Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek: Pädagogische und raumtheoretische Facetten 9783110379341, 9783110402025, 9783110402148

The volume presents insights from the fields of library sociology and learning psychology concerning how individuals lea

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German Pages 232 [234] Year 2021

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Table of contents :
Vorwort zur Reihe
Vorwort des Reihenherausgebers
Vorwort des Autors
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek im Wandel
3 Theoretische Annäherungen an hochschulische Lernwelten
4 Empirische Annäherungen
5 Voraussetzungen
6 Ausblick
Literatur
Abbildungsverzeichnis
Zum Autor
Register
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Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek: Pädagogische und raumtheoretische Facetten
 9783110379341, 9783110402025, 9783110402148

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Olaf Eigenbrodt Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek

Lernwelten

 Herausgegeben von Richard Stang

Olaf Eigenbrodt

Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek  Pädagogische und raumtheoretische Facetten

Editorial Board Prof. Dr. Karin Dollhausen (Deutsches Institut für Erwachsenenbildung, Bonn) Olaf Eigenbrodt (Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky) Dr. Volker Klotz (Amt für Bibliotheken und Lesen, Bozen) Prof. Dr. Katrin Kraus (Universität Zürich) Prof. Dr. Bernd Schmid-Ruhe (Hochschule der Medien, Stuttgart) Dr. André Schüller-Zwierlein (Universitätsbibliothek der Universität Regensburg) Prof. Dr. Frank Thissen (Hochschule der Medien, Stuttgart)

ISBN 978-3-11-037934-1 e-ISBN (PDF) 978-3-11-040202-5 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-040214-8 ISSN 2366-6374

Library of Congress Control Number: 2021940731 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Umschlagabbildung: donkeyru / iStock / thinkstock Datenkonvertierung/Satz: bsix information exchange GmbH, Braunschweig Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Richard Stang

Lernwelten Vorwort zur Reihe Bildung ist zum zentralen Thema des 21. Jahrhunderts geworden und dies sowohl aus gesellschaftlicher als auch ökonomischer Perspektive. Unter anderem die technologischen Veränderungen und die damit verbundene Digitalisierung aller Lebensbereiche führen zu vielfältigen Herausforderungen, für die ein Bewältigungsinstrumentarium erst entwickelt werden muss. Lebenslanges Lernen ist dabei der Imperativ biographischer Gestaltungsoptionen. Das traditionelle Bildungssystem stößt weltweit an seine Grenzen, wenn es darum geht, die entsprechenden Kompetenzen zur Bewältigung des Wandels zu vermitteln. Deshalb erstaunt es nicht, dass derzeit in allen Bildungsbereichen Suchbewegungen stattfinden, um Konzepte zu entwickeln, die diesen Herausforderungen Rechnung tragen. Die Reihe Lernwelten nimmt sich diesen Veränderungsprozessen an und reflektiert die Wandlungsprozesse. Dabei geht es vor allem darum, die Diskurse aus Wissenschaft und Praxis zu bündeln sowie eine interdisziplinäre Perspektive einzunehmen. Die verschiedenen Bildungsbereiche wie Hochschulen, Erwachsenenbildung/Weiterbildung, Bibliotheken etc. sollen so vermessen werden, dass für die jeweils anderen Bildungsbereiche die spezifischen Begrifflichkeiten, Logiken, Kulturen und Strukturen nachvollziehbar werden. Es handelt sich bei der Reihe auf diesen verschiedenen Ebenen um ein interdisziplinäres Projekt. Immer mehr Bildungs- und Kultureinrichtungen haben sich auf den Weg gemacht, Lernangebote konzeptionell und auch räumlich neu zu präsentieren, sowohl im physischen als auch im digitalen Kontext. Von Schulen über Hochschulen bis hin zu Erwachsenenbildungs-/Weiterbildungseinrichtungen. Doch auch von Bibliotheken und Museen werden neue Lernangebote und -umgebungen konzipiert. Basis dafür ist auch ein Perspektivenwechsel vom Lehren zum Lernen. Die Lernenden rücken immer stärker in den Fokus, was zu einer erhöhten Sensibilität gegenüber der Gestaltung von Lernarrangements führt. Dabei geht es nicht nur um veränderte didaktisch-methodische Settings, sondern im verstärkten Maße auch um die organisatorische, konkret bauliche und digitale Gestaltung von Lernwelten. Vor diesem Hintergrund wird in der Reihe versucht, einen ganzheitlichen Blick auf die verschiedenen Aspekte von Lernen und Lehren sowie Wissensgenerierung und Kompetenzentwicklung zu richten.

https://doi.org/10.1515/9783110402025-201

VI  Vorwort zur Reihe

– – – – – – –

Thematische Aspekte der Reihe sind: didaktisch-methodische Lehr-Lern-Settings Angebotskonzepte organisatorische Gestaltungskonzepte Gestaltung von physischen Lernumgebungen Gestaltung digitaler Lernumgebungen Optionen hybrider Lernumgebungen Veränderung von Professionsprofilen.

Die Reihe richtet sich an Wissenschaft und Praxis vornehmlich in folgenden Bereichen: – Bibliotheken: Hier kommt der Gestaltung von Lernoptionen und Lernräumen sowohl im öffentlichen als auch im wissenschaftlichen Bereich eine immer größere Bedeutung zu. – Erwachsenenbildung/Weiterbildung: Die veränderten Bildungsinteressen und -zugänge der Bevölkerung erfordern konzeptionelle, organisatorische und nicht zuletzt räumliche Veränderungen. – Hochschulen: Es kündigt sich ein radikaler Wandel von der Lehr- zur Lernorientierung in Hochschulen an. Hier werden immer mehr Konzepte entwickelt, die allerdings einer konzeptionellen Rahmung bedürfen. Unter der Perspektive des Lebenslangen Lernens kann die Reihe auch für andere Bildungsbereiche von Relevanz sein, da die Schnittstellen im Bildungssystem in Zukunft fluider und die Übergänge neu gestaltet werden.

Vorwort des Reihenherausgebers Wissenschaftliche Bibliotheken sind schon immer Lernwelten. Allerdings wird deren Relevanz als Lernorte nur selten aus einer lern- und raumtheoretischen Perspektive vermessen. Olaf Eigenbrodt legt mit diesem Band eine Grundlegung vor, die hilft, Leerstellen im Diskurs auszufüllen. Für ihn sind Lernwelten im Beziehungsgeflecht von Individuum, Lernprozess, Raum und Kontext zu betrachten. Konzeption, Gestaltung und Management von Lernwelten müssen seiner Ansicht nach unter pädagogischen, baulichen und betrieblichen Perspektiven beleuchtet werden. Dies gilt eben auch für die Wissenschaftliche Bibliothek. Eine zentrale Dimension der Betrachtung muss dabei sein, welches lerntheoretische Konzept der Entwicklung zugrunde liegt. Im vorliegenden Band wird dies grundlegend entfaltet und ausführlich auf die Situiertheit des Lernens eingegangen. In dieser Grundlegung liegt auch die Stärke des Bandes. Dabei werden unter anderem individuelle Facetten, lernprozessbezogene Facetten, curriculare Anforderungen, gruppenbezogene (Peers) Prozesse und Verhaltensformen, individuelle/gemeinschaftliche/soziale Lernformen, Lernen in digitalen/sozialen Netzwerken, tatsächlich stattfindende Lernaktivitäten, kontextbezogene Facetten sowie raumbezogene Facetten in den Blick gerückt und lerntheoretisch eingeordnet. Der Blick richtet sich auf das Individuum mit seinen Vorerfahrungen, Zielen und Motiven und den Perspektiven selbstorganisierter Lernprozesse. Die Lernwelt bietet den Rahmen für Aneignungsprozesse von Wissen, Raum und wissens- beziehungsweise raumbezogenen Kompetenzen. Das Wechselverhältnis von Individuum, Lernprozess, Raum und Kontext wirken jeweils wieder aufeinander zurück und müssen bei der Vorstrukturierung berücksichtigt werden. Doch auch die raumtheoretische Perspektive wird ausführlich gewürdigt und der relationale Raumbegriff in Bezug auf die Anforderungen an Wissenschaftliche Bibliotheken diskutiert. Eine kritische Auseinandersetzung in Bezug auf Studien zur Gestaltung und Nutzung von Lernarrealen in Wissenschaftlichen Bibliotheken macht den Forschungsbedarf in diesem Bereich deutlich. Olaf Eigenbrodt verbleibt aber nicht bei der Kritik, sondern entwickelt Hinweise für ein Forschungsdesign, um die Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek auch empirisch zu vermessen. Ein weiteres Anliegen ist es, Perspektiven für Planungsprozesse aufzuzeigen. Hierzu wird unter anderem das Konzept der Offenen Gesellschaftlichen Innovation zur Gestaltung von Veränderungsprozessen für Wissenschaftliche Bihttps://doi.org/10.1515/9783110402025-202

VIII  Vorwort des Reihenherausgebers

bliotheken entfaltet. Hiermit liefert Olaf Eigenbrodt eine fundierte Rahmung für die konzeptionelle Rahmung der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek. Die Gestaltung der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek ist ein komplexes Unterfangen. Olaf Eigenbrodt gelingt es, zentrale Herausforderungen zu benennen und den wesentlichen Faktor – das Lernen – als Basis von Veränderungsprozesse differenziert zu vermessen. Auch wenn er die Vermittlung von Informations- und Medienkompetenz als wichtigen Aspekt der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek bewusst ausspart, handelt sich bei dieser Publikation um eine grundlegende zum Diskurs über das Verhältnis von Bibliothek und Lernwelt, die das leistet, was sonst im Diskurs öfter untergeht: eine lern- und raumtheoretische Fundierung. Damit ist der Band eine hervorragende Erweiterung der Reihe Lernwelten. Im Juni 2021 Richard Stang

Vorwort des Autors Der vorliegende Band ist das Ergebnis eines längeren Forschungsprozesses, der von einem initialen Scheitern geprägt war. Ursprünglich sollte die Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek auf der Grundlage einer Metaanalyse vorhandener Studien zu lernraumspezifischen Erwartungen von Bibliotheksnutzerinnen und Bibliotheksnutzern untersucht werden. Dieses Konzept ging von der Erwartung aus, dass erstens im deutschsprachigen Raum genug aktuelle Studien vorhanden sein würden und diese zweitens qualitativ und in der Aussagekraft ihrer Ergebnisse eine ausreichende Basis für eine solche Metaanalyse bieten würden. Attraktiv daran war auch die Tatsache, dass diese Methode in der bibliothekswissenschaftlichen Annäherung an die Bibliothek als Raum bisher nicht genutzt wurde. Tatsächlich wurde die erste Erwartung erfüllt, ein Aufruf über einschlägige Mailinglisten erfuhr sehr viel positive Resonanz, so dass schnell die Daten von mehr als 15 Befragungen aus den letzten fünf Jahren vor dem Aufruf zusammenkamen. Leider stellte sich schnell heraus, dass – teils aus methodischen Gründen, teils aufgrund inhaltlicher Schwächen – eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse nicht gegeben war. Auf der Grundlage der vorliegenden Daten konnten keine substanziellen Aussagen zur Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek gewonnen werden. Es zeigte sich, dass nach wie vor keine ausreichende theoretische Grundlage gegeben war, die in den Fragestellungen zu wirklich neuen Ergebnissen hätte führen können und dass viele Befragungen im Forschungsdesign und in der Auswertung methodisch unbefriedigend waren. Dies führte zu einer grundlegenden Neukonzeption des gesamten Bandes. Schnell wurde deutlich, dass ein Band zur Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek innerhalb der Reihe Lernwelten das Thema zunächst theoretisch durchdringen müsste, um für die zukünftige Auseinandersetzung – sowohl in der Theorie als auch in der bibliothekarischen und hochschulplanerischen Praxis – eine ausreichende Basis zu schaffen. Ganz im Sinne der Zielsetzung der Reihe sollte eine interdisziplinäre und vor allem auch internationale Perspektive eröffnet werden. Der hierfür notwendige Ansatz erforderte einen langen Atem und das vorliegende Ergebnis ist wesentlich auch der Geduld des Reihenherausgebers zu verdanken, da mehrere Verschiebungen notwendig wurden. Die Fertigstellung des Bandes fiel schließlich in die Zeit der COVID-19-Pandemie, in deren Verlauf zunehmend Fragen zum zukünftigen Verhältnis digitaler und physischer Umgebungen nicht nur in der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek gestellt wurden. Aussagen über die langfristigen Folgen der Pandemie sind gegenwärtig nicht seriös zu treffen. Die in diesem Band behandelten Fra-

https://doi.org/10.1515/9783110402025-203

X  Vorwort des Autors

gen haben aber im Zuge einer fortschreitenden Digitalisierung der Lehre und dreier Semester mit wenig oder keinen Präsenzveranstaltungen und einem reduzierten Angebot physischer Lernräume in den Hochschulen eine neue Relevanz bekommen. Im Juni 2021 Olaf Eigenbrodt

Inhaltsverzeichnis Vorwort zur Reihe  V Vorwort des Reihenherausgebers  VII Vorwort des Autors  IX 1

Einleitung  1

2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.2.1 2.2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4

Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek im Wandel  13 Begriffliche Annäherungen  17 Lernen  18 Wissens- und Kompetenzerwerb  23 Wissensräume und Lernwelten  27 Wissensräume in Wissensgesellschaften  30 Von der Wissensgesellschaft zu Wissensgesellschaften  31 Wissensgesellschaften als Kontext für Wissensräume  35 Zur Evolution informeller Lernräume an Hochschulen  41 Bibliotheken und andere informelle Lernräume  43 Von PC-Pool zum Lernort – neue informelle Lernräume an Hochschulen  46 Lernwelt Hochschulbibliothek  50 Abschied von der Dichotomie formell – informell  51 Lernarchitekturen  51 Der Unterschied von Lehren und Lernen  55 Die Mythen der Dichotomie  57 Jenseits der Dichotomie  60

3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3

Theoretische Annäherungen an hochschulische Lernwelten  62 Lernen im Raum aus neurowissenschaftlicher Sicht  64 Annäherungen an Lernen in den Neurowissenschaften  65 Einflussfaktoren auf Lernprozesse im akademischen Umfeld  67 Mögliche Konsequenzen für hochschulische Lernwelten  71 Lernen im Kontext aus konstruktivistischer Sicht  75 Lernen als autopoietischer Prozess  77 Lernen im sozialräumlichen Kontext – situiertes Lernen  80 Möglichkeitsräume schaffen  84

XII  Inhaltsverzeichnis

3.3

3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3

Zur Konstitution von Wissensräumen  88 Exkurs: Raum als blinder Fleck systemtheoretischer Wissenskonzepte?  91 Raumkonstitution als prozessuale Handlung  93 Raumdeterminismus und Aneignung  97 Wissensräume – Lernwelten – Lernorte  103 Wissensraum Hochschule – Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek  111 Wissensräume und die Situiertheit von Lernen  113 Typologien und Facetten  116 Raumbezogenes Modell der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek  122

4 4.1 4.1.1 4.1.2 4.2 4.2.1 4.2.2 4.3 4.3.1 4.3.2

Empirische Annäherungen  132 Quantitative Beschreibung von Lernwelten als Problem  134 Lernen als Teil des Selbststudiums – verkürzte Perspektiven  137 Perspektiven quantitativer Ansätze  140 Qualitative Ansätze  143 Exemplarische Methoden  144 Vom Methodenmix zum iterativen Prozess  150 Forschungsdesign  151 Handlungs- und Wahrnehmungsmuster erkennen  152 Die Lernenden beteiligen  153

5 5.1 5.1.1

Voraussetzungen  156 Raumpraxis als didaktische Intervention  158 Der Raum als ‚Pädagoge‘ – zwischen Vorstrukturierung und Aneignung  159 Didaktik des Arrangements  163 Konzeption und Planung  166 Lernwelt Campus – Lernen im Mittelpunkt?  168 Konvergenz  171 Offene Gesellschaftliche Innovation als Ansatz zur Planung und Konzeption von Lernwelten  174 Organisation und Management der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek  195 Wem gehört die Lernwelt? Ownership und Verantwortung  196 Lernwelt als Prozess  199

5.1.2 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.3 5.3.1 5.3.2

Inhaltsverzeichnis 

6

Ausblick  202

Literatur  206 Abbildungsverzeichnis  214 Zum Autor  215 Register  217

XIII

1 Einleitung Wissenschaftliche Bibliotheken befinden sich seit den 1990er Jahren in einem tiefgreifenden Transformationsprozess, der sich sowohl auf die technischen als auch auf die wissenssoziologischen und ökonomischen Grundlagen ihrer Arbeit bezieht. Die damit verbundenen Veränderungen zu gestalten und für ihre Zielgruppen und Institutionen nutzbar zu machen, gehört seitdem zu den Hauptaufgaben ihrer Arbeit. So begleiten sie im Bereich der Informationsversorgung unterstützende Prozesse vom Forschungsdatenmanagement über Produktion und Publikation wissenschaftlicher Literatur bis hin zur retrograden Digitalisierung von gedruckten Werken. Klassische Bibliotheksdienstleistungen werden den Anforderungen eines digitalisierten Wissenschaftsbetriebes angepasst, hinterfragt und neu entwickelt. Die Spannweite reicht hier von der hybriden Literaturversorgung bis hin zu Schulungs- und Beratungsangeboten rund um informationsbezogene Kompetenzen. Der gesamte Zyklus wissenschaftlicher Arbeit von der Informationsbeschaffung und dem Management von Forschungsdaten bis zur Publikation und Forschungsinformationssystemen wird von Bibliotheken betreut und organisiert. Auch in Organisation und Management haben Wissenschaftliche Bibliotheken neue Kompetenzen erworben. Innovationsmanagement und partizipative Verfahren haben sich aus dem Bereich der ITEntwicklung kommend in der Produkt- und Dienstleistungsentwicklung von Bibliotheken verbreitet. Begleitet werden diese Entwicklungen von den bibliothekarischen Aus- und Fortbildungseinrichtungen und der Bibliotheks- und Informationswissenschaft an den Hochschulen. Auch das Thema Lernen ist unter verschiedenen Aspekten in die Arbeit von Wissenschaftlichen Bibliotheken eingeflossen. Einerseits sind sie als Anbieterinnen von Schulungen und Online-Kursen selbst zu aktiven Vermittlungsinstitutionen geworden. Diese Arbeit findet nicht nur in Eigenregie statt, sondern sie ist an vielen Hochschulen auch curricular eingebunden und unterstützt die Lehre zum Beispiel im Rahmen von Veranstaltungen zur Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten, zum wissenschaftlichen Schreiben und in fachlichen Propädeutika. Unter dem etwas sperrigen Schlagwort Informationskompetenzvermittlung wird dies aus inhaltlichen, technischen, didaktischen und organisatorischen Perspektiven in der Fachwelt breit diskutiert, in der Praxis erprobt und in der Ausbildung vermittelt. In Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen der Hochschulen wie Schreibbüros, Lernberatung, Medienzentren und dem Hochschulsport bieten Bibliotheken „Nächte der aufgeschobenen Hausarbeiten“ und andere Veranstaltungen an, die darauf ausgelegt sind, Lernprozesse zu unterstützen, Kompetenzen im wissenschaftlichen Schreiben zu vermitteln

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2  1 Einleitung

und Hilfestellung bei der konkreten Arbeit zu leisten. Dieser Aspekt der aktiven Vermittlung von Kompetenzen wird im vorliegenden Band bewusst ausgeklammert, nicht, weil die dafür notwendigen Lernarrangements kein Bestandteil der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek wären, sondern weil die Auseinandersetzung damit einen eigenen Band füllen würde. Wissenschaftliche Bibliotheken sehen sich insbesondere im hochschulischen Kontext heute allerdings nicht nur als Vermittlerinnen von informations- und medienbezogenen Kompetenzen, sondern auch als Lernorte, Lernräume und Lernzentren. Sie bauen die verfügbaren Arbeitsplätze quantitativ und qualitativ aus und diskutieren diese Konzepte innerhalb und außerhalb ihrer Hochschulen und der Fachwelt. Bibliotheken entwickeln sich immer stärker zu Lernzentren innerhalb der Hochschulen. In den letzten beiden Jahrzehnten sind vor allem die internationalen Entwicklungen zu Learning Commons und Learning Centers Inspiration und Treiber der Entwicklungen in Deutschland. Diese Konzepte weisen typische Strukturelemente auf, wie eine Vielfalt an Arbeitsplätzen und Zonierungen, die vor allem das Arbeiten in Gruppen unterstützen. Die Ausstattung (Mobiliar und Geräte) ist flexibel und anpassbar und die IT-Infrastruktur auf aktuellem technischen Stand. Ergänzt werden die Konzepte durch Services zu inhaltlichen und technischen Fragen. (Stang et al. 2020, 11)

Betrachtet man die Diskussionen allerdings genauer, so wird deutlich, dass häufig den von Bibliotheken entwickelten Strategien keine theoretisch ausgereiften Konzepte zugrunde liegen. Dies ist besonders im nichttechnischen Bereich auffällig. Die universitäre Bibliothekswissenschaft in Deutschland konzentriert sich vor allem auf die Aspekte der Digitalisierung und Fragen des Informationsmanagements. Soziale, pädagogische und auch kulturelle Fragen bleiben dahinter zurück. Dies führt dazu, dass soziologische und bildungswissenschaftliche Fragestellungen oft unterkomplex diskutiert werden und die genannten Transformationsprozesse ohne wissenschaftliche Reflektion gestaltet werden. Ein Beispiel dafür ist die Debatte um die Bibliothek als Ort. Während im Bereich der Öffentlichen Bibliotheken insbesondere der bis in die Kulturpolitik hinein populäre Begriff des Dritten Ortes verwendet wird, ohne dass das dahinter stehende Konzept in seinen soziologischen sowie kulturellen Implikationen und konzeptionellen Widersprüchen reflektiert würde, sehen sich Wissenschaftliche Bibliotheken heute als Lernort, ohne aber in der Regel erklären zu können, welches Lernen dort stattfindet und wie sich dieser ‚Ort‘ konstituiert: This phrase has been liberally used in the last fifteen years as if its meaning were transparent; however, there is no consensus on a definition. The terminology library as place has sometimes been used simply to differentiate the physical, or brick-and-mortar architectural and at times monumental embodiment of the library as opposed to the library as institutional entity. (Closet-Crane 2009)

1 Einleitung 

3

Der inflationären Verwendung von Begriffen wie Lernort stehen also keine theoretisch fundierten Konzepte gegenüber, die über die Feststellung hinausreichen, dass in den Räumen der Bibliothek gelernt wird. Argumentativ gestützt wird diese Feststellung in der Regel durch Statistiken, die schon seit Jahren steigende Besuchszahlen und eine längere Aufenthaltsdauer in den Räumen der Bibliotheken zeigen. In der Fachdiskussion wird schon seit Beginn dieser Entwicklung ein solches Theoriedefizit beklagt, das sich erstens auf die fehlende begriffliche Dimension und zweitens auf das Fehlen ausformulierter Modelle bezieht, die geeignet wären, den Anspruch der Wissenschaftlichen Bibliotheken, Lernort zu sein, zu begründen. An dieser terminologischen und konzeptionellen Problematik hat sich in den letzten zehn Jahren wenig geändert. Eine Ausnahme bildet hier das von der Hochschule der Medien Stuttgart und der Deutschen Initiative für Netzwerkinformation e. V. (DINI) initiierte Projekt Lernwelt Hochschule, an dem neben zwei Hochschulen mit bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Schwerpunkten auch zwei Hochschuleinrichtungen aus dem Bereich Bibliotheks- und Informationsversorgung beteiligt waren1. Die AG Lernräume der DINI setzt sich schon seit einigen Jahren intensiv mit Fragen rund um das Thema Lernen im Spannungsfeld physischer und digitaler Räume auseinander. Schaut man sich allerdings die Umsetzung neuer Lernumgebungen in Wissenschaftlichen Bibliotheken an, beobachtet man in der Regel einen gestalterisch-technischen Ansatz, keinen konzeptionell-pädagogischen. Doch sinnvolle Lernraumgestaltung erfordert mehr als nur (innen-)architektonische und informationstechnische Betrachtungen. Es geht vielmehr um das Zusammenspiel von Raumstruktur, technischer Infrastruktur, didaktischen Konzepten und organisatorischer Rahmung. Die Lernwelt Hochschule ist mehr als nur ‚Räume zum Lernen‘. (Stang et al. 2020, 12, H.i.O.)

Stang et al. zeigen hier vier äußere Dimensionen auf, unter denen hochschulische Lernwelten zu betrachten sind: – Raum – Technik – Didaktik – Organisation Hinzu kommt aber auch eine innere Dimensionierung der Lernwelt Hochschule, denn genauer betrachtet ist sie der Oberbegriff für unterschiedliche Lernwelten, die sich auf dem Campus und in seinem räumlichen, sozialen und digitalen 1 https://zukunftlernwelthochschule.de/.

4  1 Einleitung

Kontext befinden. Lernen findet in Hörsälen und Seminarräumen, Laboren und Werkstätten, digitalen Umgebungen und Bibliotheken sowie nicht zuletzt auch überall auf dem Campus statt, wo Lernende anderen Lernenden und/oder Lehrenden in unterschiedlichen und auch wechselnden Rollen begegnen. Diese unterschiedlichen Lernwelten haben – unter den oben genannten Dimensionen betrachtet – je andere räumliche Bedingungen, technische Infrastrukturen, didaktische Konzepte und organisatorische Einbindungen. Trotzdem ist es legitim, von einer Lernwelt Hochschule zu sprechen, denn einerseits erleben Studierende die unterschiedlichen Lernwelten als einen räumlichen und auch sozialen Zusammenhang ‚ihrer‘ Hochschule beziehungsweise ‚ihres‘ Campus und andererseits existieren diese Lernwelten nicht isoliert nebeneinander, sondern sind durch gegenseitige Abhängigkeiten, gemeinsame Räume und Infrastrukturen und kommunikative Netzwerke miteinander verbunden. Greifen Studierende in der Cafeteria auf ihre Lernplattform zu oder absolvieren sie in der Bibliothek einen Online-Kurs, vermischen sie die Lernwelten, schaffen neue Verbindungen und heben räumliche, institutionelle und mediale Grenzen auf. Die Lernwelt Hochschule besteht also zunächst aus vielen ineinandergreifenden, sich überlagernden und in verschiedene Richtungen offenen Lernwelten. Spricht man von einer Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek, gilt es zunächst, die von Stang genannten institutionellen, räumlichen, technischen und pädagogischen Dimensionen zu berücksichtigen. Zum einen gehören Wissenschaftliche Bibliotheken, soweit es sich um Hochschulbibliotheken handelt, zumindest in Deutschland zu den explizit öffentlichen Räumen einer Hochschule, da sie in der Regel auch für Externe zugänglich sind; dasselbe gilt für Staatsund Landesbibliotheken. Zum anderen sind Bibliotheken nicht nur Lernwelten, sondern auch Speicher- und Verteileinrichtungen wissenschaftlicher Information. Aufgrund der Bedeutung von Kommunikation für das System Wissenschaft nehmen Bibliotheken als Wissensräume traditionell eine zentrale Rolle innerhalb von Wissenschaftlichen Institutionen ein. Diese Rolle hat sich in den letzten Jahren allerdings stark verändert, da die Digitalisierung wissenschaftlicher Information die Ortsgebundenheit der Wissenschaftlichen Bibliothek in den Hintergrund zu rücken scheint. Digitalisierung bedeutet aber keineswegs eine Negierung des Raums. Durch die Verbindung von Mobilität und ständiger Verfügbarkeit bekommen digitale Räume einen ubiquitären Charakter und multiplizieren sich im ‚überall gleichzeitig‘ und ‚gleichzeitig überall‘. Dadurch nähern sich digitale Räume untereinander sowie physische und digitale Räume einander an (Konvergenz) und durchdringen sich gegenseitig (Mersch 2014, 54–55). Auch dort, wo in Bibliotheken gelernt und gearbeitet wird, sind die digitalen Informationen omnipräsent und prägen wesentlich die Raumwahrnehmung mit. E-Learning findet immer in physischen Räumen und keineswegs in ‚virtuellen‘ Räu-

1 Einleitung



5

men statt. Denn einerseits sind lernende Menschen körpergebunden und müssen sich zwangsläufig einen Ort zum Lernen suchen und andererseits findet auch im digitalen Raum eine kommunikative Verbindung von Lernenden untereinander sowie zu Lehrenden statt, die genauso ‚real‘, wenn auch anders konnotiert ist, wie die körperliche Begegnung im Raum. Zu klären ist daher, was es überhaupt bedeutet, im Raum zu lernen und welche Konzepte von Raum und Lernen dahinterstehen. Will man sich der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek nähern, so geht es insbesondere um die Zusammenhänge von Lernen und Raum in Wissenschaftlichen Bibliotheken, aber auch um Fragen der Gestaltung und Organisation dieser Lernwelt. Einerseits beschreibt also die Betrachtung der Wissenschaftlichen Bibliothek als Lernwelt diese nie vollständig, da sie als nach Außen entgrenzter und vernetzter Wissensraum wesentlich mehr Funktionen und Dimensionen aufweist, als ‚nur‘ Lernwelt zu sein, andererseits ist das Konzept Lernwelt aber wesentlich komplexer als es der Begriff Lernort Bibliothek zu fassen vermag. Dies fängt schon beim Begriff des Lernens an. Einerseits lernen Menschen aufgrund der neuronalen Struktur ihrer Gehirne ständig – ein Nicht-Lernen existiert genauso wenig, wie ein Nicht-Denken – andererseits kann der Anspruch, explizit eine Lernwelt oder auch nur ein Lernort zu sein, nur begründet werden, wenn dahinter auch ein Konzept von dem steht, was das Lernen in genau diesem Zusammenhang beziehungsweise an genau diesem Ort spezifisch von anderen Formen und Typen des Lernens unterscheidet. Dabei geht es, wie bei Stang et al. (2020) schon zu erkennen war, entgegen der landläufigen Meinung nicht um Einrichtungsgegenstände: Some features of a learning-centered design – with the generous provision of group study spaces and information and learning commons chief among them – are now regular features of library planning. It is far from clear that our concern with learning goes much beyond these features, however, or that a systematic understanding of learning deeply informs our design work. (Bennett 2009)

Hinzu kommt, dass nicht nur das Konzept von Lernen oft unklar oder unterkomplex ist, sondern auch das vom Raum. Wie oben bereits angedeutet, sind „Raum und Räumlichkeit […] als gegebene Voraussetzung menschlichen Tuns nicht angemessen zu fassen – und somit auch nicht als fixer und vorgegebener Behälter pädagogischen Tuns“ (Kessl 2016, 10). Zwar hat sich mittlerweile unter anderen dank der oben erwähnten DINI-Arbeitsgruppe herumgesprochen, dass das von Kessl angesprochene Behälterraumkonzept nicht geeignet ist, die Komplexität räumlicher Zusammenhänge in Lernräumen zu beschreiben, ein konsistentes und theoretisch belastbares Konzept der Bibliothek als sozialer und/oder pädagogischer Raum ist aber weder in der Fachdiskussion, noch in der Pla-

6  1 Einleitung

nungspraxis bisher zu erkennen. So identifizieren Gläser und Gageur (2019, 180) für das von der HdM Stuttgart initiierte Projekt Lernwelt Hochschule verschiedene Untersuchungsgegenstände, die daraus resultierende implizite Definition der Lernwelt ist aber eher additiv als integrativ. Physischer Raum, digitaler Raum, Lernprozesse und Kontext werden getrennt voneinander betrachtet, Studierende als lernende Individuen werden an dieser Stelle gar nicht erwähnt. Ziel des vorliegenden Bandes ist es in diesem Kontext nicht, eine einzelne Frage zu beantworten, etwa, was denn die räumlichen Voraussetzungen idealer hochschulischer Lernwelten sind. Dies wäre vor dem Hintergrund der Vielschichtigkeit von Lehr- und Lernprozessen an Hochschulen ein nicht einlösbarer Anspruch. Vielmehr geht es darum, die theoretischen Grundlagen für aktuelle Entwicklungen und Tendenzen im Umfeld hochschulischer Wissensräume aufzuzeigen. Dies erfolgt mit zwei besonderen Fokussen, zum einen auf selbstorganisiertes, nicht formalisiertes Lernen und zum anderen auf Bibliotheksräume, wobei auch die Frage zu stellen sein wird, ob die Hochschulbibliothek eine Sonderstellung beanspruchen kann und welche Spezifika sie gegebenenfalls als Lernwelt gegenüber anderen hochschulischen Lernwelten auszeichnen. Die Beschreibung der Wissenschaftlichen Bibliothek als Lernwelt erfordert die Beantwortung von fünf Fragen: – In welchem begrifflichen, historischen und sozialen Kontext bewegen wir uns, wenn wir von der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek sprechen, welche Wandlungsprozesse stehen dahinter? – Wie lernen wir, welche Arten zu lernen gibt es und welches Konzept von Lernen funktioniert als Arbeitsgrundlage für die Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek? – Wie konstituieren sich eigentlich Räume als Wissensräume und in welchem Verhältnis stehen diese zu Lernwelten? – Wie sieht die Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek in ihrer räumlichen Ausdehnung konkret aus und wie kann man sich ihr weiter annähern? – Welche Aufgaben kommen auf uns zu, wenn wir die Wissenschaftliche Bibliothek als Lernwelt reklamieren und wie können wir der damit verbundenen Verantwortung gerecht werden? Zur Beantwortung dieser Fragen wurde ein Forschungsansatz gewählt, der der Vielschichtigkeit des Untersuchungsgegenstandes mit einer Verschränkung von Erkenntnissen aus der neurowissenschaftlichen und pädagogischen Lernforschung sowie der sozialwissenschaftlichen Raumforschung begegnet. Es geht hierbei zunächst um eine theoretische Grundlegung für die weitere Forschung in Form eines Erklärungsmodells, das das Beziehungsgeflecht von individuellen, lernprozessbezogenen, raumbezogenen und kontextbezogenen Facetten in

1 Einleitung 

7

seiner räumlichen und zeitlichen Dimension darstellt. Die These hierzu lautet, dass die komplexen Aneignungsprozesse von Wissen (Lernen) und Raum (Synthese) sich in der Konstitution von Lernräumen miteinander verbinden und dabei das lernende Individuum als treibende Kraft der Konstitutions- und Aneignungsprozesse im Zentrum steht. In einem exemplarischen Überblick publizierter Studien zu Lernen und Raum in Bibliotheken werden danach mögliche Anknüpfungspunkte des vorgeschlagenen Modells an die empirische Forschung zum Thema aufgezeigt und ein ganzheitliches Forschungsdesign für zukünftige Untersuchungen der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek skizziert. Abschließend werden die von Stang et al. (2020) aufgemachten organisatorischen Dimension in den Blick gerückt, um Konsequenzen für die Konzeption und Gestaltung sowie den Betrieb der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek aufzuzeigen und die Verantwortung der Beteiligten zu diskutieren. Dabei geht es in erster Linie um eine theoretische Durchdringung. Der vorliegende Band versteht sich explizit weder als Handbuch im Sinne einer enzyklopädischen Beschreibung, noch als Anleitung zur empirischen Untersuchung, zur Planung und Gestaltung oder zum Management von hochschulischen Lernwelten oder Lernräumen. Vielmehr soll hiermit eine Grundlage für die weitere Diskussion des Themas sowohl mit den Mitteln der empirischen Forschung – etwa in der Untersuchung einzelner Facetten – als auch in der Fachdiskussion um die strategische Ausrichtung und das Management von Wissenschaftlichen Bibliotheken geschaffen werden. Dem Forschungsansatz entsprechend wurde für diese Untersuchung Literatur aus unterschiedlichen Fachgebieten herangezogen. Dies ist aber auch der Tatsache geschuldet, dass weder in der pädagogischen noch in der sozialwissenschaftlichen Literatur zu Bibliotheken umfassende Betrachtungen zum Lernen oder zum Raum beziehungsweise zur Verschränkung der beiden Aspekte zu finden sind. Betrachtet man die bibliothekarische Auseinandersetzung mit der geschilderten Fragestellung genauer, so sind zwei grundsätzliche Probleme erkennbar: Beinahe alle Publikationen und auch viele Vorträge zum Thema nennen einen theoretischen Hintergrund, mit dem sie sich allerdings bei näherem Hinsehen meist nur oberflächlich auseinandergesetzt haben. Viel zu oft müssen wenige, immer wieder wiederholte, Bruchstücke raumsoziologischer und lerntheoretischer Ansätze als Erklärungsmodell beziehungsweise theoretische Grundlage herhalten, dies gilt auch für die internationale bibliothekswissenschaftliche Forschung, die im deutschsprachigen Raum nur mit sehr wenigen Autorinnen und Autoren präsent ist. Prominent ist hier zum Beispiel der bereits erwähnte Diskurs um die Bibliothek als Dritter Ort. Das zweite Problem ist, dass es zwar einen groben theoretischen Rahmen gibt, der auch praxisnah genug ist, in konzeptionelle Ideen oder sogar konkrete

8  1 Einleitung

Anwendungsszenarien übertragen zu werden, dass aber genau diese Übertragung nicht oder nur teilweise stattfindet. Die Situation in Deutschland bei den Lernraumentwicklungen in Hochschulen ist fragmentiert und weit entfernt von einer erkennbaren systematischen Lernraumstrategie. Eine ganze Reihe von Hochschulen hat bereits internationale Impulse zur Lernraumgestaltung aufgenommen und diese durch bauliche und infrastrukturelle oder organisatorische Maßnahmen umgesetzt. Oft sind die Lernraumakteure in den Hochschulbibliotheken oder in anderen Serviceeinrichtungen zu finden. (Gläser/Gageur 2019, 179)

Die bisher einzige umfassende in Deutschland erschienene Studie, die sich mit Raumtheorie und Bibliotheken auseinandersetzt ist Edingers Dissertation zum Wissensraum Bibliothek (Edinger 2015). Auch Edinger bemerkt das auffallende Theoriedefizit in der deutschsprachigen Debatte: „Umfassende Analysen des Bibliotheksraumes, welche die materiellen und sozialen Strukturen gleichermaßen berücksichtigen, gibt es bisher nicht“ (Edinger 2015, 54). Bei Edingers Arbeit aus der soziologischen Raumforschung handelt es sich um eine vergleichende Fallstudie, in der unterschiedliche Bibliotheken in Konstanz und Oxford betrachtet werden. Edinger richtet die Auswahl der Bibliotheken für ihre Studie zwar an Kategorien aus, vor dem Hintergrund des jeweiligen Kontextes – Konstanz ist im Gegensatz zu Oxford ein sehr junger Hochschulstandort mit einer anderen Identität und Tradition – und in der Wahl der Bibliothekstypen erscheint ihre Wahl jedoch eher willkürlich (Edinger 2015, 82–83). Ihre Forschungsfragen beziehen sich auf den Zusammenhang von Wissen und Raum, auf die Konstituierung von Wissensräumen im Zusammenspiel von sozialem Kontext und Vorstrukturierung sowie auf von ihr festgestellte sakrale beziehungsweise rituelle Strukturen, die in Wissenschaftlichen Bibliotheken (noch) Wirksamkeit entfalten (Edinger 2015, 15). Auch wenn das Erkenntnisinteresse Edingers auf den Zusammenhang von Raum und Wissen ausgerichtet ist und daher Lernprozesse nicht im Zentrum ihrer Betrachtung stehen, kommt sie dennoch zu wichtigen Ergebnissen hinsichtlich des konstitutiven Zusammenhangs von Raum und Wissen und der zentralen Rolle des Individuums hierbei, auf die an mehreren Stellen zurückgekommen werden soll. Die Betonung der Bedeutung des Lernraums beziehungsweise Lernorts in der Fachdiskussion bei gleichzeitigem Fehlen umfassender Untersuchungen zum Thema deckt sich mit der Situation in den Erziehungswissenschaften. Auch hier wird in der Literatur der letzten Jahre häufig das Fehlen einer ausreichenden theoretischen Reflektion des Raumbegriffs aus einem spezifisch pädagogischen Erkenntnisinteresse heraus beklagt und insbesondere die disziplinäre Abgrenzung zu den Sozialwissenschaften und zur Humangeographie gesucht (Kessl 2016, 15). Hier stellt sich die Frage nach einer disziplinären

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Abgrenzung einer räumlich ausgerichteten Pädagogik beziehungsweise Bildungswissenschaft von den klassischen Raumwissenschaften. Dies ist aus bibliothekswissenschaftlicher Perspektive aufgrund des unsicheren disziplinären Charakters der Bibliothekswissenschaft insgesamt noch vielschichtiger. Als Teil eines umfassenderen Wissensraums (Wissenschaftliche Institution) oder einer umfassenderen Lernwelt (Hochschule) wäre die Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek zusätzlich zu den sozialwissenschaftlichen und/oder humangeographischen Aspekten entweder Gegenstand einer wissenssoziologischen oder einer hochschulpädagogischen Betrachtung. Will man sie aber in allen vier von Stang et al. (2020) genannten Dimensionen untersuchen, entzieht sich dies einer disziplinären Zuordnung. Eine pädagogisch und/oder soziologisch ausgerichtete Bibliothekswissenschaft kann hier Beiträge leisten und ist in der Lage, theoretische Grundlagen in die Fachdiskussion einzubringen. Dabei ist aufschlussreich, dass im Bibliothekswesen zwar viel von physischen aber auch digitalen Räumen gesprochen wird, dass eine explizite topologische Wende oder Forschungsrichtung allerdings nicht zu beobachten ist. Dies geht einher mit einem generellen Defizit eigenständiger sozial- und kulturwissenschaftlicher Betrachtung, die zumindest im deutschsprachigen Raum einem seit zwanzig Jahren vorherrschenden informationwissenschaftlichen Paradigma der institutionalisierten Bibliothekswissenschaft geschuldet ist. Insofern handelt es sich bei diesem Band zwar um eine bibliothekswissenschaftliche Monographie; aufgrund des relativ weit gesteckten Rahmens wäre er aber auch einem bildungswissenschaftlichen oder raumsoziologischen Kontext zuzuordnen. Wesentliche Impulse wurden in der vorliegenden Arbeit aus der englischsprachigen Literatur aufgenommen. In Bezug auf die lerntheoretischen Zusammenhänge vor allem aus den zwei Überblicksstudien How People Learn des National Research Council (National Research Council 2000; National Research Council 2018). Zum Thema Lernen und Raum in Hochschulen und Bibliotheken ist die Literaturlage wesentlich fruchtbarer als im deutschsprachigen Raum, da hier sowohl im Bereich der bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Journals, zu nennen wäre hier zum Beispiel das Journal of Learning Spaces, als auch in der Buchproduktion sehr viele Artikel und Bände erschienen sind. Neben der sehr umfassenden, aus Sicht einer Hochschulplanerin geschriebenen Monografie von Boys (Boys 2011) sind hier vor allem die Sammelbände von Oblinger (Oblinger 2006) sowie die neueren von Matthews und Walton zu nennen. Der 2016 erschienene Band der beiden britischen Bibliothekswissenschaftler ordnet den Zusammenhang von Hochschulbibliotheken und Raum vor dem Hintergrund der digitalen Transformation ein (Matthews/Walton 2016), der zweite Band betrachtet das Thema informeller Lernräume im größeren Kontext der Hochschule (Matthews/Walton 2018).

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Unter den deutschen Veröffentlichungen wurden insbesondere die Sammelbände und Monografien zur systemisch-konstruktivistischen Pädagogik und der daraus abgeleiteten Ermöglichungsdidaktik intensiver rezipiert, da hier direkte Zusammenhänge zur neurowissenschaftlichen Lernforschung einerseits und zur Raumtheorie andererseits hergestellt werden (Arnold 2016a; Arnold 2016b; Nuissl/Nuissl 2015). Dabei wurden auch die Kritik und die Widersprüche einer systemisch-konstruktivistischen Herangehensweise in die Überlegungen einbezogen und für die Diskussion der theoretischen Grundlagen fruchtbar zu machen versucht. Ein weiterer, Raum und Lernen unmittelbar verbindender Ansatz ist das Konzept der Aneignung von (Lern-)räumen, das insbesondere im Bereich der Sozialpädagogik eine große Rolle spielt (Deinet/Reutlinger 2004). Einige der bisher erschienenen Bände aus der Reihe Lernwelten wurden auch für grundlegende Überlegungen zur Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek herangezogen, insbesondere der erste Band (Stang 2016). Auf eine übergreifende historische Einordnung des Raumbegriffes wurde in diesem Band bewusst verzichtet, da eine solche entweder bereits hinlänglich erörtert oder aber sehr einfach zugänglich ist. Beinahe alle grundlegenden Veröffentlichungen zur soziologischen Raumtheorie und deren Methoden haben dies aus der je eigenen Perspektive schon geleistet. So etwa Läpple (1991), Löw (2001) und Schroer (2006) aus soziologischer Perspektive, Kazunari (2016) vor dem Hintergrund der Naturphilosophie oder auch Sturm (2000) aus einer materialistisch eingefärbten Sichtweise für die Stadt- und Landschaftsplanung. Nicht zuletzt haben Dünne et al. (2006) eine Sammlung von Grundlagentexten zur Raumtheorie vorgelegt. Alle diese Autorinnen und Autoren beziehen sich weit überwiegend auf die westliche Tradition, angefangen bei den Raumdebatten der antiken griechischen Philosophie über Aristotelismus und Neuplatonismus bis zur Aufklärung und schließlich der Moderne und Postmoderne. Demgegenüber steht der in den USA breiter rezipierte Ansatz von Tuan (1977), der bereits in den 1970er Jahren auch Raumvorstellungen aus dem ostasiatischen Kulturkreis in seine Überlegungen einbezog. Wo es für den Zusammenhang der Argumentation wichtig ist, wird aber erläuternd auf die bekannten Konzepte zurückgegriffen. Das erste Kapitel dieses Bandes wird sich intensiver mit den spezifischen Wandlungsprozessen auseinandersetzen, denen die Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek unterworfen ist, beziehungsweise die dazu geführt haben, dass wir heute von der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek sprechen. Besonderer Raum wird dabei zunächst einigen Begriffsklärungen eingeräumt, da sie die geschilderten Prozesse illustrieren und schon Hinweise auf die detailliertere theoretische Auseinandersetzung in den folgenden Kapiteln liefern. Wesentlich für den Wandel Wissenschaftlicher Bibliotheken sind neben der technischen Entwick-

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lung und der technologischen Debatte darüber gesellschaftliche Veränderungen, die mit dem Erklärungsmodell der Wissensgesellschaften eingeordnet werden sollen. Bevor eine Auseinandersetzung mit der traditionellen Dichotomie formellen und informellen Lernens im hochschulischen Kontext und Strategien zu deren möglicher Überwindung stattfindet, soll die Entwicklung von informellen Lernräumen betrachtet werden, deren wichtigste Materialisierung Wissenschaftliche Bibliotheken sind. Es soll gezeigt werden, dass Bibliotheksräume nicht ausschließlich aufgrund technischer (mobiles Arbeiten) oder hochschulpolitischer (Bologna-Reform) Entscheidungen „plötzlich“ zu Lernräumen umdefiniert wurden, sondern dass das Lernen in der Bibliothek in einer längeren Traditionslinie steht und sich die heutige Situation und Sichtweise evolutionär entwickelt haben. Ziel des Bandes ist es, wie bereits ausgeführt, pädagogische und neurowissenschaftliche Lerntheorie sowie soziologische Raumforschung auf den Zusammenhang von Lernen, Raum und Individuum hin zu untersuchen und daraus ein Modell für die Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek abzuleiten. Dementsprechend bildet dies auch den Hauptteil der Überlegungen. Dabei ist die Verbindung digitaler und physischer Räume zu hybriden, fraktalen Räumen immer mitgedacht. Allerdings spielen die Übergänge zwischen den durch mobile Geräte gestützten digitalen Lernräumen und physischen Lernräumen eine untergeordnete Rolle. Hier sei auf den von Thissen herausgegebenen Sammelband in der Reihe Lernwelten verwiesen (Thissen 2017). Im vorliegenden Band werden zunächst neurowissenschaftliche Erkenntnisse zum Lernen generell in den Blick genommen und über Wahrnehmung und Mustererkennung Schlüsse zur Verbindung von Raum und Lernen gezogen. Dies spielt, wie sich zeigen wird, auch in der Neurodidaktik eine große Rolle. Daran anknüpfend werden systemisch-konstruktivistische Konzepte vom Lernen als autopoietischen Prozess der konstituierenden Wissensaneignung betrachtet. Die darauf basierende Ermöglichungsdidaktik gibt erste Hinweise auf die Art der didaktischen Intervention in Räumen für selbstorganisiertes Lernen. In diesem Zusammenhang wird auch das situierte Lernen als Lernen in sozial definierten Räumen beleuchtet. Entscheidend für die weitere Argumentation ist die Verbindung von Wissen und Raum, die nur durch das lernende Individuum hergestellt werden kann. Dazu gilt es erstens, den Raum als relationalen Raum zu verstehen, der nicht a priori, sondern erst in der Konstitution durch das Individuum entsteht und zweitens die Rolle der räumlichen Vorstrukturierung für diesen Prozess aufzuzeigen. Neben den Konstitutionshandlungen spielt für ein Verständnis des Zusammenspiels von selbstorganisiertem Lernen und Raum aber auch das Thema der Aneignung von Raum und von Wissen sowie von mit Wissen und Raum verbundenen Kompetenzen eine Rolle. Im Ergebnis dieser

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Überlegungen steht kein geschlossener Lernraumbegriff, sondern ein multifacettiertes Konzept zur räumlichen Ausdehnung der Wissenschaftlichen Bibliothek unter dem Aspekt einer Lernwelt. Die Frage, wie die Facetten des vorgeschlagenen Modells sich in empirischen Untersuchungen zur Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek niederschlagen, wird im darauffolgenden Kapitel erörtert. Eine besondere Herausforderung stellen in diesem Zusammenhang quantitative Ansätze dar, da es hier schwierig ist, die Komplexität der Zusammenhänge von raum- und lernbezogenen Aneignungsprozessen, Individuum und Kontext zu erfassen. Dies soll an einem prominenten Beispiel erläutert werden, bevor etwas ausführlicher exemplarisch ausgewählte qualitative Methoden in den Fokus rücken und sie hinsichtlich ihrer Ergebnisse betrachtet werden. Basierend auf der Erkenntnis, dass die unterschiedlichen Facetten der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek in ihren Zusammenhängen nur mithilfe einer integrierten Kombination verschiedener Methoden betrachtet werden können, wird abschließend ein mögliches Forschungsdesign skizziert. Das letzte Kapitel des Bandes setzt sich mit den didaktischen, planerischen, und organisatorischen Voraussetzungen der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek auseinander. Dazu wird zunächst die Entwicklung von einer Raumpädagogik hin zu einem Ansatz, der als didaktisches Arrangement bezeichnen werden kann, genauer beleuchtet. Wie aber können solche lernendenzentrierten Umgebungen für selbstorganisiertes Lernen im baulichen und institutionellen Kontext von Hochschulen entstehen, was bedeutet das für die Rolle der Hochschulbibliotheken in diesen Prozessen und wie ist die Konvergenz digitaler und physischer Umgebungen als eine zentrale Eigenschaft von Lernwelten zu verstehen? In der Beantwortung dieser Fragen wird Offene Gesellschaftliche Innovation als integrierender und partizipativer Ansatz der Planung hochschulischer Lernwelten vorgeschlagen. Abschließend wird dann der Unterschied zwischen ownership und didaktischer Verantwortung auch hinsichtlich des Managements hochschulischer Lernwelten erläutert. Die Erkenntnis, die am Ende dieses Kapitels steht, trifft auch auf den Band insgesamt zu: Die Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek befindet sich in einem ständigen Wandel. Bibliotheken müssen sich der Verantwortung stellen, diesen Wandel zu begleiten, indem sie Evaluation, Planung und Management als iterativen Prozess begreifen und organisieren und dabei die Lernenden in den Mittelpunkt ihrer Reflektion, ihrer Konzepte und ihres Handelns stellen.

2 Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek im Wandel In der deutschsprachigen Literatur werden als Gründe für den Wandel von Hochschulbibliotheken zu Lernräumen in der Regel technische Entwicklungen im Umfeld der Digitalisierung und – aus hochschulpolitischer Perspektive – der Bologna-Prozess zur europäischen Harmonisierung von Studiengängen und Hochschulabschlüssen genannt (Braun 2010). Dabei bleibt allerdings unklar, inwieweit die aus dem Bologna-Prozess resultierende Einführung des Bachelorund Mastersystems tatsächlich zu einer neuen Auffassung des Lernens an der Hochschule geführt hat. Aus der Perspektive kritischer Beobachtung der Praxis könnte man – insbesondere in Hinblick auf die Bachelor-Studiengänge – auch die These aufstellen, dass diese Reform eher nicht zu neuen Lehr- und insbesondere auch Lernformen geführt, sondern ein, durch das ECTS-Punktesystem unterstütztes, input-orientiertes Lehr- und Lernumfeld geschaffen hat. Eine „Verschulung“ des Studiums wird dabei durch Lernplattformen unterstützt, die Lehrmaterialien, meist in Form von eingescannten Texten, Beiträgen aus Journals oder einzelnen Kapiteln aus E-Books, in Ausschnitten digital verfügbar machen. Auf diese Weise wird der Lernprozess auch außerhalb der Lehrveranstaltungen stark vorstrukturiert und verläuft wenig eigenverantwortlich. Ergänzend legen auch die vom Deutschen Zentrum für Hochschulentwicklung per Selbstauskunft von Studierenden ermittelten Zahlen nahe, dass die quantitativen Auswirkungen der Bachelor- und Masterstudiengänge auf das selbständige Lernen insgesamt geringer sind, als landläufig behauptet wird (Vogel et al. 2019, 10). Weder diese, nur teilweise belastbaren Zahlen (siehe dazu Kapitel 3.2) noch die Veränderungen der Studienorganisation liefern also überzeugende Begründungen dafür, warum sich Lernwelten wie die Hochschulbibliothek ändern sollten. Die mit der Digitalisierung verbundenen tiefgreifenden Veränderungen des Medienangebots von und der Mediennutzung in Hochschulbibliotheken sind unbestritten. Die Hochschulbibliothek als Wissensraum kann dadurch ein hohes Innovationspotential in Bezug auf Dienstleistungen und Räume freisetzen, aber auch hier erschließt sich noch keine direkte Verbindung zum Lernverhalten Studierender. Seit den Anfängen der Digitalisierung von wissenschaftlicher Information in Forschung und Lehre wird vielmehr in regelmäßigen Abständen die Frage aufgeworfen, inwiefern es denn noch physische Lehr- und Lernumgebungen in Hochschulen brauche, da Lernen und Arbeiten im digitalen Raum potentiell von den traditionellen Räumen entkoppelt seien und überall stattfinden könnten. Hier gilt dann allerdings, dass überall faktisch nirgends ist, da https://doi.org/10.1515/9783110402025-002

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der Mensch als physische Entität zwangsläufig ein Volumen im Raum einnimmt und um sich herum einen Raum definiert. Der daraus abgeleitete Kurzschluss, jeder Ort, an dem gelernt wird, würde aufgrund dieser Tatsache zu einem Lernort, ist weder aus pädagogischer noch aus raumtheoretischer Sicht befriedigend und für eine ernsthafte und verantwortungvoll geführte Debatte auch nicht akzeptabel. So banal dies klingt, ist es doch wichtig, im Zusammenhang mit digitalem Lernen und digitaler Lehre darauf hinzuweisen, dass auch diese im physischen Raum stattfinden. Ob sich Hochschulen dann mit Verweis auf die digitalen Angebote ihrer Verantwortung für den räumlichen Aspekt der Lernarrangements entziehen möchten oder nicht, ist letztendlich eine bildungspolititsche Frage. Beide Debatten, die hochschulpolitische und die technologische werden sehr stark aus der institutionellen Perspektive geführt. Naheliegender scheint es zu sein, nicht nur die Organisation oder die Medien von Lehre und Lernen in den Blick zu nehmen, sondern das Lernen als Prozess selbst: Gruppen-, team- und projektorientiertes Arbeiten haben einen starken Anteil in der Hochschulausbildung gewonnen. Die kommunikativen und sozialen Anforderungen an die Studierenden sind entsprechend hoch und damit einher gehen aktivierende Lernformen, die den Anteil praktischer Mitarbeit erhöhen. (Gläser 2008, 172)

Die von Gläser hier beschriebene, didaktisch motivierte Veränderung der hochschulischen Lehr- und Lernformen liefert erste Hinweise auf einen Wandel, der über äußere Einflüsse hinausgeht und im System der Hochschule selbst angelegt ist. Kollaboratives Arbeiten, Interaktion, aktivierendes Lernen und praktische Mitarbeit heben sich von der klassischen Hochschullehre deutlich ab, scheinen aber andererseits auch noch nicht so verbreitet zu sein, wie es in der Literatur häufig behauptet wird oder wie es die intensiv geführte Debatte um die Hochschulbibliothek als Lernort – zu der bis zu einem gewissen Maße auch der vorliegende Band gehört – nahelegen mag. Dies hat auch etwas damit zu tun, wie Lernen in der Hochschule räumlich organisiert ist. Long und Ehrmann beschreiben die Rolle des Raums beim Wandel hochschulischen Lehrens und Lernens anhand der klassischen Seminarräume: Part of the problem may be the classrooms in which those students were taught: certain kinds of spaces make it too easy to teach by “delivery” – broadcasting knowledge from the instructor’s mouth toward the student’s brain – while making it awkward to teach in ways that, research suggests, can produce deeper, more lasting learning. (Long/Ehrmann 2005, 42, H. i. O.)

Es genügt also nicht, Studienpläne zu überarbeiten, neue Technik zu etablieren oder die Lehrbuchsammlung auf E-Books umzustellen, um neues Lernen zu er-

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möglichen. Der Raum ist ein wesentlicher Einflussfaktor für den Lehr- und Lernprozess an der Hochschule, insbesondere, wenn man das Ziel verfolgt, Lernen so zu gestalten, dass es neueren Erkenntnissen entspricht. Arnold sieht die klassische Input-Orientierung in der Didaktik mehr und mehr durch einen Paradigmenwechsel zur Outcome-Orientierung in Frage gestellt. Was unterscheidet die beiden Ansätze? Es geht bei der Outcome-Orientierung nicht mehr in erster Linie darum, welchen Lernstoff Studierende vermittelt bekommen und in Prüfungssituationen wieder abrufen können, sondern inwiefern sie durch Lernprozesse in einem umfassenderen Sinn Wissen und Kompetenzen erwerben, die Teil ihrer individuellen Bildungsbiographie werden, ihnen selbständiges Agieren im fachliche Kontext ermöglichen und darüber hinaus letztendlich auch zu ihrer Persönlichkeitsbildung beitragen (Arnold 2016b, 26). Während also eine von Input-Orientierung geleitete Didaktik informationsorientiert ist und auf schnell erreichbare, messbare sowie allgemeingültige Lernerfolge hinarbeitet, verfolgt eine von Outcome-Orientierung geleitete Didaktik das Ziel einer nachhaltigen, wissens- und kompetenzbasierten, im Ansatz ganzheitlichen Bildung des Individuums. In Zeiten einer allgegenwärtigen Nachhaltigkeitsdebatte im Bildungsbereich geraten solche Ansätze schnell in den Verdacht, Teil des Marketings einer Hochschule oder eines Studienganges zu sein, der mit der Realität des Studiums wenig bis gar nichts zu tun hat. Und oft genug scheint es auch genauso zu sein. Selbstlernphasen und Selbststudium werden als Elemente eines neuen didaktischen Ansatzes dargestellt und im Bereich der digitalen Lehre wird die Bereitstellung von Lehrmaterialien auf einer Lernplattform schon als Schritt in die Zukunft des Lernens gesehen. Entweder wird die Verantwortung für den Lernprozess also einfach auf die Studierenden übertragen, ohne dass man sich von der Vorstellung studentischen Lernens als Anhängsel der Lehre verabschiedet oder vorhandene Lernarrangements werden in den digitalen Raum erweitert, ohne dass sie sich grundsätzlich ändern. Es stellt sich also die Frage, wie hochschulische Lernwelten aussehen müssen, wenn in ihnen und mit ihnen ernsthaft der Wandel von einer Input-Orientierung zu einer Outcome-Orientierung verfolgt werden soll. Auf politische und technologische Rahmenbedingungen wie Studiengangsreformen und die Digitalisierung zu reagieren ist die eine Seite, vielmehr sollte aber im Vordergrund stehen, wie die verschiedenen institutionellen Akteurinnen und Akteure an der Hochschule aktiv zu einem solchen Wandel beitragen können. Rückt man die Studierenden und deren Bedürfnisse als Hauptzielgruppe hochschulischer Lernwelten in den Mittelpunkt der Betrachtung, so wird darüber hinaus deutlich, dass sie sich nicht nur in ihrem Umgang mit Technik all-

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gemein und Medien im Besonderen von vorhergegangenen Generationen unterscheiden, sondern auch in ihrer Interaktion und Kommunikation. Students today are highly social, and maintain close connections with friends, peers, and faculty, both face-to-face and online, throughout the day, and even during the active learning process. Students greatly value this degree of social interaction, and expect their college experiences to facilitate and promote connectivity. (McLane/Dawkins 2014, o. S.)

Auch wenn die sozialen Beziehungen an Hochschulen im angelsächsischen Raum generell anders angelegt sind, können soziale Interaktion und Austausch mit Peers und Lehrenden auch hierzulande zugleich wesentliche Motivatoren und adäquates Mittel für Lernprozesse im hochschulischen Bereich sein. Deutlich geworden sind diese Zusammenhänge während des Shutdowns der Hochschulen im Zuge der COVID-19-Pandemie. Auch wenn diese während der Fertigstellung dieses Bandes noch andauerte und hierzu noch keine belastbaren Studien vorliegen, zeigen die Rückmeldungen sowohl der Lehrenden als auch der Studierenden, dass die fehlende direkte Interaktion face-to-face eines der Hauptprobleme des „Digitalen Semesters“ darstellte. Dabei ging es weniger um die Interaktion während der Lehrveranstaltungen bzeziehungsweise Online-Kurse, sondern viel mehr auch um Begegnungen und Kommunikation außerhalb des formalen Rahmens der Lehre. Studierende, Öffentlichkeit und auch die Hochschulpolitik sahen hier die Hochschulbibliotheken neben der Versorgung mit den für die digitale Lehre wichtigen Ressourcen in einer entscheidenden Verantwortung für die Bereitstellung von Lernumgebungen noch weit vor der Wiederaufnahme von Präsenzveranstaltungen. Dies illustriert die Herausforderung für Hochschulbibliotheken ganz direkt, die sich zusätzlich zu ihrer sich verändernden Rolle als Institutionen der Speicherung und Produktion von und des Zugangs zu Information und Wissen auch mit der Frage auseinandersetzen müssen, was es bedeutet, zentrale hochschulische Lernwelt zu sein und gleichzeitig aber das Quasi-Monopol als institutionalisierter informeller Lernraum zu verlieren. Beides bedeutet, dass sich Hochschulbibliotheken als Wissensräume insgesamt aktiv wandeln müssen, anstatt notwendige Veränderungen defensiv mit äußeren Einflüssen zu begründen. Um diesen Wandel zu gestalten, ist es notwendig, sich zunächst mit den Voraussetzungen des Wandels und dem Kontext, in dem er stattfindet, näher auseinanderzusetzen.

2.1 Begriffliche Annäherungen



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2.1 Begriffliche Annäherungen Betrachtet man die im Kontext der Fragestellung dieses Bandes verwendete Terminologie genauer, so fällt auf, dass Begriffe häufig synonym, schlagwortartig oder aber auch widersprüchlich verwendet werden. Das terminologische Feld erscheint nicht klar abgegrenzt und Fachtermini unterschiedlicher Disziplinen mischen sich mit alltagssprachlichen Verwendungen. Ähnlich verhält es sich mit eindeutigen Definitionen der aus den zentralen Begriffen abgeleiteten Konzepte, wie zum Beispiel Lernort, Lernwelt oder auch selbstorganisiertes Lernen. Diese begrifflichen Unsicherheiten weisen einerseits auf das bereits in der Einleitung erwähnte Theoriedefizit der Debatte insgesamt hin, zeigen andererseits aber auch, dass die hier zugrundeliegenden Konzepte oft noch nicht eindeutig definiert oder aber auch hochgradig kontingent sind. Dies reicht bis in die Diskussion grundsätzlicher Begriffe wie Wissen oder Lernen hinein: Den genannten und hier verhandelten Begriffen Information, Wissen, Kompetenz, Lernen, Lehren und Bildung ist gemeinsam, dass sie vielfältig kontextualisiert sind und teilweise auch unterschiedlich verwendet werden. Dies macht Begriffsklärungen schwierig. Deshalb sollen im Folgenden Annäherungen an die Begriffe versucht werden, um später auch die Dimensionen des Wandels von Lernwelten besser einordnen zu können. (Stang 2016, 10, H. i. O.)

Für die von Stang erwähnten und auch weitere Begriffe existieren also multiple Definitionen, die je nach erkenntnistheoretischer Perspektive oder pädagogischem Standpunkt sehr unterschiedlich sind. Wie sich in der weiteren Argumentation dieses Bandes zeigen wird, liegt gerade im stark auf das Individuum bezogenen Charakter von Wissen und Lernen einer der Gründe dafür, dass sich beide Konzepte einer allgemeingültigen Definition entziehen. Voraussetzung für eine Verständigung und ein Verständnis ist aber, dass wir uns dessen vergewissern können, worüber wir reden. Dieses Kapitel dient deshalb dazu, das Begriffsfeld, in dem sich die Argumentation im Weiteren bewegt, als Grundlage eines solchen gemeinsamen Verständnisses einzugrenzen. Die im Folgenden gegebenen Begriffsklärungen beanspruchen also keine Allgemeingültigkeit im Sinne von Definitionen, sondern dienen einer Annäherung an deren weitere Verwendung im Zusammenhang dieses Bandes. Dort, wo hinter den Begriffen Konzepte stehen, die weiterer Auseinandersetzung bedürfen, werden diese später noch einmal aufgegriffen. Im ersten Band der Publikationsreihe Lernwelten hat Stang bereits die Aufgabe übernommen, das im Zusammenhang mit dem Thema Lernwelten stehende Begriffsfeld näher einzugrenzen und Kontexte zu beschreiben (Stang 2016). Stang weist, wie oben zitiert, dabei auch auf die Probleme begrifflicher Festle-

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gungen im Sinne klassischer Definitionen hin, da im Zusammenhang mit der Fragestellung der Reihe insgesamt zentrale Begriffe in unterschiedlichen Kontexten und Disziplinen (v. a. Soziologie, Psychologie und Pädagogik) jeweils verschieden eingeordnet und definiert werden. Im Folgenden soll daher eine Beschränkung darauf vorgenommen werden, solche Begriffe noch einmal zu betrachten, die bei Stang entweder nicht behandelt sind, oder die in Hinblick auf ihre Verwendung im vorliegenden Band noch einmal näher spezifiziert oder eingegrenzt werden sollen.

2.1.1 Lernen Stang beschreibt ein breites Spektrum gegenwärtig wirksamer Lerntheorien inklusive der mit ihnen verbundenen Auswirkungen auf die Gestaltung von Lernwelten (Stang 2016). Auch wenn sich im Folgenden zeigen wird, dass sich gerade im hochschulischen Kontext Lernwelten entlang ganz unterschiedlicher Konzepte von Lernen konstituieren, möchte ich für meine Auseinandersetzung mit hochschulischen Lernwelten einen systemisch-konstruktivistischen Lernbegriff zugrunde legen. Dies hat zwei wesentliche Gründe: Der erste liegt im konkreten Gegenstand dieses Bandes. In der traditionellen Typologie hochschulischer Lernräume werden Bibliotheken den informellen Lernräumen zugeordnet. Diese Zuordnung in Frage zu stellen und die traditionellen Grenzen zwischen hochschulischen Lernräumen zugunsten einer Betrachtung der Hochschule als multiplem Wissensraum beziehungsweise als Lernwelt zu dekonstruieren ist eines der wesentlichen Ziele des vorliegenden Bandes. Einer der Ausgangspunkte hierfür ist die Frage, wie sich Lernen im hochschulischen Kontext verändert und welche Auswirkungen dies auf die Lernwelten hat. Die These hierzu lautet, dass sich Lernwelten im Beziehungsdreieck von Lernenden, der räumlichen Umwelt und des institutionellen Kontexts konstituieren. Diese konstruktivistische Auffassung geht einher mit der genannten systemisch-konstruktivistischen Perspektive auf das Lernen. Der zweite Grund liegt in einem veränderten Fokus auf den Lernprozess selbst. Conventional explanations view learning as a process by which a learner internalizes knowledge, whether ’discovered’, ’transmitted’, from others, or ’experienced in interaction’ with others. The focus on internalization does not just leave the nature of the learner, of the world, and of their relations unexplored; it can only reflect far-reaching assumptions concerning these issues. It establishes a sharp dichotomy between inside and outside, suggests that knowledge is largely cerebral, and takes the individual as the nonproblematic unit of analyses. Furthermore, learning as internalization is too easily const-

2.1 Begriffliche Annäherungen



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rued as an unproblematic process of absorbing the given, as a matter of transmission and assimilation. (Lave/Wenger 2007, 47. H. i. O.)

Die von Lave und Wenger beschriebenen Defizite klassischer Lerntheorien, die Lernen als Prozess der Internalisierung sehen, liegen aus Sicht der Gestaltung von Lernwelten insbesondere darin, dass dem lernenden Individuum darin eine bloß passive Rolle zukommt. Wäre dies der Fall, würde sich die Frage der Gestaltung von Lernwelten an Hochschulen gar nicht stellen, da die traditionellen, input-orientierten Lernräume und Lernarrangements völlig ausreichend wären. Wie lässt sich nun aber Lernen aus einer systemisch-konstruktivistischen Sicht begreifen? Ein Hauptaugenmerk liegt hier auf der autopoietischen Prozesshaftigkeit von Lernen. Auch wenn Lernprozesse zweifelsfrei durch äußere Stimuli angeregt, befördert, aber auch behindert beziehungsweise gestoppt werden können, ist Lernen immer ein selbstreferentieller Prozess, der sich aus einem inneren Antrieb des Individuums fortsetzt. Siebert spricht in diesem Zusammenhang vom antizipatorischen Lernen: Die meisten Lerntheorien interpretieren Lernen als einen reaktiven Prozess: Lernen als Reaktion auf Stimuli. Die konstruktivistische Lerntheorie erklärt aber auch ein antizipatorisches Lernen, ein vorausschauendes Lernen, die Vorstellung von neuen, „unbekannten“ Welten. Autopoietische Systeme sind befreit von ständigen Realitätskontrollen. Unser Nervensystem verknüpft Gedächtnisinhalte neu und unkonventionell. Unser Gehirn bildet nicht nur das Wirkliche ab, es operiert nicht nur „realistisch“, sondern es konstruiert auch das Mögliche und das scheinbar Unrealistische. (Siebert 2005, 38, H. i. O.)

Siebert führt hier neurowissenschaftliche Erkenntnisse mit der systemisch-konstruktivistischen Perspektive zusammen. Das Gehirn selbst operiert im Lernprozess also schöpferisch, indem es eine für das Individuum funktionierende, sprich viable Wirklichkeit konstituiert. Roth unterscheidet das implizite, sture Auswendiglernen oder „Eintrichtern“ von Informationen ohne Anschlussfähigkeit an bereits vorhandenes Wissen von einem semantischen, also bedeutungsvollen Lernen. Doch hat das erworbene Informationswissen beziehungsweise haben die so antrainierten Fähigkeiten nicht nur keinen unmittelbaren Anschluss an vorhandenes Wissen, sie sind auch zukünftig nicht anschlussfähig. Das lernende Individuum weiß etwas, kann es aber nicht erklären, es kann etwas, ist sich aber nicht bewusst, warum (Roth 2009, 57–58). Dabei setzt schon das bloße Einprägen, also die Fähigkeit, Information zu internalisieren und später wieder abzurufen, ein komplexes Set von Prozessen voraus, welches es den Lernenden ermöglicht, in der Vergangenheit Eingeprägtes zu neuen Wissenselementen zu verbinden (National Research Council 2018, 3).

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Die Idee der Autopoiesis beruht auf der insbesondere im deutschsprachigen Raum rezipierten Erkenntnis Luhmanns, dass Lernen immer ein Prozess der Selbststrukturierung des Individuums ist, der der Verknüpfung neuer Information mit den bereits vorhandenen strukturellen Wissenselementen dient (Luhmann 1985, 418).2 Dies bedeutet nicht etwa, den Input als Voraussetzung für das Lernen zu leugnen, wohl aber, dass der Input nicht entscheidend für den weiteren Lernprozess ist und der Input auch keine Vorhersage zum Ergebnis des Lernprozesses erlaubt. Einfach ausgedrückt lässt sich mit Arn sagen, dass Lernen „nicht delegierbar“ ist (Arn 2016, 40). Sowohl implizites als auch semantisches Lernen setzen, wenn sie erfolgreich sein sollen, eine intrinsische Lernmotivation voraus. Lernen, das lediglich extrinsisch motiviert ist, lässt sich auch als defensives Lernen bezeichnen. Schüßler beschreibt das defensive Lernen beziehungsweise seine vermeintlichen Lernerfolge im Anschluss an Holzkamp als extrinsisch motiviert, da die Lernenden zwar zwecks Vermeidung von Restriktionen rational handeln und die geforderte Aneignungsleistung erbringen, dies aber nur zu einem vorgetäuschten Wissen führt, das nichts mit einer intrinsischen Lernmotivation zu tun hat und so weder an vorhandenes Wissen noch für zukünftige Informationen anschlussfähig ist. Dabei betont sie, dass Holzkamp, im Gegensatz zu konstruktivistisch-systemischen Ansätzen, die Lernmotivation als stark von der gesellschaftlichen Wirklichkeit geprägt sieht (Schüßler 2016, 93). Hinzu kommt der Aspekt des Selbstreferenziellen. Selbstreferenzialität bedeutet in diesem Zusammenhang jedoch nicht, dass das Individuum im Sinne eines radikalen Konstruktivismus ein in sich geschlossenes System ohne Bezug zu seiner Umwelt wäre. Wie oben beschrieben setzt aber Lernen voraus, dass bereits Anknüpfungspunkte im Individuum vorhanden sind. Lernen findet demnach immer in semantischen Netzen statt (Erpenbeck/Sauter 2013, 4). Für Schüßler ist „Lernen ein autopoietischer (sich selbst erhaltender) und selbstreferentieller (rückbezüglicher) Prozess des Subjekts […]“ (Schüßler 2016, 89). Diese aus einer kritischen Perspektive heraus formulierte Definition fasst das systemisch-konstruktivistische Konzept von Lernen gut zusammen. In der Literatur finden sich in diesem Zusammenhang häufig die Begriffe selbstgesteuertes, selbstbestimmtes und selbstorganisiertes Lernen. Diese werden in der Regel synonym verwendet und die dahinterliegenden Konzepte sind

2 Der explizite Bezug der deutschsprachigen Literatur auf die Systemtheorie Luhmanns bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass systemisch-konstruktivistische Lerntheorien nur hierzulande verbreitet wären. Auch im englischen Sprachraum existieren schon seit den 1980er Jahren explizit konstruktivistische Lerntheorien, die sich aber insbesondere auf die Handlungstheorie Talcott Parsons’ stützen (National Research Council 2000, 11).

