Lernwelt Museum: Dimensionen der Kontextualisierung und Konzepte 9783110702941, 9783110703054, 9783110703146

This volume presents the potentials for development and for understanding museums as worlds of learning. Architects and

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German Pages 287 [288] Year 2021

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Table of contents :
Lernwelten
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Teil I: Grundlagen
Lernwelt Museum
Lernen multiperspektivisch kontextualisieren
Objekte und ihre Geschichten
Das Virtuelle im Raum und der Raum im Virtuellen
Zwischen Dialog und Emanzipation
Teil II: Kontexte
Von kommunikativer Einbahnstraße zur Partizipation
Zwischen Instruktion und Partizipation
Teil III: Konzepte und Umsetzungen
Nicht nur Steine und Scherben
„Wir nennen es Forum…“
Stadt und Architektur für alle
Historisch-politische Bildungsarbeit neu gestalten
Zwischen Werkstatt, Kinderbaustelle und Stadtraum
Escape-Ausstellung im Stadtmuseum
„Es gibt ihn doch, den Grüffelo!“
Zwischen Objekt und Digitalität
„Alles nur geklaut? – Die abenteuerlichen Wege des Wissens“
Interaktion und Erlebnis mit allen Sinnen
Teil IV: Perspektiven
Perspektivenwechsel gestalten
Zu den Autorinnen, Autoren und Herausgebern
Register
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Lernwelt Museum: Dimensionen der Kontextualisierung und Konzepte
 9783110702941, 9783110703054, 9783110703146

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Lernwelt Museum

Lernwelten

 Herausgegeben von Richard Stang

Lernwelt Museum

 Dimensionen der Kontextualisierung und Konzepte

Herausgegeben von Torben Giese und Richard Stang

Editorial Board Prof. Dr. Karin Dollhausen (Deutsches Institut für Erwachsenenbildung, Bonn) Olaf Eigenbrodt (Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky) Dr. Volker Klotz (Amt für Bibliotheken und Lesen, Bozen) Prof. Dr. Katrin Kraus (Universität Zürich) Prof. Dr. Bernd Schmid-Ruhe (Hochschule der Medien Stuttgart) Dr. André Schüller-Zwierlein (Universitätsbibliothek der Universität Regensburg) Prof. Dr. Frank Thissen (Hochschule der Medien Stuttgart)

ISBN 978-3-11-070294-1 e-ISBN (PDF) 978-3-11-070305-4 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-070314-6 ISSN 2366-6374

Library of Congress Control Number: 2021941904 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Umschlagabbildung: donkeyru / iStock / thinkstock Datenkonvertierung/Satz: bsix information exchange GmbH, Braunschweig Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Richard Stang

Lernwelten Vorwort zur Reihe Bildung ist zum zentralen Thema des 21. Jahrhunderts geworden und dies sowohl aus gesellschaftlicher als auch ökonomischer Perspektive. Unter anderem die technologischen Veränderungen und die damit verbundene Digitalisierung aller Lebensbereiche führen zu vielfältigen Herausforderungen, für die ein Bewältigungsinstrumentarium erst entwickelt werden muss. Lebenslanges Lernen ist dabei eine Anforderung für biographische Gestaltungsoptionen. Das traditionelle Bildungssystem stößt weltweit an seine Grenzen, wenn es darum geht, die entsprechenden Kompetenzen zur Bewältigung des Wandels zu vermitteln. Deshalb erstaunt es nicht, dass derzeit in allen Bildungsbereichen Suchbewegungen stattfinden, um Konzepte zu entwickeln, die diesen Herausforderungen Rechnung tragen. Die Reihe Lernwelten nimmt sich diesen Veränderungsprozessen an und reflektiert die Wandlungsprozesse. Dabei geht es vor allem darum, die Diskurse aus Wissenschaft und Praxis zu bündeln sowie eine interdisziplinäre Perspektive einzunehmen. Die verschiedenen Bildungsbereiche wie Hochschulen, Erwachsenenbildung/Weiterbildung, Bibliotheken etc. sollen so vermessen werden, dass für die jeweils anderen Bildungsbereiche die spezifischen Begrifflichkeiten, Logiken, Kulturen und Strukturen nachvollziehbar werden. Es handelt sich bei der Reihe auf diesen verschiedenen Ebenen um ein interdisziplinäres Projekt. Immer mehr Bildungs- und Kultureinrichtungen haben sich auf den Weg gemacht, Lernangebote konzeptionell und auch räumlich neu zu präsentieren, sowohl im physischen als auch im digitalen Kontext – von Schulen über Hochschulen bis hin zu Erwachsenenbildungs-/Weiterbildungseinrichtungen. Doch auch von Bibliotheken und Museen werden neue Lernangebote und Lernumgebungen konzipiert. Basis dafür ist auch ein Perspektivenwechsel vom Lehren zum Lernen. Die Lernenden sowie Adressatinnen und Adressaten rücken immer stärker in den Fokus, was zu einer erhöhten Sensibilität gegenüber der Gestaltung von Lernarrangements führt. Dabei geht es nicht nur um veränderte didaktisch-methodische Settings, sondern im verstärkten Maße auch um die organisatorische, konkret bauliche und digitale Gestaltung von Lernwelten. Vor diesem Hintergrund wird in der Reihe versucht, einen ganzheitlichen Blick auf

https://doi.org/10.1515/9783110703054-201

VI  Richard Stang

die verschiedenen Aspekte von Lernen und Lehren sowie Wissensgenerierung und Kompetenzentwicklung zu richten. Thematische Aspekte der Reihe sind: – didaktisch-methodische Lehr-Lern-Settings – Angebotskonzepte – organisatorische Gestaltungskonzepte – Gestaltung von physischen Lernumgebungen – Gestaltung digitaler Lernumgebungen – Optionen hybrider Lernumgebungen – Veränderung von Professionsprofilen. Die Reihe richtet sich an Wissenschaft und Praxis vornehmlich in folgenden Bereichen: – Bibliotheken: Hier kommt der Gestaltung von Lernoptionen und Lernräumen sowohl im öffentlichen als auch im wissenschaftlichen Bereich eine immer größere Bedeutung zu. – Erwachsenenbildung/Weiterbildung: Die veränderten Bildungsinteressen und -zugänge der Bevölkerung erfordern konzeptionelle, organisatorische und nicht zuletzt räumliche Veränderungen. – Hochschulen: Es kündigt sich ein radikaler Wandel von der Lehr- zur Lernorientierung in Hochschulen an. Hier werden immer mehr Konzepte entwickelt, die allerdings einer strategischen Rahmung bedürfen. – Kultureinrichtungen: Museen, Theater etc. gestalten neue Angebote, die Lernoptionen für Besucherinnen und Besucher eröffnen. Bei der Gestaltung der Lernwelt bedarf es allerdings veränderter strategischer Perspektiven. Unter der Perspektive des Lebenslangen Lernens kann die Reihe auch für andere Bildungsbereiche von Relevanz sein, da die Schnittstellen im Bildungssystem in Zukunft fluider und die Übergänge neu gestaltet sein werden.

Inhaltsverzeichnis Richard Stang Lernwelten Vorwort zur Reihe  V Torben Giese und Richard Stang Einleitung  1

Teil I: Grundlagen Torben Giese Lernwelt Museum Eine theoretische Annäherung  9 Richard Stang Lernen multiperspektivisch kontextualisieren Museum als Resonanzraum  27 Silvia Rückert Objekte und ihre Geschichten Das historische Objekt in der Lernwelt Museum  37 Stephan Schwan Das Virtuelle im Raum und der Raum im Virtuellen Digitale Lernwelten im Museum  49 Christian Bornefeld Zwischen Dialog und Emanzipation Das Digitale in der Lernwelt Kunstmuseum  59

Teil II: Kontexte Jörg Peltzer Von kommunikativer Einbahnstraße zur Partizipation Schule und Museum  73

VIII  Inhaltsverzeichnis

Doris Lewalter, Inga Specht und Annette Noschka-Roos Zwischen Instruktion und Partizipation Museen und Erwachsenenbildung  85

Teil III: Konzepte und Umsetzungen Rainer-Maria Weiss Nicht nur Steine und Scherben Lernwelt Archäologisches Museum  101 Dirk Zache „Wir nennen es Forum…“ Lernwelt Industriemuseum  117 Rebekka Kremershof und Andrea Jürges Stadt und Architektur für alle Lernwelt Architekturmuseum  129 Meron Mendel Historisch-politische Bildungsarbeit neu gestalten Lernwelt Lernlabor  145 Silvia Gebel Zwischen Werkstatt, Kinderbaustelle und Stadtraum Lernwelt StadtLabor  157 Martin Seeburg Escape-Ausstellung im Stadtmuseum Lernwelt Spielwelten  169 Cathérine Biasini und Almut Neef „Es gibt ihn doch, den Grüffelo!“ Lernwelt Familienausstellung  183 Silvia Rückert Zwischen Objekt und Digitalität Lernwelt Stadtmuseum  195

Inhaltsverzeichnis 

Konrad Gutkowski und Anja Hoffmann „Alles nur geklaut? – Die abenteuerlichen Wege des Wissens“ Erlebnis-Lernwelt Industriemuseum  211 Wolfgang Hansch Interaktion und Erlebnis mit allen Sinnen Lernwelt Science Center  227

Teil IV: Perspektiven Richard Stang und Torben Giese Perspektivenwechsel gestalten Zukünftige Kontextualisierung von Museen  255

Zu den Autorinnen, Autoren und Herausgebern  266 Register  271

IX

Torben Giese und Richard Stang

Einleitung Die Diskussion über das Lebenslange Lernen hat in den letzten Jahren einen veränderten Blick auf die Bildungslandschaft generiert. So sind es nicht mehr nur Einrichtungen wie Schulen, Hochschulen oder Erwachsenenbildung-/Weiterbildungsinstitutionen, die unter der Bildungsperspektive in den Fokus rücken, sondern verstärkt auch Kultureinrichtungen wie Bibliotheken und Museen. Doch gerade im Kontext der Kultureinrichtungen lässt sich gelegentlich eine Distanz zum Thema Bildung feststellen. Dabei wird argumentativ sogar versucht, die Kultur gegen die Bildung auszuspielen, obwohl beides Seiten einer Medaille sind. Außer Frage steht dabei allerdings, dass in den Kultureinrichtungen gelernt werden kann. Deshalb lohnt es sich, genauer hinzuschauen, wie Lernen im Kontext der jeweiligen Angebote realisiert werden kann. Während in Bildungseinrichtungen das Augenmerk meistens auf Angeboten für formales und non-formales Lernen liegt, scheinen in Kultureinrichtungen die Angebote eher das informelle Lernen zu adressieren. Allerdings stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, wie sich die spezifischen Lernwelten jeweils kontextualisieren. Während sich dies im Bereich der Bibliotheken noch verhältnismäßig einfach beschreiben lässt, wenn man Öffentliche Bibliotheken (Stang/Umlauf 2018) beziehungsweise Wissenschaftliche Bibliotheken (Eigenbrodt i. E.) beleuchtet, fächert sich dies im Bereich der Museen vielfältig auf und ist bislang – wenn überhaupt – vor allem im Kontext der Museumspädagogik in den Fokus gerückt (Commandeur et al. 2016). Mit dem vorliegenden Band soll versucht werden, diese vermeintliche Leerstelle auszufüllen, indem gefragt wird, wie sich die Lernwelt Museum beschreiben lässt. Die Antwort auf diese Frage wird aus unterschiedlichen Perspektiven gegeben. Kunstmuseen, historische Museen, Architekturmuseen etc. werden dabei genauso beleuchtet wie Science Center. Die Beiträge richten ihren Fokus auf den zentralen Charakteristika des Lernweltbegriffs: auf mögliche, eigenständige Lerninhalte, die Formen des informellen Lernens, die Räumlichkeit des Lernens und die Verknüpfung der Lernwelt mit der Lebenswelt des Publikums. Allerdings lässt sich die Frage letztlich nur bedingt theoretisch beantworten, sondern muss vor allem in Bezug auf die Praxis reflektiert werden. Dazu werden in diesem Band ganz konkret bestehende beziehungsweise bereits realisierte, museale Lernwelten in den Blick genommen und nach zugrundeliegenden Lernformen und Lerninhalten gefragt. Dabei spielt auch immer wieder die Frage nach der musealen Lernwelt im digitalen Raum eine Rolle. Mit Hilfe des Lernweltenhttps://doi.org/10.1515/9783110703054-001

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begriffs können das analoge und das digitale Museum endlich gemeinsam gedacht werden, und dieser Band fragt zugleich nach den Chancen dieser Überwindung eines bisher zentralen Gegensatzes. Auch gilt es Bildungskontexte zu beleuchten, mit denen die Lernwelt Museum vernetzt ist. Hierbei rücken die Schule und die Erwachsenenbildung/Weiterbildung in den Blick. Um die Fragen nach den konzeptionellen und räumlichen Rahmenbedingungen des wie auch immer verstandenen Lernens im Kontext der Lernwelt Museum zu beantworten, bedarf es der Verzahnung von Forschung und Praxis. Es gilt deshalb den Begriff Lernwelt in seiner theoretischen Verankerung wie seiner gelebten Praxis fruchtbar für die Arbeit, aber auch die räumliche Gestaltung von Museen zu machen. Dazu möchte dieser Band sich mit seinen Beiträgen – auf dem Grat zwischen Theorie und Praxis balancierend – der Frage nähern, welche Perspektiven ein Verständnis von Museen als Lernwelten grundsätzlich bietet und wie dieses in den verschiedenen Museumssparten Anwendung finden kann beziehungsweise wie bereits solche Lernwelten in den Museen aussehen. Die Beiträge setzen sich einerseits mit grundlegenden Fragen des Objektund Raumbezuges des Lernens im Museum auseinander und andererseits fokussieren sie die konkrete Umsetzung solcher Lernwelten. Dadurch entsteht ein doppeltes Kompendium für die Lernwelt Museum, das idealerweise theoretisch wie praktisch Impulse für die künftige Entwicklung der Museumslandschaft zu setzen vermag.

Grundlagen Torben Giese liefert in seinem Beitrag Lernwelt Museum – Eine theoretische Annäherung eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Museen und der Inszenierung des Lernens. Mit Bezug auf dieses Verhältnis entfaltet er eine Bestimmung des Begriffs Lernwelt, um darauf aufbauend die Rahmung der Lernwelt Museum zu schärfen. Dabei arbeitet er die Alleinstellungsmerkmale der Lernwelt Museum heraus und weist damit auf die Potenziale einer stärkeren Vernetzung mit anderen Bildungs- und Kultureinrichtungen hin. In seinem Beitrag Lernen multiperspektivisch kontextualisieren – Museen als Resonanzraum setzt sich Richard Stang mit zentralen Kontextualisierungen auseinander. Dabei nimmt er die Dimensionen Lerntheorie, Pädagogik, Raum und Kooperation genauer in den Blick und vermisst deren Relevanz für die Lernwelt Museum aus einer ganzheitlichen Perspektive. Die Relevanz von Objekten für die Museumsarbeit und der sich daraus ergebenden Lernwelt beleuchtet Silvia Rückert in ihrem Beitrag Objekte und ihre Ge-

Einleitung 

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schichten – Das historische Objekt in der Lernwelt Museum. Sie zeichnet die Entwicklung von Museen nach und fächert die Palette von Präsentationsformen auf. Bezugspunkt sind dabei Objekte und deren Inszenierung im musealen Kontext. Die Digitalisierung betrifft auch Museen in starkem Maße und erfordert Strategien der Einbindung digitaler Strukturen. Stephan Schwan wendet sich in seinem Beitrag Das Virtuelle im Raum und der Raum im Virtuellen – Digitale Lernwelten im Museum den Fragen zu, wie die physische und soziale Umwelt des Menschen Denken und Handeln beeinflusst und welche Rolle dabei der virtuelle Raum spielt. Anhand von Beispielen zeigt er auf, wie das Digitale in den physischen Museumsraum integriert werden kann. Christian Bornefeld erweitert in seinem Beitrag Zwischen Dialog und Emanzipation – Das Digitale in der Lernwelt Kunstmuseum die Perspektive und nimmt die Ausweitung des Museums in den digitalen Raum in den Blick. Mit Bezug auf Beispiele zeigt er die Entwicklung von Angeboten virtueller Kunstmuseen auf.

Kontexte Museen arbeiten oft eng mit Bildungsinstitutionen zusammen. Jörg Peltzer richtet den Fokus in seinem Beitrag Von kommunikativer Einbahnstraße zur Partizipation – Schule und Museum auf das Verhältnis von Schule und Museum. Dabei lotet er Partizipationsmöglichkeiten aus und zeigt Perspektiven für die Verschneidung dieser beiden Lernwelten auf. Doris Lewalter, Inga Specht und Annette Noschka-Roos nehmen in ihrem Beitrag Zwischen Instruktion und Partizipation – Museen und Erwachsenenbildung einen weiteren Bildungsbereich in den Blick. Dabei richten sie den Fokus auf die Orientierung an den Besucherinnen und Besuchern sowie Lernumgebungen in Museen. Hier spielen nicht nur die Objekte eine Rolle, sondern vor allem auch die Bildungs- und Vermittlungsangebote. Dabei wird deutlich, welche Potenziale in der Zusammenarbeit von Museen mit der Erwachsenenbildung liegen.

Konzepte und Umsetzungen Es wäre vermessen, den Anspruch zu haben, Konzepte und Umsetzungen der Lernwelt Museum in ihrer Breite in einem Band einfangen zu können. Der Blick

4  Torben Giese und Richard Stang

auf die Museumswelt, mit ihren vielfältigen Zugängen und Perspektiven, kann immer nur kursorisch sein. Gleichwohl vereinen die in diesem Themenfeld zusammengefassten Beiträge ein breites Spektrum konzeptioneller Ansätze, die Lernwelt Museum zu gestalten. Bei der Zusammenstellung wurde bewusst darauf verzichtet, eine einheitliche Strukturierung vorzugeben, so dass die Vielfalt der Perspektiven noch besser zur Geltung gebracht werden kann. Rainer-Maria Weiss stellt in seinem Beitrag Nicht nur Steine und Scherben – Lernwelt Archäologisches Museum die Arbeit des Archäologischen Museums Hamburg vor. Neben dem Konzept der Dauerausstellung mit seinen Themenschwerpunkten, die den Menschen, seine Umwelt und seine Kultur in den Mittelpunkt stellen, wird auch das Archaeologicum als Lern- und Erlebniswelt in den Blick genommen. In seinem Beitrag „Wir nennen es Forum…“ – Lernwelt Industriemuseum rückt Dirk Zache das Konzept des Westfälischen Landesmuseums für Industriekultur in den Fokus. Dabei beleuchtet er den Dreiklang aus Ort, laufenden Maschinen und Ausstellung. Es wird deutlich, welche Bedeutung der physische Ort hat, auch wenn die Bedeutung digitaler Angebote zunimmt. Rebekka Kremershof und Andrea Jürges präsentieren in ihrem Beitrag Stadt und Architektur für alle – Lernwelt Architekturmuseum die breite Palette der Angebote des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt (DAM). Neben einer Darstellung der Entwicklung des Museums werden Ausstellungskonzepte sowie die LEGO-Baustelle und die Bauakademie vorgestellt. Auch das Konzept DAMmobil zeigt interessante Perspektiven für die Öffnung des Museums nach außen auf. In seinem Beitrag Historisch-politische Bildungsarbeit neu gestalten – Lernwelt Lernlabor entfaltet Meron Mendel die Potenziale des partizipativen Ansatzes des Lernlabors. Die Einbindung von Jugendlichen bei der Entwicklung des Konzeptes ist eine der Stärken des Ansatzes, historisch-politische Bildungsarbeit mit Bezug auf aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen zu gestalten. Am Beispiel des StadtLabors im StadtPalais – Museum für Stuttgart entfaltet Silvia Gebel in ihrem Beitrag Zwischen Werkstatt, Kinderbaustelle und Stadtraum – Lernwelt StadtLabor, wie die Auseinandersetzung mit der Stadt als Lebensraum gestaltet werden kann. Dabei wird versucht, Lerninhalte, die Lebenswelt der Lernenden und Formen des Lernens in ein ausgewogenes Verhältnis zu setzen. In seinem Beitrag Die Escape-Ausstellung im Stadtmuseum – Lernwelt Spielwelten zeigt Martin Seeburg auf, wie das StadtPalais – Museum für Stuttgart die Formate Escape Room oder Escape Game im musealen Kontext nutzt, um der Lernwelt Museum neue Perspektiven zu eröffnen. Dabei wird deutlich, wie Gamification neue Optionen für die Arbeit von Museen eröffnet.

Einleitung



5

Wie Familien und Kinder in Museen angesprochen werden können, stellen Cathérine Biasini und Almut Neef in ihrem Beitrag „Es gibt ihn doch, den Grüffelo!“ – Lernwelt Familienausstellung am Beipiel der Arbeit des Jungen Museums im Historischen Museum der Pfalz in Speyer anschaulich dar. Dabei wird auch gezeigt, wie wichtig räumliche Inszenierungen und Gestaltungen sind, um Lernoptionen für Kinder, aber auch für Erwachsene zu eröffnen. Silvia Rückert rückt in ihrem Beitrag Zwischen Objekt und Digitalität – Lernwelt Stadtmuseum das Konzept der künftigen Dauerausstellung des Kölnischen Stadtmuseums in den Fokus. Dabei geht es vor allem darum, den Besucherinnen und Besuchern emotionale Anknüpfungspunkte zu bieten, die ihnen die Geschichte Kölns näherbringen. Dabei spielt Gamification eine besondere Rolle, um Zugängen zu historischen Objekten und ihren Geschichten zu schaffen. In ihrem Beitrag „Alles nur geklaut? Die abenteuerlichen Wege des Wissens“ – Erlebnis-Lernwelt im Industriemuseum vermessen Konrad Gutkowski und Anja Hofmann die Potenziale temporärer Inszenierungen von Ausstellungen. Dabei setzen sie sich unter anderem mit Themen wie Zugänge für unterschiedliche Lernendentypen, die Rolle der Objekte in Lernwelten, zum Verhältnis von Ausstellungsteam und Publikum sowie Gamification auseinander. Konzeptionen von Science Centern sowie konkreten Umsetzungen stehen im Beitrag Interaktion und Erlebnis mit allen Sinnen – Lernwelt Science Center von Wolfgang Hansch im Zentrum. Neben der historischen Perspektive auf die zentralen Elemente der experimenta Heilbronn (Science Center, Planetarium und Schülerlabore), werden auch deren konzeptionellen Grundlagen und Umsetzungen thematisiert. Die Entwicklungen werden in einen Diskurs über Lernen und Bildung eingeordnet.

Perspektiven Richard Stang und Torben Giese versuchen in ihrem Beitrag Perspektivenwechsel gestalten – Zukünftige Kontextualisierung von Museen eine Einordnung von Entwicklungslinien in der Lernwelt Museum, um auch Perspektiven auszuleuchten, die für die zukünftige Entwicklung von Museen von Relevanz sein könnten. Dabei geht es auch darum, die Rolle der Museen und Science Center in der Bildungslandschaft zu profilieren. Mit der Fokussierung auf die Kernkompetenzen und einer zielgerichteten Netzwerkstruktur lassen sich die Potenziale von Museen und Science Center in der Bildungslandschaft zum Tragen bringen. Die Lernwelt Museum ist vielschichtig gestaltet. Dies wird durch die verschiedenen Beiträge dieses Bandes deutlich. Viele spannende Entwicklungen

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wurden in den letzten Jahren angestoßen. Dabei zeigt sich das immense Potenzial der Museen, Lernprozesse bei den Besucherinnen und Besuchern zu initiieren. Doch ist es bislang noch nicht gelungen, alle Bevölkerungsschichten in die Lernwelt Museum zu locken. Die Frage, wie dies gelingen kann, muss jedes Museum für sich beantworten. Denn die Herausforderung ist, das Angebot lokal zu verankern und Bezüge zur institutionellen Umwelt und zur konkreten Lebenswelt der potenziellen Besucherinnen und Besucher herzustellen. Die Bildungslandschaft in Deutschland ist derzeit im Umbruch. Alle Bildungseinrichtungen suchen – auch ohne die Herausforderungen der COVID-19Pandemie – nach Konzepten, wie Lernen unterstützt werden kann, damit Lernende biographische Gestaltungskompetenz entwickeln (Stang 2016, 4–5), um die gesellschaftlichen Herausforderungen bewältigen zu können. Für Museen bietet sich aktuell die Chance, an der Gestaltung der Bildungslandschaft mitzuwirken.

Literatur Commandeur, B.; Kunz-Otto, H.; Schad, K. (Hrsg.) (2016): Handbuch Museumspädagogik. Kulturelle Bildung in Museen. München: kopaed. Eigenbrodt, O. (i. E.): Lernwelt Wissenschaftliche Bibliothek. Berlin; Boston: De Gruyter Saur. Stang, R. (2016): Lernwelten im Wandel. Entwicklungen und Anforderungen bei der Gestaltung zukünftiger Lernumgebungen. Boston, Berlin: De Gruyter Saur. Stang, R.; Umlauf, K. (Hrsg.) (2018): Lernwelt Öffentliche Bibliothek. Dimensionen der Verortung und Konzepte. Berlin; Boston: De Gruyter Saur.

 Teil I: Grundlagen

Torben Giese

Lernwelt Museum Eine theoretische Annäherung

Einleitung Die Bezeichnung von Museen als Lernwelten wird vielleicht dem ein oder anderen aufstoßen, denn jene werden üblicherweise vor allem als Objektwelten definiert. Museen werden durch den Besitz einer Sammlung und die Arbeit mit dieser von anderen verwandten Institutionen wie Ausstellungshäusern oder Erlebniswelten abgegrenzt (Waidacher 1999). Das Besitzen, Sammeln, Bewahren und Erforschen von Objekten konstituiert das Museum als solches und diese Aufgaben werden vom Deutschen Museumsbund als grundlegende Funktionen definiert.1 Ausgehend von diesem grundlegenden Sammlungs- und Objektbezug werden in einem zweiten Schritt dann weitere Aufgaben der Museen abgeleitet, wie auch die aktuellen Museumsdefinitionen aus den ethischen Richtlinien des internationalen Museumsrates (ICOM) unterstreichen: Ein Museum ist eine gemeinnützige, auf Dauer angelegte, der Öffentlichkeit zugängliche Einrichtung im Dienste der Gesellschaft und ihrer Entwicklung, die zum Zwecke des Studiums, der Bildung und des Erlebens materielle und immaterielle Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt beschafft, bewahrt, erforscht, bekannt macht und ausstellt.2

Museen werden in dieser aktuell anerkannten Definition zwar nicht per se zu Lernwelten, aber zu Einrichtungen der Bildung und des Erlebens von materiellen und immateriellen Zeugnissen von Menschen und ihrer Umwelt. Genau an dieser Stelle setzt der Begriff der Lernwelt an, ohne sich an die Stelle der gültigen Museumsdefinitionen zu setzen. Der Begriff legt den Fokus auf die Bildungs- und Vermittlungsfunktion der Museen, ohne dabei den grundlegenden Objektbezug derselben in Frage zu stellen. Museen sind nicht nur oder ausschließlich, sondern auch Lernwelten. Doch was sind Lernwelten überhaupt und wie werden diese durch was charakterisiert. Ein Blick auf die aktuelle Forschungsliteratur zum Lernen in Institutionen wie Universitäten, Bibliotheken, Schulen etc. bezeugt einerseits den ausgiebigen Gebrauch des Begriffs, aber andererseits auch die fehlende Not1 https://www.museumsbund.de/museumsaufgaben/. 2 https://www.museumsbund.de/museumsaufgaben/. https://doi.org/10.1515/9783110703054-002

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wendigkeit, diesen grundsätzlich definieren zu müssen.3 Diese Lücke kann auch an dieser Stelle nicht geschlossen werden, zumal der Schwerpunkt an dieser Stelle mehr auf den Museen als Lernwelten als umgekehrt liegt. Doch lohnt der Blick auf die Perspektive, die der Begriff Lernwelten auf Bildungseinrichtungen bisher setzt und welche Fragen er an diese Einrichtungen stellt. So kontextualisiert ein jüngerer Forschungsansatz von Egger und Hummel den täglichen Schulweg als Lernwelt, in dem vor allem soziale Aneignungsformen von öffentlichen Raum der Schulkinder untersucht wurden (Egger/Hummel 2016). Dabei geriet auch die Gestaltung dieser Lernwelt Schulweg mit Schildern, Verkehrszeichen, Schülerlotsen usw. in den Blick, so dass eine doppelte Stoßrichtung des Lernweltenbegriffs entstand. Einerseits gerieten mit ihm auch Lernprozesse fernab klassischer Bildungsinhalte in den Blick und andererseits fragte er zugleich nach der räumlichen Dimension und Verknüpfung des Lernens.

Der Begriff Lernwelt Der Begriff Lernwelt fragt gezielt nach der Lernumgebung und ihrer sozialen Formation unabhängig von den jeweils vermittelten Lerninhalten. Der Lernweltbegriff systematisiert das Lernen in der Wissenschaftlichen Bibliothek für eine Prüfung genauso wie das Aneignen des öffentlichen Raumes als Lernprozess auf dem täglichen Weg zu Schule. Der Begriff Lernwelt setzt den Fokus gleich in doppelter Hinsicht neu, denn einerseits systematisiert er auch Lerninhalte weit über das klassische Bilden hinaus und andererseits bezieht er die Fragen nach den Rahmenbedingungen des Lernens in die Perspektive mit ein. Auf diese doppelte Flexibilität ist es sicherlich zurückzuführen, dass heute auch immer wieder von digitalen Lernwelten die Rede ist (Hugger/Walber 2010). In diesem Zusammenhang wird die digitale Welt als sozialer Raum verstanden, in dem dann auch Lernwelten entstehen, die zwar räumlich nicht existieren, sich aber sozial konstituieren. Gerade in den digitalen Lernwelten wird die doppelte Stoßrichtung des Lernweltenbegriffs besonders deutlich, denn es unterscheiden sich Lernformen und Lernumgebung in der digitalen Lernwelt deutlich von jenen in der realen Welt, ohne jedoch die Vergleichbarkeit zu verlieren. Der Lernweltbegriff betont einerseits den Bezug zum Lernen so stark, dass andererseits die gro-

3 Selbst in sozialwissenschaftlich ausgerichteten Bänden wie zum Beispiel Egger/Merkt 2012 fehlt es an einer grundlegenden Begriffsdefinition.

Lernwelt Museum



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ßen Unterschiede der Rahmenbedingungen des Lernens dennoch systematisiert werden können. Wie wenig der Begriff Lernwelt dennoch, ganz im Gegensatz zu seiner häufigen Verwendung, wissenschaftlich ausgearbeitet ist, illustriert ein Blick ins Handbuch der Bildungsforschung, in dem selbst der Begriff sowie auch die sozialräumliche Perspektive auf Lernumgebungen kaum vorkommt und nicht grundlegend reflektiert wird (Tippelt/Schmidt-Hertha 2018). Den ersten, gelungenen Versuch einer wissenschaftlichen Annäherung an den Lernwelten-Begriff hat Stang unternommen (Stang 2016). Stang interessiert sich dabei vor allem für die räumlichen Dimensionen des Lernweltbegriffs. Lernwelten sind unter dieser Perspektive alltägliche Territorien, die Lernen ermöglichen – in welchen Konstellationen auch immer –, gleichzeitig aber auch Lernprozesse präformieren können, wie dies zum Beispiel in Bildungsinstitutionen geschieht (Stang 2016, 1). Auffällig ist der Begriff der „Territorien“, den Stang auch deshalb wählt, um seinen Begriff nicht nur auf tatsächliche Orte zu begrenzen. Ebenso wie für Spenn et al. (2008) seien Lernwelten nicht an einen geografischen Ort gebunden, seien zeiträumlich nicht eingrenzbar, hätten einen geringen Grad an Standardisierung und besäßen keinen Bildungsauftrag. Bildungsprozesse kommen in ihnen gewissermaßen nur nebenher zustande. Davon ausgehend ist der Schritt von Tully (2007), Lernwelten überhaupt nicht mehr mit klassischen Bildungsinhalten in Verbindung zu bringen, nicht mehr weit. Tully beschäftigt sich mit jugendlichen Lebenswelten als Lernwelten, in denen vor allem informell gelernt wird. Dieser Konsequenz ist sicherlich nachvollziehbar, doch erliegt Tully vielleicht ein wenig der nur theoretisch denkbaren Versuchung, zwischen formellen und informellem Lernen unterscheiden zu können. Vielleicht auch deshalb positioniert sich Stang gegen eine allzu strenge Begrenzung des Lernweltenbegriffs auf das informelle Lernen und macht sich für einen Zwischenweg stark. Stang knüpft dabei an das von Egger (2008) entwickelte Verständnis von Lernwelten als nicht beherrschbare Räume an: Nicht beherrschbar deshalb, da das Lernen letztlich vom Individuum selbst, dessen Lebenswelten, Erfahrungen und Interessen abhängt. Egger erläutert diesen Zusammenhang anhand des Films Entre les Murs von Laurent Cantet, in dem bildungsferne Pariser Vorstadtkinder in ihrer Lebenswelt auf die formalisierte Lernwelt Schule treffen. Umso mehr die Kinder und Jugendlichen betonen, wie wenig diese Lernwelt mit ihrer Lebenswelt gemein hat, um so formalistischer generiert sich die Lernwelt und macht das Lernen für die Kinder damit nicht möglich, sondern vielmehr unmöglich.

12  Torben Giese

Die formale Lernwelt Schule kann gefangen in ihrer Formalität die Differenz zur Lebenswelt der Jugendlichen nicht überwinden, und letztlich Lernen die jungen Menschen überhaupt nicht. Die Lernwelt ist in diesem Falle so gestaltet, dass zumindest diese Jugendlichen nicht in ihr lernen können. Ziel müsste es nun aus der Perspektive Eggers sein, die jeweilige Lebenswelt des Lernenden mit der zu gestaltenden Lernwelt in Verbindung zu bringen, wobei es dann wiederum weniger auf formale Lerninhalte ankommt. Denn Egger sieht gerade in den informellen und nicht-formalen Lernprozessen wichtige Quellen und Potenziale des lebensnahen kritischen Denkens und des aufgeklärten praktischen Handelns, die in Lernwelten ihren passenden Raum finden können. Lernwelten tauchen dann für Egger „als nicht beherrschbare Räume auf, die aber in ihrer ungesicherten Diesseitigkeit die Wahrnehmung, Bewältigung und Aneignung sozialer Praxis forcieren“ (Egger 2008, 51). Zwar verschwimmen in Eggers Perspektive die Grenzen zwischen Lernwelt und Lebenswelt damit fast vollständig, doch fragt Egger im nächsten Schritt auch nach der Anwendbarkeit seines Verständnisses von Lernwelten: Wenn man diese Gedanken auf die Prozesse der Erwachsenenbildung bezieht, so relativieren sie die stets virulente Vermittlungsproblematik zwischen Erfahrungen der Teilnehmer/innen und den Angeboten der Bildungswelt. Die hier eingenommene Unvorhersehbarkeitsperspektive kann den Blick für einen Ort der Vielfalt freigeben, der Lernen und Bildung im Spannungsfeld zwischen den recht unterschiedlichen Bedürfnissen und Erwartungen innerhalb eines niemals abzuweisenden Normproblems ansiedelt. (Egger 2008, 52)

Diesem Verständnis folgend sind Lernwelten eine Umgebung des eigenmotivierten, nicht-formalen und individuellen Lernens. In Lernwelten wird weniger formal gelehrt, als vielmehr individuell gelernt und jene sind eine Art Resonanzraum, „in dem wirkliche Bedürfnisse und Notwendigkeiten ihren Widerhall finden können und in dem Menschen Begegnungen zulassen, in denen sie sich erproben und bewegen können“ (Egger 2008, 52). Egger verknüpft den Begriff der Lernwelten also vor allem mit denjenigen Räumen, in denen nicht formal gelehrt und unterrichtet wird, und dies hat wiederum auch Auswirkungen auf die zu erlernenden Inhalte der Lernwelten. Für Egger werden in diesen nicht bloß einzelne Erfahrungselemente erworben, sondern auch das „Aneignungssystem“ selbst (Egger 2008, 53). Lernwelten zielen demnach für Egger weniger auf konkret fassbare Wissensbestände, sondern vielmehr auf die „Herausbildung übergeordneter, generativer Handlungs- und Wissensstrukturen, im Sinne von Selbst- und Weltreferenzen“ (Egger 2008, 53). Damit wird aber keineswegs die eher passive Rolle der Lernwelt als Resonanzraum des eigenmotiviert Lernenden verändert, sondern die Lernwelt müsse

Lernwelt Museum 

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letztlich aus der Sicht Eggers ihren Nutzen für die Lebenswelt des Lernenden beweisen. Nur dann, wenn der Lernende eine Notwendigkeit der Lernwelt für seine eigene Lebenswelt erkennt, wird er diese auch nutzen. Sicherlich verschwinden bei Egger die Grenzen zwischen Lernwelt und Lebenswelt fast bis zur Unkenntlichkeit, doch schärft sein Verständnis von Lernwelten den Blick auf das Verhältnis von Bestimmtheit und Unbestimmtheit des Lernens. Dies liegt auch daran, dass Egger traditionelle Bildungsorte wie Schulen, Hochschulen oder auch Museen nicht als solche Lernwelten im Sinne von nicht-beherrschbaren Räumen systematisieren würde. Doch der Begriff der Lernwelt weist unabhängig von dieser zumindest hinterfragbaren theoretischen Zuspitzung unbestritten in Richtung unbestimmter Lernbereiche, so dass Lernwelten letztlich durch drei zentrale Merkmale charakterisiert werden. Erstens setzt der Begriff den Schwerpunkt auf den räumlich oder sozial verstandenen Raum des Lernens, zweitens öffnet er das Lernen inhaltlich weg von formalen Wissensbeständen hin zu sozialen Aneignungsprozessen und drittens betont der Begriff die mögliche Unbestimmtheit eines informellen Lernens in der Lernwelt. Eine Übertragung des Lernweltenbegriffs scheint von daher vielversprechend, dass sich grundsätzlich alle drei Merkmale in Verbindung mit der Institution Museum bringen lassen. Museen konstituieren schon allein mit ihrer täglichen Öffnung für die Besucherinnen und Besucher einen sozialen Lernraum, in dem mit Blick auf die Kunstmuseem eine ästhetisch-emotionale Erfahrung im Mittelpunkt steht und das jeweilige Lernen ganz von der Motivation der Besucherinnen und Besucher abhängt. Vom jeden Text lesenden und den ganzen Tag in einer Ausstellung verbringenden Best-Ager bis hin zur völlig mit sich selbst beschäftigten Schülerinnen- und Schülergruppe scheint alles möglich.

Die Lernwelt Museum Werden nun diese drei zentralen Merkmale von Lernwelten – Betonung der Lernumgebung, Öffnung der Lerninhalte und Unbestimmtheit des Lernens – auf die Institution Museum übertragen, so stellt sich grundsätzlich die Frage, ob Museen Lernwelten sein sollten oder überhaupt sein wollen, ob der Begriff neue Impulse für die Museen zu setzen vermag oder ob er an der Institution Museum vorbeigeht. Dieses Fragenbündel wird letztlich zu einer Art Leitfaden dieses Bandes, da eine Übertragung dieses Lernweltenbegriffs auf das Museum schon auf den ersten Blick lohnend wie auch problematisch erscheint. Lohnend deshalb, da der Begriff die Lernumgebung in die Perspektive des Lernens integriert und diese in Museen als mit Hilfe von Ausstellungen Vermitt-

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lungsarbeit betreibende Institution eine zentrale Rolle spielt. Lohnend weiterhin auch deshalb, da das Lernen in solchen Ausstellungen und auch im Museen insgesamt eher unbestimmten Formen der Aneignung entsprechen als formalen. Der Besuch findet ebenso freiwillig statt, wie sich auch der Gang durch die Ausstellung zumeist individuell gestalten lässt – von Führungen, Workshops etc. einmal abgesehen. Problematisch deshalb, da viele Museen sich weniger hin zu neuen Lerninhalten öffnen, sondern versuchen, sich möglichst an die benachbarte Lernwelt Schule und deren Lehrplan anzudocken. Und problematisch daran anschließend auch deshalb, da die Museen ausgehend von ihrer Sammlung zumeist eigene Lerninhalte setzen, die nur bedingt mit den Lebenswelten der potentiellen Besucherinnen und Besucher in Verbindung stehen. Unbestritten ist aber, dass das Museum als Lernwelt systematisiert werden kann und so lässt sich auch das soeben angerissene Fragenbündel vielleicht in der Auseinandersetzung mit den anderen Lernwelten schärfen und präzisieren. Grundlegend stellt sich damit die Frage, was die Lernwelt Museum von anderen Lernwelten unterscheidet beziehungsweise ob es überhaupt Unterschiede gibt. Daraus ergeben sich weiterführende Fragen: – Wird in Bibliothek, Museum, Schule und Hochschule gleich oder völlig unterschiedlich gelernt? – Sind die drei zentralen Merkmale einer Betonung der Lernumgebung über die Öffnung der Lerninhalte hin zum unbestimmten Lernen in allen Lernwelten gleich ausgeprägt oder gibt es weitere strukturelle Unterschiede? – Unterscheiden sich eher die Lernmethoden oder die Inhalte oder stellt sich diese Frage erst gar nicht? Entstehen ähnliche oder völlig unterschiedliche Lernwelten? – Sind die an der einen Lernwelt gewonnenen Erkenntnisse über die Gestaltung von Lernumgebungen einfach auf die anderen Lernwelten übertragbar? – Wie entscheidend ist eigentlich der für Museen so zentrale räumliche Aspekte des Lernens und des Vermittelns, der sich im Begriff der Lernumgebung treffend zuspitzen lässt? – Wie entscheidend ist damit die Lernumgebung für die jeweiligen Lerninhalte? Wer richtet sich idealerweise nach wem oder sind beide vielleicht voneinander abhängig? Damit ist erneut ein ganzes Bündel an Fragen aufgeworfen, welches nach dem Verhältnis der Lernwelten zueinander fragt. Auch diese Beziehungen zwischen den Lernwelten gilt es in den Fokus zu rücken, können diese zum einen doch neue Handlungsperspektiven für Kooperationen eröffnen, zum anderen aber

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auch dabei helfen, das Profil der eigenen Lernwelt zu stärken. Ohnehin ist die Frage nach der Abgrenzung von Museen und Schulen in der Museumspädagogik intensiv diskutiert worden, und neuerdings entsteht sogar ein Diskurs über die Sinnhaftigkeit derselben. Schulen, die nach Ausweis der Besuchsstatistik, der musealen Schriften und Besucherhandreichungen heute die mit Abstand wichtigste Zielgruppe sind, stellen für die Museumsprofession offenbar eine besondere, überaus provokante Herausforderung dar, so dass das Selbstverständnis in der Museumsszenerie anscheinend auch immer wieder eine ausdrückliche Konfrontation und Abgrenzung musealer Ausstellungs- und Bildungsangebote von den Schulen erheischt. Wie ein ‚roter‘ Faden lässt sich solche Abgrenzung durch die museumsrelevante Professionalisierungsrhetorik verfolgen. (Vogt 2008, 55–56, H. i. O.)

Inwieweit diese Analyse in ihrer Zuspitzung vielleicht ein wenig über das Ziel hinausschießt, sei hier an dieser Stelle undiskutiert, aber die Richtung stimmt unbestritten. Auch der Deutsche Museumsbund hat in seiner 2011 erschienen Handreichung „schule@museum“ nicht die Gemeinsamkeiten, sondern die Differenz der beiden Bildungsorte betont (Dengel et al. 2011). Museen sollen diesem Bestreben nach eigenständige, unterscheidbare Lernwelten sein und aus diesen Abgrenzungsmechanismen heraus entstehen eine Menge lohnender Fragen: – Konzentrieren sich die Bildungsangebote des Museums auf die Inhalte der Lehrpläne oder gerade auf solche, die nicht in der Schule vorkommen? – Benutzen Museen gänzlich andere Lernmethoden wie die Schulen oder genau die, welche den Schülerinnen und Schülern vertraut sind? – Gleicht die Lernwelt Museum als Raum für Museumspädagogik einem Klassenraum oder entsteht eine auch sichtbar andere Lernwelt? – Ist das museumspädagogische Angebot eine Fortsetzung des Kunst- oder Geschichtsunterricht mit Ausstellungsbezug oder ein völlig eigenständiges Lernformat? – Inwiefern sind Ausstellungen Lernwelten und an wen richten sie sich? – Wie weit gehorchen Ausstellungen eigenen Prinzipien der Authentizität und Originalität oder inwieweit sind sie nach Prinzipien des Lernens auszurichten? – Sind auch Veranstaltungen und nicht nur museumspädagogische Angebote Teil der Lernwelt Museum? – Ist denn ein Museum überhaupt eine Lernwelt oder nicht ursprünglich ein Objektspeicher des Vergangenen und Gegenwärtigen? – Ist vielleicht ein Museum eine Lernwelt für die Objekte aus Geschichte und Gegenwart?

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Schon die Vielzahl wie Vielfalt der Fragen zeigt, dass es sicherlich ebenso viele unterschiedliche Antworten gibt. Dass die jeweiligen Antworten der Museen entscheidend von der gesellschaftlichen Ausrichtung, der Bedeutung und der Struktur der Sammlung zusammenhängen, liegt auf der Hand. So unterschiedlich die Museen dank ihrer jeweils einzigartigen Sammlung sind, so different fallen auch die Antworten auf dieses Bündel von Fragen aus. Die jeweils erprobten Ansätze in der viel beschworenen Museumspädagogik sind eng mit der Definition des eigenen Museums und seiner Konzeption verknüpft. Dem gilt es in diesem Band an Hand einer Reihe von Fallbeispielen nachzugehen, doch steckt in der seit vielen Jahren gepflegten Differenzperspektive der Museumswissenschaften vielleicht auch eine kleine Gedankenbarriere. Denn der Lernweltbegriff setzt ganz bewusst einen neuen, anderen Schwerpunkt, da er sowohl Schulen als auch Museen, Bibliotheken oder Hochschulen als Lernwelten gleichermaßen systematisiert. Er lenkt den Blick auf die Gemeinsamkeiten der Institutionen und Orte und nicht auf deren Differenz. Im Lernweltenbegriff geht es letztlich nicht nur um die Unterschiede zwischen den Bildungsinstitutionen, sondern eben auch um deren Gemeinsamkeiten, den Möglichkeiten zur Zusammenarbeit und Ergänzung. Im Lernweltbegriff steckt die Chance die Eigenständigkeit der jeweils eigenen Lernwelt fassen zu können, ohne damit zwangsläufig den Anschluss an die anderen Lernwelten zu verlieren. Es braucht keine von Vogt noch zu Recht kritisierte Professionialisierungsrhetorik seitens der Museen mehr, die sich vielleicht in der Praxis sogar der ein oder anderen Kooperation zwischen den Bildungsorten entgegenstellt (Vogt 2008, 55–56). Dies ist nur um so unglücklicher, da sicherlich in der Kooperation der Lernwelten die interessantesten Zukunftsperspektiven liegen. Denn allen Lernwelten gemeinsam ist der wie auch immer ausgesprochene Bildungsauftrag, den es nun vielleicht auch gemeinsam zu gestalten gilt. In einem gemeinsam zu erdenkenden Miteinander der sich aber weiterhin merkbar unterscheidenden Lernwelten könnten große Potentiale für die kulturelle Bildungslandschaft liegen.

Lernwelt Museum und die Suche nach Besucherinnen und Besuchern Wenn Museen heute mit anderen Lernwelten zusammenarbeiten, dann war oftmals sicherlich weniger die Idee eines gemeinsam zu gestaltenden Bildungsauftrages leitend, sondern schlichtweg der Wunsch nach einer Erhöhung der Zahl

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an Besucherinnen und Besuchern ausschlaggebend. Denn alle Museen – wie auch alle anderen Lernwelten – stehen vor ein und demselben Problem: Nichts ist frustrierender als ein lange erdachtes und viel diskutiertes Lernangebot, das keiner in Anspruch nimmt. Unabhängig von allen konzeptionellen Überlegungen muss sich die jeweilige Lernwelt Museum im Wettbewerb der Lernwelten behaupten. Seine Lernangebote – seien es Workshops, Führungen, Ausstellungen etc. – müssen Besucherinnen und Besucher anziehen, auf welche Weise auch immer. Auch hier sind die Möglichkeiten zwischen Marketing, Vernetzung und Lerninhalten so vielfältig wie das Museum und seine Zielgruppen, doch immer braucht es Lernende für eine Lernwelt Museum. Eine Lernwelt ohne Besucherinnen und Besucher ist letztlich keine solche, denn die Lernenden sind es letztlich, die sie konstituieren. Das heißt für die Museen, dass ihnen ohne Besucherinnen und Besucher, Nutzerinnen und Nutzer beziehungsweise Lernende auch keine Bildungsfunktion zukommen kann. Die Besucherinnen und Besucher machen das Museum zur Lernwelt! Zu all den konzeptionellen Fragen rund um die Lernwelt Museum kommt folglich auch diejenige nach der Attraktivität der Lernwelt für Besucherinnen und Besucher und an dieser Stelle lassen sich vielleicht ein paar Schneisen in den bisherigen Dschungel der Fragenvielfalt schlagen: – Wann ist eine Lernwelt für die Besucherinnen und Besucher attraktiv? Wann wird ein Lernangebot im Museum auch tatsächlich genutzt? – Welche Zielgruppen bevorzugen welche Lernangebote in der Lernwelt Museum? – Wann besuchen die Nutzerinnen und Nutzer anderer Lernwelten vielleicht auch die Lernwelt Museum? Die Hoffnung auf Pauschalantworten ist auch an dieser Stelle sicherlich trügerisch und wie immer bestätigen Ausnahmen die Regel, doch sind bereits ein paar grundlegende Ansätze der Marktwirtschaft hilfreich. Denen nach sind Produkte grundsätzlich dann erfolgreich, wenn sie eine spezielle Nachfrage und/ oder diese Nachfrage gegenüber anderen Angebote unterscheidbar befriedigen. Unterscheiden können sich die Produkte in ihrer Qualität, Form, dem Preis oder einer ganzen Reihe anderer Faktoren nach, deren Ausgestaltung letztlich über den Erfolg des Produkts entscheidet. Ein Produkt muss besonders schön, besonders hochwertig oder am besten grundsätzlich einzigartig sein, um möglichst viele Nutzerinnen und Nutzer zu begeistern. Im Falle der Lernwelten ließe sich noch hinzufügen, dass das Lernangebot möglichst nah an der Lebenswelt der Besucherinnen und Besucher sein sollte. Auf die Lernwelt Museum übertragen scheint damit die Frage nach der Unterscheidbarkeit zu anderen Lernwelten von zentraler Bedeutung. Oder anders

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formuliert, sollte sich die Lernwelt Museum sogar von anderen Lernwelten unterscheiden, will sie denn viele Lernende für sich begeistern. Folglich liegen die Stärken der Lernwelt Museum vor allem da, wo diejenigen der anderen Lernwelten nicht liegen. Für Museen sind schlussendlich diejenigen Lerninhalte und/ oder Lernmethoden besonders interessant, die in keiner der anderen Lernwelten ihren Platz finden. Dabei sind theoretisch und praktisch alle Kombinationen denkbar. Klassische Lerninhalte aus Schule und Hochschule werden in der Lernwelt auf andere Art und Weise vermittelt, wie auch völlig neue Lerninhalte erfolgreich in der Lernwelt Museum auf ganz klassische Weise, beispielsweise in der Art eines wissenschaftlichen Vortrages, thematisiert werden können. Die Frage nach der Unterscheidbarkeit oder sogar Einzigartigkeit zu den Angeboten anderer Lernwelten scheint letztlich am zielführendsten, wobei diese Angebote allerdings sehr wohl in Kooperation und Abstimmung mit den anderen Lernwelten entstehen können oder vielleicht sogar sollten. Warum sollten zwei unterschiedliche Lernwelten nicht gemeinsam jeweils auf ihre Art und Weise ein und dasselbe Lernziel verfolgen? Warum sollte nicht der Besuch der einen Lernwelt auch Teil des Lernens in einer anderen Lernwelt sein?

Alleinstellungsmerkmale der Lernwelt Museum Um aber gemeinsam mit anderen Lernwelten neue Lernangebote zu gestalten, braucht es zunächst einmal eine klare Vorstellung von den Charakteristiken der eigenen Lernwelt, womit sich die Frage der Alleinstellungsmerkmale von Museen stellt. Auch diese Frage lässt sich wiederum nur mit aller gebotenen Vorsicht beantworten, doch scheinen zwei Ansätze den Weg zu weisen. Sauer sieht die Stärke von historischen und kulturhistorischen Museen weniger in der Wissensvermittlung, sondern „im Bereich ästhetischer Erfahrungen und Vorstellungen“ (Sauer 2009, 85). Diese beruhen, so die Argumentation Sauers, auf der „Faszination und Motivation durch das Objekt“ (Sauer 2009, 85), welches schlussendlich damit zum zentralen Alleinstellungsmerkmal der historischen und kulturhistorischen Museen avanciert. Das Objekt selbst wird zum Auslöser einer ästhetischen Erfahrung und Vorstellung, die wiederum zu eigentlichen Grund des Museumsbesuches wird. Von einer Lernwelt Museum kann Sauers Verständnis nach weniger die Rede sein als vielmehr von einer Art Erfahrungswelt von Authentizität, doch kommt dieses Verständnis von Museen sicherlich bei naturwissenschaftlichen Museen an seine Grenzen. In diesen, aber auch vielen anderen Museen, spielen Objekte beziehungsweise deren Authentizität keine oder nur eine untergeordne-

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te Rolle. Doch auch ein anderes Problem bleibt ungelöst, nämlich jenes von der zu großen Differenz zwischen der Lernwelt und der jeweiligen Lebenswelt der Lernenden, welche für letztere aus eigenen Stücken kaum zu überwinden ist. Würde sich ein Museum allein auf die Authentizität seiner Objekte als Alleinstellungsmerkmal verlassen, diese aber nur wenig mit der Lebenswelt der Besucherinnen und Besucher zu tun haben, würde eine Sackgasse entstehen. Die Museen müssten sich allein auf ihre Objekte konzentrieren, mit denen ihre Besucherinnen und Besucher aber strukturell nichts anfangen könnten. Sicherlich würde diese fehlende Nähe wiederum durch die vielfach diagnostizierte Faszination des Fremden kompensiert, doch kann auch jene das Problem des richtigen Verhältnisses zwischen Lernwelt und Lebenswelt der Lernenden nur bedingt lösen. Denn blieben unter der Vielzahl der Ausstellungsstücke in Museen von Kunstwerken über historische Objekte hin zu Naturartefakten nur wenige übrig, die entweder nah genug an der Lebenswelt der Lernenden oder umgekehrt fremd genug sind. Viele Museen hätten dann schlussendlich vielleicht kein einziges Stück in ihrer Sammlung, was diese engen Kriterien des vermittelbaren, authentischen Objekts erfüllen könnte und müsste ihre Ausstellungsund Vermittlungstätigkeit vielleicht frustriert einstellen. Aus dem Alleinstellungsmerkmal des authentischen Objekts allein kann sich das Museum damit letztlich kaum als Lernwelt konstituieren, denn würde sie damit schon von vorn herein das eigen Scheitern vorprogrammieren. Umgekehrt ist die Authentizität des Objekts sehr wohl dann ein mögliches Alleinstellungsmerkmal von Museen, wenn es keinen ausschließenden Anspruch erhebt; wenn diese ein entscheidendes Alleinstellungsmerkmal, aber eben nicht das einzige bleibt. Ähnlich sieht dies auch Breithaupt, aus deren Perspektive das authentische Objekte eines von mehreren Alleinstellungsmerkmalen von Museen vor allem gegenüber Schulen ist: Auch im Verhältnis zur Schule ist das Museum unabhängig. Der Vorteil des Museums ist es gerade, anders vorgehen zu können, andere Methoden zu benutzen und mit dem enormen Heimvorteil der ‚authentischen Objekte‘ umgehen zu können; eine Anpassung an Schule ist überflüssig. (Breithaupt 2009, 6. H. i. O.)

Neben dem enormen Heimvorteil des authentischen Objekts, den wir eben bereits analysiert und problematisiert haben, sieht sie also in den Methoden des musealen Vermittelns ein weiteres Alleinstellungsmerkmal. An dieser Stelle weist nun der Lernweltbegriff für sich die Richtung, da er seinerseits die Bedeutung des informellen Lernens in nicht beherrschbaren Räumen gegenüber dem formalen Lernen in der Schule betont. Museen können diesem Verständnis nach – ganz im Gegensatz zu formalen und leistungsorientierten Bildungsein-

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richtungen wie Hochschule und Schule – mit der Methodenvielfalt des Vermittelns arbeiten und darüber hinaus auch eigene Lerninhalte setzen, während diese in vielen anderen Lernwelten vorgegeben sind. Das Museum wird damit zur Lernwelt des informellen Lernens per se, welche mit, durch und in den ausgestellten Exponaten auf vielfältige Art und Weise zum informellen und selbstbestimmten Lernen anregt. Die Vielfalt der möglichen Vermittlungsmethoden im Museum wird darüber hinaus noch durch – und auch das betont der Begriff der Lernwelt – die für das Museum zentrale Verknüpfung von Lernen und Raum potenziert. Im Museum wird Lernen zugleich – von einigen Ausnahmen wie dem klassischen, einem Klassenzimmer gleichenden, Raum für Museumspädagogik einmal abgesehen – immer räumlich gedacht und gestaltet. Diese Verknüpfung hat sich im Museum in Form von Ausstellungen als eigenständiges, einzigartiges und letztlich auch mehr oder weniger museumsspezifisches Vermittlungsformat entwickelt und dieses lässt sich wiederum auf das Alleinstellungsmerkmal des authentischen Objekts zurückführen. Die Räumlichkeit der Vermittlung im Museum leitet sich gleichsam aus der Präsentation und Kontextualisierungen von Objekten ab, hat sich aber gerade in den letzten Jahrzehnten über diese hinaus entwickelt. Ausstellungen sind auch ohne authentische Objekte oder Gegenstände denkbar und sind letztlich nichts Anderes als eine Art Übersetzung der Ausstellungsinhalte in den Raum. In Ausstellungen und im Museum werden damit nicht nur Objekte ausgestellt, sondern immer auch die gezeigten Inhalte räumlich präsentiert und kontextualisiert. Ausstellungen in Museen sind letztlich nichts anderes wie eigene, abgegrenzte Lernwelten im Zusammenhang der Lernwelt Museum, die wiederum eigene Lerninhalte präsentieren und mit spezifischen Vermittlungsmethoden gestalten können. Die Lernwelt Ausstellung kann als Antwort auf die Herausforderung verstanden werden, die Besuchenden in ihrer Lebenswelt immer wieder neu abzuholen und den Anschluss an die gesellschaftliche Entwicklung nicht nur nicht zu verlieren, sondern jeweils neu und aktiv zu gestalten. Lernen im Museum wird damit immer zum Lernen im Raum und das Museum von vornherein zur Lernwelt schlechthin, welches mit der Ausstellung über Jahrzehnte hinweg sogar ein eigenes, museusmspezifisches Format der Vermittlung erfunden hat. In keiner anderen Lernwelt ist die zentrale Verknüpfung von Raum und Lernen so evident wie im Museum. Immer entsteht im Museum eine räumlich bewusst gestaltete Lernwelt, in der die Lernziele erfahren, erlebt und erlernt werden können.

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Ansätze für eine Kontextualisierung der Lernwelt Museum Einerseits stellt das Museum also Dinge – seien es historische Objekte, Gebrauchsgegenstände oder Kunstwerke – aus und andererseits kontextualisiert das Museum in seinen Ausstellungen seine Inhalte im Raum. Dabei bedient es sich einer im Vergleich zu anderen Lernwelten beachtlichen Vielfalt an Methoden und Inhalten des Lernens. Die Lernwelt Museum ist vielleicht so etwas wie die zumindest theoretisch flexibelste und vielfältigste aller Lernwelten. Dabei bleibt das Museum sowohl durch die Zentralität des Objekts, als auch durch die Räumlichkeit der Erzählung immer von den anderen Lernwelten klar unterscheidbar, wenn auch diese – siehe mit Blick auf vor allem Archive und Bibliotheken – mehr und mehr selbst Ausstellungen realisieren. Für die Lernwelt Museum weist aber in jedem Falle ein möglichst enger Bezug der Lernangebote und -inhalte zu diesen Alleinstellungsmerkmalen in die richtige Richtung. Immer dann, wenn Lernangebote mit Museumsobjekte arbeiten und/oder die räumliche Dimension des Museums nutzen, aufgreifen oder gestalten, unterscheiden sich diese fast schon zwangsläufig von den Angeboten anderer Lernwelten. Immer dann, wenn Museen solche Lernwelten, die die Authentizität des Objekts oder ihre sonstigen Lerninhalte räumlich kontextualisieren, entstehen lassen, können sie den Besucherinnen und Besuchern eine einzigartige Lernwelt bieten. Doch heißt dies noch lange nicht, wie der Blick auf den von Egger zitierten Films Entre les Murs von Laurent Cantet zeigt, dass eine solche Lernwelt auch attraktiv für die Lernenden ist. Eine solche an ihren Alleinstellungsmerkmalen ausgerichtete museale Lernwelt ist nicht zugleich kompatibel mit der Lebenswelt ihrer Besucherinnen und Besucher und damit haben wir vielleicht den Begriff der Lernwelt – zumindest im musealen Zusammenhang – auf die entscheidende Frage zugespitzt. Wie kann die Lernwelt Museum sich so gestalten, dass sie sowohl kompatibel zur Lebenswelt ihrer Besucherinnen und Besucher als auch zu den eigenen Alleinstellungsmerkmalen ist. Wie präsentiere ich meine Objekte oder Inhalte derart im Raum, dass ich den inhaltlichen wie konservatorischen Ansprüchen des Museums beziehungsweise der ausgestellten Stücke gerecht werden kann, ohne zur allzu selbstständigen, für die Besucherinnen und Besucher nicht mehr zu verstehenden Lernwelt zu werden? Es kommt darauf an, einzigartige Lernwelten für die vom Museum bestimmten Lerninhalte zu gestalten, die die Besucherinnen und Besucher in ihren Lebenswelten, ihren Interessen, Eigenarten und Gewohnheiten abholen. Nur dann wird das Publikum selbst motiviert, die Lernwelt zu erkunden, sich mit

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ihren Lernangeboten auseinanderzusetzen und von sich aus zu lernen. Der Begriff der Lernwelt betont diesen entscheidenden Zusammenhang zwischen Lebens- und Lernwelt und die Lernwelt wird letztlich zum gekonnten Ausgleich zwischen den Lerninhalten des Museums und der Lebenswelt der Besucherinnen und Besucher. Dabei weist der Begriff der Lernwelt zugleich darauf hin, dass sich für diesen Balanceakt zwischen Sammlung, Lernwelt und Lebenswelt eine Vielfalt der Gestaltungs- und Kontextualisierungsmöglichkeiten des Raumes und der Methoden des Lernens bieten. Der vermeintlichen Schwere der Herausforderung dieses Balancierens steht also eine ebenso große Fülle an Möglichkeiten für die Lernwelt Museum gegenüber, die es ständig neu zu nutzen und zu gestalten gilt. Daraus entsteht aber nicht zwangsläufig ein Abhängigkeitsverhältnis, dem nach die Lernwelt Museum verdammt sei, der gesellschaftlichen Entwicklung hinter her rennen zu müssen. Es entsteht nicht notwendigerweise das mühsame und zumeist hilflose und erfolglose Aufgreifen gesellschaftlicher Trends, denn die Lernwelt Museum ist ja selbst ein aktiver Teil der Gesellschaft. So sinnvoll die Konstruktion eines Gegenübers von Lernwelt und Lebenswelt schlussendlich auch ist, so darf nicht vergessen werden, dass die Museen selbst auch Teil dieser Lebenswelt sind und diese ebenso gestalten. Für die Lernwelt Museum heißt dies umgekehrt, dass sie nicht zum Reagieren auf die gesellschaftliche Entwicklung gezwungen, sondern zum freien Agieren in der Lebenswelt aufgefordert ist. Der Begriff der Lernwelt verortet das Museum ganz deutlich nicht außerhalb der Gesellschaft, sondern als aktiven Teil derselben, und es gilt für die Lernwelt diese Funktion vielleicht auch über das Lernen hinaus mit Leben zu füllen.

Die Lernwelt Museum und die Theorie des Dritten Orts Darauf weist auch die heute in der Museumslandschaft vielerorts intensiv diskutierte Theorie des Dritten Ortes des amerikanischen Soziologen Ray Oldenburgs, demnach die moderne Gesellschaft neben dem Orten der Familie und des Berufs solche benötigt, an denen sie zwanglos, freiwillig, nicht-kommerzialisiert zu Kommunikationszwecken zusammenkommen kann (Oldenburg 1989). Ohne jetzt auf die Details der umstrittenen Theorie einzugehen, weist sie auf die mögliche gesellschaftliche Funktion der Lernwelt Museum über die Bil-

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dungsfunktion und das so zentrale Verhältnis zwischen Lern- und Lebenswelt hinaus hin. Dritte Orte sind nach Oldenburg notwendige Orte des Zusammenlebens von Menschen, die als solche zwangsläufig Teil der Lebenswelt der Besucherinnen und Besucher sind. Diese Orte sind so etwas wie neutraler Boden, den jede und jeder nach eigenem Willen betreten und verlassen kann und an dem niemand die Rolle von Gastgeberinnen oder Gastgebern einnimmt. Sie sind einladend gestaltet und frei zugänglich, ermöglichen ein informelles Zusammenkommen, laden zum regelmäßigen Besuch ein, möchten den Besucherinnen und Besuchern ein zweites Zuhause sein und verstehen sich vor allem als Ort des Gesprächs. Schon dieser kurze Blick in die Theorie Oldenburgs zeigt deutlich, dass Museen letztlich solche Dritten Orte sein können, aber keineswegs zwangläufig sind. Es ist letztlich eine Frage des Wollens einer jeden Einrichtung, in der das Verständnis des Museums als Lernwelt aber einige interessante Impulse geben kann. Denn oftmals scheinen sich die etwaigen Funktionen des Museums als Bildungsfunktion und als Dritter Ort nur schwierig zu ergänzen, da die Lernwelt Museum nun mal oftmals nur nach der Entrichtung einer Eintrittsgebühr zugänglich ist. Damit kann sie eine der Grundvoraussetzungen des Dritten Ortes nicht erfüllen und vielerorts wird deshalb richtigerweise die Forderung nach freiem Eintritt in den Museen gefordert. Doch wäre es umgekehrt mit dem freien Eintritt allein nicht getan, denn wäre damit die Lernwelt Museum ja nicht sofort und zwangsläufig Teil der Lebenswelt seiner Besucherinnen und Besucher, wie der Blick auf viele tausende Heimatmuseen in Deutschland illustriert. In den allermeisten dieser Museen wird kein Eintritt erhoben und dennoch sind sie meist weder Teil der Lebenswelt der Besucherinnen und Besucher noch gesellschaftlich Dritte Orte. Unabhängig vom Eintritt stellt sich für die Lernwelt Museum also die Frage, wie sie gesellschaftlich Dritter Ort und damit ganz automatisch Teil der Lebenswelt der Besucherinnen und Besucher werden kann. Oftmals wird diese Frage nun mit Blick auf dem Wunsch nach funktionierender Museumsgastronomie, der Schaffung von öffentlichen Flächen in den Museen und verlängerten Öffnungszeiten diskutiert, doch auch diese Debatten gehen letztlich an der eigentlichen Frage vorbei. Dies zeigt sich vor allem mit Blick auf die Museumsgastronomie, die ja bereits seit Jahren zum Standard größerer Museen gehört, aber letztlich nur selten – selbst während den Öffnungszeiten des Museums – zu einem lebendigen Dritten Ort wird. Ganz zu schweigen von etwaigen Öffnungszeiten nach Schließung des Museums, die oftmals allen guten Vorsätzen zum Trotz meistens ad acta gelegt werden. Verlängerte Öffnungszeiten, Wegfall des Eintritts, die Existenz einer Museumsgastronomie und verbesserte Zugänglichkeit

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sind letztlich zwar notwendige Voraussetzungen für die Lernwelt Museum als Dritter Ort, doch erfüllt das Museum damit keineswegs automatisch diese Funktion. Dafür kann letztlich nur eine Erweiterung der Lernwelt Museum auf die öffentlichen Räume des Dritten Ortes sorgen. Die Lernwelt Museum darf sich ganz räumlich verstanden nicht auf die Ausstellungsflächen und museumspädagogischen Räume beschränken, sondern muss seinen öffentlichen Raum als Teil der Lernwelt erschließen. Dies kann durch Ausstellungen und Veranstaltungen ebenso geschehen wie durch Festivals oder künstlerischen Installationen, doch immer müssen solche Angebote vor allem den Interessen der Besucherinnen und Besucher an einem Dritten Ort folgen. Die Lernwelt Museum muss für diese öffentlichen, gesellschaftlichen Bereiche letztlich wiederum andere Lernmethoden und -inhalte entwickeln, die erst einmal dem Wunsch der Besucherinnen und Besucher nach einem Dritten Ort entsprechen und erst in zweiter Linie zum Lernen anregen. Letztlich gilt diese Erkenntnis, dass die Lernwelt Museum für ihre jeweiligen Räume und Zielgruppen jeweils eigene Methoden und Inhalte des Lernens gestalten muss – über die öffentlichen Räume hinaus für alle Flächen, Sparten und Angebote des Museums. Und doch scheinen der öffentliche Bereich und die Funktion des Dritten Orts ganz entscheidend für das Museum als Lernwelt zu sein. Eine Lernwelt ist immer auch als Ganzes Teil der Lebenswelt seiner Besucherinnen und Besucher und es reicht damit nicht aus, nur die jeweiligen Lernangebot auf die Interessen der Besucherinnen und Besucher zuzuschneiden. Es gilt letztlich, das ganze Museum als Lernwelt in der Lebenswelt der Besucherinnen und Besucher zu positionieren. Das Verhältnis zwischen Lernwelt und Lebenswelt kann sich durch die Positionierung als Dritter Ort grundlegend verändern beziehungsweise die von Egger diagnostizierte Differenz von Lebenswelt und Lernwelt zwar sicherlich nicht aufheben, doch auf neue Art und Weise ausrichten. Demnach kommt es nicht nur darauf an, die Lernmethoden und -inhalte auf die Interessen des Lernenden auszurichten, sondern die Lernwelt als Ganze in der Gesellschaft als Dritter Ort zu positionieren. Die Lernwelt Museum beschränkt sich damit nicht in der Rolle, auf die gesellschaftliche Entwicklung der Lebenswelt zu reagieren und dieser fortwährend hinter her zu rennen, sondern gestaltet ihren öffentlichen Raum aktiv für und mit den Besucherinnen und Besuchern beziehungsweise Lernenden. Die Lernwelt Museum läuft der Gesellschaft nicht hinterher, sondern gestaltet sie mutig, aktiv, engagiert und in enger Kooperation mit Partnerinnen und Partnern aus der Gesellschaft und anderen Lernwelten.

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Richard Stang

Lernen multiperspektivisch kontextualisieren Museum als Resonanzraum

Einleitung Museen sind per se Lernwelten, wenn man zugrunde legt, dass Menschen immer lernen und in Museen vielfältige Anreize geboten werden, dies zu tun. Gleichwohl muss Lernen immer in Bezug auf die Lernenden kontextualisiert werden, da Lernen immer an vorhandene Erfahrungen andockt und ohne dieses Andocken nicht stattfindet beziehungsweise ins Leere läuft. Dies stellt eine besondere Herausforderung für die Lernwelt Museum dar. Wenn zum Beispiel Besucherinnen und Besucher in ein Museum der Modernen Kunst gehen, die vorher keinerlei Bezug zu dieser Kunst hatten, wird ihnen vieles an Lernmöglichkeiten verschlossen bleiben. Natürlich können Texte, Audioguides etc. dabei unterstützen, dieses Manko auszugleichen, doch müssen die Besucherinnen und Besucher auch hier Anknüpfungspunkte zu ihren biographischen Erfahrungen und ihrer Lebenswelt finden, um für sie Relevantes zu lernen. Man könnte sich nun auf den Standpunkt zurückziehen, dass die ästhetische Erfahrung genügend Substanz schafft, um solche Lernprozesse zu fördern. Doch auch hier bedarf es Kompetenzen zur ästhetischen Dekodierung, die sich nur bedingt aus einzelnen Rezeptionssituationen heraus, sondern sich eben mosaikartig sukzessive entwickeln. Umgekehrt lässt sich aber auch feststellen, dass das Vorhandensein dieser Kompetenzen dazu führen kann, dass museale Kontexte, die stärker in der Lebenswelt der Menschen verankert sind, wie zum Beispiel bei Heimatmuseen, als trivial kaum zur Kenntnis genommen werden. Der Gestus des Wissens wird so zu einem kulturellen Gestus, der suggeriert, dass es eine Hierarchie des Zugangs zu Kultur und damit letztendlich zur Lebenswelt gibt. Längst ist die Forderung von Hilmar Hoffmann „Kultur für alle“ (Hoffmann 1979) allgemein anerkannt und auch vielfältig auf der Angebotsebene umgesetzt, doch gleichzeitig ist der Modus der Distinktion konserviert. Gelegentlich ist dies noch die letzte Bastion der „Wissenden“, um sich von den „Nichtwissenden“ abzugrenzen. Bezogen auf die kulturelle Teilhabe haben Scheytt und Sievers vor über zehn Jahren ein eher ernüchterndes Fazit gezogen:

https://doi.org/10.1515/9783110703054-003

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Noch immer bleibt die Hälfte der Menschen von den öffentlich finanzierten Kulturangeboten ausgeschlossen und nur 5–10 % der Bevölkerung bilden den verlässlichen Kern der Vielnutzer, um den sich immer mehr Anbieter bemühen und für die immer mehr und immer exklusivere Angebote auf öffentliche Kosten zur Verfügung gestellt wurden. (Scheytt/ Sievers 2010, 30)

Grundlegende Veränderungen sind auch heute nur bedingt festzustellen. Vielmehr gibt es gelegentlich Kämpfe um die kulturelle Definitionsmacht. Das hat zum Beispiel die Auseinandersetzungen über den Umbau der New York Public Library (NYPL) – mit mehr öffentlichen Lern- und Arbeitsflächen, weniger Buchbestand in den Räumen – gezeigt. Wegen der Proteste aus dem bildungsbürgerlichen Milieu wurde er nicht realisiert und es wurde deutlich, dass Kultur für alle nicht selten nur aus der Perspektive der Kultur- und Bildungsbeflissenen definiert wird (Sherman 2014). Solchen Dilemmas zu entkommen ist für Billdungs- und Kultureinrichtungen nicht trivial – eben auch nicht für Museen. Das Museum ist wie jede andere Kultureinrichtung ein Resonanzraum, der eben nur das bei seinen Besucherinnen und Besuchern in Schwingung bringen kann, was bei denen schon vorhanden ist. Und hier beginnen die Herausforderungen für die Lernwelt Museum, wenn diese als solche möglichst viele Bevölkerungsgruppen erreichen will. Mit „bildungsaffinen“ Gruppen hat man es da sicher einfacher als mit „bildungsfernen“. Doch muss es nicht gerade der Anspruch einer Lernwelt Museum sein, die Menschen an ihre Wissenskontexte heranzuführen, die gar nicht wissen, dass sich in der Auseinandersetzung mit Objekten, Angeboten und Inszenierungen für sie Lernoptionen ergeben? Letztendlich kommt es bei der Gestaltung dieses Resonanzraums auf die Kontextualisierungen an, die die Grundlagen für Lernoptionen schaffen. Im Folgenden soll deshalb auf vier Kontextualisierungen eingegangen werden, die unter anderen dabei von Relevanz sind: lerntheoretische, pädagogische, räumliche und kooperative Kontextualisierungen.

Lerntheoretische Kontextualisierung Wenn von Lernwelten die Rede ist, stellt sich immer die Frage nach dem Verständnis von Lernen, das sich dahinter verbirgt. Grundlegend dafür sind Lerntheorien, die erklären sollen, wie Lernen funktioniert und wie es gefördert werden kann. Im Folgenden soll auf zentrale Lerntheorien (ausführlich: Stang 2016, 24–37) und deren Relevanz für die Gestaltung von musealen Kontexten eingegangen werden.

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Der Behaviorismus stellt das Lehren in den Fokus. In einer optimalen Reihenfolge werden Informationen als „Lernprogramm“ vermittelt, die Lernende lernen und zu Wissen generieren sollen. Ziel ist es, dass die Lernenden die Inhalte bei Befragung wiedergeben können. Nicht selten werden Ausstellungen so aufgebaut. Es gibt eine klare Abfolge, wie die Objekte „abgelaufen“ werden sollen. Im Idealfall – der allerdings nur selten eintritt – sollen die Besucherinnen und Besucher danach die Inhalte der Ausstellung in ihr Wissensreservoir integriert haben. Der Kognitivismus setzt auf die Gestaltung von Kommunikationssituationen und das entdeckende Lernen. Im Austausch mit den Lehrenden beziehungsweise Materialien sollen Lernende Fragestellungen selbständig bearbeiten und mentale Modelle aufbauen, die ihnen dabei helfen, weitergehende Fragestellungen bearbeiten zu können. Für Museen ergibt sich unter dieser Perspektive die Herausforderung, Inhalte so zu kontextualisieren, dass diese die Besucherinnen und Besucher auf der einen Seite irritieren und auf der anderen Seite aber Anknüpfungspunkte an deren Lebenswelt bieten, so dass gewonnene Erkenntnisse auf andere Lebenssituationen übertragen werden können. Unter der Perspektive des Konstruktivismus rücken die Lernenden in den Fokus. Hier begleiten die Lehrenden den Lernprozess und beraten die Lernenden. Lernen wird als individuell angesehen, so dass es keine vorgegebene Struktur der Inhalte geben kann, da die Lernenden ihr Lernen selbst steuern. Im musealen Kontext heißt das nicht, dass die Besucherinnen und Besucher alleine gelassen werden sollten, im Gegenteil: es sollten Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner anwesend sein, die den Besuch begleiten und individuelle Fragen mit den Besucherinnen und Besuchern besprechen können. Dabei zeigt sich allerdings, dass dies ein Verständnis von Lernen ist, das die aufwändigsten Konsequenzen für die Lernwelt Museum hat. Die hier nur kurz skizzierten lerntheoretischen Kontextualisierungen – zu ergänzen wären unter anderem noch die pragmatische Lerntheorie, Konnektivismus, die relationale Theorie des Lernens oder die subjektwissenschaftliche Lerntheorie – machen deutlich, wie wichtig es ist, sich darüber im Klaren zu sein, welches Verständnis von Lernen der jeweiligen Gestaltung der Lernwelt Museum zugrunde liegt. Dies hat dann auch Auswirkungen für die pädagogische Kontextualisierung.

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Pädagogische Kontextualisierung Im Museum finden sich vielfältig pädagogisch kontextualisierte Angebote. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Museumspädagogik als fester Bestandteil der Arbeit von Museen etabliert. Dazu hält Nettke fest: Der Bildungs- und Vermittlungsauftrag von Museen ist sehr umfassend und nicht als rein pädagogische Aufgabe im Sinne personaler Vermittlung zu verstehen, was einem engen und überholten Verständnis von Museumspädagogik entsprechen würde. Vielmehr ist er bereits im Kuratieren angelegt, aber ebenso in den Aufgabenfeldern Öffentlichkeitsarbeit, Marketing sowie Ausstellungsentwicklung und Besucherservice – ähnlich der weitern Definition von Kulturvermittlung. (Nettke 2016, 31)

Ein derart weit gefasster Begriff von Museumspädagogik macht ein Grundproblem deutlich: Welche pädagogische Fundierung haben die verschiedenen Aktivitäten? Mit der Beantwortung dieser Frage, steht die Museumspädagogik allerdings nicht alleine. So hat zum Beispiel die Bibliothekspädagogik das gleiche Problem, wenn es zum Beispiel darum geht, zu beschreiben, inwieweit Veranstaltungsarbeit pädagogische Arbeit ist (Stang 2020b). Es geht also vor allem darum, die pädagogische Arbeit im erziehungswissenschaftlichen Kontext zu verankern. Nettke spricht zwar davon, „dass der Begriff Museumspädagogik zunehmend durch andere wie Bildungs- und Vermittlungsarbeit in Museen ersetzt wird“ (Nettke 2016, 31), doch enthebt es die Museen nicht, die pädagogische Verankerung ihrer Arbeit zu reflektieren. Dies gilt auch für die Perspektive der Zielgruppen. Meistens werden die pädagogischen Angebote vor allem im Hinblick auf Kinder und Jugendliche ausgerichtet. Schule ist dabei oft eine wichtiger Kooperationspartnerin (Peltzer 2021), während Erwachsenenbildung nicht selten eher unberücksichtigt bleibt (Lewalter et al. 2021). In diesem Kontext ist es auch von Relevanz, welchen professionellen Hintergrund das Personal hat, das museumspädagogisch arbeitet (Kollar 2016). Hier ist von Bedeutung, ob das Personal sich in Ausbildung oder Studium mit pädagogische Grundlagen auseinandergesetzt hat. Die Gestaltung von Angeboten „aus dem Bauch heraus“ mag im Einzelfall funktionieren, doch für die Entwicklung einer spezifischen pädagogischen Konzeption für das jeweilige Museum reicht dies nicht aus. Dies ist auch vor dem Hintergrund der Komplexität der Vermittlungsarbeit in Museen von Relevanz. Nettke fächert unter anderen folgende Vermittlungsaspekte auf: – sammlungsspezifische Vermittlung, – objektangemessene Vermittlung, – raumbasierte Vermittlung,

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ganzheitliche und fächerübergreifende Vermittlung, gegenwartsbezogene Vermittlung und handlungsorientierte Vermittlung (Nettke 2016, 32–36).

Dabei kommen vor allem in Bezug auf die objektangemessene Vermittlung drei Prinzipien zum Einsatz (Nettke 2016, 33): – das Prinzip der didaktischen Reduktion, da letztendlich nur exemplarisch gearbeitet werden kann und eine Auswahl getroffen werden muss, – das Prinzip der Anschaulichkeit, da entschieden werden muss, welches Objekt die zu vermittelnden Inhalte am besten repräsentiert, – das Prinzip der Strukturierung, wenn eine Reihenfolge der Präsentation festgelegt wird. Gleichwohl stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, wie die Lernenden ins Spiel gebracht werden können. Zwar spielt Besuchendenorientierung für Museen schon lange eine Rolle (Noschka-Roos 2016), doch erfordert die Perspektive der Gestaltung der Lernwelt Museum eventuell veränderte Konzepte, die sich auch in den räumlichen Kontextualisierungen niederschlagen.

Räumliche Kontextualisierung Loris Malaguzzi, Mitbegründer der Reggio-Pädagogik, sprach vom Raum als drittem Erzieher beziehungsweise vom dritten Pädagogen, das heißt, dass der Raumgestaltung für pädagogische Prozesse eine besondere Rolle zukommt. Auch wenn die Reggio-Pädagogik sich auf den Elementarbereich bezog (Schäfer/Schäfer 2009), gilt dies für alle Institutionen, die Bildung fördern und Lernen anregen wollen. Räume, in denen Lernen im Fokus steht, prägen den Lernprozess nachhaltig. Räume als eine der zentralen Dimensionen pädagogischen Handelns sind lange durch die jeweilige Architektur formiert worden, um eine Standardisierung des Lehrens und Lernens zu ermöglichen, wie dies Nugel formuliert: „Erst die Architektur erlaubt die Standardisierung und Serialität von Lehr- und Lernprozessen, die für moderne Gesellschaften so zentral sind“ (Nugel 2014, 13). Doch ist es gerade diese Formierung, die heute Bildungsprozesse an ihre Grenzen bringt. Peschl und Fundneider sehen deshalb für die Gestaltung von Lernräumen die Herausforderung, Optionsräumen für das Lernen zu schaffen, und sprechen in diesem Zusammenhang von Enabling Spaces:

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Enabling Spaces dürfen nicht nur als ‚Möglichkeitsräume‘, sondern müssen als ‚Ermöglichungsräume‘ verstanden werden; d. h., sie bieten Rand-/Rahmenbedingungen, die Prozesse der Innovation, des individuellen und kollaborativen Lernens und der Wissensgenerierung ermöglichen und unterstützen, diese aber nicht explizit und mechanistisch vorgeben (Peschl/Fundneider 2012, 75, H. i. O.).

