Lessings Werke: Band 5 [Neue rechmäßige Ausgabe, Reprint 2021 ed.] 9783112426241, 9783112426234


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German Pages 351 [376] Year 1870

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Lessings Werke: Band 5 [Neue rechmäßige Ausgabe, Reprint 2021 ed.]
 9783112426241, 9783112426234

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LWngs Werke. 'gleite rechtmäßige Ausgabe.

Fünfter Band.

Stuttgart. ©. I. Goschen sche Nerlügshandlnng. 1869.

Inhalt. Seite Eine Bade Mecum für den Herrn Sam. Gotth. Lange, Pastor in Laub-

lingen....................................................................................................

1

Wie die Alten den Tod gebildet........................................................................... 33

Gespräche für Freimaurer.

1778

..................................

73

Noch nähere Berichtigung des Mährchens von 1000 Ducaten.....

103

Ernst und Falk.

Fragmente............................................................................................................. 108 Rettungen des Horaz

..........................................................................................132

Abhandlungen über die Fabel. 1759

162

Vorrede zum ersten und zweiten Theile der Schriften. 1753 ....................

214

Vorrede zum dritten und vierten Theile der Schriften. 1754 ....................

Vorrede zu den vermischten Schriften des Herrn Christlob Mylius

.

.

218

221

Borbericht zu den preußischen Kriegsliedern in den Feldzügen 1756 und

1757, von einem Grenadier. 1758

..................................................

235

Vorrede zu Friedrichs von Logau Sinngedichten............................................ 237 Vorreden zu Diderotö Theater

.......................................................................... 241

Aus den Briefen, die neueste Literatur betreffend............................................ 245

Ein Vade Metum für den

Herrn Sam. Gotth. Lange, Pastor in Laublingen.

In diesem Taschenformat ausgefertigt von Gotth. Ephr. Lessing.

1754.

Mein H err Pastor! Ich weiß nicht, ob ich es nöthig habe, mich viel zu entschuldigen, daß ich mich mit meiner Gegenantwort ohne Umschweif an Sie selbst wende. Zwar sollte ich nach Maaßgebung Ihrer Politik einem drit­ ten damit beschwerlich fallen; wenigstens demjenigen Unbekannten, dem es gefallen hat, meine Kritik über Ihren verdeutschten Horaz in dem Hamburgischen Correspondenten bekannter zu machen. Allein ich bin nun einmal so; was ich den Leuten zu sagen habe, sage ich ihnen unter die Augen, und wenn sie auch darüber bersten müßten. Diese Gewohnheit, hat man mich versichert, soll so unrecht nicht seyn; ich will sie daher auch jetzt beibehalten. Um Ihnen, mein Herr Pastor , gleich Anfangs ein vorläufiges Compliment zu machen, muß ich Ihnen gestehen, daß es mir von Herzen leid ist, Ihrer in dem zweiten Theile meiner Schriften er­ wähnt zu haben. Zu meiner Entschuldigung muß ich Ihnen sagen, was mich dazu bewog. Sie standen und stehen noch in dem Rufe eines großen Dichters, und zwar eines solchen, dem es am ersten unter uns gelungen sey, den öden Weg jenes alten Unsterblichen, des Horaz, zu finden, und ihn glücklich genug zu betreten. Da Sie also eine Uebersetzung Ihres Urbildes versprochen hatten , so vermuthete man mit Recht von Ihnen ein Muster, wie man den ganzen Geist dieses Odendichters in unsre Sprache einweben könne. Man hoffte, Sw würden mit einer recht tiefen kritischen Kenntniß seiner Sprache einen untrüglichen Geschmack und eine glücklich kühne Stärke des deutschen Ausdrucks verbinden. Ihre Uebersetzung erschien, und ich sage es noch einmal, daß ich sie in der Versicherung, uuüberschweng^ liche Schönheiten zu finden, in die Hand genommen habe. Wie schänd­ lich aber ward ich betrogen! Ich wußte vor Verdruß nicht auf wen Lessing, Werke. V. 1

2

Äa'oemecuM.

ich erzürnter seyn sollte, ob auf Sie oder auf mich: aufSie, daß Sie meine Erwartung so getäuscht hatten, oder auf mich, daß ich mir so viel von Ihnen versprochen hatte. Ich klagte in mehr als einem Briese an meine Freunde darüber, und zum Unglücke behielt ich von einem, den ich ausdrücklich deßwegen schrieb, die Abschrift. Diese fiel mir bei Herausgebung des zweiten Theils meiner Schriften wie­ der in die Hände, und nach einer kleinen Ueberlegung beschloß ich, Gebrauch davon zu machen. Noch bis jetzt, dachte ich bei mir selbst, hat Niemand das Publikum vor dieser Mißgeburt gewarnt; man hat fie sogar angepriesen. Wer weiß, in wie viel Händen angehen­ der Leser des Horaz fie schon ist; wer weiß , wie viele derselben sie schon betrogen hat? Soll Herr Lange glauben, daß er eine solche Quelle des Geschmacks mit seinem Kothe verunreinigen dürfe, ohne daß andere, welche so gut als er-daraus schöpfen wollen, darüber murren? Will niemand mit der Sprache heraus? — — — Und kurz, mein Brief ward gedruckt. Bald darauf ward er in einem öffent­ lichen Blatte wieder abgedruckt; Sie bekommen ihn da zu lesen, Sie erzürnen sich , Sie wollen darauf antworten, Sie setzen sich und schreiben ein paar Bogen voll; aber ein paar Bogen, die so viel er­ bärmliches Zeug enthalten, daß ich mich wahrhaftig von Grund des Herzens schäme, auf einen so elenden Gegner gestoßen zu seyn. Daß Sie dieses sind, will ich Ihnen, mein Herr Pastor, in dem ersten Theile meines Briefes erweisen. Der zweite Theil aber soll Ihnen darthun, daß Sie noch außer Ihrer Unwissenheit eine sehr nichtswürdige Art zu denken verrathen haben, und mit einem Worte, daß Sie ein Verleumder sind. Den ersten Theil will ich wieder in zwei kleine absondern: Anfangs will ich zeigen, daß Sie die von mir getadelten Stellen nicht gerettet haben , und daß sie nicht zu retten find; zweitens werde ich mir das Vergnügen machen, Ihnen mit einer Anzahl neuer Fehler auszuwarten.--------Verzeihen Sie mir, daß ich in einem Briefe so ordentlich seyn muß! Ein Glas frisches Brunnenwasser, die Wallung Ihres kochenden Geblüts ein wenig niederzuschlagen, wird Ihnen sehr dienlich seyn, ehe wir zur ersten Unterabtheilung schreiten. Noch eins, Herr Pastor! ------------ Nun lassen Sie uns ansangen. 1. B. Ode 1. Sublimi feriam sidera vertice. Ich habe getadelt, daß vertex hier durch Nacken ist übersetzt worden. Es ist mit Fleiß geschehen, antworten Sie. So? Und also haben Sie mit Fleiß etwas abgeschmacktes gesagt? Doch lassen Sie uns Ihre Gründe betrachten. Erstlich entschuldigen Sie sich damit, Dacier habe auch gewußt, waö vertex heiße, und habe es gleichwohl durch Stirne übersetzt. — Ist denn aber Stirn und Nacken einerlei? Dacier verschönert einigermaßen das Bild, Sie aber verhunzen es.

Vademecum.

3

Oder glauben Sie im Ernst, daß mau mit dem Nacken in der Höhe an etwas anstoßen kann, ohne ihn vorher gebrochen zu haben? Da­ cier über dieses mußte Stirne setzen, und wissen Sie warum? Ja, wenn es nicht schiene, als ob Sie von dem Französischen eben so wenig verstünden, als von dem Lateinischen, so traute ich es Ihnen zu. Lernen Sie also, Herr Pastor, was Ihnen in Laublingen frei­ lich niemand lehren kann: daß die französische Sprache kein eigenes Wort hat, der Lateiner verfex oder unser Scheitel auszudrücken. Wenn sie es ja ausdrücken will, so muß sie sagen: sornmel de la tote. Wie aber würde dieses geklungen haben, wenn es Dacier in einer nachdrücklichen Uebersetznng eines Dichters hatte brauchen wol­ len? Daß meine Anmerkung ihren Grund habe, können Sie schon daraus sehen , weil er nicht einmal in der wörtlichen Uebersetznng, die er bei abweichenden Stellen unter den Text zu setzen gewohnt ist, das sommet de la töte hat brauchen können, sondern bloß und allein sagen muß , de ma t£te glorieuse je frapperai les astres. Sind Sie nun in gleichem Falle? Ist Nacken etwa kürzer, oder nachdrück­ licher, oder edler als Scheitel?---------Lassen Sie uns Ihre zweite Ursache ansehen. Ich habe, sagen Sie, mehr nach dem Verstände, als nach den Worten übersetzt,------- (in der Vorrede sagen Sie gleich das Gegentheil) — — und habe meinem Horaz auf das genaueste Nachfolgen wollen. Sie setzen sehr witzig hinzu: ick) sollte nur ihn nicht als ein Cartesianisches Teufelchen vorstellen, welches im Glase schnell aufwärts fährt, oben anstößt und die Beine gerade herunter hangen läßt. Wen machen Sie denn damit lächerlich, Herr Pastor? Mich nicht. Wenn Horaz nicht sagen will: „Dann werde ich vorstol-„zer Freude auffahren, und mit erhabnem Scheitel an die Sterne „stoßen," was sagt er denn? Wir sprechen in gemeinem Leben: vor Freuden mit dem Kopfe wider die Decke springen. Veredeln Sie die­ sen Ausdruck, so werden Sie den Horazischen haben. Eine proverbialische Hyperbel haben alle Ausleger darin erkannt, und Dacier selbst führt die Stelle des Theocritus: Eg ovoavov apptv dXEv^iai als eine ähnliche an. Hat sich dieser nun auch den Horaz als ein Glasmännchen vorgestellt? Doch Sie finden ganz etwas anderes in den streitigen Worten , und sehen hier den Dichter, wie er an dem Sternenhimmel schwebt und herab schaut — O, daß er doch auf Sie herab schauen und sich wegen seiner Schönheiten mit Ihnen in ein Verständniß einlassen möchte! —~-r Ich soll mir ihn nicht als ein Cartesianisches Tenfelchen einbilden, und Sie, Herr Pastor, .. Sie machen chn zu einem Diebe am Galgen, oder wenigstens zu einem armen Terminusbilde, welches mit dem Nacken ein Gebälke tragen muß. Ich sage mit Bedacht, tragen, weil ich jetzt gleich auf einen Verdacht komme, der nicht unwahrscheinlich ist. Hui, daß Sie den­ ken, feriam heiße: ich will tragen, weil Sie sich erinnern, von ferani

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Bademecum.

einmal em gleiches gehört zu haben? Wenn daS nicht ist, so können Sie unmöglich anders als im hitzigen Fieber auf den Nacken gekom­ men seyn.

1. B. Ode 2. galeaeque leves. Sie sind ein possirlicher Mann, mein Herr Gegner! Und also glauben Sie es noch nicht, daß levis, wenn die erste Sylbe lang ist, allezeit glatt oder blank heißt? Und also meinen Sie wirklich, daß es bloß auf meinen Befehl so heißen solle? Wahrhaftig , Sie sind listig! Die Gebote der Grammatik zu meinen Geboten zu machen, damit Sie ihnen nicht folgen dürfen! Ein Streich, den id) bewun­ dere! Doch Scherz bei Seite; haben Sie denn niemals gehört, wie levis nach der Meinung großer Stylisten eigentlich solle geschrieben werden? Haben Sie nie gehört, daß alle Diphthonge lang sind? Ich vermuthe, daß in Laublmgen ein Schulmeister seyn wird, welcher auch ein Wort Latein zu verstehen denkt. Erkundigen Sie sich bei diesem, wenn ich Ihnen rathen darf. Sollte er aber eben so unwisend seyn als Sie, so will ich kommen und die Bauern aufhetzen, daß te ihm Knall und Fall die Schippe geben. Ich weiß auch schon, wen d) ihnen zum neuen Schulmeister Vorschlägen will. Mich. Ihr Voum, Herr Pastor, habe ich schon. Nicht? Alsdann wollen wir wie­ der gute Freunde werden, und gemeinschaftlich Ihre Uebersetzung rechtschaffen durchackern. Vor der Hand aber können Sie auf meine Gefahr die leichten Helme immer in blanke verwandeln; denn was Ihre Ausflucht anbelangt, von der weiß ich nicht, wie ich bitter genug darüber spotten soll. — Horaz, sagen Sie, kehrt sich zuweilen nicht an das Sylbenmaaß, so wenig als au die Schönheit der Wort­ fügung. — — Kann man sich etwas seltsameres träumen lassen? Horaz muß Schnitzer machen, damit der Herr Pastor in Lanblingeu keine möge gemacht haben. Doch stille! es steht ein Beweis dabei. In der 19ten Ore des zweiten Buchs soll Horaz noch einmal die erste Sylbe in levis lang gebraucht haben, ob es schon daselbst offenbar leicht heiße: Disjecta non levi ruina. --------Allein, wenn ich bitten darf, lassen Sie den Staub weg, den Sie uns in die Augen streuen wollen. Schämen Sie sich nicht, eine fehlerhafte Lesart sich zu Nutze zu machen? Es ist wahr, wie Sie den Vers ansühren, würde ich beinahe nicht wissen, was ich antworten sollte. Zum guten Glücke aber kann ich unsern Lesern sagen, daß die besten Kunstrichter für levi hier leni lesen, und daß man ihnen noth­ wendig beisallen muß. Ich berufe mich deßwegen von Herr Langen dem Uebersetzer auf Herr Langen den Dichter. Dieser soll mir sagen, ob nicht non levis ruina, ein nicht leichter Fall, für den Horaz ein sehr gemeiner Ausdruck seyn würde? Und ob das Beiwort non lenis,

Bademecum.

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ein nicht sanfter, ihm nicht weit anständiger sey? Sie setzen mir die besten Handschriften entgegen. Welche haben Sie denn gesehen, mein Herr Pastor? War keine von denen darunter, von welchen Lambinus ausdrücklich sagt: leni habent aliquot libri manuscripti? Ur.b wissen Sie denn nicht, daß auch in den allerbesten die Verwechslung des n in u und umgekehrt nicht selten ist? Ueberlegen Sie dieses, vielleicht sagen Sie endlich auch hier: als ich recht genau zusah, so fand ich, daß ich Unrecht hatte. ------------- Ich hatte hier die Feder schon abgesetzt, als ich mich besann, daß ich zum Ueberflusse Ihnen auch Autoritäten entgegen setzen müsse. Bei einem Manne wie Sie pflegen diese immer am besten anzuschlagen. Hier haben Sie also einige, die mir nachzusehen die wenigste Mühe gekostet haben. Lambinus schreibt Jaeves. Maneinelluö erklärt dieses Wort durch splendentes; Landinus durch politae und setzt mit ausdrücklichen Worten hinzu: leve cum prima syllaba correpta sine pondere significat: sin autem prima syllaba producta profertur significat poZMwm. Beruht dieser Unter­ schied nun noch bloß auf meinem Befehle? Hermannus FiguluS umschreibt die streitige Stelle also: qui horrendo militum concurrentium fremitu et formidabili armorum strepidu ac fulgore delectatur. Lassen Sie uns noch sehen, wie es Dacier übersetzt; er, der so oft Ihr Schild und Schutz sein muß: qui n’aimös ä voir que l’eclat de casques. In der Anmerkung leitet er levis von XeioQ her und erklärt es durch polies und luisantes. Habe ich nun noch nicht Recht? O, zischt den Starrkopf aus!

1. V. Ode 11. Vina liques. Z erlaß den Wein. Ich habe diesen Ausdruck getadelt, und mein Tadel besteht noch. Mein ganzer Fehler ist, daß ich mich zu kurz ausgedrückt, und Sie, mein Herr Lange, für scharfsichtiger ge­ halten habe, als Sie sind. Sie bitten mich die Ruthe wegzülegen. Vielleicht, weil Sie zum voraus sehen, daß Sie sie hier am meisten verdienen würden. Ihre Antwort beruht auf vier Punkten, und bei allen vieren werde ich sie nöthig haben. Man wird es sehen. 1. Sie sagen liquare heiße zerlassen und zerschmelzen; beides aber sey nicht einerlei. Beides aber, sage ich , ist einerlei, weil beides in dem Hauptbegrifse flüssig machen liegt. Ein Fehler also! Der andere Fehler ist eine Bosheit, weil Sie wider alle Wahrscheinlich­ keit meine Kritik so ausgenommen haben, als ob rch verlangte, daß Sie vinum liquare durch denW ein schmelzen hätten geben sollen. Sie fragen mich , ob es in den Worten des Plinius alvum liquare auch s ch melzen heiße? Ich aber thue die Gegenfrage: heißt es denn zerlassen? Die Hauptbedeutung ist flüssig und folglich auch klar machen; wie ich schon gesagt habe.

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Da dem ecum. 2. Nun wollen Sie, Herr Pastor, gar Scholiasten anführen, und

zwar mit einem so frostigen Scherze, daß ich beinahe das kalte Fieber darüber bekommen hätte. Den ersten Scholiasten nennen Sie Acris. Acris? Die Ruthe her! Die Ruthe her! Er heißt Acron, kleiner Knabe! Laß doch du die Scholiasten zufrieden.--------Den andern nennen Sie, Herr Pastor, Landin. Landin? Da haben wir's! Merkt's, ihr Quintaner, indem ich es dem Herrn Lange sage, daß man keinen Commentator ans dem 16ten Jahrhundert einen Scho­ liasten nennen samt. Es wär' eben so abgeschmackt, als wenn ich den Joachim Lange zu einem Kirchenvater machen wollte. 3. Ich weiß es, Herr Pastor, daß bei liquefacere in dem Wörter­ buche zerlassen steht. Es ist aber hier von liquare und nicht lique­ facere die Rede. Doch wenn Sie es auch bei jenem gefunden haben, so merken Sie sich, daß nur unverständige Anfänger ohne Unterschied nach dem Wörterbuch übersetzen. Bei vertex hätten Sie dieses thun sollen, und nicht hier; hier, wo es, wenn Sie anders deutsch reden wollten, durchaus nicht anging. 4. Gut, Sanadon soll Recht haben; vinum liquare soll den Wein filtriren, oder ihn durchsangen heißen; obgleich noch etwas mehr dazu gehört. Ich weiß es, daß es dieses heißt, zwar nicht aus dem Sanadon, sondern aus dem Columella und Plinius, von welchem letztern Sie, mein Herr Lange, nichts mehr zu wissen scheinen, als was alvum liquare heißt. Eine Belesenheit die einen Apotheker­ jungen neidisch machen mag!-------- Doch worauf ging denn nun meine Kritik? Darauf, daß kein Deutscher bei dem Worte zerlass en auf eine Art von Filtriren denken wird, und daß ein jeder, dem ich sage, ich habe den Wein zerlassen, glauben muß, er sey vorher ge­ froren gewesen. Haben Sie dieses auch gemeint, Herr Pastor? Bei­ nahe wollte ich das juramentum credulitatis darauf ablegen! Denn was Sie verdächtig macht, ist*dieses, daß die Ode, in welcher die streitige Stelle vorkommt, augenscheinlich zur Winterszeit muß ge­ macht worden seyn. Diesen Umstand haben Sie in Gedanken gehabt, und vielleicht geglaubt, daß Italien an Lappland gränzt, wo wohl gar der Branntwein gefriert. — In der Geographie sind Sie ohne­ dem gut bewandert, wie wir unten sehen werden.------- Sie lassen also den Horaz der Leuconoe befehlen, ein Stück aus dem Fasse auszuhauen, und es an dem Feuer wieder flüssig zu machen. So habe ich mir Ihren Irrthum gleich Anfangs vorgeftellt, und in der Eile wollte mir keine andere Stelle aus einem Alten, als and dem Mar­ tial beifallen, die Sie ein wenig aus dem Traume brächte. Was sagen Sie nun? Kann ich die Ruthe wegleaen? Oder werden Sie nicht vielmehr mit Ihrem Dichter beten müssen: ----------------- neque Per nostrum patimur scelus Iracunda Jovem ponere fulmina.

