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German Pages 320 Year 2016
Meggi Khan-Zvornicˇanin Kultursensible Altenhilfe?
Kultur und soziale Praxis
Meggi Khan-Zvornicˇanin, geb. 1967, exam. Krankenschwester, Gesundheitsund Pflegewissenschaftlerin, war Promotionsstipendiatin des von der RobertBosch-Stiftung geförderten Graduiertenkollegs »Multimorbidität im Alter« sowie Gastwissenschaftlerin der Forschungsgruppe »Public Health« am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). An der Freien Universität Berlin wurde sie mit »summa cum laude« zum Dr. phil. promoviert. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Transkulturalität, Migration und Gesundheit sowie qualitativ-rekonstruktive Methoden.
Meggi Khan-Zvornicˇanin
Kultursensible Altenhilfe? Neue Perspektiven auf Programmatik und Praxis gesundheitlicher Versorgung im Alter
Diese Arbeit wurde gefördert von der Robert-Bosch-Stiftung durch ein Promotionsstipendium und im Anschluss vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) aus Mitteln zur Nachwuchsförderung. D 188 Zugl.: Berlin, Freie Universität, Diss., 2015
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Inhalt
Vorbemerkungen | 9 1
Einleitung | 13
ZUR „REDE“ ÜBER ALTER, MIGRATION UND VERSORGUNG 2
Der wissenschaftliche Fachdiskurs über die Versorgung alter Migranten | 21
2.1 Plädoyer für einen kombinierten Ansatz qualitativ-rekonstruktiver Methoden | 29 3
Diskursanalytischer Teil | 35
3.1 Diskurstheorie und Diskursanalyse | 35 3.1.1 Korpusbildung und Forschungsprozess | 46 3.2 Soziohistorischer Kontext: die „Rede“ über Alter, Migration, Versorgung | 51 3.3 Architektur des Versorgungsdiskurses | 52 3.3.1 Die thematische Struktur des Versorgungsdiskurses | 52 3.3.2 Die narrative Struktur des Versorgungsdiskurses | 53 3.3.3 Die Argumentations- und Deutungsstruktur des Versorgungsdiskurses | 56 3.4 Zusammenfassende Interpretation und Fazit | 69
ZUR PRAXIS DER VERSORGUNG ALTER MIGRANTEN 4
Metatheoretische Rahmung und Forschungsprozess | 75
4.1 Vom „cultural turn“ zum „practical turn“ | 76 4.2 Das Verhältnis von Diskurs und Habitus | 81 4.3 Die Dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis | 87 5
Annäherung an das Forschungsfeld soziale Altenhilfe | 101
5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6
Rechtliche Rahmenbedingungen | 101 Paradigmen und Leitbilder: Altenpolitik und Altenhilfe | 103 Angebotsstrukturen der Altenhilfe | 105 Trägerstrukturen | 107 Professionelle Altenhilfe als soziale Dienstleistung | 111 Neue Steuerung und Sozialmanagement | 113
6
Datenerhebung und Sampling | 117
6.1 Zugang zum Forschungsfeld | 117 6.2 Durchführung der Interviews und Gruppendiskussionen | 118 6.3 Anlage des Samples | 122
REKONSTRUKTION DER V ERSORGUNGSPRAXIS 7
Komparative Analyse und mehrdimensionale Typenbildung | 129
7.1 Die Basistypik: soziales Verstehen versus instrumentelles Handeln | 130 8
Ambulante Versorgung | 133
8.1 Migration und Versorgung: Rahmungen des Themas | 133 8.2 „Schwierige Fälle“ | 163 8.3 Zuschreiben, deuten, verstehen: habituelle Zugänge zum Fremdverstehen | 182 8.4 Zwischenresümee und weiteres Vorgehen | 206 9
Stationäre Versorgung | 209 9.1 Migration und Versorgung: Rahmungen des Themas | 209 9.2 „Schwierige Fälle“ | 217 9.3 Zuschreiben, deuten, verstehen: habituelle Zugänge zum Fremdverstehen | 224 10
Offene Altenhilfe | 233 10.1 Migration und Versorgung: Rahmungen des Themas | 233 10.2 „Schwierige Fälle“ | 237 10.3 Zuschreiben, deuten, verstehen: habituelle Zugänge zum Fremdverstehen | 239 11
Die sinngenetische Typenbildung: Zusammenfassung | 243
12 Die soziogenetische Typenbildung | 247 12.1 Professionelle Autonomie als eine zentrale Erfahrungsdimension | 248
ZUSAMMENFÜHRUNG 13
Diskurshegemonie und professioneller Habitus | 257
14
Abschließende Diskussion | 267
14.1 14.2 14.3 14.4 14.5
Versorgungsforschung: etwas „Neues“ entdecken | 268 Versorgungsqualität | 270 Versorgungsmilieu Typus C: theoretische Anschlüsse | 273 Die Logik des Diskurses und die „Klugheit der Praxis“ | 282 Methodologie: die Kopplung von Dokumentarischer Methode und Diskursanalyse | 284 14.6 Resümee und Ausblick | 286 Literaturverzeichnis | 289
A Anhang | 313 A.1 Transkriptionsrichtlinien | 314 A.2 Übersicht über die interviewten Fachkräfte | 315
Vorbemerkungen
Personen- und Rollenbezeichnungen Wenn es um die Bezeichnung von Personen geht, nenne ich in der Regel entweder die feminine und die maskuline Form zusammen oder verwende geschlechtsneutrale Formulierungen. Dort, wo Rollen oder rollenförmige Kategorien gemeint sind, denen keine konkreten Personen zugeordnet werden, steht die maskuline Form für einen allgemeinen Begriff (z. B. Adressaten, Akteure, Repräsentanten). Die Begriffe „Migrant“ und „Alter“ als Zuschreibungskategorien Wenn in dieser Arbeit von „Migranten“ die Rede ist, vom „alten Menschen mit Migrationshintergrund“ oder auch von den „alten Migrantinnen“, so handelt es sich hierbei in der Regel nicht um die Bezeichnung konkreter Personen oder einer natürlichen Gruppe, sondern um einen „Zuschreibungsstatus“ (vgl. Mecheril 2003, S. 11). Aus diesem Grund changieren die Bezeichnungen je nach Kontext. Dort, wo das Geschlecht kontextuell von Bedeutung ist, folge ich der oben genannten Regel für Personenbezeichnungen. Überwiegend wird jedoch verallgemeinernd von den „Migranten“ gesprochen, um damit die Zuschreibungskategorie selbst zu markieren. Diese Kategorie und der hierdurch zugewiesene soziale Status lassen sich in Anlehnung an Foucault (1981) diskurstheoretisch fassen als kollektiv verbindliche Sinnordnung und Bedeutungszuschreibung, welche über diskursive Praktiken historisch zumindest für eine gewisse Zeit stabilisiert und damit innerhalb eines sozialen Ensembles institutionalisiert werden (vgl. Keller 2004, S. 7). Aus dieser Perspektive bringt das Schreiben und Sprechen über Migranten diese als solche erst hervor. Es „erzeugt die Anderen, denn es definiert sie, […] gibt Anleitung zum Umgang“ mit ihnen und „hat zugleich eine legitimierende Funktion für die eigenen Interpretationen und Umgehensweisen.“ (Mecheril 2005, S. 315). Yildiz spricht in diesem Zusammenhang von „ethnisch-kulturell konnotierten semantischen Wissensstruktu-
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ren“ auf die Migranten festgelegt werden (Yildiz 2009, S. 304). Außerhalb dieser Strukturen, die als kognitive Schemata fungieren, „ist der Migrant kaum Teilhaber oder Gegenstand anderer Diskurse“ (ebd.). Aus diesem Grund werde der Status des Migranten als derjenige eines – von den Normalitätserwartungen der „Dominanzgesellschaft“ (Rommelspacher 1995, S. 92) – „abweichenden Menschen“ mit der Reproduktion des Einwanderungs- und Migrantendiskurses immerzu fortgeschrieben (Yildiz 2009, S. 304). Im Sinne der praxeologischen Wissenssoziologie könnte man hier auch sagen, der Migrant erhält den Charakter einer „totalen Identität“ (Garfinkel 1967), indem von anderen Identitäten bzw. Identifizierungen jenseits der des Migranten abgesehen wird bzw. diese sekundär werden (vgl. Bohnsack/Nohl 2001, S. 20). Indem ich in der vorliegenden Arbeit die Kategorie „Migrant“ verwende, reproduziere ich notwendigerweise die damit verknüpften „ethnisch-kulturell konnotierten“ kognitiven Schemata (Yildiz 2009, S. 304), auch wenn es in dieser Arbeit nicht primär um Migrantinnen und Migranten geht, sondern um das Sprechen über und Erzeugen von Versorgungsqualität im Migrationskontext. Indem ich jedoch dem Migrationsdiskurs mit dieser Arbeit ein weiteres Diskursfragment zufließen lasse, arbeite ich diesem Diskurs auch zu. Verhindern kann ich dies nicht. Jedoch kann und möchte ich an dieser Stelle an die Kontingenz, die Flüchtigkeit und die gleichzeitig vorhandene relative Stabilität dieses Zuschreibungsmechanismus erinnern. Noch bis vor wenigen Jahren galten jene Menschen, die heute unter die Kategorie „Migranten“ subsumiert werden, als „Ausländer“, oft auch als „Gastarbeiter“, deren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland als nur vorübergehend gedacht und damit keineswegs selbstverständlich war. Mit einer zunehmenden Anerkennung der faktischen Einwanderungssituation wurde der Begriff „Gastarbeiter“ allmählich obsolet. Vor diesem Hintergrund kann das Sprechen über „Migranten“ im Sinne einer Abkehr vom Sprechen über „Ausländer“ und „Gastarbeiter“ positiv konnotiert sein. Den Status eines Dazugehörigen verleiht ihnen diese Rede aber immer noch nicht, wie Yildiz (2009, S. 303) feststellt. Eher scheint im Verlauf der langjährigen öffentlichen Debatten um die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland sich zu der Faktizität der Einwanderungsgesellschaft, die sie längst geworden war, bekennen soll und um das im Jahr 2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz, eine Verfeinerung der sprachlichen Differenzierung zwischen Deutschen und Nicht-Deutschen stattgefunden zu haben. So wird heute in der amtlichen Statistik nicht nur zwischen deutscher und ausländischer Bevölkerung1 unterschieden, sondern darüber hinaus auch zwischen Deutschen mit 1
Laut Zensus 2011 betrug der Anteil ausländischer Staatsangehöriger 7,7 % der Gesamtbevölkerung. Quelle: https://www.destatis.de/DE/Methoden/Zensus_/Zensus_AktuellMigration.html?nn=5035 50 (29.06.2013).
V ORBEMERKUNGEN
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und ohne Migrationshintergrund2. Die Kategorie „Migrationshintergrund“ umfasst dabei a) ausländische Staatsangehörige und b) im Ausland oder in Deutschland geborene mit doppelter Staatsangehörigkeit und c) deutsche Staatsangehörige, die entweder selbst nach dem Jahr 1955 in die Bundesrepublik Deutschland eingewandert sind oder in Deutschland geborene Personen, von denen mindestens ein Elternteil den Personengruppen a, b oder c zugeordnet werden kann (vgl. RKI 2008, S. 11). Das Alter einer Person ist nur relational zu erfassen. Ob jemand als alt oder jung zu bezeichnen ist, hängt vom jeweils angelegten Vergleichshorizont ab. So gehören die Fünf- bis Sechsjährigen im Kindergarten zu den Ältesten, in der Schule dagegen zu den Jüngsten. Im Fall eines Jugendlichen ist die Anrede „Alter“ oder „Alte“ in der Regel keine Degradierung. Dagegen wird eine solche Anrede nach dem Überschreiten der Lebensmitte zunehmend als unhöflich erachtet. Denn das Altsein ist negativ konnotiert, sobald es mit der Endlichkeit des Lebens in Verbindung gebracht wird. Dann wird es mit dem Nachlassen der Kräfte, Verlust und Verfall gleichgesetzt (vgl. Göckenjan 2000). Um alte Menschen nicht zu diskriminieren, werden in der Literatur häufig abschwächende Formulierungen zur Bezeichnung des Alters gebraucht, wie z. B. die „Älteren“. Hier wird das Relationale des Altersbegriffs scheinbar betont. Wer „älter“ ist, ist noch nicht „alt“ und damit noch nicht dem Verfall unterworfen. Dabei ist Alter ohnehin eine relationale Kategorie. Auch wird ein implizit vorhandenes negatives Altersbild oft gerade durch das Bemühen reproduziert, eine Person nicht als alt darzustellen (vgl. Dörner/Loos/Schäffer/ Wilke 2011). Letztendlich ist es eine Frage des persönlichen Standortes, ob die Bezeichnung „alt“ oder „älter“ bevorzugt wird. Ich habe mich dafür entschieden, in der vorliegenden Arbeit durchgängig den Begriff „alt“ zu verwenden, wenn es um die Bezeichnung von Adressaten der Altenhilfe geht. Analog zu meiner Verwendung des Begriffs „Migranten“ möchte ich hier die Zuschreibungskategorie „alt“ selbst in den Vordergrund rücken und in diesem Zusammenhang auf das Relationale und Kontextgebundene dieser Klassifizierungen verweisen. Mit dem Sprechen über das Alter und das Altern werden auf kommunikativer Ebene gesellschaftliche „Platzzuweisungen“ (Bramberger 2005, S. 51) vermittelt und festgeschrieben3. Mit der Verwendung der Zuschreibungskategorie „alte Migranten“ geht eine soziale Positionierung als „andere“ – ein „othering“ im Sinne Spi-vaks (1985) – einher. Ob die als sozial „anders“ Klassifizierten allerdings die an sie herangetragenen Fremdidentifizierungen, Fremdbilder und Erwartungen übernehmen oder sich hiervon distanzieren, ist eine Frage, die aus konstruktivistisch-poststrukturalistischer Perspektive unbeantwortet bleiben muss (vgl. Bohn2
Laut Zensus 2011 betrug der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung 19 % (Quelle: vgl. Anmerkung 1).
3
Vgl. hierzu z. B. Göckenjan (2000).
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sack/Nohl 2001, S. 18). Diese Fragestellung verweist auf den blinden Fleck solcher Ansätze, nämlich auf den fehlenden Zugang zu dem Erfahrungsraum der Betroffenen, der mit ihrer Alltagspraxis verbunden ist (vgl. ebd.). Erst durch die Berücksichtigung dieser häufig vernachlässigten Dimension kann die Wirkmächtigkeit von Diskursen umfassender beurteilt werden. Und erst hierdurch gerät wieder in den Blick, dass fremdidentifizierte Individuen sich gegenüber Zuschreibungen immer auch verhalten können, dass sie Handlungsspielräume haben, die sie unterschiedlich und zum Teil kreativ nutzten (vgl. Franz 2013; Bohnsack/Nohl 2001a,b, Apitzsch 1999).
1 Einleitung „Nicht was wir sehen, wohl aber, wie wir sehen, bestimmt den Wert des Geschehenen.“ BLAISE PASCAL
Wie werden alte, kranke Menschen mit Migrationshintergrund in den Einrichtungen der professionellen Altenhilfe beraten, betreut und gepflegt? Diese Frage stellt ein zentrales Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie dar. Denn seit über zwanzig Jahren existiert in der Bundesrepublik Deutschland ein öffentlich ausgetragener Fachdiskurs1, in dem es darum geht, Versorgungsdefizite und Zugangshürden im Kontext von Alter, Migration und Pflegebedürftigkeit abzubauen. Schlagworte dieses Diskurses sind Forderungen wie „kultursensible Altenhilfe“, „interkulturelle Öffnung“ und „interkulturelle Kompetenz“. Die Hauptforderung dieses programmatischen Diskurses lautet, dass sich die Angebotslandschaft der professionellen Altenhilfe stärker auch an ethnisch-kulturell unterschiedlichen und migrationsspezifischen Bedarfslagen ausrichten solle, um den Anforderungen einer zunehmend durch internationale Migration geprägten Gesellschaft besser gerecht zu werden. Unterstützt wird dieses Anliegen vonseiten der Bundesregierung und einer breiten Fachöffentlichkeit. Allerdings klagen Fachleute, dass bislang – von wenigen Modellprojekten einmal abgesehen – noch nicht von einer „ausreichend kultursensiblen Versorgungslandschaft“ gesprochen werden könne (Zeman 2005, S. 84; vgl. auch: Kohls/Rühl/Schimany 2012, S. 69f.; RKI 2008, S. 132). Vielmehr herrsche immer noch eine Situation vor, in der „die Praxis den Leitbildern und Konzepten hinter-
1
Die Begriffe „Fachdiskurs“, „Versorgungsdiskurs“ und „Versorgungsfachdiskurs“ werden in dieser Arbeit synonym als Bezeichnung für die öffentliche Rede über die gesundheitlich-pflegerische Versorgung alter Menschen mit Migrationshintergrund verwendet. Hiermit wird einerseits die thematische Dimension (Versorgung) dieses Diskurses gekennzeichnet und andererseits der Umstand, dass insbesondere Fachleute die zentralen Sprecherpositionen in diesem öffentlichen Diskurs besetzen. Diese stammen aus den Bereichen Politik und Verwaltung, aus der Wissenschaft sowie aus den sozialen Diensten.
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herhinkt“ (Foitzik 2008, S. 20). Die Frage, ob und inwiefern die fachlichen „Visionen“ (Gaitanides 2006, S. 225) und öffentlich aufgestellten Forderungen dieses Diskurses anschlussfähig an die Handlungslogiken und Relevanzsysteme der Versorgungspraxis sind, wurde bisher noch nicht systematisch erforscht. Vorhandene Untersuchungsbefunde verweisen lediglich auf eine Kluft zwischen der hohen Bedeutung, welche seit Jahren den programmatischen Vorstellungen über Versorgung im Migrationskontext von gesellschaftspolitischer Seite und aus Fachkreisen zugesprochen wird, auf der einen Seite und der – tatsächlichen oder vermeintlichen – Veränderungsresistenz der Handlungspraxis gegenüber Umsetzungsversuchen dieser Programmatik auf der anderen Seite. Vor diesem Hintergrund werden in der vorliegenden Studie beide Aspekte sozialer Wirklichkeit in den Blick genommen: die „Rede“ über die Praxis der Versorgung alter Menschen mit Migrationshintergrund (Diskurs) und die handlungsleitenden Orientierungen der professionellen Akteure im Feld der Altenhilfe (Habitus). Dabei ist es das Ziel, beide Kategorien zunächst in ihrer jeweiligen Eigenlogik zu rekonstruieren und zu verstehen, um sie dann auch im Hinblick auf ihre wechselseitige Bezogenheit betrachten und diskutieren zu können. Erkenntnistheoretisch und methodisch fundiert wird dieses Vorhaben durch die „Kopplung“ (Bohnsack 2014a) eines diskurstheoretisch inspirierten Ansatzes mit der Dokumentarischen Methode. Letztere ist durch die Kultur- und Wissenssoziologie Karl Mannheims begründet und wurde von Ralf Bohnsack (1983) insbesondere im Zuge der Entwicklung des Gruppendiskussionsverfahrens (1989) zu einem elaborierten Verfahren rekonstruktiv-praxeologischer Wissenssoziologie (vgl. Bohnsack 2006a, 2007c) weiterentwickelt. In methodologischer Hinsicht verstehe ich die vorliegende Arbeit auch als einen forschungspraktischen Beitrag zur Bearbeitung von Anschlüssen poststrukturalistischer und praxeologischer Forschungsperspektiven. Denn hierbei handelt es sich um ein noch weitgehend unbearbeitetes Forschungsfeld (vgl. Bohnsack 2014, S. 50f.; Reckwitz 2003, S. 298). In Bezug auf das Thema Alter, Migration und gesundheitlich-pflegerische Versorgung wird durch den hier verfolgten Ansatz die Betrachtung zweier kategorial verschiedener, einander jedoch wechselseitig bedingender Aspekte sozialer Wirklichkeit möglich: Diskurs und Habitus. Dabei geht der diskursanalytische Teil dieser Arbeit von der Annahme aus, dass die Rede über die Versorgung alter Menschen mit Migrationshintergrund nicht zufällig aufgekommen, sondern ein Effekt diskursiver Hegemonie ist2. Dieser Teil geht daher der Frage nach, wann und wie 2
Bei der Hegemonie-These handelt es sich nicht um eine im Voraus an die Untersuchung herangetragene Hypothese. Vielmehr resultiert diese Überlegung aus der in hermeneutischen Schleifen erfolgten Auseinandersetzung mit dem Datenmaterial im Rahmen des qualitativ-rekonstruktiv angelegten Forschungsprozesses (vgl. hierzu auch: Kapitel 14.5 in dieser Arbeit).
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die Rede über Versorgung im Migrationskontext bedeutsam geworden ist. Zudem werden Deutungen und Subjektpositionen rekonstruiert, die der Fachdiskurs einerseits alten Menschen mit Migrationshintergrund und andererseits den Beschäftigten in den sozialen Diensten zuweist. Dagegen geht es im zweiten Teil der Arbeit um die Frage, wie die „Logik der Praxis“ (Bourdieu 1976) von Versorgung im Migrationskontext jenseits der symbolischen Ordnung des Diskurses funktioniert. Hierzu wird der professionelle Habitus von Fachkräften der Altenhilfe im Umgang mit alten Migrantinnen und Migranten rekonstruiert. Im Anschluss kann nun exemplarisch aufgezeigt werden, wie sich die performative Struktur professioneller Habitus in der Auseinandersetzung mit den Zwängen und Freiheiten der hegemonialen Ordnung des Versorgungsdiskurses reproduziert, konturiert oder transformiert. Ebenso wird nun ersichtlich, dass die hegemoniale Ordnung des Versorgungsdiskurses aufgrund der habituellen Dispositionen der Fachkräfte nicht nur reproduziert, sondern auch unterwandert oder strategisch genutzt werden kann, wobei Subjektpositionen, die dieser Diskurs den Beschäftigten zuweist, zurückgewiesen oder in einer modifizierenden Weise aktiv angeeignet werden. Somit erlaubt insbesondere der rekonstruktiv-praxeologische Zugang zur Handlungspraxis der Akteure auch einen entdeckenden Blick auf Ressourcen und kreative Potenziale, welche aus der alltagsnahen, handlungspraktischen Auseinandersetzung der Beschäftigten im Versorgungssystem mit diskursiv erzeugten, strukturellen Zwängen und Freiräumen resultieren. Von besonderem Interesse sind hier bewährte bzw. gut funktionierende Praktiken des Versorgungsalltages, welche von den Akteuren zwar insofern gekannt werden, als diese sie regelmäßig ausüben, jedoch können die Handelnden die Anwendungsregeln im Sinne handlungslogischer Prinzipien normalerweise nicht explizieren. Hierzu sind ihnen diese Regeln bereits zu selbstverständlich geworden. Man kann auch sagen, sie haben diese habitualisiert. Da die Fachkräfte in Bezug auf ihre berufspraktische Tätigkeit oft „selbst nicht wissen, was sie da eigentlich alles wissen“ (Bohnsack 2007a, S. 224) besteht ein besonderer Reiz des rekonstruktiv-praxeologischen Ansatzes auch darin, deren „stillschweigendes“ (Polanyi 1985) Orientierungswissen zur Explikation zu bringen. Dieses Erkenntnisinteresse schließt an Überlegungen von Bonß (2001) über das Transferproblem zwischen Theorie und Praxis an. Bonß weist darauf hin, dass die Praxis über ein eigenes „Referenzsystem“ verfüge, an das wissenschaftliches Wissen nicht unmittelbar anschlussfähig sei. Vielmehr müsse die Praxis sich dieses immer erst zu eigen machen (vgl. ebd., S. 99). Im Umkehrschluss lässt sich hieraus fordern, dass die Wissenschaften – wollen sie sich nicht dem Vorwurf der systematischen „Irrelevanz“ für die Praxis aussetzen (vgl. Nowotny 1975) – sich zunächst die „Logik der Praxis“ (Bourdieu 1976) eines interessierenden Handlungsfeldes zu eigen machen müssen, um praxisrelevante Probleme identifizieren und anschlussfähige Lösungswege entwickeln zu können. Bohnsack zufolge bedarf es hierzu praxeologisch fundierter wissenschaftlicher
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Methoden, denn nur solche erlaubten einen validen Zugang auch zu jenen Wissensbeständen, welche in der Regel implizit blieben, da sie „in die Handlungspraxis eingelassen“ seien (Bohnsack 2007a, S. 229). Bohnsack betont, dass erst auf der Grundlage solcher Forschungsergebnisse, die auch implizites Handlungswissen bereitstellen, die Möglichkeit einer wirksamen Einflussnahme auf die Handlungspraxis gegeben sei (vgl. Bohnsack 2007b, S. 221). Hierbei ist allerdings auch zu bedenken, dass sich der Austausch und Transfer von wissenschaftlichen Untersuchungsergebnissen immer auch im Rahmen der räumlich-zeitlich gebundenen Ordnung(en) aktueller Diskurse vollzieht. Im Fall eines hegemonialen Diskurses besteht die Gefahr der diskursiven Vereinnahmung und Überformung neuer Forschungsergebnisse, was deren innovativen Gehalt, zumindest vorübergehend, neutralisieren kann. Generell liegt diskursiver Hegemonie mindestens eine machtvolle „Diskurskoalition“ (Hajer 1995) zugrunde. Dabei gilt jedoch: Je machtvoller hegemoniale Diskurskoalitionen sind, desto eher erscheint die darin wirksame Argumentationslogik alternativlos und naturgegeben zu sein. Den Wissenschaften kommt vor diesem Hintergrund die Aufgabe zu, solche Hegemonien aufzudecken, sie zu beschreiben, kritisch zu hinterfragen und alternative Deutungen aufzuzeigen, sodass pluralistische Verständigung wieder möglich wird. Hierzu möchte die vorliegende Studie auch einen Beitrag leisten. Zusammenfassend formuliert, geht es mir in der vorliegenden Arbeit darum, neue Perspektiven auf altbekannte Problembeschreibungen in Bezug auf die professionelle Versorgung alter Menschen mit Migrationshintergrund zu eröffnen und metakommunikative Verständigung zu ermöglichen durch die Kopplung eines diskurs- und hegemonietheoretischen Ansatzes mit einem praxeologisch-wissenssoziologischen Zugang. Struktur der Arbeit Die Arbeit hat einen dreiteiligen Aufbau, der sich aus der oben dargelegten Zielstellung ergibt. Dabei dient der letzte Teil (Kapitel 13 und 14) der Zusammenschau und Diskussion der zentralen Forschungsergebnisse aus den beiden vorangegangenen Abschnitten. Der erste Teil der Arbeit (Kapitel 2 und 3) nimmt die Rede über die Versorgung alter Menschen mit Migrationshintergrund in den Blick. Er beginnt mit einer kritischen Würdigung des wissenschaftlichen Fachdiskurses zum Thema professionelle Versorgung, Alter und Migration, mündet in eine Diskussion mit Plädoyer für einen kombinierten Forschungsansatz und schließt mit der Formulierung der Forschungsfragen ab. Im Anschluss werden in Kapitel 3 diskurstheoretische Grundbegriffe eingeführt. Dabei stellt ein Unterkapitel auch Bezüge zum zweiten Teil der Arbeit her, wo die metatheoretischen Grundlagen der Dokumentarischen Methode (vgl. Kapitel 4) dargelegt und das Verhältnis von Diskurs und Habitus (vgl. Kapitel 4.2) diskutiert werden. Denn in dieser Arbeit erhält der diskurstheoretische Zugang des ersten Teils seine erkenntnislogische Fundierung
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primär durch den praxeologisch-wissenssoziologischen Ansatz der Dokumentarischen Methode, welcher den metatheoretischen Gesamtrahmen der Untersuchung bildet. Es folgen die Erläuterung des forschungspraktischen Vorgehens bei der Diskursanalyse und die Darstellung der Forschungsergebnisse. Diese Darstellung beginnt mit einer Beschreibung des soziohistorischen Kontextes, aus dem der Versorgungsfachdiskurs erwachsen ist. Darauf folgt eine mehrschrittige Rekonstruktion der Architektur dieses Diskurses. Zunächst wird die thematische Struktur des Diskurses analysiert. Daran schließt eine Narrationsanalyse an, in der der „Plot“ bzw. die „Storyline“ des Fachdiskurses in idealtypisch verdichteter Form dargestellt und im Hinblick auf die Erzählstruktur zentraler Narrative analysiert wird. Im Anschluss erfolgt die Rekonstruktion der Argumentations- und Deutungsstruktur. Hierbei werden Effekte, Mechanismen und Funktionsprinzipien diskursiver Hegemonie anhand von diskursiven Knotenpunkten und Diskursverschränkungen in Bezug auf die folgenden Themenfelder herausgearbeitet: „interkulturelle Öffnung“ der sozialen Dienste, Alter und demografischer Wandel, Professionalisierung und Kundenorientierung im Gesundheits- und Sozialwesen. Der erste Teil der Arbeit schließt mit einer zusammenfassenden Interpretation der Diskursanalyse und einem Fazit ab. Im zweiten Teil (Kapitel 4 bis 12) geht es um die empirische Rekonstruktion der Handlungspraxis von Fachkräften der Altenhilfe im Umgang mit alten Menschen mit Migrationshintergrund. Dieser Abschnitt beginnt mit der metatheoretischen Rahmung der Studie. Hierzu werden zunächst Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen diskurs- und praxistheoretischen Ansätzen aufgezeigt. So handelt es sich Reckwitz (2003) zufolge in beiden Fällen um kulturtheoretische Zugänge, die jedoch „das Soziale“ auf jeweils unterschiedliche Weise verorten, und zwar entweder auf der Ebene des Diskurses oder eingeschrieben in soziale Praktiken. Vor diesem Hintergrund wird argumentiert, dass die Dokumentarische Methode mit ihren beiden Mannheim‘schen Wissenskategorien – dem kommunikativ-generalisierten Erklärungs- und Deutungswissen einerseits und dem atheoretischen, konjunktiv geteilten Erfahrungswissen andererseits – den geeigneten metatheoretischen Rahmen für die kombinierte Anwendung poststrukturalistischer und praxeologischer Forschungsperspektiven darstellt. Denn nur dieses Interpretationsverfahren erlaubt einen elaborierten Zugang zur performativen Struktur des Habitus, wobei die performativ erzeugte Ordnung des Diskurses in valider Weise abgrenzbar wird. Dagegen fallen diese beiden Aspekte in den poststrukturalistischen Ansätzen regelmäßig in eins, sodass nicht mehr klar ist, wie Äußerungen über den historischgeografischen Kontext hinaus einzuordnen sind3. Im Anschluss an die Erläuterung
3
Eine Äußerung kann zahlreiche milieuspezifische Bedeutungsunterschiede umfassen. Dies wurde, wie Bohnsack betont, insbesondere durch die Ethnomethodologie anhand
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weiterer Grundbegriffe der Dokumentarischen Methode und ihrer Anwendungspraxis erfolgt eine beschreibende Annäherung an das Forschungsfeld (Kapitel 5). Daran schließt die Schilderung des Feldzuganges an sowie die Erläuterung der Sampling-Strategie, der Erhebungsinstrumente und der Durchführung der Datenerhebung (Kapitel 6). Den größten Raum nimmt im zweiten Teil der Arbeit die Darstellung der rekonstruierten Forschungsergebnisse ein (Kapitel 7 bis 12). Die Systematik dieser Darstellung wird in den entsprechenden Unterkapiteln genauer ausgeführt. Der dritte und abschließende Teil (Kapitel 13 und 14) dient, wie bereits erwähnt, der Zusammenschau und Diskussion der zentralen Forschungsergebnisse aus den beiden vorangegangenen Teilen.