2.1 Begriffliche Annäherungen 

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nicht immer deutlich unterscheidbar. Auf diese fehlende Trennschärfe im pädagogischen Diskurs weisen auch Herold und Herold hin (Herold/Herold 2017, 41). Alle drei Begriffe beziehen sich auf die oben zitierte Erkenntnis, dass Lernen nicht delegierbar ist. In der Binnendifferenzierung liegt die Unterscheidung in der Betonung je unterschiedlicher Akzente des Lernprozesses. Selbstgesteuertes Lernen ist dabei besonders über den Gegensatz zum fremdgesteuerten Lernen definiert. Das fremdgesteuerte und fremdorganisierte Lernen, wie es in den herkömmlichen Bildungseinrichtungen Schule und Universität bis heute vorherrscht, wird zunehmend einem selbstgesteuerten, vor allem aber einem selbstorganisierten Lernen weichen. (Erpenbeck/Sauter 2013, 10)

Aufschlussreich ist, dass Erpenbeck und Sauter hier selbstgesteuertes und selbstorganisiertes Lernen voneinander unterscheiden. Selbstgesteuertes Lernen steht im direkten Gegensatz zum fremdgesteuerten Lernen. Es geht also darum, wer den Lernprozess letztendlich kontrolliert und wer den regulatorischen und organisatorischen Rahmen festlegt. Selbstgesteuertes Lernen bedeutet zunächst, die Verantwortung für den Lernprozess in die Selbstregulation des Individuums abzugeben, während etwa selbstbestimmtes Lernen, analog zum Selbststudium im Hochschulkontext, insbesondere auf äußerliche Faktoren wie Ort und Zeitpunkt abzielt. Selbstorganisation bezieht sich dagegen direkt auf die Autopoiesis, die nichts anderes als die Selbstorganisation eines Systems beschreibt. Selbstorganisiert heißt nicht in erster Linie, dass jemand etwas selbst tut oder Eigeninitiative entwickelt. Für Selbstorganisationsprozesse ist vielmehr typisch, dass man von einem traditionellen Kausalitätsverständnis und damit von einer äußeren, mechanischen, instruktionalen Beeinflussung des selbstorganisierten Systems und seiner Bestandteile nicht mehr ausgehen kann (Arnold/Erpenbeck 2014, 18–19). Selbstorganisiertes Lernen beschreibt also Lernen im Anschluss an die systemisch-konstruktivistische Definition als einen von direkten äußeren Einwirkungen befreiten, individuellen Prozess. Die Kritik, insbesondere der soziale Kontext würde ausgeblendet und Bildungsinstitutionen würden sich mit der Übernahme des selbstorganisierten Lernens in die didaktische Praxis aus ihrer Verantwortung für den Lernerfolg zurückziehen, greift hier aber zu kurz, da Lernen einerseits immer auch als kooperativer Prozess gesehen wird und andererseits gerade die Betonung des selbstgesteuerten und selbstorganisierten Lernens eine neue Verantwortung für die Bildungsinstitutionen als Gestalterinnen von Lernarrangements bedeutet.

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Kooperatives Lernen ist kein Widerspruch zum selbstorganisierten Lernen, sondern beruht ebenfalls auf der Erkenntnis, dass Lernen ein autopoietischer Prozess ist, der die Aktivität der Lernenden voraussetzt. Obwohl Lernen in diesem Verständnis also auf den ersten Blick ein hochindividueller, autonomer Prozess ist, findet es immer in einem Kontext und in einem sozialen Zusammenhang statt, denn nur die Offenheit für äußere Einflüsse ermöglicht die Aufnahme von Informationen. Diese sind zur Herstellung neuer Verknüpfungen unbedingt notwendig, da sie die Voraussetzung für neue Sinnzusammenhänge sind. Das kooperative Lernen stellt diesen Aspekt des Lernprozesses in den Vordergrund und sieht Lernen immer auch als kommunikatives Geschehen zwischen Individuen, wobei Emotion und subjektives Erleben eine wichtige Rolle spielen. Aus der systemtheoretischen Perspektive Luhmanns stellt Kommunikation ohnehin die notwendige Voraussetzung für die Funktion von Systemen, in diesem Fall der lernenden Individuen, dar. Die für das Lernen notwendigen Austauschprozesse werden durch eine optimale Lernumgebung wirkungsvoll unterstützt (Konrad/Traub 2001, 5). Für das US-amerikanische National Research Council bedeutet die Erkenntnis, dass Lernen immer ein sozialer Prozess innerhalb eines kulturell geformten Kontextes ist, sogar die wichtigste Entwicklung in der Lerntheorie des frühen 21. Jahrhunderts (National Research Council 2018, 27). An dieser Stelle setzt auch die oben erwähnte neue Verantwortung der Bildungsinstitutionen an. Aus der Perspektive eines auf den Lernenden bezogenen Verständnisses des selbstgesteuerten Lernens verändert sich auch der Blickwinkel auf die Bildungsinstitutionen. Was auf der einen Seite als Rückzug aus der Verantwortung für Lernprozesse interpretiert werden könnte, da das Individuum für sein Lernen selbst verantwortlich ist, stellt auf der anderen Seite die Herausforderung für Bildungsinstitutionen dar, Optionsräume zu schaffen, in denen die Individuen mit ihren unterschiedlichen Interessen und Zugängen lernen können. (Stang 2016, 40)

Dies trifft in gleicher Weise auf das selbstorganisierte Lernen zu, das wie beschrieben trotz seiner Selbstreferenzialität einen sozialen und kulturellen Kontext voraussetzt, wie in Kapitel 3.2 dieses Bandes näher ausgeführt werden wird. Zusammenfassend lassen sich für den Begriff Lernen, wie er im Kontext der Fragestellung dieses Bandes verwendet wird, folgende Feststellungen treffen: – Lernen ist ein autopoietischer, selbstreferenzieller Prozess, der von außen nicht steuerbar ist, – defensives Lernen, das eigentlich nur das kontextlose Merken von Informationen ist, wird nicht als Lernen im eigentlichen Sinne betrachtet,

2.1 Begriffliche Annäherungen

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Lernen ist folgerichtig in der Regel selbstorganisiertes Lernen, auch wenn bestimmte institutionelle und organisatorische Rahmungen vorliegen und selbstorganisiertes Lernen schließt kooperatives Lernen nicht aus, sondern sieht Kommunikation im Sinne sozialer Interaktion als wichtige äußere Bedingung für einen gelingenden Lernprozess an.

Es wird deutlich, dass Lernen in diesem Verständnis nicht heißt, Informationen aufzunehmen, sondern Wissen zu generieren. In diesem Zusammenhang stellt es auch Stang und weist deshalb dem Wissenserwerb eine zentrale Bedeutung im Kontext der Diskussion über Lernwelten zu (Stang 2016).

2.1.2 Wissens- und Kompetenzerwerb Stang behandelt im ersten Band dieser Reihe Wissen aus unterschiedlichen Perspektiven und bewegt sich dabei von allgemeineren über speziellere Wissensbegriffe hin zum Wissensmanagement (Stang 2016). Für den Kontext der Lernwelten an Hochschulen möchte ich in diesem Zusammenhang die Unterscheidung Handlungswissen und Informationswissen sowie zwischen bewusstem und unbewusstem Wissen aufgreifen. Bell definiert Wissen im Kontext der postindustriellen Gesellschaft als Sammlung in sich geordneter Aussagen über Fakten oder Ideen, die ein vernünftiges Urteil oder ein experimentelles Ergebnis zum Ausdruck bringen und anderen durch irgendein Kommunikationsmedium in systematischer Form übermittelt werden (Bell 1985, 180).

Diese informationstheoretisch basierte Definition sieht Wissen als Gegenstand von Austauschprozessen, etwa der Kommunikation von Wissen im System Wissenschaft. Dahinter liegt ein Verständnis von Wissen als verfügbarer Ressource. Wissen, so die Prämisse, lässt sich jederzeit bereitstellen und hat für alle Rezipientinnen und Rezipienten, die den dahinterliegenden Code verstehen, die gleiche Bedeutung. Wie viele mögliche Annäherungen an den Wissensbegriff hat auch diese ihre Legitimität. Bell arbeitet hier die seit der Mitte des 20. Jahrhunderts wachsende Bedeutung von Wissen als ökonomischer Ressource in teilweiser Ablösung industrieller Produktion heraus. In seinem Sinne wirtschaftlich nutzbar ist Wissen nur in seiner statischen Form, wenn es vermittelt durch Information speicher- und übertragbar ist. Dazu verkürzt Bell Wissen aber auch, da er weder die individuelle Kontextualität noch das Vorhandensein von unbewusstem Wissen betrachtet. Das Wissen, das er an dieser Stelle definiert, kann man auch als objektiviertes Wissen oder Informationswissen bezeichnen. Dabei

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handelt es sich nicht um einen ‚falschen‘ oder untauglichen Wissensbegriff, aber er deckt lediglich einen, wenn auch sehr zentralen, Teilaspekt des Wissens ab. Ohne das Informationswissen wäre eine Speicherung von Wissen in Form von Information und seine Kommunikation in Systemen wie der Wissenschaft nicht möglich. Eine der Hauptaufgaben Wissenschaftlicher Bibliotheken besteht und bestand immer darin, Informationswissen als objektiviertes Wissen auf Verbreitungsmedien zu sammeln, zu speichern und zugänglich zu machen. Arnold und Erpenbeck übernehmen zur besseren Differenzierung der Wissensbegriffe das Münchener Wissensmodell mit seiner Unterscheidung von Handlungswissen und Informationswissen. Handlungswissen zeichnet sich durch seine Kontextualität, seine Konstruiertheit und seine Komplexität gegenüber dem Informationswissen aus, das ohne Kontext einfach vermittelt werden kann. Dabei kann aber Informationswissen einen wichtigen Beitrag zum Aufbau von Handlungswissen leisten (Arnold/Erpenbeck 2014, 39). Grundlage dieser Differenzierung ist die bereits von Scheler formulierte Erkenntnis unterschiedlicher Wissensarten, die sich bei ihm aus den Erkenntniszielen des Individuums ergeben. Scheler erkannte, dass das von ihm beobachtete Auseinanderdriften erkenntnistheoretischer Konzepte wesentlich in den unterschiedlichen Arten des Wissens und, damit verbunden, den Zielen der Erkenntnis begründet ist (Scheler/Scheler 1960, 202). Er unterscheidet daraus abgeleitet drei Wissensarten: Das Bildungswissen, das Erlösungswissen und das Herrschaftswissen. Während das Bildungswissen danach die Grundlage für die individuelle Entfaltung der Persönlichkeit legt, geht es beim Erlösungswissen um Erkenntnis der Daseinsgründe und beim Herrschaftswissen um das wissenschaftlich-technische Wissen (Scheler/Scheler 1960, 205). Implizit begründet Scheler hierin schon eine Unterscheidung von Informations- und Handlungswissen. Das nach Außen gerichtete wissenschaftlich-technische Herrschaftswissen unterscheidet sich vom nach Innen gerichteten Bildungswissen, welches das Individuum befähigt, eigene Erkenntnis zu erlangen. Sowohl das Herrschaftswissen als auch das Bildungswissen setzen aber nicht nur Erkenntnisprozesse voraus, sondern prägen diese auch. Wenn Wissen durch individuelle Erkenntnisziele definiert ist, setzt seine Konstituierung individuelle Erkenntnisprozesse voraus, Wissen ist also immer unmittelbar mit der Persönlichkeit der Wissenden verbunden. Doch nicht nur das Wissen wird durch das Individuum konstituiert, sondern auch umgekehrt: Ist nun dieses „Wissen“ im allgemeinsten Sinne des Wortes, so ist klar: Da Wissen ein Seinsverhältnis ist und darum auch gesucht wird, [kann es] nicht wieder ein Wissen sein, sondern muss auf alle Fälle ein Werden – ein Anderswerden sein (Scheler/Scheler 1960, 204, H. i. O. ).

2.1 Begriffliche Annäherungen



25

Der autopoietische Prozess der Generierung neuen Wissens verändert demnach nicht nur das Wissen selbst, sondern auch das Individuum. Die drei von Scheler beschriebenen Wissensarten bedingen immer ein mehr oder weniger bewusstes Erkenntnisinteresse. Daneben existiert jedoch auch ein unbewusstes Wissen. Siebert unterscheidet das bewusste, wahrgenommene Wissen, das durch Anschlussfähigkeit an individuelle, aber auch außerindividuelle Erfahrungen und Situationen gekennzeichnet ist, vom verinnerlichten Wissen, das in der Regel unbewusst und nur in bestimmten Situationen abrufbar ist (Siebert 2016, 62). Bestimmte motorische, aber auch andere Fähigkeiten des Menschen setzen ein solches, unbewusstes Wissen voraus. Als Beispiele werden hier häufig komplexe, aber unbewusst ablaufende motorische Koordinationsaufgaben wie das Schwimmen oder das Fahrradfahren genannt. Auch dieses Wissen ist gelernt, kann aber nicht als Informationswissen vermittelt werden. Allen diesen Zugängen ist gemeinsam, dass Wissen nicht als Gegenstand, sondern als Ergebnis des Lernens aufgefasst wird. Informationswissen ist über Information transportierbar und kann als Input in einen Lernprozess einfließen. In diesem Prozess wird das Wissen aber transformiert; durch diese Transformation konstituiert sich ein, den spezifischen individuellen Strukturen entsprechendes neues Handlungswissen, das für das lernende Individuum in verschiedenen Formen verfügbar ist. Wissen ist demnach Bedingung und Regulativ für Lernvorgänge, genauer: für den Einbau von Lernmöglichkeiten in die derzeit aktuelle Erwartungsstruktur. Sollen Lernmöglichkeiten ausgebaut werden, muß also die Wissenslage entsprechend vorbereitet werden. Sie muß, implizit oder dann auch explizit, gefaßt sein auf ihre eigene Änderbarkeit. Sie kann ihre Erwartungssicherheit, ihren Strukturwert, dann nicht mehr in ihrer Rigidität und Invarianz finden, sondern nur noch darin, daß die Bedingungen genau angegeben werden können, unter denen man sich zur Änderung genötigt sieht. (Luhmann 1987, 448)

Lernen als Aneignung von Wissen findet in einem inneren und auch externen Möglichkeitsraum statt, der gleichzeitig Bedingung und Ergebnis des Wissenserwerbs ist. Dies ist schon in Schelers Bildungsbegriff angelegt. Für ihn ist das Ziel von Bildung nicht, ein möglichst umfassendes Herrschaftswissen beziehungsweise objektiviertes Wissen zu erlangen, sondern die Aneignung und Nutzbarmachung einer individuellen „Struktur“, die es ermöglicht, Erfahrungen zu verarbeiten und so der Struktur nutzbringend hinzuzufügen (Scheler/ Scheler 1960, 209). Wissenserwerb verhilft dem lernenden Individuum auf diese Weise dazu, sowohl für sich selbst viable als auch allgemein als sinnvoll anerkannte Deutungen der Wirklichkeit vornehmen zu können. Eine solche Wissensstruktur ist allerdings nicht die einzige Voraussetzung für den Wissenserwerb. Um in Lernprozessen handlungsfähig zu sein, brauchen

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Individuen die Fähigkeit zur Selbstorganisation und zur kreativen Verarbeitung des Inputs (Erpenbeck/Sauter 2013, 4). Diese Fähigkeit wird in der Literatur häufig als Kompetenz bezeichnet. Es geht ganz generell darum, dass das Individuum befähigt werden muss, die in Hinblick auf die Zumutungen der Wirklichkeit viablen – also für das Individuum sinnvollen und funktionierenden – Antworten zu finden, die es in die Lage versetzen, selbstorganisiert zu handeln. Stang spricht daher im Zusammenhang mit Kompetenzen von „individuellen Bewältigungsstrategien“ (Stang 2016, 17). Hier wird deutlich, dass die im Laufe der Bildungsbiographie jeweils notwendigen Kompetenzen an sich nicht nur wissensbezogen sind. Kompetenzen erstrecken sich auf verschiedene Bereiche, die gemeinsam den Kontext für den Wissenserwerb bilden. Für Arnold und Erpenbeck ist die Verfügbarkeit einer Vielzahl von sozialen, individuellen und aktivitätsbezogenen Kompetenzen – explizit auch wissenschaftsfernen – Voraussetzung für den Wissenserwerb. Sie sprechen in diesem Zusammenhang von einer Handlungsfähigkeit in Bezug auf Wissensproduktion, die erst durch eine solche Vielfalt von Kompetenzen entsteht (Arnold/Erpenbeck 2014, 15). Hierbei werden Wissen und Kompetenz voneinander unterschieden. Wissenserwerb und Kompetenzerwerb hängen zwar zusammen, sind aber unterschiedliche Prozesse, wobei Wissenserwerb voraussetzt, dass Individuen nicht nur eine Wissensstruktur, sondern auch die notwendigen Kompetenzen zur Generierung neuen Wissens mitbringen. Wissen an sich ist demnach „keine Kompetenz“ (Arnold/Erpenbeck 2014). Für Siebert hingegen ist Wissen eine Kompetenz. Aus seiner Sicht befähigt Wissen das Individuum zum verantwortlichen Umgang sowohl mit Nicht-Wissen als auch mit Ungewissheit. Beide werden – so das Paradoxon der Wissensaneignung – immer größer, je mehr der Mensch weiß (Siebert 2005, 82). Hier zeigt sich das Problem der aktuellen Inflation des Kompetenzbegriffs im Bildungsbereich. Stang weist nach näherer Betrachtung unterschiedlicher Konzepte von Kompetenz im Kontext der Bildungsdiskurse darauf hin, dass der Kompetenzbegriff vielschichtig und schwer fassbar ist. Dies führe zu einer breiten Debatte darüber, was Kompetenz eigentlich genau ist: Insgesamt kann konstatiert werden, dass der Begriff Kompetenz derzeit den Diskurs über Bildung kolonisiert, ohne dass dabei immer präzise beschrieben wird, welcher Kompetenzbegriff die Grundlage bildet. Für die Gestaltung von Lernwelten spielt aber eine zentrale Rolle, ob es um die Vermittlung von Mündigkeit, Handlungskompetenz oder Fachkompetenzen geht. (Stang 2016, 22, H. i. O.)

Trotz dieser terminologischen Unklarheit und der noch nicht abgeschlossenen Diskussion um Kompetenzen und ihre Bedeutung für Lernprozesse wird deutlich, dass Kompetenzen im Sinne einer Fähigkeit zur Selbstorganisation und

2.1 Begriffliche Annäherungen 

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zum kreativen Verarbeiten von Informationen für den Wissenserwerb wichtig sind. Kompetenzen sollten auch nicht mit prozeduralem Wissen verwechselt werden, das zwar auf deklarativem Wissen aufsetzen und Routinen zum Wissenserwerb umfassen kann, das jedoch bezogen auf den Lernprozess im Gegensatz zum Kompetenzbegriff nicht eine generelle Fähigkeit des Individuums, sondern lediglich einen gelernten Ablauf beschreibt. Für hochschulische Lernwelten bedeutet dies, dass die Unterstützung selbstorganisierten Lernens nicht allein den Wissenserwerb, sondern auch den Erwerb der notwendigen und unterstützenden Kompetenzen im Auge haben muss. Wissens- und Kompetenzerwerb in diesem Sinne kann von den Akteurinnen und Akteuren im hochschulischen Umfeld nicht organisiert, wohl aber ermöglicht werden.

2.1.3 Wissensräume und Lernwelten Nimmt man Lernen als einen selbstorganisierten Prozess ernst, in dem Wissen konstituiert wird, setzt dies auch eine neue Herangehensweise bei der Gestaltung von Lernarrangements voraus. Unter Lernarrangement wird hier die Gesamtheit der Interventionen verstanden, die eine Bildungsinstitution zur Gestaltung des Kontextes von Lernen unternimmt. Insofern beziehen sich Lernarrangements nicht nur auf das Lernen, sondern auch auf die Lehre (siehe Kapitel 2.3.3). Die räumliche Situation ist immer Teil des Lernarrangements, aber das Lernarrangement geht darüber hinaus. Hierunter lassen sich Akteurinnen und Akteure, Methoden, Technik, Infrastruktur, Raum, aber auch der spezifische soziale und kulturelle Kontext fassen. Aus diesem Grund wurden die Begriffe Wissensräume und Lernwelten in die Diskussion eingeführt, um die räumlichen Aspekte von Lernarrangements zu beschreiben. Während Wissensraum das Wissen in seinen unterschiedlichen Dimensionen in den Vordergrund stellt, definieren sich Lernwelten explizit über den Prozess der Aneignung. Stang und Eigenbrodt beschreiben Wissensräume als diejenigen Räume, an denen Wissen zugänglich wird. Angesichts der Dimension von Wissensräumen verengen sie die Perspektive dabei auf solche Räume, die „für uns greifbar und/ oder vorstellbar sind“ (Stang/Eigenbrodt 2014, 1). Dieses Verständnis umfasst aber immer noch alle Räume, in denen Wissen konstituiert, gespeichert, zugänglich gemacht und vermittelt wird. Edinger definiert Wissensräume am Beispiel von Bibliotheken weitergehend als Verbindung von raumbezogener Syntheseleistung und wissensbezogener Semantik. Die Wahrnehmung und Verarbeitung der Informationen in Bibliotheksräumen und somit die Konstitution des Wissens und des Raumes basiert auf der Syntheseleistung bzw. der

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Semantik. Aus der reinen Anordnung von Informationen mittels materieller Gestaltungsmöglichkeiten entsteht durch die Anwesenheit des Menschen und seiner Semantik- bzw. Syntheseleistung der Wissensraum. (Edinger 2015, 40)

Wissensräume formieren sich demnach immer dann, wenn Menschen Informationen in nachvollziehbarer Weise strukturieren und diese Strukturen sich in der räumlichen Anordnung, dem Spacing, spiegeln. Das Individuum konstituiert mit Hilfe einer doppelten Syntheseleistung aus den gegebenen Strukturen den Wissensraum. Dies geschieht jedoch nicht nur in den Räumen von Bibliotheken, sondern überall dort, wo spezifische Anordnungen von sozialen Gütern und strukturierte Information aufeinandertreffen. Hochschulen sind gute Beispiele für institutionell organisierte Wissensräume, die in sich eine ganze Vielfalt unterschiedlicher Wissensräume vereinen und so eine hohe Komplexität erreichen (siehe Kapitel 2.4). Wenn im Folgenden von Wissensräumen gesprochen wird, so ist dieses breite Verständnis von Wissensräumen zugrunde gelegt, das zum Beispiel in den Beiträgen des Bandes von Eigenbrodt und Stang noch weiter differenziert wird (Eigenbrodt/Stang 2014). Lernwelten sind im hochschulischen Kontext damit als eine Teilmenge der Wissensräume anzusehen, wobei in beinahe allen Wissensräumen auch Lernprozesse unterschiedlicher Intensität stattfinden. Die grundsätzliche Definition von Lernwelten wird von Stang wie folgt vorgenommen: Lernwelten sind unter dieser Perspektive alltägliche Territorien, die Lernen ermöglichen – in welchen Konstellationen auch immer –, gleichzeitig aber auch Lernprozesse präformieren können, wie dies z. B. in Bildungsinstitutionen geschieht. Allerdings gibt es nicht die Lernwelt, sondern es finden sich in unserer Lebenswelt verschiedene Lernwelten, die unterschiedlich gestaltet sind sowie sich durch unterschiedliche Logiken und Kulturen auszeichnen. Es geht dabei also nicht nur um Lernumgebungen, Lernorte, Lernräume etc., sondern um etwas darüber Liegendes, das alle Aspekte der Ermöglichung von Lernen in einem beschreibbaren Rahmen umfasst (Stang 2016, 1, H. i. O.)

Der Aspekt der expliziten Ermöglichung unterscheidet dabei Lernwelten von solchen Wissensräumen, in denen zwar Lernprozesse stattfinden, die aber nicht in Hinblick auf die Ermöglichung von Lernen angelegt sind. Auch hier gilt wieder, dass die Hochschule nicht eine Lernwelt ist, wie es ähnlich missverständlich auch im Schlagwort Lernort Bibliothek formuliert wird, sondern dass die Hochschule aus einer Vielzahl von Lernwelten besteht, die im besten Fall konzeptionell miteinander verbunden sind, was aber in der Realität bisher nirgendwo konsequent umgesetzt ist. Wie sich im weiteren Verlauf der Argumentation zeigen wird, ist es selbst im Falle der Hochschulbibliothek schwierig, von einer Lernwelt zu sprechen, da sich hier einerseits unterschiedliche Lernwelten zum Teil in mehreren Schichten überlagern, die Hochschulbibliothek aber anderer-

2.1 Begriffliche Annäherungen



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seits explizit ein Wissensraum beziehungsweise auch Teil eines Wissensraums ist, der in einem spezifischen institutionellen und ideellen Kontext steht, den man in der Betrachtung nicht ausblenden kann und sollte. Was bedeutet aber Ermöglichen im Kontext der Lernwelten? In Kapitel 2.1.1 wurde bereits die begrenzte Steuerbarkeit von Lernen als selbstorganisiertem Prozess beschrieben. Will man also Lernwelten gestalten, die selbstorganisiertes Lernen ermöglichen, ist eine neue Sensibilität für die Voraussetzungen und die Begrenztheit von Interventionen notwendig. Arnold definiert Ermöglichen in diesem Kontext als eine indirekte Form der Gestaltung von Situationen und Prozessen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die Resultate, die eine Intervention erreichen kann, maßgeblich von den Voraussetzungen, Erfahrungen, und Eigendynamiken abhängen, die in dem intervenierten System bereits wirksam sind (Arnold 2016a, 32, H. i. O.).

Daraus resultiert eine Ermöglichungsdidaktik, die durch einen „demokratischen Pragmatismus“ gekennzeichnet ist, der sich jenseits traditioneller Muster von Didaktik und den mit ihr verbundenen Lerninszenierungen bewegt und so die auf eigenen Erfahrungen beruhende Lernauffassung von Lehrenden selbst in Frage stellt (Arnold 2016a, 37). Dies gilt jedoch nicht nur für die Lehrenden mit ihrer zentralen Rolle in der Steuerung von Lehr-Lernprozessen, sondern für alle Akteurinnen und Akteure innerhalb (und außerhalb) der Hochschule, die an der Gestaltung von Lernarrangements beteiligt sind. Dabei ist zu beachten, dass selbstorganisierte Lernprozesse sich immer aus multiplen Lernstrategien zusammensetzen und dass die Gestaltung der Lernarrangements einen starken Einfluss darauf hat, welche Lernstrategien im Lernprozess befördert beziehungsweise behindert werden (National Research Council 2018, 55). Stang fasst die sich daraus ergebenden Anforderungen an die Gestaltung von Lernwelten wie folgt zusammen: Als Lernraumkonstellationen lassen sich für ein solches Verständnis von Lernen flexible Seminarräume und offene Lernlandschaften ausmachen, in denen die Lernenden methodisch vielfältig ihre Fragestellungen auch in Kommunikation mit anderen Lernenden bearbeiten können. (Stang 2016, 29)

Bevor der Blick auf den Wandel hochschulischer Lernwelten gerichtet wird, soll zunächst der sich schnell entwickelnde gesellschaftliche Kontext für die beschriebenen Zusammenhänge von Lernen, Wissen und Kompetenz näher beleuchtet werden.

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2.2 Wissensräume in Wissensgesellschaften Betrachtet man die Hochschulbibliothek im oben beschriebenen Sinne als Wissensraum in einem spezifischen gesellschaftlichen Kontext, so scheint es zunächst naheliegend, diesen Kontext basierend auf dem Konzept Wissensgesellschaft zu beschreiben. So wie Wissen ein strukturierendes Element von Wissensräumen ist, so scheint es auch in der Wissensgesellschaft einen strukturierenden Charakter zu haben. In den letzten dreißig Jahren sind die Begriffe Informationsgesellschaft und Wissensgesellschaft jedoch so häufig als Schlagwörter wissenschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Debatten verwendet worden, dass man sich nicht mehr sicher sein kann, ob sie als soziologischer Erklärungsrahmen überhaupt noch anwendbar sind. Es droht die Gefahr, einen normativen Erklärungsrahmen aufzumachen, der eher einer bestimmten ideologischen Zielsetzung verpflichtet ist, als zu einer Beschreibung gesellschaftlicher Zusammenhänge beizutragen, Dabei räumen auch Kritiker des Konzepts Wissensgesellschaft seinen Erfolg als „gesellschaftstheoretische Schablone“ (Bittlingmayer 2005, 48) ein, mit der man sich auseinandersetzen müsse. Andererseits hat sich das Repertoire weniger der normativen aber vielmehr der deskriptiven Gesellschaftstheorien seit Bolz’ Feststellung des „leeren Tanks der Gesellschaftstheorie“ (Bolz 2002, 202) zwar erweitert, die verschiedenen Modelle haben aber größtenteils den Charakter selektiver Erklärungsansätze für gesellschaftliche Phänomene. Es handelt sich also weniger um umfassende, Allgemeingültigkeit beanspruchende Modelle, als um Konzepte, die das Funktionieren einzelner Teilgesellschaften aus spezifischen Perspektiven betrachten. Im Sinne der Systemtheorie kann man von einer selbstreferentiellen Beziehung einzelner Teilsysteme sprechen, die im Bezug aufeinander das Gesamtbild Gesellschaft erzeugen, letzteres kann allerdings nur von innen heraus betrachtet werden, da jenseits der Gesellschaft kein zugängliches Beobachtungssystem existiert (Luhmann 1987). Wissensgesellschaft ist als erklärendes Modell beziehungsweise als Schablone also durchaus ein legitimer Ansatz, insbesondere, wenn man seinen Blick auf das System der Wissenschaft richtet. Man muss sich dabei allerdings der Tatsache bewusst sein, dass es hierbei nicht um eine umfassende Gesellschaftsbetrachtung, sondern immer um die Annäherung an einen Ausschnitt geht.

2.2 Wissensräume in Wissensgesellschaften 

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2.2.1 Von der Wissensgesellschaft zu Wissensgesellschaften Das Konzept Wissensgesellschaften lässt sich, aus einer systemtheoretischen Perspektive betrachtet, also für die Fragestellung dieses Bandes durchaus nutzbar machen. Auch wenn es um den Begriff an sich seit dem Hype in den 2000er Jahren etwas stiller geworden ist, erzeugt die populistische Infragestellung von Wissenschaftlichkeit im aktuellen öffentlichen und politischen Diskurs neue gesellschaftliche Herausforderungen, die eng mit den Grundlagen des Konzepts in Verbindung stehen. Auf die in den letzten fünf Jahren intensiv geführten Debatten um Fake News und Fake Science sind unterschiedliche Reaktionen denkbar. Entweder kann man sie als Negierung und Scheitern des Konzepts Wissensgesellschaften betrachten. So scheint etwa die Regierung Donald Trumps in den USA mit ihrer antiwissenschaftlichen Polemik, einer vermeintlichen Renaissance der Industriegesellschaften sowie ihrer Ablehnung von Pluralismus und gesellschaftlicher Vielfalt ein politisches Gegenprogramm zu den Wissensgesellschaften verfolgt zu haben. Andererseits kann man die entstehende Unsicherheit und den Zweifel an wissenschaftlichen Autoritäten und Wahrheiten auch als Aufforderung begreifen, wissenschaftliches Denken und wissenschaftliche Erkenntnis zu pluralisieren und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Im Kontext der letztgenannten Strategie sind die Debatten um Open Science, Citizen Science und Wissenschaftskommunikation beziehungsweise -transfer zu sehen. Während erstere und letztere insbesondere auf die Verwertbarkeit von und den Zugang zu wissenschaftlicher Erkenntnis gerichtet sind, ist der Begriff Citizen Science mit der aktiven Teilhabe von Bürgerinnen und Bürgern an wissenschaftlichen Erkenntnisprozessen verbunden. Die Kommunikation von Wissen ist elementarer Bestandteil der Wissensgesellschaften und gleichzeitig bringt diese Kommunikation das Wissen erst hervor. Wissen, das nicht kommuniziert wird, existiert eventuell auf der Ebene des Individuums, ist aber für diesen Zusammenhang nicht relevant, da gesellschaftlich nicht wirksam. Erst im Moment des Aushandelns von Wissen zwischen Individuen entfaltet es sein Potential, gegenwärtige Bedeutung über Kenntnisse des Vergangenen und Vermutungen über die Zukunft zu erzeugen. „The generality of any form of knowledge always lies in the power to renegotiate the meaning of the past and future in constructing the meaning of present circumstances.“ (Lave/Wenger 2007, 34) Die für die Wissensgesellschaften und das Wissen selbst konstitutive Rolle der Kommunikation schließt unmittelbar an die Frage des Wissenserwerbs an. Auch dieser setzt, wie oben beschrieben, Kommunikation voraus und ist nicht als isolierter, monodirektionaler Prozess denkbar. Lernwelten und Wissensräume sind einerseits Räume, in denen sich Wissen

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durch Kommunikation konstituiert und werden andererseits durch genau diese kommunikativen Prozesse geprägt. Sieht man Wissensgesellschaften als Teilsystem aktueller Gesellschaft, können sie einen soziologischen Kontext für die Beobachtung und Gestaltung der Räume liefern, in denen wir Wissen und Kompetenzen erwerben. Für die meisten Hochschulbibliotheken in Deutschland ist ein solcher Kontext dabei doppelt relevant, da sie einerseits Wissensräume im Kontext ihrer jeweiligen Hochschulen sind, andererseits als öffentlich zugängliche Bibliotheken aber auch Schnittstellen zur breiteren Öffentlichkeit darstellen. Das sich hieraus für die Öffnung der Hochschulen insgesamt ergebende Potential wird bis heute zu wenig beachtet. Für die Thematik dieses Bandes sind diese Fragestellungen deshalb von Bedeutung, weil der gesellschaftliche neben dem institutionellen Kontext einen der konstituierenden Faktoren für Wissensräume und damit auch Lernwelten darstellt. Dazu ist es zunächst wichtig, sich mit der Genese des Konzepts auseinanderzusetzen. Einer der ersten, der Wissensgesellschaft als soziologisches Konzept formuliert hat, war der US-amerikanische Soziologe Daniel Bell. Bell, der sich sowohl empirisch als auch theoretisch intensiv mit gesellschaftlichen Entwicklungen in den westlichen Industriestaaten und insbesondere in den Vereinigten Staaten auseinandergesetzt hat, formuliert in seiner Studie „Die nachindustrielle Gesellschaft“ (1985) Grundzüge einer Gesellschaft, die sich auf der Grundlage kapitalistischer Industriegesellschaften entwickelt und die ökonomisch und kulturell wesentlich auf der Ressource Wissen und weniger auf physischer Arbeit basiert. Die entscheidenden Indikatoren sind für Bell dabei ein Vorrang der Dienstleistungswirtschaft vor der güterproduzierenden – woraus sich Dienstleistungsgesellschaft als wirtschaftswissenschaftlich geprägtes Modell entwickelt hat –, ein Vorrang technisch qualifizierter und professionalisierter Berufe vor einfacheren, unqualifizierten Tätigkeiten, eine zukunftsorientierte Steuerung des technischen Fortschritts und insbesondere eine Verwissenschaftlichung von Ökonomie, Politik und Gesellschaft (Bell 1985). Diese Diagnose ist bis heute als postindustrielle Gesellschaft geläufig. Auch wenn viele Prognosen Bells, wie zum Beispiel ein neues Primat der Politik vor der Ökonomie, aus heutiger Sicht unzutreffend sind, ist der Text immer noch als eine wichtige gesellschaftstheoretische Perspektive beachtenswert. Dies trifft auch auf Bells Definition der postindustriellen Gesellschaft als Wissensgesellschaft zu: Die nachindustrielle Gesellschaft ist in zweifacher Hinsicht eine Wissensgesellschaft: einmal, weil Neuerungen mehr und mehr von Forschung und Entwicklung getragen werden […]; und zum anderen, weil die Gesellschaft […] immer mehr Gewicht auf das Gebiet des Wissens legt. (Bell 1985, 219)

2.2 Wissensräume in Wissensgesellschaften



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Wissensgesellschaft ist in diesem Sinne also sowohl Wissenschaftsgesellschaft als auch eine von Wissen durchdrungene Gesellschaft. Der Hintergrund, vor dem Bell seine Prognose formuliert, ist die rasante wissenschaftlich-technische Entwicklung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ausgelöst wurde diese durch eine forcierte Innovationswelle im 2. Weltkrieg und im Anschluss durch den Technologiewettlauf des Kalten Krieges sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in den westlichen Industriestaaten insgesamt weiterbefördert. Wissenschaft war ungemein populär und der bis weit in die 1980er Jahre fortwirkende Fortschrittsoptimismus beruhte wesentlich auf wissenschaftlich-technischen Innovationen. Bell weist anhand von Statistiken einen steigenden Einfluss auch von theoretischem Wissen auf Politik und Ökonomie nach. Gleichzeitig begann schon in den 1970er Jahren eine erste Welle der Automatisierung und Deindustrialisierung.3 Trotzdem beschreibt er sein Modell nicht als normativ, sondern konstatiert, dass „jede Gesellschaft […] unter verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden“ muss (Bell 1985, 185). Aus Bells Diagnose lässt sich keine einheitliche Begriffsbildung für die Wissensgesellschaft herleiten. Bell verwendet auch für spätere Abhandlungen und Aufsätze stets den Titel Post-Industrial Society und ergänzend beziehungsweise konkurrierend treten auch bis heute die Konzepte der Dienstleistungsgesellschaft und der Informationsgesellschaft auf. Während das Konzept Dienstleistungsgesellschaft die ökonomische Entwicklung des tertiären Sektors in den klassischen Industrieländern in den Blick nimmt und so klar definiert werden kann, werden Wissensgesellschaft und Informationsgesellschaft häufig synonym verwendet beziehungsweise konzeptionell untereinander vermischt. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Konzepten ist jedoch der menschliche Faktor. Das Erklärungsmodell Informationsgesellschaft beruht auf technologischen und ökonomischen Diskursen vor dem Hintergrund der Digitalisierung. Information ist messbar und kann – unabhängig von ihrem semantischen Kontext – auf verschiedenen Wegen verbreitet werden. Auch wenn Wissen auf Information als Trägerin angewiesen ist, geht es doch über Information hinaus, da es immer kontextbasiert ist und – im Gegensatz zur Information – Verstehen und nicht bloß Dekodieren voraussetzt. Eingebettet in das individuelle und kollektive Gedächtnis und die entsprechenden Erfahrungen erscheint Wissen demnach als etwas spezifisch Menschliches, während Information in Natur und Technik allgegenwärtig ist. Der weiter oben zitierte verkürzte Wissensbegriff Bells überträgt sich dabei zunächst auch auf das Konzept Wissensgesellschaft, das Wissen auf ein ökonomisch verwertbares Informationswissen reduziert. 3 Die Originalausgabe des Buches „The Coming of Post-Industrial Society“ (Bell 1974) erschien im Jahr nach der ersten großen Ölkrise 1973.

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Zwanzig Jahre nach Bell bezeichnet Stehr dann Wissen als „the result of human action but not of deliberate human design“ (Stehr 1994). Stehr erkennt die menschliche Natur von Wissen und seine schwierige Vorhersagbarkeit. Obwohl Wissen also gesellschaftlich und auch ökonomisch immer wichtiger geworden ist, entzieht es sich in gewisser Weise einfachen Erklärungsmustern. Gleichzeitig ist es global verteilt und in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten präsent. Aus dieser Perspektive betrachtet fällt es schwer, von einer Wissensgesellschaft zu sprechen und diese zu definieren. Einerseits entfaltet das Konzept eine globale Wirksamkeit, andererseits müssen die individuellen sozialen und kulturellen Kontexte berücksichtigt werden, um Wissen überhaupt zu verstehen. Die UNESCO leitet aus dieser Erkenntnis eine gesellschaftliche Verantwortung in Zusammenhang mit Wissensgesellschaften ab: Knowledge societies are about capabilities to identify, produce, process, transform, disseminate and use information to build and apply knowledge for human development. They require an empowering social vision that encompasses plurality, inclusion, solidarity and participation. (UNESCO 2005, 27)

Aus Sicht der UNESCO geht es in den Wissensgesellschaften also darum, Individuen und Gesellschaften zu befähigen, mit den wachsenden Informationsmengen umzugehen und diese zum Wohle der menschlichen Entwicklung als Wissen nutzbar und übertragbar zu machen. Die dazu notwendigen Fähigkeiten kann man auch als Kompetenzen bezeichnen, die für die UNESCO notwendig auf einem universellen Wertefundament aufbauen. Hier schließt sich der von Erpenbeck und Sauter formulierte Zusammenhang von Handlungsfähigkeit und Kompetenzen an (Erpenbeck/Sauter 2013, 4). Individuen können demnach im Kontext der Wissensgesellschaften Handlungsfähigkeit erlangen, wenn sie in die Lage versetzt werden, sich selbstorganisiert und kreativ Wissen anzueignen und zu erarbeiten. Neben diesem auf das Individuum bezogenen Charakter haben die Wissensgesellschaften aber auch eine globale, pluralistische Perspektive. Wie auch Stehr (Stehr 1994) verwendet die UNESCO deshalb den Plural Wissensgesellschaften. Dies scheint aus mehreren Gründen berechtigt. Zum einen sind Wissensgesellschaften kein normatives Konzept. Das bedeutet, sie beschreiben analysierend Phänomene, stellen aber kein, Allgemeingültigkeit beanspruchendes, Gesellschaftsmodell auf. Zweitens sind Wissensgesellschaften ein globales Phänomen, das auf einer lokalen Ebene gesellschaftlich und kulturell verankert ist. Drittens sind Wissensgesellschaften nicht statisch, sondern spiegeln die Kontingenz derzeitiger Gesellschaftsentwicklung. Zuletzt beansprucht Wissensgesellschaften auch noch, ein pluralistisches Konzept zu sein.

2.2 Wissensräume in Wissensgesellschaften



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Wissensgesellschaften sind aber nicht notwendig auch Wissenschaftsgesellschaften. Keineswegs definieren sie sich über eine wie auch immer geartete Verwissenschaftlichung der Gesellschaft, wie oft behauptet wird. Nähme man eine solche Verwissenschaftlichung als gesellschaftlichen Prozess ernst, müsste man eine zunehmende Objektivierung und Rationalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse beobachten, was nicht der Fall ist. Gesellschaftliche Entwicklungen sind aber – wie das Wissen selbst – nicht ohne weiteres programmierbar und alternativlos, sondern hängen von einem komplexen Geflecht unterschiedlicher Faktoren ab. Bittlingmayer weist zudem darauf hin, dass das Konzept Wissensgesellschaften sich durch eine „Verwissenschaftlichung der Gesellschaft“ allein nicht begründen ließe, „weil das keine qualitativ neue Entwicklung der siebziger oder sogar neunziger Jahre ist“ (Bittlingmayer 2005, 122). Prägend für Wissensgesellschaften ist also nicht die Wissenschaft, sondern das Wissen selbst. Burmeister et al. (2002) kritisieren aber genau diesen Fokus auf das individuelle Wissen als Schwachstelle des Konzepts: Außerdem taugt die von ihnen [den Vertretern der Wissensgesellschaften d. A.] verkündete Wissensgesellschaft wegen ihres teilweise naiven Rekurses auf die Bedeutung individuellen Wissens nur bedingt als Bezugsrahmen, um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern: Schließlich droht nicht nur die Gesellschaft aus den Fugen zu geraten, auch unsere Vorstellung vom Menschen selbst wird massiv in Frage gestellt. (Burmeister et al. 2002, 107)

Dass sich die Komplexität globaler gesellschaftlicher Entwicklung mit dem Konzept Wissensgesellschaften allein weder analysieren noch lösen lässt, ist richtig. Stellt man sich allerdings die Frage nach den Bedingungen von Wissenserwerb vor dem Hintergrund der zunehmenden Menge verfügbarer Information und den dafür notwendigen Kompetenzen, so liefert das Konzept Wissensgesellschaften einen sinnvollen soziologischen Kontext.

2.2.2 Wissensgesellschaften als Kontext für Wissensräume In der öffentlichen Wahrnehmung ist das Konzept Wissensgesellschaften durch wissenschaftlichen Fortschrittsoptimismus und technologische Machbarkeitsfantasien geprägt. Tendenzen, die Bittlingmeyer wie folgt auf den Punkt bringt: Im Kontext der Wissensgesellschaftsdebatte sind die Naturalisierungstendenzen gesellschaftlicher Verhältnisse, die Vorstellung einer weitgehend autonomen Technikentwicklung sowie die Schicksalhaftigkeit und Alternativlosigkeit des unterstellten gesellschaftlichen Wandels markante Punkte, an denen das Label „Wissensgesellschaft“ […] ideologischen Charakter annimmt. (Bittlingmayer 2005, 329, H. i. O.)

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Diese ideologische Tendenz in der Debatte um Wissensgesellschaften ist tatsächlich auszumachen. Zu verlockend erscheint die Idee, dass mit der Akkumulation immer mehr wissenschaftlich-technischen Informationswissens alle gesellschaftlichen Probleme lösbar wären und sich die Gesellschaft in eine Utopie rationaler Konfliktlösung und auf wissenschaftlicher Erkenntnis basierender Gleichheit entwickeln würde. Insbesondere im Zeichen der vorübergehenden Auflösung des Ost-West-Konflikts in den 1990er Jahren manifestierten sich diese Utopien zum Beispiel in der US-amerikanischen Fernsehserie Star-Trek: Next Generation. Der gemeinsame Zugriff einer Vielzahl von in einer interplanetarischen Föderation vereinten intelligenten Lebensformen auf einen zentralen, interaktiven Wissensspeicher und die bevorzugte Art der Konfliktlösung durch Wissens- und Technologietransfer sind zentrale dramaturgische Elemente dieser Erzählung. Der Weltraum wird in dieser Fernsehserie zu einem utopischen Wissensraum, der ein friedliches Zusammenleben erst ermöglicht. Betrachtet man die soziologische Diskussion über Wissensgesellschaften allerdings genauer, so wird deutlich, dass hier keineswegs eine naiv-utopische Fortschrittsideologie vorherrscht, sondern der Gehalt des Konzepts auch in einer differenzierten Auseinandersetzung mit dem inhärenten Risiko der Reduzierung gesellschaftlicher Komplexität auf das Ding an sich liegt. Stehr sieht eine potenzielle Falle darin, Wissensgesellschaften als Technologiegesellschaften zu beschreiben, oder einzelne technische Entwicklungen in den Vordergrund der Debatte zu stellen. The powerful images of moral neutralization of modern life envisioned in many of these warnings and the minimization of human agency or the ability of corporate actors to effectively intervene on their own behalf is linked in a potent manner to a specific conception of science and technology, because regulation, surveillance and concentration are the direct outcome of scientific-technical developments. (Stehr 1994, 227)

Gerade das Bewusstsein für die potenziellen und auch schon realisierten ökonomischen, sozialen und auch ökologischen Risiken des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und die Betonung des menschlichen, nicht objektivierbaren Faktors sowohl der gesellschaftlichen Entwicklung als auch des Wissens selbst werden von Stehr in diesem Zusammenhang ausgeführt. Er beschreibt Wissen eben nicht allein aus einer ökonomischen Perspektive als Informationswissen, sondern sieht es als eine zentrale Ressource für die Handlungsfähigkeit von Individuen und gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren insgesamt. Was Wissensgesellschaften demnach besonders auszeichnet ist, dass das wachsende wissenschaftliche und technische Wissen zunehmend zur zentralen gesellschaftlichen Ressource wird (Stehr 1994, 97).

2.2 Wissensräume in Wissensgesellschaften 

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Um den dahinterliegenden Wissensbegriff besser zu fassen, ist es wichtig zwischen dem zu unterscheiden, was gewusst wird (das Wissen) und der Tatsache, etwas zu wissen. Letzteres beschreibt nach Stehr ein Verhältnis zu Dingen und Fakten (über die wir etwas wissen) und an denen wir, vermittelt über dieses ‚um sie wissen‘, teilhaben. Die konkreten Inhalte des Wissens, also das Wissen an sich, sind demgegenüber symbolisch repräsentierbar und erfordern keine Teilhabe an den Dingen oder Fakten. Im Bereich des wissenschaftlichen und technologischen Wissens liegt nach Stehr grundsätzlich eine solche Objektivierbarkeit vor. Hier geht es nicht um eine direkte Teilhabe an den Dingen und Fakten an sich, sondern um einen durch Informationswissen vermittelten Zugang. Daneben steht die über Wissen vermittelte Teilhabe an der Gesellschaft, ganz im Sinne eines Handlungswissens (Stehr 1994, 93). Das heißt, die Informationen werden zunehmend gewichtet, bewertet, gegeneinander abgewogen und in der Kommunikation entsprechend ausgewählt. Gleichzeitig nimmt aber auch die Kommunikation von Bewertungen und Werten im Bereich sozialer Kommunikation zu. Informationelle und soziale Semantiken in ihrer entfalteten Form spielen für die Kommunikation der Zukunft und damit auch für das Lernen in der Zukunft eine zentrale Rolle. (Erpenbeck/Sauter 2013, 19–20)

Aus der oben eröffneten systemtheoretischen Perspektive betrachtet, ist dies allerdings etwas zu kurz gegriffen. Es geht eben nicht allein um die Teilhabe, sondern vielmehr um die Konstitution der Wissensgesellschaften durch das Wissen und seine Kommunikation. Wissen ist in diesem Kontext kein bloßes Kapital, das Individuen akkumulieren können, um ihre gesellschaftlichen Partizipationschancen zu verbessern, sondern es lässt sich auch als kognitive Operation, als Kompetenz des Subjekts definieren. Wir erzeugen auf Grund von Erfahrungen und Lernprozessen Wissensnetze, die die Grundlage unserer Wirklichkeitskonstruktion bilden, die eine viable Orientierung und erfolgreiche Handlungen ermöglichen und durch die wir auch emotional „im Gleichgewicht“ sind. Wissen wird nicht „transportiert“, sondern individuell erzeugt – allerdings vor dem Hintergrund kultureller und wissenschaftlicher Erkenntnisse. Zum Wissen gehört nicht nur deklaratives, sondern auch prozedurales Wissen: to know what – to know why – to know how (Siebert 2005, 81, H. i. O.).

Wie in Kapitel 2.1.2 schon umrissen, kann objektiviertes beziehungsweise deklaratives Wissen durch ein Individuum also nicht beliebig akkumuliert werden, sondern muss immer in einem spezifischen Kontext neu konstituiert werden, um für gesellschaftliche Teilhabe nutzbar zu sein. Wissensaneignung funktioniert dabei nicht primär über Informationsvermittlung, denn Wissen entsteht

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erst durch individuelle Verarbeitung und Kontextualisierung von Informationen. Untrennbar mit der erfolgreichen Aneignung deklarativen Wissens verbunden ist die Aneignung von Kompetenzen. Wir erinnern uns: Ohne Handlungswissen, das es ermöglicht, Verknüpfungen zwischen Wissenselementen und den individuellen Voraussetzungen herzustellen, wäre eine Aneignung und Anwendung von Informationswissen gar nicht möglich. Kompetenzaneignung setzt darüber hinaus noch ein durch Verstörung oder Auseinandersetzung ausgelöstes emotionales Engagement zur Verinnerlichung von Kompetenzen voraus (Erpenbeck/Sauter 2013, 190). Die Beziehung von Kompetenz und Wissen lässt sich dabei mit Arnold und Erpenbeck auf den Satz reduzieren, dass es zwar „Wissen ohne Kompetenz, aber keine Kompetenz ohne Wissen“ gibt (Arnold/Erpenbeck 2014, 21). Im Gegensatz zum objektivierten, deklarativen Wissen lässt sich Handlungswissen nicht über Informationsvermittlung transportieren, sondern entsteht unmittelbar im praktischen Umgang mit Wissenselementen. Dies hat weitreichende Folgen für die Art der Wissensaneignung unter den Bedingungen der Wissensgesellschaften. Konrad und Traub haben schon 2001 die Folgen der gesellschaftlichen und technischen Entwicklungsprozesse für das Lernen zusammengefasst, dazu gehören unter anderem – die Fähigkeit, relevante von irrelevanten Inhalten zu unterscheiden, – die selbständige Erarbeitung relevanter Wissenselemente, – die Fähigkeit zur Zusammenarbeit bei der Aneignung von Wissen, – damit verbunden Kommunikationsfähigkeit, – Reflexionsprozesse als Voraussetzung des Kompetenzerwerbs sowie – die Konfrontation mit Unbekanntem als Voraussetzung für emotionales Engagement (Konrad/Traub 2001, 15). Siebert identifiziert in diesem Zusammenhang einen „postmodernen Lerntyp“, der sich der Konstruiertheit von Wirklichkeit bewusst ist und folgerichtig Ideen von linearem Fortschritt und wissenschaftlich-technische Utopien zugunsten einer Offenheit für neue Erfahrungen und Erlebnisse verabschiedet hat (Siebert 2005, 47). Es wäre allerdings ein Kurzschluss, den hier zu beobachtenden Skeptizismus mit einem antiwissenschaftlichen Diskurs gleichzusetzen. Vielmehr kann das genannte kritische Bewusstsein Teil eines Handlungswissens sein, das es ermöglicht, anhand eigener Wissenskontexte zu prüfen und einzuordnen. Arnold unterscheidet an dieser Stelle Google-Wissen und Kohärenzwissen. Zum Wissen im eigentlichen Sinne wird das Google-Wissen deshalb erst, wenn es im Hinblick auf seine Kohärenz zu Wissenskontexten geprüft und eingeordnet werden kann. Wer bereits über eine kohärente Wissensbasis verfügt, der kann Google substantieller nut-

2.2 Wissensräume in Wissensgesellschaften



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zen, als derjenige, der nur von einem punktuellen Google-Wissen ausgeht und selten über ein Patchwork-Wissen hinausgelangt. Expertise braucht Kohärenzwissen, d. h. Begriffsklärungen, Strukturwissen, einen Überblick über erreichte Klärungsstände […] sowie Relevanzkriterien […]. (Arnold 2016b, 31)

Folgt man dem hier entwickelten Verständnis von Handlungswissen als der eigentlichen Grundlage der Wissensgesellschaften, muss sich zwangsläufig die Perspektive darauf ändern, wie Wissensaneignung in den Wissensgesellschaften funktioniert und welche Kontexte dafür notwendig sind. Dabei geht es weniger um technische Entwicklungen und die mit ihnen verbundenen technologischen Diskurse, auch wenn diese unmittelbar mit dem Konzept Wissensgesellschaften verbunden sind. Im Mittelpunkt stehen vielmehr das Individuum und seine Kompetenzen zur Aneignung und Anwendung von Wissen. Interaktion und Kommunikation sind in diesem Zusammenhang auf der Ebene des Individuums für viables, also praktische Wirkung entfaltendes, Wissen und gleichzeitig auch für die Wissensgesellschaften an sich konstitutiv. Aus dieser Perspektive betrachtet sperren sich die Wissensgesellschaften eigentlich gegen die mit dem Konzept verbundenen Ökonomisierungstendenzen, wie sie Schüßler im Kontext der Erwachsenenbildung beschreibt: Wird in der Wissensgesellschaft das lebenslange, selbstgesteuerte Lernen zu einem entscheidenden ökonomischen Faktor, stellt die Erwachsenenbildung jenen gesellschaftlichen Bereich dar, mittels dessen das Kräftepotential der Bevölkerung als Summe individuellen Wissens, individueller Fähigkeits- und Kompetenzprofile gesteigert werden kann und durch die sich die unternehmerischen Haltungen Erwachsener hinsichtlich der Investition in Bildung zur Aufrechterhaltung und Optimierung ihrer persönlichen Lebensumstände regieren lassen. (Schüßler 2016, 98)

Die etwa gleichzeitig mit dem Aufkommen des Konzepts Wissensgesellschaften einsetzende Tendenz einer Ökonomisierung und damit einhergehenden Privatisierung des Bildungssektors nährt den Verdacht, dass es sich eigentlich um ein neoliberales Konzept handelt, das Regulationsmechanismen und gesteuerte Informationsvermittlung im Bildungssektor zugunsten einer quasi unternehmerischen Eigenverantwortung und Selbstregulation der Individuen als ihrer eigenen Bildungsmanagerinnen und -manager abbaut. Dies entspricht der Kritik an den Konzepten des selbstorganisierten beziehungsweise selbstgesteuerten Lernens. So sehen sich auch die sich in diesem Kontext konstituierenden Wissensräume und Lernwelten dem Vorwurf ausgesetzt, neoliberalen Tendenzen im Bildungssektor auf Kosten der herkömmlichen und ‚bewährten‘ Lernräume Vorschub zu leisten. Will man im Kontext der Wissensgesellschaften Wissensräume gestalten, muss man sich nicht nur dieser Risiken einer neoliberal gefärbten Wendung des Konzepts bewusst sein, sondern

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darf auch nicht der Gefahr erliegen, aus einer überambitionierten, idealistischen Haltung heraus schnelle Erfolge zu versprechen. Eine Wissensgesellschaft kann deshalb auch nur Optionen, aber keine Erfolge sichern, was schon viel ist, die hochfliegenden bildungspolitischen Ansprüche und die pädagogischen Gestaltungsabsichten aber kaum zu befriedigen vermag. Was bleibt, ist die gezielte Vervielfältigung der sich dem Einzelnen für seine Entwicklung bietenden Optionen einerseits und eine aufmerksame Begleitung der individuellen Reifung andererseits. Beides ist gerade für eine demokratische Wissensgesellschaft zwingend nötig, da ohne sie die Ungleichheit der Herkunftskontexte weiterhin ungebremst ihre sozial selektiven Wirkungen entfalten und alles so bleiben kann, wie es gewesen ist. (Arnold 2016a, 36)

Betrachtet man die Wissensgesellschaften als Teilsystem der aktuellen Gesellschaft, so wird deutlich, dass es sich nicht um ein normatives, umfassendes Erklärungsmodell handelt, sondern um eine Beobachtung, die hilft, einen soziologischen Kontext für die sich wandelnde Perspektive auf Wissensaneignung und Kompetenzerwerb zu eröffnen. Dabei ist es einerseits wichtig, die herausgehobene Rolle des Individuums und seiner Voraussetzungen und Fähigkeiten bei der Konstitution des jeweils eigenen Wissens- und Kompetenznetzwerks in das richtige Verhältnis zum, für die Anwendbarkeit und gesellschaftliche Funktion von Wissen notwendigen, Austausch zu setzen, andererseits darf man das Konzept Wissensgesellschaften auch nicht auf wissenschaftlich-technische Fortschrittsutopien oder die Ökonomisierung des Bildungssektors verkürzen. Selbstorganisiertes Lernen in den Wissensgesellschaften kann nur optimal unterstützt werden, wenn man das Individuum in seinem jeweiligen kulturellen Kontext betrachtet. Learning does not happen in the same way for all people because cultural influences are influential from the beginning of life. These ideas about the intertwining of learning and culture have been reinforced by research on many facets of learning and development. (National Research Council 2018, 2)

An die Gestaltung von hochschulischen Lernwelten im Kontext der Wissensgesellschaften ergeben sich daraus folgende Anforderungen: – die Gestaltung neuer Lernwelten bedeutet nicht, sich der institutionellen Verantwortung für den Fortschritt der Lernenden zu entziehen, sondern muss sich vielmehr der Verantwortung für neue Prozesse der Wissensaneignung und des Kompetenzerwerbs stellen; – dabei geht es nicht um den Input im Sinne einer Vermittlung von Informationswissen, sondern um die Befähigung von Individuen, eine kohärente Wissensstruktur aufzubauen und zu erweitern;

2.3 Zur Evolution informeller Lernräume an Hochschulen 

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der institutionelle, gesellschaftliche und kulturelle Kontext muss bei der Gestaltung von Lernwelten berücksichtigt werden; Prozesse individueller Wissensgenerierung und kooperative Lern- und Arbeitsphasen stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern bedingen sich gegenseitig; die Chance, hochschulische Lernwelten als offene Wissensräume für die gesamte Gesellschaft nutzbar zu machen, sollte ergriffen werden.

Nicht nur der gesellschaftliche Kontext der Wissensaneignung ist einem Wandel unterworfen, sondern viel konkreter auch der institutionelle und räumliche Rahmen der Hochschulen.

2.3 Zur Evolution informeller Lernräume an Hochschulen Wenn von Lernräumen an Hochschulen die Rede ist, so wird in der Regel zwischen formalen und informellen Lernräumen unterschieden. Stang (2016) unterscheidet angelehnt an ein Memorandum der EU-Kommission formales, nichtformales und informelles Lernen. Demnach ist das formale Lernen ein bewusster Prozess, der den Lernenden zu einer zertifizierten Qualifikation führt (Abbildung 1). Während ein Individuum beim nicht-formalen Lernen keine offizielle Qualifikation erwartet, aber ebenfalls bewusst handelt, deckt das informelle Lernen in diesem Modell alle Lernprozesse ab, die nichtintentional und eventuell sogar unbewusst ablaufen. Die Unterscheidung formalen und nicht-formalen Lernens kann so zum Beispiel helfen, die Bedeutung nicht-formalen Lernens hervorzuheben, wie es etwa Meyers et al. am Beispiel des Erwerbs digitaler Kompetenz tun (Meyers et al. 2013, 356). Im Gegensatz zu dieser allgemeinen Unterscheidung formalen, informellen und non-formalen Lernens ergeben sich im Kontext der Hochschule allerdings Besonderheiten.

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Abb. 1: Formales, Informelles und Non-Formales Lernen nach Hesse/Clark (Stang 2016, 24)

Hochschulen sind nach dieser Auffassung immer Orte formalen Lernens, da Studierende sie in der Absicht besuchen, eine Qualifikation und, im Idealfall, auch Bildung zu erwerben. In einem binären Modell machte dies den Raum der Hochschule insgesamt zu einer formalen Lernwelt. Allerdings wird der Begriff informelles Lernen auch im Kontext hochschulischer Lernräume verwendet. Formale und informelle Lernräume unterscheiden sich hier dadurch, dass erstere dem direkten Kontakt mit den Lehrenden dienen, gemeint sind in erste Linie Hörsäle und Seminarräume, während informelle Lernräume diejenigen Orte sind, an denen Studierende ohne direkte Anleitung lernen. Dieses – verkürzt auch Selbststudium genannte – Lernen dient aber dennoch dem Studienverlauf und wird – etwa bei der Vergabe von Leistungspunkten – auch berücksichtigt. Hinzu kommen solche Räume, in denen zwar gelernt wird, dieses Lernen aber nicht direkt dem Studienverlauf dient beziehungsweise für den angestrebten Abschluss nicht relevant ist, etwa im Rahmen politischen Engagements, der Kulturarbeit oder des Hochschulsports. Zuletzt gibt es im Bereich der Hochschule zumeist unbewusste Lernprozesse, die sich der Steuerung entziehen, so etwa das habituelle Lernen. Diese sind räumlich nicht eindeutig zu verorten, sondern finden potentiell überall auf dem, aber auch jenseits des Campus statt. Der Kontext der Lernraumzuordnung an Hochschulen wird in Abbildung 2 dargestellt.

2.3 Zur Evolution informeller Lernräume an Hochschulen 

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Abb. 2: Lernräume im Hochschulkontext (eigene Darstellung)

Bevor eine kritische Auseinandersetzung mit der generellen Unterscheidung formaler und informeller Lernräume an Hochschulen vorgenommen wird, soll zunächst der Frage nachgegangen werden, an welchem Punkt wir in der Entwicklung informeller Lernräume stehen, deren prominentester die Bibliothek ist.

2.3.1 Bibliotheken und andere informelle Lernräume In der Frühzeit der europäischen Universitäten muss man sich die Bibliothek weniger als einen Raum, sondern mehr als eine Aufbewahrungsform von Büchern vorstellen. Diese Bücher dienen einerseits der Vorlesung im wörtlichen Sinne, andererseits aber auch der Herstellung gesicherter Kopien. Aufbewahrt sind sie in Truhen oder Schränken. Zunächst sind die Sammlungen von Büchern, die sich vornehmlich aus Schenkungen speisen, auf verschiedene Orte im Bereich der Universität verteilt. Erst mit anwachsenden, zentralen Buchbeständen werden erste Räume speziell als Bibliotheken errichtet (Feather 2016, 33). Die so entstehenden Wissensräume sind gleichzeitig immer auch Lernräume, denn die Bücher werden, unter anderem da sie häufig an Lesepulten angekettet sind, in der Regel vor Ort konsultiert. Auf diese Weise entsteht eine Verbindung von Informationsspeicherung und -nutzung, die bis in das 21. Jahrhundert hinein den Blick auf Universitätsbibliotheken wesentlich prägt. Gleich-

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zeitig bleiben aber auch die über den Campus verstreuten Büchersammlungen als Kollegbibliotheken, Professorenbibliotheken, Handapparate und später Seminar- und Institutsbibliotheken erhalten. Viele dieser kleineren Bibliotheken zeichnen sich durch eine sehr große Nähe von formalem und informellem Lernraum aus, insbesondere, wenn Seminar- und Bibliotheksräume eine Einheit bilden. Bis ins späte 18. Jahrhundert ist der vorherrschende Raumtyp größerer Bibliotheken ein mehr oder weniger großer Raum beziehungsweise eine Raumfolge mit Bücherregalen an den Wänden und Plätzen für Nutzerinnen und Nutzer im selben Raum. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ändern sich die Anforderungen an die Bibliotheken dann grundlegend. Universitäten werden reformiert oder neu gegründet, vielerorts erhöhen sich die Studierendenzahlen und auch die Bestände wachsen teilweise sprunghaft. Die wachsende Zahl sowohl der Nutzerinnen und Nutzer als auch der Bücher macht eine bauliche Trennung von öffentlichen Bereichen der Bibliothek, ihrem Magazin und der Verwaltung notwendig. Ein Idealplan des italienische Architekten Leopoldo Della Santa von 1816 verdeutlicht diese Entwicklung. In einer sehr kompakten Bauweise werden Lesebereiche für das Publikum, Arbeitsräume für das Bibliothekspersonal und Magazine voneinander getrennt (Della Santa 1984 [1816]). Hier findet die Nutzung der Bücher getrennt von ihrer Aufbewahrung statt und es entstehen Lesesäle, die den Prozess der Rezeption auch vom Bautypus her in den Mittelpunkt stellen. Die so genannte Dreiteilung der Bibliothek prägt bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein den Bautyp Universitätsbibliothek, wobei in dieser Zeit gleichzeitig die Zahl der Seminar- und Institutsbibliotheken exponentiell wächst und an den meisten Universitäten auf diese Weise ein Geflecht unterschiedlicher informeller Lernräume entsteht. Mitte des 19. Jahrhunderts entstehen teilweise repräsentative Bauten mit historistischer Formensprache, die den Lesesaal und damit den Lernraum in den Mittelpunkt des Wissensraums Bibliothek stellen. Daneben werden aber zunehmend auch funktionale Gebäude mit zurückhaltendem Dekor und wenigen historischen Reminiszenzen errichtet. Als Beispiele sind hier neben der 1880 fertiggestellten Universitätsbibliothek in Halle auch die beinahe zeitgleichen Bibliotheken in Kiel und in Greifswald zu nennen (Naumann 2011). Am Beginn des 20. Jahrhunderts existiert ein Nebeneinander von Repräsentationsbauten und Gebäuden, die in der Raumauffassung schon eher modern sind. Letztere betonen immer mehr auch die Magazinbereiche, die zuvor meist versteckt wurden. Viele große Universitätsbibliotheksbauten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeichnen sich durch einen dominanten Magazinturm aus, der in der Vertikalen die Bedeutung des Buchbestandes betont. Die Sterling Memorial Library der Yale University von 1931 und die 1934 fertiggestellte Cambridge Uni-

2.3 Zur Evolution informeller Lernräume an Hochschulen 

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versity Library betreten die Besucherinnen und Besucher jeweils durch ein monumentales Portal und durchqueren so das Erdgeschoss des Magazinturms, bevor sie in die öffentlichen Bereiche der Bibliothek gelangen. Doch nicht nur symbolisch treten die Nutzerinnen und Nutzer der Bibliothek hinter die Beständen zurück: „The history of academic libraries in the twentieth century can be written in terms of the rate at which books drove readers out and of the Sisyphean efforts of institutions to escape this trend.“ (Bennett 2009) Bennett spielt hier darauf an, dass im Laufe des 20. Jahrhunderts immer mehr Lesesäle in Bibliotheken Buchbeständen weichen mussten. Anders als Öffentliche Bibliotheken, die die in den skandinavischen Ländern und im angelsächsischen Raum verbreitete Freihandaufstellung und damit eine Vermischung der Raumbereiche übernehmen, halten die meisten Wissenschaftlichen Bibliotheken in Deutschland dagegen nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst an der Dreiteilung fest. Bis weit in die 1960er Jahre hinein bleiben Baugruppen mit einer vertikalen Betonung durch den Magazinturm sowie in der Fläche angelegte Gebäude für die öffentlichen Bereiche und die Verwaltung die wesentlichen Typen für Universitätsbibliotheken hierzulande (Fuhlrott 1981). Neben die Universitäten treten in Deutschland seit den späten 1960er Jahren noch die Fachhochschulen als neuer Hochschultyp. Gleichzeitig werden aber auch Universitäten neu gegründet oder stark ausgebaut und es entsteht ein neuer, nach rein funktionalistischen Kriterien ausgerichteter Typus hochschulischer Lern- und Wissensräume. Neue Bibliotheken werden jetzt in einer Durchmischung von frei zugänglichen Buchbeständen und Leseplätzen konzipiert und es wiederholen sich die immer gleichen Module an allen Hochschulen, da man davon ausgeht, dass Lernen an der Hochschule an allen Orten unabhängig vom fachlichen oder lokalen Kontext gleich funktioniert. Letztendlich liegt sowohl den formalen als auch den informellen Lernräumen der damaligen Epoche eine behavioristische Lernvorstellung zugrunde. So wie der Hörsaal und der Seminarraum der Aufnahme von Information über Vorlesung und Seminar dienen, dient die Bibliothek der Aufnahme von Information aus den Buchbeständen. Das dahinter erkennbare mechanistische Menschenbild spiegelt sich auch in der Architektur der Lernräume wider. Gleichzeitig hat in dieser Zeit die metaphorische Benennung zunächst scheinbar funktionsloser Verkehrswege und Flächen Konjunktur. Verbindungen zwischen Gebäuden werden als Straßen bezeichnet, es entstehen als kleine Sitztreppe gestaltete Amphitheater, Kreuzungspunkte werden zu Foren und Eingangshallen werden mit wenigen gestalterischen Eingriffen in Agorai umgedeutet. Die Metaphern für diese im eigentlichen Raumprogramm der Gebäude nicht enthaltenen Flächen werden nicht nur wegen des akademischen Kontextes aus der Antike entlehnt, sondern man folgt damit auch einer für die Architektur der

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Moderne typischen Adaption überlieferter Terminologie für neue Formen (Lindahl 1992). Gedacht sind diese Flächen nicht nur als Pausenareale oder Verkehrswege, sondern sie sollen auch als Ort der Begegnung und Kommunikation dienen. Abgesehen von diesen, in der Nutzungsrealität und vom Gebäudemanagement dann oftmals eher vernachlässigten, Flächen bleiben die Bibliotheken aber bis in die 1990er Jahre die wesentlichen informellen Lernräume auf dem Hochschulcampus.

2.3.2 Von PC-Pool zum Lernort – neue informelle Lernräume an Hochschulen Seit den 1990er hat sich die Debatte um informelle Lernräume an Hochschulen deutlich verändert. Insbesondere auch im Kontext des wissenschaftlichen Bibliothekswesens beginnt man, sich auf Kongressen und Tagungen, aber auch publizistisch mit neuen Anforderungen an das Lernen und deren Auswirkungen auf informelle Lernräume auseinanderzusetzen (Criddle et al. 1999). Ein wesentlicher Faktor für die Entwicklung neuer informeller Lernräume an Hochschulen ist die Einführung von PC-Pools, die zunächst Rechner und in der Folge der Einführung des World Wide Web auch Internetverbindungen zur Nutzung für Studierende anbieten. Dies markiert nicht nur der Beginn großflächigen, durch digitale Technik unterstützten Lernens und Arbeitens an Hochschulen, sondern die neuen Räume und Infrastrukturen entfalten auch eine eigene soziale Dynamik. Demgegenüber steht allerdings in der Regel das Fehlen eines pädagogischen Konzepts. Es geht zunächst wesentlich um das Angebot von technischer Infrastruktur. Im englischsprachigen Raum entwickelt sich für diese, zunächst in Anlehnung an älteren Laboratorien für Großcomputer oft als Computerlab bezeichneten, Räume die Bezeichnung Information Commons. Hinter den Information Commons steht aber ein Konzept, das über die reine Verfügbarmachung von Rechnern beziehungsweise Zugängen hinausgeht. Students and faculty need well-equipped facilities and instructional help in mastering information technology. The information commons offers both and represents a new element in the traditional panoply of library service spaces-reference, circulation, technical services, and departmental libraries. The information commons requires a fundamentally new degree of collaboration between librarians and information technologists, who bring different professional training and cultures together in newly designed spaces in support of student and faculty learning. The information commons is now a well-established feature of library space design and has spawned its own professional literature. (Bennett 2009)

2.3 Zur Evolution informeller Lernräume an Hochschulen 

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Dabei sind Information Commons nicht zwingend in Bibliotheken angesiedelt und auch das von Bennett nahegelegte, in Zusammenarbeit von Bibliothek und IT entwickelte Dienstleistungsniveau muss nicht unbedingt der Realität entsprechen, zuletzt ist auch fraglich, ob die verfügbaren Räume tatsächlich speziell für diesen Zweck gestaltet sind. In der Praxis sind die meisten US-amerikanischen Information Commons Ergebnisse des Umbaus von bestehenden Bibliotheksräumen und nur wenige existieren in dafür errichteten Neubauten oder anderen Gebäuden auf dem Campus (Lippincot 2006, 7.1), insofern ist die Assoziation mit der Bibliothek naheliegend. Es geht letztlich aber nicht darum, explizit Lernräume zu schaffen, auch wenn die neuen Flächen sehr häufig und teilweise auch nachträglich konzeptionell entsprechend aufgeladen werden, im Vordergrund stehen neuartige PC-Arbeitsumgebungen mit entsprechender Hard- und Softwareausstattung für die sich ausbreitenden digitalen Zugänge und Ressourcen: „In an information commons, the underlying philosophy is to provide users with a seamless work environment so that they may access, manage, and produce information all at the same workstation.“ (Lippincot 2006, 7.2) In diesem Sinne waren Information Commons für ihre Zeit also wichtig und sinnvoll, denn sie bereiteten den Boden für die weitere Digitalisierung der akademischen Umwelt und führten die damalige Studierendengeneration an das Arbeiten in solchen Umgebungen heran; letzteres explizit sowohl für die Einzelals auch für die Gruppenarbeit. So entstanden in den Arbeitszusammenhängen automatisch auch Lernumgebungen. Bennetts Emphase für das Konzept Information Commons korreliert allerdings nicht unbedingt mit der Realität, worauf auch Closet-Crane in ihrer Analyse der bibliothekarischen Diskurse rund um die neuen informellen Lernräume hinweist: Information Commons is a physical manifestation of a concept of service, whereas information commons is a form of rewording […] used by Bennett to restructure the IC into a glorified computer lab […] Therefore the term “information commons” can be interpreted as representing either a conceptual entity (concept of service) or a physical space or place […]. (Closet-Crane 2009, 119, H. i. O.)

