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German / English Pages [209] Year 2014
Kunst und Ideologiekritik nach 1989 / Art and Ideology Critique After 1989 Herausgegeben von / Edited by Eva Birkenstock, Max Jorge Hinderer Cruz, Jens Kastner, Ruth Sonderegger Kunsthaus Bregenz A r e n a Publikationsreihe herausgegeben von / Series edited by Eva Birkenstock & Yilmaz Dziewior
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VORWORT Bei den unabhängig von den großen Einzel- und Gruppenausstellungen realisierten Präsentations- und Vermittlungsformaten der KUB Arena handelt es sich um interdisziplinäre und theorieorientierte Veranstaltungen, die das Spektrum der Aktivitäten des Kunsthaus Bregenz dezidiert erweitern. Nicht nur in Bezug auf die Form und den Inhalt setzt die KUB Arena zusätzliche Schwerpunkte im Programm, sondern auch mit Blick auf die Kooperationspartner und das Publikum werden hier neue Interessengruppen angesprochen. Mit ihrem edukativen Ansatz steht die Sommerakademie zum Thema Kunst und Ideologiekritik nach 1989 exemplarisch für diese Vorgehensweise und pointiert die grundsätzliche Ausrichtung des Kunsthaus Bregenz, dass Kunst nicht losgelöst als reine Form, sondern immer gekoppelt an diejenigen gesellschaftlichen Verhältnisse vermittelt, in denen sie entsteht. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften der Akademie der bildenden Künste Wien und Max Jorge Hinderer Cruz wurden in Bregenz ein Seminar und eine Konferenz realisiert, bei denen Lehrende und Studierende aus Wien gemeinsam mit internationalen Experten sowie einer lokal interessierten Öffentlichkeit in Vorarlberg das komplexe Feld der Ideologiekritik aus unterschiedlichen Blickwinkeln in Lesegruppen und Vorträgen diskutierten. Die Ausstellungsinstitution wird so mit dem akademischen Feld verknüpft, und insbesondere mit den jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmern werden nachfolgende Generationen angesprochen. Zudem wird durch deren Interesse und Beteiligung an der temporären Akademie auf den grundsätzlichen Bedarf an akademischen Bildungseinrichtungen in Vorarlberg aufmerksam gemacht. Abgesehen von diesem kulturpolitischen Aspekt ist der Schritt aus der eigenen Institution hinaus von besonderer Bedeutung. Dieser findet sowohl im konkreten Sinn in Form von Seminaren in der Bregenzer Villa Raczynski statt als auch im übertragenen Sinn als kritischer Blick von außen auf die Kunst und das Ausstellungsgeschehen. Die Sommerakademie bildete den Auftakt für Aktivitäten der KUB Arena, bei denen der eigene Ausstellungsort, das Foyer des Kunsthaus Bregenz, verlassen wird, um jenseits des abgezirkelten Kunstsystems in der näheren Umgebung Veranstaltungen zu realisieren. So fanden zum Beispiel im Rahmen des Sommerprogramms der KUB Arena 2013 Zurück in die Zukunft Veranstaltungen auf der Fähre Lochau und in der Bregenzer Diskothek Calypso statt. Dass diese Orte auch andere Besucher generieren und bei ihnen Interesse am Programm des Kunsthaus Bregenz wecken, ist ein positiver Nebeneffekt. Das vorliegende Buch – bereits der dritte Band der Reihe Kunsthaus Bregenz Arena – geht weit über eine Dokumentation der Veranstaltungen der KUB Arena Sommerakademie hinaus. Die bewusste zeitliche Entkoppelung der Sommerakademie von den nachfolgenden, sich fast ein Jahr erstreckenden Diskussionen ermöglichte einen substanziellen Reader, der weit mehr Informationen und Facetten inkludiert, als in der einwöchigen Veranstaltung in Bregenz verhandelt werden konnten. Ähnlich wie die beiden zuvor entstandenen Bücher On Performance und Anfang Gut. Alles Gut. Aktualisierungen der futuristischen Oper Sieg über die Sonne (1913) hat auch die vorliegende Publikation das Potenzial zu einem Standardwerk der in ihr erläuterten Themenkomplexe. Yilmaz Dziewior
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PREFACE The KUB Arena’s discrete presentational and educational formats, realized independently of larger in-house solo and group exhibitions, focus on interdisciplinary and theoryoriented events that decidedly expand the spectrum of activities taking place in Kunsthaus Bregenz. In addition to endowing the program with supplementary points of emphasis in terms of form and content, the KUB Arena addresses new interest groups with an eye toward the audience and toward cooperating partners. With its educational approach, the Summer Academy on Art and Ideology Critique After 1989 is exemplary of this strategy, as it foregrounds the basic orientation of Kunsthaus Bregenz: art communicates and mediates not as a pure, detached form, but rather in interplay with the societal conditions that give rise to it. In collaboration with the Institute for Art Theory and Cultural Studies, Academy of Fine Arts Vienna, and Max Jorge Hinderer Cruz, a seminar and conference were realized in Bregenz, offering space in which professors and students from Vienna could discuss the complex field of ideology critique in reading groups and lectures from different points of view together with international experts and local audiences from Vorarlberg. Such an enterprise establishes links between the academic field and the exhibition setting, and the presence of young participants in particular attests to an accommodation of emerging generations. Furthermore, their interest and participation in the temporary academy sheds some light on the fundamental need for academic educational institutions in Vorarlberg. Aside from this cultural-political aspect, it is of crucial importance that we take steps outside of our own institutions. This happens both in a concrete sense in the form of seminars in the Bregenzer Villa Raczynski and in a metaphorical sense through the undertaking of critical perspectives on art and mechanisms of exhibition. The Summer Academy was the prelude for subsequent KUB Arena activities in which the exhibition space, the Kunsthaus Bregenz foyer, was temporarily vacated in order to realize events within its close surroundings, beyond the delineations of the art system. Activities on the ferry Lochau and in the Bregenzer nightclub Calypso took place as part of the KUB Arena’s 2013 summer program, for example. The fact that these venues generate new visitors, and among them an interest in the Kunsthaus Bregenz program, is one positive side effect. The book before you—already the third volume of the Kunsthaus Bregenz Arena series —goes far beyond a mere documentation of the KUB Arena Summer Academy events. The deliberate temporal uncoupling of the Summer Academy from the following discussion, which spans almost a year, enabled the production of a substantial reader that includes far more facets and information than the one-week event in Bregenz could have moderated. Similar to the two previously published volumes, On Performance and Anfang Gut. Alles Gut. Actualizations of the futurist opera Victory Over the Sun (1913), this publication also has the potential to become a definitive work among those engaged in its constellation of themes. Yilmaz Dziewior
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Kunst und Ideologiekritik nach 1989 Art and Ideology Critique After 1989
Yilmaz Dziewior Vorwort Preface . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5/6 Eva Birkenstock, Max Jorge Hinderer Cruz, Jens Kastner, Ruth Sonderegger Kunst und Ideologiekritik nach 1989 Art and Ideology Critique After 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19/23 Max Jorge Hinderer Cruz, Ruth Sonderegger Zur Kritik von Kritiken der Ideologiekritik. Genealogische Konstellationen und Zeitdiagnosen Towards a Critique of Critiques of Ideology Critique: Genealogical Constellations and Diagnoses of Times (Zeitdiagnosen) . . . . . . . . . 27/51
INHALT CONTENTS
I GENEALOGISCHE KONSTELLATIONEN GENEALOGICAL CONSTELLATIONS Jan Rehmann Ideologiekritik, Ideologietheorie und Poststrukturalismus – eine Neubesichtigung Ideology Critique, Ideology Theory, and Poststructuralism— A Re-Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75/89 Jens Kastner Ideologie und Habitus Ideology and Habitus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103/105 Kerstin Stakemeier Entkunstung diesseits der Kunst – Ideologiekritik, Autonomie und Reproduktion Deaesthetization This Side of Art—Ideology Critique, Autonomy, and Reproduction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107/119 Silvia Federici Ideologie und Feminismus (Reproduktion) Ideology and Feminism (Reproduction) . . . . . . . . . . . . . . . 131/134
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INHALT / CONTENTS
Jens Kastner, David Mayer Althusser andernorts. Anmerkungen zur Aneignung der Ideologietheorie im lateinamerikanischen Kontext Althusser elsewhere. Remarks on Applying Ideology Theory in a Latin American Context . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137/147
Vesna Madžoski Die Austreibung der Gespenster aus Europa. Die Manifesta, Biennale für zeitgenössische Kunst, und die gescheiterte Rhetorik der Demokratie Exorcising the Ghosts of Europe. Manifesta Biennial of Contemporary Art and the Failed Rhetorics of Democracy . . . . . . 265/279
Max Jorge Hinderer Cruz, Jens Kastner Interview mit Alberto Híjar Serrano zu Kunst und Ideologiekritik in Mexiko nach 1968 Interview with Alberto Híjar Serrano on Art and Ideology Critique in Mexico After 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157/163
Ruth Sonderegger „Wir hatten die Illusion, dass die Welt weniger gefährlich werden könnte“ Ruth Sonderegger im Gespräch mit Ágnes Heller und János Weiss über Ideologie, Kunst und die Situation in Ungarn nach 1989 “We had the illusion that the world could become less dangerous” Ruth Sonderegger in conversation with Ágnes Heller and János Weiss on ideology, art, and the situation in Hungary after 1989 . . . . . . . . . 291/303
Ruth Sonderegger Ideologie und Subjektivierung Ideology and Subjectivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169/172
II ZEITDIAGNOSEN DIAGNOSES OF OUR TIMES Diedrich Diederichsen Das Jahrzehnt ohne Ideologiekritik The Decade without Ideology Critique . . . . . . . . . . . . . . . . 179/193 Lea Susemichel Ideologiekritik/-theorie & Feminismus Theory/Critique of Ideology & Feminism . . . . . . . . . . . . . . . 205/208 Eva Birkenstock Feminismus als Skizze und Übersetzung. Ein Gespräch mit Ulrike Müller Feminism as Sketch and Translation. A Conversation with Ulrike Müller . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211/227 Alice Creischer Ideologische Erfahrung und Interventionen im Kunstkontext in Deutschland nach 1989 Ideological Experience and Interventions in the German Art Context After 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241/253
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Tom Holert Ideologie und Kulturindustrie Ideology and the Culture Industry . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315/317 Merijn Oudenampsen Der Kulturkampf in den Niederlanden. Über eine Politik der Entkernung von Kultur Dutch Culture Wars. On the Politics of Gutting the Arts . . . . . . . . 319/331 Matthijs de Bruijne Ideologie und Arbeitsverhältnisse Ideology and Labour Conditions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341/345 Stephan Dillemuth Der arge Weg zur Erkenntnis. Dramatisierung eines Vortrags über The Academy and the Corporate Public – in zwei Teilen The Hard Way to Enlightenment. Dramatization of a Lecture on The Academy and the Corporate Public—in two Parts . . . . . . . 349/367 Max Jorge Hinderer Cruz Ideologie und Kontrolle Ideology and Control . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383/386
BIBLIOGRAFIE / BIBLIOGRAPHY . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 BIOGRAFIEN / BIOGRAPHIES . . . . . . . . . . . . . . . . . . .403 IMPRESSUM / IMPRINT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413
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KUNST UND IDEOLOGIEKRITIK NACH 1989
Für einige VertreterInnen des postmodernen Denkens war die Sache von vornherein klar: Das „Ende der großen Erzählungen“ (Lyotard) und das „Ende der Geschichte“ (Fukuyama) schienen das von Daniel Bell bereits 1960 propagierte und kontrovers rezipierte „Ende der Ideologien“ zu implizieren. Spätestens der Epochenbruch von 1989/91 jedoch katapultierte die Meta-Erzählung eines „Endes der Ideologien“ aus dem Feld der Theorie in den politischen Alltag: Nach dem Zusammenbruch des so genannten Systemgegensatzes wurde nicht nur die Vorstellung einer auf komplexen Ideen, Praktiken und Systemzwängen basierenden sozialen Wirklichkeit („soziale Marktwirtschaft“ und „Sozialismus“) für beendet erklärt. Damit einhergehend etablierte sich das Credo, die „Realität“ sei nun unverstellt und unvoreingenommen zugänglich geworden. Zeitgleich verloren jene theoretischen Ansätze massiv an akademischem und politischem Einfluss, die bis dahin – wie etwa die kritische Theorie – ihre Aufgabe in der Kritik des Ideologischen gesehen und der Kunst dabei eine besondere Rolle zugesprochen hatten. Stattdessen traten die positivistischen Wirtschaftswissenschaften, Bio- und Neurowissenschaften ihren akademischen, aber auch gesellschaftlichen Siegeszug an. In den Geistes- und Sozialwissenschaften erhielten zudem die verschiedenen Spielarten der Postmoderne, insbesondere der Poststrukturalismus, institutionellen Aufwind. Dies konnte aus Sicht der zeitgenössischen materialistischen Kulturund Sozialtheorien nicht anders denn als eine Flankierung des Neoliberalismus gesehen werden. Zumindest für einige VerfechterInnen der Ideologiekritik war klar, dass gerade die Totsagung der Ideologien (und der Geschichte) deutlich machte, dass man an Ideologie als Kategorie und am ideologiekritischen Handeln festhalten sollte. Deswegen besteht z. B. Terry Eagleton in einem Interview mit der deutschen Wochenzeitung Die Zeit auch Mitte der 1990er noch auf Louis Althussers pointierter Antwort auf die Verkündung des „Endes der Ideologien“: „Es gibt keine ideologischere Annahme als die, man habe alle Ideologie hinter sich gelassen.“ Andererseits zeigte sich nach 1989, dass es gerade die poststrukturalistischen Ansätze waren, die mittels psychoanalytischer, habitus- und praxistheoretischer Erweiterungen der Ideologietheorie zum besseren Verständnis der neoliberalen Konstellation beitragen konnten. Auf dieser damals möglicherweise einfach nur als „postmodern“ bezeichneten Grundlage entwickelten sich auch und gerade innerhalb der internationalen
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KUNST UND IDEOLOGIEKRITIK NACH 1989
Kunstfelder der 1990er Jahre neue ideologiekritische Diskurse und Praxisansätze. Seither ist eine Tendenz der politisierten (künstlerischen) Kritik spürbar, die sich in den letzten zwei Jahrzehnten auch zunehmend im institutionellen Rahmen artikuliert; nicht immer widerspruchsfrei, aber auch nicht selten mit dem Anspruch, sich dabei auf „strategische“ Weise ideologiekritisch zu posi tionieren. Wobei die Charakterisierung „strategisch“ oft nicht mehr, aber auch nicht weniger meint als den Wunsch, an die Ideologiekritik anknüpfen zu können, auch wenn man weiß, dass sie nicht mehr als „notwendig falsches Bewusstsein“ begriffen werden kann. Die Zeit nach 1989 zeichnet sich vor allem durch einen breiten Methodenpluralismus der Kritik aus. Mit den Großausstellungen Magiciens de la Terre oder der 3. Havanna Biennale (beide 1989) etabliert sich ein wichtiges Schlagwort der politisierten Neuansätze im Kunstfeld: De-Zentralisierung. Was vordergründig nur eine geografische Dimension bezeichnet, entwickelt sich im selben Moment zur Idee einer grundsätzlichen epistemologischen Alternative. Sie wird von Maßstäbe setzenden sozialen, technologischen und politischen Erneuerungen flankiert (Techno, Internet, vernetzte und tanzende GlobalisierungsgegnerInnen etc). Im akademischen Mainstream und im institutionalisierten Kunstfeld etablieren sich Cultural Studies, Gender Studies und Post Colonial Studies zu wichtigen Referenzen. Michel Foucault wird zum meistzitierten Denker der Geisteswissenschaften und seine Theorien zum beliebten Ideenspender für einen sich als postideologisch verstehenden Ausstellungsbetrieb. Wellenartig folgen bald andere: Deleuze/Guattari, Rancière, Agamben, Latour und andere, die vom Kunstbetrieb als Theorie-Superstars gefeiert und gern als kritisches Fundament für post-kritische Ausstellungen verwendet werden. Diese Tendenz wird von der schrittweisen Privatisierung von Sammlungen, Museen- und Bildungsinstitutionen begleitet. Logiken der Privatisierung bestimmen heute weitgehend unser Selbstverständnis in Bezug auf Anstellungsverhältnisse und den Maßstab unserer eigenen Produktivität. Das betrifft auch die Produktion von kritischen Perspektiven im Bereich der Bildung. Der erste Teil des vorliegenden Buchs entwickelt unter dem Titel Genealogische Konstellationen einen historisch-systematischen Zugang zur Geschichte und Gegenwart der Ideologiekritik. Dem zweiten Teil geht es mit dem Fokus Zeitdiagnosen um eine Anbindung konkreter Untersuchungsgegenstände an die jüngsten Entwicklungen und um einzelne Erfahrungsberichte im Feld der Kunst heute. Damit wollen wir Rahmenbedingungen der künstlerischen Felder überprüfen und ausfindig machen, ob von einem Paradigmenwechsel nach 1989 tatsächlich die Rede sein kann. Vor diesem Hintergrund sind für uns die ökonomischen Umstrukturierungen von Kulturinstitutionen im Zuge heftiger Etat-Kürzungen nach 2008 ebenso symptomatisch wie die Entwicklung von Rhetoriken der „Kritikalität“, in internationalen Biennale-Formaten z. B., die mit
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dem Wettbewerb auf den freien Märkten der Kunst in keinem Widerspruch mehr zu stehen scheinen. Die aktuelle Weltwirtschaftskrise und der damit einhergehende Zusammenbruch des traditionellen bürgerlich-liberalen Wertekanons legen es nahe, anhand von theoretischen Überlegungen und empirischen Untersuchungen die Frage nach der Notwendigkeit von Ideologiekritik unter veränderten Bedingungen weiterzuentwickeln. Das vorliegende Buch ist das Ergebnis ausgedehnter Diskussionen – nicht nur unter den HerausgeberInnen. Es basiert darüber hinaus auf einem Seminar und einem Symposium, die im September 2012 im Rahmen der Sommerakademie in der KUB Arena des Kunsthaus Bregenz in Kooperation mit dem Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften der Akademie der bildenden Künste Wien stattgefunden haben. Wir danken allen TeilnehmerInnen, Studierenden und Vortragenden für ihre engagierten Beiträgen zu diesen Debatten. Als Kollaboration verschiedener AkteurInnen im (Um-)Feld der zeitgenössischen Kunst ist dieses Buch auch Ausdruck eines zunehmenden Interesses, sich stärker mit denjenigen materiellen Wirklichkeiten auseinanderzusetzen, die das „Kunstsystem“ als solches ausmachen. Seminar und Sommerakademie verorteten uns nach ausgiebigen Rekonstruktionen und genealogischen Arbeiten zur Ideologiekritik vergangener Zeiten selbstverständlich auch selbst im Kontext bzw. als Symptom eines ideologischen Kunst/Wissen-Betriebs. Sie machten aber auch deutlich, dass im Bereich der Ideologieforschung in der zeitgenössischen Kunst noch viel zu tun ist. Wir wollen mit diesem Buch keineswegs behaupten, dass das ideologische Kunst/Wissen-Feld aus der Perspektive der Gegenwartskunst bereits lückenlos analysiert ist. Vielmehr hoffen wir mit diesem Buch einen bescheidenen Beitrag dazu leisten zu können, die LeserInnenschaft überhaupt wieder für das Thema der Ideologiekritik sensibilisieren zu können. Eva Birkenstock, Max Jorge Hinderer Cruz, Jens Kastner und Ruth Sonderegger, Bregenz/Wien/Berlin, Juni 2013
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ART AND IDEOLOGY CRITIQUE AFTER 1989
For some proponents of postmodern thought, the matter was clear from the outset: the “end of grand narratives” (Lyotard) and the “end of history” (Fukuyama) seemed to imply the controversially received “end of ideology” already propagated by Daniel Bell in 1960. By the time the epochal rupture of 1989/91 was underway, however, there was no question that the metanarrative of an “end of ideology” had now been catapulted out of the field of theory and into political everyday life: after the collapse of the so-called clash of ideologies, not only was the idea of a social reality that is based on complex ideas, practices, and conformities (“social market economy” and “socialism”) proclaimed to be at an end. Concomitantly, a new credo of “reality” established itself, a now-accessible genuine and unbiased reality; and those theoretical approaches, such as critical theory, that had hitherto been committed to the critique of the ideological—while attributing to art a special role therein— experienced an immense loss of academic and political influence. In their place, the positivistic economic sciences, bio- and neurosciences set off on their academic, but also societal, triumphal course. Moreover, in the humanities and social sciences, different varieties of the postmodern, poststructuralism in particular, gained an institutional tailwind. From the perspective of contemporary materialistic theories of culture and society, this could be seen as none other than a flanking of neoliberalism. At least for some advocates of ideology critique, this death certificate for ideology (and history) made clear the necessity of persevering with ideology as a category, and with ideology-critical action. For this reason, Terry Eagleton, for example, in an interview with the German weekly newspaper Die Zeit emphatically repeats Louis Althusser’s pointed answer to the proclamation of the “end of ideology”: “There is no assumption more ideological than the assumption that we have put all ideologies behind us.” On the other hand, after 1989 it became apparent that poststructuralist approaches could, by means of psychoanalytic, habitus- and practicetheoretical elaboration, contribute to a better understanding of the neoliberal constellation. On this foundation, which at the time was occasionally given the simple designation “postmodern,” new ideology-critical discourses and practical approaches evolved, especially within the international art fields of the 1990s. Ever since, a tendency toward political (artistic) critique has been
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ART AND IDEOLOGY CRITIQUE AFTER 1989
palpable, a tendency that has articulated itself increasingly within institutional frameworks over the last two decades, not always without contradictions, yet often with the aspiration to position oneself and one’s doings “strategically” and ideology-critically. Here, the characterization “strategic” often means nothing more, but also nothing less, than the desire to have recourse to ideology critique, even if we know that “ideology” can no longer be understood as “necessarily false consciousness.” The time after 1989 is most notably characterized by a wide-ranging pluralism as concerns methods of critique. With the large-scale exhibitions Magiciens de la Terre or the third Havana Biennial (both in 1989), an important keyword for politicized new approaches in the art field established itself: decentralization. The concept of decentralization, which in the foreground denotes only a geographic dimension, evolves in the same moment into an idea for a fundamental epistemological alternative, which is flanked by benchmark-setting social, technological, and political innovations (techno, the Internet, networked and dancing opponents of globalism, etc.). Cultural Studies, Gender Studies, and Post-Colonial Studies establish themselves as important references in the academic mainstream and in the institutionalized art field. Michel Foucault becomes the most quoted thinker of the humanities, and his theories are transformed into a popular source of ideas for an exhibition enterprise that considers itself post-ideological. Others follow like a wave: Deleuze/Guattari, Rancière, Agamben, Latour, etc., whom the art scene celebrates as theory superstars and readily utilizes as critical foundations for post-critical exhibitions. This tendency is accompanied by the gradual privatization of collections, museums, and educational institutions. Today, logics of privatization to a large extent define our self-conception when it comes to conditions of employment and our own standards of personal productivity. This also applies to the production of critical perspectives in areas of education. Under the title Genealogical Constellations, the first part of this book develops a historic-systematic entryway to the ideology critique of yesterday and today. The second part focuses on Diagnoses of our Times, striving to link concrete objects of examination—and individual testimonies—with recent developments in the contemporary field of art. The current worldwide economic crisis and accompanying collapse of the traditional civic and liberal canon of values prompt us to broaden, under modified terms and on the basis of theoretical reflections and empirical investigations, the question of the necessity of ideology critique. The book before you is the result of extensive discussions—not only among its editors. Beyond that, it is based on a seminar and a symposium that took place in September 2012 as part of the Summer Academy in the KUB Arena at Kunsthaus Bregenz, in cooperation with the Institute for Art Theory and Cultural
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Studies at the Academy of Fine Arts Vienna. Our thanks go to all participants, students, and lecturers for their dedicated contributions to these debates. As a collaboration between a range of different protagonists in the field of contemporary art and its surroundings, this book is also an expression of growing interest in the intensified examination of those material realities which combine to form the “art system” as such. With extensive reconstructions and genealogical papers on the ideology critique of times past, the seminar and Summer Academy located us, as a matter of course, in the context at issue; we too became a symptom of an ideological art and knowledge enterprise. The seminar and academy also revealed, however, that much study remains to be done in the area of ideology research in contemporary art. In no way do we wish to claim with this book that the ideological field of art and knowledge has already been analyzed consistently and without interruption from contemporary art’s perspective. Instead, our hope is that this book can serve as a modest contribution in an effort to at least raise the readership’s awareness of ideology critique as a subject of study. Eva Birkenstock, Max Jorge Hinderer Cruz, Jens Kastner, and Ruth Sonderegger, Bregenz/Vienna/Berlin, June 2013
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ZUR KRITIK VON KRITIKEN DER IDEOLOGIEKRITIK. GENEALOGISCHE KONSTELLATIONEN UND ZEITDIAGNOSEN Max Jorge Hinderer Cruz, Ruth Sonderegger
1. Wovon gehen wir eigentlich aus? Warum hängen wir so am Ideologiebegriff und noch mehr an der Praxis der Ideologiekritik? Warum erscheint uns das mit Blick auf 1989 immer wieder behauptete Ende der Ideologien als skandalös? Was wollen wir eigentlich ideologiekritisieren – im Kunstfeld und darüber hinaus? Welche künstlerischen Praktiken missversteht man, wenn man sie nicht (auch) als Antwort auf Herausforderungen der Ideologiekritik ernst nimmt? Sind künstlerische Praktiken ausgezeichnete Modi der Ideologiekritik? Diese Fragen haben wir uns im Zuge der Vorbereitung des Seminars und der Konferenz, die diesem Band zugrunde liegen, immer wieder gestellt und sie haben sich uns im Lauf der Verfertigung des Buches noch widerspenstiger in den Weg gestellt. Und diese Fragen bleiben. Bereits im Vorfeld der Sommerakademie im Kunsthaus Bregenz hatten zwei Fragen unsere Auseinandersetzung mit Kunst und Ideologiekritik nach 1989 geprägt. Die erste hatte mit unserem Interesse an der Geschichte und einer möglichen Genealogie der Ideologiekritik zu tun: Wie weit muss man zurückgehen, um über Kunst und Ideologiekritik nach 1989 sprechen zu können? Die zweite Frage bezog sich auf unseren Wunsch, Ideologiekritik nicht auf eine rein theoretische Angelegenheit zu reduzieren, sondern auch in (künstlerischen) Praxisformen zu verorten; d. h. den Wunsch, Ideologiekritik in Praktiken des Kunstfelds der Gegenwart gerade dort sichtbar zu machen, wo sie ausgeblendet oder von herrschenden Repräsentationssystemen verdeckt wird. Wir können beide Fragen in einer Einleitung nicht beantworten. Wir wollen aber skizzieren, wie diese Fragen zuallererst ein Feld von Problemstellungen und Verbindungen sichtbar gemacht haben, die uns im Verlauf unseres Projekts u.a. auf einige der in diesem Band versammelten AutorInnen verwiesen haben. Wie weit also in der Geschichte zurückgehen, um über Kunst und Ideologie
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ZUR KRITIK VON KRITIKEN DER IDEOLOGIEKRITIK
kritik nach 1989 sprechen zu können, ohne dabei gleich die halbe Philosophiegeschichte der Neuzeit mit auf den Verhandlungstisch zu legen? Aus pragmatischen Gründen haben wir beschlossen, die von Jan Rehmann als „ideologietheoretische Wende“ beschriebene theoretische Neuorientierung der Ideologiekritik in den 1960er Jahren als Ausgangspunkt zu nehmen und Louis Althusser zu unserer zentralen Referenz zu machen. Denn bei Althusser, so scheint es, kommen besonders viele Themen zusammen, mit denen wir uns beschäftigt haben: eine Neuorientierung in der marxistischen Tradition, der historische Kontext um den Mai ’68 in Paris sowie das grundlegende Interesse an einer materialistischen Wissenschaft, nicht zuletzt auch der Zusammenhang von Kunst und Ideologie. Überhaupt, so predigt Slavoj Žižek auf der Buchrückseite der letzten deutschsprachigen Pour Marx-Ausgabe (dt. Für Marx), ist Althusser „der große Abwesende der gegenwärtigen linken Theorie. Obwohl sein Name nur selten erwähnt wird, sind die von ihm geprägten Begriffe überall zu finden – von der Überdetermination bis zu den ideologischen Staatsapparaten“.1 Tatsächlich ist Althusser nicht nur in der zeitgenössischen (französischen) linken Theorie ein – in seiner An- und Abwesenheit – stets gegenwärtiger Denker, sondern er ist es auch in der heute etablierten (internationalen) Kunst- und Kulturtheorie. Er taucht als ausgewiesene Referenz bei so unterschiedlichen AutorInnen wie Rosalind Krauss (z. B. in The Optical Unconscious, 1994) und Nicolas Bourriaud (z. B. in Relational Aesthetics, 1998) auf, steht an zentraler Stelle bei Fredric Jamesons berühmter Postmoderne-Kritik (The Cultural Logic of Late Capitalism, 1991) und ist etwa mit seiner Figur der Interpellation (dt. Anrufung) über DenkerInnen wie Judith Butler und Stuart Hall zudem zu einer kanonischen Referenz in den Post-Colonial-, Cultural-, Gender- und Performance-Studies geworden. Darüber hinaus ist Althusser als implizite Referenz in vielen Werken seiner Wegbegleiter und Schüler präsent. Deren teilweise späte Rezeption ist wiederum aus den Geisteswissenschaften seit den 1990er Jahren nicht mehr wegzudenken. Mehr noch als die Althusser näher stehenden Pierre Macherey und Étienne Balibar betrifft das vor allem Theorie-Superstars wie Michel Foucault, Jacques Derrida, Pierre Bourdieu, Alain Badiou und Jacques Rancière, die sich von Althusser abwenden oder sich sogar explizit gegen Althusser in Stellung bringen. Für unser Vorhaben machte es also durchaus Sinn, Althusser in den Mittelpunkt der theoretischen Überlegungen zurück-
1 Siehe Louis Althusser, Gesammelte Schriften, hg. von Frieder Otto Wolf, Bd. 3: Für Marx, Frankfurt a. M. 2011. Das nicht weiter ausgewiesene Zitat Žižeks lautet vollständig: „Louis Althusser ist der große Abwesende der gegenwärtigen linken Theorie: Obwohl sein Name nur selten erwähnt wird, sind die von ihm geprägten Begriffe überall zu finden – von der Überdetermination bis zu den ideologischen Staatsapparaten. Es ist an der Zeit, ihn dorthin zurückzuholen, wo er hingehört: in den Mittelpunkt unserer theoretischen Kämpfe.“
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zuholen, allerdings nicht ohne uns auch damit auseinanderzusetzen, dass Althusser eine durchaus widersprüchliche Figur ist. Besonders interessant war für uns, dass das theoretische Erbe Althussers immer wieder im Verhältnis zu Praxisformen in Anschlag gebracht wurde, die zum expertokratischen Wissenschaftsverständnis Althussers bisweilen im krassen Gegensatz stehen, ohne dass dieser Gegensatz je aufgelöst worden wäre; wie wir später sehen werden, oft zuungunsten des Ideologiebegriffs selbst. Als wir in der letzten Septemberwoche 2012 mit unserem Seminar in Bregenz begannen, setzte die Diskussion mit den Studierenden aus Wien und München nicht 1989 an – auch nicht ’68 –, sondern 1956: mit dem Entstehen der sogenannten Neuen Linken, ausgelöst durch die Reaktionen auf unterschiedliche politische Ereignisse nach dem 20. Parteitag der KPdSU in Moskau und der Aufdeckung der Verbrechen des Stalinismus. Wir begannen bei der Niederschlagung des Arbeiter- und Volksaufstands in Ungarn und dem Ausbruch des arabisch-israelischen Konflikts samt der Suez-Krise (im gleichen Jahr) sowie den globalpolitischen Interessen, die in die Suez-Krise mit hineinspielten. Im Seminar wurde schnell deutlich, dass wir in einer Diskussion über Ideologiekritik nicht umhinkonnten, die Ideologie selbst als wandelbare Kategorie im politischen und theoretischen Diskurs zu begreifen. Vor dem Hintergrund der erschütternden geopolitischen Ereignisse, die in den Zweiten Weltkrieg führten, sowie der Barbarei während des Zweiten Weltkriegs und den Ereignissen rund um 1956 musste der Ideologiebegriff (spätestens ab 1956) neu gedacht werden. In den Neuverhandlungen des Ideologiebegriffs auf internationaler Ebene und in den neuen Formen der politischen Bewegungen, wie sie sich nach 1956 – vielleicht am deutlichsten um 1968 herum – formierten, fanden wir einen fruchtbaren Ansatzpunkt. Von dort aus versuchten wir nachzuvollziehen, ob und wie die historischen auch mit epistemologischen Umbrüchen in Bezug auf Kunst und Ideologiekritik zusammenhängen – nicht nur nach 1956 oder 1968, sondern eben auch nach 1989. Offensichtlich waren die Artikulationsformen von Kunst und Ideologiekritik, die nach 1956 – vor allem aber in den 1960er bis 1970er Jahren – im Feld der Kunst und im Zusammenhang mit Akteuren oder Kollektiven der Neuen Linken entstanden, untrennbar verbunden mit der Erfindung von neuen Formen der künstlerischen Produktion, aber auch neuen Formen der Politik. Sie haben bis heute gültige Maßstäbe für das System „Zeitgenössische Kunst“ gesetzt. So lassen sich auch Konsumkritik, Institutionskritik, Repräsentationskritik, Rassismuskritik, feministische und Kolonialismus-kritik in den Nachkriegsavantgarden nicht trennen von situativen Interventionen, von Performance und Happening, von der sogenannten „Dematerialisierung“ der Kunstobjekte in ihren diversen Spielarten, von Minimal und Concept, Pop und Op, Film- und Videokunst, Medienkunst und ihren Installationen im weitesten Sinne, Environments etc.
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ZUR KRITIK VON KRITIKEN DER IDEOLOGIEKRITIK
Im Licht der vielfältigen Überschneidungen und gleichzeitigen strukturellen Erneuerungen von „Kunst und Ideologiekritik“ in den 1960er und 1970er Jahren scheint es uns umso interessanter festzustellen, dass die Entwicklungen in beiden Feldern seitdem keineswegs analog zueinander verlaufen sind. Dementsprechend haben wir uns in der Vorbereitung auf die Sommerakademie zum Thema Kunst und Ideologiekritik nach 1989 dafür entschieden, bei der Ideologiekritik anzufangen; genauer gesagt bei der Kritik an der Ideologiekritik. Erst später haben wir uns wieder auf jenen Pfad begeben, den die kunstfeldimmanenten KritikerInnen – diejenigen, die der sogenannten Kritikalität des Kunstfelds Namen und Gesichter geben – in den letzten 40 Jahren an der Schnittstelle von Kunst und Kritik immer wieder abgegangen sind, und zwar in Verteidigung der ethischen und politischen Integrität der Kunst. Manche haben es geschafft, trotz ihrer Praxis der expliziten (Ideologie-)Kritik einen festen Platz an prominenten Orten der zeitgenössischen Kunst und in Großausstellungen zu behalten: von Hans Haake über Andrea Fraser zu Hito Steyerl und der Gruppe Chto Delat, von Catherine David zu Okwui Enwezor. Denn vielleicht zeichnet sich das Feld der Kunst mittlerweile gerade dadurch aus, dass es seinen eigenen KritikerInnen einen besonders geschätzten Kanon der Anerkennung widmet. Wir sagen es lieber gleich: Wir sind nicht mehr dazu gekommen, eine repräsentative Übersicht der verschiedenen Artikulationen künstlerischer Ideologiekritik im Kunstfeld nach 1989 zu erstellen. Nicht einmal ansatzweise – falls wir das je wollten. Bald war uns klargeworden, dass das eigentliche Sorgenkind im Seminar und bei der Konferenz nicht die Kunst war, der schien und scheint es gut zu gehen. Unsere Sorge galt vor allem der Ideologiekritik. Denn, so stellt Balibar treffend fest: Ganz offensichtlich hat die Philosophie Marx niemals seinen Begriff der Ideologie vergeben: Sie hat niemals in ihren Bemühungen nachgelassen, zu zeigen, dass es sich um eine begriffliche Fehlkonstruktion handelt, die keine eindeutige Bedeutung aufweist, und durch die Marx in Widerspruch mit sich selbst gerät.2 Offensichtlich ist die Ideologiekritik auch um 1968 herum massiv unter Beschuss geraten. Eine der grundlegenden Charakteristika der Neuen Linken bestand in ihren radikalen Absagen an die „alte“, orthodoxe Linke und somit auch an eines ihrer Lieblingsthemen: die Ideologie. Das angebliche Scheitern der Revolten von 1968 wird ebenso gebetsmühlenartig als Grund für diese Welle der Kritik an der sich auf Marx berufenden Ideologiekritik angeführt wie das Bekanntwerden bzw. Zur-Kenntnis-Nehmen der stalinistischen Verbrechen. In diesem Sinn äußern sich ein Jahr nach dem Erscheinen von Anti-Ödipus 2 Étienne Balibar, Marx’ Philosophie, Berlin 2013, S. 76.
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(1972) 3 die Autoren Gilles Deleuze und Félix Guattari in einem Interview. Sie referieren dabei auf die Ideologie als „falsches Bewusstsein“ – also auf jene Formel, mit der Ideologie wohl am häufigsten umschrieben wird und die in der Kommunistischen Partei unangefochten als Paradigma erhalten geblieben war: „Wir sagen nicht: die Ideologie ist Augenwischerei (oder ein Begriff, der gewisse Illusionen bezeichnet). Wir sagen vielmehr: es gibt keine Ideologie, das ist ein illusorischer Begriff. Gerade deshalb kommt er der KP, dem orthodoxen Marxismus, so gelegen. Der Marxismus hat dem Thema der Ideologien deshalb so große Bedeutung beigemessen, um besser kaschieren zu können, was in der UdSSR vor sich ging: die neue Organisation der repressiven Macht.“ Und sie fügen hinzu: „Allenthalben begegnet man der uralten List: große ideologische Debatte auf der Generalversammlung und den Fachkommissionen vorbehaltene Organisationsfragen. Diese erscheinen zweitrangig, von den politischen Optionen festgelegt. Während die realen Probleme dagegen die Organisation betreffen, die aber weder erörtert noch rationalisiert, sondern in ideologische Termini projiziert werden.“ 4 Laut Deleuze/Guattari befindet sich die Welt in einem Zustand des Irreseins, „das in den Hospitälern keine Entsprechung hat. Aber die Ideologie ist dabei völlig bedeutungslos: was zählt, ist nicht die Ideologie, nicht einmal die Unterscheidung oder der Gegensatz zwischen ‚Ökonomischem‘ und ‚Ideologischem‘, sondern vielmehr die Organisation der Macht“.5 Nicht zuletzt sind derlei theoretische Aufteilungen – die Unterteilung der Gesellschaft und Produktion mittels der drei säuberlich voneinander getrennten Kategorien „Politik, Ökonomie und Ideologie“ (wie sie Friedrich Engels vorschlug) – und verhärtete binäre Konstruktionen wie Basis/Überbau, Produktion/Reproduktion etc. für Deleuze und Guattari deshalb unannehmbar, weil für sie die Ideologie genauso wenig restlos im „Überbau“ aufgeht, wie der Wunsch (und das Leben) restlos in der „Reproduktion“ aufgeht. Vielmehr begründen diese theoretischen Aufteilungen (und andere Leitmotive der Parteiideologie ihrer Zeit) eine praktische Komplizenschaft mit einem repressiven System, dem des Sowjetkommunismus, der für Deleuze/Guattari zum Kapitalismus und der liberalen Marktwirtschaft keine annehmbare Alternative darstellt. Bei den Revolten um 1968 ging es aber oftmals genau darum: um Alternativen. Man muss den Anti-Ödipus nicht gelesen haben, um zu verstehen, dass die Absage an die Ideologie als relevante Kategorie der Kapitalismuskritik auch als performative Stellungnahme zu verstehen ist, als Intervention im politischen Diskurs und als unmissverständliche Geste der Abgrenzung gegenüber dem orthodoxen Marxismus. Diese Geste teilen Deleuze und Guattari mit vie3 Gilles Deleuze und Félix Guattari, Anti-Ödipus, Frankfurt a. M. 1977. 4 Siehe Gilles Deleuze und Félix Guattari, „Über den Kapitalismus und den Wunsch“, in: Gilles Deleuze, Die einsame Insel. Texte und Gespräche 1953–1974, Frankfurt a. M. 2003, S. 381–397, hier S. 383–384. 5 Ebd.
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len DenkerInnen ihrer Zeit. Ähnlich wie Foucault oder Bourdieu sollten später auch Deleuze und Guattari wieder vermehrt auf die Kategorie des Ideologischen Bezug nehmen, wenn sie diese auch in neuen Begriffen zu fassen versuchten, so z. B. mit den Begriffen des „Habitus“ (Bourdieu) oder der „Gouvernementalität“ (Foucault). Guattari seinerseits schlägt vor, methodologisch „Ideologie“ durch „Produktion von Subjektivität“ zu ersetzen und nähert sich damit trotz der Absage an den Begriff der Ideologie zweifellos wieder an Althussers ideologische Staatsapparate an. Viel unmittelbarer jedoch scheint Guattaris „Produktion von Subjektivität“ an Althussers frühere Überlegungen zu Ideologie und der „Produktion von Bewusstsein“ im Verhältnis zur Kunst in Für Marx anzuschließen, wobei die Auseinandersetzung mit Kunst und Ideologie – nach Balibars Einschätzung – das „eigentliche theoretische und geometrische Zentrum“ von Für Marx darstellt.6
2. Welche (Geschichte der) Ideologiekritik meinen wir? Bereits in den frühen 1960ern, als viele hämisch den Tod von Marx verkündeten, arbeitet insbesondere Louis Althusser an einer neuen Fassung marxistischer Ideologiekritik – jedoch nicht als Antwort auf die damals überlaut vorgetragenen Abgesänge auf Marx. Althussers 1965 erschienene Aufsatzsammlung Für Marx macht deutlich,7 dass er schon seit einiger Zeit mit dem Projekt befasst war, die Marx’sche Ideologiekritik zu transformieren. Die Tatsache, dass Althusser in seinem wohl bekanntesten Text zur Ideologie – in Ideologie und ideologische Staatsapparate 8 – auch auf die Ereignisse von 1968 reagiert, hat seine schon viel früher begonnene Transformationsarbeit in Bezug auf
6 Siehe Louis Althusser, „Das Piccolo Teatro – Bertolazzi und Brecht. Bemerkungen über ein materialistisches Theater“, in: ders., Für Marx (1965), aus dem Französischen von Werner Nitsch u. a., hg. von Frieder Otto Wolf, Frankfurt a. M. 2011, S. 161–190, hier S. 190. Trotz der geringen akademischen Beachtung, die dieser Text gefunden hat, stellt Étienne Balibar im Vorwort der französischen Neuauflage von Pour Marx 1996 fest, dass der „Piccolo Teatro“-Text das „eigentliche geometrische und theoretische Zentrum“ von Pour Marx sei. Dabei ist – wie Warren Montag in Bezug auf Balibars Aussage suggeriert – aufschlussreich, dass die Schriften Althussers über Kunst vielleicht weniger Einblicke in das Wesen oder die Entwicklung der Kunst bieten können. Vielmehr ermöglichen sie einen tieferen Einblick in die frühe Ideologietheorie Althussers und damit auch einen „neuen Zugang“ zu seinen Gedanken. Auf einen solchen neuen Zugang lässt sich deshalb spekulieren, weil Montag in seiner Re-Lektüre Althussers dessen wenig rezipierte Texte zur Kunst in den Vordergrund rückt, obwohl sein Anliegen nicht darin besteht, Althusser als Kunst- oder Literaturkritiker zu etablieren. Montag geht es vielmehr um die Entwicklung von Althussers Ausführungen zur Ideologie. Vgl. Warren Montag, „Towards a New Reading of Louis Althusser“, in: ders., Louis Althusser, Houndmills Basingstoke 2003, S. 16–71, hier S. 23. 7 Eine Neuausgabe der deutschen Fassung ist 2011 erschienen: Louis Althusser, Für Marx, wie Anm. 6. 8 Louis Althusser, Ideologie und ideologische Staatsapparate, 1. Halbband, hg. von Frieder Otto Wolf, Hamburg 2010.
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die Ideologiekritik verdeckt. Zumindest in Bezug auf Althusser ist es deshalb falsch, eine bestimmte Kritik an der Ideologiekritik lediglich als Verarbeitung der – angeblich gescheiterten – revolutionären Ereignisse von 1968 zu interpretieren. Es ist auch deshalb falsch, weil Althusser viel daran gelegen ist herauszuarbeiten, dass bereits Marx gegen ein vereinfachtes Ideologieverständnis argumentiert hat, an dem Marx selbst freilich nicht vollkommen unschuldig war. So ist zumindest in manchen Texten von Marx polemisch vereinfachend davon die Rede, dass die ökonomische (materialistische) Basis den ideologischen (ideellen) Überbau schlicht und einfach determiniert. Inbegriff dieser unterkomplexen Verhältnisbestimmung zwischen materialistischer Basis und Ideologie ist in den Augen Althussers die Bemerkung von Marx: „Die Handmühle ergibt eine Gesellschaft mit Feudalherren, die Dampfmühle eine Gesellschaft mit industriellen Kapitalisten.“ 9 Althusser zufolge sollte man diese Karikatur allerdings so schnell wie möglich fallen lassen, denn „[…] wie viele unwiderlegbare Texte gegen den Ökonomismus stehen da diesem [einen] nur allzu berühmten Text über die Dampfmaschine gegenüber!“ 10 Vor diesem Hintergrund geht es Althusser in den Aufsätzen seines Buchs Für Marx darum, einen anderen Marx in Erinnerung zu rufen bzw. zugänglich zu machen – einen nicht deterministischen und einen insofern anti-hegelianischen, als er die Opposition zwischen zugrunde liegendem Wesen und davon abzuleitenden Erscheinungen hinter sich lässt, und zwar ganz grundsätzlich, unabhängig davon, ob man – wie Hegel – das Geistige zum Wesen erklärt oder – wie gewisse reduktionistische Marxisten – die materiellen Verhältnisse zur alles determinierenden Grundlage macht.11 Verabschiedet man die Dichotomie von Wesen und Erscheinung, so gibt es weder eine Einbahnstraße vom Geist zur Materie noch eine von den ökonomischen Verhältnissen zu den mentalen (ideologischen) Begleiterscheinungen. Determinationen wirken wechselseitig und werden vielfältig, ja polymorph. In diesem Sinn hält Althusser in Widerspruch und Überdetermination (1962) fest: „Bei Marx verschwindet die Vorstellung von der stillschweigenden Identität […] zwischen dem Ökonomischen und dem Politischen; sie wird durch eine neue 9 Marx, Karl/Friedrich Engels, Marx-Engels-Werke (MEW), Bd. 4, hg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin/DDR 1957ff., S. 30; Louis Althusser, „Widerspruch und Überdetermination“, in: ders., Für Marx, wie Anm. 6, S. 105–160, hier S. 132. 10 Ebd., S. 133. Auf eine analoge Stelle (MEW 3) beim sehr jungen Marx weist János Weiss im Gespräch mit Ágnes Heller hin. Vgl. das in diesem Band abgedruckte Gespräch. 11 Althussers oft beschworener Anti-Hegelianismus (zugunsten Spinozas) ist allerdings durchaus einer Überprüfung wert. Wie Katja Diefenbach feststellt, kann gerade Althussers Begriff der Überdetermination nicht zuletzt auch im Zeichen Hegels gelesen werden. Darauf weist Diefenbach in ihrem Text „Althusser with Deleuze: how to think Spinoza’s immanent cause“ anhand von Jean Hyppolites Hegel-Lektüre hin, die für Althusser (und andere französische TheoretikerInnen) als von entscheidendem Einfluss gelten können. (In: Katja Diefenbach, Sara Ferris, Gal Kirn und Peter Thomas (Hg.), Encountering Althusser. Politics and Materialism in Contemporary Radical Thought, New York/London 2013, S. 165–184, hier insbes. S. 170–173.) Warren Montag verweist darauf, dass Pierre Macherey bereits 1965 in einem Briefwechsel mit Althusser von durchaus
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Auffassung des Verhältnisses der determinierenden Instanzen im Komplex Basis und Überbau ersetzt“.12 Etwas später ist im gleichen Aufsatz von der „relative[n] Autonomie der Überbauten und ihre[r] spezifische[n] Wirksamkeit“ die Rede.13 Vor diesem Hintergrund ist die bekannte These Althussers in Ideologie und ideologische Staatsapparate (1970) zu verstehen, wonach für die Aufrechterhaltung der bestehenden Produktionsverhältnisse Repression und physische Gewalt nicht ausreichen bzw. nicht zielführend sind; dass vielmehr nur das Zusammenspiel der repressiven mit den sogenannten ideologischen Staatsapparaten zu dem Ziel führt, die bestehenden Produktionsverhältnisse zu reproduzieren: „Wie Marx sagte, weiß jedes Kind, dass eine Gesellschaftsformation, die nicht zur gleichen Zeit, wie sie produziert, auch ihre Produktionsbedingungen reproduziert, kein Jahr überleben würde.“ 14 Mit anderen Worten: ohne Schulen, Universitäten, Rechtssysteme, aber auch Religionen und Künste etc. könnten die herrschenden kapitalistischen Produktionsverhältnisse nicht bestehen – geschweige denn bestehen bleiben. An die unorthodoxen Marx-Lektüren Althussers knüpft in der Folge unter anderen Stuart Hall an; und zwar im Wissen darum, dass die meisten Althusser-Schüler – am prominentesten wohl Bourdieu, Foucault und Rancière – sich vehement vom Begriff der Ideologie und von der Ideologiekritik als theoretischer Herausforderung distanzieren. Hall knüpft an jenen Althusser an, der die orthodoxen und bekanntesten Thesen von Marx zur Ideologie, wie dieser sie vor allem in Die deutsche Ideologie formuliert hat, als Polemik relativiert und einen Marx dagegen hält, der mehrfache Determinationen ohne letzte Instanzen und Garantien zulässt.15 Viel wichtiger als die orthodoxen und polemischen Thesen von Marx (und Engels) sind für Hall etwa Marx’ methodische Überlegungen in den Grundrissen.16 Damit entscheidet er sich nicht nur für einen bestimmten, und zwar den unorthodoxen Marx, sondern gibt auch dem frühen, unorthodoxen Althusser gegenüber dem Althusser der ideologischen Staatsapparate den Vortritt: „Deshalb möchte ich im Folgenden nicht den protoLacan’schen, neo-Foucault’schen, prä-Derrida’schen Text von Althusser IdeoHegel’schen Implikationen der Theorie Althussers spricht. Siehe dazu Montags Einleitung zu der von ihm herausgegebenen Schriftensammlung Machereys In a Materialist Way. Selected Essays by Pierre Macherey, New York/London 1998, S. 7–8. Die AutorInnen danken Katja Diefenbach für diesen Hinweis. 12 Louis Althusser, „Widerspruch und Überdetermination“, wie Anm. 9, S. 137. 13 Ebd. 14 Louis Althusser, Ideologie und ideologische Staatsapparate, wie Anm. 8, S. 37. 15 Vgl. Stuart Hall, „Ideologie und Ökonomie. Marxismus ohne Gewähr“ und „Bedeutung, Repräsentation, Ideologie. Althusser und die poststrukturalistischen Debatten“, beide in: Stuart Hall, Ideologie, Identität, Repräsentation, Ausgewählte Schriften 4, hg. von Juha Koivisto und Andreas Merkens, Hamburg 2004, S. 8–65. 16 Diesen methodischen Bemerkungen in den Grundrissen hat Hall auch einen instruktiven Aufsatz gewidmet: „Marx’s notes on method: A ‚reading‘ of the 1857 Introduction“, in: Cultural Studies 17 (2), 2003, S. 113–149 (Erstveröffentlichung 1974).
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logie und ideologische Staatsapparate von 1970 erläutern, sondern, trotz all seiner Fehler, den theoretisch weniger ausgefeilten Band Für Marx von 1965, der meines Erachtens schöpferischer und origineller ist, vielleicht weil er vorsichtiger operiert. Insbesondere der Essay Widerspruch und Überdeterminierung denkt genau über komplexe Formen der Determinierung nach, ohne sie auf eine einfache Einheit zu reduzieren. […] Indem es uns ermöglichte, über verschiedene Ebenen und verschiedene Arten der Determinierung nachzudenken, gab uns Für Marx, was uns Das Kapital lesen nicht gab: Die Fähigkeit, […] bestimmte ideologische Formationen (Humanismus) als von mehr als einer Struktur determiniert zu sehen (das heißt, den Prozess der Überdeterminierung zu denken).“ 17 Mit anderen Worten: Hall interessiert sich für jenen Althusser und jenen Marx, die den Ökonomismus ebenso hinter sich gelassen haben wie den Klassenreduktionismus, wonach die ideologische Position einer Klasse automatisch ihrer Position in der Produktion entspricht. Es handelt sich um einen Marx und einen Althusser, die sich gegen die Einsicht wenden, „die man aus Marx/Engels Die deutsche Ideologie bezogen hat, dem Grundtext der klassischen Ideologietheorie des Marxismus: Dass herrschende Ideen immer mit der Position der herrschenden Klasse übereinstimmen; dass die herrschende Klasse als Ganzes ein eigenes Bewusstsein hat, das sich in einer bestimmten Ideologie festmachen lässt“.18 Am Althusser der Staatsapparate hebt Hall die Weiterentwicklung des Gedankens der (teilweisen) Autonomie und der determinierenden Kraft des sogenannten Überbaus hervor und er schätzt außerordentlich, dass Althusser in den Überlegungen zu den ideologischen Staatsapparaten den Praktiken im Allgemeinen und der Sprachpraxis im Besonderen ein bis dahin unbekanntes Gewicht einräumt.19 Denn mit diesen Praktiken kommen Strukturen in den Blick, die aufgrund ihrer Vieldeutigkeit niemals vollständig und damit auch nie eindeutig determiniert sind. Hall zufolge eröffnet die Konzeption von Ideologien als Praktiken sogar Handlungsspielräume, die Althusser selbst in seinem Buch zu den ideologischen Staatsapparaten leugnet, indem er die Staatsapparate dort so funktionalistisch konzipiert, dass sie die bestehenden Produktionsverhältnisse reibungslos reproduzieren. Sie bringen am laufenden Band Subjekte hervor, die die bestehenden Praktiken bestätigen und fortsetzen. Bekanntlich scheitert die Anrufung der Althusser’schen Subjekte seitens der ideologischen Staatsapparate nie, zumindest scheint diese Variante für Althusser nicht von Interesse, sondern führt geradezu zauberhaft zu den gewünschten Antworten und Handlungen. Nicht ohne Grund wird in Judith Butlers Auseinandersetzung 17 Stuart Hall, „Bedeutung, Repräsentation, Ideologie“, wie Anm. 15, S. 37. 18 Ebd., S. 42. Ähnlich knüpft auch Warren Montag an Für Marx an, und zwar zulasten der in der Rezeption im Vordergrund stehenden Theorie der ideologischen Staatsapparate. Vgl. Warren Montag, Louis Althusser, wie Anm. 6; vgl. auch Katja Diefenbach u. a., wie Anm. 11. 19 Vgl. Jens Kastner, „Ideologie und Habitus“, abgedruckt in diesem Band.
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mit Althusser die zentrale Frage lauten, ob und wie man im Angesicht der ideologischen Staatsapparate ein „schlechtes“, d. h. ein widerständiges Subjekt werden kann.20 Aber kehren wir zurück zu Stuart Hall, in dem Butler merkwürdigerweise keinen Komplizen in Sachen schlechte, widerständige Subjekte sieht. Hall zufolge findet man schon bei Marx und erst recht bei Althusser ausreichend Bausteine für eine überzeugende Ideologiekritik, d. h. für eine Ideologiekritik, die weder die ausgebeuteten Massen noch die Kapitalisten „wie erklärte Deppen aussehen“ lässt,21 was eben dann der Fall wäre, wenn eine ökonomische Struktur gleichermaßen das vorgeben würde, was die kapitalistischen Profiteure denken, wie das, was die nicht nur Ausgebeuteten, sondern auch über ihre wahren Wünsche und Überzeugungen Getäuschten glauben. Halls Vorschlag lautet: Statt das ideologische Bewusstsein, wie es sich immer auch materiell in Praktiken manifestiert, als vollkommen falsch zu beschreiben, sollte man (im Anschluss an Marx) viel eher von einem verzerrten Bewusstsein oder auch von strukturellen Halb-Wahrheiten sprechen,22 die ganz bestimmte Aspekte eines Sachverhalts – etwa, um beim Master-Beispiel von Marx zu bleiben, den Produktionsaspekt der kapitalistischen Ökonomie – ausblenden. Unter dieser Prämisse kann eine Analyse der bestehenden Praktiken und der zu ihnen gehörigen Bewusstseinsformen nicht mehr getrennt werden von der Neuartikulation des gleichzeitig analysierten, kritisierten und transformierten Sachverhalts. Die Grundlage für ideologiekritische Neu-Artikulationen im Sinne Halls, die man von Des-Artikulationen und Strategien des aktiven Verlernens nicht trennen kann, ist die Einsicht, dass alle Verhältnisse und Sachverhalte verschieden ausgedrückt und die Ausdrücke wiederum verschieden interpretiert werden können, also immer bewusste und unbewusste Lücken aufweisen: „Aber – und damit bewegen wir uns möglicherweise im Gegensatz zu der Emphase dessen, womit ‚Materialismus‘ gewöhnlich assoziiert wird – die ökonomischen Verhältnisse können nicht von sich aus eine bestimmte, festgelegte und unveränderliche Art und Weise vorschreiben, um sie begrifflich zu erfassen. Es kann in unterschiedlichsten ideologischen Diskursen ausgedrückt werden. […] Auch haben wir die Unterscheidung ‚wahr‘ und ‚falsch‘ verworfen und durch andere, genauere Ausdrücke wie ‚partiell‘‚ ‚adäquat‘ oder ‚einseitig‘ und ‚in seiner differenzierten Totalität‘ ersetzt.“ 23
20 „Here one might usefully conjecture that the reason there are so few references to ‚bad subjects‘ in Althusser is that the term tends toward the oxymoronic. To be ‚bad‘ is not yet to be a subject (…).“ Judith Butler, „Conscience Doth Make Subjects of Us All. Althusser’s Subjection“, in: Judith Butler, The Psychic Life of Power, Stanford/CA 1997, S. 106–131, hier S. 118f. Vgl. auch Ruth Sonderegger, „Ideologie und Subjektivierung“, abgedruckt in diesem Band. 21 Stuart Hall, „Ideologie und Ökonomie. Marxismus ohne Gewähr“, wie Anm. 15, S. 16. 22 Ebd., S. 22f. 23 Ebd., S. 25.
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Das könnte man zunächst noch so verstehen, als ginge es um einen möglichst vollständigen oder adäquaten Begriff eines bestimmten Sachverhalts oder Verhältnisses. Doch hier bleibt Hall nicht stehen. Sein ideologiekritisches Konzept der Neu-Artikulation (die immer auch eine Des-Artikulation impliziert) analysiert bedeutungsgenerierende Ketten von Konnotationen und aufeinander verweisende Handlungen, die wiederum mit Begriffen ebenso verbunden sind wie mit Bedeutung generierenden kollektiven Praxisformen (z. B. sozialen Bewe gungen, aber auch konsumorientierten Subkulturen im Verhältnis zur Musikindustrie etc.). Halls Analyse zielt dabei nicht nur auf die mehrfache Determinierung von Praxisstrukturen ab; er weist auch auf Vereinseitigungen hin, denen sie gleichzeitig zu unterliegen scheinen. Hall benennt in dieser Hinsicht explizit die Determinierung durch rassifizierende, klassierende und gendernde Strukturen.24 Die Des- und Neu-Artikulation geht in einer bloßen Analyse jedoch nicht auf. Sie ist immer auch eine Positionierung in einem Kampf um alternative Verständnisse und alternative Verkörperlichungen in Praxisformen. Damit schließt Hall sowohl an Gramscis Konzept der Hegemonie an, das schon Althusser als wesentliche Neuartikulation der Marx’schen Ideologiekritik ins Spiel gebracht hatte,25 als auch an die Weiterentwicklung des Gramsci’schen Ideologieverständnisses bei Ernesto Laclau. In Bezug auf Valentin Volosinov spricht Hall davon, dass die „Multiakzentuierung des ideologischen Zeichens“ einen „Klassenkampf in der Sprache“ möglich mache. 26 Eben diese Multiakzentuierung kann man jedoch auch gegen Althussers Theorie der bruchlos funktionierenden Staatsapparate wenden, und Hall tut das explizit: „Die soziale Reproduktion als solche wird zum umstrittenen Vorgang“,27 anstatt von den ideologischen Staatsapparaten einfach bruchlos vollzogen zu werden. Halls Trick besteht wie gesagt darin, aus Für Marx – auf nur scheinbar widersprüchliche Weise – einen jüngeren, zugleich aber poststrukturalistischeren Althusser herauszufiltern, der die strukturelle Determination multidirektional denkt. Diesen poststrukturalistischen Althusser wendet er dann gegen den determinis tischen Strukturalisten der Ideologischen Staatsapparate. In Halls Re-Lektüre ist dieser frühe Althusser gleichzeitig – auch das auf nur scheinbar widersprüchliche Weise – anschlussfähig an die metalinguistische Variante der Ideologiekritik à la Ernesto Laclau, die Ideologie als prinzipiell sprachlich konstituiert und performativ funktionierend begreift. Ideologie kann demzufolge bei Laclau und in Halls Lesart des frühen Althusser niemals als beständig angenommen werden. Vielmehr reproduziert sie sich über die erwähnten bedeutungsgenerierenden Ketten von Signifikanten, welche ihrerseits tendenziell unendlichen Verschiebungen unterliegen. Gleichzeitig ist Halls Althusser auch anschlussfähig an 24 25 26 27
Stuart Hall, „Bedeutung, Repräsentation, Ideologie“, wie Anm. 15, S. 51. Louis Althusser, „Widerspruch und Überdeterminierung“, wie Anm. 9, Fußnote 29, S. 140f. Stuart Hall, „Bedeutung, Repräsentation, Ideologie“, wie Anm. 15, S. 27 und S. 65. Ebd., S. 64.
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diejenigen post-ideologischen Theorien, die für die Analyse der Organisation von Macht alternative Kategorien jenseits der Ideologiekritik zu finden versuchen und eine unverkennbare Gemeinsamkeit besitzen: Ihnen allen liegen Kategorien der Praxis, des Lebens, Erlebens oder der Erfahrung zugrunde – oft mit unmittelbarem Bezug auf Körper, Sinnlichkeit und/oder Subjektivität. Deleuze’/ Guattaris Begriffe „Wunschmaschine“ und „Segmentarität“ 28, Foucaults „Zusammenschließung, Taktung und Durcharbeitung der Körper“ 29, aber ebenso sein „Dispositiv der Sexualität“ oder die „Biomacht“ als Spielart gouvernementaler Menschenführung, Bourdieus „Habitus“ und Rancières „Aufteilung des Sinnlichen“ – sie alle teilen, mal mehr, mal weniger, eine tendenziell aisthetische Alternative zu einem Ideologieverständnis, das Ideologie mit bloß mentalen Phänomenen kurzschließt. Sie tun das allerdings ganz im Sinne des bereits vom frühen Althusser postulierten „gelebten Verhältnis“ zu den Repräsentationssystemen, in die Individuen als sich fortlaufend subjektivierende Wesen eingelassen sind. Hall schreibt: Vielleicht die subversivste Implikation des Begriffs „leben“ besteht darin, dass er auf den Bereich der Erfahrung verweist. Durch die und in den Systemen der Repräsentation der Kultur „erfahren“ wir die Welt: Erfahrung ist das Produkt der Codes unserer Verständnisfähigkeit, unserer Interpretationsraster. Folglich gibt es keine Erfahrung außerhalb der Kategorien von Repräsentation oder Ideologie. Die Vorstellung, dass unsere Köpfe voller falscher Ideen stecken, die allerdings aufgelöst werden können, wenn wir uns „dem Wirklichen“ in einem Akt absoluter Authentisierung öffnen, ist wohl die ideologischste aller Konzeptionen.30 In gewisser Hinsicht setzt sich Hall mit seiner Position zwischen alle Stühle. Auf der einen Seite wehrt er die Tendenz zur Totalisierung der Praxis (zulasten diskursiver Phänomene) ab, auf der anderen Seite findet er die Bedeutung des Praxisbegriffs als Kritik des reinen Bewusstseinsphänomens wichtig. Vor allem aber besteht er auf der Kategorie lebendiger Praktiken. Hall erläutert das abschließend in einer zumindest angefangen Analyse und Kritik des sowohl rassifizierenden als auch klassierenden Begriffs „schwarz“; und zwar im Ausgang von den durchaus widersprüchlichen und deswegen einander auch relativierenden Anrufungen und Zuschreibungen, denen er vor dem Hintergrund 28 Zum Begriff der Segmentarität vgl. Gilles Deleuze/Félix Guattari, Tausend Plateaus: Kapitalismus und Schizophrenie, Berlin 2002, insbes. Kap. 9: „1933 – Mikropolitik und Segmentarität“, S. 283–316. 29 Vgl. Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses (1975), Frankfurt a. M. 1994, S. 192–201. 30 Stuart Hall, „Bedeutung, Repräsentation, Ideologie“, wie Anm. 15, S. 52–53.
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seiner karibischen Herkunft in Jamaica einerseits und in Großbritannien andererseits als „schwarze“ Person ausgesetzt war: Im konkreten Moment der Anrufung (als „schwarzes“ Subjekt) entlädt sich die stete Bedeutungsverschiebung und sprachliche Verkettung als Moment der Gewalt und findet so zu einem willkürlichen Abschluss (arbitrary closure); und zwar an genau jenem Ort, wo das als schwarz angerufene Subjekt auftritt, indem man es in einen historischideologischen Kontext zwingt – den Kontext der Sklaverei und der vermeintlich freien Verfügbarkeit der eigenen Arbeitskraft in der liberalen Arbeitsteilung – und das angerufene Subjekt sich „umdreht“ oder eben nicht.31 Mit dem methodologisch entscheidenden Begriff der ideologischen Halbwahrheiten kommt Hall – vielleicht unerwarteterweise – auch in direkte Berührung mit Theodor W. Adorno, der in seinem „Beitrag zur Ideologienlehre“ schreibt, dass in Ideologien „das Wahre und das Unwahre immer miteinander verschränkt“ sind. „Als objektiv notwendiges und zugleich falsches Bewußtsein […] gehört Ideologie, wenn nicht bloß der modernen, so jedenfalls der entfalteten städtischen Marktwirtschaft an. Denn Ideologie ist Rechtfertigung. […] Wo bloße unmittelbare Machtverhältnisse herrschen, gibt es eigentlich keine Ideologien. […] Demgemäß ist auch Ideologiekritik, als Konfrontation der Ideologie mit ihrer eignen Wahrheit, nur soweit möglich, wie jene ein rationales Element enthält, an dem die Kritik sich abarbeiten kann. Das gilt für Ideen wie die des Liberalismus, des Individualismus, der Identität von Geist und Wirklichkeit. Wollte man jedoch etwa die so genannte Ideologie des Nationalsozialismus ebenso kritisieren, man verfiele der ohnmächtigen Naivität.“ 32 Die Überzeugung Adornos, wonach Ideologien strukturelle, d. h. gesellschaftlich wirksame einseitige, aber nicht vollkommen falsche Rechtfertigungen sind, drückt sich auch darin aus, dass Adorno beispielsweise im Aufsatz Funktionalismus heute darauf besteht, dass Menschen ein Recht auch noch auf die Erfüllung falscher Bedürfnisse haben, dass man – ähnlich wie auch Hall das in seinem Aufsatz Kodieren-Dekodieren 33 betont – Menschen mit ideologischen Bedürfnissen nicht zu Trotteln erklären kann, sondern vielmehr das Wahre in ihrem Falschen erkennen muss, wenn man an der Des-Artikulation und Transformation von Ideologien interessiert ist.34
31 Ebd., S. 55 und S. 56–62. Zum „Umdrehen“ vgl. Ruth Sonderegger, „Ideologie und Subjektivierung“, in diesem Band. 32 Theodor W. Adorno, „Beitrag zur Ideologienlehre“ (1954), in: Gesammelte Schriften, Bd. 8, Frankfurt a. M. 1972, S. 457–477, hier S. 465. 33 In: Stuart Hall, „Ideologie, Identität, Repräsentation“, wie Anm. 15, S. 66–80. 34 In Auseinandersetzung mit den „großen Architekten von Loos bis Corbusier und Scharoun“ und der These, dass menschenwürdige Architektur besser von den Menschen denkt, als sie sind, schreibt Adorno: „Die lebendigen Menschen, noch die zurückgebliebensten und konventionell befangensten, haben ein Recht auf die Erfüllung ihrer sei’s auch falschen Bedürfnisse. Setzt der Gedanke an das wahre, objektive Bedürfnis sich rücksichtslos über das subjektive hinweg, so schlägt er, wie von je die volonté générale gegen die volonté de tous, in brutale Unterdrückung
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ZUR KRITIK VON KRITIKEN DER IDEOLOGIEKRITIK
Wir betonen diese Seite Adornos deshalb, weil sein als elitär verpöntes Denken und besonders das gemeinsam mit Max Horkheimer verfasste ideologiekritische Manifest Dialektik der Aufklärung in der deutschsprachigen Diskussion nach ’68 wohl am häufigsten als Indiz (oder gar Beweis) dafür herhalten musste, dass die von Marx inspirierte Ideologiekritik ein Irrweg ist. Nicht nur wurde Adorno (und Horkheimer) vorgeworfen, elitär einen Standpunkt außerhalb aller Ideologie in Anspruch zu nehmen – ungeachtet der Tatsache, dass Adorno und Horkheimer schon in der Vorrede der Dialektik der Aufklärung die Herausforderung thematisieren, am Kritikpotenzial der Vernunft festhalten zu wollen, obwohl sie der Vernunft zugleich eine grundsätzlich zerstörerische Logik zuschreiben. Es wurde ihnen auch zum Vorwurf gemacht, dass sie alle BewohnerInnen des 20. Jahrhunderts gleichermaßen als ideologisch verblendet beschreiben würden; unabhängig davon, ob die jeweiligen Menschen Opfer der kapitalistischen Kulturindustrie im Westen oder des staatlich verordneten Kommunismus im Osten sind. Selbst innerhalb der sogenannten Frankfurter Schule hat das zur Abwendung vom ideologiekritischen Projekt geführt, wie man am deutlichsten an Habermas’ Theorie des kommunikativen Handelns sehen bzw. nachlesen kann.35 An die Stelle der konkreten (Ideologie-) Kritik tritt dort die quasi-transzendentale Untersuchung der erkenntnis- als kommunikationstheoretischen Grundlagen der kritischen Vermögen. Das ist zugleich auch eine Absage an die kämpferischen ideologiekritischen Neu-Artikulationen, wie Stuart Hall sie am Beginn der 1980er Jahre vorgeschlagen hatte. Kein Wunder also, dass das Projekt Ideologietheorie, das sich in den späten 1970er Jahren im Umfeld von W. F. Haug an der FU in Berlin formierte, an die französische Traditionslinie Althussers – mit Gramsci als Vorläufer und Hall als Weiterentwickler – anknüpfte und nicht an die Frankfurter Schule.36 Mit der auch von Habermas gegen die erste Generation der kritischen Theorie gerichteten These, dass es vermessen sei, als TheoretikerIn (statt als sogenannter einfacher Bürger) Menschen falsche Bedürfnisse zuzuschreiben und sie dafür auch noch zu kritisieren, befindet Habermas sich in einer merkwürdi-
um. Sogar im falschen Bedürfnis der Lebendigen regt sich etwas von Freiheit; das, was die ökonomische Theorie einmal Gebrauchswert gegenüber dem abstrakten Tauschwert nannte. Ihnen erscheint die legitime Architektur notwendig als ihr Feind, wie sie ihnen vorenthält, was sie, so und nicht anders beschaffen, wollen und sogar brauchen.“ Theodor W. Adorno, „Funktionalismus Heute“, in: Ohne Leitbild. Parva Aesthetica, Frankfurt a. M. 1967, S. 104–127, hier S. 121. 35 Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung, Bd. 2: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft, Frankfurt a. M. 1981. Vgl. auch Ruth Sonderegger, „Wie diszipliniert ist (Ideologie-)Kritik? Zwischen Philo sophie, Soziologie und Kunst“, in: Rahel Jaeggi und Tilo Wesche, Was ist Kritik?, Frankfurt a. M. 2009, S. 23–54. 36 Vgl. Jan Rehmann, „Ideologiekritik, Ideologietheorie und Poststrukturalismus – eine Neubesichtigung”, in diesem Band, und ders., Einführung in die Ideologietheorie, Hamburg 2008, insbes. Kapitel 9, S. 153ff. Parallel zum Projekt Ideologietheorie und in kritischer Abgrenzung zu
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gen Nähe zu Thesen, die Luc Boltanski gemeinsam mit Laurent Thévenot und Ève Chiapello am Beginn der 1990er Jahre entwickelt hat; Thesen, wonach Ideologiekritik im Sinn eines theoretischen Projekts epistemologisch völlig überholt, weil selbstwidersprüchlich und darüber hinaus paternalistisch und elitär sei.37 Die Zielscheibe dieser Thesen ist Pierre Bourdieu, dem die genannten TheoretikerInnen vorwerfen, eine sowohl epistemologisch als auch politisch unhaltbare Ideologiekritik zu betreiben, und zwar der Tatsache zum Trotz, dass Bourdieu den Ideologie-Begriff genauso vehement ablehnt wie viele andere Althusser-SchülerInnen.38 Bourdieu beschreibe die von ihm analysierten agents nicht weniger als durch ideologische Praxisstrukturen determiniert als Althusser. Darüber hinaus mache er sich eines epistemologischen Selbstwiderspruchs schuldig, wenn er für die ideologiekritischen SozialwissenschaftlerInnen einen kategorialen Abstand (Bourdieu spricht von „Bruch“) zu der verblendeten Praxis behaupte, der bestenfalls eine naive Illusion sei. Boltanski, Chiapello und Thévenot halten dagegen, dass die sozialen AkteurInnen bei der Ideologiekritik keine (sozial-)wissenschaftliche Hilfe benötigen, sondern dieses Genre durchaus selbst beherrschen. Mittels empirischer Untersuchungen rekonstruieren sie, dass und wie in den alleralltäglichsten Situationen oft genug Ideologiekritik betrieben wird; und zwar dort, wo wir einander Verblendung, verzerrte Wahrnehmung und dergleichen mehr vorwerfen und uns dann meist argumentativ zur Wehr setzen oder uns in unserem Verhalten oder unserer Wortwahl sogar tatsächlich verändern. An die Stelle der (ideologie-)kritischen Soziologie muss Boltanski und seinen MitstreiterInnen zufolge also eine Soziologie der Kritik treten, die lediglich beschreibt, dass und wie ideologiekritische Praktiken neben anderen kritischen Registern im
Adornos Ästhetischer Theorie hat sich z. B. Otto Karl Werckmeister um eine ideologiekritische Variante der Kunstgeschichte und Kunsttheorie verdient gemacht, siehe u. a. O. K. Werckmeister, Ende der Ästhetik, Frankfurt a. M. 1971. Foucault macht in Was ist Kritik? (Berlin 2006, Vortrag von 1978) darauf aufmerksam, dass die Anliegen der frühen Kritischen Theorie in Frankreich besser überlebt haben und weiter entwickelt wurden als in Deutschland. Daneben gab es in Frankreich auch eine viel lebendigere Marx-Rezeption als in Deutschland, wie etwa auch in der Monografie Marx’ Philosophie von Étienne Balibar (wie Anm. 2) zum Ausdruck kommt, die 2013 auf Deutsch erschienen ist und ein Kapitel zu „Ideologie oder Fetischismus: die Macht und die Unterwerfung“ enthält. Siehe dort auch das Vorwort von F. O. Wolf. 37 Luc Boltanski und Laurent Thévenot, Über die Rechtfertigung. Eine Soziologie der kritischen Urteilskraft, Hamburg 2007 (frz. 1991); Luc Boltanski, Ève Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus, Konstanz 2003 (frz. 1999). 38 Vgl. zur Distanzierung Bourdieus vom Ideologie-Begriff das Gespräch zwischen Pierre Bourdieu und Terry Eagleton „Doxa and Common Life: An Interview“, in: Slavoj Žižek (Hg.), Mapping Ideology, London/New York 1994, S. 265–277. Wir folgen hier der Rekonstruktion von Robin Celikates, ohne jedoch seine Schlussfolgerung zu teilen: Robin Celikates, „From Critical Social Theory to a Social Theory of Critique: On the Critique of Ideology after the Pragmatic Turn“, in: Constellations, Bd. 13, Nr. 1, 2006, S. 21–40.
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Alltag (gut) funktionieren.39 Ideologiekritik ist demnach wohlauf und wird überall dort praktiziert, wo bestimmte, aus der Tradition der Ideologiekritik bekannte Wörter wie „verzerrt“, „blind“, „unbewusst“ etc. vorkommen. (Soziologische) TheoretikerInnen können das rekonstruieren – und müssen das gegen Starrköpfe wie Bourdieu auch tun –, hüten sich aber davor, sich als ExpertInnen in die alltäglichen Praktiken der Ideologiekritik einzumischen. Im Licht der massiven Kritik, die an bestimmten Konzeptionen der Ideologie oder auch ganz grundsätzlich an der Rede von Ideologien geübt worden ist – und zwar zu Zeiten von Marx ebenso wie um 1968 oder eben auch um 1989 (wofür im Bereich der Theorie insbesondere die Arbeiten von Luc Boltanski stehen) –, könnte man den Eindruck gewinnen, dass die gegenwärtig eher spärlichen VerteidigerInnen der Ideologiekritik an einem toten Patienten herumdoktern; dass sie – sei es aus Nostalgie, aus arroganter bis elitärer Wissenschaftsgläubigkeit oder aus dem Wunsch nach einfachen Schwarz-Weiß-Verhältnissen heraus – einen Modus der überheblichen Zurechtweisung verteidigen, der epistemologisch, politisch und ethisch fragwürdig ist und letztlich alles so lässt, wie es ist. Denn, so die KritikerInnen der Ideologiekritik, Ideologiekriti kerInnen würden ohnehin nichts anderes tun, als einfach anderen die Schuld zuzuschreiben. Unsere Überzeugung ist, dass gerade solche TheoretikerInnen, die sich äußerst kritisch mit Althusser (interessanterweise auch mit der frühen kritischen Theorie, wie man am späten Foucault und an Butler sehen kann) auseinandergesetzt haben, vielversprechende Bewegungen der praktischen Ideologiekritik vollzogen haben. Das gilt insbesondere für Judith Butler und denjenigen Foucault, der sich in seinen letzten Schriften von den kynischen Parrhesiasten inspirieren lässt, aber auch für Deleuze und Guattari, die im Sinne von maschinischen Gefügen und Assemblagen für Formen der (eigen)namenlosen Kritik argumentieren. Eigennamenlos kann diese Kritik deshalb genannt werden, weil die ideologietheoretisch fruchtbaren Elemente im Denken von Deleuze/ Guattari, aber auch Foucaults und Butlers nicht deren Erfindungen oder alleinige Errungenschaften sind. Vielmehr sind sie mit anderem Denken, kollektivem Begehren, gesellschaftlichen Formationen und politischen Ereignissen vielfach verflochten. Selbst Rancières Denken des Politischen, das sich mili39 Luc Boltanksi und Laurent Thévenot, „The Sociology of Critical Capacity“, in: European Journal of Social Theory, 2 (1999) 3, S. 359–377. Da zumindest Boltanski diese These mittlerweile teilweise relativiert hat, kann man sich fragen, wie ernst sie je gemeint war. Vgl. Luc Boltanksi und Axel Honneth, „Soziologie der Kritik oder Kritische Theorie? Ein Gespräch mit Robin Celikates“, in: Rahel Jaeggi und Thilo Wesche (Hg.), wie Anm. 35, S. 81–114; sowie Luc Boltanski, Soziologie und Sozialkritik (Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2008), Berlin 2010; vgl. auch Ève Chiapellos Aufsatz zu einem von allen normativen und wertenden Dimensionen gereinigten Ideologie-Begriff: „Reconciling the Two Principal Meanings of the Notion of Ideology. The Example of the Concept of the ‚Spirit of Capitalism‘“, in: European Journal of Social Theory, 2003, Bd. 6, Nr. 2, S. 155–171.
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tant von der Ideologiekritik und Althusser verabschiedet, könnte man als Herausforderung des jeweiligen ideologischen „Konsenses“ fruchtbar machen. Derlei nicht deterministische und multidirektionale Ansätze scheinen nicht zuletzt deshalb wegweisend, weil sie sich offensiv auch der Frage öffnen, wie viel Expertentum der Ideologiekritik zuträglich ist und wo die Grenze der sogenannten Ideologie-Theorie erreicht ist. Mit ihren Vorbehalten gegenüber wissenschaftlichen Ideologie-SpezialistInnen leugnen die Genannten aber keinesfalls die theoretischen und analytischen Aspekte der Ideologiekritik, sondern fordern vielmehr die Annahme heraus, dass solche Analysefähigkeiten an die bekannten Wissenschaftsfabriken gebunden sind.40 Gerade an diesem Punkt jedoch – im Kontext der Frage, ob und wie poststrukturalistische TheoretikerInnen an die marxistische Tradition der Ideologiekritik anknüpfen und wie sie diese artikulieren – gebührt Gayatri Chakravorty Spivaks Text Can the Subaltern Speak? besondere Aufmerksamkeit.41 Mit Bezug auf ein Gespräch zwischen Deleuze und Foucault von 1972 42 wirft Spivak diesen beiden Theoretikern, letztlich aber auch anderen poststrukturalistischen DenkerInnen, zunächst einmal Folgendes vor: Indem diese PoststrukturalistInnen Strukturen der Macht und der Repression in Bezug auf den immer gleichen westlichen Teil der Welt analysieren, suggerieren sie, es gäbe solche Strukturen anderswo nicht, zumindest nicht in einer der Analyse und Kritik würdigen Form. Das ist Spivak zufolge keineswegs so selbstkritisch, wie es auf den ersten Blick scheint. Es bedeutet vielmehr, dass die Verstrickung der eigenen mit der ignorierten Welt ausgeblendet wird. Ein Symptom dieser Ignoranz ist in Spivaks Augen die Art und Weise, wie in der ungeschützten Gesprächssituation bei Foucault und Deleuze das souveräne Subjekt wieder auftaucht, das die beiden in ihren Theorien längst verabschiedet hatten. Genauer gesagt taucht das souveräne Subjekt dort wieder auf, wo es um so große Dinge wie das „Subjekt-in-Revolution“ geht – ein selbstredend männliches Subjekt –, und zwar als der Maoist und als das Subjekt des Arbeiterkampfs. Im Unterschied zu den Intellektuellen, die im Gespräch zwischen Foucault und Deleuze mit Eigennamen angesprochen werden und zu denen sich Deleuze und Foucault offensichtlicherweise auch selbst zählen, bleiben die Arbeiter und Maoisten namenlos und werden überdies als dumm dargestellt. Denn sie verstehen nicht, wie gleich zu Beginn des Gesprächs deutlich ge-
40 Zu einer zeitdiagnostischen Analyse gegenwärtiger Wissenschaftsfabriken vgl. Gerald Raunig, Fabriken des Wissens. Streifen und Glätten 1, Zürich 2012. Siehe auch Stephan Dillemuth, „Der arge Weg zur Erkenntnis. Dramatisierung eines Vortrags über The Academy and the Corporate Public – in zwei Teilen“, abgedruckt in diesem Band. 41 Gayatri Chakravorty Spivak, Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation. Mit einer Einleitung von Hito Steyerl, Wien 2008, hier S. 64. 42 „Die Intellektuellen und die Macht“, in: Michel Foucault, Schriften II, Frankfurt a. M. 2002, S. 382–393.
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macht wird, dass „wir [Deleuze und Foucault, Anm. d. Verf.] dabei sind, die Theorie-Praxis-Beziehungen auf eine neue Weise zu leben.“ 43 Gegen diese strukturelle Borniertheit bringt Spivak nichts anderes als die Ideologiekritik ins Spiel: „Das Scheitern von Deleuze und Guattari daran, die Beziehungen zwischen Begehren, Macht und Subjektivität zu denken, setzt sie außerstande eine Theorie der Interessen zu artikulieren. In diesem Zusammenhang ist ihre Indifferenz gegenüber der Ideologie (deren Theoretisierung notwendig ist, um zu einem Verständnis von Interesse zu gelangen) verblüffend, aber konsistent. […] Weil diese Philosophen sich offenkundig gezwungen sehen, alle Argumente, die den Ideologiebegriff im Munde führen, als nur schematisch und nicht textuell zurückzuweisen, sehen sie sich gleichermaßen dazu genötigt, eine mechanisch-schematische Gegenüberstellung von Interesse und Begehren zu produzieren. […] Das Rennen um ‚die letzte Instanz‘ ist nun jenes zwischen Ökonomie und Macht. […] Im Namen des Begehrens führen sie erneut das ungeteilte Subjekt in den Machtdiskurs ein.“ 44 Damit behaupten Deleuze und Foucault einen klaren Vorrang der Begehrens- und Zeichenstrukturen vor solchen der Ökonomie. Eine Auseinandersetzung mit (der Geschichte) der Ideologiekritik hätte ihnen jedoch zeigen können – so muss man Spivak wohl verstehen –, wie problematisch das Behaupten bzw. bloße Umkehren von einseitigen Determinationen und damit einhergehenden Oppositionen wie z. B. Unterdrücker-Unterdrückte ist. Dennoch lässt sich Folgendes festhalten: Durchaus anders als Boltanski haben Hall, Spivak, Butler, Deleuze/Guattari und Foucault auf mehr oder weniger alltägliche Szenen der – insbesondere auch praktischen – Ideologiekritik verwiesen. Aber eben nicht, um sich damit zufriedenzugeben, sondern immer mit dem Ziel, analytischen und widerständigen Praktiken der Ideologiekritik zuzuarbeiten; auch wenn die meisten von ihnen diese widerständigen Praktiken nicht als Ideologiekritik bezeichnet hätten.45 Und sie tun das konsequent bis zu jenem Punkt, wo die Eigennamen und Karrieren der hier genannten TheoretikerInnen nicht mehr relevant sind – und ebenso wenig die Eigennamen von Theorien.46 Damit eröffnen sie die Möglichkeit, auch dort Ideologiekritik am Werk zu sehen und aufzugreifen, wo dieses Wort nicht vorkommt – insbesondere auch in politischen und künstlerischen Praktiken der Des- und Neuartiku43 Ebd., S. 282. 44 Gayatri Chakravorty Spivak, wie Anm. 41, S. 24–26. 45 Die genannten poststrukturalistischen Ansätze kritisieren nicht willkürlich bis neutral alle Bedeutungsfestschreibungen und Habitualisierungen/Naturalisierungen von Tätigkeiten, sondern sehr spezifische. Deshalb sind sie keine – ihrerseits neutralisierenden – Theorien der allseitigen Verflüssigung, wie z. B. Rahel Jaeggi „der Ideologietheorie von Althusser zu Butler“ vorwirft. Siehe Rahel Jaeggi, „Was ist Ideologiekritik?“, in: Rahel Jaeggi und Tilo Wesche, wie Anm. 35, S. 266–295, hier S. 282. 46 Gerade weil uns Spivaks Kritik ebenso treffend erscheint wie ihr Eintreten für die Ideologiekritik haben wir oben versucht, eine gewissermaßen (eigen)namenlose Ideologiekritik auch bei einem bestimmten Deleuze und beim späten Foucault offenzulegen.
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lation von bedeutungsgenerierenden und Herrschaft etablierenden Verkettungen. Wir denken hier an die SituationistInnen ebenso wie an die mal mehr, mal gar nicht künstlerischen widerspenstigen Gender-Performances, die Butler beschreibt, oder an die inszenierten öffentlichen Interventionen des anarchofeministischen Kollektivs Mujeres Creando in Bolivien; aber auch an die theoretischen Interventionen und Inventionen von Theoretikerinnen wie Gloria Anzaldúa oder bell hooks, die am Zusammenhang von Rasse, Klasse und Geschlechtsidentität (race, class, and gender) ansetzen.47 Der Weg der Akzentuierung situativer Praktiken und ihrer performativen Analysen und Verschiebungen ist sicher nicht der einzige, der von der Ideologieforschung auch ins Kunstfeld führt. Wir möchten an dieser Stelle jedoch festhalten, dass dieser Weg als exemplarisch für eine (ideologie-)kritische Neuorientierung im Feld der Kunst der 1990er Jahre betrachtet werden muss.
3. Was für ein Kunstfeld adressieren wir? So stellt sich die Frage: Können wir angesichts der oben zumindest angerissenen Kritik an der Ideologiekritik an einem revidierten Verständnis von notwendig falschem Bewusstsein festhalten? Oder müssen wir sogar? Und warum in Bezug auf das Kunstfeld? – Unsere Überzeugung ist, dass wir müssen. Seit den 1990er Jahren ist im Kunstfeld wieder deutlich mehr von „Politik“ die Rede, als das im Jahrzehnt davor der Fall gewesen ist.48 Damit einher ging eine Rückbesinnung auf die avantgardistischen Strategien der 1960er bis 1970er Jahre, welche die 1990er Jahre als Jahrzehnt der Re-Politisierung im Feld der Kunst erst möglich gemacht haben. Diese Rückbesinnung hat auch die Schnittstellen zu Praxisformen der Ideologiekritik außerhalb des Kunstfelds wieder zugänglicher gemacht, nicht zuletzt zu solchen Praxisformen, die den Begriff der Ideologie weitgehend außen vor und eine genaue Abgrenzung zwischen Kunst und Nicht-Kunst hinter sich gelassen haben. In diesem Zusammenhang gewannen die zuvor beschriebenen poststrukturalistischen bzw. post-ideologischen Strategien der Verschiebung und Akzentuierung nicht nur an Bedeutung, sondern auch entscheidend an Popularität. Denn trotz allgegenwärtiger Privatisierungstendenzen und des dadurch bedingten Erfolgs47 Vgl. u. a. bell hooks, Art on My Mind: Visual Politics, New York 1995; Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt a. M. 1991; Gloria Anzaldúa, Borderlands/La Frontera: The New Mestiza, San Francisco 1987; zu den Aktionen des anarcho-feministischen Kollektivs Mujeres Creando siehe online: http://www.mujerescreando.org/ (zuletzt besucht 22.8.2013). 48 Vgl. etwa die tabellarische Ausstellungsübersicht von Elena Filipović, Rafal B. Niemojewski und Barbara Vanderlinden, „One Day Every Wall Will Fall: Select Chronology of Art and Politics after 1989“, in: Barbara Vanderlinden und Elena Filipović (Hg.), The Manifesta Decade. Debates on Contemporary Art Exhibitions and Biennials in Post-Wall Europe, Cambridge/MA 2005, S. 20–44.
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drucks erlaubten nicht zuletzt die in den 1990er Jahren steigenden Besucherzahlen, dass Kunstinstitutionen zunehmend Räumlichkeiten und Budgets für Formen der kritischen Artikulation zur Verfügung stellten. Parallel zu dieser Entwicklung wächst im zunehmend globalisierten Kunstbetrieb die Bedeutung von internationalen Biennalen und bringt eine Tendenz zur Internationalisierung der präsentierten Kunst mit sich.49 Diese Entwicklung lässt sich exemplarisch an der „kritischen“ Neuorientierung einiger Biennalen nachvollziehen; man denke etwa an die Havanna Biennale (II und III Bienal de la Habana, 1986 und 1989), an die Documenta 10 in Kassel 1997 und die Neuerfindung ganzer Biennalenformate wie z. B. die Manifesta (European Biennial of Contemporary Art, ab 1996), die sich seit ihrer Gründung einer (post-)institutionskritischen Flexibilität (Stichwort „Nomadentum“) und der Rhetorik einer neuen Demokratie verschrieben hat – Inbegriff eines „wiedervereinigten“ Europas.50 Groß angelegte Ausstellungen wie Magiciens de la Terre (Centre national d’art et de culture Georges Pompidou, Paris, 1989) und Seven Stories About Modern Art in Africa (u. a. in der Whitechapel Gallery, London, 1995, und im Guggenheim Museum, New York, 1996), Global Conceptualism: Points of Origins, 1950s–1980s (Queens Museum of Art, New York, 1999) oder Vivências / Lebenserfahrungen (Generali Foundation, Wien, 2000) können wiederum als Meilensteine für den Einzug „nichtwestlicher“ Kunst in die etablierten Institutionen Europas und der USA gelten. Für diese Tendenz setzte sich spätestens mit der Documenta 11 (Kassel, 2002) der Begriff der „Dezentralisierung“ durch, der zu Recht als wichtiger Etappensieg gegen den hegemonialen Euro-Amerika-Zentrismus von Kunstkritik und Ausstellungsbetrieb gefeiert wurde. Nicht zuletzt hat der Versuch, die real stattfindende geografische Dezentralisierung mit dem poststrukturalistischen Projekt einer „epistemologischen Dezentralisierung“ zusammenzudenken, neue Maßstäbe gesetzt, die für eine sich als kritisch verstehende Kunst bis heute gelten und hinter die – unserer Ansicht nach – auch kein ideologiekritisches Projekt mehr zurückfallen darf. Trotzdem wäre es verkürzt, wenn man in Bezug auf die 1990er Jahre deshalb 49 Da es sich bei der Globalisierung des Kunstbetriebs jedoch nicht um einen einseitigen, abgeschlossenen Prozess handelt, ist es mindestens genauso wichtig, auf den globalisierungskritischen Diskurs im Kunstfeld zu verweisen. Mit Lara Buchholz und Ulf Wuggenig ließe sich z. B. argumentieren, dass es sich beim Begriff der Globalisierung und Fragen der repräsentativen Internationalität in erster Linie um eine Ausbreitung westlicher Machtstrukturen handelt. Vgl. Lara Buchholz/Ulf Wuggenig, „Cultural Globalization between Myth and Reality: The Case of the Contemporary Visual Arts“, online unter: http://artefact.mi2.hr/_a04/lang_en/theory_buchholz_en.htm (zuletzt besucht am 22.8.2013). 50 Zur Kritik an einem solchen Selbstverständnis siehe Vesna Madžoski, „Die Austreibung der Gespenster aus Europa. Die Manifesta, Biennale für zeitgenössische Kunst, und die gescheiterte Rhetorik der Demokratie“ in diesem Band. Zu den Konjunkturen der Kritik(alität) im Kunstfeld vgl. auch Oliver Marchart, Hegemonie im Kunstfeld. Die documenta-Ausstellungen dX, D11, d12 und die Politik der Biennalisierung, Köln 2008.
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ganz allgemein von einer (post-)ideologiekritischen Repolitisierung des Kunstfelds sprechen würde. Denn die entstehenden Interventionsräume für Praxisformen der (Ideologie-)Kritik und anti-hegemonialer Diskurse sind nicht frei von Widersprüchen. Diese Widersprüche wiederum, die heute den Bereich der Kapitalisierung von „Andersheit“ und „Multikulturalität“ im neoliberalen Kunstbetrieb genauso betreffen wie die Verwertungslogik von individualisierten Emotionen, von Selbstständigkeit und ihren Freiheitsversprechen, sind von kritischen Theorien als paradigmatisch für die zeitgenössischen kapitalistischen Produktionsmodi thematisiert und problematisiert worden. Schließlich stellt das Kunstfeld nicht nur ein Archiv von (post-)ideologiekritischen Strategien dar; es ist auch ein Sammelplatz für Ideologien.51 Sowohl die poststrukturalistischen Strategien, die wir oben für die Ideologiekritik produktiv zu machen versucht haben, als auch die post-ideologischen Strategien der 1990er Jahre sind deswegen wohl mindestens genauso oft kritisiert worden, wie sie erfolgreich umgesetzt werden konnten – und zwar nicht nur von rechts, sondern gerade auch von links; nämlich aus dem Kreis derer, die im Imperativ der künstlerischen Kritik im Allgemeinen und der (post-)institutionskritischen „Kritikalität“ im Besonderen die gleichen Mechanismen am Werk sehen wie im neoliberalen Kurs einer neuen Form der Sozialdemokratie.52 Denn ganz im Sinn von Stuart Halls Halb-Wahrheiten kommt der Kunst in diesen Mechanismen der Status einer besonderen Projektionsfläche zu: In der öffentlichen Meinung neoliberaler Demokratien, aber auch aus der Perspektive vieler kritischer TheoretikerInnen werden wohl nur wenige gesellschaftliche Felder vergleichbar stark mit (individueller) Freiheit und zugleich mit sozialem Engagement assoziiert wie das Feld der zeitgenössischen Kunst. Dieser Annahme dürften de facto auch viele KünstlerInnen und die im Kunstfeld agierenden AktivistInnen nicht widersprechen wollen. Wie umkämpft die Projektionsfläche der Kritikalität im Kunstfeld ist, sieht man etwa daran, dass Boltanski/Chiapello die auf Selbstverwirklichung abzielende „Künstlerkritik“ 53 als Erfüllungsgehilfin des neuen Kapitalismus kritisieren, die künstlerische Institutionskritik im Sinn von systemischer Kritik am Kunstfeld 51 Zu reaktionären, neo-nationalistischen und/oder heuchlerischen Tendenzen im sich selbst als „progressiv“ verstehenden neoliberalen Kunstbetrieb siehe u. a. die Beiträge von Alice Creischer, Diedrich Diederichsen, Stephan Dillemuth, Vesna Madžoski, Mereijn Oudenampsen sowie das Gespräch mit Ágnes Heller und János Weiss in diesem Band. 52 Diese neoliberal ausgerichtete „neue“ Sozialdemokratie hielt zeitgleich in mehreren Regierungen über den Globus verteilt Einzug (1993 Bill Clinton in Washington, 1995 Fernando Henrique Cardoso in Brasília, 1997 Tony Blair in London oder 1998 Gerhard Schröder in Berlin). Zur Kritik am Kritikalitätsanspruch des Kunstfelds vgl. Helmut Draxler, Gefährliche Substanzen. Zum Verhältnis von Kritik und Kunst, Berlin 2007. Zur Kritik an Draxlers Position vgl. Jens Kastner, „Zur Kritik der Kritik der Kunstkritik. Feld- und hegemonietheoretische Einwände“, in: Birgit Mennel, Stefan Nowotny und Gerald Raunig (Hg.), Kunst der Kritik, Wien 2010, S. 125–147. 53 Vgl. Luc Boltanski, Ève Chiapello, wie Anm. 37.
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dabei aber ebenso ausblenden wie die politische und soziale Kritik von KünstlerInnen, worauf insbesondere Maurizio Lazzarato hingewiesen hat.54 Andere kritisieren die Tendenz zur „Fragmentarisierung“ und Kompromissbildung im Bereich der künstlerischen Ideologiekritik; 55 oder sie warnen vor der effektiven Kapitalisierung von gegenkulturellen Strategien und die daran gebundenen affektiven Dispositionen seitens des zeitgenössischen Kunst- und Kulturbetriebs.56 In diesem Sinn beschreibt auch Jan Rehmann in seiner Einführung in die Ideologietheorie, wie wenig der gute Wille von freien KulturproduzentInnen von der herrschenden Produktionslogik isoliert werden kann, d. h. von ihrem gelebten Verhältnis zur Welt. Im Unterkapitel Befreiungsversprechen und Fremdbestimmung im Neoliberalismus verweist er auf ganz alltägliche ideologische Abläufe im Kunstfeld und fasst in einem knappen Absatz zwei Studien aus dem Jahr 2005 zusammen. In diesen berichten prekär arbeitende Kulturschaffende,
der systematische Zusammenhang von race, class, and gender oder der politische Preis für die feldimmanente Kompromissbildung. Das Verschweigen betrifft vor allem das, was jede/r weiß, worüber aber nicht gesprochen werden darf, weil es gegen das vorherrschende Selbstverständnis im Kunstfeld verstößt: schlechte bis gar keine Bezahlungen, fragwürdige Sponsoreninteressen und nicht zuletzt strukturelle Zensur aufgrund der prekären Arbeitsverhältnisse.
wie wichtig es sei, sich bei Ausstellungseröffnungen nicht nur regelmäßig sehen zu lassen und Gespräche zu suchen, sondern auch alles dran zu setzen, „Lust zu haben und sich wohl zu fühlen, denn wer sich nicht wohl fühlt, hat an einem Abend auch keinen Erfolg“. Dabei ist auch erforderlich, dass alle sich permanent bemühen, „von geplanten oder bevorstehenden Projekten zu berichten, um ja nicht den Eindruck zu erwecken, man befinde sich in einer Notsituation und suche verzweifelt nach einer Anschlussmöglichkeit“. 57 In Anbetracht dieser durchaus berechtigten Vorbehalte können wir aus einer von Marx inspirierten Perspektive der Ideologiekritik nur vermuten, dass die eigentlichen Probleme dort verborgen liegen, worüber in den repräsentativen Diskursen im Feld der Kunst gerade nicht gesprochen und was dementsprechend auch nicht kritisiert wird. Das betrifft nicht nur Probleme, die in den herrschenden Repräsentationssystemen gern durch die Maschen fallen: z. B. 54 Maurizio Lazzarato, „Die Missgeschicke der ‚Künstlerkritik‘ und der kulturellen Beschäftigung“, in: Gerald Raunig und Ulf Wuggenig (Hg.), Kritik der Kreativität, Wien 2007, S. 190–204. Ähnlich argumentiert auch Ulf Wuggenig in „Paradoxe Kritik“, in: Birgit Mennel u. a., wie Anm. 52, S. 105–124. 55 Sowohl die Figur der „Fragmentarisierung“ als auch die Tendenz zur Kompromissbildung sind von verschiedenen TheoretikerInnen gern als Charakteristiken der „Postmoderne“ und/oder des „Spätkapitalismus“ bezeichnet, dabei jedoch auch auf unterschiedliche Weise diskutiert und kritisiert worden. Für Fredric Jameson z. B. ist die „Fragmentarisierung“ eine ästhetische Kategorie, die die Aufteilung von Räumen und der Wahrnehmung betrifft und die mit semiotischen Formen der Wertproduktion im Spätkapitalismus zusammenhängt. Siehe Fredric Jameson, „Postmoderne – zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus“, in: Andreas Huyssen und Klaus Scherpe, (Hg.), Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels, Hamburg 1986, S. 45–102. Als „Fragmentarisierung“ empfindet andererseits der Soziologe Sebastian Herkommer den Zusammenbruch einer einheitlichen Basis der Kapitalismuskritik, die mit dem Neoliberalismus einhergeht. Herkommer geht dabei so weit, alle Formen der entweder individualisierten Kritik oder vom ge-
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samtgesellschaftlichen Kontext isolierte Forderungen der latenten Komplizenschaft mit dem neoliberalen Mechanismus der Fragmentarisierung zu bezichtigen – sofern diese nicht explizit als Solidarität im Kampf gegen den Kapitalismus artikuliert werden. Darunter zählt Herkommer allerdings auch Rassismuskritik, Feminismus, Forderungen für Rechte von Homosexuellen etc. und verfällt damit nicht nur wieder in die orthodoxe Logik von „Haupt- und Nebenwiderspruch“, sondern leistet der Fragmentarisierung damit selbst mehr Vorschub, als dies die Anerkennung von zivilen Rechten für einzelne Minderheiten je erreichen könnte. Vgl. Sebastian Herkommer, Metamorphosen der Ideologie, Hamburg 2004, insbesondere Teil 3, Kap. 1, „Das ‚Ende der Ideologie‘: Vom ideologischen zum nachideologischen Alltagsbewusstsein?“, S. 115–123. 56 Siehe z. B. Suely Rolniks hervorragende Analyse des Verhältnisses von gegenkulturellen Strategien der 1960er und 1970er Avantgarden in Brasilien zu den Mechanismen der gegenwärtigen Produktionslogik, „Geopolitik der Zuhälterei“ (2006), online unter: http://www.eipcp.net/ transversal/1106/rolnik/de (zuletzt besucht: 12.8.2013) 57 Vgl. Jan Rehmann, Einführung in die Ideologietheorie, wie Anm. 36, S. 200.
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TOWARDS A CRITIQUE OF CRITIQUES OF IDEOLOGY CRITIQUE: GENEALOGICAL CONSTELLATIONS AND DIAGNOSES OF OUR TIMES (ZEITDIAGNOSEN) Max Jorge Hinderer Cruz, Ruth Sonderegger
1. Where are we actually starting from? Why are we so attached to the term ideology, and even more to the practice of ideology critique? Why does the idea of the end of ideology, so often proclaimed in light of 1989, seem so scandalous to us? What do we actually want to do with ideology critique—in the field of art and beyond? What artistic practices get misunderstood if we don’t (also) take them seriously as a response to the challenges of ideology critique? Are artistic practices superior modes of ideology critique? These questions kept coming up, over and over again, in the course of preparing the seminar and the conference that are the source of this volume, and they stubbornly kept getting in the way while we were preparing the book. And these questions still remain. Already in advance of the summer academy at the Kunsthaus Bregenz, two questions had marked our examination of art and ideology critique after 1989. The first had to do with our interest in the history of a possible genealogy of ideology critique: how far back do we have to go in order to be able to speak about art and ideology critique after 1989? The second question was related to our desire not to reduce ideology critique to a purely theoretical issue, but to locate it in forms of (artistic) practice as well—that is, the desire to make ideology critique visible in current practices within the art field, precisely where it is masked or concealed by dominant systems of representation. We cannot answer either question in our introduction. But we do want to sketch out how these questions have first of all made visible a field of problems and connections that, over the course of our project, drew us to some of the authors collected in this volume.
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TOWARDS A CRITIQUE OF CRITIQUES OF IDEOLOGY CRITIQUE
How far back in history do we have to go to be able to speak about art and ideology critique after 1989, without having to put half of modern philosophical history on the bargaining table in the process? For pragmatic reasons we decided to take the theoretical reorientation of ideology critique in the 1960s, which Jan Rehmann has described as the “turn” in ideology theory, as our starting point, making Louis Althusser our central reference point. For it seems that a great many of the themes that concern us here come together in the figure of Louis Althusser: a reorientation in Marxist tradition, the historical context around May ’68 in Paris, and the basic interest in materialism within scholarship, and not least also the connections between art and ideology. Indeed, as Slavoj Žižek blurbs on the back cover of the last German edition of Pour Marx, Althusser is “the great absence in current leftist theory. Although his name is rarely mentioned, the terms that he coined can be found everywhere —from overdetermination to the ideological state apparatuses.” 1 In fact, Althusser is not only an ever present thinker in contemporary (French) leftist theory—in both his presence and his absence—but also in today’s established (international) art and cultural theory. He turns up as an explicit reference in such diverse authors as Rosalind Krauss (for example in The Optical Unconscious, 1994) and Nicolas Bourriaud (for instance in Relational Aesthetics, 1998), assumes a central position in Frederic Jameson’s famous postmodernist critique (The Cultural Logic of Late Capitalism, 1991), and his figure of interpellation has made him a canonical reference in post-colonial studies, cultural studies, gender studies, and performance studies by way of thinkers such as Judith Butler and Stuart Hall. Furthermore, Althusser is present as an implicit reference in many works by his colleagues and students. Though the reception of these thinkers sometimes came quite late, since the 1990s it has become hard to imagine the humanities without them. This pertains to Pierre Macherey and Étienne Balibar, whose association with Althusser is quite close, but even more so to theory superstars such as Michel Foucault, Jacques Derrida, Pierre Bourdieu, Alain Badiou, and Jacques Rancière, who turn away from Althusser or even explicitly position themselves against him. For our purposes then, it makes sense to pull Allthusser back into the focus of our theoretical reflections, although not without ourselves dealing with the fact that Althusser is an utterly contradictory figure. It was especially interesting for us that the theoretical legacy of Althusser has been considered time and again in relation to forms of practice that occasionally stand in stark 1 See the German translation of Louis Althusser, Gesammelte Schriften, ed. by Frieder Otto Wolf, Vol. 3: Für Marx, Frankfurt a. M., 2011. The complete citation from Žižek reads as follows: “Louis Althusser is the great absence in current leftist theory. Although his name is rarely mentioned, the terms that he coined can be found everywhere—from overdetermination to the ideological state apparatuses. It is high time to bring him back where he belongs: in the center of our theoretical battles.”
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opposition to Althusser’s expertocractic understanding of scholarship, without this opposition ever being resolved—as we will later see, often to the disadvantage of the term ideology itself. When we began our seminar in Bregenz in the final week of September in 2012, the discussion with the students from Vienna and Munich did not begin with 1989—nor with ’68—but with 1956: with the emergence of the so-called New Left, triggered by the reactions to various political events following the twentieth Congress of the Communist Party of the Soviet Union in Moscow and the revelations of the crimes of Stalinism. We began with the defeat of the workers’ and people’s uprising in Hungary and the outbreak of the Arab-Israeli conflict together with the Suez crisis (in the same year), as well as the global political interests that played into the Suez crisis. It quickly became clear during our discussions in the seminar that we had no choice but to understand ideology itself as a variable category in political and theoretical discourse. Given the terrifying geopolitical events that had led to the Second World War, as well as the barbarism during the Second World War and the events that occurred around 1956, the term ideology critique had to be rethought (at the latest starting in 1956). The renegotiation of the term ideology at an international level and the new forms of political movements that have formed after 1956—perhaps most clearly in the period around 1968—have provided us with a fruitful point of approach. From there we have attempted to trace whether and how the historical upheavals in relation to art and ideology critique have a bearing on epistemological upheavals—not only after 1956 or 1968, but also after 1989. Obviously the forms for articulating art and ideology critique that emerged after 1956—but especially in the 1960s to 1970s—in the field of art and in relation to persons or collectives in the New Left are inseparably tied to the invention of new forms of artistic production, but also new forms of politics. They have established standards for the system “contemporary art” which are in place to this day. And so the critiques of consumerism, institutions, representation, racism, sexism, and colonialism in post-war avant-gardes is inseparable from situational interventions, from performance and happening, from the so-called “dematerialization” of art objects in their diverse varieties, from minimalism and conceptual art, pop and op art, film and video, media, and their installations in the broadest sense, environments, etc. In light of the many overlappings and simultaneous structural renewals of art and ideology critique in the 1960s and 1970s, it seems all the more interesting to us to establish that the developments in both fields have in no way run analogously since that time. Correspondingly, while preparing for the summer academy on the topic of art and ideology critique after 1989, we decided to begin with ideology critique; or more precisely, with the critique of ideology
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critique. Only later did we come back to that path that the critics within the field of art—those who give the so-called criticality of the field of art a name and a face—have revisited time and again in the last 40 years, at the intersection of art and criticism, and indeed, in defense of the ethical and political integrity of art. Some, despite their practice of explicit (ideology) critique, have managed to maintain a secure spot in prominent places of contemporary art and in large exhibitions: from Hans Haake and Andrea Fraser to Hito Steyerl and the group Chto Delat, from Catherine David to Okwui Enwezor. For perhaps one of the new characterstics of the field of art is that it devotes a particularly esteemed canon of recognition to its own critics. We would rather say straight away: We have not been able to draw up a representative overview of the various articulations of artistic ideology critique in the field of art after 1989. Not even provisionally—even if we had wanted to. It soon became clear to us that the actual trouble child in the seminar and at the conference was not art, which seemed and seems to be doing quite well. Our concern was mainly ideology critique. For, as Balibar has aptly assessed: Philosophy quite evidently has not forgiven Marx for ideology. It is constantly at pains to show that this is a badly constructed concept, which has no unambiguous meaning and which puts Marx in contradiction with himself.2 Obviously, around 1968 ideology critique had already heavily come under fire. One of the fundamental characteristics of the New Left consisted in its radical rejection of the “old” orthodox left and thus also of its favorite topic: ideology. The reason invoked for this wave of critiquing ideology critique that draws on Marx was as much the supposed failure of the revolts of 1968 as it was the acknowledgement or rather the becoming-aware-of the crimes of Stalinism. It is against this backdrop that we have to understand Gilles Deleuze and Félix Guattari’s comments in an interview given a year after the appearance of AntiOedipus (1972).3 They do refer here to ideology as “false consciousness”—that is, that formula with which ideology is most frequently described and that had remained uncontested as a paradigm within the Communist Party: “We’re not saying that ideology is smoke and mirrors (or any other concept that serves to designate an illusion). We’re saying there is no ideology, the concept itself is an illusion. That’s why it suits the Communist Party and orthodox Marxism so well. Marxism has given such emphasis to the theme of ideologies precisely to cover up what was going on in the USSR: a new organization of repressive 2 Étienne Balibar, The Philosophy of Marx, trans. by Chris Turner, London, 2007, p. 43. 3 Gilles Deleuze and Félix Guattari, Anti-Oedipus: Capitalism and Schizophrenia, trans. by Robert Hurley, Mark Seem and Helen Lane, London, 2009.
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power.” And they add: “It’s always the same old trick: a big ideological debate in the general assembly, and the questions of organization are reserved for special committees. These look secondary, having been determined by political options. Whereas, in fact, the real problems are precisely the problems of organization, never made explicit or rationalized, but recast after the fact in ideological terms.” 4 According to Deleuze/Guattari, the world finds itself in a state of dementia that is “without precedent […] in all the hospitals. […] Ideology has no importance here: what matters is not ideology, and not even the ‘economic/ideological’ distinction or opposition; what matters is the organization of power.” 5 Such theoretical partitioning—the subdivisions of society and production by means of the three clearly separated categories “politics, economy, and ideology” (as Friedrich Engels suggested)—and solidified binary constructions such as base/superstructure, production/reproduction, etc., are therefore unacceptable to Deleuze and Guattari, because ideology for them is not completely absorbed in the “superstructure” any more than desire (and life) is completely absorbed in “reproduction.” Rather, these theoretical partitionings (and other leitmotifs of the party ideology of their time) justify a practical complicity with a repressive system, that of Soviet communism, which for Deleuze/Guattari does not represent an acceptable alternative to capitalism and the liberal market economy. In fact, in the revolts around 1968, that was often exactly the point: alternatives. It is not necessary to have read Anti-Oedipus to understand that the rejection of ideology as a relevant category of the critique of capitalism can also be taken as a performative posturing, as an intervention in political discourse, and as an unmistakable gesture of demarcation from orthodox Marxism. This gesture is something that Deleuze and Guattari share with many thinkers of their time. Much like Foucault and Bourdieu, Deleuze and Guattari would later on revisit the category of the ideological more and more frequently, attempting to get to its substance by using new terms, such as the term habitus (Bourdieu) or governementality (Foucault). For his part, Guattari suggests methodologically replacing “ideology” with “production of subjectivity,” thus doubtlessly once again coming near to Althusser’s ideological state apparatus, despite rejecting the term ideology. Much more direct still, however, Guattari’s “production of subjectivity” seems to link up to Althusser’s earlier reflections on ideology and the “production of consciousness” in relation to art in For Marx, whereas the engagement with art and ideology—according to Balibar’s assessment —represents the “actual theoretical and geometric center” of For Marx.6
4 See Gilles Deleuze and Félix Guattari, “On Capitalism and Desire,” in: Desert Islands and Other Texts, 1953–1974, New York, 2004, pp. 262–273, here p. 264. 5 Ibid., 263.