Die Schaffung dieser Enabling Spaces ist auch eine der zentralen Herausforderungen für die Lernwelt Museum. Dabei gilt es aber auch immer die Besucherinnen und Besucher im Blick zu haben. Mit Bezug auf interaktions- und handlungstheoretische Raumtheorien entsteht, so Nugel, „ein pädagogischer Raum erst durch die Aneignungspraxis der einzelnen Lernenden“ (Nugel 2015, 62). Letztendlich konstituiert sich der pädagogische Raum „in der Wechselwirkung zwischen Handeln und Strukturen“ (Löw 2012, 191). Dieses Handeln wird in starkem Maße auch von der Leiblichkeit der Lernenden bestimmt. Der Körper ist ein wichtiger Aspekt von Lernen und darf bei der Planung von Raumarrangements nicht außer Acht gelassen werden (Stang 2021). Um in der Lernwelt Museum den Bedürfnissen der Besucherinnen und Besuchern, deren kulturellen und sozialen Hintergründe, die deren Zugänge prägen, gerecht zu werden, bedarf es einer differenzierten Planung und Gestaltung der Raumarrangements. Besonders im kommunalen Kontext erhält dies immer mehr Relevanz, da die Diskussion über Dritte Orte in Bezug auf alle Bildungsund Kultureinrichtungen geführt wird. Unter Dritten Orten versteht Oldenburg, der den Begriff geprägt hat, Orte der Gemeinschaft zwischen Arbeitsstätte und dem Zuhause, denen unverbindliche Kommunikationsoptionen eingeschrieben sind (Oldenburg 1989). An solchen Dritten Orten können Bürgerinnen und Bürger gegebenenfalls auch neue Zugänge zu Bildung und Kultur erhalten (Stang 2000a). Museen spielen hier im Kontext einer kommunalen Bildungs- und Kulturlandschaft eine wichtige Rolle. Deshalb ist es für Museen von Bedeutung, Kooperationen zu anderen Bildungs- und Kultureinrichtungen zu gestalten.

Kooperative Kontextualisierung Lernwelten finden sich nicht nur in Bildungseinrichtungen wie Schulen, Hochschulen (Becker/Stang 2020; Stang/Becker 2020), Erwachsenenbildungs-/Weiterbildungseinrichtungen (Schreiber-Barsch/Stang 2021) etc., sondern auch in kulturellen Einrichtungen wie Bibliotheken (Stang/Umlauf 2018), Museen, Theatern etc. oder in sozialen Einrichtungen wie Kindertageseinrichtungen, Jugendzentren, Senioreneinrichtungen etc. Museen befinden sich also in einem Netzwerk von Institutionen – einer Bildungslandschaft (Bleckmann/Schmidt 2012) –, die

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auf unterschiedliche Art und Weise versuchen, Menschen zum Lernen anzuregen und Lernangebote zu machen. Vernetzung und Kooperation gehören von jeher zum Selbstverständnis von Museen und der Museumspädagogik (Dreykorn 2016, 164). Doch spielt hier die Perspektive Konkurrenz ebenfalls eine Rolle: Andere Bildungs- und Kultureinrichtungen und immer mehr auch soziale Institutionen dabei nicht als Konkurrenz zu verstehen, sondern als wichtige potenzielle Partner, ist dabei von großer Bedeutung. Denn durch Partnerschaft eröffnen sich für Museen einerseits vielfältige Chancen und sie zeigen damit andererseits, dass sie Teil des öffentlichen Lebens mit all seinen Facetten sind. (Dreykorn 2016, 164)

Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich die institutionellen Kulturen – auch bezogen auf das Verständnis von Lernen – meist unterscheiden und die Kommunikationsprozesse aufwändiger werden, wenn man nicht nur gemeinsam Events plant, sondern die Bildungs- und Kulturlandschaft gemeinsam im Sinne der Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger gestalten möchte. Dazu bedarf es dann allerdings auch einer differenzierten Selbstvergewisserung, was jeweils unter der Lernwelt Museum zu verstehen ist und welche Konzepte die Grundlage für das jeweilige Museum bilden. Auf dieser Basis können Kooperationen und Vernetzungen gestaltet werden, die verhindern, dass es zu viel der gleichen Angebote gibt und jede Institution ihre spezifischen Kompetenzen zum Tragen bringen kann.

Fazit Vor dem Hintergrund der Forderung beziehungsweise der Zumutung des Lebenslangen Lernens wird der Zugang zu Bildung und Lernoptionen immer wichtiger. Museen spielen hier eine bedeutende Rolle. Da die Einbeziehung möglichst aller Bevölkerungsschichten in Bildungskontexte für eine offene Gesellschaft von zentraler Bedeutung ist, bedarf es möglichst niedriger Schwellen des Zugangs zu Bildungs- und Lernoptionen. Dies bedeutet, dass Lernwelten neu kontextualisiert werden sollten, um daraus ein atmendes Bildungssystem zu entwickeln (Stang 2016, 188–204). Dabei ist von besonderer Relevanz, sich an der Gestaltung der individuellen Bildungsbiographie der Lernenden zu orientieren und vielfältige Lernoptionen zu eröffnen. Die Lernwelt Museum kann hier eine wichtige Rolle spielen, wenn sie es versteht, mit ihren spezifischen Kompetenzen anregungsreiche Lernszenarien zu entwickeln, die die Art des Lernens nicht vorgeben, sondern Optionsräume zum

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Lernen für die Besucherinnen und Besucher gestaltet. Dabei sind Flexibilität und Offenheit nicht nur Prämissen für die Gestaltung der Lernwelt Museum, sondern auch für die Gestaltung des Sozialraums als Aushandlungsraum kultureller und sozialer Praktiken. Museen haben schon immer ihren Beitrag für die Gestaltung von Gesellschaft geleistet. Mit der Weiterentwicklung der Konzepte für die Lernwelt Museum können sie einen wichtigen Resonanzraum für die gesellschaftliche und individuelle Entwicklung darstellen – nicht nur auf der räumlichen Ebene, sondern auch auf der pädagogischen und kooperativen.

Literatur Becker, A.; Stang, R. (Hrsg.) (2020): Lernwelt Hochschule. Dimensionen eines Bildungsbereichs im Umbruch. Berlin; Boston: De Gruyter Saur. Bleckmann, P.; Schmidt, V. (Hrsg.) (2012). Bildungslandschaften. Mehr Chancen für alle. Wiesbaden: Springer VS. Dreykorn, M. (2016): Vernetzung und Bildung von Kooperationen in der Museumspädagogik. In: B. Commandeur; H. Kunz-Otto; K. Schad (Hrsg.): Handbuch Museumspädagogik. Kulturelle Bildung in Museen. München: kopaed, 164–169. Hoffmann, H. (1979): Kultur für alle. Perspektiven und Modelle. Frankfurt a. M.: S. Fischer. Kollar, E. (2016): Museumpädagogische Praxisprofile und Berufsbilder. In: B. Commandeur; H. Kunz-Otto; K. Schad (Hrsg.): Handbuch Museumspädagogik. Kulturelle Bildung in Museen. München: kopaed, 307–314. Lewalter, D.; Specht, I.; Noschka-Roos, A. (2021): Zwischen Instruktion und Partizipation. Museen und Erwachsenenbildung. In: T. Giese; R. Stang (Hrsg.): Lernwelt Museum. Dimensionen der Kontextualisierung und Konzepte. Berlin; Boston: De Gruyter Saur, 85–98. Löw, M. (2012): Raumsoziologie. 7. Aufl. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Nettke, T. (2016): Was ist Museumspädagogik? Bildung und Vermittlung in Museen. In: B. Commandeur; H. Kunz-Otto; K. Schad (Hrsg.): Handbuch Museumspädagogik. Kulturelle Bildung in Museen. München: kopaed, 31–42. Noschka-Roos, A. (2016): Besucherorientierung in Museum. Vielfalt als Prinzip. In: B. Commandeur; H. Kunz-Otto; K. Schad (Hrsg.): Handbuch Museumspädagogik. Kulturelle Bildung in Museen. München: kopaed, 225–233. Nugel, M. (2014): Erziehungswissenschaftliche Diskurse über Räume der Pädagogik. Eine kritische Analyse. Wiesbaden: VS Springer. Nugel, M. (2015): Sich entwerfen in, mit und durch Raum. Bildungstheoretische Überlegungen zur Architektur der Erwachsenenbildung. In: C. Bernhard; K. Kraus; S. Schreiber-Barsch; R. Stang (Hrsg.): Erwachsenenbildung und Raum: Theoretische Perspektiven – professionelles Handeln – Rahmungen des Lernens. Bielefeld: W. Bertelsmann, 55–65. Oldenburg, R. (1989): The Great Good Place: Cafés, Coffee Shops, Bookstores, Bars, Hair Salons and Other Hangouts at the Heart of a Community. Cambridge, MA: Da Capo. Peltzer, J. (2021): Schule und Museum. Von kommunikativer Einbahnstraße zur Partizipation. In: T. Giese; R. Stang (Hrsg.): Lernwelt Museum. Dimensionen der Kontextualisierung und Konzepte. Berlin; Boston: De Gruyter Saur, 73–83.

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Peschl, M. F.; Fundneider, T. (2012): Räume bilden Wissen. Kognitive und epistemologische Grundlagen der Ermöglichung von Wissensgenerierung in Enbabling Spaces. In: H. Schröteler-von Brandt; T. Coelen; A. Zeising; A. Zische (Hrsg.): Raum für Bildung. Ästhetik und Architektur von Lern- und Lebensorten. Bielefeld: transcript, 73–80. Schäfer, G. E.; Schäfer, L. (2009): Der Raum als dritter Erzieher. In: J. Böhme (Hrsg.): Schularchitektur im interdisziplinären Diskurs. Territorialisierungskrise und Gestaltungsperspektiven des schulischen Bildungsraums. Wiesbaden: VS, 235–248 Scheytt, O.; Sievers, N. (2010): Kultur für alle! Kulturpolitische Mitteilungen 130/3, 30–31. Schreiber-Barsch, S.; Stang, R. (2021): Lernwelt Erwachsenenbildung/Weiterbildung. Entwicklungen, Konzepte und Perspektiven. Berlin; Boston: De Gruyter Saur. Sherman, S. (2014): NYPL Shelves Plan to Gut Central Library. The Nation. https://www.thenation.com/article/nypl-shelves-plan-gut-central-library/. Stang, R. (2016): Lernwelten im Wandel. Entwicklungen und Anforderungen bei der Gestaltung zukünftiger Lernumgebungen. Boston; Berlin: De Gruyter Saur. Stang, R. (2020a): Häuser für Bildung und Kultur. Entwicklungen, Chancen und Grenzen kommunaler „Dritter Orte“. In: B. Käpplinger (Hrsg.): Neue Häuser der Erwachsenenbildung 1959 und 2019. Bleibt alles anders? Berlin: Peter Lang, 23–40. Stang, R. (2020b): Viel Bibliothek, wenig Pädagogik. Zur Kontextualisierung einer Bibliothekspädagogik. BuB. Forum Bibliothek und Information 72/6, 316–318. Stang, R. (2021): Körper, Leib und Raum. Dimensionen eines untrennbaren Verhältnisses. Zeitschrift für Sozialmanagement 19/1, 11–22. Stang, R.; Becker, A. (Hrsg.) (2020): Zukunft Lernwelt Hochschule. Perspektiven und Optionen für eine Neuausrichtung. Berlin; Boston: De Gruyter Saur. Stang, R.; Umlauf, K. (Hrsg.) (2018): Lernwelt Öffentliche Bibliothek. Dimensionen der Verortung und Konzepte. Berlin; Boston: De Gruyter Saur.

Silvia Rückert

Objekte und ihre Geschichten Das historische Objekt in der Lernwelt Museum

Einleitung Der gesellschaftliche Wandel ist in der Alltagskultur der Gegenwart spürbar geworden. Wir erleben eine Globalisierung von Kapital, Technologie und Arbeit, von Konsum und Reproduktion, von Waren und Müll. Es verschieben sich nicht nur die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Machtzentren, wodurch die Gewissheiten von Marktwirtschaft und Demokratie in Frage gestellt werden, es verändern sich auch die Arbeit und die unmittelbare Nachbarschaft. Wir sehen zudem eine Digitalisierung der Infrastruktur und der Kultur, bis hin zur Anlage eines digitalen Zwillings für jede Bürgerin und jeden Bürger entwickelter Gesellschaften. Auf die Frage nach dem Verhältnis von Individuum und sozialem Wesen tauchen das erste Mal seit dem Untergang der sozialistischen Staaten konkurrierende Antworten auf. Wir erleben den Anstieg der Meereswasserspiegel und der globalen Temperaturen im Jahresmittel, die zu einer Verschiebung der Klimazonen führen, zudem ein beschleunigtes Artensterben und die Ausbreitung nicht endemischer Arten. Die Folgen sind sichtbar, aber noch nicht kalkulierbar. Diese Veränderungen haben eine Intensität erreicht, die in der Alltagswelt der Menschen unübersehbar wird. Die Museen, deren Forschungsgebiet kulturelle Identitäten sind, können den Besucherinnen und Besuchern Reflektion, Erkenntnis und Austausch ermöglichen. Die Vermittlungsansätze waren ohnehin im stetigen Wandel begriffen. Die demokratisierende Lernwelt Museum der 1960er Jahre mit dem Slogan „Kultur für alle“ ist zwar noch aktuell, unterscheidet sich jedoch durch Formen, Inhalte und Grundsätze des musealen Lernens im Hinblick auf die mit dem gesellschaftlichen Wandel verbundenen An- und Herausforderungen von der Gegenwart. Um zu verstehen, wie Museen beziehungsweise Ausstellungen heute funktionieren, lohnt ein Blick in die Vergangenheit. Dieser kann das Bewusstsein für grundsätzliche Konfliktlinien und Probleme in der Lernwelt Museum schärfen und die Lösungsansätze der Vergangenheit für diese Herausforderungen können auch in der Gegenwart der Museen sicherlich wichtige Impulse setzen.

https://doi.org/10.1515/9783110703054-004

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Rückblick zur Entstehung von Museen In Europa entstanden seit dem 14. Jahrhundert repräsentative Sammlungen von Fürsten und vermögenden Bürgern. Aus den anfänglichen Raritäten- oder Kuriositätenkabinetten wurden die großen Kunst- oder Wunderkammern der Spätrenaissance und des Barock. Das Sammlungsinteresse galt vor allem Kuriositäten, Raritäten und technischen Spielereien. Naturalien stellte man zusammen mit Artefakten, Kunst und Handwerk aus. Die Sammlungen vermittelten eine Weltanschauung, in der Geschichte, Kunst, Natur und Wissenschaft als eine harmonische Einheit galten. Diese Wunderkammern waren – wenn auch nur rudimentär – Lernwelten, in der die Einheit des Kosmos erfahrbar und veranschaulicht wurde. Die Präsentationen begannen erst allmählich, die Sammlungen nach Gattungen zu trennen oder auch nur chronologisch zu ordnen; der universale Zusammenhang aller Dinge stand im Vordergrund. Die gesammelten Stücke sollten zudem das universelle Genie des Eigentümers widerspiegeln. (Pomian 1988, 58–59) Mit Beginn der Aufklärung verloren die Wunderkammern ihre kulturelle Kraft. Wissenschaftsgeschichtlich hatten die Wunderkammern [zwar] Enormes geleistet, die Forschungsdisziplinen zu entwickeln und gegeneinander abzugrenzen. Den neuen Wertmaßstäben von Skeptizismus, Rationalität und Spezialisierung konnten sie aber nicht mehr genügen und wurden folgerichtig von den nach Sparten getrennten Museen abgelöst.1

Parallel emanzipierten sich Natur- und Geschichtswissenschaften vom Führungsanspruch der Philosophie. Die letzten Universalgelehrten Leibniz, Alexander von Humboldt und Goethe wurden von Fachwissenschaftlern abgelöst. Bis ins späte 18. Jahrhundert war der Einlass in die meisten Museen wie auch schon in die Wunderkammern nur ausgewählten Besucherinnen und Besuchern aus Wissenschaft und bildender Kunst gestattet. Der erste Bau in Deutschland, der von Anfang an als Museum geplant wurde, war das von Landgraf Friedrich II. von Hessen in Auftrag gegebene Fridericianum in Kassel (erbaut 1769–1779). Es entstand nach dem Vorbild des British Museum in London, einem der ersten öffentlichen Museen in Europa. In der Tradition der Wunderkammern beinhaltete das Fridericianum eine Bibliothek, eine Antikensammlung, ein Naturalienkabinett, eine mathematische und physikalische Abteilung, eine Waffenkammer, ein Studierzimmer und eine Sternwarte.2 1 http://de.wikipedia.org/wiki/Wunderkammer. 2 https://de.wikipedia.org/wiki/Fridericianum_(Kassel).

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Das erste Museum, das unserem heutigen Verständnis von Museen nahekommt, entstand im Zuge der Französischen Revolution. Im Jahr 1792 beschloss die konstituierte Versammlung, die im Jahr zuvor die Verstaatlichung des Besitzes der französischen Krone verfügte, in der Grande Galerie des Louvre ein Museum einzurichten: Es gab im Gegensatz zu den Vorläufern keine Zutrittsbeschränkungen, es wurde kein Eintrittsgeld verlangt und die Kunstwerke mit Beschriftungen erläutert.3 Die ersten Museen waren trotz ihrer klassizistischen, von Tempeln inspirierten Bauweise unbestritten Lernwelten, deren vielfältige Sammlungen und niedrigschwellige Zugänglichkeit zeigen, dass man begann, den bürgerlichen Besucherinnen und Besuchern zuzutrauen, mit Hilfe von Texten die Objekte zu verstehen, die präsentiert wurden. Nicht immer spiegelt sich darin jedoch eine Hinwendung zu den demokratischen Überzeugungen der Zeit wider. Das Fridericianum in Kassel folgte der Idee des hessischen Landgrafen Friedrich II., seine Untertanen im Geiste der Aufklärung zur Vernunft zu erziehen, was keineswegs einen Zweifel am Absolutismus beinhaltete. Über Öffnungszeiten, Eintrittsgeld und Kleiderordnung regulierte man das Publikum, das sich neben dem Adel überwiegend aus dem wohlhabenden, kunstsinnigen Stadtbürgertum zusammensetzte. Jedoch fühlten sich Angehörige aller sozialen Schichten von den Sammlungen angesprochen. Gesellen und Handwerker ließen sich keineswegs von einem Besuch im Musentempel abhalten (Mohl 2020, 255). Ein Bildungsinteresse muss auch bei den handarbeitenden Schichten vorausgesetzt werden.

Zur Entwicklung der Präsentationsformen Mit dem Eintritt der Laien in die Sammlungen und Museen begann der Streit um die Präsentation der Objekte in der noch jungen Lernwelt Museum. Unterschiedliche Ansätze im Umgang mit den Objekten haben eine über hundertjährige Geschichte. Wichtige Innovationen der Ausstellungstechnik verdanken Museen den Gewerbeausstellungen und Weltausstellungen, die primär als Mittel zur Wirtschaftsförderung eingesetzt wurden. Viele kulturgeschichtliche, Heimatund ethnologische Museen übernahmen Inszenierungen in Form von Stubennachbildungen, die Arbeits- oder Gebrauchssituationen nachstellten, um ein möglichst authentisches Bild zu konstruieren (Glas 1989, 35). Artefakte wurden im Kontext einer vermeintlich typischen Situation gezeigt und die typisierten Repräsentanten einer Ethnie, Situation oder Schicht traten als Puppen in dieser 3 http://www.robinsonlibrary.com/finearts/visual/museums/louvre.htm.

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Szenerie auf. Diese Inszenierungen von Schaugruppen, bezeichnete Foy bereits 1909 als „Panoptikum“ ohne wissenschaftlichen Wert (Foy 1909, 65). Die Lernwelt Museum zielte damals also auf eine authentische Relokalisierung der historischen Objekte und suchte die ursprüngliche Funktion des Objekts durch eine Inszenierung der Vergangenheit zu veranschaulichen. Auch heute findet diese Art einer Lernwelt durchaus noch Anwendung, wobei vor allem an die Freilichtmuseen, aber auch unzählige Heimatmuseen zu denken ist. Der für den Lernwelten-Begriff heute so entscheidende Bezug zur Alltagswelt der Betrachterinnen und Betrachter spielt schlichtweg keine Rolle, vielmehr fasziniert in diesem Fall das „Fremde“ des Objekts und nicht die vermeintliche Nähe. Eine weitere Präsentationsform, die sich Ende des 19. Jahrhunderts in Naturkundemuseen und Technikmuseen, aber auch in volkskundlichen Museen etablierte und sich teilweise bis heute gehalten hat, ist das Diorama, das vielleicht als Variante der authentischen Inszenierung gelten kann.4 Diese zielte weniger auf eine Relokalisierung des Artefakts in seinem sozialen, als vielmehr in seinem naturräumlichen Zusammenhang. Jenes sollte für den Lernenden in seinem ursprünglichen Lebensraum erfahrbar werden, wobei es bis heute vor allem mehr auf Objektivität als auch auf Abstraktion ankommt. In Berlin hingegen machte Julius Lessing, der Gründer des Kunstgewerbemuseums 1881, die Authentizität der Objekte zum wichtigsten Kriterium für die Einrichtung von Stil- und Epochenräumen (Stilraum = Nachbilder historischer Zimmer; Epochenraum = Sammlungsstücke einer Epoche in einer neutralen Raumhülle) (Lessing 1896/1897, 82–83; Rückert/Segelken 1995, 118–119). Damals galten solche Stilräume als Mittel zur Veranschaulichung des historischen Kontexts, den man gern auch mit Kopien und unverbürgten Arrangements herzustellen versuchte. Lessing entdeckte jedoch, dass Gewerbegegenstände, das heißt unter anderem auch die materielle Kultur des Alltags, häufig ein eigenes Leben führen, anderen Epochengrenzen folgen als die politische und die Kunstgeschichte und somit auch außerhalb des gängigen kulturhistorischen Zusammenhangs ausgestellt werden dürfen (Lessing 1896/1897, 83). Die Lernwelt Museum konzentrierte sich voll und ganz auf das historische Objekt selbst und stellte dessen Authentizität in den Mittelpunkt. Alles NichtAuthentische wurde im Gegenzug verbannt, so dass die Lernwelt letztlich aus 4 Ursprünglich ist es eine von Louis Daquerre erfundene abgedunkelte Schaubühne mit halbdurchsichtigen, beidseitig unterschiedlich bemaltem Hintergrund. Durch wechselnde Beleuchtung von Vorder- und Rückseite konnten damit Bewegungen und Tageszeiten effektvoll simuliert werden. Heutige Dioramen sind meist in einem Schaukasten zusammengestellte plastische Darstellungen mit gemaltem Hintergrund, die historische Szenen oder Tiere in ihrer natürlichen Umgebung unbewegt darstellen und zu Lehrzwecken dienen. (Weyer 2003, 9)

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den Objekten selbst und deren Anordnung bestand. In der Auseinandersetzung mit dem Objekt lernen die Besucherinnen und Besucher diesem Ideal nach etwas über das Artefakt. Die Art und Weise der Ausstellungen hat sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts deutlich geändert. Ursprünglich sollten von allen möglichen Sammlungsbereichen repräsentative Vertreterinnen und Vertreter in der Sammlung vorhanden sein und auch gezeigt werden, das heißt wissenschaftliche Sammlungen und Schausammlungen wurden noch lange vereint gezeigt. Durch den zunehmenden Handel und die zahlreichen Forschungsreisen wuchs der Umfang des Sammlungsgutes in den Museen so sehr, dass diese Praxis aufgegeben werden musste. Man begann mit der Trennung von Sammlung und Ausstellung. Die neuen Präsentationen setzten auf sorgfältig ausgewählte Exponate und Highlights, die exemplarisch Geschichten vermitteln sollten. Eine neue Form der Präsentation entwickelte Wilhelm von Bode im KaiserFriedrich-Museum 1904, indem er für ruhige Wandarrangements eintrat und auf die bis dahin gewohnte übervolle, magazinartige Hängung verzichtete. Bode war der Pionier einer Entwicklung, die das Objekt für sich sprechen lassen wollte. Dieser Trend bestimmt noch heute die Kunstmuseen und Galerien und beeinflusste teilweise auch kulturhistorische Museen, die einzelne Objekte mit der Aura eines Kunstwerks präsentieren (Joachimides 1995, 146). Für uns sähen von Bodes Arrangements zwar immer noch überfüllt aus, aber anstatt die Wand mit Kunstwerken zu „tapezieren“, wie in den fürstlichen Kunstkammern üblich, favorisierte er eine für die damalige Zeit lockere Hängung. Es war auch zu bedenken, daß jede Wand und der Raum als Ganzes in Färbung und Abmessung der Bilder einen gefälligen Eindruck machten, daß die Räume gefüllt und noch nicht überfüllt werden, daß jedes einzelne Bild für die Betrachtung durch die Nachbarbilder nicht gestört, sondern womöglich noch gehoben wird. (Bode 1930, 286)

Von Bode sah von seiner bisher vertretenen grundsätzlichen Idee für die Innengestaltung, den Stilräumen, größtenteils ab, nachdem er in anderen Ausstellungen feststellen musste, dass diese Präsentationsform zwar einen authentisch historischen Kontext bot, aber seinem modernen Postulat der Autarkie des einzelnen Kunstwerks nicht gerecht wurde. Darüber hinaus gewannen ab den 1970er Jahren neben den systematischen Schausammlungen die Sonderausstellungen an Bedeutung. Durch das Präsentieren historischer und populärwissenschaftlicher Themen, den gezielten Einsatz von aktiven Elementen, Experimentierstationen und Vorführungen avancierte das Museum zum Lern- und Erlebnisort. Es wurde zunehmend Wert auf eine gute Besuchendenführung, auf didaktisch aufbereitete Präsentationen und eine

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gelungene Ausstellungsarchitektur gelegt. Damit erhöhte sich zugleich der Anspruch der Öffentlichkeit, nicht nur wissenschaftlich, sondern auch wirtschaftlich erfolgreich zu sein und entsprechende Besuchendenzahlen zu generieren. Bahnbrechend wurde der Einsatz multimedialer Vermittlungsformen. Seit den 1990er Jahren erleben die Museen ein Wiederaufflammen der Schaulust des 19. Jahrhunderts. Teilweise entstand ein digitales Reenactment, die Nachbildung historischer Szenerien, in denen historische Personen mit professionellen Sprecherinnen und Sprechern produzierte Geschichten erzählen. Inzwischen verfügt die große Mehrheit der Besucherinnen und Besucher mit ihren Smartphones über einen technisch weit entwickelten Medienplayer. In den Ausstellungshäusern werden Museums-Apps und Querverweise per QR-Code zum Standard. Augmented Reality-Apps auf den Smartphones und VR-Brillen ermöglichen eine individuelle Erkundung historischer Räume (und verdrängen Medienstationen). Die Herausforderung für die Museen besteht darin, ihren wissenschaftlichen Anspruch und ihren Bildungsauftrag mit den technischen Möglichkeiten und den Erwartungen der Besucherinnen und Besucher in Einklang zu bringen. Im Zuge der aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen wandelt sich nicht nur der Bildungskanon des 19. und 20. Jahrhunderts, sondern auch die Methodik der Wissensvermittlung. Die Nutzung digitaler Anwendungen erfordert Fragen nach den Nutzendentypen, den Rezeptionsgewohnheiten der Zielgruppe und der Benutzendenführung: Was genau will/soll der Anwender in der konkreten Situation wissen? Welche Aspekte des Themas sind wann wichtig oder hilfreich? Wie genau sollen die Benutzer zu ihrem Wissen kommen? (Landesstelle 2019, 118)

Die Digitalisierung ermöglicht den kulturgeschichtlichen Museen eine Abkehr von den Lesetextausstellungen der Vergangenheit. Sie bietet die Chance, immaterielles Kulturgut, Legenden, Rituale und Ereignisse angemessen zu präsentieren. Nach wie vor stellt sich jedoch jeder Ausstellungsmacherin und jedem Ausstellungsmacher die Frage, wieviel Sachkultur man den Besucherinnen und Besuchern zumuten kann und welche Rolle Museumsobjekte in den Präsentationen spielen sollen. Wie ist das Verhältnis zwischen dem Objekt und der Geschichte, die man erzählen will? Auffällig ist immerhin, dass die Videos, die Museen in den letzten Jahren für die sozialen Medien produzieren, oft auf Highlight-Objekte zurückgreifen. Es scheint etwas dran zu sein, an den Dingen.

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Zur Ausstellbarkeit von Geschichte Ist es möglich anhand von Exponaten Geschichte auszustellen? Die deutsche Geschichtswissenschaft hatte bis in die 1990er Jahre noch Schwierigkeiten mit der Alltags- und der Sachkultur. Dem entsprach ihre Skepsis gegenüber Museen und deren Sammlungen. Am Anfang dieses Nicht-Verhältnisses stand die Kritik Leopold von Rankes, der 1853 den Sammlungen des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg allein Kuriositätswert zustehen wollte und sie als „tödlich“ für „lebendiges Wissen“ befand (Schäfer 1992, 138). Noch 1977 formulierte Hugo Borgers, selbst Direktor der Historischen Museen Köln, den Standpunkt: Zwangsläufig stellt sich […] die Frage, ob denn Geschichte überhaupt unmittelbar anschaulich gemacht werden kann. Ich fürchte, dass dies nicht unbedingt möglich ist, denn der geschichtliche Prozess als solcher entzieht sich ebenso der Anschaulichkeit wie das Denken der Menschen. Dies hat natürlich für ein Museum, in dem aus dem Geschichtsprozess stammende Denkmäler bewahrt und vorgezeigt werden, Konsequenzen. Es müssen Mittel und Wege gesucht und gefunden werden, die mit dem, was sichtbar ist, wenigstens Zugangsmöglichkeiten verbinden. (Borger 1977, 19)

Die Kultur- und Alltagsgeschichte hat seitdem neue Zugangsmöglichkeiten zur Sachkultur und zum „Denken der Menschen“ eröffnet. Die überlieferten Objekte gelten inzwischen auch außerhalb von Kulturgeschichte und Ethnologie nicht mehr nur als Illustration der „eigentlichen“, durch Prozesse, Strukturen oder politische Macht bestimmten Geschichte. Die in der Sachkultur materialisierten Ideologien und Lebensweisen etablierten sich neben schriftlichen Quellen als neue Quellen. Die Erschließung derselben erforderte neue Methoden und erweiterte die historischen Perspektiven. Parallel zur geschichtswissenschaftlichen Innovation der durch Sachkultur, den Blick „von unten“ und biografische Ansätze geprägten Kulturgeschichte erlebte die Bundesrepublik einen Geschichtsboom. Große repräsentative Ausstellungen über Staufer, Wittelsbacher und Preußen und eine Gründungswelle an Heimatmuseen überzogen seit Ende der 1970er Jahre das Land und erreichten teilweise beachtliche Besuchendenzahlen. Zwei zentrale Museen für deutsche Geschichte, das Haus der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn und das Deutsche Historische Museum in Berlin, wurden gegründet. Kaum ein Lebens- und Objektbereich konnte sich seiner Musealisierung entziehen und wurde zu Kulturgut und Geschichte erklärt. In Mannheim wurde in den 1980ern Jahren das Landesmuseum für Technik und Arbeit gegründet. Mit seinem Ansatz, neben der Technik auch die soziale und alltagsgeschichtliche Lebenswelt zu zeigen und die Besucherinnen und Besucher in Vorführungen aktiv zu beteiligen, lag das Landesmuseum im Trend der Zeit. Die Museen selbst präsentierten sich und

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ihre Ausstellungen populärer und anschaulicher als gewohnt und fanden Anklang bei der Bevölkerung (Graf 1993, 84–86). „Schaulust statt Leselast“ beschrieb Korff die neue Anschaulichkeit historischer Ausstellungen in den 1980er Jahren (Korff 1987, 94).

Die Hinwendung zu den Objekten – Diskussionen um ein altes Thema Im Gegensatz zur Kunstgeschichte flammte in den Geschichtswissenschaften die Diskussion um die Aussagekraft von Objekten erst mit der Hinwendung zu den Museen ab den 1970er Jahren auf. Jürgen Kocka meinte in den Gründungsdiskussionen des Deutschen Historischen Museums 1983, dass Objekte „aus dem Zusammenhang herausgebrochene Stücke [seien], die völlig fehlleiten können in dem Schauer, den sie möglicherweise dem Besucher über den Rücken laufen lassen“ (Protokoll 1988, 136). Wichtiger als die Authentizität der überlieferten Gegenstände wäre der historische Zusammenhang, in den sie gestellt werden. Ein Volkswagen könne zum Beispiel schlicht für die Leistungskraft des Dritten Reiches stehen (Protokoll 1988, 147). Lothar Gall sah die Gefahr, dass die Objekte die „Herrschaft über die Darstellung“ (Protokoll 1988, 148) ergreifen könnten. Dagegen vertrat Hagen Schulze die Auffassung, dass die Faszination des historischen Museums auf der Authentizität der Relikte beruhe (Protokoll 1988, 130). Für Hartmut Boockmann waren die gegenständlichen Überreste Quellen wie die schriftlichen archivalischen Dokumente auch und er betonte, dass eine Manipulation mit Texten genauso gut wie mit Ausstellungen möglich sei (Boockmann 1987, 46–47). Außerdem wäre eine Ausstellung, die sich an Objekten orientiert und eventuell mit Unvollständigkeit zu rechnen habe, gerade eine Erkenntnischance, denn Geschichte im Museum präsentiere sich eben anders als im Handbuch (Protokoll 1988, 150). Der Hauptstreitpunkt der Dauerdiskussion ist also, ob Objekte nur als „Alibiobjekte“ (Schäfer 1992, 139) zur Illustration von narrativen Geschichtsbildern fungieren können, oder ob sie ein Eigenleben haben, aus dem sich Geschichte produzieren lässt. Damit zusammen hängen die Fragen nach der Authentizität von Ausstellungsstücken und dem Verhältnis von Erzählung und Objekt in den Ausstellungen. Ausstellungen von Geschichte haben häufig mit der Gefahr der Vertextung und der Überforderung der Besucherinnen und Besucher zu kämpfen, obwohl

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letztere einer narrativen Erschließung von Exponaten nicht unbedingt ablehnend gegenüberstehen. Wer auf Objekte baut, wird auf Text nicht verzichten können (Noschka-Roos 1994, 113). In der Anschauung einer überlieferten Dingkultur entfaltet sich selten spontan ein historischer beziehungsweise kultureller Zusammenhang (Korff 1990, 59). Bemerkenswert ist auch Könenkamps Zweifel an der hergebrachten vermittlungstheoretischen Grundüberzeugung, Objekte seien im räumlichen Zusammenhang mit anderen erklärbar. Im Ensemble mit gleichfalls unerklärten Gegenständen entsteht nur neuer Erklärungsbedarf, weil das Ensemble als Einheit selbst wieder (unerklärtes) Objekt sei (Könenkamp 1993, 224).

Inszenierung – Popularisierung des Musealen Der Aufschwung historischer Museen und Ausstellungen seit den 1980er Jahren korrelierte mit erhöhten Investitionen in effektvolle Ausstellungsarchitektur und der auratischen Inszenierung von Objekten in frisch restaurierten, oft romantisch wirkenden historischen Gebäuden. Der Wandel des Museums zum sinnlichen Erlebnisort war Zielscheibe scharfer Kritik von Historikern und Museologen in den 1980er Jahren. Vorwürfe wie „Supershows“ (Kriss-Rettenbeck 1980, 126), „Kaufhausdekoration“ (Boockmann 1985, 77) und „unverbindliche Ästhetisierung der Geschichte“ (Straub 1981) verdeutlichen die ablehnende Haltung. Im Mittelpunkt der Kritik standen und stehen die unterhaltsamen und kommerziellen Aspekte der Darstellung von Geschichte im Museum. Bemängelt wurde der oberflächliche Reiz, verloren zu gehen drohte die Ernsthaftigkeit. Man wandte sich gegen den degenerierenden Charakter von Kommerz. Was man leicht konsumieren kann, erfordere und erzeuge keine Geschmacksbildung. Das Anliegen der Kritikerinnen und Kritiker war sicher schwerwiegender, als ihr lustfeindlicher Schein vermuten ließ. Es ging um die Verteidigung der Geschichte gegen ihre Vereinnahmung als Produktionsfaktor einer Dienstleistungsgesellschaft, um ihre Stellung als kritische Wissenschaft. Das Ausstellungsdesign sollte eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Objekten ermöglichen (Paatsch 1990, 7–8). Das mit Inszenierung Gemeinte ist vielschichtig. Sie ist sinnbildliche Interpretation und damit das museumsspezifische Korrelat zur narrativen Form der historischen Darstellung (Zumdick 1993, 50). Gestaltung allein auf eine dienende Rolle zu verpflichten und jegliche Inszenierung als unzulässige Verfremdung zu charakterisieren, birgt die Gefahr, Ausstellungen als Handbücher mit dreidimensionalen Bildern zu kreieren.

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Die demonstrative Abkehr von Unterhaltung wird häufig dann gefordert, wenn die Dominanz narrativer Geschichtsbilder gewahrt werden soll, weil an sie politische Grundüberzeugungen geknüpft sind. Sie speist sich aus der Befürchtung, dass die „verfremdende“ Wirkung szenischer Rekonstruktionen und auratischer Inszenierungen problematische Geschichtsbilder erzeugt. Unzweifelhaft ist auch, dass nicht jede Geschichte anschaulich mit Objekten dargestellt werden kann. Eine historische Phase wie der Nationalsozialismus hat ja nicht nur Berge von Leichen hinterlassen, sondern auch eine Menge Sachkultur vernichtet. Ein Grundrezept für die Darstellung von Geschichte im Museum existiert nicht, es gibt gute und schlechte Beispiele für jede Form der Inszenierung. Der entsprechende Aufwand ist folglich kein Kriterium für die Qualität einer Ausstellung, sondern eine Frage der Ästhetik und der Methodik der Vermittlung. Besucherinnen und Besucher sind im Allgemeinen empfänglich für Dramatik, Komik, Ironie, Verfremdung, die Stimulierung der Sinne und die Möglichkeit aktiven Eingreifens. Sie reagieren hingegen eher verschlossen auf die „glatte(n) Oberfläche des schönen Scheins historischer Realität“ (Schäfer 1992, 142). Bestimmte Formen der Inszenierung können die Zugangsmöglichkeiten zu den Objekten für die Besucherinnen und Besucher erweitern, obwohl sie die Vielfalt des historischen Kontexts reduzieren. Aus der vielfältigen und vielschichtigen Fülle von Geschichte, deren Zeuge und Quelle ein Objekt ist, lösen wir sowohl mit der inszenatorisch gebildeten oder schlicht erzählten ‚Beschriftung‘ ein Bild aus einem unerschöpflichen Reservoir. Geschichte ist (also) nicht ausstellbar. Geschichte(n) können wir aber in den Ausstellungen erzählen. Aber eingedenk der begrenzten Rezeptionsfähigkeit der Besucher sollte es eine Kurzgeschichte sein. (Schäfke 1990, 296, H. i. O.)

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Das Virtuelle im Raum und der Raum im Virtuellen Digitale Lernwelten im Museum

Einleitung: Ausstellungsbesuche als behavior settings Im Jahr 1954 veröffentlichte der Sozialwissenschaftler Roger Barker gemeinsam mit Herbert Wright unter dem Titel „Midwest and its children“ die Ergebnisse seiner jahrelangen Feldforschung in Oskalosa, einer Kleinstadt im mittleren Westen der USA (Barker/Wright 1955). Das Buch wurde zu einem der Gründungstexte der ökologischen Psychologie, die sich mit der Frage befasst, wie die physische und soziale Umwelt des Menschen Denken und Handeln beeinflusst. Barker entwickelte die Idee, dass sich die soziale Umwelt aus einer Vielzahl sogenannter behavior settings zusammensetzt. Behavior settings sind räumlich und zeitlich begrenzte Typen von Geschehnissen, die durch soziale Rollen, Regeln und mehr oder weniger festgelegte Verhaltensprogramme und -ziele definiert sind (Barker 1968). Barker entwickelte einen Regelkatalog, um behavior settings zu identifizieren, etablierte in Oskalosa eine Feldstation, ließ in dem Ort wissenschaftlich geschulte Beobachterinnen und Beobachter ausschwärmen und erstellte einen umfassenden Katalog der behavior settings der Kleinstadt. Im Resultat dokumentiert „Midwest and its children“ diese Analysearbeit und listet die aufgefundenen behavior settings samt ihrer qualitativen und quantitativen Eigenschaften auf – die Beispiele reichen von einer Unterrichtsstunde in der Schule über einen Gottesdienst in einer Kirche bis zu einem Basketballspiel in einer Turnhalle und dem Ausleihen eines Buchs in einer Bibliothek. Barkers Analysen sind aufschlussreich, da sie die enge Verschränkung der räumlichen Binnenstruktur von Orten mit den Zielen der dort ablaufenden sozialen Verhaltensprogramme betonen. Er spricht von „Synomorphs“ und meint damit eine räumliche Gestaltung, die die Umsetzung zielführender Verhaltensprogramme fördert, während sie andere, dem Setting unangemessene Verhaltensweisen erschwert (Barker 1968). So sind Tische und Stühle in Klassenzimmern so arrangiert, dass sie es den Schülerinnen und Schülern nahelegen, ihre Aufmerksamkeit auf Lehrerinnen und Lehrer sowie Schultafel (bzw. heutzutage https://doi.org/10.1515/9783110703054-005

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das Smartboard) zu richten; für Diskussionen zwischen den Schülerinnen und Schülern werden die Sitzgelegenheiten häufig zu kreisförmigen Anordnungen umgeordnet; Tafeln bestehen aus Materialien, bei denen die Aufschriebe nicht dauerhaft sind, sondern immer wieder verändert, überarbeitet oder gelöscht werden können. Mit anderen Worten reflektiert die physische Gestaltung von Orten – ihre Begrenzungen ebenso wie ihre Ausstattung mit Mobiliar und Gegenständen – die sozialen Abläufe, denen sie dienen. Klassenzimmer und Schulunterricht spielen in Barkers Analysen eine wichtige Rolle als prototypische behavior settings, sodass der Ansatz als ein früher Vorläufer des Konzepts von Lernwelten gelten kann. Da Oskalosa kein Museum hatte, blieb die Beschreibung lernbezogener behavior settings allerdings auf die formale Bildungsinstitution Schule im prädigitalen Zeitalter beschränkt. Nichtsdestotrotz bietet der Ansatz ein analytisches Instrumentarium, das sich auch auf informelle Lernorte der digitalen Gegenwart anwenden lässt. Auch bei einem Museumsbesuch handelt es sich um ein räumlich und zeitlich begrenztes Ereignis, das einer Reihe von expliziten („bitte nicht berühren“) und impliziten Verhaltensregeln unterliegt, an dem Personen in unterschiedlichen Rollen beteiligt sind (Besucherinnen und Besucher, Aufsichten, Führungspersonal, Museumspädagoginnen und -pädagogen) und bei dem Lernen und Verstehen eines der am häufigsten genannten Besuchsziele darstellt (Pekarik/Schreiber 2012). Zudem ist Lernen im Museum ebenso wie in der Schule ein sozialer Vorgang. Besucherinnen und Besucher kommen häufig zu zweit, als Familie oder in Gruppen, sie unterhalten sich über das Gesehene, nehmen an Führungen teil, orientieren sich in ihrem Verhalten an anderen Besucherinnen und Besuchern (Falk/Dierking 2012). Die räumliche Ordnung von Museen folgt dabei aber einer anderen Logik als die Organisation von Klassenzimmern oder Vorlesungssälen, denn sie beruht auf der Anordnung von Gegenständen im Raum, um die herum ergänzende Informationen (Labels, Texttafeln, Abbildungen etc.), häufig auch atmosphärisch-szenografische Elemente arrangiert werden (Schwan et al. 2014). In einer solchen Umgebung orientiert sich Lernen an keinem curricular vorgegebenen Ziel, sondern folgt intrinsisch motiviert in einem frei gewählten Tempo einem selbst gewählten Bewegungspfad durch die Ausstellung (Bitgood 2010; Rounds 2004). Sieht man von personalen Führungen ab, wird der Ablauf des Lerngeschehens in Ausstellungen – anders als beim didaktisch hoch strukturierten Schulunterricht – vorwiegend indirekt durch das räumliche Arrangement der Ausstellungsgegenstände, durch Sichtachsen, Hindernisse und Blickfänge beeinflusst und lässt den Besucherinnen und Besuchern einen großen Verhaltensspielraum (Peponis et al. 2004).

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Das Virtuelle im Museumsraum Die Themen und Inhalte von Ausstellungen verweisen vor allem in den kulturhistorischen Museen typischerweise auf die Welt außerhalb der Museumsmauern. Die Ausstellungsobjekte, mit denen diese Themen vermittelt werden, stehen nicht mehr in ihren angestammten Zusammenhängen, sondern haben ihre ursprüngliche Funktion verloren (Pomian 1993). Sie haben sich zu Sammlungsgegenständen gewandelt, die von Kuratorinnen und Kuratoren sowie Ausstellungsmacherinnen und -machern nachträglich wieder re-kontextualisiert werden, um vom Publikum eingeordnet und verstanden werden zu können. Dies wird auch von Besucherinnen und Besuchern so gesehen, die in Befragungen betonen, dass Objekte nicht „für sich allein“ sprechen, sondern ihnen Informationen und Erklärungen beigegeben werden sollten (Schwan/Dutz 2020). Dieser Anspruch, Exponate in ihren ursprünglichen Zusammenhängen zu resituieren und die Ausstellung perzeptuell mit der Welt außerhalb des Museums zu verknüpfen, lässt sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Zur damaligen Zeit wurden bereits Modelle und Rekonstruktionen entwickelt, Dioramen gestaltet und Museumswände mit großformatigen panoramatischen Gemälden versehen (Dohm et al. 2017). Die räumlichen Begrenzungen des Museums wurden durch verschiedenste Illusionstechniken aufgehoben, gleichzeitig wurden die Illusionsräume skaliert, vergrößert, verkleinert oder transparent gemacht. Das Kleine wurde begehbar, das Große überschaubar, das Transparente eröffnete Einblicke und konnte damit von Betrachterinnen und Betrachtern perzeptuell und kognitiv besser bewältigt werden. Diese Techniken erlauben es, die materiellen Grenzen aufzuheben, so dass die Lernwelt Museum sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Dimension über sich hinausweist. Auch heute bedienen sich Museen dieser raumgestalterischen Techniken, die auf die Förderung von Lernen und ein tieferes Verstehen der ausgestellten Sachverhalte abzielen. Allerdings wird die Entgrenzung von Ausstellungen und die Resituierung von Exponaten durch digitale Technologien um eine Vielzahl von Darstellungsformen ergänzt und erweitert (Niewerth 2018; Schwan, im Druck). Neben den bereits „klassischen“ Computerterminals und TouchscreenBildschirmen finden sich in vielen Museen großflächige und gleichzeitig detailreiche digitale Wandprojektionen. Sie sind nicht mehr auf statische Fotografien beschränkt, sondern können Geschehensabläufe zeigen oder den Betrachterinnen und Betrachtern mittels Kamerafahrten den Eindruck vermitteln, sich durch den dargestellten Raum zu bewegen. Virtuelle Realitäten schirmen die Headset tragenden Besucherinnen und Besucher hermetisch vom Ausstellungsraum ab und versetzen sie stattdessen in eine auf das Thema der Ausstellung abge-

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stimmte alternative Szenerie. Augmentierte Realitäten erlauben es den Besucherinnen und Besuchern, einzelne Exponate mit der Kamera ihrer Smartphones oder Tablets zu fixieren und dabei ein mit szenischen Details digital angereichertes Bild des Exponats auf dem Bildschirm des Geräts zu betrachten. Die Einbindung dieser digitalen Technologien kann das behavior setting Museum als Lernwelt grundlegend verändern, transformiert dessen räumlichen Charakter und damit auch die Verhaltensmöglichkeiten und -regeln, die dem Ausstellungsbesuch und den damit einhergehenden Lern- und Verstehensprozessen zugrunde liegen. Exemplarisch soll dies im Folgenden an großflächigen digitalen Projektionen, an den Headsets virtueller Realitäten und an augmentierten Realitäten auf mobilen Geräten diskutiert werden.

Großflächige digitale Wandprojektionen In traditionellen Ausstellungen findet sich häufig eine Trennung von Ausstellungsräumen und Projektionsräumen, typischerweise abgedunkelten Räumen mit Sitzgelegenheiten. Sie tragen damit dem Umstand Rechnung, dass mit den jeweiligen Präsentationsformen unterschiedliche Verhaltensmuster verbunden sind: Um ihre Inhalte rezipieren und verstehen zu können, erfordern Videoprojektionen eine über einen längeren Zeitraum fokussierte Aufmerksamkeit, die möglichst wenig durch konkurrierende Elemente im Raum abgelenkt wird. Dagegen beruht Wissenserwerb und Verstehen im Hinblick auf Exponate umgekehrt auf Blickwechseln, die nicht nur zwischen Exponat und begleitenden Informationen pendeln, sondern auch die verschiedenen, im Raum angeordneten Exponate vergleichend in den Blick nehmen. Durch die Bewegung der Besucherinnen und Besucher im Ausstellungsraum werden die Exponate immer wieder in anderen Konstellationen wahrgenommen, die wiederum neue Vergleiche anregen. Umgekehrt ist ein fixer, unbewegter Standpunkt optimal für die Rezeption von Videos oder dynamischen digitalen Simulationen, da sich sonst Eigenbewegung der Besucherinnen und Besucher sowie Bewegung im Bild perzeptuell überlagern und deshalb zusätzliche kognitive Ressourcen für die Verarbeitung der Informationen erfordern. Mittlerweile finden großflächige digitale Wandprojektionen aber auch Eingang in den eigentlichen Ausstellungsbereich. Sie übernehmen nicht nur die Funktion gemalter Hintergrundspanoramen, die Ausstellungsraum szenisch mit Orten außerhalb des Museumsgebäudes verknüpfen, sondern erweitern sie um die Dynamik filmischer Darstellungsformen – Ereignisabläufe oder Kamerabewegungen – die in Endlosschleife präsentiert werden.

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Für die wissensbezogene Gestaltung von Ausstellungen ergeben sich daraus neue Anforderungen. Bewegtbilder bewirken eine unwillkürliche Aufmerksamkeitszuwendung, stehen deshalb in Konkurrenz zu den Ausstellungsexponaten und können bei den Besucherinnen und Besuchern zu einer Wahrnehmungsumkehr von Figur und Grund führen: Das großflächige Bild bildet nicht mehr den kontextuellen Hintergrund der Exponate, sondern wird selbst zur Figur, vor der die Exponate in den Hintergrund treten. Darüber hinaus können die Projektionen durch ihre schiere Größe bei Besucherinnen und Besuchern starke, fast überwältigende Sinneseindrücke hervorrufen, die möglicherweise zu einer eher affektbetonten als zu einer wissensbezogenen mentalen Verarbeitung führen. Demgegenüber bieten großflächige digitale Projektionen aber auch lernbezogene Potentiale, denn sie erlauben es Besucherinnen und Besuchern, Details zu erkennen, die ihnen bei kleineren Abbildungen entgehen würden. Um das lernförderliche Potential großflächiger Projektionen zu nutzen, sollten Besucherinnen und Besuchern deshalb durch explizite Bezüge zwischen Projektion und Exponaten ein regelmäßiger Wechsel des Verhaltens, vom fokussierten Betrachten der Videos zum schweifenden Blick der Ausstellung, vom Sitzen zum Flanieren nahegelegt werden.

Headsets mit virtuellen Realitäten Während szenische Wandprojektionen den Ausstellungsraum optisch erweitern, indem sie ihn mit anderen Orten verknüpfen, schotten immersive Virtual Reality-Technologien mit ihren Head-Mounted Displays Besucherinnen und Besucher vom Ausstellungsraum ab und versetzen sie in digitale Welten. Bereits kurze Zeit nach dem Aufsetzen der VR-Brille bildet der virtuelle Raum das dominante räumliche Bezugssystem, in dem sich die Besucherinnen und Besucher verorten, wobei das Bewusstsein für Standpunkt und Orientierung im realen Raum verloren gehen (Wirth et al. 2007). Dieser Eindruck, sich an einem eigenständigen, vom musealen Raum getrennten Ort zu befinden, kann durch passende akustische und haptische Reize noch intensiviert werden. Durch ihre besonderen Eigenschaften ermöglichen virtuelle Realitäten raumbezogene Lernerfahrungen, die sich deutlich von denen anderer Darstellungsformen in Ausstellungen unterscheiden: Während die Besucherinnen und Besucher bei Abbildungen, Modellen oder Dioramen vor dem jeweiligen Medium stehen und dessen Darstellung gewissermaßen von außen betrachten, befinden sie sich bei virtuellen Realitäten mitten in der Darstellung und sind von ihr vollständig umgeben. Zudem bleibt bei Abbildungen, Modellen und Diora-

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men der umgebende Ausstellungsraum im Blick und dämpft die illusionistische Wirkung dieser Medien, wohingegen virtuelle Realitäten den realen Raum systematisch ausblenden und dadurch eine widerspruchsfreie und deshalb stärkere illusionistische Wirkung entfalten. Während Besucherinnen und Besucher sich also von Abbildungen, Modellen oder Dioramen „distanzieren“ können, bieten virtuelle Realitäten den Besucherinnen und Besuchern die Möglichkeit, unterschiedlichste räumliche Sachverhalte – sei es eine historische Szene, die archäologische Rekonstruktion eines Tempels, die Topografie eines fernen Planeten oder eine Fahrt durch die Blutbahnen des Körpers – „hautnah“, also auf kürzeste Entfernung, zu erfahren. Im Hinblick auf Lernen und Verstehen liegt die Bedeutung von virtuellen Realitäten deshalb vor allem darin, in Sachverhalte einzutauchen und sie scheinbar unmittelbar zu erleben. Dadurch kann Neugier und Interesse geweckt, Erkundungsverhalten angeregt und eine detailreiche visuelle Erinnerung gefördert werden. Auf der anderen Seite wird es für Besucherinnen und Besucher gerade durch den illusionistischen Charakter virtueller Realitäten schwerer, sich mit ihren Inhalten kritisch-reflektiert auseinanderzusetzen. Dies bezieht sich beispielsweise auf den oftmals hypothetischen, mit Unsicherheiten behafteten Charakter der Darstellungen und damit verbunden auf die Einsicht, dass eine virtuelle Realität zwar auf den ersten Blick wie ein Faktum wirken mag, einen Sachverhalt aber nicht unbedingt so darstellt, wie er tatsächlich war, sondern nur eine von mehreren alternativen Auffassungen zur Anschauung bringt. Fasst man schließlich virtuelle Realitäten in Ausstellungen als eigenständige behavior settings auf, fallen zwei weitere lernbezogene Aspekte dieser Wissensräume auf. Zum einen unterliegen sie aufgrund ihres digitalen Charakters weniger strikten Verhaltensregeln als dies im realen Museumsraum der Fall ist. Konservatorische Einschränkungen authentischer Dinge spielen keine Rolle, implizite Verhaltenskonventionen entfallen, erlaubt ist alles, was das technische System zulässt. Barrieren, Absperrungen und trennende Glasscheiben fehlen, die Besucherinnen und Besucher können sich den digitalen Objekten beliebig nähern und sie bei interaktiven Systemen sogar berühren und in die Hand nehmen. Während aber in der realen Ausstellung eine Annäherung an Objekte mit einer zunehmenden Detailfülle einhergeht, führt das Näherkommen bei digitalen Objekten paradoxerweise aufgrund des begrenzten Auflösungsgrades zu einer größeren Unschärfe und „Verpixelung“. Und schließlich sind virtuelle Realitäten aufgrund ihres in sich geschlossenen Charakters für die Besucherinnen und Besucher perzeptuell deutlich von der realen Ausstellung getrennt. Studien zu Informationsanordnungen in realen Räumen zeigen, dass die einzelnen Räume abgegrenzte kognitive Informations-

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einheiten bilden (Radvansky/Copeland 2006). Dies erschwert es Lernenden, Informationen aus vorangegangenen, bereits verlassenen Räumen abzurufen oder Inhalte aus verschiedenen Räumen miteinander in Verbindung zu bringen. Diese kognitive Trennung gilt in besonderem Maß auch für das Verhältnis zwischen den Inhalten einer virtuellen Realität und denen der Ausstellung. Demgegenüber stellt aber gerade die abwechslungsreiche Präsentation sinnvoll aufeinander bezogener Ausstellungselemente und das damit einhergehende multiperspektivische Lernen ein wesentliches Merkmal musealer Praxis dar. Bei der Einbindung von virtuellen Realitäten in Ausstellungen sollte deshalb erneut darauf geachtet werden, dass zwischen beiden Modalitäten Querverweise geschaffen werden, die die beiden Raumtypen explizit miteinander verbinden. Beispielsweise können Objekte, die in der virtuellen Realität zu sehen sind, in unmittelbarer Nähe der VR-Installation als Originale präsentiert werden, die mit weiteren Texttafeln erläutert werden. Solche Bezüge erlauben es den Besucherinnen und Besuchern, Zusammenhänge zu erkennen und in ihrer Gedächtnisund Wissensrepräsentation entsprechende inhaltliche Verknüpfungen zu schaffen.

Augmented Reality auf mobilen Geräten Eine dritte Form der digitalen Verräumlichung von Ausstellungen stellen schließlich Augmented Reality Anwendungen dar. Sie bieten Besucherinnen und Besuchern die Möglichkeit, die Kamera eines mobilen Endgeräts, beispielsweise eines Smartphones oder Tablets, auf ein Ausstellungsobjekt zu richten und dann auf dessen Bildschirm das Ausstellungsobjekt, angereichert um zusätzliche digitale Ergänzungen und Einblendungen, zu betrachten. Dabei können sich die Besucherinnen und Besucher frei um das Objekt bewegen, es aus verschiedenen Perspektiven und Distanzen betrachten; die digitalen Einblendungen werden von der Software automatisch an den jeweiligen Betrachtungsstandpunkt angepasst. Durch Augmented Reality wird somit kein alternativer Raum geschaffen, sondern der vorhandene Ausstellungsraum mit weiteren Informationen angereichert und verdichtet. Während die Qualität von virtuellen Realitäten danach bemessen wird, wie gut es gelingt, die Betrachterinnen und Betrachter in eine separate, alternative Welt zu versetzen, geht es bei Augmented Reality darum, eine nahtlose Verschmelzung zwischen der realen Ausstellung und den digitalen Einblendungen zu erreichen, sodass im Idealfall (der aktuell noch in weiter Ferne ist) Reales und Digitales ununterscheidbar werden. Anders als bei virtuellen Realitäten handelt es sich bei Augmented Reality dar-

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über hinaus um ein Medium, das den kommunikativen Austausch zwischen Besucherinnen und Besuchern zulässt. Somit behalten die typischen musealen Verhaltensprogramme der Besucherinnen und Besucher weitgehend ihre Gültigkeit und werden in mancher Hinsicht sogar intensiviert, denn die digitalen Überblendungen regen dazu an, die Ausstellungsobjekte in spielerischer Weise länger und genauer zu erkunden. Gleichzeitig erweitert sich das lernbezogene Verhaltensrepertoire der Besucherinnen und Besucher. Da sich Augmented Reality-Anwendungen mobiler Endgeräte wie Smartphones oder Tablets bedienen, integrieren sie bekannte Alltagstechnologien in den Museumskontext. Besucherinnen und Besucher können auf vertraute Handlungsmuster (beispielsweise die Smartphone-Kamera auf eine Szene richten, auf dem Bildschirm Informationsüberblendungen zu- oder abschalten) zurückgreifen und sie nutzen, um sich die jeweiligen Ausstellungsinhalte zu erschließen. Augmented Reality-Anwendungen erlauben nicht nur visuelle Ergänzungen von Objekten, sondern können auch abstrakte grafische oder verbale Informationen beinhalten. Während Begleitinformationen in Form von Texten, Grafiken oder Abbildungen bislang in einer gewissen Distanz neben den Exponaten angebracht sind, können sie bei Augmented Reality visuell in unmittelbarer Nähe des betreffenden Exponatteils eingeblendet werden. Die lernpsychologische Grundlagenforschung hat gezeigt, dass durch die räumliche Nähe von aufeinander bezogenen Informationen deren kognitive Verknüpfung und damit Lernen und Verstehen gefördert wird (Ginns 2006). Während sich allerdings virtuelle Realitäten durch eine große Unmittelbarkeit auszeichnen, die zu einer Distanzlosigkeit der Besucherinnen und Besucher zum präsentierten Inhalt führen kann, besteht bei Augmentierten Realitäten die umgekehrte Möglichkeit einer vergrößerten subjektiven Distanz zum Exponat. Das Ausstellungsobjekt wird nicht mehr direkt, sondern vermittelt über den Bildschirm des mobilen Geräts betrachtet, so dass der Zugewinn an lernrelevanter Information unter Umständen mit einem Verlust der von den Besucherinnen und Besucher empfundenen Authentizität und Aura einhergehen könnte. Eine empirische Prüfung dieser Vermutung durch empirische Besuchendenforschung steht allerdings noch aus.

Fazit Museen und Ausstellungen bilden eigenständige Lernwelten, bei denen die räumliche Anordnung der Exponate in ihrer Passung zu den wissensbezogenen Verhaltensweisen der Besucherinnen und Besucher von entscheidender Bedeu-

Das Virtuelle im Raum und der Raum im Virtuellen



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tung ist. Hierbei hat die Einführung digitaler Medien in ihren vielfältigen Spielarten in den vergangenen Jahren die Räumlichkeit von Ausstellungen fundamental transformiert. Aber obwohl digitale Medien in der Museumspraxis bereits breiten Einzug gehalten haben, sind viele Fragen ihrer angemessenen wissensbezogenen Gestaltung und Nutzung noch offen. Kreatives Ausprobieren der medialen Möglichkeiten durch Ausstellungsmacherinnen und -macher führt zu Best Practice-Beispielen, theoretische Modelle wie Barkers Konzepte des behaviour settings und der Synomorphie stellen nützliche analytische Instrumentarien bereit, eine psychologisch fundierte empirische Besuchendenforschung erlaubt es, verschiedene Varianten im Hinblick auf die Lernprozesse der Besucherinnen und Besucher sowie ihr Interesse, Wissen und Verstehen systematisch zu untersuchen. Dies wurde beispielhaft an großflächigen digitalen Projektionen, virtuellen Realitäten und Augmented Reality-Anwendungen dargestellt. Es wurde deutlich, dass Digitaltechnologien nicht einfach „add-ons“ zum etablierten Repertoire der Ausstellungsgestaltung sind, sondern mit dem jeweiligen Medium charakteristische Veränderungen der Raumwahrnehmung, des Verhaltensrepertoires und der Lernprozesse – und damit der Lernwelt Museum in ihrer Gesamtheit – einhergehen.

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Christian Bornefeld

Zwischen Dialog und Emanzipation Das Digitale in der Lernwelt Kunstmuseum

Einleitung Die Unerlässlichkeit und Dringlichkeit der Digitalisierung im musealen Rahmen wird uns nicht zuletzt durch die pandemiebedingten, längeren Schließungszeiten von Museen in ganz Deutschland deutlich vor Augen geführt. Die Möglichkeit, sich unmittelbar vor Ort mit den Kunstwerken zu beschäftigen, wurde ausgeschlossen. Die ästhetischen und räumlichen Dimensionen, die Aura des Originals sowie der Ausstellungskontext und die Querbezüge zu weiteren Objekten im Raum, waren in dieser Zeit nicht mehr erfahrbar. Vielerorts wurde mit unterschiedlichen Formaten experimentiert, um trotz Schließung die Beschäftigung mit der Kunst in Form einer digitalen Kunstvermittlung zu ermöglichen. Nahezu über Nacht entstanden mannigfaltige Online-Angebote, virtuelle Rundgänge, Workshops oder gestreamte Führungen. Zielten bisherige Formate darauf ab, sich vorab oder vor Ort über das Museum zu informieren oder zu einem Besuch zu animieren, mussten nun Angebote entstehen, die sich selbst genügen, abgeschlossen sind, sodass der Besuch und die Beschäftigung mit dem Original auf eine unbestimmte Zukunft verschoben werden konnte. Digitale Angebote galten lange Zeit als Konkurrenzmodelle zur physischen Museumssituation, doch nun war es nicht nur notwendig, sondern alternativlos, Kunst und Kultur unabhängig von den Öffnungszeiten und der pandemiebedingten Schließung anzubieten. Das physikalische Museum als Lernwelt und sozial konstruierter Lern- und Vermittlungsraum musste digital neu gedacht werden. Diese Krise hat nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in Kunst und Kultur Spuren hinterlassen. Einige der Experimente werden möglicherweise verstetigt, andere wieder verworfen. Die enge Verknüpfung zwischen analoger und digitaler Welt wird bleiben, die Bedeutung der digitalen Komponente sogar zunehmen. Die Pandemie bildet dabei den Katalysator einer bereits seit längerem angestoßenen Entwicklung. Längst arbeitet man in Museen nicht mehr nur daran, auf digitale Trends zu reagieren, sondern als aktive Gestalterinnen und Gestalter der multimedialen Welt zwischen Datenbanken, 2D und 3D-Scans, Social Media und on-demand-culture Akzente zu setzen. Insbesondere die Aufgabe Inhalte und Themen nicht nur allein analog zu vermitteln, sondern neue digitale Lernangebote abseits des digitalen Marketings zu konzipieren, stellt eine allgehttps://doi.org/10.1515/9783110703054-006

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meine Herausforderung dar. Denn einerseits gilt es digitale Formen des Kuratierens und des Vermittelns zu entwickeln und zu erproben. Gleichzeitig müssen jedoch spezifische Spielregeln des Digitalen berücksichtigt werden, um diese gestalten zu können. Betrachtet man vor diesem Hintergrund das Kunstmuseum als Lernwelt, so müssen also die digitalen Angebote mitgedacht und ihr Verhältnis zur Lernumgebung berücksichtigt werden. Wie funktioniert das Kunstmuseum als digitale Lernwelt? Wie greifen die analogen und virtuellen Angebote ineinander und wie beeinflussen sie sich wechselseitig? In welchem Verhältnis stehen das analoge Museum und der virtuelle Lernraum? Und welchen Wert haben digitalisierte Kunstobjekte, wenn wir sie nicht unmittelbar und im Original betrachten können?

Lernwelt Kunstmuseum Eine Lernwelt ist ein „Raum des Lernens“ (von Felden 2015, 72), der die Umgebung, die Infrastruktur und die Voraussetzung für ein Lernen schafft. Diese weite Definition umfasst sowohl das analoge, an einem physischen Standort gebaute Museum mitsamt seinen Ausstellungsflächen, als auch den digitalen Raum, der sich einer geografischen Verortung entzieht. Durch die vielfältigen Formen, die das Digitale annehmen kann und die unüberschaubare Anzahl an Endgeräten, auf denen digitale Angebote wahrgenommen werden können, entzieht sich das Digitale einer einheitlichen Beschreibung. Dementsprechend unterschiedlich stellen sich die digitalen Lernumgebungen dar, je nachdem, ob man seine Aufmerksamkeit auf eine Webseite, E-Learning-Plattform, eine App, eine 3D-Animation, ein Computerspiel, 360-Grad-Touren, einen Audio- oder Mediaguide, eine Augmented Reality oder Virtual Reality legt (Hugger/Markus 2010, 11–13). Aufschlussreich ist der Bezug zwischen den digitalen Medien und dem analogen Museumsraum, wodurch, je nach Struktur und Gestaltung der digitalen Informationen, ein unterschiedlicher Grad an Autonomie oder Abhängigkeit erreicht wird. Apps, Audio- und Mediaguides sowie Augmented-Reality-Anwendungen zielen dabei auf den Besucher oder die Besucherin vor Ort, während 360-Grad-Touren, Computerspiele, 3D-Animationen oder Virtual-Reality-Anwendungen sowie Webseiten und E-Learning-Plattformen eher auf den heimischen PC verweisen. Diese grobe Aufteilung bestimmt nicht nur den Ort, an dem das digitale Angebot wahrgenommen oder konsumiert werden kann, sondern verweist auch auf ein jeweils anderes Informationskonzept, das einen abweichenden Bezug zum musealen Raum herstellt.

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Die wechselseitige Beziehung zwischen digitalem und musealem Raum soll im Folgenden vor dem Hintergrund der Lernwelt kurz umrissen und anhand praktischer Beispiele aufgezeigt werden.

Die Lernwelt Kunstmuseum als virtueller Dialog Digitale Angebote, die auf die Verwendung im Kunstmuseum abzielen, treten mit der musealen Lernumgebung in eine Beziehung. Diese konstruiert sich aus wechselseitigen Zusammenspiel von Architektur, Ausstellungsräumen, den originalen Kunstobjekten sowie deren kuratorische Anordnung im Raum. Durch mehr oder weniger festgelegte Laufwege sowie abwechselnd offene Räumen und enge Gänge, durch Blickachsen und visuelle Querbezüge sowie Objektschilder oder Wandtexte, entwickelt sich eine komplexe Wahrnehmungs- und Lernumgebung, die zudem anders rezipiert wird, je nachdem, ob sie individuell oder in der Gruppe erfahren wird. Die digitalen Angebote bauen auf diesen Lernraum auf, ergänzen, erweitern und überlagern den begrenzten physischen Raum. Informationen, die sonst in den Ausstellungsraum integriert werden müssten, um narrative oder inhaltliche Kontexte zur Ausstellung und den Kunstwerken zu bieten, können in den digitalen Raum verlagert werden. Dadurch wird der eigentliche Ausstellungsraum entlastet und das Kunstwerk in seiner ästhetischen Wirkung und Erfahrung weniger beeinträchtigt als dies inmitten von Wandplotts und Textflächen der Fall wäre. Die strikte Trennung von Analog und Digital wird durch die Verlagerung von Informationen aufgeweicht. Die museale Lernwelt setzt sich auf diese Weise gewissermaßen im Digitalen fort. Indem man die Lernumgebung Kunstmuseum um digitale Informationsangebote erweitert, wird gleichzeitig weiteren Faktoren der Lernwelt Rechnung getragen, die eng miteinander verknüpft sind: zum einen der Aspekt eines selbstgesteuerten Lernens durch optionale Angebote und zum anderen jener des unbestimmten Lernens durch den gegebenen Spielraum der Informationsfülle und -tiefe. So kann jeder Besucher oder jede Besucherin ein auf ihre Zeit und Vorkenntnisse abgestimmtes Erlebnis wahrnehmen. Trotz räumlicher Trennung sind zusätzliche Informationen zwar latent verfügbar, aber nicht fester Bestandteil und Station des Rundgangs. Es unterstützt durch seine Verfügbarkeit selbstgesteuerte und damit selbstbestimmte Lernprozesse, lenkt Aufmerksamkeit und übergibt den Besucherinnen und Besuchern ein Stück weit die Kontrolle über ihren individuellen Lernprozess. Digitales Angebot und physisches Kunstwerk verweisen dabei jeweils aufeinander und bilden so ein dialogisches Verhältnis: Das Kunstwerk verfügt über

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bestimmte physikalische und ästhetische Eigenschaften und steht in einem Kontext, der sich räumlich und über die Nachbarschaft zu anderen Kunstwerken konstruiert. Die Lernumgebung ist damit allerdings noch nicht abgeschlossen, denn nicht alle Besucherinnen und Besucher können das Kunstwerk gleichermaßen einordnen und deuten, da diese mit unterschiedlichen, biographisch geprägten Vorkenntnissen dem Werk gegenübertreten. Im Sinne der Lernwelt kann auch von der Lebenswelt gesprochen werden, die sich aus der Wahrnehmung im Hier und Jetzt (synchron) und durch die biographische Erfahrung (diachron) zusammensetzt (von Felden 2015, 73). Um an der Lebenswelt der Besucherinnen und Besucher anzuknüpfen, stehen im digitalen Raum unterschiedliche Informationsquellen bereit, welche die synchrone Erfahrung ergänzen und zum Gesamtverständnis beitragen können. Dadurch wird das Kunstobjekt im Raum um Zusammenhänge erweitert, die in der räumlichen Situation nicht angelegt sind. Es kommt zu überlagerten Zuständen, die im Folgenden kurz mit Bezug auf das Kunstwerk im Raum erörtert werden sollen. In den letzten Jahren wurde im Kontext von digitalisierten Kunstobjekten immer häufiger vom virtuellen Zwilling (Duerr 2020) gesprochen. Vor diesem Hintergrund wird die Digitalisierung vor allem als Medienwechsel verstanden, die Überführung eines analogen Objekts in eine digitale Datei, etwa durch Fotografien oder Scans. Der virtuelle Zwilling besteht aus drei Komponenten beziehungsweise drei Ebenen: einer im realen Raum existierenden Entität (materiell oder immateriell), einer digitalen Repräsentanz dieser Entität in Form eines Digitalisats sowie einem Datensatz, der alle verbindenden Informationen in Form von Metadaten enthält.1 Als Beispiel sei die Digitalisierung von pastosen2 Werken und das Einfangen von Pastosizität kurz umrissen. Objektdigitalisierung kennt viele verschiedene Methoden und Setups. Allein die Möglichkeiten der unterschiedlichen Beleuchtungssituationen und das Einfangen kleiner, durch die Farbmasse entstandener Schattierungen ist schier unbegrenzt. Jede Aufnahme eines pastosen Malgrundes würde durch eine leichte Modulation der Lichtverhältnisse, etwa der Lichttemperatur, des Einfallwinkels oder der Lichtstärke, durch den unterschiedlichen Schattenwurf der pastosen Malschicht einen anderen Eindruck erzeugen. Keine der Aufnahmen wäre schlecht oder falsch, da sie lediglich unterschiedliche Zustände und damit ver1 Über den ganz praktischen Aspekt der Digitalisierung und der Überführung von analogen in digitale Entitäten fehlen aktuell noch wissenschaftlich fundierte Arbeiten, die den technischen und den inhaltlichen Aspekt gleichberechtigt mitdenken. 2 Pastos oder Pastosität meint besonders dick aufgetragene Farbschichten, wodurch ein plastischer Eindruck der Farbschicht entsteht. Gelegentlich spricht man hier auch von einem malerischen Relief.

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schiedene Eindrücke ein und desselben Werkes wiedergeben. Ist damit das Konzept des digitalen Zwillings hinfällig, weil das Digitalisat nicht dem entspricht, was Betrachterinnen und Betrachter vor dem Original in der Ausstellung sehen? Bedenkt man jedoch, dass die physische Ausstellung in den meisten Fällen auf eine statische Inszenierungs- und zumeist konservatorisch vorgegebene Beleuchtungssituation ausgelegt ist, ermöglicht das Digitale dagegen unterschiedliche Zustände und Eindrücke aufzuzeigen, ohne das Kunstwerk mittels aufwendiger Technik anders beleuchten zu müssen. Das reale Bild kann nicht gleichzeitig in unterschiedlichen Zuständen existieren und weist über sich hinaus, in den digitalen Raum, wo weitere Informationen, Eindrücke und Kontexte abrufbar sind, ohne in das Werk, die Ausstellungs- oder Beleuchtungssituation einzugreifen. Das Digitale kann auf mögliche Formen des Kunstwerks und das Kunstwerk, durch die Verknüpfung mit digitalen Inhalten, auf andere Zustände seiner selbst verweisen. Die Ergänzung und Verknüpfung von analogen und digitalen Objekten führt, aufgrund der unterschiedlichen Qualitäten der Informationen, zu einer Überlagerung von wahrnehmbaren Zuständen eines Objekts und gleichzeitig zu einer semantischen Verschiebung von Bedeutungsebenen. Die auratischen Aspekte werden dem Informationswert untergeordnet. Die informative Stellvertretung wird zur eigentlichen kulturellen Größe, das Originalobjekt bleibt als Referenz im Hintergrund, sodass Konkretes und Abstraktes die Plätze tauschen (Niewerth 2018, 216). Neben dieser beschriebenen Koexistenz mit gegenseitigem Bezug zwischen digitaler und analoger Lernwelt können außerdem beide Konzepte verknüpft werden, sodass sich Synergien entwickeln, ohne einen Medienwechsel oder überlagerten Zustand mitzudenken oder einen zusätzlichen Bildschirm beziehungsweise zusätzliche Endgeräte einzubinden. Hierzu soll ein Beispiel aus dem Kunstmuseum Stuttgart herangezogen werden. Mit dem im Juli 2019 eröffneten Studio 11 verfügt das Kunstmuseum Stuttgart über einen eigenen Raum für die Kunstvermittlung. Er bildet eine Anlaufstelle und einen Ausgangspunkt für zahlreiche analoge, aber auch digitale Vermittlungsangebote. Ziel war es, einen offenen und flexiblen Raum zu schaffen, der für unterschiedlichste Vermittlungskonzepte herangezogen werden kann und allen Menschen offensteht. Das Studio ist fester Bestandteil der Sammlungsräume und damit Teil der Ausstellung und auch des Museumsrundgangs. Durch die Freiheit und Modularität des Raumes wird dort einerseits mit Kindern gebastelt und gemalt, andererseits können Workshops und Veranstaltungen abgehalten werden. Versuchsaufbauten oder speziell auf bestimmte Zielgruppen zugeschnittene Kleinstausstellungen finden ebenfalls statt. Ziel ist es zudem, jenseits des kunsthistorischen Diskurses, aber nicht unabhängig davon, den

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Nutzen und Wert der Kunst im Alltag darzustellen und über die praktische Arbeit eine Verbindung zur Lebenswelt der Besucherinnen und Besucher zu schaffen. So wurden in Zusammenarbeit mit dem Physikalischen Institut der Universität Stuttgart begleitend zur Ausstellung Vertigo. Op Art und eine Geschichte des Schwindels Experimente zu optischen Täuschungen, Formen, Farb- und Raumkompositionen entwickelt, die Besucherinnen und Besucher eigenständig durchführen konnten. Als durch Corona das Hygienekonzept angepasst werden musste, durfte man diese Experimente nicht mehr berühren. Diese Form der praktischen Vermittlungsarbeit stand vor der Schließung. Im Rahmen eines daran anschließenden digitalen Projekts, wurden zahlreiche Experimente um Sensoren und Mikrocontroller erweitert und ergänzt. Mit Hilfe von Abstandsmesser, Gaspedalen und Lichtschranken konnten die Besucherinnen und Besucher wieder mit den Experimenten interagieren und es kam erneut Bewegung in das Studio 11, ohne, dass etwas angefasst werden musste. Die Mikrocontroller wurden so programmiert, dass beispielsweise ein Moiré-Effekt in unterschiedlicher Geschwindigkeit durch Bewegung der Hand über eine Lichtschranke erzeugt werden konnte. Um die Mikrocontroller zu programmieren und an das didaktische Konzept der Lernwelt des Studio 11 anzupassen, musste man sich zunächst mit der Bewegung und dem Moiré-Effekt selbst beschäftigen. Der Zusammenhang von Bewegung und Effekt musste analysiert und erfasst werden, um diese Erkenntnis in eine mechanische Bewegung und diese wiederum in computergesteuerte Befehle überführen zu können. Das Ziel, die Station über Sensoren zu steuern, implizierte die Lernerfahrung und die Reflexion über den Lerngegenstand. So konnte die Lernerfahrung über einen analogen Effekt in einen digitalen Code und darüber wieder in eine analoge Erfahrung übertragen werden. Dieses Beispiel zeigt, wie digitale und analoge Kunstvermittlung gemeinsam Angebote und Lösungen entwickeln und ineinandergreifen können. Das Kernkonzept der interaktiven Experimente blieb erhalten und war trotz der coronabedingten Einschränkungen wieder durchführbar. Der Gedanke, über Codes an Inhalte heranzuführen und daraus kreative Installationen abzuleiten, wurde in diesem Fall aus der Situation heraus geboren, birgt jedoch weiterhin viel Potential. So ist es möglich, mittels einfachem Code LEGO-Robotern das Malen beizubringen oder die Farbflächen und Linien von Konkreter Kunst in Javascript-Algorithmen abzubilden, zu animieren und beliebig zu modulieren.

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Das virtuelle Kunstmuseum Zahlreiche digitale Angebote funktionieren auch außerhalb des Museumsgebäudes. Während der Covid-19-Pandemie waren diese eine Zeit lang sogar die einzigen Möglichkeiten, sich mit Kunstobjekten zu befassen. Dabei soll an dieser Stelle zwischen einem digitalen und einem virtuellen Angebot unterschieden werden. Die Digitalisierung meint vor allem einen Medienwechsel, die Überführung von etwas Analogem in eine digitale Datei. Beispielsweise werden Exponate und museale Objekte digital erfasst, Informationen in Datenbanken gespeichert und Verknüpfungen zwischen Inhalten und Kontexten in Form von untereinander verlinkten Medien generiert. Beim Virtualitätsbegriff schwingen mehrere Bedeutungsebenen mit: Zum einen besagt virtuell, dass etwas nicht in der Wirklichkeit vorhanden ist, jedoch echt erscheint. Zum anderen meint virtuell einen durch Computer simulierten Raum, der ebenso erfahrbar wie unwirklich ist.3 Ein virtueller Raum kann sich an realen Vorbildern und physischen Gesetzmäßigkeiten orientieren, er muss es allerdings nicht. Dies bietet gleichzeitig eine Chance und eine Herausforderung. Denn solange der virtuelle Raum als direkte Verknüpfung und Weiterführung des musealen Raumes gedacht wird, bietet er nur einen geringen Mehrwert und bleibt als reine Kopie unter seinem Potential. Vielmehr bietet der virtuelle Raum Möglichkeiten, ein Lernangebot aufzustellen, das nicht mehr den Bezug zum musealen Raum braucht, sondern sich von diesem emanzipiert. Selbstverständlich ist dabei zu beachten und kritisch zu prüfen, wie eine Balance zwischen diesen beiden Lernwelten hergestellt werden kann, inwiefern man Erfahrungen aus der analogen Lernwelt in den virtuellen Raum übertragen kann oder neue Formen und Formate notwendig werden. Aktuell wird allerdings im Rahmen zahlreicher Digitalisierungsformate die Absicht deutlich, den analogen Museumsbesuch möglichst real und unverändert, also „authentisch“, in die virtuelle Welt zu überführen (Niewerth 2018, 122). Der mediale Bruch und das nicht vor Ort sein wird dabei als Manko aufgefasst, was den dadurch gegebenen Möglichkeiten allerdings nicht gerecht wird. Zwei Ansätze einer solchen authentischen Übertragung sollen im Folgenden kurz skizziert werden. Eine Möglichkeit den physischen Rundgang durch das Museum digitalisiert auf den heimischen Computer zu übertragen, bietet etwa die verbreitetete Form der 360-Grad-Fotografie, innerhalb derer man sich in einem sogenannten Ku3 Hier vor allem dem Duden folgend: https://www.duden.de/rechtschreibung/virtuell. Über die präzise Herleitung, Genese, Vielschichtigkeit und das Verhältnis der Begriffe siehe: Niewerth 2018, 119–149.

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gelpanorama frei umschauen kann. Viele Kunstmuseen, darunter auch das Guggenheim New York oder das Rijksmuseum in Amsterdam, greifen, um einen solchen Rundgang anzubieten, auf die Unterstützung großer Technologiefirmen zurück.4 Dazu wird eine Momentaufnahme der musealen Räumlichkeiten fotografisch erstellt und das eben erwähnte Kugelpanorama generiert. Durch einen Mausklick auf die verschiedenen Kamerastandpunkte im physikalischen Raum, können Betrachterinnen und Betrachter beliebige Positionen im virtuellen Raum einnehmen oder sich durch Drehen und Bewegen des Endgerätes, wie einem Smartphone oder Tablet, umschauen.5 Aufwendiger stellt sich eine vollkommen digitale Rekonstruktion mittels Computergrafik dar, die unabhängig vom physischen Raum konstruiert wird und diesen nicht adäquat abbilden muss, sich aber für gewöhnlich eng an diesem orientiert. Diese computergenerierten Ausstellungen setzen besondere Hardware voraus, wie etwa eine VR-Brille, oder zur Darstellung der Grafik eine entsprechend leistungsstarke Grafikkarte. Insbesondere in Kombination mit einer VR-Brille erhält man dafür eine deutlich höhere Immersion, also das Gefühl, in einem wirklichen Museum zu stehen. Die Fortbewegung ist hier durch einen Gamepad oder sogar durch reale Bewegung im Raum möglich.6 Durch die Brille wird die reale Umwelt ausgeblendet und die fortgeschrittene Grafiktechnologie kann eine nahezu fotorealistische Wirkung entfalten. Während das Städel Museum in Frankfurt mit seinem Zeitreise Projekt7 eine historische Ausstellungssituation rekonstruiert, wird etwa in der VR-Ausstellung8 der Kremer Collection eine neue, fiktionale architektonische Umgebung für die virtuelle Ausstellung geschaffen. Diese beiden Beispiele knüpfen an den real existierenden musealen Raum an, fotografieren oder variieren diesen, und das, obwohl man im digitalen Raum keinen räumlichen oder strukturellen, sondern nur technischen Grenzen unterworfen ist. Es ist der Versuch, die räumliche Erfahrung eines Museumsbesuchs mit der Lernumgebung und der Lernwelt Museum in den digitalen Raum 4 Das Guggenheim New York, das Rijksmuseum Amsterdam und viele andere arbeiteten mit dem Google Arts & Culture Programm zusammen: https://artsandculture.google.com/partner? hl=de. 5 Solche Kugelpanoramen können für gewöhnlich mittels eines im Endgerät verbauten Gyroskops die Blickrichtung des Geräts simulieren, wodurch nur der relationale Bildausschnitt des Panoramas auf dem Bildschirm wiedergegeben wird. 6 Abhängig vom Modell. Die Übertragung von realer räumlicher Bewegung mit der Bewegung im virtuellen Raum ist aktuell durch spezielle Raumsensoren möglich. 7 https://www.staedelmuseum.de/de/zeitreise. 8 https://store.steampowered.com/app/774231/The_Kremer_Collection_VR_Museum/?l=german.