Es existiert eine erkennbare Differenz zwischen der konzeptionellen Ebene, auf der Information Commons beinahe zu umfassenden Lösungen der mit den technischen und kulturellen Veränderungen des Lernens und Arbeitens an Hochschulen und insbesondere deren Bibliotheken verbundenen Herausforderungen erklärt werden und einer räumlichen Realität, die oft nicht mit den in sie gesteckten Erwartungen korreliert. Im deutschsprachigen Raum findet diese Debatte zwar keine Entsprechung und es setzt sich auch keine begriffliche Übernahme von Information Commons

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durch,4 dennoch ist erkennbar, dass es auch hier Verbindungen von Bibliotheken und PC-Pools gibt, die über ein Servicekonzept verfügen und solche, die über Technik und Zugänge hinaus keine Angebote machen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch für den deutschsprachigen Raum Bennetts oben zitierte Feststellung, dass es um Lernumgebungen geht, die neuartige technische und räumliche Infrastrukturen teilweise mit hierfür entwickelten Dienstleistungen, etwa First- und Second-Level-Support oder Beratung bei der Online-Recherche verbinden. All dies ist selbstverständlich auch mit Lernen verbunden; neben den in den 1990er Jahren noch sehr wichtigen praktischen Fertigkeiten im Umgang mit der Technik kann es hier auch zur Produktion anschlussfähigen Wissens, etwa zum vernetzten Arbeiten mit unterschiedlichen digitalen Formaten bis hin zum Erwerb echter Kompetenzen, also einer Handlungsfähigkeit im digitalen Raum kommen. Im Zentrum sowohl der Infrastrukturen als auch der angebotenen Dienstleistungen stehen aber die Nutzung von Technik beziehungsweise die Informationsbeschaffung, nicht die Studierenden selbst oder deren Lernprozesse, die in den Information Commons zweifelsohne stattfinden, aber weder systematisch begleitet, noch betrachtet werden. Schon 2003 stellt Bennett dem von ihm beschriebenen Konzept der Information Commons daher das der Learning Commons gegenüber: A learning commons, as imagined here, would have quite different goals. It would bring people together not around informally shared interests, as happens in traditional common rooms, but around shared learning tasks, sometimes formalized in class assignments. The core activity of a learning commons would not be the manipulation and mastery of information, as in an information commons, but the collaborative learning by which students turn information into knowledge and sometimes into wisdom. (Bennett 2003)

Der entscheidende Unterschied besteht für ihn darin, dass die Lernaktivitäten der Studierenden in den Mittelpunkt gestellt werden. Aus einem dem Lernen im weiteren Sinne dienenden Angebot entsteht mit den Learning Commons erstmals in der Geschichte der europäisch geprägten Hochschulen ein Konzept informeller Lernräume, die einer ganzheitlichen Vorstellung von Lernen folgen (Turner et al. 2013, 230). Aber auch hier beobachtet Closet-Crane einen Unterschied zwischen Bennetts Konzept und dem, was Learning Commons in der Regel sind: The LC [learning commons, d. A.] is constituted as an institutional unit that combines the services of the academic library, of the IC [information commons, d. A.], and those of other academic support-units as well. Beagles’ version of the physical LC is seen as a facility 4 Gläser (2008, 176–180) führt einige Beispiele aus dem englischsprachigen Raum auf, eine begriffliche Übernahme fand in Deutschland aber nicht statt.

2.3 Zur Evolution informeller Lernräume an Hochschulen 

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housing all those units under one roof. In Bennett’s text (2008), the LC model is presented as a desirable evolution of an outdated service-focused IC model to a learning-focused LC model said to respond to current learner-centered trends in higher education as well as evolving needs of library users. (Closet-Crane 2009, 123, H. i. O.)

Und tatsächlich ist zu erkennen, dass zwar immer wieder betont wird, mit Learning Commons die informellen Lernräume der Hochschulen einer neuen Auffassung des Lernens anzupassen und die Studierenden ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken zu wollen, dass die entsprechenden Räume oder Gebäude allerdings in der Regel keinem pädagogischen Konzept folgen und erst recht nicht mit den Studierenden gemeinsam entwickelt werden. Ob die Zusammenführung von Bibliotheken, Rechenzentren und anderen Serviceeinrichtungen der Universität zu einer neuen räumlichen Qualität geführt hat, die das selbstorganisierte Lernen auch konzeptionell und gestalterisch ins Zentrum stellt, ist mit Blick auf die seit den 2000er Jahren gebauten Beispielen zumindest fraglich. Dies greifen Turner et al. (2013) auf und setzen die insbesondere von Bennett diskursiv angeregte Evolution neuer Konzepte für informelle Lernräume mit den Learning Spaces fort: The learning spaces model furthers the mission of the learning commons by providing various formal and informal flexible learning spaces that better facilitate learning. This shift in direction is inspired by the understanding that spatial designs influence learning behaviours. (Turner et al. 2013, 231)

Hochschulische Lernräume werden in dieser Perspektive als Ermöglichungsräume gesehen. Gestaltet man Lernräume mit einem solchen Blick auf die Lernenden und ihre Bedürfnisse, entfernt man sich deutlich von den behavioristischen Lernraumkonzepten der Vergangenheit. Hierunter sind Lernraumkonzepte zu verstehen, die Lernen als einen auf Reiz-Reaktions-Mechanismen basierenden, steuer- und vorhersagbaren Prozess sehen, wie er insbesondere von den Vertreterinnen und Vertretern des Neobehaviorimus beschrieben wird. Der räumliche Anteil eines solchen Lernarrangements ist dementsprechend in der Regel auf die Lehrperson im Frontalunterricht ausgerichtet (Stang 2016, 26) oder aber auf die Rezeption von ‚Lernstoff‘, wie etwa dem Buch als „Fluchtpunkt“ der traditionellen Vorstellung vom Bibliotheksraum (Eigenbrodt 2014, 23). Damit deutet sich auch eine Infragestellung der klassischen Dichotomie formeller und informeller Lernräume an, auf die in Kapitel 2.4 näher eingegangen wird. Als Lernort wird das Konzept der Learning Spaces auch im Hochschul- und Bibliothekswesen der deutschsprachigen Länder seit Beginn dieses Jahrzehnts breit rezipiert (Eigenbrodt 2010). Die Entwicklung neuer Konzepte informeller Lernräume an

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Hochschulen ist ein evolutionärer Prozess, der an dieser Stelle nicht abgeschlossen ist (Abbildung 3).

Abb. 3: Evolution neuer informeller Lernräume im Hochschulkontext (eigene Darstellung)

2.3.3 Lernwelt Hochschulbibliothek Die oben vorgestellten Konzepte sind, wie sich auch in ihrer Rezeption im deutschsprachigen Raum deutlich zeigt, in der praktischen Verwendung selten zu unterscheiden. The terms “learning spaces”, “learning commons”, and “information commons” have often been used interchangeably within the arena of library and information management discourse and in practice in academic libraries. This interchangeability reflects the evolving nature of these concepts but also acknowledges that each shares some common features with the others. (Turner et al. 2013, 227, H. i. O.)

Analog werden hierzulande in der Literatur und auch in der Praxis die Begriffe Lernort, Lernraum und Lernzentrum verwendet, seltener auch die englischen Bezeichnungen beziehungsweise Anglizismen. Die terminologische Unsicherheit, die auch an dieser Stelle erkennbar wird, spiegelt dabei die Schwierigkeit, zukünftige Entwicklungen des Lernens in solchen Räumen vorauszusagen oder Lernumgebungen bestimmten Lerntypen zuzuordnen. Letzteres wird auch vom US-amerikanischen National Research Council thematisiert. Angesichts der Vielfalt, Individualität und je nach Perspektive auch Verschränktheit unterschiedlicher Lerntypen wird letztendlich empfohlen, auf eine Taxonomie von

2.4 Abschied von der Dichotomie formell – informell



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Lerntypen zu verzichten. Eine exemplarische Auswahl soll dort jedoch dazu beitragen, Lernen als Prozess zu verstehen, in dem sich unterschiedliche Lerntypen ergänzen (National Research Council 2018, 38). Hier bietet sich das weiter oben bereits zitierte Konzept der Lernwelten (Stang 2016, 1) aus mehreren Gründen an: – es ist offen in Hinblick auf unterschiedliche Lerntypen und Lernkonstellationen, – es bildet die Vielfalt von Lernumgebungen ab, ohne sie begrifflich zu reduzieren, – es erlaubt, die Dynamik der beschriebenen Entwicklung nachzuvollziehen und – es stellt die Ermöglichung von Lernen in den Mittelpunkt. Beschreibt man Hochschulbibliotheken allerdings in diesem Sinne als Lernwelten, stellt man damit gleichzeitig auch Gewissheiten in Frage. Diese beziehen sich zum einen auf die Rolle, die Bibliotheken als Wissensräume traditionell an Hochschulen spielen, zum anderen aber auf die etablierte Dichotomie von formalen und informellen Lernräumen an Hochschulen.

2.4 Abschied von der Dichotomie formell – informell Hochschulische Lernräume werden traditionell nach formellen und nicht-formellen oder informellen Lernräumen getrennt betrachtet. Dabei orientiert sich diese Unterscheidung an der Dichotomie von angeleitetem, durch Lehrende gesteuertem, Studium und Selbststudium, das nach dieser Lesart nicht angeleitet also selbst-gesteuert ist. Dieses Modell durchzieht die Hochschulplanung von der Gestaltung der Studienpläne und der Didaktik bis zur Budget- und Bauplanung und ist eng mit dem Wesen der europäisch geprägten Universitäten verknüpft. Um diese Dichotomie zu verstehen, ist es wichtig, sich zunächst den historischen und baulichen Kontext anzuschauen, bevor man die Frage nach der Unterscheidung von Lehre und Lernen stellen kann, um Wege aufzuzeigen, die Dichotomie zu überwinden.

2.4.1 Lernarchitekturen Architektur ist auch immer ein Medium, sowohl in Hinblick auf kulturelle und/ oder religiöse Überlieferung als auch in Hinblick auf bestimmte Verhaltensweisen, die durch Architektur beeinflusst werden können. Wer den Code kennt,

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weiß, wie man sich an bestimmten Orten zu verhalten hat. Auf diese Weise können Orte sowohl eine vermittelnde Funktion haben, als auch in ihrer ‚richtigen‘ Nutzung erlernt werden (Tuan 1977, 112). Im Fall von Wissensräumen ist dies besonders wirksam, wie ein Blick in die Baugeschichte von Universitäten zeigt. Nach einer relativ kurzen Phase der Freiheit – und räumlichen Freizügigkeit –, in der die ersten Universitäten eng in das Gefüge der sie aufnehmenden Städte eingebunden sind, ohne jedoch von diesen abhängig zu sein, werden sie sesshaft und gleichzeitig mehr und mehr reglementiert (Rückbrod 1977). In diesem Zusammenhang verändern sich auch Lehre und Lernen, indem man es von den, bis dahin existierenden, äußeren Einflüssen isoliert, die aufgrund der Ortsungebundenheit und der Einbettung in städtische Kontexte zwangsläufig auftraten. Vorlesungen und Disputation finden vorher nicht nur in den Häusern der Gelehrten, sondern auch in Kirchen, Sälen und sogar auf Straßen und Plätzen statt. Hochschulische Lehre war also zunächst eine halböffentliche beziehungsweise sogar öffentliche Veranstaltung, die sich in das städtische Umfeld einfügte und umgekehrt auch den vom städtischen Leben ausgehenden äußeren Einflüssen ausgesetzt war. Dies ändert sich mit der Errichtung erster Universitätsgebäude grundlegend: Buoncompagno fordert ein Haus, ausreichend breit und lang; der Lehrsaal soll im Obergeschoß liegen, über eine breite Treppe erreichbar sein und genügend Fenster zur Belichtung und Belüftung haben. Die Wände sollen einheitlich grün gestrichen sein; Bilder, die die Aufmerksamkeit beeinträchtigen können, dürfen nicht aufgehängt werden. Der Lehrsaal soll nur einen Eingang haben. Die Kathedra soll so aufgestellt sein, daß der Lektor jeden Hereinkommenden im Auge habe; außerdem müsse er Aussicht auf Bäume und Gärten haben, da der Anblick der Natur das Gedächtnis stärke. Alle Plätze der Scholaren sollen gleiche Sitzhöhe haben, damit sie den erhöht sitzenden Lektor sehen können. (Rückbrod 1977, 72–73)

Was hier in einer der ersten architekturtypologischen Schriften zum Hochschulbau angelegt ist, kommt auch heutigen Leserinnen und Lesern noch bekannt vor. Die Architektur dieses Lernraums richtet den Fokus der Lernenden auf den Lehrstuhl beziehungsweise das Lesepult.5 Dies ist insbesondere in der Zeit vor dem Medienwechsel zum gedruckten Buch durchaus wörtlich zu nehmen, da von der Kathedra aus Büchern vorgelesen und diese mittels der Mitschriften durch die Studierenden auch vervielfältigt werden. Um diesen Fokus zu erreichen, wird die Umgebung zudem bewusst informationsarm gestaltet. Aus der 5 Der von Buoncampo erwähnte gedächtnisfördernde Ausblick ins Grüne deutet hier in eine ganz andere, aus Sicht der Kognitionsforschung sehr moderne Richtung, die allerdings erst in der neuzeitlichen Campusplanung typologisch wieder aufgegriffen wird (siehe hierzu Kapitel 5.2).

2.4 Abschied von der Dichotomie formell – informell 

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Perspektive der Informationstheorie kann man von einer Unterdrückung des Rauschens sprechen, keine unnötigen Informationen sollen von dem zu vermittelnden Lernstoff ablenken. Die Konzentration des Lernens liegt somit einseitig auf der Vermittlungsleistung, nicht auf der Konstitution neuen Wissens durch die Studierenden. Der von Buoncompagno erstmals beschriebene Typus des formellen Lernraums ist bis heute prägend sowohl für Hörsäle, in denen die auf mittelalterlichen Wurzeln basierende Vorlesung nach wie vor die dominante Vermittlungsform ist, als auch für Seminarräume, die auch in neueren Hochschulgebäuden baulich und gestalterisch auf den Frontalunterricht ausgelegt sind. Interessant ist die zeitliche Verbindung der sich baulich manifestierenden Sesshaftwerdung mit der zunehmenden obrigkeitlichen Kontrolle und Reglementierung der Universitäten (Rückbrod 1977). Die Einführung der frontal ausgerichteten, formellen Lernräume, die unter dem Primat der Vermittlung von Lernstoff steht, geht einher mit einem neuen Regime der älteren sowie der obrigkeitlich gesteuerten Errichtung neuer Universitäten. In den Diskussionen über den Ort der Universität entsteht eine Alternative zur städtischöffentlichen Gelehrsamkeit, die sich auf alte Traditionen berufen kann, die nach innen integrierte, nach außen separierte Schule. (Wagner/Friese 1993, 14)

Universitäres Lernen wird durch die Einführung der formellen Lernräume auf die Vermittlung beschränkt und von der Umgebung isoliert und damit gleichzeitig kontrollierbar und in Inhalten und Zweckbestimmung steuerbar gemacht. Mit der Form und Funktion von entsprechender Architektur, aber auch der alltäglichen Praxis der Nutzung der unterschiedlichsten Räume sind dementsprechend nicht nur bestimmte Normalitätserwartungen im Hinblick auf die Intentionalität, Wirksamkeit und Nutzung dieses Raums verbunden, sondern darüber hinaus auch bestimmte Adressierungen und Positionierungen der Lernenden und Lehrenden. (Nugel 2015, 60)

Dieses Regime bezieht sich jedoch nicht nur auf den räumlichen Aspekt und die zulässigen Lernformen innerhalb der Lernarrangements, sondern bestimmt für Lernende und Lehrende auch den zeitlichen Rahmen; eine Mindestzahl von zu absolvierenden Veranstaltungen in der Präsenzlehre für die Studierenden korreliert heutzutage mit einem festen Deputat an abzuleistenden Semesterwochenstunden für das Wissenschaftliche Personal der Hochschulen. Für die weitere Gestaltung dieser Lernarrangements bleibt also in der Regel ein fester, im 90Minuten Rhythmus getakteter Termin pro Woche, der in einer festgelegten, meist wenig flexiblen, räumlichen Umgebung stattfindet.

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Long und Ehrmann (2005) sehen das Bild, dass sich die Öffentlichkeit von Hochschulen macht, immer noch durch solche räumlichen Lernarrangements geprägt, in denen Lehrende unterrichten und Studierende zuhören und sich Notizen machen. Entsprechend sei auch die Anwesenheit in Seminaren oder Vorlesungen nach wie vor der wichtigste Gradmesser für den Lernfortschritt der Studierenden. Das so genannte Selbststudium spielt demgegenüber eine untergeordnete Rolle und hat vor allem eine dienende Funktion als Vor- oder Nachbereitung der Präsenzveranstaltungen. Betrachtet man allerdings das Geschehen in solchen Räumen aus neurophysiologischer Sicht, so können die vermittelten Informationen allenfalls Lernprozesse anregen, die Vermittlung selbst ist allerdings kein Lernprozess. Die Idee, durch informationsarme Lernräume einen ungestörten Informationskanal direkt ins Gehirn der Studierenden zu eröffnen, funktioniert nicht. Nichts kommt bei den Zuhörenden so an, wie es vom Lehrstuhl aus gesprochen wurde. Der Referent liefert Anstöße für eigene Gedanken, das Gehirn kommuniziert mit sich selbst, es erinnert sich, sucht bestätigende Beispiele oder auch Widersprüche. Die Gedanken sind – wie es in dem Volkslied heißt – „frei“, sie flottieren, entfernen sich vom Thema, kehren zurück […]. Das „System Referent“ und das „System Zuhörer“ sind nur lose gekoppelt […]. (Siebert 2005, 32, H. i. O.)

Wie bereits erläutert, ist im Kontext der Diskussion um Lernräume die Unterscheidung formaler und informeller Lernräume von der generell gebräuchlichen Unterscheidung formalen und informellen Lernens abzugrenzen. Zwar schwingt in der Bezeichnung der informellen Lernräume an Hochschulen subtil immer auch das Unbeabsichtigte, Ziellose mit, jedoch ist unbestreitbar, dass informelles Lernen an der Hochschule nicht dasjenige Lernen bezeichnet, welches isoliert von den hochschulischen Strukturen oder räumlich separiert vom Campus verläuft. Anders als auf der Makroebene der Bildungsbiografien haben wir es auf der Mesoebene der Hochschulen also mit einem anderen Verständnis von Lernen zu tun. Dennoch gibt die Unterscheidung von drei Ebenen des Lernens einen ersten Hinweis darauf, dass die Binarität von formellen und informellen Lernumgebungen vielleicht auch im Hochschulkontext ungeeignet ist, alle Lernprozesse abzubilden und räumlich zu verorten (Abbildung 2). Lernen an der Hochschule, so die These dazu, findet nicht nur innerhalb wie außerhalb des aus dem Mittelalter überlieferten räumlichen Settings frontal ausgerichteter Hörsäle und Seminarräume statt, sondern hat auch jeweils noch unterschiedliche Qualitäten. Zudem gibt es selbstverständlich auch im Hochschulbereich nicht-intentionale und unbewusste Lernprozesse, die dennoch eine nicht zu unterschätzende positive Wirkung auf den Lernerfolg haben. Wenn aber die Dichotomie der Lernräume nicht geeignet ist, das Lernen an der

2.4 Abschied von der Dichotomie formell – informell 

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Hochschule in seiner räumlichen Dimension zu beschreiben, warum ist sie dann nach wie vor so gebräuchlich und welche Alternativen lassen sich skizzieren? Die wesentliche Unterscheidung ist die zwischen Lehre und Lernen, wie sie auch Lave und Wenger für das situierte Lernen außerhalb des akademischen Kontextes zugrunde legen: Indeed, this viewpoint makes a fundamental distinction between learning and intentional instruction. Such decoupling does not deny that learning can take place where there is teaching but does not take intentional instruction to be in itself the source or cause of learning, and thus does not blunt the claim that what gets learned is problematic with respect to what is taught. Undoubtedly, the analytical perspective of legitimate peripheral participation could – we hope that it will – inform educational endeavours by shedding a new light on learning processes, and by drawing attention to key aspects of learning experience that maybe overlooked. (Lave/Wenger 2007, 40–41)

2.4.2 Der Unterschied von Lehren und Lernen Nicht erst seit Lernprozesse aus konstruktivistischer und neurowissenschaftlicher Perspektive neu beschrieben wurden, gibt es Kritik an den traditionellen, formalen Lernräumen in Hochschulen. Erpenbeck und Sauter sehen die von ihnen konstatierte Abwendung von klassischen Formaten akademischer Lehre sogar als Common Sense an: Guten Hochschullehrern, verantwortungsvollen Wissenschaftlern ist allemal klar, dass ihre Vorlesungen vor 100, 300 Studenten gehalten, zwar neuestes für den Fachmann brisantes Wissen darbieten können, dass aber nur Bruchteile davon behalten werden und noch viel weniger handlungswirksam wird. Vorlesungen sind in der Regel sinnlos, weil sie nur Wissen an sich, aber kaum Wissen für uns liefern. (Erpenbeck/Sauter 2013, 12)

Allerdings verrät ein Blick in die Vorlesungsverzeichnisse (sic!) deutscher Universitäten, dass die Vorlesung als Form universitärer Lehre nach wie vor genauso üblich ist, wie das frontal ausgerichtete Seminar, in dem sich Beiträge der Lehrenden mit Referaten der Studierenden abwechseln. Dies ist unter anderem auch der räumlichen Struktur der Hochschulen geschuldet, deren Lernräume für Präsenzveranstaltungen oftmals typologisch noch den Empfehlungen Buoncompagnos folgen; dies trifft allerdings nicht nur für Hochschulen in deutschsprachigen Ländern zu. Die formellen Lernräume geben bestimmte Formen der Lehre durch ihre Architektur und Einrichtung entweder vor, oder sie machen es Lehrenden zumindest sehr leicht, Lernstoff bei den Studierenden ‚abzuliefern‘ (Long/Ehrmann 2005, 42). Stang ordnet diese Form der Gestaltung wie bereits erwähnt behavioristischen Ansätzen von Lehre und Lernen zu:

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Die Gestaltung von Lernwelten auf der Basis des Behaviorismus fokussiert sich auf die Lehrsituation, d. h. das Lehren steht im Zentrum und die Lernenden konzentrieren sich auf das Lernen dessen, was ihnen der/die Lehrende vermittelt. Als Lernraumkonstellationen lassen sich bei einem solchen Verständnis von Lernen klassische Hörsäle und Klassenzimmer ausmachen, bei denen die Lernenden auf die Lehrenden ausgerichtet sind und Frontalunterricht die prägende Lehrform ist. (Stang 2016, 60–61)

Dies macht aber auch deutlich, dass es in solchen Settings primär eigentlich gar nicht um das Lernen, sondern vor allem um die Lehre als akademische Arbeit geht. Formelle Lernräume an Hochschulen sind also weder Lernenden- noch Lehrendenzentriert, sondern stellen die Informationsvermittlung in den Mittelpunkt ihrer Gestaltung. Herold und Herold verweisen hier im Zusammenhang mit schulischer Lehre auf das Problem der Denkstrukturen. Wenn die Denkstrukturen von Lehrenden und Lernenden nicht kompatibel sind, bleibt der erwünschte Lernerfolg, der in diesem Zusammenhang nur ein Vermittlungserfolg ist, aus. Das erhoffte Ziel, durch die Fokussierung der Lernenden auf die Vermittlung und das Ausschalten von Rauschen erfolgreich zu lehren, bleibt trotz des gesetzten formellen Rahmens aus (Herold/Herold 2017, 23). Es geht nicht um das, was die Lernenden am Ende einer Unterrichtseinheit für sich als neues Wissen integriert haben, sondern um die Menge an Lerninhalten, die nach Curriculum in der dafür vorgesehenen Zeit transportiert werden muss. Die Festlegung der Lehrverpflichtung des Wissenschaftlichen Personals nach Semesterwochenstunden ist vor diesem Hintergrund genauso konsequent, wie die große Rolle, die für die Studierenden die Präsenz in solchen Lehrveranstaltungen bei der Bemessung ihrer Studienleistungen etwa im ECTS-System spielt. Im Sinne von Arnold und Erpenbeck (Arnold/Erpenbeck 2014, 12) kann man hier von einer Input-orientierten Wissensvermittlung sprechen, für die Perspektive des individuellen Outcomes keine Rolle spielt. Die damit verbundene Ausrichtung traditioneller Lernräume – sowohl für das formale wie auch das informelle Lernen – auf den Transfer von Information wird in der englischsprachigen Literatur treffend als Theorie der Transmission beschrieben. Additionally, social constructivists point out that the social setting greatly influences learning. Picture the limitations of the standard classroom or study carrel in terms of these ideas. The decor is sterile and unstimulating; the seating arrangements rarely allow for peer-to-peer exchange; and the technology does not allow individual access to information as needed. Rather, the room supports a transmission theory whose built pedagogy says that one person will “transfer” information to others who will “take it in” at the same rate by focusing on the person at the front of the room. (van Note Chism 2006, 5, H.i.O.)

2.4 Abschied von der Dichotomie formell – informell



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Neuere Ansätze der Hochschuldidaktik weisen aber in eine andere Richtung. Während in der klassischen Hochschuldidaktik Vorlesung und Seminar einem festgelegte Plan folgen, der vor allem auf Vermittlung angelegt ist, spielt zum Beispiel bei der auf Interaktion ausgerichteten Agilen Didaktik das Geschehen in der Präsenz die entscheidende Rolle. Die von Arn beschriebene interaktive oder eigentlich sogar kooperative Hochschullehre durchbricht die Dichotomie von formellen und informellen Lernräumen, da sie Lehre und Lernen zusammenbringt (Arn 2016, 21). Arnold übernimmt in diesem Zusammenhang von Holzkamp die Unterscheidung von defensiver und expansiver Lernhaltung. Führen reglementierende Lernkulturen regelmäßig dazu, dass die Lernenden auf die Rahmungen und Ansprüche, die an sie gestellt werden, defensiv reagieren, soll die von ihm formulierte Ermöglichungsdidaktik Menschen befähigen, selbstorganisiert zu lernen und so Wissen und Kompetenzen aufzubauen (Arnold 2016b, 22). Eine Hochschuldidaktik beziehungsweise hochschuldidaktische Ansätze, die den Fokus von der Lehre auf das Lernen richtet und damit die Lernenden in das Zentrum der pädagogischen Aufmerksamkeit stellt, verabschiedet sich zwangsläufig von der binären Gegenüberstellung formaler und informeller Lernräume im hochschulischen Kontext. Doch liegt der Verdacht nahe, dass man es sich zu einfach macht, wenn man in der didaktischen Neuausrichtung der Hochschullehre zugleich das nahe Ende der traditionellen räumlichen Settings sieht. Dafür ist nicht nur die gebaute Umwelt zu stabil, sondern die Zusammenhänge von Lehre, Lernen und Raum sind durchaus komplexer, als es die Dichotomie der Lernräume nahelegt.

2.4.3 Die Mythen der Dichotomie Es erscheint naheliegend, sich vor dem Hintergrund der Zuwendung zum Lernen und zu den Lernenden in der Hochschule einfach von den bisherigen formellen Lernsettings zu verabschieden und damit die Probleme akademischer Lehre zu lösen. Boys (2011, 28) kritisiert das Herunterbrechen von Problemen und Lösungsstrategien der Hochschullehre auf physische und digitale Lernräume und benennt in diesem Zusammenhang sieben Mythen der Dichotomie formell versus informell, die sich wie folgt zusammenfassen lassen: – formell und informell stehen in einem gegensätzlichen Verhältnis zueinander; – informelles Lernen ist wegen der vermeintlich sozialeren, auf das Individuum ausgerichteten Haltung und der möglichen Konvergenz physischer und digitaler Lernumgebungen grundsätzlich gut;

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formelles Lernen ist wegen des einseitigen Aneignungs- und Vermittlungscharakters generell schlecht; Lehre und Lernen in der Hochschule müssen generell verbessert werden; diese Verbesserung kann (allein) durch die Entwicklung innovativer physischer und digitaler Lernräume erreicht werden; die Eigenschaft als „digital natives“ ist prägend für die neue Studierendengeneration und allein schon deshalb braucht sie neue Lernumgebungen; „gute“ Bildung bereitet die Lernenden auf die Wissensökonomie vor, indem sie es ihnen ermöglicht, kritisch zu denken und komplexe Probleme zu lösen.

Bei näherer Betrachtung der in den Beispielen oben aufgeführten didaktischen Ansätze wird schnell deutlich, dass sie sich nicht für eine generelle Abschaffung formaler Lernumgebungen aussprechen. So ist die von Arn (2016) beschriebene Agile Hochschuldidaktik als eine auf direkte Interaktion von Lehrenden und Studierenden ausgerichtete Form der Präsenzlehre auf Lernräume angewiesen, in denen diese Interaktion und das ebenfalls geforderte schnelle Reagieren der Lehrenden auf die Bedürfnisse des individuellen Studierenden und der Lerngruppe insgesamt stattfinden kann. Es geht also nicht um die Abschaffung der Präsenzlehre und der damit verbundenen Lernräume, sondern um einen Wandel. One challenge for designers thus becomes locating the proper balance between formal and informal learning spaces, while enhancing opportunities for student-student and student-instructor interactivity, and the use of social technological applications requisite to contemporary educational practice. (McLane/Dawkins 2014, o. S.)

Das Ausbalancieren formaler und informeller Lernräume führt so zu einer Neudefinition und Verschränkung unterschiedlicher Lernumgebungen. Formale Lernumgebungen in diesem Sinne dienen nicht mehr der inputorientierten Vermittlung von Lernstoff, sondern werden für Lernprozesse aktiviert, die zu Wissensproduktion und Kompetenzerwerb führen. Um dieses Ziel zu erreichen, kommt es jedoch nicht primär auf eine räumliche Neuaufstellung, sondern vielmehr auf eine Veränderung der Haltung an. Arnold (2016b, 24–25) nennt als von Hochschulen implementierte Strategien, selbstorganisiertes Lernen zu etablieren, unter anderem Online-Selbstlern-Assessments, Selbstlerntrainings, Lerncoaching und Lernberatung sowie Online-Kursmodule. In der Tat haben sich an den Hochschulen vielfältige Ansätze einer neuen Lernkultur entwickelt, eine wirkliche, breit angelegte strategische Neuausrichtung hin zum selbstorganisierten Lernen oder der von Arnold postulierten Ermöglichungsdidaktik kann man darin allerdings (noch) nicht erkennen; zumal auch nach wie vor große

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Hörsaal- und Seminarzentren gebaut werden, deren Platzzahlen diejenigen von Lernzentren oder Bibliotheken oft weit übertreffen. Arnold spricht von einem Spagat, in dem sich die Hochschulen befinden, da sie zwar outcome-orientierte Ansätze zulassen, aber gleichzeitig „an den Standards der Input-Welt“ festhalten (Arnold 2016b, 34). Dort, wo neue Lernumgebungen geschaffen werden, treten allerdings auch Unsicherheiten auf. Konnte man sich in Architektur und Einrichtung formaler Lernräume bisher auf eine 800-jährige Tradition und Typologie stützen, so sind diese Typologien in Frage gestellt, ohne dass bisher allgemeingültige neue Typologien formuliert werden konnten, wie das an anderer Stelle für Wissenschaftliche Bibliotheken schon erläutert wurde (Eigenbrodt 2014b). Der Weg hin zu Lernumgebungen, die einem neuen, lernendenzentrierten Verständnis entsprechen, hat also gerade erst begonnen und die ausstehenden räumlichen Klärungen beziehen sich nicht nur allgemein auf die Typologie, sondern auch auf die Funktionen. Conventional educational facility design, which promotes teacher-centered face-to-face pedagogy in a traditional classroom, is still dominant in most academic architecture. The landscape is quickly changing, however, and the concept of what constitutes a classroom, or a learning environment is in flux. Arrangements of functionally underdefined learning spaces are replacing mundane corridors of adjacent classrooms. (McLane/Dawkins 2014, o. S.)

In der Tat scheint das Festhalten an der Dichotomie formaler und informeller Lernräume im Bereich der Hochschulen einen ganzheitlichen Blick auf die Lernwelt Hochschule und die Suche nach für neue didaktische Ansätze adäquaten und den Bedürfnissen der Lernenden gerecht werdenden Lernumgebungen eher zu behindern. Anforderungen und Funktionen als Grundlage der Entwicklung neuer Typologien lassen sich erst durchdringen, wenn man sich von der einfachen Binarität löst und Lernen im hochschulischen Kontext komplexer diskutiert: In addition, the reliance on this common-sense understanding has allowed the subject of learning spaces to remain worryingly under-theorised, and to frame what is and isn’t said, what is and isn’t thought about learning and space. (Boys 2011, 31)

Welche Strategien eignen sich aber, um sich von der Dichotomie formaler und informeller Lernräume zu lösen?

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2.4.4 Jenseits der Dichotomie In seinem 2011 veröffentlichten Beitrag zu Bibliotheken als informellen Lernräumen an Hochschulen stellt Bennett fest, dass das Bewusstsein für die Bedeutung des Lernens außerhalb formaler Lernräume an den Hochschulen nicht besonders ausgeprägt ist: While it is commonly observed that much or indeed most learning happens outside of the classroom, many faculty members will respond with only puzzled looks when they are asked where their students actually study. And most colleges and universities have not been particularly intentional about designing anything but classrooms, studios, and laboratories as learning spaces. (Bennett 2011)

Seitdem sind Fortschritte gemacht worden und an vielen Hochschulen hat die Suche nach geeigneten Lernumgebungen jenseits der Dichotomie formaler und informeller Lernräume begonnen. Dies geschieht einerseits über die Frage nach der Funktion und den Anforderungen des Lernens außerhalb der traditionellen Lernräume, so zum Beispiel bei der Nutzung mobiler Endgeräte in der Einübung naturwissenschaftlicher Feldforschung (Marty et al. 2013, 410), andererseits aber auch durch neue didaktische Methoden, die ansatzweise die Forderung von Arnold und Erpenbeck nach einer „didaktischen Vielfaltgestaltung“ als Loslösung von der „InputWelt“ erfüllen können (Arnold/Erpenbeck 2014, 3). So rufen Long und Ehrmann dazu auf, die traditionellen, rein funktional bestimmten Grenzen von Lernräumen zugunsten von vernetzten, jederzeit von überall zugänglichen digitalen Lernumgebungen einerseits und technisch vorbereiteten Räumen, die eine Konvergenz digitaler und physischer Umgebungen ermöglichen, andererseits aufzugeben. Damit wird Studierenden einerseits ermöglicht, sich unabhängig von ihrer jeweiligen geographischen Position innerhalb der Lernwelt Campus zu situieren, andererseits kann in jedem physischen Raum jederzeit auch eine digitale Vernetzung unterschiedlicher Akteurinnen und Akteure (und auch Informationsressourcen) unabhängig von ihrer physischen Präsenz erreicht werden (Long/Ehrmann 2005, 45). Für eine Klärung der Frage, wie sich die Lernwelt Hochschule jenseits der binären Opposition formaler und informeller Lernräume räumlich aufstellen solle, ist also einerseits ein Verständnis dafür erforderlich, was Lernprozesse an der Hochschule in ihren unterschiedlichen Facetten eigentlich voraussetzen und andererseits wäre die Frage zu beantworten, wie diese Vielfalt sich räumlich darstellen lässt. Dabei ist es wichtig, die Überschneidungen zwischen den unterschiedlichen Formen des Lernens und die Gleichzeitigkeiten im Lernprozess im Blick zu behalten. Ähnlich wie bei Lave und Wenger die für Ihren An-

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satz des situated learning die Bildung von dichotomischen Begriffspaaren ablehnen (Lave/Wenger 2007, 35), wird im Folgenden zur Analyse von Lernprozessen eine multifacettierte Perspektive auf die Lernwelt Hochschule jenseits der traditionellen räumlichen Grenzziehungen gelegt.

3 Theoretische Annäherungen an hochschulische Lernwelten Wie in der Einleitung bereits erwähnt, ist eines der Hauptprobleme der Lernraumdebatte im Bereich der Wissenschaftlichen Bibliotheken die verkürzte Sichtweise auf das Lernen und sein Verhältnis zum Raum. Bennett sieht diese Problematik sehr ähnlich, wenn er konzediert, dass es im englischsprachigen Bereich zwar eine aus der Lerntheorie informierte Debatte zum Lernraum gibt, diese aber verkürzt wahrgenommen wird. But even in this environment, the concept of learning we actually use is rarely more sophisticated than that sometimes students prefer to work alone, sometimes they would rather work collaboratively, and sometimes they like to make things. This is a patently simplistic concept of learning; it almost entirely fails to engage with the stance of an intentional learner. (Bennett 2015, 221)

Die daraus resultierenden Räume – in der Regel nach Lautstärke zoniert und mit unterschiedlichen Möbeln ausgestattet – werden von Studierenden dann auch zum Lernen genutzt, sie beantworten in der Regel aber weder die Frage, welches Lernen eigentlich unterstützt wird, noch die, was der Raum zum Lernerfolg beiträgt. Solche „Orte des Selbststudiums“ (Vogel et al. 2019) in Bibliotheken und anderen hochschulischen Räumen helfen nicht dabei, die das traditionelle Lehren und Lernen an der Hochschule bestimmenden Dichotomien zu überwinden, sondern sie stützen sie, indem sie einerseits metaphorisch Begriffe wie Zentrum, Lounge oder Lab verwenden, ohne aber zu hinterfragen beziehungsweise zu erläutern, was ein solcher Ort in Bezug auf das Lernen eigentlich leisten müsste und indem andererseits Lernen und Lernerfolg in der Regel nicht qualitativ untersucht, sondern nur quantitativ gesteuert oder allenfalls oberflächlich beobachtet werden. Zweifellos ist die Überwindung der funktionalistischen, immer gleichen Bibliotheksräume mit ihrer modularen Durchmischung von Freihandbeständen und standardisierten Arbeitsplätzen ein wichtiger Schritt in Richtung neuer Lernumgebungen und trägt derzeit entscheidend dazu bei, dass Bibliotheken weiterhin auch räumlich eine wesentliche Rolle im Kontext der Hochschule spielen. Allerdings genügt es nicht, an dieser Stelle stehen zu bleiben, während sich die Hochschuldidaktik, wenn bisher auch eher zaghaft, von der Input-Welt zu lösen beginnt (Eigenbrodt 2014b, 23). Als einen Grund für die Differenz zwischen pädagogischem Anspruch und didaktischer Wirklichkeit sieht Arnold „linear-mechanistische Kurzschlüsse“, die einem falschen Wirksamkeitsideal folgen, das trotz dauernder Verstärkung der Intervention ein Scheitern letztendlich nicht verhindern kann (Arnold https://doi.org/10.1515/9783110402025-003

3 Theoretische Annäherungen an hochschulische Lernwelten



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2016a, 69–70). Zu den von Arnold genannten Kurzschlüssen gehört der häufig vermittelte Eindruck, in hochschulischen Lernarrangements fände nur intentionales Lernen statt. Für die Frage, welchen Einfluss Wissensräume auf die Lernprozesse haben, spielen aber gerade auch die nicht-intentionalen Lernformen eine wesentliche Rolle. Wissenserwerb basiert nicht nur auf dem reinen Faktenlernen, sondern wesentlich auch auf habituellem Lernen, Mustererkennung und perzeptivem Lernen. Dies bedeutet, dass neben dem Individuum auch der soziale und kulturelle Kontext eine entscheidende Rolle spielt. Der Nationale Forschungsrat der Vereinigten Staaten sieht Lernen als ein „multifaceted construct“, das aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden kann und sollte (National Research Council 2018, 35). Möchte man also Lernräume so gestalten, dass konsistente, aktivierende Lernwelten entstehen, die selbstorganisiertes Lernen ermöglichen, muss man sich zunächst mit den unterschiedlichen Facetten von Lernen und den möglichen Perspektiven beschäftigen. Dazu gehört auch ein Bewusstsein dafür, dass die Konstitution neuer Wissenselemente ein Prozess ist, der eine Interaktion von lernendem Individuum, sozialem und kulturellem Kontext sowie materieller Umwelt voraussetzt: That perspective meant that there is no activity that is not situated. It implied emphasis on comprehensive understanding involving the whole person rather than receiving a body of factual knowledge about the world; on activity in and with the world; and on the view that agent, activity, and the world mutually constitute each other. (Lave/Wenger 2007, 33)

Dies trifft nicht nur auf die von Lave und Wenger formulierte Theorie des situierten Lernens zu, auf die später noch einmal näher eingegangen wird, sondern gilt aus Sicht des National Research Council ganz generell (National Research Council 2018, 29). Long und Ehrmann definieren in diesem Zusammenhang vier grundlegende Faktoren für die Betrachtung von Lernräumen: 1. “Learning by doing” matters. 2. Context matters. 3. Interaction matters. 4. Location of learning matters. (Long/Ehrmann 2005, 44) Es gilt also die Frage zu beantworten, wie Lernen in der Interaktion mit dem spezifischen Kontext und der materiellen Umwelt, zu der insbesondere auch die räumliche Konstellation gehört, funktioniert. Dazu ist es zunächst wichtig, zu verstehen, wie und unter welchen Bedingungen das Gehirn die Vielzahl an Informationen verarbeitet, die es im Lernprozess aufnimmt und wie es dann mit den bereits vorhandenen Erfahrungen und Prägungen neue Wissenselemente daraus generiert. Danach gilt es zu hinterfragen, wie sich das Verhältnis von Individuum und Kontext bei der Wissenskonstitution im selbstorganisierten

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Lernprozess gestaltet. Nicht zuletzt muss man aber auch den Raum selbst in den Blick nehmen, denn dieser ist keineswegs eine gesetzte Größe, sondern wird, während er Teil des Wissens konstituierenden Prozesses ist, immer auch konstituiert und auf der individuellen Ebene spezifisch wahrgenommen. Lernwelten in ihrer räumlichen Ausdehnung sind, wenn man sie als Wissensräume betrachtet, Räume, in denen die Konstitution neuen Wissens und die Konstitution von Raum parallel ablaufende und miteinander verschränkte Prozesse sind. Der häufig zitierte Lernort ist demnach kein vorgegebener Behälter, in dem Lernen stattfindet, sondern entsteht in der je individuellen Syntheseleistung der Individuen, wobei Wissen als wesentlicher Faktor zu den raumbildenden Elementen hinzutritt.

3.1 Lernen im Raum aus neurowissenschaftlicher Sicht Wie schon im Zusammenhang mit den begrifflichen Eingrenzungen in Kapitel 2 erläutert, liegt dem Begriff Lernwelt, wie er in der vorliegenden Argumentation verwendet wird, ein Konzept von Lernen zugrunde, das Lernen nicht als Vorgang der Wissensübertragung per Information, sondern als wissenskonstituierenden Prozess sieht. Aus neurowissenschaftlicher Perspektive spricht vieles für eine solche Herangehensweise an Lernprozesse insbesondere auch adulter Lernender. Für Roth sind zwei grundsätzliche Feststellungen durch die Kognitionsforschung auf neurophysiologischer Ebene belegbar: (1) Wissen kann nicht übertragen werden; es muss im Gehirn eines jeden Lernenden neu geschaffen werden. (2) Wissensaneignung beruht auf Rahmenbedingungen und wird durch Faktoren gesteuert, die unbewusst ablaufen und deshalb nur schwer beeinflussbar sind. (Roth 2009, 49, H. i. O.)

Dies bedeutet im Kontext der Fragestellung dieses Bandes, dass es bei der Gestaltung von Lernwelten in Hochschulen darauf ankommt, den autopoietischen Prozess der Wissensaneignung zu unterstützen. Dies kann, wie die zweite von Roth gemachte Feststellung nahelegt, allerdings nicht in einem mechanistischen Eins-zu-eins-Prozess von Ursache (das ‚optimale‘ Lernarrangement) und Wirkung (das ‚optimale‘ Lernergebnis) geschehen. Keineswegs bedeutet dies aber, dass die Rahmenbedingungen keine Rolle spielen, selbst wenn man annimmt, dass ihr Einfluss den Lernenden in der Regel insbesondere dann nicht bewusst ist, wenn es nicht zu wahrnehmbaren Störungen kommt. Vielmehr gilt es für diejenigen, die professionell mit den Bedingungen des Lernens in einem

3.1 Lernen im Raum aus neurowissenschaftlicher Sicht



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Lernarrangement befasst sind, sich der Komplexität des Lernens bewusst zu werden, bevor sie sich der konkreten Konzeption und Gestaltungen von Lernumgebungen beziehungsweise – weiter gefasst – Lernwelten annähern. Dabei führt die Auseinandersetzung mit der neurowissenschaftlichen Perspektive keineswegs zu einer Komplexitätsreduktion. Schon das Einprägen, also die Fähigkeit, Wissen und Information zu speichern und abzurufen, wird in der Neurophysiologie als komplexes Set von Prozessen gesehen, das es den Lernenden erst ermöglicht, in der Vergangenheit Eingeprägtes zu neuen Wissenselementen zu verbinden (National Research Council 2018, 3). Um sich dieser Komplexität und ihrer Bedeutung für hochschulische Lernarrangements anzunähern, sollen zunächst die Grundlagen des Lernprozesses in den Blick genommmen werden, bevor dann die Bedeutung des Kontextes in den Blick gerückt wird.

3.1.1 Annäherungen an Lernen in den Neurowissenschaften Mit dem fortschreitenden Verständnis der Funktion des menschlichen Gehirns hat sich die Neurowissenschaft in den letzten Jahrzehnten auch dem Lernen angenähert. Eine wesentliche Erkenntnis ist, dass Lernen und Gehirnentwicklung sich gegenseitig bedingen: We have shown that the relation between brain development and learning is reciprocal: learning occurs through interdependent neural networks at the same time that learning and development involve the continuous shaping and reshaping of neural connections in response to stimuli and demands. Development of the brain influences behavior and learning, and in turn, learning influences brain development and brain health. (National Research Council 2018, 67–68)

Lernen setzt also die Fähigkeit zur Bildung und Umbildung neuronaler Verknüpfungen voraus und stimuliert diese gleichzeitig. Vereinfacht könnte man sagen, dass Wissen sich in der neuronalen Verarbeitung äußerer Reize und Herausforderungen konstituiert, dieser Prozess aber durch die Wissensaneignung selbst in Gang gehalten wird. Individuelles Wissen entsteht in neuronalen Netzwerken und verändert diese gleichzeitig. Auf das Lernen bezogen bedeutet dies, dass Lernprozesse und ihre physiologischen Voraussetzungen sich gegenseitig verstärken. Dies korreliert mit der Alltagsweisheit, dass man Lernen lernen muss und dass man das Gehirn auch trainieren kann.

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Erst auf der Beschreibungsebene der Funktionen neuronaler Vernetzungen wird der Begriff des Lernens in der neurobiologischen Betrachtung ergiebig. Der Aufbau dieser Verknüpfungsmuster ist ein lebenslänglicher Prozess und sinnverwandt mit dem, was auch neurobiologisch unter Lernen zu verstehen ist. Wenn wir etwas lernen, so verändern sich genau solche Sende- und Empfangsstrukturen in unseren Gehirnen. Sie werden aufgebaut und diejenigen, die sich nicht bewähren, werden abgebaut. […] Lernen ist ein sich selbst stabilisierender und verstärkender Prozess: Je präziser man über etwas bereits weiß, desto leichter fällt das Hinzulernen passender Inhalte. (Friedrich 2009, 216–217)

Dies bedeutet, dass im Lernprozess solche Gedächtnisinhalte aufgerufen werden, die bereits vorhanden sind, indem neuronale Assoziationsareale aktiviert werden. Das geschieht über die Ausschüttung von Botenstoffen und die Erregung von Synapsen. Wie auch beim Denken und beim Fühlen sind uns die dahinterliegenden Prozesse nicht bewusst (Siebert 2005, 13). Die enge Korrelation bedeutet aber auch, dass man, so wie man nicht nichtdenken oder nicht nicht-fühlen kann, auch nicht nicht-lernen kann. Wenn das Gehirn mit neuen Informationen konfrontiert wird, verarbeitet es diese und es entstehen neue Verknüpfungen. Welche Areale durch unterschiedliche Reize angesprochen werden, ist dabei individuell unterschiedlich und somit nicht einfach steuerbar. Dies hängt mit dem modularen Aufbau des Gedächtnisses zusammen, das „in viele Schubladen gegliedert“ organisiert ist (Roth 2009, 55). Dieselbe Information kann individuell und je nach Kontext und Stimmung ganz unterschiedliche Reaktionen auslösen; nur die wenigsten Informationen werden dauerhaft erinnert, beeinflussen also nachhaltig die neuronalen Strukturen. Dies hat etwas damit zu tun, dass neu aufgenommene Informationen zunächst vom Kurzzeitgedächtnis verarbeitet werden, in dem eine Art Vorsortierung erfolgt. Der Transfer von Informationen aus dem Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis ist nicht passiv. In der Regel müssen wir zu lernende Informationen mit Aufmerksamkeit versehen und z. B. elaborieren (d. h. ausschmücken) bzw. Assoziationen mit bereits abgespeicherten Gedächtniseinheiten bilden. Dies geschieht in einer Art Sonderform des Kurzzeitgedächtnisses, dem Arbeitsgedächtnis. […] Im Vergleich zum Kurzzeitgedächtnis, das ein „passiver Speicher“ ist, werden im Arbeitsgedächtnis Inhalte verändert, elaboriert, zusammengefasst usw., mit dem Ziel, Informationen einzuspeichern oder bereits gelernte Inhalte abzurufen. (Brand/Markowitsch 2009, 61–62, H.i.O.)

Ob der für eine Verarbeitung und damit dauerhafte Speicherung von aufgenommenen Informationen notwendige Transfer geschieht, hängt dabei von inneren und äußeren Faktoren ab. Einerseits geht es um die Einstellung zu den Informationen, ob sie also mit bereits erinnerten Gedächtnisinhalten assoziierbar sind und ob sie grundsätzlich akzeptiert werden. Andererseits muss der äußere Kon-

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text geeignet sein, die Informationen so aufzuladen, dass die Aufmerksamkeit auf sie gerichtet werden kann. Eine lange Zeit unterschätzter, aber wesentlicher Faktor hierbei sind Affekte und Emotionen, mit denen eine Information aufgeladen wird.

3.1.2 Einflussfaktoren auf Lernprozesse im akademischen Umfeld Wie weiter oben beschrieben, folgen klassische, frontal ausgerichtete und informationsarme Lernräume an Hochschulen – aber nicht nur dort – der Idee, man müsse äußere Reize, also das Rauschen, so weit wie möglich ausschalten, um einen Lernerfolg zu erzielen. Die Ahnung, dass der damit verbundene lineare Input-Gedanke einem nachhaltigen Lernerfolg eher im Weg stehen könnte, als ihn zu fördern, wird durch physiologische Erkenntnisse zur weiteren Verarbeitung von Informationen im Gehirn gestützt. Die unbewusst ablaufenden Prozesse der Bedeutungs- oder Wissenskonstruktion sind von vielen Faktoren abhängig, von denen die meisten durch ein System vermittelt werden, das in der kognitiven Psychologie lange Zeit überhaupt nicht existierte, nämlich das limbische System. Dieses System vermittelt Affekte, Gefühle und Motivation und ist auf diese Weise der eigentliche Kontrolleur des Lernerfolgs. (Roth 2009, 51)

Die Zusammenführung von Information und Emotion im limbischen System wird so zum entscheidenden Faktor für einen erfolgreichen Lernprozess. Auch hierbei handelt es sich um einen reziproken Prozess. So können neue Informationen einerseits durch Assoziation mit vorhandenen Gedächtnisinhalten Emotionen hervorrufen, andererseits bestimmen individuelle Stimmungen und Affekte sowie das emotionale Umfeld im Lernprozess wesentlich mit, in welchen Gehirnarealen aufgenommene Informationen verarbeitet und wie sie aktuell und zukünftig assoziiert werden (National Research Council 2018, 30). In Anlehnung an Ciompis Affektlogik nennt Siebert vier wesentliche Einflüsse von Affekten auf das Denken: – Affekte sind Motoren des Denkens; – Affekte lenken Wahrnehmung und Aufmerksamkeit; – Affekte beeinflussen die Speicherung der Denkinhalte im Gedächtnis; – Affekte verbinden emotional ähnliche Inhalte zu einem ganzheitlichen Konstrukt (Siebert 2005, 54). Obwohl Ciompis eigentliches Interesse dem Zusammenhang von Schizophrenie und Affekten galt, sind seine Erkenntnisse auch in diesem Zusammenhang interessant, denn sie lenken die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung des limbi-

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schen Systems für die Informationsverarbeitung beim Lernen. Die Bedeutung von Emotionen für den Lernprozess ist aufgrund dieser Erkenntnisse auch in anderen Lerntheorien, etwa bei der Diskussion des transformativen Lernens in der Erwachsenenbildung betont worden (Taylor 2001).6 Insbesondere die von Siebert genannte Lenkungswirkung von Affekten ist in Bezug auf den Kontext, in dem Lernen stattfindet, wichtig. Bei der Gestaltung von Lernarrangements ist es entscheidend, die emotionale Ansprache der Lernenden mitzudenken. Dies aber genau nicht in dem Sinne, dass affektauslösende Reize unterdrückt werden sollen, sondern dass die emotionale Qualität der Lernprozesse durch die Lernumgebung gesteigert wird: Pädagogiker, Didaktiker und Methodiker wussten immer schon: Was jemand sich merken, was er lernen, später können soll, das muss etwas mit ihm zu tun haben: ihn betreffen, berühren, verändern, mit einem Wort: Es muss emotionale Qualität haben! (Herrmann 2009, 11)

Hinter dieser Erkenntnis steht aus neurophysiologischer Sicht der Aufbau des deklarativen Gedächtnisses, also des Teils des Langzeitgedächtnisses, in dem wir abrufbares und reproduzierbares Wissen speichern. Auch wenn das semantische Gedächtnis als der Teil des deklarativen Gedächtnisses, der für Fakten und Wissen über die Welt ‚zuständig‘ ist und das episodische Gedächtnis als der Teil, der für das eigene Erleben der Welt ‚zuständig‘ ist auf der Ebene der Gedächtnisinhalte unterschieden werden, wirken beide bei der Speicherung von Wissenselementen eng zusammen. So kann eine Verankerung im episodischen Gedächtnis dazu beitragen, ein Wissenselement langfristig zu speichern. Dazu wird es mit bestimmten Kontextinformationen verbunden, die auch als Schlüsselreize beim Abrufen der Wissenselemente fungieren können. Neben der Wiederholung und der emotionalen Einstellung spielen also die Einbindung in einen Kontext und vermutlich auch die Bewegung im Raum eine wesentliche Rolle bei der langfristigen Speicherung von Gedächtnisinhalten. Die Lernsituation muss etwas mit mir als lernendem Individuum zu tun haben, um wirkungsvoll zu sein (Erpenbeck/Sauter 2013, 4). Dabei sind unterschiedliche Kontextfaktoren beteiligt: Moreover, learners dynamically and actively construct their own brain’s networks as they navigate through social, cognitive, and physical contexts. It has been assumed that brain development always leads the way in cognitive development and learning, but in fact the 6 Das transformative Lernen wird im Zusammenhang dieses Bandes nicht weiter diskutiert obwohl auch hier vielfältige Anschlüsse an die Gestaltung von Lernumgebungen liegen. Andererseits kann man davon ausgehen, dass die Bedeutungsschemata bei jungen Erwachsenen noch nicht so ausgeprägt sind, wie bei älteren Personen.

3.1 Lernen im Raum aus neurowissenschaftlicher Sicht



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brain both shapes and is shaped by experience, including opportunities the individual has for cognitive development and social interaction. (National Research Council 2018, 59)

Lernarrangements, die aktiv den reziproken Prozess der Konstitution neuronaler Netzwerke im Lernen unterstützen wollen, müssen also mit einer Sensibilität für die sozialen, kognitiven und räumlichen Kontexte gestaltet werden. Die Verankerung von Wissenselementen im Langzeitgedächtnis wird nicht nur von der inneren Einstellung und kognitiven Biografie des Individuums, sondern auch von Umweltfaktoren wie den Interaktionen mit anderen Individuen und der physischen Umgebung wesentlich mit beeinflusst. Ein weiterer, im Kontext hochschulischen Lernens oft unterschätzter Teil des Langzeitgedächtnisses ist das Wahrnehmungsgedächtnis, das insbesondere für die Mustererkennung zuständig ist. Dies hängt auch damit zusammen, dass das perzeptuelle Lernen zwischen bewusstem und unbewusstem Lernen anzusiedeln ist. Ähnlich wie die Wissenselemente im prozeduralen Gedächtnis (Fahrradfahren, Schwimmen etc.) sind uns die Wissenselemente im perzeptuellen Gedächtnis in der Regel nicht bewusst; im Gegensatz zu diesen sind jene aber unter bestimmten Umständen abrufbar und können bis zu einem gewissen Grad auch vermittelt werden. Die Schwierigkeit liegt allerdings darin, dass uns nach Abschluss eines perzeptuellen Lernprozesses der ‚unverstellte‘ Blick auf einen Gegenstand nicht mehr gelingt und es daher schwerfällt, sich in ein Individuum hineinzuversetzen, das den Lernprozess noch nicht durchlaufen hat (National Research Council 2018, 48–49). Das Wahrnehmungswissen wird im Lernprozess mit dem Handlungswissen verknüpft. Entscheidend ist es nun, dass Lernprozesse erst dann erfolgreich sind und damit langfristig gespeichert werden und flexibel abrufbar sind, wenn die Kategorisierung von Wahrnehmungwissen mit der Kategorisierung von Handlungswissen in einem WahrnehmungsHandlungs-Kreislauf (perception-action circle) wechselseitig verbunden sind. (Arnold 2009, 148, H. i. O.)

Wahrnehmungslernen spielt auch im Kontext der Konvergenz digitaler und physischer Lernräume eine wichtige Rolle. Auch wenn sich aus sozialpsychologischer Sicht, wie an anderer Stelle bereits ausführlicher beschrieben (Eigenbrodt 2014b, 33), die Realitätswahrnehmung in digitalen und physischen Räumen nur qualitativ unterscheidet, spielen direkte Sinneseindrücke beim perzeptuellen Lernen eine große Rolle. Nur, wenn wir ein Objekt oder auch einen Raum schon einmal physisch erlebt haben, können wir das dabei erworbene Wissen wieder abrufen, wenn wir etwa ein Abbild oder eine semiotische Repräsentation desselben oder eines ähnlichen Gegenstands oder Raumes sehen. Gleiches gilt für andere Sinneseindrücke wie Gerüche und Geräusche. Vor-stellen setzt also in ge-

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wisser Weise Be-greifen voraus. Dies spiegelt sich zum Beispiel unter anderem auch im Ansatz der Maker-Bewegung, der in den letzten Jahren durch die Etablierung von, inzwischen auch in Wissenschaftlichen Bibliotheken vorkommenden, Makerspaces und FabLabs zu einer gewissen Popularität gekommen ist.7 Aber auch die umfangreichen wissenschaftlichen Sammlungen vieler Universitäten beruhen auf der Beobachtung, dass Lernen am Objekt eine wesentliche Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnis sein kann. Nicht zuletzt liegt die Vermutung nahe, dass Lernumgebungen auch Priming-Effekte auslösen können. Von Priming spricht man, wenn ein vorangehender Reiz die Wahrscheinlichkeit des Eintretens einer Reaktion auf einen folgenden Reiz beeinflusst, in der Regel verstärkt. In Bezug auf die Umgebungswahrnehmung spielen dabei drei funktionale Netzwerke eine wesentliche Rolle: Alarmierung als generelle Aufmerksamkeit für visuelle Reize in der Umgebung, Orientierung als Selektion visueller Informationen in Bezug auf die Verortung im Raum, die auch Wechsel der Aufmerksamkeit zwischen unterschiedlichen Objekten steuert, sowie ein operatives Kontrollsystem, das entstehende Konflikte zwischen den wahrgenommenen Reizen und den Gedanken des Individuums erkennt und löst (Kehrer 2011, 3). Entscheidend ist für das Priming der ständige unbewusste Abgleich zwischen den wahrgenommenen Informationen und den internalisierten Erwartungen. Führt dies zum selektiven Ausschluss von Informationen, die nicht dem Erwartungshorizont entsprechen, spricht man von negativem Priming. Dieser, experimentell und auch neurophysiologisch nachgewiesene Mechanismus hat in seiner popularisierten Form – etwa im Bereich des Marketings und des Coachings – weite Verbreitung erfahren, wurde aber auch in der Didaktik als Mittel diskutiert, Lernstoffe besser einführen zu können. Jenseits solcher Versuche, Priming bewusst einzusetzen, kann Priming auch unbewusst beziehungsweise nicht-intentional auf den Lernprozess wirken. Hier wirkt dann die Lernumgebung an sich als ein Reiz, der die Bereitschaft, neue Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten je nach Einstellung zu dieser Lernumgebung erhöhen oder reduzieren kann. Dies kann sich zum Beispiel auch auf einzelne Objekte im Raum beziehen, die bei den Lernenden unbewusst bestimmte Assoziationen auslösen. Dabei kann ein einziges, besonders auffälliges Element die Raumwahrnehmung und auch die Orientierung entscheidend beeinflussen

7 Ob Makerspaces in Bibliotheken tatsächlich die grundlegenden Ideen der Maker-Bewegung umsetzen, oder lediglich eine verkürzte Übernahme einiger konzeptioneller Ansätze darstellen, soll hier nicht diskutiert werden. Die Ideen von „Make“ und „Hands-on“ sind aber eng mit aktivierendem und perzeptuellem Lernen verbunden. Eine ausführliche Darstellung der Lernwelt Makerspace findet sich in Heinzel et al. 2020.

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(Laarni et al. 1996, 1401). Ist die Lernumgebung bekannt und positiv besetzt, kann sie zum Beispiel dazu beitragen, die Lernenden auf das Lernen einzustimmen oder bereits gespeicherte Gedächtnisinhalte im Lernprozess abzurufen und neu zu verknüpfen. Da Priming-Effekte für das Individuum in der Regel unbewusst sind (auch wenn man sie experimentell durch gezielte Hinweise beziehungsweise Wiederholung bewusstmachen kann), liegt die Herausforderung für die informierte Gestaltung von Lernräumen darin, Priming-Effekte zu kennen und in konzeptionelle Überlegungen einzubeziehen. Aber auch insgesamt stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die genannten Faktoren auf die Gestaltung von Lernwelten haben (können).

3.1.3 Mögliche Konsequenzen für hochschulische Lernwelten Roth nennt zusammenfassend fünf Faktoren, die aus neurowissenschaftlicher Sicht das Lernen bestimmen: Motivation der Dozierenden, individuelle Voraussetzungen der Lernenden, Motivation und Lernbereitschaft im Allgemeinen und auf den speziellen Gegenstand bezogen sowie der Kontext beziehungsweise die Situation, in der der Lernprozess stattfindet (Roth 2009, 53). Es wird deutlich, dass auf der Grundlage der angerissenen neurophysiologischen Erkenntnisse zum Lernen der räumliche Kontext im weiteren Sinne als ein wesentlicher Einflussfaktor auf Lernprozesse gesehen werden muss. Die Übertragung solcher Erkenntnisse auf Lehr- und Lernprozesse wird auch als Neurodidaktik bezeichnet. Herrmann sieht in der Neuropädagogik und der Neurodidaktik für die pädagogische Praxis einen Weg, gehirngerechtes Lernen, also Lernen auf neurophysiologischer Grundlage, einzuführen. Obwohl er den Blick insbesondere auf die schulische Didaktik lenkt, sind die Prinzipien auch auf den hochschulischen Bereich übertragbar. Eine gehirngerechte Didaktik ist lernendenzentriert, sieht Lernen auch als kommunikativen, sozialen Prozess und setzt auf selbstorganisiertes Lernen (Herrmann 2009). Caine zitierend beschreibt Arnold zwölf Prinzipien des gehirngerechten Lernens oder „Brain-Based-Learning“ (Arnold 2009, 152–155). Dazu zählen auch solche, die sich implizit oder explizit auf räumliche Bedingungen beziehen. So steht die körperliche Gebundenheit des Lernens in einem direkten Verhältnis zum Raum. Der Raum, in dem der lernende Mensch sich aufhält, beeinflusst ihn kognitiv durch Sinneseindrücke und auch physisch durch Umwelteinflüsse wie Raumklima, Licht und Beleuchtung, ergonomische Bedingungen usw. Dabei spielen sowohl die bewusst wahrgenommenen als auch die unbewusst auf Körper und Geist wirkenden Faktoren eine Rolle.

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Auch die sich im Raum aufhaltenden Personen haben einen direkten Einfluss auf den Lernprozess. Unweigerlich entstehen soziale Beziehungen, die entweder – wie zum Beispiel in einer unfreiwilligen Klassen- oder Seminarsituation oder einer freiwilligen Gruppenarbeit – bewusst herbeigeführt sind, oder unbewusst gesucht beziehungsweise auch gemieden werden. Nicht nur beobachtendes Lernen ist stark von diesen sozialen Faktoren abhängig. Beim beobachtenden Lernen gibt es zum einen eine unbewusste Präferenz, von wem wir lernen, zum anderen aber auch eine Relevanzeinschätzung des Gelernten abhängig vom sozialen Umfeld (National Research Council 2018, 41). Hier spielt nicht zuletzt auch der Habitus eine Rolle. Durch Beobachten lernen wir, wie wir uns in einem bestimmten Umfeld bewegen und verhalten, welches Verhalten angebracht und welches unangebracht ist. In Bezug auf Lernräume, die durch Gestaltung und/oder Lehrpersonen kein bestimmtes Verhalten vorgeben, bedeutet dies, dass Individuen durch Beobachtung und soziale Interaktion mit den ebenfalls in diesen Räumen lernenden Personen lernen, wie sie diese Räume sozial adäquat nutzen können. Habituelles Lernen folgt dabei der klassischen Konditionierung und geschieht größtenteils unbewusst. Wobei positive Verhaltensänderungen von Individuen auch bewusst herbeigeführt werden können. Ob der habituelle Lernprozess jedoch dauerhaft erfolgreich ist, hängt immer davon ab, ob die positive Verstärkung zum Beispiel durch Belohnung stark genug und der Anreiz ausreichend ist (National Research Council 2018, 39). Gerade in klassischen Bibliotheksräumen wie Lesesälen wird dies deutlich sichtbar, wenn neu hinzukommende Personen sich nicht adäquat verhalten. Unzweifelhaft greifen hier auch Ausschlussmechanismen der Insider gegenüber solchen Individuen, die das erwünschte Verhalten nicht oder noch nicht gelernt haben. Weitergehend könnte man behaupten, dass es einen bestimmten akademischen Habitus gibt, den man unter anderem auf diese Weise lernt und der als Code der Distinktion gegenüber nicht akademisch ausgebildeten Personen in bestimmten Kontexten dient. Wesentlich ist hier, dass das mit einer bestimmten Umgebung verbundene Verhalten weniger auf einer bewussten Willensentscheidung des Individuums, sondern, wie alle habituellen Gewohnheiten, auf Automatismen beruht. People often think that they are in rational control of their behaviors and that they act the way they do because they have made a conscious decision. However, the prevalence of habit-driven acts shows that much of our behavior is not consciously chosen. Both negative habits such as obsessively checking one’s cell phone for messages and positive habits such as morning exercises are frequently initiated without a conscious decision to engage in the activity: one begins before fully realizing a habit is being formed. (National Research Council 2018, 39–40).

3.1 Lernen im Raum aus neurowissenschaftlicher Sicht 

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Im Bereich der Musterbildung und -erkennung können Lernräume in der oben beschriebenen Weise als auslösende Reize von Priming-Effekten zum Lernerfolg beitragen. Entweder handelt es sich um abstrakt gelernte Muster, etwa, wenn man zum ersten Mal eine Bibliothek betritt, diese aber anhand der Wahrnehmung spezifischer Arrangements von Objekten (Typologie des Raums, Bücherregale, Lesetische) sofort als Lernraum wahrnimmt, was eine Erklärung für die Beliebtheit eigentlich anachronistischer traditioneller Bibliotheksräume als Lernraum wäre. Oder es handelt sich um einen Lernraum, in dem man schon positiv besetzte Lernerfahrungen gemacht hat und der deshalb hilft, bereits gelernte Inhalte mit neuen Informationen zu verknüpfen. Dies ist eng verbunden mit den Emotionen und Affekten. Lernumgebungen können, wie oben bereits im Zusammenhang mit dem Priming erläutert, je nach Vorerfahrung oder Kontext positiv, aber auch negativ besetzt sein, was unmittelbaren Einfluss auf die emotionale Grundstimmung hat und somit den Lernprozess entsprechend negativ oder positiv beeinflusst. Solche Stimmungen begleiten das Lernen und sind der Grund, warum bei der Gestaltung von Lernräumen neben den funktionalen Aspekten auch die Atmosphäre des Raums eine Rolle spielen muss. Während traditionelle hochschulische Lernräume, wie in Kapitel 2.3.1 beschrieben, in der Regel ausschließlich eine zielgenau – auf die Lehrperson oder die Inhalte – gerichtete Aufmerksamkeit befördern wollten und periphere Wahrnehmungen daher unerwünscht waren, geht das gehirngerechte Lernen von einer entspannten Aufmerksamkeit aus, die unter anderem auf einem Wechsel von Konzentration und peripheren Wahrnehmungen beruht. Entspannte Aufmerksamkeit entsteht zuletzt aber auch nur in positiv besetzten, angstfreien Umgebungen, die das Individuum in die Lage versetzen, ohne Bedrohungsgefühl Inhalte aufzunehmen und sich den Reizen der Umgebung zu öffnen. Zusammenfassend kann man sagen, dass es gilt, Lernumgebungen zu schaffen, die entspannte Aufmerksamkeit und soziale Interaktion ermöglichen, positiv besetzt sind, sowohl physisch als auch sinnlich als angenehm empfunden werden und die angstfrei genutzt werden können. Abbildung 4 stellt zusammenfassend die aus dem beschriebenen Ansatz der Neurodidaktik ableitbaren räumlichen konnotierten Prinzipien des Lernens dar, die die Gestaltungs- und Aneignungsprozesse von Lernräumen bestimmen. Hier wird auch deutlich, dass die unterschiedlichen Prinzipien in vielfältige Zusammenhänge bilden und in sich schon Facetten der Synthese eines Lernraums sind, wie in Kapitel 3.4.2 noch näher ausgeführt werden wird.

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Abb. 4: Räumlich konnotierte Prinzipien des Lernens in der Neurodidaktik (eigene Darstellung)

Im letzten Kapitel wurde Lernen in Anlehnung an systemisch-konstruktivistische Ansätze als selbstorganisierter Prozess der Generierung von Wissen beschrieben und damit eine Verbindung zwischen neurowissenschaftlichen und konstruktivistischen Ansätzen nahegelegt. Die Neurophysiologie wird auch von Siebert als wesentlicher Impulsgeber einer konstruktivistischen Auffassung des Lernens gesehen (Siebert 2005, 13) und Arnold zieht eine direkte Verbindungslinie von der Funktion des Gehirns zum selbstorganisierten Lernen: Auch das Gehirn ist ein kreatives, komplexes, anpassungsfähiges System. Selbstorganisation ist somit das Prinzip, nach dem auch das Gehirn lernt. Die Funktionsweise des Gehirns kann als ganzheitlich, interdependent und Komplex beschrieben werden. Im Gehirn ist alles mit allem verknüpft. (Arnold 2009, 157)

Im Sinne der Fragestellung dieses Bandes gilt es also, die Verbindungen beider Ansätze noch einmal näher zu beleuchten, aber auch die Frage zu stellen, wo eine systemisch-konstruktivistische Perspektive über das bereits beschriebene hinausgeht und wo gegebenenfalls ihre Begrenzungen in Hinblick auf den Zusammenhang von Lernen und Raum liegen.

3.2 Lernen im Kontext aus konstruktivistischer Sicht



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3.2 Lernen im Kontext aus konstruktivistischer Sicht Nachdem im ersten Teil dieses Bandes schon ausführlicher auf die Begrifflichkeiten Lernen sowie Wissens- und Kompetenzerwerb in systemisch-konstruktivistischen Lerntheorien eingegangen wurde, soll der Fokus im Folgenden auf den Zusammenhängen mit den oben erläuterten neurophysiologischen Grundlagen und hier insbesondere der Bedeutung des Kontextes für die Lernprozesse liegen, zu dem wesentlich auch die Lernumgebung gehört. Dabei stellt sich zunächst die Frage, ob die hier gewählte theoretische Annäherung an hochschulische Wissensräume im Rahmen einer weiteren Trendsetzung zu sehen ist, wie sie, wesentlich getrieben durch die als disruptiv wahrgenommenen Prozesse der Digitalisierung in Forschung, Lehre und – insbesondere für die Bibliotheken relevant – wissenschaftlichem Publizieren sowie durch die fortschreitende Ökonomisierung des Bildungswesens, in den letzten zwei Jahrzehnten sehr häufig vorkommen. Dem wäre entgegenzusetzen, dass erstens eine Neubewertung des Lernens an der Hochschule mindestens schon in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre begonnen hat, seitdem aber trotz Etablierung der Hochschuldidaktik als Teildisziplin der Pädagogik in der Breite gesehen erstaunlich wenig konkrete Auswirkungen auf die Lehre und die Infrastruktur in den Hochschulen hat. Und dass dies zweitens geschieht, obwohl Erkenntnisse der Gehirnforschung, wie die oben genannten, die zum Teil wesentlich früher aufgestellten Thesen über erfolgreiche und im besten Sinne nachhaltige Lernprozesse im hochschulischen Bereich stützen. Die Studienreformen der letzten Jahrzehnte haben weniger auf den Outcome, also den nachhaltigen Lernerfolg und die Wissens- und Kompetenzentwicklung des Individuums im Sinne eines umfassenden Bildungsbegriffs, gezielt, sondern sie haben eher noch die Konzentration auf den Input verstärkt. Aus rein ökonomischer Sicht spielt es für eine Hochschule auch keine Rolle, was die Studierenden nach Abschluss ihres Studiums tatsächlich an langfristig aktivierbarem Wissen und Kompetenzen erworben haben, sondern lediglich, ob der in Studienplänen festgelegte Input den Erwartungen der Unterhaltsträger in Hinblick auf eine effiziente Organisation des Studiums und der Wirtschaft als ‚Abnehmerin‘ der von der Hochschule bereitgestellten Arbeitskräfte entspricht. Hier ist eine deutliche Lücke zwischen hochschulpolitischem Anspruch, Hochschulmarketing und der Wirklichkeit in der Lehre zu erkennen. Nähme man den von Verantwortlichen in der Hochschulpolitik und den Leitbildern der Hochschulen postulierten ganzheitlichen und nachhaltigen Bildungsanspruch ernst, müsste an allen Hochschulen selbstorganisiertes Lernen als Re-

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gelfall der Wissensaneignung mit weitreichenden Auswirkungen auf alle Dimensionen der Lernwelten etabliert sein. Vor diesem Hintergrund mag eine Betrachtung des Lernens an der Hochschule als selbstorganisiertem Prozess der Wissens- und Kompetenzaneignung idealistisch erscheinen. Andererseits kann man aber auch argumentieren, dass es erstens darum geht, die formulierten Erwartungen an die Hochschule als Ort der Bildung tatsächlich umzusetzen und dass es zweitens unter den weiter oben beschriebenen Bedingungen der Wissensgesellschaften schwierig ist, ernsthaft weiterhin ein input-orientiertes Konzept von Lernen zu verfolgen, wenn man das Ziel hat, zukünftige Generationen von Studierenden auch in einem gänzlich ökonomischen Verständnis zukunftsfähig auszubilden. Was also als Idealismus daherkommt, ist eigentlich eine Einsicht in gesellschaftliche Notwendigkeiten verbunden mit einem Ernstnehmen hochschulpolitischer Ansprüche. Gerade Wissenschaftliche Bibliotheken, die traditionell und auch noch in aktuellen Debatten verkürzt als informelle Lernorte beziehungsweise Orte des Selbststudiums in engem Zusammenhang mit gedruckter Literatur wahrgenommen werden, haben jenseits der auf Personen und Institutionen der Lehre einwirkenden Zwänge von Studienplänen und Lehrverpflichtungen die Chance, bei der Etablierung zeitgemäßer, wissenschaftlichen Erkenntnissen folgender Lernumgebungen voranzugehen und damit auch auf die zunehmende Fragilität normativer Ansätze in Soziologie und Erziehungswissenschaften zu reagieren. Konstruktivistisches Denken scheint „im Trend“ zu liegen in einer Zeit, in der traditionelle Gewissheiten, Sicherheiten, Wahrheiten brüchig und fragwürdig werden. Ein Merkmal der „reflexiven Moderne“ ist es – nach Ulrich Beck – dass die hochkomplexe verwissenschaftlichte Gesellschaft ihre eigenen unkalkulierbaren Risiken und kontraproduktiven Nebenwirkungen produziert. In dieser Situation wächst mit dem Wissen das Nicht-Wissen, die unvermeidliche Ungewissheit. (Siebert 2005, 11, H. i. O.)