zahlreicher Studien belegt und als „Indexikalität“ bezeichnet. Hierbei sei man jedoch nie über das Stadium der Methodenkritik hinausgelangt (vgl. Bohnsack 2010, S. 57f.).
Zur „Rede“ über Alter, Migration und Versorgung
2 Der wissenschaftliche Fachdiskurs über die Versorgung alter Migranten
Seit mehr als zwanzig Jahren wird der Themenkomplex Alter, Migration und Gesundheitsversorgung nicht nur im Rahmen einer breiten Fachöffentlichkeit diskutiert, sondern auch auf (fach-)wissenschaftlicher Ebene. Dies lässt sich relativ genau anhand von Veröffentlichungsdaten zu dieser Thematik nachvollziehen. Demnach setzte eine regelmäßige Publikationstätigkeit gegen Ende der 1980er Jahre ein. Dies ergab eine Literaturrecherche1 zum Stand der Forschung, die sich auch auf eine systematische Recherche in einschlägigen Datenbanken wie „Sowiport“, „CareLit“, und „GeroLit“ stützt. Zu den frühesten entsprechenden Veröffentlichungen gehören Baklan (1988); Dietzel-Papakyriakou (1988) und Dill (1989). Diese Autorinnen verbinden erstmals gerontologische Fragestellungen mit biografischen Perspektiven und Betrachtungen der sozialen Situation von in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund. Bereits in den Titeln dieser Publikationen klingt die Frage nach spezifischen Versorgungsproblemen im Kontext von Alter und Migration an. So lotet Dietzel-Papakyriakou (1988) Perspektiven einer „Gerontologie der Migration“ aus. Baklan (1988) geht „Sichtweisen und Problemen alternder Türken“ nach, welche als sogenannte „Gastarbeiter“ in die Bundesrepublik Deutschland kamen und Dill (1989) befasst sich mit der Frage, inwiefern „alte Ausländer“ in Deutschland zu einem neuen „Problem sozialer Integration“ werden. Dieser Fokus bleibt auch in der Folgezeit bestimmend. Auffällig ist, dass die Anzahl der Veröffentlichungen zum Thema Alter, Migration und Versorgung zu Beginn der 1990er Jahre sprunghaft angestiegen ist. Bis zum heutigen Zeitpunkt hat sich diese, nach ihrem plötzlichen Anstieg zu Beginn 1
Ein Überblick über den Forschungsstand zum Themenkomplex Alter, Migration und Versorgung findet sich auch bei Kohls/Rühl/Schimany (2012, S. 69f.), Hahn (2011, S. 23f.) und RKI (2008). Eine umfassende Bibliografie unter Einbeziehung internationaler Literatur wurde von Kempf und Schimany (2012) im Auftrag des bamf erstellt, online verfügbar unter: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-371724 (20.12.2013).
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der 1990er Jahre, alle zehn Jahre nahezu verdoppelt. Dagegen finden sich in der Zeit vor 1960 gar keine und ab den 1970er Jahren nur sehr vereinzelte Beiträge. Auffällig groß ist auch die Bandbreite der wissenschaftlichen Fachdisziplinen und Forschungsbereiche, die in den Veröffentlichungen vertreten sind. Hierzu gehören insbesondere die Alter(n)s-, Gesundheits-, Pflege- und Sozialwissenschaften, die Sozial- und Pflegepädagogik, die (Medizin-)Ethnologie und – mit etwa zehnjähriger Verzögerung – auch die Migrationsforschung (vgl. auch: Baykara-Krumme/MotelKlingbiel/Schimany 2012, S. 11). Trotz der Vielfalt an Fragestellungen und Zugängen, kreisen die Veröffentlichungen inhaltlich im Wesentlichen um zwei Kernbereiche. Erstens, geht es darum, Daten über die Versorgungssituation alter Menschen mit Migrationshintergrund im Vergleich zur einheimischen Bevölkerung zu erfassen, um auf dieser Grundlage Einschätzungen und Prognosen über den aktuellen und zukünftigen Bedarf dieser Bevölkerungsgruppe an sozialen Dienstleistungen zu liefern. Obwohl die Datenlage hierzu immer wieder als unzureichend kritisiert wird (vgl. Kohls/Rühl/Schimany 2012; KAS 2009, RKI 2008; u. a.), zeichnen die Veröffentlichungen ein übereinstimmendes Bild in Bezug auf die Bedarfseinschätzung. Es wird argumentiert, dass alte Migrantinnen und Migranten eine Bevölkerungsgruppe darstellen, die in naher Zukunft stark anwachsen und bereits aus diesem Grund in ihrer Bedeutung für den Versorgungssektor zunehmen werde (vgl. ebd.; vgl. auch: Brzoska/Razum 2012; Spallek/Razum 2012; u. a.). Hinzu käme, dass diese Gruppe im Vergleich zu einheimischen alten Menschen häufiger und schwerer von chronischen und mehrfachen Erkrankungen betroffen sei, zugleich jedoch deutlich schlechtere Zugangschancen zu den sozialen Diensten habe (vgl. ebd.). Als Ursache für diese Schlechterstellung werden vor allem ungünstigere sozioökonomische Lebensbedingungen genannt, wobei meist auf den statistisch inzwischen gut belegten Zusammenhang zwischen Armuts- und Gesundheitsrisiken hingewiesen wird (vgl. RKI 2010; Richter/Hurrelmann 2009; Mackenbach 2006 u. a.). In einer vergleichenden Auswertung verschiedener sozialepidemiologischer Studien kommen Baykara-Krumme und Hoff zu dem Schluss, dass die verschiedenen Forschungsergebnisse zur sozialen Lage alter Migranten weitgehend übereinstimmten (vgl. Baykara-Krumme/Hoff 2006, S. 451f.; vgl. auch: Überblicksdarstellungen Zeman 2005, Menning/Hoffmann 2009; Reinprecht 2007). Ihnen zufolge bestätigen diese eindringlich die „relative sozioökonomische Deprivation“ dieser Bevölkerungsgruppe (vgl. BaykaraKrumme/Hoff 2006, S. 509f.). Insbesondere vor diesem Hintergrund betonen die Studien und wissenschaftlichen Fachgutachten immer wieder einen dringenden Handlungsbedarf in Richtung einer Verbesserung der gesundheitlich-pflegerischen Versorgung und der Gesundheitsförderung von alten Menschen mit Migrationshintergrund. Ein zweiter Kernbereich der Forschung zu Alter, Migration und Versorgung befasst sich mit dem Anliegen, die Praxis der Versorgung alter Menschen mit Migra-
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tionshintergrund zu verbessern (vgl. Anderson 2008; NDV 1998; BAGS 1998; Olbermann/Dietzel-Papakyriakou 1995; u. a.). Hierbei stehen vor allem ethnischkulturelle „Besonderheiten“ dieser Bevölkerungsgruppe im Fokus, welche es im Versorgungssystem stärker zu berücksichtigen gelte (vgl. Hasseler/Görres 2005, S. 51-58; Hielen 1998; Naegele/Olbermann/Gerling 1997; Dietzel-Papakyriakou/ Olbermann 1996, Holz 1996 u. a.). In Bezug auf die Relevanz ethnisch-kulturell konnotierter Differenzierungen im Versorgungskontext besteht zwar kein wissenschaftlicher Konsens. Jedoch wird in der Fachliteratur überwiegend davon ausgegangen, dass es sich hierbei um bedeutsame Kategorien für die gesundheitlichpflegerische Versorgung von Migranten handelt (vgl. Hahn 2011, S. 13f.). Hieraus wird ein „besonderer“ Versorgungsbedarf alter Migranten abgeleitet und gefordert, dass dieser in der Konzeption und Erbringung sozialer Dienstleistungen zu berücksichtigen sei. Daneben existiert, in weitaus bescheidenerem Umfang, auch eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Hauptströmung. Diese kritische Linie bewegt sich in einem Spannungsbogen an dessen einen Ende die prinzipielle Bedeutsamkeit von Differenzkategorien wie „Ethnizität“, „Kultur“ oder auch „hohes Lebensalter“ aus erkenntnistheoretischen Gründen radikal in Frage gestellt wird (vgl. exemplarisch Saake 1997)2. Am anderen Ende dieses Spannungsfeldes wird die Relevanz ethnisch-kultureller Differenzierungen zwar nicht grundsätzlich hinterfragt, jedoch soll diese Perspektive um weitere Blickwinkel und Einflussfaktoren ergänzt werden. Gefordert wird beispielsweise die Einbeziehung migrationsspezifischer und sozioökonomischer Effekte auf die Versorgungssituation, die Berücksichtigung machttheoretischer Aspekte sowie die Reflexion kulturalistischer Verengungen und Stereotype (vgl. exemplarisch Zeman 2002, 2005; Habermann 2003; Domenig 2001). Wie Hahn (2011) für den Bereich der Sozialen Arbeit herausgearbeitet hat, seien in der Hauptströmung der Veröffentlichungen zum Thema Alter, Migration und Versorgung drei inhaltliche Schwerpunkte vorherrschend: a) „Altwerden in der Fremde“, b) „Ethnizität als Ressource“, c) „Rückkehrorientierung“ und „ethnisches Altern“ (vgl. ebd., S. 29f.). Allen gemeinsam sei die Adressierung alter Migranten als ethnisch-kulturell fremde Alte, wobei kulturelle Differenz und fremd bzw. befremdet sein immer wieder besonders betont würden. Virulent sei hierbei stets das zugrunde liegende Phänomen der „Ethnisierung von Theorien“ (Hahn 2011, S. 64; 2
Saake (1997) argumentiert in ihrem Aufsatz zu alten Migranten als einer neuen Kundengruppe der Seniorenwirtschaft aus einer konstruktivistischen Perspektive, dass ein differenzialistischer Ansatz empirisch zu keinen neuen Erkenntnissen führen kann und zwangsläufig Artefakte erzeugen muss, weil das, was „alte Menschen – welcher Ethnizität auch immer – zu ihrem Alter sagen können […] abhängig von individuellen Konstruktionsprozessen und immer wieder neuen temporalen Modalisierungen bleibt“ (Saake 1997, S. 147).
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vgl. auch: Hafezi 2001, S. 161). Dieses Problem führt Hahn auf einen Mangel an erkenntnistheoretischer und empirischer Fundierung der Arbeiten zurück, was sie insbesondere am Beispiel von Arbeiten der Altersforscherin Dietzel-Papakyriakou3 ausführt, deren Thesen in Bezug auf das Thema Alter und Migration auch heute noch zu den einflussreichsten auf dem Forschungsgebiet gehörten (vgl. Hahn 2011, S. 59f.). Parallel zu den, oftmals sozialpädagogisch und sozialwissenschaftlich geprägten Arbeiten, finden sich eine Vielzahl von Studien aus gesundheits- und pflegewissenschaftlicher sowie pflegepädagogischer Perspektive. Auch hier herrschen Konzepte vor, bei denen es im Kern immer wieder um den Umgang mit ethnisch-kultureller Differenz im Versorgungskontext geht, wie „interkulturelle Altenpflege“ (vgl. afw-Arbeitszentrum Fort- und Weiterbildung Elisabethstift Darmstadt 1998), „kulturangepaßte Pflege“ (vgl. Habermann 1995), „kultursensible Pflege“ (vgl. KDA 2002) oder auch „transkulturelle Pflege“ (vgl. Domenig 2001)4. Regelmäßig liegt den Veröffentlichungen der Hauptströmung zum Thema Alter, Migration und Versorgung die Prämisse zugrunde, dass Menschen mit Migrationshintergrund zwar eine heterogene Gruppe darstellen, die jedoch in ethnisch-kultu3
Dietzel-Papakyriakou widmet sich, in Anlehnung an die US-amerikanische Gerontologie, dem Thema „ethnisches Altern“. Hierbei wendet sie die aus den 1960er Jahren stammende und mittlerweile als überholt geltende Disengagement-Theorie (Cumming/Henry 1961) über die Rückzugsneigung von Menschen im hohen Lebensalter aus gesellschaftlichen Verpflichtungen auf „die spezielle Situation älterer Migranten“ an (DietzelPapakyriakou 1991, S. 25; vgl. auch: dies. 2012, S. 440). Dementsprechend glaubt sie für diese Bevölkerungsgruppe eine heimatbezogene „Rückkehrorientierung“ und einen „Rückzug in die ethnische Enklave“ beim Leben im Aufnahmeland festzustellen (dies. 1991, S. 23).
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Auffällig ist auch hier wieder die Fülle an Begriffsbildungen (z. B. inter- und transkulturell, kultursensibel, kulturadäquat, kulturkompetent etc.), was Friebe/Zalucki (2003) auch im Hinblick auf fachdidaktische Konzepte für die Altenpflege im Migrationskontext feststellen (vgl. ebd. S. 7). Während diese Autoren für eine begriffliche Klärung plädieren, betont der Philosoph Hasan Gürses (2003), dass es sich bei diesen Begriffen insgesamt um auf die Grundkonzepte „Kultur“ bzw. „Ethnizität“ zurückgehende „Leerformeln“ handele, die aufgrund ihrer Funktion grundsätzlich vage und interpretationsbedürftig bleiben müssten bzw. sich einer eindeutigen Definition entzögen. Er plädiert daher dafür, den Kulturbegriff nicht in Bezug auf seine Bedeutungen zu bestimmen und zu kritisieren – was unsinnig sei – , sondern im Hinblick auf seine epistemische Funktion. Er kommt zu dem Schluss, dass eine übergreifende „epistemische Funktion“ des Kulturbegriffs und seiner Derivate insbesondere darin liege, „Differenz“ auf der Ebene der symbolischen Ordnung von Diskursen zu erzeugen, wodurch es zur Festschreibung bzw. Reproduktion von machtbesetzten Konstellationen der Über- und Unterordnung komme (vgl. Gürses 2003, S. 18f.).
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reller oder auch migrationsspezifischer Hinsicht grundsätzlich „anders“ als Einheimische und daher auch in gesundheitlich-pflegerischer Hinsicht „anders“ als Einheimische zu behandeln und zu bewerten ist (vgl. hierzu kritisch: Hahn 2011, Heberhold 2007; Saake 1997 u. a.). In der Breite wird diese Vorannahme kaum ernsthaft hinterfragt5. Vielmehr werden häufig selbst dann noch „Besonderheiten“ in Bezug auf die Versorgung im Migrationskontext thematisiert, wenn sich der Sinn einer prinzipiellen Differenzierung von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund im Versorgungskontext aufgrund empirischer Forschungsergebnisse gar nicht mehr eindeutig bestimmen lässt. So rekonstruiert Zielke-Nadkarni (2003a) beispielsweise die Pflegerwartungen deutscher und türkischer Frauen auf der Grundlage qualitativer Interviews. Hierbei wird deutlich, dass sich Gemeinsamkeiten und Differenzen ihrer Vergleichsgruppen kaum mehr anhand von herkunfts- und migrationsspezifischen Gesichtspunkten systematisieren lassen. Folgerichtig entfaltet ZielkeNadkarni vor diesem Hintergrund ihre Theorie der „Individualpflege“ (vgl. ebd.). Dennoch bleibt sie weiterhin einem Denken verhaftet, wonach Patientengruppen mit Migrationshintergrund eine „besondere Herausforderung“ in der professionellen Versorgung darstellten, der mit ethnisch-kulturell konnotierten Konzepten zu begegnen sei. So empfiehlt sie die Fruchtbarmachung von Konzepten aus der „Interkulturellen Pädagogik“6 für die pflegeberufliche Aus-, Fort- und Weiterbildung, um „interkulturelle Kompetenzen“7 zur Durchführung einer „kultursensiblen Pflege“8 5
Dies scheint in gewisser Hinsicht auch funktional zu sein, da sich der Forschungsgegenstand ‚Alter und Migration‘ bzw. ‚Alter(n) in der Migration‘ ohne diese Prämisse „fast völlig verflüchtigt“ (Saake 1997, S. 141).
6
Zur Entstehung der „Interkulturellen Pädagogik“ in den Erziehungswissenschaften, ihren Forschungsthemen und -feldern vgl. Nohl 2010; Nieke 2008; Auernheimer 2007 u. a. Eine ausführliche Kritik am Konzept der „Interkulturellen Pädagogik“ in der Hinsicht, dass diese die Bedeutsamkeit ethnisch-kultureller Differenzen erst diskursiv hervorbringe und fortwährend reproduziere, wurde von Yildiz (2009) anhand einer umfassenden Diskursanalyse vorgelegt; in eine ähnliche Richtung argumentiert auch Hamburger (2009). Kritische Auseinandersetzungen mit dem Konzept finden sich ebenso bei Mecheril (2004) und Diehm/Radke (1999).
7
Ein konsistentes Begriffsverständnis existiert nicht. Eingeführt wurde das Begriffspaar als neues Anforderungsprofil in der Sozialen Arbeit von Hinz-Rommel (1994). Weitere Begriffsbestimmungen wurden u. a. vorgelegt von: Zacharaki/Eppstein/Krummacher (2009); Eppstein/Kiesel (2008); Freise (2007); Auernheimer (2009; 2005; 2002); Gaitanides (2003); Handschuck/Klawe (2004); Habermann (2003); Castro Varela (2002); Leenen/Groß/Grosch (2002); Leiprecht (2002); Simon-Hohm (2002).
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Bis heute existiert weder eine pflegewissenschaftlich fundierte Theorie „kultursensibler“ Pflege, noch ein konsistentes Begriffsverständnis. Der Gebrauch des Terminus „kultursensibel“ setzt im Versorgungskontext Ende der 1990er Jahre ein. Aus den ersten Veröf-
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vermitteln zu können (Zielke-Nadkarni 2003b, S. 233; vgl. auch: Zielke-Nadkarni 2010, 2013). Mittlerweile existiert eine Fülle von Konzepten und Empfehlungen zur gesundheitlich-pflegerischen Versorgung alter Menschen mit Migrationshintergrund, deren übergreifende Gemeinsamkeit darin besteht, dass diese ethnisch-kultureller Differenz eine zentrale Bedeutung zuweisen und einen neuen Umgang hiermit fordern. Dies erzeugt den Eindruck, diese Kategorie sei vornehmlich „im Umgang mit Migranten von Relevanz“ und weniger in Bezug auf das nicht-migrierte Klientel der Altenhilfe (vgl. Hahn 2011, S. 12) oder, wie Jacobi überspitzend formuliert, „Pflege für Deutsche ist Pflege, Pflege für Migranten ist kultursensible Pflege“ (Jacobi 2009, S. 12). Auch in den Ausführungen über Ziele und Maßnahme zur „interkulturellen Öffnung“ der Altenhilfe wird nahezu ausschließlich Bezug auf alte Menschen mit Migrationshintergrund hergestellt, obwohl sich diese Programmatik von ihrem Anspruch her auf alle alten Menschen beziehe (vgl. Hahn 2011, S. 74f.; Zeman 2002, S. 10; KDA 2002)9. Inhaltlich gehe es bei der programmatischen Forderung nach der „interkulturellen Öffnung“ der Altenhilfe um die Verbesserung der Bedingungen, unter denen der formal bestehende Anspruch auf Teilhabe an und Zugang zu den Einrichtungen und Angeboten der Altenhilfe eingelöst werden könne, und zwar unabhängig von soziafentlichungen (Wessel-Neb 1997; Kollak/Küpper 1998), die hierzu recherchiert werden konnten, geht nicht hervor, woher dieser Begriff entnommen und warum gerade dieser verwendet wurde. Ein gemeinsames Begriffsverständnis der beiden Texte ist nur insofern festzustellen, als dass der Terminus „kultursensibel“ positiv konnotiert ist und aus der Perspektive von Vertreterinnen und Vertretern der Mehrheitsgesellschaft gebraucht wird in Bezug auf den Umgang mit Migrantinnen und Migranten. 9
Die Relevanz ethnisch-kultureller Aspekte für den Versorgungskontext soll hier nicht grundsätzlich geleugnet werden. Allerdings kann diese Relevanz aus erkenntnistheoretischen und auch aus forschungsethischen Gründen nicht im Voraus angenommen und allein Migranten zugeschrieben werden. Denn dies wäre eine „ethnisierende Fremdidentifizierung“ (vgl. Bohnsack/Nohl 2001a, S. 21; Nohl 2001, S. 145). Diese Form der Zuschreibung lässt eher Aussagen über das Relevanzsystem derjenigen zu, die diese vornehmen. Dagegen können valide Aussagen über die Bedeutung von Ethnizität immer nur in Bezug auf konkrete Fälle getätigt werden mittels rekonstruktiver Verfahren, wie z. B. der Dokumentarischen Methode, welche auch die methodische Kontrolle der Standortgebundenheit der Forschenden erlaubt. Eine solche, qualitativ-rekonstruktive Studie hat Hahn (2011) vorgelegt, und zwar über den Stellenwert ethnisch-kultureller Bezugnahmen in der Praxis der sozialen Beratung alter Migranten. Darin kommt sie zu dem Schluss, dass ethnisch-kulturell konnotierte Bezugnahmen im Beratungskontext häufig kontraproduktive Fremdidentifizierungen darstellen und zur „Erosion von Beratungssituationen“ im Feld der Altenhilfe beitragen können (ebd. 305).