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2. Which (history of) ideology critique do we mean? Already in the early 1960s, when many were gloatingly announcing the death of Marx, others, and especially Louis Althusser, were working on a new version of Marxist ideology critique—although not as a response to the swan song that was being sung a bit too loudly at the time. Althusser’s 1965 collection of essays For Marx makes it clear 7 that he had been dealing with the project of transforming Marx’s ideology critique for some time already. The fact that Althusser was partly reacting to the events of 1968 in his most wellknown text on ideology—in Ideology and Ideological States Apparatuses 8 —had concealed the transformational work with regard to ideology critique that he had begun much earlier. This is why it is wrong, at least with regard to Althusser, to interpret a certain critique of ideology critique merely as a way of processing the—supposedly failed—revolutionary events of 1968. It is also wrong because Althusser went to great pains to work out how Marx had already argued against a simplistic understanding of ideology, which Marx himself was certainly not completely innocent of. At least in some of his texts, Marx’s language is polemically simplified, such as when he claims that the economic (materialist) basis plainly and simply determines the ideological (idealist) superstructure. In Althusser’s view, the epitome of this undercomplex relationship of determination is Marx’s remark: “The hand-mill gives you society with the feudal lord; the steam-mill, society with the industrial capitalist.” 9 According to Althusser, this caricature should be abandoned as soon as possible, for “how many peremptory attacks on economism there are to counterbalance that well-thumbed piece on the
6 See Louis Althusser, “The ‘Piccolo Teatro’: Bertolazzi and Brecht: Notes on a Materialist Theatre,” in: idem, For Marx (1965), trans. by Ben Brewster, London, 2005, pp. 129–152, here p. 152. Despite the limited academic attention that this text has received, Étienne Balibar asserts in the preface to the new French edition that the “Piccolo Teatro” text is the “actual geometric and theoretical center” of Pour Marx. It is revealing—as Warren Montag has suggested with regard to Balibar’s statement—that Althusser’s writings on art can perhaps offer little insight into the essence or the development of art. Rather, they facilitate a deeper insight into Althusser’s early ideology theory, and thus also provide a “new access” to his thinking. Such a new access comes into view because in Montag’s rereading of Althusser, Althusser’s little known texts on art take center stage, although it is not his objective to establish Althusser as an art or literary critic. Montag is much more interested in the development of Althusser’s remarks on ideology. Cf. Warren Montag, “Towards a New Reading of Louis Althusser,” in: idem, Louis Althusser, Houndmills Basingstoke, 2003, pp. 16–71, here p. 23. 7 New editions of Pour Marx have been recently released, in German in 2011, and in French and English in 2005. Louis Althusser, For Marx, see note 6. 8 Louis Althusser, “Ideology and Ideological State Apparatuses,” in: Lenin and Philosophy. Notes towards an Investigation, New York, 2001, pp. 127–186. 9 Karl Marx/Friedrich Engels, The Poverty of Philosophy, in: Marx Engels Collected Works, Vol. 6: 1845–1848, London/New York, 1975–2005, p. 165; Louis Althusser, “Contradiction and Overdetermination,” in: For Marx, see note 6, pp. 87-128, here p. 108.
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steam engine!” 10 Taking this into account, Althusser’s essays in his book For Marx are about recalling a different Marx, or making him accessible—a nondeterministic and in this sense anti-Hegelian Marx, so that he abandons the opposition between an underlying essence and the appearance derived from it, and indeed, quite fundamentally. That is to say, regardless of whether—as in Hegel—the spirit is declared to be essence or—as in certain reductionist Marxists—the material relations are made the determining basis for everything.11 If one dismisses the dichotomy between essence and appearance, there is neither a one-way street from spirit to matter nor one from economic relations to the mental (ideological) side effects. Determinations mutually influence each other and are multiple, even polymorphous. In this sense, Althusser asserts in Contradiction and Overdetermination (1962): “For [Marx], this tacit identity […] of the economic and the political disappears in favour of a new conception of the relation between determinant instances in the structure-superstructure complex.” 12 Somewhat later in the same essay he speaks of the “relative autonomy of the superstructures and their specific effectivity.” 13 This is the backdrop against which to understand Althusser’s well-known thesis in Ideology and Ideological State Apparatuses (1970), according to which repression and physical force are not sufficient or expedient to maintain the existing conditions of production, that instead only the interplay of the repressive with the so-called ideological state apparatuses leads to the goal of reproducing the existing conditions of production: “As Marx said, every child knows that a social formation which did not reproduce the conditions of production at the same time as it produced would not last a year.” 14 In other words: without schools, universities, justice systems, but also religions and arts, etc., the reigning capitalist conditions of production could not exist in the first place—much less go on existing. Others subsequently linked back to Althusser’s unorthodox readings of Marx, including Stuart Hall; indeed, in the full knowledge that most of Althusser’s 10 Ibid., p. 109. Janós Weiss, in a conversation with Ágnes Heller, refers to an analogous spot in Marx’s very early writings. See the conversation published in this volume. 11 Althusser’s often noted anti-Hegelianism (in favor of Spinoza), however, is worth taking a second look at. As Katja Diefenbach asserts, precisely Althusser’s understanding of overdetermination can be read in part in light of Hegel. Diefenbach points this out in her text “Althusser with Deleuze: How to Think Spinoza’s Immanent Cause” with reference to Jean Hyppolite’s readings of Hegel, which can be considered as having a decisive influence on Althusser (and other French theorists). (In: Katja Diefenbach, Sara Ferris, Gal Kirn, and Peter Thomas (Eds.), Encountering Althusser: Politics and Materialism in Contemporary Radical Thought, New York/ London 2013, pp. 165–184, here esp. p. 170–173.) Warren Montag points out that Pierre Macherey was already speaking about Hegelian impliciations of Althusser’s notion of a “structured whole” in an exchange of letters in 1965. See Montag’s introduction to the collection of Macherey’s writings that he edited, In a Materialist Way: Selected Essays by Pierre Macherey, London, 1998, pp. 7–8. The authors would like to thank Katja Diefenbach for drawing their attention to this. 12 Louis Althusser, “Contradiction and Overdetermination,” see note 9, p. 111. 13 Ibid. 14 Louis Althusser, “Ideology and Ideological State Apparatuses,” see note 8, p. 127.
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students—most prominently Bourdieu, Foucault, and Rancière—vehemently distance themselves from the term ideology and from ideology critique as a theoretical challenge. Hall harkens back to that Althusser that polemically relativizes the orthodox and most well-known theses of Marx on ideology, above all those formulated in The German Ideology, holding instead to a Marx that allows for multiple determinations without a final instance and guarantee.15 For Hall, what is much more significant than the orthodox and polemical theses of Marx (and Engels) are, for instance, Marx’s methodological reflections in the Grundrisse.16 He thus makes a decision, not only for a particular and indeed unorthodox Marx, but also gives precedence to the early, unorthodox Althusser over the Althusser of the ideological state apparatuses: “That is why, despite all of its fault, I want to bring forward to you, not the proto-Lacanian, neoFoucauldian, pre-Derridean, Althusserean text—‘Ideological State Apparatuses’ (Althusser, 1970/1971), but rather the less theoretically elaborated but in my view more generative, more original, perhaps because more tentative text, For Marx (Althusser, 1965/1969): and especially the essay ‘On Contradiction and Overdetermination,’ which begins precisely to think about complex kinds of determinacy without reductionism to a simple unity. […] By enabling us to think about different levels and different kinds of determination, For Marx gave us what Reading Capital did not: the ability to theorize about […] particular ideological formations (humanism) as determined by more than one structure (i.e., to think the process of overdetermination).” 17 In other words: Hall is interested in that Althusser and that Marx that have abandoned economism as much as they have class reductionism, according to which the ideological position of a class automatically corresponds to its position in production. This is a Marx and an Althusser that turn against the insight “which people have taken from The German Ideology […]—the founding text of the classical Marxist theory of ideology: namely, that ruling ideas always correspond to ruling class positions; that the ruling class as a whole has a mind of its own which is located in a particular ideology.” 18 What Hall emphasizes in relation to the Althusser of state apparatuses is the further development of thinking about (partial) autonomy and the determining power of the so-called superstructure, and he sees enormous value in the fact 15 Cf. Stuart Hall, “The Problem of Ideology: Marxism without Guarantees,” in: Stuart Hall, Critical Dialogues in Cultural Studies, ed. by David Morley and Kuan-Hsing Chen, London, 1996, pp. 25–46; and “Signification, Representation, Ideology: Althusser and the Post-Structuralist Debates,” in: Critical Studies in Mass Communication, 2 (2), 1985, pp. 91–114. 16 These methodological remarks in the Grundrisse are the subject of an instructive essay by Hall, “Marx’s Notes on Method: A ‘Reading’ of the 1857 Introduction,” in: Cultural Studies, 17 (2), 2003, pp. 113–149 (first published in 1974). 17 Stuart Hall, “Signification, Representation, Ideology,” see note 15, pp. 93–94. 18 Ibid., p. 97. Warren Montag similarly builds on For Marx, and indeed at the expense of the theory of the ideological state apparatuses, which remains in the foreground of reception. Cf. Warren Montag, Louis Althusser, see note 6; cf. also Katja Diefenbach et al., see note 11.
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that Althusser grants considerable weight, which it previously had not had, in his reflections on ideological state apparatuses to practices in general and linguistic practice in particular.19 For structures can be seen in these practices that can never be complete due to their multiplicity, and therefore can never be conclusively determined. According to Hall, the conception of ideologies as practices even opens up spheres for action that Althusser himself denies in his book on ideological state apparatuses by conceiving them in such a functional sense that they easily reproduce the existing conditions of production. According to Althusser, ideological state apparatuses continually generate subjects that confirm and continue existing practices. As is well known, the interpellation of Althusserian subjects on the part of the ideological state apparatuses never fails, or at least this variation seems not to interest Althusser, instead leading almost magically to the desired answers and actions. It is not by chance that in Judith Butler’s examination of Althusser the central question is whether and how one can be a “bad,” that is, a resisting subject in view of the ideological state apparatuses.20 But let’s get back to Stuart Hall, in whom, oddly enough, Butler does not find an accomplice in the matter of bad, resistant subjects. According to Hall, already in Marx but then all the more in Althusser, one finds sufficient building blocks for a persuasive ideology critique, that is, for an ideology critique that makes neither the exploited masses nor the capitalists “look like judgemental dopes.” 21 The latter would be the case if an economic structure were to predetermine the thoughts of the capitalist profiteers no less than the beliefs of those who are not only exploited but who have also been cheated about their wishes and convictions. Hall’s suggestion runs as follows: rather than describing ideological consciousness, however it materially manifests itself in practices, as completely false, we should instead (following Marx) speak of a distorted consciousness, or even of structural half-truths,22 which hide quite particular aspects of an issue—for instance, to stay with the master example from Marx, the production aspect of capitalist economy. Starting from this premise, an analysis of existing practices and the forms of consciousness associated with them can no longer be separated from re-articulations of the simultaneously analyzed, critiqued, and transformed issue. The basis for articulating ideology critique in Hall’s sense, which cannot be separated from dis-articulations and strategies of active 19 Cf. Jens Kastner, “Ideology and Habitus,” in this volume. 20 “Here one might usefully conjecture that the reason there are so few references to ‘bad subjects’ in Althusser is that the term tends toward the oxymoronic. To be ‘bad’ is not yet to be a subject.” Judith Butler, “Conscience Doth Make Subjects of Us All: Althusser’s Subjection,” in: idem, The Psychic Life of Power, Stanford/CA, 1997, pp. 106–131, here p. 118f. Cf. also Ruth Sonderegger, “Ideology and Subjectivation,” in this volume. 21 Stuart Hall, “The Problem of Ideology,” see note 15, p. 31. 22 Ibid., p. 36.
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unlearning, is the insight that all conditions and issues can be expressed differently and that expressions in turn can be interpreted differently—that is, they always exhibit conscious and unconscious gaps. “But—and here we may be on a route contrary to emphasis from that with which ‘materialism’ is usually associated—the economic relations themselves cannot prescribe a single, fixed and unalterable way of conceptualizing it. It can be ‘expressed’ within different ideology discourses. […] We have also by-passed the distinction ‘true’ and ‘false,’ replacing them with other, more accurate terms: like ‘partial’ and ‘adequate,’ or ‘one-sided’ and ‘in its differentiated totality.’” 23 In the first instance this could be understood as if it were a matter of the most complete or adequate understanding of a particular issue or condition. But Hall doesn’t rest here. His concept of re-articulation in ideology critique (which always also implies a dis-articulation) analyzes chains of connotations that generate signification and self-referential actions that in turn are as linked with understandings as they are with the collective forms of practices that generate signification (for instance, social movements, but also consumer-oriented subcultures in relation to the music industry, etc.). Hall’s analysis not only targets the multi-faceted determination of structures of practice; he also points out the one-sidedness that seems to underlie them at the same time. In this respect, Hall explicitly names the determination through racializing, classidentifying, and gendering structures.24 Both, dis-articulation and re-articulation, however, cannot be reduced to mere analysis. It is also always a positioning within a battle over alternative ways of understanding and alternative embodiments in forms of practice. Hall thus links back to Gramci’s concept of hegemony, as Althusser had also done, as an essential re-articulation of Marx’s ideology critique 25 as well as to the further development of the Gramscian understanding of ideology by Ernesto Laclau. Referring to Valentin Volosinov, Hall speaks of the fact that it is the “multiaccentuality of the ideological sign” that would make possible a “class struggle in language.” 26 It is precisely this multi-accentuation, however, that can also be used against Althusser’s theory of the seamlessly functioning state apparatuses, which Hall explicity undertakes: “Social reproduction itself becomes a contested process,” 27 rather than simply being seamlessly achieved by the ideological state apparatuses. As we have said, Hall’s trick consists in filtering out—in a way that is only seemingly contradictory—a younger, but at the same time more post-structural Althusser from For Marx; one who thinks structural determination in multiple 23 Ibid., p. 38. 24 Stuart Hall, “Signification, Representation, Ideology,” see note 15, pp. 102–103. 25 Louis Althusser, “Contradiction and Overdetermination,” see note 9, footnote 29, p. 114. 26 Stuart Hall, “Signification, Representation, Ideology,” see note 15, p. 113. 27 Ibid.
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directions. He then uses this post-structuralist Althusser against the determinist structuralist of the Ideological State Apparatuses. In Hall’s re-reading, this earlier Althusser can at the same time—again only seemingly a contradiction— be linked up to the meta-linguistic variation of ideology critique à la Ernesto Laclau, which constitutes ideology as principally linguistic and understands it as functioning performatively. Ideology, according to Laclau and Hall’s reading of the early Althusser, can thus never be taken as constant. Rather, it reproduces itself through the meaning-generating chains of signifiers that we have mentioned, which for their part underlie potentially infinite shifts. At the same time, Hall’s Althusser can also be linked up with those post-structuralist theories that attempt to find alternative categories outside of ideology critique to analyze the organization of power, and that possess an unmistakable commonality: they are all based on categories of practice, of living, sensing, or experiencing—often with a direct relation to the body, sensibility, and/or subjectivity. Deleuze/Guattari’s terms “desiring machine” and “segmentarity”,28 Foucault’s notion of articulation, rhythmicization, and elaboration of the body,29 but also his “deployment of sexuality” or “biopower” as a variety of governmental leadership, Bourdieu’s “habitus,” and Rancière’s “distribution of the sensible”—all of these, sometimes more, sometimes less, tend to offer an aisthetic alternative to an undertanding of ideology that would reduce it to a simple mental phenomenon. But they do this quite in keeping with the “lived relation” to the system of representation already postulated by the early Althusser, in which individuals get involved as continuously subjectifying beings. Hall writes: “Perhaps the most subversive implication of the term “live” is that it connotes the domain of experience. It is in and through the systems of representation of culture that we “experience” the world: experience is the product of our codes of intelligibility, our schemas of interpretation. Consequently, there is no experiencing outside of the categories of representation or ideology. The notion that our heads are full of false ideas which can, however, be totally dispersed when we throw ourselves open to “the real” as a moment of absolute authentication, is probably the most ideological concept of all.” 30
28 On the term segmentarity, cf. Gilles Deleuze/Félix Guattari, A Thousand Plateaus: Capitalism and Schizophrenia, trans. by Brian Massumi, Minneapolis, 1987, esp. chapter 9: “1933—Mikropolitics and Segmentarity,” pp. 208–231. 29 Cf. Michel Foucault, Discipline and Punish. The Birth of the Prison (1975), trans. by Alan Sheridan, New York, 1995, pp. 149–155. 30 Stuart Hall, “Signification, Representation, Ideology,” see note 15, pp. 104–105.
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In a certain sense, Hall falls between the cracks. On the one hand he fends off the tendency of totalizing practice (at the expense of discursive phenomena); on the other, he finds importance in the meaning of the term practice as a critique of the pure phenomenon of consciousness. But more than anything, he insists on the category of living practices. Hall explains this in closing in an analysis and criticism, or at least the beginnings of such, of the both racializing and class-identifying term “black”; indeed by starting from the thoroughly contradictory and thus relativizing interpellation and attributions that he has been subjected to due to his Carribbean origins in Jamaica on the one hand and as a “black” person in Britian on the other. At the concrete moment of interpellation (as a “black” subject), the constant shift in meaning and linguistic assemblage is discharged as the moment of violence, thus coming to an “arbitrary closure;” and indeed at that exact place where the subject interpellated as black enters, because it has been forced into a historico-ideological context —the context of slavery and the presumably free accessibility of one’s own working power in the liberal division of labor—and the interpellated subject “turns around” or perhaps does not.31 With the methodologically significant term of ideological half-truths, Hall also comes—perhaps unexpectedly—in direct contact with Theodor W. Adorno, who writes in his “contributions to the theory of ideology” about “the intertwining of truth and falsehood.” “As a consciousness which is objectively necessary and yet at the same time false […] ideology belongs, if not to a modern economy, then, in any case, to a developed urban market economy. For ideology is justification […]. Where purely immediate relations of power predominate, there are really no ideologies […]. Accordingly, the critique of ideology, as the confrontation of ideology with its own truth, is only possible insofar as the ideology contains a rational element with which the critique can deal. That applies to ideas such as those of liberalism, individualism, the identity of spirit and reality. But whoever would want to criticize, for instance, the so-called ideology of National Socialism would find himself victim of an impotent naïveté.” 32 Adorno’s conviction that ideologies are structural, that is, socially effective, and one-sided albeit not entirely false, justifications is also expressed in his insistance, for instance in the essay Functionalism Today, that people also have a right to the fulfillment of even false needs, that—like Hall also stresses in his essay Encoding/Decoding 33—one cannot simply declare people to 31 Ibid., p. 55 and pp. 56–62. On “turning around,” cf. Ruth Sonderegger, “Ideology and Subjectivation,” in this volume. 32 Theodor W. Adorno, “Ideology” (1954), in: Aspects of Sociology, Frankfurt Institute for Social Research, London, 1973, pp. 182–205, here p. 189. 33 Cf. Stuart Hall, “Encoding/Decoding,” in: Culture, Media, Language, ed. by Stuart Hall et al., London, 1991, pp. 128–138.
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be saps because they have ideological needs, but must instead recognize the truth in their falsehood if one is interested in the dis-articulation and transformation of ideologies.34 We are emphasizing this side of Adorno because his thinking, derided as elitist, and especially his ideology-critical manifesto Dialectic of Enlightenment, co-written with Max Horkheimer, has most often served in German-language discussion after ’68 as an indication (or even as proof) that the ideology critique inspired by Marx is a wrong track. Not only was Adorno (and Horkheimer) accused of elitism in making use of a position outside all ideology— despite the fact that Adorno and Horkheimer, already in their preface to Dialectic of Enlightenment, thematize the challenge of wanting to hold on to the critical potential of reason while at the same time ascribing reason with a fundamentally destructive logic. They were also accused of having likewise described all the inhabitants of the twentieth century as being ideologically deluded; unrelated to whether the people in question are victims of the capitalist culture industry in the West or of state-prescribed communism in the East. Even within the so-called Frankfurt School, this led to a turning away from the project of ideology critique, as can be seen, or rather read most clearly in Habermas’s Theory of Communicative Action.35 Instead of concrete (ideology) critique, what appears there is a quasi-transcendental examination of the epistemological foundations of the critical faculty. At the same time, Habermas’ Theory of Communicative Action is also a rejection of certain militant ideology-critical re-articulations such as those proposed by Stuart Hall at the beginning of the 1980s. No wonder, then, that the Projekt Ideologietheorie, which was formed in the late 1970s around W. F. Haug at the Free University in Berlin, linked back with Althusser’s French tradition—with Gramsci
34 Examining the “great architects from Loos to Le Corbusier and Scharoun” and the thesis that “architecture worthy of human beings thinks better of men than they actually are,” Adorno writes: “Living men, even the most backward and conventionally naive, have the right to the fulfillment of their needs, even though those needs may be false ones. Once thought supersedes without consideration the subjective desires for the sake of truly objective needs, it is transformed into brutal oppression. So it is with volonté générale against the volonté de tous. Even in the false needs of a human being there lives a bit of freedom. It is expressed in what economic theory once called the ‘use value’ as opposed to the ‘exchange value.’ Hence there are those to whom legitimate architecture appears as an enemy; it withholds from them that which they, by their very nature, want and even need.” Theodor W. Adorno, “Functionalism Today,” in: Rethinking Architecture: A Reader in Cultural Theory, ed. by Neil Leach, London, 1997, pp. 6–20, here pp. 15–16. 35 Jürgen Habermas, Theory of Communicative Action, trans. by Thomas A. McCarthy, Boston, 1984–1985. Cf. also Ruth Sonderegger, “Wie diszipliniert ist (Ideologie-)Kritik? Zwischen Philosophie, Soziologie und Kunst,” in: Rahel Jaeggi and Tilo Wesche (Eds.), Was ist Kritik?, Frankfurt a. M., 2009, pp. 23–54.
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as a precursor and Hall as a developer—and not with the Frankfurt School.36 With the thesis, leveled against the first generation of critical theory, namely that it is presumptuous to ascribe as theorists (as opposed to simple citizens) false needs to people and, what’s more, to criticize them for it, Habermas finds himself oddly close to theses that Luc Boltanski developed together with Laurent Thévenot and Ève Chiapello at the beginning of the 1990s; theses according to which ideology critique as a theoretical project would be epistemologically obsolete because it is self-contradictory and furthermore paternalistic and elitist.37 The target of these theses is Pierre Bourdieu, who the theorists mentioned accused of carrying out an ideology critique that is both epistemologically as well as politically indefensible, indeed despite the fact that Bourdieu rejects the term ideology as vehemently as many of Althusser’s other students do.38 According to these theses, Bourdieu does not describe the agents that he analyzes as any less determined by ideological structure of practice than does Althusser himself. Furthermore, he becomes guilty of an epistemological self-contradiction when he claims a categorical distance (Bourdieu speaks of a “break”) for social scientists doing ideology critique, which is at best a naïve illusion. Boltanski, Chiapello, and Thévenot, on the other hand, maintain that social agents in ideology critique do not need any help from (social) science, rather that they themselves have complete command of this genre. Using empirical examinations they reconstruct that and how ideological critique is carried out in the most everyday situations; and indeed, exactly there where we accuse one another of blindness, distorted perception, and so on, and then usually argue to defend ourselves or even make changes in our behavior or our choice 36 Cf. Jan Rehmann, “Ideology Critique, Ideology Theory, and Poststructuralism—A Re-Evaluation,” in this volume, and his Einführung in die Ideologietheorie [Introduction to Ideology Theory], Hamburg, 2008, esp. chapter 9, pp. 153ff. Parallel to the Projekt Ideologietheorie and in critical differentiation to Adorno’s Aesthetischer Theory, Otto Karl Werckmeister has contributed an ideology-critical variation of art history and theory. See for instance O. K. Werckmeister, Ende der Ästhetik, Frankfurt a. M., 1971. In his 1978 lecture “What is Critique?” (in: The Politics of Truth, ed. by Sylvère Lotringer and Lysa Hochroth, New York, 1997), Foucualt draws attention to the fact that the concerns of early Critical Theory have survived better and been developed further in France than in Germany. Alongside this, there was a much more active reception of Marx in France than in Germany, which is also expressed in Étienne Balibar’s monography The Philosophy of Marx, for instance, which has just appeared in German (The Philosophy of Marx, see note 2) and which contains a chapter on “Ideology or Fetishism: Power and Subjection.” The German edition also contains a preface by F. O. Wolf. 37 Luc Boltanski and Laurent Thévenot, On Justification: Economies of Worth, trans. by Catherine Porter, Princeton, 2006 (French original 1991); Luc Boltanski and Ève Chiapello, The New Spirit of Capitalism, trans. by Gregory Elliot, London/New York, 2005 (French original 1999). 38 On Bourdieu’s distancing himself from the term ideology, cf. his conversation with Terry Eagleton, “Doxa and Common Life: An Interview,” in: Slavoj Žižek (Ed.), Mapping Ideology, London, 1994, pp. 265–277. We are following Robin Celikates’s reconstruction here, albeit without sharing his conclusions: Robin Celikates, “From Critical Social Theory to a Social Theory of Critique: On the Critique of Ideology after the Pragmatic Turn,” in: Constellations, Vol. 13, No. 1, 2006, pp. 21–40.
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of words. What must replace the sociology of (ideology) critique, according to Boltanksi and his comrades-in-arms, is a sociology of critique that merely describes that and how ideology critical practices function (well) alongside other critical registers in everyday life.39 Ideology critique is thus doing fine, and is being practiced everywhere that one finds words particular to the tradition of ideology critique, words such as “distorted,” “blind,” “unconscious,” etc. (Sociological) theorists can reconstruct this—and also have to do so against the die-hards like Bourdieu—but they must beware of meddling as experts in the everyday practices of ideology critique. In light of the massive critique that was levied against certain conceptions of ideology, or much more fundamentally, against even talking about ideologies —both at the time of Marx as well as around 1968, or even around 1989 (especially represented in the area of theory by the works of Luc Boltanski)—, one could get the impression that the rather scant defenders of ideology critique were fiddling around with a dead patient; that they—whether out of nostalgia, out of arrogant or even elitist faithfulness in science, or out of the desire for simple black-and-white circumstances—were defending a mode of presumptuous rebuke, which is epistemologically, politically, and ethically dubious and in the end leaves everything just as it is. For according to the critics of ideology critique, ideology critics would be doing nothing more than simply ascribing guilt to others anyway. It is our conviction that precisely those theorists who have grappled most critically with Althusser (interestingly also with early critical theory, as one can see in the late Foucault and Butler) are the ones who have carried out promising movements in practical ideology critique. This is especially the case for Judith Butler and for Foucault’s later writings that were inspired by cynical parrhesiastes, but also for Deleuze and Guattari, who argue, with their machines and assemblages, for forms of critique without a name (of their own). This critique cannot be subsumed under proper names because the elements that might be fruitful for a theory of ideology in Deleuze/Guattari’s thinking, but also Foucault’s and Butler’s, are not their conceptions or their accomplishments alone. Rather, they are multiply intertwined with other ways of thinking, collective desires, social formations, and political events. Even Rancière’s ideas of the political, which depart militantly from ideology critique and from Althusser, can 39 Luc Boltanksi and Laurent Thévenot, “The Sociology of Critical Capacity,” European Journal of Social Theory, 2 (1999) 3, pp. 359–377. Since Boltankski has at least partly relativized this thesis in the meantime, one can wonder how seriously it was meant in the first place. Cf. Luc Boltanksi and Axel Honneth, “Soziologie der Kritik oder Kritische Theorie? Ein Gespräch mit Robin Celikates,” in: Rahel Jaeggi and Tilo Wesche (Eds.), see note 35, pp. 81–114; and Luc Boltanski, On Critique: A Sociology of Emancipation, Cambridge, 2011; cf. also Ève Chiapello’s essay on an understanding of ideology purified of all normative and evaluative dimensions, “Reconciling the Two Principal Meanings of the Notion of Ideology: The Example of the Concept of the ‘Spirit of Capitalism,’” in: European Journal of Social Theory, 2003, Vol. 6, No. 2, pp. 155–171.
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be made fruitful as a challenge to the ideological “consensus” in each case. Such non-determinist and multi-directional approaches seem to be groundbreaking at least in part because they also aggressively open up the question of how much expertise in ideology critique is beneficial, and where the limit of so-called ideology theory is reached. With their reservations about academic ideology specialists, Deleuze and Guattari, Foucault, Butler, and Rancière in no way negate the theoretical and analytical achievements of ideology critique. Rather, they challenge the assumption that such capacities for analysis are tied to the familiar factories of knowledge.40 However, it is precisely in this point—in the context of the question of whether and how post-structuralist theorists can join up with the Marxist tradition of ideology critique and how they can articulate it—that particular attention is due to Gayatri Chakravorty Spivak’s text Can the Subaltern Speak? 41 Referring to a conversation between Deleuze and Foucault from 1972,42 Spivak first accuses both theorists, but ultimately also other post-structuralist thinkers, of the following: by analyzing the structures of power and repression always in reference to the same western part of the world, these post-structuralists are suggesting that such structures do not exist elsewhere, at least not in a form worthy of analysis and critique. According to Spivak, this is in no way as selfcritical as it might seem at first glance. Rather, it means that one blocks out the degree to which one’s own world is intertwined with the world one is ignoring. One symptom of this ignorance, in Spivak’s eyes, is the way that the sovereign subject turns up again in Foucault and Deleuze in this unguarded discussion, something that both of them had long ago abandoned in their theories. To be more precise, the sovereign subject turns up again when it is a matter of big topics such as the “subject-in-revolution”—self-evidently a male subject—and indeed as the Maoist and as the subject of the class struggle. In contrast to the intellectuals that are addressed by name in the conversation between Foucault and Deleuze, and to which they also obviously belong themselves, the workers and Maoists remain nameless and furthermore are represented as dumb. For they do not understand, as is made clear right from the beginning of the conversation, that “we’re [Deleuze und Foucault] in the process of experiencing a new relationship between theory and practice.” 43 What Spivak puts into play against this narrow-mindedness is nothing other 40 For an analysis of factories of knowledge in the present time, cf. Gerald Raunig, Factories of Knowledge, Industries of Creativity, trans. by Aileen Derieg, New York, 2013. See also Stephan Dillemuth, “The Hard Way to Enlightenment: Dramatization of a Lecture on The Academy and the Corporate Public—in two Parts,” published in this volume. 41 Gayatri Chakravorty Spivak, “Can the Subaltern Speak?”, in: Marxism and the Interpretation of Culture, ed. by Cary Nelson and Lawrence Grossberg, Urbana, 1988, here p. 272. 42 “Intellectuals and Power,” in: Michel Foucault, Language, Counter-Memory, Practice, Ithaca, 1977, pp. 205–217. 43 Ibid., p. 205.
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than ideology critique: “The failure of Deleuze and Guattari to consider the relations between desire, power and subjectivity renders them incapable of articulating a theory of interests. In this context, their indifference to ideology (a theory of which is necessary for an understanding of interests) is striking but inconsistent. […] Because these philosophers seem obliged to reject all arguments naming the concept of ideology as only schematic rather than textual, they are equally obliged to produce a mechanically schematic opposition between interest and desire. […] The race for ‘the last instance’ is now between economics and power. […] In the name of desire, they reintroduce the undivided subject into the discourse of power.” 44 In doing so, Deleuze and Foucault claim a clear precedence of desiring and signifying structures over those of the economy. An examination of (the history of) ideology critique, however, would have shown them—this is how we must understand Spivak—how ploblematic claiming or merely reversing one-sided determinations—and thus concomitant oppositions such as oppressor-oppressed, for example—is. Nonetheless, we can maintain the following: In a manner quite distinct from Boltanski, Hall, Spivak, Butler, Deleuze/Guattari, and Foucault refer to more or less everyday scenes of ideology critique—especially to its practical dimensions. But not as an end to itself, but always with the goal of supporting the analytical and resistant practices of ideology critique; even if most of them did not call these resistance practices ideology critique.45 And they do this consistently to the point that the names and careers of the theorists mentioned here are no longer relevant—nor are the names of the theories themselves.46 In doing so, they open up the possibility of seeing and apprehending ideology critique at work where this word doesn’t even appear—particularly in political and artistic practices of dis-articulation and re-articulation of assemblages that generate meaning and establish dominance. We are thinking here of the Situationists as well as the gender performances that Butler describes, sometimes artistic and unruly, sometimes not at all, or of the staged public interventions by the anarcho-feminist collective Mujeres Creando in Bolivia; but also of the theoretical interventions and inventions by theorists such as Gloria Anzaldúa or bell hooks, who take up the correlations between race,
44 Gayatri Chakravorty Spivak, see note 41, pp. 273–274. 45 The post-structuralist approaches mentioned here are not random or neutral in their critique of all the fixations of meaning and habitualization/naturalization of activities, but rather very specific. For this reason, they are not—neutralizing for their part—theories of all-round fluidity, like Rahel Jaeggi accuses “the theory of ideology from Althusser to Butler” of being. See Rahel Jaeggi, “Was ist Ideologiekritik?,” in: Rahel Jaeggi and Tilo Wesche, see note 35, pp. 266–295, here p. 282. 46 Precisely because Spivak’s critique seems to us as pertinent as does her advocacy of ideology critique, we have attempted above to lay bare a certain (proper) nameless ideology critique in a particular Deleuze and in the late Foucault.
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class, and gender.47 The path of accentuating situative practices and their performative analyses and shiftings is certainly not the only one that also leads from ideology research into the field of art. But at this point we would like to maintain that this path must be seen as exemplary of the re-orientation of (ideology) critique in the field of art that took place in the 1990s.
3. What is this field of art that we are addressing? So the question arises: In light of the critique of ideology critique traced out above, can we still hold onto a revised understanding of necessary false consciousness? Or do we even have to? And why in relation to the art world? We are convinced that indeed we must. Since the 1990s the topic of “politics” has resurfaced in the field of art much more clearly than was the case in the previous decade.48 This has involved a return to the avant-garde strategies of the 1960s and 1970s, which is what made it possible to see the 1990s as the decade of re-politicization in the field of art in the first place. This return also made intersections with the forms of practice of ideology critique outside the field of art accessible once again, not least those intersections that largely left out the term ideology and had abandoned any precise delimitation between art and non-art. In this context, the post-structuralist or post-ideological strategies of shifting and accentuating that we have described not only increased in significance, but also in popularity. For despite the ever-present tendency toward privatization and the pressure to succeed associated with it, the rising attendance figures in the 1990s allowed art institutions to make more and more of their space and budgets available to forms of critical articulation. Parallel to this development, the significance of international biennials has grown throughout the increasingly globalized art scene, bringing along a tendency to internationalization in the art presented.49 This development can 47 Cf. bell hooks, Art on My Mind: Visual Politics, New York, 1995; Judith Butler, Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity, New York, 2006; Gloria Anzaldúa, Borderlands/La Frontera: The New Mestiza, San Francisco, 1987; on the actions by the anarcho-feminist collective Mujeres Creando, see online: http://www.mujerescreando.org/ (last viewed:August 22, 2013). 48 Cf. for instance the tabular exhibition overview by Elena Filipović, Rafal B. Niemojewski, and Barbara Vanderlinden “One Day Every Wall Will Fall: Select Chronology of Art and Politics after 1989,” in: Barbara Vanderlinden and Elena Filipović (Eds.), The Manifesta Decade: Debates on Contemporary Art Exhibitions and Biennials in Post-Wall Europe, Cambridge/MA, 2005, pp. 20–44. 49 Since the globalization of the art business is not a finished process, it is at least as important to point out the discourse within the field of art that is critical of globalization. It can be argued, for instance along with Lara Buchholz and Ulf Wuggenig, that the term globalization and questions of representative internationality are in the first place matters of extending western power structures. Cf. Lara Buchholz/Ulf Wuggenig, “Cultural Globalization between Myth and Reality: The Case of the Contemporary Visual Arts,” online at: http://artefact.mi2.hr/_a04/lang_en/theory_buchholz_en.htm (last viewed:August 22, 2013).
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clearly be seen in the “critical” re-orientation of some of the biennials; some examples would include the Havana Biennale (II and III Bienal de la Habana, 1986 and 1989), the 10th Documenta in Kassel (Documenta 10, 1997), and the invention of entire biennial formats such as the Manifesta (European Biennial of Contemporary Art, starting in 1996), which have been committed from the beginning to a (post-)institutional-critique flexibility (keyword: “nomadism”) and to the rhetoric of a new democracy—the epitome of a “reunified” Europe.50 Large scale exhibitions such as Magiciens de la Terre (Centre Pompidou, Paris, 1989) and Seven Stories About Modern Art in Africa (at the Whitechapel Gallery, London, 1995, and at the Guggenheim Museum, New York, 1996, among others), Global Conceptualism: Points of Origins, 1950s–1980s (Queens Museum of Art, New York, 1999), or Vivências / Lebenserfahrungen (Generali Foundation, Vienna, 2000) can in turn be considered milestones in the entry of “non-western” art into the established institutions of Europe and the USA. The term “decentralization” has become established for this tendency at least since Documenta 11 (Kassel, 2002), which has rightly been celebrated as an important if partial victory against the hegemonic Euro-America-centrism of art criticism and exhibition practices. Furthermore, the attempt to consider real, existing geographical decentralization together with the post-structuralist project of an “epistemological decentralization” has set new standards which are in place to this day for an art that understands itself as critical, and which—in our view—no project of ideology critique can fail to keep up with. Nonetheless, it is not precisely adequate to speak quite generally of a (post-) ideology-critical repoliticization in the field of art in reference to the 1990s. For the emerging spaces of intervention for forms of practice of (ideology) critique and anti-hegemonic discourse are not free of contradictions. These contradictions, in turn, which today take on the form of capitalizing on “otherness” and “multiculturalism” in the neo-liberal art business as much as the form of the logic of valorization of individualized emotions, of independence and its promise of freedom, have been thematized and problematized by critical theories as paradigmatic for the contemporary capitalist modes of production. Finally, the field of art does not only represent an archive of (post-) ideological strategies; it is also an assembly point for ideologies.51
50 For a critique of such a self-understanding, see Vesna Madžoski, “Exorcising the Ghosts of Europe. Manifesta Biennial of Contemporary Art and the Failed Rhetorics of Democracy,” in this volume. On the conjunctures of critique (and criticality) in the field of art, cf. also Oliver Marchart, Hegemonie im Kunstfeld. Die documenta-Ausstellungen dX, D11, d12 und die Politik der Biennalisierung, Cologne, 2008. 51 On reactionary, neo-nationalist, and/or duplicitous tendencies in the neo-liberal art business that sees itself as “progressive,” see the contributions by Alice Creischer, Diedrich Diederichsen, Stephan Dillemuth, Vesna Madžoski, Mereijn Oudenampsen and the conversation with Ágnes Heller and János Weiss in this volume.
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Both the post-structuralist strategies that we have just attempted to make productive for ideology critique and the post-ideological strategies of the 1990s are thus criticized at least as often as they have been able to be successfully implemented—and not only from the right, but also from the left; namely, from the circle of those who see the same mechanisms at work in the imperative of artistic critique in general and of (post-)institutional-critique “criticality” in particular as are at work in the neoliberal course of a new form of social democracy.52 For, quite in keeping with Stuart Hall’s half-truths, art is herein often ascribed the status of a particular projection surface. In the public opinion of neoliberal democracies, but also from the perspective of many critical theorists, there are very few social fields that are as strongly associated with (individual) freedom and at the same time social engagement as the field of contemporary art. De facto, many artists and activists active in the field of art would also not want to contradict this assumption. How contested the projection surface of criticality is in the field of art can be seen for instance in the fact that Boltanski/Chiapello criticize the “artistic critique” aimed at self-realization as the accomplice of the new capitalism.53 In its turn, Boltanski/Chiapllo’s critique masks the systematic critique of the field of art, which is part and parcel of “artistic critique,” as Maurizio Lazzarato in particular has pointed out.54 Others criticize the tendency of “fragmentation” and making compromises in the area of artistic ideology critique; 55 or they warn of the effective capitalization of contemporary strategies and the associated dispositions on the side of the contemporary art and culture business.56 This is also the sense in which Jan Rehmann in his Introduction to Ideology Theory writes how little the good will of free cultural production can be isolated from the dominant production logic, that is, from its lived relation to the world. In the sub-chapter Promises of Liberation and Heteronomy in Neoliberalism he points to quite ordinary ideological processes in the field of 52 This neo-liberally oriented “new” social democracy has found its way into several governments distributed throughout the globe (1993 Bill Clinton in Washington, 1995 Fernando Henrique Cardoso in Brasilia, 1997 Tony Blair in London, or 1998 Gerd Schröder in Berlin). For a critique of the demand for criticality in the field of art cf. Helmut Draxler, Gefährliche Substanzen. Zum Verhältnis von Kritik und Kunst, Berlin, 2007. For a critique of Draxler’s position, cf. Jens Kastner, “Zur Kritik der Kritik der Kunstkritik. Feld- und hegemonietheoretische Einwände,” in: Birgit Mennel, Stefan Nowotny, and Gerald Raunig (Eds.), Kunst der Kritik, Vienna, 2010, pp. 125–147. 53 Cf. Luc Boltanski, Ève Chiapello, see note 37. 54 Maurizio Lazzarato, “The Misfortunes of the ‘Artistic Critique’ and of Cultural Employment,” in: Gerald Raunig, Gene Ray, and Ulf Wuggenig (Eds.), Critique of Creativity. Precarity, Subjectivity and Resistance in the ‘Cultural Industries,’ London, 2011, pp. 41–56, online at: http://mayflybooks.org/wp-content/uploads/2011/05/9781906948146CritiqueOfCreativity.pdf (last viewed:Sept. 29, 2013). Ulf Wuggenig makes a similar argument in “Paradoxe Kritik,” in: Birgit Mennel et al., see note 52, pp. 105–124. 55 Various theorists have gladly characterized both the figure of “fragmentation” and the tendency to form compromises as characteristics of the “postmodern” and/or of “late capitalism,” but this has been discussed and criticized in a wide variety of ways. For Fredric Jameson, for
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art, summarizing two studies from 2005 in a concise paragraph. In these studies, cultural creators in precarious working conditions say: how important it is, not only to be seen regularly at exhibition openings and to seek out people to talk to, but also to do everything possible “to be enjoying it and to feel comfortable, for anyone who doesn’t seem comfortable on an evening is also not going to be successful.” It is also essential that everyone make constant efforts “to talk up planned or upcoming projects, so as not to give the impression that one is in an emergency situation, desperately looking for connections.” 57 With this completely justified caveat in mind, we can only suppose, starting from a perspective of ideology critique inspired by Marx, that the actual problem lies hidden in what is not being spoken about, and thus not critiqued, in the representative discourses in the field of art. This not only concerns the problems that often slip through the loopholes in the dominant systems of representation: for instance the systematic interconnections of race, class, and gender or the political price for the compromises made that are immanent to the field. Above all, this concealment concerns precisely what everyone knows but cannot speak about because it offends the dominant selfconception in the field of art: bad to no payment, questionable interest on the part of sponsors, and, not least structural censorship due to precarious working conditions.
instance, “fragmentation” is an aesthetic category that concerns the distribution of spaces and perception, and which correlates to the semiotic forms of producing value in late capitalism. See Fredric Jameson, Postmodernism: Or, The Cultural Logic of Late Capitalism, Durham, 1991, pp. 1–54. The sociologist Sebastian Herkommer sees “fragmentation” as the disintegration of a unified basis for critiquing capitalism, which is part and parcel of neo-liberalism. Herkommer even goes so far as to incriminate all forms of either individualized critique or demands isolated from the wider social context of latent complicity with the neo-liberal mechanism of fragmentation—as long as these kinds of critque are not explicitly articulated as solidarity in the struggle against capitalism. Herkommer includes in this also the critique of racism, feminism, demands for the rights of homosexuals, etc., thus not only falling once again into the orthodox logic of “main and side contraction,” but also encouraging even more fragmentation himself than what the recognition of civil rights for invidiual minorities could ever achieve. Cf. Sebastian Herkommer, Metamorphosen der Ideologie, Hamburg, 2004, especially part 3, chapter 1. “Das ‘Ende der Ideologie’: Vom ideologischen zum nachideologischen Alltagsbewußtsein?”, pp. 115–123. 56 See for instance Suely Rolnik’s outstanding analysis of the relation of the countercultural strategies by the avant-gardes in Brazil in the 1960s and 1970s to the mechanisms of the contemporary logic of production, “Geopolitics of Pimping” (2006), online at: http://www.eipcp. net/transversal/1106/rolnik/en (last viewed: August 12, 2013). 57 Cf. Jan Rehmann, Einführung in die Ideologietheorie, see note 36, p. 200.
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I GENEALOGISCHE KONSTELLATIONEN GENEALOGICAL CONSTELLATIONS
IDEOLOGIEKRITIK, IDEOLOGIETHEORIE UND POSTSTRUKTURALISMUS – EINE NEUBESICHTIGUNG Jan Rehmann Mit dem Titel stelle ich drei komplexe und umstrittene Begriffe zur Diskussion, die im Rahmen dieses Vortrags sicher nicht flächendeckend und erschöpfend behandelt werden können. Möglich ist ein begrenzter Zugriff, eine bestimmte Schneise, die natürlich nicht voraussetzungslos gelegt wird. In meinem Fall sind Auswahl und Schwerpunktsetzung davon beinflusst, dass ich schon als junger Student an dem von Wolfgang Fritz Haug geleiteten Berliner Projekt Ideologietheorie (PIT) teilnehmen konnte, das meine weiteren Studien und Forschungen nachhaltig prägte. Ich werde mich im Folgenden zunächst mit der „ideologietheoretischen Wende“ der 1970er und 1980er Jahre beschäftigen, die ich am Beispiel von drei Theorien behandle, der von Louis Althusser, von Stuart Hall und vom Projekt Ideologietheorie. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass diese „Wende“ z. T. bereits durch Gramsci und durch Marx und Engels vorweggenommen wurde. In einem zweiten Punkt gehe ich auf die wichtigsten Unterschiede zwischen den verschiedenen ideologietheoretischen Ansätzen ein. In einem dritten Punkt zeige ich, wie im Poststrukturalismus der Ideologiebegriff durch die Begriffe des Diskurses und der Macht ersetzt wurde und warum ich diese Ersetzung letztlich für einen Rückschritt halte. Schließlich diskutiere ich abschließend an ausgewählten Beispielen, wo es meines Erachtens interessante Überschneidungen zwischen Ideologietheorie und Poststrukturalismus gibt und wie man die Errungenschaften beider Theorietraditionen wieder miteinander verknüpfen könnte.
Die ideologietheoretische Wende Der Begriff der „Ideologietheorie“ hat sich in den 1970er Jahren vor allem im Anschluss an Louis Althusser herausgebildet, um eine Neubegründung marxistischer Ideologieforschung zu bezeichnen. Er sollte eine doppelte Abgrenzung markieren: zum einen gegenüber einem weit verbreiteten „Ökonomismus“, der die Ideologie auf eine bloße Erscheinung des Ökonomischen, auf einen
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einfachen Ausdruck von Klasseninteressen reduzierte. Der Vorwurf lautete, dass hierbei die relative Eigengesetzlichkeit des Ideologischen übersehen werde; zum anderen gegenüber einer traditionellen Ideologiekritik, die die Ideologie lediglich als falsches, verkehrtes Bewusstsein verstand, um sie vom Standpunkt einer „richtigen“, nun „wissenschaftlichen Weltanschauung“ aus zu kritisieren. Auch hier lief der Vorwurf darauf hinaus, dass eine solche Kritik die Eigendynamik und spezifische Wirksamkeit des Ideologischen übersehe. Die Einwände lassen sich in drei Punkten zusammenfassen: Zum einen sei die Kritik eines „falschen Bewusstseins“ noch nicht auf sozialwissenschaftlichem Niveau angekommen, da sie die materielle Existenz des Ideologischen, seine Apparate, Intellektuellen und Praxisformen übersehe, die auf den Alltagsverstand der Menschen einwirken; zum anderen tendiere ihre Orientierung auf das Bewusstsein dazu, die unbewussten Funktionsweisen von ideologischen Formen und Praxen sowie ihre Formatierung von Subjektivitäten zu verfehlen; und drittens verdränge das Bemühen, die Ideologie zu „widerlegen“, die ideologietheoretische Hauptaufgabe, ihre Wirkungsweise bei der Unterordnung von Denkweisen, Körpern und „Herzen“ zu verstehen. Ohne ein Verständnis der Attraktionspunkte sei Ideologiekritik ein unwirksames, hilflos rationalistisches Unternehmen. Stuart Hall zufolge ist die wichtigste Frage an eine „organische“, bindungsfähige Ideologie nicht, was falsch, sondern was „wahr“ an ihr ist, und dies sei nicht als universelle „Wahrheit“ aufzufassen, sondern im Sinne von „what makes good sense“, was den Menschen lebenspraktisch sinnvoll erscheint. ¹ Man kann also zusammenfassend sagen: Zentrales Thema der Ideologietheorie ist die freiwillige Einordnung in entfremdete Herrschaftsformen, die aktive Zustimmung zu einschränkenden Lebensbedingungen. Ihr Ziel ist es, die gesellschaftliche Herausbildung solcher Unterstellungshaltungen, ihre Funktionsnotwendigkeit, ihre Wirkungsweise und Wirksamkeit zu begreifen. Um dies zu tun, richtet sie den Blick auf die Materialität des Ideologischen, d. h. seine Realität als Ensemble von Apparaten, Intellektuellen, Ritualen und Praxisformen. Althusser versuchte, diesen Zusammenhang in seiner Theorie der „Ideologischen Staatsapparate“ zu begreifen, die selbst wiederum auf Gramscis Konzept der „Hegemonialapparate“ zurückverweist. Ideologien wirken nicht nur auf das Bewusstsein, sondern verankern sich auch unbewusst in körperlich verinnerlichten Dispositionen und Haltungen des „habitus“ (Bourdieu). In den 1970er und 1980er Jahren wurde dieser Paradigmenwechsel explizit formuliert. Aber es stellte sich bald heraus, dass zentrale Elemente dieses Wechsels bereits in den Schriften von Marx und Engels zu finden waren, auch
1 Hall 1989, S. 189.
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wenn sie zuweilen hinter dem vorherrschenden Bewusstseinsdiskurs ihrer Zeit verborgen lagen. Entgegen einem weit verbreiteten Missverständnis ging es ihnen nicht nur um die Aufdeckung und Richtigstellung „verkehrten Bewusstseins“, sondern grundsätzlicher um die Frage, wie solche „Verkehrungen“ im Denken von zugrundeliegenden „Verkehrungen“ der gesellschaftlichen Verhältnisse erzeugt wurden. So argumentierten sie z. B. in der Deutschen Ideologie, dass die idealistische Verkehrung im Bewusstsein von der wirklichen gesellschaftlichen Trennung von materieller und geistiger Arbeit hervorgebracht wird, die sich zusammen mit der Entstehung gegensätzlicher Klassen und des Staates herausgebildet hat. Erst dann und auf dieser Grundlage „kann sich das Bewusstsein wirklich einbilden, etwas Andres als das Bewusstsein der bestehenden Praxis zu sein, wirklich etwas vorzustellen, ohne etwas Wirkliches vorzustellen“, erst dann kommt es „zur Bildung der ‚reinen‘ Theorie, Theologie, Philosophie, Moral“. ² Wenn Marx im Kapital den Fetischcharakter der Ware, des Geldes und des Kapitals analysiert, geht es nicht in erster Linie um Mystifizierungen im Kopf, sondern um objektive Verkehrungen im Kapitalismus, bei denen der Tauschwert den Gebrauchswert beherrscht, die abstrakte Arbeit die konkrete Arbeit, der privatkapitalistische Profit das Leben der Menschen. Diese objektiven Verkehrungen erzeugen „gesellschaftlich gültige, also objektive Gedankenformen“, in denen die Menschen ihre Verhältnisse spontan wahrnehmen. ³ Und schließlich fundiert der späte Engels den Ideologiebegriff in einer kritischen Theorie des Staats. Er definiert den Staat als die „erste ideologische Macht über den Menschen“, gefolgt vom „Recht“ und von den „höheren“ Mächten wie Religion und Philosophie. 4 Es geht also in allen drei Verwendungen um strukturell verankerte gesellschaftliche Anordnungen. Und zugleich wird Ideologie bei Marx und Engels als kritischer Begriff verwendet. Damit ist gemeint, dass nicht jede Wahrnehmungs- und Denkweise per definitionem ideologisch ist, sondern bestimmte Formen, die an der Reproduktion ökonomischer und staatlicher Herrschaft beteiligt sind und im Prinzip durch andere, sich solcher ideologischen Reproduktion widersetzende Formen infrage gestellt und abgelöst werden können. Bemerkenswerterweise kam es sowohl im „offiziellen Marxismus“ der II. Internationale als auch im Marxismus-Leninismus der III. Internationale zu einer Neutralisierung des Ideologiebegriffs als ideeller Ausdrucksform von Klasseninteressen allgemein, in der der ideologiekritische Ansatz von Marx und Engels in seinen verschiedenen Varianten nahezu vollständig verdrängt wurde. Zu den wenigen Ausnahmen zählten u. a. Georg Lukács und Antonio Labriola, die an einem kritischen Ideologiebegriff festhielten. 5 2 3 4 5
MEW 3, S. 31. MEW 23, S. 90; vgl. ebd., S. 564. MEW 21, S. 302. Vgl. Rehmann 2011, S. 55ff., S. 66ff.
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Zu einigen Unterschieden in der Ideologietheorie An dieser Stelle ist es angebracht, auf einen wichtigen Unterschied zwischen Althusser und dem Projekt Ideologietheorie zu verweisen. Althusser wendet sich gegen den kritischen, an Entfremdung, Klassenherrschaft und Staat gebundenen Ideologiebegriff von Marx und Engels, den er (zu Unrecht) mit dem Paradigma des „falschen Bewusstseins“ identifiziert. Stattdessen definiert er unter dem Einfluss von Jacques Lacan die Ideologie im Allgemeinen als „ewig“, vergleichbar dem Freud’schen Unbewussten, sodass der Mensch als ein „ideologisches Tier von Natur aus“ (animal idéologique) behandelt wird. 6 In diesem Sinne bewegt sich Althusser innerhalb des neutralen Ideologiebegriffs des Marxismus-Leninismus, wenn auch nun mit psychoanalytischer Begründung. Das Projekt Ideologietheorie hält dagegen an Marx’ kritischem Ideologiebegriff fest und sieht das Ideologische als entfremdete Vergesellschaftung „von oben“, bewerkstelligt durch übergeordnete ideologische Mächte. 7 Durch diese spezifischere Fassung wird es möglich, unterschiedliche Dimensionen der Vergesellschaftung zu unterscheiden, neben der ideologischen Dimension z. B. „horizontale“ Vergesellschaftungsformen, in denen Menschen versuchen, ihr Zusammenleben ohne Dazwischenkunft übergeordneter ideologischer Instanzen zu regeln, oder Dimensionen des Kulturellen, in denen Gruppen und Individuen ihr Leben als sinnlichen Genuss gestalten und das praktizieren, was ihnen lebenswert erscheint. 8 Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich hier um analytische Unterscheidungen handelt. In der Empirie überlagern sich diese Dimensionen und durchdringen sich gegenseitig. Wie Boltanski und Chiapello am französischen Beispiel gezeigt haben, wurden zahlreiche gegenkulturelle Artikulationen der ’68-er-Bewegung erfolgreich von einer neoliberalen Management-Ideologie kooptiert und zum neuen Lebensstil vermarktet. 9 Und umgekehrt kann es sozialen Bewegungen gelingen, bestimmte Gemeinwesenfunktionen, die in Ideologien repräsentiert und aufbewahrt sind, von unten zurückzugewinnen und für ihre eigene Handlungsfähigkeit umzufunktionieren. Althusser tendiert dazu, die Konstruktion ideologischer Subjekte und Subjektivitäten allzu monologisch von oben nach unten zu konzipieren. In seinem 6 Althusser 1977, S. 133, 140 (Übers. korr., JR). 7 PIT 1979, S. 179ff; vgl. Rehmann 2011, S. 153ff. Innerhalb kritischer Ideologietheorien gibt es wiederum Debatten darüber, ob „objektive Gedankenformen“ wie der Warenfetisch oder Marktidole als „Elementarmächte“ des Ideologischen oder als ihre bürgerliche Voraussetzung anzusehen sind (vgl. den Briefwechsel Rehmann/Metscher 2012). 8 PIT 1979, S. 184f. Zur begrifflichen Unterscheidung zwischen dem Ideologischen und dem „kulturellen Moment“, vgl. Haug 2011, S. 44–49. 9 Vgl. Boltanski/Chiapello 2003, S. 235f., 249, 252f. 10 So ruft das große Subjekt GOTT das kleine Subjekt Moses bei seinem Namen, worauf dieser sich umdreht und „Ja Herr, hier bin ich“ antwortet (Althusser 1977, S. 146).
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Modell der ideologischen Anrufung können die vom großen SUBJEKT angerufenen kleinen Subjekte nichts anderes tun, als sich „umzudrehen“, sich in dem Anruf „wiederzuerkennen“ und „ja“ zu sagen. 10 Stuart Hall hat diesem Modell ein flexibleres und dialektischeres entgegengesetzt, bei dem zwischen der Kodierung einer ideologischen Botschaft und ihrer aktiven Dekodierung durch das angerufene Subjekt differenziert wird. Auf der Grundlage dieser Differenzierung unterscheidet er zwischen drei grundlegenden typischen Antworten, einem „dominant-hegemonialen“ Modell, bei dem die Dekodierung der Ideologie sich innerhalb des dominanten Kodes vollzieht, einem „ausgehandelten Kode“, bei dem die dominante Position nur auf allgemeiner Ebene akzeptiert und hinsichtlich der lokalen Bedingungen eigenständig umdefiniert wird, und schließlich einem „oppositionellen Kode“, bei dem die Empfänger die Botschaft auf „völlig entgegengesetzte Weise“ interpretieren. 11 Es ist offensichtlich, dass Althussers Anrufungsmodell lediglich Halls erste Variante abdeckt, und auch in diesem Fall würden die Angerufenen sich nur dann „freiwillig“ unterstellen, wenn sie etwas „Eigenes“ in der Anrufung wiedererkennen. Dieses „Eigene“ ist in der Interpretation des „Projekts Ideologietheorie“ ein Stück „Gemeinwesen“, das in Ideologien repräsentiert ist, wie verschoben und entfremdet auch immer. 12 Es gibt eine Dialektik des Ideologischen, die darin besteht, dass jede Ideologie, die massenwirksam sein will, auch Elemente des Gemeinwesens, z. B. plebejische und gegenkulturelle Motive, enthalten muss. Dies ist keineswegs nur eine Eigentümlichkeit „progressiver“ Tendenzen, sondern gilt z. B. auch für faschistische Ideologien, für die Ernst Bloch schon 1933 darlegte, dass sie ihren Erfolg u. a. den „Entwendungen aus der Kommune“ verdankten. 13 Das Projekt Ideologietheorie hat diese innere Widersprüchlichkeit des Ideologischen mit zwei Begriffen zu fassen versucht: zum einen mit Sigmund Freuds Begriff der „Kompromissbildung“, bei der gegensätzliche Kräfte (z. B. das Über-Ich und die verdrängten Triebwünsche des Es) in einem neurotischen Symptom verdichtet werden, zum anderen mit dem Begriff der „antagonistischen Reklamation des Gemeinwesens“, bei der dieselben ideologischen Instanzen und Werte jeweils entgegengesetzt ausgelegt und in Anspruch genommen werden. 14 Die verschiedenen Klassen, Geschlechter und Generationen interpretieren oft vollkommen unterschiedlich, was Gottes Wille ist, was Gerechtigkeit bedeutet, was die Moral verkündet, was nach Ästhetik und Geschmack als schön oder hässlich zu gelten hat. Wenn man die widersprüchliche Zusammensetzung und die antagonistische Reklamation des 11 Hall 2004, S. 77–80. 12 PIT 2007, S. 108. Engels zufolge ist „Gemeinwesen […] ein gutes altes deutsches Wort, das das französische ‚Kommune‘ sehr gut vertreten kann“ (Brief an Bebel, 18. und 28. März 1875, in: MEW 19, S. 7). 13 Bloch 1965, S. 70. 14 PIT 1979, S. 190f.; Haug 1993, S. 84f.
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Ideologischen berücksichtigt, erhält auch die Ideologiekritik eine neue konstruktive Aufgabe, und zwar die im Ideologischen repräsentierten horizontalen Gemeinwesenfunktionen aufzunehmen, in Anspruch zu nehmen und für die Entwicklung gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. Dies bedeutet z. B., dass eine ideologietheoretisch informierte Religionskritik nicht mehr den Nachweis versuchen sollte, dass die Religion als Ganzes ein „verkehrtes Bewusstsein“ oder „Opium des Volks“ ist. Vielmehr geht es um die analytische Aufgabe, die sozialen Antagonismen und Kämpfe im religiösen Feld zu entziffern und die emanzipatorischen Gehalte freizusetzen. 15
Die poststrukturalistische Herausforderung: „Diskurs“ und „Macht“ Da das Verhältnis zwischen Poststrukturalismus und Postmoderne in der Literatur umstritten ist, möchte ich zunächst eine terminologische Klärung vorschlagen: Während „Postmoderne“ zu einem allgemeinen Sammelbegriff für eine „Fühlsstruktur“ (Raymond Williams) der 1970er Jahre und der darauf folgenden geworden ist, die quer durch verschiedene Bereiche wie Ästhetik, Kultur, Lebensweisen, Philosophie usw. verläuft, verwende ich den Ausdruck „Poststrukturalismus“, um eine theoretische Formation zu bezeichnen, die sich zunächst in Frankreich als Nachfolge und Überwindung des Strukturalismus herausgebildet hat. Er ist kein Gegenbegriff zur Postmoderne, sondern eine ihrer theoretischen Strömungen oder, wie Manfred Frank formuliert, „ein Denken […] unter den Bedingungen der Nachmoderne“. 16 Ich beschränke mich im Folgenden auf die theoretische Formation des Poststrukturalismus und konzentriere mich hierbei wiederum auf nur eine Fragestellung, und zwar darauf, wie im Verlauf der Krise der Althusser-Schule auch der Ideologiebegriff in eine Krise geriet und nacheinander durch die Begriffe des „Diskurses“ und der „Macht“ ersetzt wurde. Als prominentes Beispiel wähle ich Michel Foucault, da die meisten poststrukturalistischen Ansätze sich seiner Verabschiedung des Ideologiebegriffs angeschlossen haben. Diese Preisgabe wurde in großen Teilen der Sekundärliteratur dafür gelobt, dass damit nun endlich die marxistische „Fixierung“ auf Klassenherrschaft und Staat überwunden sei, so dass wir Zugang erhalten zur pluralen Vielfalt der Diskurse und zu den Mikrostrukturen der Macht im Alltagsleben. Foucault argumentiert in Archäologie des Wissens, die Wissenschaft funtioniere dort ideologisch, wo sie sich ins „Wissen“ einreiht und als „diskursive Praxis“ existiert. 17 Methodisch reklamiert er einen „glücklichen Positivismus“, 15 Vgl. Rehmann 2012, S. 662–664. 16 Frank 1983, S. 29; vgl. Rehmann 2004, S. 10–17. 17 Foucault 1973, S. 263f.
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womit gemeint ist, man müsse die Diskurse, statt sie auf ihre Widersprüche, Lücken und Mängel abzuklopfen, in ihrer „Positivität“ und Regelhaftigkeit untersuchen. 18 Foucault richtete sich hierbei gegen Althussers Methode, Texte einer „symptomalen Lektüre“ zu unterziehen und mit ihrer Hilfe die Bruchstellen, das Ungesagte im Gesagten, das Ungesehene im Gesehenen aufzufinden. 19 Dies war das Projekt einer differenzierten Ideologiekritik von innen, die den Text in seine eigenen Widersprüche verstrickt. Indem Foucault gerade dies durch eine positivistische Beschreibung ersetzt, zieht er der Diskursanalyse den kritischen Stachel: Die Aufgabe, innerhalb von Diskursen die spezifischen Formen und Funktionsweisen zu identifizieren, die die Tendenzen zu einer freiwilligen Einordnung in die jeweiligen Herrschaftsverhältnisse stärken und sie von denen zu unterscheiden, die ein herrschaftskritisches oder subversives Potenzial beinhalten, ist preisgegeben. Man muss hier hinzufügen, dass „Diskurs“ in Foucaults Archäologie noch in einem linguistischen Sinn verwendet wurde, als eine Menge von Zeichenfolgen und Aussagen, die mit sprachlichen Performanzen zusammenhängen. 20 Diese relativ enge, auf sprachliche Praxis bezogene Verwendung wird im Poststrukturalismus zunehmend ausgeweitet, bis der Diskurs sowohl linguistische als auch nicht-linguistische Bestandteile enthält und somit jede Bedeutungsproduktion bezeichnet. Auf diese Weise fällt das Diskursive mit dem Sozialen schlechthin zusammen. Und natürlich kann man dann sagen, dass es kein Objekt gibt, das nicht „diskursiv konstituiert“ ist. Aber das wird bloße Tautologie, die lediglich die Binsenweisheit wiederholt, dass alles Erfahrene auf irgendeine Weise geschichtlich und sozial determiniert ist. Wie Terry Eagleton bemerkt, ist die Kategorie des Dikurses „bis zu dem Punkt aufgebläht worden, wo sie […] von der ganzen Welt Besitz ergreift“. 21 Sie hat so viele Bedeutungen aus den verschiedenen Bereichen der Ideologie, der Kultur und der Sprache in sich aufgesogen, dass sie analytisch unbrauchbar geworden ist. In der Nacht eines endlos erweiterten Diskursbegriffs werden alle Katzen grau. Ähnliches gilt für den Begriff der Macht, den Foucault seit Beginn der 1970er Jahre entwickelt hat. Diesen Machtbegriff hat er vom späten Nietzsche bezogen, genauer aus Nietzsches Kombination von Macht-Willen und Wahrheits-Willen: „Auch du, Erkennender, bist nur ein Pfad und Fußstapfen meines Willens: wahrlich, mein Wille zur Macht wandelt auch auf den Füßen deines Willens zur Wahrheit“, verkündete Nietzsche im Zarathustra. 22 Diese Kopplung von Macht- und Wahrheitswillen wird nun die zentrale Fragestellung in Foucaults 18 19 20 21 22
Foucault 1973, S. 182, 265. Vgl. Althusser/Balibar 1972, S. 27ff., 36, 39ff. Foucault 1973, S. 156, 170; vgl. Sawyer 2003, S. 50f. Eagleton 2000, S. 252. KSA 4, S. 148.
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Machtanalysen, und dies in unterschiedlichen Phasen seines Werks. Wie in seiner Diskursanalyse lässt sich auch in seinen Machtanalysen beobachten, dass die Gegensätze zwischen einer Herrschaftsmacht von oben und einer kollektiven Handlungsmacht von unten bis zur Unkenntlichkeit eingeebnet werden. Der Gegensatz zwischen Spinozas Machtbegriff einer potentia agendi, d. h. einer kollektiven und kooperativen Handlungsfähigkeit, und Nietzsches extrem hierarchiefaszinierter Vorstellung eines „Willens zur Macht“, der bis zur projizierten Vernichtung der Kranken, Schwachen und Missratenen weitergetrieben wird, ist unsichtbar geworden. 23 Foucault lässt seinen Machtbegriff aus einem notwendig fiktionalen und bösartigen „Willen zum Wissen“ hervorgehen. Er führt ihn nicht als Analyseinstrument ein, um gesellschaftliche Verhältnisse und entsprechende Handlungs(un)fähigkeiten zu entschlüsseln, sondern um eine diffuse Eigenschaft von Erkenntnisprozessen und Wahrheitsansprüchen zu bezeichnen, unabhängig von und für wen, von welcher Art und zu welchen Zwecken sie erfolgen. Nicos Poulantzas kritisiert zu Recht, dass in Foucaults Machtbegriff die qualitative Frage, um welche Art Macht es sich handle und um was zu tun, aus der Analyse verbannt wird. 24 Es gibt nichts mehr, was die Macht begrenzen könnte. Da Foucaults Macht immer nur sich selbst zur Grundlage hat, verwandelt sie sich zu einer allmächtigen „MeisterMacht“ (maître-pouvoir), die den Kämpfen immer schon zugrundeliegt. Hinter der Rhetorik einer vielfältigen Mikromacht verbirgt sich ein essenzialistisches Konstrukt, bei der die Macht sich wie eine „Fresszelle“ (essence phagocyte) bewegt, die sich sowohl durch die Mechanismen der Herrschaft als auch des Widerstands hindurchfrisst. 25 Dies liegt an einer neo-nietzscheanischen Metaphysik, bei der die Macht als eine rätselhafte Kraft hinter den gesellschaftlichen Verhältnissen in Stellung gebracht wird, statt konkret aus ihnen entwickelt zu werden. Damit werden die strukturell verankerten gesellschaftlichen Verhältnisse von Macht und Ohnmacht aus der Analyse ausgeklammert. 26 Entgegen der weit verbreiteten Erfolgsgeschichte des Poststrukturalismus sehe ich gerade in der Verabschiedung des Ideologiebegriffs keine theoretische Errungenschaft, sondern einen Rückschritt gegenüber der analytischen Differenziertheit der damaligen Ideologietheorien. Während diese zu verstehen versuchten, wie die „organischen Intellektuellen“ (Gramsci) verschiedener Klassen oder hegemonialer Blöcke um die jeweilige Auslegung und Anwendung ideologischer Werte kämpfen, zeigten poststrukturalistische Ansätze kaum 23 KSA 6, S. 170; KSA 13, S. 192; auch KSA 5, S. 207f., S. 315f.; zum Vergleich der Machtbegriffe Spinozas und Nietzsches, vgl. Rehmann 2004, S. 52–60. 24 Poulantzas 1978, S. 137f. 25 Poulantzas 1978, S. 139. 26 Dies gilt nicht nur für die Verhältnisse ökonomischer Ausbeutung und staatlicher Herrschaft, sondern auch für die Geschlechterverhältnisse (vgl. Rehmann 2004, S. 139f .).
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Interesse, innerhalb von Diskursformationen und Machtkonstellationen zwischen verschiedenen sozialen Perspektiven zu differenzieren. Vor allem ist ausgerechnet verlorengegangen, wodurch sich die Ideologietheorien von Beginn an von traditioneller Ideologiekritik als bloßer Bewusstseinskritik unterschieden haben: die Materialität des Ideologischen, die Realität der Hegemonialapparate, verschiedenen Intellektuellentypen, der ideologischen Praxen und Rituale. Der Poststrukturalismus ist bekanntlich über weite Strecken aus einer Radikalisierung des linguistic turns hervorgegangen. Derridas Kritik an Saussures „Phonozentrismus“ ist hier nur ein Beispiel. Während bei den Ideologietheorien die Produktion von Texten und Diskursen im Zusammenhang mit den jeweiligen ideologischen Apparaten und Feldern untersucht wurde, tendierte man nun dazu, sie losgelöst von den praktischen und institutionellen Kontexten zu behandeln, in die sie eingebettet sind. Ich möchte diese Tendenz am Beispiel des Begriffs des Sprachspiels aufzeigen, auf den in postmodernen Ansätzen immer wieder begeistert Bezug genommen wird. Diesen Begriff hat bekanntlich der späte Wittgenstein in seinen Philosophischen Untersuchungen von 1945 entwickelt. Dort wird Sprachspiel definiert als „das Ganze: der Sprache und der Tätigkeiten, mit denen sie verwoben ist“. 27 Wittgenstein wollte damit hervorheben, dass Sprechen Teil eines umgreifenden Handlungszusammenhangs, einer „Lebensform“ ist. 28 Man könnte freilich zurückfragen, warum er hier den zweideutigen Begriff des „Sprachspiels“ benutzt, statt „das Ganze“ der Sprache und der mit ihr verwobenen Tätigkeiten mithilfe des Marx’schen und Gramsci’schen Praxisbegriffs zu fassen. 29 An Lyotards La condition postmoderne lässt sich exemplarisch beobachten, wie diese Zweideutigkeit Anlass zu einer grundlegenden Sinnnverschiebung geben kann: Nun lösen sich die Subjekte in eine Vielzahl von „Sprachspielen“ auf, und das soziale Band, das sie verbindet, ist nur noch „linguistisch“. 30 Herauskommt also das genaue Gegenteil: Während Wittgenstein die Sprachspiele als integralen Teil des jeweiligen gesellschaftlichen Praxisfelds bestimmte, trennt Lyotard die Sprache von ihren materiellen und praktischen Verhältnissen ab. Meine Kritik lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass poststrukturalistische Ansätze sich regelmäßig in den Widerspruch verwickeln, dass ihr berechtigtes dekonstruktives Anliegen einer Ent-Naturalisierung ideologisch fixierter Bedeutungen und Identitäten in Gefahr steht, in eine Ent-Materialisierung des gesellschaftlichen Lebens und eine Ent-Köperlichung der menschlichen Subjekte umzukippen, die nurmehr als Effekte unendlicher Signifikantenketten 27 PhU, § 7. 28 PhU, § 23. 29 Vgl. den arrangierten Dialog zwischen Wittgenstein, Gramsci und Brecht in: Haug 2006, S. 69 –91. 30 Lyotard 1984, S. 40.
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erscheinen. Hier hat sich ein Theorietypus herausgebildet, der bruchlos in die neoliberale Ideologie einer immateriellen, gewichtslosen Produktions- und Lebensweise eingefügt werden konnte. Diese Verbindung hat dazu beigetragen, dass die transnationalen Machtstrukturen des Hightech-Kapitalismus, seine enormen sozialen Spaltungen, seine Erzeugung von Massenarmut und Obdachlosigkeit, sein astronomisch steigender Ressourcenverbrauch und seine Umweltzerstörung so erfolgreich aus dem Bewusstsein verdrängt wurden. 31
Überschneidungen und Möglichkeiten einer Neuverknüpfung Ich habe jetzt zum Zweck der Verdeutlichung den Stab in die Richtung einer Poststrukturalismuskritik gebogen, was zu einer Einseitigkeit führte, die ich abschließend korrigieren oder zumindest relativieren möchte. Es geht mir nicht darum, das Verhältnis zwischen Ideologietheorie und Poststrukturalismus als frontale Gegnerschaft zu definieren, als könnten beide nichts voneinander lernen. Zum einen handelt es sich auch hier um ein „Minenfeld einander widersprechender Begriffe“,32 zum anderen tauchen viele ideologietheoretische Themen und Fragestellungen erneut in ihm auf und werden mit anderen Instrumentarien bearbeitet, z. T. auch verfeinert. Eine kritische Ideologietheorie hat hier die Aufgabe, solche Weiterbearbeitungen aufzunehmen und zu re-interpretieren. Auf methodischer Ebene ist z. B. leidenschaftlich debattiert worden, ob oder inwiefern Derridas „Dekonstruktion“ als eine spezifische Ausprägung von Ideologiekritik verstanden werden kann, freilich eine, die sich textimmanent auf die Auflösung binärer Oppositionen und fixierter Identitäten beschränkt. 33 Trotz vieler Unterschiede berührt sie sich mit dem, was Marx als „rationelle“, nicht spekulative Dialektik beschrieben hat, nämlich mit einer Methode, die „jede gewordene Form im Flusse der Bewegung, also auch nach ihrer vergänglichen Seite auffasst“. 34 Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, dass Derrida sich gegen Unmittelbarkeitsideologien wendet, denen zufolge Bedeutungen direkt aus den empirischen Sprechakten der Subjekte hervorgehen. Stattdessen verweisen sie auf ein unendliches Netz vergangener und gegenwärtiger Sprachhandlungen, eine Abhängigkeit, die Derrida als Vorrang der „Schrift“ und des „Textes“ (der Textur) vor dem Sprechen versteht. Für das Wiederauftauchen ideologietheoretischer Fragestellungen im Poststrukturalismus müssen wieder einige Beispiele genügen. Schon der mittlere Foucault hat den Begriff des raum-zeitlichen „Dispositivs“ geprägt, mit dessen 31 32 33 34
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Zur Kritik des Mythos der „gewichtslosen Ökonomie“, vgl. Huws 2003, S. 126ff., 150ff. Harvey 1990, S. VIII. Vgl. z. B. Ryan 1982, S. 34ff., und McNally 2001, S. 45ff., 56ff. MEW 23, S. 27f.
Hilfe den Subjekten Disziplinartechniken inkorporiert werden. Gemeint sind z. B. detaillierte Tagespläne oder Anordnungen des Raums, in denen die Beob achter alles sehen können, ohne selbst gesehen zu werden, wie in Jeremy Benthams Plänen zu einem „Panopticon“. 35 Der Begriff überschneidet sich offensichtlich mit ideologietheoretischen Ansätzen, die das Ideologische primär als eine äußere Anordnung begreifen, die Haltungen und Subjektivitäten freiwilliger Unterstellung generieren. Untersucht man den deutschen Faschismus in Bezug auf seine ideologische Wirksamkeit, kann man einen deutlichen Primat ideologischer Dispositive, Praxen und Rituale vor den Ideengebäuden ausmachen: „Weit vor jeder faschistischen Orthodoxie rangiert die ‚Orthopraxie‘“ (wörtlich: richtiges Handeln), verstanden als eine Folge „performativer Akte“ z. B. des Marschierens, von Massenveranstaltungen, Sammeln fürs Winterhilfswerk, Lagerleben, Betriebsferien etc. 36 Am späten Foucault ist interessant, dass er nun zwischen Macht und Herrschaft unterscheidet (wenn auch nicht systematisch und konsequent). Er differenziert zwischen Herrschaftstechniken und Techniken der „Selbstführung“ und fragt danach, wie sie sich miteinander verzahnen. Dazu nimmt er zwischen beiden eine Vermittlungsebene an, die er als „Gouvernementalität“ bezeichnet. Diese kennzeichnet er wiederum dahingehend, dass hier ein „Führen der Führungen“ (conduite des conduites) stattfindet. 37 Es geht also darum, wie die Selbstführungen der Menschen wiederum geführt werden können. Das ist natürlich eine ideologietheoretisch grundlegende Fragestellung, die auch schon das Projekt Ideologietheorie mit seiner Unterscheidung von ideologischer Vergesellschaftung von oben und horizontaler Selbstvergesellschaftung bearbeitet hatte. Denn wenn es einer Ideologie gelingt, sich mit der Selbstführung der Menschen zu verbinden, sie zu mobilisieren oder in ihrem Namen aufzutreten, hat sie sich tief im Alltagsleben verankert. Und umgekehrt können Gemeinschaften und Individuen sich gegen ideologische Fremdführungen nur nachhaltig zur Wehr setzen, indem sie Fähigkeiten zur kollektiven und individuellen Selbstführung entwickeln und einüben. Foucault selbst hat eine solche Einübung der „Widersetzlichkeit“ (insoumission) und des „Gegen-Verhaltens“ (contre-conduite) u. a. an der mittelalterlichen Askese aufgezeigt. 38 Ein anderes Beispiel ist die Wahrheitsrede (parrēsia) des antiken Zynismus, die sich als „Anrufung der Mächtigen in der Form einer Schmährede“ manifestiert. 39 35 Foucault 1976, S. 260. 36 PIT 2007, S. 104f., 118ff., 208ff., 228ff., 258ff. 37 Z.B. Foucault 2001, S. 1056, 1401, 1604. Zur Kritik des Foucault’schen Gouvernementalitätsbegriffs und der „Gouvernementalitätsstudien“, vgl. Rehmann 2011, S. 202ff. 38 Vgl. Foucault 2004, S. 290, 292, 296ff. 39 Foucault 2009, S. 344; vgl. auch ebd., S. 360f., 383, 435f.
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IDEOLOGIEKRITIK, IDEOLOGIETHEORIE UND POSTSTRUKTURALISMUS
Wir haben gesehen, dass die Verzahnung zwischen Ideologie und Alltagsleben im Paradigma von Althussers überallgemeinen und alles durchdringenden Ideologiebegriff nicht differenziert bearbeitet werden konnte. Es ist deshalb von Vorteil, dass poststrukturalistische Ansätze häufig von Althussers Ansatz ausgegangen sind, um ihn an manchen Stellen zu differenzieren. Dies gilt u. a. für Judith Butler, die an Althussers Anrufungsmodell kritisiert, dass es nicht erlaube, Ungehorsam, Brüche oder Reartikulationen zu denken. Sie argumentiert dagegen, dass es zwischen der diskursiven Anrufung und ihren Effekten immer wieder Verschiebungen gibt, die zu einem konstitutiven Scheitern des Performativen führen. Dies eröffnet dann Räume für „Resignifikation“, d. h. die Möglichkeit, den Anrufungen eine andere Richtung zu geben. 40 Unter welchen hegemonialen Bedingungen und aufgrund welcher Erfahrungen solche diskursiven Verschiebungen und Resignifikationen zustandekommen können, bleibt allerdings im Dunkeln. Was das Projekt Ideologietheorie mit dem Freud’schen Begriff der „Kompromissbildung“ theorisierte, wurde wiederum in postkolonialen Theorien als „Hybridität“ und „Mimikry“ verhandelt, hier aber meistens nur auf der Ebene literarischer Diskurse, ohne das Verhältnis zwischen kolonialer Gewaltherrschaft und Hegemonie zu berücksichten. 41 Es gehört zu den allgemeinen Grenzen poststrukturalistischer Ansätze, dass sie aufgrund ihrer nahezu ausschließlichen Orientierung an Diskursen und Zeichensystemen den Zusammenhang mit den Makrostrukturen der Gesellschaft und ihren hegemonialen Kräfteverhältnissen nicht mehr überzeugend herstellen können. Foucaults Versprechen einer „aufsteigenden“ Machtanalyse, die von den Mikrostrukturen der Macht ausgeht und sich dann zu den Makrostrukturen gesellschaftlicher Herrschaft hinaufarbeitet, ist nicht eingelöst worden. Hierzu fehlte ein theoretisches Verständnis, wie Macht akkumuliert und zu strategischen Achsen ökonomischer, staatlicher und patriarchaler Herrschaft zusammengefügt werden kann.42 Die Ersetzung des Ideologiebegriffs durch den Diskurs und die Macht hatte realiter zur Folge, das Soziale auf das Symbolische und das Materielle auf die Wirksamkeit von Normen zu reduzieren, sodass die profane Realität des Kapitalismus nahezu verdrängt wurde.43 Diese kapitalistische Realität gilt es nun wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Ihre verschiedenen Ausprägungen von Entfremdung, die von ihr produzierte massenhafte Verelendung, ihr Abbau von Demokratie und Ausbau 40 Butler 1997, S. 174, 176. 41 Vgl. Bhabha 1994, S. 122ff., 159f. 42 Dies ist einer der zentralen Punkte, in denen Bourdieu über den Poststrukturalismus hinausgeht: in seinem Ansatz ist ökonomische, kulturelle, soziale und symbolische Macht, die er auch „Kapital“ nennt, in verschiedenen „Feldern“ verankert und kann über „Konvertierung“ in andere Felder akkumuliert werden, wodurch das besondere Gewicht ökonomischer Verhältnisse, oder im marxistischen Diskurs, ihre „letztliche Determination“, wieder auf die Tagesordnung gesetzt wird (vgl. Rehmann 2011, S. 124f.).
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von Repressionsapparaten, die Verzahnung von Klassenherrschaft und patriarchalen Geschlechterverhältnissen, die gegenwärtige Krise der neoliberalen Hegemonie bedürfen dessen, was der junge Marx eine „rücksichtslose Kritik“ nannte, die sich nicht „vor ihren Resultaten fürchtet und ebensowenig vor dem Konflikte mit den vorhandenen Mächten“.44 Nachdem wir epistemologisch und methodologisch unsere postmodernen Lektionen gelernt haben, ist es nun an der Zeit, das Projekt einer Ideologiekritik wieder aufzunehmen, die mit einer Theorie des Ideologischen als „begrifflichem Hinterland“ operiert.45 Dabei besteht eine der Aufgaben darin, die fruchtbaren Methoden und Er- kenntnisse poststrukturalistischer Ansätze sorgfältig zu sammeln, aus ihrer Engführung herauszulösen und wieder in eine erneuerte kritische Gesellschaftstheorie einzubetten.
43 Vgl. Rosemary Hennessys Kritik an Butler und anderen poststrukturalistischen GenderTheorien (2000, S. 53f., 56, 61, 108). 44 MEW 1, S. 344. 45 Haug 1993, S. 21.
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The title puts up three complex and disputed concepts for discussion, which I certainly won’t be able to cover exhaustively within the framework of this presentation. What is feasible is a particular grasp, a specific track, which is of course not without its own presuppositions. In my case, the selection and the emphasis are influenced by the fact that as a young student I could participate in the Berlin research group “Projekt Ideologietheorie” (PIT) led by Wolfgang Fritz Haug, which had a lasting impact on my later studies and research. In the following, I will deal first with the “ideology-theoretical turn” of the 1970s and 1980s, which I am going to discuss using the examples of three theories; namely, of Louis Althussser, of Stuart Hall, and of the “Projekt Ideologietheorie.” It needs to be taken into account, however, that this “turn” had in part already been anticipated by Gramsci and by Marx and Engels. In a second step, I will turn to the major differences between the ideology theories in question. In a third step, I will demonstrate how poststructuralist approaches replaced the concept of ideology with those of discourse and of power, and why I think this replacement was ultimately a step backwards. Finally, I will show with some selected examples where I believe there are interesting intersections between ideology-theoretical and poststructuralist approaches, and how one could combine the achievements of both traditions.
The ideology-theoretical turn The term “ideology theory” emerged in the 1970s primarily in connection with Louis Althusser in order to designate a re-foundation of Marxist research into ideology. It was meant to mark a double distinction: First, from a widespread “economism,” which reduced ideology to a mere epiphenomenon of the economic and to a simple expression of class interests. This was criticized for overlooking the relative autonomy of the ideological. Second, from a traditional ideology critique, which understood the ideological merely as a “false” and
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“inverted” consciousness, which was to be criticized from the standpoint of a “correct consciousness,” or a “scientific world view.” Here too, the critique amounted to the argument that such criticism neglected the proper dynamics and specific efficacy of the ideological. The objections can be summarized in three points: First, the critique of “false consciousness” had not yet reached the social scientific level, in that it overlooked the material existence of the ideological; that is to say, its apparatuses, its intellectuals and forms of praxis that impact on people’s common sense. Secondly, it tended to miss, by its fixation on phenomena of consciousness, the unconscious functioning of ideological forms and practices and their formatting of subjectivities. And finally, the endeavor to “refute” ideologies risked taking attention away from the main ideology-theoretical task, which is to grasp their efficacy in subjecting minds, bodies, and “hearts.” An ideology critique without an understanding of the points of attraction of the criticized ideologies turns into an ineffective and helplessly rationalist endeavor. According to Stuart Hall, the most important question regarding an “organic” connective ideology is “not what is false about it but what about it is true” i. e., not in terms of a universal truth, but rather of what “makes good sense.” ¹ To sum up: The central subject matter of ideology theory is why and how subjects “voluntarily” submit to alienated forms of domination and actively agree to restrictive conditions of life. Its objective is to grasp the social emergence of these attitudes of subjection, their functional necessity, the way they work, and their efficacy. In order to do that, it focuses on the “materiality” of the ideological, its reality as an arrangement of apparatuses, intellectuals, rituals, and forms of praxis. Althusser tried to conceptualize this arrangement within the framework of his theory of “ideological state apparatuses,” which in turn referred back to Gramsci’s concept of “hegemonic apparatuses.” Ideologies not only impact consciousness, but also anchor themselves unconsciously in bodily dispositions and attitudes of “habitus” (Bourdieu).
together with the genesis of antagonistic classes and the state. It is only from here onwards, and on this foundation that “consciousness can really flatter itself that it is something other than consciousness of existing practice, that it really represents something without representing something real,” only then can consciousness “proceed to the formation of ‘pure’ theory, theology, philosophy, morality.” ² When Marx analyzes in Capital the fetishism of the commodity, of money, and of capital, he is not primarily concerned with the mystifications in the brain, but rather with the objective inversions in capitalism, by which exchange value rules over use value, abstract labor over concrete labor, and private capitalist profit rules over people’s lives. These objective inversions engender “socially valid, and therefore […] objective thought forms” by which people spontaneously perceive their conditions. 3 The later Engels finally anchored the concept of ideology in a critical theory of the state. He defined the state as “the first ideological power over man,” followed by the law and the “higher” ideological powers, like religion and philosophy. 4 All three usages thus deal with structurally anchored social arrangements. At the same time, Marx and Engels used ideology as a critical concept. This means that not every mode of perception and of thinking is by definition ideological. Rather, the ideological refers to specific forms, which are part of the reproduction of economic and state domination and can in principle be challenged and superseded by other forms that are opposed to this ideological reproduction. It was a remarkable development that both the “official Marxism” of the Second International and the “Marxism-Leninism” of the Third International carried out a “neutralization“ of the concept of ideology (namely as an ideational form of expression of class interests in general), which all but eliminated Marx’ and Engels’ ideology-critique in its different varieties. Two of the few thinkers who held on to a critical concept of ideology were Georg Lukács and Antonio Labriola. 5
This paradigm shift was explicitly formulated in the 1970s and 1980s. But it soon turned out that crucial elements of this shift could already be found in the writings of Marx and Engels, even though they were at times hidden beneath the predominant discourse of consciousness of the time. Contrary to a widespread misunderstanding, they were not just concerned with the disclosure and rectification of “inverted consciousness,” but were more fundamentally interested in how such “inversions” in thought were engendered by underlying “inversions” in social relationships. They argue, for example, in the German Ideology that the idealistic inversion in consciousness is produced by the social division of manual and intellectual labor, which in turn emerged
Regarding Some Differences among Ideology Theories
1 Hall 1988, p. 46.
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It is appropriate here to point out an important difference between Althusser and the Projekt Ideologietheorie. Althusser turned against Marx’ and Engels’ critical concept of ideology connected to alienation, class, and state domination, which he (wrongly) identified with the paradigm of “false consciousness.” Influenced by Jacques Lacan, he instead defined ideology in 2 3 4 5 6
MECW 5, p. 45. MECW 35, pp. 87, 542; cf. Marx 1976, pp. 169, 682. MECW 26, pp. 392–393. Cf. Rehmann 2011, pp. 55ff, 66ff. Althusser 2001, pp. 109, 116.
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general as being “eternal” like the Freudian unconsciousness, so that the human being was conceived of as an “ideological animal by nature.” 6 In this sense Althusser moved within the “neutral” concept of ideology of MarxismLeninism, even though it was now legitimated by a psychoanalytic point of view. The Projekt Ideologietheorie, however, held on to Marx’ critical concept of ideology and conceptualized the ideological as an alienated socialization “from above,” operated by superordinated ideological powers. 7 This more specific definition makes it possible to distinguish between different dimensions of socialization apart from the ideological dimension, for example “horizontal” forms, by which people try to organize their lives together without the imposition of superordinated ideological entities; or dimensions of the cultural in which individuals and groups arrange their activities in a sensuously enjoyable way, and “practice what appears to them to be worth living.” 8 It is important to bear in mind that these are analytical distinctions. In empirical reality these dimensions intersect and permeate each other. As Boltanski and Chiapello have shown with the example of France, many of the countercultural articulations of the ’68 movement were successfully co-opted by a neoliberal management ideology and marketed as a new lifestyle. 9 And conversely, certain community-oriented functions that are represented and preserved in ideologies can be successfully reclaimed by oppositional social movements and redirected toward their own capacity to act. Althusser had the tendency to conceptualize the construction of ideological subjects and subjectivities too monologically from the top down. In his model of ideological interpellation, the small subjects interpellated by the big SUBJECT can do no more than “turn around,” recognize themselves in the call, and affirm it with “yes.” 10 Stuart Hall has contrasted this model with a more flexible and dialectical one, which differentiates between the coding of an ideological message and its active decoding by the interpellated subject. With this he can distinguish between three different types of responses: a “dominant-hegemonic” model, according to which the decoding takes place within the dominant code; a “negotiated code,” in which the dominant position is accepted only on a general level and redefined independently with regard to the local conditions; and finally an “oppositional code,” by which the addressees interpret the
7 Haug 1987, pp. 60 –62; cf. Rehmann 2011, pp. 153ff. There are also debates between critical theories of ideology about whether “objective forms of thought” like commodity fetishism and market idols are to be considered “elementary powers” of the ideological or rather as its bourgeois precondition (cf. the letter exchange of Rehmann/Metscher 2012). 8 Cf. Haug 1987, pp. 31, 65. See also the conceptual distinction between the ideological and the “cultural moment” in Haug 2011, pp. 44– 49. 9 Boltanski/Chiapello 2007, pp. 197f, 326, 461, 498. 10 The big subject GOD calls the small subject Moses by his name, to which Moses responds “It’s really I!” (Althusser 2001, p. 121)
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message in a “globally contrary way.” 11 It is obvious that Althusser’s model of interpellation only covers Hall’s first variety, and even in this case, the interpellated subjects would only subjugate themselves “voluntarily,” if they recognized something “of their own” in the interpellation. This “of their own” is, according to the interpretation of the Projekt Ideologietheorie, a dimension of the “common” (Gemeinwesen) that is represented in ideologies, however displaced and alienated. 12 There is a dialectic of the ideological, in which each ideology that tries to appeal to the broader masses must also contain elements of the common; for example, plebeian and countercultural motifs. This is by no means a peculiarity of “progressive” tendencies, but also applies, for instance, to fascist ideologies whose success, as Ernst Bloch had already shown in 1933, can be explained, among others things, by their “thefts from the commune.” 13 The Projekt Ideologietheorie has conceptualized this inner contradictoriness with two concepts: First, with Freud’s concept of compromise formation, through which opposite forces (e.g. the super-ego and the repressed wishes of the Id) are condensed into a neurotic symptom. Second, with the concept of an “antagonistic reclamation of the Gemeinwesen” (of the community or of the common), by which the same ideological instances and values are interpreted and claimed in an opposite perspective. 14 Different classes, genders, and generations often interpret very differently what God’s Will is, what justice means, what morality proclaims, and what aesthetics and taste define to be “beautiful” or “ugly.” As soon as one accounts for the contradictory composition and antagonistic reclamation of the ideological, the ideology critique takes on a new, constructive assignment as well, namely, to pick up the “horizontal” functions of the common represented in the ideological; to claim them and to fetch them back for the development of social agency. This means, for example, that a critique of religion informed by ideology theory should not try to prove again that religion as such is an “inverted consciousness” or “opiate of the people.” Its analytical task is rather to decipher the social antagonisms and struggles in the field of religion and to set free the emancipatory impulses. 15
11 Hall 1993, p. 517. 12 PIT 2007, p. 108. According to Engels, the “Gemeinwesen” ( literally: “common-being”) “is a good old German word that can very well do service for the French ‘Commune’” (Letter to Bebel, March 18 and 28, 1875, in: MECW 45, p. 64). 13 Bloch 1990, p. 64. 14 Haug 1987, pp. 71–72, 94. 15 Cf. Rehmann 2011a, pp. 151–152.
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The Poststructuralist Challenge: “Discourse” and “Power” Since the relationship between “poststructuralism” and “postmodernity” is disputed in the secondary literature, I would first like to propose a terminological clarification. Whereas “postmodernity” has become a general notion for a “structure of feeling” (Raymond Williams) from the 1970s onwards, which cuts through different fields like aesthetics, culture, modes of life, philosophy, etc., I employ the term “poststructuralism” to designate a theoretical formation that (first of all in France) reacted to and claimed to have overcome structuralism. Poststructuralism is therefore not a counter-concept to postmodernism, but rather one of its theoretical tendencies, or, as Manfred Frank formulates: it describes “thought under the conditions of the postmodern era.” 16 In the following, I will restrict myself to the theoretical formation of “poststructuralism” and in addition will focus only on one question; namely, on how during the crisis of the Althusser School the concept of ideology went into crisis as well and was substituted successively by the concepts of “discourse“ and “power.” I choose Michel Foucault as a prominent example, because his dismissal of the concept of ideology was adopted by most of the poststructuralist approaches. Large portions of the secondary literature praised this abandonment for finally overcoming the Marxist “fixation” on class and state domination, so that we could get access to the plural varieties of discourse and the “microstructures of power” in everyday life. Foucault argued in the Archaeology of Knowledge that science functions in an ideological way where it is inserted in “knowledge” and exists as a “discursive practice.” 17 Methodologically, he claims a “happy positivism,” meaning that discourses, instead of being searched for contradictions, lacunae, and defects, are to be described on the level of their “positivity.” 18 This is directed against Althusser’s method of exposing texts to a “symptomatic reading,” which helps lay open the ruptures, the unsaid within what is being said, and the invisible within what is seen. 19 This was the project of a differentiated ideology critique “from within,” which entangles a text in its own contradictions. By replacing this with a positivistic description, Foucault deprives discourse analysis of its critical edge: the task of identifying within discourses the specific forms and functions supporting the tendencies toward voluntary submission to the predominant order, and of distinguishing them from those that contain a subversive potential opposed to domination, has been abandoned. It needs to be added that Foucault’s Archaeology used the term “discourse” in
16 17 18 19
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Frank 1989, p. 19; cf. Rehmann 2004, pp. 10 –17. Foucault 1972, p. 185. Foucault 1972, pp. 125, 186. Althusser/Balibar 2009, pp. 28–29, 34–35, 39–40.
a linguistic sense; namely as a group of sequences of signs and statements connected to verbal performances. 20 However, this relatively limited meaning related to linguistic practices was then extended more and more, until discourse comprised both linguistic and non-linguistic components and thus came to designate any generation of meaning. The discursive thus came to be identified with the social in general. Based on this equation, one could of course argue that there is no object that is not “discursively constructed.” But this turns into mere tautology, repeating the truism that everything we experience is in some way historically and socially determined. According to Eagleton, the category of discourse “is inflated to the point where it imperializes the whole world.” 21 It has absorbed into itself so many meanings from the different fields of ideology, culture, and language that it has become analytically useless. In the night of an indefinitely extended meaning of discourse, all practices turn grey. A similar observation can be made with regard to the concept of power Foucault developed at the beginning of the 1970s. He adopted the concept from the later Nietzsche, more precisely from Nietzsche’s linkage of the “Will to Power” to the “Will to Truth.” Nietzsche had proclaimed in the Zarathustra: “And even thou, discerning one, art only a path and footstep of my will: truly, my Will to Power also walketh on the feet of thy Will to Truth.” 22 This coupling of the “will to power” and the “will to truth” now became the central topic of Foucault’s investigations on power throughout different periods of his oeuvre. Similar to his discourse analysis, Foucault’s power analyses dissimulate the contradictions between a power of domination from above and a collective agency from below. The opposition between Spinoza’s power concept of a potentia agendi, that is, of a collective and cooperative “capacity to act,” and the extremely hierarchical obsession of Nietzsche’s “Will to Power,” which is pushed to the extreme of a fantasized annihilation of the sick, the weak, and the “degenerate,” is erased. 23 Foucault derives his power concept from a necessarily fictitious and malicious “will to knowledge.” He does not introduce it as an analytical tool to decipher social relations and respective capacities and incapacities to act, but rather to designate a vague quality somehow attached to knowledge and truth claims, no matter by and for whom, of what kind, and to what ends they occur. Poulantzas is right in pointing out that in Foucault’s concept of power the qualitative questions of what power? and the power to do what? are excluded from the analysis. 24 There is nothing any more 20 Foucault 1972, pp. 107, 117; cf. Sawyer 2003, pp. 50f. 21 Eagleton 1991, p. 219. 22 Zarathustra, Part II, On Self-Overcoming; KSA 4, p. 148. 23 Cf. Anti-Christ, §2 (KSA 6, p. 170; KSA 13, p. 192), also Beyond Good and Evil, §259 (KSA 5, pp. 207–208) and Genealogy of Morals, II, § 12 (KSA 5, pp. 315 – 316). For a comparison of the power concepts of Spinoza und Nietzsche, cf. Rehmann 2004, pp. 52–60. 24 Poulantzas 1979, p. 149.
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that could limit power. Since Foucault’s power never has any other basis than itself, it turns into a “Master-Power” (Maître-Pouvoir), which always already forms the basis of the struggles. Behind the rhetoric of a multiple micro-power lies an essentialist construct, according to which power operates like a “phagocytic essence” (essence phagocyte) that penetrates both the mechanisms of domination and of resistance. 25 This can be explained by a neo-Nietzschean metaphysics, whereby Foucault has installed power as an enigmatic force behind the social relations, instead of concretely developing it from them. The structurally anchored relationships of power and powerlessness thus drop out of his analysis. 26 Contrary to the widespread success story of poststructuralism, the dismissal of the concept of ideology is in my opinion not a theoretical accomplishment, but rather a step back behind the level of analytical differentiation of ideology theories of that time. Whereas these theories tried to grasp how the “organic intellectuals” (Gramsci) of different classes or hegemonic blocs fight about the interpretation and application of ideological values, poststructuralist methods have shown hardly any interest in distinguishing different social perspectives within discourse formations and power configurations. Above all, what got lost is exactly what distinguished ideology theories from a traditional ideology critique as mere critique of consciousness in the first place; namely, the “materiality” of the ideological, the reality of hegemonic apparatuses, of different types of intellectuals, and of ideological practices and rituals. As is well known, poststructuralism emerged to a large extent from a radicalization of the “linguistic turn”—Derrida’s critique of Saussure’s “phonocentrism” is only a case in point. Whereas ideology theories investigated the production of texts and discourses in connection with the respective ideological apparatuses and fields, the tendency was rather to separate them from the practical and institutional contexts in which they are embedded. I’d like to demonstrate this with the example of the concept of language games, which is time and again enthusiastically referred to in postmodernist approaches. This concept, as is well known, was developed by the later Wittgenstein in his Philosophical Investigations of 1945. He defined “language games” as “the whole, consisting of language and the actions into which it is woven.” 27 The concept was intended to highlight that speaking is part of an encompassing activity, of a “form of life.” 28 It could be asked, however, why Wittgenstein used the ambiguous term “language game” instead of describing
25 Poulantzas 1979, p. 151. 26 This applies not only to the relations of economic exploitation and state domination, but also to gender relations (cf. Rehmann 2004, pp. 139f ). 27 Wittgenstein 1958, §7. 28 Wittgenstein 1958, §23.
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“the whole” of language and actions in terms of the Marxian and Gramscian concept of praxis. 29 Lyotard’s La condition postmoderne shows in an exemplary way how this ambiguity of the term can give occasion to a fundamental displacement of meaning: now the subjects dissolve in a dissemination of language games, and the social bond that connects them is only “linguistic.” 30 The outcome is the exact opposite: whereas Wittgenstein conceived of language games as an integral part of the social field of praxis in question, Lyotard again severs language from its material and practical conditions. To sum up my criticism: poststructuralist approaches regularly get entangled in the contradiction that their valuable project of the de-naturalization of fixed meanings and identities is at risk of morphing into an overall de-materialization of social life and the disembodiment of the human subjects, who appear to become mere effects of indefinite chains of signifiers. We can thus observe the establishment of a way of doing theory that could be seamlessly integrated into the neoliberal ideology of an “immaterial,” “weightless” mode of production and of life. This combination is one of the reasons why the transnational power structures of High-Tech-Capitalism, its enormous social divisions, its generation of mass poverty and homelessness, its astronomically increasing consumption of raw material, and ecological destruction, could be so successfully repressed from consciousness. 31
Intersections and Possibilities for a New Combination For the sake of clarification, I bent the stick in the direction of a critique of poststructuralism, which has led to a one-sidedness that I would like to correct, or at least relativize in conclusion. I am not interested in describing the relationship between ideology theory and poststructuralism as a frontal opposition, as though both could not learn from each other. On the one hand, we are dealing again with a “mine-field of conflicting notions.” 32 On the other hand, many topics and questions tackled by ideology theories re-emerged in poststructuralist approaches as well, where they were processed with different tools and partly refined. A critical ideology theory is compelled to follow up on such developments and to re-interpret them. On a methodological level, there were, for instance, passionate debates about whether or in what respect Derrida’s “deconstruction” can be considered to be a specific development of ideology critique, even though it is one restricted
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Cf. the arranged dialog between Wittgenstein, Gramsci, and Brecht, in Haug 2006, pp. 69–91. Lyotard 1984, p. 40. Cf. the criticism of the myth of a “weightless economy” in Huws 2003, pp. 126ff, 150ff. Harvey 1990, VIII.
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to an immanent textual criticism aiming at dissolving binaries and fixed identities. 33 In spite of many differences, deconstruction overlaps with what Marx has described as a “rational,” non-speculative dialectic; namely, with a method that regards “every historically developed form as being in a fluid state, in motion, and therefore grasps its transient aspect as well.” 34 Another commonality is Derrida’s challenge to ideologies of immediacy, according to which meanings emerge directly from the empirical speech acts of subjects. They refer rather to an unlimited network of past and present linguistic practices —a dependency described by Derrida as a primacy of “writing” and of “text” (texture) over speaking. A few examples must again suffice to demonstrate the re-emergence of ideology-theoretical topics in poststructuralism. Towards the middle of his carreer Foucault had already coined the concept of a spatio-temporal dispositive by which disciplinary techniques are engrained in subjects. Here he means, for example, the detailed timetables or spatial arrangements in which observers can see everything without being seen themselves, as in Jeremy Bentham’s projects for a “panopticon.” 35 The concept obviously intersects with ideologytheoretical approaches that conceive of the ideological as a primarily outer arrangement generating attitudes and subjectivities of voluntary subjection. Investigations into the ideological efficacy of German fascism have shown, for instance, that ideological dispositives, practices, and rituals clearly had a stronger impact than systems of ideas: “Much more than any fascist orthodoxy, there was an ‘orthopraxy’” (literally: “correct practice”) to be understood as a sequence of “performative acts” like e. g. marching, mass assemblies, youth camps, company fêtes, or collecting foodstuff and money for those exposed to the cold [Winterhilfswerk]. 36 The later Foucault is interesting in that he distinguished between power and domination (however, not in a systematic and consistent way). He differentiated between techniques of domination and techniques of “self-conduct” and asked how they are interlaced with each other. For this, he developed an intermediary level, which he called “governmentality.” He defined the term as a “conduct of conducts” (conduite des conduites). 37 The issue is, therefore, how the self-conduct of people can in turn be conducted. This is of course a fundamental topic for ideology theories. This was also the problem the Projekt Ideologietheorie dealt with when it distinguished between ideological socialization from above and horizontal “self-socialization” (Selbstvergesellschaftung). As 33 Cf. e.g. Ryan 1982, pp. 34ff and McNally 2001, pp. 45ff, 56ff. 34 Marx 1976, p. 103. 35 Foucault 1995, pp. 202–203. 36 PIT 2007, pp. 104f, 118ff, 208ff, 228ff, 258ff. 37 Cf. Foucault 2001, pp. 1056, 1401, 1604. For a critique of the Foucauldian concept of governmentality and the “Governmentality-Studies,” cf. Rehmann 2011, pp. 202ff.
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soon as an ideology succeeds in allying itself with the “self-conduct” of people, in mobilizing it and speaking in its name, it anchors itself deeply in everyday life. Conversely, communities and individuals can only resist ideological socialization in a sustainable manner if they develop and practice capacities of collective and individual self-conduct. Foucault himself demonstrated such an exercise of “insubordination” (insoumission) and “counter-conduct” with the example of medieval asceticism. 38 Another case in point is the truth-speech (parrēsia) of ancient Cynicism, which manifests itself as an “interpellation of the powerful in the form of the diatribe.” 39 As we have seen, Althusser’s over-general and all-permeating concept of ideology was not suited to treating the interlocking of ideology and everyday life in a nuanced way. It is therefore advantageous that poststructuralist approaches frequently took Althusser’s theory as their starting point in order to differentiate it in some respect. This applies, for instance, to Judith Butler, who criticized Althusser’s model of interpellation for not allowing disobedience, fractures, or re-articulations to be conceived of. She argued that there are always “slippages” between the discursive command and its effects that lead to a constitutive failure of the performative. This in turn opens spaces for “resignification,” i. e., for the possibility to give the interpellations another direction. 40 It remains, however, unclear under what hegemonic conditions and based on what experiences such discursive displacements and resignifications can occur. What the “Projekt Ideologietheorie” conceptualized with the Freudian concept of “compromise formation,” was in turn discussed in postcolonial theories in terms of “hybridity” and “mimicry”; here however mostly restricted to the level of literary discourses, without taking the relation between colonial violence and hegemony into consideration. 41 It belongs to the general limits of poststructuralist approaches that their almost exclusive orientation toward discourses and sign-systems prevents them from re-connecting their analysis in a convincing way with the macrostructures of society and its hegemonic power relations. Foucault’s promise of an “ascending” analysis starting out from the microstructures of power and moving up to the macrostructures of social domination has not been kept. What was missing was a theoretical account of how power can be accumulated and assembled so that it builds strategic axes of economic, state, and patriarchal domination. 42
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Foucault 2007, pp. 200f, 204ff. Foucault 2010, p. 344. Butler 1993, pp. 122, 124. Cf. Bhabha 1994, pp. 122ff, 159f. This is one of the crucial points where Bourdieu goes beyond poststructuralism. In his
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The substitution of ideology by discourse and power actually had the consequence that the social was reduced to the symbolic and the material to the efficacy of “norms,” so that the profane reality of capitalism was all but obfuscated. 43 This capitalist reality needs to be brought back to center stage. Its different forms of alienation, its production of mass impoverishment, its dismantling of democracy and build-up of repressive apparatuses, the interlocking of class rule and patriarchal gender relations, and the current crisis of neoliberal hegemony are in dire need of what the young Marx called a “ruthless criticism” (rücksichtslose Kritik), “in the sense of not being afraid of the results it arrives at and […] just as little afraid of conflict with the powers that be.” 44 After having learned our postmodern lessons in the domains of epistemology and methodology, we need to again take up the project of an ideology critique that operates with a theory of the ideological as a “conceptual hinterland.” 45 One of the tasks is to diligently collect the fruitful methods and findings of poststructuralist approaches, to release them from their narrow framework, and to re-embed them in a renewed critical social theory.
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„Habitus“ ist ein Konglomerat von in Fleisch und Blut übergegangenen Haltungen, ansozialisierten, aber meist unbewussten Einstellungen gegenüber der Welt. Vor allem durch den spezifischen Gebrauch des Soziologen Pierre Bourdieu (1930–2002) hat das Konzept des Habitus einige Prominenz erlangt. Es ist einerseits als Erweiterung des IdeologieBegriffs zu verstehen. Zunächst hatte Bourdieu sein Konzept in Anlehnung an das Habitus-Verständnis des Kunsthistorikers Erwin Panofsky entwickelt, der mit dem Begriff das Auftreten ähnlicher architektonischer Formen zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort bezeichnete und Habitus als „kollektives Unbewusstes“ begriff. ¹ Diese nicht-bewussten, gemeinsam geteilten Vorlieben, Ansichten und Vorstellungen erkannte Bourdieu später als Klassenphänomene und als verkörperlichte Phänomene. Habitus besteht demnach aus inkorporierten Dispositionen („Leib gewordene Geschichte“), er vermittelt Struktur und Praxis. Insofern er das Kollektive im Individuellen ausmacht, durchkreuzt der Habitus auch die klaren Dichotomien von Subjekt/Objekt und Individuum/Gesellschaft. Der Habitus ist aber nicht nur ein verkörperlichtes Klassenphänomen, sondern bildet darüber hinaus spezifischere Formen je nach sozialem Feld aus. Dennoch ist er kein deterministisches Konzept, sondern sieht unzählbare Varianten individueller Praxis vor. So wie der Habitus – bezogen auf die Konzepte Louis Althussers – die Ideologie um eine kollektive körperliche Dimension erweitert, dynamisiert und historisiert der Feld-Begriff das, was Althusser „Apparat“ genannt hat. ² Hinsichtlich der Kunst betont Bourdieu, dass KünstlerInnen – wie auch Intellektuelle im Allgemeinen – in ihrem Selbstbild wie kaum eine andere gesellschaftliche Gruppe von dem Bild abhängig seien, das andere sich von ihnen machen. Auf diese Weise interveniere die Gesellschaft „noch im Herzen des künstlerischen Projekts“. ³ Das Habitus-Konzept erweitert den Ideologie-Begriff aber nicht nur, sondern ergänzt ihn andererseits auch. Bourdieu verwirft die Rede von Ideologie keineswegs. Er spricht sogar von einem „Feld der Ideologieproduktion“ 4, in dem – zwischen Presse, Bildungssektor sowie Parteien und anderen Staatsapparaten – um das politisch Denkbare gerungen wird. So wie eine individuelle „Meinung“ in kollektiven Prozessen generiert wird, entsteht auch der persönliche Geschmack als Effekt kollektiver Praxis. Weil diese kollektive Praxis verschleiert wird, kann die Distinktion über Geschmack besonders effektiv wirken. Bezogen auf die Kunst, aber auch auf den Konsum kultureller Güter im Allgemeinen, betont Bourdieu: „Wie jede aus dem tagtäglichen Klassenkampf geborene ideologische Strategie
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IDEOLOGY AND HABITUS
zieht auch die Ideologie des natürlichen Geschmacks ihren ideologischen Schleier und ihre Wirksamkeit aus ihrer Naturalisierung realer Unterschiede.“ 5 Politische Strategien gegen solche Formen der Naturalisierung sozial generierter Praktiken und Strukturen erfordern, weil sie sich als in Gewohnheiten ausagierter „praktischer Glaube“ manifestieren, der in die Körper eingegangen ist, nicht nur Arbeit am kollektiven Bewusstsein, nicht nur Ideologiekritik. Es bedarf dazu, so Bourdieu, einer „wahre[n] Arbeit der Gegendressur, die ähnlich dem athletischen Training wiederholte Übungen einschließt, [um] eine dauerhafte Transformation des Habitus zu erreichen.“ 6 Jens Kastner
1 Pierre Bourdieu, Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt a. M. 1997, 6. Aufl., S. 125ff. 2 Vgl. Pierre Bourdieu, Loïc J. D. Wacquant, „Die Ziele der reflexiven Soziologie“, in: dies., Reflexive Anthropologie, Frankfurt a. M. 1996, S. 95–249, hier S. 133. 3 Pierre Bourdieu, wie Anm. 1, S. 86; vgl. hierzu auch Jens Kastner, Die ästhetische Disposition. Eine Einführung in die Kunsttheorie Pierre Bourdieus, Wien 2009. 4 Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a. M. 1987, S. 623. 5 Ebd., S. 124. 6 Pierre Bourdieu, Meditationen, Frankfurt a. M. 2001, S. 220.
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“Habitus” is a conglomerate of mindsets that have undergone transition into flesh and blood, a set of socialized yet generally unconscious attitudes toward the world. The concept of habitus gained prominence thanks largely to its specific use by sociologist Pierre Bourdieu (1930–2002). On the one hand, it can be understood as an expansion of the notion of ideology. Initially Bourdieu developed his idea on the basis of art historian Erwin Panofsky’s habitus concept, with which Panofsky described the appearance of similar architectural forms in specific times and places, thereby discerning a “collective unconscious.” ¹ These non-conscious, jointly held beliefs, inclinations, and ideas were recognized later by Bourdieu as embodied phenomena and phenomena of class. Hence habitus consists of incorporated dispositions (“history made flesh”) and mediates structure and praxis. Insofar as it accounts for the collective within the individual, the habitus frustrates clear dichotomies of subject/object and individual/ society. Yet it operates beyond mere embodied class phenomena, shaping more specific forms according to each specific social field. It is not a deterministic concept, however; as it allows for innumerable variants of individual practice. Just as the habitus—referring to the concepts of Louis Althusser—expands ideology by adding a collective corporeal dimension, the concept of “field” dynamizes and historicizes what Althusser called “apparatus.” ² With regard to art, Bourdieu emphasizes that artists—the same as intellectuals in general—are dependant, vis-à-vis their self-image, on others’ idea of them to a degree unmatched by almost all other social groups. Thus society intervenes “in the very heart of the artistic project.” ³ On the other hand, the habitus concept also supplements the concept of ideology rather than merely expanding it. In no way does Bourdieu dismiss talk of ideology. He even speaks of a “field of ideology production” 4 wherein press and education as well as other state apparatuses compete for the politically thinkable. Just as individual “opinion” is generated within collective processes, personal taste too arises as an effect of collective praxis. Because this collective praxis is veiled, distinction by way of taste has the potential to operate with particular effectiveness. With reference to art, and the consumption of cultural commodities in general, Bourdieu emphasizes: “like each ideological strategy born of day-to-day class struggle, the ideology of natural taste extracts its ideological veil and its potency from its naturalization of real differences.” 5 Political strategies against such forms of the naturalization of socially generated practices and structures demand—because those forms manifest
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as “practical belief” that is acted out in habit and absorbed by the body —more than work on the collective consciousness, more than ideology critique. They must be augmented, says Bourdieu, by a “thoroughgoing process of countertraining, involving repeated exercises, [that] can, like an athelete’s training, durably transform habitus.” 6 Jens Kastner
1 Pierre Bourdieu, “Künstlerische Konzeption und Intellektuelles Kräftefeld,” in: Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt a. M., 1970, pp. 75–124, here p. 125ff [trans. by WW]. 2 Cf. Pierre Bourdieu, Loïc J. D. Wacquant, “The Purpose of Reflexive Sociology,” in: idem, An Invitation to Reflexive Sociology, Chicago, 1992, pp. 61–216, here p. 102. 3 Pierre Bourdieu, “Der Habitus als Vermittlung zwischen Struktur und Praxis,” in: Zur Soziologie der symbolischen Formen, see note 1, pp. 125–58, here p. 86 [trans. by WW]; see also Jens Kastner, Die ästhetische Disposition. Eine Einführung in die Kunsttheorie Pierre Bourdieus, Vienna, 2009. 4 Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a. M., 1987, p. 623 [trans. by WW]. 5 Ibid., p. 124 [trans. by WW]. 6 Pierre Bourdieu, Pascalian Meditations, trans. by Richard Nice, London, 2000, p. 172.