Wissensräume wie Bibliotheken können sich dieser unvermeidlichen Ungewissheit stellen, indem sie einerseits gesicherte Informationen so aufbereiten, dass sie abrufbar und erkennbar sind und andererseits auch Umgebungen bieten, die Lernende in der selbstorganisierten Aneignung von Wissen und Kompetenzen unterstützen und in Lernwelten eingebettet sind. Es geht also um eine Verbindung des bibliothekarischen „Kerngeschäfts“ mit neuen Anforderungen an hochschulische Lernwelten (Bonte 2015, 100). Bibliotheken haben so auch das Potential, als Kontingenzbewältigerinnen zu wirken; auch innerhalb der Hochschule selbst. Dazu ist es wichtig, zu begreifen, wie Lernprozesse aus einer konstruktivistischen Perspektive durch den Kontext ermöglicht werden können, ohne in den Anspruch zu verfallen, sie steuern zu wollen.

3.2 Lernen im Kontext aus konstruktivistischer Sicht



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3.2.1 Lernen als autopoietischer Prozess Liest man Sieberts Einordnung des Lernens aus konstruktivistischer Sicht, so wird noch einmal deutlich, dass bei aller Betonung der individuellen, kognitiven Basis des Lernens die äußeren Einflussfaktoren eine entscheidende Rolle spielen: Lernen – so der Konstruktivismus – ist ein autopoietischer, selbst gesteuerter, eigenwilliger und eigensinniger Prozess. Lernen benötigt zwar Informationen, Anregungen, Rückmeldungen, Lernhilfen, aber Lernen lässt sich nicht „von außen“ determinieren. Das psychische „System“ entscheidet, was es verarbeiten kann und will. Lernen ist kein Transport des Wissens von A nach B, „Bedeutungen“ können nicht linear mitgeteilt werden, sondern das System konstruiert seine Welt des Bedeutungsvollen. (Siebert 2005, 32, H. i. O.)

Siebert verbindet hier Erkenntnisse der Hirnforschung mit der systemischen Perspektive, nach der das Individuum als System in erster Linie auf autopoietische Prozesse zurückgreift. Die zeitliche Perspektive, also die Lernbiografie der Lernenden, spielt in dieser Sichtweise eine wesentlich größere Rolle, als die räumliche Perspektive, also der physische Kontext, in dem das Lernen stattfindet. Dies deckt sich mit dem berühmten blinden Fleck der Systemtheorie in Bezug auf den Raum, auf den im nächsten Kapitel näher eingegangen wird. Siebert geht aber auch auf einen anderen Aspekt von Lernprozessen ein. Lernen ist demnach zwar nicht von außen steuerbar, aber auch nicht vom Individuum allein zu bewältigen. Auch „Verstehen“ ist nicht nur „Verstandessache“, sondern auch „Gefühlssache“. Nur wenn wir andere verstehen wollen, wachsen die Chancen für Verstehen und Verständigung und damit für eine Perspektivenverschränkung. Perspektivenverschränkung ist somit Schlüsselbegriff eines sozialen Konstruktivismus. Wer sozial handeln will, ohne auf seine kognitive Autonomie zu verzichten, muss seine Perspektive mit der Sichtweise anderer verschränken. Das aber erfordert nicht nur kognitive Fähigkeiten, sondern auch emotionale Antriebe. (Siebert 2005, 26, H. i. O.)

Auch wenn die Konstruktion von Wissen als Repräsentation von Welt sich also immer autopoietisch im Individuum abspielt und Lernen daher nicht anders, denn als individueller, selbstorganisierter Prozess zu denken ist (Herold/Herold 2017, 15), ist es trotzdem immer auch im sozialen und physischen Kontext zu sehen und emotional angetrieben. Die Bedeutung der Gefühle und Affekte für das Lernen und ihr Zusammenhang mit den äußeren Reizen ist schon in der Auseinandersetzung mit den neurowissenschaftlichen Grundlagen des Lernens deutlich geworden. Hier wird es jetzt auf die soziale Interaktion ausgeweitet, die die Lernenden mit anderen In-

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dividuen in ihrer – digitalen oder physischen – Umgebung haben. Siebert vermutet eine Beteiligung von Spiegelneuronen (Siebert 2016, 63). Auch wenn man Spiegelneuronen eher als Metapher für neuronale Prozesse im Bereich der Nachahmung und Empathie denn als einzelne Neuronen, die menschliches Verhalten steuern können, betrachtet, ist die Erkenntnis, dass intersubjektive Prozesse für das Lernen eine wichtige Rolle spielen, nicht erst seit der Popularisierung der Idee von Spiegelneuronen verbreitet. Dabei sind jedoch, wie oben bereits beschrieben, die individuellen Reaktionen auf die sozialen Reize und Interaktionen sehr verschieden, was als Indiz gegen die Vorstellung von Spiegelneuronen spricht, die nach einem einfachen Reiz-Reaktionsschema funktionieren. Die weitgehend autonome und unbewusste Konstitution von Bedeutung ist also wesentlich von den sozialen Zusammenhängen und Interaktionen in der Umgebung beeinflusst, ohne jedoch in dieser Beziehung vorhersagbar zu sein. An dieser Stelle kommt die Viabilität als wesentlicher Faktor der systemisch-konstruktivistischen Lerntheorie ins Spiel. Äußere Reize, die eins zu eins mit den abrufbaren Gedächtnisinhalten übereinstimmen, sind für den Lernprozess uninteressant. Vielmehr kommt es darauf an, ob aus der Verbindung vorhandener Elemente mit den neuen Informationen funktionierende Einheiten gebildet werden können. Entscheidend ist nicht die tatsächliche Identität zwischen einer äußeren Gegebenheit einerseits und den inneren Abbildern, welche der Lernende zu dieser entwickeln konnte, andererseits; entscheidend ist vielmehr, ob und inwieweit diese eine angemessene bzw. erfolgreiche Problemlösung anzuleiten vermögen. (Arnold 2016a, 7)

Ob und wie ein äußerer Reiz verarbeitet wird, ist in hohem Maße davon abhängig, ob er neu und – in der Bedeutungskonstruktion des Individuums – anschlussfähig ist. Genauso wie Arnold den Wandel von einer intervenierenden Pädagogik zu einer konventionalistischen Herangehensweise im Sinne der Herstellung einer Übereinstimmung zwischen den anzueignenden Wissenselementen beziehungsweise Kompetenzen und den inneren Voraussetzungen der Lernenden verfolgt, lässt sich in Hinblick auf die Lernumgebung sagen, dass diese das Lernen nicht mehr steuern soll – und dies auch nie effektiv konnte –, sondern Interaktionen und Inspirationen ermöglicht, die für das Individuum potentiell neu und viabel sein können. Hier wird der schon beschriebene Unterschied zwischen „input“ und „outcome“ relevant (Arnold 2016a, 70). Es geht also nicht mehr um informationsarme, rauschfreie Umgebungen, sondern um Räume, die soziale Interaktion und individuelle Kreativität gleichzeitig hervorzubringen helfen und dabei sowohl gerichtete als auch entspannte Aufmerksamkeit im

3.2 Lernen im Kontext aus konstruktivistischer Sicht



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Sinne der oben genannten Lernprinzipien ermöglichen. Denn letztendlich ist die Wissensaneignung in diesem Verständnis ein kreativer Prozess der Konstruktion von Bedeutung, der durch die Selbstorganisation vorangetrieben wird und umgekehrt, wie oben beschrieben, nur selbstorganisiert denkbar ist. Diese Reziprozität von Selbstorganisation und Kreativität ist eine Basis für den in der Ermöglichungsdidaktik angelegten produktiven, outcome-orientierten Erwerb von Wissen und Kompetenzen (Arnold/Erpenbeck 2014, 19). Aneignungsprozesse setzen im Lernenden eine Resonanz in Bezug auf seine Strukturen, Sichtweisen und Interpretationen voraus. Dies ist die Aufgabe einer Didaktik selbstorganisierten Lernens. Für Arnold müssen solche Prozesse „Eigenes in ihnen [den lernenden Individuen d. A.] zum Schwingen bringen“ (Arnold 2016a, 8). Hier schließt die Theorie des selbstorganisierten Lernens an die Hirnforschung an, in der den Affekten ebenfalls eine große Rolle für den Lernprozess zugeschrieben wird. Während bei den genannten Lernprinzipien jedoch insgesamt die positiven Gefühle im Vordergrund stehen, ist nach Erpenbeck für eine erfolgreiche Wissensaneignung zunächst egal, ob die Affekte positiv besetzt sind, oder emotionale Herausforderung bedeuten: Je stärker die emotionale Labilisierung der Studierenden ist, hervorgerufen durch Begeisterung, Interesse, Neugier, Anerkennung, Befriedigung, aber möglicherweise auch durch Angst, Zweifel, Schwierigkeiten, Hindernisse, vor allem wenn letztere überwunden werden, desto höher ist die Nutzung des Wissens im kompetenten Handeln. (Erpenbeck 2016, 48)

Insbesondere für das Kompetenzen bedingende Handlungswissen sind Emotionen also entscheidend. Dass auch negative Emotionen einen fördernden Einfluss auf die Wissensaneignung haben können, bedeutet jedoch nicht, dass Verantwortliche für Lernarrangements diese gezielt einsetzen sollten, um vermeintlich bessere oder schnellere Lernergebnisse hervorzurufen. Andererseits macht Erpenbeck mit seinem Argument aber auch deutlich, dass es keineswegs sinnvoll ist, alle potenziellen Schwierigkeiten und Herausforderungen aus dem Weg zu räumen, um den Lernenden einen möglichst bequemen Weg zum vermeintlichen Erfolg zu ebnen. Intentionales Lernen heißt eben immer, sich mit den Lerninhalten auseinanderzusetzen. Umso wichtiger ist es dann, die räumliche Lernumgebung so zu gestalten, dass nicht zusätzliche Barrieren durch den Raum selbst oder äußere Einflüsse entstehen. Zu den Affekten, die beim Lernen eine Rolle spielen, gehören auch diejenigen, die durch – freiwillige oder unfreiwillige – soziale Interaktionen entstehen. So wie der autopoietische Lernprozess kognitiv immer in verschiedenen neuronalen Netzwerken stattfindet, so findet Lernen

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immer in sozialen Zusammenhängen situiert statt und erzeugt diese gleichzeitig.

3.2.2 Lernen im sozialräumlichen Kontext – situiertes Lernen Ausgehend von der systemisch-konstruktivistischen Perspektive auf das Lernen steht bei der Frage nach den sozialen Systemen, die Lernen bedingen, immer die Schnittstelle beziehungsweise die strukturelle Koppelung im Vordergrund. Findet der autopoietische Prozess des Lernens zunächst auf der individuellen und nicht vermittelbaren Ebene des Bewusstseins statt, so entsteht Kommunikation erst in einem sozialen System und ist gleichzeitig Voraussetzung desselben. Wenn Individuen zum Beispiel die Ansicht äußern, sie wären beim Erwerb von Wissen am besten auf sich allein gestellt und könnten nur in sozialer Isolation lernen, so ist dies weder aus der Sicht der Empirie noch aus systemtheoretischer Perspektive korrekt, da der Erwerb von Wissen immer in soziale Zusammenhänge eingebettet ist (Brown/Duguid 2000, 139–140). Wissen ist nur als Produkt sozialer Interaktion beziehungsweise als kulturelles Phänomen denkbar. Dem widerspricht das Bedürfnis, an einem ruhigen Platz zum Beispiel in der Bibliothek medial vermitteltes Wissen zu rezipieren, nur scheinbar. Auch wenn man ganz klassisch allein in der Bibliothek sitzt und ein wissenschaftliches Buch liest, ist man Teil des sozialen Systems Wissenschaft, das strukturell über die Sprache mit dem eigenen Bewusstsein gekoppelt ist, ohne dass man dafür mit der Autorin oder dem Autor des Buches direkt interagieren muss. Die Bibliothek ist hier als Teil der kommunikativen Infrastruktur zu sehen, die das System Wissenschaft zu seiner Erhaltung geschaffen hat und gleichzeitig konstituiert die strukturelle Koppelung von Bewusstsein und durch Sprache vermitteltem Wissen dieses System.8 Gleichzeitig wird der Lern- beziehungsweise Verstehensprozess aber auch durch die anderen Individuen im Raum beeinflusst, ohne dass jene Teil der Interaktion sind. Denn Kommunikation setzt keinen Handlungswillen irgendeines Subjekts voraus, sondern entsteht in sozialen Systemen auch auf der Mikround Mesoebene dann, wenn Individuen bewusst oder unbewusst in Verbindung miteinander treten. Ein Subjektbegriff ist erst dann denkbar, wenn diese Voraussetzung von sozialen Systemen anerkannt wurde. 8 Im Zusammenhang dieses Bandes soll nicht der Frage nachgegangen werden, ob Wissenschaftliche Bibliothek als Teil oder als Subsystem des Systems Wissenschaft anzusehen ist, oder ob Bibliothek ein eigenes soziales System darstellt. Es spricht aber bei oberflächlicher Betrachtung vieles für die These, dass ersteres der Fall ist.

3.2 Lernen im Kontext aus konstruktivistischer Sicht



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Menschen verwirklichen sich durch soziale Handlungen, also durch Aktivitäten zusammen mit anderen, aber auch gegen andere. Das Subjekt ist nur sozial, nur „vergesellschaftet“ denkbar. (Siebert 2005, 21, H. i. O.)

Diese soziale Gebundenheit von Wissen und Wissensaneignung verweist auf den Kontext, in dem dieses steht beziehungsweise jene stattfindet. Als Ansatz zum besseren Verständnis der komplexen und mehrschichtigen Prozesse, die dabei ablaufen, wurde das situierte Lernen vorgeschlagen, wobei es sich hier weniger um eine konkrete Lernmethode oder -strategie, sondern vielmehr um ein Modell beziehungsweise um ein Analysewerkzeug handelt (Lave/Wenger 2007, 40). Für Konrad und Traub beruht situiertes Lernen darauf, dass einem Lernenden Situationen angeboten werden müssen, in denen eigene Konstruktionsleistungen möglich sind und in denen kontextgebunden gelernt werden kann (Konrad/Traub 2001, 21).

Eine Lernwelt im Sinne dieses Bandes wäre demnach in ihrer räumlichen Ausdehnung eine solche Situation beziehungsweise eine institutionell und/oder räumlich aufeinander bezogene Gruppe solcher Situationen, die einen räumlichen und sozialen Kontext – jeweils physisch und/oder digital – schafft, der Lernen ermöglicht. Dies bedeutet jedoch keine Verabschiedung des Lernens als individuellem, autopoietischen Prozess, sondern ergänzt diesen um einen Ermöglichungsraum, in dem strukturelle Koppelungen zwischen dem Individuum und weiteren Systemen stattfinden können, die den Lernprozess initiieren und fördern: That perspective meant that there is no activity that is not situated. It implied emphasis on comprehensive understanding involving the whole person rather than receiving a body of factual knowledge about the world; on activity in and with the world; and on the view that agent, activity, and the world mutually constitute each other. (Lave/Wenger 2007, 33)

Bildet der Raum in einer rein systemtheoretisch geprägten Auffassung vom Lernen also eine Leerstelle, wird er hier zu einem wesentlichen Faktor in der Konstituierung von Lernwelten, die wiederum, wie wir unten sehen werden, die mit ihnen verbundenen Lernräume mit konstituieren. Für Lave und Wenger, die situiertes Lernen aus der Perspektive handwerklicher und musisch-künstlerischer Bildung betrachten, sind die Communities of Practice für das Gelingen situierter Lernprozesse entscheidend. Diese Praxisgemeinschaften bilden den sozialen Raum, in dem das Lernen stattfindet und unterstützen den individuellen Lernprozess durch eine gegenseitige Vorbildfunktion (Collective Apprenticeship). Dies bedeutet auch, dass in dem Modell die individuelle Selbstorganisation des Lernens auf den sozialen Kontext übertragen wird und dort ebenfalls selbstor-

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ganisiert abläuft (Lave/Wenger 2007). Gleichzeitig lässt das Modell aber auch Raum für durch Lehrende beziehungsweise Expertinnen und Experten angeleiteten Wissenserwerb, da diese innerhalb der Praxisgemeinschaft eine spezifische Rolle spielen können. Das lernende Individuum steht innerhalb der Praxisgemeinschaft zunächst bildhaft gesprochen am Rande und arbeitet sich langsam ins Zentrum vor: By this we mean to draw attention to the point that learners inevitably participate in communities of practitioners and the mastery of knowledge and skill requires newcomers to move toward full participation in the sociocultural practices of a community. (Lave/Wenger 2007, 29)

Diesen Prozess bezeichnen Lave und Wenger als Legitimate Peripheral Participation. Wissen wird in diesem Kontext in erster Linie nicht als Informationswissen, sondern als Handlungswissen insbesondere durch Vorbild und Nachahmung vermittelt. Auch wenn situiertes Lernen, wie es Lave und Wenger hier darstellen, also zunächst der Vermittlung von praktischem Handlungswissen dient, ist es doch wesentlich komplexer. Einerseits werden Wissenselemente verinnerlicht, etwa bestimmte Handgriffe (skills), die dem Individuum in der späteren Ausführung nicht mehr bewusst sind und von denen es meist nicht mehr sagen können wird, wie es sie ‚gelernt‘ hat, andererseits wird aber auch bewusstes Wissen über Materialien, Werkstoffe und Techniken (knowledge) vermittelt. Hält man an einer Unterscheidung von Wissen und Kompetenzen fest, so erkennt man hier auch eine Vermittlung von Kompetenzen, die eine spätere Handlungsfähigkeit bedingen. Die Idee der Praxisgemeinschaft legt nahe, dass hier zusätzlich andere Wissensformen, wie zum Beispiel ein gruppenspezifischer Habitus, eine Rolle spielen. Auch wenn die Institutionalisierungen solcher Identifikationsmerkmale in der historischen Gestalt von Zünften oder moderneren Innungen in ihrer Bindungswirkung nachgelassen haben, spielt der Habitus im Bereich praktischer und vor allem künstlerischer Berufe nach wie vor eine Rolle. Dies trifft aber auch auf den akademischen Bereich zu. Im Kontext der Hochschule werden, wie oben bereits erwähnt, nicht nur auf das Studienfach bezogenes Wissen und Kompetenzen, sondern auch ein akademischer Habitus vermittelt, der gegebenenfalls auch schon berufsspezifisch – etwa in medizinischen und rechtswissenschaftlichen Studiengängen – sein kann. Anschlüsse an hochschulische Lernwelten ergeben sich aber auch aus anderer Perspektive. Obwohl Legitimate Peripheral Participation zunächst im Bereich der handwerklichen und künstlerischen Bildungsbiografie angesiedelt zu sein scheint, schlagen Lave und Wenger eine Übertragung auf den Erwerb tech-

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nischer Fertigkeiten generell und in diesem Zusammenhang explizit auch auf Techniken wissenschaftlichen Arbeitens und des Wissenserwerbs vor (Lave/ Wenger 2007, 30). Auch wenn es sich weniger um Praxis- als vielmehr um Wissensgemeinschaften handelt, rückt dies das Modell des situierten Lernens sehr nahe an den Ursprung der europäischen Universitäten als universitas magistrorum et scholarium, also Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden heran. Hier sind dann sowohl wissenschaftliche als auch anwendungsorientiere Studiengänge zu subsumieren.9 Dafür sind allerdings entsprechende Lernräume notwendig. Siebert (2005, 74) sieht in der Gestaltung von Lernumgebungen die Möglichkeit, situiertes Lernen auch auf eher abstrakte Themen zu beziehen und in Bontes Beschreibung neuer Lernraumszenarien für Wissenschaftliche Bibliotheken finden sich diverse Anknüpfungspunkte, da sie letztendlich alle auf die Praxisgemeinschaft als Kern des situierten Lernens zielen, wie sich am Beispiel des Makerspace zeigt. Durch die persönliche Begegnung von Computerexperten, Designern und Bastlern mit jeweils spezifischem Wissen und besonderen Fähigkeiten entsteht ein interdisziplinärer Wissenspool, der neue Forschungsideen und Produkte hervorbringen kann. (Bonte 2015, 101)

Der Blick auf den Kontext und das Modell des situierten Lernens erweitert den systemisch-konstruktivistischen Blick auf das Lernen um die Einbeziehung der sozialen und räumlichen Umwelt. Dabei wird aber das Lernen als autopoietischer Prozess nicht in Frage gestellt, sondern vielmehr in seiner strukturellen Koppelung an die Systeme der Umwelt betrachtet. Die aus den unterschiedlichen Koppelungen entstehenden Netzwerke werden metaphorisch oft als Erweiterungen der Prozesse in den neuronalen Netzwerken des Individuums betrachtet. Vernetztes Lernen gleicht jedoch den neurophysiologischen Vorgängen weder aus der neurowissenschaftlichen noch aus der systemischen Perspektive. Die Isoliertheit des Individuums als System bleibt auch dann aufrechterhalten, wenn eine strukturelle Koppelung mit anderen Systemen vollzogen wird, die sich aus den Koppelungen heraus konstituieren. Bevor die Frage in den Fokus gerückt wird, wie diese Konstitutionsprozesse und die Konstitution von Wissensräumen sich gegenseitig bedingen, soll zusammenfassend sowohl auf die Kritik der systemisch-konstruktivistischen Lerntheorie als auch auf die Konsequenzen für die Gestaltung von Lernumgebungen eingegangen werden.

9 Die naheliegenden Bezüge zum methodischen Konstruktivismus werden an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt.

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3.2.3 Möglichkeitsräume schaffen Selbstorganisiertes Lernen konzentriert sich, so die Kritik von Schüßler, oft zu sehr auf eine Freiheit der Methoden beziehungsweise die freie Wahl von Ort und Zeit und den selbstverantworteten Ressourceneinsatz der Lernenden, weniger aber auf eine Freiheit hinsichtlich der Lerninhalte. Die von außen gesetzten Vorgaben sind demnach noch viel zu sehr in einer Input-Logik verhaftet und lassen nicht ohne weiteres einen Anschluss an eigenes Wissen beziehungsweise eigene Kompetenzen zu. Es geht hier dann weniger um Selbstbestimmung als um eine durch Lernen forcierte Selbstökonomisierung und -optimierung. Nach dieser Deutung würden auch Bildungsprozesse der Logik neoliberaler Regierungen folgen, weil sie den Lernenden zum Entrepreneur des eigenen Lebens konfigurieren, dem es beim Lernen vor allem um die seitens der Bildungspolitik und der Betriebe geforderten Employalibility gehen müsse. (Schüßler 2016, 96)

Tatsächlich ist insbesondere im Fall berufsbegleitender Studiengänge nicht nur privater Hochschulen häufig zu beobachten, dass unter dem Label des selbstorganisierten Lernens den Lernenden die gesamte Verantwortung für die von ihnen selbst zu steuernden Lernprozesse inklusive der Beschaffung zusätzlicher Informationsressourcen gegeben wird, während die Anbieterinnen und Anbieter dieser Studiengänge allzu oft weder dem Anspruch ihrer Studiengänge gerecht werdende Lernwelten gestalten, noch über den reinen Input hinausgehende Beiträge zum Lernprozess leisten. Man beschränkt sich in diesen Fällen auf eine instruktive Vermittlung in unterschiedlichen Präsenz- und/oder OnlineFormaten. Schüßler stellt an zwei Beispielen aus der Praxis anschaulich dar, dass die beschriebenen Ansätze einerseits dem Risiko ausgesetzt sind, als reine Marketinglabel, etwa für Weiterbildungsveranstaltungen, Studiengänge oder ganze Bildungseinrichtungen herhalten zu müssen und/oder den Ökonomisierungstendenzen in allen Bildungsbereichen Vorschub leisten, indem man die Präsenz von Lehrenden reduziert und so statt echter Selbstorganisation lediglich Selbstverantwortung für die eigenen, beschränkten Ressourcen bietet (Schüßler 2016, 86–88). Es wird allerdings deutlich, dass dies keine Kritik an systemisch-konstruktivistischen Ansätzen an sich, sondern an der Verwendung von Schlüsselbegriffen dieser Modelle im Kontext der Ökonomisierung des Bildungswesens ist. Gerade die, an dieser Stelle dann vielleicht fast idealistisch wirkenden, Modelle zum situierten Lernen setzen dem eine Betonung des sozialen Charakters von Lernarrangements entgegen. Spielen jedoch bei der Gestaltung von Lernwelten und der Ausstattung von Lernarrangements in Hinblick auf die Ressourcen nur ökonomische Erwägungen eine Rolle, kommt selbstorganisiertes Lernen schnell

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an seine Grenzen beziehungsweise wird tatsächlich zum Feigenblatt eines Rückzugs der Unterhaltsträger und Institutionen aus ihrer bildungspolitischen und didaktischen Verantwortung. Vor dem beschriebenen Hintergrund der Ökonomisierung des Bildungswesens und des Trends zur individuellen Selbstregulierung als Selbstregime stellt Schüßler die Frage nach dem aufklärerischen beziehungsweise emanzipatorischen Potential des systemisch-konstruktivistischen Ansatzes von selbstorganisiertem Lernen und der Ermöglichungsdidaktik. Zunächst stellt sie einen anachronistischen Aufklärungsbegriff fest, wenn etwa eine Abwendung vom aufklärerischen Bildungsparadigma postuliert wird, da eine Fremdaufklärung sowieso nicht verfange. Zweitens sieht sie das Problem, dass Ermöglichungsdidaktik die Lehrenden darauf reduziere, Lernarrangements zu schaffen, deren Inhalte dann beliebig von anderen, etwa mit bestimmten ökonomischen Interessen gesetzt werden könnten. Dem stellt sie eine umfassende pädagogische Verantwortung gegenüber (Schüßler 2016, 103–105). Siebert sieht hingegen einen sozialen Konstruktivismus, der als „Theorie der Konstruktion von Wirklichkeit und der permanenten Kritik dieser Konstruktion verstanden wird“ (Siebert 2005, 28) sehr wohl in einer aufklärerischen Tradition stehend, oder zumindest an diese anschlussfähig. Dabei geht es aber nicht nur um Ressourcen und Infrastrukturen. Arnold und Erpenbeck sehen das Problem der Übertragbarkeit situierten Lernens einerseits darin, dass Studiengänge an Universitäten in der Regel nicht unmittelbar berufsvorbereitend angelegt sind und andererseits die fachliche beziehungsweise disziplinäre Wissenschaftsorientierung die didaktischen und persönlichkeitsbildenden Anteile hochschulischer Lehre überwiegt (Arnold/Erpenbeck 2014, 1). Dem wäre entgegenzuhalten, dass situiertes Lernen auch für Wissensgemeinschaften anwendbar sein kann, dazu „wird es vor allem darauf ankommen, gestalterische Konzepte dazu zu entwickeln, wie Lernen und insbesondere kooperatives Lernen gefördert werden sollte“ (Konrad/Traub 2001, 23). Gleichzeitig muss aber die Wende von einer input- zu einer outcome-orientierten Hochschullehre in der Breite erst noch vollzogen werden, um Wissensvermittlung in Richtung einer umfassenden Persönlichkeitsbildung zu erweitern. Dazu gehört auch die Erfahrung einer Selbstwirksamkeit des Individuums. Dies meint Siebert folgend die Erweiterung des eigenen Wissens, positive Interaktionen mit anderen Individuen, emotionale Faktoren, aber auch Perturbation im Sinne eines positiven Störsignals. Die erfolgreich selbst herbeigeführte Konstruktion neuen Wissens mit den damit verbundenen Erfahrungen von Deutungsfähigkeit, Kommunikation und Innovation trägt damit unmittelbar zur Bildung einer selbstbewussten Persönlichkeit bei und ermutigt, sich auch weiterhin auf Pro-

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zesse des Wissenserwerbs beziehungsweise Lernsituationen einzulassen (Siebert 2016, 65). Konkret bedeutet dies: Eine wirksame Ermöglichung, Anregung und Begleitung subjektiver Aneignung kann nicht so tun, als seien die Mechanismen, mit denen Subjekte ihre Wirklichkeit konstruieren und auch transformieren, andere, als die, die sie nach allem, was wir wissen, sind: Ausdruck der „jeweiligen Systemreferenz“, d. h. das lernende Subjekt möchte sich in aller Regel nicht neu erfinden, sondern auch so bleiben dürfen, wie es ist. Es möchte auch in dem, wie es denkt, fühlt und handelt, Wert geschätzt und nicht dementiert werden. (Arnold 2016a, 9, H. i. O.)

Konrad und Traub definieren zusammenfassend folgende Kennzeichen einer sozial-konstruktivistischen Lernauffassung: – Wissen wird prozessual und in enger Abhängigkeit von den individuellen Voraussetzungen der Wissensträger/-innen beziehungsweise Wissensproduzent/-innen en sowie den sozialen Kontexten gesehen; – dementsprechend ist Lernen ein aktiver Prozess der Konstruktion neuen Wissens, der den ganzen Menschen betrifft und stark situativ geprägt ist; – Menschen lernen am besten selbstorganisiert in sozialen, kommunikativen Kontexten; – die Rolle didaktischer Akteure konzentriert sich vor allem darauf, möglichst optimale Situationen (Lernarrangements) zu schaffen und die Lernenden durch Anregung, Beratung und Coaching in ihrem Prozess zu begleiten. (Konrad/Traub 2001, 19) Welche Anforderungen ergeben sich daraus an die Lernwelten und deren Gestaltung? Zunächst einmal sollte man den Anspruch aufgeben ‚one fits all‘-Lösungen schaffen zu können. Mit der Ablösung traditioneller Vorstellungen des instruktiven, input-orientieren Lernens muss ein neuer, vielgestaltiger Blick auf Lernumgebungen einhergehen. Selbstorganisiertes Lernen bedeutet immer auch, dass multiple Kontexte und soziale Beziehungsgeflechte in den Prozess der Wissensaneignung einbezogen sind, die, verstärkt durch die Vernetzung in digitalen Räumen, einem schnellen Wechsel bis hin zur Gleichzeitigkeit unterworfen sind. So wie weiter oben von der multifacettierten Struktur neuronaler Lernprozesse gesprochen wurde, so ist das Lernen auch aus einer sozial-konstruktivistischen Lernauffassung heraus multifacettiert. Andererseits, und hier liegt eine wesentliche Herausforderung, bedeutet dies weder einen Rückzug der Lehrpersonen und Institutionen aus ihrer Verantwortung noch eine Beliebigkeit in Hinblick auf die Gestaltung von Lernräumen. Die in der Hochschulplanung der letzten Jahre gerne kolportierte vermeintliche Erkenntnis, dass ja eine Nische im Flur oder eine nachmittags nicht mehr für

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die Essensausgabe genutzte Mensa als Lernort ausreichten, wenn WLAN und Steckdosen vorhanden seien, ist genau so ein Kurzschluss. Die oben beschriebene Kritik am Missbrauch des selbstorganisierten Lernens für eine Ökonomisierung des Bildungsbetriebs lässt sich hieran gut ablesen. Anstatt finanzielle und planerische Ressourcen für die Gestaltung von multifacettierten Lernwelten aufzuwenden, wird eine Art Basisinfrastruktur zur Verfügung gestellt und die Verantwortung, diese zu einem nutzbaren Lernort zu machen, den Lernenden übertragen. Im Hochschulmarketing spricht man dann davon, neue Lernorte erschlossen und Flächen optimal genutzt zu haben. Hier tut sich eine Lücke im Verantwortungsgefüge des hochschulischen Lernens auf, das Siebert unter dem Begriff der Metakognition fasst. „Metakognition“ verweist auf die Fähigkeit und Notwendigkeit zur „Beobachtung II. Ordnung“, zur reflexiven Selbstbeobachtung, zur Evaluation der eigenen Lernstile und Lernmotive, der Stärken und Schwächen. Zur Metakognition gehört aber auch die Einsicht in die Konstruktivität und d. h. auch: die Relativität, Vorläufigkeit und Irrtumswahrscheinlichkeit der eigenen Wirklichkeitskonstruktionen. Für sein Denken, Lernen und Nicht-Lernen ist jeder selber verantwortlich. Die Lehrenden sind verantwortlich für ihre Lehre, also für die Gestaltung der Lernsettings, für die „didaktische Reduktion und Rekonstruktion“ der Themen und Qualifikationsanforderungen. (Siebert 2005, 34–35, H. i. O.)

Wenn in diesem Aufruf zur Reflexion des eigenen Beitrages zum Lernprozess den Lernenden die Verantwortung für ihre eigene Einstellung zum Lernen und den Lehrenden die Verantwortung für die Lernarrangements zugeordnet wird, übersieht Siebert an dieser Stelle, dass, wie oben gezeigt wurde, ein wesentlicher Faktor sowohl des individuellen Lernprozesses, als auch der Lernarrangements der räumliche Kontext ist. Diesen können aber in der Regel weder die Lehrenden und noch weniger die Lernenden entscheidend beeinflussen, weshalb man ihnen dafür auch keine Verantwortung zuschreiben kann. Vielmehr schließt die traditionelle Hochschulplanung beide Gruppen mehr oder weniger aus, wodurch der Lernraum dann zu einer Setzung wird. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, dass die didaktische Konstruktion von Lernumgebungen in der Regel gerade durch solche sozialen Interaktionsstrukturen bzw. institutionalisierten Regulationsnormen konstituiert wird, die der kritischen Reflexion oder gar der Veränderbarkeit und damit dem eigenen Zugriff der Lernenden weitgehend entzogen sind. Das Bauen des Raums, seine Nutzungsbedingungen und -effekte sowie die Potenziale zu räumlichen Veränderungen sind gerade kein Gegenstand von Bildungsprozessen, sondern vorbewusste und unhinterfragte Bedingung. (Nugel 2015, 61)

Auch hier macht sich der Raum wieder als generelle Leerstelle systemtheoretischer Herangehensweisen an das Lernen bemerkbar. Zur von Siebert angeführ-

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ten Metakognition gehört zwingend auch eine Evaluation der Lernumgebungen und insbesondere das Wissen darüber, wie sich Lernräume konstituieren. Ohne ein Konzept, das geeignet ist, das Verhältnis von Raum und Lernen zu beschreiben, lassen sich somit keine weiteren Schlüsse für die Gestaltung von Lernwelten ziehen.

3.3 Zur Konstitution von Wissensräumen Die Zahl der Metaphern und Konzepte rund um die räumliche Dimension von Wissen und Lernen korreliert mit einer gewissen Beliebigkeit in der Verwendung der Begriffe. Daher bietet es sich an, die folgenden Überlegungen zum Verhältnis von Raum und Wissen im hochschulischen Kontext mit einer näheren Klärung des hier verwendeten Konzepts vom hochschulischen Wissensraum zu beginnen, welches – wie in Kapitel 2.1.3 beschrieben – für die Betrachtung von Hochschulbibliotheken als Lernwelten zugrunde gelegt werden soll. Die unterschiedlich charakterisierten Facetten, die sich in diesem Wissensraum überlagern, in diesen hineinragen und sich durch ihn hindurchziehen sollen später näher beleuchtet werden. Wie wir sehen werden, wird es dabei immer schwieriger, klare institutionelle und räumliche Grenzen der Hochschulbibliothek im Geflecht hochschulischer Lernwelten zu ziehen. Dabei scheint sich Raum zunächst über genau solche Grenzen zu definieren. Der gebaute Raum – als umbauter Raum – schafft immer eine Unterscheidung zwischen Innen und Außen. Architektur definiert damit nicht nur einen Raum, sondern auch sein Verhältnis zur Umgebung. Allerdings existiert aus der Perspektive des Individuums diese Differenz als Unterscheidung von persönlicher Sphäre und Umwelt. Tuan stellt fest, dass Architektur diese – emotional aufgeladene – Differenz verstärkt und akzentuiert. Dabei ist sie gleichzeitig in der Lage, den für das Individuum auf die Reichweite seines Körpers beschränkten intimen Bereich zu vergrößern und damit innen und außen zu einer Unterscheidung von privat und öffentlich zu abstrahieren (Tuan 1977, 107). Dies bedeutet auch, dass Ausdehnung und emotionale Qualität des Raumes bis hin zur Frage, ob dieser als Teil des intimeren Bereichs der Privatsphäre oder als öffentlich definiert wird, sehr wesentlich auch von der kognitiven Leistung des Individuums abhängen, das den Raum um sich herum wahrnimmt und mit seinen Einstellungen in Übereinstimmung bringt. Das Individuum ist – bis zu einem gewissen Grad unabhängig von den Grenzen, die die Architektur setzt – in der Lage, innerhalb jedes weiteren Raumes einen eigenen Handlungs- und Erfahrungsraum zu definieren.

3.3 Zur Konstitution von Wissensräumen



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Hier setzt eine erste grundlegende Unterscheidung an, die zwischen Raum und Ort. Indem das Individuum sich einen Raum nach und nach erschließt, macht es ihn sich zum Ort. Im englischen Wort space ist dabei das potenziell unbegrenzte, aber dadurch auch unbeschreibbare enthalten, während place einen begrenzten, für das Individuum beherrschbaren Ort meint. In diesem Sinne ist Ort ein Konzept, das Sicherheit vermittelt und Orientierung ermöglicht. Tuan unterscheidet beide Konzepte am Beispiel des Herantastens von Menschen an ein Labyrinth, welches entweder erkundend oder überblickend geschehen kann (Tuan 1977, 70–71). Auch für Läpple bezeichnet der Ort immer nur den konkreten Handlungs- und Erfahrungsraum eines Individuums, während der Raum ein abstrahiertes, aus verschiedenen gleichartigen Orten abgeleitetes Konzept ist. Neben den auf individueller Erfahrung basierenden, ortsbezogenen Vorstellungen von Raum existieren Raumkonzepte als Bezugssysteme individuell unterschiedlich erfahrener und auch physisch unterschiedlich lokalisierter Orte (Läpple 1991, 202). Gemeinsam ist [beiden, d. A.], daß in der topologischen Wahrnehmung wie im relativistischen Raumbegriff kein allgemeiner Raum als Bezugspunkt existiert. In beiden Fällen wird Raum ausgehend vom eigenen Körper (bzw. vom Bezugssystem des/der Betrachterin) gedacht. Raum existiert in der relativistischen Vorstellung wie in der topologischen Wahrnehmung als Vielfalt der Räume. Dennoch verwischt die Gleichstellung einer relativistischen Raumvorstellung mit der kindlichen Wahrnehmung, daß eine Raumvorstellung immer eine Abstraktion ist, die sich aus Wahrnehmungshandeln, symbolischer Besetzung und Reflexivität entwickelt. (Löw 2001, 86)

Der Unterschied zwischen dem unmittelbar wahrnehmbaren und erfahrbaren Raum als Ort und der abstrahierten Vorstellung von Raum ist also evident. In den folgenden Überlegungen geht es daher nicht um Lernorte oder Orte des Wissens, sondern um Raumkonzepte als Annäherung an eine allgemeinere Vorstellung von Lernräumen. Dabei spielt der Plural eine entscheidende Rolle, denn weder kann es in einem solchen Ansatz um eine Definition und damit auch Lokalisierung des einen Lernortes gehen noch um den einen Begriff von demselben. Dies schließt an die Überlegungen Schroers an: Entscheidend für meine Perspektive auf den Raum ist, dass es nicht darum gehen kann, den einen Raumbegriff zu erhalten. Entscheidend ist vielmehr, dass wir es mit verschiedenen Räumen und damit auch Raumkonzepten zu tun haben. […] Das räumliche Prinzip des Nebeneinanders hat die Raumtheorie gewissermaßen selbst eingeholt. Wir haben es mit den verschiedensten Raumauffassungen zu tun, die einander nicht mehr ablösen, sondern nebeneinander existieren. (Schroer 2006, 179, H. i. O.)

90  3 Theoretische Annäherungen an hochschulische Lernwelten

Löw leitet die Unmöglichkeit eines einheitlichen Raumkonzepts aus der Entdeckung der nicht-euklidischen Geometrie her. So wie sich ein abstrakter Raumbegriff der individuellen Wahrnehmung entzieht, ist auch die nicht-euklidische Geometrie nicht unmittelbar wahrnehmbar, sondern muss durch theoretische Annäherung hergeleitet werden. Sie weist in diesem Zusammenhang auch auf die Kontingenz und Krisenanfälligkeit von Raumvorstellungen hin (Löw 2001, 73). Seit der Ablösung des wirkmächtigen aristotelischen Konzepts vom Behälterraum können wir Raum also nur noch relational und kontingent betrachten. Je nach Standpunkt, Perspektive, Einstellungen und Interesse entstehen so immer verschiedene Räume, die sich einer einheitlichen Beschreibung entziehen. Wenn im Folgenden von Lernräumen oder Wissensräumen gesprochen wird, so steht dahinter kein normativer Anspruch der Beschreibung eines Raums. Im Sinne Läpples handelt es sich vielmehr um ein spezifisches, relationales Raumkonzept, das vor allem soziologisch und bildungswissenschaftlich begründet werden soll (Läpple 1991, 164). Entscheidend ist dabei, dass den Individuen eine Raumvorstellung jenseits des konkreten Handlungs- und Erfahrungsraums, der sich in Orten manifestiert, nicht abgesprochen wird. Im Folgenden wird sich vielmehr zeigen, dass Menschen in der Lage sind, durch Erfahrungen Wissen über Räume zu akkumulieren und sie daraus die Kompetenz entwickeln, Räume zu konstituieren. Löw bezeichnet diese auf den Raum bezogene Kompetenz als „Syntheseleistung“ bei der es Individuen gelingt, unterschiedlich lokalisierte Menschen und Objekte zu Räumen zu verknüpfen (Löw 2001, 113). Sie unterscheidet dabei drei Formen der Synthese: – Abstraktion, d. h. eine Synthese in der Vorstellung, etwa beim Arrangement soziale Güter in der planerischen Gestaltung, – Wahrnehmung, d. h. eine Synthese, die in der Regel die sozialen Güter und Menschen mit dem Ort zu einem Arrangement zusammenbringt und – Erinnerung, d. h. eine Synthese, die ein bestimmtes Arrangement als Gedächtnisinhalt bewahrt und situativ wieder abrufen kann. Während die abstrahierte Vorstellung soziale Güter, Menschen und Orte voneinander trennt, verschmelzen Orte, Menschen und soziale Güter in der Wahrnehmung und tendenziell auch in der Erinnerung. Löw berührt hier einen Grundkonflikt, der insbesondere in der Stadt- und Landschaftsplanung, aber auch in der konkreten Architektur immer wieder sichtbar wird (Löw 2001, 199–200). Vereinfacht könnte man also sagen, dass Menschen die Konstitution von Räumen lernen und dabei immer auch Wissen über Räume konstituieren. So akkumulieren Menschen bereits im Kindesalter Wissen über Lernräume, da sie die Schule als solche erfahren. Nach dem Schulabschluss bringen sie dieses Wissen

3.3 Zur Konstitution von Wissensräumen



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dann in die Hochschule mit. Räumliche Vorerfahrungen aus der Schule haben damit unmittelbare Auswirkungen auf die Konstituion hochschulischer Lernräume. Dieser Zusammenhang von Wissen, Lernen und Syntheseleistung macht Wissensräume mit ihren spezifischen Eigenschaften, nicht nur aus einer bildungswissenschaftlichen Perspektive, sondern auch für die Raumtheorie interessant. Bevor konkreter auf Lernräume als spezifische Wissensräume und gleichzeitig räumliche Ausdehnung von Lernwelten eingegangen wird, soll daher allgemeiner die Konstitution von Räumen betrachtet und auf das Konzept der Aneignung als besonderer Verbindung von Pädagogik und relationalen Raumbegriffen näher in den Blick genommen werden. Zunächst stellt sich aber die Frage, wie die oben bereits erwähnte vermeintliche Leerstelle der Systemtheorie in Bezug auf den Raum zu einem, unter anderem systemtheoretisch begründeten, Konzept von Wissensräumen passen soll. Exkurs: Raum als blinder Fleck systemtheoretischer Wissenskonzepte? In einer systemtheoretischen Perspektive ist die traditionelle Bibliothek ein räumlicher Konzentrationspunkt von Verbreitungsmedien, die sozialen Systemen dazu dienen, Kommunikation aus der räumlichen – und auch zeitlichen – Gebundenheit lokaler Zusammenhänge und direkter Begegnungen herauszuheben. Wie bereits in Kapitel 3.2 erläutert, dient dies insbesondere dazu, die strukturelle Kopplung der individuellen Systeme herzustellen, die Voraussetzung für die Konstitution des Teilsystems Wissenschaft ist. Aus einer systemtheoretischen Perspektive betrachtet ist die Wissenschaftliche Bibliothek vereinfacht gesagt eine räumlich verortbare Struktur. Als Einrichtung der Speicherung stabilisiert sie das System Wissenschaft, indem sie Erfahrungen speichert und damit eine „Jederzeitigkeit“ herstellt (Luhmann 1987, 75). Hierunter versteht Luhmann die Möglichkeit eines selbstregulierten Systems, die für die Selbstregulation seiner Autopoiesis notwendige Reflektion durchführen zu können. Die Raumstelle, also der Ort, an dem dies stattfindet, spielt allerdings für diesen Zusammenhang keine Rolle, die Möglichkeiten der Vervielfältigung vervielfältigen auch die möglichen Raumstellen, an denen die Einrichtung verortet werden kann. Wenn dann im Zuge der Digitalisierung die räumliche Verortung der Trägermedien immer weniger Bedeutung für die Speicherung hat und die Jederzeitigkeit viel eher durch ubiquitäre Abrufmöglichkeiten aus digitalen Speichern hergestellt werden kann, wird die Verortung der Einrichtung Wissenschaftliche Bibliothek als Struktur der Speicherung für das System scheinbar vollends obsolet. Lippuner weist im Zusammenhang mit Verbreitungsmedien allerdings auf den logischen Bruch zwischen der ablehnenden Haltung zur Verortung sozialer Systeme einerseits und der Bezugnahme auf die, durch Verbreitungsmedien zu überwindende, lokale Gebundenheit sozialer Systeme hin und sieht hierin einen blinden Fleck der systemtheoretischen Perspektive (Lippuner 2008, 345–350). Das Problem der Systemtheorie mit dem Raum wird auch an anderer Stelle häufiger erwähnt: Die Crux der systemtheoretischen Behandlung des Raums liegt darin, dass sich die Systemtheorie wie keine zweite Theorie zunächst als Kandidatin für einen soziologisch gehaltvollen Begriff des Raumes empfiehlt, eben weil sie sich von dem Gedanken ver-

92  3 Theoretische Annäherungen an hochschulische Lernwelten abschiedet, Gesellschaft als Territorium zu denken. Gerade in der Konzeption der Systemtheorie hätte es nahegelegen, die kommunikative Erzeugung von Raum zu betonen. Stattdessen aber wird Raum mit Territorium weitgehend gleichgesetzt und zumeist mit einer Behälter-Raumauffassung gearbeitet. (Schroer 2006, 157) Es gibt jedoch Anhaltspunkte, die nahelegen, dass sowohl der Beitrag von Systemen zur Konstitution von Raum als auch die Bedeutung räumlicher Strukturen und Prozesse für die Autopoiesis von Systemen nähere Betrachtung verdienen. Zum einen vertritt Luhmann selbst die Idee einer räumlichen Autopoiesis von Systemen, wenn er im Zusammenhang mit dem Widerspruch auf eine eigene Raumlogik verweist, die sich aus der, das Potential eines sachlichen Widerspruchs in sich tragenden, räumlichen Ausdehnung anderer Systeme speist und vor diesem Hintergrund das Verhältnis der Systeme zur Konstitution von Raum als klärungsbedürftig bezeichnet (Luhmann 1987, 525). Zwar ist der Verweis auf die räumliche Ausdehnung und das Beispiel einer bereits besetzten Raumstelle, das Luhmann an dieser Stelle benutzt, ein Hinweis auf die von Schroer oben festgestellte Territorialität beziehungsweise Ortsbezogenheit der dahinter stehenden Raumauffassung, es wird aber an dieser Stelle zumindest nahegelegt, dass es eine räumliche Autopoiesis von Systemen in dem Sinne gibt, dass diese räumlich konstituierend wirken, indem sie ihre Funktionsräume selber ausbilden und dass Systeme über ihre Räume zueinander in Beziehung treten, die Räume also auch zur strukturellen Koppelung beitragen. Der zweite Anhaltspunkt ist der Hinweis Schroers auf die Bedeutung des Raums bei der Ausdifferenzierung von Funktionssystemen bei Luhmann. Teilsysteme, wie zum Beispiel Organisationen, sind demnach auf Lokalisierungen angewiesen und konstituieren sich räumlich in Abgrenzung von ihrer Umwelt. So differenziert sich Hochschule als Organisationform der Wissenschaft auch durch ihre räumliche Manifestation weiter aus und schafft dabei über spezifische Gebäudetypologien nicht nur lediglich Raumstellen, sondern auch räumliche Ausdrucksformen ihrer Autopoiesis, die der strukturellen Koppelung mit anderen Systemen auch unmittelbar dienen. Diese Funktion von Raum bei der Ausdifferenzierung von Systemen blendet Luhmann tatsächlich aus. Gleichgültig, ob man Wissenschaftliche Bibliothek nun als Teilsystem von Wissenschaft betrachtet oder nur als eine Einrichtung, drückt sich auch diese über ihre in Gebäuden manifestierten Räume aus. Dies legt nahe, dass Luhmanns im ersten Ansatz rein physische Raumauffassung zu kurz greift, da Raum immer auch eine Kommunikationsform von Systemen und Teilsystemen ist (Schroer 2006, 144). Auch Läpple geht in seiner Betrachtung der Raumfrage auf die Teilsysteme und ihre Funktionsräume näher ein: Diese einzelnen, durch ihre „funktionale Spezialisierung“ bestimmten gesellschaftlichen Teilsysteme entfalten mit ihrer „strukturellen Ausdifferenzierung“ zugleich auch eine je spezifische räumliche Manifestation. Diese räumlichen Manifestationen der je verschiedenen Funktionssysteme bezeichne ich in Anlehnung an Elmar Altvater (1987) als gesellschaftliche „Funktionsräume“. Durch die unterschiedlich bestimmten Systemgrenzen der gesellschaftlichen Teilsysteme haben die „Funktionsräume“ auch unterschiedliche räumliche Ausbreitungen oder Wirkungsfelder, und sie entfalten, entsprechend ihrer jeweiligen Funktionsspezialisierung, auch unterschiedliche raumprägende oder raumstrukturierende Tendenzen. (Läpple 1991, 198–199, H. i. O.) Bei näherer Betrachtung erweist sich also die Systemtheorie über die reine Verortung von Verbreitungsmedien und Einrichtungen hinaus als durchaus anschlussfähig an grundsätzli-

3.3 Zur Konstitution von Wissensräumen



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che Überlegung zum Verhältnis von Wissen und Raum. Darüber hinaus wird deutlich, dass beide Aspekte, sowohl die Bedeutung von räumlichen Manifestationen für Strukturen und auch Prozesse des Systems Wissenschaft und seiner strukturellen Koppelung mit anderen Systemen als auch die autopoietische Konstitution von Räumen durch das System und seine Teilsysteme selbst, im Zusammenhang dieses Bandes bedeutsam sind. Um dies weiter zu denken, ist zunächst ein Blick auf die Bedingungen und Prozesse der Konstitution von Raum notwendig.

3.3.1 Raumkonstitution als prozessuale Handlung Wie oben bereits angedeutet und in dem Exkurs am Beispiel der Idee von Prozess und Struktur bei Luhmann veranschaulicht, muss analog zu der Vorstellung der Absolutheit von Zeit auch die naturalistische Vorstellung von Raum als Gegebenheit überwunden werden, um zu einem produktiven Raumkonzept zu kommen (Läpple 1991, 161). Löw stellt fest, dass tradierte Raumvorstellungen durch die einheitliche und gleichzeitig uneinheitliche Erfahrung von Raum als vervielfältigte Rauminseln aufzubrechen beginnen. Daraus zieht sie den weiter oben bereits angedeuteten Schluss, dass Raum zunehmend als uneinheitlich, diskontinuierlich und bewegt gesehen wird (Löw 2001, 88). Raum wird damit zu einem kontingenten Konzept, das je nach Betrachtungsweise unterschiedlich wahrnehmbar und interpretierbar ist. Auch aus technologischer Sicht ist es nicht mehr möglich, noch von dem Raum zu sprechen. Mersch bezeichnet die heute medial durchdrungenen, von der Gleichzeitigkeit physischer und digitaler Repräsentationen geprägten Räume als fraktal. Die Imagination eines homogenen Raums wird demnach durch medial gestützte Gleichzeitigkeiten und die Aneinanderreihung von – geschlossene Raumkonzepte irritierenden – Informationen zunehmend brüchig (Mersch 2014, 56–57). Auch der gesellschaftliche Raum – in diesem Zusammenhang zunächst nur als soziologisch geprägtes Raumkonzept zu verstehen – lässt sich sowohl in einer banalen Perspektive als Behälterraum, also als physische Struktur, in der Menschen und Objekte verortbar angeordnet sind, betrachten oder aber durch Einbeziehung historischer (Entwicklungszusammenhang), funktionaler (Funktionszusammenhang) und relationaler (Beziehungszusammenhang) Aspekte als relationaler Ordnungsraum verstehen. Die Wahrnehmung von Raum wird so zu einem dynamischen Prozess, in dem verschiedene Wirkkräfte den Raum formen und strukturieren. Läpple bezeichnet dieses Konzept als selbststrukturierenden „Matrixraum“ (Läpple 1991, 195–196). Damit greift er die räumliche Autopoiesis auf. Dies macht den Raum selbst natürlich nicht zu einem autopoietischen System, ordnet ihn aber in die Prozesse und Strukturen der Selbstregulation von

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Systemen ein, wobei Raum, wie in den meisten neueren Raumkonzepten auch, weder nur dynamisch noch nur statisch ist. Das bedeutet, dass die Existenz einer physischen Struktur zwar nicht mehr absolut gesetzt, aber auch durch relationale Raumkonzepte in der Regel nicht geleugnet wird. In der Betrachtung von Raum geht es aber nicht mehr primär um reine physische Materialität, die sich etwa in Architekturen ausdrücken kann, sondern um den symbolischen Gehalt der Objekte und die Beziehungen von Objekten und Menschen im Raum. Damit eng verbunden ist die Erkenntnis, dass Räume einer je eigenen Wahrnehmung durch Individuen unterliegen, auch wenn diese durch Normen und Konventionen gesteuert wird, die jene verinnerlicht haben. Es gibt also nicht nur einen Raum, sondern sowohl aus einer diachronen als auch aus einer synchronen Betrachtung heraus je verschiedene Räume. Im Entwicklungszusammenhang kann etwa ein historischer Anatomiesaal heute ein musealer Raum sein, während ein historischer Bibliothekslesesaal gleichzeitig musealer Raum, Raum für die Forschung an schriftlicher Überlieferung und – in Kontinuität seines historischen Funktionszusammenhangs – Raum für die konzentrierte Arbeit sein kann. Edinger untersucht diese Zusammenhänge mithilfe unterschiedlicher Raumkategorien (Edinger 2015, 94). Auf dieser Basis baut in den letzten drei Jahrzehnten eine Vielzahl von Raumkonzepten auf, die alle ihr relationaler und kontingenter Charakter vereint. Dieser Vervielfältigung der Raumkonzepte stellt Löw die Forderung nach einem neuen, einheitlichen Raumbegriff gegenüber, der für die wissenschaftliche Kommunikation produktiv gemacht werden kann: Während sich die Alltagsvorstellungen von Raum vervielfältigen, ist es jedoch in der wissenschaftlichen Kommunikation notwendig, einen Raumbegriff zu entwickeln, der so prozessual formuliert ist, daß er die Vielfältigkeit sowohl möglicher Alltagsvorstellungen als auch der Konstitution von primär materiellen oder primär symbolischen Räumen und die Gleichzeitigkeit verschiedener Räume an einem Ort erfaßt. Die kann dadurch gewährleistet werden, daß man Räume als zu konstituierende begreift. (Löw 2001, 103, H. i. O.)

Was kann man sich aber konkret unter der Konstitution von Räumen vorstellen? Einmal geht es darum, dass Räume nicht a priori vorhanden sind, sondern erst durch die Abgrenzung von Raum – die Architektur – und die Ausstattung desselben mit bestimmten materiellen Objekten entstehen. Diese gebauten, physischen Räume werden also durch menschliches Handeln und anhand gesellschaftlicher Konventionen hinsichtlich der Auswahl und Anordnung von Objekten geschaffen. Zweitens entstehen Räume unabhängig von diesen, durch menschliches Handeln hervorgebrachten Räumen auch immer dann, wenn Menschen für sich einen Raum definieren. Je weiter sich die Räume über den eigenen Körper und seine direkte Umgebung hinaus ausdehnen, desto mehr

3.3 Zur Konstitution von Wissensräumen



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spielen Aushandlungsprozesse eine Rolle. Tuan ordnet dies dem historischen Prozess der Vermessung von Raum zu. Während danach räumliche Maße und Bestimmungen traditionell durch Bezüge zum menschlichen Körper bestimmt waren (Elle, Fuß, Schritt), so stehen Distanzen in einer Korrelation mit zwischenmenschlichen Beziehungen beziehungsweise sind das Ergebnis menschlicher Aushandlungsprozesse (Dezimalsystem) (Tuan 1977, 50). Räume entstehen nicht erst durch Architektur und Anordnung von Objekten, sondern schon durch die unmittelbare Wahrnehmung und Erfahrung von Individuen und die Koppelung mit den Wahrnehmungen und Erfahrungen anderer Individuen. Beide Prozesse laufen nicht notwendigerweise nacheinander ab, sondern verschränken sich oftmals: Im alltäglichen Handeln der Konstitution von Raum existiert eine Gleichzeitigkeit der Syntheseleistungen und des Spacing, da Handeln immer prozeßhaft ist. Tatsächlich ist das Bauen, Errichten oder Plazieren, also das Spacing, ohne Syntheseleistung, das heißt ohne die gleichzeitige Verknüpfung der umgebenden sozialen Güter und Menschen zu Räumen nicht möglich. (Löw 2001, 159)

Spacing setzt also Syntheseleistungen voraus und ist Voraussetzung für Syntheseleistungen. Aus dieser Perspektive gibt es kein a priori des gebauten Raumes. Unter Plazieren versteht Löw kurz gefasst die Verteilung der symbolisch aufgeladenen Objekte, also der sozialen Güter, im Raum. Sowohl die Auswahl der sozialen Güter als auch deren Plazierung sind dabei immer das Ergebnis von Aushandlungsprozessen, die auf Normen und Konventionen basieren. Dies erklärt die lange Stabilität vieler Erscheinungsformen des Spacing, etwa der in Kapitel 2.4.1 beschriebenen jahrhundertealten Zentrierung von Hörsälen und Seminarräumen im Hochschulbereich. Dennoch existieren in jeder Situation auch Handlungsalternativen. Für Löw gibt es in Anlehnung an Bourdieu unterschiedliche Formen der Variation der habitualisierten Praxis sowohl im Spacing als auch in der Synthese von Räumen, die sich wie folgt zusammenfassen lassen: – Abweichungen, die durch die Aktivitäten der an den Aushandlungsprozessen beteiligten Individuen entstehen, – kreativ-gestalterisches Handeln von Individuen oder – die Veränderung von Gewohnheiten zugunsten neuer Routinen. Die ersten beiden Formen sind demnach eher individuell und flüchtig, etwa als einmalige Reaktionen auf ein Gefühl von Fremdheit, das durch mangelnde Vertrautheit mit der den sozialen Gütern anhaftenden Symbolik entstehen kann. Veränderungen der Routine hingegen entstehen erstens durch die häufige Wiederholung von Abweichungen, zweitens durch eine kollektive Übernahme, oder

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drittens durch Setzung von Individuen beziehungsweise Gruppen aus einer Machtposition heraus. Die Motive dafür sind immer unterschiedlich gelagert (Löw 2001, 183–185). So können sich Veränderungen der Konstitution von Hochschulgebäuden dadurch ergeben, dass Bereiche wiederholt oder dauerhaft anders genutzt werden als ursprünglich vorgesehen, etwa wenn in eigentlich stillen Arbeitsbereichen immer wieder kommunikative Gruppen arbeiten, oder dadurch, dass sich die Nutzung neuer Technik in der Breite der Studierendenschaft etabliert, wie es etwa seit den 2000er Jahren bei mobilen Endgeräten der Fall war oder aber dadurch, dass Hochschulpolitik, Hochschulleitungen beziehungsweise einzelne Institutionen Gebäude in Architektur und/oder Einrichtung ändern. Die Beispiele zeigen auch, dass Spacing im Hochschulbereich in der Regel mit einer Machtposition verbunden ist und bewusst abläuft, während viele alltägliche Konstitutionsprozesse, insbesondere Syntheseleistungen, unbewusst ablaufen, da sie als Handlungswissen gespeichert sind. Daher spielt das Spacing mit Blick auf die Veränderung hochschulischer Lernwelten auch eine herausgehobene Rolle. „Denn bildungstheoretisch bedeutsam ist weniger die passive Aneignung des Vorhandenen als die tätigkeitsorientierte und aktive Transformation des Bestehenden.“ (Nugel 2015, 61–62) Im Rückgriff auf Giddens unterscheidet auch Löw für den Konstitutionsprozess das praktische Bewusstsein der repetitiven Konstitution von Räumen und das diskursive Bewusstsein. Dies bedeutet in Hinblick auf die alltägliche Syntheseleistung, dass diese in der Regel unbewusst und nur im Rahmen des über Repetition gelernten Wissens variabel ist. Dennoch ist die Grenze zum diskursiven Bewusstsein durchlässig und Menschen sind in der Lage, ihre Konstitution von Räumen zu reflektieren und sich darüber auszutauschen. Da die Konstitutionsprozesse immer die im Raum befindlichen oder als Nutzende des Raums gedachten Menschen einbeziehen, kommt den Individuen dabei eine Doppelfunktion als Konstituierende und Element im Raum zu (Löw 2001, 159–160). Die alltägliche Syntheseleistung geschieht also immer im Raum selbst und vermittelt durch die im Raum befindlichen sozialen Güter und Menschen. Der Raum wird sensorisch erfasst und neben den sichtbaren Objekten und Individuen spielen Geräusche, Gerüche und Empfindungen wie Wärme oder Luftzug eine Rolle. Hinzu kommt auch der Aspekt der Bewegung, da Raumwahrnehmung und -erfahrung unmittelbar auch mit der Bewegung im Raum zu tun haben. Für die Konstitution von Raum gilt, was Siebert generell über Wirklichkeitskonstruktion sagt, nämlich, dass sie „nicht nur eine kognitive und emotionale, sondern auch eine körperliche Aktivität [ist]“ (Siebert 2005, 55). Hinsichtlich des emotionalen Anteils and der Syntheseleistung sei noch einmal an die in Kapitel 3.1.3 erläuterte Bedeutung von Emotionen für den Lernprozess

3.3 Zur Konstitution von Wissensräumen



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erinnert, mit dem Raum verbundene Affekte gehören danach zu den räumlich konnotierten Prinzipien der Neurodidaktik. Wie dort, so spielen auch hier emotionale Vorerfahrungen und Priming-Effekte eine wichtige Rolle. Emotionen prägen die Syntheseleistung wesentlich mit. So beschreibt zum Beispiel Lehnert den direkten Zusammenhang und den „produktiven Austausch“ von Raumwahrnehmung und Gefühl (Lehnert 2014, 10). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der hier in Anlehnung an Löw entwickelte, relationale und prozesshafte Raumbegriff von unterschiedlichen Handlungs- und Erfahrungsebenen in der Konstitution von Raum ausgeht und dass die Syntheseleistungen immer schon verschiedene Formen des Wissens voraussetzen, aber auch Lernprozesse darstellen, indem durch die alltägliche, repetitive Synthese von sozialen Gütern und Menschen dieses Wissen konstituiert und gegebenenfalls auch verändert wird. Schon auf der Ebene der alltäglichen, unbewussten Konstitution von Räumen existiert also eine unmittelbare Verbindung von Wissen und Raum als Wissen über den Raum. In Wissensräumen treten allerdings noch eine intentionale und eine institutionelle Ebene hinzu. Die Rede von einer Dualität von Raum bringt deutlich die keineswegs selbstverständliche Überlegung zum Ausdruck, daß Räume nicht einfach nur existieren, sondern daß sie im (in der Regel repetitiven) Handeln geschaffen werden und als räumliche Strukturen, eingelagert in Institutionen, Handeln steuern. Institutionalisierte Räume sichern die geregelte Kooperation zwischen Menschen. Sie bieten Handlungssicherheiten, schränken jedoch auch Handlungsmöglichkeiten ein. Beides zusammen, die Routinen des alltäglichen Handelns und die Institutionalisierung von sozialen Prozessen, gewährleisten die Reproduktion gesellschaftlicher (also auch räumlicher) Strukturen. (Löw 2001, 172)

Gerade in Bezug auf Wissensräume lohnt es sich, sowohl auf die Handlungseinschränkungen als auch auf die Handlungsmöglichkeiten einzugehen. Dabei spielt das Konzept der Aneignung von Räumen eine wesentliche Rolle.

3.3.2 Raumdeterminismus und Aneignung Ähnlich wie Löw beschreibt schon Tuan, wie räumliche Hierarchien, die sich natürlich aus den Bewegungen und der Perspektive des Individuums ergeben, in differenzierten Gesellschaften dann aber durch die architektonische Gestaltung und Einrichtung von Räumen konstruiert werden. Diese geben dem Individuum einerseits Orientierung in komplexen räumlichen Umgebungen, stützen andererseits aber gesellschaftliche Hierarchien (Tuan 1977, 41). Hierbei übt die Architektur unmittelbaren, physischen Einfluss auf den Menschen aus.

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Architecture continues to exert a direct impact on the senses and feeling. The body responds, as it has always done, to such basic features of design a enclosures and exposure, verticality and horizontality, mass, volume, interior spaciousness, and light. (Tuan 1977, 116)

Auch die oben beschriebenen weiteren sensorischen Wahrnehmungen können unmittelbar durch die Architektur und die Anordnung von Objekten im Raum hervorgerufen werden. Wie aber passt das zum relationalen, prozesshaften Raumbegriff Löws? Würde die dort behauptete (unbewusste) Syntheseleistung in der Konstitution von Räumen nicht bedeuten, dass der Raum a priori gar nicht existiert und immer erst durch das erfahrungsgeleitete Handeln entsteht? Oder, anders gefragt, widerspricht der konstruktivistischen Raumauffassungen zugrundeliegende Voluntarismus nicht einem Determinismus, wie er sich in einer Beeinflussung des Individuums durch die Architektur beziehungsweise die gegebene Anordnung von Objekten im Raum ausdrückt? Schroer warnt vor einer solchen Ausschließlichkeit und fordert eine Berücksichtigung beider Perspektiven in der Analyse von Raum. Die Wendung gegen einen Raumdeterminismus, der von den Wirkkräften des Raums selbst ausgehen soll, wird in diesen Arbeiten [zum relationalen Raumbegriff d. A.] so entschieden verfolgt, dass die umgekehrte Gefahr eines Raumvoluntarismus womöglich unterschätzt wird. So richtig die Betonung der aktiven Hervorbringung sozialer Räume ist, so notwendig ist es für eine umfassende Raumanalyse, die bei dieser Einsicht nicht stehen bleiben will, auf die Wirksamkeit räumlicher Arrangements hinzuweisen, wenn sich diese erst einmal geformt haben. (Schroer 2006, 175, H. i. O.)

Tatsächlich reproduzieren sich, wie oben bereits beschrieben, gesellschaftliche Konventionen und Strukturen im Spacing, das nach Löw immer den Doppelcharakter der Plazierung und begleitenden beziehungsweise anschließenden Syntheseleistung hat. Auch wenn es also aus konstruktivistischer Sicht kein gesellschaftliches a priori des gebauten und eingerichteten Raumes gibt, so wird das Individuum in der Regel doch immer mit einer im Spacing hervorgebrachten räumlichen Struktur konfrontiert, aus der es aber in der Synthese auf der Grundlage der je eigenen Wahrnehmungen und Erfahrungen eine individuelle Raumkonstitution hervorbringt. In der von Löw geteilten Sichtweise ist Raum daher keine Einheit mehr, sondern ein vielfältiges Bezugssystem, in dem sich durch Verknüpfung und Überlappung immer neue Räume bilden. Hierin liegt dann auch die für Wissensräume zentrale „Handlungsdimension“ der Konstitution von Raum, die eine spezifische Kompetenz erfordert und auf die im Folgenden näher eingegangen werden soll (Löw 2001, 111). Hier sei noch einmal der Rückbezug auf die informationsarmen Lernumgebungen bemüht. Diese sind eben nicht nur deshalb informationsarm, weil die

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Aufnahme von Wissen in der zugrundeliegenden Auffassung vom Lernen durch die Fokussierung auf eine Informationsquelle erleichtert wird, sondern sie schränken durch eine Reduzierung der Architektur und die Verknappung der Objekte auch die Möglichkeiten des Individuums ein, in der Synthese eine von der ursprünglichen Intention abweichende Funktion des Raums zu konstituieren. Die sich daraus ergebende strukturelle Veränderungsresistenz stärkt den normsetzenden Charakter und stabilisiert damit letztendlich die Institution, die die Plazierung ursprünglich vorgenommen hat. Die sich hieraus ergebende Machtfrage ist Gegenstand vieler raumtheoretischer und bildungspolitischer Debatten. An dieser Stelle wird daher der Fokus auf die Bedeutung für das Lernen gerichtet, denn selbstorganisierte Lernprozesse setzen, wie in Kapitel 3.2.3 deutlich geworden ist, soziale Räume voraus, die Möglichkeiten eröffnen und nicht einschränken. Der beschriebene Doppelcharakter des Spacing gibt uns ein Werkzeug an die Hand, um das Eröffnen von Möglichkeiten näher zu beschreiben beziehungsweise zu analysieren. Das Stichwort aus der pädagogischen Debatte um Räume hierzu heißt Aneignung. Aneignung meint sehr allgemein das Erschließen, Begreifen, aber auch Verändern, Umfunktionieren und Umwandeln der räumlichen und sozialen Umwelt. Aneignung impliziert damit das aktive Handeln des Subjektes, seine Auseinandersetzung mit der räumlichen und sozialen Umwelt, indem es diese zu eigen macht und sich gleichzeitig gestaltend in ihr wiederfindet bzw. wiederfinden kann. (Deinet/Reutlinger 2014, 11)

Die bereits in Kapitel 3.3.1 beschriebenen Abweichungen von der habitualisierten Praxis der Raumkonstitution, die mehr oder weniger unbewusst ablaufen, werden hier auf das aktive Handeln fokussiert. Es geht Deinet und Reutlinger nicht um die revolutionären beziehungsweise evolutionären institutionellen Prozesse, die in Aushandlungsprozessen zwischen Individuen zu einer Veränderung der Raumpraxis auf der Meso- beziehungsweise Makroebene führen, sondern um ganz individuelle Praktiken, wie sie bei Löw in kreativ-gestalterischen Abweichungen des Individuums als Reaktionen auf zum Beispiel Fremdheit angelegt sind (Löw 2001, 183–185). Versteht man den Prozess der Konstitution von Raum (auch) als eine Aneignung desselben, kann man mit Deinet und Reutlinger von einer „Raumaneignung“ sprechen (Deinet/Reutlinger 2014, 12). Kade folgend betont Kraus, dass die hier angelegte scheinbare Dichotomie von inhaltlich-institutionalisierter und lebensweltlich-sozialer Dimension von Aneignung eigentlich keine ist, da Inhalte auch in anderen sozialen Kontexten gelernt werden können und in Institutionen eigene soziale Strukturen existieren, die angeeignet werden. Beides wird durch – unter anderem räumliche – Aneignungsprozesse ermöglicht

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(Kraus 2014, 162). Die Frage der Aneignung wird in der englischsprachigen Literatur zu hochschulischen Lernräumen als ownership behandelt: The first question is: Who owns the space? The second question is: How will we shape the experience of becoming in the space? The third question is: How will we shape the experience of becoming in the library – or, more specifically, how will we shape the threshold experience of moving from not knowing to knowing and the relationship between novice and expert? (Bennett 2015, 224)

Für Bennett stehen ownership, experience und knowledge in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander. Unabhängig von seiner spezifischen Betrachtung Wissenschaftlicher Bibliotheken als Wissensräume, auf die später noch einmal eingegegangen wird, bezieht er sich mit der Unterscheidung von novice und expert auf den in Kapitel 3.2.2 bereits erläuterten Ansatz des situierten Lernens nach Lave und Wenger. Derecik leitet aus ihren Beobachtungen auf Schulhöfen vier Dimensionen der Aneignung von Räumen ab, die auch in diesem Zusammenhang produktiv sein können: – Aneignung als Erweiterung motorischer Fähigkeiten, – Aneignung als Erweiterung des Handlungsraums, – Aneignung als Veränderung von Situationen, – Aneignung als Verknüpfung von (virtuellen) Räumen und – Aneignung als Spacing (Derecik 2014, 131). Raumaneignung und Wissensaneignung laufen wie oben bereits ausgeführt parallel, denn wie jene muss auch diese gelernt werden. Hier spielen wiederum Normen eine Rolle, die entweder als soziale Konventionen oder als institutionelle Vorgaben die Konstitution von Raum in der Interaktion entscheidend beeinflussen. Die Aneignung von Wissensräumen wird also nicht nur durch die im Spacing vorgegebenen strukturellen Gegebenheiten, sondern auch durch die habituellen und institutionellen Codes gesteuert, die auf Aushandlungsprozessen und/oder Vorgaben beruhen. Peer observation is a key source of information about descriptive norms: standards for conduct among socially related people, which are acquired by seeing how peers actually do behave. By contrast, injunctive norms describe how people should behave and are traditionally provided by higher authorities. Both descriptive and injunctive norms contribute to learning in social settings. (National Research Council 2018, 41–42, H. i. O.)