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ler, ethnischer, religiöser und kultureller Herkunft (vgl. Zeman 2002, S. 10). Bisher, so die Kritik dieser Programmatik, spiegele sich „die Pluralität unserer Gesellschaft“ noch nicht „in ihren Diensten und sozialen Einrichtungen“ wider (vgl. KDA 2002, S. 3). Dies solle zum einen durch Organisations- und Personalentwicklungsmaßnahmen gelingen, welche auf die Verankerung einer „kultursensiblen“ oder auch „interkulturellen Orientierung“ auf allen Einrichtungsebenen abzielen (vgl. Handschuck/Schröer 2001, 2002, 2012; Schröer 2007; Gaitanides 2006; SimonHohm 2004; Junk 2001; Hinz-Rommel 1995 u. a.). Zu den empfohlenen Maßnahmen gehören insbesondere eine entsprechende Leitbildentwicklung, das Bereitstellen mehrsprachigen Informationsmaterials, die gezielte Einstellung von Migrantinnen und Migranten, der Aufbau und die Anleitung „interkultureller Teams“, Schulungen bzw. Fort- und Weiterbildungen sowie Kooperationen mit Migrantendiensten und mit Multiplikatoren von Migrantencommunities (vgl. ebd.). Zudem wird der Erwerb spezifischer „interkultureller Kompetenzen“ (vgl. Hinz-Rommel 1994)10 für notwendig erachtet. Denn erst hierdurch könne die „interkulturelle Akzeptanz“ (vgl. Zeman 2002, S. 12) auf Seiten aller Beteiligten befördert werden. Dabei hätten „interkulturell kompetente“ Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „multikultureller“ Teams eine Brückenfunktion, um die unterschiedlichen Nutzergruppen einer Einrichtung in den „interkulturellen Öffnungsprozess“ einzubinden (vgl. ebd.). Begrifflich herrscht auch hier wieder eine Vielfalt vor, die dadurch fortschreitet, dass immer mehr Variationen und Definitionen des schillernden Konzeptes „Kultur“ (multi-, interkulturell, kultursensibel etc.) mit einer ebenfalls steigenden Anzahl deutungsoffener Begriffe wie, „Kompetenz“, „Öffnung“ oder „Öffnungsprozess“ zu empirisch vagen Konstrukten kombiniert werden. Vor diesem Hintergrund bezeichnet Foitzig (2008) das Begriffspaar „interkulturelle Öffnung“ als einen typischen „Container-Begriff, der den einen ein kritisches gesellschaftspolitisches Potenzial verspricht und den anderen doch nicht weh tut“ (Foitzik 2008, S. 20). Dabei räumt er ein, dass auf diese Weise zwar „wichtige Meilensteine“ im Rahmen institutions- oder verbandsinterner Diskussionsprozesse oder auf politischer Ebene erreicht werden mögen. Jedoch müsse hiermit nicht zwingend eine Veränderung der Handlungspraxis einhergehen (vgl. ebd.). Vielmehr erweise sich die Implementierung und praktische Umsetzung solcher Konzepte gerade wegen der Vagheit und Interpretationsbedürftigkeit der darin enthaltenen Begriffe als wenig effektiv (vgl. ebd.). Ähnlich argumentiert auch Leenen, wenn er darauf hinweist, dass das Konzept der „interkulturellen Öffnung“ in diskursiven Auseinandersetzungen „konkurrenzlos akzeptabel“ sei, weil alle beteiligten Parteien ihre eigenen „Öffnungsvorstellungen“ darin hineininterpretieren könnten (vgl. Leenen 2001, S. 19). Hierbei
10 Vgl. hierzu auch Anmerkung Nr. 13.
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bliebe stets unklar, was eigentlich auf welcher Ebene geöffnet werden solle (vgl. ebd.; vgl. hierzu auch: Hahn 2011, S. 74). Im Kern basieren die programmatischen Forderungen zur Versorgung alter Menschen mit Migrationshintergrund auf der Prämisse, dass „ethnisch-kulturelle Differenz“ per se problematisch und der Umgang hiermit nicht selbstverständlich ist, sodass dieser erst durch pädagogische Maßnahmen, wie Schulungen oder Trainings, erlernt und in der Versorgungspraxis vonseiten des Organisationsmanagements gesteuert werden müsse. Tendenziell abgelöst wird die Programmatik der „interkulturellen Öffnung“ in der Sozialen Arbeit und der Pflege von DiversityManagement-Ansätzen11. Diese sind in ihren Gestaltungsvorschlägen weitreichender, indem sie darauf abzielen, Unterschiede in vielfältigen Facetten (z. B. Gender, Behinderung, sexuelle Orientierung) anzuerkennen, wertzuschätzen und zu fördern. Allerdings liegt auch hier wieder die Prämisse zugrunde, dass soziale Heterogenität grundsätzlich erst einmal problematisch und der Umgang hiermit zu erlernen bzw. durch Vorgesetzte zu steuern ist. Durch den Diversity-Ansatz soll soziale Heterogenität positiv gewendet und ökonomisch nutzbar gemacht werden (vgl. Lederle 2008). Neben Programmatiken wie der „interkulturellen Öffnung“ und den DiversityManagement-Ansätzen, welche insgesamt auf eine Anpassung sozialer Dienste an eine soziokulturell heterogene Klientel abzielen, wird von Fachleuten zum Teil auch gefordert, zusätzlich besondere Angebote zu schaffen, die besser „nationalitäten- bzw. kulturspezifischen Bedingungen Rechnung tragen“ (Olbermann/DietzelPapakyriakou 1995, S. 413). Hierbei wird die Forderung nach einer „interkulturellen Öffnung“ der Regeldienste jedoch nicht abgelehnt. Vielmehr gehe es um eine Ergänzung und Bereicherung der Versorgungslandschaft (vgl. ebd.). Einer solchen, auf einzelne nationale oder ethnische Gruppen zugeschnittenen Versorgung solle durch den Aufbau neuer Sonderdienste außerhalb des Regelsystems entsprochen werden. Vorbild hierfür seien bereits existierende „ethnisch ausgerichtete“ Begegnungsstätten, wie sie von Migrationsdiensten oder in Selbstorganisation schon vor Jahren initiiert und umgesetzt würden (vgl. Hahn 2011, S. 76f.). Ebenso zählen ambulante Pflegedienste hierzu, die sich auf ein konkretes Herkunftsklientel spezialisiert haben. Auch die Schaffung spezifischer „Versorgungsräume“ innerhalb der bestehenden Einrichtungen der Altenhilfe, etwa Stationen für ältere Muslime in Pflegeheimen (vgl. hierzu Hielen 1998, 1996), zählen zu dieser zweiten Variante. Die Forderung nach „kulturspezifischen Inseln“ (Zeman 2005, S. 81), ist der von Dietzel-Papakyriakou geprägten These des „ethnischen Rückzuges“ aufgrund des Wiederauflebens von „Ethnizität im Alter“ verpflichtet (vgl. Hahn 2011, S. 77). 11 Im pädagogischen Kontext werden Diversity-Ansätze auch als Möglichkeit der Weiterentwicklung der „interkulturellen Pädagogik“ gehandelt (vgl. Hormel/Scherr 2005, S. 205f.).
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Während Zeman mit dieser Variante die Gefahr der Segregation und „kulturalistischen Festschreibung auf ethnische Unterschiede“ befürchtet (Zeman 2005, S. 81), begrüßt Hielen die hierdurch entstehende Erweiterung von Wahlmöglichkeiten für das Leben im Alter (Hielen 2005, S. 8). Letztlich besteht unter den Fachleuten jedoch Übereinstimmung in dem Sinne, dass die Schaffung spezifischer Angebote durchaus ihre Berechtigung habe, ohne dass auf die Forderung einer generellen „interkulturellen Öffnung“ der Altenhilfe verzichtet werden könne (vgl. RKI 2008, S. 116, Zeman 2005; Hielen 2005 u. a.). Einigkeit besteht in der Fachdiskussion auch bezüglich der Einschätzung, dass Reformen der Altenhilfe in Richtung „interkulturelle Öffnung“ bislang eher „fachliche Visionen“ (Gaitanides 2006, S. 225) geblieben seien. Dies führe zu einer aktuellen Situation, in der „die Praxis den Leitbildern und Konzepten hinterherhinkt“ (Foitzik 2008, S. 20). Abgesehen von wenigen Modellprojekten könne insgesamt noch nicht von einer „ausreichend kultursensiblen Versorgungslandschaft“ gesprochen werden (Zeman 2005, S. 84; vgl. auch: Kohls/Rühl/Schimany 2012, S. 69f.; RKI 2008, S. 132). Doch auch auf theoretisch-konzeptioneller Ebene habe sich seit Mitte der 1990er Jahre nicht mehr viel getan. Foitzik, der über viele Jahre die bundesweite Facharbeitsgruppe „Charta für eine kultursensible Altenpflege“ geleitet hat, bemängelt, dass sich Konzepte zur Versorgung im Migrationskontext seit einigen Jahren inhaltlich kaum noch voneinander unterschieden: „Es scheint“, so seine Kritik, es gebe in Bezug auf diese Thematik „kaum mehr etwas Neues zu sagen“ (Foitzik 2008, S. 20). Diesen Eindruck teilt auch Hahn (2011), wenn sie beklagt, dass eine empirisch fundierte Theorieentwicklung im wissenschaftlichen Diskurs zum Thema Alter, Migration und Versorgung bisher kaum erkennbar sei (vgl. ebd., S. 33f.). Insgesamt, so kritisiert sie, habe sich die Theorieentwicklung im Forschungsgebiet Alter, Migration und Versorgung bisher nicht in einem ähnlich schnellen Tempo vollzogen wie „die Aktivitäten im Feld der Berufspraxis“ (Hahn 2011, S. 33).
2.1 P LÄDOYER
FÜR EINEN KOMBINIERTEN ANSATZ QUALITATIV - REKONSTRUKTIVER M ETHODEN
Bei der Betrachtung der Hauptargumentationslinien und der intertextuellen Bezüge in den Veröffentlichungen zum Themenkomplex Alter, Migration und Versorgung wird deutlich, dass eine klare Unterscheidung einer an wissenschaftlichen Kriterien geführten Diskussion und einer rein verwertungsorientierten kaum noch möglich ist. Vielmehr scheint Diffusität zwischen diesen Bereichen ein Charakteristikum des Diskurses über die Versorgung alter Migranten zu sein. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass „die gestiegene Aufmerksamkeit gegenüber dem Thema […] zunächst
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weniger ein originär sozialwissenschaftliches Interesse“ darstellte (BaykaraKrumme/Motel-Klingebiel/Schimany 2012, S. 12). Vielmehr ginge das plötzliche Interesse, wie ein Rückblick von Dietz-Papakyriakou auf rund 25 Jahre Forschung zum Thema Alter und Migration zeigt, vor allem auf eine „Koalition“ zwischen wissenschaftlicher Forschung, den Wohlfahrtsverbänden, gemeinnützigen Vereinen und Einzelpersonen aus der Migrationssozialarbeit sowie der Altenpflege zurück (vgl. Dietzel-Papakyriakou 2012, S. 441). Ermöglicht bzw. gefördert wurde und wird diese Koalitionsbildung durch Vernetzungsstrukturen, wie das im Jahr 2006 eingerichtete, bundesweit agierende „Forum für eine kultursensible Altenhilfe“ oder das auf kommunaler Ebene aktive „Kompetenz-Zentrum Berlin für die Interkulturelle Öffnung der Altenhilfe“. Exemplarisch ist hier auch die bei Aktion Courage e.V. angesiedelte und von 2002 bis 2010 betriebene Informations- und Kommunikationsplattform „IKoM“ zu nennen, welche eine Datenbank mit Publikationen sowie Projekten zum Thema Alter, Migration und Versorgung eingerichtet und regelmäßig „Newsletter“ an interessierte Privatpersonen, Fachleute und Institutionen verschickt hat. Aufgrund solcher Strukturen ist die Produktion, Bündelung und Weitergabe von Wissen zum Thema Alter, Migration und Versorgung von Anfang an eng in außerwissenschaftliche Aktivitäten zentraler und dezentraler Arbeitsgruppen, Projekte, Tagungen und Kongresse eingebunden (vgl. auch: Hahn 2011, S. 33). Durch diese Einbindung ist der Stand der wissenschaftlichen Theorieentwicklung nicht nur einfach ins Hintertreffen geraten, wie dies in anwendungsorientierten Forschungsbereichen häufiger der Fall ist. Vielmehr hat sich unter dem Druck der Konjunktur des Themas Alter, Migration und Versorgung in der Mehrheit der wissenschaftlichen Auftragsarbeiten eine Herangehens- und Argumentationsweise durchgesetzt, die den Ansprüchen und Standards eines wissenschaftlichen Diskurses in vielerlei Hinsicht kaum noch gerecht werden. Hahn und Olbermann kritisieren genau diesen Punkt, wenn sie darauf aufmerksam machen, „dass die Fachdebatte im Wesentlichen berufspraktisch argumentiert“ (Hahn 2011, S. 13, Hervorhebung im Original; vgl. auch: Olbermann 2008, S. 146). Exemplarisch findet sich die von Hahn und Olbermann kritisierte Argumentationsweise bei Schröer, wenn er angesichts der mangelnden theoretischen und empirischen Fundierung des Begriffspaares „interkulturelle Öffnung“ erklärt: „Interkulturelle Öffnung ist zu einem weithin anerkannten Paradigma geworden. Der Begriff ist überwiegend positiv konnotiert, sodass in der Regel eine Begriffsbestimmung nicht mehr vorgenommen wird. Über Ziele und Instrumente der Umsetzung scheint Einigkeit zu bestehen“ (Schröer 2007, S. 88). In der oben zitierten Äußerung stellt die aus wissenschaftlicher Perspektive bestehende Herausforderung, der Vagheit und Interpretationsbedürftigkeit des Begriffspaares „interkulturelle Öffnung“ zu begegnen, nicht das eigentliche Problem dar. Eher geht es darum, sich der Legitimität der Programmatik selbst zu vergewissern. Der immanenten Argumentationslogik zufolge beruht die legitime Basis der
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Programmatik auf ihrer „weithin“ reichenden Anerkennung und dem „überwiegend positiv“ konnotierten Begriffsverständnis sowie der „Einigkeit“ in Bezug auf deren Inhalte und Ziele. Obwohl die Suche nach bzw. das Betonen von Konsens durchaus auch Bestandteil wissenschaftlicher Argumentation ist, ist Hahn und Olbermann insofern zuzustimmen, als dass die Argumentationslogik des Fachdiskurses offenbar nicht allein wissenschaftlichen Standards unterliegt. Denn das bloße Verweisen auf weitreichende Akzeptanz eines neuen theoretischen Konzeptes kann kein hinreichender Grund sein, um auf eine „Begriffsbestimmung“ mittels wissenschaftlicher Verfahren zu verzichten bzw. diese „in der Regel“ nicht mehr zu versuchen. Auch aus diesem Grund ist Hahn zuzustimmen, wenn sie bemängelt, dass die „Fachdebatte“ bislang „kaum theoretische Fundierung erfuhr“ (Hahn 2011, S. 13). Um dem Problem der Diffusität sowie der fortschreitenden Ethnisierung von Konzepten und Theorien aufgrund einer normativ aufgeladenen Herangehensweise an das Thema Alter, Migration und Versorgung zu entgehen und einen Beitrag zur wissenschaftlichen Theoriebildung mittels erkenntnistheoretisch fundierter, empirisch-analytischer Verfahren zu leisten, eignet sich die Dokumentarische Methode, auf die ich noch ausführlich eingehen werde. Auch Hahn schlägt die Dokumentarische Methode als rekonstruktiv-praxeologischen Ansatz vor (vgl. Hahn 2011, S. 13f.). Charakteristisch für den praxeologischen Ansatz ist, dass hierbei – zumindest vorübergehend – eine „Einklammerung oder Suspendierung des Geltungscharakters“ (Bohnsack 2010a, S. 64) normativ-programmatischer Sinngehalte vorgenommen wird. Die Analyseeinstellung der Forschenden kann sich hierdurch ganz auf jene Funktionsprinzipien und Handlungslogiken der Alltagspraxis ausrichten, welche „jenseits von Bewusstsein und diskursivem Denken“ (Bourdieu 1982, S. 730) handlungsorientierend wirksam sind. Erst eine solche Vorgehensweise entspricht der eingangs mit Bezug auf Bonß (2001) aufgestellten Forderung, wonach die Wissenschaften sich zunächst die Handlungslogiken und Relevanzsysteme der Praxis zu eigen machen sollten, um praxisnahe, anschlussfähige Forschungsergebnisse bereitstellen zu können. Bei dem sich hier auftuenden Forschungsdesiderat geht es darum, das in der Alltagspraxis im Feld der professionellen Altenhilfe verankerte implizite interaktions- und handlungsorientierende Wissen der Akteure im Umgang mit ihren Klientinnen und Klienten zu rekonstruieren. Denn trotz, vielleicht sogar gerade wegen, der durch mannigfaltige Vernetzungen innerhalb kommunaler Arbeitsgruppen, Projekte, Kongresse und Foren hergestellten „Nähe“ wissenschaftlicher Forschung zu Akteuren und Einrichtungen der Altenhilfe, wurde es bisher vonseiten der wissenschaftlich Forschenden weitgehend versäumt, sich einen erkenntnistheoretisch fundierten Zugang zur „Logik der Praxis“ (Bourdieu 1987) in diesem Handlungsfeld mittels elaborierter empirisch-analytischer Verfahren zu erarbeiten. Wie im vorausgegangenen Abschnitt dargelegt wurde, ist der wissenschaftliche Diskurs zum Thema Alter, Migration und Versorgung in eine übergreifende Dis-
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kursgemeinschaft eingebettet, welche eine netzwerkartige Struktur aufweist. Insgesamt bringt diese „Koalition“ aus Wissenschaften, Sozialverbänden und Vereinen, Kommunalverwaltung und anderen Akteuren im Feld der professionellen Altenhilfe einen normativ aufgeladenen, fachöffentlichen Diskurs hervor, bei dem die Grenzen zwischen wissenschaftlicher und nicht-wissenschaftlicher Argumentationslogik ebenso verschwimmen wie die unterschiedlichen Interessenslagen und Wirkungsebenen der beteiligten Akteure. Eine solche „Koalition“ existiert in funktionaler Weise, indem diese sich wiederholt auf dasselbe Referenzsystem bezieht. Zur diskursiven Vereinnahmung verschiedenster Themenfelder kommt es, indem hierbei auf der Ebene der symbolischen Ordnung des Diskurses ein vage und latent bleibendes gemeinsames Außen markiert wird. Hierdurch entsteht ein machtbesetzter diskursiver „Raum“. Innerhalb eines solchen symbolischen Raumes (z. B. eine Nation, eine „Kultur“, ein politisches System) werden, aus systemtheoretisch nachvollziehbaren Gründen, sogar gegensätzliche Elemente zu Äquivalenten, sobald ein Bezug zur gemeinsamen Außengrenze hergestellt wird. Einen solchen Mechanismus diskursiver Hegemonie verstehe ich mit Laclau/Mouffe (1991) als ein Phänomen, das sozialen Antagonismus voraussetzt und gerade deshalb das ständige Auseinanderstreben von Partikularinteressen und Differenzen immer nur zeitweise überdecken kann. Dabei entspricht das aktuell zu beobachtende Phänomen der Entgrenzung dem, was Krücken und Meier (2003) mit Bezug auf Castells Begriff der „Netzwerkgesellschaft“ (2003 [1996]) als einen Ausdruck der postmodernen „Innovationsgesellschaft“ deuten: „Die durch Grenzüberschreitungen charakterisierte Innovationsgesellschaft […] ist eine Netzwerkgesellschaft.“ (Krücken/Meier 2003, S. 72). Diese entfaltet „ihre Kraft vor allem auf der diskursiven Ebene, und dies sehr rasch.“ (ebd.)12. Jedoch sei die Ordnung der hier hervorgebrachten Diskurse nicht mit den Grundprinzipien und -strukturen der Gesellschaft in eins zu setzen, welche Krücken und Meier als „veränderungsresistenter einschätzen“ (ebd.). Dennoch seien Netzwerke mittlerweile nicht nur in Form mannigfaltiger gesellschaftlicher Diskurse „allgegenwärtig“, sondern „empirisch zunehmend häufiger“ auch „in Formen der Strukturbildung“ anzutreffen (ebd.). Denn das Eingebundensein in möglichst viele Netzwerke stelle in der „Netzwerkgesellschaft einen Wert an sich dar bzw. einen „gewissen Zwang“ (ebd.): um in der Netzwerkgesellschaft „als moderne und legitime Akteure zu gelten, müssen Organisationen in übergreifende Kooperationsnetzwerke eingebettet sein“ (ebd., S. 72-73). Zwei wesentliche Funktionen dieser Netzwerke würden, Krücken und Meier zufolge, häufig übersehen, weil diese eher unausgesprochen blieben. Hierbei gehe es zum einen darum, den in 12 In Abgrenzung zu Castells (2003 [1997]), der in seiner Beschreibung keine analytische Trennung vornehme, betonen Krücken und Meier die Differenz zwischen der Ebene des diskursiven „Mythos ‚Netzwerk‘“ und der Formalstruktur von Netzwerken (vgl. Krücken/Meier 2003, S. 72, insbes. auch Anmerkung 2 in dies.).
2 D ER WISSENSCHAFTLICHE F ACHDISKURS
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Netzwerken organisierten Akteuren politische Legitimität zu verleihen und zum anderen, um den Zugang zu Ressourcen aus der gesellschaftlichen Umwelt (vgl. ebd., S. 87). Gerade weil in Bezug auf diese Punkte eine „eigentümliche Begrenzung der Diskussion“ festzustellen sei, erscheint den Autoren die Bedeutung dieser beiden Funktionen größer zu sein als die der vordergründigen Netzwerkziele (ebd., S. 72). Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass das von Hahn und Olbermann vorgebrachte Anliegen, den Fachdiskurs über die Versorgung alter Menschen mit Migrationshintergrund stärker auf eine wissenschaftlich fundierte Basis zu stellen, nicht allein durch das Hinzufügen empirischer Forschungsergebnisse erreicht werden kann. Vielmehr bedarf es zunächst einer Verständigungsgrundlage bzw. eines genaueren Verständnisses über die Architektur und die Funktionalität des Fachdiskurses, um eine informierte Metakommunikation über diesen Diskurs auf der wissenschaftlichen Ebene zu ermöglichen. Hierfür sind insbesondere die Entstehungsbedingungen der symbolischen Ordnung des Fachdiskurses zu rekonstruieren und einzuordnen. Denn solange hierauf verzichtet wird, drohen neuere wissenschaftliche Befunde und Theorien durch die Argumentationslogik des Fachdiskurses überformt und vereinnahmt zu werden. Indem ich die Bedingungen des So-gewordenSeins des Fachdiskurses nachzeichne bzw. dessen symbolische Ordnung rekonstruiere, wird die Kontingenz dieser Ordnung sichtbar ebenso wie das derzeit für „wahr“ und „richtig“ befundene generalisierte Wissen über alte Migranten und über Versorgung im Migrationskontext. Die Gefahr der Vereinnahmung und Instrumentalisierung wissenschaftlicher Expertise durch die Dynamik des Fachdiskurses besteht vor allem deshalb, weil dieser Diskurs – so lautet meine Ausgangsüberlegung – derzeit der einzig legitime Ort der „Wissensproduktion“ und „Wissensverwaltung“ zum Themenkomplex Alter, Migration und Versorgung zu sein scheint. Sichtbar wird dies nicht zuletzt daran, dass es kaum innerwissenschaftliche Kontroversen und Theorienbildungen zum Thema Alter und Migration gibt. Auffällig ist auch, dass es sich bei den Forschungsdisziplinen, deren wissenschaftliche Expertise im Rahmen des Fachdiskurses angefordert und eingebunden wird, fast ausschließlich um eher junge Disziplinen handelt, welche bisher kaum eigene Theoriegebäude und innerdisziplinäre Schulen herausgebildet haben. Hierzu gehören vor allem die Gerontologie, die Gesundheits- und Pflegewissenschaften sowie die Pflegepädagogik. Der Ausbau und die Etablierung dieser Disziplinen in der Bundesrepublik Deutschland fanden insbesondere in den 1980er und 1990er Jahren statt. Vermutlich nicht zufällig fällt dies historisch etwa in dieselbe Zeitphase, in der auch der Fachdiskurs über die gesundheitlich-pflegerische Versorgung alter Migranten aufgekommen ist. Gemäß der hier geschilderten Problematik vollzieht sich die wissenschaftliche Wissensproduktion über das Thema Alter und Versorgung im Migrationskontext eingebettet in einen hegemonialen Diskurs, dessen symbolische Ordnung haupt-
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sächlich nicht-wissenschaftlichen Argumentations- und Deutungslogiken folgt. Gefragt wird daher, was, in welchem Kontext, aufgrund welcher Argumentationsund Deutungslogiken für „wahr“ und „erstrebenswert“ bzw. „unwahr“ und „veränderungsbedürftig“ bezüglich alter Migranten und deren Versorgungsanforderungen behauptet wird. Anders ausgedrückt lautet die Untersuchungsfrage für den diskursanalytischen Teil: Wie und aus welchem sozialen, historischen und geografischen Kontext heraus wird die Frage der gesundheitlich-pflegerischen Versorgung alter Migranten bedeutsam, welche Deutungen und sprachlichen Bilder von alten Menschen mit Migrationshintergrund gehen hieraus hervor und welche Subjektpositionen werden hierbei den professionellen Fachkräften zugewiesen? Im zweiten Teil geht es dann darum, die Eigenlogik von Versorgungspraxis im Migrationskontext zu rekonstruieren. Dabei gilt es, jene Handlungs- und Funktionsprinzipien herauszuarbeiten, die in den Strukturen professioneller Praxis im Feld der Altenhilfe verankert sind. Denn erst hierdurch lässt sich aufzeigen, inwiefern die Programmatiken in der „Rede“ über die Versorgung alter Menschen mit Migrationshintergrund anschlussfähig an Orientierungen professioneller Akteure im Feld der Altenhilfe sind. Die Untersuchungsfrage für den rekonstruktivpraxeologischen Teil lautet: Welche Orientierungen liegen der professionellen Handlungspraxis im Feld der sozialen Altenhilfe in Bezug auf die Pflege, Beratung und Betreuung alter Menschen mit Migrationshintergrund zugrunde? Schließlich können in einem dritten Schritt, welcher im abschließenden Teil der Arbeit vollzogen wird, Aspekte der wechselseitigen Bedingtheit von Diskurs und versorgungsmilieutypischem Habitus auf der Akteursebene aufgezeigt werden. Als Einstieg in den diskursanalytischen Teil dieser Arbeit gilt es, im Folgenden zunächst den Diskursbegriff und die Verfahrensschritte der beabsichtigten Diskursanalyse zu erläutern.
