abschnitte 2.5.3) an mittelständischen Unternehmen.
Die Bürgschaften sind in aller Regel als Ausfallbürgschaften ausgestaltet und auf maximal 80% der geschuldeten Summe begrenzt. In einem Volumen von derzeit rund 60% werden die übernommenen Ausfallbürgschaften üblicherweise noch einmal durch Rückbürgschaften beim Bund und dem jeweiligen Bundesland abgesichert. Das Volumen der einzelnen Bürgschaften bewegt sich allgemein im Bereich fünf- bis sechsstelliger Euro-Beträge und überschreitet nur in Ausnahmefällen die Millionengrenze. Die Kosten für die Beanspruchung der oftmals sehr langfristig, d.h. im Zeitrahmen von 10 bis 25 Jahren, gewährten Bürgschaft setzen sich aus einer laufenden Bürgschaftsprovision von ca. 1% p.a. der noch in Anspruch genommenen Bürgschaftssumme sowie einer einmaligen Bearbeitungsgebühr von zumeist ebenfalls 1% des ursprünglichen Bürgschaftsbetrages zusammen.
6.4
Kreditderivate
6.4
Kreditderivate
6.4.1
Begriff, Funktionen und Kategorien von Kreditderivaten
411
Als Kreditderivate bezeichnet man einem Versicherungsvertrag ähnliche Vereinbarungen, die einen Vertragspartner (den „Verkäufer") verpflichten, an dem aus dem Vertrag Berechtigten (den „Käufer") bestimmte Zahlungen zu leisten, sofern sich eine der Vereinbarung zugrunde gelegte Kreditbeziehung in ihrer Qualität verschlechtert. Für diese Zusage, bestimmte Arten von Kreditrisiken zu übernehmen, erhält der Verkäufer, in der Regel sofort bei Vertragsabschluss, eine Ausgleichszahlung, die durchaus mit einer Versicherungsprämie oder auch der Prämienzahlung an den Stillhalter einer Option verglichen werden kann. Daneben findet man aber auch Kreditderivate, bei denen der Verkäufer während der Laufzeit zu unterschiedlichen Zeitpunkten mehrere Zahlungen erhält oder in sonstiger Weise für die Risikoübernahme entschädigt wird. Zur konkreten Ausgestaltung eines solchen Kreditderivats bedarf es in erster Linie der präzisen Festlegung der folgenden drei zentralen Vertragselemente: •
Zum ersten muss festgelegt werden, auf welches Kreditengagement sich die Vereinbarung beziehen soll.
•
Zum zweiten ist zu definieren, welche Ereignisse überhaupt zu einer Zahlungsverpflichtung des Verkäufers führen, also gewissermaßen den „Versicherungsfall" auslösen.
•
Zum dritten ist schließlich festzulegen, wonach sich die Höhe der bei Eintritt des „Versicherungsfalls" effektiv zu leistenden Zahlung bemisst.
Je nach der Art des Kreditderivats können weitere Vertragsbestandteile hinzukommen; wir wollen uns hier jedoch vorrangig auf die Betrachtung dieser drei zentralen Vertragselemente beschränken. (1)
Gegenstand eines Kreditderivates kann eine einzelne Forderung sein, ein Teilbetrag einer einzelnen Forderung oder auch ein Pool mehrerer Forderungen. Dabei kann es sich sowohl um einfache Buchkredite als auch um wertpapiermäßig verbriefte Ansprüche handeln, die zudem möglicherweise börsenmäßig gehandelt werden können.
(2)
Im Hinblick auf die Voraussetzungen für den Eintritt des „Versicherungsfalls" unterscheidet man allgemein zwei grundlegende Kategorien von Kreditderivaten: •
Bei den sogenannten ereignisbezogenen Derivaten entsteht die Zahlungspflicht des Verkäufers dann, wenn bestimmte, bei Vertragsabschluss wohldefinierte kredittypische Ereignisse („Credit Events")
412
6 Risikoübernahme als Finanzdienstleistung
eintreten. Solche Ereignisse können etwa die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die Nichterfüllung von Zahlungsverpflichtungen, jedwede Herabstufung des ursprünglichen Kreditratings durch eine Ratingagentur oder das Unterschreiten eines bestimmten RatingGrades sein. •
(3)
Bei marktpreisbezogenen Derivaten knüpft die Zahlungspflicht des Verkäufers demgegenüber an die Entwicklung des Marktwertes der zugrundeliegenden Kreditansprüche an, was in der Regel voraussetzt, dass diese als börsengehandelte Wertpapiere verbrieft sind.
Die Höhe der von dem Derivatverkäufer ggf. zu leistenden Zahlungen hängt zumeist davon ab, ob das Derivat ereignis- oder marktpreisbezogen ausgestaltet ist: •
Im ersten Fall könnte etwa der bei Eintritt des „Ereignisses" noch offene Forderungsbetrag die Basis für die Bestimmung der Zahlungsverpflichtung des Derivatverkäufers bilden, der im Endeffekt an Stelle des säumigen Schuldners zumindest einen Teil von dessen Verpflichtungen zu erfüllen hat. Im Gegenzug dazu geht zumeist der entsprechende Anspruch des Derivatkäufers gegenüber seinem ursprünglichen Kreditnehmer an den Verkäufer über, der dann versuchen kann, zumindest einen Teil des ausstehenden Betrages doch noch zu realisieren.
•
Bei marktpreisbezogenen Kreditderivaten hängt in aller Regel nicht nur das generelle Eintreten der Zahlungspflicht, sondern auch deren Höhe davon ab, wie sich der Marktwert des zugrundeliegenden Wertpapiers entwickelt. Derartige Derivate sind häufig in der Weise symmetrisch konstruiert, dass Marktpreissenkungen zu Zahlungen des Derivatverkäufers an den Käufer führen, dieser jedoch umgekehrt bei Steigerungen des Marktpreises verpflichtet ist, entsprechende Zahlungen an den Verkäufer zu leisten.
Kreditderivate werden häufig durch eine entsprechende Vereinbarung zwischen dem Inhaber der zugrunde gelegten Forderung(en) als Käufer und einem anderen Geschäftspartner als Verkäufer begründet. Mittlerweile ist es aber auch häufig der Fall, dass keine der beiden Vertragsparteien Inhaber einer zugrunde gelegten Forderung ist, also beide Vertragspartner nicht aus Gründen der Absicherung, sondern aus anderen, z.B. spekulativen Motiven. Typischerweise - wenn auch nicht zwangsläufig - handelt es sich bei beiden Parteien um Kreditinstitute oder andere Finanzdienstleistungsunternehmen, für die der Erwerb oder die Begründung von Forderungen etwa als Factoring-, Leasing-, Kreditkarten- oder Darlehengeschäft zum primären Betriebszweck zählt und nicht nur ein - möglicherweise eher lästiger - Nebeneffekt der eigentlichen Untemehmenstätigkeit darstellt. Zunehmend
6.4 Kreditderivate
413
beteiligen sich jedoch auch andere Unternehmen an diesem Geschäft. Die so begründeten Rechtspositionen können dann jedoch im Zuge eines Handels von Kreditderivaten möglicherweise an Dritte weitergeleitet werden. Wie bei anderen Finanzgeschäften auch kann also auch hier zwischen einem Primär- und einem Sekundärmarkt unterschieden werden. In funktioneller Hinsicht ermöglichen Kreditderivate zum einen eine Separation von Risikoübernahme und Finanzierung. So kann etwa eine Bank die eigene Kundschaft auch dann noch in vollem Umfang mit den gewünschten Krediten versorgen, wenn sie dazu unter Risikoaspekten „eigentlich" gar nicht mehr in der Lage wäre - sei es, weil interne Risikolimits dagegen sprechen, sei es, weil bankenaufsichtsrechtliche Restriktionen verletzt würden. Kreditrisiken können somit von den ursprünglichen Kreditgebern zu den Institutionen „wandern", die - aus welchen Gründen auch immer - besser als diese in der Lage sind, solche Risiken zu tragen. Über ihre einzelwirtschaftliche Separationsfunktion hinaus können Kreditderivate somit zugleich zu einer Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Risikoallokation beitragen. Daneben können Kreditderivate zum zweiten auch dazu benutzt werden das Ausmaß der Risikodiversifikation - zunächst einzel-, daraus folgend aber auch gesamtwirtschaftlich - zu steigern. Das im folgenden Abschnitt präsentierte Beispiel verdeutlicht diesen Aspekt exemplarisch.
6.4.2
Risikodiversifikation durch Kreditderivate: Ein Beispiel
Das folgende Beispiel ist in seinen Konturen bewusst einfach und zugleich überzeichnend gewählt, um die Grundidee jedoch umso deutlicher hervortreten zu lassen. Beispiel 6.01: Eine im nordostdeutschen Raum tätige Bank W hat ihren lokalen Gegebenheiten folgend einen Großkredit über 500 Mio. Euro an einen Werftkonzern vergeben (im Folgenden kurz: WKredit). Die Laufzeit beträgt genau 1 Jahr;, der nach einem Jahr zusammen mit der Tilgung fällige Zins beläuft sich auf 20% p.a. Die Risikostruktur dieses Engagements wird wie folgt eingeschätzt: •
Mit einer Wahrscheinlichkeit von 80% wird der Kredit vereinbarungsgemäß einschließlich der Zinsen, also zu 600 Mio. Euro, zurückgezahlt.
•
Tritt hingegen der ex ante zu 20% wahrscheinliche Insolvenzfall ein, so kann angesichts der bereitgestellten Sicherheiten mit 90%-iger Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der Zins- und Tilgungsanspruch, wenn auch nicht vollständig, so doch zumindest im Volumen von 480 Mio. Euro erfüllt wird. Der Einfachheit halber wird hier unterstellt, dass diese Zahlung ebenfalls genau im eigentlichen Fälligkeitstermin des Kredits erfolgt.
414
•
6 Risikoübernahme als Finanzdienstleistung
Mit einer Wahrscheinlichkeit von 10% ist demgegenüber nach eingetretener Insolvenz davon auszugehen, dass sich die Sicherheiten als gänzlich wertlos erweisen, es also zum Totalausfall des gesamten Kredites kommt.
Die Wahrscheinlichkeitsverteilung der alternativ möglichen Rückzahlungsbeträge sowie der an der ursprünglichen Kreditsumme gemessenen Verluste des W-Kredites hat somit folgendes Aussehen (Angaben in Mio. Euro): Wahrscheinlichkeit
80%
18%
2%
Rückzahlung
600
480
0
20
500
Verlust
-
Für den Erwartungswert der alternativ möglichen Rückzahlungsbeträge gilt somit μ = 600 • 0,8 + 480 0,18 = 566,40 , was trotz des vereinbarten Kreditzinses von 20% im Endeffekt nur einer erwarteten Verzinsung von 14,72% entspricht. Zur Beschreibung des mit diesem Engagement verbundenen Risikos kann einmal auf die schon aus dem Abschnitt 6.1 bekannte Standardabweichung σ zurückgegriffen werden. Man erhält hier: σ 2 = 33,6 2 · 0,8 + 86,4 2 0,18 + 566,4 2 0,02 = 8.663 und somit σ = y] 8.663 = 93,1 . Im Risikomanagement der Banken hat als Folge aufsichtsrechtlicher Vorgaben, wie sie etwa unter der Bezeichnung „Basel Π" auch über Fachkreisen hinaus einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden sind, eine andere Kennzahl, der sogenannte Value-at-Risk (VaR), besondere Prominenz gewonnen. Diese Kennzahl misst den möglichen Verlustbetrag eines Engagements, der nur mit einer „vemachlässigbar kleinen" Wahrscheinlichkeit noch übertroffen werden kann. Wo die Schwelle für diese „vernachlässigbar kleine" Wahrscheinlichkeit liegt, wird aufsichtsrechtlich vorgegeben. Die so ermittelte VaR-Kennzahl geht dann in die Bemessung des Reinvermögens ein, das eine Bank in Abhängigkeit von den insgesamt eingegangenen Geschäftsrisiken als Deckungspotenzial vorhalten muss. Für unser Beispiel sei angenommen, dass die für die Ermittlung des VaR maßgebliche Wahrscheinlichkeit auf 0,1% festgelegt sei. Aus der vorstehenden Tabelle ergibt sich dann sofort, dass in der Ausgangssituation VaR = 500 gelten würde. Denn die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines Totalverlustes liegt mit 2% eindeutig oberhalb der unterstellten Toleranzgrenze von 0,1%. Das betrachtete Kreditengagement wäre also in vollem Umfang von 500 Mio. Euro in die Berechnung des aufsichtsrechtlich erforderlichen Deckungspotenzials einzubeziehen.
6.4 Kreditderivate
415
Zur weiteren Fortführung unseres Beispiels betrachten wir nun eine zweite, im südwestdeutschen Raum tätige Bank F, die derselben Bankengruppe wie die Bank W angehören soll. Diese Bank habe - den für sie bestimmenden regionalen Gegebenheiten entsprechend - an ein Unternehmen aus der Feinmechanik-Branche einen Kredit (F-Kredit) über ebenfalls 500 Mio. Euro vergeben, der in allen Risikomerkmalen sowie dem vereinbarten Zins dem betrachteten W-Kredit entsprechen soll. Durch Vermittlung des gemeinsamen Spitzeninstituts ihrer Bankengruppe vereinbaren W-und F-Bank nun die folgenden beiden Kreditderivate D w und D F : Dw:
Bank F verpflichtet sich, der Bank W für den Fall, dass der aus dem W-Kredit resultierende Anspruch von 600 Mio. Euro nach einem Jahr nicht oder nicht vollständig erfüllt wird, eine Ausgleichszahlung in Höhe von 50% des entsprechenden Fehlbetrages zu leisten.
Dp:
Im Gegenzug verpflichtet sich Bank W zu ganz analogen Zahlungen für den Fall, dass der ebenfalls auf 600 Mio. Euro lautende Anspruch aus dem F-Kredit nicht oder nicht vollständig erfüllt wird.
Die in unserem Beispiel herbeigeführte Konstellation wirft die Frage auf, ob sich der gleichzeitige Kauf und Verkauf der beiden ja durchaus gleichartigen Kreditderivate in ihren Wirkungen nicht gegenseitig aufheben oder - wenn nicht - welche risikopolitischen Konsequenzen sich für die involvierten Banken daraus ergeben. Bevor wir unser Beispiel im Hinblick auf diese Frage weiter analysieren, gibt Ihnen die folgende Übungsaufgabe Gelegenheit, die vorangegangenen Anführungen noch einmal zu rekapitulieren und auf unseren konkreten Beispielfall anzuwenden.
Übungsaufgabe 6.10: Betrachten Sie das in dem vorstehenden Beispiel dargestellte Kreditderivat D w und erläutern Sie in der Terminologie des vorangegangenen Textes -
welche Funktionen die beiden Banken F und W dabei wahrnehmen,
-
um welche Art von Kreditderivat es sich handelt und
-
wie die oben unter (1) bis (3) allgemein verdeutlichten grundlegenden Vertragselemente konkret ausgeprägt sind!
Vor der Rückkehr zu unserem Beispiel erscheint es des Weiteren zweckmäßig, zwei damit verknüpfte Problemfelder kurz in allgemeiner Form anzusprechen: •
Der Käufer eines Kreditderivates sieht sich als Konsequenz dieses Geschäfts stets dem sogenannten Erfüllungsrisiko ausgesetzt, d.h. der Gefahr, dass der Verkäufer im Bedarfsfall nicht willens oder nicht in der Lage ist, die versprochenen Ausgleichszahlungen auch tatsächlich zu leisten. Vor Abschluss eines entsprechenden Vertrages müssen also - genau so wie bei der
416
6 Risikoübernahme als Finanzdienstleistung
Kreditwürdigkeitsanalyse selbst - Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des Verkäufers überprüft werden. Dabei mag man im konkreten Einzelfall durchaus zu dem Ergebnis gelangen, dass das Erfüllungsrisiko als vernachlässigbar gering angesehen werden kann. Diese Möglichkeit kann jedoch keineswegs a priori als Selbstverständlichkeit unterstellt werden. Um unser Beispiel überschaubar zu halten, wollen wir hier allerdings von dieser Idealkonstellation ausgehen. •
Ein zweites Problemfeld resultiert in unserem Beispiel daraus, dass durch die wechselseitigen Derivatgeschäfte zwei zunächst eigenständige Kreditbeziehungen in ihren Ergebnissen mit einander verknüpft werden. Für die Beurteilung der daraus resultierenden neuen Situation wird somit der zwischen diesen beiden Krediten bestehende stochastische Zusammenhang bedeutsam, d.h. die Frage, inwieweit die bei den beiden Krediten bestehenden Möglichkeiten des Insolvenzeintritts einander wechselseitig beeinflussen oder durch einen übergeordneten gemeinsamen Faktor bestimmt werden.
Je enger derartige Zusammenhänge sind, desto geringer sind die im Folgenden an Hand unseres Beispiels noch näher zu analysierenden Diversifikationseffekte, die durch eine derartige Verknüpfung von zwei (oder mehreren) Krediten erreicht werden können. Für unser Beispiel wollen wir - ebenfalls im Interesse einer möglichst einfachen Darstellung - von dem Idealfall vollkommener stochastischer Unabhängigkeit ausgehen.
Beispiel 6.01 (Fortsetzung): Folgende Tabelle gibt (aus Sicht der Bank W) einen Überblick über die alternativ möglichen Konsequenzen, die sich aus der ursprünglichen Vergabe des W-Kredits sowie der zusätzlichen Vereinbarung der Kreditderivate D w und D F ergeben. Diese Tabelle ist wie folgt zu lesen: •
In der Kopfzeile sind die drei alternativ möglichen Rückzahlungsbeträge aus dem WKredit sowie die zugehörigen Eintrittswahrscheinlichkeiten aufgeführt.
•
In der Vorspalte sind die entsprechenden Werte für den F-Kredit angegeben.
•
Die inneren Felder der Tabelle kennzeichnen die Konsequenzen, die sich für die W-Bank ergeben, wenn ein bestimmtes Ergebnis des W-Kredits mit einem bestimmten Ergebnis des F-Kredits zusammentrifft. Dabei bezeichnet -
die erste Zahl den Rückzahlungsbetrag aus dem W-Kredit, die zweite Zahl (+) die in diesem Fall aus Derivat D w fällig werdende Ausgleichszahlung der Bank F an Bank W,
-
die dritte Zahl (-) analog die bei der jeweiligen Ergebniskonstellation aus dem Derivat Dp fällig werdende Ausgleichszahlung der Bank W an Bank F sowie
417
6.4 Kreditderivate
-
die darunter in Fettdruck ausgewiesene Zahl den Saldo der drei vorstehenden Zahlungen, also den Betrag, den die Bank F bei der jeweiligen Ergebniskonstellation im Endeffekt vereinnahmen kann.
Zusätzlich sind als Klammerangaben die Eintrittswahrscheinlichkeiten für die einzelnen Ergebniskonstellationen aufgeführt. Diese ergeben sich in dem hier unterstellten Fall der stochastischen Unabhängigkeit einfach als Produkt der in Kopfzeile und Vorspalte jeweils angegebenen Ausgangswahrscheinlichkeiten. ^
^
w
600 (80%)
480 (18%)
0 (2%)
600 + 0 - 0 = 600
480 + 6 0 - 0 = 540
0 + 300-0 = 300
(64,00%)
(14,40%)
(1,60%)
600 + 0 - 60 = 540
480 + 6 0 - 6 0 = 480
0 + 300-60 = 240
(14,40%)
(3,24%)
(0,36%)
66 + 0 - 3 0 0 = 300
480 + 6 0 - 3 0 0 = 240
(1,60%)
(0,36%)
0 + 300 - 300 =0 (0,04%)
F 600 (80%)
480 (18%)
0 (2%)
Im Endeffekt sieht sich Bank W in derselben Situation, die sie auch erreicht hätte, wenn sie den W-Kredit von Anfang an nur zur Hälfte des vorgesehenen Gesamtvolumens, also zu 250 Mio. Euro, ausgereicht, dafür jedoch die Hälfte des F-Kredits übernommen hätte. Ganz Analoges gilt selbstverständlich auch für die Bank F. Fasst man nun die zu jeweils übereinstimmenden Zahlungsgrößen führenden Ergebniskonstellationen zusammen und ordnet man die saldierten Beträge in absteigender Ordnung, so erhält man folgende „neue" Wahrscheinlichkeitsverteilung, der zu Vergleichszwecken die schon bekannte ursprüngliche Verteilung noch einmal gegenübergestellt worden ist: Wahrscheinlichkeit Rückzahlung Verlust
64,00%
28,80%
3,24%
3,20%
0,72%
0,04%
600
540
480
300
240
0
20
200
260
500
-
-
Wahrscheinlichkeit
80%
18%
2%
Rückzahlung
600
480
0
20
500
Verlust
-
418
6 Risikoübernahme
als
Finanzdienstleistung
Ein erster Blick auf die beiden Verteilungen zeigt sofort, dass sich die Verhältnisse gegenüber der Ausgangssituation auf jeden Fall verändert haben. Die eventuell gehegte Vermutung, die beiden so völlig gleichartigen Derivatgeschäfte D w und D F würden sich in ihren Konsequenzen wechselseitig aufheben und in der Summe letztlich ganz ohne Konsequenz bleiben, wird also nicht bestätigt. Vergleicht man die beiden Verteilungen etwas näher, so wird auch ohne nennenswerte Berechnungen weiterhin Folgendes deutlich: •
Die Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten der beiden Extremkonstellationen (vollständige Realisierung bzw. Totalausfall) sind von ursprünglich 80% bzw. 2% auf 64% bzw. 0,04% zurückgegangen. Insofern steht einer Verschlechterung der Situation in Form geringerer Erfolgschancen auf der anderen Seite eine Verbesserung in Form verminderter Ausfallrisiken gegenüber, ohne dass daraus schon ein Gesamturteil abgeleitet werden könnte.
•
Zugleich sind mit 540, 300 und 240 etliche „Zwischenwerte" in das Möglichkeitsspektrum gerückt, die in der Ausgangssituation gar nicht auftreten konnten.
•
Dabei hat sich die Chance, mit den Zahlungswerten von 600 sowie 540 überhaupt eine positive Verzinsung zu erzielen, von ursprünglich 80% auf nunmehr 92,8% deutlich erhöht.
•
Die Verlustwahrscheinlichkeit ist dementsprechend von ursprünglich 20% auf nunmehr (3,24 + 3,20 + 0,72 + 0,04 =) 7,20% zurückgegangen.
Viele Betrachter dürften die „neue" Wahrscheinlichkeitsverteilung auf der Basis derartiger Betrachtungen im Vergleich zur Ausgangssituation insgesamt als weniger risikoreich einschätzen. Ein solcher eher intuitiver Befund wird durch die Berechnung der zuvor schon eingeführten Kennzahl bestätigt. So ergeben sich zunächst für den Erwartungswert der Zahlungen mit μ' = 600 · 0,64 + 540 · 0,288 + 480 · 0,0324 + 300 · 0,032 + 240 · 0,0072 = 566,40 und der dementsprechend erwarteten Verzinsung von 14,72% exakt dieselben Werte, die auch schon in der Ausgangssituation gegolten hatten. Diese Identität ist übrigens keineswegs das Ergebnis einer zufälligen oder für unser Beispiel besonders raffiniert konstruierten Datenkonstellation, sondern resultiert allein daraus, dass die miteinander verknüpften Kredite W und F annahmegemäß in ihrer erwarteten Verzinsung übereinstimmen. Jede beliebige ,.Mischung" der beiden Kredite führt dann zwangsläufig zu demselben Erwartungswert. Diversifikation von Risiken allein hat also keinen Einfluss auf den Erwartungswert, sehr wohl aber auf die Risikokennzahlen. So errechnet sich auch für die Standardabweichung mit σ 2 = 33,6 2 · 0,64 + 26,4 2 · 0,288 + 86,4 2 0,0324 +266,4 2 · 0,032 + 326,4 2 · 0,0072 +566,4 2 · 0,0004 = 4.332 und somit σ' = V 4.332 = 65,8 ein spürbar niedrigerer Wert als in der Ausgangssituation.
6.4
Kreditderivate
419
Folgt man der in Theorie und Praxis weit verbreiteten Übung, die Höhe das mit einem finanziellen Engagement verbundenen Risikos - zumindest auch - an der Standardabweichung zu messen, so haben die beiden Derivatgeschäfte das von Bank W - und ganz analog auch von Bank F - zu tragende Kreditrisiko mit einer Minderung von ursprünglich σ = 93,1 auf nunmehr σ' = 65,8 also deutlich reduziert - und das, ohne dass deshalb eine Einbuße bei der erwarteten Verzinsung hinzunehmen wäre; diese beläuft sich ja nach wie vor auf 14,72%. Insoweit wird die bei beiden Banken gleichermaßen eintretende Risikoreduktion also „kostenlos" erreicht. Sie ist einfach eine Folge des schon im Abschnitt 6.1.2.2 im Hinblick auf das Versicherungsgeschäft aufgezeigten Risikoausgleichs, der durch eine Diversifikation der Risikoursachen erreicht werden kann. Parallel zu diesem zunächst eher theoretischen Effekt würde sich für unsere beiden Banken im realen Anwendungsfall noch eine ganz praktische Auswirkung für das aufsichtsrechtlich verlangte Deckungspotenzial ergeben: Bei einer annahmegemäß auf 0,1% fixierten Toleranzwahrscheinlichkeit wäre die Gefahr des Totalverlusts von 500 Mio. Euro mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit von nunmehr nur noch 0,04% jetzt nämlich dem Bereich der „vernachlässigbaren" Risiken zuzurechnen. Die für die Bestimmung des VaR maßgebliche Toleranzgrenze von 0,1% würde vielmehr erst bei der zweitschlechtesten Ergebnismöglichkeit, also bei einer Rückzahlung von 240 und einem dementsprechenden Verlust von 260, überschritten, so dass nun nur noch VaR' = 260 gelten würde. Als Folge der Ergänzung um die beiden Kreditderivate D w und D F wäre das ursprüngliche Kreditengagement somit nicht mehr im vollen Umfang von 500 Mio. Euro, sondern nur noch mit 260 Mio. Euro in die Berechnung des aufsichtsrechtlichen Deckungspotenzials einzubeziehen.
Unser Beispiel war aus Gründen der Vereinfachung bewusst auf nur zwei Banken und auch auf nur zwei Kredite beschränkt. De facto gehen Banken selbstverständlich eine sehr viel höhere Zahl von Kreditbeziehungen ein und erreichen dabei schon ohne besonderes eigenes Zutun oder auch als Ergebnis bewussten Risikomanagements eine gewisse Diversifikation der Kreditrisiken „im eigenen Haus". Nichtsdestoweniger kann man sich von unserem Beispiel ausgehend leicht vorstellen, dass der Diversifikationsgrad durch ergänzende Derivatgeschäfte erhöht werden kann. Zudem kann es den Banken durch die Möglichkeit ergänzender Derivatgeschäfte erleichtert werden, sich im primären Finanzierungsgeschäft den eigenen absatzpolitischen Möglichkeiten entsprechend auf eher einseitige, schlecht diversifizierte „Risikoballungen" einzulassen. Dabei ist es durchaus vorstellbar, dass bestimmte Banken angesichts eher geringer Primärrisiken überwiegend als Verkäufer, andere überwiegend als Käufer von Kreditderivaten auftreten. Ebenso gut kann es aber auch Banken geben, die - der Idealkonstellation unseres Beispiels folgend - in etwa gleichem Umfang als Käufer und Verkäufer zugleich auftreten, also annähernd im gleichen Volumen Einzelrisiken abgeben, wie sie neue übernehmen, das damit verknüpfte Gesamtrisiko jedoch vermindern.
420
6 Risikoübernahme als Finanzdienstleistung
In unserem Beispiel wurde dieser Effekt durch einen "Tausch" zweier einander sehr ähnlicher Derivate erreicht. Bei der immensen Vielzahl im realen Fall theoretisch miteinander verknüpfbarer Derivate dürften derartige unmittelbare Tauschgeschäfte im Allgemeinen allerdings wenig zweckmäßig sein. Die in aller Regel überlegene Lösung wird darin bestehen, dass Derivatgeschäfte je einzeln zu bestimmten Preisen abgeschlossen werden, und sich jede Bank durch eine Vielzahl entsprechender Geschäfte am Primär- und ggf. auch am Sekundärmarkt für Derivate das ihr optimal erscheinende „Portefeuille" an Käufer- und Verkäuferpositionen in Kreditderivaten zulegt. Ein solcher Handel wird selbstverständlich durch eine gewisse Standardisierung der Kontrakte erleichtert. Einige der wesentlichen Grundformen von Kreditderivaten, die sich dementsprechend in der praktischen Handhabung heraus gebildet haben, wollen wir Ihnen im nächsten Abschnitt skizzenhaft vorstellen.
6.4.3
Ausgewählte Grundformen von Kreditderivaten
In Anlehnung an das inzwischen in der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) aufgegangene Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen lassen sich folgende Grundformen von Kreditderivaten unterscheiden:1) •
Bei einem Total Return Swap übernimmt der Verkäufer des Derivats vom Käufer für die Laufzeit eines Kreditgeschäfts oder einer gehaltenen Anleihe die daraus resultierenden Erträge sowie deren Wertsteigerungen. Im Gegenzug erhält der Käufer eine periodische Zahlung eines variablen oder festen Bezugszinses sowie den Ausgleich einer eventuellen Wertminderung der Forderung oder der Anleihe.
•
Bei einem Credit Default Swap leistet der Verkäufer nur bei Eintritt eines vorab spezifizierten Kreditereignisses (z.B. Insolvenzantrag) bei dem Schuldner der zugrunde liegenden Forderung eine Ausgleichszahlung. Als Gegenleistung erhält der Verkäufer eine einmalige oder bei längeren Laufzeiten gegebenenfalls eine jährliche Prämie.
•
Mit einer Credit Default Option erwirbt ihr Käufer gegen Zahlung einer Prämie das Recht auf Erhalt eines Ausgleichsbetrages, der sich aus der Differenz des „Marktwertes" der zugrunde gelegten Kreditforderung zu einem festgelegten Basispreis herleitet. Es kann also zu Ausgleichszahlungen kommen, ohne dass der Schuldner des Kredites überhaupt zahlungssäumig geworden wäre. Denn eine Marktwertverringerung kann ja z.B. schon allein dadurch eintreten, dass die Zahlungswahrscheinlichkeit des Schuldners im Urteil der Marktteilnehmer kleiner geworden ist (vgl. dazu auch das nach-
1
Vgl. zu Kreditderivaten z.B. BUNDESAUFSICHTSAMT FÜR DAS KREDITWESEN (1999).
6.4
Kreditderivate
421
folgende Beispiel). Wegen der Schwierigkeit bei der Definition des Marktwertes einer Kreditforderung bietet sich die Vereinbarung von Credit Default Options insbesondere bei wertpapierverbrieften, börsengehandelten Kreditforderungen an, wie z.B. Unternehmensanleihen. •
Die drei gerade skizzierten Kreditderivate sind reine Derivate. Zur Weiterplatzierung von Kreditrisiken an Investoren eignen sich jedoch auch sogenannte strukturierte Schuldverschreibungen. Die Credit Linked Note (CLN) stellt eine Kombination aus einer Anleihe und einer Credit Default Option dar. Eine CLN ist eine z.B. von einer Bank emittierte verzinsliche Schuldverschreibung (Note), die von einem Investor zum Nominalwert erworben wird. Sie wird von der Bank an ihrem Laufzeitende aber nur dann zum Nominalwert getilgt, wenn eine vorab genau definierte Forderung der Bank nicht ausfällt. Fällt die spezifizierte Forderung dagegen vollständig oder teilweise aus, so tilgt die Bank die CLN nur zu einem Betrag (DefaultZahlung), der dem Restwert ihrer Forderung1) (ggf. zuzüglich eines Selbstbehaltes2)) entspricht. Der Investor trägt somit das Risiko aus dem vollständigen oder teilweisen Ausfall der Forderung (in diesem Fall die Differenz zwischen der Tilgung zum Nominalwert der Note und dem tatsächlich zurückgezahlten Betrag). Im Unterschied zu den reinen Kreditderivaten leistet der Investor als Verkäufer des in der CLN enthaltenen „reinen" Kreditderivates seine Zahlung in Höhe des Anleihebetrages jedoch schon bei Emission der Note. Im Vergleich zu den anderen drei Varianten von Kreditderivaten hat eine CLN für die Bank also den Vorteil, dass sie keine im voraus gezahlten Prämien verliert und sich auch nicht erneut absichern muss, falls der Investor zwischenzeitlich insolvent wird.
Die folgende Grafik verdeutlicht die wesentlichen Strukturelemente der vier vorgestellten Derivate noch einmal zusammenfassend.
1
Der Restwert der Forderung ergibt sich aus der Verwertung eventuell gestellter Sicherheiten oder einer eventuellen Insolvenzquote.
2
Der vorab vereinbarte Selbstbehalt dient dazu, der Bank - im Sinne des Investors - Anreize zu geben, den Kredit auch nach Vereinbarung des Kreditderivats noch ordnungsgemäß zu überwachen. Als Höhe des Selbstbehaltes könnten zwischen Bank und Investor z.B. 5% des Forderungsbetrages oder 10% des ausgefallenen Forderungsbetrages vereinbart werden.
6 Risikoiibemahme als Finanzdienstleistung
422
Verkäufer Total Re turn Swap
Käufer = K r e d i t g e b e r Zinsen + Wertsteigerungen EURIBOR + Spread + Wertverluste
Prämie
Credit Default Swap
Default: Ausgleichszahlung C
• kein Default: 0 Prämie
Credit Default Option
Max (Basispreis „ M a r t w e r t " b. Fälligkeit; 0) Kein Default: Nominalbetrag Note Default: Default-Zahlung
Credit Linked Note
Nominalbetrag Zins auf Note
Abb. 6. 11 : Zahlungsvereinbarungen einiger Kreditderivate1)
Beispiel 6.02: Der Fall der Credit Default Option soll an einem Beispiel deutlich gemacht werden. In t = 0 vergibt die Bank X einen Kredit in Höhe von 100.000 Euro an den Kreditnehmer Y zu einem Zinssatz von 8%. Der Kredit hat eine Laufzeit von 5 Jahren bei endfällig vereinbarter Tilgung. Auf dem Markt sollen bei einem risikolosen Zinssatz für alle Laufzeiten von 5,5% für verschiedene „Ratingstufen" folgende Risikoaufschläge gelten:
1
Rating
Risikoaufschlag in Prozentpunkten
Zinssatz für die Abzinsung
AAA
0,3%
5,8%
AA
0,6%
6,1%
A
1,0%
6,5%
BBB
1,5%
7,0%
BB
2,0%
7,5%
D a r s t e l l u n g in A n l e h n u n g a n HARTMANN-WENDELS / PFINGSTEN / WEBER ( 2 0 0 7 ) , S . 2 9 9 u n d BUNDESAUFSICHTSAMT FÜR DAS KREDITWESEN ( 1 9 9 9 ) .
6.4 Kreditderivate
423
Der vereinbarte Kredit (bzw. der Kreditnehmer Y) erhält im Zeitpunkt t = 0 ein Rating von „A". Mit einem Investor Ζ (= „Verkäufer" des Kreditderivates) wird vereinbart, dass die Bank X den Kredit an diesen übertragen kann, falls das Rating des Kreditnehmers Y in t = 2 unter ,A" fällt. Als Basispreis wird ein Preis von 103.973 Euro festgelegt. Im Gegenzug zahlt die Bank in t = 0 an den Investor Ζ eine (Versicherungs-) Prämie von 1.000 Euro. Zunächst soll der Wert des Kredites in t = 0 berechnet werden (mit C t als „Marktwert" des Kredites zum Zeitpunkt t mit einem Rating R): Zins und Tilgungszahlungen in t c
£
=
Σ
t=l (1 + risikoloser Zins + Risikoaufschlag)1 a
Cq =
8.000 r
+
1,065*
8.000
i,065
2
+ ... +
108.000
1,0655
= 106.234 Euro.
Der Kredit hat diesem Ansatz zufolge in t = 0 einen Wert von 106.234 Euro; in der Bilanz dürfen nach HGB jedoch nur 100.000 Euro ausgewiesen werden. Im Zeitpunkt t = 2 hat sich die wirtschaftliche Situation des Kreditnehmers Y verschlechtert. Der Kredit/Kreditnehmer wird nur noch mit einem BB-Rating versehen. Der Wert des Kredites im Zeitpunkt t = 2 ergibt sich nun bei einem BB-Rating mit: B B
C"
8 . 0 0 0
=
8 . 0 0 0
r+ 1,075
1.0752
1 0 8 . 0 0 0
+
1,0753
= 101.300 Euro.
Die Bank X wird den Kredit nun zu einem Preis von 103.973 Euro an den Investor verkaufen und kann damit einen Verlust verhindern.1' Im Regelfall erfolgt dabei keine wirkliche Übertragung der Kreditforderung, vielmehr wird ein Cash Settlement vereinbart, d.h. der Investor zahlt die Differenz zwischen dem Basispreis und dem Wert im Zeitpunkt t = 2, in unserem Fall also 2.673 Euro. Der Wertverfall des Kredites ergibt sich aufgrund einer höheren Abzinsung (höhere Risikoprämie bzw. höherer Spread), weshalb sich in der Praxis auch die Bezeichnung Credit Spread Call findet.
1 Der Wert des Kredites hätte bei einem Rating von A in t = 2 genau 103.973 Euro betragen. Vollziehen Sie dies bitte nach. Die Prämie von 1.000 Euro ist annahmegemäß in t = 0 bereits gewinnmindernd angesetzt worden.
7
Finanzdienstleistungen in der Kritik
7.1
Vorbemerkung
In den bisherigen sechs Kapiteln des Buches haben wir einen systematischen Überblick über Finanzdienstleistungen, ihre Anbieter und auch ihre Vertriebswege gegeben. Wir sind hierbei hauptsächlich einem funktionellen Darstellungsansatz gefolgt und haben Finanzdienstleistungen in der Summe ihrer Eigenschaften charakterisiert, dabei ihre grundlegenden Konstruktionsprinzipien systematisch untersucht und typische Einsatzmöglichkeiten unter üblicherweise herrschenden Marktbedingungen aufgezeigt. Damit ist ein Funktionswissen über Finanzdienstleistungen geschaffen, das im Einzelfall vielfach schon implizit in die Lage versetzt, ein Qualitätsurteil über ein konkretes Finanzdienstleistungsangebot zu fällen. Teils haben wir auch bereits - etwa zum Leasing - der systematischen Darstellung eine kritische Anwendungsanalyse folgen lassen. Gleichwohl wollen wir in diesem Schlusskapitel einer expliziten Behandlung der Kritik an Finanzdienstleistungen Raum geben. Wie bei den meisten anderen Leistungen, die eine Marktwirtschaft hervorbringt, gibt es auch bei Finanzdienstleistungen gute und schlechte Qualität, gibt es neben sinnvollen eben auch weniger sinnstiftende oder gar äußerst zweifelhafte Angebote. Wir wollen im Folgenden sowohl Aspekte der öffentlich geäußerten Kritik wiedergeben und aufarbeiten als auch eigene Kritik üben, die aus der sachlich nüchternen Perspektive finanzwirtschaftlicher Analytik Stellung zur häufig emotionalisierten und interessegeleiteten, teils gar ideologisch gefärbten Finanzdienstleistungskritik nehmen soll. Angesichts des Umfanges des damit angerissenen Themenfeldes kann dies nicht im Stile einer wissenschaftlich geschlossenen Abhandlung geschehen, die sämtliche relevanten Aspekte in allen Details beleuchtet - solches könnte allenfalls ein komplettes Buch mit dem Titel „Finanzdienstleistungskritik" leisten. Stattdessen wollen wir einen eher essayistischen Rundgang durch einige ausgewählte, tendenziell besonders kritikempfindliche Finanzdienstleistungen tun; freilich ohne auf diesem Gang die Übung einer gewissen Systematik zu unterlassen. So wollen wir in unserem Diskurs insbesondere zwei Gesichtspunkte voneinander scheiden, die in der öffentlichen Diskussion oft vermengt werden: die Kritik an einer Finanzdienstleistung als von Finanzintermediären im engeren Sinne erbrachten Anlageoder Finanzierungsleistung als solcher von dem Wege, auf dem diese Leistung „an den Mann gebracht" wird durch etwaige Information, Beratung, Vermittlung - also Leistungen einer Finanzintermediation im weiteren Sinne - und Werbung. Zwar bestehen zwischen diesen beiden Punkten etliche Berührungen und Zusammenhänge, jedoch gibt es auch zahlreiche Fälle, in denen sich die Kritik gar nicht an der Beschaffenheit einer Finanzdienstleistung entzündet, sondern allein daran, wie oder an wen sie verkauft wird.