Dies spielt für die weiteren Überlegungen zur Planung und Gestaltung von Räumen für selbstorganisierte Lernprozesse eine erhebliche Rolle. Denn einerseits geht es für Hochschulen darum, im Spacing genau zu bedenken, ob und in welche Richtung sie Lernprozesse durch Architektur und Einrichtung lenken wol-

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len und inwieweit dies möglich ist, andererseits geht es aber auch darum, institutionelle und soziale Normen zu analysieren und zu hinterfragen, die die individuelle Syntheseleistung beeinflussen und die Aneignung des Raums dabei behindern, aber gegebenenfalls auch befördern können. Edinger unterscheidet im Fazit ihrer Studie zu Bibliotheksräumen inkludierende, exkludierende und distinktive Wirkungen verschiedener Bibliotheksgebäude (Edinger 2015, 251). Dabei gilt es zu beachten, dass von einer Einheitlichkeit des Raumes nicht mehr gesprochen werden kann, sondern dass Räume immer vielschichtig und überlappend, in Bezug auf ihre mediale Durchdringung auch fraktal gedacht werden müssen. Für Kraus ist Aneignung stets ein widerständiger Akt, der dort entsteht, wo die soziale Praxis der den Raum konstituierenden Individuen die Strukturierung unterläuft (Kraus 2015a, 27). Im Mittelpunkt der Arbeiten von Deinet und Reutlinger steht dagegen eher das „ermöglichende Potential der Aneignungsperspektive“, das sie vom Standpunkt der Sozialpädagogik aus beleuchten (Deinet/Reutlinger 2014, 12). Beides steht jedoch nicht in einem Widerspruch zueinander. Dort, wo die vorgegebene Strukturierung des Raums und soziale beziehungsweise institutionelle Normen Gefühle von Fremdheit erzeugen und die Syntheseleistung erschweren oder sogar unmöglich machen, bedeutet Aneignung, die vorgegeben Plazierung und die habituellen Codes unbewusst oder bewusst zu unterlaufen, um sich – im Sinne der ownership – einen ‚Platz‘ zu verschaffen. Als ‚abweichend‘ empfundene Nutzungen beziehungsweise Verhaltensweisen können also Hinweise auf Strukturierungen und Codes liefern, die auf Individuen behindernd oder ausschließend wirken. Dass diese ‚widerständige‘ Form der Aneignung sowohl evolutionären als auch – wenn sie bewusst und durch Gruppen erfolgt – revolutionären Charakter haben kann, wurde oben bereits beschrieben. Andersherum ist eine demonstrative Aneignung von Räumen oft auch Teil revolutionärer oder zumindest widerständiger Prozesse, wie man etwa an der immer wieder vorkommenden Besetzung von Hochschulgebäuden oder ganzer Campusareale durch streikende Studierende ablesen kann.10 Aneignung kann aber eben nicht nur provoziert, sondern durch Beteiligung auch bewusst gefördert werden. Hier geht es dann darum, Aneignung durch ein entsprechendes Spacing, durch institutionelle Offenheit und soziale Durchlässigkeit zu ermöglichen. Engeström kritisiert aus der Sicht des expansiven Ler-

10 Dass und warum davon sehr selten Bibliotheksgebäude betroffen sind, soll hier nicht weiter betrachtet werden, wäre aber eine nähere Untersuchung zum symbolischen Gehalt der Hochschulbibliothek in der Wahrnehmung Studierender und studentischer Interessengruppen wert.

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nens aber sowohl die Aneignungs- als auch die Beteiligungsperspektive als zu sehr in hergebrachten Dichotomien verhaftet: From the point of view of expansive learning, both acquisition-based and participationbased approaches share much of the same conservative bias, having little to say about transformation and creation of culture. Both acquisition-based and participation-based approaches depict learning primarily as one-way movement from incompetence to competence, with little serious analysis devoted to horizontal movement and hybridization. Acquisition-based approaches may ostensibly value theoretical concepts, but their very theory of concepts is quite uniformly empiricist and formal (Davydov, 1990). Participation-based approaches are commonly suspicious if not hostile toward the formation of theoretical concepts, largely because these approaches, too, see theoretical concepts mainly as formal ‘bookish’ abstractions. (Engeström 2014, 68, H.i.O.)

In Bezug auf die Aneignungsperspektive kann diese Kritik mit Verweis auf die oben hergestellte Verbindung von Raumtheorie und Lerntheorie zurückgewiesen werden, die eben nicht nur empirisch beziehungsweise formalistisch argumentiert. Allerdings ist die teleologische Einstellung zum Lernen als Prozess von Lernenden zu Wissenden beziehungsweise novice zu expert in vielen der genannten theoretischen Ansätze durchaus erkennbar. Auch warnt Engeström zu Recht davor, nur die vertikalen Machtverhältnisse beziehungsweise die institutionelle Ebene in den Blick zu nehmen. Sowohl in Hinblick auf das Spacing als insbesondere auch in Hinblick auf die sozialen und kulturellen Normen sind vertikale Strukturen in der Syntheseleistung mindestens ebenso wichtig und gerade im Bereich der Beteiligungsperspektive kann es hier zu ungewollten Ergebnissen kommen. Dies liegt unter anderem auch an der von Engeström erwähnten Ablehnung theoretischer Auseinandersetzung mit den Gegenständen, wie sie kennzeichnend für viele Beteiligungsformate wie etwa das Design Thinking ist. Darauf wird in Kapitel 4 noch näher eingegangen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine Berücksichtigung der durch das Spacing selbst, aber auch durch im Raum wirksame institutionelle Normen und sozial-kulturelle Codes entstehenden strukturellen Vorgaben für die individuelle Konstitution von Raum keine Rückkehr zu einem Raumdeterminismus bedeutet. Vielmehr müssen diese Faktoren in die Analyse bestehender und die Konzeption künftiger Räume einbezogen werden. Für Wissensräume gilt dies insbesondere, da diese seit dem ausgehenden Mittelalter sehr stark von institutionellen Vorgaben und sozialen Normen geprägt sind, mit denen man sich auseinandersetzen muss, um sowohl den Lernprozess als auch eine Aneignung des Raums zu ermöglichen. So wie die Syntheseleistung eine erlernte Kompetenz in der Konstitution von Räumen erfordert, so setzt auch das selbstorganisierte Lernen eine Kompetenzentwicklung voraus. In Lernräumen werden

3.3 Zur Konstitution von Wissensräumen



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beide miteinander verbunden, sie bedingen und unterstützen sich gegenseitig. Andererseits bedeutet dies nicht, das Individuum aus seiner Verantwortung für das eigene Lernen zu entlassen und die aktive Konstitutionsleistung zu negieren. Damit gehen wir von einem Raumverständnis aus, welches die aktive Konstitutionsleistung des handelnden Subjekts in den Vordergrund stellt. Ebenso wie die räumliche Umwelt sozial mitkonstituiert ist, werden auch die Aneignungsräume nicht nur im gegenständlichen Sinne des gebauten oder geografisch bestimmbaren Territoriums verstanden, sondern auch als soziale Räume. Im Zeitalter der Digitalisierung geraten dabei vermehrt soziale Prozesse über virtuelle Systeme („virtuelle Räume“) und deren Aneignung ins Zentrum der Betrachtung. Über die Entgrenzungstendenzen von Arbeit und Leben werden die Grenzen, wie sie sich in der industriekapitalistischen Arbeitsgesellschaft herausgebildet haben, aufgelöst. (Deinet/Reutlinger 2014, 19, H. i. O.)

Wichtig ist hier abschließend noch die Erweiterung auf digitale Wissensräume. Spacing und Synthese unterscheiden sich nicht wesentlich von physischen Räumen, was unter anderem an den in der IT gebräuchlichen Metaphern von Architektur und Einrichtung ablesbar ist. Und auch hier finden soziale Aushandlungsprozesse statt, die die individuelle Konstitution der Räume beeinflussen. Zudem sind Wissensräume durch die medial vermittelte enge Verzahnung physischer und digitaler Räume in besonderem Maße Prozessen der Gleichzeitigkeit und Entgrenzung ausgesetzt, die sie zu hochgradig fraktalen Räumen machen. Auch dies gilt es bei der weiteren Betrachtung zu berücksichtigen. Zunächst soll aber der schon mehrfach angerissene Zusammenhang der Konstitution von Raum und von Wissen in Wissensräumen und explizit Lernwelten etwas ausführlicher darlgestellt und dabei auch darauf eingegangen werden, inwiefern die individuelle Syntheseleistung in Wissensräumen Lernorte hervorbringen kann.

3.3.3 Wissensräume – Lernwelten – Lernorte Wie in dem Exkurs zu Anfang dieses Kapitels beschrieben, dienen Wissensräume zum einen der strukturellen Koppelung von Systemen beziehungsweise Teilsystemen und zum anderen, wie im Falle der Wissenschaftlichen Bibliothek, zusätzlich als systemstabilisierende Speicher und Verteiler wissenschaftlicher Verbreitungsmedien. Da die Wissenschaft systemtheoretisch betrachtet auf Kommunikation basiert, ist sie zunächst räumlich nicht gebunden (Lippuner 2008). Die räumliche Ausdehnung des Systems Wissenschaft, die sich in den Bauten seiner Institutionen manifestiert, strukturiert aber einerseits die Austauschprozesse innerhalb des Systems und unterstützt andererseits die struktu-

104  3 Theoretische Annäherungen an hochschulische Lernwelten

relle Koppelung mit anderen Systemen. Wissensräume sind also nach innen wie nach außen Teil der Kommunikationsstruktur des Systems Wissenschaft. Wie sich anhand solcher systemtheoretischen und auch der vorhergehenden raumtheoretischen Überlegungen zu Wissensräumen zeigt, sind diese aber auch selbst Gegenstand der Wissenschaft: Zur Konstitution in und durch menschliche Interaktion gehören auf der einen Seite die alltägliche Praxis und Erfahrung der mit Aneignung, Nutzung, und (Re-)Produktion von Raum und Natur befaßten Menschen und auf der anderen Seite die wissenschaftliche Praxis der Forschung und Erkenntnisgewinnung. (Sturm 2000, 186)

Tuan unterscheidet in diesem Zusammenhang räumliche Fähigkeiten und räumliches Wissen. Demnach ermöglichen räumliche Fähigkeiten alltägliche Handlungen wie Orientierung in bekannten Umgebungen, während räumliches Wissen Abstraktion voraussetzt. Wenn das Individuum um einen Raum weiß, kann es ihn aus einer Beobachterperspektive beschreiben und analysieren. Räumliche Fähigkeiten sind in der Regel Handlungswissen, während räumliches Wissen Informationswissen ist und den Raum beherrschbar, also nutzbar macht (Tuan 1977, 68). Dies gilt zunächst für alle Räume unabhängig von ihrer Eigenschaft als spezifische Strukturen eines Systems oder einer Institution. Die alltäglichen Syntheseleistungen in der Konstituierung von Räumen sind uns in der Regel weder bewusst, noch erfordern sie von uns größere Anstrengungen, insbesondere, wenn wir es mit Räumen zu tun haben, die wir immer wieder besuchen und in denen uns die Plazierungen der sozialen Güter genauso vertraut sind oder erscheinen wie die Menschen, denen wir gewöhnlich dort begegnen. Doch auch diese scheinbar angeborene Eigenschaft der Orientierung in bekannten und – bis zu einem gewissen Grad – auch unbekannten Räumen ist erlernt. Löw beschreibt in Anlehnung an Piaget, wie Kinder durch Handlungen topologische Bezüge spielerisch be-greifen und so Schritt für Schritt lernen, Raum im Sinne einer euklidischen Geometrie zu erschließen. Als Erwachsene haben sie dann eine mehr oder minder ausgeprägte Kompetenz entwickelt, sich eine Vorstellung von Räumen bilden zu können, indem sie die einzelnen Erfassungsschritte beziehungsweise Handlungen abstrahiert durchspielen. Der physische Raum konstituiert sich also als erfassbare Realität in dem Moment, in dem die gelernten Konzepte auf ihn angewendet werden können. Dieser Ansatz ist aber Löw zufolge nicht ausreichend, die individuelle Vorstellung im Raum zu leben zu erklären. Kulturelle Tradierung und symbolische Aufladung beziehungsweise spezifische Vorerfahrungen spielen für sie eine bedeutende Rolle in diesem Konstituierungsprozess (Löw 2001, 76–79).

3.3 Zur Konstitution von Wissensräumen



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Dies trifft insbesondere auch auf institutionalisierte Räume wie Wissensräume zu. Wissensräume in ihrer engeren institutionellen Auslegung als Räume der Wissenschaft entziehen sich in aller Regel dem unmittelbaren Erfahrungsbereich von Kindern und Jugendlichen, sieht man von gelegentlichen Besuchen in Hochschulen und Wissenschaftlichen Bibliotheken, etwa im schulischen Rahmen, ab. Die erste Begegnung mit Räumen einer Hochschule findet dann oft online bei der Anmeldung für einen Studienplatz statt. Es existieren also, abgesehen von den weiter oben beschriebenen Vorerfahrungen mit schulischen Lernräumen, bis zum Beginn des Studiums keine auf der Abstraktion eigener Erfahrung beruhenden Konzepte für hochschulische Wissensräume. Hinzu kommt dann insbesondere die kulturelle Tradierung klischeehafter beziehungsweise medial transportierter Bilder von Räumen wie Hörsälen und Bibliotheken, die wiederum mit spezifischen Lernhaltungen verbunden sind. If a space is very recognisable, for example a lecture theatre, then is it likely that students will fall into standard assumptions about their place as a passive rather than an active learner, and may in fact prefer such a location since it represents what they already know. (Boys 2011, 120)

Hier wird noch einmal deutlich, wie durch Verallgemeinerung gemeinsamer Ordnungen institutionalisierte Wissensräume entstehen, die die individuelle Konstitution von Raum und auch von Wissen im Sinne des Lernverhaltens vorstrukturieren. So haben zum Beispiel auch traditionelle Bibliotheken mit ihren Anordnungen von gefüllten Bücherregalen, Galerien, Leseplätzen, Theken und Atmosphäre produzierenden Materialitäten wie dunklen Hölzern, Linoleum und Glaslampenschirmen in der westlichen Kultur einen hohen Wiedererkennungswert und können als institutionalisierte Räume des Wissens gelten. Spezifische Ordnungen wie diese werden nach Löw durch soziale Praktiken reproduziert, so verhält man sich in einer solchen Bibliothek zum Beispiel leise, beachtet die Ordnung der Bücher in den Regalen und nutzt die Leseplätze zur konzentrierten Einzelarbeit mit dem Buch. Der institutionalisierte Raum evoziert dieses genormte Verhaltensrepertoire, das umgekehrt die Institutionalisierung repetitiv stabilisiert und fortschreibt (Löw 2001, 162–164). Das in Kapitel 3.1.2 beschriebene perzeptuelle Gedächtnis funktioniert in diesen Fällen auch dann, wenn die dort gespeicherten Wissenselemente nicht auf eigener Erfahrung, sondern auf kultureller beziehungsweise medialer Vermittlung beruhen. Dabei sind die zugrundeliegenden sozialen und kulturellen Normen natürlich nicht statisch, sondern ebenfalls das Ergebnis gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse. Wie im vorherigen Unterkapitel beschrieben dienen Prozesse der Aneignung dazu, solche Vorstrukturierungen zu unterlaufen und aus einer rezeptiven

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zu einer produktiven Haltung gegenüber dem Raum, folgerichtig dann aber auch gegenüber dem Wissen zu kommen. Aneignungsprozesse von Menschen richten sich zwar auf eine Welt, die vorhanden ist, aber sie sind nicht rezeptiv, sondern produktiv – und zwar auf beiden Seiten des WeltMensch-Verhältnisses: Der Mensch entwickelt und verändert sich durch die Aneignung der Welt, aber auch die Welt nimmt in der Aneignung durch den Menschen Gestalt an respektive verändert ihre Gestalt. (Kraus 2014, 163)

Aneignung bedeutet also zweierlei: Die Überwindung der durch Vorstrukturierung evozierten Konzepte, die unmittelbaren Einfluss auf die Konstitution von Wissensräumen haben, und die produktive Veränderung der Konstitution von Raum in der Syntheseleistung. Zu Lernräumen im Sinne des selbstorganisierten Lernens werden solche Räume dann, wenn sie Aneignungsprozesse nicht vornehmlich als widerständige, gegen eine Vorstrukturierung gerichtete, Handlungen provozieren, sondern das Individuum in der Aneignung des Raumes in der Weise unterstützen, dass dieses jenen für seine Lernprozesse produktiv machen kann. An dieser Stelle soll die in Kapitel 2.3.3 gemachte Unterscheidung von Wissensräumen und Lernwelten noch einmal rekapituliert werden. Betrachtet man Wissensräume entsprechend der dort gegebenen Definition als Räume, in denen Wissen zugänglich gemacht und auch konstituiert wird, so sind Lernwelten in ihrer räumlichen Ausdehnung immer ein Teil davon, denn wie beschrieben ist die Zugänglichkeit von Wissen eine Voraussetzung der Aneignung. Edinger zufolge sind Wissensräume durch den Doppelcharakter der Konstitution von Raum im Spacing und der Konstitution von Wissen in der Syntax geprägt: Die Wahrnehmung und Verarbeitung der Informationen in Bibliotheksräumen und somit die Konstitution des Wissens und des Raumes basiert auf der Syntheseleistung bzw. der Semantik. Aus der reinen Anordnung von Informationen mittels materieller Gestaltungsmöglichkeiten entsteht durch die Anwesenheit des Menschen und seiner Semantik- bzw. Syntheseleistung der Wissensraum. (Edinger 2015, 40)

Dieser parallele Konstitutionsprozess überträgt sich auf Lernräume, wenn das Individuum im Lernprozess neues Wissen konstituiert. Was Lernwelten allerdings zusätzlich auszeichnet, ist die Eröffnung von Ermöglichungsräumen, wie sie von Hata aus naturphilosophischer Sicht wie folgt beschrieben werden: Der Lernraum als Amme des Werdens bezweckt das Hervorbringen der Fähigkeit des Lernens bzw. die Metamorphose des Lernenden. Der Begriff des Lernens bedeutet nicht nur das Merken des Wissens als eine menschliche Aktivität der Theoria, sondern auch die Entwicklung des Vermögens als die Poiesis. Der Lernende nimmt nicht nur theoretisch das

3.3 Zur Konstitution von Wissensräumen



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Wissen an, sondern bildet mithilfe dieses objektiven Wissens die Fähigkeiten des subjektiven Lernenden selbst. (Hata 2016, 67–68)

Wissensräume werden dort zu Lernräumen – als Teil von Lernwelten –, wo durch entsprechende Vorstrukturierungen die Aneignung sowohl des Raumes als auch von Wissen ermöglicht beziehungsweise gefördert wird. Auf den dritten von Hata angedeuteten Aspekt der Aneignung von Kompetenzen wird im folgenden Kapitel noch näher eingegangen. Die enge Verbindung zwischen der Aneignung von Räumen und der Aneignung von Wissen wird an dieser Stelle durch den Doppelcharakter der aktiven Aneignung und der dadurch ausgelösten Veränderung des Individuums sichtbar. Was aber unterscheidet Lernwelten von Lernräumen und Lernorten? Wie einleitend in Kapitel 2.1 erwähnt werden alle drei Begriffe in der Literatur häufig synonym verwendet, was aber ihrem Bedeutungsgehalt nicht gerecht wird. Lernwelten und Lernräume lassen sich dabei nicht scharf abgrenzen, wobei Lernwelten eher einer Abstraktion von Lernarrangements gleichzusetzen wären und damit, wie einleitend beschrieben, mehr umfassen als nur die räumlichen Komponenten, während Lernräume als eine Dimension von Lernwelten enger gefasst wären und als eine Abstraktion von Lernumgebungen aufgefasst werden können. In Hinblick auf das Spacing von Lernorten wiederum betont Kraus den intentionalen Charakter: Von diesem weiten Verständnis zu unterscheiden sind Lernorte im Sinne des entsprechenden pädagogischen Konzepts, die als solche von Bildungseinrichtungen (oder anderen Organisationen) definiert werden. Grundlage dieses Konzepts ist das Kriterium der Intentionalität, denn die Bezeichnung Lernort gründet nicht in faktisch an diesem Ort ablaufenden Lernprozessen, sondern in der pädagogischen Intention, dass solche Prozesse dort stattfinden und die entsprechenden Orte in besonderer Weise zum Lehren und Lernen geeignet sind. (Kraus 2014, 167)

Ein festgelegter Punkt im Raum wird demnach zu einem möglichen Lernort, wenn seine institutionelle Einbindung und Vorstrukturierung dazu beitragen, Lernprozesse zu ermöglichen, unabhängig davon, ob diese dann tatsächlich stattfinden oder nicht. Das Spacing ist, wie immer, eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Konstitution eines Raums. An anderer Stelle beschreibt Kraus die Notwendigkeit der Aktivierung eines Ortes durch die Aneignung, die vom lernenden Individuum vollzogen werden muss. Die Antwort auf die Frage, wie die Möglichkeit eines Ortes, zum Lernort zu werden, aktiviert wird, ergibt sich somit situiert im jeweiligen Kontext, das heißt konkret mit Bezug auf den Gegenstand des Lernens und die lernende Person. In Gegenstand und Person liegen Bedingungen für die Aktivierung dieser Möglichkeit. (Kraus 2015b, 47)

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Geht man, auch vor dem Hintergrund der räumlichen Aneignung, von einer individuellen Syntheseleistung aus, die durch eine Vorstrukturierung nicht in Frage gestellt wird, so ist die Intentionalität im Spacing also nicht das alleinige Kriterium der Definition von Lernorten. In diesem Sinne soll ein Lernort als festgelegter Punkt im Raum definiert werden, der in einem Akt individueller Aneignung als Lernort konstituiert wird. Erst die Syntheseleistung des Lernenden macht den Raum zum Lernort, der dann auch eindeutig lokalisierbar ist. Lernort ist also ein geographisch lokalisierbarer Ort, den ein Individuum zunächst einmal unabhängig von der Vorstrukturierung zum Lernen gewählt hat und an dem Lernprozesse ablaufen. Lernräume als Teil von Lernwelten unterscheiden sich von solchen Lernorten durch die beschriebene Intentionalität im Spacing. In einer erweiterten Definition von Lernort soll Schroers Unterscheidung von Ort und Raum in der soziologischen Betrachtung herangezogen werden. Schroer geht in seinen Überlegungen explizit von einer Überwindung der „Lokalitätsgebundenheit“ der Soziologie aus. Der mit der Gemeinschaft verbundene Nahbereich ist für ihn der Ort, während der Raum eine globale, gesellschaftsbezogene Größe ist (Schroer 2006, 26). Dies betont die lokale Gebundenheit des Ortes und gleichzeitig die Tatsache, dass ein Ort nicht zwingend individuell sein muss, sondern auch gemeinschaftlich definiert werden kann. Gemeinschaft kann dabei intentional und auch nicht intentional entstehen, wie Freeman am Beispiel der Hochschulbibliothek erläutert: It is a place where people come together on levels and in ways that they might not in the residence hall, classroom, or off-campus location. Upon entering the library, the student becomes part of a larger community – a community that endows one with a greater sense of self and higher purpose. (Freeman 2005, 6)

Der Lernort ist hier zugleich Voraussetzung und Produkt der Gemeinschaft. Für lernende Individuen gehören die anderen Mitglieder dieser Gemeinschaft zur spezifischen Anordnung von sozialen Gütern und Menschen, die es ihnen ermöglicht, sich den Raum als Lernort anzueignen und ihn für eine solche Aneignung auch prädestiniert. Gleichzeitig wird das lernende Individuum im Prozess der Aneignung selbst Teil dieser Anordnung und beeinflusst damit die Konstitution des Lernortes für andere Individuen. Dies kann je nach Größe des Raumes und der Fluktuation der Individuen dazu führen, dass sich hier Anordnungen verfestigen und als Teil einer verlässlichen Vorstrukturierung des Raums wahrgenommen werden. Bei der Synthese kann das Individuum dann auf der Grundlage aller Wahrnehmungen die entsprechenden perzeptuellen Gedächtnisinhalte abrufen. Dabei werden gleichzeitig auch Emotionen aktiviert, die dazu beitragen, Lernprozesse zu triggern. Der Lernort in diesem Sinne schafft eine stabile

3.3 Zur Konstitution von Wissensräumen



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Umgebung für selbstorganisierte Lernprozesse, auf die das Individuum immer wieder zurückgreifen kann. Demgegenüber steht die in der Literatur häufiger genannte Entgrenzung der Lernorte. So sehen Deinet und Reutlinger eine Entgrenzung als unmittelbare Folge der ubiquitären Verfügbarkeit von Wissen beziehungsweise Information: Damit verändern sich auch insbesondere die Bereiche der alltäglichen Lebensführung, des Lernens und der Lernorte, indem z. B. die Grenzen zwischen Arbeits- und Freizeit unklarer und durchlässiger werden, Arbeits- und private Lebensorte sich durchmischen etc. Es bilden sich in Anbetracht einer Tendenz der zeitlichen und räumlichen Entgrenzung neue Lernkulturen an sich entgrenzenden Lernorten heraus. (Deinet/Reutlinger 2014, 22)

Die hier beschriebene Entwicklung der Entgrenzung ist terminologisch nur dann problematisch, wenn man vom lokalitätsbezogenen Konzept des Lernortes ausgeht. Lernwelten sind per se entgrenzt, da sie nicht an geographisch lokalisierbare Orte gebunden sind, sondern unterschiedliche physische und digitale Räume umfassen können. Trotzdem ist Deinets und Reutlingers Feststellung natürlich richtig. Die in 3.3.1 erwähnten, durch Mediennutzung fraktalen und ausgefransten Räume verlieren zunehmend die Eigenschaft, als Orte eindeutig lokalisierbar zu sein. Dies macht – und dies gehört zu den Paradoxa der Wissensgesellschaften – die lokale Gebundenheit von Institutionen jedoch nicht unbedeutender. Die oben beschriebenen vorstrukturierten und damit einfach zu synthetisierenden Lernorte sind auch deshalb so beliebt, weil sie den lernenden Individuen helfen, mit der in fraktalen Räumen unweigerlichen Kontingenz umzugehen. Gleichzeitig wird die potentielle Auswahl möglicher Lernorte größer, auch wenn diese gegebenenfalls nur temporär als solche angeeignet werden. An dieser Stelle kommt die lokale Verankerung globaler Strukturen in den Wissensgesellschaften zum Tragen, die in Kapitel 2.2 näher ausgeführt sind. Läpple hat schon 1991 in seinen Überlegungen zu den Wirkungen digitaler Räume auf soziale Systeme auf diese Entwicklung hingewiesen und dabei die sich ergänzenden Konzepte ubiquitärer Räume und lokal verankerter Orte benannt. Diese „on-line“ [sic!] Simultaneität basiert zwar auf der Schrumpfung der „Zwischenräume“, resultiert jedoch nicht in einer „Enträumlichung“ gesellschaftlicher Verhältnisse, sondern sie aktualisiert und potenziert das Problem gesellschaftlicher Räume in neuer Form: als zusammenhängende hierarchische Konfiguration gesellschaftlicher Funktionsräume, die ein widerspruchsreiches Spannungsfeld bildet zwischen dem globalen Raum des Weltsystems und den konkreten Orten sozialer Lebenszusammenhänge. (Läpple 1991, 204, H. i. O.)

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Eine raumtheoretische Perspektive, die besagt, dass überall dort, wo mehrere Individuen an der Konstitution von Räumen beteiligt sind, notwendigerweise verschiedene, sich überlappende und kreuzende Raumkonzepte entstehen, wird hier ergänzt durch den technologischen Aspekt der Gleichzeitigkeit von Räumen an verschiedenen Orten und einen makrosoziologischen, der die Entwicklung einer globalen Gesellschaft als Enträumlichung erscheinen lässt. Letzteres kann man als gesamtgesellschaftliche Feststellung zu Recht in Frage stellen, in Bezug auf das System Wissenschaft lässt sich dies aber bestätigen. Jenseits eines Territorialitätsdenkens wird hier sichtbar, dass relationaler Raum und Gesellschaft eng miteinander verflochten sind. Löw sieht folgerichtig in Raum und Gesellschaft auch keine Gegensätze, sondern beschreibt räumliche Strukturen als gesellschaftliche Strukturen (Löw 2001, 167). Dies spricht umso mehr dafür, relationale Konzepte auch zur Beschreibung und Analyse von Lernwelten heranzuziehen, um die multiplen, sich überlagernden Räume und Raumbegriffe rund um Wissen und Lernen fassen zu können, ohne zu vereinfachen. So entwickelt etwa Edinger ausgehend von der Erkenntnis, dass relationale Raumkonzepte erklären könnten, warum und wie sich an einem Ort mehrere Lernräume diachron, aber auch synchron überlagern, ein „materiell-sozial-virtuelles“ Konzept von Lernräumen. Der materielle Raum ist danach die sensorisch erfahr- und wahrnehmbare Anordnung symbolischer Objekte und eng mit dem verknüpft, was Löw als Atmosphäre bezeichnet. Den sozialen Raum verbindet Edinger mit dem Beziehungsgeflecht der Menschen, das wiederum eng mit An- und Abwesenheit, Repräsentanz und Nichtrepräsentanz sowie den Prozessen der Aneignung verbunden ist, der virtuelle Raum ist aus ihrer Sicht eine Metapher für Beziehungsgeflechte in und um digitale Netzwerke (Edinger 2016, 93–94). Auch wenn Edingers metaphorische Sicht auf digitale Räume und insbesondere deren Bezeichnung als virtuelle Räume hier nicht geteilt wird, entwickelt sie doch eine These zum Umgang mit fraktalen, multiplen Räumen, die in Bezug auf Lernwelten fruchtbar sein kann. An dieser Stelle soll noch einmal auf Mersch und seine Hinweise zu fraktalen Räumen zurückgekommen werden: Ihre Handhabung erfordert gleichzeitig die doppelte Fähigkeit zur gesplitterten Wahrnehmung wie gesplitterten Handlungsweise, zur Polyaisthesie […] und zu einem Polypragmatismus. Multiple Räume verlangen multiple Aktionen, so dass die Fraktalisierung von Räumen und Zeiten nicht nur eine Gleichzeitigkeit des Aufenthalts in fragmentierten Umgebungen bedingt, sondern gleichermaßen auch neue Szenarien von Tätigkeiten erzeugt, die auf sie reagieren, sie fortsetzen und umschreiben. (Mersch 2014, 59)

Die Kombination von Gleichzeitigkeit und Fraktalisierung erfordert eine Betrachtung multipler Wissensräume in ihren unterschiedlichen räumlichen und zeitli-

3.4 Wissensraum Hochschule – Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek



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chen Facetten, um die unterschiedlichen Strategien und Handlungsweisen der Individuen in der Aneignung solcher Räume zu verstehen und sie darin zu unterstützen, diese für ihre Lernprozesse nutzen zu können. Bevor näher auf die notwendigen Strategien der Analyse und Strukturierung solcher multifacettierter Lernräume eingegangen wird, soll zunächst und sozusagen abschließend die Wissenschaftliche Bibliothek als Lernwelt in den aufgespannten Kontext eingeordnet werden.

3.4 Wissensraum Hochschule – Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek Davon ausgehend, dass Wissenschaftliche Bibliotheken immer zugleich Speicher für Verbreitungsmedien und Lernwelten sind, spannen sie innerhalb ihrer jeweiligen Institution einen spezifischen Wissensraum auf, dessen Rolle im Zusammenspiel beziehungsweise Beziehungsgeflecht der Wissensräume der Institution aber auch darüber hinaus zu untersuchen wäre. Indem sich Bibliotheken untereinander vernetzen, die Nutzung ihrer Angebote und Ressourcen auch Nicht-Angehörigen der jeweiligen Institution erlauben und so eine selbständige Außenwirkung entfalten, tragen sie zur strukturellen Koppelung sowohl auf institutioneller Ebene als auch auf Ebene des Gesamtsystems Wissenschaft bei. Dies ist für die Wissenschaftskommunikation genauso wichtig wie für das aus der Diskussion um die Wissensgesellschaften entstandenen Konzept Citizen Science, das institutionell nicht gebundene Individuen mit dem System Wissenschaft koppelt. Wissenschaftliche Bibliotheken spielen im Beziehungsgeflecht der Wissensräume eine Sonderrolle, da sie in der Regel interdisziplinär angelegt sind und die strukturelle Koppelung zumindest im deutschsprachigen Raum immer schon mitvollzogen haben.11 Mit Blick auf die Fragestellung dieses Bandes soll hier die Überlegungen allerdings auf die lernweltbezogenen Aspekte beschränkt werden. Fokussiert man die Betrachtung auf die Wissenschaftliche Bibliothek als Lernwelt, spielt der im vorherigen Kapitel erläuterte Doppelcharakter in der Aneignung von Wissen und von Wissensräumen eine entscheidende Rolle. In Bezug auf die Erwachsenenpädagogik spricht Kraus sogar von drei Bezugspunkten der Aneignung: 11 An dieser Stelle sei noch einmal hervorgehoben, dass der Fokus dieses Bandes auf den Hochschulbibliotheken liegt. Für Fach- und Spezialbibliotheken insbesondere der außeruniversitären Forschung sowie Bibliotheken privater Institutionen gilt es natürlich, den jeweils spezifischen Charakter zu bedenken.

112  3 Theoretische Annäherungen an hochschulische Lernwelten

Legt man der Auseinandersetzung mit Aneignung eine erwachsenenpädagogische Perspektive zugrunde oder umgekehrt, betrachtet man Erwachsenenbildung unter einer Aneignungsperspektive, dann kann man im Wesentlichen drei verschiedene Bezugspunkte herstellen: die Aneignung von Inhalten, die Aneignung von Weiterbildungsangeboten und die Aneignung von Lernorten. (Kraus 2014, 161)

Wesentlich ist an dieser Perspektive, dass das Lernen als Aneignung von Wissen, die Aneignung einer auf spezifische Lernarrangements gerichtete Kompetenz und die Aneignung des Wissensraums als Lernort nicht nur aufeinander bezogen sind, sondern sich auch gegenseitig bedingen. Die Aufgabe von Bildungsinstitutionen wird dabei aber nicht allein in der Vermittlung des Wissens gesehen, sondern auch in der Vermittlung der Kompetenzen, sich in dem spezifischen Kontext zu bewegen, wie es Long und Ehrmann am Beispiel von Seminarräumen für die Hochschullehre erläutern: So the first requirement for some portion of classrooms of the future is that they support coaching and instruction while the student is doing what the student is learning to do. Students can learn meaning in a discipline when teaching/learning activities are organized around the core processes and tools of the discipline. (Long/Ehrmann 2005, 43)

Beide Prozesse, die Vermittlung von Wissen (teaching) und die Aneignung einer Kompetenz, die dem vermittelten Wissen Bedeutung über die reine Information hinaus verleiht, laufen gleichzeitig ab. Arnold und Erpenbeck definieren diese spezifische akademische Kompetenz als disziplinär organisiert, innovationsaffin und tätigkeitsfeldbezogen. Letzteres bedeutet für sie aber explizit nicht, eindeutig für einen bestimmten Beruf qualifizierend (Arnold/Erpenbeck 2014, 98). Akademische Kompetenz ist eng mit einem spezifischen Habitus als Bündel sozialer und kultureller Codes und Normen verbunden, der einmal Teil der jeweiligen Fachkultur ist, zum anderen aber darüber hinaus geht. In Bezug auf die Hochschule spielen die interdisziplinären Aspekte der verschiedenen Wissensräume eine wichtige Rolle. Neben der von Arnold und Erpenbeck erwähnten disziplinären Binnendifferenzierung steht immer auch die Hochschule als Ganzes und die Wissenschaft als System. Studierende eignen sich also nicht nur eine fachspezifische, sondern übergeordnet auch eine akademische Kompetenz an. Dazu gehört dann auch eine spezifische Raumwahrnehmung, die sie in der Syntheseleistung befähigt, Wissensräume für sich zu erschließen, ihre Relevanz zu erkennen und sie sich – zum Beispiel in einer Aneignung als Lernorte – nutzbar zu machen. Wichtig ist hier, dass trotz der erlernten Kompetenzen die Konstitution der Räume immer individuell bleibt, da die Wahrnehmung und die Vorerfahrungen von Individuum zu Individuum unterschiedlich sind.

3.4 Wissensraum Hochschule – Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek



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Deshalb ist die Wahrnehmung der umgebenden Welt kein Prozeß, der für alle Menschen gleich abläuft, sondern er ist geprägt vom Habitus als einem „Wahrnehmungsschema“. Menschen lernen im Prozeß der Sozialisation und Bildung zum Beispiel, Sinne besser oder schlechter auszubilden oder sich auf Sinne unterschiedlich zu verlassen. Auch die Relevanzkriterien sind habituell vorstrukturiert. So sind Raumvorstellungen und Bildungsprozesse ein Einflussfaktor auf die Wahrnehmung, aber sie konditionieren diese nicht. (Löw 2001, 197, H. i. O.)

Die spezifische Syntheseleistung in Bezug auf Wissensräume, die Aneignung einer übergreifenden und fachspezifischen akademischen Kompetenz, verbunden mit einem entsprechenden Habitus und das Lernen als Konstitution von Wissen sind also drei Prozesse der Aneignung, die in hochschulischen Lernwelten unmittelbar miteinander verbunden sind. Im Folgenden soll dies näher beleuchtet werden, um daraus spezifische Eigenschaften beziehungsweise ein raumbezogenes Modell für die Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek abzuleiten.

3.4.1 Wissensräume und die Situiertheit von Lernen Liest man die einschlägige Literatur zur Entwicklung des hochschulischen Lehrens und Lernens und der entsprechenden Räume, so gewinnt man schnell den schon in Kapitel 2.3 beschriebenen Eindruck, die Hochschule sei in einem Behälterraumkonzept gefangen, in dem instruktive Lehre alten Stils vorherrscht und der oben beschriebene Dreiklang der Aneignungen nicht berücksichtigt wird. So kritisiert Arnold die unterkomplexe Konzentration der hochschulischen Kritik an der eigenen akademischen Lernkultur auf die – in der Argumentation der Hochschulen aus dem politischen Raum heraus verordneten – Bologna-Reformen. Vielmehr wäre es aus seiner Sicht notwendig, echte Selbstlernprozesse und selbstorganisierte Kompetenzentwicklung zu vermitteln (Arnold 2015, 41– 42). Und für Hata kann die „poiesishafte Seite des Lernens“, wie er den Prozess nennt, nicht im klassischen Behälterraum stattfinden, der sich nur zum Lernen von Inhalten eigne, nicht aber zum Aneignen von Wissen (Hata 2016, 66). So wichtig diese etwas überzeichneten Darstellungen für die weitere Diskussion sind, so wenig lässt sich leugnen, dass an den Hochschulen und anderen Wissenschaftsinstitutionen schon längst ein – wenn auch eher langsames – Umdenken eingesetzt hat. Entscheidend für die weitere Debatte um das Verhältnis von akademischen Lernwelten und den zugehörigen Wissensräumen wird aber sein, die Situiertheit des Lernens zu verstehen und die sich aus verschiedenen Lernräumen konstituierenden Lernwelten aus dieser Perspektive neu zu denken. Was sind aber Lernräume in einem solchen Verständnis? Für Arnold sind pädagogische Räume

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vom institutionalisierten Lernen strukturierte Begegnungsräume, die lernende Individuen aufsuchen, um mit sozialen Gütern und Individuen in Kontakt zu kommen, die als Wissensträger mit dem spezifischen Lernprozess in Verbindung stehen (Arnold 2015, 37). Es geht also um den bereits ausgeführten dreifachen Charakter der Aneigung von Lernräumen, wobei die Aneignung der auf das Lernen und auf den Raum bezogenen Kompetenzen unmittelbar miteinander verbunden sind. Sfard zitierend unterscheiden Brandt und Bachmann in diesem Zusammenhang aneignendes und partizipatives Lernen. Ersteres dient der Aneignung beziehungsweise Konstitution von Wissen, während letzteres darauf abzielt, an einer Wissensgemeinschaft teilzuhaben und damit die genannten Kompetenzen zusammenfasst. Wichtig ist hier, dass es sich nicht um eine Dichotomie, sondern um zwei sich ergänzende Formen des (hochschulischen) Lernens handelt (Brandt/Bachmann 2016, 132). Folgerichtig kann man Lernen in hochschulischen Lernwelten immer als gleichzeitig erkenntnisorientiertes und nutzungsorientierten Lernen beschreiben, was das Konzept des situierten Lernens aus Kapitel 3.2.2 noch einmal auf den Plan ruft. Die Bedeutung von situiertem Lernen wird mit Bezug auf die Anwendung des Gelernten beschrieben. Situated learning is important for many reasons, not the least being that the student learns about the circumstances under which it is appropriate to apply what has been learned: when the learning fits and when it doesn’t. (Long/Ehrmann 2005, 43)

Situiertes Lernen wird in der Diskussion insbesondere auf nutzungsorientiertes Wissen und praktische Kenntnisse angewendet, wie sie etwa in einer handwerklichen oder musisch-künstlerischen Ausbildung vermittelt werden. Die Gemeinschaften, die durch die Gleichzeitigkeit in der Aneignung von Wissen und der Aneignung von Kompetenzen, in einer solchen Gemeinschaft eine Rolle zu spielen, definiert wird, nennen Lave und Wenger – wie bereits erläutert – „communities of practice“, die Prozesse der Aneignung „legitimate peripheral participation“ (Lave/Wenger 2007, 55). Letzteres Konzept ist etwas schwer zu übersetzen, meint aber das partizipative Lernen im oben beschriebenen Sinne, bei dem sich das Individuum aus einer beobachtenden Position am Rande der Gemeinschaft zur Teilhabe im Zentrum ebendieser entwickelt. Die von Lave und Wenger nahegelegten Probleme bei der Übertragung von situiertem Lernen auf eine akademische Ausbildung wurden mit Blick auf den Lernprozess teilweise schon entkräftet. Boys macht situiertes Lernen darüber hinaus zu einem der Ausgangspunkte ihrer Überlegungen zur Zukunft hochschulischer Lernräume: What Lave and Wenger perhaps miss is that within post-compulsory education just such a process is taking place – in bringing new entrants into the community of practice of

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knowledge creation and development. Rather than a simplistic, oppositional divide between ‘real’ activities in workplace settings and the ‘artificial’ activity of academy-based learning, here I want to value knowledge creation and development in its own right. (Boys 2011, 167, H. i. O.)

Gerade in Hinblick auf den Doppelcharakter der Aneignung raumbezogener und akademischer Kompetenzen kann situiertes Lernen also wichtige konzeptionelle Impulse liefern und gleichzeitig zur Klärung der Bedeutung physischer Lernräume für die Gemeinschaft beitragen. Wie schon in Bezug auf die Gemeinschaften geschildert, die sich an multipel genutzten Lernorten bilden und diese gleichzeitig mit konstituieren, spielt auch hier die Aneignung durch das Individuum, die durch die Gemeinschaft vorstrukturiert wird, in die das lernende Individuum aber durch eben diese Aneignung auch mit eintritt, eine zentrale Rolle für die Konstitution von Lernräumen. Im Anschluss daran stellt sich die Frage, inwieweit eine solche Vorstellung der Aneignung noch als individuelle zu denken ist beziehungsweise, ob der Lernprozess in diesem Sinne ohne die Gemeinschaft auskommt. Die Polarisierung von individualisierter Aneignung und gemeinschaftlichem Lernen wird von Theorien aus dem Umfeld des expansiven Lernens auf die Spitze getrieben. Diese sehen – ihren marxistischen Wurzeln folgend – Lernen immer in kollektive Strukturen und Netzwerke eingebunden. Lernen gelingt demnach dann, wenn alle Mitglieder eines solchen Kollektivs in die Aktivität eingebunden sind (Engeström 2014, 74). Dies ist insbesondere als Kritik an den konstruktivistischen Ansätzen zu sehen, die die Aneignungsprozesse von Wissen, Raum und raum- und wissensbezogenen Kompetenzen immer als individuelle Handlungen sehen. Wie schon bei der Aneignung von Lernräumen wird beim situierten Lernen aber deutlich, dass Individuum und Gemeinschaft eng aufeinander bezogen sind, ohne dass aber der autonome Charakter selbstorganisierten Lernens verloren geht. Diese Anschlussfähigkeit spiegelt sich auch in den von Siebert aufgestellten Prinzipien situierten Lernens, die in ihren Begriffspaaren immer einen individuellen und einen kontext- oder gruppenbezogenen Aspekt verbinden: – Situations-/Problemorientierung; – Authentizität/subjektive Relevanz; – Perspektivenwechsel/multiple Kontexte; – Komplementarität von Instruktion und Konstruktion (Siebert 2005, 73). Zuletzt ist es, wie oben bereits erwähnt, immer eine individuelle Entscheidung, sich einen spezifischen Punkt im Raum anzueignen und ihn damit als Lernort zu konstituieren. Kraus nennt in diesem Zusammenhang verschiedene Beispiele für Orte, an denen Individuen lernen, weil sie sich diese als Lernorte angeeignet

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haben. Hier sei noch einmal auf den Doppelcharakter intentionaler Lernorte als im Spacing vorstrukturierte und in der Syntheseleistung aktivierte verwiesen (Kraus 2014, 166). Dies trifft insbesondere auf Lernräume in Hochschulen zu. McLane und Dawkins stellen fest, dass die Abwendung von traditionellen Unterrichtsformen und -räumen den Studierenden eine neue Wahlfreiheit hinsichtlich der bevorzugten Lernumgebungen ermöglicht, was in der institutionellen Planung und Konzeption von Lernräumen angemessen berücksichtigt werden muss (McLane/Dawkins 2014, o. S.) Lernwelten im Hochschulbereich zeichnen sich dadurch aus, dass sie erkenntnisorientiertes, also theoretisches, und nutzungsbezogenes, also situiertes, Lernen gleichzeitig ermöglichen müssen (Siebert 2005, 73). Nur dann geht die Aneignung von Wissen und die von Räumen auch mit der Aneignung von raum- und wissensbezogenen Kompetenzen einher. Dazu ist es aber notwendig, klassische Typologien zu überwinden und die unterschiedlichen Facetten multipler, fraktaler Lernräume zu berücksichtigen.

3.4.2 Typologien und Facetten Ähnlich wie bei soziologischen Raumkonzepten hat sich auch bei den räumlichen Annäherungen an die Wissenschaftliche Bibliothek eine Vielfalt unterschiedlicher Begriffe herausgebildet. Die Gründe für diese Entwicklung liegen, wie auch bei anderen Wissensräumen, in einer Verlagerung ursprünglich an den physischen Raum gebundener Funktionen in digitale Räume, in der damit verbundenen Entstehung fraktaler und multipler Räume an der Stelle feststehender Typologien und an der Verabschiedung des Behälterraums auch im Bereich der Lernräume. Die einzelnen Konzepte sind dabei nicht eindeutig voneinander abgrenzbar, da sie sich häufig überlappen (Turner et al. 2013, 232). In einem eher überblicksartigen Beitrag zu den aktuellen Konzepten von hochschulischen Bibliotheksräumen wurden die verschiedenen Dimensionen dieser Raumvorstellungen als Facetten benannt und einen neuen Zugang unter dem aus der englischsprachigen Literatur stammenden Schlagwort des multifacettierten Raums gefordert (Eigenbrodt 2016, 48). Vor dem Hintergrund des hier aufgespannten theoretischen Rahmens soll dieser Begriff aufgegriffen, jedoch nicht mehr in Bezug auf unterschiedliche Typologien und Raumkonzepte, sondern mit Hilfe der genannten Aneignungsaspekte definiert werden. Die These dabei lautet, dass wir uns dem Konzept der Wissenschaftlichen Bibliothek als Lernwelt sowohl in der Analyse als auch in der Planung und im Betrieb aus der Perspektive multipler, fraktaler Wissensräume nähern müssen und dass dafür die Betrachtung unterschiedlicher Facetten dieser Räume notwendig ist. Der Be-

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griff des multifacettierten Raums ist geeignet, sich anstatt einer zwangsläufig nivellierenden Gesamtbetrachtung von Funktionen und Nutzungsszenarien über die theoretisch begründete Betrachtung einzelner Facetten der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek anzunähern. Dazu soll zunächst auf die Grundanforderungen an zeitgemäßes Lehren und Lernen in der Hochschule zurückgekommen werden. Arnold und Erpenbeck rufen zu einer Hochschulbildung auf, die auf der Ebene des Individuums mit seinen spezifischen biographischen Erfahrungen und über das Verständnis der inneren Prozesse als Voraussetzung des Lösens von Problemen eine auf den sozialen Kontext bezogene und fachdidaktisch eingebettete, outcome-orientierte Perspektive einnimmt. Die Frage, welches Wissen erworben werden soll, tritt so hinter die Frage zurück, wie die notwendigen Kompetenzen für den Erwerb dieses Wissens erlernt werden können (Arnold/Erpenbeck 2014, 2). Allerdings ist es für eine realistische Betrachtung auch notwendig, nicht in einen pädagogischen Idealismus zu verfallen: Hochschulbibliotheken sollen und können nicht im Alleingang den Wandel von einer Inputorientierung zu einer Outcome-Orientierung hochschulischer Didaktik leisten. Sie können jedoch wesentlich zu einer didaktisch fundierten Erweiterung beitragen, wie sie von Erpenbeck und Sauter gefordert wird. Die Lernkonzeptionen werden weiter durch Wissens- und Qualifikationsziele bestimmt, jedoch erweitert um individuelle Kompetenzziele, die in Transferaufgaben oder in Praxisprojekten erreicht werden sollen. Die Lernkonzeption umfasst damit auch informelles Lernen in Anwendungsbereichen, die vorab mit der Führungskraft oder dem Trainer abgestimmt wurden. Dabei wird der wertfreie Wissensaufbau in Blended Learning Arrangements mit praxis- und projektorientiertem Lernen zum Aufbau von wertbeladenem Erfahrungswissen kombiniert. Die Lernprozesse sind weiterhin teilweise fremdgesteuert, werden aber durch selbstorganisierte Phasen der Wissenserarbeitung und Kompetenz-Lernphasen ergänzt. Eine zentrale Rolle in den selbstorganisierten Qualifikations- und Kompetenzentwicklungsprozessen bilden menschliche Lernpartnerschaften, die systematisch in die Lernkonzeptionen eingebunden werden (Erpenbeck/Sauter 2013, 107–108).

Auf Basis dieses ganzheitlich gedachten Ansatzes von ineinandergreifenden Lernkonzeptionen und Aneignungsprozessen lässt sich auch ein neuer Zugang zu hochschulischen Lernwelten als Räumen der Ermöglichung begründen. Mit dem lokal gebundenen und monodirektional gedachten Begriff des Lernorts, auch wenn man diesen Im Sinne einer Entgrenzung betrachtet, kommt man dann allerdings auch mit Blick auf das Lernen selbst nicht mehr aus. Nicht nur die Lernräume werden durchlässig und fraktal, sondern auch die Prozesse, die in ihnen stattfinden, sind nicht mehr so geradlinig, wie es zuvor schien. Ein neuer Zugang zur Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek muss die lernenden Individuen in allen drei oben erläuterten Perspektiven der Aneignung

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unterstützen und es ihnen ermöglichen, nacheinander und/oder gleichzeitig ablaufende Lernphasen erfolgreich zu bewältigen. Dies eröffnet neben der räumlichen auch eine zeitliche Dimension. In den von Bennett beschriebenen vier Stufen des Lernens an der Hochschule von der Aktivierung des Lernens über die eigenverantwortliche, selbstorganisierte Aneignung von Wissen und die Konstitution neuen Wissens bis zum outcome, dem mit akademischer Kompetenz ausgestatteten Individuum, kann die Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek eine Rolle spielen (Bennett 2009, 190–191). Studierende ohne Vorerfahrungen haben eine andere Syntheseleistung zu erbringen, wenn sie mit der Wissenschaftlichen Bibliothek als vorstrukturiertem hochschulischen Lernraum konfrontiert sind, als graduierter Studierende oder Akademikerinnen und Akademiker mit langjähriger Bibliothekserfahrung. Erstere sind auf ihre erlernte Fähigkeit angewiesen, sich ein Konzept von dem Raum bilden zu können und greifen dabei – wie beschrieben – auf anderweitig gemachte Vorerfahrungen (Schule) sowie die erwähnten kulturell beziehungsweise medial vermittelten Codes zurück. Letztere haben sich in der Aneignung von Lernräumen schon die notwendigen Vorerfahrungen und Kompetenzen angeeignet, sich mehr oder weniger souverän ein eigenes Konzept von dem Raum zu bilden. Dabei spielt auch ihre Stellung in der jeweiligen Institution beziehungsweise ihre Rolle im institutionellen Beziehungsgeflecht eine Rolle. Die zeitliche Dimension beschreibt also, inwieweit sich ein lernendes Individuum schon räumliche und akademische Kompetenzen angeeignet hat, die sein Konzept von den jeweiligen Lernräumen beeinflussen. Denkt man das Lernen von den beschriebenen Phasen aus, so kommt die in Kapitel 2.4.4 behandelte Überwindung der Dichotomie formeller und informeller Lern- und Lehrräume an Hochschulen wieder in den Blick. Auch wenn sich Typologien – teilweise mehr und teilweise weniger – weiterentwickelt haben, so ist dennoch eine generelle Zonierung geblieben. Die in Abgrenzung von der Außenwelt geschaffenen pädagogischen Innenräume sind traditionellerweise durch mehr oder weniger separat ausgewiesene Lehr- und Lern- bzw. Vermittlungs- und Aneignungszonen charakterisiert. (Nolda 2006, 317)

Dies wird dann problematisch, wenn sich wie bereits erläutert im integrierten, selbstorganisierten Lernen die unterschiedlichen Lehr- und Lernformen zeitlich und räumlich vermischen. In der Bildungsdiskussion wird oft zu einseitig der Bereich des formellen Lernens an institutionalisierten Lernorten fokussiert. Es ist jedoch auf die Bedeutung des Zusammenspiels formeller, nichtformeller wie auch informeller Lernformen aufmerksam zu machen. (Deinet/Reutlinger 2014, 22)

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Auch wenn Deinet und Reutlinger sich hier in der Begrifflichkeit an der hergebrachten Dichotomie der Lernformen in ihrer erweiterten Form orientieren (Abbildung 1), sprechen sie damit die Vermischung unterschiedlicher Lernformen an, die aus monofunktionalen Lehr- und/oder Lernorten multiple Lernräume macht, welche – in Folge der Digitalisierung – zunehmend durchlässig und entgrenzt, im oben beschriebenen Sinne also fraktal werden. Auf medial vermittelte instruktive Lehrinhalte kann genauso von überall zugegriffen werden, wie auf digitalisierte Informationen als Ressource für die Aneignung neuen Wissens. Online-Zugriffe und -Kurse heben zudem die institutionelle Bindung von Ressource und Vermittlung an die Wissensräume der jeweiligen Hochschule auf. E-Learning und Digitalisierung verändern damit nicht nur die Lernräume an sich, sondern auch die Beziehungsgeflechte, Rollenzuweisungen und Aneignungsformen in Lernwelten. E-Learning-Innovationen können schließlich ebenfalls die Qualität sozialer Interaktionen verändern. Der Variantenreichtum sowie die Dauer und Intensität von Interaktionsprozessen nehmen durch Social Software-Anwendungen oder onlinebasierte Lerngemeinschaften zu. Zudem verändert sich das Rollenverständnis der Akteure in Bildungsprozessen: Lernende übernehmen selbst die Initiative über ihre Lernprozesse und treten zudem als Inhaltsproduzenten auf, indem sie selbst digitale Wissensressourcen erstellen. (Fischer 2013, 36–37)

Für die Annäherung an Lernwelten bedeutet dies, nicht nur medial vermittelte Inhalte als neue Formate ‚mitdenken‘ zu müssen, sondern auch, dass die Digitalisierung von Lehre, Lernen und Informationsressourcen in ihren Auswirkungen auf sämtliche Aneignungsprozesse in jeder Facette betrachtet werden muss. Dabei ist das Lernen in digitalen Räumen grundsätzlich von denselben Einflussfaktoren geprägt wie das in physischen: There is strong empirical support for the effectiveness of learning technologies, but there is no one universally ideal learning technology. The effectiveness of technology depends on the characteristics of the learner, the types of learning being targeted, sociocultural context, and support from instructors in the use of the technologies. (National Research Council 2018, 7)

Für die weiteren Überlegungen wird daher davon ausgegangen, dass die Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek in ihrer digitalen Ausdehnung unter den bereits beschriebenen Aneignungsperspektiven betrachtet werden muss: – Lernen als konstituierende Aneignung von Wissen unabhängig von der zugrundeliegenden Plattform, aber mit einer je spezifischen Berücksichtigung des medialen Formats.

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Die Aneignung digitaler Lernräume unter Berücksichtigung der Vorerfahrungen, spezifischen Wahrnehmungen sowie der sozialen und kulturellen Codes und der institutionellen Normen. Hier insbesondere ergänzt durch die Aneignung des spezifischen Lernorts, der als geographisch lokalisierbarer Punkt im Raum gewählt wird. Die mit beiden Faktoren verbundene Aneignung räumlicher und akademischer Kompetenzen. Erstere insbesondere verbunden mit der Frage, inwiefern räumliche und technische Kompetenzen zusammenfallen.

Die Analyse folgt dabei der von Fischer als minimalem Konsens aller Definitionen von E-Learning gebrauchten Formulierung von der „Verschmelzung von Bildungsprozessen mit digitalen Technologien“ (Fischer 2013, 32). Eine Trennung von digitalen und physischen Räumen in der Betrachtung, aber auch in der Konzeption von Lernwelten, ist unter den Bedingungen der multiplen, fraktalen Lernräume auch gar nicht mehr möglich. Neben den klassischen Unterscheidungen nach formal/informell und physisch/digital sind auch funktionale Typologien für Lernräume im wissenschaftlichen Kontext gebräuchlich. Hier lässt sich ein potentieller Erkenntnisgewinn, insbesondere für die bauliche Planung nicht von der Hand weisen, es stellt sich aber die Frage, inwiefern sie für den Gegenstand dieses Bandes nutzbar sind. Beispielhaft für eine solche funktional ausgerichtete Typologie von hochschulischen Lernräumen werden hier noch einmal die Raumtypen nach Long und Ehrmann aufgegriffen, die 2010 bereits in einem Artikel zu Hochschulbibliotheken als Lernort betrachtet wurden (Eigenbrodt 2010). A typology for such specialized learning spaces might include the following: 1. Thinking/conceiving spaces (spaces for deliberating) 2. Designing spaces (spaces for putting structure, order, and context to freeranging ideas) 3. Presenting spaces (spaces for showing things to a group) 3. Collaborating spaces (spaces for enabling team activities) 4. Debating or negotiating spaces (spaces for facilitating negotiations) 5. Documenting spaces (spaces for describing and informing specific activities, objects, or other actions) 6. Implementing/associating spaces (spaces for bringing together related things needed to accomplish a task or goal) 7. Practicing spaces (spaces for investigating specific disciplines) 8. Sensing spaces (spaces for pervasively monitoring a location) 9. Operating spaces (spaces for controlling systems, tools, and complex environments). (Long/Ehrmann 2005, 51)

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Wie man an der Liste ablesen kann, vermischen sich hier funktional bestimmte Typen von Lernräumen mit solchen, in denen es um verschiedene Formen individueller und/oder gemeinschaftlicher Konstitution von Wissen geht. Entscheidend ist aber ihr Aktivitätsbezug. Dies wird im nächsten Unterkapitel noch einmal aufgegriffen, wenn es um ein Modell für die Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek geht. Long und Ehrmann konzentrieren sich in ihren Ausführungen nach eigener Aussage auf Räume der Interaktion von Studierenden und Lehrenden. Sie sind sich jedoch bewusst, dass die quantitativ und qualitativ wichtigeren Lernphasen nicht im direkten Seminarzusammenhang, sondern selbstorganisiert stattfinden. Trotzdem beziehungsweise gerade deswegen lassen sich ihre Erkenntnisse jenseits dichotomischer Zuordnungen auch auf Räume für selbstorganisiertes Lernen beziehen (Long/Ehrmann 2005, 43). Der Ansatz von Long und Ehrmann erweist sich darüber hinaus als fruchtbar, wenn es darum geht, die Lernräume einer Institution nicht mehr als getrennte Einheiten, sondern vielmehr als ein Netzwerk zu betrachten, in dem sich verschiedene Lernwelten ergänzen und auch gegenseitig durchdringen. Dies eröffnet die Chance, entsprechende Planungsprozesse von den üblichen Fesseln der Flächenkonkurrenzen und starren Zuordnung zu lösen und Lernwelten als Ermöglichungsräume für Aneignungsprozesse zu planen. Auch hier gilt es allerdings, den Idealismus zugunsten eines Blicks auf die Realität der Campusplanung zurückzunehmen. Da die entsprechenden Aushandlungsprozesse immer auch mit Machtpositionen und Einflussnahme verbunden sind – was ja schon in Löws zitierten Bemerkungen zum Spacing deutlich wird – sind die Beteiligten sehr häufig weder gewillt noch in der Lage dazu, die Kontrolle über das Spacing und damit die Räume abzugeben. Die Erfahrung der letzten zehn Jahre zeigt, dass trotz gegenteiliger Kommunikation und auch guten Willens vieler Beteiligter die Konzeption und Planung hochschulischer Lernräume seltener von Erkenntnissen über Aneignungsprozesse und immer noch häufiger von dem Willen getrieben ist, die Kontrolle über den Raum zu behalten. Dies führt dann zu Scheinbeteiligungsprozessen, wie sie an vielen Hochschulen zu beobachten sind. Entweder kommen dann keine greifbaren Ergebnisse heraus oder die Ergebnisse werden verworfen, wenn sie nicht zu den vorher entwickelten Vorstellungen passen; auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind dann in solchen Prozessen bereit, hochschulpolitischen Einfluss vor empirische Erkenntnis und echte Beteiligung der Studierenden zu setzen. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Hochschule insgesamt als Wissensraum, aber auch als Lernwelt konzipiert ist, die wiederum verschiedene Wissensräume und Lernwelten enthält. Die hergebrachten internen Flächenkonkurrenzen und raumbezogenen Machtspiele wirken insbesondere dann anachronistisch, wenn man sich von der Einsicht leiten lässt, dass die Lernwelten

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in der Hochschule sich überlappen und die institutionellen Grenzen überschreiten beziehungsweise Anschlüsse an andere Institutionen und Systeme bieten. Ein relationaler, handlungsbezogener Raumbegriff passt nicht zu einer institutionellen Zuordnung zu Fakultäten und Einrichtungen. Betrachtet man sie als Lernwelt innerhalb eines spezifischen Wissensraums, ist die Wissenschaftliche Bibliothek daher auch nicht in erster Linie über die durch Architektur gesetzten räumlichen Grenzen im Sinne einer baulichen Typologie beschreibbar, sondern über ihre unterschiedlichen Facetten, die nicht zwingend als Orte lokalisierbar oder in einem Raum sichtbar sind. Im Folgenden sollen diese Facetten mit dem Ziel beschrieben werden, hieraus ein Modell für die Annäherung an die Wissenschaftliche Bibliothek als Lernwelt zu entwickeln.

3.4.3 Raumbezogenes Modell der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek Schon Long und Ehrmann lösen sich in ihren Überlegungen zur Zukunft hochschulischer Lernräume von der Idee, solche Räume über ihre Architektur erschließen zu können. Stattdessen nutzen sie eine Metapher aus der Informationstechnologie, um ihren Zugang zu beschreiben: Architecture is no longer merely a container within which learning happens – buildings themselves can provide several dimensions of support for learning. In fact, the building system elements that work together to support learning are analogous to the functionality sets found in complex computer systems. Together, they form a building operating system (BOS). (Long/Ehrmann 2005, 44, H. i. O.)

Abgesehen von dem technologischen Bild, das hier eröffnet wird, ist die Wendung von einer Behälterraumauffassung zu einem prozessualen Raumbegriff, der für die Bauplanung von Hochschulgebäuden nutzbar gemacht werden soll, für das hier vorgeschlagene Modell aufschlussreich. Es kommt, um im Bild zu bleiben, nicht darauf an, die gebaute Hardware zu verstehen, sondern es geht darum, das Ineinanderwirken der verschiedenen Aneignungsprozesse, also die Software einer Lernwelt zu analysieren. Wichtig ist die zeitliche Dimension, die der Begriff des Prozesses eröffnet. Alle relationalen Raumkonzepte eint die Erkenntnis, dass relationaler Raum nicht statisch, sondern dynamisch ist. Dies hat weitreichende Auswirkungen auf die Planung, aber auch das Management solcher Räume, auf die im letzten Kapitel näher eingegangen wird. Der prozesshafte Charakter, erfordert eine stetige Entwicklungsarbeit, um Aneignungsprozesse ermöglichen und unterstützen zu können. Dies geschieht, so die These, am besten durch Strategien der offenen Innovation und Beteiligung. Dahinter steht die Idee, dass Lernwelten, die als Ermöglichungsräume selbstorganisiertes

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Lernen fördern sollen, nicht durch eine Top-Down-Vorstrukturierung, also ein Spacing entlang überkommener institutioneller Hierarchien und Machtverhältnisse entwickelt werden können, sondern dass sich der partizipative Charakter neuer Lernformen schon in einer Planung ausdrücken muss, die Teile der Aneignungsprozesse und des gemeinschaftlichen Charakters von Lernräumen schon in den Aushandlungsprozessen mitdenkt. Dies entspricht auch Forderungen aus der Pädagogik nach einer neuen Herangehensweise an solche Räume. Arnold fordert die Ablösung von Lernorten durch „pädagogische Räume“. Während erstere für ihn mit den Erinnerungen an Anpassung und Einengung verbunden sind, definiert er letztere als Impulsgeber und Erfahrungsvermittler, die anregend, irritierend aber auch schützend wirken können und sollen. Dies macht ein auf selbstwirksames Handeln und autonomes Lernen ausgerichtetes „Redesign von Bildungsräumen“ notwendig (Arnold 2015, 40–41). Die Tatsache, dass digitale Lehrinhalte und Informationsressourcen in multiplen und fraktalen Räumen nahezu überall und jederzeit zur Verfügung stehen und dass viele lernende Individuen die so gewonnene Freiheit nutzen, sich unterschiedliche Räume als Lernorte anzueignen, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine, in einem partizipativen und offenen Prozess vorgenommene Vorstrukturierung Teil der pädagogischen Verantwortung von Bildungseinrichtungen in selbstorganisierten Lernprozessen ist. Auch Kraus betont, dass zwar viele Räume durch Aneignung zu Lernorten werden können, dass aber nur eine intentionale Vorstrukturierung jene spezifischen Voraussetzungen schafft, Lernen dort auch fördern können (Kraus 2014, 166). Was aber sind die Facetten einer Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek, die in diesem Sinne näher betrachtet und gemeinsam entwickelt werden sollten? Das folgende Modell beziehungsweise der zugrundeliegende Katalog sind explizit nicht abschließend beziehungsweise normativ gedacht, sondern sollen als Diskussions- und Arbeitsgrundlage für die weitere Auseinandersetzung dienen. Folgende Facetten von Lernwelten sind Teil dieses Modells: 1. individuelle Facetten, 2. lernprozessbezogene Facetten, 3. raumbezogene Facetten und 4. kontextbezogene Facetten. Dass die individuellen Facetten hier an erster Stelle genannt werden, ist angesichts des systemisch-konstruktivistischen Theoriehintergrunds des Modells sicher folgerichtig. Alle Aneignungsprozesse, die für die Konstitution von Lernwelten wesentlich sind, sind zunächst individuelle Leistungen, die auf Vorerfahrungen, Wahrnehmungen und freier Entscheidung beruhen. Demnach

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gehen auch alle Überlegungen zur Lernwelt vom Individuum aus, das ein hohes Maß an Autonomie in den Prozess mitbringt: At any given time, an individual holds multiple goals related to achievement, belongingness, identity, autonomy, and sense of competence that are deeply personal, cultural, and subjective. Which of these goals becomes salient in directing behavior at what times depends on the way the individual construes the situation. (National Research Council 2018, 122)

Dies bedeutet letztendlich, dass Lernwelten als Ermöglichungsräume eine breite Vielfalt von sich verzweigenden Zugängen eröffnen müssen, die es dem lernenden Individuum möglich macht, sich auf der Grundlage der je eigenen Vorerfahrungen, Wahrnehmungen und Ziele, die Räume anzueignen, wie es auch Arnold für die von ihm so genannten Möglichkeitsräume fordert (Arnold 2016a, 33). Hilfreich ist hier zum Beispiel die Beobachtung der Aneignung vorhandener Räume, wie sie nach Nolda in klassischen Seminarraumsettings durch „Intrusion, Selbstplatzierung und Umräumen“ realisiert wird (Nolda 2006, 323–324). Nolda erwähnt an dieser Stelle auch schon den Umgang mit der in solchen Räumen häufig präsenten Technik. Wer die Technik im umgangssprachlichen Sinne beherrscht, hat sie sich angeeignet, andere Strategien können aber auch auf das Verdrängen beziehungsweise den Versuch, sich der Technik zu entziehen, zielen. Fragen der Aneignung von, aber auch mithilfe der Technik spielen bei den individuellen Facetten eine wichtige Rolle. Das aufgeklappte Notebook hat als ein solcher Akt der Aneignung sicher Symbolcharakter in Hinblick auf die erwähnte individuelle Wahlfreiheit, einen Raum als Lernort zu konstituieren, auch wenn es nicht notwendig einen Lernprozess signalisieren muss, sondern anderweitig genutzt sein kann. Die Nutzung von Technik hat darüber hinaus aber auch einen sozialen Charakter. Frydenberg beschreibt die Evolution des vernetzten Lernens als einen Prozess, der in drei Schritten von der Verbindung zum Internet (1.0) über die Verbindung mit anderen Lernenden (2.0) bis hin zur ubiquitären Erreichbarkeit in digitalen und physischen Räumen (3.0) reicht (Frydenberg 2018, 91). In diesem Zusammenhang wäre dann auch weiter der Frage nachzugehen, inwiefern der Computer im Sinne von Erpenbeck und Sauter inzwischen als Lernpartner wahrgenommen wird (Erpenbeck/Sauter 2013, 107). Zu nennen sind aber auch die Faktoren von Identität und Emotionen. Eine Betrachtung von Lernwelten, die vom Individuum ausgeht, wird notwendigerweise immer auch hier schon die Diversität mitberücksichtigen, die bei den kulturellen Kontexten noch einmal eine Rolle spielt. Dass Affekte und Emotionen bei der Aneignung sowohl von Wissen als auch von Räumen eine große Rolle

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spielen und bei der Gestaltung von Lernwelten berücksichtigt werden müssen, wurde in Kapitel 3.1.3 bereits näher ausgeführt. Sowohl für eine positive, angstfreie Grundhaltung als auch für die gespannte Aufmerksamkeit können Voraussetzungen geschaffen werden. Es wird deutlich, dass die individuellen Facetten sich schwer generalisieren lassen. Aus welchen Motiven es einem lernenden Individuum schwerer oder leichter fällt, sich einen Lernraum anzueignen und welche Rolle dabei Interaktionen, die Nutzung von Technik, kulturelle Hintergründe sowie Emotionen spielen ist nicht explizit vorauszuplanen. Umso wichtiger ist die Einbindung von lernenden Individuen, im Falle der Wissenschaftlichen Bibliothek insbesondere natürlich insbesondere Studierenden, in den Planungsprozess. Als auf das Individuum bezogene Facetten lassen sich vorläufig festhalten: – Autonomie, – Identität, – Vorerfahrungen, – individuelle Ziele/Motive, – Wahrnehmungen – Vorlieben/Bedürfnisse, – Emotionen/Affekte, – sichtbare Formen der Aneignung, – Nutzung von Technik / Grad der Vernetzung. Die zweite Perspektive richtet sich auf die lernprozessbezogenen Facetten und erweitert damit die individuelle Raumaneignung um die Aspekte des Lernens. Zusammenfassend charakterisieren Erpenbeck und Sauter Lernprozesse aus konstruktivistischer Sicht wie folgt: Konstruktivistisches Lernen – basiert auf eigenständigen Lernaktivitäten, – ist ein selbstorganisierter Lernprozess im Rahmen eines vorgegebenen Lernarrangements, – ist ein konstruktiver Prozess, in dem Strukturen und Verknüpfungen zum Vorwissen entwickelt werden, – ist ein sozialer Prozess, der zumeist in Interaktion mit anderen stattfindet, – ist ein emotionaler Prozess, der die Lerner nicht nur kognitiv, sondern auch emotional und motivational fordert. (Erpenbeck/Sauter 2013, 40)

Neben den bereits genannten individuellen Aspekten wie Selbstverantwortung, Motivation und Emotion spielen hier die pädagogischen Interventionen beziehungsweise die lerntheoretischen Überlegungen folgende Vorstrukturierung der Aneignung eine Rolle. Es geht um die Frage, wie durch das Spacing aber

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auch die institutionell gesetzten Normen Lernende in ihren selbstorganisierten Lernprozessen gefördert werden können, ohne sie zu bevormunden. Dazu gehört auch die Interaktion mit anderen, zum einen in einer Gemeinschaft der Lernenden, wie sie in Kapitel 2.3.3 am Beispiel des traditionellen Bibliothekslesesaals erörtert wurde, zum anderen aber auch in der direkten Interaktion mit anderen Lernenden in einer Gruppe. Entweder liegt in der Anwesenheit anderer Menschen eine Bedingung dafür, dass an einem Ort gelernt wird, weil sie als einzelne Lernimpulse geben, als Gruppe einen Lernanlass strukturieren oder als belebte Kulisse die Aneignung von Inhalten fördern. Oder gerade die Abwesenheit von anderen Menschen ermöglicht das Lernen, weil sie die Konzentration auf den Gegenstand ermöglicht. Für den Aspekt der Geselligkeit als Bedingung für die Aneignung eines Ortes als Lernort sind sowohl Art und Inhalt des Lernens entscheidend wie auch die Lerngewohnheiten einer Person. (Kraus 2014, 167)

Auch hier spielen also wieder individuelle Faktoren wie Vorlieben und Vorerfahrungen eine Rolle. Aber auch zeitliche Faktoren wie die jeweilige Lern- oder Bildungsphase sind zu berücksichtigen. Nicht zuletzt kann es auch von Lehroder Prüfungsanforderungen – gemeinsames Referat oder individuelle Erstellung einer Hausarbeit – abhängen, ob gerade allein oder in der Gruppe gelernt wird beziehungsweise, ob die Gemeinschaft als eher fördernd oder hinderlich für den Lernprozess wahrgenommen wird. Diese und weitere Facetten des Lernprozesses gilt es zu identifizieren und in die Überlegungen einzubeziehen. Dazu kann auch gehören, dass man sich bei der Konzeption einer spezifischen Lernwelt bewusst entschließt, einzelne Facetten nicht zu berücksichtigen und sie einem anderen Raum in der institutionellen Lernwelt zuzuordnen. Hier sei noch einmal an den Katalog von Long und Ehrmann erinnert, der Typen enthält, die sich aus funktionaler Sicht gegenseitig ausschließen, aber auch solche, die sich in multifacettierten Räumen ergänzen können. Lernprozessbezogene Facetten sind hiernach zunächst: – Lerntypen (vgl. z. B. Long/Ehrmann), – curriculare Anforderungen (Studienplan, Prüfungsordnung, Lehrpersonen), – gruppenbezogene (Peers) Prozesse und Verhaltensformen, – individuelle/gemeinschaftliche/soziale Lernformen, – Lernen in digitalen/sozialen Netzwerken, – tatsächlich stattfindende Lernaktivitäten. Neben den lernprozessbezogenen stehen die raumbezogenen Facetten. Wie erläutert beschreiben Long und Ehrmann in ihren Typen von hochschulischen Lernräumen nicht nur die Aktivitäten, sondern auch damit verbundene räumli-

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che Qualitäten. Diese sind wichtig, um Lernwelten aus Sicht einer Raumplanung zu erfassen und zu beschreiben und können Anhaltspunkte geben, welche Art von Lernräumen wo lokalisiert werden könnte. Der Lernräume auszeichnende Doppelcharakter der Aneignungsprozesse bedingt, dass mit der Vorstrukturierung des Raumes auch der Lernprozess vorstrukturiert wird. Kraus betont die Auswirkungen, die dies auf den Lernprozess hat: Die Ordnungsfunktion der Raumplanung in Bezug auf pädagogische Räume entspricht einer Organisation von Lern- und Bildungsprozessen über die Zuweisung und eine entsprechende Gestaltung der dafür vorgesehenen Räume. Der Lernprozess wird im Zuge der Planung über die Gestaltung der Räume in gewisser Weise vorstrukturiert., also nach den Vorstellungen über das Lernen geordnet. (Kraus 2015a, 18, H. i. O.)