ENTKUNSTUNG DIESSEITS DER KUNST – IDEOLOGIEKRITIK, AUTONOMIE UND REPRODUKTION Kerstin Stakemeier
„Konkret indessen ist zu analysieren, was Entkunstung der Kunst sei, eine Praxis, welche die Kunst unreflektiert, diesseits ihrer eigenen Dialektik der außerästhetischen annähert.“ ¹ In der Ästhetischen Theorie ² bezeichnet Theodor W. Adorno mit „Entkunstung“ ein unlösbares Problem: den Eingriff der äußeren Welt in die Autonomie der Kunst, geführt von den „von der Kulturindustrie Überlisteten und nach ihren Waren Dürstenden“, die sich „diesseits der Kunst“ befinden.³ Die Rollen scheinen klar verteilt. Der Angriff des 20. auf das 19. Jahrhundert, der Massenkultur auf die moderne Kultur der Emanzipation, ebenso fatal wie unabwendbar, der Auftrag der modernistischen Verfechter der Autonomie gegen die in der kulturindustriellen Gegenwart gefangenen Opfer ihrer Ersetzung durch austauschbare Aktualitäten wirken unmissverständlich. Und doch naht keine Rettung. „Die Entkunstung der Kunst [bestimmt sich, KS] nicht allein als Stufe ihrer Liquidation, sondern als ihre Entwicklungstendenz“ 4, und die Überlisteten befinden sich ebenso „diesseits der Kunst“, wie die Entkunstung sich „diesseits ihrer eigenen Dialektik“ wiederfindet. Kein Jenseits ist in Sicht. Vielmehr ist die Entkunstung ein Angriff der Kunst als Teil gesellschaftlicher Wirklichkeit auf die Kunstwerke als Widerspruch gegen diese gesellschaftliche Wirklichkeit. Die im 19. Jahrhundert institutionalisierte Autonomie der Kunst, um die es Adorno geht, zerfällt im 20. Jahrhundert an der Unablösbarkeit der künstlerischen von der ökonomischen Bedeutung dieser Autonomie. Und prekärerweise verlor die Autonomie gerade dort, wo die Moderne seit den 1950er Jahren als Modernismus von Adorno und anderen gegen ihren Verfall verteidigt wurde, durch die Verteufelung ihrer ökonomischen Bedeutung auch die 1 Theodor W. Adorno, Gesammelte Schriften, Bd. 7: Ästhetische Theorie, hg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt a. M. 1997, S. 271. 2 Adornos Ästhetische Theorie ist eine posthum 1970 erschienene Sammlung systematischer Fragmente zu einer kritischen Theorie der Ästhetik. Adorno selbst hatte die Fertigstellung des Buches für das gleiche Jahr geplant. 3 Ebd., S. 32. 4 Ebd., S. 123.
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materielle Durchschlagkraft ihrer künstlerischen Bedeutung. Wo Autonomie den modernen Status der Kunst als gesellschaftlich separiertes Feld unproduktiver Arbeit und ästhetischer Individuation bezeichnete, charakterisiert Entkunstung mit Adorno die massenkulturelle Identifizierung ihrer Individuationen und gegen ihn das Produktiv-Werden künstlerischer Arbeit in der Gegenwartskunst. In diesem Text soll Entkunstung daher als Kippfigur der Kunst eingeführt werden, die die Desintegration der Moderne nicht nur als das Verlustgeschäft sichtbar werden lässt, als das Adorno sie begriff, sondern ebenso als einen Mechanismus, der innerhalb der Kunst, ihrer Produktion und Zirkulation konkrete gesellschaftliche Perspektiven eröffnet, in denen die Kunst eine im modernistischen Verständnis noch undenkbare Gegenwärtigkeit erhielt. Doch für Adorno ist die Trennung von Kunst und Leben notwendiger Grundstock künstlerischer Autonomie und deren Entkunstung eine zweiseitige Perforierung: zum einen der Wegfall der historischen „Verselbständigung […] [der Kunst, KS] gegenüber den Lebenszusammenhängen, in die sie zuvor eingebettet war“ 5 – der Verlust ihrer mit der Moderne institutionalisierten Autonomie als einer gesellschaftlichen Sonderstellung und damit auch der Kunst selbst als einer eigenständigen ideologischen Figur. 6 Entkunstung zieht diese beiden Aspekte zusammen, Ideologie und Realität bewegen sich aufeinander zu. 7 Was bleibt, ist modernistische Autonomie „reiner“ Kunst als Ideologie inmitten der Gesellschaft bei gleichzeitigem Verlust der gesellschaftlich ihr zugehörigen Sonderstellung. Entkunstung bezeichnet die Einbettung der autonomen Kunst als integrierte gesellschaftliche Realität. Im Stande der Entkunstung ist Autonomie in der Kunst nicht ausgeschlossen, doch sie hat aufgehört, modern zu sein. Sie ist, so will ich demonstrieren, eben nicht mehr Autonomie der Kunst, sondern Autonomie in der Kunst. Zum anderen zielt die Entkunstung bei Adorno auf die Verselbstständigung „der Andersheit. Kunst bedarf eines ihr Heterogenen, um es zu werden“ 8. Die Andersheit, sozusagen die materielle Ebene der gesellschaftlichen Sonderstellung im Werk, verselbstständigt sich zunehmend mit der Reorganisation der das Kunstwerk umgebenden Welt nach dem kapitalistischen Tauschprinzip. 9 Heterogenes ist nicht länger spurlos integrierbar, sondern platziert eine Ordnung im Werk, die sich mehr und mehr
5 Theodor W. Adorno, „Theorie der Halbbildung“, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 8: Soziologische Schriften I, hg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt a. M. 1997, S. 97. Adorno schreibt hier über die Bildung, jedoch in einer Struktur, die sich auch auf die Kunst und Philosophie übertragen lässt, wie Adorno selbst auf S. 112f. argumentiert. 6 Theodor W. Adorno, „Beitrag zur Ideologielehre“, in: ebd., S. 474. 7 Ebd., S. 477. 8 Theodor W. Adorno, „Die Kunst und die Künste“, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 10: Kulturkritik und Gesellschaft I, hg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt a. M. 1977, S. 439. 9 Adornos Kritik des Kapitalismus als gesellschaftlicher Reproduktionsform stützt sich wesentlich auf eine Kritik des verabsolutierten Tausches – ein Problem, zu dem ich im nächsten Teil des Textes zurückkehren werde.
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jenseits dessen spätfeudaler Produktionsmittel bewegt. Letztlich wird die Werkform durch diese aktuellen Elemente in sich selbst heterogen. Denn „was die Grenzpfähle der Gattungen einreißt, wird bewegt von geschichtlichen Kräften, die innerhalb der Grenzen aufwachten und schließlich sie überfluteten.“ 10 Die Entkunstung trägt die Kunst jenseits des Werks, und es sind meines Erachtens diese Heterogenitäten, durch die sich die hieraus entstehende Gegenwartskunst auf Augenhöhe mit ihrer Zeit verortet. Für diese Gegenwartskunst ist Herbert Marcuses an Adorno angelehntes Diktum von 1973, dass „als ‚Ideologie‘ […] Kunst die herrschende Ideologie außer Kraft“ 11 setzt, nicht länger haltbar. Dass „ein jedes Kunstwerk vom Verdikt falschen Bewußtseins ereilt und der Ideologie zugerechnet werden [könnte, KS]“, trifft für Adorno eben nicht aus dem Kunstwerk heraus zu, sondern aus dessen ökonomischer Sonderstellung als Kunst. Denn „formal sind sie [die Werke, KS], unabhängig von dem, was sie sagen, Ideologie darin, daß sie a priori Geistiges als ein von den Bedingungen seiner materiellen Produktion Unabhängiges und darum höher Geartetes setzen und über die uralte Schuld in der Trennung körperlicher und geistiger Arbeit täuschen“.12 In der von Adorno bezeichneten Moderne ist das Verhältnis der Kunst zur Arbeit ein kategorisches. Nicht an ihm unterscheidet sich, was ihr Vermögen ist, sondern, im Gegenteil, erst der schuldhafte Ausschluss aus der allgemeinen gesellschaftlichen Produktion ermöglicht dem einzelnen Kunstwerk die „Macht seiner Geschlossenheit“.13 Das Durchbrechen dieser Trennung aus der Kunst heraus ist für Adorno Makel der Entkunstung der modernen Kunst und wurde doch gleichzeitig in ihr zu einem individuierenden Ausgangspunkt der Gegenwartskunst. Das Ende der kategorischen Scheidung der Kunst von der quantifizierbaren, produktiven körperlichen Arbeit bedeutete zwar in Adornos Verständnis eine Entkunstung der Moderne und damit einen Verlust ihrer Autonomie, aber sie produzierte im selben Zug einen neuen gesellschaftlichen Typus von Kunst, die Gegenwartskunst, die nicht länger hinreichend aus einem kunsthistorischen Epochenbegriff heraus erklärbar war. Konstatierte Adorno Ende der 1960er Jahre noch, dass „die jüngste Entkunstung der Kunst […] sich versteckt des Spielmoments auf Kosten aller anderen“ bediene,14 so sind seine Referenzpunkte hierfür, wie zeitgleich auch die Marcuses, Friedrich Schillers Briefe Über die ästhetische Erziehung des Menschen (1801), eine Perspektive, die jegliche Form von Aktivität innerhalb der Kunst nicht als 10 Ebd., S. 434. 11 Herbert Marcuse, Konterrevolution und Revolte, Frankfurt a. M. 1973, S. 115; vgl. Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, wie Anm. 1, S. 345ff. 12 Ebd., S. 337. 13 Ebd., S. 121. 14 Ebd., S. 470.
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Arbeit erkennen kann, weil eben deren Ausschluss in diesem historischen Moment konstitutiv ist. Schiller jedoch beschrieb spätfeudale Abhängigkeitsverhältnisse, Adorno, wie er selbst schreibt, den „Hochkapitalismus“. Was er als Spiel der Entkunstung angreift, ist eine Vergegenwärtigung der geschichtlich sich verändernden Arbeitsformen in der Kunst. „Lässt überhaupt keine Autonomie der Kunst ohne Verdeckung der Arbeit sich denken, so wird diese im Hochkapitalismus unter der totalen Herrschaft des Tauschwerts und der gerade kraft solcher Herrschaft anwachsenden Widersprüche problematisch und zum Programm. […] Das Kunstwerk bekräftigt“, wie Adorno in seinem Versuch über Wagner (1952) schreibt, der wesentlich von der Exilierung der Arbeit aus dem Werk handelt, „was sonst die Ideologie bestreitet: Arbeit schändet“. 15 Und dass sie das tut, scheint für Adorno unumstößlich. Nur jenseits der Arbeit kann sich Autonomie formieren; beide sind sozial negativ. Und eben darum kann Adorno die Arbeit in der Kunst trotz praktischer Ideologiekritik nicht erkennen und klassifiziert das Auftauchen von jeglicher Tätigkeit als Spielmoment, in dem die Trennung geistiger und körperlicher Arbeit ein weiteres Mal zementiert wird. Doch was Adorno als Spiel der Entkunstung irritiert und als Arbeit im Werk seiner taktischen Projektion von Autonomie widerspricht, entwickelt sich zeitgleich zu künstlerischen Ausbruchszenarien jenseits der Enge des Werkraums. Künstlerische Arbeitsformen setzen jenseits der modernistischen Kompositionsarbeit an und orientieren sich an den internationalen Formen der industriellen Massenkultur. 1952 schließt sich in London die Independent Group (IG) zusammen. Richard Hamilton, Eduardo Paolozzi, Reyner Banham, Alison und Peter Smithson, Nigel Henderson, Toni del Renzio und andere starten eine Auseinandersetzung mit dem durch die amerikanische Magazinkultur und den darin beworbenen Designs offensichtlich gewordenen und auch in den Ruinen Europas kaum mehr zu leugnenden Vorrang der Alltagskultur vor der ästhetischen Konstruktion. Sie setzen das Werk aus, oder vielmehr setzen sie es ein, in Ausstellungen, Vorträgen und Serien, in denen ihre künstlerische und wissenschaftliche Arbeit sich über Fotografie, Architektur, Malerei, Collage, Kunstgeschichte ebenso erstreckt wie sie deren massenkulturelle Wiederholungen und Erweiterungen einbezieht. 16 Jim Dines, Allan Kaprows, Claes Oldenburgs oder Robert Rauschenbergs Entwicklungen einer Happening- und Performancepraxis aus der Malerei in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre in New York könnten, wie viele andere künstlerische Erweiterungen des Arbeitsfeldes dieser Zeit, aus einer ähnlichen Perspektive diskutiert werden. Sie agieren Alltäglichkeiten aus, ob banal wie in 15 Theodor W. Adorno, „Versuch über Wagner“, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 13: Die musikalischen Monographien, hg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt a. M. 1997, S. 80f. 16 Vgl. Anne Massey, The Independent Group: Modernism and Mass Culture in Britain, 1945–1959, Manchester 1995.
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Kaprows 18 Happenings in 6 Parts (1958) oder traumatisch wie in Claes Oldenburgs Snapshots from the City (1960). Sie agieren durch künstlerische Medien Alltäglichkeiten aus und veröffentlichen so ihre Produktion, ordnen sie ein, anstatt sie auszusondern. Dies zeigt sich gerade im Verhältnis zu den zeitgleich raumgreifenden Aktualisierungen der fordistischen Arbeitsordnung durch den steigenden Anteil der Dienstleistungstätigkeiten 17, der eine Verschiebung des Arbeitsbegriffs innerhalb und außerhalb der Kunst nach sich zieht. Mit der Professionalisierung zuvor unbezahlter, privater oder individualisiert entlohnter Tätigkeiten gerade im Gesundheitssektor, im Bildungsbereich und in Produktionsdiensten veränderten sich in den Nachkriegsjahrzehnten die KünstlerInnenausbildung, Zuliefererstruktur und Produktionsmittel, und die KünstlerInnen wurden Teil der gesellschaftlichen Veränderungen jenseits ihres Genres; im Gesundheitswesen, Finanz- und Immobilienwesen. Dies betraf speziell die Veränderungen der Praxisformen in der nordamerikanischen Kunstszene, da hier die ökonomischen Umbrüche bereits in den 1950er Jahren deutlich anzogen und mit einem weiteren von David Harvey in seiner Analyse der Einführung der „flexiblen Akkumulation“ betonten Aspekt zusammentreffen: der, in Adornos Worten, „Atomisierung“ , d. h. einer kurzlebigeren Taktung des Konsumverhaltens in Bezug auf neue Produkte.18 Harvey beschreibt anhand des ansteigenden Anteils der Dienstleistung in allen Produktionsbereichen eine Verschiebung von der Produktion von Gütern hin zu derjenigen von Ereignissen. 19 Wenn auch der Gegensatz meines Erachtens in dieser Schärfe schwer zu halten ist, so ist der in ihm verzeichnete Übergang von Ware zu Ereignis doch gerade im Bezug auf z. B. Allan Kaprows Assemblagen, Environments und Happenings extrem aussagekräftig.20 Auch deshalb, weil hiermit die Gegenüberstellung vom Warencharakter der Werke in der Distributionssphäre und ihre scheinbar vorkapitalistische Existenz außerhalb des Tauschs, die sich ein Jahrzehnt später in der Konzeptkunst großer Beliebtheit erfreuen sollte, 21 praktisch kritisiert wird. Die Ereigniswerdung der Kunst wird bei Kaprow, Oldenburg und anderen eben als Schritt in eine öffentlichere Praxis demonstriert. Schon Adorno reduzierte, wie bereits zitiert, die fortgesetzte kapitalistische Reorganisierung der Welt auf die Identifikation ihrer Teile im Tausch. Er unterstrich damit nicht zuletzt die fordistische Trennung von körperlicher und geistiger Arbeit. Aus deren Hierarchisierung gewann er einen 17 David Harvey, The Condition of Postmodernity. An Enquiry into the Origins of Cultural Change, Cambridge/MA/Oxford 1990, S. 152f., 156f. 18 Vgl. Theodor W. Adorno, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 18: Musikalische Schriften IV, hg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt a. M. 1997, S. 695. 19 David Harvey, wie Anm. 17, S. 157. 20 Vgl. Allan Kaprow, Assemblage, Environments & Happenings, New York 1966. 21 Vgl. Lucy R. Lippard, Six Years: the Dematerialization of the Art Object from 1966 to 1972; A Cross-Reference Book of Information on Some Esthetic Boundaries, New York 1973, Escape Attempts, S. viiff., und Postface, S. 263ff.
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der Distributionssphäre scheinbar vorgelagerten Bereich geistiger Arbeit, einen potenziell autonomen Tätigkeitsbereich. Doch mit der gesellschaftlichen Verbreiterung und Professionalisierung der Dienstleistungstätigkeiten, die das langsame Ende der fordistischen Produktionsordnung charakterisierte, war diese strenge Trennung nicht länger aufrechtzuerhalten. Die Londoner IG wiederum erweist sich vor allem deshalb als ein so gegenwärtiges künstlerisches Verhalten zu den Umbrüchen ihrer Zeit, weil ihr gemeinsames Interesse eben aus dem Gegensatz zwischen der von ihnen untersuchten US-amerikanischen Massenkultur, der Explosion des Alltagsdesigns und der Nachkriegssituation in Großbritannien entsprang und ihre Praxis hieraus ihre Struktur fand. Sie gaben nicht auf, KünstlerInnen zu sein – alle produzierten individuell jenseits der IG –, verzichteten aber darauf, im gemeinsamen Format Kunstwerke zu produzieren. In ihren Ausstellungsprojekten ordneten sie vor allem den ästhetischen Blick jenseits der modernen Hierarchie von Kunst und Massenkultur neu. 22 Hierin trifft sich die Verschiebung künstlerischer Tätigkeiten mit einer weiteren Tendenz, die David Harvey für dieselbe Zeit als aktualisierte kapitalistische Arbeitsformen nachzeichnet: Die fordistische Massenproduktion spezifiziert sich in drastisch erweiterten, aber dafür in wesentlich kleineren Zahlen produzierten Warensegmenten. In der Kunst lässt sich auch bei der IG, und in ihrem Gefolge in der Produktpalette der Pop-Art, eine drastische Erweiterung der Warensegmente verzeichnen. Hier jedoch bedeutete dies eine absolute Steigerung der Produktionsmengen, eben weil zuvor die künstlerische der fordistischen Produktionsnorm diametral gegenüber stand (als individuierte Einzelstücke gegenüber standardisierter Massenware). Künstlerische und andere Arbeitsformen nähern sich ebenso wie künstlerische und andere Warenformen nach dem Zweiten Weltkrieg nachhaltig einander an. Deren unversöhnliche Gegenüberstellung charakterisierte in Adornos Perspektive, wie bereits ausgeführt, zentral die ideologische Stellung der modernen Kunst selbst, ihre Autonomie als gesellschaftlich gegebene Ausgrenzung aus einem Prozess, in dem, wie Hans-Georg Bensch zusammenfasste, der „Zweck der Produktion nicht die Erhaltung der Menschen ist. Sondern Zweck der Produktion ist die Erhaltung des Kapitals, das […] sich nur erhalten kann, wenn es sich vermehrt“. 23 Die Stellung der modernen Kunst als Produktionssphäre ist für das Kapital systematisch irrelevant, denn „Luxusgüter sind“, wie Frank Kuhne hinzufügt, „für die individuelle Konsumtion bestimmt, ohne wie die notwendigen Lebensmittel der Reproduktion des Gebrauchswertes der Ware Arbeitskraft zu dienen. Die Produktion von Luxus ist deshalb dem Begriff 22 Vgl. Thomas Schregenberger, Claude Lichtenstein (Hg.), As Found, The Discovery of The Ordinary, Zürich 2001. 23 Hans-Georg Bensch, „Zum ‚Automatischen Subjekt‘“, in: http://www.trend.infopartisan.net/ trd0705/t180705.html
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des Kapitals als Selbstzweck entgegen.“ 24 Die Autonomie der Kunst ist also gesellschaftlich gesehen, ganz in Adornos Sinne, ein fortgesetzt negativer Prozess unproduktiver Arbeit, der jedoch durch die umrissenen Veränderungen, die die Desintegration der fordistischen hin zu einer flexiblen Akkumulation nach sich zogen, entgrenzt wird. Durch die nachhaltige Intensivierung der Arbeitsteilung und der progressiven Integration von Dienstleistungsarbeiten im Luxus- ebenso wie im Massensegment ist auch die Kunstproduktion nicht mehr streng vom allgemeinen Zweck des Kapitals zu scheiden. Kunst geht in die „Produktion um der Produktion Willen“ 25 ein und wird produktiver Teil der kapitalistischen Nachkriegsgesellschaft. Nicht, weil sie nun Gebrauchswerte produzierten – obwohl auch dies sich zu einem eigenen Bereich innerhalb des oberen Segments des Galeriemarktes entwickelte, in dem KünstlerInnen Lampen, Architekturen, Stühle, Tische und Teppiche im Luxussegment als Seitenstrang ihrer Kunstproduktion herstellen, die von Galerien seriell vertrieben werden –, sondern weil ihre Produktionswege und -weisen, ihre Distributionsformen und Produktivitätsmargen zunehmend eng mit denen angrenzender Zuliefererindustrien verwoben wurden. Eine Industrie entwickelte sich. Dies betrifft auch den Status der Kunst als ideologische Figur, denn „von Ideologie lässt sich“, so Adorno 1954, „sinnvoll nur soweit reden, wie ein Geistiges, selbständig und substantiell und mit eigenem Anspruch aus dem gesellschaftlichen Prozess hervortritt“. 26 In der zerstörten Moderne treten Durchlässigkeiten auf, die Louis Althusser elf Jahre später in der produktiven Vermutung zusammenfasste, „dass die Menschen ihre Handlungen, die die klassische Tradition üblicherweise der Freiheit und dem ‚Bewußtsein‘ zuschreibt, in der Ideologie, über und durch die Ideologie leben; kurz, dass das ‚gelebte‘ Verhältnis der Menschen zur Welt einschließlich das zur Geschichte […] die Ideologie selbst ist“ .27 Die Rückprojektion auf die Kunst als gegenideologische Ideologie, die Adorno in den 1960ern strategisch gegen ihre Gegenwart in Anschlag brachte, ist nicht zuletzt selbst vergangenes ideologisches Phänomen einer nicht mehr gegenwärtigen Spaltung der unterschiedlichen gesellschaftlichen Produktionsbereiche voneinander. Nur im modernistischen Bild tritt an die Stelle der Moderne eine Nachmoderne, wohingegen sich etwa in strukturalistischen Perspektiven wie derjenigen Althussers aus der gesteigerten Vermittlung eines ideologischen gesellschaftlichen Lebens aneinander neue Autonomien und Antagonismen erkennen lassen, die eben 24 Frank Kuhne, „Marx’ Ideologiebegriff im Kapital“, in: Hans-Georg Bensch, Frank Kuhne (Hg.), Das Automatische Subjekt bei Marx, Lüneburg 1998, S. 85. 25 Karl Marx, Das Kapital I, in: Marx-Engels-Werke (MEW), Bd. 23, hg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin/DDR 1981, S. 618. 26 Theodor W. Adorno, Beitrag zur Ideologielehre, wie Anm. 6, S. 474. 27 Louis Althusser, Für Marx (1965), aus dem Französischen von Werner Nitsch u. a., hg. von Frieder Otto Wolf, Frankfurt a. M. 1968, S. 184.
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auf einer gegenwärtigen und sich stetig aktualisierenden ideologischen Praxis aufbauen und sich von ihr momentweise lösen, anstatt auf historische Verselbstständigungen gesellschaftlicher Funktionen gegenüber den konkreten Lebensumständen aufzubauen. Was bei Adorno in der Entkunstung noch der autonomen modernen Kunst zustößt (ihre ideologische Rolle als Ideal geistiger Arbeit), wurde mit der kapitalistischen Vergegenwärtigung der Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg in der Vernetzung der Gesellschaft durch die Ausweitung der Dienstleistung zu einem inhärenten künstlerischen Prozess (als Autonomisierung von der Ideologie einer nur geistigen Arbeit). Dieser Umschlag in der Bedeutung der Moderne auf der einen Seite und das Entstehen der Gegenwart(skunst) auf der anderen Seite lässt sich mit der vollen Ausprägung dieser Tendenzen in den späten 1960ern und 1970ern kursorisch in den Zusammenhang zweier grundlegender ökonomischer und gesellschaftlicher Perspektivänderungen, zweier politischer Kämpfe um Autonomie stellen, die hier abschließend umrissen werden sollen: 1. Der Übergang aus der fordistischen in die sogenannte postfordistische oder mit Harveys Worten in die „flexible Akkumulation“, wie er sie für die Vereinigten Staaten in den späten 1980ern für die Zeit ab etwa 1950 skizziert, wurde von operaistischen Theoretikern wie Raniero Panzieri oder Mario Tronti in den 1960er und frühen 1970er Jahren für Italien aus einer konkreten politischen Praxis heraus beschrieben. Eine zentrale Rolle spielt auch in der operaistischen Theorie die veränderte Bedeutung der Dienstleistungsarbeit in der Kapitalproduktion, die allerdings erst bei Antonio Negri in dessen Aufsatz Proletarier und Staat (1976) 28 in der Figur des „vergesellschafteten Arbeiters“ und dessen Organisierung jenseits der Fabrik offen zutage tritt.29 Im Gegensatz zu Harvey liegt hier der Schwerpunkt nicht so sehr auf der veränderten Zusammensetzung des Kapitals, sondern vielmehr auf der veränderten Rolle der Arbeit und der ArbeiterInnen. Tronti argumentiert Ende der 1960er, dass die ArbeiterInnenklasse sich von ihrem Status als LohnarbeiterInnen emanzipieren müsse, um politisch autonom zu werden und damit mehr als eine bloß ökonomische Kategorie zu sein. „Er betont ihre ‚Autonomie‘ und ‚Subjektivität‘ bis zu dem
28 Deutsche Übersetzung erschienen in: Antonio Negri, Massenautonomie gegen historischen Kompromiss, München 1977. 29 Vgl. Dario Gentili, „The Autonomy of the Political in the Italian Tradition (Tronti, Negri, Cacciari)“, in: Nathaniel Boyd, Michele Filippini, Luisa Lorenza Corna (Hg.), The Autonomy of the Political: Concept, Theory, Form, Jan van Eyck Academie, Maastricht 2012, S. 12. 30 Gisela Bock, „Zur deutschen Ausgabe“, in: Mario Tronti, Extremismus und Reformismus, Berlin 1971, S. 10. 31 Mario Tronti, „La fabbrica et la società“, in: Quaderni Rossi, Nr. 2, 1962 (deutsche Übersetzung in: Mario Tronti, Arbeiter und Kapital, Frankfurt a. M. 1974, S. 17–40, hier: http://www.wildcatwww.de/dossiers/operaismus/qr2_tron.htm). 32 Ebd.
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Punkt, wo er sie als das vorwärtstreibende Element in der Kapitalentwicklung und das Kapital als eine Funktion der Arbeiterklasse definiert.“ 30 In Trontis Worten: „Distribution, Austausch, Konsumtion müssen vom Standpunkt der Produktion aus gesehen werden.“ 31 Ausgangspunkt der Subjektivierung ist somit weiterhin die Fabrik, jedoch als Bild der kapitalistischen Gesamtordnung, nicht lediglich als geografischer Ort. Die Autonomie im ArbeiterInnenkampf wird gesellschaftlich neu verortet, diesseits und jenseits der Fabrikmauern, „die Arbeiterklasse muß sich selbst materialiter als Teil des Kapitals begreifen“.32 Trontis Diskussion politischer Autonomie im Rahmen eines desintegrierten modernistischen Konzepts kapitalistischer Antagonismen ist hier vor allem deswegen interessant, weil Autonomie nicht als Entwicklung jenseits der bloß ökonomischen Funktion der eigenen gesellschaftlichen Rolle bestimmt wird, sondern aus dieser heraus.33 Dieses Autonomiekonzept materialisiert die Erfüllung einer fordistischen Rolle gegen deren systemimmanenten Zweck, wie etwa in den Setzungen und Kämpfen um eine feministische Kunst in den 1970er Jahren, in denen für die Autonomie einer „weiblichen Ästhetik“ (Silvia Bovenschen) gekämpft wurde, eben weil diese sich mit dem modernistischen Autonomieverständnis in der Kunst nicht vereinbaren ließ und so zur Sprengung des modernistischen Autonomiebegriffs ansetzte. Das ideologische Konzept der modernen Autonomie in der Kunst fungiert hier als autoritäres Zitat, dessen Autorität durch eine gegen es gewendete künstlerische Praxis aktualisiert wird. Tronti führte im Operaismus eine Vergegenwärtigung der gesellschaftlichen Bedeutung von Autonomie ein, in der der modernistische Glaube einer Autonomie von der ökonomischen Reproduktion als bloß kapitalimmanente Projektion sichtbar wurde. Was in diesem Sinn die strukturalistischen Theorien Althussers wie auch die operaistischen Theorien Trontis der 1960er und 1970er Jahre in meinen Augen gegenüber vielen ihnen nachfolgenden Überlegungen zum selben Gegenstand auszeichnet, ist ihre Insistenz auf die Materialität der modernen Kategorien noch in der Gegenwart, ihre Wirkungsmacht weit über ihre eigene Aktualität hinaus. Das öffentliche Leben der Kunst blieb in vielerlei Hinsicht bis heute modern, doch die möglichen Unterlaufungsstrategien modernistischer Hierarchien und ideologischer Figuren veränderten sich mit dem Paradigma der grundlegenden Dehierarchisierung von „Distribution, Austausch, Konsumtion“ dramatisch. Mit Tronti könnte man sagen, dass sich auch die
33 Postoperaistische Theorien haben die Veränderungen der konkreten Arbeitsverhältnisse seit den 1970er Jahren bis in die Gegenwart wesentlich aktueller gefasst, allerdings stehen ihren optimistischen Ausblicken auf neue Klassen, neue Bewegungen und neue Arbeitsformen ökonomische, gesellschaftliche und kulturelle Hegemonien gegenüber, die effektiv soziale Strukturen reinitiieren, die weiterhin auf der Basis moderner Gesellschaftsmodelle aufbauen. Vgl. Toni Negri, Maurizio Lazzarato, Paolo Virno, Umherschweifende Produzenten, hg. von Thomas Atzert, Berlin 1998. 34 http://www.klassenlos.tk/data/pdf/dalla_costa.pdf.
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KünstlerInnen von ihrer bloß ökonomischen Rolle (derjenigen unproduktiver und unmessbarer Arbeit) emanzipieren mussten, um politisch autonom werden zu können (aus einem Selbstverständnis als DienstleisterInnen). 2. Die feministischen Ansätze derselben Zeit, wie sie nicht zuletzt von den Beteiligten der Wages for Housework-Kampagne, gegründet 1972 von Selma James, u. a. mit Mariarosa Dalla Costa und Silvia Federici, verfochten wurden, zielen auf eben diesen Punkt. Ihre marxistischen und teils, wie etwa Dalla Costa oder Federici, vor einem operaistischen Hintergrund argumentierenden Theoretikerinnen betonen die bereits im Zusammenhang des Fordismus untergrabene Rolle reproduktiver Arbeit in der Konstitution des Kapitals und fordern deren Einbezug in die Analyse und politische Konfrontation der kapitalistischen Gegenwart. Unproduktive Arbeit soll als produktive sichtbar gemacht und ihrer Privatisierung ein Ende gesetzt werden. Fiel die Kunstproduktion aus der marxistischen Analyse des Kapitals in modernen Zeiten nicht ganz zu Unrecht heraus, da ihre Produktionsordnung in keinem systematischen Zusammenhang zu dem von ihr erzeugten Wert stand, lässt sich dies für die Reproduktionsarbeit schwerlich behaupten. Wie Dalla Costa 1971 argumentierte, ist es im Gegenteil so, dass die zumeist von Frauen unbezahlt verrichtete Reproduktionsarbeit eben diejenige Ware produziert, von der die Produktion aller weiteren Waren abhängt: diejenige der Arbeitskraft.34 Doch als unbezahlte und gesellschaftlich damit als unproduktiv angesehene Arbeit erscheint „die Frauenarbeit […] als persönliche Dienstleistung außerhalb des Kapitals“.35 Auch die von Helke Sander 1968 vor dem SDS geforderte „Politisierung des Privatlebens“ 36 markiert eben diesen Punkt als Ausgangspunkt einer aktualisierten Bestimmung einer Autonomie gegen das Kapital, an dem sich dessen innerstes Bewegungsgesetz, „die Produktion um der Produktion Willen“, seine fortgesetzte erweiterte Reproduktion letztlich materialisiert. Die Öffentlichmachung unproduktiver Arbeit als kapitaler Dienstleistung begegnet den Residuen moderner Gesellschaften noch in der Gegenwart, hier derjenigen der Hausfrauenarbeit, indem sie aus deren Identifizierung als Teil des kapitalistischen Gegenwartsgeschäfts in Trontis Sinne eine Autonomisierung gegen das System der kapitalistischen Reproduktion erwirken. Mit der im modernen Gesellschaftsbild ebenso als unproduktiv stigmatisierten künstlerischen Produktion teilt die Reproduktionsarbeit auf der einen Seite den Mythos der Unmessbarkeit im fordistischen Schema und auf der anderen Seite ihre Kapitalisierung als Dienstleistungsarm im Zuge der Flexibilisierung der Akkumulation nach dem Zweiten Weltkrieg. Beide Produktionsbereiche waren im fordistischen Schema des Kapitals durch ihren Ausschluss aus der direkten Industrialisierung charakterisiert; durch die fortgesetzte Archaik ihrer
Arbeitsmittel und durch die Beschränkung ihrer sozialen Existenz auf solche öffentlichen Repräsentationsformen, die auf die Negation der in ihnen verausgabten Arbeit basierten. Doch wo die Projektion auf die Kunst eine auf scheinbar nur geistige Arbeit war, Inbegriff entkörperlichter Autonomie, wurde die Reproduktionsarbeit auf den Stereotyp einer vordergründig bloß körperlichen Anstrengung reduziert, Essenz physischer Heteronomie. Der bis heute andauernde feministische Kampf für die Etablierung von Autonomien aus der Perspektive der Reproduktion inmitten des Kapitals ist daher meines Erachtens wegweisend auch für eine künstlerische Neubestimmung dessen, was Autonomien in der Kunst gegenwärtig bezeichnen könnten. Das schlägt sich nicht nur in denjenigen künstlerischen Arbeiten der 1960er und 1970er Jahre nieder, die dieses Verhältnis explizit zum Ausgangspunkt ihrer Produktionen machten, wie etwa Margaret Harrison, Mary Kelly, Helke Sander oder Mierle Laderman Ukeles. Ebenso kehren „Veröffentlichungen“ und Sichtbarmachungen des Privaten in gegenwärtigen künstlerischen Versuchen wieder, die eine Entgrenzung der eigenen Existenz im globalisierten Kapital in ästhetischen Rekonstruktionen darstellen und keine strenge Scheidung zwischen Arbeit (künstlerisch individualisierter Produktion) und Leben (kapitalistisch individualisierter Reproduktion) zulassen. Die Frage, inwiefern eine künstlerische Praxis, die in gewisser Weise sonst sozialisierte Phänomene autonomisiert, heute aktualisierbar ist, ließe sich etwa anhand der Arbeiten und Arbeitsweisen von KünstlerInnen wie Discoteca Flaming Star, Emma Hedditch, Karolin Meunier, Ulrike Müller, Anja Kirschner und David Panos, Johannes Paul Raether oder Ian White diskutieren, um nur einige zu nennen. Diese Frage ausführlicher zu beantworten steht jedoch noch aus. Denn vor dem Hintergrund eines generativen Verständnisses von Ideologiekritik, Autonomie und Reproduktion ginge es hierbei weniger um eine fortgesetzte Selbstbespiegelung der künstlerischen Produktions-, Distributions- und Konsumtionsordnung, sondern um deren Homologien mit anderen gesellschaftlichen Orten, Phänomenen und Narrationen, an denen ebenso die eigene ideologische Rolle wie deren gegenläufige Autonomisierung zu verzeichnen wäre.
35 Ebd., S. 7. 36 http://www.1000dokumente.de/pdf/dok_0022_san_de.pdf.
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DEAESTHETIZATION THIS SIDE OF ART—IDEOLOGY CRITIQUE, AUTONOMY, AND REPRODUCTION Kerstin Stakemeier
“It is concrete, however, to analyze the deaesthetization of art as a praxis that, devoid of reflection and this side of art’s own dialectic, progressively delivers art over to the extra-aesthetic dialectic.”¹ In Aesthetic Theory ² Theodor W. Adorno names an irresolvable problem, “deartification” [Entkunstung]: the encroachment of the outside world into art’s autonomy, led by “those who have been duped by the culture industry and are eager for its commodities,” those who are “this side of art.”³ The roles seem to be clearly distributed. The assault of the twentieth century on the nineteenth, that of mass culture on the modern culture of emancipation, seems as fatal as it was inevitable, the mission of the modernist advocate of autonomy against the victims of its replacement by disposable novelties, who are caught up in the cultural-industrial present—all this seems unmistakably clear. And yet, salvation doesn’t seem to come. “The deartification of art is not only a stage of art’s liquidation but also the direction of its development,”4 and those who have been duped find themselves “this side of art” as much as deartification finds itself “this side of art’s own dialectic.” There is no other side in sight. Rather, deartification is an assault by art in general, as part of social reality, on artworks, seen as an individuated protest against this social reality. The institutionalized autonomy of art in the nineteenth century that Adorno is addressing falls apart in the twentieth century, when the artistic meaning of this autonomy gets detached from its economic meaning. And precariously, autonomy lost the material clout of its artistic meaning, precisely where Adorno and others had been defending the modern against its decline by instituting it as modernism since the 1950s, demonizing its economic 1 Theodor W. Adorno, Aesthetic Theory, trans. by Robert Hullot-Kentner, Minneapolis, 1998, p. 182. 2 Adorno’s Aesthetic Theory, published in 1970, is a posthumous collection of systematic fragments on a critical theory of aesthetics. Adorno himself had planned for the book to be completed in the same year. 3 Ibid., p. 16. 4 Ibid., p. 79.
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meaning. Whereas autonomy characterizes the modern status of art as a socially separate field of unproductive labor and aesthetic individuation, deartification, with Adorno, characterizes the mass-cultural identification of its individuations, and counter to him, the becoming-productive of artistic labor in contemporary art. In the present text, deartification is therefore to be seen as a transitional figure that not only makes it possible to see the disintegration of modernity visible as the losing deal that Adorno saw it as, but also as the mechanism that opens up concrete social perspectives within art, its production and circulation, in which art achieves a kind of presentness that was still inconceivable in the modernist understanding. But for Adorno, the separation of art and life is the necessary basis for artistic autonomy, and its deartification is a two-sided perforation. On the one hand is the decline of the historical “self-understanding […] [of art, KS] in relation to the living contexts in which it previously had been embedded” 5— the loss of its institutionalized autonomy, obtained in modernity as a special social status, and thus also of art itself as an independent, ideological figure.6 Deartification brings these two aspects together; ideology and reality, in Adorno’s words, are moving towards one another.7 What remains is a modernist autonomy of “pure” art as ideology, in the middle of society, with the simultaneous loss of the special status that socially belonged to it. Deartification designates the embedding of autonomous art as an integrated social reality. In deartification, the autonomy in art is not ruled out, but it has ceased to be modern. It is, as I will demonstrate, no longer the autonomy of art, but autonomy in art. On the other hand, deartification in Adorno is aimed at the self-understanding “of alterity. Art needs something heterogeneous in order to become art.” 8 The alterity, that is to say the material level of the special social status of art within the work, increasingly develops a life of its own as the world surrounding the artwork gets reorganized according to the capitalist principle of exchange.9 The heterogeneous can no longer be integrated without a trace, rather, an order is situated in the work that lies more and more outside its late feudal means of production. Ultimately, the form of the work becomes heterogenous in itself due to these changed elements. For “whatever tears down the boundary
5 Theodor W. Adorno, “Theorie der Halbbildung,” in: ibid., Gesammelte Schriften, Vol. 8: Soziologische Schriften I, ed. by Rolf Tiedemann, Frankfurt a. M., 1997, p. 97. Adorno writes about education here, but in a structure that can be extended to art and philosophy, as Adorno himself argues on pp. 112f. 6 Theodor W. Adorno, “Contribution to the Theory of Ideology,” in: Aspects of Sociology, ed. by Frankfurt Institute for Social Research, London, 1973, p. 189. 7 Ibid., p. 193. 8 Theodor W. Adorno, “Art and the Arts,” in: Can One Live after Auschwitz? A Philosophical Reader, Stanford, 2003, p. 375. 9 Adorno’s critique of capitalism as a social form of reproduction is essentially based on a critique of exchange made absolute. A problem that I will return to in the next part of this text.
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markers is motivated by historical forces that sprang into life inside the existing boundaries and then ended up overwhelming them.” 10 Deartification takes art outside the work, and it is, I believe, through these heterogeneities that the contemporary art that emerged from this can be positioned on a par with its time. For this contemporary art, Herbert Marcuse’s dictum from 1973, based on Adorno, that “art, as ‘ideology,’ overrides the reigning ideology,” 11 is no longer sustainable. The fact that “each artwork could be charged with false consciousness and chalked up to ideology” does not apply, for Adorno, from the artwork, but from its special economic status as art. For “in formal terms, independent of what they [the works, KS] say, they are ideology in that a priori they posit something spiritual as being independent from the conditions of its material production and therefore as being intrinsically superior and beyond the primordial guilt of the separation of spiritual and physical labor.” 12 In modernism as Adorno describes it, the relationship between art and labor is a categorical one. Art’s assets cannot be distinguished by it; on the contrary, only the rejection of general social labor as culpable makes it possible for an individual artwork to have the “power of its internal unity.” 13 Breaking through this separation from out of art, for Adorno, is a defect of the deartification of modern art, and, at the same time, it became an individualizing starting point of contemporary art in this separation. In Adorno’s understanding, the end of the categorical divorce of art from quantifiable, productive physical work does indeed mean a deartification of modernity and thus a loss of its autonomy, but in the same stroke it produced a new social type of art, contemporary art, which could no longer be sufficiently explained through an art historical understanding of epochs. If at the end of the 1960s Adorno was still claiming that “the most recent deartification of art covertly exploits the element of play at the cost of all others,” 14 his reference point for this, at it was for Marcuse during the same period, is Friedrich Schiller’s letters On the Aesthetic Education of Man (1801), a perspective that cannot recognize any form of activity within art as labor because its rejection is precisely what constitutes this historical moment. Schiller, however, was describing late feudal relations of dependence; Adorno, as he himself writes, was describing “high capitalism.” What he attacks as the play of deartification is an updating of the historically changing working forms in art. “A contradiction of all autonomous 10 Ibid., p. 370. 11 Herbert Marcuse, Counterrevolution and Revolt, Boston, 1972; cf. Theodor W. Adorno, see note 1, pp. 232ff. 12 Ibid., p. 227. 13 Ibid., p. 77. 14 Ibid., p. 317.
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art is the concealment of the labor that went into it, but in high capitalism, with the complete hegemony of exchange-value and with the contradictions arising out of that hegemony, autonomous art becomes both problematic and programmatic at the same time […]. The work of art,” as Adorno writes in his In Search of Wagner (1952), which deals with the banishment of labor [Arbeit] from the work [Werk], “endorses the sentiment normally denied by ideology: work is degrading.” 15 And the fact that it does this seems incontrovertible to Adorno. Autonomy can only be formed beyond work; both are socially negative. And this is why Adorno cannot recognize work in art despite practical ideology critique, and why he classifies the appearance of any activity as an element of play in which the separation of spiritual and physical work is cemented once again. But what disturbs Adorno as the play of deartification and contradicts his tactical projection of autonomy as a presence of labor in the work [Arbeit im Werk] develops at the same time into scenarios of artistic disruption outside the constriction of the space of the work. Artistic forms of labor start up outside modernist compositional work and are oriented to the international forms of industrial mass culture. In 1952 the Independent Group (IG) was established in London. Richard Hamilton, Eduardo Paolozzi, Reyner Banham, Alison and Peter Smithson, Nigel Henderson, Toni del Renzio, and others started examining the primacy of everyday culture, which had become obvious from American magazine culture and the design advertised in them, and in the priority of everyday culture over aesthetic construction, which was hardly deniable anymore in the ruins of Europe. They suspended the work, or rather they inserted it into exhibitions, lectures, and series in which their artistic and scholarly work extended over photography, architecture, painting, collage, and art history, as much as they incorporated the repetitions and expansions of art from mass culture.16 The developments by Jim Dine, Allan Kaprow, Claes Oldenburg, or Robert Rauschenberg from painting to a practice of happenings and performance in the second half of the 1950s in New York, like many other artistic expansions of the working field at this time, could be discussed from a similar perspective. They act out ordinary events, whether these are banal, like in Kaprow’s 18 Happenings in 6 Parts (1958), or traumatic, like in Claes Oldenburg’s Snapshots from the City (1960). They act out ordinary events with artistic means, thereby making their production public, codifying it rather than segregating it. This can be seen precisely in the relationship to the expansive changes in Fordist work rules going on at the same time due to the increasing proportion of the service 15 Theodor W. Adorno, In Search of Wagner, London, 2005, p. 72. 16 Cf. Anne Massey, The Independent Group: Modernism and Mass Culture in Britain, 1945–1959, Manchester, 1995.
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sector, 17 which caused a shift in how work was understood both inside and outside art. With the professionalization of previously unpaid, private, or individually remunerated activities, especially in the areas of health, education, and production services, the post-war years saw a great change in the education of artists, the structures of supply, and the means of production, while simultaneously artists became part of the social changes outside their genre; in healthcare, finance, and real estate. In particular, this concerned changes in the forms of practice in the North American art scene, for here the economic upheavals had clearly accelerated, even in the 1950s, coinciding with a further aspect, which David Harvey has emphasized in his analysis of the introduction of “flexible accumulation”: of, in Adorno’s words, “atomization,” 18 that is, a short-lived pattern of consumer behavior in relation to new products. Harvey, on the basis of the increasing proportion of the service sector in all areas of production, describes a shift from the production of goods to that of events.19 Even if, in my opinion, the opposition is difficult to maintain at such a level, the transition from goods to events documented in it, indeed precisely with regard, for instance, to Allan Kaprow’s assemblages, environments, and happenings, 20 is extremely significant. Also because the comparison between the commodity character of the works in the sphere of distribution and their seemingly pre-capitalist existence outside exchange, which would enjoy great popularity a decade later in conceptual art,21 is herein criticized in terms of practice. The becomingevent of art is demonstrated by Kaprow, Oldenburg, and others as a step into public (production) practice. Even Adorno, as mentioned, reduced the reorganization of the world in advanced capitalism to the identification of its parts within exchange. He therefore underscored in part the Fordist separation of physical and mental labor. From its hierarchization, it gained an area of mental labor seemingly previous to the sphere of distribution, a potentially autonomous area of activity. But with the social expansion and professionalization of the service industries, which characterized the end of the Fordist order of production, this strict separation could no longer be maintained. In turn, the London IG therefore turned out to be such a timely artistic response to the upheavals of its time above all because their common interest arose from the opposition between the American mass culture that they examined, 17 David Harvey, The Condition of Postmodernity. An Enquiry into the Origins of Cultural Change, Cambridge/MA/Oxford, 1990, pp. 152f and 156f. 18 Cf. Theodor W. Adorno, “Schöne Stellen,” in: ibid., Gesammelte Schriften, Vol. 18: Musikalische Schriften IV, ed. by Rolf Tiedemann, Frankfurt a. M., 1997, p. 695. 19 David Harvey, see note 17, p. 157. 20 Cf. Allan Kaprow, Assemblage, Environments & Happenings, New York, 1966. 21 Cf. Lucy R. Lippard, Six Years: the Dematerialization of the Art Object from 1966 to 1972; A Cross-Reference Book of Information on Some Esthetic Boundaries, New York, 1973, Escape Attempts, pp. viiff, and postface, pp. 263ff.
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the explosion of ordinary design, and the post-war situation in Great Britain, and because their practice grew out if their structure. They did not stop being artists—all of them continued to produce outside IG—but they abstained from producing artworks in their shared collective formats. In their exhibition projects, they re-arranged the aesthetic gaze above all outside the modern hierarchy of art and mass culture.22 Here the shift of artistic activities takes on another aspect, which David Harvey, considering the same period, traces as an updated capitalist form of labor. Fordist mass production becomes specialized in drastically expanded, but essentially smaller numbers of segments of goods produced. In art, even with IG, and subsequently in the product palette of pop art, one can observe a drastic expansion of commodity segments. But here, this means an absolute increase in the quantity of production, precisely because the artistic had previously been diametrically opposed to Fordist production norms (as individuated single pieces as opposed to standardized mass commodities). Artistic and other forms of labor converged appreciably after the Second World War, just as artistic and other forms of commodities had. From Adorno’s perspective, as already mentioned, their irreconcilable opposition characterized the centrality of the ideological position of modern art itself, its autonomy as a socially given exclusion from a process in which, as Hans-Georg Bensch has summarized, the “goal of production is not to sustain people. But the goal of production is to sustain capital, which […] can only be sustained through accretion.” 23 The position of modern art as a sphere of production is systematically irrelevant to capital, for “luxury goods,” as Frank Kuhne adds, “are meant for individual consumption, without, as is the case for food, being necessary to reproduce the use value of the commodity of labor. The production of luxury is thus opposed to the understanding of capital as an end in itself.” 24 The autonomy of art, viewed socially, is, quite in keeping with Adorno, a continuing negative process of unproductive work, which is, however, dissolved from its boundaries by the changes outlined here, which involve the disintegration of Fordism up to the point of flexible accumulation. Through the sustained intensification of the division of labor and the progressive integration of service work in the luxury segment as well as in the mass segment, art production can also no longer strictly be distinguished from the general goal of capital. Art begins “to produce for production’s sake,” 25 becoming a productive part of capitalist post-war society. Not because it now produced consumer goods—although this also developed into an area of its
own within the upper segments of the gallery market, where artists create lamps, architectures, chairs, tables, and rugs in the luxury segment as a sideline to their art production, which are then distributed in series by galleries—but because their ways and types of production, their forms of distribution and margins of productivity become increasingly tightly interwoven with the adjacent supply industry. An industry developed. This also concerns the status of art as an ideological figure, for “one can speak of ideology,” as Adorno writes in 1954, “in a meaningful way only to the extent that something spiritual emerges from the social process as something independent, substantial, and with its own proper claims.” 26 In a devastated modernity, permeabilities appear, which Louis Althusser summarized eleven years later in the productive supposition “that men live their actions, usually referred to freedom of ‘consciousness’ by the classical tradition, in ideology, by and through ideology; in short, that the ‘lived’ relation between men and the world, including History […] is ideology itself.” 27 The rear projection to art as counter-ideological ideology, which Adorno strategically confronted with its present, is in part itself a past ideological phenomenon of a no longer current division of the various social areas of production from one another. Only in the modernist vision of things does a post-modernity take the place of modernity, whereas, from structuralist perspectives such as Althusser’s, for instance, new autonomies and antagonisms can be recognized from the increased mediation of an ideological social life, which are built up on a present and constantly changing ideological practice, momentarily coming detached from them instead of being built up on historical independencies of social functions in relation to the concrete circumstances of living. For Adorno, what happens to autonomous modern art in deartification (its ideological role as the ideal of mental work), became an inherent artistic process with the capitalist realization of art after the Second World War through the interconnection of society by expanding the service industry (as autonomization of the ideology of a solely mental work). This alteration in the meaning of modernity on the one hand and the emergence of the contemporary (art) on the other can be cursorily positioned, with the full manifestation of these tendencies in the late 1960s and 1970s, in the connection of two fundamental economic and social changes in perspective, two political battles over autonomy, which I will outline here in conclusion: 1. The transition from Fordism to so-called post-Fordism, or to use Harvey’s words, “flexible accumulation,” as he sketched out for the United States in the
22 Cf. Thomas Schregenberger, Claude Lichtenstein (Eds.), As Found, The Discovery of The Ordinary, Zurich, 2001. 23 Hans-Georg Bensch, “Zum ‘Automatischen Subjekt,’” see http://www.trend.infopartisan.net/trd0705/t180705.html. 24 Frank Kuhne, “Marx’ Ideologiebegriff im Kapital,” in: idem, Hans-Georg Bensch (Eds.), Das Automatische Subjekt bei Marx, Lüneberg, 1998, p. 85.
25 Karl Marx, Capital, Vol. 1: A Critique of Political Economy, trans. by Ben Fawkes, New York, 1967, p. 592. 26 Theodor W. Adorno, see note 6, p. 199. 27 Louis Althusser, For Marx, London, 2005, p. 233.
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late 1980s for the period starting around 1950, was described for Italy by theorists of “workerism” [operaismo] such as Raniero Panzieri or Mario Tronti in the 1960s and early 1970s from a concrete political practice. The altered significance of service work in capitalist production also plays a central role in workerist theory, which first appeared publicly in Antonio Negri’s “Proletarians and the State” (1976) 28 in the figure of the “socialized worker” and its organizing outside the factory.29 In contrast to Harvey, the emphasis here is not so much on the changed constitution of capital, but rather on the changed role of labor and laborers. At the end of the 1960s, Tronti argued that the working class needed to liberate itself from its status as wage laborers in order to become politically autonomous, and thus to be more than a mere economic category. “He emphasizes their ‘autonomy’ and ‘subjectivity’ to the point of defining them as the propulsive element in capitalist development, and capital as a function of the working class.” 30 In Tronti’s words: “Distribution, exchange, consumption must be seen from the standpoint of production.” 31 The starting point of subjectification thus continues to be the factory, but now as the image of total capitalist organization, not merely as a geographical site. Autonomy in the workers’ struggle is socially repositioned, within and outside the walls of the factory, “the working class must see itself materially as part of capital.” 32 Tronti’s discussion of political autonomy within the framework of a disintegrating modernist concept of capitalist antagonism is interesting here primarily because autonomy is not defined as a development beyond the mere economic function of its own social role, but as a development from this.33 This concept of autonomy materializes the fulfillment of a Fordist role against the goal immanent in its system, for instance in the claims and battles about a feminist art (history) in the 1970s, in which there was a struggle for the autonomy of a “feminine aesthetic” (Silvia Bovenschen), precisely because such an aesthetic could not be aligned with the modernist understanding of autonomy in art and thus set up an explosion within the modernist view of autonomy. The ideological concept of modern autonomy in art functions here as an authoritarian citation, the authority of which is updated through an artistic practice that is turned against it.
28 English translation appeared in: Antonio Negri, Books for Burning: Between Civil War and Democracy in 1970s Italy, London, 2005. 29 Cf. Dario Gentili, “The Autonomy of the Political in the Italian Tradition (Tronti, Negri, Cacciari),” in: Nathaniel Boyd, Michele Filippini, Luisa Lorenza Corna (Eds.), The Autonomy of the Political: Concept, Theory, Form, Jan van Eyck Academie, Maastricht, 2012, p. 12. 30 Gisela Bock, “Zur deutschen Ausgabe,” in: Mario Tronti, Extremismus und Reformismus, Berlin, 1971, p. 10. 31 Mario Tronti, “La fabbrica e la società,” in: Quaderni Rossi, No. 2, 1962. No English translation has yet been published. German translation in: Mario Tronti, Arbeiter und Kapital, Frankfurt a. M., 1974, pp. 17– 40, here: http://www.wildcatwww.de/dossiers/operaismus/qr2_tron.htm. A French translation also exists: http://www.multitudes.samizdat.net/L-usine-et-la-societe.
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In “workerism,” Tronti introduced a realization of social meaning of autonomy in which the modernist belief in an autonomy from economic production came to be seen as a mere projection that was immanent in capital. What distinguishes both Althusser’s structuralist theories and Tronti’s workerist theories of the 1960s and 1970s, in comparison to many of the ideas that follow them and take up the same object, is their insistence on the materiality of modern categories even in the present, their effectiveness far beyond their own timeliness. In many respects, the public life of art remains modernist to this day, but the possible strategies for undermining modernist hierarchies and ideological figures dramatically changed with the paradigm of the fundamental dehierarchization of “distribution, exchange, consumption.” Speaking with Tronti, one could say that artists have to be liberated from their merely economic role (that of unproductive and immeasurable work) in order to be able to become politically autonomous (from a self-conception as service providers). 2. Feminist efforts in the same period, as advocated, among others, by participants in the Wages for Housework campaign, founded in 1972 by Selma James with Mariarosa Dalla Costa, Silvia Federici, and others, was aimed at exactly this point. These theorists, with Marxist, and, in the case of Dalla Costa or Federici, workerist backgrounds, emphasize the role of reproductive labor, already undermined in the context of Fordism, in the constitution of capital, demanding that it be incorporated into the analysis and political confrontation of the capitalist present. What is deemed “unproductive” labor should be made visible as in fact productive, and an end should be put to its privatization. If it was not entirely unjustifiable that art production fell out of the Marxist analysis of capital in modern times since its order of production does not stand in any systematic connection to that of the value it generates, this was not so easy to claim for reproductive labor. As Dalla Costa argued in 1971, the contrary is so, that the unpaid labor of reproduction, mostly performed by women, produces exactly that commodity on which the production of all other commodities is dependent: that of the laborforce.34 But the labor of women, seen as unpaid and therefore socially as unproductive, “appears to be a personal service outside of capital.” 35 Also the “Politicization of Private Life,” 36 which Helke Sander
32 Ibid. 33 Post-workerist theories have seen the changes in concrete working conditions since the 1970s in an essentially more contemporary way, even if their optimistic outlooks on new classes, new movements, and new forms of work are faced with economic, social, and cultural hegemonies that effectively reinitiate social structures that continue to be built up on the basis of modernist models of society. Cf. Toni Negri, Maurizio Lazzarato, Paolo Virno, Umherschweifende Produzenten, ed. by Thomas Atzert, Berlin, 1998. 34 http://www.libcom.org/library/power-women-subversion-community-della-costa-selma-james. 35 Ibid. 36 http://www.1000dokumente.de/pdf/dok_0022_san_de.pdf.
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called for in 1968 at the Socialist German Student Union, marks exactly this point as the starting point of a newly modified definition of autonomy against capital, at which its innermost law of motions, “to produce for production’s sake,” its advanced, expanded reproduction, finally materializes. Making unproductive labor public as services to capital encounters the residues of modern societies that still exist in the present, here those of women’s housework, by becoming automatized, in Tronti’s sense, against the system of capitalist reproduction from being identified as part of the business of the capitalist present. What artistic production shares with reproductive labor, aside from the fact that both are stigmatized as unproductive in the modern image of society, is, on the one hand, the myth of their immeasurability in the Fordist schema, and on the other, their capitalization as a service arm over the course of the flexibilization of accumulation after the Second World War. Both areas of production were characterized in the Fordist schema of capital by their exclusion from direct industrialization; by the advanced archaism of their working means, and by the limitation of their social existence to such public forms of representation based on negating the labor carried out in them. But where the projection onto art was a projection onto a seemingly only intellectual labor, the epitome of disembodied autonomy, reproductive labor was reduced to the stereotype of an ostensibly merely physical effort, the essence of physical heteronomy. The feminist battle that continues to this day over establishing autonomy from the perspective of reproduction within capital is therefore, in my opinion, seminal for an artistic redefinition of what could be designated as autonomies in art today. This is not only reflected in those artistic works of the 1960s and 1970s that explicitly used these relations as the starting point of their productions, such as works by Margaret Harrison, Mary Kelly, Helke Sander, or Mierle Laderman Ukeles. There has also been a return to making the private “public” and visible in current artistic efforts, which represent a breaking of the boundaries of one’s own existence within globalized capital in aesthetic reconstructions, and which do not allow for any strict separation of labor (artistically individualized production) and life (capitalistically individualized reproduction). The question of how much an artistic practice, which in a certain sense autonomizes phenomena that are otherwise socialized, can be made more timely can be discussed, for instance, in relation to works and working methods by artists such as Discoteca Flaming Star, Emma Hedditch, Karolin Meunier, Ulrike Müller, Anja Kirschner and David Panos, Johannes Paul Raether, or Ian White, to name a few. A more thorough answer to this question, however, remains open. For against the backdrop of a generative understanding of ideology critique, autonomy, and reproduction, this effort would be less
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concerned with a continued self-reflection of artistic orders of production, distribution, and consumption than about their homologies with other social sites, phenomena, and narratives, in relation to which it would be necessary to register one’s own ideological role as much as its oppositional autonomization.
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Einer der entscheidenden Beiträge zu einer neuen Sicht auf die marxistische Theorie im 20. Jahrhundert war die Neudefinition von „gesellschaftlicher Reproduktion“, wie sie von Aktivistinnen des Internationalen Feministischen Kollektivs (International Feminist Collective) wie Mariarosa Dalla Costa, Selma James 1 und anderen entwickelt wurde. Diese Feministinnen kritisierten die zentrale Rolle, die Marx und die marxistische Tradition der Lohnarbeit und dem Lohnarbeiter/der Lohnarbeiterin für den Prozess der Kapitalakkumulation zugewiesen hatten, und legten dar, dass die wichtigste Arbeit in einer kapitalistischen Gesellschaft in der täglichen und generationsstiftenden Produktion von Arbeitskraft liegt. Denn diese Tätigkeit, in überwältigendem Maß von Frauen unentlohnt zu Hause ver richtet, wird gemeinhin als „Hausarbeit“ bezeichnet und von Marxisten als ein Erbe aus vorkapitalistischen Verhältnissen betrachtet. Sie ist jedoch die Vorbedingung für alle anderen Formen von Arbeit, da erst sie das wichtigste Produktionsmittel des Kapitalismus hervorbringt: den Arbeiter/ die Arbeiterin selbst. Mit anderen Worten ist „Hausarbeit“, reproduktive Arbeit, nicht nur „echte Arbeit“, sondern stellt darüber hinaus eine wertschöpfende Tätigkeit dar. Sie ist jenes Segment des gesellschaftlichen Montagebands, auf dem unsere Energie, unsere Arbeitskapazität täglich erneuert wird. Geschlechtliche und häusliche (sexuelle, familiäre) Verhältnisse sind demnach Produktionsverhältnisse. Die Unterscheidung von privater und öffentlicher Sphäre erweist sich als Illusion. Auch existiert keine Dichotomie von biologischem/sozialem Geschlecht und sozialer Klasse, da im Kapitalismus das Geschlecht zu einer Beschreibung der Klassenverhältnisse geworden ist. Wie Dalla Costa und James deutlich machen, wird dies nicht allgemein anerkannt, weil Arbeit nach wie vor mit Lohnarbeit gleichgesetzt wird, was dazu dient, die Hausarbeit abzuwerten, ihre Ausbeutung zu verschleiern, den Kampf der Frauen gegen diese Ausbeutung gesellschaftlich unsichtbar werden zu lassen, vor allem aber die Kosten für diese Arbeit in ungeheuerlicher Weise zu reduzieren. Dieser Paradigmenwechsel hat das Feld für eine kritische Untersuchung der marxistischen Grundbegriffe geöffnet, die unsere Auffassung des Marxismus, des Kapitalismus und des Klassenkampfs tiefgreifend verändert hat. Wir haben erkannt, dass der Kapitalismus in die Lage versetzt wurde, sich weniger aufgrund seines Beitrags zur Entwicklung der Technologie weltweit auszubreiten als vielmehr auf der Grundlage seiner Fähigkeit, Löhne bzw. ihre Verknappung einzusetzen, um Macht an einige Segmente der arbeitenden Klasse zulasten der anderen zu delegieren
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und so ein System differenzierter Arbeitsregime einzurichten, die faktisch die Arbeiterklasse teilen und so den Klassenkampf unterlaufen. Diese Hierarchien sind derart strukturell im Gewebe der kapitalistischen Gesellschaft verankert ebenso wie die rassistischen, sexistischen und altenfeindlichen Ideologien, die auf ihnen gründen, dass sie unausgesetzt rekonstituiert worden sind, wann immer ihre Grundlagen erschüttert wurden, wie dies im antikolonialen Kampf und der feministischen Bewegung der 1970er und 1980er Jahre der Fall war. Sogar die Umstrukturierung der reproduktiven Arbeit, die aus der Globalisierung der Weltwirtschaft hervorgegangen ist, und zwar als Reaktion auf ebendiese Kämpfe, hat sie lediglich in einer neuen Form reproduziert. Zwar haben in einigen Teilen der Welt Frauen mit ihrem massenhaften Eintritt in die Lohnarbeit Männern Autonomie abgerungen, in der Folge ist die reproduktive Arbeit in einem gewissen Maß aus dem Haushalt verlagert oder auf bezahlte Hausangestellte umgeschichtet worden. Dennoch konnte dadurch die hierarchische Struktur der sexuellen Arbeitsteilung nicht erschüttert werden. Nach wie vor verrichten Frauen in dieser Welt ebenso den weitaus größten Teil dieser Arbeit, wie sie die Mehrheit der unbezahlten Arbeitskräfte stellen. Das ist nicht allein der Materialität derjenigen Ideologien zuzuschreiben, die konstituierende Bestandteile kapitalistischer Planung sind, sondern vor allem der fortgesetzten Entwertung reproduktiver Arbeit als Bedingung für die Entwertung der Arbeitskraft, und folglich eine strukturelle Notwendigkeit der Kapitalakkumulation. Während jedoch die reproduktive Arbeit noch immer von einem Netz aus hierarchischen Verhältnissen impliziert wird und unter die Logik der Kapitalakkumulation fällt, durchlaufen die disziplinarischen Systeme, die ihren Vollzug untermauern, eine größere Krise. Der neoliberale Angriff auf unsere Produktionsmittel (Löhne, Häuser, Land, Wasser, Bildungs- und Gesundheitssysteme) erzeugt weltweit Kämpfe auf breiter Basis um die Wiederaneignung von natürlichen Ressourcen, urbanen Räumen und die Schaffung von kollektiven, „kommunizierenden“ Formen der Reproduktion, der erste Schritt hin zum Aufbau einer Alternative zur kapitalistischen Organisation unserer Lebensverhältnisse.2
1 Mariarosa Dalla Costa und Selma James, Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft, Berlin 1973. 2 Siehe auch Silvia Federici, Caliban und die Hexe. Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation, Wien 2012; dies., Aufstand aus der Küche. Reproduktionsarbeit im globalen Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution, Münster 2012.
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One of the main contributions to a rethinking of Marxist theory in the twentiethth century was the redefinition of “social reproduction” developed by feminist promoters of the International Feminist Collective, such as Mariarosa Dalla Costa and Selma James, ¹ among others. Critical of the central role that Marx and the Marxist tradition have assigned to waged labor and the waged worker in the process of capitalist accumulation, these feminists argued that the most important work in capitalist society has been the daily and generational production of labor-power; for this activity, mostly performed by women in the home for no pay, commonly referred to as “domestic work” and viewed by Marxists as a legacy of pre-capitalist relations, has been the precondition for every other form of work, as it has produced the most important means of capitalist production: the worker itself. In other words, “housework,” reproductive labor, is not only “real work,” but is value creating activity; it is that crucial segment of the social assembly line in which our energy, our capacity for work is regenerated daily. Gender and domestic relations (sexual, familial) are therefore relations of production, the private/public split is an illusion, and no dichotomy exists between sex/gender and class, for in capitalism gender has become a specification of class relations. As Dalla Costa and James have pointed out, this is not commonly recognized because of the mistaken identification of work and wages, which has served to devalue domestic labor, hide its exploitation, make women’s struggle against it socially invisible, and, first and foremost, immensely reduce the cost of labor. This paradigm shift has opened the ground to a critical investigation of Marxist categories that has profoundly changed our conceptions of Marxism, capitalism, and class struggle. We have learned that what has enabled capitalism to reproduce itself on a global scale, more than its contribution to technological development, has been its capacity to use the wage and lack of it to delegate power to some sectors of the working class over others and thus institute a system of differential labor regimes and labor hierarchies that have effectively divided the working class and undermined class struggle. These hierarchies in the fabric of capitalist society are so structurally grounded and the racist, sexist, ageist ideologies constructed on their basis are so consolidated that they have been constantly reconstituted whenever their foundations have been shaken, as they were by the anti-colonial struggle and the feminist movements of the 1970s and 1980s. Even the restructuring of reproductive work that has issued from the globalization of the world economy in response to these struggles
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has only reproduced them in a new form. While in some parts of the world women have gained more autonomy from men through their massive entrance into the waged work-place, and while reproductive work has, to some extent, been taken out of the home and been redistributed among paid domestic workers, the hierarchical structure of the sexual division of labor has not been destabilized. Women still perform most of this work and remain the majority of the world’s unpaid work force. This is to be attributed not only to the materiality of ideologies as constituent elements of capitalist planning, in time capable of becoming an autonomous force, but also the continuing devaluation of reproductive work as the condition for the devaluation of labor power, and therefore a structural necessity of capital accumulation. But while reproductive work is still implicated in a network of hierarchical relations and subsumed under the logic of capital accumulation, the disciplinary regimes underpinning its performance are undergoing a major crisis. For the neo-liberal assault on our means of reproduction (wages, houses, lands, waters, education and healthcare systems) is generating worldwide, broad based struggles for the reappropriation of natural resources and urban spaces while stimulating the creation of collective, “communing” forms of reproduction, the first steps towards the construction of an alternative to the capitalist organization of our lives.2 Silvia Federici
1 See Mariarosa Dalla Costa and Selma James, The Power of Women and the Subversion of the Community, Bristol, 1975. 2 See Silvia Federici: Caliban and the Witch. Women, the Body and Primitive Accumulation, New York, 2004; and Silvia Federici, Revolution at Point Zero. Housework, Reproduction, and Feminist Struggle, Oakland, 2012.
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ALTHUSSER ANDERNORTS. ANMERKUNGEN ZUR ANEIGNUNG DER IDEOLOGIETHEORIE IM LATEINAMERIKANISCHEN KONTEXT Jens Kastner und David Mayer Ideologie sei, so Louis Althusser in einer seiner umstrittenen Thesen, überzeitlich: Trotz aller konkreter Manifestationen handle es sich bei Ideologie um eine untergründige, ja unbewusste Konstellation von Herrschaft, die gerade aufgrund ihrer unveränderlichen Stabilität so mächtig sei. Dieser anti-historistische Grundton ¹ erscheint als eine der wenigen Konstanten in einem Werk, das ansonsten durch seine enigmatische Wandelbarkeit und Elastizität gekennzeichnet ist.² Spricht man über die Genealogie der Althusser’schen Ideologiekritik, mag es angebracht scheinen, diesen Bann Althussers wider das Spezifische, Einzelne und Kontextuelle an ihm selbst zu brechen. Zwar sind gerade bei Althusser Ideologie und das, was man landläufig als „Ideen“ bezeichnet, keinesfalls in eins zu setzen (weil Ideologien weit mehr umfassen, sich auf körperliche Praxen erstrecken und dennoch über einzelne Subjekte hinausgehen); dennoch scheint es gewinnbringend, Althusser, seine Wirkungsgeschichte und die Entwicklung der Ideologietheorie als ideologische Manifestationen im erweiterten Sinne zu betrachten und sie dabei an das Geschichtliche rückzubinden. Eine dieser Fragen lautet: Wie lässt sich die Wirkmacht Althussers Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre erklären? Wie konnte es dazu kommen, dass ein Denken, über dessen weitläufigen Einfluss heute vielfach Verwunderung besteht und das von manchen als „die denkbar wunderlichste, abstruseste und unhistorischste Version der marxistischen Philosophie“ bezeichnet wird,³ 1 In den verschiedenen humanwissenschaftlichen Diskussionen sind die Begriffe „historisch“, „historistisch“, „historizistisch“ oder „genealogisch“ unterschiedlich konnotiert. Hier ist der Begriff „historistisch“ in einem geschichtswissenschaftlichen Sinne gemeint und bezeichnet eine idiografische Rekonstruktion zeitlich und räumlich spezifischer Situationen, Prozesse und Handlungen. 2 Zur Wandelbarkeit von Althussers Werk siehe z. B.: François Matheron, „Louis Althusser, or the Impure Purity of the Concept“, in: Jacques Bidet, Stathis Kouvelakis (Hg.), Critical Companion to Contemporary Marxism, Leiden/Boston 2008, S. 503–527. 3 Tony Judt, „Louis Althusser und sein eigenwilliger ‚Marxismus‘“, in: ders., Das vergessene 20. Jahrhundert. Die Rückkehr des politischen Intellektuellen, München 2010, S.113–122, hier S.114.
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während etwa eines Jahrzehnts in verschiedenen Ländern und Weltregionen rezipiert und vielfach zum zentralen Referenzpunkt wurde? War dieser Althusser extra muros überall derselbe? 4 In der gegenwärtigen dekolonialen Theorie ist der Gedanke zentral, dass das Denken und seine Subjekte an einen Ort gebunden sind bzw. von einem Ort ausgehen. Von wo aus man denkt, ist demnach mit entscheidend dafür, wie und was man denkt. Diese Erkenntnis wurde etwa von Walter D. Mignolo in einer Althusser’schen Wendung als „epistemischer Bruch“ 5 bezeichnet, als Abkehr von der universalistischen (und als eurozentrisch beklagten) Annahme, das Denken finde unabhängig von Raum, Zeit und letztlich auch von den Subjekten statt. Es drängt sich auf, diesen Gedanken exemplarisch auf die Rezeption von Althusser in einigen lateinamerikanischen Ländern anzuwenden, denn diese verlief dort in den 1960er und 1970er Jahren vollkommen anders als in Westeuropa. Darüber hinaus kann eine Anwendung des dekolonialen Gedankens auf Althusser selbst auch grundsätzlich eine Auseinandersetzung mit den Brüchen auslösen – oder in Erinnerung rufen –, die seine theoretischen Einsätze in der Epistemologie und schließlich hinsichtlich politischer Praxis hervorzurufen beabsichtigt hatten. Dabei lassen sich Althusser und sein Werk auch „vom Süden her“ lesen: Louis Althusser wurde im kolonialen Algerien geboren. Ohne diese Erfahrungen von kolonialer Herrschaft und Gewalt, so Robert Young, könne weder die Affinität Althussers zum Maoismus der 1960er Jahre noch das Herausschälen des Poststrukturalismus aus dem Umfeld seiner SchülerInnen (von denen selbst einige aus Algerien stammten) erklärt werden. 6
1. Althusser in Lateinamerika: strukturalistische Gemeinplätze, Grundrisse-Rezeption und akademisches Feld Als in Havanna 1966 die Trikontinentale Konferenz mit Abgesandten aus über 80 Staaten stattfand, gehörte der französische Philosoph Louis Althusser ebenfalls zu den Teilnehmenden. Er hatte die Konferenz gemeinsam mit einem seiner Schüler, dem späteren Gefährten Che Guevaras, Regis Débray,
4 Dieser Text impliziert nicht, es habe in Lateinamerika flächen- und milieuübergreifend eine Gleichverteilung in der Rezeption Althussers gegeben; umgekehrt behaupten wir auch nicht, in Westeuropa habe es nur eine einzige Interpretation seines Werks gegeben. Die von uns vorgeschlagene These stellt Tendenzen zur Diskussion. 5 Walter D. Mignolo, Epistemischer Ungehorsam. Rhetorik der Moderne, Logik der Kolonialität und Grammatik der Dekolonialität, Wien/Berlin 2012, S. 164. Mignolo bezieht sich zwar auf verschiedene Theorie-Stränge hinsichtlich des „epistemischen Bruchs“, verweist aber auch konkret auf den Begriff bei Althusser und in der an ihn anschließenden Debatte, vgl. ebd. S. 171 (Fußnote). 6 Vgl. Robert J. C. Young, Postcolonialism. An Historical Introduction, 2. Aufl., Malden 2004, S. 413–414.
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besucht. 7 Auf das gleiche Jahr ist der Beginn einer starken Rezeption von Althussers Theorie in Lateinamerika anzusetzen, ab 1966 erschienen seine Werke auf Spanisch, zuerst in Havanna im Umfeld der legendären Theoriezeitschrift Pensamiento Crítico, 8 relativ kurze Zeit später wurden verschiedene Texte von ihm auch in Buenos Aires und Mexiko-Stadt verlegt.9 Es entwickelte sich nicht nur eine eigene Althusser-Schule – die immer umstritten blieb und nicht an die weitreichende Bedeutung anderer Marxismen wie jene etwa der marxistischen Strömung innerhalb der Dependenztheorien heranreichte –, in vielen linken Diskussionen und Texten von Anfang der 1970er ist auch ganz allgemein ein strukturalistisch-marxistischer Ton vernehmbar. Man kann von einer Althusser’schen Signatur sprechen. Viel zu dieser Präsenz Althussers in Lateinamerika trug die Chilenin Martha Harnecker durch ihre Übersetzungen und ihre Einführung in den historischen Materialismus bei, die in Paris bei Althusser studiert hatte.10 Ihre systematisch-didaktische Darstellung, die mit einem Vorwort Althussers versehen war, wurde in Lateinamerika millionenfach verkauft (Mitte der 1970er Jahre waren bereits über 75 Auflagen erschienen) und prägte das Verständnis von Marxismus und „historischem Materialismus“ mehrerer Generationen von Studierenden und AktivistInnen. Der Band stellt so etwas wie die weltweit wichtigste Althusser-inspirierte Vulgata dar. Die Darlegungen zu Natur und Funktion von Ideologie nehmen darin einen privilegierten Platz ein: Das Kapitel hierzu findet sich auf Platz 6 gleich nach jenen mit den Überschriften „Produktion“, „Produktionsverhältnissen“, „Produktivkräften“, „Die ökonomische Struktur der Gesellschaft“ sowie „Basis und Überbau“. Während in vielen Darstellungen zur Marxismus-Entwicklung auf die Bedeutung der Althusser-Rezeption in Lateinamerika verwiesen wird, 11 finden sich darin kaum Überlegungen, warum Althusser so wirkmächtig wurde. Erklärungen hierzu müssen einerseits über genealogische Konstrukte und ideengeschichtliche Ableitungen hinausgehen, andererseits detaillierter sein als der obligate Hinweis auf die Kubanische Revolution und die erschütterungsreichen „langen 7 Vgl. Ingrid Gilcher-Holtey, Die 68er Bewegung. Deutschland – Westeuropa – USA, 2. Aufl., München 2003, S. 42. 8 Vgl. Néstor Kohan, „Pensamiento Crítico y el debate por las ciencias sociales en el seno de la Revolución Cubana“, in: Fernanda Beigel u. a., Crítica y teoría en el pensamiento social latinoamericano, Buenos Aires 2006, S. 389–437; Kepa Artaraz, „El Ejercicio de Pensar: The Rise and Fall of Pensamiento Crítico“, in: Bulletin of Latin American Research, 24/3, 2005, S. 348–366. 9 Erste mexikanische Ausgaben von Pour Marx und Lire le Capital, siehe Louis Althusser, La revolución teórica de Marx, Mexiko, D.F. 1967; Louis Althusser, Étienne Balibar, Para leer el Capital, Mexiko, D.F. 1969. In der mexikanischen Ausgabe von Lire le Capital fehlen jedoch einige der Beiträge des französischen Originals. 10 Martha Harnecker, Los conceptos elementales del materialismo histórico, Mexiko, D.F. 1969. 11 Siehe z. B. Raúl Fornet-Betancourt, Ein anderer Marxismus? Die philosophische Rezeption des Marxismus in Lateinamerika, Mainz 1994, S. 233; Jan Hoff, Marx global. Zur Entwicklung des internationalen Marx-Diskurses seit 1965, Berlin 2009, S. 169; Néstor Kohan, De Ingenieros al Che. Ensayos sobre el marxismo argentino y latinoamericano (Vorwort von Michael Löwy), Buenos Aires 2000.
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1960er“ Jahre in Lateinamerika.12 Solch eine Spurensuche müsste bei der in Lateinamerika (im Gegensatz z. B. zum anglophonen oder deutschsprachigen Raum) schon bestehenden starken strukturalistischen Präsenz beginnen: in der Ökonomie war um die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika (CEPAL) bereits in den 1940er Jahren eine „strukturalistische Schule“ entstanden; 13 in der Anthropologie – in jenen Ländern, deren Staatsideologie sich am präkolumbischen Erbe orientierte, eine neuralgische Wissenschaft – war die strukturalistische Ethnologie à la Lévi-Strauss stark rezipiert worden; in der Geschichtswissenschaft war in einigen Ländern schon früh die Annales-Schule um Fernand Braudel herangezogen worden; und schon seit den 1920er Jahren war im Kontext anti-imperialistischer Strömungen ein Denken entstanden, das Lateinamerika im Sinne von äußeren und inneren Abhängigkeitsstrukturen erklärte (und nicht durch zivilisatorische oder gar rassische „Defizite“). Althusser erlaubte eine Anknüpfung an diese gleichermaßen transnational wirksamen 14 wie lokal geprägten intellektuellen Praktiken (die zugleich immer politische Praktiken waren). Zugleich boten die Schriften Althussers eine interpretierende Rezeption der wichtigsten Neuerung innerhalb des Marxismus in den frühen 1960er Jahren: die Entdeckung der Grundrisse von Karl Marx.15 Neben Eric J. Hobsbawm 16 wurde Althusser in Lateinamerika zum wichtigsten Vermittler dieser für das sozialtheoretische und historische Denken so wichtigen polit-ökonomischen Notizen. Eine wichtige Grundlage für den Rezeptionserfolg 12 Zu den „langen 1960er“ Jahren in Lateinamerika vgl. David Mayer, „Vor den bleiernen Jahren der Diktatur – 1968 in und aus Lateinamerika“, in: Jens Kastner, David Mayer (Hg.), Weltwende 1968? Ein Jahr aus globalgeschichtlicher Perspektive, Wien 2008, S. 143–159. 13 Im Zentrum dieser Denkrichtung stand die Frage, wie wirtschaftliche Entwicklung möglich ist. Dabei wurde „Entwicklung“, ganz im Gegensatz zur Modernisierungstheorie, auf die historischen Bedingungen von Kolonialismus und untergeordneter Weltmarktintegration bezogen. Zu den bekanntesten Hervorbringungen dieser Schule gehört das von Raúl Prebisch in die Diskussion gebrachte Zentrum-Peripherie-Modell und die von Prebisch (und zeitgleich von Hans Singer) entwickelte These von sich tendenziell verschlechternden Terms of Trade zwischen den Ländern der Peripherie und des industrialisierten Zentrums. Vgl. Eduardo Devés Valdés, El pensamiento latinoamericano en el siglo XX – entre la modernización y la identidad. Tomo 1: Del Ariel de Rodó a la CEPAL. 1900 –1950, Buenos Aires 2000, S. 287–304. 14 Zur verwobenen Geschichte des Strukturalismus allein in Frankreich, in der Althusser nur einen, wenn auch bedeutenden Strang darstellt, siehe: François Dosse, Geschichte des Strukturalismus, Bd. 1: Das Feld des Zeichens, 1945–1966, Hamburg 1996, und François Dosse, Geschichte des Strukturalismus, Bd. 2: Die Zeichen der Zeit, 1967–1991, Hamburg 1997. 15 Die Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, ein Manuskript aus den Jahren 1857 bis 1858 mit grundlegenden Vorarbeiten für Das Kapital, wurden als Gesamttext erst ab 1953 zugänglich. Nach dem Tod Stalins erlaubten sie neue Interpretationen des zuvor kanonisierten und dogmatisierten Marx’schen Werks, insbesondere auf den Gebieten von politischer Ökonomie, Philosophie und Geschichtstheorie. In Lateinamerika erschien eine erste vollständige Fassung 1970/71 in Havanna. Zur vielpfadigen Editions- und Rezeptionsgeschichte der Grundrisse siehe auch: Marcello Musto (Hg.), Karl Marx’s Grundrisse. Foundations of the critique of political economy 150 years later (With a special foreword by Eric J. Hobsbawm), London u. a. 2008. 16 Vgl. Eric J. Hobsbawm, Karl Marx, Pre-capitalist economic formations, London 1964 (erste lateinamerikanische Ausgabe Buenos Aires 1966).
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Althussers in Lateinamerika bildete Ende der 1960er Jahre zugleich die kommunistische Matrix: Während sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr viele Linksintellektuelle im Umfeld kommunistischer Parteien bewegten, hatten nicht wenige von ihnen in ihrer Biografie dennoch eine kommunistische Erfahrung gemacht. Diese Mischung aus ehemaliger Nähe und konfliktreicher Distanz gegenüber dem Kommunismus fand in Althusser einen intellektuellen Avatar, der beides, Kritik und Fortschreibung, offerierte. Althusser galt in Lateinamerika vielfach als Referenz für eine post-stalinistische, humanistische Option, im Gegensatz zu seinem Bild in den westeuropäischen Auseinandersetzungen, in denen er als Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs und Gegner der Studentenproteste von 1968 mit einer stalinistischen Haltung identifiziert wurde. Wie Miguel Valderrama schreibt, „[…] verkörperte der Althusserismus in den 1960er Jahren die Speerspitze der Kritik an der Etappentheorie des klassischen Marxismus […]. […] Paradoxerweise stärkte […] der Althusserismus somit die Positionen des revolutionären Humanismus […]“.17 Die Paradoxien lassen sich hierbei noch steigern und verweisen so auf das irrlichternd Widersprüchliche, das dem Ideologischen stets anhaftet und das Althusser in seiner Ideologietheorie durch seinen Blick auf gleichmäßig arbeitende „Apparate“ nicht wahrnehmen konnte: Während es für manche RezipientInnen Althusser war, der für „revolutionären Humanismus“ stand, war es in den 1960er Jahren vor allem die Dependenztheorie, die als sozialtheoretische Fürsprecherin herzrasender Revolutionsausweitung im Sinne der Kubanischen Revolution gesehen wurde. Jene, die sich durch ihre gesellschaftsanalytischen und historischen Aussagen herausgefordert sahen, setzten der Dependenztheorie Anfang der 1970er Jahre mit dem – auch im Ansatz Althussers bedeutsamen – Begriff der „Produktionsweisen“ eine alternative Interpretation entgegen.18 So ist in der in Lateinamerika einige Jahre lang virulenten Debatte darüber, welche Produktionsweisen (modos de producción) bzw. Gesellschaftsformationen in der Kolonialgeschichte vorherrschend waren, der Einfluss Althussers unverkennbar.19
17 Miguel Valderrama, „Althusser y el marxismo latinoamericano. Notas para una genealogía del (post)marxismo en América Latina“, in: Mapocho. Revista de humanidades y ciencias sociales 43, 1998, S. 167–182, hier S. 173. (Übersetzung JK/DM) 18 Vgl. Ruy Mauro Marini, „Introducción: la década de 1970 revisitada“, in: ders., Márgara Millán Moncayo (Hg.), La teoría social latinoamericana. Tomo 3: La centralidad del marxismo, Mexiko, D.F. 1995, S. 17–44, hier S. 37. 19 Richard Harris, „The Influence of Marxist Structuralism on the Intellectual Left in Latin America“, in: Insurgent Sociologist, 9:1, Sommer 1979, S. 62–73, hier S. 63–66. Die Diskussion in Lateinamerika war dabei nicht nur durch theoretisch-begriffliche Dichte gekennzeichnet, sondern auch durch einen hohen empirischen Gehalt. Vgl. auch den legendären Sammelband zur Debatte über unterschiedliche Produktionsweisen in der lateinamerikanischen Geschichte: Carlos Sempat Assadourian, Ciro Flamarión Santana Cardoso, Horacio Ciafardini, Juan Carlos Garavaglia, Ernesto Laclau, Modos de Producción en América Latina (= Cuadernos de Presente y Pasado Nr. 40) [1973], 11. Aufl., Mexiko, D.F. 1983.
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Doch auch auf einer habituellen Ebene fungierte Althusser als Medium eines wichtigen Wandels: In Lateinamerika waren Linksintellektuelle länger als etwa in Europa in hohem Maße bewegungsverbunden und (im Sinne Gramscis) „organisch“ geblieben. Ende der 1960er Jahre begann in wichtigen Zentren der intellektuell-politischen Auseinandersetzung in Argentinien, Chile und Mexiko eine Verschiebung weg von Bewegungen hin zum akademischen Feld. Der mit Althusser verbundene intellektuelle Habitus – hohe Kenntnisschwelle, unzugängliche Sprache, methodologische Reflexivität – entsprach dieser Ausweitung und Autonomisierung des linksintellektuell-akademischen Feldes. Themen der Herrschaft und ihrer nicht allein auf physischen Zwangsmitteln beruhenden ideologischen Absicherung erlangten dabei verstärkt Interesse. Auch die Krisenmomente sozialemanzipatorischer Bewegungen – Scheitern der Guerilla in ihren Varianten in Stadt und Land, Aufstieg der Militärdiktaturen, Putsch gegen Salvador Allende in Chile 1973 – ließen in den 1970er Jahren neu ausgerichtete Diskussionen über Staat, Herrschaft und Demokratie entstehen. Dabei wurde auf die in Argentinien und Brasilien bereits in den 1950er Jahren begonnene Übersetzung und Lektüre von Antonio Gramscis Schriften ebenso zurückgegriffen wie auf ideologietheoretische Anstöße von Althusser. Althusser zu lesen und ihn, zumindest was die Ideologietheorie betrifft, zu transzendieren, indem man ihn mit Antonio Gramsci in Bezug setzte, wurde also in Lateinamerika erstmals erprobt und war in den Eigenheiten des intellektuell-politischen Milieus in Lateinamerika angelegt. In der Ferne eines anderen Kontexts ergaben sich andere Nachbarschaften.
2. Althussers Ideologiebegriff: ewig, anrufend und ein imaginäres Verhältnis repräsentierend Neben den genannten Gründen war es auch die Ideologietheorie Althussers selbst, die zu seiner relativ starken Rezeption in Lateinamerika führte. Der Althusser’sche Ideologiebegriff schien geradezu Paradoxes zu leisten: Einerseits erklärt er die Ideologie zum überzeitlichen, „ewigen“ Phänomen. Althusser hatte eine Theorie der Ideologie im Allgemeinen im Sinn und formulierte in Anlehnung an Freuds Psychoanalyse: „Die Ideologie ist ewig, ebenso wie das Unbewußte ewig ist.“ 20 Die soziale Reproduktion der Produktionsverhältnisse, um die es ihm ging, schien damit in den sich aktualisierenden ideologischen Staatsapparaten auf unendliche Dauer gestellt. Zugleich werden 20 Louis Althusser, „Ideologie und ideologische Staatsapparate. (Überlegungen für eine Untersuchung)“, in: ders., Ideologie und ideologische Staatsapparate (1970), Hamburg 1977, S. 108–153, hier S. 133. 21 Ebd., S. 140. 22 Vgl. auch François Dosse, wie Anm. 14 (1996), S. 446.
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die Subjekte in Althussers Modell durch die Ideologie erst hergestellt – „Die Ideologie ruft die Individuen als Subjekte an“ 21 – , sie sind ihr im wahrsten Wortsinne strukturell ausgeliefert. Denn Ideologie manifestiert sich überall, in den alltäglichen und religiösen Gewohnheiten, in den allgemeinen Verhaltensweisen und den Gefühlen. Ihrer Anrufung entwischt niemand. Und sie tragen auf nicht immer geradlinige Art und Weise dazu bei, dass die ideologischen Staatsapparate sich erneuern. So wird schließlich die Ideologiekritik zum einzigen Ausweg, der „epistemologische Bruch“ bzw. „Einschnitt“ zur einzigen Möglichkeit, durch das Gestrüpp des Ideologischen zur Wissenschaft zu gelangen. Andererseits bot also dieser Weg der strukturalen Analyse und des epistemologischen Einschnitts vielen jungen Intellektuellen die Möglichkeit, gegen die Ideologie vorzugehen und damit zugleich wissenschaftlich und politisch tätig zu werden. 22 Anders als etwa das Ideologieverständnis innerhalb der Kritischen Theorie, insbesondere bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, führte bei Althusser zumindest der Konzeption nach ein Weg über die Praxis zum „Anderen“ der Ideologie (oder mindestens zu einer anderen, als positiv gewerteten, nämlich proletarischen Ideologie). Die Auffassung von Ideologie als Verdinglichung und Verblendung hält im Grunde selbst diesen Pfad für ungangbar. 23 Der Marxismus Althussers verstand sich zugleich als „theoretische Praxis“ und als Metatheorie aller theoretischen Praxen. Allerdings führte dieses Verständnis letztlich auch dazu, in der wissenschaftlichen die einzig mögliche politische Praxis zu sehen – eine konzeptionelle Idee, die nicht nur, aber auch in Lateinamerika enormen (theoretischen) Widerstand gegenüber dem Althusserismus hervorgerufen hat.24 Die Attraktivität von Althussers Ideologiebegriff gründete sich aber noch auf eine weitere seiner Dimensionen. Gewissermaßen zwischen den ideologischen Staatsapparaten auf der einen und den angerufenen Subjekten auf der anderen Seite gibt es eine Idee von Ideologie, die zwischen diesen beiden Ebenen vermittelt. Die Ideologie repräsentiere, schreibt Althusser, „das imaginäre Verhältnis der Individuen zu ihren realen Existenzbedingungen.“ 25 Damit vollzog er eine Abkehr von der allzu simplen Leseweise von Marx’ Satz in der Deutschen 23 Insofern sieht Jan Rehmann hier auch zu Recht „Verbindungslinien“, die sich zwischen den unausweichlichen, vielleicht zirkulären Ideologieverständnissen in Adornos „Wahrheitsmoment von Ideologie“ und Althussers „ewiger Ideologie“ im Allgemeinen ergeben, vgl. Jan Rehmann, Einführung in die Ideologietheorie, Hamburg 2008, S. 78. 24 Unter den mexikanischen marxistischen Intellektuellen wandte sich vor allem Adolfo Sánchez Vázquez gegen das Althusser’sche Verständnis von Praxis als „theoretischer Praxis“, Adolfo Sánchez Vázquez, „El teoricismo de Althusser (notas críticas sobre una autocrítica)“, in: Cuadernos Políticos, Nr. 3, Mexiko, D.F. 1975, S. 82–99, und Adolfo Sánchez Vázquez, Ciencia y revolución: el marxismo de Althusser, Madrid 1978, zusammenfassend vgl. Stefan Gandler, Peripherer Marxismus. Kritische Theorie in Mexiko, Hamburg 1999, S. 168ff. 25 Louis Althusser, wie Anm. 20, S. 133.
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Ideologie, dass die herrschenden Ideen immer die Ideen der Herrschenden seien, ohne auf einen systematischen, strukturellen Herrschaftskontext, in dem die Gedanken gedacht werden, zu verzichten. Das schien gerade für Linke und SozialwissenschaftlerInnen in Lateinamerika eine überzeugende Konzeption zu sein. Denn erstens, und das wurde insbesondere von SozialanthropologInnen und KulturwissenschaftlerInnen in Lateinamerika immer wieder hervorgehoben, erwies sich die kapitalistischbürgerliche Kultur in vielen Ländern des Subkontinents als keinesfalls so hegemonial wie in Europa und ließ daher bestimmte gesellschaftliche Sektoren weithin relativ unberührt. Die dort herrschenden Ideen mussten mit denen der Herrschenden nicht viel gemein haben. Auch diese Menschen gingen ein imaginäres Verhältnis zu ihren Existenzbedingungen ein und dieses war nicht notwendigerweise in die Reproduktion der Staatsapparate integriert.26 Zweitens ließen sich aber auch die Ambivalenzen des Denkens innerhalb der herrschenden Klasse mit Althussers Modell besser fassen. Anders als die Dependenztheorie(n) widmete sich das marxistisch-strukturalistische Denken prinzipiell weniger den „externen“, den globalen (postkolonialen) Abhängigkeiten geschuldeten, sondern den „internen“ Widersprüchen und Herrschaftsmechanismen der jeweiligen Gesellschaften.27 Zentrale Fragen waren hier unter anderem die nach den Bedingungen der Möglichkeit von Allianzen unterschiedlicher Fraktionen sowie jene nach den Grundlagen der in den 1970er Jahren vorherrschenden Militärdiktaturen. Ambivalente und widersprüchliche Strömungen innerhalb des Denkens der Herrschenden fielen u. a. im Rahmen der sich reartikulierenden Kunstsoziologie der 1970er Jahre besonders auf. Denn gerade das Kunstfeld erwies sich immer wieder als eines, in dem die Abkömmlinge der herrschenden Klasse durchaus Ideen und Vorstellungen vertraten, die zu den in ihrer (Herkunfts-)Klasse herrschenden Vorstellungen in Widerspruch standen. Um diese abweichenden, untypischen Denkweisen ohne die Abkehr von der Annahme einer Eingebundenheit und Prägung durch die Klassenverhältnisse erklären zu können, bot Althussers Ideologiebegriff eine Alternative zur Bewusstseinsphilosophie Jean-Paul Sartres, die auch von vielen MarxistInnen auf Fragen der Kunst angewandt worden war.28 In der
26 Stuart Hall diskutiert die Vorzüge und Nachteile der Althusser’schen Ideologietheorie und konstatiert in diesem Zusammenhang: „Weil es keine eindeutige Beziehung gibt zwischen den Bedingungen der von uns gelebten sozialen Existenz und der Art, wie wir sie erfahren, ist es für Althusser notwendig, diese Beziehung ‚imaginär‘ zu nennen.“ Stuart Hall, „Bedeutung, Repräsentation, Ideologie. Althusser und die poststrukturalistischen Debatten“, in: ders., Ideologie – Identität – Repräsentation. Ausgewählte Schriften 4, hg. von Juha Koivisto und Andreas Merkens, Hamburg 2004, S. 34–80, hier S. 53. 27 Richard Harris, wie Anm. 19, macht diesen Gegensatz zum zentralen Unterschied zwischen dependenztheoretischen und strukturalistischen Marxismen in den 1970er Jahren. Letztere vermittelt er interessanterweise weniger über Althusser selbst als über dessen Schüler, den Staatstheoretiker Nicos Poulantzas.
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sich formierenden Bewegung der Künstlerkollektive Los Grupos im Mexiko der 1970er Jahre 29 wurden Althussers Texte u. a. im von Alberto Híjar Serrano gegründeten Taller de Arte e Ideología (TAI) diskutiert. 30
3. Schluss: der historisierende Blick Was lässt sich aus diesen Betrachtungen über „Althusser andernorts“ in Bezug auf Ideologietheorie und -kritik schließen? Zunächst wird deutlich, dass die Wege von Rezeption und Transfer im Marxismus des 20. Jahrhunderts nicht geradlinig waren und viele Aneignungen kannten, die nicht den Konstellationen z. B. in Europa entsprachen. Dies lässt sich jedoch nur dann sichtbar machen, wenn sowohl Ideologietheorien als auch die Entwicklung von Ideologie selbst nicht genealogisch betrachtet werden, sondern historisch: Im Gegensatz zu Genealogien, die gewissen metahistorischen Verlaufsprinzipien gehorchen müssen, zeigt der historisierende Blick, in welcher spezifischen Vielfalt im jeweiligen Kontext Debatten und Praktiken aufgenommen werden. Diese stehen freilich nie für sich allein, sondern sind über viele Fäden miteinander verbunden. Althusser in Lateinamerika ist ein Teil der grenzüberschreitenden und verflochtenen Wirkungsgeschichte dieses Denkers. Wer hätte gedacht: Wechselt man in diesem Geflecht den Standort, kommt nicht bloß ein dogmatischer Szientist, sondern auch ein Althusser als „revolutionärer Humanist“ zum Vorschein. Ein Althusser, der sich, inspiriert von den lateinamerikanischen Debatten, in Europa vielleicht erst noch etablieren muss.
28 Néstor García Canclini, La producción simbólica. Teoría y método en sociología del arte, Mexiko, D.F. 1979, S. 10. 29 Vgl. Jens Kastner, „Praktiken der Diskrepanz. Die KünstlerInnenkollektive Los Grupos im Mexiko der 1970er Jahre und ihre Angriffe auf die symbolische Ordnung“, in: Jens Kastner, Tom Waibel (Hg.), … mit Hilfe der Zeichen | por medio de signos… Transnationalismus, soziale Bewegungen und kulturelle Praktiken in Lateinamerika, Atención! Jahrbuch des Österreichischen Lateinamerika-Instituts, Bd. 13, Wien/Münster 2009, S. 65–80. 30 Vgl. Cristina Híjar, „Entrevista a Alberto Híjar“, in: dies., Siete grupos de artistas visuales de los setenta, Mexiko, D.F. 2008, S. 80–93, hier S. 83.
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ALTHUSSER ELSEWHERE. REMARKS ON APPLYING IDEOLOGY THEORY IN A LATIN AMERICAN CONTEXT Jens Kastner and David Mayer Ideology, according to Louis Althusser’s controversial thesis, transcends time. Despite all concrete manifestations, ideology is an underground, even unconscious constellation of domination, which is so powerful precisely because of its unchanging stability. This anti-historicist basic tone ¹ seems to be one of the few constants in a body of work that otherwise is marked by its enigmatic inconstancy and elasticity.² When speaking of the genealogy of Althusserian ideology critique, it might seem suitable to break with this ban of Althusser’s on the specific, individual, and contextual in himself. Although precisely for Althusser ideology and what is commonly called “ideas” can in no way be regarded as identical (because ideologies comprise far more, extend to bodily practices, and nonetheless exceed individual subjects); it still seems advantageous to view Althusser, the history of his appeal, and the development of ideology theory as ideological manifestations in a broader sense and thus to tie back into the historical. One of these questions is: How can Althusser’s impact at the end of the 1960s and beginning of the 1970s be explained? How can it be that a kind of thinking, the widespread influence of which is today cause for amazement, and which has been characterized as the “most astonishingly abstruse, self-regarding and ahistorical version of Marxist philosophy imaginable,” ³ was received and accepted in many cases as a central point of reference for more or less a decade in various countries and regions of the world? Was this Althusser extra muros the same everywhere? 4 In current decolonial theory, the idea that thinking and its subjects are tied to a place, or come from a place, is central. Where one is thinking from is therefore 1 The terms “historical,” “historicist,” “historistic,” or “genealogical” have taken on different connotations in discussions in the various social sciences. Here the term “historicist” is meant in the sense used in the historical sciences and designates an ideographic reconstruction of temporally and spatially specific situations, processes, and actions. 2 On the inconstancy of Althusser’s work, see for instance: François Matheron, “Louis Althusser, or the Impure Purity of the Concept,” in: Jacques Bidet, Stathis Kouvelakis (Eds.), Critical Companion to Contemporary Marxism, Leiden/Boston, 2008, pp. 503–527. 3 Tony Judt, “The Paris Strangler,” in: The New Republic 210/10, 1994, March 7, pp. 33–37, here p. 33.
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one of the significant elements of how and what one thinks. This was referred to, for instance by Walter D. Mignolo, using an Althusserian turn of phrase, as an “epistemic break,” 5 as a rejection of the universalist (and lamented as Eurocentric) assumption that thinking can take place independently of space, time, and, in the end, even of subjects. It would seem useful to apply this idea, for example, to the reception of Althusser in certain Latin American countries, for things went quite differently there in the 1960s and 1970s than they did in Western Europe. Furthermore, applying decolonial thinking to Althusser himself could also entail a way to engage with (or at least call to memory) the breaks which his theoretical work was intended to evoke both in epistemology and with regard to political practice. In doing so, Althusser and his work can also be read “from the South”: Louis Althusser was born in colonial Algeria. Without this experience of colonial domination and violence, according to Robert Young, neither Althusser’s affinity for 1960s Maoism nor the crystallization of post-structuralism out of the scene around his students (some of whom also came from Algeria) can be explained.6
1. Althusser in Latin America: structuralist ascendancy, Grundrisse reception, and the academic field When the tri-continental conference took place in Havana in 1966, with representatives from over eighty countries, the French philosopher Louis Althusser was also among those participating. He had attended the conference together with one of his students, the later companion of Che Guevara, Regis Débray.7 The same year can mark the beginning of a wide reception of Althusser’s theories in Latin America; his works started appearing in Spanish in 1966, first in Havana in the circle around the legendary theoretical journal Pensamiento Crítico,8 shortly thereafter various texts by him were also 4 This text does not imply that there was an equal distribution over areas and milieus in the reception of Althusser in Latin America; inversely, we also are not claiming that there was only a single interpretation of his work in Western Europe. Rather, the thesis that we are proposing here is meant to put certain tendencies up for discussion. 5 Walter D. Mignolo, Epistemischer Ungehorsam. Rhetorik der Moderne, Logik der Kolonialität und Grammatik der Dekolonialität, Vienna/Berlin, 2012, p. 164. Mignolo deals with various strands of theory with regard to the “epistemic break,” but he does concretely refer to the term as it was used by Althusser and in the subsequent debate. Cf. ibid., p. 171 (footnote). 6 Cf. Robert J. C. Young, Postcolonialism. An Historical Introduction, 2nd edition, Malden, 2004, pp. 413–414. 7 Cf. Ingrid Gilcher-Holtey, Die 68er Bewegung. Deutschland – Westeuropa – USA, 2nd edition, Munich, 2003, p. 42. 8 Cf. Néstor Kohan, “Pensamiento Crítico y el debate por las ciencias sociales en el seno de la Revolución Cubana,” in: Fernanda Beigel et al., Crítica y teoría en el pensamiento social latinoamericano, Buenos Aires, 2006, pp. 389–437; Kepa Artaraz, “El Ejercicio de Pensar: The Rise and Fall of Pensamiento Crítico,” in: Bulletin of Latin American Research, 24/3, 2005, pp. 348–366.
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published in Buenos Aires and Mexico City.9 Not only did a specific Althusser school develop—which always remained controversial and never achieved the far-reaching significance of other Marxisms, such as that of the Marxist strain within dependency theories—but a general structuralist-Marxist tone can be sensed in many leftist discussions and texts starting from the beginning of the 1970s. One could speak of an Althusserian signature. Much was contributed to this Althusserian presence in Latin America by the Chilean Martha Harnecker, who had studied with Althusser in Paris, both through her translations and her introduction to historical materialism.10 Her systematic-didactic presentation, which was supplied with a foreword by Althusser, sold millions of copies in Latin America (by the mid 1970s more than 75 editions had appeared) and marked the understanding of Marxism and “historical materialism” of several generations of students and activists. The volume represents something like the world’s most important Althusser-inspired Vulgate. The explanations of the nature and function of ideology occupy a privileged place in the book. The relevant chapter comes in place 6, right after those entitled “Production,” “Relations of production,” “Productive forces,” “The economic structure of society,” and “Base and Superstructure.” While many presentations of the development of Marxism in Latin America make reference to the significance of the reception of Althusser,11 hardly anyone reflects on why Althusser had such a strong effect. Explanations for this must on the one hand go beyond genealogical constructs and historical derivations of ideas, and on the other be more detailed than the obligatory reference to the Cuban Revolution and the turmoil-laden “long 1960s” in Latin America.12 Such a search for traces would have to begin with the already existing strong structuralist presence in Latin America (as opposed, for example, to those in the Anglophone of German-speaking worlds): in economics, a “structuralist school” had already emerged as early as the 1940s around the UN Economic Commission for Latin America (CEPAL); 13 in anthropology —a politically crucial discipline in those countries whose state ideology was 9 For the first Mexican edition of Pour Marx and Lire le Capital, see Louis Althusser, La revolución teórica de Marx, México, D.F., 1967; Louis Althusser, Étienne Balibar, Para leer el Capital, México, D.F., 1969. There are, however, some sections of the French original missing in the Mexican edition Lire le Capital. 10 Martha Harnecker, Los conceptos elementales del materialismo histórico, México, D.F., 1969. 11 See for instance Raúl Fornet-Betancourt, Ein anderer Marxismus? Die philosophische Rezeption des Marxismus in Lateinamerika, Mainz, 1994, p. 233; Jan Hoff, Marx global. Zur Entwicklung des internationalen Marx-Diskurses seit 1965, Berlin, 2009, p. 169; Néstor Kohan, De Ingenieros al Che. Ensayos sobre el marxismo argentino y latinoamericano (preface by Michael Löwy), Buenos Aires, 2000. 12 On the “long 1960s” in Latin America, cf. David Mayer, “The Cuban Cycle, non-synchronicity and transnational contexts –1968 from and within Latin America,” in: Angelika Ebbinghaus, Max Henninger, Marcel van der Linden (Eds.), 1968—A view of the protest movement 40 years after, from a global perspective, Vienna/Leipzig, 2009, pp. 125–136.
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oriented to the pre-Columbian legacy—a structuralist ethnology à la Lévi-Strauss had already had a strong standing; in the field of history, scholars in many countries were drawing on the Annales School around Fernand Braudel quite early; and already in the 1920s, in the context of anti-imperialist currents, a thinking had developed that explained Latin America in the sense of external and internal structures of dependency (and not through civilizational or even racist “deficits”). Althusser’s work allowed for a tie into these intellectual practices, which had both their local roots and their transnational contexts 14 (and which always also included political practices). At the same time, Althusser offered an interpreting reception of the most important innovation within Marxism in the early 1960s: the discovery of Karl Marx’s Grundrisse.15 Along with Eric J. Hobsbawm,16 Althusser became the most important mediator of these political-economic notes, so important for socio-theoretical and historical thinking. At the same time, one important basis for the success of Althusser’s reception in Latin America was formed at the end of the 1960s by the communist matrix. While at this point in time, not many leftist intellectuals were still moving in the circles around the communist parties, more than a few of them nonetheless had certain communist experiences in their biographies. This mixture of former proximity and conflict-laden distance in relation to communism found an intellectual avatar in Althusser, who offered both critique and continuation. In Latin America, Althusser was thus widely considered a reference point for a post-Stalinist, humanist option, in contrast to his image in Western European conflicts, where he, as a member of the
13 In the center of this strain of thinking is the question of how economic development is possible. Here, unlike in theories of modernization, “development” is related to the historical conditions of colonialism and subordinate integration into world markets. One of the best known products of this school is the model of center and periphery which Raúl Prebisch had brought to discussion, and the thesis developed by Prebisch (and at the same time by Hans Singer) of the tendency for the Terms of Trade to deteriorate between countries in the periphery and those in the industrialized center. Cf. Eduardo Devés Valdés, El pensamiento latinoamericano en el siglo XX – entre la modernización y la identidad. Tomo 1: Del Ariel de Rodó a la CEPAL. 1900 –1950, Buenos Aires, 2000, pp. 287–304. 14 On the entangled history of structuralism in France alone, in which Althusser represents only one strand, albeit a significant one, see: François Dosse, History of Structuralism, Vol. 1: The Rising Sign, 1945–1966 and History of Structuralism, Vol. 2: The Sign Sets, 1967—Present, Minneapolis, 1997. 15 The Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, a manuscript from the years 1857 to 1858, with fundamental preliminary work for Das Kapital, was only made available as a full text in 1953. Following Stalin’s death, new interpretations of previously canonized and dogmatized Marxian works were allowed, in particular in the areas of political economy, philosophy, and theory of history. A first complete version appeared in Latin America in 1970/71 in Havana. On the circuitous history of publication and reception of the Grundrisse, see also: Marcello Musto (Ed.), Karl Marx’s Grundrisse: Foundations of the critique of political economy 150 years later (with a special foreword by Eric J. Hobsbawm), London, 2008. 16 Cf. Eric J. Hobsbawm, Karl Marx: Pre-Capitalist Economic Formations, London, 1964 (first Latin American edition, Buenos Aires, 1966).
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French Communist Party and opponent of the student revolts in 1968, was identified with a Stalinist stance. As Miguel Valderrama writes, “Althusserianism in the 1960s expressed the pinnacle of the critique of the stage theory of classical Marxism […] Paradoxically […] Althusser fortified the positions of revolutionary humanism.” 17 The paradoxes can be extended further, reminding us of the wandering contradictoriness that always adhered to the ideological, and which Althusser could not perceive in his ideology theory due to his view of equally functioning “apparatuses”: While it was Althusser who for some stood for “revolutionary humanism,” for most in the 1960s it was above all dependency theory that was seen as the socialtheoretical advocate of the rapid expanse of the revolution in the sense of the Cuban Revolution. At the same time, those who saw themselves as challenged by their socio-analytical and historical statements opposed dependency theory at the beginning of the 1970s with an alternative interpretation of the term—also significant in Althusser’s approach—“means of production.” 18 In the debate regarding which means of production (modos de producción) or formations of society were dominant in colonial history, a debate that raged virulently for years in Latin America, Althusser’s influence is unmistakable.19 But even on the level of habitus, Althusser functions as the medium for an important shift. In Latin America, leftist intellectuals were largely connected to social movements and remained organic (in Gramsci’s sense) longer than in Europe, for instance. At the end of the 1960s, in the important center of intellectual-political engagements in Argentina, Chile, and Mexico, a shift began, away from movements and into the academy. The intellectual habitus associated with Althusser—a high knowledge threshold, inaccessible language, methodological reflexivity—corresponded to the expansion and autonomization of the leftist intellectual-academic field. Topics around domination and how to ensure it ideologically, not only based on physical coercion, gained great interest. Also, the crisis moments of social liberation movements—failures of the guerillas in various ways in city and country, the rise of military dictatorships, the putsch against Salvador Allende in Chile in 1973—gave rise in the 1970s to 17 Miguel Valderrama, “Althusser y el marxismo latinoamericano: Notas para una genealogía del (post)marxismo en América Latina,” in: Mapocho. Revista de humanidades y ciencias sociales 43, 1998, pp. 167–182, here p. 173 (trans. by JK/ DM). 18 Cf. Ruy Mauro Marini, “Introducción: la década de 1970 revisitada,” in: Ruy Mauro Marini, Márgara Millán Moncayo (Eds.), La teoría social latinoamericana: Tomo 3: La centralidad del marxismo, México, D.F., 1995, pp. 17–44, here p. 37. 19 Richard Harris, “The Influence of Marxist Structuralism on the Intellectual Left in Latin America,” in: Insurgent Sociologist, 9:1, Summer 1979, pp. 62–73, here pp. 63–66. The discussion in Latin America was not only characterized by theoretical-terminological density, but also by a high level of empirical content. Cf. also the legendary collection on the debate about the different means of production in Latin American history: Carlos Sempat Assadourian, Ciro Flamarión Santana Cardoso, Horacio Ciafardini, Juan Carlos Garavaglia, Ernesto Laclau, “Modos de Producción en América Latina” (= Cuadernos de Presente y Pasado No. 40), México, D.F., 1983 [1973].
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newly oriented discussions about state, domination, and democracy. Already in the 1950s in Argentina and Brazil, some intellectuals and militants had turned to the recently translated writings of Antonio Gramsci and maintained him as an important reference point during the 1960s. Consequently, in the 1970s, reading Althusser and, at least as far as ideology theory is concerned, transcending him by relating him to Antonio Gramsci, was attempted for the first time in Latin America. This innovation—which revealed that Latin American discussions were quite ahead of Western European ones—was thus conditioned by the specificities of the intellectual-political milieu in Latin America: With the distance provided by another context, other elective affinities could arise.
2. Althusser’s understanding of ideology: eternal, appelative, and representing an imaginary relationship Aside from the reasons we have mentioned, it was also Althusser’s ideology theory itself that led to his relatively wide reception in Latin America. The Althusserian concept of ideology positively seemed to reconcile paradoxes. On the one hand, it declared ideology to be a supratemporal “eternal” phenomenon. Althusser had a theory of ideology in general in mind and formulated it with reference to Freud’s psychoanalysis: “Ideology is eternal, exactly like the unconscious.” 20 The social reproduction of the relations of production (which was what Althusser was interested in), thus seemed to persist infinitely through ideological state apparatuses which actualized themselves constantly. At the same time, subjects in Althusser’s model are produced in the first place by ideology—“All ideology hails or interpellates concrete individuals as concrete subjects” 21—they are structurally exposed to it. For ideology is manifest everywhere, in ordinary customs and religious rites, in general ways of behaving and in feelings. No one can escape its interpellation. And the subjects contribute, not always in the most straightforward way, to a renewal of the ideological state apparatuses. In the end, ideology critique becomes the only way out, the “epistemological break” or the “insertion” becomes the only possibility of getting through the undergrowth of the ideological and on to scientific knowledge. On the other hand, this way of structural analyzing and epistemological breaking offered many young intellectuals the possibility of acting against ideology and thus of
20 Louis Althusser, “Ideology and Ideological State Apparatuses (Notes Towards an Investigation),” in: Lenin and Philosophy and Other Essays, New York, 1971, pp. 127–186, here p. 161. 21 Ibid., p. 115. 22 Cf. also François Dosse, see note 14, Vol. 1, p. 308.