7 Finanzdienstleistungen
426
in der Kritik
Wir werden zunächst im Abschnitt 7.2 die Kritik an einigen klassischen und modernen Anlage- und Finanzierungsleistungen erörtern wie an der Kapitallebensversicherung, der Bausparfinanzierung oder komplexen Derivaten und anschließend im Abschnitt 7.3 einige kritische Punkte von Information, Vermittlung und Werbung bei Finanzdienstleistungen behandeln, wobei auch hier wieder die beispielhafte Darstellung im Vordergrund stehen soll. Hierbei sollen in diesem Kapitel neben traditionellen Anlagen stets auch einige aktuelle, womöglich nur einer kurzen Mode entspringende Neuschöpfungen aus den Produktenwicklungsabteilungen deutscher Banken gewürdigt werden, von denen sich erst zeigen muss, ob sie in Neuauflagen weiter zu berücksichtigen oder durch wieder neuere Entwicklungen zu ersetzen sein werden.
7.2
Ausgewählte „kritische" Finanzdienstleistungen
7.2.1
Anlageleistungen
7.2.1.1 Die Kapitallebensversicherung - Anlegerschädigung? Die Kapitallebensversicherung1) erhitzt schon seit langem so sehr die Gemüter von Verbraucherschützern, dass sie ihr sogar das dramatisch klingende Schlagwort „legaler Betrug" zugeordnet haben. Die Kritik an der Kapitallebensversicherung bezieht sich insbesondere auf zwei Aspekte: •
Mangelhafte Rentabilität: Die Rendite in der Kapitallebensversicherung sei zu gering.
•
Mangelnde Transparenz: Das komplexe Produkt Kapitallebensversicherung als ganzes sei zu wenig durchschaubar.
Die Rentabilitätskritik zerfallt in zwei Teilaspekte: •
Zum einen bezieht sie sich auf den Vorwurf, die Rendite, die im Erlebensfalle aus einem „planmäßig" abgelaufenem Vertrag resultiert - wir wollen sie hier „Ablaufrentabilität" nennen - , sei zu gering. Kurzum: die Erlebensfallzahlungen sollten größer sein.
•
Zum anderen wird bemängelt, die Zahlungen, die die Versicherten im Falle der Kündigung einer Kapitallebensversicherung erhalten, seien ebenfalls und zwar ganz erheblich - zu klein.
1
Gemeint ist damit im ganzen Kapitel 7 die gemischte Lebensversicherung auf den Todes- und Erlebensfall („kapitalbildende Lebensversicherung"). Der sprachlichen Einfachheit wegen verwenden wir hier ausschließlich die übliche, kurze Bezeichnung „Kapitallebensversicherung". Zu den Begriffen vgl. auch Abschnitt 4.3.2.2.
7.2 Ausgewählte
„kritische"
Finanzdienstleistungen
427
Beschäftigen wir uns zunächst mit der Ablaufrentabilität. Wir müssen zwei Fragen klären: Wie hoch ist die typische Ablaufrentabilität einer deutschen Kapitallebensversicherung? Woran wollen wir messen, ob dieses Niveau tatsächlich unzumutbar gering ist? Schauen wir in die wissenschaftliche Literatur zur Kapitallebensversicherung. Aus den wenigen quantitativ-empirischen Arbeiten zur Rentabilität der klassischen deutschen Kapitallebensversicherung sind drei Beiträge aufgrund ihrer Untersuchungsmethodik und/oder öffentlichen Rezeption betrachtenswert: Zuvorderst gewürdigt seien die wichtigsten Beiträge der wohl bedeutendsten Antipoden in der wissenschaftlichen Diskussion um die Kapitallebensversicherung: Auf der einen Seite steht Adams als Exponent der Kapitallebensversicherungskritiker, auf der anderen Seite des Spektrums der Kreis um Albrecht als entschiedenem Befürworter der Kapitallebensversicherung.1) Dass wir hiermit zwei Extrema im Meinungsspektrum vor uns haben, zeigt sich schon an den Formulierungen, welche die Opponenten sowohl bezüglich ihres Untersuchungsobjektes als auch in der Diskussion der Argumente des jeweiligen Gegners verwenden. Wir wollen hier nur einige wenige Worte aus ihren Untersuchungsergebnissen wiedergeben: Adams bezeichnet die Kapitallebensversicherung lakonisch als „Anlegerschädigung", während Albrechts Schlussfolgerung zur Kapitallebensversicherung im Lob einer Anlage „genuiner Stärke" mündet. Immerhin reden beide - mit dem Anspruch der Verallgemeinerbarkeit - über dieselbe Anlageform. Wie kommt es zu den diametralen Wertungsunterschieden? ADAMS rechnet einen „häufig anzutreffenden Kapitallebensversicherungsvertrag durch"2) und ermittelt unter bestimmten, hier nicht weiter interessierenden Annahmen eine Ablaufrentabilität nach dreißig Jahren von immerhin 6,84%. Zusätzlich kalkuliert er die Rendite im Falle einer Kündigung für 29 verschiedene Kündigungsjahre und ermittelt eine mit den Häufigkeiten der so betrachteten 30 verschiedenen Vertragslaufzeiten „Gewichtete Gesamtrendite" von minus 13,90%. Sein Gewichtungsverfahren der Mittelung von Renditegrößen völlig unterschiedlicher Zahlungsreihen ist für das angestrebte Erkenntnisziel zur Rentabilität in der Kapitallebensversicherung aber von zweifelhaftem Nutzen. Zudem ergibt sich aus seinem Beitrag kein Beleg der Repräsentativität des berechneten Vertrages. Aus diesen Gründen lässt sich aus seiner Arbeit keine finanzanalytisch glaubwürdige Kritik zur Kapitallebensversicherung ableiten.
1
Vgl. ADAMS (1997) und ALBRECHT et al. (1999).
2
ADAMS (1997), S. 1858.
428
7 Finanzdienstleistungen
in der Kritik
Schauen wir ins andere Lager: ALBRECHT et al. untersuchen die Kapitallebensversicherung mehrerer deutscher Lebensversicherungsunternehmen. Aus Datenmangel untersuchen sie allerdings nicht direkt die eigentlich interessierende Größe empirisch gesicherte Versicherungsabläufe mit den zugehörigen Zahlungsströmen zwischen Versicherern und Versicherten. Stattdessen greifen sie stellvertretend auf die sog. „Nettoverzinsung" der Kapitalanlagen der jeweiligen Lebensversicherungsunternehmen zurück und unterstellen, die Rentabilität einer Kapitallebensversicherung bei diesem Unternehmen gleiche gerade dieser Kennzahl. Dieses Vorgehen ist zurecht scharf kritisiert worden. Zum einen wird die „Nettoverzinsung" aus Bilanzdaten, also Buchwerten errechnet und gleicht insofern allenfalls zufällig einer tatsächlich erzielten Rentabilität. Zum anderen ist die Rentabilität, die Versicherer mit ihrem Anlagebestand erzielen, keineswegs gleichzusetzen mit jener, die beim Kunden „ankommt". Daher gilt für diesen Ansatz exakt das gleiche wie den von Adams: er erzielt nicht im Geringsten finanzanalytisch gesicherte Erkenntnisse zur Rentabilität der Kapitallebensversicherung. Blicken wir daher auf den dritten und methodisch höchststehenden Ansatz von GRÜNDL/STEHLEAVALDOW (im Folgenden: GSW)1). Sie untersuchen für zahlreiche Perioden die tatsächlichen Zahlungen, die zwischen Lebensversicherungsunternehmen und Kunden während der Versicherungslaufzeit fließen und gelangen zum Ergebnis, dass nach Steuern die Kapitallebensversicherung gegenüber alternativen Anlageformen wie Sparbuch, Anleihen oder auch Aktien, zumeist vorzuziehen sei. Allerdings bestehen auch bei dieser finanzwirtschaftlich anspruchsvollen Untersuchung zwei erhebliche Problemfelder: zum ersten untersuchen GSW ausschließlich die historischen Versicherungsabläufe eines einzigen der rund 100 deutschen Lebensversicherungsanbieter. Zum zweiten treffen GSW bei der „Herausrechnung" des Risikoanteils (vgl. Abschnitt 4.3.2.3) aus der Kapitallebensversicherungsprämie - die erforderlich ist, um die Rendite des „reinen" Sparvorganges zu erkennen - eine kritische Prämisse. Sie setzen für den Risikoteil nämlich jene Prämie an, die ein isolierter Risikotarif bei demselben Unternehmen gekostet hätte. Diese liegt aber, wie GSW selbst konzedieren, um ein Mehrfaches über dem Prämienniveau, das nach solchen Tarifen bei anderen, für reine Risikolebensversicherungen als „günstig" bekannten Versicherern, zu zahlen ist. Allein dies hat einen erheblichen Einfluss auf die Ergebnisse. Damit bleibt uns nur das ernüchternde Fazit zu treffen, dass uns auch diese wohl umfassendste Studie keine generalisierbaren Erkenntnisse liefert. Dieser Wissensbefund ist bemerkenswert und macht die so heftig geführte Diskussion um die Kapitallebensversicherungsrentabilität umso erstaunlicher: Wir wissen gar nicht
1
Vgl. GRÜNDL/STEHLEAVALDOW (2003).
7.2 Ausgewählte „kritische" Finanzdienstleistungen
429
um die Höhe der typischen Rentabilität im deutschen Lebensversicherungssparen, weil eine umfassende, marktrepräsentative Studie bis heute noch aussteht. Bis sich dieser Erkenntniszustand ändert, bleibt uns nur in ehrlicher Würdigung der Sachlage festzuhalten, dass die Rendite unbekannt ist und insoweit erübrigen sich auch weitere Überlegungen, woran die Rentabilität der Kapitallebensversicherung denn zweckmäßigerweise vergleichend zu messen wäre. Es bleibt noch ein Wort zur Rendite der Kündigungsfälle zu sagen. Zwar fehlen uns auch hier marktbreite Daten, die angesichts einer unternehmensspezifisch unterschiedlichen Behandlung der Kündigungsfälle für ein quantitatives Urteil wünschenswert wären. Allerdings bestreitet, soweit ersichtlich, niemand, dass bei sehr frühen Kündigungszeitpunkten negative Rentabilitäten die Regel sind und damit oft niedrigere Renditen vorliegen als bei einem vergleichbaren Kündigungsfall in anderen Finanzprodukten, wie z.B. einem Sparplan über Investmentzertifikate. Hierin kommt die spezifische Preisgestaltung in Lebensversicherungsprodukten zum Ausdruck, die den Aufwand, der den Versicherungsunternehmen im Zusammenhang mit der Anbahnung und dem Abschluss von Kapitallebensversicherungsverträgen entsteht, asymmetrisch zulasten der ersten Vertragslaufzeitjahre „verteilt". Hier ist in der Tat hinterfragenswert, ob nicht andere, kundenfreundlichere Modelle eingesetzt werden könnten, die sich zumindest teils dadurch „finanzieren" ließen, dass dem Vermittler eines gekündigten Vertrages ein entsprechender Kündigungsmalus zugerechnet würde. Damit sind wir fast schon bei der Beurteilung des Finanzdienstleistungsvertriebs angelangt. Wer Kritik am geltenden Verfahren der Abschlusskostenverteilung übt, kritisiert damit zumeist auch die Vertriebspraxis von Kapitallebensversicherungen, die womöglich Fehlanreize im Vermittlungssystem setzt. Wir werden auf diesen Aspekt im Abschnitt 7.3.1 zurückkommen und wollen uns jetzt dem zweiten der oben angesprochenen Kritikkreise zuwenden, der Intransparenz in der Kapitallebensversicherung. Der Intransparenzvorwurf beklagt eine mangelnde Nachvollziehbarkeit der Abläufe und Ergebnisse in der Kapitallebensversicherung. Erinnern wir uns, was der Kunde mit einem Kapitallebensversicherungsvertrag abschließt, wobei wir uns vereinfachend auf die Erlebensfallkomponente beschränken wollen. Der Regelfall ist sehr leicht zu beschreiben: Der Kunde leistet während einer definierten Zeit regelmäßige Zahlungen; zu einem definierten späteren Zeitpunkt leistet dann das Versicherungsunternehmen eine Zahlung an den im Vertrag festgelegten Begünstigten. Für die Höhe dieser Zahlung besteht eine zugesicherte Untergrenze, die Versicherungssumme. Insoweit besteht also eine sehr einfache, jedermann erklärliche und hochtransparente Vertragsgestaltung. Aber eben nur soweit, wie es diese Untergrenze betrifft. Der Intransparenzvorwurf bezieht sich also auf die nicht zugesicherten Bestandteile der Erlebensfallzahlungen, die Summe der Überschussbeteiligung (vgl. Abschnitt 4.3.2.4).
430
7 Finanzdienstleistungen
in der Kritik
Mit der Existenz einer Überschussbeteiligung treten drei Aspekte, die ohne sie von geringerer Bedeutung sind, in das besondere Interessenfeld des Versicherten: 1.
Was geschieht mit den Prämienzahlungen, insbesondere: welche Investitionen bzw. Anlageformen tätigt der Lebensversicherer mit diesen Geldern?
2.
Welche Ergebnisse erzielt der Lebensversicherer aus diesen Anlagen?
3.
Wie werden diese Ergebnisse aufgeteilt, das heißt, welche Ansprüche werden den einzelnen Verträgen zugerechnet?
Auf alle drei Fragen finden sich nur nebulose Antworten. So heißt es etwa in den Musterbedingungen des Gesamtverbandes für die Versicherungswirtschaft: „... müssen wir eine Deckungsrückstellung bilden und Mittel in entsprechender Höhe anlegen (z.B. in festverzinslichen Wertpapieren, Hypotheken, Darlehen, Aktien und Immobilien). ...In der Regel übersteigen die Kapitalerträge den Mindestzins, da wir das Vermögen nach den Prinzipien möglichst großer Rentabilität und Sicherheit anlegen. Außerdem beachten wir den wichtigen Grundsatz der Mischung und Streuung. " und weiter: „Die Höhe der Überschussanteilsätze wird jedes Jahr vom Vorstand unseres Unternehmens auf Vorschlag des Verantwortlichen Aktuars festgelegt. " Derartige Passagen sind symptomatisch für das Bedingungswerk zur Kapitallebensversicherung. Alle drei genannten Aspekte sind entweder nicht eindeutig geregelt oder aber von vornherein so geregelt, dass ein erheblicher Gestaltungsspielraum für den Versicherer bei der tatsächlichen Anwendung des Geregelten verbleibt. Darüberhinaus bleibt dem Kunden häufig verborgen, welcher Teil seiner Prämienzahlung auf den Sparanteil entfällt, bzw. wie viel davon für Risiko und Kosten beansprucht wird. Der Kritikpunkt der Intransparenz trifft also zu. Immerhin weiß der (verständige) Kunde aber, woran er ist. Denn aus den Bedingungen wird genau diese intransparente Struktur ja offenkundig. Wer mehr Transparenz wünscht, kann schlicht den Abschluss einer Kapitallebensversicherung unterlassen und statt derer beispielsweise in Fondsanteile investieren, die einem Transparenzbedürfnis in weit besserem Maße entsprechen, wie wir im folgenden Abschnitt sehen werden.
7.2 Ausgewählte „kritische"
Finanzdienstleistungen
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7.2.1.2 Wertpapier-Investmentfonds - Anlegertäuschung? Wir beschränken die folgenden Ausführungen auf Aktienfonds, weil bei ihnen die zu besprechenden Erscheinungen deutlicher als bei Rentenfonds hervortreten. In teils sehr polemischen Schriften' wird der Investmentfondsbranche in Deutschland wie auch den USA vorgeworfen, sie betreibe mit ihren Finanzdienstleistungen eine Verblendung der Anleger. Inhaltlich lässt sich der Tenor der kritischen Stimmen auf den einen Hauptaspekt verdichten: Die Rentabilität der Aktienfonds sei, gemessen an den allgemein an den Aktienmärkten erzielten Erträgen, zu gering. Es geht also auch hier wieder um die Rendite, die Kritik ist offenbar gierig. Dank der Transparenz der Aktienfondsanlage besteht anders als über Kapitallebensversicherungen ein erhebliches Wissen über die vergangenheitlich erreichte Rentabilität. Denn sowohl die Ausschüttungen aus einem Aktienfonds als auch die Anteilspreisentwicklung der auf ihn bezogenen Investmentzertifikate werden bekanntgemacht, so dass Rentabilitätsberechnungen für Investmentzertifikate einfach durchführbar sind. Zudem kann man auch ziemlich genau prüfen, in welcher Höhe und aus welchen Vermögensgegenständen die Rentabilität eines Aktienfonds resultiert, weil über das Vermögen eines Aktienfonds halbjährlich Rechenschaft gegeben wird (vgl. Abschnitt 3.4.2 (3)), woraus ersichtlich ist, in welche Aktien der Fonds investiert ist bzw. war. Das renditemindernde Agio (vgl. Abschnitt 3.7.2 (4)) vernachlässigen entsprechende Studien in der Regel, weil es nur dann sinnvoll einzurechnen wäre, wenn eine bestimmte Anlagedauer unterstellt würde. Ein weiteres Problem von Studien zur Aktienfondsrentabilität betrifft den sog. „Survival-Bias": Weniger erfolgreiche Aktienfonds haben nämlich regelmäßig eine kürzere Lebensdauer als die erfolgreichen, weil die Kapitalanlagegesellschaften sich durch die Schließung erfolgloser Fonds ihrer unreputierlichen Produkte elegant entledigen können. Dadurch werden Rentabilitätsmessungen nach oben verzerrt („biased"), wenn sich eine Studie an einem aktuell vorzufindenden Bestand orientiert. Eine Querschnittsstatistik der Rendite gerade existierender Fonds überzeichnet daher die wahre Rentabilität. Dieses Problem ist mit einer Datenbank, die auch Informationen zu aufgelösten Fonds enthält, aber prinzipiell lösbar. Solche Studien wurden denn auch weltweit entsprechend häufig betrieben, so dass anders als bei der Kapitallebensversicherung die Rentabilitätshöhe von Aktienfonds nicht streitgegenständlich ist. Denn die Zahlen dieser Studien geben ein einheitliches Ergebnisbild:
1 Das wohl extremste Beispiel liefern als Exponenten der Verfechter von Anlagezertifikaten (s. dazu mehr unten im Abschnitt 7.2.1.3) RÖHL/HEUSSINGER (2004), S. 60 ff.
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7 Finanzdienstleistungen
in der Kritik
•
Die Rentabilität der Aktienfonds war in den vergangenen Jahrzehnten dank steigender Aktienbörsen durchschnittlich auf einem allgemein als hoch anzusehenden, oftmals zweistelligen Prozentpunktniveau.
•
Gleichwohl bleibt das Gros der Aktienfonds hinter der Entwicklung der Märkte zurück. Ganz grob gesagt, ist die Rentabilität des durchschnittlichen Aktienfonds um etwa zwei Prozentpunkte geringer als jene des Aktienmarktes, auf dem der Manager des Fonds die Mittel investiert. Dieser Renditeunterschied übersetzt sich langfristig zu ganz beträchtlichen Endvermögensunterschieden. So führt etwa die Anlage von 10.000 Euro bei 30 Jahren Anlagedauer und 10% Rendite zu einem Endvermögen von 174.000 Euro, während bei 12% Rendite in der gleichen Zeit ein Vermögen von 300.000 Euro entsteht.
•
Praktisch keinem Fonds gelingt es, „seinen" Markt dauerhaft zu schlagen. Zwar gibt es in jeder Untersuchungsperiode etliche Fonds, auf die genau das zutrifft. Doch sind es in jedem Zeitraum andere. Den Markt zu schlagen, hängt ganz offensichtlich nicht von der Qualität eines Aktienfonds ab, sondern vom Glück!
Die wohl umfassendste Beobachtung von Fondsrenditen lässt sich mit dem Datenmaterial von Micropal durchführen, einem amerikanischen Finanzdatenanbieter, dessen Fondsdatenbank weltweit Fondsrenditen zurück bis 1970 verzeichnet. Die Tabelle 7.01 zeigt die Überrendite der jeweils 30 besten Fonds zum Durchschnitt aller Fonds innerhalb einer halben Dekade und stellt die Überrendite genau jener 30 Siegerfonds in der auf die „Siegesperiode" folgenden Zeit (bis 1998) dar (in Renditeprozentpunkten): Auswahlperiode
Überrendite im Auswahlzeitraum
Überrendite in der Folgezeit
70-74
+6,9%
-0,3%
75-79
+15,3%
+0,5%
80-84
+7,7%
+0,4%
85-89
+5,7%
+1,0%
90-94
+9,6%
- 3,3%
Durchschnitt
+9,0%
- 0,3%
Tab. 7.01 : Die Überrenditen der „besten" Fonds
Das Ergebnis birgt keine Überraschung: im Auswahlzeitraum sind die ausgewählten Fonds erheblich besser als der Rest, weil ja gerade positive Abweichung das Auswahlkriterium war. Die Abweichung beruht aber nur auf natürlicher statistischer Streuung, nicht etwa auf wahrhaftiger Überlegenheit, wie die letzte Tabellenspalte bezeugt: die Mehrrendite verschwindet in der Folgezeit.
7.2 Ausgewählte „kritische" Finanzdienstleistungen
433
Beispiel 7.01: Ähnlich geht eine Studie des bekannten US-Finanzforschers und Princeton-Professors Burton Malkiel vor: Malkiel reihte 211 Aktienfonds nach ihrer (arithmetischen) Rendite in den siebziger Jahren und verglich den Rang der 20 besten mit ihrer Platzierung in den achtziger Jahren (unter dann 260 Fonds). Die folgende Tabelle verzichtet auf die Nennung der hier nicht interessierenden Fondsnamen und beschränkt sich auf die Zuordnung der erreichten Ränge in den siebziger und achtziger Jahren. Rang 70er Jahre 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Rang 80er Jahre 151 101 161 260 112 17 249 29 97 1 210 243 136 65 18 30 222 50 147 48
Dieses Ergebnis bedarf kaum der Kommentierung. Der renditeträchtigste Fonds über beide Dekaden zusammen ist die Nr. 10 der siebziger und die Nr. 1 der achtziger Jahre; es ist der nun weltberühmte Magellan-Fund. Seine Renditeplatzierung in den neunziger Jahren: nicht mal Durchschnitt. Er ist heute wegen seiner zunehmend schlechten Renditen gar häufig in den negativen Schlagzeilen der Finanznachrichten. Ein Problem seines früheren Erfolges ist zudem seine immense Größe, die er durch Wertsteigerungen und den Zufluss überproportional vieler frischer Anlegergelder erreichte (zeitweiliges Volumen: über 100 Mrd. Dollar) und die das Agieren auf dem Aktienmarkt zufolge der nötigen Handelsvolumina schwer macht. Daher wurde der Fonds mittlerweile für neue Anleger geschlossen.
1 Vgl. MALKIEL (1995), S. 565.
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7 Finanzdienstleistungen
in der
Kritik
Für deutsche Investmentfonds haben vergleichbare Untersuchungen zu praktisch identische Ergebnissen geführt: Wittrock zeigte Mitte der neunziger Jahre, dass auch deutsche Fondsmanager den Aktienmarktdurchschnitt nicht zu übertreffen vermögen. Theissen/Greifzu belegten das 1998 im Übrigen auch für den deutschen Rentenfondsmarkt. Eine neuere Studie aus dem Jahre 2003 bestätigte die Ergebnisse für Aktienfonds und zeigte darüber hinaus, dass dem Anleger auch durch Umschichtungsstrategien zugunsten der historisch erfolgreichsten Fonds keine Erzielung von Überrenditen gelingen konnte.1) Soweit ist die Kritik also treffend: Den Fonds als Gruppe gelingt es nicht, den Markt zu schlagen. Sollte dieser Befund besonders verwundern und Anlass zu entsprechend heftiger Kritik geben? Wir meinen nein, aus den folgenden Gründen: •
Die Fonds machen einen erheblichen Teil des Marktgeschehens aus. Zusammen mit anderen institutionellen Anlegern, die Kundengelder anlegen, dürfte die professionelle Anlegerschaft mehr als die Hälfte der Marktvolumina verwalten. Da ist es nur natürlich, wenn ihre Rentabilität nicht über der einer Marktrentabilität liegt.
•
Bei der Produktion der Fondsdienstleistungen entstehen unweigerlich Kosten, die die Rentabilität eines Fondsvermögens, die regelmäßig netto gemessen wird, unvermeidlich negativ beeinträchtigen.
•
Auch bei einer Direktanlage am Markt entstehen gewisse Kosten. Der Vergleich mit der „Marktrendite" ist also immer ein Vergleich mit einer idealen, real so gar nicht erreichbaren Rentabilität.
•
Der Fondsanleger erhält trotz des Renditenachteils eine „werthaltige" Dienstleistung:
1
-
Er kann schon mit ganz geringen Beträgen oder gar zur Grundlage eines Sparplanes mit regelmäßigen Raten eine Anlage in Aktien bewerkstelligen, was ihm sonst praktisch unmöglich wäre (Losgrößentransformation, vgl. Abschnitt 1.1.2.2 (2)).
-
Zudem kauft er sich mit diesen Beträgen in ein breit diversifiziertes Portfolio von vielleicht 100 verschiedenen Aktien ein, und erreicht somit eine Investitionsstreuung, die er eigenständig ebensowenig sinnvoll realisieren könnte.
V g l . WITTROCK (1995), THEISSEN/GREIFZU (1998), GRIESE/KEMPF ( 2 0 0 3 ) .
7.2 Ausgewählte
„kritische"
Finanzdienstleistungen
435
Wenn gleichwohl Enttäuschung über die Fondsrenditen entsteht, so liegt das wohl weniger am Ergebnis selbst als an einer überzogenen Erwartungshaltung an die Fondsrentabilität. Dieser Anspruch auf Überrendite wiederum mag aber auch durch das Verhalten der Fondsbranche selbst erzeugt sein, deren Verlautbarungen über Aktienfonds in der Tat übertriebene Erwartungen zu schüren vermögen. Das jedoch ist ein anderes Thema, das wir im Abschnitt 7.3.3 aufgreifen werden. Vorerst dürfen wir hier zur Fondskritik zusammenfassen: Die Kritik scheint überzogen. Man sollte sie dahingehend abmildern, dass Aktienfonds ein sinnvolles Diversifikationsinstrument sind, deren Versuche, ihr Marktsegment zu schlagen, langfristig aber zu keinen besseren Ergebnissen führen als der Marktrendite selbst. Um dieser so nahe wie möglich zu kommen, empfiehlt sich dem Anleger, einen Fonds mit geringen Gebühren auszuwählen, der sein Aktienvermögen möglichst selten umschichtet, zum Beispiel einen sog. Indexfonds. An dieser Stelle sei der wichtige Hinweis gegeben, dass die Studien zur Fondsrentabilität entgegen ihrem Wortlaut üblicherweise nicht direkt die Rentabilität der Fonds, sondern vielmehr der Investmentzertifikate vermessen, also der Wertpapiere, die das Bruchteilseigentum am Fonds verbriefen. Fondsrentabilität und Zertifikatrentabilität können aber beträchtlich auseinanderfallen. So ist etwa die Fondsrentabilität eines Aktienfonds unterhalb der Zertifikatrentabilität, wenn dem Fonds zu hohen Börsenkursen überdurchschnittlich viele Mittel neuer Anleger zufließen, hingegen zu niedrigen Börsenkursen die Anleger aus dem Fonds mehr Mittel abziehen als neu hineinfließen. Wir wollen diesen Aspekt hier nicht vertiefen und verweisen auf die jüngere Fachliteratur zum deutschen Fondsmarkt.1) Hedge-Fonds Bei der Kritik an Hedge-Fonds sind insbesondere die folgenden vier Behauptungen wichtig: •
Hedgefonds gefährden durch ihre riskanten Handelsstrategien und ihr erhebliches Marktgewicht das Weltfinanzsystem und damit könnte über „Domino-Effekte" die gesamte Weltwirtschaft durch Hedgefonds Schaden nehmen.
•
Die Risiken sind für den privaten Anleger nicht vertretbar und/oder nicht überschaubar.
•
Die Gebühren sind zu hoch.
•
Die Nettorenditen sind zu gering.
1
Vgl. STARK (2006).
436
7 Finanzdienstleistungen
in der Kritik
Zum ersten, volkswirtschaftlich geprägten Punkt können wir im Rahmen dieser kleinen Abhandlung nicht Stellung nehmen. Beschäftigen wir uns daher mit den einzelwirtschaftlich bedeutsamen Punkten 2 bis 4. Dass Hedgefonds ein hochriskantes Investment darstellen, dürfte auch von ihren Protagonisten nicht bestritten werden. Risiko für sich ist aber natürlich kein gewichtiger Kritikpunkt. Schwerwiegender sind -
die Art des Risikos,
-
wie es von den Hedgefonds- Protagonisten dargestellt wird und
-
wie es vom Anleger wahrgenommen bzw. beurteilt werden kann.
Wir wollen diesen Themenkreis anhand eines einfachen Beispiels diskutieren. Eine sehr beliebte Strategie der „marktneutral" agierenden Hedgefonds ist die kreditfinanzierte Investition in solche Anleihen, die zufolge eines gegenüber erstklassigen Staatsanleihen etwas erhöhten Bonitätsrisikos und/oder geringerer Liquidität mit einem kleinen „Preisabschlag" gehandelt werden - verglichen mit einer ansonsten identischen Staatsanleihe. Durch den geringeren Preis ergibt sich eine etwas höhere Rentabilität der in den meisten Fällen ja doch pünktlich bedienten Anleihen. Beispiele könnten etwa Hypothekenpfandbriefe oder Asset-Backed Securities (ABS) sein (vgl. Abschnitt 2.3.4), die typischerweise um ca. 0,1 bis 0,4 Prozentpunkte höher „rentieren" als vergleichbar ausgestattete Staatsanleihen erstklassiger Schuldnerländer. Etwas riskanter und damit im Erfolgsfalle noch renditeträchtiger sind dabei die besonders in den USA gerne verwendeten und bewusst für risikoreiche Anlagezwecke kreierten Anleihen des sog. „Subprime"Marktsegmentes, die Forderungen gegen Kreditschuldner der „schlechteren" Bonitätsklassen verbriefen. Damit die Mehrrendite auch spürbar wird, investiert ein Hedgefonds in solche Anleihen neben seinen Eigenmitteln fremde Mittel in erheblicher Höhe. Die fremden Mittel beschafft er sich über Bankkredite oder den Leerverkauf von Staatsanleihen. Der Aufwand für die Fremdmittel liegt damit etwas unter der erwarteten Rendite der erworbenen Anleihen. Dazu ein Zahlenbeispiel: Ein Hedgefonds verfüge über Eigenmittel seiner Anleger von 100 GE (Geldeinheiten). Über Kredite und Leerverkäufe beschafft er sich weitere Mittel in Höhe von 2.400 GE, deren Fremdmittelkosten sich auf 3% p.a. belaufen. Die 2.500 GE Vermögen werden nun in eine Portfoliomischung aus den oben genannten höherverzinslichen Anleihen investiert, die eine Rendite von 3,3% p.a. versprechen. Unterstellt, das alle Anleihen nur ein Jahr Restlaufzeit aufweisen und nach einem Jahr sämtlich bedient werden, ergibt sich folgende Rechnung: 2.500-0,033 = 82,5 GE Zinserträgen stehen Zinsaufwendungen von 2.400 0,03 = 72 GE gegenüber. Dem Fonds verbleibt ein Zuwachs von 10,5 GE,
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„kritische"
Finanzdienstleistungen
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bezogen auf seine anfanglichen Eigenmittel hat sich also ein erfreulicher Reinvermögenszuwachs von WA Prozent eingestellt. Die hier entscheidende Frage lautet: Welches Risiko mussten die Anleger eigentlich tragen, um diese überdurchschnittliche Rendite zu erzielen? Dazu werden regelmäßig spezielle Kennziffern veröffentlicht, die auf der Basis von Vergangenheitsdaten Aussagen zur „Risiko-Rendite-Charakteristik" eines Investmentfonds ermöglichen sollen. Üblicherweise bedient man sich hierzu der Rendite, die der Fonds in den letzten 1 bis 5 Jahren erreicht hat, vergleicht sie mit der risikofreien Rendite desselben Zeitraumes und setzt die Differenz ins Verhältnis zur Volatilität (vgl. Abschnitt 5.1.1), die mit einem statistischen Maß für die Schwankungen einer Größe um ihren Mittelwert, üblicherweise der sog. Standardabweichung, erfasst wird. Je höher dieses Verhältnis - nach seinem Erfinder als „Sharpe-Ratio" bekannt - ausfällt, als desto besser wird ein Fonds eingestuft, weil er dann „pro Einheit Risiko (Volatilität)" eine entsprechende Rendite erzielt hat. Unser Fonds hat nun mit 10,5% um 7,5 Prozentpunkte mehr Rendite erreicht als mit,risikofreien" Staatsanleihen erzielbar war. Und zwar einfach deshalb, weil er „25mal" die unterstellten 0,3% p.a. Zusatzrendite der erworbenen Anleihen verdienen konnte - einmal mit seinen eigenen Mitteln und 24 weitere Male mit den Fremdmitteln. (Das Renditeergebnis lässt sich auch mit der in Abschnitt 3.4.2 erläuterten Leverage-Formel herleiten: Nach dieser Formel beträgt die Rendite nämlich r E = 3,3% + 24 · 0,3% = 10,5%.) Die Volatilität wird aber gleichwohl recht gering ausfallen, weil die erworbenen Anleihen bzw. Hypothekenpfandbriefe meistens gerade keinen besonderen Kursschwankungen unterliegen. Daher wird die Sharpe-Ratio häufig einen exzellenten Wert aufweisen. Fraglich ist aber, ob damit das Risiko adäquat erfasst ist. Das Problem bei Hedgefondsstrategien der skizzierten Art ist, dass ihre Ergebnisse stark „asymmetrisch verteilt" sind: In der Mehrzahl der Anwendungsjahre funktionieren sie, weil die kleine Risikoprämie von hier 0,3% ja gerade auf ein Investment hindeutet, das nur selten Ausfälle bzw. Kursverluste verursachen wird. Daher wird nur in wenigen Anwendungsjahren ein Verlust zu beklagen sein. Der wird dann aber wegen des hohen Fremdmittelanteils häufig sehr groß sein. Wenn etwa in einem schlechten Jahr 2% der Anleiheinvestments keinen Rückfluss erbringen, so verlöre der Fonds bereits etwa die Hälfte seiner Eigenmittel. Wegen dieser ungewöhnlichen zeitlichen Struktur der Renditeverteilung geben die üblichen Risikomaße für einen solchen Hedgefonds wenig Sinn. Die Kalkulation vergangenheitsorientierter Kennziffern kann konstruktionsbedingt kein adäquates Gefühl für die Verlustgefahren vermitteln. Im Gegenteil könnte man fast sogar behaupten, dass sie grundsätzlich ein falsches Bild abliefern: In guten Jahren entsteht der falsche Eindruck eines wenig riskanten Investments, in schlechten Jahren liegt eine Überzeichnung dieses Risikos vor.
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7 Finanzdienstleistungen
in der Kritik
Unser Beispiel erinnert im Übrigen an den prominenten Fall des amerikanischen Hedgefonds „Long Term Capital Management (LTCM)", der ganz ähnliche wie die hier grob skizzierte Strategie verfolgte und damit über viele Jahre zweistellige Renditen bei nur geringen Schwankungen seiner Eigenmittel erreichte. In dieser Zeit gaben denn auch die mannigfaltigen Risikokennziffern naturgemäß ein (in doppelter Hinsicht) „blendendes" Bild von der Leistung des LTCM. Jedoch kam der Fonds in Schwierigkeiten als die Kurse einiger seiner Anleiheinvestments unter Druck gerieten. Der Fonds wurde zwar schließlich dank einer Unterstützungsaktion mehrerer Banken vor dem Bankrott bewahrt, doch die Anleger verloren gleichwohl den größten Teil ihrer Gelder. Wir wollen mit dieser ausschnittartigen Betrachtung kein abschließendes Urteil über die Risiken von Hedgefonds sprechen; jedoch ist immerhin festzustellen, dass die Risiken dem Anleger mit den gängigen Methoden womöglich verzerrt übermittelt werden. Der nächste Kritikpunkt betrifft die laufenden Gebühren, die bei Hedgefonds sehr viel höhere Prozentsätze aufweisen als bei den traditionellen Investmentfonds. Während bei einem Aktienfonds dem Fondsvermögen Gebühren von jährlich ca. ein bis zwei Prozent seines Reinvermögens belastet werden, sind bei Hedgefonds durchaus fünf Prozent und mehr keine ungewöhnliche Größenordung. Immerhin ist wegen des höheren Verschuldungsgrades aber auch das verwaltete Vermögen bei einem Hedgefonds regelmäßig sehr viel größer als bei einem Aktienfonds. Andererseits zielen viele Hedgefondsstrategien, ähnlich wie oben erläutert, darauf ab, mit sehr hohen Volumina auch aus kleinen Preisdifferenzen, Risikoprämien bzw. etwaigen Marktineffizienzen erkleckliche Gewinne zu erwirtschaften. Daher sind hohe Gebühren eine Belastung, die das Fondsmanagement nicht mühelos wieder „hereinspielen" kann. Denken wir beispielsweise in unserem oben geschilderten Beispielsfall an eine jährliche Gebühr von 5%, so würde sich die Nettorendite ungefähr halbieren und läge mit rund 5% auch in guten Jahren auf einem nicht mehr besonders attraktiven Niveau, insbesondere nicht unter Berücksichtigung der aufgezeigten Risikostruktur. Letztlich sind die Gebühren für sich aber kein hinreichender Kritikpunkt, wenn es der Hedgefondsbranche denn gelingen sollte, ihren Anlegern nach Gebühren entsprechende Nettorenditen zu erwirtschaften. Damit sind wir beim letzten Kritikpunkt angelangt, der Performance von Hedgefonds. Diese hat sich in marktrepräsentativen Studien für den amerikanischen Markt als eher enttäuschend erwiesen. Für den deutschen Markt liegen noch keine hinreichend langen Zeitreihen für Hedgefondsrenditen vor. Die bisherigen Ergebnisse sind aber auch in Deutschland für potenzielle Investoren wenig ermutigend. Angesichts der weltweit immer größer werdenden Zahl von Hedgefonds und den hohen Mittelzuflüssen in diese Fonds sind zumindest erhebliche Zweifel angebracht, ob deren Fondsmanager genügend Möglichkeiten finden werden, der Hedgefondskundschaft trotz ihrer hohen Gebühren attraktive Renditen zu verschaffen.
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7.2 Ausgewählte „kritische " Finanzdienstleistungen
7.2.1.3 „Strukturierte" Anlagezertifikate Somit haben wir von der über hundert Jahre alten Kapitallebensversicherung über das in Deutschland seit rund fünfzig Jahren etablierte Investmentsparen fast schon den Bogen zu einer mittlerweile akzeptierten Innovation der neunziger Jahre geschlagen: Die Rede ist von den sog. Anlagezertifikaten, von denen die Indexzertifikate bislang wohl die größte Bekanntheit erlangt haben. Sie gehören zu den einfacher strukturierten Varianten der im Abschnitt 3.5 behandelten Schuldverschreibungen, die keine unbedingten Zahlungsansprüche verbriefen, sondern von definierten Bedingungen abhängige. Sie verbriefen eine Forderung gegen ihren Aussteller, zumeist eine Investmentbank, die an bestimmte Ereignisse - eben z.B. den Stand eines Aktienindex - anknüpft. Die Kritik bezieht sich aber weniger auf solche Einfachvarianten, sondern richtet sich auf die buchstäblich zigtausend Emissionen komplex gestalteter Anlagezertifikate, von denen das folgende Beispiel eine Vorstellung vermittelt.