Würde man also nur die Lernaktivitäten betrachten und nicht die gegenseitige Bedingtheit von Lernen und Raum, müssten die räumlichen Aspekte als Facetten des Lernens gesehen werden. Da es aber konkret auch um Fragen der Gestaltung als Vorstrukturierung von Lernwelten geht, werden die raumbezogenen Facetten hier extra berücksichtigt. Aus Sicht der klassischen Campusplanung ließen sich Lernwelten aus drei verschiedenen Aspekten heraus betrachten: 1. Die Relation der Lernwelten zu weiteren Gebäuden und Einrichtungen auf dem Campus, zu den Wegen und Freiflächen und zur stadträumlichen Umgebung. 2. Die innere Anordung des Gebäudes, das Verhältnis einzelner Bereiche und Verkehrswege. 3. Der relationale Raum, der sich durch die Anordnung von sozialen Gütern und Menschen konstituiert. Der erste Punkt bezieht sich auf die beschriebene Verortung von Lernwelten in einem räumlichen Beziehungsgefüge, das Teil der Syntheseleistung ist und die Konstitution des Raums mit vorstrukturiert. Deutlich wird dadurch aber auch die symbolische Verortung von Lernräumen auf dem Campus. So sind neben dem Auditorium Maximum als symbolischer Manifestation der theoretischen Lehre und der interdisziplinären Gemeinschaft Hochschulbibliotheken in der klassischen Campusplanung zentrale Wissensräume, die verbreitet entweder ‚Tor‘ oder ‚Herz‘ eines Campus bilden. Auch die angesprochene Frage der Öffnung nach außen spielt hier eine Rolle. Dies setzt sich in der inneren Anordnung (Punkt 2) eines konkreten Gebäudes fort, etwa wenn mehrere Institutionen ein Gebäude nutzen oder wenn – im Falle der Hochschulbibliothek – die Lernräume teil eines größeren Zusammenhangs (Wissensraum) sind. Zuletzt geht es um die Vorstrukturierung der Lernräume selbst. Zu den raumbezogenen

128  3 Theoretische Annäherungen an hochschulische Lernwelten

Facetten gehört dabei auch die Atmosphäre als Gesamtheit der sensorisch wahrnehmbaren Raumeindrücke. Die von Kraus genannte Vorstrukturierung des Lernprozesses tritt als vielleicht wichtigster Aspekt hinzu und bedarf besonderer Berücksichtigung, die ihm aber in der Vergangenheit eher selten zuteil wurde. Dies bezieht sich wiederum explizit auf den Campus als Netzwerk aus Lernwelten, die in der Gesamtheit eine Lernwelt bilden. Today’s university must be resilient spaces in which the learning environment encompasses more than technology upgrades, classroom additions, and its academic buildings – in fact, the entire campus, including its open spaces, must be perceived as a holistic learning space that provides a holistic learning experience. (Scholl/Gulwadi 2015, o. S.)

Teil dieses Netzwerkes sind auch die digitalen Lernräume samt der Frage der Konvergenz, also der medial gestützten gegenseitigen Durchdringung physischer und digitaler Räume. Eine vorläufige Liste raumbezogener Facetten sähe demnach so aus: – Ordnungsfunktion/Vorstrukturierung von Lernprozessen, – Verortung in einem städtebaulichen beziehungsweise institutionellen Raumgefüge, – Binnenstruktur und Funktionsbeziehungen von Gebäuden, – Spacing als Vorstrukturierung spezifischer Räume, – Atmosphäre, – raumbezogene Codes und Normen (habituelle Aspekte / Verhaltensanweisungen), – soziale Beziehungen / Interaktion, – Konvergenz digitaler und physischer Räume. Zuletzt soll noch auf die kontextbezogenen Facetten eingegangen werden. Given verweist auf die bereits erwähnten institutionellen (z. B. Noten, Feedback von Lehrenden) und die persönlichen (z. B. Interaktion mit anderen Studierenden, Feedback von nahestehenden Personen, eigene Erwartungen) Marker für den Lernerfolg von Studierenden. In engem Zusammenhang damit stehen die Lernerfahrungen sowohl im formellen als auch im informellen Bereich. Das Lernverhalten von Studierenden lässt sich demnach nur in einem erweiterten Verständnis dieses Gesamtkontextes analysieren und erklären. Weiter gedacht bedeutet dies, dass auch eine Gestaltung von Lernwelten nur unter Berücksichtigung des sozialen, kulturellen und institutionellen Umfeldes und der Vielfalt der Lernenden möglich ist (Given 2007, 179). Neben den von Given genannten curricularen und die Interaktion mit Lehrenden und anderen Studierenden bestimmenden Bezügen spielt also auch der

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weitere institutionelle Kontext der Lernwelten eine Rolle. Auf die besondere Stellung insbesondere von Hochschulbibliotheken innerhalb ihres jeweiligen institutionellen Gefüges wurde in diesem Zusammenhang bereits hingewiesen. Nicht nur die traditionelle Rolle als Speicher für und Vermittler von Verbreitungsmedien, sondern auch die Interdisziplinarität und die Anschlussfähigkeit an andere Institutionen und Systeme zeichnen sie als Wissensräume aus. Innerhalb des in Kapitel 2.2 näher erläuterten Erklärungsmodells der Wissensgesellschaften kann man Bibliotheken allgemein und auch Wissenschaftliche Bibliotheken als gesellschaftliche Räume verorten, denen eine eigene Dynamik inhärent ist: A motion is inherent to the societal space, associated by Arendt with growing. I would characterise this as a dynamic, liberating the space from the static tradition mentioned above. Therewith societal space has got a flexibility enabling him to respond to social and individual processes of change. Individuals are not always (acting) citizens. They are changing their roles and their interaction. (Eigenbrodt 2008, 11)

Welche Rolle(n) lernende Individuen in Lernwelten einnehmen und wie sie mit anderen interagieren ist also von gesellschaftlichen und kulturellen Dynamiken abhängig. Auch Wissenschaftliche Bibliotheken sind längst nicht mehr von einer homogenen Gemeinschaft der Nutzenden geprägt, sondern spiegeln die Diversität der Gesellschaft, insbesondere auch in Bezug auf die Internationalisierung der Wissenschaft und des Studiums. Kulturelle Faktoren spielen nicht nur in Bezug auf die Aneignung von Räumen, sondern auch in Bezug auf das Lernen eine wichtige Rolle. Integrating different cultural practices is a key learning challenge, and culture is a matter not only of what people learn but also how they learn. Culture is also reflected in the historical time period and society in which someone lives. The dynamic nature of culture is evident in the fact that people who make up a cultural community maintain cultural practices acquired from previous generations, while also adapting practices over time to fit changing circumstances or even transforming them altogether. (National Research Council 2018, 23, H. i. O.)

Dazu gilt es sich bewusst zu machen, wie sehr das Spacing von tradierten kulturellen Codes und Normen bestimmt ist und wie die Diversifizierung der Gesellschaft auf der Makro- aber auch auf der Mesoebene berücksichtigt werden kann. Dies gilt nicht nur in Hinblick auf kulturelle Unterschiede, sondern zum Beispiel auch auf geschlechtsspezifische Aneignungsstrategien. Die Wissenschaft selbst hat noch einmal eigene Codes und spezifische Kommunikationsstrategien, die über die institutionelle ‚Kultur‘ der jeweiligen Einrichtung hinaus Einfluss auf die Konstitution von Lernwelten haben. Dies gilt

130  3 Theoretische Annäherungen an hochschulische Lernwelten

auch für die Wissenschaftlichen Bibliotheken. Nicht zuletzt spielt der institutionelle Kontext jenseits der auf das Lernen und den Raum bezogenen Facetten auch hier eine Rolle, wenn es um institutionelle Beziehungsgeflechte, Einflussnahme und Strukturierungen geht. Folgende Facetten in Bezug auf den Kontext lassen sich zunächst festhalten: – soziale Bedingungen / gesellschaftliche Dynamik, – ökonomische Grundlagen, – kulturelle Prägungen / Diversifizierung, – Wissenschaft als System, – Bibliotheken als spezifische Ausprägung, – institutionelle Voraussetzungen. Fügt man die genannten Faktoren mit ihren Facetten zu einem Modell zusammen, so ist es wichtig, die Dynamik innerhalb des Modells zu verstehen (Abbildung 5). Ausgehend vom Individuum, das mit seinen spezifischen Vorerfahrungen, Zielen und Motiven einen selbstorganisierten Lernprozess beginnt lassen sich die vier Aneignungsprozesse von Wissen, Raum und wissens- beziehungsweise raumbezogenen Kompetenzen innerhalb einer Lernwelt betrachten. Individuum, Lernprozess, Raum und Kontext wirken jeweils wieder aufeinander zurück und müssen bei der Vorstrukturierung berücksichtigt werden. Angelehnt an das methodologische Quadrantenmodell von Sturm findet auch der Zeitfaktor Berücksichtigung (Sturm 2000, 189–191). Die runden Pfeile im Zentrum des Modells drücken die prozesshaftigkeit und ständige Wiederholung der unterschiedlichen Konstitutions- und Aneignungshandlungen aus. Bevor die Auswirkungen des hier vorgestellten Modells auf Konzeption und Planung von Lernwelten im Kontext Wissenschaftlicher Bibliotheken dargestellt werden, wird zunächst der Frage nachgegangen, wie durch nähere Betrachtung der einzelnen Facetten empirische Grundlagen für solche Prozesse gewonnen werden können.

3.4 Wissensraum Hochschule – Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek



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Abb. 5: Vorläufiges Modell der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek mit Facetten (eigene Darstellung)

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4 Empirische Annäherungen Die von Wissenschaft und Praxis geprägte Debatte um den Zusammenhang von Raum und Lernen war von Beginn an auch von Versuchen empirischer Annäherungen begleitet. Einerseits, um Hypothesen zu Lernen und Raum zu begründen, andererseits, um bestehende Lernräume zu evaluieren und Erkenntnisse für Konzeption und Planung zu gewinnen. Das von Läpple für die Raumforschung formulierte Methodenproblem wird auch hier immer dann wirksam, wenn das Erkenntnisinteresse und das dahinterliegende Raumkonzept nicht eindeutig geklärt sind: Mit der Verwendung des „Behälter-Raum“-Konzepts ist in der empirischen Sozialforschung vielfach auch noch eine gravierende methodische Unklarheit verbunden; es bleibt in vielen Studien unbestimmt, ob der jeweilige „Raum“, also z. B. eine Stadt oder eine Region, tatsächlich theoretisches Erkenntnisobjekt ist oder nur als räumliche Abgrenzung eines empirischen Forschungsfeldes für die Untersuchung allgemeiner gesellschaftlicher Erscheinungen dient. (Läpple 1991, 191, H. i. O.)

Auf Lernräume bezogen führt dies dazu, dass häufig das Lernen im Raum beziehungsweise der Raum als Lernort betrachtet wird, der Einfluss von räumlicher Vorstrukturierung und Raumaneignung durch das Individuum auf den Lernprozess aber unerkannt bleibt. Umgekehrt bleibt dort, wo einer Untersuchung eindimensionale Lernbegriffe zugrunde liegen, unklar, inwiefern die Prozesse der Aneignung von Wissen und Kompetenzen auch die Aneignung des Raumes prägen. Dabei erschwert das Prinzip des selbstorganisierten Lernens insbesondere solche Studien, die auf Vorhersagen über die Entwicklung von Lernprozessen beziehungsweise auf die Planung und Konzeption von Lernwelten abzielen. Erpenbeck und Sautter übertragen das Prinzip der eingeschränkten, allenfalls qualitativen Vorhersagbarkeit von selbstorganisierten Systemen auf das selbstorganisierte Lernen. Voraussagen für die Zukunft zu treffen ist demnach deshalb schwierig, weil selbstorganisiertes Lernen wie alle selbstorganisierten Systeme selbstreferentiell und nichtlinear funktioniert (Erpenbeck/Sauter 2013, 21). Probleme entstehen insbesondere dann, wenn empirische Methoden direkt mit einer herkömmlichen Planungspraxis verbunden werden, da das originäre, in der Regel primär quantitativ ausgerichtete Erkenntnisinteresse – zum Beispiel der hochschulischen Raumplanung als Ressourcenplanung – durch die erwartbaren Ergebnisse nicht befriedigt werden kann:

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4 Empirische Annäherungen 

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Im Vergleich und im Unterschied zur Planungspraxis geht es bei der Erforschung des Raumes nicht vornehmlich um Problemlösung, sondern zunächst um Erkenntnis, reflektiere Eingrenzung, Festlegung des Problems. (Sturm 2000, 185)

Im Idealfall sind im Ergebnis einer empirischen Untersuchung also zunächst wesentliche Definitionsmerkmale eines bestimmten Lernraums im IST-Zustand bekannt, gegebenenfalls auch noch Aspekte seiner Vorstrukturierung und die damit verbundenen Probleme der Aneignung und der Förderung von Lernprozessen. Konkrete Vorhersagen zu einer späteren Nutzung lassen sich aber qualitativ nur sehr eingeschränkt und quantitativ so lange nicht treffen, wie keine Erfahrungswerte vorhanden sind. Dies führt zu einer Blockade, die einer der Gründe dafür ist, warum selbstorganisierte Lernprozesse und ihre räumlichen Voraussetzungen nur sehr langsam in die Planungspraxis der Hochschulen einfließen. So vermisste Bennett noch 2003 jegliche Verbindung von neueren Erkenntnissen zum Lernen in hochschulischen Wissensräumen und der konkreten Raumplanung genauso wie konkreten Konzeptionen von Bibliotheksräumen als Ermöglichungsräumen, die selbstorganisiertes Lernen unterstützen (Bennett 2003, 41). Gebessert hat sich dies seitdem insbesondere auf der diskursiven Ebene und im Rahmen kleinerer, teilweise experimenteller Projekte, nicht aber in der Breite der Hochschulplanung. Wie kann es aber gelingen, sich empirisch einer Lernwelt wie der Wissenschaftlichen Bibliothek zu nähern und die dabei gewonnenen Erkenntnisse praktisch nutzbar zu machen, ohne an der Oberfläche zu bleiben? Aufbauend auf der Dualität von Handeln und Struktur in der Konstituierung von Raum legt Löw als Grundlage der Analyse von Raum eine Kombination von einzelanalytischen und strukturanalytischen Methoden nahe. Dabei ist die Unterscheidung von Motiven und Folgen der Raumkonstitution zentral. Die Motive zur Konstitution von Räumen, die oft unbewusst und daher schwer zugänglich sind, müssen demnach getrennt von den durch die Konstitution entstandenen Räumen analysiert werden, bevor beide Analysen aufeinander bezogen werden können (Löw 2001, 219). Ein solches, zweistufiges Vorgehen ist im Bereich der Hochschulbibliotheken durchaus schon häufiger erprobt worden. So geht Braun zum Beispiel in zwei Schritten vor: Ihren quantitativen Schritt sieht sie als Evaluation der bestehenden Räume, die qualitativen Interviews im zweiten Schritt sollen Erkenntnisse zu Angebot und Nutzung von Lernräumen bringen (Braun 2010). Wichtig ist hierbei auch die Unterscheidung von Mikro-, Meso- und Makroebene. Läpple hat diese, aus sozialwissenschaftlichen Zusammenhängen geläufige Differenzierung für die Untersuchung gesellschaftlicher Räume aufgegriffen (Läpple 1991, 197–198). In Bezug auf die Untersuchung von Lernwelten wurde eine solche Unterscheidung im letzten Kapitel in den kon-

134  4 Empirische Annäherungen

textbezogenen Facetten abgebildet, die sowohl das lernende Individuum prägen als auch an der Vorstrukturierung von Raum und Lernprozess beteiligt sind. Neben den Fragen quantitativer und qualitativer Studien und ihrer Methoden, die im weiteren Verlauf dieses Kapitels noch näher betrachten werden sollen, spielt der zeitliche Faktor eine wesentliche Rolle. An Hochschulbibliotheken im deutschsprachigen Raum wurden bisher wenige Langzeitprojekte durchgeführt. Eine Ausnahme bildet hier das Projekt Lernraum Bibliothek an der Universitätsbibliothek Rostock. Das von Ilg explizit als „Methodenprojekt“ bezeichnete Projekt gehört mit einer Laufzeit von zwei Jahren gleichzeitig zu den wenigen umfassenden und längerfristigen Untersuchungen zur Lernwelt Hochschulbibliothek (Ilg 2016, 347). Die zeitliche Dauer und die Vielzahl eingesetzter Methoden haben in diesem Fall dazu geführt, dass man weitgehende Erkenntnisse zu vielen Facetten der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek gewonnen hat, die in einem sich anschließenden Bauprojekt nutzbar gemacht werden können. Auch wenn einzelne Projekte keine Blaupause für die ‚richtige‘ empirische Herangehensweise sein können, möchte ich im Folgenden exemplarisch einige Studien und Untersuchungen herausgreifen, um Probleme und Perspektiven sowohl quantitativer als auch qualitativer Ansätze zu beleuchten. Hierbei handelt es sich explizit um eine Auswahl, die zwar überblicksartig angelegt ist, aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit besitzt, insbesondere da sie sich auf publizierte Studien aus der deutsch- und englischsprachigen Literatur beschränkt. Die daran anschließenden Schlussfolgerungen sind daher auch nicht als Methodenbaukasten, sondern als Beitrag zur laufenden Diskussion eines Forschungsdesigns skizziert, das zukünftige Projekte inspirieren soll.

4.1 Quantitative Beschreibung von Lernwelten als Problem Ausgangspunkt dieses Bandes sollte ursprünglich eine Metastudie zu quantitativen Erhebungen an Wissenschaftlichen Bibliotheken im deutschsprachigen Raum sein. Der erhoffte Erkenntnisgewinn lag darin, verallgemeinerbare Aussagen über Lernwelten im hochschulischen Kontext gewinnen zu können und daraus ein Modell für die Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek abzuleiten. Auf einen entsprechenden Aufruf hin wurde von Kolleginnen und Kollegen aus Wissenschaftlichen Bibliotheken in Deutschland, der Schweiz und Luxemburg Daten zu insgesamt 25 Befragungen der Jahre 2010–2015 zur Verfügung gestellt. Von den Datensätzen waren 22 mit insgesamt 51.266 ausgewerteten Fragebögen generell für die Metaanalyse geeignet. Schon die ersten Testauswertungen zur Entwicklung von Hypothesen machten aber deutlich, dass die Ergebnisse quan-

4.1 Quantitative Beschreibung von Lernwelten als Problem



135

titativer Befragungen zu diesem Zeitpunkt nicht dazu geeignet waren, eine Antwort auf die Forschungsfrage nach der spezifischen Konstitution der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek innerhalb des Beziehungsgeflechts hochschulischer Lernwelten zu bieten und daraus ein generelles Modell für die Annäherung an die Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek abzuleiten, wie es im vorhergehenden Kapitel auf der Grundlage lern- und raumtheoretischer Überlegungen vorgeschlagen wurde. Das Scheitern lag hier nicht darin begründet, dass eine Metaanalyse an sich ungeeignet wäre, Aussagen über die Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek zu treffen, sondern dass die Methode dort nicht greifen kann, wo sich die Konstitution von Wissen und Raum aus der Beziehung der unterschiedlichen Aneignungsprozesse ergibt, die zu diesem Zeitpunkt allerdings auch noch nicht vollständig bewusst war. Die Ergebnisse der Befragungen erwiesen sich zum einen als nicht differenziert genug und zum anderen als nicht aussagekräftig in Bezug auf das individuelle Lernverhalten sowie die Voraussetzungen und Motive der Befragten. Dies berührt ein generelles Problem bei der Anwendung quantitativer Methoden auf den hier erörterten Untersuchungsgegenstand. Die weiter oben bereits erwähnte eingeschränkte Vorhersagbarkeit selbstorganisierter Lernprozesse nach Erpenbeck und Sauter hängt vor allem mit den Motiven und Zielen zusammen, die sich aus den auf das Individuum bezogenen Facetten ergeben. Diese sind nicht nur wegen ihrer Streuung, sondern auch wegen ihrer Veränderbarkeit quantitativ schwer zu erfassen und zu strukturieren. Academic goals are shaped not only by the immediate learning context but also by the learners’ goals and challenges, which develop and change throughout the life course. Enhancing a person’s learning and achievement requires an understanding of what the person is trying to achieve: what goals the individual seeks to accomplish and why. However, it is not always easy to determine what goals an individual is trying to achieve because learners have multiple goals and their goals may shift in response to events and experiences. (National Research Council 2018, 121–122)

Im Ergebnis kommen die individuellen Facetten jenseits der Bedürfnisebene und der Techniknutzung selten zum Tragen und auch der Zusammenhang der verschiedenen Aneignungsprozesse im raumbezogenen selbstorganisierten Lernen kann nicht herausgearbeitet werden. Üblicherweise werden in den Befragungen daher eher objektivierbare, raumbezogene Faktoren wie Öffnungszeiten, Arbeitsplatzangebot und technische Ausstattung, Nahrungsmittelversorgung und Klimatisierung abgefragt. Die Antworten sind dann entsprechend oberflächlich, da sich die Fragen auf die vorhandene Situation beziehen. Natürlich kann es aber ganz unterschiedliche Gründe haben, warum lernende Individuen mit der Ausstattung und Klimatisie-

136  4 Empirische Annäherungen

rung oder dem gastronomischen Angebot zufrieden oder unzufrieden sind, diese sind aber nur auf der Ebene der individuellen Bedürfnisse zu erfassen und lassen sich erst danach verallgemeinern. Sowohl die hier betrachteten, als auch die publizierten Befragungen leisten dies aber nicht. Auch gewinnt man durch die Beantwortung der meist geschlossenen Fragen keine Erkenntnis darüber, inwieweit diese Facetten den Lernprozess tatsächlich positiv oder negativ beeinflussen. Die gewonnenen Informationen dienen in der Regel eher dazu, von den befragenden Institutionen bereits erkannte beziehungsweise vermutete Defizite zu betonen, um diese in der Argumentation für räumliche oder organisatorische Veränderungen zu verwenden beziehungsweise nach einer solchen Veränderung die erfolgreiche Umsetzung unter Beweis stellen zu können. Diese Motive und das gewählte Vorgehen sind zwar legitim, berühren aber die dahinterliegenden Facetten (zeitliche Autonomie in selbstorganisierten Lernprozessen, Nutzung von Technik, individuelle Bedürfnisse und Atmosphäre) nur oberflächlich und führen zu keinen neuen Erkenntnissen über die Aneignungsprozesse der Befragten. Hinzu kommt häufig eine Überfrachtung der Befragungen durch Fragen rund um Dienstleistungen, Angebote und Räume der Bibliothek, die oft mit dem Lernprozess kaum oder nur mittelbar zusammenhängen. Der von Braun erläuterte Fragebogen der UB Kassel ist ein typisches Beispiel für einen solchen ‚allumfassenden‘ Ansatz, sowohl was die Anzahl der Fragen als auch die Inhalte angeht (Braun 2010, 18). Für Befragungen dieser Art gilt auch heute noch das, was Bryant et. al. 2009 in einem Review vorliegender Studien aus dem englischsprachigen Raum feststellten: These are all valuable tools, but they do not provide the richness or depth that is sometimes needed. Yet when evaluating use of library space, establishing the nature of the activities taking place is not as straightforward as producing quantitative data. (Bryant et al. 2009, 10)

Neben den Aspekten der individuellen Motive und Ziele und generell den lernprozessbezogenen Facetten fehlt also die für ein Verständnis der Konstitution von Lernwelten notwendige Handlungsperspektive. Trotzdem lassen sich auch aus quantitativen Untersuchungen Erkenntnisse gewinnen, die für die Beschäftigung mit hochschulischen Lernwelten wertvoll sein können. Ich möchte mich daher im Folgenden einem im deutschsprachigen Raum besonders prominenten Beispiel einer solchen Studie widmen, um dann die Perspektiven quantitativer Ansätze generell herauszuarbeiten.

4.1 Quantitative Beschreibung von Lernwelten als Problem 

137

4.1.1 Lernen als Teil des Selbststudiums – verkürzte Perspektiven Wie bereits mehrfach erwähnt, wird die Debatte um Lernwelten an Hochschulen in Deutschland sehr verbreitet unter dem Eindruck der als Bologna-Prozess bekannten Reform der Studiengänge geführt, wie es zum Beispiel auch in der Argumentation abzulesen ist, die Braun als Begründung einer an der UB Kassel durchgeführten Befragung anführt (Braun 2010). Vielfach wird dabei eher über Quantitäten als über Qualitäten diskutiert, insbesondere wenn es um Arbeitsplätze für Studierende außerhalb der Lehrveranstaltungsräume geht. Der häufig verwendete Begriff für die außerhalb der Lehre stattfindenden studentischen Aktivitäten ist dabei das Selbststudium. Da diese Debatte für die Hochschulplanung und speziell die Ermittlung von Flächenbedarfen von großer Bedeutung ist, sah sich das heutige HIS-Institut für Hochschulentwicklung e. V. (HIS-HE) zunehmend mit der Forderung nach einer angemessenen Berücksichtigung des Selbststudiums bei der Ermittlung von Flächenbedarfen insbesondere für Hochschulbibliotheken konfrontiert. Vor diesem Hintergrund erschienen 2013 Ergebnisse einer ersten Studie zur Ermittlung des Bedarfs von Arbeitsplätzen für Studierende an Universitäten und Fachhochschulen (Vogel/Woisch 2013). Diese Publikation wurde 2019 durch eine aktualisierte sowie um eine Studie zu Präferenzen in der Wahl von Orten für das Selbststudium erweiterte Fassung abgelöst (Vogel et al. 2019). Beide Studien sind in der Fachwelt umstritten und zeigen sich in der praktischen Anwendung an Hochschulen immer wieder als nicht vermittelbar, was in der konkreten Planung zu stark abweichenden Bedarfszahlen führt. Die methodischen Kritikpunkte wie mangelnde Transparenz des Panels, die ausschließliche Berücksichtigung von Vollzeitstudierenden und die Frage der Zusammenstellung der Fächergruppen sollen aber in diesem Zusammenhang genauso wenig erörtert werden wie die von der Realität des Studienalltags abweichende Beschränkung der Selbsteinschätzung auf die Vorlesungszeit. Letztere lässt aber erkennen, dass hinter der Studie mit dem Selbststudium ein veraltetes Konzept von selbstorganisiertem Lernen steht, das Lernen nicht als ganzheitlichen Prozess, sondern zusammen mit anderen Tätigkeiten als Anhängsel der instruktiven Lehre sieht. Neben dem Besuch von Lehrveranstaltungen fallen im Rahmen eines Studiums eine Reihe weiterer studienbezogener Aktivitäten an, die von den Studierenden eigenständig organisiert und durchgeführt werden müssen und sich unter dem Begriff Selbststudium subsummieren lassen. (Vogel et al. 2019, 3)

138  4 Empirische Annäherungen

Betrachtet man das Erkenntnisinteresse der Studie, so ist diese Sichtweise legitim, da es hier insbesondere um die Frage geht, welche Flächenbedarfe Hochschulen quantitativ für die mit Selbststudium assoziierten Tätigkeiten veranschlagen müssen. Das hier erkennbare Raumkonzept ist eines, das gebaute Räume als funktionale Behälter für bestimmte Aktivitäten sieht. Aufschlussreich ist, dass in diesem Zusammenhang zwar vom Lernort Hochschule gesprochen wird, dass Lernprozesse aber in der Aufzählung der mit dem Selbststudium assoziierten Tätigkeiten nicht explizit genannt werden, sondern nur in einzelnen Facetten vorkommen (Vogel et al. 2019, 6). Der Doppelcharakter der Aneignung von Lernräumen wird also genauso wenig erkannt wie der von hochschulischem Lernen als aneignenden Konstitution von Wissen und akademischer Kompetenz. In der Konsequenz sehen Vogel et al. auch keine aus lerntheoretischen beziehungsweise raumtheoretischen Überlegungen heraus resultierenden Forschungsfragen für ihre Studie. Selbststudium wird als Problem der zeitlichen und räumlichen Organisation in der Erfüllung curricularer Vorgaben gesehen, berührt also zunächst nur individuelle sowie raum- und kontextbezogene Facetten (Vogel et al. 2019, 4). Dies ist jedoch kein inhaltlich-methodischer Fehler der konkreten Studie(n), sondern beruht darauf, dass in der Hochschulplanung nach wie vor der von Boys 2011 kritisierte Weg gegangen wird: „Contemporary space planning in universities is still informed by the concept of space norms; that is, guidance on room sizes, which was developed over 40 years ago.“ (Boys 2011, 136) In Großbritannien wurde dieser Ansatz schon im Laufe des letzten Jahrzehnts aufgegeben und auch im deutschsprachigen Raum ist mit etwas Verspätung ein Umdenken erkennbar, wie auch neuere Publikationen von HIS-HE selbst zeigen (Wertz 2020)12. Ungeachtet der problematischen inhaltlichen Konzeption bieten die beiden enthaltenen Studien aber auch viele Anknüpfungspunkte an hochschulische Lernwelten insgesamt und insbesondere auch Wissenschaftliche Bibliotheken, die für eine weitere Debatte zumindest von Interesse sind. So fragen zum Beispiel Vogel et al. im Gegensatz zu anderen quantitativen Erhebungen explizit auch nach der Nutzung digitaler Ressourcen in verschiedenen räumlichen Zusammenhängen (Vogel et al. 2019, 36). Insgesamt ist der Teil des Bandes, in dem Rahmenbedingungen und Präferenzen abgefragt werden, in Hinblick auf die Lernwelten informativer, da es hier um einzelne Facetten von Lernräumen geht, zu denen die Einschätzung der befragten Studierenden erhoben wurde.

12 Bei dieser Publikation handelt es sich um eine zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Bandes erschienene Dokumentation von Best-Practice, die hier noch nicht weiter berücksichtigt wurde.

4.1 Quantitative Beschreibung von Lernwelten als Problem



139

Hinsichtlich der Beschreibung von Präferenzen bei der Wahl von Lernorten wird sehr stark auf mögliche Restriktionen, also im Lernprozess, räumlich oder institutionell begründete Einschränkungen der Autonomie, sowie auf individuelle Bedürfnisse eingegangen. Wichtige Facetten wie Vorerfahrungen, Identität, kultureller Hintergrund, Codes und Normen spielen hingegen keine Rolle. Die Antworten in Hinblick auf die Rolle der Ausstattung und der Atmosphäre für die Wahl eines Lernortes geben aber Hinweise darauf, dass hier eine nähere Betrachtung zu Aufschlüssen über den Zusammenhang von Raumwahrnehmung und Aneignungsprozessen hätte führen können (Vogel et al. 2019, 41). Bei der anschließenden Auswertung der Fragen zu Rahmenbedingungen des Selbststudiums werden verschiedene Facetten aus allen Bereichen berührt. Wie in anderen quantitativen Befragungen auch, wird aber der Lernprozess lediglich hinsichtlich der sozialen beziehungsweise gruppenbezogenen Interaktion mit anderen Studierenden betrachtet, während sonstige lernprozessbezogene Facetten hier keine Rolle spielen. Abgesehen von den genannten methodischen Fragen und hier insbesondere der Tatsache, dass nicht bekannt ist, um welche Hochschulen es sich handelt, zum Kontext also keine Aussagen getroffen werden können, sind die Ergebnisse auch an dieser Stelle deshalb aufschlussreich, weil sie die Perspektive der Studierenden wiedergeben (Vogel et al. 2019, 49). Wie in vergleichbaren quantitativen Untersuchungen auch, verhindern hier aber aus methodischer Sicht die überwiegend geschlossenen Fragen eine nähere Betrachtung, da diese einerseits die Beantwortung vorstrukturieren und lenken und andererseits wenig informativ in Hinblick auf individuelle Wahrnehmungen, Vorerfahrungen sowie die Ziele und Motive sind. Lernen wird insgesamt noch als input-orientierter Prozess der Aufnahme abrufbarer Informationen gesehen (Stichwort Prüfungsvorbereitung), während insbesondere Studien aus den Vereinigten Staaten und Großbritannien schon outcome-orientierte Konzepte wie das „deep learning“ verfolgen (Nelson Laird et al. 2005, 5). Im Endeffekt haben daher nicht nur die genannten methodischen Probleme der von HIS-HE vorgelegten Studien negative Auswirkungen auf die Flächenplanung für hochschulische Lernwelten, sondern auch die verkürzte Perspektive hinter dem Konzept des ‚Selbststudiums‘, das eine ganzheitliche Betrachtung des Lernens und der Raumaneignung durch Studierende vermissen lässt, wie sie Given sehr konkret beschreibt: Indeed, the university campus is filled with spaces where students read, study, listen to lectures, and relax outside of class time. The campus pub, the students union building, the academic library, all are spaces where students engage in a range of informing activities, from reading course texts to chatting with professors. (Given 2007, 177–178)

140  4 Empirische Annäherungen

Die von Given hier genannten sozialen Aspekte fehlen im Konzept des ‚Selbststudiums‘ genauso, wie eine differenzierte Betrachtung von Lernprozessen. In der Konsequenz wird die Bedeutung ausreichender räumlicher Angebote für die Aneignung akademischer Kompetenz genauso wenig erkannt, wie der Bedarf an unterschiedlichen Vorstrukturierungen für die verschiedenen Lerntypen. Die für die heutige Situation typischen Studierenden, die ihre selbstorganisierten Lernprozesse über verschiedene Lernwelten verteilen, werden von Brandt und Bachmann in Anlehnung an eine Selbstbezeichnung aus ihrer Studie als „Lernwanderer“ bezeichnet (Brandt/Bachmann 2016, 125). In Begriffen wie diesen läge die Chance, auch die konkrete Flächenplanung auf einem neuen Konzept aufzubauen, das sich methodisch und inhaltlich von Behälterraumkonzepten und alten Lernvorstellungen löst.

4.1.2 Perspektiven quantitativer Ansätze Die anhand der HIS-HE Studie geschilderten Probleme der Betrachtung hochschulischer Lernwelten mithilfe von quantitativen Befragungen werden auch in der englischsprachigen Literatur sichtbar. So arbeiten Antell und Engel in ihrer häufig zitierten Studie zur Hochschulbibliothek als Lernraum mit einem Fragebogen, der aus acht statistischen Fragen und 22 Fragen zur Bibliotheksnutzung besteht (Antell/Engel 2006, 538). Die geschlossenen Fragen wurden dabei durch Freitextfelder ergänzt, um den Teilnehmenden Raum für eigene Einschätzungen zu eröffnen. Aus den Rückläufen zu ihren Freitextfeldern konnten Antell und Engel nur wenige konkrete Aussagen zu den lernprozessbezogenen Facetten ableiten. Dazu gehören insbesondere ein Bedarf nach Unterstützung bei der Wissensaneignung, aber in geringerem Maße auch positive Affekte und Emotionen sowie der Hinweis auf den Beitrag der Bibliothek zur Identität der Institution (Antell/Engel 2006, 542–543). Folgerichtig ist die wichtigste Schlussfolgerung der Autorinnen auch keine Aussage über den Zusammenhang von Raum und Lernen und dafür gegebenenfalls notwendige Vorstrukturierungen, sondern lediglich eine Bestätigung des damals in den Vereinigten Staaten schon offensichtlichen Trends, weg von der Aufstellung großer Freihandbestände hin zu mehr Arbeitsplätzen in Bibliotheken; letztendlich also eine quantitative Aussage zum Flächenbedarf (Antell/Engel 2006, 553). Welche erkenntnisfördernden potentiellen Anwendungsbereiche quantitativer Verfahren, zu denen zum Beispiel auch die Auswertung statistischer Daten gehört, gibt es also in Bezug auf hochschulische Lernwelten? Ein Thema insbesondere in der englischsprachigen Literatur ist die Erfolgsmessung. Auch wenn Studien wie die von Soria et. al. nicht auf die Situation im deutschsprachigen

4.1 Quantitative Beschreibung von Lernwelten als Problem 

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Raum übertragbar sind, bieten sie doch Anhaltspunkte für die Hypothese, dass eine positive Relation zwischen der Nutzung bibliothekarischer Angebote, wozu dort auch die Vor-Ort-Nutzung von Bibliotheksräumen gehört, und dem Studienerfolg existiert (Soria et al. 2013, 160). Allerdings ist die gewählte Form der Auswertung von Nutzungsdaten der Bibliothek aus datenschutzrechtlichen Erwägungen zumindest schwierig. Schon seit den 1980er Jahren setzten sich aber im englischsprachigen Raum auch Ansätze durch, Lernerfolg mithilfe von Befragungen zu messen. Nelson Laird et al. nennen 2005 ASI (Approaches to Study Inventory) und SPQ (Study Process Questionnaire) als geeignete Werkzeuge, um unterschiedliche Facetten studentischen Lernens zu erfassen. Beiden gemeinsam ist eine differenzierte Erfassung von wissensbezogenen Aneignungsprozessen mit Begriffspaaren wie ‚tiefes und oberflächliches‘ oder ‚taktisches und strategisches‘ Lernen. Solche Arten der Befragung haben sich seitdem kontinuierlich weiterentwickelt (Nelson Laird et al. 2005, 6). Standardisierte Fragebögen bieten hier einerseits eine Vergleichbarkeit, wären andererseits aber daraufhin zu überprüfen, inwieweit raum- und kontextbezogene Facetten berücksichtigt sind. Verbunden sind solche auf Selbsteinschätzung beruhenden Befragungen oft mit dem Incentive einer Typisierung nach dem Motto ‚Welcher Lerntyp bist Du?‘ Hierdurch besteht die theoretische Möglichkeit, individuelle Vorerfahrungen sowie die Motive und Ziele mit lernprozessbezogenen Facetten zu verbinden. Methodisch besteht allerdings das Problem einer nicht ausreichenden theoretischen und empirischen Grundlage für die Festlegung von Lerntypen: Wirft man einen zusammenfassenden Blick auf die Konzepte zu Lernstilen und Lerntypen, die hier nur angedeutet werden konnten, fällt auf, dass wir es auch hier mit sehr unterschiedlichen Zugängen zu tun haben. Bis heute gibt es keine übergreifenden Konzepte, sondern eher Versuche, Typisierungen vorzunehmen. (Stang 2016, 43)

Hier droht also die Gefahr, nicht nur die eigenen Ergebnisse zu verflachen, sondern auch die Studierenden mit einer vermeintlich empirisch gefestigten Sicherheit in Bezug auf ihr individuelles Lernverhalten auszustatten, die so nicht existiert. Trotz der gebotenen Vorsicht ist auch in Deutschland der Bedarf erkennbar, weiter an quantitativen Ansätzen zum Bezug von Lernwelt und Lernerfolg zu arbeiten. Unter den raumbezogenen Facetten wird in Bezug auf konkrete Lernräume häufig versucht, die Atmosphäre mit Hilfe quantitativer Methoden zu erfassen. Löw definiert Atmosphäre innerhalb ihrer Raumtheorie als das auf die Wahrnehmung ausgerichtete Zusammenspiel der Außenwirkungen sozialer Güter und Menschen in einem Arrangement, also der Anordnung an Orten. Damit

142  4 Empirische Annäherungen

wird die Atmosphäre zu einem für die soziologische Analyse von Räumen relevanten Phänomen (Löw 2001, 204–205). Da die Atmosphäre in diesem Sinne also der individuellen Wahrnehmung zugänglich und auch bewusst zu machen ist, müsste sie durch Befragungen erfassbar sein. Deutlich wird dies bei den von Vogel et al. genannten Dimensionen hinsichtlich der Entscheidung zu Hause oder in der Hochschule zu arbeiten, in denen die Atmosphäre eine wichtige Rolle spielt. Auch insgesamt sind diese für eine weitere Analyse aufschlussreich, da sie ein breites Spektrum individueller (Bedürfnisse, Aneignung, Nutzung von Technik), lernprozessbezogener (gemeinschaftliches Lernen, soziales Lernen, Lernen in Netzwerken) und raumbezogener (neben der Atmosphäre auch Funktionsbeziehungen und Konvergenz) Facetten abdecken und auch den Kontext in verschiedenen Facetten berücksichtigen. Damit gehen sie über die gängigen, meist von Hochschulbibliotheken selbst durchgeführten quantitativen Erhebungen weit hinaus (Vogel et al. 2019, 51). So hat die UB Rostock im Rahmen ihres Projektes Lernraum Bibliothek eine Befragung durchgeführt, deren konzeptionellen Ansatz Ilg als „ganzheitlichen Lernraumbegriff“ beschreibt (Ilg 2014, 231). Die angegebenen Fragen beziehen sich aber tatsächlich eher auf individuelle, räumliche und kontextbezogene Facetten. Entsprechend geben auch die Ergebnisse kaum Hinweise auf den Zusammenhang von Lernprozess und Raum, die über bereits erwähnten eher oberflächlichen Beobachtungen hinausgehen. Zusammenfassend lässt sich erkennen, dass, um ein echtes Verständnis der unterschiedlichen Facetten hochschulischer Lernwelten zu erzielen, Mikroanalysen notwendig sind, die jeweils alle vier Aspekte von Individuum, Lernprozess, Raum und Kontext in den Blick nehmen. Dabei sollte dann überlegt werden, ob in kombinierten Verfahren nicht qualitative Methoden vorbereitend zu quantitativen Erhebungen angewendet werden können. So empfehlen Templin und Kunz, quantitative Befragungen auf explorativen Studien aufzubauen und nicht umgekehrt, wie es sehr häufig der Fall ist (Templin/Kunz 2016, 162). Auch die auf einer Kombination von Daten aus quantitativen und qualitativen Verfahren beruhende Erstellung von Personas als Repräsentation bestimmter Typen bietet die Möglichkeit, Facetten aus allen Bereichen und zusätzlich individuelle Motivationen und Ziele in einen Planungsprozess einzubeziehen. Im Falle der Bibliothek der Technischen Universität Delft führte die Nutzung von Personas dazu, dass letztendlich für die gesamte Campusplanung in einem Lernwelten-Konzept Personas verwendet wurden (Mantel/van Wezenbeek 2014, 233). Bevor näher auf die Themen Methodenmix und integrierte Studien eingegangen wird, werden zunächst exemplarisch einige qualitative Ansätze beschrieben und mögliche Ergebnisse dargestellt.

4.2 Qualitative Ansätze 

143

4.2 Qualitative Ansätze Nimmt man Lernen als sozial eingebundenen individuellen Prozess der konstituierenden Aneignung von Wissen und Kompetenzen ernst, dann ist die Mitwirkung an sozialen Praktiken tatsächlich die fundamentalste Form des Lernens (Lave/Wenger 2007, 54). Aus einer anderen Perspektive heraus betrachtet sind Lernen und auch die Konstitution von Räumen soziale beziehungsweise kulturelle Praktiken, die auch mit den entsprechenden Methoden betrachtet werden können. These studies documenting the cultural nature of learning have largely been ethnographic: systematic descriptions of the culture of a particular set of people at a particular point in time. And they often were conducted with small study samples. However, as with the early cross-cultural work on cognitive development, these studies yielded significant insights about learning that are relevant for understanding all people, from infancy to old age: Namely, that everyone brings to their opportunities to learn the experiences they have acquired through participation in cultural practices in their communities. (National Research Council 2018, 27)

An dieser Stelle weist das National Research Council schon sehr deutlich auf die Möglichkeiten und Limitierungen solcher Studien hin. Diese sollen im Folgenden mit Bezug auf die Facetten des hier aufgestellten Modells in den Blick genommen und einige exemplarisch gewählte Beispiele näher betrachtet werden. Dabei geht es zunächst um einzelne Methoden und anschließend um einen Methodenmix im Rahmen triangulierter oder integrierter Studien. Generell lässt sich sagen, dass die Nutzung qualitativer Ansätze im Bereich des wissenschaftlichen Bibliothekswesens inzwischen weite Verbreitung erfahren hat und sowohl in der Literatur als auch in der Ausbildung einen gewissen Raum einnimmt. In Bezug auf die raumbezogene Evaluation und die räumliche Entwicklungsplanung von Bibliotheken ist hier insbesondere die Zeit seit der Jahrhundertwende zu nennen. Ausgehend von Ansätzen im Bereich der digitalen Dienstleistungen und der Vermittlung von Informationskompetenz wurden auch für andere Angebote und Dienstleistungen Nutzungserfahrungen und -beobachtungen in die Konzeption und Planung einbezogen. Im Gegensatz zu Öffentlichen Bibliotheken wurde dabei der Zusammenhang von Raum und Lernen zunächst vor allem ausgehend von Facetten der Techniknutzung untersucht.

144  4 Empirische Annäherungen

4.2.1 Exemplarische Methoden In der englischsprachigen Literatur wird verbreitet auf die beobachtende Studie von Given und Leckie aus dem Jahr 2003 als eine Wegbereiterin für die Anwendung ethnografischer Methoden in der Untersuchung von Bibliotheksräumen gesehen. Auch wenn ihr Ansatz einer räumlichen Beobachtung im Umhergehen für Öffentliche Bibliotheken mit spezifischen Fragestellungen entwickelt wurde, ist er bis heute auch zur Untersuchung Wissenschaftlicher Bibliotheken in Verwendung (Given/Leckie 2003). Der von Given und Leckie im Titel ihres Artikels geprägte Begriff „Sweeping the Library“ ist dabei zu einer feststehenden Beschreibung der entsprechenden Methodik geworden. Ausgangspunkt sind die sozialen Aktivitäten im jeweiligen Kontext: Good locational analysis of facilities and institutions is undoubtedly important, but of greater interest here is the actual activity that takes place within these institutional contexts. (Given/Leckie 2003, 369)

Die Fragestellungen von Given und Leckie sind sehr stark raum- und kontextbezogen, da es ihnen primär darum ging, welche Rolle Großstadtbibliotheken im räumlichen und sozialen Beziehungsgefüge kanadischer Metropolen spielen können (Given/Leckie 2003, 372–373). Gerade deshalb erfassen sie im Ergebnis aber viele raumbezogene Facetten, unter anderem auch in Bezug auf die individuelle Konstitution und Aneignung von Räumen sowie die soziale Interaktion. Das Sweeping profitiert dabei von der Erkenntnis, dass die Wahrnehmung von Raum sich durch die Dynamik der Methode verändert. Während von einem statischen Punkt aus eher die oben beschriebene Atmosphäre auf das Individuum wirkt, treten mit der Bewegung im Raum eher die Beziehungen der sozialen Güter und Menschen zueinander und die Ausdehnung des Raums in den Vordergrund. Der Grund dafür liegt in dem in Kapitel 3.3.1 eingeführten Zusammenhang von Wahrnehmung und Bewegung bei der Konstitution von Räumen. Im Bereich Wissenschaftlicher Bibliotheken wird Sweeping insbesondere auf Lernräume angewandt. In der von Harrop und Turpin beschriebenen triangulierten Studie an der Hallam Universität in Sheffield zum Beispiel konzentrierte man sich in der Beobachtungsphase vor allem raumbezogene (Plazierung, Quantitäten, Atmosphäre) und individuelle (Techniknutzung, Bedürfnisse) Facetten. Dabei wurde außerdem zwischen gemeinschaftlicher und sozialer Nutzung unterschieden (Harrop/Turpin 2013, 62–63). Als Ergebnis identifizieren Harrop und Turpin neun Facetten als für die beobachteten Lernräume konstitutiv. Diese lassen sich den Bereichen Individuum (Bedürfnisse, Techniknutzung, Autonomie), Lernen (Gemeinschaft, Kommunikation, Rückzug) und Raum (Plazie-

4.2 Qualitative Ansätze



145

rung, Atmosphäre) zuordnen und erfassen damit vergleichsweise weite Bereiche (Harrop/Turpin 2013, 64–65). Neben dem Sweeping werden verbreitet auch statische Formen der Beobachtung angewandt, also in verschiedenen Bereichen der Bibliothek sitzend. Hierbei wird die Grenze zwischen distanzierter und teilnehmender Beobachtung durchlässig und es sollte berücksichtigt werden, wer die Beobachtung durchführt und in welchem Verhältnis diese Person zu den Nutzerinnen und Nutzern der Bibliothek steht. In Großbritannien aufgrund der dort sehr strikt eingehaltenen Ethikcodes üblich ist die Ankündigung einer Beobachtung. In Deutschland wird dies häufig nicht berücksichtigt, was zwar einerseits die Beobachtung erleichtert beziehungsweise eine Verfälschung durch Verhaltensanpassung der Nutzerinnen und Nutzer ausschließt, andererseits aber aus ethischen Gesichtspunkten heraus schwierig ist. Denkbar, aber in Bibliotheken aus verschiedenen Gründen bisher wenig gebräuchlich ist bei beobachtenden Methoden auch Medienunterstützung. So lassen sich zum Beispiel Noldas (2006) videogestützte Beobachtungen von Seminarräumen und Klassenzimmern theoretisch auch auf andere Lernräume übertragen. Für Nolda steht die Konfrontation der Pädagogik des Raums mit der Raumaneignung auf verschiedenen diachronen und synchronen Ebenen am Ende einer Analyse. Zum Vergleich der unterschiedlichen – in diesem Fall per Video erfassten – Aneignungen kommen die Relation zur intentionalen Vorstrukturierung des Raums und die Einbeziehung des institutionellen und individuellen Kontextes: Entscheidend ist hier vielmehr, die auf den Raum bezogenen Bewegungen der Beteiligten so objektiv wie möglich zu erfassen, um sie als Raumaneignungen nachvollziehbar interpretieren zu können (Nolda 2006, 318). Auch im weiter unten ausführlicher beschriebenen LearnerLab an der Hochschule der Medien in Stuttgart wurde videogestützte Beobachtung angewandt (Stang/Strahl 2016). Auch wenn das LearnerLab als Raum für selbstorganisiertes Lernen genutzt wurde, verbindet es mit den von Nolda beobachteten Räumen die Tatsache, dass es sich als quasi experimentelles Setting um kontrollierte Umgebungen handelt. Eine videogestützte Beobachtung in Wissenschaftlichen Bibliotheken durchzuführen, die in der Regel für eine breitere Öffentlichkeit unkontrolliert zugänglich sind, dürfte sich aus rechtlichen und organisatorischen Gründen in der Durchführung als schwieriger erweisen. Dies spricht umso mehr dafür, dass Hochschulen nach dem Stuttgarter Vorbild vermehrt experimentelle Lernräume schaffen, in denen solche Beobachtungen möglich sind. Interviews sind eine inzwischen etablierte Methode der qualitativen Untersuchung auch von hochschulischen Lernräumen. Neben Einzelinterviews werden dabei auch Fokusgruppeninterviews angewandt. In der von Khoo et al.

146  4 Empirische Annäherungen

(2015) beschriebenen Studie zur Evaluation einer kleineren Campusbibliothek wurde eine herkömmliche Auslastungsanalyse mit Einzelinterviews verbunden, die sich wiederum einem Methodenmix bedienten. So ließen sie zum einen Grundrisse kommentieren und arbeiteten zum anderen in einem Interview mit offenen Fragen zur Wahrnehmung und Aneignung des Raumes. Ihre Ergebnisse beziehen sich insbesondere auf die individuelle Wahrnehmung, aber auch auf Codes und Normen als räumliche Facetten (Khoo et al. 2015, 60). Auch andere Studien legen nahe, dass sich Interviews insbesondere zur Betrachtung individueller Facetten eignen, sich aber über Ziele und Motivationen auch einer Auseinandersetzung mit dem Lernprozess nähern können. Ein anderer potentieller Anwendungsbereich ist die Klärung von Vorstrukturierungen von Räumen und von Lernprozessen. Given führte für ihre Studie zu hochschulischen Lernräumen im Kontext der Einführungsphase des Studiums Interviews mit wissenschaftlichem Personal sowie Bibliothekarinnen und Bibliothekaren durch. Die Ergebnisse dieser Experteninterviews unterscheiden sich dabei aber erstaunlich wenig von denen anderen Studien (Given 2007, 182). Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass den Interviewten ihre eigene Rolle in der Synthese hochschulischer Lernräume und der Vorstrukturierung von Lernprozessen gar nicht bewusst war. Im Rahmen des Projekts Lernwelt Hochschule entschloss man sich zu einem konsekutiven Vorgehen. Aufbauend auf einer Befragung von Akteurinnen und Akteuren aus dem Hochschulbereich wurden vertiefende Experteninterviews geführt, aber auch Fallstudien mit Studierenden durchgeführt. Erweitert wurde dies um international ausgerichtete Experteninterviews und Materialstudien (Aschinger et al. 2020, 20). Gläser und Gageur beschreiben die in diesem Projekt geführten leitfadengestützten Experteninterviews als Möglichkeit, Erkenntnisse über Vorstrukturierungen und gegebenenfalls auch pädagogische Konzepte zu gewinnen (Gläser/Gageur 2019, 184). Angesichts der genannten Zielgruppen deutet sich an, dass in solchen Interviews auch kontextbezogene Facetten beleuchtet werden können. Aus der Lern- und Raumforschung heraus sind auch Methoden der Aufschreibung und/oder Selbstdokumentation, also Tagebuchmethoden adaptiert worden. Kunz und Pfadenhauer heben aus der Sicht der Raumforschung auf dem Campus gegenüber den Interviews insbesondere die Gleichzeitigkeit von Dokumentation und Kommentierung sowie die größere zeitliche Nähe zur eigenen Wahrnehmung hervor: Let’s stage some first conclusions: Comparable to the open interview, our logbook motivates to report (documentation) and to comment (reflexion) – this, however – different to the interview – in greater temporal proximity to the event. (Kunz/Pfadenhauer 2014, 24)

4.2 Qualitative Ansätze



147

Die Tagebücher wurden in einer Studie am Karlsruher Institut für Technologie dazu verwendet, individuelle Bewegungsprofile und die zugehörige Konstitution und Aneignung unterschiedlicher Räume auf dem Campus zu untersuchen. Dabei ging es nicht nur um explizite Lernsitutationen, sondern darum, räumliche Beziehungen durch die Bewegung zwischen den funktional vorstrukturierten Räumen zu erfassen, ganz im Sinne der oben erwähnten Lernwanderer aus dem ähnlichen Projekt an der Universität Basel. Die Selbstaufschreibung mittels Tagebüchern – im Falle der Karlsruher Studie wegen der formalen Vorstrukturierung Logbücher genannt – gehört sicher zu den zuverlässigsten Methoden, Erkenntnisse zu individuellen Facetten wie Wahrnehmung, Bedürfnisse und Techniknutzung, aber auch, bedingt durch die handschriftliche Form, Emotionen, Affekten und Identität zu gewinnen. Auch in Motive und Ziele sowie das tatsächliche Lernverhalten sind Einblicke möglich, genauso wie zu bestimmten räumlichen Facetten. Im Vorfeld müssen allerdings Fragen zur Akzeptanz und zur Vorstrukturierung der Tagebücher geklärt werden (Kunz/Pfadenhauer 2014, 22). Eine zu große Standardisierung würde die Tagebücher eher in Richtung einer Befragung laufen lassen, eine zu große Freiheit die Vergleichbarkeit erschweren. Ergänzen lassen sich Tagebücher durch fotografische Dokumentation. Ilg beschreibt die Nutzung einer Kombination von Aufschreibung und Fotografie als insbesondere für den Bereich der auf das Individuum bezogenen Facetten erkenntnisfördernd (Ilg 2016, 349). Im Gegensatz zum Karlsruher Projekt, bei dem die Logbücher über zwei Wochen geführt und durch Fotos ergänzt wurden, setzte man die Tagebücher an der UB Rostock jedoch situationsbezogen ein, indem man im Vorfeld Standardaufgaben bestimmte, deren Bearbeitung dann von den Teilnehmenden dokumentiert wurde. Diese Methode wird eingesetzt, um die eigene Bibliothek als physischen Ort aus Perspektive ihrer Nutzer zu erkunden. Die methodische Fragestellung lautet allgemein: Was nehmen unsere Nutzer wahr, was wir möglicherweise nicht oder nicht mehr wahrnehmen? (Ilg 2016, 349)

Da hier das Erkenntnisinteresse im Bereich der individuellen Facetten auf die Wahrnehmungen und ansonsten eher auf raumbezogene Facetten gerichtet war, muss die deutliche methodische und inhaltliche Vorstrukturierung der Erhebung nicht unbedingt schädlich sein, die vollen Potentiale einer Tagebuchmethode lassen sich auf diese Weise allerdings nicht realisieren. Die Möglichkeit der fotografischen parallel zur schriftlichen Dokumentation legt nahe, dass die Tagebücher auch als multimediale Tools, etwa Apps auf mobilen Endgeräten, geführt werden könnten. Kunz und Pfadenhauer sehen aller-

148  4 Empirische Annäherungen

dings in der klassischen Selbstaufschreibung in vorstrukturierten Logbüchern einen erheblichen Vorteil, wenn es um individuelle Wahrnehmungen, Motive und Aneignungen inklusive deren subjektiver Interpretation durch die Studierenden selbst geht. Ein Tool für ein multimediales Logbuch, dass zusätzlich zu den unterschiedlichen Formaten noch den genannten Vorteil bietet, können sie sich zwar vorstellen, es existierte aber zumindest zum Zeitpunkt ihres Beitrages noch nicht (Kunz/Pfadenhauer 2014, 27). Allerdings bieten Social-Media und Kommunikations-Apps im Grunde viele der dafür notwendigen Funktionen und könnten in diese Richtung weiterentwickelt werden. Am Rande sei noch auf eine eher unkonventionelle, aber dafür sehr nah an individuellen und kreativen Zugängen liegende Methode hingewiesen: Die von Ilg beschriebenen und in Rostock eingesetzten Lerngedichte. Da Lyrik generell geeignet ist, Affekte und Emotionen abzurufen, wurden hier sowohl auf das Individuum als auch auf den Lernprozess (Lerntypen, Lernformen) bezogene Facetten und zusätzlich Aspekte der Motivation sichtbar (Ilg 2016, 355). Aufgrund von Problemen mit der Akzeptanz und einem entsprechend geringen Rücklauf ist diese Methode allerdings weniger für eine systematische Feldforschung als vielleicht eher ergänzend oder im Sinne des Marketings eines Gesamtprojekts denkbar. Dennoch sollten kreative und performative Methoden weiter auf ihre Nutzbarkeit für die Untersuchung von Lernräumen getestet werden, da potentiell Erkenntnisse zu ansonsten schwer zugänglichen Facetten zu gewinnen sind. Der hier gegebene exemplarische Überblick zu angewandten Methoden aus den Bereichen Beobachtung, Interview und Tagebuch zeigt, dass die Breite der mit qualitativen Methoden detailliert erfassbaren Facetten weitaus größer ist, als dies bei quantitativen Ansätzen der Fall ist. Dennoch wäre die Anwendung nur einer Methode auf komplexe Raumsituationen wie hochschulische Lernwelten nicht ergiebig. Zudem sind nicht alle gewonnen Erkenntnisse belastbar genug, um zuverlässige Aussagen zu treffen. Aus diesem Grund setzen fast alle Projekte, die sich intensiver mit Wissens- oder Lernräumen auseinandersetzen, auf einen Methodenmix, der mehr oder weniger explizit immer auch der Triangulation dient. To investigate the research questions noted previously, the research team (two researchers and two research assistants) used a triangulated methodology, including an extensive written patron survey, face-to-face interviews with a smaller sample of patrons, indepth interviews with library staff, and an unobtrusive patron-observation survey, called “seating sweeps”.(Given/Leckie 2003, 373, H. i. O.)

Eine Kombination von Interview- und Beobachtungsphasen ist – wie bei anderer Feldforschung auch – nicht unüblich. Der Bezug der Methoden zueinander

4.2 Qualitative Ansätze



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wird dabei wie auch die Abfolge und gegebenenfalls Wiederholungen einzelner Elemente je nach Forschungsdesign variiert. Kinsley et al. (2015) bedienten sich zum Beispiel eines sehr umfassenden Methodenmixes in zwei Phasen, wobei die Fokusgruppeninterviews in Phase zwei auf den Ergebnissen der Phase eins aufbauten (Kinsley et al. 2015, 758– 759). In der von ihnen beschriebenen Studie, die an der Florida State University durchgeführt wurde, fragten sie nach der Aneignung bibliothekarischer Wissensräume durch graduierte Studierende. Dabei beanspruchen sie für sich eine ganzheitliche Perspektive, die sich sowohl im Forschungsdesign, als auch in den Fragestellungen ausdrückt: This study differs from other graduate ethnographies conducted by libraries in three respects: the use of more comprehensive and varied data-gathering techniques; a population-focused approach that included graduate students who may or may not currently use the libraries; and a holistic view of graduate students’ lives. (Kinsley et al. 2015, 758)

Tatsächlich bediente sich die Studie in der Datensammlung neben Interviews vielfältiger, auch dokumentierender und kreativer Methoden, ergänzt durch eine quantitative Befragung. Ähnlich ging man an der Swinburne University vor, um Studierende in Evaluations- und Planungsprozesse von Lernräumen einzubeziehen. Lee und Tan beschreiben drei unterschiedliche Ansätze von Fokusgruppenaktivitäten, die sie innerhalb eines größer angelegten, quantitative und qualitative Ansätze verbindenden Studie erprobt und methodologisch reflektiert haben. Erklärtes Ziel war es dabei, Erkenntnisse über individuelle Zugänge der Studierenden sowohl zum Prozess der räumlichen Gestaltung (Ziel der Studie insgesamt), als auch zu den dabei verwendeten Methoden (Ziel der Triangulation) zu bekommen. Konkret erprobten sie ein fotogestütztes Diamond-Ranking, eine Kartierung vorhandener Räume und eine gestaltende Evaluation (Lee/Tan 2013). Crook und Mitchell kombinierten in der von ihnen durchgeführten Evaluation eines neu eingerichteten Bibliotheksbereichs an einer britischen Universität durch Studierende erstellte Audiotagebücher mit Beobachtungen, spontanen Leitfadeninterviews und Fokusgruppen (Crook/Mitchell 2012, 125). Auch wenn sie abschließend insbesondere die Facetten des gemeinschaftlichen, sozialen und individuellen Lernens hervorheben und in den Mittelpunkt ihrer weiteren Überlegungen stellen, decken die Einzelauswertungen und möglichen Bezüge nicht nur eine sehr große Breite von Facetten ab, sondern machen auch unterschiedliche Aneignungsprozesse sichtbar (Crook/Mitchell 2012, 135–136). Explizit auf die Beobachtung von Aneignungsprozessen ausgerichtete war das bereits erwähnte LearnerLab an der Hochschule der Medien in Stuttgart.

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Dort wurde ein Raum geschaffen, der es ermöglichte, Vorstrukturierungen experimentell zu verändern und die Reaktionen und resultierenden Handlungen der Studierenden zu beobachten (Stang/Strahl 2016, 170). Entscheidender Punkt hierbei war die die Veränderung der Plazierung im Bereich der Einrichtung, während in den meisten beobachtenden Ansätzen die räumliche Situation über die Beobachtungsphase immer gleichbleibt. Auch wenn der in Stuttgart gewählte Aufbau eine Beobachtung unter besonderen Bedingungen ermöglichte, war er doch immer gleichzeitig auch ein für die Studierende zugänglicher Lernraum. Die im Titel des Projekts angedeutete Laborsituation muss also nicht zwangsläufig hergestellt werden, um mit unterschiedlichen Vorstrukturierungen zu experimentieren. Nolda weist darauf hin, dass die Veränderung der Plazierung, wie sie von ihr unter anderem in der videobasierten Raumanalyse angewandt wurde, nicht nur auf die Interaktion in der Synthese offener Räume angewendet werden kann, sondern auch in institutionell strukturierten Settings wie traditionellen Lernräumen (Nolda 2006, 316). Gerade dort sind Irritationen möglich, die in offenen, flexiblen Räumen auch von Personen, die diese regelmäßig nutzen, vielleicht nicht bemerkt würden.

4.2.2 Vom Methodenmix zum iterativen Prozess In der Beschreibung der unterschiedlichen in der Literatur präsenten Kombinationen und Variationen verschiedener Methoden wird deutlich, dass solche Forschungsdesigns hinsichtlich der Betrachtung verschiedener Facetten von Lernwelten sehr ertragreich sein können. So identifizieren Bryant et. al. (2009) acht Themen des von ihnen untersuchten Lernraums an der Loughborough University, die sich verschiedenen Facetten zuordnen lassen: Following analysis, eight broad themes were identified: collaborative study; individual study; intrusions and interruptions; Open3 as a social space; Open3 as as a public/private space; use of technology; diversity; and library staff/library materials. Aspects of the general, spatial organization of Open3 were also identified. (Bryant et al. 2009, 11)

Auch bei Brandt und Bachmann findet sich im Ergebnis der von ihnen beschriebenen explorativen Studie an der Universität Basel eine Aufzählung unterschiedlicher Facetten aus allen Feldern. Betont werden hier allerdings im Unterschied zu anderen Studien die unterschiedlichen Prozesse der Aneignung als für das Lernerlebnis der Studierenden zentrale Aspekte (Brandt/Bachmann 2016, 130). In vielen Studien werden explizit oder implizit Bezüge zwischen den Bereichen oder sogar einzelnen Facetten deutlich, die die ursprüngliche Frage-

4.3 Forschungsdesign



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stellung gar nicht berühren. So beziehen sich wesentliche Ergebnisse von Kinsley et al. (2015) nach eigener Aussage auf individuelle Facetten wie Identität und Aneignungsstrategien, aber auch auf raumbezogene Facetten wie Spacing, Funktionsbeziehungen und Atmosphäre. Interessant dabei sind die institutionellen Bezüge einmal zur Fachkultur in den Geistes- und Sozialwissenschaften aber auch zur ökonomischen Situation der jeweiligen Fachbereiche (Kinsley et al. 2015, 768). Speziell die mit Diversität assoziierten Facetten Identität (individuell) und kulturelles Umfeld (kontextbezogen) erweisen sich in allen Untersuchungen als schwer zu fassen. Thies et al. (2016) weisen in der Vorstellung ihrer interviewbasierten Evaluation neuer Lernräume an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe zwar auf die Bedeutung einer sich diversifizierenden Studierendenschaft für die Vorstrukturierung und Aneignung von Lernräumen hin, können diese aber in ihren Ergebnissen nicht herausarbeiten (Thies et al. 2016). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass ein iteratives Vorgehen im Methodenmix am besten geeignet scheint, mit Hilfe qualitativer Ansätze Aussagen über Lernwelten treffen zu können. Iterativ vorzugehen bedeutet hier, die gesammelten Daten auszuwerten und die auf diese Weise aufgestellten Hypothesen durch weitere Daten zu überprüfen, wie dies als Strategie aus der datengestützten Theoriebildung bekannt ist. Ein solches Vorgehen wäre auch geeignet, die im hier vorgeschlagenen Modell angegebenen Facetten empirisch zu überprüfen und so Änderungen oder Ergänzungen vorzunehmen. Daraus lassen sich einige generelle Überlegungen zu einem Forschungsdesign für die Untersuchung der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek ableiten.

4.3 Forschungsdesign Die insbesondere anhand von Studien in Wissenschaftlichen Bibliotheken herausgearbeitete Forderung nach einem iterativen Forschungsdesign, dass durch Methodenmix einerseits Triangulation ermöglicht und andererseits viele Facetten einer Lernwelt abdecken kann, ist für die Raumforschung kein unübliches Verfahren. So sieht zum Beispiel auch Sturm in einem Methodenmix die geeignete Herangehensweise an Raumanalysen. Sie begründet dies mit der generellen Differenziertheit von Räumen und den dynamischen Wechselwirkungen zwischen Individuen und sozialen Objekten im Raum (Sturm 2000, 185–186).

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4.3.1 Handlungs- und Wahrnehmungsmuster erkennen Sturms Übernahme von Parsons Handlungsbezugsrahmen ist für den Zusammenhang der Konstitution von Raum genau dort von Interesse, wo Raum und Handlung miteinander verknüpft sind: Einmal in Bezug auf die Syntheseleistung selbst und natürlich auch, wenn Aneignung als Handlung verstanden wird. Sturm ordnet Handelnde, Zweck des Handelns, Handlungssituation und normative Orientierung den vier Quadranten ihres in Kapitel 3.4.3 erwähnten methodologischen Raummodells zu. Weiter gedacht könnte dies helfen, die enge Beziehung zwischen der Konstitution von Räumen, den Handelnden und ihren Absichten, der Plazierung und der intentionalen Vorstrukturierung zu verstehen (Sturm 2000, 195). Sturm stellt anhand dieses Quadrantenmodells vier Sets von Untersuchungsfragen auf, die sich wie folgt zusammenfassen lassen: – sinnlich wahrnehmbare Elemente, Atmosphäre und Reflektion der eigenen Einstellungen und Erwartungen dazu, – Plazierungen, Ordnungsmuster und damit verbundene normative Setzungen und deren Kontrolle, die institutionell vorgegeben sind, – Interaktion und aneignende Handlungen der anwesenden und nicht anwesenden Individuen und – vorgegebene Anordnung der sozialen Objekte, deren symbolische Bedeutungen und die damit verbundene Intention (Sturm 2000, 202–203). Mit solchen Fragesets lassen sich spezifische Muster in Bezug auf Wahrnehmung und Aneignung der Räume in ihren verschiedenen Facetten erkennen und beschreiben, die in weiteren Untersuchungsschritten evaluiert und weiterentwickelt, aber auch verworfen werden können. Einen ähnlichen, aus der Urbanistik entlehnten Ansatz verfolgt Edinger, wenn sie den Einfluss von vorstrukturierten Räumen auf das Wahrnehmungshandeln mithilfe von Verhaltensmustern untersucht und dies auf Bibliotheksräume überträgt, die sie aber aus der übergeordneten Perspektive der Wissensräume heraus betrachtet (Edinger 2016, 95). Die Identifikation und anschließende Verifizierung von Handlungs- und Verhaltensmustern in einem iterativen Vorgehen scheint gerade aufgrund des Doppelcharakters der Aneignung von Lernräumen ein vielversprechender Ansatz zu sein. Das im erwähnten Karlsruher Projekt ‚Studierkulturen‘ gewählte Verfahren von Logbüchern führte in einer dreistufigen Auswertung nach Gruppenzugehörigkeit (Identität), Typologie der Aneignung (raumbezogen) und Organisation des Studiums (Lernprozess) zur Identifikation von Nutzungsmustern, mit deren Hilfe sich die Ergebnisse strukturieren ließen (Templin/Kunz 2016, 148).

4.3 Forschungsdesign



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Um in einem solchen Ansatz möglichst viele Facetten erkennen und beschreiben zu können, ist es allerdings notwendig, entsprechend vielseitig in der Auswahl der Methoden vorzugehen. Dass dies möglich ist zeigt unter anderem das Projekt Lernraum Bibliothek an der Universitätsbibliothek Rostock mit 33 methodisch sehr differenzierten Teilprojekten (Ilg 2016, 348). Auch an der Auraria-Library in Denver wurde im Zuge eines Projekts zur Evaluation von Lernräumen ein Methodenmix gewählt, wie man ihn inzwischen auch aus Beispielen im deutschsprachigen Raum kennt: Spontane Notizen des Servicepersonals, Beobachtung von Nutzungssituationen in dafür eingerichteten Bereichen, offene Flipcharts mit Eingangsfragen, Online-Befragung zu Bibliotheksräumen und -services, Spontane Fokusgruppen. Später kamen noch Aktivitäten wie Entwürfe durch Architekturstudierende und ein an das Charrette-Verfahren abgelehnter Perspektivenworkshop hinzu (Brown-Sica 2012, 221–222). Die Besonderheit dieses Projekts lag aber in der direkten Beteiligung der Studierenden an der Studie nach dem Modell des Participatory Action Research (PAR).

4.3.2 Die Lernenden beteiligen Definitions of Participatory Action Research (PAR) commonly state that the subjects of the study perform some of the research and/or interpret the data themselves, with the aim of learning from the process to generate evidence to improve an existing problem. (BrownSica 2012, 220)

Im hochschulischen Kontext liegt es natürlich nahe, Studierende in die entsprechenden Studien einzubeziehen. Die besondere Chance liegt hier in der Doppelrolle, die sie als Lernende und Peers anderer Lernender einerseits und als angehende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler andererseits spielen. Diese Doppelrolle gilt es andererseits aber auch zu reflektieren, um unerwünschte Effekte und verfälschte Ergebnisse zu vermeiden. Die direkte Beteiligung der Studierenden bedeutet darüber hinaus, das Konzept von selbstorganisiertem Lernen, das der hier gegebenen Definition der Wissenschaftlichen Bibliothek als Lernwelt zugrunde liegt, ernst zu nehmen. Participatory Action Research (PAR) was selected as the most appropriate methodology. This action-oriented approach promotes the very learning that it intends to further in reinvented library facilities. In particular, collaborative inquiry processes foster self-evaluation, engage participatory problem solving, and advance professional development. (Brown-Sica 2012, 218)

Die beteiligten Studierenden eignen sich als Mitglieder des Projektteams neben einem Methodenwissen gleichzeitig akademische und professionelle Kompeten-

154  4 Empirische Annäherungen

zen an. In dieser Weise wurden Studierende bisher insbesondere bei Projekten beteiligt, die im Rahmen von oder in Kooperation mit bibliothekarischen Ausbildungsgängen durchgeführt wurden. Wissenschaftliche Bibliotheken selbst greifen am ehesten dann auf studentische Mitarbeit zurück, wenn spezifische Kenntnisse oder Ressourcen in der Durchführung und Auswertung der Studien benötigt werden. Aber auch in solchen Fällen lassen sich die beschriebenen Effekte nutzbar machen, wenn man sie reflektiert und die Bereitschaft mitbringt, die Studierenden als gleichberechtigte Mitglieder eines Projektteams zu beteiligen. Am konsequentesten wurde der partizipative Ansatz bisher im erwähnten Langzeitprojekt an der Universitätsbibliothek Rostock umgesetzt, wo Studierende nicht nur in den einzelnen Teilprojekten beteiligt wurden, sondern als studentische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter direkt im Projektteam mitwirkten, wodurch gleichzeitig eine Kontinuität in der Mitwirkung hergestellt wurde (Ilg 2016, 347–348). Auffällig ist in der Gesamtschau, dass die gleichzeitige räumliche Ausdehnung von Lernwelten sowohl im physischen als auch im digitalen Raum nur in wenigen Fällen und oft nur in einzelnen Facetten empirisch betrachtet wird, obwohl viele der erwähnten ethnografischen Ansätze und, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, auch der Herangehensweisen in Konzeption und Planung deutlich von der IT-Entwicklung in Bibliotheken beeinflusst sind. Insofern bildet sich die Konvergenz digitaler und physischer Räume in den vorliegenden Studien nicht oder nur in Ansätzen ab. Dies wäre für zukünftige Projekte unbedingt zu berücksichtigen. Ein vollständiger Katalog von Methoden im Sinne einer Toolbox ist ebensowenig das Ziel dieses Kapitels, wie eine vollständige Auswertung aller vorliegenden Studien zum Thema. Zusammenfassend möchte ich aber folgende Prinzipien zur Entwicklung eines Forschungsdesigns für die Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek festhalten: – explorativ: Unvoreingenommen und wenig vorstrukturiert, – differenziert: Der Forschungsfrage angemessener Mix unterschiedlicher Methoden, – iterativ: Schrittweises Vorgehen, das Ergebnisse im Prozess evaluiert und daraus Muster ableitet, die wiederum überprüft werden, – flexibel: Anpassung der gewählten Methoden und Schritte bei Bedarf, – angemessen ausgestattet: mit Zeit und Ressourcen und – partizipativ: Beteiligung der Lernenden als Teil ihres Lernprozesses. Es wird deutlich, dass in diesem Gefüge sowohl quantitative als auch qualitative Methoden ihren Platz haben. Ich würde aber die oben aufgestellte These, dass quantitative Methoden in Form von Befragungen erst im Verlauf einer Stu-

4.3 Forschungsdesign



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die angewandt werden sollten, etwa um Ergebnisse zu überprüfen oder erkannte Muster zu evaluieren, an dieser Stelle noch einmal stärken. Allerdings sind die Sammlung und Auswertung statistischer Daten als Grundlage für eine Studie auf jeden Fall angeraten.