3 Diskursanalytischer Teil
3.1 D ISKURSTHEORIE
UND
D ISKURSANALYSE
Der Begriff „Diskurs“ ist schillernd, denn seine Anwendungsweisen sind vielfältig. Neubert und Reich (2000) unterscheiden in ihrer Einführung drei Bedeutungsebenen des Diskursbegriffs, welche sich gut als Ordnungsraster eignen. Erstens, werde der Begriff im engeren etymologischen Sinne verwendet. Demnach bezeichne „Diskurs“ – oder französisch: „discours“ – zunächst einfach, dass es eine hin und her gehende „Rede“ gebe oder einen „Wortstreit“. Hierin drücke sich bereits ein dialogisches Verhältnis aus, welches, wie schon bei den alten Griechen angenommen worden sei, jeder denkenden Welterschließung zugrunde liege (vgl. ebd., S. 43). Weitere auf dieser Ebene angesiedelte Bedeutungsaspekte seien beispielsweise „Erörterung“, „Abhandlung“, „Unterhaltung“ oder „Gedankenaustausch“ (ebd.). Auf einer zweiten Bedeutungsebene werde der Begriff „Diskurs“ im übertragenden Sinne gebraucht als wissenschaftlicher Theorie- bzw. Diskussionszusammenhang. Hier sei immer ein mehr oder weniger genau abgrenzbares Feld wissenschaftlicher Auseinandersetzung gemeint. Schließlich seien auf einer dritten, umfassenderen Ebene, diskurstheoretisch fundierte Diskursbegriffe angesiedelt (vgl. ebd.). Bekanntheit erlangt habe das auf der dritten Ebene lokalisierte Diskursverständnis durch die grundlegenden Arbeiten des französischen Philosophen und Historikers Michel Foucault1. Und dies obwohl, oder vielleicht gerade weil, sich bei Foucault kein konsistentes, klar gefasstes Verständnis des Diskursbegriffs findet (vgl. ebd.). Selbstkritisch räumt Foucault diesen Umstand auch ein, wenn er in seinem Werk, die „Archäologie des Wissens“, schreibt: „Schließlich glaube ich, daß ich, statt allmählich die so schwimmende Bedeutung des Wortes ‚Diskurs‘ verengt zu haben, seine Bedeutung vervielfacht habe: einmal allgemeines Gebiet
1
Für einen Überblick über die zahlreichen im Anschluss an bzw. in Auseinandersetzung mit Foucaults Werk entstandenen diskurstheoretischen Strömungen vgl. z. B. Keller 2004, S. 20-61.
36 | K ULTURSENSIBLE A LTENHILFE ? aller Aussagen, dann individualisierbare Gruppe von Aussagen, schließlich regulierte Praxis, die von einer bestimmten Zahl von Aussagen berichtet; und habe ich nicht das gleiche Wort Diskurs, das als Grenze und als Hülle für den Terminus Aussage hätte dienen sollen, variieren lassen, je nachdem ich meine Analyse oder ihren Anwendungspunkt verlagerte und die Aussage selbst aus dem Blick verlor?“ (Foucault 1981, S. 116)
Eindeutig abzugrenzen ist der Foucault`sche Diskursbegriff von Verwendungsweisen, die auf ein normatives Konzept abzielen, wie das des „herrschaftsfreien Diskurses“ im Sinne von Habermas (1981)2. Vielmehr sei er als „soziale Tatsache“ aufzufassen im Sinne Durkheims Soziologie überindividueller, kollektiver symbolischer Prozesse (vgl. Bublitz 2003a, S. 6). Neubert und Reich zufolge meint der auf der dritten Verständnisebene angesiedelte Begriff „Diskurs“ jede symbolische Ordnung des Denk- und Sagbaren, welche zumindest vorübergehend innerhalb einer „Verständigungsgemeinschaft“ institutionalisiert sei und beobachtet werden könne (vgl. Neubert/Reich 2000, S. 43). Ähnlich formuliert dies auch Keller aus der Perspektive sozialwissenschaftlich-wissenssoziologischer Diskursforschung3: „Diskurse lassen sich als mehr oder weniger erfolgreiche Versuche verstehen, Bedeutungszuschreibungen und Sinn-Ordnungen zumindest auf Zeit zu stabilisieren und dadurch eine kollektiv verbindliche Wissensordnung in einem sozialen Ensemble zu institutionalisieren“ (Keller 2004, S. 7). Auch für Laclau und Mouffe stellen Diskurse „temporäre Bedeutungsfixierungen“ dar (vgl. Laclau/Mouffe 2001 [1985], S. 112). Die Identifizierung von Diskursen kann, Keller (2004) zufolge, als eine „Konstruktionsleistung der ForscherInnen“ begriffen werden, welche „analog zur Typenbildung als abstrahierende Verallgemeinerung von den Besonderheiten des Einzelfalls“ zu verstehen ist (ebd., S. 109). Daher kann vorab nicht gewusst werden, wie viele unterschiedliche Diskurse in einem Untersuchungsfeld vorfindbar sind und durch welche Deutungselemente oder Formationsregeln diese strukturiert sind (vgl. ebd.). Als „Atom“ eines Diskurses bezeichnet Bublitz die „Aussage“ (vgl. Bublitz 2003a, S. 5). Hiermit ist der typisierbare bzw. der typische Gehalt einer konkreten Äußerung gemeint, welcher in zahlreichen verstreuten Äußerungen regelmäßig wieder auftritt (vgl. Keller 2004, S. 64). Die „Aussage“ wird also durch ihr Auftreten, ihr In-Erscheinung-Treten und somit durch ihre Sichtund Wiederholbarkeit definiert (vgl. Bublitz 2003a, S. 5). Hierin artikuliert sich zugleich ein Aspekt der Macht des Diskurses, denn das, „was erscheint, ist so mächtig, daß es sich aus der Unscheinbarkeit herausheben und sich gegen andere Erscheinungen durchsetzen kann“ (Seitter 1996, S. 117). 2 3
Zur Abgrenzung des Foucault‘schen Diskursbegriffes von Habermas vgl. Schöttler 1997. Die sozialwissenschaftliche Diskursforschung bzw. die Wissenssoziologische Diskursanalyse zielt auf die Rekonstruktion von Prozessen der „gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit“ in institutionellen Feldern der Gesellschaft ab (vgl. Keller 2004, S. 62).
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Macht, Wissen und Diskurs bilden in Foucaults Diskurskonzept eine unauflösliche Einheit. Hierbei stellt „Macht“ ein „funktionales Apriori von Wissen, Erkenntnis und Wirklichkeit“ dar (Bublitz 2003a, S. 66; Hervorhebung im Original). In diesem Zusammenhang kommt der Sprache eine besondere Rolle zu. Denn diese hat bei Foucault keine abbildende Repräsentationsfunktion mehr. Vielmehr tritt an die Stelle dieser Funktion die konstruktive Herstellung von Realitäten durch ein geordnetes Zeichensystem. Hierdurch sind Zeichensysteme wie Sprache, Schrift, Diskurse nicht mehr in einer vorgängigen Ordnung begründet. Vielmehr bringt ein Diskurs systematisch die Ordnung der Dinge bzw. die Gegenstände hervor, von denen er spricht (vgl. Bublitz 2003a, S. 29f. u. S. 66). „So bezeichnen Begriffe wie ‚Mann‘ oder ‚Frau‘, ‚Hetero-‘‚ oder ‚Homosexuelle‘, ‚Ausländer‘, ‚Asylant‘ oder ‚Fremde‘, nicht etwas Reales, eine gegebene, vordiskursive Wirklichkeit, etwas, das in Wirklichkeit vorkommt und sprachlich abgebildet wird, sondern sie konstruieren erst das, was sie benennen, nämlich geschlechtlich konnotierte Subjekte, Bevölkerungsgruppen, die qua Bezeichnung stigmatisiert und ausgegrenzt werden, Individuen als semantische Komplexe, die durch eine klassifikatorische gesellschaftliche Praxis gegeneinander abgegrenzt und in eine Gesamtpopulation eingeordnet werden.“ (Bublitz 2003a, S. 29-30)
Diskurse „spiegeln“ also nicht einfach die Wirklichkeit wider, auf die sie sich beziehen, sondern sie „organisieren“ diese (vgl. Schwab-Trapp 2006, S. 36). Hierbei entfalten Diskurse ebenso eigenständige Machtwirkungen wie, umgekehrt, die Ausübung von Macht mit einer Produktion von Diskursen einhergeht (vgl. ebd.). Der Diskurs ist demnach „dasjenige, worum und womit man kämpft; er ist die Macht, derer man sich zu bemächtigen sucht“ (Foucault 1991, S. 11). Als institutionalisierte Ordnung führt der Diskurs eher die an ihm Teilnehmenden, als dass er von jenen geführt wird (vgl. Schwab-Trapp 2006, S. 36). Auch bestimmt der Diskurs darüber, wer an welchem Ort, zu welcher Zeit in welcher Form legitim über bestimmte Gegenstände des Diskurses sprechen kann (vgl. ebd.). Ein Diskurs im Sinne Foucaults ist daher immer zugleich Produkt, Gegenstand und Instrument öffentlicher Auseinandersetzungen (vgl. ebd.). Hierbei handelt es sich jedoch, wie Hajer (2008) betont, keinesfalls um ein einschichtiges Phänomen. Vielmehr entstünden über die Zeit immer wieder neue Vernetzungen und Verschränkungen verschiedener Stränge, die aus unterschiedlichen Diskursen stammen können (vgl. ebd., S. 279)4.
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Zum Konzept der „Diskursverschränkung“ vgl. auch: Jäger (1996, 2008). Jäger befasst sich in diesen Arbeiten mit einer Form der öffentlichen Kritik am Patriarchat, die sie als „Ethnisierung von Sexismus“ bezeichnet und auf eine Verschränkung des Einwanderungsdiskurses mit Ablegern des feministischen Diskurses zurückführt.
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Eine treffende Metapher für die Gesamtstruktur von gesellschaftlichen Diskursen liefern Deleuze und Guttari. Die beiden französischen Denker schlagen als Gegenentwurf zur Metapher des Baumes, welcher einem hierarischen Organisationsmodell von Wissen entspreche, das „Rhizom“ in ihrem gleichnamigen Buch (Deleuze/Guttari 1977) als ein postmodernes Modell der Wissensorganisation vor. Rhizome seien wurzelartig aussehende, verzweigte und verflochtene Systeme, die nicht in Dichotomien aufgingen. Denn ein „Rhizom kann an jeder beliebigen Stelle gebrochen und zerstört werden, es wuchert entlang seiner eigenen oder anderen Linien weiter“ (ebd. S. 16). Anhand des Rhizoms als Metapher ist eine bildhafte Vorstellung von der Ordnung des Diskurses im historischen Verlauf möglich. Er erscheint vor dem geistigen Auge als ein Bündel verschiedenartig geformter und verzweigter Diskursstränge, die Querverbindungen miteinander eingehen, sich weiter verzweigen und verästeln oder auch abrupt abrechen können. Neue Ideen knüpfen an bestehende Deutungen an, so wie Stränge des rhizomatischen Geflechts neue Sprosse ausbilden, die weiter in eine bestimmte Richtung wachsen, miteinander Querverbindungen eingehen oder sich verschränken können. Geltung von Wissen wird kontinuierlich bestätigt oder verändert, ähnlich wie sich die Anordnung der verästelten Stränge des Rhizoms immer wieder neu formiert und ihre Wuchsrichtung ändern kann. Vorangetrieben werden Diskurse vor allem durch öffentliche Auseinandersetzungen. Träger solcher Auseinandersetzungen sind kollektive Akteure, wie z. B. die Wissenschaften, die Politik oder, wie Schwab-Trapp es ausdrückt, „diskursive Eliten“ (ebd. 2006, S. 36). Hiermit seien beispielsweise Politiker und Politikerinnen gemeint, die eine bestimmte Strömung vertreten, bekannte Intellektuelle, Vertreterinnen und Vertreter von Organisationen oder Institutionen, Personen mit Zugang zu einflussreichen Medien oder Repräsentanten des wissenschaftlichen Wissens. Diskursive Eliten repräsentierten stets mehr oder weniger umfangreiche „diskursive Gemeinschaften“ (ebd.). Solche „Gemeinschaften“ setzen sich aus verschiedenen sozialen Akteuren und sozialen Milieus zusammen, deren Aussagen demselben Diskurs zugerechnet werden können (vgl. ebd.), wobei diese bewusst oder unbewusst eine „Diskurskoalition“ bilden (vgl. Keller 2004, S. 64; Hajer 2008, S. 280). Empirisch lässt sich eine solche Koalition beispielsweise auf der Grundlage von Konsensdokumenten (z. B. Erklärungen, Memoranden, Richtlinien) und ähnlichen Schlüsseltexten rekonstruieren. Das Spektrum von Diskursgemeinschaften umfasst, Schwab-Trapp (2006) zufolge, organisierte Kollektive auf der einen Seite, die sich durch klare Strukturen im Inneren und eine über Mitgliedschaftsregeln eindeutig fixierte Grenze nach außen auszeichneten, wie beispielsweise politische Parteien (vgl. ebd., S. 36f.). Auf der anderen Seite des Spektrums seien abstrakte Gemeinschaften angesiedelt, deren Mitglieder sich lediglich im öffentlichen Diskurs aneinander orientierten, ohne über Organisationsstrukturen miteinander verbunden zu sein, wie beispielsweise soziale Bewegungen oder die „westliche Wertegemeinschaft“ (vgl. ebd.).
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Re-produziert, konturiert und transformiert werden Diskurse in „diskursiven Feldern“, welche als mehr oder weniger öffentliche „Arenen“ mit sozial umkämpften Sprecherpositionen fungieren (vgl. Keller 2004, S. 64). Dabei würden den Akteuren durch die dynamischen Kräfte in solchen Feldern spezifische Subjektpositionen zugewiesen und damit deren Einflussnahmemöglichkeiten auf den Diskurs begrenzt oder erweitert (vgl. ebd.). Übertragen auf die Rhizom-Metapher ist das diskursive Feld als eine das Rhizom umhüllende Struktur zu denken. Diese äußere Umgebung beeinflusst die Wuchsrichtung des rhizomatischen Geflechts, indem es sich diesem entgegenstellt. Hierdurch kann es an bestimmten Stellen zur Einschränkung, zum Abbruch oder auch zur Wucherung des Wachstums kommen. Schwab-Trapp unterscheidet beim Feldbegriff eine soziale und eine diskursive Struktur. So bestehe die soziale Struktur diskursiver Felder „aus den Machtverteilungen, Bündniskonstellationen und Konfliktlinien zwischen den Akteuren dieser Felder“ (ebd. 2006, S. 37). Dagegen bestehe ihre diskursive Struktur aus „Konventionen und Regeln für eine diesen Feldern angemessene Produktion diskursiver Beiträge“ (ebd.). In einem diskursiven Feld seien stets bestimmte Themenfelder bedeutsam. Diese seien historisch gewachsen und intern durch das Feld bereits vorstrukturiert. Im Kampf um die angemessene Deutung politischer oder sozialer Handlungszusammenhänge würden diese Themenfelder umgedeutet, in Beziehung zu anderen Themenfeldern gesetzt und zu kollektiv mehr oder weniger anerkannten Deutungsvorgaben verdichtet (vgl. ebd.). Diskursanalyse als wissenschaftliches Verfahren Die öffentlich diskutierten bzw. reproduzierten, miteinander konkurrierenden und mehr oder weniger kollektiv geteilten Deutungen und Narrationen politischer sowie sozialer Handlungszusammenhänge sind Gegenstand der Diskursanalyse (vgl. Schwab-Trapp 2006, S. 35). Ein einheitliches Vorgehen existiert jedoch ebenso wenig wie ein gemeinsames diskurstheoretisches Verständnis. Vielmehr umfasst der Begriff „Diskursanalyse“ zuallererst „einen breiten Gegenstandsbereich, ein Untersuchungsprogramm, keine Methode“ (Keller 1997, S. 325). Selbst die Methodologie der Diskursanalyse, welche Foucault (1981) in seinem Werk „Archäologie des Wissens“ entfaltet, scheint eher ein programmatischer Entwurf zu sein als ein methodisch abgesichertes Verfahren zur Rekonstruktion diskursiver Prozesse. So werfe beispielsweise seine dort entwickelte Untergliederung des Diskurses in „diskursive Gegenstände“, „Begriffe“, „Äußerungsmodalitäten“ und „Strategien“ zahlreiche methodische Probleme auf, welche sich einer systematischen Umsetzung in der empirischen Analyse widersetzten (vgl. Schwab-Trapp 2006, S. 38). Aus der Perspektive einer praxeologischen Wissenssoziologie5, wie sie in der vorliegenden 5
Für Leserinnen und Leser, die mit den metatheoretischen Paradigmen, auf die ich mich in der vorliegenden Arbeit beziehe, nicht vertraut sind, sei der Hinweis erlaubt, dass es sich
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Arbeit vertreten wird, stellt sich zudem die Frage, was Foucault alles unter „Praktiken“ bzw. „Praxis“ fasst. Keller (2004) zufolge, sind hiermit diskursive (z. B. schreiben, analysieren) und nicht-diskursive (z. B. Gesten, demonstrieren) „Praktiken der Diskursproduktion“ gemeint wie auch „Diskurseffekte“ (z. B. diskursiv: ärztliche Diagnosen, nicht-diskursiv: Hygienepraktiken). Darüber hinaus unterscheidet Keller noch diskursive und nicht-diskursive Praktiken auf einer „relativ“ diskursunabhängigen Ebene (vgl. ebd., S. 62). Allerdings fehlt wie schon bei Foucault so auch bei Keller ein generierendes Prinzip der Praxis (vgl. hierzu: Abschnitt 3.1.2 in dieser Arbeit zum Verhältnis von Diskurs und Habitus). Auch Jäger (2004) weist darauf hin, dass Foucault „in der ‚Archäologie‘ nach einem generierenden Prinzip für die Aussagen zu suchen scheint, ohne dieses jedoch dingfest machen zu können“ (Jäger 2004, S. 126). Wie Bublitz (2003a, S. 14) feststellt, resultieren die methodischen Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Diskursanalyse insgesamt daraus, dass Foucaults Arbeiten stets einen suchenden Charakter hätten. So taste er sich in seinen materialreichen Arbeiten immer wieder aufs Neue an andere Aspekte seines eigenen, nicht immer explizierten Forschungsprogramms heran, ohne hierbei auf die Etablierung eines konsistenten Theoriegerüsts abzuzielen. Ein gemeinsamer Bezugspunkt seiner Arbeiten bestünde allein darin, dass es ihm stets um die historischen Entstehungsbedingungen der Ordnung der Dinge gehe sowie deren Verankerung in Machtverhältnissen (vgl. ebd.). In Ermangelung eines elaborierten diskursanalytischen Verfahrens nach Foucault, orientiert sich die Forschungspraxis empirischer Diskursanalyse methodisch an etablierten, meist qualitativ-rekonstruktiven Verfahren der Textanalyse (vgl. Keller 2004, S. 20f.). Diese reichen von der Feinanalyse einzelner Diskursbeiträge mit den Mitteln sozialwissenschaftlicher Hermeneutik, über den Einsatz der Grounded Theory bis hin zu sprach- und literaturwissenschaftlichen Analyseverfahren (vgl. ebd. u. Schwab-Trapp 2006, S. 38). Auch die Dokumentarische Methode wird in diesem Zusammenhang als ein geeignetes Verfahren vorgeschlagen (vgl. Keller 2004, S. 73; Schwab-Trapp 2008, S. 184f.). Unabhängig davon, welche Methode eingesetzt wird, ist die Analyse diskursiver Beiträge, wie Schwab-Trapp (2006) betont, stets darauf auszurichten, dass Vergleichshorizonte eingebunden und untersuchte Aussagen in Beziehung zu anderen Aussagen gesetzt werden sowie zu anderen Diskursen bzw. Diskurssträngen. Denn Diskursanalyse ist immer „Kontextanalyse“ (Schwab-Trapp 2006, S. 38, Hervorhebung im Original): „Sie ist Kontextanalyse, weil Diskursbeiträge zum einen Bestandteil diskursiver Auseinandersetzungen sind und sich mehr oder weniger direkt auf andere Diskursbeiträge beziehen, bei der „praxeologischen Wissenssoziologie“ (Bohnsack 2007c) und der „wissenssoziologischen Diskursanalyse“ (Keller 2005) um zwei paradigmatisch verschiedene Ansätze handelt.
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die ebenfalls Bestandteil dieser Auseinandersetzungen sind. Und sie ist Kontextanalyse, weil Diskursbeiträge zum anderen immer auch Beziehungen zu mehr oder weniger verwandten Diskursen herstellen und auf diese Weise Diskurse miteinander verknüpfen.“ (Schwab-Trapp 2006, S. 38)
In der diskursanalytischen Rekonstruktion erweist sich die öffentliche Rede über die Versorgung alter Menschen mit Migrationshintergrund als ein Bündel miteinander verknüpfter und verschränkter Diskursstränge. Im Zuge des Rekonstruktionsprozesses galt es, die zentralen Themenfelder dieses Fachdiskurses zu identifizieren, sie räumlich-zeitlich zu kontextualisieren und ihre Narrations- Argumentationsund Deutungsstrukturen zu analysieren. Jedoch müssen die Rekonstruktionsergebnisse immer ausschnitthaft und unvollständig bleiben. Denn eine Diskursanalyse kann, wie Schwab-Trapp (2006) einräumt, einen Diskurs mit seinen diskursiven Verflechtungen und Verzweigungen niemals in Gänze erfassen. Hierfür seien diese zum einen zu umfangreich und zu vielschichtig bezüglich ihrer Aussagen und ihres thematischen Spektrums, zum anderen seien diese auch zu ergebnisoffen. Zudem lasse sich in der Regel kein exakt datierbarer Beginn feststellen (vgl. ebd., S. 36f.). Auch in diesem Punkt bildet der Diskurs über die Versorgung alter Migranten keine Ausnahme, obwohl sich dessen Aufkommen anhand von Publikationsdaten relativ genau bestimmen lässt. Jedoch stehen diese gegen Ende der 1980er Jahre sukzessiv ansteigenden Veröffentlichungen keineswegs einen voraussetzungsfreien Anfangspunkt dar. Vielmehr erweist sich dieser Zeitpunkt historisch als ein diskursiver Knotenpunkt, an dem sich mehrere Diskursstränge, welche sich zuvor aus verschiedenen anderen Diskursen abgespalten haben, miteinander zum Versorgungsdiskurs vernetzen und verschränken. Obwohl also eine Beschränkung des Verfahrens der Diskursanalyse ganz allgemein darin liegt, dass Diskurse weder historisch noch in Bezug auf ihr thematisches Spektrum in Gänze erfasst werden können, eröffnet die Kontextgebundenheit diskursiver Beträge jedoch Möglichkeiten der Generalisierung: „So kann etwa die Analyse eines speziellen Diskurses die Beiträge dieses Diskurses auf die Geschichte und den Wandel diskursiver Gemeinschaften und Felder beziehen oder mit der Geschichte politischer Konflikte verbinden. Hierbei gilt es jedoch immer, eine Beschränkung im Auge zu behalten, um nicht in den Grundirrtum zu verfallen, einfach alles zum Diskurs zu erklären und soziales oder politisches Handeln ausschließlich über Diskurse zu bestimmen.“ (Schwab-Trapp 2006, S. 39)
Das Ziel einer Diskursanalyse ist nicht der Zugang zu einem „wahren“ oder „besseren“ Wissen. Vielmehr rekonstruiert diese die Produktion von Wissen, welches zumindest für eine bestimmte Zeit mit einem bestimmten Wahrheitswert aufgeladen ist und legt die Bindung dieses Wissens an unterschiedliche Machtmechanismen
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und -institutionen frei bzw. verortet dieses in Machtkämpfen (vgl. ebd.). So liegt ein Reiz der Diskursanalyse insbesondere darin, eine gewisse Distanz zu Aspekten der jeweils gültigen Ordnung der Dinge einnehmen zu können, ohne sich dieser in objektivistischer Manier von einer privilegierten Beobachterperspektive aus, quasi von außen, annähern zu müssen. Vielmehr entsteht die gewünschte Distanz dadurch, dass man die Kontingenz einer institutionalisierten Ordnung von innen heraus sichtbar macht6. Dies soll realisiert werden, indem die Argumentations- und Deutungsstruktur sowie der soziohistorische Kontext jener Wissensbestände rekonstruiert werden, welchen aufgrund der aktuellen diskursiven Ordnung der Status von „Gültigkeit“ bzw. von „Normalität“ und „Wahrheit“ zukommt. Hierdurch kann insbesondere sichtbar gemacht werden, dass für die Etablierung dieser Wissensbestände nicht immer eine Fortschrittsentwicklung maßgebend sein muss. Vielmehr hängt diese in hohem Maße auch von institutionellen Rahmungs-, Produktions- und Rezeptionsbedingungen ab. Die Diskursanalyse ermöglicht zwar eine spezifische und ungewöhnliche Perspektive auf „soziale Tatsachen“ im Sinne Durkheims. Jedoch entgehen diesem Verfahren, wie Schwab-Trapp (2006) betont, gerade deshalb systematisch all jene Aspekte sozialer und politischer Wirklichkeit, die entweder gar nicht erst zum Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzungen gemacht werden oder jenseits des ‚Diskursuniversums‘ angesiedelt sind. Hierzu gehörten insbesondere die „gewöhnlichen“ Kommunikationsprozesse im Alltag der Menschen ebenso wie Handlungsroutinen, habitualisierte bzw. inkorporierte Normen und Selbstverständlichkeiten sozialen Handelns oder informelle Netzwerke und Regeln (vgl. Schwab-Trapp 2006, S. 39). Aus diesem Grund stellt die Diskursanalyse bzw. der poststrukturalistische Ansatz in der vorliegenden Arbeit auch lediglich eine Ergänzung7 zur Dokumentarischen Methode mit ihrem praxeologisch-wissenssoziologischen Zugang dar. Im Folgenden soll erläutert werden, wie Anschlüsse zwischen dem Verfahren der Diskursanalyse und der Dokumentarischen Methode in der vorliegenden Studie auf der metatheoretischen Ebene hergestellt werden und welche forschungspraktischen Konsequenzen sich hieraus für das Vorgehen bei der Diskursanalyse ergeben. Ausführlicher kann der meta- und erkenntnistheoretische Rahmen jedoch erst im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit dargelegt werden, und zwar im Anschluss an einen 6
Die hier angestrebte Positionierung sucht nach einer Metakommunikation über einen Diskurs, in dem sich diese, diskurstheoretisch gesehen, selbst bewegt. Dies kann immer nur ein Annäherungsversuch sein. Denn zum einen ist die eigene „Standortgebundenheit“ (Mannheim 1952 [1929], S. 229) nicht zu überwinden, zum anderen würde eine Positionierung gänzlich außerhalb der Logik des Diskurses, Foucault zufolge, dazu führen, sich nicht mehr in dessen historischer Ordnung zu bewegen und damit nicht mehr „im Wahren“ der aktuellen Epoche zu sein (vgl. Foucault 1972, S. 24).
7
Vgl. hierzu auch: von Rosenberg (2011).