Beispiel 7.02: Ein Strategie-Zertifikat der Commerzbank gibt den Anspruch auf eine einzige Zahlung, die in den folgenden Bedingungen festgelegt ist: »Die Einlösung eines jeden Zertifikats erfolgt, vorbehaltlich der Bestimmungen über die Zahlung eines Mindesteinlösungsbetrages nach Absatz 3., zu einem Betrag (der „Einlösungsbetrag"), der sich wie folgt berechnet: Falls am 5. September 2006 (der „Bewertungstag") a) Index Τ < 75% Index 0, so beträgt der Einlösungsbetrag EUR 50,00 χ Index Τ/ 75% Index 0 b) 75% Index 0 = Index Τ = Index 0, so beträgt der Einlösungsbetrag EUR 50,00 c) Index Τ > Index 0, so beträgt der Einlösungsbetrag EUR 50,00 χ (l+P%(Index Τ/ Index 0) - 1), wobei Index 0 = 2.472,17 Indexpunkte 75% Index 0 = 1.854,13 Indexpunkte. Index Τ = der Referenzkurs (Absatz 5. b)) des Index (Absatz 5. c)) am Bewertungstag. Ρ = Partizipationsfaktor (= 70) Der Einlösungsbetrag entspricht jedoch in jedem Fall mindestens dem in der nachstehenden Tabelle definierten Betrag (der „Mindesteinlösungsbetrag"), falls der Referenzkurs des Index während des Zeitraumes zwischen dem 5. September 2002 und dem Bewertungstag (jeweils einschließlich) (der „Beobachtungszeitraum") die nachstehend definierten Kursschwellen mindestens einmal erreicht oder überschreitet. Mindesteinlösungsbetrag EUR 50,00 EUR 57,00 EUR 64,00 EUR 71,00 EUR 78,00
Kursschwelle 2.966,60 Indexpunkte 3.461,03 Indexpunkte 3.995,46 Indexpunkte 4.449,89 Indexpunkte 4.944,32 Indexpunkte
(= 120 % von Index (= 140 % von Index (= 160 % von Index (= 180 % von Index (= 200 % von Index
0) 0) 0) 0) 0)
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Falls der Referenzkurs des Index während des Beobachtungszeitraumes einmal eine Kursschwelle erreicht oder überschreitet, die 494,43 Indexpunkte über der nächstkleineren Kursschwelle liegt, erhöht sich der Mindesteinlösungsbetrag um jeweils weitere EUR 7,00.
Die Kritik lässt sich auf zwei Punkte verdichten: •
Die Komplexität der Zertifikate führt zu einer Intransparenz bezüglich ihrer Preisgestaltung.
•
Die Komplexität erschwert die Beurteilung von Chancen und Risiken eines Zertifikates.
Zwar ist anders als bei der Kapitallebensversicherung der Zahlungsanspruch des Anlegers in den Zertifikatbedingungen in der Regel eindeutig und auslegungsfrei niedergelegt. Gleichwohl bleibt anders als bei einem Aktienfonds der objektive Wert des Zertifikates oft im Dunkeln. Während der gesetzlich regulierte Rücknahmepreis eines Investmentzertifikates durch die Börsenkurse der im Fonds befindlichen Aktien objektiv determiniert ist, bestimmt bei den Anlagezertifikaten der Emittent den Preis nach seinem Ermessen bzw. seinem Preismodell. Denn der Emittent fungiert zugleich als Market-Maker (vgl. Abschnitt 3.1.2.1) in den von ihm begebenen Papieren, das heißt, er legt die Preise fest, zu denen er Anlagezertifikate an die Anlegerschaft verkauft und von dieser ankauft. Dieser Preis entzieht sich bei einer komplizierten Zertifikatstruktur einer objektiven Überprüfung durch das Anlagepublikum. Oder welcher Anleger könnte das Strategiezertifikat der Commerzbank aus dem Beispiel 7.02 eigenständig bewerten? Zwar ist richtig, dass über die vom Emittenten festgelegte Preisspanne zwischen An- und Verkaufspreis von z.B. 2 Prozent (der „Bid-Ask-Spread") mit der Festlegung eines „hohen" Verkaufspreises auch ein relativ hoher Ankaufspreis entstünde. Das relativiert aber nicht die Gefahr, dass Emittenten anlegerunfreundliche Preisstrategien durchsetzen können, weil abhängig vom „Lebensalter" eines Zertifikates typischerweise entweder mehr Anlegerkäufe als -Verkäufe vorkommen oder umgekehrt. Somit kann der Emittent in gewissen Grenzen den Preis zu jener Marktseite hin „verschieben", die ihm günstige Abschlüsse ermöglicht. Damit sind wir bei dem „Vorwurf' der Lebenszyklushypothese angelangt, der von kritischen Finanzexperten der Praxis wie auch der Fachliteratur gegen die Zertifikateemittenten erhoben wird, 1 ) den wir zunächst an einem Zahlenbeispiel verdeutlichen wollen: Angenommen, ein Emittent habe ein komplex strukturiertes Zertifikat ersonnen, dessen Wert außer ihm kaum ein Marktteilnehmer genau einschätzen kann. Dieser Wert betrage 97 Euro, doch dem Emittenten gelinge ein Verkauf
1
V g l . ERNER/WILKENS/RÖDER ( 2 0 0 4 ) .
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zu 100 Euro und damit eine sehr auskömmliche Gewinnmarge von drei Euro (einfachere Zertifikate ließen Margen von nicht einmal 50 Cent zu). Weil die Spanne im Market-Making etwa zwei Prozent betrage, gilt neben dem Verkaufspreis ein zeitpunktgleicher Ankaufspreis von 98 Euro. Zwar nehmen Anbieter von Zertifikaten diese mit einer bestimmten Spanne auch jederzeit zurück - allerdings zwangsläufig nie mehr Stücke als sie davon ausgegeben haben. Weil ein Teil der Anleger das Zertifikat gar nicht verkauft, sondern erst zum Fälligkeitstag einlöst, bleiben sie folglich im Handel mit dem Zertifikat bis zum Ende der Zertifikatlebenszeit Nettoverkäufer und profitierten daher über die (Geld-Brief-)Spanne hinaus von dauerhaft zu hohen Preisen. Zudem fand man eben für das Marktsegment der Aktienanleihen und Discountzertifikate - das sind Schuldverschreibungen, deren Emittent seine Verbindlichkeit wahlweise in Zahlungsmitteln oder Aktien tilgen darf - , heraus, dass die Spanne, obgleich ihr relatives Niveau regelmäßig festgeschrieben ist, abhängig von der Zertifikatslebensphase in die eine oder andere Richtung verzerrt ist: zu Beginn der Lebensphase, wenn der Emittent mehr Zertifikate verkauft als ankauft, ist der Angebotspreis signifikant weiter vom ,/einen" Wert (der Summe der jeweiligen Einzelkomponenten) entfernt als der Nachfragepreis; gegen Ende, wenn der Emittent mehr Zertifikate ankauft als verkauft, ist es gerade andersherum, der Angebotspreis ist recht günstig, der Nachfragepreis jedoch auffallend gering. So zahlt der Anleger langfristig betrachtet trotz konstanter relativer Spanne mehr als ihr numerisches Niveau vermuten lässt.1) Damit verpflichtet sich der Emittent also auch, mehr für ein Zertifikat zu zahlen als es eigentlich wert ist. Das kann er aber, wie gesagt, hinnehmen, weil die Zahl der anzukaufenden Zertifikate naturgemäß die der ausgegebenen nicht übersteigen kann. Zudem bleibt ihm unbenommen, im „Lebenszyklus" des Zertifikates die Preisrelation zu ändern. Nehmen wir an, wenige Monate vor dem Laufzeitende des Zertifikates bestehe wieder dieselbe Konstellation eines objektiven Wertes von 97 Euro. Weil es so kurz vor dem Ende ohnehin kaum noch Käufer gibt, setzt der Emittent nun eine andere Preisspanne: er verkauft die Zertifikate an die wenigen Kaufinteressenten zu 97 Euro. Ankäufe werden dementsprechend nun zu nur noch 95 Euro durchgeführt, was einen entsprechenden Zusatzgewinn beschert, bzw. dem ausstiegswilligen Anleger eine Renditeschmälerung aufzwingt. Fraglich ist, inwieweit die Lebenszyklushypothese tatsächlich auf das Marktgeschehen am Zertifikatemarkt zutrifft. Die zitierte Studie behauptet, für das Marktsegment der Discountzertifikate auf Aktien einen numerisch ganz erheblichen Effekt gefunden zu haben. Dieser führe zu durchschnittlich 7% Überpreisung zu Emissionsbeginn und mündet in ein „Underpricing" von 4%, bezogen auf die Spannenmitte.
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Vgl. ERNER/WILKENS/RÖDER (2004), S. 105-113.
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7 Finanzdienstleistungen in der Kritik
Wenn diese Berechnungen zuträfen, hieße das zweierlei: zum einen verlören Anleger, die „frisch emittierte" Zertifikate erwerben und sie zu einem späteren Zeitpunkt ihres Lebenszyklusses wieder an den Emittenten verkauften, systematisch mehrere Renditeprozentpunkte und stünden damit vermutlich regelmäßig schlechter da als Lebensversicherungs- oder Fondsanleger. Zum anderen böte sich damit Spekulanten eine vorzügliche Gelegenheit: Wenn man dauerhaft Zertifikate gegen Ende ihrer Laufzeit zu vier Prozent unter Wert erwerben könnte, so müsste eine solche Strategie langfristig mit ganz erheblichen Renditen verbunden sein. Zudem wäre diese Strategie extrem einfach, zum Beispiel: Kaufe alle Zertifikate einen Monat vor Laufzeitende, halte sie bis zu diesem Ende und kassiere die Einlösungsbeträge am Fälligkeitstag. Der durchschnittliche Erlös sollte den Erwerbspreis um etwa vier Prozent übersteigen. Zwar wären die Abweichungen der einzelnen Ergebnisse von diesem Durchschnittswert wohl mitunter beträchtlich. Aber so lange der Durchschnitt tatsächlich stimmte, würde dieses Problem viele Spekulanten nicht schrecken, sich systematisch und immerzu Portfolios sterbender Anlagezertifikate zusammenzustellen. Damit würde dann aber das Kalkül des Emittenten vermutlich zerstört, weil die Spekulanten das erwünschte Ungleichgewicht zwischen Zertifikatsankäufen und -rückgaben stören. Kurzum, den genannten Prozentwerten der Kritiker sollte man mit Skepsis begegnen. Es ist wenig einleuchtend, dass solch eine Konstellation in der gemessenen Breite (Hunderte von Zertifikaten von mehr als zwanzig Emittenten) Bestand haben könnte. Eine Folgestudie, die auf aktuellerem Kursdatenmaterial dieses noch recht jungen und jüngst stark expandierenden Marktsegmentes basiert, findet denn auch erheblich geringere Abweichungen.1) Wir halten an diesem Punkt inne und stellen fest: Allein die Existenz einer solchen Diskussion in Finanzmedien und -literatur scheint ein Indiz für die Intransparenz in der Preisgestaltung. Es wäre auch fast naiv zu glauben, die Emittenten würden die aufgezeigte Undurchschaubarkeit ihrer Produkte nicht zum Nutzen ihrer Geschäfte steuern. Andererseits wirken auch im Zertifikatemarkt Kräfte von Wettbewerb und Spekulation, die einer extremen Verzerrung der (Emissions-) Preise vorbeugen dürften. Kommen wir damit zum zweiten der oben genannten Kritikpunkte, der erschwerten Risiko/Chance-Beurteilung. In der Tat gilt hier Ähnliches wie zum verwandten Vorwurf der beliebigen Preisgestaltung. Während bei einem einfachen DaxZertifikat klar ist, dass der Zertifikatwert das Steigen und Sinken des DAX' praktisch 1:1 nachvollziehen wird, fällt es bei einem komplexen Zertifikat schwer, einen Anhalt zu finden, wie sich Marktschwankungen auf die Werteigenschaften des Zertifikates übersetzen werden. Wir betrachten hierzu das nächste Beispiel:
1
Vgl. BAULE/RÜHLING/SCHOLZ (2004).
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Beispiel 7.03: Die WestLB hat im Jahr 2003 einen „Move-Bond" begeben. Jedes Zertifikat gibt die Anlage in eine Forderung gegen die WestLB von 100 Euro am Ende der Laufzeit sowie eine jährlich nachschiissige Forderung, die neben einem Mindestzins (1,75%) geknüpft ist an die Entwicklung 20 ausgewählter Aktien. Maßgebend für eine „Verzinsung" über den Mindestzins hinaus ist die Hälfte jenes Prozentbetrags, um den sich die Aktie mit der geringsten prozentualen Kursänderung unter den 20 Aktien während des jeweils abgelaufenen Vorjahreszeitraumes im Kurs verändert hat. Ob diese geringste Kursänderung ein Kursgewinn oder ein Kursverlust war, ist dabei unerheblich. Ganz abgesehen davon, dass dieses Zertifikat eher an die Tüftelei verspielter Jungs erinnert denn an ordentliche Anlage, ist es ohne den mathematischen Hintergrund einer möglichen Absicherungskonstruktion oder vergleichbarer Informationen nicht bewertbar noch ist sein Wert wenigstens halbwegs sicher abschätzbar. Ob eines dieser Zertifikate auf Basis der herrschenden Erwartungen am Finanzmarkt einen Wert von 97 oder 105 Euro haben sollte - welcher Anleger vermag das zu kalkulieren? Ihm bleibt lediglich eine intuitive Wertabschätzung.
Zwar ist der Zahlungsanspruch des Move-Zertifikates durch die WestLB tadellos präzisiert worden. Doch hilft das bei der Chanceneinschätzung weiter? Fast gar nicht. Und solcherlei extremer Beispiele lassen sich auf dem Zertifikatemarkt tausendfach zusammentragen Als Ausweg bieten Emittenten und verbreitende Medien die Methode einer historischen Riickrechnung an. Dabei wird simuliert, wie sich ein Zertifikat in der Vergangenheit entwickelt hätte, wenn es schon früher unter denselben Bedingungen existiert hätte. Damit ist eine grundsätzlich interessante Möglichkeit geschaffen, aus der Finanzgeschichte zu lernen. Aber es gibt zumindest zwei Punkte, vor denen es zu warnen gilt: •
Jede Riickrechnung gibt nur eine Orientierung, deren Aussagekraft von Laien offenbar häufig überschätzt wird. Wir werden zu diesem Kontext im nächsten Buchabschnitt 7.2.1.4 einige Beispiele besprechen.
•
Viele Rückrechnungen jedoch leisten das nur eingeschränkt, weil sie zufolge eines „Auswahleffektes" ein verzerrtes Bild geben: Der Emittent zeigt nur glänzende Rückrechnungen, nie kritische. Durch eine geschickte Auswahl von Objekten, Zeitausschnitten, Kennzahlen kann er das Ergebnis der Rückrechnung in seinem Sinne manipulieren. Hierzu muss er überhaupt nicht lügen. Seine Rückrechnung zeigt ein wahres Bild. Jedoch hat er es gerade deshalb ausgesucht, weil es eines der schönsten war, das seine Finanzingenieure unter vielen anderen gefunden haben.
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7 Finanzdienstleistungen in der Kritik
Daher hülfe dem Anleger im Falle des Move-Bonds im Übrigen auch nicht der Hinweis, dass in den letzten fünf Jahren der Durchschnitt der geringsten Wertänderung zum Beispiel 7% betrug. Damit begibt er sich in die Gefahr, wenn nicht Gewissheit, einem verzerrten Bild der Rückschau aufzusitzen.1) Denn wenn die Bank ein solches Zertifikat herausgibt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die geringste Änderung der letzten Jahre oberhalb jenes der kommenden Jahre liegt, beträchtlich. Diese Wahrscheinlichkeit steigt eher noch, wenn die Anlage ausdrücklich mit der Renditerückrechnung beworben wird. Aus diesen Zusammenhängen folgt also geradezu eine Naturgesetzlichkeit rückgerechneter Zertifikate: Der durchschnittlich zu erwartende Erfolg wird das Ergebnis der Rückrechnung spürbar unterschreiten! Wir ziehen das Fazit: Wir können uns der Kritik der mangelnden Beurteilungsfähigkeit komplexer Zertifikate durch den Anleger anschließen. Die Informationsasymmetrie zwischen Zertifikatgläubiger und -Schuldner ist derart intensiv ausgeprägt, dass von einem Investment in diese Produkte zugunsten einfacher Varianten generell abgesehen werden sollte.
7.2.1.4 Anlageleistungen mit Hebelwirkung Wir betrachten im Folgenden drei Finanzdienstleistungen der jüngsten Zeit, deren Struktur so gewebt ist, dass eine eindeutige Zuordnung zu einer der beiden üblicherweise disjunkten Kategorien Anlage- oder Finanzierungsleistung Schwierigkeiten bereitet. Denn diese Produkte vereinen Merkmale beider Kategorien in sich, man könnte sie als kreditfinanzierte Anlageformen bezeichnen. Die vorgenommene Auswahl spiegelt damit neben dem deutlichen Trend zur Komplexität in Finanzdienstleistungen eine weitere Entwicklung in vielen jüngeren Produkten wider: es findet sich ein ausgeprägter „Spread-Gedanke" der Art, dass innerhalb eines Verbund-Produktes eine als günstig erhoffte Finanzierung von Mitteln dargestellt wird, die mit einer als entsprechend ertragreicher erhofften Anlage dieser Mittel in einem anderen Marktsegment einhergeht. Wir beginnen mit dem Beispiel geringster Komplexität, einer fremdfinanzierten Fremdwährungsanlage.
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Vgl. zu den Gefahren von Riickrechnungen bei Finanzprodukten ausführlich STARK (2005), §12(3).
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Fremdfinanzierte Türkische-Lira-Anlage
Banken offerieren dieses Produkt bevorzugt bereits vorhandenen Kreditkunden. Einem Immobilieninvestor beispielsweise, der bereits eine Kundenverbindung in Form eines laufenden Hypothekarkredites über 500.000 Euro unterhält. Ihm wird nun angeboten, eine weitere Finanzierungssumme über ebenfalls 500.000 Euro aufzunehmen, bis auf weiteres tilgungsfrei bei einem variablen Kreditzins von Euribor plus 100 Basispunkten (= 1 Prozentpunkt). Die Mittel, die gegen Begründung dieser Schuld gewährt werden, fließen dem Anleger aber nicht zu, sondern werden unmittelbar investiert. Hierzu wird die gesamte Summe am Devisenmarkt in türkische Lira umgewandelt und der entsprechende Lira-Betrag wird am türkischen Interbankenmarkt zu den dort üblichen Zinssätzen einer Größenordnung von etwa 15% angelegt. Entstehende Zinsgutschriften werden dem LiraWährungskonto des Kunden zugeschlagen. Ansonsten passiert bis auf weiteres erstmal nichts. Der Kunde kann jederzeit die Konstruktion auflösen lassen. Dann werden die Lira-Mittel inklusive erzielter Zinszuwächse frei und wieder in Euro eingetauscht. Aus dem Euro-Betrag muss zunächst der Euro-Kredit abgelöst werden. Der hoffentlich verbleibende Rest stellt den Gewinn des Kunden dar, den dieser ohne jeden eigenen Zahlungsmitteleinsatz erzielen konnte. Das Produkt ist vergleichsweise einfach und sollte in seiner Konstruktion auch für Finanzlaien durchschaubar sein. Der aber in jeder Hinsicht kritische Punkt ist das Risiko, das womöglich unterschätzt werden mag. Eine Fremdwährungsanlage ist zufolge der Wechselkursschwankungen schon für sich allein eine risikoreiche Anlage. Das gilt für eine kreditfinanzierte Investition natürlich umso mehr. Zudem wurde bewusst eine Währung gewählt, die nicht gerade für ihre Stabilität bekannt ist. Denn das ist der Grund, warum der Lirazins so hoch ist. Die Märkte „erwarten" eine Abwertung der Lira. Eine Erwartung, die zu einem Großteil durch die hohe türkische Inflation zu erklären ist. Inwieweit die Markterwartungen sich mit der Realität decken werden, kann nur Gegenstand von Spekulationen sein. Dem Anleger sollte aber bewusst sein, dass bereits die Schwankungen in der Parität Euro/Lira weniger Tage ausreichen, um den Lirazinsvorteil eines ganzen Jahres „aufzufressen". So verlor die Lira allein im Sommer 2006 zum Euro etwa ein Viertel ihres Wertes. Selbst ein Lirazins von 15% würde also nicht genügen, um binnen Jahresfrist einen Verlust zu vermeiden. Schon erheblich komplizierter konstruiert ist das zweite Produktbeispiel, das im Jahr 2007 eine erhebliche Medienwirksamkeit erfahren hat, als bekannt wurde, dass mehrere Kommunen hohe Verluste damit erlitten haben. Extrem betroffen war unsere Stadt Hagen, an deren Fall wir das Produkt etwas ausführlicher betrachten wollen.
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CMS-Spread-Ladder-Swap
Immer mehr Banken wenden sich dem Geschäftsfeld des sog. „Kommunalen Schuldenmanagement" zu. Innerhalb dessen geben sie öffentlichen Schuldnern Empfehlungen zur Gestaltung ihrer Verbindlichkeiten. Neben Aspekten des Risikomanagements ist es dabei vor allem die Verlockung, Zinsaufwendungen zu „ersparen", die sowohl Kunden wie auch Anbieter dieses jungen Geschäftsfeldes als wesentlicher Anreiz zum Abschluss von Geschäften führt. Der Begriff „Schuldenmanagement" fällt dabei fast immer im gleichen Atemzug mit Slogans wie „Zinskosten minimieren". Nicht nur die WestLB verheißt etwa in einer Broschüre: „Die Zinskosten im Griff. Kommunale Zinsaufwendungen senken."l Diesen ehrgeizigen Zielvorgaben gerecht zu werden, wurden neue Derivate entwickelt und an die kommunale Kundschaft abgesetzt. So schliessen in jüngster Zeit Kommunen und gemeinwirtschaftliche Unternehmen vermehrt Zinsderivate ab. Sie beschränken sich hierin nicht mehr auf klassische Zinsswaps, sondern wenden sich zunehmend den exotischeren, komplexen ZinsproduktKonstruktionen aus den Financial-Engineering-Abteilungen deutscher und internationaler Investmentbanken zu. Hierbei werden diverse Spielarten mannigfach kombinierter Zins- und Währungskursbezüge zu einem Bündel umweltzustandsabhängiger Zahlungspositionen komponiert. Besondere Aufmerksamkeit und wirtschaftliche Bedeutung hat der so genannte CMS-Spread-Ladder-Swap (im Folgenden „CSL-Swap") erlangt. Die Bedeutung des langen Namens erschließt sich erst nach Kenntnis der Struktur dieses Finanzproduktes, das vereinfacht folgendermaßen darzustellen ist: Der CSL-Swap ist eine Vereinbarung zwischen Bank und Kommune, die beide Parteien verpflichtet, der jeweils anderen Partei Zahlungen zu leisten. In unserem Beispiel bestehen zehn halbjährliche Zahlungszeitpunkte. In jedem dieser zehn Zeitpunkte fließt genau eine Zahlung von einer Partei zur anderen. Wer jeweils Zahlungsleistender und wer Zahlungsempfänger ist, ergibt sich aus der Aufrechnung der im jeweiligen Zeitpunkt entstehenden Zahlungspflicht der Parteien. Die Zahlungspflichten bemessen sich wie folgt, wobei Bemessungsgrundlage der Prozentwerte ein vereinbartes Nominalvolumen des CSL-Swaps ist, das wir hier mit 100 Mio. Euro unterstellen wollen (der tatsächliche Betrag war noch etwas höher):
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Aus der Broschüre „Schuldenmanagement für Kommunen: Zinssteuerung mit Weitblick, Westdeutsche Landesbank, Düsseldorf.
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„kritische"
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Die Bank hat an die Kommune eine Zahlungspflicht von: in jedem Zeitpunkt 3% p.a., also zehn Halbjahreszahlungen von 1,5 Mio. Euro. Die Kommune hat an die Bank eine Zahlungspflicht, die sich für die beiden Halbjahreszeitpunkte je eines Vertragsjahres nach folgendem Schema bestimmt, wobei die jeweils genannte Differenz zwischen 10- und 2Jahreszinssatz am Ende der Klammern sich auf die in dem betreffenden Jahr dann aktuellen Marktsätze bezieht, also von Jahr zu Jahr schwanken kann. 1. Jahr: 1,25% p.a. 2. Jahr: Zinssatz der Vorperiode + 3 * [(1,02% - (10-Jahreszins -2-Jahreszins)] 3. Jahr: Zinssatz der Vorperiode + 3 * [(0,82% - (10-Jahreszins -2-Jahreszins)] 4. Jahr: Zinssatz der Vorperiode + 3 * [(0,62% - (10-Jahreszins -2-Jahreszins)] 5. Jahr: Zinssatz der Vorperiode + 3 * [(0,42% - (10-Jahreszins -2-Jahreszins)]
Nun können wir auch den Namen erläutern: CMS steht für „Constant Maturity Swap", zu deutsch soviel wie „Tausch konstanter Fälligkeiten", womit auf die stets mit gleicher Fristigkeit beharrenden Referenzzinssätze in der runden Klammer Bezug genommen wird, die mit unterschiedlichem Vorzeichen in die Gesamtzahlungsfunktion eingehen, daher gleichsam zwischen den Vertragsparteien getauscht werden. „Spread" weist auf den Charakter eines Differenzgeschäftes hin, und „Ladder" bezieht sich auf feste Zahlungselemente in der Zahlungsfunktion für die Kommune, die im Zeitablauf eine treppenförmige Abfolge beschreiben. In unserem Beispiel sind das die von 1,02 auf 0,42 herabsinkenden Zahlungskonstanten der eckigen Klammer (die auch „Strikes" genannt werden). Trotz dieses im Zeitablauf scheinbar sinkenden Zahlungseinfluss vermittelnden Elementes verbirgt sich in der Formel der gegenteilige Effekt steigender fester Zahllasten, wie wir im Folgenden sehen werden. Die Zahlungspflicht der Bank ist also fest, die der Kommune variabel. Zu den Begrifflichkeiten des Formelschemas: •
Es findet sich der Ausdruck „Zinssatz". Ein Zinssatz suggeriert eine Art der Kreditbeziehung. Wir wollen uns von dieser Bezeichnung nicht beirren lassen. Ein Kreditvertrag ist das vorliegende Finanzkonstrukt gerade nicht, auch wenn der Kommune - wie für Kreditaufnahmen charakteristisch - zu Beginn des Kontraktes zunächst ein (kleiner) Zahlungsmittelzufluss entsteht. Vielmehr handelt es sich schlicht um eine Vereinbarung zur wechselseitigen Leistung umweltzustandsabhängiger, also bedingter Zahlungen.
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•
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Der Ausdruck in den runden Klammern definiert eine Differenz zwischen zwei Finanzmarktgrößen und zwar - vereinfacht beschrieben - dem Marktzinssatz für Kredite an erstklassige Schuldner mit einer Zinsbindungsfrist von zehn respektive zwei Jahren, gemessen am Wert festgelegter Referenzgrößen zum jeweiligen Zahlungszeitpunkt, deren Details hier nicht weiter erläutert werden müssen.
Damit sind die Konditionen eindeutig festgelegt. Für die beiden ersten Zahlungszeitpunkte steht damit auch die Flussrichtung der Zahlungen fest: Die Bank zahlt der Kommune jeweils (0,03 - 0,0125) * 0,5*100 Mio. Euro = 875.000 Euro. Das sind zusammen sichere 13A Mio. Euro im ersten Vertragsjahr, von denen man böswillig behaupten könnte, sie dienten der „Anfütterung", schafften also einen wesentlichen Anreiz zur Vertragsentscheidung bei der Kommune. Im Vergleich zur möglichen Dimension der acht nachfolgenden, variablen Halbjahreszahlungen geht ihre Bedeutung nämlich fast unter. Für die dritte Zahlung ermittelt sich die Zahlungspflicht der Kommune aus dem Zinssatz der Vorperiode, also 1,25% plus dem dreifachen des eckigen Klammerausdruckes. Nun kommt es also erstmals auf die genannte Marktzinsdifferenz an. An dieser Stelle ist es zweckmäßig, den Begriff der Zinsstruktur zu kennen. Zinsstruktur heißt die wichtige Erscheinung, dass Zinssätze realer Finanzmärkte eine Fristigkeitsstruktur besitzen. Der Zinssatz ist eine Funktion der zwischen den Kreditparteien vereinbarten Zinsbindungsfrist bzw. der Restlaufzeit eines festverzinslichen Wertpapiers - in der Regel besitzen verschiedene Zinsbindungsfristen auch verschiedene Zinssätze, man unterscheidet drei idealtypische Verlaufsformen: normale, flache und inverse Zinsstrukturkurven. Nur bei der im vorigen Abschnitt unterstellten flachen Zinsstruktur sind keine Unterschiede im Zinsniveau vorhanden, während unter einer normalen Struktur ein Anstieg entlang der Fristigkeit gegeben ist und unter der inversen Struktur ein Abstieg. Formen der Zinsstruktur
Abb. 7.01: Idealtypische, empirische Zinsstrukturformen
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Finanzdienstleistungen
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Die Abbildung zeigt drei in der Vergangenheit am deutschen Kapitalmarkt tatsächlich zutage getretene idealtypische Verlaufsformen der Zinsstruktur. Die Beispiele sind auch insofern exemplarisch, als inverse Zinsstrukturen meist mit einer Hochzinsphase einhergehen, während die normale Zinsstruktur in der Regel mit moderaterem Zinsniveau zusammentrifft. Wir unterstellen nun zunächst einmal das Szenario einer flachen Zinsstruktur, der Zinssatz am Markt ist also für alle dort zu beobachtenden Laufzeiten gleich hoch. Somit ist die gesuchte Zinsdifferenz null und die Zahlungspflicht der Kommune beträgt damit 1,25% plus 3*1,02% = 4,31%. Die Bank hat wieder 3% zu zahlen, so dass im Saldo die Stadt an die Bank zahlen muss, nämlich 1,31% p.a., für diese dritte Halbjahresperiode also 655.000 Euro. Vor der Berechnung der vierten Zahlung müssen wir eine Besonderheit der Zahlungsformel beachten. Es ergibt sich durch den jeweiligen Rückgriff auf den „Zinssatz der Vorperiode" eine additive, kumulative Verknüpfung der jeweiligen Zahlungspflicht für die Kommune. Ein besonderer Sprengsatz versteckt sich in der Bezeichnung „Vorperiode", nicht etwa „Vorjahr". Das heißt, die Kumulation arbeitet umso schneller. Weil z.B. der Zinssatz für das siebte Halbjahr den des sechsten Halbjahrs „beinhaltet", der wiederum jenen des fünften in sich trägt usw., kann die Zahlungslast je nach Zinssituation erheblich anschwellen, wie wir gleich errechnen werden. Wir unterstellen weiterhin eine flache Zinsstruktur in allen Zeitpunkten. Für die vierte Zahlung ermittelt sich die Zahlungspflicht der Kommune aus dem Vorperiodenwert von 4,31% + 3*1,02% = 7,37%. Somit hat die Kommune 4,16% zu zahlen, die Bank bekommt von ihr folglich eine Halbjahreszahlung über nun schon 2,185 Mio. Euro. Rechnet man nach diesem Schema bis zum Ende weiter, so ergeben sich die weiteren Zahlungen so wie in der folgenden Tabelle zu sehen, die alle zehn Zahlungen für das Szenario einer stets flachen Zinsstruktur ausweist. Die Summe der Zahlungen beläuft sich auf 36 Mio. Euro, die die Kommune während der Laufzeit an die Bank zu zahlen hat.
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+0,8750 +0,8750 - 0,655 -2,185 -3,415 -4,645 - 5,575 - 6,505 -7,135 - 7,765 Summe:
- 36,13
Tab. 7.02: Die CSL-Zahlungen im Falle flacher Zinsstruktur, aus Sicht der Kommune, in Mio. Euro
Bei flacher Zinsstruktur also ein sehr schlechtes Geschäft für die Kommune. Aber genau das ist - entgegen den Erwartungen vieler - in den zwei Jahren nach Abschluss dieses CSL-Swaps im Frühjahr 2005 eingetreten: eine Verflachung der Zinsstruktur. Der CSL-Swap-Inhaber setzt aber auf eine ansteigend verlaufende Zinsstrukturkurve, genauer: darauf, dass der Zehnjahreszins möglichst weit über dem Zweijahreszins notiert. Man kann eine Art „Break-even-Zinsdifferenz" berechnen: Wenn wir von einer konstanten Zinsdifferenz über die Laufzeit des CSLSwaps ausgehen, so muss diese 0,67 Prozentpunkte betragen, damit der kumulierte Saldo der über die zehn Halbjahre einander gewährten Zahlungen hinweg gerade null ist. Oberhalb dieses Wertes erzielt die Kommune einen Zahlungsüberschuss; mit jedem Basispunkt (0,01 Prozentpunkte) ca. 500.000 Euro. Bei einem konstanten Differenzwert von einem Prozentpunkt - das entspricht ungefähr dem historisch beobachteten Mittelwert - kämen somit 18 Mio. Euro zugunsten der Kommune zusammen. Das gilt aber nur für die Denkvorstellung einer über die Jahre in gleicher Gestalt verharrenden Zinsdifferenz. Beträgt die Zinsdifferenz in frühen Vertragsjahren einen für die Kommune ungünstigen Satz, also insbesondere weniger als Prozentpunkte, so bedarf es in späteren Jahren einer überproportionalen Steigerung der Differenz, um den „Rückstand aufzuholen". Dies liegt an dem der Zahlungsformel inhärenten Kumulierungseffekt. Durch die kumulative Verknüpfung der Zahlungsfunktion ist eine Risikokonzentration auf die Zinsstrukturgestalt früher Vertragshalbjahre gegeben, während das Zinsniveau in den späten Vertragshalbjahren einen unterdurchschnittlichen Einfluss auf den Gesamtzahlungssaldo hat. Eine früh eintretende ungünstige Konstellation pflanzt sich dadurch auf spätere Jahre aufsummiert fort, weil ein Nachteil sich von Periode zu Periode „vererbt" und verstärkt. So hat etwa die Zinsdifferenz im ersten Fixinghalbjahr einen achtmal so großen Einfluss auf den Gesamtzahlungssaldo wie die des letzten Fixinghalbjahrs.
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Nehmen wir zum Beispiel an, die Zinsdifferenz betrage in sieben der acht „variablen" Halbjahresperioden einen Prozentpunkt und in einer null, wobei die Nullperiode einmal zum Anfang und alternativ zum Ende der Laufzeit angenommen sei. Im ersten Falle ergäbe sich ein kumulierter Einzahlungsüberschuss aus Sicht der Kommune von 5,87 Mio. Euro, im alternativen Falle trotz identischer durchschnittlicher Zinsdifferenz hingegen ein nahezu dreimal so hoher Betrag von 16,37 Mio. Euro. Damit wird bewusst abgewichen von dem zumeist gegebenem Effekt so genannter Zeitdiversifikation: einer Verteilung von Kreditaufnahmen und -Prolongationen auf verschiedene Haushaltsjahre mit einhergehender natürlicher Zinslast-Mittelung und somit geringerer Abhängigkeit vom Kreditzinsniveau eines einzelnen Jahres. Der CSL-Swap hingegen erzeugt die gegenteilige Wirkung, eine Zeitkonzentration. Aus diesem spezifischen Risiko darf keine Risikoprämie erwartet werden, wie es beim CSL-Swap ansonsten durchaus der Fall ist: Die CSL-Konstruktion stellt ab auf das zinsstrukturelle Phänomen einer langfristigen Renditeüberlegenheit von Anleihen langer Zinsbindung im Vergleich zu ansonsten identischen Anleihen geringerer Restlaufzeit. Diese Renditedifferenz darf man als Erscheinungsform einer Risikoprämie einordnen, weil das Kursänderungsrisiko von Anleihen längerer Zinsbindung jenes so genannter Kurzläufer erheblich übersteigt.1) Insofern basiert der CSL-Swap auf der nachvollziehbaren Grundidee, Risikoprämien „aus der Zinsstruktur zu verdienen". Der CSL-Inhaber tut der Grobstruktur nach das gleiche wie eine Eigenhandelsbank, die revolvierend mit kurzer Zinsbindung versehene Mittel am Finanzmarkt aufnimmt, um sie (hoffentlich) höherverzinslich in längerlaufenden Forderungen gegen andere Schuldner investiert zu belassen. Nur geschieht dies beim CSL-Kontrakt nicht so einfach und transparent wie im Falle einer solchen, aktiv gewillkürten Fristentransformation (vgl. Abschnitt 1.1.2.2), sondern auf dem erheblich verschlungenerem Pfade der oben berichteten Beschaffenheit. An dieser Verschlungenheit setzt unser wesentlicher Kritikpunkt am CSL-Produkt an. Die aufgezeigten Eigenheiten der CSL-Formel erzeugen zusätzliches Risiko über das natürliche Maß jeder konventionellen Fristentransformation hinaus, dem keine weitere Risikoprämie gegenübersteht. Zudem ist die Konstruktion geeignet, ihre Risiken eher zu verschleiern denn sie offenzulegen, was gerade vor dem Hintergrund der kommunalen Anwenderzielgruppe bedenklich scheint. Ergebnis: Der CMS-Spread-Ladder-Swap ist ein nach seiner inneren Logik nachvollziehbares Finanzprodukt, das aus der wohlbekannten Beobachtung zumeist steigender Zinsstrukturkurven - das Zinsniveau am „langen Ende" übersteigt je-
1
Vgl. z.B. LOISTL (2001).
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nes des „kurzen Endes" - Gewinn vermitteln will. Der verwinkelte Weg, auf dem dieses prinzipiell auch einfacher erreichbare Ziel realisiert werden soll, bringt jedoch neben einer gefahrverschleiernden Komplexität eine Risikostruktur mit sich, die das Produkt an der Grenze finanzwirtschaftlicher Sinnhaftigkeit ansiedelt. Zu einer ausführlicheren Analyse seiner Chancen und Risiken mittels historischer Kapitalmarktsimulation, die auch ein hier vernachlässigtes Kündigungsrecht der Bank behandelt, verweisen wir auf eine einschlägige, an unserem Lehrstuhl gefertigte Studie.1 Wir wenden uns nunmehr einem weiteren, komplex strukturierten Finanzprodukt zu, das ebenfalls für Aufregung - wenn auch bislang lediglich in Fachpresse und institutioneller Anlagepraxis - gesorgt hat. (3)
CPDO: Constant Proportion Debt Obligation
Diese Finanzdienstleistung wendet sich an den institutionellen Investor, der mehr als den üblichen „risikolosen" Zins erzielen möchte. Es wird behauptet, dass dieses Ziel durch CPDOs trotz hoher Sicherheit - CPDO-Emissionen besitzen häufig ein AAA-Rating (vgl. Abschnitt 1.1.2.3) - erreicht wird. Wir geben eine beispielhafte Beschreibung, wobei wir aus Vereinfachungsgründen einige der zahlreichen Details fortlassen, um die interessierende Grundstruktur klarer zu erfassen. Der an Einzelheiten Interessierte sei auf die Fachpresse verwiesen.2 Was wird vereinbart? Ein Anleger gibt den gewünschten Investitionsbetrag, sagen wir 100 Millionen Euro, in die Hände einer Investmentbank. Die investiert das Geld zu einem risikolosen Zinssatz, z.B. Drei-Monats-Euribor. Dieses „EuriborGuthaben" erwirtschaftet also nur geringe Zinsen. Es dient der Bank zugleich als Sicherheit für ein anderes, zunächst keinen weiteren Zahlungsmitteleinsatz erforderndes Geschäft, das sie für Rechnung der Anleger im Bestreben abschließt, deren risikolose Verzinsung aufzustocken. Die arrangierende Investmentbank schließt nämlich ein Stillhaltergeschäft (vgl. Abschnitt 5.1.1) besonderer Art ab: Sie übernimmt das Kreditausfallrisiko, das aus einem (indexgehandelten) Portfolio von typischerweise 250 Unternehmensanleihen großer amerikanischer und europäischer Industrieschuldner resultiert. Diese Risikoübernahme wird in standardisierten Kontrakten („i-traxx Europe") von fünfjähriger Laufzeit vorgenommen und mit einer sicheren Prämie vergolten, wobei das CPDO-Konzept vorsieht, alle sechs Monate den dann noch für verbleibende AVi Jahre gewährten Risikoschutz zurückzukaufen, um ein neues Stillhaltergeschäft mit wiederum 5 Jahren Laufzeit einzugehen („halbjährlicher Rolltermin"). Kommt es bei einem (oder mehreren) der Indexschuldner während der sechs Monate zu einem „Kreditereignis" (d.h. Zahlungsausfall oder gar Insolvenz), so muss eine Zahlung geleistet werden, deren Höhe so bemessen ist, dass sie dem Sicherungskäufer gerade den
1
Vgl. STARK/LOOSE (2007).