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becoming both academically and politically active.22 Unlike, for instance, the understanding of ideology within critical theory, especially in the work of Max Horkheimer and Theodor W. Adorno, in Althusser the concept at least led to a way to the “Other” of ideology via practice (or at least to another ideology, evaluated as positive—namely, proletarian—ideology). Admittedly, the conception of ideology as reification and obfuscation essentially considers even this path to be impassable.23 Althusser’s Marxism was understood as “theoretical practice” and meta-theory of all theoretical practices simultaneously. At any rate, this understanding eventually also led to seeing academic practice as the only possible political practice—a conceptual idea that has provoked enormous (theoretical) resistance against Althusserianism, not only, but also in Latin America.24 The attractiveness of Althusser’s concept of ideology, however, is predicated on yet another of its dimensions. Between the ideological state apparatuses on the one hand and the interpellated subjects on the other, there is, to a certain degree, an idea of ideology that mediates between these two levels. Ideology represents, writes Althusser, “the imaginary relationship of individuals to their real conditions of existence.” 25 In doing so, he performed a renunciation of the all too simple way of reading Marx’s sentence in The German Ideology, that ruling ideas are always the ideas of those ruling, without dispensing with a systematic, structural context of domination, in which these thoughts are thought. Precisely for leftists and social scientists in Latin America, this seemed to be a convincing conception. For in the first place (and this was emphasized over and over again, especially by social anthropologists and cultural scholars in Latin America) capitalist-bourgeois culture in many countries of the subcontinent in no way turned out to be as hegemonic as in Europe, and it therefore left certain social sectors largely relatively untouched. The ruling ideas there did not necessarily need to have much in common with those ruling. These sectors too assumed an imaginary relationship to their conditions of existence, a relationship which was not necessarily integrated into the reproduction of the state apparatuses.26 23 In this respect, Jan Rehmann is correct in seeing “connecting lines” that emerge between the inevitable, perhaps circular understanding of ideology in Adorno’s “truth moment of ideology” and Althusser’s “eternal ideology” in general. Cf. Jan Rehmann, Einführung in die Ideologietheorie, Hamburg, 2008, p. 78. 24 Among Mexican Marxist intellectuals, it was above all Adolfo Sánchez Vázquez who turned against Althusser’s understanding of practice as “theoretical practice.” Adolfo Sánchez Vázquez, “El teoricismo de Althusser (notas críticas sobre una autocrítica),” in: Cuadernos Políticos, No. 3, México, D.F., 1975, pp. 82–99, and Adolfo Sánchez Vázquez, Ciencia y revolución: el marxismo de Althusser, Madrid, 1978. For a summary, cf. Stefan Gandler, Peripherer Marxismus. Kritische Theorie in Mexiko, Hamburg, 1999, pp. 168ff. 25 Louis Althusser, see note 20, p . 162. 26 Stuart Hall discusses the advantages and disadvantages of Althusserian ideology theory, saying in this context: “Because there is no one to one relationship between the conditions of social existence we are living and how we experience them, it is necessary for Althusser to call
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In the second place, however, ambivalences of thinking within the ruling classes could also be grasped better using Althusser’s model. Unlike dependency theories, Marxist-structuralist thought was less dedicated in principle to the “external” contradictions and mechanisms of domination in their various societies, those due to global (postcolonial) dependencies, and more dedicated to “internal” ones.27 Among the central questions here are that of the conditions for possible alliances between different factions, as well as that of the foundations for the military dictatorships that reigned in the 1970s. Ambivalent and contradictory strains within the thinking of the dominant classes were particularly noticeable, for instance, in the framework of the sociology of art that was being rearticulated in the 1970s. For it was precisely the field of art that time and again proved to be one in which the progeny of the ruling classes held ideas that were in complete contradiction to those of their class (of origin). In order to explain these deviating, untypical ways of thinking without rejecting the assumption of being incorporated and marked by class relations, Althusser’s concept of ideology offered an alternative to Jean-Paul Sartre’s philosophy of consciousness, which had also been applied to questions of art by many Marxists.28 In the movement of the artists collectives Los Grupos in Mexico, forming in the 1970s,29 Althusser’s texts were among those discussed in the Taller de Arte e Ideología ( TAI), founded by Alberto Híjar Serrano.30
when both ideology theories and the development of ideology itself are not viewed genealogically, but historically. In contrast to genealogies, which must obey certain meta-historical operating principles, the historicizing view shows the specific variety in which debates and practices are taken up in each context. Admittedly, these never stand for themselves alone, but are interconnected among each other by many threads. Althusser in Latin America is a part of the border-crossing and entangled history of his impact. Who would have thought: if you shift your position in this entangled mesh, it is not a proponent of dogmatic scientism who appears, but Althusser as a “revolutionary humanist.” An Althusser, inspired by Latin American debates, who has perhaps yet to be discovered in Europe.
3. Conclusion: The historicizing view What can be concluded from these observations about “Althusser elsewhere” in relation to ideology theory and critique? First, it is clear that the paths of reception and transfer within Marxism in the twentieth century were not straightforward and have followed many tracks that did not correspond to the constellations in Europe, for instance. This, however, can only become visible
these relationships ‘imaginary.’” Stuart Hall, “Signification, Representation, Ideology: Althusser and the Post-Structuralist Debates,” in: Critical Studies in Mass Communication, Vol. 2, No. 2, June 1985, pp. 91–114, here p. 105. 27 Richard Harris (see note 19) makes this opposition the central difference between dependencytheoretical and structuralist Marxisms in the 1970s. Interestingly, he presents the latter less through Althusser himself than through his student, the political philosopher Nicos Poulantzas. 28 Néstor García Canclini, La producción simbólica: Teoría y método en sociología del arte, México, D.F., 1979, p. 10. 29 Cf. Jens Kastner, “Praktiken der Diskrepanz. Die KünstlerInnenkollektive Los Grupos im Mexiko der 1970er Jahre und ihre Angriffe auf die symbolische Ordnung,” in: Jens Kastner, Tom Waibel (Eds.), … mit Hilfe der Zeichen | por medio de signos… Transnationalismus, soziale Bewegungen und kulturelle Praktiken in Lateinamerika, Atención! Jahrbuch des Österreichischen Lateinamerika-Instituts, Vol. 13, Vienna/Münster, 2009, pp. 65–80. 30 Cf. Cristina Híjar, “Entrevista a Alberto Híjar,” in: ibid., Siete grupos de artistas visuales de los setenta, México, D.F., 2008, pp. 80–93, here p. 83.
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INTERVIEW MIT ALBERTO HÍJAR SERRANO ZU KUNST UND IDEOLOGIEKRITIK IN MEXIKO NACH 1968 Von Max Jorge Hinderer Cruz und Jens Kastner MAX JORGE HINDERER CRUZ, JENS KASTNER Sie haben die Gruppe Taller de Arte e Ideología (TAI) 1 1974 an der Fakultät für Philosophie und Literaturwissenschaften an der Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM) gegründet. Die Gruppe, an der auch KünstlerInnen beteiligt waren, beschäftigte sich u. a. mit marxistischer ästhetischer Theorie. Worin bestanden die Arbeitsschwerpunkte der Gruppe, mit welchen Motivationen und Anliegen hat sie sich gegründet? ALBERTO HÍJAR SERRANO Der Taller de Arte e Ideología entstand aus der Notwendigkeit, den Kurs zur Ästhetik an der Philosophischen Fakultät an der UNAM zu öffnen und zu vertiefen, sowie aus der Notwendigkeit, sich nach der gewaltigen Repression gegen die Fuerzas de Liberación Nacional 2 zusammenzuschließen. Diese folgte auf meine Verhaftung, Folterung und den Prozess wegen Verschwörung im Februar 1974. Es war eine umfassende Mobilisierung vonnöten, damit der TAI in Erscheinung treten konnte. Unsere Ausrichtung begründete sich in der Kritik Althussers an einem vereinfachenden und dogmatischen Marxismus. Im Zeichen von „Das Kapital lesen“ versuchten wir, 1 Der TAI war Teil einer Bewegung künstlerischer Kollektive, die als Los Grupos (Die Gruppen) in die Kunstgeschichte eingegangen ist und das mexikanische Kunstfeld der 1970er Jahre geprägt hat. Vgl. etwa Alberto Híjar Serrano (Hg.), Frentes, Coaliciones y Talleres. Grupos visuales en México en el siglo XX, Mexiko, D.F. 2007: Coneja Nacional para la Cultura y las Artes; Kirsten Einfeldt, Moderne Kunst in Mexiko. Raum, Material und nationale Identität, Bielefeld 2010, S. 297ff.; Jens Kastner, „Praktiken der Diskrepanz. Die KünstlerInnenkollektive Los Grupos im Mexiko der 1970er Jahre und ihre Angriffe auf die symbolische Ordnung“, in: Jens Kastner, Tom Waibel (Hg.), … mit Hilfe der Zeichen / por medio de signos… Transnationalismus, soziale Bewegungen und kulturelle Praktiken in Lateinamerika. Atención!, Jahrbuch des Österreichischen Lateinamerika-Instituts, Bd. 13, Wien/Münster 2009, S. 65–80; Víctor Muñoz, „‚Die Dinge konnten nicht so bleiben, als wenn nichts passiert wäre.‘ Kunstproduktion und soziale Bewegungen im Mexiko der 1970er Jahre. Ein Interview von Jens Kastner“, in: Das Argument, 293, Heft 4/2011, 53. Jg., Berlin, S. 515–522. 2 Die Fuerzas de Liberación Nacional (Streitkräfte zur Nationalen Befreiung) wurden 1969 als klandestine Guerilla-Gruppe gegründet und lösten sich 1981 auf. Aus ihr gingen unter anderem die zapatistische Bewegung um die EZLN (Ejército Zapatista de Liberación Nacional) hervor (gegründet 1983), die mit ihrem Aufstand 1994 für weltweites Aufsehen sorgte.
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eine ästhetische Anwendung des ersten Kapitels umzusetzen, etwa durch meine Intervention im gerade eröffneten Sala de Arte Público, den der kommunistische Maler David Alfaro Siqueiros3 der mexikanischen Bevölkerung vererbt hatte. MJHC & JK Der programmatische Zusammenhang von Kunst und Ideologie im Namen der Gruppe – wie wurde der konzipiert? Was wurde unter Ideologie verstanden und in welcher Beziehung zu ihr wurden künstlerische Praktiken begriffen? AHS Der wesentliche Punkt der Althusser’schen Kritik ist die Präzisierung des Ideologiebegriffs und damit des Problems der Reproduktion, die es erlaubt, die Gebrauchsweisen der Bedeutungsgebung (significación) als Konstruktionen der Macht zu erkennen. Die antipositivistische Definition der Ideologie und der ideologischen Staatsapparate ermöglicht es, die Idealismen zu überwinden und sich einer Kritik des Wertgesetzes anzunähern. MJHC & JK Die Ideologietheorie von Louis Althusser scheint ein wichtiger Bezugspunkt Ihrer theoretischen Arbeit gewesen zu sein. Seine Texte wurden gelesen und diskutiert, ein Schüler Althussers, Pierre Macherey, wurde sogar von Ihrer Gruppe ins Spanische übersetzt. Können Sie die Bedeutung Althussers für die mexikanische Linke nach 1968 genauer beschreiben? In Westeuropa wurde Althussers These der ideologischen Staatsapparate häufig vor allem als strukturdeterministisch kritisiert – das passt nicht gerade zum Aktivismus der künstlerischen Gruppen mit ihrer Betonung der Praxis. Gab es in Mexiko bzw. in Lateinamerika eine andere Art der AlthusserRezeption und wenn ja, inwiefern und warum? AHS Die jungen Althusserianer, die La Pensée4 abonniert hatten, gründeten mit den Cuadernos del Archivo de Filosofía eine Serie von Publikationen, damit zogen wir uns den Hass der gewöhnlichen Professoren und Bürokraten zu, dem die jungen Studenten wiederum mit Spott und Sarkasmus begegneten. Ich war durch den Druck des Comité de Lucha als Lehrer für Ästhetik an die Fakultät gekommen und erfüllte damals schlichtweg die vertraglich festgelegten Stunden. In den 1970er Jahren, mit der Ankunft der exilierten TheoretikerInnen aus den Diktaturen Südamerikas, wurde ich Teil der Selbstverwaltung in der Escuela de Arquitectura (Schule für Architektur) und später Teil der Mitverwaltung [cogobierno] der Escuela Nacional de Antropología e 3 David Alfaro Siqueiros (1896–1974) war neben Diego Rivera und José Clemente Orozco einer der prägenden Künstler der mexikanischen Wandmalerei (Muralismus) und einer der bedeutendsten linken Intellektuellen Mexikos. 4 La Pensée. Revue du rationalisme moderne, 1939 in Paris gegründete marxistische Zeitschrift.
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Historia [Nationale Schule für Anthropologie und Geschichte]. Der Einfluss Althussers war akademischer Art und reichte nicht bis zur politischen Linken, außer über den Weg einiger universitärer Zeitschriften. In diesen wies man den epistemischen Bruch, die Unterscheidung zwischen einem jungen und einem alten Marx, sowie die in Wirklichkeit bei Althusser nicht existierende Wissenschaftsgläubigkeit (cientificismo) zurück. Aber es formierte sich die Kritik am naiven und schablonenhaften Marxismus und an seinen parteipolitischen Ableitungen, beispielsweise bei Rafael Guillen mit seiner Abschlussarbeit über die schulischen Staatsapparate mit thematischen Bezügen zu Althusser und Foucault und einem versteckten und burlesken Zitat von Marx, das sich in einem Text voller Ironie und Sarkasmus über Süßigkeiten und die Industrie des Spektakels konkretisierte. Rafael Guillen wird heute verdächtigt, Subcomandante Insurgente Marcos gewesen zu sein. Als Motto stellte er seiner Abschlussarbeit in Philosophie über Foucault und Althusser den überspitzten Titel eines Interviews voran: „Die Philosophie als Waffe der Revolution“. Die von den AkademikerInnen zurückgewiesene theoretische Praxis gewann in diesem und in anderen historischen Projekten eine strategische Wichtigkeit. MJHC & JK Noch einmal zurück zu Los Grupos und zur Arbeit des TAI: Ende der 1970er Jahre waren die Mitglieder Ihrer Gruppe maßgeblich an dem Zusammenschluss der Gruppen zur Frente Mexicano de Grupos Trabajadores de la Cultura beteiligt. Als sich diese Anfang der 1980er aufgelöst hatte, gewann der Slogan „Vincular, articular y fusionar en la lucha popular“ [„Sich verknüpfen, artikulieren und zusammenschließen mit den popularen Kämpfen“] an Bedeutung für Sie und den TAI. Heißt das, eine spezifisch künstlerische und kulturpolitische Praxis wurde zugunsten einer allgemein soziopolitischen, an sozialen Kämpfen orientierten aufgegeben? Welche strategische Entscheidung stand dahinter? AHS Die Frente Mexicano de Trabajadores de la Cultura strich die Erwähnung der Gruppen [Los Grupos] aus ihrem Namen, um Worte einzusparen und damit die Kritik am Konzept des Künstlers und der Kunst als ein Arbeiten an der theoretischen und praktischen Produktion der vielseitigen und komplexen Linken deutlich zu machen. Das Motto des TAI entstand danach, vielleicht in den 1990er Jahren angesichts einer leninistischen Befürwortung der gewerkschaftlichen Arbeit. Ähnlich funktionierte der Leitspruch, den der Che als Industrieminister Kubas ausgegeben hatte, „Qualität ist Respekt gegenüber der Bevölkerung“, der von der Gruppe Ojos de Lucha [Augen des Kampfes] aufgegriffen wurde, die während der Gründung der Gewerkschaft der Näherinnen nach dem Erdbeben von 1985 entstanden und gewachsen war. Der TAI stimmte damit überein, weil er Beziehungen zu klandestinen sandi-
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nistischen GenossInnen hatte, die die Möglichkeit der kulturellen Arbeit in der sandinistischen Revolution direkt nach dem Sturz Somozas 1979 eröffneten. Die Grupo Germinal, bestehend aus AbsolventInnen der La Esmeralda genannten [Kunsthochschule] Escuela Nacional, reiste herum und arbeitete mit der geschätzten Aktivistin und hervorragenden nordamerikanischen Künstlerin Rini Templeton, mit dem Glück, Anerkennung vom Ministerium für Erziehung und Kultur für die Alphabetisierungskampagne erhalten zu haben. Währenddessen ging die Frente nach San Francisco und Los Angeles, und die anderen Gruppen intervenierten auf der Straße und in den Wohnvierteln. Der TAI leistete logistische Arbeit für die FPL [Fuerzas Populares de Liberación] in El Salvador und die ORPA [Organización del Pueblo en Armas] in Guatemala, während wir gleichzeitig Ausstellungen und Solidaritätsaktionen mit Vietnam, Kuba, Nicaragua, El Salvador und Chile sowie Diskussionsworkshops zu theoretischen Problemen in Seminaren organisierten, aus denen Abschlussarbeiten, Studienprogramme und die Escuela de Cultura Popular „Matires del 68“ [Schule der Popularen Kultur „Märtyrer von 68“], die im Sala de Arte Público Siqueiros entstand, hervorgingen. Die Schule gibt es nach wie vor.5 MJHC & JK Die Praktiken von Los Grupos waren sehr unterschiedlich und variierten auch in der Art ihres politischen Anspruches: Manche Gruppen machten das, was man heute Stadtteilarbeit nennen würde, andere kritisierten die Kunstinstitutionen zwar, verließen sie aber nicht. Wie beurteilen Sie rückblickend die Arbeit des TAI im Kontext der Bewegung der Gruppen? AHS Der Titel einer Veranstaltung, die der TAI beim Kolloquium „Rini Templeton“ abhielt, als der Aufstand der EZLN begann, war am Civilismo 6 und am Kommunitarismus orientiert und fasste den Einfluss des TAI zusammen: „Die Theorie, Genossen, die Theorie!“ Zahllose Flugblätter, die kurzzeitig erscheinende Zeitschrift Grito Rojo [Der Rote Aufschrei], kollektiv verfasste Bücher mit geringer Verbreitung und nichtige Diskussionen, die sich über zehn Jahre hinzogen, ließen den TAI an Entkräftung sterben, um schließlich vom Taller de Construcción del Socialismo [TACOSO, Workshop zur Schaffung des Sozialismus] 7 ersetzt zu werden, der für die Gewerkschaft der mexikanischen Elektrizitätsarbeiter vor deren Zerstörung durch die Regierung von Felipe Calderón8 Broschüren herausgab – all das zeugt vom Einfluss des TAI.
5 http://www.opcescuela.org/. 6 Der sogenannte Civilismo bezeichnet eine Haltung der zivilgesellschaftlichen Solidarität, die über Bürgerinitiativen organisiert ist. 7 http://www.tacoso.org/. 8 Felipe Calderón von der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) war von 2006 bis 2012 Präsident Mexikos.
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MJHC & JK Und um schließlich den Bogen in die Gegenwart zu schlagen: Die politischen und künstlerischen Strategien von Los Grupos fanden vor dem Hintergrund einer staatlichen Kontrolle statt – bezogen auf die Institutionen des Kunstbereichs, aber auch auf den Alltag insgesamt –, die heute kaum mehr vorstellbar ist. Hat mit dem Siegeszug des Neoliberalismus als Ökonomisierung des Sozialen nicht auch die staatszentrierte Ideologietheorie an Erklärungskraft eingebüßt? AHS Wir erleben derzeit eine falsche, pragmatische und opportunistische, gegen die theoretische Reflexion eingestellte Linke. Die kritische Philosophie zählt immer noch auf den Beitrag Althussers und auf die neuen, von den akademischen WissenschaftlerInnen Verfluchten: Toni Negri und Michael Hardt und andere wie Samir Amin, die gegenwärtig noch nicht die große Aufmerksamkeit erfahren. In diesem kritischen Denken haben die Beiträge von Foucault zur Mikrophysik der Macht, von Deleuze und Guattari zur Dekonstruktion, von Ginzburg zur historischen Kritik sowie von den sogenannten Klassikern der politischen Ökonomie und der revolutionären Praxis nach wie vor Bestand, Che Guevara mit eingeschlossen. Zugegebenermaßen ist das wenig, angesichts des Aufstiegs eines vulgären Postmodernismus zur vorherrschenden Haltung innerhalb der Staatsapparate, inklusive den Universitäten. MJHC & JK Wir möchten mit zwei Fragen schließen, die sich auf die Institutionen der Kunst und die zeitgenössische Kunst im Allgemeinen beziehen: Wie schlug sich der politische Umbruch von 1989/91 innerhalb der politischen Kunst in Mexiko nieder? Worin bestehen die Aufgaben, die es Ihrer Meinung nach im Feld der Kunst angesichts der ideologischen Veränderungen der letzten zwei Dekaden anzugehen gilt? AHS Seit 1968 hat die Notwendigkeit einer neuen Darstellungsweise, einer neuen Grafik und eines neuen Muralismus, die unter vielfältigsten, in ganz Lateinamerika zirkulierenden Bezugnahmen die Befreiung der öffentlichen Räume beanspruchen, nicht nachgelassen – insbesondere von den Straßen Argentiniens aus, dieses Landes mit seiner exemplarischen Kritik am repressiven Staat, wurde dies vorbildlich reflektiert, die rot gefärbten öffentlichen Springbrunnen, die Stickereien mit den Namen und Lebensdaten der Vermissten (desaparecidos) als von den chilenischen AktivistInnen gegen die Diktatur geerbter Bezug, der Aufwand für Dokumentarfilmvideos, die Nutzung und die Aneignung sozialer Netzwerke und die Bauernorganisationen zur Verteidigung der Wälder, der Wasserquellen und der Umwelt, begleitet von den Karawanen und den Aktionen gegen die ungezügelte Staatsgewalt, die mit den Plänen der Yankees in (Latein-)Amerika zusammenhängt und ihnen
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untergeordnet ist. Der TACOSO kämpft für die Verteidigung der Kooperative El Ocotenco de Zacacuautla, eine Gemeinde mit 1400 EinwohnerInnen an der Grenze im Hochland zwischen [den mexikanischen Bundesstaaten] Hidalgo und Puebla, die von talamontischen 9 Kaziken mit der Unterstützung der Regierung von Hidalgo eingenommen wurde. Es wurden Workshops für druckgrafische Propaganda, Nähen und Textilhandwerk und zur Organisierung von Zeugenaussagen gegründet. Und wir haben angefangen, ein Gemeindemuseum aufzubauen. Die kritische und organisatorische Orientierung der Workshops steht dem vulgären Anarchismus entgegen, der sich gegen jede Form der Organisierung sperrt. Wir bringen uns beispielsweise in dem Taller Integral (Integraler Workshop) des Kollektivs Voz Nomada aus der Bewegung Yo Soy 132 ein – eine Bewegung, deren zentraler Motor die interuniversitäre Versammlung ist, an der diverse Organisationen beteiligt sind.10 Um eine Bezeichnung Althussers wieder aufzugreifen, werden diese Workshops als praktische Kritik an ihren eigenen Umständen und knappen Ressourcen betrieben.
INTERVIEW WITH ALBERTO HÍJAR SERRANO ON ART AND IDEOLOGY CRITIQUE IN MEXICO AFTER 1968
Das Interview führten Jens Kastner und Max Jorge Hinderer Cruz im August/ September 2012 per E-Mail. Die Übersetzung des spanischen Originals ins Deutsche, Ergänzungen in eckigen Klammern, alle erklärenden Fußnoten und die Redaktion des Endtextes erfolgten durch die Autoren.
ALBERTO HÍJAR SERRANO The Taller de Arte e Ideología arose out of the necessity to extend and deepen the course on aesthetics at the philosophy department at the UNAM, and the necessity to come together after the violent repression of the Fuerzas de Liberación Nacional.2 This was motivated by my arrest, torture, and conspiracy trial in February 1974. A strong mobilization was necessary for the TAI to appear. Our orientation was grounded in Althusser’s critique of a simplistic and dogmatic Marxism. Under the slogan “Reading Capital,” we began an aesthetic application of the first chapter, for instance through my intervention in the newly opened Sala de Arte Público, which the communist painter David Alfaro Siqueiros 3 had bequeathed to the Mexican people.
9 Talamontes sind Holzfäller, häufig mafiös organisiert, mit Kontakten zu lokalen Machthabern (Kaziken). 10 Die Bewegung „Yo Soy 132 – Für eine authentische Demokratie“ entstand im Mai 2012 im Rahmen des Präsidentschaftswahlkampfs. Der damalige Präsidentschaftskandidat – und jetzige Präsident – der Institutionell Revolutionären Partei (PRI), Enrique Peña Nieto, hatte die Proteste bei einem seiner Wahlkampfauftritte an einer Privatuniversität als von bezahlten Provokateuren organisiert beschrieben. Daraufhin stellten 131 Studierende in einem YouTube-Video klar, einfache Studenten zu sein. Im Netz und auf den Straßen Mexikos entstand anschließend eine Mobilisierung unter dem Motto „Ich bin 132“ (Yo Soy 132) – daher der Name der Bewegung.
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by Max Jorge Hinderer Cruz and Jens Kastner MAX JORGE HINDERER CRUZ, JENS KASTNER You founded the group Taller de Arte e Ideología (TAI) 1 in 1974 at the Facultad de Filosofía y Letras at the Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM). The group, which also included artists, was concerned in part with Marxist aesthetic theory. What were the main focus points of the group, and what kinds of motivations contributed to its thematic orientation?
1 The TAI was part of a movement of artists’ collectives, which has gone down in art history as Los Grupos and which marked the field of Mexican art in the 1970s. Cf. for instance Alberto Híjar Serrano (ed.), Frentes, Coaliciones y Talleres: Grupos visuales en México en el siglo XX, Mexico, D.F., 2007: Coneja Nacional para la Culutra y las Artes; Kirsten Einfeldt, Moderne Kunst in Mexiko. Raum, Material und nationale Identität, Bielefeld, 2010, pp. 297ff.; Jens Kastner, “Praktiken der Diskrepanz. Die KünstlerInnenkollektive Los Grupos im Mexiko der 1970er Jahre und ihre Angriffe auf die symbolische Ordnung,” in: Jens Kastner, Tom Waibel (Eds.), … mit Hilfe der Zeichen | por medio de signos… Transnationalismus, soziale Bewegungen und kulturelle Praktiken in Lateinamerika. Atención!, Jahrbuch des Österreichischen Lateinamerika-Instituts, Vol. 13, Vienna/Münster, 2009, pp. 65–80; Víctor Muñoz, “‘Die Dinge konnten nicht so bleiben, als wenn nichts passiert wäre.’ Kunstproduktion und soziale Bewegungen im Mexiko der 1970er Jahre. Ein Interview von Jens Kastner,” in: Das Argument, 293, Issue 4/2011, Vol. 53. pp. 515–522. 2 The Fuerzas de Liberación Nacional (Armed Forces of National Liberation) was founded in 1969 as a clandestine guerilla group and was disbanded in 1981. It was the source, among others, for the Zapatista movement around the EZLN (Ejército Zapatista de Liberación Nacional, founded 1983), which came to international attention in 1994. 3 David Alfaro Siqueiros (1896–1974) was, along with Diego Rivera and José Clemente Orozco, one of the most influential artists in Mexican muralism and one of the most important leftist intellectuals in Mexico.
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INTERVIEW WITH ALBERTO HÍJAR SERRANO ON ART AND IDEOLOGY CRITIQUE IN MEXICO AFTER 1968
MJHC & JK The programmatic combination of art and ideology in the name of the group—how was this conceived? How was ideology understood, and what was the relation of artistic practice to the notion of ideology critique?
philosophy on Foucault and Althusser, he used the title of an interview: “Philosophy as a Weapon of the Revolution.” The theoretical practice that the academics had refuted took on a strategic importance in this and other historical projects.
AHS The main point of Althusserian critique is to refine the concept of ideology and therefore the problem of reproduction that allows us to recognize the uses of signification as a construction of power. The anti-positivist definition of ideology and the ideological state apparatuses allows us to get beyond idealism and closer to a critique of the law of value.
MJHC & JK To return to Los Grupos and to the work of the TAI: At the end of the 1970s, members of your group were significantly involved in establishing the groups’ participation in the Frente Mexicano de Grupos Trabajadores de la Cultura. When this was dissolved at the beginning of the 1980s, the slogan “Vincular, articular y fusionar en la lucha popular” [Linking, articulating, and fusing into the popular struggle] became an important phrase for you and the TAI. Does that mean that a specific artistic and cultural political practice was abandoned in favor of a general, socio-political practice oriented toward social struggles? What strategic decision lay behind this?
MJHC & JK Louis Althusser’s theory of ideology seems to have been an important reference point for your theoretical work. His texts were read and discussed; a student of Althusser’s, Pierre Macherey, was even translated by your group into Spanish. How would you describe Althusser’s importance for the Mexican left after 1968? In western Europe, Althusser’s thesis of ideological state apparatuses was often criticized, above all for its structural determinism—this did not fit well with the activism of artists groups and their emphasis on practice. Was there a different kind of reception of Althusser in Mexico, or in Latin America in general, and if so, how and why? AHS The young Althusserians who had subscribed to La Pensée4 founded a series of publications, the Cuadernos del Achivo de Filosofía. This brought us the hatred of the usual professors and bureaucrats, which was in turn met by mockery and sarcasm from the young students. Due to the demands made by the Comité de Lucha I became a professor of aesthetics at the department, conforming to the contractually stipulated hours. In the 1970s, with the arrival of the theorists who had been exiled from South American dictatorships, I was part of the self-administration in the Escuela de Arquitectura and later part of the co-administration of the Escuela Nacional de Antropología e Historia. Althusser’s influence was mostly academic and did not extend to the political left except through a handful of university journals. These publications rejected the epistemological break, the distinction between a young and an old Marx, and a scientism that in reality did not exist in Althusser. But the critique of a naïve, routine Marxism and its derivations in party politics was formed, for example, by Rafael Guillen with his thesis on the academic apparatuses, with epigraphs from Althusser and Foucault and an apocryphal and burlesque citation from Marx that sums up a text full of irony and sarcasm about trifles and the industry of the spectacle. Today, Rafael Guillen is suspected of having been Subcomandante Insurgente Marcos. As an epigraph for his final thesis in
AHS The Frente Mexicano de Trabajadores de la Cultura dropped the allusion to Los Grupos in its name to cut down on the number of words and to clarify the critique of the concept of the artist and of art as a means of working on the theoretical and practical project of the versatile and complex left. The motto of TAI was created later, perhaps in the 1990s, in view of a Leninist recommendation by the work in trade unions. It was similar to Che’s slogan as Cuba’s Minister of Industry: “Quality is respect for the people,” which had been taken up by the group Ojos de Lucha [Eyes of the Struggle], which had been formed and developed during the founding of the Seamstresses Union after the earthquake of 1985. The TAI agreed because it had relationships to clandestine Sandinista comrades, which opened up the possibility of cultural work in the Sandinista revolution direction after Somoza fled in 1979. The Grupo Germinal, which consisted of graduates from the Escuela Nacional known as La Esmeralda traveled around and worked with the beloved activist and outstanding North American artist Rini Templeton, and had the good fortune to receive recognition from the Ministry of Education and Culture for the literacy campaign. In the meantime, the Frente went to San Francisco and Los Angeles, and the other groups intervened on the streets and in the housing units. The TAI did logistical work for the FPL (Fuerzas Populares de Liberación) in El Salvador and the ORPA (Organización del Pueblo en Armas) in Guatemala, while at the same time we were organizing exhibitions and acts of solidarity with Vietnam, Cuba, Nicaragua, El Salvador, and Chile as well as discussion workshops on theoretical problems in seminars. These resulted in final theses, study programs, and the Escuela de Cultura Popular “Matires del 68” [School of Popular Culture “Martyrs of 68”], which began in the Sala de Arte Público Siqueiros. The school continues to this day.5
4 La Pensée: Revue du rationalisme moderne, Marxist journal, founded in Paris in 1939.
5 http://www.opcescuela.org/.
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INTERVIEW WITH ALBERTO HÍJAR SERRANO ON ART AND IDEOLOGY CRITIQUE IN MEXICO AFTER 1968
MJHC & JK The practices of Los Grupos were very diverse and also varied according to their political aspirations. Some groups did what would today be called neighborhood work, and while other certainly criticized art institutions, they did not abandon them. Looking back, how do you assess the work of the TAI in the context of this movement? AHS The title of an event that the TAI held at the colloquium “Rini Templeton” when the EZLN revolt began was oriented toward cilivismo 6 and communitarianism and summarized the influence of the TAI: “Theory, comrades, theory!” Numerous leaflets, the short-lived paper Grito Rojo [Red Scream], collectively produced books with limited distribution, and no discussion whatsoever over the course of ten years had left the TAI debilitated, and it was finally replaced by the Taller de Construcción del Socialismo [TACOSO, a workshop on establishing socialism],7 which published brochures for the Mexican Electrical Workers Union before it was destroyed by Felipe Calderón’s 8 government, all of this attests to the influence of the TAI. MJHC & JK To bring things up to the present: the political and cultural strategies of Los Grupos took place against a backdrop of state control—both in relation to the field of art as well as to everyday life as a whole—which is hard to imagine today. Hasn’t the triumph of neoliberalism as an economization of the social also meant that state centered ideology theory has lost its explanatory power? AHS We are currently having to endure a false left, pragmatic and opportunistic, which is against theoretical reflection. Critical philosophy still counts on Althusser’s contributions and on new polemics by academics: Toni Negri and Michael Hardt, and others who have not yet got much attention, such as Samir Amin. In this critical thinking, there are the contributions of Foucault on the microphysics of power, of Deleuze and Guattari on deconstruction, of Ginzburg on historical critique, as well as the so-called classics of political economy and revolutionary practice, including Che Guevara. Admittedly, this is very little in comparison with the rise of the vulgar postmodernism that predominates in the state apparatuses, including the universities. MJHC & JK We would like to end with two questions related to the institutions of art and contemporary art in general. How was the political upheaval of 1989/91 reflected in the political art of Mexico? What tasks should be taken 6 Civilismo refers to a stance of solidarity in civil society, organized through citizens’ initiatives. 7 http://www.tacoso.org/. 8 Felipe Calderón, of the conservative National Action Party (PAN), was president of Mexico from 2006 to 2012.
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on, in your opinion, in the field of art in view of the ideological changes of the last two decades? AHS Since 1968 there has been no decline in the need for new representational strategies, a new graphics, and a new muralism, which would demand the liberation of public spaces with respect to various interventions circulating throughout Latin America—this has especially and concretely been reflected from the streets of Argentina, this country with its exemplary critique of the repressive state. The red fountains, the embroidery with the names and dates of the desaparecidos, with their reference inherited from Chilean activists against dictatorship, the profusion of documentary films, the use and abuse of social networks, and the rural organizations for defending the forests, the water sources, and the environment, accompanied by caravans and acts against rampant state violence, which is associated with and subordinated to the Yankee security plans for (Latin) America. The TACOSO is fighting in defense of the cooperative El Ocotenco de Zacacuautla, a community of 1400 inhabitants on the highland border between [the Mexican states] Hildalgo and Puebla, which have been invaded by Talamonte 9 leaders with the support of the government of Hidalgo. Workshops have been founded for print propaganda, needlework, and to organize statements by witnesses. And we have begun work on a community museum. The critical and organizational orientation of the workshops is opposed to vulgar anarchism, which is resistant to any form of organization. For instance, we are involved in the Taller Integral [integral workshop] of the collective Voz Nomada from the movement Yo Soy 132 10 —a movement based on interuniversity assembly, and which includes the participation of various organizations. To follow up on a statement of Althusser’s, these workshops function as a practical critique of their own circumstances and limited resources. The interview was conducted by Jens Kastner and Max Jorge Hinderer Cruz in August/September 2012 by e-mail. German translation of the Spanish original text, additions in brackets, all explanatory footnotes, and final editing of the text was done by the authors. The English translation was done from this final German version, in consultation with the original e-mails. 9 Talamontes are loggers, often organized in a mafia-like structure, with contacts to local leaders (caziques). 10 The movement “Yo Soy 132—For an Authentic Democracy” emerged in May 2012 in the context of the presidential election. The candidate—and now reigning president—from the Institutional Revolutionary Party (PRI), Enrique Peña Nieto, claimed that protesters at one of his election appearances at a private university were paid provocateurs. In response, 131 protesters proved that they were just students in a YouTube video by showing their student IDs. This unleashed a mobilization in the internet and on the streets of Mexico under the slogan “I am 132” (Yo Soy 132), from which the movement gets its name.
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IDEOLOGIE UND SUBJEKTIVIERUNG
Es war vor allem Louis Althusser, der die marxistische Ideologietheorie auf die Frage des Subjekts hin geöffnet hat, oder genauer gesagt: auf die Frage der Subjektivierung hin. Während der Subjektbegriff von mehr oder weniger festgefügten Entitäten ausgeht, betont der Begriff der Subjektivierung von Anfang an jenes durchaus kämpferische Geschehen, in dem Subjekthaftigkeit produziert und verändert wird. Wie Marx geht Althusser in seinem Aufsatz Ideologie und ideologische Staatsapparate davon aus, dass jede herrschende Klasse mit der (kapitalistischen) Produktion auch für die Reproduktion der Produktionsbedingungen kämpfen muss. Althusser nennt das den „bürgerlichen Klassenkampf“.¹ Zu dieser Reproduktion gehört auch die Herstellung von Subjekten, die für die Einwirkungen ideologischer Staatsapparate wie Schule, Familie, Religion, Recht etc. empfänglich sind und – umgekehrt – mit ihrer Empfänglichkeit die jeweils vorherrschenden ideologischen Staatsapparate bestätigen, so dass für den Fortbestand der bestehenden Verhältnisse gesorgt ist. Die Produktion von Subjektivität geschieht Althusser zufolge durch Anrufung. Er demonstriert sie an einer berühmt gewordenen Straßenszene: Ein Polizist ruft „He, Sie da!“, woraufhin sich jemand angesprochen fühlt und sich umdreht. Althusser zufolge ist damit im Grunde das Entscheidende zur Subjektwerdung gesagt: „Durch diese einfache physische Wendung um 180 Grad wird es [das angerufene Individuum, Anm. RS] zum Subjekt.“ ² Judith Butler hat später hervorgehoben, was durch die Konzentration der Althusser-Rezeption auf die erwähnte Straßenszene in Vergessenheit geriet: nämlich die Notwendigkeit von wiederholten Anrufungen, von Ritualen und Praktiken der Anrufung sowie ihrer Beantwortung. Althusser selbst betont die Rolle von Ritualen im Sinn von (körperlichen) Wiederholungspraktiken, die von Pierre Bourdieu später als „Habitus“ bezeichnet wurden, jedoch unzweifelhaft deutlich. So sehr Butler Althussers These über die Herstellung von Subjektivität in Praktiken der Wiederholung unterstreicht und insbesondere in Bezug auf die Produktion von Geschlechtsidentität weiterentwickelt, so sehr kritisiert sie Althussers Glaube an das einfache Funktionieren der Anrufung. Genauer gesagt wirft sie Althusser ein autoritäres, ja autoritätshöriges Verständnis der ideologischen Staatsapparate vor: „a theological fantasy of the law“.³ Dieser Fantasie zufolge müssen VertreterInnen eines ideologischen Apparats gewissermaßen nur kurz mit dem Finger schnippen oder eben anrufen, und schon steht ein fertig unterworfenes Subjekt auf der Straße. Butler hingegen fragt nach Möglichkeiten des Scheiterns der anrufenden Subjektivierung; danach,
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IDEOLOGIE UND SUBJEKTIVIERUNG
ob es Fälle gibt, in denen angerufene Subjekte sich nicht oder nur halb umdrehen. Denn davon hängt ab, ob in Subjektivierungsprozessen auch widerständiges Verhalten möglich ist, was beinhalten würde, dass man kein selbst-identisches Subjekt wäre. Wesen, die sich in Anrufungssituationen nur halb umdrehen, wären schwächer als jene, die in der zugerufenen Rolle ganz aufgehen, aber stärker insofern, als nur halb unterworfene Subjekte Terrain zur selbstbestimmteren Gestaltung ihrer selbst gewonnen haben. Ohne Butler zu nennen, knüpft Jacques Rancière hier an, indem er einen gewissermaßen normativen Begriff der politischen Subjektivierung entwickelt. Nur jene Wesen, denen es gelingt, einen herrschaftsförmigen gesellschaftlichen Konsens zu durchbrechen, entfalten einen Prozess der politischen Subjektivierung. (Althusser’sche) Wesen hingegen, die sich auf die Anrufung hin anerkennend umdrehen, wären demnach keine Subjekte.4 Pierre Macherey hat gegen die Betonung des widerständigen Subjekts bei Butler Zweifel geäußert. Man werde Butlers berechtigtem Anliegen einer Entmystifizierung allmächtiger Staatsapparate durch die Betonung von Subjekten, die durch die Anerkennung ihrer Schwächen stark werden, nicht gerecht. Damit würde die Fixierung auf die Autorität von Staatsapparaten lediglich durch eine Fixierung auf widerständige Schichten im Subjekt ersetzt. Macherey hält dagegen, dass man Althussers und Butlers Anliegen am ehesten gerecht wird, wenn man von einem Prozess ausgeht, in dem die Subjekte gleichzeitig mit den ideologischen Apparaten entstehen, ohne dass die Macht von einer Seite eindeutig ausginge. Diesen Prozess solle man mit Marx als das Ensemble der zentrumslosen gesellschaftlichen Verhältnisse denken, d. h. als einen „unstable complex of antagonistic forces, in the plural, whose conflicts, at each instant, make, unmake, and remake that which is nothing but a precarious resultant“.5 Er schlägt vor, hier mit Michel Foucault weiterzudenken. Mir scheint, dass dafür jener Foucault am besten geeignet ist, der unter dem Stichwort „Gouvernementalität“ den Zusammenhang zwischen Prozessen der Selbst- und Fremdregierung untersucht, d. h. jener Foucault, der sich nicht mehr nur für die unterwerfende Subjektivierung interessiert, die er als assujettissement bezeichnet hatte. Der Zusammenhang zwischen Selbst- und Fremdregierung ist nicht von Anfang an von einer der beiden Seiten her determiniert. Einerseits gibt es Verhältnisse, in denen die Subjekte – scheinbar von selbst – ausführen, was die Apparate der Herrschaft ihnen gar nicht mehr zurufen müssen: Etwa, wenn bürgerliche EuropäerInnen sich heute nur dann sicher fühlen, wenn ihre Grenzen von
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Sicherheitsapparaten bewacht werden, die noch vor wenigen Jahren als Militäreinsatz abgelehnt worden wären. Andererseits besteht auch die Möglichkeit, im Innewerden und Reflektieren des Mitwirkens am – durchaus auch affektiven – Regiert-Werden die Fremdregierung zurückzuweisen. Dabei geht es nicht nur um kleine Verschiebungen, darum, nur ein wenig anders regiert zu werden, wie Foucault manchmal vorgeworfen wurde. Insbesondere unter dem Stichwort parrhesia 6 (griech. für vorbehaltloses, mutiges Sprechen) hat Foucault in seinen letzten Vorlesungen grundsätzlichen Protest untersucht und propagiert. Die Frage, ob und wie die Unterstützung durch Gruppen oder Kollektive die Anstrengung zur emanzipatorischen Subjektwerdung vorantreiben könne, bleibt dabei unterbelichtet. Vieles spricht beim späten Foucault dafür, dass man zur Selbstregierung nicht von einer schon emanzipierten Avantgarde geführt werden kann, sondern Verhältnisse kreieren müsse, in denen es keine VordenkerInnen gibt und Beliebige sich emanzipieren können. In Richtung einer solchen Foucault-Lektüre denken z. B. Christina Hendricks und Michael Hardt, sofern sie Foucaults Überlegungen zur parrhesia als Anlass nehmen, das emanzipatorische Potenzial von Intellektuellen und anderen VordenkerInnen kritisch zu beleuchten. 7 Ruth Sonderegger 1 Louis Althusser, Ideologie und ideologische Staatsapparate, 1. Halbband, Hamburg 2010, S. 121f. 2 Ebd., S. 88. 3 Judith Butler, „,Conscience Doth Make Subjects of Us All.‘ Althusser’s Subjection“, in: dies., The Psychic Life of Power. Theories in Subjection, Stanford/CA 1997, S. 106–131, S. 130. 4 Jacques Rancière, Das Unvernehmen, Frankfurt a. M. 2002. 5 Pierre Macherey, „Judith Butler and the Althusserian Theory of Subjection“, in: Décalages, Bd. 1, Nr. 2, Artikel 13, 2012, S. 13, http://scholar.oxy.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1031&context= decalages [Februar 2013]. 6 Michel Foucault, Die Regierung des Selbst und der Anderen. Vorlesung am Collège de France (1982/83), Frankfurt a. M. 2009; ders., Der Mut zur Wahrheit. Vorlesung am Collège de France (1983/84), Frankfurt a. M. 2010. 7 Vgl. Christina Hendricks, „Prophecy and Parrēsia: Foucauldian Critique and the Political Role of Intellectuals“, in: Karin de Boer und Ruth Sonderegger, Conceptions of Critique in Modern and Contemporary Philosophy, New York 2012, S. 212–230; Michael Hardt, „The Militancy of Theory“, in: The South Atlantic Quarterly, Nr. 110/1, Winter 2011, S. 19–35.
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IDEOLOGY AND SUBJECTIVATION
It was most notably Louis Althusser who expanded Marxian ideology theory in response to the question of the subject, or more precisely, in response to the question of subjection. Whereas the concept of the subject derives from more or less firmly established entities, the concept of subjection emphasizes, from the outset, the thoroughly contentious process in which subjectness is produced and modified. In his essay Ideology and Ideological State Apparatuses, Althusser presupposes, like Marx, that every ruling class must struggle, by means of (capitalistic) production, for the reproduction of the conditions of production. Althusser calls this the “class struggle conducted by the bourgeoisie.” ¹ Such reproduction involves the production of subjects who are amenable to the influence of ideological state apparatuses such as school, family, religion, law, and so forth, and whose amenability reciprocally affirms prevailing ideological state apparatuses so as to ensure the continuity of the established order. The production of subjectivity occurs, according to Althusser, through interpellation, or hailing. He demonstrates this in his famous street scene: a police officer shouts “Hey, you there!” whereupon someone feels addressed and turns around. This, Althusser asserts, exemplifies the determining aspect of subjection: “By this mere one-hundred-and-eighty-degree physical conversion, [the hailed individual ] becomes a subject.” ² Judith Butler later highlighted a facet of interpellation which had faded into obscurity thanks to the fact that the reception of Althusserian thought focused on the street scene example, namely, the necessity of repeated interpellations, of rituals and practices of interpellation and response. Althusser, however, clearly and undoubtedly stresses the role of rituals in terms of ( bodily) practices of repetition, which Pierre Bourdieu later described as “habitus.” As strongly as Butler underscores and expands —especially in relation to the production of gender identity—Althusser’s thesis on the production of subjectivity via practices of repetition, she also emphatically criticizes Althusser’s belief in the simplicity of the interpellative function. More precisely, she accuses Althusser of an authoritarian, indeed authority-compliant conception of ideological state apparatuses: “a theological fantasy of the law.” ³ According to this fantasy, agents of an ideological apparatus need only snap their fingers once or simply call out, and a completely subjugated subject will appear on the street. By contrast, Butler inquires into the possibility of failure on the part of the interpellating subjectivation; she asks whether cases exist where hailed subjects do not turn around, or turn only halfway. For herein lies the relative
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viability or impossibility of disobedience within processes of subjectivation, implying the potential for a non-self-identical subject. Beings who in interpellative situations turn around only halfway would be weaker than those who are fully realized in their interpellated role; but they would also be stronger, because merely half-subjected subjects are apt to gain ground for a more autonomous formation of the self. Without naming Butler, Rancière takes up this discussion by developing a somewhat normative concept of political subjectivation: Only the being who manages to breach dominating societal consensus can unfurl a process of political subjectivation. Accordingly, no (Althusserian) being who turns around in acknowledgement of interpellation would constitute a subject.4 Pierre Macherey expressed skepticism about Butler’s emphasis on the disobedient subject. No one could possibly fulfill Butler’s valid objective of demystifying all-powerful state apparatuses by giving preeminence to subjects who become strong thanks to the recognition of their weaknesses; this would entail a mere replacement of the fixation on the authority of state apparatuses with a fixation on disobedient strata within the subject. On the contrary, Macherey holds that one would rather most likely fulfill Althusser’s and Butler’s objectives were one to shift the point of departure toward a process in which subjects develop simultaneous to the development of ideological apparatuses, without a one-sided distribution of power. With Marx, one should conceive this process as the ensemble of decentralized social relations, or, in other words, as an “unstable complex of antagonistic forces, in the plural, whose conflicts, at each instant, make, unmake, and remake that which is nothing but a precarious resultant.” 5 Macherey proposes thinking this idea further by way of Michel Foucault. Such a line of thought, in my opinion, would be best served by the Foucault who examines, under the heading “governmentality,” the correlation between processes of self-government and the government of others; i. e., the Foucault whose interest is no longer limited to subjectivation qua subjugation, which he described as assujettissement. The correlation between selfgovernment and the government of others is not determined ab initio by only one of these two poles. On the one hand, there exist circumstances in which the subject—with seeming autonomy—obeys imperatives that authority need not even call on them to obey: when, for instance, middleclass Europeans require that their borders be patrolled by security forces in order to lend them a feeling of safety, a deployment which only a few years ago would have been rejected as military intervention. On the other
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IDEOLOGY AND SUBJECTIVATION
hand, there remains the possibility to repudiate the government of others by becoming aware of, and reflecting upon, our own complicity in— thoroughly affective—processes of being governed. This is no matter of minor displacements, or of merely a slightly different sort of beinggoverned, of which Foucault was sometimes accused. Focusing on the concept of parrhesia 6 (Greek, meaning “bold, courageous speech”), Foucault examined and propagated fundamental protest in his last lectures. Yet, the question as to if and how group or collective support can advance efforts at emancipatory subject-formation remains rather unclear. However, much of Foucault’s later thought suggests that selfgovernment cannot be taught by an already-emancipated avant-garde, that it depends, rather, on conditions and relations in which no mentors or masterminds exist, i. e. on contexts in which anyone can emancipate themself. Such a perspective on Foucault is taken up by, amongst others, Christina Hendricks and Michael Hardt inasmuch as they use Foucault’s reflections on parrhesia as an opportunity to critically examine the emancipatory potential of intellectuals and other leaders in thought. 7 Ruth Sonderegger
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1 Louis Althusser, “Ideology and Ideological State Apparatuses,” in: Lenin and Philosophy, and Other Essays, trans. by Ben Brewster, London, 1971, pp. 127–188, http://www.rlwclarke.net/courses/ LITS3304/2010-2011/07Althusser,IdeologyandIdeologicalStateAppar atuses.pdf, p. 2 (accessed March 2013). 2 Ibid. p. 6 (accessed March 2013). 3 Judith Butler, “‘Conscience Doth Make Subjects of Us All’: Althusser’s Subjection,” in: The Psychic Life of Power: Theories in Subjection, Stanford/CA, 1997, pp. 106–31, p. 130. 4 Jacques Rancière, Disagreement: Politics and Philosophy, Minneapolis, 1998. 5 Pierre Macherey, “Judith Butler and the Althusserian Theory of Subjection,” in: Décalages, Vol. 1, No. 2, Article 13, 2012, p. 13, http://scholar.oxy.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1031&context= decalages (accessed February 2013). 6 Michel Foucault, The Government of Self and Others: Lectures at the College de France, 1982–1983 and The Courage of Truth: The Government of Self and Others II, Lectures at the College de France, 1982–1983, trans. by Graham Burchell, London, 2011. 7 Cf. Christina Hendricks, “Prophecy and Parrēsia: Foucauldian Critique and the Political Role of Intellectuals,” in: Karin de Boer and Ruth Sonderegger, Conceptions of Critique in Modern and Contemporary Philosophy, New York, 2012, pp. 212–30; Michael Hardt, “The Militancy of Theory,” in: The South Atlantic Quarterly, No. 110/1, Winter 2011, pp. 19–35.
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II ZEITDIAGNOSEN DIAGNOSES OF OUR TIMES
DAS JAHRZEHNT OHNE IDEOLOGIEKRITIK Diedrich Diederichsen
Das Jahrzehnt ohne Ideologiekritik – wann war das? Ich meine die letzten zehn Jahre: die Zeit, als die Ideologiekritik ohne großen Widerspruch bei Harald Schmidt gelandet war und dadurch gekennzeichnet, dass der berühmte „oppositional code“ Stuart Halls, von dem Jan Rehmann spricht, nicht mehr einen Einspruch oder Widerstand gegen Ideologie darstellt, sondern dessen zentrales Interface. Indem ich mit einer Ideologie nicht einverstanden bin, innerlich auf Distanz gehe, Sarkasmus und kognitive Dissonanz hochfahre, erkläre ich und – vor allem – installiere ich mein Einverständnis. Die Ideologie des Neoliberalismus war keine, an die irgendjemand geglaubt hat, sondern die wirkmächtig wurde, indem niemand an sie glaubte, aber dem eigenen Nichtglauben keine besondere Bedeutung zumaß. Das Jahrzehnt ohne Ideologiekritik, um der Frage nach seiner materiellen Grundlage eine Begründung nachzureichen, war das Jahrzehnt, in dem die die Ideologiekritik tragende Klasse, die akademische Mittelschicht, einerseits ihren Einfluss und ihre Sicherheiten in den Demokratien des Westens schwinden sah, andererseits erlebte, wie die Trennung von Kopf und Kopfarbeit eingeführt wurde. Maximale Aufgeklärtheit hatte paradoxerweise einen quietistischen Effekt: sie sedierte. Ich möchte von diesem Jahrzehnt erst gegen Ende des Vortrags wieder sprechen. Zuvor möchte ich mich über zwei andere Zeitzonen äußern: die späten 1970er, frühen 80er Jahre, als Ideologiekritik als soziale Praxis gültig installiert war, und von den 90er Jahren, als sie sich, unter dem Einfluss des Poststrukturalismus, aber auch anderen gesellschaftlichen Strömungen veränderte. Generell hat Ideologiekritik zwei Grundlagen: zum einen ihren Gegenstand, der aus materiellen und historischen Fakten und deren Wirkungen besteht – wobei ich die harten Fakten nicht auf die ökonomischen beschränkt sehen will –, aber auch aus den vielfältigen kulturellen Wirkungen dieser Fakten, die ihrerseits längst selbst ökonomische Basis anderer Wirkungen geworden sind; zum anderen aber gibt es die Verhältnisse in der Mikrowelt, in der mehr oder weniger berufsmäßig Ideologiekritik betrieben wird; das sind die Universitäten, das Gebiet der Künste und der offiziellen Kultur und das der Gegenkulturen. In den 1970er Jahren öffneten sich die Universitäten des europäischen Westens großen Massen bisher zum Studium nicht zugelassenen Teilen der Gesellschaft.
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In den 1980er und 90er Jahren gab es vor allem an britischen und amerikanischen Universitäten zum ersten Mal eine größere Anzahl nicht weißer Studierender, die dank verschiedener, von der Bürgerrechtsbewegung erkämpfter Maßnahmen an Hochschulen auch Geisteswissenschaften studierten, außerdem waren weibliche Studierende in anderer Weise und anderen Konstellationen präsent geworden. Zugleich gab es aber in derselben Zeit neue Formen von Rassismus und einen ersten antifeministischen Backlash. Dies sind die Konstellationen der ersten beiden Stadien, von denen ich sprechen werde. In der dritten Phase scheint es, als gäbe es keine Ideologie mehr, an die geglaubt wird, wenngleich die grundlegende Neuerung eintrat, dass Ideologie sich dadurch verbreitet, indem sie nicht geglaubt wird. Auch das stimmt nicht total: Zynische Aufgeklärtheit hat ein supplementäres Pendant in einem nicht mehr überprüften, tief geglaubten Glauben – und das sind im letzten Jahrzehnt: Antisemitismus und Islamophobie. I Ich möchte Ideologiekritik als eine soziale Tatsache einführen, mit der ich aufgewachsen bin. Ihre theoretische Begründung und der diskurspolitische Kampf um ihre Durchsetzung hatten bereits stattgefunden. Auffällig an dieser sozialen Tatsache „Ideologiekritik“, die ich in den Geisteswissenschaften der mittleren 1970er Jahre kennenlernen sollte, war auch, dass die diskutierenden Subjekte gegenüber Kunstwerken stets eine gnadenlosere und unbedingtere Position einnahmen als in ihrer sonstigen politischen Arbeit. Kunstwerke standen für Fallhöhe: Sie hatten die existenzielle Dimension, die man in der Kritik der Verhältnisse nicht realisieren konnte. Kapitalistischer Warenfetisch und Tauschwertdominanz waren tote externe Bedingungen, die in der Distanz des Apriori schlummern durften – sie waren unberührbar, weil eh klar. Die soziale Tatsache Ideologiekritik war zwar zunächst eine Übung innerhalb der Kulturen der Linken und der aufkommenden neuen sozialen Bewegung. Interessanterweise gab es die Figur der Ideologiekritik damals auch von rechts; als eine Rhetorik, die falsches Bewusstsein offenlegen wollte, falsches Bewusstsein, das, nach linkem Vorbild gedacht, materielle Ursachen haben sollte – linke Sub- und Gegenkulturen wurden etwa als Symptome desjenigen falschen Bewusstseins denunziert, das durch unverdienten Wohlstand entstand. „Die sollen erstmal arbeiten“, war der zentrale Einwand gegen Linke und Gegenkulturen – wenn das nicht rechter Materialismus war! Meinen ersten veröffentlichten Text schrieb ich gegen Ideologiekritik.1 Auf den Berliner Filmfestspielen des Jahres 1979 wurde der Film The Deer Hunter (Die durch die Hölle gehen) von Michael Cimino mit unter anderem Christopher Walken, John Savage, Robert De Niro und Meryl Streep gezeigt. Gemeinsam
und im Vergleich mit Coming Home von Hal Ashby mit Jane Fonda, Jon Voight und Bruce Dern wurde er unter der Annahme diskutiert, es handle sich um eine Aufarbeitung des amerikanischen Vietnam-Traumas. Diese Diskussion bestimmte auch das Vorfeld der kurz nach der Berlinale anstehenden OscarVerleihung. Dabei dominierte eine ideologiekritische Lektüre des Films The Deer Hunter, die bei diesem rassistische und imperialistische Positionen erkennen wollte. Die vietnamesischen Charaktere würden als inhumane, folternde „grüne Teufel“ dämonisiert, während die amerikanischen Soldaten, die Namen und Persönlichkeit hätten, zur Empathie einluden. Umgekehrt sei Hal Ashbys Drama über die Rückkehr eines Vietnamveteranen und eine Frau, deren Liebe zwischen diesem und einem anderen, an den Rollstuhl gefesselten Kriegsheimkehrer schwankt, eine sensible Auseinandersetzung mit einem nationalen Trauma, allegorisch aufgezogen an den geschundenen Seelen und den zerstörten Körpern von Einzelnen. Geschichte im Spiegel einzelner Schicksale und komplexer Psychologien galt als unideologisch, man konnte das sogar mit Lukács’ Romantheorie rechtfertigen. Mein Verdacht gegen die linken und liberalen Gegner von The Deer Hunter war, dass sie nicht damit einverstanden waren, dass das Soldatenschicksal als Klassenschicksal erzählt wurde, dass es ihnen weniger um die Würde der Vietnamesen als die des leidgeprüften, aber freien Subjekts ging. Die Delegation der Sowjetunion hatte unter Protest gegen die Darstellung der nordvietnamesischen Kämpfer die Berlinale verlassen, Coming Home hatte die relevanten Oscars gewonnen. Entscheidend für die Diskussion und ihre ideologiekritische Komponente war aber die vorherrschende Annahme, Hollywood handle als eine Art Großsubjekt der Öffentlichkeit. Es beschließe, was in der sogenannten freien Welt gedacht werden soll. Wenn das US-amerikanische Kino nun zwei Filme mit angeblich gegensätzlichen Aussagen herausbringt, dann hat der jeweils neuere, ungewöhnlichere den Trend auf seiner Seite und indiziert damit die neue Initiative Hollywoods, während der eingeführte ältere nur auf den Rückzug und den Verlust von Hegemonie der anderen Position verweise. Mich hat damals der Automatismus dieser Ideologiekritik herausgefordert, mit dem feststand, dass erstens der ästhetisch eher nicht konforme Deer Hunter einem anderen, neuen reaktionären Hollywood zugeordnet wurde, einem Großtrend des aufkommenden Reaganismus, der großen kulturellen Rechtswende zu Beginn der 1980er Jahre – konnte er nicht stattdessen ein Ausnahmeprodukt, einem Regisseur oder einem Studio unterlaufen, sein, war das Autorenkino des New Hollywood, dessen Highlights man gerade erlebte, nicht mehr so ohne weiteres in das Schema einer gezielt ideologisch handelnden Bewusstseinsindustrie einzu-ordnen? Und wie sollte ein gut gemeinter sozialdemokratischer Problemfilm wie Coming Home das Maximum an Traumaverarbeitung und politischer Kritik darstellen?
1 Diedrich Diederichsen, „Der Oscar und die grünen Teufel“, in: Sounds, 4/79, S. 18–19.
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Ich wollte natürlich auch keine rechte Position einnehmen, einen tatsächlich neuen amerikanischen Patriotismus vorbereitenden Film gegen einen wenigstens sozialdemokratischen verteidigen – denn es spricht auch tatsächlich manches dafür, The Deer Hunter so zu lesen. Ich wollte einen Punkt außerhalb der Ideologiekritik finden und zugleich zeigen, dass von diesem Punkt aus auch das Geschäft der Ideologiekritik von seinen Automatismen befreit werden könnte. Natürlich hätte ich das mit 22 so nicht sagen können, dies war eher eine Intuition, deswegen bediente ich mich bestimmter Vorlagen. Meine Vorbilder waren einige Texte des frühen Peter Handke aus Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms 2 und vor allem einige Essays der Filmkritikerin Frieda Grafe, insbesondere der Text „Ein linker Film für Axel Springer“,3 in dem sie exemplarisch die Matrix der damaligen Ideologiekritik offenlegte und eine Umkehrung vorschlug. Am Beispiel des von der Spät-’68er-Linke geliebten Films Z von Costa-Gavras und des vermeintlich rechten Kalten-Kriegs-Thrillers Topas von Alfred Hitchcock konnte Grafe zeigen, dass der künstlerisch schlichte Costa-Gavras-Film zwar ein Szenario entwickelte, in dem die Linken die Guten und die Rechten die Bösen waren, darüber hinaus aber von überaus konventionellen Charakterologien ausging, eben Guten und Bösen, so das Politische als eine Domäne männlich souverän handelnder eindimensionaler Figuren fasste, das ganz extern konstruiert war – und damit genau der als Natur markierten Konvention zuarbeitete, die das rechte Weltbild des Axel-SpringerVerlags ausmacht. Hitchcock ergriff dagegen, oberflächlich betrachtet, zwar für die westliche Seite im Kalten Krieg Partei, entzog darüber hinaus aber jeder psychologischen Konvention den Boden und arbeitete stets die private Seite der politischen Position und die politische des scheinbar rein privat Geschmacklichen heraus – in den Liebes- und Agentenverwicklungen zwischen Russen, Kubanerinnen, Afroamerikanern, Französinnen, Briten und Dänen. Ich machte mir dieses Beispiel zunutze: The Deer Hunter sei nur oberflächlich betrachtet ein patriotisch proamerikanischer Film, der, indem er die Perspektive des Nichtverstehens von proletarischen, durch unbegriffene Tradition in den Krieg gezwungenen Arbeiterkindern einnimmt, eine prekäre und unstabile und darum subversive Position entwickelt, während Coming Home nur tautologisch die Annahmen seiner Mittelschichtspsychologie lahmarschig bestätigt. Um 1980 ist die Position, die sich wie meine außerhalb der Ideologiekritik ansiedeln will, bereits überdeterminiert; das machte wohl auch für mich ihren Reiz aus. Sie ist einerseits eine radikale Position. Sie lässt sich nichts von den Sozialdemokraten erzählen, die in einer Welt kommunikativ aushandeln zu können 2 Peter Handke, „Horvath und Brecht“ und „Ein Beispiel für die Verwendungsweise grammatischer Modelle“, in: ders., Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms, Frankfurt a. M. 1972, S. 63f. und S. 78–82. 3 Frieda Grafe, „Ein linker Film für Axel Springer – Z von Costa-Gavras“ und „Kalter-KriegsFilm – Topaz von Alfred Hitchcock“, in: dies., Enno Patalas, Im Off, München 1974, S. 147–156.
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glauben, in der keine Affekte und Brüche von der diskursiv unerreichbaren Unerträglichkeit sozialer Verhältnisse künden. Es ist eine Position, die sich gegen die latente Subtraktionsthese der Ideologiekritik wehrt, dass man nur das falsche Bewusstsein aus den Gehirnen und Vorstellungen abziehen müsse, und schon werde sich, nachdem der so geklärte Nebel verzogen sei, ein richtiges Bewusstsein einstellen. Sie ist andererseits aber auch eine starke ästhetische Position, denn sie glaubt an die Schocks und Diskontinuitäten in Deer Hunter als Antwort einer Welt aus Demütigung und Begehren, deren von materiellen Verhältnissen verursachte Gewalt von der dominanten Ideologiekritik in ihrer narrationsfixierten Deutung der Kulturindustrie und der Ideologieproduktion als lediglich falscher Inhalt verkannt wird. Eine verbreitete Idee der Zeit um 1980 war, dass nicht die falsche Deutung der Wirklichkeit das Objekt von Kritik sein müsse, sondern Sinn überhaupt.4 Bis zu einem gewissen Grad wäre eine solche Zuspitzung mit poststrukturalistischen Spielarten von Ideologiekritik vielleicht zu haben gewesen, aber nicht in der in der Kritik der Künste aktiven und hegemonialen Spielart, auch nicht in der populären oder auch der dissidenten Kultur. In den berühmten Russisches-Roulette-Szenen von The Deer Hunter herrsche hingegen eine namenlose Gewalt, die das wutverzerrte, erregte Gesicht der Vietnamesen, die dem Amerikaner die Pistolen vorhalten, ebenso entstellen wie die Züge des todessüchtigen ehemaligen GIs, den Christopher Walken darstellt. Dies war ein wichtiger Aspekt der damaligen Zweifel an Ideologiekritik, nicht nur ein Einwand gegen ideologiekritische Kunst oder den ideologiekritischen Umgang mit Kunst, es war auch ein Einwand, der nun Bilder, Geräusche, Lärm, aber auch Fetische und Gewalt über Worte und Diskurse stellen und das Primat der Narration und der Figurenzeichnung angreifen wollte. Ein Begriff machte damals die Runde: das Wort von der „Vernunftkritik“. Die Vernunftkritik konnte damals noch eine ästhetische und eine radikale Position zusammenbringen. Sie vereinte auch die unterschiedlichen nihilistischen, linksradikalanarchistischen und ästhetizistischen Motive unter einem einstweilen tragfähigen Dach aus Poststrukturalismus samt Bataille- und Artaud-Wiederentdeckung. Diese Kritik der Ideologiekritik, die schließlich in dieser Formel der Vernunftkritik aufging und Verlagsgründungen und Zeitschriftenprojekte vom Konkursbuch bis zum Neuen Loten Folum, von Merve bis Matthes & Seitz befeuerte, verstand sich für eine gewisse Zeit und bei gewissen Leuten als eine Überbietung von Ideologiekritik, als deren Steigerung und angemessene Verbesserung, irgendwann und/oder auch bei anderen Leuten verstand sie sich als Avantgarde eines in die entgegengesetzte Richtung zielenden Stoßes.
4 Die „Diktatur des SINNS zersprengen“ und das „Delirium in die Ordnung der Kommunikation einführen“ wollte etwa das Kollektiv A/Traverso vom berühmten autonomen Radio Alice.
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II Fast forward um zehn Jahre ins Jahr 1990. Schalten wir nun in die Epoche, in der Ideologiekritik erfolgreich ersetzt werden konnte. Vertiefen wir nicht die Frage, ob Vernunftkritik und Punk-Nihilismus im Laufe der 1980er Jahre unmittelbar zu den Beständen einer neuen kulturellen Rechten beitrugen, die man ab 1990 immer häufiger auch als offen politische Rechte beobachten konnte, oder ob sie ein historisches Recht des Inkommensurablen und des Ästhetischen einklagten, das eher eine defizitäre Ideologiekritik vervollständigte, als als deren Gegenteil zur Verfügung stand. Schauen wir auf eine Entwicklung, die tatsächlich ein unstrittiges Projekt jeder Ideologiekritik weiterführte: die ideologischerweise für Natur gehaltenen politischen und kulturellen Selbsteinschätzungen der Subjekte als Männer und Frauen, als Angehörige bestimmter Ethnien und Traditionen, als für diese zugängliche, menschengemachte Lebensbedingungen kenntlich zu machen. Ich rede von dem neuen Schub, den antirassistische, feministische, queere und, wenn man sie so nennen will, identitätspolitische Diskurse, Projekte und Bewegungen in den 1990er Jahren erhielten; im lokalen Aktivismus, in den Künsten, aber auch in Akademia – ausgelöst zunächst dadurch, dass Leute mit anderen Biografien dort anwesend waren, wo Ideologiekritik betrieben wurde. Man kann in all diesen Praktiken so etwas wie eine zum einen angewandte – also nicht mehr auf Texte und Diskurse eingeschränkte 5 – Form der Ideologiekritik finden, eine, die sich unmittelbar mit den Prägungen, dem Habitus und anderen Charakteristika der Anwesenden beschäftigt; zum anderen eine Fortentwicklung ihrer Parameter beobachten: Das falsche Bewusstsein ist nicht mehr nur über das zu erklären, was für die kapitalistische Ökonomie gut ist, sondern, eingereiht in größere oder andere politische und kulturelle Objekte wie Patriarchat, wird sein Falschsein relativiert, indem die zentrale universalistische Beobachtungsstation infrage gestellt wird, von der aus sein Falschsein gemessen werden konnte. Nennen wir diese Praktiken der 1990er Jahre post-ideologiekritisch, insofern als man sie nun tatsächlich zugleich als Ersetzung und Fortsetzung von Ideologiekritik verstehen kann – was für die Vernunftkritik der 1980er Jahre fraglich ist. War es in der Debatte um De Niro versus Fonda oder Hitchcock versus Costa-Gavras um den Bewusstseinsinhalt politischer Meinungen gegangen, Meinungen zu Fragen der Welt, auf die die Filmzuschauer als Bürger und Teilnehmer einer Öffentlichkeit reagieren sollten, so ging es bei den seit den 1990er Jahren zu beobachtenden post-ideologiekritischen Praktiken, von denen ich eben gesprochen habe, um die soziale, politische und psychologische Konstituierung der Betreffenden selbst: als politische Subjekte. Das hatte zwar die Ideologiekritik der sagenumwobenen 1960er Jahre auch, war 5 Das gilt für einige eher subkulturelle Außenposten der 1960er Jahre natürlich auch schon: Sexpol-Initiativen, Drogenpolitik, Reichianer etc.
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aber daran gescheitert, dass die historisch zur Verfügung stehenden politischen Subjekte – Arbeiterklasse und antikoloniale Befreiungsbewegungen – für das Publikum der Ideologiekritik nicht offen standen bzw. nur in Ausnahmefällen.6 Das war um 1990 nicht nur deswegen anders, weil sich die demografische Situation in Akademia geändert hatte: Die Debatten um AIDS und Homophobie, ein neuer Feminismus und ein neuer Antirassismus betrafen nun auch das bürgerliche Publikum, zudem waren die neuen Ansätze teilweise auch erfolgreich darin, ein nicht bürgerliches Publikum zu mobilisieren, und die schon damals in den USA und einem post-kaltkriegerischen Europa beginnende Erosion der Mittelklasse gestaltete auch die Klassengrenzen poröser. Zum einen hatte das den Vorteil, dass Ideologie (oder das, was man an ihrer Stelle kritisierte) nun nicht mehr als ein rein diskursiv bestimmtes Übel erschien, das man aus den Köpfen vertreiben und durch etwas Besseres ersetzen musste– eine Art objektorientierte Aufklärung der Unmündigen über die Struktur ihrer Unmündigkeit– , sondern auf das Alltagsleben der kritisierenden Beteiligten selbst bezogen wurde. Es ging weniger um abstrakte argumentative Positionen, die oft schon fertig waren, wie in den Jahren linker Stellvertreterpolitik und einer Ideologiekritik, die statt Ideologie zu kritisieren, die richtige installieren wollte: Wenn sie hitzig diskutiert wurde, war ihr Austausch oft nur Stellvertretung für andere Interessen. Stattdessen ging es nun in der Diskussion um Geschlechterkonstruktion, soziale Ein- und Ausschlussmechanismen, um die Ideologie am eigenen Leib, nicht um ihre Repräsentation in Diskursen über zum Beispiel Kunst. Die seinerzeit verdrängten Fragen nach Begehren, Interessen und Verstricktheit spielten eine immer größere Rolle und konnten auch hin und wieder in narzisstischer Weise absolutiert werden, wie in den berühmten Selbstrelativierungen jener Jahre. „Ich bin ein weißer, heterosexueller Mann aus der mittleren Mittelschicht mit einem latenten Missbrauchshintergrund und wollte sagen…“ Noch wichtiger war aber, dass dieser neue Stil der Ideologiekritik in einer viel massiveren Weise erfolgreich war als jener der neuen Linken, dessen Reste als Feuilletondiskussion ich bei meinem autobiografischen Einstieg sicher etwas unfair erst in ihrem Spätstadium geschildert habe. Diesen Erfolg, von dem ich eben sprach, konnte man sowohl an der Präsenz entsprechend neu gesetzter Themen in den westlichen Öffentlichkeiten feststellen – Anti-Diskriminierungsgesetze, Quotenregelungen etc. – , auch wenn diese Veränderungen oft als rein kosmetisch geschmäht wurden und dies oft auch zurecht; wenn ein Antidiskriminierungsgesetz z. B. parallel mit einer massiven Verschärfung von Einwanderungspolitik verabschiedet wurde. Doch der Erfolg ließ sich noch viel mehr an den massiven Abwehrreaktionen ablesen – 6 Eine solche Situation gab es allenfalls punktuell in den intellektuellen Zentren des Trikont, etwa in Nordafrika oder Lateinamerika oder in unmittelbar aufständischen Situationen etwa rund um die Black Panther Party.
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diese trugen den Namen „Political Correctness“. Denn diesen Namen bekam unsere Ideologiekritik 2.0 von denjenigen, die sie ablehnten – eine Schmähkategorie, deren komplexe Wirkung sich seitdem unübersichtlich bis epidemisch weiterentwickelt hat. Eine Logik dieser Schmähung ist aber insofern interessant, weil sie quasi ex negativo die Logik der alten Ideologiekritik mit den neuen kritischen, hier post-ideologischen Praktiken der 1990er Jahre zusammenbrachte, die gemeint waren. In den 1990er Jahren ist es zunehmend skandalisiert worden, mit der Einnahme politischer Positionen überhaupt noch Konsequenzen zu verbinden. Einen Einwand gegen eine Praxis oder einen Umstand zu formulieren, der sich auf eine politische Position und deren normativen Anspruch bezog, war im Zeitalter von Maggie Thatchers TINA-Bonmot und der gewaltigen Einigkeit diskreditiert. Eine solche bestand darüber, dass nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus zwar ökonomisch eine Welt unbegrenzter – kapitalistischer – Möglichkeiten ausgebrochen war, der Spielraum politischen Handelns aber zugleich auf ein Minimum schrumpfe, da Staaten nur noch dazu da seien, erfolgreiches privatwirtschaftliches Handeln zu ermöglichen; aber auch dadurch, dass vernunftkritische und andere gegen die Blindheiten von Ideologiekritik 1.0 entwickelten Argumente es als anmaßend erachteten, wenn jemand oder eine Gruppe aus ihren Einsichten eine Norm ableiten will. Die Anti-PC-Argumentation unterstellte der von ihr pauschal angegriffenen vermeintlichen Political Correctness, dass sie überhaupt wieder auf politischen Überzeugungen basierende Forderungen legitimieren und in Gesetzestexte umsetzen wollte – unabhängig davon, ob das auf der Ebene feministischer Forderungen etwa nach Schutz vor praktischem Sexismus oder besserer Bezahlung für Frauen geschah oder ob es sich um Anti-Diskriminierungsgesetze oder die Ächtung beleidigender oder rassistischer Kollektivbezeichnungen handelte. Das Skandalon bestand weniger in einem Dissens über die eine spezifische Forderung, sondern in der Tatsache, dass diese sich auf politische Überzeugungen berief und sowohl deren Richtigkeit als auch überhaupt die Relevanz politischer Überzeugungen einklagte; dass es so etwas geben sollte wie das politisch Richtige. Dabei war aber das Spezifische dieser neuen, zwischen Identitätspolitik, Minderheitenrechten und später Intersektionalität oszillierenden Bewegung ja gerade, dass sie nicht abstrakte Positionen umsetzen und falsches und richtiges Bewusstsein in einem allgemeinen Diskurs suchen wollte, sondern aus konkreten Situationen heraus und für konkrete Situationen agieren wollte und eher dazu neigte, Universalismen und abstrakte Wahrheiten zu dekonstruieren. Ja, ich würde sogar einen gewissen Unmittelbarkeitsfetischismus und Betroffenheitsgestus, eine emotionalistische Abstraktionsfeindlichkeit in vielen Komponenten dieser politischen Gegenkultur als deren Hauptproblem beschreiben. Dennoch wuchs vielen identitätspolitischen
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Initiativen durch die böswillig und verschwörungstheoretisch von der Gegenseite zugeschusterte gesamtpolitische Weltanschauung plötzlich wieder ein ungewolltes Zentrum zu, das diesen gar nicht immer so schlecht stand. Wenn es am Ende dieses Jahrzehnts, der 1990er Jahre, wieder zu großen Mobilisierungen kommen konnte, von Seattle bis Genua, und der Begriff der Globalisierungsgegnerschaft ebenfalls ex negativo den Patchwork-Bewegungen der 1990er Jahre wieder ein – wenn auch leeres – Zentrum einbrachte, einen vakanten, unheimlichen Mittelpunkt, der sich aus der nicht kontingenten Pauschalisierung ihrer Gegner zu politischer Korrektheit und der eigenen Pauschalisierung in der Konstruktion eines Gegners (Globalisierung) zusammensetzte, war dies nicht nur strategisch, sondern auch politisch-historisch nicht ganz unberechtigt. Vielleicht war man zu anarchistisch gewesen und die sich ihrerseits nun den anarchistischen Gestus ausleihenden Mainstream-Verteidiger und PC-Bekämpfer von FPÖ bis zur Achse des Guten hatten durch ihr Menetekel eines stalinistischen, schwulen Feminismus – eines McCarthyismus von links – dessen Handlungsfähigkeit verbessert. III Und hier beginnt dann das dritte Jahrzehnt, von dem ich nun rede, das Jahrzehnt, das eigentlich mein Thema ist und das in diesen Jahren zu Ende geht: das Jahrzehnt ohne Ideologiekritik. Dieses Jahrzehnt möchte ich hier beginnen lassen mit einer meines Erachtens typischen, wenn auch vielleicht belanglosen oder unbedachten Äußerung von Okwui Enwezor im Katalog der Documenta 11,7 und ich möchte es zu Ende gehen lassen mit einer ganz frischen Debatte, derjenigen um die Verleihung des Adorno-Preises an Judith Butler im September 2012. Zwischen diesen beiden Daten, 2002 und 2012, spielt ein Jahrzehnt, in dem Ideologiekritik in beiden Varianten – als Kampf gegen falsches Bewusstsein im Namen emanzipatorischer oder demokratischer Projekte, für die man richtiges Bewusstsein braucht, oder als Kampf gegen die Naturalisierung meiner Unterdrückung und Marginalisierung ohne zentrale inhaltliche Unterscheidung von richtig und falsch, sondern nur mit relationalen, situativen, lokalen Unterscheidungen – blockiert war. Beispiel für diese Blockade sind der missglückte Versuch des Spiegel-Autors Georg Diez, in dem letzten Roman von Christian Kracht einen Flirt mit rechten, rassistischen und anderen problematischen Positionen zu erkennen und weder in der Lage zu sein, diesen Verdacht zu formulieren und zu argumentieren, noch irgendeine Unterstützung in dem daraufhin gegen ihn einsetzenden Shitstorm zu erhalten. Eine ähnliche Hilflosigkeit prägte zuvor die Debatten um Thilo Sarrazin und Jonathan Littell – ihnen war gemeinsam, dass sie nicht unterscheiden 7 Okwui Enwezor, „Black Box“, in: Documenta11_Plattform 5, Ausst.kat. Documenta 11, Kassel, Ostfildern-Ruit 2002, S. 42–58, besonders S. 47f.
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konnten zwischen einem begründeten Unbehagen und einer Nostalgie nach einem von der Öffentlichkeit vage und informell verbotenen früheren „ideologiekritischen“ Umgang mit diesem Unbehagen. Ideologiekritische Sprache war blockiert und auch, so dämlich das klingt, tabuisiert. Blockiert war sie aber nicht allein durch die Dominanz der eingangs beschriebenen zynischen Aufgeklärtheit, sondern eben auch durch eine unausgesprochene, undiskutierte Überforderung, die darin bestand, dass global-ideologisch tatsächlich ein neuer manichäischer Binarismus nach dem Kalten-Krieg-Schema installiert wurde – Westen versus Islam – , der in keiner Weise mit dieser zynischen Aufgeklärtheit zusammenging. Zwischen diesen beiden Ideologemen schien es keinen Zusammenhang zu geben – was ihre Macht verstärkte. Enwezor schrieb für den Documenta-Katalog 2002 einen Essay, in dem er die Multitude, den alten und schon per Deleuze in den post-ideologiekritischen Debatten kursierenden und damals von Negri/Hardt neu gefassten Begriff auf die globalen Konstellationen in einem postkolonialen Universum der Kunst anwandte. Dabei rechnete er ausdrücklich den Islamismus zu den wichtigen antihegemonialen Bewegungen, expressis verbis die iranische Revolution von 1979, gemeinsam mit unstrittig emanzipativen Bewegungen. Zehn Jahre später wird Judith Butler aus Anlass der Verleihung des Adorno-Preises heftig angegriffen, weil sie ungefähr zur selben Zeit wie Enwezor äußerte, Hisbollah und Hamas seien linke Bewegungen. Interessant ist, dass sie auf die aufgeregten Debatten im Vorfeld ihrer Ehrung mit dem Adorno-Preis in der Frankfurter Paulskirche recht ausführlich in der tageszeitung und Frankfurter Rundschau mit Relativierungen und Distanzierungen reagiert hat, indem sie auf den Kontext der Äußerung verweist, auf ihre Ablehnung der gewalttätigen Politik beider Organisationen, überhaupt auf ihre Ablehnung von Gewalt. Sie distanziert sich aber nicht von der Einschätzung beider Organisationen als links, das impliziere nicht unbedingt Zustimmung, es gäbe auch eine abzulehnende Linke. Im Gegenteil, es sei ein Stück aufgeklärter Realismus, nicht zu verdrängen, dass auch solche unerfreulichen Gruppen zur Linken gehören. Ich nenne diese beiden zehn Jahre auseinanderliegenden Äußerungen, die ja im weiteren Sinne im Kunstfeld spielen, um die Blockade der Ideologiekritik, ja einer vielleicht schon um 2000 herum sich abzeichnenden und notwendig gewordenen dritten Ideologiekritik in den Kontext von zwei typischen Fällen zu stellen. Vereinfacht gesagt: In der Zeit nach 9/11, nach der neuen ideologischen Konfiguration einer Auseinandersetzung zwischen Westen und Islam, machten viele den Fehler, die alte Blockkonfiguration des Kalten Krieges wiedererkennen und analog bekämpfen zu wollen. So wie man damals im Westen, auch wenn man nicht auf Seiten der realsozialistischen Staaten stand und deren Idee von Sozialismus und Kommunismus ablehnte, grundsätzlich die globale und außenpolitische Ideologie des Westens mit den ideologischen
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Verhältnissen innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftsform gleichsetzte und so in einem parallelen Zug antiimperialistische und antikapitalistische Ideologiekritik betreiben zu können glaubte, so hatte es nach 9/11, nach den Invasionen in den Irak und nach Afghanistan, entsprechende Lesarten der neuen Konfiguration gegeben. Die aktivistische Gruppe Retort etwa, mit unter anderem T. J. Clark, sah einen Zusammenhang zwischen den neuen Kriegen des US-amerikanischen Imperiums gegen ebenso ölreiche wie islamische Staaten und der Rückkehr zur ursprünglichen Akkumulation als dominanter neuer Ressource eines anderswo ausbeutungsunfähig gewordenen Kapitalismus – dies war dabei noch eine der komplexeren und in mancher Hinsicht auch plausibleren Lektüren der neuen Lage. Auf der anderen Seite gab es eine insbesondere in den deutschsprachigen Ländern starke Bewegung, die sich massiv gegen die alte antiimperialistische Lektüre der Konflikte wandte, sich von einer linken Solidarität mit den angegriffenen islamischen Ländern und Regionen lossagte und stattdessen die relativ fortgeschrittenen Menschenrechte in Israel lobte. Lediglich dort, wo bürgerliche Freiheiten verwirklicht seien, habe Kommunismus eine Chance; im Antiimperialismus alter Schule tobe sich hingegen ein nur schwach maskierter Antisemitismus aus. Diese unter dem Namen „antideutsch“ populär oder zumindest bekannt gewordene Position, die es aber auch bei Linken und ehemaligen Linken anderer Sprachräume gibt, ausgeprägt etwa bei dem vor Kurzem verstorbenen und zuletzt als Religionskritiker erfolgreichen Christopher Hitchens, konnte, so überzogen und ihrerseits ideologisch sie zuweilen auftrat, zumindest eines auch weit über ihr unmittelbares ideologisches Einzugsgebiet hinaus klarmachen: Weder eignen sich Israel und die israelischen Juden für die alte Rolle des Imperialisten und Unterdrückers, noch eignen sich Muslime im Allgemeinen und Islamisten im Besonderen für die Rolle der revolutionären Anti-Imperialisten. Diese Einsicht war allerdings ideologiekritisch nur tauglich, wenn man sie mit derjenigen verband, dass sich ideologiekritisch gesehen zwischen dem sicher in den letzten zehn Jahren angewachsenen Antisemitismus und der ebenso anwachsenden massiven Islamophobie nicht zwei Seiten eines globalen Verhältnisses zeigen, zwischen denen man sich entscheiden müsse, sondern zwei nahezu identische Ausprägungen eines neuen Rassismus, eines Rassismus, der auf andere Weise geglaubt wird als frühere Rassismen, der distanzierter, zynischer, scheinaufgeklärter, digitaler, weniger schwitzend und technologischer ist – die Drohne unter den Rassismen. Hinzu kam aber im letzten Jahrzehnt noch eine andere ideologiepolitische Neuheit. In dem schon lange nicht mehr nur zwischen Linken ausgefochtenen Streit zwischen einer Orientierung an den globalen Unterdrückten und einer Orientierung an den bürgerlichen und menschenrechtlich Freien als jeweils dem politisch Erstrebenswerten näherstehenden Subjekten wurden die politischen
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Erfolge verheizt und verfeuert, die in der post-ideologiekritischen Ideologiekritik der 1990er Jahre entwickelt wurden: Feminismus, Anti-Homophobie, Anti-Rassismus waren nun, da viel weitreichender diskutiert und mit welchen Motiven auch immer anerkannt, Bauern im Spiel der neuen, falschen binären Konstellation. So konnten feministische Ideen plötzlich im Munde von Rechtsradikalen dazu dienen, eine brachiale Islamfeindschaft zu begründen. Das war die Lage in dem Jahrzehnt ohne Ideologiekritik: Man kann resümieren, sie fand nicht statt. Man könnte auch sagen, sie war entfesselt. Jeder benutzte ihre Tools. Alle konnten sich aller kritischen Tools bedienen, sofern diese nur genügend weit von ihren kritischen Kontexten entfernt waren – sollte man dagegen etwa nach dem Stiften neuer Zusammenhänge rufen? An dieser Stelle würde ich gern noch einmal die zu Beginn des dritten Teils erwähnten Einlassungen von Butler und Enwezor aufgreifen, die sich explizit auf das Problem eines Zusammenhangs ideologiekritischer Aktivität beziehen; einmal auf dem Wege eines Einschlusses und damit einer Zustimmung zur Zusammenhangsbildung – Islamisten gehören zur Multitude – , zum anderen über eine Absage an die Zusammenhangsbildung qua Einschluss – es besagt nichts, wenn ich Hamas und Hisbollah zur Linken zähle. Wir müssen uns davon verabschieden, dass die Linke automatisch für das Richtige steht. Einmal geht es um die Multitude als neuen Zusammenhang, einmal um die Linke – beide sind Kandidaten für die Achillesferse jeder Ideologiekritik: den vorgegebenen Anteil des eigenen Standpunkts, den notwendigen blinden Fleck, die Parteilichkeit. In beiden Äußerungen erscheint also ein Bewusstsein für die Wichtigkeit des Kontexts, zugleich scheint absichtlich oder unabsichtlich ein Problem solcher Kontextbildung auf. Es ist zum einen der jeweilige Status der Beschrei bung: Bezieht sie sich auf eine deskriptive Bestandsaufnahme oder impliziert sie eine schwierige Einigung auf etwas Normatives. Die Multitude ist womöglich Ersteres, die Linke eher Letzteres. Man könnte also Enwezor zunächst freisprechen. Indem er die islamischen und islamistischen Erhebungen den Bewegungen der Multitude zuordnet, nimmt er nur eine Deskription vor. Er antwortet damit auf dieselbe Schwierigkeit wie Butler, die sich keine universelle linke Normativität bieten lassen will, und behält sozusagen mehr als sie auf der Hand: eine Einschätzung und eine Begrifflichkeit. Das Problem ist nur, dass eine Kategorie wie die „Multitude“ nie ganz unnormativ zu haben ist, egal wie man sie begrifflich fasst, wenn man sie in einer Beschreibung politischer Konstellation verwendet, die natürlich durchsetzt ist mit Objekten, die alle Diskursteilnehmer bewerten und bewerten müssen. Es kommt so zu einer schwachen Normativität, die durchaus den Automatismen ähnelt, die der Ideologiekritik 1.0 in Gestalt des blinden Flecks eines immer schon entschiedenen Wissens, wer je die Guten und wer die Bösen sind, vorgehalten wurde – mit dem Unterschied, dass er sich nicht so deutlich zeigt.
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Die Gegenposition, mit einem hochnormativen Begriff zu operieren und die Linke so zu definieren, hätte den Vorteil, dass der blinde Flecks quasi offengelegt und, wenn schon nicht überwunden– das geht mit blinden Flecken bekanntlich nicht– , damit doch einer Untersuchung unterzogen oder einfach als perspektivisch und interessiert formuliert werden kann. Das müsste jenseits der rituellen apolitisch-persönlichen Offenlegung von eigenen Interessen und Verstrickungen geschehen, durch das Offenlegen derjenigen eigenen Kriterien und Absichten, die sich auf andere beziehen: Das, was ich von anderen will, ist mein blinder Fleck, nicht das, was ich an mir nicht sehen kann, weil ich nach außen schaue. Dies kann man aber nur in der Besetzung und Öffnung von Bewegungs- und Projektkategorien wie „Die Linke“ machen (gemeint ist der Begriff, nicht die gleichnamige Partei in Deutschland): also indem man Zuständigkeit akzeptiert, weder monadische Ironie noch super allgemeine Kampfkonstellation. Es geht darum, den Kopfarbeitern den eigenen Kopf zurückzugeben, den sie an die Arbeit delegiert haben: den Ort, an dem sie ihre Urteile fällen und ihre Loyalitäten konstruieren. Ein Ort, den sie heute tendenziell den Gefühlen und Ressentiments überlassen, die umso mächtiger werden, als Entkoppelung von Kognition und Handeln die Verstärkung der Bindung von Gefühl, Treue, Identifikation mit Handeln verursacht. Dagegen hilft weder ein universeller Wert noch eine relationale, proto-narzisstische Kategorie von Emanzipationssubjektivität, sondern nur eine Konstellation aus beiden, in der der Begriff und die Markierung der Perspektive gleich stark sind. Dazu braucht man die Analytik von Ideologiekritik 1.0 ebenso wie den Nichtsinn oder Antisinn der Kunst, der gegen sie entstanden ist, ebenso wie die Fähigkeit, die Konditionierungen der Anwesenden, die Materialität ihrer Überzeugungen auf den Tisch zu bringen, schließlich aber vor allem eine praktische Kritik des Zusammenhangs zwischen kognitiver Handlungsohnmacht und dem Glauben an die „Tat der Emotion“. Mit dieser leider sehr allgemeinen Skizze einer dritten Ideologiekritik – mit jeweils starken Universalien und starken Partikularien und einer nicht machtblinden und neutralistischen Idee von Perspektive und Beobachterbeobachtung, die von Systemtheorie gelernt hat, ohne alles übernommen zu haben – möchte ich die Diskussion eröffnen.
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THE DECADE WITHOUT IDEOLOGY CRITIQUE Diedrich Diederichsen
The decade without ideology critique (Ideologiekritik)—when was that? I mean the last ten years, when ideology critique was finally taken over by the Harald Schmidt show with very little objection and when Stuart Hall’s “oppositional code,” which Jan Rehmann discusses, ceased to embody an objection or resistance to ideology but became its primary interface. When I do not agree with an ideology, when I distance myself from it inwardly, when I ramp up the sarcasm and cognitive dissonance, I declare and above all concretely establish my consent. The ideology of neoliberalism wasn’t something that anyone believed in, but something that gained power because no one believed in it but didn’t attribute any particular significance to that fact. The decade without ideology critique—to address the question of its material basis—was the decade when the class responsible for such critique, the academic middle class, on the one hand saw its security and influence vanish in the Western democracies and on the other experienced the introduction of a separation between intellect and intellectual work. Paradoxically, maximum enlightenment had a quietist effect: it acted as a sedative. I will come back to this decade toward the end of my talk. First, however, I would like to discuss two other time periods: the late 1970s and early 1980s, when the critique of ideology was solidly established as a social practice, and the 1990s, when it changed under the influence of post-structuralism but under other influences as well. Generally speaking, the critique of ideology has two foundations: first, its object, which consists of material and historical facts and their effects—and I don’t wish to see the “hard facts” equated exclusively with economic ones—but also of the cultural effects of those facts, which have long since in turn become the economic basis for other effects; second, however, there are the conditions in the micro-world where ideology critique is more or less practiced professionally— these are the universities, the realm of the arts and official culture, and that of the countercultures. In the 1970s, Western universities opened their doors to large sectors of society that hadn’t previously been admitted. In the 1980s and 1990s, primarily at British and American universities, there were for the first time a large number of non-white students who were there thanks to various measures won by the civil rights movement and who also studied the humanities; women students had also arrived in other ways and other constellations. There were
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also new forms of racism and a first anti-feminist backlash. These are the constellations of the first two stages I will discuss. In the third phase, it appeared as if there had ceased to be any ideology believed in at all, even though there was also the fundamental novelty that ideology now spread by not being believed. Yet even this was not entirely true: enlightened cynicism had a supplementary counterpart in a deeply held and now unexamined belief—which in the last decade took the forms of anti-Semitism and Islamophobia. I I would like to introduce ideology critique as a social fact that I grew up with. Its theoretical justification and the discursive and political struggle to establish it had already taken place. A striking feature of this social fact, “ideology critique,” with which I became acquainted in the humanities of the mid-1970s was that the subjects who practiced it always took a more merciless and more absolute position vis-à-vis artworks than they did in their other political work. Artworks had a long way to fall: they had the existential dimension that couldn’t be realized in the critique of existing conditions. Capitalist commodity fetishism and the dominance of exchange value were dead external conditions that were free to slumber in the distance of the a priori—they were untouchable because they were here to stay and already well understood. The social fact of ideology critique was initially an exercise within the cultures of the left and the emerging new social movement. Interestingly, at the time there was also a figure of ideology critique on the right, a rhetoric which sought to expose a false consciousness that was seen, on the left-wing model, as having material causes—left-wing sub- and countercultures were denounced as symptoms of the false consciousness that comes from unearned wealth. Get a job! That was the main objection against leftists and countercultures. Now if that isn’t right-wing materialism! I wrote my first published text against ideology critique.1 At the 1979 Berliner Filmfestspiele, Michael Cimino’s film The Deer Hunter with Christopher Walken, John Savage, Robert De Niro, Meryl Streep, and others was on the program. Together and in comparison with Hal Ashby’s film Coming Home starring Jane Fonda, Jon Voight, and Bruce Dern, it was discussed on the assumption that it represented an attempt to come to terms with the American trauma of the Vietnam war. This discussion also marked the run-up to the Oscars, which took place shortly after the Berlinale. It was dominated by an ideology-critical reading of The Deer Hunter, which argued that it contained racist and imperialist positions, that the Vietnamese characters were demonized as inhuman, torturing “green devils” while the American soldiers had names and personalities and elicited empathy from the viewer. By contrast, Hal Ashby’s 1 Diedrich Diederichsen, “Der Oscar und die grünen Teufel,” in: Sounds, 4/79, pp. 18 – 19.
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drama about the return of a Vietnam War veteran and a woman whose affections between him and another, wheelchair-bound veteran was seen as the sensitive examination of a national trauma, allegorically played out in the tortured souls and shattered bodies of individuals. History reflected in the mirror of individual destinies and complex psychologies was regarded as non-ideological; it could even be justified with Lukács’s theory of the novel. My suspicion of The Deer Hunter’s left-wing and liberal detractors was that what bothered them was really that the film recounted the soldiers’ fate as connected with their class; I suspected they were less concerned about the dignity of the Vietnamese than about the sorely tried but autonomous subject beyond class. The Soviet delegation left the Berlinale in protest against the depiction of the North Vietnamese troops; Coming Home won the relevant Oscars. Key to the discussion and its ideology-critical components, however, was the prevailing assumption that Hollywood acted as a kind of megasubject of public opinion. It decided what would be thought in the so-called free world. So if the US cinema produced two films with supposedly contradictory messages, then the newer, more unusual one represented the current trend and reflected Hollywood’s new initiative, whereas the older one merely pointed to the other position’s retreat and loss of hegemony. What bothered me at the time was the automatic character of this critique of ideology, which had no doubt that the aesthetically more nonconformist The Deer Hunter belonged to a different, new, and reactionary Hollywood, a major trend of emerging Reaganism, the great rightward cultural shift of the early 1980s. Couldn’t it instead have been an exception that a director or studio had “let slip,” a product of the New Hollywood’s auteur cinema, which was just then enjoying its heyday and which could no longer simply be shoehorned into the role of a consciousness industry acting with single-minded ideological purpose? And how could a well-intentioned social democratic problem film like Coming Home represent a maximum in matters of trauma processing and political critique? Of course, my intention wasn’t to take a right-wing position or to defend a film that really was preparing the way for a new American patriotism against another that was at least social democratic—since there is also substantial reason to think that this is how The Deer Hunter should be read. I wanted to speak from a point outside the critique of ideology and show that from it the work of ideology critique could be freed from its automatisms. Of course I couldn’t have put it that way at age twenty-two; this was more an intuition; so I made use of certain models. My paradigms were a few texts by the early Peter Handke from Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms2 and above all a number of essays by the 2 Peter Handke, “Horvath und Brecht” and “Ein Beispiel für die Verwendungsweise grammatischer Modelle,” in: ibid., Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms, Frankfurt a. M., 1972, pp. 63ff, and pp. 78 – 82.
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film critic Frieda Grafe, especially “Ein linker Film für Axel Springer,” 3 in which she exposed the matrix of the ideology critique of the day and proposed a reversal. Taking as her examples Costa-Gavras’s film Z, a favorite of left-wing “sixties survivors,” and Alfred Hitchcock’s ostensibly right-wing Cold War thriller Topaz, Graf showed that although the artistically plain Costa-Gavras film developed a scenario in which the leftists were the good guys and the rightists the bad guys, it also involved extremely conventional characters (precisely good guys and bad guys) and hence framed the political as a quite externally constructed domain of virile, one-dimensional figures in complete command of their actions—and thus played directly into the hands of the convention marked as nature that constitutes the right-wing world view of the Axel Springer Verlag. By contrast, while on the surface Hitchcock seemed to take the West’s side in the Cold War, at a deeper level he pulled the rug out from under all psychological conventions and constantly teased out the private dimension of political positions and the political dimension of seemingly purely private matters of taste—in the romantic and cloak-and-dagger imbroglios between Russians, Cubans, African Americans, French, British, and Danes. I made good use of this example. Only when considered superficially, I argued, is The Deer Hunter a patriotic pro-American film. In fact, by adopting the perspective of the incomprehension of proletarian, working-class children forced into the war by a tradition they do not understand, it develops a precarious and unstable and hence subversive position. By contrast, Coming Home merely lazily and tautologically confirms the assumptions of its middleclass psychology. In 1980, a position like mine that wished to situate itself outside the critique of ideology was already overdetermined; that was also no doubt why I found it so appealing. On the one hand, it was a radical position. It refused to be taken in by the social democrats, who thought they could act and negotiate communicatively in a world where no affects or ruptures bore witness to the discursively inaccessible unbearableness of social conditions. It was a position which resisted the latent subtraction thesis of ideology critique that all one had to do was remove the false consciousness from people’s brains and ideas and then as soon as the fog had lifted and cleared a correct one would take its place. At the same time, however, it was also a strong aesthetic position, because it believed in The Deer Hunter’s shocks and discontinuities as the response of a world of humiliation and desire, whose violence caused by material conditions was misunderstood by the dominant critique of ideology with its narrative-focused interpretation of the culture industry and ideological production as merely wrong content. A popular idea around 1980 was that meaning itself, not the mistaken interpretation of reality, 3 Frieda Grafe, “Ein linker Film für Axel Springer—Z von Costa-Gavras” and “Kalter-Kriegs-Film – Topaz von Alfred Hitchcock,” in: Frieda Grafe, Enno Patalas, Im Off, Munich, 1974, pp. 147 – 156.
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was the proper object of critique.4 To some degree, this intensification might have been available in poststructuralist varieties of ideology critique, but not in the variety that was active and hegemonic in art criticism or in popular or even dissident culture. By contrast, I argued that the famous Russian roulette scene in The Deer Hunter was dominated by a nameless violence that distorts the rage-twisted, agitated faces of the Vietnamese who hand the pistols to the Americans no less than it does the features of the death-seeking former GI played by Christopher Walken. This was not just an objection to ideology-critical art or an ideology-critical approach to art; it was also—and this was an important aspect of the doubts that swirled around the critique of ideology at the time —an objection which sought to place images, sounds, noise, but also fetishes and violence above words and discourses and to challenge the primacy of narrative and character development. At the time there was a concept making the rounds: that of Vernunftkritik, or the critique of reason. At that point, Vernunftkritik was still capable of bringing together aesthetic and radical positions. It also united the various nihilistic, radical left-wing/anarchist, and aestheticist themes beneath what was, for the time being, still a sturdy umbrella compounded of poststructuralism and the rediscovery of Bataille and Artaud. For a while and in certain hands, this critique of the critique of ideology, which ultimately culminated in this formula of Vernunftkritik and inspired the founding of a dizzying variety of publishing houses and journals, from Konkursbuch to Neues Lotes Folum, from Merve to Matthes & Seitz, continued to see itself as an outbidding of ideology critique, as its heightening and necessary improvement. At a certain point, however, and/or in other hands, it began to see itself as the vanguard of a thrust in the opposite direction. II Fast forward ten years to 1990. I now turn to the era in which ideology critique was successfully replaced. I will not pursue the question of whether Vernunftkritik and punk nihilism directly contributed, in the 1980s, to the assets of a new cultural right which from 1990 on could be more and more frequently observed as an overtly political right, or whether they demanded the historical due for the incommensurable and aesthetic, which more completed a deficient ideology critique than presented themselves as its opposite. Let’s consider a development that actually continued what was undeniably a project of all ideology critique: the attempt to make the subjects’ political and cultural self-assessments as men and women, as members of particular ethnicities and traditions—self4 For example, the collective A/Traverso wished to see the famous autonomist broadcaster Radio Alice “blow up the dictatorship of MEANING” and “introduce delirium into the orderly world of communications.”
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assessments ideologically regarded as nature—recognizable and accessible to them as man-made life conditions. I’m referring to the new push that antiracist, feminist, queer discourses, projects, and movements and so-called identity politics received in the 1990s in local activism, the arts, but also academia—sparked initially by the fact that people with other biographies were present where the critique of ideology was being practiced. On the one hand, we can find in all these practices an applied form of ideology critique, one that was no longer restricted to texts and discourses5 but that dealt directly with the dispositions, habitus, etc., of those involved. On the other, we can observe a further development of its parameters: false consciousness was now explained not just in terms of what was good for the capitalist economy. Rather, inscribed within larger or other political and cultural objects such as patriarchy, its falseness was relativized; the central universalist vantage point from which its falseness could be measured was called into question. I will call these practices of the 1990s post-ideology-critical, since they now really can be understood as both a replacement and continuation of ideology critique— something which is doubtful for the Vernunftkritik of the 1980s. The debates that pitted De Niro against Fonda or Hitchcock against CostaGavras had centered on the conscious content of political views, opinions on world issues to which viewers were expected to respond as citizens and participants in public discussion. By contrast, the post-ideology-critical practices to which I’ve just alluded, which have emerged since the 1990s, focused on the social, political, and psychological constitution of the critics themselves as political subjects. That had been an aspect of the ideology critique of the legendary 1960s as well, but it had come up against the fact that the historically available political subjects—working class and anti-colonial liberation movements— were not potential members of the audience for ideology critique, or were so only in exceptional cases.6 This had changed by 1990, and not just because the demographic situation in academia had changed: the debates over AIDS and homophobia, a new feminism, and a new anti-racism now impacted a bourgeois audience as well; moreover, the new approaches were partially successful in mobilizing a non-bourgeois audience; and the erosion of the middle class that was already underway at the time in the USA and post-ColdWar Europe was making class boundaries more porous. On the one hand, this had the advantage that ideology (or what was critiqued in its place) now no longer appeared as a purely discursively specified evil that had to be driven from people’s minds and replaced with something better in a kind of object-oriented enlightenment of the immature regarding the structure 5 This was already the case for some of the more subcultural outposts of the 1960s: Sex-Pol initiatives, politics of psychedelia, Reichians, etc. 6 Such cases did arise briefly in the intellectual centers of the Third World, in North Africa, for example, or Latin America, as well as in insurgent milieus like that of the Black Panther Party.
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of their immaturity. Rather, it was connected with the everyday lives of the critics themselves. The focus was less on abstract argumentative positions that were often preconceived, as in the years of left-wing substitutionist politics and an ideology critique that, instead of critiquing ideology, merely sought to install the correct one: when they were hotly disputed, the exchange was often merely a proxy for other interests. Instead, what was at stake in discussions of gender construction and social mechanisms of inclusion and exclusion was ideology as experienced first-hand, not its representation in discourses, for example, on art. The previously suppressed issues of desire, interests, and personal implication played an increasingly important role and now and then could even be narcissistically absolutized, as in the famous self-relativizations of those years: “I am a white, heterosexual male from the middle middle class with a latent history of abuse, and I would like to say…” Even more important, however, was the fact that this new style of ideology critique was incomparably more successful than that of the New Left, whose remnants as a culture-pages debate I depicted, admittedly somewhat unfairly, only in its late stages in my autobiographical introduction. This success was apparent in the presence of new topics of public discussion in Western countries—anti-discrimination laws, quota systems, etc.—, even if these changes were often disparaged as purely cosmetic (often legitimately, as when an anti-discrimination law was adopted together with a massive tightening of immigration policy). But it was even more evident in the vehement defense reactions it elicited, which bore the name “political correctness.” For this is what our critique of ideology 2.0 was called by those who rejected it—a term of abuse whose complex effects have been far-reaching, even epidemic. The logic of this aspersion is interesting, however, because it brought the logic of the old ideology critique together, virtually ex negativo, with the new, critical, here post-ideological practices of the 1990s which it targeted. In the 1990s, it became increasingly scandalous to draw any consequences at all from political positions. The formulation of an objection to a practice or condition based on a political position and its normative force was discredited in the age of Maggie Thatcher’s “TINA” (“there is no alternative”) bon mot and the overwhelming consensus. That consensus surrounded the fact that, whereas economically the collapse of “really existing socialism” had given rise to a world of unlimited—capitalist—possibilities, the room for political action had shrunk to a minimum, since states were only there to enable successful private economic activity. But it also surrounded the fact that vernunftkritische and other arguments against the blindness of ideology critique 1.0 considered it presumptuous for a group or individual to seek to derive a norm from its insights. The anti-PC argument accused ostensible political correctness, the target of its wholesale attack, of seeking to relegitimize demands derived from political
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convictions and to translate those demands into law—whether it was a matter of feminist demands for protection from practical sexism or better pay for women or a question of anti-discrimination laws or the banning of offensive or racist collective designations. The scandal resided less in a disagreement over this or that particular demand than in the fact that it appealed to political convictions and insisted on their correctness and on the relevance of such convictions in the first place—in the very idea that there was such a thing as a correct political course. And yet the distinguishing feature of this new movement oscillating between identity politics, minority rights, and later on intersectionality was precisely that it didn’t wish to implement abstract positions or to locate correct and false consciousness within a universal discourse but sought to act from within and on behalf of concrete situations, and was actually inclined to deconstruct universalisms and abstract truths. Indeed, I would even describe a certain fetishization of immediacy and a certain gesture of personal implication and dismay, an emotionalistic hostility to abstraction in many components of this political counterculture, as its primary problem. Be that as it may, as a result of the overarching political world view maliciously steered their way by an opposing side with its fair share of conspiracy theorists, many identity-political initiatives suddenly acquired an unwanted center that actually suited them rather well. If there were large-scale mobilizations again by the end of the 1990s from Seattle to Genoa, and if the concept of anti-globalization, also ex negativo, brought the patchwork movements of the 1990s a center, albeit an empty one—a vacant, uncanny focal point made up of the non-contingent blanket generalization to which they were subjected by their opponents and of their blanket generalization of themselves in the construction of an adversary (globalization)—, this was not wholly unjustified either in strategic or even in political and historical terms. Perhaps they had been too anarchistic, and the defenders of the mainstream and combatters of PC from the Austrian Freedom Party to the Achse des Guten (Axis of the Good), who now borrowed the anarchist gesture for themselves and decried the menace of a Stalinist gay feminism—a McCarthyism of the left—had actually improved their capacity to act. III And this is where the third decade begins, the one that is actually my topic and that is now in the process of ending: the decade without ideology critique. I’d like to mark the beginning of this decade with what is in my view a typical, if perhaps trivial or careless remark by Okwui Enwezor in the catalog for Documenta 11,7 and I’d like to mark its end with a very recent debate, the one 7 Okwui Enwezor, “Black Box,” in: Documenta11_Platform 5, exh. cat. Documenta 11, Kassel, Ostfildern-Ruit, 2002, pp. 42 – 58, especially pp. 47f.
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surrounding the awarding of the Adorno Prize to Judith Butler in September 2012. Between these two dates, 2002 and 2012, there stretches a decade in which the critique of ideology was blockaded in both of its versions—as a struggle against false consciousness in the name of emancipatory or democratic projects for which correct consciousness is required, or as a battle against the naturalization of my oppression and marginalization without any central substantive distinction between right and wrong but only with relational, situational, local distinctions. One example of this blockade is the failed attempt of Spiegel writer Georg Diez to recognize Christian Kracht’s most recent novel as a flirtation with right-wing, racist, and other problematic positions and his inability either to formulate and cogently argue that suspicion or to draw any support whatsoever in the ensuing shit storm against him. A similar helplessness earlier marked the debates over Thilo Sarrazin and Jonathan Littell—all these debates had in common that they were unable to distinguish between legitimate discomfort and nostalgia for an approach to this discomfort that was now vaguely and informally prohibited by the public. Ideology-critical language was blockaded and also, as silly as it sounds, taboo. It wasn’t just blocked, however, by the dominance of the enlightened cynicism described at the beginning of this talk, but also by an unspoken, undiscussed additional burden: the fact that on the global ideological front a new Manichaean binarism had actually now been established on the Cold War model—the West versus Islam—which did not fit with that enlightened cynicism at all. There seemed to be no connection between these two ideologemes— which made them more powerful. Enwezor wrote an essay for the 2002 Documenta catalog in which he applied the concept of the multitude—a notion already introduced into the postideology-critical debates by Deleuze and at that time newly reformulated by Negri/Hardt—to the global constellations in a post-colonial art world. In doing so, he explicitly included Islamism among the important anti-hegemonic movements, expressly mentioning the Iranian revolution of 1979 along with other, undeniably emancipatory movements. Ten years later, when Judith Butler was selected to receive the Adorno Prize, she was sharply attacked because at about the same time as Enwezor she had described Hezbollah and Hamas as left-wing movements. What’s interesting is that she responded to the agitated debates which erupted in the run-up to the conferring of the Adorno Prize in St. Paul’s Church in Frankfurt in considerable detail in the tageszeitung and Frankfurter Rundschau by relativizing and distancing herself from her comments, pointing to their context and her rejection of both organizations’ violent policies as well as her rejection of violence in general. She did not, however, distance herself from her assessment of the organizations as left-wing,
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insisting that it didn’t necessarily imply approval, since there is also a left that deserves to be rejected. On the contrary, she argued, it is an act of enlightened realism not to deny that unsavory groups like these also belong to the left. I mention these two statements lying ten years apart, both of which were made within the art field broadly speaking, in order to place the blockade of ideology critique—indeed of a third ideology critique that had now become necessary and had perhaps begun to appear on the horizon as early as 2000—in the context of two typical examples. To oversimplify somewhat, in the period after 9/11, in the context of the new ideological configuration of a confrontation between the West and Islam, many made the mistake of detecting the old block configuration of the Cold War and seeking to combat it by analogous means. During the Cold War, many in the West, even if they didn’t side with the “really socialist” countries but rejected their idea of socialism and communism, nonetheless in principle equated the West’s global and foreign policy ideology with ideological relations under capitalism and thus believed they could practice anti-imperialist and anti-capitalist ideology critique in parallel. Similarly, after 9/11 and the invasions of Iraq and Afghanistan, there were corresponding readings of the new configuration. The activist group Retort, for example, including T. J. Clark, saw a connection between the U.S. empire’s new wars against states that were both oil-rich and Islamic and a return to primitive accumulation as the dominant new resource of a capitalism now incapable of carrying out exploitation elsewhere—indeed, this was one of the more nuanced and in many respects more plausible readings of the new situation. On the other hand, especially in Germany there was a strong movement that turned vehemently against the old anti-imperialist reading of the conflicts, rejected any left-wing solidarity with the attacked Islamic countries and regions, and instead praised the relatively advanced human rights situation in Israel. Only where civil liberties are realized, it argued, does communism have a chance; old-school anti-imperialism, by contrast, was merely a pretext for lightly disguised anti-Semitism. As over the top and in its own turn ideological as it sometimes appeared, this position, which became popular or at least widely known under the label “anti-German” but is also held by leftists and former leftists in other language areas—a strong proponent, for example, was the recently deceased Christopher Hitchens, whose final success was as a critic of religion—was able at least to make one thing clear even far beyond its immediate ideological “back yard”: neither are Israel and the Israeli Jews suitable candidates for the old role of the imperialist and oppressor, nor are Muslims in general and Islamists in particular suitable candidates for that of revolutionary anti-imperialists. This insight, however, was only a useful tool of ideology critique when connected with the insight that, from an ideology-critical
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perspective, the anti-Semitism that has certainly increased in the last ten years and the similarly expanded virulent Islamophobia are not two sides of a global relationship between which a choice must be made, but two nearly identical expressions of a new racism, a racism believed in differently from earlier racisms, which is more detached, more cynical, more seemingly enlightened, more digital, less “sweaty,” and more technological—the drone aircraft of racisms. But there was also another ideological-political novelty in the last decade. In the dispute over who stands closer to the political ideal, the global oppressed or the seemingly free people with civil and human rights—a dispute that has long since spread beyond the left—the political achievements of the postideology-critical ideology critique of the 1990s became grist for the mill: feminism, anti-homophobia, and anti-racism, since they were now much more widely discussed and, for whatever reasons, acknowledged, were now pawns in the game of the new false binary constellation. Thus, in the mouths of right-wing radicals, feminist ideas could suddenly be used to justify a visceral hostility to Islam. That’s how it was in the decade without ideology critique. One can sum it up by saying that no such critique took place. One might also say it raged unchecked. Everyone used its tools. Everyone was able to employ all existing critical tools, provided those tools were sufficiently far removed from their critical contexts. Is it time to break with this practice and call for the formation of new contexts and connections? At this point, I would like to return to the statements by Butler and Enwezor that I mentioned at the beginning of section three, which explicitly raise the problem of a context of ideology-critical activity: one by way of an inclusion and hence an approval of the context formed—Islamists belong to the multitude –, the other by way of a rejection of context formation via inclusion—it doesn’t mean anything if I include Hamas and Hezbollah in the left; we have to let go of the notion that the left automatically stands for what’s right. In one case the new context is the multitude, in the other it is the left—both are candidates for the Achilles’ heel of all ideology critique: the impact of the speaker’s own viewpoint, his or her necessary blind spot or bias. Both remarks thus evince an awareness of the importance of context; at the same time, intentionally or not, they reveal a problem with such context formation. That problem concerns, among other things, the status of the description: is it a simple descriptive stock-taking, or does it imply a hard-won consensus around something normative? The multitude is likely the former, while the left is probably the latter. Hence Enwezor can be exonerated. In assigning the Islamic and Islamist uprisings to the movements of the multitude, he is only offering a description. He thus responds to the same difficulty as Butler, who refuses to put up with any universal left-wing normativity, and is, as it were, left with more to show for his trouble: an assessment and a conceptual framework. The problem is
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IDEOLOGIEKRITIK/-THEORIE & FEMINISMUS that a category like the “multitude” can never be completely non-normative, no matter how it is conceptualized, when it is used to describe a political constellation, which of course is full of objects that all discourse participants necessarily evaluate. The result is a weak normativity which closely resembles the automatisms adduced against ideology critique 1.0 in the form of the blind spot of an always already formed knowledge of who the good guys and bad guys were—the difference being that here that blind spot does not appear as clearly. The counterposition, which would operate with a highly normative concept and use it to define the left, would have the advantage that the blind spot could be exposed and, if not overcome—since everyone knows that’s not possible with blind spots—at least examined or simply formulated as perspectival and interested. That would have to happen beyond the ritual apolitical-personal disclosure of one’s own interests and involvements, by disclosing one’s criteria and intentions relating to others: my blind spot is what I want from others, not what I can’t see about myself because my gaze is turned outward. But this is something that can only be done by occupying and opening up movement- and project-based categories like “the Left” (by which I mean the concept, not the German political party of the same name), that is, by accepting responsibility, not monadic irony or a super-universal “fighting constellation.” The point is to give the headworkers back their heads, which they have delegated to their work: the place where they pass their judgments and construct their allegiances. A place they tend to leave today to their feelings and resentments, which become all the stronger since the decoupling of cognition and action tends to reinforce the bond between action and feeling, loyalty, identification. The remedy is neither a universal value nor a relational, protonarcissistic category of emancipatory subjectivity but a constellation of the two, in which the concept and the marking of perspective are equally strong. This requires the analytical power of ideology critique 1.0, the non- or anti-sense of the art that emerged against it, as well as the ability to put the conditionings of those in the room, the materiality of their convictions, on the table. Finally and above all, however, it takes a practical critique of the connection or contextual link between cognitive paralysis and the belief in the “deed of emotion.” With this unfortunately quite general sketch of a third critique of ideology—with equally strong universals and particulars and a notion of perspective and observation of the observer that isn’t blind to power or neutralistic, and which has learned from systems theory without adopting it wholesale—I would like to open the discussion.