Bademecum.

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Zwar, das möchte zu erhaben seyn; beten Sie also nur lieber Ihr eigenes Berschen: O wie verfolgt das Glück die Frommen! Hier bin ich garstig weggekommen. -------- Bei Gelegenheit sagen Sie mir bot, auf welcher Seite Ihrer Horazischen Oden stehen diese Zeilen? Sie machen Ihnen Ehre!

2. B. Ode 1. G-ravesque principrim amicitiae.

Was soll ich von Ihnen denken, Herr Pastor? Wenn ich Ihnen zeige, daß Sie der einzige weise Sterbliche sind, der hier unter graves etwas anderes alö schädlich verstehen will, was werden Sie als­ dann sagen? Lassen Sie uns von den französischen Uebersetzern an­ fangen;' sie sind ohnedem, wie ich nunmehr wohl sehe, Ihr einziger Stecken und Stab gewesen. Ich habe aber deren nicht mehr als zwei bei der Hand, den Dacier und den Batteux. Jener sagt: vons nnus deconvrtis le. teeret des funestes iigues des Princes; dieser sagt fast mit eben diesen Worten: les h’gues funestes des Grands.------Betrachten Sie nunmehr alte und neue Commentatores. Acron setzt für graves. perniciosa? ant infidas. Mancinellus erklärt es durch noxias. Hermannns Fignlus setzt zu dieser Stelle: puta societatem Crassi, Pompeji et Caesaris, qua orbis imperium occuparunt, afflixerunt atque perdiderunt. Chabotius fügt hinzu: amicitiae Principum istorum fictae et simulatae erant, ideo et ipsis in ter so et pop. Roman, perniciosae fuerunt. Rodellins endlich in sei­ ner für den Dauphin gemachten Umschreibung gibt es durch perni­ ciosa s procenmi coitiones-------- Sagen Sie mir, ist es nun noch bloß Lessingisch? Sie erweisen einem jungen Eritico, wie Sie ihn zu nennen pflegen, allzu viel Ehre, die Erklärungen so verdienstvoller Männer nach ihm zu benennen. Lassen Sie sich noch von ihm sagen, daß Horaz hier ohne Zweifel aus einen Ausspruch des jüngern Cato zielt, nach welchem er behauptet: non ex inimicitiis Caesaris atque Pompeji, sed ex ipsorum et Crassi societate amica omnia Reipubl. profecta esse mala------- Ich bin des Aufschlagens müde; wenn Sie aber mehr Zeit dazu haben als ich, so fordere ich Sie hier­ mit auf, mir denjenigen Ausleger zu nennen, welcher auf Ihrer Seite ist. Ihre Entschuldigung von der Bescheidenheit des Horaz ist eine Grille, weil der Dichter nicht das zweite, sondern das erste Trium­ virat will verstanden wissen. Daß gravis eigentlich schwer heiße, brauche ich von Ihnen nicht zu lernen, und ich würde es sehr wohl zufrieden gewesen seyn, wenn Sie schwer gesetzt hätten. Allein Sie setzen wichtig und das ist abgeschmackt. Bei schweren Bünd­ nissen hätte man wenigstens noch so viel denken können, daß sie der Republik schwer gefallen wären; bei Ihrem Beiworte hingegen läßt sich ganz und gar nichts denken. Ueberhaupt muß Ihnen das gravis

8

Vademecum.

ein sehr unbekanntes Wort gewesen seyn, weil Sie es an einem an­ dern Orte gleichfalls falsch übersetzen. Ich meine die Meile Ode deS ersten Buchs, wo Sie graves Persae durch harte Perser geben. Diese Uebersetzung ist ganz wider den Sprachgebrauch, nach welchem die Perser eher ein weichliches als ein hartes Volk waren. In eben dieser Ode sagt Horaz grave seculum Pyrrhae, welches Sie ein klein wenig besser durch derPyrrha betrüb te Zeit ausdrücken. Was erhellet aber aus angeführten Orten deutlicher als dieses, daß eS dem Dichter etwas sehr gemeines sey, mit dem Worte gratis den Begriff, schädlich, schrecklich, fürchterlich zu verbinden? Ohne Zweifel glauben Sie dem Dacier mehr als mir; hören Sie also, was er sagt, und schämen Sie sich auch hier Ihres Starrkopfs: il appelle les Perses graves, c’est ä dire terribles, redoutables, ä cause du mal qu’ils avoient fait aux Romains, comme il a döjä appelö le siede de Pyrrha grave, par la möme raison. An einem andern Orte sagt eben dieser Ausleger, daß gravis so viel als horribilis wäre, em Beiwort, welches Horaz den Medern, so wie jenes den Persern gibt. 2. B. Ode 4. Cujus octavum trepidavit aetas Claudere lustrum. Hier weiß ich nicht, wo ich zuerst anfangen soll, Ihnen alle Ihre Ungereimtheiten vorznzählen. Sie wollen mir beweisen, daß trepidare an mehr als einer Stelle zittern heiße, und verlangen von mir, ich soll Ihnen die Ausgabe des Cellarius angeben, in' welcher eilen stehe. Sagen Sie mir, Herr Pastor, führen Sie sich hier nicht als einen tückischen Schulknaben auf? Als einen Schulknaben, daß Sie verlangen, Ihnen aus dem Cellarius mehr zu beweisen, als darin stehen kann; als einen tückischen, daß Sie meine Worte verdrehen, als ob ich gesagt hätte, daß trepidare überall eilen heiße. Sehen Sie doch meinen Brief nach, wie habe ich geschrieben? Tre­ pidare, sind meine Worte, kann hier nicht zittern heißen; es heißt nichts als eilen. Verstehen Sie denn nicht, was ich mit dem hier sagen will? Ein Quintaner weiß es ja schon, wenn er dieses Wört­ chen lateinisch durch h. 1. ausgedrückt findet, daß eine nicht allzuge­ meine Bedeutung damit angemerkt werde. Doch was predige ich Ihnen viel vor? Sie müssen mit der Nase darauf gestoßen seyn. Nun wohl! Erst will ich Ihnen zeigen, daß trepidare gar oft auch bei andern Schriftstellern eilen heiße, und zum andern, daß es hier nichts anders heiße. Schlagen Sie also bei dein Virgil das nennte Buch der Aeneis nach, wie heißt der 114. Vers? Ne trepidate meas, Teucri, defendere naves. Was heißt es nun hier? Eilen. Haben Sie den Julius Cäsar gelesen? haben Sie nicht darin gefunden, daß dieser trepidare und

Lademecum.

9

concursare mit einander verbindet? Was muß eS da heißen? Eilen. Drei Zeugen sind unwidersprechlich. Schlagen Sie also noch in dem Livius nach, so werden Sie, wo ich nicht irre, in dem 23sten Buche finden: cum in sua quisque ministeria discursu trepidat. Trepidare kann also eilen heißen, und heißt auch nichts anders in der streitigen Stelle des Horaz. Alle Ausleger, so viel ich deren bei der Hand habe, sind auf meiner Seite. Acron erklärt es durch festinavit, Landinus durch properavit. ChabotiuS setzt hinzu: verbum est celeritatis; Lambinus fügt bei: usus est verbo ad significandum celerrimum aetatis nostrae cursum aptissimo. Noch einen kann ich anführen, den Iodocus Badius, welcher sich mit dem Scholiasten des Worts festinavit bedient. Wollen Sie einen neuern Zeugen haben, so wird Ihnen vielleicht Dacier anstatt aller seyn können. Sie scheinen seine Uebersehung nur immer da gebraucht zu haben, wo sie zweifelhaft ist. Hätten Sie doch auch hier nachgesehen, so würden Sie gefunden haben, daß er es vollkommen nach meinem Sinne gibt: un homme dont säge s’est hätö d’accomphr le huitierne lustre------- Hier tonnte ich abbrechen, und meine Kritik wäre erwiesen genug, wenn ich nicht noch auf Ihre seltsame Entschuldi­ gungen etwas antworten müßte. Ich hatte gesagtes müsse deßwegen hier eilen heißen, weil man in dem vierzigsten Jahre schwerlich schon zittere. Hierauf aber antworten Sie ganz eifrig: Was? ist das so etwas seltsames, daß. ein Trinker, wie Horaz, der auch nicht keusch lebte, im vierzigsten Jahre zittert?-------- Mit Ihrer Erlaubniß, Herr Pastor, das ist nicht Ihr Ernst. Oben lachte ich schon über Sie, daß Sie, sich zu entschuldigen, den Horaz zu einem Dichter machen, welcher sich weder um das Sylbenmaaß, noch um die Wortfügung bekümmert. Was soll ich nun hier thun, hier, wo Sie ihn, sich zu retten, gar zu einem Trunkenbolde und Hurer machen, welcher in seinem vierzigsten Jahre die Sünden seiner Jugend büßen muß? Wenn Sie von dem guten Manne so schlecht denken, so ist es kein Wunder, daß er Sie mit seinem Geiste verlassen hat. Daß dieses wirklich müsse geschehen seyn, zeigen Sie gleich einige Zeilen darauf, indem Sie auf eine recht kindische Art fragen: Was denn das eilen hier sagen könne? Ob Horaz schneller vierzig Jahr als geworden, als es von Rechtswegen hätte seyn sollen? Ob sein achtes Lustrum weniger Wochen gehabt, als das siebente? Wahrhafte Fragen eines Mannes, bei dem die gesunde Bernnnft Abschied nehmen will! Sind Sie, Herr Pastor, in der That noch eben der, welcher in seinen Ho­ razischen Oden so vielen leblosen Dingen Geist und Leben gegeben, so manchem nothwendigen Erfolge Vorsatz und Absicht zugeschrieben, so manchen Schein für das Wesen genommen, kurz alle poetische Farben so glücklich angebracht hat? Wie kann Sie jetzt ein Ausdruck befremden, der, wenn er auch uneigentlich ist, doch unmöglich ge­ meiner seyn kann? Das Jahr eilt zu Ende; die Zeit eilt herbei;

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Bademecum.

sind Redensarten, die der gemeinste Mann im Munde führt. Aber wohin verfällt man nicht, wenn man sich in den Tag hinein ohne Ueberleguna vertheidigen will! Die Rechthaberei bringt Sie sogar so weit, daß Sie sich selbst an einem andern Orte eines Fehlers be­ schuldigen, um Ihren Fehler nur hier gegen mich retten. Was ich tadle, muß recht seyn, und was ich lobe, muß falsch seyn. Ich hatte nämlich Ihre eigene Uebersetzung der Stelle: Sed vieles quanto trepidet tumultu Promis Orion. wider Sie angeführt, wo Sie das trepidare schlecht weg durch eilen übersetzt haben. Allein Sie wollen lieber das Zittern weggelassen haben, als mir Recht geben. Pronus Irepidat. sagen Sie, heißt: er eilt zitternd hinunter. Ich habe das Wort pronus — — (Hier mag ich mich in Acht nehmen, daß ich für Lachen nicht einen Kleks mache)-------- durch eilen ausgedrückt, das Zittern Habeich weggelassen,weilich zu schwach war, das sch öne Bild vollkommen nachzumalen. Und also haben Sie in der That pronus durch eilen ausgedrückt? Ich denke, dieses heißt hier zum Untergange? Sagen Sie es nicht selbst? Doch siehst du nicht mit was vor Brausen Orion Zum Untergang eilet. Wahrhaftig, Sie müssen jetzt Ihre Augen nicht bei sich gehabt haben, oder Ihre Uebersetzung hat ein Anderer gemacht. Sie wissen ja nicht einmal, was die Worte heißen, und wollen das durch eilen gegeben haben, was doch wirklich durch zum Untergang gegeben ist.------Ich will nur weiter gehen, weil es lächerlich seyn würde, über einen Gegner, der sich im Staube so herum winden muß, zu jauchzen. 2. B. Ode 5. Nondum munia comparis Aequare (vdlet). Dieses hatten Sie, mein Herr Pastor, durch: sie ist noch der Huld des Gatten nicht gewachsen, übersetzt. Ich tadelte daran, theils daß Sie hier ganz an der unrechten Stelle allzu edle Worte gebraucht, theils daß Sie den Sinn verfehlt hätten. Auf das erste antworten Sie: Horaz brauche selbst edle Worte, welches auch Dacier erkannt habe. Allein verzeihen Sie mir, Horaz braucht nicht edle, sondern ehrbare Worte, und wenn Dacier sich erklärt: c’est un mot honnete, so kann nur einer, welcher gar kein französisch kann, wie Sie, hinzusetzen: merk's: ein edel Wort! Merk's selber: honnöte heißt nicht edel, sondern ehrbar. Ich habe Ihnen nicht verwehren wollen, ehrbare Worte von Thieren zu brauchen, wohl aber edle. Jene haben schon Chabotius und andere in der Stelle des Horaz erkannt, ob dieser gleich hinzu setzt: non minus esse in bis Verdis translatis obscoenitatis, quam si res fuisset propriis

Dadem ecum.

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enuneiata, aut rigido pene, aut mutone etc. Diese aber finde ich nicht, weil Horaz ein viel zu guter Dichter war, als daß er nicht alle seine Ausdrücke nach der Metapher, in der er war, hätte abmessen sollen. Oder glauben Sie wirklich, daß munia und Huld von glei­ chem Werthe find? Ueberlegen Sie denn nicht, daß Huld ein Wort ist, welches von dem Hähern gegen den Niedrigern, ja gar von Gott gebraucht wird, das Unbegreifliche in seiner Liebe gegen den Menschen auszudrllcken? Doch genug hiervon; lassen Sie uns meinen zweiten Tadel näher betrachten, welcher die Uebersetzung selbst angeht. Die ganze Strophe bei dem Horaz ist diese: Nondum subacta ferre jugum valet Cervice: nondum munia comparis Aequare, nec tauri ruentis In Venerem tolerare pondus. Ich würde es ungefähr so ausdrücken: Noch taugt sie nicht mit gebändigtem Nacken dasIoch zu tragen; noch taugt sie nicht die Dienste ihres Nebengespanns zu erwiedern und die Last des zu ihrem Genusse sich auf sie stürzenden Stiers zu ertragen. Sie aber, der sie noch den Nachdruck des Sylbenmaaßes voraus haben, lassen den Dichter sagen: Sie kann noch nicht mit gebeugtem Nacken Das Joch ertragen, sie ist noch Der Huld des Gatten nicht gewachsen, Sie trägt noch nicht die Last des brünstigen Stiers. Hier nun habe ich getadelt, und tadle noch, daß Sie bei dem zweiten Gliede, nondum munia comparis aequare valet, ohne Noth und zum Nachtheile Ihres Originals von den Worten abgegangen sind. Ich sage zum Nachtheile, weil Horaz dadurch ein Schwätzer wird, und einerlei zweimal sagt. Der Huld des Gatten nicht gewachsen seyn und die Last des brünstigen Stiers nicht tragen können, sind hier Tautologien, die man kaum einem Ovid vergeben würde. Sie fallen aber völlig weg, so wie ich den Sinn des Dichters ausdrücke, ob Sie gleich ganz ohne Ueberlegnng vorgeben, daß ich alsdann das zweite Glied zu einer nnnöthigen Wiederholung des ersten mache. Da, das Joch noch nicht tragen können, ohne Zweifel weniger ist, als die Dienste des Nebengespanns noch nicht erwiedern können; so steigen bei mir die Ideen, nach dem Geiste des Horaz, vollkommen schön. Muß man dieses noch einem Manne deutlich machen, der auf dem Lande in der Nachbarschaft solcher Gleichnisse lebt? Vergebens stellen Sie mir hier einige Ausleger entgegen, welche unter munia die Bei­ wohnung verstehen. Diese Männer wollen weiter nichts sagen, als was es bei Anwendung der ganzen Metapher ans ein unreifes Mäd­ chen heißen könne. Sie fangen schon bei jugum an, die Einkleidun­ gen wegzunehmen und kein anber jugum darunter zu verstehen, als das bei dem Plautus, wo Palinurus fragt: jamne ea fert jugum?

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Bademecum.

und woraus Phädromus antwortet: pudica estneque dum cubitat cum viris. Wenn Sie ihnen, Herr Pastor, dort gefolgt sind, warum auch nicht hier? Warum haben Sie nicht gleich gesagt: sie kann noch nicht besprungen werden? Es würde zu Ihrem; sie ist derHuld des Gatten noch nicht gewachsen, vollkommen ge­ paßt haben. — Doch ich will mich hier nicht länger aufhalten, ich will oloß noch ein Paar Zeugnisse für mich anführen und Sie laufen lassen. Eraömus sagt: Metaphora ducta a juvenca, cui nondum suppetunt vires ut in dicendo aratro pares operis vires sustineat. Cruquius setzt hinzu: quae nondum est jugalis, quae non aequo et pari labore concordiaque cum suo pari, id est, marito, jugum et munia rnolestiasque tractat familiäres. Lubinus erklärt die streitige Stelle: nondum munia, onera et labores, una cum compare suo (cum quo jugo juncta incedit) pari robore ferre et ex aequo praestare valet. Alle diese werden es auch gewußt haben, waS man unter munia verstehen könne, wenn man es nach dem sensu nupto nehmen wolle; sie haben aber gesehen, daß man es hier nicht verstehen müsse und dieses, Herr Pastor, hätten Sie auch sehen sollen. 2. B. Ode 12. Dum flagrantia detorquet ad oscula Gervicem. Auch hier wollen Sie noch streiten? Ihr den Hals den heißen Küssen entziehen soll also nicht das Gegentheil von dem seyn, was Horaz sagen will? Ich bitte Sie, betrachten Sie doch die Stelle mit kaltem Blute, wenn Sie eS fähig sind, noch einmal. Dum flagrantia detorquet ad oscula Gervicem, aut facili saevitia negat Quae poscente magis gaudeat eripi etc. Finden Sie, der Sie sonst ein Mann von Geschmack sind, denn nicht, daß Horaz hier durch das aut einen kleinen Gegensatz macht? Jetzt, will er sagen, dreht sie den Hals schma cf) teil b den heißen Küssen entgegen; jetzt versagt sie das mit verstellter Grausamkeit, was sie sich doch nur allzu gern rauben läßt. — Doch Sie wollen keine Gründe annehmeu; Sie wollen alles nur durch Zeugnisse berühmter Ausleger beigelegt wissen. Auch mit diesen könnte ich Sie überschütten, wenn.mich die Mühe des Ab­ schreibens nicht verdröße. Ich muß Ihnen aber sagen, daß sie alle auf meiner Seite sind, nur die zwei nicht, welche Sie anführen. Und wer sind die? Den einen nennen Sie Acrisius und den andern Porphyr. Was ist das für ein Mann, Acrisius? — Endlich werde ich Erbarmung mit Ihnen haben müssen, Herr Pastor. Sie wollen abermals Acron sagen. Ich hätte Ihr obiges Acris gerne für einen Druckfehler gehalten, wenn mir nicht diese noch falschere Wiederholung so gelinde zu seyn verwehrte. Wissen Sie denn aber, mein lieber Herr Gegner,

Badernecurn.