2
Zum Beispiel JOHANNSEN (2006).
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Finanzdienstleistungen
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durch das Kreditereignis hervorgerufenen Wertverfall der entsprechenden Unternehmensanleihe kompensiert. Nach Ablauf der sechs Monate wird eine neue Vereinbarung - mit einer dann womöglich anderen Risikoprämie - abgeschlossen. Die Laufzeit des CPDO beträgt maximal zehn Jahre, so dass es im Zeitablauf zu einer Kette von bis zu zwanzig solcher Stillhaltergeschäfte kommt. Die entscheidende Komponente beim CPDO: Die Stillhaltergeschäfte werden über ein sehr viel höheres (Anleihe-) Volumen als der Investitionsbetrag abgeschlossen, üblich ist ein 15-faches. Wir betrachten ein numerisches Beispiel unter Annahme einer konstanten Prämie von 25 Basispunkten p.a. (lA %): Für das 15-fache von 100 Mio., also für ein diversifiziertes Unternehmensanleiheportfolio im Nennbetrag von 1,5 Mrd. wird das Kreditrisiko übernommen. Folglich resultieren Prämieneinzahlungen von 3,75 Mio. pro Jahr. Die Bank zieht eine feste Gebühr ein von 750.000. Die verbleibenden drei Mio. werden zu einem größeren Teil zusammen mit einem Betrag in Höhe der Zinsen aus dem EuriborGuthaben an die Investoren ausgezahlt, teils werden sie dem Euribor-Guthaben zu deren Erhöhung zugeführt. Die Aufteilung wird grundsätzlich so vorgenommen, dass die Investoren eine Zahlung erhalten, die dem Euribor-Ertrag aus der risikolosen Anlage entspricht plus eines festen Zusatzbetrages von beispielsweise 2 Prozentpunkten. Der Investor erhält also während der Laufzeit des CPDOs immer Euribor plus zwei Prozentpunkte, egal was passiert. Tritt ein Kreditereignis ein, zum Beispiel ein einziger Komplettausfall unter 250 Schuldnern, so würde eine Ausgleichszahlung von 0,4% des „versicherten" Nennbetrages zu leisten sein, das wären 6 Millionen Euro, die aus dem EuriborGuthaben entnommen würden, das damit immerhin einen Betrag in Höhe von 6% seines Anfangsvermögens einbüßte. Sollte das Euribor-Guthaben durch dauerhaft höhere Auszahlungen (Gebühren an Bank, Ausfallleistungen an Sicherungsnehmer, Zinsen an Investor) als Einzahlungen (Zinsen aus Euribor-Anlage, Prämien) irgendwann auf einen Betrag von weniger als zehn Prozent des Investitionsbetrages, hier also 10 Mio., ausgezehrt sein, so wird die gesamte CPDO-Struktur durch entsprechend zu ergreifende Gegengeschäfte sofort aufgelöst und der verbleibende Restbetrag an den Investor ausgekehrt. Sollte es umgekehrt dermaßen gut verlaufen, dass das Euribor-Guthaben irgendwann auf einen solchen Betrag anwächst, dass sämtliche Gebühren- und Zinszahlungen der noch verbleibenden CPDO-Restlaufzeit aus dem Euribor-Guthaben geleistet werden können, ohne dieses unter den Betrag der anfanglichen Investitionssumme von 100 Mio. herabzusenken, so werden die Stillhaltergeschäfte ebenfalls sofort aufgelöst und der Investor erreicht sein Ziel einer erhöhten Verzinsung forthin auch ohne Risikoübernahme.
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7 Finanzdienstleistungen
in der Kritik
Ergebnis: Der Erfolg der gesamten, komplexen CPDO-Struktur hängt von einer einfachen Konstellation ab: Im Durchschnitt müssen die Prämieneinnahmen höher sein als die Beanspruchung durch Kreditausfälle. Weil darüber hinaus Gebühren und Zusatzzinsen gedeckt werden sollen, müssen in unserem - sehr praxisnahen! - Zahlenbeispiel für eine erfolgreiche Beendigung des CPDOs die Prämieneinnahmen rund viermal so hoch sein wie die Ausfallausgaben. Denn 3,75% Prämien minus 0,75% Gebühren minus 2,00 % Zusatzzinsen belässt nur ein Prozent für Ausfallleistungen. Gleichwohl sind die Chancen, dass dies während der Laufzeit eines CPDOs glückt, gar nicht so gering. Denn bei den erstklassigen Schuldnern, die sich im Indexportfolio zufolge der sechsmonatigen Anpassung - schlechte Schuldner gehören dann qua Konstruktion nicht mehr zum Indexportfolio, werden aber bis zu ihrem Ausscheiden oftmals Auszahlungen verursachen - fast ausschließlich befinden, sind Ausfälle tatsächlich seltene Ereignisse. So mag das CPDO-Spiel also häufig glücken. Dass jedoch langfristig das Ziel immer erreicht wird, ist eine kühne Hoffnung. Die Märkte vergüten die Prämie für Ausfallrisikoübernahme ja nicht ohne Grund und man sollte nicht annehmen, dass der zu erwartende Wert durchschnittlicher Beanspruchungen durch Ausfälle nur ein Viertel der Prämien ausmachte. Von solch einer Relation können jedenfalls die meisten Versicherungsunternehmen nur träumen, obgleich sie sich auf Märkten bewegen, die grundsätzlich nicht effizienter sein sollten als die hier involvierten Finanzterminmärkte für Kreditrisikokontrakte. Vielmehr steht zu vermuten, dass die langfristige durchschnittliche Inanspruchnahme durch Ausfalle sehr wohl ein Viertel der Prämienbeträge übersteigen wird. Jedoch dürfte die Verteilung sehr „asymmetrisch" sein. Nicht ein ungefährer Ausgleich von Prämien und Beanspruchungen in der Betrachtung kleinerer Zeitausschnitte dürfte zu erwarten sein. Sondern eher ein Wechsel von langen „Schönwetterperioden" geringer oder gar keiner Ausfälle mit kurzen Perioden konjunkturbedingt selbstverstärkender, heftiger Ausfallraten. Gegen dieses „Spitzenrisiko" hilft auch nicht die halbjährliche Neuvereinbarung der Kreditrisikokontrakte, wie zuweilen von Ratingagenturen in grotesker Verkennung der finanzwirtschaftlichen Charakteristika gemutmaßt wird. Zwar würde bei einem Anstieg der Ausfallraten der Markt erheblich höhere Risikoprämien zahlen, die innerhalb eines neuen Kontraktes vereinnahmt würden. Doch muss dann natürlich auch für die gesamte verbleibende Restlaufzeit des zurückzukaufenden Vorgängerkontraktes von typischerweise 4l/z Jahren eine höhere Prämie gezahlt werden als sechs Monate zuvor Grundlage des Abschlusses war, oder einfacher formuliert: die Egalisierung des alten Kontraktes kostet Geld. Dieser Betrag kann erheblich sein. Stellen wir unser etwa vor, das Prämienniveau erhöhe sich von 25 auf 75 Basispunkte - ein durchaus nicht spektakuläres Niveau, das zuletzt im Jahr 2005 zu beobachten war. Dann kostete die Auflösung einen Betrag
7.2 Ausgewählte
„kritische"
Finanzdienstleistungen
455
von rund 200 Basispunkten (4,5 · (75 - 25) wären 225). 200 Basispunkte verzehren aber vermittels des 15-fachen Hebels 30 Prozent des Euribor-Guthabens! Wir brauchen gar keine langen Modellrechnungen durchzuführen, um zu erkennen, dass in wirtschaftlich angespannten Zeiten ein vollständiger Verlust des Euribor-Guthabens vorstellbar ist. Und somit erscheint auch die hohe Kuponverzinsung in einem anderen Licht: sie ist schlicht Ausdruck der Übernahme von Extremrisiken. Fraglich bleibt nur, warum die Ratingagenturen das Risiko eines CPDOs mit dem Gütesiegel einer Staatsanleihequalität versehen, zumal regelmäßig kein einziges Schuldnerunternehmen des Indexportfolios ein solches Rating besitzt. Nachzutragen bleibt die Herkunft des Namens Constant Proportion Debt Obligation. Er bezieht sich auf zwei Elemente, die wir nicht betrachtet haben. „Constant Proportion Debt" soll anzeigen, dass der Verschuldungsgrad der Struktur laufend angepasst wird, und zwar so, dass bei höheren Kreditausfallprämien der Verschuldungsgrad erhöht wird. „Obligation" weist daraufhin, dass die Zahlungsansprüche des Investors in einem schuldrechtlichen Wertpapier, also einer Anleihe oder Obligation verbrieft sind. Diese Anleihe ist aber nicht börsengehandelt. d)
Zusammenfassende Würdigung
Die im vorangegangenen untersuchten Finanzprodukte geben ein symptomatisches Spiegelbild der aktuellen Entwicklungslinien in der Produktion von Anlageleistungen. Wir wollen zunächst einige Gemeinsamkeiten der drei vorgestellten Produkte erarbeiten. Es sind alles Anlageformen, die aus dem bekannten finanzwirtschaftlichen Hebeleffekt einer Verschuldung Nutzen ziehen wollen. Die Verschuldung wird dabei sei es eine reale oder durch Finanzkonstruktionen synthetisierte Verschuldung auf ein Marktsegment bezogen, von dem ein geringerer (Schuld-)Zins erwartet wird als von jenem Marktsegment, in dem die „Schuldmittel" investiert werden. Tabelle 7.03 stellt die entsprechenden Segmente für die betrachteten drei Finanzprodukte gegenüber. Finanzierung
Investition
Lira-Anlage
Euro
Lira
CSL-Swap
Kurzzins
Langzins
CPDO
hohe Bonität
geringere Bonität
Tab. 7.03:
Die Segmente von Finanzierung und Investition der betrachteten Finanzdienstleistungen mit Hebelwirkung
456
7 Finanzdienstleistungen
in der Kritik
Das Lira-Produkt stellt diese Konstruktion tatsächlich unmittelbar dar. Einer Verschuldung in der Niedrigzinswährung steht eine Anlage in der Hochzinswährung gegenüber. Aber auch die beiden anderen Produktstrukturen ähneln einer realen Verschuldung im „günstigeren" Marktsegment bei gleichzeitiger Anlage im „teureren" Segment, die immer so lange erfolgreich ist, wie - vereinfacht gesagt - das übliche, aber keinesfalls immer geltende Gesetz der höheren Rentierlichkeit riskanterer Anlagen zutrifft: Riskantere Anlagen rentieren langfristig besser, gerade weil sie riskant sind. Das bedeutet aber, dass es auch immer wieder durchaus längere Perioden geben können muss, in denen das gerade nicht zutrifft - sonst wären sie ja nicht riskanter. Anders gewendet: Die Risikoprämie kann naturgemäß nicht in jeder beliebigen betrachteten, auch längeren, Periode immer ausreichen, für dieses Risiko zu kompensieren: Der Lira-Wert kann in einem Jahr stärker verfallen als die Zinsdifferenz zwischen Lira und Euro. Der Wert einer langfristigen Anleihe kann in einem Jahr stärker verfallen als die Zinsdifferenz zwischen langer und kurzer Zinsbindung. Der Wert einer bonitätsrisikobehafteten Anleihe kann in einem Jahr stärker verfallen als die Zinsdifferenz zwischen Anleihen geringerer und höherer Bonität. Zudem erzeugt der hohe Hebeleffekt eine besondere Anfälligkeit für verzerrende Rückrechnungen. Je höher der Leverage eines Produktes gewählt wird, umso einfacher fällt es, eine exorbitante historische Rendite zu präsentieren. Diese Praxis der Finanzintermediäre provoziert Fehleinschätzungen durch die Anlegerschaft. Somit sind solche „Überraschungen", die für den Finanzfachmann gar keine sind, vorprogrammiert. Beim CSL-Swap in Hagen ist das schon geschehen, bei vielem ähnlichen werden wir es noch erleben. Im Übrigen arbeiten viele andere Finanztransaktionen nach demselben Muster eines mehr oder weniger riskant inszenierten Leverageeffektes. So beruhen etliche Immobilieninvestitionen auf der groben Überlegung, die Rentabilität der Vermietung werde das Niveau eines Hypothekarzinses übersteigen. Oder jüngst vermutete die WestLB, eine Wertpapierverschuldung zum „Zins" der Rendite einer VWStammaktie sei attraktiv, weil eine zugleich getätigte Investition in VWVorzugsaktien höher rentieren werde. Es trat das Gegenteil ein. Solche und ähnliche gehebelten Investitionsmodelle müssen nicht per se finanzwirtschaftlich töricht sein, zumal ihr unübersehbarer Charme im „Drehen größerer Räder" liegt. Doch sind viele von ihnen aus der Verführung einer einseitigen „Schönrechnung" geboren. Der nächste „Finanzskandal" in gehebelten Anlageleistungen wird gewiss kommen. Die vorstehenden Ausführungen mögen schon heute einer Einordnung und Erhellung seiner Hintergründe dienlich sein.
7.2 Ausgewählte „kritische"
7.2.2
Finanzdienstleistungen
457
Finanzierungsleistungen
7.2.2.1 Die Bausparfinanzierung - ein Schneeballsystem? Die Bausparfinanzierung ist ein besonderes, geschlossenes Finanzierungssystem, dass ob seiner Spezifika auch immer wieder einer besonderen Kritik ausgesetzt ist. Zwei wesentliche Punkte dieser Kritik sind -
eine generelle Systemkritik am kollektiven Bausparen als in sich abgeschlossenem Finanzierungsmodell bezüglich seiner Stabilität bzw. gar Funktionsfähigkeit in einer dynamischen Finanzmarktumwelt sowie
-
die Unvorteilhaftigkeit der angebotenen Bausparprodukte als kombinierter Anlage- und Finanzierungsleistung.
(1)
Kollektivkritik
Der erste Kritikpunkt richtet sich auf das Bausparen als kollektives System, während der zweite einzelwirtschaftlich aus der individualistischen Perspektive an der von diesem System hervorgebrachten Anlage- und Finanzierungsleistung ansetzt. Wir beginnen mit der Kollektivkritik. Diese rührt an dem wesensprägenden Prinzip des Bausparens, dass die Bausparfinanzierung zu einer Finanzierungsform sui generis macht. Gemeint ist das Junktim von Anlage und Finanzierung, die Identität von heutigen Geldgebern und späteren Geldnehmern. Rufen wir uns in Erinnerung (vgl. Abschnitt 2.3.2.2), dass die Vergabe eines Bauspardarlehens unabdingbar an die vorhergehende Leistung von Sparbeiträgen geknüpft ist, die wiederum verwendet werden, um sie an andere Bausparkunden darlehensweise weiterzuleiten, die ihrerseits wiederum früher auch Sparbeiträge leisten mussten, die einer noch älteren Bausparkundengeneration nach dem gleichen System zugute kamen usw. An dieser Beschreibung erkennt man bereits die intertemporalen Verflechtungen, die dem Bausparsystem zu eigen sind und die die häufig erhobene Feststellung hervorrufen, dass Bausparsystem sei anders als herkömmliche, nichtkollektive Finanzierungssysteme in so besonderem Maße von einer erfolgreichen Neukundenakquisition abhängig, dass seine Existenz einer ständigen, latenten Bedrohung unterliege. Exponenten der Kritik bezeichnen das kollektive Bausparen daher mitunter gar als Schneeballsystem. Träfe dieser Vorwurf zu, so könnte das Bausparen also nur solange überleben, wie der Zustrom neuer Kundengelder wächst. Wir wollen uns dem Kern dieser Kritik durch Betrachtung eines einfachen Zahlenmodells nähern. Das Bausparen funktioniert bekanntlich nach Tarifen, die für alle Kunden gleichermaßen gelten. Der traditionelle Standardtarif schreibt dem Bausparer 3% Zinsen p.a. auf seine monatlichen Sparbeiträge in Höhe von 4%c der Bausparsumme gut, die frühestens nach Erreichen eines vierzigprozentigen
458
7 Finanzdienstleistungen
in der Kritik
Mindestsparguthabens ausgezahlt wird und dann demzufolge in die Gewährung eines ca. 60% der Bausparsumme ausmachenden 5%-Bauspardarlehens mündet, das mit annuitätischen Darlehensraten von 6%c monatlich zu bedienen ist. Zudem sind eine üblicherweise einprozentige Abschlussgebühr auf die Bausparsumme sowie eine Darlehensgebühr von 2% des Darlehensbetrages zu beachten. Entscheidend für unsere Beurteilung sind nicht diese Konditionen selbst, sondern der aus ihnen sowie den Zuteilungsregeln (vgl. Abschnitt 2.3.2.2) resultierende Zahlungsstrom zwischen Bausparkunde und Bausparkasse. Uns genügt hier eine Betrachtung für den vereinfachten Fall jährlicher Zahlungen, der aus Sicht eines einzelnen Kunden etwa so aussieht:') 0
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-4,8 -4,8 -4,8 -4,8 -4,8 -4,8 -4,8 -4,8 +100 -7,4 -7,4 -7,4 -7,4 -7,4 -7,4 -7,4 -7,4 -7,4 -7,4 Die erhobene Systemkritik zu prüfen, heißt eine einzige Frage zu beantworten: Kann die Bausparkasse diesen Zahlungsstrom ihren Kunden aus dem Kollektivsystem heraus gewähren, ohne dass das Kollektiv auf permanentes Wachstum angewiesen ist? Schauen wir zunächst einmal, wie es um die Zahlungsströme stünde, wenn es im Kollektiv weder Wachstum noch Schrumpfung gäbe, das heißt, die Zahl von Sparern und Darlehensnehmern ist immer gleich, es kommen stets so viele neue Bausparkunden ins System hinein, wie es von älteren Bausparergenerationen verlassen wird. Der Bauspartechniker spricht von so einem Fall als „statischem Beharrungszustand". W i e sehen die Zahlungsströme aus Sicht der Bausparkasse in diesem Zustand, normiert auf einen Sparerzugang von 100.000 neuer Bausparsumme pro Jahr, aus? Weil jede Bausparergeneration gleichstark ist und exakt dieselben Stadien durchläuft, finden wir die folgenden Zahlungen: Jährlichen acht Sparbeiträgen über 4.800 und 10 Annuitäten über 7.400 steht jeweils eine Zuteilungszahlung über 100.000 gegenüber. In diesem „eingeschwungenem" Zustand bleibt also ein komfortabler Überschuss von 12.400 jährlich für die Kasse zur Deckung von Provision, Kosten der Verwaltung und Werbung, Kreditausfällen und weiterem. Diese Kosten betragen j e 100.000 Bausparsumme tatsächlich gar nur einen Bruchteil von 12.400. Allerdings ist damit unsere Rechnung noch nicht zu Ende. Denn der eingeschwungene Zustand muss ja erst einmal erreicht werden und auf dem W e g dorthin mögen Unterdeckungen zu beklagen sein. Das ist hier tatsächlich der Fall. Nach acht Jahren muss zum ersten Mal zugeteilt werden. Allerdings gibt es jetzt
1 Vgl.
STARK
(2003),
S.
244.
7.2 Ausgewählte
„kritische "
Finanzdienstleistungen
459
ja noch gar keine Annuitäten, sondern nur Sparbeiträge. Denn bis zur vollständigen Einschwingung vergehen 18 Jahre. Mithin müssten Reserven aus den ersten acht Jahren angezapft werden. Wie hoch sind diese? Sie betragen (1+2+ 3 ... +8) mal den Sparbeitrag, das sind 36* 4.800 = 172.800 mit etwas Zinsen darauf, weil die Bausparkasse die Mittel ja irgendwo anlegen wird, sagen wir zusammen rund 200.000. Ab dem Jahr der ersten Zuteilung fließen jeweils 8 mal 4.800 = 38.400 an Sparbeiträgen zu, so dass im ersten Zuteilungsjahr eine Zahlungslücke von 100.000 minus 38.400 = 61.600 aus den Reserven zu decken ist. Im zweiten Zuteilungsjahr sinkt die Zahlungslücke um 7.400 auf 54.200, weil dann bereits die erste Annuität fließt. In den beiden Folgejahren fließen bereits zwei bzw. drei Annuitäten, es entstehen also Zahlungslücken von nur noch 46.800 respektive 39.400. Die Summe der Zahlungslücken beläuft sich damit mit dem vierten Zuteilungsjahr auf 202.000 Euro. Die Reserven aus dem so genannten „Anlaufeffekt" sind nun also gerade aufgezehrt. Bis zur Einschwingung vergrößert sich aber die kumulierte Zahlungslücke noch weiter auf summiert etwa 100.000. Es stellt sich in der Tat die Frage, wie diese finanziert werden sollte. Die Bausparkasse könnte ein Darlehen aufnehmen, das aus dem ewigen Überschuss aber allenfalls mit Mühe und bei niedrigem Zins getragen werden könnte. Somit bleiben nur drei realistische Auswege: •
Viele Bausparkunden rufen ausschließlich ihre Bausparguthaben ab und verzichten auf das Bauspardarlehen dauerhaft. Wenn deren Zahl groß genug ist, entfällt das Unterdeckungsproblem.
•
Es stellt sich doch ein Wachstum ein.
•
Die Bausparkasse modifiziert die Wartezeiten bis zur Zuteilung, greift also in den Bausparzahlungsstrom verändernd ein.
Erschwerend kommt hinzu, dass unsere Rechnung ohne Kosten der Bausparkasse kalkuliert, die es realiter freilich gibt. Daher hat auch die Bausparkasse selbst Zahlungsansprüche an das Kollektiv. In der Praxis wird eine von unserer Rechnung leicht abweichende Kalkulation einer sogenannten „Zuteilungsmasse" betrieben. Der Zuteilungsmasse werden auch die - im Kollektiv ja niemals zahlungswirksamen - Guthabenzinsen zugerechnet. Im Gegenzug beansprucht die Bausparkasse einen Zahlungsbetrag in Höhe der vollen in den Annuitäten „enthaltenen" Darlehenszinsen. Auf Basis einer solchen Zuteilungsmassenrechnung lässt sich zeigen, dass ein Wachstum ungefähr 10 % betragen muss, um eine dauerhafte finanzielle Ausgeglichenheit bei Durchhaltung des Zahlungsstromes auch ohne Darlehensverzichter darstellen zu können. Auf eine solche Wachstumsrate, die doch beträchtlich oberhalb von üblichen Inflationsraten oder Sozialproduktzuwachsraten liegt, „bauen" zu wollen, ist aber gerade der Anstoßpunkt zu einer Systemkritik am kollektiven
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7 Finanzdienstleistungen
in der Kritik
Bausparen. Zudem reicht es etwa keineswegs aus, wenn diese Wachstumsrate nur bestünde, bis das Kollektiv aus dem „Gröbsten heraus" wäre. Ganz im Gegenteil, jedes Wachstum des Bausparneugeschäftes ist zwar zunächst einmal willkommene Liquiditätszufuhr, erhöht aber proportional aus diesen neu zugewachsenen Bausparsummen die späteren Zahlungsansprüche an das Kollektiv bzw. die Bausparkasse. Es ist daher vielmehr so, dass die nötige Wachstumsrate unter den gegebenen Bedingungen dann auch für alle Zeiten fortgelten müsste: Das Wachstum erzeugt den Fluch des Erfordernisses weiteren Wachstums. Somit ist aus diesem Modell heraus die Systemkritik absolut nachvollziehbar, zumal die bauspartechnischen Berechnungen zur Wartezeit im Bausparen des ehemaligen Wüstenrot-Chef-Bausparmathematikers Hans Laux als prominentestem Vertreter des Faches tatsächlich von Wachstumsraten solcher Größenordnung ausgingen. Doch was geschah in der Praxis wirklich? Es traten alle drei der genannten Auswege ein. Zum einen riefen natürlich nie alle Kunden ihre Darlehen auch ab. Zudem erlebte das Bausparen ein erhebliches Wachstum, in besonderem Maße von den fünfzigern bis in die siebziger Jahre. Spätestens gegen Anfang der achtziger Jahre trat dann aber doch bei fast allen Bausparkassen die Kehrseite dieses Wachstums auf. Am Finanzmarkt stiegen die Zinsen. Daher wollten weniger Menschen (niedrigverzinslich) bausparen, aber umso mehr gewannen die (niedrigverzinslichen) Bauspardarlehen an Attraktivität, was zufolge des einstigen Neugeschäftswachstums nun ein entsprechendes Anwachsen der Zuteilungswünsche nach sich zog. Die dringend benötigte Wachstumsrate verkehrte sich jedoch teils in eine Schrumpfungsrate. Nun blieb nur noch der dritte Ausweg: Die Bausparkassen verlängerten die Ansparphasen. Doch dabei blieb es nicht: Man erkannte die grundsätzliche Gefahr einer bösartigen Abwärtsspirale und fand einen vierten Ausweg: Neue Tarife kamen auf den Markt. Das Neue: Einige eher verzierende Details wie Optionselemente bezüglich der Wahl von Zinsen und ähnlichen Tarifmerkmalen, die aber mehr einer PRKonzeption geschuldet waren, um ein gewichtiges Tarifmerkmal eher lautlos und vom Publikum kaum bemerkt zu verändern: Das Mindestsparguthaben wurde um zehn Prozentpunkte auf 50% angehoben. Statt 40%Ansparen/60%Darlehen galt fortan also die Formel 50%/50%. Daraus resultierten Bausparzahlungsströme, die auch ohne Darlehensverzichte und Wachstum zu dauerhaft funktionierenden Kollektiven führen, wie man analog zu den oben vorgetragenen Berechnungen aus den Merkmalen gängiger Tarife ermitteln kann. Allerdings gab und gibt es auch weiterhin die alten Tarife. Doch haben die Bausparkassenmanager es verstanden, das Neugeschäft schwerpunktmäßig auf die modernen Tarife zu lenken. Was bedeutet das für die heutige (und künftige) Situation? Die Bausparkassen haben zufolge des Tarifierungswechsels aktuell keinerlei Zuteilungsprobleme mehr. Dank ihrer einhergehenden, üppigen Liquiditätslage haben einige Kassen die Zuteilungszeiten wieder ein wenig verkürzt, jedoch in einem Maß, das zur
7.2 Ausgewählte
„kritische"
Finanzdienstleistungen
461
Sorge noch keinen Anlass gibt. Die Reserven sind gar so hoch, dass viele Kassen auch einen vollständigen Verlust von Neugeschäft ohne Beeinträchtigung für ihre Bausparkunden hinnehmen könnten. Ein solchermaßen degenerierendes Bausparkollektiv hätte zwar für die folgenden Jahre eine kumulierte Unterdeckung zu erwarten, die aber zu einem großen Teil durch Reserven abdeckbar wären. Verbleibende Reste könnte die Bausparkasse bedenkenfrei durch außerkollektive Kreditaufnahme für einige Jahre fremdzufinanzieren, weil das degenerierende Bausparkollektiv ja für die letzten ca. 10 Jahre seines Bestehens ausschließlich Einzahlungen an die Bausparkasse verursachte, denen nun keinerlei Ansprüche aktueller Bausparer mehr entgegenstünden. Ergebnis: Die Bausparer brauchen aktuell keine Verlängerung der Zuteilungszeiten zu befürchten. Fraglich ist aber, inwiefern durch die mittlerweile etablierte, neuere Tarifstruktur die individuelle Vorteilhaftigkeit, also der zweite der hierzu zu diskutierenden Aspekte einer Bausparkritik, beeinträchtigt wird. (2)
Vorteilhaftigkeitskritik
Für eine Vorteilhaftigkeitsbetrachtung sind die resultierenden Zahlungsströme die relevante Untersuchungsgröße. Alles andere ist zweitrangig. Insbesondere die Zinssätze haben in der Bausparfinanzierung praktisch keine Bedeutung. Warum nicht? Weil wir es bei Bausparzahlungsströmen mit einer spezifischen Kombination von Anlage und Finanzierung zu tun haben.1 Ein niedriger Darlehenszins für sich genommen hat so gut wie keine Aussagefähigkeit. Man muss vielmehr wissen, wie hoch der zugehörige Guthabenzins der Ansparphase ist und -
welche zeitlich-betragliche Erstreckung für Spar- und Darlehensphase gilt.
Auch die Zinsspanne zwischen Guthaben- und Darlehenszins ist kein wesentlich besserer Maßstab als die beiden absoluten Zinssätze. Stellen Sie sich etwa vor, Sie dürften zwischen zwei Tarifvarianten wählen, die sich in nichts anderem unterscheiden mögen außer den Zinskonditionen. Der erste Tarif verbindet 3% Guthabenzins mit 5% Darlehenszins, während der zweite 10% Guthabenzins und 13% Darlehenszins aufweist. Wüssten Sie sofort, welcher besser ist? Gewiss nicht, denn das kann man ohne Kenntnis der Struktur von Spar- und Darlehensphase gar nicht. Je nach der Ausprägung von Sparbeiträgen und Annuitäten und evtl. auch dem Mindestsparguthaben ist nämlich mal die niedrigere, mal die höhere Zinskombination die bessere. Zum Beispiel ist bei acht Jahren Sparzeit und jährlichem Sparbeitrag und Annuität von jeweils 6.000 Euro trotz größerer Zinsspanne die
1
Anders als bei den oben behandelten Leistungen mit Hebelwirkung vollzieht sich im Bausparprodukt die Verbindung von Anlage und Finanzierung nicht simultan, sondern sequentiell und dadurch potenziell risikoärmer.
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7 Finanzdienstleistungen
in der Kritik
höhere Zinskombination besser. (Das Darlehen ist dann schon gut neun Jahre nach der Zuteilungszahlung abgetragen, bei der niedrigeren Zinskombination erst nach zehn Jahren).1) Verändert man in diesem Beispiel ausschließlich den Sparbeitrag, und zwar auf 5.000 Euro, so kippt das Ergebnis schon und es stellt sich eine drastische Vorteilhaftigkeit zugunsten der niedrigeren Zinskombination ein. (Die Darlehensphase ist dann gar um neun Jahre kürzer als mit der höheren Zinskombination.) Für eine ausführliche Analyse dieses „Zinsebenenproblems" verweisen wir den Interessierten auf die Fachliteratur.2) Doch zurück zur Vorteilhaftigkeitsfrage. Wir brauchen also zunächst den Bausparzahlungsstrom. Als Beispiel sei ein Standardtarif der Deutschen Bank Bauspar aus Stark (2003) gewählt. Seine resultierende Sparphase besteht aus 98 Monatsraten zu 500 Euro. Am Ende des 98. Monats zahlt die Bausparkasse die Bausparsumme von 100.000 Euro. Einen Monat später ist die erste von 96 Annuitäten zu monatlich 600 Euro fallig, wobei die Schlussrate etwas kleiner ist (450 Euro). Dieser Bausparzahlungsstrom ist repräsentativ für den Bausparmarkt und stimmt beispielsweise fast genau mit jenem im aktuellen Standardtarif von Schwäbisch Hall überein, obgleich dieser mit l%/3,75% ganz andere Zinskonditionen aufweist als der Deutsche Bank Tarif (2,5%/4,5%). Diesen Bausparzahlungsstrom zu beurteilen, zieht notwendig die Frage nach sich, wofür die Sparbeitragszahlungen denn alternativ hätten Verwendung finden können. Denn bewerten heißt vergleichen. Wer behauptet, die Bausparfinanzierung sei unvorteilhaft, muss zeigen, dass eine bessere Alternative besteht. Denn ohne irgendeinen Vergleichsmaßstab ist kein Werturteil möglich. Wer etwa von einer Immobilie sagt, sie sei zu teuer oder gefalle nicht, der denkt beim Aussprechen solch eines Werturteils - sei es bewusst, unterbewusst oder unbewusst - an ihm bekannte andere Immobilien, die billiger sind oder besser gefallen. Einen objektiven Maßstab für sich gibt es nicht. Als natürlicher Vergleichsmaßstab zur Bausparfinanzierung diene für die Sparphase ein Ratensparplan bei einer Bank, die Darlehensphase sei durch einen hypothekarischen Annuitätenkredit nachgebildet. Eine einfache Herangehensweise ist die Unterstellung eines bestimmten Guthabenzinsniveaus, von dem man wisse, dass es im Ratensparplan erreichbar ist. Wir wollen einmal 4% unterstellen, die wir also für den exakt gleichen Einzahlungsstrom wie bei dem zu beurteilenden Bausparzahlungsstrom erzielen. Nach 98 Monaten rufen wir unser Endguthaben aus dem Ratensparplan ab und nehmen bei einer Bank ein Darlehen in einer derart bemessenen Höhe auf, dass die Summe aus dem Endguthaben des Sparplans und
1
Gebühren in dieser und der folgenden Berechnung jeweils vernachlässigt; Bausparsumme jeweils 100.000 Euro.
2
Vgl. STARK (2003), S. 2 1 7 - 2 2 1 .
7.2 Ausgewählte
„kritische"
Finanzdienstleistungen
463
den Darlehensmitteln genau 100.000 beträgt. Damit haben wir bis jetzt wie bei der Bausparfinanzierung 98 Monate lang 500 Euro gespart und verfügen nach 98 Monaten über Zahlungsmittel von 100.000 Euro. Nun bedienen wir das Bankdarlehen wie es der Bausparkunde zu tun hat mit ebenfalls 600 Euro monatlich. Jetzt können wir jenen „kritischen Darlehenszins" berechnen, der für das Hypothekardarlehen gelten müsste, damit es zu exakt demselben Zeitpunkt abgetragen wäre wie das Bauspardarlehen. Dieser kritische Zins beträgt in unserem Falle 8,15%. Bei diesem Zinssatz bestünde vollkommene Zahlungsstrukturgleichheit zwischen Bausparfinanzierung und der Kombination aus Ratensparplan und Bankkredit („Freie Finanzierung"). Das heißt weiter, dass bei jedem Bankdarlehenszins unterhalb von 8,15% die Freie Finanzierung vorteilhafter wäre - denn die Dauer, während derer monatlich 600 Euro zu zahlen wären, ist dann kürzer als bei der Bausparfinanzierung - und bei jedem Bankdarlehenszins oberhalb von 8,15% die Freie Finanzierung unvorteilhafter wäre - denn die Dauer, während derer monatlich 600 Euro zu zahlen wären, ist dann länger als bei der Bausparfinanzierung. Somit verkürzt bzw. verlagert sich die Vorteilhaftigkeitsfrage unter den skizzierten Bedingungen auf jene nach dem acht Jahre später wohl geltenden Zinsniveau für Hypothekarkredite. Dieses kennt vorab freilich niemand. Einen guten Anhaltspunkt, um zumindest eine „langfristige Durchschnittsaussage" zur diskutierten Fragestellung machen zu können, stiftet aber die Differenz zwischen dem Guthabenzins des Banksparplanes und dem kritischen Darlehenszins. Diese ist mit 4,15% recht groß. Da die Zinskonditionen für Anlage- und Finanzierungsleistungen üblicherweise nur ein bis zwei Prozentpunkte voneinander abweichen und stark vom allgemeinen Zinsniveau am Finanzmarkt determiniert sind, das überdies langfristig nicht immer nur steigen kann, ist zu erwarten, dass zumeist eine Freie Finanzierung tatsächlich besser ist als eine Bausparfinanzierung. Eine historische Simulation bestätigt diese Vermutung.1) Allerdings mögen im Einzelfall hier nicht betrachtete qualitative Faktoren wie eine nachrangige Besicherung, Risikoaspekte oder die als einfacher empfundene Handhabbarkeit ein individualisiertes Vorteilhaftigkeitskalkül zugunsten der Bausparfinanzierung beeinflussen. Wir können aber festhalten, dass nach allen uns bekannten quantitativen Anhaltspunkten die Bausparfinanzierung im typischen Falle einer alternativen bausparfreien Gestaltung unterlegen ist.
1
Vgl. STARK (2003), Abschnitt 3.2.
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7 Finanzdienstleistungen in der Kritik
7.2.2.2 Tilgungsaussetzungsmodelle Kredite müssen nicht nur verzinst werden, sondern irgendwann einmal will die Schuld auch getilgt sein. Teils, z.B. im Staatsfinanzierungsgeschäft der Banken, wird eine gesamtfällige Tilgung (vgl. Abschnitt 3.6.2.1) vereinbart, also am letzten Tag der Darlehenslaufzeit die gesamte Schuld mit einer einzigen Zahlung beglichen. In vielen anderen Bereichen wie dem Privatkundengeschäft ist es aber üblich, dass der Schuldner über die gesamte Laufzeit hinweg neben Zinsleistungen auch Zahlungen zur schrittweisen Verringerung der Kreditschuld leistet. Nur in wenigen Ausnahmen wird hiervon abgewichen, etwa, wenn dem Kreditkunden eine gewisse Zeit der Tilgungsfreiheit zu Beginn der Laufzeit vertraglich eingeräumt wird; oder zuweilen verständigen sich die Vertragsparteien auch während der Kreditlaufzeit darauf, dass die vereinbarten laufenden Tilgungsleistungen für eine bestimmte Zeit ausgesetzt werden. Andere Ausnahmen sind Zwischenfinanzierungen im Bausparen (s. unten bei (3)) Daneben gibt es aber noch ganz bestimmte Modelle, die eine Tilgungsfreiheit bis zum Laufzeitende bewusst vorsehen. Allerdings wird bei diesen Modellen für einen solchen Verzicht auf laufende Tilgungen anders als bei den eben genannten Fällen der Tilgungsfreiheit eine „Ersatzleistung" gefordert, die der Schuldner in den sogenannten „Tilgungsersatz" zu investieren hat. Solche Vereinbarungen fasst die Praxis unter der Bezeichnung „Tilgungsaussetzungsmodelle" zusammen. Als Tilgungsersatz werden unterschiedliche Anlageformen angeboten. Das können Ratensparpläne, Bausparverträge, kapitalbildende Lebensversicherungen oder Investmentfondsanteile sein. Der Schuldner wird also zugleich Anleger und erwirbt mit den Tilgungsersatzzahlungen Eigentum am jeweiligen Anlagegegenstand. Die Verfügungsgewalt über dieses Eigentum tritt er üblicherweise an den Kreditgeber ab, dem es als (ggf. weitere) Pfandsicherheit für seine Forderungen gegen den Schuldner dient. Solange dieser aber seinen Verpflichtungen nachkommt, darf die Sicherheit auch vom Gläubiger nicht angetastet werden. Im Regelfalle ist vorgesehen, dass der Wert des Tilgungsersatzes gegen Ende der Kreditlaufzeit ausreicht, um aus dessen Liquidationserlös die Kreditschuld endfällig zu tilgen. Ist der Liquidationserlös größer als die Schuld, so bleibt dem Schuldner ein entsprechender Restwert. Ist der Liquidationserlös kleiner als die Schuld, so hat er den dann noch fehlenden Tilgungsbetrag aus anderen Quellen zu begleichen. Der wohl häufigste Anwendungsfall von Tilgungsaussetzungsmodellen ist in der privaten Immobilienfinanzierung zu finden.