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Überblick über allgemeine Charakteristika diskurs- und praxistheoretischer Perspektiven sowie Ausführungen zum Verhältnis von Diskurs und Habitus. Diskurse als überindividuelles, kommunikativ-generalisiertes Wissen Wie bereits erwähnt, hat Foucault kein elaboriertes diskursanalytisches Verfahren ausgearbeitet. Jedes Projekt der Diskursforschung bedarf daher zunächst einer Klärung seiner metatheoretischen Grundlagen (vgl. Keller 2004, S. 61). Die vorliegende Arbeit ist in der Methodologie der Dokumentarischen Methode und damit in der praxeologischen Wissenssoziologie fundiert. Hierbei handelt es sich um einen Ansatz, der stark in Handlungspraxis und Kollektivität verankert ist (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010, S. 275). Gemeinsam ist der Dokumentarischen Methode mit diskurstheoretischen Ansätzen neben dem Fokus auf Kollektivvorstellungen die „Prämisse der sozialen und historischen Kontextuiertheit der zu rekonstruierenden Äußerungen“ (Bormann 2011, S. 216). Zentral für die Interpretation nach der Dokumentarischen Methode ist dabei die Unterscheidung zweier überindividueller, kategorial jedoch verschiedener Wissensweisen, welche zwei voneinander abgrenzbaren Sinnebenen angehören. Zu differenzieren ist zwischen dem praktischen Sinn bzw. dem erfahrungsbasierten, handlungsorientierenden „konjunktiven“ oder auch „atheoretischen“ Wissen einerseits und dem „theoretisch-reflexiven“, einem jeglichen Sinnsystem stets immanenten, „kommunikativen“ Wissen8 andererseits (vgl. Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2007, S. 14). Während das konjunktive Wissen in gemeinsam geteilten Erfahrungen und Routinen der Alltagspraxis der Akteure verankert ist, liegt das kommunikative bzw. diskursive Wissen auf der Ebene kommunikativ-generalisierter Sinngehalte. Ein bedeutsamer Unterschied dieser beiden Wissenskategorien besteht darin, dass allein das konjunktive Wissen unmittelbar wahrnehmungs- und handlungsorientierend ist. Denn nur dieses wird über Habitua8
Die erstmals bei Karl Mannheim in den 1920er Jahren begründete Differenzierung zweier kategorial verschiedener, jedoch komplementärer Wissensweisen findet sich prinzipiell auch bei anderen Autoren wieder, so z. B. bei Ryle (2000 [1949]) mit dessen Unterscheidung des „knowing what“ und „knowing how“ oder bei Bourdieu (1976) mit dessen Differenzierung zwischen dem „diskursiven“ und dem „praxeologischen“ Wissen. Diese Begriffe sind anschlussfähig an die Dokumentarische Methode und können daher synonym gebraucht werden. Hieraus ergibt sich eine Vielzahl von Begriffen, die immer wieder auf dieselben beiden Wissenskategorien verweisen, dabei jedoch stets unterschiedliche Aspekte dieses Wissens betonen. Bohnsack (2013) hat in einem Aufsatz eine Reihe solcher Konzepte und der hiermit gemeinten Sinnebenen in einer grafischen Übersicht zusammengestellt (vgl. ebd., S. 182). Diese Abbildung wurde auch in das Kapitel 4.2 der vorliegenden Arbeit übernommen (vgl. ebd.).
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lisierungsprozesse verinnerlicht bzw. „mimetisch“ (Wulf 2006, S. 117f.) angeeignet und liegt deshalb in Form von Handlungsdispositionen vor. Dagegen liegt die Bedeutung des kommunikativen bzw. diskursiven Wissens in seiner Deutungs-, Begründungs- und Legitimationsfunktion. Aus diskurstheoretischer Perspektive wird eine systematische Unterscheidung dieser beiden Wissenskategorien und Sinnebenen nicht vorgenommen. Aus praxeologisch-wissenssoziologischer Perspektive indessen liegt die symbolische Ordnung des Diskurses auf der Ebene des kommunikativ-generalisierten Sinngehaltes, während das, was dieser Ordnung zumindest vorübergehend Stabilität verleiht, diese aber auch unterwandern oder transformieren kann, auf der Ebene des konjunktiven Wissens anzusiedeln ist. Zur weiteren Unterscheidung dieser beiden Sinnebenen kann auch die Differenz zwischen „implizitem“ und „explizitem“ Wissen herangezogen werden. Denn die auf der konjunktiven Ebene liegenden Sinngehalte können auch als ein implizites oder „stillschweigendes“ Wissen im Sinne von Polanys (1976) „tacit knowledge“ gefasst werden. Dagegen liegt das auf der kommunikativ-generalisierten Ebene angesiedelte, diskursive Erklärungs- und Deutungswissen in der Regel in expliziter Form vor. Um die diskurstheoretische Perspektive anschlussfähig zu machen, bedarf es jedoch noch einer weiteren Differenzierung des impliziten Wissens. So existiert neben dem erfahrungsgebundenen, konjunktiven Wissen bzw. dem Habitus im Sinne Bourdieus, auch ein erfahrungsungebundenes bzw. abstraktes implizites Wissen. Anders als der Habitus gehört diese Variante des impliziten Wissens der Ebene kommunikativgeneralisierter Sinngehalte an9. Als abstrahiert sind diese zu bezeichnen, da sie in Form logischer Implikationen10, Präsumtionen, Prämissen und kognitiven Schemata vorliegen. Häufig haben diese den Charakter von Dichotomien oder binären Codes. Ihre Funktion liegt allein darin, innerhalb eines Sinnsystems Differenz herzustellen und damit Unterscheidungen erst zu ermöglichen. In Form kognitiver Schemata findet das abstrahierte implizite Wissen schnelle Verbreitung auf der symbolischen Ebene von Diskursen. Denn solche Schemata beinhalten bereits vorstrukturierte Interpretationen der Welt, wie beispielsweise das Konzept der Zweigeschlechtlichkeit oder der Aufteilung der Welt in „Orient“ und „Okzident“. Solche Weltdeutungen werden bis zu einem gewissen Grad selbst dann diskursiv reproduziert, wenn diese widersprüchlich sind bzw. gar nicht den persönlichen oder kollektiven Erfahrungen der sie propagierenden Personen bzw. Gemeinschaften entsprechen. Dies 9
In neueren Texten trägt Bohnsack diesem Umstand zunehmend Rechnung (vgl. Bohnsack 2014, 2014a, 2015).
10 So impliziert beispielsweise die ‚Rede‘, ein bestimmtes Angebot richte sich an „alte Menschen“, dass dieses nicht für „junge Menschen“ geeignet oder erlaubt ist. Ein Angebot für Migranten impliziert, dass dieses nicht für Einheimische ist. Richtet sich ein Angebot an „alte Migranten und alte Einheimische“, impliziert dies, dass es sich bei den Adressaten um zwei prinzipiell verschiedene Gruppen handelt.
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geschieht beispielsweise durch eine unkritische Übernahme von Begriffen und Wendungen, in denen abstrakte Menschenbilder, „virtuale soziale Identitäten“ (Goffman 1962, vgl. hierzu: Bohnsack 2014, S. 39), Freund-/Feindschemata oder Hierarchien impliziert sind, die als subtile Normalitätsvorstellungen gesellschaftlich einen hohen Institutionalisierungs- und Verbreitungsgrad gefunden haben, da sie existierende Machtverhältnisse widerspiegeln. Wie subtil und dennoch wirkmächtig solche Schemata sein können, hat insbesondere die Geschlechterforschung anhand zahlreicher Studien deutlich gemacht11. Ausgangspunkte solcher Forschungsarbeiten waren immer wieder auch selbst erlebte Inkongruenzen der Forscherinnen zwischen der eigenen, meist weiblich geprägten Erlebens- und Erfahrungswelt einerseits und gesellschaftlich an sie herangetragene, implizit vorliegende Normalitätsvorstellungen andererseits. Einen Schritt weiter geht die Arbeit Judith Butlers. In ihrem Buch „Gender Trouble“ („Das Unbehagen der Geschlechter“, Butler 1991) und weiteren Schriften dekonstruiert sie auch das bis dahin von feministischen Forscherinnen stillschweigend reproduzierte Konzept der Zweigeschlechtlichkeit als eine binäre Konstruktion hegemonialer Diskurse und kritisiert vor diesem Hintergrund die Ignoranz wissenschaftlicher, insbesondere feministischer, Theoriebildung gegenüber Erfahrungswelten jenseits des binären Mann-Frau-Schemas bzw. jenseits heteronormativer Kategorien. Gemeinsam ist dem Werk Butlers mit den von ihr kritisierten Arbeiten jedoch, dass darin ein „Unbehagen“ zum Ausdruck kommt aufgrund einer erfahrenden Differenz zwischen dem habituell und milieuspezifisch geprägtem eigenen Erleben einerseits und der implizit bleibenden symbolischen Ordnung geschlechtlich differenzierender Diskurse andererseits. Im Sinne der Dokumentarischen Methode liegt der abstrahierte implizite Sinn der rein symbolischen Differenzerzeugung ebenso auf der Ebene kommunikativ-generalisierter Sinngehalte wie das explizite Wissen. Dagegen ist die Wahrnehmung von Normalität oder Unbehagen in Bezug auf geschlechtlich konnotierte Differenzen im milieuspezifisch geprägten impliziten Wissen fundiert, welches auf der Ebene des Habitus bzw. des konjunktiven Sinngehaltes angesiedelt ist. Anschlüsse eines diskurstheoretisch inspirierten Ansatzes an die Dokumentarische Methode sind metatheoretisch und forschungspraktisch also möglich, indem Diskurse als „thematisch gebundene Äußerungszusammenhänge“ (Höhne 2008, S. 424f.) gefasst werden, die in Form von explizitem und abstrahiertem impliziten Wissen auf der Ebene des kommunikativ-generalisierten Wissens liegen und insofern ein komplementäres Konzept zum Bourdieu’schen Habitus darstellen. Empirisch rekonstruieren lassen sich auf der kommunikativ-generalisierten Ebene angesiedelte Sinngehalte nach Bohnsack (2010a) mittels der „formulierenden Inter11 Vgl. hierzu exemplarisch das Forschungsprogramm und die Publikationen des im Jahr 2013 ausgelaufenen Graduiertenkollegs „Geschlecht als Wissenskategorie“ http://www2. hu-berlin.de/gkgeschlecht/forsch.php (16.07.2014).
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pretation“ (vgl. ebd. S. 134). Hiermit lässt sich der thematische Verlauf eines jeglichen Diskurses – sei dieser eine hin- und hergehende Rede im Rahmen von Gruppendiskussionen, natürlichen Gesprächen oder ein diskurstheoretisch begründetes Ensemble von Aussagen – feingliedrig anhand der Suche nach zusammenhängenden Ober- und Unterthemen nachzeichnen. Während für die Rekonstruktion des „dokumentarischen Sinngehaltes“ im Anschluss an diesen Arbeitsschritt ein Wechsel der Analyseeinstellung notwendig wird – diesen Schritt bezeichnet Bohnsack als „reflektierende Interpretation“ (vgl. Bohnsack 2010a, S. 135f.; vgl. auch Kapitel 4.3 in dieser Arbeit) – verbleibt der Analysefokus bei der Rekonstruktion des immanenten bzw. kommunikativ-generalisierten Sinngehaltes beim ersten Interpretationsschritt der Dokumentarischen Methode, also der „formulierenden Interpretation“. Indem zunächst die thematische Struktur und auf dieser Grundlage die immanente Logik des Fachdiskurses, also seine narrative und argumentationslogische Architektur nachgezeichnet und räumlich-zeitlich kontextualisiert wird, erschließt sich der Diskurs sukzessive im Sinne einer charakteristischen Äußerungseinheit. 3.1.1 Korpusbildung und Forschungsprozess Der Forschungsprozess des diskursanalytischen Teils der vorliegenden Studie orientierte sich an dem von Keller (2004) vorgeschlagenen allgemeinen Modell sozialwissenschaftlicher Diskursanalysen (vgl. ebd., S. 61f.). Diesem zufolge können vier Arbeitsetappen unterschieden werden: die Korpusbildung, die Datenauswahl für die Feinanalyse, das Herausarbeiten spezifischer Diskursstrukturen im Rahmen der Feinanalyse (z. B. Phänomen-, Problemstruktur, Deutungsmuster) sowie die Integration und abschließende Interpretation der Forschungsergebnisse. Forschungspraktisch erfolgte eine Orientierung an Verfahrensschritten der Dokumentarischen Methode sowie ergänzend an Prinzipien der „Grounded Theory“12, insbesondere dem „Theoretical Sampling“, auf das ich im nächsten Abschnitt noch eingehen werde. Zwar erwecken vier „Arbeitsetappen“ den Eindruck eines linearen Vorgehens. Tatsächlich verliefen die Korpusbildung, Datenauswahl, Grob- und Feinanalyse sowie die Integration von Ergebnissen in einander überschneidenden, hermeneutisch-zirkulär verlaufenden Arbeitsphasen mit fortlaufenden komparativen Analysen. In diesem intensiven, zirkulären Arbeitsprozess erschloss sich allmählich die Struktur des Fachdiskurses. Anders 12 Die Grounded Theory ist ein auf gegenstandsbezogene Theoriebildung abzielender Forschungsstil und zugleich ein Verfahren qualitativ-rekonstruktiver Sozialforschung. Entwickelt wurde dieser Ansatz von Anselm Strauss und Barny Glaser in den 1970er Jahren insbesondere im Zusammenhang mit der Erforschung von Betreuungsabläufen in Krankenhäusern (vgl. Glaser/Strauss 2002 [1967]). Keller (2004) weist darauf hin, dass Elemente der Grounded Theory auf die Diskursforschung übertragbar sind bzw. „für deren Programm modifiziert werden können und müssen“ (ebd., S. 86, 88).
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als es die Strukturierung der vorliegenden Arbeit nahelegt, wurde die Diskursanalyse erst im Anschluss an die Rekonstruktion der Handlungspraxis durchgeführt. Im Schlusskapitel dieser Arbeit werden auch Überlegungen darüber angestellt, wie dieser Umstand in methodischer Hinsicht bewertet werden könnte (vgl. Kapitel 14.5). Korpusbildung und Datenauswahl für die Feinanalyse Ein Ausgangspunkt der Korpusbildung war die eingangs dargestellte umfassende Literaturrecherche zur Aufarbeitung des Forschungsstandes in Bezug auf das Untersuchungsthema (vgl. Kapitel 2.). Durch diese Vorbereitung konnte bereits ein erster Überblick über eine ganze Reihe von Diskursfragmenten (Texten) gewonnen werden. Des Weiteren hatte ich, wie bereits erwähnt, zu diesem Zeitpunkt die Habitusrekonstruktionen aus dem Feld der Versorgungspraxis abgeschlossen. Wie auch Keller (2004) betont, erfordert die gezielte Auswahl von Schlüsseltexten bereits „eine intensive Beschäftigung mit dem jeweiligen Feld und der dort vorhandenen Literatur, um Kriterien für eine solche Schlüsselrolle angeben zu können und die weitere Textauswahl danach zu richten“ (ebd., S. 86). Methodisch erfolgte die Auswahl von Texten für den Datenkorpus und für die Feinanalyse orientiert am „Theoretical Sampling“ im Sinne der Grounded Theory (vgl. Strauss/Corbin 1996, S. 148ff.). Hierbei galt es, entsprechende Entscheidungen vor allem aus dem Forschungsprozess selbst heraus zu begründen (vgl. Keller 2004, S. 88) und nicht anhand vorab feststehender Vorannahmen über den Diskurs. Während Keller (2004), wie viele andere Diskusforscherinnen und -forscher auch, die Arbeit mit einem „geschlossenen“ Korpus vorschlägt (vgl. Keller 2004, S. 86 vgl. exemplarisch auch den Sammelband: Keller/Hirseland/Schneider/Viehöfer 2008), gestaltete sich die Korpusbildung in der vorliegenden Arbeit entsprechend dem Prinzip des Theoretical Samplings tatsächlich als ein „offener“ Prozess. Hierbei wurde der Korpus im Verlauf des diskursanalytischen Rekonstruktionsprozesses sukzessive erweitert (vgl. hierzu auch: Glasze 2008, S. 205), anstatt die Korpusbildung vor der eigentlichen Diskursanalyse abzuschließen. Im Rahmen dieses Prozesses erwies es sich als zielführend, insbesondere programmatische Grundsatzdokumente zum Thema Alter, Migration und Versorgung auszuwählen, welche – wie retrospektiv festzustellen ist – historisch prägnante Etappen bzw. Wendepunkte in der Rede über die Versorgung alter Migranten markieren. Hierzu gehören insbesondere das „Kühn Memorandum“ (Kühn 1979), das „Memorandum für eine kultursensible Altenhilfe“ (KDA 2002) und der „Nationale Integrationsplan“ (Bundesregierung 2007). Auch kommt in diesen Dokumenten der für den Fachdiskurs charakteristischen Akteurs-Konstellation eine zentrale Sprecherposition zu. Die Adressaten der Dokumente sind zum einen Akteure aus der Versorgungspraxis, wobei diese teilweise auch selbst Sprecherpositionen im Fachdiskurs einnehmen, und zum anderen eine breite (Fach-)Öffentlichkeit in Politik und Gesellschaft.
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Im Folgenden werden die Schlüsseltexte tabellarisch aufgelistet, die im Rahmen der Feinanalyse intensiv ausgewertet wurden (vgl. Tabelle 1). Zusätzlich kamen weitere Texte als Vergleichshorizonte und zur Validierung von Analyseergebnissen zum Einsatz (vgl. hierzu auch: Keller 2004, S. 87f.). Diese zusätzlichen Texte ergänzen den hier tabellarisch aufgelisteten Korpus. Sie sind gemeinsam mit diesem im Anhang dieser Arbeit unter der Rubrik „Datenkorpus“ aufgeführt. Hierzu gehören auch Artikel aus Fachbüchern und Fachzeitschriften sowie Tagungsinformationen und -dokumentationen. Dagegen wurde die zusätzlich eingesetzte Sekundärliteratur in das Literaturverzeichnis dieser Arbeit aufgenommen. Hierbei kamen auch Diskursanalysen anderer Autorinnen und Autoren zu bestimmten Themen zum Einsatz, um die in dieser Arbeit rekonstruierten Diskursstränge anhand von weiteren Kontextinformationen genauer abgrenzen zu können. Tabelle 1: Schlüsseltexte der Feinanalyse Titel
Autor/Herausgeber
Jahr
„Kühn Memorandum“
Kühn, H. (ehem. Ausländerbeauftragter der Bundesregierung)
1979
„Interkulturelle Kompetenz. Ein neues Anforderungsprofil für die soziale Arbeit“
Hinz-Rommel, W.
1994
„Interkulturelle Öffnung sozialer Dienste“
Barwig, K./Hinz-Rommel, W. (Hrg.)
1995
„Memorandum für eine kultursensible Altenhilfe“
Arbeitskreis „Charta für eine 2002 kultursensible Altenpflege“ und Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA)
„Handreichung für eine kultursensible Altenpflege“
Arbeitskreis „Charta für eine 2002 kultursensible Altenpflege“ und Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA)
„Nationaler Integrationsplan“ Themenschwerpunkt: Gesundheit, Sexualaufklärung, Altenhilfe (S. 99-101)
Die Bundesregierung
2007
„Nationaler Aktionsplan Integration“ Dialogforum 5: Gesundheit und Pflege (S. 162-169)
Die Bundesregierung
2012
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Feinanalyse und abschließende Integration der Ergebnisse Die Sondierung des Materials für die Feinanalyse erfolgte mithilfe der „formulierenden Interpretation“ im Sinne der dokumentarischen Methode. So wurden zunächst grobe thematische Verläufe erstellt und anschließend, in ausgewählten Passagen, feingliedrigere Verläufe mit Ober- und Unterthemen angefertigt. Anhand dieser Themenübersichten konnten Querverbindungen zwischen verschiedenen Passagen innerhalb von Texten und zwischen diesen hergestellt werden. Die Auswahl von zu analysierenden Sequenzen erfolgte wiederum orientiert am Theoretical Sampling der Grounded Theory sowie dem Prinzip der maximalen und minimalen Kontrastierung (vgl. hierzu auch: Keller 2004, S. 88). Insgesamt diente die maximale Kontrastierung dazu, nach und nach thematische sowie räumlich-zeitliche Begrenzungen des Diskurses zu erfassen und somit seine heterogenen Bestandteile herauszuarbeiten. Dagegen richtete sich die minimale Kontrastierung darauf, den jeweils erfassten Teilbereich möglichst genau und vollständig zu rekonstruieren, bis seine Analyse schließlich als ‚gesättigt‘ erscheint (vgl. ebd.). Hierbei galt es vor allem, gleichlautende oder äquivalente Einzeläußerungen in verschiedenen Texten aufzufinden und diese als „in-vivo-codes“ zu markieren (vgl. Strauss/Corbin 1996). Strauss und Corbin (1996) verstehen unter „in-vivo-codes“ Originalzitationen aus dem Datenmaterial. Diese „Codes“ bilden die empirische Grundlage für die Entwicklung von „Konzepten“, welche bei der Bildung einer gegenstandsbezogenen Theorie bereits eine höhere Abstraktionsstufe einnehmen (vgl. ebd. 49). Aus diskurstheoretischer Sicht materialisieren sich Diskurse in konkreten „Einzeläußerungen“ (vgl. Keller 2004, S. 64). Diese entsprechen den „in-vivo-codes“ der Grounded Theorie. Dagegen entsprechen die auf dieser Grundlage typisierbaren „Aussagen“ eines Diskurses (vgl. ebd.) den „Konzepten“ im Sinne der Grounded Theory. Diese Konzepte fungieren als Bausteine der sukzessiv zu entwickelnden gegenstandsbezogenen Theorie. Das Gegenstück zu solch einer empirisch fundierten Theorie ist aus diskursanalytischer Sicht ein anhand typisierter Aussagen rekonstruierter Diskurs bzw. Diskursstrang vor dem Hintergrund seines jeweiligen räumlich-zeitlichen Kontextes (vgl. hierzu auch Keller 2008, S. 219). Auf der Grundlage der in-vivo-codes können Diskursaussagen typisiert und hierauf aufbauend narrative Strukturen rekonstruiert werden, welche über verschiedene Diskursfragmente (Texte) verstreut vorliegen und sich regelmäßig auch in verschiedenen Textformaten (z. B. Lehrbuch- und Zeitschriftenartikel, politische Erklärung, Tagungsdokumentation) wiederfinden. In der vorliegenden Studie wurden Einzeläußerungen codiert, wenn sich diese themengebunden und wortgetreu oder in äquivalenter Weise in mindestens drei der sieben Schlüsseldokumente wiederfanden sowie in weiteren Texten aus dem übrigen Datenkorpus. Die codierten Elemente bzw. Einzeläußerungen können, wie bereits erwähnt, zu Diskursaussagen abstrahiert werden. Diese Aussagen verbinden verschiedene Diskursfragmente miteinan-
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der wie ein „roter Faden“. Im Zuge der Feinanalyse galt es, die Narrations-, Argumentations- und Deutungsstruktur des Fachdiskurses zunächst anhand einzelner Passagen herauszuarbeiten und dann ihre Verbreitung und Grenzen genauer zu bestimmen. Hierzu erfolgte eine komparative Analyse in Bezug auf thematischinhaltliche Bündelungen und deren argumentative Verknüpfungsstruktur. Auf dem nächsthöheren Abstraktionsniveau im Sinne der Grounded Theory wurde dann die Diskursstruktur anhand typischer Argumentations- und Deutungsmuster13 rekonstruiert, welche einzelne Diskursaussagen und Narrationen kohärent erscheinen lassen und zu einem roten Faden zusammenfügen. Ebenso wurden im Rahmen der Feinanalyse typische Denkfiguren bzw. Denkbilder14 sowie Sprecher- und Subjektpositionierungen herausgearbeitet, durch welche sich die symbolische Ordnung des zu rekonstruierenden Diskurses bzw. Diskursstranges konstituiert und reproduziert. Die Integration und übergreifende Interpretation der Rekonstruktionsergebnisse erfolgte auch mit Hilfe von Sekundärliteratur. Insofern ist die eigene empirische Analyse vom Gebrauch von Sekundärliteratur nicht völlig zu trennen15. Im Folgenden soll der soziohistorische Kontext, aus dem der Fachdiskurs hervorgeht bzw. in dem dieser Bedeutsamkeit erlangt, kurz skizziert werden. Vor diesem Hintergrund folgt im anschließenden Abschnitt die Rekonstruktion der Architektur des Fachdiskurses.
13 Unter dem Begriff „Deutungsmuster“ verstehe ich im Anschluss an Keller (2004) „Interpretationsschemata oder -rahmen (frames), die für individuelle und kollektive Deutungsarbeit im gesellschaftlichen Wissensvorrat zur Verfügung stehen und in ereignisbezogenen Deutungsprozessen aktualisiert werden. […] Ein Deutungsmuster verknüpft unterschiedliche Bedeutungselemente zu einer kohärenten (nicht notwendig: konsistenten) Deutungsfigur, die in unterschiedlicher manifester Gestalt auftreten kann“ (ebd., S. 104). In dieser Arbeit gebrauche ich die Begriffe „Deutungsmuster“ und „Deutungsschemata“ synonym, um anzuzeigen, dass es hierbei stets um abstrahiertes implizites Wissen auf der Ebene kommunikativ-generalisierten Wissens handelt (vgl. hierzu auch: Franz 2013, S. 134f.). 14 Schäffer (2010) unterscheidet „Denkbilder“, die auf der Ebene des kommunikativgeneralisierten Wissens angesiedelt sind, von „Erfahrungsbildern“, welche zum Habitus gehören und damit handlungsleitend sind. 15 Während sich Diskursanalysen „per definitionem in einem beständigen Wechselspiel von den untersuchten Texten entfernen und diesen Texten wieder annähern“ (Schwab-Trapp 2008, S. 184), also Sekundärliteratur in die empirische Analyse mit einfließen lassen, ist dieses Vorgehen aus der Perspektive praxeologischer Wissenssoziologie problematisch, denn hier wird „die empirische Basis des Akteurswissens nicht verlassen“ um die eigene Standortgebundenheit der Forscherin bzw. des Forschers einer methodischen Kontrolle zuzuführen (vgl. Bohnsack 2011, S. 40).