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warum die beiden Scholiasten Acron und Porphyrio aus Ihrer und nicht auf meiner Seite sind? Deßwegen, weil sie, wie es aus der An­ merkung des erstem offenbar erhellt, eine andere Lesart gehabt und anstatt detorquet ad oscula, detorquet ab osculis gefunden haben. Haben Sie denn auch diese Leöart? Sie haben sie nicht, und sind ihr auch nicht gefolgt, weil Sie es sonst in Ihrer Antwort würden erin­ nert haben. Die Anmerkung, die Dacier zu dieser Stelle macht, ist sehr gründlich, und nur Ihnen scheint sie nicht hinlänglich. Aber warum denn nicht? Etwa weil sie Ihnen widerspricht? Oder haben Sie sie nicht verstanden? Das kann seyn: ich will also ein Werk der Barmherzigkeit thun und sie Ihnen übersetzen, weil sie ohnedem die beste Rechtfertigung meiner Kritik seyn wird. „ES läßt sich, sagt er, „nichts galanterS und nichts besser ausgedrücktes als diese vier Verse „erdenken. Den ersten aber hat man nicht wohl verstanden, weil die „Ausleger gealaubt, Horaz wolle sagen, daß Licinia ihren Mund den „Küssen des MäcenaS entziehen wolle; allein sie haben nicht überlegt, „daß er, wenn dieses wäre, nothwendig hätte sagen müssen: detor„quet ab osculo und nicht ad osculum. Horaz sagt also, daß Mäcen „von Liebe immer gleich stark entflammt sey, Licinia möge nun mit „ihrem Munde seinen Küssen begegnen wollen, oder auch auf eine „nicht abschreckende Art seiner Liebe widerstehen. Detorquet cervi„cem ad oscula. sagt man von einem Mädchen, das, indem es thut „als ob es deu Küssen ausweichen wolle, seinen Hals so zu wenden „weiß, daß ihr Mund mit dein Munde ihres Geliebten zusammen „kommt. Man wird gestehen, daß diese Erklärung gegenwärtiger „Stelle eine ganz andere Wendung gibt."------- Ich bin hier mit dem Dacier vollkommen zufrieden, nur daß er mir ein wenig zu stolz thut, gleich als ob dieser Einfall bloß auS seinem Gehirn gekommen sey, da ihn doch alle gehabt haben, und nothwendig haben müssen, welche ab osculis lesen. So gar der Paraphrast Lnbinus sagt: dum roseam suam cervicem ad oscula tua, ut tibi gratificetur, inclinat et detorquet. 3. B. Ode 21. Nun komm ich auf einen Punkt, der Ihnen, Herr Pastor, Ge­ legenheit gegeben hat, eine wahrhafte Bettelgelehrsamkeit zu ver­ rathen. Ich habe in dieser Ode getadelt, daß Sie prisci Catonis durch Priscus Cato übersetzt haben. Ich habe dazu gesetzt, daß man sich diese Ungereimtheit kaum einbilden könne, und endlich die Frage beigefügt, welcher von den Catonen Priscus geheißen habe? Erst­ lich also muß ich Ihnen zeigen, daß Sie Ihrer Rechtfertigung unge­ achtet dennoch falsch übersetzt haben; und hernach muß ich selbst meine eigene Frage rechtfertigen. Doch ich will das letztere zuerst thun, weil ich alsdann etwas kürzer seyn kann. Welcher von den Catonen hat Priscus geheißen? Wider diese Frage führen Sie mir, grundgelehr­ ter Herr Pastor, das Zeugniß des Dacier und des Mancinelli an,

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Dtldemecurn.

welche beide sagen, daß der ältere Cato PriscuS geheißen habe. Ei! Darier und Mancinelli! Mancinelli und Dacier! Sind das die Leute, mit welchen man etwas Streitiges aus den Alterthümern beweiset? Keine bessern wissen Sie nicht? Wahrhafte Bettelgelehrsamkeit, um es noch einmal zu wiederholen!

Wenn ich nun behauptete, Dacier

habe den Mancinelli ausgeschrieben, und Mancinelli rede ohne Be­ weis; was wurden Sie wohl thun? Sie würden Ihre Fontes noch einmal zu Rathe ziehen; Sie würden sehen, ob sie keine andere Fontes ansühren. Allein sie führen keine an; was nun zu thun? Das weiß Gott! Doch, Herr Pastor, ich will Sie in diese Berlegenheit nicht setzen. Was hätte ich davon, mit etwas zurückzuhalten, welches im geringsten nicht wider mich ist. Lernen Sie also von mir, was ich weder von dem Mancinelli, noch dem Dacier habe lernen dürfen, daß diese ihre beiden Helden ohne Zweifel auf eine Stelle des Plutarchs in dem Leben des ältern Cato zielen. Exalenoöe, heißt es auf mei­ ner 336. Seite der Wechel'schen Ausgabe, ia toiico kov dvopaTav ttqoteqov ov Kaiav d/J.a slQiGxoe, vgegov Oe iov Ivaicova tijs övvauea^ enavv/uov e(J/e. Papcaot /ycxQ iov eh'Telqov Kmava ovojuaCovoiv. Wenn es Ihnen, mein lieber Herr Pastor, mit dem

Griechischen etwa so geht, wie mit den algebraischen Aufgaben, die zu verstehen, nach der vierten Seite Ihres Schreibens, es sehr viel kosten soll, so schlagen Sie die Uebersetznng des Herrn Kinds, die 520. Seite des 3. Theils auf, wo Sie folgendes finden werden: „Im Anfang hieß sein dritter Name Priscus und nicht Cato, welchen man ihm wegen seiner Klugheit beilegte, weil die Römer einen klugen und erfahrenen Mann Cato heißen."------- Ei, mein Herr Lange! Mache ich Ihnen hier nicht eine entsetzliche Freude! Ich gebe Ihnen den Dolch selbst in die Hand, womit Sie mich ermorden sollen. Nicht? Ehe Sie aber zustogcn, so sehen Sie die griechische Stelle noch ein­ mal an. Liegen folgende Sätze nicht deutlich darin? Der ältere Cato hat niemals mehr als drei Namen gehabt; er hieß Priscus bis er anfing Cato zu heißen; so bald er Cato hieß, verlor er den Namen Priscus; und nie hat er zusammen Priscus Cato geheißen, welches vier Namen ausmachen würde, die er nach dem Zeugnisse Plutarchs nie geführt hat. Wenn ich also gefragt habe, welcher von den Catonen Priscus genannt worden, so hat nur Herr Pastor Lange, der sei­ nen Gegner für so unwissend hält, als er selbst ist, glauben können, als ob ich so viel fragen wolle, welcher von den Catonen, ehe er Cato geheißen, den Namen Priscus geführt habe? Was würde dieses zu der Stelle des Horaz helfen, wo nicht von einem Manne geredet wird, der zu verschiedenen Zeiten erst Priscus und hernach Cato geheißen, sondern von einem, welcher beide Namen zugleich, wie Herr Lange will, geführt haben soll? Meine Frage scheint durch die Auslassung eines einzigen Worts ein wenig unbestimmt geworden zu seyn. Ich

hatte nämlich, um auch den Verdrehungen keine Blöße zu geben, mich

VademecUni.

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so ansdrücken sollen: Welcher von den Catonen hat denn Priscus Cato geheißen? Auf diese Frage nun ist unmöglich anders zu ant­ worten als: keiner. Mancinelli und Dacier selbst unterscheiden die Zeiten, und sagen nicht, daß er Priscus Cato zugleich geheißen habe. Sie begehen folglich einen Schnitzer, wenn Sie nach Ihrer Art recht witzig seyn wollen, und im Tone der alten Weiber sagen: es war einmal ein Mann, der hieß priscus, und bekam den Zunamen Cato. Nein, mein altes Mütterchen, das ist falsch; so muß es heißen: es war einmal ein Mann, dessen Zuname Priscus durch einen andern Zunamen Cato verdrungen ward.------- Doch lassen Sie uns weiter gehen.------- Da es also historisch unrichtig ist, daß jemals ein Pris­ cus Cato in der Welt gewesen ist, so könnte es, wird man mir ein­ wenden, gleichwohl dem Dichter erlaubt seyn, diese zwei Namen zu­ sammen zu bringen. Gut! und das ist der zweite Punkt, auf den ich antworten muß; ich muß nämlich zeigen, daß Horaz hier gar nicht Willens gewesen ist, eine Probe seinev'Kenntniß der Catonischen Fa­ miliengeschichte zu geben, und daß ein Herr Lange, der dieses glaubt, ihn gelehrter macht, als er seyn will. Dieses zu thun, will ich, um mir bei Ihnen ein Ansehen zu machen, alte und neue Ausleger an­ führen und zugleich die Gründe untersuchen, welche sie etwa mögen bewogen haben, so wie ich zu denken. Ueberhaupt.muß ich Ihnen sagen, daß ich unter mehr als dreißig beträchtlichen Ausgaben keine einzige finde, die das priscus mit einem großen P schreibt, welches doch nothwendig seyn müßte, wenn ihre Besorger es für einen Zu­ namen angesehen hätten. Nennen Sie mir doch, Wunders halber, diejenige, die in diesem Punkte so etwas besonderes hat. Ihr eigener Text, welchem es sonst an dem Besondern, wenigstens in Ansehung der Fehler, nicht mangelt, hat die gemeine Schreibart beibehalten; so daß ich schon entschuldigt genug wäre, wenn ich sagte, ich habe Sie beurtheilt, so wie ich Sie gefunden. Denn weßwegen läßt ein liebet« setzer sonst sein Original an die ^Leite drucken, wenn er es nicht deß­ wegen thut, damit man sehen soll, was für einer Lesart, was für einer Interpunktion er gefolgt sey? Geschieht es nur darum, damit das Buch einige Bogen stärker werde? Umsonst sagen Sie, es sey mit Fleiß geschehen, und die Ursache gehöre nicht hierher. Sie ge­ hört hierher, Herr Pastor, und nicht sie, sondern Ihr unzeitiges Siegs­ geschrei hätten Sie weglassen sollen------- Lassen Sie sich nun weiter lehren, daß alle Ausleger bei dieser Stelle sich in zwei Classen ab­ theilen. Die einen verstehen den ältern Cato, den Sittenrichter, dar­ unter, die andern den jungern, welchen sein Tod berühmter als alles andere gemacht hat. Jene, worunter Acron, Badius, Glareanus, Lubinus und wie sie alle heißen, gehören, erklären das prisri durch antiquioris oder veteris, und lassen sich es nicht in den Sinn kommen, das Borgeben des Plutarchs hierher zu ziehen, ob es Ihnen gleich, ohne Zweifel, so wenig unbekannt gewesen ist, als mir. Diese, welche

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Vademecum.

sich besonders darauf berufen, daß man den Sittenrichter wohl wegen der alleraußerordentlichsten Mäßigung gelobt, nirgends aber wegen des übermäßigen Trunks getadelt finde; da man hingegen von seinem Enkel an mehr als einem Orte lese, daß er ganze Nächte bei dem Weine gesessen und ganze Tage bei dem Brettspiele zugebracht habe: diese, sage ich, LambinuS, Chabotius rc. verstehen unter priscus einen solchen, welcher seinen Sitten nach aus der alten Welt ist, und nehmen es für severus an. Einer von ihnen, Landinus, scheint so­ gar eine andere Lesart gehabt und anstatt prisei prisca, welches als­ dann mit virtus 311 verbinden wäre, gefunden zu haben. Er setzt I)in$u: prisca virtus, quse talis fuit qualis olim in priscis hominibus esse consuevit. Ich gestehe, daß mir diese Abweichung un­ gemein gefallen würde, wenn sie nicht offenbar wider das Sylbenmaaß wäre.-------- Doch was suche ich Ihre Widerlegung so weit? Ihre zwei Währmänner, Mancinellus und Dacier, sind Ihnen ja selbst zuwider; und wenn es nicht jedem Leser in die Augen fällt, so kommt es nur daher, weil Sie ihre Zeugnisse minder vollständig an­ geführt haben. Ich will diesen kleinen Betrug entdecken. Bei dem Da­ cier hätten Sie nicht bloß einen Theil der Anmerkung, sondern auch die Uebersetz'ung selbst beifügen sollen. Doch das war Ihnen unge­ legen, weil diese ausdrücklich für mich ist. Wenn Dacier fest geglaubt hat, daß priscus den erstern Zunamen des Cato bedeute, so sagen Sie mir doch, warum gibt er es gleichwohl durch la vertu du vicux Caton? Scheint er dadurch nicht erkannt zu haben, daß seine Anmer­ kung, so gelehrt sie auch sey, dennoch nicht hierher gehöre? Was vollends den Mancinelli anbelangt, so hätten Sie nur noch einen Perioden mehr hinzusetzen dürfen, um sich lächerlich zu machen. Sagt er denn nicht ausdrücklich: poeta abusus est nomine, man muß den jüngern Cato und nicht den Sittenrichter verstehen? Oder meinen Sie etwa, daß der Widerpart des Cäsars auch Priscus einmal geheißen habe. Wenn Sie dem Mancinelli ein Factum glau­ ben, warum auch nicht das andere?------- Doch ich will mich nicht länger bei Zeugnissen der Ausleger aufhalten, sondern will nur noch durch den Parallelismus die wahre Bedeutung des priscus unwidersprechlich bestimmen. Ich finde zwei Stellen bei dem Horaz, von wel­ chen id) mich wundere, daß sie kein einziger von den Auslegern, die ich habe zu Rathe ziehen können, angeführt hat. Sie entscheiden alles. Die erste steht in dem 19. Briefe des ersten Buchs. Horaz versichert gleich Anfangs den Mäcenas, daß keine Gedichte lange leben könnten, welche von Wassertrinkern geschrieben würden; er macht diese Wahr­ heit zu einem Ausspruche des Cratinus und sagt:

Prisco si credis, Maeceras docte, Cratino. Prisco Cratino. Ei, Herr Pastor, Sie sehen, es ist hier auch vom Weintriukeu, wie in unserer streitigen Stelle, die Rede; sollte wohl Cratinus auch einmal mit dem Zunamen Priscus geheißen haben?

Vademecum.

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Schlagen Sie doch geschwind den Dacier oder Mancinelli nach! —— Die andere Stelle werden Sie in dem zweiten Briefe des zweiten Buchs finden, wo Horaz unter anderm sagt, daß ein Dichter die alten nachdrücklichen Worte, um stark zu reden, wieder vorsuchen müsse: Obscurata diu populo bonus eruet atque Proferet in lucem speciosa vocabula reriim Quae priscis memorata Catonibus atque Cethegisj Hier haben Sie nun gar priscis Catonibus. Wenn in der Ode prisci der Zuname gewesen ist, warum soll er es nicht auch hier seyn? Ohne Zweifel haben alle Catone, nicht der Sittenrichter allein Priscus geheißen. Nicht, Herr Pastor? DenDacier nachgesehen! hurtig!------Als den letzten Keil will ich noch das Zeugniß eines noch lebenden Gelehrten anführen, Nostrurn inelioris utroque. Es ist dieses der Herr Prof. Gesner, welcher in der Vorrede zu seinen scriptoribu* rei rusticae ^priscus ausdrücklich zu nichts als einem Horazischen Epitheto macht, ob ihm schon die Stelle des Plutarchs bekannt war, und ob er schon in andern alten Schriften gefunden hatte, daß man dieses Priscus mit unter die Namen des Cato setze. Er redet nämlich von dem Buche dieses alten Römers über den Ackerbau, und nennt es, so wie wir es jetzt aufzuweisen haben, congeriem parum digestam oraculorum quae Plinius vocat veri et Prisci Catonis, und setzt hinzu: Horatianum illud epitheton tribuunt illi etiam inter nomina libri antiqui. Dieses aber ohne Zweifel auf keine andere Art, als ihn dadurch von dem jllngern Cato, durch das Beiwort des Aeltern, zu unterscheiden.------Was meinen Sie nun? Haben Sie noch richtig übersetzt? Müssen.Sie nun nicht gestehen, daß ich mit Grund getadelt habe? Werden Sie noch glauben, daß ich von Ihnen etwas lernen kann? Wenn Sie der Mann wären, so würde ich weiter gehen; ich würde Ihnen über die Stelle des Plutarchs selbst, ob sie mir gleich, wie Sie oben gesehen haben, nicht widerspricht, einige Zweifel machen; Zweifel, die mir nicht erst seit gestern und heute beigefallen sind. Doch wahrhaftig ich will sie hersetzen. Wenn ich schon von Ihnen keine Erläuterung zu erwarten habe, so sind doch die Leute eben so rar nicht, welche mehr als ich und Sie kennen. Vielleicht liest uns einer von diesen, und nimmt des Geschichtsschreibers Partei gegen mich, welches mir sehr angenehm seyn wird. Sie aber, Herr Pastor, übephüpfen Sie nur Eine kleine Ausschweifung über obige Stelle des Plutarchs.

Der griechische Schriftsteller meldet uns in dem angeführten Zeugnifle dreierlei. Erstlich, daß Marcus PorciuS der erste aus seiner Familie gewesen sey, welcher den Zunamen Cato geführt; Z w e i t e n s, daß er diesen Zunamen wegen seiner Klugheit bekommen;

Lessing, Werke. V.

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Vademecum.

Drittens, daß er vorher den Zunamen PriScuS geführt habe.------Nun will ich meine Anmerkungen nach Punkten ordnen. I. So viel ist gewiß, daß Plutarch der genaueste Geschichtschreiber nicht ist. Seine Fehler zum Exempel in der Zeitrechnung sind sehr häufig. Alsdann aber kann man ihm am allerwenigsten trauen, wenn er Umstände anführt, welche eine genauere Kenntniß der lateinischen Sprache erfordern. Diese, wie bekannt ist, hat er nicht besessen. Er sagt in dem Leben des ältern Cato von sich selbst, daß er die Reden des Sittenrichters nicht beurtheilen könne, und die Art, wie er die lateinische Sprache erlernt zu haben vorgiebt, ist bekannt: aus grie­ chischen Büchern nämlich, welche von der römischen Historie ge­ schrieben. Grundes also genug, ihn allezeit für verdächtig zu halten, so oft er sich in die römische Philologie wagt, die er wenigstens aus keinem griechischen Geschichtschreiber hat lernen können. II. Daß unser Sittenrichter der erste aus der Porcius'schen Fa­ milie gewesen sey, welcher Cato geheißen habe, muß ich dem Plutarch deßwegen glauben, weil man auch andere Zeugnisse dafür hat. Eines zwar von den vornehmsten, wo nicht gar das einzige, ich meine das Zeugniß des Plinius (B. 7. Cap. 27.), ist sehr zweideutig. Er sagt Cato primus Porciae gentis. Kann dieses nicht eben sowohl heißen: Cato welcher der erste war, der den Namen Porcins führte, als es nach der gemeinen Auslegung heißen soll: derjenige aus dem Porcius'schen Geschlechte, welcher den Namen Cato bekam? Doch es mag das letzte heißen, so kann ich doch wenigstens lH. Die Plutarchische Abtheilung mit Grunde verdächtig machen. Er sagt PcojuaioL xov e^JiEtQov Kaxcova ovopctQovtnv. Dieses ist offenbar falsch, und er hätte anstatt Kaxcova nothwendig Kaxov schreiben sollen, weil das Adjectivum der Lateiner nicht cato sondern catus heißt. Sein lateinisch er Uebersetzer Hermannus Cruserus scheint diesen Fehler gemerkt zu haben, und giebt deßwegen die angeführten Worte: romani experientem Catum vocant Doch, wird man sagen, ungeachtet dieses Fehlers kann die Ableitung dennoch richtig seyn; das Adjectivum mag catus heißen, vielleicht aber ist es in cato ver­ wandelt worden, wenn es die Römer als einen Zunamen gebraucht haben.-------- Allein auch dieses vielleicht ist ungegründet. Man sieht es an dem Beispiele des Aelius Sextus, welcher eben diesen Zu­ namen bekam und gleichwohl nicht Cato sondern Catus genannt ward. Ein Vers, welchen Cicero in dem ersten Buche seiner Tusculanischen Streitunterrednngen anführt und der ohne Zweifel von dem Ennius ist, soll es beweisen: Egregie cordatus homo Catus Aeliu’ Sextus. Das Catus kann hier nicht als ein bloßes Beiwort anzusehen sehn, weil cordatus das Beiwort ist und die lateinischen Dichter von Häu­ fung der Beiwörter nichts halten. Es muß also ein Zuname seyn, und wenn es dieser ist, so sage man mir, warum ist er auch nicht hier

Bademecum.