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und damit in die Häuser und Wohnzimmer der Besucherinnen und Besucher zu bringen. Solche Anwendungen bleiben ganz im digitalen Raum, der sich als digitales Abbild des musealen Raumes versteht, verhaftet und lassen keine gänzlich neuen virtuellen Räume entstehen. Doch lässt sich die Lernwelt Kunstmuseum einfach so digital transzendieren und übertragen? Für den Versuch, die Museumserfahrung zu übertragen, spricht, dass man bereits gelerntes und gefestigtes Wissen aufgreift. Mit Bezug auf die Lebenswelt der Besucherinnen und Besucher wird an zwei Punkten angeknüpft: So ist die Nutzung von Computern und auch von komplexen grafischen Anwendungen inzwischen Teil des Alltags und damit der biographisch geformten Lebenswelt geworden. Zudem hat die Verbreitung von anspruchsvollen Computerspielen dazu beigetragen, dass sich die dafür notwendige Technik in vielen Haushalten befinden und die Bewegung durch virtuelle Räume und grafisch-gerenderte Umgebungen spielerisch erworben und verinnerlicht wurde. Durch die Veröffentlichung von VR-Museen und VR-Ausstellungen auf einer der größten Vertriebsplattformen für Software und Videospiele, wird zudem eine neue, junge und vor allem gaming-affine Zielgruppe erreicht.9 Neben dem virtuell-rekonstruierenden Ansatz sind insbesondere spezielle Webseiten zu nennen, die außerhalb des Museums wahrgenommen werden können. Insbesondere solche, die nicht nur der Vorbereitung eines Museumsbesuchs oder Marketingzwecken dienen, sondern sich dem Inhalt der Sammlung oder Ausstellungen widmen. Dazu gehören die immer zahlreicher werdenden Sammlungsarchive, ebenso wie digitale Rundgänge und Kurse.10 Derartige Angebote knüpfen an im Internet verbreitete Aktivitäten an, beispielsweise die Nutzung einer Such- und Eingabemaske, welche auf die Suche einer Sammlung Online übertragen wird, oder das Lesen, verfolgen und Teilen von multimedialen Blogs, was etwa vom Digitorial des Frankfurter Städels aufgegriffen wird. Der alltägliche Umgang mit webartigen Strukturen und das gewohnte Verhalten, zwischen verlinkten Inhalten hin- und herzuspringen, schafft für viele Menschen eine vertraute, weil gelernte Umgebung. Das virtuelle Museum ist vor diesem Hintergrund ein Präsentationsraum, in dem mit Dateien, etwa fotografierten oder eingescannten Kunstobjekten, gesehen, genutzt und mit denen interagiert werden kann (Niewerth 2018, 123–127).

9 Steam ist die größte Online-Vertriebsplattform für Software und Computerspiele (https:// store.steampowered.com/). Neben der Kremer Collection finden sich etwa auch Angebote des Smithsonian Art Museums. 10 Etwa das Digitorial des Städels (https://www.staedelmuseum.de/de/angebote/digitorial) oder das Rijksstudio (https://www.rijksmuseum.nl/en/rijksstudio).

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Der Medienwissenschaftler Dennis Niewerth bemüht sich in seiner Dissertation zum Thema Dinge-Nutzer-Netze (Niewerth 2018) um eine Art Versöhnung zwischen dem virtuellen und dem realen Museumsraum. An beiden Orten verfügt das Kunstobjekt über implizite, latente Bedeutungen, welche erst über ein Netzwerk aus Beziehungen und wechselseitigen Kontexten entsteht (Niewerth 2018, 119). Die Hängung im architektonisch bestimmten musealen Raum generiert über visuelle Verknüpfungen ebenso Bedeutung, wie die Verwendung von Hyperlinks im Web (Niewerth 2018, 95–103). Der wesentliche Unterschied besteht, nach Niewerth, in der Gewichtung der wahrnehmbaren Informationen: Die digitale Reproduktion akzentuiere andere Aspekte des Objektes, indem sie seine epistemischen Eigenschaften über seine materielle Präsenz und damit Reflexion über Anmutung stellt (Niewerth 2018, 128). Eine Aura oder ästhetische Erfahrung ist dadurch nicht möglich, das Kunsterlebnis bleibt unvollständig. Die Beschäftigung bleibt zwar erhalten, der Fokus verschiebt sich jedoch auf die Reflexion. Die Lernwelt des virtuellen Museums bemüht sich, die museale Erfahrung zu den virtuellen Besucherinnen und Besuchern direkt in ihren Alltag zu transportieren. Indem man sich etablierter Formate und gelernter Strukturen bedient, sind die Einstiegshürden gering. Da viele Online-Angebote zudem aktuell kostenfrei sind, ist der Zugang zur Kunst, abhängig von der verfügbaren Technik, erschwinglich. Mit der Veröffentlichung von virtuellen Kunstmuseen auch auf Gaming-Plattformen werden zunehmend neue Bereiche und Zielgruppen erschlossen. In der digitalen Hälfte der Lernwelt Museum können und müssen letztlich andere Wege der Kunstvermittlung beschritten werden, da das auratische Kunstwerk schlichtweg fehlt und die grundlegend ästhetische Erfahrung sich nicht digitalisieren lässt. Dies rückt den Fokus hin zu neuen Lerninhalten im digitalen oder virtuellen Raum der Lernwelt Museum, die vielleicht auch die neuen technischen Möglichkeiten umso besser nutzen können.

Fazit Durch die Verbreitung von digitalen Endgeräten und dem mittlerweile gelernten und verinnerlichten Umgang mit Webanwendungen, Apps und Computerspielen bildet das Digitale eine Verknüpfung mit unserem Alltag und unseren Sehund Konsumgewohnheiten. Die Lernwelt, die dabei im digitalen Raum entsteht, wird erstaunlich räumlich gedacht und bemüht sich darum, unmittelbar an unseren analogen Museumserfahrungen anzuknüpfen. Dabei verfügt jede Form des Besuchs und jeder

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interaktive Moment über besondere Vor- und Nachteile, abhängig vom Standort und dem räumlichen Zugang des Museums. Man sollte sich der Stärke des jeweils anderen Mediums und der jeweils anderen Lernumgebung bedienen, ohne diese zu kopieren, zu verknüpfen, anstatt zu übertragen. Einen echten Museumsbesuch und das Erlebnis vor dem originalen Kunstwerk digital nachzustellen ist kaum übertragbar und kann daher nur eine Behelfskonstruktion sein. Eine reine Digitalisierung des Musealen greift daher zu kurz. Es braucht eigene Räume und vor allem eigenständige Formate für das Digitale, die den besonderen Umständen gerecht werden und auch unabhängig der Aura des Originals funktionieren. Dies wird nur erreicht, indem mehr Experimente gewagt werden und neue Vermittlungsformate für die digitale Lernwelt nicht aus der Perspektive des physischen Raumes und des analogen Besuchs abgeleitet werden, sondern sich deutlich von dieser unterscheiden. Durch einen Bruch mit Erwartungshaltungen und etablierten Formaten würde man nicht nur die unterschiedlichen Qualitäten und Stärken der einzelnen Medien und der unterschiedlichen Lernwelten herausheben, sondern auch gleichzeitig schärfen. Das Digitale muss sich gewissermaßen emanzipieren ohne den Dialog und Bezug zum Objekt und zum Museum zu verlieren. Eine Zukunftsaufgabe, die durch die Pandemie befeuert wurde, aber noch nicht abgeschlossen ist.

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 Teil II: Kontexte

Jörg Peltzer

Von kommunikativer Einbahnstraße zur Partizipation Schule und Museum

Einleitung 2011 veröffentlichte der damalige Direktor des British Museums, Neil MacGregor, A History of the World in 100 Objects. Dies geschah in Verbindung mit einer Serie von Radiobeiträgen zum selben Thema, die MacGregor für BBC 4 gestaltete (MacGregor 2010, xiii–xiv). Drei Jahre später ging er mit dem Projekt Germany. Memories of a Nation einen Schritt weiter, indem Buch und Radiosendung um eine Ausstellung im British Museum erweitert wurden. Anhand von bekannten und weniger bekannten, von kleinen und großen Objekten erzählte er die brüchige, sich klaren Linien entziehende Geschichte der deutschen Nation von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart (MacGregor 2014, 588). Das Unterfangen war so erfolgreich, dass das Buch eine deutsche Übersetzung erfuhr und die Ausstellung im Herbst 2016 unter dem Titel Deutschland. Erinnerungen einer Nation in den Martin-Gropius-Bau nach Berlin wanderte (MacGregor 2015). Mit diesen Projekten demonstrierte der Museumsmann MacGregor in eindrucksvollster Weise das mächtige Potenzial von Objekten, komplexe historische Themen nicht nur zu erläutern, sondern auch zu problematisieren und den Umgang mit ihnen zur Sprache zu bringen. Eine bessere Werbung für die Verbindung der Lernwelt Schule und der Lernwelt Museum, gerade aber nicht nur im Bereich des Faches Geschichte, hätte es kaum geben können. Nun wäre nichts falscher als anzunehmen, dass es dieser Unternehmungen gebraucht hätte, um Lehrerinnen und Lehrer das Museum als Lernort ins Bewusstsein zu rufen. Der Museumsbesuch gehört traditionell in das Programm von Grund- und weiterführenden Schulen. Auch auf Seiten der Museen gibt es seit langem ein Bewusstsein insbesondere für die Besuchsgruppe der jüngeren Schülerinnen und Schüler. In großen Häusern kümmert sich oftmals eigens dafür eingestelltes Personal um ein adäquates Angebot. Gleichwohl ist ebenfalls unbestritten, dass ein einmaliger Museumsbesuch mit einer oder mehreren Klassen allenfalls oberflächlich das Potential einer Verschneidung der beiden Lernwelten nutzen kann. Im Folgenden geht es deshalb darum, Wege für eine intensivere Kooperation von Schule und Museum zu skizzie-

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ren und dabei deutlich zu machen, wie beide Seiten voneinander lernen können. Ich stütze mich dabei auf Erfahrungen bei der Konzeption und Durchführung von Ausstellungen, insbesondere in Zusammenarbeit mit Schulen. Als ein an der Universität tätiger Mittelalterhistoriker nehme ich eine Außenperspektive ein, ohne Anspruch die jeweiligen Diskussionen der Fachdidaktik beziehungsweise der Museumspädagogik angemessen zu repräsentieren. Vor diesem Hintergrund sind die folgenden Ausführungen essayistisch gehalten.1

Schule und Museum Die Vorteile einer engeren Zusammenarbeit zwischen Schulen und Museen sind vielen Akteurinnen und Akteuren auf beiden Seiten grundsätzlich bekannt. Am Beispiel des Faches Geschichte seien einige wesentliche Aspekte knapp rekapituliert. Für die Museen sind Schülerinnen und Schüler auf den ersten Blick eine nachgeordnete Zielgruppe, bilden die über 50-Jährigen doch die zahlenmäßig stärkste Besuchsgruppe. Gleichwohl gilt für die Museen der in der Regel öffentliche Auftrag, ein Angebot für möglichst alle Altersgruppen zu gewährleisten. Jenseits dieses Bildungsauftrags ist es für die Museen von existentieller Bedeutung, ihr Wirken gesellschaftlich möglichst tief und breit zu verankern, bildet die Annahme, dass das Interesse an musealen Angeboten mit dem Alter von alleine kommt, doch ein allzu schmales Fundament für langfristige Planungen. Was aber Schülerinnen und Schüler an Museen interessiert, welche Fragen sie gestellt und beantwortet wissen wollen, erfahren Museen am besten über eine enge Zusammenarbeit mit Schulen und damit den Betroffenen selbst. Die Stimmen der Schülerinnen und Schüler ernst zu nehmen, ihnen Raum zu geben und Gehör zu verschaffen und ihnen nicht die eigenen Vorstellungen überzustülpen, ist in diesem Kontext von zentraler Bedeutung, denn die entsprechenden Projekterfahrungen zeigen sehr deutlich, dass sich die Fragen der Schülerinnen und Schüler deutlich von denen der Erwachsenen unterscheiden. Um ein Beispiel zu nennen: Als es im Rahmen eines Projekts zwischen der Universität Heidelberg, dem Lobdengau Museum der Stadt Ladenburg, dem Carl-Benz Gymnasium Ladenburg und dem Kurfürst-Friedrich-Gymnasium Heidelberg darum ging, anhand der spätantiken-frühmittelalterlichen Objekte des Ladenburger Museums Narrative für eine Ausstellung zu entwickeln, war den Schülerinnen

1 Ich greife dabei auf Überlegungen zurück, die zum Teil bereits anderweitig publiziert wurden: Peltzer (2016), Peltzer (2020a) sowie Peltzer (2020b).

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und Schülern die Frage, wie ein Schwert hergestellt wurde, viel wichtiger als die von Universität und Museum favorisierte Frage der Migration (Peltzer 2016). Die Herausforderungen für Lehrerinnen und Lehrer sind andere: Sie stehen vor der großen, kaum zu meisternden Aufgabe, komplexe historische Phänomene und Entwicklungen in kurzer Zeit einer relativ heterogenen Gruppe von Kindern oder Jugendlichen zu vermitteln. Für die Vormoderne ist diese Aufgabe noch schwieriger, weil nicht nur die jeweiligen Lebenswelten noch fremder erscheinen, sondern das dafür zur Verfügung stehende Zeitbudget noch einmal deutlich geringer ist. Die enge Taktung des Unterrichts spiegelt sich in den ebenfalls notgedrungen stark verkürzenden Schulbüchern. Diese arbeiten zwar mit Quellen, meistens Texte, gelegentlich Bild- und Sachquellen, doch assistieren diese Quellen mehr dem Narrativ des Schulbuchs, als dass sie selbst im Mittelpunkt der Analyse stünden. Geschichte bleibt in hohem Maße abstrakt und die Gefahr, eine unreflektierte und ungebrochene Meisterzählung von der Antike bis in die Gegenwart zu entwickeln, liegt auf der Hand; es bleibt kaum Gelegenheit, über die Art und Weise, wie Geschichte konstruiert wird, nachzudenken.2 Museen können an dieser Stelle wertvolle Hilfe leisten, können anstelle eines weiteren, zusätzlichen Programmpunkts in einem sowieso schon dicht gedrängten Schulkalender den Unterricht bereichern und geradezu entlasten. Das liegt vor allem daran, dass Museen einen anderen Zugang zu Geschichte entwickeln als das Schulbuch: Museen ermöglichen die Konkretisierung ihrer Themen über Objekte. Sie erzählen Geschichte(n) durch Objekte. Das konkret erfahrbare Objekt bildet den Ausgangspunkt für (historische) Konstruktion und damit Abstraktion. In diesem Kontrast zwischen Schulbuch und Museum liegt bereits der erste Vorteil einer Verschneidung der beiden Lernwelten: Der andere Zugang zu Geschichte setzt neue Impulse, um über Geschichte nachzudenken. So weit, so gut. Doch wirklich produktiv wird dieses Nachdenken erst durch weitere, durch das Objekt provozierte Fragen: Was ist das für ein Objekt, wie kommt das Objekt ins Museum und warum wird es an diesem konkreten Platz ausgestellt? Banal, möchte man meinen, zumal dies durch die Ausstellung selbst erklärt werden müsste. Der einfache Besuch, das schlichte Wahrnehmen des Dargebotenen sollte also genügen. Und sicher, diese Form des Museumsbesuchs ist besser als gar nicht ins Museum zu gehen. Insofern haben alle Schulausfüge in Museen 2 Dabei gilt es zu betonen: Es geht an dieser Stelle nicht um ein Plädoyer für mehr Stunden für das Fach Geschichte. Alle (!) Fächer wüssten mehr Stunden gut und sinnvoll zu nutzen. Es geht auch nicht um ein Plädoyer für eine andere Gestaltung von Schulbüchern, auch wenn es sicherlich ein reizvoller Versuch wäre, Schulbücher um Objekte zu entwickeln.

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ihre Berechtigung. Dennoch verschleiern Objektbeschreibungen und das Narrativ der Ausstellung selbst ganz wesentliche Aspekte der Antworten auf diese Fragen: Wie kommen wir zu unserem Wissen über das Objekt? Und wie sähe das Narrativ aus, wenn man nicht dieses, sondern ein anderes Objekt ausgewählt hätte, wenn man weitere Objekte hinzugenommen hätte oder wenn dasselbe Objekt an einen anderen Ort innerhalb der Ausstellung platziert worden wäre? Die Fragen nach dem Was und Warum adressieren fundamentale Aspekte historischen Arbeitens und damit die Art und Weise, wie unsere Geschichtsbilder zustande kommen. Die Museen mit ihren Objekten sind der ideale Ort, um am konkreten Gegenstand sich sowohl über die Techniken wissenschaftlichen Arbeitens kundig zu machen, als auch den Blick für die Konstruktion von Geschichte zu entwickeln beziehungsweise zu schärfen und schließlich die so entstehenden Welten zu erfahren. Für die Entdeckung der Lernwelt Museum durch Schülerinnen und Schüler heißt das aber auch: Das Making-off einer Ausstellung ist für die Sensibilisierung für und Vermittlung von Geschichte für Schülerinnen und Schüler mindestens genauso wichtig wie die Ausstellung selbst. Das hat natürlich erhebliche Folgen für die Organisation der Verschneidung der beiden Lernwelten in der Praxis.

Formate der Verschneidung der Lernwelten Wie diese Verschneidung geschehen kann, hängt in erster Linie von dem auf beiden Seiten zur Verfügung stehenden Zeitbudget ab. Im Folgenden werden drei Formate skizziert, die sich an einem sehr geringen, einem mittleren und einem großzügigen Zeitbudget orientieren. 1.) Ist das Zeitbudget sehr eingeschränkt, so ist der eintägige Museumsbesuch das klassische Format. Damit er gelingt, sollten folgende Aspekte berücksichtigt werden. Erstens sollte nicht mehr als eine Klasse den Besuch unternehmen, damit eine angemessene Vorbereitung im Unterricht und eine entsprechende Betreuungsintensität vor Ort gewährleistet sind. Das bedeutet, zweitens, dass der eintägige Ausflug neben der Exkursion selbst mindestens zwei weitere zeitlich versetzte Unterrichtseinheiten umfasst. Diese Einheiten, (zwei) klassische Schulstunden, widmen sich der Gestaltung der Ausstellung. In diesem Zusammenhang bietet es sich an, dass immer weiter wachsende Online-Angebot der Museen zu nutzen, um in den Klassenräumen selbst sich dem Arbeiten am und mit dem Objekt zu nähern. Es kann hier tatsächlich nur um eine Annäherung gehen, weil zum einen nicht vorausgesetzt werden kann, dass das zu besuchende Museum auch ein

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entsprechendes Online-Angebot besitzt, man also gegebenenfalls auf Angebote dritter Museen ausweichen muss, und zum anderen die zur Verfügung stehende Zeit keine intensive Beschäftigung mit den Objekten zulässt. Selbstverständlich ist in einem solchen Rahmen eigenständiges Arbeiten der Schülerinnen und Schüler an den Objekten kaum möglich, aber dieses Format ermöglicht zumindest die Vermittlung von zwei zentralen Inhalten. Erstens bereitet die Auseinandersetzung mit dem Objekt im Klassenraum bei den Schülerinnen und Schülern, unter denen zumindest manche noch nie in einem Museum gewesen sein werden, den Grund für die so oft beschworene, wissenschaftlich aber nur schwer fassbare Faszination des ‚Authentischen‘ der Objekte (Kimmel/Brüggerhoff 2020) im Museum selbst. Diese Affordanz des Objekts, das heißt, der Angebotscharakter des Objekts (Fox et al. 2015, 63–70), kann seine Wirkung nur entfalten, wenn die Schülerinnen und Schüler mit einer gewissen, wie auch immer gestalteten Erwartungshaltung an es herantreten. Zweitens erfahren die Schülerinnen und Schüler die Komplexität einer Objektbeschreibung und werden für die Vorgänge des Auswählens, Weglassens, Betonens und der Anordnung sensibilisiert, die in ihrem Ergebnis dem Objekt seinen Platz in einer Geschichte zuweisen. Im Idealfall nehmen sie dann den Besuch der Ausstellung bewusst als eine Perspektive auf das Thema wahr, die unter verschiedenen Möglichkeiten aus ganz bestimmten, benennbaren Gründen ausgewählt wurde. 2.) Steht etwas mehr Zeit zur Verfügung ist/sind die Projektwoche(n) als zweites vorzustellendes Format von Interesse. Wie die eintägige Museumsexkursion finden auch Projektwochen bereits regelmäßige Anwendung in der schulischen Praxis: Der wesentliche Unterschied zum ersten Format liegt in der aktiveren Partizipation der Schülerinnen und Schüler. Es ist möglich, den Schwerpunkt der Arbeiten entweder im schulischen Umfeld zu belassen oder ihn in das Museum zu verlagern. Sollte letzteres geplant sein, ist eine rechtzeitige Abstimmung mit dem Museum vonnöten, sind diese in der Regel für ein solches Format im Unterschied zum Tagesausflug nicht eingerichtet. In der Gestaltung der Arbeit im Museum sind wenigstens zwei Modelle denkbar: – Die Klasse beziehungsweise die Projektgruppe begleitet das Museumsteam für eine Woche bei den Vorbereitungen zu einer Ausstellung und stellt dann ihre dabei gemachten Erfahrungen der schulischen Öffentlichkeit vor. – Die Klasse beziehungsweise Projektgruppe begleitet über einen längeren Zeitraum hinweg, wobei die Gesamtanzahl der eingebrachten Stunden/Tage die einer Projektwoche nicht überschreitet, bei einzelnen Arbeitsschritten in der Vorbereitung der Ausstellung. Dieses zweite Format hat den Vorteil, die unterschiedlichen Stadien einer Ausstellungsvorbereitung begleiten zu

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können, verlangt allerdings auf beiden Seiten einen sehr viel höheren Koordinationsaufwand. Weniger Koordinationsaufwand als die Verlegung ins Museum verlangt die Beibehaltung des Arbeitsschwerpunkts in der Schule. Auch in diesem Fall gibt es mehrere Möglichkeiten der Gestaltung, von denen wiederum zwei knapp skizziert werden: – Analog zum Format des Tagesausflugs bereitet die Gruppe einen Museumsbesuch vor. Im Unterschied zum Tagesauflug kann dies nun in sehr viel größere Intensität – sei es gebündelt in einer Woche oder in mehreren über das Schuljahr verteilten Sitzungen – geschehen. Auch können die Schülerinnen und Schüler dazu angeregt werden, eigene Überlegungen zur Anordnung der Objekte anzustellen. Die besondere Herausforderung besteht dabei, die Geschichten der einzelnen Museumsräume in eine übergreifende, die Räume untereinander verbindende Erzählung einzubetten. Insofern eignet sich diese Aufgabe sehr gut für Gruppenarbeiten, weil die für die jeweiligen Räume zuständigen Gruppen sich auch untereinander über ihre Meistererzählung verständigen müssen. Das Ergebnis dieser Neukonfigurierung wird dann der Schulöffentlichkeit präsentiert. Möchte man den Arbeitsaufwand erhöhen, ist die Kooperation mit einer Medienprojektwochengruppe denkbar, die das Ziel verfolgt, dieses Gedankenexperiment zu visualisieren. – Sollen die Schule selbst oder gegebenenfalls vorhandene schulische Sammlungen als Ausstellungsgegenstand thematisiert werden, können Museumsleute in diese Arbeit vor Ort als Expertinnen und Experten eingebunden werden. Dies setzt aber eine exakte Vorbereitung der zu behandelnden Objekte seitens der Lehrkräfte und der Koordination mit dem oder den Museen voraus. Dieses Modell bietet natürlich auch Raum für die Hinzuziehung weiterer, thematisch ausgewiesener Expertinnen und Experten beispielsweise der Universität und damit die Verschneidung mit einer weiteren Lernwelt. Diese komplexeren Settings aber sind vor allem in dem nun zu beschreibenden dritten Format sinnvoll umsetzbar. 3.) Tagesexkursionen und Projektwochen gehören zum schulischen Alltag. Ein größeres Zeitbudget als für diese beiden Formate ergibt sich nur über eine bewusste Veränderung oder Ergänzung der schulischen Routine. Sie setzt also auf Seiten der Lehrerinnen und Lehrer ein vergleichsweise hohes Engagement und einen langen Vorlauf – mindestens ein halbes Jahr vor Beginn des relevanten Schuljahres – voraus. Bei der Wahl des Zeitrahmens für einen solchen Intensivkurs bietet sich das gesamte Schuljahr an, weil so die Arbeitsschritte in den

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Schulrhythmus eingetaktet werden können und die Arbeitsbelastung wie die Lernfortschritte zielgerichtet gesteuert und ausbalanciert werden können. Eine gewinnbringende Zusammenarbeit mit weiteren Lernorten wie der Universität ist in diesem Zeithorizont ebenfalls möglich. Die Einbettung eines wenigstens alle 14 Tage durchgeführten Intensivkurses in den schulischen Alltag kann über eine AG oder, wie es zumindest in Baden-Württemberg derzeit in den gymnasialen Oberstufen zulässig ist, gar im Rahmen eines Seminarkurses, das heißt als Teil des regulären Curriculums, gewährleistet werden. AG und Seminarkurs weisen unterschiedliche Stärken auf. Die Freiwilligkeit der AG und der fehlende Notenzwang schaffen sehr gute Voraussetzungen für kreatives und auch risikobehaftetes Arbeiten durch die Schülerinnen und Schüler. Sie werden ermutigt, eigene Wege zu erkunden. Darüber hinaus ermöglicht die in der Regel gemischte Altersstruktur der AG die Einrichtung von Lernteams, in denen ältere Schülerinnen und Schüler jüngeren Schülerinnen und Schülern zur Hand gehen. Der Seminarkurs wiederum zeichnet sich durch seine Kompaktheit aus. Der Kreis der Teilnehmenden ist klar, es gibt anders als bei der AG keine Fluktuationen, auch kann aufgrund der höheren Stundenanzahl und der homogeneren Schülerinnen- und Schülergruppe eine noch intensivere Arbeitsatmosphäre geschaffen werden. Egal, ob AG oder Seminarkurs, in jedem Fall ist es wichtig, ein gemeinsames Ziel zu formulieren, das in der Variante Seminarkurs jenseits der zu bewertenden Leistungen liegen sollte. Die Erarbeitung einer kleinen Ausstellung hat sich in diesem Zusammenhang als ein ambitioniertes, aber realisierbares Ziel erwiesen, das sich sehr gut eignet, den Spannungsbogen auch über ein gesamtes Schuljahr hinweg aufrecht zu erhalten. Voraussetzung hierfür ist freilich eine sehr zeitige Kontaktaufnahme mit dem Museum, in der Regel mindestens ein Jahr vor Beginn der AG oder des Kurses, um das Thema, die Verfügbarkeit der Räumlichkeiten und des Museumspersonals abzuklären. Diesen Vorlauf gilt es natürlich auch für die Einbindung Dritter zu beachten. Im Hinblick auf die Sensibilisierung für das wissenschaftliche Arbeiten bietet sich in diesem Kontext die Kooperation mit der Universität ganz besonders an, vorausgesetzt, sie befindet sich in örtlicher Nähe, so dass der kontinuierliche Austausch gewährleistet ist (Peltzer 2020b, 173). Zwar lassen sich in diesem Bereich einige Aspekte auch virtuell bearbeiten, doch zeigt die Erfahrung, dass dem persönlichen Austausch eine wichtige Rolle beim Abbau von Hemmschwellen zukommt, steht und fällt dieses Lerndesign doch mit der offenen Kommunikation zwischen allen Beteiligten. Selbstverständlich sind neben oder auch anstelle der Universität weitere Verschneidungsmöglichkeiten denkbar. Innerhalb der Schule sind beispielsweise Kooperationen mit der Informatik und, wie schon bei den Projektwochen, mit einer Medien-AG denkbar. Was

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braucht es, um eine App für das Museum oder eine spezifische Ausstellung zu entwickeln? Wie präsentiere ich ansprechend Objekte im Web? Mit welchen Inhalten würde man – beispielsweise auf einem Instagram-Account – auf die Ausstellung aufmerksam machen? Wie verknüpfe ich die im Netz zur Verfügung stehenden seriösen Informationsquellen mit dem Objekt? Auch mit den Sprachen bieten sich Kooperationen an. Sind die Museumsleute Expertinnen und Experten für die Gestaltung von Texten innerhalb des Museums, liegt die Expertise für die Gestaltung von Podcasts oder fremdsprachigen Angeboten anderswo. Von den Ergebnissen solcher Verknüpfungen profitieren alle Beteiligten. Der Intensivkurs zielt darauf ab, eine besonders hohe Nachhaltigkeit des Lerneffekts bei den Schülerinnen und Schülern zu erreichen, die Gestaltung neuer Lehr-Lernsituationen mit möglichst positiver Rückkopplung auf den Schulalltag zu ermöglichen und dem Museum differenzierte Aufschlüsse über die Fragen und Herangehensweise von Schülerinnen und Schülern an ihre Bestände im Besonderen und die Geschichte im Allgemeinen zu geben. Anders als bei den beiden anderen Formaten erlaubt die langfristige Konzeption, die Schülerinnen und Schüler qualifiziert an die Methoden wissenschaftlichen Arbeitens heranzuführen, ihnen ausreichend lange Phasen des selbstständigen, allenfalls begleiteten Arbeitens am Objekt zu verschaffen und immer wieder Blöcke der Reflektion einzubauen, um gegebenenfalls gemeinsam Korrekturen am geplanten Ablauf vorzunehmen. Insofern schult dieses Format nicht nur den Blick für das Objekt, das historische Arbeiten, das Machen einer Ausstellung und die Vergangenheit, sondern auch für die Notwendigkeit, eine gemeinsame Sprache zu finden, um über die gemeinsame Arbeit diskutieren zu können. An dieser Stelle leistet der Intensivkurs weit mehr als lediglich die Verschneidung zweier Lernwelten. Das Ziel, eine Ausstellung zu konzipieren, bietet jenseits des Ansporns für Schülerinnen und Schüler und jenseits der Möglichkeit für die Institutionen, ihre Aktivitäten öffentlichkeitswirksam darzustellen, eine ganze Reihe didaktischer Chancen. Die Schülerinnen und Schüler müssen ein geeignetes Ausstellungsthema identifizieren, die entsprechenden Exponate bestimmen, beschreiben und anordnen. Natürlich werden sie bei diesen Schritten durch die Museumsleute und gegebenenfalls Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler begleitet und unterstützt, die Entscheidungen aber müssen sie letztlich selbst treffen. Es lohnt sich in diesem Kontext, die Schülerinnen und Schüler in das oder die Depots des Museums mitzunehmen, um ihnen vor Augen zu führen, was alles nicht gezeigt wird und wie lange der Weg des Objekts vom Depot in die Vitrine ist. Im Fall des bereits erwähnten Heidelberg-Ladenburger Projekts konnten die Schülerinnen und Schüler im Depot des Ladenburger Museums stöbern. Zu

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Tage kam dabei ein Paar frühmittelalterlicher Ohrringe, die die Schülerinnen und Schüler unbedingt ausgestellt sehen wollten, die aber weder nach den Regeln der Kunst beschrieben waren, noch einen ausstellungswürdigen Erhaltungszustand aufwiesen. Beide Schritte wurden dann unternommen, die wissenschaftliche Aufarbeitung der Ohrringe, sowie ihre professionelle Restaurierung. Die Schülerinnen und Schüler erfuhren weiterhin, dass sich dieser Arbeitsprozess vom Depot in die Ausstellung nicht nur auf die Erforschung der Objekte und ihre Zusammenhänge und gegebenenfalls ihre Restauration bezieht, sondern auch und vor allem auf ihre Präsentation. Sie lernten, dass die Anordnung der Objekte und ihre Beschreibungen immer und immer wieder korrigiert, justiert oder sogar radikal neu ausgerichtet werden können. Nutzt man die Ohrringe, um Kleidung und Schmuck zu thematisieren, geht es dabei vorwiegend um das Handwerk und Handel, modische Entwicklungen, den Status der Personen oder um die Geschichte eines Raubes? Oder um das oben genannte Beispiel des frühmittelalterlichen Schwerts anzuführen: Dient es zur Darstellung der Metallbearbeitung, von Kriegshandlungen oder von Grablegesitten, um nur drei Möglichkeiten anzuführen? Bei der Diskussion dieser Fragen geht es ähnlich wie bei den Reflexionsphasen über den Fortgang des Projekts selbst nur teilweise um die Konstruktivität und Relativität von Geschichte, sondern auch um die sachliche Gestaltung von Aushandlungsprozessen in der Gruppe selbst. Die Äußerung und die Annahme sachbezogener Kritik sowie die Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen werden auf diese Art und Weise geschult – der Umstand, dass dies in einer anderen Lehr-Lernumgebung als der Schule selbst geschieht, mag dabei helfen, diese Erfahrungen leichter anzunehmen. Die Entwicklung einer dafür geeigneten Arbeitsatmosphäre hängt auch von einer klaren Rollenverteilung der Projektpartnerinnen und Projektpartner ab. Dabei ist vor allem auf ein symmetrisches Verhältnis aller Beteiligten zu achten, das heißt, die jeweiligen Projektpartnerinnen und Projektpartner konzipieren ihre Anteile eigenverantwortlich. So plant beispielsweise das Museum Sitzungen zu den Möglichkeiten musealer Präsentation, die Schule hingegen das angemessene Setting für das Arbeiten der Schülerinnen und Schüler, diese selbst setzen die Agenda für die Treffen über die Ausstellungskonzeption(en), und die gegebenenfalls beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gestalten wiederum die Sitzungen zu den entsprechenden Sachthemen. Auf diese Weise nimmt jede und jeder Beteiligte gleichermaßen die Rolle des Lehrenden und Lernenden ein, ein partizipatives Lernen auf annähernd gleicher Augenhöhe ist möglich – nur annähernd deshalb, weil die letztendliche Verantwortung für das Projekt nicht bei den Schülerinnen und Schülern liegt, sondern bei der Schule, dem Museum und den gegebenenfalls weiteren beteiligten Lernorten.

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Diese Symmetrie, das gilt es zu betonen, darf nicht nur vordergründig bestehen, es geht dabei nicht primär darum, den Schülerinnen und Schülern ein ‚gutes Gefühl‘ zu geben, es geht darum, die Arbeitsumgebung so zu gestalten, dass die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeiten haben, ihre eigenen Perspektiven tatsächlich zu entwickeln und zu formulieren. Denn nur dann können die Projektpartnerinnen und Projektpartner, insbesondere die Museen, auch von Schülerinnen und Schülern lernen und deren Bedürfnisse bei der Gestaltung zukünftiger Angebote besser berücksichtigen. Damit die jeweiligen Planungen zeitlich wie inhaltlich gut aufeinander aufbauen, ist vorab festzulegen, wer die Koordination übernimmt. An dieser Stelle müssen sämtliche organisatorische Fragen zusammenlaufen, gerade dann, wenn mehr als zwei Institutionen beteiligt sind. Wichtig ist dabei, auf eine möglichst frühe Begegnung mit den Objekten zu achten. Anders als bei einem unvorbereiteten Tagesausflug, bei dem die Schülerinnen und Schüler durch die Objekte geradezu überwältigt werden, wenn sie sich überhaupt auf diese einlassen, liegt die Gefahr bei einem einjährigen Projekt darin, die Begegnung mit dem Objekt zu sehr nach hinten zu verschieben. Ein früher Kontakt ist anzuraten, um so rasch wie möglich die verhältnismäßig abstrakte Ebene des Schulunterrichts mit der konkreten Ebene der Arbeit am und mit dem Objekt zu vertauschen, um so den eigentlichen Gewinn der Verschneidung dieser beiden Lernwelten möglichst früh eintreten zu lassen.

Fazit Bedenkt man diese Aspekte bei der Vorbereitung der Verknüpfung der Lernorte Schule und Museum, dann stehen unabhängig von der Wahl des Formats die Chancen sehr gut, dass am Ende jeder und jedem Beteiligten augenscheinlich klar ist, wie viel Arbeit, wie viel Wissen, wie viele Entscheidungen und wie viele Auslassungen hinter MacGregors genial einfach erscheinenden Erzählungen – sei es der Weltgeschichte oder der deutschen Nation – stecken. Richtig angepackt, sind Objekte ein hervorragender Weg die schulische, die museale und gegebenenfalls weitere Lernwelten miteinander zu verbinden. Im Moment hängt die Leistung dieser Verbindung sehr, um nicht zu sagen, ausschließlich vom freiwilligen Engagement der einzelnen Lehrerinnen und Lehrer ab. Das ist kein ausreichendes Fundament. Es gilt die universitäre Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer um Elemente der musealen Praxis zu erweitern, damit sie für die damit verbundenen Möglichkeiten stärker sensibilisiert werden. Gleichzeitig gilt es, die zeitlichen Korridore für Lehrerinnen und Lehrer wie für Schülerinnen

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und Schüler zu schaffen, um längerfristig angelegte Formate wie den Intensivkurs umsetzen zu können. Als Zusatzleistung kann dies allenfalls gelegentlich, kaum aber regulär geschehen. Für die gymnasiale Oberstufe in Baden-Württemberg gibt es diese Möglichkeit bereits, für die Unter- und Mittelstufe wie für die anderen Schultypen ist dies erst noch zu leisten. Gleichwohl genügen Veränderungen im schulischen Bereich – im weiteren Sinne – nicht, auch die außerschulischen Lernwelten müssen sich bewegen. Für die in diesem Fall insbesondere diskutierten Museen gilt es, die Kontakte mit den Schulen zu verstetigen und zu intensivieren, ein Gespür für die Bedürfnisse des Anderen zu entwickeln. Hospitationen des entsprechenden Personals in den Schulen könnten dafür ein Weg sein. Das mittelfristige Ziel muss es sein, die institutionellen Rahmenbedingungen so zu verändern, dass die Verschneidung dieser Lernwelten selbstverständlich wird. Das Besondere der Zeit im Museum, sollte zukünftig nicht mehr aus dem Besuch selbst resultieren, sondern nur noch aus den dort zu sehenden und zu bearbeitenden Objekten.

Literatur Fox, R.; Panagiotopoulos, D.; Tsouparopoulou, C. (2015): Affordanz. In: T. Meier; M. Ott; R. Sauer (Hrsg): Materiale Textkulturen. Konzepte – Materialien – Praktiken. Berlin; München; Boston: De Gruyter, 63–70. Kimmel, D.; Brüggerhoff, S. (Hrsg.) (2020): Museen – Orte des Authentischen? Museums – Places of Authenticity? Heidelberg: Propylaeum. https://doi.org/10.11588/propylaeum.745. MacGregor, N. (2010): A History of the World in 100 Objects. London: Allen Lane. MacGregor, N. (2014): Germany. Memories of a Nation. London: Allen Lane. MacGregor, N. (2015): Deutschland. Erinnerungen einer Nation. München: C. H. Beck. Peltzer, J. (2016): Lernorte vernetzen. SchülerInnen erlernen (kunst)historisches Arbeiten in Schule, Universität und Museum. Fokus Lehrerbildung. Blog der Heidelberg School of Education. https://hse.hypotheses.org/315. Peltzer, J. (2020a): Lernorte verknüpfen. https://www.hse-heidelberg.de/lernorte-verknuepfen. Peltzer, J. (2020b): Lernorte verknüpfen. Wege der Kooperation zwischen Schule, Universität, Museen und anderen außerschulischen Lernorten. heiEducation Journal 6, 165–176.

Doris Lewalter, Inga Specht und Annette Noschka-Roos

Zwischen Instruktion und Partizipation Museen und Erwachsenenbildung

Einleitung Von Beginn an sind Museen Orte der Wissensproduktion und Wissensvermittlung, die Erwachsenen vielfältige Lernwelten eröffnen (Giese 2021; Stang 2021). Der immanente Zusammenhang von Museum und Bildung wird kennzeichnender Weise in gesellschaftlichen Umbruchssituationen offensichtlich: Bildung und Vermittlung zählen neben Sammeln, Bewahren, Forschen und Ausstellen zu den zentralen Aufgaben, zum institutionellen Kern der Museen1 (Graf/Rodekamp 2012; ICOM 2007). Daraus resultiert, zum einen, dass Erwachsenenbildung von Anfang an einen integralen Bestandteil der Institution darstellt sowie zum anderen, dass sich Bildungsdiskussionen in der Gesellschaft oder Bildungsreformen in der Institution spiegeln (Noschka-Roos 2012). Erwachsenenbildung erfolgt in Museen und Ausstellungen auf vielfältige Art und Weise. Unterschieden werden organisierte und nichtorganisierte Bildungsangebote (Nuissl 2004). Zu erstgenannten gehören ausstellungsbegleitende Angebote, personaler wie medialer Art (siehe unten). Die zweite Variante umfasst die sich in einer Ausstellung autonom bewegenden Besucherinnen und Besucher, die sich mit Hilfe der Organisation der Ausstellung und der dort integrierten Medien die Inhalte selbstständig erschließen beziehungsweise sich das „besondere Arrangement [selbstständig] aneignen“ (Dinkelaker 2018, 136). Daher stehen gegenwärtig bei der Gestaltung von Ausstellungen und der in ihnen integrierten Medien neben fachlichen und ästhetischen Anforderungen der Objektpräsentation ebenso die Bedürfnisse der potenziellen Besucherinnen und Besucher im Fokus. Meist werden dabei implizite Botschaften, die mit der Auswahl und dem Arrangement der Objekte einhergehen, durch ein explizites Informationskonzept ergänzt, das eine verständliche und besucherorientierte Präsentation der Ausstellungsinhalte in Form von Texten oder Neuen Medien bereitstellt. (Lewalter/Noschka-Roos 2018, 885, H. i. O.)

Neben der Freiwilligkeit findet das didaktische Prinzip der Adressaten/innenorientierung beziehungsweise Teilnehmendenorientierung der Erwachsenen1 Siehe dazu auch die Diskussion zur Neuformulierung der Museumsdefinition, die aktuell in der ICOM geführt wird: https://icom-deutschland.de/de/?option=com_content&view=article&id=273. https://doi.org/10.1515/9783110703054-008

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bildung (Siebert 2009) in der Publikumsorientierung beziehungsweise Besuchendenorientierung in Museen seine Entsprechung. Ebenso wie in der Erwachsenen- und Weiterbildung wird die (personale) Bildungs- und Vermittlungsarbeit in Museen häufig durch freiberufliche und/oder ehrenamtliche Kräfte geleistet (IfM 2018). Museen arbeiten für ihre Bildungsangebote außerdem mit anderen Bildungseinrichtungen wie beispielsweise Volkshochschulen zusammen (IfM 2018; Reichart et al. 2020). Im Folgenden werden spezifische (nicht nur) für die Erwachsenenbildung relevante Aspekte der Lernwelt Museum skizziert. Zunächst werden Vermittlungsmodi und Modi der Besuchendenorientierung vorgestellt, die auch für die Erwachsenenbildung konstitutiv sind. Anschließend werden erwachsene Besucherinnen und Besucher knapp charakterisiert, bevor die situativen Merkmale der Lernumgebung Museum näher beschrieben werden, die das Museum unter anderem als Ort der Erwachsenenbildung auszeichnen. Im Anschluss daran werden die Spezifika des Lernens im Museum sowie Ansätze und Formate, die in strukturierter Form die Bildungsprozesse unterstützen und fördern (sollen), dargestellt. In Form eines Ausblicks soll abschließend knapp skizziert werden, in welcher Form die Dynamik des gegenwärtigen Umbruchs durch digitale und globale Entwicklungen die Museen und damit die dortige Erwachsenenbildung beeinflusst.

Besuchendenorientierung an Museen und die Rolle der Erwachsenenbildung Das Konzept der Besuchendenorientierung gilt als ein Paradigmenwechsel in der Museumsarbeit (Graf 2000), der vor dem Hintergrund der Bildungsreformphase in den späten 1960er Jahren einzuordnen ist: Damals „öffneten“ sich die Museen für das Recht auf „Bildung für alle“; die neue Profession der Museumspädagogik etablierte sich. Der in dieser Zeit ebenso einsetzende Museumsboom führte nicht nur zu einer vielgestaltigen heterogenen Museumslandschaft mit gegenwärtig ca. 6.750 Museen (IfM 2019), er ließ ebenso Praxis und Theorie der Museumsaufgaben ausdifferenzieren und die Museumspädagogik in ihrer Bedeutung wachsen (Graf/Rodekamp 2012; DMB/BVMP 2020a, 2020b). Die Vielzahl an Museen, die mit sehr unterschiedlichen Sammlungsinhalten und Präsentationsformen einhergeht, wird laut einer ICOM-Einteilung in insgesamt neun Museumsarten zusammengefasst. Mit nahezu 45 Prozent bilden Volks- und Heimatkundemuseen die größte Gruppe in Deutschland, gefolgt von

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kulturgeschichtlichen Spezialmuseen, naturwissenschaftlichen/technischen Museen und Kunstmuseen mit jeweils ca. 10 bis 15 Prozent. Historisch/archäologische und naturkundliche Museen sowie Schloss- und Burgmuseen umfassen jeweils ca. 4 bis 7 Prozent. Museumskomplexe mit mehreren Museen und Sammelmuseen umfassen jeweils ca. ein Prozent (IfM 2019). Seit der Öffnung der Museen haben sich qualitative Unterschiede in der Ansprache des Publikums und die Vermittlung musealer Inhalte herausgebildet, die gleichzeitig ein Licht auf unterschiedliche Konzepte der Erwachsenenbildung im Museum werfen. Die jeweiligen Etappen werden im Folgenden kurz skizziert: – Die Öffnung der Museen in den 1970er Jahren läutete einen Wandel ein, in dem fachlich konzipierte, objektorientierte Ausstellungen für Expertinnen und Experten, die allenfalls knappe Beschriftungen zur Identifizierung benötigten, zur Erschließung der Ausstellung nun zusätzliche Materialien, seien es Saalblätter oder ausführliche Ausstellungstexte, bereitstellten. Dieser Wandel vom Fachduktus zum Vermittlungsduktus basierte nach wie vor auf der Expertise der Kuratorinnen und Kuratoren, die die fachsystematische Ordnung der Objekte festlegten. Der Museumspädagogik kommt eine eher nachgeordnete, und vielfach kritisierte Appendix-Funktion zu (Nuissl et al. 1987). – Der Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre vorherrschende Diskurs der Erlebnisgesellschaft fand eine breite Rezeption in den Museen (Commandeur/Dennert 2004): Als dominante Merkmale in dieser Zeit gelten, dass Museen mit Formaten wie „Lange Nacht der Museen“ und anderen Events ihr Haus für ein Gesamterlebnis öffneten: mit – zuvor undenkbar – Cafés oder Restaurants findet das ebenso seinen architektonisch sichtbaren Ausdruck wie in Ausstellungen, die mit Inszenierungen im Sinne eines ganzheitlichen Erlebnisses arbeiten. Kuratorinnen und Kuratoren werden Ausstellungsbüros zur Seite gestellt, eine in dieser Zeit neu hervorgegangene professionelle Dienstleistung. Das Erlebnismuseum betont den Wandel vom Vermittlungsduktus zum Dienstleistungsduktus, der die Besucherinnen und Besucher stärker mit ihren Wünschen, Interessen und Neigungen in den Blick nimmt. – Seit mehr als einer Dekade weisen zahlreiche Diskurse auf einen neuen Beziehungsmodus hin, der als ein Wandel vom Dienstleistungsduktus zum Austauschduktus bezeichnet werden kann: Dieser gegenwärtige Wandlungsprozess wird beschleunigt und verstärkt durch die digitale Entwicklung, die unterschiedliche partizipative Austauschformate bereithält (Noschka-Roos/Kampschulte 2020). Nach Lernen und Erlebnis stellt gegenwärtig Kulturelle Bildung den Leitbegriff für Bildung und Vermittlung dar:

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konzeptionell diversifizierte Zielgruppenprogramme (Mandel 2017/16) sowie qualitativ neue Formate wie die der Partizipation (Piontek 2017) sind für diese Phase kennzeichnend. Jedes zehnte Museum bietet „partizipative Angebote“ (IfM 2018). Ebenso ist eine Zunahme der Mitwirkung von museumspädagogisch Tätigen an (Neu-)Konzeptionen von Ausstellungen festzustellen, um das Bildungspotential zu erhöhen, und insbesondere Konzepte der Integration und Inklusion in den Blick zu nehmen (DMB/BVMP 2020a). Museumspädagogik professionalisiert sich mit einer theoretisch begründeten Vielfalt an Formaten und Methoden zunehmend zu einer integrativen Aufgabenstellung (Commandeur et al. 2016). Diese sich ausdifferenzierenden Zugänge in der Vermittlung spiegeln sich auch in einem Ausstellungsverständnis, das kaum noch eine Grenze zwischen Ausstellung und Vermittlung zieht: Das Potential der ästhetischen, wie haptischen Vielfalt der Objekte wurde als Bildungsqualität freigelegt (Korff 2008), deren Ausstellung in thematischen wie inszenatorischen Präsentationen Besucherinnen und Besucher bei deren Rezeption unterstützt (Noschka-Roos/Lewalter 2013). Zusammenfassend lässt sich an der knapp skizzierten (Noschka-Roos 2012) idealtypischen Trennung hinsichtlich der Einbeziehung des Publikums feststellen: In der vielgestaltigen Museumslandschaft sind gegenwärtig alle Vermittlungsmodi für die Erwachsenenbildung an Museen zu finden. Sie alle sind notwendig zu beachtende, konstitutive Elemente für eine besuchendenorientierte Vermittlungs- und Bildungsarbeit im Museum: Der inspirierende, dialogorientierte Experten-/Expertinnenvortrag ebenso wie Vermittlungsprogramme, die – jenseits einer Einbahnstraßendidaktik – zur eigenständigen Erschließung eines Themas anregen; mit partizipativen Projekten wie Citizen Science-Projekten und anderen partizipativen Angeboten (IfM 2018) arbeiten Museen gegenwärtig zudem nicht nur für, sondern mit dem Publikum. Oft geschieht das in Kooperation mit lokalen Bildungseinrichtungen, Universitäten oder anderen Museen vor Ort: Museen entwickelten sich in den letzten zehn Jahren verstärkt zu Lernwelten für alle Teile der Gesellschaft. Die spannende Diskussion und Konsequenzen, die daraus für die Institution selbst wie für die Vermittlungs- und Bildungsarbeit folgen, und zudem durch die gegenwärtige digitale Transformation forciert werden, kann hier nicht nachgezeichnet werden; zentral ist an dieser Stelle für die Diskussion zur Besuchendenorientierung: Die bisher getrennten Museums- und Vermittlungsperspektiven greifen ineinander, sie werden subjektorientiert konzipiert (Gesser et al. 2020), die distanziert-objektivierende Beziehung zwischen Museum und Öffentlichkeit wird hinterfragt und durch eine partizipatorische Praxis (Piontek 2017;

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Simon 2010) zu überwinden gesucht. Die Vielfalt der Perspektiven von Objekten wird produktiv gewendet. Die Partizipation, der Austausch zur gemeinsamen (V)ermittlung steht im Fokus; vor diesem Hintergrund fungiert das Museum als gemeinsamer öffentlicher Ort (Black 2012), als Experimentierfeld. Museen als Lernwelt bieten nicht nur differenzierte Zugänge zur Erschließung der Museumsinhalte, sondern bilden ebenso eine öffentliche Plattform zur Aushandlung gesellschaftlich relevanter Fragen (Kamel/Gerbich 2014).

Museumspublikum Insbesondere erwachsene Museumsbesucherinnen und -besucher bilden hinsichtlich ihrer lernrelevanten Ausgangsbedingungen keine homogene Gruppe. Sie unterscheiden sich unter anderem in Hinblick auf ihr allgemeines und spezifisches Vorwissen, ihre akkumulierten Lebenserfahrungen, ihren familiären Kontext, sowie ihren kulturellen, finanziellen und gesundheitlichen Hintergrund, um nur einige der unzähligen Besuchendenmerkmale zu nennen (Heimlich/Horr 2010). Ergänzend zu diesen besuchsunabhängigen Hintergrundmerkmalen verfügen Besucherinnen und Besucher teilweise über Vorerfahrung mit Museen und damit auch über Erwartungen und Motive für ihren jeweiligen Museumsbesuch, die auch mit einem spezifischen Besuchsverhalten einhergehen. Beide Faktoren werden gemeinsam unter dem Begriff Visitor Agenda zusammengefasst (Falk 2009). Phelan et al. (2018) konnten in einer Sichtung der Befundlage zur Besuchsmotivation folgende sechs wesentliche Motivbereiche ausmachen: Wissenserwerb/Bildung, Spaß/Unterhaltung, sozialer Austausch, Erholung/Entspannung, Introspektion sowie die Möglichkeit, neue Erfahrungen zu machen und die Attraktivität des Museums beziehungsweise der Ausstellungsgegenstände. Diese Motive stehen unter anderem im Zusammenhang mit der Besuchshäufigkeit und der Besuchsstrategie (Phelan et al. 2020). Um die unterschiedlichsten Interessen, Motive, Vorlieben und Bedürfnisse von Lernenden anzusprechen beziehungsweise zu erreichen, bedarf es eines hohen Differenzierungsgrades an Angeboten – sowohl in der Ausstellung als auch in den ausstellungsbegleitenden Programmen.

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Situative Merkmale der Lernumgebung Museum Museen halten spezifische Bedingungen für das Lernen ihrer Besucherinnen und Besucher bereit. Allen Museen gemeinsam ist die simultane Verfügbarkeit vielfältiger und umfangreicher Information auf räumlich ausgedehnten Flächen (Schwan et al. 2014). Dabei kommt Originalobjekten und Modellen eine zentrale Rolle zu. Die Exponate werden ergänzt durch eine Vielzahl an Medien und Informationsangeboten, wie beispielsweise interaktive Installationen, Bilder, Filme, Texttafeln, Multimedia, Videobildschirmen, Hörinseln und digitalen Stationen, Dioramen oder Hands-On. Diese stationären Angebote werden zunehmend von mobilen multimedialen Angeboten, wie beispielsweise digitalen Ausstellungsführern sowie Internetportalen flankiert (Schwan/Lewalter 2019). Letztere bieten vor, während oder nach dem Besuch aber auch unabhängig von diesem die Möglichkeit, sich über Ausstellungsinhalte zu informieren oder diese zu vertiefen (Noschka-Roos/Kampschulte 2020). Diese mediale Vermittlung wird um verschiedene Formen der ausstellungsbegleitenden, personalbetreuten Vermittlung ergänzt (siehe unten). In Museen werden Besucherinnen und Besuchern somit – ganz im Sinne des Lernwelten-Begriffs – Lernumgebungen im Sinne räumlicher Präsentationsarrangements für die selbständige Beschäftigung zur Verfügung gestellt. Während die Authentizität der Originalobjekte die Vermittlung der Relevanz der dargestellten Inhalte unterstützt (Falk/Dierking 2012), bietet die Präsentation der Inhalte aus multiplen Perspektiven den Besucherinnen und Besuchern vielfältige Anknüpfungspunkte an die eigenen Bedürfnisse, Erfahrungen und Wissensbestände und damit Möglichkeiten für selbstgesteuertes Lernen. Mit dieser kurzen Skizzierung wesentlicher situativer Merkmale von Ausstellungen ist einer von drei wesentlichen Faktoren der Lernumgebung Museum angesprochen, die Falk und Dierking (2000, 2012) im „Contextual Model of Learning“ zusammengefasst haben. Falk und Dierking unterscheiden zwischen dem physischen, dem soziokulturellen und dem persönlichen Kontext, die zusammen ein Besuchserlebnis beziehungsweise die Lernerfahrung wechselseitig beeinflussen beziehungsweise ausmachen. Hinzu kommt zudem eine zeitliche Komponente (Dauer des Besuchs und „zeitliche Ordnung der einzelnen Erfahrungen“, Schwan 2015, 72), da Falk und Dierking von einem kumulativen Lernprozess ausgehen.

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Lernen im Museum Das Lernen im Museum wurde von Falk und Dierking (2000; 2012) mit dem Begriff des „free-choice learning“ charakterisiert, der auf die Freiwilligkeit und Selbstbestimmtheit der Beschäftigung der Besucherinnen und Besucher mit den dargebotenen Informationen im Lernraum beziehungsweise der Lernwelt Museum hinweist. Der Verlauf von Museumsbesuchen ist meist durch die Interessen und Neugier der Besucherinnen und Besucher und den individuell wahrgenommen Anregungsgehalt des Informationsangebots geprägt, so dass er eher selten den vorgeschlagenen Besuchspfaden entspricht. Daher wirkt das (lernbezogene) Besuchsverhalten von außen betrachtet häufig eher ungezielt und oberflächlich. Nach Rounds (2006) folgen die Besucherinnen und Besucher während ihres Besuchs jedoch individuellen Heuristiken und ihrer Neugier, so dass Rounds die Besuche als „curiosity-driven“ bezeichnet. Dieser Befund passt zu der von Packer (2006) auf der Basis einer Interviewstudie, als „learning for fun“ bezeichneten Lernerfahrung die Besucherinnen und Besucher während ihres Aufenthaltes in Museen anstreben. Für die Befragten steht nicht der Wissenserwerb, sondern vielmehr eine freudvolle Lernerfahrung, die sie als eine Mischung aus Entdecken, Erforschen, mentaler Anregung und Spannung beschreiben, im lernprozessbezogenen Zentrum ihres Besuchs. Neben der Lernerfahrung bieten Museen die Möglichkeit für zahlreiche weitere Erfahrungen. Packer und Ballantyne (2016) haben auf der Basis umfangreicher Forschungsbefunde zu vielfältigen Besuchserfahrungen ein Modell entwickelt, das folgende Erfahrungsfacetten unterscheidet: physisch, sensorisch, kognitiv, emotional, hedonistisch, restaurativ, introspektiv, transformativ, spirituell und sozial. Damit zeigt sich die große Bandbreite an Erfahrungsmöglichkeiten, die Museen innewohnt. Pekarik et al. (2014) untersuchten wiederum die Erfahrungspräferenzen von Besucherinnen und Besuchern im Kontext von Museumsbesuchen. Pekarik et al. haben in ihrem IPOP-Modell folgende vier Präferenzorientierungen, die die individuell wahrgenommene Attraktivität von Angeboten widerspiegeln, zusammengefasst: IDEAS (Konzepte, Zusammenfassungen, strukturierte Gedanken, rationale Argumentation und Fakten), PEOPLE (Emotionen, Geschichten und soziale Interaktionen), OBJECT (Dinge, Ästhetik, Handwerkskunst, Eigentum und Bildsprache) und PHYSICAL (körperliche Empfindungen, einschließlich Bewegung, Berührung, Klang, Licht und Geruch). Dabei gehen sie davon aus, dass viele Besucherinnen und Besucher eine stärkere natürliche Neigung zu einem dieser vier Aspekte als zu den drei anderen haben.

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All diese Erfahrungen führen zu vielschichtigen Lernprozessen, deren Effekte entsprechend der GLOs (Generic Learning Outcomes, Hooper-Greenhill 2007) unter folgenden Dimensionen zusammengefasst werden können: Wissen und Verständnis, Fähigkeiten und Fertigkeiten, Einstellungen und Werte, Aktivität, Verhalten und Entwicklung sowie Freude, Inspiration und Kreativität (DMB/BVMP 2020a). Insgesamt lassen die knapp skizzierten Ansätze zur Systematisierung der Besuchsbedürfnisse hervortreten, welche Modelle und Instrumentarien Museen zur Verfügung stehen, um als Lernwelt die Lernenden mit ihren Bedürfnissen und Vorstellungen noch stärker einzubeziehen, sei es in Form einer rezeptiven und/oder aktiv produktiven Rolle.

Bildungs- und Vermittlungsangebote Prinzipien, die der Bildungs- und Vermittlungsarbeit in Museen stets zugrunde liegen sind Publikumsorientierung und Objektbezug (DMB/BVMP 2000a, 2000b; Czech 2014a). Eine qualitätsvolle Bildungs- und Vermittlungsarbeit ist dabei stets mit den anderen vier Kernaufgaben von Museen, mit dem „jeweiligen Museum[styp], dessen Sammlung, […] [dessen] institutioneller Struktur“ (Mieth/ Walz 2010, 15) sowie mit dessen spezifischen Publikum untrennbar verbunden. Für die Entwicklung besuchendenorientierter Bildungs- und Vermittlungsangebote werden zudem oft Kenntnisse aus der pädagogischen Psychologie, der Besuchendenforschung, der Pädagogik, der Soziologie, der Kommunikationswissenschaft und anderen Bezugsdisziplinen herangezogen (Lewalter/NoschkaRoos 2018). Das Spektrum der museumspädagogischen Formate und eingesetzte Methoden ist entsprechend der unterschiedlichen Museumstypen und unterschiedlichen Zielgruppen sehr breit. Generell kann zwischen personalen und medialen Vermittlungsangeboten unterschieden werden (Hof 2003; Nuissl 2004), wobei letzteres sowohl analoge als auch digitale Medien umfasst (DMB/BVMP 2000a). Hinzu kommt eine strukturale Vermittlung, die unter anderem über „die Raumstruktur“ (Nettke 2016b, 33) erfolgt. Denn Museen beziehungsweise ihre Ausstellungen sind „mit Vermittlungsintention gestaltete [Lernstätten]“ (Dinkelaker 2018, 136) beziehungsweise „pädagogisch gestaltete Lernorte“ (Kraus 2015). Darüber hinaus konstituieren die an personalen und medialen Vermittlungsangeboten beteiligten Besucherinnen und Besucher ebenso „einen museumspädagogisch relevanten Raum“ (Nettke 2016b, 34).

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Personale Vermittlung umfasst neben ausstellungsbegleitenden Angeboten wie Führungen, Workshops, Fortbildungen (z. B. für Lehrkräfte), Konzerte, den Einsatz von Life-Speakern und Cicerone (Lewalter/Noschka-Roos 2018; Nettke 2016a; Czech 2014a) auch Outreach-Formate, die außerhalb des Museums stattfinden, sowie „handlungsorientierte und partizipative Vermittlungsformen“ (DMB/BVMP, 2000a, 46). „Führungen“ gelten als dominant ausgeprägte „Klassiker“ (IfM 2018), die insbesondere Erwachsene und Touristinnen und Touristen erreichen. Dabei lassen sich Führungen in monologische oder dialogische Führungen, Führungsgespräche oder auch Mischformen unterscheiden, je nach dem Anteil und der Rolle der teilnehmenden Besucherinnen und Besucher (Nettke 2016a; Czech 2014b). Mediale Vermittlung reicht von Fragen der Gestaltung der Ausstellung über ausstellungsintegrierte, digitale, audiovisuelle Medien und ausstellungsbegleitende didaktischen Materialien (Mergen 2016) bis hin zu Angeboten im digitalen Raum wie Tutorials, Blogs, Podcasts und Apps (Noschka-Roos/Kampschulte 2020). Zu den medialen Zugängen gehören beispielsweise Ausstellungstexte, Audioguides und Multimediaguides, Begleithefte, Videostationen und Audiostationen, Hands-on-Stationen sowie Virtual Reality- und Augmented Reality-Angebote. Mediale Angebote finden sich zudem nicht nur außerhalb des Museums im digitalen, sondern auch im analogen Raum (z. B. Museumskoffer, die ausgeliehen werden können, mobile Ausstellungen an öffentlichen Plätzen, Nettke 2016a; 2016b). Auch wenn bei medialer Vermittlung ein situatives Reagieren wie in der personalen Vermittlung […] nicht möglich [ist]. [So zeichnet sich auch hier] […] eine zunehmende Personalisierung aufgrund technologischer Entwicklungen und damit individuellere und situativere Nutzungsformen ab (Mergen 2016, 196).

Ferner werden „Social Media-Angebote mit Ausstellungsbesuchen und Formen der personalen Vermittlung verknüpft“ (Gebhardt 2016, 214), so dass es auch im digitalen Raum zur „Kommunikation, Interkation und Partizipation“ (Gebhardt 2016, 214) kommen kann. Die Grenzen von personaler und medialer (analog wie digital) Vermittlung sind folglich fließend (z. B. Online-Führungen, interaktive Webinare, Einsatz von haptischem Material in Führungen). Die Vielfalt an Angeboten führt folglich dazu, dass sich in der Lernwelt Museum Lernumgebungen für selbstständiges Lernen und Formen des mehr oder weniger angeleiteten Lernens beziehungsweise instruierten Lernens ergänzen. Entsprechend der bereits geschilderten Heterogenität erwachsener Besucherinnen und Besucher sind Museen somit in der Lage, ein jeweils passendes Angebot zu offerieren.

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Insgesamt ist eine Tendenz zur immer breiteren Ausfächerung und Entwicklung objekt- beziehungsweise besuchendenorientierter Materialien sowie Vermittlungsformen und -inhalte zu beobachten (Lewalter/Noschka-Roos 2018). Dies hängt sowohl mit der wachsenden Konkurrenz an Freizeitangeboten als auch mit dem Aufschwung bestimmter Schlüsselthemen wie Inklusion, Partizipation (Piontek 2017; Gesser et al. 2020), Digitalisierung und „social responsibility“ (DMB/NEMO 2021) zusammen, die insgesamt zur Ausdifferenzierung und Fortentwicklung der museumspädagogischen Methoden und Formate sowie zum Wandel des musealen Selbstverständnisses führen beziehungsweise beitragen (Black 2012; Barnes/McPherson 2019; Franken-Wendelstorf et al. 2019).

Ausblick Die Erwachsenenbildung an Museen umfasst gegenwärtig ein weites Feld mit je nach Museumsgattung unterschiedlichen Schwerpunkten: Sie können bei Kunstmuseen, im Sinne der ästhetischen Forschung, Projektergebnisse von Workshops in einer Ausstellung zu „positionieren“, beinhalten, in Geschichtsmuseen und Stadtmuseen, die Objektperspektive der Besucherinnen und Besucher stärker zu integrieren, in Naturkundemuseen, Bürgerinnen und Bürger im Sinne des Citizen Science für die Forschung an Museen zu engagieren: Alle Museumsfunktionen des Sammelns, Bewahrens, Forschens, Ausstellens und Vermittelns werden qualitativ neu zusammengeführt. Die Lernwelt Museum bildet eine Schnittstelle zwischen digitalen und analogen, virtuellen und realen Welten und kann diese miteinander vernetzen. Museen nehmen als Lernwelten die „gesellschaftlichen Aufgaben als Kommunikations-, Vermittlungs- und Bildungsinstitution“ (Weiß 2010, 23) wahr und lösen einen Bildungsanspruch, (Grünewald Steiger 2010) ein. Der jeweilige Wandel der Bildungsdiskussion in der Gesellschaft findet seinen Widerhall in den Museen. Die derzeitige digitale Transformation unserer Gesellschaft stellt auch Museen vor radikal neue Herausforderungen (DMB 2019). Dieser Prozess lässt wiederum markant hervortreten, wie die Bildungsaufgabe der Museen neu formuliert und den Bedingungen angepasst werden muss: Das „Betriebssystem Museum“ drängt auf Änderungen „[…] in der internen Arbeitsweise und Organisation genauso wie [...] [in der] Ansprache des Publikums und [...] [der] Vermittlung musealer Inhalte“ (Köhne 2019, 1). Dieser vom Präsidenten des Deutschen Museumsbunds konstatierte Befund für die Museen findet seine Entsprechung im gegenwärtigen dynamischen Wandel in der Berufs- wie in der Lernwelt, für die zunehmend die Bedeutung und

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Erforschung des informellen Lernens – auch mit Hilfe digitaler Medien – wächst (Rohs 2016). Aus dieser gegenwärtig dynamischen Entwicklung resultieren neue Aufgaben für die Museen in der Erwachsenenbildung. Wurde in der museologischen Diskussion bereits Partizipationsstrategien angestoßen, so werden sie gegenwärtig durch den digitalen Wandel beschleunigt (z. B. mit neuen Plattformen zum gegenseitigen Austausch). Ferner bietet der digitale Raum erweiterte und neue Möglichkeiten, Lernangebote noch gezielter auf die Lebenswelt der Lernenden orts- und zeitunabhängig auszurichten und zu individualisieren sowie sich als öffentliche Lernumgebung mit den jeweiligen Lebenswelten der Lernenden in Beziehung zu setzen. Weniger im Fokus kam im vorliegenden Beitrag die Frage nach einer Erweiterung des Bildungsauftrags beziehungsweise des Lernorts Museum in den digitalen Raum (Eschenfelder 2019; Franken-Wendelstorf et al. 2019), mit seinen jeweiligen Sammlungen und jeweils örtlichen und institutionellen Bedingungen, die künftig insbesondere auch auf spezifische digitale Strategien angewiesen sein werden. Eine solche Strategie weist über die die Bildungs- und Vermittlungsaufgabe hinaus: Sie berührt beispielsweise mit der Digitalisierung der Sammlung eine Aufgabe der Kuratorinnen und Kuratoren und gehört ebenso zu den Zuständigkeiten des Marketings. Es handelt sich also insgesamt um eine integrative Aufgabenstellung, die durch den digitalen Wandel unserer Gesellschaft – auch für die Museen – eine qualitativ neue Herausforderung darstellt – und damit auch für die Erwachsenenbildung (Henkel 2019).

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 Teil III: Konzepte und Umsetzungen

Rainer-Maria Weiss

Nicht nur Steine und Scherben Lernwelt Archäologisches Museum

Einleitung Das Archäologische Museum Hamburg kann auf eine über 120-jährige Geschichte zurückblicken. In dieser Zeit hat sich das Museum von einer Vereinssammlung über ein Heimatmuseum bis hin zu einer national und international anerkannten Fachinstitution als Archäologisches Landesmuseum der Freien und Hansestadt Hamburg entwickelt. In dieser langen Periode hat sich das Haus mehrmals räumlich verändert und erweitert, entsprechend häufig wurden die stetig wachsenden Sammlungen neu präsentiert. Obwohl das Museum nie seinen regionalen Bezug und seinen Charakter als Heimatmuseum im besten Wortsinne abgestreift hat und auch nie abstreifen wollte, war es doch schon sehr früh weit über die Landesgrenzen hinaus Impulsgeber und Vorreiter gerade im Hinblick auf moderne Präsentationstechniken und Vermittlungskonzepte. Im Besonderen gilt dies für die Museumspädagogik, die viele innovative Formate entwickelt hat, die auch heute noch zum Standardprogramm jedes Archäologiemuseums und jedes Freilichtmuseums gehören. Daraus entwickelte sich bereits früh das Selbstverständnis, sich nicht als Ort der Präsentation, der Kontemplation oder des bloßen Zeigens zu verstehen, sondern sich als Lernwelt zu begreifen. Der Begriff ist dabei wörtlich zu nehmen: Mit dem Eintritt ins Museum betritt man eine eigene Welt, die den Horizont erweitert, indem man etwas über seine eigene Vergangenheit lernt. Dass das Konzept dabei deutlich vielschichtiger ist, sollen die weiteren Ausführungen verdeutlichen. Dreh- und Angelpunkt ist dabei selbstverständlich – wie bei jedem Museum – die eigene Sammlung, die im Falle des Archäologischen Museums Hamburg über 2,5 Millionen Objekte umfasst. Dies unterscheidet ein Museum von einer bloßen Ausstellungshalle oder einem Science Center und vergleichbaren Einrichtungen. Der Vermittlungsauftrag und die Vermittlungsinhalte stellen gewissermaßen die Rahmenbedingungen dar. Für ein archäologisches Museum sind die auszustellenden authentischen Objekte der eigenen Sammlung ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal und das Fundament der Lernwelt. Zentrales Ziel der Lernwelt wird es, diese Sammlung zu zeigen, verstehbar und erlebbar zu machen. Das jeweils gewählte Vermittlungsformat führte über die Jahrzehnte https://doi.org/10.1515/9783110703054-009

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hinweg zu sehr unterschiedlichen Präsentationsformen, angefangen bei einer reinen Zurschaustellung der Sammlung um die Jahrhundertwende. Bezeichnenderweise waren die ersten Museumsdirektoren von der Gründung 1898 an bis in die späten 1980er Jahre ausnahmslos ausgebildete Lehrer, erst danach übernahmen studierte Archäologen das Ruder. Dies mag ein Grund dafür sein, dass das Museum seit jeher eine sehr stark museumspädagogisch ausgerichtete Außenwirkung hat, die nie kulturpolitisch verordnet oder programmatisch festgeschrieben worden ist, sondern verinnerlicht und gelebt worden ist und wird.

Die Dauerausstellung als Lernwelt Aus diesem gelebten Selbstverständnis heraus ist denn auch die hier näher vorzustellende Dauerausstellung des Archäologischen Museums Hamburg entstanden. In der Planungsphase gab es dementsprechend auch keine Theoriediskussionen über Leitbilder und Zielbilder oder über die Frage, ob und wie man nun Lernort oder gar Lernwelt werden oder bleiben möchte. Der Ansatz war schlichtweg ein sehr pragmatischer: Wie vermitteln wir unsere Themen, Inhalte, Geschichten und Geschichte auf eine packende, inspirierende und spielerische Weise, ohne frontal zu belehren? Von Anfang an stand fest, dass die Lernwelt Museum nicht die formalen Formen des Lernens aus der Schule aufgreifen sollte, sondern eigene informelle Methoden entwickeln muss. Diese sollten die Lernenden nicht zwingen, sich mit vorgegebenen Lerninhalten auseinanderzusetzen, sondern sie vielmehr motivieren, sich eigenständig und aktiv in der Lernwelt zu bewegen. Dabei hatten wir stets unsere Hauptzielgruppe vor Augen, nämlich Familien mit jungen Kindern. Ausdrücklich stand zudem fest, dass wir diese Ausstellung nicht für das kritische Auge unserer eigenen Fachkollegenschaft konzipieren würden. So haben wir nach mehrjähriger Planungs- und Bauphase die neue Dauerausstellung im Herbst 2009 eröffnet, die völlig neu konzipiert und stark szenografisch ausgerichtet bis heute unter dem Motto Entdecken – Erleben – Verstehen beim Publikum großen Anklang findet. Für die künstlerische Umsetzung haben wir eng mit der Firma Ravensburger Freizeit- und Promotion-Service zusammengearbeitet. Ravensburger ist seit 135 Jahren als Spiele- und Buchverlag weltweit bekannt und gestaltete seit 20 Jahren auch Erlebniswelten mit besonderem Qualitätsanspruch. Genau das wollten wir im Archäologischen Museum Hamburg realisieren: eine archäologische Erlebniswelt, ohne wissenschaftlich erhobenen Zeigefinger, eine spielerische Lernwelt.

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Auf einer Ausstellungsfläche von über 1.300 qm begeben sich die Besucherinnen und Besucher auf eine spannende Entdeckungsreise durch 40.000 Jahre Menschheitsgeschichte und werden zu Spurensucherinnen und Spurensuchern kultureller Entwicklung. Sie bewegen sich durch hügelige Steinlandschaften, machen Fundplätze ausfindig und entdecken archäologische Exponate – immer der Frage folgend: Woher kommen wir und wohin entwickeln wir uns?

Der Rundgang Der Rundgang erstreckt sich über zwei Etagen, verteilt auf das Erdgeschoss mit 600 Quadratmetern und das Obergeschoss mit 700 Quadratmetern, und ist in sechs Themenschwerpunkte gegliedert: Nahrung, Werkstoff, Innovation, Gewalt, Tod, Mobilität. Diese Themen stehen in einer ständigen Wechselbeziehung zueinander und sind gestalterisch auch stockwerkübergreifend eng verzahnt, worauf noch einzugehen ist. Eines der entscheidenden Leitmotive des Konzepts ist das Prinzip, die Besucherinnen und Besucher „in der Gegenwart abzuholen“ und sie wiederholt in die Vergangenheit und zurück in die Gegenwart zu führen. Die Archäologie schlägt damit eine Brücke zwischen den Epochen. Diese Brücke ist auch räumlich erfahrbar: Man bewegt sich vom dunkel inszenierten Erdgeschoss, wo die älteren Epochen der Vergangenheit dominieren, in das immer heller werdende Obergeschoss, wo sich die Geschichte bis zur Gegenwart und in eine mögliche Zukunft fortsetzt. Durch große runde Sichtfenster in der Zwischendecke kann zudem jederzeit ein direkter Blickbezug zwischen Vergangenheit (Erdgeschoss) und Gegenwart (Obergeschoss) hergestellt werden. Ein ganz entscheidendes Motiv für die Neukonzeption, das sich als roter Faden konsequent durchzieht, war der Wunsch nach permanenter Interaktion mit den Besucherinnen und Besuchern, das dauernde Einbeziehen, die abwechslungsreiche Ansprache und das Wecken des Bewusstseins, dass das Ausgestellte für die eigene Gegenwart und für unser aller Zukunft von großer Relevanz ist. Jahrzehntelang bestanden demgegenüber die Ausstellungskonzepte und Inszenierungen – sofern dieser Begriff für reine Vitrinenpräsentationen überhaupt zu verwenden ist – aus der schlichten Zurschaustellung archäologischer Funde, bestenfalls ergänzt um zeichnerische Rekonstruktionen. Aus wissenschaftlicher Sicht sind die Exponate zweifelsohne alle von herausragender Bedeutung. Versetzt man sich allerdings in die Rolle der Museumsbesucherinnen und -besucher – noch dazu der unfreiwilligen: Schulklassen oder Kinder und Jugendliche, die nur ihre Eltern begleiten (müssen) – so muss man sich als Ausstellungsmacherin oder -macher der Realität stellen und die Attraktivität und

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innewohnende Aussagekraft prähistorischer Exponate per se kritisch und nüchtern in Frage stellen. Aus dieser Distanz betrachtet wird man selbst als Archäologe eingestehen müssen, dass die gezeigten Objekte überwiegend kleinteilig sind, ihre Erhaltung oftmals nur fragmentarisch ist und sich die optische oder gar künstlerische Attraktivität doch in sehr engen Bahnen bewegt. All dies schaffte und schafft in archäologischen Museen eine schwer überbrückbare Distanz zwischen Betrachterinnen sowie Betrachtern und Exponat, was dazu führt, dass Besucherinnen und Besucher mit verschränkten Armen und zunehmendem Desinteresse eine schier endlose Reihung einheitlicher Glassturzvitrinen abschreiten, deren Inhalt dem Jetzt weit entrückt ist und deren Relevanz für das eigene Dasein sich in keiner Weise erschließt, auch nicht durch weitschweifige Objekttexte. Aus diesen Erfahrungen heraus hat es sich das Ausstellungsteam zum Ziel gesetzt, einen konsequent neuen Weg zu beschreiten und die künftige Ausstellung nicht mehr „belehrend“ aus Sicht der Fachwissenschaft zu konzipieren, sondern ausschließlich die Perspektive der Besucherinnen und Besucher einzunehmen. So entstand eine Lernwelt im wörtlichen Sinne: Die Ausstellungsräume wurden szenografisch als in sich geschlossene Erlebniswelten konzipiert, in die die Besucherinnen und Besucher vom ersten Schritt an eintauchen. In diesen kleinen „Welten“, auf die im Folgenden näher einzugehen ist, findet bildlich gesprochen kein Frontalunterricht alter Schule mehr statt, sondern den Besucherinnen und Besuchern wird das Angebot unterbreitet, selbst auf Entdeckungstour zu gehen, gemäß dem neu entwickelten Leitsatz „Entdecken – Erleben – Verstehen“. Das Archäologische Museum stellte sich also der Herausforderung, die eigene Sammlung zwar auch weiterhin zum zentralen Gegenstand des Lernens zu erklären, sich aber zugleich einzugestehen, dass die Ausstellungsgegenstände allein keine Verbindung zur Lebenswelt der Lernenden herzustellen vermögen. Erst die Inszenierung der Lernwelt konnte diese Verknüpfung überhaupt schaffen, so dass die Lernwelt das Scharnier zwischen musealem Raum und der realen Lebenswelt des Publikums bildet. Der Ausstellungsrundgang beginnt mit dem Durchschreiten einer inszenierten Gletscherspalte, die aus 25.000 Eiswürfelformern besteht. Bereits diese erste Inszenierung spiegelt das grundsätzliche Gestaltungsprinzip wider: Angestrebt wird nicht die möglichst wirklichkeitsgetreue Nachbildung prähistorischer Lebenswelten, sondern augenzwinkernd mit vertrauten Gegenständen des täglichen Lebens die Brücke in die Vergangenheit zu schlagen. Den Eiswürfelformer aus flexiblem Kunststoff kennt jeder aus seiner eigenen Gefriertruhe, aus seiner eigenen Lebenswelt. In Massen zu einer raumhohen Gletscherspalte geformt und kaltblau transluzid hinterleuchtet, löst dieser Alltagsgegenstand unmittelbar das Gefühl von „Kälte“ aus, und zwar ohne die realitätsnahe Imitation von

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Eismassen. Emotionale Aspekte wurden in der Gestaltung der Ausstellung ganz bewusst eingesetzt, da emotionale Brücken viel intensivere Wahrnehmungen ermöglichen und dadurch ein weiteres Mal die Distanz zwischen der präsentierten „toten“ Materie und den Besucherinnen und Besuchern verringert werden kann. Mit dieser Eingangsinszenierung wird die Entstehung der heutigen Landschaft an der Niederelbe erklärt. Der Gletscher als landschaftsprägendes Element steht gestalterisch und thematisch im Mittelpunkt. Danach öffnet sich im Erdgeschoss eine lichttechnisch eher dunkel gehaltene Naturlandschaft, die durch sanfte Hügel und zahlreiche echte Findlinge dominiert wird, in die die einzelnen Themen-Inszenierungen und Vitrinen harmonisch eingebunden sind. Der dann folgende Parcours verlässt bewusst gewohnte Pfade der Inszenierung archäologischer Dauerausstellungen, die fast durchweg einem strikten chronologischen Faden von der Menschwerdung oder zumindest von der Altsteinzeit bis in die Neuzeit folgen. Dieser Schritt ist sehr intensiv diskutiert worden, bietet doch ein chronologischer Rundgang der Ausstellungsmacherin oder dem Ausstellungsmacher ein großes Maß an Sicherheit und das Vertrauen auf verlässliche Aussagen, Inhalte, Objekte und Lernstoffe. Letztlich war genau dies der Grund, warum wir uns gegen das Hergebrachte und für eine thematische Gliederung entschieden haben. Wir wollten nicht Gefahr laufen, zum wiederholten Male die Geschichte vom Urknall bis zum Westwall anhand der immer gleichen Exponate zu erzählen. Zudem waren wir überzeugt, dass die chronologische Gliederung genau diese Distanz zwischen den Besucherinnen sowie Besuchern und der Ausstellung schaffen würde, die wir doch durchbrechen wollten, da sie Vergangenes thematisieren würde, das den Besucherinnen und Besuchern möglicherweise zu fern ist. Verschärft worden wäre dieser Konflikt durch die Tatsache, dass die dingliche Überlieferung im Niederelberaum nicht für alle Epochen der Vorgeschichte gleichermaßen gut ist. So fällt die Altsteinzeit im Fundmaterial naturbedingt, bis auf ihren allerjüngsten Abschnitt, aufgrund der Vergletscherung der Landschaft weitgehend aus, während andere Epochen, wie etwa die Jungsteinzeit, aufgrund der hier verbreiteten und früh archäologisch ausgebeuteten Megalithgräber überrepräsentiert wären, andere wiederum aufgrund der erhaltungsfeindlichen Brandgrabsitte oder tatsächlich geringer Besiedlungsdichte nur schwerlich vollumfänglich darstellbar wären. So herrschte sehr schnell Einigkeit, den Rundgang nicht chronologisch, sondern thematisch zu gliedern. Die Schwerpunkte wurden dabei so gesetzt, dass sie einerseits den Gegebenheiten, Vorzügen und Einschränkungen der museumseigenen Sammlung gerecht werden, dass sie aber vor allem von großer Relevanz für die heutige Gesellschaft sind. Kurz gesagt: Die wichtigsten Sammlungsbestände sollten nun die spannendsten Geschichten erzählen. Die

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inhaltliche Struktur der Lernwelt ergab sich letztlich also sowohl aus der Zusammensetzung der Sammlung als auch aus der Lebenswelt der Lernenden heraus. Auch von daher lässt sich die entstandene Lernwelt als Scharnier zwischen musealem Raum und der Lebenswelt der Besuchenden verstehen. Im Mittelpunkt aller Ausstellungsthemen stehen der Mensch, seine Umwelt und seine Kultur. Immer wieder wird deutlich gemacht, wie kulturgeschichtliche Abläufe von den Anfängen der Menschheit bis in die Gegenwart miteinander verbunden sind. Die Ausstellung stellt diese Zusammenhänge in den Mittelpunkt und löst sich damit von strikt chronologischen Konzeptionen.