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3.2 S OZIOHISTORISCHER K ONTEXT : DIE „R EDE “ ÜBER ALTER , M IGRATION , V ERSORGUNG Charakteristisch für den Fachdiskurs ist, dass hierbei Akteure aus den Bereichen Wissenschaft, Politik und öffentliche Verwaltung sowie Repräsentanten aus dem Feld der Altenhilfe eine Diskursgemeinschaft bilden, indem sie sich in ihren Äußerungen thematisch aufeinander beziehen. Dietzel-Papakyriakou, eine der ersten Forscherinnen auf dem Forschungsgebiet Alter und Migration, stellt fest, dass die Etablierung des Themas Alter, Migration und Versorgung in den späten 1980er Jahren ihren Ausgangspunkt nahm. Vorangetrieben worden sei diese Entwicklung zunächst weniger durch das Interesse einer „scientific community“ als vielmehr durch das Engagement Einzelner in der Versorgungspraxis insbesondere der Migrationssozialarbeit. In den Reihen dieser Fachkräfte sei man von Anfang an von der Relevanz des Themas überzeugt gewesen (vgl. Dietzel-Papakyriakou 2012, S. 441). Unterstützt und finanziell gefördert worden sei die Beschäftigung mit diesem Thema seit Ende der 1980er Jahre vonseiten der Bundesregierung sowie zunehmend auch von den Ländern und Kommunen. Erst aus der Zusammenarbeit dieser drei Kräfte (Politik/Verwaltung, Wissenschaften und Versorgungspraxis) seien in der Folgezeit viele Initiativen und Projekte hervorgegangen (vgl. ebd.). Im Hinblick auf diese Zusammenarbeit stellt Hahn fest, dass „der Grad der Vernetzung der Expert/-innen im Bereich Alter und Migration, die Bündelung von Wissen und die Bemühung, den Fachdiskurs auf eine breite öffentliche Basis zu stellen, in kaum einem Bereich der interkulturellen Sozialen Arbeit ähnlich hoch wie in diesem [ist]“ (Hahn 2011, S. 33). Die Vernetzung von Versorgungspraxis, Politik und Wissenschaften hat sich offenbar nicht zufällig ergeben. Eher kann sie als ein konstitutives Merkmal des Fachdiskurses über die gesundheitlich-pflegerische Versorgung alter Migranten angesehen werden. Auf diesen Umstand spielen Baykara-Kumme et al. (2012) an, wenn sie resümieren, dass der Anlass für die gesteigerte Aufmerksamkeit gegenüber dem Thema Alter und Migration, welche zu Beginn der 1990er Jahre einen ersten Höhepunkt erreichte, „weniger ein originär sozialwissenschaftliches Interesse“ war (vgl. Baykara-Krumme/Motel-Klingbiel/Schimany 2012, S. 11) als vielmehr ein sozialpolitisches. Vorausgegangen war diesem das Bekanntwerden von Modellrechnungen zur demografischen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. Diese Berechnungen prognostizierten eine starke Zunahme des Anteils älterer Menschen mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung. Hierdurch war die Bevölkerungsgruppe der alten Migranten in den Fokus politischer Entscheidungsträger geraten und wurde „als ein neues soziales Problem thematisiert“ (vgl. ebd., S. 13). Etwa zeitgleich kam es erstmals zur Einberufung einer Sachverständigenkommission für die Altenberichterstattung des Bundes. Diese Kommission vergab im Jahr 1989 den Auftrag zur Erstellung einer Expertise zum Thema „Ältere
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ausländische Menschen in Deutschland“ (Dietzel-Papakyriakou 1993). Darin ging es auch um die Frage der gesundheitlich-pflegerischen Versorgung dieser Bevölkerungsgruppe (vgl. auch: Dietzel-Papykyriakou 2012, S. 439). Fast alle nachfolgenden Altenberichte berücksichtigten das Thema Alter(n) in der Migration ebenfalls, wenn auch unter jeweils unterschiedlichen Blickwinkeln (vgl. ebd.). Auf die ersten Veröffentlichungen zum Thema Alter und Migration folgte bald ein größeres Forschungsprojekt, finanziert durch das damalige Bundesministerium für Arbeit- und Sozialordnung. In diesem Verbundprojekt kooperierten das Institut für Gerontologie der Universität Dortmund und die Universität Essen mit drei Wohlfahrtsverbänden, der Caritas, dem Diakonischen Werk und der Arbeiterwohlfahrt (vgl. ebd.). In diesem ersten anwendungsbezogenen Verbundprojekt ging es um die „Entwicklung von Konzepten und Handlungsstrategien für die Versorgung älter werdender und älterer Ausländer“ (Olbermann/Dietzel-Papakyriakou 1995). In den folgenden Jahren wurden regelmäßig gemeinsame Arbeitskreise, Projekte und Tagungen initiiert. Unter der Ägide der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen (heute: Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration) entstanden gegen Ende der 1990er Jahre auf diesem Weg auch fachliche Visionen und Konzepte für die Versorgungspraxis. Diese wurden unter dem programmatischen Begriff „kultursensible Altenhilfe“ gebündelt und flossen in Positionspapiere und Handlungsempfehlungen ein (vgl. Dietzel-Papakyriakou 2012, S. 441). Einige Jahre später fanden zentrale Aspekte dieser Programmatik auch Eingang in den Nationalen Integrationsplan (NIP 2007), das Pflegeweiterentwicklungsgesetz (PfWG §1) aus dem Jahr 2008 und den Nationalen Aktionsplan Integration (NAP 2012).
3.3 ARCHITEKTUR DES V ERSORGUNGSDISKURSES 3.3.1 Die thematische Struktur des Versorgungsdiskurses Die im Zuge der vorliegenden Studie durchgeführte Rekonstruktion der thematischen Struktur des Fachdiskurses über die Versorgung alter Menschen mit Migrationshintergrund ergab, dass dieser aus verschiedenen, miteinander verschränkten Diskurssträngen hervorgeht. Wie anhand der Kontextanalyse deutlich wurde, haben sich diese Stränge in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren miteinander zum Fachdiskurs verschränkt. Die „Herkunft“ dieser Diskursstränge habe ich anhand der rekonstruierten Themenfelder, zentralen Diskursaussagen und mithilfe von Sekundärliteratur16 als Ableger folgender öffentlicher Diskurse identifiziert: Einwande16 Hierbei kamen insbesondere publizierte Diskursanalysen zum Einsatz zu den Themenfeldern Migration, Alter/demografischer Wandel sowie Professionalisierung und Ökonomisierung sozialer Dienste.
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rungs- und Migrantendiskurs, Alters- und Demografiediskurs sowie Professionalisierungsdiskurs. Gebündelt und miteinander verschränkt werden diese Diskursstränge durch einen hegemonialen Diskurs, den ich aufgrund seiner neoliberalen17, auf strukturellen Umbau abzielenden Programmatik als Modernisierungsdiskurs bezeichne. Dieser Diskurs ist als hegemonial einzustufen, weil sein Verbreitungsund Institutionalisierungsgrad so weit fortgeschritten ist, dass er kein eigenes Themenfeld mehr repräsentiert. Vielmehr erzeugt sein „inhaltsleeres Strukturanpassungsprogramm“ (Kessl 2005, S. 201) als common sense akzeptierte, alternativlos erscheinende Thematisierungs- und Verknüpfungsmuster in Bezug auf sämtliche Themenfelder, die durch diesen Diskurs vereinnahmt werden. Im Folgenden gilt es, die zentralen Funktionsmechanismen dieser diskursiven Vereinnahmung mittels Rekonstruktion der Narrations-, Argumentations- und Deutungsstrukturen und unter Berücksichtigung des räumlich-zeitlichen Kontextes, aus dem der Fachdiskurs hervorgegangen ist, sichtbar zu machen. 3.3.2 Die narrative Struktur des Versorgungsdiskurses Obwohl die thematische Struktur des Fachdiskurses auf einen heterogenen Ursprung und damit auf eine Verschränkung unterschiedlicher diskursiver Felder bzw. Diskursstränge verweist, lassen sich – oberflächlich betrachtet – kaum Brüche und Diskontinuitäten in der Rede über die Versorgung alter Menschen mit Migrationshintergrund feststellen. Vielmehr erscheint die Verschränkung von Themen wie „demografischer Wandel“ und „Altersversorgung“ mit Themen wie „Migration“, „Diskriminierung“ und „Professionalität“ in den verschiedenen Diskursfragmenten stets folgerichtig und nahezu zwangsläufig bzw. quasi-natürlich gegeben zu sein. Zurückführen ist dies insbesondere auf das Zusammenwirken „narrativer Muster“ (vgl. Glasze 2008, S. 203f.; vgl. hierzu auch: Viehöfer 2008 u. a.). Denn „Narrationen konstituieren soziale Wirklichkeit“, indem sie eine Beziehung zwischen einzelnen Elementen der verschiedenen Diskursfelder herstellen, gemeinsame Außengrenzen schaffen und „auf diese Weise eine temporäre Fixierung leisten, welche Bedeutung und damit Identität konstituieren“ (Glasze 2008, S. 205). Die im Fachdiskurs propagierte Rede über alte Migranten und ihre Versorgungsanforderungen lässt sich idealtypisch zu einer zusammenhängenden „Narration“ (s. u.) verdichten. Diese setzt sich aus „narrativen Mustern“ (ebd.) oder auch „Storylines“ (Keller 2004, S. 64; Hajer 1995, 2008) zusammen, welche im Fachdiskurs immer wieder auf eine spezifische Weise reproduziert und damit als ‚wirklich‘ behauptet werden (vgl. Keller 2004, S. 68). Viehöfer zufolge, ist hierbei der „plot“ für die „Narrativisierung von Ereignissen“ entscheidend (Viehöfer 2008, S. 252). Dieser strukturiert die Erzählung, indem „die Aktanten, deren Handlungen und die 17 Vgl. hierzu z.B. Lemke 2012, Ptack 2007.
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anderen rhetorischen Figuren durch den Akt der Konfiguration oder Synthese […] in Beziehung gesetzt werden“ (ebd.). Zur Rekonstruktion eines solchen roten Fadens wurden in der vorliegenden Untersuchung zunächst Narrative aus maximal kontrastierenden Diskursfragmenten durch Überprüfen auf typisierbare Übereinstimmungen und Unterschiede identifiziert. Im Zuge der anschließenden minimalen Kontrastierung wurde deutlich, dass sich die Themenfelder, welche im Fachdiskurs zusammenfließen, zu einer einzigen, scheinbar alternativlosen, Haupterzählung konfigurieren. Hierbei werden die thematischen Aspekte in den verschiedenen Diskursfragmenten je nach Kontext und Sprecherposition zwar unterschiedlich gewichtet, so stehen einmal Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsaspekte stärker im Vordergrund, ein anderes Mal Gesichtspunkte der Professionalisierung und/oder der Organisations- und Personalentwicklung. Jedoch bleibt der eigentliche Erzählkern erstaunlich stabil. Auch aus diesem Grund ist hier von einer Überformung verschiedener Diskursstränge (Einwanderungs-, Professionalisierungs- und Demografiediskurs) durch einen hegemonialen Diskurs (Modernisierungsdiskurs) auszugehen. Der folgende Text stellt ein Ergebnis des oben beschriebenen empirischen Rekonstruktionsprozesses dar. Er gibt den „plot“ oder „roten Faden“ der diskursiv immer wieder reproduzierten „Erzählung“ über die Versorgung alter Menschen mit Migrationshintergrund in verdichteter, idealtypischer Form wieder: Alte Menschen mit Migrationshintergrund bilden aktuell eine der Bevölkerungsgruppen mit den bundesweit stärksten Wachstumsraten. Obwohl ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung in naher Zukunft stark ansteigen wird, haben sich die Einrichtungen der Altenhilfe bisher noch nicht ausreichend auf die besonderen Bedürfnisse dieser neuen Kundengruppe eingestellt. Vor dem Hintergrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist es daher geboten, dass sich die sozialen Dienste stärker als bisher auf diese neue Kundengruppe einstellen, indem sie kultursensible Angebote unterbreiten. Zugangsbarrieren existieren auf beiden Seiten. So haben alte Menschen mit Migrationshintergrund häufig Informationsdefizite und kulturell sowie sprachlich bedingte Verständigungsprobleme. In den Einrichtungen fehlt es dagegen an interkulturellem Wissen, um im Umgang mit alten Migrantinnen und Migranten kompetent handeln zu können. Auch gibt es zu wenig mehrsprachiges Fachpersonal. Zu fordern ist deshalb die interkulturelle Öffnung aller sozialen Dienste und der Einrichtungen der Regelversorgung. Dabei ist der Öffnungsprozess als ein integraler Bestandteil von Qualitätssicherungsmaßnahmen sowie als ein Instrument der Organisations- und Personalentwicklung zu gestalten. Denn nur so kommt die interkulturelle Öffnung der Altenhilfe letztendlich allen zugute, durch die Bereitstellung kundenfreundlicher Angebote, die Professionalisierung der Mitarbeiterschaft und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit sozialer Einrichtungen.
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Dem oben dargestellten Erzählschema zufolge stellen alte Menschen mit Migrationshintergrund zwar die Titel- bzw. Zentralfigur der Rede über Versorgung im Migrationskontext dar. Die Protagonisten- bzw. Haupthandlungsrolle kommt jedoch den Einrichtungen der Altenhilfe und den dort Beschäftigten zu. Diese repräsentieren die Mehrheitsgesellschaft, welche in einem antagonistischen Verhältnis zur Bevölkerungsminderheit, den alten Menschen mit Migrationshintergrund, steht. Erkennbar ist dies bereits anhand der Eingangserzählung. Denn hier wird ein Zukunftsszenario entworfen, dass es vor allem vonseiten der Aufnahme- bzw. Mehrheitsgesellschaft zu bearbeiten gilt. Der Storyline zufolge, wird der prozentuale Anteil alter Migranten an der Gesamtbevölkerung in naher Zukunft „stark zunehmen“, was die Frage der Verteilung gemeinnütziger Güter aufwirft, welche anhand des „Gleichbehandlungsgrundsatzes“ gelöst werden soll. Problematisiert werden in diesem Zusammenhang ethnisch-kulturelle Differenzen als eine in zwei Richtungen wirkende „Zugangsbarriere“ zu den Einrichtungen der Altenhilfe. Dabei wird eine defizitäre Situation geschildert, in der es alten Migranten an Informationen und Verständigungsvermögen fehlt, während es den Einrichtungen der Altenhilfe an interkulturellem Wissen und mehrsprachigem Fachpersonal mangeln soll. Gemäß der Storyline kann diese Problematik nur dadurch aufgelöst werden, dass sich die Einrichtungen der Altenhilfe und ihre Mitarbeiterschaft langfristig und tiefgreifend wandeln. Hierzu sollen diese sich auf alte Migranten als eine „neue Kundengruppe“ mit „besonderen Bedürfnissen“ einstellen. Gemäß der Storyline ist hierfür die als „interkulturelle Öffnung“ bezeichnete Umstrukturierung der Altenhilfe in personeller, professioneller und organisatorischer Hinsicht notwendig. Dieser Reorganisationsprozess soll zur Auflösung des Bedrohungsszenarios führen, ohne dass hierbei eine Seite Verluste erleiden muss. Vielmehr wird allen Beteiligten eine zukunftsbezogene Gewinnsituation in Aussicht gestellt. Mit der diskursiven Zusammenführung und Verknüpfung sozial umkämpfter Themenfelder, wie Migration und Integration, demografischer Wandel, Finanzierung sozialer Dienste und Fachkräftemangel, in eine konsensfähige, alternativlos erscheinende Narration geht die Umdeutung diskursiver Konstruktionen und die Zuweisung neuer Subjektpositionen einher. So werden die Einrichtungen der Altenhilfe zu kundenfreundlichen, wettbewerbsfähigen Unternehmen, die darin Beschäftigten zu kundenorientierten Dienstleistungsangestellten und alte Migranten zu einer neuen Kundengruppe mit „besonderen Bedürfnissen“. Die Besonderheit dieser Bevölkerungsgruppe wird vor allem mit ethnisch-kultureller Differenz begründet; ein Narrativ, das bisher insbesondere im bundesdeutschen Einwanderungs- und Migrantendiskurs als ein Erklärungsmuster für soziale Probleme fungierte18. Indem dieses Erklärungsmuster über den Fachdiskurs eine Umdeutung erfährt, sodass ethnisch-kulturelle Differenz in der modernen Dienstleistungsgesellschaft nicht mehr per se als problematisch 18 Vgl. hierzu exemplarisch: Griese et al. 2002; Sökefeld 2004; Johler et al. 2007.
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erscheint, sondern nur noch als eine von vielen möglichen Zielgruppenmerkmalen, eröffnen sich einerseits neue Chancen in Bezug auf das soziale Miteinander. Andererseits sind diese Chancen an eine Subjektivierung der Individuen in marktförmige Subjekte gekoppelt. Hierbei wird kulturelle Differenz zu einem Kundenmerkmal und damit zu einem ökonomisch verwertbaren Stereotyp. Zugleich behält das aus dem Einwanderungsdiskurs stammende Differenznarrativ auch weiterhin seine Funktion als Differenzierungsschema. Dieses lässt ethnisch-kulturelle Differenz als eine quasinatürliche Eigenschaft erscheinen, die von eingewanderten Bevölkerungsanteilen ungebrochen an ihre Nachkommenschaft „weitervererbt“ wird. Die Adressierung von nach dem Zweiten Weltkrieg in die Bundesrepublik Deutschland eingewanderten Personen und ihrer Nachkommenschaft als ethnisch-kulturell differente Subjekte lässt sich so mit allen daran gebundenen problematischen Implikationen ad infinitum fortführen. Wann und wie die hier herausgearbeitete Koppelung integrationspolitischer und ökonomischer Narrative in der Bundesrepublik Deutschland hegemonial werden konnte, soll im folgenden Unterkapitel untersucht werden. 3.3.3 Die Argumentations- und Deutungsstruktur des Versorgungsdiskurses Vom „Kühn Memorandum“ zur „Interkulturellen Öffnung“ Erstmals stellte der ehemalige Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens und erste Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen, Heinz Kühn, im Jahr 1979 öffentlich die Forderung nach Integrationskonzepten für die in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Menschen ausländischer Herkunft auf. Kühn sprach sich dafür aus, das Faktum der Einwanderungssituation anzuerkennen, den weiteren Zuzug von Personen aus dem Ausland stark zu begrenzen und im Hinblick auf die bereits in Deutschland lebende ausländische Bevölkerung eine konsequente Integrationspolitik zu betreiben. In seinem Memorandum „Stand und Weiterentwicklung der Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien in der Bundesrepublik Deutschland“ (Kühn 1979) legt er hierfür umfassende Vorschläge vor. Diese betreffen unter anderem die Gewährung des kommunalen Wahlrechts für länger in Deutschland lebende Ausländerinnen und Ausländer, Erleichterungen bei der Einbürgerung sowie eine umfassende Ausweitung der sozialen Betreuungs- und Beratungsangebote für diese Bevölkerungsgruppe. In seiner Begründung zur weitreichenden Aufstockung der sozialen Dienste heißt es: „Die generelle, praktisch alle Lebensbereiche umfassende Problemlage der ausländischen Familien in der Bundesrepublik lässt sie auf beratende Hilfen besonders angewiesen sein. Die vielfältigen deutschen Beratungsstellen stehen den ausländischen Familien zwar grundsätz-
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lich in gleicher Weise wie den deutschen Ratsuchenden zur Verfügung, ihr Angebot reicht jedoch bei weitem nicht aus, um bei den ausländerspezifischen Problemen im erforderlichen Umfang hilfreich zu sein. Hinzu kommt, daß auch hier die Sprachbarrieren, die Informationsdefizite und eine allgemeine Behördenscheu […] eine erhebliche Zurückhaltung bei der Inanspruchnahme der vorhandenen Dienste bewirken.“ (Kühn 1979, S. 49)
In diesem Zusammenhang fordert Heinz Kühn zudem, „die regulären Ausbildungsgänge der sozialen Berufe vorbehaltlos auch für ausländische Kräfte zu öffnen“ (Kühn 1979, S. 51). Die politische Gegenposition, wonach Deutschland kein Einwanderungsland sei und daher die Rückkehrförderung ausländischer Familien das primäre Ziel der Ausländerpolitik sein müsse, dominiert jedoch das politische Feld in den 1980er Jahren (vgl. Herbert 2003, S. 247). Erst Anfang der 1990er Jahre greift die dritte Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Ausländer, Cornelia Schmalz-Jacobsen, Teile der Forderungen des Kühn Memorandums wieder auf, und zwar insbesondere jene, in denen es um die „Öffnung“ der sozialen Dienste geht. Unter ihrer Amtszeit (1991 bis 1998) kommt es auch zur Konstituierung des Fachdiskurses über die Versorgung alter Migranten. Diese Entwicklung ist, wie noch deutlich werden wird, symptomatisch für den Prozess der Schließung des Diskurses über Migration und Integration im Sinne einer Bündelung und „Entdifferenzierung der Argumentationsvielfalt“ (Lemke 2012, S. 5). In der Folge werden, erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bestrebungen in Richtung einer gezielten Zuwanderungs- und Integrationspolitik mehrheitsfähig. Zum Ausdruck kommt diese neue politische Ausrichtung beispielsweise in der nach langjähriger Diskussion erfolgten Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes im Jahr 2004 und der hiermit einhergehenden Ablösung des in Nürnberg ansässigen Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge durch das dort neu angesiedelte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sowie in der Verabschiedung des Nationalen Integrationsplanes (2007). Ein diskursiver „Knotenpunkt“ (Laclau 2002, S. 74), der diese Entwicklung – zumindest vorübergehend – alternativlos erscheinen lässt und damit erst ermöglicht, ist die in den 1990er Jahren aufkommende Rede von der „interkulturellen Öffnung“. In paradoxer Weise entfaltet sich dieses Narrativ in Kontinuität und in Abgrenzung zu der Phase bundesdeutscher Politik, in der ein Bekenntnis zum Faktum der Einwanderungsgesellschaft noch nicht mehrheitsfähig ist. Denn dieses Narrativ fungiert als eine „leere Signifikante“ im Sinne Laclaus (vgl. Laclau 2002, S. 65). Als solche vermag sie es, „das Fließen der Differenzen aufzuhalten“ (Laclau/ Mouffe 2006, S. 150)19, indem sie verschiedene Partikularinteressen und Diskurse 19 Zum Hegemonie- und Diskursbegriff des Forscherpaares Laclau und Mouffe vgl. auch: Laclau/Mouffe 1985 (im engl. Orig.) oder Laclau/Mouffe 2006 (dt. Übersetzung), Laclau 2005, Mouffe 2007; zur Rezeption vgl. Nonhoff 2007 u. a.
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dadurch bündelt, dass sie über sich selbst hinausweisend ein deutungsoffenes, universalistisches Referenzsystem – hier: die „offene Marktgesellschaft“ – repräsentiert, wodurch sich ein gemeinsames Außen konstituiert. Vor dem Hintergrund dieser gemeinsamen Systemgrenze bleiben bestehende Differenzen zwar erhalten, jedoch bilden diese nun zugleich eine Äquivalenzkette ex negativo (vgl. Laclau 2002, S. 68-69). Das heißt, die entstandene Gemeinsamkeit ist keine positive, denn es bestehen ja weiterhin unterschiedliche Interessen. Vielmehr werden diese Partikularinteressen erst durch die gemeinsame Opposition in Bezug auf ein „general crime“ (Laclau 2000, S. 54), wie es Lauclau einmal formuliert hat, zu Äquivalenten. Im vorliegenden Fall stellt sich dieses in der vermeintlichen „Geschlossenheit“ und Rückwärtsgewandtheit der Gesellschaft dar, welche zu einer vagen Bedrohung jenes Systems wird, welches die „interkulturelle Öffnung“ als leere Signifikante repräsentiert. Die „interkulturelle Öffnung“ fungiert hierbei als eine zentrale Forderung, mittels der das „general crime“ überwunden werden soll. Paradoxerweise besteht eine wesentliche Bedingung für die Ausformung hegemonialer Projekte, Laclau zufolge, jedoch darin, dass unterschiedliche Forderungen von dem Standort aus, an den diese gerichtet werden, nicht erfüllt werden. Denn nur so kann es überhaupt zur Äquivalenzierung der Forderungen ex negativo kommen (vgl. Laclau 2005, S. 125-128). Dagegen ist die Wahrscheinlichkeit einer hegemonialen Bewegung umso geringer, je mehr Forderungen gesondert erfüllt werden (vgl. ebd.). Wenn im Fachdiskurs also davon die Rede ist, dass die Programmatik der „interkulturellen Öffnung“ bisher noch nicht oder nur unzureichend umgesetzt wurde, so geschieht dies vor dem Hintergrund einer sich ausformenden Hegemonie. Die diskursiv überformten, faktisch aber immer noch existenten Partikularinteressen und Orientierungen erschweren dabei handlungspraktische Umsetzungsbestrebungen der Programmatik oder widersetzen sich dieser sogar. Die diskursive Überformung dieses Antagonismus kommt auf der Ebene der Argumentationsstruktur des Fachdiskurses anhand eines charakteristischen Argumentationsmusters zum Ausdruck. Durch dieses wird kritischen Stimmen, die etwa auf eine rasche Erfüllung der zentralen Forderung drängen oder mangelnde Umsetzungserfolge anmahnen, regelmäßig ein unzureichendes Verständnisses des prozessualen Charakters der „interkulturellen Öffnung“ attestiert. Etappen und konkrete Ziele dieses Prozesses bleiben dabei jedoch stets verhandlungsoffen. Exemplarisch hierfür ist die folgende Textstelle aus Barwig/Hinz-Rommel (1995), eine der frühesten und am häufigsten zitierten Veröffentlichungen zum Thema „Interkulturelle Öffnung sozialer Dienste“: „Es ist in letzter Zeit viel die Rede von ‚Interkultureller Öffnung‘ sozialer Dienste, wenig davon ist in der Praxis umgesetzt. ‚Interkulturelle Öffnung‘ fängt auch nicht in der Praxis an, mit dem Handanlegen, sondern im Kopf, mit dem Nachdenken – oder mit dem Vordenken vielleicht auch mit dem Querdenken: Denkbewegungen also – denen im wissenschaftlichen,
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administrativen und fachpraktischen Alltagsgeschäft zu wenig Zeit eingeräumt wird.“ (Filzinger 1995, in: Barwig/Hinz-Rommel 1995, S. 103)
Es wird argumentiert, dass eine direkte Umsetzung der Forderung nach „interkultureller Öffnung“ in die Handlungspraxis nicht erwartet werden könne, da es sich hierbei primär um einen kognitiven („im Kopf“), zukunftsbezogenen („Vordenken“) und auf Innovation („Querdenken“) abzielenden Prozess handele. Einer sichtbaren Veränderung der Handlungspraxis müsse also zunächst einmal die radikale Veränderung des Denkens vorausgehen. Diesem Veränderungsprozess stehe, der Argumentationslinie zufolge, jedoch die alltägliche Routine der Handlungspraxis („Alltagsgeschäft") entgegen, da diese „zu wenig Zeit“ für die notwendigen „Denkbewegungen“ einräume. Das ohnehin vage Ziel, einer vollständigen „interkulturellen Öffnung“ rückt durch dieses Dilemma-Argumentationsmuster in eine unbestimmbare Zukunft. Dennoch soll mittel- oder langfristig das „Nachdenken“ in ein professionelles Handeln übergehen, indem bereits jetzt „konkrete Prüfsteine (Controlling-System) für die interkulturelle Öffnung“ (ebd. S. 114; Klammern im Original) eingesetzt werden, um den Umsetzungsprozess zu steuern. Diese Steuerung wird als ein Personal-, Qualitäts- und Organisationsentwicklungsprozess gedacht, in dem „Teams, Träger, Verbände und Verwaltungen […] sich in regelmäßigen Abständen selbst auf ihre ‚Interkulturalität‘ überprüfen“ (Hinz-Rommel 1995, S. 138, in: Barwig/Hinz-Rommel 1995), um „die soziale Arbeit mit Migranten klientenfreundlicher und effizienter gestalten“ zu können (Filzinger 1995, S. 112f., in: Barwig/Hinz-Rommel 1995). Tatsächlich führt die „interkulturelle Öffnung“ also sehr wohl rasch auch zu direkten Veränderungen der Handlungspraxis. Diese liegen allerdings weniger auf der Ebene des „Handanlegens“ als vielmehr auf der des Beschreibens und Begründens von Maßnahmen und Prozessen. Typischerweise entsteht durch die Formulierung vager Fern- und konkreter Nahziele der Eindruck, sich in einem kontinuierlichen Fortschrittsprozess zu befinden, wobei unklar bleibt, ob die anfängliche Zielsetzung je erreicht werden kann. Denn systematisch unterbelichtet bleibt in diesem Zusammenhang die Persistenz und Komplexität bestehender Handlungslogiken, eingelebter Routinen, Hierarchien und Machtasymmetrien in den jeweiligen Handlungsfeldern. Ebenso charakteristisch für die Argumentationsstruktur der Rede von der „interkulturellen Öffnung“ ist, dass Probleme und Problemlösungen immer wieder als Diskursverschränkungen und Äquivalentketten präsentiert werden, durch die der Eindruck entsteht, die „interkulturelle Öffnung“ führe regelmäßig zu Doppel- und Mehrfachgewinnen. Diese Konstruktion von „Win-win“-Situationen (zum Teil sogar „Triple-win“-Konstellationen) entsteht durch die Verschränkungen von ökonomischen Zielen, wie Effizienz und Effektivität, mit solchen Zielvorstellungen, die den Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen typischerweise ein höheres Identifikationspotenzial bieten, wie beispielsweise „Partizipation“ und „Integration“
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(vgl. Kuhlmann 2005, S. 164). In gleicher Weise findet sich das Argumentationsmuster des Doppelt- und Mehrfachvorteils in Bezug auf die Forderung nach mehr Kooperation und Vernetzung zwischen verschiedenen sozialen Diensten mit Initiativen und Selbsthilfeeinrichtungen von Migranten sowie Verbänden und Kommunen. Diese Praxis trage nicht nur zur „Kosteneffizienz“ sozialer Dienstleistungen durch bessere Ausnutzung vorhandener Ressourcen bei, wodurch die „Schaffung neuer Einrichtungen vermieden werden“ könne (Hinz-Rommel 1995, S. 137, in: Barwig/Hinz-Rommel 1995), sondern es käme zugleich auch auf fachlichprofessioneller Ebene und im Hinblick auf integrationspolitische Ziele zu förderlichen Effekten (vgl. ebd.). Insgesamt ließen sich hierdurch in den sozialen Diensten „Transparenz und Motivation steigern, Frustration abbauen und letztlich die Qualität der Arbeit erhöhen“ (ebd.). Ebenso verheißungsvoll wie auch selbstreferenziell erscheint hierbei, dass Menschen mit Migrationshintergrund nun nicht mehr nur als eine Quelle sozialer Probleme, sondern zugleich auch als eine Ressource adressiert werden können, die – in Form von Arbeits- und Kaufkraft – sogar zur Lösung jener Probleme herangezogen werden können, deren Verursachung ihnen im Zuge des bundesdeutschen Einwanderungs- und Migrationsdiskurses regelmäßig zugeschrieben wird. So könnten neu zu schaffende soziale Angebote für Menschen mit Migrationshintergrund durch die „Öffnung“ existierender Einrichtungen in vielen Bereichen eingespart werden, ohne dabei den Anspruch aufgeben zu müssen, auch ethnisch-kulturell differenzierte Angebote vorzuhalten (vgl. Schmalz-Jacobsen 1995, S. 123, in: Barwig/Hinz-Rommel 1995). Denn durch die gezielt erfolgende Qualifizierung und Einstellung von Fachkräften mit Migrationshintergrund könne auch eine organisationsinterne Differenzierung im Angebot erreicht werden (vgl. HinzRommel 1995, S. 132, in: Barwig/Hinz-Rommel 1995). Hierdurch, so wird argumentiert, ließe sich zugleich die integrationspolitische Forderung nach besseren Partizipationschancen für Menschen mit Migrationshintergrund einlösen, und zwar sowohl auf der Ebene der Nutzerinnen und Nutzer sozialer Dienste als auch auf der Ebene der Fachkräfte20 (vgl. ebd., S. 137). Zugleich solle sich hierdurch auch in fachlicher Hinsicht eine Möglichkeit zur Verbesserung der Versorgungs- und Beratungsqualität eröffnen, indem nun mehr „ganzheitliche Beratung“ angeboten werden könne (ebd.). Im Rahmen des an betriebs- und marktwirtschaftlichen Prinzipien orientierten Managements sozialer Dienste, erweisen sich „kommunikative Prozesse“ insbesondere im Rahmen von „Fortbildungsarbeit und Supervision“ als bevor20 Wie Hinz-Rommel durch eine Befragung von Einrichtungsträgern feststellen muss, wird die „Öffnung“ sozialer Dienste für Personal mit Migrationshintergrund „allerdings in der Regel nicht motiviert durch das Bedürfnis nach interkulturellen Qualifikationen, sondern primär aus funktionalen Erwägungen: aufgrund des Mangels an deutschen Fachkräften“ (vgl. Hinz-Rommel 1995, in: Barwig/Hinz-Rommel 1995, S. 132; vgl. hierzu auch: Hahn 2011, S. 32).