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in Cato verwandelt worden, oder warum hat nur bei dem PortiuS daS catu* diese Veränderung erlitten? Wollte man sagen, jenes sey des Verses wegen geschehen, so würde man wenig sagen; oder viel­ mehr man würde gar nichts sagen, weil ich noch ein weit stärkeres Zeugniß für mich aufbringen kann. Das Zeugniß nämlich des Pli­ nius, welcher (7. B. Cap. 31.) mit ausdrücklichen Worten sagt: praestitere ceteros mortale* sapientia. ob id Cati, Corculi apud Ro­ manos cognominati. Warum sagt er, welcher den alten Cato bei aller Gelegenheit lobt, Cati und nicht Caton es, wenn er geglaubt hätte, daß die letzte Benennung eben diese Abstammung habe? IV. Ich will noch weiter gehen und es auch durch einen histo­ rischen Umstand höchst wahrscheinlich machen, daß er den Zunamen Cato nicht seines Verstandes und seiner Weisheit wegen bekommen habe. Ich berufe mich deßwegen auf das, was Cicero de senectute anführt; er berichtet unS nämlich, daß Cato erst in seinem Alter den Zunamen Sapientis, des Weisen, erhalten habe. Nun sage man mir, wenn man hieran nicht zweifeln kann, ist es wohl wahrscheinlich, daß man ihm aus einer Ursache zwei Zunamen solle gegeben haben? daß man ihn schon in seiner Jugend den Klugen genannt, erst aber in seinem Alter für würdig erkannt habe, den Zunamen der W e i s e zu füh­ ren? Denn dieses ist aufs höchste der Unterschied, welchen man zwischen catus und sapiens machen kann. Wenn mir jemand diesen Zweifel heben könnte, so wollte ich glauben, daß auch die andern zu heben wären. Die Ausflucht wenigstens, catus für acutus anzunehmen, so wie es Varro bei demAelius Sextus haben will, und zu sagen, unser Porcius sey in der Jugend acatus, das ist verschmitzt, und in seinem Alter erst weise genannt worden, wird sich hierher nicht schicken, weil das Verschmitzte ganz wider den Charakter deS alten Sittenrichters ist, der in seinem ganzen Leben immer den geraden Weg nahm und mit der falschen Klugheit gerne nichts zu thun hatte. V. Weil nun Plutarch in den obigen Stücken höchst verdächtig ist, so glaube ich nunmehr das Recht zu haben, über das PriscuS selbst eine Anmerkung zu machen. Da der ältere Cato von verschie­ denen Schriftstellern mehr als einmal Pri>cus genannt wird, theils nm dadurch die Strenge seiner Sitten anzuzeigen, welche völlig nach dem Muster der alten Zeiten gewesen waren, theils ihn von dem jüngern Cato zu unterscheiden: da vielleicht dieses Beiwort auch in den gemeinen Reden, ihn zu bezeichnen, üblich war, so wie etwa in den ganz neuern Zeiten einer von den allertapfersten Feldherren bei­ nahe von einem ganzen Lande der Alte, mit Zusetzung seines Landes, genannt ward; da, sage ich, diese Verwechslung eines Beiworts in einen Zunamen ungemein leicht ist, so urtheile man einmal, ob sie nicht ein Mann, welcher die lateinische Sprache nur halb inne hatte, ein Plutarch gar wohl könne gemacht haben? Ich glaube, meine Vermuthung wird noch ein außerordentliches Gewicht mehr bekom-

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Vadrmecnm.

men, wenn ich zeige, daß ein Römer selbst und sonst einer von den genauesten Geschichtsschreibern einen gleichen Fehler begangen habe. Ich sage also, daß sogar Livius das Wort priscus als einen Namen angenommen hat, wo es doch nichts als ein Unterscheidungswort ist, bei dem ersten Tarqninius nämlich, welcher bloß deßwegen Priscus genannt ward, um ihn mit dem Superbo gleiches Namens nicht zu verwechseln. Festus bezeuget dieses mit ausdrücklichen Worten, wenn er unter Priscus sagt: Priscus Tarqninius est dictus, quia prius fuit quam, superbus Tarqninius. Man schließe nunmehr von dem LiviuS auf den Plutarch. Wäre es unmöglich, daß ein Grieche da angestoßen hätte, wo ein Römer selbst anstö'ßt? Hier, mein Herr Pastor, können Sie wieder anfangen zu lesen. Haben Sie aber ja nichts überhüpft, so sollte es mir leid thun, wenn durch diese Ausschweifung etwa Ihre Vermuthung lächerlich würde, daß ich deßwegen von dem Namen Priscus nichts gewußt habe, weil Bayle seiner nicht gedenkt. Wer weiß zwar, was ich für eine Aus­ gabe dieses Wörterbuchs besitze. Wo es nur nicht gar eine ist, die ein prophetischer Geist mit den Schnitzern des LaublingschenPastors ver­ mehrt hat.------- Doch lassen Sie uns weiter rücken. 3. B. Ode. 27. Uxor invicti Jovis esse nescis. O Herr Pastor-, lehren Sie mich es doch nicht, daß diese Stelle eines doppelten Sinnes fähig ist. Als Sie vor neun Jahren den Horaz aus deutsch zu mißhandeln anfingcn, wußte ich es schon, daß es heißen könne: Du weißt es nicht, daßdudieGattindes Jupiters bist, und du weißt dich nicht als die Gattin des Jupiters anfzuführen. Wenn ich nöthig hätte mit Übeln Wen­ dungen meine Kritik zu rechtfertigen, so dürfte ich nur sagen, daß Ihre Uebersetzung von diesem doppelten Sinne keinen, sondern einen dritten ausdrücke. Du weißt's nicht, und bist des großen Jupiters Gattin. Kann dieses nicht ohne viele Verdrehung heißen: Obdu schon des Jupiters Gattin bist, so weißt du dennoch dieses oder jenes nicht. Doch ich brauche diese Ausflucht nicht, und meinet­ wegen mögen Sie den ersten Sinn haben ausdrücken wollen. Sie haben doch noch schulknabenmäßig übersetzt. Denn wasthutein Schul­ knabe bei solchen Gelegenheiten? Er nimmt den ersten den besten Sinn, ohne sich viel zu bekümmern, welchen er eigentlich nehmen sollte. Er ist zufrieden, es sey nun auf die eine oder auf die andere Weise, den Wortverstand ausgedrückt zu haben. Dieses nun haben Sie auch gethan, atqui, ergo. Umsonst sagen Sie mit dem Dacier, Ihr Sinn sey dem Zusammenhänge gemäßer. Ich sage: nein, und jedermann wird es mit mir sagen, der das, was darauf folgt, überlegen will. Durch was hat Horaz das zweideutige

Bade mecum.

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Uxor invicti Jovis esse nescis gewisser bestimmen können, als durch das gleich darauf folgende Milte singultus: bene ferre magnam Disce Fortunam. Was ist deutlicher, als daß Horaz sagen will: glaubst du, daß Seufzer und Thränen einer Gattin des Jupiters anstehen? Lerne dich doch in dein Glück finden! Lerne doch zu seyn, was du bist!------- Ich will noch einen Beweis anführen, den sich ein Herr Lange freilich nicht vermuthen wird, der aber nicht weniger schließend ist. ES ist unwidersprechlich, daß Horaz in dieser Ode das Jdyllion des Moschus, Europa, in mehr als einer Stelle vor Augen gehabt hat. Es ist also auch höchst wahrscheinlich, daß Horaz die Europa in den Umständen angenommen habe, in welchen sie Moschus vorstellt. Nun weiß sie es bei diesem, daß nothwendig ein Gott unter dem sie tragenden Stiere verborgen seyn müsse. Sie sagt:

Iljl tUE (pEQEtg, &EOTOfVOfc;----------’H Ftt T1$ F.(J(H vfrEOS;

--------------- eXjtopai Eloogaao&ai TovÖe xaTi&vvovia tiXoov ttqoxeXev (Xov epEio, Und der Stier spricht ausdrücklich zu ihr:

€)agyEcv iag qpiZtas, cJy ajnqpißoZos Etui? tq öiaO*E(jig; die Freundschaft aller Zweizüngler, aller Doppelleute, aller Falschen zu fliehen. Lehrt sie das? Ich bin nicht der erste, der es lüugnet und die Fabel für schlecht ausgibt. Richer 2 sagt, sie sündige wider die Richtigkeit der Allegorie; ihre Moral sey weiter nichts als eine Anspielung, und gründe sich auf eine bloße Zweideutigkeit. Richer hat richtig empfunden, aber seine Em­ pfindung falsch ausgedrückt. Der Fehler liegt nicht sowohl darin, daß die Allegorie nicht richtig genug ist, sondern darin, daß es weiter nichts als eine Allegorie ist. Anstatt daß die Handlung des Man­ nes, die dem Satyr so anstößig scheint, unter dem allgemeinen Sub­ jecte des Lehrsatzes wirklich begriffen seyn sollte, ist sie ihm bloß ähnlich. Der Mann sollte sich eines wirklich en Widerspruchs schuldig machen, und der Widerspruch ist nur anscheinend. Die Lehre warnt uns vor Leuten, die von ebenderselben Sache ja und nein sagen, die ebendasselbe Ding loben und tadeln: und die Fabel zeigt uns einen Mann, der seinen Athem gegen v ers ch i e d e n e Dinge verschieden braucht; der auf ganz etwas anderes jetzt seinen Athem warm haucht, und auf ganz etwas anderes ihn jetzt kalt bläst. Endlich, was läßt sich nicht alles all eg orisiren! Man nenne mir das abgeschmackte Mährchen, in welches ich durch die Allegorie nicht einen moralischen Sinn sollte legen können! — „Die Mitknechte „des Aesopus gelüstet nach den trefflichen Feigen ihres Herrn. Sie „essen sie auf, und als es zur Nachfrage kommt, soll es der gute Aesop „gethan haben. Sich zu rechtfertigen, trinkt Aesop in großer Menge 1 Fab. Aesop. 126. 9------ contre la justesse de l’alldgorie.-------- Sa morale n’est qu’une allusion, et n’est fondde que sur up jeu de mpts dquivpques. Falles nouPreface, p.

Abhandlungen über die Fabel.

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„laues Wasser, und feine Mitknechte müssen ein gleiches thun. Da­ baue Wasser hat feine Wirkung, und die Näscher sind entdeckt." — — Was lehrt unS dieses Histörchen? Eigentlich wohl weiter nichts, als daß laues Wasser, in großer Menge getrunken, zu einem Brech­ mittel werde? Und doch machte jener persische Dichter > einen weit edlern Gebrauch davon. „Wenn man euch," spricht er, „an jenem „großen Tage des Gerichts von diesem warmen und siedenden Wasser „wird zu trinken geben, alsdann wird alles an den Tag kommen, was „ihr mit so vieler Sorgfalt vor den Augen der Welt verborgen ge„halten, und der Heuchler, den hier seine Verstellung zu einem ehr„würdigen Manne gemacht hatte, wird mit Schande und Verwir„rung überhäuft dastehen!" — Vortrefflich! Ich habe nun noch eine Kleinigkeit an der Erklärung des de la Motte auszusetzen. Das Wort L eh re (in^ruction)istzu unbestimmt und allgemein. Ist jeder Zug aus der Mythologie, der aus eine phy­ sische Wahrheit anspielt, oder in den ein tiefsinniger Baco wohl gar eine transcendentalische Lehre zu legen weiß, eine Fabel? Oder wenn der seltsame Holberg erzählt: „Die Mutter des Teufels über„gab ihm einSmals vier Ziegen, um sie in ihrer Abwesenheit zu „bewachen. Aber diese machten ihm so viel zu thun, daß er sie mit „aller seiner Kunst und Geschicklichkeit nicht in der Zucht halten „konnte. Dießfalls sagte er zu seiner Mutter nach ihrer Zurückkunft: „Liebe Mutter, hier sind eure Ziegen! Ich will lieber eine ganze „Compagnie Reiter bewachen, als eine einzige Ziege." — Hat Hol­ berg eine Fabel erzählt? Wenigstens ist eine Lehre ui diesem Dinge. Denn er setzt selbst mit ausdrücklichen Worten dazu: „Diese Fabel „zeigt, daß keine Kreatur weniger in der Zucht zu halten ist als eine „Ziege." 1 2— 3 Eine wichtige Wahrheit! Niemand hat die Fabel schänd­ licher gemißhandelt als dieser Holberg! Und es mißhandelt sie jeder, der eine andere als moralisch e Lehre darin vorzutragen sich ein­ fallen läßt.

Nicher. Richer ist ein anderer französischer Fabulist, der ein wenig besser erzählt als de la Motte, in Ansehung der Erfindung aber weit unter ihm steht. Auch dieser hat uns seine Gedanken über diese Dichtungsart nicht vorenthalten wollen, und erklärt die Fabel durch ein kleines 1 Herbelot Bibi. Orient, p. 516. Lorsque Fon vous donnera ä boire de cette eau chaude et brülante, dans la question du Jugement dernier, tont es que vous avez cache avec taut de soin, paroitra aux yeux de tont le monde, et celui qui aura acquis de Festime par son bypocrisie et par son ddguisement, sera pour lors couvert de honte et de confusion-

3 Moralische Fabeln des Baron von Holberg. S. 103.

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Abhandlungen über die Fabel.

Gedicht, das irgend eine unter einem allegorischen Bilde versteckte Regel enthalte, l Richer hat die Erklärung des de la Motte offenbar vor Augen gehabt. Und vielleicht hat er sie gar verbessern wollen. Aber das ist ö?m sehr schlecht gelungen. Ein kleines Gedicht? (Poeme) — Wenn Richer das Wesen eines Gedichts in die bloße Fiction setzt, so bin ich es zufrieden, daß er die Fabel ein Gedicht nennt. Wenn er aber auch die poetische Sprache und ein gewisses Sylbenmaaß als nothwendige Eigenschaften eines Gedichtes betrachtet: so kann.ich seiner Meinung nicht seyn.— Ich werde mich weiter unten hierüber ausführlicher erklären. EineRegel? (Precepte) — Dieses Wort ist nichts bestimmter als das Wort Lehre des de la Motte. Alle Künste, alle Wissen­ schaften haben Regeln, haben Vorschriften. Die Fabel aber steht einzig und allein der Moral zu. Von einer andern Seite hingegen be­ trachtet, ist Regel oder Vorschrift hier so gar noch schlechter als Lehre, weil man unter Regel und Vorschrift eigentlich nur solche Sätze versteht, die unmittelb ar auf die Bestimmung unsers Thuns und Lassens gehen. Von dieser Art aber sind nicht alle moralische Lehrsätze der Fabel. Ein großer Theil derselben sindErfahrungssätze, die uns nicht sowohl von dem, was geschehen sollte, als vielmehr von dem, was wirklich geschieht, unterrichten. Ist die Sentenz: In principatu commutando civiuni Nil praeter do mini nomen mutant pauperes: eine Regel, eine Vorschrift? Und gleichwohl ist sie das Resultat einer von den schönsten Fabeln des Phädrus.^ Es ist zwar wahr, ans jedem solchen Erfahrungssatze können leicht eigentliche Vorschriften und Regeln gezogen werden. Aber was in dem fruchtbaren Satze liegt, das liegt nicht darum auch in der Fabel. Und was müßte das für eine Fabel seyn, in welcher ick) den Satz mit allen seinen Folge­ rungen auf einmal anschauend erkennen sollte? Unter einem allegorischen Bilde? — Ueber das Allego­ rische habe ich mich bereits erklärt. Aber Bild! (Image) Unmöglich kann Richer dieses Wort mit Bedacht gewählt haben. Hat er es viel­ leicht nur ergriffen, um vom de la Mott§ lieber auf Gerathewohl abzugehen, als n a ch ihm Recht zu haben? — Ein Bild heißt überhaupt jede sinnliche Vorstellung eines Dinges nach einer einzigen ihm zu­ kommenden Veränderung. Es zeigt mir nicht mehrere oder gar alle mögliche Veränderungen, deren das Ding fähig ist, sondern allein die, in der es sich in einem und ebendemselben Augenblicke befindet. In einem Bilde kann ich also zwar wohl eine moralische Wahrheit erkennen, aber es ist darum noch keine Fabel. Der mitten im Wasser

1 L% Fable est un petit Poeme qul contient un precepte cache sous une Image ajl^gorique. Fabias nouvelles, Preface p. 9.

3 Libit I. Fftb. 1H.

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dürstende Tantalus ist ein Bild, und ein Bild, das mir die Mög­ lichkeit zeigt, man könne auch bei dem größten Ueberflusse darben. Aber ist dieses Bild deßwegen eine Fabel? Sv auch folgendes kleine Gedicht: Cursu veloci pendens in novacula, Galvus, comosa fronte, nodo corpore, Quem si occuparis, teneas, elapsum semel Non ipse possit Jupiter reprehendere; Occasionem reruin significat brevem. Effeclus impediret ne segnis mora, Finxere antiqin talem eflegiem temporis. Wer wird diese Zeilen für eine Fabel erkennen, ob sie schon PhädruS als eine solche unter seinen Fabeln mit unterlaufen laßt?1 Ein jedes Gleichniß, ein jedes Emblema würde eine Fabel seyn, wenn sie nicht eine Mannichfaltigkeit von Bildern und zwar zu E i n e m Zwecke übereinstimmenden Bildern, wenn sie nut einem Worte nicht das nothwendig erforderte, was wir durch das Wort Handlung ausdrücken. Eine Handlung nenne ich eine Folge von Verände­ rungen, die zusammen Ein Ganzes ausmachem Diese Einheit des Ganzen beruht auf der Ueberein­ stimmung aller Theile zu einem Endzwecke. Der Endzweck der Fabel, das, wofür die Fabel erfunden wird, ist der moralische Lehrsatz. Folglich hat die Fabel eine Handlung, wenn das, was sie er­ zählt, eine Folge von Veränderungen ist, und jede dieser Perände­ rungen etwas dazu beiträgt, die einzelnen Begriffe, aus welchen der moralische Lehrsatz besteht, anschauend erkennen zu lasten. Was die Fabel erzählt, muß eine Folge vonV er änd erun gen seyn. Eine Veränderung, oder auch mehrere Veränderungen, die nur neben einander bestehen und nicht auf einander folgen, wollen zur Fabel nicht zureichen. Und ich kann es für eine untrüg­ liche Probe ausgeben, daß eine Fabel schlecht ist, daß sie den Namen der Fabel gar nicht verdient, wenn ihre vermeinte Handlung sich ganz malen läßt. Sie enthält alsdann ein bloßes Bild, und der Maler hat keine Fabel, sondern.ein Emblema gemalt. — „Ein „Fischer, indem er sein Netz aus dem Meere zog, blieb der größern „Fische, die sich darin gefangen hatten, zwar habhaft, die kleinsten „aber schlupften durch das Netz durch und gelangten glücklich wieder „ms Wasser." — Diese Erzählung befindet sich unter den äsopischen Fabeln,2 aber sie ist keine Fabel; wenigstens eine sehr mittelmäßige. Sie hat keine Handlung, sie enthält ein bloßes einzelnes Factum, das sich ganz malen läßt; und wenn ich dieses einzelne Factum, dieses 1 Libr. V. ,'Fab. 8. 2 Fab. Aesop. 12fr.

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Zurückbleiben der größern und dieses Durchschlupfen der kleinen Fische auch mit noch so viel andern Umstünden erweiterte, so würde doch in ihm allein und nicht in den andern Umständen zugleich mit, der moralische Lehrsatz liegen. Doch nicht genug, daß das, was die Fabel erzählt, eine Folge von Veränderungen ist; alle diese Veränderungen müssen zusammen nur einen einzig en anschanenden Begriff in mir erwecken. Erwecken sie deren mehrere, liegt mehr als ein moralischer Lehrsatz in der ver­ meinten Fabel, so fehlt der Handlung ihre Einheit, so fehlt ihr das, waS sie eigentlich zurHandlung macht, und sie kann, richtig zu sprechen, keine Handlung, sondern muß eine Begebenheit heißen. — Ein Exempel: Lucernam für accendit ex ara Jovis, Ipsumque compilativ ad 1 timen suum; Onustus qui sacrilegio cum discederet, Repente vocem sancta misit Religio: Maiorum quamvis ista fuerint munera, Mihique invisa, ut non oflendar subripi; Tarnen, seefeste, spiritu culpam lues, Olim cum adscriptus venerit poenae dies. Sed ne ignis noster facinori praeluceat, Per quem verendos excolit pietas Deos, Veto esse tale luminis commercium. Ita hodie, nec lucernam de flamma Deüm Nee de lucerna fas est accendi sacrum.