Die Themenkomplexe Die fünf Themenkomplexe Werkstoff, Innovation, Gewalt, Tod und Mobilität gruppieren sich rund um die große zentrale Themeninsel Nahrung. Schließlich stellt die Nahrungssuche ein elementares Grundbedürfnis des frühen Menschen dar, nicht anders als Ernährung heute. Wie ist der Mensch an seine Nahrung gekommen? Wie und wodurch hat sich die „Speisekarte“ im Laufe der Zeit verändert? Einschneidend ist der Umbruch von der Jagd zur Sesshaftwerdung mit Ackerbau und Viehzucht. Erst hier begann die planmäßige Produktion von Nahrungsmitteln. Die neue sesshafte Lebensweise führte letztlich auch zu einem veränderten Verhältnis zum Besitz. Gleichzeitig begann der Mensch durch den Feld- und Siedlungsbau, die Naturlandschaft grundlegend zu verändern und zur Kulturlandschaft umzuformen. Anhand der Hinterlassenschaften aus Siedlungen erstellen Archäologinnen und Archäologen ein Lebensbild ihrer einstigen Bewohnerinnen und Bewohner. Eine wertvolle archäologische Quelle dafür bilden die Überreste aus den Abfallgruben. Ein Blick in die prähistorischen Mülltonnen zeigt, dass sich im Abfall auch unsere Kultur- und Zivilisationsgeschichte spiegelt. Müll wirft unter anderem ein Licht auf die jeweiligen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse und die Nahrungsgewohnheiten. Die Brücke in die Lebenswelt der Lernenden schlagen spielerisch zu Vitrinen umgebaute Mülltonnen. Der Inhalt eines Gelben Sacks, bereitgestellt in einer versenkten Mülltonne, kann durch die Besucherinnen und Besucher auf dem Boden ausgebreitet und unter archäologischen Gesichtspunkten ausgewertet werden: Was verrät der Abfall über seinen heutigen Produzenten? Entdecken – Erleben – Verstehen: Erneut werden die Besucherinnen und Besucher zu Archäologinnen und Archäologen und erkennen die engen Parallelen zwischen damals und heute, und zwar spielerisch, ohne erhobenen Zeigefinger. Selbst auf dem Deckel der Mülltonne gibt es keine Anleitung oder Aufforderung, vielmehr darf und sollen die Besucherinnen und Besu-

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cher in der Ausstellung selbst entdecken und forschen. Auf eine strenge Formalisierung des Lernens wird soweit wie möglich verzichtet, um dem eigenmotivierten Lernen und selbstbestimmten Lernen des Publikums möglichst keine Schranken zu setzen.

Werkstoff Unter der Fragestellung, was der Mensch aus den in der Natur vorhandenen Ressourcen macht, stehen bei der zweiten Themeninsel die Rohstoffe im Mittelpunkt, die vom Menschen genutzt werden. Neben Stein, Bronze und Eisen wurden in großem Umfang auch organische Rohstoffe wie Holz, Knochen und Geweih verwertet. Da sich organische Materialien aber nur unter besonderen Lagerungsbedingungen im Boden erhalten haben, sind sie nur in seltenen Ausnahmefällen überliefert. Unter dem Thema Werkstoff zusammengefasst, werden diese Rohstoffe vorgestellt und ihre Herstellung und Bearbeitung erläutert. Typologische Reihen zeigen die Entwicklungsgeschichte von Werkzeugen aus Stein, Bronze und Eisen auf. Besonders instruktiv ist erneut der Bezug zur Gegenwart dort, wo sich diese Entwicklungen aus der Vorgeschichte bis heute fortsetzen lassen, etwa bei einer Reihe von Äxten, die bei einer steinzeitlichen Flintaxt beginnt und bei einem bekannten Baumarktprodukt endet. Wiederum – das zeigt die Erfahrung bei geführten Rundgängen – sind es die vertrauten Gegenstände, die unterschwellig das Interesse für ihre Vorläufer und damit für die zugehörigen Lebensumstände in der jeweiligen vorgeschichtlichen Epoche wecken. Lernen erfolgt auch hier spielerisch und nachhaltig, da der Bezug zum eigenen gegenwärtigen Leben hergestellt wird.

Innovation Über die Fragestellung, was der frühe Mensch mit den ihm zur Verfügung stehenden Rohstoffen angefangen hat, ergibt sich die direkte Überleitung zur nun folgenden Themeninsel Innovation. Dargestellt werden einige Meilensteine menschlichen Erfindungsgeistes, allen voran das Element Feuer, denn fast alle Neuerungen gehen letztlich auf die Beherrschung des Feuers zurück. Dem trägt die Inszenierung Rechnung: Ein hier positionierter Gebäudepfeiler wurde zu einem raumhohen Streichholz umgestaltet, und in der Mitte der Themeninsel lodern künstliche Feuer auf den Bildschirmen zahlreicher zu einem Lagerfeuer aufgehäufter Fernsehgeräte, umgeben von einem Kranz aus Sitzsteinen. Wo sich in der Vorgeschichte die Gemeinschaft traf, um Geschichten zu erzählen,

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Wissen weiterzugeben und sich zu wärmen, trifft sich die individualisierte Familie heute bestenfalls noch vor dem Fernsehgerät. Auch diese Inszenierung – das zeigt die Erfahrung – wird intuitiv verstanden und erfreut sich großer Beliebtheit. Besuchsgruppen lassen sich dort nieder, Schulklassen setzen sich im Kreis um das „Lagerfeuer“ und diskutieren. Mitten in der Ausstellung, innerhalb der harmonischen Inszenierung, also nicht in einem separaten Raum oder einer losgelösten Aktionsfläche. Diese Geschlossenheit der gesamten Inszenierung, die dazu führt, dass man vollständig mit dem Durchschreiten der Gletscherspalte in eine Lernwelt eintaucht, die nicht mehr unterbrochen wird, ist sicher ein Schlüssel zum Erfolg unseres Museums. Die Lernwelt schafft in ihrer Gestaltung ein immersives Lernerlebnis, das den Lernenden spielerisch aus seiner Lebenswelt heraus hin zu den Ausstellungsgegenständen der Sammlung und den zentralen Themen der Archäologie führt. Ton war das erste Material, das der Mensch mit Hilfe von Feuer in einen neuen Zustand transformierte, um so Gegenstände aus Keramik herzustellen. Mit Hilfe des Feuers lernte der Mensch Metalle zu schmelzen und entwickelte den Bronzeguss und die Eisenverhüttung. Durch diese technischen Innovationen veränderte sich die menschliche Gesellschaft grundlegend. Seit der frühen Bronzezeit entwickelten sich in der Folge der Metalltechnologie hoch spezialisierte handwerkliche Berufe. Die durch die Metallverarbeitung bedingte Arbeitsteilung hatte auch eine soziale Differenzierung zur Folge. Der europaweite Handel expandierte. Neue Rohstoffquellen wurden erschlossen und ausgebeutet. Dies hatte Auswirkungen auf die Umwelt: Wälder verschwanden, durch den Menschen überprägte Landschaften entstanden. Der Brückenschlag in die Gegenwart ist hier leicht zu vollziehen: Wie damals, so führt auch heute der Kontrollanspruch über die Rohstoffzugänge und das Handels- und Herstellungsmonopol zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Grundsätzliche Mechanismen des globalen menschlichen Miteinanders werden verdeutlicht und verständlich, indem sie aus dem täglichen Nachrichtengeschehen in die Vorgeschichte verlängert werden. Ein wesentlicher Lehrsatz der Archäologie findet wiederholt seine Berechtigung: Aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen – in der Lernwelt Museum.

Gewalt Der nun folgende Themenbereich Gewalt beschäftigt sich mit den Fragestellungen, seit wann es nachweislich Gewalt zwischen Gruppen gibt, seit wann sich Menschen vorsätzlich töten und wie sich Gewalt im Wandel der Zeit in archäologischen Funden widerspiegelt. Innerhalb dieses Kapitels werden auch die für

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die Geschichte der Elbregion wichtigen Beziehungen zwischen Römern und Germanen beleuchtet. Eine Vielzahl unterschiedlicher wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Begegnungen kennzeichnen die Beziehungen zwischen dem Römischen Reich und seinen germanischen Nachbarn, die sowohl Gegner als auch Verbündete waren. Auch hier schwingt natürlich die Frage nach modernen Parallelen bei Mauerbauten, Grenzkonflikten und Handelskriegen mit.

Tod Die Überleitung vom Themenbereich Gewalt zum Thema Tod fällt nicht schwer, wobei auf der Hand liegt, dass Tod und Totenbrauchtum eine der wichtigsten archäologischen Fund- und Erkenntnisquellen sind. Grabfunde vermitteln vertiefte Einblicke in den Umgang des Menschen mit dem Tod, über seine Jenseitsvorstellungen und die Wertschätzung des Toten. Der Wandel der Grab- und Bestattungsformen belegt kulturelle Entwicklungen. Der Aufwand beim Bau eines Grabes, die Anzahl und Qualität der Beigaben vermitteln bei allen Kulturen Informationen über den sozialen Status der Bestatteten. Unter Berücksichtigung der regionaltypischen Grabsitten lassen sich so Grundzüge einer sozialen Struktur erfassen. Hortfunde geben ebenfalls Hinweise auf eine sozial differenzierte Gesellschaft, denn neben Depots mit einfachen Gerätschaften gelangten auch kostbare Schätze in den Boden. Die Opferung und Deponierung wertvoller Gegenstände sind neben den Bestattungssitten ein Nachweis unterschiedlicher Glaubensvorstellungen. Die religiöse Gedankenwelt der Menschen bestimmte diese Handlungen, damals wie heute. Die spektakuläre Inszenierung eines die Decke vom Erdgeschoss zum Obergeschoss durchbrechenden Leichenwagens regt zum Vergleich mit heutigen Bestattungsritualen an, während andere Funde und Befunde aufzeigen, wie eng Glauben und Aberglauben beieinanderliegen. Ist die über die Schulter in einen Brunnen geworfene Münze wirklich etwas anderes als das bronzezeitliche Mooropfer?

Mobilität Die letzte Inszenierung ist dem Thema Mobilität gewidmet, was sicher auch dem Selbstverständnis Hamburgs als Handelsmetropole und selbst ernanntes Tor zur Welt geschuldet ist. Die globale Flüchtlingsthematik ließ gerade dieses Thema in den letzten Jahren unerwartet aktuell werden. Treibende Kraft für Wanderungsbewegungen ist seit jeher der Wunsch nach besseren Lebensbedin-

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gungen. Am Beispiel der Langobarden, deren Weg von der Nordsee bis ans Mittelmeer führte, werden Migration und Völkerwanderung erklärt. Auch Krieg und Vertreibung zwangen die Menschen zur Mobilität. Weltweit bewegt der Handel Menschen und Dinge. Handel fand in der Vorgeschichte in erster Linie als Güteraustausch zwischen benachbarten Regionen statt. Dabei wurden nicht nur materielle Werte vermittelt. Die Verbreitung ausgefeilter Handwerkstechniken, bestimmter religiöser Bräuche, Ideen und Wertvorstellungen zeigt, dass im europäischen Raum ein intensiver kultureller Austausch stattfand und Mobilität und Migration die Triebfedern kultureller Weiterentwicklung sind. Aha-Erlebnisse gerade bei Hamburger Schulklassen mit einem hohen Migrationsanteil sind bei diesem Themenbereich geradezu vorprogrammiert und vermitteln wertvolle und nachhaltige Erkenntnisse.

Die thematischen Verknüpfungen Der Ausstellungsrundgang setzt sich nun im Obergeschoss fort. Der besondere Clou ist allerdings, dass sich hier nicht einfach weitere Themenbereiche zusätzlich anschließen, sondern sich exakt die Abfolge wiederholt, die zuvor im Erdgeschoss erkundet worden ist. Die Wiederholung geht sogar so weit, dass die einzelnen Inszenierungen räumlich genau über denen des Erdgeschosses liegen, so dass die dort jeweils befindlichen Tragpfeiler des Gebäudes einen inszenatorischen Anker bilden und jede einzelne der Stationen durch ein großes rundes Bodenfenster mit der Inszenierung im Erdgeschoss auch optisch verbunden ist. Diese Sichtverbindung hat bereits im Erdgeschoss die Neugier auf den weiteren Parcours geweckt, während sie im Obergeschoss eine Rückbesinnung und ein nochmaliges Verinnerlichen der Lerninhalte aus dem Erdgeschoss ermöglicht. Den ca. 1,50 m großen kreisrunden Fenstern ist allein deshalb schon die volle Aufmerksamkeit gewiss, weil ihr Betreten oder Überschreiten einigen Mut erfordert, ist man sich doch der Tragfähigkeit der Glasscheibe nicht wirklich sicher. So werden die Zeitfenster keinesfalls übersehen, sondern funktionieren vom ersten Tag an als Brücke zu soeben vermittelten Museumsinhalten. Die Lichtchoreografie, von der international renommierten Lichtplanerin Ulrike Brandi entworfen, führt die Besucherinnen und Besucher aus dem Dunkel der Vergangenheit – das Erdgeschoss ist sehr zurückhaltend illuminiert – in die immer heller werdende Gegenwart. Das lichtdurchflutete Obergeschoss ist als künstlich geordnete Landschaft inszeniert, von Menschenhand komplett überformt und naturentfremdet. Die ausgestellte originale Baggerschaufel verweist auf die moderne Form der Landschaftsveränderung. Im Gegensatz zum Glet-

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scher im Untergeschoss ist es nun die eingreifende Hand des Menschen, der die Landschaft gestaltet.

Nahrung Erneut steht im Zentrum die Themeninsel Nahrung. Schon in der Jungsteinzeit begann mit dem Ackerbau und der Viehzucht der sesshaften Bäuerinnen und Bauern die gezielte Nahrungsproduktion. Aus dieser Selbstversorgung ist im Laufe der Zeit eine Überproduktion geworden. Darüber hinaus hat sich unser Verhältnis zum Essen grundsätzlich gewandelt: Für die heutige Generation kommt das Fleisch aus der Konservendose oder aus dem Kühlschrank, so wie der Strom eben aus der Steckdose kommt – wie es eigentlich hergestellt wird, ist den Verbraucherinnen und Verbrauchern kaum mehr bewusst.

Werkstoff Im Gegensatz zum Erdgeschoss, wo in der Themeninsel Werkstoff die Verarbeitung und Nutzung natürlich vorhandener Materialien im Mittelpunkt steht, geht es im Obergeschoss nun um künstlich hergestellte Materialien. Den Besucherinnen und Besuchern wird vermittelt, dass wir in der „Plastikzeit“ leben. Gegenstände werden einander gegenübergestellt, deren Form und Funktion sich über die Zeit kaum verändert haben, nur bestehen sie heute aus Kunststoff.

Innovation Stehen im Erdgeschoss als Innovation die Beherrschung des Feuers und die damit einhergehende technische Entwicklung im Fokus, sehen sich die Besucherinnen und Besucher nun einer Welt gegenüber, in der echtes Feuer weitgehend unsichtbar geworden ist. Durch die Verwandlung des Feuers in Elektrizität kann heute mühelos eine ganze Stadt erwärmt und erhellt werden, gestalterisch versinnbildlicht durch einen Strommast mit summenden Kabelleitungen.

Gewalt Beim Thema Gewalt steht im Obergeschoss der Zweite Weltkrieg im Mittelpunkt. Spuren der Bombardements finden sich bis heute in Hamburgs Boden. Drei Be-

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tonpfosten mit Stacheldraht verweisen auf eines der dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte: die Vernichtungslager. Die Präsentation bezieht sich auf Ausgrabungen, die das Archäologische Museum Hamburg auf dem Gelände des ehemaligen KZ Neuengamme durchgeführt hat – auch die Beschäftigung mit Relikten der jüngsten Vergangenheit gehört zur modernen Archäologie. Staatliche Gewalt versinnbildlicht auch die mittelalterliche Richtstätte von Salzhausen: Die abgetrennten und beigelegten Köpfe der Hingerichteten erzählen deren Schicksal: Vollstreckung des Todesurteils durch Enthauptung. Nebenbei lassen sich hier vortrefflich moderne Vampirmythen entschlüsseln, was stets die ungeteilte Aufmerksamkeit gerade der jungen Besucherinnen und Besucher findet. Gerade dieser Bereich bedeutet für ein Museum eine Gratwanderung zwischen sehr ernster Geschichtsvermittlung und sich einstellendem Gruseleffekt. Unsere Erfahrungen zeigen, dass der sehr ungewöhnliche Angang an das Thema Konzentrationslager – nämlich aus der Perspektive der archäologischen Denkmalpflege – Berührungsängste nimmt, Interesse weckt und andernorts Gelerntes aktiviert. Auch hier funktioniert die Lernwelt Archäologisches Museum Hamburg gerade durch das in sich schlüssige Gesamtgestaltungskonzept, das auch schwierige Themen harmonisch einbindet.

Tod Der Wechsel vom heidnischen zum christlichen Glauben schlägt sich in den veränderten Bestattungspraktiken nieder und prägt unseren Umgang mit dem Thema Tod bis in die Gegenwart. Eine heutige Grablege verheißt im Gegensatz zum prähistorischen Grabhügel keine Ruhe mehr bis in die Ewigkeit – die letzte Ruhestätte ist zur Recyclingware geworden, versinnbildlicht durch einen raumhohen gelben Sack, aus dem Holzkreuze als Einwegartikel für die Grabpflege purzeln. Eine als überdimensionierter Stempel gestaltete Vitrine verweist darauf, dass die Missionierung nicht friedlich vonstattenging – das Christentum wurde den Menschen im 8. und 9. Jahrhundert gegen deren Willen „aufgedrückt“. Noch heute begleitet uns dieser Stempel von der Geburts- bis zur Sterbeurkunde, ein leicht verständlicher Brückenschlag zwischen den Epochen.

Mobilität Abgeschlossen wird der Rundgang durch das Obergeschoss im Themenbereich Mobilität mit der Frage, welche Veränderungen sich im Laufe der Zeit hinsichtlich der Infrastruktur, des Handels-, Personen- und Warentransports feststellen

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lassen. Welche archäologischen Spuren würden moderne Mobilität und Migration hinterlassen? Wie fand Kommunikation in der Vergangenheit statt und wie hat diese sich bis heute verändert? Zum Zeitpunkt der Neueröffnung der Dauerausstellung war übrigens das Smartphone in jedermanns Hosentasche noch keine Selbstverständlichkeit, doch wurde das Thema auch da schon spielerisch verstanden.

Die Sonderthemen An diesen über zwei Ausstellungsetagen hinweg eng und vielfach miteinander verzahnten Rundgang schließen sich zuletzt drei Sonderthemen an.

Bodendenkmalpflege Die vielfältigen Aufgaben der Bodendenkmalpflege in einer Großstadt sind ein wichtiges Thema, da am Archäologischen Museum Hamburg die Archäologische Denkmalpflege der Freien und Hansestadt Hamburg angesiedelt ist. Behandelt werden die gesetzlichen Grundlagen und die Organisation der Bodendenkmalpflege. Unter dem Motto „Vom Bauantrag zur archäologischen Ausgrabung“ wird ein Einblick in den Alltag der Bodendenkmalpflege ermöglicht. Verdeutlicht wird, dass die Arbeit von Archäologinnen und Archäologen in der Bodendenkmalpflege nichts mit der medial vermittelten Ausgrabungsromantik zu tun hat. Der lebensechte Baucontainer als mobiles Grabungsbüro veranschaulicht dies greifbar.

Sammeln und Bewahren Eine der Hauptaufgaben eines Museums ist das Sammeln und Bewahren für künftige Generationen. Dafür steht ein raumhoher begehbarer Archivkarton, in dem das museumseigene Depot mit über 2,5 Millionen Fundstücken thematisiert wird. Mit dieser Inszenierung, die wiederum aus der Lebenswelt entspringt, verbinden wir die oftmals mit großer Überraschung aufgenommene Feststellung, dass die Kernkompetenz eines Museums keineswegs die stetige Durchführung von Sonderausstellungen ist, sondern dass ein Museum im Prinzip ein Depot mit angeschlossenem Ausstellungsraum ist. Auch ein wichtiger Lerneffekt in der Lernwelt Museum.

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Hamburg archäologisch Das Ausstellungsthema Hamburg archäologisch bildet mit großer Geste den Abschluss der Ausstellung. Die großflächig angelegte Inszenierung spielt auf einem 200 qm großen begehbaren Nahverkehrsplan von Hamburg. Darauf werden archäologische Fundstücke aus dem ganzen Hamburger Stadtgebiet präsentiert. So wie sich Hamburgerinnen und Hamburger sowie auswärtige Gäste im öffentlichen Nahverkehr von Ort zu Ort bewegen, können sich die Ausstellungsbesucherinnen und -besucher anhand des HVV-Planes von einem bedeutenden archäologischen Fundplatz zum nächsten bewegen. Die Exponate sind den jeweiligen Haltestellen in Fundplatznähe zugeordnet. Durch Betätigen des Stop-Knopfes an der Haltestange wird eine Ansage aktiviert, die über das ausgestellte Exponat informiert. Diese Inszenierung gehört zu den beliebtesten der Ausstellung, weil sie intuitiv verstanden und genutzt wird. Jede Besucherin und jeder Besucher kennt den vertrauten HVV-Plan, und erfahrungsgemäß beginnt sofort die Suche nach bestimmten Orten, meist dem Wohnort oder bei Hamburg-Gästen nach dem Standort der Hotelunterkunft. Die unterschwellig dosierte Hauptbotschaft dieser Installation wird spielerisch verinnerlicht: Überall in Hamburgs Boden sind Spuren der eigenen Vergangenheit erhalten. Für diese Botschaft hat es in Bauämtern und bei Investoren jahrzehntelanger Überzeugungsarbeit bedurft, während die großen und kleinen Museumsbesucherinnen und -besucher sie unmittelbar begreifen. Der Ausstellungsrundgang führt die Besucherinnen und Besucher von der dunklen Gletscherspalte im Eingangsbereich durch die Jahrtausende bis zur immer heller inszenierten Gegenwart im Obergeschoss. Diese Lichtchoreografie kulminiert im grellen Tageslichteinfall der großen Außenfenster in der Museumsfassade. Durch den Blick nach außen werden die Besucherinnen und Besucher final in die Gegenwart geführt und blicken aus dem Obergeschoss am Ende des Rundganges auf das belebte Treiben am Harburger Rathausplatz, das so zu einem Teil der Gesamtinszenierung wird. Das Hier und Jetzt gibt sich als stets nur temporärer Endpunkt einer Entwicklung zu erkennen, die Jahrtausende zurückreicht. Wir stehen somit nicht über dieser Menschheitsgeschichte, auf die wir auch nicht distanziert blicken können, sondern müssen uns vergegenwärtigen, dass wir lediglich ein winziger Teil von ihr sind, dass es eine Zeit vor uns gab und eine Zeit nach uns geben wird.

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Das Archaeologicum Zusätzlich zu dieser Lern- und Erlebniswelt haben wir im Erdgeschoss auf ca. 230 qm noch separat das Archaeologicum eingerichtet, wo in drei Räumen die vielfältigen museumspädagogischen Aktivitäten stattfinden. Für gewöhnlich stellen in den Museen diese Aktionsräume den Höhepunkt des Museumsbesuches zumindest für die jungen Besucherinnen und Besucher dar, nachdem der eigentliche Museumsrundgang als Pflichtprogramm absolviert worden ist. Die Erfahrungen an unserem Haus sind dagegen ganz anders. Die eigentliche Erlebniswelt ist die Dauerausstellung, in der man vieles entdecken und ausprobieren kann, wo man auch den Bewegungsdrang stillen kann, indem man die eiszeitlichen Findlinge erklettern darf oder sich über gläserne Fußbodenfenster gehen traut. Das Archaeologicum bietet im Anschluss die Ergänzung oder auch Vertiefung, vor allem aber sind dort sämtliche praktische museumspädagogische Aktivitäten möglich, vom Pfeil- und Bogenschießen über Flintschlagen bis zum Töpfern und Lederschneiden. Besonderer Beliebtheit erfreut sich das Mitmachprogramm zur Höhlenmalerei in einer großen, lebensecht nachempfundenen Höhle. Im Archaeologicum setzt sich der interaktive Schwerpunkt des Lernens fort, wird aber nun in der Spezialisierung auf Gruppen deutlich mehr formalisiert als in der für den Individualbesuch konzipierten Dauerausstellung. Dabei gleicht die räumliche Gestaltung des Archaeologicums keineswegs den vielerorts üblichen Klassen- und Workshopräumen, sondern ist mit der wirklichkeitsgetreuen eiszeitlichen Höhle selbst wieder eine eigenständige Lernwelt. Sie versteht sich bewusst als Ergänzung und Erweiterung der Lernwelt der Dauerausstellung für Besuchendengruppen und ergänzt das Angebot des Museums um einen ganz unverzichtbaren und elementaren Baustein.

Fazit Wie misst man nun den Erfolg einer Dauerausstellung und eines Museums als Lernwelt? Besuchendebefragungen und Interviews mit Lehrerinnen und Lehrern wären sicher die eine Möglichkeit, die auch am Archäologischen Museum Hamburg hin und wieder genutzt wurde. Viel mehr Bedeutung messen wir jedoch dem unmittelbaren Besuchsverhalten und den spontanen Reaktionen bei, die unsere Museumsguides, aber auch das Kassenpersonal ungefiltert einfangen. Zusammenfassend und mit der Erfahrung inzwischen eines ganzen Jahrzehnts fühlen wir uns bislang durchweg darin bestätigt, dass wir mit der Gestal-

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tung dieser Ausstellung den richtigen Weg beschritten haben. Man muss keine Meinungsforschung betreiben und auch wahrnehmungspsychologisch nicht gesondert ausgebildet sein, um an einem normalen Besuchstag das Besuchsverhalten und die im Raum schwebende Stimmung zu erfassen. Andächtige Stille, ehrfurchtsvolle Kontemplation oder – schlimmstenfalls – lautstarkes Desinteresse herrschen in unserer Lernwelt nie. Jenseits aller akademischen Empirie sind es spontane Rückmeldungen von Eltern, Lehrerinnen und Lehrern, die mit ihren Kindern das Museum bisweilen erstmals seit den eigenen Kindheitstagen wieder besuchen und begeistert ausrufen: „So hätte ich mir den Museumsbesuch damals auch gewünscht!“.

Dirk Zache

„Wir nennen es Forum…“ Lernwelt Industriemuseum

Einleitung Seit rund vierzig Jahren gibt es sie nun: Industriemuseen. Verglichen mit anderen Institutionen relativ jung, irgendwo angesiedelt zwischen Freilicht-, Geschichts- oder Technikmuseen. Manchmal auch Kunstmuseum. Immer Erinnerungsort und oft auch Event-Ort. Schon die Vielfalt möglicher Zuordnungen lässt ahnen, dass es sich bei dieser Institution keinesfalls um ein sehr klassisches Museum handeln wird, es sich aber, qua Definition, auch hier um einen informellen Lernort handeln muss. Möglicherweise eine Lernwelt, die als Freizeit- und Erlebnisort bereits nah an der Lebenswelt des Publikums agiert. Vielleicht ebenfalls das Fehlen der klassischen Schublade für dieses Museum, vielleicht das Privileg seiner Jugend: auch auf Seiten des Museums zeigen sich Eigenschaften des Lernens. Auf der Suche zu sein, das Experiment zu wagen, auch Scheitern zuzulassen, Freiräume zu suchen und offen zu sein für Neues, das beschreibt eine Grundhaltung dieses Industriemuseums, die wir heute Forum1 nennen. Die Besonderheiten der Lernumgebung LWL-Industriemuseum2, die Vor- und Nachteile des Nicht-Neutralen sollen hier aufgezeigt werden. Aber zunächst einen Schritt zurück, der für das Verständnis und Selbstverständnis dieser Institution wesentlich ist: Die politische Absicht, die 1979 zur Gründung dieses Westfälischen Landesmuseums für Industriekultur führte, war, die vom Strukturwandel betroffene Industriearbeit in Erinnerung zu halten. Nachdem neben dem Verschwinden der Arbeitsplätze zunehmend auch die markanten Gebäude und Anlagen der „klassischen“ Großindustrie der Abrissbirne zum Opfer fielen, sollten zumindest einige ausgewählte Orte als Trägerinnen von Erinnerung und Identität dauerhaft bewahrt werden. Wie man groß1 Das Museum als Forum im Leitbild verankert seit 2007, erstmals öffentlich vorgestellt und diskutiert zur Eröffnung Tagung Deutscher Museumsbund, Dirk Zache, Dortmund 2010; zuvor 1996 als Teil der Museumskonzeption Peenemünde, das Forum als Bildungs- und Begegnungsstätte. 2 Das namensgebende LWL steht hier für den kommunalen Träger des Museums, den Landschaftsverband Westfalen-Lippe. Der vollständige Titel lautet, LWL-Industriemuseum, Westfälisches Landesmuseum für Industriekultur. https://doi.org/10.1515/9783110703054-010

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maßstäbliche Industriearbeit – weit jenseits des Handwerks – ins Museum holt, was Industriekultur sein oder werden könnte, oder wie man dabei gar „Identität“ erhält, das war damals nur vage vorstellbar. Sehr klar hingegen war die Vorstellung des Wo, nämlich an den originalen Schauplätzen ehemaliger Arbeit, mit und in den ausgedienten Fabriken. Nach den im Zuge der französischen Revolution für das Volk geöffneten adligen Sammlungen war dies eine weitere durchaus revolutionäre Idee: Museum nicht mehr als Musentempel in einer entsprechend weihevollen Museumsarchitektur der großen Geste zu verstehen, sondern jetzt Orte der Industriearbeit selbst zu Museen zu erklären. Ohne es so zu benennen, war damit der authentische Ort eingeführt – ein Begriff und ein Wert, der heute, vierzig Jahre danach, im Rahmen von Wissensaneignung im Museum als authentischem, glaubwürdigem Ort zunehmend an Bedeutung gewinnt. Dieser architektonische Museumsansatz, einer Musealisierung der Arbeits-, oder in diesem Fall besser, der Arbeiter-Architekturen wurde zudem gestützt durch die Sozialgeschichte der 1960er Jahre und Forderungen nach dem Museum von Unten. Heute versammeln sich unter dem Dach des Westfälischen Landesmuseums für Industriekultur insgesamt acht solcher Industrieanlagen, verteilt über ganz Westfalen und Lippe, von Kohle und Stahl, bis zu Glas und Textil.3

Die DNA: regional – selbstverständlich All diese Aspekte zusammen führen dazu, dass dieses Westfälische Landesmuseum für Industriekultur eine außergewöhnliche Qualität bereits mit seiner DNA in sich trägt, die andernorts erst erzeugt werden muss: das Museum für jede und jeden. Denn dieses Museum hinterfragte von Beginn an nicht nur Hierarchien des Dargestellten, des Museumswürdigen, sondern war gedacht als Museum von und für die Menschen der Arbeitsgesellschaft, für die normalen Bürgerinnen und Bürger, gänzlich unelitär. Weit weg vom klassischen Bildungstempel und weit weg vom klassischen Feuilleton, bis heute. Zwar auch Ort der Erinnerung und der Identität, maßgeblich aber ein Ort der Begegnung und Gemeinschaft. Neben den Ausstellungen sind es so wesentlich die Veranstaltungen, die die Menschen aus der Region an diese ehemaligen Industriestandorte 3 Zum Museum gehören heute die Zeche Zollern, Dortmund, die Zeche Nachtigall, Witten, die Zeche Hannover, Bochum, die Henrichshütte Hattingen, Hattingen, das Schiffshebewerk Henrichenburg, Waltrop, das TextilWerk Bocholt, Bocholt, die Ziegelei Sylbach, Lage, die Glashütte Gernheim, Petershagen.

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kommen lassen. Waren es zu Beginn die ehemaligen Betriebsangehörigen und Anwohnerinnen und Anwohner der umliegenden Siedlungen, die sich hier trafen, feierten oder ihr Wissen, ihre Erinnerung in die Museumsarbeit und in die ersten Zeitzeugen-Interviews4 einbrachten – frühe Formen von Partizipation und Teilhabe –, führen heute Konzerte, Theater, Lesungen, Diskussionsveranstaltungen, genauso auch der Hüttenlauf, der Geierabend (eine sehr spezielle, westfälische Ausprägung des Karnevals) oder der Garten-Kungel-Markt die Menschen an diesen Orten zusammen. Und manche kommen auch nur auf einen Kaffee vorbei, „weil’s hier so schön ist“. Museum als Dritter Ort oder auch die Lernwelt als Lebenswelt. Das Industriemuseum als Ort des gemeinschaftlichen Erlebens und als Ort der Freizeit. Und genau hierüber sind diese ehemaligen Industriebrachen tatsächlich längst Teil einer neuen regionalen Identität geworden. So wie sie vor der Musealisierung Teil der Arbeits- und damit der Lebenswelt der Menschen in der Region waren, so sind sie es heute in der Lernwelt Museum. Das Industriemuseum erreicht heute weitüberwiegend regionales Publikum und wird gleichzeitig zu einem Stück Heimat von vielen5. Ein Heimatmuseum im besten Sinn. Das Industriemuseum als Forum, vereinzelt noch despektierlich als Soziokulturelles Zentrum abgekanzelt, offenbart genau hier eine außergewöhnliche Chance: das Museum als Selbstverständlichkeit. Die Lernwelt Museum als gesellschaftlich Dritter Ort.

Zu den Besonderheiten der Lernwelt Industriemuseum Außergewöhnliche Räume. Oft große Dimensionen wechseln mit verwunschenen, intimen Situationen. Oft mit Maschinen, die wie vergessene Dinosaurier anmuten. Spuren ständiger Veränderung. Maschinenfundamente, Schienen ehemaliger Bewegung, abgeplatzte Wandfarben. Ölflecken. Spuren der Arbeit. Auch der Geruch von Arbeit. Der authentische Ort Fabrik hat seine eigene Patina. Und er erzählt uns damit seine eigene Geschichte. Surreale Gleichzeitigkeit

4 Das Erinnerungsarchiv umfasst heute rund 1.500 Interviews, beginnend in den frühen 1980er Jahren. Eine neue Kategorie bilden hier Gespräche, bei denen Zeitzeugen sich gegenseitig befragen, ohne die Gegenwart oder Gesprächslenkung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. 5 Rund 500.000 Besuche verzeichnet das Westfälische Landesmuseum an seinen acht Orten; rund 85 % aus der jeweiligen Region und annähernd die Hälfte in Verbindung mit Veranstaltungen.

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des Ungleichzeitigen. Die Lebenswelt von damals wird zur Lernwelt in der Gegenwart und durchläuft dafür einen Prozess der Musealisierung. Ohne dies nun impressionistisch überhöhen zu wollen, das Hüttenwerk, die Zeche, die Glasfabrik sind vergangene Lebenswelten voller Unbekannter, die mit zunehmendem zeitlichen Abstand noch an Exotik gewinnen werden. Es ist eine Atmosphäre, die weit weg ist von unserer glattdesignten Normalität. Wer hierher kommt verlässt die gewohnte Komfortzone. Keine Besucherin und kein Besucher erwartet hier Wohnzimmertemperaturen, vielmehr: Aufmerken am Ungewohnten; Wahrnehmung als Teil des Erkenntnisprozesses. Außergewöhnliche Orte, Orte des Außergewöhnlichen; und damit per se vorprogrammiert für das Erleben, auch für das Lernerlebnis.

Dreiklang aus Ort, laufenden Maschinen und Ausstellung Vor und Nachteil zugleich, diese authentischen Orte bringen ihre Inszenierung zum Thema Industriearbeit gleich selbst mit. Für die Vermittlung der hier stattgefundenen Arbeitsprozesse dienen heute die jeweiligen Schauproduktionen. Historische Technik in Funktion ist dabei schon ein eigenes Erlebnis. Der Mensch als Teil der Produktion, am Ende das Produkt, das ist dabei die Erkenntnis. Ein ganzer Saal mit Reihen laufender Webmaschinen erinnert an die Magie der Skulpturen von Tinguely, vermittelt aber vor allem die Dimensionen industrieller Arbeit, anders als ein einzelner Webstuhl. Die Glasmacher im authentischen Ort des frühindustriellen Glasturms (eine kegelförmige Kombination von Arbeitsraum und Schornstein) an der glühenden Schmelze des Ofens zu erleben hat andere Qualitäten als das Glasmachen in einem heutigen Glasstudio für Touristinnen und Touristen. Das heißt, solche Vorführungen historischer Maschinen, Fahrzeuge oder Produktionen gibt es durchaus auch andernorts. Die Besonderheit und zweifellose Steigerung des Erlebens im Industriemuseum entsteht aus der Kombination von ehemaligem Ort der Produktion und gegenwärtiger (Schau-)Produktion und schafft immersives Erleben diesseits der digitalen Welt. Lernende werden zu Beobachtenden, zu Teilhabenden, auch zu Akteurinnen und Akteuren einer vergangenen Lebenswelt. In der Präsenz und Aktivität am authentischen Ort verschränken sich die Lebenswelten aus Jetzt und Damals. Allerdings bleibt auch hier die Frage nach der Authentizität des Erlebten. Die Schaugießerei im Stahlwerk kann zwar noch das Teamwork der Arbeiter im

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Prozess, die Hitze und die mit ihr verbundenen Gefahren geschmolzenen Metalls verdeutlichen, sie ersetzt jedoch keinesfalls die Dimensionen eines Abstichs am Hochofen. Es bleiben – wie andernorts auch – museale Inszenierungen, damit immer Abstraktionen und allenfalls Annäherungen an eine frühere Situation. Zum Museum als authentischem, glaubwürdigen Ort gehört hierzu, diesen Fakt der lediglichen Annäherung durch geeignete Methoden als solchen kenntlich zu machen. Dies gilt sowohl im Vermittlungsprozess und damit auch in der Gestaltung, als auch bei der Sanierung von Gebäuden wie bei der Restaurierung von Maschinen. Bei letzterer entsteht im Zusammenhang mit den (ohnehin aufwändigen) Schauproduktionen als Teil der Lernwelt Industriemuseum ein museumsethischer Konflikt, der in einem ständigen Abwägungsprozess mündet: das Erlebnis historischer Maschinen in Funktion ist unweigerlich verbunden mit der weiteren Abnutzung durch ihren heutigen Gebrauch. An dieser Grenze kommt uns zukünftig zunehmend auch die digitale Welt methodisch zu Hilfe, auch wenn das Erleben der optisch perfekten Simulation dabei wieder ein durchaus anderes ist. In jedem Falle stellt sich die Frage der Authentizität im Industriemuseum auf ganz besondere Art und Weise, denn diese greift weit über die bloße Präsenz des Vergangenen hinaus. Im Industriemuseum sollen die Besucherinnen und Besucher die vergangene Lebenswelt mit allen Sinnen erleben und diese nicht allein betrachten. Zu authentischem Ort, laufenden Maschinen oder erlebbarer Produktion tritt schließlich noch als drittes Angebot die Ausstellung hinzu, die diese vor Ort erlebte Gegenwart thematisch oder zeitlich verlässt, erweitert und in größere Zusammenhänge einordnet. Oder mit Sonderausstellungen und künstlerischen Interventionen diese auch kontrastiert oder neuinterpretiert. Es ist die Kombination der Angebote, der Dreiklang aus Ort, Schauproduktion und Ausstellung, der hier Mehrwerte im Erleben schafft.

Chancen und Grenzen Um über die Wahrnehmung der zunächst nur außergewöhnlichen Orte und Räume hinauszukommen, eröffnen sich mit Augmented Reality und Virtual Realitiy in der Vermittlung des authentischen Orts im Industriemuseum neue Chancen. Mit der digitalen Rekonstruktion wird es möglich, den real vorhandenen Raum mit seinen Spuren der Veränderung für das Publikum zu entschlüsseln und die unterschiedlichen Zeitschichten, das Gleichzeitige des Ungleichzeitigen, den jeweiligen Modernisierungen und Umbauten zuzuordnen. Eine Zeitreise, die etwa im Bessemer-Werk der Henrichshütte nicht nur die Wandspuren

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und Fundamente den längst verschwundenen Maschinen zuordnen soll, sondern auch die ursprünglichen Arbeitsprozesse samt ihrer Dimensionen in den real noch vorhandenen Produktionsraum einbindet. Eine Verbindung zwischen realer und digitaler Welt, die gerade am authentischen Ort einen Mehrwert schafft, indem der stetige Wandel von Arbeitsprozess und Ort durch den technischen Fortschritt bis in die Gegenwart des Museumsbesuchs erfahrbar wird. Und auch für die Museumsmacherinnen und -macher sind diese Orte weit weg vom neutralen White Cube gewohnter Museumsarchitektur. Und dies nicht nur aufgrund der konservatorischen Bedingungen. Die Orte und Räume im Industriemuseum erzählen mit ihrer Patina der Arbeit bereits ihre eigene Geschichte. Wer hier Ausstellungen machen will, der muss diese Vorgaben mitdenken, muss sich auf die Räume und Relikte einlassen. Zarte Aquarelle an der Wand entfalten hier wenig Gestaltungsqualität. Textile Skulpturen von Magdalena Abakanowicz und Laura Ford im TextilWerk Bocholt (2011) oder die Projektion von Filmsequenzen direkt auf rauer Betonwand und abblätterndem Putz dagegen schon; etwa im Keller der Maschinenhalle Zeche Zollern, Fritz Langs Metropolis. Diese Wechselwirkung gilt auch für Klang und Geräusch, für Musik und Konzert. Auch in der Museumspädagogik kann Musik eine Mittlerrolle einnehmen, etwa bei dem vielbeachteten Projekt Ruhrgebietsklänge im Rahmen der Helden-Werkstatt, bei dem Schülerinnen und Schüler Industriegeräusche zu neuen Kompositionen verarbeiten und vor Ort aufführen; etwa im Stollen des LWL-Industriemuseums Zeche Nachtigall (2012). Gleiches gilt für Lesungen etwa von Arbeiterliteratur oder die Theateraufführung. Allesamt Medien, die uns weit direkter erreichen als Ausstellungstexte oder die klassisch personelle Vermittlung – da sie über unsere Wahrnehmung sehr direkt unsere Emotionen erreichen. Es ist ein ständiges Wechselspiel zwischen authentischem Ort, Inhalt, Inszenierung und Aktivität, zwischen Raum, Objekt und Wahrnehmenden; zwischen Lebenswelten und Lernwelt. Museumsseitig erfordert insbesondere die Ausstellungsgestaltung hier das Respektieren der Orte, das Eingehen auf die zusätzlichen Vorgaben, die die Räume mitbringen und damit eine hohe Sensibilität für dieses Zusammenspiel, das im Gegensatz zum neutralen White Cube, hier diesen weiteren, durchaus bestimmenden Faktor der im Raum vorhandenen Geschichte, genauso aber die Chance der erkenntnissteigernden Inszenierung bereithält.

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Kunst jenseits des Kunstmuseums Andererseits evoziert der Fabrikraum auf der Macherinnen- und Macherseite durchaus das gestalterische Experiment als Chance. Die Kreideschrift auf der Wand statt durchdesignter Texttafel, genauso die künstlerische Rauminstallation, das Raumbild zur Übersetzung von Inhalten bieten sich hier an. Insbesondere die Rauminstallation befördert wiederum das ganzheitliche Erleben. So etwa in der Spinnerei Herding Von der Windel bis zum Leichentuch (Dirk Zache, Rauminstallation, Bocholt 2011), bei der 1,1 Tonnen Alttextilien einen ehemaligen Produktionsraum füllten, genau die Menge, die jeder von uns im Laufe seines Lebens durchschnittlich verbraucht. Oder die Inszenierung eines Wohnzimmers der 1950er/1960er-Jahre mit Sofa, Klöppelspitze und Fotoalben im Maschinenfundament eines Stromgenerators. Wobei man beim Blättern durch die Alben die festgehaltenen Erinnerungen einer Arbeiterfamilie aus Zeche und Zechensiedlung entdeckt, oder auch die zugehörige Hausordnung an der Wand, neben Kehrblech und Handfeger (Raum der Erinnerung, Dirk Zache, Rauminstallation, Dortmund 2016). Die Lernenden werden hier Teil einer inszenierten Lernwelt. Ähnlich verhält es sich mit dem Ansatz von Gamification in Ausstellungen (Gutkowski/ Hoffmann 2021). Sich für Neues zu öffnen, bedeutet im Sinn des Industriemuseums als Forum auch, den Ort Museum für die Reflexion und Neu-Interpretation durch andere freizugeben, womit die Lernwelt zur Plattform für Lernende oder auch für andere Kooperationspartnerinnen und -partner wird. Das reicht von Studierenden der Szenografie oder Bühnenbild (Hochschule Detmold, 2009, Zeche Zollern; TU Berlin, 2018, Henrichshütte Hattingen) bis zu bildenden Künstlerinnen und Künstlern, wie etwa Karl-Manfred Rennertz, der mit den Materialien und Möglichkeiten der Orte arbeitet und etwa großdimensionierte Holzschnitte mit der Dampfwalze auf Stoffbahnen druckt, Rohbaumwolle oder Glas für die eigene Rezeption der Orte auslotet. Und dies gilt gleichermaßen für künstlerische oder inhaltliche Rezeptionen von Jugendlichen, deren Arbeiten sich als gleichberechtigte Objekte auf der Plattform Ausstellung wiederfinden. Jenseits der auch selbst lernenden Akteurinnen und Akteure ermöglichen die Kunst-Interventionen mittels einzelner Objekte auch in Themenausstellungen einen neuen Blick auf die zu vermittelnden Inhalte für das informelle Lernen des Publikums. So etwa mit Jean Tinguely und seiner Arbeit Schreckenskarette Viva Ferrari, neben einem Pirelli-Rennreifen und dem Relikt eines steinzeitlichen Holzrades zum Thema Wissenstransfer in der Ausstellung Alles nur geklaut? (Gutkowski/Hoffmann 2021). Auch hier entsteht der Mehrwert für das Pu-

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blikum in der Kombination von Heterogenem; zugegebenermaßen gelegentlich zu Lasten des Einzelobjekts. Im Umgang mit dem authentischen Ort wird zukünftig auch verstärkt die digitale Kunst eine größere Rolle spielen, bei der etwa die Scans von Räumen zur Grundlage künstlerischer Verarbeitung werden oder eben auch das MindMapping entlang industriekultureller Inhalte unter anderem mit Projektionen die Bearbeitung des authentischen Orts ermöglicht (Projekt Futur21, kunst-industrie-kultur) und wiederum neue Wechselwirkung zur digitalen Welt eröffnet. Die Kunst im Industriemuseum, Kunst im Nicht-Kunstmuseum, ermöglicht den Perspektivwechsel. Dies eröffnet jeweils wiederum neue Zugänge zur Lernwelt, sowohl für lernende Akteurinnen und Akteure selbst, als auch für beobachtendes Museumspublikum. Und genauso findet auf Museumsseite eine Erweiterung der eigenen Perspektive statt. Dies gilt auch jenseits von künstlerischen Äußerungen. Der Austausch und Kooperationen im Bildungs-, Gestaltungs- oder auch im wissenschaftlichen Bereich mit den Handlungspartnerinnen und -partnern führen hier über das Cross-Over ebenfalls zum Experiment. Das Industriemuseum im Selbstverständnis als Forum und als Lernwelt wird zum interdisziplinären Raum, zum Freiraum und zur Plattform mit und für andere.

Das Forum Industriemuseum als gesellschaftspolitischer Ort Eine spezielle Nähe zwischen Lern- und Lebenswelt resultiert dabei aus den mit dem Industriestandort verbundenen Inhalten und Themen, wobei mit dem authentischen Ort zunächst die eigene inhaltliche Komponente verstärkend hinzutritt. Selbstverständlich kann man eine Ausstellung über Bergbau in jedem anderen Museum auch zeigen. Der Zugang zum Inhalt eröffnet sich jedoch anders, betritt man dabei eine Zeche. Genauso macht es einen wesentlichen Unterschied, ob eine Ausstellung über NS-Zwangsarbeit am Ort des realen Geschehens, am Ort ehemaliger Zwangsarbeit stattfindet (Dortmund, Zeche Zollern, 2012)6, oder in einem neutralen Geschichtsmuseum.

6 Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg, LWL-Industriemuseum Zeche Zollern, Dortmund, 2012. Die internationale Wanderausstellung der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora wurde um das Kapitel Zwangsarbeit im Ruhrbergbau und der Zeche Zollern erweitert.

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Der authentische Ort als Erinnerungsort unterstützt hier immersives Erleben als Ort des tatsächlichen Geschehens. Im Rückschluss hat dies wiederum Auswirkungen auf die Ausstellungsgestaltung als Teil im Vermittlungsprozess. So muss eine erläuternde Dauerausstellung im Fördergerüst einer Zeche optisch zurückhaltend auftreten, wenn sie unterstreichen soll, dass ihr Erklärgegenstand, nämlich das Fördergerüst selbst, eine einzige große Maschine ist, in der der arbeitende Mensch, wie heutige Besucherinnen und Besucher, selbst zum Bestandteil der Maschine wird. Metropolis lässt grüßen. Informelles Lernen durch den authentischen Ort. Auch die Theaterproduktion Working Class Heroes (2010)7 im Spielort Fabrik, die Lesung von Arbeiterliteratur in einer Maschinenhalle, oder eine Ausstellung mit Arbeiterskulpturen des 19. Jahrhunderts im Hüttenwerk, genauso geistliche Chormusik in der Kathedrale der Arbeit bieten jeweils aus ihrer Kombination heraus weitere, neue Perspektiven und eben den sehr unmittelbaren Zugang über Emotionen. Emotion als Teil der subjektiven Wahrnehmung und damit als Teil des informellen Lernprozesses ist eine oft unterschätzte Komponente in der Lernwelt Museum. Das Industriemuseum versteht sich hier als Ort des Wahrnehmens und hierüber als Ort des Erlebens. Und schließlich sind da die Themen, die sich mit diesen Industrieorten und ihrer Produktion aus heutiger Sicht verbinden. Zeitlich und inhaltlich nah an der eigenen Lebenswelt stellen sich im Industriemuseum die großen Fragen des Humanen, die zentralen Fragen unserer heutigen Gesellschaft. So nach dem Verhältnis von Mensch und Natur, nach Abhängigkeiten von Ressourcenverbrauch und eigenem Konsum, Energiegewinnung und CO²-Produktion8, genauso nach Kolonialismus, Globalisierung und Migration, bis hin zu Ethik und Zukunft der Arbeit, genauso zu Stadtentwicklung oder gesellschaftlichem Zusammenhalt. Oder eben auch nach dem Umgang mit Wissen in der heutigen und zukünftigen Gesellschaft, wie mit der Sonderausstellung Alles nur geklaut? (Gutkowski/Hoffmann 2021). All das ist mit der industriellen Vergangenheit dieser Orte, vor allem aber mit unserer Gegenwart und Zukunft verbunden. Wenn nicht wir, wer dann? Es gibt kaum einen geeigneteren Ort als das Industriemuseum, um diese Fragen zur Diskussion stellen. Auf angestrebt gleicher Augenhöhe mit dem Publikum wird dabei das Aufsichtspersonal ebenso zum Gesprächspartner und Vermittler, wie sich auch die Kuratorinnen und Kuratoren zunehmend als Moderatorinnen und Moderatoren im Bildungsprozess 7 Working Class Hero, 2010, erste Theaterproduktion des LWL-Industriemuseums, Regie Heike Beutel, mit Dietmar Bär und Schauspielschülerinnen und -schülern der Schauspielschule Köln; Aufführungen an den Ruhrgebietsstandorten des Museums. 8 Vgl. dazu das Ausstellungs- und Kommunikationsprojekt WissKommEnergiewende 2022.

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verstehen. Es geht um die Entwicklung von Handlungskompetenz und Gestaltungskompetenz. Spätestens in den Diskussionsveranstaltungen und WorkshopFormaten, ebenso wie mit Ergebnispräsentationen von Jugendlichen in Ausstellungen, wird schnell deutlich, dass es hierbei, neben dem Informationsgewinn, auch um Kommunikationsfähigkeit, um Wahrnehmung und Akzeptanz anderer Standpunkte, um die Entwicklung von eigener Meinung und Haltung geht und letztlich um das Aushandeln von Werten, die uns wichtig sind. Der Austausch und die Diskussion mit anderen wird in der Lernwelt LWL-Industriemuseum zum Lernerlebnis. Dies gilt wiederum beiderseits, für das informell lernende Publikum wie für die lernende Institution Museum. Das LWL-Industriemuseum als Forum ist dabei der reale Ort der Begegnung, der durch Selbstverständnis und offene Haltung den Freiraum markiert, zur Plattform und zum Ort der Wertediskussion wird. Zwischen Freizeit und Erlebnis, zwischen Bildungs- und Unterhaltungsort besteht hiermit die Chance, diesen selbstverständlichen Ort Museum zum gesellschaftspolitischen Ort in der Stadtgesellschaft werden zu lassen.

Fazit Museen genießen per se bereits eine äußerst hohe Glaubwürdigkeit in der Gesellschaft. Die Kombination aber aus dem authentischen Ort Fabrik, der Konzeption und dem Selbstverständnis des LWL-Industriemuseums als Forum und der Selbstverständlichkeit im Annehmen dieser Orte als Teil der eigenen Lebenswelt bereitet den Boden für gegenseitiges Vertrauen. Für genau jenes Vertrauensverhältnis, das für Bildungs- und Lernprozesse die elementare Grundlage ist. Ideale Voraussetzungen auch für informelles Lernen und die Selbstaneignung von Wissen. Das experimentelle Museum ist das bessere Museum. Kooperation und Experiment sowie Plattform für andere zu sein und Museum als Freiraum zu verstehen, eröffnet auch die Chance für neue Zugänge zur Lernwelt Industriemuseum, für vielfältige Perspektivwechsel bei Lernenden wie bei Museumsmacherinnen und -machern. Freiraum und Experiment sind dabei die zentralen Begriffe, die diese Lernwelt Industriemuseum als Forum schließlich selbst als eine lernende Institution kennzeichnen. Auf der Seite des Publikums ist es vermutlich insbesondere das Außergewöhnliche dieser Orte, die die Akzeptanz von Ungewöhnlichem und die Bereitschaft des Wahrnehmens steigern, mit dem bereits eine Erwartung des Erlebens und Erfahrens verbunden wird. Für die Vermittlung in der Lernwelt Industriemuseum bedarf es dabei keiner Inszenierung einer Lernatmosphäre jenseits von

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Klassen- oder Vortragsraum, denn die Workshop-Atmosphäre bringen diese Räume der Arbeit längst selbst mit. Mit dem authentischen Ort öffnet sich ein emotionaler Zugang zum Inhalt. Er schafft immersives Erleben im realen Raum, jenseits von virtuellen Realitäten und ermöglicht informelles Lernen am Außergewöhnlichen, in Kombination mit gewohnten Lebenswelten Freizeit und Industriemuseum. Das Museum ist Ort des Wahrnehmens. Als Ästhetik im ursprünglichen Sinn von aisthesis führt uns diese sinnliche Wahrnehmung zur sinnlichen Erkenntnis. Das Industriemuseum wird hier zum Erkenntnisraum. Der vermutlich außergewöhnlichste Wert in diesem Lernprozess ist die Selbstverständlichkeit mit der die Lernwelt Industriemuseum in der Lebenswelt der meist regionalen Besucherinnen und Besuchern angekommen ist. Angelegt bereits in seiner Genese, prägt das Industriemuseum als Forum maßgeblich sowohl die Haltung und das Selbstverständnis von Museumsmacherinnen und -machern, in der Folge und in Wechselwirkung auch die offene Haltung und Bereitschaft von Besucherinnen und Besuchern. All dies zusammen eröffnet einen deutlich anderen, leichteren Zugang als der neutrale Bildungsort. In der Kombination dieser Besonderheiten am authentischen Ort Industriemuseum löst sich die Trennung zwischen kognitiver und emotionaler Erkenntnis im Lernprozess endgültig auf.

Literatur Blum, E. (2010): Atmosphäre. Hypothesen zum Prozess räumlicher Wahrnehmung. Baden: Lars Müller. Collenberg-Plotnikov, B. (Hrsg.) (2018): Das Museum als Provokation der Philosophie. Beiträge zu einer aktuellen Debatte. Bielefeld: transcript. Gutkowski, K.; Hoffmann, A. (2021): „Alles nur geklaut? Die abenteuerlichen Wege des Wissens“. Erlebnis-Lernwelt im Industriemuseum. In: T. Giese; R. Stang (Hrsg.): Lernwelt Museum. Dimensionen der Kontextualisierung und Konzepte. Berlin; Boston: De Gruyter Saur, 211–225. Zache, Dirk (2011): Atelier.Industrie, Magdalena Abakanowicz – Laura Ford. Essen: Klartext. Zache, D. (2012a): Von einer Spinnerei zum Museum als Forum. In: H. Stenkamp; D. Zache (Hrsg.): TextilWerk Bocholt. Forum für Textilkultur. Essen: Klartext, 26–41. Zache, D. (2012b): Rauminstallation, Von der Windel bis zum Leichentuch, 1,1 Tonnen Alttextilien. In: H. Stenkamp; D. Zache, D. (Hrsg.): TextilWerk Bocholt. Forum für Textilkultur. Essen: Klartext, 72–73. Zache, D. (2013): Zurück zur Entstehung von Kunst. Ein einleitender Expeditionsbericht über Wandel, Wechselwirkung und Werkprozess. In: O. Dommer; D. Zache (Hrsg.): Atelier. Industrie, Karl Manfred Rennertz. Essen: Klartext, 8–12.

Rebekka Kremershof und Andrea Jürges

Stadt und Architektur für alle Lernwelt Architekturmuseum

Einleitung Was ist ein Museum? – Ein klassischer Bildungsort oder eine Lernwelt oder gar beides? Wie schon die Definition und Abgrenzung eben dieser Begriffe eine komplizierte Angelegenheit ist, so ist es auch die Einordnung. Dies liegt aber nicht nur an begrifflichen Interpretationsspielräumen, sondern vor allem daran, dass das Museum nicht allein durch seine eigene Tätigkeit und Zielsetzung zu einer Lernwelt oder einem Bildungsort wird. Zu seiner Konstitution bedarf es auch des Gegenübers, der Besucherinnen und Besuchern. Ob ein Museum ein formales oder ein informelles Lernsetting darstellt und inwiefern die Bildungsprozesse formell oder eben informell sind, hängt stark davon ab, aus welchen Gründen die Besucherinnen und Besucher kommen. Finden sie ihren Weg völlig selbstbestimmt oder erwarten sie soziale beziehungsweise gesellschaftliche Gratifikation von ihrem Besuch? Kommen sie im Rahmen der Schulausbildung oder aufgrund eines Familienbesuchs? Eine Definition sollte dementsprechend sowohl die Fremd-, als auch die Selbstwahrnehmung einbeziehen, was eine einseitige Analyse oder Darstellung zumindest erschwert. Nichtsdestotrotz soll im vorliegenden Beitrag der Versuch gewagt werden, das Deutsche Architekturmuseum (DAM) als Untersuchungsobjekt heranzuziehen und auf die eingangs gestellten Fragen zu prüfen. Den Ausgangspunkt unserer Argumentation stellt die Geschichte des Museums bis hin zur Gegenwart dar, um die Aufgaben und Zielsetzungen zu beschreiben. Dann werden Formate von der klassischen Ausstellung bis hin zur digitalen Präsenz vorgestellt und in Bezug zu dem Konzept der Lernwelt gesetzt. Abschließend wird der Versuch gestartet, die Leitfragen des Bandes in Bezug auf das DAM zu beantworten.

https://doi.org/10.1515/9783110703054-011

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Das DAM: Von den Anfängen bis heute Das Deutsche Architekturmuseum wurde 1979 von dem Kunst- und Architekturhistoriker Heinrich Klotz gegründet und 1984 eröffnet. Als Ausstellungshalle und Diskussionszentrum widmet sich das DAM den Belangen der Baukultur und stellt mit wechselnden Ausstellungen, Symposien und Vorträgen architektonische Fragen und städtebauliche Probleme zur Diskussion. Parallel setzt sich das DAM mit aktuellen Architekturthemen in Frankfurt am Main auseinander. Bereits in den hitzigen Debatten der ersten Jahre zeichnete sich der Arbeitsstil des DAM ab: der Wille, aktuelle Themenfelder zu bearbeiten, sie für eine breite Öffentlichkeit aufzubereiten und sich selbst zu positionieren. Denn schon DAM Gründungsdirektor Heinrich Klotz stand vor der Frage, wie Architektur ausgestellt und vermittelt werden kann. Bevor die Vermittlungsarbeit im Einzelnen beschrieben wird, ist es notwendig die Eigenheiten und Charakteristika des Themas zu kennen. Die Architektur ist ein sehr vielseitiges und multidimensionales Themengebiet. Einerseits ist sie ein greifbarer, omnipräsenter Bestandteil einer jeder Lebensrealität und gleichzeitig ein abstraktes Feld, in dem sich zahlreiche Disziplinen von der Technik bis hin zur Kunst vereinen. Bereits während des Umbaus der Gründerzeitvilla am Main, in welcher sich das DAM noch heute befindet, versuchte Klotz diese Komplexität in das Gebäude aufzunehmen. Bei dem Umbau ging es Klotz nicht nur darum, das Gebäude den neuen funktionalen Anforderungen anzupassen, sondern das Thema Architektur selbst zu veranschaulichen. Für den Umbau wurde der Architekt Oswald Mathias Ungers beauftragt, dem sich durch die Entkernung der Villa bis auf die Außenmauern die Möglichkeit eröffnete, sein Konzept vom Haus im Haus zu realisieren. Er fand damit eine eigene Form Architektur auszustellen: Das in die entkernte Villa eingestellte Haus wächst über vier Stützen auf einem quadratischen Grundriss von fünf mal fünf Metern empor, die das Zentrum des im Untergeschoss liegenden Auditoriums markieren. Dieser Vierstützentypus verdichtet sich in den darüber liegenden Geschossen mehr und mehr zur tatsächlichen Architektur. Aus den Stützen entstehen Wände mit Fenster- und Türöffnungen, im dritten Obergeschoss schließt das Haus dann mit einem Satteldach ab. Das DAM veranschaulicht dadurch in einzigartiger Weise das von Klotz proklamierte, leitende Grundprinzip der postmodernen Architektur: Die Gestalt des Bauwerks verbindet sich bewusst mit einem Inhalt, der zum Erzählstoff wird. Im Maßstab 1:1 stellt dieses universale Haus im Haus die direkteste Form der Architekturvermittlung dar. Das Museum erklärt Architektur zum Ausstellungsgegenstand, macht sich jedoch im gleichen Moment selbst zu einem Teil der Samm-

Stadt und Architektur für alle



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lung. Die Grenzen zwischen Lernwelt und Lebenswelt verschwimmen, sie gehen gewissermaßen ineinander über und beschreiben den Anspruch des Architekturmuseums an seine eigene Arbeit. Jährlich kommen viele, vor allem internationale Besucherinnen und Besucher, nicht nur um die Ausstellungen zu besuchen, sondern auch um das Gebäude kennen zu lernen. Das Haus im Haus formt die Konstante des DAM, um das sich die wechselnden Ausstellungen legen. Aktuell sind es jährlich rund 15 Ausstellungen, die das DAM auf insgesamt vier Geschossen zeigt. Die thematische Vielfalt ist das Fundament Vermittlungsarbeit des Hauses. Im Verständnis des Hauses beginnt diese jedoch nicht erst nach der Beendigung der inhaltlichen Arbeit, sondern bereits bei der Festlegung der Inhalte. Häufig werden sie aus aktuellen Debatten abgeleitet, was wiederum einen engen Bezug zur Lebenswelt der Besucherinnen und Besucher ermöglicht. Die Vielfalt und Aktualität der Themenwahl ist die Voraussetzung für die Arbeitsweise des DAM, die stets zum Ziel hat, Menschen weit über das Fachpublikum hinaus für baukulturelle Themen zu begeistern. Oder sie in einem ersten Schritt überhaupt darauf aufmerksam zu machen. Das DAM hat den Anspruch nicht nur Raum für eine thematische Vertiefung, sondern auch für einen thematischen Einstieg zu bieten. Dies entspringt der Überzeugung, dass alle Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch auf baukulturelle Bildung haben, denn ebendies prägt ihr eigenes Lebensumfeld fundamental. Jedoch bezieht sich dies nicht nur auf aktuelle Themen, sondern auch auf Aspekte aus dem Bereich der Architekturgeschichte oder baukulturellen Geschichte. Sei es durch die Frage nach dem Material, Strukturen, Wandel, nach Stilempfinden oder (Macht-)Bedürfnissen – auf einer Metaebene kann man all diese Themen in Beziehung zu unserer Gegenwart setzen. Gleichzeitig kann der Blick für Strukturen und Zusammenhänge geschult werden, der eine Grundvoraussetzung für die Informationsverarbeitung in unserem Alltag darstellt. Neben der Wissensvermittlung ist es den Kuratoren und Kuratorinnen des DAM somit auch ein Anliegen, die Gelegenheit zur Aneignung analytischer Kompetenzen in dem Themengebiet der Baukultur zu bieten. Im folgenden Abschnitt werden exemplarische Ausstellungen vorgestellt, um die Arbeitsweise konkret darzustellen.

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Ausstellungen: Heimat machen und Fahrrad fahren Die Ausstellung Making Heimat. Germany, Arrival Country, welche für den Deutschen Pavillon der Architekturbiennale Venedig 2016 konzipiert wurde, beschäftigt sich mit der Rolle Deutschlands als Einwanderungsland. Die Idee für den deutschen Beitrag wurde in den turbulenten Wochen und Monaten im Herbst 2015 entwickelt, als täglich tausende Flüchtlinge an den Bahnhöfen ankamen und die Bundeskanzlerin daran festhielt, dass es keine Obergrenze für ihre Aufnahme geben dürfe. Ein Thema, das (nach wie vor) stark polarisiert. Gemeinsam mit dem Journalisten Doug Saunders, wurden acht Thesen zur Arrival City erarbeitet, welche städtebauliche und architektonische Stellschrauben für eine gelingende Integration beschrieben. Diese Thesen bezogen sich auf den unmittelbaren Lebensraum der Besucherinnen und Besucher. Sie ermöglichten einen Perspektivwechsel auf die eigene Umgebung und eine reflektierte Positionierung in der damals kontroversen Debatte. Der Anspruch war nicht die bloße Wissensvermittlung, sondern auch den Besucherinnen und Besuchern Handlungsräume aufzuzeigen. Die Ausstellung Fahr Rad! ging auf den Möglichkeitsraum zwischen Stadtentwicklung und dem Fortbewegungsmittel Fahrrad im Sinne einer ökologischen, ökonomischen und sozial nachhaltigen Umwelt ein. An der Ausstellung lässt sich ein weiterer Vermittlungsaspekt des DAM aufzeigen: Das Engagement des DAM im (realen) Lokalen: Das DAM organisierte im Rahmen der Ausstellung Fahr Rad! einen Wettbewerb unter lokalen Architektinnen und Architekten für die Schweizer Straße in Frankfurt am Main: Wie könnte dieser Stadtraum in direkter Nachbarschaft des DAM alternativ fahrradfreundlicher, fußgänger- und bewohnerfreundlicher gestaltet werden? In einer Kabinettausstellung neben der eigentlichen Fahr Rad!-Ausstellung wurden die unterschiedlichen Vorschläge gezeigt und in Veranstaltungen diskutiert. Hier erwies sich das DAM als Trendscout und Themensetzer, denn aktuell – zwei Jahre nach der Ausstellung – bereitet das Stadtplanungsamt der Stadt Frankfurt am Main einen städtebaulichen Wettbewerb für die Schweizer Straße vor und auch die Einzelhändlerinnen und Einzelhändler befürworten einen Umbau. Das Museum begnügt sich in diesem Fall nicht mit der passiven Rolle, sondern verlässt seine vier Wände, um die Lebenswelt seiner (potenziellen) Besucherinnen und Besucher mitzugestalten. Die Lebenswelt wird zur Lernwelt. Die Ausstellung Fahr Rad! ist weiterhin ein gutes Beispiel, um in diesem Kontext das Verhältnis von Objektbezug und Ausstellungsarbeit zu beschreiben. Denn hier zeigt sich eine Besonderheit von Architekturmuseen allgemein:

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Architektur und stadträumliche Projekte können nur über Transfermedien in der Ausstellung vermittelt werden. Während in anderen Museen das originale Objekt eine zentrale Rolle in den Ausstellungen spielt, dienen im DAM Pläne, Fotos, Filme und Modelle als Vermittlungsmedien. Im Rahmen von Fahr Rad! wurden eine Vielzahl herausragender Beispiele vor allem mittels Filme, Fotos, Grafiken, Plänen und Texten vorgestellt. Zu einigen Projekten konnten auch Modelle ergänzend gezeigt werden. Die Reproduzierbarkeit der Medien ist wiederum vorteilhaft für Wanderungen – so konnten für die Wanderung von Fahr Rad! nach München Ausstellungstafeln passend für eine Aufstellung im Freien produziert werden. Das originale, gebaute Projekt selbst lässt sich allerdings immer nur an seinem Standort besuchen. An dieser Stelle sei erwähnt, dass andere Ausstellungen mit Originalen in Form von handgezeichneten Plänen, Fotoabzügen oder Modellen bestückt werden können. Das DAM-Archiv kann aktuell auf rund 300.000 Zeichnungen sowie über 1.600 Modelle vor allem aus dem 20. und dem 21. Jahrhundert verweisen. Beispielsweise die Ausstellungen zu dem Architekturbüro ABB mit herausragenden Fotografien aus den 1960er Jahren oder zur Paulskirche mit originalen Zeichnungen des Architekten des Wiederaufbaus, Rudolf Schwarz. Auch die Kabinettausstellung zum Dom von Neviges konnte mit originalen Zeichnungen von Gottfried Böhm aus der eigenen Sammlung bestückt werden. Einen Fokus legt diese Ausstellung auf die Vermittlung der besonderen Atmosphäre des Doms von Neviges: durch den Einsatz großflächiger Fototapete verwandelt sich das Auditorium eindrucksvoll in den Innenraum des Doms und hier beweist die Museumsarchitektur ihre Stärke, in dem sie eine immer andere Ausstellungsgestaltung ermöglicht. Eine weitere Besonderheit liegt in der Internationalität des Themas Architektur begründet. Mit seinen Ausstellungen eröffnet das DAM seinem Publikum oft die Möglichkeit, sich unterschiedlichsten, internationalen Projekten zu nähern, ohne vor Ort sein zu müssen. Beispielsweise holte die Ausstellung Große Oper – Viel Theater? aktuelle europäische Theater- und Opernhäuser mit großformatigen Fotografien nach Frankfurt und eröffnete den Besucherinnen und Besuchern einen Einblick in die Bühnenbauten, unter anderem von Oslo über Köln bis Liverpool. Dieses Überblickswissen kann wiederum den Blick für die eigene Lebenswelt und seine Wandlungsprozesse schärfen.

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Von der Ausstellung zur LEGO-Baustelle Nachdem nun die inhaltliche Basis der vermittelnden Arbeit des DAM vorgestellt wurde, werden im nächsten Schritt gängige Vermittlungsformate besprochen und in Beziehung zu dem Konzept des Museums als Lernwelt gesetzt.

Führungen Das DAM bietet regelmäßig am Wochenende Schwerpunktführungen zu den aktuellen Ausstellungen an, die sich ständiger Beliebtheit erfreuen. Klassische Führungen im Museum verfolgen in erster Linie das Vermitteln von Wissen zu einem bestimmten Thema. Meistens gestalten sie sich so, dass die führende Person spricht und die anderen zuhören. Dieses wenig interaktive Format kann durch dialogische oder auch gestalterische Elemente aufgelockert werden. Je mehr die Führenden ins Gespräch gehen, desto individueller kann auf einzelne Besucherinnen und Besucher eingegangen werden. Zusätzlich kann man sich, geplant aber auch spontan, durch die Wahl der Sprache sowie den inhaltlichen Komplexitätsgrad an den Bedürfnissen der Besucherinnen und Besucher orientieren. Die Besonderheit liegt in dem gemeinsamen Erleben und Erfahren in einem spezifischen, räumlichen Umfeld: dem der Ausstellung. Wie bereits erwähnt, wird das Design für jede Ausstellung neu entwickelt. So ist die Lernumwelt im stetigen Wandel. Gewissermaßen erschafft eine Führung somit eine besondere Lernumgebung und, sofern die Teilnahme aus eigenen Stücken erfolgt, kann auch von einer hohen intrinsischen Motivation ausgegangen werden. Jedoch handelt es ich in diesem Rahmen eher um formales Lernen. Es folgt einem vorgegebenen Konzept und didaktischen Ziel, womit es eher in die Kategorie der klassischen Bildung fällt.

Veranstaltungsreihen Das DAM organisiert verschiedene Veranstaltungsreihen. Einige sind zeitlich beschränkt und widmen sich einem spezifischen Thema, andere sind von Dauer und thematisch offener. So beispielsweise die Veranstaltungsreihen StadtPLUS und die Pecha-Kucha-Nights. StadtPLUS fokussiert mit kurzen Vorträgen zu stadtbezogenen Themen von lokalen Expertinnen und Experten – zum Beispiel Die Stadt und der Müll, Die Stadt und der Markt – Aspekte des Alltags in Frank-

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furt, die alle angehen und berühren. So vermittelt die Veranstaltungsreihe Einblicke in die spezifischen Welten innerhalb der Stadt und rückt sie damit in den Fokus und ins allgemeine Bewusstsein. Das gibt dem Publikum die Chance, das Funktionieren und die Gestaltung von Stadt besser zu verstehen. Pecha-Kucha-Nights bestechen mit ihrer unkonventionellen Art der Präsentation: 20 Bilder à 20 Sekunden pro Vortrag. Damit muss dann alles gesagt sein. Das Format ist eine Erfindung der Architekten Astrid Klein und Mark Dytham aus Tokio. Das DAM veranstaltet dieses ungewöhnliche und sehr kurzweilige Format idealerweise in Kooperation mit anderen Veranstalterinnen und Veranstaltern an wechselnden Orten. Beide Reihen finden abends statt und sind bewusst unakademisch in der Präsentation, dafür versprechen sie hohen Unterhaltungswert. Sie richten sich an (junge) Erwachsene, und der Austausch vor oder nach der Veranstaltung ist Teil des Konzepts. Der Grad an Formalität des Lernens ist vermutlich etwas niedriger als der bei klassischen Führungen. Interessant ist jedoch die Frage nach dem Anteil des informellen Lernens. Es könnte die These aufgestellt werden, dass bei Veranstaltungen dieser Art durchaus auch informell gelernt wird, beispielsweise hinsichtlich des Habitus der eigenen Peergroup.

Schule und Museum Die Kooperation zwischen Schule und dem DAM ist ohne Zweifel eine der wichtigsten Säulen in der Vermittlungsarbeit des Hauses. Dementsprechend soll sie hier Berücksichtigung finden. Im Lehrplan ist die Baukultur im Fach Geografie und Architektur im Fach Kunst berücksichtigt und findet somit offizielle Erwähnung im Lehrplan. In Anbetracht dessen, welchen Einfluss die Baukultur auf unser aller Alltagsleben hat, ist sie jedoch relativ schwach verankert beziehungsweise mit verhältnismäßig wenig Unterrichtszeit bedacht. Durch die immanente Multidisziplinarität der Baukultur und Architektur ist es selbstverständlich möglich, auch in anderen Fächern Anknüpfungspunkte zu finden. Beispielsweise in allen naturwissenschaftlichen Fächern, aber auch in Geschichte, Deutsch oder Politik und Sozialkunde. Die Dichte des Lehrplans und die Aufgabenvielfalt, mit der sich Lehrkräfte heute konfrontiert sehen, führt jedoch häufig zu einer Konzentration auf das Wesentliche. Das DAM verfolgt das Ziel als Partner für die Lehrkräfte zu fungieren und gemeinsam mit ihnen an einer Umsetzung der Bildungsziele des Lehrplans zu arbeiten. So werden in der Grundschule Themen, wie das eigene Lebensumfeld beziehungsweise die eigene Stadt aufgegriffen. Für den Kunstun-

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terricht der Oberstufe werden Workshops zu den einzelnen Epochen der Baukultur angeboten. Auch werden regelmäßig Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer zu eben diesen Themen organisiert. Das DAM sieht seinen Beitrag als Ergänzung zum schulischen Alltag, die neben der Wissensvermittlung aber auch das Erkennen von Strukturen und Herausforderungen begleiten möchte. Die Fähigkeiten des analytischen, lösungsorientierten und kreativen Denkens sollen gleichermaßen gestärkt werden. Um der Interdisziplinarität des Themas gerecht zu werden, sind die Vermittlungsangebote im DAM meistens eine Kombination aus Führungen und Workshops. Die Verbindung von Theorie und Praxis birgt viele Vorteile. Einerseits kann durch die Ausstellung Wissen ganz anders vermittelt werden als in der Schule. Vor allem die Darstellung der baukulturellen Geschichte durch Modelle in unserer Dauerausstellung Von der Urhütte zum Wolkenkratzer erfreut sich großer Beliebtheit bei den Kindern. Vielleicht, weil die detailreichen Modelle in ihrer Gesamtheit doch jedem Kind die Möglichkeit bieten, selbstständig zu entdecken, erforschen und Interessenschwerpunkte zu setzen. Im praktischen Teil arbeiten die Kinder selbstständig mit zahlreichen Materialien, von Pappe über Styropor bis hin zum Holz, und Farben an ihrem Projekt (Abbildung 1). Da nicht alle Kinder mit dem Umgang mit den Materialien oder dem Mischen von Farben vertraut sind, findet hier ein Lernen auf einer anderen Ebene statt.

Abb. 1: Workshopraum für Schulklassen (Foto: Kirsten Bucher)

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Doch nicht nur die Methoden des Museums sind andere als in der Schule, auch der Raum ist es. Alleine der Ortswechsel, vom Gewohnten ins (vielleicht) Ungewohnte, führt zu einer Veränderung der Wahrnehmung bei den Kindern und Jugendlichen. Im DAM werden die Schulworkshops in der Regel im Auditorium durchgeführt, dem bereits erwähnten Haus im Haus. Der Raum ist hoch, offen, farblich reduziert auf weiß und schwarz und in der Form weitestgehend quadratisch. Es fehlen jegliche pädagogische Symbolträgerinnen, wie die Sitzordnung, die Tafel, die Uhr oder die Klingel. Der Raum bietet die Chance, sich mit Ideen von Gestaltung und Konzepten auseinanderzusetzen. Neben den Workshops, die sich auf einen spezifischen Inhalt konzentrieren, bietet das Haus auch solche an, bei denen (vermeintlich) das kreative, spielerische Element im Vordergrund steht, und Architektur/Städtebau „nebenher“ gelernt werden – so zum Beispiel in der Lego-Baustelle (siehe unten) oder in der Kinderstadt. Dieses temporäre Projekt verfolgt das Ziel, dass verschiedene Schulklassen in einem bestimmten Zeitraum gemeinsam eine Stadt in Kindergröße nach ihren eigenen Vorstellungen bauen. In solchen Projekten ist das Museum sicher ein weniger formaler Lernort als im Regelbetrieb. Allein der dominante Werkstattcharakter verändert die Wahrnehmung der Kinder spürbar und der pädagogische Ansatz lässt den Kindern viele Freiheiten. Zwar gibt es ein Ziel: das Erbauen eines Hauses, aber den Weg dahin können die Kinder selbstbestimmt gehen. Ergänzend zu dem Themenbereich des Raumes sei angeführt, dass das DAM seine Vermittlungsarbeit mit Schulen nicht nur in den eigenen vier Wänden durchführt. Ein Beispiel dafür ist das langjährige Projekt Stadtteildetektive, welches seit über zehn Jahren erfolgreich durchgeführt wird. Ziel des Projektes ist, dass die Kinder von ihrem Klassenzimmer ausgehend systematisch ihren Radius in der Stadt erweitern. Als Ausgangspunkt wird das jeweilige Lebensumfeld der Kinder gewählt – das Wohnhaus, die Straße, die Schule, der Stadtteil. Aus der Sicherheit des Vertrauten kann das Fremde, das Unbekannte erobert werden. Es wird darauf eingegangen, wie Kinder Räume wahrnehmen und allmählich ihre Raumgrenzen erweitern können. Stadtteile ganz unterschiedlicher geschichtlicher Prägung und demografischer Zusammensetzung werden nach und nach erschlossen. Die Stadt wird somit zum Klassenzimmer, in dem Kinder ermutigt werden, genau hinzuschauen und möglicherweise zum ersten Mal Fragen zu stellen. Das Ziel ist es, ihnen ein Verständnis der verschiedenen Einflussfaktoren zu vermitteln, welche dazu beitragen, dass Architektur und öffentlicher Raum funktionieren oder eben nicht. Die Kinder lernen zu beurteilen, was sie umgibt und erkennen allmählich das Potential der Architektur, das Leben der Menschen angenehm zu machen, es positiv oder auch negativ zu beeinflussen.

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Als letzten Punkt soll ein Aspekt aufgeführt werden, der den sozialen Raum des Lernens maßgeblich prägt: die Verhaltensregeln. In der Schule gibt es ein Set notwendiger Verhaltensregeln, um das Funktionieren des Unterrichts zu gewährleisten. Es stellt sich die Frage, wie sich das im Museum gestaltet. Einerseits bestehen die Regeln der Schule weiterhin. Sie werden jedoch oftmals erweitert. Denn den Kindern wird häufig bereits vor dem Museumsbesuch erklärt, dass sie nichts berühren dürfen, ganz leise sein müssen, nicht rennen dürfen und so weiter. Es kann die These aufgestellt werden, dass ein Museumsbesuch aus der Sicht der Kinder dadurch als formales Lernen und nicht als eine Welt des selbstbestimmten Lernens empfunden wird. Zusammenfassend ist der Besuch eines Museums mit der Schule in den meisten Fällen als klassischer Bildungsbesuch zu kategorisieren. Es gibt klare Lernziele, Verhaltensregeln und Abläufe. Jedoch kann ein Museum zu einer Lernwelt für Schülerinnen und Schüler werden. Nicht zuletzt durch das praktische oder kreative Arbeiten erlernen sie Fähigkeiten, die über die eigentliche Zielsetzung hinausgehen. Ein Workshop im Museum kann zudem die Freiheiten für individuelle Lernschwerpunkte bieten.

Von der LEGO-Baustelle zur Bauakademie Im folgenden Abschnitt werden nun die Angebote vorstellt, welche sich an Familien richten. Sie werden außerhalb eines institutionellen Rahmens besucht. Die bereits erwähnte LEGO-Baustelle ist das älteste und eines der beliebtesten Vermittlungsangebote des DAM und fand 1986 zum ersten Mal statt. In den vergangenen Jahren beschäftigten sich jeweils zwischen 6.000 und 8.000 Besucher und Besucherinnen mit den weit über hunderttausend Steinen. Das Format LEGO-Baustelle fand bisher zweimal jährlich statt, in den Weihnachts- und Sommerferien, und sprach sowohl Familien als auch Schulklassen an. Die Zeitfenster für Gruppen waren stets in kürzester Zeit ausgebucht. Die LEGO-Baustelle wurde immer von einem thematischen Wettbewerb begleitet, eine Teilnahme war jedoch nicht verpflichtend. Vielmehr ist eigene Kreativität und Lösungsorientierung gefordert und in diesem Kontext wird informelles Lernen möglich. Auch das Ferienprogramm Bauakademie, im Rahmen dessen sich Kinder und Jugendliche über vier Tage hinweg mit einem bestimmten baukulturellen Thema auseinandersetzen, stellt einen Aspekt der Lernwelt DAM dar: Die Kinder und Jugendlichen kommen in ihrer Freizeit, wenngleich die treibende Kraft für den Entschluss durchaus auch bei den Eltern liegen kann. Sie beschäftigen sich mit einem Thema, welches an die laufende Ausstellung geknüpft ist, beispielsweise das Material Beton. Über vier Tage hinweg können sie sich dem Thema

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aus verschiedenen Perspektiven annähern. Um bei dem Beispiel des Betons zu bleiben, haben sie sich zunächst mit der damals aktuellen Ausstellung des DAM mit dem Titel SOS Brutalismus beschäftigt. Aber nicht nur das, es wurde auch das Zementmuseum besucht und sich mit historischen Aspekten beschäftigt. Als Sprungbrett von der Theorie in die Praxis wurde die Exkursion in das Labor der Frankfurt University for Applied Science genutzt. Ihre analytischen Fähigkeiten konnten Teilnehmenden am „lebenden Exempel“ schulen, in dem sie regionale Brutalismus-Bauten besuchten. Mit all dem Wissen und Erlebten im Gepäck bauten sie abschließend Modelle im Auditorium des DAM, die sie anschließend vor Eltern und Geschwistern präsentierten. Die Vielzahl der besuchten Orte und das Beginnen und Enden im DAM ergibt eine ganz eigene Lernwelt. Im Rahmen eines Forschungsprojektes wurde die beschriebene Bauakademie im Jahr 2017 analysiert. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kamen zu dem Ergebnis, dass die Exkursionen, die im Rahmen der Projektwoche stattfanden, durch „ihre Anzahl sowie die besonders starken emotionalen Verknüpfungen für die Kinder und Jugendliche […] eine Besonderheit darstellen“ (Wüstenrot Stiftung 2019). Eine plausible Annahme, die man aus dieser Feststellung ziehen könnte, ist, dass in der Verknüpfung verschiedener Lernwelten die Ansprache auf einer emotionalen Ebene möglich ist. Das wiederum unterstützt nachhaltige Lernerlebnisse.