7.2 Ausgewählte
(1)
„kritische"
Finanzdienstleistungen
465
Fondssparplan
Beispiel: Ein Privatmann erwirbt eine Immobilie, die er zu 100.000 Euro bei einer Bank fremdfinanziert. Das vollausgezahlte Darlehen ist mit 5,6566% p.a. zu verzinsen. Neben der üblichen Variante einer laufenden Tilgung von 1,3434% p.a. zuzüglich ersparter Zinsen (vgl. das letzte Beispiel in Abschnitt 2.3.2.1) wird ihm ein tilgungsfreies Darlehen angeboten, dass vorsieht, bis zum dreißigsten Jahr 1.343 Euro jährlich in einen Investmentfondssparplan zu investieren. Damit sind die Zahlungsströme bis vor dem Zeitpunkt t=30 für beide Varianten gleich. Einer Annuität von 7.000 Euro im einen Falle steht eine jährliche Zinszahlung von 5.657 Euro neben 1.343 Euro jährlichen Investitionsbetrags gegenüber. Der einzige Zahlungsunterschied entsteht in t=30. Beim Annuitätendarlehen ist mit der Zahlung der letzten Annuität die Darlehensschuld vollständig abgetragen, im Fall der Tilgungsaussetzung beträgt sie zunächst weiter den vollen Betrag der ursprünglichen Schuldsumme von 100.000 Euro und auf den Schuldner kommt noch eine Schlusszahlung zu. Das ist zumindest ziemlich sicher, denn der Wert der Fondsanteile wird sich nur zufällig auf genau 100.000 Euro belaufen. In Höhe des Differenzbetrages trifft den Investor eine letzte - positive oder negative Zahlung. Über Betrag und Vorzeichen dieser Zahlung lassen sich nur Vermutungen treffen. Somit ist diese Variante der Tilgungsaussetzung also riskant, was ihr zuweilen kritisch zur Last gelegt wird. Zumeist handelt es sich bei den Fondsanteilen um solche von Aktienfonds. Die Rentabilität von Aktienfondssparplänen über einen derart langen Zeitraum war in den möglichen Dreißigjahresperioden seit Bestehen des deutschen Investmentsparens in den fünfziger Jahren praktisch immer positiv, weil sich die Aktienmärkte entsprechend gut entwickelten. Über die Rentabilität in den nächsten dreißig Jahren wissen wir aber fast nichts. Die meisten Experten vermuten freilich, dass an den Aktienmärkten auch künftig eine Risikoprämie zu verdienen sein wird. Deren Höhe werden wir aber allenfalls nach Ablauf dieses Zeitraumes zweifelsfrei feststellen können - daher ist es ja eine Risikoprämie. Gleichwohl gibt es einen guten Eindruck über das „Erfolgspotenzial" dieser Tilgungsaussetzung, wenn man ein paar Szenarien durchrechnet. Wir tun das der Anschaulichkeit halber anhand verschiedener Annahmen über die Rentabilitätsgröße des Fondssparplanes. Was geschähe, wenn diese genau null wäre, also sehr enttäuschend ausfiele? In diesem Fall betrüge das Endguthaben der Fondsanteile gerade die nominale Investitionssumme von 30 mal 1.343 Euro. Das sind ziemlich genau 40.000 Euro und der Schuldner hätte noch 60.000 Euro an die Bank zu zahlen. Was geschähe, wenn die Rentabilität gerade dem Kreditzins entspräche, also immer noch etwas unterhalb der üblicherweise an Aktien(fonds)renditen gestellten Erwartungen bliebe? In diesem Fall gliche das Endguthaben aus den dreißig Ein-
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7 Finanzdienstleistungen
in der Kritik
Zahlungen in den Fondssparplan genau der nominalen Schuldsumme von 100.000 Euro und der Schuldner hätte an die Bank weder weitere Zahlungen zu leisten noch bliebe ihm etwas übrig. Dieses Ergebnis ist ganz natürlich, denn aus Sicht eines Schuldners ist jede Tilgungszahlung ja nichts anderes als eine „Anlage", die sich zum Satz des Kreditzinses rentiert. Rentiert eine andere Anlage ebenso, muss sie zum gleichen Endergebnis führen. Und wenn die Investitionsrentabilität tatsächlich das gewünschte tut und den Kreditzins überschreitet? Dann bleibt etwas übrig und zwar überproportional umso mehr, je höher die Rentabilität. Die Tabelle fasst einige Fälle zusammen: Investitionsrentabilität
Tab. 7.04:
Sparendguthaben
Nettoergebnis
-2%
30.520
-69.480
0%
40.290
-59.710
3%
63.894
-36.106
5,65%
100.000
0
7%
126.861
26.861
10%
220.915
120.915
12%
324.110
224.110
Ergebnisse der Tilgungsaussetzung für alternative Investitionsrenditen
Entscheidend sind die Einträge in der letzten Tabellenspalte. Man erkennt, dass das Nettoergebnis eine hohe Sensitivität in Bezug auf die Investitionsrentabilität aufweist. Werden statt sieben Prozent Rendite derer zehn erreicht, so vervierfacht sich das Nettoergebnis. Zwei weitere Prozentpunkte mehr brächten noch mal eine Verdoppelung. Allerdings spiegeln diese Sensitivitäten insoweit kein Risiko wider als die verbundenen Ergebnisse alle einen Vorteil gegenüber der Tilgungsvariante des Darlehens darstellen. Nicht zu verkennen ist freilich die Gefahr, dass das Nettoergebnis jenes der Tilgungsvariante (0 Euro) unterschreitet. Beurteilung: Der Kreditschuldner unterlässt es bewusst, ihm zur Verfügung stehende Mittel zur Abtragung seiner Schuld zu verwenden. Im Ergebnis ähnelt diese Tilgungsaussetzungsvariante einer kreditfinanzierten Investition in den Aktienmarkt, von der im Allgemeinen abgeraten wird. Wenn sich jedoch der Kreditnehmer der damit verbundenen Gefahren bewusst ist, so bestehen keine gravierenden Bedenken gegen diese Art der Tilgungsaussetzungsofferte als Angebot kombinierter Anlage- und Finanzierungsleistung. In Anbetracht der involvierten Anlage in Investmentfondsanteile ist an das hier unter 7.2.1.2 Gesagte zu erinnern.
7.2 Ausgewählte
(2)
„kritische"
Finanzdienstleistungen
467
Kapitallebensversicherung
Der klassische und wohl bei weitem häufigere Fall einer Tilgungsaussetzung erfolgt gegen eine Kapitallebensversicherung auf den Todes- und Erlebensfall (vgl. Abschnitt 4.3.2). Die durch die Tilgungsaussetzung eingesparten Mittel werden als Prämienzahlungen zur Besparung einer Kapitallebensversicherung verwendet. Die Versicherungs- und Prämienzahlungsdauer stimmen mit der Laufzeit des gesamtfälligen Darlehens überein. Die Ansprüche aus der Versicherungspolice für den Todes- wie Erlebensfall werden an den Kreditgeber als Darlehenssicherheit abgetreten. Im Fälligkeitszeitpunkt soll das Darlehen mit der Lebensversicherungszahlung (Ablaufleistung) getilgt werden, wobei die Differenzen wieder zugunsten/zulasten des Kreditnehmers gehen. Stirbt der Kreditnehmer vor Ablauf der Vertragslaufzeit, so dient die Todesfallzahlung zur vorzeitigen Ablösung auch des Kreditvertrages. Zu beachten ist, dass die garantierte Zahlung des Versicherungsunternehmens am Ende der Versicherungsdauer, also in der Regel die Versicherungssumme, die mit den eingesparten Tilgungszahlungen begründet werden kann, regelmäßig nicht ausreicht, den Kredit abzulösen. Dies liegt daran, dass die garantierte Verzinsung in der Lebensversicherung praktisch immer unterhalb des Kreditzinssatzes liegt, und zudem nicht der gesamte Prämienanteil in den Sparvorgang bei der Kapitallebensversicherung fließt (vgl. zur Prämienkalkulation Abschnitt 4.3.2.3). Ein vollständiger Ausgleich gelingt nur, wenn die im Vorhinein ja nicht bekannte Überschussbeteiligung entsprechend hoch genug ausfällt. Insofern besteht hier das gleiche Problem wie bei der Aussetzung gegen einen Investmentfondssparplan: der Kreditnehmer weiß nicht, ob noch vorhanden und falls ja, wie hoch seine Restschuld am Laufzeitende sein wird. Dieses Problem wird zuweilen so gelöst, dass eine entsprechend erhöhte Versicherungssumme abgeschlossen wird. Freilich ist dann die Summe aus laufenden Zins- und Prämienzahlungen aber höher als beim vergleichbaren Annuitätendarlehen. Somit sind wir bezüglich der Beurteilung dieses Tilgungsaussetzungsmodells fast schon zurückgeworfen auf die oben unter 7.2.1.1 als nicht generell beantwortbar erkannte Frage nach der Rentabilität aus einer Kapitallebensversicherung. Es gibt aber einige Spezifika, welche die Beurteilung erleichtern: •
Die Kapitalanlagen, die das Versicherungsunternehmen mit den Sparanteilen der Prämien zugunsten der Versicherungskunden begründet, bestehen ganz überwiegend aus festverzinslichen Forderungen, insbesondere Staatsanleihen, Pfandbriefen und ähnlichen Wertpapieren von hoher Sicherheit. Daher kann man von der Rentabilität einer Kapitallebensversicherung auch wenn wir um deren Höhe nicht genau wissen - doch immerhin sagen, dass sie sie das Renditenniveau von Staatsanleihen schon von ihrer traditionell sicherheitsbetonten Konzeption her nicht weit übertreffen kann. Berücksichtigt man zusätzlich, dass einerseits die Kosten innerhalb der Kapi-
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7 Finanzdienstleistungen
in der Kritik
tallebensversicherung kein unerheblicher Posten sind und andererseits die Kreditzinsen einer Immobilienfinanzierung regelmäßig über den beim Abschluss des Kreditvertrages vorherrschenden Anleiherenditen liegen müssen, so erkennt man den schmalen Grat, auf dem das Modell einer Tilgungsaussetzung zugunsten einer Kapitallebensversicherung wandert. •
Außerdem ist bekannt, dass die Todesfallversicherung innerhalb des intransparenten Ablaufes einer Kapitallebensversicherung häufig teurer ist als in einer einfachen Risikolebensversicherung. Das stellt die übergeordnete Vorteilhaftigkeit dieses Tilgungsaussetzungsmodells ferner in Frage.
Wir wollen uns mit diesen Aspekten und der Vorteilhaftigkeitsfrage anhand eines typischen Beispiels beschäftigen. Zu diesem Zweck nutzen wir wieder das oben genannte Beispiel einer Annuitätenfinanzierung, das wir aus Gründen der Vergleichbarkeit noch um den Abschluss einer Restschuldversicherung erweitern müssen. Dazu nehmen wir an, der Darlehensnehmer sei ein dreißigjähriger, gesunder nichtrauchender Mann. Dann beträgt die Jahresprämie bei einem durchschnittlich günstigen Versicherer rund 100 Euro. Somit erhöht sich die gesamte jährlich aufzubringende Zahlungslast für Annuität und Restschuldversicherungsprämie also auf 7.100 Euro. Damit bleiben jetzt 1.334 + 100 = 1.434 Euro, die innerhalb eines Tilgungsaussetzungsmodells für eine Kapitallebensversicherungsprämie verwendet werden. Mit dieser Prämie erreicht man typischerweise eine Versicherungssumme von rund 50.000 Euro plus einer in Aussicht gestellten Überschussbeteiligung, die beispielsweise bei der Allianz Lebensversicherung 35.000 Euro beträgt. Damit stünden also im Fall eines Eintreffens dieser prognostizierten Überschussleistung nur 85.000 Euro zur Verfügung. Dieses Ergebnis kann zwar bei günstiger Entwicklung oder einem leistungsstärkeren Versicherer übertroffen, bei schlechter Entwicklung oder einem leistungsschwächeren Versicherer aber auch verfehlt werden. Im Ergebnis 1.
tauscht der Kunde mit der Tilgungsaussetzung die sichere Annuitätentilgung gegen eine unsichere Aussetzungsvariante ein.
2.
Nur bei sehr günstiger Entwicklung der Überschussbeteiligung stellt er sich besser.
3.
Die Überschussbeteiligung wird in der Regel umso höher sein, je höher das Zinsniveau am Finanzmarkt über die dreißigjährige Laufzeit sein wird. Wenn der Kreditzins entgegen der hier vereinfachend unterstellten - und auch in der Praxis realisierbaren - Annahme, er sei für die gesamte Laufzeit festgelegt, nur für die üblichen revolvierenden Zinsbindungsfristen von jeweils zehn Jahren gilt, so geht eine höhere Überschussbeteiligung in der Kapitallebensversicherung aber auch tendenziell mit einer höheren Gesamtzinsbelastung über die gesamten 30 Jahre einher. Denn die Lebensversiche-
7.2 Ausgewählte
„kritische"
Finanzdienstleistungen
469
rer erzielen hauptsächlich dann höhere Erträge, wenn das Zinsniveau ansteigt. Auch unter diesem Blickwinkel sind also nur wenige Umweltzustandskonstellationen vorstellbar, unter denen die Tilgungsaussetzung mit Kapitallebensversicherung einen Vorteil gegenüber der annuitätischen Entschuldung verspräche. Wenn der Leser sich nun fragt, welcher Finanzierungskunde dann überhaupt ein Modell mit diesen Konditionen abschlösse, so gilt es zu bedenken, dass üblicherweise vor dem Abschluss eines solchen die von uns hier zu Zwecken der Erläuterung angestrengte Vergleichsrechnung gerade nicht betrieben wird. Des Weiteren können steuerliche Aspekte die Vorteilhaftigkeit zugunsten der Tilgungsaussetzung beeinflussen, weil die eventuell als Werbungskosten absetzbaren Kreditzinsen (nämlich bei Immobilien, die der Schuldner nicht selbst bewohnt, sondern zur Erzielung von Einkünften vermietet) in summa über die Laufzeit bei einer Tilgungsaussetzung naturgemäß höher sind als bei der annuitätischen Finanzierung mit ihrer mit fortschreitender Zeit abnehmenden Restschuld. Allerdings wird der Einfluss dieses Aspektes häufig überschätzt und Konstellationen, in denen daraus eine Verkehrung der Vorteilhaftigkeit resultiert, bleiben auf Einzelfälle beschränkt. Zudem wird das Modell häufig bei solchen Finanzierungen durchgeführt, in denen steuerliche Aspekte eine nur untergeordnete Rolle spielen, wie der Finanzierung von Einfamilienhäusern. Der häufig von Seiten der Anbieter genannte besondere Vorteil, die Tilgungsaussetzung über eine Kapitallebensversicherung biete „für den Todesfall Versicherungsschutz" und mache die Finanzierung damit sicherer, verkürzt die Vergleichsproblematik in unzulässiger Weise. Zum Abschluss sollte gerade bei diesem Modell ein kurzer Blick auf die Ertragsmöglichkeiten der Anbieterseite nicht ausbleiben. Zum einen ist generell das Ertragspotenzial bei der Tilgungsaussetzung schon deswegen höher, weil dadurch das kumulierte Geschäftsvolumen aus den zwei Verträgen „tilgungsfreies Darlehen und Kapitallebensversicherung" größer ist als bei „Annuitätendarlehen plus Restschuldversicherung". (Zuweilen lässt sich (deswegen) bei der Tilgungsaussetzung immerhin ein etwas besserer Zinssatz aushandeln als bei einem Annuitätendarlehen.) Zum anderen ist eine Kapitallebensversicherung erheblich margenträchtiger als eine Restschuldversicherung. Betrachten wir den klassischen Fall, dass die Finanzierung von einer Bank arrangiert wird, welche die Darlehensmittel selbst vergibt, aber für das jeweilige Versicherungsprodukt den Kunden an eine Versicherungstochter im Konzernverbund vermittelt. Die resultierende Vermittlungsprovision beträgt dann: -
im Annuitätenfall ungefähr 100 bis 300 Euro für die Restschuldversicherung im Aussetzungsfall ungefähr 1.000 bis 3.000 Euro für die Kapitallebensversicherung.
470
7 Finanzdienstleistungen
in der Kritik
Außerdem ergibt sich im letztgenannten Fall in der Regel ein höheres Zinsmargenvolumen aus der Finanzierung. Angesichts dieser erheblichen Unterschiede erübrigt sich die Suche nach weiteren Gründen, wenn man unterstellt, dass der Anbieter seinen Verdienst aus der Kundenbeziehung kurzfristig maximieren möchte. Diesen Vorwurf wollen wir hier nicht als grundsätzlich gültig unterstützen, doch ist davon auszugehen, dass häufig tatsächlich das Provisionskalkül des Anbieters über die Finanzierungsvariante entscheidet. Wir kommen darauf noch im Allgemeinen im Abschnitt 7.3.1 zurück. Auf jeden Fall ist die Kritik an diesem Tilgungsaussetzungsmodell schon insofern berechtigt als es dem Finanzdienstleister kundenunfreundliche Anreize setzt. Wie häufig die Finanzierungspraxis diesem Anreiz tatsächlich erliegt, kann hier nicht beurteilt werden. (3)
Bausparsofortfinanzierung
Neben herkömmlichen Bauspardarlehen gewähren Bausparkassen im Zusammenhang mit Bausparverträgen auch Darlehen außerhalb ihres Kollektivgeschäfts. Die Bausparpraxis kennt dabei drei unterschiedliche Varianten, die mit folgenden oder ähnlichen Begriffen bezeichnet werden: •
Zwischenfinanzierung: Ein Darlehen, das einem Bausparer gewährt wird, dessen Bausparvertrag das Mindestsparguthaben zwar schon erreicht hat, der aber noch nicht zugeteilt ist. Die Zwischenfinanzierung stellt Mittel bis zur Höhe der Bausparsumme bereit, das Zwischendarlehen wird mit der Zuteilungszahlung gesamtfällig getilgt.
•
Vorfinanzierung: Ein Darlehen, das einem Bausparer gewährt wird, dessen bestehender Bausparvertrag ein Guthaben unterhalb des Mindestsparguthabens aufweist. Die Vorfinanzierung des Vertrages stellt Mittel bis zur Höhe der Bausparsumme bereit, auch dieses Darlehen wird mit der späteren Zahlung aus der Vertragszuteilung gesamtfällig getilgt.
•
Sofortfinanzierung: Ein Darlehen, das in Verbindung mit einem neu abgeschlossenen Bausparvertrag, der noch über kein Guthaben verfügt, in Höhe von dessen Bausparsumme gewährt wird. Die Tilgung erfolgt wiederum endfällig mit der Zuteilungszahlung.
Wir wollen hier ausschließlich die dritte Variante untersuchen, wobei die Ergebnisse wegen der Produktähnlichkeit tendenziell auch auf die Vorfinanzierung gering besparter Bausparverträge übertragbar sind. Ein typisches Angebot lautet (Deutsche Bank Bauspar AG, Mai 2007): •
Es wird ein Bausparvertrag über eine Summe von 100.000 Euro abgeschlossen, der voraussichtlich 124 Monate mit 400 Euro monatlich bespart wird.
•
Zugleich wird ein tilgungsfreies Sofortdarlehen zu einem Zins von 5,2% p.a. gewährt, es sind also monatlich 433 Euro Zinsen zu zahlen.
7.2 Ausgewählte
„kritische"
Finanzdienstleistungen
471
•
Nach Ablauf der Sparzeit von 124 Monaten wird das Sofortdarlehen voraussichtlich durch die Zuteilungszahlung getilgt.
•
Fortan besteht ein Bauspardarlehen, das durch 159 Monatsraten zu 400 Euro abgetragen wird (Zinssatz 3,5%).
Aus Sicht des Kunden entsteht ein Zahlungsstrom, der dem eines herkömmlichen Kredites ähnelt: Er erhält im Abschlusszeitpunkt einen größeren Geldbetrag und muss dann jeden Monat einen kleineren Betrag zahlen, wobei dieser sich allerdings nach 124 Monaten von 833 auf 400 Euro reduziert. Die Zuteilung der Bausparsumme „spürt" er kaum, weil Zuteilungszahlung und Tilgung des Sofortdarlehens in ihrer Zahlungswirkung einander neutralisieren. So weit ein Beispielsfall eines Modells, das von Verbraucherschützern stark kritisiert wird, von der Anbieterseite aber viel beworben wird. Wir greifen die zwei wichtigsten Argumente der Deutschen Bank Bauspar heraus, die für das Modell sprechen sollen: 1.
Günstige Zinssätze während der gesamten Laufzeit.
2.
Zinssicherheit für die gesamte Darlehenslaufzeit.
zu 1.: Gemeint ist offenbar, dass die Zinssätze von Sofortdarlehen und noch mehr des Bauspardarlehens ein recht niedriges Niveau aufweisen, so dass während der gesamten Laufzeit geringe Zinsen zu zahlen seien. Beurteilung: Zu hinterfragen ist zunächst, ob dieser Zahlungsstrom, also der Erhalt von 100.000 Euro gegen die Verpflichtung zur Leistung von 124 anschließenden Monatszahlungen von 833 Euro und daraufhin weiteren 159 Monatszahlungen von 400 Euro, einer vorteilhaften Kondition entspricht. Dazu kann man zuerst einmal den effektiven Jahreszins (vgl. Abschnitt 2.1.3) dieses Zahlungsstroms ausrechnen. Er beträgt 6,24%. Das ist zum einen erheblich mehr als der Bauspardarlehenszins und auch der Zinssatz des Sofortdarlehens vermuten ließen und zum anderen auch mehr als bei einer zahlungsstrukturidentischen Finanzierung bei einer Nicht-Bausparkasse zum Tragen käme. Deren Sätze lagen zeitpunktgleich im Gros bei etwas über 5%, der beste Wert bei 4,85% effektivem Jahreszins. Das bedeutet: Würde derselbe Strom an RückZahlungsleistungen bei einem anderen Finanzintermediär im Rahmen eines herkömmlichen Annuitätendarlehens vereinbart, so wäre der ausgezahlte Kreditbetrag um bis zu 10.000 Euro höher wohlgemerkt bei absolut identischen Zahlungen seitens des Kunden. Das Argument des günstigen Zinssatzes trifft also keineswegs zu - das Gegenteil ist der Fall, es handelt sich um eine ausgesprochen teure Finanzierungsvariante. Die Fokussierung auf die beiden Darlehenssätze allein führt vielmehr in die Irre, weil
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7 Finanzdienstleistungen
in der Kritik
damit die niedrige Rentabilität des Bausparguthabens unzulässigerweise ausgeblendet wird. Es bleibt (zu oben 2.) das Argument der Zinssicherheit zu prüfen. Es spielt wohl an auf das üblicherweise vorhandene Zinsrisiko herkömmlicher Annuitätendarlehen, das darin besteht, dass im typischen Fall der Zinssatz nur für eine Zinsbindungsfrist von oftmals zehn Jahren gilt. Somit ist der Kreditnehmer in der Tat einer erheblichen Gefahr ausgesetzt, weil seine weitere finanzielle Belastung von jenem praktisch nicht prognostizierbaren Zinsniveau, das genau zehn Jahre später am Finanzmarkt herrschen wird, abhängt. Doch ist zum einen dieses Risiko auch beim herkömmlichen Annuitätendarlehen durchaus vermeidbar, indem eine für die gesamte Laufzeit gültige Zinsbindung vereinbart wird. Die oben genannte Konkurrenzkondition von etwa 5% galt tatsächlich dem Angebot von Krediten mit einer solchen, für den gesamten Zeitraum festgelegten Zinsbindung. Zum anderen ist die Behauptung der Zinssicherheit für die gesamte Laufzeit nicht einmal formal richtig: Denn die Bausparkasse darf den Bauspardarlehenszins „ohne Einverständnis des Bausparers, aber mit Zustimmung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht... mit Wirkung für bestehende Verträge ändern" (§ 21 Abs. 2 der Allgemeinen Bedingungen für Bausparverträge). Durchgeführt würde eine solche Maßnahme, die bislang noch nie ergriffen werden musste, vermutlich nur in einem Umfeld extremer hoher Finanzmarktzinsen. Allerdings sind es ja gerade solche Extremszenarien, in denen Zinssicherheit tatsächlich einen besonderen Wert genösse. Und die Gläubiger bausparfreier Immobilienkredite behalten sich kein Recht vor, in schlechten Zeiten ihre Schuldner mit höheren Zinsen zur Kasse bitten zu dürfen. Zudem betrifft die Behauptung nicht die hier relevante Kategorie. Zwar weiß der Kunde bei der Sofortfinanzierung tatsächlich von vornherein um die Darlehenszinssätze von sowohl dem Sofortdarlehen als auch dem Bauspardarlehen. Aber er kann nicht sicher sein, welcher Zins wie lange gilt, da der Zuteilungszeitpunkt gerade nicht feststeht, sondern nur nach unverbindlichen Berechnungen in Aussicht gestellt wird. Somit hat der Kunde gerade auch keine Sicherheit über den genauen Zahlungsstrom während der nächsten ca. 25 Jahre. Und allein auf den Zahlungsstrom kommt es letztlich an. Es gilt immer: Wer seinen Zahlungsstrom ex ante genau kennt, der braucht über die zugrundeliegenden Zinssätze eigentlich überhaupt nichts zu wissen - und nicht etwa andersherum. Wer also Sicherheit begehrt, der benötigt ein ganz einfaches Annuitätendarlehen mit fester Zinsbindung für die gesamte Laufzeit und keine Bausparsofortfinanzierung, die zudem noch regelmäßig erheblich teurer ist. Die Kritik an einer Tilgungsaussetzung gegen die Besparung eines Bausparvertrages wird also völlig zu Recht geübt.
7.3 Finanzdienstleistungsvertrieb,
-information und -Werbung
473
Wir wollen ein Resümee ziehen: Tilgungsaussetzungsmodelle sind relativ komplexe Angebote zweifelhaften Nutzens. Allerdings ist das Urteil im Hinblick auf den gewählten Tilgungsersatz zu differenzieren. Während eine Tilgungsaussetzung zugunsten einer Aktienfondsanlage spekulativ ist, aber durchaus erfolgreich enden kann, ist das im Falle des Tilgungsvehikels Kapitallebensversicherung doch sehr in Zweifel zu ziehen und schließlich im Falle des Bausparvertrages so gut wie ausgeschlossen.
7.3
Finanzdienstleistungsvertrieb, -information und -Werbung
7.3.1
Allgemeine Kritik an Beratungs- bzw. Vermittlungsleistungen
Finanzdienstleistungen finden wie andere Leistungen auch auf insbesondere zwei Arten ihren Weg zum Leistungsempfänger: •
Sie werden auf Initiative des Kunden erworben, der sich eigenständig entschieden hat, und beispielsweise deswegen eine Bankfiliale aufsucht, um 225 Anteile am Investmentfonds mit der WKN 980230 zu erwerben.
•
Oder die Initiative geht von einem Finanzdienstleister aus, der z.B. einen seiner Kunden anruft und diesem nahelegt, in Aktien eines vietnamesischen Kakaoproduzenten zu investieren.
Der erste Fall steht weniger im Zentrum der Kritik als der zweite, weil der Kunde im ersten Falle sozusagen als „selbstverantwortlich" für die Folgen der Investitionsentscheidung angesehen wird. Unsere Betrachtungen beziehen sich auf den zweiten Fall. „Mischfälle", wie etwa jenen Kunden, der mit relativ festen Zielvorstellungen eigeninitiativ das Gespräch mit einem Finanzdienstleister sucht und sich erst dann endgültig entscheidet, werden nicht explizit betrachtet. Wie in der Vorbemerkung zu diesem Kapitel 7 erläutert, erfolgen die hier zu machenden Ausführungen nun ausschließlich unter dem Blickwinkel der geübten Vetriebspraktiken, es geht hingegen nicht mehr um die bisher behandelte Qualität einer wie auch immer vertriebenen Finanzdienstleistung an sich. Ein wesentlicher Anstoßpunkt für jene Finanzdienstleistungskritik, die man eben als Kritik am Vertrieb einordnen muss, ist der Sachverhalt, dass der Verkäufer bzw. Vermittler einer Finanzdienstleistung sich zugleich als Berater geriert oder eine Beratung zumindest von ihm erwartet wird. Dieser Aspekt des Finanzdienstleistungsvertriebs ist aber nicht finanzspezifisch. So erwartet und erhält man regelmäßig auch bei nichtfinanziellen Dienstleistungen oder Sachleistungen vom Schuh- bis zum Autoverkäufer eine die Verkaufsbemühungen begleitende, mehr oder weniger profunde Beratungsleistung. In die Kritik ist aber insofern einzustimmen als dass Finanzdienstleister häufig in ihrem Marktauftritt eine ganz besondere Beratungskompetenz herausstreichen und oftmals den Eindruck erwecken
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7 Finanzdienstleistungen
in der Kritik
als bestünde ihr eigentlich zentrales Anliegen - der Absatz ihrer oder die Vermittlung fremder Leistungen - überhaupt gar nicht. So existieren in Deutschland viele kleinere und einige sehr große Gesellschaften, die mit dem Etikett der Beratungsleistung operieren, obgleich ihr wesentlicher und einzig umsatzbringender Unternehmensgegenstand die Vermittlung von Finanzdienstleistungen anderer Finanzdienstleister (Finanzintermediäre) - hauptsächlich an Private - ist. Diese Gesellschaften bemühen sich geradezu darum, ihre Wahrnehmung am Markt auf das Prädikat „Beratung" hin- und vom Verkauf wegzulenken. Suggeriert wird dies mit Schlagwörtern wie „objektiver Vermögensberatung", „unabhängiger Finanzoptimerung" und ähnlichem. Damit entsteht eine beträchtliche Diskrepanz zwischen beabsichtigter Außenwirkung dieser vermittelnden Finanzdienstleister und ihrer de facto gelebten Innenkultur, die nämlich den Verkauf in den Mittelpunkt ihrer Anstrengungen stellt. So richtet sich die Entlohnung ihrer Mitarbeiter - die als „Berater", nicht etwa „Verkäufer" bezeichnet werden - denn auch sehr stark, häufig ausschließlich, nach deren Umsatz. Das Bekenntnis, dass langfristig nur der gut beratene Kunde den Unternehmenserfolg sichere, dürfte häufig doch der kurzfristigen Notwendigkeit nach Umsatzerzielung geopfert werden müssen. Dies ist im finanzintermediären Geschäft im engeren Sinne - also Finanzdienstleistung ohne Vermittlung (vgl. Abschnitt 1.1.2.1) - traditionell anders. So unterhalten etwa Sparkassen oder private Universalbanken Mitarbeiter in der „Kundenberatung", deren Entlohnung zum großen Teil unabhängig davon ist, wie viele Kredite oder Einlagen die betreuten Kunden bei dem Kreditinstitut kontrahieren. Gleichwohl führt auch hier selbstverständlich nichts daran vorbei, dass der Finanzintermediär seine Mitarbeiter zum Absatz von Geschäft anhalten muss.
Provisionen für Beratung: Die Beratungsleistung eines Finanzdienstleisters wird häufig über Vermittlungsprovisionen vergütet, die der Anlageanbieter (zum Beispiel eine Versicherung, Bank oder Kapitalanlagegesellschaft) an den vermittelnden Berater (etwa ein freier Berater oder ein Anlageberater einer Bank) bzw. dessen Arbeitgeber zahlt. Hieran ist nichts zu ändern, denn irgendwie muss die Beratungsleistung bezahlt werden und die reine Honorarberatung ist ein Ausnahmefall. Allerdings wird die Provisionshöhe in der Regel dem Kunden nicht bekannt gemacht, so dass dieser nicht weiß, was die Beratungs- und Vermittlungsleistung, die letztlich doch der Kunde trägt und zwar auch für solche Beratungs-/Verkaufsbemühungen, die durch Interessenten entstanden, die später nicht Kunde wurden - an Kosten verursacht. Häufig bewegt sich die Provision im Bereich von 1 bis 5 Prozent der angelegten oder aufgenommenen (Kreditprovision) Geldsumme. Daher ist zu bedenken, dass Anlagen, die mit einer begleitenden Beratung versehen sind, zwangsläufig mit höheren impliziten Transaktionskosten belastet sind, zumal der gewonnene Kunde die Kosten der Beratung des nichtgewonnenen Kunden mitzutragen hat. Entscheidend ist, ob der Anleger denn der Beratung bedarf und falls ja, ob die Beratung gut ist oder womöglich gerade die Provisionsentlohnung eine gute Beratung vereitelt.
7.3 Finanzdienstleistungsvertrieb,
-information und -Werbung
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Das zentrale Problem jeder als Beratung verschleierter Verkaufstätigkeit ist eine ausgesprochene Disharmonie zwischen den Zielen von Verkäufern und Kunden: Ganz häufig ist bei Finanzdienstleistungen das, was für den Kunden gut ist, leider schlecht für den Verkäufer/V ermittler und das was für den Kunden schlecht ist, gut für den Vermittler. Dieser auch mit noch so ziselierten Konzepten ganzheitlicher oder sonstwie verzauberter „Beratung" nicht zu eliminierende, natürliche finanzwirtschaftliche Zusammenhang hat einen ganz einfachen Grund: Jeder Cent, der innerhalb einer Finanzdienstleistung vom Finanzdienstleister vereinnahmt wird, kann nicht mehr dem Kunden zugute kommen und zehrt an dessen Rendite bzw. erhöht seine Finanzierungskosten. So -
verdient eine Bank umso mehr im Effekten- und Investmentgeschäft, je stärker sie ihre Kunden zum Handel mit Wertpapieren bzw. der Umschichtung von Investmentfondsanteilen animieren kann, verdient ein Vermittler umso mehr, je höher der Provisionssatz einer Lebensversicherung bemessen ist und je höher die Versicherungssummen ausfallen, von dessen Abschluss er seine Kunden zu überzeugen vermochte, gleich, ob diese der Versicherungsleistung überhaupt bedürfen oder nicht,
-
verdient eine Bank umso mehr Zinsmargenbeträge, je größer der Kreditzinssatz und je höher das kreditierte Volumen.
Diese Problematik verschärft sich durch ein natürliches Kompetenzgefälle zwischen Kunden und Finanzdienstleister, das unter anderem deswegen erheblicher ausgeprägt zu sein scheint als bei Sachleistungen, weil der „Preis" der verkäuferischen Leistung für den Externen schwer abzuschätzen ist. So hat der Schuh- wie der Autokäufer in der Regel eine gewisse Vorstellung von dem Charakter des Handelsgeschäftes, das der Verkäufer betreibt und auch eine im Alltagsleben anerworbene Sachkundschaft, die ihm bezüglich der Preiswürdigkeit offerierter Sachleistungen mehr oder weniger fundierte Preisvergleiche anzustellen in die Lage versetzt. Aus irgendeinem Grund ist das bei Finanzdienstleistungen ein wenig anders. Der Kunde hat oft nur geringe Kenntnis von der Kalkulation des Verkäufers oder Vermittlers. So wissen beispielsweise viele Bankkunden nicht, dass die ihnen verkauften Aktien- und Immobilienfondsanteile ein Agio von üblicherweise 5% der Anlagesumme gekostet haben, obwohl das mit ein wenig Sachverstand und etwas Zeit doch recht problemlos den entsprechenden Vertragsunterlagen zu entnehmen ist. Hinzu kommt, dass viele Finanzdienstleistungsempfänger, anders als beim Kauf von Schuhen oder Automobilen, bei einem Vergleich von nicht vollständig übereinstimmenden Leistungen die Preiswürdigkeit der Unterschiede nicht sachkundig beurteilen können. So fällt es ihnen etwa schwer, den gerechtfertigten Prämienunterschied für eine Unfallzusatzversicherung in Lebensversicherungsprodukten oder den Wert einer höheren Witwenrente beim Abschluss privater Rentenversicherungen zu bewerten. Gleiches gilt erst recht von der Beurteilung bedingter Leistungen in modernen Finanzprodukten, wie wir sie im Abschnitt 7.2.1.3 besprochen haben.
476
7 Finanzdienstleistungen
in der Kritik
Von solchen Beispielen ließen sich noch vielerlei mehr anführen. Und genau diese Kundeniiberforderung in der vielzitierten „Unüberschaubarkeit" der Finanzangebote adressieren ja die „Beratungsansätze" zahlreicher Vertriebsorganisationen in ihren Konzepten. Ihr besonderer Hinweis gilt dabei ihrer Unabhängigkeit, weil sie für viele verschiedene Finanzintermediäre vermittelnd tätig sind und nicht nur für einen einzigen. Das Argument ist zwar grundsätzlich nachvollziehbar, entbindet aber ihre Mitarbeiter nicht im mindesten von dem Druck, ihr Einkommen über den Absatz entsprechend attraktiv verprovisionierter Finanzdienstleistungen zu erzielen. So verteilen sich die von diesen Vermittlungsgesellschaften an ihre Kunden abgesetzten Finanzdienstleistungen denn durchaus auf mehrere Finanzintermediäre; nur gehören dazu typischerweise gerade jene nicht, die in fürwahr objektiven Vergleichen regelmäßig als besonders günstig auffallen. Fazit: Die Kritik hat recht, wenn sie den Finanzdienstleistungskunden häufig als überfordert ansieht. Sie hat natürlich weiter recht, wenn sie den Verkäufern Eigeninteressen unterstellt. Und nach der herrschenden Sachlage hat sie wohl auch recht, wenn sie behauptet, dass diese oftmals ihre eigenen Verkaufsinteressen über die ihrer Kunden stellen und ihren Kompetenzvorsprung auszunutzen wissen, was den Kunden zu suboptimalen Ergebnissen verhilft. Sollte uns all das verwundern? Finanzdienstleister sind auch nur Gewerbetreibende, also wie Schuh- und Automobilhändler auf Maximierung ihrer Gewinne fixiert, und dieses Ziel deckt sich nun einmal häufig nicht mit dem der Kunden. Etwas härter finden sich diese doch eigentlich recht klaren Verhältnisse in Thomas Manns Kaufmannsroman „Buddenbrooks" in dem ebenso klaren, etwas überspitzten Ausspruch beschrieben: „Eigentlich und bei Lichte besehen sei doch jeder Geschäftsmann ein Gauner". Was bliebe, diesem Umstände abzuhelfen? Insbesondere zwei Lösungsansätze sind vorstellbar: 1.
Der Finanzdienstleistungskunde beseitigt oder vermindert die attestierte Informationsasymmetrie, indem er entsprechend aufbereitete Fachinformationen nutzt oder z.B. dieses Buch liest, oder
2.
der Kunde unterlässt diese zugestandenermaßen zeitraubende Lösung und versucht, eine Zielharmonie zwischen Berater- und Eigeninteresse herzustellen, indem er einen „echten" Berater anheuert, der ausschließlich an Honoraren verdient.
Die Honorarberatung ist der kurzfristig teurere, aber vermutlich langfristig günstigere Weg in der Finanzgestaltung bzw. der Inanspruchnahme von Finanzdienstleistungen. Sie wird in Deutschland seit geraumer Zeit angeboten, macht aber gleichwohl nur einen verschwindend geringen Bruchteil des maßgeblichen Marktes aus.
7.3 Finanzdienstleistungsvertrieb, -information und -Werbung
7.3.2
477
Kritik an ausgewählten Informationsleistungen
7.3.2.1 Börsendienstliche Anlageempfehlungen und -systeme (1)
Börsendienste - Bärendienste?