Was hat man hier gelesen? Ein Histörchen, aber keine Fabel. Ein Histörchen trägt sich zu; eine Fabel wird erdichtet. Von der Fabel also muß sich ein Grund angeben lassen, warum sie erdichtet worden; da ich den Grund, warum sich jenes zugetragen, weder zu wissen, noch anzugeben gehalten bin. WaS wäre nun der Grund, warum diese Fabel erdichtet worden, wenn eS anders eine Fabel wäre? Recht billig zu urtheilen, könnte es kein anderer als dieser seyn: der Dichter habe einen wahrscheinlichen Anlaß zu dem doppelten Verbote, „weder von dem heiligen Feuer ein gemeines Licht, noch von einem gemeinen Lichte das heilige Feuer anzuzünden," erzählen wollen. Aber wäre daS eine moralische Absicht, dergleichen der Fabulist doch noth­ wendig haben soll? Zur Noth könnte zwar dieses einzelne Verbot zu einem Bilde des allgemeinen Verbot- dienen , „daß das Heilige mit dem Unheijigen, das Gute mit dem Bösen in keiner Gemeinschaft stehen soll." Aber was tragen alsdann die übrigen Theile der Er­ zählung zu diesem Bilde bei? Zu diesem gar nichts, sondern ein jeder ist vielmehr das Bild, der einzelne Fall einer ganz andern allgemeinen Wahrheit. Der Dichter hat es selbst empfunden, und hat sich aus der Verlegenheit, welche Lehre er allein daraus ziehen solle, nicht besser

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iu reißen gewußt, als wenn er deren so viele daraus zöge, als sich nur immer ziehen ließen. Denn er schließt:

Quot res contineat hoc argumentum utiles, Non explicabit alius, quam c^ui repperit. Significat primo, saepe, quos ipse alueris, Tibi inveniri maxime contranos. Secundo ostendit, scelera non ira Deüm, Fatorum dicto sed puniri tempore. Novissime interdicit, ne cum malefico üsum bonus consociet ullius rei. Eine elende Fabel, wenn niemand anders als ihr Erfinder es erklären kann, wie viel nützliche Dinge sie enthalte! Wir hätten an einem genug! — Kaum sollte man eS glauben, daß einer von den Alten, einer von diesen großen Meistern in der Einfalt ihrer Plane uns dieses Histörchen für eine gabel1 verkaufen können.

Greilinger. Ich würde von diesem großen Knnstrichter nur wenig gelernt haben, wenn er in meinen Gedanken noch überall Recht hätte. — Er gibt unS aber eine doppelte Erklärung von der Fabel. * Die eine hat er von dem de la Motte entlehnt, und die andere ist ihm ganz eigen. Nach jener versteht er unter der Fabel „eine unter der wohlge­ rathenen Allegorie einer ähnlichen Handlung verkleidete Lehre und Unterweisung." — Der klare, Übersetzte de la Motte! Und der ein wenig gewässerte, könnte man noch dazusetzen. Denn was sollen die Beiwörter: wohlgerathene Allegorie; ähnliche Handlung? Sie sind höchst überflüssig. Doch ich habe eine andere wichtigere Anmerkung auf ihn Ver­ spart. Richer sagt: die Lehre soll unter dem allegorischen Bilde ver­ steckt (cachS) seyn. Versteckt! welch ein unschickliches Wort! In manchem Räthsel sind Wahrheiten, in den pythagorischen Denk­ sprüchen sind moralische Lehren versteckt, aber in keiner Fabel. Die Klarheit, die Lebhaftigkeit, mit welcher die Lehre aus allen Theilen einer guten Fabel auf einmal hervor strahlt, hätte durch ein ander Wort als durch das ganz widersprechende versteckt, ausgedrückt zu werden verdient. Sein Vorgänger de la Motte hatte sich um ein gut Theil seiner erklärt; er sagt doch nur verkleidet (döguisG). Aber auch verkleidet ist noch viel zu unrichtig, weil auch verkleidet den Nebenbegriff einer mühsamen Erkennung mit sich führt. Und es muß gar keine Mühe kosten, die Lehre in der Fabel zu erkennen; eS müßte vielmehr, wenn ich so reden darf, Mühe und Zwang kosten, 1 Phaedrus libr. IV. Fab. 11. 3 Der kritischen Dichtkunst ersten Bandes siebenter Abschnitt, S. 194.

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sie darin Nicht zü erlernten. Aufs höchste würde sich dieses berstet» d e t nur in Ansehung der zusammengesetzten Fabel entschuldi­ gen lassen. An Ansehung der einfachen ist es durchaus nicht zu dulden. Von zwei ähnlichen einzelnen Fällen kann zwar enter durch den andern außgedrückt, einer in den andern verklejdet werden; aber wie man das Allgemeine in das Besondere verkleiden könne, das begreife ich ganz und gar nicht. Wollte man mit aller Gewalt ein ähnliches Wort hier brauchen, so müßte es anstatt verkleiden wenigstens etnkleiden heißen. Von einem deutschen Kunstrichter hätte ich überhaupt dergleichen figürliche Wörter in einer Erklärung nicht erwartet. Ein Breitinger hätte es den schön vernünftelnden Franzosen überlassen sollen, sich damit aus dem Handel zu wickeln, und ihm würde es sehr wohl an­ gestanden haben, wenn er uns mit den trocknen Worten der Schule belehrt hätte, daß die moralische Lehre in die Handlung weder versteckt, noch verkleidet, sondern durch sie der anschauenden Erkenntniß fähig gemacht werde. Ihm würde es erlaubt gewesen seyn, uns von der Natur dieser auch der rohesten Seele zukommenden Erkenntniß, von der mit ihr verknüpften schnellen Ueberzeugung, von ihrem daraus entspringenden mächtigen Einflüsse auf den Willen das Nöthige zu lehren. Eine Materie, die durch den ganzen spekulativischen Theil der Dichtkunst von dem größten Nutzen ist, und von unserm Weltweisen schon genugsam erläutert war.1 2— Was Breitinger aber damals unterlassen, das ist mir letzt nachzuholen nicht mehr erlaubt. Die philosophische Sprache ist seitdem unter uns so bekannt geworden, daß ich mich der Wörter an sch au en, an sch anen­ der Erkenntniß, gleich von Anfang als solcher Wörter ohne Be­ denken habe bedienen dürfen, mit welchen nur wenige nicht einerlei Begriff verbinden. Ich käme zu der zweiten Erklärung , die uns Breitinger von der Fabel gibt. Doch ich bedenke, daß ich diese bequemer an einem an­ dern Orte werde untersuchen können. — Ich verlasse ihn also.

Batteur. Batteux erklärt die Fabel kurz weg durch die Erzählung einer allegorischen Handlung.2 Weil eres zum Wesen der Allegorie macht, daß sie eine Lehre oder Wahrheit verberge, so hat er ohne Zweifel geglaübt, des moralischen Satzes, der in der Fabel zum

1 Ich kann meine Verwundung nicht bergeN, daß Herr Breitinger das, was Wolf schon damals von b'er Fabel gelehrt halte, auch nicht im germgsten gekannt zu Haden scheint. Wolfii Philosophiae practicae univeraalis Para posterior §. 302—323. Dieser Theil erschien 1734, und die Breitmgerlche Dichtkunst erst das Jahr darauf. 2 Principes de Litt elörj övo etmr, sagt er: ev ptv sag etXoaoqptag. Pao fjEv ovv nogtoats&at Ta öta todv Xoycov: XQ^atptoTEga Je -ncgog to ßovXEvaacr&at, Ta Jta twv rrgay^aTCOv: o/vota yag, (6 g Ent to rtoXv, t« /jeXXovia toig ysyovoat. Ich will mich

letzt nur an den letzten Ausspruch dieser Stelle halten. Aristoteles sagt, die historischen Exempel hätten deßwegen eine größere Kraft zu überzeugen, als die Fabeln, weil das Vergangene gemeiniglich dem Zukünftigen ähnlich sey. Und hierin, glaube ich, hat sich Aristoteles geirrt. Von der Wirklichkeit eines Falles, den ich nicht selbst erfahren Hube, kann ich nicht anders als aus Gründen der Wahrscheinlichkeit überzeugt werden. Ich glaube bloß deßwegen, daß ein Ding geschehen, und daß es so und so geschehen ist, weil es höchst wahrschein­ lich ist, und höchst unwahrscheinlich seyn würde, wenn es nicht, oder wenn es anders geschehen wäre. Da also einzig und allein die innere Wahrscheinlichkeit mich die ehemalige Wirklichkeit eines Falles glau­ ben macht, und diese innere Wahrscheinlichkeit sich eben sowohl in einem erdichteten Falle finden kann: was kann die Wirklichkeit des erstem für eine größere Kraft auf meine Ueberzeugung haben, als die Wirklichkeit des andern? Ja noch mehr. Da das historisch Wahre nicht immer auch wahrscheinlich ist; da Aristoteles selbst die Sentenz des Agatho billigt : Ta/’ dv Ttg Etxog avTO tovt Etvat Xsyot: Bgoxotdi itoXXa ruy/avEiv ovx etxoTa: da er hier selbst sagt, daß das Vergangene nur gemeiniglich (ent to itoXV) dem Zukünftigen ähnlich fty, der Dichter aber die

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freie Gewalt hat, hierin von der Natur abzugehen, und alles, waS er für wahr ansgibt, auch wahrscheinlich zu machen: so sollte ich meinen, wäre es wohl klar, daß den Fabeln, überhaupt zu reden, in Ansehung der Ueberzeugungskraft, der Vorzug vor den historischen Exempeln gebühre rc. Und nunmehr glaube ich meine Meinung von dem Wesen der Fabel genugsam vorbereitet zu haben. Ich fasse daher alles zusammen und sage: „Wenn wir einen allgemeinen moralischen Satz auf einen „besondern Fall zurückführen, diesem besondern Falle die Wirklichkeit „ertheilen, und eine Geschichte daraus dichten, in welcher man den „allgemeinen Satz anschauend erkennt: so heißt diese Erdichtung eine „Fabel." Das ist meine Erklärung, und ich hoffe, daß man sie bei der Anwendung eben so richtig als fruchtbar finden wird.

II. Von dem Gebrauche der Thiere in der Fabel.

Der größte Theil der Fabeln hat Thiere, und wohl noch gerin­ gere Geschöpfe, zu handelnden Personen. — Was ist hiervon zu hal­ ten? Ist es eine wesentliche Eigenschaft der Fabel, daß die Thiere darin zu moralischen Wesen erhoben werden? Ist es ein Handgriff, der dem Dichter die Erreichung seiner Absicht verkürzt und erleich­ tert? Ist es ein Gebrauch, der eigentlich keinen ernstlichen Nutzen hat, den man aber zu Ehren des ersten Erfinders beibehält, weil er wenigstens schnackisch ist — quod risum movet? Oder was ist es? Batteux hat diese Fragen entweder gar nicht vorausgesehen, oder er war listig genug, daß er ihnen damit zu entkommen glaubte, wenn er den Gebrauch der Thiere seiner Erklärung sogleich mit anslickte. Die Fabel, sagt er, ist die Erzählung einer allegorischen Handlung, die gemeiniglich den Thieren beigelegt wird. — Vollkom­ men ä la Francoise! Oder, wie der Hahn über die Kohlen! — Warum, möchten wir gerne wissen, warum wird sie gemeiniglich den Thieren beigelegt? O, was ein langsamer Deutscher nicht alles fragt! Ueberhaupt ist unter allen Kunstrichtern Breitinger der einzige, der diesen Punkt berührt hat. Er verdient es also um so viel mehr, daß wir ihn hören. „Weil Aesopus," sagt er, „die Fabel zum Unter­ richte des gemeinen bürgerlichen Lebens angewendet, so waren seine „Lehren meistens ganz bekannte Sätze und Lebensregeln, und also „Niußte er auch zu den allegorischen Vorstellungen derselben ganz ge„wohnte Handlungen und Beispiele aus dem gemeinen Leben der „Menschen entlehnen. Da nun aber die täglichen Geschäfte und Hand­ lungen der Menschen nichts ungemeines oder merkwürdig reizendes

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„an sich haben, so mußte man nothwendig auf ein neues Mittel be„dacht seyn, auch der allegorischen Erzählung eine anzügliche Kraft „und ein reizendes Ansehen mitzutheilen, um ihr also dadurch einen „sichern Eingang in das menschliche Herz anfzuschließen. Nachdem „man nun wahrgenommen, daß allein das Seltene, Neue und Wun­ derbare eine solche erweckende und angenehm entzückende Kraft aus „das menschliche Gemüth mit sich führt, so war man bedacht, die „Erzählung durch die Neuheit und Seltsamkeit der Vorstellungen „wunderbar zu machen, und also dem Körper der Fabel eine unge­ meine und reizende Schönheit beizulegen. Die Erzählung besteht „aus zwei wesentlichen Hauptnmständen, dem Umstande der Person, „und der Sache oder Handlung; ohne diese kann keine Erzählung „Platz haben. Also muß das Wunderbare, welches in der Erzählung „herrschen soll, sich entweder auf die Handlung selbst, oder auf die „Personen, denen selbige zugeschrieben wird, beziehen. Das Wunder„bare, das in den täglichen Geschäften und Handlungen der Men„schen vorkommt, besteht vornehmlich in dem Unvermntheten, sowohl „in Absicht auf die Vermessenheit im Unterfangen, als die Bosheit „oder Thorheit im Ausführen, zuweilen auch in einem ganz uner„warteten Ausgang einer Sache. Weil aber dergleichen wunderbare „Handlungen in dem gemeinen Leben derMenschen etwas ungewohn­ tes und seltenes sind, da hingegen die meisten gewöhnlichen Hand„lungen gar nichts ungemeines oder merkwürdiges an sich haben: „so sah man sich gemüßigt, damit die Erzählung als der Körper der „Fabel nicht verächtlich würde, derselben durch die Veränderung und „Verwandlung der Personen einen angenehmen Schein des Wnnder„baren mitzutheilen. Da nun die Menschen, bei aller ihrer Verschie„denheit, dennoch überhaupt betrachtet in einer wesentlichen Glelch„heit und Verwandtschaft stehen, so besann man sich, Wesen von einer „höhern Natur, die man wirklich zu seyn glaubte, als Götter und „Genien, oder solche, die man durch die Freiheit der Dichter zu „Wesen erschuf, als die Tugenden, die Kräfte der Seele, das Glück, „die Gelegenheit rc. in die Erzählung einznführen, vornehmlich aber „nahm man sich die Freiheit heraus, die Thiere, die Pflanzen, und „noch geringere Wesen, nämlich die leblosen Geschöpfe, zu der höhern „Natur der vernünftigen Wesen zu erheben, indem man ihnen mensch„liche Vernunft und Rede mittheilte, damit sie also fähig würden, "uns ihren Zustand und ihre Begegnisse in einer uns vernehmlichen „Sprache zu erklären, und durch ihr Exempel von ähnlichen mora„lischen Handlungen unsere Lehrer abzugeben rc." — Breitinger also behauptet, daß die Erreichung des Wunderbaren die Ursache sei, warum man in der Fabel die Thiere und andere nied­ rigere Geschöpfe reden und vernunftmäßig handeln lasse. Und eben weil er dieses für die Ursache hält, glaubt er, daß die Fabel über­ haupt, in ihrem Wesen und Ursprünge betrachtet nichts anders als

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ein lehrreiches Wunderbare sei. Diese seine zweite Erklärung ist es, welche ich hier, versprochenermaßen, untersuchen muß. Es wird aber bei dieser Untersuchung vornehmlich darauf ankommen, ob die Einführung der Thiere in der Fabel wirklich wunder­ bar ist. Ist sie es, so hat Breitinger viel gewonnen; ist sie es aber nicht, so liegt auch sein ganzes Fabelsystem mit einmal über dem Haufen. Wunderbar soll diese Einführung sein? Das Wunderbare, sagt eben dieser Kunstrichter, legt den Schein der Wahrheit und Möglich­ keit ab. Diese anscheinende Unmöglichkeit also gehört zu dem Wesen des Wunderbaren; und wie soll ich nunmehr jenen Gebrauch der Alten, den sie selbst schon zu einer Regel gemacht hatten, damit ver­ gleichen? Die Alten nämlich fingen ihre Fabeln am liebsten mit dem und dem darauf folgenden Klagefalle an. Die griechischen Rhetores nennen dieses kurz, die Fabel in dem Klage'falle vortragen; und Theon, wenn er in seinen Vorübun­ gen 1 hierauf kommt, führt eine Stelle des Aristoteles an, wo der Philosoph diesen Gebrauch billigt, und es zwar deßwegen für rathsamer erklärt, sich bei Einführung einer Fabel lieber auf das Alter­ thum zu berufen, als in der eigenen Person zu sprechen,^damit man den Anschein, als erzähle man etwaS Unmögliches, vermindere (Iva naqafivxhftvvTUL io öoxei/v aöwaxa Ze^eiv). War also das der Alten ihre Denkungsart, wollten sie den Schein der Unmöglichkeit in der Fabel so viel als möglich vermindert wissen: so mußten sie nothwendig weit davon entfernt sein, in der Fabel et­ was Wunderbares zu suchen oder zur Absicht zu haben; denn das Wunderbare muß sich auf diesen Schein der Unmöglichkeit gründen. Weiter! Das Wunderbare, sagt Breitinaer an mehr als einem Orte, sei der höchste Grad des Neuen. Diese Neuheit aber muß das Wunderbare, wenn es seine gehörige Wirkung auf uns thun soll, nicht allein blos in Ansehung seiner selbst, sondern auch in Ansehung unserer Vorstellungen haben. Nur das ist wunderbar, was sich sehr selten in der Reihe der natürlichen Dinge ereignet. Und nur das Wunderbare behält seinen Eindruck auf uns, dessen Vorstellung in der Reihe unserer Vorstellungen eben so selten vorkommt. Auf einen fleißigen Bibelleser wird das größte Wunder, das in der Schrift aus­ gezeichnet ist, den Eindruck bei weitem nicht mehr machen, den es das erstemal auf ihn gemacht hat. Er liest es endlich mit eben so wenigem Erstaunen, daß die Sonne einmal stille gestanden, als er sie täglich auf- und niedergehen steht. Das Wunder bleibt immer dasselbe, aber nicht unsere Gemüthsverfassung, wenn wir es zu oft denken. — Folglich würde auch die Einführung der Thiere uns höchstens nur in den ersten Fabeln wunderbar vorkommen; fänden wir aber, daß die Thiere fast in allen Fabeln sprächen und urtheilten, so würde 1 Nach der Ausgabe des Camerarius S. 28.

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diese Sonderbarkeit, so groß sie auch an und für sich selbst wäre, doch gar bald nichts Sonderbares mehr für usts haben. Aber wozu alle diese Umschweife? Was sich auf einmal umreißen läßt, braucht man das erst zu erschüttern? — Darum kurz: daß die Thiere und andere niedrigere Geschöpfe Sprache und Vernunft haben, wird in der Fabel vorausgesetzt; es wird angenommen, und soll nichts weniger als wunderbar seyn. — Wenn-ich in der Schrift lese:1 „Da that der Herr der Eselin den Mund auf und sie sprach zu Bileam rc." so lese ich etwas Wunderbares. Aber wenn ich bei dem Aesopus lese: 2 fpaacv, ote (pcov?zEi'Ta toc tsoa, TTsv olv ftgog top öehtiotj,p eItteiv'. „Damals, als die Thiere noch redeten, soll das Schaf zu seinem Hir­ ten gesagt haben:" so ist es ja wohl offenbar, daß mir der Fabulist nichts Wunderbares erzählen will, sondern vielmehr etwas, das zu der Zeit, die er mit Erlaubniß seines Lesers annimmt, dem gemeinen Laufe der Natur vollkommen gemäß war. Und das ist so begreiflich, sollte ich meinen, daß ich mich schämen muß, noch ein Wort hinznznthun. Ich komme vielmehr sogleich auf die wahre Ursache, — die ich wenigstens für die wahre halte, — warum der Fabulist die Thiere oft zu seiner Absicht bequemer findet, als die Menschen. — Ich setze sie in die allgemein bekannte Bestandtheil der Charaktere. — Gesetzt auch, es wäre noch so leicht, in der Geschichte ein Exempel zu finden, in welchem sich diese oder jene moralische Wahrheit anschauend erkennen ließe. Wird sie sich deßwegen von jedem ohne Ausnahme darin erkennen lassen? Auch von dem, der mit den Charakteren der dabei interessirten Per­ sonen nicht, vertraut ist? Unmöglich! Und wie viel Personen sind wohl in der Geschichte so allgemein bekannt, daß man sie nur nennen dürfte, um sogleich bei einem jeden den Begriff von der ihnen zukom­ menden Denkungsart und andern Eigenschaften zu erwecken? Die umständliche Charakterisirung daher zu vermeiden, bei welcher es doch noch immer zweifelhaft ist, ob sie bei allen die nämlichen Ideen her­ vorbringt, war man gezwungen, sich lieber in die kleine Sphäre der­ jenigen Wesen einzuschränken, von denen man es zuverlässig weiß, daß auch bei den Unwissendsten ihren Benennungen diese und keine andere Idee entspricht. Und weil von diesen Wesen die wenigsten ihrer Na­ tur nach geschickt waren, die Rollen freier Wesen über sich zu nehmen, so erweiterte man lieber die Schranken ihrer Natur, und machte sie unter gewissen wahrscheinlichen Voraussetzungen dazu geschickt. Man härt:Britannicus und Nero. Wie viele wissen, was sie hören? Wer war dieser? Wer jener? In welchen Verhältnisse stehen sie gegen einander? — Aber man hört: derWolfunddas Lamm; sogleich weiß jeder, was erhört, und weiß, wie sich das eine zu dem andern verhält. Diese Wörter, welche stracks ihre gewissen 1 4. B. Mos. XXII. 28. 3 Fab. Aeaop. 316.