DAMobil! Durch das Thema Architektur und Städtebau eröffnen sich dem Museum, wie bereits beschrieben, zahllose Möglichkeiten an die Lebenswelt der Besucherinnen und Besucher anzuknüpfen. Die Theorie kann ohne große Mühe in die Praxis transferiert werden, beispielsweise durch Stadtrundgänge, Fahrrad-Führungen und Bildungsexkursionen, die stetig nachgefragt sind. An diesen Formaten lässt sich konkret ausführen, welche Auswirkungen einzelne Phänomene auf den Stadtraum haben. Der Umstand, dass dann von realen Gegebenheiten gesprochen wird, macht die Theorie zugänglich. So dient der öffentliche Raum als Bindeglied zwischen der theoretischen Aufarbeitung im Museum und den realen Gegebenheiten. Der Lebensraum (in diesem Falle, die Stadt) wird zum Lernraum, fraglich ist jedoch, ob dies ausreicht, um von einer Öffnung der Lerninhalte zu sprechen. Das hängt tatsächlich stark von der konkreten Themensetzung ab. Schaut man sich an, wen diese Formate ansprechen, so liegt der Rückschluss nahe, dass es sich hierbei eher um formales Lernen handelt. Wahrgenommen werden sie hauptsäch-

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lich von Menschen, die bereits ein hohes Fachwissen oder eine hohe intrinsische Motivation aufweisen. Nicht zuletzt deshalb setzt das DAM seit einiger Zeit vermehrt auch auf Outreach-Projekte, um auch museumsferne Menschen auf Themen aufmerksam zu machen. Ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit ist DEINUFER: Ein Aufruf zur Gestaltung des Mainufers. Diese Kooperation des Deutschen Architekturmuseums mit CROSSBOUNDARIES und YUCIYU sowie dem Heussenstamm. Raum für Kunst und Stadt rief mit Workshops und Bastelbogen zu einer Bürgerbeteiligung mit Ausstellung auf. Das Projekt Deinufer diente dazu die Aufmerksamkeit in Frankfurt auf das für den Autoverkehr gesperrte nördliche Mainufer zu lenken und die laufende intensive politische Debatte über das weitere Vorgehen mit Gestaltungsideen von Frankfurter Bürgerinnen und Bürgern anzureichern. Ein Bastelbogen für ein Modell des Mainufers und eine Installation sowie ein Workshop vor Ort am gesperrten Mainufer dienten dabei als Ausgangspunkt für eigene Ideen der Frankfurter Bürgerinnen und Bürger. Der Bastelbogen im A3-Format war mit einfachsten Mitteln zu einem Modell zu falten; konnte aber auch als plane Grundlage für Ideenskizzen dienen. Bearbeitungen waren sowohl in freier Form als Model, Foto oder Text möglich. Der Bastelbogen konnte von allen Interessierten unabhängig von Workshops gestaltet und beim DAM eingereicht werden. Ein Open Air-Workshop auf dem nördlichen Mainufer wies auf die Aktion hin: Mit Sprühkreide und Pappaufstellern entstanden dreidimensionale Modelle, die an einem Samstag Juni 2020 von Interessierten ausgestaltet werden konnten. Während der Open Air-Aktion konnten Vertreterinnen und Vertreter des DAM und der Kooperationspartnerinnen und -partner viele Gespräche mit Interessierten sowie Passantinnen und Passanten führen, und es kam so zu einem regen Austausch über stadträumliche Gestaltung. Eine erste Ausstellung im Heussenstamm. Raum für Kunst und Stadt – mit Sicht auf das nördliche Mainufer – stellte die ersten eingereichten Beiträge vor (Abbildung 2); Preisverleihung und Ausstellung aller Arbeiten im DAM werden folgen und damit die Gespräche über stadträumliche Gestaltung fortsetzen – auch über die Sperrung des Autoverkehrs am nördlichen Mainufer hinaus.

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Abb. 2: Das Outreach-Projekt „Deinufer“ fragte die Bürgerinnen und Bürger nach Ihren Vorstellungen vom Frankfurter Mainufer (Foto: Moritz Bernully)

DAMdigital Nicht erst seit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie gewinnt die virtuelle Welt zunehmend an Bedeutung. Die Entwicklung begleitet das DAM seit vielen Jahren und – wie viele andere Museen – erkennt auch das DAM die Chance und Notwendigkeit, diesen neuen Raum zu bespielen. Das Internet mit all seinen Plattformen ermöglicht eine einfache Kommunikation rund um den Globus. Um bei einem bereits bekannten Beispiel zu bleiben, sei das Projekt SOS Brutalismus genannt, welches das Ziel verfolgte eine weltweite Datenbank im Stil des Brutalismus gebauter Gebäude entstehen zu lassen. Das Format zeichnete sich durch den internationalen, partizipativen Charakter aus und wurde 2017 im Rahmen einer Ausstellung aus der digitalen Welt in die analogen Hallen des DAM transferiert. Hybride Formate dieser Art bieten die Möglichkeit, sowohl international als auch lokal mit Menschen in Kontakt zu kommen. Das Museum kann jedoch auch in dem Spannungsfeld Internet – die Quelle des Wissens und dem Problem der nicht verifizierten Fakenews eine bedeutende

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Rolle spielen. Als eine Experteninstanz im Feld der Baukultur und der Architektur kann das DAM als sichere und neutrale Informationsquelle dienen, auf die sich die Bürgerinnen und Bürger verlassen können. Dazu ist die Digitalisierung und kostenlose Veröffentlichung der Inhalte notwendig. Waren bislang vor allem die Ausstellungskataloge wertvolle Referenzen nach Ablauf der Ausstellungen, erweitert sich das DAM jetzt auch mehr und mehr ins Digitale: Neben der fortlaufenden Erweiterung der digitalen, öffentlichen Datenbank zu Gebäuden des Brutalismus wachsen auch die Online-Kataloge zum Internationalen Hochhaus Preis und zu den besten Bauten in und aus Deutschland und bieten eine verlässliche Informationsquelle. Blogs wie zu Große Oper – Viel Theater? stellen das vom DAM für die Ausstellung gesammelte Wissen in Form von Abbildungen, Texten und Videos zu den einzelnen Projekten, weiterhin der Öffentlichkeit zur Verfügung. Das DAM hat den Anspruch einen Beitrag zur fundierten Meinungsbildung der breiten Öffentlichkeit zu leisten und die genannten Argumente unterstreichen die Bedeutung des Internets für eben diesen Zweck, die weit über die Kommunikationsmöglichkeiten des Social Web hinausgehen.

Fazit Die Frage, was das DAM nun ist, was es sein kann und will, ist nicht in kurzen Sätzen zu beantworten. Aus den vorhergehenden Erläuterungen ergibt sich der Rückschluss, dass das DAM und Museen im Allgemeinen vor allem eines sind: multifunktional. So liegt eine Besonderheit des DAM in der Wandelbarkeit des Raumes begründet. Dieser ändert sich mit den Ausstellungen, aber auch im Kontext verschiedener Vermittlungsformate, beispielsweise der Kinderwelt oder LEGO-Baustelle. Es verfügt in einem gewissen Rahmen über die Fähigkeit, sich den Bedürfnissen der Besucherinnen und Besucher anzupassen. Auch arbeitet das DAM beständig an einer Wechselbeziehung zwischen seinem Umfeld und sich selbst. Einerseits geschieht dies durch die Themenwahl, die im Ausstellungsprogramm des Hauses behandelt werden. Häufig entspringen sie aktuellen Debatten oder erlauben Rückbezüge auf die eigene Lebenswelt. Zudem begnügt sich das Haus nicht mit der passiven Rolle des Beobachtenden und Analysierenden, sondern mischt sich aktiv in aktuelle Debatten ein. Entsprechend der Architektur des Hauses, ist sie gleichzeitig Ausstellungsobjekt und Teil der Lebenswelt. Diese Ausdehnung des Wirkungsbereichs auf reale Debatten rund um die gebaute Umwelt ermöglichen eine Verbindung zu der Le-

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benswelt interessierter Besucherinnen und Besucher. Als Spezialist auf dem Gebiet ist das Haus somit gleichzeitig ein Ort der (selbstständigen) Weiterbildung, als auch ein Diskursteilnehmer auf dem Gebiet der Baukultur. Dies führt, vor allem in Hinblick auf die Fachwelt, zu einer häufigen Überschneidung von Lebens- und Lernwelt. Das Ziel des Hauses ist es jedoch, auch Menschen ohne fachliche Expertise anzusprechen. Aus unserer Erfahrung leiten wir ab, dass dies am besten funktioniert, wenn kleinräumlich beziehungsweise konkret gedacht wird. Aus unserer Sicht ist im Falle des DAM eine Öffnung der Lerninhalte durchaus möglich und wird auch praktiziert. Jedoch verfolgt das Museum grundsätzlich ein Bildungsziel, welches es in verschiedenen Härtegraden immer umsetzt. Selbst bei freien Projekten, wie der Kinderwelt oder dem DeinUfer-Projekt ist das Vermittlungsziel eine klares: man möchte die Auseinandersetzung mit konkreten Themenbereichen der Baukultur fördern. Es kann trotzdem nicht von der Hand gewiesen werden, dass es immer einen Anteil an informellem Lernen gibt. Beispielsweise durch das Anwenden kreativer, handwerklicher Techniken, aber auch das soziale Lernen in Gruppenarbeiten. Die Erfahrung zeigt uns, dass der Anteil an formalen Lernmechanismen in Abhängigkeit zur bestehenden Beziehung zu dem Haus angepasst werden sollte. Je museumsferner jemand ist, desto besser eignen sich weniger formale bis informelle Lernsettings. Das Museum hat die Möglichkeit seine Vermittlungstechniken anpassen. Vielleicht sollte ein Museum deshalb eher als multifunktionale Welt des Lernens und der Bildung betrachtet werden und vielleicht liegt genau darin auch seine Besonderheit.

Literatur Wüstenrot Stiftung (Hrsg.) (2019): Bildungsorte und Lernwelten der Baukultur. Momente und Prozesse baukultureller Bildung von Kindern und Jugendlichen. Ludwigsburg: Wüstenrot Stiftung.

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Historisch-politische Bildungsarbeit neu gestalten Lernwelt Lernlabor

Einleitung Kein Museum, sondern ein Ort der Auseinandersetzung und Debatte über aktuelle gesellschaftspolitische Fragen – und zugleich durchaus ein Museum, das Jugendliche an die Biografie von Anne Frank heranführt, die Geschichte des Nationalsozialismus und der Shoah vermittelt und an deren Opfer erinnert. Das Lernlabor Anne Frank. Morgen mehr. in Frankfurt am Main beschreitet neue Wege in der historisch-politischen Bildungsarbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen, indem es seine Besucherinnen und Besucher zugleich informiert und irritiert, historische Fakten vermittelt und dazu herausfordert, Fragen aus der Geschichte auf die Gegenwart anzuwenden. Es holt Jugendliche in ihren Lebenswelten ab und lädt sie dazu ein, sich darin selbst zu reflektieren. Kurz: Es nimmt jugendliche Perspektiven zu den Themen Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung ernst und macht die verschiedenen Formen der Aneignung von Geschichte erlebbar: Utopien, Konflikt, Widerstand. Das Lernlabor wird tatsächlich zur Lernwelt, das die Jugendliche in ihrer Lebenswelt abholt und sie in Bezug zur Geschichte Anne Franks, der Shoa sowie aktuelle gesellschaftlichen Fragen zwischen Diskriminierung und Rassismus setzt. Das innovative pädagogische Konzept des Lernlabors wurde mit Jugendlichen in einem zweijährigen partizipativen Prozess entwickelt und mit einer digitalen Infrastruktur umgesetzt, die das Experimentieren ermöglicht und jeden Besuch zu einer neuen Erfahrung werden lässt. Auf diese Weise wurde von vornherein sichergestellt, dass der Lernraum mit der realen Lebenswelt der Lernenden tatsächlichen Bezug herstellt und nicht nur, wie so oft, lediglich die Vorstellung der Pädagoginnen und Pädagogen über die Lebenswelt der Lernenden abbildet. Das Lernlabor ist ein Ort, an dem Prozesse initiiert werden, um Erkenntnisse zu gewinnen und Wissen in Frage zu stellen – schließlich ist Gesellschaft auch ein Prozess des Suchens und Ausprobierens, ein Experimentierfeld. Ohne Entscheidungen der Besucherinnen und Besucher, ohne aktive Teilnahme ist das Lernlabor fast nicht zu bedienen, ja nicht einmal wahrzunehmen – kurz: Das Lernlabor Anne Frank. Morgen mehr. lebt vom Mitmachen. Das https://doi.org/10.1515/9783110703054-012

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Motto des Lernlabor heißt deswegen: „Deine Meinung zählt!“. Die Lernwelt des Lernlabors setzte auf aktive, eigenmotivierte und informelle Formen der Lernenden und setzt dezidiert aktuelle und gesellschaftskritische Lerninhalte.

Bildungsstätte Anne Frank: Geschichte und Auftrag Die Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main wurde 1994 von engagierten Frankfurter Bürgerinnen und Bürgern als gemeinnütziger Verein als Jugendbegegnungsstätte Anne Frank gegründet, um in der Nähe des Geburtshauses von Anne Frank im Frankfurter Stadtteil Dornbusch einen Ort zu schaffen, der das Gedenken an die wohl bekannteste Tochter der Stadt aufrechterhält. 2003 eröffnete die erste Dauerausstellung in der damaligen Jugendbegegnungsstätte: Im wortwörtlichen Mittelpunkt dieser Ausstellung stand das weltberühmte Tagebuch der Anne Frank als Faksimile in einem Glaskasten: Jenes Buch, das für Jugendliche bis heute Anlass ist, sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust auseinanderzusetzen. Anne Frank stellt darin adoleszenzspezifische Fragen, die auch heute noch zentral in der Entwicklung junger Menschen sind: Wer bin ich? Was geschieht mit mir? Was ist mir wichtig? Mehr als 135.000 Jugendliche haben die Ausstellung in den 14 Jahren ihres Bestehens besucht. Seit den Anfängen der damaligen Jugendbegegnungsstätte finden in der Bildungsstätte neben Workshops für Schülerinnen und Schüler Fortbildungen für Pädagoginnen und Pädagogen sowie Multiplikatorinnen und Multiplikatoren auch Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen statt, die Jugendlichen und Erwachsenen unmittelbar, direkt und persönlich von ihrer Verfolgung während des Nationalsozialismus und ihrem Überleben in den Konzentrations- und Vernichtungslagern erzählten. Zudem hat die Bildungsstätte ihr Angebot in den vergangenen Jahren stetig erweitert und aktualisiert: So fließen in die Workshops und Fortbildungen jeweils aktuelle Diskurse und Konflikte ein, etwa hinsichtlich rassistischer und antisemitischer Phänomene im Sport oder antisemitischer Äußerungen oder verschwörungsideologischer Videos in der Popkultur. Darüber hinaus sind in der Bildungsstätte zwei Beratungsstellen angesiedelt: response unterstützt Betroffene von rechter und rassistischer Gewalt, das ADiBeNetzwerk berät Menschen, die Diskriminierung erfahren haben. Fachkräfte der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit erhalten Beratung in akuten Konfliktfällen sowie zum Umgang mit Radikalisierung und radikalisierten Ju-

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gendlichen. Die Bildungsstätte Anne Frank beteiligt sich also auf vielfältige Weise an aktuellen gesellschaftlichen Diskursen und lädt mit verschiedenen Angeboten und Formaten zum Mitdenken und -diskutieren ein. Eine Konstante in der Arbeit der Bildungsstätte ist und bleibt die zentrale Rolle, die Biographie und Tagebuch von Anne Frank von Beginn an für die Bildungsarbeit spielten – schließlich gibt es wohl keine Person, die so symbolisch für die Opfer des Nationalsozialismus steht wie sie. Der Knotenpunkt dieser Auseinandersetzung war dabei stets die Dauerausstellung Anne Frank. Ein Mädchen aus Deutschland, doch nach 14 Jahren ihres Bestehens musste sie schließlich 2017 geschlossen und abgebaut werden – sie war in die Jahre gekommen und vor allem technisch veraltet. Bei der Neukonzeption der Dauerausstellung war von Beginn an klar, dass dabei thematisch, methodisch und technisch neue Wege beschritten werden sollten. Vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftspolitischer Entwicklungen, wie dem fortschreitenden Verlust von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen dem Erstarken rechtspopulistischer Stimmen innerhalb der bundesrepublikanischen Migrationsgesellschaft, sollte ein Lernort geschaffen werden, der sowohl der Tendenz zu einer ritualisierten, erstarrten Erinnerungskultur etwas entgegen setzt, als auch für aktuelle Formen von Antisemitismus, Rassismus und unterschiedlichen Formen von Diskriminierung sensibilisiert und zur Zivilcourage ermutigt. Damit war die inhaltliche Agenda für die entstehende Lernwelt gesetzt, die zwar in Bezug zu den schulischen Bildungsplänen stand, doch vor allem eine eigene, erinnerungspolitische Lernziele und Lernmethoden setzte. Dieser inhaltliche Anspruch sollte dabei mit zukunftsfähigen Konzepten der historisch-politischen Bildungsarbeit umgesetzt werden. Dabei stellte sich unter anderem die Frage, wie digitale Angebote die Geschichte des Nationalsozialismus vermitteln und das Erinnern an die Opfer der Shoah ermöglichen können. Denn im Zeitalter der interaktiven Medien hegen viele Expertinnen und Experten die Hoffnung, digitale Vermittlungsangebote könnten die Erinnerung lebendig halten, nachdem die letzten Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gestorben und die Möglichkeiten der persönlichen Überlieferung unwiederbringlich verloren sind. Mit Begriffen wie „Erinnerungskultur 2.0“, „3.0“ und zuletzt sogar „4.0“ (Rees et al. 2018) werden Technologien wie Hologramme von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen bezeichnet, aber auch Social-Media-Aktivitäten von Gedenkstätten und Museen, E-Learning-Module, Computerspiele aus dem Genre „serious games“ sowie die Verwendung von Augmented Reality und Virtual Reality. Doch auch beim Einsatz digitaler Formate – vor allem, wenn diese noch wenig praxiserprobt sind – müssen problematische Tendenzen in der Erinnerungskultur im Auge behalten und somit vermieden werden – eine Maxime, die bei der Entwicklung des Lernlabors Anne Frank. Morgen mehr. besonders wich-

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tig war. Von vornherein verschränkte das Konzept des Lernlabors digitale mit analogen Lernangeboten und ignorierte – ganz im Sinne des in diesem Bande postulierten Lernwelt-Begriffs – die vielfach beschriebene Grenze von digitalem und analogem Raum.

Aktuelle Herausforderungen der historischpolitischen Bildungsarbeit Mehr als 75 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus steht die Erinnerungskultur vor der Herausforderung, den Verlust der letzten Zeitzeuginnen und Zeitzeugen mittels neuer Formen des Gedenkens zu kompensieren: Welche Alternativen zur persönlichen Überlieferung durch Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sind denkbar, ohne dass die Erinnerungskultur einerseits an Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit einbüßt und sich andererseits nicht in ritualisierten öffentlichen Gedenktagen, Schweigeminuten oder in Stolpersteinen und Gedenktafeln erschöpft? Welche Möglichkeiten gibt es, die Bedingungen zu vermitteln, die zum Aufstieg des Nationalsozialismus geführt haben, ohne in formelhafte Wiederholungen zu verfallen, die bestenfalls inhaltsleer sind und schlechtestenfalls einem neuen deutschen Nationalgefühl als „Erinnerungsweltmeister“ (Assmann 2012) Vorschub leisten? Denn diese Haltung, die auch in pädagogischen Kontexten verbreitet ist, ermöglicht die Wiedererweckung eines deutschen Selbstbewusstseins nicht trotz, sondern gerade wegen Auschwitz; eines Selbstbewusstseins, das seine moralische Überlegenheit aus der Erinnerung an die Verbrechen zu ziehen sucht. Gesellschaftliche Konflikte, die dieses Bild zu diskreditieren drohten, werden immer wieder pädagogisiert, indem sie einer bestimmten Problemgruppe zugeschrieben werden (Meseth 2005). Zudem geraten durch eine solche Form der Gedenkkultur andere Verfolgungsgeschichten aus dem Fokus, etwa die des deutschen Kolonialismus. Damit verbunden ist die Frage, auf welche Weise das Ziel „aus der Geschichte zu lernen“ für möglichst viele Jugendliche innerhalb der Migrationsgesellschaft anschlussfähig sein kann? Für herkunftsdeutsche Jugendliche ist die Verstrickung der eigenen Familie in die NS-Verbrechen ein möglicher Anknüpfungspunkt, auch wenn – oder gerade weil – die Vorstellung weit verbreitet ist, dass die eigenen Vorfahren entweder selbst Opfer des NS-Regimes gewesen seien oder zumindest den Verfolgten geholfen hätten. Für Jugendliche mit familiärer Migrationsbiografie stellen sich in Hinblick auf den Nationalsozialismus an-

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dere Fragen, ergeben sich andere Anknüpfungspunkte der eigenen Biografie und sind andere Erfahrungen von Marginalisierung – gegebenenfalls sogar von Verfolgung – relevant. Deutungskämpfe um Erinnerungskultur gehören zudem zu den zentralen Bemühungen aktueller rechter und rechtspopulistischer Akteurinnen und Akteure, die den Holocaust als „Vogelschiss in 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“ verharmlosen oder vom Holocaust-Denkmal als „Mahnmal der Schande“ sprechen. Zwar werden diese Äußerungen medial glücklicherweise überwiegend kritisch rezipiert, doch sind auch Erfolge der rechten Bemühungen um Diskursverschiebung zu beobachten: „Flüchtlingswelle“, „Genderwahnsinn“ und „Frühsexualisierung“ sind jedenfalls bisweilen auch in der bürgerlichen Presse zu lesen. Dieses Erstarken rechter Narrative macht deutlich, dass eine liberale Demokratie gelebt und verteidigt werden muss – durch Partizipation und Teilhabe. Diese Botschaft kann als Leitbild einer zeitgemäßen historisch-politischen Bildungsarbeit angesehen werden.

Vom Konzept zur Realisierung: Der partizipative Ansatz Bei der Entwicklung des Konzepts für das Lernlabor Anne Frank. Morgen mehr. wurden diese gesellschaftspolitischen Entwicklungen und Phänomene von Beginn an berücksichtigt. Ausgangspunkt des pädagogischen Konzepts war die Feststellung, dass allein die freiwillige und interessengeleitete Erkundung historischer und politischer Themen eine tiefgreifende Auseinandersetzung damit ermöglicht. Anders als in einem Geschichtsunterricht von oben herab, wie er im schulischen Kontext noch vielerorts praktiziert wird, sollte im Lernlabor ein spielerischer, eigenständiger Umgang mit den Lerninhalten im Mittelpunkt stehen, bei dem die jugendlichen Besucherinnen und Besucher ermutigt werden, einen eigenen Zugang und eine eigene Haltung zu Diskriminierung, Ausgrenzung und geschichtlichen Tatsachen zu finden – und diese Haltung zugleich zu hinterfragen. Um diese Maxime bei der Konzeption immer im Blick zu behalten, stand bereits früh der Slogan des Lernlabors fest: „Deine Meinung zählt!“ Mit der Lernwelt Schule hatte die Lernwelt Lernlabor zwar von vornherein bestimmte Teile der Lerninhalte gemein, doch sollten sich die Form des Lernens möglichst von den formalen Lernmethoden der Schule unterscheiden. Entschei-

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dend war, dass sich die Jugendlichen aktiv und eigenmotiviert mit der Lernwelt auseinandersetzen sollten. Konsequenterweise wurden Jugendliche bei der Entwicklung des Lernlabors Anne Frank. Morgen mehr., die im Rahmen des Bundesprogramms Demokratie leben! im Zeitraum von 2016 bis 2018 erfolgte, von Beginn an mit eingebunden. Neben dem Kuratorinnen- und Kuratorenteam der Bildungsstätte Anne Frank und zahlreichen Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft waren es die künftigen Besucherinnen und Besucher selbst, die mit ihren Eindrücken und ihrem Feedback die Entstehung des interaktiven Lernlabors zu Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung maßgeblich geprägt haben – und mehr noch: Auch die zugehörigen, speziellen pädagogischen Angebote wurden von Jugendlichen ausprobiert und evaluiert. Ziel war es nicht allein, die Gestaltung eines attraktiven und innovativen Raums für die lokale Auseinandersetzung mit der Geschichte des Holocaust sowie mit aktuellem Antisemitismus und Diskriminierung zu schaffen, sondern darüber hinaus eine Präsentation von neuen Denkrichtungen und Konzepten für die Arbeit gegen gegenwärtigen Antisemitismus zu leisten. Als Ergebnis des partizipativen Entwicklungsprozesses entstand das Lernlabor Anne Frank. Morgen mehr. Das Lernlabor ist keine Ausstellung im klassischen Sinn, mit Führungen und Exponaten – und deshalb auch kein Museum im engeren Sinn. Vielmehr besteht es aus Interaktionen, also einzelnen Stationen, die von den Besucherinnen und Besuchern mit Hilfe von Tablets aktiviert und bedient werden müssen und die je nach Interesse und Input unterschiedliche Erfahrungen ermöglichen. Das Lernlabor zeigt Jugendlichen, wie sie sich persönlich gegen Unrecht und Diskriminierung heute engagieren können. Voraussetzung für ein solches Engagement ist, dass Jugendliche diese Phänomene verstehen und ihre Erscheinungsformen erkennen können. Diese Erfahrung sollen Jugendliche in ihre heutige, alltägliche Lebenswelt übertragen, um sensibel für Diskriminierungsgeschehen, menschenverachtende Ideologien und Instrumentalisierungen in ihrem Umfeld zu werden. Die Lernziele der Lernwelt Lernlabor setzen damit deutlich andere Akzente als die Bildungspläne der Schulen, ohne den Bezug zu diesen zu verlieren. Möglich wird dies durch die innovative Gestaltung der Lernwelt, die just jene Möglichkeiten von Lernräumen nutzt, die andere Lernwelten nicht für sich nutzen können.

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Das Lernlabor als Lernwelt Entstanden ist auf diese Weise ein digitales Spielfeld, in dem sich Jugendliche autonom bewegen und je nach Interesse eigene Erfahrungen machen können. Dabei spielen die digitalen Elemente des Lernlabors eine wichtige Rolle: Nach der Begrüßung und Vorstellung durch Trainerinnen oder Trainer, die nach dem Peer-Education-Ansatz arbeiten, bekommen die Besucherinnen und Besucher den Einführungsfilm („Prolog“) zu sehen: Darin werden zentrale gesellschaftspolitische Fragen aufgeworfen – Warum gibt es Grenzen? Sollte die Ehe nur für Mann und Frau gelten? – und der Slogan geprägt, der die Besucherinnen und Besucher in den kommenden anderthalb Stunden begleiten wird: „Deine Meinung zählt!“ Danach erhalten sie je ein Tablet, das digitale Tool, welches sie durch die Ausstellung führt und die digitalen Multimedia-Stationen – eben die genannten Interaktionen – aktiviert. Diese Interaktionen vermitteln sowohl historisches Wissen, das zur Auseinandersetzung mit aktuellen Formen von Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung nötig ist, als auch Anreize, die eigene Haltung zu diesen Themen zu reflektieren. Bei ihrer Bewegung durch das Lernlabor haben Besucherinnen und Besucher die Möglichkeit, bis zu sechs Bereiche zu erkunden, in die das Lernlabor aufgeteilt ist. Diese Bereiche oder Kapitel beginnen jeweils mit „Morgen mehr…“ und einem der Schlagworte „Geschichte(n)!“, „Mut!“, „Respekt!“, „Welt!“, „Vielfalt!“ und „Gerechtigkeit!“. Welche der Kapitel sie dabei am meisten reizt, wo sie am längsten Zeit verbringen möchten und womit sie sich im intensivsten auseinandersetzen möchten, können die Jugendlichen dabei selbst entscheiden. Nach der Einführung durch den „Prolog“ passieren die Besucherinnen und Besucher zunächst einen historischen Teil, der sich mit dem Tagebuch und der Biografie von Anne Frank beschäftigt und der gestalterisch von dem dahinterliegenden Gegenwartsteil abgegrenzt ist. Dieser historische Teil trägt den oben beschriebenen Problematiken der aktuellen Erinnerungskultur Rechnung und vermeidet es, das Gedenken an Anne Frank zur rituellen Geste erstarren zu lassen. Er setzt an Schicksal und Werk von Anne Frank an, da ihre bewegenden Tagebuchaufzeichnungen für viele Jugendliche weltweit ein Türöffner sind, um zu verstehen, wohin eine Ideologie der Ungleichwertigkeit führen konnte. Hier besteht zunächst die Möglichkeit der persönlichen Auseinandersetzung mit dem Schicksal von Jüdinnen und Juden während der Shoah, was angesichts des Versterbens von Überlebenden besonders wichtig ist. Die Interaktionen im historischen Teil geben außerdem wichtige Informationen zur Rezeptionsgeschich-

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te des Tagebuchs und zur Frage, wie eine Popularisierung unsere Wahrnehmung von Geschichte verändert. Das digitale „Tool“, ein speziell für das Lernlabor programmiertes Tablet, nimmt dabei unterschiedliche Funktionen ein: So fungiert es bei einem virtuellen Besuch des Amsterdamer Verstecks als Augmented-Reality-Bildschirm, mit dessen Hilfe sich die Besucherinnen und Besucher in den verschiedenen Räumen des Verstecks bewegen und auch ein Gefühl dafür entwickeln können, von welchen räumlich beengten Verhältnissen das Leben im Versteck geprägt war. Ein lebendiges Buch liefert in Form von Video-Clips, Fotos, Dokumenten und Zitaten weitere Informationen über die acht Versteckten in der Prinsengracht 263 – denn in Annes Tagebuch erfahren die Leserinnen und Leser lediglich Annes Perspektive auf die Mitversteckten. Der Weg durch das Lernlabor führt dabei auch zu anderen historisch und aktuell bedeutsamen Persönlichkeiten. In der Interaktion #geholfen lernen die Besucherinnen und Besucher zum Beispiel verschiedene Geschichten von Menschen kennen, die Mut bewiesen und etwas verändert haben. Sie begegnen einem breiten Spektrum an Solidarität, Hilfe, Selbsthilfe oder Widerstand in unterschiedlichsten Kontexten – zum Beispiel einem jungen niederländischen Widerstandskämpfer während der Nazi-Besatzung, oder Tarana Burke, der Begründerin der #metoo-Bewegung. Sie bekommen Informationen und können am Ende entscheiden: „Das würde ich mich nicht trauen“, „das ist für mich vorbildhaft“, „hier hätte ich etwas Anderes gemacht“. An der Station Vom Tagebuch zum Blog machen die jungen Besucherinnen und Besucher mit jugendlichen Autorinnen und Autoren Bekanntschaft, die unter ganz verschiedenen Bedingungen kraftvoll ihre Meinung formuliert haben: Charlotte L. Fortens Berichte von Rassismus in den USA des 19. Jahrhunderts; die Tagebücher von Ana Novac und Arieh Koretz aus Auschwitz-Birkenau und Bergen-Belsen; Blogs wie von Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai oder Jamie Raines, der von seinem Weg vom „Mädchen“ zum „Mann“ berichtet. Auf dem Tablet werden die Besuchenden dann dazu eingeladen, ihre eigene Geschichte zu erzählen. Die Identifikation mit der Biographie von Anne Frank und anderen Jugendlichen aus der NS-Zeit, aber auch aus anderen Epochen, spielt im historischen Teil des Lernlabors also eine zentrale Rolle. Indem dabei der Bezug zur jugendlichen Lebenswelt hergestellt und die Besucherinnen zur Partizipation angeregt werden, wird der zunehmenden Ritualisierung und Erstarrung der Gedenkkultur eine offene und bewertungsfreie Auseinandersetzung mit der Geschichte und ihren Bezügen zur Gegenwart entgegengesetzt. Gerade weil sich die ritualisierte Erinnerungskultur von den Lebensrealitäten der Jugendlichen entfernt hat, setzt das Lernlabor so nah wie möglich an ihren Alltagserfahrungen an.

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Was hat das mit mir zu tun? Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung heute Die Beschäftigung mit Biografie und Tagebuch von Anne Frank und dem Schicksal der NS-Verfolgten ist im Lernlabor Anne Frank. Morgen mehr. der Auftakt zur Auseinandersetzung mit den aktuellen Phänomenen von Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung in der Migrationsgesellschaft. Neben der historischen Bildung, der Vermittlung der Geschichte der Shoah und ihren vielfältigen Bezügen zur Gegenwart, war ein weiteres dezidiertes Ziel bei der Entwicklung des Lernlabors, Jugendlichen praktische Kompetenzen zu vermitteln, die nötig sind, um die gewonnenen Erkenntnisse im Alltag umzusetzen. Dazu gehört es, reflektiert – das heißt ohne abwertende und diskriminierende Affekte – mit Diversität in ihrer Umgebung umzugehen, eigene Anliegen ohne Rückgriffe auf rassistische oder antisemitische Argumentationen vorzutragen, eigene Ideen für ein demokratisches Zusammenleben und Handlungsstrategien gegen Antisemitismus und Rassismus entwickeln zu können. Im Gegenwartsteil des Lernlabors kann erforscht werden, wann Diskriminierung im Alltag beginnt. Das gängige, gut gemeinte Kompliment „Sie sprechen aber gut Deutsch“, das meistens nur Personen of Color gemacht wird; die Aufforderung an deutsche Jüdinnen und Juden, militärische Aktionen von Israel zu erklären; das Klischee, Schwarze hätten besonders viel „Rhythmus im Blut“ – mit solchen Bemerkungen werden Gruppen marginalisiert, die nicht zur Normalitätsvorstellung der Gesellschaft passen. So werden Menschen als „normal“ und „abweichend“ eingeordnet – oft subtil und für die meisten unbewusst. Im Lernlabor lädt die Station Vorurteils-Brille zur Auseinandersetzung mit diesem Phänomen ein. Die Besucherinnen und Besucher können eine Brille aufzusetzen und sechs Porträts von Menschen betrachten. Mit Hilfe der Brille verwandelt sich der schwarze Student plötzlich in einen bewaffneten Gangster. Ein bärtiger Mann wird zu einem Selbstmordattentäter mit Sprengstoffgürtel; ein Kippaträger zu einer geldgierigen Figur. Hier wird bewusst zugespitzt mit vorhandenen Stereotypen über marginalisierte Gruppen – Muslime, Roma, Juden, Schwarze, Frauen und Homosexuelle – gearbeitet, um eine Selbstreflexion anzuregen. Auf eine indirekte Art werden Jugendliche mit ihren eigenen Vorurteilen beziehungsweise mit ihrem Wissen über Vorurteile konfrontiert. Gerade die humoristische und zugespitzte Art der Station ermöglicht eine offene und nicht entlarvende Diskussion über Vorurteile und Diskriminierung in unserer Gesellschaft. Dabei sind Spaß, Betroffenheit und Empörung oft gleichzeitige Emotionen, die durch die Vorurteils-Brille ausgelöst werden.

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Über Vorurteile informiert zugleich auch eine weitere Station, der Körperscanner. Hier geht es weniger um reale Vorurteile und Stereotype, als vielmehr um das Prinzip und den Mechanismus von Vorurteilen. Besuchende lassen sich durch einen Körperscanner abbilden, sodass eine 3D-Figur entsteht. Anschließend „berechnet“ der Scanner, welche Eigenschaften lediglich aufgrund äußerer Merkmale der Person zugeschrieben werden können. So werden Menschen als unmusikalisch, besserwisserisch oder kleinkariert beschrieben – Eigenschaften, die nicht diskriminieren sollen. Zugleich wird schnell deutlich, dass äußere Merkmale keine validen Aussagen über (Un-)Fähigkeiten von Menschen zulassen. Die Station basiert auf dem Modell des Dreischritts der Diskriminierung: Im ersten Schritt nehmen wir ein Merkmal an einer Person wahr, wie beispielsweise die Hautfarbe, Kleidungsstück oder einen Akzent. Im zweiten Schritt werden alle Menschen, die dieses Merkmal haben, einer Gruppe zugeordnet, etwa Ausländerinnen und Ausländer, Frauen oder Schwarze. Im dritten Schritt werden den Gruppen Eigenschaften zugeschrieben, die die gesamte Gruppe ab- oder aufwerten. Bekannte Beispiele: Schwarze können gut tanzen, Juden sind geschickt im Umgang mit Geld und Frauen sind schlecht im Einparken. Grundsätzlich ist es aus einer sozialpsychologischen Perspektive ein normaler Vorgang, dass Menschen mithilfe ihres Vorwissens und ihren Erfahrungen Zuordnungen vornehmen. Die Reflexion darüber hilft, um eigenes Wissen und Erfahrungen zu hinterfragen und Diskriminierungsprozesse zu verstehen. Weitere digitale Stationen bieten schließlich die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Gegenwart. Beispielsweise die Station Welt in Bewegung, die eine Zeitreise über 1.000 Jahre Migrationsgeschichte ermöglicht. Das digitale Tool erlaubt es den Besucherinnen und Besuchern nicht nur, die Stationen zu bedienen, sondern notiert dabei immer auch den Lernfortschritt, die Meinungen und die Positionen, die die Besucher in der Auseinandersetzung mit den Lerninhalten beziehen. Alle Interaktionen fließen – selbstverständlich anonym – in die Endauswertung ein, die nach dem Besuch in der Gruppe diskutiert werden kann. Warum hat unsere Gruppe bei dieser Station mehrheitlich so reagiert, warum nicht anders? Wo gehen die Meinungen besonders weit auseinander, wo waren wir uns einig? Hier wird deutlich, dass das Versprechen der Partizipation schnell gegeben ist, aber sorgfältig gestaltet werden muss: Wenn man Jugendliche in einen Raum führt, in welchem ein angstfreier Meinungsaustausch, aber auch der verletzungssensible Umgang mit menschenfeindlichen Positionen trainiert werden soll, braucht es dafür Moderation und fachkundige Begleitung. Für diese Aufgabe bildet die Bildungsstätte junge Trainerinnen und Trainer aus, die Einführung

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und anschließende Diskussion mit den Besucherinnen und Besuchern begleiten und moderieren.

Fazit Das Lernlabor wurde mit Jugendlichen entwickelt und zeichnet sich dadurch aus, dass es nah an deren Lebenswelt ist. Daraus ergibt sich die Herausforderung, in rapiden gesellschaftlichen Wandlungsprozessen, die wir aktuell erleben, die Aktualität und den Lebensweltbezug des Lernlabors beizubehalten. Das Lernlabor als Lernwelt ist nicht abgeschlossen, sondern wird kontinuierlich anhand der Kommentare und Rückmeldungen der Besucherinnen und Besucher weiterentwickelt. Seit seiner Eröffnung 2018 bis zum Lockdown in März 2020 hatte das Lernlabor insgesamt etwa 27.000 jugendliche und erwachsene Besucherinnen und Besucher. Auf Basis ihrer Rückmeldungen und der Erfahrungen, die unsere Trainerinnen und Trainer mit den Schulklassen und Jugendgruppen machen, wird das Lernlabor kontinuierlich evaluiert. Die gewonnenen Erkenntnisse dienen dazu, das Lernlabor weiterzuentwickeln. Dabei erweist sich die digitale Umsetzung als ein großer Vorteil: So können Inhalte mit wenig Aufwand redigiert, ergänzt oder ausgetauscht werden. Im Hinblick auf eine drohende Ritualisierung und Schablonisierung der Erinnerungskultur muss ein solches Konzept dynamische und aktuelle Alternativen bieten. Es muss veränderbar und kommunikativ sein, um auf die raschen Entwicklungen in den Lebensrealitäten junger Menschen im digitalen Zeitalter reagieren zu können. Das Lernlabor Anne Frank. Morgen mehr. ist und bleibt daher ein Konzept im Wandel – eine Lernwelt, die sich weiterdreht.

Literatur Assmann, A. (2012): Weltmeister im Erinnern? Über das Unbehagen an der Deutschen Erinnerungskultur. Vorgänge – Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik, 51/2, 24– 32. Meseth, W. (2005): Aus der Geschichte lernen. Über die Rolle der Erziehung in der bundesdeutschen Erinnerungskultur. Frankfurt a. M.: Goethe Universität. Rees, J.; Papendick, M.; Zick, A.; Wäschle, F. (2018): Ergebnisbericht MEMO Multidimensionaler Erinnerungsmonitor. Bielefeld: IKG Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung.

Silvia Gebel

Zwischen Werkstatt, Kinderbaustelle und Stadtraum Lernwelt StadtLabor

Einleitung Dieser Beitrag geht der Frage nach, inwiefern das Konzept der Lernwelt auf museumspädagogische Räume und Inhalte übertragen werden kann. Dies geschieht am Beispiel des StadtLabors im StadtPalais – Museum für Stuttgart. Das StadtLabor, dessen Konzept im Folgenden kurz umrissen wird, bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Kindermuseum, museumspädagogischer Werkstattarbeit sowie dem baukulturellen Bildungserleben im Stadtraum. Daher wird das jeweils unterschiedliche Verständnis des Lernwelt-Begriffs skizziert und die drei museumspädagogischen Aktionsräume – Werkstatt, Kinderbaustelle und Stadtraum – werden im Hinblick auf ihre Tauglichkeit als Lernwelt geprüft. Das StadtLabor umschreibt die museumspädagogische Vermittlungsarbeit am StadtPalais – Museum für Stuttgart. Dabei hat der Begriff sowohl eine räumliche als auch eine inhaltliche Komponente: Räumlich sind mit dem Stadtlabor die beiden Werkstatträume und die Kinderbaustelle im Gartengeschoss gemeint; inhaltlich fokussiert das StadtLabor auf baukulturelle Bildung als Zugang zu aktuellen und historischen Aspekten der Stadt in ihrer sozialen und räumlichen Struktur. Das StadtLabor wurde 2011 – bereits sieben Jahre vor Eröffnung des heutigen Museums – als museumspädagogischer Werkstattraum in einem ehemaligen Ladengeschäft in der Kriegsbergstraße 30 in unmittelbarer Nähe zum Stuttgarter Hauptbahnhof gegründet. Die Vermittlungsangebote umfassten Workshops für Schul- und Kitagruppen, Ferienprogramme für Horte sowie Kindergeburtstage. Der inhaltliche Fokus lag auf baukultureller Bildung sowie ersten Zugängen zur Stadtgeschichte. Der physische Einbezug des Stadtraums war immanenter Bestandteil aller Angebote – als Exkursion, als Erkundungsgang oder als Bestandsaufnahme einer bestimmten räumlichen Situation. Mit der Eröffnung des StadtPalais – Museum für Stuttgart im Frühjahr 2018 zog das StadtLabor ins Gartengeschoss des neuen Museums ein. Durch die vergrößerten Räumlichkeiten gibt es neben den beiden Werkstatträumen „Studio“ und „Werkstatt“ eine Kinderbaustelle für Familien und Kinder von zwei bis https://doi.org/10.1515/9783110703054-013

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sechs Jahren, deren Inszenierung sich je nach Themenschwerpunkt ändert. Inhaltlich erweiterte das StadtLabor seine Vermittlungsangebote auf die stadthistorischen Themen der ständigen Ausstellung sowie auf ausgewählte Sonderausstellungen. Die StadtbauAkademie wurde 2018 als Pilotprojekt für die Erprobung neuer baukultureller Vermittlungsformate gemeinsam mit der Wüstenrot Stiftung ins Leben gerufen. Als eigenständiger Teil des StadtLabors wurden modulare Workshops für Schulen entwickelt, mit den Hausforschertagen ein regelmäßiges Angebot für Familien etabliert, diskursive Stadtspaziergänge mit Expertinnen und Experten für junge Erwachsene durchgeführt und mit den SpaceMakern ein außerschulisches Format für Jugendliche geschaffen, bei denen sie mit baulichen Interventionen im öffentlichen Raum aktiv und sichtbar werden. Im aktuellen Folgeprojekt legt die StadtbauAkademie den Fokus auf Jugendliche als Zielgruppe mittels Wettbewerbsformaten und digitaler Vermittlung.

Lernwelt Stadtraum Bereits die ersten Workshops, die im neu eröffneten StadtLabor in der Kriegsbergstraße für Schulgruppen stattfanden, bezogen den Stadtraum als Lernwelt mit ein. Dies war eine logische Konsequenz der inhaltlichen Fokussierung auf baukulturelle Themen in der Vermittlungsarbeit des künftigen Stadtmuseums. Die Bundesstiftung Baukultur benennt in ihrem aktuellen Handbuch zur baukulturellen Bildung die öffentlichen Räume als „Orte des Lernens“ (Nagel 2020, 18). In ihrer Studie über Lernwelten der Baukultur formuliert die Wüstenrot Stiftung die Notwendigkeit, den Stadtraum in die Vermittlung einzubeziehen: [Es] zeigt sich, dass Kinder und Jugendliche den gesamten (Stadt-)Raum als Bildungsraum verstehen. Daher muss baukulturelle Bildung räumlich und örtlich den gesamten (Stadt-) Raum bespielen und darf sich nicht in […] das Museumsgebäude zurückziehen; Exkursionen sowie Vorort-Workshops sind unverzichtbare Formate baukultureller Bildung. […] Baukulturelle Bildungspraxis muss den gesamten (Stadt-) Raum – auch den digitalen Raum – als Bildungssetting nutzen. (Million et al. 2019, 211)

Doch was sind die konkreten Potentiale, die der Stadtraum als Lernwelt bietet? Aus der Perspektive der Vermittlung an stadthistorischen Museen nennt hier Bauereiß die Suche nach Spuren historischer Nutzungen im Stadtraum, wie beispielsweise die Bezeichnungen von Straßen oder Plätzen nach früheren Gewerken oder Nutzungen (Bauereiß 2014, 285). Auch für die „Kontextualisierung von Museumsobjekten mit der realen Umgebung“ sieht Bauereiß einen Mehrwert im

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Stadtraum: Die Rekontextualisierung von Museumsobjekten im stadträumlichen Bezug bietet einen weiteren Vermittlungszugang zur Stadtgeschichte (Bauereiß 2014, 286). Durch das Einbeziehen des Stadtraums als Lernwelt werden Museumsexponate, die aus dem städtischen Kontext gerissen und musealisiert sind, so begreifbar und entcodiert. Im Stadtrallye-Workshop des StadtLabors verorten so zum Beispiel die Schülerinnen und Schüler die Figur der Stuttgardia am Stuttgarter Rathaus, deren bewegte Geschichte im Eingangsbereich zur ständigen Ausstellung Stuttgarter Stadtgeschichten präsentiert wird. Bauereiß nennt auch den Vergleich von Plan und Realität beziehungsweise von Modell und Wirklichkeit als einen Mehrwert für die Vermittlung, wenn diese den Stadtraum aktiv einbezieht (Bauereiß 2014, 283). Hier schult das StadtLabor zum Beispiel den Orientierungssinn und das Abstraktionsvermögen der Schülerinnen und Schüler, indem sie zu Beginn des Stadtrallye-Workshops, der im Museum startet, ihren Wohnort und ihre Schule am Stadtmodell verorten. Als Vorbereitung zur eigentlichen Rallye im Stadtraum werden vorher die Plätze und Gebäude am Modell inhaltlich aufbereitet, um anschließend im realen Stadtrundgang darauf Bezug nehmen und Sichtachsen verdeutlichen zu können. Den umgekehrten Zugang wählt die StadtbauAkademie in ihrem Projekt zur Stuttgarter Kulturmeile: Hier führen die Schülerinnen und Schüler zunächst eine Bestandsaufnahme der räumlichen Situation vor Ort durch, bevor sie ihre Ideen zur Umgestaltung im maßstabsgerechten Modell umsetzen. Die Lernwelt Stadt bietet neben diesen kognitiven Aspekten auch zahlreiche emotionale und sinnliche Erfahrungen, die sich positiv auf das Lernerlebnis auswirken: Festzuhalten bleibt, dass Exkursionen in der baukulturellen Bildung ihren Teilnehmenden dann in besonders positiver Erinnerung bleiben, wenn sie emotional davon berührt sind, etwa, wenn sie die ruhige Atmosphäre in einer Kirche als besonders erleben, Neues erfahren oder selbst eine aktive Rolle an einem neuen Ort einnehmen dürfen. (Million et al. 2019, 73):

Die Erfahrungen im StadtLabor bestätigen diese Aussage: Die Kinder sind beeindruckt, wenn sie beispielsweise die Stiftskirche betreten, die Gerüche in der Markthalle wahrnehmen oder mittels eines Stricks versuchen, die Ausmaße eines Reifrocks nachzubilden, um damit die Säulen des Königsbaus zu durchschreiten. Frottagen als Abriebe von Oberflächen zu erstellen sind ein probates Mittel, ebenso so wie das reale Vermessen der Säulen am Stuttgarter Landtag, um die eigene Schätzung der Gebäudemaße zu verifizieren. Das bewusste Wahrnehmen von Sinneseindrücken macht Kindern Spaß und die emotional positive Erfahrung unterstützt das nachhaltige Lernerlebnis.

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Aber auch für das informelle Lernen jenseits der geplanten Vermittlungsziele und -formate ist die Stadt ein wichtiger Erfahrungsraum: Für das informelle Lernen gibt es […] vielfältige Möglichkeitsorte und -räume. So lernen wir auch in öffentlichen Räumen unbewusst, indem wir anderen begegnen, Unbekanntes entdecken, Dinge ausprobieren, kommunizieren und unseren Platz aushandeln. (Nagel 2020, 28)

Die Lernwelt Stadtraum bietet für die museumspädagogischen und baukulturellen Angebote des StadtLabors zahlreiche kognitive und sinnlich-emotionale Anknüpfungspunkte sowie inhaltliche Vermittlungspotentiale. Darüber hinaus ist die Stadt für ihre Bewohnerinnen und Bewohner eine alltägliche, informelle Lernwelt. Lebenswelt der Lernenden und Lernwelt sind letztlich also identisch und so kommt es in diesem besonderen Falle auf die Gestaltung der Lebenswelt als Lernwelt an. Besonders interessant für die Lernenden wird es immer dann, wenn sie mit Hilfe der Lernangebote der Lernwelt ihre eigene Lebenswelt neu oder anders wahrnehmen, hinterfragen oder mit neuen Augen sehen. Wenn dies den Gestaltenden der Lernwelt gelingt, dürfte es wohl kaum eine vielversprechendere Lernwelt als die Lebenswelt selbst geben, was für eine grundsätzliche Erweiterung des musealen Raums in den Stadtraum spricht.

Lernwelt Werkstatträume Von den drei museumspädagogischen Aktionsräumen des StadtLabors – Kinderbaustelle, Werkstatträume und Stadtraum – stehen die beiden Werkstatträume in engstem Bezug zu schulischen Räumlichkeiten und Lernsettings. Das Verständnis der Werkstatträume als Lernwelt soll daher möglichst klar in Bezug auf die Lernwelt Schule definiert werden. Dabei bilden die Werkstatträume keine räumlich isolierte Lernwelt, sondern stehen durch die Workshop-Formate in einem inhaltlich-strukturellem Kontext zur Museumsausstellung und zum Stadtraum. Mit Blick auf die Lernwelt Schule erkennt Stang eine Entwicklung von „stark strukturierten Raumarrangements“ hin zu einer „fraktalen Schularchitektur“ mit einer „zunehmenden Flexibilität an Lernsettings“ (Stang 2016, 185): Die flexible und kommunikative Anordnung von Tischen ist dabei von besonderer Bedeutung, da dies Grundlage dafür ist, Schülerinnen und Schüler schnell zu ermöglichen, in Team- und Kleingruppenarbeitsmodus zu wechseln. (Stang 2016, 185)

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Jedoch sieht Stang hier mit Blick auf die Schulen noch deutlichen Nachholbedarf: Die Organisation der Tische, Stühle und Medien sollte so zusammengestellt werden, wie es das pädagogische Setting erfordert. Betrachtet man die Vielfalt von didaktischen Konzepten, erstaunt die Uniformität von Lernräumen. Es entsteht der Eindruck, dass die didaktischen Konzepte an den Raum angepasst werden und nicht der Raum an die didaktischen Konzepte. In diesem Sinne wäre Stühlerücken als Teil der Gestaltung von Lernumgebungen als pädagogische Arbeit zu beschreiben. (Stang 2016, 186)

Mit Blick auf die Flexibilität des Mobiliars ist das StadtLabor in seinen Werkstatträumen auf einen guten Weg: Alle Tische sind klapp- und rollbar und können von einer Person problemlos bedient werden. Auch die beiden Medienmöbel (Smartboards) in den Räumen sind mobil – so können mit wenigen Handgriffen verschiedene räumliche Lernsettings geschaffen werden, angefangen von der Vortrags-Bestuhlung im Plenum über eine lange Tisch-Tafel bis hin zu Gruppensituationen um einzeln platzierte Tische herum. Ein Nachteil dieser flexiblen Möblierung ist jedoch, dass dadurch bewusst auf fest installierte Werkbänke verzichtet wurde. Mit Blick auf die baukulturellen Themenschwerpunkte in den Workshops schränken die flexiblen Möbel die handwerklichen Arbeitsmöglichkeiten ein – Bohren, Schrauben und Hämmern sind nur bedingt und mit größerem Vorbereitungsaufwand möglich. Die höhere räumliche Flexibilität der Lernarrangements in den Werkstatträumen des StadtLabors geht also mit einer inhaltlichen Einschränkung der handwerklichen Arbeitsmöglichkein einher. Aktuell finden daher Überlegungen statt, dass in der Werkstatt ein fest installierter Labor-Raum als Ergänzung zur flexiblen Ausstattung des Studios entsteht. Der Frage nach der inhaltlichen Abgrenzung der Lernwelt Museum gegenüber der Lernwelt Schule geht Wunderlich in einer Untersuchung über Erwartungshaltungen von Jugendlichen gegenüber dem Museum nach. Demnach haben sich folgende Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler herauskristallisiert: der Wunsch nach „Handeln in sozialem, kommunikativem Kontext (Gruppenarbeit)“, das „selbst tätig werden“ und die „angemessene Ausstattung des Arbeitsraums“ (Wunderlich 2013, 88). Zum Verhältnis der Lernorte Schule und Museum stellt sie fest: „Die Aufgabe, Fakten zu vermitteln, nimmt die Schule wahr, die die Museumspädagogik ihr nicht streitig machen muss“ (Wunderlich 2013, 89). Vielmehr soll „vorhandenes und zu erwerbendes Wissen“ in „offenen Lernsituationen mit selbsttätiger Aneignung und in subjektiven, emotionalen und sozialen Dimensionen“ bewertet werden (Wunderlich 2013, 89).

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Wunderlich fordert demnach von Museumspädagoginnen und Museumspädagogen eine klare inhaltlich-strukturelle Abgrenzung von der Lernwelt Schule, um das Potential der Lernwelt Museum voll ausschöpfen zu können: Werden die Zwänge, denen die Schule unterliegt, – Benotung, Verfolgung und Kontrolle von Lernzielen sowie schulspezifische Kommunikation – in den außerschulischen Lernort hineingetragen, so nehmen Jugendliche die Situation im Museum teilweise als schulisch wahr. Dies kann sich für die Bildungsarbeit im Museum kontraproduktiv auswirken. Folglich ist es absolut notwendig, darauf zu achten, dass der Unterschied zwischen den Institutionen klar erkennbar bleibt. (Wunderlich 2013, 90)

Im Gegenzug würde eine Selbstdefinition der Museumspädagoginnen und Museumspädagogen als „Lehrerin, Lehrer im Museum“ die Spezifika des Lernens im Museum schwinden lassen: Wenn sich die Museumspädagoginnen und Museumspädagogen klar darüber sind, was das Lernen im Museum ausmacht, können sie sich selbstbewusst als Kulturvermittelnde positionieren. […] Denn das Ziel des Museums, die Jugendlichen als Besucherinnen und Besucher zu gewinnen, kann nicht mit den Methoden der Schule, sondern nur mit den museumsspezifischen Mitteln im Rahmen kultureller Bildung erreicht werden. (Wunderlich, 2013, 91).

Die Lernwelt Museum muss sich in ein klar definiertes Verhältnis zur Lernwelt Schule setzen. Dabei können sich die räumlichen Lernsettings durchaus ähneln – wie beispielsweise in der flexiblen Umgestaltungsmöglichkeit des Mobiliars im StadtLabor, das sich so auch zunehmend im schulischen Kontext findet. Auf der inhaltlichen und methodischen Ebene sowie in der pädagogischen Grundhaltung sollte sich die Lernwelt Museum deutlich von der Lernwelt Schule unterscheiden, wie Wunderlich in ihrer Studie klar herausgearbeitet hat. Jedoch bedeutet dies keine Abkehr von den inhaltlichen Bezügen zu den Bildungsplänen der Schulen: Die Workshops im StadtLabor, die Schulgruppen ansprechen, müssen sich an den Bildungsplänen orientieren, um Lehrerinnen und Lehrern einen Anreiz zu geben, die Mühe auf sich zu nehmen und den Besuch des außerschulischen Lernorts zu organisieren. Jedoch muss das Museum darauf achten, die Inhalte methodisch und pädagogisch anders aufzubereiten als die Schule, damit die eigenständige Qualität der Lernwelt Museum zum Tragen kommt. Demnach gibt es deutliche Ähnlichkeiten bei der physischen Gestaltung der Lernwelten Werkstattraum im StadtLabor und der Lernwelt Schule, jedoch deutliche Unterschiede in der inhaltlichen Ausgestaltung. Davon ausgehend lassen sich vielleicht ein paar grundsätzliche Ansätze im Verhältnis der Lernwelten Schule und Museum erkennen: Grundsätzlich ist es Ziel der Lernwelt Museum

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die Lernenden der Lernwelt Schule begrüßen zu dürfen. In diesem Moment wird in letzter Konsequenz das Museum ein Teil der Lernwelt Schule wie umgekehrt. Für diese Verknüpfung braucht es einen gemeinsamen Ansatzpunkt des Lernens und dieser kann nur in den Lerninhalten liegen. Die Lernwelt Museum tut dieser Argumentation nach gut daran – will sie auch weiterhin Lernende im Klassenverband im Museum begrüßen – sich an den Lerninhalten der Schulen zu orientieren. Ebenso tut sie noch besser daran, sich in der Gestaltung und den Lernangeboten der eigenen Lernwelten stark von der Schule zu unterscheiden.

Lernwelt Kinderbaustelle Mit Eröffnung des StadtPalais – Museum für Stuttgart im Frühjahr 2018 erhielt das StadtLabor eine als Lernwelt gestaltetet Kinderbaustelle, zusätzlich zu den zwei neuen, größeren Werkstatträumen. Die konzeptionelle Idee war von Beginn an, hier eine eigene Lernwelt mit baukulturellem Fokus für Kinder und Familien im Museum zu schaffen. Als Kriterien waren dem Kuratorinnen- und Kuratorenteam wichtig: Erstens ein niedrigschwelliger Zugang – sowohl inhaltlich als auch formal – und zweitens ein vom Lernprinzip des Spielens ausgehendes, informelles Lernen, das selbstgesteuert und „beiläufig“ stattfindet (Schwan 2016, 382). Als Zielgruppe wurden Familien und Kinder von sechs bis zwölf Jahren definiert. Diese Alterspanne wurde nach den Erfahrungen des ersten Jahres im Museumsbetrieb angepasst und enger gefasst, wie später noch erläutert wird. Den formal niedrigschwelligen Zugang ermöglicht das StadtPlalais – Museum für Stuttgart, in dem Familien ohne Voranmeldung und kostenfrei jederzeit während der Öffnungszeiten des Museums die Kinderbaustelle nutzen dürfen. Der inhaltlich niedrigschwellige Zugang wird einerseits durch das Thema Baustelle und Stadtraum ermöglicht, das „Alltagsfragen aus der Welt der Erwachsenen […] visualisiert“ (Leonhard 2012,11) und damit die Kinder in ihrem Erfahrungshorizont abholt. Andererseits lässt die klare Gestaltung als Raum für Kinder diesen eindeutig erkennen und grenzt die Kinderbaustelle von den anderen Räumen in Museum ab. Das Lernprinzip des Spielens wird in einer Kinderbaustelle erfüllt, die im Sinne der Kindermuseen einen „intelligenten Spielplatz des Wissens“ (Leonhard 2012, 14) bietet. Die Kinderbaustelle im StadtLabor befindet sich mit ca. 100 qm Spielfläche mittig zwischen zwei Werkstatträumen, einem Empfangstresen sowie dem Garderobenbereich im Gartengeschoss des StadtPalais – Museum für Stuttgart. Mit

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dem umlaufenden Gang sowie den Verkehrsflächen an Tresen und Garderobe umfasst dieser Bereich für Familien ca. 400 qm. Mit der Gestaltung der Kinderbaustelle wurde das Büro PRONK aus Rotterdam beauftragt. Das Team überzeugte mit einer klaren Gestaltungs- und konzeptionellen Spielidee und brachte zudem die Erfahrungen des Kleinkindbereichs „Ozean“ im Kindermuseum ZOOM in Wien mit ein. Die Anforderungen an die Ausstellungsgestaltung fasst Harnoncourt-Fuchs, die ebenfalls für das ZOOM tätig ist, zusammen: Kinder sind für die Atmosphäre von Räumen besonders empfänglich. Sie haben noch die Gabe, Räume unvoreingenommen mit allen Sinnen zu erobern und sich emotional auf diese einzulassen. Die gestalterische Auseinandersetzung mit dieser, den Kindern angeborenen Lust zu erobern, zu entdecken, zu erproben und dabei Verstand und Körperempfinden gleichermaßen zu berücksichtigen mag einer der besten Wege sein, um die Kunst der Ausstellungsgestaltung zu begreifen. (Harnoncourt-Fuchs 2014, 60–61)

Diesen Anspruch setzt die Kinderbaustelle mittels eines Bauspielfelds um: Die Kinder gestalten auf einer freien Spielfläche mit farbigen Kunststoff-Bausteinen großformatige Gebäudestrukturen. Eine große Litfaßsäule in der Mitte bildet ein strukturierendes Raumelement und beinhaltet Informationen zu den Bauaufgaben sowie ein Glücksrad, an dem die Kinder ihre Bauaufträge drehen. Die Kinder spielen in Teams und gegen die Zeit, die mittels Sound und Licht im Raum inszeniert wird. Die Aufteilung der Gruppen erfolgt mittels Zufallsprinzip durch einen kleinen farbigen Sticker am Helm. Zusätzlichen Spiel-Spaß bringt eine Baumonster-Figur, die verrückte Bauaufträge erteilt und zwei Abrissbirnen, die entlang eines Seils geschwungen werden können. Die hohen Erwartungen des Museumsteams wurden in den ersten Monaten des Museumsbetriebs zunächst enttäuscht: die Kinder nutzen die Litfaßsäule und die Bauaufgaben im freien Spiel kaum und ältere Kinder ab circa acht Jahren mieden die Spielfläche, sobald jüngere Kinder anwesend waren. Eine deutliche Verbesserung des Publikumszuspruchs erfuhr die Kinderbaustelle, als ihr für die Weihnachtsferien 2018/2019 weitere Gestaltungs- und Spielelemente einer Baustelle hinzugefügt wurden: Einerseits waren dies Fahrzeuge (Schubkarren und Gabelstapler) und andererseits konkrete Elemente einer Baustelle wie Warnbarken, Absperr-Pylonen und Warnschilder. Die Besuchsfrequenz auf der Kinderbaustelle wuchs rasant, nicht selten tummelten sich 80 Kinder und Erwachsene gleichzeitig in und um die Spielfläche herum. Die Erfolgsfaktoren als Schlüssel für die deutlich bessere Akzeptanz waren deutlich: Die Kinderbaustelle als Lernwelt für Kinder benötigt konkrete Gestaltungselemente und Fahrzeuge; die Gestaltung und die Inhalte waren zuvor deutlich zu abstrakt für die Zielgruppe. Die ursprünglichen konzeptionellen Anforderungen an die Spiel-

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baustelle waren zu weit gefasst und der inhaltliche Anspruch zu hoch, den Kindern mittels Bauaufgaben grundlegende Themen von Stadtplanung zu vermitteln. Darüber hinaus zeichnete sich eine weitere Erkenntnis ab: Das Publikum für die Kinderbaustelle war deutlich jünger als prognostiziert: Im Lauf des ersten Jahres eroberten sich Familien mit Kleinkindern den Spielbereich. Hier füllt das StadtPalais – Museum für Stuttgart ganz offensichtlich eine Lücke: Es fehlt im innerstädtischen Bereich an kostenfrei zugänglichen Aufenthalts- und Spielräumen für junge Familien. Die Parameter für die Weiterentwicklung der Lernwelt Kinderbaustelle im StadtPalais – Museum für Stuttgart sind damit gesetzt: Die inhaltliche Fokussierung auf das Thema Baustelle, die Umsetzung konkreterer Gestaltungs- und Spielelemente sowie die Reduzierung der Zielgruppe auf Familien und Kinder zwischen zwei und sechs Jahren. Die künftige Kinderbaustelle wird die Kinder mit ihrem Körper als „Weltwahrnehmungswerkzeug“ (Leonhard 2012, 30) in den Mittelpunkt stellen: Sie transportieren die Bausteine mittels Transportbändern, Rutschen und Fahrzeugen, sie koordinieren ihre Körperbewegungen und kommunizieren mit anderen Kindern, um die Kräne zu bedienen und erfahren Konstruktionsprinzipien beim Bauen. Ein Materiallager bietet haptische Erfahrungen „echter“ Baumaterialien; Tätigkeiten wie Sägen und Hämmern werden praktisch erprobt. Der zum Bau-Container teilweise umgebaute Tresen bietet Raum für Rückzug und Beobachtung, Bücher und eine gemütliche Leseecke laden zum Verweilen ein. Die Kinderbaustelle ermöglicht damit die „selbstbestimmte Wissensaneignung“ und begreift das „Spiel als wichtigste Lernform der Kinder“ (Menasse-Wiesbauer 2014, 12). Die Lernwelt Kinderbaustelle sucht letztlich den Bezug zu Lebenswelt der Kinder in Bezug auf Baustellen, an der die Kleinen oftmals fasziniert einfach nur zuschauen. Auf der Kinderbaustelle werden nun die Rollen getauscht und die Kinder werden zu den Bauenden und die Erwachsenen nun zu den faszinierten Zuschauerinnen und Zuschauern. Dieses Rollenspiel wird letztlich zum eigentlichen Lernziel und -inhalt. Die Lernenden sollen nicht nur grundlegende physikalische Funktionsweisen des Bauens und Konstruierens verstehen, sondern das Neu-, Um- und Abbauen als strukturelles Prinzip des gesellschaftlichen Fortschritts.

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Fazit Das StadtLabor begegnet in seinen Aktionsräumen Kinderbaustelle, Werkstätten und Stadtraum jeweils einem unterschiedlichen Verständnis von Lernwelt: Während beim Stadtraum als non-formaler und informeller Lernraum das räumliche sowie sinnliche Erleben im Vordergrund steht, definiert sich die Gestaltung der Werkstatträume vor allem in Bezug auf die Lernwelt Schule. Die Lernwelt Kinderbaustelle wiederum fokussiert auf das spielerische, räumlich-körperliche Erlebnis der Kinder. Trotz der unterschiedlichen Ausprägungen wird die hohe Relevanz des Begriffs Lernwelt für die museumspädagogische Arbeit des StadtLabors deutlich: Gerade im Kontext der baukulturellen Bildung öffnen sich zahlreiche Möglichkeiten für konkretes und räumliches Erleben, für die Schulung von Beobachtung und Wahrnehmung und für das Verständnis für Abstraktionen in Plänen und Modellen. Die Lernwelt Kinderbaustelle vermittelt baukulturelles Wissen über Konstruktion, Gestaltung, Materialien, Bewegung usw. mittels spielorientiertem Erleben der Vermittlungsinhalte. Einzig in der räumlichen Gestaltung der Werkstatträume als individuelle Lernwelt zeigen sich Grenzen: Diese sind im StadtLabor bewusst neutral und mit eher schulischem Charakter gestaltet, um eine flexible Nutzung für unterschiedlichste Lernsettings zu ermöglichen. Hierbei liegt die Herausforderung, in der inhaltlich-methodischen Umsetzung der Workshops dem Anspruch der Lernwelt StadtLabor gerecht zu werden. An der dreifachen Ausrichtung wird deutlich erkennbar, dass nicht eine Lernwelt für alle Besucherinnen und Besucher des StadtLabors entsteht, sondern mehrere. Sie versuchen die Lerninhalte, die Lebenswelt der Lernenden und die Formen des Lernens in das richtige Verhältnis zu setzen und dabei das eigene Verhältnis zur Lernwelt Schule zu definieren. Der Begriff der Lernwelt erinnert entscheidend daran, dass sich die Lernwelt Museum vor allem in Bezug auf die räumliche Ausgestaltung der Lernwelt und die Formen informellen Lernens von anderen Lernwelten unterscheiden kann. Hier liegen die Stärken der Lernwelt Museum und diese gilt es zu nutzen.

Literatur Bauereiß, M. (2014): Vom Museum in den Stadtraum. In: A. Czech; J. Kirmeier; B. Sgoff (Hrsg.): Museumspädagogik. Ein Handbuch. Schwalbach: Wochenschau, 282–286. Harnoncourt-Fuchs, M. T. (2014): Ausstellungen für Kinder In: E. Menasse-Wiesbauer (Hrsg.): 20 Jahre ZOOM Kindermuseum. Wien: ZOOM Kindermuseum, 60–63.

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Kogler, R. (2018): Kinderräume erkunden. Partizipative Stadtforschung und -planung mit Kindern. Informationen zur Raumentwicklung 2, 42–51. Leonhard, Y. (2012): Kindermuseen. Strategien und Methoden eines aktuellen Museumstyps. Bielefeld: transcript. Menasse-Wiesbauer, E. (Hrsg.) (2014): 20 Jahre ZOOM Kindermuseum. Wien: ZOOM Kindermuseum. Million, A.; Coelen, T.; Bentlin, F.; Klepp, S.; Zinke, C. (2019): Bildungsorte und Lernwelten der Baukultur. Momente und Prozesse baukultureller Bildung von Kindern und Jugendliche. Ludwigsburg: Wüstenrot Stiftung. Nagel, R. (2020): Baukultur braucht Bildung! Ein Handbuch. Potsdam: Bundesstiftung Baukultur. Schwan, S. (2016): Informelles Lernen im Museum und Science Center. In: M. Rohs (Hrsg.): Handbuch informelles Lernen. Wiesbaden: Springer VS, 379–395. Stang, R. (2016): Lernwelten im Wandel. Entwicklungen und Anforderungen bei der Gestaltung zukünftiger Lernumgebungen. Berlin; Boston: De Gruyter Saur. Wunderlich, D. (2013): Museen aus der Perspektive von Jugendlichen. Evaluation eines Realschulprojekts im Kontext kultureller Bildung. Berlin: BibSpider.

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Escape-Ausstellung im Stadtmuseum Lernwelt Spielwelten

Einleitung Eigentlich wollten wir nur zehn Jahre in die Zukunft von Stuttgart reisen. Wir hatten vor, den dann fertigen Bahnhof zu bestaunen und die Flugtaxis überall in der Stadt zu genießen. Mit „Zeittunneln“, die unter Stuttgart gefunden wurden und die mit Zügen befahrbar sind, ist das möglich. Aber was ist das? Die Großstadt Stuttgart ist nur noch ein kleines Dorf. Der Fernsehturm und das Neue Schloss sind verschwunden. Wir stehen an einem halb verlassenen winzigen Bahnhof. Am Horizont können wir die Skyline einer anderen Großstadt sehen. Was mag da nur passiert sein? Ob jemand die Vergangenheit manipuliert und so verhindert hat, dass Stuttgart zur Groß- und Landeshauptstadt von Baden-Württemberg wird? Wir müssen wohl in die Vergangenheit reisen und diesen Schlamassel wieder in Ordnung bringen … So beginnt die Geschichte, die in Stuttgart in der verlorenen Zeit – Die Escape-Ausstellung im StadtPalais – Museum für Stuttgart erzählt wird. Um die Stadt Stuttgart zu retten und die Geschichte wieder zu reparieren, spielen sich die Besucherinnen und Besucher der speziell für Familien, Kinder und Rätselfreunde von 8–99 Jahren konzipierten Ausstellung im Sonderausstellungsbereich des StadtPalais durch verschiedene Zeiträume der Stuttgarter Vergangenheit. Mit dieser Escape-Ausstellung erprobte das StadtPalais – Museum für Stuttgart das beliebte Format der Escape Rooms oder Escape Games1 für eine Familienausstellung im Kontext Museum. Ein solches für Besuchende sehr immersive Erlebnis in ein Museum zu integrieren, ist momentan, so der Eindruck, Trend bei der Konzeption von Ausstellungen und der Neugestaltung von Museen und anderen Orten der Bildung. So experimentierte erstmals 2014 das Sedgwick Museum of Earth Sciences, das an die University of Cambridge angeschlossen ist, mit dem Pop-Up-Escape-Room Polar Domes und im selben Jahr konnten sich Besuchende der State Library of Western Australia die Geschichte dieses Gebietes in einem Escape-Room erspielen (Nicholson 2015, 25). In den letzten Jahren 1 Escape-Räume breiten seit den 2010er Jahren ausgehend von Japan überall auf der Welt aus. Was hinter diesem Konzept dieser besonderen Art von Live-Aktion-Spielen steckt, behandelt Gutkowski/Hoffmann 2021. https://doi.org/10.1515/9783110703054-014

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sind Escape Rooms und Escape-Spiele auch in Deutschland in verschiedenen Museen, Archiven und Bibliotheken entstanden. Die Ausstellung Alles nur geklaut? – Die abenteuerlichen Wege des Wissens im LWL-Industriemuseum/ Westfälisches Landesmuseum für Industriekultur hat mit den Geheimen Kammern des Wissens eine zweite spielorientiere Ebene in Form von Escape-Räumen integriert. Diese nutze sowohl die Ausstellung an sich, bot aber auch im Spiel zu öffnende „geheime“ Räume (Gutkowski/Hoffmann 2021). Auch bei der Neukonzeption des Museum Hegel-Haus in Stuttgart, das im Sommer 2020 eröffnete, wurde ein Escape-Raum eingebaut, der aber unabhängig von der Ausstellung in Hegels Geburtshaus funktioniert. Am vielen Orten sind in den letzten Jahren Escape-Räume im Umfeld von Museum, Archiv oder Bibliothek entstanden. Dabei handelt es sich meist um zusätzliche Räume, die neben dem „normalen“ Besuch dieser Einrichtung buchbar sind. Escape-Räume treffen wohl den Nerv der Zeit und sollen vor allem jüngere Besucherinnen und Besucher in die Institutionen locken. Die überall entstehenden Abenteuerspiele machen so auch vor den Einrichtungen nicht halt, die zunächst scheinbar nicht viel mit dieser Art der Freizeitbeschäftigung zu tun haben.

Spielerische Lernwelten Kaum ein Escape-Raum kommt ohne eine Geschichte aus, die von den Spielenden beim Lösen der Aufgaben erlebt wird. Diese tauchen in das Setting ein und sind für die Zeit des Spieles nicht nur im Raum „gefangen“, sondern auch in der Story. Für Escape-Räume ist somit der Begriff (Spiel-)Welt der geeignete Begriff. Durch den Vermittlungsauftrag des Museums, der durch solche Räume im Museum neben dem Spaß am Spiel auch bedient wird, kann mit Recht von Lern (Spiel-)welten gesprochen werden. Dies muss noch näher ausgeführt werden. Das Wort Spiel ist in der deutschen Sprache ein sehr ungenauer Begriff. Es subsummiert verschiedene Arten der spielerischen Beschäftigung, die aber dadurch nicht genauer definiert werden. So kann ein natürliches, freies Spielen gemeint sein, das bei Menschen und Tieren beobachtbar ist. Spiele mit Spielzeug dagegen sind die Beschäftigung mit einem fantasieanregenden Gegenstand, der über seine eigentliche Existenz hinaus verweist. Er hat einen Aufforderungscharakter, der realen Welt für einen kurzen Moment zu entfliehen und mit dem Gegenstand eine Fantasiewelt zu bereisen, die natürlich Bezugspunkte zur realen Welt haben kann, aber

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nicht muss. Die Welt, in die sich Spielende bei der Benutzung von Spielzeug begeben, ist zugleich auch eine, in der gelernt wird, wie es Junge betont: Im Spiel mit einem Spielzeug können physische, motorische, kognitive und soziale Fähigkeiten und Kompetenzen konfliktfrei entwickelt, eingeübt und ausgelebt werden. Darüber hinaus können Konflikte und Probleme geistig bearbeitet werden. Es beginnt hier die Wirkung des kreativen Spiels als Katharsis. (Junge 2020, 24)

Das Spielen mit Spielzeug muss nicht zwangsläufig mit Regeln ablaufen und kann auch natürliches, freies Spiel sein. Es ist also notwendig, das Spiel mit Spielzeug abzugrenzen von einem Spiel mit Spielregeln. Von einem Spiel kann auch gesprochen werden, wenn durch einen ordnenden Prozess Spielmittel mit Spielregeln versehen wurden. Sie sind dann, so Junge, „erfundene Ordnungen mit regulierenden Ideen“ die sich meist, wie Geschichten, auseinandersetzen mit den Grundphänomenen des Menschen (Junge 2020, 25). Junge schlägt deswegen die Verwendung der englischen Begriffe Play, Toy und Game vor. Welche spezifischen Lernwelten werden nun durch Escape-Rooms erschaffen, wenn jedes Game in eine erfundene Welt führt, in denen auch Lernprozesse stattfinden? Dies wird später noch näher erläutert werden. Zunächst soll die Umsetzung einer Spielwelt in einem Museum näher betrachtet werden.

Escape-Ausstellung: Stuttgart in der verlorenen Zeit Das StadtPalais – Museum für Stuttgart hat mit Stuttgart in der verlorenen Zeit eine Sonderausstellung in dem Format eines Rätsel-Spieles entwickelt und ist damit noch einen Schritt weitergegangen, als nur ein Add-on für ein bestehendes Museum oder eine Ausstellung anzubieten. Die Begeisterung im Fachbereich Bildung und Vermittlung war groß, als die Entscheidung gefallen war, dass es im Sonderausstellungsbereich des StadtPalais eine temporäre Ausstellung für Kinder und Familien geben sollte. Es war schnell klar, dass in dieser Ausstellung mit den Methoden des Storytelling und einer durchgehenden erlebbaren Geschichte gearbeitet werden sollte. Bei Familienfesten war dieses Format bereits getestet worden und kam beim Publikum sehr gut an. So wurde zur Eröffnungsfeier des StadtPalais im April 2018 das Haus von Piraten geentert, die dort einen Schatz suchten. Die Kinder konnten sich den Piraten nach einer Aufnahmeprüfung anschließen. Beim Familienfest

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2019 Das versunkene Palais wurde das StadtPalais in 200 Jahren vom Urwald überwuchert. Die Familien konnten als „Forschende“ an verschiedenen Stationen „diese Ruine durchsuchen“, Relikte aus der Geschichte des Gebäudes entdecken und schließlich den Code für eine Schatztruhe zu knacken. Auch die Thematik der Ausstellung war schnell gefunden. Es sollten Aspekte der Geschichte der Stadt kindgerecht präsentiert werden. So lag eine (gespielte) Zeitreise, bei der Aufgaben und Rätsel gelöst werden sollten, auf der Hand. Die Geschichte der Stadt Stuttgart hat die Besonderheit, dass es mehrere Ereignisse gab, an denen es nur einem glücklichen Zufall zu verdanken war, dass sich die Stadt schließlich zur Großstadt und Landeshauptstadt von Baden-Württemberg entwickelte (Schuhkraft 2014). So spricht allein die Lage in dem Stuttgarter „Kessel“ mit seinen extremen Hanglagen und abseits von einer größeren Wasserstraße – der Neckar fließt durch Bad Cannstatt, das erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Stuttgart vereinigt wurde – eher dagegen, dass hier eine Großstadt entstehen sollte. Drei solcher Ereignisse sollten in der Ausstellung in der Art einer kontrafaktischen Erzählung behandelt werden. Eine solche „Was-wäre-geschehen-wennErzählung“ erschien als sehr praktikabel, da ein spannendes Spielszenario entwickelt werden kann, die Faktenlage dabei aber nur minimal verändert wird. Die Vergangenheit Stuttgarts, so die Idee für die Geschichte, war durcheinandergeraten und sollte in der Ausstellung wieder repariert werden, um Stuttgart zu retten. Denn, wären diese Ereignisse anders verlaufen, dann wäre heute eine andere Stadt die Landeshauptstadt und Stuttgart wohl nie auf die heutige Größe gewachsen. Zusammen mit einem Gestalterbüro – Visuell aus Stuttgart – und einem Gamedesigner wurden schließlich alle Details, Spiele, Rätsel und die Gestaltung der Ausstellung entwickelt. Mit der Sprecherin Meike Rosenplänter und dem Sprecher Markus Dichmann, vom Deutschlandfunk, die vor allem bekannt sind durch den Podcast Eine Stunde History (DLF-Nova) konnten zwei profilierte Stimmen für Tonaufnahmen der Ausstellung gefunden werden. Nach einer Planungszeit von etwa einem Jahr, konnte schließlich im September 2020 die Ausstellung Stuttgart in der verlorenen Zeit eröffnet werden. Was erwartet nun die Familien, Kinder und Rätselfreunde in dieser Ausstellung? Wir können ein Team begleiten, das diese Ausstellung besucht: In Stuttgart sind Zeittunnel gefunden worden, mit denen es möglich ist, auf Schienen und in speziellen Zeitreisezügen durch die Zeit zu reisen. Zu einer solchen Reise will auch das Team aufbrechen, das sich bereits den Teamnamen Die Zeitreisenden gegeben und sich im Eingangsbereich der Ausstellung eingefunden hat. Das Ziel ist es, in das Jahr 2030 in Stuttgart zu reisen. Als Gepäck hat das Team ein Zeitreiseticket aus Holz mit RFID-Chip und einen Stoffruck-

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sack bekommen, in dem sich weitere Gegenstände befinden, die sie für die Zeitreise benötigen. Der Eingangsbereich ist gestaltet wie eine Bahnhofshalle mit Wartebänken. Plakate an den Wänden machen Werbung für verschiedene Zeiten der Stuttgarter Geschichte, in die man unbedingt einmal reisen sollte. Der Zeitreisezug steht bereits in dem Zeitbahnhof, doch eine Anzeigetafel zeigt an, dass sich die Zugtüren für das Team Die Zeitreisenden erst in fünf Minuten öffnen. Das Team wird aber gebeten, schon einmal den Empfangsbildschirm für den Zug mit dem Zeitreisticket zu aktivieren. Nachdem das Ticket an der richtigen Stelle liegt, flattert ein Schmetterling ins Bild und stellt sich als Herrmann vor. Der Schmetterling Herrmann ist ein Zeitreiseinspektor, der dafür sorgt, dass die Zeit nicht durcheinandergerät, und wird das Team auf der Reise durch die Ausstellung begleiten. Er erklärt dem Team, was es mit den einzelnen Gegenständen auf sich hat und wie die Ausstellung funktioniert. Im Anschluss öffnet sich endlich die Zugtür und Die Zeitreisenden betreten den Zug. Nachdem die Türe wieder geschlossen wurde, beginnt auch sofort die Zeitreise ins Jahr 2030. Diese wird jedoch kurz vor dem Ziel jäh unterbrochen. Der Zug stoppt, eine Ratte huscht davon, das Licht geht aus und wechselt zu Schwarzlicht. In diesem Licht ist nun durch die „Fenster“ des Zuges eine Großstadt am Horizont zu erkennen, Stuttgart dagegen ist verschwunden. Aufgeregt kommt Schmetterling wieder in Bild geflattert und stellt fest, dass jemand die Zeit manipuliert hat. Das Team muss zunächst herausfinden, um welche Stadt es sich am Horizont handelt – es ist Ludwigsburg –, um dann von Herrmann mit dem Zug in das Jahr 1744 gebracht zu werden, wo der Schmetterling die Manipulation vermutet. Die Zugtür auf der anderen Seite öffnet sich und das Team betritt einen Raum, der an ein Zimmer in einem Barockschloss erinnert. An den Wänden hängen viele Portraits und verschiedene Dokumente. Leise ertönt barocke Musik. In dem Raum sind zwei oktogonale Tische – die als multimediale Rätseltische mit dem Ticket aktiviert werden. Ist dies geschehen, erzählt Herrmann, dass man sich im Stuttgarter Rathaus im Jahr 1744 befindet und hier etwas nicht stimmt. Offenbar ist ein wichtiges Gebäude in Stuttgart nicht errichtet worden. Nun hat das Team in diesem Raum drei Aufgaben zu lösen, um dafür zu sorgen, dass die Geschichte wieder richtig gestellt wird. Diese werden auf den Spieltischen angezeigt, die mit je einem Beamer beleuchtet werden. Die Antworten können per Drucksensoren auf den Spieltischen ausgewählt werden. Anhand der Portraits, Bilder und Dokumente an der Wand erschließen sich Die Zeitreisenden, dass das Neue Schloss in Stuttgart nie gebaut wird, wenn sie den Fehler nicht finden. Die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Stuttgart haben dem damals sehr jungen Herzog Carl Eugen eine große Summe Geld geboten, damit dieser sich ein Schloss in Stuttgart errichtet und die Gefahr nicht mehr bestand, dass

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die Residenz Württembergs wieder nach Ludwigsburg verlegt wird, wie es 1718 bereits geschehen war (Schuhkraft 2014, 107). Hilfreich beim Lösen der Aufgaben ist auch eine UV-Taschenlampe, die sich im Zeitreisebeutel befindet und unsichtbare Spuren sichtbar macht. Schließlich kann das Team alle Aufgaben richtig lösen, das Schloss wird gebaut, und durch eine weitere Tür gelangen die Zeitreisenden wieder in den Zug, um jetzt endlich in das Jahr 2030 zu reisen. Doch zweimal wird die Reise noch unterbrochen. Auch im nächsten Raum, der im Jahr 1312 spielt, ist während der Belagerung Stuttgarts durch die Reichstadt Esslingen bei einem Reichskrieg die Geschichte wieder zu reparieren. Hier sind die Aufgaben vor allem darauf ausgerichtet, verschiedenen Figuren zuzuhören, die sich als Silhouetten im Raum befinden, um so die Lösungen für die Rätsel zu erfahren. Der dritte Raum schließlich ist im Jahr 950 angesiedelt, dem mutmaßlichen Baujahr einer Burg zur Sicherung einer Pferdezucht („Stutengarten“). In diesem geht es vor allem um haptische und visuelle Rätsel, wie einem Labyrinth, dem man mit den Fingern folgen muss, einem Puzzle und mit Hilfe von Schaufeln soll in einem „Sumpf“ aus Holzschnitzel ein Schlüssel gefunden werden. Davor hat das Team bereits erfahren, dass eine Ratte – Wera – für den Schlamassel verantwortlich ist. Deren Wohnraum für ihre Familie wird durch die Zeittunnel bedroht, also hat sie versucht, die Zeit zu manipulieren und so die Tunnel zu verhindern. Letztendlich haben Die Zeitreisenden alle Rätsel gelöst, Stuttgart ist gerettet und über eine Rutsche kommen die Spielenden wieder im Bahnhofsbereich an. Die Ratte und ihre Kinder haben auch ein neues Zuhause gefunden.