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Ideologiekritik im engen Sinne wurde im Wesentlichen von marxistischen Feministinnen betrieben. Doch auch wenn sie selten dezidiert so benannt wurde: Ideologiekritik und -theorie sind seit jeher ein Kernbestandteil feministischer Theorietradition. Selbst von Anfang an immer unter Ideologieverdacht stehend, hat der Feminismus aufzuzeigen versucht, dass es generell keine ideologieunverdächtige (Gesellschafts-)Theorie gibt. Analog zur Grundfrage jeder Ideologiekritik, wieso Menschen bereitwillig immer wieder auch Denksystemen folgen und in Praktiken verharren, die ihren eigenen Interessen widersprechen, suchte der Feminismus zunächst vor allem nach einer Erklärung für die soziohistorische Stabilität von Misogynie, die global zu einer massiven und dauerhaften Disprivilegierung der Hälfte der Menschheit geführt hat. Früh kritisierte er dabei jene zentrale Strategie, die bei der Institutionalisierung von Ideologien – gleich ob es sich dabei um neoliberale oder um patriarchale handelt – besonders gern verfolgt wird: dieser den Anschein von naturgegebener Unausweichlichkeit zu geben. Seit Simone de Beauvoir ist nicht allein der abendländische Natur/Kultur-Dualismus samt seiner geschlechtsrigiden Implikationen unter feministischem Beschuss, mit diesem Dualismus geriet schnell auch jeder Versuch in die Kritik, kontingente Ergebnisse hegemonialer Verhältnisse als Resultat biologischer Bestimmung oder anderweitig als natürlich gesetzte Disposition zu verkaufen. Kaum eine andere Ideologiekritik hat außerdem die materiellkörperlichen Auswirkungen von Ideologie so konsequent verfolgt wie die feministische Beschäftigung mit dem Leib als einem Ort ideologischer Anrufungen und Anpassungen. Der Blick auf vergeschlechtlichte Körper, die mit ihrer vorgeblichen Naturwüchsigkeit die Plausibilität der Ideologie von einer unhintergehbaren Geschlechterdifferenz scheinbar ständig reaffirmieren, kann überdies als paradigmatische Analyse gelten, wie materielle Manifestationen Funktionsweise und Fortbestand von Ideologie sichern. Pionierarbeit wurde auch von feministischer Wissenschaftskritik geleistet, indem diese eine Ausweitung von Ideologiekritik auf Wissensproduktion und Wissenschaft betrieb und deren strukturellen Androzentrismus offenlegte. Diese Wissenschaftskritik hat sich nie auf einen bloß kompensatorischen Ansatz beschränkt – indem zum Beispiel die geschichtspolitische Anerkennung der historischen Relevanz der Leistung von Frauen durch Frauengeschichtsschreibung vorangetrieben wurde –, sondern darüber hinaus stets auch eine Fundamentalkritik an wissenschaftlicher Epistemologie und Methodologie geübt, weil wissenschaftliche Objektivität als immer bloß „situiertes Wissen“ (Donna Haraway) ¹ und Wissenschaft als
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auf subjektiver und kollektiver Erfahrung basierende „soziale Institution“ (Sandra Harding) ² entlarvt wurden. Der klassisch-marxistische Gebrauch des Begriffes Ideologie als etwas, das der Verschleierung und Legitimierung der tatsächlichen Machtverhältnisse dient, wurde von Feministinnen um eine zentrale Ebene dieser Verschleierung ergänzt, indem auf die Ausblendung von weiblicher Reproduktionsarbeit als „blinde[m] Fleck in der Kritik der politischen Ökonomie“ (Claudia von Werlhof ) ³ verwiesen wurde. Die Haus- und Familienarbeit von Frauen vergrößere durch die geleistete Reproduktion von Arbeitskraft den Mehrwert der industriellen Produktion und trage damit zu einer Maximierung der Akkumulation von Kapital bei. Doch auch wenn feministische Marxistinnen Kritik daran übten, dass der Marxismus die Unterdrückung von Frauen als bloßen Nebenwiderspruch betrachtete, blieb Ideologie auch für sie häufig auf ein Epiphänomen des Ökonomischen reduziert. Oder sie billigten der Ideologie zwar eine relative Autonomie zu, wie etwa Michèle Barrett in „Ideology and the Cultural Production of Gender “ 4, betonten zugleich jedoch deren unauflöslich reziprokes Abhängigkeitsverhältnis zu den materiellen ökonomischen Strukturen. Postrukturalistische feministische Ideologietheorie hingegen betrachtet Ideologie im Anschluss an wie auch in Abgrenzung zu Louis Althusser nicht länger als „falsches Bewusstsein“ oder als „Verblendungszusammenhang“, wogegen sich ein wie auch immer geartetes verbindlich Gutes oder eine objektive Wahrheit wenden könnten. Ideologie wird mit Rekurs sowohl auf psychoanalytische Theorien als auch auf den Dekonstruktionsbegriff Jacques Derridas als subjektkonstituierende, sinnstiftende Sprachimmanenz verstanden sowie als Teil des „Imaginären“ und der „Ordnung des Symbolischen“ (Jacques Lacan). Ideologie ist somit konstitutiver Bestandteil jeder Intelligibilität und bildet „die Möglichkeitsbedingung des Subjekts“ (Judith Butler).5 Denn nach Judith Butler korrespondiert im Althusser’schen Anrufungsszenario die ideologische Interpellation – die immer auch geschlechtszuweisend ist – mit dem Begehren des Subjekts nach autoritativer, identifizierender Anerkennung. Dennoch entwirft postmoderner Feminismus Subjekte keineswegs als bloß unterworfene Ideologieprodukte, sondern richtet, u. a. mithilfe von Michel Foucaults Machtanalysen, den Fokus auf die Möglichkeit einer widerständigen Destabilisierung von Hegemonie.
1 Donna J. Haraway, „Situiertes Wissen. Die Wissenschaftsfrage im Feminismus und das Privileg einer partialen Perspektive“, in: Sabine Hark (Hg.), Dis/Kontinuitäten: Feministische Theorie, 2., aktualisierte und erweiterte Aufl., Wiesbaden 2007, S. 305–322. 2 Sandra Harding, Feministische Wissenschaftstheorie. Zum Verhältnis von Wissenschaft und sozialem Geschlecht, Hamburg 1990. 3 Claudia von Werlhof, „Frauenarbeit. Der blinde Fleck in der Kritik der politischen Ökonomie“, in: beiträge zur feministischen theorie und praxis, Heft 1, München 1978, S. 18 –32. 4 Michèle Barrett, „Ideology and the Cultural Production of Gender“, in: Judith Newton, Deborah Rosenfeldt (Hg.), Feminist Criticism and Social Change, New York 1985, S. 65 –85. 5 Judith Butler, Hass spricht. Zur Politik des Performativen, Berlin 1998, S. 44.
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Ideology critique in the strict sense has essentially been carried out by Marxist feminists. But even if it is rarely decidedly labeled as such: the theory and critique of ideology have always been a core component of the feminist theoretical tradition. Seen from the very beginning as ideologically suspect, feminism has attempted to demonstrate that there is no (social) theory that is not ideologically suspect. In analogy with the basic question of every ideology critique, that is, why people are willing, time and again, to subscribe to systems of thought and to persist in practices that go against their own interests, feminism initially and primarily sought to account for the socio-historical stability of misogyny, which has led globally to a massive and durable de-privileging of half of humanity. Very early on, it criticized the central strategy that is all too readily pursued in the institutionalization of ideologies—whether these are neoliberal or partriarchal: that of giving them the appearance of inevitability, established by nature. Since Simone de Beauvoir, it is not only the occidental nature/ culture dualism, including its gender-rigid implications, that has come under fire. Along with this dualism, any attempt to present contingent findings of hegemonic conditions as the result of biological determinism or otherwise as a disposition fixed by nature has quickly met with criticism. Furthermore, hardly any other critique of ideology has so consistently pursued the material-corporal effects of ideology as has the feminist engagement with the physical body as the site of ideological appeals and accomodations. The view to the gendered body, with its ostensibly natural basis, which seems to constantly reaffirm the ideological plausibility of an absolute difference between the sexes, can serve as a paradigmatic analysis of how material manifestations can ensure the ways ideology functions and see to its continued existence. Pioneering work has also been done by the feminist critique of science, extending the critique of ideology to the production of knowledge and science, and revealing their structural androcentrism. This critique of science has never been restricted to mere compensation—in which, for example, the historico-political recognition of the historical relevance of the achievements of women would be promoted by writing women’s history—but has also continually leveled a basic criticism of scientific epistemology and methodology. Scientific objectivity has been exposed as always merely “situated knowledges” (Donna Haraway) ¹ and science as a “social institution” (Sandra Harding) ² based on subjective and collective experience.
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The classic Marxist usage of the term ideology, as something that serves to veil and legitimize actual power relations, was amended by feminists to include a central level of this veiling. They pointed to the active ignoring of female reproductive work as a “blind spot in the critique of political economy” (Claudia von Werlhof).³ The reproduction of the worker, attained by women’s work in the home and with the family, augments the surplus value of industrial production, thus contributing to a maximum accumulation of capital. But even when feminist Marxists leveled the criticism that Marxism viewed the oppression of women as a mere secondary contradiction, ideology often remained reduced to an epiphenomenon of economics, even for them. Or they granted a relative autonomy to ideology, such as Michèle Barrett does in “Ideology and the Cultural Production of Gender,” 4 while at the same time emphasizing its irresolvably reciprocal dependence on material economic structures. Poststructuralist feminist ideology theory, on the other hand, drawing on but also distinguishing itself from the work of Louis Althusser, no longer views ideology as “false consciousness” or as a “context of delusion” which could be opposed by a mandatory good or an objective truth of any kind whatsoever. With recourse to both psychoanalytic theories as well as Jacques Derrida’s concept of deconstruction, ideology is understood as a linguistic immanence that constitutes the subject and institutes meaning, as well as part of the “imaginary” and the “symbolic order” (Jacques Lacan). Ideology is thus a constitutive component of all intelligibility, and forms “the condition of possibility for the speaking subject” (Judith Butler)5. For, according to Butler, ideological interpellation in the Althusserian scenario of appeal—which is also always gendered—corresponds to the desire of the subject for authoritative, identifying recognition. Nonetheless, postmodern feminism does not imagine subjects as simply subjugated products of ideology; it instead shifts the focus, in part using Michel Foucault’s analyses of power, to the possibility of a resistant destabilization of hegemony. Lea Susemichel
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FEMINISMUS ALS SKIZZE UND ÜBERSETZUNG. EIN GESPRÄCH MIT ULRIKE MÜLLER
Eva Birkenstock
1 Donna J. Haraway, “Situated Knowledges: The Science Question in Feminism and the Privilege of Partial Perspectives,” in: Feminist Studies, 14, 1988, pp. 575 –599. 2 Sandra Harding, The Science Question in Feminism, New York, 1986. 3 Claudia von Werlhof, “Frauenarbeit. Der blinde Fleck in der Kritik der politischen Ökonomie,” in: beiträge zur feministischen theorie und praxis, Issue 1, Munich, 1978, pp. 18 – 32. 4 Michèle Barrett, “Ideology and the Cultural Production of Gender,” in: Judith Newton , Deborah Rosenfeldt (eds.), Feminist Criticism and Social Change, New York, 1985, pp. 65 – 85. 5 Judith Butler, Excitable Speech: A Politics of the Performative, New York, 1997, p. 28.
In Vorarlberg aufgewachsen, hat Ulrike Müller in Wien studiert und ist 2002 nach New York gegangen, wo sie heute noch lebt. Für den vorliegenden Beitrag haben wir über ihr Agieren im Spannungsfeld zwischen individuellen und kollektiven Arbeiten nachgedacht und darüber, was es bedeutet, feministische Diskussionen und künstlerische Praxis zusammenzudenken. Ausgehend von ihren eigenen künstlerischen Arbeiten haben wir das Verhältnis von Kunst und Feminismus befragt und überlegt, wann und ob künstlerische Arbeiten „feministisch“ sein können. Im Zentrum unseres Gesprächs steht das Projekt Herstory Inventory, das Ulrike Müller 2009 initiierte. Ausgangspunkt von Herstory Inventory bildete eine Recherche in den Lesbian Herstory Archives 1 in Brooklyn, New York, ein 1974 von einer Gruppe von Frauen gegründetes, selbstorganisiertes Archiv, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Dokumente und Memorabilia lesbischer Lebensentwürfe und Aktivitäten zu sammeln und aufzubewahren. Während ihrer Recherchen ist sie auf eine von einer ehrenamtlichen Mitarbeiterin verfasste Inventarliste gestoßen, die auf eigenwillig akribische und zugleich poetische Art und Weise die grafischen Elemente der seit den 1970er Jahren im Archiv verwahrten T-Shirts beschreibt. Als Codes von Mitgliedern einer Gemeinschaft äußern sie teils humorvoll, teils wütend Begierden, politische Ansichten und Allianzen. Von dieser Liste ausgehend hatte Ulrike Müller 100 Künstlerinnen eingeladen, die textuellen Beschreibungen in Zeichnungen zu übertragen und damit von ihrer jeweiligen Gegenwart aus subjektive Perspektiven auf die feministische Bewegungsgeschichte zu richten. In einem breiten Spektrum an Stilen und Herangehensweisen führen die kleinformatigen Zeichnungen und Collagen bzw. die Übersetzungen der Textzeilen in Bilder persönliche Haltungen gegenüber lesbisch-feministischen Bildfindungen auf und konfrontieren sie mit ihren queer-feministischen Aktualisierungen. Im Frühjahr 2012, kurz bevor die Sommerakademie in Bregenz stattfand, war eine Auswahl dieser an die T-Shirt-Beschreibungen angelehnten Zeichnungen in der Ausstellung Herstory Inventory. 100 feministische Zeich1 http://www.lesbianherstoryarchives.org.
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nungen von 100 Künstlerinnen in einer Rauminstallation in der KUB Arena zu sehen. Im Juni 2012 wurde die Ausstellung in einer anderen Form im Brooklyn Museum präsentiert. Die Arbeit erschien uns in vielerlei Hinsicht als Ausgangspunkt unseres Beitrags interessant, da sie eine Vielzahl künstlerischer Vorgehensweisen feministische Fragestellungen betreffend impliziert. Das Zeichnen wurde zu einem Akt der politischen Auseinandersetzung mit historischen Insignien, Symbolen und Positionierungen des US-amerikanischen feministischen Diskurses, die entstandenen Zeichnungen wiederum verweisen auf die der Reproduktion dieser Kultur eigenen Herausforderungen. Kurz, es war naheliegend, an unseren Austausch über Herstory Inventory anzuschließen, um über Politiken der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit sowie über das Verhältnis des Projekts zu Ulrike Müllers individueller malerischer Praxis nachzudenken – Themen, die wir im Rahmen zweier Skype-Gespräche und einiger E-Mails, auf denen dieses Interview beruht, aufgriffen und fortsetzten. Eva Birkenstock Im Herbst 2002 bist du von Wien nach New York gegangen, was hat dich dorthin geführt? Erinnerst du dich daran, welche Diskussionen jeweils in Wien und New York zu dieser Zeit für dich prägend waren, wie du beide Kontexte wahrgenommen hast? Ulrike Müller Während meines Studiums begann an den Wiener Kunsthochschulen ein verspäteter Generationswechsel, der auf mehreren Ebenen einen Epochenumbruch bedeutete, nicht zuletzt weil Frauen noch Anfang der 1990er Jahre in der Lehre stark unterrepräsentiert waren. Zwischen einem veralteten Kunstbegriff an der Akademie und Tendenzen zur kritisch-diskursiven Produktionsverweigerung unter jüngeren KünstlerInnen präsentierte sich die Formulierung von künstlerischer Praxis als komplexes Problem. Wichtig war, dass Mitte der 1990er Jahre Isabelle Graw nach Wien kam. Sie führte in ein verstaubtes Modell von Kunsterziehung und Akademie eine neue Perspektive ein und damit ein anderes Kunstverständnis, eine Alternative zu dem noch sehr dominanten Meisterklassenprinzip; eine Öffnung hin zur Gegenwartskunst als diskursivem Feld. Erstmals wurde innerhalb des Kunsthochschulkontextes feministische Theorie explizit rezipiert und diskutiert. Ich erinnere mich, dass es damals wichtig war, zu dem Verständnis zu kommen, dass es sich beim Feminismus nicht um einen Inhalt handelt, der in einfach vorgegebene Formen überführt werden kann, sondern dass Feminismus immer auch ein Neudenken und Umdenken von Struktur- und Machtverhältnissen innerhalb von Institutionen bedeuten muss. Etwa zeitgleich leitete Isolde Charim an der Philosophischen Fakultät ein Seminar zu Althussers Ideologiekritik und ideologische Staatsapparate, das ich, wie auch andere Kunststudierende, regelmäßig besuchte; das Buch war damals vergriffen, aber es gab eine schicke Bootleg-
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Edition von b_books in Berlin. In dieser Diskussion um Althusser etablierte sich unter anderem die Einsicht, dass es kein Außerhalb von Ideologie gibt, auch und besonders nicht in der Kunst. Zwischen diesen beiden grundlegenden Erkenntnissen, dass Feminismus eine strukturelle, politische Herausforderung ist und dass kritisches Begehren innerhalb von Ideologie operiert, welche handelnde Subjekte als solche erst konstituiert, wurde deutlich, dass in Bezug auf Subjektkonstrukte und Handlungsfähigkeiten komplexere Denkmodelle notwendig waren. In dieser Zeit habe ich Judith Butlers Unbehagen der Geschlechter gelesen und Musik wie die von Le Tigre gehört. Auch wenn mir damals die konkrete Geschichte der Riot-Grrrl-Bewegung nicht vertraut war, ist ihre Energie durch Songs und Lyrics doch sehr direkt angekommen. Die Entscheidung nach New York zu gehen war vornehmlich von der Frage geleitet, ob ich nun Künstlerin sein würde oder nicht, und wenn ja, was das konkret bedeutete. In meinem Wiener Umfeld schien kritischer Anspruch fast synonym mit einer „post-studio“-Haltung, und mein künstlerisches Schaffen löste sich in Zusammenarbeit nahezu auf. Konkret habe ich damals u. a. eine Zeitschrift 2 mitherausgegeben oder im Rahmen der Freien Klasse mit anderen Studierenden zusammengearbeitet. Mich beschäftigten zunehmend Fragen nach meiner Position als Künstlerin außerhalb dieser Gruppenkontexte und nach Kunst als Lebensentwurf und Berufsentscheidung. So wichtig und prägend die Zeit in Wien auch war, und besonders die autodidaktische Haltung und der Aktivismus der Freien Klasse, so gab es gleichzeitig ein Begehren nach einer materiellen und nicht nur diskursiven Praxis, die in diesem Kontext zu kurz zu kommen schien. Diese Fragen habe ich nach New York mitgebracht. Ich hatte damals den Eindruck, dass die einzelnen Ansätze, aus denen ich mir so etwas wie eine Ausbildung zusammenbastelte – die autodidakte Haltung, das ständige Operieren in Opposition zu Institutionen oder der Versuch, aus der Kritik heraus eine Haltung zu formulieren –, dass all diese Puzzlestücke sehr interessant waren, jedoch strukturelle Zusammenhänge fehlten. Als Weiterführung und Intensivierung der Auseinandersetzungen in Wien erschien das Whitney Independent Study Program (ISP) 3 ein logischer nächster Schritt, vielleicht auch weil hier kritischer Anspruch und produktive Haltung vereinbar schienen. Das Werk von Mary Kelly und Martha Rosler hatte ich in Wien durch Ausstellungen in der Generali Foundation kennengelernt, und ich erinnere mich daran, in der Kunsthalle Arbeiten und Filme von Yvonne Rainer gesehen zu haben, um nur einige Beispiele zu nennen. 2 Die weiße Blatt, mit Linda Bilda, Nora Herrmann und Kristina Haider. 3 Bei dem Whitney Independent Study Program handelt es sich um ein 1968 von Ron Clark gegründetes und an das Whitney Museum of American Art in New York angebundenes Ausbildungsprogramm für angehende KünstlerInnen, KuratorInnen und TheoretikerInnen. Seit seiner Gründung wird jährlich eine Gruppe von Personen für die Teilnahme am ISP ausgewählt, das jeweils von September bis Mai abgehalten wird. Für weitere Informationen siehe: http://www.whitney.org/Research/ISP.
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EB Du hast in der Folge ein Jahr am Whitney ISP teilgenommen. Kannst du die Struktur des Programms genauer beschreiben, wo lagen die Arbeitsschwerpunkte, was wurde diskutiert oder gelesen, wie konntest du als Künstlerin, die du schließlich geworden bist, davon profitieren? UM Am Whitney Program gab es zwei wöchentliche Veranstaltungen, einen Gastvortrag und das Leseseminar, das mit dem Erbe der Britischen Cultural Studies und mit poststrukturalistischen Begrifflichkeiten operierte und etwa einen Bogen von Benjamin und Brecht zur Institutionskritik schlug, zum anderen aber auch psychoanalytische Denkmodelle einführte, die mir aus Wien nicht vertraut waren. Gregg Bordowitz öffnete diesen Diskurs hin zur Affekttheorie, was eine Brücke von kritischer Auseinandersetzung hin zu Gefühlen und Materialität schlug. Zudem waren auch einfach die Differenzen innerhalb dieses erweiterten, späten October-Umfelds, das ich in Europa zwar nicht als uniforme, aber doch als kohärente Diskussion rezipiert hatte, sehr viel größer als vermutet. In Studio Visits mit Vortragenden wie Andrea Fraser, Yvonne Rainer, Benjamin Buchloh oder Isaac Julien gab es nicht einfach nur eine Perspektive auf meine Arbeit. Ich hatte in Wien in Zusammenarbeit mit zwei Künstlerinnen aus der Freien Klasse, Jane Heiss und Patricia Reschenbach, ein recherchebasiertes Projekt über Frauen in der Situationistischen Internationalen 4 entwickelt, und diese Arbeit bildete eine Grundlage für erste Gespräche am Whitney. Beeindruckend fand ich damals zum Beispiel, dass sich Benjamin Buchloh bei seinem Studio Visit mit mir über die formalen Aspekte der Zeichnungen unterhalten wollte, die wir im Zusammenhang mit diesem Projekt gemacht hatten. Insgesamt war es wichtig, in New York ein Umfeld zu finden, in dem es eine lange Geschichte von Kunstbetrachtung gibt, in der formale Kriterien nicht nur ernst genommen, sondern als zentral verstanden werden. Aus Wien kannte ich das so nicht, dort lag der Fokus verstärkt auf Diskurs und Inhalt, formal gab es eine bestimmte konzeptuelle Ästhetik und natürlich auch kreative Ideen, es wurde aber auf dieser Ebene nicht wirklich mit der gleichen Intensität gearbeitet. EB Neben den Aktivitäten am Whitney-Programm hast du dich seit deiner Ankunft in New York auch in kollektiven Arbeitszusammenhängen außerhalb dieser Struktur bewegt, hier denke ich insbesondere an das 2002 gegründete Kollektiv LTTR.5 Vielleicht kannst du diesen Kontext näher beschreiben, auf welches Verständnis von Kollektivität bist du gestoßen? 4 J.U.P., Situationistinnen und andere …, Berlin 2001. 5 LTTR ist ein queeres, genderüberschreitendes Künstlerinnenkollektiv, das flexibel und projektorientiert arbeitet. Gegründet wurde es 2001 von Ginger Brooks Takahashi, K8 Hardy und Emily Roysdon. Von 2001 bis 2006 gab LTTR ein unabhängiges jährlich erscheinendes Kunstmagazin heraus, produzierte zudem eine Performance-Serie, Veranstaltungen, Filmvorführungen
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UM Der Kontext um LTTR wurde in meinen ersten Monaten in New York schnell zum wichtigsten Bezugspunkt. Einerseits gab es das Whitney-Programm mit dieser Wucht der postmarxistischen Kritik und den diskursiv verankerten Kunstpraxen der Leute, die da präsentierten, und andererseits das Realzeitgeschehen um LTTR und die queer-feministische Energie der hier versammelten künstlerischen und aktivistischen Projekte. Ich kam im September 2002 in New York an, im Dezember wurde die Präsentation der ersten Ausgabe von LTTR gefeiert, Redakteurin wurde ich erst 2005. In den folgenden Jahren war es dieser Kontext, der es mir ermöglichte, die Produktion bedeutungsstiftender Objekte, die sich nicht in der kapitalistischen Warenform erschöpfen, nicht nur zu denken, sondern auch zu erproben. Wichtig war die Autonomie von Form und die Erkenntnis, dass Form Bedeutung hält, ohne dass Haltung immer direkt in Inhalt übersetzt werden muss bzw. dass es möglich ist, Begehren und Haltung formal zu fassen. Das von dir angesprochene andere Verständnis von Kollektivität hat auch damit zu tun: LTTR operierte auf der Basis von Zusammenarbeit und mit einer Idee von „community“ als größerem Kontext und Potenzial. Zugleich gab es auch Raum für eine anders gedachte Konzeption von Autorschaft. Während es im Wiener Kontext eine Tendenz gab, individuelle Positionen im Kollektiv aufzuheben, entstand im Umfeld von LTTR aus vielen einzelnen Projekten ein vielstimmiges und offenes Feld, in dem das Eigene das Kollektiv gestaltet und bedingt. Nicht normative politische und sexuelle Begehren bildeten einen sinnstiftenden Kontext für künstlerische Tätigkeit und wurden zum Rahmen, in dem sich meine malerische Praxis entwickelte. EB Welche Rolle spielten die Veränderungen im New Yorker Kunstfeld der frühen 1990er Jahre im Zuge der AIDS-Krise für die Gründung von LTTR? Zu jener Zeit schienen sich die getrennten Sphären von aktivistischen Tendenzen, z. B. im Kampf gegen AIDS, und Initiativen wie ACT UP 6 verstärkt mit dem künstlerischen und kunsttheoretischen Feld verwoben zu haben. Natürlich spielt hier auch die 1987 von Douglas Crimp gestaltete Ausgabe des Magazins und Kooperationen mit dem Ziel, einen Kontext für kulturkritische Denkerinnen zu schaffen, deren Arbeit nicht nur ein Dialog miteinander ist, sondern die sich konsequent, durch Änderungen in Form und Design, immer wieder neu den zeitgenössischen Fragen stellt, aus: http://www.lttr.org/. 6 ACT UP (AIDS Coalition to Unleash Power) ist eine Bewegung, die 1987 in New York in Reaktion auf Versäumnisse der US-amerikanischen Regierung im Zuge der sich zunehmend dramatisierenden AIDS-Krise gegründet wurde und in einem Marsch mit 650000 Menschen nach Washington gipfelte. Als unabhängige Vereinigung bewirkte ACT UP durch öffentlichkeitswirksame Aktionen eine Sichtbarkeit und Politisierung der AIDS-Krise, Lobby-Arbeit ermöglichte darüber hinaus, politischen Druck auszuüben, während zugleich Netzwerke zur Unterstützung und Pflege von Erkrankten geschaffen wurden. ACT UP ist bis in die Gegenwart aktiv und findet weltweit Resonanz. Siehe http://www.actupny.org/.
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October, AIDS:Cultural Analysis/Cultural Activism, eine wichtige Rolle.7 Mit ihr erreichten die aktivistischen Tendenzen auch die Spitzenpositionen der Kunstkritik und führten zu einer Auflösung der strikten Hierarchien zwischen Hochkultur, Subkultur und sozialer Realität – zumindest für einen Moment. Wie lässt sich LTTR in diesem Zusammenhang verorten? Inwiefern war die AIDS-Krise mit ihren anhaltenden Auswirkungen präsent, wie hast du das wahrgenommen, als du Anfang 2000 nach New York kamst? Kann man sagen, dass die Arbeitsweise und das Selbstverständnis von LTTR von dieser Zeit geprägt waren, gerade in der Verbindung von künstlerischen und aktivistischen Vorgehensweisen? Wie siehst du das Verhältnis von LTTR zu diesem Teil der Bewegungsgeschichte? UM In Gesprächen mit Leuten, die ich damals kennenlernte, begegnete mir die AIDS-Krise als offene Geschichte, als traumatische jüngere Vergangenheit mit verheerenden Auswirkungen auf nicht-heteronormative Körper, die keineswegs vorbei war. Ein Bewusstsein der AIDS-Krise war auf jeden Fall in der Formulierung von LTTR präsent. Die erste Ausgabe trug beispielsweise Emily Roysdons Arbeit zu David Wojnarowicz auf dem Cover,8 es gab also eine Auseinandersetzung mit diesem aktivistischen Erbe sowie zahlreiche persönliche Verbindungen zu einem von der AIDS-Krise gezeichneten New York. Wir waren uns bewusst, dass die queeren Räume, die wir gestalteten, politische Wurzeln in ACT UP hatten, wo angesichts akuter Lebensgefahr identitätspolitisches Denken anderen Allianzen weichen musste. Meine Begeisterung für LTTR begann konkret bei der Party zur Präsentation der ersten Nummer mit dem Titel Lesbians To The Rescue. Matt Wolf, ein damals junger Filmemacher, kletterte auf einen Stuhl und sagte, dass er die Frage, warum ausgerechnet er eingeladen worden war, die Ansprache zu halten, nur so beantworten könne: „because I’m a fag and also a feminist“ (weil ich schwul und zudem ein Feminist bin). Weil in meiner eigenen Erfahrung Identitätskategorien ebenfalls nie so recht zu passen schienen, war ich natürlich Feuer und Flamme. EB Im Jahr 2012 hatten wir die Gelegenheit, anlässlich der Ausstellung deines Projekts Herstory Inventory. 100 feministische Zeichnungen von 100 KünstlerInnen in der KUB Arena des Kunsthaus Bregenz miteinander zu arbeiten. Bei diesem Projekt geht es um die Auseinandersetzung mit einer feministischen Bewegungsgeschichte, da du dich auf Materialien aus dem lesbisch7 http://www.mitpressjournals.org/loi/octo. 8 Emily Roysdon, Untitled (David Wojnarowicz Project), 2001–2007, ist ein Projekt, das fotografische Arbeiten des Künstlers, Aktivisten, Autors und Filmemachers David Wojnarowicz (1954–1992) aus den spätern 1970er Jahren neu positioniert und Abbildungen seines Gesichts karikiert. Wojnarowicz schuf Arbeiten zum Thema AIDS und verwendete eine große Bandbreite an Medien, um offen und direkt die Notlage der an AIDS Erkrankten im New York der 1980er Jahre darzustellen.
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feministischen Archiv beziehst, um gegenwärtige Kollektivität zu formulieren. Wie denkst du kritische Positionalität und identitäre Zuschreibungen in diesem Zusammenhang? UM Ich erinnere mich an den Moment bei dir im Büro, als wir darüber nachdachten, wie wir die speziell für Bregenz entwickelte Rauminstallation auf der Checkliste bezeichnen sollten. Wir einigten uns auf „feministische Raumskizze“, was einen gewissen Humor hatte, aber aus der Dynamik, der Energie und der Haltung des Projekts selbst entstanden war. In solchen Momenten konkreter Zusammenarbeit interessiert mich genau das, wie diese Idee spontan zwischen uns beiden entstehen konnte, aber gleichzeitig einer gewissen, vom Projekt vorgeschlagenen Logik folgt. Ich glaube, in Bezug auf Ideologiekritik als Thema dieses Buchs war es im konkreten Fall der Ausstellung Herstory Inventory in der KUB Arena wesentlich, darauf zu reflektieren, was eigentlich die Annahmen und Erwartungen sind, die im gebauten Raum schon vorhanden waren, um dann Strategien zu entwickeln, diesen zu begegnen. Die Architektur bildete so etwas wie eine konkrete Instanz der Frage danach, welches kritische Verhältnis zur Anwendung gebracht werden sollte. Mit der honiggelbfarbenen Fläche, die fast den gesamten Raum der KUB Arena als intervenierendes Ausstellungsdisplay sozusagen überschrieb, war es möglich einen eigenständigen Raum für die auf Stellwänden gruppierten Zeichnungen zu eröffnen. Auf diesem „quer“ zum Raster der Zumthor-Architektur in das Erdgeschoss gesetzten Rechteck, das das in der gebauten Struktur angelegte Regelwerk missachtete, um an einer Stelle an der Betonwand hochzuklappen und ein Dreieck zu bilden, verschränkten sich individuelle und kollektive, künstlerische und kuratorische, gegenwärtige und vergangene Gesten. Neben den Verweisen auf die 1970er Jahre – durch die Tapete auf den Stellwänden und die auf der Fläche verteilten Zimmerpflanzen – war es wichtig, innerhalb der Institutition einen eigenen Raum zu behaupten und die Zeichnungen nicht direkt an die Wände der Institution zu hängen. EB Das ist ein interessanter Punkt, du sprichst damit auch die Beobachtung an, die während unserer Recherchen in Bregenz wichtig wurde, dass es vor Ort keine queer-feministische Szene gibt, die in direktem Bezug zu dem Projekt steht – wie es bei der Ausstellung in New York der Fall war: durch die Tatsache, dass das Brooklyn Museum nicht weit von den Lesbian Herstory Archives entfernt liegt, aber auch, weil viele der beteiligten ZeichnerInnen in New York leben. Hinzu kam nun noch die erstmalige Verschiebung von der Vergabe von Zeichenaufgaben, des Austauschs über künstlerische Praxis und Bewegungsgeschichte bis hin zu Fragen der Präsentation in der KUB Arena, fernab von den intimen und geschützten Kontexten und Verhandlungsräumen
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ihrer Entstehung. Ich glaube, dass es vor diesem Hintergrund wichtig war, die feministische Raumskizze erst einmal als Behauptung zu implementieren, als Bezeichnung für das entworfene Raumbild. Du hast es daher auch so entworfen, dass es für einige Zeit die Architektur der Institution überlagerte. Vielleicht ging es auch darum, von vornherein einen Rahmen abzustecken – es geht um Feminismus –, wobei der Begriff Skizze wiederum Offenheit zulässt. Zudem wirft die Behauptung natürlich die Frage auf, was überhaupt feministische Räume ausmacht bzw. wann ein Raum als feministischer Raum bezeichnet werden kann und was überhaupt feministische Zeichnungen sind? UM Du hast natürlich Recht, für die Ausstellung in Bregenz war es grundlegend, erst einmal zu verstehen, wie sich die Frage nach queerer Sichtbarkeit heute im lokalen Kontext anfühlt. Ich glaube, dass die Frage nach Ideologie immer auch die Frage nach der unsichtbaren Logik ist, die Beziehungen und Lebensalltag strukturiert – was kann wie erfahren und adressiert werden? Im Rahmen von Herstory Inventory in Bregenz wollte ich Fragen nach Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit in den Raum stellen und die von dir angesprochene Problematik von Übersetzung thematisieren, ohne die dabei entstehenden Leerstellen zu füllen. In meiner Vorstellung funktionierte die Ausstellung als eine Art Parallelraum, und die feministische Raumskizze im Erdgeschoss des Kunsthauses war ein Versuch, einem an sich sehr soliden Gebäude verschiedene Öffnungen für nicht normative Imagination einzuschreiben. Eine positive Formulierung von Kritik, die sich nicht an Missständen abarbeitet, sondern vielmehr andere Perspektiven als Angebot formuliert. Was die Behauptung „feministischer“ Zeichnungen betrifft – sie ist natürlich auch eine Provokation genau der Frage, die du stellst. Zum einen ging es darum, dieses Adjektiv im Titel unterzubringen, zum anderen Übergriffe und Zuschreibungen zu vermeiden. Nachdem ich die teilnehmenden KünstlerInnen gefragt hatte, ob sie Lust hätten, historisches feministisches Bildmaterial neu zu interpretieren, schien es zulässig, die Zeichnungen als feministisch zu bezeichnen. Andererseits wirkt sich das natürlich auf die Wahrnehmung der Arbeiten aus, wenn etwa Linda Bildas Comic-Zeichnung von zwei GuerillaKämpferinnen im Dialog – Wipe them out! All of them? –, in der die Künstlerin aus Star Wars zitiert, von einem Betrachter als Ausdruck von Männerhass gelesen wurde. Ich sehe das aber eher als Manifestation individueller Ängste und Stereotypen und nicht als als eine der Zeichnung inhärente Problematik. EB Möglichkeiten der anhaltenden Übersetzung und Neupositionierung des Ausgangsmaterials und der auf dieses Bezug nehmenden zeichnerischen Perspektiven scheinen zentral, so präsentiert sich das Projekt als unendlicher Übersetzungsprozess. Der historische Ausgangspunkt wird nicht als eindeutig
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und absolut angenommen, sondern als wandlungsfähige und bewegte Referenz, die sich in der Gegenwart fortschreibt, das kommt nicht zuletzt medial zum Ausdruck. So war es bei der Ausstellung in der KUB Arena, in der verhältnismäßig dominanten Architektur von Peter Zumthor, wichtig, die Präsentation nicht einer absoluten Setzung folgen zu lassen, die nur eine mögliche Leseweise vorschreibt, sondern verschiedene Zugänge, Öffnungen zu dem Material zu generieren: Neben der Präsentation all derjenigen Publikationen, in denen das Projekt bereits veröffentlicht worden war, neben der Audioinstallation, wo die T-Shirt-Beschreibungen bzw. die Titel der Zeichnungen vielstimmig im Raum zu hören waren, gab es nicht nur vier frei stehende Wände mit der Auswahl der von dir gruppierten Zeichnungen, sondern zusätzlich eine Diaprojektion als Verweis auf eine andere Form der Betrachtung der Zeichnungen. Beim Betrachten der Dias konnte man dir zuschauen, wie du dir selbst die Zeichnungen ansiehst, Details näher heranzoomst usw. Schon in der Präsentation schienen eine gewisse Beweglichkeit und das Potenzial von Veränderung im Vordergrund zu stehen. UM Es war mir bewusst, dass es kulturelle, soziale und institutionelle Verschiebungen gibt, die nicht nahtlos miteinander funktionieren können. Und dass in der Übersetzung aus einem doch recht spezifischen Zusammenhang, der sich zum einen aus meiner eigenen Verortung, zum anderen aus der Logik des Projekts produziert, eine Ferne zu Bregenz, zur am Ausstellungsort vorgefundenen Situation entsteht. In diesem Zusammenhang beschäftigte mich die Frage, ob es einen queeren Raum geben kann, der nicht von queeren Körpern besetzt ist. Ich wollte wissen, ob soziale Vorstellungen und Erwartungen im Raum so aktiviert werden können, dass sie Körper adressieren, die sich selbst nicht als unangepasst oder pervers identifizieren. Also ein Prozess des Erkennens und Nicht-Erkennens oder vielleicht auch von verfehlter Anrufung, den ich zumindest versuchsweise in Bewegung setzen wollte. Eine der Fluchtlinien von queerer Theorie ist ja, dass alle Sexualität queere Sexualität ist, und ich fragte mich, ob sich das vielleicht als Ausgangspunkt für ein Misstrauen gegenüber zu viel performter Normalität mobilisieren ließe. EB Mir ist aufgefallen, dass du, wenn du das Projekt beschreibst, den Begriff „queer“ benutzt. Wie kommt es, dass wir, als wir eine Bezeichnung für die „feministische Raumskizze“ entwarfen, nicht auf die Formulierung „queere“ oder „queer-feministische Raumskizze“ gekommen sind? UM Gut, dass du das ansprichst. Ich habe ein sehr ambivalentes Verhältnis zu dem Begriff „queer“ und wollte eigentlich versuchen, ihn nicht mehr zu verwenden. Ich tue es aber doch immer wieder, vielleicht weil er als Abkürzung nützlich erscheint. Obwohl das gerade in diesem Zusammenhang zu hinterfra-
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gen ist: Wie produktiv ist diese Abkürzung im Endeffekt, wie viel Verständnis und Missverständnis produziert diese Verkürzung? Auf jeden Fall wollte ich diesen Begriff nicht im Titel von Herstory Inventory verwenden. Ich erinnere mich im Zusammenhang mit der Ausstellung in Bregenz an ein Gespräch mit Johanna Schaffer, die genau diese Wortwahl infrage stellte, weil aus ihrer Perspektive in Österreich und Deutschland der Begriff „Feminismus“ problematisch ist, da er eine weiße, bürgerliche Subjektivität impliziert. Im Gegensatz dazu verstand ich den Begriff „Feminismus“ als gemeinsamen Bezugspunkt, der auch die Lesbian Herstory Archives und die dort dokumentierte Geschichte des lesbischen Feminismus mit einschließt. Die intergenerationale Weitergabe des dort gesammelten Wissens ist eine komplexe und emotionale Angelegenheit, nicht zuletzt weil sich die Möglichkeiten von Gender in den letzten Jahrzehnten so drastisch erweitert haben und das Subjekt des Feminismus nicht mehr einfach „Frau“ oder „Lesbe“ ist. Der Begriff „queer“ kann von einer älteren Generation von Feministinnen auch als abgrenzend und sogar abwertend wahrgenommen werden. Was für die Verwendung dieses Begriffs spricht, ist, dass er sexuelle Politik und eine Allianz des Dagegenseins behauptet, andererseits riskiert er zunehmend, sich auf unproduktive Art und Weise auf Identität zurückzufalten und zu einer von außen zuschreibenden, ethnografischen Bezeichnung zu werden. Zudem finde ich es schwierig, diesen englischen Begriff in einem deutschsprachigen Kontext zu verwenden, wo seine Geschichte und nicht akademische Alltagsbedeutung verloren gehen. Das Wort „Feminismus“ schien es im Rahmen von Herstory Inventory zu ermöglichen, Vorstellungskraft als politisches Begehren zu fassen, während „queer“ ein Wort ist, das ich im Gespräch mit dir verwende, weil ich ein gemeinsames Verständnis voraussetzen kann. EB Ich würde gern noch mal auf die „Raumskizze“ zurückkommen. Mich interessieren die Überlegungen hinsichtlich der Frage, wie man die Zeichnungen im Raum formuliert, und die an dieser Stelle stattfindende Verschränkung deiner Praxis mit allen anderen Beteiligten. Sicher sind das Einladen zum Zeichnen, das Einsammeln der Zeichnungen, das Auswählen und Gruppieren für die Ausstellung als solche nicht weit von einer kuratorischen Tätigkeit entfernt, aber es gibt hier klare Unterschiede für dich. Zudem handelt es sich bei der räumlichen Präsentation nicht um ein Display oder eine funktionale Vitrinenarchitektur, vielmehr hast du ausgehend von deiner Praxis ein Raumbild entwickelt. Vielleicht kannst du am Beispiel des Projekts das Verhältnis von kollektiven und individuellen Arbeitsweisen erläutern. Wie siehst du deine Position in diesem Verhältnis?
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UM Herstory Inventory beruht auf ungezählten Interaktionen mit KünstlerInnen, üblicherweise waren das Gespräche, im Zuge derer ich irgendwann fragte, „Zeichnest du?“ Mit der Ausstellung der Zeichnungen in einem öffentlichen Kontext fand eine konzeptuelle Verschiebung hin zu einer komplexeren Aufgabe statt: Nun ging es um eine Auseinandersetzung damit, wie sich diese Sammlung von Zeichnungen zu den ausstellenden Institutionen verhält. Es schien mir zwar wichtig, über Fragen der „Sichtbarkeit“ und der „institutionellen Kritik“ nachzudenken und damit über zwei Begriffe, die seit den 1980ern politische und künstlerische Diskurse bestimmen. Ich verstehe meine Rolle dabei aber nicht als die einer Kuratorin. Für mich ist dieses Projekt Teil meiner künstlerischen Praxis. Es entsteht aus einem Nachdenken darüber, was Kunst kann, wie Ideen entstehen, wie Dinge zirkulieren – und auch aus dem schon in der Freien Klasse formulierten Begehren, den Vereinzelungsmechanismen im Kunstbetrieb entgegenzuwirken, nur eben nicht aus einer Produktionsverweigerung heraus. Mit deiner Frage weist du zudem hin auf die Schnittstelle zwischen einem künstlerischen Formverständnis im traditionelleren Sinn, wo es um Farbe, Form und Raum geht, und einem Konzept von Form, das sich auf soziale Strukturen bezieht. In der Installation ging es mir um die Verbindung von beidem. Die Art und Weise, wie sich das 150 Quadratmeter große gelbe Rechteck in die Betonarchitektur einschiebt und eine eigenständige Fläche, einen Raum im Raum bildet, entwickelte sich unmittelbar aus meinen malerischen Vorgehensweisen. Diese formale Intervention zielte darauf ab, Raum zu schaffen für die Akkumulation von Gesten in den Zeichnungen, für die Vielfalt von Denkbewegungen und Entscheidungen, handgemachte Materialitäten und damit schlussendlich für eine intime Auseinandersetzung mit den Zeichnungen und dem Projekt. Ich glaube, dass es mir immer auch um nicht hegemoniale Sichtweisen und Beziehungsformen geht und damit um die Frage nach der Möglichkeit anderer Subjektivitäten. Die Rauminstallation, die ich im Sinne von Malerei auch als großes Bild verstehe, ist natürlich durch mein künstlerisches Denken geformt. Gleichzeitig formt aber eben auch die angesprochene Logik mein Verständnis der Aufgabe, mit der ich hier konfrontiert war. In der Formulierung dieser Ausstellung fanden bedeutsame Transfers zwischen mir als Entscheidungsträgerin und den beitragenden Künstlerinnen statt. Du hast in Bregenz beobachtet, dass das Projekt weder eine Einzel- noch eine Gruppenausstellung ist, sondern möglicherweise beides zugleich. Und das verweist symptomatisch auf ein größeres Begehren: die Formulierung von „ich“ und „wir“ neu zu denken, was ein kollektives Unterfangen und ein feministisches Projekt ist. EB Ich muss gerade daran denken, was du eingangs in Bezug auf unterschiedliche Auffassungen von kollektivem Handeln gesagt hast. Du hast
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beschrieben, dass du in deinem New Yorker Umfeld auf ein Verständnis von Kollektivität gestoßen bist, das nicht darauf beruht, gemeinsam eine Sprechweise auszuhandeln, sondern vielmehr einen vielstimmigen Raum zu eröffnen, der vor dem Hintergrund bestimmter geteilter Einsichten verschiedenste Perspektiven zulässt. Hier sehe ich Analogien zum Umgang mit Herstory Inventory, wenn es darum geht, kontinuierlich Öffnungen und neue Handlungsräume zu erzeugen, indem die Zeichnungen immer wieder aufs Neue kontextualisiert werden. Darüber hinaus wird zugelassen bzw. ist es erwünscht, dass mit den Zeichnungen umgegangen wird, so dass stets neue Übersetzungen und Verschiebungen produziert werden können.
in der Zusammenarbeit mit dir geht Herstory Inventory weiter, nachdem das selbstgesetzte Ziel von 100 Zeichnungen erreicht ist.
UM Das hängt damit zusammen, dass Herstory Inventory den oben angesprochenen größeren und gemeinschaftlich entwickelten kulturellen und politischen Logiken entspringt und diese zu verkörpern beginnt. Meine eigene Rolle konterkariert nicht nur, wie du sagst, ein traditionelles Künstlerbild, sie verändert sich auch mit der Zeit. Zum jetzigen Zeitpunkt bin ich zwar noch zentral, aber auch nicht mehr so wichtig: Meine liebsten Momente sind immer auch diejenigen, wo andere im Rahmen von Herstory Inventory Lösungen finden, die zwar vielleicht anders aussehen als meine Lösungen, aber der Logik des Projekts entsprechen. Inzwischen verselbstständigt sich das Projekt immer mehr. Als ein Beispiel dafür steht der Beitrag für die Publikation von Katrin Mayer,9 den du aus dem Material zur Bregenzer Ausstellung entwickelt hast. Dieser Prozess der Verselbstständigung scheint in dieser Phase wichtiger zu sein als meine formalen Lösungen. Ein anderes Beispiel bezieht sich auf die Ausstellung von Herstory Inventory in Toronto.10 Für die Ausstellung dort habe ich mit der Sammlung der öffentlichen Bibliothek gearbeitet, die sich im gleichen Gebäude befindet wie auch die Galerie. Aus einer informellen Umfrage zu prägenden queeren Leseerfahrungen erstellte ich eine Buchliste, von der ausgehend die Bibliotheksbestände ergänzt wurden. Diese Bücher sollten, bevor sie in die Zirkulation aufgenommen wurden, mit einem Exlibris versehen werden. Ich hielt das Entwerfen dieses Exlibris zunächst für meine Aufgabe, es hat sich jedoch herausgestellt, dass Simone Meltesen, eine Kunststudentin, die ich nach einer Präsentation von Herstory Inventory getroffen hatte, genau die richtige Person für diese Aufgabe war. Ich finde, dass es der Logik des Projekts eher entspricht, dass eine weitere Künstlerin sich in das Projekt einschreibt. Schließlich geht es auch immer wieder darum, andere Vorstellungen, andere Erwartungen, andere Perspektiven auf das Material zu eröffnen. Wie
UM Als Künstlerin nehme ich mir im Archiv Freiheiten heraus, es ist mir bewusst, dass ich immer auch nach etwas suche, das es nicht gibt, das nicht existiert, das unsichtbar oder sogar unmöglich ist und daher imaginiert, erfunden werden muss. Mich interessieren die Begegnungen zwischen Körpern und Archiven – und das Archiv als Ort, an dem Vergangenheit und Zukunft aufeinandertreffen, ein Ort, der „entweder ein Friedhof der Fakten oder ein Garten der Fiktionen“ ist.11 Mir wurde im Zuge der Arbeit mit Herstory Inventory klar, dass es ein Missverständnis wäre, dem Problem von Unsichtbarkeit mit einem Bild begegnen zu wollen. Vielmehr liegt eine mögliche Antwort in der Formulierung von Räumen für nicht hegemoniale Erzählungen und Subjekte in Orten, die Ann Cvetkovich „queer counter-archives“ nennt.12 Derzeit arbeite ich an einem Buch zu Herstory Inventory. Es handelt sich dabei nicht um eine Dokumentation in der Vergangenheitsform, vielmehr ist die Publikation der nächste spezifische Ort, an dem sich das Projekt manifestiert, wie auch die Ausstellungen. Ein Exemplar dieses Buchs geht dann natürlich zu den Lesbian Herstory Archives, und das scheint folgerichtig diesen Bogen zu schließen. Die Zeichnungen selbst verwahre und verwalte bis dato noch ich, die Lesbian Herstory Archives hätten dafür gar nicht die Kapazität. Das hat natürlich auch mit der angesprochenen, im Projekt angelegten Kunstbehauptung zu tun. Was hier produziert wurde, ist kein Archivmaterial, es gibt einen Transfer hin zur Kunst. Es war auch nicht das Ziel, auf Grundlage der neuen Bilder wieder T-Shirts zu entwerfen, das schien viel zu einschränkend, was die Möglichkeiten von Zeichnung betrifft. Ich finde zudem, dass das Kunstbegehren sehr wichtig für das Projekt ist, in Bezug auf Aufmerksamkeit, Publikum, kulturelle Bedeutungskraft, die Behauptung von Zentralität und nicht zuletzt auch in Bezug auf die Fragestellung nach Ideologie und Kritik, die wir hier besprechen. Im Rahmen von Herstory Inventory zirkulieren auch immer wieder Fragen nach dem Monument (oder Gegenmonument). Dieser Gedanke tauchte schon zu
9 Katrin Mayer (Hg.), Opulente Figuren, Künstlerische Publikation zu Strategien des Sammelns und Montierens von Bild- und Textmaterialien, Hamburg 2013. 10 Ulrike Müllers Herstory Inventory: Shoes and Books (2007–2013) war Teil der Ausstellung After My Own Heart, Oakville Galleries, Toronto, 2013, kuratiert von Matthew Hyland.
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EB Im Anschluss an einen Vortrag, den ich in einem Seminar über archivarische Praktiken an der Universität Bayreuth hielt, kam die Frage auf, ob die Zeichnungen irgendwann zurück in die Lesbian Herstory Archives gehen und wieder Teil des Archivbestands werden. Mit deinem Projekt hast du die Bewegungsgeschichte bewusst in den Raum der Kunst übertragen und mit künstlerischen Perspektiven konfrontiert. Was ist das Potenzial dieser Verschiebung, welche anderen Möglichkeiten tun sich in dieser Bewegung auf?
11 Wolfgang Ernst, Das Rumoren der Archive. Ordnung aus Unordnung, Berlin 2002. 12 Ann Cvetkovich, „The Queer Art of the Counterarchive“, in: Cruising the Archive, ONE National Gay and Lesbian Archives, Los Angeles 2012, S 32–35.
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Beginn von Herstory Inventory auf, als die Audioinstallation einen Abend lang im klassizistischen Hof der Hispanic Society in New York gezeigt wurde. Und das ist ja auch gar nicht so anders als die feministische Raumskizze, nur dass die Behauptung andersherum in den Raum gestellt wird – statt der verräumlichten und begehbaren Skizze ein temporäres und weitgehend immaterielles Monument. Für das Exlibris für die Bibliothek in Toronto formulierte ich in Referenz an Eve Kosofsky Sedgwick diesen kurzen Text: „With 30 others the book in your hands forms a monument to queer survival in this library.“ (Mit 30 anderen bildet das Buch in deinen Händen ein Monument für queeres Überleben in dieser Bibliothek.) 13 Mich interessiert die Behauptung von Monument in Bezug auf einen verhältnismäßig kleinen Stapel von Büchern, die in der Bibliothek verschwinden, um wieder aufzutauchen, wenn jemand einen der Titel ausleiht.
Motiven ist doch eindeutig an die Geschichte des lesbischen Feminismus angedockt. Feminismus ist eine aus gelebter Politik und erfahrenen Debatten gewachsene Sicht- und Denkweise, und Auseinandersetzungen können da sehr tief gehen, da sie im Grunde genommen das Verständnis des Selbst in der Welt betreffen: Sprache, Identität, Begehren – all diese Dinge. Und gerade auf der Bildebene gibt es in der feministischen Auseinandersetzung seit den 1970ern eine weitreichende Problematisierung von Repräsentation. Es schien wichtig, Raum zu schaffen für eine Vielzahl von Subjektivitäten, Vorstellungsmöglichkeiten, Fragen nach dem Subjekt des Feminismus, neu durchdachte Bildstrategien, die sich auf gelebte Gegenwart beziehen. Und deswegen war genau dieser Raum zwischen Bild und Text der Ort, an dem Herstory Inventory überhaupt seinen Ausgang finden konnte.
EB Ein weiterer Aspekt, der mich interessiert, ist, dass die von dir an die KünstlerInnen herangetragene Zeichenaufgabe, die ja auch eine Form von Aktualisierung einer feministischen Bewegungsgeschichte darstellt, bereits auf der Grundlage einer Übersetzung stattfand, auf der Grundlage der gefundenen textuellen Beschreibungen. Du sagtest, dass die Beteiligten die T-Shirts selbst nie gesehen haben und es genau darum nicht ging. UM Ja, diese erste Übersetzung fand im Archiv statt, als eine der freiwilligen Archivarinnen die Bilder und grafischen Elemente auf den T-Shirts in der Inventarliste beschrieb und dabei sehr detailgenau und gewissenhaft war, aber nicht unbedingt archivarischen Kriterien folgte. Es war genau diese Qualität des Texts, seine Verbindung zum Material, die mich faszinierte – als gefundenes Gedicht und als vielstimmige und nicht hierarchische Erzählung von Bewegungsgeschichte. Ich sah darin eine Möglichkeit, diese Geschichte anzuerkennen und sie zugleich für gegenwärtige Vorstellungsvermögen und gegenwärtiges Begehren zu öffnen. Die Distanz zum beschriebenen Original war dafür wesentlich. Im Grunde genommen ging es darum, Raum für Ambivalenz und kritische Perspektiven auf dieses Erbe zu schaffen. Die Beschreibungen sind unterschiedlich transparent, aber ihr Repertoire von 13 „Ich denke, dass für viele von uns in der Kindheit die Fähigkeit, eine intensive Bindung zu manchen kulturellen Objekten einzugehen, eine wichtige Überlebensstrategie war: zu Objekten der Hoch- oder Populärkultur oder beiden; zu Objekten, deren Bedeutung uns, im Verhältnis zu den geheimen Chiffren, die uns ohne Weiteres zur Verfügung standen, mysteriös, übertrieben oder obskur erschien. Wir brauchten die Gewissheit, dass es Orte gab, an denen Bedeutungen nicht fein säuberlich in Schubladen sortiert waren, und wir lernten, diese Orte mit Faszination und Liebe zu hüten. Zwangsläufig würde dies unsere Beziehungen zu Texten und Objekten im Erwachsenenalter beeinflussen; tatsächlich ist schwer vorstellbar, wie man sonst dazu gelangen könnte, Literatur für so wichtig zu halten, dass man das ganze Leben mit ihr verbringt.“ Aus: Eve Kosofsky Sedgwick, „Queer and Now“, in: Tendencies, London 1994, S. 3.
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An artist originally from Vorarlberg who studied in Vienna, Ulrike Müller moved to New York in 2002, where she still lives today. The following conversation reflects on her operations between the poles of individual and collaborative work while contemplating what it means to view feminist discussions and artistic praxis as coinciding activities. Using her own artistic work as the backdrop for our discussion, we inquired into the relation between art and feminism and pondered whether, and in which cases, artistic works can be “feminist.” At the center of our conversation stands Herstory Inventory, which Ulrike Müller initiated in 2009. Herstory Inventory originated in research at the Lesbian Herstory Archives 1 in Brooklyn, New York, a self-organized archive founded by a group of women in 1974 dedicated to the task of collecting and preserving documents and memorabilia of lesbian lives and activities. In the course of her research, she stumbled upon an inventory list compiled by a volunteer employee who in an idiosyncratically meticulous yet poetic way described the graphic elements of T-shirts that have been collected in the archive since the 1970s. As codes among members of a community, they express, sometimes humorously, sometimes angrily, desires, political opinions, and alliances. Using this list as a point of departure, Ulrike Müller invited one hundred artists to translate the textual descriptions into drawings and thereby apply subjective perspectives to the history of the feminist movement from the perspective of their own individual present-day lives. Within a wide spectrum of styles and approaches, the small drawings and collages, or in other words the pictorial translations of the texts, enact personal attitudes toward lesbianfeminist imagery, resulting in their queer-feminist rethinking. In spring 2012, shortly before the summer academy in Bregenz, a number of these drawings based on T-shirt descriptions were on display in the exhibition Herstory Inventory: 100 Feminist Drawings by 100 Artists in an installation in the KUB Arena. In June 2012 the exhibition was presented in another form at the 1 http://www.lesbianherstoryarchives.org.
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Brooklyn Museum. The work seemed interesting in many respects as the base for our conversation because it implies numerous artistic approaches that have bearing on feminist issues. Drawing became an act of political engagement with the historic insignias, symbols, and positions of US lesbian feminist discourse; in turn, the drawings that emerged in effect address the challenges inherent in the reproduction of this culture. In short, it was an obvious choice to continue our dialogue about Herstory Inventory as a way of reflecting on politics of visibility and invisibility and considering the project’s relation to Ulrike Müller’s individual practice as a painter. We raised and pursued these topics further over the course of several emails and two Skype conversations. Eva Birkenstock In the fall of 2002, you moved from Vienna to New York. What led you there? Do you have any recollection of which discussions in Vienna and New York were formative for you at the time, or of how you perceived both contexts? Ulrike Müller During my studies, a belated generational changeover was taking place at Viennese art schools, which signaled a sudden epochal shift on many levels, not least because at the beginning of the 1990s women were still strongly underrepresented as professors. Between an outdated concept of art within the academy and tendencies toward a critical-discursive refusal among younger artists to produce work, the formulation of artistic practice was a complex problem. That Isabelle Graw came to Vienna in the mid-90s was crucial. She introduced a new perspective and thereby a new understanding of art into an outmoded model of art education and the art academy; an alternative to the still so dominant master class principle, an opening up toward contemporary art as a discursive field. For the first time, feminist theory was being comprehensively absorbed and discussed within the art school context. I remember it was important at the time to comprehend that feminism, rather than being about a message that can be conveyed in preexisting forms, must, on the contrary, always question the structural conditions and power relations within institutions. Around the same time, Isolde Charim held a philosophy seminar on Althusser’s Ideology and Ideological State Apparatuses that I as well as other art students regularly attended. (The book was out of print at the time, but there was a snazzy bootleg edition from b-books in Berlin.) In this discussion on Althusser, the realization that there is no such thing as “outside of ideology” took root, even, and especially, in art. Between both of these fundamental insights—that feminism is a structural, political challenge and that critical desire operates within ideology, which constitues subjects and their agency in the first place—it became clear that more complex models of thought were necessary as far as subject construction and agency were
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concerned. During this time I read Judith Butler’s Gender Trouble and was listening to music like Le Tigre. Even though I wasn’t familiar with the concrete history of the Riot Grrrl movement at that time, its energy reached me directly through songs and lyrics. The decision to move to New York was predominantly informed by the question of whether I would become an artist or not, and if so, what that would mean precisely. In my artistic environment in Vienna, critical ambition seemed almost synonymous with a “post-studio” attitude, and my own practice of artistic creation dissolved almost completely into collaboration. Among other things I was a coeditor of a magazine,2 and I worked together with other students as part of the Freie Klasse Wien (Free Class Vienna). I became increasingly interested in questions that applied to my position as an artist outside these group contexts and to art as a way of life and professional choice. As important and formative as my time in Vienna was, in particular the autodidactic approach and activist practice of the Freie Klasse, I yearned for a material rather than exclusively discursive practice; and there seemed not enough space for this in that setting. I brought these questions with me to New York. At the time, I had the impression that all these individual approaches from which I had pieced together an education of sorts—the autodidactic attitude, continually operating in opposition to institutions, and the attempt to form a position out of critique—, that all these pieces of the puzzle were really interesting, yet lacked structural coherence. The Whitney Independent Study Program (ISP) 3 seemed like the next logical step, maybe also because criticality and productivity seemed compatible there. I had gotten to know the work of Mary Kelly and Martha Rosler in Vienna through exhibitions at the Generali Foundation, and I remember seeing artworks and films by Yvonne Rainer at the Kunsthalle, to name just a few examples. EB Following your time in Vienna, you studied for one year in the Whitney ISP program. Could you describe the program’s structure in detail? What were the practical focal points, what was discussed or read, and how were you as an artist, which you did ultimately become, able to profit from this? UM There were two weekly events in the Whitney program, a guest lecture and the reading seminar, which was based on the legacy of British Cultural Studies as well as poststructuralist conceptions and terminologies, reaching 2 Die weiße Blatt, with Linda Bilda, Nora Herrmann, and Kristina Haider. 3 In association with the Whitney Museum of American Art in New York, The Whitney Independent Study Program, founded in 1968 by Ron Clark, is an educational program for emerging artists, curators, and theorists. Since its establishment, a group of people is annually selected to participate in the ISP, which is held from September to May. For further information see: http://whitney.org/Research/ISP.
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all the way from Benjamin and Brecht to institutional critique, but also introducing psychoanalytical models of thought that I hadn’t been familiar with in Vienna. Gregg Bordowitz opened up this discourse toward affect theory, which bridged from critical debate to emotions and materiality. Also, the differences within this expanded, later October context—which in Europe I had understood not as a uniform debate, but surely at least as a coherent one—were much larger than I had surmised. Studio visits with lecturers like Andrea Fraser, Yvonne Rainer, Benjamin Buchloh, or Isaac Julien opened diverse perspectives on my work. In collaboration with two artists from the Freie Klasse in Vienna, Jane Heiss and Patricia Reschenbach, I had developed a research-based piece about women in the Situationist International,4 and this work formed the basis for the first conversations at the Whitney. I found it striking at the time that Benjamin Buchloh, for example, wanted to talk to me about the formal aspects of the drawings that we had made as part of this project. It was generally important that I found an environment in New York where there was a long history of looking at art, a history in which formal criteria were not only taken seriously, but considered central. I hadn’t experienced this in Vienna, where the focus there lay more intensely on discourse and content. While there was a certain conceptual aesthetic, and of course creative ideas too, these things weren’t really worked on with the same level of intensity. EB Besides the activities at the Whitney program, since your arrival in New York you’ve also moved within collective contexts outside this structure, which especially calls to mind the collective LTTR,5 which was founded in 2002. Perhaps you could describe this context specifically—what sort of understanding of collectivity did you encounter there? UM During my first months in New York, the context surrounding LTTR quickly became my most important reference point. On one side there was the Whitney program with this forceful postmarxist critique and the discursively anchored art practices of the people who presented their work there, and on the other side was the real-time evolvement around LTTR and the queerfeminist energy of the artistic and activistic projects that came together there. I arrived in New York in September of 2002; in December the release of the first edition of the LTTR journal was celebrated. I didn’t become an editor until 4 J.U.P., Situationistinnen und andere …, Berlin, 2001. 5 LTTR is a feminist genderqueer artist collective with a flexible project oriented practice, founded in 2001 by Ginger Brooks Takahashi, K8 Hardy and Emily Roysdon. From 2001–2006 LTTR produced an annual independent art journal, as well as performance series, events, screenings, and collaborations. It seeks to create and build a context for a culture of critical thinkers whose work not only speaks in dialogue with one another, but consistently challenges its own form by shifting shape and design to best respond to contemporary concerns, from: http://www.lttr.org/.
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2005, but it was this context that made it possible for me in the following years not only to conceive of the production of meaningful objects that amount to more than capitalistic commodity forms, but also to try them out, to test them. The autonomy of form was crucial, as was an awareness that form holds meaning, so that stance doesn’t always have to be translated directly into substance, as in content; or in other words, so that it becomes possible to express desires and perspectives formally. The different understanding of collectivity that you brought up has to do with the fact that LTTR operated on the basis of collaboration and with the idea of “community” as larger context and potential. At the same time, there was also room for a different conception of authorship. While in my Viennese context there was the tendency to override individual positions within the collective, in the contexts surrounding LTTR a multivocal and open field emerged out of multiple individual projects, a field where singularities shaped and determined the collective. Non-normative political and sexual desire formed a meaningful context for artistic activity and became a framework within which my painting praxis developed. EB What influence did the changes that the New York art field underwent in the early nineties in the wake of the AIDS crisis have on the founding of LTTR? At that time, the separate spheres of activistic tendencies—in the fight against AIDS, for example, and initiatives like ACT UP 6—seemed to have become interwoven with the artistic and art-theoretical field. Douglas Crimp’s 1987 issue of October7 entitled AIDS: Cultural Analysis/Cultural Activism also played an important role, of course. Here, activistic tendencies joined the cutting edge of art criticism and led to a dissolution of the strict hierarchies between high culture, subculture, and social reality—at least for a moment. Where could LTTR be located in this context? To what extent were the AIDS crisis and its long-term effects present, and how did you perceive this when you went to New York in the early 2000s? Would it be safe to say that LTTR’s working method and self-conception was characterized by these times, particularly regarding its conjoining of artistic and activistic approaches? How do you see LTTR’s relation to this part of AIDS activism history? UM In conversation with friends who I met at the time, I encountered the AIDS crisis as an unresolved story, as a traumatic recent past with devastating 6 ACT UP (AIDS Coalition to Unleash Power) is a movement founded in 1987 as a reaction to the negligence of the US government in the wake of the increasingly dramatic AIDS crisis, and reached its peak when 650,000 people marched on Washington. As an independent association, ACT UP achieved visibility and politicization for the AIDS crisis through actions in the media and in public space. In addition, lobbying made it possible to exercise political pressure, while networks for the support and care for the sick were simultaneously established. ACT UP remains active to this day and continues to produce resonance worldwide. See: http://www.actupny.org/. 7 http://www.mitpressjournals.org/loi/octo.
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effects on non-heteronormative bodies, a past that was by no means over. A consciousness of the AIDS crisis was definitely present in LTTR’s selfformulation. The cover of the first journal issue bore Emily Roysdon’s work on David Wojnarowicz, for example.8 So there was an engagement with this activistic legacy as well as a network of personal connections to a New York that was scarred by the AIDS crisis. We were aware that the queer spaces that we were shaping had political roots in ACT UP, where identity-based politics had to give way to other alliances in the face of an acutely life-threatening situation. My enthusiasm for LTTR really began at the release party for the first journal issue entitled Lesbians to the Rescue. Matt Wolf, a then-young filmmaker, climbed onto a chair and said that he had only one answer for why he of all people had been invited to make a speech: “Because I’m a fag and also a feminist.” Since in my own experience identity categories also never quite seemed to fit, I was enthused. EB Last year we had the opportunity to work together on the occasion of your exhibition Herstory Inventory: 100 Feminist Drawings by 100 Artists in the KUB Arena at Kunsthaus Bregenz. This project engages with a history of the feminist movement and formulates contemporary collectivity through reference to materials in the lesbian-feminist archive. How do you think critical positionality and identitarian categories in this context? UM I remember the moment in your office when we were debating how to describe the installation setup specifically developed for the exhibition space in Bregenz on the checklist. We agreed on “feminist spatial sketch,” which implied a certain humor, but also stemmed from the project’s dynamic, its energy, and its point of view. In moments of concrete collaboration like these, I am interested precisely in how an idea like this one could arise spontaneously between the two of us, while also following a logic proposed by the project. I think—in relation to the critique of ideology as the topic of this book—that it was essential in the concrete case of Herstory Inventory in the KUB Arena to reflect on which assumptions and expectations were actually already present in the built environment, in order to then develop strategies for encountering them. The architecture amounted to something like a concrete instance of the challenge to figure out a critical relation. With the honey-yellow-colored surface that in a sense overwrote the entire KUB Arena space as an intervening
8 Emily Roysdon, Untitled (David Wojnarowicz Project), 2001–2007, is a project which repositions photographic works by artist, activist, writer, and filmmaker David Wojnarowicz (1954–1992) in the late 1970s and caricatures his visage. Wojnarowicz developed outspoken works on AIDS and employed a whole range of media as a means of representing the plight of those suffereing from AIDS in 1980s New York.
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exhibition display, it was possible to open an autonomous space for the drawings, which were grouped on free-standing walls. Individual and collective, artistic and curatorial, contemporary and past gestures became entangled in the space proposed by this unruly rectangle, positioned against the logic of the grid that structures Zumthor’s architecture, and folding up at one point along the concrete wall to form a triangle. In addition to references to the 1970s achieved via wallpaper on the free-standing walls and houseplants placed throughout the display, it was important to claim a separate space and not hang the drawings directly on the wall of the institution. EB That’s an interesting point, and it brings up an observation that became important during our research in Bregenz—we were aware of the absence of a local queer-feminist scene to which the project could stand in direct relation, which wasn’t the case with the exhibition in New York: due to the fact that the Brooklyn Museum is located rather close to the Lesbian Herstory Archives, but also since many of the participating artists live in New York. In addition, the project in and of itself shifted—from the distribution of drawing assignments and discussions about artistic practice and movement histories to questions of presentation in the KUB Arena, far away from the intimate and protected contexts and spaces of negotiation where the drawings first came into existence. Given these circumstances, I think it was important to begin by implementing the feminist spatial sketch as an assertion, as a designation of the proposed artistic concept of space. You also designed it so that it would overwrite the architecture of the institution for a period of time. Maybe it was also a question of delimiting a frame from the outset—it’s about feminism—, whereas the term “sketch” in turn allows for openness. What’s more, the assertion of course raises the question of what a feminist space is supposed to consist of, or when exactly can a space be described as feminist; what exactly are feminist drawings? UM You’re right, of course. It was fundamental for the exhibition in Bregenz that we sought to understand from the outset what the question of queer visibility feels like in the local context. I think that the question of ideology is also always the question of the invisible logic that structures relationships and everyday life—what can be experienced and addressed, and how? Within the framework of Herstory Inventory, I wanted to put forward questions of visibility and invisibility and thematize the problematic of translation that you raised, without filling the resulting gaps. In my imagination the exhibition established a kind of parallel space, and the feminist spatial sketch in the ground floor of the Kunsthaus was an attempt to inscribe various entryways for non-normative imaginations into a building that is, in itself, very solid. A positive formulation
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of critique that doesn’t exhaust itself in raising grievances, but that rather formulates other perspectives as propositions. As far as the assertion of “feminist” drawing goes—it is of course a provocation of precisely the question you’re asking. On the one hand, it was about finding a place for this adjective in the title, and on the other hand, avoiding encroachment and over-determination. After I asked the participating artists if they had the desire to interpret historical feminist image material anew, it seemed okay to describe the drawings as feminist. On the other hand, this does of course affect how the works are perceived, for instance when Linda Bilda’s comic drawing of two guerilla fighters in dialogue—Wipe them out! All of them?—in a scene which quotes Star Wars was read by a viewer as an expression of man-hating. I see this, however, more as a manifestation of individual fears and stereotypes rather than as a problematic inherent in the drawing. EB Possibilities for the continuous translation and repositioning of both the original materials and the positions taken in relation to them through various forms of drawing practice seemed central. The project presents itself as a never-ending process of translation. The historical point of origin is not adopted unambiguously and absolutely; it’s chosen as a reference that is in motion and ripe for transformation, that adjusts itself to the present, which also comes across in the way different mediums are engaged. As you say, it was important with the exhibition in the KUB Arena, in the quite dominant architecture of Peter Zumthor, both to prevent the exhibition from settling in unequivocally so that one reading alone is prescribed, and to generate various access points, or openings, to the material: next to the presentation of all the publications where the project had thusfar been included as well as the audio installation where the T-shirt descriptions, or in other words the titles of the drawings, could be heard spoken by many voices throughout the space, there were not only four free-standing walls displaying selections of drawings grouped by you; there was also a slide projection as a proposal for another way of looking at the drawings. Looking at the slides, one could watch you, how you examine the drawings, zoom in closer to details, and so on. The presentation itself already seemed to foreground a certain mobility and potential for change. UM I was aware of the existence of cultural, social, and institutional shifts that cannot function seamlessly, and that the translation from an indeed quite specific context that is contingent on my own location, on the one hand, and on the project’s logic, on the other hand, would create a distance to Bregenz, to the preexisting situation in the place where the exhibition happened. In that regard, I was pondering the question of whether a queer space that isn’t
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occupied by queer bodies can exist. I wanted to know whether social beliefs and expectations could be activated such that they address bodies that don’t identify themselves as nonconformist or perverse. So I wanted to set in motion processes of recognition and non-recognition, or maybe also of failed or misguided interpellation, at least experimentally. One of queer theory’s vanishing lines is, in fact, that all sexuality is queer sexuality, and I asked myself whether this couldn’t perhaps also be mobilized as a basis for a mistrust of too much performed normality. EB I noticed that you use the word queer when you describe the project. How is it that the formula “queer” or “queer-feminist spatial sketch” didn’t occur to us while we were coming up with a description for the “feminist spatial sketch”? UM Good that you bring that up. I have a very ambivalent relationship with the word “queer” and actually wanted to try and not use it anymore. But I do anyway, time after time, maybe because it seems useful as a shortcut. Even though that seems questionable in this context: how productive is this shortcut ultimately; how much understanding and misunderstanding does such an abbreviation produce? I definitely didn’t want to use this term in the title of Herstory Inventory. I can recall a conversation with Johanna Schaffer in connection with the exhibition in Bregenz. She questioned precisely this choice of words, because in her view the term “feminism” is problematic in Germany and Austria because it implies a white, bourgeois subjectivity. In contrast to that, I understood the term “feminism” as a common point of reference that also includes the Lesbian Herstory Archives and the history of lesbian feminism documented there. The intergenerational passing on of the knowledge collected there is a complex and emotional affair, not least because the possibilities of gender have expanded so drastically in recent decades and the subject of feminism is no longer limited to “woman” or “lesbian.” By an older generation of feminists the term “queer” can sometimes be perceived as marginalizing or even pejorative. What can be said in favor of the use of the term is that it asserts sexual politics and an alliance characterized by opposition; on the other hand, it runs the increasing risk of folding back into identity in an unproductive way and becoming an ethnographic designation ascribed by outside forces. Additionally, I find it difficult to use this English term in a German-speaking context, where its history and non-academic, everyday meaning get lost. In Herstory Inventory, the word “feminism” seemed to allow powers of imagination to be understood as political desire, while “queer” is a word that I use in conversation with you because I can presuppose that we share a common understanding.
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EB I would like to return to the “spatial sketch.” I’m interested in your thoughts with regard to the question of how to formulate, or arrange, the drawings in space; and in the intertwining that occurs here between your practice and that of all the other participants. The invitation to draw, the gathering of the drawings, and the selection and grouping for the exhibition as such are surely in proximity to curatorial activity, but for you there are clear differences here. Rather than being a matter of creating a display or a functional vitrine architecture, the spatial presentation is about developing an artistic concept of space derived from your practice. Perhaps you could elaborate the relation between collective and individual practice through this example. How do you see the relation of these fields to one another? UM Herstory Inventory is based on countless interactions with artists; normally they were conversations in the course of which I at some point asked “Do you draw?” The exhibition of the drawings in a public context was accompanied by a conceptual shift toward a more complex task: at that point, it became about an examination of how this collection of drawings relates to the exhibiting institution. It did seem important to me to reflect on questions of “visibility” and “institutional critique,” and that by doing so I was reflecting on two terms that have informed political and artistic discourses since the 1980s. But I don’t understand my role here as that of a curator. For me, this project is a part of my artistic practice. It arises out of deliberations on what art can do, on how ideas come into being, how things circulate—and also out of a desire already formulated in the Freie Klasse in Vienna that has to do with counteracting the mechanisms of isolation generated by the art market, just not by means of a refusal to produce. Your question also points to the intersection between an artistic understanding of form in the traditional sense, where color, form, and space are at issue, and a concept of form that relates to social structures. I was concerned with linking these in the installation. The way the 150 square-meter yellow rectangle inserts itself into the concrete architecture, forming an autonomous surface, a space in a space, has direct origins in my approach to painting. The goal of this formal intervention was to create space for the accumulation of gestures in the drawings, for their diverse movements of thought, their decisions and handmade materiality, and ultimately for an intimate engagement with the drawings and the project. I think I’m also always concerned with non-hegemonic perspectives and relationship-forms and hence with with the question of the possibility of other subjectivities. The spatial installation, which I also understand as a big painting, is of course formed through my artistic thought. Conversely, the logic we’ve been discussing here also forms my understanding of the task I found myself confronted with. In the process of this exhibition, meaningful
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transfers took place between me as decision maker and the contributing artists. In Bregenz you made the observation that the exhibition was neither a solo nor a group exhibition, but possibly both at the same time. And that’s symptomatic of a larger desire to find new ways of thinking about “I” and “we,” which is a collective undertaking as well as a feminist project. EB This brings to my mind what you said at the beginning of our discussion regarding different understandings of collective action. You described how you came across an understanding of collectivity in your context in New York that isn’t based on negotiating a common mode of speech, but that is instead founded on the idea of opening up a multivocal space that allows for the widest possible array of perspectives against a background of certain shared insights. Here I see analogous approaches in Herstory Inventory when the thing at issue is to continuously generate openings and new spaces for action by contextualizing the drawings anew time after time. Beyond that, it’s allowed, or even desired, that the drawings be handled in such a way as to enable the constant production of new translations and shifts. UM This is related to the fact that Herstory Inventory springs from the aforementioned cultural and political logics and begins to embody them. My own role thwarts not only, as you said, a traditional image of the artist; it also changes with time. At the present moment, I am, admittedly, still central, but no longer very important: the moments I love the most are always those when others find solutions within the frame of Herstory Inventory that do perhaps diverge from my solutions, but that correspond to the project’s logic. As time goes on, the project increasingly takes on a life of its own. There’s the example of the contribution to Katrin Mayer’s publication,9 which you developed out of the material from the Bregenz exhibition. This process of gaining independence seems at this phase to be more important than my formal solutions. Another example is related to the exhibition of Herstory Inventory in Toronto.10 For the exhibition there, I worked with the public library’s collection, which is housed in the same building as the gallery. Based on an informal survey on formative queer reading experiences, I compiled a collective book list that was used to supplement the library’s holdings. The plan was to furnish these books with an ex libris before putting them into circulation. At first, I considered it my task to design this ex libris; however, as it turned out, Simone Meltesen, a painting student whom I met after a presentation of Herstory Inventory, was exactly the right person for the job. I think it’s more befitting of the project’s logic that a 9 Katrin Mayer (Ed.), Opulente Figuren, Künstlerische Publikation zu Strategien des Sammelns und Montierens von Bild- und Textmaterialien, Hamburg, 2013. 10 Ulrike Müller’s Herstory Inventory: Shoes and Books (2007–2013) was part of the exhibition After My Own Heart, Oakville Galleries, Toronto, 2013, curated by Matthew Hyland.
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different artist becomes visible therein. After all, it has and will always be about opening up other ideas, other expectations, other perspectives on the material. As with our collaboration, this too is a point where Herstory Inventory continues even after the self-determined goal of one hundred drawings has been reached. EB Subsequent to a lecture about archival practices which I held as part of a seminar at the University of Bayreuth, the question was raised of whether the drawings will ever be placed back into the Lesbian Herstory Archives, becoming part of the archive’s holdings. With your project, you have consciously transferred the history of the movement into the space of art and confronted it with artistic perspectives. What is the potential of this transfer, and what other possibilities present themselves through this movement? UM As an artist, I take liberties in the archive; I’m aware that I’m always searching for something that isn’t there, that doesn’t exist, that is invisible or even impossible, something that needs to be imagined and invented. I’m interested in the movements between bodies and archives—and in the archive as a place where past and present encounter one another, a place that is “either a graveyard of facts or a garden of fictions.” 11 During the process of working with Herstory Inventory, it became clear to me that it would be a misunderstanding to confront the problem of invisibility with any one image. A possible answer is much more likely to be found in the formulation of spaces for non-hegemonic narratives and subjects in places that Ann Cvetkovich calls “queer counterarchives.” 12 Right now I’m working on a book about Herstory Inventory. The idea isn’t to document the project in the past tense; rather, the publication is the next specific place where the project will manifest, the same as with the exhibitions. A copy of the book will go to the Lesbian Herstory Archives, of course, and this seems a logical way to close the circle. To date, I’m still the person in charge of storing and taking care of the drawings; these tasks would be beyond the capabilities of the Lesbian Herstory Archives. This, of course, also has to do with the project’s self-assertion as art. What was produced here is not archival material; there’s a transfer happening toward art. Nor was the aim ever to design T-shirts on the basis of the new images. That seemed much too narrow with respect to the possibilities of drawing. Besides that, I think the claim to be art is very important for the project when it comes to attention, audience, cultural significance, the assertion of centrality, and last but not least, also in relation to the question of ideology and critique that we’re discussing here. 11 Wolfgang Ernst, Das Rumoren der Archive. Ordnung aus Unordnung, Berlin, 2002. 12 Ann Cvetkovich, “The Queer Art of the Counterarchive,” in: Cruising the Archive, ONE National Gay and Lesbian Archives, Los Angeles, 2012, pp. 32–35.
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In relation to Herstory Inventory, questions of the monument (or countermonument) have also been circulating. This thought already arose when Herstory Inventory was getting started, when the audio installation was shown for one evening in the neoclassical courtyard of the Hispanic Society in New York. And this is really not so different than the feminist spatial sketch, except that the claim is positioned the other way round—instead of a spatialized walkthrough sketch, a temporary and largely immaterial monument. Regarding the ex libris for the library in Toronto, I formulated the following short text in reference to Eve Kosofsky Sedgwick: “With 30 others the book in your hands forms a monument to queer survival in this library.” 13 I’m interested in the claim of monumentality in relation to a comparatively small stack of books that disappear into the library in order to surface again when someone borrows one of the titles. EB One further aspect that interests me is that the drawing task you brought to these artists, which also constitutes a kind of updating of a history of the feminist movement, itself came about based on a translation, based on the found textual descriptions. You said that the participants have never seen the T-shirts and that this is exactly what it isn’t about. UM Yes, this first translation took place in the archive when one of the volunteer archivists described in the inventory list the images and graphic elements on the T-shirts, remaining very faithful to precise details but not exactly following archival criteria. It was this very quality of the text, its connection to the material, that fascinated me—as a found poem and as a multivocal and non-hierarchical telling of the movement’s history. I saw a possibility therein to acknowledge this history and simultaneously open it up for contemporary imagination and desires. The distance to the described original was therefore essential. It was basically about creating room for ambivalence and for critical perspectives on this legacy. The descriptions vary in their degree of transparency, but the repertoire of motifs is explicitly attached to the history of lesbian feminism. Feminism is a way of seeing and thinking that grew out of lived politics and personally experienced debates, and the engagements are deep—because in essence they apply to the understanding of one’s self in the world: language, identity, 13 “I think that for many of us in childhood the ability to attach intently to a few cultural objects, objects of high or popular culture or both, objects whose meaning seemed mysterious, excessive, or oblique in relation to the codes most readily available to us, became a prime resource of survival. We needed for there to be sites where the meanings didn’t line up tidily with each other, and we learned to invest these sites with fascination and love. This can’t help coloring the adult relationship to texts and objects; in fact, it’s almost hard to imagine any other way of coming to care enough about literature to give a lifetime to it.” From Eve Kosofsky Sedgwick, “Queer and Now,” in: Tendencies, London, 1994, p. 3.
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desire, all these things. Also, there has been a far-reaching problematization of representation in feminist analyses since the 1970s—especially on the image level. It seemed important to create space for a multiplicity of subjectivities, possibilities for imagination, questions regarding the subject of feminism, differently conceived image strategies that relate to the lived present. Which is why precisely this space between image and text was necessary in order to even conceive of a project like Herstory Inventory.
IDEOLOGISCHE ERFAHRUNG UND INTERVENTIONEN IM KUNSTKONTEXT IN DEUTSCHLAND NACH 1989 Alice Creischer
„Mit dem Epochenbruch von 1989 scheint auch die klassische Ideologiekritik am Ende. Deren Grundlagen, ein sozialer Objektivismus und/oder eine metalinguistische Perspektive, erscheinen zu einem Zeitpunkt obsolet, an dem politisch das ‚Ende der Ideologien‘ proklamiert wird.“ (aus dem Konzeptpapier der KUB Arena Sommerakademie, Kunsthaus Bregenz, 2012) Dieser Beitrag widmet sich dem, was das „Ende der Ideologien“ in der politischen Wirklichkeit im Deutschland der 1990er und Nuller Jahre bedeutete, und beschreibt einige Interventionen, die es im Kunstbereich dagegen gab. Ich verstehe unter Ideologie eine alltäglich zugemutete Gewalt. Ideologiekritik kann zu einer Praxis gegen diese Gewalt werden. Ausgangspunkt des Beitrags ist ein Text, den ich 2006 für die Ausstellung La Normalidad in Buenos Aires geschrieben habe.¹ Die Ausstellung thematisierte die Normalisierung nach der „Argentinien-Krise“ 2001/02 und die darauf folgenden sozialen Mobilisierungen. Letztere waren eng mit Protesten gegen die Straffreiheit des Junta-Regimes (1976 –1983) verknüpft. Bei dem Text handelte es sich um eine stichwortartige Chronik unserer eigenen Erfahrung von nationaler Normalisierung im deutschen Kunstbetrieb nach 1989. Er war als Beitrag zur Diskussion gedacht, inwieweit sich nationale „Normalisierungen“ vergleichen lassen. Zur besseren Vermittelbarkeit in einem anderen Kontext sind die Episoden der Chronik sehr allgemein geschrieben. Im Nachhinein erscheint diese Schreibweise das eigene Erstaunen vor der alltäglichen Gewalt der Ideologie adäquater darzustellen als eine objektivere Art der Darstellung. Die Episoden wurden ergänzt durch Fußnoten und Kommentare, die die konkreten Ereignisse und die Proteste dagegen erläutern.
1 Abrufbar unter: http://www.nationalismreloaded.info/?timeline.
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Normalisierung Wir haben die folgenden Ereignisse zuerst nicht als eine Kette verstanden, als etwas, wo eins aus dem anderen folgt. Wir dachten immer, dass sich in unserem Bereich, dem der Kunst, alle doch eher als Linke verstehen oder zumindest als progressiv. Erst viel später merkten wir, dass diese Progressivität eine andere Richtung eingeschlagen hatte. Die folgenden Episoden sind Beispiele für den Richtungswechsel einer subjektiv so wahrgenommenen Progressivität. 1993 veranstaltete die Kunsthalle Düsseldorf eine Ausstellung und eine Konferenz mit dem Titel Deutschsein?, finanziert mit Geldern, die das Innenministerium in einer großen Kampagne gegen Fremdenhass und Gewalt zur Verfügung gestellt hatte.² Diese Kampagne war eine Reaktion auf die erste Welle von Anschlägen auf Ausländer und Asylbewerber, die seit 1991 sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland stattfanden.³ Gleichzeitig wurde das bisherige Asylgesetz, das im Grundgesetz festgelegt war, abgeschafft.4 Die mit diesen Geldern finanzierte Ausstellung intendierte in ihrer Presseerklärung 2 Jürgen Harten, Marie Luise Syring, Deutschsein? Eine Ausstellung gegen Fremdenhass und Gewalt, Ausst.kat. Kunsthalle Düsseldorf, Düsseldorf 1993. 3 Die Anschläge waren Massenbewegungen: z. B. greifen in Hoyerswerda (17.– 23. September 1991) 500 Personen ein Wohnheim für Vertragsarbeiter und ein Flüchtlingswohnheim an. Hoyerswerda war ein Initial. „Überwiegend in Ostdeutschland überfielen Gruppen von bis zu 200 Skinheads und rechtsgerichteten Jugendlichen […] vor allem Asylbewerberheime und benutzten […] Schusswaffen und Brandsätze. In Westdeutschland kam es ebenfalls zu zahlreichen Überfällen, [… z. B.] die tagelangen Übergriffe von einigen hundert Anwohnern in MannheimSchönau im Mai 1992 auf ein Flüchtlingsheim.“ Die größten Ausschreitungen fanden in RostockLichtenhagen statt (August 1992), eine dreitägige Belagerung des Asylbewerberheims und Wohnheims für vietnamesische Vertragsarbeiter. Dabei unterblieb größtenteils der Schutz durch die Polizei. Die Gewalttäter wurden nach Schätzungen der Polizei auf etwa 1000 geschätzt, unterstützt von rund 3000 Schaulustigen. „Die tatsächliche Gesamtzahl der Todesopfer rechtsextremer Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland ist umstritten. Die Liste, welche die Bundesregierung […] veröffentlichte, geht von 58 Todesopfern im Zeitraum von 1990 bis 2011 aus. Eine von der Amadeu Antonio Stiftung erstellte inoffizielle Liste führt im selben Zeitraum hingegen 182 Todesopfer an. Siehe: http://www.de.wikipedia.org/wiki/Todesopfer_rechtsextremer_ Gewalt_in_Deutschland (September 2012).“ Als weitere Quellen sind ARI Berlin (Antirassistische Initiative e.V.) zu nennen, die sich mit Rassismus in Gesellschaft, Politik und Gesetzgebung auseinandersetzt (http://www.ari-berlin. org/doku/titel.htm) sowie die wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas von Christine Morgenstern, Rassismus – Konturen einer Ideologie. Einwanderung im politischen Diskurs der Bundesrepublik Deutschland, Hamburg 2002. 4 „Asylkompromiss nennt man die durch den Deutschen Bundestag am 6. Dezember 1992 beschlossene Neuregelung des Asylrechts […] durch die Regierungskoalition aus CDU, CSU und FDP mit Zustimmung der (für die verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit im Bundestag erforderlichen) SPD-Opposition. Durch die Änderung des Grundgesetzes […] wurden die Möglichkeiten eingeschränkt, sich erfolgreich auf das Grundrecht auf Asyl zu berufen. Weitere Bestandteile des Asylkompromisses waren die Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes sowie die Schaffung eines eigenständigen Kriegsflüchtlingsstatus (§ 32a Ausländergesetz).“ Siehe: http://www.de.wikipedia.org/wiki/Asylkompromiss (September 2012). Seit den frühen 1980er Jahren bestimmte das Thema Asylpolitik den politischen Diskurs. „CDU und CSU […] führten ab 1986 eine Kampagne gegen ‚Asylbetrüger durch Wirtschaftsflüchtlinge‘.
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eine „Stärkung des mangelnden deutschen Nationalgefühls“. Die Konferenz war als Ausführung dieser Absicht geplant. Genau in dem Zeitraum, in dem auch Asylbewerberheime angezündet wurden, entstanden ein Beitrag von Boris Groys mit dem Titel Der Asylant aus ästhetischer Sicht,5 ein Film des Antisemiten Hans-Jürgen Syberberg und viele Arbeiten zum Thema „Deutschsein“: Fahnen, Stacheldrahtzäune, Soldaten und Erinnern und dieses seltsame Verschlucken der eigentlichen Gründe dafür. „Deutschsein fällt aus“ war eine Aktion von Düsseldorfer KunststudentInnen und KünstlerInnen und der lokalen Antifa, die das Symposion der Ausstellung Deutschsein? blockierten. Zuvor wurde über die Möglichkeit von Protesten in der Ausstellung und während des Symposions diskutiert. Dabei war allen die Gefahr bewusst, wie schnell man genau das pluralistische Ritual von Meinungsfreiheit bedienen würde, das der Kunstbereich die ganze Zeit inszeniert. Dieses Ritual übt eine unangezweifelte Hegemonie mit ein, die davon ausgeht, dass alle – vor allem junge KünstlerInnen – in ihr inkludiert werden wollen. Proteste, Kritik und Aktionen sind so immer schon ein Selbstangebot, eine Petition um das eigene Inkludiertwerden. Es war uns in den Diskussionen sehr klar geworden, dass wir diese Unterstellung durchkreuzen und trotzdem präsent sein mussten. Wir hatten damals noch nicht von Militanz gesprochen, weil wir so vollkommen abgetrennt waren von einer diesbezüglichen politischen Tradition. Der Die rechtsradikalen Parteien […] profitierten ab 1989 von der Radikalisierung und Emotionalisierung des Themas […]. Nach der Wiedervereinigung verschärfte die Union die Asylkampagne und die Debatte entwickelte sich, mitgetragen von der Bildzeitung und der Welt am Sonntag, zu einer der schärfsten, polemischsten und folgenreichsten Auseinandersetzungen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Situation verschärfte sich […] als insbesondere wegen des Bürgerkriegs in Jugoslawien die Flüchtlingszahlen stark anstiegen und […] Umfragen zeigten, dass zunächst eher die Aussiedler aus dem Osten, die zahlenmäßig überwogen, als Belastung empfunden wurden, doch die Unionsparteien kanalisierten die Aggressionen gegen die Asylbewerber um […]. Zwischen Juni 1991 und Juli 1993 wurde das Thema Asyl/Ausländer weit vor der deutschen Vereinigung und der Arbeitslosigkeit in Umfragen als das dringendste Problem angegeben.“ Siehe: http://wiki.verkata.com/de/wiki/Pogrom_von_Rostock-Lichtenhagen. Die Abschaffung des bis dahin für die Asylgesetzgebung verbindlichen Paragrafen 16a stand jedoch besonders im Zusammenhang mit der Entwicklung der Politik des Schengener Abkommens, in der die gesamte EU vor sogenannten „Wirtschaftsflüchtlingen“ geschützt werden sollte, um andererseits Waren und Arbeitskräfte ungehindert zirkulieren lassen zu können. Die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland erreichte 1992 mit über 440.000 ihren Höhepunkt. Gleichzeitig betrug die Anerkennungsquote nur noch 4,3 Prozent. 1993 wurde etwa 125.000 Personen die Einreise nach Deutschland verweigert; 30.000 wurden sofort abgeschoben. Die Abschiebung bereits am Flughafen wurde möglich. Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/ Todesopfer_rechtsextremer_Gewalt_in_Deutschland. 5 Boris Groys, „Der Asylant aus ästhetischer Sicht“, in: ders., Logik der Sammlung. Am Ende des musealen Zeitalters, München/Wien 1997, S. 145 –153.
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Eingang der Kunsthalle wurde mit Tischen und Bänken blockiert. Die Polizei hielt den Seiteneingang frei. Vor allem bei den Funktionären und Referenten des Symposions waren die Empörung und das Erstaunen gleich groß. Etwas schien zu Ende gegangen in dem selbstverständlichen kulturellen Konsens der NachkriegsBRD – in dieser Verwaltung von Kritikalität und Inklusionsbereitschaft, die Marcuse repressive Toleranz genannt hatte.6 Die Anschläge und die Toten verursachten einen Schock, der in unserem Bereich eine seltsame Dialektik hervorrief. Diese Dialektik verstand sich als Option, „Stolzsein auf Deutschland“ 7 als eine Kontroverse zu verstehen, oder sie verstand sich anscheinend auch als Neutralisierung rechter Tendenzen, so wie schon immer alle politischen Ansätze in der Kunst neutralisiert werden konnten, indem man schweigt oder auch beipflichtet. Zum Beispiel wenn nationalsozialistische Verbrechen gleich gemacht werden und verschwinden im Eingedenken an stalinistische Lager oder Hiroshima,8 oder wenn man schweigt oder beipflichtet bei dem Wort „Entstigmatisierungsarbeit“, das erfunden wurde in einer Pressemitteilung, um das ehemalige NS-Gauforum in Weimar für eine trendy Kunstausstellung benutzbar zu machen, deren Attraktivität auch darin lag, „Bauhaus und Buchenwald“ in einem Atemzug zu nennen. Ein Atemzug, der nach geschichtlicher Rasanz, Zusammenfassung der Inhalte und Bedeutungen in einer neuen Generation klang, die anscheinend all dem nur noch sentimental begegnen konnte, weil sie die Sensibilität für die tatsächlichen Vorfälle verloren hatte. Anlässlich der Ausstellung „Nach Weimar“ hatte die Gruppe „Gruppe Gummi K“ aus Berlin den Animationsfilm „Wie eins zum andern kam“ (1996) gemacht, der die ideologische Disposition der Ausstellung hinterfragte. Der Film wurde von Studenten als Vorkritik auf der V.I.P.-Party in Weimar eingeschleust und gleichzeitig in verschiedenen Städten an Kunstszeneorten gezeigt. „Nach Weimar“ war eine vom ehemaligen Kölner Galeristen Paul Maenz angeregte und von Klaus Biesenbach und Nicolaus 6 Alice Creischer, „Deutschsein fällt aus!“, in: Texte zur Kunst, Heft 10, Juni 1993, S. 164–167, und Herbert Marcuse, „Repressive Toleranz“, in: Robert Paul Wolff, Barrington Moore, Herbert Marcuse, A Critique of Pure Tolerance, Boston 1969, S. 95–137. Deutsch erschienen als Kritik der reinen Toleranz, übers. von Alfred Schmidt, Frankfurt a. M. 1996. 7 „Wir sind stolz darauf, Deutsche zu sein“ ist eine Zeile im Lied Deutschland im ersten Album der Band Böhse Onkelz (1984). Das Album wurde 1986 als jugendgefährdend indiziert und später wegen Gewaltverherrlichung zusätzlich beschlagnahmt. Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/ Der_nette_Mann (November 2012). Der Slogan wurde jedoch bald zu einem in den Debatten des Feuilletons und der Politik gängigen Topos und ist es bis heute, vgl. die Umfrage der Zeitung Welt (7.5.2009): 83 Prozent sind „stolz darauf, Deutsche zu sein“.
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Schafhausen kuratierte Ausstellung. Sie wurde Ende Juni 1996 im Rohbau des dortigen Landesmuseums eröffnet, das mit dem ehemaligen NS-Gauforum baulich verbunden ist. „Nach Weimar“ funktionierte als Aperto für die Kulturhauptstadt Weimar 1999 und die dortige ständige Präsenz der Sammlung Maenz im rekonstruierten Museum. „Nach Weimar“ ist ein neues Beispiel für die kuratorische Integration von Kunst in den schon länger laufenden Prozess der sogenannten Rekonstruktion historischer Orte und deren unhinterfragte Bedeutungsaufladung. Die Musealisierungsambitionen gegenwärtiger Kunstpraktiken dienen dazu. Der Film entstand nach längerer Diskussion um neokonservative Kulturpolitik, die sich verstärkt seit der „Wende“ abzeichnet. Im internationalen Kunstkontext sind Ausstellungen wie „Nach Weimar“ Plattform für solche Tendenzen. 9 In der Ausstellung Nach Weimar waren Kollegen und Kuratoren der eigenen Generation involviert, deren Rechtfertigungen in diesem Kontext eines nationalen Festivals ( Weimar als Kulturhauptstadt wurde stark national beworben) auszustellen, wahrscheinlich ungewollt immer „symptomatischer“ wurden. Zugleich wurde die eigene künstlerische Praxis und ihre vorsichtigen Neuorientierungen an Tendenzen wie Site-Specificity und Institutionskritik zweifelhaft, weil KünstlerInnen, die dies mitvertraten, hier mitmachten. Es schien uns auch, als ob viele der künstlerischen Methoden, die wir in den 1980er Jahren in der Akademie gelernt hatten – das Arbeiten mit Ironie, Affirmation, Übertreibung, das Zusammenziehen von Inhalten auf ein Bild, das knallt oder in diesem Moment alles sagt – , dass dies alles nichts mehr ausmachen konnte bei dieser neuen nationalen Beanspruchung von künstlerischer Arbeit. Es war vielleicht allen klar, dass alle künstlerischen Formate ideologisch ohne den geringsten Widerstand benutzbar waren und dass es jetzt darum ging, künstlerisch das zu tun, was immer verpönt war: nämlich ganz eindeutige Aussagen zu treffen. Als Paul Maenz seine Sammlung dem Museum der Stadt Weimar schenkte bzw. Teile verkaufte, sagte er in einem Interview: „Zum ersten Mal war ich nicht mehr stolz darauf, mich zu schämen, 8 In den 1990er Jahren entstand eine Debatte über die Einrichtung von Gedenkstätten der Opfer des Stalinismus in Konzentrationslagern wie Buchenwald oder Sachsenhausen. Diese Debatte knüpft an den sogenannten „Historikerstreit“ von 1986 an, in dem der Historiker Ernst Nolte den „Rassenmord“ der Nationalsozialisten mit dem „Klassenmord“ unter Josef Stalin parallelisierte. Die Zusammenziehung von Nationalsozialismus und Stalinismus unter dem historischen Begriff „Totalitarismus“ begann sehr vehement in den politischen und FeuilletonDebatten, in Großausstellungen – besonders im neu errichteten Deutschen Historischen Museum in Berlin – und setzt sich bis jetzt fort. 9 Gruppe Gummi K für Microstudio Surplus, „Wie eins zum andern kam“, in: Texte zur Kunst, Heft 23, August 1996, S. 76.
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ein Deutscher zu sein. Buchenwald und Goethe denkt man als Teil der Geschichte und der eigenen Verwicklungen darin. Daher vielleicht auch der erste Gedanke: Hier würde ich gerne etwas machen.“ 10 Wir beobachteten nun Revisionen, die ständig stattfanden. Zwei Kerzen für Dresden, ein Bild von Gerhard Richter, auf Gebäudegröße hochgeplottet als Logo für den neuen Dresdner Kunstverein 1994, in Gedenken an die Bombennächte und in einem Stadtfest, das sich in den Geldspenden für den Wiederaufbau der Frauenkirche manifestierte. „Wiederaufbau“ war ein Begriff, der so tat, als ob es kurz nach 1945 wäre, was uns wie die Rekonstruktion einer Identität vorkam, die nichts mit uns zu tun hatte. Wir konnten uns an diesen Begriff nicht erinnern, aber mit dieser Zumutung assoziierten wir nun zu „Wiederaufbau“ den Begriff „Täter“, so als ob in diesem „Wiederaufbau“ sie, „die Täter“, an der Reihe wären, sich selbst endlich gegenseitig Genugtuung zu geben. Das war in der Zeit, in der in allen Städten Schlösser, Kasernen, Gefängnisse und Gebäude der Bürokratie rekonstruiert wurden, sodass man unwillkürlich auf den Einzug der entsprechenden Personen wartete. 1992 wurde der Kadaver des letzten Preußenkönigs in Potsdam im Dom beigesetzt. Wir verfolgten ohnmächtig Vittorio Magnano Lampugnanis Polemiken gegen die Architektur der Moderne und sahen, dass genau dies in Berlin die Legitimation lieferte, die DDR-Gebäude abzureißen und die Baulücken mit Repliken der preußischen Gründerzeit zu besetzen.11 Es gab nun Nationalfeiertage, die zu Stichtagen für Ausstellungseröffnungen wurden. Zum Beispiel eröffnete die neue Berlin Biennale im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten am Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober. Zugleich fand die Eröffnung des großen Immobilienagglomerats des Daimler Konzerns
auf dem Potsdamer Platz statt. Bauarbeiter marschierten durch das Brandenburger Tor und Daniel Barenboim dirigierte Baukräne im Takt von Beethoven. 1997 fand im Berliner Martin-Gropius-Bau die Ausstellung Deutschlandbilder: Kunst aus einem geteilten Land statt. Sie verstand sich als erste umfassende Präsentation der Kunstentwicklung in beiden deutschen Staaten, als eine Art angeordnete und nun manifeste Vereinigung. Dazwischen hatte es viele dementsprechende Versuche gegeben, die immer daran gescheitert waren, dass die künstlerischen Arbeiten in Ost- und Westdeutschland so intensiv ihre Ideologien mittransportierten. Es gab Ausstellungen, die dies immer wieder für die Kunst aus der DDR nachwiesen, in Weimar oder Berlin. Aber es gab nie einen Versuch, die Ideologie der Westkunst nachzuweisen – diese Reeducation zur Freiheit und ihre Bereitschaft zur Umarmung aller kulturellen Affekte, die die wirtschaftliche Konjunktur belebten. Dieser totale emanzipatorische Bankrott von Pop zum Beispiel. In der Ausstellung geschah eine kritische Revision der Freiheitsideologie von Westkunst. Aber sie ging in eine andere Richtung. Die Kuratoren stellten fest, dass es in Westdeutschland einen politisch korrekten Konsens gegeben hätte. Sie stellten die notwendige selbstverständliche Existenz eines Nationalgefühls fest, das durch diesen Konsens verdrängt worden wäre. Sie sagten: „verdrängt“, „tabuisiert“, und es war klar, dass damit diese Begriffe von dem Vorwurf, mit dem sie sich für uns immer verbunden hatten – die Tabuisierung von nationalsozialistischen Verbrechen und ihres Nutzens für das Wirtschaftswunder –, getrennt wurden und eine andere semantische Verbindung eingingen. Wir erfuhren die Zumutung einer unterstellten psychischen Disposition. Es wurde uns außerdem suggeriert, Opfer zu sein und uns in einer Gemeinschaft namens „Deutsche“ zu befinden, die wir nie so empfunden hatten.12 Es gab auch so etwas wie den Verdacht, dass Toleranz nur ein Indiz für
10 Peter Herbstreuth, „Keine Angst vor Blitzgewitter, Interview mit Paul Maenz“, in: Der Tagesspiegel, Berlin, 17.12.1998. Maenz, einer der Hauptakteure der Kunstspekulationen der 1980er Jahre, schloss in der Kunstbaisse der 1990er seine Kölner Galerie. Er popularisierte sein Public-Private-Partnership-Vorhaben, Teile seiner Bestände nun als Sammlung Maenz dem Neuen Museum in Weimar teilweise zu schenken oder zu verkaufen, als nationale Widmung. „Beim Besuch der Sammlung fiel es uns schwer, vom Ort zu abstrahieren. Wir haben uns gefragt, ob oder wie sich diese Haltung, die nun Goethe und Buchenwald […] im ehemaligen Gauforum homogenisiert, mit den gezeigten Arbeiten verbindet? Gibt es vielleicht sogar einen Zusammenhang zwischen Maenz als Pioniergalerist von der amerikanischen und italienischen Konzeptkunst zu den geläuterten Nationalen. Uns interessiert, warum sich die grauschwarzen Sol Lewitt Arbeiten so reibungslos zwischen die Pilaster des Eingangsfoyers integrieren lassen, […] warum Judd so harmonisch in die Wand eingelassen werden kann und warum Buren durch seine Wandarbeit zum Kitsch des Foyers beiträgt. Die Schlitze in der linken Treppenhaushälfte sind nicht […] in den Putz geschlagen. Sie sind in ihrer Glätte streifenweise aus jenem typischen Material auf die Steine geklebt, das als Grundsubstanz so gerne in kritisch rekonstruierten Gebäuden […] traurige Berühmtheit erlangte – Gipskarton. Die rechte Treppenhälfte ist verspiegelt. Die Vereinigung der Gipskartonstreifen mit ihrem ‚Spiegelstadium‘ vollzieht sich in einer unangetasteten Apsis in der Mitte des Treppenabsatzes – wie könnte es anders sein – hinter dem breiten Marmorrücken eines massiven, gemächlich sitzenden väterlichen Goethes.“ Alice Creischer, Andreas Siekmann, „Ich bin ein Monolith“, in: Texte zur Kunst, April 1999, S. 72.
11 Die Architekturdebatte ging in den 1990er Jahren von Berlin als exemplarischem Beispiel aus. Sie wurde besonders von dem damaligen Leiter des Deutschen Architekturmuseums, Vittorio Magnano Lampugnani, initiiert. „Am 20. Dezember 1993 schrieb Lampugnani: ‚Wir müssen den Mythos der Innovation, eine der verhängnisvollsten Erbschaften aus der Epoche der Avantgarden, aufgeben. Wo Innovation bloße Attitüde ist, hat die Konvention das bessere Argument.‘ […] Von Lampugnanis ‚Konvention‘ bis zu Hans Kollhoffs ‚Das 19. Jahrhundert ist noch nicht zu Ende‘ war es kein weiter Weg mehr. […] Die Konventionalität einer neuen ‚Berlinischen Architektur‘ sollte plötzlich einhergehen mit dem guten Geschmack des Publikums. Das schloss im Übrigen einen groß angelegten Propagandafeldzug gegen die DDR-Moderne nicht aus. Im Gegenteil: Gerade am Beispiel der Ostberliner Mitte versuchten die Protagonisten der konservativen Wende zu begründen, wie wichtig eine ‚kritische Rekonstruktion‘ sei.“ Uwe Rada, „Welches Berlin hätten Sie denn gern?“, in: taz, 19.12.2008, http://www.taz.de/1/archiv/printarchiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=bl&dig=2008%2F12%2F19%2Fa0139&cHash=6c55 4155d7 (September 2012). 12 Deutschlandbilder: Kunst aus einem geteilten Land, kuratiert von Eckhart Gillen, 7. September – 11. Januar 1997, Martin-Gropius-Bau, Berlin. In einem Parcours von 25 Räumen wurde eine geschichtliche Chronologie verfolgt, die in Abschnitte unterteilt betitelt war mit „1933“, „Mauerbau“, „’68“, „Stammheim“ und „1989“. Diese Chronologie begreift sich als Abschluss der Nachkriegsära und will eine Kontinuität von nationaler Identitätssuche beweisen. Dies tut sie vor allem, indem sie „dem politischen korrekten Konsens“ eine Verdrängung des Nationalen vor-
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Selbsthass und unterdrücktes Deutschsein wäre und dass diese Toleranz es begrüßte, wenn Ausländer totgeschlagen würden, weil sie ein Beweis und eine Bestätigung dieses Selbsthasses wären.13 Wir waren dann irgendwann zu erschöpft, um uns immer wieder über diese Form einer aufgezwungenen Identität zu empören. Wir waren auch mittlerweile mit dem Problem konfrontiert, im Kunstbereich auf eine spezielle Rolle als Antifa festgeschrieben zu sein. Wir liefen Gefahr, ein Bedürfnis zu bedienen, eine obligate Kritik an nationalen Positionen zu liefern, nach deren Rezeption der Betrieb dann weitermachen kann. Und damit hätten wir dann selbst eine Art Etablierung als „Ideologiekritiker“ erreicht. Als wir hörten, dass der Erbe des größten Nazi-Industriellen, Christian-Friedrich Flick, seine Kunstsammlung im Hamburger Bahnhof in Berlin zeigen wollte, haben wir das zunächst einfach nicht geglaubt. Im ersten Moment wollten wir einen Artikel schreiben. Aber wir zögerten damit, weil das doch genau das war, was man von uns erwartete. Zwei Tage vor der Ausstellungseröffnung im Jahre 2004 fand in der Freien Universität Berlin ein Kolloquium statt, in dem ehemalige Zwangsarbeiterinnen über ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Fabriken des Flick-Konzerns berichteten. Wir konnten sie nicht sehen, weil zwischen ihnen und uns eine Phalanx von Kameras aufgebaut war. Die Kameras verlangten ein Statement zur Sammlung, deren Eröffnung eines der glanzvollsten gesellschaftlichen Ereignisse in diesem Herbst in Deutschland zu werden versprach. Eine der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen antwortete, man könne Schuld prinzipiell nicht vererben, und fuhr nach einer Pause fort, aber sie sei sich ganz sicher, dass in dieser Sammlung eine Tafel angebracht sei, die mitteilt, dass sie mit geraubten und tödlich ausgebeuteten Profiten finanziert wurde. Es geht nicht darum, darauf hinzuweisen, wo die meisten Medien in der Übertragung den Schnitt setzten. Sondern es geht darum, auf eine Verbindung hinzuweisen zwischen der Phalanx, dem Schnitt und dem Begehren nach diesen Zeuginnen. Vielleicht projizierten wir, aber uns kam es beim Betrachten der Flick-Sammlung vor, als bildete sich in den Arbeiten uneingestanden doch etwas ab an Durchsetzungswillen, an der Funktion, Alibi zu sein, und an dem, was man „Symptom“ nennen könnte: in ihrem Arrangement und ihren Anhäufungen, in den immer wiederkehrenden Motiven von Gewalt und Krieg – eine in ihrer Existenzialität wirft. „Mit der Frage nach den Deutschlandbildern der Künstler zwischen Düsseldorf und Dresden, Hamburg und Leipzig rührt die Ausstellung an dem tabuisierten Begriff der Nation.“ Eckhart Gillen, „Weiterleben mit der Vergangenheit“, in: Deutschlandbilder: Kunst aus einem geteilten Land, Ausst.kat. hg. von Eckhart Gillen im Auftrag der Berliner Festwochen, Berlin 1997, S. 32. 13 „Zuweilen sollte man aber prüfen, ‚was an der eigenen Toleranz echt […] ist und was sich davon dem verklemmten deutschen Selbsthaß verdankt, der die Fremden willkommen heißt, damit hier […] sich die Verhältnisse endlich zu jener berühmten [faschistoiden, Anm. Gillen] Kenntlichkeit entpuppen.‘“ Botho Strauß, Anschwellender Bocksgesang, zit. nach: Eckhart Gillen, wie Anm. 12, S. 37.