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Bilder in uns erwecken, befördern die anschauende Erkenntniß, die durch jene Namen, bei welchen auch die, denen sie nicht unbekannt sind, gewiß nicht alle vollkommen ebendasselbe denken, verhindert wird. Wenn daher der Fabulist keine vernünftigen Individuen auf­ treiben kann, die sich durch ihre bloßen Benennungen in unsere Ein­ bildungskraft schildern, so ist es ihm erlaubt, und er hat Fug und Recht, dergleichen unter den Thieren oder unter noch geringeren Ge­ schöpfen zu suchen. Man setze in der Fabel von dem Wolfe und dem Lamme anstatt des Wolfes den Nero, anstatt des Lammes den Bri­ tanniens, und die Fabel hat auf einmal alles verloren, was sie zu einer Fabel für das ganze menschliche Geschlecht macht. Aber man setze anstatt des Lammes und des Wolfes den R i e s e n und denZwerg, und sie verliert schon weniger; denn auch der Riese und der Zwerg sind Individuen, deren Charakter ohne weitere Hinzuthuung ziemlich aus der Benennung erhellt. Oder man verwandle sie gar in folgende menschliche Fabel: „Ein Priester kam zu dem armen Manne des „Propheten1 und sagte: Bringe dein weißes Lamm vor den Altar, „denn die Götter fordern ein Opfer. Der Arme erwiederte: mein Nachbar hat eine zahlreiche Heerde, und ich habe nur das einzige „Lamm. Du hast aber den Göttern ein Gelübde gethan, versetzte „dieser, weil sie deine Felder gesegnet. — Ich habe kein Feld, war „die Antwort. Nun so war es damals, als sie deinen Sohn von seiner „Krankheit genesen ließen. — O, sagte der Arme, die Götter haben „ihn selbst zum Opfer hingenommen. Gottloser! zürnte der Priester; „du lästerst! und riß das Lamm aus seinem Schooße re."------- Und wenn in dieser Verwandlung die Fabel noch weniger verloren hat, so kommt es bloß daher, weil man mit dem Worte Priester den Charakter der Habsüchtigkeit leider noch weit geschwinder verbindet, als den Charakter der Blutdürstigkeit mit dem Worte Riese, und durch den-^ürmen Mann des Propheten die Idee der unter­ drückten Unschuld noch leichter erregt wird, als durch den Zwerg. — Der beste Abdruck dieser Fabel, in welchem sie ohne Zweifel am aller­ wenigsten verloren hat, ist die Fabel von derK a tz e und dem H a h n e.2 Doch weil man auch hier sich das Verhältniß der Katze gegen den Hahn nicht so geschwind denkt, als dort das Verhältniß des Wol­ fes zum Lamme, so sind diese noch immer die allerbequemsten Wesen, die der Fabulist zu seiner Absicht hat wählen können. Der Verfasser der oben angeführten kritischen Briefe ist mit Breitinger einerlei Meinung und sagt unter andern in der erdichteten Person des Hermann Axels: 3 „Die Fabel bekommt durch diese son„derbare Personen ein wunderliches Ansehen. Es wäre keine unge„schickte Fabel, wenn man dichtete: Ein Mensch sah auf einem hohen 1 2. B. Samuel XII.

2 Fab. Aesop. 6. 1 S. 166.

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„Baume die schönsten Birnen hangen, die seine Lust davon zu essen „mächtig reizten. Er bemühte'stch lange, auf denselben hinauf zu „klimmen, aber es war umsonst, er mußte es endlich aufgeben. Jn„dem er wegging, sagte er: Es ist mir gesunder, daß ich sie noch „länger stehen lasse, sie sind doch noch nicht zeitig genug. Aber dieses „Geschichtchen reizt nicht stark genug; es ist zu Platt rc." — Ich ge­ stehe es Hermann Axeln zu; das Geschichtchen ist sehr platt und ver­ dient nichts weniger, als den Namen einer guten Fabel. Aber ist es bloß deßwegen so platt geworden, weil kein Thier darin redet und handelt? Gewiß nicht, 'sondern es ist es dadurch geworden, weil er das Individuum, den Fuchs, mit dessen bloßen Namen wir einen gewissen Charakter verbinden, aus welchem sich der Grund von der ihm zugeschriebenen Handlung angeben läßt, in ein anderes Indi­ viduum verwandelt hat, dessen Name keine Idee eines bestimmten Charakters in uns erweckt. „Ein Mensch!" Das ist ein viel zu allge­ meiner Begriff für die Fabel. An was für eine Art von Menschen soll ich dabei denken? ES gibt deren so viele! Aber „ein Fuchs!" Der Fabulist weiß nur von Einem Fuchse, und sobald er mir das Wort nennt, fallen auch meine Gedanken sogleich nur auf Einen Charakter. Anstatt des Menschen überhaupt hätte Hermann Axel also wenigstens einen Gasconier setzen müssen. Und alsdann würde er wohl gefunden haben, daß die Fabel durch die bloße Weglassung des Thieres so viel eben nicht verlöre, besonders, wenn er in dem nämlichen Verhältnisse auch die übrigen Umstände geändert, und den Gasconier nach etwas mehr als nach Birnen lüstern gemacht hätte. Da also die allgemein bekannten und unveränderlichen Charaktere der Thiere die eigentliche Ursache sind, warum sie der Fabulist zu moralischen Wesen erhebt, so kommt mir es sehr sonderbar vor, wenn man es Einem zum besondern Ruhme machen will, „daß derSchwan „in seinen Fabeln nicht singe, noch der Pelicau sein Blut für seine „Jungen vergieße."1 — Als ob man in den Fabelbücheru die Natur­ geschichte studiren sollte! Wenn dergleichen Eigenschaften allgemein bekannt sind, so sind sie werth gebraucht zu werden, der Naturalist mag sie bekräftigen oder nicht. Und derjenige, der sie uns, es sey durch seine Exempel oder durch seine Lehre, aus den Händen spielen will, der nenne uns erst andere Individuen, von denen es bekannt ist, daß ihnen die nämlichen Eigenschaften in der That zukommen. Je tiefer wir auf der Leiter der Wesen herabsteigen, desto seltener kommen uns dergleichen allgemein bekannte Charaktere vor. Dieses ist denn auch die Ursache, warum sich der Fabulist so selten in dem Pflanzenreiche, noch seltener in dem Steinreiche und am allerselten­ sten vielleicht unter den Werken der Kunst finden läßt. Denn daß es deßwegen geschehen solle, weil es stufenweise immer unwahrschein­ licher werde, daß diese geringern Werke der Natur und Kunst empfin-

1 Man sehe die kritlsche Vorrede zu M. v. K. neuen Fabeln.

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den, denken und sprechen könnten, will mir nicht ein. Die Fabel von dem ehernen und dem irdenen Topfe ist nicht um ein Haar schlechter oder unwahrscheinlicher als die beste Fabel, z. E. von einem Affen, so nahe auch dieser dem Menschen verwandt ist, und so unendlich weit jene von ihm abstehen. Indem ich aber die Charaktere der Thiere zur eigentlichen Ur­ sache ihres vorzüglichen Gebrauchs in der Fabel mache, will ich Nicht sagen, daß die Thiere dem Fabulisten sonst zu weiter gar nichts nittzten. Ich weiß es sehr wohl, daß sie unter anderm in der zu­ sammengesetzten Fabel das Vergnügen der Vergleichung um cm großes vermehren, welches alsdann kaum merklich ist, wenn so­ wohl der wahre, als der erdichtete einzelne Fall beide aus handelnden Personen von einerlei Art, aus Menschen, bestehen. Da aber dieser Nutzen, wie gesagt, nur in der zusammengesetzten Fabel stattfindet, so kann er die Ursache nicht seyn, warum die Thiere auch in der einfachen Fabel und also in der Fabel überhaupt dem Dich­ ter sich gemeiniglich mehr empfehlen als die Menschen. Ja, ich will es wagen, den Thieren und andern geringern Ge­ schöpfen in der Fabel noch einen Nutzen zuzuschreiben, auf welchen ich vielleicht durch Schlüsse nie gekommen wäre, wenn mich nicht nieirr Gefühl darauf gebracht hätte. Die Fabel hat unsere klare und lebem dlge Erkenntniß eines moralischen Satzes zur Absicht. Nichts ver­ dunkelt unsere Erkenntniß mehr als die Leidenschaften. Folglich muß der Fabulist die Erregung der Leidenschaften so viel als möglich ver­ meiden. Wie kann er aber anders z. E. die Erregung des Mitleids vermeiden, als wenn er die Gegenstände desselben unvollkommener macht, und anstatt der Menschen Thiere oder noch geringere Geschöpfe annimmt! Man erinnere sich noch einmal der Fabel von dem Wolfe und Lamme, wie sie oben in der Fabel von dem Priest er und dem armen Manne des Propheten verwandelt worden. Wir haben Mitleiden mit dem Lamme; aber dieses Mitleiden ist so schwach, daß es unserer anschauenden Erkenntniß des moralischen Satzes keinen merklichen Eintrag thut. Hingegen wie ist es mit dem armen Manne? Kommt es mir nur so vor, oder ist es wirklich wahr, daß wir mit die­ sem viel zu viel Mitleiden haben, und gegen den Priester viel zu viel Unwillen empfinden, als daß die anschauende Erkenntniß des mora­ lischen Satzes hier eben so klar seyn könnte, als sie dort ist?

III. Von der Eintheilung der Fabeln. Die Fabeln sind verschiedener Eintheilungen fähig. Von einer, die sich aus der verschiedenen Anwendung derselben ergibt, habe ich gleich anfangs geredet. Die Fabeln nämlich werden entweder bloß auf einen allgemeinen moralischen Satz angewendet, und heißen cm* Lessing, Werke. V. 1J

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Abhandlungen über die Fabel,

fache Fabeln, oder sie werden auf einen wirklichen Fall angewendet, der mit der Fabel unter einem und eben demselben moralischen Satze enthalten ist, und heißen zusammeng esetz te Fabeln. Der Nutzen dieser Eintheilung hat sich bereits an mehr als einer Stelle gezeigt. Eine andere Eintheilung würde sich aus der verschiedenen Be­ schaffenheit des moralischen Satzes herholen lassen. Es gibt nämlich moralische Sätze, die sich besser in einem einzelnen Falle ihres Ge­ gentheils, als in einem einzelnen Falle, der unmittelbar unter ihnen begriffen ist, anschauend erkennen lassen. Fabeln also, welche den mo­ ralischen Satz in einem einzelnen Falle des Gegentheils zur Intui­ tion bringen, würde man vielleicht indirekte Fabeln, so wie die an­ dern directe Fabeln nennen können. Doch von diesen Eintheilungen ist hier nicht die Frage, noch viel weniger von jener unphilosophischen Eintheilung nach den verschie­ denen Erfindern oder Dichtern, die sich einen vorzüglichen Namen damit gemacht haben. Es hat den Kuustrichtern gefallen, ihre ge­ wöhnliche Eintheilung der Fabel von einer Verschiedenheit herzuneh­ men, die mehr in die Augen fällt; von der Verschiedenheit nämlich der darin handelnden Personen. Und diese Eintheilung ist es, die ich hier näher betrachten will. Aphthonius ist ohne Zweifel der älteste Scribent, der ihrer er­ wähnt. Tov de pv&ov) sagt er in seinen Vorübungen, to pev tg. lyoXfAov, to derjO-ixov, to de ftixTOv. Kai Xoyixov (uev tv w ti ttoiuv dv&qwnos nenXaqai: r]&ixov de to tcov dXoycov ti&oq ano/uipovjLievov: (iixTov de to dpxpoTEQidv dXoyov xai Xoyixov. Es gibt

drei Gattungen von Fabeln, die v ernünfti g e, in welcher der Mensch die handelnde Person ist; die sittliche, in welcher unvernünftige Wesen aufgeführt werden; die vermischte, in welcher sowohl nnvernünftige als vernünftige Wesen Vorkommen. — Der Hauptfehler dieser Eintheilung, welcher sogleich einem jeden in die Augen leuch­ tetest der, daß sie das nicht erschöpft, was sie erschöpfen sollte. Denn wo bleiben diejenigen Fabeln, die aus Gottheiten und allegorischen Personen bestehen? Aphthonius hat die vernünftige Gattung ausdrücklich auf den einzigen Menschen eingeschränkt. Doch wenn diesem Fehler auch abzuhelfen wäre; was kann dem ungeachtet roher und mehr von der obersten Fläche abgeschöpft seyn, als diese Eintheilung? Oeffnet sie uns nur auch die geringste freiere Einsicht in das Wesen der Fabel? Batteux würde daher ohne Zweifel eben so wohl gethan haben, wenn er von der Eintheilung der Fabel gar geschwiegen hätte, als daß er uns mit jener kahlen aphthonianischen abspeisen will. Aber waS wird man vollends von ihm sagen, wenn ich zeige, daß er sich hier auf einer kleinen Tücke treffen laßt? Kurz zuvor sagt er unter anderm von den Personen der Fabel: „Man hat hier nicht allein den

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„Wolf und das Lamm, die Eiche und das Schilf, sondern auch den „eisernen und den irdenen Topf ihre Rollen spielen sehen. Nur der „Herr Berstand und das Fräulein Einbildungskraft und „alles, was ihnen ähnlich sieht, sind von diesem Theater ausgeschlos„sen worden, weil es ohne Zweifel schwerer ist, diesen bloß geistigen „Wesen einen charaktermäßigen Körper ju geben, als Körpern, die „einige Analogie mit unsern Organen haben, Geist und.Seele zu „geben."1 — Merkt man, wider wen dieses geht? Wider den de la Motte, der sich in seinen Fabeln der allegorischen Wesen sehr häufig bedient. Da'dieses nun nicht nach dem Geschmacke unsers oft mehr ekeln als feinen Kunstrichters war, so konnte ihm die aphthonianische mangelhafte Eintheilung der Fabel nicht anders als willkommen seyn, indem es durch sie stillschweigend gleichsam zur Regel gemacht wird, daß die Gottheiten und allegorischen Wesen gar nicht in die äsopische Fabel gehören. Und diese Regel eben möchte Batteux gar zu gern sestsetzen, ob er sich gleich nicht getraut, mit ausdrücklichen Worten darauf zu dringen. Sein System von der Fabel kann auch nicht wohl ohne sie bestehen. „Die äsopische Fabel, sagt er, ist, eigentlich zu re„den, das Schauspiel der Kinder; sie unterscheidet sich von den übri„gen nur durch die Geringfügigkeit und Naivetät ihrer spielenden „Personen. Man sieht auf diejem Theater keinen Cäsar, keinen Ale„xander, wohl aber die Fliege und die Ameise rc." — Freilich, diese Geringfügigkeit der spielenden Personen vorausgesetzt, konnte Batteux nut den Hähern poetischen Wesen des de la Motte unmöglich zu­ frieden seyn. Er verwarf sie also, ob er schon einen guten Theil der besten Fabeln des Alterthums zugleich mit verwerfen mußte, und zog sich, um den kritischen Anfällen deßwegen weniger ausgesetzt zu seyn, unter den Sckutz der niangelhaften Eintheilung des Aphthonius. Gleich als ob Aphthonius der Mann w ire, der alle Gattungen von Fabeln, die in seiner Eintheilung nicht Platz haben, eben dadurch ver­ dammen könnte! Und diesen Mißbrauch einer erschlichenen Autorität nenne ich eben die kleine Tücke, deren sich Batteux in Ansehung des de la Motte hier schuldig gemacht hat. Wolf - hat die Eintheilung des Aphthonius gleichfalls beibehalteu, aber einen weit edlern Gebrauch davon gemacht. Diese Eintheilung in vernünftige und sittliche Fabeln, meint er, klinge zwar ein wenig sonderbar, denn man könnte sagen, daß eine jede Fabel so­ wohl eine vernünftige als eine sittliche Fabel wäre. Sittlich näm­ lich sey eine jede Fabel in so fern, als sie einer sittlichen Wahrheit zum Besten erfunden worden; und vernünftig insofern, als diese sittliche Wahrheit der Vernunft gemäß ist. Doch da es einmal ge­ wöhnlich sey, diesen Worten hier eine andere Bedeutung zu geben, so wolle er feine Neuerung machen. Aphthonius habe übrigens bei 1 Nach der Namler'schen Ucberf^ung, S. 214.

3 Philosoph, practicae universalis.

Pars post. § 303.

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Äbhandlungen über die Kabel.

seiner Einteilung die Absicht gehabt, die Verschiedenheit der Fabeln ganz zu erschöpfen, und mehr nach dieser Absicht, als nach den Wor­ ten, deren er sich dabei bedient habe, müsse sie beurtbeilt werden. Abäit enim, sagt er — und o, wenn alle Liehaber der Wahrheit so billig dächten! — absit, ut negenius accurate cogitasse, qui non satib accurate loquuntur. Puerile ost, erroris redarguere eum, qui ab errore immunem possedit animum, propterca quod pa­ l’um apta sucurrerint verba, quibus meutern suam exprimere poterat. Er behält daher die Benennungen der aphthonianischen Eintheilung bei, und weiß die Wahrheit, die er nicht darin gefunden, so scharfsinnig hinein zu legen, daß sie das vollkommene Ansehen ei. ner richtigen philosophischen Eintheilnng bekommt. „Wenn nur Be­ gebenheiten erdichten, sagt er, so legen wir entweder den Subjecten „solche Handlungen und Leidenschaften, überhaupt solche Prudicate „bei, als ihnen zukommen, oder wir legen ihnen solche bei, die ihnen „nicht zukommen. In dem ersten Falle heißen es vernünftige „Fabeln, in deni andern sittliche Fabeln, und vermischte Fabeln „heißen es, wenn sie etwas sowohl von der Eigenschaft der sittlichen „als vernünftigen Fabel haben." Nach dieser Wolfischen Verbesserung also beruht die Verschieden­ heit der Fabel nicht mehr auf der bloßen Verschiedenheit der Subiecte, sondern auf der Verschiedenheit der Prädicate, die von diesen Sub­ jecten gesagt werden. Ihr zufolge kann eine Fabel Menschen zu han­ delnden Personen haben, und dennoch keine vernünftige Fabel seyn, so wie sie eben nicht nothwendig eine sittliche Fabel seyn muß, weil Thiere in ihr aufgeführt werden. Die oben angeführte Fabel von den zwei kämpfenden Hähnen würde nach den Worten des Aphthonius eine sittliche Fabel seyn, weil sie die Eigenschaften und das Betragen gewisser Thiere nachahmt, wie hin­ gegen Wolf den Sinn des Aphthonius genauer bestimmt hat, ist sie eine vernünftige Fabel, weil nicht das geringste von den Hähnen darin gesagt wird, was ihnen nicht eigentlich zukäme. So ist es nut mehreren: z. E. der Vogelsteller und die Schlange,1 der Hund und der Koch,2 der Hund und der Gärtner, * der Schäfer und der Wolf lauter Fabeln, die nach der gemeinen Einthellung unter die sitt­ lichen und vermischten, nach der verbesserten aber unter die ver­ nünftigen gehören. Und nun? Werde ich es bei dieser Eintheilnng unsers Weltweisen können bewenden lassen? Ich weiß nicht. Wider ihre logikalische Richtigkeit habe ich nichts zu erinnern; sie erschöpft alles, was sie er­ schöpfen soll. Aber man kann ein guter Dialektiker seyn, ohne ein

1 2 8 *

Fab. Fab Fab. Fab.