Erste Erfahrungen aus dem Betrieb Eine wissenschaftliche Auswertung der Ausstellung hat bisher nicht stattgefunden, ist aber geplant. Durch Beobachtung der Besucherinnen und Besucher lassen sich bereits einige Thesen aufstellen und Anmerkungen zu dieser EscapeAusstellung machen. Die Geschichte von Schmetterling Herrmann und Ratte Wera, die in der Ausstellung erzählt wird, kommt bei den Besuchenden sehr gut an. Diese durchgehende Geschichte einer misslungenen Zeitreise und der manipulierten Zeit zieht das Publikum in ihren Bann. Zusammen mit den sehr stimmungsvollen Räumen und den Rätseln gelingt es, dass sich die Teams in der Ausstellung ganz auf diese erzählte Welt einlassen und deren Regeln akzeptieren. Besonders bei Kindergruppen ist die typische Vertiefung in das Spiel und flow-ähnliche Erfahrungen beobachtbar (Csikszentmihalyi 2008, 73–97). Auch von Erwachse-

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nengruppen kommt durchweg positives Feedback zur Ausstellung, außer bei nicht zu vermeidenden technischen Problemen. Das Ziel der Ausstellung, ein möglichst immersives Erlebnis zu schaffen, in dem die Besuchenden ein Abenteurer in der Zeit bestehen, scheint erreicht worden zu sein. Der spielerischen Lernwelt ist es offensichtlich gelungen, dass die Grenzen zwischen der Lebenswelt und der Lernwelt verschwimmen und die Besuchenden selbst zu einem Teil der Lernwelt werden, der sie spielerisch entfliehen müssen. Die Spiel(Lern-)welt wird offenbar von den Besuchenden als temporäre Lebenswelt anerkannt. Der Aspekt des Entertainments, das Museumsbesuchende als Teil ihrer Freizeitgestaltung suchen (Heeg 2017, 75), ist somit erfüllt. Doch kann diese Spielwelt im Sinne eines Edutainments auch tatsächlich als Lernwelt gelten? Nach den bisherigen Ausführungen trifft dies zu, jedoch ist das „Was“ des Lernens noch im Dunkeln. Allgemein kann man von formellem Lernen und informellem Lernen in einem solchen Format ausgehen: Die Lernenden müssen selbst aktiv sein, um sich die Lernwelt zu erschließen. Dabei entstehend neue Formen eines formalen Lernens. Die Besuchenden sind in der Lernwelt einer Escape-Ausstellung nicht frei, so zu Lernen, wie sie es gerne möchten, doch scheint der Lernerfolg gerade in der Spannung zwischen der Formalisierung des Lernens sowie des Spielens und der phantasiereichen Gestaltung des Raumes und der Spiele zu liegen. Es gilt dennoch zu untersuchen, welche Lernprozesse tatsächlich innerhalb dieser Ausstellung stattfinden. Damit eine Spielwelt für Spielende funktioniert muss sie weitgehend störungsfrei sein. Kommt es zu Unterbrechungen oder Wartezeiten, so wird die Illusion der Spielwelt und damit das immersive Erlebnis gestört. Sollen Spielwelten auch Lernwelten sein, so muss darauf geachtet werden, dass es möglichst keine nicht-spielimmanenten Störungen gibt. Störungen durch andere Besucherinnen und Besucher, Aufsichten, technische Probleme, Geräusche, Durchsagen und auch Wartezeiten sind also so weit wie möglich zu verhindern. In einem nur für das Escape-Spiel zu betretenden Ausstellungsbereich ist dies eher möglich als in einem öffentlich zugänglichen Ausstellungsbereich. Abgesehen von technischen Problemen, wie ausgefallene Beamer oder abgestürzte Software, die manchmal nicht zu verhindern sind, sind dies vor allem mehrere Besuchsgruppen in einem Bereich und Wartezeiten. Die Teams halten sich in jedem Zeit-Raum 15 Minuten auf. Die Ausstellung kann jedoch von einem neuen Team alle zehn Minuten betreten werden. Somit befinden sich zeitweise zwei spielende Gruppen in einem Raum, was möglich ist, da sich jeweils auch zwei Spieltische in den Räumen befinden. Die Teams stören einander dennoch bei ihrer Suche nach Lösungen. Da eine möglichst hohe Taktung erreicht werden sollte, wurde dieses Problem in Kauf genommen.

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Damit sich Gruppen nicht überholen und es zu Staus oder Engstellen kommt, gibt es für jedes Rätsel ein Zeitfenster von fünf Minuten. Nach Ablauf dieser Zeit löst der Schmetterling Herrmann die Aufgabe und die Geschichte geht weiter. Hat das Team die Aufgabe schon vorher gelöst, so muss sie dennoch den Ablauf der Zeit abwarten. Diese Wartezeit soll zwar genutzt werden, um sich im Raum umzusehen um Hinweise für die nächsten Aufgaben zu finden, es entsteht aber dennoch eine Wartezeit, die störend für die Illusion der Spielwelt sein kann. Die Auswirkungen dieser Störungen auch auf das Lernen in der Ausstellung muss noch untersucht werden. Die allgemeine Frage dazu müsste heißen, wieviel Störung eine Lernwelt verträgt – auch in Hinblick auf pädagogische Interventionen –, bevor sie nicht mehr als solche wahr- und angenommen wird?

Spielerische Lernwelten in Museen Spielerische Elemente sind in der Gestaltung von Ausstellungen kaum mehr wegzudenken. Hands-on-Objekte, Experimente, Kinderspuren, Quiz und Ratespiele, Suchaufgaben oder digitale Spiele gehören inzwischen zum Standard. Kritisch darf hier angemerkt werden, dass manches Spielerische in Ausstellungen augenscheinlich eher Marketingzwecken dient und die Vermittlungsabsicht lediglich ein Vorwand für die Installation eines solchen Elementes ist. Das Bild des Museums als ein langweiliger, verstaubter Ort, das immer noch in der Öffentlichkeit vermutet wird, kann durch solche Maßnahmen überschrieben werden. Das Sujet ‚lachendes-Kind-in-Aktion‘ scheint das Feature zu sein, mit dem die gelungene und erfreuliche Kombination aus Freizeit, Bildung und Konsum in Szene gesetzt werden kann. (Schneider 2011, 83, H. i. O.)

Hinter spielerischen Ansätzen in Ausstellungen steckt jedoch mehr als nur eine Marketingstrategie. Sie deuten auf Veränderungen in der Vermittlungsarbeit in Museen hin. Mit der Einführung des Begriffes Lernort Museum schufen 1976 Spickernagel und Walbe ein neues Paradigma, das vor allem den Weg zu einer neuen Vermittlung in Museen ebnete. Nicht mehr in stiller Ehrfurcht, die der Musentempel Museum gebietet, sollten die Besuchenden die Objekte still bewundern, sondern das Museum als Ort des Lernens erleben, wobei die „Lernziele im Hinblick auf das Erkenntnisinteresse der Besucher entwickelt werden“ (Spickernagel/ Walbe 1976, 6).

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So wirkmächtig der Begriff war, so sehr stieß sich aber auch die Museumspädagogik daran. Zu sehr orientierte sich der Begriff an der Schule und schulischem Lernen. Das Museum wird beispielsweise von Staupe als Lern- und Erfahrungsraum verstanden, der viel mehr vermittelt als Wissen über die Objekte, Kunstwerke oder Geschichten (Staupe 2012). Im Sinne des performative-turn stehen nicht die Lernprozesse im Vordergrund, sondern die Interaktion der Besuchenden mit den Objekten und untereinander, sowie die Besonderheit des Ortes Museum mit aller Sinnlichkeit, Ästhetik und Körperlichkeit. Betrachtet werden die Präsentationsformen und der Raum, die Erfahrungen und Lernen auslösen: „Herrscht bisher im Diskurs das Konzept des ‚Lernens‘ vor, so scheint uns das Konzept der ‚Erfahrung‘ sinnvoller“ (Preuß/Hofmann 2017, 16, H. i. O.). Im Gegensatz zu Lernen geht es bei der Erfahrung um Prozesse des Wahrnehmens und Handelns. Das Subjekt nimmt sich selbst als Subjekt wahr, das „in der Welt ist“, diese durch Handeln, Denken und Fühlen konstruiert, verändert und selbst verändert werden kann als eine „verändernde Erprobung seiner selbst“, um mit Foucault zu sprechen (Braun/Schorn 2016, 114–115). Wird der Museumsbesuch als Erfahrung verstanden, lässt sich auch die Vermittlung in Museen neu und spielerischer denken. Doch inwieweit können spielerische Elemente in Ausstellungen als Spiele verstanden werden? Grundsätzlich gilt, dass die Zweckfreiheit, die Offenheit, die Spielstimmung und andere Merkmale des Spiels sich pädagogisch-didaktischen Absichten auch entziehen, ja ihnen geradezu entgegengerichtet sind. Wo das Spiel auf die Bahn der aufklärerischen Lern- und Förderinteressen gebracht werden soll, da ist es in seinem Wesen bedroht (Flitner 1994, 236).

Dies soll nicht aussagen, dass im Spiel kein informelles Lernen stattfindet. Jedoch endet das ungezwungene, natürliche Spiel in pädagogisch-didaktisch gestalteten Kontexten. Zweckfreies, offenes Spiel scheint zunächst also in Ausstellungen und Museen nicht möglich zu sein. Die Vermittlungsinhalte werden durch spielerische Elemente lediglich anders, nämlich ein Spiel imitierend, vermittelt. Wenn natürliches Spiel in Museen entsteht, so entzieht es sich wiederum den Vermittlungszielen. Gamification ist ein Versuch, dieses Spannungsverhältnis zu lösen, das nicht nur für Museen gilt.

[G]amification uses games for other purposes than their normal expected use for entertainment (asserting that entertainment constitutes the prevalent expected use of games). (Deterding et al. 2011)

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Dieser allgemeinen Definition von Deterding et al. folgend, werden durch Gamification Spiele in Lebensbereiche gebracht, in denen diese nicht vorgesehen sind, wie beispielsweise in der Arbeitswelt, aber eben auch im Museumsbereich. Gamifacation meint hier nicht die spielerischen Elemente einer Ausstellung, sondern der gesamte Ausstellungsbesuch soll für die Besuchenden ein Spiel sein. Dieses Spiel an sich hat zunächst keine Vermittlungsinteressen, sondern dient lediglich der Motivation, die auch durch Elemente, wie Belohnungspunkte, Highscores, Incentives und direktem Feedback erzeugt wird. Lassen sich die Spielenden auf die Spielarchitektur ein und sind durch diese motiviert, dann sind sie – so die Vermutung – auch bereit, sich auf die Lerninhalte einzulassen, die zum Erreichen des Spielzieles notwendig sind. Spiel ist ‚so tun als ob‘. Im Spiel wird eine eigene Wirklichkeit in den Gedanken und Handlungen der Spielenden konstruiert. Und annehmen, sich ausdenken kann man alles bis zu den Grenzen der Fantasie. (Baer 2012, 1, H. i. O.)

Wenn Menschen spielen, so befinden sie sich in Spielwelten. Die Regeln dieser Welten müssen gelernt und innerhalb dieser Spielwelt muss ebenfalls gelernt werden, um darin erfolgreich zu sein. Spielwelten sind auch in diesem Sinne Lernwelten. Durch die Verschränkung von Lebens- und Lernwelt, durch die ein immersives Erlebnis für die Lernenden entsteht, erproben diese neue Rollen, machen ungekannte Erfahrungen und lernen ihre eigene Lebenswelt aus anderen Perspektiven kennen. Durch Gamification wird versucht, Spielwelten in verschiedene andere Lebensbereiche zu bringen und nutzbar zu machen. Dies funktioniert nach bestimmten Mechaniken, die vor allen aus dem Bereich der Computerspiele bekannt sind. Solche Spiele haben eindeutige, motivierende Ziele (Drachen töten, Prinzessin retten), geben verständliches und direktes Feedback über den Erfolg oder Misserfolg einer Handlung und haben klare Regeln, was getan werden kann und was nicht. Dabei müssen dennoch Ideen und Wege zur Lösung entwickelt und diese über Versuch und Irrtum ausprobiert werden. Besonders relevant sieht Deeg zudem die Tatsache, dass sie auf Freiwilligkeit basieren, was sowohl das Spielen an sich, als auch die Akzeptanz der Regeln, Feedback, Ziele etc. angeht. Alle diese Punkte werden in Non-Game-Kontexte – sowohl im analogen als auch im digitalen Raum – übernommen (Deeg 2017, 108).

In Stuttgart in der verlorenen Zeit tauchen die Besuchenden in ein Spiel ein, dessen Regeln zunächst erlernt werden müssen und bei dem es auch innerhalb des Spieles immer wieder darauf ankommt, im Spiel erlerntes Wissen einzusetzen,

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um weiterzukommen. Die Motivation für das Spiel ist das direkte Feedback und die Geschichte, die durch das Lösen der Rätsel weitererzählt wird. So ist, den Ansätzen des Lernwelten-Begriffes folgend, die Freiwilligkeit ein zentrales Element. Eine spielerische Lernwelt kann ohne das Engagement der Lernenden nicht funktionieren. Bei der Gestaltung solcher Lernwelten ist folglich zu beachten, dass der Wunsch, sich mit dieser Welt auseinanderzusetzen bei den Lernenden geweckt wird. Dieser Wunsch ist, sowohl ein Wunsch, zu spielen als auch zu lernen, was die entscheidende Verschränkung dieser beiden Bereiche ist. Ohne zu lernen, ist es nicht möglich zu spielen und ohne das Spielen findet kein Lernen statt. Umso interessanter die Lernwelt architektonisch gestaltet und inhaltlich spannend erzählt ist, umso interessanter die Rätsel sind, desto größer wird die Lernbereitschaft der Besuchenden. Letztlich ist der entscheidende Bezug zur Lebenswelt der Lernenden, deren Wunsch und Freude am Spielen, den es für die spielerische Lernwelt aufzugreifen gilt. Die Geschichte der spielerischen Lernwelt Stuttgart in der verlorenen Zeit findet in einer fiktiven Welt statt, in der Zeitreisen möglich sind, Tiere sprechen können und Schmetterlinge „Zeitinspektoren“ sind. Fiktive oder alternative Welten für Storytelling und Gamification im Bildungs- und Vermittlungsbereich zu verwenden, hat entscheidende Vorteile. In alternativen Welten kann die Komplexität der realen Welt reduziert und auf die entscheidenden Punkte gebracht werden. Diese können dann auch ironisiert oder zugespitzt werden. Klassisch sind beispielsweise die Romane von Terry Pratchett, die größtenteils in einer eigenen Welt – der Scheibenwelt – spielen, häufig aber sehr reale Thematiken oder philosophische Diskurse behandeln (Müller 2006). Dadurch eignen sich alternative Welten mitunter sehr gut, um sehr reale Lerninhalte zu veranschaulichen und zu vermitteln. Der Markt an digitalen Lernspielen und Serious Games, die in alternativen Welten mit eigenen Gesetzen angesiedelt sind, ist riesig.

Fazit Es wurde bereits deutlich, dass Gamification in Museen – sowie an anderen Orten – vieles mit den Mechanismen von Computerspielen gemeinsam hat. Bei diesen ist die pädagogisch-wissenschaftlich Erforschung bereits weiter vorangeschritten, und kann für die Thematik Gamification in Museen ebenfalls wertvolle Hinweise liefern. Die Grundprinzipien der Ausstellung Stuttgart in der verlorenen Zeit ist einem Computerspiel sehr ähnlich. Dazu kommen allerdings räum-

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liche und auch körperliche – beziehungswiese leibliche – Komponenten und eine andere soziale Dimension, als sie in Computerspielen vorkommen. Computerspiele können Bildungsprozesse anstoßen, wie es beispielswiese Fromme et al. herausstellen. Dabei definieren sie Bildungsprozesse als solche, in denen das Individuum in der kulturellen und sozialen Partizipation Erfahrungen macht, die (im günstigen Fall) zur Reflexivierung und Dezentrierung, somit zur Flexibilisierung und Bereicherung seiner hergebrachten Muster der Selbst- und Weltaufordnung beitragen. Dabei spielen kreative und spielerische Freiräume der Artikulation, wie etwa in Spielen oder in ästhetischen Tätigkeiten, eine ebenso grosse [sic!] Rolle wie die Konfrontation mit der eigenen und mit fremden Sprachen, Kulturen und Gewohnheiten (Fromme et al. 2008, 3).

Computerspiele fördern vor allem Kompetenzen der Anpassung und Sozialisation durch die herausfordernde Umgebung aber auch kognitive Fähigkeiten, Problemlösungskompetenzen und den transformativen sowie kreativen Umgang mit Regeln und Gesetzen. Da die Motivation für das Verbleiben im Spiel und das Gewinnen groß sind, wird von Spielenden ein hoher Aufwand von Zeit und Anstrengung betrieben (Fromme et al. 2008, 7). Mit dem Erlernen eines neuen Computerspieles wird sich eine neue Welt mit eigenen Zeichen und Deutungsmustern erschlossen, die möglicherweise dazu führen, eine Kompetenz zur Aneignung neuer Welt- und auch Selbstsichten zu entwickeln, besonders, wenn dies gemeinsam mit anderen Mitspielenden beispielsweise in Online-Rollenspielen geschieht (Fromme et al. 2008, 17). Ähnliche Bildungsprozesse können mit Sicherheit auch in Escape-Räumen und auch Ausstellungen wie Stuttgart in der verlorenen Zeit beschrieben werden. Wichtig wäre, hier zu untersuchen, welche Auswirkungen die leibliche Anwesenheit in dem Spielraum und der direkte Austausch mit leibhaftig anwesenden Mitspielenden hat. Da es bei Gamification in Museen immer Vermittlungsinhalte und -ziele gibt, ist zudem zu untersuchen, ob und welche der Inhalte nach Verlassen der Ausstellung erinnert werden. Museen können als Lernwelten verstanden werden, die zu Lern- und Bildungsprozessen führen. Spielerische Elemente in Ausstellungen sind so gesehen eine Erweiterung dieser Lernwelt durch das Hinzufügen formaler Bildungsinhalte, sozusagen eine Manipulation der Lernwelt zugunsten von Lerninhalten. Gamification verdeckt diese Manipulation insofern, dass es die Lernwelt Museum selbst in eine Spielewelt integriert. Dies kann durch digitale Techniken online oder mit Bildschirmen, Tablets und Smartphones im Museum geschehen, wäre aber auch ganz ohne Technik nur mit einer spannenden Story und einem packenden Spielprinzip möglich. Vielleicht bestätigt sich Deegs Prognose zu

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Museen irgendwann: „Ein gutes Museum funktioniert in Zukunft auch ohne Technologie, aber nicht ohne Gaming/Gamification“ (Deeg 2017, 108).

Literatur Baer, U. (2013/2012): Spiel und Bildung. KULTURELLE BILDUNG ONLINE. https://www.kubi-online.de/artikel/spiel-bildung. Braun T.; Schorn B (2016).: Ästhetisch-kulturelles Lernen und kulturpädagogische Bildungspraxis. In: B. Commendeur; H. Kunz-Ott; K. Schad (Hrsg.): Handbuch Museumspädagogik. Kulturelle Bildung in Museen. München: kopaed. Csikszentmihalyi, M. (2008): Flow. Das Geheimnis des Glücks. Stuttgart: Klett-Cotta. Deeg, C. (2017): Gaming und Gamification im Museum. In: K. Preuß; F. Hofmann (Hrsg.): Kunstvermittlung im Museum. Ein Erfahrungsraum. Münster; New York: Waxmann, 105–112. Deterding, S.; Dixon, D.; Khaled, R.; Nacke, L. E. (2011): Gamification: Toward a Definition. http://gamification-research.org/wp-content/uploads/2011/04/02-Deterding-Khaled-Nacke-Dixon.pdf. Flitner, A. (1994): Nachwort. In: J. Huizinga: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch, 232–238. Fromme, J.; Jörissen, B.; Unger, A. (2008): Bildungspotenziale digitaler Spiele und Spielkulturen. MedienPädagogik. Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung. Themenheft 15/16. Gutkowski, K. (2019): Spielen im Museum. Die geheimen Kammern des Wissens. In: G. Eggenstein; A. Hoffmann; O. Schmidt-Rutsch (Hrsg.): Alles nur geklaut? Die abenteuerlichen Wege des Wissens. Essen: Klartext, 179–182. Gutkowski, K.; Hoffmann, A. (2021): „Alles nur geklaut? – Die abenteuerlichen Wege des Wissens“. Erlebnis-Lernwelt Industriemuseum. In: T. Giese; R. Stang (Hrsg.): Lernwelt Museum. Dimensionen der Kontextualisierung und Konzepte. Berlin; Boston: De Gruyter Saur, 211–225. Heeg, L. (2017): Museen im Spagat zwischen Bildungsauftrag und Entertainment. In: K. Preuß; F. Hofmann (Hrsg.): Kunstvermittlung im Museum. Ein Erfahrungsraum. Münster; New York: Waxmann, 73–80. Müller, A. (2006): „Einfach göttlich“ von Terry Pratchett. https://hpd.de/node/191. Nicholson, S. (2015): Peeking behind the locked door: A survey of escape room facilities. White Paper. http://scottnicholson.com/pubs/erfacwhite.pdf. Preuß, K.; Hofmann, F. (Hrsg.) (2017): Kunstvermittlung im Museum. Ein Erfahrungsraum. Münster; New York: Waxmann Schneider, K. (2011): Museumsbildung und Wissenspiele. In: D. Harrasser; K. Harrasser; S. Kiessling; K. Schneider; S. Sölkner; V. Wöhrer (Hrsg.): Wissen Spielen. Untersuchungen zur Wissensaneignung von Kindern im Museum. Bielefeld: transcript, 69–94. Schuhkraft, H. (2014): Wie Stuttgart wurde, was es ist. Ein kleiner Gang durch dir Stadtgeschichte. Tübingen: Silberburg. Spickernagel, E; Walbe, B. (Hrsg.) (1976): Das Museum. Lernort contra Musentempel. Gießen: Anabas.

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Cathérine Biasini und Almut Neef

„Es gibt ihn doch, den Grüffelo!“ Lernwelt Familienausstellung

Das Junge Museum im Historischen Museum der Pfalz Speyer Seit 1999 konzipiert das Junge Museum Speyer als Kindermuseum im Historischen Museum der Pfalz Ausstellungen, die sich an junge Besucherinnen und Besucher zwischen vier und zwölf Jahren richten. Aufgabe des Jungen Museums ist es, jungen Menschen und deren Familien das Museum als einen Ort näherzubringen, an dem man sich gerne aufhält, der Unterhaltung und Erlebnisse bietet, Wissen zu historischen und kulturellen Themen vermittelt sowie zu aktiver Teilnahme motiviert. Themen, Lerninhalte und Fragestellungen der Ausstellungskonzeptionen sind breit gefächert und interdisziplinär: Von kulturhistorischen Projekten wie Ägyptens Schätze entdecken über aktuelle gesellschaftliche Phänomene wie 40 Jahre PLAYMOBIL bis hin zu eher literarisch-künstlerischen Schauen wie Der Grüffelo, wurden für die jungen Besucherinnen und Besucher bislang sehr unterschiedliche Ausstellungen umgesetzt. Für die Auswahl der Themen und Inhalte ist entscheidend, dass die Voraussetzungen für eine freizeitorientierte Akzeptanz der Angebote gegeben sind und gleichzeitig das Junge Museum von Schulen und vergleichbaren Einrichtungen als außerschulischer Lernort wahrgenommen wird. Die Vielfalt der Inhalte sowie der didaktischen Ansätze und Methoden lässt sowohl formelles Lernen als auch informelles Lernen zu und initiiert individuelle Lernprozesse. Insbesondere für Schulen ist der Museumsbesuch dann attraktiv, wenn er für den Unterricht passgenau gestaltet werden kann. Als Arbeitserleichterungen für Lehrkräfte bietet das Junge Museum deshalb zu den Ausstellungsprojekten Fortbildungen an und stellt Materialien mit Lehrplanbezügen zur Verfügung. Auch bei Überlegungen zur Gestaltung von Vermittlungsangeboten spielen die Inhalte der Lehrpläne eine Rolle. Von der Beratung hinsichtlich einer passenden Führung über den Service während des Museumsbesuches bis zur Erschließung der Ausstellung mit den Gruppen und der Verortung der Lerninhalte mit Hilfe der didaktischen Materialien soll der Aufenthalt in unserem Haus für Schulen einladend und an den Unterricht angepasst sein. Die inhaltlich flexible

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Lernumgebung im Jungen Museum Speyer unterscheidet sich jedoch von einem schulischen Setting. Schülerinnen und Schüler erschließen während ihres Besuches das Museum als öffentlichen Ort mit Serviceräumen, Ausstellungsräumen und einem bestimmten Verhaltenskodex. Sie lernen eine Ausstellung zu lesen und sich Wissen anzueignen, das über reines Faktenwissen hinausgeht: Wie orientiere ich mich in den Ausstellungsräumen? Wie kann ich die vielfältigen Informationen organisieren? Welche Bedeutung haben die Objekte für mich? Wie kann ich mich mit anderen über das Erfahrene austauschen? Ausstellungsumgebung, Hands-on-Elemente, Medien und Objekte bieten hier vielfältige Zugänge für das Verständnis von Lebens- und Erfahrungszusammenhängen, die über das zielgerichtete, formale Lernen hinausgehen. Eine große Besuchsgruppe sind Familien mit Kindern. Warum entscheiden sie sich für den Ausstellungsbesuch und nicht für ein anderes attraktives Freizeitangebot? Familien wünschen ein besonderes, angenehmes gemeinsames Erlebnis, Unterhaltung und Genuss. Gleichzeitig erwarten sie einen Mehrwert wie Bildung, Wissenserwerb und Sinnhaftigkeit. Zu einem nachhaltigen Erlebnis wird der Ausstellungsbesuch dann, wenn es gelingt, diese Erwartungen zu erfüllen, die Besucherinnen und Besucher mit ihren individuellen Erfahrungen einzubinden und sie darüber hinaus für neue Sichtweisen zu begeistern. Mit einer gut gewählten Geschichte, einem Narrativ, das der Ausstellungskonzeption zugrunde liegt, lässt sich nicht nur die Aufmerksamkeit des Publikums wecken. Geschichten beziehen das Publikum ein und können die Erwartung nach Unterhaltung erfüllen. Darüber hinaus lassen sich Inhalte attraktiv vermitteln und informelle Lernziele einbinden. So war die Ballade von Robin Hood Grundlage für das Storyboard einer Familienausstellung zum Mittelalter, die die kulturhistorische Ausstellung Richard Löwenherz (Historisches Museum der Pfalz Speyer, 2017/2018) begleitete. Die Einführung der populären Heldenfigur ermöglichte neben dem Lerninhalt Wie lebten Menschen im Mittelalter, eine parallele, informelle Vermittlungsebene. Warum bewundern wir heute noch Robin Hood? Was ist Heldentum? Welche Bedeutung haben Werte wie Gemeinschaft, Gerechtigkeit und Freiheit? Ausstellungsdramaturgie, Objekte, Medien und aktivierende Angebote, wie zum Beispiel ein Raum, in dem unter Anleitung mit Sportbögen geübt wurde, ließen das Publikum nicht nur in die mittelalterliche Alltagswelt zur Zeit von Richard Löwenherz eintauchen, sondern auch in die vielschichtige Welt des Robin Hood. Die individuelle, handlungsorientierte Interaktion, zu der die partizipativen Angebote einladen, ist grundlegend. Sie befördert die Motivation, Wissen eigeninitiativ zu erschließen und dabei auch sich selbst in der Begegnung mit Kunst, Kultur und Geschichte besser kennen zu lernen. Es sind diese Erfahrungen der

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Selbstwirksamkeit und emotionale Erlebnisse, die bei den Besucherinnen und Besuchern langfristig in Erinnerung bleiben. Welche Erkenntnisse die Besucherinnen und Besucher letztendlich aus einer Ausstellung mitnehmen, hängt von der jeweiligen Lebenswelt und individuellen Voraussetzungen wie Interessen, Motivation, Vorkenntnissen, persönlichen Lernzugängen und Fähigkeiten ab. Je mehr über das Publikum bekannt ist, desto besser kann eine Lernwelt wie das Junge Museum Anknüpfungspunkte zur jeweiligen Lebenswelt gestalten sowie Interessen und Bedürfnissen entgegenkommen. Der Blick auf ein diverses Publikum zeigt indessen auch, dass ein intensiver Austausch mit Besucherinnen und Besuchern sowie mit Expertinnen und Experten notwendig ist, um Ausstellungen und Vermittlungsangebote für möglichst viele Menschen attraktiv, inklusiv und beteiligend zu gestalten. In den Familienausstellungen bestimmen soziale Interaktionen, das Miteinander in der Ausstellung, der Austausch in der Familie oder Gruppe, die Begegnung mit Besuchendenbegleiterinnen und -begleitern oder auch mit dem Museumspersonal entscheidend die Qualität des Ausstellungsbesuches. Freude am Tun entfaltet sich nur dann, wenn sich Lernende – gleich welchen Alters – wohlfühlen und das Umfeld als sicher erleben. Kindermuseen und Familienausstellungen eignen sich mit ihren niedrigschwelligen Angeboten und der einladenden Atmosphäre generell sehr gut, um Vorurteile hinsichtlich der Zugänglichkeit und Publikumsorientierung von Museen abzubauen. Wie grundlegend die oben genannten Zugänge wie Hands-on, Interaktion und Kommunikation für die Methoden der Vermittlung in Ausstellungen für Kinder sind, wird gerade jetzt, unter den Einschränkungen, die die Beachtung von Hygienevorschriften unter Pandemiebedingungen allen auferlegen, besonders deutlich.

Zur Konzeption der Familienausstellung „Der Grüffelo“ Mit dem Beispiel der Familienausstellung Der Grüffelo1 soll die Herangehensweise des Jungen Museums Speyer in Hinblick auf die Konzeption und Umsetzung von Familienausstellungen für die jüngste Besuchsgruppe, Kinder von vier bis sieben Jahren, skizziert werden.

1 Der Grüffelo. Die Ausstellung, Familienausstellung im Historischen Museum der Pfalz Speyer, 2019/2021, www.grueffelo-ausstellung.de.

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Der Grüffelo (Donaldson/Scheffler 1999) ist seit seinem Erscheinen 1999 eines der beliebtesten und bekanntesten Kinderbücher. Die tiefsinnig, humorvollen Reime von der kleinen Maus und dem schrecklichen Grüffelo aus der Feder von Julia Donaldson und die Illustrationen von Axel Scheffler begeistern Kinder wie Erwachsene gleichermaßen.2 Inhaltlich und gestalterisch sind Der Grüffelo und das Nachfolgebuch Das Grüffelokind (Donaldson/Scheffler 2004) Vorlage für die Mitmachausstellung des Jungen Museum Speyer.

Abb. 1: Die Illustrationen von Axel Scheffler ergänzen die phantasievolle Lernwelt rund um Grüffelo (Foto: Historisches Museum der Pfalz Speyer, Carolin Breckle)

Unter Einbeziehung der Illustrationen von Axel Scheffler (Abbildung 1) erzählt die Ausstellung auf etwa 400 qm die Mutmachgeschichte und greift die Botschaft des Buches auf, dass über Erfolg nicht allein Größe und Stärke entscheiden, sondern auch Courage und Phantasie. Die hinsichtlich der Lerninhalte und Methoden offene Lernwelt der Familienausstellung eignet sich hervorragend, um informelle Lernziele wie das soziale Lernen oder die Förderung der eigenen Kreativität zu setzen. Die Ausstellungsumgebung lässt Raum für das Er2 Die kleine Maus ist nicht die Stärkste im Wald, aber sie ist klug und mutig und lässt sich von den gefährlichen Waldtieren, ihren Fressfeinden, nicht unterkriegen. Als Komplizen erfindet sie ein Fantasiewesen: den schrecklichen Grüffelo. Doch dann wird der Grüffelo unerwartet bedrohliche Realität. Die Maus hilft sich wieder mit einem Trick. Auf ihrem Weg lässt sie sich vom Grüffelo begleiten. Der ist beeindruckt, dass die Tiere im Wald scheinbar vor der Maus Reißaus nehmen und realisiert nicht, dass allein er es ist, der alle in die Flucht schlägt. Der Trick der Maus zeigt, dass Ideenreichtum, Mut und Stärke in jedem selbst liegen. (Donaldson/Scheffler 1999; 2004)

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leben von Selbstwirksamkeit und soziale Erfahrungen mit anderen Kindern. Weitere altersgerechte Lerninhalte der Ausstellung sind die Förderung des erzählenden Denkens im Rollenspiel sowie die Vermittlung von Sachwissen über den Wald, seine Flora und Fauna. Die detailreichen Illustrationen von Axel Scheffler schaffen dafür eine Basis.

Abb. 2: Blick in den Spielbereich der Grüffelo-Ausstellung (Foto: Historisches Museum der Pfalz Speyer, Carolin Breckle)

Die Ausstellung macht die Welt des Grüffelo als dreidimensionalen Raum begehbar (Abbildung 2). Die vergrößerten Illustrationen aus dem Bilderbuch werden wie Theaterkulissen eingesetzt, in denen die Besucherinnen und Besucher agieren können. Ein grafisch gestalteter Weg schlägt eine Laufrichtung vor (Abbildung 3), die Dramaturgie der Präsentation erlaubt es jedoch, dass die Kinder die Ausstellungsbereiche in beliebiger Reihenfolge erschließen und ihrem spontanen Interesse folgen. Der Bilderbuchwald von Axel Scheffler beschreibt Tiere und Pflanzen sehr genau, gleichzeitig ist stets das Unerwartete, Fantastische möglich. Diese Stimmung will auch die Ausstellung vermitteln. Unübersichtliche, dunkle Zonen wollen erforscht werden und wechseln sich mit hellen, offenen Bereichen für handlungsorientierte Aktionen ab. Ein Soundteppich aus Naturgeräuschen und eine Beleuchtung, die an Lichtreflexe erinnert, unterstützen die Waldatmosphäre.

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Abb. 3: Vergrößerte Illustrationen werden wie Theaterkulissen verwendet (Foto: Historisches Museum der Pfalz Speyer, Carolin Breckle)

Zunächst lernen die Besucherinnen und Besucher Tiere und Pflanzen im Wald kennen: Maus, Fuchs, Schlange und Eule. In Vitrinen stehen die entsprechenden Tierpräparate mit Beschreibungen ihrer Lebensweise den Illustrationen zum Vergleich gegenüber. Interaktive Stationen und Medien fördern die inhaltliche Beschäftigung mit den Waldtieren und Pflanzen. Gleichzeitig geben sie Anreize, die als Wandgrafiken groß wiedergegebenen Illustrationen immer wieder zu studieren, um neue Details zu entdecken und die Naturdarstellungen differenzierter wahrzunehmen. Das Fantasiewesen Grüffelo ist in der Ausstellung stets präsent. In unregelmäßigen Abständen hört und sieht man es als lebensgroße Projektion durch die Waldlandschaft stapfen. In einer dunklen, engen Höhle ist sein Schnarchen zu vernehmen. Wie im Buch ist in der Ausstellung die Welt der naturkundlichen Beobachtungen mit einer zauberhaften Welt, in der Tiere miteinander in Reimen sprechen und in der es Fantasiewesen gibt, verwoben. Gerade mit der Verbindung der verschiedenen Gestaltungs- und Erzählebenen lässt die Familienausstellung die Grenzen zwischen der Lebenswelt und einer Lernwelt, in der auch das Magische seinen Platz hat, verschwimmen. Die Lernwelt wird zu einem immersiven Erlebnis, indem sich die Kinder in einer Welt der Phantasie und des Wissens ausprobieren und in ihrer eigenen Kreativität ausdrücken können. Die ausgestellten Objekte werden kontextualisiert und zugleich finden die

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Vorstellungen der Kinder, die vielleicht schon beim Lesen des Buches entstanden sind und die sie mit in die Ausstellung bringen, hier ihren Raum. Ihrer Fantasie freien Lauf lassen, eigene Geschichten entwickeln und das Erfahrene im Spiel individuell vertiefen, können die Kinder auf der Spielwiese, einem Bereich, der wie eine Waldlichtung gestaltet ist. Die Kinder entscheiden selbst, in welcher Reihenfolge sie die Angebote ausprobieren und wie intensiv sie sich auf das Geschehen einlassen möchten. Eine Überprüfung des Gelernten ist hier nicht möglich und auch nicht beabsichtigt. Grundlegend ist eine entspannte Atmosphäre des Aneignens, die zu aktivem Erkunden, Erforschen, Erproben und Gestalten einlädt. Die Ausstellung wird in der Gedankenwelt der Kinder weiterentwickelt und mit individuellen Erfahrungen angereichert. In einem Atelierbereich malen die Kinder mit Buntstiften ihren persönlichen Grüffelo. Bausteine laden zum kreativen Gestalten, zum Sortieren und Zuordnen ein. Ein Rollenspiel- und Theaterbereich fördert das erzählende Denken. In der Grüffelo-Küche und im Schattentheater mit Tier-Kostümen und Masken – die nun bedingt durch die Hygienemaßnahmen zum Schutz vor COVID-19 durch Stabpuppen ersetzt wurden, spielen die Kinder ihre Version der Grüffelo-Geschichte nach. Ein Bewegungsbereich fördert die Motorik. Über Baumstämme und Spielgeräte zum Balancieren erleben die Kinder mit dem ganzen Körper die Abenteuer der mutigen kleinen Maus nach. Dem Bedürfnis nach Ruhe und Kontemplation kommen Sitzecken mit Büchern zum Schmökern im Ruhe- und Lesebereich nach. Dieser Ausstellungsbereich ist eine flexible Lernumgebung, die von den Besucherinnen und Besuchern individuell gestaltet wird und vom sozialen Miteinander geprägt ist. Er ist ein Erfahrungsraum, der alle Sinne anspricht und forschende, sinnliche sowie emotionale Zugänge bietet. Hier halten sich die Kinder am längsten auf, weil sie sich im Spiel selbst erfahren. Als Lernwelt motiviert der Ausstellungsbereich die Kinder, sich auszuprobieren und dabei über sich selbst zu lernen. Die offene räumliche Gestaltung erlaubt – soweit es der Besuchendenandrang zulässt –, dass die Kinder sich intuitiv entscheiden, womit sie sich beschäftigen möchten und dabei ihrer eigenen Lerngeschwindigkeit folgen. 30 Originalgrafiken von Axel Scheffler bieten einen Überblick über seine Arbeit als Illustrator. Die Art der Präsentation in einer räumlich getrennten Galerie macht deutlich, dass es sich hier um einzigartige, authentische Objekte handelt, die es – im Gegensatz zu den Illustrationen in den Büchern – nur einmal gibt. Die Grafiken offenbaren den großen Detailreichtum der Illustrationen und die besondere künstlerische Technik von Axel Scheffler, die die verwendeten Farben intensiv leuchten lässt.

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Zu den Sonderausstellungen gehört in der Regel ein umfangreiches Begleitprogramm mit praktischen Workshops und zahlreichen Veranstaltungen, das aufgrund der COVID-19-Pandemie mit ihren besonderen Hygieneauflagen zum größten Teil außer Kraft gesetzt ist. Die interaktive Führung, die nach wie vor angeboten wird, beginnt vor dem Rundgang durch die Ausstellung mit einer circa 20-minütigen Einführung anhand eines Kamishibai-Erzähltheaters (Fink 2018), an dem die Kinder aktiv teilnehmen. Einzelne Bilder aus der Grüffelo-Geschichte werden in einem Rahmen, einer Art Klapptheater, gezeigt. Der Blick wird auf Details gelenkt: Die jungen Besucherinnen und Besucher schauen sich aufmerksam eine Illustration nach der anderen an. Indem die Kinder aufgefordert werden, zu beschreiben, was sie sehen und gemeinsam die Geschichte nacherzählen, wird die Sprache gefördert. Dabei geht es vor allem darum, eigene und fremde Gefühle zu verstehen. Was fühlt die Maus bei ihrer Begegnung mit dem Fuchs? Was empfinden die Kinder beim Erzählen? Wie würden sie sich selbst verhalten? Beim anschließenden „Spaziergang“ durch den Grüffelo-Wald in der Ausstellung, werden die Themen Angst, Mut, Fantasie immer wieder angesprochen. Die interaktive Führung bietet zu den üblichen Lerninhalten, wie zum Beispiel der Sprachförderung, auch Anlässe, Gefühle bei sich und anderen zu erkennen und zu verstehen. Die Situation während der Führung lässt einen besonderen Freiraum entstehen, indem sich die jungen Besucherinnen und Besucher selbst näherkommen und sich in einer anderen Rolle ausprobieren können. Es bildet sich ein sozialer Raum, der die Chance bietet, freier und mutiger zu agieren und sich selbst neu auszuprobieren. Die interaktiven Führungen erfüllen das Bedürfnis nach Begleitung und Orientierung, nach direkter Kommunikation und Austausch in der Gruppe. Sie formalisieren zielgerichtet die informellen Lernangebote der Kinderausstellung und bieten Anregungen für ein weitergehendes Erschließen der Inhalte. Kindertagesstätten und Schulen nehmen diese Angebote gerne wahr, um den Museumsbesuch den eigenen Anforderungen anzupassen. Im Rahmen von Freizeitangeboten, wie zum Beispiel Kindergeburtstagen, kann eine interaktive Führung darüber hinaus ein besonderes Erlebnis bieten, denn sie gestaltet den Besuch in der Gruppe, gibt Anregungen für den spielerischen Austausch untereinander und öffnet Zugänge, die die Besucherinnen und Besucher unter Umständen alleine nicht erschließen.

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Besucherinnen und Besucher in der Ausstellung „Der Grüffelo“ Das Konzept der Ausstellung Der Grüffelo basiert auf einer Begleitung der Kinder durch Erwachsene, ohne deren Bedürfnis nach Ausdruck, Spiel und Bewegung einzuschränken. Wie intensiv Kinder die Angebote für sich nutzen, hängt also davon ab, inwieweit sich die Begleitpersonen auf die Ausstellung einlassen und diese gemeinsam mit den Kindern entdecken. Aus diesem Grund ist der Begriff Familienausstellung passend, auch wenn die Adressatinnen und Adressaten in erster Linie die Kinder sind. Erwachsene nehmen eine wichtige Rolle ein, um die Informationen aus den Wandtexten und Beschriftungen für die Kinder zu erschließen oder die ausgestellten Objekte gemeinsam zu betrachten. Kinder lesen die Texte nicht, zum einen, weil sie noch zu klein sind, zum anderen, weil das Medium für sie wenig ansprechend ist. Auch die Objekte in Vitrinen oder die ausgestellten Illustrationen können in Konkurrenz zu Medien und aktivierenden Angeboten leicht der Aufmerksamkeit der Kinder entgehen. Bei ihnen gewinnt schnell der Wunsch Oberhand, ihrem großen Forschungs- und Bewegungsdrang zu folgen und zu erfahren, was es noch zu entdecken gibt. Deshalb bietet die Dramaturgie der Ausstellung Abwechslungen wie die Höhle und Überraschungen wie die lebensgroße Grüffelo-Projektion. Im offenen Spielbereich wenden sich die Kinder je nach Interesse den interaktiven Angeboten zu. Manche möchten still malen oder versenken sich in das Spiel mit Bauklötzen, andere haben für sich die Masken und Kostüme entdeckt und führen vor einem spontan gebildeten Publikum ihre Grüffelo-Szenen auf. Viele Erwachsene lassen sich mit Spaß und Freude auf die Entdeckungsreisen und das Spiel der Kinder ein, andere nutzen die Option, sich eher zurücknehmen und die Kinder zu beobachten. Es ist in jedem Fall sinnvoll, die Erwachsenen bei der Planung mit einem Angebot von Sitzgelegenheiten mitzudenken. Das gemeinsame Entdecken und Ausprobieren ist für alle sehr bereichernd und nicht selten möchten Eltern oder Großeltern mitmachen, Kostüme tragen oder die Wippe im Bewegungsbereich nutzen. Die interaktiven Angebote werden von den Kindern in jeder Hinsicht kreativ genutzt und hinsichtlich aller Möglichkeiten getestet: Ausstellungselemente wandern von einer Station zur anderen und finden unvorhergesehene Einsatzmöglichkeiten, die Materialbelastbarkeit wird bis zum Äußersten geprüft. Um den Kindern einen sicheren Selbsterfahrungsraum zu bieten, muss der Ausstellungsbereich so konzipiert sein, dass die Kinder ihrer Spielfreude nachkommen können und zugleich Verkehrssicherheit und Sicherheit der Objekte gewährleistet sind. Das gilt vor allem für Bewegungsangebote, die in Familienausstellun-

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gen stets intensiv und ausgelassen genutzt werden. Zuweilen gehen die Kinder so in ihren Aktivitäten auf, dass die Verweildauer selbst bei einer räumlich kleineren Präsentation wie Der Grüffelo über zwei Stunden beträgt. In den Familienausstellungen beobachtet das Junge Museum zahlreiche Mehrfachbesucherinnen und -besucher, die Ausstellungen halten so viele Angebote bereit, dass die Kinder sich diese während eines Besuches nicht alle gänzlich erschließen können oder eine Wiederholung des Erlebnisses wünschen.

Fazit Mit den Familienausstellungen möchte das Junge Museum Speyer Kindern befriedigende Erlebnisse im Museum und den Ausstellungen bieten. Voraussetzung dafür ist, dass diese interpretiert und decodiert werden können. Dazu legt das Junge Museum Speyer mit den niederschwelligen Schauen die Grundlagen. Die Ausstellungsinhalte sind vielfältig: Neben Zugängen zu Geschichte, Kultur und gesellschaftlichen Fragestellungen sind zum Beispiel Fantasie, Resilienz oder soziales Lernen gleichberechtigte informelle Lernziele. Basis der Arbeit ist es, die Relevanz der ausgewählten Inhalte für das Publikum herauszuarbeiten und Anknüpfungspunkte zu den Lebenswelten der Besucherinnen und Besucher zu schaffen. So eignen sich klassische Erzählmuster, um Inhalte zielgruppengerecht zu vermitteln. Populäre literarische Figuren wie Robin Hood oder Der Grüffelo, die in den vorgestellten Beispielen die Besucherinnen und Besucher durch die Ausstellung begleiten, versprechen Unterhaltung und altersgerechte Erlebnisse. Zur Vermittlung der Lerninhalte nutzt das Junge Museum eine Vielzahl an aktivierenden und spielerischen Methoden. Die Inhalts- und Formatvielfalt lässt unterschiedliche Perspektiven zu und spricht individuelle Lernzugänge an. Sie macht das Museum zu einem Erfahrungsraum, um Wissen selbstbestimmt anzueignen und in die eigene Lebenswelt zu integrieren. Unter den Vermittlungsformaten spielt die personale Vermittlung eine besondere Rolle, denn sie ermöglicht die direkte Kommunikation mit den Besucherinnen und Besuchern, kann direkt und situativ reagieren und so den Ausstellungsbesuch bereichern. Ein nachhaltiges Ziel der Arbeit des Jungen Museums ist es, das Publikum in die kulturelle Arbeit einzubeziehen, Möglichkeiten der Teilhabe aufzuzeigen und für das Museum und seine Angebote so zu begeistern, dass die Beschäftigung mit Kunst und Kultur zum selbstverständlichen Teil der jeweiligen Lebenswelt wird. Bei allen Überlegungen stehen die Besucherinnen und Besucher im Fokus, denn sie machen erst die Ausstellung komplett: Erst wenn die Ausstellung mit

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den spielenden Kindern und ihren Begleitpersonen belebt ist, diese sich mit ihrem individuellen Wissen, ihren Erwartungen und Bedürfnissen einbringen, entstehen der soziale Raum, indem viele der Erfahrungen, die wir uns wünschen, möglich werden, und eine Lernwelt, die individuell gestaltet und erlebt wird.

Literatur Donaldson, J.; Scheffler, A. (1999): Der Grüffelo. Weinheim; Basel: Beltz & Gelberg. Donaldson, J.; Scheffler, A. (2004): Das Grüffelokind. Weinheim; Basel: Beltz & Gelberg. Fink, M. (2018): Bilderbuchkarten zum Grüffelo, Weinheim: Beltz.

Silvia Rückert

Zwischen Objekt und Digitalität Lernwelt Stadtmuseum

Die Geschichte Kölns auf 800 qm Das Kölnische Stadtmuseum wurde 1888 als Historisches Museum in der Hahnentorburg gegründet. Nach einer bewegten Geschichte1, eröffnete es erstmals unter dem Namen Kölnisches Stadtmuseum (KSM) eine Dauerausstellung im Zeughaus. Mit der benachbarten Feuerwache gewann man 1973 zusätzliche Sonderausstellungsflächen. Zu der Sammlung gehören rund 350.000 Objekte, die zahlreiche Facetten der materiellen und immateriellen Kultur der Kölner Geschichte vom Mittelalter bis in die Gegenwart umfassen. In der Dauerausstellung konnten sozial-, wirtschafts- und kulturgeschichtliche Themen der letzten 1.200 Jahre sowohl am einzelnen Objekt als auch in thematischer Tiefe erschlossen werden. Nach einem Wasserschaden im Juni 2017 mussten die Ausstellungsräume im historischen Zeughaus des Kölnischen Stadtmuseums evakuiert werden. Die Dauerausstellung wurde geschlossen. Am 18. Dezember 2018 entschied der Rat der Stadt Köln, das Museum in das leerstehende Gebäude des ehemaligen Modehauses Sauer in der Minoritenstraße 13 umzuziehen. das wiederum nur ein Interim ist, weil es Planungen für ein Neubauprojekt in Partnerschaft mit der Hohen Domkirche auf dem Roncalliplatz gibt. Es beinhaltet den Neubau des Kölnischen Stadtmuseums, ein Studiengebäude für das Römisch-Germanische Museum und von kirchlicher Seite den Neubau eines Kurienhauses. Dem Museum steht ein Husarenritt bevor: Das Modehaus mit offenen Geschossen in ein museumsgerechtes Gebäude umzubauen und fast 2.000 Jahre Geschichte auf etwas weniger als 800 qm unterzubringen – einst stand weit

1 Es gab Planungen für ein großes „Rheinisches Museum“ in der Kürassierkaserne in KölnDeutz, dessen Ausbau Konrad Adenauer vorantrieb, der aber gebremst wurde durch innerstädtische Auseinandersetzungen von Direktoren und Kustoden und zunächst mit der Amtsenthebung des Bürgermeister Adenauers 1933 starb. Das nie völlig fertiggestellte Museum eröffnete am 21.5.1936 mit etwa 150 Themenräumen. Es wurde unter nationalsozialistischer Herrschaft in „Haus der Rheinischen Heimat“ umbenannt und für propagandistische Zwecke genutzt. Nach dem 2. Weltkrieg verblieb das Museum vorerst in dem teilzerstörten Gebäude mit Fokus auf Köln und nicht dem gesamte Rheinland. https://doi.org/10.1515/9783110703054-016

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mehr als die doppelte Fläche zur Verfügung – bedarf einer innovativen Herangehensweise für ein komprimiertes Ergebnis. Das Modehaus Sauer ist zwar nur eine vorübergehende Lösung, jedoch lehrt die Erfahrung, dass große Kulturbauten mehrjährige Bauzeiten beanspruchen, da sie besonderen baurechtlichen Auflagen unterliegen. Es ist davon auszugehen, dass das Interim entsprechend lange überdauern muss. Aufgrund der räumlichen Limitationen im ehemaligen Modehaus ist es nicht möglich, die Geschichte Kölns in all ihren Facetten im Detail zu beleuchten. Auf den ersten Blick ein schwieriges Unterfangen, bietet es jedoch die Chance ein ungewöhnliches zeitgemäßes Ausstellungsformat umzusetzen. Zahlreiche Stadtmuseen, die bis vor ein paar Jahren noch als verstaubte Institutionen der Museumswelt galten, stellen sich neu auf und versuchen andere Wege zu gehen; überregionale Aufmerksamkeit erregten insbesondere Berlin, Frankfurt oder auch Stuttgart. Das Kölnische Stadtmuseum versucht deshalb mit seiner neuen Dauerausstellung einen anderen Weg zu gehen, weg von der klassischen Chronologie und Themen- oder Epochenräumen, hin zu aktuellen Fragen, die die Besucherinnen und Besucher beschäftigen und auch emotional berühren, denn Geschichte hat an sich keine reale Linearität, sie besitzt syn- und diachrone Zeitstrukturen. Eine chronologische Story-Line wirkt daher oft wie ein starres Band, eine breit angelegte Geschichtsdarstellung hingegen wie ein Netz, innerhalb dessen die verschiedenartigen Verknüpfungen und analogen Zeitgeschehnisse nebeneinander herausgestellt werden (Dowidat 2003, 40).

Ziel der Ausstellungsstruktur ist es, dieses matrixähnliche Geflecht aufzugreifen und daraus den Besucherinnen und Besucher einzelne Geschichten zu vermitteln. Markus Möhring, Leiter des Dreiländermuseums in Lörrach, verweist darauf, dass definierte Vermittlungsziele ein Defizit in vielen Ausstellungsplanungen sind (Möhring 2000, 14). Ein Grundsatz der Vermittlungsstrategie des Kölnischen Stadtmuseums fußt auf der Aktualität des Geschehenen: Das bedeutet, dass das Vergangene nicht als ausrangiert oder gar abgelegt begriffen wird, sondern die Bedeutung der Vergangenheit für die Gegenwart spürbar bleibt. Bilder, Dokumente, Gegenstände aus vergangenen Zeiten machen die Attraktivität von Museen aus, aber es gilt, diese zu decodieren, das heißt für die Besucherinnen und Besucher so aufzubereiten, dass sie in eine andere, vergangene Welt eintauchen und diese begreifen können. Objekte sind Überreste der Vergangenheit, die die Gegenwart interessieren, sofern sie sich von der historischen Deutung der Quellen kritische Selbsterkenntnis oder auch kulturelle Identität erhofft, wenn Mittel zur Bewältigung der Gegenwart angesichts fraglicher Zukunftsperspektiven gesucht wer-

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den (Könenkamp 1993, 145). Das kognitive Vermittlungsziel ist, die Vergangenheit mit ihrer Auswirkung auf die Gegenwart zu verstehen. Im besten Falle fragen sich die Besucherinnen und Besucher „Was wäre geschehen, wenn…?“ Ein Museum, das sich mit der Vergangenheit beschäftigt, sollte sich ebenso mit Zeitgeschehen auseinandersetzen und einen Blick in die Zukunft wagen (Parmentier 2003, 7–8). Deswegen ist geplant, in die Ausstellung eine vertikale Erzählebene, eine Treppeninstallation zu integrieren, die sich konkret mit der Zukunft und Gegenwart Kölns auseinandersetzt. Die sich über alle Stockwerke ziehende offene Treppe bietet sich an, ein verbindendes Element zu schaffen, das als Prolog oder Epilog in die jeweilige Etage die Besucherinnen und Besucher einstimmt oder diese wieder entlässt. Auch dafür gibt es keine festgelegte Folge. Besucherinnen und Besucher benötigen emotionale Anknüpfungspunkte, die ihr Interesse wecken. Nur so gelingt es, dass sie sich auf eine Ausstellung und ihre Inhalte einlassen. Diese Emotionen stehen im Vordergrund, um das Thema begreifbar und vor allem erlebbar zu machen. Das affektive Vermittlungsziel der neuen Dauerausstellung ist, Geschichten um Objekte beziehungsweise Objektensembles anhand der Präsentation so zu erzählen, dass Geschichte spürbar wird und die Besucherinnen und Besucher Lust bekommen, sich emotional damit auseinanderzusetzen. Die Vermittlungsform kann durch die ästhetische Gestaltung, Medieneinsatz, Text, Bild und interaktive Stationen umgesetzt werden, wobei das Konzept vorsieht, die Ausstellung nicht mit einzelnen Bildschirmen zu überladen, sondern diese gezielt einzusetzen, ebenso wie taktile Modelle zum Anfassen für seheingeschränkte Personen. Für die Besucherinnen und Besucher, die eine weitere Vertiefungsebene wünschen, wird eine App angeboten. Dieser Mediaguide (Audio, Video, Augmented Reality) soll neben der Vertiefungsspur, eine Führung für seheingeschränkte Besucherinnen und Besucher, eine Kindertour, ein Spezialangebot für immaterielles Kulturgut (Kölns lebendige Traditionen) und eine englische Führung beinhalten. Für die Besucherinnen und Besucher, die kein Smartphone besitzen, stellt das Kölnische Stadtmuseum Geräte zur Verfügung. Geplant ist, sowohl in der Ausstellung als auch im Mediaguide auf komplizierte Texte zu verzichten und die Sprache und Satzformen einfach zu halten, ohne dabei den wissenschaftlichen Anspruch zu verlieren. Das Konzept lässt es zu, die unterschiedlichen Zielgruppen in der Ausstellung direkt anzusprechen. Denkbar wären Vermittlungsformate für Schulklassen und Familien, eine Speed-Tour für Kurzbesucherinnen und -besucher oder eine Long-Version für „echte Kölner“. Der Erfolg einer Ausstellung und des Begleitprogramms hängt davon ab, ob man die Interessen und Bedürfnisse der Besucherinnen und Besucher anspricht. Oftmals sind den Museen die Besuchszahlen und die demografischen

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Daten der Besucherinnen und Besucher bekannt, aber das Lernverhalten, die Motivation und die speziellen Einzelinteressen der Besucherinnen und Besucher oder Besuchsgruppen bleiben fremd. Auch im Kölnischen Stadtmuseum wird es eine Aufgabe sein, quantitative und qualitative Erhebungen zu paaren, um die Besucherinnen und Besucher besser ansprechen zu können (Rodekamp 2002, 43–44; Rombach 2007, 144). Eine traditionelle und vergleichsweise gut bekannte Besuchsgruppe städtischer Museen ist die regionale Schülerinnen- und Schülergeneration. Museen können für den Unterricht eine effektive Ergänzung sein. Sie sind nicht an schulische Curricula gebunden und haben somit mehr Handlungsspielraum für interdisziplinäre Projekte. Es wird zwar versucht, sich an den Lehrplänen zu orientieren, damit eine fruchtbare Zusammenarbeit von Schulen und Museum entsteht, Ziel ist es aber, über den Schulunterricht hinausgehende Erkenntnis- und Erlebnismöglichkeiten anzubieten. Unter der Prämisse, dass Lern- und Aneignungsformen im Museum gänzlich anders geartet sind als in der Schule, kann die Museumspädagogik – so die konsequente Schlussfolgerung – auch nicht die schulischen Lernstrukturen und Unterrichtsmethoden adaptieren (Hense 1990, 78). Die Schule gilt als der Ort, an dem effizient gelernt werden muss, während im Museum Sinnlichkeit und Anschaulichkeit im Vordergrund stehen und der Unterricht lediglich ergänzt wird. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass auch diese Art von Vermittlung einer Vorbereitung bedarf, damit die Schülerinnen und Schüler für den Museumsbesuch gewappnet sind. Denn nur wer mit einer Erwartungshaltung ins Museum kommt, kann konkret formulieren, ob der Museumsbesuch etwas hat vermissen lassen, kann fruchtbare Kritik an Präsentation, Vermittlung und/oder Informationsgehalt üben (Herles 1990, 190). In Köln übernimmt der zentrale Museumsdienst die Museumspädagogik in den städtischen Museen und ist deshalb eng in das Projekt Dauerausstellung eingebunden.2 Er unterstützt beim Finden der Balance zwischen Reduktion und Fülle, zwischen ausreichender Vermittlung und den Grenzen zur Überforderung. Eine Besonderheit und ein Vorteil des Kölnischen Stadtmuseums bei der Vermittlung historischer Themen ist die Organisation des Aufsichtsdienstes. Die Aufsichtskräfte werden nicht wie in anderen Museen durch einen externen Dienstleister aus der Sicherheitsbranche gestellt, sondern setzen sich aus qualifizierten Studierenden der Geschichte, Kunstgeschichte oder einem anderen museumsrelevanten Fach zusammen. Das Kölnische Stadtmuseum möchte neben den bereits erwähnten Schulklassen mit seiner neuen Dauerausstellung die Bürgerinnen und Bürger der 2 https://museumsdienst.koeln/.

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Stadt Köln und interessierte Touristinnen und Touristen erreichen. Im Foyer wird es einen kleinen Bereich Open Space geben, in dem aktuelle Ereignisse oder Themen ihren Platz finden. Zusammen mit Protagonisten aus der Stadtgesellschaft (Künstlerinnen und Künstler, Ämter, Vereine, Initiativen etc.) nutzt das Kölnische Stadtmuseum diese Fläche für kurzfristige und kurzweilige Sonderprojekte.

Die Ausstellungskonzeption im (Zwischen-) Planungsstadium Das Kölnische Stadtmuseum konzentriert sich auf die Geschichte der Stadt seit dem Mittelalter. Das Römisch-Germanische Museum hütet das archäologische Erbe von der Urzeit bis ins frühe Mittelalter. Die Herausforderung des Stadtmuseums besteht darin, eine regionale Identität zu erforschen, sie zu bilden oder auch zu dekonstruieren. Jede Stadt hat Eigenschaften, die auch anderen eigen sind, selbst jene, die man überregional mit Köln identifiziert: Römische Kolonie, Dom-, Reichs- und Millionenstadt waren beziehungsweise sind auch andere. Bombennächte, mittelfränkischen Dialekt, Karneval und obergäriges Vollbier erlebte, spricht, feiert und trinkt man nicht nur in Köln. Informelle Beziehungen in Wirtschaft und Politik spielen auch woanders eine Rolle bei der Maximierung des Profits und der Karriere. Soziale, wirtschaftliche und politische Strukturen prägten das Leben in Köln genauso wie in anderen Städten und Regionen. Natürlich ergibt die Summe der Teile eine spezifische Geschichte Kölns, selbstverständlich hatte insbesondere das mittelalterliche Köln eine Spitzenstellung im Reich, sind der Dom und die Rolle von Erzbischof und Reichsstadt unverwechselbar. Vermittelbar und interessant wird die Geschichte aber erst durch die Haltung der Kölnerinnen und Kölner zu ihr. Woran erinnern sie sich (und woran nicht), welche Dinge erhalten sie, was erklären sie zum Denkmal und Wahrzeichen, welche Rituale pflegen und entwickeln sie, was geben sie weiter? Insbesondere in den Großstädten, deren Bevölkerungsstruktur sich stark geändert hat, kann die Beobachtung gemacht werden, dass die Heimatstadt zum maßgeblichen Ankerpunkt der persönlichen Identität geworden ist, unabhängig von oder in Ergänzung zur ethnischen und sozialen Herkunft. Pointiert formuliert es Jan Gerchow vom Historischen Museum Frankfurt:

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Ausschlaggebend ist die Erkenntnis, dass es einzig die Stadt ist, die alle Einwohner oder ‚Benutzer‘ miteinander teilen. Es gibt kein anderes ‚Gemeingut‘ mehr: keine gemeinsame Sprache, Schulbildung, Religion, auch kein geteiltes kulturelles Erbe. Die Stadt aber benutzt jeder, alle teilen sie, alle sammeln hier persönliche Erfahrungen, kennen sich aus, haben Meinungen. (Gerchow 2012, 12, H. i. O.).

Das Kuratorenteam Stefan Lewejohann und Sascha Pries vom Kölnischen Stadtmuseum nähert sich der Geschichte Kölns auf kreative Weise. Als Entree gibt es einen Auftaktraum, der die Geschichte Kölns anhand von wenigen, aber aussagekräftigen Objekthighlights, erzählt, die um ein Stadtmodell gruppiert werden, wie zum Beispiel der Verbundbrief, die erste Kölner Stadtverfassung aus dem Jahr 1396. Der Raum dient als Ausgangspunkt für weitere Entdeckungstouren durch das Museum. Ziel ist es, einen schnellen Überblick Köln in 30 Minuten anzubieten. Das zentrale Stadtmodell wird digital bespielt und widmet sich zum Beispiel Themen wie Stadtgesellschaft, Infrastruktur, Wohnen oder Klima. Ganz ohne chronologische Orientierung wären insbesondere touristische Besucherinnen und Besucher ohne Vorkenntnisse der Geschichte Kölns überfordert. Die folgenden Ausstellungsräume beziehungsweise Etagen im Museum haben einen mentalitätsgeschichtlichen Ansatz, sogenannte Frageräume, die verschieden gestaltet werden. Dabei werden unterschiedliche Materialien und Farben verwendet, die je nach der emotionalen Qualität des Themas eher kalt oder warm anmuten. Als Leitlinien und Gliederung dienen einfache, universelle Fragen, die möglichst eine philosophische oder psychologische Dimension besitzen und neben dem Individuum das soziale Wesen ansprechen. Sie gliedern die Ausstellungsräume thematisch und bieten Anknüpfungspunkte für die Ausstellungsobjekte, indem sie den Aspekt des Objektes hervorheben, der die jeweilige Geschichte symbolisiert und auf die universelle Frage eine möglichst kölnspezifische Antwort bereithält. Die Themen bieten trotz ihrer Offenheit einen analytischen Ansatz, der die Vorstellungswelt der gegenwärtigen Besucherinnen und Besucher aktiviert und einen Einstieg in die Rezeption des materiellen und immateriellen Kulturguts ermöglicht. Zum einen erlauben sie die direkte Ansprache und fordern auf, sich mit dem jeweiligen Thema auseinanderzusetzen, zum anderen sind es Fragen, die sich das Kölnische Stadtmuseum mit Blick auf seine Sammlung und deren Objektgeschichten stellt. Ziel ist es, die Geschichte(n) aus der Perspektive der Gegenwart zu betrachten, ihre gegenwärtige wie historische Relevanz zu zeigen und die Grenze zwischen Vergangenheit und Gegenwart aufzuweichen. Das Kölnische Stadtmuseum versteht diesen Ansatz als zeitgemäße und besuchendenorientierte Geschichtsvermittlung und verweist damit auf eine der zentralen Funktionen von

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Geschichte schlechthin. Es ergibt sich durchaus die Möglichkeit, einzelne Themen über einen längeren Entwicklungszeitraum zu präsentieren – etwa die Veränderung des Familienbildes über mehrere Jahrhunderte im Raum „Was lieben wir?“. Die Frageräume haben keine vorgeschriebene Reihenfolge, es ist also nicht von Relevanz, in welcher Etage man nach dem Auftaktraum seine Tour fortsetzt. Bei der Erarbeitung der Geschichte und der Auswahl zahlreicher Objekte verfolgte man einen partizipativen Ansatz. Dazu hat das Kuratorenteam mit Bürgerinnen und Bürgern3 der Stadt Köln zu jedem der im Weiteren besprochenen Hauptthemen einen Workshop durchgeführt. Es wurde auf ein pluralistisches Spektrum der Teilnehmenden geachtet. Das wissenschaftliche Deutungsmonopol der klassischen Institution Museum trat zurück hinter den Versuch, das erfahrungsgesättigte Wissen einzelner oder spezifischer gesellschaftlicher Gruppen zur Entfaltung kommen zu lassen (Baur 2012, 138). Die Repräsentierten werden durch ihre Teilhabe zu Repräsentierenden. Das Konzept erweitert das ursprünglich in Köln verwirklichte Musée Sentimental Daniel Spoerris um eine partizipative Ebene. Jede beziehungsweise jeder teilnehmende Angehörige der Stadtgesellschaft konnte entweder ein eigenes Exponat zur Ausstellung beisteuern, oder sich ein Exponat aus dem Sammlungsbestand aussuchen und ein Narrativ erzeugen, sprich seine eigene Objektgeschichte aus der Gegenwartsperspektive erzählen beziehungsweise Erlebtes reflektieren. Jeder Frageraum umfasst einen partizipativen Reflektionsbereich und einen wissenschaftlichen Vertiefungsbereich. Die Erkenntnis, dass die Wissenschaft nicht hinreichend für die Produktion von Geschichte ist, bedeutet nicht die Aufgabe von Rationalität, sondern die Herausforderung, die Möglichkeiten des sozialen Handelns für die Kölnerinnen und Kölner zu erweitern und ihre Einmischung und gegebenenfalls ihren Widerspruch zu akzeptieren. Die folgenden Themenkomplexe spiegeln den aktuellen Planungsstand wider und können sich im Laufe der Umsetzung ändern. Die Hauptthemen werden nur rudimentär angeschnitten, eine detaillierte Vorstellung würde den Rahmen sprengen. Ausgesuchte einzelne Exponate oder Inszenierungen sollen lediglich das Konzept verstehbar machen. Einige Formulierungen sind den Drehbüchern des Kuratorenteams entnommen, aber nicht explizit als solche gekennzeichnet: – Unter dem Themenkomplex Woran glauben wir werden unterschiedliche Weltbilder des religiösen, politischen und kulturellen Lebens in Köln behandelt, die über Fakten hinausgehende emotionale Gewissheiten vermitteln. Unter den Weltreligionen spielte bekanntermaßen der Katholizismus 3 Die etwa 20 Teilnehmer sind heterogen und unterscheiden sich in Familienstand, Bildung, Religion, Alter etc.

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eine wechselvolle Hauptrolle in Köln, die Präsentation zeigt aber auch die Vielfältigkeit der Religionen und die Bedeutung insbesondere von Judentum und Islam für die Stadt. Der Begriff Religion wird weiter gefasst und auf nicht sakrale Überzeugungen übertragen. Die Rolle des Geldes als Tauschmittel und Wertmaß, das nur durch die allgemeine Anerkennung existiert, ist ebenso Thema wie das Konzept Europa, das in den letzten Jahren mehr und mehr in Zweifel gezogen, aber durch ebenso starke Überzeugungen gestützt wurde. Auch von der verführerischen Kraft der Ideologien (nationalsozialistisches Weltbild) wird erzählt und nicht zuletzt der Fortschrittsglaube in den Blick genommen, der seit der Aufklärung mit ambivalenten Attributen besetzt ist. Auf Basis dieser Weltbilder entstand eine Vielfalt von Devotionalien (Mein Kampf) und Ritualen (Beschneidung), die oft einen lokalen Bezug (Karnevalskostüm Pulse of Europe) aufweisen, auch wenn sie teilweise universell verstehbar sein sollten. Nicht zuletzt wird die „Ersatzreligion“ Fußball behandelt (1. FC Köln). Was macht uns wütend ist ein weiterer Themenkomplex. Wo divergierende Überzeugungen und Werte von Individuen und Gruppen als soziale Akteurinnen und Akteure aufeinandertreffen, kann die Frustration in Aggression umschlagen. Es werden Momente und Umstände der Historie und Gegenwart Kölns beschrieben, die zum Ausbruch der Wut führten. Dabei spielen ethnische und religiöse Konflikte, Machtverhältnisse und -missbrauch und Vorstellungen von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit eine Rolle. Kölnspezifisch waren das beispielsweise die Maßlosigkeit des Erzbischofs Anno, die ungleiche Besteuerung von Armen und Reichen, die Ermordung Robert Blums, die Todesurteile der NS-Diktatur, die bei Zeitgenossen wie nachfolgenden Generationen für wütende Ablehnung sorgten. Thematisiert werden auch die negativen Aspekte der Korruption, die in Köln eine lange Tradition und mit dem Klüngel einen eigenen Begriff bekommen hat. Mit einem Netzwerk ließ sich in Köln oft mehr erreichen als mit Geld, Macht und Kompetenz allein. Verklärt als Beschleunigungsweg an lähmenden Regeln vorbei, belasten die Folgen des Klüngels die Stadtkasse bis heute. Das Thema Worauf haben wir Lust? widmet sich der Sexualität und anderen Beschäftigungen, die die Befriedigung sinnlicher Bedürfnisse versprechen, wie Spiele, Feste und Genuss. Es werden Fragen nach Moralvorstellungen, Geschlechterrollen und ihrer Kontrolle gestellt. Besonders im 20. Jahrhundert wandelten sexuelle Revolution und Aufklärung die Verbote und das Tabus hin zu sexueller Selbstbestimmung und Freizügigkeit. Das großstädtische Leben in Köln war und ist geprägt von Festen und Feiern. Der Karneval ist sicher das bekannteste, aber nicht das einzige Fest dieser Art. Wer feiert, muss auch genießen: Präsentiert werden Essgewohnheiten und Nah-

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rungsmittel in ihrer Entwicklung seit dem Mittelalter.4 Das Kölsch als Symbol der traditionellen Kölner Brauhauskultur gibt es erst seit den 1920er Jahren, seinen Durchbruch hatte es erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Vorher wurde in Köln vor allem Wein getrunken. Ebenfalls behandelt werden Spiel und Spaß. Mittelalterliche Bodenfunde und neuzeitliches Spielzeug zeigen, dass nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene sich die Zeit regelmäßig mit Spielen vertrieben. Die Frage Wovor haben wir Angst? betrachtet die als Unsicherheiten und Bedrohungen empfundenen Aspekte des Lebens eines Individuums und seiner Gruppe in der sozialen und natürlichen Umwelt. Ängste werden durch Krankheiten und Epidemien, Ausgrenzung, Krieg und Terror ausgelöst. Besonders im Unterthema Krieg geht es um eine möglichst multiperspektivische Darstellungsweise, die sowohl die Opfer als auch die Täterinnen und Täter in den Blick nimmt. Anhand einzelner historischer Schauplätze und Schlachten wird auf die Ängste vor dem Tod, der Zerstörung der Heimat, der Einberufung und der Niederlage eingegangen.5 Das Thema Tod wird im Kontext von Krankheit, Katastrophe und Verbrechen behandelt. Trotz globaler Evidenz sind es immer lokale Ereignisse wie das Attentat auf eine Kölner Grundschule im Jahr 1964, die in der Bevölkerung Angst und Entsetzen auslösen. Nicht zuletzt werden auch die Themen Verfolgung, Antisemitismus und NS-Terror dargestellt. Der Raum Worauf hoffen wir? beleuchtet die Aspekte Demokratie und Freiheit aus der historischen Perspektive Kölns. Die politische Teilhabe entwi-

4 Eine der vielen Inszenierungen in der Ausstellung ist hier eine große, voll gedeckte Tafel, auf der Bestecke und Geschirr aus allen Jahrhunderten stehen. Elemente aus dem Kölner Ratssilber sollen neben mittelalterlichem Alltagsgeschirr und Gedecken berühmter Kölner Restaurants stehen. Gezeigt werden venezianische Gläser des 17. Jahrhunderts, die in der Kölner Oberschicht verwendet wurden, mittelalterliche Maigelein und Gläser des geschichtsbewussten Bürgertums aus Kölner Produktion. Natürlich stehen auf der Tafel auch Kölsch-Gläser, aber auch Weinkaraffen und Becher aus dem spätmittelalterlichen Ratskeller. In einer Medienstation könnten Kölner Gerichte dargestellt werden vom „Halven Hahn“ über „Himmel und Ääd“ bis hin zur geografisch geschützten „Flönz“. 5 Als Inszenierungsidee steht eine Installation des „Ewigen Soldaten“ auf der einen und die des „Ewigen Opfers“ auf der anderen Seite in Raum. Die Präsentationen sollen nach Möglichkeit so arrangiert werden, dass durch die Zusammenstellung der Objekte zwei Figuren entstehen. „Der Ewige Soldat“ soll durch die figürliche Zusammenstellung von Waffen und Zubehör aus unterschiedlichen Epochen zum einen die mechanische Kontinuität des Tötens zeigen zum anderen aber auch deren perfide Primitivität. Weiterhin soll die technische Weiterentwicklung und Optimierung bis hin zur Perfektion verdeutlicht werden, ohne dies zu überhöhen. Die Präsentation „Das ewige Opfer“ soll darstellen, dass Krieg über Jahrhunderte hinweg immer die gleichen Opfer hervorrief (z. B. Vertriebene, Verstümmelte, Waisen, Witwen, zerstörte Heimat).

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ckelte und veränderte sich nur allmählich, Demokratie und Freiheit blieben lange Zeit Visionen für die Zukunft. Prägend waren oftmals gesamtgesellschaftliche Ereignisse wie die Besetzung durch die französischen Revolutionstruppen oder die Umbrüche nach den beiden Weltkriegen. Früh begann jedoch der Konflikt der Stadt mit den Erzbischöfen. Im Mittelalter gehörte Köln zu den ersten Städten, die sich eine eigene Verfassung gaben. Der Verbundbrief von 1396 war zwar noch keine demokratische Verfassung, sorgte aber dennoch für eine deutlich breitere Verteilung der Macht und die allgemeine Teilhabe der männlichen Bürger, indem er die Gaffeln als politische Vertretung der Bürgerschaft installierte. Neuerungen brachten vor allem die Franzosen (1794–1814) mit dem Code Civil und die demokratische Bewegung ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Die ersten allgemeinen freien Wahlen fanden in Köln nach dem Ersten Weltkrieg statt. Unter den Franzosen wurden Religions- und Gewerbefreiheit eingeführt, doch die viel beschworene Gleichheit galt nach wie vor nur für Männer. Die Frauenbewegung erlebte seit Anfang des 20. Jahrhunderts auch von Köln aus einen Aufschwung, was sich in den folgenden Jahrzehnten in Kleidung, Kunst und Publizistik niederschlug.6 Der Raum Was bewegt uns? stellt Bewegung in drei unterschiedliche Kontexte mit besonderer Bedeutung für die Kölner Stadtgeschichte. Es behandelt die Mobilität im Alltag vom Zufußgehen über die Nutzung von Pferden, Fahrrädern bis hin zu motorisierten Fahrzeugen (Köln als Erfindungsort des Otto-Motors). Weiterhin das Thema „D’r Zoch kütt“, das den eher als Selbstzweck dienenden Karnevalsumzug aufgreift, aber auch die im Zuge der Remilitarisierung des Rheinlandes im Jahr 1936 einmarschierenden Truppen behandelt. Schließlich widmet sich der Aspekt der Migration der langen Geschichte des Zuzugs nach und der Auswanderung aus Köln. Neben der im öffentlichen Bewusstsein gegenwärtigen Arbeitsmigration der 1950er bis 1970er Jahre und der Fluchtbewegung im Zuge des Syrienkrieges beschäftigt sich der Bereich mit Migrantinnen und Migranten aus mehreren Jahrhunderten. Die Wanderungsbewegungen der Bevölkerung Kölns lassen sich eher als Standard und weniger als Ausnahme begreifen, wobei die Stadt in Zeiten religiöser und ideologischer Spannungen nicht nur Zufluchtsort, sondern auch Tatort von Ausgrenzung und Verfolgung war und selbst Flüchtlinge hervorbrachte.

6 Als „ironische“ Inszenierung werden hier die zwei Highlight-Objekte, der Code Civil (1804), das erste Bürgerliche Gesetzbuch neben der Gesamtausgabe 1977 (Ersterscheinungsjahr) der Zeitschrift EMMA von Alice Schwarzer präsentiert.

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Der Raum Was lieben wir? – Worauf sind wir stolz? behandelt die besondere Identifikation der Kölnerinnen und Kölner mit bestimmten Erzeugnissen, ihre Idole, ihre Lied- und Feierkultur, ihre durchaus heterogene Heimatliebe. Es geht um die aus den emotionalen Bindungen erwachsenen Errungenschaften und Traditionen, die Persönlichkeiten und Kölner Marken, die dem individuellen und kollektiven Selbstbewusstsein und teilweise der Überhöhung und Abgrenzung dienen. Der Bereich gliedert sich unter dem Slogan Made in Cologne in die vier Unterthemen Weltmarken (Eau de Cologne, Dom etc.), Musik – keine Stadt wird so häufig besungen (Karneval, Stockhausen, BAP etc.), Menschen (Kölner Originale, aber auch Typologien wie den „Köbes“) und Heimat (Facetten der Heimatliebe wie auch des Exports in die Fremde: Reissdorf-Brauhaus in Peking, Siedlungsgründungen Neukölln, Cologne (Minnesota)).7 Im Raum Was verbindet uns? betrachtet in den beiden Schwerpunkten Rhein und Netzwerke mythische, ökonomische und mediale Aspekte Kölns. Der Rhein war und ist kein gewöhnlicher Fluss, sondern jahrhundertealter Wirtschaftsweg, Staatsgrenze, Nationalsymbol und Sehnsuchtsort der Romantik. Als Handels- und Verkehrsweg schuf der Rhein Verbindungen zwischen Köln und allen Teilen der Welt, wurde aber auch einender Bezugspunkt des deutschen Nationalismus. Er ist seit dem 19. Jahrhundert Tourismusort, hat aber auch eine zerstörerische Seite – Überflutungen und Hochwasser gab es in allen Jahrhunderten.8

7 In einer Medienstation könnte ein interaktiver Stadtplan anzeigen, wo die Restaurants/Kneipen liegen, die in ihrer Namensgebung an die Heimatstädte oder -länder ihrer Betreiber erinnern. Eine Weltkugel könnte zeigen, wo in der Welt Kölsch verkauft wird/wo Kölner Brauhäuser sind oder Kölner Stadtgründungen (bspw. Neu-Kölln oder Cologne/Minnesota). Als grafisches Element soll in diesem Raum ein großformatiges Zitat aus der Koelhoff’schen Chronik (siehe Raum Verbindung – Medien) an der Wand angebracht werden, das Köln zum Ende des 15. Jahrhunderts beschreibt und auf vielen Stadtansichten Kölns wiederzufinden ist. Noch heute ist der Satz in Köln ein vielzitiertes „Bonmot“: „COELLEN EYN KROIN BOVEN ALLEN STEDEN SCHOIN“ (frei übersetzt: „Köln, eine Krone – die schönste aller Städte.“) 8 Der Rhein ist für Köln mehr als nur ein Fluss vor der Haustür. Er hat das Leben in der Stadt, ihren Reichtum und ihre Kultur über Jahrhunderte entscheidend geprägt, dabei spielen die Schiffahrt, Schiffstypen, Brücken eine besondere Rolle. Außerdem der Rhein als von Köln aus erschlossenes touristisches Ziel, Passagierschiffe, Souvenirs, Gemälde der Rheinromantik „Sommernacht am Rhein“. Rhein als von Köln aus erschlossenes touristisches Ziel, Passagierschiffe, Souvenirs, Gemälde der Rheinromantik „Sommernacht am Rhein“. Köln war als mittelalterliche Handelsstadt, Standort der Großindustrie und Dienstleistungsbranche seit Jahrhunderten ein Wirtschaftsfaktor. Als Großstadt und Wirtschaftsstandort war Köln auch ein Informationszentrum. Seit Erfindung des Buchdrucks gab es hier Druckereien, Verlage und Medienhäuser mit teils überregionaler Bedeutung.

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Innerhalb der jeweiligen Ausstellungsräume werden einige Objekte ausgewählt, die über das Potential verfügen, sie aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Diese Objekte dienen als sphärische Brückenobjekte und können, von unterschiedlichen Räumen aus betrachtet und jeweils unterschiedlich befragt, mehrere Geschichten erzählen. Der Rucksack eines syrischen Flüchtlings beispielweise bildet eine Brücke zu den Themen Hoffnung und Angst (Flucht, Krieg). Letztendlich könnte er auch in einem anderen Bereich präsentiert werden. Im Abschnitt Was bewegt uns? würde der Rucksack das Thema Migration symbolisieren. Da Objekte viele unterschiedliche Eigenschaften aufweisen und in verschiedenen Kontexten genutzt werden, sind sie Demonstration oder Beleg für unterschiedliche Geschichten. Selbst triviale Gegenstände sind Materialisierungen der teils konkurrierenden Ideen, Werte und Lebensweisen vergangener und gegenwärtiger Gesellschaften.