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zugtes Steuerungsinstrument. Auch hierbei fungieren, wie oben bereits aufgezeigt wurde, kommunikative Verknüpfungen, wie beispielsweise „Partizipation“, „Integration“ und „Versorgungsqualität“ bis hin zu einer ‚ „Win-win“-Konstellation‘, als ein motivationaler Veränderungsmotor. Die hier dargelegte Argumentations- und Deutungsstruktur spiegelt eine kulturelle Hegemonie im Sinne Laclaus wider21. Die Forderung nach „interkultureller Öffnung“ erscheint dabei, zumindest vorübergehend, alternativlos oder, wie Leenen es formuliert, als „konkurrenzlos akzeptabel“ (Leenen 2001, S. 19). Dabei lässt sich das, was sich im vorliegenden Fall während des Prozesses der Hegemonialwerdung tatsächlich ereignet, auch als „Ökonomisierung“ beschreiben (vgl. Lemke 2012; Butterwege/Lösch/Ptak 2007 u. a). Denn mit diesem Begriff wird, wie Lemke unterstreicht, nicht nur die Ergebnis-, sondern auch die „Begründungsdimension einer anhand von Marktlogiken plausibilisierten Politik“ bezeichnet (Lemke 2012, S. 2; Hervorhebung durch die Verfasserin). Hierbei stellt die neoliberale Maxime „weniger Staat/mehr individuelle Verantwortung“ ein zentrales Orientierungsmuster dar (ebd.). Historisch erscheint dies insbesondere vor dem Hintergrund bedeutsam, dass im Kühn-Memorandum aus dem Jahr 1979 und auch in der Folgezeit der Ausbau der sozialen Dienste als „Flankenschutz“ (Schmalz-Jacobsen 1995, S. 23, in: Barwig/ Hinz-Rommel 1995) einer konsequenten Integrationspolitik als zentral angesehen wird. Die Kommission, die am Kühn-Memorandum (1979) mitgewirkt hatte, war jedoch zu dem Ergebnis gekommen, dass hierfür eine Aufstockung um mehr als das Doppelte der damals bereits existierenden Stellen im Bereich sozialer Betreuung und Beratung notwendig werden würde (vgl. Kühn 1979, S. 52). In den 1990er Jahren war dies angesichts der knapper werdenden Finanzmittel in den öffentlichen Haushalten so nicht mehr aufrechtzuerhalten. Als Lösung tritt nun das neoliberal inspirierte Narrativ der „interkulturellen Öffnung“ auf. In Kontinuität zum bisher dagewesenen Einwanderungs- und Migrantendiskurs reproduziert dieses Narrativ ethnisierende bzw. kulturalisierende Argumentations- und Begründungsmuster, die Menschen mit Migrationshintergrund Subjektpositionen als problembehaftete, kulturell Fremde zuweisen22. Zugleich verheißt das Narrativ der „interkulturellen Öffnung“ aber auch einen neuen, auf radikale Freiheit und Gleichheit abhebenden Umgang mit kultureller Differenz im Rahmen einer „Marktgesellschaft“ (Ptak 21 Wie Nonhoff betont, wird hiermit „der Umstand erfasst, dass zwar eine Vorherrschaft über etwaige Gegner erreicht und auch verteidigt werden kann, dass diese Vorherrschaft aber grundsätzlich prekär ist, weil sich sowohl die Gegner als auch die Verbündeten einer völligen Kontrolle entziehen“ (Nonhoff 2007, S. 12). 22 Das Bild vom Migranten als einem kulturell differenten, problembehafteten Subjekt wurde in zahlreichen Studien rekonstruiert (vgl. exemplarisch: Huth-Hildebrandt 2002, Heberhold 2007, Höhne 2008, Yildiz 2009).
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2007, S. 32). Hierbei verengt sich das klassische, ehemals politische Freiheitsverständnis in die neoliberal verkürzte Gleichsetzung von Freiheit mit „NichtDiskriminierung der Marktteilnahme“ (ebd., S. 64). Das Bild vom Menschen mit Migrationshintergrund wandelt sich daher auch nicht grundlegend. Vielmehr changiert es nun zwischen dem eines marginalisierten, ethnisch-kulturell Anderen und dem eines marktförmigen Subjektes mit „besonderen“ – stets ethnisch-kulturell konnotierten – Bedürfnissen und Ressourcen. Diskursverschränkungen I: Altersaktivierung und Hilfebedürftigkeit im Migrationskontext Wie bisher herausgearbeitet wurde, verweist die Rede von der „interkulturellen Öffnung“ auf einen – auch als „Ökonomisierung“ zu bezeichnenden – Prozess der Überformung des Einwanderungs- und Migrantendiskurses durch die Strukturanpassungsprogrammatik des hegemonial gewordenen Modernisierungsdiskurses. Es ist somit kein Zufall, dass der Diskurs über die Versorgung alter Menschen mit Migrationshintergrund gerade in den 1990er Jahren auftritt. Denn in dieser Phase weitet sich die in den 1970er und 1980er Jahren allmählich aufkommende „Ökonomisierung des Politischen“ auf immer mehr Diskursfelder aus (vgl. Lemke 2012). Hierdurch wird nun auch das Migrationsthema anschlussfähig an sämtliche durch den Modernisierungsdiskurs überformten Diskursfelder. Exemplarisch lässt sich dies anhand des „Altersaktivierungsdiskurses“ (vgl. Denninger et al. 2012, S. 372) aufzeigen. Die in den 1990er Jahren aufkommende Rede23 von den „aktiven und produktiven Alten“ interpretiert van Dyk als eine „Neuverhandlung des Alters“, welche zwei diskursive Themenfelder – demografischer Wandel und die Wende zum aktivierenden Sozialstaat – produktiv miteinander verflechte (vgl. van Dyk 2009, S. 601). Lessenich zufolge kommt es hierdurch, „zu einem Übergriff der [sozialstaatlichen] Aktivierungspolitik auf das Alter“ (Lessenich 2008, S. 108). Hiermit einher gehe eine Doppel- und Mehrfachadressierung der zu aktivierenden Bevölkerungsgruppen. So seien diese nun nicht mehr ausschließlich Adressaten sozialer Dienste und öffentlicher Hilfsangebote. Vielmehr verfügten sie zugleich über aktivierungsfähige Ressourcen, die es von sozialstaatlicher Seite einzubinden gelte. Auf diese Weise werde das aus der Arbeitsmarktpolitik entlehnte Prinzip des „Förderns und Forderns“ im Altersaktivierungsdiskurs sozialpolitisch gewendet (vgl. ebd.): „Der Aktivgesellschaft und ihrem Sozialstaat gelten nicht nur die Frauen (und deren Kinder) als eine bislang un- bzw. unterausgeschöpfte Ressource. Die Mobilisierung schlummernder 23 Für einen historischen Abriss über frühere Formen der Rede über das Alter(n) und die Altersbilder vgl. Göckenjan 2000 u. a.
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gesellschaftlicher Produktivitätspotenziale macht im aktivierenden Sozialstaat auch vor dem Alter nicht halt […]. In gewisser Weise traut der aktivierende Sozialstaat keinem (und keiner) über 60 – und traut ihnen zugleich alles zu, im Guten wie im Schlechten: Er konstatiert eine beinahe grenzenlose Aktivierungsfähigkeit und Aktivierungsbereitschaft, wo er zugleich eine strukturelle Passivitäts-, zumindest jedoch Aktivitätsdefizitdiagnose stellt.“ (Lessenich 2008, S. 108)
Das Muster der Doppelt- und Mehrfachadressierung des Alters findet sich infolge der hegemonialen Überformung mehrerer Diskursfelder, darunter auch den Einwanderungs- und Migrantendiskurs, nun ebenso im Nationalen Integrationsplan wieder. Dort findet es Anwendung auf die eingewanderte „Großelterngeneration“ (NIP 2007, S. 101). Dabei wird insbesondere den „alten Migrantinnen“ eine Doppel- und Mehrfachadressierung zuteil. So stellten vor allem diese einerseits eine bisher kaum gewürdigte „Ressource“ dar, welche „im familiären Kontext den Integrationsprozess der Enkelgeneration positiv unterstützen“ könne (ebd.). Auf der anderen Seite kämen gerade bei ihnen aber auch „drei Diskriminierungstatbestände“ zusammen: „Geschlecht, Alter und Ethnie“, woraus sich ein besonderer Unterstützungs- und Hilfebedarf ableite (ebd. S. 99). An dieser Stelle wird auch deutlich, dass die Verknüpfung des Differenzschemas „kulturelle Differenz“ mit weiteren Differenzkategorien wie „Geschlecht“ und „Alter“ eine verstärkende Wirkung in Bezug auf die Begründung sozialstaatlicher Interventionen und Maßnahmen hat. Das dreifache Differenzschema erzeugt gedankliche Bilder von alten Migrantinnen, welche „in einer Lebensphase größerer Hilfebedürftigkeit“ (ebd.) zurückgezogen in „ethnischen Enklaven“ (vgl. auch: Bischoff 1995, S. 42; DietzelPapakyriakou 1993, S. 31ff.) und gefangen in traditionellen Geschlechterrollen besonders schwer für öffentliche Hilfsangebote erreichbar sind. Gebrochen wird dieses Bild im Nationalen Integrationsplan (NIP 2007) durch die gleichzeitige Adressierung alter Migrantinnen als aktivierungsfähiger Ressource, welche im Hinblick auf die – offenbar auch noch nicht ausreichend integrierte – „Enkelgeneration“ eigenverantwortlich Unterstützung leisten kann (vgl. NIP 2007, S. 101). Diskursverschränkungen II: Professionalisierung und Kundenorientierung Diskursive Vereinnahmungs- und Überformungseffekte durch den Modernisierungsdiskurs finden sich im Fachdiskurs auch in Bezug auf das Themenfeld „Professionalität“ und „Professionalisierung“. Deutlich wird dies insbesondere durch die Studien der britischen Professionssoziologin Julia Evetts. Evetts untersucht die Rede über Professionalität und Professionalisierung insbesondere in wissensbasierten Tätigkeitsfeldern, wie dem Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich, als einen historischen Prozess und setzt diesen zum beruflichen und sozialen Wandel in die-
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sen Feldern in Beziehung. Hierbei beobachtet sie auch den sich seit Ende der 1980er Jahre auf nationaler und internationaler Ebene vollziehenden Prozess der „Ökonomisierung“. Evetts beschreibt diesen als Reorganisation des modernen Wohlfahrtsstaates und der sozialen Dienste anhand marktwirtschaftlich inspirierter Leitbilder wie dem „new public management“ (vgl. Evetts 2012, S. 6-14). Diskursanalytisch betrachtet erweist sich „Professionalität“ bei Evetts als eine Denkfigur, die ein normatives Bild bzw. „Image“ aus berufsbezogenen Werten transportiert (vgl. Evetts 2012, S. 13, vgl. auch: 2009a, 2009b). Hierbei dominiere ein Bild von Professionalität, das in vielerlei Hinsicht idealtypischen Vorstellungen über den Arztberuf entspreche bzw. dem eines Geistlichen oder eines Juristen in anglo-amerikanischen Gesellschaften des 19. Jahrhunderts (vgl. Evetts 2012, S. 12). Vertrauen (von Klienten/Patienten) und Ansehen bzw. Status auf der Grundlage eines spezifischen Wissens und Könnens, welches nur über eine langwierige, nicht jeder Person zugänglichen, Ausbildung zu erlangen sei, zeichneten dieses diskursive Bild ebenso aus wie Autonomie und fachliche Kollegialität in Bezug auf die Formulierung und Kontrolle berufsethischer Richtlinien. Hinzu kämen Entscheidungs- und Ermessensfreiheit bezüglich der Bearbeitung hochkomplexer Angelegenheiten und Fälle (vgl. ebd. S. 13). Evetts zufolge, bleibt das mit dem Professionalitätsnarrativ transportierte positive „Image“ des Professionellen bis in die heutige Zeit unverändert wirksam, und zwar unabhängig davon, ob die hierüber propagierten Werte zu irgendeinem Zeitpunkt von irgendeiner Berufsgruppe oder Individuen tatsächlich umgesetzt wurden. Dagegen unterlägen Anwendung und Funktion dieses „Image“ dem sozialen und beruflichen Wandel (vgl. ebd.). Diesen Wandel macht Evetts insbesondere an der Frage fest, ob das Narrativ durch bestimmte Berufsgruppen für deren eigene Professionalisierung „from within“ genutzt werden könne oder ob dies – wie es insbesondere in den sozialen Dienstleistungsberufen zunehmend der Fall sei – den Beschäftigten „from above“ in Form von normativen Leitbildern und Zielvorgaben auferlegt werde (vgl. Evetts 2012, S. 5f.). So habe es in Bezug auf die Professionalisierung „from within“ vor allem in der Vergangenheit professionelle Gruppen gegeben, die das positiv besetzte Bild von Professionalität mit den Kernpunkten „Autonomie“, „Kompetenz“, „(Klienten-)Vertrauen“ und „Ermessensfreiheit“ (vgl. ebd. S. 13) als einen Wesenszug der eigenen professionellen (Gruppen-)Identität hätten beanspruchen und auch öffentlich durchsetzen können (vgl. ebd. S. 5). Die hieraus erwachsenen Folgen seien ambivalent zu bewerten. So hätten solche Berufsgruppen sowohl die Möglichkeit, das positive Image von Professionalität allein für ihre eigenen Interessen einzusetzen (z. B. Privilegien, Marktschließung, genderbezogene Restriktionen) als auch zum Wohl der Allgemeinheit, etwa durch die Einhaltung berufsethischer Prinzipien (vgl. ebd., S. 5).
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„In these cases, historically the group has been able to use the discourse in constructing its occupational identity, promoting its image with clients and customers, and in bargaining with the state to secure and maintain its (sometimes self) regulatory responsibilities. In these instances the occupation is using the discourse partly in its own occupational and practitioner interests but sometimes also as a way of promoting and protecting the public interest.“ (Evetts 2012, S. 5)
Ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts seien dieser Diskurs und die darin propagierten beruflichen Werte zunehmend in organisationalen Arbeitskontexten vereinnahmt und den Beschäftigten im Sinne einer Professionalisierung „from above“ auferlegt worden (vgl. Evetts 2009a, S. 22). Da es sich hierbei um organisationsbezogene diskursive Prozesse handelt, bezeichnet Evetts das Resultat der Professionalisierung „from above“ auch als organisationsbezogene Professionalität und grenzt diese von der berufsbezogenen Professionalität („from within“) ab (vgl. ebd.). Obwohl die Entwicklung organisationsbezogener Professionalität den Beschäftigten vonseiten der Leitungs- und Steuerungsebene auferlegt werde, nähmen diese diesen Imperativ in der Regel gerne auf. Denn das hiermit weiterhin transportierte positive „Image“ der berufsbezogenen Professionalität und die Aussicht, eine professionelle Fachkraft zu werden, besäßen offenbar eine hohe Anziehungskraft auf viele neue und existierende Berufsgruppen24. Interessanterweise werde die organisationsbezogene Professionalisierung vonseiten der Beschäftigten also vor allem als eine Möglichkeit wahrgenommen, berufsbezogene Professionalität zu erlangen, um damit den eigenen Status – individuell oder berufsgruppenbezogen – zu verbessern (vgl. ebd.). „This discourse of professionalism is grasped and welcomed by the occupational group since it is perceived to be a way of improve in the occupations status and rewards collectively and individually. It is a powerful ideology and the idea of becoming and being a ‘professional’ worker has appealed to many new and existing occupational groups particularly during the second half of the 20th century.“ (Evetts 2012, S. 6)
Wenn auch ein gewisser Statusgewinn im Zuge der Professionalisierung „from above“ möglich sei, so komme es, Evetts zufolge, jedoch kaum zu der erwarteten berufsbezogenen Selbstbestimmung und Kontrolle der Arbeit durch die Beschäftigten. Vielmehr sei es ein Paradoxon der Gegenwart, das sich Professionalisierungsbestrebungen immer häufiger unter organisations- und arbeitsorganisatorischen 24 Evetts zufolge, handelt es sich hierbei insbesondere um wissensbasierte und soziale Dienstleistungsberufe in den Bereichen Bildung/Erziehung, Gesundheit und Soziales, die eine Professionalisierung „from within“ bisher kaum erreichen und für sich nutzbar machen konnten (vgl. ebd. u. Evetts 2012, S. 5f.).
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Bedingungen vollzögen, die eine dem berufsbezogenen Professionalitätsimage entsprechende Handlungspraxis eher einschränkten und unterminieren (vgl. Evetts 2009a, S. 19; 2009b, S. 159)25. Denn faktisch erweise sich organisationsbezogene Professionalisierung vor allem „as an instrument of managerial control in organizations“ (Evetts 2012, S. 11). Nicht berufsbezogene, sondern organisationsbezogene Zielvorgaben und Bewertungskriterien würden hierüber gesteuert. Sichtbar werde dies im Arbeitsalltag unter anderem an der Zunahme von Elementen wie „hierarchy, bureaucracy, output and performance measures, and even the standardization of work practices“ (Evetts 2012, S. 14). Insgesamt fungiere organisationsbezogene Professionalität als ein Instrument „to rationalize, re-organize, contain and control the work and the practitioners“. Hierdurch bestimmten formal nicht mehr berufsbezogene Werte, sondern organisationsbezogene Parameter und Zielvorgaben – „which are sometimes political“ – das Verhältnis zwischen den Beschäftigten und den Adressaten sozialer Dienste (Evetts 2012, S. 6). Die von Evetts herausgearbeitete diskursive Vereinnahmung berufsbezogener Werte und Ziele durch eine ökonomischen Prinzipien folgende, organisationsbezogene Logik (Professionalisierung „from above“) findet sich auch in Aspekten der Rede über die „interkulturelle Öffnung“ der sozialen Dienste wieder. So verheißt dieser Diskurs den Beschäftigten in den sozialen Diensten die Stärkung ihrer berufsbezogenen Professionalität durch den Erwerb von „interkulturellen Qualifikationen“ (vgl. Hinz-Rommel 1995, S. 139, in: Barwig/Hinz-Rommel 1995; vgl. auch: Hinz-Rommel 1994). Bei genauerer Betrachtung erweisen sich diese jedoch als Leerformeln, die je nach zugrunde liegender Zielorientierung unterschiedlich gefüllt werden können. Insgesamt werde mit kulturell konnotierten Kompetenzen, wie Hinz-Rommel bemerkt, jedoch nicht mehr eingefordert, „als von professionell begründeter Sozialarbeit ohnehin zu erwarten wäre.“ (Hinz-Rommel 1995, S. 15, in: Barwig/Hinz-Rommel 1995). Auch in der Altenpflege umfasse „interkulturelle Kompetenz“ neben länderkundlichem Allgemeinwissen, eine lange Liste an Sozialkompetenzen, über welche gut ausgebildete Pflegefachkräfte „generell […] verfügen müssten“ (vgl. Habermann 2003, S. 14). Die Rede über interkulturelle Kompetenzen in der Altenpflege zeige daher vor allem eines, „ein unzureichend entwickeltes Professionsverständnis“ (vgl. ebd. S. 14). Was Habermann hier als einen Mangel an „Professionsverständnis“ in der Altenpflege kritisiert, kann mit Evetts als ein Effekt diskursiver Vereinnahmung berufsbezogener durch organisationsbezogene Professionalität interpretiert werden. Deutlich wird dies beispielsweise anhand einer 25 Fischbach (2011) kommt zu einer ähnlichen Einschätzung. In ihrer empirischen Fallstudie weist sie mit Bezug auf Evetts Unterscheidung berufsbezogener und organisationsbezogener Professionalität am Beispiel einer Behinderteneinrichtung nach, dass die Logik organisationsbezogener Professionalität die Logik der berufsbezogenen Professionalität unterminieren und zur de-Professionalisierung führen kann (vgl. Fischbach 2011).