Aesop. Aesop Aesop. Aesop.

32. 34. 67. 71.

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Mann von Geschmack zu seyn; und das letzte war Wolf leider wohl nicht. Wie, wenn es auch ihm hier so gegangen wäre, als er es von dem Aphthonius vermuthet, daß er zwar richtig gedacht, aber sich nicht so vollkommen gut ausgedrückt hätte, als es besonders die Kunst­ richter wohl verlangen dürften? Er redet von fabeln, in welchen den Subjecten Leidenschaften und Handlungen, Überhaupt Prädicate beigelegt werden, deren sie nicht fähig sind, die ihnen nichtzukommen. Dieses nichtzukommen kann einen Übeln Verstand machen. Der Dichter, kann man daraus schließen, ist also nicht gehalten, auf die Naturen der Geschöpfe zu sehen, die er in seinen Fabeln aufführt? Er kann daS Schaf verwegen, den Wolf sanftmüthig, den Esel feurig vorstellen; er kann die Tauben als Falken brauchen und die Hunde von den Hasen jagen lassen. Alles dieses kommt ihnen nicht zu; aber der Dichter macht eine sittliche Fabel, und er darf es ihnen bei­ legen. — Wie nöthig ist es, dieser gefährlichen Auslegung, diesen mit einer Überschwemmung der abgeschmacktesten Mährchen dro­ henden Folgerungen vorzubauen! Man erlaube mir also, mich auf meinen eigenen Weg wieder zurückznwenden. Ich will den Weltweisen so wenig als möglich ans dem Gesichte verlieren, und vielleicht kommen wir am Ende der Bahn zusammen. — Ich habe gesagt und glaube es erwiesen zu haben, daß auf der Erhebung des einzelneuFalles znrWirklichkeit der wesentliche Unterschied der Parabel oder des Exempels überhaupt und der Fabel beruht. Diese Wirklichkeit ist der Fabel so unentbehrlich, daß sie sich eher von ihrer Möglichkeit, als von jener etwas abbrechen läßt. Es streitet-minder mit ihrem Wesen, daß ihr einzelner Fall nicht schlechterdings möglich ist, daß er nur nach gewissen Voraus­ setzungen, unter gewissen Bedingungen möglich ist, als daß er nicht als wirklich vorgestellt werde. In Ansehung dieser Wirklichkeit folglich ist die Fabel keiner Verschiedenheit fähig, wohl aber in An­ sehung ihrer Möglichkeit, welche sie veränderlich zu seyn erlaubt. Nun ist, wie gesagt, diese Möglichkeit entweder eine unbedingte oder be­ dingte Möglichkeit; der einzelne Fall der Fabel ist entweder schlechter­ dings möglich , oder er ist es nnr nach gewissen Voraussetzungen, unter gewissen Bedingungen. Die Fabeln also, deren einzelner Fall schlechterdings möglich ist, will ich (um gleichfalls bei den alten Be­ nennungen zn bleiben) vernünftige Fabeln nennen; Fabeln chingegen, wo er es nur nach gewissen Voraussetzungen ist, mögen sitt­ liche heißen. Die vernün ftig en Fabeln leiden keine fernere Unterabtheilung, die sittlichen aber leiden sie. Denn die Voraus­ setzungen betreffen entweder dieSnbjecte der Fabel, oder diePrädicate dieser Subjecte; der Fall der Fabel ist entweder möglich, voraus­ gesetzt, daß diese und jene Wesen existiren; oder er ist es, voraus­ gesetzt, daß diese und jene wirklich existirende Wesen (nicht andere Eigenschaften, als ihnen zukommen; denn sonst würden sie zu andern

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in entern höh'/rn Grade^in einem weitern Umfange beuchen?Jene gabeln, worin die Subjecte vorausgesetzt werden, wollte ich my­ thisch e gabeln nennen; und diese, worin nur erh öhtere Eigen­ schaften wirklicher Subjecte angenommen werden, würde ich, wenn ich das Wort anders wagen darf,^h yperp Hy fisch egabelnnennen.— Ich will diese meine Einteilung noch durch einige Beispiele er­ läutern. DieFabel: der Blinde und der Lahme, die zwei kämpfenden Hähne, der Vogelsteller und die Schlange, der Hund und der Gärtner, sind lauter vernünftige Fabeln, obschon bald lauter Thiere, bald Menschen und Thiere darin Vorkommen; ^denn der darin enthaltene Fall ist schlechterdings möglich, oder mit Wolfen zu reden, es wird den Subjecten nichts darin beigelegt, was ihnen nicht zukomme. — Die Fabeln: Apollo und Jupiter,1 *Herkules 3 * * 6 * 8 und Plutus,? die ver­ schiedene Bäume in ihren besondern Schutz nehmenden Götter, i kurz alle Fabeln, die aus Gottheiten, aus allegorischen Personen, aus Geistern und Gespenstern, aus andern erdichteten Wesen, dem Phönix z. E., bestehen, sind sittliche Fabeln, und zwar mythisch sitt­ liche; denn es wird darin vorausgesetzt, daß alle diese Wesen existiren oder existirt haben, und der Fall, den sie enthalten, ist nur unter dieser Voraussetzung möglich. — Der Wolf und das Lamm,4 der Fuchs und der Storch, 5 die Natter und die Feile/» die Bäume und der Dornstrauch,7 derOelbaum und das Rohr rc.,8 sind gleichfalls sittliche, aber hyperphysisch sittliche Fabeln; denn die Natur dieser wirklichen Wesen wird erhöht, die Schranken ihrer Fähigkeiten werden erweitert. Eines muß ich hierbei erinnern! Man bilde sich nicht ein, daß diese Gattung von Fabeln sich bloß auf die Thiere und andere geringere Geschöpfe einschränke; der Dichter kann auch die Natur des Menschen erhöhen, und die Schranken seiner Fähigkeiten erweitern. Eine Fabel z. E. von einem Propheten würde eine hyperphysi sch sittliche Fabel seyn; denn die Gabe zu prophe­ zeien, kann dem Menschen bloß nach einer erhöhtem Natur zukommen. Oder wenn man die Erzählung von den himmelstürmenden Riesen als eine äsopische Fabel behandeln und sie dahin verändern wollte, daß ihr unsinniger Bau von Bergen auf Bergen endlich von selbst zusammenstürzte und sie unter den Ruinen begrübe, so würde keine andere als eine hyperphysisch sittliche Fabel daraus werden können. 1 Fab. Aesop 2«7. 3 Phaedrus libr. IV. Fab 11. 3 Phaedrus libr. III. Fab. 15. * Phaedrus libr I Fab 1. 6 Phaedrus libr I Fab. 25. 6 Phaedrus libr. IV. Fab. 7, T Fab. Aesop, 313. 8 Fab. Aesop. 143.

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Aus beit zwei Hauptgattungen, der vernünftigen und sitt­ lichen Fabel, ensteht auch bei mir eine vermischte Gattung, wo nämlich der Fall zum Theil schlechterdings, zum Theil nur unter gewissen Voraussetzungen möglich ist. Und zwar können dieser ver­ misch t en Fabeln dreierlei seyn: die vernünftig mythische Fabel, als Herkules und der Kärrner, der arme Mann und der Tod; 2 die vernünftig hyperphysische Fabel, als der Holzschläger und der Fuchs,3 der Jäger und der Löwe;4 und endlich die hyperphy­ sisch mythische Fabel, als: Jupiter und das Kameel,5 Jupiter und die Schlange rc.6 Und diese Einteilung erschöpft die Mannichfaltigkeit der Fabeln ganz gewiß; ja man wird, hoffe ich, keine anführen können, bereu Stelle ihr zufolge zweifelhaft bleibe, welches bei allen andern Ein­ teilungen geschehen muß, die sich blos auf die Verschiedenheit der handelnden Personen beziehen. Die Breitinger'sche Einteilung ist davon nicht ausgeschlossen, ob er schon dabei die Grade des Wunder­ baren zum Grunde gelegt hat. Denn da bei ihm die Grade des Wunderbaren, wie wir gesehen haben, größtenteils aus die Beschaf­ fenheit der handelnden Personen ankommen, so klingen seine Worte nur gründlicher, und er ist in der That in die Sache nicht tiefer ein­ gedrungen. „Das Wunderbare der Fabel, sagt er, hat seine verschie„dene Grade. — Der niedrigste Grad des Wunderbaren findet sich „in derjenigen Gattung der Fabeln, in welchen ordentliche Menschen „aufgeführt werden. — Weil in denselben das Wahrscheinliche über „das Wunderbare weit die Oberhand hat, so können sie mit Fug „wahrscheinliche oder, in Absicht auf die Personen, menschliche „Fabeln benannt werden. Ein mehrerer Grad des Wunderbaren „äußert sich in derjenigen Classe der Fabeln, in welchen ganz andere „als menschliche Personen anfgeführt werden. — Diese entweder „von einer vortrefflichern und höhern Natur, als die menschliche ist, „z. E. die heidnischen Gottheiten; — oder sie sind in Ansehung ihres „Ursprungs und ihrer natürlichen Geschicklichkeit von einem geringern „Rang als die Menschen, als z. E. die Thiere, Pflanzen re. — Weil „in diesen Fabeln das Wunderbare über das Wahrscheinliche nach „verschiedenen Graden herrscht, werden sie deßwegen nicht unsäglich „wunderbare und, in Absicht aus die Personen, entweder gött»liche oder thierische Fabeln genannt." — Und die Fabel von oen zwei Töpfen, die Fabel von den Bäumen und dem Dornstrauche? Sollen die auch thierische Fabeln heißen? Oder sollen sie und ih­ res gleichen eigene Benennungen erhallen? Wie sehr wird diese Na°

1 a 3 * G

Fabul. Aesop. Fabul. Aesop. Fabul. Aesop. Fabul. Aesop. Fabul. Aesop.

336. 20. 127. 280. 197.

• Fabul. Aesop. 189.

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Abhandlungen über die Fabel.

menrolle anwachsen, besonders wenn man auch alle Arten der ver­ mischten Gattung benennen sollte! Aber ein Exempel zu geben, daß man nach dieser Breitinger'schen Einteilung oft zweifelhaft sein kann, zu welcher Classe man diese oder jene Fabel rechnen soll, so betrachte man die schon angeführte Fabel von dem Gärtner und sei­ nem Hunde, oder die noch bekanntere von dem Ackersmanne und der Schlange, aber nicht so wie sie Phädrus erzählt, sondern wie sie unter den griechischen Fabeln vorkommt. Beide haben einen so ge­ ringen Grad des Wunderbaren, daß man sie nothwendig zu den wahr­ scheinlichen, das ist menschlichen Fabeln rechnen müßte. In beiden aber kommen auch Thiere vor, und in Betrachtung dieser würden sie zu den vermischten Fabeln gehören, in welchen das Wunderbare weit mehr über das Wahrscheinliche herrscht, als in jenen. Folglich würde man erst ausmachen müssen, ob die Schlange und der Hund hier als handelnde Personen der Fabel anzusehen wären oder nicht, ehe man der Fabel selbst ihre Classe anweisen könnte. Ich will mich bei diesen Kleinigkeiten nicht länger aushalten, son­ dern mit einer Anmerkung schließen, die sich überhaupt auf die hy­ perphysischen Fabeln bezieht, und die ich zur richtigern Beurthei­ lung einiger von meinen eigenen Versuchen, nicht gern anzubringen vergessen möchte. — Es ist bei dieser Gattung von Fabeln die Frage, wie weit der Fabulist die Natur der Thiere und anderer niedrigern Geschöpfe erhöhen, und wie nahe er sie der menschlichen Natur bringen dürfe? Ich antworte kurz: so weit und so nahe er immer will. Nur mit der einzigen Bedingung, daß aus allem, was er sie denken, reden und handeln laßt, der Charakter Hervorscheine, nm des­ sen willen er sie seiner Absicht bequemer fand, als alle andere Indi­ viduen. Ist dieses, denken, reden und thun sie durchaus nichts, was ein anderes Individuum von einem andern, oder gar ohne Charakter eben so gut denken, reden und thun könnte, so wird uns ihr Betragen im geringsten nicht befremden, wenn es auch noch so vielWitz, Scharf­ sinnigkeit und Vernunft voraussetzt. Und wie könnte es auch? Haben wir ihnen einmal Freiheit und Sprache zugestanden, so müssen wir ihnen zugleich alle Modificationen des Willens und alle Erkenntnisse zugestehen, die aus jenen Eigenschaften folgen können, ans welchen unser Vorzug vor ihnen einzig und allein beruht. Nur ihren Charak­ ter, wie gesagt, müssen wir durch die ganze Fabel finden; und finden wir diesen, so erfolgt die Illusion, daß es wirkliche Thiere find, ob wir sie gleich reden hören, und ob sie gleich noch so feine Anmerkun­ gen, noch so scharfsinnige Schlüsse machen. Es ist unbeschreiblich, wie viel Sophismata. non causae ut causae dieKnnstrichter in dieser Materie gemacht haben. Unter andern der Verfasser der kritischen Briefe, wenn er von seinem Hermann Axel sagt: „Daher schreibt „er auch den unvernünftigen Thieren, die er anfsührt, niemals eine „Reihe von Anschlägen zu, die in einem System, in einer Verknüpf-

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„ung stehen, und zu einem Endzwecke von weitem her angeordnel „sind. Denn dazu gehört eine Starke der Vernunft, welche über den „Instinkt ist. Ihr Instinkt gibt nur flüchtige und dunkle Strahlen „einer Vernunft von sich, die sich nicht lauge emporhalten kann. Aus „dieser Ursache werden diese Fabeln mit Thierpersonen ganz kurz, und „bestehen nur aus einem sehr einfachen Anschläge oder Anliegen. Sie „reichen nicht zu, einen menschlichen Charakter in mehr als einem „Lichte vorzustellen; ja der Fabulist muß zufrieden sein, wenn er „nur einen Zug eines Charakters vorstellen kann. Es ist eine aus„schweifende Idee des Pater Bossuet, daß die äsopische Fabel sich „in dieselbe Länge wie die epische Fabel ausdehnen lasse. Denn „das kann nicht geschehen, es sei denn, daß man die Thiere nichts „von den Thieren behalten lasse, sondern sie in Menschen verwandle, „welches nur in possirlichen Gedichten angeht, wo man die Thiere „mit gewissem Vorsatz in Masken aufführt, und die Verrichtun„gen der Menschen nachäffen läßt rc." — Wie sonderbar ist hier das ans dem Wesen der Thiere hergeleitet, was der Kunstrichter aus dem Wesen der anschauenden Erkenntniß und aus der Einheit des moralischen Lehrsatzes in der Fabel hätte herleiten sollen! Ich gebe es zu, daß der Einfall des Pater Bossuet nichts taugt. Die äsopische Fabel, in die Länge einer epischen Fabel ausgedehnt, hört auf eine äsopische Fabel zu fein, aber nicht deßwegen, weil man den Thieren, nachdem man ihnen Freiheit und Sprache ertheilt hat, nicht auch eine Folge von Gedanken, dergleichen die Folge von Handlungen in der Epopöe erfordern würde, ertheilen dürste; nicht deßwegen, weil die Thiere alsdann zn viel menschliches haben würden, sondern deß­ wegen, weil die Einheit des moralischen Lehrsatzes verloren gehen würde, weil man diesen Lehrsatz in der Fabel, deren Theile so ge­ waltsam aus einander gedehnt und mit fremden Theilen vermischt worden, nicht länger auschauend erkennen würde. Denn die anschanende Erkenntniß erfordert unumgänglich, daß wir den einzelnen Fall auf einmal übersehen können; können wir es nicht, weil er entweder allzu viel Theile hat, oder seine Theile allzu weit auseinander liegen, so kann auch die Intuition des Allgemeinen nicht erfolgen. Und nur dieses, wenn ich nicht sehr irre, ist der wahre Grund, warum man es dem dramatischen Dichter, noch williger aber dem Epopöendichter erlassen hat, in ihre Werke eine einzige 'Hauptlehre zu legen. Denn was hilft es, wenn sie auch eine hineinlegen? Wir können sie doch nicht darin erkennen, weil ihre Werke viel zu weitläufig sind, als daß wir sie auf einmal zu übersehen vermöchten. In dem Skelette der­ selben müßte sie sich wohl endlich zeigen; aber das Skelett gehört für den kalten Kunstrichter, nud wenn dieser einmal glaubt, daß eine solche Hauptlehre darin liegen müsse, so wird er sie gewiß heraus­ grübeln, wenn sie der Dichter auch gleich nicht hinein gelegt hat. Daß übrigens das eingeschränkte Wesen der Thiere von dieser nicht

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zu erlaubenden Ausdehnung der äsopischenFabel die wahre Ursache nicht sei,hätte der kritische Briefsteller gleich daher abnehmen können, weil nicht blos die thierische Fabel, sondern auch jede andere äfopischeFabel, wenn sie schon aus vernünftigen Wesen besteht, derselben unfähig ist. Die Fabel von betit Lahmen und Blinden, oder von dem armen Manne und dem Tode, läßt sich eben so wenig zur Länge des epischen Gedichts erstrecken, als die Fabel von dem Lamme und dem Wolfe, oder von dem Fuchse und dem Naben. Kann es also an der Natur der Thiere liegen? Und wenn man mit Beispielen streiten wollte, wie viel sehr gute Fabelnließenstch ihm nicht entgegensetzen, inwelchen den Thieren weitmehr als flüchtige und dunkleStrahleneiner Vernunft beigelegt wird, und man sie ihre Anschläge ziemlich von weitem her zu einem Endzwecke anwenden sieht! Z. E. der Adler und der Käfer, 1 der Adler, die Katze und das Schwein re.2 Unterdessen dachte ich einsmals bei mir selbst, wenn man dem ungeachtet eine äsopische Fabel von einer ungewöhnlichen Länge ma­ chen wollte, wie müßte man es anfangen, daß die jetzt berührten Un­ bequemlichkeiten dieser Länge wegfielen? Wie müßte unser Reineke Fuchs aussehen, wenn ihm der Name eines äsopischen Heldengedichts zukommen sollte? Mein Einfall war dieser: Fürs erste müßte nur ein einziger moralischer Satz in dem Ganzen zum Grunde liegen; fürs zweite müßten die vielen und mannichfaltigen Theile dieses Ganzen unter gewisse Haupttheile gebracht werden, damit man sie wenigstens in diesen Haupttheilen auf einmal übersehen könnte; fürs dritte müßte jeder dieser Haupttheile ein besonderes Ganze eine für sich bestehende Fabel seyn können, damit das große Ganze aus gleichartigen Theilen bestände. Es müßte, um alles zusammenzunehmen, der allgemeine moralische Satz in seine einzelnen Begriffe aufgelöst werden; jeder von diesen einzelnen Begriffen müßte ui einer besondern Fabel zur Intuition gebracht werden, und alle diese besonderen Fabeln müßten zusammen nur eine einzige Fabel aus­ machen. Wie wenig hat der Reineke Fuchs von diesen Requisiten! Am besten also, ich mache selbst die Probe, ob sich mein Einfall auch wirklich ausführen läßt. — Und nun urtheile man, wie diese Probe ausgefallen ist! Es ist die sechzehnte Fabel meines dritten Buchs, und heißt; die Geschichte des alten Wolfs, in sieben Fabeln. Die Lehre, welche in allen sieben Fabeln zusammen ge­ nommen liegt, ist diese: „Man muß einen alten Bösewicht nicht ans „das äußerste bringen, und ihm alle Mittel zur Bessernng, so spät „und erzwungen sie auch seyn mag, benehmen." Dieses Aeußerste, diese Benehmung aller Mittel zerstückle ich, machte verschiedene mißlungene Versuche des Wolfs daraus, des gefährlichen Raubens künftig müßig gehen zu können, und bearbeitete jeden dieser Versuche

1 Fab. Aesop. 2. ’ Phaedrus libr. JI. Fab. 4.

Abhandlungen über die Fabel.