Gamification – das Experiment mit der spielerischen Vermittlung von Geschichte Wenn das Kölnische Stadtmuseum 2021 in das ehemalige Modehaus Sauer umzieht, erlebt nicht nur das Modehaus eine Metamorphose, auch das Stadtmuseum möchte sich mit zeitgemäßen Ausstellungsformaten neu aufstellen. Teil des Wandels wird ein neues Erscheinungs- und Leitbild (Corporate Identity) und eine neue Website sein. Mit der neuen Website möchte das Stadtmuseum online im engen Dialog mit den Besucherinnen und Besuchern treten und die Inhalte – kompatibel für alle Endgeräte – innovativ, interaktiv, barrierefrei und nachhaltig vermitteln. Teil dieses Vorhabens soll eine Stärkung der interaktiven Vermittlung sein, um Familien mit Kindern, Jugendliche und interessierte Erwachsene, aber insbesondere auch Lehrerinnen und Lehrer und Schulklassen anzusprechen. Spielbasiertes Lernen und im Allgemeinen ernsthafte Spiele stellen einen Versuch dar, zur Erhaltung des materiellen und immateriellen Kulturerbes beizutragen, indem das Bewusstsein für seine Bedeutung geschärft wird. (Cosoviċ/Ramiċ Brkiċ 2020, 2)

Deshalb soll die neue Dauerausstellung als interaktive Online-Ausstellung in Form eines Point-and-Click-Adventure-Spiels, das das Narrativ der Ausstellung aufgreift, in die Website integriert werden.

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Das Geschichtenerzählen ist eine wichtige Form der Informationspräsentation. […] Das Produzieren aller Inhalte, ohne dass der Benutzer sie sieht, ist eine enorme Zeit- und Ressourcenverschwendung. (Cosoviċ/Ramiċ Brkiċ 2020, 8)

Das Spiel soll auf niedrigschwellige Art Vorwissen vermitteln, durch das ein Besuch der neuen Dauerausstellung attraktiver werden kann, und ein digitales Erlebnis bieten, auch wenn das Museum geschlossen ist oder Vorbehalte gegen einen Besuch existieren. Das Spiel selbst folgt dem Octalysis-Framework von Yu-kai Chou: 1. epic meaning: meint etwas Bedeutendes tun 2. sich weiterentwickeln, Herausforderungen meistern 3. kreativ sein, spontan agieren 4. etwas besitzen wollen 5. soziale Kontakte 6. streben nach schwer erreichbaren Dingen 7. Überraschung, Neugierde, Abenteuerlust 8. negative Konsequenzen vermeiden.9 Das Spiel kann von Kindern und Jugendlichen ab zehn Jahren und in Begleitung Erwachsener bereits ab sieben Jahren gespielt werden. Die Besucherinnen und Besucher werden virtuell durch die verschiedenen Ebenen und Themenbereiche der neuen Dauerausstellung geführt und begegnen dabei zentralen Objekten der Ausstellung mit ihren Geschichten. Insgesamt hat die neue Dauerausstellung vier Ebenen, deshalb wird auch das Game mehrstufig angelegt. Die Herausforderung besteht darin, versteckte Hinweise zu finden, während des Spielens erworbenes Wissen zu kombinieren, Rätsel zu lösen und auch durchaus emotional gefärbte Entscheidungen zu treffen. Es sind Kombinationsgabe und Aufmerksamkeit gefragt. Die Frageräume der Dauerausstellung finden sich im Game wieder. Mit mentalitätsgeschichtlichen Ansätzen Was lieben wir?, Woran glauben wir? und Wovor haben wir Angst? sollen darüber hinaus Werte und Kompetenzen vermittelt werden, die über historisches Wissen zu Köln und seiner Umgebung hinausgehen. Sie erlauben die direkte Ansprache und fordern die Userinnen und User auf, sich mit dem jeweiligen Thema auseinanderzusetzen. Das fördert den Diskurs und befähigt dazu, an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen teilzuhaben und interdisziplinär zu denken. Bei Gamification werden alltägliche, zum Teil auch unbeliebte Dinge (langweiliges historisches Wissen) mit Spielmechanismen versehen, um so diese Tätigkeiten mit mehr Spaß und Motivation zu verbinden. Ziel von Gamification ist 9 https://yukaichou.com/gamification-examples/octalysis-complete-gamification-framework/.

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es, ein Spielerlebnis zu schaffen und möglichst neue kognitive, emotionale oder soziale Nutzungserfahrungen zu schaffen. Dem Spielenden wird durch einen Auftrag im Spiel das Gefühl gegeben, etwas Bedeutendes zu tun. Dies geschieht meist durch das entsprechende Storytelling. Bei diesem Serious Game sind neben kreativen Handlungen und spontanen Reaktionen, Strategien gefragt, die sich auf historische Gegebenheiten beziehungsweise Kunstgegenständen beziehen, das heißt die Spielerinnen und Spieler müssen sich mit dem Thema auseinandersetzen. Die Nachhaltigkeit beim Lernen durch Serious Games besteht darin, dass Spielfreude als erfolgreiche Lernmethode funktioniert. So konnte bei Spielern, die regelmäßig Unterhaltungsspiele spielen eine Verbesserung bestimmter Fähigkeiten festgestellt werden: Problemlösungskompetenz, Einordnungskompetenz, Sozialkompetenz (Einhalten und Durchsetzung von Regeln, sowie die Regulierung von Konflikten) und Sprachkompetenz (Breitlauch 2013). Die Inhalte können gelesen, akustisch aufgenommen oder auch anhand eines Filmes vermittelt werden. Um die Verbindung von der virtuellen Ausstellung zur realen Ausstellungen herzustellen, sind im Haus Sauer die Objekte gekennzeichnet, die durch das Online-Game leiten. Das Spiel ist mehrstufig, je nach Interessen beziehungsweise Entscheidungen öffnen sich verschiedene Wege zu unterschiedlichen Exponaten in der folgenden (Ausstellungs-)Ebene und mehrere mögliche Geschichten durch das Abenteuer. Am Ende wird dem Spielenden ein Character zugewiesen, der einem Kölner Patriziergeschlecht entspricht. Diese Patrizierfamilien bildeten im 12. bis 13. Jahrhundert den „engeren“ Rat und entschieden über die Belange der Stadt Köln. Jedem Patriziergeschlecht entsprechen verschiedene Attribute. Diese sind eine Mischung sowohl aus positiv konnotierten Eigenschaften wie Mut, Tapferkeit, Treue, Ehrgeiz, Kreativität, Einfühlungsvermögen und Besonnenheit, als auch aus negativ behafteten Eigenschaften wie Ungeduld, unreflektiertes Handeln, Gerissenheit, Hochmut, Gier und Verschwendungssucht. Je nachdem, wie sich die einzelnen Spielerinnen und Spieler bei bestimmten Fragen entscheiden, werden sie am Ende einem der Patriziergeschlechter mit den jeweiligen Charaktereigenschaften zugeordnet. Sie erhalten die Farben der Familie, das Wappen und einen individuellen mittelalterlichen Vornamen und werden Teil einer Herkunftsgeschichte mit einer besonderen Bedeutung für die Geschichte Kölns. Ein mehrmaliges Spielen öffnet neue Pfade, Inhalte und Ausgänge, da jede Entscheidung einen anderen Spielausgang und – möglicherweise – eine andere Zuordnung in eine der fünf Patrizierfamilien generiert. Zu betonen bleibt, dass es im Spiel keine „richtigen“ und „falschen“ Entscheidungen gibt. Das Projekt versucht, eine Auswahl der im Museum bewahrten materiellen und immateriellen Kultur auf spielerische Weise zu vermitteln. Es lässt die Spie-

Zwischen Objekt und Digitalität



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lerinnen und Spieler durch ihre Entscheidungen Geschichte erleben, wobei klar ist, dass auch in einem mehrstufigen Spiel die Auswahl der Möglichkeiten begrenzt ist und keine offene Geschichte geboten werden kann. Die Identitäten, die der oder die Spielende im Rahmen der Kölner Stadtgesellschaft erhält, sind zwar experimentell, gehören aber der Oberschicht des Mittelalters an. Das zusätzliche digitale Format ist ein Experiment, mit dem eine neue Lernwelt geschaffen werden soll, die mit der Ausstellung, aber auch ohne sie funktioniert, und gleichzeitig dazu einlädt, die Ausstellung zu besuchen.

Fazit Es geht bei der Eröffnung von Zugängen zu historischen Objekten und ihren Geschichten letztlich auch immer noch um die Demokratisierung des Museums. Die Erwartungen, die man in vorigen Generationen mit dieser Formel verband, sind sicher nicht erfüllt worden (Schneider 1993, 276). Immer noch besteht die größte Besuchsgruppe aus Personen mit historischem Vorwissen, abgesehen von Schulklassen, die mehr oder weniger unfreiwillig Museen besuchen. Es ändert sich jedoch nichts, wenn man Museumsbesuche für andere Besuchsgruppen wieder zu einer qualvollen, wenig befriedigenden Erfahrung macht. Das Museum sollte eben kein Ort sozialer Ausgrenzung sein. Das Kölnische Stadtmuseum scheut sich nicht, neue Wege – gerade auch im Hinblick auf Gamification – zu gehen. Die Erkenntnis, dass Spaß am Spiel motiviert und Motivation wiederum Konzentration fördert, will sich dieses Projekt zunutze machen. Museum darf Spaß machen! Mit dem Online-Game und der innovativen neuen Dauerausstellung will das Kölnische Stadtmuseum Lust auf die Kultur und Geschichte Kölns machen, ohne den Bildungsauftrag zu vernachlässigen.

Literatur Baur, J.: Ausstellen. Trends und Tendenzen im kulturhistorischen Feld. In: B. Graf; V. Rodekamp (Hrsg.) (2012): Museen zwischen Qualität und Relevanz. Denkschrift zur Lage der Museen, Berlin: Holy, 131–144. Gerchow, J. (2018): Auf dem Weg zum Museum für die Stadtgesellschaft des 21. Jahrhunderts. Mitteilungen des Hessischen Museumsverbands 54, 8–16. Hense, H. (1990): Das Museum als gesellschaftlicher Lernort. Aspekte einer pädagogischen Neubestimmung. Frankfurt a. M.: extrabuch. Herles, D. (1990): Das Museum und die Dinge. Frankfurt a. M.; New York: Campus.

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Könenkamp, W.-D. (1993): Erklären durch „Zusammenhang“? Kritik eines Anspruchs. In: Museum der Arbeit (Hrsg.): Europa im Zeitalter des Industrialismus: zur Geschichte von unten im europäischen Vergleich, Hamburg: Doelling und Galitz, 223–227. Möhring, M. (2000): Auf dem Weg zur regionalgeschichtlichen Erlebnisausstellung. Museumsblatt. Mitteilungen aus dem Museumswesen Baden-Württembergs 28, 12–15. Parmentier, M. (2003): History is a bunk. Standbein Spielbein. Museumspädagogik aktuell 67, 4–8. Rodekamp, V. (2002): Ausstellungsmanagement versus Ausstellungspädagogik? Managementstrategien zu professioneller musealer Objekt-Kommunikation. Standbein Spielbein. Museumspädagogik aktuell 64/12, 43–44. Rombach, J. (2007): Kultureinrichtungen als informelle Lernorte. Aufgezeigt am Beispiel des Museums. Hamburg: Dissertation. Schneider, U. (1993): Alltagsgeschichte im Museum. In: Museum der Arbeit (Hrsg.): Europa im Zeitalter des Industrialismus. Zur Geschichte von unten im europäischen Vergleich. Hamburg: Dölling und Galitz, 276–278.

Konrad Gutkowski und Anja Hoffmann

„Alles nur geklaut? – Die abenteuerlichen Wege des Wissens“ Erlebnis-Lernwelt Industriemuseum

Einleitung Wissen schaffen, speichern und teilen – in der Sonderausstellung Alles nur geklaut? Die abenteuerlichen Wege des Wissens drehte sich knapp acht Monate lang alles um die Mechanismen des Wissenstransfers, die die Entwicklung moderner Gesellschaften in Geschichte und Gegenwart beeinflusst haben und beeinflussen (Eggenstein et al. 2019; Hoffmann 2019, 16). Mit dem Modellprojekt verfolgte das Ausstellungsteam des LWL-Industriemuseums das Ziel, Familien mit Kindern und jüngere Besucherinnen und Besucher in informellen Kleingruppen stärker in ihrer Freizeit zum Ausstellungsbesuch zu motivieren. Dabei setzte es konsequent auf einen stark erlebnisorientierten Besuchendentypus und daraus folgend auf Inklusion, Partizipation und Gamification als tragende Ausstellungsparameter. Der folgende Beitrag zeigt auf, inwieweit sich aus diesen vielgestaltigen Elementen ein Ausstellungsetting und Kriterien für eine Lernwelt ableiten lassen. Er reflektiert das Verhältnis von Lernen und Erlebnis als konstituierendes Element der Lernwelt Ausstellung. Er betrachtet die Wirkung des Ausstellungsraums in seinen architektonischen Rahmenbedingungen sowie die zentrale Rolle der Objekte und die ausstellungsdidaktischen Zugänge. Dabei geht der Beitrag insbesondere auf Partizipation und Gamification als Faktoren ein, die die Lernwelt von Alles nur geklaut? entscheidend geprägt haben.

Nachhaltiges Lernerlebnis als Dreh- und Angelpunkt Mit einer Ausstellung über die Mechanismen der Weitergabe von Wissen verfolgte das Ausstellungsteam auch das Ziel, Bildungs- und Lernprozesse anzustoßen. Das galt sowohl für die Besucherinnen und Besucher als auch für das eigene Selbstverständnis als lernendes Museum. Wer die aktuelle Diskussion zu https://doi.org/10.1515/9783110703054-017

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Lernprozessen in Museen verfolgt, sieht sich einem komplexen System an möglichen Dimensionen des Lernens im Museum und verschiedenen Lerntypen gegenüber: Besucherinnen und Besucher wollen Wissen und Verständnis oder Fähigkeiten erlangen, sich Werte und Normen vergewissern, sie suchen Vergnügen, Inspiration, Kreativität, Aktion oder wollen ihr Verhalten und ihre persönliche Weiterentwicklung fördern (Hamann 2016, 235; Deutscher Museumsbund/Bundesverband Museumspädagogik 2020, 10–11;)1. Angesichts der gewählten Besuchendengruppen legte die Ausstellung Alles nur geklaut? vor allem ein Verständnis von Lernen zugrunde, das stark auf Erlebnis als konstituierende Komponente setzte. Grötsch formulierte 2008: […] das Erlebnis als Gegenstand der Freizeiterfahrung hat sich nicht nur im Freizeitverhalten eingegraben. Erlebnis und Erleben wollen sowie die damit einhergehende Erlebniserfahrung haben unsere Gesellschaft längst umprogrammiert [...]. Es geht nicht mehr länger um Erleben und ‚fun‘ um jeden Preis, sondern um nachhaltiges Erleben. Damit rückt die Lernerfahrung – oder besser: das Lernerlebnis – an einen der vordersten Plätze, wenn nicht den ersten Platz aller Erlebnismöglichkeiten. Nachhaltiges Erleben und nachhaltiges Lernen gehen damit Symbiosen ein, die Wegweiser auf der langen Fahrt zu den neuen Lernorten darstellen. (Grötsch 2008, 112, H. i. O.)

Die Ausstellung setzte sich zum Ziel, eine erlebnisreiche Lernerfahrung zu generieren, in der der Prozess des Lernens freiwillig, mühelos und stressfrei erfolgen sollte. Geplant war, den Ehrgeiz der Museumsbesucherinnen und -besucher durchaus zu fordern, aber im positiven Sinne immer in Verbindung mit der Aussicht auf ein Erfolgserlebnis. Als weitere Parameter eines erfolgreichen Lernprozesses wurden im Ausstellungskonzept verankert: vielfältige Wahlmöglichkeiten zu bieten, multiple Sinne anzusprechen sowie mentales und emotionales Erleben zu ermöglichen. Vor allem sollte die Selbsterfahrung der Besucherinnen und Besucher aktiviert werden: Die Ausstellung sollte Bezüge zu eigenen Geschichten und Assoziationen und Aktionen für eigene Handlungsoptionen bieten. (Grötsch 2008, 115, 117, 121; Noschka-Roos 2016, 284; Hamann 2016, 234– 236).

1 Auch: www.artscouncil.org.uk/measuring-outcomes/generic-learning-outcomes#section-1.

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Individuelle Zugänge für unterschiedliche Lerntypen Das Publikum des LWL-Industriemuseums Zeche Zollern trifft beim Besuch auf weitläufige Tagesanlagen mit vielen historischen Hallen und Gebäuden, die Sonder- und Dauerausstellungen beherbergen. Wer die Ausstellungshalle in der alten Werkstatt betrat, gelangte daher zunächst in ein Foyer. Erstmals gab es einen personell besetzten Empfang für die Gäste. Mitarbeitende des Besuchendenservice führten die Gäste individuell in das Ausstellungsthema und Möglichkeiten der Ausstellungszugänge ein: Für die Lese-Typen gab es auf Wunsch Lupe oder Taschenlampe, für die Hör-Typen einen Audioguide, für die SpielTyp eine geheime Mission. Diese Situation verschaffte den Gästen ein sicheres Gefühl, um sich auf die Lerninhalte einzulassen. Sie machte von Anfang an klar, dass Kommunikation erwünscht war und griff die Bedürfnisse der unterschiedlichen Besuchenden- und Lernendentypen auf.

Weniger ist mehr – Zur Rolle der Objekte in Lernwelten Ausstellungen sind unbestritten Orte des Authentischen und Realen, die über die Wahrnehmung von Objekten sinnlich anschauliche wie ästhetische Erfahrungen erzeugen (Noschka-Roos 2016, 283–284). Um diese Wahrnehmung der Objekte inklusiv für viele Gäste zu machen, wurde die Menge der Exponate in der Ausstellung auf rund 350 Objekte begrenzt. So gewann das Ausstellungsteam Freiraum für verschiedene sinnliche Zugänge, die die Lernumgebung abwechslungsreich gestalteten. Die Inszenierung von Rädern als Sinnbild des technologischen Fortschritts präsentierte zum Beispiel klassisch auf Podesten und in Vitrinen Originale aus knapp 5.000 Jahren Geschichte. Das Ausstellungsteam ergänzte gezielt dazu tastbare Objekte wie den Reifen eines aktuellen Formel-1Rennautos und eines ICE-Rads. Winzige Mikroräder eines Uhrwerks waren dagegen nur durch ein Mikroskop erkennbar. Eine eigene Soundcollage setzte die Rädervielfalt akustisch um (Eggenstein 2019, 38–42). Die konsequente Kombination verschiedener sinnlicher Zugänge zu den Objekten ermöglichte den Besucherinnen und Besuchern eine ganzheitliche Lernerfahrung. Interaktive Installationen und Hands-on-Stationen luden durchgängig im Ausstellungsrundgang zum eigenständigen Ausprobieren, Erforschen und Vergleichen ein.

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Bei der Auswahl der Exponate war zudem vor allem wichtig, die Bezüge zur Geschichte der Region und ihrer Menschen, wie auch Bedeutung zur Weltgeschichte erfassbar zu machen, um möglichst viele Selbstbezüge für die Besucherinnen und Besucher zu ermöglichen. So wurde beispielsweise der Nachlass von Karl-Heinz Glocke ausgestellt. Der Bochumer spionierte in den 1960er und 1970er Jahren den regionalen Energiekonzern RWE für die Stasi aus. Als überzeugter Sozialist sah er sich als Kundschafter des Friedens. Nach seiner Entlarvung verurteilten die bundesdeutschen Gerichte ihn als Landesverräter und er verbüßte eine Haftstrafe (Eggenstein 2019, 98). Wie ist das Handeln von Glocke zu bewerten? Wie weit würde man selbst für seine Überzeugung gehen? Die Ausstellung forderte die Besucherinnen und Besucher an solchen Beispielen auf, sich selbst ein Urteil zu bilden und Position zu beziehen.

Lernwelten als Ort der Begegnung mit Menschen Um das Lernerlebnis zu intensivieren und zu emotionalisieren, arbeitete die Ausstellung in Verbindung mit den Exponaten stark biografisch. Über 30 Persönlichkeiten konnten die Gäste in der Ausstellung treffen – in Porträts, Fotoalben, Nachlässen und Filmsequenzen. Die Besucherinnen und Besucher begegneten antiken Göttern, die in der Mythologie den Menschen Wissen überbrachten. Sie lernten Arkanisten und Erfinder kennen, die Meilensteine der Technik gesetzt haben. Sie erhielten Einblicke, wie der Universalgelehrte Johann Friedrich Krünitz (1728–1796) sein Lebenswerk in 273 Bände zusammenfasste. Und sie konnten vergleichen, wie Wikipedianerinnen und Wikipedianer heute Wissen zusammentragen. Sie blickten Industriespionen und Kriegsspioninnen über die Schultern, verfolgten die Arbeit von Agentinnen und Agenten des Kalten Krieges und wägten das Handeln von Whistleblowerinnen und Whistleblowern ab. Mit dem Einsatz sogenannter Peppers Ghost gelang es, einige dieser Persönlichkeiten aus der Vergangenheit zum Leben zu erwecken. Schauspielerinnen und Schauspieler schlüpften vor Kamera und Greenscreen in die Rollen historischer Gewährsleute und interpretierten im szenischen Spiel entscheidende Situationen aus der Exponatgeschichte. Die Filmsequenzen konnten in die Vitrine mit dem Exponat eingespiegelt werden. So verbanden sich zwei Erzählebenen zu einer eindrucksvollen Inszenierung. Neben der inhaltlichen Vermittlung ließen sich vor allem emotionale Aspekt auf die Zuschauerinnen und Zuschauer übertragen. Der sonst in Ausstellungen übliche objektive Abstand zwischen Betrachterinnen und Betrachtern und Geschehen verschwamm und steigerte Auf-

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merksamkeit, Interesse und Lerneffekt der Zuschauenden (Thoma 2009, 71; Beier 2019, 32).

Ausstellungen als Lernumgebungen partizipativ gestalten Um eine weitgehende Partizipation zu ermöglichen und die Perspektive und Expertise potenzieller Nutzerinnen und Nutzer einzubeziehen, veranstaltete das Ausstellungsteam einen Workshop. Der Zeitpunkt lag an der Schnittstelle zwischen der Fertigstellung des Grobkonzeptes und ersten Einbindung des Gestaltungsbüros. Die Anleitung übernahm die VOLXAkademie der Stiftung Bethel in Bielefeld. Die VOLXAkademie erforscht und vermittelt Theorie und Praxis inklusiver Kulturarbeit. Kuratorinnen und Kuratoren, Vermittlerinnen und Vermittler sowie Gestalterinnen und Gestalter trafen im Workshop auf Vertreterinnen und Vertreter ihres potenziellen Publikums. 20 Personen folgten der Einladung zum Workshop und spiegelten die Diversität der Besucherinnen und Besucher in ihren Erfahrungen, Kompetenzen und Bedürfnissen wider: Lehrerinnen und Lehrer von Partnerschulen, Kooperationspartnerinnen und -partner von Familienbildungsstätten, freiberufliche Mitarbeitende – mit und ohne Handicaps. Der Workshop setzte in nur zweieinhalb Stunden auf Intensität, Experiment und Inspiration. Ziel war es Themen, Botschaften und Objekte in ihrer Wirkung auf künftige Besucherinnen und Besucher nachhaltig erfahrbar zu machen. Wichtiger Faktor war, die Veranstaltung im Ausstellungsraum durchzuführen, damit alle Beteiligten die räumlichen Erfahrungen und Möglichkeiten auf sich wirken lassen konnten. Das Ausstellungsteam visualisierte im Workshop zentrale Themen, plakative Botschaften und Reproduktionen von Originalen oder Repliken als Stellvertreter für die Originale und als Impulsmaterial für eine künstlerisch-ästhetische Annäherung (Gräßlin 2019, 171; Hoffmann 2019, 15). Das inklusiv zusammengesetzte Team der VOLXAkademie leitete die Teilnehmenden an, sich mittels Musik und Tanz, Rezitation und szenischem Spiel mit Objekten und Themen auseinanderzusetzen, um individuelle Assoziationen und Auslöser für Interaktion und Inspiration zu ermitteln. So zeigte sich beispielsweise, dass das berühmte Gemälde des Wiener Hofmalers Friedrich von Füger aus dem Jahr 1817 mit dem Motiv des griechischen Halbgottes Prometheus ein großes Maß an Kontextualisierung brauchte, um Assoziationen freizusetzen, während Spionagekameras und Produktplagiate die Vorstellungskraft der Teilnehmenden von sich aus beflügelten. Aus diesem Potenzial der Begeg-

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nung und Beteiligung verschiedenster Menschen verfestigte sich der Wunsch nach einer Ausstellung, die vielseitige Zugänge zu Themen und Objekte bieten sollte (Gräßlin 2019, 170). Ein besonderes Experiment wagte das Ausstellungsteam mit seiner partizipativen Medieninstallation im Ausstellungsfoyer. Dort präsentierte sich den Besucherinnen und Besuchern zum Auftakt auf Stoffbahnen ein Schaufenster in die Ausstellung. An fünf Medienstationen in verschiedenen Ausstellungseinheiten konnten die Gäste Bilder und Videos posten, die auf die Medieninstallation projiziert wurden. Beabsichtigt war, die Gäste in der Ausstellung zur Interaktion zu verführen, um sich am Ende des Rundgangs des Umgangs mit eigenen Daten bewusst zu sein. Beim ersten Kontakt nahmen die Besucherinnen und Besucher die Motive in der Installation nur unbewusst wahr. Nach der Auseinandersetzung mit dem Thema Wissenstransfer im Ausstellungsrundgang präsentierte sich die Installation in einem anderen Licht. Bei erneuter Betrachtung entdeckten sie ihre eigenen Fotos und Videos. Ungefiltert waren sie Teil der Installation geworden. Diese Erkenntnis konnte gleichermaßen ein Zugehörigkeitsgefühl wie auch kritische Reflektion über das eigene Verhalten erzeugen (Hoffmann 2019, 19; Beier 20219, 30; Ohmert 2019, 46).

Brücken zwischen Lernwelten: Der Ausstellungsbereich Wissenswerkstatt Nicht nur aufgrund ihrer räumlichen Lage auf der 200 m² großen Galerie, die den Luftraum des Ausstellungsfoyers umläuft, konnten die Ausstellungsgäste in dem Ausstellungsbereich der Wissenswerkstatt einen Perspektivwechsel vornehmen. Die Wissenswerkstatt unterschied sich insofern wesentlich von den anderen Ausstellungsbereichen, als dass sie von rund 40 Schülerinnen und Schülern aus Deutschland, Irland und Polen gestaltet wurde und das Ergebnis einer zweijährigen Zusammenarbeit dreier europäischer Partnerschulen und -museen im Rahmen des Kooperationsprojekts Wissenswerkstatt – Wissen schaffen, teilen, schützen darstellt (Gutkowski 2019, 158–169). Das Ziel des Projekts war, durch die gemeinsame Konzipierung und Realisierung der Wissenswerkstatt: 1. Schülerinnen und Schüler, Schulpädagoginnen und -pädagogen sowie Museumsfachleute aus Europa zu vernetzen und miteinander in Interaktion zu bringen,

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die Aneignung von ästhetischen, transkulturellen und musealen Kompetenzen sowie eine aktive Teilhabe von Jugendlichen an der Gestaltung des öffentlichen Raums Museum zu ermöglichen.

Die Legitimation für diese Kooperation bildeten in erster Linie der gemeinsame Bildungsauftrag und die (z. T. langjährigen) Bildungspartnerschaften beider Institutionen. Das Verständnis ihrer Akteurinnen und Akteure für kulturelle Bildung als Teil der Allgemeinbildung und ihre Offenheit für neue inhaltliche Impulse (lernende Organisationen) bildeten das Fundament. Nicht zuletzt machten die finanzielle Förderung der Europäischen Union (ERASMUS+) und vor allem die intrinsische Motivation der Schülerinnen und Schüler, dieses Bildungsangebot wahrzunehmen, eine erfolgreiche Zusammenarbeit in diesem Projekt möglich. Das Beispiel der Wissenswerkstatt zeigt nicht nur auf, dass das LWL-Industriemuseum eine facettenreiche Lernwelt darstellt. Es macht auch deutlich, dass das Museum in seiner Gestalt als Forum Brücken zwischen eigenen und anderen Lernwelten schlagen kann – in diesem Fall zur Lernwelt Schule. Zwar sind Museen aus ihrer Grund-DNA heraus vermutlich eher dem informellen Lernen zuzurechnen und Schulen dem formalen Lernen (Schwan 2016, 379–395; Noschka-Roos, Schwan 2019, 131–135), jedoch – insbesondere im Kontext der kollaborativen Museumspädagogik – schaffen Projekte wie die Wissenswerkstatt immer wieder Brückenschläge zwischen formalen, non-formalen und informellen Lernwelten. So fand die Auseinandersetzung der 14–16-jährigen Gymnasiastinnen und Gymnasiasten mit der Relevanz von Wissenskultur im modernen und globalisierten Europa in Anlehnung an den Inhalten des Schulunterrichts statt, entlang folgender Themenschwerpunkte: 1. MINT-Schwerpunkt: Lernen und Wissensvermittlung in und von der Natur, 2. künstlerischer Schwerpunkt: Original – Inspiration – Kopie im Bereich Kunst, 3. gesellschaftlicher Schwerpunkt: Real oder Fake – Massenprodukte und Massenmedien. Die Arbeit an dem Ausstellungsbereich führten die Jugendlichen im Rahmen von Museumsworkshops, Schul-AG’s und des Schulunterrichts durch. Räumlich bewegten sie sich insofern vorwiegend zwischen Lernumgebungen in der Schule und im Museum. In altersgerechten und transnationalen Workshops vermittelten professionelle Kuratorinnen und Kuratoren, Museumspädagoginnen und -pädagogen,

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PR-Fachkräfte, Designerinnen und Designer und Schulpädagoginnen und -pädagogen den Jugendlichen die gesamten Breite des methodischen Spektrums eines Museums (Grundlagen zu Arbeitstechniken des Sammelns, Forschens, Dokumentierens, Ausstellens, Vermittelns und Öffentlichkeitsarbeit). Somit lernten die Teilnehmenden die gesellschaftlichen Funktionen, die Aufgaben und die Berufsfelder des Museums sowie den Ausstellungsort und die Arbeitsteilung in einem Ausstellungsprojekt kennen. Neben den didaktisch strukturierten Bildungsangeboten hielt das Projekt auch Freiräume für Lernanlässe des ästhetisch-forschenden Lernens (Richter 2015, 37–44), des selbst bildenden Erarbeitens von Wissen und Fertigkeiten sowie des Erlebnislernens oder Erfahrungslernens (Fischer/Ziegenspeck 2008, 26– 31; Grötsch 2008, 107–130) bereit, bei denen die biografischen Erfahrungen und die Wünsche der Jugendlichen im Vordergrund standen. In diesem Sinne entwickelten sie ihre eigenen Fragestellungen, recherchierten Informationen und Objekte, setzten sich mit dem Ausstellungsraum auseinander und nahmen eine zielgruppenorientierte Auswahl und Gestaltung von Inhalten und Exponaten unter Berücksichtigung der Inklusion vor. Mithilfe der in den Workshops vermittelten Methoden zur Zielgruppensetzung und zur Evaluierungen von (Museums-)Ausstellungen setzten die Schülerinnen und Schüler Jugendliche ihrer eigenen Alterskohorte mit vergleichbarem sozialen und kulturellen Hintergrund als Zielgruppe für die Wissenswerkstatt und formulierten die für sie wichtigsten Ausstellungskriterien: moralisch kontroverse und emotionale Themen, wenige und kurze Texte in englischer Sprache, mediengestützt, interaktiv und partizipativ (Gutkowski 2019, 158–169). Entlang dieser Hauptkriterien setzten die Schülerinnen und Schüler die Gestaltung des Ausstellungsraums um. Im Hinblick auf die von den Jugendlichen erarbeiteten Fragestellungen Wie entsteht Wissen?, Wie teilen und schützen wir es? und Warum? unterteilten sie die Wissenswerkstatt in drei Themenbereiche: Copy & Paste, Fake vs. Real und Mine vs. Yours. So thematisierten sie im ersten Bereich zum Beispiel Tierexperimente als Methode der Wissensgewinnung anhand einer von ihnen gestalteten Supermarktinszenierung: Auf einem Bildschirm forderte ein Schriftzug die Ausstellungsgäste auf, die in einem Einkaufswagen platzierten Supermarktprodukte mit einem beiliegenden Kassenscanner zu scannen, wenn sie herausfinden möchten, welche Waren mithilfe von Tierversuchen entstanden sind. Im zweiten Bereich machte die Präsentation eines von den Schülerinnen und Schülern gefertigten Abendkleides aus Boulevardzeitungen auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen Information und Fake News aufmerksam. Eine Installation im dritten Bereich warf die Frage nach dem Verhältnis von Original und Kopie im digitalen Zeitalter auf und bot den Ausstellungsbesuche-

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rinnen und -besuchern an, an die Stelle des „Schreienden“ vor dem Motiv des berühmten Gemäldes von Edvard Munch zu treten, ein „Selfie“ zu machen und in den Social Media-Kanälen unter #screamitout, #originalcopy zu verbreiten (Gutkowski 2019, 158–169). Mit der Präsentation ihrer Ausstellung in der Öffentlichkeit traten die Schülerinnen und Schüler am Ende wieder in einen Dialog – mit ihren Ergebnissen, mit den Besucherinnen und Besuchern ihrer Schau und mit ihrer eigenen „Sicht auf die Dinge“. In Auseinandersetzung mit der Institution Museum, dem kulturellen Erbe in transnationaler Perspektive sowie der Entstehung von Ausstellungen entwickelten die Schülerinnen und Schüler eine positive Grundhaltung gegenüber dem musealen Diskurs. Die Jugendlichen erhielten die Möglichkeit, Kulturkompetenzen, Sozialkompetenzen, Handlungskompetenzen und spezifische Museumskompetenzen handlungsorientiert zu erwerben, sich aktiv und gestalterisch am musealen und gesellschaftlichen Diskurs zu beteiligen und sich dabei selbst als wirksam zu erfahren. Auf der anderen Seite lernten die professionellen Akteurinnen und Akteure die Perspektiven, Bedürfnisse, Erwartungen und das individuelle Lernen der Schülerinnen und Schüler besser kennen. Nicht zuletzt lernten die Akteurinnen und Akteure beider Institutionen in diesem Projekt auch voneinander, sie entdeckten Unterschiede und Spannungen zwischen beiden Lernwelten und gaben neue Impulse nicht nur für die Weiterentwicklung der Arbeit in den jeweiligen Institutionen, sondern vor allem für die Zusammenarbeit zwischen Museum und Schule: Impulse 1. für ein gemeinsames Lernverständnis, 2. für einen Interaktionsraum, der die Möglichkeit bietet, verschiedene Lernwelten miteinander zu verbinden sowie 3. für einen physischen Ort, an dem dieses Lernverständnis ausprobiert, organisiert und diskutiert werden kann.

Spielend lernen: Die geheimen Kammern des Wissens Wenn sich Gäste dazu entschlossen, einen klassischen Rundgang durch die Ausstellung Alles nur geklaut? zu gehen, bemerkten sie zumeist erst spät, dass ihnen ein Teil der Ausstellung verborgen blieb. Jenen Gästen, die das Angebot wahrnahmen, sich den Ausstellungsthemen spielerisch anzunähern, nahmen sich der Aufgabe an, diese versteckten Bereiche zu entdecken: sechs geheime

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Kammern des Wissens. Hinter den geheimen Kammern des Wissens steckte ein etwa 90–120-minütiges Spiel, das im Prinzip an Live Escape Games oder Escape Rooms angelehnt war: Eingebettet in eine Rahmengeschichte muss eine Personengruppe innerhalb einer vorgegebenen Zeit Hinweise suchen und finden sowie Rätsel und Aufgaben lösen, um eine bestimmte Mission zu erfüllen und den Raum verlassen zu können (Kroski 2018, 3). In den geheimen Kammern des Wissens schlüpften die Besucherinnen und Besucher in Teams von zwei bis sechs Spielerinnen und Spielern in der Rolle von Anwärterinnen und Anwärtern der Loge des Wissens. Ziel der Spielerinnen und Spieler war es, die Aufgabenstellung der Loge in der Ausstellung Alles nur geklaut? (sowohl in den öffentlichen als auch in den versteckten Ausstellungsräumen) zu lösen, um in den Geheimbund aufgenommen zu werden. In den verborgenen Räumen bewegten sie sich einerseits – im wahrsten Sinn des Wortes – hinter den Kulissen der Ausstellung. Andererseits spielte die Inszenierung auf die museale Arbeit hinter den Kulissen des Museums an, die Besucherinnen und Besucher oftmals nicht zu Blick bekommen. Das Interieur der Räume war an die Einrichtungen unterschiedlicher Arbeits- und Wissensorte im Museum angelehnt: an das Bilderarchiv mit den Gemälderegalen, an das Medienarchiv mit den längst vergessenen Informationsspeichern, an das Sammlungsdepot mit seinen zahlreichen Exponaten und an die Szenerie des Tüftelns in der Restaurationswerkstatt. Unter Bezugnahme der authentischen Exponate in der öffentlichen Ausstellung untersuchten und nutzen die Spielerinnen und Spieler die in den Räumen bereitgestellten Requisiten wie Räder, Mikrofiche-Leser, Konstruktionspläne, Agentenwerkzeuge oder ähnliches zur Lösung der Rätsel. Die Spielgruppe wurde dabei von Spielleiterinnen und Spielleitern betreut, die mit den Spielerinnen und Spielern per Videokamera, Mikrophone etc. in Verbindung standen und Hinweise gaben, wenn die Gruppe im Spiel feststeckte. Eine eigens für die geheimen Kammern des Wissens programmierte App navigierte die Spielgruppen durch das Spiel, stellte die Rätsel und Aufgaben, fungierte als Scanner sowie Augmented Reality-Erzeuger und führte mit Handlungsanweisungen und Hilfestellungen durch das Spiel (Gutkowski 2019, 179–182). Schon auf Grund der räumlichen Ausdehnung des Spiels in der Ausstellung wird offensichtlich, dass ein hoher Aufwand betrieben wurde, um die Spielelemente des Live Escape Games in die Ausstellung zu übertragen. Insofern stellen sich zweierlei Fragen: Was kann die Übertragung dieser Spielelemente in eine Museumsausstellung wie Alles nur geklaut? leisten? Und inwiefern können Spielwelten in Ausstellungen auch Lernwelten darstellen? Die Übertragung von Spielmechaniken des Live Escape Games in die Lernumgebungen des Museums stellt heute keine Seltenheit dar. Den Museen ist nicht verborgen geblieben, dass dieses Spielformat, zumeist von kommerziellen

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Anbieterinnen und Anbietern entwickelt, in den letzten Jahren viele Menschen unterschiedlicher Altersklassen begeistert hat und zahlreiche Anknüpfungspunkte mit ihren Vermittlungsformaten aufzeigt. Doch sollte das Spiel im Museum weder zweckfrei sein, noch ausschließlich der Unterhaltung dienen. Es sollte – gemäß dem Bildungsauftrag des Museums – auch Bildungsangebote schaffen. Insofern ist der Rahmen der Institution Museum und des Mediums Ausstellung wesentlich für die Bedingungen der Möglichkeit zur Übertragung von Spiellogik, Spielmechanismen, Spielhandlungen in einen erst einmal eher spielfremden Kontext. Grundsätzlich stößt das Spiel als Vermittlungsformat in der Ausstellung einen Lernprozess an, wenn es einen anregenden und unterhaltenden Dialog zwischen den Besucherinnen und Besuchern, den Exponaten und ihren Kontexten herzustellen vermag sowie die Zugänge der Gäste zu den Ausstellunginhalten erleichtert. Dafür bieten die Spielelemente von Live Escape Games viele Anknüpfungspunkte: Wie viele Museumsausstellungen, finden Live Escape Games in Räumen statt, die themen- und geschichtenspezifisch inszeniert und mit Gegenständen versehen sind (und in gewisser Weise auch ausstellen). In Escape Rooms treten die Spielerinnen und Spieler in Interaktion mit den Gegenständen, um die Rätsel und Aufgaben lösen. In Museumsausstellungen ist die haptische Interaktion mit den authentischen Exponaten aus konservatorischen und aus Sicherheitsgründen in den meisten Fällen nicht möglich. Für die (v. a. haptische) Interaktion zwischen Objekten und Besucherinnen und Besucher werden in Museumsausstellungen jedoch auch sogenannte Hands-on-Exponate (nicht authentische Exponate), wie sie vielfältig seit dem Ende des 20. Jahrhunderts in Kindermuseen, Science Centern und auch in kulturgeschichtlichen Ausstellungen vorzufinden sind, für die Vermittlung genutzt. Ebenso gehören der Einsatz von story-basierten Spielen, Rätselspielen und digitale Spielmedien zu den gängigen Vermittlungsformaten vieler Museumsausstellungen (Schwan 2016, 180–193). Das Lösen der Aufgaben und Rätsel und der haptische Umgang mit den Gegenständen im Team tragen dazu bei, die Ausstellung interaktiv, sinnlich erfahrbar und kollaborativ zu gestalten. Das Storytelling und die Inszenierung der Räume unterstützt die Besucherinnen und Besucher dabei, immersive Momente zu schaffen. Die hier aufgezählten Elemente des Live Escape Games sind in der musealen Vermittlungsarbeit seit langem bekannt, können variabel mit den Exponaten und Inhalten der Ausstellung verknüpft werden und vereinfachen insofern die Übertragung der Spielelemente. Die Voraussetzungen, durch dieses Spiel in der Ausstellung zusätzliche Lernanreize zu schaffen und einen Lernprozess anzustoßen, sind insofern denkbar gut. Auf der anderen Seite kann die Übertragung dieser Spielelemente eine vertiefte Kontextualisierung der authentischen Exponate in Anbetracht der Fokus-

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sierung auf das Spiel leisten. Jedoch haben die Besucherinnen und Besucher über das Medium dieses Ausstellungsspiels die Möglichkeit, sich Sozialkompetenzen in einem fiktiven und geschützten Raum in unterhaltender Form anzueignen, zu trainieren und zu erproben: den Umgang mit gesellschaftlichen (Spiel-)Regeln, Logik, Herausforderungen (Problemlösungskompetenzen) und gesellschaftlicher Zusammenarbeit (Teamarbeit) – im praktischen Erleben der Ausstellung durch die Spielenden. Für das LWL-Industriemuseum stellte insofern eine weitere Triebfeder zur Übertragung von Live Escape Game-Elementen die Absicht dar, den spiel-, unterhaltungs- und erlebnisorientierten Besuchendentypus mit spielerischen Elementen in der Ausstellung gezielt anzusprechen, indem er in seiner Lebenswelt abgeholt wird. Von Spielen als „eine eher unterbewertete pädagogische Kategorie“, die hauptsächlich der Lebenswelt von Kindern zuzurechnen sei, wie es in einschlägigen Fachpublikationen der 1980er Jahre heißt (Weschenfelder/Zacharias 1981, 161–163), kann hier keine Rede mehr sein. Angeregt durch die Entwicklungen der Digitalisierung und der Präsenz von (Computer-)Spielen im Alltag gehört Spielen zur heutigen Lebenswelt der meisten Menschen in Deutschland dazu: Knapp jeder zweite Deutsche ist mittlerweile Gamer und das Durchschnittsalter liegt bei rund 36 Jahren (Greisinger et al. 2019, 138). Vor diesem Hintergrund ist der homo ludens als generationsübergreifende Zielgruppe und Spiel als Vermittlungsformat im Museum aktueller denn je. Unter dem Schlagwort Gamification, das eine Übertragung von spieltypischen Elementen und Spielmechaniken in spielfremde Kontexte bezeichnet (Deeg 2017, 105) ist im museumsfachlichen Diskurs eine intensive Auseinandersetzung mit Spielen im Museum zu beobachten: Welches Potenzial bietet die Nutzung von Spielelementen in der musealen Vermittlungsarbeit? Inwiefern können die Inhalte von Museen spielerisch sinnvoll vermittelt werden? Wie kann ein Lernprozess mit spielerischen Mitteln erfolgreich vertieft und zusätzliche Lernanreize schaffen werden? Wie kann ein immersiver Moment gestaltet werden? Inwieweit lässt sich die digitale und analoge Welt dabei in idealer Weise miteinander verbinden? Auch in der Praxis kommen Spielelemente als Game-based Learning (Wissensvermittlung über Spiele) in vielen Museen bereits zum Einsatz – in digitaler und analoger Form. Die Erfahrung des LWL-Industriemuseums mit Alles nur geklaut? hat gezeigt, dass die Übertragung von Spielelementen des Live Escape Games in eine Ausstellung insbesondere den altersübergreifenden spiel-, unterhaltungs- und erlebnisorientierten Besuchendentypus anspricht. Im Vergleich zu vorherigen Ausstellungen hat sich der Anteil der jugendlichen Besucherinnen und Besucher erhöht. Spielerinnen und Spieler in intergenerativen Teams, wie zum Beispiel in Familienverbänden, konnten ihre altersbedingten Erfahrungen austau-

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schen, voneinander lernen und sich gemeinsam in das Spiel mit einbringen: Digital Natives konnten zum Beispiel ihren Großeltern gegebenenfalls mit ihrer Kompetenz im Umgang mit dem Tablet helfen. Andersherum konnten Großeltern vielleicht ihr Wissen von längst vergangenen Welten teilen – eine gewinnbringende Verbindung von digitaler und analoger Welt. Ebenso stieg die Verweildauer der Besucherinnen und Besucher in Ausstellungen durch die Beschäftigung mit dem Spiel an. Nicht zuletzt gab es von den Besucherinnen und Besuchern der geheimen Kammern des Wissens immer wieder ein Feedback: Es machte Spaß.

Fazit Am Beispiel von Alles nur geklaut? Lassen sich folgende Kriterien für eine Sonderausstellung als Lernwelt festhalten. Temporäre Themen schaffen Lernumgebungen mit hoher aktueller gesellschaftlicher Relevanz. Das Format Sonderausstellung kann vor allem neue Besuchendengruppen und Besuchsanlässe generieren und für diese Lernwelten erschaffen, die auf der Verbindung von Lernen und Erlebnis basieren. Das räumliche Setting von Ausstellungen in Inszenierungen und Szenografie bietet den Besucherinnen und Besuchern in der Rolle der Lernenden die Option, sich Inhalte individuell und selbstbestimmt anzueignen. Wichtige Faktoren dieses räumlichen Settings sind Orientierung und Sicherheit, Perspektivwechsel und Überraschungsmomente. Objekte als konstituierendes Element jeder Ausstellung sollten durch möglichst vielseitige Zugänge für möglichst viele Menschen wahrnehmbar gemacht werden. Dann sind Lernprozesse vielfältig und vielschichtig; das bedeutet unter Umständen auch, dass weniger Objekte mehr Raum für Zugänge ermöglichen. Partizipation und Gamification bringen Mitgestaltung und Erfolgserlebnis als Mehrwert für die Besucherinnen und Besucher und prägen Lernumgebung so positiv, denn die Aktivierung des emotionalen Gedächtnisses führt zur Verankerung der Lernerfahrung (Grötsch 2008, 114). Laut Sprechen, Jauchzen, Singen – Alles nur geklaut? brach mit Tradition im Museum, in dem sich Museumsbesucherinnen und -besucher im stillen Dialog mit sich selbst oder flüsternd in Begleitung oder dem Kaffee danach austauschen (Gräßlin 2019, 174). Hier kann es allerdings zu Konflikten mit tradiertem Verhaltensmustern für Museumsbesuche kommen, seien es andere Museumsbesucherinnen und -besucher, die sich gestört fühlen oder auch Sorge seitens des

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Museums, dass Spiel und Gestaltung als Effekt Objekte überlagern oder den Blick auf das Wesentliche verstellen könnten.

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Interaktion und Erlebnis mit allen Sinnen Lernwelt Science Center

Einleitung Science Center sind öffentliche Einrichtungen mit (be)greifbaren Exponaten, die Experimentier- und Erfahrungssituationen ermöglichen und dadurch den Besucherinnen und Besuchern über Interaktion Naturphänomene sowie technische Prinzipien veranschaulichen. Betrachtet man die Art und Weise der Wissensvermittlung haben viele Natur- und Technikmuseen in den letzten Jahren interaktive Science Center-Exponate als Bestandteil ihres didaktischen Konzeptes aufgenommen. Umgekehrt wurden Szenografie und Bausteine der Museumspädagogik in das Vermittlungskonzept der Science Center integriert. Als informelle Lernorte gibt es in Hinblick auf den Bildungszweck keinen grundsätzlichen Gegensatz zwischen einem Museum und einem Science Center, hinsichtlich der Basis für das didaktische Konzept gleichwohl – hier das originale Sammlungsobjekt, dort das handlungsorientierte Exponat. Folgt man den Charakteristika für Lernwelten wie eigenständige Lerninhalte, ein eigenmotiviertes Lernen oder einen Alltags- und sozialen Raumbezug, so sind beide, Museen und Science Center, offenkundig Lernwelten. Ein Science Center kann aufgrund seines Angebotes und des Verzichts auf historische Kontexte sogar einen noch engeren Bezug zur gegenwärtigen Lebenswelt der Besucherinnen und Besucher haben als das klassische sammlungsorientierte Museum. Aber auch hier besteht der Trend, sich nicht nur auf die Präsentation authentischer Objekte oder Kunstwerke zu beschränken. Nachfolgend wird versucht, anhand des Beispiels der experimenta Heilbronn Charakter und Anspruch der Institution Science Center innerhalb des Bildungsangebotes einer modernen Gesellschaft zu beschreiben. Während einige Aspekte verallgemeinerungswürdig und für viele Science Center zutreffend sind, ist die experimenta aufgrund ihres komplexen, interdisziplinären Angebotes ein Beispiel für die Weiterentwicklung oder Neuinterpretation einer solchen Einrichtung. Insofern ist sie kein Science Center im klassischen Sinne mehr. Diese Weiterentwicklung manifestiert sich besonders durch die Integration eines Planetariums (Science Dome) mit Sternwarte (Erlebniswelten) sowie zahlreicher unterschiedlicher Laborumgebungen (Forscherwelten) wie Schülerlabohttps://doi.org/10.1515/9783110703054-018

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re, Experimentierküche, Schülerforschungszentrum und Maker Space. Diese dadurch möglich gewordenen zusätzlichen Lernebenen haben zusammen mit den Science Center spezifischen Hands-on-Exponaten (Entdeckerwelten) zu originären Ideen für eine innovative, interdisziplinäre Vermittlung von Wissenschaft und Technik geführt. Dies war einer der wichtigsten Gründe, die experimenta so zu konzipieren und zu bauen.

Hands-on-Exponat, Laborversuch und Immersion als Edutainment – ein Exkurs Für Deutschland als ein Land mit einer begrenzten Rohstoffbasis ist vor allem der Erkenntnisfortschritt in Naturwissenschaft und Technik wichtig, um selbst die technologische Entwicklung gesellschaftlich nutzbringend voranzutreiben. Der wichtigste Schlüssel hierfür ist auch in Deutschland Bildung. Eine zukunftsorientierte Gesellschaft kann sich nur auf dem Wissen und der Empathie ihrer Bürgerinnen und Bürger gründen. Wo ordnen sich Hands-on-Exponate, das Experimentieren oder immersive Welten ein? Was steht im Vordergrund: Wissensvermittlung oder Freizeitspaß? Kann Wissen vermittelt werden, ohne dass der Spaßeffekt darunter leidet? Shortland bemerkte schon 1987 pessimistisch im Angesicht zahlreicher Gründungen von Science Centern in Großbritannien: „[…] when education and entertainment are brought together under the same roof, education seems to be the loser“ (Shortland 1987, 213). Unstrittig ist heute allerdings, dass sich interaktive Ausstellungen der Science Center oder Planetarien als erlebnisorientierte Lernorte etabliert haben. Zu solchen Lernorten zählen auch Museen, Zoos, botanische Gärten, Aquarien, Naturparks, Ausstellungshäuser und sogar Schiffe. Zunehmend versuchen auch Freizeitparks und Erlebnisparks dieses Feld zu bespielen. Das informelle Lernen findet somit an vielen verschiedenen Orten statt und es ist sehr viel breiter aufgestellt als das formelle Lernen mit Vorschule, Schule, Ausbildung, Studium. Wir wissen und propagieren es heute, dass Lebenslanges Lernen eine Notwendigkeit ist. Das heißt, die klassischen formellen Lernorte wie die Schule, die Ausbildung oder das Studium reichen nicht mehr aus. Die Verschiedenheit der Lernorte wird zu einem Markenzeichen der modernen Wissensgesellschaft. Allen erlebnisorientierten Lernorten gemeinsam ist, dass sie in der Freizeit besucht werden und Raum für selbstgesteuertes Erkunden und Entdecken bieten. Sie sind mit Spaß verbunden, befördern sozialen Kontakt, also Geselligkeit

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und Kommunikation in der Familie sowie im Freundeskreis, und versuchen, sehr zielgruppengerecht Angebote zu machen. Wäre dem nicht so, würden die Besucherinnen und Besucher ausbleiben, da der Besuch eben auf Freiwilligkeit beruht und zudem in der Regel bezahlt werden muss. Zielgruppengerechte Angebote in Bezug auf Wissensstand, Interesse oder Teamorientierung sind in der formellen Bildung häufig schwerer umzusetzen. Für Lehrkräfte ist es heute eine enorme Herausforderung, auf die größer gewordene Heterogenität der Schülerinnen und Schüler durch die Gestaltung entsprechender Lernumgebungen einzugehen. Erlebnisorte können, da nicht an Curricula gebunden, mit einem didaktisch klug aufbereiteten Angebot in der Verknüpfung von Wissen und Unterhaltung stärker auf diese Verschiedenartigkeit eingehen. Sie erreichen auch bildungsfernere Zielgruppen oder Gruppen mit eingeschränkter Sprachkenntnis. Sie fördern damit auch ein Freizeitverhalten, dass niederschwellig aktiv lernbasiert, aber nicht vorrangig leistungsorientiert ist. Damit wird ein positives gesellschaftliches Lernklima unterstützt. Dies führt wiederum zur Basis einer jeden modernen Wissensgesellschaft zurück: Bildung zu ermöglichen. Nationale und internationale Studien belegen dies und zeigen, dass Science Center, Planetarien oder Schülerlabore in unterschiedlichem Maße die nachfolgend aufgeführten Kompetenzen und Wissensinhalte befördern können (Asmussen 2007; Bade 2010; Brandt 2005; Falk et al. 2014; Nickolaus et al. 2018; Priemer/Roth 2020; Reinhardt 2007) und dies vermutlich vielmehr als jede Fernsehsendung oder jeder Podcast und You Tube-Beitrag. Die Ergebnisse solcher Studien waren auch ein ausschlaggebendes Kriterium für die experimenta, unterschiedliche Lernumgebungen auf neue Art zu verknüpfen. Befördert werden: – das Wissen und Verständnis über Naturwissenschaft und Technik, – das Interesse an Naturwissenschaft und Technik verbunden mit der Motivation, naturwissenschaftliche Phänomene und technische Prinzipien auch verstehen zu wollen, – Vorstellungen über die Denkweisen in Naturwissenschaft und Technik und über die Methoden naturwissenschaftlich-technischer Forschung, – das Vertrauen in Naturwissenschaft und Technik und die Offenheit gegenüber neuen Entwicklungen, – das Bewusstsein, wie Naturwissenschaft und Technik den Alltag beeinflussen – positiv wie auch negativ, – das Wissen über die Beziehungen zwischen Naturwissenschaft, Technik und gesellschaftlicher Entwicklung, – das Nachdenken über eigene Verhaltensweisen in Bezug auf Umwelt und Techniknutzung,

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das generationenübergreifende Engagement bei Aktivitäten, die im Sinne von Citizen Science mit Naturwissenschaft und Technik verknüpft sind, die Aufmerksamkeit für Laufbahnen in naturwissenschaftlich-technischen Berufen, das generationenübergreifende Lernverhalten und ein Verständnis für unterschiedliche altersabhängige Lernpositionen, die Verringerung von Lerndefiziten bei Menschen mit Behinderung und bei Schülerinnen und Schülern mit Lernschwächen und Verhaltensauffälligkeiten, die Interaktion zwischen Schülerinnen und Schülern mit Lehrerinnen und Lehrern sowie mit Eltern im schulischen Kontext, das Interesse bei Lehrerinnen und Lehrern, neue Unterrichtsformen auszuprobieren, das Zusammenspiel von kognitiven, emotionalen und aktionalen Lernebenen, die Persönlichkeitsbildung, Schlüsselkompetenzen und gesellschaftlichkulturelles Engagement.

Das Entscheidende bei dieser Aufzählung ist zudem, dass die hier betrachteten erlebnisorientierten Lernorte etwas intrinsisch befördern, was in den nächsten Jahrzehnten wichtiger werden wird: das Denken in und die Beschäftigung mit neuen Sachverhalten, die Kommunikation über Alters-, Fach- und Kulturgrenzen hinweg, ein kreatives Herangehen und die Zusammenarbeit durch das eingeforderte eigene, selbstgesteuerte Handeln.

Zur Geschichte der drei experimenta-Lernwelten Science Center Als Vorläufer der Science Center und erste Einrichtung dieser Art wird in Deutschland die Berliner astronomische Gesellschaft Urania angesehen. Alexander von Humboldt gehört zu ihren geistigen Vätern. Er versuchte in den Kosmos-Vorlesungen im Winter 1827/28 ein umfassendes Bild der naturwissenschaftlichen Erkenntnis seiner Zeit einem breiten Publikum – unabhängig vom gesellschaftlichen Stand – nahezubringen. Damit folgte er dem pädagogischen Konzept der Volks- und Persönlichkeitsbildung seines Bruders Wilhelm von Humboldt. Die Urania ist vielleicht die allererste naturwissenschaftliche Lernwelt Deutschlands (Abbildung 1).

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Abb. 1: Urania-Berlin 1896 (Zeichnung: Albert Kiekebusch)

Gegründet wurde die Urania als eine Aktiengesellschaft tatsächlich am 3. März 1888 von Wilhelm Foerster, einem Schüler Alexander von Humboldts, und Max Wilhelm Meyer. Foerster war Direktor der Königlichen Sternwarte Berlin und Meyer Astronom. Die Urania bestand Ende des 19. Jahrhunderts aus einer öffentlichen Sternwarte, einem wissenschaftlichen Theater, in dem auch Experimente gezeigt wurden, und einem physikalischen Kabinett beziehungsweise Museum. Die Reise Von der Erde bis zum Monde oder die Geschichte der Urwelt

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wurden im Theater anschaulich dargestellt (Hess 1979). Zahlreiche Wissenschaftler wie der Physiker Heinrich Hertz, der Polarforscher Alfred Wegener oder der Unternehmer Thomas Alva Edison hielten in der Folgezeit Vorträge (Lührs 1996). In den USA hatten – historisch betrachtet – vor allem Kindermuseen einen Einfluss auf die Entwicklung der Science Center. Sie nahmen eigentlich die Idee des Hands-on vorweg. Damit waren sie – vergleichbar der Urania – ebenfalls Vorläufer der heutigen Science Center. Das erste Kindermuseum, das Brooklyn Children’s Museum, wurde bereits am 16.12.1899 in New York gegründet. Eine Blütezeit setzte in den 1960er Jahren ein. Besonders gefördert wurde dies durch die Ideen des Direktors des Boston Children’s Museum Michael Spock. Er sah eine „direct-experienced interactivity“ als wichtiges methodisch-didaktisches Element in der Vermittlung an. Mit der 1964 gezeigten Ausstellung What’s inside? wurden in Boston Dinge des Alltags wie Baseball, Toaster oder sogar eine Straße im Querschnitt gezeigt. Kinder konnten hineinschauen und mit den Dingen hantieren. Hands-on learning war zum Teil des Ausstellungskonzeptes geworden.1 In Deutschland gilt das 1903 eröffnete Deutsche Museum München als frühes Beispiel für die Einbindung von Interaktion. Sein Gründer Oskar Miller betrachtete das eigene Mitmachen mit „Begreifen und Anfassen“ als Teil des Bildungskonzeptes (Füßl/Trischler 2003). Heute hat das Museum mit dem Kinderreich einen 2016 neu gestalteten eigenen Mitmachbereich für die Drei- bis Achtjährigen. 1937 wird mit dem Palais de la Découverte Paris ein Wissenschaftsmuseum eröffnet, in dem bereits Experimentalvorführungen und Interaktion zum Programm gehörten. Das exploratorium empfing im September 1969 in San Francisco im Palace of Fine Arts als erstes Science Center der Welt erstmals seine Besucherinnen und Besucher. Nahezu zeitgleich wurde das Ontario Science Center Toronto eröffnet. Gründer des exploratoriums war der Physiker Frank Friedmann Oppenheimer. Berühmt geworden ist sein vielzitierter, allerdings sehr frei ins Deutsche übersetzter Anspruch für das exploratorium: „Ich möchte nicht, dass jemand aus meinem Haus geht, voller Bewunderung, wie schlau ein anderer war, sondern mit dem Zutrauen, selbst etwas zustande bringen zu können“ (Murphy 1985). Oppenheimer bezeichnete noch Jahre nach der Gründung das exploratorium eher als Science Museum. Er war kein Verfechter einer strikten Unterscheidung seines Hauses von Museen, betont wurde jedoch der unterschiedliche didaktische Ansatz (Oppenheimer 1968; 1972; 1974). 1 https://bostonchildrensmuseum.org/history-timeline/index.html.

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In den 1980er und 1990er Jahren entstanden dann die ersten Science Center in Europa. Ein Wegbereiter im deutschsprachigen Raum war aufgrund der Qualität seiner später nahezu 500 interaktiven Exponate das Technorama Winterthur in der Schweiz. Es wurde zwischen 1990 und 2000 unter seinem Direktor Remo Besio von einem Technikmuseum zu einem Science Center umgewandelt (Besio 1998). Noch früher setzte die Entwicklung in Großbritannien ein. 1981 startete das Exploratory Bristol als erste Hands-on-Ausstellung. Zu verdanken war diese Ausstellung dem Neurowissenschaftler Richard L. Gregory. International große Häuser mit einer langen Tradition sind heute das Heureka Vantaa nahe Helsinki seit 1989, das Experimentarium Kopenhagen seit 1991, das Nemo Amsterdam seit 1997 oder das Technopolis Mechelen bei Brüssel seit 2000. Als erstes deutsches Science Center – allerdings viel kleiner dimensioniert – wird das Berliner Spektrum als Teil des 1983 eröffneten Museums für Verkehr und Technik (heute Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin) angesehen. Seit 1990 heißt es auch offiziell Science Center Spektrum. Die Phänomenta Flensburg folgte 1995. Lutz Fiesser, damals Physik-Professor am heutigen Institut für mathematische, naturwissenschaftliche und technische Bildung sowie ihre Didaktik und Geschichte an der Universität Flensburg, legte mit der Entwicklung von etwa 100 interaktiven Stationen den Grundstein (Fiesser 2001). Heute gibt es ca. 30 Science Center in Deutschland, wobei die bedeutsamste Gründungswelle zwischen 2000 und 2010 lag.

Planetarium Ein deutlicher Schub bei der Popularisierung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und vor allem der Astronomie hängt mit einer Institution zusammen, die im Jahr 2023 erst 100 Jahre alt wird: das Planetarium. Ausgangspunkt für dessen Entwicklung war das Projektionsplanetarium des Jenaer Konstrukteurs Walther Bauersfeld. Die Inbetriebnahme seines Zeiss Modells I im August 1923, zuerst auf dem Dach der Zeiss-Werke in Jena, dann im Deutschen Museum in München am 7. Mai 1925 waren Meilensteine. München war damit das erste Museum weltweit mit einem Planetarium (Kraupe 2005). Das Ende 1993 auf der Münchner Museumsinsel eröffnete Planetarium mit einer 20m-Kuppel, die Verbindung des Glasfaser-Zeiss-Projektors VII mit moderner Multimediatechnik und einer Laseranlage, war dann in den 1990er Jahren der Maßstab für ein modernes Planetarium. Bereits zu dieser Zeit hatte aber auch die Entwicklung vom analogen zum digitalen Planetarium eingesetzt. Erster Höhepunkt und für viele Jahre das „Mekka“ eines modernen Hybrid-Planetariums war das am 1. Januar 2000 eröffnete Hayden-Planetarium des American

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Museum of Natural History. Es bestand aus der Kombination des analogen ZeissProjektors Universarium IX und sieben Barco-Projektoren. Sie fügten die 3DComputergrafiken in Echtzeit zu einer Ganzkuppelprojektion zusammen. In Deutschland wird als erste öffentliche Institution das Hamburger Planetarium 2003 mit einem digitalen Fulldome-System, dem Digistar 3 von Evans & Sutherland, ausgestattet (Kraupe 2005). Bis heute wird die digitale Fulldome-Projektion verknüpft mit dem klassischen optomechanischen Sternenprojektor der Faszination „Universum“ am besten gerecht. Die Verbindung Science Center und Planetarium geht in die 1970er Jahre zurück. Als Startpunkt lässt sich die Einrichtung eines IMAX-Dome-Kinos im Reuben H. Fleet Science Center im Balboa-Park von San Diego im Jahr 1973 bestimmen. Heute gehören Kuppelprojektionen mit unterschiedlichen thematischen Bespielungen zum Standard in nordamerikanischen Science Centern. Das Planetarium als inhaltlicher Baustein eines Science Centers oder Museums kommt demgegenüber in Deutschland kaum vor. Lediglich das Deutsche Museum in München – wie oben beschrieben – seit 1925 und das Westfälische Museum für Naturkunde Münster seit 1981 haben hier eine Tradition. Bei Science Centern wurde damit in Deutschland erst mit der experimenta 2019 dieser Schritt vollzogen, mehr als 40 Jahre nach dem erfolgreichen Start in den USA. Untrennbar verbunden mit dem Planetarium sind die Observatorien beziehungsweise Sternwarten. Die Geschichte der Observatorien beginnt schon vor über 5.000 Jahren. Die ersten Sternwarten entstehen im 16. Jahrhundert, allerdings ohne Fernrohre, sondern mit einfachen astronomischen Instrumenten wie Quadranten. Die Erfindung des Fernrohres führte dann im 17. und 18. Jahrhundert zur Sternbeobachtung, wie wir sie heute auch aus über 100 Observatorien in Deutschland kennen (Schielicke 2007). Die Sternwarte ist in Deutschland als Institution durch die Gründung der Seeberg-Sternwarte 1790 in Gotha/Thüringen mehr als doppelt so alt wie das Planetarium. Spätestens seit der Urania Ende des 19. Jahrhunderts ist die Volkssternwarte mit der Geschichte der Science Center und Museen verbunden.

Schülerlabore Parallel mit den Science Center-Bestrebungen in Deutschland in den 1980er und 1990er Jahren entstanden auch Laborangebote außerhalb von Schulen. Eines der ersten Schülerlabore war das 1968 am heutigen Karlsruher Institut für Technologie (KIT) gegründete Schülerlabor „Strahlenschutz“.

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Eine neue Lernwelt zwischen Museum und Schule für naturwissenschaftliche Lerninhalte war entstanden. Schülerlabore sind außerschulische Lern- und Forschungsorte. Hier finden Breitenförderung und die individuelle Förderung besonders begabter Kinder und Jugendlicher für die MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) statt. Schülerlabore ergänzen und verbessern das Angebot der Schulen, Lehrerinnen und Lehrer erhalten Weiterbildungsangebote und Lehramtsstudierende zusätzliche Praxisfelder. 90 Prozent der heute bestehenden Schülerlabore gab es jedoch im Jahr 2000 noch nicht. Die Ergebnisse der TIMSS-Studie (Trends in International Mathematics and Science Study)2 und der PISA-Studie (Programme for International Student Assessment)3 um die Jahrtausendwende mit den bekannten schlechten Ergebnissen der deutschen Schülerinnen und Schüler in den MINTFächern führte in der Folgezeit zu einer Gründungswelle. Zwischen 2000 und 2010 entstanden in Deutschland nahezu 60 Prozent aller heutigen Schülerlabore. Science Center als Standorte spielen dabei jedoch mit rund drei Prozent eine vollkommen untergeordnete Rolle (LernortLabor 2019). Die experimenta ist hier eine große Ausnahme. Neben dem „Klassischen Schülerlabor“ und dem „Schülerforschungszentrum“, gibt es noch eine Reihe spezieller Formen. Nach Haupt und Hempelmann (2015) werden Lehr-Lernlabore für Lehramtsstudierende, Schülerlabore zur Wissenschaftskommunikation, Labore mit Berufsorientierung und mit Bezug zum Unternehmertum sowie Labore für „Engineering, Entwicklung und Produktion“ unterschieden. Der MINT-Bezug ist jedoch bei allen gegeben. Über dieses MINT-basierte Angebot in den Schülerlaboren hinaus rücken in den letzten Jahren weitere fachübergreifende Themen in den Fokus. Hierzu zählen Bildungsangebote für nachhaltige Entwicklung, die Themen Inklusion und Integration oder auch Sprachförderung. Schließlich entstehen seit 2007 auch Schülerlabore für Geistes-, Gesellschafts- und Kulturwissenschaften. Hier zeigt sich eine Entwicklung, die in der experimenta bereits umgesetzt wird – die Beschreibung der Zukunft aus naturwissenschaftlich-technischer und geisteswissenschaftlicher Sicht (LernortLabor 2019).

2 https://www.kmk.org/themen/qualitaetssicherung-in-schulen/bildungsmonitoring/internationale-schulleistungsvergleiche/timss.html. 3 http://www.oecd.org/berlin/themen/pisa-studie/.

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Die drei Lernwelten in der experimenta Science Center Eine durch den Sammlungsbestand vorgegebene Prädisposition wie bei Museen gibt es bei Science Centern nicht. Insofern kommt der Struktur der Ausstellung, der naturwissenschaftlich-technischen Themenauswahl, der Gestaltung und der Zielgruppendefinition eine maßgebliche Rolle bei der Planung eines Handson-Angebotes zu. Im Folgenden sind skizzenhaft sechs Prämissen hervorgehoben, die das Ergebnis eines umfänglichen Diskussionsprozesses am Beginn der Planungen für das Hands-on-Angebot der experimenta waren (Abbildung 2).

Abb. 2: Die Wasserlandschaft der experimenta (Foto: experimenta/Hannah Lipowsky)

Die experimenta steht: – für ein szenografisches, technologiegestütztes Ausstellungsdesign der Lernwelt. Dazu gehört eine Didaktik, die Inhalte auch über Emotionen transportiert. Die Begleitung des Besuches durch Besuchendenbetreuerinnen und -betreuer vermittelt Empathie und schafft Vertrautheit. Die Lernenden sollen sich wohl, angstfrei und umsorgt fühlen, um aktiv und eigenmotiviert lernen zu können. – für ein multidisziplinäres, Erfahrung, Wahrnehmung und Erkenntnis verknüpfendes Angebot. Inhaltlich mehr Optionen zu haben, um gesellschaftlich relevante Themen in Wissenschaft und Technik über unterschiedliche Formate abzubilden, war ein ausschlaggebender Grund, sich hinsichtlich

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einzelner Themen, zum Beispiel Klimawandel, nicht zu fokussieren. Die Lernwelten der experimenta suchen bewusst über gesellschaftlich relevante Themen die Nähe zur Lebenswelt der Lernenden, um sie von der Bedeutung der Lerninhalte für sie selbst zu überzeugen. mit ihrer Konzeption für ein multikonzeptionelles Alltägliches und Zukünfte einschließendes Angebot. Aktuelle Forschung wird weniger in Hands-onExponaten, sondern eher in digitalisierten Lernumgebungen oder in Vorträgen und Shows begleitend vermittelt. Hinter dieser konzeptionellen Entscheidung steht letztlich auch die Erkenntnis, dass sich die Ergebnisse aktueller Forschung nicht einfach in Form von Hands-on-Stationen vermitteln lassen. Solche komplizierten und oftmals abstrakten Lerninhalte brauchen eigene Lernumgebungen. für einen generationenübergreifenden Vermittlungsansatz mit dem Bekenntnis zum Lebenslangen Lernen. Daraus folgt in den vier Themenwelten die Einladung mit altersbezogenen Angeboten an alle Besucherinnen und Besucher von 3 bis 103 Jahren. für das interaktive Exponat als Kernangebot. Das eigenständige, informelle und selbstmotivierte Lernen steht im Zentrum. Dies ist mit ca. 275 Experimentierstationen über vier Ausstellungsetagen sowie vier komplementären Kreativstudios auch in der neuen experimenta verwirklicht. für eine Erfahrung über sich selbst. Bei der „Talentsuche“ können die Besucherinnen und Besucher an 24 Stationen auf spielerische Weise ihre Fähigkeiten testen und persönliche Talente entdecken. Die Ergebnisse werden aufgezeichnet und ermöglichen eine Analyse der individuellen Stärken.

Das Einzigartige der experimenta macht aber heute nicht die klassische interaktive und exponatbasierte Ausstellung, sondern das interdisziplinäre Angebot und die Verknüpfung der unterschiedlichen Lernwelten aus.

Planetarium / Science Dome Der Science Dome der experimenta entstand als Weltneuheit durch die Kombination von Kuppelsaal (Fulldome) und Theaterbühne. Er ist unidirektional ausgerichtet. Ein ansteigendes Auditorium mit einer um 15 Grad geneigten Projektionskuppel ermöglicht allen Besucherinnen und Besuchern einen ungehinderten Blick auf die gesamte Projektionsfläche. Durch diese geneigte Konstruktion befindet sich im rückwärtigen Bereich eine Fläche, die von der Projektion ausgespart ist und die eine Integration einer vollständigen Theaterbühne mit Bühnenhaus ermöglicht. Das Bühnenhaus mit seiner 180 Quadratmeter großen

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Bühne und einer Portalhöhe von sechs Metern ist mit Kulissenzügen, Medienliften sowie einer umfangreichen Licht- und Tonanlage ausgestattet. Ein Metallgeflecht an Wänden, Decke und Boden der Bühne erzeugt einen Faraday’schen Käfig, so dass hier neben klassischen Experimentalshows sogar eine Hochspannungsshow mit Teslaspulen zur Aufführung kommen kann (Abbildung 3). Um den Science Dome als Fulldome Planetarium und als Theater zu nutzen, wurde das kreisrunde Auditorium auf eine im Durchmesser 21 Meter große Drehbühne aufgesetzt. Durch die kreisförmige Laufschiene ist eine Rotation mit Besuchern um 180° in nur 65 Sekunden möglich.

Abb. 3: Der Science Dome der experimenta als innovative Lernumgebung (Foto: experimenta/Hannah Lipowsky)

Eine weitere Besonderheit ist der Wasservorhang: Mikroskopisch kleine Tropfen werden im vorderen Bühnenhaus versprüht und bilden einen zehn Meter breiten Vorhang, der per Video- oder Laserprojektion bespielt werden kann. Daneben verwandelt eine Kinoleinwand über die gesamte Bühnenöffnung den Science Dome in ein Wissenschaftskino mit einer brillanten 4K-Video-Projektion. Akustisch wird der visuelle Eindruck durch ein 3D-Audiosystem adäquat ergänzt. Damit lassen sich virtuelle Klangquellen im Raum simulieren und verorten. Die Showlaser-Anlage mit ihren sechs Projektoren, einer Vielzahl von Spiegeln und einem Theaternebel erlauben es, Laserstrahlen quer durch das Auditorium über diesen Nebel sichtbar zu machen. Der Science Dome ist damit ein weltweit einzigartiger und komplexer immersiver Veranstaltungsort. Es entstand innerhalb der drei Lernwelten der experimenta ein völlig neues audiovisuelles Angebot. Entgegen dem klassischen Sci-

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ence Center steht hier nicht die Interaktivität des Lernenden im Mittelpunkt der Vermittlung, sondern das Prinzip einer die Zuschauerinnen und Zuschauer unterhalten und faszinieren wollenden Wissenschaftsshow. Damit setzt die Lernwelt Science Dome auf eine andere mehr immersive Art des formalen Frontalunterrichts. Hier wird das Prinzip des Live-Experiments im Physik- oder Chemieraum der Schule auf eine neue, stärker emotional berührende und erlebnisorientierte Stufe gehoben.

Schülerlabore Schon am Beginn der Science Center-Geschichte gehörte das Vorführen und Erläutern von Experimenten in einem laborartigen Umfeld zu den regelmäßigen Angeboten. Später wurde dieses Laborumfeld auch für die Besucherinnen und Besucher, insbesondere Schülerinnen und Schüler, zum selbstständigen Experimentieren unter Anleitung geöffnet. Heute gehören einzelne Laborkurse für Kinder und Jugendliche nahezu zum Standard in jedem neuen oder größeren Science Center. Inhaltliche Schwerpunkte sind dabei Kursangebote in den klassischen Naturwissenschaften Biologie, Chemie und Physik.

Abb. 4: Eine besondere Lernumgebung – der Maker Space (Foto: experimenta/Hannah Lipowsky)

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In der experimenta stehen acht hochwertig ausgestattete Laborräume und eine Experimentierküche zur Verfügung. Mit seinen mehr als 60 naturwissenschaftlichen und technischen Kursen richtet sich das Programm von Kindergartengruppen über Grundschulklassen bis hin zur gymnasialen Oberstufe an junge Menschen. Alle Kurse werden von pädagogisch und didaktisch geschulten Fachexpertinnen und -experten geleitet und orientieren sich an den schulischen Lehrplänen. Das umfangreiche Laborangebot ergänzen noch ein Schülerforschungszentrum für junge Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler und ein Maker Space für kreative Tüftler und Macher in ungezwungener Start-up-Atmosphäre (Abbildung 4). Die experimenta ist als außerschulisches Lern- und Forschungszentrum durch das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg anerkannt. Mit den Schülerlaboren schafft sich die experimenta eine Lernwelt, die bisher überwiegend auf die Zielgruppe der Vorschulgruppen und Schulklassen fokussiert ist. Bezüglich der Lernmethodik sind die Angebote zwischen dem informellen, interaktiven Lernen an Mitmachstationen und dem eher formell, passiven Lernen im Science Dome positioniert. Die Lernenden interagieren zwar eigenständig, aber immer begleitet und damit unter Anleitung. Zudem ist der Lerninhalt durch das Kursthema weitestgehend festgelegt.

Der informelle Lernprozess als Charakteristikum für eine Lernwelt Science Center sind heute mit ihren überwiegend phänomen-basierten Handson-Ausstellungen Lernwelten, in denen das Lernen selbstgesteuert erfolgt. Zu den Wegbereitern dieser Lernmethodik gehört der amerikanische Philosoph und Pädagoge John Dewey (Hein 2012). Von ihm stammt der Begriff informelles Lernen – also freizeitgebundenes Lernen im privaten oder öffentlichen Umfeld. Häufig zitierte Entwicklungsbeschreibungen, die in die Didaktik des informellen Lernens einfließen, stammen vom Schweizer Biologen und Psychologen Jean Piaget. Bleiben Denk-, Handlungs- und Erklärungsmuster mit der Umwelt im Einklang herrscht Gleichgewicht. Ist dies nicht der Fall, werden die neuen Erfahrungen in das vorhandene Erklärungsschema integriert und damit erklärt. Oder es wird versucht, ein neues Schema zu entwickeln. Den ersten Lernvorgang ohne Gleichgewicht bezeichnet Piaget in seiner Äquilibrationstheorie als Assimilation, den zweiten als Akkommodation. Genau dies passiert bei der Beschäftigung mit interaktiven Exponaten in einem Science Center. Staunen, sti-

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mulieren und ein Nachdenken provozieren – diese Irritationen machen ein gutes Exponat aus. Sie führen zur Assimilation oder Akkommodation (Bliss 1996). Das gleiche Exponat, ergonomisch angepasst, kann dabei ganz unterschiedliche Lernerfahrungen entsprechend der jeweiligen kognitiven Entwicklungsstufe ermöglichen. Ein klassisches Science Center-Exponat wie der Bernoulli-Blower zum Beispiel ermöglicht generationenübergreifende, aber altersbezogen unterschiedliche Lernerfahrungen. Grundlegende Beiträge zum informellen Lernprozess in Museen und Science Centern in den letzten 20 Jahren hat der amerikanische Biologe und Lernforscher John H. Falk geliefert. In der angelsächsischen Literatur wird heute zumeist in Formal, Non-Formal und Informal Learning (education) unterschieden (Eshach 2007): Formal education umfasst institutionalisierte Lernorte mit ausgebildeten Lehrkräften, einem Curriculum, Bewertungskriterien und auf dieser Basis mit einem zertifizierten Abschluss. Non-formal education ist ebenfalls mit einem Bildungsanbieter verbunden, der die Vermittlung von Kenntnissen entsprechend der Interessen von Freiwilligen im Kontext mit Arbeit, Familie und Freizeit anbietet. Hierzu können Erwachsenenbildung, Volkshochschulkurse oder auch Fitnessprogramme gehören. Informal Education dagegen deckt sich mit dem Begriff Free-Choice Learning (selbstbestimmtes Lernen). Nach Falk passiert Free-Choice Education immer außerhalb der Schule und umfasst damit auch das, was außerhalb der Schule gelernt wird, zum Beispiel im Museum oder im Science Center. Das Besondere: Lernen entsteht durch die Beteiligung an Aktivitäten, die nicht primär mit einem Lernzweck unternommen werden (Falk 2001). Interaktives Lernen anhand von Hands-on-Exponaten in einem Science Center ist damit ein informeller Lernprozess, der auf einer dialogischen Kommunikation zwischen dem Lernenden und dem Exponat beruht. In erkenntnistheoretischer Hinsicht folgt das Lernen in einem Science Center einem weitgehend konstruktivistischen Ansatz. Wissen wird durch den Lernenden selbst konstruiert. Die Besucherinnen und Besucher setzen sich mit den Lernangeboten selbständig auseinander, erschließen deren Inhalte und entdecken Zusammenhänge. Lernen ist ein durch Interesse motivierter aktiver Prozess. Die Umgebung unterstützt den individuellen Lernprozess. Das Lernen findet auf unterschiedlichen Wegen statt und ist häufig in soziale Interaktion eingebettet. Die Besucherinnen und Besucher lernen gemeinsam. Die Zugänge sind verschieden und abhängig vom Vorwissen und bereits gemachten Erfahrungen. Je mehr die Besucherinnen und Besucher wissen, desto mehr können sie auch in kürzerer Zeit in höherer Komplexität lernen. Falk et al. beschreiben Lernen so: „Learning to be regarded […] as a personally constructed, highly idiosyncratic, life long process of making meaning“

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(Falk et al. 2007, 459). Eine Lehrkraft spielt in diesem Konzept, wenn man es in seiner praktischen Ausprägung über einen langen Zeitraum betrachtet, nur in relativ kurzen Lebensabschnitten eine wichtige Rolle. Informelles Lernen ist wie formelles Lernen auch untrennbar mit Sprache verbunden. Sie ermöglicht die soziale Interaktion, den Diskurs und die Rekapitulation des Gelernten. Lernen gelingt somit umso besser, je mehr Hands-on auch mit einer motivierenden Aufforderung zum Diskurs verknüpft ist. Informelle Lernumgebungen in einem Science Center sind zudem mit zwei ganz wichtigen Lernfaktoren verbunden sind: Spiel und Freude am Tun. Methodisch betrachtet, sind beide Faktoren in der Lernwelt Science Center die Grundvoraussetzung, um die Lernmotivation des Lernenden zu wecken und aufrechtzuerhalten. Neben der Ermöglichung des informellen Lernprozesses ist in Deutschland die Science Center-Didaktik auch mit den Überlegungen des deutschen Künstlers und Philosophen Hugo Kükelhaus verknüpft (Kükelhaus 1971; Kükelhaus/ Lippe 1982). Er regte bereits in den 1960er Jahren die Schaffung von Erfahrungsfeldern zur Entfaltung der Sinne an: Aneignung der Welt durch sinnliche Erfahrung. Kükelhaus setzte dieses didaktische Konzept erstmals 1967, also noch vor der Eröffnung des exploratoriums als erstem Science Center, im Deutschen Pavillon auf der Weltausstellung in Montreal um. Im Science Dome erfolgt das Lernen primär nicht selbst gesteuert. Nur in Hinblick auf das Vermittlungsformat können die Besucherinnen und Besucher wählen: Fulldome-Show und/oder Theater, aber in ganz unterschiedlichen Settings. Durch die Nutzung der Immersion als Vermittlungsmethode (lat. Immergere = das Eintauchen) werden die Besucherinnen und Besucher in eine neue (künstliche) Welt mitgenommen. Der Science Dome bietet mittels spektakulärer Technik und der persönlichen Interaktion der Edutainerinnen und Edutainer mit den Besucherinnen und Besuchern die Möglichkeit, Neugier zu wecken und audiovisuelle Impulse zu geben, die Welt der Wissenschaft und Forschung selbst zu entdecken. Somit ist Immersion kein Selbstzweck. Mit immersiven Werkzeugen gelingt es in einem Fulldome Planetarium wissenschaftliche Inhalte durch das Hervorrufen von Emotionen und Staunen tiefer zu verankern und die Besucherinnen und Besucher zum Nachdenken anzuregen. Besonders hilfreich ist dabei die Fusion der beiden Darstellungsformen Theater und Fulldome Planetarium. Lernen erfolgt hier zwar nicht in dem Maße interaktiv, wie bei einem Hands-on-Exponat, aber die Beteiligung ist auch hier nicht primär einem Lernzweck unterworfen, sondern resultiert aus der Erwartung des immersiven Erlebnisses. Dabei können Inhalte prozesshaft und virtuell im Raum veranschaulicht werden, die weder in den Hands-on-Ausstellungen, noch beim Experimentieren in den Laboren darstellbar sind.