5 Voraussetzungen Wenn Long und Ehrmann wie in Kapitel 3.4 zitiert von der Lernwelt Hochschule als einem Betriebssystem sprechen, dann bedeutet dies nicht nur eine Abwendung vom Behälterraum, sondern insbesondere auch eine Betonung des prozesshaften Charakters, den Lernwelten und die mit ihnen verbundenen Lernräume im Beziehungsgeflecht von Individuum, Lernprozess, Raum und Kontext haben. Konzeption, Gestaltung und Management von Lernwelten müssen sich daher daraufhin befragen lassen, welche pädagogischen, baulichen und betrieblichen Voraussetzungen ein neues Konzept von selbstorganisiertem und technisch integriertem Lernen benötigt. Lee und Tan sehen hier schon 2013 eine dramatische Wende in der Gestaltung hochschulischer Lernwelten: Over the past decade, shifts in higher education curriculum and pedagogical approaches, along with an increasingly diverse and technology-socialized generation of students, have prompted a re-examination of where, when, and how learning occurs in a university environment. As a result, campus design historically centered on the development of standardized, functional classroom, and lecture spaces has rapidly refocused on informal and technologically-enriched spaces. (Lee/Tan 2013, o. S.)

Andere Autorinnen und Autoren teilen, wie in diesem Band schon mehrfach zitiert, diesen Optimismus nicht. Zumindest im deutschsprachigen Raum klaffen der Gestaltungsanspruch an hochschulische Lernwelten, die Planungspraxis und die gebaute Wirklichkeit tatsächlich oft weit auseinander, wie insbesondere auch aktuelle Bauten und Entwürfe für Wissenschaftliche Bibliotheken zeigen.13 Ob und wie weit diese Räume tatsächlich als Lernwelten gestaltet sind, zeigt ein Vergleich mit den von Arnold und Erpenbeck formulierten Anforderungen an Räume für selbstorganisierte Lernprozesse: Konkret bedeutet dies, dass Hochschulen vielfältige Lernräume („Frames“) gestalten müssen, in denen aktive Suchbewegungen, selbstgesteuerte Aneignungen, sowie probehandelnde Problemlösung geübt, verändert und routiniert werden können. (Arnold/Erpenbeck 2014, 93, H. i. O.)

Genauso wie die Raum und Wissen konstituierenden Aneignungsprozesse der lernenden Individuen nicht statisch sind, sollten dies auch die räumlichen Umgebungen nicht sein, die an der Vorstrukturierung dieser Prozesse beteiligt sind. Abgesehen davon, dass ein relationales Raumkonzept sowieso keine statischen Räume kennt, muss sich dies auch in der Gestaltungspraxis spiegeln. 13 Die Situation ist hier in der Tat sehr vielfältig, wie ein Blick auf drei herausgegriffene Beispiele wie die UB Freiburg, die UB Marburg und das Philologicum der LMU München zeigt. https://doi.org/10.1515/9783110402025-005

5 Voraussetzungen



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Eine Konzentration auf den physischen Raum in Sinne eines Behälterraums genügt auch bei der baulichen Konzeption von Lernwelten also nicht. Konrad und Traub sehen in „komplexen, ganzheitlichen Lernumgebungen“ die Voraussetzung für gelingende selbstorganisierte Lernprozesse (Konrad/Traub 2001, 26). Als Ermöglichungsräume müssen sie geeignet sein, Motivation zu fördern. Dies wird auch vom National Research Council als eine zentrale Aufgabe von Lernräumen genannt (National Research Council 2018, 109). Verantwortlich für die Gestaltung solcher Arrangements sind die jeweiligen institutionellen Akteurinnen und Akteure, denen eine wichtige Syntheseleistung zukommt. Hier sei noch einmal an Löws Unterscheidung von drei Formen der Synthese erinnert: – Abstraktion, d. h. eine Synthese in der Vorstellung, etwa beim Arrangement sozialer Güter in der planerischen Gestaltung, – Wahrnehmung, d. h. eine Synthese, die in der Regel die sozialen Güter und Menschen mit dem Ort zu einem Arrangement zusammenbringt, – Erinnerung, d. h. eine Synthese, die ein bestimmtes Arrangement als Gedächtnisinhalt bewahrt und situativ wieder abrufen kann. Während die abstrahierte Vorstellung soziale Güter, Menschen und Orte voneinander trennt, verschmelzen Orte, Menschen und soziale Güter in der Wahrnehmung und tendenziell auch in der Erinnerung. Löw berührt hier einen Grundkonflikt, der insbesondere in der Stadt- und Landschaftsplanung, aber in der Gestaltung von Lernräumen immer wieder sichtbar wird (Löw 2001, 199–200). In der Übertragung auf hochschulische Lernräume drückt sich dies in der Planungsperspektive aus. It is surely desirable that the entire campus serve institutional mission by being a learning space, but when one looks at much of non-classroom campus space, its design is more likely to respond to the concerns of service providers – in residence and dining halls and in computer laboratories – than to the needs of students as learners. This has been demonstrably the case in libraries. (Bennett 2011, 765)

Im Gegensatz zur optimistischen Einschätzung von Lee und Tan sieht Bennett weder den Anspruch verwirklicht, den ganzen Campus als Lernwelt zu gestalten, noch sieht er insbesondere in der Gestaltung Wissenschaftlicher Bibliotheken eine Zentrierung auf die lernenden Individuen. Wie schon gezeigt wurde, lässt sich dies historisch darauf zurückführen, dass Wissenschaftliche Bibliotheken innerhalb ihrer Institutionen eine Funktion als Speicher und Verteiler von Verbreitungsmedien hatten und in Bezug auf das Lernen häufig immer noch einer input-orientierten Logik folgen, die die verfügbaren Informationen mit Bedeutung auflädt und zur Nutzung bereitstellt. Für Arnold liegt die Zukunft von Lernräumen in einer Abwendung von solchen Präsentationslogiken:

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Bildungsräume sind nicht bloße Lern- oder Trainingsräume. In ihnen steht vielmehr die Individualität des Lernenden selbst im Mittelpunkt, d. h. seine Fähigkeit zum selbstgesteuerten Lernen und zur selbstwirksamen Sorge um den eigenen Kompetenzfortschritt. Deshalb drücken Bildungsräume in ihrer Architektur auch keine Präsentationslogik aus, sondern eine Entdeckungs- und Erfahrungslogik. Lernende finden in ihnen Ansprache, Begleitung und Unterstützung – nicht nur in persönlichen und lernstrategischen, sondern auch in fachlichen Fragen. (Arnold 2015, 43–44)

Über die Verantwortung für die Gestaltung hinaus spricht Arnold hier auch eine Verantwortung in der räumlichen Praxis, also planerisch ausgedrückt dem Betrieb der Räume an. Im Folgenden soll zunächst auf die unterschiedlichen Rollen in diesen Prozessen eingegangen werden, bevor sowohl der Konzeptionsund Planungsprozessen als auch der Betrieb näher in den Blick genommen werden.

5.1 Raumpraxis als didaktische Intervention Setzt man die im Modell der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek abgebildeten Zusammenhänge von lern- und raumbezogenen Aneignungsprozessen voraus, werden alle Akteurinnen und Akteure, die an der Synthese von Räumen beteiligt sind, immer auch zu didaktischen Akteurinnen und Akteuren: Institutions of higher education are charged with fostering specific kinds of learning: higher-order thinking abilities, communication skills, and knowledge of the ways of disciplinary experts, to name a few. Educators must create structures that support this learning. Space can have a powerful impact on learning; we cannot overlook space in our attempts to accomplish our goals. (van Note Chism 2006, 2.3)

Diese Rolle aktiv anzunehmen, setzt allerdings voraus, sich die sich daraus ergebende Verantwortung bewusst zu machen. Gerade in Bezug auf Bibliothekarinnen und Bibliothekare, die in der offiziellen Rollenzuweisung an deutschen Hochschulen als ‚nichtwissenschaftliches‘ oder ‚technisches und Verwaltungspersonal‘ geführt werden, besteht schnell die Gefahr, sie folgerichtig auch als nicht verantwortlich für den Lernprozess der Studierenden zu sehen. In einer verkürzten Wahrnehmung wird das Angebot mehr oder weniger geeigneter Infrastrukturen für das selbstorganisierte Lernen mit dem Lernen selbst verwechselt: It is the trap of mistaking the things of learning for learning itself. We know how mistaken our previous assumption was that if one gives good lectures, students will learn. We are making a parallel mistake today in believing that if we provide a learning commons or

5.1 Raumpraxis als didaktische Intervention 

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collaborative learning spaces or a lot of high-end technology, students will learn – and we will have met our obligations to the learning mission of our colleges and universities. (Bennett 2015, 220)

So sehr das Spacing zur Vorstrukturierung der Konstitution von Raum und Lernen beiträgt, so wenig geben die Akteurinnen und Akteure anschließend die sich daraus ergebende didaktische Verantwortung ab. Diese didaktische Verantwortung bedeutet aber andererseits nicht, dass die räumliche Vorstrukturierung durch eine darüberhinausgehende Vorstrukturierung des Lernprozesses ergänzt wird, wie dies die klassische Rolle von Lehrenden wäre. Vielmehr geht es darum, Lernen zu ermöglichen und eine die Lernenden motivierende und unterstützende Umgebung zu schaffen. Hier trifft das zu, was Stang für Lernprozesse generell feststellt: Betrachtet man die Entwicklung der Lerntheorien und deren aktuelle Rezeption, zeichnet sich zunehmend ein Fokus bei der Betrachtung von Lernprozessen auf die Lernenden/die Individuen ab, die ihr Lernen selbst gestalten. Dieses Lernen kann angeregt und begleitet, aber letztendlich nicht durch pädagogische Interventionen programmiert werden. Schließlich lernt der Mensch immer, doch die Qualität von Lernprozessen hängt eben auch davon ab, wie sinnvoll diese von den Lernenden erachtet werden. (Stang 2016, 36– 37)

Es geht also letztendlich darum, eine Doppelrolle zu beschreiben: In der Syntheseleistung des Spacing werden Räume vorstrukturiert, die wiederum die Vorstrukturierung des Lernprozesses mitbestimmen. Diese ist damit aber genauso wenig abgeschlossen, wie der Raum an sich statisch ist, sondern die didaktische Verantwortung erstreckt sich in der Folge darauf, sowohl die raumbezogenen Prozesse als auch das Lernen in einer Weise zu begleiten, die auf das lernende Individuum motivierend und fördernd wirkt, ohne es in seiner Autonomie des selbstorganisierten Lernprozesses einzuschränken. Um dies näher zu betrachten, soll zunächst auf die Rolle räumlicher Vorstrukturierungen im Lernprozess eingegangen werden, bevor die Frage in den Blick gerückt wird, wie eine auf den Raum bezogene Ermöglichungsdidaktik aussehen könnte.

5.1.1 Der Raum als ‚Pädagoge‘ – zwischen Vorstrukturierung und Aneignung Will man die Rolle der Vorstrukturierung des Raumes für den Lernprozess näher beleuchten, ist es sinnvoll, noch einmal auf den Doppelcharakter der Aneignung von Lernräumen zurückzukommen, wie er dem hier verwendeten Modell zugrunde liegt. Der Aneignungsprozess des Raumes resultiert letztendlich aus

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der individuellen Wahrnehmung, die für sich wiederum eine Syntheseleistung darstellt. Damit ist der Raum, auch in seiner Lokalisierung als Ort, immer spezifisch auf das Individuum bezogen. Im Ort liegen jedoch Bedingungen, die über die Möglichkeit zur Aneignung als Lernort mitentscheiden. Es gibt Bedingungen an Orten, die (eine bestimmte Form von) Lernen ermöglichen, nahelegen oder auch hemmen können. Pädagogisch gewendet: Diese Aneignungsbedingungen können sowohl innerhalb wie auch außerhalb pädagogischer Organisationen gezielt gefördert werden […] Wie in Bezug auf die Inhalte wird auch in Bezug auf die Aneignung von Orten als Lernort deutlich, dass Aneignung ein produktiver Prozess ist. Erst die Aneignung von Orten als Lernort macht diese Orte zu Orten des Lernens, auch wenn im Rahmen symbolischer Raumordnung und entsprechender räumlicher Inszenierungen bestimmte Orte als solche in besonderer Weise vorgesehen und entsprechend ausgewiesen sind. (Kraus 2014, 168–169)

Es ist demnach möglich, die von Kraus beschriebenen Aneignungsbedingungen so zu beeinflussen, dass sie bei möglichst vielen Individuen, die die Orte mit dem Ziel, dort zu lernen, aufsuchen, Lernprozesse anregen oder, im besten Fall eines positiven Triggers, sogar initiieren. Dass die Umgebung, in der Individuen lernen, für ihre Lernmotivation entscheidend ist, hebt auch das National Research Council hervor. Die Motivation zum Lernen wird demnach nicht nur durch die individuellen Lernerfahrungen, sondern noch durch andere Faktoren geprägt, zu denen insbesondere auch die Situation gehört, in der gelernt wird (National Research Council 2018, 111). Dies wird durch Ergebnisse der neurowissenschaftlichen Lernforschung bestätigt (Arnold 2009, 155). Wie bereits beschrieben, ist es jedoch so, dass sich die praktische Auseinandersetzung mit der Gestaltung von Lernräumen nur langsam diesen Erkenntnissen nähert. Dies liegt auch daran, dass der Zusammenhang von räumlicher Vorstrukturierung und erfolgreichen Lernprozessen nach wie vor wenig erforscht ist: Reviews of existing literature acknowledge that there is little research that clarifies what relationships might exist between the design of study spaces and the learning outcomes of students. (Crook/Mitchell 2012, 136)

Ein Ansatz, sich dieser Frage zu nähern wäre, die Prozesse der Aneignung und ihre Beziehung zueinander genauer anzusehen. Die These hierzu lautet, dass sich in der Aneignung des Raumes durch das lernende Individuum die Wahrnehmung desselben ausdrückt, die wie beschrieben unmittelbare Auswirkung auf die Motivation und für die Initiierung von Lernprozessen haben kann. Voraussetzung für die Aneignung eines Raumes als Lernort ist nach Kraus die bewusste Auseinandersetzung mit seiner Materialität, also letztendlich mit der Architektur, den Objekten und ihrer Plazierung, die den Raum vorstrukturiert

5.1 Raumpraxis als didaktische Intervention 

161

(Kraus 2015a, 25). Die Aneignung von Lernräumen geht über die alltägliche Konstitutionsleistung hinaus. Aneignung ist aber kein einmaliger Akt, sondern wird wiederholt und variiert. Dabei spielt, wie bei allen Syntheseleistungen, die Erinnerung eine wichtige Rolle. Genauso wie ein bestimmtes Arrangement erinnert und bei Bedarf wieder abgerufen werden kann, kann auch der entsprechende Akt der Aneignung wiederholt werden. Die erfolgreiche Wiederholung festigt so die Beziehung, die das Individuum zu dem spezifischen Lernraum hat und kann – bei entsprechend positiven Vorerfahrungen – die Motivation stützen. Da sich aber sowohl die individuellen Voraussetzungen als auch die Vorstrukturierungen, vor allem in Bezug auf die Anordnung der Menschen im Raum, ständig verändern, müsste folgerichtig auch die Aneignung in der Wiederholung variiert werden. Nolda schließt aus den Ergebnissen der von ihr vorgenommenen Videoanalysen, dass Aneigungen nicht nur in einer synchronen – in Hinblick auf die sich gleichzeitig im Raum aufhaltenden Lernenden –, sondern auch in einer asynchronen – in Hinblick auf die einzelnen nacheinander folgenden Aneignungen – betrachtet werden müssen (Nolda 2006, 324). Die Aneignung ist also Teil der räumlichen Praxis der Individuen, die vom Raum geprägt ist und diesen gleichzeitig prägt. Im Anschluss an Kraus lassen sich aus dieser räumlichen Praxis spezifische Handlungsmuster der Aneignung von instruktiven Lernräumen ableiten: – –



die Präparation von sozialen Gütern als raumaneignendes Handeln der Kursleitenden unter der Perspektive einer antizipierten Wissensvermittlung; der Wechsel der Kulisse durch den Austausch von alltags- mit kursbezogenen Requisiten auf Seiten der Teilnehmenden in einer Übergangsphase, die insgesamt durch geschäftige Momente – eben den Kulissenwechsel – und stille Momente der Konzentration auf vorhandene Wissensrepräsentationen gekennzeichnet ist; die Konstitution von teaching zone und learning zone über die Verteilung der teilnehmenden […] und den Einsatz medialer Wissensrepräsentation sowie die Konstitution eines spezifischen Verhältnisses der beiden Zonen zueinander über Bewegung, Abschreiten sowie Blicke, Sprache und adressierende Gesten. (Kraus 2015a, 28)

Ähnliche Akte der Aneignung werden auch in einigen der in Kapitel 4.2 erwähnten Studien genannt, allerdings nicht systematisiert. So fällt in fotografischen Dokumentationen, die auch der Autor schon durchgeführt hat, auf, dass Studierende ‚ihren‘ Arbeitsplatz in der Bibliothek oft aufwändig einrichten, also eine Präparation von sozialen Gütern vornehmen, die von Tag zu Tag immer ähnlich aussieht. Vor der Aneignung liegt aber die Wahrnehmung als Synthesehandlung, die den Raum konstituiert. Löw betont die sensorischen Aspekte der Raumkonstitution. Menschen und soziale Güter wirken durch Geräusche, Gerüche und Ober-

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flächen auch auf andere Sinne als das Sehen. Die Beeinflussung der Konstitution von Raum geschieht oft unbewusst und im Wortsinne unsichtbar (Löw 2001, 195). Im Gegensatz zur Anordnung von vorhandenen oder in den Raum mitgebrachten sozialen Gütern sind diese Aspekte durch das Individuum zumindest an öffentlichen Orten nur schwer zu beeinflussen.14 Hier verschränken sich raumbezogene Aspekte der Atmosphäre mit individuellen Bedürfnissen. Auch das National Research Council geht auf die Rolle des körperlichen Wohlbefindens für den Lernprozess ein. Neben Ernährung, Schlaf und Bewegung spielen auch andere Umweltfaktoren, die das körperliche Wohlbefinden beeinflussen, eine Rolle (National Research Council 2018, 30). Für die Gestaltung von Lernwelten bedeutet dies, sich insbesondere auch um die Facetten zu kümmern, die sich einer Aneignung durch das Individuum entziehen, und so eine lernförderliche Atmosphäre zu ermöglichen. Generell wird die Intensität der Aneignung – oder Aneignungsversuche – als ein Hinweis darauf gesehen, wie gut die Vorstrukturierung eines Lernraums geeignet ist, Lernen zu fördern und zu motivieren. So zieht Nolda aus ihren Beobachtungen der Aneignung instruktiver Lernräume das Fazit, dass zwischen dem pädagogischen Anspruch in der Gestaltung und den beobachtbaren Aneignungsakten eine Lücke klafft: Wenn die prinzipielle Differenz zwischen Raumpädagogik und pädagogischer Aneignung […] die Regel und nicht die Ausnahme ist, kann ein solcher Befund emphatisch als Beleg für die Autonomie von Lehrenden und Lernenden gefeiert werden, er kann aber auch umgekehrt zu Überlegungen reizen, wie denn die vorgegebene Vermittlung eher oder besser durchgesetzt werden kann. (Nolda 2006, 324)

Dies führt noch einmal auf den Befund zurück, dass klassische Lernräume nicht auf die Autonomie von Individuen in selbstorganisierten Lernprozessen setzen, sondern den Lernprozess in Richtung der Aufnahme bestimmter Informationen lenken wollen und zu diesem Zweck gerichtete, informationsarme Arrangements schaffen. Aufschlussreich ist hier, dass Nolda auf der Grundlage ihrer Beobachtungen explizit auch die Lehrenden in dieser Differenz sieht. Auch wenn es sich bei den von Nolda untersuchten Räumen um Weiterbildungseinrichtungen handelt, in denen Lehrkräfte oft sowieso mit mehr oder weniger optimalen Gegebenheiten umgehen müssen, haben Lehrende in der klassischen Hochschulplanung in der Regel auch wenig Einfluss auf das Spacing von Hörsälen und Seminarräumen. Dies trifft ebenfalls auf das Personal in Wissenschaftli14 Das aus der Büroraumplanung bekannte Konfliktpotential rund um Wärme, Kälte, Licht und Lüftung sei hier nur am Rande erwähnt. Aber auch hier geht es sehr häufig um Aneignungsakte und weniger um objektivierbare Bedürfnisse.

5.1 Raumpraxis als didaktische Intervention



163

chen Bibliotheken zu. Wirft man zur Abklärung der Wahrnehmung des Raumes also einen Blick auf die Aneignungsprozesse, so sollte man alle Individuen einbeziehen, die einen Raum nutzen. Arnold ruft dazu auf, die klassische Raumpädagogik hinter sich zu lassen und stattdessen pädagogische Räume zu gestalten. Pädagogische Räume sind somit optionsreiche Räume. Sie schließen nicht ein, sondern (er)öffnen vielfältige Möglichkeiten zur Auseinandersetzung, Vertiefung, Begegnung und zum Selbsterleben sowie zur Selbsttätigkeit. Sie steuern nicht intentional, sondern durch die Reichhaltigkeit ihres Kontextes. (Arnold 2015, 39–40)

Hier geht es nach wie vor um Ermöglichungsräume, die, anstatt das Lernen lenken zu wollen, dem Individuum im Wortsinne Raum lassen, den eigenen Lernprozess zu gestalten. Dabei sollen durch das Arrangement Anknüpfungspunkte für die Wahrnehmung des Raumes geschaffen werden, die Aneignungsprozesse erleichtern. Gleichzeitig muss die Atmosphäre motivationsfördernd sein und individuellen Bedürfnissen entgegenkommen. Die Raumpädagogik wird hier durch eine Didaktik des Arrangements ersetzt, die eben nicht bedeutet, sich jeden gestalterischen Eingriffs in den Raum zu enthalten, denn ein leerer oder unstrukturierter Raum bietet weder materielle Anknüpfungspunkte für die Wahrnehmung noch Atmosphäre. Dass eine stark reduzierte Vorstrukturierung zu Verunsicherungen führt, beschreiben zum Beispiel Stang und Strahl in Bezug auf das LearnerLab in Stuttgart. Die Erkenntnisse legen nahe, dass ‚leere‘ Räume nicht als Ermöglichungsräume wahrgenommen werden, sondern eine Aneignung eher behindern (Stang/Strahl 2016, 181). Es stellt sich die Frage, wie eine solche raumbezogene Didaktik aussehen könnte und wer sie verantwortet.

5.1.2 Didaktik des Arrangements Wie oben zitiert beschreibt Nolda, dass in der traditionellen Raumpädagogik für die Lehrenden ähnliche Verunsicherungen auftreten wie für die Lernenden. Es stellt sich also die Frage, wie es den als Beratenden und Anleitenden auftretenden Personen gelingt, sich gegebenenfalls gemeinsam mit den Lernenden zurechtzufinden, deren Erwartungen zu erfüllen und die individuelle Wahrnehmung und Aneignung, die beide Seiten ständig aktiv betreiben, konstruktiv zu nutzen (Nolda 2006, 324). Dies kann nur gelingen, wenn sich die Akteurinnen und Akteure dieser Verantwortung bewusstwerden und ihre Handlungen entsprechend reflektieren:

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Für die Gestaltung von Lernwelten spielen didaktische Konzepte eine entscheidende Rolle, auch wenn es nur darum geht, z. B. Lernräume einzurichten, sei es für gruppenorientierte Angebote oder für Angebote zum Einzellernen. Die didaktischen Konzepte hängen sehr stark von theoretischen Grundlagen ab, auf die sie bezogen sind. (Stang 2016, 49, H.i.O.)

Wenn hier im Zusammenhang mit der Gestaltung von Lernwelten über eine Didaktik des Arrangements gesprochen wird, so ist dies zwangsläufig eine Ermöglichungsdidaktik. Zuerst geht es darum, eine positive, differenzierte Wahrnehmung und Atmosphäre zu erzeugen, die die raumbezogene Aneignung erleichtert und damit zweitens gleichzeitig selbstorganisiertes Lernen als Aneignungsprozess motiviert oder sogar initiiert. Letztendlich sollte im Sinne des Doppelcharakters raumbezogener und wissensbezogener Aneignung in Lernräumen ein Bezug zu den entsprechenden Kompetenzen hergestellt werden. Arnold spricht in diesem Zusammenhang von einer „Kompetenzdidaktik“, die einer informellen „Aneignungslogik“ folgt (Arnold 2016b, 36). Dies bedeutet insbesondere, dass die lernenden Individuen mit ihren Bedürfnissen, ihren Motiven und Zielen, aber auch mit ihren Vorerfahrungen und ihren Lernstilen in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken müssen. Damit unmittelbar verbunden ist die Frage, wem der Raum ‚gehört‘: The greatest challenge in designing a learning commons is to conceive of it as “owned” by learners, not by teachers, whether faculty or librarians. A learning commons must accommodate frequently changing learning tasks that students define for themselves, not information-management tasks defined and taught by library or academic computing staff. (Bennett 2003, 39, H.i.O.)

Bennett beantwortet die Frage nach der ownership relativ eindeutig, indem er feststellt, dass Räume für selbstorganisiertes Lernen den Studierenden gehören. Er stellt aber an anderer Stelle fest, dass damit eine pädagogische beziehungsweise didaktische Verantwortung für den Raum verbunden ist, die aus seiner Sicht gerade von nichtwissenschaftlichem Personal nicht oder nur eingeschränkt wahrgenommen wird: Presence involves issues not only of ownership but also of pedagogy. Student services staff are most likely to see their work as fundamentally rooted in issues of pedagogy, whereas librarians and academic technology staff may often think of their work as fundamentally involved with service delivery. (Bennett 2015, 227)

Dies deckt sich nicht vollständig mit den Beobachtungen des Autors, macht aber deutlich, dass zur Didaktik des Arrangements auch die Aneignung einer

5.1 Raumpraxis als didaktische Intervention 

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entsprechenden didaktischen Kompetenz durch die für den Raum verantwortlichen Personen gehört. Diese Didaktik sollte, im Sinne einer agilen Didaktik das Ziel verfolgen, auf einer gemeinsamen kommunikativen Basis die Autonomie der lernenden Individuen zu fördern (Arn 2016, 27). Dazu gehört auch eine Rollenklarheit. Das nichtwissenschaftliche Personal gehört, genauso wie Lehrende, zu den Personen innerhalb einer Hochschule, die von Studierenden als Wissensträgerinnen und Wissensträger gesehen und angesprochen werden. Daher muss es in der ihm hier zugeschriebenen Verantwortung auch entsprechend unterstützt werden, um Studierenden über das Lernen als Aneignung von Wissen auch die Aneignung akademischer Kompetenzen zu ermöglichen. The challenge is to think carefully and deeply about the relationship of students to staff, of novices to experts. The challenge is to think about communities of practice and how students are drawn into those communities, how they cross the thresholds of knowing. (Bennett 2015, 227)

Dies geschieht am besten dadurch, dass Studierende das erworbene Wissen als viabel erleben und im Lernprozess positive Erfahrungen machen. Mit Siebert ließe sich abschließend sagen, dass der entscheidende Beitrag darin liegt, ermöglichende Lernarrangements zu gestalten, in denen solche Erlebnisse stattfinden können. Intentional erzeugen lassen sich die Erlebnisse selbst allerdings nicht (Siebert 2005, 44). Entscheidend für eine Didaktik des Arrangements ist, dass die Akteurinnen und Akteure die beschriebene Verantwortung in Gestaltung und Betrieb übernehmen, gleichzeitig aber nicht der Idee verfallen, sie könnten mit bestimmten Arrangements vorhersagbare Ergebnisse erzielen. Erfolgreiche Intervention in den Lernprozess setzt nach Arnold immer eine Verabschiedung von der in Kapitel 4.1 beschriebenen Wirksamkeitsillusion voraus. Grundlage dafür ist die Einsicht, dass Interventionen zwar immer eine Wirkung haben, diese sich aber aufgrund der autopoietischen Struktur selbstorganisierten Lernens nicht zuverlässig voraussagen lässt. Selbstbestimmung der Lernenden fängt dort an, wo die für Lernarrangements Verantwortlichen sich von einem solchen linearen Wirksamkeitsdenken verabschieden (Arnold 2016a, 65). Entscheidend ist also die Balance zwischen der Autonomie der lernenden Individuen einerseits und der angemessenen Verantwortung für Planung und Betrieb andererseits. So kommen Crook und Mitchell in ihrer bereits zitierten Studie unter anderem zu dem Schluss, dass Studierende sich zwar ihrer Autonomie in der Aneignung von Lernräumen bewusst sind, sie sich aber trotzdem Nutzungshinweise wünschen, um ihren Lernprozess zu verbessern und sich damit letztendlich auch Kompetenzen im Umgang mit Lernräumen anzueignen

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(Crook/Mitchell 2012, 137). Dabei hat die Möglichkeit der Kontrolle der Lernumgebung unmittelbaren Einfluss auf Lernmotivation und -erfolg. Dies trifft nicht nur für die Beteiligung im Bereich der Gestaltung des Unterrichts in formalen Lernarrangements zu, sondern auch für die Gestaltung von Lernwelten (National Research Council 2018, 117). Es stellt sich die Frage, wie Arrangements, die gleichzeitig Autonomie fördern und Unterstützung ermöglichen, konzipiert werden können. Für Kraus hängt das Gelingen der Gestaltung solcher Lernwelten von der spezifischen Konstellation der Elemente Wissensträger, Infrastruktur, sozialer Zusammenhang und Atmosphäre ab, die zum Lerngegenstand und zur lernenden Person stimmig sein müssen (Kraus 2015a, 29–30). Arnold ergänzt diese Lernendenzentrierung um die Facetten der Orientierung an individuellen Bedürfnissen und der sozialen sowie digitalen Netzwerke (Arnold 2015, 45). Der Frage, wie sich diese Forderungen auf die Konzeption und Planung der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek übertragen lassen, wird im folgenden Kapitel nachgegangen.

5.2 Konzeption und Planung Wenn im Zusammenhang mit den Lernräumen der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek über die Konzeption und Planung geschrieben wird, dann geht es weder darum, handbuchartig eine Anleitung zu verfassen, noch darum, Good Practice im Bibliotheksbau beziehungsweise in den damit verbundenen Planungsprozessen aufzuzählen. Wissenschaftliche Bibliotheken sind eine Bauaufgabe, die weit über die Lernwelten hinausgeht: Räumlich, weil es sich um Gebäude mit vielen Funktionen handelt, ideell, weil Wissenschaftliche Bibliotheken Wissensräume sind und die Lernräume sowohl ein Teil des Wissensraums sind als auch Teil der Lernwelt und kontextbezogen, weil Wissenschaftliche Bibliotheken immer in einem institutionellen Rahmen verortet sind; im Falle von Hochschulbibliotheken als Teil der Institution Hochschule. Nicht zuletzt wäre eine Beschränkung auf den gebauten Raum auch deshalb unterkomplex, weil im Rahmen der Lernwelten immer auch deren Ausdehnung im digitalen Raum betrachtet werden muss. Im Folgenden wird daher von den genannten Aspekten ausgegangen, wobei das Lernen natürlich im Mittelpunkt steht. Kraus spricht von einer „Schutzfunktion der Raumplanung für das Lernen“, demnach erleichtern vorgeprägte Anordnungen die individuelle Einstellung auf den Lernprozess (Kraus 2015a, 17). An dieser Stelle soll die Frage der Materialität im relationalen Raumkonzept noch einmal in Erinnerung gerufen werden:

5.2 Konzeption und Planung 

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Soziale Güter, genauer primär materielle Güter, entfalten wie Menschen eine symbolische Wirkung auf der Basis ihrer materiellen Struktur. […] Das heißt, soziale Güter werden unterschiedlich zu Räumen synthetisiert […] Die Plazierungen unterscheiden sich ebenfalls nach Material und dessen symbolischer Wirkung. (Löw 2001, 193)

Die oben beschriebenen didaktischen Arrangements sind also zuallererst Synthesehandlungen in Form der Anordnung von sozialen Gütern entsprechend einer ihnen zugeschriebenen symbolischen Wirkung. Planung bedeutet in diesem Sinne eine abstrakte Syntheseleistung, bei der ausgehandelt wird, welche Güter dies sind, welche symbolische Wirkung man ihnen zuschreibt und wie sie arrangiert werden sollen. Diese Abstraktion birgt die Gefahr einer mangelnden Reflektion in sich, die Bennett als Falle des Planungsprozesses bezeichnet: To improve, indeed to transform planning libraries for learning, we must become conscious of the chief vulnerability of our planning process and of the self-imposed trap into which our planning regularly falls. The vulnerability is planning driven by the wrong priorities, while the trap is thinking with metaphors rather than about metaphors. These process errors produce libraries that fall short of realizing their full impact on institutional mission. (Bennett 2015, 225, H. i. O.)

Will man schon auf der Ebene der Konzeption und Planung die räumlichen Paradigmen verändern, ist es notwendig, die symbolischen Zuschreibungen zu hinterfragen und theoretisch zu durchdringen, anstatt sie in das eigene Synthesehandeln zu übernehmen und gegebenenfalls neu zu arrangieren. Boys nennt die theoretisch nicht reflektierte Herangehensweise „Beanbag-Approach“, weil diese davon ausgehe, dass einige zeitgemäße beziehungsweise komfortable Gestaltungselemente ausreichend seien, um selbstorganisiertes Lernen in der Hochschule zu unterstützen (Boys 2011, 25). Und tatsächlich konzentrieren sich auch im deutschsprachigen Raum viele Beschreibungen neuer Wissenschaftlicher Bibliotheken als Lernort oder Lernraum auf Einrichtungsaspekte und nicht auf etwaige didaktische Konzepte, die hinter der entsprechenden Einrichtung stehen. An dieser Stelle lohnt sich ein Blick zurück auf die beschriebenen Konstitutionsmechanismen. Schroer (2006) betont in Bezug auf die Syntheseleistung von Räumen generell die prägende beziehungsweise strukturierende Wirkung, die Vorstrukturierungen auf Kommunikation und Verhalten haben. Er denkt dabei insbesondere an solche Räume, die für bestimmte Zwecke geschaffen sind. Wie auch Löw bezieht er sich auf die Fähigkeit von Menschen, solche Arrangements zu erinnern, also aus dem Wahrnehmungsgedächtnis abzurufen. Er hebt aber hervor, dass es nicht die Räume als physikalische Tatsachen beziehungsweise geographische Orte sind, die das Verhalten beeinflussen, sondern die Be-

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deutung, mit der diese Räume aufgeladen sind und die von Individuen, die diese Bedeutung gelernt haben, unbewusst aufgerufen wird, wenn sie solchen Raum betreten. Solche vordefinierten Arrangements helfen einerseits, sich einfacher in eine Situation hineinzufinden oder die kommunikativen Rollen zu verteilen (siehe dazu Kapitel 3.4). Da die Zuschreibungen aber immer auf einem Konsens beruhen, ist es nach Schroer andererseits auch möglich, sie zu ändern, indem man sie bewusstmacht und/oder den Raum umarrangiert (Schroer 2006, 176–177). Eine theoretische Reflektion der Planung als aktive Syntheseleistung gibt den Akteurinnen und Akteuren die Freiheit zu entscheiden, welche Elemente sie bewusst in den Transformationsprozess einbringen wollen und an welchen Stellen sie neue Setzungen vornehmen. Der Einfluss, der mit dem Spacing verbunden ist, bedeutet aber auch, dass die mit der Planung verbundenen Aushandlungsprozesse immer auch mit der Aushandlung von Machtverhältnissen zu tun haben; diese sind nach Löw Planungsprozessen immanent (Löw 2001, 228). Wie in Kapitel 3.4.2 erläutert, ist auch die Planungspraxis an deutschen Hochschulen noch immer sehr stark von Aushandlungsprozessen geprägt, die traditionelle Machtverhältnisse reproduzieren, indem sie Flächenkonkurrenzen aufmachen und den Zugriff auf die Ressource Raum vor didaktische und organisatorische Überlegungen stellen. Dass Lernraumkonzepte in einem hochschulweiten Abstimmungsprozess gemeinsam entwickelt werden, wie das von Ninnemann et al. für die SRH Hochschule Heidelberg geschildert wird, ist bisher die Ausnahme (Ninnemann et al. 2020, 182). Bei der Betrachtung der Konzeption und Planung der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek sollte daher als erste Dimension auch der institutionellen und räumlichen Kontext in den Blick genommen werden, bevor die Konvergenz digitaler und physischer Räume und abschließend ein partizipativer Ansatz beleuchtet wird, der die beschriebenen traditionellen Machtverhältnisse in der Planungspraxis hinter sich lässt.

5.2.1 Lernwelt Campus – Lernen im Mittelpunkt? Zu den von Daigneau et al. identifizierten Megatrends im Hochschulbau gehört auch das Thema Lernräume als eine zentrale Dimension der Lernwelt Hochschule (Daigneau, et al. 2005). In Kapitel 4.1.1 ist anhand der von HIS-HE erstellten Studie zum Selbststudium schon deutlich geworden, dass es im Umfeld der Hochschulplanung schwierig ist, eine lernendenzentrierte Perspektive zu etablieren, die selbstorganisiertes Lernen und relationale Raumkonzepte in allen Facetten mitdenkt. Dies hat auch mit Verständigungsschwierigkeiten der Betei-

5.2 Konzeption und Planung



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ligten in Planungsprozessen zu tun, die Boys aus der Sicht der Hochschulplanerin wie folgt beschreibt: For estates teams, stereotypes of academics, learning support and other administrative staff can be equally strong. They are seen as ‘claiming’ spaces just in case they might need them, but not being capable of articulating what they need them for or being able to describe what kinds of alternative spaces they require. Estates teams perceive the academics as being unwilling or unable to negotiate, unable to appreciate the strategic issue of costs, and generally being resistant to change of any sort. (Boys 2011, 131, H. i. O.)

Hochschulleitungen tendieren in diesem Zusammenspiel zudem dazu, mit spektakulären Architekturen die Marke ihrer Hochschule stärken zu wollen und glauben dabei gleichzeitig dem empirisch nicht belegbaren Mythos, dass solche Gebäude die Wahl des Studienortes entscheidend mit beeinflussen würden (Daigneau et al. 2005). Aber auch diejenigen, die sich mit den räumlichen Bedarfen für selbstorganisiertes Lernen auseinandersetzen, bringen zusätzliche Unsicherheiten mit, da sie aufgrund der Unvorhersehbarkeit solcher Lernprozesse und des individuellen Verhaltens keine sicheren Aussagen hinsichtlich der Zukunft machen können, was aus Sicht der Planung allerdings keine Option ist (Given 2007, 182). Auswege liegen in der Abwendung von isolierten, fakultäts- beziehungsweise institutionenspezifischen Betrachtungen hin zu einem Blick auf den gesamten Campus und die Beziehungsnetzwerke der verschiedenen Lernwelten untereinander. Dies erfordert aber eine Überwindung traditioneller Konkurrenzen und Machtstrukturen durch neue Formen der Zusammenarbeit und übergreifende Konzepte, wie sie auch von Aschinger im Fazit der Expertinnen- und Expertenbefragung des Projektes Lernwelt Hochschule von Akteurinnen und Akteuren der Hochschulplanung gefordert werden: Insgesamt zeigt sich im Bereich der physischen Lernräume, dass die Gestaltung und Koordinierung der Räumlichkeiten eine komplexe Aufgabe darstellt. Um ein bedarfsgerechteres Raum- und Serviceangebot zu schaffen, kooperieren vielerorts mehrere Hochschuleinrichtungen, es fehlt aber dennoch an hochschulweiten Konzepten und Mitteln zur Bewältigung der bevorstehenden Herausforderungen. (Aschinger 2020, 147)

Dies gilt auch für Hochschulbibliotheken, die als zentrale Einrichtungen per se einen fakultätsübergreifenden Ansatz haben, aber gerade deshalb von den Fakultäten auch oft als Konkurrentinnen um Ressourcen gesehen werden. Eine solche, hochschulweite Betrachtung erfordert es, den Campus nicht nur als additives räumliches Gebilde zu betrachten, sondern ihn insgesamt als Lernwelt und Möglichkeitsraum zu sehen. Einerseits müssen nicht alle Facetten der Lernwelt in jedem Lernraum abgebildet werden, was insbesondere auf funk-

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tionale Ansätze wie den in Kapitel 3.4. zitierten von Long und Ehrmann zutrifft, andererseits kommt es aber darauf an, die Lernräume insgesamt möglichst differenziert zu denken und die räumliche Gestaltung aller Gebäude immer auch aus der Perspektive des Lernens zu planen. Educational facilities are, after all, spaces in which architecture and learning most readily intersect, and the intersections between the potential for learning, as understood by prevailing pedagogical paradigms, and the planning, designing, and building of these environments must be at the forefront of the designers’ thoughts. (McLane/Dawkins 2014, o. S.)

Da Lernen potentiell überall und jederzeit stattfindet und – wie bereits mehrfach beschrieben – Umweltfaktoren wesentlich zum Lernen beitragen, sind nicht nur die im engeren Sinne pädagogischen Räume Teil des Netzwerks von Lernräumen, das den Campus überzieht. Neben Gebäuden gehören zum Lernraum Campus auch Außenräume, die Lernen im Hochschulkontext fördern. So wie bereits der in Kapitel 1.4 zitierte Buoncampo im ausgehenden Mittelalter einen Ausblick ins Grüne forderte, wird heute der Beitrag landschaftsgestalterischer Aspekte in Bezug auf die Außenräume einzelner Gebäude und im Gesamtbild des Campus betont (Scholl/Gulwadi 2015, o. S.) Dies hängt einmal mit der Bedeutung von Bewegung für Lernprozesse zusammen, zum anderen aber auch mit dem in Kapitel 3.1.3 genannten Wechsel von gespannter und entspannter Aufmerksamkeit, wie er sich etwa im Schweifen lassen des Blicks während intensiver Lernphasen äußert. Nicht zuletzt bieten sich entsprechend gestaltet Außenräume auch für eine Aneignung als Lernort an. Für Hochschulbibliotheken eröffnet sich hier die Gelegenheit, räumlich über ihre Gebäude hinauszudenken und die unterschiedlichen Lernräume auf dem Campus daraufhin zu betrachten, welchen Beitrag sie an den jeweiligen Orten zur Förderung von Lernprozessen leisten können. Wie oben erwähnt muss dazu aber auch die außerhalb der Hochschule liegende städtebauliche Umgebung in ihren baulichen, sozialen und kulturellen Dimensionen betrachtet werden. Folgerichtig ruft Poutanen dazu auf, bei der räumlichen Konzeption von Lernwelten nicht nur das Lernwelten-Netzwerk des jeweiligen Campus zu berücksichtigen, sondern darüber hinaus auch die stadträumliche Perspektive einzunehmen und die räumlichen Beziehungsgeflechte im Umfeld zu betrachten (Poutanen 2018, 51). Nimmt man die Forderung ernst, nicht nur das Lernen, sondern damit automatisch auch die Lernenden in den Mittelpunkt der Planung zu stellen, so können Wissenschaftliche Bibliotheken sich dann in den Gesamtprozess einbringen, wenn sie die Verantwortung für didaktische Arrangements angenommen und die entsprechenden Kompetenzen aufgebaut haben.

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If we understand as a library what the criteria are for creating successful learning and meeting places, then we can also contribute ideas about these other places on the campus and provide content for them. (Mantel/van Wezenbeek 2014, 232)

Da Wissenschaftliche Bibliotheken in der täglichen Nutzung durch die Studierenden bereits als Lernorte angeeignet werden, haben sie die Möglichkeit, durch Untersuchungen, deren Forschungsdesign die im letzten Kapitel aufgestellten Kriterien erfüllt, belastbare Erkenntnisse zu erhalten und daraus Ideen im Sinne Mantels und van Wezenbeeks zu generieren. Eine Stärke von Bibliotheken kann in der intentionalen Markierung von Lernräumen liegen, die dadurch einen „Aufforderungscharakter“ gewinnen, der über die reine Ermöglichung von Lernen hinausgeht (Kraus 2015a, 19). Solche intentionalen Lernräume erhöhen wie beschrieben die Motivation zum Lernen und können Lernprozesse sogar initiieren. Innerhalb einer ganzheitlich betrachteten Lernwelt Campus können sich Bibliotheken also in dreifacher Hinsicht positionieren: – institutionell: indem sie als fakultätsübergreifende Strukturen Prozesse fördern, – räumlich: indem sie sich als Teil eines den gesamten Campus abdeckenden und darüber hinausreichenden Netzwerks betrachten, – inhaltlich: indem sie ihre Kompetenz in Hinblick auf die Gestaltung intentionaler Lernräume ausbauen und in den Gesamtprozess einbringen. Im hochschulischen Kontext ist eine solche Positionierung im Bereich der physischen Räume allerdings nicht ausreichend, um sich dauerhaft als Lernwelt zu etablieren und weiter zu entwickeln.

5.2.2 Konvergenz Wie bereits mehrfach erwähnt, ist ein Blick auf hochschulische Lernwelten nicht vollständig, wenn er nicht auch deren Ausdehnung in den digitalen Raum erfasst. Allerdings stellt sich die Situation hier kaum anders dar, als dies bei den physischen Lernräumen der Fall ist: Es hat zwar in den letzten Jahren vielfältige Förderprogramme zur Entwicklung digitaler Lernräume für alle Bildungsbereiche gegeben, doch hat sich auch hier die starke Segmentierung, die wir auch bezogen auf die Bildungsbereiche wiederfinden, auf den Ebenen der physischen, digitalen und hybriden Lernräume fortgesetzt: es handelt sich oft um additive und selten um integrierte Konzepte. (Stang 2016, 46)

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Wichtig ist die hier von Stang vorgenommene Unterscheidung physischer, digitaler und hybrider Lernräume. Im Sinne der für den fraktalen Raum festgestellten Durchdringung von digitalen und physischen Räumen kann man im Falle hochschulischer Wissensräume heute in der Regel von hybriden Räumen ausgehen, ohne dass jedoch die gegenseitigen Bedingtheiten und Einflüsse in der Konstituierung der Räume geklärt wären. Letztendlich geht es auch hier zunächst um Aushandlungsprozesse und die Verteilung von Ressourcen, aber – auf der Ebene des digitalen Raums – eben auch um die Frage, wer die Vorstrukturierung kontrolliert und die Plazierungen vornimmt. Erschwerend kommt hinzu, dass es analog zu den unterschiedlichen Konzepten von physischen Lernräumen auch im digitalen Raum keine Klarheit hinsichtlich von Konzepten und Begriffen gibt. So hebt etwa Fischer die Vielfalt von Szenarien, technologischen Ansätzen und Prozessen hervor, die unter dem Begriff E-Learning zusammengefasst sind (Fischer 2013, 34). Zur Bestätigung genügt schon ein Blick auf die unterschiedlichen Systeme zur kollaborativen Zusammenarbeit und Vernetzung in Lernräumen. Frydenberg zählt in einer sicherlich nicht vollständigen Liste folgende Arten von Hardware und Anwendungen auf, mit denen in Lernwelten digital zusammengearbeitet wird: – Tools und Plattformen zur Online-Zusammenarbeit, – gemeinsam genutzte Kalender, – Cloudsysteme, – Plattformen zur gemeinsamen Arbeit an Dokumenten, – Diskussionsforen, – Tools zum Erstellen und editieren von online-Publikationen, – Screen-Sharing-Systeme, – Social-Media-Anwendungen, – Kleincomputer und interaktives Computing (Einplatinencomputer), – Interaktive Interfaces und Präsentationsumgebungen, – Projektionsapparate, – Videokonferenzsysteme, – Hardware zur Audio- und Videoaufzeichnung. (Frydenberg 2018, 97–102) Das Problem besteht darin, dass die genannten Systeme, Anwendungen und Prozesse sich nicht intuitiv erschließen und auch nicht unmittelbar in die Lernprozesse einbezogen werden, auch wenn sie in physischen Lernräumen vorhanden sind. Es fehlt also an geeigneten didaktischen Konzepten und den entsprechenden Kompetenzen. Bei der Planung der technischen Facetten von Lernwelten sind Bedeutung und Aneignung genauso zu berücksichtigen, wie bei den physischen Lernräumen. Auch hier gibt es einen ‚Beanbag-Approach‘, den man vor dem Hintergrund der Erfahrungen in deutschen Hochschulen als ‚Smart-

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board-Approach‘ bezeichnen könnte. Häufig werden Smartbords als Symbole zeitgemäßer Lernumgebungen eingesetzt, ohne jedoch Lehrende oder Lernende mit den entsprechenden Kompetenzen zur Aneignung dieser Technik auszustatten. Dabei wirkt das Smartboard als plaziertes Objekt zunächst in den physischen Raum hinein und kennzeichnet diesen, je nach Vorerfahrung, zum Beispiel als Lernraum oder auch als technisch vorbereiteten Raum. Ob und in welcher Weise sich die Lernenden dann ein Smartboard tatsächlich aneignen und es zum Teil ihres Lernprozesses machen, ist damit noch nicht gesagt. Das Smartboard kann auch, zum Beispiel aufgrund von Vorerfahrungen aus dem Schulunterricht, als ein Element gesteuerten Frontalunterrichts gesehen und daher für die Nutzung im selbstgesteuerten, kollaborativen Lernen abgelehnt werden. Gleichzeitig sagt das Vorhandensein des Smartboards noch nichts über eventuell eingesetzte Software für kollaborative, vernetztes Arbeiten aus, die die Erweiterung in den digitalen Raum sinnvoll ermöglicht und in ein didaktisches Gesamtkonzept für die Lernwelt eingebunden ist. Erst in diesem Sinne würde der Einsatz des Smartboards den physischen Lernort in den digitalen Raum erweitern und beide zu einer hybriden Lernwelt verbinden. Ist diese Verbindung dann für die Lernenden viabel, also in den eigenen Lernprozess integrierbar, und wird entsprechend angeeignet, werden die Möglichkeiten des Raumes aktiviert und dieser kann für die Lernenden situativ zum hybriden Lernort werden. Das Smartboard ist nur ein Beispiel unter vielen. Das gesagte gilt für den Einsatz von Hardware, Software und Netzwerken in der Lernwelt generell. Für Fischer definiert sich E-Learning daher auch nicht über einen Katalog von Anwendungen, sondern er sieht E-Learning als ein „Nutzungskonzept“, das eine spezifische Didaktik erfordert (Fischer 2013, 33). Die Didaktik des Arrangements liegt hier darin, Möglichkeiten zu eröffnen, die es Lernenden erlauben, die Nutzung der entsprechenden Systeme in das Gesamterlebnis des Lernprozesses einzubinden und gleichzeitig die mit der Vervielfältigung der Technik verbundene Komplexität zu reduzieren, wie es Long und Ehrmann für Seminarraumsituationen beschreiben. Not all advances in learning spaces need to directly support more situated, active, and collaborative learning. Some can do this indirectly by reducing some of the wasted time and rigidity often experienced by faculty in today’s high-tech classrooms. (Long/Ehrmann 2005, 44)

Auch hier sind Konzepte gefordert, die die gesamte Hochschule als Lernwelt in den Blick nehmen. Wissenschaftliche Bibliotheken können dabei auf ihre Erfahrungen und Kompetenzen in der Konvergenz physischer und digitaler Räume

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und Angebote zurückgreifen. Konvergenz bedeutet, wie an anderer Stelle bereits erläutert, digitale und physische Räume einander anzunähern und dabei die jeweiligen Qualitäten sichtbar zu machen (Eigenbrodt 2014a, 207). Erpenbeck und Sauter sehen hier eine besondere Verantwortung bei den Akteurinnen und Akteuren, die solche Räume planen und betreiben: Unsere Überzeugung ist: Wer im technisch – kommunikativen Bereich Verbindungen aufbaut und fördert, hat die moralische Pflicht, in der ihm zugänglichen Umgebung auf den Erwerb von Bindungsfähigkeit und auf das Zugestehen von zeitlichen und räumlichen Freiräumen zu achten. (Erpenbeck/Sauter 2013, 193)

Auf dem Weg zu dem von Stang geforderten integrierten Konzepten gilt es in der Planung also dieselben hochschulübergreifenden Fragen zu beachten, wie dies auch bei physischen Räumen der Fall ist. Hinzu kommen aber noch eine notwendige Reduktion der Komplexität, der Kompetenzaufbau und die Schaffung beziehungsweise Erhaltung notwendiger Freiräume. Letztendlich sind aus der Konvergenzperspektive die Konzeption und Planung von Lernwelten in ihrer digitalen und in ihrer physischen Ausdehnung nicht mehr voneinander zu trennen.

5.2.3 Offene Gesellschaftliche Innovation als Ansatz zur Planung und Konzeption von Lernwelten Wie kann es aber gelingen, die Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek als Teil eines übergreifenden Lernwelten-Netzwerks lernendenzentriert zu planen und dabei der Verantwortung für das didaktische Arrangement und den Anforderungen der Konvergenz gerecht zu werden? Die erste und wichtigste Forderung in diesem Zusammenhang ist, die lernenden Individuen in den Mittelpunkt des Planungsprozesses zu stellen: Stellt man den Menschen als Conditio sine qua non ins Zentrum der theoretischen und empirisch wissenschaftlichen Annäherung an Bibliotheken als Lernarchitekturen, so sollte man dies konsequenterweise auch bei der praktischen Umsetzung von Planungsprozessen tun. (Edinger 2016, 110)

Traditionelle Hochschulplanung wird nun immer behaupten, genau dies zu tun und dabei aus der Perspektive langjähriger Erfahrung und mehr oder weniger belastbarer empirischer Erkenntnis das Richtige für die Lernenden zu wollen. Dabei wird auch immer das Argument bemüht, die Studierenden wüssten im Zweifel auch nicht genau, was sie für hochschulisches Lernen bräuchten. Das

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ist insofern nicht ganz von der Hand zu weisen, als dass die Praxiserfahrung in Beteiligungsprozessen mehrere Probleme in Bezug auf die Formulierung von raumbezogenen Lernbedürfnissen durch die beteiligten Nutzerinnen und Nutzer zeigt. Einerseits bringen diese selbst Vorerfahrungen und – im Sinne der Syntheseleistung – auch Vorurteile mit, wie ein hochschulischer Lernraum auszusehen hätte. Dies mag zum Beispiel einer der Gründe sein, warum das tradierte Bild der Bibliothek, wie es durch eine relativ konventionelle Plazierung von Einrichtungsgegenständen (Regale, Theke, Tische, Stühle) und weiteren Objekten (Bücher) in einer bestimmten Atmosphäre (holzbetonte Materialität, Tischleuchten) bis heute sofort zur Wahrnehmung als Lernraum und damit auch zu einem entsprechenden Verhalten führt, das dieses Bild wiederum stützt. Hier zeigt sich sehr deutlich, dass die Vorerfahrungen – die eben nicht nur aktiv, sondern auch passiv zum Beispiel durch mediale Rezeption gewonnen werden können – einen erheblichen Einfluss nicht nur auf die habituelle Seite der Synthese haben, sondern schon das Spacing wesentlich beeinflussen. Beteiligt man nun Lernende, aber auch Lehrende, am Spacing, so spielen genau diese Vorerfahrungen und Bilder eine mindestens ebenso große Rolle, wie bei Expertinnen und Experten – wie zum Beispiel Architektinnen und Architekten – und selbst den Mitarbeitenden der Bibliothek selbst. Dies kann dazu führen, dass ausgerechnet die geäußerten Bedürfnisse jüngerer Studierender wesentlich konservativer zu sein scheinen, als es die – im besten Falle theoretisch und durch Best Practice geschulten – professionellen Beteiligten erwarten. Hinzu kommt das Problem, dass es für Lernende schwierig ist, ein räumliches Arrangement zu beschreiben, das wirklich den individuellen Lernbedürfnissen entspricht, da ihnen diese, insbesondere am Beginn des Studiums aber oft auch noch nach dessen Abschluss nicht bewusst sind. Selbst die beschriebenen Prozesse der Aneignung, die dazu führen, den Raum, gegebenenfalls auch entgegen seinem ursprünglichen gestalterischen und regulatorischen Rahmen, den eigenen Bedürfnissen anzupassen, sind oft unbewusst, beziehungsweise so routiniert, dass Individuen sie gar nicht als notwendige Voraussetzung des eigenen Lernprozesses wahrnehmen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die damit umgangenen strukturellen oder regulatorischen Barrieren nicht mehr vorhanden wären. Da die Syntheseleistung zumeist unbewusst ist und Menschen sich in der Regel ihre Erwartungen beziehungsweise Vorerfahrungen ebenfalls nicht ins Bewusstsein rufen, bevor sie einen Raum betreten, kann man beides auch nicht für die Beteiligung am Spacing erwarten. Andersherum werden räumliche Bedürfnisse häufig ex negativo geäußert, das heißt, diejenigen Eigenschaften, die man sich von einem aktuellen Raum wünscht, die dieser aber nicht bietet, stehen im Mittelpunkt der Betrachtung. Ist der vorhandene Raum zum Beispiel eine Einraumbibliothek ohne ausreichende Stromversor-

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gung für die eigenen Endgeräte werden sich Studierende primär Gruppenarbeitsmöglichkeiten und mehr Steckdosen wünschen. Abgesehen davon, dass solche vermeintlichen Selbstverständlichkeiten – anders als in vielen der zu Beginn der Arbeit an diesem Band ausgewerteten Befragungen suggeriert – keine wirklichen Erkenntnisse über die raumbezogenen Lernarrangements von Studierenden liefern, führen sie auch zu Verzerrungen, da das, was im Raum vorhanden ist wie selbstverständlich nicht mehr wahrgenommen wird (unbewusste Syntheseleistung) und so das, was im aktuellen Lernarrangement als defizitär empfunden wird, in einem Spacing unter Beteiligung der aktuellen Nutzerinnen und Nutzer eine über die objektivierbaren Bedürfnisse hinausgehende Bedeutung bekommt. Hinzu kommen noch die üblichen Fallstricke in Beteiligungsprozessen wie soziale Erwünschtheit oder das damit verbundene Gruppendenken. Ersteres ist ein bekanntes Problem empirischer Sozialforschung und kann, durch eine professionelle Planung und Durchführung der eingesetzten Methoden und Formate in der Regel minimiert werden. Wichtig ist es hier, dass seitens der aktiv Beteiligten ein Bewusstsein dafür existiert, welche Vorerfahrungen und Bilder, aber auch welche aktuellen regulatorischen und strukturellen Voraussetzungen es sind, die im Rahmen sozial erwünschter Antworten durch die Lernenden thematisiert werden könnten. Entscheidend ist letztendlich die Art der Frage- beziehungsweise Aufgabenstellung. Werden überlieferte Vorstellungen vom Lernraum schon dadurch aufgerufen, dass man sich bewusst davon absetzen will, etwa indem man diese in Entscheidungsfragen als Antwortmöglichkeit zulässt oder auf Moodboards zeigt? Stellen Bibliotheken im Fall von Einschätzungsfragen ihre bisherige Rolle im Spacing, sowohl was die strukturelle als auch was die regulatorische Seite angeht, in Frage oder verstärken sie sie; zum Beispiel aus mangelnder Reflektion heraus? Das Gruppendenken ist dagegen eine Dynamik, die sich insbesondere bei tiefen Beteiligungsformaten und erstaunlicherweise gerade auch in Runden von Expertinnen und Experten bemerkbar macht. Gerade die Vorstellung, gemeinsam etwas Neues gestalten zu wollen, kann hier zu einer scheinbaren Einmütigkeit führen, die gegenläufige Ideen und Meinungen unbewusst unterdrückt. Auch dem kann man mit entsprechenden Methoden, zum Beispiel über die Rollenverteilung in den Gruppen und durch eine professionelle Moderation, entgegensteuern. Dass sich in vielen Beteiligungsprozessen Öffentlicher Bibliotheken die Ergebnisse allerdings unabhängig von den spezifischen räumlichen, demographischen, kulturellen und ökonomischen Gegebenheiten auffällig gleichen, ist ein Indiz dafür, dass neben den üblichen Denkfehlern auf der Seite der aktiven Beteiligten (Bestätigungsverzerrung, Selbstüberschätzung, Glaube an Autoritäten, Survivorship-Bias in Bezug auf Best-Practice) auch soziale Er-

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wünschtheit und Gruppendenken nicht ausreichend als verzerrende Faktoren berücksichtig werden. Sind partizipative Prozesse also zwar theoretisch wünschenswert, in der Praxis aber sinnlos, weil weder die primären Akteurinnen und Akteure noch die potenziell Beteiligten in der Lage sind, Erkenntnisse zu generieren, die das Spacing im Sinne der gezielten Förderung von Aneignungsprozessen positiv beeinflussen? Anders gefragt: Sind expertengestützte Planung und Beanbag-Approach bei ähnlichen Ergebnissen nicht wirtschaftlichere und weniger aufwändige Strategien der Lernraumplanung? Die Antwort hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Zweifellos erzielt man mit der letztgenannten Strategie kurzfristige Erfolge in Bezug auf die Nutzung und auch die (hochschul-)öffentliche Wahrnehmung neuer oder umgestalteter Lernwelten. Eine intensive Auseinandersetzung mit den Lernraumbedürfnissen der spezifischen aktuellen oder potenziellen Nutzendengruppen, eine ganzheitliche Gestaltung von Lernarrangements im Zuge der didaktischen Strategien der jeweiligen Einrichtung sowie eine Aufwertung des selbstorganisierten Lernens bleibt aber aus, da man die Lernenden lediglich als Objekte in das Spacing einbezieht. Echte Partizipation ist hingegen wesentlich aufwändiger und erfordert nicht zuletzt einen Kulturwandel innerhalb der Institution, wie weiter unten noch näher erläutert werden wird. Sie bietet aber die Chance, nicht nur kulturelle und soziale Nachhaltigkeitsfaktoren in die Planung einzubeziehen, sondern bereits in der Konzeption und Planung den eventuell erwünschten Paradigmenwechsel in Richtung einer partnerschaftlichen Mitwirkung von Studierenden beziehungsweise Nutzerinnen und Nutzern in die strategische Entwicklung der jeweiligen Einrichtung sowie sie Einbettung neuer Lern- und Lehrformen in für die Lernenden viable Strukturen zu forcieren. Letztendlich ist es also eine politische und wirtschaftliche Entscheidung auf die eine oder andere Weise vorzugehen, die jedoch unmittelbare Auswirkungen auf die Positionierung der Einrichtung gegenüber ihren Nutzerinnen und Nutzern hat. Ob man sich als Bibliothek hingegen Prozessen widersetzt, die sich zwar partizipativ nennen, aber nur eine scheinbare Beteiligung der Studierenden an der Konzeption und Planung von Lernarrangements bedeuten, oder ob man diese selbst betreibt, beziehungsweise aktiv fördern ist letztendlich eine ethische Frage. Wichtig ist jedoch darauf hinzuweisen, dass es im Falle einer ernst gemeinten Beteiligung kein entwederoder gibt, sondern der Graubereich zwischen echter Beteiligung und einer rein expertengesteuerten Planung sehr groß ist. Entscheidend ist hier eben nicht in erster Linie der Grad, sondern die Qualität der Beteiligung. Letztendlich bedeutet Beteiligung in der Planung zunächst, dass man nicht nur lernendenzentriert im Sinne einer traditionellen Hochschulplanung vorgeht, sondern dass man die Lernenden direkt in den Planungsprozess einbezieht und

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damit den partizipativen Ansatz fortsetzt, der in Kapitel 4.3 schon für die empirische Betrachtung der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek gefordert wurde. In der Tat sind hier die Übergänge fließend, da einige der dort genannten Studien teilweise oder insgesamt der Planungsvorbereitung dienten, die Studierenden also – in unterschiedlichem Maße – in den Planungsprozess einbezogen wurden. Dies schließt die Einbeziehung von Expertinnen und Experten sowie eine Betrachtung von Good Practice (aber auch Worst Practice) keineswegs aus, sondern es handelt sich um gleichwertige Handlungsfelder innerhalb einer strategischen Herangehensweise. Dabei haben Bibliotheken vielen anderen Einrichtungen in der Hochschule voraus, dass sie entweder selbst oder vermittelt über die Fachöffentlichkeit schon auf viele Erfahrungen im Bereich der Beteiligung von Nutzerinnen und Nutzern an Entwicklungsprozessen zurückgreifen können. Auch wenn sich dies im Bereich der Raumplanung insbesondere auf Öffentliche Bibliotheken bezieht, eröffnet sich hier die Chance, Good Practice aufzugreifen und für eigene Prozesse zu nutzen.15 Gefahren liegen insbesondere in einem teilweise unterkomplexen Verständnis von nutzungsgesteuerter Planung beziehungsweise der Beteiligung von Nutzerinnen und Nutzern an Veränderungsprozessen allgemein oder in der Adaption methodisch fragwürdiger Verfahren. Eines der Hauptprobleme ist nach den Erfahrungen von Lee und Tan aber die Vermittlung planerischer Terminologie: The core challenge we found in developing meaningful evaluations in the context of physical learning environments was that design was mediated by participants’ capacity to think and talk in design terms and to relate daily experience with campus design issues. This led to a disconnect between the participants’ experiences and involvement, and the actual design process. (Lee/Tan 2013, o. S.)

Zur Lösung dieser kommunikativen Herausforderung werden verbreitet DesignWorkshops – im englischsprachigen Raum in Anlehnung an die entsprechende stadtplanerische Methode auch Charrettes genannt – genutzt. Diese sind zum Beispiel auch Teil der bereits erwähnten Studie von Kinsley et. al. an der Florida State University (Kinsley et al. 2015, 762). Charettes versetzen die Beteiligten in die Lage, mit ihren Worten und Begriffen Bedarfe und Anforderungen zu beschreiben und vertiefen durch eine gleichzeitige Übersetzung in planerische Terminologie ein Verständnis für die spezifische Sprache von Architektinnen und Architekten. Dieser Ansatz eignet sich potenziell nicht nur für die Beteili-

15 Mit der Fertigstellung dieses Bandes ist ein Themenheft der Zeitschrift The New Review of Academic Librarianship (26/4 2020) erschienen, das sich speziell dem Thema der Beteiligung Studierender an Veränderungsprozessen in Wissenschaftlichen Bibliotheken widmet und dabei auch Beispiele für räumliche Veränderungsprozesse aufgreift.

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gung von Nutzerinnen und Nutzern, sondern auch für eine Verständigung von Expertinnen und Experten untereinander. Letzters ist in aller Regel ein reziproker Prozess, denn sowohl die diesem Band zugrunde liegenden lerntheoretischen Zusammenhänge als auch bibliothekarische Fachbegriffe sind Architektinnen und Architekten in der Regel nicht geläufig und müssen für einen gemeinsamen Planungsprozess ebenso vermittelt werden, wie Fachterminologie aus dem architektonisch-gestalterischen Bereich an Laien. Auch das Projekt Lernraum Bibliothek der Universitätsbibliothek Rostock bediente sich unterschiedlicher Formen der Beteiligung von Studierenden an Gestaltungsaufgaben bis hin zur probeweisen Umsetzung und entwickelte dabei – ohne expliziten Bezug auf die Beispiele aus der englischsprachigen Literatur – eine mit Charettes vergleichbare Methodik: Innenarchitekt auf Zeit meint, dass Bibliotheksnutzer einen Raum (oder mehrere) eigenverantwortlich und so komplett wie möglich zu einem aus deren Sicht lern- und arbeitsförderlichen Raum neu oder umgestalten: Sie entwickeln eine Lernraumgestaltungskonzeption für einen konkreten Raum, die die Hochschulbibliothek anschließend möglichst ohne Abstriche umsetzt. Die, die den Raum zum Lernen und Arbeiten nutzen, sind auch die, die ihn für diese Funktion gestalten und somit temporär in die Rolle eines Innenarchitekten schlüpfen. (Ilg 2016, 350)

Neben dem für Charettes eigenen Perspektivwechsel verbindet Ilg hier implizit die Selbstorganisation im Spacing mit der Selbstorganisation des Lernprozesses. Argumentativ knüpft dies an die Parallelität der Aneignungsprozesse von Wissen und Raum an. Der Rollenwechsel im Spacing hilft also einerseits, kommunikative Hürden zu überwinden und ermöglicht es – wie im Falle Rostock – andererseits, bereits im Spacing spätere Aneignungsprozesse vorauszudenken. Dies hilft allen Beteiligten, neue Perspektiven einzunehmen, insbesondere, wenn man Hochschulplanerinnen und -planer sowie Architektinnen und Architekten in einen solchen Prozess mit einbezieht. Wie in Kapitel 4.3 erläutert, genügen Formate wie einzelne Workshops mit Blick auf die vielfältigen Facetten einer Lernwelt wie der Wissenschaftlichen Bibliothek allerdings nicht, das Gesamtbild konzeptionell zu erfassen. Beteiligt man zudem ausschließlich Studierende, geht nicht nur der Blick auf die räumliche Umgebung, sondern auch der auf die kontextbezogenen Facetten schnell verloren. Im Sinne des oben beschriebenen kooperativen, übergreifenden Ansatzes ist es zudem zielführend, auch andere Stakeholder wie Entscheiderinnen und Entscheider oder Partnerinnen und Partner in den Prozess einzubeziehen. Bennett betont aber in diesem Zusammenhang, dass es nicht darum gehe, sich die eigene Hoheit über den Planungsprozess bestätigen zu lassen, sondern den Beteiligten Personen und Einrichtungen auf Augenhöhe zu begegnen.

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But meaningful engagement with their substantive activities as learners and teachers should not be conceived primarily as a negotiation that sustains and ultimately ratifies the librarian’s ownership of the planning process. Instead, that engagement should aim at a genuine planning partnership with faculty and students shaped around substantive questions and not the management of differences in power and status. This partnership should construct a shared understanding throughout the campus community of key issues in learning and teaching and their implication for library space. (Bennett 2003, 40)

Die von Bennett an dieser Stelle angedeutete Partnerschaft in der Planung von Lernumgebungen dient also zwei wesentlichen Zielen: Einerseits soll das konkrete Projekt nicht zur Aushandlung beziehungsweise zur Bestätigung von Macht- und Statuspositionen dienen, sondern sich tatsächlich auf die in den Räumen stattfindenden Aneignungsprozesse und die entsprechenden Rollen von Lernenden und Lehrenden beziehungsweise der für den Raum Verantwortlichen beziehen, andererseits soll das Verständnis von Lernen an der Hochschule insgesamt hinterfragt und neu definiert werden. Letzterer Anspruch mag etwas hoch gegriffen erscheinen, jedoch ist es – wie in jedem Bauprojekt – tatsächlich so, dass das Spacing eben nicht nur vom jeweiligen Kontext abhängig ist, sondern diesen nachhaltig beeinflusst und – je nach Ausmaß des damit verbundenen Paradigmenwechsels – auch verändert. Im besten Falle ist ein solcher Konzeptions- und Planungsprozess also ein Innovationstreiber oder auch Teil einer Innovationsstrategie für die gesamte Institution. Die Gestaltung solcher Prozesse lässt sich demnach mit einiger Berechtigung dem Bereich des Innovationsmanagements zuordnen, insbesondere da räumliche Veränderungen innerhalb der sie tragenden Institution neben den beschriebenen strategischen Erwägungen immer auch organisatorische und strukturelle Themen berühren sowie Neuerungen im Bereich der Dienstleistungen und der technischen Ausstattung mit sich bringen, die im Planungsprozess berücksichtigt werden müssen. Hieraus ergibt sich eine größere Zahl an Akteurinnen und Akteuren, als wenn es sich lediglich um ein isoliertes Bau- oder Instandhaltungsprojekt handelte, das am Status Quo einer Einrichtung nichts oder nur wenig ändert. Neben den klassischen Entscheiderinnen und Entscheidern im Wissenschaftsbereich sind dies auch beteiligte Infrastrukturbereiche (zum Beispiel IT-Technik und Netzwerke, Gebäudemanagement, Gastronomie) sowie die Kooperationspartnerinnen und -partner auf dem Campus und im Umfeld der Einrichtung (zum Beispiel E-Learningbüros, Schreibwerkstätten, Studienbüros, andere Bibliotheken, Schulen). Um einen solchen Innovationsprozess zu initiieren ist eine gesteuerte, strategische Herangehensweise notwendig, die die Offenheit bietet, alle relevanten Stakeholder sowie Partnerinnen und Partner einzubeziehen und dabei immer die Lernenden mit ihren Bedürfnissen und spezifischen Vorerfahrungen in den Mittelpunkt zu stellen. Dies wird nicht erst

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dann relevant, wenn es um tiefgreifende räumliche Veränderungsprozesse zum Beispiel die Grundsanierung oder den Neubau einer Bibliothek geht, die über die Aspekte der Lernwelt hinausreichen. Will man der strategischen Dimension eines solchen Prozesses gerecht werden, gilt es, die Gefahr zu vermeiden, lediglich ein einziges Methodenset, etwa das im Bereich der Raumentwicklung für Öffentliche Bibliotheken populäre Design Thinking oder Co-Design-Formate wie die genannten Charettes zu verwenden. Vielmehr sind unterschiedliche, zielgruppenspezifische und themenbezogene Beteiligungsformate sinnvoll. Diese können auch je nach Resonanz und erzielten Ergebnissen angepasst und gewechselt werden. Der allen aktuell populären Methoden eigene iterative Charakter muss also auf den gesamten Prozess und hier nicht nur bezogen auf die erzielten Ergebnisse, sondern auch auf die angewandten Methoden ausgeweitet werden. Mitunter sind Feedback und Evaluation einzelner durchgeführter Beteiligungsformate sogar wichtiger, als deren Ergebnisse, da Variation und Evaluation helfen, die genannten Denkfehler zu vermeiden. Nebenbei bemerkt ist eine strategische Herangehensweise an Bauprojekte als Innovationsprozesse für alle Bibliothekstypen empfehlenswert, wobei sich die Akteurinnen und Akteure natürlich unterscheiden. Dass sich ein solch vielschichtiger Veränderungsprozess unter Beteiligung unterschiedlicher Stakeholder sowie Partnerinnen und Partner nicht als geschlossene Innovation gestalten lässt, liegt auf der Hand. Um den Prozess klar zu strukturieren, die Rollen der Beteiligten zu definieren und ihn insgesamt strategisch einzubinden, bietet sich das Konzept der Offenen Gesellschaftlichen Innovation an, das im Folgenden zunächst erläutert werden soll, bevor näher auf eine mögliche Adaption für strategisch eingebundene Gestaltungsprozesse von Lernwelten eingegangen wird. Offene Innovation folgt der Grundidee, dass in Wissensgesellschaften die für Innovationen notwendigen Ressourcen breiter verteilt, sind als in Industriegesellschaften. Zuvor waren Wissensträger wenige Experten (sic!), die exklusiv und zumeist ein Berufsleben lang für dieselben Unternehmen oder Institutionen der entwickelten Industrienationen tätig waren. Innovation folgte klaren Regeln und Standards des klassischen Projektmanagements und war nach Außen geschlossen, da es Betriebsgeheimnisse beziehungsweise die technische Überlegenheit gegenüber anderen Unternehmen oder auch Staaten zu wahren galt. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass es keinen fachlichen und/oder wissenschaftlichen Austausch – zum Teil auch über die Systemgrenzen hinweg – gab. Aber auch diese Formen der professionellen und akademischen Kommunikation waren hinsichtlich der Teilnehmenden, der diskutierten Themen und des Status, den die vorgestellten Erkenntnisse, Entwicklungen oder Projekte hatten, nicht offen, sondern folgten klaren internen Regeln und Freigaben. Das

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für Innovation notwendige Kapital war relativ stabil an die Unternehmen und staatliche Institutionen gebunden, die auf diese Weise Innovation organisierten und den technischen Fortschritt steuerten. Disruptive Faktoren waren im 20. Jahrhundert zum Beispiel die beiden Weltkriege, Wirtschaftskrisen und der OstWest-Konflikt, der in beiden Systemen enormen Innovationsdruck erzeugte, mit dem aber – unter den jeweiligen ökonomischen und gesellschaftlichen Vorzeichen – in der beschriebenen Weise umgegangen wurde. Aufgrund zunehmender Mobilität, des insgesamt höheren Bildungsgrads der Bevölkerung, des ökonomischen Aufstiegs der Schwellenländer bei gleichzeitiger Auflösung des OstWest-Konflikts und durch Startups, die sich mit Hilfe von Wagniskapital in Konkurrenz zu etablierten Konzerne aufstellten sowie aufgrund einer offeneren und agileren Herangehensweise schneller in der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen bis zur Marktreife waren, ist es seit Ende des 20. Jahrhunderts zu einer grundlegenden Veränderung in der Weise gekommen, wie Innovationen generiert und organisiert werden. Chesbrough und Bogers (2014, 16) sprechen hier von Erosionsfaktoren, die durch die digitale Transformation nicht nur ergänzt, sondern insgesamt verstärkt werden, da diese sowohl die Vernetzung der Produktentwicklung, der Lieferketten, der Produktion und der Absatzmärkte als auch die Innovationsgeschwindigkeit wesentlich erhöht hat. Disruption, also der schnelle, für etablierte Anbieter oft krisenhafte, Ersatz eines existierenden Technologie- oder Dienstleistungsparadigmas im Gegensatz zur evolutionären Weiterentwicklung des Bestehenden im geschlossenen System, findet jetzt nicht mehr nur durch externe Faktoren (Kriege, Krisen), sondern auch innerhalb der globalisierten Märkte statt. Jenseits der ökonomischen und technologischen Diskurse wäre sicherlich auch die gesellschaftliche Diversifizierung als wesentlicher Faktor für die Erosion der geschlossenen Innovation zu nennen. Daraus ergibt sich eine Notwendigkeit, die Basis für Innovation zu verbreitern und sich einerseits für Impulse von außen zu öffnen sowie andererseits selbst Informationen nach außen zu geben, die andere Akteurinnen und Akteure in die Lage zu versetzen, im gegenseitigen Interesse selbst etwas zum Erfolg der Innovation beizutragen. In der Industrie ist dies insbesondere darauf bezogen, dass keine in sich geschlossenen Produktionsketten mehr existieren, die Fertigung von Komponenten also sehr weitgehend outgesourct ist und für neue Entwicklungen zwingend Informationen ausgetauscht werden müssen. In der Digitalwirtschaft gilt dies aufgrund der Abhängigkeiten von Hardware und Software und der weit verbreiteten Arbeitsteilung umso mehr. Für den Dienstleistungsbereich und zunehmend auch für das produzierende Gewerbe bedeutet Offene Innovation jedoch nicht nur einen Austausch zwischen Unternehmern, sondern auch zwischen den Anbieterinnen und Anbietern auf der einen und den Kundinnen und Kunden auf der anderen Seite. Dabei geht es unter ande-

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rem darum, Wissen und Erfahrungen von Kundinnen und Kunden beziehungsweise Nutzerinnen und Nutzern in die Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen einzubeziehen, um Innovationsprozesse zu beschleunigen, zu verschlanken und näher an den Verbraucherinnen und Verbrauchern zu planen (Raffl et al. 2014, 43). Jenseits traditioneller Formen von sowohl Marktforschung als auch Marketing werden Konsumentinnen und Konsumenten damit zu mehr oder minder direkt Beteiligten an der Produktentwicklung gemacht. Offene Innovation ist also ursprünglich ein betriebswirtschaftliches Konzept, das von Chesbrough und Bogers wie folgt definiert wird: […] we define open innovation as a distributed innovation process based on purposively managed knowledge flows across organizational boundaries, using pecuniary and nonpecuniary mechanisms in line with the organization’s business model. […] In this definition, innovation refers to the development and commercialization of new or improved products, processes, or services, while the openness aspect is represented by the knowledge flows across the permeable organizational boundary […] (Chesbrough/Bogers 2014, 25– 26).