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als eine besondere Fabel, die ihre eigene und mit der Hauptmoral in keiner Verbindung stehende Lehre hat. — Was ich hier bis auf sieben und mit dem Rangstreite der Thiere auf vier Fabeln ge­ bracht habe, wird ein anderer mit einer anderen noch fruchtbareren Moral leicht auf mehrere bringen können. Ich begnüge mich, die Möglichkeit gezeigt zu haben.

IV. Von dem Vortrage der Fabeln.

Wie soll die Fabel vorgetragen werden? Ist hierin AesopuS, oder ist Phädrus, oder ist la Fontaine das wahre Muster? Es ist nicht ausgemacht, ob Aesopus seine Fabeln selbst ausge­ schrieben und in ein Buch zusammengetragen hat. Aber das ist so gut als ausgemacht, daß , wenn er es auch gethan hat, doch keine einzige davon durchaus mit seinen eigenen Worten auf uns gekom­ men ist. Ich verstehe also hier die allerschönsten Fabeln in den ver­ schiedenen griechischen Sammlungen, welchen man seinen Namen vorgesetzt hat. Nach diesen zu urtheilen, war sein Vortrag von der äußersten Präcision; er hielt sich nirgends bei Beschreibungen auf; er kam sogleich zur Sache und eilte mit jedem Worte näher zum Ende; er kannte kein Mittel zwischen dem Nothwendigen und Unnützen. So charakterisirt ihn de la Motte, und richtig. Diese Präcision und Kürze, worin er ein so großes Muster war, fanden die Alten der Natur der Fabel auch so angemessen,daß sie eine allgemeine Regel daraus machten. Theon unter andern dringt mit den ausdrücklichsten Worten darauf. Auch Phädrus, der sich vornahm, die Erfindungen des Aesopus in Versen auszubilden, hat offenbar den festen Vorsatz gehabt, sich an diese Regel zu halten, und wo er davon abgekommen ist, scheint ihn das Sylbenmaaß und der poetischere Styl, in welchen uns auch das allersimpelste «sylbenmaaß wie unvermeidlich verstrickt, gleichsam wider seinen Willen davon abgebracht zu haben. Aber la Fontaine? Dieses sonderbare Genie! LaFontaine! Nein wider ihn selbst habe ich nichts, aber wider seine Nachahmer, wider seine blinden Verehrer! La Fontaine kannte die Alten zu gut, als daß er nicht hätte wissen sollen, was ihre Muster und die Natur zu einer vollkommenen Fabel erforderten. Er wußte es, daß die Kürze die Seele der Fabel sey; er gestand es zu, daß es ihr vornehmster Schmuck sey, ganz und gar keinen Schmuck zu haben. Er bekannte1 nut der liebenswürdigsten Aufrichtigkeit, „daß man die zierliche Prä„cision und die außerordentliche Kürze, durch die sich Phädrus so „sehr empfehle, in seinen Fabeln nicht finden werde. Es wären die„ses Eigenschaften, die zu erreichen ihn seine Sprache zum Theil ver„hindert hätte, und bloß deßwegen, weil er den Phädrus darin nicht „nachahmen können, habe er geglaubt, qu’il fallait en räcompense 1 Hn der Borrede zu seinen Fabeln.

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Abhandlungen über die Fabel.

„ögayer l’ouvrage plus qu’il n’a fait." Alle die Lustigkeit, sagt er, durch die ich meine Fabeln aufgestützt habe, soll weiter nichts als eine etwaige Schadloshaltung für wesentlichere Schönheiten seyn, die ich ihnen zu ertheilen zu unvermögend gewesen bin. — Welch Bekennt­ niß! In meinen Augen macht ihm dieses Bekenntniß mehr Ehre, als ihm alle seine Fabeln machen! Aber wie wunderbar ward es von dem französischen Publikum ausgenommen! Es glaubte, la Fon­ taine wolle ein bloßes Compliment machen, und hielt die Schad­ loshaltung unendlich höher, als das, wofür sie geleistet war. Kaum konnte es auch anders seyn; denn die Schadloshaltung hatte allzn viel Reizendes für Franzosen, bei welchen nichts über die Lustigkeit geht. Ein witziger Kopf unter ihnen, der hernach das Unglück hatte, hundert Jahre witzig zu bleiben,1 meinte sogar, la Fontaine habe sich aus bloßer Albernh eitt (par b£tise) dem Phädrus nachgesetzt, und de la Motte schrie über diesen Einfall: mot plaisant, mais solide: Unterdessen da la Fontaine seine lustige Schwatzhaftigkeit durch ein so großes Muster, als ihm Phadrus schien, verdammt glaubte, wollte er doch nicht ganz ohne Bedeckung von Seiten des Alterthums bleiben. Er setzte also hinzu: „Und meinen Fabeln diese Lustigkeit zu „ertheilen, habe ich um so viel eher wagen dürfen, da Quintilian „lehrt, man könne die Erzählungen nicht lustig genug machen „(egayer). Ich brauche keine Ursache hiervon anzugeben; genug, „daß es Quintilian sagt." — Ich habe wider diese Autorität zweier­ lei zn erinnern. Es ist wahr, Quintilian sagt: Ego vero narraliei­ nem ut si ullam pariern orationis, omni, qua potest, gratia et venere exornandnm puto; ~ und dieses muß die Stelle seyn, wor­ auf sich la Fontaine stützt. Aber ist diese Grazie, diese Venus, die er der Erzählung so viel als möglich, obgleich nach Maaßgebung der Bache,3 zu ertheilen befiehlt, ist dieses Lustigkeit? Ich sollte meinen, daß gerade die Lustigkeit dadurch ausgeschlossen werde. Doch der Hauptpunkt ist hier dieser: Quintilian redet von der Er­ zählung des Factum in einer gerichtlichen Rede, und was er von dieser sagt, zieht la Fontaine, wider die ausdrückliche Regel der Alten, auf die Fabel. Er hätte diese Regel unter anderm bet dem Theon finden können. Der Grieche redet von dem Vortrage der Erzählung in der Chrie, — wie plan, wie kurz muß die Erzählung in einer Chrie, sehn? — und setzt hinzu! ev öe jocq uv&ols «TiXovoiE^ap zitv eopT[VEiav eIvcxi öt-i y.ott -HQOcsqyvTf xott duvaiov, dxaiatrxE'uov 7k xat aaeprj: die Erzählung der Fabel soll noch planer seyn, sie sott zu­ sammengepreßt, so viel als möglich ohne alle Zierrathen und Fi­ guren, mit der einzigen Deutlichkeit zufrieden seyn.

i Fontenelle.

3 Qninctilianns Inst. Orat. lib. IV. cap. 2. 3 Sed plurimum refert, quae sit natura ejus rei, quam exponimusIdem, ibidem.

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Dem la Fontaine vergebe ich den Mißbrauch dieser Autorität des Quintilians gar gern. Man weiß ja, wie die Franzosen über­ haupt die Alten lesen! Lesen sie doch ihre eigene Autoren mit der unverzeihlichsten Flatterhaftigkeit. Hier ist gleich ein Exempel! De la Motte sagt von dem la Fontaine: Tout Original qu’il est dans les mani£res, il etait Admirateur des Anciens jusqu’ä la' prevention, comnie s’ils eus^ent 6te ses modeles. La brievete, dit-il, est Vame de la Fable et il est inutile d’en apporter des raisons, c’estassez que Quintilien Vait dit.1 Man kann nichts verstümmelter anführen, als de la Motte hier den la Fontaine an­ führt! La Fontaine legt es einem ganz andern Kunstrichter in den Mund, daß die Kürze die Seele der Fabel sey, oder spricht es viel­ mehr in seiner eigenen Person; er beruft sich nicht wegen der Kürze, sondern wegen der Munterkeit, die in den Erzählungen herrschen solle, auf das Zeugniß des Quintilians, und würde sich wegen jener sehr­ schlecht auf ihn berufen haben, weil man jenen Ausspruch nirgends bet ihm findet. Ich komme auf die Sache selbst zurück. Der allgemeine Beifall, den la Fontaine mit seiner muntern Art zu erzählen erhielt, tnachte, daß man nach und nach die äsopische Fabel von einer ganz andern Seite betrachtete, als sie die Alten betrachtet hatten. Bei den Alten gehörte die Fabel zu dem Gebiete der Philosophie und aus diesem holten sie die Lehrer der Redekunst in das ihrige herüber. Aristoteles hat nicht in seiner Dichtkunst, sondern in seiner Rhetorik davon gehindelt; und was Aphthonius und Theon davon sagen, das sagen sie gleichfalls in Vorübungen der Rhetorik. Auch bei den Neueren muß man das, was man von der äsopischen Fabel wissen will, durch­ aus in Rhetoriken suchen, bis auf die Zetten des la Fontaine. Ihm gelang es, die Fabel zu einem anmuthlgen poetischen Spielwerke zu machen; er bezauberte, er bekam eine Menge Nachahmer, die den Namen eines Dichters nicht wohlfeiler erhalten zu können glaubten, als durch solche in lustigen Versen ausgedehnte und gewässerte Fa­ beln; die Lehrer der Dichtkunst griffen zu, die Lehrer'der Redekunst ließen den Eingriff geschehen; diese hörten auf, dte Fabel als ein sicheres Mittel zur lebendigen Ueberzeugung anzupreisen, und jene fingen dafür an, sie als etn Kinderspiel zu betrachten, das sie so viel als möglich ausznputzen uns lehren müßten. —- So stehen wir noch! — Ein Mann, der aus der Schule der Alten kommt, wo ihm jene fcgpjVEia axaiaazEvo; der Fabel so oft empfohlen worden, kann der wissen, woran er ist, wenn er z. E. bei dem Batteux ein langes Verzeichnis von Zierrathen liest, deren die Erzählung der Fabel fähig seyn soll? Er muß voller Verwunderung fragen: so hat sich denn bei den Neueren ganz das Wesen der Dinge verändert? Denn

1 Discourß sur la Fable p. 17.

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alle diese Zierrathen streiten mit dem wirklichen Wesen der Fabel. Ich will es beweisen. Wenn ich mir einer moralischen Wahrheit durch die Fabel be­ wußt werden soll, so muß ich die Fabel auf einmal übersehen können, und um sie auf einmal übersehen zu können, muß sie so kurz seyn, als möglich. Alle Zierrathen aber sind dieser Kürze entgegen, denn ohne sie würde sie noch kürzer seyn können; folglich streiten alle Zier­ räthen, in so fern sie leere Verlängerungen sind, mit der Absicht der Fabel. Z. E. Eben mit zur Erreichung dieser Kürze, braucht die Fabel gern die allerbekanntesten Thiere, damit sie weiter nichts als ihren einzigen Namen nennen darf, um einen ganzen Charakter zu schil­ dern, um Eigenschaften zu bemerken, die ihr ohne diese Namen allzu viel Worte kosten würden. Nun höre man den Batteux: „Diese „Zierrathen bestehen Erstlich in Gemälden, Beschreibungen, Zeich„nnngen der Oerter, der Personen, der Stellungen." — Das heißt: Man muß nicht schlechtweg z. E. ein Fuchs sagen, sondern man muß fein sagen: Uh vieux Renard, mais des plus (ins, Grand croqueur de poulets, grand preneur de lapins, Sentant son Renard d’une Heue.etc. Der Fabulist braucht Fuchs, um mit einer einzigen Sylbe ein individuelles Bild eines witzigen Schalks zu entwerfen; und der Poet will lieber von dieser Bequemlichkeit nichts wissen, will ihr entsagen, ehe man ihm die Gelegenheit nehmen soll, eine luftige Be­ schreibung von einem Dinge zu machen, dessen ganzer Vorzug hier eben dieser ist, daß es keiner Beschreibung bedarf. Der Fabulist will in Einer Fabel nur Eine Moral zur Intui­ tion bringen. Er wird es also sorgfältig vermeiden, die Theile der­ selben so einzurichten, daß sie uns Anlaß geben, irgend eine andere Wahrheit in ihnen zu erkennen, als wir in allen Theilen zusammen­ genommen erkennen sollen. Vielweniger wird er eine solche fremde Wahrheit mit ausdrücklichen Worten einfließen lassen, damit er un­ sere Aufmerksamkeit nicht von seinem Zwecke abbringe, oder wenig­ stens schwäche, indem er sie unter mehrere allgemeine moralische Sätze theilt. — Aber Batteux, was sagt der- „Die zweite Zierrath, „sagt er, besteht in den Gedanken, nämlich in solchen Gedanken, die „hervorstechen, und sich von den übrigen auf eine besondere Art un„terscheiden." Nicht minder widersinnig ist seine dritte Zierrath, die Allusion — Doch wer streitet denn mit mir? Batteux selbst gesteht es ja mit ausdrücklichen Worten, „daß dieses nur Zierrathen solcher Erzählun„gen sind, die vornehmlich zur Belustigung gemacht werden." Und für eine solche Erzählung hält er die Fabel? Warum bin ich so eigen­ sinnig, sie nicht auch dafür zu halten? Warum habe ich nur ihren

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Nutzen im Sinne? Warum glaube ich, daß dieser Nutzen seinem Wesen nach schon anmuthig genug ist, um aller fremden Annehmlich­ keit entbehren zu können? Freilich geht es dem la Fontaine und allen seinen Nachahmern, wie meinem Manne mit dem Sogen;1 der Mann wollte, daß sein Bogen mehr als glatt sey; er ließ Zierrathen darauf schnitzen, und der Künstler verstand sehr wohl, was für Zierrathen auf einen Bogen gehörten; er schnitzte eine Jagd darauf; nun will der Mann den Bogen versuchen, und er zerbricht. Aber war das die Schuld des Künstlers? Wer hieß den Mann, so wie zuvor damit zu schießen? Er hatte den geschnitzten Bogen nunmehr fein in seiner Rüstkammer aufhangen und seine Augen daran weiden sollen! Mit einem solchen Bogen schießen zu wollen! — Freilich würde nun auch Plato, der die Dichter alle mit sammt ihrem Homer, aus feiner Re­ publik verbannte, dem Aesopus aber einen rühmlichen Platz darin vergönnte, freilich würde auch Er nunmehr zu dem Aesopus, so wie ihn la Fontaine verkleidet hat, sagen: Freund, wir kennen einander nicht mehr! Geh auch du deinen Gang! Aber was geht es uns an, was so em alter Grillenfänger, wie Plato, sagen würde? — Vollkommen richtig! Unterdessen, da ich so sehr billig bin, hoffe ich, daß man es auch einigermaßen gegen mich seyn wird'. Ich habe die erhabene Absicht, die Welt mit meinen Fabeln zu belustigen, leider nicht gehabt, ich hatte mein Augenmerk nur immer auf diese oder jene Sittenlehre, die ich, meistens zu meiner eigenen Erbauung, gern in besondern Fallen übersetzen wollte; und zu diesem Gebrauche glaubte ich meine Erdichtungen nicht kurz, nicht trocken genug auf­ schreiben zu können. Wenn ich aber jetzt die Welt gleich nicht belu­ stige, so könnte sie doch mit der Zeit vielleicht durch mich belustigt werden. Man erzählt ja die neuen Fabeln des Abstemius eben so wohl als die alten Fabeln des Aesopus in Versen; wer weiß, was weinen Fabeln aufbehalten ist, und ob man auch sie nicht einmal mit aller möglichen Lust.gkeit erzählt, wenn sie sich anders durch ihren innern Werth eine Zeit lang in dem Andenken der Welt erhalten? In dieser Betrachtung also bitte ich für jetzo mit meiner Prosa — Aber ich bilde mir ein, daß man mich meine Bitte nicht einmal aussagen läßt. Wenn ich mit der allzu muntern und leicht auf Um­ wege führenden Erzählungsart des la Fontaine nicht zufrieden war, mußte ich darum ans das andere Extrem verfallen? Warum wandte ich mich nicht auf die Mittelstraße des Phädrus und erzählte in der zierlichen Kürze des Römers, aber doch in Versen? Denn prosaische Fabeln, wer wird die lesen wollen! — Diesen Vorwurf werde ich unfehlbar zu Horen bekommen. Was will ich im voraus darauf ant­ worten? Zweierlei. Erstlich, was man mir am leichtesten glauben wird: ich fühlte mich zu unfähig, jene zierliche Kürze in Versen zu erreichen. La Fontaine, der eben das bei sich fühlte, schob die Schuld 1 S. die erste Fabel des dritten Buchs.

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Abhandlungen über die Fabel.

auf seine Sprache. Ich habe von der meinigen eine zu gute Meinung und glaube überhaupt, daß ein Genie seiner angebornen Sprache, sie mag seyn, welche es will, eine Form ertheilen kann, welche er will. Für ein Genie sind die Sprachen alle von einer Natur, und die- Schuld ist also einzig und allein meine. Ich habe die Versification nie so in meiner Gewalt gehabt, daß ich auf keine Weise be­ sorgen dürfen, das Sylbenmaaß und der Reim werde hier und da den Meister über mich spielen. Geschähe das, so wäre es ja um die Kürze gethan und vielleicht noch um mehr wesentliche Eigenschaften der guten Fabel. Denn zweitens — ich muß es nur gestehen, ich bin mit dem Phädrus nicht so recht zufrieden. De la Motte hatte ihm weiter nichts vorzuwerfen, als „daß er seine Moral oft zu Anfänge „der Fabeln setze, und daß er uns manchmal eine allzu unbestimmte „Moral gebe, die nicht deutlich genug aus der Allegorle entspringe." Der erste Porwurf betrifft eine wahre Kleinigkeit; der zweite ist un­ endlich wichtiger und leider gegründet. Doch ich will nicht fremde Beschuldigungen rechtfertigen, sondern meine eigene vorbringen. Sie lauft dahin aus, daß Phädrus, so oft er sich von der Einfalt der griechischen Fabeln auch nur einen Schritt entfernt, einen plumpen Fehler begeht. Wie viel Beweise will man? z. E.

Fab. 4. Libri I. Ganis per flumen, carnein dum ferret natans, Lympharum in speculo vidil simulacrum suum etc. Es ist unmöglich; wenn der Hund durch den Fluß geschwommen ist, so hat er das Wasser um sich her nothwendig so getrübt, daß er sein Bildniß unmöglich darin sehen können. Die griechischen Fabeln sagen: Kuwr y.obag e/ovcra tiotu^ov ötb^awe; das braucht weiter nichts zu heißes als: er ging üb er den Fluß; auf einem niedri­ gen Steige, muß man sich vorstellen. Aphthonius bestimmt diesen Umstand noch behutsamer: Koeotg dcjitaaaoa icg xucov itaq auTitv öiTjbb ti]v 6%&riv>' der Hund ging an dem User des Flusses. Fab. 5. Libri 1. Vacca et capella, et patiens ovis injuria?, Socii fuere cum leone in saltibus. Welch eine Gesellschaft! Wie war es möglich, daß sich diese viere zu einem Zwecke vereinigen konnten? Und zwar zur Jagd! Diese Un­ gereimtheit haben die Kunstrichter schon öfters angemerkt; aber noch keiner hat zugleich anmerken wollen, daß sie von des Phädrus eigener Erfindung ist. Im Griechischen ist diese Fabel zwischen dem Löwen und dem wilden E fei Von dem wilden Esel ist es bekannt, daß er ludert; und folglich konnte er an der Beute Theil nehmen. Wie elend ist ferner die Theilung bei dem Phädrus: Ego primarn tollo, nominor quia leo,

Secundam, quia suin sortis, tribuetis mihi:

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Tum quia plus valeo, me sequetur tertia; Male afficietur, si quis quartam tetigerit.

Wie vortrefflich hingegen ist sie im Griechischen! Der Löwe macht sogleich drei Theile; denn von jeder Beute ward bei den Alten ein Theil für den König oder für die Schatzkammer des Staats bei Seite gelegt. Und dieser Theil, -sagt der Löwe, gehört mir, ßaadevc yag Et/vt; das zweite Theil gehört mir auch, a>£ 1