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abgestumpfte Installationsware. Vielleicht war die Flick-Sammlung auch symptomatisch dafür, dass es schon längst nicht mehr um „Tabuisierung“ von NS-Geschichte ging, sondern um ihre Verwertung. Eine Aneignung von Geschichte, eine Art Schubumkehr von Legitimitätsenergie bei der Fortsetzung chauvinistischer Politik. Flick präsentierte sich bei der Eröffnung ganz als Mensch, der die Entschädigungszahlungen an die ZwangsarbeiterInnen mit seinem Gewissen ausmacht. Diese Form des Humanismus hat uns ganz besonders angekotzt – so wie sie sich verbindet mit diesem Kitsch der privilegierten, der schönen Seele, die über Freiheit und Autonomie verfügt – ein Tand, der nur schlecht jene Brutalität kaschiert, mit der die ausdrückliche, willkürliche Gebärde der Ignoranz, der Souveränität, der Herrschaft über Recht und Unrecht sich aufführt. Es kam eine Gruppe von ganz unterschiedlichen Leuten zusammen, die über mögliche Protestformen gegen die Ausstellung nachdachte. Es gab anonyme Farb- und Lärmanschläge in der Ausstellung. Schließlich wurde eine Veran staltung mit dem Titel Heil dich doch selbst/Die Flick Collection wird geschlos sen organisiert, die im Dezember 2005 im HAU Theater in Berlin stattfand. Sie bestand aus kurzen Stellungnahmen und Beiträgen einer Vielzahl von Personen und Gruppen. Kurz darauf gab es eine anonyme Spende, mit der eine ganzseitige Anzeige in der FAZ gegen die Ausstellung geschaltet werden konnte. Sie wurde von mehreren Hundert KünstlerInnen, MusikerInnen, SchreiberInnen etc. unterschrieben. Es ist wichtig zu bemerken, dass einzelne der Unterzeichner Probleme mit ihren Geldgebern, Institutionen oder Redaktionen bekamen. Denn dies zeigt, dass die Grenzen der gesellschaftlichen Inklusionsbereitschaft und dass das permanente Versprechen/die Drohung von Inklusion selbst wieder eine ideologische Unterstellung von Omnipotenz ist. Unter Druck geraten zahlte Flick nun doch in den Entschädigungsfonds ein. Er tat dies mit der widerwärtigen Geste der Freiwilligkeit, die allen Entschädigungszahlungen in dieser Zeit anhaftete. Es war eine lächerliche Summe von fünf Millionen Euro – peanuts. Wir erschienen bei der folgenden Vernissage und verteilten Flugblätter und Erdnüsse und wurden vor die Tür gesetzt. Die Eröffnung der Flick-Sammlung war am 3. November 2004. Uns fielen in dieser Zeit die vielen Filme zum Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg auf, von denen wir den Eindruck hatten, dass sie sich permanent das gegenseitige Verzeihen bestätigten und dass sie eine eigenartige Form von Erinnerung einübten – sehr nahe bei der Psyche, ohne Distanz, Bilder einer Konditionierung, eine Industrie von Tränen, Du und Ich und obligatorische Gefühlen, wie eine Haut, die so klebrig ist, dass man sie kaum abstreifen kann, die sagt, was man sein soll.14 Das war genau in der Zeit, als in öffentlichen Kontroversen über die Abstufungen 14 Als Beispiele sind Filme wie Sophie Scholl – Die letzten Tage (Regie: Marc Rothemund, 2005) oder auch Oliver Hirschbiegels Der Untergang (2004) zu nennen. Siehe dazu u. a. Willi Bischof (Hg.), Filmri:ss. Studien über den Film „Der Untergang“, Münster 2005.
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zwischen strengen Verhören und Folter diskutiert wurde – wissend, zu welchem Verhörcamp die Flugzeuge gerade fliegen. Es wird von Gefühlen der Sicherheit und der Angst, es wird von Ernstfällen gesprochen, ohne zu merken, dass man Menschenrechte abschafft, weil diese Kategorie zu keinem identitären Bild taugt.
Schluss Was wir hier beschreiben, haben wir – als eine Generation von KünstlerInnen und TheoretikerInnen, die die ideologische Wende nach 1989 miterlebt haben – oft schon beschrieben. Zur Normalität gehört es, dass man sich ständig wiederholen muss. Und man muss immer wieder versuchen, Worte oder Bilder zu finden, die diese so oft beschriebene Wirklichkeit aufschminken wie eine tote Person, von der man sich einfach nicht verabschieden kann. Würden wir uns verabschieden von dieser Person und unserer Tätigkeit des Schminkens, dann hätten wir etwas aufgegeben, was man den Anspruch auf die Möglichkeit von Veränderungen nennen könnte.
Nachwort Diese Beschreibung der nationalen Ideologisierung im deutschen Kunstbereich nach ’89 ist begrenzt und sie läuft Gefahr – ein bekanntes Problem antinationaler Ideologiekritik –, in der eigenen Empörung nicht den essentialistischen Kategorien entkommen zu können, die man vehement bekämpft. Besonders wichtig waren mir – hier als einzelne Chronistin schreibend – die Beispiele ideologiekritischer Praxis und deren Fortsetzbarkeit, z. B. der Protest gegen das Humboldt-Forum, den ich zum Schluss noch erwähnen möchte. AntiHumboldt, eine Veranstaltung zum selektiven Rückbau des Humboldt-Forums fand im Juli 2009 in Berlin statt und bestand aus einem Abend mit einer Vorlesung in wechselnden Rollen und mit Workshops zu Nationbranding, postkolonialen Displays und Restitutionsfragen am Folgetag. „Nach dem Bundestagsbeschluss zur Rekonstruktion der Schlossfassade von 2002 und dem 2008 vollendeten Abriss des Palasts der Republik wurde von kulturpolitischer Seite das Humboldt Forum als rettende Idee zur Legitimation der Schlossrekonstruktion präsentiert. Neben Teilen der Zentral- und Landesbibliothek und den wissenschaftlichen Sammlungen der Humboldt-Universität soll das Humboldt-Forum vor allem die Sammlungen sogenannter außereuropäischer Kunst und Kulturen der Staatlichen Museen zu Berlin beherbergen. […] Alle bisherigen Verlautbarungen der Federführenden lassen erkennen, dass es bei dem Humboldt-Forum nicht um eine Reflexion der Gewalt geht, die im Zuge
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des Kolonialismus von Europa aus auf den Rest der Welt fiel. Vielmehr wird Andersheit ontologisiert, die zur Souveränitäts- und Kosmopolitismusdemonstration der Ausstellernation dient. Die Schlossfassade steht symbolisch für die verlorene und zurückgewonnene Einheit Deutschlands sowie für das ‚Goldene Zeitalter‘ des Preußentums, das nun zum nachteilungsgeschichtlichen Lückenfüller wird. Gerade in einem solchen Zusammenhang dienen ‚Kulturschätze‘ aus aller Welt zur Demonstration von Weltoffenheit unter dem Deckmantel ‚Kulturnation‘. Eine solche Rekontextualisierung an diesem zentralen und symbolisch aufgeladenen Ort in direkter Nachbarschaft zur Museumsinsel mit den Sammlungen der ‚klassischen Hochkulturen‘ nennen wir eine weitere Instrumentalisierung nichteuropäischer Künste und Kulturen.“ 15 Es gibt viele wünschbare Anlässe für eine empirische Ideologiekritik, die zu einer aktivistischen Praxis werden kann – z. B. Untersuchungen der Codes of Conducts von Konzernen wie Nokia, H&M oder Apple, die nach der Kritik an ihren outgesourcten Produktionsweisen entstanden sind. Analysen der juridischen Textkörper von multilateralen Abkommen oder Privatisierungsverträgen, die Stadt- oder Landesparlamente entmündigen. Eine solche Praxis von Ideologiekritik wäre vielleicht auch eine Aneignung/Sozialisierung jener ideologiekritischen Diskurse, deren Freiheit und Distribution in hart erkämpften Leuchtturm- und Exzellenzprojekten ihre Grenzen erfahren.
Fußnoten Die Fußnoten können nur stichwortartig oft diskutierte und vielen bekannte Tatsachen und Diskussionen in Erinnerung rufen. Sie weisen auf ein eigenes Problem hin, nämlich wie man mit dieser Gewissheit umgeht, von der man nie sicher ist, was schon vergessen ist oder mit heutigem Blick banal oder gravierend erscheint. Ich habe mich größtenteils auf Wikipedia bezogen, weil es selbst während der 1990er Jahre entstand und einige Diskussionen quasi parallel chronologisierte. So sind die Seiten zum deutschen Asylrecht, zu den Anschlägen auf Ausländer sehr ausführlich. Eine andere Quelle sind unsere eigenen Artikel in Texte zur Kunst. Diese Zeitschrift bot, wie auch springerin, vor allem in den 1990er und Nuller Jahren die Möglichkeit, sich als KünstlerIn zu artikulieren und Kunstkritik auch als Intervention zu begreifen.
15 Ankündigung des Kongresses, Juli 2009. Alexandertechnik ist eine Gruppe aus KünstlerInnen, AktivistInnen und WissenschaftlerInnen.
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IDEOLOGICAL EXPERIENCE AND INTERVENTIONS IN THE GERMAN ART CONTEXT AFTER 1989 Alice Creischer
“With the epochal turnaround of 1989, classical ideology criticism also seems to have come to an end. Its fundamental principles, a social objectivism and / or a meta-linguistic perspective, seemed obsolete at a time when, politically, the ‘end of ideologies’ was being declared.” (from the draft paper for the KUB Arena Summer Academy, Kunsthaus Bregenz) This essay deals with what the “end of ideologies” has meant for political reality in Germany over the past two decades, and describes several interventions undertaken against this in the art world. What I understand by ideology is a violence people have to put up with at the everyday level. Ideology criticism can become a useful praxis against that violence. My point of departure is a text I wrote in 2006 for the exhibition La Normalidad in Buenos Aires.¹ The theme of that exhibition was normalization after the 2001/02 “Argentinean Crisis” and the social mobilizations that followed it. The latter were closely linked with protests against the immunity from prosecution granted to the junta regime (1976–1983). This text is a chronicle, in abbreviated form, of our own experience of national normalization in the German art world after 1989. It was intended as a contribution to the debate on the extent to which national “normalizations” may be compared. The episodes in this chronicle have been kept very general so as to facilitate their presentation in a different context. In retrospect, this mode of writing seems to represent our own astonishment at the everyday violence of ideology more adequately than a more objective way of depicting things. The episodes are complemented by footnotes and commentaries explaining the concrete events and the protests against them.
1 See: http://www.nationalismreloaded.info/?timeline.
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IDEOLOGICAL EXPERIENCE AND INTERVENTIONS
Normalization Initially we did not grasp the following events as a chain, where one thing follows from another. We had always thought that everyone in our field, the art sector, considered themselves more as left-wing, or at least as progressive. Only very much later did we realize that that progressivity had taken another direction. The following episodes are examples of the change of direction in a progressivity only subjectively perceived as such. In 1993, the Kunsthalle Düsseldorf organized an exhibition and conference entitled Deutschsein? (To Be German?), financed by funds made available by the Ministry of the Interior for a large-scale campaign against xenophobia and violence.² That campaign came in response to the first wave of attacks on foreigners and asylum-seekers taking place in both East and in West Germany since 1991.³ At the same time, the Asylum Act in force until then, and established in the German Basic Law, was in the process of being abolished.4 In a press release, the exhibition thus funded claimed that its intention was to “strengthen a national feeling that was missing in Germany.” The conference was planned as an implementation of that objective. So, in the same period of time in which homes for asylum seekers were being set on fire, Boris Groys wrote an article entitled “Der Asylant aus ästhetischer Sicht” ( The AsylumSeeker from an Aesthetic Viewpoint) 5; the anti-Semite Hans-Jürgen Syberberg 2 Jürgen Harten, Marie Luise Syring, Deutschsein? Eine Ausstellung gegen Fremdenhass und Gewalt, exh. cat. Kunsthalle Düsseldorf, Düsseldorf, 1993. 3 The attacks represented mass movements: for example, in Hoyerswerda (September 17 to 23, 1991) 500 people attacked a home for contract laborers and a home for refugees. Hoyerswerda acted as a signal. “In East Germany mainly, groups of up to 200 skinheads and right-wing youths attacked […] above all asylum seekers’ homes using […] firearms and fire bombs. In West Germany there were also numerous attacks, […] for example, the long attack by several hundred residents on a refugee home in Mannheim-Schönau in May 1992.” The most serious riots were in Rostock-Lichtenhagen (August 1992), a three-day siege of an asylum seekers’ home and a residence for Vietnamese contract labourers. In the course of these, there was no protection provided by the police. The perpetrators of the violence were estimated by the police to have been about 1,000 people, supported by about 3,000 onlookers. “The overall number of deaths due to extreme right-wing violence in the Federal Republic of Germany is actually a topic of debate. The list published by the Federal Government assumes 58 victims in the period from 1990 to 2011. An unofficial list drawn up by the Amadeu Antonio Foundation for the same time period says 182 victims.” See: http://www.de.wikipedia.org/wiki/Todesopfer_ rechtsextremer_Gewalt_in_Deutschland (September 2012). Mention should be made of other sources: ARI Berlin (Antirassistische Initiative e.V.), dealing with racism in society, politics, and law (http://www.ari-berlin.org/doku/titel.htm) as well as the scholarly account of the theme by Christine Morgenstern, Rassismus – Konturen einer Ideologie. Einwanderung im politischen Diskurs der Bundesrepublik Deutschland, Hamburg, 2002. 4 “Asylum Compromise is the name of the new adjustment to the Asylum Act decided in the Bundestag on 6 December 1992 […] by the governing coalition of CDU, CSU, and FDP, with the agreement of the SPD opposition (required in the Bundestag to achieve the two-thirds majority necessary for constitutional change). Through the change to the Basic Law […] restrictions were placed on the possibility of successfully appealing in the name of the basic right of asylum.
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produced a film, and many other works, on the theme of “Deutschsein”: flags, barbed-wire fences, soldiers and reminiscences, and that strange “swallowing” (suppression) of the actual reasons for them. “Deutschsein fällt aus” ( To Be German Cancelled) was the title of an action by Düsseldorf art students and the local Antifa (anti-fascist movement) to block the conference linked with the Deutschsein? exhibition. Prior to that action, there had been discussions about possibly protesting during the exhibition and/or the conference. In the course of these, everyone was aware of the danger of how quickly we would be serving that very pluralist ritual of freedom of speech that was being staged all the while by the art world. That ritual involves an unquestioned hegemony which assumes that everyone—above all young artists—wishes to be included in it. So protests, criticism, and actions are always seen as a self-offering, a petition for inclusion. The discussions made it clear to us that we had to thwart that supposition and yet still be present. We had not yet spoken about militancy, because we were so totally separated from any such political tradition. We blocked the entrance to the Kunsthalle with tables and benches. The police kept the side entrance clear. Equally great was the indignation, the astonishment of, above all, the officials and the Other components of the Asylum Compromise were the introduction of the Social Welfare Law for Asylum Seekers and the creation of an independent war refugee status (§ 32a Ausländergesetz)”. See: http://de.wikipedia.org/wiki/Asylkompromiss (September 2012, trans. by PC). Political discourse had been dominated since the early 1980s by the asylum policy theme. “Since 1986 CDU and CSU […] have led a campaign against ‘asylum deception by economic migrants.’ The right-wing radical parties […] benefited as of 1989 from the radicalisation and emotionalisation of the topic. […] After reunification, the Union intensified the asylum campaign and, with the help of the Bildzeitung and the Welt am Sonntag, turned it into one of the most fierce, polemical, and consequential conflicts in post-war Germany. The situation became more volatile when the numbers of refugees increased significantly, particularly due to the civil war in Yugoslavia […] and although surveys showed that it was the huge number of resettlers from the East who were thought to be a burden, the Union parties channelled the aggression against asylum seekers […]. Between June 1991 and July 1993, the theme of asylum/foreigners was mentioned in surveys as the most urgent problem, far in advance of German unification and unemployment.” See: http://www.wiki.verkata.com/de/wiki/Pogrom_von_Rostock_Lichtenhagen (trans. by PC) The abolition of Paragraph 16a, which until then was binding for asylum legislation, was particularly linked with the development of the European Schengen policy, which was intended to protect the whole of the EU from so-called “economic refugees,” while on the other hand enabling goods and labor to circulate unimpeded. The number of asylum seekers in Germany reached more than 440,000 in 1992, its highpoint. At the same time, the recognition quota was only 4.3%. In 1993 about 125,000 people were refused entry to Germany; 30,000 were immediately deported. Deportation was made possible at the airport. See: http://www.de.wikipedia.org/wiki/ Todesopfer_rechtsextremer_Gewalt_in_Deutschland (trans. by PC). 5 Boris Groys, “Der Asylant aus ästhetischer Sicht,” in: idem, Logik der Sammlung. Am Ende des musealen Zeitalters, Munich/Vienna, 1997, pp. 145 –153.
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conference speakers. Something seemed to have come to an end in the self-evident cultural consensus in post-war Federal Germany —in its administrationof criticality and of the willingness to be included, which Marcuse had called repressive tolerance.6 The attacks and the deaths caused considerable shock and gave rise to a strange dialectic in our art world. That dialectic saw itself as an option: to understand “Being proud of Germany” 7 as a controversy, or else it apparently understood itself as a neutralization of right-wing tendencies—just as it has always been possible in art to neutralize all political approaches by remaining silent, or else concurring. Concurring, for example, when National-Socialist crimes are equated with, and disappear when one remembers, Stalinist camps or Hiroshima 8. Or remaining silent or agreeing with the term “de-stigmatisation work” coined in a press release aimed at making it feasible to use the building of the former NS Gauforum in Weimar for a trendy art exhibition, the attractiveness of which lay in the exhibition was the naming of “Bauhaus and Buchenwald” in one breath. A breath that sounded like historical alacrity, a summarizing of themes and meanings for a new generation apparently only able to encounter all this in a sentimental way because they had lost all sensitivity for the actual events. On the occasion of the exhibition “Nach Weimar” (After Weimar), the Berlin Group Gummi K made the cartoon film “Wie eins zum anderen kam” (How one thing led to another, 1996), which questioned the ideological disposition of that exhibition. The students smuggled the film, as a preliminary-criticism, into the VIP party in Weimar and simultaneously showed it at art venues in different cities. The exhibition “Nach Weimar” was instigated by the former Cologne gallerist Paul Maenz, and curated by Klaus Biesenbach and Nicolaus Schafhausen. It opened in late June 1996 in the shell of the new Landesmuseum in Weimar, which is 6 Alice Creischer, “Deutschsein fällt aus!”, in: Texte zur Kunst, Issue 10, June 1993, pp. 164–167, and Herbert Marcuse, “Repressive Toleranz”, in: Robert Paul Wolff, Barrington Moore, Herbert Marcuse, A Critique of Pure Tolerance, Boston, 1969, pp. 95–137. 7 “Wir sind stolz darauf, Deutsche zu seen” is a line from the song Deutschland on the first album of the band Böhse Onkelz (1984). In 1986 the album was branded as liable to corrupt the young and later seized because it glorified violence. See: http://de.wikipedia.org/wiki/Der_nette_Mann (November 2012). However, the slogan soon became a common topos in debates in the newspaper culture-sections and in politics, and has remained so to this very day, cf. the survey in Welt (7.5.2009): 83% are “proud to be German.” 8 In the 1990s a debate emerged about the inauguration of memorial sites to the victims of Stalinism in concentration camps like Buchenwald and Sachsenhausen. This debate linked in with the so-called “Historians Debate” of 1986, in which the historian Ernst Nolte drew a parallel between the “racial murders” under National Socialism and the “class murders” under Josef
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structurally linked with the former NS Gauforum building. “Nach Weimar” functioned as a kind of aperitif, so to speak, before Weimar became the 1999 Cultural Capital and before the permanent presence there of the Maenz Collection in the reconstructed museum. “Nach Weimar” is a new example of the curatorial integration of art into the unquestioned on-going process of the so-called reconstruction of historical sites and their re-charging with meaning. The museum ambitions of contemporary art praxis also serves this process. The film came about after lengthy discussions on the neo-conservative cultural policies increasingly evident since the “Wende” or political turnabout of 1989. In the international art context, exhibitions such as “Nach Weimar” provided a platform for such tendencies.9 The “Nach Weimar” exhibition also involved colleagues and curators of our own generation, whose justifications for exhibiting in the context of this national festival (Weimar was strongly promoted nationally as European Cultural Capital) became ever more “symptomatic,” probably involuntarily. At the same time, their art praxis and their cautious orientations around new trends, such as sitespecificity and institutional criticism, also became doubtful, because artists contributed who represented this. It also seemed to us that many of the art methods we had learned at the Academy in the 1990s—working with irony, affirmation, exaggeration, gathering of themes in one image that exploded or said everything at once—, that methods such as these could achieve nothing in the face of this new national claim for art. Possibly everyone was aware that all art formats could be ideologically exploited without much opposition, and that it was now a matter of doing in something that was always abhorred in art: making clear statements. When Paul Maenz gave, and also sold, parts of his collection to the Museum der Stadt Weimar, he said in an interview: “For the first time, I was no longer proud of being ashamed of being a German. One considers Buchenwald and Goethe as part of history and of one’s own involvement in it. Perhaps that was the reason for my first thought: ‘I would like to do something here.’” 10 We can now Stalin. The conflation of National Socialism and Stalinism under the historical term “Totalitarianism” began very vehemently in the political and cultural debates in large exhibitions—especially in the newly erected German History Museum in Berlin—and continues to this day. 9 Gruppe Gummi K für Microstudio Surplus, “Wie eins zum andern kam,” in: Texte zur Kunst, Issue 23, August 1996, p. 76 (trans. by PC). 10 Peter Herbstreuth, “Keine Angst vor Blitzgewitter, Interview with Paul Maenz,” in: Der Tagesspiegel, Berlin, 17.12.1998 (trans. by PC). Maenz, one of the main actors in art speculation during the 1980s, closed his Cologne gallery in the art downturn of the 1990s. He popularized his public-private-partnership ventures as dedication to the nation, donating and selling parts of his artworks, as the Maenz Collection, to the Neue Museum in Weimar. “When visiting the Collection
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observe revisions taking place constantly. Zwei Kerzen für Dresden (Two Candles for Dresden), a painting by Gerhard Richter, enlarged to the size of a building as a logo for the new Dresden Kunstverein in 1994, in memory of the bombing of the city and during a city festival that also manifested in donations for the reconstruction of the Frauenkirche. “Reconstruction” was a term used as if it were just after 1945. This struck us as the reconstruction of an identity that had nothing to do with us. We could not recall the term “reconstruction,” but as a result of this impertinence we associated it with the term “perpetrators,” as if through this “reconstruction” they, the “perpetrators,” could now finally make amends to each other. That was at a time when castles, barracks, prisons, and administrative buildings in all cities were being reconstructed, so that, involuntarily, one anticipated the arrival of the corresponding residents. In 1992 the remains of the last Prussian king were interred in the cathedral in Potsdam. Helplessly, we listened to Lampugnani’s polemics against the architecture of modernism, and realized that this provided the legitimation to pull down the GDR buildings in Berlin and fill the gaps with replicas of buildings from the Prussian Gründer era of 1871–1873.11 Now national holidays were key dates for exhibition openings. For example, the new Berlin Biennale opened on October 3, in the context of celebrations for the Day of German Unity. The inauguration of the huge Daimler real-estate agglomeration on Potsdamer Platz took place on the same day; building workers marched through the Brandenburg Gate while Barenboim conducted construction cranes to strains of Beethoven.
we found it difficult to abstract from the venue. We wondered if and how this approach to homogenizing Goethe and Buchwald […] in the former Gauforum might be linked with the works on exhibition? Is there perhaps a connection between Maenz as a pioneering gallerist for American and Italian concept art and the reformed Nationalists? We were interested in why the grey-black Sol LeWitt works could be so smoothly integrated into the pilasters of the entrance foyer […] why Judd can be inserted so harmoniously into the wall, and why Buren’s wall work contributes to the kitschy foyer. The slits in the left half of the stairwell are not […] cut into the plaster. They are stuck to the stones in strips and made of the typical material which is favoured for critically reconstructed buildings […] and has gained a sad fame […] plasterboard. The right stairwell half is mirrored. The unification of plasterboard strips and their ‘mirror stage’ is completed in an untouched arch in the middle of the stairhead—how could it be otherwise—behind the wide marble back of a massive, comfortably seated and paternal Goethe.” Alice Creischer, Andreas Siekmann, “Ich bin ein Monolith,” in: Texte zur Kunst, April 1999, p. 72 (trans. by PC). 11 The architecture debate in the 1990s began in Berlin with a typical example. It was initiated by the then director of the Deutsche Architekturmuseum, Lampugnani. “On December 20, 1993, Lampugnani wrote: ‘We must abandon the myth of innovation, one of the most fateful heritages of the avant-garde epoch. Where innovation is mere attitude, convention has the better arguments.’ […] It was not a long way from Lampugnani’s ‘convention’ to Hans Kollhoff’s ‘the nineteenth century is not over yet.’ […] Suddenly the conventionality of a new ‘Berlin architecture’ had to go hand in hand with the good taste of the public. What is more, that did not exclude a large-scale propaganda campaign against GDR Modernism. On the contrary: taking East Berlin’s Mitte as an example, the protagonists of the conservative turnabout tried to justify how important a ‘critical reconstruction’ was.” Uwe Rada, “Welches Berlin hätten Sie denn gern?”, in:
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In 1997 the exhibition Deutschlandbilder: Kunst aus einem geteilten Land (Images of Germany: Art from a Divided Country) was mounted in the MartinGropius-Bau in Berlin. It saw itself as the first comprehensive presentation of developments in art in the two German states—a kind of arranged and now manifest unification. There had been many similar attempts in between, but they had failed because of the fact that the artworks in East and West Germany clearly transported their respective ideologies. Exhibitions in Weimar and Berlin had demonstrated this as regards GDR art, but there had never been an attempt to demonstrate the ideology of Western art—that freedom of re-education and its willingness to embrace all cultural affects that fuelled the economic boom. Pop Art’s complete emancipatory bankruptcy, for example. This exhibition contained a critical revision of Western art’s ideology of freedom, but it went in a different direction. The curators realized that there had been a politically correct consensus in West Germany. They ascertained the necessary, self-evident existence of a national feeling which had been repressed by that consensus. They used the terms “repressed” and “taboo,” and it was clear that the terms were being relieved of the reproach with which they had always been linked, in our eyes—the placing of the National Socialist crimes under taboo and the exploitation of this for the economic boom. Those terms were now being given another semantic link. We felt that a psychological disposition was being imputed to us; the suggestion was that we were victims and part of a community called “Germans,” something we had never experienced as such.12 There was also something like a suspicion that tolerance was merely an indicator of self-hatred and suppressed German identity, and that this tolerance welcomed foreigners being beaten to death because they were proof and confirmation of that self-hatred.13 Ultimately, we were too exhausted to repeatedly rage about this form of forced identity. Meantime we were also faced with the problem of having a special role imposed on us as anti-fascists in the art
taz, 19.12.2008. See: http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort =bl&dig=2008%2F12%2F19%2Fa0139&cHash=6c554155d7 (September 2012, trans. by PC). 12 Deutschlandbilder: Kunst aus einem geteilten Land, curated by Eckhart Gillen, September 7 to January 11, 1997, Martin-Gropius-Bau, Berlin. Over the course of 25 rooms, a historical chronology was divided into sections with headings like “1933,” “Construction of the Wall,” “’68,” “Stammheim,” and “1989.” This chronology saw itself as the completion of the post-war era and aimed to show a continuity in the nationalist search for identity. It did this mainly by accusing “the politically correct consensus” of suppressing the nationalist element. “With the question of the images that artists, from Dusseldorf to Dresden, from Hamburg to Leipzig, had of Germany, the exhibition touches on the taboo concept of the nation.” Eckhart Gillen, “Weiterleben mit der Vergangenheit,” in: Deutschlandbilder: Kunst aus einem geteilten Land, exh. cat. ed. by Eckhart Gillen for the Berliner Festwochen, Berlin, 1997, p. 32 (trans. by PC). 13 “One should occasionally examine ‘what is genuine about one’s own tolerance and what is due to the uptight German self-hatred that welcomes foreigners so that […] finally conditions here are exposed for what they famously are [fascistoid, note Gillen].” Botho Strauß, Anschwellender Bocksgesang, qtd. after Eckhart Gillen, see note 12, p. 37 (trans. by. PC).
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scene. We risked serving a need to provide an obligatory criticism of nationalist positions; once this had been done, the art world could go on as before. We thus would have become quasi established, as “ideology critics.” When we first heard that Christian-Friedrich Flick, heir to the major Nazi industrialist, wanted to show his art collection at the Hamburger Bahnhof in Berlin, we simply could not believe our ears. Initially, we wanted to write an article, but then hesitated, because that was exactly what was expected of us. Two days before the exhibition opening in 2004, a colloquium was held at the Freie Universität Berlin, during which former women forced laborers reported on their living and working conditions in the factories owned by the Flick concern. We could not actually see them during the colloquium, as our view was blocked by a phalanx of cameras. The cameras demanded a statement on the Flick Collection, as the opening of the exhibition that autumn promised to be one of the most spectacular social events in Germany. One of the forced laborers replied that, in principle, guilt could not be inherited. Then after a brief pause, she continued, saying that she was quite sure the collection would contain a plaque informing people that it was financed by profits made from robbery and death. The point here is not to indicate where most of the media edited their broadcasts, but to show that a link exists between that camera phalanx, the editing, and the desire to see these witnesses. Perhaps we were projecting something, but on seeing the Flick Collection our impression was that somehow the works exhibited something of an unacknowledged assertiveness, their alibi function, and what could be called a “symptom”: in the arrangement and hanging of the works, in the recurring motifs of violence and war—installation commodities whose existentiality was dulled. Perhaps the Flick Collection was also symptomatic of the fact that it was no longer a matter of making a “taboo” of National Socialist history, but of commercializing it; an appropriation of history; a kind of thrust reversal of energy for legitimating the continuation of chauvinist policies. At the exhibition opening, Flick presented himself as someone who reconciled the compensation paid to the forced laborers with his conscience. We found this particular kind of humanism especially disgusting—how it blended with that kitsch of the privileged beautiful soul with its freedom and autonomy—a trumpery that poorly concealed the brutality behind the overt, arbitrary gesture of ignorance, of sovereignty, of dominion over right and wrong. A group of very diverse people gathered to consider possible ways of protesting against the exhibition. Anonymous attacks using paint and noise took place during it. Finally, an event was held at the HAU Theater in December 2005 called Heil dich doch selbst/Die Flick Collection wird geschlossen (Heal Yourself/ The Flick Collection Closes). It involved brief statements and contributions by a variety of people and groups. Shortly afterwards, we received an anonymous
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donation which financed a full-page protest advertisement against the exhibition in the Frankfurter Allgemeine Zeitung. This was signed by several hundred artists, musicians, authors, etc. It is important to mention that some of those signatories subsequently had problems with their financiers, institutions, or editors. This shows that the limits of a willingness for social inclusion, that the constant promise/ threat of inclusion are, yet again, an ideological assumption of omnipotence. Under pressure, Flick paid into the compensation fund, and he did so with the repulsive gesture of voluntariness inherent in all compensation payments at that time. The sum was a ridiculous five million euros—peanuts. We went to the subsequent vernissage to distribute flyers and peanuts, but were forced to leave the premises. The exhibition of the Flick Collection opened on November 3, 2004. At the time, we were struck by the number of films about National Socialism and the Second World War that were being shown. The impression we got was that they were permanently confirming mutual forgiveness, and that they practiced a strange form of remembrance—psychologically close, with no distance, images of a conditioning, an industry of tears, You and I and obligatory emotions, like a skin so sticky it can scarcely be sloughed off, a skin that says what you are supposed to be.14 It was at precisely this time that public controversy was raging regarding the nuances distinguishing severe interrogation from torture, in the clear knowledge that certain airplanes were flying to certain interrogation camps. There was talk about feelings of security and of anxiety, of public emergencies, without people noticing that human rights were being abolished because that particular category is no longer suitable for identity formation.
In conclusion We have often described what is being described here—we, a generation of artists and theorists who experienced the ideological turnabout after 1989. It has become normal to have to constantly repeat yourself, to be forced to repeatedly try and find words and images to doll-up an over-described reality like a dead person from whom it is difficult to take leave. Were we to take leave of that person and of our activities as make-up artists, then we would have given up something that could be called the aspiration to possibly bring about change.
14 Examples worth mentioning are films like Sophie Scholl – Die letzten Tage (dir. Marc Rothemund, 2005) or Oliver Hirschbiegel’s Der Untergang (2004). See Willi Bischof (ed.), Filmri:ss. Studien über den Film “Der Untergang,” Münster, 2005.
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Epilogue This description of the nationalist ideologization that took place in the German art world after 1989 is limited. What is more, due to its own indignation it risks not being able to escape the essentialist categories it so vehemently battles against—a familiar problem with anti-nationalist ideology criticism. Of particular importance to me—writing here as a single chronicler—are the examples it contains of ideology-critical praxis and its possible continuation: for example, the protest against the Humboldt Forum, which I would like to mention here in conclusion. An event called Anti-Humboldt, eine Veranstaltung zum selektiven Rückbau des Humboldt-Forums (Anti-Humboldt, On the Selective Unbuilding of the Humboldt Forum) took place in Berlin in July 2009. It consisted of an evening with a lecture involving alternating roles and, the following day, workshops on the themes of nation-branding, post-colonial displays, and restitution issues. “Subsequent to the Bundestag decision of 2002 to rebuild the castle façade, and the demolition of the Palast der Republik in 2008, the Humboldt Forum was presented, from a cultural-political viewpoint, as the redeeming idea for legitimating the reconstruction of the castle. The Humboldt Forum would accommodate not just sections of the Central and State Library and the scientific collections of the Humboldt University, but primarily collections of so-called non-European art and culture owned by the Staatliche Museen zu Berlin. […] So far, all the statements by those in charge indicate that the Humboldt Forum will not be about reflecting on the violence that emanated from Europe to the rest of the world in the course of colonialism. Instead ‘Andersheit’ [Being Other] is to be ontologized, and thus serve to demonstrate the sovereignty and cosmopolitanism of the exhibitor nation. The castle façade symbolizes the lost and regained unity of Germany as well as the ‘golden age’ of Prussianism that now becomes a stop-gap in post-division German history. In this connection in particular, ‘cultural treasures’ from around the world serve to demonstrate global open-mindedness under the guise of a ‘cultural nation.’ Such a recontextualization at this central, symbolically charged site, right next to the Museum Island with its collections from the ‘classical high cultures,’ is what we call yet another instrumentalization of non-European arts and cultures.” 15 There are many welcome occasions for an empirical critique of ideology that is capable of becoming activist praxis—for example, the examinations of the codes of conduct of companies like Nokia, H&M, or Apple, undertaken after criticism of their outsourced production methods; analyses of the judicial texts of multilateral agreements or privatization contracts that incapacitate city and national parliaments. This kind of ideology criticism would perhaps also be an
appropriation/socialization of those ideology-critical discourses whose freedom and dissemination come up against their limits in hard-won beacon and excellence projects.
Footnotes These footnotes can only recall frequently debated and widely known facts and discussions in abbreviated form. They highlight a particular problem, namely, how to deal with this awareness that one is not sure what has already been forgotten, or what now seems banal or serious. I have referred largely to Wikipedia because it emerged during the 1990s and chronicled several of the discussions in parallel, as it were. For example, the pages dealing with German Asylum Law, with the attacks on foreigners, are quite detailed. Another source was our own articles in Texte zur Kunst. In the 1990s and 2000s this magazine as well as springerin offered artists the possibility to express themselves and see art criticism as an intervention.
15 Announcement of a congress, July 2009. Alexandertechnik is a group of artists, activists, and scientists (trans. by PC).
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DIE AUSTREIBUNG DER GESPENSTER AUS EUROPA. DIE MANIFESTA, BIENNALE FÜR ZEITGENÖSSISCHE KUNST, UND DIE GESCHEITERTE RHETORIK DER DEMOKRATIE Vesna Madžoski
Bei Ausstellungen zeitgenössischer Kunst handelt es sich um besondere, ständig „im Bau befindliche“ Orte, an denen mit jeder weiteren Ausstellung, mit jeder weiteren Präsentation neue Erzählungen und Bedeutungen entstehen. Die westliche Kunstwelt ist nach wie vor tief in der modern(istisch)en Konstruktion des „White Cube“ verwurzelt, der als Raum seine Loslösung und Unabhängigkeit von der Außenwelt garantiert. Diese weiße, sterile Präsentationsform eines neutralen Raums galt auch als Garantie für einen objektiven Blick außerhalb der Zeit und, wie Brian O’Doherty anführt, als festigendes gesellschaftliches Konstrukt sowie als Garant für soziale Stabilität.1 Erschwert wird eine solche Neutralitätsvorstellung, wenn die Hauptakteure jener innerhalb des Ausstellungsraums konstruierten Beziehung ins Spiel kommen, und zwar Kunstobjekte einerseits und BetrachterInnen andererseits. Ziel der folgenden Analyse ist es aufzuzeigen, inwieweit sich der „neutrale“ Ausstellungsraum mit dem ihn umgebenden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen System in besonderer Weise überschneidet. Die Leistung des „Neutralen“ zeichnet sich durch unterschiedliche Instrumente aus, die ich hier herauszuarbeiten versuche. Die Manifesta, die Europäische Biennale zeitgenössischer Kunst, wurde zu Beginn der 1990er Jahre auf Initiative des niederländischen Staates als internationale Wander-Biennale konzipiert, die, obgleich in Amsterdam ansässig, jedes Mal an einem anderen Gastort stattfindet. Die Manifesta entstand als Reaktion auf die politischen und ökonomischen Veränderungen, die sich aus dem Ende des Kalten Krieges und den darauf folgenden Schritten in Richtung einer europäischen Integration 1 Siehe hierzu auch Brian O’Doherty, Inside the White Cube: The Ideology of the Gallery Space, Berkeley 1999.
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DIE AUSTREIBUNG DER GESPENSTER AUS EUROPA
ergaben, und beabsichtigt, eine bewegliche Plattform zu liefern, die einen Beitrag zu einem stetig wachsenden Netzwerk aus regionalen bildenden Künstlern liefern kann.2 Bislang fanden neun Auflagen der Manifesta statt, wobei die sechste aufgrund eines eskalierenden Konflikts zwischen den Kuratoren und den Vertretern der Stadt Nikosia, in der die Ausstellung ausgerichtet werden sollte, letztlich nicht zustande kam.3 Der offizielle Name „Manifesta, The European Biennial of Contemporary Art“, beinhaltet zwei zentrale Begriffe: „European“ und „Contemporary Art“, wobei der erste auf die politischen Aspekte der mit der Ausstellung verbundenen Aktivitäten verweist, der zweite auf die kunstbezogenen. So lassen sich am Beispiel dieser Biennale von der Manifesta angeregte aktuelle Definitionen beider Begriffe, aber auch Verschiebungen politischer und ästhetischer Paradigmen sowie deren Wechselwirkungen untersuchen. In der folgenden Analyse richte ich mein Interesse weniger auf die konkreten Ausstellungsobjekte als auf die Ermittlung dessen, was in der Regel hinter dem Akt des Ausstellens verborgen bleibt, oder besser, was nach Überzeugung der an der Entstehung der Manifesta beteiligten Akteure verborgen oder unsichtbar bleibt.
Verbrechen innerhalb des Manifesta-Archivs Die Manifesta ist von ihren Schöpfern zur demokratischen Institution, ihr öffentlich zugängliches Archiv zum Garant demokratischer Prinzipien erklärt worden. Dieses in der Amsterdamer Manifesta-Zentrale beherbergte Archiv soll als offene Ressource genutzt werden und ist der Öffentlichkeit frei zugänglich. Da während meines Besuchs im Jahr 2006 mein Hauptinteresse den kuratorischen Praktiken der Manifesta-Biennalen galt, bat ich um Einsicht in die Unterlagen über das Auswahlverfahren, das für Kuratoren und Gastgeberstädte gilt. Man verweigerte mir allerdings den Zugriff auf diese Dokumente, und zwar mit der Begründung, man wolle „die Rechte der Kuratoren schützen“. Stattdessen gewährte man mir teilweise Einsicht in die E-Mail-Korrespondenz des Vorstands über die Entscheidung für Nikosia auf Zypern als letzte gastgebende Stadt. Anstelle der Kuratorenvorschläge wurden mir hingegen die Anträge abgelehnter KünstlerInnen präsentiert, da deren Interessen offenbar 2 Offizielle Manifesta-Homepage: http://www.manifesta.org (Oktober 2006). 3 Obwohl als Brückenschlag zwischen Ost und West konzipiert, fanden die meisten Manifestas in Städten des ehemaligen Westens statt: Rotterdam, Niederlande (1996), Luxemburg (1998), Ljubljana, Slowenien (2000), Frankfurt am Main, Deutschland (2002), Donostia/San Sebastián, Spanien (2004), Trentino/Südtirol, Italien (2008), Murcia, Spanien (2010) und Genk, Belgien (2012).
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nicht als schützenswert gelten. Während man mir den Zugang zu den meisten Dingen verwehrte, an deren Erforschung ich interessiert war, wies mich die Direktorin ihrerseits auf eine im Auftrag der Manifesta unter dem Titel The Manifesta Decade erschienene, ebenso aufwendige wie imposante 300-seitige Monografie zu Geschichte und Aufgabe dieser Veranstaltung hin. 4 Diese Publikation bietet einen historischen Abriss sowie eine Analyse der Auswirkungen dieser Ausstellung in den vergangenen Jahren, einschließlich eines Überblicks über das Archiv selbst. Einer der HerausgeberInnen zufolge ist das Archiv dazu imstande, auch denjenigen Interessierten, die selbst keine der Ausstellungen gesehen haben, „einen Akt des Neuerlebens“ zu gewährleisten.5 Da ich mir also der Schwierigkeit bewusst war, das „reale“ Archiv einzusehen, beschloss ich, mich auf dieses spezielle Segment zu konzentrieren und dabei die These Jaques Lacans zu untersuchen, dass, sofern Symptome vorliegen, diese in jedem vom betreffenden Subjekt hervorgerufenen Ereignis erkennbar sein müssen. In seiner Untersuchung des Begriffs „Archiv“ plädiert Jacques Derrida dafür, unsere Aufmerksamkeit auf ein Ereignis, also einen Augenblick zu richten, der vermittels einer besonderen archäologischen Praxis eine kritische Deutung des Archivs erlaubt und in dem „der Ursprung […] nun von sich aus [spricht]“.6 Innerhalb des Raums, den das Manifesta-Archiv inmitten von Miniaturabbildungen von Kunstwerken vorangegangener Biennalen in jener Publikation einnimmt, stieß ich überraschend auf etwas oder vielmehr auf jemanden, dem hier zu begegnen ich nicht erwartet hatte. Dieser Jemand erregte auf den ersten Blick meine Aufmerksamkeit und wurde nun, da man uns zuvor nicht miteinander bekannt gemacht hatte, zu meiner theoretischen Obsession. Auf zahlreichen Fotos von Manifesta-Kuratoren und -Vorstandsmitgliedern, die bei offiziellen Pressekonferenzen und „inoffiziellen“ Besprechungen in Cafés entstanden waren, stieß ich auf eine Person, deren Name nach Auskunft der zugehörigen Bildunterschrift „unbekannt“ war. Diese unbekannte Person nahm gleich in mehrfacher Weise Gestalt an. So handelte es sich auf einigen Fotos um eine Frau, auf anderen um einen Mann und auf wieder anderen um ihren eigenen Doppelgänger. Die Person bewegt sich offenbar ungehindert von Stadt zu Stadt, von Land zu Land und folgt dieser Wander-Kunstausstellung wie ein Schatten. Am erschreckendsten ist hierbei jedoch, dass diese Unbekannten äußerst vertrauliche Gespräche mit den zentralen Figuren des ManifestaJahrzehnts führen, an Podiumsdiskussionen teilnehmen oder auch namentlich ausgewiesene Personen freundschaftlich umarmen, um ihre Zugehörigkeit zur jeweils fotografierten Gruppe zu signalisieren. Begegnet man dem/der Unbe4 Barbara Vanderlinden und Elena Filipović (Hg.), The Manifesta Decade. Debates on Contemporary Art Exhibitions and Biennials in Post-Wall Europe, Cambridge/MA/London 2005. 5 Barbara Vanderlinden, „The Archive Everywhere“, in: The Manifesta Decade, wie Anm. 4, S. 232. 6 Jacques Derrida, Dem Archiv verschrieben. Eine Freudsche Impression [1995], Berlin 1997, S. 164.
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kannten im Archiv-Raum, dessen vorrangige Funktion in der Bewahrung der Erinnerung besteht, so fördert dieser/diese Unbekannte nicht nur die Gedächtnisschwäche derjenigen zutage, die diese noch recht aktuellen Bilder auszuwerten hatten, sondern auch das Versagen des Archivs im Sinne der Funktion, für die es ursprünglich entwickelt wurde. Folglich beschloss ich, dem/der Unbekannten nachzugehen, der/die mich in eine zunächst nicht geplante Richtung führte, zu einer Analyse des Begriffs Archiv an sich. Daher schlage ich nun vor, diese ungewöhnliche Auslöschung, dieses ungewöhnliche Erinnerungsloch des Manifesta-Archivs parallel zu jenem Kontext der offiziellen Rhetorik der Manifesta zu interpretieren, dem sich diese Auslöschung verdankt, und deren mutmaßlich demokratische Prinzipien in einen Dialog mit Derridas Beschreibung des Archivs zu setzen. Die zentrale Frage lautet an dieser Stelle: Inwiefern kann dieser/diese Unbekannte „Widerrede leisten“? Zunächst dekonstruiert er/sie offensichtlich das Ziel der Manifesta, vollständige Kontrolle über ihr historisches Bild auszuüben. Wie wir sehen, entgleiten die Dinge (unter Umständen) unaufhörlich unserer Kontrolle.
Images from curatorial research trips. 3. Talin. Center: Inessa Josing. 6. Luxembourg City. Left to right: Barbara Vanderlinden, Hans-Ulrich Obrist, Maria Lind, Jo Kox, unidentified, Enrico Lunghi, unidentified and Hedwig Fijen.
nicht nur die Macht über physische Gegenstände, sondern auch über den historischen Diskurs beziehungsweise den Diskurs des Anfangs, des auf den im Archiv gehüteten materiellen Spuren gründenden Ursprungs. Obgleich als Wanderveranstaltung konzipiert und wahrgenommen, befindet sich die Heimat der Manifesta ebenso wie ihr Archiv in Amsterdam. Da die Manifesta im selben Jahrzehnt entwickelt wurde, in dem auch die digitale Revolution stattfand und die Digitalisierung von Archiven einen Höhepunkt erreichte, wirkt es zumindest eigenartig, dass die altmodisch ortsgebundene Haltung damit begründet wird, dass es unmöglich sei, das umfangreiche Manifesta-Archiv ständig von einer Gastgeberstadt zur nächsten zu transportieren.8 Laut Derrida lässt sich der physische Standort des Archivs als ein Ort begreifen, an dem Macht ausgeübt wird und denjenigen, die diesen Ort betreten oder interpretieren möchten, ein symbolischer Auftrag erteilt beziehungsweise verwehrt wird. Das Bedürfnis, diesen Vorgang zu kontrollieren, verdankt sich möglicherweise der Tatsache, dass jene Dekade, auch wenn sie seitens der Manifesta im Sinne einer weit zurückliegenden Geschichte konstruiert wird, von denselben Akteuren beherrscht wurde, die auch heute noch eine ausgesprochen aktive und einflussreiche Rolle innerhalb des Kunstbetriebs spielen. Daher der Wunsch, jedes Dokument zu schützen, das ihr erwünschtes projiziertes Bild dekonstruieren könnte. Derrida schreibt: Keine politische Macht ohne Kontrolle des Archivs, wenn nicht gar des Gedächtnisses. Die wirkliche Demokratisierung bemißt sich stets an diesem essentiellen Kriterium: an der Partizipation am und dem Zugang zum Archiv, zu seiner Konstitution und zu seiner Interpretation. A contrario lassen sich die Verstöße gegen die Demokratie an dem […] Werk mit dem Titel Archives Interdites [ermessen].9
Ausgelöschte Subjekte Bei seinem Versuch, im griechischen Wort arkhē den Ursprung für die heutige Verwendung des Begriffs Archiv zu bestimmen, erinnert Derrida an dessen doppelte Bedeutung beziehungsweise an die beiden in ihm enthaltenen Prinzipien: das Prinzip des Anfangs einerseits und das Prinzip des Gebots andererseits. Dementsprechend ist das Archiv im Haus der Mächtigen beheimatet, die nicht nur Hüter dieser Dokumente sind, sondern denen auch das „hermeneutische Recht und die Kompetenz“ zuerkannt wurden, die ihnen die Konsignationsmacht verleihen: die Macht „der Vereinheitlichung, der Identifizierung und der Einordnung“ des Archivs.7 Eine solche Stellung beinhaltet 7 Ebd., S. 12f.
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Wie oben angeführt, wurden meine ersten Schritte in das „reale“ Archiv der Manifesta durch meine Entdeckung unsichtbarer, unüberwindbarer Grenzen behindert. Wie die Entdeckung jener „Verbotenen Archive“ zeigt, wird das demokratische Prinzip dieser Institution an einem solchen Punkt also erheblich verletzt. Vielmehr signalisiert die Manifesta im Bestreben nach Kontrolle über das Archiv ihr Bedürfnis, das Bild ihrer jüngsten Vergangenheit zu kontrollieren und somit unmittelbar von einem selbst geschaffenen historischen 8 Die Online-Datenbank des Dokumentationszentrums basis wien, das von der Manifesta beauftragt wurde, einen Teil ihres Archivs zu digitalisieren, bietet einen selektiven und sehr eingeschränkten Einblick in diese Unterlagensammlung. Weitere Informationen hierzu finden sich unter http://www.basis-wien.at. 9 Jacques Derrida, wie Anm. 6, S. 14f.
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Auftrag zu profitieren. Diese Praxis ist weder ungewöhnlich, noch drückt sie sich ausschließlich in der Vorgehensweise dieser Institution aus. Dort, wo sie sich unter dem Deckmantel demokratischer Prinzipien präsentiert, ist sie allerdings hochproblematisch.10 Das ideale Archiv, wie es alle Archivare aufzubauen versuchen, existiert und fungiert im Sinne eines einzelnen, kohärenten Körpers, der sich durch nichts trennen oder zerstören lässt. Die Konsignationsmacht des Archivars betrachtet die historischen Unterlagen als Teil einer größeren, kohärenten Geschichte, eines singulären Bildes ohne Risse. Oder, um mit Derrida zu sprechen: „In einem Archiv darf es keine absolute Aufspaltung, weder Heterogeneität noch ein Geheimnis (sécret) geben, das auf absolute Weise eine Abtrennung (secernere) oder Absonderung herbeiführen würde.“ 11 Das Begehren des Archivars nach absoluter Macht über den Korpus der von ihm gehüteten Unterlagen sowie nach einer Präsentation der Geschichte ohne Spannungen und Widersprüche gerät durch die Erscheinung des/der Unbekannten ins Wanken. Verborgen im ihn/sie umgebenden homogenen Diskurs, gelingt es dem/der Unbekannten, durch dessen Risse zu schlüpfen und zu sprechen. Denn wir wissen: „Das Archiv arbeitet allzeit und a priori gegen sich selbst“,12 während der/die Unbekannte genau dieses Übel, dieses Begehren des Archivs, sich selbst zu zerstören, verkörpert. Der Grund für das Begehren des Archivs, sich selbst zu zerstören, liegt in seinem hypomnestischen Charakter, da das Archiv als externes technisches Modell des psychischen Apparats konstruiert wurde. Das so bestimmte Archiv, argumentiert Derrida, kann sich dem Trieb, der sich ursprünglich auf den psychischen Apparat des Menschen richtet – dem Todes-/Aggressions-/ Destruktionstrieb –, nicht entziehen. Daher fußt das Archiv auf schwankendem Boden, der unablässig von seinen inneren Widersprüchen im Hinblick auf das Bedürfnis nach Erinnerung und den Trieb, etwas aus der Erinnerung zu streichen, bedroht ist. Und doch: „Ein derartiger Widerspruch ist nicht negativ, 10 Der Versuch einer Präsentation der Präsentation des Archivs zur Realisierung des Konzepts der uneingeschränkten Demokratie wurde auch innerhalb einer der Manifesta-Ausstellungen unternommen. So planten die Kuratoren der Manifesta 4, eine Ausstellung auf Grundlage der Akten von unzähligen Künstlern zu konzipieren, die sie während ihrer Erkundungsreisen quer durch Europa kennengelernt hatten. Dieses „administrative Monument“ sollte eine Atmosphäre schaffen, in der sich niemand ausgeschlossen fühlt und stattdessen jener inhärente (undemokratische) Teil der Kuratorenpraxis ausgeblendet wird, der auf einem Selektionsvorgang, also auf Ein- und Ausschluss basiert. Die Existenz dieses Archivs war nicht das zentrale kuratorische Konzept, das die Ausstellung in derartige Ansammlungen von Künstlerdokumentationen verwandelt hätte, und wirkt in Verbindung mit den ausgewählten und ausgestellten künstlerischen Arbeiten lediglich wie eine politisch korrekte Version des kuratorischen Ausschlussverfahrens. (Camiel van Winkel, „The Rhetorics of Manifesta“, in: The Manifesta Decade, wie Anm. 4, S. 222.) 11 Jacques Derrida, wie Anm. 6, S. 13. 12 Ebd., S. 26.
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er skandiert und bedingt sogar die Bildung des Begriffs Archiv.“ 13 Richten wir den Blick erneut auf den/die Unbekannte, so besetzt dieser/diese exakt jene Lücke, in der er/sie nur noch als Spur einer Auslöschung, als Phantom zwischen zwei Welten existiert. Dies offenbart das Geheimnis des ManifestaArchivs sowie seine Unfähigkeit, vergangene Ereignisse vor der Auslöschung zu bewahren, ebenso wie die Bedeutung seiner auf dieser Grundlage konstruierten historischen Erzählung. Dank des/der Unbekannten, dank dieses Phantoms des Archivs sind wir in der Lage, dieses zu betreten und ohne jede Bevormundung zu solchen Erkenntnissen zu gelangen. Wir leben laut Derrida in einer Zeit, in der wir alle vor Leidenschaft für das Archiv brennen und vom sogenannten „Archivübel“ besessen sind.14 Dieses Übel bedeutet, „sich ihm in einem zwingenden, repetitiven und sehnsüchtigen Begehren, einem ununterdrückbaren Begehren nach einer Rückkehr zum Ursprung, einem Heim-Weh, einer Sehnsucht nach einer Rückkehr zum archaischsten Ort des absoluten Anfangs zu[zu]tragen“.15 Was sagt uns der/die Unbekannte als BewohnerIn des Ortes, an dem das Archiv sich selbst anarchiviert, über den nostalgischen Punkt, an den die Manifesta zurückkehren möchte? Die Antwort scheint ebenso eindeutig wie einfach, wenn wir nach dem Zeitpunkt suchen, den die Manifesta als ihre eigene Geburtsstunde zugrunde legt: Es handelt sich hierbei um das Jahr 1989, das Jahr ihres arkhē (Ursprung, Anfang), ihres Beginns der Zeitrechnung.16 Nostalgie ist häufig das Resultat eines enormen Verlusts, wobei man das Jahr 1989 durchaus als traumatischen Moment innerhalb des westlichen Kunstdiskurses, als einen Moment bedeutender politischer und gesellschaftlicher Umwälzungen innerhalb der jüngeren europäischen Geschichte bezeichnen kann. So gesehen wird die Manifesta zu einem eigenartigen Monument für die Zeit vor dem Auftreten eines Traumas, das eine nostalgische Trauer um längst vergangene Zeiten ausdrückt. Indem wir dem/der Unbekannten auf dem Weg durch das Archiv und seine Symptome folgen, gelangen wir zur politischen Ebene der ManifestaAktivitäten beziehungsweise zu den Hauptgründen, aus denen sie entstand: als Beitrag zur Begegnung mit den Anderen im Kontext eines neuen Kapitels europäischer Geschichte. Dieses Kapitel der europäischen Geschichte ist geprägt von Versuchen, eine stabile und einheitliche kulturelle sowie politische Identität der Europäischen Union zu schaffen, die sich mit dem offiziellen Slogan „United in Difference“ 13 Ebd., S. 159. 14 Ebd., S. 26. 15 Ebd., S. 161. 16 Folglich lautet das erste Kapitel in The Manifesta Decade „One Day Every Wall Will Fall: Select Chronology of Art and Politics after 1989“ und stellt ausgewählte Fakten und Persönlichkeiten des politischen und künstlerischen Lebens nach 1989 vor. Infolge dieses symbolischen Aktes beginnt die Manifesta-Zeitrechnung offiziell mit ebenjenem Jahr.
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(vereint in der Unterschiedlichkeit) auf den Punkt bringen lässt. Dennoch weist dieser Diskurs einer „Einheit der Differenzen“ auf seinen grundsätzlich undemokratischen Hang zur Homogenisierung hin. Demzufolge wäre ein wirklich demokratischer Standpunkt die „Differenz der Einheit“ beziehungsweise die Flexibilität, sämtliche heterogene Merkmale, die diese Einheit umfasst, in sich zu integrieren. Was nach Derrida diesen Prozess mit der vorangegangenen Diskussion über das Archiv verbindet, ist die Tatsache, dass beide Vorgänge ohne Gewalt undenkbar wären: Die Versammlung des Einen auf sich selbst geschieht niemals ohne Gewalt, und auch nicht die Selbstbejahung des Einmaligen, das Gesetz des Archontischen, das Konsignationsgesetz, welches das Archiv (an) ordnet. Die Konsignation geschieht nie ohne diesen übermäßigen Druck (pression) (Eindruck, Unterdrückung, Beseitigung [impression, répression, suppression]), wovon die Verdrängung oder Urverdrängung und die Unterdrückung zumindest Figuren sind.17
und unveräußerlichen Menschenrechte, sobald sie nicht als Rechte eines Staatsbürgers zu handhaben sind, als bar allen Schutzes und aller Realität“.18 Im Fall der Manifesta-Biennale haben wir es augenscheinlich mit einer Übertragung dieser Praxis auf den Bereich der Kultur zu tun, bei der die zur Erfassung anhaltender Veränderungen geschaffene Institution nicht in der Lage war, die Internalisierung jener Vorgänge zu verhindern, gegen die vorzugehen sie ursprünglich angetreten war. Man scheint sich hier nicht der eigenen Spaltung, der eigenen Brüche und Risse im Idealbild des Ichs bewusst zu sein, die Voraussetzung dafür sind, dass dieses Ich überhaupt existieren kann. Der zentrale Mechanismus der Gewalt, ob in Gestalt des archivalischen Impulses oder des Vereinheitlichungsprozesses des Ichs, ist die Wiederholung. Nur durch diese Wiederholung kann die Gewalt sich selbst behaupten. Was die verschiedenen Manifesta-Ausstellungen betrifft, so deuten die Spuren im Archiv tatsächlich auf einen Wiederholungsvorgang hin, wie die folgenden Worte Camiel van Winkels belegen: Das Fehlen eines radikal anderen Auswahlverfahrens bei allen bisherigen fünf Auflagen der Manifesta legt nahe, dass die Kuratoren, obwohl keinerlei Druck auf sie ausgeübt wurde, sich einem vorgegebenen Modell zu beugen, sich freiwillig so verhielten, als hätte es einen solchen Druck gegeben. [… Moisdon Trembley] erinnerte außerdem an die Nutzlosigkeit, dieselbe aufwendige europaweite Erhebung noch einmal durchzuführen wie bereits anderthalb Jahre zuvor die Kuratoren der vorangegangenen Manifesta: „So schnell erneuert sich eine Kunstszene oder ein Kontext nicht von selbst.“ 19
Wie die Entdeckung des/der Unbekannten innerhalb des Manifesta-Archivs zeigt, befindet sich das Andere hier nicht mehr jenseits der Grenze, sondern irgendwo weit im Osten. Das Andere hat bereits die Grenze überschritten und uns infiltriert. Der/die Unbekannte scheint an dem Punkt entstanden zu sein, an welchem dem Anderen der Eintritt in den offiziellen Diskurs gewährt, aber ein Eigenname verwehrt wird, damit es für immer jenes unbekannte, fremde Andere bleibe. Die radikale Auslöschung des namenlosen Anderen geschieht in seinem Beisein, was seinen Schwebezustand zwischen zwei Welten unterstreicht, bei dem das demokratische Gleichheitsprinzip lediglich auf einer rhetorischen Ebene praktiziert wird. Berücksichtigt man die von Giorgio Agamben vorgeschlagene Perspektive auf aktuelle politische Vorgänge, so lässt sich der/die Unbekannte als Verkörperung eines bei Agamben „homo sacer“ genannten Menschen begreifen, der rechtlich für tot erklärt und seines Rechtsstatus beraubt wurde, obwohl er biologisch noch lebt. Daher, so Agamben, „erweisen sich die sogenannten heiligen
Um zu existieren, muss die Manifesta sich selbst wiederholen, indem sie bei jeder Neuauflage, jeder neuen Ausstellung dieselbe Gewalt gegen sich selbst und gegen das Andere wiederholt. Das Archiv ist der Beleg für diese Gewalt, aber auch eine Möglichkeit, künftige Entwicklungen zu gewährleisten, denn das Archiv zeichnet nicht nur Ereignisse auf, es erzeugt sie auch beziehungsweise schafft, um mit Derrida zu sprechen, die Kriterien, anhand derer
17 Jacques Derrida, wie Anm. 6, S. 140f. 18 Giorgio Agamben, Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben, Frankfurt a. M. 2002, S. 135. Das eklatanteste Beispiel für eine solche Auslöschung findet sich in Slowenien, einem der „Gastgeber“ der Manifesta: „Am 26. Februar 1992 wurden mindestens 18.305(3) Personen aus den slowenischen Einwohnermeldeämtern gestrichen und ihre Unterlagen an das Ausländerregister weitergeleitet. Die Betroffenen wurden über diese Maßnahme und ihre Folgen nicht in Kenntnis gesetzt. Bei den ‚Gestrichenen‘ handelte es sich überwiegend um Menschen aus anderen Republiken des ehemaligen Jugoslawien, die in Slowenien gelebt hatten und nach dessen Unabhängigkeit zwischen 1991 und 1992 entweder nicht die slowenische Staatsbürgerschaft beantragt hatten oder denen diese verweigert worden war. Als Resultat der ‚Streichung‘
wurden sie de facto zu Ausländern beziehungsweise zu Staatenlosen, die sich illegal in Slowenien aufhielten. In manchen Fällen folgte auf die ‚Streichung‘ unmittelbar die physische Vernichtung der Ausweispapiere und anderer Dokumente der betroffenen Personen. Gegen einige ‚Gestrichene‘ wurde eine zwangsweise Abschiebung angeordnet, und sie waren gezwungen, das Land zu verlassen.“ Zum Fall der „gestrichenen“ Slowenen siehe auch: Slovenia Amnesty International’s Briefing to the UN Committee on Economic, Social and Cultural Rights, 35th Session, November 2005, http://www.web.amnesty.org/library/index/engeur680022005 (Januar 2007 ). 19 Camiel van Winkel, wie Anm. 10, S. 226.
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künftige Ereignisse archivierbar werden.20 Insofern beinhaltet die Kontrolle des Archivs nicht nur die Kontrolle über die Vergangenheit, sondern ebenso die Kontrolle über die Zukunft.
Europas Demokratie, neu betrachtet
1. Opening speeches for Manifesta 5. 2. Left to right: Massimiliano Gioni, unidentified, Henry Meyric Hughes, and unidentified. 3. Left to right: Unidentified, unidentified, Joxe Juan Gonzales de Txabarri, and Lourdes Fernández.
Wie die Entdeckung der Unbekannten innerhalb des Manifesta-Archivs bereits zeigte, ist der demokratische Charakter dieser Einrichtung ernsthaft gefährdet. An dieser Stelle interessierte mich, was dieselbe Erscheinung über zwei weitere Aspekte aussagen könnte, auf denen jener demokratische Charakter der Manifesta fußt: ihre Funktion im Sinne eines Netzwerks sowie die Ausübung einer aktiven Selbstkritik. Wie wir erfahren haben, hat sich die Manifesta zu einem rasant wachsenden Netzwerk für junge europäische Künstler und zu einem der innovativsten Biennale-Programme überhaupt entwickelt. Dies verdankt sie in hohem Maße ihrem gesamteuropäischen Anspruch und ihrem einzigartigen nomadischen Charakter. Das Netzwerk und die Ausstellung mit ihren zugehörigen Aktivitäten sind zwei zentrale Bestandteile dieser Wanderausstellung.21 Dieser Auslegung folgend unterstellt man Netzwerken inhärent demokratische Eigenschaften. Camiel van Winkel allerdings merkt in seiner kritischen Analyse der Manifesta-Rhetorik an: Netzwerke sind nicht von Natur aus demokratisch. Ein Netzwerk ist im Gegenteil eher exklusiv als inklusiv und basiert auf einer Reihe privilegierter Beziehungen zwischen bestimmten Personen. Welchen Platz nimmt die Öffentlichkeit bezogen auf das Netzwerk ein? […] Der schlechterdings als für die Öffentlichkeit, für „alle“ […] offen reklamierte Diskurs ist derart allgemein und abstrakt, dass jeder Anschein eines Privilegs oder einer Exklusion sich in Luft auflöst.22
20 Jacques Derrida, wie Anm. 6, S. 17. 21 Offizielle Manifesta-Homepage, wie Anm. 2. 22 Camiel van Winkel, wie Anm. 10, S. 221.
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Folglich besitzt das Netzwerk an sich als Instrument demokratischer Praxis demokratisches Potenzial, doch solange dieses Potenzial im Sinne eines einschließenden Gebildes umgesetzt wird, wird es immer Personen geben, die ausgeschlossen bleiben. Das hier entworfene Bild des aus wenigen Glücklichen bestehenden Manifesta-Netzwerks, der Manifesta-„Familie“, beginnt zu bröckeln, sobald unser Blick in diesem Bild auf den/die Unbekannte/n fällt. Der/die Unbekannte spricht über die Situation des Ausgeschlossen-, Namenlos-, Unwichtig- und Unerkanntseins, obgleich er/sie dieselben körperlichen Eigenschaften besitzt wie die Bekannten, Gekennzeichneten. Hier wird eine weitere Macht des Archivars erkennbar: die Autorität der Benennung, im vorliegenden Fall von Menschen, und der Verortung dieser Menschen innerhalb des Diskurses, wobei ihnen Name und Identität verliehen, Geschichte zuerkannt beziehungsweise das Recht zu sprechen verweigert wird. Die Nicht-Vernetzten werden vom Archivar als Unidentifizierbare zurückgewiesen und verbleiben allein auf der anderen Seite. Dem Netzwerk gelingt es nicht, sein demokratisches Potenzial zu entfalten; stattdessen dient es dazu, die wirklich Mächtigen auszublenden, die längst abgeschafft wären, wenn es tatsächlich so etwas wie eine demokratische Transparenz gäbe. Im Rahmen dieser auch von den Manifesta-Kuratoren beanspruchten Rhetorik der freien Auslegung demokratischer Grundbegriffe, so van Winkel, „bedeutet das Wort ‚demokratisch‘ innerhalb des Manifesta-Sprachspiels so viel wie ‚offen‘ und ‚inklusiv‘, aber auch ‚ergebnisoffen‘“.23 Alle diese Strategien (ergebnisoffene, prozessbasierte Ansätze) verdanken sich offenbar der kritischen Haltung der Manifesta gegenüber der eigenen Praxis. Mittels dieser Strategien ist die Manifesta in der Lage, sich gegen Kritik von außen zu schützen. Dieser rhetorische Schachzug verwandelt Scheitern in Erfolg: Dem Endresultat wird eine geringere Bedeutung beigemessen als dem zu seiner Erreichung eingeschlagenen Weg. Dadurch lässt sich die Möglichkeit des Scheiterns offen anerkennen und thematisieren. […] Somit ist die interne Option der Kuratoren, das eigene „Scheitern“ einzugestehen und detailliert darzustellen, paradoxerweise Bestandteil der rhetorischen Konstruktion des Erfolgs der Manifesta.24
23 Ebd. 24 Ebd. Eine ganz ähnliche Strategie zur Abwehr von Kritik lässt sich auch in der Struktur der Manifesta-Publikation ausmachen. So schließt sich hier jedem kritischen Beitrag ein von einem zweiten Autor verfasster Text an, in dem der Kritik des eigentlichen Textes widersprochen wird. Das Layout dieser Seiten, ihre Inszenierung auf dem Papier, lässt zwei Stimmen gleichzeitig sprechen: die Stimme der Kritik und eine Stimme, die Geschichte und Funktion dieser Biennale verteidigt.
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Diese Strategie tritt auch im Fall des/der Unbekannten deutlich zutage. Durch die Zuweisung eines ( beliebigen) Namens verdeckt die Archivarin die Unfähigkeit, ihre Aufgabe zu erfüllen, verdeckt sie die Fehler und Erinnerungslücken, die zu ihrer persönlichen Version dieser konkreten Geschichte gehören. Der Diskurs schließt genau dann das Scheitern mit ein, wenn wegen dieser mangelnden Fähigkeit oder Bereitschaft zur Recherche und Enthüllung der Identität von Menschen, denen man erst vor wenigen Jahren begegnet ist, die Bildunterschrift nicht allgemein „die Kuratoren und Diskussionsteilnehmer“ lautet, sondern unverhohlen die eigene Unfähigkeit enthüllt wird, ausgerechnet die Menschen zu benennen, die einen Beitrag zu dieser Geschichte geleistet haben. Auf den ersten Blick erscheinen Abbildung und Bildunterschrift kongruent: Das Bild ist vorhanden, die Namen sind vorhanden, und diejenigen, an die wir uns nicht mehr erinnern können, sind ebenfalls ausgewiesen. Damit betreibt die Manifesta weder eine Dekonstruktion noch eine Destruktion des autoritären Charakters kuratorischer (und archivarischer) Praxis; vielmehr verbirgt sie diesen hinter demokratischen Grundsätzen. Das Zerrbild der Demokratie offenbart sich erst dank der ihrer Namen beraubten Unbekannten. Es bleibt die Frage, ob man die gesamte Verantwortung für die rhetorische, „freie“ Auslegung demokratischer Grundsätze dieser Kunstveranstaltung ankreiden sollte. Vielleicht manifestieren sich gerade in ihr nur die Symptome derselben Praxis, auf die man auch im weiter gefassten Diskurs stößt. Dass der Manifesta zuweilen vorgeworfen wird, „eine Fortführung der Kulturpolitik Brüssels“ und „mitschuldig am derzeitigen offiziellen Verschwinden von Immigranten aus europäischen Kultureinrichtungen“ 25 zu sein, wie Okwui Enwezor es ausdrückt, führt uns zu der Frage, ob es möglich ist, „Europa“ mithilfe seiner Kunstbiennale zu deuten. Welchen Eindruck macht „Europa“ also im Rahmen der aktuellen politischen Entwicklungen? In ihrer Untersuchung jüngerer europäischer Kinofilme, die sich mit der Beziehung zum Anderen und mit bestimmten politischen Prozessen beschäftigen, erklärt Yosefa Loshitzky eine Szene aus dem Film Journey of Hope (1990, Regie Xavier Koller) zum „ultimative[n] Sinnbild für die Festung Europa“.26 In dieser Szene klopfen einige hungrige und frierende Flüchtlinge, die soeben mit Not einem winterlichen Gebirgssturm entkommen sind, erbittert an die doppelverglasten Fenster eines geheizten Hallenbades, das zu einem Kurhotel in den Alpen gehört. Zwar können die Flüchtlinge den im Becken schwimmenden Hoteleigentümer sehen, dieser aber hört aufgrund der schalldichten Glaswände nicht die verzweifelten Schreie der Hilfesuchenden:
25 Okwui Enwezor, „Tebbitt’s Ghost“, in: The Manifesta Decade, wie Anm. 4, S. 184. 26 Yozefa Loshitzky, „Journeys of Hope to Fortress Europe“, in: Third Text, 20 (6), S. 745 –754.
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Vielleicht ist dieses erschreckende Bild der reflektierten Dualität des Privilegs, das sich in seinem Gegenbild eines Luxushotels widerspiegelt, aus dem ein Krankenhaus für potenzielle Abschiebeasylanten wird, das ultimative Sinnbild für die Festung Europa, die ihren sichtbaren Wohlstand und Komfort gegen den Einsatz von Nichteuropäern verteidigt, die nach einem besseren Leben streben. Das Bild der verweigerten „Gastfreundschaft“ ist das Bild des Neuen Europas.27 Das zentrale Detail in diesem Bild, in diesem Rahmen, ist das Verschwinden der Stimme. Den visuell anwesenden Anderen wird durch den Einsatz der schalldichten Doppelverglasung die Macht zu kommunizieren aberkannt – hier sprechen die Subalternen, sie rufen sogar, doch niemand kann sie hören. Der visuellen Präsenz des Anderen gelingt es nicht mehr, uns zu stören: ihre Stimme befindet sich irgendwo dazwischen, im unsichtbaren Bereich zwischen zwei Schichten Glas.28 Allerdings ist diese Haltung Europas gegenüber den Anderen keinesfalls eine neue Erscheinung innerhalb der europäischen Geschichte, wie Saskia Sassen in einer kürzlich erschienenen Untersuchung zeigt: Wir haben es heute mit unterschiedlichen Religionen, Phänotypen und Kulturen zu tun, und wir glauben, darin liege der Grund für das Problem der Integration. Gerade unsere europäische Geschichte suggeriert, dass wir schon früher ähnlich heftige Gefühle gegenüber jenen hegten, die von heute aus betrachtet zu uns zu gehören scheinen: die Deutschen, die Belgier, die Italiener, ja so ziemlich jeder der heutigen EU-Mitgliedsstaaten. Angesichts der Gewalttaten und Hassgefühle, die wir damals gegen sie richteten, frage ich mich, ob nicht diejenigen Menschen, die wir heute als derartig anders und schwer assimilierbar empfinden, in späteren Generationen denselben Wandel vollzogen haben werden.29 Diese historischen Tatsachen, so tröstlich sie auch sein mögen, sollten nicht als Ausrede für gegenwärtige Verbrechen missbraucht werden, für all jene 27 Ebd., S. 754. 28 Eine ähnliche „Toleranz“-Analogie ist offenbar auch bei jenem Umgang mit Kunst anzutreffen, wie er sich in der heutigen Kuratorenpraxis widerspiegelt: Die jeweiligen Kunstwerke werden auf einen Sockel gestellt, jedoch mit jenem Doppelglas gesichert, durch das ihre Stimme nicht dringen kann. Zensur bedeutet heute nicht mehr die radikale Zerstörung von Kunstwerken; vielmehr werden Kunstwerke heute zu Hintergrundillustrationen, zu Bildschirmhintergründen degradiert, über die es sich nicht mehr nachzudenken lohnt. 29 Saskia Sassen, „Europe’s Migrations. The Numbers and the Passions are Not New“, in: Third Text, wie Anm. 26, S. 645.
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Auslöschungen, Streichungen und Beschneidungen, denen wir heute begegnen. Den Mächtigen wäre es am liebsten, wenn die Unbekannten, Undokumentierten, Namenlosen und Unsichtbaren blieben, was sie sind. Hinsichtlich der Reise, die wir mit dem/der Unbekannten unternommen haben, bestand die Aufgabe der Analyse nicht in der Entdeckung der historischen oder archivalischen „blinden Flecken“ oder der Enthüllung der „realen“ Namen der Unbekannten, sondern vielmehr darin, diese Auslöschungen als Zeichen, als Symptome zu deuten, die auf tiefere, größere Probleme verweisen, als auf den ersten Blick angenommen. Wir haben an dieser Stelle versucht, die unsichtbaren gläsernen Grenzen sichtbar zu machen, Risse zu entdecken, durch die die Stimme des/der Anderen dringen kann, und eine Stimme zu finden, die in der Lage ist, Widerspruch zu äußern. Ebenso sehr wie Europa die Anderen als legitime Bürger integrieren muss, um zu existieren, bedarf es offenbar auch neuer Kunstwerke für die Schaffung von Differenz und zur Destabilisierung der heutigen homogenisierenden politischen und kulturellen Diskurse. Auch hier sollte man keine Angst vor den Rissen im eigenen Idealbild haben.
1. Left to right: Unidentified, Marta Kuzma, and Massimiliano Gioni. 2. Left to right: Massimiliano Gioni, Marta Kuzma, and Joxe Juan Gonzalez de Txabarri during the opening press conference for Manifesta 5. 3. Henry Meyric Hughes (left) and Miren Karmele Azcarate. 4. Left to right: Lourdes Fernández and Hedwig Fijen. 5. Massimiliano Gioni (left) and Marta Kuzma. 6. Left to right: Martin Fritz, unidentified, Hedwig Fijen, Igor Zabel, unidentified, and Lourdes Fernández. 7. Vincente Todoli (left) and Lourdes Fernández.
EXORCISING THE GHOSTS OF EUROPE. MANIFESTA BIENNIAL OF CONTEMPORARY ART AND THE FAILED RHETORICS OF DEMOCRACY Vesna Madžoski
Exhibitions of contemporary art are specific sites permanently “under construction” where new narratives and meanings are produced with every next show, every next exposure. Yet the Western art world is still embedded in the modernist construction of a “white cube,” a space that gives a guarantee of its separation and independence from the outside world. This white and sterile form of exposure also came to be considered a guarantee for an objective gaze in a neutral space out of time, and, as Brian O’Doherty argues, a stabilizing social construct and a guarantee of social stability.1 This notion of neutrality becomes complicated with the entrance of the main agents of the relationship constructed within the exhibition space: of art objects on one side, and the viewers on the other. The aim of the following analysis is to show the ways in which the “neutral” space of exhibitions intersects with the surrounding social, economic, and political system in a particular way. In other words, this performance of the “neutral” is informed by various and dispersed agents and means, as I will try to exemplify in the following text. Manifesta—European Biennial of Contemporary Art was developed as itinerant and nomadic biennial at the beginning of the 1990s as an initiative of the Dutch government, and although based in Amsterdam, it travels to different host cities with each new edition. It was created as: A response to the political and economic changes brought about by the end of the Cold War and the consequent moves towards European integration, it aspired to provide a moveable platform that could support a growing network of visual arts professionals throughout the region.2 1 See Brian O’Doherty, Inside the White Cube: The Ideology of the Gallery Space, Berkeley, 1999. 2 Manifesta Official Website: http://www.manifesta.org (October 2006).
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To date, there have been nine editions of Manifesta, the sixth of which never happened due to the severe escalation of confrontations between curators and officials of the city of Nicosia, where it was planned to take place.3 The name of this art exhibition entails two important concepts: “European” and “contemporary art,” where the first refers to the political aspects of its activities and the latter to the aesthetic aspects. It therefore becomes possible at the example of this biennial to examine current definitions of both concepts as proposed by Manifesta as well as shifts in political and aesthetic paradigms and their mutual interconnectedness. In the following analysis, we will not be interested in what is intentionally exhibited; our focus shall consist in detecting that which usually stays concealed behind this act, that which agents involved in the production of Manifesta believe stays hidden or invisible.
Crimes in the Manifesta Archive By its founders, Manifesta is regarded as a democratic institution, and its publicly accessible archive a guarantor of democratic principles. The archive is announced as an open resource available for public consultation at the Manifesta Home Office in Amsterdam. Since my main interest was in the curatorial practices of Manifesta biennials, during my visit in 2006 I requested permission to inspect documents chronicling the selection procedure of curators and host cities. However, I was denied any access to these documents in the interest, as I was informed, of “protecting the rights of curators.” I was given limited access to the email correspondence between the board members about the selection of the last host city, Nicosia, Cyprus. Instead of curatorial proposals, I was offered proposals by rejected artists, since their interests, as it seems, are not worth protecting. While being denied access to most of the things I was interested in researching, I was introduced, by the director herself, with a publication, a luxurious and impressive three hundred page monograph on the exhibition’s history and mission, published by Manifesta and entitled The Manifesta Decade.4 This publication offers a wide historical overview and analysis of the influences Manifesta had in the past, also including, as its final chapter, an overview of the archive. According to one of the editors, the archive is able to give “an act of re-experience” even to
3 Although created to make a bridge between the East and the West, most Manifesta editions took place in the former West: Rotterdam, The Netherlands (1996); Luxembourg (1998); Ljubljana, Slovenia (2000); Frankfurt am Main, Germany (2002); Donostia/San Sebastián, Spain (2004); Trentino/South Tyrol, Italy (2008); Murcia, Spain (2010); and Genk, Belgium (2012). 4 Barbara Vanderlinden, Elena Filipović (eds.), The Manifesta Decade: Debates on Contemporary Art Exhibitions and Biennials in Post-Wall Europe, Cambridge/MA/London, 2005.
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those who have never seen the exhibitions.5 Having in mind the obstacles in researching the “real” archive, I decided at that point to focus on this particular segment, testing the Lacanian notion that if there were some symptoms, they must be visible in every event produced by the subject in question. In his approach to exploring the notion of the archive, Jacques Derrida advises us to look for an event, a momentum that will open up the archive for critical reading through specific archaeological practice, when “the origin then speaks by itself.” 6 In the space of the Manifesta archive in the publication, amidst “miniature” representations of the artworks from previous biennials, I had an unexpected encounter with something, or rather someone, whom I did not expect to meet. This someone grabbed my attention instantly and, since we had not been introduced before, soon became my main theoretical obsession. In numerous photographs of Manifesta curators and board members at official press conferences and “informal” meetings in cafés, there was someone who the caption referred to as “unidentified.” This unidentified person took on different shapes: in some pictures it was a woman, in others it was a man, and in some it duplicated itself. It moves freely from city to city, from country to country, following this itinerant art manifestation as a shadow. What shocks the most is the fact that these Unidentified persons are engaged in very close conversations with the main protagonists of the Manifesta decade, being part of panel discussions or just giving a friendly hug to the identified ones as a way to demonstrate their belonging in the photographed group. When encountered in the space of the archive, whose main function is to preserve memory, what Unidentified immediately evokes is not only the shortness of memory of those who were identifying these fairly recent pictures, but also the failure of the archive to perform the function for which it was created in the first place. As a consequence, I decided to follow Unidentified, who has taken me in a direction I hadn’t initially planned to go—toward analysis of the concept of the archive itself. Therefore, what I propose here is to read this unusual deletion, this unusual hole in the memory of the Manifesta archive, side-by-side with the context that has produced it, i.e., the Manifesta’s official rhetoric, and bring its presumably democratic principles into dialog with Derrida’s accounts of the archive. My main question here is what Unidentified can “speak back” about: at the very beginning, Unidentified clearly deconstructs the Manifesta’s intention of having full control over its historical image. As we see, things (can) always slip out of control.
5 Barbara Vanderlinden, “The Archive Everywhere,” in: The Manifesta Decade, see note 4, p. 232. 6 Jacques Derrida, “Archive Fever: A Freudian Impression,” in: Diacritics, Vol. 25, No. 2, 1995, p. 58.
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Images from curatorial research trips 3. Talin. Center: Inessa Josing 6. Luxembourg City. Left to right: Barbara Vanderlinden, Hans-Ulrich Obrist, Maria Lind, Jo Kox, unidentified, Enrico Lunghi, unidentified and Hedwig Fijen.
Deleted Subjects In his attempt to bring out the archive in the Greek word arkhē and thus seek the origin of the present uses of this term, Derrida reminds us of its double meaning, or of the two principles it entails: the principle of commencement and the principle of commandment. According to this, the archive is located in the house of those who command, who are not only the documents’ guardians but also the ones who are given “hermeneutic right and competence,” endowing them with the power of consignation: of unification, identification, classification, and interpretation of the archive.7 This position means the power not only over physical objects, but also over the historical discourse or the discourse of the commencement, of the origin based on the material traces guarded in the archive. Although conceived and viewed as a nomadic art exhibition, Manifesta has its home in Amsterdam, as does its archive. Created in the same decade when the information revolution took place and when the digitalization of archives was at its peak, it seems unusual to encounter such a retrograde tendency that is sustained by the argument that it would be impossible to move the enormous contents of Manifesta’s archive from one host city to another.8 Following Derrida, the physical location of the archive can be seen as the location from which power is distributed, giving or denying the symbolic mandate to those who would enter and interpret it. The need to control this process might come from the fact that, although Manifesta constructs this recent decade as remote history, it is run by agents still very active and influential within the art scene—hence the necessity of protecting any document that could deconstruct their desired projected image. According to Derrida,
7 Ibid., p. 10. 8 Selective and very limited access to this archive is offered through the digital archive of the organization basis wien, which was commissioned by Manifesta to digitalize parts of its archive. See: http://www.basis-wien.at.
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There is no political power without control of the archive, if not memory. Effective democratization can always be measured by this essential criterion: the participation in and the access to the archive, its constitution, and its interpretation. A contrario, the breaches of democracy can be measured by […] Forbidden Archives.9 As previously noticed, my first steps into the “real” archive of Manifesta were limited by the detection of invisible, uncrossable borders; and as a consequence, the democratic principle of this institution became severely compromised the moment the “Forbidden Archive” was discovered. Instead, through this attempt to control the archive, Manifesta shows a desire to control the image of its recent past and immediately profit from a self-created historical mandate. This practice is not unusual or expressed by this institution only, but when presented under the guise of democratic principles, it becomes highly problematic.10 The ideal archive every archivist attempts to create is one that exists and functions as a single corpus, a coherent body that nothing can divide or destroy. Archivists’ power of consignation treats the historical documents as part of a larger, coherent story, a singular picture without cracks. Or, in Derrida’s words, “In an archive, there should not be any absolute dissociation, any heterogeneity or secret which could separate (secernere), or partition, in an absolute manner.” 11 This desire of the archivist to have absolute power over the corpus of the documents it “guards” and to present history as a narrative without tensions or contradictions becomes destabilized with the appearance of Unidentified. Hidden within the surrounding homogenous discourse, Unidentified manages to pass through its cracks and speak out. As we have learned, “the archive always works, and a priori, against itself,” 12 and Unidentified embodies exactly this sickness, this desire of the archive to destroy itself. The reason for this desire on the part of the archive to destroy itself lies in its hypermnesic character, since it has been constructed as exterior technical model of the psychic apparatus. Defined this way, Derrida argues that an archive cannot escape the drive that originally haunts the human psychic 9 Jacques Derrida, see note 6, pp. 10 –11. 10 The attempt to present the archive in order to materialize the concept of full democracy happened in one of the Manifesta exhibitions. The curators of Manifesta 4 decided to create an exhibition item out of the files of all the thousands of artists they visited during their exploration trips across Europe. This “administrative monument” (Camiel van Winkel, “The Rhetorics of Manifesta,” in: The Manifesta Decade, see note 4, p. 226.) was supposed to create an atmosphere from which nobody would feel excluded, instead hides the inherent (non-democratic) element of curatorial practice, which is based on the process of selection, and thus inclusion and exclusion. Not taken as a main curatorial concept that could have turned the exhibition into the collections of artists’ documentations, the existence of this archive together with the selected exhibited art works seems like a mere politically correct version of the exclusionary practice of curatorship. 11 Jacques Derrida, see note 6, p. 10. 12 Ibid., p. 14.
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apparatus—the death/aggression/destruction drive. The archive is therefore built on unstable ground, constantly endangered by its inherent contradictions, by the desire to remember and the drive to erase from memory. Nevertheless, “this contradiction is not negative, it modulates and conditions the very formation of the concept of the archive.”13 If we go back to Unidentified, (s)he is born exactly in this void, at the place where she still exists as a trace of a deletion, as a phantom between two worlds. What follows is that this secret of the Manifesta archive and its failure to preserve past events from deletion becomes exposed, as well as the inaccuracy of its historical narrative, which is constructed on this foundation. Thanks to Unidentified, the “phantom of the archive,” we are allowed to enter and gain these insights without the control of the guardians. According to Derrida, we live in times when everybody burns with the desire to archive, where each of us is possessed by le mal d’archive, or archive fever.14 What this sickness means is “to have a compulsive, repetitive and nostalgic desire for the archive, an irrepressible desire to return to the origin, a homesickness, a nostalgia for the return to the most archaic place of absolute commencement.”15 What can Unidentified, as a resident of the place where the archive “anarchives” itself, tell us about the nostalgic spot to which the archive of Manifesta wants to return? The answer seems clear and simple, if we search for the moment Manifesta takes as the moment of its birth: it is the year 1989, the year of its arkhē, of its beginning of counting time.16 Nostalgia also occurs as an effect of significant loss; and if we pursue this, the year 1989 can be read as a traumatic moment in Western art discourse, a moment of major political and social changes in recent European past. If seen this way, Manifesta becomes a strange monument for the times before the occurrence of a trauma, revealing a nostalgic mourning of the times already gone. Following Unidentified through the archive and its symptoms, we have arrived at the political level of the activities of Manifesta, or at the primary reasons for which it was created: to assist in the encounter with the Others within the new chapter of European history. This chapter of European history is characterized by attempts to create a stable and unique cultural and political identity of the European Union, summarized in one of its official slogans: “United in Difference.” Nevertheless, this discourse of “unity of differences” points out its inherently undemocratic homogenizing tendencies. Hence the real democratic position would be 13 Ibid., p. 90. 14 Ibid., p. 14. 15 Ibid., p. 57. 16 Consequently, the first chapter in The Manifesta Decade is entitled “One Day Every Wall Will Fall: Select Chronology of Art and Politics after 1989” and dedicated to the selected facts and figures from art and politics after 1989. Through this symbolic act, the counting of Manifesta time officially starts with this year.
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“difference in unity,” or the flexibility to accommodate all the heterogeneous traits this unity contains. What connects this process with the previous discussion on the archive, according to Derrida, is the fact that both processes are impossible without violence: The gathering into itself of the One is never without violence, nor is the self-affirmation of the Unique, the law of the archontic, the law of consignation which orders to archive. Consignation is never without that excessive pressure (impression, repression, suppression) of which repression and suppression are at least figures.17 As the discovery of Unidentified in the Manifesta archive testifies, the Other is no longer at the other side of the border, somewhere in the Far East. The Other has crossed the line and infiltrated Us. Unidentified seems to be created at this spot, where the Other is allowed to enter the official discourse but denied identity, denied a proper name, thus remaining the unidentifiable Other forever. Radical deletion of the nameless Other is happening in her full presence, testifying to her existence in limbo, between two worlds, where the democratic principle of equality is being practiced only on the level of rhetorics. If we take into account the view on current political process as proposed by Giorgio Agamben, it is possible to see Unidentified as the embodiment of someone he names “homo sacer,” of someone who is legally dead, deprived of a determinate legal status, while biologically still alive. Thus, Agamben argues, “the so-called sacred and inalienable rights of man prove to be completely unprotected at the very moment it is no longer possible to characterize them as rights of the citizens of a state.” 18 In the case of the Manifesta biennial, it seems that we are dealing with a translation of this same practice into the realm of culture, where the institution created to accommodate ongoing shifts was not able to prevent the internalization of the processes it was trying to fight against. The One seems unaware of its own split, of its own divisions and cracks in the picture of its ideal Self, the split necessary for it to exist in the first place. The main mechanism of the violence, whether encountered as the archival impulse or unifying process of the Self, is repetition. It can only affirm itself and engage itself in this repetition. In the case of Manifesta exhibitions, the traces in the archive do testify to the process of repetition, as the following words by Camiel van Winkel confirm: 17 Jacques Derrida, see note 6, pp. 50 –51. 18 Giorgio Agamben, Homo Sacer: Sovereign Power and Bare Life, Palo Alto/CA, 1998, p. 199. The most flagrant example of this deletion is discovered in Slovenia, one of the Manifesta “host” countries: “On 26 February 1992, at least 18,305 individuals were removed from the Slovenian registry of permanent residents and their records were transferred to the registry of foreigners. Those affected were not informed of this measure and its consequences. The ‘erased’ were
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The absence of radically different selection procedure in all five editions of Manifesta suggests that, even if the curators were not pressured to conform to a pre-established model, they voluntarily acted as if they were under such pressure. [… Moisdon Trembley] also evoked the ineffectiveness of repeating the intensive transEuropean survey that the curators of the previous Manifesta edition had performed only a year and a half before: “An art scene, or context, does not renew itself that quickly.” 19 In order to exist, Manifesta has to repeat itself, repeating the same violence against itself and against the Other, with every new edition, every new exhibition. The archive is the record of this violence, but also a way to assure future developments. Because the archive not only records events; it also produces them, or, according to Derrida, produces the criteria by which the future events will be “archivable.” 20 Hence, the control of the archive means not only control over the past, but control over the future as well.
1. Opening speeches for Manifesta 5. 2. Left to right: Massimiliano Gioni, unidentified, Henry Meyric Hughes, and unidentified. 3. Left to right: Unidentified, unidentified, Joxe Juan Gonzales de Txabarri, and Lourdes Fernández.
European Democracy Revised As the discovery of the Unidentified ones in the Manifesta archive earlier proved, the democratic nature of this institution has been severely compromised. At this point, I was interested in what this same phantom can say about two other aspects upon which Manifesta bases its democratic character: its functioning as a network and its practice of active self-critique. As we read, Manifesta developed into a fast-growing network for young professionals in mainly people from other former Yugoslav republics, who had been living in Slovenia and had not applied for or had been refused Slovenian citizenship in 1991 and 1992, after Slovenia became independent. As a result of the ‘erasure,’ they became de facto foreigners or stateless persons illegally residing in Slovenia. In some cases the ‘erasure’ was subsequently followed by the physical destruction of the identity and other documents of the individuals concerned. Some of the ‘erased’ were served forcible removal orders and had to leave the country.” For more on the case of Slovenian “erased” ones, see Slovenia Amnesty International’s Briefing to the UN Committee on Economic, Social and Cultural Rights, 35th Session, November 2005, http://www. web.amnesty.org/library/index/engeur680022005 (January 2007). 19 Camiel van Winkel, see note 10, pp. 225–226. 20 Jacques Derrida, see note 6, p. 17.
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Europe and one of the most innovative biennial exhibition programs to be held anywhere. This is due, in no small measure, to its pan-European ambitions and its uniquely nomadic nature. Both the network and the exhibition with its related activities are equally important components of this itinerant event.21 Interpreted in this way, networks are assumed to have an inherent democratic nature. Nevertheless, as Camiel van Winkel has noticed in his critical analysis of Manifesta rhetoric, Networks are not inherently democratic. On the contrary, a network is exclusive rather than inclusive, built upon a set of privileged relations between selected individuals. What place does the public occupy in relation to the network? […] Ascribed as simply open to the public, to “everyone” […] the discourse is of such a general and abstract nature that any notion of privilege or exclusion evaporates.22 Hence, the network per se has a democratic potential, a potential to be an instrument of democratic procedure, but as long as it is practiced as an entity to include, there will always be the ones who are excluded. The projected picture of the Manifesta network of happy individuals, of the Manifesta “family,” becomes broken in the moment we perceive the Unidentified one in the picture. Unidentified speaks about this position of being excluded, of being nameless, irrelevant, and unrecognized, albeit in possession of the same physical, bodily traits as the identified ones. Through this, one more power of the archivist becomes visible: the authority to name things—in this case people—and position them in the discourse, giving them name and identity, giving them history, or denying them the right to speak. The “un-networked” ones are dismissed by the archivist as the unidentifiable ones, left alone at the other side. The network fails to perform its democratic potential; instead, it serves the particular function of hiding the actual authority figures who would be deposed were the democratic transparency proven real. In this same rhetoric of the free interpretation of basic concepts of democracy, as noticed by van Winkel, “In the Manifesta language game, ‘democratic’ means ‘open’ and ‘inclusive’ but also ‘open-ended,’” 23 and this rhetoric has been practiced by its curators as well. All these strategies (open-ended, process-based approaches) are evidently practiced through the critical attitude Manifesta takes toward its own practice. They are the strategies Manifesta employs to survive attempts of external criticism. Through this rhetorical move, the failure is turned into success: 21 Manifesta Official Website, see note 2. 22 Camiel van Winkel, see note 10, p. 221. 23 Ibid., p. 221.
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The final result is valued less than the path followed in order to achieve it. With it, the possibility of a failure can be openly acknowledged and even thematized. […] Thus the built-in option for curators to admit and elaborate their own “failure” paradoxically contributes to the rhetorical construction of Manifesta success.24 This strategy becomes visible in the case of Unidentified as well. Through the act of giving her (any) name, the archivist hides her failure to perform her function, hides the mistakes and memory lapses that are incorporated into her version of this particular history. The failure is incorporated into the discourse where this impossibility or unwillingness to research and reveal the identity of the persons encountered just a few years ago does not turn the caption into some general description like “the curators and panelists,” but openly reveals its own failure to give a name to the people who contributed to this history in the first place. Hence, the picture and the caption seem perfectly in order once we look at them: the image is there, the names are there, and the ones we do not remember are signed as well. Through this practice, Manifesta does not deconstruct or destroy the authoritarian nature of curatorial (and archival) practice; instead, it hides it behind the basic postulates of democracy. The travesty of democracy is revealed thanks to the deprived Unidentified one. The remaining question here is if we should put all the blame for the rhetorical and “free” interpretation of democratic postulates on this art manifestation. Perhaps it might be simply the one that manifests the symptoms of the same practice present in the wider political discourse. Sometimes being accused of being “an extension of Brussels’s cultural policy” and “complicit in the current official disappearance of immigrants in Europe from its cultural institutions,” 25 as Okwui Enwezor has formulated, Manifesta leads us further to the question of the possibility to read “Europe” through its art biennial. So what does this “Europe” look like within the scope of current political developments? In her study of recent European movies that deal with current issues of the relationship with the Other and cultural and political processes, Yosefa Loshitzky chooses one particular scene from the film Journey of Hope (1990, directed by Xavier Koller) as the “ultimate iconic image of Fortress Europe.” 26 In this scene, hungry and freezing refugees who have just survived a harsh winter mountain storm desperately knock on the double-layered glass 24 Ibid., p. 222. We find a similar strategy of neutralizing criticism in the structure of the Manifesta publication as well. Namely, each critical text is accompanied by a text written by a respondent rejecting the criticism of the main text. The layout of the pages, its mise-en-page, simultaneously offers two voices: the one of the criticism and the one defending the history and function of this biennial. 25 Okwui Enwezor, “Tebbitt’s Ghost,” in: The Manifesta Decade, see note 4, p. 184. 26 Jozefa Loshitzky, “Journeys of Hope to Fortress Europe,” in: Third Text, 20 (6), pp. 745 –754.
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windows of a warm, indoor swimming pool inside an alpine spa hotel. They see the owner of the hotel swimming in the pool, but because of the soundproof glass walls, he cannot hear the refugees’ desperate cries for help: Perhaps this shocking image of reflective duality of privilege mirrored by its counter-image of a luxury spa hotel turning into a hospital of potential deportees is the ultimate iconic image of Fortress Europe guarding its visible wealth and comfort against the pledge of non-Europeans in search of a better life. The image of “hospitality” denied is the image of the New Europe.27 The important detail in this image, in this frame, is the disappearance of the voice. The visually present Others are denied the power to communicate by the institution of the soundproof double-layered glass—here the subalterns do speak, even shout, but nobody is able to hear them. The visual presence of the Other is not able to disturb Us anymore: their voice is stacked somewhere in the middle, in the invisible space between two layers of glass.28 Nevertheless, this attitude of Europe toward its Others is nothing new in European history, as Saskia Sassen shows in her recent analysis: Today we deal with different religions and phenotypes and cultures, and we think that is the reason for the difficulty of incorporation. Our very European history suggests we had feelings of similar intensity about those who from today’s perspective appear to be “one of us”: the Germans, the Belgians, the Italians, just about any of the current EU membership. Given the acts of violence and the hatreds we felt against them, I cannot help but wonder whether those who we experience today as so different and difficult to assimilate will not undergo the same transformation over the coming generations.29 Although comforting, these historical facts should not be used as an excuse for present crimes, for all these erasures, deletions, mutilations we are witnessing today. The ones in power would like these unidentified, undocumented, nameless, and hidden ones to stay that way. In this journey on 27 Ibid., p. 754. 28 A similar analogy of “tolerance” seems to be noticeable in the treatment of art works as reflected in current curatorial practice: the artworks are put on a pedestal but protected by double-layered glass that will not allow their voice to be heard. Censorship no longer means the radical destruction of artworks; rather, art works are turned into background illustrations, into wallpaper images not to be reflected upon. 29 Saskia Sassen, “Europe’s Migrations: The Numbers and the Passions are Not New,” in: Third Text, see note 26, p. 645.
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which Unidentified has taken us, the role of my analysis was not to discover the historical or archival “blind-spots” and find the “real” names of the Unidentified ones, but rather to read these erasures as signs, as symptoms that point to deeper and bigger problems than those assumed at first glance. What we have been trying to do here is make these invisible glass borders visible, find cracks through which the voice of the Other will be able to pass, discover the voice that will be able to speak back. As it seems, the same way Europe will have to include the Others as its legal citizens in order to exist, it will also need new artworks as a way to create difference and destabilize current homogenizing political and cultural discourses. Once again, the One should not be afraid of the cracks in its idealized picture.
1. Left to right: Unidentified, Marta Kuzma, and Massimiliano Gioni. 2. Left to right: Massimiliano Gioni, Marta Kuzma, and Joxe Juan Gonzalez de Txabarri during the opening press conference for Manifesta 5. 3. Henry Meyric Hughes (left) and Miren Karmele Azcarate. 4. Left to right: Lourdes Fernández and Hedwig Fijen. 5. Massimiliano Gioni (left) and Marta Kuzma. 6. Left to right: Martin Fritz, unidentified, Hedwig Fijen, Igor Zabel, unidentified, and Lourdes Fernández. 7. Vincente Todoli (left) and Lourdes Fernández.
„WIR HATTEN DIE ILLUSION, DASS DIE WELT WENIGER GEFÄHRLICH WERDEN KÖNNTE“ Ruth Sonderegger im Gespräch mit Ágnes Heller und János Weiss über Ideologie, Kunst und die Situation in Ungarn nach 1989 Ruth Sonderegger
RUTH SONDEREGGER Zusammen mit KollegInnen der Akademie der bildenden Künste Wien und des Kunsthaus Bregenz habe ich im Herbst 2012 eine Tagung zur Frage der Ideologie in Kunst und Kultur nach 1989 veranstaltet. Unsere Hypothese war, dass das sogenannte Ende der Ideologien, das 1989 oft proklamiert wurde, zu einem gespenstischen Versteck für die Entwicklung neuer Ideologien geworden ist, denen man sich deshalb wieder stärker zuwenden müsste. Vor diesem Hintergrund würde ich euch zunächst einmal gern Folgendes fragen: Könnt ihr – fast 25 Jahre nach dem sogenannten Mauerfall – die oben skizzierte Hypothese von einer erneuten Notwendigkeit, sich der Ideologiekritik zuzuwenden, nachvollziehen oder sogar teilen? Oder ist der Ideologie-Begriff zu belastet, um heute noch produktiv mit ihm arbeiten zu können? Was für begriffliche Alternativen gäbe es, um über Strukturen verdichteter Herrschaft nachzudenken, die es unzweifelhaft gibt? ÁGNES HELLER Über etwas nachzudenken heißt auch, etwas neu definieren, es auf eine neue Weise verstehen. Meine Position ist, dass ich eine erneuerte, radikalisierte Version der marxistischen Ideologie anerkenne. Marx vereinfachend würde ich sagen, sein Verständnis von Ideologie meint, dass eine bestimmte Gruppe oder Klasse die eigenen Interessen als allgemeine menschliche Wahrheiten darstellt und damit andere Interessen verdeckt. Dieses Verständnis von Ideologie setzt voraus, dass man Ideologie als ein falsches Bewusstsein denken kann. Meiner Meinung nach jedoch sollte man nicht von falschem Bewusstsein sprechen, denn das würde voraussetzen, dass es ein wahres Bewusstsein gibt und dass wir wissen, was das wahre Bewusstsein ist. Wenn man Ideologie als falsches Bewusstsein versteht, dann fetischisiert man nicht zuletzt das Bewusstsein – etwa so, wie Adorno es getan hat. Trotzdem muss man heutzutage über Ideologie sprechen, und zwar aufgrund der fundamentalistischen Bewegungen und der totalitären Regime. Hier geht es um eine umfassende Konzeption – um ein fest geschnürtes Paket
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gewissermaßen – von Begriffen, Urteilen und Praktiken, die wie ein Kompass wirken. Ein Kompass, der zeigt, was das Wahre, was das Gute ist; wer zu den Guten gehört und wer nicht, wer ein Feind ist. Wo entlang der Linie „wir oder die anderen“ agiert wird, wo den anderen ein falsches Bewusstsein zugeschrieben wird, da findet Ideologieproduktion statt. Ideologie kann man nicht an einzelnen Begriffen festmachen. Es gibt sehr viele verschiedene Begriffssysteme, die man für Ideologien benutzen kann. Aber ideologisch werden sie erst, wenn man sie in der spezifischen Weise benutzt, die ich als Kompass bezeichnet habe. Dann hat man es mit einer fundamentalistischen Bewegung oder mit einem totalitären System zu tun, und Ideologiekritik wird sehr wichtig. Ob sich diese Bewegungen auf Nationalismus, auf Rassismus, auf Religion gründen, das ist dann weniger wichtig. Alle Fundamentalisten brauchen Ideologien, mit denen sie die Massen mobilisieren. Die Leute lieben es zu wissen, was absolut wahr ist, und sie gehören gern zur Wahrheit. Ideologie hilft den Menschen, eine absolut wahre, gesicherte Identität zu haben. Das heißt, Ideologie ist auch identitätsschaffend. Und aufgrund dieser Attraktivität von Ideologien glaube ich, dass Ideologiekritik sehr wichtig ist. JÁNOS WEISS Ich habe zuerst gedacht, dass meine Antwort ganz ähnlich wie die von Ágnes sein wird, aber ich will doch auf etwas anderes hinaus. Wenn man sich den sehr frühen Marx anschaut, findet man einen Ideologiebegriff, den ich nicht für gelungen halte. In der frühen Phase hatte er die Vorstellung, dass Ideologie etwas ist, was sich von einem ursprünglichen Kontext, von einem Fundament abhebt. Das heißt, es gibt etwas, was Marx als fundamental betrachtet, und das sind beim ganz jungen Marx die sozialen Verhältnisse; die Wirtschaft spielt dabei nur eine kleine und etwas ambivalente Rolle. Ideologie ist hier alles, was gegenüber diesem ursprünglichen Kontext sekundär ist, was zu diesem sozusagen noch dazu kommt – eigentlich alle kulturellen Sphären, in denen die Sehnsüchte nach dem verhandelt werden, was den Menschen in den sozialen Verhältnissen fehlt. Mit Ideologiekritik bezog sich der junge Marx vor allem auf diese Sphären der Sehnsucht und ging davon aus, dass man nur den primären, ursprünglichen Bereich der sozialen Verhältnisse verändern müsste, damit die Ideologien – und die kulturelle Sphäre – verschwinden. Diesen Begriff der Ideologie und der Ideologiekritik finde ich sehr problematisch. Man müsste versuchen, eine glückliche Transformation des ideologiekritischen Anliegens von Marx zu finden. Ein solches Programm würde ich plausibel finden, nicht zuletzt, weil Marx selbst später den Begriff der Ideologie auch komplexer gefasst hat. AH Ich glaube, ich möchte Marx verteidigen. Er hat über die Kunst nicht als Ideologie gesprochen. Das waren die späteren Marxisten. Ich kann der These,
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dass Kunst oder die Künste und die Literatur Ideologien sind, nicht zustimmen. Eine andere Sache ist die Frage, wie Künste durch Ideologien beeinflusst werden können. Es gab ja eine Kunst des Nazismus, es gab eine Kunst des Stalinismus. Sie konnten durchaus schön sein, aber letztlich haben sie eine Ideologie verkörpert. Aber Kunst als solche ist keine Ideologie. Das hat auch Marx nicht gesagt. Marx spricht von falschen, ideologischen Bewusstseinsformen, aber er sagt nicht, dass Kunst immer eine falsche Bewusstseinsform ist. JW Doch, doch, das kann ich bezeugen! Beide lachen. AH Du hast natürlich recht, dass es ein Problem ist, wenn Marx sagt, die sozialen Verhältnisse determinierten die Bewusstseinsformen, den Überbau. Dieser These zufolge ist Kunst Teil des Überbaus. Wenn du diese These kritisierst, dann hast du natürlich vollkommen recht. Aber denk nur daran, wie positiv Marx etwa in den Grundrissen1 von griechischer Kunst spricht! Der Gedanke, dass die Ökonomie die Politik bestimmt und die Politik die Kunst, ist eine sehr problematische Auffassung. Dann spricht man nicht über Ideologien, sondern über Kausalität. Das ist ganz und gar falsch. Eine Bedingung ist kein Grund. Dass Kunstformen und auch die Philosophie gesellschaftliche Bedingungen haben, wird niemand leugnen. Aber das sollte man nicht Ideologie nennen. Klar, dass Aristoteles nicht so denken konnte wie Descartes, denn sie waren Teil vollkommen verschiedener Gesellschaftsverhältnisse. RS Da wir offenbar alle ein Problem mit dem Kausalmodell der Ideologie haben, schlage ich eine andere Beschreibung vor. Könnte man als ideologisch jene Verhältnisse begreifen, die man nicht oder nur schwer verändern kann, obwohl sie von Menschen gemacht sind? Also Verhältnisse, in denen sich Praktiken der Herrschaft verdichten? JW Ja, mir scheint das eine glückliche Transformation des Begriffs zu sein, wobei ich immer noch ein Problem damit habe, solche Herrschaftsverhältnisse mit dem Ideologiebegriff des jungen Marx zusammenzubringen. Andererseits hat Marx später selbst seinen Kritikbegriff verändert und soziale Verhältnisse, also Verhältnisse des sogenannten Unterbaus, kritisiert. In Das Kapital analysiert er die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht nur, vielmehr kritisiert er sie.
1 Karl Marx und Friedrich Engels, Werke, hg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Bd. 42, Berlin/DDR 1983, S. 19–875; Online-Version: http://www.dhcm.inkrit.org/ wp-content/data/mew42.pdf [aufgerufen am 6.4.2013].
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AH Damit sind aber noch nicht alle Probleme gelöst. Das erste Problem ist, dass der Marx’sche Begriff für die kritisierten sozialen Herrschaftsverhältnisse „Entfremdung“ war und nicht „Ideologie“. Was Ruth beschrieben hat, dass wir Menschen Dinge tun, die dann ein selbstständiges Leben führen – ein Leben, das eine Macht produzieren kann, die uns als quasi autonome Macht unterdrückt –, ist paradigmatisch für die Marx’sche Entfremdung. Ich würde diese Phänomene eher mit Foucault beschreiben. Mit Foucault kann man die Gesellschaft als ein Feld, als ein Territorium beschreiben, auf dem es viele Mächte und Machtverhältnisse gibt, an denen unterschiedlichste Gruppen und Tätigkeitsformen partizipieren. Mit Foucault muss und kann man in der Tat die Fragen stellen: Wo ist die größte Macht? Wo sind Mächte konzentriert? Wo sind sie de-konzentriert? Die Tatsache, dass das, was wir produzieren, nicht mehr zu uns gehört und ein unabhängiges Leben führen kann, gehört zur conditio humana. Ich glaube nicht, dass man das verändern kann. Man kann allenfalls verändern, dass die Folgen unserer Handlungen uns beherrschen. Du hast über Marx’ Kapital gesprochen, János. Mein Problem mit Marx’ Kapital ist, dass es auf der problematischen Theorie des Gebrauchswerts gegründet ist, der zufolge nur die menschliche Arbeit Wert schafft; dass die Natur als Natur überhaupt keinen Wert hat.2 Das heißt, ein Baum im Dschungel hat keinen Wert, sondern nur, wenn man den Baum fällt, weil dann menschliche Arbeit ins Spiel kommt. Als ökonomische Konzeption ist das ganz und gar falsch. Trotzdem sprechen Marx’ Begriffe der Entfremdung und der Ideologie zu uns. Sie sagen uns noch immer etwas. JW Ich habe nun bei Marx endlich einen Satz gefunden, der zeigt, dass er Ideologie mit Bewusstseinsphänomenen identifiziert. Am Beginn von Zur Kritik der Politischen Ökonomie schreibt er: „In der Betrachtung solcher Umwälzungen muss man stets unterscheiden zwischen der materiellen, naturwissenschaftlichen treu zu konstatierenden Umwälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen und den juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz, ideologischen Formen, worin sich die Menschen dieses Konflikts bewusst werden und ihn ausfechten.“ 3 Wegen solcher Stellen meine ich, dass Ideologie – zumindest beim frühen Marx – gewissermaßen die Zusammenfassung von all diesen Bewusstseinsphänomenen ist. Auch mit der Entfremdungstheorie, so wie ihr sie formuliert habt, habe ich noch ein Problem. Wenngleich ich weiß, dass ihr das nicht so meint, ist die Entfremdungstheorie eng verbunden mit einem gewissen Anthropologismus, 2 Vgl. hierzu György Bence, János Kis, György Márkus, Hogyan lehetséges kritikai gazdaságtan? [Wie ist eine kritische Wirtschaftswissenschaft möglich?], Budapest 1992 [verfasst 1970–1972], Kap. 1–2. 3 Karl Marx, „Zur Kritik der Politischen Ökonomie“, in: Karl Marx und Friedrich Engels, Werke, hg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Bd. 13 (1985), wie Anm. 1, S. 9.