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Der Science Dome ist darüber hinaus geeignet, neue Besuchsgruppen für die experimenta zu generieren. Dabei können das sehr technisch geprägte Image des Science Domes und niedrigschwellige Angebote mit Showcharakter auch die Aufmerksamkeit von Zielgruppen auf sich lenken, die sich vom primär auf Interaktion angelegten Programmangebot eines Science Centers nicht angesprochen fühlen. Die Lernwelt Science Dome bietet ganz bewusst ein Erlebnis und damit eine Erfahrung, die allein schon aus der Anwesenheit des Lernenden entstehen. Diese Niedrigschwelligkeit im Zugang, der auch durch Besuche im Kino und von Unterhaltungsshows „gelernt“ ist, erreicht damit auch Besuchendengruppen, denen eigenständiges Lernen schwerfällt. Die experimenta erprobt derzeit neue Formen des immersiven Storytelling und beteiligt sich damit an der Entwicklung einer höheren Intensität der Immersion. Schülerlabore (Abbildung 5) haben das gleiche Ziel wie interaktive Ausstellungen: Interesse und Verständnis für die MINT-Fächer wecken und fördern, aber im Gegensatz zu den Ausstellungen immer auf der Basis einer stärkeren pädagogischen Betreuung. Nimmt man diese im positiven Sinne stärker belehrende Betreuung als wichtigstes Kriterium, so findet in den Schülerlaboren der experimenta formelles Lernen wie in der Schule statt. Notenmäßige Bewertung, Schulstundenraster und strikte Lehrplangebundenheit fehlen jedoch. Da diese Freiheitsgrade wiederum für informelles Lernen stehen, nehmen die Schülerlabore eine wichtige Brückenfunktion zwischen Forschung, Freizeit, Unternehmen und Schule ein.

Abb. 5: Schülerlabore als Lernumgebungen (Foto: experimenta/Hannah Lipowsky)

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Mit der Lernwelt Schülerlabor schafft die experimenta wiederum auch eine Veränderung des sozialen Umfeldes beim Lernen. Es wird einzeln in der Gruppe oder kooperativ als Gruppe gelernt. Das Wechselspiel zwischen informellem und formellem sowie individuellem und gemeinsamen Lernen ist ein Charakteristikum für diese Lernwelt. Zudem ist sie in dieser Komplexität mit elf verschiedenen Experimentierorten ein Novum für eine außerunterrichtliche Bildungseinrichtung. Ursachen des Erfolges von Schülerlaboren sind ihre Authentizität durch die Nähe zum Forschungsalltag sowohl in der Ausstattung, der Betreuung, der behandelten Themen, der Art des experimentbasierten Lernens und des eigenen Kompetenzerlebens. Die experimenta hat von Beginn an großen Wert auf die Ausarbeitung und Durchführung der Kurse durch eigenes Fachpersonal mit hoher fachlicher und sozialer Kompetenz gelegt. Die Ergebnisse von Studien bestätigen diese Entscheidung (Brandt 2005; Priemer/Roth 2020). Die Beschäftigung mit den Meilensteinen in der Entwicklung sowie mit den didaktischen beziehungsweise lerntheoretischen Konzepten aller drei Lernwelten als informelle Lernorte war eine Voraussetzung für den Aufbau der experimenta. Das Ziel war eine Bildungseinrichtung, die auf innovative Art für motivierenden, interdisziplinär angelegten Wissenserwerb steht.

Die experimenta – eine Bildungseinrichtung für die Wissensgesellschaft im 21. Jahrhundert!? Das Ausrufezeichen in der Überschrift steht für einen Anspruch, das Fragezeichen für das Gelingen. Der Anspruch ist leicht formuliert, für das Gelingen muss gedacht, entwickelt, umgesetzt, reflektiert und kritisch hinterfragt werden. Die experimenta ist im März 2019 in einer Zeit eröffnet worden, die noch nie zuvor in ihren gesellschaftlichen Fragestellungen, globalen Herausforderungen und in ihrer interkulturellen Vernetzung so komplex war. Weltweit wird Bildung als wichtigster Schlüssel zur Bewältigung dieser Komplexität und damit auch als die Voraussetzung für eine menschengerechte Ordnung angesehen. Die 17 Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2015 sollen dabei Richtschnur für das Handeln insbesondere der reichen Industrieländer sein: „There is no Plan(et)B“4.

4 https://sdgs.un.org/goals.

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Lernen und Bildung Die Erkenntnis der besonderen Rolle von Bildung ist natürlich nicht neu. Bereits Konfuzius hat vor rund 2.500 Jahren drei der wichtigsten Prämissen benannt: Bildung ist Voraussetzung für ein Leben in Harmonie mit der Umwelt, Bildung muss für alle zugänglich sein und Bildung sollte einen Nutzen haben (Konfuzius 2017). Die Frage, die sich aber trotzdem immer wieder neu und damit auch im 21. Jahrhundert stellt, ist die nach dem Beitrag der Institutionen, welche sich einem Bildungsauftrag verschrieben haben. Alle Institutionen des informellen Lernens und so auch Science Center wie die experimenta müssen dafür eine Antwort finden. Aber auch an den formellen Bildungsorten weiß heute niemand, ob die für Schulcurricula und Studieninhalte ausgewählten informationsbasierten Inhalte noch eine wesentliche Relevanz für das Leben und Arbeiten in 20 oder 30 Jahren haben werden. Ausgangspunkt für Konzeption, Gestaltung und Betrieb der experimenta war nicht nur, wie anhand von interaktiven Exponaten Interesse an Naturwissenschaft und Technik geweckt und Erfahrungsfelder geschaffen werden können. Es ging auch darum, wie verschiedene Ebenen der Wissensvermittlung und des Wissenserwerbs mit den Vorzügen des selbstgesteuerten Lernens beziehungsweise informellen Lernens verknüpft werden können. Die Fragestellung war also umfassender: Was heißt Lernen und Kompetenzerwerb in der heutigen Gesellschaft und damit in einer informellen Bildungsinstitution? Als Lernen wird der Erwerb von Fertigkeiten und Fähigkeiten auf geistigem, körperlichem, charakterlichem und sozialem Gebiet angesehen. Lernen passiert lebenslang. Das Sammeln von Erfahrungen, Wahrnehmung, aktives Handeln spielen im Lernprozess eine große Rolle. „Sage es mir, und ich vergesse es; zeige es mir und ich erinnere mich, lass es mich tun, und ich behalte es“ ist ein Zitat, was ebenfalls schon Konfuzius zugeschrieben wird. Mit dem Ausspruch „Lernen ist Erfahrung. Alles andere ist einfach nur Information“ soll es Albert Einstein ausgedrückt haben. Damit jemand (besser) lernt, muss seine Aufmerksamkeit erregt werden. Dadurch erfolgt eine Stimulation zusätzlicher Hirnareale (Spitzer 2007). Dies passiert zum Beispiel auch bei einer Beschäftigung mit einem interaktiven Exponat. Eigenes Handeln – was ein komplexer Vorgang sein kann – wird mit dem Beobachten, was das Handeln auslöst, verknüpft. Diese Aufmerksamkeit wird nicht erreicht, wenn Dritte die Beobachtung für andere zum Lesen niederschreiben.

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Interaktives selbstgesteuertes Lernen in den Ausstellungen und Studios, forschendes begleitetes Lernen in den Schülerlaboren, der Experimentierküche, im Schülerforschungszentrum (SFZ) und der Sternwarte sowie audio-visuelles, häufig mit Immersion verknüpftes Lernen im Science Dome und Experimentaltheater, bilden die Erfahrungs- und damit die Lern- und Motivationsebenen in der experimenta ab. Sie werden ergänzt durch Orte wie das Forum für Wissenschaftskommunikation und Dialog und den Makerspace für kreatives Machen. Die Begrifflichkeiten interaktives, forschendes, audiovisuelles Lernen beschreiben aus didaktischer Sicht nur fragmentarisch und sehr vereinfachend Lernen. Sie charakterisieren jedoch die Differenziertheit und Komplexität des Angebots in der experimenta. Die Architektur der experimenta unterstützt zudem in überzeugender Weise durch adäquate Raumideen die Wissensaneignung und damit eine Nutzung dieser Lernebenen durch die Besucherinnen und Besucher auf kognitiver, emotionaler und aktionaler Basis. Grundlage dafür war ein ausführliches Briefing der experimenta im Architektenwettbewerb. Hinzu kam eine mehrjährige konstruktive Auseinandersetzung während des Bauprozesses über Raum, Form, Funktionalität, Gestaltung und Konzeption eines Science Centers mit dem Berliner Architektenbüro Sauerbruch & Hutton. Wenn wir die experimenta als zukunftsfähige informelle Bildungseinrichtung verstehen, so ist dies – wie eingangs erwähnt – eine Zielvorstellung. Sie muss durch ein theoretisches Fundament für den Wissenserwerb, dessen Umsetzung über Angebote und durch das praktische Handeln aller Beteiligten in der Institution selbst belegt werden. Die Beantwortung einer weiteren, noch umfassenderen Frage ist damit untrennbar verbunden: Was bedeutet Bildung in der Zukunft und welche Art von Wissen werden Menschen im 21. Jahrhundert benötigen? Bildung ist unstrittig der Erwerb von Kompetenzen und von Persönlichkeit. Ehlers bezeichnet Bildung als Weltaneignung (Ehlers 2020). Nach Whitehead hat Bildung immer etwas mit Verstehen und mit Wissen nutzbar zu machen zu tun (Lesch/Forstner 2020). Intelligenz, Motivation, Lernumgebung, Förderung und das soziale Umfeld beeinflussen den Erwerb. Welche Kompetenzen werden wir in der Zukunft benötigen? Welche Persönlichkeitsmerkmale helfen uns besonders, den Herausforderungen gerecht zu werden? In der Frage impliziert ist bereits eine Antwort: beides wird sich aus heutiger Sicht verändern. Die Grundkompetenzen wie Lesen, Schreiben, Rechnen werden Bestand haben – allen Überlegungen der digitalen Anbieter zum Trotz. Sie sind menschliche Kulturgüter und haben nach dem aufrechten Gang, dem Gebrauch der Hände, der Herausbildung des Bewusstseins und der Sprache den Menschen erst zu dem gemacht, was er heute ist: zum Homo habilis und zum Homo faber. Vielleicht verhält es sich aber bei diesen Kompetenzen ähnlich manch technologischer

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Entwicklung: Neue Erfindungen haben Bestehendes zwar in ihrer ursprünglich herausragenden Bedeutung verringert, aber nicht ersetzt.

Neue Bildungsziele Das Argument, junge Menschen für naturwissenschaftlich-technische Berufe zu begeistern, war 2006 ein sehr wichtiges für die Zustimmung der Heilbronner Öffentlichkeit zum Bau der ersten experimenta. Die Zahlen aus dem MINT-HerbstReport 2019 des Institutes der Deutschen Wirtschaft, wonach circa 260.000 MINT-Fachkräfte in Deutschland fehlen, sind immer noch dramatisch genug, um auch heute noch die Richtigkeit dieser Entscheidung für ein Science Center zu begründen (IW 2019). Aber die Erhöhung der Anzahl von MINT-Fachkräften und damit die Betrachtung von Bildung allein unter dem Gesichtspunkt des Nutzens kann nicht einziger Bildungszweck eines neuen Science Centers sein. Der Erwerb von digitaler Kompetenz, Filterkompetenz, Medienkompetenz sowie Problemlösungskompetenz gepaart mit Ambiguitätstoleranz, sozio-emotionaler Kompetenz sowie das Denken in Prozessen sind heute teilweise neue, auf andere Art lernbasierte Kompetenzen. Zieht man noch die nach dem 4K-Modell des Lernens benötigten „applied skills“ wie Kommunikation, Kreativität, Kollaboration und kritisches Denken hinzu, so zeichnet sich ein Bildungsziel ab, was so vor 20 Jahren noch nicht existierte. Andreas Schleicher, Direktor für Bildung bei der OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development) beschreibt dieses Lernmodell so: Rather than just learning to read, 21st century literacy is about reading to learn and developing the capacity and motivation to identify, understand, interpret, create and communicate knowledge. (Schleicher o. J.)

Das 4K-Modell ist mittlerweile im angloamerikanischen Sprachraum sehr populär, zwar nicht unumstritten, bezeichnet aber auch wesentliche Grundlagen des selbstgesteuerten Lernens. Es geht zurück auf eine 2002 gegründete amerikanische Non-Profit Organisation Partnership for 21st Century Learning. Ihr gehörten auch Vertreterinnen und Vertreter aller großen Digitalkonzerne an. Sie stellten nach der Jahrtausendwende die Frage, welche Bildungskompetenzen im 21. Jahrhundert notwendig sind. Ein Vertreter der Digitalkonzerne, Scott Hartley, beschreibt dies in der Bewerbung seines Buches „The Fuzzy and the Techie“ so: Learning to code is not enough. The soft skills – curiosity, communication, and collaboration, along with an understanding of psychology and society’s gravest problems – are central to why technology has value. (Hartley 2017)

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Die experimenta versucht, diese Bildungsziele zu reflektieren, kritisch zu hinterfragen und sie mit ihrem didaktischen Ansatz der Beförderung von intrinsischer Motivation zum Lernen und des selbstgesteuerten Kompetenzerwerbs zu verknüpfen. Ein weiterer Aspekt, der die Konzeption der experimenta über den MINT-Bereich hinaus erweitert, ist die Kunst. Die englische Entsprechung für MINT lautet STEM (Science, Technology, Engineering, Mathematics). Zunehmend wird heute auch STEAM gebraucht, wobei das „A“ für Arts steht. Der Begriff „STEAM education“ ist Georgette Yakman zu verdanken, die diese Verknüpfung ab 2008 popularisierte (Yakman 2008; Yakman/Lee 2012). Die Integration der Kunst in einen naturwissenschaftlich-technischen Kontext geht aber bereits auf Oppenheimer (1980) zurück: Art is included, not just to make things pretty, although it often does so, but primarily because artists make different kinds of discoveries about nature than to physicists or biologists […] The art in the Exploratorium is therefore blended with the science as a part of the overall pedagogy. (Oppenheimer 1980, 4–5)

Kunst eröffnet durch das nicht an Disziplinen, Algorithmen und Muster gebundene Denken, durch das provokant überraschende Kalkül neue und ungewohnte Sichtweisen. Kunst kann ein ethisch geprägtes Urteil, das Entscheiden mit interkultureller, sozio-emotionaler Kompetenz befördern helfen. Zusammen mit dem prozessualen interdisziplinären Denken in den modernen Naturwissenschaften und der kreativen Lösungsorientiertheit in den technischen Disziplinen sind dies Kompetenzen, die auch auf lange Sicht der menschlichen Intelligenz vorbehalten sein werden. Daraus abgeleitete Bildungskompetenzen gilt es auch in einem Science Center zu stärken und zu entwickeln. Dies betrifft insbesondere junge Menschen. Die experimenta versucht mit neuen Formaten dieser Verknüpfung Rechnung zu tragen. Ein Beispiel ist das erstmals 2019 ins Leben gerufene und alle zwei Jahre stattfindende Science & Theatre Festival. Wer typisch menschliche Kompetenzen im Kontext der Veränderung der Bildungslandschaft thematisiert, kommt nicht umhin, auch die künstliche Intelligenz zu betrachten. Kein Thema bestimmt mehr die Diskussion, wenn es um die Zukunft des Menschen als selbstbestimmtes Wesen geht. Nach allem, was wir bereits jetzt über die 1956 durch den amerikanischen Informatiker John McCarthy (1927–2011) als Begriff eingeführte Artificial intelligence wissen, wird sie dem Menschen in allen auf Algorithmen basierenden Prozessen zukünftig überlegen sein (Tegmark 2019). Dies kann ein großer Fortschritt sein, weil sie den Menschen zum Beispiel von monotonen Tätigkeiten befreit, effizienter und fehlerfreier viele Prozesse in nahezu allen Branchen erledigt. Voraussetzung dieser

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Anwendung von Machine Learning, der Intelligenz auf einem bestimmten Gebiet, wäre ihre globale Nutzung zum Vorteil aller. Es gibt aber noch eine andere, wesentlich spannendere Frage: Kann (soll) künstliche Intelligenz Erfahrungen sammeln und dadurch selbst lernen sowie das Erlernte weitergeben können? Richard David Precht (2020) beschreibt die „emotionale Sensitivität“ als wichtiges menschliches Merkmal. Nur das menschliche Denken erzeugt die uns umgebende Welt. Ihr Bild ist damit auch immer subjektiv, wie auch die moralischen Prinzipien zu ihrer Beurteilung. Werte sind nicht programmierbar. Künstliche Intelligenz hat (noch) kein Bewusstsein, keine Zielausrichtung, keine Gefühle, keine Moral. Unsere Welt voller Emotionen ist nicht über künstliche Intelligenz in Algorithmen zerleg- und damit objektivierbar. Zwei Technologien stehen mit den hier betrachteten zwei Intelligenzen in einem engen Zusammenhang. Sie werden die Welt mehr verändern als alle industriellen Revolutionen zuvor: Informationstechnologie und Biotechnologie. Harari (2020) und Tegmark (2019) beschreiben eindrucksvoll aus unterschiedlichen Perspektiven diese Zukunft. Die experimenta hat mit dem Forum einen Ort geschaffen, an dem Besucherinnen und Besucher zu solchen Themen ins Gespräch kommen sollen. Dieser Dialog ist ebenso ein Bildungsziel der experimenta. Aus den vorangegangenen Kapiteln ergibt sich eine Positionierung der experimenta für die Zukunft. Sie ist als informelle Bildungseinrichtung ein Ort: – für außerunterrichtliches Lernen und Forschen, – für Freizeitbildung und Bildungstourismus, – für Aus-, Fort- und Weiterbildung, – für Lehr- und Lernforschungsprojekte, – für innovative, interdisziplinäre Veranstaltungsformate und – für Dialog und interdisziplinären Austausch. Durch die drei Vermittlungsebenen interaktiv, forschend, audio-visuell wird ein intrinsisch motivierter Wissenserwerb befördert. Lernwelten wie die experimenta sind zentrale Elemente der heutigen Wissensgesellschaft, da in ihnen Wissen informell und allein eigenmotiviert vermittelt wird. Hier wird die Wissensgesellschaft tatsächlich gelebt. Umso besser es gelingt, das formelle Lernen mit dem informellen erlebnisorientierten Lernen zu verknüpfen und sie als Einheit eines modernen Bildungssystems zu sehen, umso besser erwächst aus dieser Verbindung schon jetzt ein positives Verhalten der davon Betroffenen. Die Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts verlangt vor allem Innovation beim Lernen und Lehren.

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Interaktion und Erlebnis mit allen Sinnen



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 Teil IV: Perspektiven

Richard Stang und Torben Giese

Perspektivenwechsel gestalten Zukünftige Kontextualisierung von Museen

Einleitung Museen entwickeln sich seit ihrer Entstehung, verändern ihre Funktionen, ihre Arten der Vermittlung und auch ihr Selbstverständnis. Seit den 1970er Jahren hat sich der Umgang mit den musealen Objekten verändert und die Bildungsfunktion der Museen rückte zunehmend in den Blick (Rückert 2021). Viele Museen unterschiedlicher Ausrichtung verstehen sich als Lernwelten und rücken die Bildungsfunktion der Museen immer mehr in den Fokus ihrer Arbeit (Giese/ Stang 2021). Vor allem das Medium Ausstellung entwickelt sich zur Lernwelt, deren Inhalte, Angebote und Gestaltung sich zunehmend an den Bedürfnissen der Besucherinnen und Besucher orientiert und ihnen Lernoptionen offeriert. Viele Museen beschäftigen sich aktuell mit Fragen nach Lerninhalten, Lernangeboten, Lernräumen, dem Dualismus von formellem Lernen und informellem Lernen und dem Verhältnis des Museums zur Lebenswelt der Besucherinnen und Besucher. So erhält der Begriff der Lernwelt eine besondere Relevanz, unter dem viele der aktuellen Entwicklungen in der Museumswelt systematisiert werden können. Die deutschen Museen scheinen mitten in dem Prozess zu stecken, sich von der Objektwelt zur Lernwelt zu entwickeln. Gleichwohl muss sich vor diesem Hintergrund jedes Museum selbst positionieren. Auch an dieser Stelle ist deshalb nochmals zu betonen, dass jedes Museum durch seine Sammlung sowie seine gesellschaftliche Position wie Funktion einzigartig ist und dass es von dem her zwar jede Menge Gemeinsamkeiten, aber auch ebenso viele Unterschiede gibt. Es mag sicherlich Entwicklungen geben, die vielen Museen gemeinsam sind, aber niemals für alle Häuser und Institutionen gelten. Die Bandbreite des museal Möglichen bleibt immer groß und muss dies auch bleiben, denn zwischen dem Louvre in Paris und dem Heimatmuseum in Stuttgart-Plieningen liegen museale Welten.

https://doi.org/10.1515/9783110703054-019

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Museen als Vierte Orte Doch zurück zum Veränderungsprozess der deutschen Museen von Objektwelten zu Lernwelten, den es vor allem als Chance und mögliche Perspektive der Museen zu verstehen gilt und weniger als Notwendigkeit. Oftmals ist vom Zwang der Veränderung für Museen die Rede, die den gesellschaftlichen Entwicklungen hinterherliefen; von Museen, die den gesellschaftlichen Anschluss verpasst haben und nun wieder zurückfinden müssen. Es wird das Bild skizziert, in dem die Museen sich an die gesellschaftlichen Trends anpassen müssen, um erfolgreich sein zu können. Doch stellt sich die Frage, ob nicht Museen auch gerade einen Kontrapunkt im Diskurs über die gesellschaftliche Entwicklung setzen müssten. Das bedeutet nicht, dass sie Trends nicht aufgreifen, sondern diese diskursiv mit den Mitteln ihrer jeweiligen Expertise kritisch reflektieren sollten. Der Begriff der Lernwelt überwindet zwar nicht die Differenz von Lebenswelt und Museumswelt – denn eine solche besteht tatsächlich – jedoch werden Museen diesem Verständnis nach zu relativ freien, gesellschaftlichen Akteuren, die weniger passiv der Gesellschaft hinterherlaufen, als vielmehr diese aktiv mitgestalten. Dies liegt auch daran, dass in Museen als Lernwelten das Objekt zwar weiterhin eine zentrale Rolle spielt, jedoch ebenso Lerninhalte und Lernformen fernab des authentischen Relikts zentral werden. Vor allem die Lernumgebung als Lernraum, das informelle Lernen und Lerninhalte fernab des Bildungskanons geraten in den Blick der Museen als Lernwelten, die sich damit auch eines neuen Instrumentariums bedienen können. Es entstehen neue museale Werkzeuge, mit denen nicht zwanghaft das Objekt in die Gegenwart geholt werden muss, sondern mit denen aktiv Gesellschaft mitgestaltet werden kann. So wird das Museum im doppelten Sinne zur Lernwelt. Zum einen eröffnet es den Besucherinnen und Besuchern neue Perspektiven zur Reflexion ihrer eigenen Lebenswelt, zum anderen wird die veränderte Positionierung zur Lernwelt für das Museum und ihren Akteurinnen und Akteure selbst. Diesen Prozess der Selbstverständnisklärung gilt es produktiv für die Weiterentwicklung der Museen zu nutzen. Die neuen Instrumente der Museumsarbeit können nun auch – zumindest theoretisch – Teil der Lebenswelt der Lernenden werden, ohne dabei das Museum selbst ad absurdum zu führen. Es wird partiell – sei es räumlich, zeitlich oder auch strukturell beschränkt – möglich, die Lernwelt Museum mit der Lebenswelt der Lernenden zu verschmelzen. Dafür ist die aktuell viel zitierte Theorie des gesellschaftlich Dritten Ortes zentral (Oldenburg 1989), der die Museen und verwandte Räume aber lediglich zum Freizeitraum für Kommunikation,

Perspektivenwechsel gestalten



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Spaß und Wohlfühlen definiert. Museen als Lernwelten werden aber zu Orten, an denen die Besuchenden zu Lernenden werden und letztere sich kommunikativ, informell und gegebenenfalls auch mit jeder Menge Spaß bilden – zu Vierten Orten. Aus dieser Perspektive wird der Begriff der Lernwelt zu einer zu Ende gedachten Fortsetzung und Kombination von Museen als gesellschaftlichem Vierten Ort und Bildungseinrichtung. Doch welche Chancen liegen nun in diesem Verständnis der Museen als Lernwelten für jedes einzelne Museum? Warum lohnt es sich für dies oder jenes Museum, sich stärker oder neu als Lernwelt zu definieren und auszurichten. Ganz zuvorderst verspricht eine solche Neupositionierung vor allem eine Steigerung der Besuchszahlen, auch wenn über die zu erhoffenden Steigerungsrate nur wenig Konkretes gesagt werden kann. Lernwelten als gesellschaftlich Vierte Orte mit Bildungsanspruch werden als Teil der Lebenswelt der Lernenden im besten Falle ganz automatisch besucht und genutzt. Menschen kommen ins Museum, um eine gute Zeit zu haben, sich wohl zu fühlen, mit anderen zu kommunizieren und sich schlussendlich – der eine mehr oder der andere weniger – zu bilden. An dieser Stelle wird nun oft fast schon rhetorisch gefragt, ob denn nun Cafébesucherinnen und -besucher tatsächlich auch in der Dauerausstellung oder Sammlung gewesen sind, denn nur dann seien es ja „tatsächliche“ Museumsbesucherinnen und -besucher. Immer wieder wird ein Unterschied zwischen den „wahren“ Besucherinnen und Besuchern in den Ausstellungen und den „falschen“ Besuchenden an der Museumsbar, in der öffentlichen Toilette des Museums, im Außenbereich des Hauses etc. gemacht, der letztlich aber in die Irre führt. Zwar trifft es zu, dass sich diejenigen, die das Schließfachsystems eines Museums für die Zwischenlagerung ihrer Markteinkäufe nutzen, sich in diesem Moment nur bedingt bilden möchten, doch könnte ja auch schon dieser öffentliche Teil des Museums als Lernwelt gestaltet werden. Doch nicht die Steigerung der Besuchszahlen ist die zentrale Perspektive, warum Museen auch konzeptionell zu Lernwelten – sie sind es auch ohne Konzept immer – transformiert werden sollten, sondern deren Relevanz, als Diskursorte für gesellschaftliche Reflexion zur Verfügung zu stehen. Dabei spielen nicht nur historische Dimensionen eine Rolle, sondern eben auch kulturelle, soziale oder ästhetische. Doch diesen Diskursraum als Lernwelt zu gestalten ist alles andere als trivial und erfordert auch von den Museen und ihrem Personal Perspektivenwechsel.

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Neue gesellschaftliche Perspektiven auf die Lernwelt Museum In jedem Falle dürfte aber unbestritten sein, dass in der Lernwelt Museum, die sich zugleich als gesellschaftlich Vierter Ort aufstellt, die Möglichkeit für viele Museen steckt, ein Mehr an Besuchenden beziehungsweise Lernenden zu erreichen. Doch damit nicht genug, denn steckt in einer etwaigen Neupositionierung als Lernwelt zugleich die Chance für die Museen, ihre gesellschaftliche Position zu verändern. Auch dies sollte für jedes Museum interessant sein und nicht nur für diejenigen Häuser, die sich über einen Mangel an gesellschaftlicher Legitimation beklagen. Von einer Neuausrichtung als Lernwelt, die gesellschaftliche Diskurse nicht nur zulässt, sondern auf besondere Weise – nämlich mit der Kompetenz von Museen – fördert, können alle profitieren. Doch vor allem Museen, die im Wettbewerb um kulturelle Ressourcen – sei es Personal, finanzielle und räumliche Ausstattung oder sonstige Anerkennung – nach eigenem Ermessen zu schwach abschneiden, können ihre Position in diesem Wettbewerb als Lernwelt entscheidend verändern. Durch die Verschiebung der gesellschaftlichen Position des Museums aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft hinein in die Lebenswelt der Gesellschaft entsteht zwangsläufig eine neue gesellschaftliche Relevanz. Damit ist keineswegs ein Mehr an solcher Relevanz gemeint, sondern vielmehr eine veränderte Wahrnehmung derselben. Wenn noch im Elfenbeinturm der Wissenschaft die Zielgruppe relativ weniger Expertinnen und Experten dem betreffenden Museum ein vergleichsweise hohes Maß an gesellschaftlicher Relevanz zugesprochen haben, ist es in der Lernwelt Museum dann vielleicht gerade umgekehrt. Eine solche breiter verankerte Relevanz der Lernwelt Museum hat dann wiederum auch Auswirkung auf die Wahrnehmung des Museums durch Entscheiderinnen und Entscheider sowie die breite Öffentlichkeit. Selbstverständlich ist diese Wahrnehmung als Lernwelt Museum von jener als Forschungseinrichtung zu unterscheiden, wobei sicherlich jedes Museum ein bisschen etwas von beidem hat. Es geht letztlich um das Verhältnis der beiden Gegensatzpole – Lernwelt und Forschungseinrichtung – zueinander, wobei sich die Pole vielleicht auch gar nicht ausschließen müssen. Vielmehr erfüllen sie ihre gesellschaftliche Funktion in vollem Maße erst, wenn sie beides miteinander vereinen. In jedem Falle wird aber ein Museum als öffentliche Lernwelt stärker als Bildungseinrichtung wahrgenommen und dieses rezipierte Bild bietet wiederum Chancen für das jeweilige Museum. Die zuvor diagnostizierte gesellschaftliche Relevanz konkretisiert sich letztlich in der Wahrnehmung als Bildungseinrichtung, womit sich zugleich eine

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klare, für jedermann ersichtliche gesellschaftliche Funktion ergibt. Dabei gilt sicherlich, dass je größer die anvisierte Zielgruppe der Lernwelt Museum ist, desto größer sind zugleich auch die der Lernwelt zugesprochenen gesellschaftlichen Funktionen als Bildungseinrichtung. Inwieweit dem zwangsläufig eine „NichtWahrnehmung“ des Museums als Forschungseinrichtung und Objektwelt gegenübersteht, ist sicherlich zu diskutieren. In keinem Falle ist es aber zielführend – wie doch des Öfteren zu beobachten ist – von vornherein davon auszugehen, dass eine stärkere Ausrichtung eines Museums als Lernwelt zugleich zu Lasten der Forschungsfunktion geht. Dahinter scheint viel mehr die Angst vor allzu großer Veränderung und weniger eine empirische Beweisführung zu stecken, denn die doppelte Ausrichtung als Bildungs- und Forschungseinrichtung gelingt einer Vielzahl von Museen – an dieser Stelle sei nur einmal an das Frankfurter Städel erinnern – eindrucksvoll. In jedem Falle können wiederum für diejenigen Museen, die ohnehin nicht als große Forschungseinrichtungen und Objektwelten überregionales Renommee genießen, die Transformation zur Lernwelt letztlich nur zur stärkeren gesellschaftlichen Relevanz führen, da sie sich ja ohnehin nicht ausreichend auf die eigene Forschungstätigkeit stützen können. Das Konzept der Lernwelt bietet letztlich für alle solchen Museen Chancen und Perspektiven, die ihre gesellschaftliche Position im Elfenbeinturm der Wissenschaft oder dem der eigenen Musealität verlassen wollen – sei es um ein Mehr an Besucherinnen und Besuchern zu erreichen, eine größere gesellschaftliche Relevanz zu erzielen oder nach einer stärkeren gesellschaftlichen Legitimation streben. Es ist für all diejenigen Museen von Bedeutung, die ihre vermeintlich sichere Position als einzigartige Einrichtung eigener Art und als Ort des Anderen aufgeben und sich auf den Weg in Richtung Mitte der Gesellschaft begeben wollen. Es bietet all denjenigen Museen ein Konzept, auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft sich nicht in der Bedeutungslosigkeit beziehungsweise seine Einzigartigkeit zu verlieren, sondern sich über die Bildungsfunktion als Lernwelt Museum neu zu definieren.

Die Lernwelt Museum in der Wissensgesellschaft Diese Neuausrichtung als Lernwelt greift zugleich auch über die Museumswelt hinaus und verortet das Museum folgerichtig als Teil einer Wissensgesellschaft (Hansch 2021) – oder vielleicht besser: Bildungsgesellschaft (Stang 2016, 63). Die Lernwelt Museum hat demnach so wie andere Lernwelten auch ihren Platz in just dieser Bildungsgesellschaft, die umgekehrt von der Andersartigkeit der

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Lernorte charakterisiert wird. Die gilt vor allem für die Orte informellen Lernens, zu denen neben Bibliotheken, Zoos, botanischen Gärten und Naturparks neben vielen anderen auch Museen zählen. Gerade das informelle Lernen in diesen Lernwelten ist sehr viel breiter und vielfältiger aufgestellt als das formelle Lernen in Lernwelten wie Vorschule, Schule, Ausbildung, Studium. Informell gelernt wird also in einer Vielzahl unterschiedlicher Orte und diese Lernwelten werden durch und in der Bildungsgesellschaft miteinander verknüpft. In dieser Wissensgesellschaft wird darüber hinaus nicht nur vielfältig, sondern auch lebenslang gelernt, so dass sich der Lernwelt Museum auch von daher neue Zielgruppen erschließen. „Die Verschiedenheit der Lernorte wird zu einem Markenzeichen der modernen Wissensgesellschaft“ (Hansch 2021, 228) und das Lebenslange Lernen zum Auftrag für die Lernwelten der Bildungsgesellschaft. Alle Bildungseinrichtung arbeiten also als Lernwelten an ein und demselben Ziel, das Lebenslangen Lernen in einer modernen Bildungsgesellschaft zu fördern und damit der Bevölkerung Optionen des individuellen Zugangs zu Wissen zu eröffnen. Die gemeinsame Ausrichtung an einem gesellschaftlichen Ziel eröffnet die Perspektive, die Spannung zwischen Abgrenzung und Zusammenarbeit zwischen Schulen, Universitäten, Bibliotheken etc. und Museen auf neue Art zu lösen. Der Begriff der Lernwelt lenkt den Blick, auf das Verbindende zwischen den einzelnen Institutionen – auf den gemeinsamen Willen, Lebenslanges Lernen zu ermöglichen. Dieser gemeinsame Wille schafft Verknüpfungen zwischen den unterschiedlichen Lernwelten, ohne dabei die Stärke der Andersartigkeit der Institutionen zu nehmen. Schule und Museum sollten nicht als Gegensatz begriffen werden, sondern als sich ergänzende Lernwelten, die gemeinsame Bildungsziele definieren könnten und sollten (Peltzer 2021). Auch bezogen auf die Erwachsenenbildung ergeben sich hier vielfältige Optionen (Lewalter et al. 2021). Dabei könnten und sollten die jeweiligen Stärken der Lernwelt gemeinsam zur Geltung gebracht werden, um zusammen Lernen zu ermöglichen, Lernziele zu erreichen und neue Formen des Lernens zu erproben. Das Konzept der Bildungsgesellschaft ist dabei erst einmal insoweit offen gestaltet, dass es den gemeinsam arbeitenden Lernwelten selbst obliegt, Lerninhalte- und Lernziele zu definieren, und genau diese Freiheit gilt es letztlich für kooperierende Lernwelten zu nutzen. Letztlich müssen gemeinsame Schnittstellen zwischen den Lernwelten – seien es gemeinsame Lerninhalte, ähnliche Formen des Lernens oder identische Lernziele – erst einmal gesucht werden, um sie dann gemeinsam finden und gestalten zu können. Damit ist vielleicht der konkrete Weg für die Museen zu einer neuen Zusammenarbeit mit anderen Lernwelten noch nicht vorgezeichnet, doch das Konzept der Lernwelt schafft neue Rahmenbedingungen, die eine strukturelle Zusammenarbeit langfristig ermöglichen. Aus dem Nebeneinander, in dem jeder nur den eigenen Vorteil sucht, wird ein Mit-

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einander, das die gesellschaftlichen Bedarfe in den Mittelpunkt und damit die Relevanz von Eigeninteressen in den Hintergrund rückt. Das gemeinsame Streben nach einem übergeordneten Ziel verknüpft die unterschiedlichen Lernwelten strukturell.

Kooperation in einem atmenden Bildungssystem Wenn in Anbetracht der gesellschaftlichen Wandlungsprozesse Lebenslanges Lernen zum Modus der gesellschaftlichen Integration wird, dann bedarf es der Gestaltung eines Optionsraum Lebenslanges Lernens, den Lernende je nach ihren Bedarfen nutzen können. Dieser individuell nutzbare Optionsraum kann allerdings nur im Rahmen eines atmenden Bildungssystems entstehen, das sich an der Gestaltung der individuellen Bildungsbiographie der Lernenden orientiert (Stang 2016, 188–204). Ein solches atmende Bildungssystem erfordert Wandlungsprozesse in vielen Bereichen, wie Angebotsentwicklung, Lernraumentwicklung, Organisationsentwicklung, Kooperationsentwicklung sowie Stadt-/Regionalentwicklung. Doch wenn Bevölkerung und damit potenziell die Lernenden ins Zentrum gestellt werden, rücken institutionelle Interessen automatisch in den Hintergrund. Allerdings bedeutet dies nicht, dass die Institutionen keine Rolle mehr spielen, sondern dass diese ihre Rolle im Bildungssystem im Netzwerk der Institutionen neu justieren müssen. Kooperation spielt in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle. Für Museen stellt sich dann die Frage, wie sie ihre spezifische Kompetenz in eine Bildungslandschaft einbringen können, die von unterschiedlichen Bildungsund Kultureinrichtungen formiert wird. Elementarbereich, Schulen, Hochschulen, Erwachsenenbildung, Bibliotheken, Theater etc. sind Akteurinnen und Akteure, die neben Museen diese Bildungslandschaft prägen. Um deren jeweiligen Potenziale zur Entfaltung zu bringen, bedarf es neuer Kooperationsstrukturen, die sich eben nicht mehr nur auf gemeinsame Aktivitäten wie Veranstaltungen beziehen, sondern die Gestaltung des Optionsraums Lebenslanges Lernen in den Fokus rücken – sei es auf kommunaler, regionaler, nationaler oder internationaler Ebene. Aus dem Perspektivenwechsel können sich neue Optionen in Bezug auf Angebote, Zielgruppen etc. ergeben, die Synergieeffekte generieren, deren Ergebnis idealerweise eine tendenzielle Schließung der Bildungsschere in der Bevölkerung ist. Dies umfassende Aufgabe erfordert ein atmendes Bildungssystem, in dem atmende Organisationen und Institutionen agieren, die sich permanent erneuern, sich an ändernde Rahmenbedingungen und gesellschaftliche Wand-

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lungsprozesse anpassen und neue Wege gemeinsam mit den Kooperationspartnerinnen und -partnern gehen. Aus verschiedenen Lernwelten wird eine Lernwelt, in der die Lernenden dorthin „reisen“ können, wo sie sich die beste Befriedigung ihrer Bedürfnisse erwarten, doch auf dem Weg dorthin mit vielfältigen Optionen konfrontiert werden, die ihnen neue Optionen eröffnen. Insgesamt geht es um neue Narrative der Kooperation, die allerdings nicht institutionell erzählt werden können, sondern von den Akteurinnen und Akteuren selbst. Kooperation lebt von den Menschen, die sie gestalten. Deshalb ist die Etablierung neuer Kooperationskonzepte nur bedingt gesellschaftlich zu gestalten, wenn die Menschen, die sie umsetzen sollen, diese nicht leben (wollen). Die Umsetzung eines atmenden Bildungssystems, in dem auch die Museen eine wichtige Rolle spielen, hängt also von den zentralen Akteurinnen und Akteuren ab, die letztendlich Eigeninteressen hinter Interessen der Gesellschaft zurücktreten lassen müssen. Dieser Verantwortung gerecht zu werden, setzt ein immenses Selbstbewusstsein voraus.

Verortung als Rahmung Um Lernwelten umsetzen zu können, bedarf es auch räumlicher Strukturierungen, die es Lernenden ermöglichen, niedrigschwellig Wissen zu generieren. Viele Museen haben allerdings hohe Schwellen – zumindest für Besucherinnen und Besucher, die kulturell nicht in der Museumswelt zuhause sind. Für die Zukunft der Gestaltung der Lernwelt Museum gilt es hier, Raumkonzepte zu entwickeln, die sich Besucherinnen und Besuchern gegenüber öffnen. Dies gilt nicht nur für die Gebäudearchitektur, sondern auch für die Möblierung und Ausstattung. Die zukünftige Formierung von Museen als Lernwelten zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie neben Ausstellungsbereichen – die ebenfalls zum Lernen anregen – Lernmöglichkeiten sowohl für das individuelle Lernen als auch das Lernen in Gruppen zur Verfügung stellen. Ideal wäre es, wenn die Lernenden die räumliche Infrastruktur flexibel im Rahmen der Öffnungszeiten nutzen könnten. Museen könnten damit der Bedeutung der körperlichen Verortung und der sozialen Verankerung gerecht werden. Entwicklungen wie neue infrastrukturelle Raumszenarien wie Makerspaces, in denen gemeinsam mit anderen gelernt und gearbeitet werden kann (Heinzel et al. 2020), entsprechen diesem verstärkten Bedürfnis nach sozialer und physischer Verortung. Auch hier ergeben sich Optionen für Museen, wenn sie Kreativ- und Innovationsräume zur Verfügung stellen.

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Als Herausforderung stellt sich die Beantwortung der Frage, wie eine solche räumliche Gestaltung aussehen sollte? Bislang gibt es hier im Museumskontext keinen grundlegenden Diskurs. Dieser steht aus und sollte in den nächsten Jahren geführt werden. Ein konzeptionelles Grundverständnis, was einen Museumsraum zum Lernraum macht und wie dieser gestaltet sein sollte, ist eine Voraussetzung dafür, Museen als Lernwelten zu gestalten.

Lernwelten „sinnvoll“ gestalten In der Ausweitung des musealen Raums auf den öffentlichen Raum des Museums ergeben sich vielfältige Möglichkeiten, Teil der Lebenswelt der Besuchenden zu werden und sie zugleich zu Lernenden werden zu lassen. Also solche sind sie denn auch selbstverständlich Museumsbesucherinnen und -besucher – ob sie nun jemals die Dauerausstellung besuchen oder auch nicht. Just aus diesem Grund lohnt es sich strukturell ebenfalls – wenn möglich – die eigene Museumswelt auf den Außenraum zu erweitern, um jegliche Schwelle auch nur ein Museumsgebäude betreten zu müssen, ad acta legen zu können. Das Museum und seine Lernangebote kommen zu den Lernenden und nicht mehr umgekehrt. Auf diese Weise zu Ende gedacht, lässt die Lernwelt Museum gegebenenfalls die Stimmen laut werden, die vom Ausverkauf des Museums hin zum Kommerz und zum Populismus sprechen. Und tatsächlich ist das, wenn auch nur schwer zu messende, Verhältnis zwischen Unterhaltung und Bildung bei einem Musikfestival im Museumsgarten ein anderes als bei der Expertinnen- oder Expertenführung in der Dauerausstellung. Doch kommt es letztlich auf die Museumsmacherinnen und -macher sowie deren Bereitschaft an, neue Wege der Lernangebote im Museum zu gehen. Dabei ist es von besonderer Relevanz, eine neue Balance zwischen Lebens- und Lernwelt, Lernen und Wohlfühlen, Bilden und Unterhalten für das jeweilige Museum zu finden. Natürlich können sich die unterschiedlichen Räume eines Museums – vom Außenbereich, über das Café bis hin zur Schatzkammer eines Hauses – durchaus in ihrer Bildungsfunktion unterscheiden. Während im Museumsgarten vielleicht wenig gelernt und viel genossen werden soll, spielt der Aspekt der Bildung in der Schatzkammer zwangsläufig eine viel stärkere Rolle. Entscheidend ist es vielleicht, die unterschiedlichen Räume eines Museums mit dem Begriff der Lernwelt neu zu verstehen und zu kontextualisieren. Während im objektzentrieren Museum sich alle Räume eines Hauses denen der Sammlung zu- und unterordnen – zu Funktionsräumen für das Besuchen der Ausstellung werden –, emanzipieren sich in der Lernwelt

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Museum diese reinen Funktions- zu Lernräumen. In dieser neuen räumlichen Perspektive liegen nicht nur vielerorts ungehobene Potenziale der Besuchsattraktivität, sondern auch ebensolche für die museale Arbeit selbst. Das gleiche gilt für den digitalen Raum. Auch dieser muss konzeptionell gerahmt werden und im Hinblick auf die Funktionen einer Lernwelt Museum hin gestaltet werden. Hier sind viele Museen bereits auf dem Weg und haben in den letzten Jahren – vor allem auch im Kontext der COVID-19-Pandemie – spannende Konzepte entwickelt. Nun gilt es diese zu verstetigen und physischen Raum und digitalen Raum zu verschränken. Auch dadurch können neue Portale für einen niedrigschwelligen Zugang zur Lernwelt Museum etabliert werden. Mit der Positionierung der Lernwelt Museum als gesellschaftlich Vierter Ort, der mit der Lebenswelt der Museumsbesucherinnen und -besucher gleichsam verschmilzt, schließt sich der zuvor begonnen theoretische Kreis zwischen Abgrenzung und Gemeinsamkeiten zwischen Lernwelten untereinander und der Gesellschaft. Auf der einen Seite hat der Lernwelten-Begriff es zuvor ermöglicht, die verschiedenen Lernwelten voneinander und der Lebenswelt der Besuchenden abzugrenzen, um sie nun wieder zusammenzuführen beziehungsweise grundsätzlich zu verschränken. Denn eine Lernwelt Museum, die sich erfolgreich als gesellschaftlich Vierter Ort positioniert, wird von den Besuchenden selbstverständlich als Teil ihres Alltags genutzt. Es würde jetzt sicherlich den Rahmen sprengen, nach den Erfolgsfaktoren dieser Positionierung des Museums als Teil der Lebenswelt der Besuchenden zu fragen, doch reicht an dieser Stelle auch der Hinweis auf die zentrale Rolle von Kooperationen. Es scheint kaum möglich, die zuweilen festgefahrene gesellschaftliche Position der Lernwelt Museum ohne die strukturelle Kooperation mit Partnerinnen und Partnern aus der Gesellschaft signifikant zu verändern. Die Zusammenarbeit mit solchen Partnerinnen und Partnern, die ihrerseits bereits die Lebenswelt der anvisierten Zielgruppe bereichern, scheinen in diesem Zusammenhang folgerichtig besonders vielversprechend. Dies können dann wiederum natürlich auch andere Lernwelten sein. Abschließend bleibt festzuhalten, dass das Konzept Lernwelt Museum den Museen neue Optionen eröffnet, ihre Rolle für die Gesellschaft neu zu positionieren. Es ermöglicht die Öffnung für breitere Bevölkerungsschichten, die stärkere Verankerung in gesellschaftlichen Diskurskontexten und nicht zuletzt einen Beitrag zu Orientierung in einer immer komplexer werdenden Welt. Auch wenn nun der Einwand bezogen auf fehlende strukturelle und finanzielle Unterstützung kommt, um dies alles umsetzen zu können, bleibt dem die Feststellung entgegenzuhalten, dass es letztendlich die Akteurinnen und Akteure in den Museen sind, die den Weg beschreiten, und auch schon kleine Schritte können größere Veränderungen nach sich ziehen.

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Zu den Autorinnen, Autoren und Herausgebern Cathérine Biasini ist Kunsthistorikerin und seit 1999 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Museum der Pfalz Speyer. Sie zeichnet sich für die Konzeption und Umsetzung von Ausstellungen für Kinder und Jugendliche verantwortlich und war Mitglied des Kuratorenteams der Ausstellung „Der Grüffelo“. Kontakt: [email protected]. Christian Bornefeld ist seit 2020 für den Bereich der digitalen Vermittlung im Kunstmuseum Stuttgart tätig und entwickelt gezielt neue, vor allem digitale Formate der Kunstvermittlung. Zuvor war Bornefeld für das Museum der Universität Tübingen tätig. Silvia Gebel ist Diplom-Museologin und seit 2008 Leiterin des Bereichs Bildung und Vermittlung im StadtPalais – Museum für Stuttgart und macht dort mit der Einrichtung des „Stadtlabors“ auf sich aufmerksam. Zuvor leitete sie unter anderem den Bereich Museumspädagogik und Öffentlichkeitsarbeit im Kulturhistorischen Museum der Stadt Görlitz und wirkte für die Stabsabteilung Kommunikation der Stadt Stuttgart. Seit mehreren Jahren ist sie Mitglied des Vorstandes des Regionalverbandes des Bundesverbandes Museumspädagogik e. V. Kontakt: [email protected]. Torben Giese, Dr. phil., ist Historiker und seit Februar 2017 Direktor des Stadtpalais – Museum für Stuttgart. Er hat Mittlere und Neuere Geschichte, Germanistik und Politologie studiert. Von 2008 bis 2017 war er stellvertretender Direktor des Stadtmuseums Wiesbaden. Daneben ist er seit 2009 als Lehrbeauftragter am Historischen Seminar der Goethe-Universität Frankfurt und an der Hochschule der Medien Stuttgart tätig. Unter seiner Leitung hat sich das StadtPalais – Museum für Stuttgart zu einem der innovativsten Stadtmuseen in Deutschland entwickelt. Er ist Gewinner des Bethmann-Studienpreises der Frankfurter Historischen Kommission und erhielt das Stipendium Hanauer Stadthistoriker. Kontakt: [email protected]. Konrad Gutkowski ist Historiker und wissenschaftlicher Referent für den Bereich Glasindustrie/Glashütte am LWL-Industriemuseum und war Mitglied des Kuratorenteams der wegweisenden Ausstellung „Alles nur geklaut?“. Daneben

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Zu den Autorinnen, Autoren und Herausgebern



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macht er immer wieder mit innovativen Kultur- und Kunstprojekten auf sich aufmerksam. Kontakt: [email protected]. Wolfgang Hansch, Dr. rer. nat. habil., ist Diplom-Geologe und verantwortete ab 2005 Konzeption und Aufbau der 2009 eröffneten experimenta in Heilbronn und ist seit 2007 ihr Geschäftsführer. Zuvor leitete er von 1994 bis 2008 das Naturhistorische Museum der Stadt Heilbronn. Zu erd- und kulturgeschichtlichen Themen veröffentlichte er zahlreiche Publikationen als Autor und Herausgeber. Er hat Mandate in verschiedenen Bildungsgremien und den Vorsitz des Landesverbandes für naturwissenschaftlich-technische Jugendbildung in Baden-Württemberg inne. Kontakt: [email protected]. Anja Hoffmann, ist Historikerin und seit 2009 Referentin für Bildung, Vermittlung und Inklusion im LWL-Industriemuseum und für die Museumspädagogik an allen acht Museumsstandorten verantwortlich. Zuvor wirkte sie seit 1999 als wissenschaftliche Referentin für Eisen und Stahl im LWL-Industriemuseum. Sie vertritt seit 2015 den Bereich Museumspädagogik in der Kultusministerkonferenz im Auftrag des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen und ist im Bundesverband Museumpädagogik e. V. als Sprecherin der Fachgruppe „Internationales“ tätig. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind inklusive, lebenslange Bildung und Vermittlung im Museum, Bildungspartnerschaften von Schulen und Museen, Strategien für „altersreife“ Museen, Qualitätsmanagement und Fortbildung. Kontakt: [email protected]. Andrea Jürges, ist Diplom-Architektin und seit 2017 stellvertretende Direktorin des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt am Main. Zuvor hatte sie sich zwischen 2003 und 2015 für die gesamte Kommunikation um den Neubau der Europäischen Zentralbank in Frankfurt verantwortlich gezeichnet. Die von ihr mitkuratierte Ausstellung „Große Oper – viel Theater. Bühnenbauten im europäischen Vergleich“ wurde mittlerweile an acht unterschiedlichen Standorten in Deutschland gezeigt. Kontakt: [email protected]. Rebekka Kremershof, ist Kulturmanagerin und seit 2020 Leitung des Bereichs Bildung und Vermittlung im Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt am Main. Zuvor war sie als Kulturvermittlerin im Haus der Stadtgeschichte in Offenbach aktiv. Kontakt: [email protected]. Doris Lewalter, Dr. phil. habil., ist Professorin für Formelles und Informelles Lernen an der Technischen Universität München. Sie studierte Pädagogik, Psychologie und Kunstgeschichte. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit den

268  Zu den Autorinnen, Autoren und Herausgebern

Bedingungen und Ergebnissen motivationaler und kognitiver (Lern-)Prozesse in formellen und informellen Lernsettings (insbesondere Freizeit- und Schulklassenbesuche in Museen). Kontakt: [email protected]. Meron Mendel, Dr. phil., ist Erziehungswissenschaftler und Historiker. Seit 2010 ist er Direktor der Bildungsstätte Anne Frank – Zentrum für politische Bildung und Beratung Hessen. Darüber hinaus ist er als Dozent am Fachbereich Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main tätig. Zu seinen Schwerpunkten zählen ethnischer Nationalismus, antisemitismuskritische Bildung in der Migrationsgesellschaft, historische sowie aktuelle Bezüge in der politischen Bildungsarbeit sowie Menschenrechtspädagogik. Kontakt: [email protected]. Almut Neef, ist Diplom-Sozialarbeiterin und seit 2003 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Museum der Pfalz Speyer. Ihr Schwerpunkt ist die Entwicklung und Umsetzung von Ausstellungsprojekten, Entwicklung von Begleitprogrammen und der Bereich Schulbetreuung. Sie arbeitete bis 1990 als Sozialarbeiterin, studierte danach an der Hochschule für Künste Berlin im Fach Ästhetische Erziehung, Kunst und Kulturwissenschaften und wirkte im Anschluss in verschiedenen Galerien, als Geschäftsführerin eines Vereins für Künstlerinnen und Künstler in Hannover sowie als Geschäftsführerin einer Malschule in Berlin. Kontakt: [email protected]. Annette Noschka-Roos, Dipl. Päd., Dr. Päd., Professorin für Museumspädagogik, arbeitete freiberuflich an besuchendenorientierten Ausstellungsprojekten für das Geldmuseum der Deutschen Bundesbank oder für die Stiftung Haus der Geschichte, Bonn sowie an Forschungsprojekten am Institut für Museumsforschung, Berlin; sie war Leiterin der Hauptabteilung Bildung im Deutschen Museum München, wo sie den Ausbau diversifizierter Bildungsangebote verantwortete und für Evaluationsprojekte zuständig war. Kontakt: [email protected]. Jörg Peltzer, Dr. phil., ist Professor für Vergleichende Landesgeschichte in europäischer Perspektive – Schwerpunkt Spätmittelalter – am Historischen Seminar der Universität Heidelberg, Direktor am Institut für Fränkisch-Pfälzische Geschichte und Landeskunde der Universität Heidelberg sowie British Academy Global Professor an der University of East Anglia, Norwich, UK. Neben verschiedenen Arbeitsschwerpunkten in der mittelalterlichen Geschichte gilt die Aufmerksamkeit der Vermittlung von Grundlagenforschung und der Zusammenar-

Zu den Autorinnen, Autoren und Herausgebern 

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beit zwischen Universität, Schulen und weiteren Lernorten, insbesondere Museen. Kontakt: [email protected]. Silvia Rückert, Historikerin und Museumswissenschaftlerin, ist seit 2020 stellvertretende Direktorin des Kölnischen Stadtmuseums und leitete zuvor zwischen 2017 und 2020 das Team Ausstellungen im StadtPalais – Museum für Stuttgart. Dort machte sie mit innovativen Ausstellungsprojekten zu urbanen und zeithistorischen Themen auf sich aufmerksam. Davor war sie 13 Jahre lang an den Mannheimer Reiss-Engelhorn Museen tätig und wirkte dort unter anderem an der Neueinrichtung des Museums Zeughaus mit. Kontakt: [email protected]. Stephan Schwan, Dr. habil., Psychologe, ist Professor und Leiter der Arbeitsgruppe „Realitätsnahe Darstellungen“ am IWM Leibniz-Institut für Wissensmedien und stellvertretender Direktor des IWM sowie Mitglied des Vorstands der Stiftung Medien in der Bildung. Er beschäftigt sich mit den Ähnlichkeiten und Unterschieden von Darstellung und Wirklichkeit in ihren Konsequenzen für die menschliche Informationsverarbeitung und den Wissenserwerb. Dies umfasst unter anderem die kognitive Verarbeitung und das Verstehen von dynamischen audiovisuellen Darstellungen sowie die Rolle digitaler Medien und authentischer Exponate für das informelle Lernen in Museen und Ausstellungen. Von 2002 bis 2004 war er Professor für e-Learning an der Johannes Kepler Universität Linz und wechselte dann ans IWM. Kontakt: [email protected]. Martin Seeburg, Historiker, ist seit 2018 Museumspädagoge im Bereich Bildung und Vermittlung des StadtPalais – Museum für Stuttgart und beschäftigt sich wissenschaftlich mit Fragen der Wissensvermittlung und Museumspädagogik. Kontakt: [email protected]. Inga Specht, Dr. phil., ist seit April 2021 Leiterin der Abteilung Besuchendenund Bildungsforschung am Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels, Museum Koenig, in Bonn. Zuvor arbeitete sie als Wiissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen im Forschungsbereich „Lehren, Lernen und Beraten“, wo sie ein Projekt zu Vermittlungs- und Aneignungsprozessen in Museumsführungen leitete. Zu ihren Schwerpunkten zählen u. a. Besucherstrukturanalysen, Evaluationen und Lehren und Lernen in informellen Lernsettings. Kontakt: i. [email protected].

270  Zu den Autorinnen, Autoren und Herausgebern

Richard Stang, Dr. phil., Diplom-Pädagoge und Diplom-Soziologe, ist Professor für Medienwissenschaft im Studiengang „Informationswissenschaften“ in der Fakultät „Information und Kommunikation“ der Hochschule der Medien Stuttgart (HdM). Er leitet u. a. gemeinsam mit Prof. Dr. Frank Thissen das Learning Research Center der HdM (www.learning-research.center). Arbeitsschwerpunkte sind: Lernwelten, Bildungs- und Kulturzentren, Lernarchitektur, Medienentwicklung, Medienpädagogik und Innovationsforschung. Er leitet derzeit Forschungsprojekte zur Entwicklung von Bildungs- und Kulturzentren und zur Lernwelt Hochschule. Er berät Kommunen und Einrichtungen bei der Gestaltung von Lernräumen und kooperativer Strukturen. Kontakt: [email protected]. Rainer-Maria Weiss, Dr. phil., Archäologe, studierte Vor- und Frühgeschichte und Kunstgeschichte in Regensburg. 1990 begann er seine berufliche Laufbahn am Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege in Regensburg. 1991 wechselte er an das Museum für Vor- und Frühgeschichte nach Berlin. Nach weiteren Stationen in der Denkmalpflege in Berlin und Bayern sowie am Gäubodenmuseum in Straubing wurde er 2001 am Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte zum Kustos ernannt. Seit 2003 ist er Direktor des Archäologischen Museums Hamburg und Landesarchäologe von Hamburg. Kontakt: [email protected]. Dirk Zache, M.A., studierte Kunstpädagogik und Kunstdidaktik, Kunstgeschichte und Denkmalpflege in Bamberg. Von 2005 bis 2021 war er Direktor des LWL-Industriemuseums, Westfälisches Landesmuseum für Industriekultur, zu dem insgesamt acht Museen gehören (Zeche Zollern, Dortmund; Zeche Nachtigall, Witten; Zeche Hannover, Bochum; Henrichshütte Hattingen, Hattingen; Schiffshebewerk Henrichenburg, Waltrop; TextilWerk, Bocholt; Ziegelei Sylbach, Lage; Glashütte Gernheim, Petershagen). Von 1996 bis 2005 war er Direktor des Historisch-Technischen Informationszentrums in Peenemünde. Dort verantwortete er die dreiteilige Konzeption aus Museum, Forum und DenkmalLandschaft sowie die Sanierung und Umsetzung von Museum und Forum im NS-zeitlichen Kraftwerk. Kontakt: [email protected].

Register 360-Grad-Fotografie 65 360-Grad-Tour 60 3D-Animation 60 4K-Modell des Lernens 247 Adressaten-/Adressatinnenorientierung 85 Äquilibrationstheorie 240 Ästhetik 46, 91,127, 177 Akkommodation 240, 241 Alltagswelt 37, 40, 184 American Museum of Natural History 234 Angebotsentwicklung 261 Antisemitismus 146, 147, 150, 151,153,203 App 42, 60, 69, 80, 93, 197, 220 Archäologie 103, 108, 112 Archäologisches Museum 101 Archäologisches Museum Hamburg 101–116 Architekturgeschichte 131 Arrival City 132 Artefakt 19, 38–41 Artificial intelligence 248 Assimilation 240, 241 atmendes Bildungssystem 33, 261 Audioguide 28, 93, 213 Audiostationen 93 Augmented Reality 42, 55–57, 60, 93, 121, 147, 152, 197, 220, außerschulische Lernwelten 83, 146, 158, 162, 183, 235, 240 Ausstellung 29, 37, 41–46, 50–57, 61, 63,

66, 74–81, 85–94, 103–113, 118–126, 130– 142, 146–147, 169–180, 183–192, 195– 202, 206–209, 211–223, 255 Ausstellungsarchitektur 42, 45 Ausstellungsflächen 24, 60, 196 Ausstellungsgestaltung 57, 122, 125, 133, 164 Ausstellungshaus 9, 42, 228 Ausstellungstechnik 39 Ausstellungstexte 87, 93, 122 Austauschduktus 87 authentische Übertragung 65 Authentizität 15, 18–19, 21, 40, 44, 56, 90, 120, 121, 244 https://doi.org/10.1515/9783110703054-021

Baukultur 130, 135–136, 142–143, 158 baukulturelle Bildung 131, 157–158, 166 baukulturelle Geschichte 131, 136 Begleithefte 93 behavior setting 49–54 Besuchende (Besucherinnen und Besucher) 13–14, 16–17, 19–24, 27–29, 32, 34, 37–39, 41–44, 46, 50–57, 60–64, 67–68, 85–94, 103–106, 110–112, 114–115, 120–121, 125, 127, 130–134, 138–139, 142– 143, 145, 149–155, 162, 166, 169–170, 174–178, 183–185, 187, 189–192, 196– 198, 200, 206–207, 211–216, 218–223, 227, 229, 232, 237–239, 241–242, 246, 249, 255–259, 262–264 Besuchendenbefragungen 115 Besuchendenbegleitung 185 Besuchendenbetreung 236 Besuchendenforschung 56–57, 92 Besuchendenführung 41 Besuchendengruppen 115, 212, 223, 243 Besuchendenmerkmale 89 Besuchendenorientierung 31, 86, 88 Besuchendenservice 30, 213 Besuchendentypus 211, 222 Besuchendenzahlen 42 Besuchshäufigkeit 89 Besuchsstrategie 89 Bewegtbilder 53 Bibliothek 1, 9–10, 14, 16, 21, 32, 38, 49, 170, 260–261 Bibliothekspädagogik 30 Bilderarchiv 220 Bildungsauftrag 11, 16, 42, 74, 95, 209, 217, 221, 245 Bildungseinrichtung 1, 6, 10, 32, 86, 88, 244, 246, 249, 257–260 Bildungsfunktion 17, 23, 255, 259, 263 Bildungsgesellschaft 259–260 Bildungskanon 42, 256 Bildungslandschaft 1, 5–6, 16, 32, 248, 261 Bildungsort 13, 15–16, 127, 130, 245 Bildungsqualität 88 Bildungsreform 85–86

272  Register

Bildungsstätte Anne Frank 148–150 Bildungs- und Kultureinrichtungen 2, 32–33 Bildungs- und Kulturlandschaft 33 Blog 67, 93, 142, 152 Bodendenkmalpflege 113 Botanischer Garten 228, 260 British Museum 38, 73 Brooklyn Children's Museum 232 Citizen Science 88, 94, 230 Citizen Science-Projekte 88 Computerspiel 60, 67–68, 147, 178–180 Dauerausstellung 102, 115, 125, 136, 146– 147, 195–198, 206–207, 213, 257, 263 Deutsches Architekturmuseum Frankfurt 129–143 Deutsches Museum München 232 Didaktik 74, 88, 233, 236, 240, 242 didaktische Materialien 93, 183 Dienstleistungsduktus 87 digitale Lernwelt 49, 60, 69 digitale Reproduktion 68 digitaler Zwilling 37, 63 digitales Reenactment 42 digitale Transformation 88, 94 Digitalisat 62–63 Digitalisierung 37, 42, 59, 62, 65, 69, 94–95, 142, 222 Digital Natives 223 Diorama 40 Diskriminierung 145–155 Dritter Ort 23–24, 119 Edutainment 175, 228 Eintritt 23, 39, 101 E-Learning-Plattform 60 Elementarbereich 31, 261 Emotion 91, 105, 122, 125, 127, 153, 159, 189, 197, 205, 212, 214, 236, 242, 249 emotionale Erlebnisse 185 emotionales Gedächtnis 223 Enabling Spaces 31–32 Entertainment 175, 228 Epochenraum 40, 196

Erfahrung 11–12, 18, 27, 61–62, 64, 66, 68, 74, 77, 81, 89–91, 107, 115, 145, 149–151, 154, 159, 165, 175, 177, 184, 187, 189, 200, 209, 212–213, 215, 218, 236, 240, 242, 245, 249 Erfahrungsfelder 242, 245 Erfahrungshorizont 163 Erfahrungsraum 160, 177, 189, 191–192 Erfahrungswelt 18 Erinnerungskultur 147–149, 151–152, 155 Erinnerungsort 117, 125 Erkenntnisraum 127 Erlebnisgesellschaft 87 Erlebnismuseum 87 Erlebnisort 41, 45, 117, 229 Erlebnispark 228 Erwachsenenbildung 1–2, 12, 30, 32, 85–95, 241, 260–261 Erzählstoff 130 Escape-Ausstellung 169–181 Escape-Raum/Escape Room 169–171, 180, 220 Escape-Spiel/ Escape Game 169–170, 175, 220–222 experimenta Heilbronn 227–249 Experimentarium Kopenhagen 233 Experimentierfeld 89, 145 Experimentierstation 41, 237 Exploratorium San Francisco 232 Exploratory Bristol 233 Exponat 20, 41, 43, 45, 51–53, 56, 65, 80, 90, 103–105, 114, 150, 159, 201, 208, 213– 214, 218, 220–221, 227–228, 233, 237, 240–242, 245 Fachduktus 87 Fake News 218 Familienausstellung 169, 183–192 Forschungseinrichtung 258–259 Freilichtmuseum 101 Freizeitpark 228 Fridericianum Kassel 38 Frottagen 159 Führung 14, 17, 50, 59, 93, 134–136, 139, 150, 183, 190, 197, 263 Fulldome Planetarium 238, 242

Register 

Galerie 41, 189, 216 Game/Spiel 147, 163–165, 169–180, 189, 191, 203, 207–209, 215, 220–222 Gamification 123, 177–180. 207, 209, 211, 222–223 Gaming-Plattform 68 Gedenkkultur 148, 152 Generic Learning Outcomes 92, 212 Germanisches Nationalmuseum 43 Gewerbeausstellung 39 Guggenheim New York 66 Hands-on 90, 93, 176, 184–185, 213, 221, 228, 232–233, 236–237, 241–242 Haus der Geschichte der Bundesrepublik 43 Head-Mounted Display 53 Heimatmuseum 101, 119, 255 Heureka Vantaa 233 Historisches Museum der Pfalz Speyer 184– 193 Hochschule 1, 13–14, 16, 18, 20, 32, 261 Holocaust 146, 149–150 Hologramm 147 Identität 37, 117–119, 196, 199, 209 Illusionsraum 51 Illusionstechnik 51 Immersion 66, 228, 242–243, 246 immersives Erlebnis 175, 178 Industriekultur 117–118 Industriemuseum 117–127, 211–223 Infrastruktur 37, 60, 112, 145, 200, 262 Inklusion 88, 94, 211, 218, 235 Inspiration 92, 212, 215, 217 Inszenierung 28, 39–40, 45–46, 87, 103– 105, 107–110, 113–114, 120–123, 126, 158, 201, 213–214, 220–221, 223 Interaktion 91, 103, 150–152, 154, 177, 184– 185, 215–216, 219, 221, 227, 230, 232, 241–243 IPOP-Modell 91 Jugendbegegnungsstätte Anne Frank 146 Junges Museum Speyer 183–185

273

Kaiser-Friedrich-Museum 41 Kamishibai 190 Kinderbaustelle 163–165 Kindermuseum 159, 164, 183, 232 Kleiderordnung 39 Klima 37, 237 Kölnisches Stadtmuseum 195–209 Königliche Sternwarte Berlin 231 Kommunikation 22, 29, 32–33, 79, 93, 113, 141–142, 185, 190, 192, 213, 220, 230, 241, 247, 256 Kommunikationsfähigkeit 126 Kompetenz 27, 33, 171, 180, 202, 207, 215, 223, 229, 244–248, 258, 261 – analytische Kompetenz 131 – Bildungskompetenz 247 – digitale Kompetenz 247 – Einordnungskompetenz 208 – Fachkompetenz 244 – Filterkompetenz 247 – Gestaltungskompetenz 126 – Grundkompetenzen 246 – Handlungskompetenz 126, 219 – interkulturelle Kompetenz 248 – Kernkompetenz 113 – Kulturkompetenz 219 – Medienkompetenz 247 – Museumskompetenz 217, 219 – praktische Kompetenz 153 – Problemlösungskompetenz 180, 208, 222, 247 – Schlüsselkompetenz 230 – Sozialkompetenz 208, 219, 222, 244 – sozio-emotionale Kompetenz 247–248 – Sprachkompetenz 208 Konkurrenz 33, 53, 59, 94, 191 Kooperation 14, 16, 18, 24, 30, 32–33, 73, 78–80, 88, 123–124, 126, 135, 140, 215– 217, 261–262, 264 Kooperationsentwicklung 261 Kreativität 92, 138, 186, 188, 208, 212, 247 Kremer Collection 66 Künstliche Intelligenz 248–249 Kultureinrichtung 28, 32–33, 261 Kulturelle Bildung 87, 131, 157, 217 Kultur für alle 27–28, 37

274  Register

Kulturgeschichte 43 Kulturhistorisches Museum 18, 41, 51 Kunstgewerbemuseum 40 Kunstkammer 41 Kunstmuseum 13, 41, 59–69, 87, 94, 117, 123 Kunstmuseum Stuttgart 63 Laie 39 Landesmuseum für Technik und Arbeit Mannheim 43 Lebensbild 106 Lebenswelt 11–14, 17,19–24, 27, 29, 43, 62, 64, 67, 75, 95, 104, 106, 108, 113, 117, 119–122, 124–127, 131–133, 139, 142, 145, 150, 152, 155, 160, 165–166, 175, 178–179, 185, 188, 192, 222, 227, 237, 255–258, 263–264 LEGO-Baustelle 134–143 Lehr-Lernsituation 80 Lernangebot 17–18, 21–22, 24, 33, 59, 65, 95, 148, 160, 163, 190, 241, 255, 263 Lernen 10–14, 20, 28–29, 50, 86–87, 91, 104, 107, 117, 136, 138, 149, 162, 166, 175, 177, 208, 211–212, 219, 223, 241–242, 245–247, 260, 262 – ästhetisch-forschendes Lernen 218 – angeleitetes Lernen 93 – außerunterrichtliches Lernen 249 – eigenmotiviertes Lernen 107, 227 – E-Learning 60 – entdeckendes Lernen 29 – Erfahrungslernen 218 – Erlebnislernen 218 – erlebnisorientiertes Lernen 249 – experimentbasiertes Lernen 244 – formales/formelles Lernen 19–20, 102. 134, 138–139, 175, 183–184, 217, 228, 240, 241–243, 249, 255, 260 – forschendes begleitendes Lernen 246 – free-choice learning 91, 241 – freizeitgebundenes Lernen 240 – Game-based learning 222 – Hands-on learning 232 – informelles Lernen 19, 95, 123, 125,126– 127, 135, 138, 143, 160, 163, 166, 175,

183, 217, 228, 237, 240, 241–243, 245, 249, 255–256, 260 – instruiertes Lernen 93 – interaktives Lernen 240–241 – kollaboratives Lernen 32 – Lebenslanges Lernen 33,228, 237, 260– 261 – Machine Learning 249 – multiperspektivisches Lernen 55 – museales Lernen 37 – non-formales lernen 241 – partizipatives Lernen 81 – passives Lernen 240 – schulisches Lernen 177 – selbstbestimmtes Lernen 20, 107, 138, 241 – selbstgesteuertes Lernen 61, 90, 245, 247 – selnstmotiviertes Lernen 237 – selbstständiges Lernen 93 – soziales Lernen 143, 186, 192 – spielbasiertes Lernen 206 – unbestimmtes Lernen 61 lernendes Museum 211 Lernerfahrung 53, 64, 90–91, 212–213, 223, 241 Lerninhalte 1, 10, 12–14, 17–18, 20–22, 68, 102, 110, 139, 143, 146, 149, 154, 163, 166, 178–180, 183, 186–187, 190, 192, 213, 227, 235, 255–256, 260 Lernklima 229 Lernlabor Anne Frank. Morgen mehr. 145–155 Lernmethode 14–15, 18, 24, 147, 149, 208 Lernoption 5, 28, 33, 255 Lernort 50, 73, 79, 81–82, 92, 95, 102, 117, 137, 147, 161–162, 176, 183, 212, 227, 228, 230, 241, 244, 260, 269 Lernraum 13, 31, 60–61, 91, 139, 145, 150, 161, 166, 255–256, 263–264 Lernraumentwicklung 261 Lernsetting 129, 143, 160–162, 166 Lerntheorie 2, 28–29 – Behaviorismus 29 – Kognitivismus 29 – Konstruktivismus 29 Lerntyp 212–213 Lernumgebung 10–11, 13–14, 60–62, 66, 69, 81, 86, 90, 93, 95, 117, 134, 161, 184, 189,

Register

213, 215, 217, 220, 223, 229, 237, 242, 246, 256 Lernumwelt 134 Lichtchoreografie 110, 114 Louvre Paris 39, 255 LWL-Industriemuseum 117–127, 170, 211–224 Marketing 17, 30, 59, 67, 95, 176 Martin-Gropius-Bau Berlin 73 Mediaguide 60, 93, 197 Medienarchiv 220 Migration 75, 110, 113, 125, 204, 206 Migrationsbiografie 148 Migrationsgeschichte 154 Migrationsgesellschaft 147–148, 153 MINT 217, 235, 243, 247–248 Multidisziplinarität 135 Musealisierung 43, 118–120 Musentempel 39, 118, 176 Museums-App 42 Museumsarchitektur 118, 122, 133 Museumsarten 86 Museumsgastronomie 23 Museumspädagogik 1, 15–16, 20, 30, 33, 74, 86–88, 101, 122, 161, 177, 198, 217, 227 museumspädagogische Räume 157 Museumswissenschaft 16 Narrativ 74–76, 149, 184, 201, 206, 262 Nationalsozialismus 46, 145–148 Naturkundemuseum 40, 94 Naturpark 228, 260 Nemo Amsterdam 233 Niedrigschwelligkeit 243 Objekt 9, 18–21, 28–30, 39–41, 43–46, 51, 54–56, 59–65, 68–69, 73–78, 80–82, 88– 89, 92, 94, 101. 104–105, 122–124, 133, 142, 158, 176–177, 184, 188–189, 191, 195–197, 200, 206–208, 211, 213–216, 218, 221, 223, 228, 255–256 Objektbezug 9, 132 Objektdigitalisierung 63 Objektgeschichte 200–201 Objekthighlights 200 Objektpräsentation 85



275

Objektspeicher 15 Objekttext 104 Objektwelt 9, 255–256, 259 Observatorium 234 Octalysis-Framework 207 OECD 247 Öffentlichkeit 9, 42, 77, 88, 130, 142, 176, 219, 247, 258 Öffentlichkeitsarbeit 30, 218 Öffnungszeiten 23, 39, 59, 163, 262 on-demand-culture 59 Online-Angebot 59, 68, 76–77 Online-Ausstellung 206 Online-Rollenspiel 180 Ontario Science Center Toronto 232 Optionsraum Lebenslanges Lernen 261 Organisationsentwicklung 261 Outreach-Projekt 140 Palais de la Découverte Paris 232 Panoptikum 40 Partizipation 77, 88–89, 93–94, 119, 149, 152, 154, 180, 211, 215, 223 Partizipationsstrategien 95 Partnership for 21st Century Learning 247 Peer-Education-Ansatz 151 Peppers Ghost 214 performative-turn 177 Phänomenta Flensburg 233 PISA-Studie 235 Planetarium 227–229, 233–234, 237–238, 342 Planetarium Hamburg 234 Podcast 80, 93, 172, 229 Präsentationsarrangements 90 Präsentationsformen 39, 52, 86, 102, 177 Prinzip der Anschaulichkeit 31 Prinzip der didaktischen Reduktion 31 Prinzip der Strukturierung 31 Publikum 1, 21, 39, 51, 87–89, 92, 94, 102, 104, 107, 117, 119, 121, 123–126, 131, 133, 135, 165, 171, 174, 184–185, 191–192, 213, 215, 230 Publikumsorientierung 86, 92 Publikumszuspruch 164

276  Register

QR-Code 42 Rassismus 145, 147, 150–153 Raumarrangement 32, 160 Relokalisierung 40 Reuben H. Fleet Science Center San Diego 234 Rijksmuseum Amsterdam 66 Sachkultur 42–43, 46 Sammlung 9, 14, 16, 19, 22, 38–43, 67, 78, 92, 95, 101–102, 104–106, 108, 118, 133, 196, 200, 255, 257, 263 – Schausammlung 41 – wissenschaftliche Sammlung 41 Sammlungsarchiv 67 Sammlungsbestand 105, 201, 236 Sammlungsdepot 220 Sammlungsgegenstand 51 Sammlungsinhalt 86 Sammlungsobjekt 227 Sammlungsraum 63 Schaugruppen 40 Schiff 228 Schülerforschungszentrum 228, 235, 240, 246 Schülerlabor 229, 234–235, 239–240, 243– 244, 246 Schule 1–2, 9–16, 18–20, 30, 32, 49–50, 73– 83, 102, 104, 135–138, 149–150, 158–163, 166, 177, 183–184, 190, 198, 203, 215–217, 219, 228, 234–235, 239, 241, 243, 260– 261 Science Center 1, 5, 101, 221, 227–249 Science Center-Didaktik 242 Science Dome 227, 237–240, 242–243, 246 Science Museum 232 Sedgwick Museum of Earth Sciences 169 Selbstwirksamkeit 185, 187 Serious Game 147, 179, 208 Shoah 145, 147, 151, 153 Social Media 59, 93, 147, 219 Sonderausstellung 41, 113, 121, 125, 158, 160, 171, 190, 211, 223 Sonderausstellungsflächen 196 Soziokulturelles Zentrum 119

Spektrum Berlin 233 Spiel/Game 147, 163–165, 169–180, 189, 191, 203, 207–209, 215, 220–222 Spielregeln 60, 171 Spielszenario 172 Spielwelt 171, 175–176, 178, 220 Spielzeug 170–171, 203 StadtbauAkademie 158–159 Stadtentwicklung 125, 142 Stadtgesellschaft 126, 199–201, 209 StadtLabor 157–166 Stadtmuseum 158, 195–200, 206 StadtPalais – Museum für Stuttgart 157, 163, 165, 169, 171–172 Stadtraum 132, 139, 157–160, 166 Stadt-/Regionalentwicklung 261 Städel Frankfurt 66–67, 259 Städtebau 130, 132, 137, 139 State Library of Western Australia 169 Sternwarte 38, 227, 231, 234, 246 Stilraum 40–41 Storytelling 171, 179, 208, 222, 243 Sustainable Development Goals 244 Synomorphie 57 Szenografie 123, 223, 227 Technikmuseum 233 Technopolis Mechelen 233 Technorama Winterthur 233 Teilhabe 27, 119, 149, 192, 201, 203–204, 217 Teilnehmendenorientierung 85 Theater 32, 119, 122, 125, 133, 232–232, 238, 242, 261 Theaterbereich 189 Theaterbühne 237 Theaterkulissen 187 TIMSS-Studie 235 Tutorial 93 Urania 230–232, 234 Veranstaltung 15, 24, 63, 118–119, 126, 132, 135, 190, 215, 261 Veranstaltungsarbeit 30 Veranstaltungsformate 249

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Veranstaltungsort 238 Veranstaltungsreihen 134–135 Vermittlung 20, 30, 46, 76–77, 85, 87–88, 90, 94, 120–121, 126, 133, 153, 158, 171, 185, 187, 192, 198, 221, 228, 232, 239, 241, 255 – Architekturvermittlung 130 – ausstellungsbegleitende Vermittlung 90 – digitale Vermittlung 158 – ganzheitliche und fächerübergreifende Vermittlung 31 – gegenwartsbezogene Vermittlung 31 – Geschichtsvermittlung 112, 200 – handlungsorientierte Vermittlung 31 – inhaltliche Vermittlung 214 – interaktive Vermittlung 206 – Kunstvermittlung 59, 63–64, 68 – mediale Vermittlung 93 – objektangemessene Vermittlung 30–31 – personale Vermittlung 93, 122 – personenbetreute Vermittlung 90 – raumbasierte Vermittlung 30 – sammlungsspezifische Vermittlung 30 – strukturale Vermittlung 92 – Wissensvermittlung 18, 42, 85, 131–132, 136, 217, 227–228, 245 Vermittlungsabsicht 176 Vermittlungsangebot 4, 63, 92, 136, 138, 147, 157–158, 183, 185 Vermittlungsansatz 37, 237 Vermittlungsarbeit 30, 64, 86, 88, 92, 130– 131, 135, 137, 157–158, 176–177, 221 Vermittlungsaufgabe 95 Vermittlungsauftrag 30, 101, 170 Vermittlungsbereich 179 Vermittlungsduktus 87 Vermittlungsebene 184, 249 Vermittlungsformat 20, 69, 101, 134, 142, 158, 192, 197, 221–222, 242 Vermittlungsform 94, 197 – handlungsorientierte Vermittlungsform 93 – multimediale Vermittlungsform 42 – partizipative Vermittlungsform 93 Vermittlungsfunktion 9 Vermittlungsinhalt 94, 101, 166, 177, 180 Vermittlungsinstitution 94



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Vermittlungsintension 92 Vermittlungsinteressen 178 Vermittlungskonzept 63, 101, 227 Vermittlungsmedien 133 Vermittlungsmethoden 20, 242 Vermittlungsmodus 86, 88 Vermittlungspotenzial 160 Vermittlungsproblematik 12 Vermittlungsprogramm 88 Vermittlungsprozess 121, 125 Vermittlungsstrategie 196 Vermittlungstätigkeit 19 Vermittlungstechnik 143 Vermittlungsziel 143, 160, 177, 196–197 Vermittlungszugang 159 Vernetzung 17, 33, 244 Videostationen 93 Vierter Ort 258, 264 Virtuelle Realität/Virtual Reality 51, 53–54, 56, 60, 93, 147 virtueller Rundgang 59 virtueller Zwilling 62 virtuelles Museum Visitor Agenda 89 Volkshochschule 86 Vorführung 41, 43, 120, 232 VR-Ausstellung 66–67 VR-Brille 42 53, 66 VR-Museum 67 Wandprojektion 51–53 Weiterbildung 1–2, 32, 86, 143, 249 Weiterbildungsangebote 235 Weltausstellung 39, 242 Werkstatt 137, 157, 161, 166, 213 Werkstattraum 157, 160–163, 166 Westfälisches Landesmuseum für Industriekultur 117–118, 170 Westfälisches Museum für Naturkunde Münster 234 White Cube 122 Wissensaneignung 118, 165, 246 Wissenschaftsmuseum 232 Wissensgesellschaft 228–229, 244, 249, 259–260 Wissensinhalt 229

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Wissenskontext 28 Wissensproduktion 85 Wissensraum 54 Wissenswerkstatt 216–218 Wohnen 200 Workshop 14, 17, 59, 63, 93–94, 126, 136– 138, 140, 146, 157–159, 161–162, 166, 190, 201, 215, 217–218

Workshopformat 160 Workshopraum 115 Wunderkammer 38 Zeitgeschehen 197 Zeitreise Projekt 66 Zielgruppenprogramm 88