Nun gehören Wissenschaftliche Bibliotheken im deutschsprachigen Raum in der Regel dem Nonprofit-Sektor an und sehen sich individuell oder auch in ihrer institutionellen Einbindung als Agentinnen eines gesellschaftlichen Bildungsund Informationsauftrags. Dies bedeutet, dass weder die von Chesbrough und Bogers in ihrer Definition genannten monetären Erwägungen im Rahmen eines Geschäftsmodells noch die Marktorientierung von Produkten und Dienstleistungen im Vordergrund der strategischen Erwägungen von Wissenschaftlichen Bibliotheken im Innovationsmanagement stehen. Vielmehr geht es Wissenschaftlichen Bibliotheken und deren Trägerinnen und Trägern darum, für die Bedürfnisse ihrer Zielgruppen optimierte Angebote und Dienstleistungen zu gestalten, im Falle der Lernwelten beispielsweise Räume, die selbstorganisiertes Lernen ermöglichen und fördern. Innovation dient hier also nicht in erster Linie wirtschaftlichen Interessen, sondern der Erfüllung eines gesellschaftlichen beziehungsweise institutionellen Auftrages. Diese nichtkommerzielle Ausrichtung der Innovation befreit Wissenschaftseinrichtungen – wie auch andere Akteurinnen und Akteure aus den Bereichen Gesellschaft, Bildung und Kultur – jedoch nicht von einem erhöhten Innovationsdruck. Im Gegenteil: Die oben genannten Erosionsfaktoren beeinflussen auch den nichtkommerziellen Bereich erheblich, da in den Wissensgesellschaften einerseits ein gestiegenes Interesse an der kommerziellen Nutzung von Information als Ressource (siehe Kapitel 2.2) besteht und sich andererseits durch Offene Innovation und Vernetzung die Erwartungen der Nutzerinnen und Nutzer verändern.

184  5 Voraussetzungen

Daher hat sich in der letzten Dekade eine Debatte um das Konzept der Sozialen Innovation entwickelt, die über die rein betriebswirtschaftliche Betrachtung hinausgeht. So merken Chesbrough und Di Minin (2014,169) aus der wirtschaftswissenschaftlichen Perspektive an, dass zunächst nur die ökonomischen Einflüsse von Open Innovation auf Konsumentinnen und Konsumenten, Produzentinnen und Produzenten sowie Investorinnen und Investoren betrachtet wurden. Soziale Aspekte sind demnach in der einschlägigen Literatur eher als Randbemerkungen oder Fußnoten zu finden. In diesem Zuge haben sich zwei Ansätze von Social Innovation entwickelt. Zum einen ein, der Definition des Weltwirtschaftsforums folgender, makroökonomisch orientierter, der im Kern darauf hinausläuft, mit Hilfe gezielter sozialer und ökonomischer Eingriffe die Marktstellung von Menschen in ökonomisch weniger entwickelten Ländern zu verbessern und damit letztendlich neue Absatzmärkte, Produktionsstandorte und stabile Lieferketten für die globalisierte Wirtschaft zu etablieren (World Economic Forum 2016, 5). Chesbrough und Di Minin (2013, 170) formulieren hingegen einen übergreifenden Ansatz von Open Social Innovation als Anwendung des Konzepts der Offenen Innovation auf gesellschaftliche Herausforderungen allgemein, unabhängig davon, ob dies aus einer makroökonomischen Motivation heraus geschieht, oder soziales beziehungsweise kulturelles Engagement im Vordergrund stehen. Dabei ist Open Social Innovation in diesem allgemeineren Verständnis von zwei grundlegenden Kräften getrieben: Two themes – sometimes clashing, sometimes coinciding – give it its distinctive character. One comes from technology: the spread of networks; creation of global infrastructures for information; and social networking tools. The other comes from culture and values: the growing emphasis on the human dimension; on putting people first; giving democratic voice; and starting with the individual and relationships rather than systems and structures. (Murray et. al. 2010, 5)

Obwohl beide Themen also die technische Frage von globaler Vernetzung und Openness sowie die soziale und kulturelle Frage von Nutzendenzentrierung und -beteiligung im Diskurs Wissenschaftlicher Bibliotheken eine große Rolle spielen, wird Open Innovation beziehungsweise Open Social Innovation als Strategie des übergreifenden Innovationsmanagements nur wenig rezipiert. Dabei sind Wissenschaftliche Bibliotheken sowohl hinsichtlich ihres Engagements für Open Access im engeren und Open Science im weiteren Sinne als auch in der gemeinsamen Entwicklung von Anwendungssoftware in Open Source-Projekten längst Teil einer, teilweise globalen, Open Innovation Strategie. Die Übertragung ins generelle Innovationsmanagement oder konkret auf Themen wie Raumentwicklung ist jedoch bisher nicht gelungen. An der von Georgy (2010, 88) bereits vor einer Dekade festgestellten mangelnden Bekanntheit der strategischen Möglich-

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keiten von Open Innovation im deutschsprachigen Bibliothekswesen hat sich – bei einem Blick in die Literatur – seitdem wenig geändert. In verschiedenen Projekten wurde Open Social Innovation inzwischen aber an anderer Stelle auch auf den öffentlichen Sektor übertragen, wo das Konzept zur besseren Unterscheidbarkeit auch als Soziale Offene Innovation bezeichnet wird. Im deutschsprachigen Raum ist es insbesondere durch ein von der Zeppelin-Universität begleitetes, grenzüberschreitendes Projekt der Region Bodensee bekannt geworden. Raffl et. al. verstehen unter Offenheit des Innovationsprozesses eine „soziokulturelle Bereitschaft zur Öffnung, zum Dialog und zur Lernfähigkeit“, die von einem „strategischen Willen zur thematischen Offenheit, zur Ergebnisoffenheit, zur Prozessoffenheit“ geleitet ist (Raffl et al. 2014, 47). Die hier genannten Voraussetzungen entsprechen einerseits dem weiter oben (siehe Kapitel 4.3) für Studien zur Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek vorgeschlagenen offenen Forschungsdesign und kommen andererseits der bereits mehrfach erhobenen Forderung entgegen, die Offenheit selbstorganisierter Lernprozesse solle auch auf die Konzeption der entsprechenden Lernarrangements übertragen werden. Die von Raffl et al. geforderte Offenheit bezüglich der Inhalte, Ergebnisse aber auch der Prozesse greift damit in allen Phasen eines offenen Innovationsprozesses.

Abb. 6: Phasen von Open Social Innovation (nach Murray et. al. 2010, 11–13)

186  5 Voraussetzungen

Im Folgenden sind die Phasen von Open Social Innovation nach Murray et al. (2010, 11–13) leicht verändert und ergänzt wiedergegeben (Abbildung 6). Am Anfang eines solchen Prozesses steht der Auslöser. Hier kommen verschiedene Faktoren und Entwicklungen in Betracht. Im Falle von Lernwelten zum Beispiel der Entschluss, Lernarrangements für selbstorganisiertes Lernen zu schaffen, oder ein genereller räumlicher Entwicklungsbedarf. Geprägt wird diese Phase von einer eingehenden Diagnose des IST-Zustandes und einer Recherche des Umfeldes. Daraus entwickelt sich eine vorläufige Fragestellung für den weiteren Prozess. In den Phasen der Ideenfindung und der Prototypisierung kommen unterschiedliche Methoden beziehungsweise Methodensets zum Einsatz. Letztere wechseln divergente, also Ideen generierende und konvergente, also Ideen ordnende Phasen ab, und sind in sich in der Regel iterativ ausgelegt. Zur Phase der Ideenfindung gehört primär aber auch die Auswahl der geeigneten Methoden als erster Schritt des weiteren Prozesses. Die Entwicklung und Erprobung von Prototypen bietet immer auch die Möglichkeit, einen Schritt zurückzugehen und noch einmal in die Ideenfindung einzusteigen, wenn sich herausstellt, dass sich die bisherigen Ideen nicht in Prototypen umsetzen lassen oder die aus ihnen entwickelten Prototypen alle nicht funktionieren. Eine solche Schleife existiert auch im nächsten Schritt von der Prototypisierung hin zum tragfähigen Konzept. Im Gegensatz zu den Prototypen, die unter besonderen Bedingungen entwickelt und getestet werden, geht es hier um die Alltagstauglichkeit unter anderem auch unter wirtschaftlichen Aspekten. Hat sich die Tragfähigkeit einer Lösung erwiesen, geht es um deren Verbreitung, sowohl innerhalb der eigenen Institution als auch – im Rahmen des Marketings – darüber hinaus. Open Social Innovation unterscheidet sich hier von der betriebswirtschaftlich orientierten Offenen Innovation darin, dass es in dieser Phase der Skalierung einer Innovation nicht um deren Vermarktung mit Gewinnerzielungsabsicht geht, sondern um eine Verbreitung im Sinne der Innovationsförderung über den institutionellen oder organisatorischen Rahmen hinaus. Das Ziel liegt hier letztendlich in einer nachhaltigen Veränderung im System beziehungsweise darin, viable neue Prozesse, Produkte oder Dienstleistungen zu entwickeln, die für möglichst viele Akteurinnen und Akteure innerhalb eines Systems adaptierbar und sinnvoll einsetzbar sind. Ist der Prozess also in der auslösenden Phase der Recherche und bei der Ideenfindung noch sehr stark von außen nach innen orientiert, werden also vor allem Informationen aufgenommen, fließen hier Informationen zurück ins System und der Prozess ist in seinen letzten beiden Phasen von innen nach außen orientiert. Die Richtung des Informationsflusses, inbound – also nach innen gerichtet – oder outbound – also nach außen gerichtet – spielt im Konzept der Offenen Innovation generell eine große Rolle. Offene Innovationsprozesse können davon

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geprägt sein, dass die notwendigen Informationen wesentlich von außen kommen, etwa durch die Beteiligung von Kundinnen und Kunden an der Produktentwicklung oder den Rückgriff auf ein Open Source Produkt. Unter Offener Innovation versteht man aber auch Prozesse, die darauf ausgerichtet sind, die in der Entwicklung gewonnen Informationen mit anderen zu teilen, etwa aus Transparenzerwägungen gegenüber der Öffentlichkeit oder Kundinnen und Kunden oder um durch Verfügbarkeit der Innovationen anderen eine Teilnahme an der weiteren Entwicklung zu ermöglichen. Hier wird schon deutlich, dass es nicht zwangsläufig nur die eine oder die andere Richtung des Informationsflusses geben kann. In vielen Fällen werden auch schon in der kommerziellen Anwendung Offener Innovation beide Richtungen des Informationsflusses in unterschiedlichen Phasen eines Prozesses gewählt. Gemeinsame Softwareentwicklung beruht zum Beispiel darauf, dass die Entwicklerinnen und Entwickler nicht nur externe Informationen beziehungsweise Beiträge für ihre eigene Arbeit nutzen, sondern dass sie eigene Ergebnisse auch mit der jeweiligen Community teilen. Wie bereits am oben zitierten Modell erkennbar, wechseln sich in einem Open Social Innovation Prozess Phasen der Informationsaufnahme und der Informationsvermittlung ab, ähnlich wie sich in iterativen Entwicklungsprozessen divergente und konvergente Phasen abwechseln. Die in der Darstellung des Modells nahegelegte Verteilung des Informationsflusses gibt zwar eine Tendenz wieder, ist aber nicht normativ zu lesen. In jeder Phase können sich – gewollt und auch ungewollt – Informationsflüsse in beide Richtungen entwickeln. Diese korrelieren unmittelbar mit dem Grad der Interaktion. Je mehr Information in beide Richtungen fließt, desto größer ist das Potential für offene Interaktion.

Abb. 7: Grad der Interaktion und Informationsfluss bei Open Social Innovation (eigene Darstellung)

188  5 Voraussetzungen

Das hier vorgeschlagene Modell (Abbildung 7) ist, im Gegensatz zu einigen aus der Debatte um Partizipation beziehungsweise Beteiligung bekannten Beispielen, bewusst nicht hierarchisch aufgebaut oder wertend. In Prozessen Offener Innovation geht es zunächst nicht um Machtfragen im Sinne der, oft ideologisch aufgeladenen, Fragen der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürger an Planungsprozessen der Verwaltung oder Politik. Dementsprechend wird nicht zwischen echter und scheinbarer Beteiligung unterschieden. Eine Befragung, die allein dem Zweck dient, Informationen von Nutzerinnen und Nutzern einzuholen ist in der Offenen Innovation genauso legitim, wie die Vermittlung von Informationen nach außen ohne weitere Interaktion. Der Grad der Interaktion wird in der Regel in verschiedenen Phasen unterschiedlich ausfallen. Eine solche Loslösung vom traditionellen Partizipationsdiskurs vertreten auch Raffl et al., wenn sie Beteiligung weniger im Sinne einer politischen Teilhabe und mehr im Sinne eines gemeinsamen Interesses formulieren: Tatsächlich setzt eine Öffnung von Innovationsprozessen auch immer eine Teilnahme interessierter Akteure voraus. Allerdings geht es nicht (primär) um Repräsentativität im politischen Sinne, wie es auch nicht vorrangig um Teilnahme an politischen Prozessen geht. Es geht vielmehr darum Impulse sämtlicher Beteiligter, Interessierter und (potentiell) Betroffener aufzugreifen. (Raffl et al. 2014, 40)

Die Autorinnen und Autoren verwenden konsequenterweise den Begriff Offene Gesellschaftliche Innovation als deutsche Übertragung von Open Social Innovation (Raffl et al. 2014, 42), da es in diesem Zusammenhang nicht allein um die soziale Zielrichtung der Innovation geht, sondern um die Entwicklung im gesellschaftlichen Zusammenhang und in Interaktion mit gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren. Entscheidend ist hier die oben bereits zitierte Voraussetzung, dass sich die Offenheit inhaltlich, in Bezug auf das Ergebnis, aber auch im Prozess selbst niederschlägt. Bevor eine mögliche Adaption dieses Konzepts auf Planungsprozesse für Lernwelten in Wissenschaftlichen Bibliotheken skizziert wird, soll zunächst der Ablauf eines Prozesses Offener Gesellschaftlicher Innovation nach dem Modell von Raffl et. al. beschrieben werden. Am Anfang eines Offenen Gesellschaftlichen Innovationsprozesses stehen die Ermittlung der Projektpartnerinnen und -partner in Form von Entscheiderinnen und Entscheidern, Stakeholdern, Einrichtungen, Gruppen und Einzelpersonen sowie die Festlegung von Rollen innerhalb des Prozesses, die sich im weiteren Verlauf auch ändern können (Raffl et al. 2014, 51). Dies bedeutet, dass neben den externen Stakeholdern zum Beispiel auch die in vielen Beteiligungsformaten vernachlässigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Einrichtung eine Rolle spielen sollten. Wesentliche Charakteristika eines Offenen Gesellschaftlichen Innovationsprozesses sind wie oben erläutert das Bewusstsein für

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den Grad der Interaktion im Zusammenhang mit der Richtung des Informationsflusses aber auch die ständige Reflektion des Projektstandes. Die Offenheit des Prozesses erlaubt es, unterschiedliche Methoden und Formate zu integrieren, solange dies reflektiert und kommuniziert wird aber auch, diese zu wechseln, wenn sie nicht funktionieren. Feedbackschleifen sind daher, wie in Prozessen offener Innovation, aufgrund des iterativen, agilen Charakters fest vorgesehen. Aus diesem Grund existiert auch kein festgelegtes Set an Werkzeugen für die verschiedenen Phasen, sondern Raffl et. al. definieren und beschreiben Werkzeugklassen der Offenen Gesellschaftlichen Innovation (Tabelle 1). Tab. 1: Werkzeugklassen nach Raffl et. al. (2014, 140) Werkzeugklasse

Beschreibung

Ideen

Werkzeuge zum gemeinsamen Brainstorming Sammeln und Bewerten von Ideen Mindmapping und Vorschlägen

Beispiele

Problemsammlung

Werkzeuge zum Sammeln und Bewerten von Problemen

Beschwerdemanagement Ideenmanagement

Problemlösung

Werkzeuge zur Lösung konkreter Probleme durch große, verteilte Gruppen und Expertennetzwerke

Kollaborationsplattformen Expertennetzwerke

Design

Werkzeuge zur gemeinsamen Gestaltung

Gestaltungswettbewerbe

Innovationsmanagement

Unterstützung des gesamten Inno- Design Thinking vationsprozesses von der IdeenInnovationsmanagementdiensgenerierung über die Konzeption te bis zur Umsetzung

Daten

Plattformen zur einheitlichen Zusammenführung, Bereitstellung und Analyse von Daten

Clouddienste Intranet externe Datenquellen

Zukunftsfragen

Methoden, Prozesse und Werkzeuge zur langfristigen und strategischen Zukunftsforschung

Trend-Reports Delphi-Studien Positionspapiere

Soziale Medien

Werkzeuge zur gemeinsamen Erstellung, Bewertung, Kommentierung und Verbreitung medialer Inhalte

Kollaborationsplattformen Intranet Social Media (extern)

Als strategischer Ansatz mit großer thematischer und methodischer Offenheit bietet die Offene Gesellschaftliche Innovation gegenüber anderen Ansätzen partizipativer Entwicklung im nichtkommerziellen Bereich den Vorteil, dass es we-

190  5 Voraussetzungen

der ein striktes methodisches Gerüst im Sinne eines standardisierten Vorgehens noch eine Einschränkung zum Beispiel auf gestalterische Aufgaben oder IT-Entwicklung gibt. Dies erlaubt es auch, übergreifende Veränderungsprozesse zu gestalten, die eine Institution als Ganzes erfassen. Zudem profitieren im Gegensatz zum betriebswirtschaftlichen Konzept Offener Innovation die beteiligten Personen und Institutionen mehr oder weniger direkt. In Hinblick auf die Interaktion mit Kundinnen und Kunden werden im Falle kommerzieller Offener Innovation häufig das Wissen und die Erfahrung für die Entwicklung von Waren und Dienstleistungen abgeschöpft, die dann später an dieselbe Klientel verkauft werden sollen. Unternehmen profitieren also zunächst von Informationen, die sie oft kostenlos erhalten und dann noch einmal vom Verkauf der mit Hilfe dieser Informationen entwickelten Produkte. Offene Gesellschaftliche Innovation zielt dagegen unmittelbar auf die Verbesserung der Lebenswelt einer spezifischen Gemeinschaft und verfolgt keine kommerziellen Zwecke. Wie auch in anderen Bereichen Sozialer Innovation kann es natürlich sein, dass direkt oder indirekt auch der Gedanke der Wirtschaftsförderung mit solchen Prozessen verbunden ist. Etwa wenn es darum geht, die Lebensqualität einer Kommune oder Region zur Gewinnung neuer Arbeitskräfte zu steigern oder durch Beteiligung der Bewohnerinnen und Bewohner die Akzeptanz für den Tourismus zu steigern, der aus verschiedenen Gründen zunehmend umstritten ist. Hier finden dann oft auch Prozesse einer scheinbaren Beteiligung statt, die die von Offener Gesellschaftlicher Innovation geforderte Ergebnisoffenheit nicht mitbringen und dazu beitragen, das partizipative Elemente in der Planung diskreditiert werden. Nimmt man die Beteiligung jedoch ernst und möchte Impulse und Interessen aus der Gemeinschaft in Innovationsprozesse einbeziehen, muss man schon im Sinne der Akzeptanz und Teilnahme eine bloße Alibifunktion der Beteiligung vermeiden. Dies gilt umso mehr auf der Mikroebene, wenn sich die angestrebte Veränderung innerhalb eines gesetzten institutionellen Rahmens mit einer mehr oder minder überschaubaren Gemeinschaft bewegt, wie dies etwa bei Hochschulen der Fall ist. Inwiefern lässt sich also Offene Gesellschaftliche Innovation für die Gestaltung von Lernwelten im Wissenschaftsbereich nutzen und, um die Frage vom Anfang dieses Kapitels noch einmal aufzugreifen, warum sollte man das tun? Es stellt sich die Frage, weshalb auf offene gesellschaftliche Innovation gesetzt werden sollte. Diese Frage muss jeweils aus Sicht staatlicher und aus der Sicht zivilgesellschaftlicher Akteure gestellt werden. Der Wunsch nach Partizipation dient aus Sicht des Bürgers einem anderen Zweck als aus Sicht eines Politikers oder eines Verwaltungsmitarbeiters. Daher bietet es sich an, auch das Ziel eines Innovationsprojektes bereits in einer frühen Phase zu kommunizieren und mit sämtlichen Beteiligten abzustimmen, um ein gemeinsames Verständnis dafür zu erreichen. (Raffl et al. 2014, 49)

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Dasselbe gilt – in einer etwas anderen Rollenverteilung – auch im Hochschulbereich. Neben der beschriebenen politischen Entscheidung, sich überhaupt auf eine Öffnung des Innovationsprozesses in Richtung der eigenen Gemeinschaft einzulassen, spielt unter Umständen auch die Verständigung mit dieser Gemeinschaft eine wesentliche Rolle in der auslösenden Phase eines Prozesses. Die von Raffl et al. (2014, 174) genannten Akzeptanzprobleme Offener Gesellschaftlicher Innovation können auch in wissenschaftlichen Kontexten auftreten. So stellen sich die Fragen des Managements der gewonnenen Informationsmenge, ihrer Qualität und der Umsetzbarkeit generierter Ideen. Eine wichtige Thematik ist auch im Hochschulbereich der empfundene oder reale Bedeutungsverlust von Entscheiderinnen und Entscheidern oder auch Expertinnen und Experten, wenn in Gestaltungsprozessen eine breitere Beteiligung erreicht wird. Schon hier stellt sich die im nächsten Kapitel noch einmal näher beleuchtete Frage, wem die Lernwelt eigentlich gehört. Und letztlich gilt für jede Institution, die einen Offenen Gesellschaftlichen Innovationsprozess beginnen möchte, dass sie zunächst auch die eigene Kultur klären muss. Dazu gehört die schon angesprochene Frage der Glaubwürdigkeit gegenüber den Beteiligten: Wenn Veränderungen bisher nicht transparent gestaltet und/oder kommuniziert wurden und Beteiligung nicht gewollt war, wie ernst ist die neue Herangehensweise wirklich gemeint? Unabhängig davon sind es die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von bisher nach außen eher geschlossenen Institutionen auch nicht gewohnt, ihre Arbeit offen zu kommunizieren und den in Prozessen Offener Innovation generierten Input ebenso offen aufzunehmen. Gerade in Veränderungsprozessen werden immer auch Unzulänglichkeiten und Schwächen thematisiert werden, was zwar einerseits erwünscht ist, andererseits aber auch als mangelnde Wertschätzung der bisherigen Arbeit empfunden werden kann. Umso wichtiger ist es, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der eigenen Einrichtung in solchen Prozessen nicht nur als eine Informationsressource unter vielen zu betrachten, sondern ihnen unterschiedliche Rollen zuzuweisen, aus denen sie heraus Einfluss auf den Prozess nehmen können. Ein solcher Kulturwandel wird auch von Raffl et al. (2014, 126) als notwendige Voraussetzung gesehen. Häufig wird auch das schon erwähnte Argument bemüht, Studierende hätten wenig Motivation, sich in Gestaltungsprozessen zu engagieren, deren Ergebnisse sie eventuell während ihres Studiums nicht mehr erleben würden. Dies trifft einerseits vor allem auf Neubau- und umfassende Sanierungsprozesse zu, wobei aber gerade kleinere Umbauten und die dauerhaften Entwicklungsprozesse der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek auch zeitnahe Ergebnisse erzeugen. Es existieren nach Raffl et al. (2014, 49) aber auch andere Motive für die Beteiligung an solchen Prozessen: Zum einen die generelle Möglichkeit der Mitwirkung und Mitentscheidung, zum anderen das soziale Miteinander, das in

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solchen Situationen entsteht. Beide Motivationen kann man auch für Beteiligungsprozesse im Hochschulbereich unterstellen, was zumindest die bekannten erfolgreichen Praxisprojekte nahelegen. Selbst wenn zum Beispiel die beteiligten Studierenden aufgrund der langen Planungsdauer im Bereich des Hochschulbaus nicht mehr direkt von der Gestaltung einer Lernwelt profitieren sollten, könnte es für sie interessant sein, innerhalb des Projekts in eine Community of Practice eingebunden zu werden, in der sie sich akademische und/ oder professionelle Kompetenzen aneignen und ein breiteres Bewusstsein für ihre eigenen Lernbedürfnisse entwickeln könnten. Welche weiteren Akteurinnen und Akteure gilt es aber einzubinden? Angelehnt an Raffl et al. lassen sich für die Gestaltung von hochschulischen Lernwelten als Prozess Offener Gesellschaftlicher Innovation folgende Beteiligte identifizieren (Tabelle 2). Tab. 2: Akteure für Prozesse Offener Gesellschaftlicher Innovation im Hochschulbereich (angelehnt an Raffl et. al. 2014, 51) Rolle

Beispiele

Entscheider

Hochschulleitung Bibliotheksleitung Verwaltung Politik Drittmittelgeber/-innen

Primäre Stakeholder

Studierende Wissenschaftler/ -innen Sonstige Nutzer/ -innen Mitarbeiter/ -innen Kooperierende

Sekundäre Stakeholder

Hochschulgremien Studierendenvertretung Personalvertretungen Expert/ -innen Öffentlichkeit

Da hier je nach institutioneller Einbindung der jeweiligen Einrichtung unterschiedliche Beteiligte in unterschiedlichen Rollen existieren, ist es sinnvoll, Akteurinnen und Akteure mittels eines Stakeholder-Mapping zu identifizieren und ihnen entsprechend Rollen zuzuweisen. So existieren einerseits klare Rollen wie etwa die der Auftraggeberinnen oder Auftraggeber eines Prozesses oder der Betreiberinnen oder Betreiber einer Einrichtung, andererseits können die Zuordnungen aber variieren und sich im Verlauf des Prozesses auch ändern (Raffl et

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al. 2014, 52). Im Hochschulbereich sind es gerade Lehrende, aber zum Beispiel auch Mitarbeitende der Bibliothek, die unterschiedliche Rollen einnehmen können. Die grundsätzliche Unterscheidung von Entscheiderinnen und Entscheidern sowie primären und sekundären Stakeholdern ist hier deshalb wichtig, weil die oben erwähnten unterschiedlichen Perspektiven und Interessen im Prozess berücksichtigt werden müssen. Wesentlich ist auch, dass bei der Beschreibung der Stakeholder die Diversität der Lernenden angemessen berücksichtigt werden muss, da diese nicht nur eine wichtige kontextbezogene Facette im Modell der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek darstellt, sondern die Auswahl der Gruppen wesentlichen Einfluss darauf hat, dass schon im Spacing unterschiedliche Lernbedürfnisse vermittelt durch die verschiedenen Impulse und Interessen berücksichtigt werden können. Je nach Größe einer Einrichtung spielt auch die Frage eine Rolle, wie gut die einzelnen Beteiligten beziehungsweise Gruppen von Beteiligten bereits untereinander vernetzt sind und welche kommunikativen Vorerfahrungen sie miteinander haben. Dazu ist die Unterscheidung von „Community“ und „Crowd“ (Raffl et al. 2014, 53) ein guter Anhaltspunkt. Während die Community eine untereinander vernetzte Gemeinschaft beschreibt, die sich schon vor Beginn des Innovationsprozesses kennt, Informationen austauscht und in der Regel auch schon eine Gruppendynamik besitzt, handelt es sich bei der Crowd um eine zunächst unbestimmte Menge an potentiell Beteiligten wobei die Übergänge hier fließend sind (Raffl et al. 2014, 53). Dementsprechend steigt der Grad der Komplexität eines Projekts, je eher die Gesamtmenge der Beteiligten den Charakter einer Crowd hat. Im Hochschulbereich hängt dies insbesondere von der Skalierung des Prozesses ab, also ob etwa die Gestaltung einer Lernwelt auf Fachbereichsebene oder für eine größere Universität geplant wird. Entsprechend dem öffentlichen Charakter der meisten Wissenschaftlichen Bibliotheken in Deutschland und auch in Hinblick auf einen Informationsfluss über die Grenzen der eigenen Einrichtung hinaus, sollten bei den primären und sekundären Stakeholdern aber auch externe Nutzergruppen, Expertinnen und Experten sowie Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartner berücksichtigt werden. Zuletzt stellt sich vielleicht noch die Frage, welche Rollen denn die Bibliothek selbst in der Gestaltung der Lernwelt spielt, wenn diese als Offene Gesellschaftliche Innovation organisiert wird. Diese sind natürlich so variabel wie die aller anderen Beteiligten und von der Einbindung der Bibliothek in eine andere Institution, also in der Regel in eine Hochschule, von ihrer Entscheidungskompetenz und von ihrer intrinsischen Motivation abhängig. Eine selbständig organisierte Wissenschaftliche Bibliothek, die die Entwicklung einer Lernwelt selbst initiiert, wird eher als Auftraggeberin, Impulsgeberin und Entscheiderin auftreten können, muss diese Rollen dann aber auch entsprechend bewusst ausfüllen

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und koordinieren. Aber auch, wenn sie weniger eng in Entscheidungswege eingebunden sind oder der ursprüngliche Impuls nicht von ihnen kommt, können Wissenschaftliche Bibliotheken über ihre inhaltlichen Beiträge hinaus in solchen Prozessen ihre Kernkompetenzen einbringen. Neben dem Informationsmanagement, das ein wesentlicher Erfolgsfaktor eines Offenen Innovationsprozesses ist, sind auch moderierende und berichterstattende Rollen wichtig und müssen ausgefüllt werden. Murray et. al. weisen für Open Social Innovation auf die Bedeutung von Vermittelnden hin, die das entstehende Netzwerk stützen und den Prozess vorantreiben. Intermediaries are individuals, organisations, networks, or spaces which connect people, ideas, and resources. They can take a variety of forms – some incubate innovations by providing a ‘safe’ space for collaboration and experimentation; some connect entrepreneurs with the supports they need to grow their innovations; and others help to spread innovations by developing networks and collaborations. (Murray et al. 2010, 124).

Die genannten Funktionen, also das Angebot von Räumen zur Zusammenarbeit und für kreative Prozesse, die Verbindung von Beteiligten und Unterstützungsangeboten sowie die Vernetzung verschiedener Akteurinnen und Akteure, sind auch auf den Prozess der Gestaltung einer Lernwelt übertragbar. Die Vermittlerrolle, die Bibliotheken im Spacing übernehmen können, entspricht in vielerlei Hinsicht der, die sie später in Bezug auf das selbstorganisierte Lernen spielen werden. Wissenschaftliche Bibliotheken sollten in der Entwicklung und dem Management hochschulischer Lernwelten eine zentrale Rolle spielen (Eigenbrodt 2018, 46), da sie viele der notwendigen Kompetenzen schon mitbringen. Dies hängt aber wesentlich davon ab, inwiefern sie als Partnerinnen und Partner auf Augenhöhe in einer kooperativen Campusplanung akzeptiert werden und generell im Spacing von Lernwelten traditionelle Machstrukturen zugunsten von partizipativen Prozessen der Schaffung von Ermöglichungsräumen aufgegeben werden. Für Wissenschaftliche Bibliotheken eröffnet sich mit einer Strategie der Offenen Gesellschaftlichen Innovation die Möglichkeit, in einem kooperativen Projekt die Transformation zur Lernwelt nicht nur durch einen intensiven Beteiligungsprozess zu begleiten, sondern diesen auch methodisch so breit aufzustellen, dass möglichst viele Facetten diskutiert, abgewogen und berücksichtigt werden können. Das iterative Vorgehen entspricht dabei der Erkenntnis, dass Raum und Lernen nicht statisch, sondern nur als Prozess zu denken sind. Dieser wäre folgerichtig auch nicht mit dem Abschluss einer Transformationsphase beendet, sondern setzt sich im alltäglichen Betrieb fort.

5.3 Organisation und Management der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek 

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5.3 Organisation und Management der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek Abschließend soll die Frage in den Blick gerückt werden, welche Bedeutung die in diesem Band gewonnen Erkenntnisse für den Betrieb der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek haben. Dies fängt mit einer gegenseitigen Verständigung der verantwortlichen Akteurinnen und Akteure über den Charakter der Lernräume an. Zwischen den komplexen Zusammenhängen von Raum und Flächenmanagement auf der einen Seite und den besonderen Anforderungen von Lernen, Lehre und Forschung auf der anderen Seite sieht Boys keinen einfachen Konsens. Allerdings betont sie, dass mit dieser generellen Problematik der Raumplanung auf dem Campus nur umgegangen werden kann, wenn die unterschiedlichen Herangehensweisen an und Interpretationen von Raum, also die je spezifischen Raumkonzepte, akzeptiert werden und der Wert von Flächen und Systemen ausgehend von ihrer Bedeutung sowohl für das Lernen als auch für die Institution als solche auf neue Weise betrachtet wird (Boys 2011, 129). Wie schon bei Konzeption und Planung sind hierbei übergreifende Koordination und Kooperation auch für den Betrieb erforderlich. Der Gestaltung von physischen, digitalen und hybriden Lernräumen kommt in diesem Zusammenhang in Zukunft eine wichtige Funktion zu. Allerdings müssen damit auch veränderte Organisationskonzepte verbunden sein, die die Hochschule als ganzheitliche sowie integrierte Lernwelt etablieren und nicht als segmentierte und additive, wie es derzeit in den meisten Hochschulen der Fall ist. (Stang et al. 2020, 12)

Diese Faktoren gilt es schon bei der Planung zu berücksichtigen. Genauso wie das Gebäudemanagement ein Betriebskonzept aus der Betrachtung der Gebäudetechnik und der Aufwände für Unterhalt und Wartung erstellt, muss die Frage geklärt werden, wer die Verantwortung für die mit der Lernwelt zusammenhängenden Räume und Systeme übernimmt, wer das didaktische Arrangement betreut und wer für alles eine koordinierende Funktion übernimmt. Dabei spielt auch eine Rolle, dass die einzelnen Komponenten einer Lernwelt unterschiedliche Lebensspannen haben. Das fängt bei der Software für digitale Anwendungen an, reicht über die Hardware und die Einrichtung bis hin zu technischen Einbauten und der Gebäudestruktur selbst (Long/Ehrmann 2005, 51). Jedes Update, jeder Relaunch, jeder Austausch von Geräten und Einrichtung und jede Sanierungsmaßnahme muss mit dem aktuell gültigen Gesamtkonzept einer Lernwelt abgeglichen werden. Bei der Betrachtung von Organisation und Betrieb einer Lernwelt wie der Wissenschaftlichen Bibliothek sollte also ein ganzheitlicher Ansatz gewählt werden, der insbesondere die Frage

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nach der Verantwortung für Räume und Systeme beantwortet sowie den prozessualen Charakter der Lernwelten im Blick hat.

5.3.1 Wem gehört die Lernwelt? Ownership und Verantwortung Grundvoraussetzung für den Betrieb von Lernräumen ist deren Zugänglichkeit für diejenigen Individuen, die eine Verortung für ihre selbstorganisierten Lernprozesse suchen. Der Ermöglichungsraum muss also zuallererst Zugang ermöglichen. Diese zunächst banal klingende Feststellung wird dann komplexer, wenn man sich vor Augen führt, dass Zugang zu Lernwelten nicht nur den physischen Zugang zu Gebäuden oder den Login für Systeme umfasst: Zugleich ist das informelle Lernen auch von den Zugängen zu Informations- und Wissensräumen abhängig. Und diese sind häufig verknüpft mit Teilhabechancen und Kompetenzen, im Sinne von Zuständigkeiten und Befugnissen, die wiederum an gesellschaftliche Stellungen und Positionen gekoppelt sind. (Schüßler 2016, 101)

Zugang berührt also nicht nur physische und technische Aspekte – und selbst hier sind viele Räume und Systeme auch an Hochschulen nach wie vor für Individuen unzugänglich, die aus körperlichen oder sonstigen Gründen von den gängigen Zugängen ausgeschlossen sind –, Zugang berührt unmittelbar auch die Fähigkeit zur Synthese. Niedrigschwellige Räume bieten Anknüpfungspunkte, die es einem erstmals mit dem Raum konfrontierten Individuum ermöglichen, aus dem Gedächtnis bekannte Muster und Arrangements abzurufen, die es bei der Konstitution und späteren Aneignung des Raumes als Lernraum nutzen kann. Der Raum selbst hilft darüber hinaus durch spezifische materielle Anordnungen und seine Atmosphäre, das Arrangement zu erinnern und situativ schnell wieder abrufen zu können. Im besten Fall spricht er auch emotional an und kann so positive Triggereffekte auslösen. Bei der Ausgestaltung der institutionellen Normen ist zudem darauf zu achten, dass diese nicht ausschließend wirken, sondern dem ermöglichenden Charakter der Räume entgegenkommen. Allerdings existieren neben den regulatorischen Normen der Institution selbst auch noch die beschriebenen und zum Teil sehr komplexen habituellen Regulationsmechanismen, die für die Zugänglichkeit eines Raumes mitentscheidend sind. Edinger (2015, 251) unterscheidet im Fazit ihrer Studie zu Bibliotheksräumen inkludierende, exkludierende und distinktive Wirkungen verschiedener Bibliotheksgebäude. Einerseits müssen raumbezogene Kompetenzen vermittelt werden, die zukünftige Zugänge erleichtern, andererseits braucht es aber auch

5.3 Organisation und Management der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek 

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Irritationen, die sowohl die Aneignung des Raumes als auch den anschließenden Lernprozess triggern können. Dass Wissenschaftliche Bibliotheken dabei auf in zwei Jahrhunderten gewachsene Erfahrungen zurückgreifen können, ist eine gute Voraussetzung, auch unter dem Paradigma der Lernwelten niedrigschwellige Zugänge anbieten zu können, wenn sie sich auf die veränderten Rahmenbedingungen einlassen und sich mit den spezifischen Voraussetzungen und Herausforderungen mehr als nur oberflächlich auseinandersetzen. Das Potential ist also vorhanden und sollte in Kooperation mit anderen Einrichtungen und den Fakultäten im Sinne der Lernenden genutzt werden (Covert-Vail/Collard 2012). Hier gilt, wie bei der Konzeption und Planung, dass die lernenden Individuen im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen müssen, Bibliotheken können mit ihren in der Evaluation der Lernwelten gewonnenen Erkenntnissen auch zu Anwältinnen des selbstorganisierten Lernens werden, wo Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler notwendigerweise oder auch aus Gewohnheit insbesondere von der Lehre ausgehen. In fact, management of learning spaces is about bringing together different actors and interests. First and foremost, the management must act as an advocate of student needs and interests regarding the learning environments. (Eigenbrodt 2018, 44)

An dieser Stelle ist es sinnvoll, noch einmal auf Bennetts Konzept der ownership zurückzukommen. Wie bereits im Zusammenhang mit der raumbezogenen Didaktik deutlich geworden ist, bedeutet die Tatsache, dass der Raum den Lernenden ‚gehört‘ nicht, dass diese auch die beschriebene Verantwortung übernehmen müssten. Vielmehr gilt es, das Verhältnis zwischen Bibliothekspersonal und Lernenden neu auszutarieren. The ownership of learning space is only one aspect of how we manage staff presence for learning. An equally fundamental issue is how our presence shapes our relationship with students. Our reliance on service desks ineluctably shapes this relationship as a transactional one that occurs between a person who knows something, the staff member, and a person who lacks knowledge, the student. (Bennett 2015, 224)

In den in Kapitel 4 besprochenen Studien zu Lernräumen taucht häufig die Frage nach der der Präsenz von Ansprechpersonen auf, die im Raum Hilfestellung und Beratung anbieten. Dabei geht es einerseits um organisatorische und technische Dinge, andererseits aber auch um klassische Themen der bibliothekarischen Auskunft wie Informationsrecherche und -vermittlung oder Navigation im digitalen Raum. Hinzu kommen aber auch Angebote, die sich auf den Lernprozess selber beziehen.

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Die Verantwortung für Lernwelten hat also immer eine technisch-organisatorische und eine didaktisch-begleitende Komponente, wie auch Stang und Strahl betonen: Für die Gestaltung dieser Ermöglichungsräume als Freiräume des Lernens ist nicht nur das räumliche Arrangement von Relevanz, sondern auch die konzeptionelle pädagogische Rahmung. Dazu gehören der Medieneinsatz genauso wie die Bereitstellung von Arbeitsmaterialien (Pinnwänden, Moderationsmaterialien usw.) sowie Lernberatungs- und Begleitungsangebote. (Stang/Strahl 2016, 168)

Auch hier gilt, dass Wissenschaftliche Bibliotheken Kompetenzen und Fähigkeiten in Organisation und Betrieb von Lernwelten einbringen können, die andere Einrichtungen erst aufbauen und/oder adaptieren müssten. Trotzdem sollte man es in diesem Zusammenhang vermeiden, vom bibliothekarischen ‚Kerngeschäft‘ zu reden, da dies die Gefahr in sich birgt, die mit dem Management und der Erfüllung dieser Aufgaben verbundenen besonderen Anforderungen zu unterschätzen beziehungsweise nicht zu berücksichtigen. In Bezug auf Information Commons hat Lippincott schon 2006 ein Umdenken als Wandel von „information services“ zu „user services“ gefordert (Lippincot 2006, 7.3). Mit Bezug auf die hierzulande gebräuchliche Terminologie sollte man eher einen Wandel von Aufsicht und Auskunft zu Lernraummanagement sehen. Es wird deutlich, dass die von Bennett an einer Stelle ins Spiel gebrachte Verwaltung von Lernräumen durch die Studierenden selbst letztendlich bedeuten würde, sich der beschriebenen Verantwortung zu entziehen (Bennett 2003, 38). Dies bedeutet nicht, dass temporäre und/oder räumlich begrenzte Projekte des Lernraummanagements durch Studierende nicht sinnvoll und erkenntnisfördernd wären und auch die Einbeziehung studierender Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in das Management von Lernräumen bringt nicht nur den Vorteil der Peer-Perspektive mit sich, sondern ermöglicht es den beteiligten Studierenden, Kenntnisse und Fähigkeiten zu sammeln die sie später im beruflichen Kontext nutzen können. Die Aufgabe der Lernenden in der Lernwelt liegt aber nicht darin, diese zu verwalten oder zu betreiben, sondern die gebotenen Möglichkeiten im Rahmen ihrer individuellen Motivation und Zielsetzung für den eigenen Lernprozess zu nutzen und sich so Wissen und Kompetenzen anzueignen. Dabei sind die von Crook und Mitchell herausgearbeiteten Facetten sozialen Lernens besonders wichtig. 1. 2.

Focused collaboration: occasions of traditional, and relatively intense joint problem solving. These are likely to be planned and strongly outcome-oriented. Intermittent exchange: whereby students convene for independent study that permits an occasional and improvised to-and-fro of questioning or commentary.

5.3 Organisation und Management der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek

3. 4.



199

Serendipitous encounter: that is, chance meetings with peers in which study related issues (and perhaps other matters) are discussed briefly and on the fly. Ambient sociality: students identify the importance of simply ‘being there’ as participants in a studying community. (Crook/Mitchell 2012, 136)

Auch diese nicht-intentionalen Facetten des Lernprozesses sollten durch einen entsprechenden Betrieb ermöglicht und gefördert werden. Auf diese Weise werden Lernräume zweifellos zu Räumen der Lernenden im Sinne der ownership, die Verantwortung dafür, dass sie als solche zugänglich sind, Lernprozesse ermöglichen und technisch sowie organisatorisch schlicht funktionieren, liegt aber bei den Akteurinnen und Akteuren, die sie betreiben. Wissenschaftliche Bibliotheken können und sollten die Chance ergreifen, die darin für die Nutzung ihrer Kompetenzen und ihre zukünftige Profilierung innerhalb der Lernwelt Hochschule liegt und viele haben das auch schon getan oder sind auf dem Weg dorthin. Allerdings gilt es dabei, sich wie in der Gestaltung von Lernräumen nicht auf einen Beanbag-Approach und die zweifellos bereits vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten zu verlassen, sondern die Herausforderung anzunehmen, die in einer neuen Herangehensweise an das Verhältnis von Raum und Lernen liegt. Komplexitätsreduktion ist keine Option, wenn man sich diesem differenzierten Verhältnis produktiv nähern will. Dazu gehört auch, dass relationale Räume und selbstorganisiertes Lernen nicht statisch, sondern prozesshaft gedacht werden müssen.

5.3.2 Lernwelt als Prozess Raum als relationales Konzept ernst zu nehmen, bedeutet in erster Linie, ihn als Resultat von Handlungen zu sehen, das ständig im Fluss ist. Daher sei abschließend noch einmal an Löws grundlegende Aussagen zum Zusammenhang von Handeln und Raum erinnert: Räume werden in einem kontinierlichen Strom von Handlungen geschaffen. In diesen Handlungen werden rekursiv Strukturen reproduziert. Allerdings lassen sich diese Reproduktionen wie auch die Veränderungen nicht geradlinig auf die Intention der Handelnden zurückführen. Räume entstehen im Handeln, und zwar mit intentionalen und mit unbeabsichtigten Folgen […]. (Löw 2001, 190–191)

Dies gilt für Lernwelten, wenn man sie mit einem räumlichen Verständnis betrachtet, genauso wie für Lernräume als räumliche und/oder digitale Ausdehnung von Lernwelten. Hier wird noch einmal die Unterscheidung von Lernwelt, Lernraum und Lernort aufgerufen. Letzterer ist wie beschrieben als lokalisierba-

200  5 Voraussetzungen

rer Punkt im Raum, der zu einer bestimmten Zeit von einem bestimmten Individuum angeeignet wird, immer temporär. Die Konstellation der Elemente Infrastruktur, Atmosphäre, Wissensträger und Ko-Präsenz entscheidet über die Frage, ob ein Ort für eine Person in Bezug auf einen bestimmten Gegenstand zu einem Lernort wird. Der Begriff der Konstellation verweist auf die Veränderbarkeit dieser Bestimmung. Die Bezeichnung „Lernort“ ist nicht auf Dauer angelegt, sondern immer temporär, das heißt eine zu einem konkreten Zeitpunkt gültige Bezeichnung eines Ortes. Die Konstellation der vier Elemente muss mit Blick auf eine konkrete Person und den jeweiligen Gegenstand passend sein, damit ein Ort temporär zu einem Lernort wird. (Kraus 2015b, 49, H.i.O)

Es ist also gar nicht möglich, Lernorte zu gestalten. Lernort entsteht immer dann, wenn die von Kraus genannten Bedingungen erfüllt sind. Raumhandeln im Sinne von Löw kann diese Voraussetzungen allerdings positiv (und natürlich auch negativ) beeinflussen. Handelnde sind dabei alle Individuen, die in irgendeiner Beziehung zu diesem Raum stehen. Dies muss insbesondere denjenigen bewusst sein, die sich nicht als Lernende, sondern in einer professionellen Rolle in solchen Räumen bewegen. Intention und Resultat der Handlungen stimmen in der Synthese von Räumen genauso wie beim intentionalen Lernen nicht immer überein. Wie bereits erläutert, setzt selbstorganisiertes Lernen Motivation voraus. Dabei ist die intrinsische Motivation individuellen, aber auch umwelt- und entwicklungsbedingten Schwankungen unterworfen (National Research Council 2018, 5). In der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek liegt es in der Verantwortung des Personals, die unterschiedlichen Facetten dieser Umweltbedingen bis zu einem gewissen Grad mitzugestalten. Dabei müssen sich die Verantwortlichen bewusst sein, dass sie in ihrem Handeln Strukturen reproduzieren und dass ihre Eingriffe nicht in allen Fällen zum gewünschten Ergebnis führen, weil weder das raumbezogene Synthesehandeln noch das selbstorganisierte Lernen eindeutig vorhersagbar sind. Raum und Wissen konstituieren sich entlang komplexer Zusammenhänge ständig neu und erfordern ein agiles Management. Dazu gehört auch die Ablösung einer Inputorientierung (Bereitstellung von Ressourcen als Hauptaufgabe) durch eine ganzheitliche Betrachtung der Lernwelt als Infrastruktur, die intentionales, aber auch nicht-intentionales Lernen ermöglicht: Für die Gestaltung eines solchen Trends vom Input zur Infrastruktur benötigen Hochschulen und Universitäten eine klar entwickelte Strategie der Kompetenzprofilierung […] Zudem sind sie aufgerufen, komplexe, vielfältige und laborähnliche Situationen für die selbstorganisierte Lernbewegung ihrer Studierenden zu entwickeln. (Arnold/Erpenbeck 2014, 6)

5.3 Organisation und Management der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek



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Diversität und Komplexität solcher Lernwelten entziehen sich einer allumfassenden Beschreibung und einem allumfassenden Management. Vielmehr gilt es, einzelne Facetten der multifacettierten Lernumgebungen zu definieren und diese in iterativen und offenen Prozessen zu evaluieren und gezielt weiterzuentwickeln. Die von Arnold und Erpenbeck benannte Kompetenzprofilierung bezieht sich also einerseits auf die Weiterentwicklung und Schärfung der genannten Kompetenzen für den organisatorisch-technischen Betrieb sowie auf die Didaktik der Arrangements, andererseits aber auch auf die notwendigen Kompetenzen für das Management von solchen Prozessen, die unmittelbar an die Gestaltung einer Lernwelt anschließen, die in diesem Sinne zu keinem Zeitpunkt als ‚abgeschlossen‘ bezeichnet werden kann. An dieser Stelle soll noch einmal betont werden, dass es nicht nur um eine Infrastruktur für die sichtbaren Aspekte intentionaler und nicht-intentionaler Lernprozesse geht, sondern auch um das, was Siebert als „hidden curricula“ bezeichnet: Zu den „hidden curricula“ gehören auch angenehme Lernerfahrungen: überraschende Bildungserlebnisse, unerwartete anregende Bekanntschaften, Lehrende, die begeistern, Flow-Erlebnisse, d. h. Lernaktivitäten, die ein Stimmungshoch verursachen und die das Gefühl einer Horizonterweiterung bewirken. (Siebert 2005, 42, H.i.O.)

In dieser Hinsicht sind Lernräume nicht nur Ermöglichungsräume, sondern auch Erfahrungs- und Erlebnisräume, die sich je individuell konstituieren. Im besten Fall gelingt es durch die entsprechenden Vorstrukturierungen, durch die unterstützende und beratende Präsenz und durch durchdachte Eingriffe, Lernende zu begeistern und Lernerfolge zu provozieren. Hierfür kann es aber keine eindeutige Anleitung mit vorhersagbaren Ergebnissen geben, sondern es gilt, sich die notwendigen Kompetenzen anzueignen und diese zu vermitteln, um in kooperativen Zusammenhängen unter Beteiligung aller bereits in der Phase der Gestaltung identifizierten Akteurinnen und Akteure die bestmöglichen Voraussetzungen zu schaffen. Didaktik, Gestaltung und Management von Lernwelten gleichen damit einer Reise mit einem klaren Kompass, aber ohne eine geradlinige Route oder ein festes Ziel.

6 Ausblick We may continue to see the library as a source of information, treat readers as information consumers, and cast library staff as people who support learning by facilitating the use of information resources. Alternatively, we may choose to treat students as intentional learners rather than as consumers, view the library building as one of the chief places on campus where students take responsibility for and control over their own learning, and employ library staff to enact the learning mission of the university through being educators. (Bennett 2009, 194, H. i. O.)

Es wäre zu kurz gegriffen, die Wissenschaftliche Bibliothek als Lernwelt, wie sie Bennett hier knapp umreißt, als die Bibliothek der Zukunft zu beschreiben – aber Lernwelten sind ein wichtiger Teil davon. Wissenschaftliche Bibliotheken haben wesentliche Aufgaben im Bereich der wissenschaftlichen Informationsversorgung, des Managements von Daten und Informationsprozessen im Bereich der Forschung, in der Digitalisierung, der Bewahrung schriftlichen Kulturguts und auch in klassischen Dienstleistungsbereichen wie der Bereitstellung gedruckter Literatur. Im Prozess der Transformation Wissenschaftlicher Bibliotheken in Richtung hybrider, agiler und nutzendenzentrierter Einrichtungen spielt das Konzept Lernwelt eine zentrale Rolle. Einerseits weil nicht nur Studierende, sondern ein wachsender Teil der Bevölkerung auf Lernwelten angewiesen sind, die die Dimensionen Pädagogik, Raum, Technik und Organisation in einer Weise verbinden, die Lernen motiviert und unterstützt. Andererseits weil die Bibliotheken selbst auf dem Weg dorthin einen Lernprozess durchlaufen, indem sie sich Kompetenzen aneignen, die in den Wissensgesellschaften von mit Wissen assoziierten Einrichtungen erwartet werden: Partizipation, agiles Management, iterative Planungsprozesse, Offenheit für Innovationen und eine nichtinvasive Didaktik. Dieser Gedanke impliziert eine entscheidende Wendung: Der Transformation der (räumlichen) Verhältnisse muss nämlich eine Transformation der (räumlichen) Selbstverhältnisse und Selbstverständnisse der Akteurinnen und Akteure vorausgehen. (Nugel 2015, 63)

Dabei wurde in diesem Band die Frage der Vermittlung von Informations- und Medienkompetenz durch Wissenschaftliche Bibliotheken bewusst ausgespart. Nicht, weil diese nicht auch ein elementarer Bestandteil der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek wäre, sondern, weil eine gründliche Auseinandersetzung mit ihrer Entwicklung und dem Stand der Debatte genauso einen eigenen Band füllen könnte, wie die Gestaltung der dafür notwendigen Lernarrangements, die einerseits Teil der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek sind, andererseits aber weit über diese hinausgreifen. Viele der hier aufgeworfenen Fragen rund um die Voraussetzungen für selbstorganisiertes Lernen könnten in der weiteren https://doi.org/10.1515/9783110402025-006

6 Ausblick 

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Diskussion allerdings eine wichtige Rolle spielen. Dies betrifft zum Beispiel die von Bibliotheken selbständig angebotenen oder curricular eingebundenen Lehrveranstaltungen und deren didaktisches Konzept. Fördern Bibliotheken in der Art, wie sie Informations- und Medienkompetenz vermitteln selbstorganisiertes Lernen oder bewegen sie sich in traditionellen hochschulischen Lernarrangements? Inwiefern berücksichtigen die räumlichen Konzepte einer Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek auch die Aneignung von Kompetenzen jenseits des Lernens? Welche Rolle spielen situiertes Lernen und Communities of Practice in den Aneignungsprozessen und welches Potential liegt hierin? Und nicht zuletzt stellt sich auch die Frage, wie weit die Beteiligung der Lernenden an der Gestaltung von Lernarrangements auch in diesem Bereich geht. Dabei können Wissenschaftliche Bibliotheken auf ihre Erfahrungen in verschiedenen Bereichen der Betreuung von Lernräumen und der Lernbegleitung zurückgreifen. Im Bereich des intentionalen Lernens geht es hierbei vor allem um die Aspekte der Vermittlung wissensbezogener Kompetenzen und die Beratung, im Bereich des nicht-intentionalen Lernens um die Gestaltung von Zugängen und eine fördernde Atmosphäre und im Bereich des vernetzten Lernens um Möglichkeiten der absichtlichen und zufälligen Begegnung sowie die Konvergenz digitaler und physischer Lernräume. Die durchaus erfolgreiche Evolution vom Lesesaal zum Raum für informelles Lernen verschafft Bibliotheken innerhalb ihrer Institutionen einen Startvorteil, weil in der Regel keine andere Einrichtung vergleichbares bieten kann. Auf diesem Erfahrungsschatz dürfen sie sich allerdings nicht ausruhen, sondern müssen in einen Entwicklungsprozess einsteigen, der ihnen mehr abverlangt als gelegentliche Befragungen von oder Workshops mit Nutzerinnen und Nutzern, den Kauf neuer Möbel oder die Umbenennung von Lesesälen in Lernort oder Lernzentrum. Es genügt nicht mehr, einen Raum bereitzustellen in dem etwas stattfindet – im besten Fall Lernen –, sondern die Bibliotheken müssen die Verantwortung für ein didaktisches Arrangement übernehmen, das Lernen motiviert und ermöglicht, ohne es zu erzwingen. Dabei müssen sie sich des eigenen Beitrags zur Vorstrukturierung dieser Räume bewusst sein und diesen kritisch reflektieren. Dazu gehört eine ständige Evaluation der Lernwelten unter Berücksichtigung der individuellen, lernprozess-, raum- und kontextbezogenen Facetten, die es zu definieren und zu berücksichtigen gilt. Loungemöbel, WLAN, Steckdosen und ein Kaffeeautomat sind Mittel zur Gestaltung von Lernräumen, aber sie sind keine konzeptionelle Basis und kein pädagogischer Ansatz dazu. Das in diesem Band vorgeschlagene Modell kann in der weiteren Entwicklung als Richtschnur dienen und sollte empirisch verifiziert, weiterentwickelt und in der Anwendung erprobt werden. Dies gilt auch für das skizzierte Forschungsdesign für zukünftige Studien zu Lernwelten in Wissenschaftlichen Bi-

204  6 Ausblick

bliotheken. Es sind auf der jetzt erarbeiteten Grundlage durchaus einige Forschungsfragen denkbar, deren Beantwortung man mithilfe einer Metaanalyse sowohl publizierter als auch nicht publizierter Studien versuchen könnte Viele Fragen rund um die Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek wurden hier angesprochen, aber nicht weiter vertieft und bedürfen einer detaillierteren Auseinandersetzung. Die mit Normen und Codes, kulturellen Facetten und der Identität verbundenen Ausschlussmechanismen sollten vor dem Hintergrund der Internationalisierung und Diversität wissenschaftlicher Einrichtungen näher betrachtet werden, dazu gehört auch, Zugang nicht auf Barrierefreiheit zu reduzieren und sich in Planungsprozessen digitaler und physischer Angebote eines Universal Design zu bedienen. Auch das Thema Konvergenz bleibt nur eine leere Forderung, solange Entwicklungen in physischen und digitalen Räumen noch parallel und oft aneinander vorbei verlaufen und technische Systeme und Anwendungen nicht konsequenter in didaktische Konzepte eingebunden werden. Hier würde sich eine vertiefte Auseinandersetzung mit den digitalen Facetten der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek auf Grundlage der Überlegungen dieses Bandes lohnen. Vor allem müssen Wissenschaftliche Bibliotheken aber ihre Innovations- und Beteiligungsprozesse in Bezug auf die Lernwelt kritisch hinterfragen. Dabei geht es einerseits um methodische und inhaltliche Themen, andererseits aber auch darum, wie weit Beteiligung eigentlich geht, wie ernsthaft man die Ergebnisse im weiteren Prozess berücksichtig und inwiefern man durch Vorstrukturierung echte Beteiligung ausschließt. Auf der institutionellen Ebene gilt es, selbstorganisiertes Lernen zu propagieren und damit gleichzeitig Marketing für die Leistungsfähigkeit der Wissenschaftlichen Bibliothek als Gestalterin und Managerin von Räumen der Ermöglichung, der (positiven) Erfahrung und des Erlebnisses zu machen. In offenen Innovationsprozessen mit den begleitenden partizipativen Evaluations- und Entwicklungsschritten liegt für Bibliotheken das Potential, zu den besten Kennerinnen und zu kompetenten Lernbegleiterinnen der Studierenden zu werden. Ihre Funktion als Wissensraum, als kommunikativer Netzwerkknoten und nach Außen offener Raum einer Institution oder Hochschule können sie dabei gewinnbringend einsetzen. Dafür ist andererseits aber auch die Bereitschaft der anderen Akteurinnen und Akteure notwendig, die Kompetenzen der Bibliotheken zu erkennen, anzuerkennen und zu fördern. Letztendlich müssen in der gemeinsamen Gestaltung und Entwicklung der Lernwelten auch die herkömmlichen, auf die Aushandlung von Machtpositionen ausgerichteten Wege der Hochschulplanung verlassen werden. Zukünftige Forschung auf dem Gebiet der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek kann sich neben der erwähnten empirischen und theoretischen Diskussion der hier vorgeschlagenen Modelle auch mit der tieferen soziologischen und bil-

6 Ausblick



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dungswissenschaftlichen Durchdringung der Zusammenhänge von Raum, Lernen und Individuum im Kontext der Wissenschaftlichen Bibliothek auseinandersetzen. Fruchtbare Ansätze liegen hier in einer Gegenüberstellung des in diesem Band vorgeschlagenen systemisch-konstruktivistischen Ansatzes mit anderen erkenntnistheoretischen Modellen, in einer weitergehenden systemtheoretischen Betrachtung der Wissenschaftlichen Bibliothek und auch der Klärung der hier bewusst nicht weiter behandelten Frage, ob Wissenschaftliche und Öffentliche Bibliotheken sich vor dem Hintergrund der technischen, sozialen und kulturellen Veränderungen eher aufeinander zubewegen oder auseinanderentwickeln. Auch eine umfassende Betrachtung der Bibliothek in ihren verschiedenen räumlichen Aspekten und Dimensionen steht nach wie vor aus. Es zeigt sich aber auch, dass sich die institutionalisierte Bibliotheks- und Informationswissenschaft im deutschsprachigen Raum dringend intensiver mit den soziologischen, bildungswissenschaftlichen und kulturtheoretischen Fragen rund um Bibliotheken befassen muss.

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Abbildungsverzeichnis Abbildung 1 Abbildung 2 Abbildung 3 Abbildung 4 Abbildung 5 Abbildung 6 Abbildung 7

Formales, Informelles und Non-Formales Lernen nach Hesse/Clark (Stang 2016, 24) Lernräume im Hochschulkontext Evolution neuer informeller Lernräume im Hochschulkontext Räumlich konnotierte Prinzipien des Lernens in der Neurodidaktik Vorläufiges Modell der Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek mit Facetten Phasen von Open Social Innovation (nach Murray et al. 2010, 11–13) Grad der Interaktion und Informationsfluss bei Open Social Innovation

https://doi.org/10.1515/9783110402025-008

Zum Autor Olaf Eigenbrodt, ist seit 2019 stellvertretender Direktor der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg mit der Zuständigkeit für den Programmbereich Bibliothekssystem, Benutzungsdienste und Bau. Er ist Lehrbeauftragter am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin sowie an der Bibliotheksakademie Bayern. Schwerpunkte seiner Vorträge und Veröffentlichungen sind neben Lernräumen im Hochschulkontext vor allem Bibliotheksbau, -soziologie und -management. Er war und ist Mitglied nationaler und internationaler Gremien zu Bibliotheksbau und -management, Mitherausgeber der Fachzeitschrift BuB-Forum Bibliothek und Information sowie im Editorial Board der New Review of Academic Librarianship. Freiberuflich berät er Hochschulen, Bibliotheken, Unterhaltsträger und Architekturbüros.

https://doi.org/10.1515/9783110402025-009

Register Affekte siehe Emotion Aneignung 105–107, 112, 114–116, 159–160 – Kompetenzaneignung 38, 112–113, 164 – Raumaneignung 7, 11, 99–102, 106–107, 124, 161–162, 164, 165, 175, 196 – Wissensaneignung siehe auch Lernen 7, 11, 25, 37–38, 65, 81, 86, 100, 107, 164 Autopoiesis 20, 77, 92 Beteiligung 37, 204 – in Evaluationsprozessen 153–154 – in Planungs- und Bauprozessen 175–179, 187–188 Bibliothek 205 – Bibliothekswissenschaft 2, 9, 205 – Öffentliche 2, 143, 181 – Wissenschaftliche siehe dort Bildungswissenschaft siehe Pädagogik als Disziplin Bologna-Prozess 13, 113 Community of Practice 81–86, 114 Didaktik siehe auch Lehre – agile 57–58 – didaktisches Arrangement 12, 164–165, 167, 173, 196, 198 – didaktische Intervention 11, 158 – didaktische Verantwortung 159 – Ermöglichungsdidaktik 11, 29, 57–59, 79, 164 – Frontalunterricht 49, 53–54 – Hochschuldidaktik (als Disziplin) 75 – Input-Orientierung 15, 55, 78, 117, 200 – Neurodidaktik 11, 71 – Outcome-Orientierung 15, 55, 75, 78, 117 – raumbezogene 163 Digital Natives 58 Dritter Ort (Konzept) 2, 7 Emotion 66–68, 73, 77–79, 97, 125 – limbisches System 68

https://doi.org/10.1515/9783110402025-010

Empirische Methoden 132–134 – Charrettes 145, 178–179 – Co-Design 181 – Design Thinking 181 – Forschungsdesign 134, 142, 146, 148–149, 150–155, 203–204 – Interviews 145–146 – Iteration 150–151, 185–186 – Lerngedichte 148 – Personas 142 – qualitativ 143–150 – quantitativ 134–140 – Selbstaufschreibung 146–148 – Stakeholder-Mapping 192–193 – Sweeping the Library 144 – teilnehmende Beobachtung 145 – videogestützte Beobachtung 145 Erkenntnis 24 – Erkenntnisinteresse 25 Ermöglichung – didaktisch siehe Ermöglichungsdidaktik – räumlich siehe Ermöglichungsraum (Lernraum) Gedächtnis 66–69 Gesellschaft 30, 32–33, 40, 110 – Dienstleistungsgesellschaft 33 – Gesellschaftstheorie 30 – Informationsgesellschaft 30, 33 – postindustrielle 23, 32 – soziales System 80 – Wissensgesellschaft(en) siehe dort Habitus 72, 95, 196 Hochschulbibliothek siehe Wissenschaftliche Bibliothek Hochschule 75–76, 84, 113, 204 – Hochschullehre siehe Lehre – Hochschuldidaktik siehe Didaktik – Lernraum 42, 45, 51, 86–87, 116 – Lernwelt siehe dort – Raumplanung, Architektur 45, 87, 96, 121– 122, 127, 132–133, 138, 156–157, 168– 171, 174–175, 192–194, 195

218  Register

Informationskompetenzvermittlung 1–2, 202–203 Innovationsmanagement 180 Kompetenz 26, 27, 34, 38, 82, 112, 196–197 – Aneignung siehe dort Konvergenz digitaler und physischer Räume 4, 11, 69, 103, 171–174 Lehre siehe auch Didaktik 53, 55–57, 85, 112 Lernen 5, 17–19, 22, 64, 74, 102 – beobachtendes 72 – defensives 20, 57 – Dichotomie formal – informell 11, 54, 57– 59 – E-Learning 4, 15, 119–120, 172–174 – Erfolgsmessung 140–141 – expansives 57, 101–102 – formales 41, 57–58 – gehirngerechtes siehe auch Neurodidaktik 71, 73 – habituelles 72 – hochschulisches 4, 53 – informales 11, 41, 57 – kooperatives 22, 114–115, 126, 198 – Lernarrangement 14–15, 21, 27, 29, 53–54, 57, 69, 107, 165, 203 – Lernmotivation 20, 160, 200 – Lernort siehe Lernraum – Lernplattform 13, 172–173 – Lernprozess 29 – Lernraum siehe dort – Lernsetting siehe Lernarrangement – Lernstrategie 29 – Lerntheorie 11, 18, 22 – Lerntypen 50–51, 141 – Lernwelt siehe dort – neurowissenschaftliche Perspektive 65– 71, 74, 78 – nicht-formales 41 – nicht-intentionales 50, 54–55, 63, 199 – non-formales siehe nicht-formales – perzeptuelles 69 – selbstgesteuertes 21, 39 – Selbststudium 15, 54, 137–139

– selbstorganisiertes 21, 27, 39, 77–79, 84– 86, 124–125, 132, 197, 200 – situiertes 11, 55, 81–86, 114–115 – sozialer Kontext 22, 72–73, 77–81, 83, 108, 114–115, 128, 198 – systemisch-konstruktivistische Perspektive 75–80, 83, 86 – Wahrnehmungslernen 69 Lernende 68, 77, 86, 129, 165–166, 198 – Diversität 129, 204 – Lernendenzentrierung 59, 166, 174, 177 Lernraum 5, 8, 18, 45, 50, 63–64, 71, 87–88, 91, 99, 102–103, 106–107, 113–116, 120– 121, 169–170, 199–201 – behavioristischer 49 – Dichotomie formell-informell 53–58, 118 – Digitaler 119–120, 128, 171 – Ermöglichungsraum 117–118, 123–124, 163, 201 – Evaluation 132–134, 143 – formeller 43, 51–53, 55–56 – informeller 43, 45, 51, 60–61 – Information Commons 46–48 – Informationsarmer 54, 99 – Konstituierung 107–108, 167–168 – Learning Center siehe Lernzentrum – Learning Commons 48–49 – Learning Spaces 49–50 – Lernort 2, 3, 5, 8, 14, 28, 50, 64, 107–109, 115, 124, 132, 199–200 – Lernzentrum 2, 50 – Management 195–199, 201 – multifacettierter 110–111, 116–117 – nicht-formeller 43, 51 – ownership 100–101, 164, 191, 197–198 – Zugang 196 Lernumgebung siehe Lernraum Lernwelt 3–6, 18, 27, 28, 31, 51, 64, 81, 91, 106–107, 109–110, 122–123, 199–202 – Gestaltung 40, 79, 86, 100–101, 156–157, 166–167, 191 – Wissenschaftliche Bibliothek 51, 111, 116– 117, 122–131, 197–199, 202–205 – Hochschule 60, 114, 127–128, 156, 168– 170, 199

Register

limbisches System 68



219

strukturelle Koppelung 83, 92 Systemtheorie 22, 80, 91–93

Makerspace 70, 83 Offene Gesellschaftliche Innovation 184–194 Offene Innovation 181–184 Open Innovation siehe Offene Innovation Open Social Innovation siehe Offene Gesellschaftliche Innovation Pädagogik – als Disziplin 9 – Raumpädagogik 159–163, 170 Partizipation siehe Beteiligung Praxisgemeinschaft siehe Community of Practice Priming 70–71, 73 Raum 88–97 – Aneignung siehe dort – Behälterraum 5, 89, 93, 113 – Determinismus 98, 102 – Digitaler Raum 4 – Dritter Ort siehe dort – Erfahrungsraum 88–89 – fraktaler 93, 101, 103, 109–111, 116, 118 – Handlungsraum 88–89, 152 – Konstituierung 90–91, 93–97, 104, 133 – Lernraum siehe dort – Ort 89 – Plazierung 95 – Raumbegriff siehe Raumkonzept(e) – Raumkonzept(e) 89, 92, 93–95 – Raumwissenschaft 9, 11 – relationaler 11, 89, 93–95, 97 – Spacing 95–96, 98–99, 101, 159, 168, 175 – Synthese 89, 95–98, 118, 168, 175–176, 200 – Voluntarismus 98 – Wahrnehmung 161–163 – Wissensraum siehe dort Selbstreferenzialität 20 Soziale Innovation 184, 190 Spiegelneuronen 78

Universität siehe auch Hochschule – Geschichte 43–45, 52, 83 Universitätsbibliothek siehe Wissenschaftliche Bibliothek Viabilität 19, 77–79 Wissen 17, 23- 26, 31, 35- 38 – Bewusstes 25 – Bildungswissen 24 – Erlösungswissen 24 – Handlungswissen 23–24, 37- 39, 69, 82, 104 – Herrschaftswissen 24 – Informationswissen 19, 23–24, 33, 36, 82, 104 – knowledge siehe Informationswissen – skills siehe Handlungswissen – unbewusstes 25 – Wahrnehmungswissen 69 – Wissensgesellschaft(en) siehe dort – Wissensraum siehe dort – Wissensstruktur 25 – Wissensvermittlung siehe Lehre Wissenschaft 35 – als soziales System 4, 80, 91–93, 103–104 – Citizen Science 31, 111 – Wissenschaftskommunikation 31, 111 Wissenschaftliche Bibliothek 1, 4–7, 10, 13, 24, 28, 32, 76, 88, 91–92, 111, 117, 130, 170, 193–194, 202–205 – Architektur/Typologie 43–45, 62, 122, 156–157, 166 – Geschichte 44–45 – Lernwelt siehe dort Wissenserwerb siehe Aneignung Wissensgesellschafte(n) 30–40, 202 Wissensraum 8, 13, 18, 27–28, 30–31, 52, 76, 100, 102–104, 106 – Konstituierung 88, 90–91, 97, 105