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mit der Vorstellung, es gäbe so etwas wie ein konstantes und wahres, also nicht-entfremdetes menschliches Leben; da schwingen viele romantische Vorstellungen von (individueller) Selbstverwirklichung mit. Unter Anthropologismus verstehe ich, dass alles als ein Problem des Menschlichen aufgefasst wird und außermenschliche Zwänge keine Rolle spielen. Ich würde gesellschaftliche Herrschaft lieber soziologischer denken, d. h. so, dass Ideologien nicht anthropologisch missverstanden werden. RS Ich denke, dass gerade Foucaults Machttheorie helfen kann, Ideologien nicht anthropologisch zu denken, sondern als systemische Herrschaftskonzentrationen. Dann wird es zu einer soziologischen und politischen Frage, ob und wie man solche Herrschaftsverhältnisse verändern kann. AH Den Totalitarismus kann man nicht verändern. Man muss ihn stürzen. Es gibt verschiedene gesellschaftliche Mächte, die man nicht verändern kann. Das heißt aber auch: Es gibt viele Mächte, die man durchaus verändern kann – sowohl politisch im Sinn von bestehenden politischen Institutionen als auch zivilgesellschaftlich. Das ist doch so wichtig bei Foucault, dass nicht alle Mächte in politischen Institutionen konzentriert sind. Vielmehr gibt es auch gesellschaftliche Mächte. RS Genau! Und deswegen glaube ich auch, dass beim späten Foucault diese Unterscheidung zwischen Macht und Herrschaft so entscheidend ist, wobei Herrschaftsstrukturen solche sind, die man – um in Ágnes’ Terminologie zu bleiben – stürzen muss, während man Machtverhältnisse verändern kann. AH Ja, aber die Differenzierung zwischen Macht und Herrschaft stammt von Weber. Zur Herrschaft gehört immer die Anerkennung von Autoritäten, und von diesem Problem her habe ich auch die Ideologie als Kompass verstanden; als Kompass, der dabei hilft, ein totalitäres System als etwas, das Autorität hat und dessen Autorität man sich unterordnen muss, zu rationalisieren. Das heißt, die Ideologie hilft den totalitären Systemen, sich als Autorität zu verstehen und als Autorität anerkannt zu werden. RS Vielleicht darf ich noch mal auf einen Aspekt meiner Ausgangsfrage zurückkommen; auf die Frage, ob für euch 1989 ein wichtiges Datum ist, wenn es darum geht, über gegenwärtige Machtkonzentrationen nachzudenken. Viele Leute sagen, mit 1989 sei das Ende der Ideologien erreicht und damit vielleicht auch das Ende totalitärer Herrschaftskonzentrationen. Andere hingegen sehen genau darin die Lüge, das Ideologische von 1989.
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JW 1989 war wahrscheinlich das größte Ereignis in meinem Leben. Aber Ágnes wollte vermutlich gerade sagen, dass 1989 Illusion war, oder? AH Ja, ich meine, dass es im Zusammenhang mit den Veränderungen von 1989 oder 1990 die Illusion gab, dass nun Demokratie in der ganzen Welt herrschen wird; dass totalitäre Herrschaften verschwinden werden und die ganze Welt aus Republiken, aus demokratischen Ländern bestehen wird. Das war eine Illusion. 1989 war ein großes Ereignis in unserem Leben. Wir wurden immerhin von einem totalitären Regime befreit, und mit „wir“ meine ich die OsteuropäerInnen. Die Illusion war der Glaube, dass unsere Befreiung schon mit der Freiheit identisch sei. Das war eine zweifache Illusion. Ich glaube, Hannah Arendt hatte recht. Befreiung ist keine Freiheit. Befreiung ist der erste Schritt, der Schritt vor der Institutionalisierung der Freiheiten. Und wenn man die Freiheiten nicht so institutionalisiert, dass sie bleiben, dass Menschen diese Institutionen als freie Institutionen anerkennen, dann bleibt die Befreiung nur eine Befreiung ohne die Institutionalisierung von Freiheiten. Das war das Problem in Osteuropa, auch in Ungarn. Nicht nur in der Weise, dass es keine Institutionen gab, sondern den Institutionen fehlte der Geist der Freiheit. Dabei brauchen Institutionen den Geist der Freiheit, ohne ihn werden sie nicht funktionieren. Und was die Welt im Ganzen betrifft: Nach ’89 kamen neue Diktaturen, neue totalitäre Regime, neue Fundamentalismen wurden geboren. Die Welt wurde wieder sehr gefährlich. Man könnte natürlich sagen, dass die Welt immer ein gefährlicher Platz war (und im Moment ein sehr gefährlicher Ort ist), aber 1989 hatten wir die Illusion, dass die Welt weniger gefährlich werden könnte. JW Noch mal zurück zu deiner Frage, was da zerbrochen ist und was die Befreiung eigentlich bedeutet hat. Es war die Befreiung von einer totalitären Ideologie in einem umfassenden Sinne. Ideologien, die die gesamte Gesellschaft unterjochen, gab es später in Osteuropa nicht mehr. Wenn das überhaupt Revolutionen waren, dann sind die osteuropäischen von 1989 so verlaufen, dass sie bei der Befreiung von einer Besetzung und von der Ideologie der herrschenden Partei stehen blieben. Die soziale Frage wurde beispielsweise überhaupt nicht aufgeworfen. AH Es gab noch ein anderes Problem in Osteuropa, wobei man nicht alle Länder über denselben Kamm scheren kann. Die Leute fühlten nicht, dass sie die Subjekte der Befreiung waren. Menschen können Armut vertragen, wenn sie wissen, dass sie selbst es sind, die sich befreit haben. In Ungarn waren die Menschen sehr stolz darauf, dass alles so leicht und friedlich ging; dass die führende Partei und die Opposition an einem Tisch saßen. Aber alles passierte über den Kopf der Bevölkerung hinweg. Schon an der Befreiung waren die
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Menschen kaum beteiligt. Sie konnten nicht sagen: „Das haben wir getan. Zwar geht jetzt nicht alles so, wie wir es gewollt haben, aber wir haben es gewollt.“ Natürlich konnten die Menschen die Geheimpolizei nicht ausstehen und wollten sich von ihr befreien. Aber sie waren nicht beteiligt, als es darum ging, sie loszuwerden. In dieser Hinsicht waren sie passiv. Das ist verständlich, denn alles kam sehr plötzlich. Es gab keine Vorbereitung, überhaupt keine. Zuerst kam Gorbatschow, der alles umgestoßen hat, dann ist die Mauer gefallen, demokratische Lernprozesse waren nicht möglich. Und so folgten die politischen Fehler. JW Aber es gab doch einen Prozess, der Veränderungen zumindest indirekt vorbereitet hat. Es gab in Ungarn eine lange Diskussion darüber, wie man in das Wirtschaftssystem Marktelemente integrieren kann. Diesbezüglich gab es Versuche am Ende der 1960er Jahre und dann ab 1983 wieder. Da gab es auch sehr radikale Leute. Weil Ungarn ein schlampiges totalitäres System war, konnte in den Nischen einiges passieren. AH Diskussionen über Ökonomie waren möglich, aber politische Themen konnte man nie diskutieren – wie heutzutage in China. JW Stimmt, drei Fragen konnte man nicht diskutieren: das Einparteiensystem, die sowjetische Besetzung und die 1956er-Revolution. RS Ich mache jetzt noch mal einen Sprung. Wir haben uns bei der Vorbereitung des Symposiums über Ideologiekritik in der Kunst nach 1989 auch gefragt, welche Rolle in Ungarn heute Georg Lukács spielt. Denn Lukács war entscheidend für die Entwicklung einer Ideologiekritik, die sich auch in Phänomenen der Kunst vollziehen kann. Beziehen sich Intellektuelle heute auf Lukács? Ist er vergessen? Wird er absichtlich vergessen? Was ist die Rolle des Lukács-Archivs? AH Lukács wird heute im Wesentlichen als alter Kommunist abgetan, dessen Theorie unwichtig ist. Das Lukács-Archiv ist öffentlich und wird von Leuten aus der ganzen Welt besucht. Aber die früheren Wissenschaftler des LukácsArchivs können und dürfen dort heute nicht mehr forschen. Sie sind zwangsversetzt worden in die Bibliothek der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. In Amerika ist Lukács heute sehr berühmt. Die Seele und die Formen wurde zum zweiten oder dritten Mal veröffentlicht. Natürlich sind nicht seine kommunistischen Bücher berühmt, sondern die des jungen Lukács, aber auch Geschichte und Klassenbewusstsein, das ein kommunistisches und zu Recht auch ein sehr berühmtes philosophisches Buch ist. Studierende in Amerika, England, Frankreich, Deutschland und Österreich beschäftigen sich mit diesem
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Buch. Ich war am 11. Dezember 2012 in Wien zu einem Vortrag anlässlich des 100. Jahrestags der Veröffentlichung von Die Seele und die Formen auf Deutsch. In Ungarn ist darüber kein Wort gefallen. Es gab keine Veranstaltungen. Über Lukács’ Leben kann man natürlich viel sagen. Er hatte zwei Funktionen: Er war ein wirklich großer Denker, andererseits ein Führer, der den Kommunismus als theoretische Möglichkeit für Ungarn verkaufen wollte. Er hat zum Beispiel ein Buch über Lenin geschrieben, das mich sehr an Heideggers Werbung für den Nationalsozialismus erinnert. Heideggers Held war Hitler, der Held von Lukács ein Lenin, der dem wirklichen Lenin jedoch gar nicht ähnlich war. Am Anfang des 20. Jahrhunderts waren viele Intellektuelle von der bürgerlichen Kultur sehr enttäuscht und entwickelten deswegen einen Führerglauben; den Stalinglauben und den Hitlerglauben, den Glauben daran, dass wir einen Führer brauchen, der uns aus den Enttäuschungen der bürgerlichen Welt herausführt. Das spezifische Problem von Lukács ist, dass er dem Kommunismus noch treu blieb, als er wusste, zu welchen Fürchterlichkeiten die stalinistischen und poststalinistischen Regime führten. Auch nachdem Millionen von Menschen im Namen des Kommunismus getötet worden waren, bezeichnete er sich noch als Kommunist. Auf der anderen Seite spielte er eine wichtige Rolle in der ungarischen Revolution von 1956. Das war geradezu schizophren. Auf der einen Seite nannte er sich einen Kommunisten, auf der anderen war er gegen alles, was den Kommunismus charakterisierte. Persönlich war Lukács mein Lehrmeister, und ich mochte ihn sehr. Er war entscheidend für meine Entwicklung als Philosophin. In seinen Seminaren über Kants Kritik der Urteilskraft oder Hegels Ästhetik kam der Kommunismus mit keinem Wort vor. JW Ich habe Lukács nie erlebt, denn ich war erst 13 Jahre alt, als er starb. Aber als ich Wirtschaft studierte, begann ich mich für Lukács zu interessieren. In der kommunistischen Zeit, als Lukács noch Bestandteil des Unterrichts war, war seine Selbstkritik an seiner frühen Phase die einzig akzeptierte Position. Bekanntlich hat Lukács 1971, im Jahr seines Todes, ein schreckliches Vorwort zu Geschichte und Klassenbewusstsein geschrieben, während die jungen Lukács-SchülerInnen wie z. B. Ágnes nur über die frühen Werke geforscht haben. Und das, obwohl es wegen Lukács’ Selbstkritik lange Zeit nur eine einzige Ausgabe von Geschichte und Klassenbewusstsein gab, und zwar in einem Sammelband. Auch Die Seelen und die Formen konnte man nur in einem Sammelband mit den Frühwerken von Lukács finden. Als dann aber die Wende kam, hat der späte Lukács den frühen Lukács mit sich gerissen; der gesamte Lukács erschien als Parteikommunist und damit wertlos. Damit wurden die Versuche meiner Generation entwertet, Lukács gegen den Strich zu lesen und zu betonen, dass Lukács eigentlich immer in der Opposition war, dass er nie der offizielle Philosoph des Kommunismus gewesen war. Für mich
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war wichtig, dass Lukács in Bezug auf wirtschaftliche Reformen sehr radikal war und immer mehr wollte, als die Kommunisten zu geben bereit waren. So habe ich langsam erfahren, dass man Lukács gegen den Strich lesen kann und dass man bei ihm durchaus kritische Gedanken den Kommunismus betreffend findet. Deshalb habe ich vor zwei Jahren ein Buch geschrieben, in dem ich diesen kritischen Lukács vorzustellen versuchte.4 Und Ágnes war wahrscheinlich meine einzige Leserin. RS Warum wird so ein Buch in Ungarn nicht diskutiert? AH Die Ungarn sind traditionell philosophisch nicht sehr interessiert, sie haben keinen philosophischen Sinn kultiviert. Um die Literatur und die Ästhetik steht es etwas besser. Meine Bücher diskutiert man in Spanien, in Italien, in Deutschland oder in Amerika; aber kaum in Ungarn. JW Dazu muss man wissen, dass die Ästhetik in Ungarn seit etwa 100 Jahren von der Philosophie getrennt ist, auch an den Universitäten. AH Zu Lukács und seiner schizophrenen Position möchte ich noch sagen, dass er der anständigste Mensch war, den ich im Leben getroffen habe. Er hat in Verhören nicht einmal jene Leute verraten, die ihm übel mitgespielt haben und kein Problem damit hatten, Lukács an Leib und Leben zu gefährden, etwa László Rudas. Lukács hat im Gefängnis, als man ihn erpressen wollte (weil bekannt war, dass Rudas einen Aufsatz gegen Lukács geschrieben hatte), kein einziges Wort gegen Rudas gesagt, obwohl er ihn hasste. Lukács war geradezu unmöglich anständig. RS Vielleicht können wir zum Schluss auf die Gegenwart Ungarns zu sprechen kommen, insbesondere auf die gegenwärtige Kunst- und Kulturpolitik. Zuletzt sind hier in Österreich neben der Verschärfung der Mediengesetze etwa die von der Regierung (auch finanziell) aufgewertete ungarische Kunstakademie und ihr Direktor György Fekete kritisch kommentiert worden.5 Wie schätzt ihr die derzeitige Rolle von Kunst und Kultur in Ungarn ein? Ist der offenbar stattfindende Kulturkampf nur ein Nebenschauplatz oder das Zentrum einer Ideologie? 4 Vgl. János Weiss, Lukács öröksége. Helyzetfelmérés a kommunizmus bukása után [Das Erbe von Lukács. Eine Lagevermessung nach dem Fall des Kommunismus], Budapest 2011. 5 http://www.derstandard.at/1358305219245/Kunstakademie-protestiert-gegen-nationalistischen -Chef; siehe auch den Themenschwerpunkt zum Rechtsruck in der ungarischen Politik in der deutschen Wochenzeitung Jungle World, Ausgabe Nr. 12/13 vom 21.03.2013, mit Beiträgen von Magdalena Marsovszky, Karl Pfeifer, Ivo Bozic, Danièle Weber, im Internet abrufbar unter: http://www.jungle-world.com/artikel/2013/12/.
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AH Was in der Kunstakademie passiert ist, hat mit der Kunst in Ungarn nichts zu tun. Es gibt nach wie vor gute Kunst in Ungarn. Die Regierung hingegen hat keine Ahnung von Kultur, auch ihr Kulturkampf handelt nicht wirklich von Kultur. Die Regierungsvertreter sind radikale Nationalisten, die nur ein Ziel haben: Alle Machtpositionen sollen von Menschen besetzt werden, die hundertprozentig die Regierungsposition vertreten, also JOBBIK oder FIDESZ. Das ist die Kulturpolitik. Die RegierungsvertreterInnen haben überhaupt keine Ahnung von Kultur, sondern nur von Machtpolitik. Es geht also um Machtpolitik und nicht um Kunst oder Kulturpolitik.
man zwar auch Kulturpolitik nennen, aber das setzt keine Fachkenntnisse über Kunst und Kultur voraus.
JW Ich bin einverstanden. Das einzige Ziel der Regierung ist das Konservieren der Macht, solange man die Wahlen nicht abschaffen kann. Dafür benutzen sie den Nationalismus auf sehr populistische Weise. Ziemlich lange waren Kunst und Kultur davon kaum berührt. Natürlich gab es diese restriktiven Mediengesetzte, aber die Kultur und die Universitäten waren noch nicht an der Reihe. Dass die Regierung nun versucht, in die Kultur einzugreifen, ist neu. Man sieht jetzt, dass die Regierung die Kompetenz hat, Gelder umzuverteilen, aber wir wissen noch nicht, was das für Bildung, Kultur und Kunst genau bedeuten wird.
JW Es geht in dieser Schulpolitik darum, die Menschen so zu erziehen, dass sie richtig wählen – die Partei, die jetzt an der Macht ist. Langfristig oder mittelfristig geht es um einen Elitewechsel. Denn die ungarische Elite ist ziemlich deutlich linksliberal eingestellt. Deshalb ist „liberal“ in Ungarn das größte Schimpfwort geworden. Für Orbán sind alle Intellektuellen Heimatverräter.
AH Orbáns Regierung hat keine Ahnung, welche Künstler und Künstlerinnen wichtig sind und welche man sozusagen kaufen müsste. Orbáns Liebling ist der Fußball. Die Mitglieder seiner Regierung kennen sich mit Fußball aus, aber sie haben keine Ahnung von Universitäten. Nur aufgrund dieser totalen Unwissenheit konnte Orbán mit der Idee kommen, die Studierenden sollten die Universitäten in Zukunft selbst finanzieren. Gott im Himmel! Es gibt keine einzige Universität auf der Welt, die sich vollkommen selbst finanziert. Auch in den USA nicht. Wer so etwas fordert, hat keine Ahnung, worum es in der Universität geht. In der Mittelschule will Orbán nun ein Fach mit Ethik und Religion einführen. Ich halte Religionsunterricht in der Schule für sehr gefährlich, wenngleich ich nichts gegen Religionsunterricht habe. Aber er soll nicht in den Schulen, sondern in den Kirchen stattfinden – wie in Amerika die Sonntagsschule oder für jüdische StudentInnen die Hebrew School. Alles andere unterläuft die Säkularisierung der Moderne. Dem Ethik- und Religionsunterricht, den die Orbán-Regierung nun einführen will, geht es nicht um Fragen der Ethik, sondern um Vorschriften; wie sich brave Mädchen benehmen sollen, wobei im Besonderen konservative Sexualvorstellungen und der Wert der Familie wichtig sind. Das ist erschreckend. Auch dass der Schulunterricht nun zentralisiert wird und die Lehrinhalte von oben vorgegeben werden. Das ist ein sehr preußisch, ja militärisch organisiertes Schulsystem, ein wirklich tödliches System. Das kann
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RS Sind das nur Pläne oder ist dieses neue Schulsystem schon umgesetzt? AH Im September wird man dieses Schulsystem einführen, gesetzlich ist es bereits verabschiedet. Wobei das mit den Gesetzen in Ungarn eine interessante Sache ist. Immer wenn ein neues Gesetz verfassungswidrig ist, wird die Verfassung geändert. So einfach ist das in Ungarn.
RS Wie sind vor diesem Hintergrund die derzeitigen Proteste der Studierenden in Ungarn zu verstehen? JW Die Studierenden haben in Budapest, aber auch in Pécs die Universität besetzt. Und schon wenige Tage später gab es etwas, was man in Ungarn „Freie Universität“ nennt, mit Referaten, an denen viele ProfessorInnen und DozentInnen teilgenommen haben. Einige Tage später hat auch Ágnes die demonstrierenden StudentInnen an der Universität Budapest besucht. AH Ja, mich haben die Studierenden gefragt, was die jungen Leute 1956 in Ungarn machten, wie 1968 in Frankreich war, wie sich die Studentenbewegung organisierte. Im Unterschied zu 1968, wo Gewerkschaften die Studierenden unterstützten, sind die Studierenden in Ungarn vorläufig isoliert. Sie sind da, sie wollen Freiheit, aber niemand, wirklich niemand von außerhalb unterstützt sie. JW Den derzeitigen Protesten der Studierenden geht es um zwei Dinge. Einerseits kämpfen sie dagegen, dass die Autonomie der Universitäten extrem zurückgeschraubt werden soll; zunächst einmal nur finanziell, aber das kann gewaltige Folgen haben. Der Regierungsplan ist, dass für jede Universität ein Kanzler von der Regierung ernannt wird, der die Finanzen beaufsichtigen soll. Es gibt schon jetzt dramatische Kürzungen. Was die Studierenden in den letzten Wochen gemacht haben, ist das Größte, was als Reaktion auf den Amoklauf der Regierung Orbáns bislang geschehen ist. Niemand hat mit dieser Form von Basisdemokratie gerechnet, mit diesen Grundsatzdiskussionen
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darüber, was Universitäten sind, was Bildung ist, wohin es mit Ungarn gehen soll. Da sind seit Mitte Dezember unglaubliche Lernprozesse in Sachen Basisdemokratie in Gang gekommen. Die Politik war total sprachlos. Es gab auch handfeste Erfolge. Schon früher ist es den Akademikern gelungen, den ungarischen Staatspräsidenten zu stürzen, und zwar wegen Plagiats. Man musste die Doktorarbeit dieses Mannes nicht lang überprüfen, denn alle wussten, dass ein so dummer Mensch unmöglich eine Doktorarbeit geschrieben haben kann. Er konnte nicht einmal korrekte Sätze formulieren. Während der Staatspräsident im Ausland war, hat ein sehr mutiger Rektor einer medizinischen Universität dem Präsidenten den Doktortitel aberkannt. Er musste als Universitätspräsident abtreten, weil er total unter Beschuss geriet. Nach den Protesten heute musste die Staatssekretärin für Hochschulangelegenheiten dieses Ressort abgeben. Das zweite Ziel der Studierenden war, gegen die sogenannte Leibeigenschaft zu protestieren. So nennen sie die neue Verordnung, wonach diejenigen, die in Ungarn mit staatlicher Unterstützung ein Studium beginnen, einen Vertrag unterschreiben müssen, in dem sie sich verpflichten, nach dem Studium in Ungarn zu arbeiten. Der Grund dafür ist, dass im Moment sehr viele junge Leute das Land verlassen. Nachdem die Studierenden diese Verordnung als „Leibeigenschaft“ skandalisiert hatten, besteht der neue Plan der Regierung darin, die neue Verordnung in die Verfassung aufzunehmen. AH Das ist genau das, was ich vorhin gemeint habe. In Ungarn werden verfassungswidrige Gesetze gemacht, die dann als Grund genommen werden, die Verfassung zu ändern. Wir haben eine „wunderbare“ Verfassung!
“WE HAD THE ILLUSION THAT THE WORLD COULD BECOME LESS DANGEROUS” Ruth Sonderegger in conversation with Ágnes Heller and János Weiss on ideology, art, and the situation in Hungary after 1989 Ruth Sonderegger
RUTH SONDEREGGER In autumn 2012, together with colleagues from the Academy of Fine Arts Vienna and Kunsthaus Bregenz, I organized a conference centered on the question of ideology in art and culture after 1989. Our hypothesis was that the so-called end of ideology, often proclaimed in 1989, became a spectral hiding place for the development of new ideologies, which should therefore be readdressed more vigorously. Against this backdrop, I would like to begin by asking you the following: are you—almost twenty-five years after the so-called fall of the Berlin Wall—able to relate to, or even share, the abovesketched hypothesis of a renewed imperative of addressing oneself to ideology critique? Or is the concept of ideology too heavily loaded to work with productively today? What conceptual alternatives might be available through which we could reflect on undeniably existent structures of condensed and solidified domination? ÁGNES HELLER To reflect on something also means to redefine something, to understand it in a new way. My position is that I acknowledge a renewed, radicalized version of Marxist ideology. Simplifying Marx, I would say that his understanding of ideology holds that a certain group or class portrays its own interests as universal human truths, thereby obscuring other interests. This understanding of ideology presupposes that one can think ideology as a false consciousness. In my opinion, however, one should not speak of false consciousness, as this would presuppose that a true consciousness exists and that we know what this true consciousness is. If one understands ideology as false consciousness, then one is, if anything, fetishizing the consciousness—similar to how Adorno did. Nevertheless, today one must talk about ideology, specifically because of fundamentalist movements and totalitarian regimes. At issue here is a comprehensive conception—a tightly wrapped package, as it were—of concepts,
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judgments, opinions, and practices that function like a compass. A compass that shows what the good, what the true is, who belongs to the good and who doesn’t, who an enemy is. Wherever actions are carried out along the lines of “us or the others,” wherever a false consciousness is ascribed to the other, is where ideology production takes place. You cannot link ideology to single concepts alone. There is a wide range of varying conceptual systems that one can utilize as ideologies. But they do not become ideological until one uses them in the specific mode that I described as a compass. Then one is dealing with a fundamentalist movement or a totalitarian system, and ideology critique becomes very important. Whether these movements are based on nationalism, on racism, or on religion—this is less important. All fundamentalists need ideologies with which they mobilize the masses. People love to know what is absolutely true, and they like belonging to the truth. Ideology helps people have an absolutely true, protected identity. In other words, ideology is also identity-producing. And because of the attractiveness that ideologies hold, I believe that ideology critique is very important. JÁNOS WEISS I initially thought that my answer would be quite similar to Ágnes’s, but instead I want to go in a different direction. When you look at very early Marx, you find an ideology concept that I don’t consider successful. In the early phase, he had the notion of ideology as something that takes wing from an original context, from a foundation. In other words, there is something that Marx views as fundamental, and the very young Marx thought this something to be social circumstances; economy plays only a small and somewhat ambivalent role in this. Here, ideology is everything that is secondary to this original context, everything that is in addition to it, so to speak—actually, all cultural spheres in which longings for that which the people lack in their social circumstances are negotiated. With ideology critique, the young Marx referred above all to this sphere of longing, coming from the assumption that people needed to change only the primary, original domain of social circumstances in order that ideologies—and cultural spheres—would disappear. I find this concept of ideology and ideology critique very problematic. One would have to try and find a favorable transformation of Marx’s ideology-critical objective. I would find such a program plausible, not least because later on Marx himself also had a more complex understanding of the concept of ideology. AH I think I’d like to defend Marx. He didn’t talk about art as ideology. That was the later Marxists. I cannot concur with the thesis that art, or literature and the arts, are ideologies. Another thing is the question of how art can be influenced through ideologies. There was surely an art of Nazism; there was an art of Stalinism. They could be quite beautiful, but they ultimately embodied
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an ideology. Art as such, however, is no ideology. Marx didn’t say this either. Marx speaks of false, ideological forms of consciousness, but he doesn’t say that art is always a form of false consciousness. JW But he did, he did. I have evidence! Both laugh. AH You’re right, of course, about it being a problem when Marx says that social circumstances determined forms of consciousness, the superstructure. According to this thesis, art is part of the superstructure. If you’re criticizing this thesis, then you’re completely right, of course. But think also of how positively Marx speaks of Greek art in the Grundrisse1, for example! The idea that economy conditions politics as politics do art is a very problematic view. Then you’re no longer speaking about ideologies but rather about causality. This is altogether wrong. A condition is not a cause. Nobody will deny that artforms as well as philosophy have societal conditions. But one should not call this ideology. Of course Aristotle couldn’t think like Descartes; they were part of completely different societal circumstances. RS Since we all obviously have a problem with the causal model of ideology, I’ll propose another description. Could one understand as ideological those circumstances which one cannot change, or which one can only change with difficulty, even though they are man-made? Circumstances, therefore, under which practices of domination intensify? JW Yes, that seems to me a favorable transformation of the concept, although I still have a problem with bringing such circumstances of domination together with the young Marx’s concept of ideology. On the other hand, Marx himself later changed his concept of critique and then also criticized social circumstances, ergo circumstances of the so-called substructure. In Capital he not only analyzes economic circumstances but in fact criticizes them. AH But this still doesn’t solve every problem. The first problem is that the Marxist term for the criticized social circumstances of domination was “alienation” and not “ideology.” What Ruth described, that we humans do things that go on to live an independent life—a life that can produce power that then oppresses us as a quasi-autonomous power—, is paradigmatic of Marxist alienation. I would rather describe these phenomena with Foucault. 1 Karl Marx and Friedrich Engels, Grundrisse. Foundations of the Critique of Political Economy, trans. by Martin Nicolaus, New York, 1993.
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With Foucault, one can describe society as a field, as a territory where we see the existence of many powers and power relations in which the widest variety of forms of activity and the widest range of groups participate. With Foucault, one can and indeed must pose the question where is the largest power found? Where are powers concentrated? Where are they de-concentrated? The fact that what we produce no longer belongs to us, that it can lead an independent life, is part of the conditio humana. I don’t believe that we can change this. At most, we can change the fact that the results of our actions dominate us. You talked about Marx’s Capital, János. My problem with Marx’s Capital is that it is based on the problematic theory of use value, according to which only human labor creates value, and nature as nature has no value whatsoever.2 That is, a tree in the jungle has no value, except if we fell the tree, because then human labor comes into play. As an economic conception, this is altogether wrong. But Marx’s concepts of alienation and ideology speak to us nonetheless. They still tell us something. JW Now I’ve finally found a sentence of Marx’s showing that he identifies ideology with phenomena of consciousness. At the beginning of A Contribution to the Critique of Political Economy he writes: “In studying such transformations it is always necessary to distinguish between the material transformation of the economic conditions of production, which can be determined with the precision of natural science, and the legal, political, religious, artistic or philosophic —in short, ideological forms in which men become conscious of this conflict and fight it out.” 3 Passages like this lead me to think that ideology—at least in early Marx— is in some measure a summary of all these phenomena of consciousness. Also, the theory of alienation, as formulated by both of you, is something I find problematic in an additional way. Even though I know you don’t mean it this way, the theory of alienation is strongly linked to a certain anthropologism, to the notion that there exists something like a constant and true, hence non-alienated, human life; this resonates with many romantic notions of (individual) self-realization. By anthropologism, I mean that everything is understood as a problem of the human, and that nonhuman or extra-human dictates play no role. I would rather think societal domination more sociologically, or, in other words, in such a way that ideologies do not become misunderstood anthropologically. RS I think that Foucault’s theory of power could be of service to us here in order to think ideologies not as anthropological, but rather as systemic
2 Cf. György Bence, János Kis, and György Márkus, Hogyan lehetséges kritikai gazdaságtan? [How is a critical economic science possible?], Budapest, 1992 [written 1970–1972], Chs. 1–2. 3 Karl Marx, “A Contribution to the Critique of Political Economy,” http://www.marxists.org/archive/marx/works/1859/critique-pol-economy/preface.htm#006.
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concentrations of domination. Then whether or not and how one can change such circumstances of domination becomes a sociological and political question. AH You can’t change totalitarianism. You have to overthrow it. There are various societal powers that one cannot change. But this also means that there are many powers that one can definitely change—both politically in the sense of existing political institutions and in the realm of civil society. This is really quite important to Foucault, that not all powers are concentrated in political institutions. Rather, there are also societal powers. RS Precisely! And that’s why I also believe that this differentiation between power and domination is so crucial in Foucault’s later work, where structures of domination are such that one must—to remain with Ágnes’s terminology —overthrow them, while power relations can be changed. AH Yes, but the differentiation between power and control was originated by Weber. The recognition of authorities is always part of control, and this problem is where I derive my understanding of ideology as compass, as a compass that helps people rationalize a totalitarian system as something that has authority, an authority to which one must subordinate oneself. In other words, ideology helps totalitarian systems conceive of themselves as authority and be acknowledged as authority. RS Perhaps I may return to an aspect of my initial question, to the question of whether 1989 is an important date for you when reflecting on present-day concentrations of power. Many people say that 1989 saw the manifestation of the end of ideologies and therewith perhaps also the end of totalitarian concentrations of domination. Others, by contrast, see precisely therein the lie, the ideological constitution of 1989. JW 1989 was probably the biggest event in my life. But just now Ágnes most likely wanted to say that 1989 was an illusion, right? AH Yes, I mean that in the context of the changes that occurred in 1989 or 1990, there was the illusion that democracy would now reign across the entire world, that totalitarian leaderships are going to disappear and the whole world is going to consist of republics, of democratic countries. That was an illusion. 1989 was a huge event in our lives. After all, we were liberated from a totalitarian regime, and when I say “we” I mean the Eastern Europeans. The illusion was the belief that our liberation was already identical to freedom. This was a two-fold illusion. I think Hannah Arendt was right: liberation is not freedom.
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Liberation is the first step, the step before the institutionalization of freedoms. And if the freedoms are not institutionalized so that they remain, so that people acknowledge these institutions as free institutions, then the liberation remains only a liberation without the institutionalization of freedoms. That was the problem in Eastern Europe, in Hungary too. Not only in that sense—that there were no institutions—but these institutions lacked the spirit of freedom. Institutions need the spirit of freedom too; they can’t function without it. And as far as the world as a whole is concerned, after ’89 new dictatorships, new totalitarian regimes came, and new fundamentalisms were born. The world became very dangerous once again. We were, of course, able to say that the world had always been a dangerous place (and is a very dangerous place at the moment), but in 1989 we had the illusion that the world could become less dangerous. JW Back to your question about what got broken there and what the liberation actually meant. It was liberation from a totalitarian ideology in a comprehensive sense. Ideologies that enslaved the entire society didn’t exist anymore in Eastern Europe. If they were revolutions at all, then the East-European revolutions of 1989 proceeded in such a way that they got stuck during liberation from an occupation and liberation from the ideology of the ruling party. The social question, for example, was never posed in the slightest. AH Another problem existed in Eastern Europe, although one cannot measure all countries by the same yardstick. The people did not feel that they were the subjects of the liberation. People can endure poverty when they know that they are the ones who liberated themselves. In Hungary, the people were quite proud that everything happened so easily and peacefully, that the ruling party and the opposition sat down together at one table. But it all took place over and above the heads of the population. The people were hardly even given the chance to be involved in the liberation. They were not able to say, “We made it happen. Admittedly, not everything is going the way we want, but we wanted it.” Of course the people couldn’t bear the secret police and wanted to get rid of it, but they weren’t given any involvement in the process of doing so. In this regard, they were passive. This is understandable, because everything came so suddenly. There was no preparation, none whatsoever. First came Gorbachev, who overturned everything; then the wall fell. Democratic learning processes weren’t possible. And this is what gave rise to the political mistakes. JW But there actually was a process that at least indirectly prepared the changes. In Hungary there was a long discussion about how market elements could be integrated into the economic system. To this effect, there were
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attempts at the end of the sixties and then once again starting in 1983. There were quite radical people involved in this, too. Since Hungary was a sloppy totalitarian system, certain things could happen in the niches. AH Discussions on economy were possible, but you could never discuss political topics—like in China today. JW Right, you could discuss three questions: the single-party system, the Soviet occupation, and the 1956 revolution. RS I’m going to make another jump here. While preparing the symposium on ideology critique in art since 1989, we also asked ourselves what role Georg Lukács plays in Hungary today. Because Lukács was vital for the development of an ideology critique that can also take place within phenomena of art. Do intellectuals today refer to Lukács? Is he forgotten? Has he been forgotten on purpose? What’s the role of the Lukács Archive? AH In essence, Lukács is dismissed these days as an old communist whose theory is unimportant. The Lukács Archive is public and is visited by people from all over the world. But the former scholars of the Lukács Archive aren’t able and aren’t allowed to research there any more. They were forcibly transferred to the Hungarian Academy of Sciences. Today in America, Lukács is very famous. Soul and Form has been published for the second or third time. Of course it itsn’t his communist books that are famous, but the books of the young Lukács, also History and Class Consciousness, which is a communistic and also, deservedly, very famous philosophical book. Students in America, England, France, Germany, and Austria study this book. I was in Vienna on December 11, 2012, for a lecture during the centennial of the publishing of the first German edition of Soul and Form. Not a word was said about it in Hungary. There weren’t any events. One can, of course, say a lot about Lukács’ life. He had two functions: he was a truly great thinker, and on the other hand, a leader who wanted to sell communism as a theoretical possibility for Hungary. For instance, he wrote a book about Lenin that reminds me a lot of Heidegger’s promotion of National Socialism. Heidegger’s hero was Hitler, Lukács’ hero, a Lenin who was, however, in no way similar to the real Lenin. At the beginning of the twentieth century many intellectuals were disappointed in bourgeois culture and therefore developed a belief in the leader-figure, the belief in Stalin and the belief in Hitler, the belief that we need a leader who would guide us away from the disappointments of the bourgeois world. The specific problem with Lukács is that he remained loyal to communism while knowing the terrors to which the
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Stalinist and Post-Stalinist regimes led. Even after millions of people were killed in the name of communism, he still described himself as a communist. On the other side, he played an important role in the Hungarian Revolution of 1956. This was downright schizophrenic. On the one side, he called himself a communist; on the other side, he was against everything that characterized communism. Lukács was my personal mentor, and I liked him very much. He was essential to my development as a philosopher. In his seminars on Kant’s Critique of Judgment or Hegel’s Aesthetics, communism wasn’t mentioned once. JW I was never able to encounter Lukács because I was only thirteen years old when he died. But when I studied economics I began to develop an interest in Lukács. During communist times, when Lukács was still part of the educational curriculum, his self-criticism of his early phase was the only accepted position. As is well known, in 1971, the year of his death, Lukács wrote a terrible foreword to his History and Class Consciousness, while the young Lukács students, such as Ágnes, were only researching the early works—despite the fact that because of Lukács’ self-criticism only one single edition of History and Class Consciousness existed for a long time, namely, in an anthology. Soul and Form too was only available in an anthology with Lukács’ early works. But then when the turning point came and communism fell, the early Lukács was carried off by the late Lukács; Lukács as a whole appeared to be a party communist and thereby became worthless. In this situation, the efforts of my generation, efforts to read Lukács against the grain and emphasize that he was actually always part of the opposition and that he had never been the official philosopher of communism, were invalidated. It was important to me that Lukács was very radical with regard to economic reforms, always wanting more than the communists were ready to give. I thus slowly learned that you can read Lukács against the grain and that you can find thoroughly critical ideas with respect to communism in his writings. This is why I wrote a book two years ago in an effort to present the critical Lukács.4 And Ágnes was probably my only reader. RS Why isn’t a book like this discussed in Hungary?
JW One should also know that aesthetics has been separate from philosophy for one hundred years now in Hungary, even in the universities. AH Regarding Lukács and his schizophrenic position, I would like to add that he was the most honorable person I have ever met in my life. In interrogations, never once did he betray the people who had played dirty tricks on him and who didn’t have any problem with putting him in danger, life and limb, like László Rudas. In prison, when attempts were made to blackmail him (because it was known that Rudas had written an essay against Lukács), Lukács didn’t say a word against Rudas, even though he hated him. Lukács was utterly and impossibly honorable. RS In conclusion, perhaps we can approach the present state of affairs in Hungary, especially the current politics surrounding art and culture. In addition to the tightening of media laws, the Hungarian Academy of Arts, which is highly valorized (and funded) by the government, and its director, György Fekete, have been the objects of critical comments made recently here in Austria.5 How do you assess the current role of art and culture in Hungary? Is the conspicuously waged culture war only a secondary theater, or is it the center of an ideology? AH What happened in the Academy of Arts has nothing to do with art in Hungary. There is still good art in Hungary. The government, however, hasn’t the slightest clue about culture; their culture war isn’t really about culture either. The government officials are radical nationalists with only one goal; all power positions should be held by those who represent the government’s position one hundred percent, which means JOBBIK and FIDESZ. This is the cultural policy. The government officials are completely out of their depth where culture is concerned, but not where power politics are concerned. So it’s about power politics, not art or cultural policy.
AH Traditionally, Hungarians are not very interested in philosophy. They haven’t cultivated a feeling for philosophy. Things are better for literature and aesthetics. My books are discussed in Spain, in Italy, in Germany, or in America, but hardly ever in Hungary.
JW I agree. The government’s only goal is conserving power so long as they aren’t able to abolish elections. To this end, they employ a very populistic mode of nationalism. Art and culture were untouched by this for a pretty long time. There were, of course, these restrictive media laws, but culture and the universities were never subjected to all of this. That the government is now trying to intervene in culture is new. We now see that the government is
4 Cf. János Weiss, Lukács öröksége. Helyzetfelmérés a kommunizmus bukása után [The Legacy of Lukács. The Situation After the Fall of Communism], Budapest, 2011.
5 http://www.derstandard.at/1358305219245/Kunstakademie-protestiert-gegen-nationalistischen-Chef; see also the main topic, “the swing to the right in Hungarian politics,” in the German weekly newspaper Jungle World, issue 12/13 from 21-03-2013, with articles by Magdalena Marsovszky, Karl Pfeifer, Ivo Bozic, and Danièle Weber, available on the Internet under: http:// www.jungle-world.com/artikel/2013/12/.
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competent in redistributing funds, but we don’t know exactly what this will mean for education, culture, and art. AH Orbán’s government doesn’t have a clue about which artists are important and which ones they would have to buy, so to speak. Orbán’s favorite is football. The members of his government are well-versed in football, but they’re clueless where universities are concerned. Only because of this total lack of knowledge could Orbán come up with the idea of students having to finance the universities themselves in the future. God in heaven! There’s not a single university in the world that finances itself completely. Not even in the USA. Whoever makes such a demand has no clue about what goes on in universities. Orbán now wants to establish ethics and religion as a middle-school subject. I consider religious education in schools very dangerous, although I don’t have anything against religious education. But it should happen in churches rather than in schools—like Sunday school in America, or Hebrew school for Jewish students. Anything else would undermine modern secularization. The ethical and religious education that the Orbán government wants to establish now isn’t about questions of ethics; it’s about regulations—how good girls should behave—wherein conservative ideas of sexuality and family values in particular are given importance. This is frightening, as is the fact that school education is now being centralized and curriculums are being predetermined from above. This is a very Prussian, indeed militarily organized educational system, a really deadly system. One can in fact call this cultural policy, too, but it doesn’t presuppose any expertise in art and culture. RS Are these just plans, or has this new educational system already been implemented? AH In September this system will be introduced; the laws have already been passed. And the thing with laws in Hungary brings up an interesting point: whenever a new law is deemed unconstitutional, the constitution is amended. It’s that easy in Hungary. JW The logic behind this school policy is to educate people to vote the right way—to vote for the party currently in power. In the long run, or in the midterm, it’s about bringing about a shift in the elite. Because the Hungarian elite is quite distinctly leftist and liberal-minded. This is why “liberal” has become the worst curse word in Hungary. To Orbán, all intellectuals are traitors to their homeland.
JW The students have occupied the university in Budapest, but also in Pécs. And only a few days after, something that in Hungary is being called a “free university” came to exist, with departments in which a large number of professors and lecturers participated. Some days after that, Ágnes also visited the demonstrating students at the University of Budapest. AH Yes, the students asked me what the young people in Hungary did in 1956, what 1968 was like in France, how the student movement organized itself. In contrast to 1968, where unions supported the students, the students in Hungary are isolated for the moment. They’re there, they want freedom, but nobody, really nobody from the outside supports them. JW Two things are at stake in the current student protests. On the one hand, they’re fighting against the extreme trimming back of the universities’ autonomy, at first only financially, but this can have enormous effects. The government plans to designate for every university a chancellor who will oversee finances. There are already dramatic cutbacks. What the students have done in the last weeks is the biggest reaction til now against the Orbán government’s rampage. Nobody expected this form of grassroots democracy, this fundamental discussion about what universities are, what education is, and in what direction Hungary should be moving. Since the middle of December, incredible learning processes in grassroots democracy have been set in motion. The politicians were totally speechless. There have also been tangible successes. Once, it was possible for academics to overthrow a former Hungarian president, namely, because of plagiarism. They didn’t have to review this man’s doctoral thesis for very long, because everyone knew that a man that dumb would have never been able to write a doctoral thesis. He couldn’t even formulate sentences correctly. While the president was out of the country, a very courageous chancellor at a medical university revoked the president’s doctorate. He was forced to step down as university president because he came under such heavy fire. After the current protests, the secretary of college affairs had to give up her office. The students’ second goal was to protest against the so-called peonage. This is the name they give to a new ordinance stating that everyone who begins their education in Hungary and uses financial aid from the state must sign a contract in which they promise to work in Hungary after they complete their studies. The reason for this is that many young people are leaving the country at present. After the students scandalized this ordinance by naming it “peonage,” the government’s new plan came to include the addition of the new ordinance to the constitution.
RS Against this background, how are the current student protests in Hungary to be understood?
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IDEOLOGIE UND KULTURINDUSTRIE AH This is exactly what I meant a moment ago. In Hungary, unconstitutional laws are made, and then they are considered as grounds for amending the constitution. We have a “miraculous” constitution!
Für Theodor W. Adorno und Max Horkheimer bezeichnete der Titel des Kapitels „Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug“ ihrer 1947 erschienenen Dialektik der Aufklärung eine Machtformel des fortgeschrittenen Kapitalismus, ein Kalkül zur Rekonfiguration der Kultur zum Zweck der maximalen Wertschöpfung und der Produktion eines konformistischen Konsumentensubjekts.¹ Ein entscheidendes Element dieser Formel war die Abschaffung eines inkommensurablen Außen einer kulturindustriell verwalteten Wertsphäre. Indem sie alles filtert und durchdringt, versammelt die Kulturindustrie sämtliche kulturellen Praktiken und Produkte auf ein und derselben Ebene der Verrechenbarkeit. Jede Kunst, so volkstümlich und grobschlächtig sie auch (gewesen) sein mag, wird auf „die Höhe der Zeit“ gehoben, zur Unkenntlichkeit kultiviert – auf dass sich keine „Negativität der Kultur“ mehr artikuliere. Die Zwangsheirat von Kunst und Zerstreuung garantiert die „Totalität der Kulturindustrie“ im Zeichen des Immergleichen, unter dem die Subjekte in einer standardisierten Produktion von Persönlichkeitsschablonen allenfalls „Pseudoindividualität“ erreichen. Geprägt durch die Erfahrung des europäischen Faschismus und der Massen-kultur von Tonfilm, Radio und Broadway im amerikanischen Exil, galt Adorno und Horkheimer der Begriff der Kulturindustrie als Chiffre für die rückhaltlose Quantifizierung von Subjektivität. Ihre Theorie erlaubte es, in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg die „Eindimensionalität“ der kapitalistischen Gesellschaft und deren „Verblendungszusammenhang“ mit den Mitteln der Soziologie und der negativen Dialektik zu kritisieren. Sie ist aber auch wiederholt auf Widerspruch gestoßen. Ihr Bild von der „Totalität“ der Kulturindustrie ließ wenig Raum für differenztheoretische Überlegungen, für die Denkmöglichkeit eines Widerstands in der (und durch die) Popkultur, für die Heterogenität der kommerziellen Kultur im globalen Maßstab oder für die Kämpfe gesellschaftlicher Minderheiten im Raum der Medienkultur. Dabei zeichneten Adorno und Horkheimer, was gern übersehen wird, ein durchaus nuanciertes Bild der Aktivierung und Passivierung der KonsumentInnen in der Kulturindustrie, in der – wie es Adorno 1962 in einem kurzen „Résumé über Kulturindustrie“ erkannte – sogar der Verkauf der Kulturwaren letztlich weniger zählte als „die Herstellung eines good will schlechthin“, d. h. die Einwilligung in die „Ideologie“.² Ein solcher „good will“ ist den wahlweise interaktiven oder interpassiven Usern des gegenwärtigen Biokapitalismus, deren Leben immer unausweichlicher den Verwertungsprozessen einer finanzialisierten Ökonomie unterworfen sind, nicht abzu-
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sprechen. Sie produzieren Kultur, indem sie Kultur kommentieren, downloaden, verlinken, mit Google recherchieren, bei Amazon einkaufen, auf Facebook eine Statusmeldung posten oder einen Tweet über den Konzertbesuch verschicken. Die Totalität der „dritten Kulturindustrie“ (Diedrich Diederichsen) schafft Wert in jedem Moment: in der Echtzeit einer globalen Netzwerk-Allgegenwärtigkeit. Nach Auswegen wird gesucht.³ Tom Holert
1 Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente (1944), Frankfurt a. M. 1986. 2 Theodor W. Adorno, „Résumé über Kulturindustrie“, in: ders., Ohne Leitbild. Parva Aesthetica, Frankfurt a. M. 1967, S. 60 –70. 3 Diedrich Diederichsen, „On All Channels: Media, Technology, and the Culture Industry“, in: Artforum, Bd. 51, Nr. 1, September 2012, S. 446 – 453.
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For Theodor W. Adorno and Max Horkheimer, the title of the chapter “The Culture Industry: Enlightenment as Mass Deception” from their book Dialectic of Enlightenment, first published in 1947, designates one of the formulas for power in advanced capitalism, a calculus to reconfigure culture so as to maximize value extraction and to produce a conformist consumer subject.¹ One significant component of this formula was to abolish any outside that would be incommensurable to the sphere of value organized by the culture industry. By filtering and penetrating everything, the culture industry gathers the entirety of cultural practices and products on one and the same plane of calculability. Every art, no matter how folksy or unsophisticated it may be (or have been), is “brought fully up to date,” cultivated into unrecognizability—on which a “negativity of the culture” can no longer be articulated. The arranged marriage of art and entertainment guarantees the “totality of the culture industry” under the sign of unending sameness, where the most that subjects can achieve is a “pseudoindividuality” within a standardized production of personality patterns. Marked by the experience of European fascism and the mass culture of sound film, radio, and Broadway in American exile, Adorno and Horkheimer considered the term culture industry to be code for the wholehearted quantifying of subjectivity. In the decades after the Second World War, their theories allowed the “one dimensionality” of capitalist society and its “social context which induces blindness” to be critiqued by means of sociology and the negative dialectic. But it also repeatedly came up against contradictions. Their image of the “totality” of the culture industry left little room for reflections guided by a theory of difference, for the possibilities of imagining resistance in (and through) pop culture, for the heterogeneity of commercial culture on a global scale, or for the struggles of social minorities in the space of media culture. All too readily ignored, Adorno and Horkheimer do chart out a thoroughly nuanced image of the activation and passivation of consumers in the culture industry. As Adorno recognized in a brief text from 1962, “Culture Industry Reconsidered,” even the sales of cultural commodities ultimately count for less than “the manufacturing of ‘goodwill’ per se,” that is, the acquiescence to “ideology.”² Such a “goodwill” cannot be denied to alternately interactive or inter-passive users in contemporary bio-capitalism, whose lives are subjected to the ever more unavoidable evaluative processes of a financialized economy. They produce culture by commenting
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on culture, by downloading, linking, running a Google search, shopping on Amazon, posting a status report on Facebook, or tweeting about a concert that they are at. The totality of the “third stage of the culture industry” ( Diedrich Diederichsen) creates value at each moment: in the real time of the ubiquity of a global network. Ways out are being sought.³ Tom Holert
DER KULTURKAMPF IN DEN NIEDERLANDEN. ÜBER EINE POLITIK DER ENTKERNUNG VON KULTUR Merijn Oudenampsen
Einleitung
1 Max Horkheimer and Theodor W. Adorno, Dialectic of Enlightenment: Philosophical Fragments (1944). There are two English translations, the first by John Cumming (London, 1997) and the second by Edmund Jephcott (Stanford, 2002), based on the definitive text from Horkheimer’s collected works. Citations in this text are taken from the latter. 2 Theodor W. Adorno, “Culture Industry Reconsidered,” trans. by Anson G. Rabinbach, in: New German Critique, 6, Fall 1975, pp. 12–19. 3 Diedrich Diederichsen, “On All Channels: Media, Technology, and the Culture Industry,” in: Artforum, Vol. 51, No. 1, September 2012, pp. 446 – 453.
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„Niemand ist sicher.“ Mit diesen Worten kündigte Halbe Zijlstra, Minister für Bildung, Kultur und Wissenschaft, die drastischen Einschnitte im Kulturhaushalt in den landesweiten niederländischen Nachrichten im Dezember 2010 an. Werden Kürzungen im Allgemeinen zumindest von geheucheltem Widerwillen oder Bedauern begleitet, so wurde hier die Botschaft mit einem sardonischen Lächeln vorgetragen. Halbe Zijlstra stellt seine Geringschätzung gegenüber der Kultur gern öffentlich zur Schau. Er hat sich abschätzig über Künstler geäußert, die am „Subventionstropf“ hängen, und sich stolz als Fan von Dan Brown, Tom Clancy, McDonald’s und Metallica bekannt. Unter Künstlern auch „Halbe der Zerstörer“ genannt, verkörpert er geradezu die heute herrschende kunst- und intellektuellenfeindliche Stimmung in den Niederlanden. Er ist zur Galionsfigur jener Philister geworden, die die Künstler zu hassen lieben. Und er genießt diesen Hass. Der zusammengestrichene Kulturetat ist ein Symbol im Kulturkampf, der in den Niederlanden seit dem jüngsten Rechtsruck in der Politik des Landes herrscht. Die Konfliktlinien verlaufen entlang ähnlicher Koordinaten wie in seinem US-amerikanischen Gegenstück, wo die konservative Rechte den Unmut der Bevölkerung so steuert, dass anstelle des ökonomischen das kulturelle Establishment zum Feindbild erhoben wird. Anders als in den USA spielen in den Niederlanden christliche Werte keine entscheidende Rolle in den Debatten. Jedoch bewirken islamophobe Stimmungsmache und die Forderung nach einer Leitkultur, die den christlichen Fokus in den Niederlanden ersetzen, ähnliche Folgen. Die undifferenzierte Kritik an der Kultur, die in rechtspopulistischen Anfeindungen als „linkes Hobby“ oder „elitäres Spielzeug“ bezeichnet wird, erlaubt es der politischen Rechten, ein wirtschaftliches Programm umzusetzen, das dezidiert auf Ungleichverteilung basiert. In dieser Hinsicht veranschaulichen die Einschnitte im niederländischen Kulturbudget die ungeheure Attraktivität dessen, was
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DER KULTURKAMPF IN DEN NIEDERLANDEN
Wendy Brown als die widersprüchliche Konvergenz von Neoliberalismus und Neokonservatismus beschrieben hat.1
Kultur ≠ Kommerz ≠ Unterhaltung Die Widersprüche treten in der neuen Kunstpolitik deutlich zutage. Uns wird gesagt, dass der Kultursektor in größerem Maß unternehmerisch denken und ein größeres Publikum anziehen sollte. Zugleich werden jedoch die Steuern auf Kulturprodukte verdreifacht – eine Maßnahme, die zum Teil nach dem Sturz der Regierung im April 2012 wieder zurückgenommen wurde –, wodurch der Kulturgenuss abermals zu einem Privileg der Eliten wird. Uns wurde mitgeteilt, dass man die Kultur dem Markt überlassen sollte und die Künstler selbst für finanzielle Unterstützung sorgen müssten. Allerdings gilt Selbiges nicht für die sogenannten Spitzeninstitute (allen voran jene prominenten Häuser für Oper, Ballett und klassische Musik sowie die bekannteren Museen), die einzigen Organisationen, deren Sichtbarkeit und Renommee ihnen überhaupt erst Zugang zu privaten Sponsoren ermöglichen. Dieser widersprüchliche Charakter lässt sich auf drei unterschiedliche poli-tische Programme reduzieren, die in der neuen Politik gegenüber der Kunst zum Tragen kommen: ein populistischer Ansatz, der die Produzenten von Kulturgütern auf der Grundlage einer populistischen Freund-Feind-Rhetorik als Subventionsjunkies verunglimpft; eine konservative Agenda, die eine konservative Auffassung von Kultur unter der Rubrik des Kulturerbes der Spitzeninstitute (Oper, Ballett, klassische Musik und Museen) fördert; und eine neoliberale Ideologie, die für staatliche Ausgabenkürzungen plädiert und Kultur ausschließlich auf der Grundlage ihres Marktwerts und ihrer internationalen Wettbewerbsstärke zu würdigen weiß. Das Ergebnis dieser kombinierten Programme besteht darin, dass die Kürzungen die experimentellen, zeitgenössischen und kleinen Formen kultureller und künstlerischer Produktion unverhältnismäßig stark treffen. Der Widerstand der Kunstwelt gegen die Sparmaßnahmen richtet sich nicht einfach nur gegen die Kürzung des Etats um 20 Prozent, sondern gegen die explizit ideologische Motivation der Kürzungen. Dem Staatssekretär zufolge streicht die Regierung in Kunst und Kultur dreimal so viel wie auf anderen Gebieten, weil es ihr sonst nicht möglich wäre, wahrhafte Veränderungen herbeizuführen. „Entschiede man sich, nur sechs Prozent zu kürzen, so würde die Kunstwelt die Kürzungen innerhalb der bestehenden Strukturen ertragen. Wenn ein echter Bruch mit der Vergangenheit gewollt ist, dann ist es nicht genug, nur eine Scheibe herauszuschneiden.“ 2 1 Wendy Brown, „American Nightmare: Neoliberalism, Neoconservatism, and De-Democratization“, in: Political Theory, 34, 2006, S. 690–714.
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Für diese rechtsgerichtete Regierung sind die Etateinsparungen kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zur Umstrukturierung des kulturellen Felds, die die progressiveren Elemente der niederländischen Kultur aussondern soll. Neben der bereits erwähnten Mehrdeutigkeit durchzieht die Debatte um die Zukunft der Kultur ein weiterer roter Faden: Kultur in der Logik des Kommerzes zu denken ist in den Medien und weiten Teilen der Öffentlichkeit mittlerweile vollkommen normal. Ein Kommentar der etablierten niederländischen Tageszeitung NRC Handelsblad zitierte das Ergebnis einer Umfrage, demzufolge 40 Prozent der niederländischen Bevölkerung Kultur als eine Form von „Unterhaltung“ betrachten.3 Der Kommentar schloss daraus auf pedantische Art und Weise, dass die KulturproduzentInnen auf ihr Publikum hören sollten – mit anderen Worten: mehr Unterhaltung. Im selben Text kommt ein Arbeiter zu Wort (ansonsten eine seltene Begebenheit im NRC), der die Meinung äußert, dass Museen abgeschafft werden sollten, weil er Bilder von den Gemälden im Internet betrachten könne. Kultur wird hier in der öffentlichen Debatte als letzte Bastion eines ungerechtfertigten Privilegs dargestellt, die dringend der Demokratisierung durch die Kräfte des freien Markts bedarf. In diesem Kontext wurde der Appell des Ministers, die Qualität eines Kulturprodukts nach der Größe des Publikums zu beurteilen, das es anzieht, zu einer akzeptablen, wenn auch nicht zur herrschenden Meinung. Kultur sollte auf Wettbewerb ausgerichtet sein, dem die Gesetze des Marktes zugrunde liegen. Jene Institutionen, denen es nicht gelänge, hohe Besucherzahlen vorzuweisen, sollten bestraft werden und nicht etwa mit Subventionen ihre Verluste ausgleichen können. „Es kann nicht sein, dass die Regierung automatisch mit Ausgleichszahlungen interveniert, wenn in einer kulturellen Einrichtung schlechtes Management herrscht.“ 4
„Unterhaltung ist Verrat“ Allen diesen Überlegungen ist gemeinsam, dass sie ignorieren, was lange Zeit als selbstverständliche Norm galt: dass die Logik der Kultur mit derjenigen des Kommerzes in Konflikt steht und als Gegengewicht zu diesem organisiert werden muss. Was wir stattdessen heute in den Niederlanden erleben, ist der vollständige Sieg dessen, was Adorno und Horkheimer negativ als Kulturindustrie beschrieben haben: die Reduzierung der Kultur auf eine Ware wie jede andere. 2 Thijs Broer, Thijs Niemantsverdriet, „Halbe Zijlstra ‚Van Gogh kreeg ook geen subsidier‘“ [Van Gogh erhielt auch keine Subventionen], in: Vrij Nederland, 72 (2), 15.1.2011, S. 24 –29. 3 „Kunstenaars moeten naar publiek luisteren“ [Künstler müssen auf das Publikum hören], in: NRC Handelsblad, 3.9.2011. 4 „Culturele Instellingen moeten van het subsidieinfuus af“ [Kultureinrichtungen müssen vom Subventionstropf ], in: Elsevier, 13.12.2010. Verfügbar online: http://www.elsevier.nl/web/Nieuws/ Politiek/283863/Culturele-instellingen-moeten-van-subsidieinfuus-af.htm?rss=true.
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Horkheimer und Adorno schreiben in Dialektik der Aufklärung im Kapitel „Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug“: „Die Unverschämtheit der rhetorischen Frage, ‚Was wollen die Leute haben!‘ besteht darin, dass sie auf dieselben Leute als denkende Subjekte sich beruft, die der Subjektivität zu entwöhnen ihre spezifische Aufgabe darstellt.“ 5 Aus Adornos Sicht ist Unterhaltung Verrat. Unterhaltung ist Kultur im Gewand eines Glücksversprechens, das im Kapitalismus nie eingelöst wird. Sie ist die Apologie der Gesellschaft, da unterhalten zu werden bedeutet, einverstanden zu sein. Im Gegensatz dazu behauptet Adorno eine kritische Rolle für die Kultur. Kultur müsse die Unzulänglichkeiten der Gesellschaft wie die des Betrachters hinterfragen. Im Lauf der Jahre ist die Hochkultur, wie sie von Schiller bis Adorno verteidigt wurde, als Projekt des Bildungsbürgertums ausrangiert worden. In Die feinen Unterschiede hat Bourdieu die Funktion der Hochkultur als Indikator für die Überlegenheit der gebildeten Klassen – und damit für die Legitimierung von gesellschaftlicher Ungleichheit – gnadenlos seziert.6 Die künstlerische Autonomie dient Bourdieu zufolge einer Kunstproduktion, die nur für diejenigen mit entsprechender kultureller Ausbildung lesbar ist. Zudem erfordere sie eine Distanz zu den natürlichen und gesellschaftlichen Grundbedürfnissen, die wiederum einzig eine ökonomisch privilegierte Stellung ermögliche. Kulturwissenschaftliche Studien haben im angelsächsischen Sprachraum eine ähnliche Rolle bei der Beseitigung von Vorurteilen bezüglich gesellschaftlicher Klassen gespielt wie bei uns. In einer ironischen Wendung der Geschichte sind diese linken Kritiken nunmehr für die rechte Offensive gegen Kunst und Kultur appropriiert worden. So kritisiert etwa Zijlstra die „altmodischen“ Argumente, um die Kürzungen staatlicher Kulturförderung zu verteidigen: „Die Leute haben mir andauernd gesagt, dass Kunst die Menschen erbaut. Wenn aber nur die höheren Einkommen die Kunst nutzen, dann verliert dieses Argument seine Gültigkeit.“ 7 In ihren Reaktionen auf die Einsparungen haben niederländische Kunstkriti kerInnen wie etwa Camiel van Winkel die Verantwortung für die gegenwärtige Krise auf die Abkehr von der künstlerischen Autonomie und die Hinwendung zu partizipatorischen Ansätzen während der 1990er Jahre geschoben: „Was stattgefunden hat, ist, dass Künstler mit ihren gesellschaftlich engagierten Projekten die Verluste ausgleichen sollten, die ihnen nach den staatlichen Ausgabenkürzungen widerfahren waren. Künstler machten sich fröhlich mit Bürokraten und Immobilienentwicklern gemein. Ein zutiefst ideologischer Diskurs 5 „Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug“, in: Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1969, S. 153. 6 Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a. M. 1982. 7 „Bezuinigingen op kunst ten dele eigen schuld“ Einsparungen in der Kunst zum Teil selbstverschuldet, in: Het Parool, 3.7.2012.
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über die heilenden Eigenschaften der Kunst machte die Runde. Die Kunst biete Identifikation und Orientierung und verstärke den gesellschaftlichen Zusammenhalt, hieß es. Eine paternalistische Haltung in der Kunst, die sich anmaßt zu wissen, was gut für die Leute ist, erscheint dem alten sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat zu ähnlich, als dass sie lange von einem neoliberalen Regime toleriert würde.“ Offenbar ist das gesellschaftliche Engagement der Künstler die Wurzel der gegenwärtigen Legitimationskrise. Die Lösung besteht in einer Rückkehr zur Autonomie: „Während der vergangenen fünfzehn Jahre war es in der Kunstwelt ein Tabu, von der Autonomie der Kunst zu sprechen. Autonomie wird von vielen mit einem rein ,selbstreferenziellen Kunstwerk‘ gleichgesetzt – ein hübsches Stück Kindergarten-Semiotik. Da die Kunst ihre Autonomie auf dem Altar ihrer gesellschaftlichen Relevanz geopfert hatte, galt es als ausgemacht, dass die Kunst damit auch ihren sakrosankten Status eingebüßt hat – wohingegen sie sich gerade in ihrer Autonomie in ihrer sozialsten Form zeigt.“ 8 Eine unkritische Rückkehr zur klassischen Auffassung von der Autonomie und Zweckfreiheit der Kunst, wie Adorno sie vertrat, bringt jedoch auch Schwierigkeiten mit sich. Zum einen ignoriert sie den neoliberalistischen Aspekt der partizipatorischen Kunst in den 1990er Jahren und identifiziert sie mehr oder weniger mit den Resten der emanzipatorischen Agenda der Sozialdemokratie. Stattdessen fiel die partizipatorische Kunst zusammen mit dem Aufkommen des Neoliberalismus, der Kunst für seine Programme der Stadtentwicklung instrumentalisierte, sei es für Immobilien-Branding, sei es als Rohmaterial für die niederländische Kreativindustrie. Zum anderen und von größerer Wichtigkeit ist die Tatsache, dass die klassische (und konservative) kantische Theorie der Autonomie alles andere als tabu ist. Vielmehr ist sie in der niederländischen Kunstszene ungeheuer populär und verhindert ein Reflektieren über den politischen Charakter der Künste.
Die Reservate der Künste Die institutionelle Kritik entlarvt die künstlerische Autonomie als grundsätzlich relativ. Bisweilen dient sie als Deckmantel für die Verwicklung der Kunst in herrschende politische und wirtschaftliche Programme, so beim Streit zwischen Hans Haacke und dem Museum of Modern Art in New York um die Immobilienfirma Shapolsky et al. Manhattan Real Estate Holdings oder auch sein Projekt On Social Grease, zu dem sich der Exxon-Manager Robert Kingsley folgendermaßen geäußert hat: „Exxons Engagement für die Künste dient als ein gesellschaftliches Gleitmittel. Soll die Wirtschaft in großen Städten auch weiterhin 8 Camiel van Winkel, „Wat er is misgegaan“ [Was schief gelaufen ist], in: MetropolisM, 4, 2011.
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bestehen, so benötigt sie eine gleitfähige Umgebung.“ 9 Im Gegensatz zu den USA, wo es vor allem der Markt und Privatpersonen sind, die sich die Schmiereigenschaften der Kunst zunutze machen, ist in den Niederlanden die Kultur eine Angelegenheit des Staats. Das heißt nicht, dass staatlich sanktionierte Kunst in den Niederlanden nirgends instrumentalisiert würde: In den 1980er Jahren zog der Kultusminister Elco Brinkman einen berühmt gewordenen Vergleich zwischen der Kunst und einem Gleitmittel, das mit Hilfe von klassischen Sinfonieorchestern, Rembrandt und modernem Tanz chinesische und japanische Handelsdelegationen anzulocken vermag. Vielmehr prägen und begrenzen der Staat und seine Fonds zur Kulturförderung die Autonomie der Künste. Diese Eingrenzung gilt insbesondere für die politische Natur der Kunst. Die niederländische Lesart der Autonomie geht von der für die Niederlande klassischen Auffassung des großen liberalen Denkers des 19. Jahrhunderts Johan Rudolf Thorbecke aus, die fordert, dass die Politik sich nicht in die Inhalte der Kunst einmischen solle. Auf der anderen Seite erwartet der Staat, dass sich die ProduzentInnen von Kunst und Kulturgütern jeglicher Einmischung in die Politik enthalten. Selbstverständlich wird dies nicht in Form eines expliziten Dogmas geäußert, sondern vielmehr als implizite und mitunter unbewusste Regel, denen sich Kunsthochschulen wie Kritiker, Kunstfonds wie Künstler freiwillig unterwerfen. Das ist der Grund dafür, dass es in den Niederlanden keine Tradition eines starken politischen Engagements in den Künsten gibt. Der Avantgarde-Kritiker Jacq Vogelaar hat einmal erklärt, dass die Regierung mit ihrer Subventionspolitik die unterschiedlichen kulturellen Disziplinen in einzelne Reservate trennt. Die entstehende relative Isolierung führt dazu, dass der gesellschaftliche Einfluss der Kunst gemindert wird. Diese Strategie der Einhegung, die Leugnung des sozialen Charakters der Kunst stellt ein wesentliches Element der niederländischen Idee von Autonomie dar, und sie wird unablässig in Kunstzeitschriften und Kritiken wiederholt. Anschaulich wird dies anhand der Rezension des hochgeachteten Kritikers Hans den Hartog Jager im NRC Handelsblad 10 zu einer Einzelausstellung des englischen Politkünstlers Mark Wallinger im Museum De Pont in Tilburg im Herbst 2011. Das Kernstück der Ausstellung ist eine geradezu liebevoll konstruierte Nachbildung der Installation des Friedensaktivisten Brian Haw, der aus Protest gegen den Irakkrieg von 2001 bis 2006 am Parliament Square in London kampierte und dort eine stetig wachsende Anzahl an Protestplakaten sammelte. Am 23. Mai 2006 waren 78 Polizeibeamte damit beschäftigt, die Installation abzutragen. Innerhalb der Bannmeile des britischen Parlaments, die auf einen Radius von einem Kilometer um den Parliament Square festgelegt 9 Hans Haacke, „On Social Grease“, in: Art Journal, Bd. 42, Nr. 2: Words and Wordworks (1982), S. 137–143. 10 Hans den Hartog Jager, „Mark Wallinger trekt de kunst in twijfel“ [Mark Wallinger zieht die Kunst in Zweifel], in: NRC Handelsblad, 27.10.2011.
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worden war, war der nicht genehmigte Protest nunmehr per Gesetz verboten. Mark Wallingers Reproduktion dieser Installation unter dem Titel State Britain ist stark symbolisch aufgeladen. Mitten auf dem Fußboden der Turbine Hall in der Tate Modern markierte der Künstler die Bannmeile mit Klebeband und machte so deutlich, dass sich die Hälfte der Installation illegal innerhalb der Bannmeile befand. Was immer man von dieser Art Kunstwerk halten mag, fällt es schwer, es nicht als kritischen Kommentar auf den Zustand der britischen Demokratie zu lesen, wo das Museum als öffentlicher Raum und Schutzzone für DissidentInnen dient. Der Kurator der Tate Modern machte in diesem Zusammenhang deutlich, dass der Künstler darauf abzielte, die Forderung nach freier Meinungsäußerung anzufachen. Daher erstaunt es umso mehr, in was der niederländische Rezensent die Ausstellung verwandelt: „State Britain, wie er die Installation betitelt, ist nunmehr das pièce de résistance der Einzelausstellung Wallingers in De Pont in Tilburg. Was sogleich hervorsticht: wie impotent die Arbeit ist. Nicht nur, weil State Britain zu groß ist und zu laut brüllt, sondern insbesondere, weil es emphatisch fehl am Platze ist in dem schönen, anständigen Tilburger Museum. Einen Augenblick lang möchte man wütend werden, sich abwenden, bis einem klar wird, dass diese Fehlplatzierung exakt dem Anliegen Wallingers entspricht: Indem die Arbeit auf diese Weise installiert wird, indem Protest in Kunst verwandelt wird, macht er deutlich, dass Haws Protest zwar ein aufrichtiger gewesen ist, jedoch auch ein vollkommen machtloser Aufschrei – und in genau dieser Hinsicht der Kunst überraschend ähnlich ist.“ 11 Die erste Reaktion des Kritikers ist die beinahe klassische bürgerliche Entrüstung angesichts der Entweihung der hehren Kunstsphäre – eines „schönen“ und „anständigen“ Museums – durch ein Artefakt aus der Alltagswelt (ein Objet trouvé, wenn man so will). Das Kunstwerk wird als Störung empfunden, als unbefugtes Eindringen in das Museum. Andererseits bemüht sich der Kritiker, das Kunstwerk als Ausdruck der Ohnmacht zu interpretieren. Damit wird die Arbeit für ihn zu etwas Harmlosem ohne jede politische oder ästhetische Kraft. Nachdem er so die Arbeit des Künstlers auf das Thema der Machtlosigkeit reduziert hat, empfindet den Hartog Jager „sofort größere Sympathie gegenüber seinem Werk“.12 Das Motiv der Machtlosigkeit ist freilich eine Erfindung des Kritikers und hat wenig mit dem Anliegen und der Kunstpraxis Mark Wallingers zu tun. Wallinger ist es gelungen, mit seinem Exponat eine Kontroverse erheblichen Ausmaßes auszulösen, die weit über die Kunstwelt hinaus Resonanz fand. 2007 bekam Wallinger für State Britain den Turner Prize zugesprochen. Das Kunstwerk verbindet der Jury zufolge „eine kühne politische Aussage mit der Fähigkeit
11 Ebd. (Übers. VE). 12 Ebd. (Übers. VE).
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der Kunst, grundlegende menschliche Wahrheiten auszudrücken“.13 Auch hier fällt die Analyse Hans den Hartog Jagers entschieden anders aus: „Ebenso wie Haw ein Außenseiter in der Welt der Politik ist, der nichts anderes auszudrücken hatte als seine Inspiration, seine Ehrlichkeit und vielleicht sogar die Wahrheit in der fraglichen Sache, scheint Wallinger eine ähnliche Geisteshaltung an den Tag zu legen. Seine gesamte Ausstellung ist davon durchzogen: Was immer man als Künstler tut, wie laut man auch brüllt, es ist unmöglich, wirklich Einfluss auf die Welt auszuüben, eine Spur zu hinterlassen, die außerhalb der Kunst von Bedeutung ist.“ 14 Eine oft gehörte Kritik lautet, dass die künstlerische Darstellung politischer Themen innerhalb der Museumsmauern zu einer gewissen Neutralisierung ihrer Bedeutsamkeit führt. Man denke etwa an Walter Benjamins Bemerkungen zur Fotografie der Neuen Sachlichkeit, die ihm zufolge „auch noch das Elend, indem sie es auf modisch-perfektionierte Weise auffasste, zum Gegenstand des Genusses“ machte, womit sie nichts anderes auszusagen in der Lage war als: „Die Welt ist schön.“ 15 Hier jedoch ist es der Kritiker, der die Neutralisierung leistet, sie als existenzielle Vorbedingung für die Kunst selbst einfordert – gemäß Bourdieus Charakterisierung des kantischen Autonomiegedankens als „Verweigerung des Gesellschaftlichen“.16 In offenem Widerspruch zum Geist der Arbeit interveniert der Kritiker selbst auf höchst ideologische Weise mit dem Ziel, ein Kunstwerk zum Schweigen zu bringen. Rezensionen von ähnlicher Art erscheinen beinahe jede Woche in der niederländischen Presse, aber es ist nicht einfach, ein anschaulicheres Beispiel für die Einkapselung der Kunst und die Neutralisierungskampagnen zu finden, derer sich die Torwächter der niederländischen Kunst- und Kulturreservate bedienen. Den Hartog Jager liefert ein Beispiel für die entpolitisierende Natur der niederlän dischen Idee von künstlerischer Autonomie, die sich um die an die Kunst gestellte Forderung dreht, sich selbst gesellschaftlich impotent zu machen, um Bedeutung generieren zu können. An diesem Punkt kehrt sich die Autonomie der Kunst gegen die kommunikative Kraft der Kunst. Es ist nicht schwer zu erkennen, wie die Auffassung von Autonomie zu dem schwachen Widerstand gegen Sparmaßnahmen und zur abnehmenden öffentlichen Relevanz der zeitgenössischen Kunst in den Niederlanden beigetragen hat. Damit eine Kunst ins Auge gefasst werden kann, die eine dringend benötigte kritische Funktion übernehmen kann, ist es erforderlich, von einem anderen Autonomiebegriff als dem beschriebenen auszugehen. 13 „Reviews roundup: Turner prize 2007“, in: The Guardian, 4.12.2007. Verfügbar online: http://www.guardian.co.uk/artanddesign/2007/dec/04/turnerprize2007.turnerprize. 14 Hans den Hartog Jager, wie Anm. 10 (Übers. VE). 15 Walter Benjamin, „Der Autor als Produzent“, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. II, 2, Frankfurt a. M. 1977, S. 693. 16 Pierre Bourdieu, wie Anm. 7.
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Der Künstler als „Baron in den Bäumen“ Die grundlegenden Zutaten für eine solche Vision lassen sich in den Schriften von Jacques Rancière auffinden, der erklärt, dass das ästhetische „Regime“ der Kunst von der inhärenten Verstrickung von Autonomie und Heteronomie ihren Ausgang nimmt. Autonomie bezieht sich nicht so sehr auf das Kunstwerk als vielmehr auf die autonome Stellung, die der Kunst von der Gesellschaft eingeräumt wird, wie zum Beispiel innerhalb eines Museums: ein Raum, der eine besondere Art der Erfahrung impliziert, der einen dazu anregt, den Gegenständen in ihm auf andere Weise zu begegnen als im alltäglichen Leben –„interesselos“ in den Begrifflichkeiten Kants und Schillers. Heteronomie oder Fremdbestimmung bedeutet, dass Kunst jederzeit auf das Alltägliche bezogen ist. Es ist unmöglich, Kunst abgetrennt von Alltagserfahrungen wahrzunehmen, wie etwa Landschaften, Körper, Gegenstände oder gesellschaftliche und politische Realitäten. Das Ideal der Avantgarde, Kunst und Alltag zu fusionieren, oder die dadaistische Einverleibung von Alltagsgegenständen in die Sphäre der Kunst basieren beide auf einer ähnlichen Logik der Heteronomie. Rancière formuliert: Eine kritische Kunst ist tatsächlich eine Art „dritter Weg“, eine Art von spezifischer Verhandlungsführung zwischen jenen zwei konstitutiven Politiken der Ästhetik. Diese Verhandlungsführung muss etwas von der Spannung erhalten, die die ästhetische Erfahrung zur Rekonfigurierung des kollektiven Zusammenlebens drängt, und ebenso etwas von der Spannung, die die Kraft der ästhetischen Sinnlichkeit aus den Sphären der Erfahrung abzieht. Sie muss etwas borgen aus den Zonen der Ununterscheidbarkeit in Kunst und Leben, die politische Intelligibilität provozieren. Ebenso muss sie der Separatheit der Kunstwerke den Sinn der sinnlichen Fremdheit entleihen, der politische Energien steigert. Politische Kunst muss eine Art der Collage dieser Gegensätze sein.“ 17 Rancière zufolge ist die Spannung, die aus der Verhandlungssituation zwischen Autonomie und Heteronomie resultiert, Bedingung für die Kraft der kritischen Kunst. Das lässt sich ohne Weiteres auf Wallinger anwenden: Die produktive Spannung, die von einer Ansammlung von alltäglichen Protestschildern und einer staatlichen Bannmeile ausgelöst wird, entsteht, falls diese Begegnung in einem anderen Bereich der Erfahrung reproduziert wird, der anderen Regeln gehorcht. Der Kritiker Hans den Hartog Jager hat demzufolge versucht, die Heteronomie der Arbeit Wallingers zu unterdrücken, indem er die Parallele zwi17 Jacques Rancière, „Contemporary Art and the Politics of Aesthetics“, in: Beth Hindeliter, William Kaizen, Vered Maimon, Jaleh Mansoor, Seth McCormick (Hg.), Communities of Sense. Rethinking Aesthetics and Politics, Durham/NC 2009, S. 41 (Übers. VE ).
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schen Kunst und Alltag auf deren Machtlosigkeit reduziert hat. Seine Rezension der Wallinger-Ausstellung zeigt in dieser Hinsicht, dass kritische Kunstpraxis sich der Bedingungen ihres möglichen Verständnisses vergewissern muss. Eine Kunstpraxis, die eine derart hybride Strategie verfolgt, impliziert eine Form des Engagements, die sich von der weitläufigen Auffassung absetzt, dass eine politische Haltung unweigerlich dazu führt, dass die künstlerische Autonomie geopfert wird. Es ist gerade das Festhalten an der Autonomie, die Intervention durch die Materialien der Kunst beziehungsweise in der Sphäre der Kunst, das die Spannung erzeugt, die die kritische Kraft der Intervention festlegt. In den Niederlanden ist in den vergangenen zehn Jahren das Aufkommen des sogenannten „neuen Engagements“ zu verzeichnen, das eine weitgehende Einschränkung der künstlerischen Autonomie beinhaltet. Die klassische Idee des Engagements – die auf Sartres Essay Was ist Literatur? basiert – ist ein Hybrid in dem Sinn, dass dort politische Intervention im Begriff der Autonomie von Kunst, Literatur und Universität enthalten ist. Was nun als „neues Engagement“ bezeichnet wird – analog zu internationalen Tendenzen wie etwa der partizipatorischen Kunst, der relationalen Kunst – , gibt diese Autonomie preis, um im Dienst des Staats und privater Interessen zu intervenieren. Von der niederländischen Philosophin Karen Vintges erfahren wir, dass „neues Engagement“ individuell, „post-ideologisch“ und „ethisch-spirituell“ ist.18 Die neue Idee des Engagements kennzeichnet eine Position, die von der englischen Kritikerin Claire Bishop mit der weiblichen Hauptfigur in dem Film Dogville verglichen worden ist: Ihre unkritische Sehnsucht danach, der Gemeinschaft zu dienen, fördert lediglich ihre eigene Unterwerfung.19 Eine interessante Metapher für eine gemischtere Form des politischen Engagements liefert der allegorische Roman Der Baron in den Bäumen von Italo Calvino.20 Die Geschichte setzt ein im Jahr 1767 in Ligurien, als der zwölfjährige Baron Cosimo Piovasco di Rondò von seiner sadistischen Schwester ein ekelerregendes Schneckengericht serviert bekommt. Während des sich erhebenden Streits steigt der junge Baron mit dem Versprechen auf eine Steineiche, niemals wieder einen Fuß auf den Boden zu setzen. Die Hoffnung seiner Familie, dass seine Drohung eine vorübergehende Torheit sei, wird enttäuscht. Cosimo wird den Rest seines Lebens auf den Bäumen verbringen. Zunächst stellt ihn dies vor zahllose Schwierigkeiten. Er muss lernen, auf Bäumen zu überleben, ein Lager zu finden, zu jagen und sich zu verteidigen. Seine ungewöhnliche Lage ist jedoch nicht nur eine Einschränkung seiner Fähigkeiten. Vielmehr gewährt sie ihm ungekannte Freiheiten, da Cosimo nun 18 Siehe Jeroen Boomgaard u. a. (Hg.), New Commitment in Architecture Art and Design, Rotterdam 2004. 19 Claire Bishop, „The Social Turn: Collaboration and its Discontents“, in: Artforum, Februar 2006, S. 178 –183. 20 Italo Calvino, Der Baron in den Bäumen, München 1984.
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das elterliche Anwesen verlassen hat und mit anderen Bewohnern des Tals in Kontakt kommt. Auf den Bäumen liest er Philosophie und Literatur der Aufklärung und korrespondiert mit Voltaire und Diderot über das Ideal einer universellen Gesellschaft. Aus der Höhe organisiert er die lokale Feuerwehr, hilft der verarmten Jugend beim Diebstahl von Obst, schlägt einen Piratenangriff zurück, veröffentlicht seine eigene Zeitung, unterstützt die Truppen Napoleons und entwickelt eine nicht unproblematische Liebesbeziehung zu einem Mädchen, das sich wünscht, dass er herabsteigt. Die Geschichte Cosimos sagt uns, dass es ihm aufgrund seiner Abstandsnahme, seines Lebens in einer anderen Welt, möglich wurde, eine kritische Perspektive zu entwickeln und sich mit anderen zusammenzuschließen. Nach Cosimos Tod versteht der Erzähler, sein Bruder: „[E]r hatte etwas anderes im Sinn, etwas, was alles umspannen sollte, und er konnte es nicht mit Worten sagen, sondern nur dadurch, dass er so lebte, wie er gelebt hat. Nur weil er so unerbittlich er selbst war, wie er es bis zum Tode gewesen ist, konnte er allen Menschen etwas geben.“ 21 Cosimo di Rondò vergleichbar, impliziert eine kritische Kunstpraxis die Notwendigkeit, in einer anderen Welt zunächst zu überleben, um dann aus den Baumwipfeln der Autonomie heraus Gemeinschaften zu bilden, das kritische Verständnis zu vertiefen und politisch zu intervenieren.
21 Ebd., S. 280.
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DUTCH CULTURE WARS. ON THE POLITICS OF GUTTING THE ARTS Merijn Oudenampsen
Introduction “No one is safe.” With these words Halbe Zijlstra, the State Secretary of Education, Culture and Science, announced the slashing of the cultural budget on the Dutch national news in December 2010. Whereas cutbacks are generally accompanied by at least the pretension of reluctance or regret, Zijlstra delivered the message with a sardonic smile. It’s a rather uncommon spectacle: a State Secretary of Culture who publicly flaunts his disdain for culture. Zijlstra described artists as being on a “subsidy drip” and took care to present himself as an avowed fan of Dan Brown, Tom Clancy, McDonalds, and Metallica. Known amongst artists as “Halbe the Wrecker,” he has become the embodiment of the anti-artistic and anti-intellectual sentiment in the Netherlands. Zijlstra has become the figure of the philistine that the cultured classes love to hate. And he welcomes that hatred. The slashing of the cultural budget is a symbolical centerpiece of the Dutch culture wars, initiated during the recent rightward turn in Dutch politics. It is a conflict framed along similar coordinates as its American counterpart, where the conservative Right channels popular discontent in the direction of the cultural elites, instead of the economic establishment. What distinguishes the Dutch culture wars from their inspiration on the other side of the Atlantic is that conservative Christian values are largely absent from the debate. The American focus on religious values is replaced with a secular “Judeo-Christian” anti-Islamism and opposition to multiculturalism. These differences notwithstanding, the effect is similar: the egalitarian critique of culture, described by its right-wing populist detractors as a “left-wing hobby” or an “elitist plaything,” allows the Right to push a decidedly non-egalitarian economic agenda. In this sense, the Dutch culture cuts illustrate the powerful appeal of what Wendy Brown has described as the contradictory convergence of neoliberalism and neo-conservatism.1
1 Wendy Brown, “American Nightmare: Neoliberalism, Neoconservatism, and De-Democratization,” in: Political Theory, No. 34, 2006, pp. 690 –714.
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Where the neoconservative attack on “liberal elites” allows for a popular appeal that neoliberalism would otherwise lack.
Culture ≠ commerce ≠ entertainment These contradictions are visibly present in the new art policy. It states that the cultural sector should be more entrepreneurial and attract larger audiences. At the same time, taxes on cultural products will be tripled (a measure that has been partially revoked, after the fall of the government in April 2012), turning cultural consumption once again into an elite privilege. Similarly, the art policy states that culture should be left to the market and artists should attract private funding. Then again, this does not apply to museums and the so-called “top-institutes”—the most prominent institutions for opera, dance, and classical music—the only organizations with enough public visibility and reputation to have access to private sponsorship in the first place. This contradictory character can be reduced to the three different political agendas that converge in the new art policy: a populist agenda that vilifies cultural producers as subsidy junkies on the basis of a populist friend-enemy distinction; a conservative agenda that promotes a conservative notion of culture under the rubric of cultural heritage and the preservation of the classic and elitist culture of the top-institutes (opera, ballet, classical music, fine art); and finally a neoliberal agenda that pleads for state retrenchment and appreciates culture purely on the basis of its market value and international competitiveness. The combined result of these different agendas is that the cuts disproportionally target the more experimental, contemporary, and small-scale forms of cultural and artistic production. The opposition to the cuts from within the art world is not simply directed against the twenty percent reduction of the budget. Rather, it is the explicit ideological nature of the cutbacks. According to the State Secretary, the government is cutting three times as much on art and culture as on other terrains, because otherwise it would not be possible to effect real change: “If one would choose for only six percent, the cultural world would try and accommodate the cutbacks within existing structures. If you really want to make a break with the past, taking out a slice is simply not enough.” 2 For the right-wing government, the budget reduction is not an end in itself but rather a means that serves the larger goal of restructuring the cultural field while eliminating the more progressive aspects of Dutch culture. Apart from the aforementioned ambiguity, a common thread connects the 2 Thijs Broer, Thijs Niemantsverdriet, “Halbe Zijlstra ‘Van Gogh kreeg ook geen subsidie,’” in: Vrij Nederland, 72 (2), January 15, 2011, pp. 24–29 (author’s translation).
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Dutch discussion on the future of culture. It appears to have become completely normal—in the media and amongst the wider public—to think of culture according to the logic of commerce. An editorial in the Dutch establishment newspaper NRC Handelsblad cited a poll showing that the predominant sentiment of Dutch citizens (forty percent) is to see culture as “entertainment.” 3 It went on to argue, in rather pedantic fashion, that cultural producers should listen to their public. In other words: entertain more. The same section featured an interview with a worker, otherwise a rare presence in NRC Handelsblad, who was of the opinion that museums could be abolished because he could access the reproductions on the Internet. Culture came to be represented in the public debate as one of the last bastions of unwarranted privilege, in need of democratization through the liberating force of the market. In this context, the plea of the state secretary to value the quality of a cultural product according to the size of the audience it attracts became an accepted, if not dominant position. Zijlstra reframed culture as a competitive enterprise in need of market discipline. According to this logic, those institutions that would fail to attract large audiences should be punished, not compensated with subsidies. In the words of Zijlstra: “It cannot be so, that the government intervenes as an automatic compensation when bad management of a cultural institution occurs.” 4
“Entertainment is betrayal” What all these arguments have in common is that they ignore what was long taken as a given: that the logic of culture is at odds with that of commerce and needs to be organized as its counterweight. Instead, what we experience presently in the Netherlands is the complete victory of what Adorno and Horkheimer described in negative terms as the “culture industry”: the reduction of culture to a product like any other. In their “Culture Industry: Enlightenment as Mass Deception” essay, Adorno and Horkheimer write: “The shamelessness of the rhetorical question ‘What do people want?’ lies in the fact that it appeals to the very people as thinking subjects whose subjectivity it specifically seeks to annul.” 5 In their view, entertainment is betrayal.6 It is culture packaged as a promise of happiness that capitalism never quite delivers. It is society’s apologia, for to 3 “Kunstenaars moeten naar publiek luisteren,” in: NRC Handelsblad, September 3, 2011. 4 “Culturele Instellingen moeten van het subsidieinfuus af,” in: Elsevier, December 13, 2010. Available online: http://www.elsevier.nl/web/Nieuws/Politiek/283863/Culturele-instellingenmoeten-van-subsidieinfuus-af.htm?rss=true, author’s translation. 5 Max Horkheimer and Theodor W. Adorno, Dialectic of Enlightenment. Philosophical Fragments, trans. by Edmund Jephsott, Stanford, 2002. 6 Theodor W. Adorno, The Culture Industry, London, 1991.
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be entertained means to be in agreement. In contrast, Adorno and Horkheimer maintain a role for culture as critique. Aesthetic experience, in this perspective dating back to the Romantic tradition, is invested with emancipatory potential. Over the years, the high culture that Adorno defended, if not for its social premises, then for the superiority of its form, has been shelved as a bourgeois project. In Distinction, Bourdieu mercilessly dissected the function of high culture as a marker of the superiority of the educated classes, thereby legitimating social inequalities.7 According to Bourdieu, artistic autonomy serves to produce art that is only legible by those with a proper aesthetic education, requiring a distance from the necessities of everyday life that economic privilege allows for. Cultural studies played a similar role in critiquing culture for its class bias in the Anglo-Saxon world. In an ironic twist of fate, these leftist critiques have now been recuperated in the right-wing offensive against art and culture. Zijlstra defends his cuts by lamenting the “old fashioned” arguments for cultural funding: “People continuously told me that art serves to elevate the people. But if only the higher incomes make use of art, this argument no longer holds true.”8 In response to the cutbacks, prominent Dutch art critics such as Camiel van Winkel have blamed the present crisis on the departure from artistic autonomy and the turn towards participatory art in the 1990s: “What happened is that artists, with their socially engaged projects, were supposed to set off the damages incurred after state retrenchment. Artists happily joined with bureaucrats and real estate developers. A heavily ideological discourse circulated concerning the healing properties of art; art supposedly offered identification and orientation, and strengthened social cohesion. A paternalistic art practice that pretends to know what is good for the people, appears too much like the old social-democratic welfare state to be tolerated for long by a neoliberal regime.” Apparently it is the social engagement of artists that has caused the present legitimacy crisis. The solution is a return towards autonomy: “Over the past fifteen years it has been a taboo in the art world to speak of the autonomy of the arts. Autonomy is equated by many with ‘an artwork that only refers to itself’—a nice piece of toddler semiotics. By sacrificing the autonomy of the arts to its social relevance, it was taken for granted that art lost its sacrosanctity, while autonomy is exactly where art shows itself in its most social form.” 9 There is a problem in the uncritical return to a classic notion of autonomy and the purposelessness of the pure work of art that Adorno maintained. It ignores the neoliberal nature of artistic participation in the 1990s, mistakingly equating it with the leftovers of the emancipatory agenda of social democracy. The 7 Pierre Bourdieu, Distinction, a Social Critique of the Judgement of Taste, Cambridge, 1979/1984. 8 “Bezuinigingen op kunst ten dele eigen schuld,” in: Het Parool, July 3, 2012 (author’s translation). 9 Camiel van Winkel, “Wat er is misgegaan,” in: MetropolisM 2011, p. 4 (author’s translation).
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emergence of participation as a dominant practice in contemporary art instead coincided with the embrace of neoliberalism in the politics of the Third Way. Art was instrumentalized for the sake of urban development agendas, real estate branding, or as a form of raw material for the Dutch creative industries. Moreover, the classic (and conservative) Kantian view of autonomy is far from a taboo in the Dutch art world. In fact, it is immensely popular and forestalls reflection on the political nature of the arts.
The reserve of the arts Institutional critique has revealed artistic autonomy to be an inherently relative notion. At times, the idea of autonomy even serves as a smokescreen that obscures the entanglement of art with dominant political and economic agendas. The classic example is Hans Haacke’s conflict with the Museum of Modern Art, New York, about Shapolsky et al. Manhattan Real Estate Holdings or his project On Social Grease, which quotes Exxon executive Robert Kingsley as follows: “Exxon’s support of the arts serves the arts as a social lubricant. And if business is to continue in big cities, it needs a more lubricated environment.” 10 As opposed to the US, where primarily the market and private individuals aim to make use of the lubricating qualities of art, culture is a state affair in the Netherlands. This does not mean that state-sanctioned art is not instrumentalized. In the 1980’s, the Dutch Minister of Culture, Elco Brinkman, famously compared art to a lubricant, using a combination of classical orchestras, Rembrandt, and modern dance to entice Chinese and Japanese trade delegations. Instead, the state and its cultural funds both shape and curtail the autonomy of the arts. This curtailment applies specifically to the political nature of art. The Dutch interpretation of autonomy departs from the classical notion of the nineteenth century liberal Thorbecke, that politics should not concern itself with the content of art. On the other hand, it is expected of artistic and cultural producers not to meddle with politics. Of course this does not take the form of an explicit dogma, rather an implicit and sometimes even unconscious rule that art schools, critics, funds, and artists all subscribe to. It is the reason why the Netherlands has no strong tradition of political engagement within the arts. As the avant-garde literary critic Jacq Vogelaar once explained, through its subsidies, the government organizes the different cultural disciplines into separate reserves. Relative isolation leads to a negation of the social impact of art. Such a strategy of containment, the denial of the social nature of art, forms 10 Hans Haacke, “On Social Grease,” in: Art Journal, Vol. 42, No. 2: Words and Wordworks (1982), pp. 137–143.
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a core element of the Dutch notion of autonomy that one finds repeated incessantly in art magazines and art critics’ reviews. A prime example is the review of the solo exposition of the English artist Mark Wallinger at museum De Pont in Tilburg, written by the established critic Hans den Hartog Jager in the NRC Handelsblad .11 The centerpiece of the exhibition is a carefully constructed imitation of the protest installation of Brian Haw, a demonstrator against the Iraq War, who resided full-time on Parliament Square from 2001 to 2006 with an ever-growing collection of protest signs. On the 23rd of May, 2006, 78 officers were deployed to take down the installation. Under the Serious Organised Crime and Police Act 2005, unauthorised demonstrations within a one-kilometer radius of Parliament Square had become prohibited. Mark Wallinger’s reproduction of this installation under the title State Britain is, of course, charged with symbolic meaning. According to the press release of Tate Britain, the exclusion zone ran right through the middle of the Duveen Hall. Mark Wallinger had marked the one-kilometer radius with tape, exposing that half of the exposition illegally resided in the no-protest zone. Whatever one might think of the nature of the art work, it is difficult not to read it as a critical comment on the state of British democracy, in which the museum functions as a replacement for public space and as a shelter for critical dissent. The curator of Tate Modern mentioned that the artist’s aim was to foment debate on freedom of speech. It is surprising what den Hartog Jager transforms it into: “State Britain, as he titled the installation, is now the pièce de résistance of the Wallinger solo exposition in De Pont in Tilburg. What stands out immediately: the work’s impotence. It’s not only because State Britain is too large and screams too loud, but especially because it is emphatically placed in the wrong spot: in that beautiful, decent Tilburg museum. For a moment, you are inclined to get angry, to turn your back, until you realize that this misplacement is exactly Wallinger’s intention: by setting up the work in such a way, by transforming protest into art, he shows that Haws emotional protest was indeed sincere, but an utterly powerless primal scream—and in that respect, surprisingly resembles art.” 12 The critic’s first reaction evinces an almost classic bourgeois indignation about the desecration of the sphere of the arts—a “beautiful” and “decent” museum —by an artifact from everyday life. Den Hartog Jager perceives the work as an interruption, an unwarranted intrusion into the museum. The critic’s ability to interpret the artifact as an expression of impotence reassures him, thus rendering the artwork harmless and ridding it of any aesthetic and political power. After reducing the artist’s work to the theme of powerlessness, and thus 11 Hans den Hartog Jager, “Mark Wallinger trekt de kunst in twijfel,” in: NRC Handelsblad, October 27, 2011. 12 Ibid. (author’s translation).
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politically castrating it, den Hartog Jager becomes “immediately more sympathetic to his oeuvre.” 13 The critic invented the theme of powerlessness, which indeed has little to do with the intentions and artistic practice of Mark Wallinger, who generated controversy around his exhibit extending far beyond the realm of the arts. Wallinger was awarded the Turner Prize for State Britain in 2007. According to the jury, the artwork combined “a bold political statement with art’s ability to articulate fundamental human truths.” 14 Hans den Hartog Jager’s analysis again seems decidedly different: “Much as Haw was an outsider in the world of politics who had nothing more to express than his inspiration, his sincerity, and maybe even the truth of the matter, Wallinger seems to share a similar sentiment. This feeling pervades his entire exhibition: whatever you do as an artist, however loud you scream, it is impossible to really exert an influence on the world, to leave something behind that is meaningful outside the artistic realm.” 15 It is a recurrent criticism that the artistic representation of political subjects within the walls of the museum tends to lead to a certain neutralization of its significance. Think of Walter Benjamin and his remarks concerning the photography of the New Objectivity that even “succeeded in making misery itself an object of pleasure, by treating it stylishly and with technical perfection,” with which it managed to communicate nothing but: “the world is beautiful.” 16 Here, however, the critic performs this neutralization and even demands it as an existential precondition of art, in accordance with Bourdieu’s description of Kantian autonomy as a “denial of the social.” 17 In direct opposition to the nature of the work, the critic engages in an ideological intervention with the aim of silencing an artwork. Reviews of a similar nature appear almost every week in the Dutch press, but it is hard to find a more explicit example of the art of containment and the neutralization strategies employed by the gatekeepers of the Dutch art and culture reserves. It illustrates the depoliticizing nature of the Dutch conception of artistic autonomy, which revolves around the compelling demand that art renders itself socially impotent to generate meaning. At this point, the autonomy of the arts turns itself against the communicative power of art as such. It is not difficult to see how this vision of autonomy has contributed to the poorly argued resistance against the cuts and the declining public relevance of modern art in the Netherlands. To arrive at an art that fulfills a much-needed critical function, we need to depart from a different conception of autonomy. 13 Ibid. (author’s translation). 14 Weigand, “Reviews roundup: Turner prize 2007,” in: The Guardian, December 4, 2007. Available online: http://www.guardian.co.uk/artanddesign/2007/dec/04/turnerprize2007.turnerprize. 15 Hans den Hartog Jager, see note 11 (author’s translation). 16 Walter Benjamin, “The Author as Producer,” in: New Left Review 62, July–August 1970, p. 230. 17 Pierre Bourdieu, see note 7, p. 5.
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The artist as a “baron in the trees” The basic ingredients for such a vision can be found in the work of Jacques Rancière, who states that the aesthetic regime of art departs from the inherent entanglement of autonomy and heteronomy. Autonomy refers not so much to the artwork itself, but to the place that art is given in society. This space implies a particular sphere of experience, meaning that one is supposed to approach objects in a different, or as Kant and Schiller would say “disinterested” manner than in everyday life. Heteronomy means that art always relates to everyday life. It is impossible to perceive art separately from day to day experiences such as landscapes, bodies, objects, or social and political realities. The avantgarde ideal of the fusion of art and everyday life or the Dadaistic incorporation of everyday objects in the artistic sphere is based on a similar logic of heteronomy. According to Rancière: A critical art is in fact a sort of “third way,” a kind of specific negotiation between those two constitutive politics of aesthetics. This negotiation must keep something of the tension that pushes aesthetic experience toward the reconfiguration of collective life and something of the tension that withdraws the power of aesthetic sensibility from the other spheres of experience. It must borrow from the zones of indistinction of art and life the connections that provoke political intelligibility. And it must borrow from the separateness of art works the sense of sensory foreignness that enhances political energies. Political art must be some sort of collage of the opposites.18 According to Rancière, the tension resulting from the negotiation of autonomy and heteronomy conditions the force of critical art. It can easily be applied to Wallinger: the productive tension that a collection of everyday protest signs and a state prohibition zone incite, if reproduced in another sphere of experience that functions according to a different set of rules. The critic Hans den Hartog Jager, then, tried to suppress the heteronomy of Wallinger’s work by reducing the parallel between art and life to powerlessness. In this respect, the Wallinger review shows that critical art practice needs to ascertain the preconditions for its intelligibility.
18 Jacques Rancière, The Politics of Aesthetics, unpublished lecture at Aarhus University, Denmark, September 2003. Available online at: http://www.16beavergroup.org/mtarchive/ archives/001877.php.
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An art practice that employs such a hybrid strategy implies a different form of engagement than the commonplace notion that a political stance inherently results in a sacrifice of artistic autonomy. It is exactly the adherence to autonomy, intervening through the material or sphere of the arts, that generates the tension that determines the critical force of the intervention. In the Netherlands, the last decade has seen the arrival of the so-called “new engagement,” which implies an extensive restriction of artistic autonomy. The classic idea of engagement—based on the notion developed by Sartre—is hybrid in the sense that it implies political intervention in the autonomy of the university, literature, or the arts. What has now been called the “new engagement,” parallel to international trends such as participatory or relational art, abandons this autonomy to intervene in society in the service of the state or private actors. We learn from Dutch philosopher Karen Vintges that the “new engagement” is “post-ideological” and individually “ethical-spiritual.”19 The new idea of engagement is a position that the English critic Claire Bishop once compared with the female protagonist in the film Dogville: her uncritical desire to serve the community only furthers her subjection.20 An interesting metaphor for a more hybrid form of political commitment is the allegorical novel The Baron in the Trees by Italo Calvino.21 The story opens in Liguria in 1767 at the moment that the twelve year old baron Cosimo Piovasco di Rondò is served slugs for lunch by his sadistic sister. A fight ensues, and the young baron takes to the trees of the estate with the promise that he will never set foot on the ground again. His family’s hope that this promise derives from some sort of youthful folly proves unfounded: Cosimo will live in the trees for the rest of his life. His decision initially presents him with many problems. He must learn how to survive, to make a home for himself, to hunt, and defend himself. But his unconventional position is not simply a restriction of his abilities. It increases his freedom of movement, since Cosimo is now able to leave his parents’ estate and associate with other inhabitants of the valley. On the trees, he reads enlightenment philosophy and literature and corresponds with Voltaire and Diderot on the ideals of a universal society. From the treetops he organizes a local fire patrol, helps the impoverished youth steal fruit, fights off a pirate raid, publishes his own newspaper, helps Napoleon’s troops, and develops a troubled love affair with a girl who would prefer that he come down. What the tale of Cosimo tells us is that by taking distance, by living in another world, he was able to develop a critical perspective and associate with others. At the end of his life, Cosimo understands “something that was all-embracing, and 19 See Boomgaard et al. (eds.), New Commitment in Architecture Art and Design, Rotterdam, 2004. 20 Claire Bishop, “The Social Turn: Collaboration and its Discontents,” in: Artforum, February 2006, pp. 178–183. 21 Italo Calvino, The Baron in the Trees, Boston, 1977/1957.
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IDEOLOGIE UND ARBEITSVERHÄLTNISSE he could not say it in words but only by living as he did. Only by being so frankly himself as he was till his death could he give something to all men.” 22 Similarly, critical artistic practice implies the need to survive in a different world—and subsequently to associate, to deepen critical understanding, and to intervene politically, from the treetops of autonomy.
Für wen arbeiten wir? Während der Respektmärsche niederländischer Reinigungskräfte waren die Gesichter in der ersten Reihe der Demonstrationszüge häufig dieselben. Leyni, Laura, Hassan, Thijs heißen einige von ihnen. Diese Putzfrauen und -männer trotzten der Kälte, um den ihnen gebührenden Respekt einzufordern. Wie schon 2010 traten sie in einen Streik, weil ihnen klar geworden war, dass im derzeitigen Klima der niederländischen Gesellschaft mit Gesprächen allein keine besseren Arbeitsbedingungen zu erreichen waren. Ihr ArbeiterInnenkampf begann am 2. Januar 2012 und dauerte 105 Tage. Das Ergebnis war ein verbesserter Tarifvertrag. Wichtiger als dieser war jedoch die daraus resultierende Aufmerksamkeit und das Bewusstsein, gemeinsam eine Gewerkschaft, eine Bewegung bilden zu können, die kollektiv zu einer Verbesserung ihrer aller Lebenswirklichkeit beiträgt. Die Bilder machen es deutlich: Was wir hier sehen, sind nicht die Niederlande der sogenannten Elite, sondern tatsächlich eine neue, verwandelte Arbeiterklasse – zu großem Teil mit Migrationshintergrund, an die absurdesten Arbeitsverträge gebunden und das zu minimalen Löhnen. Und ich, ein Künstler, arbeite für sie! Ist es überhaupt möglich, in den Niederlanden schlechtere Arbeitsbedingungen zu finden als die von Reinigungskräften? Ja, es ist. Nur ein Beispiel: Niederländische Kunstinstitute entschließen sich heute immer öfter, ihre AssistentInnen als PraktikantInnen zu beschäftigen. PraktikantInnen übernehmen heute häufig die Arbeit von Angestellten. Der einzige Unterschied liegt im Einkommen: PraktikantInnen arbeiten unbezahlt. Demnach sind die katastrophalen Arbeitsbedingungen des niederländischen Reinigungspersonals weder außergewöhnlich noch einzigartig. Unsere gesamte Gesellschaft hat sich seit den 1990er Jahren unter den neoliberalen Ideen von Management verwandelt. Im Reinigungssektor wurden die Putzkolonnen zunehmend aus den Unternehmen ausgelagert, sodass sie sich auf dem freien Markt im Bemühen um Aufträge zur Reinigung dieses oder jenes „Objekts“ gegen Mitbewerber durchsetzen mussten. Dementsprechend fielen die Tarife für Reinigungsarbeiten – und dies bedeutete für die einzelne Reinigungskraft, mehr Arbeit in weniger Zeit erledigen zu müssen. Die gesteigerte Arbeitsbelastung zeigt sich in den Tatsachen, die uns täglich begegnen: schmutzige Züge, dreckige Bürotoiletten. In den Künsten führten die neoliberalen Spielregeln dazu, dass wir uns gezwungen sahen, uns um unsere Karriere sorgen und diese zum Zweck
22 Ibid., p. 214.
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unseres Handelns machen zu müssen. Unsere Namen mussten Bekanntheit erlangen. Wir wurden zu unseren eigenen Marken und mussten unsere eigenen Interessen wahrnehmen. Wir waren künstlerische Einzelkämpfer – dazu verdammt, wie Unternehmer zu denken und zu handeln. Kunst als Raum für Reflexion und als Gedanke, der zur Tat wird, verloren an Bedeutung. Die Vorstellung, dass Kunst einen Beitrag zum gesellschaftlichen Wandel leisten könnte, verschwand vollständig. Selbstverständlich existierten nach wie vor Menschen, die ein Interesse an politisch engagierter Kunst hatten, Denker wie Rancière waren uns immer noch willkommen. Ihr kritisches Denken wurde letztlich aber neutralisiert, reduziert auf die von den Kunstinstituten vorgegebenen Themen. Gesellschaftlich engagierte Kunst wurde zur gesellschaftlich isolierten Kunst. Linker Formalismus, wie es die Russen nennen. Der Prozess der Individualisierung war von großer Wirkung auf unser Leben. Wir verfielen in eine Haltung, „uns mehr und mehr anstrengen zu müssen“. Mehr als je zuvor wurden wir zu Rivalen. Konkurrenz untereinander wurde zur normalen Umgangsform. Und je mehr sich jede/r Einzelne auf die eigene Karriere besann, desto mehr isolierten wir uns von der Gesellschaft. Wir richteten uns auf die internationale Kunstszene aus, deren Normen und Maße ganz offensichtlich nicht in unserer Umgebung verankert waren. Die Öffentlichkeit konnte die Sprache, derer wir uns bedienten, schon lange nicht mehr verstehen. In den letzten Jahren ist deutlich geworden, dass wir mehr mit den Putzleuten gemeinsam haben, als uns lieb ist. Wir arbeiten in einem Niedriglohnsektor. Wir füllen die Lücken aus, die von einer im Rückzug befindlichen Regierung hinterlassen wurden. Wir arbeiten für Spekulanten, ihre Projektmanager und die Realisierung der Investitionen von Werbefachleuten. Wir schaffen kulturelle Legitimität für autoritäre Beamte oder für das soziale Profil einer Tochter eines argentinischen Kriminellen. Diese Dinge bieten uns einen gewissen Status, aber wir arbeiten umsonst, und in der Wettbewerbswirtschaft ist das Individuum allein verantwortlich, wenn etwas schiefgeht. Wir KünstlerInnen und KulturarbeiterInnen analysieren unsere Arbeitsbedingungen heute nicht genug. Vor zwei Jahren beschloss die liberale Regierung, toleriert von ihren rechtspopulistischen Förderern, den Sonderstatus des Künstlers abzuschaffen. Sie entschieden, dass das System der Sozialleistungen für diese Parasiten geändert werden müsse und von nun an der Markt darüber entscheiden werde, welche Kunst gut und welche schlecht ist. Auf dem
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Titelblatt der liberalen Tageszeitung NRC stand zu lesen: „Endlich, weniger Kunst“. Wir waren von unseren liberalen Freunden verraten worden, die uns so lange gestattet hatten, selbstbestimmt zu arbeiten. Wir Künstler gingen aus Protest auf die Straße. Und sehr schnell stellten wir fest, wie schwer es für uns war, uns zu organisieren, ein Gegengewicht zu bilden. Und wir mussten feststellen, dass wir derart international ausgerichtet waren, dass wir vergessen hatten, wie man mit den Menschen von nebenan kommuniziert. Wie sollten wir ihnen also erklären, was unsere Ziele sind oder warum wir glauben, dass Menschen Kunst brauchen? Leyni, Laura, Hassan, Thijs – diese Putzleute brauchen Kunst. Sie wollen Geschichten hören, wollen denken. Ihre Arbeit ist stumpfsinnig, die Bedingungen stumpfen sie weiter ab, sie wiederzubeleben geht nur durch neue Erfahrungen und Perspektiven. Obwohl sie im Ruf stehen, konservativ zu sein, haben sie mich gefragt, für sie zu arbeiten, mich ihrem Kampf anzuschließen und eine neue Bildsprache zu erfinden, durch die sie über ihre Lebenswirklichkeit sprechen können, um diese zu verändern. Und sie bezahlen mich dafür. Die Entscheidung fiel mir nicht schwer. Wer will schon weiterhin gegen Niedriglohn für Menschen arbeiten, die einen ein ums andere Mal verraten? Ich will damit nicht sagen, dass wir in Zukunft nur noch außerhalb der Kunstwelt arbeiten werden. Aber wir müssen darüber nachdenken, für wen wir arbeiten wollen. Wir müssen das Kritische wieder mit dem Praktischen verbinden, unsere Praktiken wieder mit den Menschen in unserer Umgebung verknüpfen – innerhalb und außerhalb der Institutionen. Die Zeit ist reif, um die ewig gleichen Kreise hinter uns zu lassen. Und für alle diejenigen, deren Traum von der internationalen Karriere sich noch nicht in Luft aufgelöst hat, gilt die Parole: „Die Karotte, die dir versprochen wurde, sie ist längst weg!“ – eine Wortschöpfung der Brigade des ArbeiterInnenprekariats. Matthijs de Bruijne
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For whom are we working?
Quellen León Ferrari (1973), „Tucumán Arde – Arg, respuesta a un cuestionario“, siehe: http://www.icaadocs.mfah.org/icaadocs/THEARCHIVE/ FullRecord/tabid/88/doc/761415/language/en-US/Default.aspx. Angela McRobbie (2003), „Everyone is Creative. Artists as Pioneers of the New Economy?“, siehe: http://www.k3000.ch/becreative/texts/text_5.html. Merijn Oudenampsen (2011), „Monsterpolitiek, de strategie van het dubbele perspectief“, siehe: http://www.jaarboekkritiek.nl/images/jaarboeken/2011/kritiek%20 2011_075_oudenampse.pdf. The Precarious Workers Brigade, siehe: http:://www.precariousworkersbrigade.tumblr.com/texts.
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During the Marches of Respect by Dutch cleaners, the people at the front of the marches were often the same. Leyni, Laura, Hassan, Thijs are a few of their names. These cleaners walked through the cold to demand the respect due to them. As in 2010, they were on strike because they had become aware that dialogue in the current conditions of Dutch society does not earn you better working conditions. Their strike action began on January 2, 2012, lasted 105 days, and resulted in an improved contract. More importantly, it resulted in a broader awareness, the awareness of forming a union together, a movement to collectively improve your reality. The images make it clear: what we see here is not the Netherlands of the so-called elite, but in fact a new, transformed working class. Mostly migrant, working under the oddest of labour contracts, and of course for a minimum wage. And I, as an artist, am working for them! Is it possible to find worse conditions of labour in the Netherlands than those of the cleaners? Yes, it is. One example: Dutch art institutes these days more and more often decide to hire their assistants as interns. Interns, who often will be doing the work of a departed paid employee. The only difference is one of income: the intern will be unpaid. So the awful labour conditions that Dutch cleaners deal with are not singular and unique. Our entire society has been transformed at the hands of neoliberal ideas of management since their introduction in the nineties. In the cleaning sector we saw the emergence of outsourced cleaning companies competing on the free market to obtain cleaning contracts for this or that “object.” The rates for cleaning work started to decline, and for the individual cleaner, this meant more work in less time. An increased workload results in the things we see: dirty trains, filthy toilets in offices. In the arts, the neoliberal rules implied that we had to start worrying about our career, to make that the final object of our activity. We had to get our names known. We became our own brands and had to look out for our own interest. We were artistic individuals, entrepreneurs. Art as a space for reflection and thought-that-acts was removed from center stage. The idea that art could contribute to change disappeared completely. Of course, there were still people interested in socially engaged art, thinkers like Rancière could depend on our welcome, but their critical thoughts ended up being neutralised, reduced to themes/topics in the art institutes. Socially
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engaged art became socially isolated art. Leftist formalism, as the Russians have a way of expressing it. The process of individualisation had a great impact on our lives. We got the “must try harder and harder” mentality. More than ever we became each other’s rivals, competing amongst ourselves became a normal form of contact. And the more we focused on our own individual career, the more we isolated ourselves from society. We were targeting the international art world, whose standards and units of measurement were clearly not anchored in our own environments. The public could no longer read the language we produced. The last couple of years it has become fairly clear that we have more in common with these cleaners than we would like to admit. We work in a low-pay sector. We are filling the gaps left by a government in retreat. We are working for citymarketeers, project managers, and to realize the investments of advertising agents. We are creating cultural legitimacy for collectors, social legitimacy for authoritarian public officials, or create the social profile of a daughter of an Argentinean criminal. These things offer us status, but we are working for nothing, and in the competitive economy the individual only has himself to blame if something goes wrong. We artists and cultural workers at present do not sufficiently analyze our own working conditions. Two years ago, the liberals in government, enabled by their right-populist support, decided that the special status of the artist would come to an end. They determined that the system of benefits for these parasites would have to change, and that from now on it would be the market that would decide which art was good and which was bad. On the cover of the liberal newspaper NRC one could read: “Finally, less art.” We had been betrayed by our liberal friends, who for such a long time had allowed us to work autonomously. We artists went out on the street to protest. And very quickly we found out how hard it was for us to organize ourselves, to form a counterpower. And we discovered we were so internationally oriented that we no longer knew how to communicate with the people who live next door. How were we then to explain to them what our goals were, or why we think people need art? Leyni, Laura, Hassan, Thijs; these cleaners need art. They want to hear stories, want to think. Their work is dull and the conditions numbing, revival only comes through new experiences and perspectives. While they are considered to be conservative, they have asked me to work for them, to join their fight
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and to invent a new imagery, a new language to talk about their reality in order to change it. And they will pay for that. This was a simple choice: do you want to continue to do low paid work for a group of people that is betraying you time after time? I am not saying that in the future we will only be working outside of the art world. But we do have to think for whom we want to work. We have to reconnect the critical with the practical, to reconnect our practice with the people around us. In and outside of the institutes. The time has come to collectively start moving outside of our same old circles. And for those whose career-dream has not yet evaporated, there is this slogan coined by the Precarious Worker’s Brigade: “The carrot you were promised has already gone off!” Matthijs de Bruijne
References León Ferrari (1973), “Tucumán Arde – Arg, respuesta a un cuestionario.” See: http://www.icaadocs.mfah.org/icaadocs/THEARCHIVE/ FullRecord/tabid/88/doc/761415/language/en-US/Default.aspx. Angela McRobbie (2003), “Everyone is Creative. Artists as Pioneers of the NewEconomy?”. See: http://www.k3000.ch/becreative/texts/text_5.html. Merijn Oudenampsen (2011), “Monsterpolitiek, de strategie van het dubbeleperspectief”. See: http://www.jaarboekkritiek.nl/images/jaarboeken/2011/kritiek%20 2011_075_oudenampse.pdf. The Precarious Workers Brigade. See: http:://www.precariousworkersbrigade.tumblr.com/texts.