Zu den Finanzdienstleistungen im weiteren Sinne gehören auch Informationsleistungen von Börsendiensten (vgl. Abschnitt 1.1.2.3 (2)). Trotz ihrer Beliebtheit beim Anlagepublikum wird von der Finanzierungswissenschaft immer wieder Kritik an ihrer Nützlichkeit vorgetragen. Im Kern geht es um eine einzige Fragestellung: Erzielt der Anleger, der den Hinweisen dieser professionellen Empfehlungsgeber folgt, überdurchschnittliche Anlageergebnisse? Damit dies möglich ist, müssen zwei Voraussetzungen gegeben sein: 1. Den Empfehlungsgebern müssen dauerhaft erfolgreiche Prognosen über die künftigen Wertpapierpreise gelingen. 2. Die Veröffentlichung der Prognosen, die mit dem Betreiben eines Börsendienstes zwangsläufig einhergeht, darf nicht dazu führen, dass die Börsenpreise der empfohlenen Wertpapiere so stark auf eine Empfehlung reagieren, dass die Empfehlung obsolet wird. Anders gesagt: „Der Markt" in seiner Breite darf den publizierten Empfehlungen keinen besonderen Glauben schenken, obgleich diese sich langfristig immer wieder als korrekt erweisen müssten. Die Empfehlungsgeber müssen also dem Markt in der Tat ein gutes Stück voraus sein. Das ist keine geringe Voraussetzung. Des Weiteren darf die Menge der Empfehlungsnehmer keinen zu großen Einfluss auf das Kursgeschehen haben.
Prognosen: „Vor Prognosen soll man sich unbedingt hüten, vor allem vor solchen über die Zukunft." (Mark Twain)
Einschätzungen über die Zukunft werden häufig unter dem Begriff der „Prognose" verbreitet. Letztlich können seriöse Prognostiker auch nichts anderes als einen statistischen Erwartungswert schätzen, aber der Anspruch, den Anbieter und Nachfrager von Prognosen an diese stellen, ist häufig höher gesetzt und teilt der Prognose eher den Charakter einer Prophezeiung zu, verbunden mit der entsprechenden Enttäuschung, wenn diese nicht eintritt. Es soll hier nicht über Prognosen und ihre Treffergenauigkeit im Allgemeinen referiert werden. Doch eine Binsenweisheit sollte man bei der Lektüre einer Prognose immer berücksichtigen: sie wird vermutlich nicht eintreffen. Dieser Grundsatz ist praktisch unabhängig vom prognostizierten Gegenstand, wenngleich natürlich erhebliche graduelle Unterschiede in der Prognostizierbarkeit von Größen bestehen. So lässt sich etwa der nächste Tagesumsatz eines Karstadt-Kaufhauses einfacher prognostizieren als die Inflationsrate Venezuelas im nächsten Jahr.
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7 Finanzdienstleistungen
in der Kritik
Noch schwieriger, um nicht zu sagen: fast unmöglich, ist die Prognose von Anlagepreisen, weil gerade jene Daten, derer sich der Prognostiker bei der Erstellung seiner Prognose üblicherweise bedient, bereits den Preis der Anlage beeinflusst haben, in ihm geradezu schon „enthalten" sind. Die Prognose fundamentaler Faktoren (wie Schuldnerbonitäten, Umsätze, Marktanteile) ist daher scharf von einer Prognose von Anlagepreisen bzw. Anlagerenditen zu unterscheiden. Während die erstere Art zwar mehr oder minder erheblichen Problemen begegnet, ist sie doch einfacher als eine Anlagepreisprognose, weil in den Anlagepreis regelmäßig alles fundamental Prognostizierbare - und sei es nur mit einem vagen Erwartungswert - bereits eingeflossen ist. Die Anlagepreisprognose findet also gleichsam in einer um eine Dimension komplexeren, die Fundamentalprognose umschließenden und überhöhenden Ebene statt. Statt einer Vertiefung sei diese „Warnung" vor Prognosen mit einer Anregung geschlossen: Wer mehr über die Genauigkeit von Prognosen erfahren möchte, der möge sich einmal die Zeit nehmen und in einer Bibliothek in den gebundenen Exemplaren alter Tageszeitungen oder Wirtschaftsmagazinen stöbern. Dort finden sich häufig Artikel oder Interviews prognostischen Inhalts, die oft schnell wieder vergessen werden. Gleichwohl werben Empfehlungsgeber immer wieder mit ihren Prognosen aus der Vergangenheit, die sie nachweislich und erfolgreich getätigt haben. Ist das nicht ein Beleg für die Prognosefáhigkeit von Börsenpreisen? Es ist eher Ausfluss eines anderen einfachen Zusammenhangs. Prognosen über Anlagepreise werden viele gemacht. Ganz natürlich stellen sich zwangsläufig einige davon als korrekt heraus. Ebenso natürlich machen die Urheber der korrekten darauf mehr Hinweise als das Gros der anderen. Wer viele Prognosen macht, weist auf die gelungenen in späteren Aussagen zum selben Thema gerne hin, zu den missglückten schweigt er.
Beispiel 7.04: Ständig sagt irgendein „Untergangsguru" einen Börsenkrach voraus. Im Oktober 1987 gehörte zu ihnen eine Analystin eines amerikanischen Finanzdienstleisters, Elaine Garzarelli, die in der überregionalen, amerikanischen Tageszeitung „USA Today" den Lesern empfahl, alle Aktien zu verkaufen, weil ein dramatischer Kursverfall von 500 Punkten (gut 20%) im Dow Jones Index unmittelbar bevorstünde. Die Voraussage von Mrs. Garzarelli hatte zu denen ihrer zahlreichen Standeskollegen einen einzigen Unterschied: sie traf zu(fällig); einige Tage später (am 19. Oktober) erlitt die Wall Street den zweitgrößten prozentualen Tagesverlust ihrer Geschichte und verlor tatsächlich 508 Indexpunkte. Diese extrem geglückte Prognose genügte, Weltruhm in der Investmentbranche zu erreichen und noch heute wird Mrs. Garzarelli in Kolumnen als Vorhersagerin des '87er Börsenkrachs vorgestellt. In den Jahren danach ist sie durch nichts anderes als diesen Kult-Status aufgefallen und es ist unwahrscheinlich, dass sie in ihrem verbleibenden Arbeitsleben eine ähnlich treffende Prognose abliefern wird.
7.3 Finanzdienstleistungsvertrieb,
-information und -Werbung
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Die Untersuchungen einzelner Börsendienste kommen regelmäßig zu ernüchternden Ergebnissen. Genannt sei aus der Fülle der Studien diejenige mit dem erheblichsten Umfang der untersuchten Dienste. Sie stammt aus dem Jahr 1998. Jaffe/ Mahoney weiteten mit Hilfe des Sekundärdienstes „Hulbert Financial Digest", die Empfehlungen aller bekannten amerikanischen Börsenbriefe aus. Damit entstand eine äußerst umfassende Analyse der Leistung öffentlicher Empfehlungsgeber. Sie fanden heraus, dass die Anlagedienste zwar voneinander unabhängig agierten, jedoch ihren Lesern keinen wesentlichen Informationsnutzen vermitteln konnten. Die Rendite der empfohlenen Wertpapiere unterschied sich nicht vom Marktdurchschnitt.1) Studien zu deutschen Empfehlungsdiensten sind extrem rar, und beziehen sich lediglich auf deren kurzfristige Verwertbarkeit. Pieper/ Schereck/Weber stellen fest, dass diese für Kaufempfehlungen des „EffectenSpiegels", dem wohl auflagenstärksten Dienst seiner Art, nicht gegeben ist.2) (2)
„Anlagesysteme"
Anfang 2002 startete ein deutsches Börsenmagazin ein Musterdepot, das mit „Money Management und Charttechnik" hohe Renditen bei begrenztem Risiko durch häufigen Handel mit Wertpapieren erstrebte. Kern des „Systems" ist eine Formel, nach der man berechnen soll, welcher Betrag in ein bestimmtes Wertpapier angelegt wird. Das System zeigt an, ab welcher Verlustschwelle ein eingetretener Verlust realisiert werden muss, auf dass weiterer Schaden vom Aktiendepot des Anlegers ferngehalten werde. Dieses System konsequent durchzuhalten sei „Grundlage für eine positive Performance". Und weiter: „Money Management ist das Zauberwort, das die Tür zum langfristigen Börsenerfolg öffnet." 3 ) All das ist freilich von zweifelhaftem Nutzen. Das einzige, was das System wirklich kann, ist den Verlust eines Anlegers in einem ganz bestimmten Wertpapier zu begrenzen. Das geht aber auch ohne den vermeintlichen Zauber irgendwelcher Formeln. Wer sich nach spätestens zehn Prozent Verlust von einer Aktie trennt, begrenzt freilich den Verlust in dieser Aktie. Doch wohin mit den verbliebenen neunzig Prozent? In eine neue Aktie, mit der das „Risikomanagement" von vorne beginnt. Doch ändert das weder etwas am bereits erlittenen Kapitalverzehr noch am Verlustrisiko der neu erworbenen Aktie. Das System suggeriert, wer Verluste in einer einzelnen Aktie stets klein hielte, könnte an den Aktienmärkten überdurchschnittliche Kursgewinne erzielen, ohne die natürlichen Risiken zu tragen, die eine Anlage in Aktien für all jene Normalsterblichen mit sich bringt, die das Geheimnis dieses Money-Managements noch nicht erkannt haben.
1
Vgl. JAFFE/MAHONEY (1999).
2
Vgl. PIEPER/SCHIERECK/WEBER (1993).
3
Börse Online, Heft 3,2002, S. 66 f.
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7 Finanzdienstleistungen
in der Kritik
Das System könnte nur dann funktionieren, wenn jene Wertpapiere, die im Kurs gefallen sind, anfälliger für weitere Verluste sind als andere Wertpapiere. Das ist auf unseren hochentwickelten Finanzmärkten zumindest fraglich, vielleicht stimmt gerade das Gegenteil. Auf jeden Fall wäre ein Zusammenhang solcher Natur eine ausbeutbare Ineffizienz der Finanzmärkte, mit der sich viel Geld verdienen ließe. Die Finanzmarkteffizienz scheint aber, wie wir oben gesehen haben, schon hinreichend genug zu sein, um zu vermeiden, dass so professionelle Marktteilnehmer wie Fondsmanager in der Lage sind, von solchen Ineffizienzen zu profitieren. Das dürfen wir erst recht für den Privatanleger als Adressaten des Money-Managements unterstellen. Der „Beweis" für die Funktionsfähigkeit des Money-Management-Systems sei mit dessen Erfolg in einem früheren Jahr (30% p.a.) erbracht worden. Doch es wurde ein sehr schlechtes Börsenjahr und nach einem Jahr verschwand das Musterdepot aus der Zeitschrift. Wäre es hingegen gegen den Trend und mit Glück erfolgreich gewesen, so würbe das Magazin nun vielleicht mit dessen Rendite um neue Abonnenten. Tatsächlich verlieren Anleger, die solchen und ähnlichen Systemen folgen, im Durchschnitt dauerhaft Geld, weil sie sehr oft ihre Wertpapieranlagen umschichten müssen, was erhebliche Einbußen verursacht, der langfristig kein Nutzen entgegensteht. Empfehlungsdienste und Anlagesysteme nach der Art des „Tipps zum schnellen Gewinn" sind daher in der Tat sehr kritisch zu betrachten. Durchaus nützlich sein können hingegen Hilfen bei der Strukturierung langfristig haltenswerter Vermögensstrukturen.
7.3.2.2 Die Leistungen der Schufa Die Schufa („Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung") gehört zu den im Abschnitt 1.1.2.3 genannten Finanzdienstleistern, die ihre Leistungen ganz überwiegend an andere Finanzdienstleister absetzen. Die Informationsleistung der Schufa ist darauf gerichtet, Informationen über (potenzielle) Geldnehmer zu sammeln und diese hauptsächlich an gewerbsmäßige Kreditgeber weiterzuleiten. Zu den Abnehmern dieser Leistung gehören neben Kreditinstituten auch Unternehmen aus Handel und Produktion, die ihren Kunden als Instrument der Absatzförderung Lieferantenkredite oder Ratenzahlungen anbieten; des Weiteren solche Dienstleister des nichtfinanziellen Sektors, deren Leistungen typischerweise Dauerschuldverhältnisse zu ihrer Kundschaft mit sich bringen, wie es etwa bei Telefongesellschaften der Fall ist. Ein wesensprägendes Merkmal der Schufa AG ist die Identität zwischen Kunde und Lieferant durch das „Prinzip der gegenseitigen Information". Alle Vertragspartner der Schufa übermitteln der Schufa-Zentrale Daten über ihre eigenen Kun-
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den; somit entsteht im Laufe der Zeit ein Datenkranz über Personen, die mit gewerbsmäßigen Kreditgebern Geschäftsbeziehungen unterhalten, vor allem Privatkunden von Banken. Da die meisten Personen im Laufe ihres Lebens zu verschiedenen Schufa-Vertragspartnern Geschäftsbeziehungen unterhalten, „weiß" die Schufa praktisch immer mehr als jede einzelne Bank über eine bestimmte Person - sie führt mehrere hundert Millionen Datensätze über mehr als 60 Millionen Personen. Gespeichert werden neben Girokonten vor allem Kreditbeträge sowie etwaige Zahlungsrückstände eines Schuldners. Zudem verdichtet die Schufa die Daten jeder Person auf Basis mathematisch-statistischer Systeme zu einem individuellen „Score" zwischen 0 und 1.000. Diese Kennziffer soll anzeigen, wie hoch die Gefahr ist, dass eine Person seinen Zahlungspflichten nicht nachkommen wird. All dieses Wissen kann jeder Schufa-Vertragspartner nach dem Prinzip der gegenseitigen Information anzapfen. Damit ist klar, aus welcher Richtung diese Finanzdienstleistung besonders kritisiert wird: Allein diese Möglichkeit der Information erregt bereits das Misstrauen vieler Datenschützer. Drei wesentliche Vorwürfe lauten: 1)
Die Daten können in unberechtigte Hände gelangen.
2)
Das Scoring-Verfahren ist undurchsichtig und unfair.
3)
Die Aufnahme immer weiterer Vertragspartner und die damit einhergehende Vergrößerung der Datenmengen führe zu „einem detaillierteren Persönlichkeitsprofil der betroffenen Menschen" und damit würde der „gläserne Bürger" Realität.
ad 1) Grundsätzlich übermittelt die Schufa einem Vertragspartner nur dann die zu einer Person gespeicherten Daten, wenn dieser ein „berechtigtes Interesse" daran darlegen kann, was insbesondere im Falle eines Kreditantrags der Person der Fall ist. Doch prüft die Schufa nicht in jedem Einzelfall, ob das Interesse wirklich berechtigt ist. Damit kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass die Vertragspartner bzw. deren Mitarbeiter auch Anfragen ohne Berechtigung durchführen. Tatsächlich wurden Fälle des Missbrauchs bekannt, die aber angesichts des Datenumfanges der Schufa wohl als eben nie vollständig vermeidbare Einzelfälle betrachtet werden können. ad 2) Der Vorwurf der Undurchsichtigkeit trifft zu, denn die Schufa macht nicht öffentlich, auf welchem konkreten Wege das Scoring ermittelt wird. „Unfair" ist es zufolge seines statistischen Ansatzes zwangsläufig, als es ein Urteil abgibt, das in vielen Einzelfällen ganz gewiss falsch ist. Zum Beispiel wirkt ein häufiger Wohnungswechsel mindernd auf den Score einer Person, weil die Schufa-Daten gezeigt haben, dass die Menge der häufig umziehenden Personen erheblich öfter zahlungssäumig ist als die Menge der selten umziehenden Personen. Freilich gibt es aber auch „Vielumzieher", die in Betrachtung des Einzelfalles als äußerst zah-
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lungssolide einzustufen wären. Diese werden durch den Score also schlechter dargestellt als es ihrer persönlichen Bonität entspräche. Zwei gedachte Personen, deren Lebensweg, Lebensgewohnheiten, beruflicher Status usw. - großteils Dinge, von denen die Schufa ohnehin nichts weiß - sich in nichts anderem unterscheiden als dass die erste Person ihr Elternhaus zeitlebens nicht verlässt, während die zweite 15mal umzieht, erhalten unterschiedlich hohe Score-Werte. Das ist bedauerlich, aber eben ein Reflex des statistischen Ansatzes, der im Mittel richtig liegen sollte, aber im Einzelfall häufig irrt. ad 3) Dieser oft zu vernehmende Vorwurf ist zugleich der diffuseste. Man kann eigentlich nur erraten, was konkret der Inhalt seiner Kritik ist. Dass die Vermehrung von Daten das Kundenverhalten schärfer abbildet, ist eine natürliche Folge, wenn die Zahl der Vertragspartner wächst. Das zu kritisieren heißt, dem System seinen Erfolg vorzuwerfen, der doch gerade Grundlage für die Qualität der Informationsleistung ist: je mehr Vertragspartner, desto eher wird eine Auskunft die wahren Verhältnisse widerspiegeln können. Die Verbindung zum „gläsernen Bürger" ist nur dann nachzuvollziehen, wenn Befürchtungen berechtigt sein sollten, der Staat bzw. seine Behörden könnten sich der Daten der Schufa, die eine rein private Veranstaltung ist, irgendwann einmal bemächtigen. Inwieweit solche Szenarien realistisch sind, gehört freilich zum Kompetenzbereich der Verwaltungsund Poltikwissenschaftler und soll hier nicht beurteilt werden. Stattdessen wollen wir kurz reflektieren, wie eine Finanzwelt ohne ein System wie das der Schufa denn eigentlich aussähe. In diesem Fall fehlte den Kreditgebern eine wesentliche Informationsgrundlage. Natürlich gelangt jeder Kreditgeber auch individuell zu seiner Bonitätseinschätzung über einen Kreditantragsteller, doch wäre das Bonitätsurteil zumindest oft auf ein geringeres Wissen gestützt als mit einer Schufa-Information. Wir wollen daher einmal modellhaft davon ausgehen, dass es einer Bank ohne Schufa-Hilfe gelänge, von 100 Personen, die einen einjährigen Kredit in Höhe von 1.000 Euro begehren, zwei als spätere Nichtzahler zu erkennen. Unter den einhundert Personen mögen sich aber, und das wisse auch die Bank, annahmegemäß fünf spätere Nichtzahler befinden, von denen mit Hilfe einer Schufa-Auskunft zwei weitere hätten im Vorfeld der Kreditvergabe identifiziert werden können. Was tut die Bank nun? Sie weiß in jedem Falle, dass fünf Antragsteller „faul" sind. Sie weiß nur nicht, welche. Ohne Schufa erkennt sie davon zwei, mit Schufa vier. Die Bank will 5% Rendite aus der Kreditvergabe erzielen. •
Ohne Schufa vergibt sie an 98 Antragsteller zusammen 98.000 Euro und muss nach einem Jahr von den 95 zahlenden Kreditkunden 98.000 • 1,05 = 102.900 Euro bekommen, folglich einen Kreditzinssatz von 102.900/95.000 = 8,32% verlangen.
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Mit Schufa vergibt sie an 96 Antragsteller zusammen 96.000 Euro und muss nach einem Jahr von den 95 zahlenden Kreditkunden 9 6 . 0 0 0 - 1 , 0 5 = 100.800 Euro bekommen, folglich einen Kreditzinssatz von 100.800/95.000 = 6,11% verlangen.
In unserem Modellbeispiel müssten also alle zahlenden Kreditkunden mit Schufa 2,2 Prozentpunkte weniger Zinsen tragen als ohne Schufa. Durch die SchufaEinrichtung erzielen demnach 95 von 100 Antragstellern finanzielle Vorteile, während zwei benachteiligt sind - nämlich jene zwei zusätzlich identifizierten Nichtzahler, zu deren Gunsten die Mehrbelastung der Zahler letztlich floss. Noch schlimmer sähe die Rechnung aus, wenn unterstellt würde, von den „guten" Antragstellern würden einige gerade wegen der hohen Zinsen den Kredit letztlich doch gar nicht in Anspruch nehmen. Dann verschärft sich nämlich die Kalkulation, weil so das Verhältnis von Zahlern zu Nichtzahlern sich verschlechterte. Denn die Nichtzahler bleiben vermutlich gleich viele, weil sie auch ein hoher Zins nicht schreckte. Überspitzt betrachtet ist ihnen egal, ob sie später acht oder zehn Prozent Zinsen schuldig bleiben müssen. Wir wollen die modellhafte Betrachtung an dieser Stelle beenden. Gesagt sei nur, dass das, was im Modell für den Vergleich zwischen einer Welt mit und ohne Schufa galt, auch für die Qualität der eingesetzten Verfahren zutrifft: Mit einer tatsächlichen Verbesserung der statistischen Verfahren, also einer Erhöhung der Identifikation „schlechter" Schuldner, sinkt der von den Banken zur Geschäftsbetreibung zu kalkulierende Kreditzins herab. Eine Verfeinerung der Datenqualität nutzt also den guten Kunden und schadet den schlechten. Außerdem bedeutet j a ein geringerer Score-Wert für den Einzelnen noch lange nicht, dass er überhaupt keinen Kredit bekommen kann. Er muss aber damit rechnen, einen etwas höheren Zins in Kauf zu nehmen. Zwar könnte man einwenden, das benachteilige gerade den sozial Schwächeren, während der Reiche auch noch günstig Kredit nehmen könne. Das ist aber ein eher gesundes Merkmal einer wettbewerbsorientierten Wirtschaft, der in zahlreichen Geschäftszweigen der Assekuranz, so der Hausrat-, der Kfz- oder der Krankenversicherung mit ihren risikoabhängigen Versicherungsprämien, schon seit langem gängige Praxis ist. Transferleistungen von Starken zu Schwachen haben ihren berechtigten Platz in den sozialen Trägersystemen unserer Gesellschaft, nicht auf dem Finanzdienstleistungsmarkt. Inwieweit mit einer Erhöhung der Datendichte fürwahr die Prognosegüte zunimmt, muss hier freilich dahinstehen. Zudem mag es ja durchaus sein, dass dem Einzelnen die finanziellen Vorteile einer solchen Datenverschärfung weniger wert sind als ihm das subjektiv empfundene Gefühl einer „Überwachung" Schaden zufügt. Wir hoffen jedenfalls, mit diesen kurzen Erläuterungen unseren Standpunkt nachvollziehbar gemacht zu haben, dass die Leistungen der Schufa für die „Finanzgesellschaft" im Großen und Ganzen einen erheblichen Nutzen abwerfen.
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7 Finanzdienstleistungen
in der Kritik
Damit hat diese vielgescholtene Einrichtung zahlreichen anderen Finanzdienstleistungen einen ganz wesentlichen Aspekt voraus.
7.3.3
Zins- und Renditeangaben in der Finanzwerbung
Wir wollen uns jetzt ein wenig mit der Werbung für Finanzdienstleistungen beschäftigen. Wir tun das wie im Verlauf des gesamten bisherigen Kapitels 7 ausschließlich aus einer finanzwirtschaftlichen Perspektive, und nicht etwa aus einer juristischen. Das heißt, wir treffen keine Aussagen darüber, ob eine Werbung rechtlich zu beanstanden sein könnte oder nicht. Außerdem beschränken wir uns auf einen einzigen Bereich von Finanzwerbung: Wir prüfen lediglich, inwiefern die von den Finanzdienstleistern bevorzugten Formen der Bewerbung ihrer Leistungen mittels Zins- und Renditeangaben für den Rezipienten der Finanzwerbung auch einen entscheidungsrelevanten Informationswert besitzt, oder ob die per Finanzwerbung übermittelten Verzinsungssätze eine erheblich verzerrte Information tragen. Dies ist ja auch in der Bewerbung von Sachleistungen ein vieldiskutierter Streitpunkt: Ist die Werbung von echtem Informationswert, der zudem noch gefällig serviert wird? Oder unbrauchbare Anpreisung mehr oder weniger brauchbarer Produkte? (1)
Kreditzinssätze
In der Bewerbung von Finanzierungsleistungen wird regelmäßig der Zinssatz als ein besonders günstiger herausgestellt. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn es sich denn auch wirklich um jenen Zinssatz handelt, den die Nachfrager tatsächlich „abschließen" können und solange die beworbene Zinsgröße einer finanzwirtschaftlich entscheidungsrelevanten Kategorie zugehört, also ein brauchbares Maß für den Preis einer Finanzierung gibt, die halbwegs sinnfällig mit den Zinssätzen alternativer Finanzierungsofferten vergleichbar ist. Ein Fall von erheblicher Marktbedeutung, wo genau dies nicht zutrifft, wird von den deutschen Bausparkassen in der Werbung für die Bausparfinanzierung gegeben. So heißt etwa ein Slogan des Marktführers, der Bausparkasse Schwäbisch Hall: Wir drücken den Bauspardarlehenszins auf winzige 1,95%! Jetzt Zinsen und Prämie sichern!"
Diese Werbeaussage ist ebenso korrekt wie informationsleer. Wie wir oben gesehen haben, ist der Bauspardarlehenszins für die Frage nach der Vorteilhaftigkeit einer Bausparfinanzierung fast bedeutungslos. Entscheidend ist vielmehr der Zahlungsstrom, der sich aus der Kombination von Spar- und Darlehensphase ergibt.
7.3 Finanzdienstleistungsvertrieb,
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Der Zahlungsstrom, der aus einer Tarifgestaltung mit diesen 1,95% Darlehenszins resultiert, verbindet eine Ansparphase von 8 Jahren mit einer Kreditdauer von nur 5 Jahren. (Der günstige Zinssatz gilt also nur für eine recht kurze Finanzierungsdauer.) Eine solche Variante ist keine Neuheit im Bausparen und war und ist innerhalb von Tarifen mit 4 bis 5 Prozent Darlehenszins genauso abschließbar: gleicher Zahlungsstrom, nur abgewandelte Numerik der Tarifelemente. Die Bausparkassen haben ihr Tarifgepräge lediglich dem gefallenen Zinsniveau am Finanzmarkt angepasst, um ihrem Produkt den Schein einer Verbesserung zu geben, obwohl seine wahrhaft wesentlichen Eigenschaften systembedingt gar nicht verändert wurden. Ihre Werbung nimmt diesen Sachverhalt auf, und suggeriert fälschlich, allein ein niedriger Darlehenszins bedeute eine günstige Finanzierung. Mit dem Bauspardarlehenszins allein erfährt der Rezipient dieser Werbeaussage jedoch so gut wie nichts über das Leistungsvermögen des Angebots. Weder kann er es mit anderen Bauspartarifen ordentlich vergleichen noch einer bausparfreien Finanzierung sinnvoll gegenüberstellen. Eine andere Bausparkasse könnte ohne Probleme auch einen Tarif mit negativem Darlehenszins konstruieren, der aber keineswegs besser sein müsste als der hier von Schwäbisch Hall beworbene. Ein ganz ähnliches Problem von irreführender Werbung entsteht, wenn Bausparkassen für „Kombinationsfinanzierungen" aus Zwischen-, Vor-, oder Sofortfinanzierungen mit einem Bauspardarlehen, wie wir sie oben in 7.2.2.2 behandelt haben, nur den Bauspardarlehenszins oder auch das Zinspaar aus Zinssatz „Vorabdarlehen'VZinssatz Bauspardarlehen angeben. Denn der „wahre" Zins für den einzig maßgeblichen Gesamtzahlungsstrom liegt regelmäßig oberhalb beider Teilzinssätze, wie wir auch am Beispiel im Abschnitt 7.2.2.2 (3) gesehen haben. Diese Probleme sind natürlich durch die Spezifizität des Bausparens bedingt. Doch auch bei anderen Finanzierungsangeboten gibt es Fälle, in denen mit einem irreführenden Zins geworben wird. Verlassen wir daher den Bereich des Bausparens und wenden uns Ratenkrediten (vgl. Abschnitt 2.3.2.3) zu. Hier sind zwei Methoden gängig: •
Die erste wirbt mit sehr niedrigen Zinssätzen, die dann aber nur für ein relativ geringes Volumen von beispielsweise 3.000 Euro pro Kreditnehmer gelten oder etwas nebulöser nur bestimmten Bonitäten oder gar „Kontingenten" vorbehalten sind.
•
Gefährlicher und subtiler ist aber die andere Methode, die angewendet werden kann, wenn die Kreditvergabe mit dem Abschluss einer Restschuldversicherung (vgl. Abschnitt 2.3.2.3) einhergeht. In diesem Fall wirbt der Anbieter mit dem effektiven Jahreszins (vgl. Abschnitt 2.1.3), der aus dem Zahlungsstrom der Ratenkreditfinanzierung korrekt berechnet wird und auch tatsächlich sehr gering, im Einzelfall gar konkurrenzlos günstig er-
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scheint. Die Prämien der bei solchen Angeboten obligatorischen Restschuldversicherung gehören nicht zur Finanzierung und werden daher vom effektiven Zins auch nicht erfasst. Das lässt dem Finanzintermediär Gestaltungsspielraum durch eine „Subventionierung" eigentlich „zu billig" angesetzter Kreditzinsen, die er über eine „zu teuer" kalkulierte Versicherungsprämie wieder hereinholt. Das zu billig angesetzte Element fließt in den zur Schau gestellten Effektivzins hinein, das zu teure nicht. Erwähnen wir zum Abschluss der Bewerbung von Kreditzinssätzen noch den Markt für (bausparfreie) Immobilienfinanzierungen, der erheblich größere Finanzierungsvolumina umfasst als die beiden bisher behandelten Segmente. Glücklicherweise geben die hier üblicherweise beworbenen Darlehenszinssätze ein ziemlich getreues Abbild der tatsächlichen Verhältnisse. Zwar ist ein Vergleich von Finanzierungsangeboten mit unterschiedlichem Zahlungsstrom auf Basis des (effektiven) Zinssatzes kein ganz „sauberes" Verfahren, weil das Angebot mit dem niedrigsten Zinssatz nicht notwendig zum günstigsten Endvermögen führt. Jedoch sind die somit entstehenden Unterschiede bei der üblichen Gestalt der Zahlungsströme von Immobilienfinanzierungen so gering, dass die Zinssätze von Immobilienfinanzierungsofferten im Großen und Ganzen ein brauchbares und einfaches Vergleichskriterium darstellen. (2)
Anlagerenditen
Bei der Bewerbung von Anlagerenditen ist die Sachlage noch etwas diffiziler als bei den Kreditzinssätzen. Wir wollen fünf - nicht ganz überschneidungsfreie Bereiche der verzerrenden „Renditewerbung" voneinander scheiden: 1)
Es wird mit einer zwar korrekten, aber nicht entscheidungsmaßgeblichen Renditegröße geworben.
2)
Es liegt ein Fall „verbundener" Produkte vor, zwischen denen eine „Renditesubventionierung" stattfindet.
3)
Die Rendite ist zwar korrekt und „unverbunden", jedoch keine reale, sondern fiktiv, da rückgerechnet.
4)
Beworbene Mehljahresrenditen p.a. sind zwar korrekt, unverbunden und real, jedoch arithmetisch statt geometrisch gemittelt worden.
5)
Die Rendite ist zwar korrekt, unverbunden, real und geometrisch, aber ihre Informationsqualität leidet gerade an der Auslese, dass mit ihr Werbung getrieben wird.
7.3 Finanzdienstleistungsvertrieb,
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Wir erläutern alle Fallunterscheidungen mit Hilfe von Beispielen: ad 1) Dieser Fall funktioniert analog zur isolierten Bewerbung eines Bauspardarlehenszinses im Finanzierungsbereich. Wenn zum Beispiel ein Lebensversicherer mit einer vergleichsweise günstigen Ausprägung seiner Kennziffer „Nettoverzinsung" der Kapitalanlagen wirbt, so kann man ihm keine Fehlinformation in seiner Werbung vorwerfen. Gleichwohl wird damit eine Renditegröße übermittelt, die für sich genommen ein falsches Anlagesignal senden kann. Denn für den Anleger ist nicht diese Kennzahl vorteilhaftigkeitsentscheidend, sondern einmal mehr die aus Prämien einerseits und Versicherungsleistungen andererseits gebildete Zahlungsreihe bzw. allenfalls der aus dieser Zahlungsreihe ermittelten (ggf. risikobereinigten) Rentabilitätsziffer. Anders gewendet: Ein Versicherer A mit geringerer Nettoverzinsung als ein Versicherer Β kann durchaus höherrentierliche Lebensversicherungen in seinem Produktangebot führen als Versicherer B. ad 2) Banken bieten in jüngerer Zeit häufig den Verbund von „spektakulär" hochverzinster Termineinlage mit dem Erwerb von Aktienfonds zum regulären Ausgabeaufschlag von oft 5% und betreiben für solche Verbundangebote einen hohen Werbeaufwand im Rahmen von „Aktionswochen", „Sonderkontingenten" oder ähnlichem. Alternativ findet der Anleger aber zeitgleich nicht besonders beworbene Angebote ausgabeaufschlagverminderter Aktienfonds und normalverzinster Termineinlagen, die zusammengenommen günstiger sind als das offensiv beworbene Verbundangebot. So ist ein Verbund von jeweils hälftig angelegter 7%iger (p.a.) Sechsmonatseinlage mit fünfprozentig ausgabebeaufschlagtem Aktienfonds um etwa 1,25% teurer als eine marktgängige, zu 2% p.a. verzinste Sechsmonatseinlage, die der Anleger mit einem ausgabeaufschlagfreiem Aktienfonds kombiniert. Denn einem „Zinsgeschenk" von 1,25% des gesamten Anlagebetrages (Fünf Prozentpunkte Mehrverzinsung auf die Hälfte des Anlagebetrages ein halbes Jahr lang) steht eine Agiolast in Höhe von 2,5% des Anlagebetrages (5% auf die Hälfte des Anlagebetrages) gegenüber. ad 3) Finden Scheinkorrelationen in Finanzprodukten Ausfluss, so wird die scheinbare Renditeüberlegenheit häufig mit historischen Rückberechnungen „belegt". Daher sind solche Anlagen regelmäßig schlechter als mit der Produktidee in Aussicht gestellt, weil der Erwartungswert zufolge des Auswahleffektes natürlicherweise geringer ist als die vergangene Rendite. Denn selbstverständlich suchen die Produktmanager aus der Fülle möglicher Ideen, Strategien und Rückberechnungen solche heraus, die vergangenheitlich vom Mittelwert weit positiv abwichen.
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Beispiele: 1) „Handelsstrategie auf Basis der technischen Analyse / Gewinne bei steigenden und fallenden Kursen möglich / Wertentwicklung des DAX® seit 1987 um das Fünffache übertroffen" So die Werbeaussage für ein idealtypisches, drastisches Beispiel, das ein Ende 2002 aufgelegtes „Long/Short"-Zertifikat auf den Deutschen Aktienindex liefert. Es folgt einem Handelssystem, das auf Basis eines „technischen" Indikators (zwei exponentielle gleitende Durchschnitte) Kauf- und Verkaufsentscheidungen für oder gegen den DAX tätigt, wenn der Index bestimmte Durchschnittslinien schneidet. Dieses eher simple System hatte in den 15 Jahren zuvor gemäß einer Rückberechnung einen Wertzuwachs von 600 Prozent erzielt (das entspricht ca. 14% p.a.), verglichen mit „nur" gut einhundert Prozent, die der DAX erreichte. Seit seiner Verwirklichung in dem Zertifikat hat der Dax sich etwa verdreifacht, die Strategie aber nach knapp fünf Jahren nicht einmal eine positive Rendite erreicht. Weil das Zertifikat regelmäßig auch Leerverkaufspositionen („short") einnimmt, deren erwartete „Rendite" auf einem effizienten Aktienmarkt negativ ist, bedarf es nahezu eines Wunders, die Renditeverheißung der Rückberechnung zu erreichen. 2) Über mehrere Börsenjahre in den neunziger Jahren waren die Aktienrenditen des DAX in den Sommermonaten unzweifelhaft deutlich schlechter als in den Monaten Oktober bis Mai. Diesen Rückblick nahm eine Bank zum Anlass, ein Wertpapierzertifikat herauszugeben, das auf einer Aktienanlage basiert, die jeweils für den Sommer in eine Festgeldanlage umgewandelt wird. Wer vergangenheitlich einer solchen Strategie gefolgt wäre, hätte natürlich zufolge der „schlechten Sommer-Monate" eine gute Rendite eingefahren, wie eine Rückberechnung zeigte. Allerdings fließt hier in erheblichem Maße das spätere Wissen über diesen wahrscheinlich nicht kausalen Effekt ein. Der Erwartungswert für die kommenden Jahre ist dann aber natürlich unabhängig von den Jahreszeiten und ob das Zertifikat künftig erfolgreicher sein wird als der DAX, ist zu bezweifeln.
ad 4) Arithmetische Rendite versus geometrische Rendite Rendite wird regelmäßig auf die willkürliche Periode eines Jahres gerechnet dafür kennzeichnet man sie zuweilen mit dem Zusatz p.a. für lateinisch per annum = für das Jahr - und gibt an, welche Vermögensänderung über diese Jahresperiode eingetreten ist. Die Rendite zieht also gleichsam eine jährliche Bilanz. Mit einem neuen Jahr beginnt eine neue Renditerechnung. Und diese bemisst sich auf das Vermögen zu Beginn des neuen Jahres, das die Erträge und sonstigen Vermögensmehrungen des alten Jahres natürlich mit enthält. In anderen Worten: Die Rendite eines beliebigen Jahres zählt immer auch die Erträge von zuvor gemachtem Ertrag mit, der „Zinseszins" ist in der Rendite gleichsam schon erfasst.
Beispiel 7.05: Wir legen 100 Euro für zwei Jahre an. Nach einem Jahr haben wir 110, nach einem weiteren Jahr 120 Euro Vermögen. Die Rendite des ersten Jahres ist 10%, die des zweiten Jahres trotz gleich hohen Vermögenszuwachses kleiner, nämlich 9,1%, weil sie sich auf das um die Erträge des ersten Jahres vermehrte Vermögen bezieht.
7.3 Finanzdienstleistungsvertrieb, -information und -Werbung
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Bis jetzt ist nur die Rede von Renditen, die sich auf ein bestimmtes Jahr richten. Häufig möchte man aber die Vermögensänderung mehrerer Jahre in einer einzigen Renditezahl erfassen. Dazu bedarf es einer geeigneten Durchschnittsrendite. Die Renditen vieler Anlagen und daher auch vieler Vermögen schwanken von Jahr zu Jahr. Daher ist es wichtig, zu unterscheiden zwischen der arithmetischen Rendite und der geometrischen Rendite. Die arithmetische Rendite ist das einfache Mittel aus den Renditen der einzelnen Jahre. Sie berücksichtigt somit sämtliche jährlichen Vermögensänderungen, sie ist deren Durchschnitt. Kennt man die Vermögensänderungen der einzelnen Jahre aber gar nicht, sondern nur das Endvermögen nach mehreren Jahren, so behilft man sich gerne mit einer gleichmäßigen Aufteilung des Vermögenszuwachses auf die Einzeljahre. Die geometrische Rendite berücksichtigt nur das Endvermögen am Ende aller betrachteten Jahre und setzt es in Beziehung zum Vermögen zu Beginn des ersten Jahres. Die Vermögensänderungen der einzelnen Jahre braucht man zu ihrer Ermittelung also gar nicht zu kennen, weil sie alle zwischenzeitlichen Vermögensänderungen ignoriert. Dabei wird sie so berechnet, als wäre das Vermögen jedes Jahr um den gleichen relativen Anteil gewachsen.
Beispiel 7.06: Wir legen 100 Euro für zwei Jahre an. Vor Ablauf der zwei Jahre werden keinerlei Erträge ausgekehrt. Mit Ende der Frist realisieren wir eine Weitsteigerung von 21 Prozent und erhalten also 121 Euro ausbezahlt. Wie groß ist die Rendite? Die arithmetische Rendite lässt sich in diesem Beispiel gar nicht berechnen, weil nur die Vermögensänderung für die gesamten zwei Jahre bekannt ist, nicht aber ihre Verteilung auf erstes und zweites Jahr. Hilfsweise lässt sich nur der Vermögenszuwachs gleichmäßig auf beide Jahre verteilen. Die Vermögensmehrung von 21% entspricht 10,5% für jedes Jahr. Die geometrische Rendite ist niedriger, weil sie nach einem Jahr stets einen - und sei es wie hier nur gedanklichen - Schnitt macht und dann mit dem neuen, durch die Rendite des ersten Jahres erhöhten Vermögen fortrechnet. Daher ist die geometrische Rendite mehrjähriger Anlagen immer kleiner als die hilfsweise errechnete gleichmäßige Verteilung, hier genau 10,0%. Das lässt sich mit einer hier nicht weiter interessierenden Formel errechnend und auch sehr leicht nachprüfen: Wenn wir 100 zu 10% anlegen, so werden daraus nach einem Jahr 110; wenn wir die 110 sofort wieder weggeben und abermals zu 10% anlegen, haben wir nach einem weiteren Jahre 121. Das entspricht tatsächlich genau dem vorgegebenen Endvermögen.