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DER ARGE WEG ZUR ERKENNTNIS. DRAMATISIERUNG EINES VORTRAGS ÜBER THE ACADEMY AND THE CORPORATE PUBLIC – IN ZWEI TEILEN Stephan Dillemuth
TEIL I – DIE AKADEMIE Forschung, Boheme und Selbstorganisation Als Teil meines aktuellen Forschungsprojektes The Academy and the Corporate Public möchte ich über die Beziehung zwischen der Akademie (als einem diskursiven Feld der bildenden Künste) und einer Öffentlichkeit sprechen, die durch die Einflüsse einer corporaten Weltökonomie eine grundlegende Veränderung erfährt. Ich glaube, dass diese Veränderung eine andere Funktion der Kunst, eine andere Auffassung von der Rolle des Künstlers/der Künstlerin in der Gesellschaft und eine andere Qualität von Lehre und Forschung zur Folge hat. Welche Rolle spielen institutionelle Forschung, Selbstorganisation und die Boheme in dieser Entwicklung? Zur Situation in Deutschland: Der Herbst 2009 brachte breite Proteste und Hochschulbesetzungen, die an der Kunstakademie in Wien begonnen hatten und sich auf die Universitäten Europas und sogar auf die USA ausdehnten. Diese Besetzungen sind dem Bologna-Prozess geschuldet, der aufgrund der Vereinheitlichung des europäischen Hochschulwesens die Warenförmigkeit von Bildung institutionell festschrieb. Ein hochschulpolitisches Versagen in jeder Hinsicht.
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* Zum einen bedeutet die Einführung von Bachelor-/Master-Modulen und Creditpoints einen Bruch mit der Humboldt-Tradition, auf die Deutschland seit jeher so stolz war. Diese Tradition verstand „Bildung“ als ein ganzheitliches Projekt, das dazu befähigen sollte, sich als autonomes Individuum im Hinblick auf sein Menschsein selbst auszuformen. Dieser Bildungsbegriff ist heute einer technokratischen Aus-Bildung erlegen, und die StudentInnen erkennen, dass allein wirtschaftliche Aspekte die Struktur und die Lehre der Hochschulen bestimmen. Dies ist nicht weiter überraschend, denn Bertelsmann, einer der mächtigsten Medienkonzerne, war Anstifter des Bologna-Prozesses. * Zum anderen wurden Studiengebühren eingeführt. Während StudentInnen in Deutschland bisher kostenlos studieren konnten, müssen sie jetzt durchschnittlich 450 Euro pro Semester bezahlen. Dies ist ein erster Schritt in Richtung einer allgemeinen Privatisierung von Bildung. Universitäten werden nun zu profitorientierten Wissenskonzernen. * Drittens werden die demokratisch organisierten Entscheidungsorgane, welche die Hochschulautonomie garantierten, durch corporate Unternehmensstrukturen abgelöst. So wird z. B. den externen Mitgliedern der neu installierten Aufsichtsräte (Hochschulräte, Uniräte) unangemessen großer Einfluss auf die Hochschulen gewährt. An der Universität München sind z. B. Führungskräfte aus großen Konzernen, wie Siemens, BMW und Roland Berger (himself!), zu Mitgliedern im Hochschulrat ernannt worden. Die verheerenden Auswirkungen der neoliberalen Politik auf Kunst, Bildungseinrichtungen und die gesamte Gesellschaft sind im Laufe der Jahre immer sichtbarer geworden. Vor dem Hintergrund des weltweiten Zusammenbruchs der Finanzmärkte scheint die corporate Infiltration aller öffentlichen Bereiche, wie z. B. der Universitäten, zu weit gegangen zu sein. Unsere Bildungseinrichtungen gleichen Ruinen gescheiterter hegemonialer Projekte: Patriarchat, Neoliberalismus und Bürgergesellschaft. Forschung könnte hier zur Untersuchung der Möglichkeiten dienen, die unter den Trümmern liegen. PROBLEME UND VORTEILE VON FORSCHUNG Doch wo und wie kann man überhaupt über Forschung reden? Wir müssen an dieser Stelle äußerst vorsichtig sein, dass wir den gegenwärtigen Hype um Forschung nicht befördern und auf diese Weise den ohnehin inflationären Begriff nicht völlig entleeren.
> Einige Probleme mit Forschung * Forschung ist zur bloßen Rechtfertigung von (künstlerischen) Projekten verkommen. * Mittlerweile muss jedes Projekt als „Forschung“ verpackt werden, um überhaupt Aussicht auf eine eventuelle finanzielle Förderung zu haben. * Ein typischer Jargon, eine Forschungsantrags-Lingo, kontaminiert alle Forschungsprojekte von Beginn an. * Forschung ist in einem curricularen Masterplan zur Pflichtübung verkommen. * StudentInnen und LehrerInnen werden zur Forschung verpflichtet. * Diese von oben verordnete Forschung muss überprüft werden. * Es werden daher Erfolgs- und Bewertungskriterien für StudentInnen und Institutionen entwickelt. Doch wie messen wir den Erfolg der Forschung? Durch ein Kredit- und Punktesystem? Durch Prüfungen und externe Evaluation? * Die Forschungsprojekte werden beurteilt und bewertet, die Universitäten selbst werden beurteilt, bewertet und in Konkurrenz zueinander gebracht. Dazu gibt es externe Unternehmen und Ratingagenturen. * Evaluierung, die von außen kommt, wird leicht zum Überwachungs- und Kontrollorgan. * Was also „Exzellenz“ genannt wird, resultiert aus Stromlinienförmigkeit und Kontrolle. * Und Kontrolle beginnt bereits dort, wo entschieden wird, welche Projekte gefördert werden sollen und welche nicht. Das bedeutet, dass bestimmte Projekte ohnehin keine Chance haben, weil sie als zu kritisch empfunden werden oder nicht der herrschenden Ideologie entsprechen. Man könnte hier von einer präventiven Zensur sprechen. * Weil meist nur Projekte gefördert werden, die Gewinn versprechen, wird schon bei Antragstellung Gewinn in Aussicht gestellt. * Der prognostizierte Profit und die Vorhersehbarkeit der Ergebnisse laufen einem ergebnisoffenen Prozess der Forschung zuwider. * Am schlimmsten aber für die beteiligten ForscherInnen ist es, dass all diese Maßnahmen den Spaß an Forschung rauben. * Sie verhindern lustbetontes Lehren und Lernen und sind für begeistertes Experimentieren kontraproduktiv. Forschen unter solchen Bedingungen ist nur noch deprimierend – vorbei ist es mit der „fröhlichen Wissenschaft“.
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> Vorteile
ARTEN VON FORSCHUNG
Auf der anderen Seite könnte Forschung viele Vorteile bieten. Denn
Im Folgenden will ich mich selbst zum Untersuchungsobjekt machen und meine Verwicklung in drei verschiedene Prozesse erörtern: Selbstermächtigung, Selbstorganisation und Forschung. Ich schlage dafür drei Kategorien vor:
* Forschung ist undurchsichtig und geheimnisvoll – also gefährlich! – wie eine Abenteuerreise in ein noch unbekanntes Gebiet. * Forschung ist ergebnisoffen, ein Endresultat lässt sich weder vorhersagen noch versprechen. Strategien und Methoden werden oft im jeweiligen Moment bestimmt oder von früheren Experimenten abgeleitet. Forschung ist oft improvisiert, sie lässt sich nicht so leicht kontrollieren, wie sich manche Geldgeber wünschen. So hat der Kybernetiker Heinz von Foerster z. B. Finanzierungsanträge für Forschungsvorhaben gestellt, deren Ergebnisse er bereits in der Tasche hatte. Auf diese Weise konnte er die bewilligten Gelder selbstverantwortlich für Projekte seiner Wahl einsetzen. * Forschung, wie ich sie begreife, muss versuchen, gegen ihre eigenen, inneren Schranken anzugehen. * Sie muss aber ebenfalls versuchen, die äußeren Restriktionen (Umgebung variablen, blinde Flecken und Kontrollmechanismen) im Hinblick auf die Forschungsergebnisse zu reflektieren und diese möglichst auszuschalten. * Forschung kann daher auch ungewöhnliche Untersuchungsmethoden anwenden: Streik, Obstruktion und Protest sind nicht nur denkbar, sie müssen als Experimente verstanden werden, die zu neuen und aufschlussreichen Erkenntnissen führen können. > Zur Notwendigkeit der Forschung in der bildenden Kunst In der bildenden Kunst können wir heute eine verbreitete „Anything goes“Attitüde feststellen eine Beliebigkeit, die alles gleich gültig und damit auch gleich langweilig werden lässt. Alles scheint erlaubt, solange es wünschenswerte neue Waren hervorbringt. In einer solchen Situation braucht die Kunst wie die Mode saisonale Hypes, um eine Sache wünschenswerter als die andere erscheinen zu lassen. Die Erkenntnisse, die man daraus ziehen kann, sind äußerst fragwürdig, oft erscheinen die Marktmechanismen interessanter als die „Innovationen“ der Kunst. Gegen die Kunst in ihrer Funktion als bloßer Ausstatter der herrschenden Marktideologie schlage ich vor, künstlerische Forschung als epis-te-mologisches Tool zu begreifen, als ein Weg zu Einsicht, Wissen und Erkenntnis, als ein Instrument zum Öffnen der Welt, als ein Theater zur Reflexion über die Rolle der Kunst als Kunst, als ein Gemälde, das uns sogar unterhalten kann.
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pubertäre, bohemistische und institutionelle Forschung. Diese Kategorien sollen aber nicht als bindende Konzepte verstanden werden, sie entspringen vielmehr einer zurückblickenden Interpretation meiner eigenen Entwicklung als Künstler (und Forscher). > Pubertäre Forschung Ausgehend von meiner Studienzeit in den späten 1970er Jahren sehe ich Phänomene oder Methoden im Bereich der bildenden Kunst, die als pubertäre Forschung verstanden werden könnten. Solche Strategien wurden seinerzeit von der Punk-Bewegung verwendet oder allgemeiner immer dann, wenn die Welt definiert, determiniert oder unzugänglich erscheint. Seit frühester Kindheit erzählen uns die Eltern, die Schule und die Medien, wie die Welt zu sehen, zu benennen und zu interpretieren sei. Jugendlichen erscheint es dann oft, als gäbe es keinerlei Möglichkeit zur subjektiven und individuellen Inbesitznahme dieser vorgefertigten Welt. Es gibt keine Leerstel len oder freien Orte, alles ist mit Definitionen zubetoniert. Es ist daher verständlich, dass sich jede junge Generation in der sie umgeben den Aussichtslosigkeit neu erfinden will. Doch wie geht das? Manchmal hilft es, die empfundene Machtlosigkeit als Hebel zu benutzen: Du hast keine Chance, aber nutze sie! Wie kann man aus der Schwäche eine Stärke machen? Pubertäre Strategien suchen Möglichkeiten, die gegebenen Definitionen zu verneinen, die (Definitions-)Macht herauszufordern und zu verhöhnen. * Wie also können Grenzen ausgelotet, provoziert und überschritten werden? * Es ist nicht notwendig zu wissen, was man will es ist notwendig zu wissen, was man nicht will. Unwissenheit kann strategisch werden: Ich weiß, dass ich nichts weiß. * Aneignung der Produktionsmittel! In den späten 1970er Jahren war die Malerei immer noch die prominenteste kulturell aufgeladene Disziplin. Das konnte man leicht umdrehen, Malerei konnte gegen die Malerei gewendet werden. Farbe war spottbillig, und Malerei war schnell gemacht, wenn sie mit der nötigen Respektlosigkeit angegangen wurde.
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* Der Code konnte also gegen den Code verwendet werden. Hässlich ist schön! Alle diese Strategien können als Prozesse der Selbstermächtigung, Selbstbildung, Identitätsbildung verstanden werden. Die Weigerung, an die alten Ordnungen zu glauben, veränderte den Status der zuvor Machtlosen. Diese Prozesse können als experimentelle Forschung begriffen werden. Ich nenne sie aus augenfälligen Gründen „pubertäre Forschung“, aber bestimmte Elemente davon sind bereits bei Kleinkindern zu erkennen: wenn sie z. B. auf dem Küchenboden herumkrabbeln, Töpfe und Pfannen aus dem Regal holen und darauf herumhämmern. Die Mutter schimpft und stellt die Töpfe wieder zurück an ihren Platz, aber nach fünf Minuten wiederholt sich die Szene und es geht so weiter, bis die Mutter dem Kind völlig entnervt Einhalt gebietet. Diese frühe Phase experimenteller Forschung probiert die Welt aus und bürstet sie gegen den Strich, sie wendet sich gegen geläufige Regeln und sondiert die Grenzen der Macht. Dieses Modell von Forschung ist an deutschen Kunstakademien ziemlich beliebt. Die meisten KünstlerInnen huldigen ihm lebenslang, denn es bestärkt das Bild des Künstlers/der Künstlerin als geniale/r DilettantIn. Und diese/r ist pubertär, antiautoritär und singulär, extrem subjektivistisch, extrem individualistisch und in gewisser Weise naiv. Aus diesen Gründen kann pubertäre Forschung nicht wirklich als Forschung im engeren Sinne verstanden werden. Es gibt keine Reflexion, kaum einen Versuch der Evaluation, kein Bewusstsein in der Rolle des Forschers/der Forscherin und keine Reflexion über diese Rolle. > Bohemistische Forschung Friesenwall 120 war in den frühen 1990er Jahren ein leer stehendes Ladenlokal in Köln, wo ich mit den Künstlern Josef Strau, Nils Norman, Kiron Khosla und Merlin Carpenter zusammenarbeitete. Von Anfang an empfanden wir die Möglichkeiten einer Galerie oder einer Produzenten-Galerie als unattraktiv. Letzteres ist eine von KünstlerInnen betriebene und finanzierte Galerie, die dort ihre eigenen Arbeiten und die von FreundInnen ausstellen. In unseren Augen wäre dies weniger Selbstorganisation als Selbsthilfe, ein Versuch also, den gängigen Habitus und die Verfahrensweisen der kommerziellen Kunstwelt zu kopieren, um daran teilzuhaben. Um möglichst andere Wege zu beschreiten, mussten wir die normative Qualität dieser Formate ablehnen und untersuchen, wie sie Kunstobjekte, Waren und deren Rezeption definieren. In unserer halböffentlichen Situation gelang es, mit den Bedingungen des Raums selbst zu experimentieren und Situationen zu schaffen, die dazu anregten, sich untereinander auszutauschen und sich an den Experimenten zu beteiligen.
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Der Raum wurde also zu einer Art Treffpunkt, zu einem Ort des gemeinsamen Abhängens und Arbeitens. Um diese Aktivitäten herum entstand eine Art Szene, die den Raum wiederum konstituierte. Diese wechselseitige Konstituierung könnte man sowohl als Selbstlegitimierung als auch als Bildungs-, Formungs- und Wachstumsprozesse begreifen. Gleichzeitig funktionierte der Raum auch als ein Archiv, das die darin stattfindenden Aktivitäten einerseits befeuerte und sie andererseits dokumentierte. Bald stießen wir auf andere selbstorganisierte Projekte. Das waren Fanzines und Räume in Wien, Hamburg, Berlin und KünstlerInnen, die gerade ein elektronisches Netzwerk aufbauten, das „The Thing“ genannt wurde. Nach Fohrmann/Schüttpelz nenne ich diese Aktivitäten „bohemistische Forschung“. * Weil sie in einem bohemistischen Kontext zu lokalisieren ist. * Hier finden sich die beteiligten Personen durch Wahlverwandtschaften. Sie teilen eine ähnliche Problemlage, aber sie bringen unterschiedliches Wissen und verschiedenste Hintergründe mit. Damit die gegenseitige Anziehung in einen zunehmend differenzierten Diskurs münden kann, müssen die Beteiligten ausreichend unterschiedlich, aber auch ähnlich genug sein. * Dies kann in eine produktive kollektive Arbeit münden, die ich hier „Forschung“ nenne. * Diese Arbeit erfolgt im Selbstauftrag, sie ist weitestgehend von den Dynamiken der Gruppe selbst bestimmt. * Meist geht es um die Erforschung von Problemen, die auf der Hand liegen, die also der täglichen Lebenspraxis entspringen. Es ist die Erforschung des Lebens durch das Leben. Fast alle Avantgardegruppen des 20. Jahrhunderts (die Surrealisten, Situationisten, Kommune 1 etc.) haben solch kollektive Forschungsmethoden praktiziert. In dieser Forschung gibt es kritische Werkzeuge zur Selbstbeobachtung und -analyse (Archive, Protokolle und Tagebücher), Planungsstrategien und Methoden zur Durchführung von Experimenten. Es gibt Verfahren und Kriterien zur Evaluation, die zu weiteren Experimenten führen können. Hier finden wir ein für das Forschen notwendiges Bewusstsein. Diese Zeit bohemistischer Forschung war für mich die Erfahrung, von der ich am meisten gelernt habe. Das war meine Akademie, meine künstlerische Ausbildung. Selbstorganisation, wie ich sie begreife, ist vor allem ein Akt der Selbstbildung und Selbsterziehung, sie ist eine Möglichkeit, „Akademie zu
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machen“. Diese Erkenntnis veranlasste mich dazu, über die Akademie und ihre Geschichte nachzudenken: > Institutionelle Forschung, Exkurs Im Hinblick auf die Entwicklung der Kunstakademie und der Universität müssen wir unterschiedliche Methoden der Wissensproduktion und der Lehre unterscheiden. Die Universität hat sich in drei Phasen entwickelt: * In der scholastischen Phase wurden überwiegend christliche Dogmen ausgelegt und begründet. * In der von Humboldt geprägten Universität sollte Forschung zu einem Prozess der individuellen Selbstbildung führen. Forschung, Lehre und Lernen sollten dabei Hand in Hand gehen. Mit der Einführung des Seminars wurde auf Gruppenarbeit und einen gegenseitigen, möglichst unhierarchischen Austausch Wert gelegt. * Durch die Einführung des Bologna-Prozesses ist dieses Modell heute im Umbruch, und eine Beschreibung der neuen Rolle der Universitäten ist noch nicht ausgebildet: ** Kann man sagen, die Universität ist ein offenes System und lädt dazu ein, Communitys um Wissensproduktion herum auszubilden? ** Oder ist sie tendenziell geschlossen, und es werden Zugangsbe schränkungen zu Lehre und Forschung aufgebaut, um von dieser Verknappung zu profitieren? ** Oder wird die Universität zu einem Dienstleistungsanbieter: effektives Job-Training im Wissenskonzern? Die Akademie bildete bereits in ihren Anfängen andere Formen des Lernens aus. * Ursprünglich war die Akademie nichts weiter als ein Wäldchen gleichen Namens, in dem Plato und seine Schüler diskutierten und sich austauschten. * Im Zuge eines Plato-Revivals in der Renaissance wurde auch diese Form des geselligen Lehrens und Lernens wiederentdeckt. Die Akademien in dieser zweiten Phase nannten sich „Gelehrte Gesellschaften von Amateuren und Dilettanten“. Ihre Treffen kann man sich als informelle Veranstaltungen vorstellen. Sie sind räumlich improvisiert und zeitlich begrenzt. Und sie versuchen, die alten und verknöcherten Institutionen des Zunftwesens
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aufzulösen, was letztendlich gelungen ist. Bald gründeten die selbstorganisierten „Gelehrten Gesellschaften von Amateuren und Dilettanten“ ihre eigene Nachwuchsförderung, die sie nach Plato „Akademie“ nannten. * Diese Ausbildungsstätte formalisierte und institutionalisierte sich zunehmend, und bereits einhundert Jahre später kann die Akademie des absolutistischen Königs festgeschriebene künstlerische Regeln und Vorschriften, curriculare Strukturen und Punktesysteme vorweisen. Das ist wahrscheinlich ein vertrautes Bild: Die absolutistische Akademie findet ihren technokratischen Wiedergänger im Bologna-Prozess. Ähnlich wie heute versorgte die absolutistische Akademie schon damals die Mächtigen mit saisonalen Stilen und lieferte ästhetisches Know-how für Produktdesign, um Waren für die (ausländischen) Absatzmärkte attraktiver zu machen. * Die KünstlerInnen der Romantik wehrten sich gegen diese als technokratisch und utilitaristisch empfundene Ausbildung und propagierten dagegen eine Rückkehr zum Ausbildungskonzept der mittelalterlichen Werkstatt, wo der Meister das Monopol über die Ausbildung seiner Lehrlinge hatte. Weil das romantische, autopoietische Genie nicht lehren kann, wie man ein autopoietisches romantisches Genie werden kann, hat die Akademie bis heute keine Lehrmethoden und keine Vorstellung von Forschung. Die Lehre an der Akademie geschieht damals wie heute durch das Kopieren von Stil und Habitus des genialen Meisters/der genialen Meisterin, deshalb ist diese Akademie lediglich ein Ort der „romantischen“ Reproduktion. Dagegen sehe ich die Akademie * als einen temporären, improvisierten und selbstorganisierten Kommunikationszusammenhang. * Akademie ist keine Institution, sondern eine Aktivität: Es geht darum, „Akademie zu machen“. Dies ist eine Form des möglichst unhierarchischen Austauschs mit Gleichgesinnten, ein Prozess der Selbstermächtigung. > Institutionelle Forschung in der Kunst Nachdem ich über die Idee einer selbstorganisierten und außerinstitutionellen Akademie ein Buch herausgegeben und dieses wie ein Wanderprediger angepriesen hatte, wurde mir eine Professur an der Akademie in Bergen in Norwegen angeboten. Hier saß ich nun und überlegte, wozu diese Institution denn zu gebrauchen wäre, weil ja doch alle ihre Akademie selber machen könnten.
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Zur gleichen Zeit wurde die „Kunsthøgskolen i Bergen“ mit Forschungsgeldern beglückt und die LehrerInnen wurden aufgefordert, Forschungsprojekte auszuhecken. Halina Dusin-Woyseth wurde mir als Forschungsberaterin empfohlen. Sie sollte mir erklären, wie Forschung in einem universitären Kontext zu strukturieren sei: * Normalerweise beginnen wir unsere Forschungen in der Universität mit einem Problem, begann sie zu erzählen. (Ich räumte ein, dass ich eigentlich viele Probleme hätte.) * Dann fangen wir an zu untersuchen, wer schon einmal über ein solches Problem gearbeitet hat, wie das gemacht wurde und zu welchen Ergebnissen das geführt hat. (Das erschien mir logisch.) * Diese Untersuchung ist aber nicht Forschung, sondern nur ein erster notwendiger Schritt dorthin, Recherche. Diese Recherche kann nur Wissen zusammentragen, das bereits existiert, dagegen ist Forschung ein Prozess der Annäherung an etwas, das noch nicht existiert. (Interessant! Denn zu dieser Zeit recherchierten viele KünstlerInnen zu vielen Problemen, und oft zeigten sie lediglich ihr gefundenes Material das kann offenbar nicht Forschung genannt werden?) * Resultierend aus den Ergebnissen der Recherche wäre eine spezifische Sicht auf das Problem zu formulieren, die eine Vorstellung davon gibt, wie man sich dem Problem weiter nähern will. Man nennt das status quaestionis oder „den zu befragenden Gegenstand“. (Aha, die Problemstellung wird also anhand der Recherchelage spezifiziert.) * Für das weitere Vorgehen sollten einschlägige Methoden überlegt werden, die dem jeweiligen Fachgebiet entspringen. (Offensichtlich würden dann KünstlerInnen künstlerische Methoden verwenden!) * Interdisziplinarität ist nicht die bessere Vorgehensweise an sich, sie macht nur Sinn, wenn die eigene Disziplin zu eng geworden ist. (Dazu muss es also erst einmal Disziplinen und dazugehörendes Fachwissen geben.) * Das wichtigste Element im Forschungsprozess ist das Experiment! Experimente sind notwendig, um herauszufinden, ob der eingeschlagene Weg zur Problemlösung überhaupt zielführend ist, und auch, ob sich die Problemstellung im Lauf der Experimente vielleicht ändert. Wahrscheinlich scheitern 90 Prozent aller Experimente, aber das gehört dazu, denn sonst würde man den Prozess nicht „Experiment“ nennen. (Das macht mich froh!)
dann kann der nächste Versuch gestartet werden. Wahrscheinlich wird es zu Serien von Experimenten und Evaluierungen kommen, die den/die ForscherIn auf seine/ihre Reise ins Unbekannte begleiten. (Aber wer bewertet den Fortgang der Experimente?) * Es sind natürlich erst einmal die ForscherInnen selbst, das Team und dann eine Gruppe von Peers, welche die Experimente bewerten, dann kommen weitere ExpertInnen aus dem jeweiligen Fachgebiet, dann Institutionen und institutionalisierte KritikerInnen. Das entspricht einem konzentrischen Wachstum der Überprüfungsmechanismen, der Kritik und der öffentlichen Wahrnehmung. * Ausstellungen, Manifeste, kritische Bewertungen, Broschüren, Bücher, Webseiten und Plakate können als Teil der Experimente begriffen werden, wie sie auch helfen können, die öffentliche Wirkung der Forschung zu verstärken. Nachdem mir dieses Konzept institutioneller und universitärer Forschung vorgestellt worden war, musste ich zu meiner Überraschung eingestehen, dass ich alles, was ich gerade gehört hatte, auf meine eigene künstlerische Praxis und generell auf die Genese von Kunst anwenden konnte.
TEIL II – THE ACADEMY AND THE CORPORATE PUBLIC Mit dem in Bergen begonnenen Forschungsprojekt wollte ich untersuchen, wie sich ein durch die aktuelle Globalisierung, Privatisierung und Corporatisierung veränderter Öffentlichkeitsbegriff auf das Kunstfeld auswirkt. Die bisherige Vorstellung einer nationalen Öffentlichkeit, in der sich idealtypisch eine öffentliche Debatte konstituiert, löst sich auf. Heute müssen wir von mehreren Öffentlichkeiten sprechen, die sich entlang subkultureller, ethnischer, geschlechts- und klassenbezogener Unterscheidungen ausdifferenzieren, sich überlagern, sich vermischen oder miteinander in Konflikt geraten können. Doch was haben all diese Fragmente von Öffentlichkeit gemeinsam? Meines Erachtens ist der gemeinsame Nenner die Tatsache, dass all diese Fragmente Märkte darstellen oder dass sie als neue Märkte erschlossen werden. Ich nenne diese übergreifende Öffentlichkeit eine „Corporate Public“. Sie ist in direkter Weise in Abhängigkeit (und im Widerspruch) zu einer corporaten Ökonomie zu begreifen. Ist der Markt der einzige gemeinsame Ort, an dem sich eine übergreifende Öffentlichkeit ausbildet? Was hat das für die Kunst zu bedeuten?
* Die Reflexion über den Forschungsprozess und die Bewertung der Experimente sind für den Fortgang des Forschungsprojekts sehr wichtig. Nur
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Zeitgenössische Dystopien: Sponsoring, Branding, CSR Aber wie kam es dazu, dass Öffentlichkeit zu einer corporaten Öffentlichkeit wurde? Wie entstand die „Corporate Public“? Ruft mich als Zeugen!
Während wir stumpf vor uns hinstarren, vollzieht sich vor unseren Augen die Privatisierung der Öffentlichkeit. Wie lässt sich unsere tiefe Lähmung begreifen? Corporate Education
In den 1980er Jahren hatten wir SPONSORING:
Als die Corporations auszogen, um Erziehung, Bildung und Ausbildung zu erobern,
Hier spielen Konzerne eine noch relativ passive Rolle als Kunstförderer, als angeblich selbstloser maecenas. Dabei beweisen Forschungsergebnisse doch, dass Sponsoring eigentlich die bessere Werbung ist, denn so werden die gewünschten Zielgruppen direkter angesprochen.
* machten sie das nicht nur, um Universitäten als neue Märkte für ihre Produkte zu erschließen,
Während die Firmenlogos (und -egos) in der Folge größer werden, werden staatliche und kommunale Fördertöpfe kleiner. Öffentliche Förderer sind offensichtlich froh, wenn sie Verantwortung und Entscheidungen an die privaten Unternehmen abgeben können. Durch diesen Rückzug der öffentlichen Hand wird die Abhängigkeit vom privatwirtschaftlichen Sponsor größer. Das ist problematisch. Weil das Engagement der Sponsoren lediglich von imagebedingten Eitelkeiten oder wirtschaftlichem Kalkül abhängt, sind Entscheidungen über zu fördernde Projekte willkürlich und einseitig. Es gibt meist keine demokratische Legitimierung, keine längerfristige Finanzsicherheit. Weil alles vom Wohlwollen der Sponsoren abhängt, bleibt die Förderung ständig prekär, und das erlaubt dem Sponsor, Einfluss und Kontrolle auf die geförderten Projekte auszuüben. Dann, in den 1990er Jahren, kam BRANDING: Anstatt für sich damit zu werben, dass sie die Avantgarde durch Sponsoring unterstützen, wollen viele Konzerne nun selbst zur Avantgarde werden. Künstlerische Verfahrensweisen und emanzipatorische Strategien subkultureller Gruppierungen werden oft ungefragt für Marktstrategien vereinnahmt. Man hat KünstlerInnen nun lange genug unterstützt und studiert, jetzt kann man sich selbst wie ein/e KünstlerIn verhalten und qua künstlerischer Definition aus billigst hergestellten Produkten ungeahnte Werte schöpfen. Der Markenname funktioniert dabei als Signatur, er veredelt das Produkt. Wir sprechen von CORPORATE SOCIAL RESPONSIBILITY (CSR), wenn sich Privatfirmen in sozialen Einrichtungen engagieren und Verantwortungsbereiche öffentlicher Institutionen übernehmen. Um die Jahrtausendwende beginnen Konzerne damit, den „guten Samariter“ zu spielen und sich als Garanten im Bereich der sozialen Projekte zu präsentieren: McDonald’s betreibt ein Kinderkrankenhaus, Shell spielt sich als Retter der Umwelt auf, in Berlin wird die Universitätsbibliothek in „Volkswagen-Bibliothek“ umbenannt, und Siemens kümmert sich um die Zukunft der Kunstakademien. Ein vertrautes Bild.
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* sie taten dies auch nicht nur, um direkt von Bildungsprozessen zu profitieren, * sondern es war ihr eigentliches Ziel, die Lehre und die Strukturen der Hochschulen zu benutzen, um den „neuen Geist des Kapitalismus“ in die nächsten Generationen hineinzupflanzen. ERZIEHUNG ALS DIENSTLEISTUNG * Vergesst Bildung! Die Universitäten werden zu Dienstleistern eines rein formalen Wissens. Die Humboldt’sche Verbindung von Lehre und Forschung wird aufgelöst. Lehre wird Dienstleistung, Forschung wird in Konzerne ausgelagert. * Die StudentInnen bilden sogenanntes Humankapital, von dessen Produktion bereits Gewinne abgeschöpft werden. Als VerbraucherInnen, KonsumentInnen von Dienstleistungen, als UserInnen werden sie zur Kasse gebeten. * Dabei formt sich die corporate Aus-Bildung ihre Assets, das sind Produktivwerte, die flexibel und allgemein verfügbar gehalten werden. Dafür müssen die Assets lernen, sich selbst als Ware zu begreifen, ihr soziales und formales Wissen selbst zu aktivieren, anzupreisen und zu verkaufen. * Auch müssen sie lernen, diese Existenz als conditio sine qua non zu begreifen und sich mit den Institutionen, die das fördern, zu identifizieren. Einrichtung neuer Strukturen Anstatt ein Ort für Selbstgestaltung, für Streit und kritische Analyse zu sein, wird die Universität ein Instrument zur Herstellung einer neuen Ideologie. Und dieser Prozess, der eine Totalisierung des Marktes propagiert, ist bereits selbst ein profitabler Markt. Die bestehenden Strukturen werden dementsprechend ausgerichtet: * Der Bachelor ist eine Basisqualifikation, die den flexibilisierten „LeistungsträgerInnen“ eine Zukunft in der Job-Industrie verspricht. Mit einem vergleichsweise niedrigen und breiten Eintrittsniveau ist er relativ leicht erschwinglich.
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* Der darauf aufbauende Master dagegen qualifiziert die „Berufenen“ für ihren Beruf – hier wird der Zugang stärker begrenzt und öffnet sich nur denjenigen, die es sich leisten können. Nur etwa 40 bis 60 Prozent der BA-StudentInnen sollten in der Lage sein, in die Elite aufzusteigen. Hier liegt kein Wunder die tatsächliche Gewinnspanne.
Dies geht so weit, dass sogar die gesellschaftliche Grundversorgung (Luft, Wasser, Energie, Wohnungsbau, Medien, Gesundheitswesen, Krankenhäuser, Pflegeheime) privatisiert wird. Gehen wir davon aus, dass wir (immer noch) in einem demokratisch organisierten Gemeinwesen leben, dann kommen diese Privatisierungen einer Enteignung gesellschaftlichen Eigentums gleich.
* LLL (Lebenslanges Lernen) ist ein heiß begehrter neuer Markt. Wissen muss ständig aktualisiert werden, und im beruflichen Wettbewerb braucht man Zertifikate, die diese Updates beweisen. Für die Dauer eines Berufslebens und möglichst darüber hinaus soll man an die Versorgung mit Wissensprodukten gekettet bleiben. Die Updates können ruhig ein wenig kosten, denn die KundInnen haben in der Regel bereits einen Beruf und können sich das leisten.
Noch vor ein paar Jahren erschien die corporate Übernahme staatlicher Funktionen allein eine Frage des Image Makings und Brandings zu sein: Staatsmacht wird zur Macht der Konzerne! Aber inzwischen sind die Konzerne in das soziale Gefüge viel tiefer eingedrungen, als der Staat das jemals hätte tun können: Jetzt sind die Corporations zu einem konstituierenden Element von uns allen geworden!
Wir werden ZeugInnen der Implementierung eines umfassenden Lebenskonzepts kostenpflichtiger Wissensversorgung. Von der Wiege bis zur Bahre gilt es, den eigenen Kapitalwert auszubilden, ihn zu etablieren, ihn permanent lebendig zu halten, ihn zu vermarkten und zu revitalisieren. Universitäten werden zu Corporations Die ehemalige „Wissensfabrik“ aus den 1970ern hat sich in der New Economy verwandelt. Universitäten werden zu Kapitalgesellschaften, die in Eigeninitiative global handeln. Sie erschließen sich weltweit neue Märkte, bauen Netzwerke und Tochtergesellschaften auf, etablieren ihre Wissens-Marken. Darum sind sie eng mit Unternehmensberatern (z. B. McKinsey, Roland Berger, Ernst & Young) verflochten, und sie betreiben daher die üblichen Strukturanpassungen: Business Re-Engineering, Downsizing, Outsourcing, Merging, Branding, Franchising.
Wir konsumieren corporate jederzeit! Wir kleiden uns corporate, wir essen, trinken, lieben corporate, wir sehen, denken, handeln und empfinden corporate. Abgesehen von der Tatsache, dass die supranationalen Konzerne bereits alle Rezepte, Patente und Urheberrechte besitzen, bedeutet die Übernahme der Reproduktion, d. h. der Bildungseinrichtungen, dass dieser „neue Geist des Kapitalismus“ die kommenden Generationen erzeugen wird. Wie durch eine Injektion eines genetischen Codes wird sich diese neue Ideologie nun selbst reproduzieren. Die Strukturen wurden entsprechend programmiert, eine Wiederherstellung der Ausgangslage ist nicht möglich. Ich befinde mich bereits in einer neuen Totalität das klingt freilich paranoid. Ich weiß, dass ich nichts weiß. Wissensgesellschaft – Open Source, Open Access Wissen ist eine einzigartige Ressource. André Gorz schreibt:
Fragen: Mit welchen Partnern arbeitet die Corporate University an Forschungsprojekten zusammen? Wem werden die daraus resultierenden Patente gehören? Wem wird es erlaubt sein, das neu gewonnene Wissen zu verbreiten? Wem wird es erlaubt sein, darauf zuzugreifen?
* Wissen ist keine gewöhnliche Ware.
Eine neue Totalität wird reproduziert
* Seine Verbreitung steigert seine Wirksamkeit.
Wie wir gesehen haben, wird die Logik neoliberaler Wirtschaft auch das herrschende Prinzip an den Universitäten. Das Gleiche passierte in den letzten Jahren in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Über die Köpfe der demokratisch gewählten Regierungen und ihrer Rechtssysteme hinweg haben Konzerne mithilfe supranationaler Organisationen und Abkommen (WTO, GATT und vor Kurzem GATS) fast alle Märkte und öffentlichen Dienste besetzen können.
* Sein Geld-Äquivalent kann nicht definiert werden.
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* Wissen vermehrt sich wunderlich, wenn man es mit anderen teilt. * Je mehr Wissen man benutzt, desto mehr Wissen produziert man.
* Seine Privatisierung reduziert es und widerspricht seinem inneren Kern. Gerade in Zeiten schwindender Ressourcen kommt dieses wundersame Wissenszeug wie gelegen. Es vermehrt sich, wenn man es benutzt! Es gibt einen sich nie erschöpfenden Vorrat davon! Seinen Wert kann man nicht messen! Was wäre denn ein Patent auf 1 + 1 = 2 oder der Preis für Einsteins Formeln?
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Um also nach kapitalistischer Logik Profite aus Wissen zu schlagen, müsste der Zugang zu Wissen eingeschränkt werden. Eine Grundversorgung an Wissen müsste kostenpflichtig werden, zusätzliches Wissen kostet mehr, es qualifiziert ja auch mehr! Forschung müsste in geschlossenen Zirkeln stattfinden, das Know-how durch Patente, Copyright etc. geschützt werden. Angeblich ist Wissen das Öl des 21. Jahrhunderts. Und schon sind wir Zeugen der Kämpfe um Wissensverbreitung und Privatisierung. Der Griff nach den Universitäten, die Patentierung, auch von Lebewesen, die Ausdehnung des Urheberrechts auf alle Felder der Wissensproduktion sind Privatisierungsstrategien, um vom Mangel zu profitieren. Dies geht Hand in Hand mit der Überwachung aller menschlichen Kommunikationskanäle, auch dort wird Wissen erzeugt und geteilt: Internet, TV, Telefon, Printmedien und öffentlicher Raum. FAZIT Letztendlich, KünstlerInnen und ForscherInnen, WissenschaftlerInnen, StudentInnen und DozentInnen, wo steht Ihr? Sind wir die neuen HofkünstlerInnen? Tragen wir zu dieser neuen kapitalistischen Herrschaft bei, weil wir ihren Triumphzug über den Planeten mit unseren Werken begleiten? Ich denke, Forschung ist nie neutral oder ausschließlich mit sich selbst beschäftigt. Forschung muss sich mit den Widersprüchen dieser Welt auseinandersetzen und sie verändern. Durch ihre Einsichten und ihre Erkenntnisse, durch Experimente und Kämpfe gelingt das auch. Deshalb ist Forschung in Institutionen natürlich notwendig, aber durch die institutionelle Logik sehr eingeschränkt. Und deshalb rufe ich die Boheme zu den Waffen! Bohemistische Forschung übernimmt eine neue und wichtige Rolle als ein letzter Zufluchtsort für die uneingeschränkte Produktion von Wissen.
* Während sich die Konflikte weiter verschärfen, werden wir auch weiterhin in den Ruinen des Patriarchats und des Neoliberalismus leben. Daraus etwas Neues entstehen zu lassen braucht Ausdauer. * Wie können wir solide Fundamente für ein nachhaltiges Wissen legen, das für alle zugänglich ist und auf dem wir zusammen mit anderen aufbauen? * Wie unterscheidet sich dieses Wissen von einer elitären und technokratischen selbst ernannten „Wissensgesellschaft“, die ihre Besitzansprüche überall geltend macht, ohne jedoch die vielen Milliarden zu berücksichtigen, die dafür die Drecksarbeit machen müssen? * Wir brauchen Forschung, die zu einem grundlegenden gesellschaftlichen Wandel führt. * Symbolische Gesten sind dabei sehr wichtig; die Aufmerksamkeit und die Bedeutung, die Kunst und Wissenschaft in der Gesellschaft haben, müssen benutzt werden. Aber das ist nicht genug! * Forschung muss aus den sicheren Institutionen hinaus auf die Straße. Forschung muss Partei ergreifen und ihre wichtigste Ressource – Wissen – gegen die laufenden Privatisierungen schützen: keine Patente, kein Copyright und keine Zugangsbeschränkungen! Wir müssen gegen die zunehmenden Privatisierungen kämpfen und Allmenden schaffen, das Teilen lernen, denn um zu wachsen, muss Wissen für alle zugänglich gemacht werden. Es gibt so viel zu tun, und eine Forschung, die dazu beitragen will, war noch nie so notwendig wie heute! Das ist wahrscheinlich ein langer Weg, aber es ist ein völlig neues Spiel, kostet viel Mühe, verspricht aber auch viel Spaß. Kommt, lasst es uns angehen! Jetzt!
Bohemistische Forschung ist selbstorganisiert (wir erinnern uns): * Sie entspringt existenziellen Bedingungen und eigenem Antrieb. * Sie investiert in die Untersuchung der Probleme, die unter den Nägeln brennen. * Sie ist ein Kristallisationspunkt für kritisches Denken, der letzte Ort für politischen Dissens und kritische Analyse außerhalb allgemeiner sozialer Kontrolle. Eine Dramatisierung dieses Vortrags ist im Internet gratis verfügbar: http://societyoutofcontrol.com.
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THE HARD WAY TO ENLIGHTENMENT. DRAMATIZATION OF A LECTURE ON THE ACADEMY AND THE CORPORATE PUBLIC — IN TWO PARTS Stephan Dillemuth
PART I—THE ACADEMY Research, bohemia, and self-organization As part of my ongoing research project, The Academy and the Corporate Public, I want to talk about the relationship between the academy (as a discursive field in the fine arts) and the public sphere in the midst of a seismic shift induced by the corporate world economy. I believe that this shift goes hand-in-hand with a different function for the arts, a different conception of the role of the artist in society, and a different quality of education and research. What part does institutional research, self-organization, and bohemia play in these developments? On the situation in Germany The fall of 2009 brought widespread protests and squatting of universities by students, starting at the Art Academy in Vienna and moving on to other countries in Europe and even the US. The occupations were triggered by the Bologna Process, which institutionalized the commodification of education, a failure on all possible levels. * Firstly, the implementation of BA/MA modules and credit points marks a break with the Humboldt tradition, of which Germany has always been so proud. This tradition grasped Bildung as a holistic project intended to enable the autonomous individual to engage in a process of self-formation in regard to his/her being human.
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But now, this concept of education has succumbed to technocratic training, and students realize that solely commercial factors define the structure and teaching at universities. This comes as no surprise as Bertelsmann, one of the most powerful media corporations, was the instigator of the Bologna Process. * Secondly, student fees have been introduced. Whereas previously students were able to study for free, they are now charged about 450 Euros per semester, which may well herald the conversion of universities into profit-making organizations. I see this as a first step towards the privatization of education. * And thirdly, democratic forms of decision-making within the institutions, the Autonomy of Higher Education, have been replaced by corporate business structures that give external members of the freshly installed supervisory boards (university council) unreasonable influence over the universities. For example, managers from such large corporations as Siemens, BMW, and Roland Berger (himself!) have been appointed as board members at the university in Munich. The devastating effects of neoliberal politics on the arts, the educational institutions, and society as a whole have become more and more visible over the years. In light of the global financial crash, people seem to feel that the corporate infiltration into all public sectors, especially universities, has gone too far. Our educational institutions are in ruins, are failed hegemonic projects: patriarchy, neo-liberalism, and civic society. Research could be seen as a tool for exploring the possibilities that lie under the rubble.
* Research prescribed from above has to be evaluated. * Thus, success and evaluation criteria for students and institutions have to be developed. But how can we measure the success of research? Through a credit point system? Through exams and external evaluation? * The research projects are assessed and rated; the universities themselves are evaluated, ranked, and placed in competition with each other. To this end, there are external firms and rating agencies. * External evaluation can easily turn into a surveillance and control program. * What is called “excellence,” then, results from streamlining and control. * The exertion of control starts from the moment of the decision as to which research projects will be funded and which not, meaning that specific projects may have no chance because they could be seen as too critical or otherwise unwanted by the ruling ideology. This may be called preemptive censorship. * Usually only projects that can promise a profit receive funding, so the application already promises a profit. * The predictability of profit and results runs counter to an open-ended process of research. * Worst of all, none of these measures are much fun for the researchers involved. * They prevent joyful teaching and learning and run counter to enthusiastic experimentation. Research in such an environment can only be depressing; gone is “la gaya scienza.” > Advantages
PROBLEMS AND ADVANTAGES OF RESEARCH
On the other hand, research could have many advantages to offer.
But where and how to talk about research? I think we have to be extremely careful to avoid promoting and perpetuating the contemporary hype of research, thus totally emptying this already inflationary term.
* Research is opaque and mysterious—meaning dangerous!—like a journey into unknown territory.
> Some problems with research * Research has become a mere justification of (artistic) projects. * It is now the case that every project has to be packaged as “research” to even have the prospect of perhaps being funded. * A specific jargon, a research-funding-application lingo, has polluted all research projects right from the beginning. * Research has become an obligation in a curricular master plan. * Students and teachers are obliged to conduct research.
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* Research is an open-outcome process, a final result can neither be predicted nor promised. Strategies and methods of research are often determined from moment to moment, or by previous experiments, or frequently improvised, meaning they are not as controllable as many financial backers would wish. Heinz von Foerster, the cybernetics guy, for example, applied for funding for research projects that he had already undertaken and for which he already had a result. Foerster used the funding for other projects instead, a brave step into the unknown. * Research, as I see it, has to work against its own limitations.
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* But it must equally seek to reflect on the external restrictions (variables of the environment, blind spots, and control mechanisms) in regard to the research results so as to get rid of them if possible. * Research can therefore also use unusual methods of resistance: strike, obstruction, and protest are not only conceivable; they must be regarded as experiments that can lead to new and informative insights. > On the necessity of research in the fine arts In the field of fine arts, we find today a widespread, anything-goes attitude —an arbitrariness that renders everything equally valid and, consequently, equally boring. Everything seems to be allowed as long as it generates desirable new commodities. In such a situation, the art world, like the fashion industry, needs seasonal hypes to make one thing more desirable than the other. Knowledge gained from such proceedings can only be seen as highly questionable, the market mechanisms often appear more interesting than “innovations” in art. Against art in its function as a mere outfitter for the prevailing market ideology, I propose artistic research as an epis-te-mo-logical tool, a path to insight, knowledge and cognition, as a device to open the world, as a theater to reflect on the role of art as art, as a painting that may even entertain us. TYPES OF RESEARCH In the following I want to make myself the object of study in the examination of three processes: self-empowerment, self-organization, and research. I suggest three categories of research: pubescent, bohemian, and institutional research. These categories, however, should not be understood as binding concepts; they instead arise from an interpretation of my own development as an artist (and researcher) in retrospect. > Pubescent Research Starting from my student days in the late 1970s I can see research phenomena or methods that could be called pubescent. Such strategies were used by the punk movement, or more generally, anytime the world seemed pre-defined, pre-determined, or inaccessible. From the earliest days, parents, school, and the media have been telling us how to see, designate, and interpret the world, meaning that youths often have the impression that there are no possibilities of subjective and individual appropriation in the prefabricated world. There are no voids or free spaces, everything is concreted over with definitions.
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One can therefore understand that each young generation seeks to reinvent itself in the hopelessness surrounding them. But how can that work? At times it helps to use the sense of powerlessness as a lever: you don’t have a chance, but use it! How can one transform a weakness into strength? Pubescent strategies seek possibilities to negate the given definitions, to challenge and deride the power (of definition). * How can limits be fathomed, provoked, and transgressed? * It is not necessary to know what you want. It is necessary to know what you do not want. Ignorance can become strategic: I know that I know nothing! * Appropriate the means of production! In the late 1970s in the arts, painting was the most prominent culturally charged discipline and could readily be hijacked. Painting could be used against painting. Paint was dirt-cheap, and paintings were quickly done, if there was the necessary amount of disrespect. * The code could be used against the code: ugly is beautiful! All these strategies were processes of self-empowerment, self-education and identity-formation. The refusal to believe in the old order brought changes in the status of the previously powerless. These processes can be seen as experimental research. For obvious reasons, I call this “pubescent research,” and specific elements of it are present already in childhood, e. g., when a toddler crawls on the kitchen floor and drags pots and pans from the shelf to bang them around. The child’s mother might put the pots back in place, but five minutes later the scene repeats, and it goes on and on until the mother, totally enervated, orders the child to stop it. This early phase of experimental research turns against regulations and probes the limits of power systems; it tries the world against all odds. This is the research model pretty much preferred in German art academies. Most artists follow it their whole lives; it gives us the image of the artist as the genius dilettante, pubescent, anti-authoritarian, and singular, extremely subjective, extremely individualistic, and in some ways naïve. For that reason pubescent research cannot really be called research in the strict sense, for there is no reflection, hardly any evaluation, no consciousness on the part of the researcher, and no reflection on this role. > Bohemian research Friesenwall 120 was a project space in Cologne in the early 1990s where I collaborated with the artists Josef Strau, Nils Norman, Kiron Khosla, and Merlin Carpenter.
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Right from the beginning we found two options to be particularly unattractive: to become a gallerist or to become a producers’ gallery. The latter is a gallery run and financed by artists who want to show their own work and that of some friends. In our eyes, this attitude shows less self-organization but instead, in its desire to participate in the commodified art circuit, self-help. To take other paths, we had to reject the normative quality of these formats and examine how they define art objects, commodities, and their reception. Being located in a semi-public situation, the project set out to experiment with the possibilities of the space itself, and the chance to create and encourage a situation of exchange and participation in experiments. The space became a meeting point or hangout, which means that there was a community growing around the space and its activities as long as the community determined and sustained it. This mutual constitution can be grasped both as self-legitimization and as processes of education, formation, and growth. The space also functioned as an archive that documented and triggered some of its activities. We were finding other people and initiatives that were working in a similar, self-organized way, including fanzines, and spaces in Vienna, Hamburg, and Berlin, and artists that were working on establishing an electronic network, which was called “The Thing.” In line with Fohrmann/Schüttpelz, I call these activities “bohemian research.” * Because they are located in a bohemian context. * The people involved find each other by elective affinities; they share similar problems, but bring along a variety of knowledge and cultural backgrounds. So that the mutual attraction can lead to an increasingly differentiated discourse, the participants must be sufficiently different yet similar enough. * This can lead to productive collective work that I call “research.” * This work is self-commissioned and to a large extent determined by the dynamism of the group itself. * It is usually about investigating problems at hand that arise from the daily practice of life. It is researching life by living it. Almost every twentieth-century avant-garde group (the Surrealists, Situationists, Kommune 1, etc.) practiced such collective methods. In this research, there are critical tools for self-observation and analysis (e.g. keeping archives, logs, and diaries), planning strategies and methods for staging experiments. There are processes and criteria of evaluation that may
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well lead to more experiments. Here we find the awareness necessary for research. This period of bohemian research was the experience from which I learned the most; it became my academy, my art education! Self-organization, as I see it, is mainly an activity of self-formation and education; it is a possibility of “making academy.” And that led me to enquire further about the academy and its history: > Institutional research, excursus: Regarding the development of the academy and the university, we have to distinguish between different methods of knowledge production and education. The development of the university can be seen as three phases: * In the scholastic phase, primarily Christian dogmas were legitimized and interpreted. * In the university shaped by Humboldt, research was meant to lead to a process of individual self-formation. Here, research, teaching, and learning should go hand in hand. Working in groups became particularly important through the introduction of the seminar, as a form of non-hierarchical mutual exchange. * Today, this model is undergoing a radical change due to the introduction of the Bologna Process, and for the phase we find ourselves in, the description is still being formed. ** Can we say that the university is an open system inviting people to create communities around knowledge production? ** Or is it more of a closed system, with access restrictions to education and research in order to gain profits from this scarcity? ** Or is the university becoming a service provider: effective job training inside a knowledge corporation? Right from its beginning, the academy engendered different ways of learning. * The academy in its historical sense was nothing more than a little forest, where Plato and his students would “hang out” and talk to each other. * In the wake of a Plato revival during the Renaissance, this form of convivial teaching and learning was rediscovered. The academy in its second phase became a collection of “learned societies of amateurs and dilettantes.” The meetings can be imagined as loose and informal gatherings, limited in time, improvised in space. And they attempted to get rid of the old and ossified
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institutions of the guild system. When eventually they succeeded in doing so, the self-organized “learned societies of amateurs and dilettantes” created educational institutions to promote their own young talents, which they called “academies” after Plato. * Only a hundred years later the institutionalized academy of the absolutist king came with prescribed artistic rules and regulations, with curricular structures and point systems. Probably a familiar picture: the absolutist academy finds its technocratic revenant in the Bologna Process. Not so very differently from the way it works today, the absolutist academy supplied the court with seasonal styles and delivered aesthetic know-how for product designs to make goods more attractive for the (foreign) markets. * Against this technocratic and utilitarian education, artists of the Romantic period pitched a return to the idea of the medieval workshop, where the master has the monopoly of education of the apprentices. Conversely, the romantic, autopoetic genius cannot teach another how to become a genius; that is why, until today, the academy has had no method of teaching or any idea of research. Learning at the academy happens by copying the style and habits of the genius/master. It is therefore merely a place of “Romantic” reproduction. In contrast, I see the academy * as a temporary, improvised, and self-organized context of communication. * academy is not an institution, but an activity. At issue is “making academy”! It is a form of, if possible, non-hierarchical exchange with persons with similar interests, a process of self-empowerment. > Institutional research, in the arts: After editing a book on these ideas of the extra-institutional academy and promoting it as a kind of barefooted prophet, I became a professor at the academy in Bergen, Norway, pondering what happens to these institutions if everyone can “make academy” him- or herself. What are the institutions good for? At the same time, the Kunsthøgskolen i Bergen was given an opulent government grant, and the teachers were encouraged to think up research projects. Halina Dusin-Woyseth was recommended to me as a research advisor. She was to explain how research should be structured within a university context: * We usually start with a problem, she began. (I admitted that I had plenty of problems.)
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* Then we start looking into who has already worked on the problem, and how, and what the results were. (That appeared logical to me.) * But this process of investigation is not research; it is only a necessary first step, an inquiry. This inquiry can only compile knowledge that already exists, while research is a process of approximating something that does not yet exist. (Interesting! Because at that time many artists were undertaking these kind of inquiries, often just showing their investigated matter— that can obviously not be called research!?) * The next step in research is to find and determine a specific view of the problem, a specific idea about where and how to approach it. This is called status quaestionis, or, the “subject matter that has to be questioned.” (Aha, so the problem is specified based on the state of inquiries). * Further, the methods to be employed should originate from the researcher’s field of expertise. (Obviously an artist would then use artistic methods!) * Interdisciplinarity as such is not the better approach. It makes sense only when one’s own discipline has become too narrow. (To this end, there have to be disciplines and the associated expertise in the first place.) * The most important element of research is experimentation! Experiments are necessary to find out if the procedure for approaching the problem works out, and also how the nature of the problem might change through experimentation. Probably ninety percent of all experiments will fail—no worries!—this is inevitable, otherwise the process would not be called “experiment.” (That makes me happy!) * The reflection on the research process and the evaluation of the experiments are extremely important for the progress of the research project. Only then can the next experiment be launched. There will probably be a sequence of experiments and evaluations that takes the researcher on a journey into the unknown. (But who is evaluating this progress of the experiments?) * Of course, it is first of all the researchers themselves, the team, then a small peer group of experts, then the institutions and the institutionalized critics. There is a concentric growth in evaluation mechanisms, critique, and public perception. * Exhibitions, manifestos, critical reviews, leaflets, books, websites, and posters may be seen as a part of the experiments and they might help to amplify the public effect of research. After I was introduced to this concept of institutional and university research, I had to admit, to my surprise, that I could apply everything I had just heard to
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the genesis of art in general and my own artistic practice in particular.
PART II—THE ACADEMY AND THE CORPORATE PUBLIC The research project that I started in Bergen was to look into how the idea of the public sphere changed through globalization, privatization, and corporatization and what effect this has had on the art field. The notion until now of a national public sphere, in which, ideally, a public debate takes place, is falling apart. Today we have to speak of several public spheres fragmented along subcultural, ethnic, gender- and class-related lines, which can overlap, merge, or fall into conflict with each other. But what do these fragments have in common? In my eyes they are all markets or being targeted as new markets. I call this overarching public sphere a “corporate public.” It is directly dependent on a corporate economy (and conflicting with it?). Is the market the only common arena in which an overarching public sphere emerges? And what would that mean for the arts?
Next, in the 1990s, came BRANDING: Instead of promoting themselves by supporting the avant-garde through sponsorship, many corporations now strive to become the avant-garde themselves! Artistic methods and emancipative strategies of subcultural groups are often co-opted for marketing strategies. Companies have supported and studied artists long enough in order to act like artists and, through artistic definition, create value from the most cheaply manufactured products. The brand name functions like a signature; it ennobles the product. We speak of CORPORATE SOCIAL RESPONSIBILITY (CSR)… when private companies engage in social facilities and take responsibility for public institutions. Around the turn of the millennium, corporations began to play the “good Samaritan,” posing as guarantors in the field of social care: McDonald’s runs a children’s hospital, Shell acts as the savior of the environment, Berlin University Library is renamed The Volkswagen Library, and Siemens cares about the future of the art academies. A familiar picture! But what can explain our profound paralysis, that we continue to stare in stupor at the corporate takeover that happens right in front of us?
Contemporary dystopias: sponsoring, branding, CSR
Corporate Education
So how did the public sphere become a corporate one? What was the genesis of the corporate public? Call me as a witness!
When corporations set out to conquer upbringing, education, and training,
In the 1980s we had SPONSORING:
* they did so not only to profit directly from educational processes,
Here corporations still play a relatively passive role as art supporters, as alleged selfless maecenas. Research demonstrates that sponsorship is more effective than conventional forms of advertising due to the directness with which it is able to address a target group.
* but their ultimate aim was to use the teaching and structures of universities to implant the “new spirit of capitalism” in the next generations.
As company logos (and egos) grow larger, state and municipal promotion budgets shrink. Public financial backers are apparently happy to relinquish their responsibilities and decision-making power to private corporations. As state funding is reduced, dependency upon corporate sponsorship increases. That’s problematic! Because the commitment of sponsors is only dependent on image-based vanities, or economic calculus decisions on projects to be funded are one-sided and arbitrary. There is usually no democratic legitimization, no long-term financial security. Because everything depends on the goodwill of the sponsors, funding constantly remains precarious, thus allowing the sponsor to exert more control and influence over the sponsored projects.
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* they did so not only to target universities as new markets for their products,
EDUCATION AS A SERVICE INDUSTRY: * Forget about education! Universities are becoming service providers of purely formal knowledge. The connection of teaching and research in the sense of Humboldt is dissolved. Teaching becomes a service, research is outsourced to the corporations. * Students become so-called human capital, the production of which already yields profits. As consumers of services, the users are asked to pay. * They become assets, shaped and made productive via corporate education. These assets have to learn general flexibility and availability, they have to learn to activate, praise, and sell their social and formal knowledge. * They must also learn to grasp this existence as conditio sine qua non and identify with the institutions that promote it.
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THE HARD WAY TO ENLIGHTENMENT
Establishing new structures Instead of being a place for self-formation, for dispute and critical analysis, the university becomes an instrument for generating a new ideology. And this process, propagating a totalization of the market, is itself already a profitable market. The existing structures are oriented accordingly: * The BA (Bachelor of Arts) is a basic qualification in order to give flexible “high achievers” a future in the job industry. With a relatively low and broad admission level, it is relatively affordable. * The MA (Master of Arts) qualifies “those with a vocation” for their profession. However, there is limited access, thus only for those who can afford it. Only about 40–60% of BA students should be able to ascend to the elite. And here, it is no wonder, is the actual profit margin. * LLL (Lifelong Learning) is a hot new market. Knowledge has to be updated constantly, and in the competition on the job market, certificates proving these updates are required. It means that one is supposed to stay chained to the provision of knowledge throughout one’s professional life. The updates can cost quite a bit, for the customers of the service usually have a job and can afford it. We are witnessing the implementation of a comprehensive life concept of knowledge provision that must be paid for. From the cradle to the grave one must enhance one’s capital value, establish it, keep it permanently alive, market and revitalize it.
years in other areas of society. Above the heads of democratically elected governments and their legal systems, supranational corporations have installed agreements and organizations (WTO, GATT, and recently GATS) that allow them to occupy all markets and public services. This goes as far as to privatize most basic supplies (air, water, energy, housing, media, healthcare, hospitals, nursing homes). If we assume that we (still) live in a democratically organized polity, then the privatizations amount to an expropriation of social property. A few years ago it seemed that the corporate takeover of functions that had been traditionally the privilege of the state was a matter of image making and branding: state power becomes corporate power! But meanwhile corporations have penetrated the social fabric much deeper than the state ever could do: Now corporations have become a constituting element of all of us! We consume corporate constantly! We eat, drink, love corporate, we see, act, and feel corporate… Besides the fact that the supranational corporations already own all recipes, patents, and copyrights, the takeover of reproduction, i.e., educational institutions, means that this “new spirit of capitalism” will engender the generations to come. Similar to altering the genetic code, a new ideology is reproducing itself. The structures have been programmed accordingly; reverting seems impossible. I already find myself in a new totality—but that sounds paranoid. I know that I don’t know.
Universities become corporations
Knowledge society—open source, open access
The former “knowledge factory” (a 1970s expression) has transformed itself in the new economy. Universities are becoming corporate enterprises, operating globally in their own right. They are tapping into new markets all over the world, establishing networks and subsidiaries, asserting their knowledge brands.
Knowledge is a very unique resource. André Gorz writes:
That’s why they are closely intertwined with business consultants (e. g., McKinsey, Roland Berger, Ernst & Young) and undergo the usual structural adjustments: business reengineering, downsizing, outsourcing, merging, branding, franchising…
* The more knowledge one uses, the more knowledge one produces.
Questions: With whom will the corporate university forge research alliances? Who will own the resulting patents? Who will be allowed to disseminate the newly gained knowledge? Who will be allowed to access it?
* Its privatization reduces it and contradicts its essence.
A new totality is reproduced As we have seen, the logic of neoliberal business became the ruling principle for universities—like everywhere else. The same happened in the last few
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* Knowledge is not an ordinary commodity. * Knowledge increases miraculously when shared with others. * Its dissemination increases its effectiveness. * Its money equivalent cannot be defined. Precisely in times of resources becoming scarce, the miraculous knowledge stuff comes at the right time. It increases when it’s used! There is a never-ending supply of knowledge! Its value cannot be measured!? What would be a patent on 1 + 1 = 2 or the price of Einstein’s formulas? In order to make a profit from knowledge according to capitalist logic, access to knowledge would have to be limited and restricted. One would have to pay
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for a basic provision of knowledge; additional knowledge would cost more, for it qualifies one more! Research would have to take place in closed circles, the expertise would have to be protected by patents, copyright, etc.
* What we need is research that leads to fundamental social change.
Allegedly, knowledge is the oil of the twenty-first century, and we are witnessing the fights for knowledge distribution and privatization. Seizing the universities, patenting even living beings, the extension of copyright to all fields of knowledge production are privatization strategies in order to profit from scarcity.
* Research has to get out of the safe institutions and onto the street. It has to take sides and protect its most important resource—knowledge—against privatization: no patents, no copyright, and no access restrictions!
This goes hand in hand with the surveillance of all human communication channels, where knowledge is also produced and shared: Internet, TV, telephone, print media, and public space.
* Symbolic gestures are very important, the attention and the significance that art and science have in society must be used! But this is not enough!
We have to fight against increasing privatization and create commons, learn how to share, for in order to grow, knowledge must be made accessible to all. There is so much to do, and research has never been as necessary as it is today! This may be a long way around, but it’s a whole new game, it costs a lot of effort, but promises a whole lot of fun.
CONCLUSION Finally, artists and researchers, students and teachers, where do you stand?
L e t ’s g o! N ow!
Are we the new court artists? Are we complicit in the new capitalistic rule because we accompany its triumphant procession around the globe? I think research is never neutral or solely concerned with its own matter. Research has to deal with the contradictions in the world. And it may succeed in changing them through insights and findings, through experiments and struggles! That is why research in institutions is necessary, but very limited by the institutional logic. I therefore have to call bohemia to arms! Bohemian research assumes a new and major role as the last refuge for the unrestricted production of knowledge. Bohemian research is self-organized (we recall): * It arises from existential conditions and is self-driven. * It invests itself in the examination of the most pressing problems. * It is a crystallization point for critical thought, the last place of political dissent, and analysis outside general social control. * W hile the conflicts are growing more acute, we will continue to live in the ruins of patriarchy and neoliberalism. To shake off its strictures takes perseverance. * How can we lay down solid foundations upon which we can construct sustainable knowledge together with others and make it accessible to all? * How is this knowledge different from an elitist and technocratic, selfacclaimed “knowledge society” that installs its private claims on the backs of those many billions who still do the dirty work?
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A dramatization of this lecture is available online for free: http://societyoutofcontrol.com.
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IDEOLOGIE UND KONTROLLE
Wie Gilles Deleuze in seiner posthum veröffentlichten Auseinandersetzung mit dem Werk Michel Foucaults rekapituliert, wird dieser „nicht selten als Denker der Disziplinargesellschaften und ihrer prinzipiellen Technik, der Einschließung (nicht allein Hospital und Gefängnis, sondern auch Schule, Fabrik, Kaserne)“ wahrgenommen. Aber, so Deleuze, „in Wirklichkeit gehört er zu den ersten, die sagen, daß wir dabei sind, die Disziplinargesellschaften zu verlassen, daß das schon nicht mehr unsere Gegenwart ist. […] Wir treten ein in Kontroll-Gesellschaften, die nicht mehr durch Internierung funktionieren, sondern durch unablässige Kontrolle und unmittelbare Kommunikation.“ ¹ Der Übergang von der Disziplinargesellschaft zur Kontrollgesellschaft ist für Deleuze ein langsamer und gradueller, der in Mitteleuropa seit dem 19. Jahrhundert bereits deutlich erkennbar ist, seit dem Zweiten Weltkrieg jedoch eine rasante Entwicklung genommen hat. Diese Entwicklung verläuft parallel zur „Krise der Einschließungsmilieus“, ² die Deleuze mit der Liberalisierung und Auflösung eben jener klassischen Einschließungen der Disziplinargesellschaften erklärt. Denn, wie Foucault bereits anhand der Herausstellung des Sexualitäts-Dispositivs im Europa des 19. Jahrhunderts zeigt, sind in bestimmten sozialen und ideologischen Formationen (z. B. in den liberal-protestantisch geprägten) die Übergänge von den rigiden Kontrollmechanismen der Einschließungsmilieus zu den „freien“ Bereichen der gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion fließend.³ In seinen späteren Schriften rückt Foucault das Regiert- und Kontrolliert-Werden durch Freiheitszuwachs –vom Selbstverwirklichungsversprechen zum lebenslangen Lernen – ins Zentrum seiner Arbeit. Hier schließt Deleuze an und beschreibt im Besonderen die Entwicklungs-, Entfaltungs- und Veränderungsmöglichkeiten, die die disziplinären Einschließungen überwinden, als wesentliches Merkmal der Kontrollgesellschaften. Die kontrollierte Zusammenschaltung der Körper, Diskurse, Objekte und Begehren als produktive Tätigkeit, wie sie Foucault für die Disziplinargesellschaften diagnostiziert,4 wird nach Deleuze nun in den Kontrollgesellschaften von „ultra-schnellen Kontrollformen mit freiheitlichem Aussehen“ umgesetzt und von tiefgreifenden technologischen Erneuerungen auf den Feldern der Kommunikation, Informatik, Pharmaindustrie, Gentechnik und Energietechnik begleitet. Diese lösen seither die „alten Disziplinierungen“ ab und/oder weiten sie aus.5 Bereits zehn Jahre zuvor, 1980, noch vor Internet-Technologie und Ende des Kalten Krieges, geht Félix Guattari dazu über, die Kontrolle über die Fragmentierung der Körper, Begehren und Produktion mit dem Phänomen der Globa-
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IDEOLOGIE UND KONTROLLE
lisierung zusammenzudenken.6 Für Guattari ist im globalisierten Kapitalismus die gesamte Weltoberfläche eine einzige Einschließung, in der Kontrolle (z. B. Migrationspolitik, aber auch in der tolerierten Beschäftigung von ArbeiterInnen ohne legalen Status in der Dienstleistungsindustrie) und geregelte Kommunikation (z. B. die internationale Reichweite von Massenmedien oder, heute, in der Kommerzialisierung von global agierenden sozialen Netzwerken im Internet) als weltumfassende Regulierungsmechanismen lokale bzw. „territorialisierte“ Ideologien mehr und mehr abzulösen beginnen. Zusätzlich zur internationalen Arbeitsteilung im zeitgenössischen Kapitalismus, so Guattari, findet eine Globalisierung der Körper, des Diskurses, der Sinnlichkeit und damit einhergehend auch der Subjektivierungsprozesse statt. Guattari spricht nicht mehr von Ideologie (als territorialem Prinzip), sondern von der Produktion der Subjektivität oder gar von „Fließbändern der Subjektivität“ in einem „Integrierten Weltkapitalismus“. Hier funktioniert Kontrolle eben nicht mehr als einschließendes, sondern als „deterritorialisierendes“ Prinzip.7 Anders als bei Louis Althusser, der es vorzieht, sowohl die ideologischen als auch die repressiven Staatsapparate als territorialisierte und tendenziell isolierte Einschließungen beizubehalten, setzen Foucaults, Deleuzes und Guattaris Überlegungen zu Einschließung und Kontrolle also gerade an der Erosion der festgelegten Grenzen der einzelnen Einschließungen bzw. historisch an der institutionellen „Krise der Einschließungsmilieus“ an und entwickeln davon ausgehend (zumindest temporäre) Strategien zu ihrer Überwindung. Die Gemeinsamkeit, die sie bei aller Unterschiedlichkeit allerdings haben, liegt in der Reflexion über Prozesse der Subjektivierung durch die Programmierung oder Taktung ihrer formgebenden, raum-zeitlichen und diskursiven Elemente bzw. die gemeinsame Grundannahme, dass die Kontrolle über Subjektivierungsprozesse auf komplexen systemischen Gefügen beruht, die sich nicht auf Repression im Sinne von linearer und/oder angewandter physischer Gewalt reduzieren lässt, sondern eine „heterogene Gesamtheit“ umfasst – in den Worten Foucaults: „von Gesagtem ebenso wie Ungesagtem“.8 Seit den Nuller Jahren knüpfen nun so unterschiedliche AutorInnen wie Antonio Negri und Michael Hardt (Empire, 2000, Multitude, 2004, und Commonwealth, 2009) oder Beatriz Preciado (Testo Junkie, 2008, Pornotopia, 2010) unmittelbar an Foucault, Deleuze und Guattari und – spezifischer noch – am Begriff der Kontrollgesellschaft an und versuchen, von diesem aus Dispositive der Kontrolle und Subjektivierung in Bezug auf zeit-
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genössische pharmako-technologische und informationstechnologische Erneuerungen und globalisierte Produktionsmodi neu zu fassen. Max Jorge Hinderer Cruz
1 Gilles Deleuze im Gespräch mit Antonio Negri, „Kontrolle und Werden“, in: Gilles Deleuze, Unterhandlungen 1972–1990, Frankfurt a. M. 1993, S. 250. [Hervorhebung MJHC] 2 Gilles Deleuze, „Postskriptum über die Kontrollgesellschaften“, in: ebd., S. 254–262, hier S. 255. 3 Siehe Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit 1: Der Wille zum Wissen, Frankfurt a. M. 1983. 4 Michel Foucault, Überwachen und Strafen, Frankfurt a. M. 1994, hier vor allem S. 192–201. 5 Gilles Deleuze, wie Anm. 2 6 Siehe z. B. Félix Guattari, Soft Subversions. Texts and Interviews 1977–1985, Los Angeles 2009, hier vor allem „Part V: Integrated World Capitalism“, S. 227–308. 7 Félix Guattari, Le capitalisme mondial intégré et la révolution moléculaire (1980), zunächst ein Vortragsskript, wurde zuerst 1981 von Suely Rolnik auf Portugiesisch als O capitalismo mundial integrado e a revolução molecular veröffentlicht, in: Félix Guattari, Revolução molecular: Pulsações políticas do desejo, São Paulo 1981, S. 211–227; sowie Félix Guattari und Suely Rolnik, Molecular Revolution in Brazil, Los Angeles 2007, S. 35 –61. 8 So Michel Foucault in einem Interview 1977, siehe Michel Foucault, Das Spiel des Michel Foucault, in: ders., Dits e Ecrits: Schriften III, Frankfurt a. M. 2003, S. 392. Siehe auch ders., wie Anm. 3, hier vor allem das Zweite Kapitel „Die Repressionshypothese“, S. 21–53.
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IDEOLOGY AND CONTROL
As Gilles Deleuze recapitulates in his posthumous study of the work of Michel Foucault, “Foucault’s often taken as the theorist of disciplinary societies and of their principal technology, confinement (not just in hospitals and prisons, but in schools, factories, and barracks).” However, Deleuze adds, “he was actually one of the first to say that we’re moving away from disciplinary societies, we’ve already left them behind. We’re moving toward control societies that no longer operate by confining people but through continuous control and instant communication.” 1 Deleuze considers it slow and gradual, this transition from disciplinary society to control society, detecting it in Middle Europe as early as the nineteenth century, though its growth has taken on a staggering speed since the Second World War. This growth advances in parallel to “the crisis in relation to all the environments of enclosure,” 2 which Deleuze describes by citing the liberalization and liquidation of the very classical forms of confinement exerted by disciplinary society. For, as Foucault already demonstrates with the help of the singularization of the sexuality dispositive in nineteenth-century Europe, certain social and ideological formations (liberal-protestantism, for example) feature fluid transitions from the rigid control mechanisms of milieus of confinement to the “free” zones of societal production and reproduction.3 In his later writings Foucault shifts his central focus to the phenomenon of being governed and being controlled via the accumulation of freedom—from the promise of self-realization to lifelong learning. Here Deleuze connects with Foucault and identifies as essential features of control societies those opportunities for growth, evolvement, and change that overcome disciplinary forms of enclosure. The controlled interconnection between bodies, discourses, objects, and desire as productive activity, the same interconnection Foucault diagnoses for the disciplinary societies,4 is, as per Deleuze, implemented in control societies by “ultrarapid forms of free-floating control” that “express new freedom” and is accompanied by extensive technological innovations in the fields of communication, informatics, pharmaceuticals, genetic engineering, and electrical power engineering that supplant the “old disciplines” and/or expand them.5 Already ten years before that, in 1980, before the Internet and the end of the Cold War, Félix Guattari proceeds to discern the interrelationship between globalization, on the one hand, and the fragmentation of desire, the body, and production, on the other.6 In Guattari’s view, globalized capitalism turns the entire face of the Earth into one single enclosure in which control
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(through migration politics, for example; but also through tolerated service-industry employment of workers with no legal status) and regulated communication (e.g. in the scope of international mass media; or in the commercialization of globally infuential social networks in the Internet today) as worldwide regulatory mechanisms begin more and more to supplant local, or “territorialized,” ideologies. According to Guattari, in addition to the international division of labor in contemporary capitalism, we are witnessing a globalization of the body, of discourse, of sensibility, and, concomitantly, of processes of subjection. Guattari no longer speaks of ideology (as territorial principle), but of the production of subjectivity, or even of the “conveyor belt of subjectivity” in an integrated world capitalism. Here control functions no longer as a confining but rather as a “deterritorializing” principle.7 Unlike Louis Althusser, who favors an understanding of both ideological and repressive state apparatuses as territorialized and tendentially isolated confinements, Foucault, Deleuze, and Guattari reflect on confinement and control starting precisely where the very erosion of the prescribed boundaries of each respective confinement takes place, or, in a historical sense, where the institutional “crisis in relation to all the environments of enclosure” unfolds, proceeding from that point onward with the development of (at least provisional) strategies aimed at overcoming those milieus of enclosure. For all their differences, however, these thinkers’ commonality lies in their reflecting on processes of subjection by means of a programming or a rhythmic measurement (Taktung) of those processes’ form-giving, spatiotemporal, and discursive elements; or through their shared presupposition that control over processes of subjection is based on complex systemic structures that are irreducible to repression as linear and/or applied physical violence and that encompass a “heterogenous totality”—in the words of Foucault—“of the spoken as well as well as the unspoken.” 8 Since 2000 a range of authors as varied as Antonio Negri and Michael Hardt (Empire, 2000; Multitude, 2004; and Commonwealth, 2009) or Beatriz Preciado (Testo Junkie, 2008; Pornotopia, 2010) make direct links to Foucault, Deleuze, and Guattari, and—more specifically—to the concept of the society of control in an attempt to redraft dispositives of control and subjection in relation to contemporary pharma-technological and information-technological innovations and globalized modes of production. Max Jorge Hinderer Cruz
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IDEOLOGY AND CONTROL
1 Gilles Deleuze in conversation with Antonio Negri, “Control and Becoming,” in: Gilles Deleuze, Negotiations, 1972–1990, trans. by Martin Joughin, New York, 1995, pp. 169–176. 2 Gilles Deleuze, “Postscript on the Societies of Control,” in: ibid., pp. 177–182. 3 See Michel Foucault, The History of Sexuality, Vol. 1: The Will to Knowledge, trans. by Robert Hurley, London, 1998. 4 Michel Foucault, Discipline and Punish, London, 1994, see especially pp. 192–201. 5 Gilles Deleuze, see note 2. 6 See Félix Guattari, Soft Subversions: Texts and Interviews, 1977–1985, Los Angeles, 2009, especially “Part V: Integrated World Capitalism,” pp. 227–308. 7 See Félix Guattari, Le Capitalisme Mondial Intégré et la révolution moléculaire (1980). The French original began as lecture notes and was first translated in 1981 by Suely Rolnik into Portuguese as O Capitalismo Mundial Integrado e a Revolução Molecular and published in: Félix Guattari, Revolução Molecular: Pulsações políticas do desejo, São Paulo, 1981, pp. 211–227. See also Félix Guattari and Suely Rolnik, “Subjectivity and History,” in: Molecular Revolution in Brazil, Los Angeles, 2007, pp. 35–178, here pp. 35–61. 8 Michel Foucault in an interview from 1977 [trans. by WW], French original “Le jeu de Michel Foucault,” in: Ornicar?, Bulletin périodique du champs freudien, No. 10, July 1977, pp. 62–93. See also Michel Foucault, The History of Sexuality, Vol. 1: The Will to Knowledge, trans. by Robert Hurley, London, 1990; especially chapter 2, “The Repressive Hypothesis,” pp. 15–50.
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EVA BIRKENSTOCK Eva Birkenstock studierte Kunstgeschichte, Ethnologie und Romanistische Philologie in Köln, Havanna und Berlin. Von 2005 bis 2008 arbeitete sie am Kunstverein Hamburg und leitete von 2008 bis 2010 die Halle für Kunst in Lüneburg (gemeinsam mit Hannes Loichinger). Lehrtätigkeiten u. a. an der Hochschule für bildende Künste Hamburg sowie an der Leuphana Universität Lüneburg. Seit Februar 2010 ist sie Kuratorin der KUB Arena und gestaltet als solche das Ausstellungsund Veranstaltungsprogramm im Erdgeschoss des Kunsthaus Bregenz. Ihre kuratorische Praxis zeichnet sich u. a. durch kollaborative Projekte und Recherchen aus, die sich im Besonderen auf die Verbindungspunkte unterschiedlicher Diskurse und künstlerischer Arbeitsfelder beziehen. Eva Birkenstock studied art history, ethnology, and Romance philology in Cologne, Havanna, and Berlin. From 2005 to 2008 she worked at the Kunstverein Hamburg and from 2008 to 2010 was director of the Halle für Kunst in Lüneburg (with Hannes Loichinger). She has taught at the Hochschule für bildende Künste Hamburg and the Leuphana University of Lüneburg. She has been curator of the KUB Arena since February 2010, designing the exhibition and events program on the ground floor of the Kunsthaus Bregenz. Her curatorial practice is typically based on collaborative projects and research around the connections between different discourses and artistic fields.
MATTHIJS DE BRUIJNE
BIOGRAFIEN BIOGRAPHIES
Matthijs de Bruijne (geb. 1967 in Amsterdam) studierte an der Gerrit Rietveld Academie und der Rijksakademie in Amsterdam. Seine Multimedia-Installationen sind Ergebnisse seiner Untersuchungen der politischen Realität in Argentinien, den Niederlanden, China und anderen Ländern. De Bruijnes Werke werden in Europa, Argentinien, Bolivien, China und Kanada gezeigt, darunter in den Ausstellungsprojekten Ex Argentina, 2004, im Museum Ludwig, Köln, Principio Potosí/Das Potosí-Prinzip im Museo Nacional de Arte Reina Sofía, Madrid, 2010, und im Culture and Arts Museum of Migrant Workers in Peking. Matthijs de Bruijne lebt in Amsterdam und hat in den letzten zwei Jahren als Künstler in der Dutch Cleaners Union (Gewerkschaft der Putz- und ReinigungsarbeiterInnen in den Niederlanden) gearbeitet. Matthijs de Bruijne (born 1967 in Amsterdam) studied at the Gerrit Rietveld Academie and the Rijksakademie in Amsterdam. His multimedia installations are a reflection of research on political realities in Argentina, the Netherlands, China, and elsewhere. De Bruijne’s works have been shown in such locations as Europe, Argentina, Bolivia, China, and Canada, and in the exhibition projects Ex Argentina, 2006, at Museum Ludwig, Cologne, Principio Potosí/Das Potosí-Prinzip at Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid, 2010, and at the Culture and Arts Museum of Migrant Workers in Beijing. Matthijs de Bruijne lives in Amsterdam and has worked as an artist within the Dutch Cleaners Union for the last two years.
ALICE CREISCHER Geboren 1960 in Gerolstein. Studierte Kunst, Philosophie und Deutsch in Düsseldorf, schreibt (zusammen mit Andreas Siekmann) für Magazine wie Texte zur Kunst und springerin. Kuratiert (z. B. zusammen mit Andreas Siekmann) zahlreiche Projekte, zuletzt Principio Potosí/Das PotosíPrinzip (Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid, 2010, Haus der Kulturen der Welt, Berlin, 2010, und Museo Nacional de Arte, La Paz, 2011). Zuletzt stellte Creischer in Das Etablissement der Tatsachen, Berlin, 2012 aus sowie in der Gruppenausstellung Social Fabric, Dr. Bhau Daji Lad Museum, Byculla/Mumbai, 2012.
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BIOGRAFIEN / BIOGRAPHIES Born in 1960 in Gerolstein. Creischer studied art, philosophy, and German in Düsseldorf, she authors articles (together with Andreas Siekmann) for magazines such as Texte zur Kunst and springerin. She has curated (with Andreas Siekmann, amongst others) numerous projects, most recently Principio Potosí/Das Potosí-Prinzip (Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid, 2010, Haus der Kulturen der Welt, Berlin, 2010, and Museo Nacional de Arte, La Paz, 2011). Most recently Creischer exhibited in The Establishment of Matters of Fact, Berlin, 2012, as well as in the group exhibition Social Fabric, Dr. Bhau Daji Lad Museum, Byculla/Mumbai, 2012.
DIEDRICH DIEDERICHSEN Geboren 1957 in Hamburg. In den 1980er Jahren Redakteur und Herausgeber von Musikzeitschriften, in den 1990er Jahren Hochschullehrer als Gastprofessor oder Lehrbeauftragter u. a. in Frankfurt, Stuttgart, Pasadena, Offenbach, Gießen, Weimar, Bremen, Wien, St. Louis, Köln, Los Angeles und Gainesville. Von 1998 bis 2007 Professor für Ästhetische Theorie und Kulturwissenschaften an der Merz-Akademie, Stuttgart, seit 2006 Professor für Theorie, Praxis und Vermittlung von Gegenwartskunst am Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften der Akademie der bildenden Künste Wien. Born in 1957 in Hamburg. In the 1980s he was an editor and publisher of music magazines, and in the 1990s he was a guest lecturer and tutor at universities and colleges in Frankfurt, Stuttgart, Pasadena, Offenbach, Gießen, Weimar, Bremen, Vienna, St. Louis, Cologne, Los Angeles, and Gainesville, amongst others. From 1998 to 2007 he was professor of aesthetic theory and cultural studies at the Merz-Akademie, Stuttgart, since 2006 he has been professor of theory, practice, and communication of contemporary arts at the Institute of Art Theory and Cultural Studies of the Academy of Fine Arts, Vienna.
STEPHAN DILLEMUTH Stephan Dillemuth, geboren 1954 in Büdingen, lebt und arbeitet in München. Dillemuth begreift seine Möglichkeiten als bildender Künstler vor dem Horizont der sich verändernden modernen Öffentlichkeit. Im Nachdenken über die eigene Rolle und seine künstlerischen Handlungsmöglichkeiten geht er beispielweise der Frage nach, inwieweit Selbstorganisation und persönliche und kollektive Integrität im Rahmen unserer Kontrollgesellschaft herzustellen sind. Kunst schafft für ihn mit den ihr innewohnenden Methoden der Reflexion, Analyse und des Experiments zwar Schönheit, besitzt aber auch ein gesellschaftsveränderndes Potenzial. Mitunter untersucht Dillemuth zur Überprüfung aktueller Fragestellungen historische Bewegungen (z. B. die Lebensreformbewegung, alternative Erneuerungsversuche der 1970er Jahre) und gesellschaftliche Umbruchsituationen (Räterepublik), stellt seine eigenen Recherchen jedoch stets mit experimentellen künstlerischen Mitteln infrage und führt sie so zu neuen Ergebnissen. Das Resultat dieser Experimente sind Installationen, Inszenierungen und kollaborative Arbeiten ebenso wie Videos, Vorträge und Publikationen. Stephan Dillemuth, born in 1954 in Büdingen, lives and works in Munich. Dillemuth understands his potential as a visual artist to exist within the context of modern transformations of the public. In considering his own role and his artistic scope for acting, he has, for example, addressed the question of to what extent self-organization as well as personal and collective integrity can be produced within the framework of our society of control. For him, even though art and its inherent methods of reflection, analysis, and experimentation may create beauty, it also has the potential to transform society. Dillemuth engages in exploratory investigations of current issues, historic movements (for example the Lebensreform (life reform) movement and alternative attempts at innovation in the 1970s) and decisive social turning points (Soviet Republic), whilst always questioning his own research through experimental artistic means, generating new conclusions. The result of these experiments are installations, stagings, and collaborative works as well as videos, lectures, and publications.
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SILVIA FEDERICI Silvia Federici ist Langzeitaktivistin, Lehrerin und Autorin. 1972 war sie eine der Gründerinnen des internationalen feministischen Kollektivs, der Organisation, die die Kampagne für bezahlte Hausarbeiten in den Vereinigten Staaten von Amerika und im Ausland ins Leben rief. Sie ist in der globalisierungskritischen Bewegung aktiv und streitet für die Abschaffung der Todesstrafe. Sie verfasste zahlreiche Essays über politische Philosophie, feministische Theorie, Kulturwissenschaften und Erziehung. Zur Zeit schreibt sie über Feminismus und Politiken des gemeinschaftlichen Eigentums und Kinder im Kapitalismus. Veröffentlichte Werke sind unter anderem Revolution at Point Zero: Housework, Reproduction, and Feminist Struggle (2012); Caliban and the Witch: Women, the Body and Primitive Accumulation (2004); „Care Work“ and the Commons (2013, Mitherausgeberin); A Thousand Flowers: Social Struggle Against Structural Adjustment in African Universities (2000, Mitherausgeberin); Enduring Western Civilization: The Construction of the Concept of Western Civilization and Its „Others“ (1994, Herausgeberin). Federici ist emeritierte Professorin für Politische Philosophie und Internationale Studien an der Hofstra University, Hempstead, New York. Silvia Federici is a long-time activist, teacher, and writer. In 1972 she was one of the founders of the International Feminist Collective, the organization that launched the Campaign for Wages For Housework in the United States and abroad. She has been active in the anti-globalization movement and the anti-death penalty movement. She is the author of many essays on political philosophy, feminist theory, cultural studies, and education. She is presently writing on the feminism and the politics of the commons and children in capitalism. Her published works include Revolution at Point Zero: Housework, Reproduction, and Feminist Struggle (2012); Caliban and the Witch: Women, the Body and Primitive Accumulation (2004); “Care Work” and the Commons (2013, co-editor); A Thousand Flowers: Social Struggle Against Structural Adjustment in African Universities (2000, co-editor); Enduring Western Civilization: The Construction of the Concept of Western Civilization and Its “Others” (1994, editor). Federici is emerita professor of Political Philosophy and International Studies at Hofstra University, Hempstead, New York.
ÁGNES HELLER Ágnes Heller (geb. 1929 in Budapest) ist Philosophin und Soziologin und promovierte 1955 bei Georg Lukács. 1977 emigrierte sie nach Australien, wo sie an der La Trobe University in Melbourne bis 1983 eine Soziologie-Professur innehatte. 1986 wurde sie Hannah Arendts Nachfolgerin auf deren Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York. Publikationen (Auswahl): Alltag und Geschichte: Zur sozialistischen Gesellschaftslehre, Neuwied 1970; Die Seele und das Leben. Studien zum frühen Lukács, Frankfurt a. M. 1977; Theorie der Bedürfnisse bei Marx. Mit einem Vorwort von Pier Aldo Rovatti, Berlin 1976; Das Alltagsleben. Versuch einer Erklärung der individuellen Reproduktion, hg. und eingeleitet von Hans Joas, Frankfurt a. M. 1978; Der Mensch der Renaissance, aus dem Ungarischen von Hans-Henning Paetzke, Frankfurt a. M. 1988; Biopolitik, Frankfurt a. M. 1995; Ist die Moderne lebensfähig?, Frankfurt a. M. 1995; Der Affe auf dem Fahrrad: Eine Lebensgeschichte, bearbeitet von János Köbányai, Berlin/Wien 1999; A Theory of Modernity, Cambridge/MA 1999; The Time is Out of Joint: Shakespeare as Philosopher of History, Cambridge/MA 2000.
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BIOGRAFIEN / BIOGRAPHIES Ágnes Heller (born in 1929 in Budapest) is a philosopher and sociologist. In 1955 she wrote her doctoral thesis under the supervision of György Lukács. In 1977 she emigrated to Australia, where she was a professor of sociology at La Trobe University in Melbourne until 1983. In 1986 she succeeded Hannah Arendt as professor of philosophy at The New School for Social Research in New York. Selected publications: The Marxist Theory of Revolution and the Revolution in Everyday Life, New York, 1970; Lukács and the Holy Family, New York, 1984; The Theory of Need in Marx, London, 1976; Everyday Life, London, 1984; Renaissance Man, London, Boston 1978; Biopolitics, London, 1994; Can Modernity Survive?, Cambridge, Berkeley, Los Angeles, 1990; Der Affe auf dem Fahrrad: Eine Lebensgeschichte, by János Köbányai, Berlin/Vienna, 1999 (translated in parts, see: http://www.hlo.hu/news/monkey_on_a_bicycle_excerpts_from_a_memoir); A Theory of Modernity, Cambridge/MA 1999; The Time is Out of Joint: Shakespeare as Philosopher of History, Cambridge/MA 2000.
MAX JORGE HINDERER CRUZ Max Jorge Hinderer Cruz arbeitet als freier Autor, Übersetzer und Kulturtheoretiker und veröffentlicht regelmäßig Beiträge in internationalen Medienformaten in Lateinamerika und Europa. Er ist Anwärter auf den Doktor der Philosophie am Institut für Kunst und Kulturwissenschaften der Akademie der bildenden Künste Wien. Letzte Buchveröffentlichungen: Principio Potosí/Das Potosí-Prinzip, hg. mit Alice Creischer und Andreas Siekmann, Köln 2010, Hélio Oiticica and Neville D’Almeida: Block-Experiments in Cosmococa – program in progress, in Co-Autorschaft mit Sabeth Buchmann, London 2013. Max Jorge Hinderer Cruz works as a freelance author, translator, and cultural theorist, and regularly publishes contributions to international media in Latin America and Europe. He is a doctoral candidate in philosophy at the Institute of Art Theory and Cultural Studies of the Academy of Fine Arts, Vienna. Recent book publications: Principio Potosí/Das Potosí-Prinzip, co-ed. Alice Creischer and Andreas Siekmann, Cologne, 2010, Hélio Oiticica and Neville D’Almeida: Block-Experiments in Cosmococa—program in progress, co-authored with Sabeth Buchmann, London, 2013.
JENS KASTNER Dr. phil. (geb. 1970), ist Kunsthistoriker und Soziologe. Er arbeitet als Senior Lecturer am Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften an der Akademie der bildenden Künste Wien und schreibt regelmäßig für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften (u. a. graswurzelrevolution, Jungle World, springerin). Seine Forschungsschwerpunkte sind Kunst-, Kultur- und Sozialtheorien sowie die Geschichte und Theorie sozialer Bewegungen. Er ist koordinierender Redakteur von Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Wien). Zuletzt erschienen Alles für alle! Zapatismus zwischen Sozialtheorie, Pop und Pentagon, Münster 2011, und Der Streit um den ästhetischen Blick. Kunst und Politik zwischen Pierre Bourdieu und Jacques Rancière, Wien/Berlin 2012. www.jenspetzkastner.de Jens Kastner, Ph.D. (born 1970), is an art historian and sociologist. He works as a senior lecturer at the Institute of Art Theory and Cultural Studies of the Academy of Fine Arts, Vienna, and regularly authors articles for various newspapers and magazines (graswurzelrevolution, Jungle World, springerin, amongst others). His research focuses on art, cultural, and social theory as well as the history and theory of social movements. He is the coordinating editor of Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Vienna). He has recently published Alles für alle! Zapatismus zwischen Sozialtheorie, Pop und Pentagon, Münster, 2011, and Der Streit um den ästhetischen Blick. Kunst und Politik zwischen Pierre Bourdieu und Jacques Rancière, Vienna/Berlin, 2012. www.jenspetzkastner.de
VESNA MADŽOSKI Dr. Vesna Madžoski befasst sich mit Theorie und Forschung und lebt und arbeitet freiberuflich in Amsterdam. Sie erwarb einen Doktortitel in Philosophie von der European Graduate School, Saas-Fee, Schweiz. Forschungsschwerpunkt ihrer Doktorarbeit mit dem Titel DE CVRATORIBVS. The Dialectics of Care and Confinement ist die Geschichte des Kuratierens, die Transformationen dieser Praxis während der letzten 50 Jahre und ihr Verhältnis zum politischen und ökonomischen System. Sie ist Mitherausgeberin der in Belgrad erscheinenden Zeitschrift für Kunst und Theorie Prelom und seit 2006 Mitglied des Künstlerkollektivs Public Space With A Roof in Amsterdam. Weitere Informationen: http://madzoski.synthasite.com.
TOM HOLERT Tom Holert (geb. 1962) ist Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler, gelegentlich auch Künstler. Er lebt und arbeitet in Berlin und ist seit 2012 Gründungsmitglied der Akademie der Künste der Welt in Köln. Seine Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte sind die Beziehungen von künstlerischer Praxis, Pädagogik und Wissenspolitik, die Medialität, Ästhetik und Affektökonomie politischer Symbole (u. a. der Flagge) sowie die visuelle Kultur der experimentellen Psychologie. Ausgewählte Buchveröffentlichungen: Mainstream der Minderheiten. Pop in der Kontrollgesellschaft (hg. mit Mark Terkessidis, 1996); Künstlerwissen (1998); Regieren im Bildraum (2008); Das Erziehungsbild (hg. mit Marion von Osten, 2010).
Dr. Vesna Madžoski is an independent theorist and researcher based in Amsterdam. She has a Ph.D. in Philosophy from The European Graduate School, Saas-Fee, Switzerland. Her Ph.D. research, entitled DE CVRATORIBVS. The Dialectics of Care and Confinement was focused on the history of curating, transformations of this practice during the past 50 years, and its relationship with the political and economic system. She has been one of the editors of Prelom, a Belgrade-based journal for art and theory, and since 2006 she has been a member of the artists’ collective Public Space With A Roof in Amsterdam. More info: http://madzoski.synthasite.com.
DAVID MAYER Tom Holert (born in 1962) is an art historian and a cultural scholar, and occasionally also an artist. He lives and works in Berlin and in 2012 was a founding member of the Akademie der Künste der Welt in Cologne. The focus of his research is the relationship between artistic practice, pedagogy, and educational politics; the mediality, aesthetics, and affect economy of political symbols (e. g. the flag) as well as the visual culture of experimental psychology. Selected book publications: Mainstream der Minderheiten. Pop in der Kontrollgesellschaft (ed. with Mark Terkessidis, 1996); Künstlerwissen (1998); Regieren im Bildraum (2008); Das Erziehungsbild (co-ed. Marion von Osten, 2010).
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David Mayer, Dr. phil., studierte Geschichte und Internationale Entwicklung an der Universität Wien. Arbeitsschwerpunkte sind die Geschichte sozialer Bewegungen, die Geschichte des Marxismus und der Links-Intellektuellen, Historiografiegeschichte sowie Geschichtspolitik. 2011 Promotion mit einer Arbeit über marxistisch inspirierte Geschichtsdebatten in Lateinamerika in den „langen 1960er“ Jahren. Jüngere Veröffentlichungen: Weltwende 1968? Ein Jahr aus globalgeschichtlicher Perspektive (2008, Co-Herausgeber Jens Kastner); Vielstimmige Vergangenheiten – Geschichtspolitik in Lateinamerika (2009, Co-Herausgeber Berthold Molden).
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BIOGRAFIEN / BIOGRAPHIES David Mayer, Ph.D., studied history and international development at the University of Vienna. The focus of his research is the history of social movements, the history of Marxism and left-wing intellectuals, the history of historiography, and also the politics of history. In 2011 he received his Ph.D. for a thesis on Marxist inspired historical debates in Latin America during the “long 1960s.” Recent publications: Weltwende 1968? Ein Jahr aus globalgeschichtlicher Perspektive (2008, co-ed. Jens Kastner); Vielstimmige Vergangenheiten – Geschichtspolitik in Lateinamerika (2009, co-ed. Berthold Molden).
ULRIKE MÜLLER Die in Feldkirch, Vorarlberg, Österreich, geborene und in New York lebende Künstlerin Ulrike Müller hat nach ihrem Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien am Whitney Independent Study Program (2003) sowie am P.S.1 International Studio Program (2004) teilgenommen. Sie lehrt seither an verschiedenen US-amerikanischen Universitäten. Ulrike Müller war von 2005 bis 2007 Mitherausgeberin des queeren Zines LTTR. Neben zahlreichen internationalen Ausstellungsbeteiligungen nahm sie im Jahr 2010/11 an der 12. Biennale in Kairo teil. 2012 war ihre Ausstellung Herstory Inventory: 100 feministische Zeichnungen von 100 KünstlerInnen in der KUB Arena und im Brooklyn Museum, Brooklyn, New York, zu sehen. Siehe auch: Ulrike Müller, Fever 103, Franza, and Quilts, hg. von Achim Hochdörfer und Barbara Schröder, mit Essays von Aruna D’Souza, Achim Hochdörfer, Christian Kravagna und Amy Sillman, Brooklyn, New York 2012. Born in Feldkirch, Vorarlberg (Austria), Ulrike Müller lives and works in New York. After completing her studies at the Academy of Fine Arts, Vienna, she participated in the Whitney Independent Study Program (2003) and the P.S.1 International Studio Program (2004). She currently teaches at various US universities. From 2005 to 2007 Ulrike Müller was coeditor of the queer magazine LTTR. Apart from numerous international exhibitions she was represented at the Cairo Biennale 2010/2011. In 2012 her exhibition Herstory Inventory: 100 Feminist Drawings by 100 Artists was shown at the KUB Arena and the Brooklyn Museum, Brooklyn, New York. See also: Ulrike Müller, Fever 103, Franza, and Quilts, ed. by Achim Hochdörfer and Barbara Schröder, with essays by Aruna D’Souza, Achim Hochdörfer, Christian Kravagna, and Amy Sillman, Brooklyn, New York, 2012.
MERIJN OUDENAMPSEN Merijn Oudenampsen studierte Politikwissenschaft und Soziologie an der Universität von Amsterdam. Er arbeitete am postakademischen Jan-van-Eyck-Institut für bildende Kunst in Maastricht an einem Design-Forschungsprojekt über Aspekte populistischer Ästhetik. 2010 war er Herausgeber einer Sonderausgabe der niederländischen Zeitschrift für Kunsttheorie Open, die die populistische Vorstellungskraft untersuchte. 2011 begann er Forschungen an der Universität Tilburg zu einer Doktorarbeit über politischen Populismus und den politischen Rechtsruck in den Niederlanden, in der sich zeitgenössische Politiktheorie mit Studien zu Kultur- und Medien-wissenschaften sowie Nationalismusforschung verbinden. 2012 war er Co-Herausgeber von Power to the People, een anatomie van het populisme. Merijn Oudenampsen studied Political Science and Sociology at the University of Amsterdam. He was a researcher at the Post-Academic Art Institute Jan van Eyck in Maastricht in a design research project on populist aesthetics. In 2010 he edited a special issue of the Dutch art theory magazine Open, which investigated the populist imagination. In 2011 he began Ph.D. research at Tilburg University on political populism and the swing to the right in Dutch politics, combining contemporary political theory and insights gleaned from cultural studies, media studies, and nationalism research. In 2012 he co-edited Power to the People, een anatomie van het populisme.
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JAN REHMANN Jan Rehmann, geb. 1953; Dr. phil. habil., lehrt am Union Theological Seminary in New York, PD an der Freien Universität Berlin; Veröffentlichungen: Angriff der Leistungsträger? Das Buch zur Sloterdijk-Debatte (Mithg., Argument – Sonderband 307, 2010); Einführung in die Ideologietheorie (2008); I Nietzscheani di Sinistra. Deleuze, Foucault e il postmodernismo: una decostruzione (hg. von S. G. Azzarà, 2009); Postmoderner Links-Nietzscheanismus (Argument – Sonderband 298, 2004); Max Weber: Modernisierung als passive Revolution (1998); Muss ein Christ Sozialist sein? Nachdenken über Helmut Gollwitzer (Mithg., Argument – Sonderband 232, 1994); Die Kirchen im NS-Staat: Untersuchung zur Interaktion ideologischer Mächte (Argument – Sonderband 160, 1986). Arbeitsschwerpunkte sind Ideologietheorie, Poststrukturalismus, christlichmarxistischer Dialog, Nietzsche und Bloch. Jan Rehmann, born in 1953; Ph.D and habilitation, teaches at the Union Theological Seminary in New York, PD at the Free University in Berlin; Publications: Angriff der Leistungsträger? Das Buch zur Sloterdijk-Debatte (co-ed., Argument – Sonderband 307, 2010); Einführung in die Ideologietheorie (2008); I Nietzscheani di Sinistra. Deleuze, Foucault e il postmodernismo: una decostruzione (ed. by S. G. Azzarà, 2009); Postmoderner Links-Nietzscheanismus (Argument – Sonderband 298, 2004); Max Weber: Modernisierung als passive Revolution (1998); Muss ein Christ Sozialist sein? Nachdenken über Helmut Gollwitzer (co-ed., Argument – Sonderband 232, 1994); Die Kirchen im NS-Staat: Untersuchung zur Interaktion ideologischer Mächte (Argument – Sonderband 160, 1986). The focus of his research is ideological theory, post-structuralism, Christian-Marxist dialogs, Nietzsche, and Bloch.
ALBERTO HÍJAR SERRANO Alberto Híjar Serrano ist Professor emeritus an den Fakultäten Filosofia y Letras und Architektur der Universidad Nacional Autónoma de Méxiko von Mexiko-Stadt (UNAM). Mitbegründer und Mitglied des Taller de Arte e Ideología (1974) und des Taller de Construcción del Socialismo. Mitbegründer und Generalsekretär der Popularen Demokratischen Linken (Izquierda Democrática Popular, 2000–2003), Forscher am Centro Nacional de Investigación, Documentación e Información de Artes Plásticas del Instituto Nacional de Bellas Artes. Er war Berater des Regierungs-Rates des Nationalen Wiederaufbaus (Junta de Gobierno de Reconstrucción Nacional, 1979–1985) von Nicaragua. Híjar Serrano hat Texte zur Kultur der Ästhetik, zu politischer Philosophie, zur Kritik der Politischen Ökonomie und zur Geschichte der Moderne in diversen Zeitungen und Fachzeitschriften in Mexiko, Nicaragua, Kuba, den USA, Puerto Rico, Italien, Österreich und Spanien publiziert und war Organisator zahlreicher Workshops, Kurse und Konferenzen in Mexiko und anderswo. Von Híjar Serrano publizierte Sammelbände sind etwa Arte y utopía en América Latina, Mexiko, D.F. 2000, und Frentes, coaliciones y talleres: grupos visuales en México en el siglo XX, Mexiko, Casa Juan Pablos, Conaculta, Cenart, INBA, Cenidiap, 2007; Monografien: Semiótica del Imperialismo, Línea de izquierda, UCLAT, 2002; Introducción al neoliberalismo, 2001, ItacaUCLAT, 2. Aufl. http://albertohijar.blogspot.com/ Alberto Híjar Serrano is an emeritus professor at the faculties of Filosofia y Letras and architecture of the Universidad Nacional Autónoma de México in Mexico City (UNAM). Co-founder and member of Taller de Arte e Ideología (1974) and Taller de Construcción del Socialismo. Co-founder and general secretary of the Popular Democratic Left (Izquierda Democrática Popular, 2000–2003), researcher at Centro Nacional de Investigación, Documentación e Información de Artes Plásticas del Instituto Nacional de Bellas Artes. He was an adviser for the governmental advisory committee of National Reconstruction (Junta de Gobierno de Reconstrucción Nacional, 1979–1985) in Nicaragua.
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BIOGRAFIEN / BIOGRAPHIES Híjar Serrano has published texts on the culture of aesthetics, political philosophy, critiques on political economy, and the history of modernism in various newspapers and journals in Mexico, Nicaragua, Cuba, USA, Puerto Rico, Italy, Austria, and Spain and is an organizer of numerous workshops, courses, and conferences in Mexico and elsewhere. Anthologies published by Híjar Serrano include Arte y utopía en América Latina, Mexiko, D.F. 2000, and Frentes, coaliciones y talleres: grupos visuales en México en el siglo XX, Mexiko, Casa Juan Pablos, Conaculta, Cenart, INBA, Cenidiap, 2007; Monographs: Semiótica del Imperialismo, Línea de izquierda, UCLAT, 2002; Introducción al neoliberalismo, 2001, Itaca-UCLAT, 2nd ed. http://albertohijar.blogspot.com/
KERSTIN STAKEMEIER Kerstin Stakemeier (geb. 1975) ist Autorin und Hochschullehrerin und lebt in Berlin und München. Sie ist Juniorprofessorin am cx centrum für interdisciplinäre studien an der Akademie der Bildenden Künste München. Sie verfasste ihre Doktorarbeit über Entkunstung – Artistic Models for the End of Art (2010) und forschte an der Jan van Eyck Academie, Maastricht (2009/10) über Realisms in (Contemporary) Art. Anstellungen unter anderem beim Neuen Berliner Kunstverein, dem Museum für Gegenwartskunst in Basel sowie dem Kunstverein in Hamburg. Unter anderem schreibt sie für Texte zur Kunst, springerin, Afterall und Phase 2. 2012 wurden Painting – The Implicit Horizon (hg. mit Avigail Moss) und Anfang Gut. Alles Gut. Aktualisierungen der futuristischen Oper Sieg über die Sonne (1913) (hg. mit Eva Birkenstock und Nina Köller) veröffentlicht. 2013 wird Entkunstung – Artistic Models for the End of Art bei polypen b_books erscheinen. Kerstin Stakemeier (born in 1975) is a writer and teacher living in Berlin and Munich, where she is a junior professor at the cx center for interdisciplinary studies at the Academy of Fine Art. She wrote her Ph.D. on Entkunstung – Artistic Models for the End of Art (2010) and was a researcher at the Jan van Eyck Academie, Maastricht (2009/10) on Realisms in (Contemporary) Art. She has worked at the Neuer Berliner Kunstverein, the Museum für Gegenwartskunst Basel and the Kunstverein in Hamburg, amongst others, and writes for the magazines Texte zur Kunst, springerin, Afterall, and Phase 2, amongst others. In 2012 Painting—The Implicit Horizon (co-ed. Avigail Moss) and Anfang Gut. Alles Gut. Actualizations of the futurist opera Victory Over the Sun (1913) (co-ed. Eva Birkenstock and Nina Köller) were published. In 2013 Entkunstung—Artistic Models for the End of Art will be published by polypen b_books.
RUTH SONDEREGGER
Ruth Sonderegger (born in 1967) is a professor of philosophy and aesthetic theory at the Academy of Fine Arts, Vienna. The focus of her current research is aesthetics, political philosophy as well as critical theory and resistance studies. Selected publications: Ed. (with Karin de Boer), Conceptions of Critique in Modern and Contemporary Philosophy, Houndmills Basingstoke, 2011; Ed. (with Diedrich Diederichsen, Christine Frisinghelli, Matthias Haase, Christoph Gurk, Juliane Rebentisch, and Martin Saar), Golden Years: Materialien und Dokumente zur queeren Subkultur und Avantgarde zwischen 1959 und 1974, Graz, 2006; Für eine Ästhetik des Spiels. Hermeneutik, Dekonstruktion und der Eigensinn der Kunst, Frankfurt a. M., 2000. LEA SUSEMICHEL Lea Susemichel (geb. 1976) hat Philosophie und Gender Studies in Wien studiert. Sie arbeitet zum Thema Ereignis und hat u. a. zu feministischer Medienarbeit publiziert. Sie unterrichtet Philosophie und Kulturtheorie an der Wiener Kunstschule. Seit 2006 ist sie leitende Redakteurin der monatlich erscheinenden Zeitschrift an.schläge. Das feministische Magazin (Wien). Lea Susemichel (born in 1976) studied philosophy and gender studies in Vienna. She works on the subject matter of events and has published, amongst other things, on feminist media work. She teaches philosophy and cultural theory at the Vienna Art School. Since 2006 she has been the senior editor of the monthly magazine an.schläge. Das feministische Magazin (Vienna).
JÁNOS WEISS János Weiss (geb. 1957 in Szűr, Ungarn); Studium der Wirtschaftswissenschaften in Pécs, der Philosophie in Budapest, Frankfurt am Main, Tübingen und Berlin. 1991 Promotion über Adornos Ästhetik, 2000 Habilitation mit der Arbeit Die Konstitution des Staates (2006). Zurzeit Professor für Philosophie an der Universität Pécs. Letzte Buchveröffentlichungen: Was heißt Reformation der Philosophie? (2009) und Lukács öröksége (Das Erbe von Georg Lukács), Gond-Cura Alapítvány (2011). János Weiss (born in 1957 in Szűr, Hungary) studied economics in Pécs and philosophy in Budapest, Frankfurt am Main, Tübingen, and Berlin. 1991 Ph.D. on Adorno’s aesthetics. 2000, habilitation with the work Die Konstitution des Staates (2006). Currently professor of philosophy at the University of Pécs. Recent book publications: Was heißt Reformation der Philosophie? (2009) and Lukács öröksége (The Lecacy of György Lukács), Gond-Cura Alapítvány (2011).
Ruth Sonderegger (geb. 1967) ist Professorin für Philosophie und Ästhetische Theorie an der Akademie der bildenden Künste Wien. Ihre derzeitigen Forschungsschwerpunkte sind Ästhetik, politische Philosophie sowie Kritische Theorien und resistance studies. Veröffentlichungen (Auswahl): Hg. (mit Karin de Boer), Conceptions of Critique in Modern and Contemporary Philosophy, Houndmills Basingstroke 2011; Hg. (mit Diedrich Diederichsen, Christine Frisinghelli, Matthias Haase, Christoph Gurk, Juliane Rebentisch und Martin Saar), Golden Years: Materialien und Dokumente zur queeren Subkultur und Avantgarde zwischen 1959 und 1974, Graz 2006; Für eine Ästhetik des Spiels. Hermeneutik, Dekonstruktion und der Eigensinn der Kunst, Frankfurt a. M. 2000.
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Diese Publikation erscheint im Zusammenhang mit dem KUB Arena Projekt / This book is published in conjunction with the KUB Arena project Kunst und Ideologiekritik nach 1989 / Art and Ideology Critique After 1989
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Im Zusammenhang mit der Sommerakademie der KUB Arena im September 2012 in Kooperation mit dem Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften der Akademie der bildenden Künste Wien / In conjunction with the KUB Arena Summer Academy, September 2012, in cooperation with the Institute for Art Theory and Cultural Studies at the Academy of Fine Arts Vienna Konzipiert von / Concept by Eva Birkenstock, Max Jorge Hinderer Cruz, Jens Kastner, Ruth Sonderegger
Kunsthaus Bregenz A r e n a Publikationsreihe herausgegeben von / Series edited by Eva Birkenstock, Yilmaz Dziewior Bd. 3 Kunst und Ideologiekritik nach 1989 / Art and Ideology Critique After 1989 HerausgeberInnen / Editors: Eva Birkenstock, Max Jorge Hinderer Cruz, Jens Kastner, Ruth Sonderegger Lektorat / Copy Editing: Katrin Wiethege, Claudia Voit, Volker Ellerbeck, Textual Bikini – Jesi Khadivi und / and Kathleen Reinhardt, Sam Putinja, William Wheeler Übersetzungen / Translations: Sabine Bürger und / and Tim Beeby / artlanguage, Pauline Cumbers, Volker Ellerbeck, James Gussen, Daniel Hendrickson, Textual Bikini – Jesi Khadivi, Ralf Schauff, William Wheeler Gestaltung / Graphic Design: HIT, Berlin Druck / Printing: DZA Druckerei zu Altenburg GmbH Bildrechte / Credits © Kunsthaus Bregenz Fotonachweis / Photo Credits Foto / Photo: Jens Kastner; Montage: Stefan Gassner (S. / p. 11)
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ISBN 978-3-86335-145-8
Kunsthaus Bregenz
Vertrieb / Distribution
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Direktor / Director: Yilmaz Dziewior Kaufmännischer Geschäftsführer / Chief Executive: Werner Döring Kurator / Curator: Rudolf Sagmeister Kuratorin KUB Arena / KUB Arena Curator: Eva Birkenstock Praktikantin / Internship: Leah Heckel Kommunikation / Communications: Birgit Albers Assistenz / Assistant: Tina Süß Kunstvermittlung / Art Education: Kirsten Helfrich Assistenz / Assistant: Lisa Hann, Lidiya Anastasova Publikationen und Editionen / Publications and Artist´s Editions: Katrin Wiethege Assistenz / Assistants: Claudia Voit, Caroline Schneider Technik / Technical Assistance: Markus Unterkircher (Leiter / Head), Stephan Moosmann, Markus Tembl, Stefan Vonier, Helmut Voppichler, Lukas Piskernik Werkstatt / Workshop: Claudius Rhomberg (Leiter / Head), Kurt Amann, Andreas Feurle, Roland Sonderegger Assistentin des Direktors / Assistant to the Director: Beatrice Nussbichler Sekretariat / Office: Margot Dörler-Fritsche
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Auflage Januar 2014 / Edition January 2014 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 by Kunsthaus Bregenz und Autoren / and authors Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
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