1
Die Formeln zur Berechnung für diese und weitere Renditen oder Endvermögensbeträge findet der doch Interessierte in jedem finanzmathematischen Lehrbuch, z.B. - um einen Klassiker zu nennen - KOSIOL (1982).
490
7 Finanzdienstleistungen
in der Kritik
Die Berechnung der arithmetischen Rendite setzt die Kenntnis sämtlicher jährlicher Vermögensänderungen innerhalb einer betrachteten Mehqahresperiode voraus. Sie ist somit abhängig von dem Pfad, den ein Vermögen vom ersten bis zum letzten Jahr nimmt. Daher können identische Endvermögensergebnisse auch unterschiedliche arithmetische Renditen bedeuten. Im vorhergehenden Beispiel ist zu sehen, dass die geometrische Rendite kleiner ist als die arithmetische Rendite. Das ist bei schwankenden Jahresrenditen tatsächlich immer so. Nur im Extremfall jährlich konstanter Renditen gleichen sich arithmetische und geometrische Rendite; niemals ist die geometrische größer als die arithmetische Rendite. Weil die Renditen jedes Jahres sich bekanntlich immer auf das Vermögen zu Beginn des jeweiligen Jahres beziehen, ist der arithmetische Mittelwert bei schwankenden Renditen und damit einhergehend ungleichmäßiger Vermögensänderung immer zu hoch und gibt kein eindeutiges Bild des tatsächlich über mehrere Jahre erzielten Endvermögens wieder. Daher ist der geometrischen Rendite der Vorzug zu geben. Der Werbungtreibende kann sich den Effekt in spiegelbildlicher Anwendung zunutze machen. Ein letztes Beispiel verdeutlicht das.
Beispiel 7.07: Ein Vermögensverwalter wirbt mit der Aussage, im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre eine Rendite von 8,4% auf die verwalteten Vermögen erwirtschaftet zu haben. Erfährt man die Reihe der zehn Einzelrenditen (-8%, 16%, 22%, 3%, 15%, -10%, 38%, -18%, 12%, 14%), so erkennt man, dass die Aussage zwar stimmt, aber eben die arithmetische Rendite gemeint ist (84% geteilt durch 10 = 8,4%). Die aus den zehn Einzelrenditen folgende geometrische Rendite beträgt nur 7,2%.
Wenn Sie also Renditevergleiche - sei es in Statistiken oder in der Finanzwerbung - studieren, so geben Sie Acht, ob es arithmetische oder geometrische Renditen sind. ad 5) Auswahleffekte wirken nicht nur bei der Kreation von Finanzprodukten (ad 3), sondern betreffen auch bestehende Finanzprodukte. Denn weiterhin beworben werden tendenziell nur die erfolgreichsten, deren mittlere historische Rendite daher natürlicherweise über dem Durchschnitt liegt.
7.3 Finanzdienstleistungsvertrieb, -information und -Werbung
491
Studie: Diese Behauptung gehört zu jener Kategorie von Aussagen, deren theoretische Ableitung so offensichtlich richtig ist, dass auf eine empirische Prüfung fast schon Verzicht getan werden könnte. Zwei Wissenschaftler wollten es aber dennoch genau wissen und haben 294 Investmentfonds untersucht, die in Inseraten mit ihrer vergangenen Rendite um Anlegergelder geworben haben.') Die Ergebnisse ihrer Studie: •
Die historischen Renditen der beworbenen Fonds sind erheblich höher (um sechs Renditeprozentpunkte) sowohl als die durchschnittliche Rendite aller vergleichbaren Fonds des zugehörigen Zeitraumes denn auch jener der korrespondierenden Marktindizes vor dem Inserat.
•
Für die Zeit nach dem Inserat hingegen hebt sich die Rendite der inserierten Fonds nicht bemerkenswert vom Durchschnitt aller vergleichbaren Fonds ab, die beworbenen waren sogar ein wenig schlechter (0,8 Renditeprozentpunkte) als der Durchschnitt. (Was aber einfach daran hegen könnte, dass die stärker beworbenen Fonds höhere Gebühren berechnen als der Durchschnitt. Anmerkung des Verfassers, G.S.)
•
Die beworbenen Fonds haben jedoch in der Zeit nach dem Inserat signifikant mehr Mittelzufluss zu verzeichnen als die anderen Fonds.
Die Werbung wirkt also, obwohl die beworbenen Produkte nicht besser sind als die übrigen, was wir ja auch von anderen als Finanzprodukten kennen.
Eine drastischere Form der von der Studie behandelten Erscheinung ist die oft zu beobachtende Anpreisung von Rentenfonds nach Zinssenkungsjahren. Denn fallende Marktzinsen bedingen unvermeidlich Kursanstiege bei Anleihen und damit naturnotwendig Rentenfondsrenditen,
die beträchtlich oberhalb ihres
Erwar-
tungswertes liegen, jedoch keinerlei aufschlussreichen Hinweis auf deren künftige Wertentwicklung zulassen. Damit ist abschließend festzustellen, dass der Finanzwerbung einige Möglichkeiten offenstehen, die Renditen ihrer Anlageleistungen höher erscheinen zu lassen als sie tatsächlich sind. V o n diesen Möglichkeiten wird offensichtlich Gebrauch gemacht. Somit ist die wahre Rendite von Anlagen tendenziell niedriger als in der Werbung angepriesen. D i e Finanzdienstleistungsbranche ist damit aber nicht alleine - auch in anderen Branchen sieht die Werbewelt doch meist schöner aus als die Wirklichkeit.
1
V g l . JAIN/WU ( 2 0 0 0 ) .
492
7.4
7 Finanzdienstleistungen
in der Kritik
Schlussbemerkung
Damit beenden wir unseren Rundgang durch einige ausgewählte, tendenziell besonders kritikempfindliche Finanzdienstleistungen. Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass viele Finanzdienstleistungen zurecht im Lichte besonderer öffentlicher Kritik stehen. Die Finanzdienstleistungsqualität ist häufig schlecht - auch wenn die Kritik zuweilen überzogen scheint. Wir haben in unserem Rundgang sowohl traditionelle wie moderne Finanzdienstleistungen berücksichtigt. Die modernen Angebote zeichnen sich häufig durch eine ausgeprägte Komplexität aus. Diese Komplexitätssteigerung ist einerseits Zeichen eines finanzwirtschaftlichen Fortschritts. Denn vieles von dem, was heutige Finanzdienstleistungen abbilden, war vor zwanzig bis dreißig Jahren noch gar nicht beherrschbar, weil die damals verfüglichen Informationstechniken und Handelsstrukturen für Finanzmärkte sowie auch die finanzierungstheoretischen Erkenntnisse dazu nicht genügten. Andererseits ist dieser Fortschritt insofern ein Rückschritt als komplexe Finanzdienstleistungen geradezu prädestiniert sind, Verdruss zu produzieren. Denn ihre Komplexität überfordert den Nachfrager regelmäßig, der damit umso mehr auf die Beratung bzw. die Werbung durch den Finanzdienstleister angewiesen ist. Damit liefert er sich der erheblichen Gefahr aus, dass die Darstellung des Finanzdienstleisters nicht in seinem Sinne durchgeführt wird, sondern zuvorderst an dessen Verkaufsinteressen ausgerichtet ist. Es liegt in der Natur der Sache, dass über die Beschaffenheit eines komplizierten Produktes einfacher getäuscht werden kann als über die eines einfachen. Der Finanzdienstleistungsnachfrager kann auf diese Entwicklung mit insbesondere zwei Strategien reagieren: entweder beschränkt er sich auf die einfachen, von ihm leichter nachvollziehbaren Angebote oder er sucht Wege, seinen Informationsstand zu verbessern, um auch unter den komplexeren Varianten ein für ihn geeignetes Angebot finden zu können.
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben
Übungsaufgabe 1.01: „Desintermediation" bezeichnet in diesem Zusammenhang den Umstand, dass das Ausmaß, in dem Anlage- und Finanzbedarf durch Leistungen von Finanzintermediären im engeren Sinne ausgeglichen werden, zumindest relativ rückläufig ist. Die Formulierung „vorbei an den Banken" suggeriert, dass damit zugleich auch der Anteil, zu dem Banken an diesen Finanzgeschäften beteiligt sind, zurückgeht. Der Hinweis auf die „Verschiebung vom Zinsgeschäft zum Provisionsgeschäft" relativiert diese Suggestion mit der Feststellung, dass die Banken zwar in der Tat weniger als Finanzintermediäre im engeren Sinne gefragt sind und von der Divergenz zwischen Kredit- und Einlagenzinsen profitieren, sie jedoch gleichzeitig durch Beratungs-, Vermittlungs- und sonstige Serviceleistungen verstärkt als Finanzintermediäre im weiteren Sinne tätig werden und sich hier zusätzliche Ertragsquellen erschließen.
Übungsaufgabe 1.02: a)/b):
Zinsgleitklauseln dienen dazu, die aus der Fristentransformation resultierenden Zins- und Kursänderungsrisiken in der Weise zu begrenzen, dass eventuell steigende Refinanzierungskosten an die Kreditkunden weitergereicht werden können. Auf das Ausfallrisiko haben derartige Klauseln keinerlei direkten Einfluss.
c)/d)
Kreditsicherheiten haben demgegenüber in erster Linie die Funktion, der Bank bei Zahlungsschwierigkeiten eines Kreditkunden die Möglichkeit zu eröffnen, schneller und vorrangig gegenüber anderen Gläubigern auf dessen Vermögen zuzugreifen. Auf das Zinsänderungsrisiko haben Kreditsicherheiten hingegen praktisch keinen Einfluss.
e)
Für eine Bank, deren Kreditlaufzeiten länger als ihre Einlagefristen sind, hat der Geldmarkt in erster Linie die Aufgabe, der Bank eine kurzfristige Refinanzierung bei anderen Banken zu ermöglichen.
494
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben
Übungsaufgabe 1.03: Die Abwicklung der Überweisung kann man sich in folgenden Schritten vorstellen: (1)
Die Α-Bank mindert das Guthaben von ALPHA um 1.000 (SOLL-Buchung) und zugleich ihr eigenes Guthaben bei Ζ (HABEN-Buchung. Also: Einlagen von Kunden (ALPHA)
(2)
1.000
Die Zentralbank schreibt der B-Bank 1.000 gut (HABEN-Buchung) und belastet das Konto der Α-Bank (SOLL-Buchung). Also: Guthaben A
(3)
1.000 an Zentralbankguthaben
1.000 an Guthaben Β
1.000
Die B-Bank schließlich erfasst die Steigerung ihres Z-Guthabens als SOLLBuchung und schreibt der BETA 1.000 gut (HABEN-Buchung). Also: Zentralbankguthaben
1.000 an Einlagen von Kunden (BETA)
1.000
Übungsaufgabe 1.04: Der erzielte Versteigerungserlös wird in der Weise aufgeteilt, dass die Hypo-Bank zunächst vorrangig bedient wird und die Bausparkasse erst zum Zuge kommt, wenn der Anspruch der Hypo-Bank vollständig erfüllt ist. Es ergeben sich folgende Aufteilungsergebnisse: Fall
Hypo-Bank
Bausparkasse
(1)
250.000 Euro
(2)
280.000 Euro
70.000 Euro
(3)
280.000 Euro
120.000 Euro
-
Im Fall (3) steht der die Ansprüche beider Banken übersteigende Erlös von 50.000 Euro dem bisherigen Eigentümer, also ALPHA, oder - im Fall eines allgemeinen Insolvenzverfahrens - dem Insolvenzverwalter zur Verteilung an die übrigen Gläubiger zur Verfügung.
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben
495
Übungsaufgabe 1.05: a)
Kennzeichnend für Realkreditinstitute ist die Mittelbeschaffung durch Ausgaben von Schuldverschreibungen in Form von Pfandbriefen. Diese Mittel werden in Hypothekarkrediten und Kommunaldarlehen angelegt. Sie betreiben damit Bankgeschäfte gemäß § 1 KWG Nr. 1, sind also in diesem Sinne Kreditinstituten zuzurechnen.
b)
Wertpapierbörsen sind Institutionen, die durch Festlegung bestimmter Regeln den Austausch von Wertpapieren vereinfachen und somit die mit dem An- und Verkauf verbundenen Transaktionskosten senken. Da sie jedoch nicht selbst die Übernahme und Platzierung fremder Wertpapiere übernehmen, also kein Emissionsgeschäft gemäß § 1 KWG Nr. 10 betreiben, gehören sie nicht zu den Kreditinstituten.
c)
Durch die Ausgabe von Investmentzertifikaten und die Anlage der eingelegten Gelder in verschiedenen Wertpapieren tragen Kapitalanlagegesellschaften unmittelbar dazu bei, einen Ausgleich von Anlage- und Finanzbedarf herzustellen. Sie betreiben damit Bankgeschäfte im Sinne von § 1 KWG Nr. 6 und sind somit den Kreditinstituten zuzurechnen.
d)
Spielbanken gehören überhaupt nicht zur Gruppe der Finanzdienstleistungsunternehmen. Es handelt sich vielmehr um Unternehmen, die die Möglichkeit zum öffentlichen Glücksspiel bieten.
e)
Die Deutsche Bank AG ist als private Geschäftsbank ein Kreditinstitut im Sinne des KWG.
f)
Die Deutsche Bundesbank betreibt zwar auch etliche der in § 1 KWG aufgezählten Geschäft. Gemäß § 2 KWG gilt sie aber dennoch nicht als „Kreditinstitut" im Sinne dieses Gesetzes und unterliegt mithin auch nicht dessen Vorschriften.
Übungsaufgabe 2.01 a)
Einbeziehung einer einmaligen Bearbeitungsgebühr bei der Auszahlung in Höhe von 200 Euro —» Bearbeitungsgebühr in Prozent des Kreditbetrages = 0,2% io r' =
+
M
94,8
· 100 = 12,74%
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben
496
b)
Einbeziehung einer jährlichen Bearbeitungsgebühr in Höhe von 50 Euro -> erhöhter Nominalzinssatz = 10,05% 10,05 + — r' =
95
. 100 = 12,68%
Übungsaufgabe 2.02 Für die beiden Endwerte gilt jetzt EWg(q) = 980 q 6 / 4
und
EW A (q) = 173-(q 5 / 4 + q 4 / 4 + ... + q 1 / 4 + l). Der gesuchte kritische Wert q* ist über die Gleichsetzung dieser beiden Ausdrücke oder die äquivalente Bestimmungsgleichung EWE(q*) - EWA(q*) = 0 zu ermitteln. Durch „Probieren" erhält man die Differenz EW E (q)-EW A (q) zunächst folgende Werte: q = 1,08
EWE - EW a
q = 1,07
EWE
-
EWa
= +12,57 =
-2,67
Der gesuchte Effektivzins muss also zwischen 7% und 8% und dabei deutlich näher an dem unteren als an dem oberen Randwert liegen. Man kann durch weitere Proberechnungen den exakten Wert immer enger einkreisen oder ein Programm zur Nullstellenbestimmung verwenden. Dieses führt dann zu einem Wert von q* = 1,0717572... Der Effektivzins des Annuitätenkredits beträgt also - auf zwei Kommastellen gerundet - 7,18% und liegt damit klar unter dem für den endfälligen Kredit ermittelten Satz von 7,63%. Nach gängiger Interpretation wäre das ein klarer Indikator für die Vorteilhaftigkeit des Annuitätenkredits. Die Problematik dieser Sichtweise werden wir im Buchtext kurz verdeutlichen.
497
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben
Übungsaufgabe 2.03 Die fragliche „Endgröße" kann man am einfachsten ermitteln, indem man alle in Tabelle 2.02 aufgeführten Zahlungsdifferenzen mit einem Zinssatz von 2 , 5 % pro Quartal auf das Ende des letzten Quartals aufzinst und die aufgezinsten Größen (bei Beachtung des Vorzeichens) addiert. Man kommt so über - 1 5 8 • |l,025 5 + 1 , 0 2 5 4 + 1 , 0 2 5 3 + 1 , 0 2 5 2 +1.025 1 j + 842
=
-9,26
zu dem Befund, dass der Kontokorrentkredit am Ende des Betrachtungszeitraums eine um 9.260 Euro höhere Belastung aufweisen würde, wenn statt des endfälligen Kredits der Annuitätenkredit gewählt würde. Trotz des niedrigeren Effektivzinssatzes nach Übungsaufgabe 2.02 wäre es also vorteilhaft, sich gegen den scheinbar billigeren Annuitätenkredit zu entscheiden.
Übungsaufgabe 2.04 a)
Auszahlungs- und Tilgungsmodalitäten •
Bei dem durch die vertraglichen Vereinbarungen beschriebenen Darlehen handelt es sich um ein Annuitätendarlehen ( - » vertraglich festgelegter Verlauf) mit einem Auszahlungskurs von 100%.
•
Die Tilgungsleistungen
sind unteqährlich
( - » vierteljährlich) zu
erbringen, wobei die Zahlungen weder am Ende ( - » nachschüssig) noch am Anfang (—> vorschüssig) der vierteljährlichen Zahlungsperiode erfolgen, sondern zu einem Zwischentermin, nämlich am Ende des zweiten Quartalsmonats. Verzinsungsmodalitäten •
Bezüglich der Verzinsungsmodalitäten ist festzustellen, dass zunächst ein starrer Nominalzinssatz in Höhe von 7 % p.a. vereinbart wurde. Diese Zinsbindungsfrist endet am 31.12.2019. Jede der Vertragsparteien kann bis spätestens vier Wochen vor Ablauf dieser Frist das Darlehen kündigen.
•
Die Bezugsgröße für die Zinsberechnung bildet die Restschuld, wobei jedoch die vierteljährlichen Tilgungsleistungen erst jeweils zum Ende des laufenden Kalenderhalbjahres vom Restkapital abgeschrieben und somit zinswirksam werden (—> modifizierte Restschuld).
•
Die Zinsbelastung wird halbjährlich und nachschüssig vorgenommen.
•
Für die periodischen Zinszahlungen gelten die Ausführungen zu den Tilgungsleistungen (s.o.) in analoger Weise.
498
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben
b)
Buchungen 01.01.2003
-
28.02.2003
-
Zahlungen
Restschuld -
100.000,-
Zins: 1.750,- !)
100.000,-
2.000-
Tilg.: 31.05.2003
-
250,-
Zins: 1.7502.000,Tilg.:
30.06.2003
250-
Zins: 3.500,Tilg.: 500,-
-
99.500,-
31.08.2003
-
Zins: 1.741,25 2> 2.000,Tilg.: 258,75
99.500,-
30.11.2003
-
Zins: 1.741,25
99.500,2.000-
Tilg. : 31.12.2003
Zins: Tilg.:
258,75
3.482,50 517,50
-
98.982,50
1) Da die Restschuld zu Beginn des ersten Halbjahres 100.000 Euro beträgt, errechnet sich der Zinsanteil der im ersten und zweiten Quartal erfolgenden Zahlungen wie folgt: 1/4 · 0,07 · 100.000 = 1.750. 2) In analoger Weise errechnet sich für den Zinsanteil im dritten und vierten Quartal: 1/4 · 0,07 · 99.500 = 1.741,25.
Übungsaufgabe 2.05 Kündigungsmodalitäten a)
Investitionskredit an eine GmbH über 20 Jahre (1)
mit festem Zins für die gesamte Laufzeit: Der Kreditnehmer kann den Kredit nach 10 Jahren unter Wahrung einer Kündigungsfrist von 6 Monaten kündigen (Fall 2a).
(2)
mit variablem Zins: Der Kreditnehmer kann jederzeit unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 3 Monaten kündigen (Fall 1).
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben
b)
499
Investitionskredit mit Zinsbindungsfrist unter 10 Jahren Der Kreditnehmer kann den Vertrag in beiden Fällen frühestens zum Ablauf der Zinsbindungsfrist kündigen (Fall 2b).
c)
d)
Investitionskredit mit Zinsbindungsfrist über 10 Jahren (1)
Der Kreditnehmer kann frühestens zu einem Termin 2 Monate vor Ablauf der Zinsbindungsfrist kündigen (Fall 2c in Verbindung mit 2a).
(2)
Wie die Lösung zu b) (Fall 2c in Verbindung mit 2b).
Konsumentenkredit mit festem Zins für die gesamte Laufzeit Sie können jederzeit mit einer Frist von 3 Monaten kündigen.
Übungsaufgabe 2.06 Die Angaben geben in ihrem statistischen Kern die in den 80er und 90er Jahren in Deutschland herrschenden Verhältnisse korrekt wieder. Die daraus gezogenen Folgerungen gehen allerdings in die Irre: •
Die erst Aussage impliziert, dass alle Gläubiger bei der Ablehnung eines Insolvenzverfahrens „mangels Masse" leer ausgingen. Dies mag eventuell für die Inhaber unbesicherter Forderungen auch zutreffen; zumindest die Sicherungsgläubiger wie etwa Kreditinstitute und häufig auch Lieferanten haben jedoch immer noch gute Aussichten, im Wege der Einzelvollstreckung einen nennenswerten Teil ihrer Ansprüche zu realisieren.
•
Die zweite Aussage impliziert, bei Durchführung eines Insolvenzverfahrens erhielte die Gesamtheit der Gläubiger lediglich eine Befriedigungsquote von 5%. Die zitierte Insolvenzquote bezieht sich aber nur auf die ungesicherten Insolvenzgläubiger. Wie das Beispiel auf S. 58 f. der Kurseinheit 1 exemplarisch verdeutlicht, können die tatsächlichen Befriedigungsquoten der anderen Gläubigergruppen de facto deutlich höher liegen, wie die - vergleichsweise wenigen - insolvenzstatistischen Untersuchungen auch klar belegen.
500
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben
Übungsaufgabe 2.07 (1)
Die CASH-Bank erhält den ihr zustehenden Forderungsbetrag nunmehr nicht in voller Höhe, sondern nur den erzielten Verkaufserlös in Höhe von 115.300 Euro. Wegen des ausstehenden Differenzbetrages (10.400 Euro) wird sie in die Gruppe „unbesicherte Insolvenzgläubiger", ganz am Ende der Verteilungsskala eingeordnet und erhält davon nur noch 5%, d.h. 520 Euro. Insgesamt realisiert sie demnach mit einem Gesamtrückzahlungsbetrag von 115.820 Euro eine Befriedigungsquote von gut 92%.
(2)
Der WAREN KG gelingt durch Verkauf der zurückerhaltenen Waren über dem mit der X-GmbH vereinbarten Kaufpreis die Erzielung eines Gewinns in Höhe von 12.000 Euro. Da es sich bei Lieferungen unter Eigentumsvorbehalt um ein Aussonderungsrecht handelt, fließt dieser Gewinn nicht in die Insolvenzmasse der GmbH ein. Die WAREN KG hat eine Befriedigungsquote von 100% und sogar noch einen darüber hinausgehenden Gewinn erreicht.
(3)
Dem Anspruch von der Bäckerei in Höhe von 3.200 Euro steht eine gegen ihn gerichtete Forderung der X-GmbH von 3.600 Euro gegenüber. Durch die Aufrechnung wird zum einen sein Anspruch voll befriedigt; er erreicht also eine Befriedigungsquote von 100%. Zum anderen ist er verpflichtet, den der X-GmbH geschuldeten Betrag in Höhe von 400 Euro in die Insolvenzmasse einzubringen.
(4)
Die Position von Alfons verändert sich nicht.
Übungsaufgabe 2.08: Die zitierte „Werbebotschaft" ist in mehrfacher Hinsicht zu relativieren: 1.
Die Finanzierung mittels Factoring erfolgt nicht vollständig „umsatzsynchron", sondern je nach der konkret getroffenen Vereinbarung nur zu 80%90%. Immerhin kann noch von einer „annähernd" umsatzsynchronen Finanzierung gesprochen werden.
2.
Unabhängig von diesem eher sprachlichen Einwand ist materiell zu berücksichtigen, dass der Verzicht auf die Beanspruchung von Lieferantenkrediten nur ein mögliches Reaktionsmuster auf den Abschluss eines Factoringvertrages darstellt.
3.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass es jedwede andere Art der Finanzierung - also etwa ein Diskont- oder Zessionskredit - ebenfalls ermöglicht, auf Lieferantenkredite zu verzichten, sofern dies als die günstigste Verwendung der Finanzmittel angesehen wird. Diese Möglichkeit stellt also keineswegs einen ausschließlich für das Factoring spezifischen Effekt dar.
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben
501
Übungsaufgabe 2.09: a)
Zur Beurteilung des Factoring-Angebotes reicht ein Vergleich der Zahlungsreihen, die aus einer Rechnung mit und ohne Factoring resultieren. Die Zahlungskonsequenzen einer Rechnung - mit und ohne Factoring - werden in folgender Tabelle dargestellt. Anfang des 1. Monats
Ende des 1. Monats
Ende des 2. Monats
Zahlungen bei Factoring: Rechnungsbetrag abzgl. Einbehalt
+ 800.000
Auszahlung des Einbehalts
+ 200.000
Gebühren
-30.000
Zinsen
- 16.080*
eingesparte Auszahlungen**
+ 5.000
Zahlungsreihe mit Factoring (1)
+ 770.000
+ 5.000
+ 1.000.000
Zahlungsreihe ohne Factoring (2) Differenzzahlungsreihe (1)./. (2) *
+ 183.920
+ 770.000
+ 5.000
-816.080
Die Zinsbelastung ergibt sich aus: 800.000 (1 + 0,01) (1 + 0,01) - 800.000 = 16.080 Die Gebühren und die eingesparten Auszahlungen gehen in diese Zinsrechnung nicht ein, da sie nicht das Factoringkonto betreffen.
** Als eingesparte Auszahlungen im Bereich der Debitoren Verwaltung können den Forderungen eines Monats nur einmal 5.000 GE zugerechnet werden.
Als Endwert des Factoring-Vertrages (bezogen auf eine Rechnung und einen Bewertungszeitpunkt nach 2 Monaten) ergibt sich also: EW =
770.000 · 1 +
0,132 12
+ 5.000 • 11 + M p i _ 816.080
= -23.991,83 . ANKUND sollte unter den getroffenen Annahmen also nicht auf das Angebot eingehen. b)
Die Berücksichtigung berechtigter Kürzungen ist nicht entscheidungsrelevant. Sie führt mit oder ohne Factoring zu einer Minderung der Einzahlung am Ende des 2. Monats um 50.000,- GE. Die entscheidungsrelevante Differenzzahlungsreihe bleibt also unverändert.
502
c)
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben
Das Ausfallrisiko lässt die Zahlungsreihe mit Factoring (gegenüber b) unverändert, ist aber in der Zahlungsreihe ohne Factoring zu berücksichtigen.
ZR mit Factoring
Anfang des 1. Monats
Ende des 1. Monats
Ende des* 2. Monats
+ 770.000
+ 5.000
+ 133.920
ZR ohne Factoring Differenzzahlungsreihe
-
-
+ 770.000
+ 5.000
+ ( l - a ) · 950.000 + 133.920 - ( 1 - a ) · 950.000
*
Gegenüber Aufgabenteil a) sind hier wegen der berechtigten Rechnungskürzungen jeweils um 50.000 GE verminderte Zahlungseingänge anzusetzen.
Die Vorteilhaftigkeit des Factoring-Angebotes hängt jetzt von der Höhe der Ausfallwahrscheinlichkeit α ab. Das Angebot ist vorteilhaft, wenn gilt f
+ 770.000· I 1 + ^ ^ 1 + 5.000
η nV 1 + ^ - ] +133.920>(l-a)·950.000
ν 926.008,17 > (l - oc) · 950.000
α > 0,0253 .
Das Factoring-Angebot ist für ANKUND also dann vorteilhaft, wenn er die Ausfallwahrscheinlichkeit größer als 2,53% einschätzt.
Übungsaufgabe 2.10: Die fraglichen Forderungen werden von dem Initiator an die Zweckgesellschaft abgetreten, ohne dabei in irgendeiner Weise ihre Qualitäten zu ändern oder gar „verbrieft" zu werden. Die „Verbriefung", d.h. die Unterlegung mit Wertpapieren, bezieht sich vielmehr auf die Ansprüche, die die Investoren als Gegenleistung für ihre Zahlungen an die Zweckgesellschaft erwerben. Die zitierte Formulierung ist also - ungeachtet ihrer weiten Verbreitung - eigentlich unzutreffend.
Übungsaufgabe 2.11: a)
Der Kooperationsvorteil kann beziffert werden, indem man die Differenz zwischen -
dem alternativen Anlagezins der Investoren (5,5%) und dem alternativen Kreditzins der ALPHA AG (7,143%),
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben
503
also einen Satz von 1,643% auf den maßgeblichen Finanzierungsbetrag von 70 Mio. Euro bezieht. Man erhält so den Betrag von 1,15 Mio. Euro, der sich wie folgt aufteilt:
b)
•
Die Investoren einerseits erzielten auf die Investitionssumme von 70 Mio. Euro eine um 0,5%-Punkte höhere Verzinsung, also ein Plus von 0,35 Mio. Euro.
•
Die ALPHA AG andererseits spart die schon im Beispieltext angesprochenen 1,143% auf den ihr zufließenden Finanzierungsbetrag von 70 Mio. Euro, also 0,80 Mio. Euro.
Bezeichnet man den Betrag der Transaktionskosten mit K, so können die mit dem Zessionskredit einerseits und der ABS-Maßnahme andererseits verbundenen Zahlungsreihen und die zwischen ihnen auftretenden Differenzen wie folgt verdeutlicht werden.
A
t=1 Β
C
+70
+31,0
+20,4
+9,8
+70-Κ
+31,8
+21,2
+10,6
t=0 (1) Zahlungen Zessionskredit (2) Zahlungen ABS (2) ./. (1)
-Κ
+ 0,8
Die letzte Zeile verdeutlicht die Konsequenzen eines Übergangs von dem Zessionskredit zu der ABS-Finanzierung: Im Zeitpunkt t = 0 entstehen Minderzahlungen von K; dem - stehen unabhängig von dem Volumen etwaiger Forderungsausfälle - im Zeitpunkt t = 1 zusätzliche Zahlungseingänge von 0,8 Mio. Euro gegenüber. Da die Minderzahlung annahmegemäß zu Lasten des 10%-igen Kontokorrentkredits aufgefangen wird, sind die beiden Finanzierungsvarianten gerade äquivalent, wenn 1,1 Κ = 0,8 bzw. Κ = 0,727 gilt. Solange die Transaktionskosten also (gerundet) unter 727.000 Euro liegen würden, wäre die ABS-Konstruktion dem traditionellen Bankkredit vorzuziehen.
504
c)
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben
Dass die Argumentation der eifrigen Assistentin eine .»Milchmädchenrechnung" ist, lässt sich auf unterschiedliche Weise zeigen. Eine mögliche Widerlegung wäre die folgende: Lässt man zunächst die Kosten außer Acht, so kann die GAMMA ja an die ALPHA AG nur genau den Betrag weiterleiten, den sie von sämtlichen Investoren erhält. Es sind dies -
wie gehabt 70 Mio. Euro von den Zeichnern der Senior-Class sowie
-
nach der vorgetragenen Argumentation immerhin 20 Mio. Euro von den Zeichnern der Junior-Class.
Die ALPHA AG erhielte insoweit in der Tat mit einem Gesamtbetrag von 90 Mio. Euro genau 1 Mio. Euro mehr ausgezahlt, als das in der bisherigen Darstellung des Beispiels der Fall war. Der „Pferdefuß" besteht allerdings darin, dass die ALPHA AG als alleiniger Zeichner der Junior-Class ihrerseits an die GAMMA 20 statt der bislang unterstellten 19 Mio. Euro zahlen muss, so dass die Variation des unterstellten Verkaufspreises „zur einen Tasche hinein" und gleichzeitig „zur anderen Tasche hinaus" geht. Solange die ALPHA AG die gesamte Junior-Class vollständig übernimmt, ist der dafür angesetzte Preis letztlich völlig unerheblich. Entscheidend ist allein der durch den Verkauf der Senior-Class erzielbare Emissionserlös.
Übungsaufgabe 2.12 01.01.2009:
Auszahlung von 96.000; Restschuld
31.12.2009:
Zahlung der fälligen Zinsen = 8'1c von 100.000
=
8.000 Euro,
e
Zahlung der falligen Tilgung = I ,% von 100.000 Restschuld 31.12.2010:
1.000 Euro, =
Zahlung der fälligen Zinsen = 8*1c von 99.000
99.000 Euro. 7.920 Euro,
Zahlung der fälligen Tilgung = ]1% von 100.000 + ersparte Zinsen Restschuld
100.000 Euro.
1.080 Euro, =
97.920 Euro.
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben
b)
505
Wir wissen nicht, zu welchem Ergebnis Ihre Schätzung geführt hat. Eine exakte finanzmathematische Rechnung führt zu folgenden Ergebnissen: •
Am Ende des 28. Jahres beträgt die Restschuld noch 4.661,17 Euro.
•
Das Darlehen könnte durch eine am Ende des 29. Jahres erfolgende Schlusszahlung von (4.661,17 • 1,08 =) 5.034,06 Euro getilgt werden.
•
Der exakte Wert für die Effektiv Verzinsung beträgt dann 8,45%.
Übungsaufgabe 2.13 Die drei Alternativen entfalten alle eine identische Finanzierungswirkung im Zeitpunkt t = 0 (100.000 Euro Auszahlung). Als Vergleichsmerkmale bieten sich somit zunächst die „Laufzeit" und die .jährliche Belastung" an: Unter dem Aspekt der Laufzeit ergibt sich folgende Rangfolge der Alternativen: 1.
Alternative I
(=28 Jahre)
2.
Alternative Π
(= 29 Jahre)
3.
Alternative ΠΙ
(= 34 Jahre).
Die jährliche Belastung stellt sich wie folgt dar: 1.
Alternative III
(= 9.015 bzw. 9.000 Euro)
2.
Alternative II
(= 9.375 Euro)
3.
Alternative I
(= 9.500 Euro)
Für den angestrebten Vergleich lässt sich nun folgender „trivialer" Zusammenhang erkennen: Die Höhe der jährlichen Belastung ergibt sich in Abhängigkeit von der Laufzeit des Darlehens. So hat die erste Alternative mit der kürzesten Laufzeit die höchste, Alternative III mit der längsten Laufzeit die niedrigste jährliche Belastung. Daraus ergibt sich, dass anhand der vorhandenen Angaben eine eindeutige Vorteilhaftigkeitsanalyse nicht möglich ist: Dies wäre z.B. über eine finanzmathematische Betrachtung der gesparten Beträge bei Alternative III im Vergleich zu den ersten beiden unter Heranziehung weiterer Informationen möglich.
506
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben
Übungsaufgabe 2.14 a)
b)
Hypothekarkredit der Bank + Bauspardarlehen A
30.000 Euro
+ Eigenmittel aus Bausparvertrag A
20.000 Euro
Summe
200.000 Euro
Kaufpreis der Eigentumswohnung
250.000 Euro
./. Darlehen und Eigenmittel (s.o.)
200.000 Euro
Rest-Finanzierungsbedarf
50.000 Euro
Hypothekarkredit der Bank
150.000 Euro
+ Bauspardarlehen A
20.000 Euro
+ Bauspardarlehen Β
30.000 Euro
+ Eigenmittel aus Bausparvertrag A und Β
50.000 Euro
Summe
250.000 Euro
Kaufpreis der Eigentumswohnung
320.000 Euro
./. Darlehen und Eigenmittel (s.o.)
250.000 Euro
Rest-Finanzierungsbedarf
c)
150.000 Euro
70.000 Euro
Im Fall b) liegt der Rest-Finanzierungsbedarf mit 70.000 Euro um 20.000 Euro höher als im Fall a). Der im Vergleich zum Fall a) um 70.000 Euro erhöhte Gesamt-Finanzierungsbedarf (Kaufpreis der Wohnung) im Fall b) konnte also nur teilweise durch den dort zur Verfügung stehenden Bausparvertrag Β abgedeckt werden. Zwar konnte auf das Bausparguthaben in Höhe von 30.000 Euro aus Bausparvertrag Β zurückgegriffen werden, die grundsätzlich disponiblen Bauspardarlehen aus den Bausparverträgen A und Β konnten jedoch wegen Überschreitens der mit 80% fixierten Gesamtbelastung (150.000 Euro (Hypothekarkredit) + 30.000 Euro (Bauspardarlehen A) + 40.000 Euro (Bauspardarlehen B) = 220.000 Euro = 88% des Beleihungswertes von 250.000 Euro) nicht in voller Höhe in Anspruch genommen werden. Bei der Berechnung im Fall b) wurden die Bauspardarlehen in gleicher Höhe um jeweils 10.000 Euro gekürzt, da sie durch untereinander gleichrangige Hypotheken zugunsten der beiden Bausparkassen gesichert sind.
Lösungsmuster
zu den
507
Übungsaufgaben
Übungsaufgabe 2.15 Kreditbetrag + +
60.000 Euro
Bearbeitungsgebühr 2% v. 60.000 Euro
1.200 Euro
Zins 36 χ (0,0038 v. 60.000 Euro)
8.208 Euro 69.408 Euro
Dementsprechend gilt für die pro Monat zu erbringende Zahlung: Monatszahlung = ^ ^
= 1.928,00 Euro.
Übungsaufgabe 2.16 Zahlungsreihen ohne Berücksichtigung von Steuern 1. Jahr
2. Jahr
3. Jahr
4. Jahr
Kreditkauf Tilgung
-25.000
-25.000
-25.000
-25.000
Zinsen
-10.000
-7.500
-5.000
-2.500
Verkaufserlös Gesamtzahlung
+10.000 -35.000
-32.500
-30.000
-17.500
Leasing Leasingrate
-30.000
-30.000
-30.000
-30.000
Gesamtzahlung
-30.000
-30.000
-30.000
-30.000
3. Jahr
4. Jahr
Zahlungsreihen mit Berücksichtigung von Steuern 1. Jahr
2. Jahr Kreditkauf
Restschuld
100.000
75.000
50.000
25.000
Zinsen
10.000
7.500
5.000
2.500
Planm. Abschreibung
20.000
20.000
20.000
20.000
Mindererlös
10.000
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben
508
Ertragsteuer I Mind, der Bemessungsgrundlage
-30.000
-27.500
-25.000
-32.500
Steuereinsparung
+4.500
+4.125
+3.750
+4.875
Mind, der Bemessungsgrundlage
-27.500
-25.625
-23.750
-31.875
Steuereinsparung
+4.125
+3.844
+3.563
+4.781
Summe der Steuereinsparung
+8.625
+7.969
+7.313
+9.656
-26.375
-24.531
-22.688
-7.844
Ertragsteuer Π
Zahlung nach Steuern
Leasing Leasingrate
30.000
30.000
30.000
30.000
Mind, der Bemessungsgrundlage
-30.000
-30.000
-30.000
-30.000
Steuereinsparung
+4.500
+4.500
+4.500
+4.500
Mind, der Bemessungsgrundlage
-28.500
-28.500
-28.500
-28.500
Steuereinsparung
+4.275
+4.275
+4.275
+4.275
Summe der Steuereinsparung
+8.775
+8.775
+8.775
+8.775
-21.225
-21.225
-21.225
-21.225
Ertragsteuer I
Ertragsteuer Π
Zahlung nach Steuern Übungsaufgabe 2.17
Zunächst einmal ist festzustellen, dass es unnötig ist zu diskutieren, ob Leasing (insbesondere das Finanzierungsleasing) ein Finanzierungsinstrument, eine Investitionsmaßnahme oder gar eine Aktivität sui generis darstellt. Leasing ist als Alternative zum unmittelbaren Kauf eines entsprechenden Objektes und seiner Finanzierung aus frei verfügbaren Mitteln oder durch die Aufnahme eines Kredits zu sehen. Hinsichtlich der Nutzbarkeit des Objektes und der daraus resultierenden Erträge unterscheiden sich Leasing- oder Kaufalternative zumindest für die Grundmietzeit nicht. Untersuchungsgegenstand sind daher die jeweils aufzubringenden Zahlungsströme, genauer gesagt die Zahlungsreihen nach Steuern.
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben
509
1. Feste gleichbleibende Zinsen Gemeint sind nicht Zinsen, sondern die in der Erläuterung zu diesem ersten Slogan genannten Zahlungen. Richtig ist, dass in der Grundvariante des Leasing der Zahlungsstrom eine nach Vertragsabschluss feststehende Größe darstellt und somit eine Kalkulation unter Sicherheit ermöglicht. Fraglich ist aber, worin hier der behauptete Vorteil zur „bankgemäßigten Objektfinanzierung" zu sehen ist. Denn auch bei einer Kreditfinanzierung ist eine Festlegung aller Zahlungsgrößen durchaus auch bis zum Ende der Finanzierungsdauer - möglich und üblich (z.B. im Wege eines Annuitätendarlehens). Womöglich stellt die Behauptung darauf ab, dass bei sehr langen Laufzeiten bis zur vollständigen Tilgung eines Bankkredites die Zinsbindungsfrist, also die Dauer, für welche die Kreditzinsen fest vereinbart sind, häufig endet, bevor die Kreditschuld vollständig abgetragen ist. Dies ist aber eine keineswegs notwendig zutreffende Konstellation, insbesondere nicht bei den eher im mittelfristigen Bereich liegenden Vertragsdauern in der Kreditfinanzierung typischer betrieblicher Investitionsgegenstände wie Maschinen oder Fahrzeuge. 2. Liquidität Unter diesem Schlagwort werden hier zwei Aspekte angesprochen. Zum einen der Zahlungsmittelbedarf im Zeitpunkt der Anschaffungsauszahlung („100%ige Finanzierung"), zum anderen die Aufrechterhaltung weiterer Verschuldungsmöglichkeiten („Kreditspielräume bleiben erhalten"). Zum ersten Aspekt ist einerseits die Verkürzung des Leasing auf solche Fälle festzustellen, in denen die Leasinggesellschaft tatsächlich den benötigten Kaufpreis vollumfänglich finanziert. Das ist jedoch nicht immer so. Vielmehr sind als „Sonderzahlungen" oder „ A n z a h l u n g e n " oder ähnlich bezeichnete Zahlungsleistungen durch den Leasingnehmer bei Beginn des Leasingverhältnisses eine vielfach zu beobachtende Praxis (die übrigens auch das Berechnungsmodul auf der InternetSeite der CTB LEASING explizit berücksichtigt!). Andererseits sind auch Banken je nach Kundenbonität und Investitionsobjekt häufig durchaus bereit, eine Anschaffung zu 100% mit einem Kredit zu finanzieren. Beim zweiten Aspekt fällt zunächst einmal die vorgenommene Behauptung einer kausalen Beziehung zum ersten Aspekt auf. Dass die 100%ige Fremdfinanzierung die Voraussetzung der Erhaltung von Kreditspielraum ist, kann zutreffen; denn ein späterer Kreditgeber könnte zur Kreditvergabe eventuell nur bereit sein, wenn der Kreditnehmer teils Eigenmittel einsetzt. Allerdings könnte man sich auch vorstellen, dass umgekehrt gerade heutige Fremdfinanzierungen mit einem geringeren „Verschuldungsgrad" künftige Kreditgeber eher geneigt machen, später ein umso höheres Kreditvolumen auszureichen. Abgesehen von dieser nicht eindeutigen Kausalität wird zudem offenbar behauptet, eine Leasingfinanzierung schränke im Gegensatz zum Bankkredit die Möglichkeiten späterer (weiterer) Kreditaufnahmen überhaupt nicht ein. Dem liegt
510
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben
augenscheinlich die Vorstellung zugrunde, mögliche spätere Gläubiger interessierten sich bei der Kreditwürdigkeitsprüfung ausschließlich für bestehende „echte Darlehen" des Kreditantragstellers, jedoch keinesfalls für existierende Verpflichtungen aus Leasingverträgen. Das ist eine zumindest als spekulativ einzustufende Annahme. Das Gros der professionellen Kreditgeber dürfte sich sehr wohl auch für die laufenden Leasingverträge ihrer Schuldnerschaft interessieren. 3. Steuern Hier bleibt unklar, was mit „investitionsbezogenen Steuern" gemeint ist. Die Erträge, die das Investitionsgut hoffentlich einstmals erzielen wird, können nicht gemeint sein, da diese im Allgemeinen zu versteuern sind. Vermutlich ist die Umsatzsteuer gemeint, die dem Kreditkäufer entsteht, dem Leasingnehmer jedoch zunächst tatsächlich nicht, allerdings später mit den Leasingraten. Die damit zunächst erreichte Verminderung von Auszahlungen ist jedoch kein Spezifikum der Leasingfinanzierung, sondern bewegt sich auf der schlichten Ebene der Verschiebung von Zahlungslasten in die Zukunft - schließlich ist die Umsatzsteuer eine proportionale Größe des Nettokaufpreises bzw. der Leasingrate - , die auch mit einer Kreditfinanzierung ganz natürlicherweise erreicht wird. 4. Rentabilität Dies ist einfach die generelle Behauptung, die gesamte Belastung aus Finanzierungs- und wohl auch sonstigen Kosten sei beim Leasing geringer als beim Kreditkauf. Dass diese Aussage in ihrer Pauschalität zutrifft, dürfte eine durchaus verwegene Hoffnung sein, die ja durch ein einziges Gegenbeispiel zu entkräften wäre. Im Einzelfall kann die Vorteilhaftigkeit des Leasing nur durch eine Endvermögensrechnung geprüft werden, die sämtliche monetisierbaren Aspekte des Vergleichs bezüglich eines treffend gewählten Endzeitpunktes enthalten müsste. 5. Pay as you earn Üblicher Slogan, der eine ganz besondere Abstimmung zwischen Investitionsertrag - genauer: Investitionseinzahlung - und Leasingzahlung suggeriert. Richtig ist aber das Gegenteil: die Leasingrate ist eine unbedingte Zahlungsverpflichtung, die der Leasingnehmer zu erfüllen hat, ganz gleich, wie gut oder schlecht seine Geschäfte - seien es nun solche, die mit dem Leasinggut tatsächlich in Zusammenhang stehen oder sonstige Geschäfte - laufen. „Pay - whether you earn or not" wäre eine dem wahren Sachverhalt gemäße Formulierung. Und damit fragt sich auch hier wieder, wo der Unterschied zum Bankkredit denn liegen soll. Zumal auch der Kreditkäufer das Investitionsobjekt „vom ersten Tag an voll nutzen" kann.
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben
511
6. Wiederbeschaffung Im Vergleich zu den bisherigen Punkten ein fast schon originelles Argument. Unterstellt ist vermutlich ein Vollamortisationsvertrag ohne Kauf- oder Mietverlängerungsoption. Dann steht der Leasingnehmer bei Vertragsende schließlich ohne das geleaste Objekt dar, das er im Falle des Kreditkaufes - weitere Annahme! noch besäße. Wenn nun noch unterstellt wird, dass es sich in jedem Falle um eine betriebsnotwendige Anlage handelt, so fallt der Entschluss zur Ersatzinvestition in der Tat recht leicht, denn er ist ja unumgänglich. Allerdings ist damit noch lange nicht entschieden, wie die Ersatzinvestition und ihre Finanzierung denn beschaffen sein soll. Das damit Zusammenhängende fällt womöglich um vieles „schwerer" als einfach eine alte kreditfinanzierte Maschine weiter zu nutzen, so lange es geht. Zudem ist entgegenzusetzen, dass der in der Regel flexiblere Wiederbeschaffungszeitpunkt einer kreditfinanzierten Anlage durchaus nicht nur als zusätzliche Entscheidungslast, sondern als Chance eines gegen Umweltveränderungen anpassungsfähigeren Investitionsmanagements empfunden werden dürfte. 7. Bilanzierung Bilanzneutralität ist ein häufig genannter Aspekt des Leasing. Richtig ist, dass Leasinggegenstände in aller Regel tatsächlich vom Leasingnehmer nicht bilanziert werden, ebensowenig die aus dem Leasingvertrag resultierenden Verpflichtungen. Inwiefern daraus ein Vorteil erwachsen mag, verschweigt die Liste allerdings. Denkbar sind insbesondere zwei Wirkungskanäle: Günstigere Bilanzkennzahlen sowie geringere Offenlegungspflichten (vgl. zu den somit möglicherweise entstehenden vorteilhaften Effekten der Leasingfinanzierung die Ausführungen in der Kurseinheit 2, Gliederungspunkt 2.3.3.2 (3) (c)).
Als Fazit lässt sich festhalten, dass in dieser Werbeaussage in recht suggestiver Weise dem Leasing vermeintliche Vorteile zugeschrieben werden, die im Vergleich zu anderen Finanzierungsvarianten im Einzelfall zwar vorliegen können, keineswegs jedoch in der behaupteten Allgemeingültigkeit bestehen.
Übungsaufgabe 2.18 a)
Einlagen stiller Gesellschafter sind nicht der Eigenfinanzierung, sondern der Fremdfinanzierung zuzurechnen, da dem stillen Gesellschafter im Insolvenzfall auf jeden Fall eine Gläubigerposition zukommt (vgl. § 236 HGB).
b)
Je nach Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrags kann die Beteiligung als stiller Gesellschafter dem für die Eigenfinanzierung typischen Merkmalen ziemlich nahe kommen. So kann diese Finanzierungsform etwa durch folgende vertragliche Vereinbarungen auch verschiedene eigenmittelähnliche Merkmale aufweisen:
512
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben
-
Beteiligung am Gewinn und Verlust des Unternehmens (vgl. §§ 231, 232 HGB);
-
über den Nominalbetrag der Einlage hinausgehender Rückzahlungsbetrag aufgrund quotaler Beteiligung am Unternehmenswert (einschließlich stiller Rücklagen und Firmenwert) bei Kündigung bzw. Auseinandersetzung ;
-
über die Einsichts- und Kontrollrechte gemäß § 233 HGB hinausgehende aktive Mitwirkung an der Geschäftsführung.
Soweit die beiden letztgenannten Kriterien gegeben sind, spricht man auch von einer atypischen stillen Gesellschaft.
Übungsaufgabe 2.19 a)
„Aktiengesellschaften finanzieren sich über die Börse ". Hierbei handelt es sich um ein weitverbreitetes Missverständnis. Die Emissionsfinanzierung selbst vollzieht sich entgegen landläufigen Vorstellungen gerade nicht über die Börse. Der Kontakt zwischen Emittent und Zeichner wird vielmehr auf andere Weise hergestellt. Folgende Möglichkeiten der Emissionsfinanzierung lassen sich nennen: -
Selbstemission
und -
Fremdemission.
Bei ersterer stellt der Emittent selbst die Beziehung zum Zeichner her, bei der zweiten, weitaus gebräuchlicheren, Form übernimmt eine Bank oder ein Bankenkonsortium diese Funktion.
b)
„Aktiengesellschaften mit börsennotierten Aktien haben bessere Finanzierungsmöglichkeiten als andere Unternehmen". Mit der Börsennotierung wird bestimmten Anforderungen der Anleger Rechnung getragen. Die Möglichkeit, einen gezeichneten Finanztitel jederzeit nach Gutdünken schnell, ohne nennenswerte Schwierigkeiten und mit niedrigen Transaktionskosten verkaufen zu können, ist für viele Anleger eine wichtige Voraussetzung für ihre Bereitschaft, einen zur Zeichnung angebotenen Finanztitel überhaupt zu übernehmen. Aus diesem Grund wird für die zur Emission aufgelegten Wertpapiere (und Wertrechte) in aller Regel zugleich die Zulassung zum Börsenhandel beantragt.
513
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben
Übungsaufgabe 2.20 a)
Die Laufzeit des FRA geht vom 29. September bis 29. Dezember des gleichen Jahres, was genau 91 Tagen entspricht. Usancegemäß zwei Tage nach Laufzeitbeginn, also am 1. Oktober hat die Ausgleichszahlung zu erfolgen. An diesem Tag erhält der Kunde Β von Bank A folgenden diskontierten Betrag, wobei sich kleinere Abweichungen von Ihren Rechenergebnissen durch Rundungen ergeben können: 5.000.000 Euro · 0,3% · 91/360 = 3.791,67 Euro; 3.791,67 Euro/(l + 0,06/360.· 91) = 3.735,02 Euro.
b)
(1) 5 Mio. · (1+0,063/360-91) = 5.079.625 Euro (2) 5.003.735,02 · (1+0,06/360 · 91) = 5.079.625 Euro
Die Endguthaben stimmen tatsächlich überein; die Sicherung durch das FRA ist also wirksam.
Übungsaufgabe 2.21 Wie die Graphik in der folgenden Abbildung zeigt, gerät der Floor bei einem EuRIBOR von 5,75% in die Gewinnzone: Gewinn in %
1,0-
0,750,500,252
3
-0,25-0,50-0,75-1,0-
Verlust in %
Ergebnisfunktion für einen Floor
4
7
8
9
10
Begrenzter Verlust
* EURIBOR in %
514
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben
Übungsaufgabe 3.01 a)
Die Kursnotiz lautet 312 bB, da beim umsatzmaximalen Kurs (312 Euro) noch ein kleiner Angebotsüberhang von 20 Stück besteht.
b)
Der Makler müsste einen zusätzlichen Kauf - Auftrag (Nachfrage) mit Limit bis 312 über 20 Stück in den Markt geben, d.h. die limitierten Kauf Aufträge müssten um 20 von 101 auf 121 aufgestockt werden. neue kumulierte Nachfragefunktion unter
über
c)
310
555
310
555
311
466
312
394
313
273
313
198
In einem ersten Schritt sind zunächst erst die neuen kumulierten Angebotsund Nachfragefunktionen abzuleiten: Angebot
Nachfrage
möglicher Umsatz
unter 309
127
535
127
309
197
535
197
310
284
535
284
311
396
446
(396)
312
464
374
374
313
557
273
273
313
557
198
198
Kurs
über
1)
Die neue Kursnotiz müsste 311 bG lauten, da ein Nachfrageüberhang in Höhe von 50 Stück besteht.
2)
Ein Ausgleich des Nachfrageüberhanges könnte durch einen zusätzlichen Verkaufsauftrag über 50 Aktien erfolgen, der uniimitiert oder auf einen Kurs unter 312 limitiert sein müsste.
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben
515
Übungsaufgabe 3.02: a)
Als „günstig" werden jeweils die am niedrigsten limitierte Verkaufsorder und die am höchsten limitierte Kauforder interpretiert. Dann ergeben sich folgende Informationen über die Orderlage:
Zeitpunkt
Informationen
t= 1+
67 G
t=2 +
67 G; 68 Β
t=3 +
68 Β
t=4 +
66 G ; 6 8 Β
t=5 +
68 Β
t=6 +
b)
Erläuterung offene Order A offene Orders A und Β offene Order Β offene Orders D und Β offene Order Β keine offene Order mehr vorhanden
-
Aus den vorliegenden Daten lässt sich folgendes Bild des Orderbuchs für die Einheitskursermittlung herleiten:
Kurs
Angebot (Orders) (E)
Nachfrage (Orders)
Umsatz
3.000 (F, A, D)
1.000
66
1.000
67
2.000 (E, C)
2.000
(F,A)
2.000
68
3.000 (E, C, B )
1.000
(F)
1.000
Zu dem Einheitskurs von 67 würden also die Orders A, C, E und F durchgeführt, während die „Grenzaufträge" Β (Angebot mit Limit 68) und D (Nachfrage mit Limit 66) nicht zur Ausführung kämen. Im Vergleich zu der unter a) betrachteten Situation ergeben sich dabei für die in beiden Konstellationen durchgeführten Orders als Resultat des Einheitskursverfahrens folgende Abweichungen: A:
unveränderter Kauf zu dem selbst gegebenen Limit von 67
F:
Kauf zu 67 anstatt zum Limit von 68
C:
unveränderter Verkauf zu dem selbst gegebenen Limit von 67
E:
Verkauf zu 67 anstatt zum Limit von 66.
Die Anleger F und E stellen sich beim Kauf bzw. Verkauf der Aktien also jeweils um 1.000 Geldeinheiten besser als bei a). Auf der anderen Seite
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben
516
-
bleibt Anleger Β im Besitz von Aktien zum aktuellen (Einheits-) Kurswert von 67, die er in Situation a) zu 68 hätte verkaufen können, während
-
Anleger D Aktien, die er nach a) zu 66 hätte erwerben können, nun nicht erhält.
Übungsaufgabe 3.03: a)
Wenn der Market-Maker permanent Papiere zu 67 ankauft und -
zu 68 verkauft,
werden offensichtlich -
die Verkaufsorders C (Limit 67) und E (Limit 66) jeweils zum Kurs von 67 durchgeführt und analog auch die Kauforder F (Limit 68).
Die Verkaufsorder Β (Limit 68) und die Kauforders A (Limit 67) und D (Limit 66) bleiben hingegen unerfüllt.
b)
Der Market-Maker -
kauft insgesamt 2.000 Aktien zum Kurs von 67 (Gesamtausgabe 134.000) und verkauft 1.000 Aktien zum Kurs von 68 (Gesamteinnahme 68.000).
Mithin steigt sein Aktienbestand im Endeffekt um 1.000 Stück, während sein Bankguthaben um (134.000-68.000=) 66.000 Geldeinheiten sinkt. Letztendlich stellt sich der Market-Maker also so, als habe er 1.000 Aktien zum Kurs von 66 gekauft.
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben
517
Übungsaufgabe 3.04: a)
Der Kurs von 124 Euro je 50-EURO-Aktie entspricht (124 - 200=) 24.800 Euro je lO.OOO-EURO-Aktie. Der Börsenwert von RAFFKES Aktien beträgt somit (24.800 · 3.000) = 74,4 Mio. EURO.
b)
Eine Dividende von 7 EURO je 50-EURO-Aktien entspricht (7 · 200 =) 1.400 Euro je lO.OOO-EURO-Aktie. RAFFKE hat mithin eine Dividende von (1.400 · 3.000=) 4,2 Mio. Euro zu erwarten.
c)
Das Grundkapital der AG beläuft sich auf (5.000 · 10.000 + 500.000 · 50 =) 75 Mio. Euro. Der Nennwert von RAFFKES Aktienbestand beträgt insgesamt (3.000 · 10.000 =) 30 Mio. Euro. Seine Beteiligungsquote macht somit (30 : 75 =) 40% aus.
Übungsaufgabe 3.05: a)
Das Grundkapital (GK) ergibt sich hier als Summe der Nennwerte (NW) aller Aktien. Damit bestimmt sich (wenn alle Aktien wie hier auf den gleichen Nennwert lauten) die Zahl der Aktien (A) als Quotient aus Grundkapital und Nennwert, also A =
GK 30 Mio. = = 6 Mio. NW 5
Die AG hat also 6 Mio. Aktien in Nennwert von jeweils 5 Euro ausgegeben. b)
Berechnet man die Quotienten zwischen dem Grundkapital und der Aktienzahl, so erhält man den - explizit angegebenen oder fiktiven - Nennwert (NW) der Aktien. Also gilt: (1)
NW = 30 Mio. / 60 Mio. = 0,5 Euro
(2)
NW = 30 Mio. / 20 Mio. = 1,5 Euro
(3)
NW = 30 Mio. /10 Mio. = 3,0 Euro
Konstellation (1) ist auf keinen Fall zulässig, da der (ggf. fiktive) Nennwert nicht kleiner als 1 Euro sein darf. Konstellation (2) ist im Nennwertsystem ebenfalls nicht zulässig, da der Nennwert auf „glatte" Euro-Beträge lauten muss. Bei Stückaktien darf der fiktive Nennwert demgegenüber auch nicht ganzzahlige Werte annehmen. Konstellation (3) schließlich wäre in beiden Systemen zulässig.
518
c)
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben
Der Bilanzkurs der Aktie kann auf zwei verschiedene Arten berechnet werden. Zum einen als Quotient aus Eigenkapital (EK) und Zahl der Aktien, zum anderen aus dem Verhältnis von Eigenkapital zu Grundkapital multipliziert mit dem Nennwert. Da sich das Eigenkapital auf 54 Mio. Euro beläuft, ergibt sich: (1)
(2)
^ C„. = Bl
EK
= A
54 Mio. _ = 9n Euro/Aktie 6 Mio.
CBRil = — NW = 5 4 M i ° - - 5 = 9 Euro/Aktie. GK 30 Mio.
Übungsaufgabe 3.06: Nach der unterschiedlichen Gewinnbeteiligung und Stimmberechtigung sind theoretische sechs Kombinationen denkbar: (1)
Stammaktie mit Stimmrecht: Die gewöhnliche und häufigste Form der Aktie, die dem Inhaber die normalen, im AktG vorgesehenen Mitgliedschaftsrechte (Stimm- und Dividendenrechte) gewährt.
(2)
Vorzugsaktie mit Stimmrecht: Eine aufgrund Satzung gemäß § 11 AktG mit besonderen Vorrechten (insbesondere Dividendenvorzugsrechte) gegenüber den Stammaktien ausgestattete Gattung von Aktien, die gleiches Stimmrecht wie die Stammaktie haben (einfache Vorzugsaktien).
(3)
Kumulative Vorzugsaktien mit Stimmrecht: Mit gleichem Stimmrecht wie die Stammaktien ausgestattete Dividendenvorzugsaktien, bei denen ausgefallene Dividendenvorzugszahlungen solange auf die Folgejahre vorgetragen werden, bis sämtliche Rückstände aufgefüllt sind.
(4)
Stimmrechtslose Stammaktien: Nach dem AktG unzulässig (§12 Abs. 1 AktG).
(5)
Stimmrechtslose einfache Vorzugsaktien: Nach dem AktG unzulässig (§§ 12 Abs. 1,139 Abs. 1 AktG).
(6)
Kumulative Vorzugsaktien ohne Stimmrecht gemäß § 139 Abs. 1 AktG: Wie bei (3), jedoch ohne Stimmrecht. Allerdings lebt das Stimmrecht vorübergehend auf, wenn der Bilanzgewinn in zwei aufeinanderfolgenden Jahren nicht zur Zahlung der versprochenen Vorzugsdividende ausreicht, und zwar solange, bis der Bilanzgewinn eines späteren Geschäftsjahres so groß ist, um den Vorzugsaktionären auch die Fehlbeträge der vorangegangenen Jahre nachzuzahlen (§140 Abs. 2 AktG).
Lösungsmuster zu den Übungsaufgaben
519
Übungsaufgabe 3.07: a)
Ja. Im Gegensatz zu Unter-pari-Emissionen (Ausgabepreis der Aktien unter dem Nennwert) sind Über-pari-Emissionen (Ausgabepreis über dem Nennwert) zulässig (vgl. § 9 AktG).
b)
Von den Aktionären müssen mindestens das Agio (Differenz zwischen Ausgabepreis und Nennwert der Aktien) und 2 5 % des Nennbetrages eingezahlt werden (vgl. § 36a Abs. 1 AktG). Sie müssen also pro Aktie mindestens 2 5 % von 5 Euro (= 1,25 Euro) und das Agio in voller Höhe von 2 Euro (=7 - 5 Euro) einzahlen, d.h. hier insgesamt 3,25 Euro.
c)
Das gesamte Eigenkapital der Gesellschaft beläuft sich auf: 200.000 · 7 Euro
=
1.400.000 Euro .
Das Grundkapital entspricht der Summe der Nennbeträge aller ausgegebenen Aktien, hier also: 200.000 · 5 Euro
=
1.000.000 Euro .
Das Agio erhöht die Kapitalrücklage (vgl. § 150 Abs. 2 Nr. 2 AktG). Es beläuft sich auf: 200.000 · 2 Euro
=
400.000 Euro .
Da die Aktionäre nur die Mindesteinzahlung geleistet haben, ergibt sich ein Kassenzufluss von 650.000 Euro (= 200.000 · 3,25 Euro). Der Restbetrag ist eine Forderung der Gesellschaft an die Aktionäre und wird als „ausstehende Einlagen" ausgewiesen. Diese betragen 750.000 Euro (= 200.000 · 3,75 Euro). Für die bilanzielle Erfassung der Emission bestehen die folgenden beiden Varianten:
520
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Variante I Aktive
1.000 Euro
Kasse
650
Gezeichnetes Kapital ./. Ausstehende Einlagen Eingefordertes Kapital Kapitalrücklage
650
Passiva 1.000 750 250 400 650
Variante II Aktive
1.000 Euro
Ausstehende Einlagen Kasse
750 650 1.400
Gezeichnetes Kapital Kapitalrücklage
Passiva 1.000 400 1.400
Übungsaufgabe 3.08: a)
Im Gegensatz zu Unter-pari-Emissionen (Ausgabepreis der Aktien unter dem Nennwert) sind Über-pari-Emissionen (Ausgabepreis über dem Nennwert) zulässig (vgl. § 9 AktG). Daran ändert auch der „krumme" Ausgabekurs von 7,60 Euro nichts, da gemäß § 8 Abs. 2 AktG nur für den Nennbetrag, nicht jedoch für den Ausgabebetrag, ein „glatter" Wert verlangt wird.
b)
·
Werden die Einlagen voll erbracht, dann kann es sich um Namensaktien handeln, andernfalls muss es sich um Namensaktien gem. § 10 Abs. 2 AktG handeln.
•
Stimmrechtslose Aktien dürfen generell nur als Vorzugsaktien gem. § 12 Abs. 1 AktG ausgegeben werden. Es können nicht nur Vorzugsaktien ausgegeben werden, denn die Vorzüge müssen sich auf eine Vergleichsbasis beziehen können. Diese Basis bilden die Stammaktien. Somit können die Aktien nicht alle samt Vorzugsaktien sein und somit auch nicht stimmrechtslose Aktien.
c)
Von den Aktionären muss mindestens das Agio (Differenz zwischen Ausgabepreis und Nennwert der Aktien) und 25% des Nennbetrages eingezahlt werden (vgl. § 36a Abs. 1 AktG). Sie müssen also pro Aktie mindestens 25% von 5 Euro (= 1,25 Euro) und das Agio in Höhe von 2,60 Euro einzahlen, d.h. hier insgesamt 3,85 Euro/Aktie.
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521
Im Falle der Insolvenz ist jeder Inhaber nicht voll eingezahlter Aktien verpflichtet, den noch fehlenden Einlagenbetrag nachzuzahlen. Da ursprünglich pro Aktie 3,75 Euro (75 % von 5 Euro) ausstanden, muss ein Aktionär mit 100 Aktien 375 Euro nachschießen. Insoweit haftet er also mit seinem Privatvermögen, jedoch beschränkt auf den genannten Betrag. d)
Der erste Satz des Zitates ist im Prinzip zutreffend, wenn man das Wort „günstiger" im Sinne von „mit dem Einsatz geringerer Barmittel" oder ähnlich interpretiert. Ob der Verzicht auf die sofortige Einzahlung des vollen Ausgabebetrages insgesamt einen wirtschaftlichen Vorteil für den Aktionär darstellt, kann so allgemein gar nicht beurteilt werden. Unzutreffend ist aber auf jeden Fall der zweite Satz. Der Aktionär haftet nicht mit den ausstehenden Einlagen. Er haftet vielmehr, wie es ja auch anders gar nicht sein kann, mit seinem Vermögen, allerdings beschränkt auf den Betrag der noch ausstehenden Einlage.
Übungsaufgabe 3.09: a)
Der fiktive Nennwert einer Aktie beträgt (600 Mio. / 100 Mio. =) 6 Euro. Der Bilanzkurs beträgt demgegenüber (1.050 Mio. / 100 Mio. =) 10,50 Euro). Bei rein buchtechnischer Auflösung der GRL durch die Geschäftsleitung könnte die HV zum Ende des Geschäftsjahres eine Ausschüttung beschließen, die um 200 Mio. Euro über dem erzielbaren Jahresüberschuss liegen würde.
b)
Es ergeben sich folgende Effekte: Fall (1): •
Der fiktive Nennwert fällt auf (600 Mio. /150 Mio. =) 4 Euro.
•
Der Bilanzkurs fällt auf 1.050 Mio. / 150 Mio. =) 7 Euro.
•
Da nunmehr 3 Aktien das gleiche Erfolgspotenzial repräsentieren wie zuvor 2 Aktien dürfte der Börsenkurs C tendenziell so fallen, dass die Relation 3 · C = 2 · 24 erfüllt ist, sich also auf ca. 16 Euro einpendeln.
•
Die Ausschüttungsmöglichkeiten bleiben unverändert.
522
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Fall (2): •
Der fiktive Nennwert steigt auf (900 Mio. /100 Mio. =) 9 Euro.
•
Der Bilanzkurs bleibt unverändert, da sich weder die Aktienzahl noch die Höhe des EK insgesamt ändern.
•
Der Börsenkurs würde tendenziell ebenfalls unverändert bleiben.
•
Die rechtlich möglichen Ausschüttungsmöglichkeiten würden angesichts der EK-Positionen GK
900
KRL
150
GRL
0
gegenüber der Ausgangssituation drastisch reduziert. Für das Geschäftsjahr könnte jetzt höchstens noch der Jahresüberschuss ausgeschüttet werden. Fall (3): •
Der fiktive Nennwert bleibt letztlich unverändert, da GK und Aktienzahl im gleichen Verhältnis erhöht werden, so dass (600 Mio. /100 Mio. = 900 Mio. /150 Mio. =) 6 Euro gilt.
•
Für den Bilanzkurs gilt das Ergebnis von (1).
•
Für den Börsenkurs gilt ebenfalls das Ergebnis von (1).
•
Für die Ausschüttungsmöglichkeiten gilt hingegen das Ergebnis von (2).
Übungsaufgabe 3.10: Als mögliche Motive für die Beschaffung genehmigten Kapitals sind denkbar: 1.
Motive der Hauptversammlung: Delegation von Entscheidungskompetenzen an den Vorstand in der Erwartung, dass dieser seine Kompetenzen im Interesse der Aktionäre nutzt, etwa um eine günstige Kapitalmarktsituation schnell auszunützen.
2.
Motive des Vorstandes: Erhöhung der Flexibilität der Geschäftsführung und des autonomen Handlungsspielraums, ohne von einem weiteren Beschluss der Hauptversammlung abhängig zu sein.
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523
Übungsaufgabe 3.11: a)
In der in Übungsaufgabe 3.10 Fall (1) betrachteten Situation galten C A = 24, A = 100 Mio., Ν = 50 Mio. und Cg = 0. In Formel 3.03 eingesetzt ergibt sich somit (-An
=
100-24 + 50 0
An
=
16
100 + 50
was genau dem schon dort ermittelten Ergebnis entspricht. b)
Jetzt gilt C A = 25, A = 100 Mio., Ν = 20 Mio. und C E = 10. Mithin ergibt sich = An
100-25 + 20-10 100 + 20
=
Der Verwässerungseffekt wird sich also tendenziell auf (C A - C A n =) 2,50 Euro pro Aktie belaufen.
Übungsaufgabe 3.12: Angesichts der Daten C A = 25, Cg = 10 und Β = 5:1 wären die beiden „Wege" zum Erwerb von 600 FUTURA-Aktien mit folgenden Kosten verbunden: (1)
Kauf von 5 · 600 Bezugsrechten und Ausübung: K! = 5 · 600 · Β + 600 · 10 = 6.000 + 3.000 Β
(2)
Kauf von 600 Altaktien und Verkauf der Bezugsrechte: K 2 - 600 · 25 - 600 · Β = 15.000 - 600 Β
a)
In diesem Fall würde gelten: Ki = 15.000 und K 2 = 13.200. Der Quereinsteiger würde also Weg (2) wählen und dementsprechend zum Kurs von Β = 3 Bezugsrechte zum Verkauf anbieten.
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524
b)
In diesem Fall würde gelten: Kj = 12.000 und K 2 = 13.800. Jetzt würde der Quereinsteiger also Weg (1) wählen und dementsprechend zum Kurs von Β = 2 Bezugsrechte nachfragen.
c)
In den beiden mit Β = 3 und Β = 2 unterstellten Situationen würde sich somit kein Marktgleichgewicht einstellen. Dies wäre vielmehr der Fall, wenn K] = K 2 gelten würde, also 6.000 + 3.000 Β =
15.000 - 600 Β,
3.600 Β = Β =
9.000
d.h.
oder
9.000/3.600 = 2,50.
Der Gleichgewichtskurs des Bezugsrechts würde also 2,5 Euro / Bezugsrecht betragen. Diesen Wert erhält man auch direkt über Formel 3.05; danach gilt nämlich Β _
=
C
A ~CE b+1
25-10 5+1
=
15 6
=
Übungsaufgabe 3.13: Nach der Aufgabenstellung gelten folgende Daten: C A = 30 Euro/Aktie; C E = 14 Euro/Aktie A = 9 Mio.; Ν = 3 Mio.; b = 3 :1 a)
Gemäß Formel 3.03 wird sich der Kurs nach vollzogener Kapitalerhöhung auf folgenden Ideal wert einpendeln: Cät, An =
9-30 + 3 1 4 12
, A1 . = 26Euro/Aktie .
Für das Bezugsrecht ist gemäß Formel 3.05 analog mit einem Kurs von
525
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Β = —
— = 4 Euro/Bezugsrecht
zu rechnen. Wie man leicht sieht, wird auch Relation (6) bestätigt, da C
A -
C
An = 30 - 26 = 4 = Β
gilt. b)
Der Ankiindigungseffekt berührt beide Aktionäre in gleicher Weise: Ihre jeweils 300 Aktien erfahren einen Kurssprung von jeweils 3 Punkten. Für jeden der beiden ergibt sich somit ein Vermögensvorteil von 900 Euro. Auch das Verwässerungseffekt trifft beide Aktionäre in gleicher Weise: Ihre zunächst auf 30 Euro gestiegenen Aktien (s.o.) erleiden nun einen Kursverlust von jeweils 4 Punkten. Insoweit trifft beide Aktionäre nun ein Vermögensnachteil von 1.200 Euro. Der Kompensationseffekt hingegen realisiert sich für ALPHA und BERTHA in unterschiedlicher Weise: •
ALPHA veräußert die ihm zustehenden 300 Bezugsrechte und erzielt somit bei einem Preis von 4 Euro/Bezugsrecht einen Erlös von 1.200 Euro, durch den der Verwässerungseffekt gerade ausgeglichen wird.
•
BERTHA hingegen nutzt die ihr zustehenden 300 Bezugsrechte um 100 junge Aktien zum „Vorzugskurs" von 14 Euro/Aktie zu beziehen. Nach vollzogener Kapitalerhöhung wird sich deren Kurs jedoch auf 26 Euro/Aktien belaufen. BERTHA erreicht durch die Ausübung ihrer Bezugsrechte somit insgesamt einen Kursgewinn von 1.200 Euro und kann auf diese Weise ebenfalls den Verwässerungseffekt ausgleichen.
Übungsaufgabe 3.14 a)
Die Genussscheine erhalten jeweils das 6-fache der Dividende pro 5 Euro/ Aktie des Vorjahres. Jahr: 2008
2009
2010
6
6
7,2
2011 -
2012 -
2013 4,8
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526
b)
Die Jahresfehlbeträge von 1,5 und 0,9 Mio. Euro in den Jahren 2010 und 2011 werden zu einem Drittel, also mit 0,5 + 0,3 = 0,8 Mio. Euro, dem RückZahlungsanspruch der Genussscheininhaber angelastet. Der Rückzahlungsanspruch eines einzelnen Genussscheines mindert sich somit um 0,8 Mio. : 50.000 = 16 Euro auf 100 ./. 16 = 84 Euro.
Übungsaufgabe 3.15 a)
b)
Berechnung des Rückzahlungsbetrages: Jahr
Ausgangsbetrag
anzusetzender Zinsfaktor
Rückzahlungsbetrag
1
1.000,00
1,075
1.075,00
2
1.075,00
1,0775
1.158,31
3
1.158,31
1,08
1.250,97
4
1.250,97
1,0825
1.354,18
5
1.354,18
1,085
1.464,29
6
1.464,29
1,0875
1.597,85
7
1.597,85
1,09
1.741,66
Ermittlung der Effektivverzinsung: Gesucht ist r*, so dass gilt: 1.000 · (1 + r*) 7 = 1.741,66 Durch Umformen und Ziehen der siebten Wurzel ergibt sich: r* = 0,0825. Die auf die Gesamtlaufzeit bezogene Rendite beträgt also 8,25% p.a.
Übungsaufgabe 3.16 Der allgemein gebräuchliche Ausdruck „der EURIBOR" lässt den Umstand außer Acht, dass es -
je nach zugrundegelegter Währung und
-
je nach der Laufzeit
verschiedene EURIBOR-Sätze gibt.
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527
Übungsaufgabe 3.17 a)
Wirkung der Kapitalerhöhung auf den Börsenkurs der Aktien: 30 Altaktien mit einem Börsenkurs von jeweils 40 Euro repräsentieren ein Gesamtvermögen von 1.200 Euro. Durch die nominelle Kapitalerhöhung wird dieser Vermögensbetrag nunmehr auf 40 Aktien umverteilt, so dass der Börsenkurs auf 1.200 / 40 = 30 Euro sinkt. Auswirkungen auf die Position des Optionsscheininhabers: I.
Mindestwert des Optionsscheines vor der Kapitalerhöhung: -
Bezugsrecht auf 30 Aktien
-
Basispreis 25,- Euro / Aktie
-
Börsenkurs der Aktie vor Kapitalerhöhung: 40,- Euro / Aktie
Der Kurs des Optionsscheins müsste sich auf mindestens 30 · (40 25) = 450,- Euro / Optionsschein belaufen. II.
Der Mindestwert des Optionsscheines nach der Kapitalerhöhung würde demgegenüber nur noch 30 • (30 - 25) = 150,-Euro / Optionsschein betragen.
Der Mindestwert des Optionsscheines sinkt demnach durch die Kurssenkung im aktuellen Börsenkurs von 450,- Euro auf 150,- Euro, d.h. um insgesamt 300,- Euro ab. Dies entspricht der dreifachen Wertminderung des Aktienkurses.
b)
Die Konstruktion einer Verwässerungsschutzklausel für Optionsscheininhaber könnte folgender Überlegung folgen: •
Die bisherige Position beinhaltet das Recht zum Bezug auf 30 Aktien im Börsenwert von 1.200 Euro zu insgesamt 750 Euro; daher betrug der Mindestwert des Optionsscheins = 1.200 Euro ./. 750 = 450 Euro.
•
Nunmehr wird das Ertragspotenzial von 30 Altaktien auf 40 Aktien umverteilt. Also läge es nahe, die Zahl der pro Optionsschein beziehbaren Aktien bei unveränderter Gesamtzahlung von 750 Euro auf 40 zu erhöhen.
Der Optionsscheininhaber sollte also das Recht zum Bezug von 40 Aktien im Börsenkurs von 1.200 Euro zu unverändert 750 Euro, d.h. zu 18,75 Euro/ Aktie als neuem Bezugspreis erhalten. Der entsprechende Mindestpreis des Optionsscheins bliebe dann unverändert 1.200 ./. 750 = 450 Euro.
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528
Allgemeine Regel: 1.
Erhöhung der Zahl der Bezugsaktien, so dass gilt: z Alt
A Alt
2 Neu
^Alt + ^Neu
mit: Z A l t
=
bisherige Anzahl der beziehbaren Aktien (in unserem Beispiel: 3)
ZNeu
=
neue Anzahl der beziehbaren Aktien (?)
A
Alt
=
bisherige Aktienzahl (60 Mio. Aktien zu je 5 Euro)
A
Neu
=
Zahl der neu emittierten Aktien (20 Mio. zu je 5 Euro) Nennwert
Durch Auflösen nach Z N e u ergibt sich: z Neu =
2.