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Textstelle aus der „Handreichung für eine kultursensible Altenpflege“ aus dem Jahr 2002. Darin wird ein Appell an die Eigenverantwortlichkeit der Fachkräfte mit Forderungen organisationsbezogener Professionalität verbunden. Während der eine Aspekt den Beschäftigten eine Aussicht auf Entwicklung und Stärkung berufsbezogener Professionalität suggeriert, unterliegt der andere allein der Logik des Umbaus sozialer Dienste anhand ökonomischer Kriterien. „Das Dilemma zwischen verordneter und abrechenbarer Leistung und zeitintensiver Anpassung des Pflegeauftrages an die Bedingungen des Pflegebedürftigen geschieht in einem von der Pflegekraft zu verantwortenden Aushandlungsprozess, der gegenüber Pflegebedürftigen, Angehörigen, Ärzten und Pflegedienstleitung kommuniziert und vertreten werden muss. Pflegefachliches, kultursensibles Handeln erfordert eine anwaltschaftliche Vertretung der Interessen des Pflegebedürftigen gegenüber der Institution: eine institutionskritische Haltung gegenüber dem Mangel an Biographiebezogenheit in Abläufen und beim Personaleinsatz. Zeitressourcen können nur bereitgestellt werden, wenn Migrantinnen und Migranten nicht als Sonderfälle behandelt werden, sondern als Kunden, deren Anspruch auf qualifizierte Pflege erfüllt werden soll.“ (Handreichung für eine kultursensible Altenpflege 2002, S. 37)
Das im Zitat geschilderte „Dilemma“ bezieht sich auf ein Spannungsverhältnis zwischen organisationsbezogenen, ökonomisch-administrativen Zielen einerseits und professionsbezogenen andererseits. Während es aus der organisationsbezogenen Logik vor allem ärztlich verordnete und damit abrechenbare Leistungen unter möglichst geringem Zeitaufwand bereitzustellen gilt, gebietet ein pflegefachlich begründetes, „kultursensibles Handeln“ eine „Anpassung des Pflegeauftrages an die Bedingungen des Pflegebedürftigen“, was zusätzliche „Zeitressourcen“ beanspruchen kann. Ein Weg aus diesem „Dilemma“ wird in einem „Aushandlungsprozess“ unter Einbeziehung der Ansprüche von „Pflegebedürftigen, Angehörigen, Ärzten und Pflegedienstleitung“ gesehen, der eigenverantwortlich von der Pflegekraft zu gestalten ist. Ganz im Sinne von Evetts herausgearbeitetem Bild berufsbezogener Professionalität übernimmt die Fachkraft hier eine „anwaltschaftliche“ Funktion, handelt beruflich autonom und entscheidet nach eigenem Ermessen („institutionenkritische Haltung“) in Bezug auf die „Anpassung des Pflegeauftrages“. Dabei ist die Aussicht, dem positiv besetzten „Image“ berufsbezogener Professionalität jemals entsprechen zu können, für die Pflegekraft jedoch daran gekoppelt, dass diese zunächst einmal die auf strukturellen Umbau und organisationalen Wandel abzielende organisationsbezogene Professionalität entwickelt, wodurch ökonomische Prinzipien formal das Verhältnis zu den Adressaten sozialer Dienste bestimmen und „Migrantinnen und Migranten“ zu „Kunden“ werden. Denn nur so könnten „Zeitressourcen“ für das eigenverantwortliche fachliche Handeln bereitgestellt werden. Resümierend lässt sich feststellen, dass die diskursive Vereinnahmung des positiven Images beruflicher Professionalität auch in Bezug auf die Rede über die Ver-
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sorgung alter Migranten letztlich als ein Veränderungsmotor fungiert, der den strukturellen Umbau sozialer Dienste anhand von ökonomischen Prinzipien forciert. Denn traditionell habe sich, wie Evetts feststellt, der Bildungs-, Erziehungs-, Gesundheits- und Sozialbereich in dieser Hinsicht bisher stets als „resistant to change“ erwiesen (Evetts 2012, S. 14). Die Aneignung von Managementkompetenzen und die Übertragung von Managementprinzipien in den Berufsalltag (z. B. Outcome orientierte Steuerung des Pflegeprozesses, Case-Management in der Sozialen Arbeit, Beschwerdemanagement, Risiko-Assessment, evidenzbasiertes Arbeiten etc.), also die Steuerung, Kontrolle und Bürokratisierung von Arbeit, kurz: die Entwicklung organisationsbezogener Professionalität, muss den Beschäftigten nun jedoch als ein notwendiger Schritt auf dem Weg zur Realisierung berufsbezogener Professionalität erscheinen: „Thus, managerial demands for quality control and audit, target setting and performance review become reinterpreted as the promotion of professionalism” (Evetts 2012, S. 14). Hierbei erweist sich „Kundenorientierung“ als ein zentraler Aspekt organisationsbezogener Professionalität, wie Kuhlmann (2005) herausgearbeitet hat. Seit den 1990er Jahren habe dieses Leitbild eine „Veränderungsspirale“ in Gang gesetzt, welche die „traditionellen Arrangements im Gesundheitssektor verschiebt“ (ebd., S. 164). Dabei sei ein wesentliches Merkmal der Argumentation mittels dieser Denkfigur, dass die „ökonomische Dimension“ im Gesundheits- und Sozialwesen „verdeckt“ bleibe (vgl. ebd.). So werde gerade in diesem Bereich selten und nur in ganz bestimmten, eher marginalen Segmenten, überhaupt von „Kundinnen“ und „Kunden“ gesprochen. Gängige Konzepte seien vielmehr „Patienten-“, „Klienten-“, „Adressaten-“ oder „Nutzerorientierung“. Anders als der Begriff „Kundenorientierung“ genössen diese Bezeichnungen im Gesundheits- und Sozialsystem traditionellerweise eine höhere Akzeptanz und seien insgesamt positiv besetzt. Denn diese suggerierten auch für jene Gruppen bessere Beteiligungschancen, die im Akteursgefüge des Gesundheits- und Sozialsystems als schwach und schwer erreichbar gelten würden. Dennoch bleibe auch bei diesen Bezeichnungen die ökonomische Komponente erhalten, die bereits in dem Leitbild Kundenorientierung impliziert sei (vgl. ebd.). Geradezu „verheißungsvoll“ erscheine hierbei die „symbolische Verknüpfung von Qualität, Effizienz und Partizipation“ (vgl. ebd.). Übersehen würden hierbei jedoch regelmäßig die normativen Voraussetzungen – beispielsweise die Anerkennung von Marktgesetzen durch alle beteiligten Akteure – und die systemkulturellen Kontexte. So veränderten sich die Hierarchien und Machtasymmetrien zwischen den Beschäftigungsgruppen, zwischen professionellen Kräften und ihren Adressaten sowie die sozial ungleichen Zugangschancen und Gestaltungsmöglichkeiten der Nutzerinnen und Nutzer sozialer Dienstleistungen durch diesen Diskurs wenn überhaupt nur graduell (vgl. ebd.).
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3.4 Z USAMMENFASSENDE I NTERPRETATION
UND
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F AZIT
In diesem Teil der vorliegenden Studie sollte mittels einer Diskursanalyse insbesondere rekonstruiert werden, wie die historisch und geografisch abgrenzbare Rede über professionelle Versorgung alter Menschen mit Migrationshintergrund aufkommen und Bedeutsamkeit erlangen konnte. Im Zuge dieser Analyse wurde deutlich, dass die eigentümliche Verknüpfung und Verschränkung der Themenfelder des Versorgungsdiskurses – Alter/demografischer Wandel, Einwanderung und Migranten sowie professionelle Versorgung – erst in Erscheinung treten konnte, nachdem diese in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren zu Elementen desselben, an ökonomischen Prinzipien orientierten, Referenzsystems geworden waren. Ein „diskursiver Knotenpunkt“ (Laclau 2002, S. 74), an dem dieser Wandel empirisch nachvollzogen werden konnte, ist die in den 1990er Jahren aufkommende, neoliberal inspirierte Denkfigur der „interkulturellen Öffnung“. In paradoxer Weise entfaltet sich diese in Kontinuität und in Abgrenzung zu diskursiven Formen der Problematisierung kulturell konnotierter Differenz, indem diese Figuration als „leere Signifikante" im Sinne Laclaus fungiert (vgl. ebd.). Als solche bezeichnet die „interkulturelle Öffnung“ kein fixes Signifikat mehr. Vielmehr dient sie als ein Platzhalter, der die Bandbreite existierender Diskurse, Differenzen und Partikularinteressen bündeln kann, indem er nichts weiter repräsentiert als „das reine Sein des Systems“ (vgl. Laclau 2002, S. 69). Innerhalb dieses Referenzsystems kommt es zur Äquivalenzierung von diskursiven Differenzen und Partikularinteressen, indem diese vor dem Hintergrund eines imaginären gemeinsamen Außen zu einer Äquivalenzkette werden. Es entsteht eine aspekthafte Gemeinsamkeit ex negativo und damit eine Systemgrenze, deren Äußeres zwar vage, aber nicht mehr deutungsoffen ist. Hierdurch kann sozialer Antagonismus zwar nicht aufgehoben, wohl aber in einen übergreifenden Argumentations- und Begründungsrahmen eingegliedert werden. In der Folge erscheinen so unterschiedliche Themen wie steigende Lebenserwartung, Migration und professionelle Versorgung als Glieder derselben Äquivalenzkette. Äquivalenz besteht vor dem Hintergrund des gemeinsamen, an Marktlogiken ausgerichteten Deutungshorizonts nun beispielsweise in der Hinsicht, dass alle Glieder dieser Äquivalenzkette die Kosten im Gesundheits- und Sozialsystem in die Höhe treiben oder – positiv gewendet – zur Kostenreduzierung beitragen können. Durch den oben beschriebenen Mechanismus der Homogenisierung ist es der Forderung nach „interkultureller Öffnung“ offenbar gelungen, sich im diskursiven Feld als alternativlos zu präsentieren. Hieraus resultiert eine diskursive „Schließung“ aller Themenfelder bzw. Diskursstränge, in die diese Denkfigur Eingang findet. Empirisch ist diese Schließung insbesondere in Form einer „Entdifferenzierung der Argumentationsvielfalt in kollektiven Entscheidungsprozessen“ zu beob-
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achten (vgl. Lemke 2012, S. 5). Mit Lemke (2012) kann diese Entwicklung auch als ein Effekt der „Ökonomisierung des Politischen“ interpretiert werden. Mit dem Begriff „Ökonomisierung“ meint er insbesondere „die Begründungsdimension einer an Marktlogiken plausibilisierten Politik“ (ebd., S. 2), welche sich „in beliebigen Politikfeldern“ (ebd., S. 5) vollziehen kann: „Ökonomisierung in ihrer Begründungsdimension [...] ist ein durch sprachliche Praktiken sich manifestierendes Verfahren zur intersubjektiven Plausibilisierung von Entscheidungen im Bereich des Politischen“ (Lemke 2012, S. 9). Anders ausgedrückt stellt die „Ökonomisierung“ ein „inhaltsleeres Strukturanpassungsprogramm“ (Kessl 2005, S. 201) dar. Dieses kann sich beliebiger Politik- und Themenfelder bemächtigen, indem es existierende Differenzen in sich aufnimmt, anstatt diese zu bekämpfen. Hierdurch erhalten aufgenommene Forderungen einerseits mehr Gewicht andererseits erfahren diese eine Umdeutung gemäß den Begründungslogiken des aufnehmenden Argumentationsund Deutungssystems. Vor diesem Hintergrund ist das in den 1990er Jahren plötzlich aufgetretene und bis heute anhaltende fachöffentliche Interesse am Thema der professionellen Versorgung alter Migranten als das Resultat eines ‚erfolgreich‘ verlaufenen Universalisierungs- oder Homogenisierungsprozesses zu verstehen, infolge dessen es zur „Einhegung“ der betroffenen Diskursfelder gekommen ist (vgl. ebd., S. 4). Als übergreifender Referenzrahmen fungiert hierbei ein auf der „neoliberalen Kompatibilitätsvermutung“ – „alles ist Markt“ – basierendes Argumentations- und Begründungssystem, welches auf der symbolischen Ebene des Diskurses „ein ‚Netz zwischen den Elementen‘ des Regierens, also dem Staat, dem Markt und dem Menschen knüpft“ (vgl. Lemke 2012, S. 16). Wie zahlreiche Untersuchungen zeigen, welche neoliberale Begründungslogiken als eine moderne „Technik des Regierens“ mit Foucaults Konzept der „Gouvernmentalität“ analysieren26, beruht die Hegemonialwerdung dieser Ideen nicht allein auf Zwang. Vielmehr gelingt es dem Diskurs offenbar, bestimmte – marktförmige – Identitäten als attraktiv und erstrebenswert zu vermitteln. Mit der Adressierung als marktfähige Subjekte einhergehend kommt es zur Neubestimmung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft. Dabei stehen die Reduktion staatlicher und die Aufwertung individueller Verantwortung im Vordergrund. Dem marktfähigen Subjekt eröffnen sich hierdurch scheinbar neue Freiräume, wobei soziale Gerechtigkeit gleichbedeutend mit Leistungsgerechtigkeit wird (vgl. Lemke 2012, S. 25). Dass hierbei auch „unzutreffende Vorannahmen über die Disposition der handelnden Akteure getroffen werden – allumfassende
26 Foucault entfaltet seinen Begriff der „Gouvernementalität“ insbesondere in den Jahren 1977-1979 im Rahmen seiner Vorlesungen am Collège de France (Foucault 2004a [19771978], 2004b [1978-1979]). Zu den Gouvernementalitätsstudien vgl. u. a.: Bröckling/ Krasmann/Lemke 2000; Pieper/Gutiérrez Rodriguez 2003; Kessl 2005.
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Informiertheit, rationales Handlungskalkül – spielt für die Axiomatik neoliberalen Begründens keine Rolle, solange sie in sich stimmig bleibt“ (Lemke 2012, S. 23). Bei Lemke (2012) wird ebenso wie bei Kessl (2005) deutlich, dass die diskursiven Mechanismen der Ökonomisierung ihre Machtwirkungen insbesondere über Gesetze und Verordnungen entfalten, die den Abbau sozialstaatlicher Verantwortung, den Umbau in private Unternehmen und die staatliche Kontrolle dieser Prozesse befördern und regeln. Auf der Ebene der betroffenen Organisationen ist in der Folge eine Umdeutung von Problembeschreibungen und Lösungsansätzen in ein marktförmiges Argumentations- und Begründungssystem zu beobachten. Hierbei findet faktisch eine Übertragung von marktförmigen Kontroll- und Steuerungslogiken, die ursprünglich aus der industriellen Produktion und dem Warenvertrieb stammen, in die Sphäre des beruflichen Handelns im Gesundheits-, Sozial- und Bildungssystem statt (z. B. Standardisierung, Output-Orientierung, Qualitätskontrollen, Kundenorientierung). So werden Pflegefachkräfte in der Altenhilfe nun zu Steuerungs- und Kontrollsubjekten des Pflegeprozesses gemacht, Fachkräfte in der Sozialen Arbeit werden zu Fallmanagerinnen bzw. Fallmanagern und soziale Einrichtungen zu kundenfreundlichen Unternehmen. Um sich kundenorientiert und marktfähig präsentieren zu können, müssen diese Unternehmen nun Qualitätsmanagementsysteme implementieren und „Qualitätszertifikate“ erlangen. Diese verschaffen einerseits Wettbewerbsvorteile, erfordern andererseits aber auch einen Mehraufwand an Bürokratie. Gemäß dem von Evetts am Beispiel der Unterscheidung organisations- und professionsbezogener Professionalität herausgearbeiteten neoliberalen Steuerungsprinzip der Motivation und Kontrolle bringt der Diskurs marktfähige Subjektpositionen hervor. Diese verheißen dem Individuum einerseits neue Freiheiten durch den Rückzug des Sozialstaates, nehmen dieses auf der anderen Seite aber auch stärker in die Pflicht der Selbstverantwortung und der marktförmigen „Selbstperfektionierung“ im Sinne Foucaults (vgl. hierzu auch: Lemke 2012, S. 25). Hierdurch kommt es zur Doppel- und Mehrfachadressierung der Subjekte. So changiert das diskursiv erzeugte Bild alter Migrantinnen und Migranten bzw. die Rede über diese nun zwischen der Zuschreibung und Problematisierung ethnisch-kultureller Differenz, der Verpflichtung und Einbindung des Alters als sozialstaatlicher Ressource und der Verheißung von Anerkennung und Selbstbestimmung durch Kundensouveränität. Zugleich beschwört der Versorgungsdiskurs marktförmige Subjektpositionen herauf, die den abhängig Beschäftigten im Feld der Altenhilfe professionelle Freiheiten verheißen, welche dem „Image“ des klassischen Professionellen (z. B. Arzt, Rechtsanwalt) entsprechen. Über scheinbar attraktive Subjektpositionen und Platzzuweisungen bei der Adressierung professioneller Fachkräfte findet die neoliberale Idee, freien Wettbewerb als ein universales Regulierungsprinzip einzusetzen, Eingang in traditionell marktferne Bereiche wie das Gesundheits- und Sozialsystem. Jedoch geht hiermit stets auch die reale Anforderung einher, sich auf der Ebene der
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Organisation neuen, marktrationalen Kontroll- und Steuerungsmechanismen zu unterwerfen (z. B. Audits, Bürokratie, Fremd- und Selbstevaluationen), wodurch sich berufliche Zwänge und die Beschneidung professioneller Ermessensfreiheit eher verschärfen dürften. Ob und inwiefern die Zuschreibungen und Verheißungen des Versorgungsdiskurses im Umgang mit der neuen Zielgruppe tatsächlich relevant werden bzw. wie die Beschäftigten im Feld der Altenhilfe vor dem Hintergrund dieser Entwicklung mit alten Migranten umgehen, gilt es im zweiten Teil der Arbeit zu rekonstruieren.
Zur Praxis der Versorgung alter Migranten
4 Metatheoretische Rahmung und Forschungsprozess
Wie eingangs bereits angekündigt wurde, ist der Forschungsgegenstand dieser Studie nicht allein die programmatische „Rede“ über, sondern auch die „Praxis“ der Versorgung alter Menschen mit Migrationshintergrund. Genauer gesagt geht es um die Rekonstruktion von „Prozessstrukturen“ (vgl. Bohnsack 2010a, S. 63, 142), die den Alltagsroutinen der Versorgungspraxis als handlungsleitende Prinzipien zugrunde liegen. Die wissenschaftliche Beobachtung dieses nicht direkt zugänglichen Forschungsgegenstandes ist theoretisch voraussetzungsvoll. Das hierfür notwendige theoretische „Werkzeug“ stammt aus Denkansätzen, die sich als eine spezifische Form der Gattung „Kulturtheorien“ einordnen lassen. Der hier zur Anwendung kommende Zugang geht weder mit einer „objektivistischen“ noch mit einer „subjektivistischen“ Forschungshaltung einher. Vielmehr wird hier eine wissenschaftliche Beobachterhaltung eingenommen, die zwischen diesen beiden Paradigmen vermittelt (vgl. Bohnsack 2011, S. 41). Eine solche Haltung beansprucht im Gegensatz zur objektivistischen keinen privilegierten Zugang zum Forschungsgegenstand, welcher die Tatsache ignoriert, dass Forschende immer auch selbst ein Teil des soziokulturellen Ensembles sind, in dem sie forschen. Verabschiedet wird aber auch eine subjektivistische Herangehensweise, bei welcher der Forschungsgegenstand aus der Perspektive der Betroffenen erfasst werden soll, was das prinzipielle Problem des Fremdverstehens jedoch nicht lösen kann1. Vielmehr kommt der Subjektivismus nicht umhin, mit Motivunterstellungen vonseiten der Forschenden zu arbeiten (vgl. Bohnsack 2007a, S. 227). Aus diesem erkenntnistheoretischen Dilemma wird in der vorliegenden Studie ein Ausweg gesucht, durch die Hinwendung zur Handlungspraxis als einer eigenständigen Quelle neuer Erkenntnis. Bourdieu zufolge verfügt die Handlungspraxis über eine eigene „Praxeologie“ bzw. einen „praktischen Sinn“ (Bourdieu 1987). Diesen gilt es auch in der vorliegenden Arbeit zu rekonstruieren. Damit vollzieht die Studie im Bereich der Versorgungsforschung 1
Vgl. hierzu z. B. Bohnsack 2010, S. 19f.
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eine erkenntnistheoretische Wende im Sinne eines „practical turn“. Diese Bezeichnung steht für ein praxeologisches Forschungsprogramm, welches aus dem „cultural turn“ hervorgegangen ist und sich mittlerweile zu einem eigenständigen Paradigma entwickelt hat (vgl. Hörnig/Reuter 2004; Reckwitz 2003; Schatzki/KnorrCetina/von Savigny 2001).
4.1 V OM „ CULTURAL
TURN “ ZUM
„ PRACTICAL
TURN “
Der „cultural turn“ – die Revitalisierung der Soziologie als Kultursoziologie – vollzieht sich seit Mitte der 1980er Jahre insbesondere in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Wichtige Impulse hierzu kamen auch aus disziplinübergreifenden Diskussionszusammenhängen, vor allem der Ethnologie Clifford Geertz‘ (1993 [1973]) und den anglo-amerikanischen Cultural Studies. „Kultur“ erlangt durch diese „Wende“ wieder den grundlegenden Status eines Phänomens sozialer Ordnung zurück, wie Hörnig und Reuter es ausdrücken (vgl. Hörnig/Reuter 2004, S. 9). Hiermit gehe eine Bedeutungsverlagerung des Kulturbegriffs einher. Während frühere Ansätze der Substanzialisierung, Totalisierung und Territorialisierung Vorschub leisteten, werde dieser Begriff jetzt als Prozess, als Relation, als Verb verstanden (vgl. ebd.). Reckwitz (2003) zufolge, rücke dabei das Kulturelle perspektivisch ins Zentrum der Gesellschaftsanalyse. Zentral sei hierbei stets die Frage nach der kulturellen Bedingtheit des Sozialen. Systematische Unterschiede täten sich dabei nicht nur zwischen diesem und anderen sozialtheoretischen Ansätzen auf, sondern auch innerhalb dieses Ansatzes, und zwar insbesondere in Bezug auf die Frage wo, das heißt, auf welcher Ebene „das Soziale“ verortet und wie es verstanden werde (vgl. Reckwitz 2003, S. 286). In Bezug auf diese Frage grenzt Reckwitz idealtypisch die kulturtheoretischen Ansätze insgesamt von strukturtheoretischen, ökonomisch-individualistischen (Homo oeconomicus) und normativistischen (Homo sociologicus) ab. Eine Gemeinsamkeit der kulturtheoretischen Ansätze im Gegensatz zu den anderen sieht er in der Hinsicht, dass darin „das Soziale“ seine „Gleichförmigkeit über sinnhafte Wissensordnungen, über kollektive Formen des Verstehens und Bedeutens, durch im weitesten Sinne symbolische Ordnungen erhält“ (ebd., S. 287). Innerhalb dieser Gemeinsamkeit, also der übersubjektiven Sinnsysteme und Wissensordnungen der Kultur, geht die „praxeologische Theoriefamilie“, wie Reckwitz es ausdrückt, ihren eigenen Weg (ebd., S. 288). Von daher seien die Praxistheorien zwar Kulturtheorien, jedoch nicht alle Kulturtheorien seien Praxistheorien (vgl. ebd.). Das Feld der Kulturtheorien strukturiert Reckwitz anhand der Frage, wo „Kultur“ darin verortet werde. Hierbei stünden sich idealtypisch drei Optionen gegenüber: der „Mentalismus“, der „Textualismus“ und die „Theorie sozialer Praktiken“
4 M ETATHEORETISCHE R AHMUNG
UND
F ORSCHUNGSPROZESS
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(vgl. ebd.). Im Rahmen des Mentalismus stelle „Kultur“ ein geistiges, ideelles Phänomen dar: „Der Ort der kulturellen Symbolsysteme ist der menschliche Geist, die mentale Struktur, das ‚Innen‘ des Mentalen, metaphorisch gesprochen ‚im Kopf‘ der Handelnden und die ‚kleinste Einheit‘ des Sozialen, die es in der Kulturanalyse herauszuarbeiten gilt, sind kognitivgeistige Schemata. Die Wissensordnungen, die die soziale Ordnung generieren, erscheinen hier konsequent in erster Linie in einer ‚kognitiven‘ Funktion, als Klassifikationssysteme und als Weltbilder, als Systeme, in denen spezifische Repräsentationen der Welt geliefert werden.“ (Reckwitz 2003, S. 288)
Reckwitz zufolge, bilde der Mentalismus die traditionellste Form moderner Kulturtheorien und komme in verschiedenen Varianten vor. Diese reichten von Max Webers Kulturverständnis als einem System von „Ideen“ und „Weltbildern“, wodurch Kultur sich als ein kollektives Überzeugungssystem darstelle, über Vertreterinnen und Vertreter des klassischen Strukturalismus, welcher sich von Saussures Semiologie ableite und in Claude Lévi-Strauss‘ Ethnologie (1991 [1958]) einen Höhepunkt erreicht habe. Hier werde „das Soziale“ bzw. „die Kultur“ im „unbewussten Geist“ situiert, welcher im Bewusstsein des bzw. der Einzelnen Bedeutungen generiere, und zwar auf der Grundlage eines unbewussten Regelsystems im Sinne einer kulturellen Grammatik. Auf der anderen Seite schließlich fänden Varianten des Mentalismus – quasi als Gegenprogramm zum „objektivistischen Strukturalismus“ – über die Phänomenologie Verbreitung. Diese von Husserl initiierte und soziologisch durch Schütz (1932) verbreite „subjektivistische Perspektive“ verorte das „Soziale“ bzw. die „Kultur“ „in der Intentionalität, d. h. der sinnhaften Gerichtetheit der Akte des Bewusstseins, in der ‚etwas als etwas verstanden‘ wird“ (Reckwitz 2003, S. 288). Typisch für den Mentalismus seien die Situierung „des Sozialen“ und „der Kultur“ in der „Innenwelt“ des kollektiven Geistes sowie deren Interpretation als reine „Repräsentationssysteme“. Diesem Ansatz stehe die praxeologische Theorierichtung eindeutig entgegen (ebd.). Diese Opposition zum Mentalismus habe der Textualismus mit den Praxistheorien gemeinsam. Unter der Bezeichnung „Textualismus“ fasst Reckwitz jene Formen der Kulturanalyse zusammen, die sich seit den späten 1960er Jahren im Umkreis des Poststrukturalismus, einer radikalen Hermeneutik und schließlich auch einer radikalkonstruktivistischen Systemtheorie herausgebildet hätten (vgl. ebd.). Ihnen sei gemeinsam, dass sie „das Soziale“ und damit die Wissensordnungen der „Kultur“ auf der Ebene von Texten, von Diskursen, von „öffentlichen Symbolen“ und schließlich von „Kommunikation“ (im Sinne Niklas Luhmanns) verortet hätten (vgl. ebd.):
78 | K ULTURSENSIBLE A LTENHILFE ? „Wenn für den Mentalismus Kultur im „Innern“ des Mentalen verborgen war, so bietet sie sich für den Textualismus genau umgekehrt im Außen der Diskurse, der Texte, der Symbole, der kommunikativen Sequenzen öffentlich dar. Diese werden selbst durch sinnhafte Wissensordnungen und ihre kulturellen Codes strukturiert – und die vorgeblichen Eigenschaften des Mentalen und der Subjekte erscheinen nun als spezifische kulturelle Definitionen und diskursive Codierungen dessen, was in den Subjekten vorhanden sein soll.“ (Reckwitz 2003, S. 288f., Hervorhebungen im Original)
In Bezug auf ihr Kulturverständnis stehe die Praxistheorie sowohl dem Mentalismus als auch dem Textualismus entgegen2. Denn diese begreife die kollektiven Wissensordnungen der „Kultur“ nicht als ein geistiges „knowing that“3 oder als rein kognitive Schemata der Beobachtung. Ebenso wenig verstehe sie diese allein als Codes innerhalb von Diskursen und Kommunikationen. Vielmehr stelle sich kulturelles Wissen im Sinne der Theorie der Praxis als ein praktisches Können, ein „knowing how“ dar. Reckwitz fasst hierunter „ein praktisches Verstehen im Sinne eines ‚Sich auf etwas verstehen‘“ (ebd. S. 289). Im praxeologischen Paradigma sei der „Ort“ des Sozialen somit weder in der „Intersubjektivität“ noch in der „Normgeleitetheit“, auch nicht in der „Kommunikation“ zu suchen. Vielmehr liege dieser in der Kollektivität von Verhaltensweisen, welche ein spezifisches praktisches Können zusammenhalte. Dieses Können im Sinne eingelebter Umgangsweisen und regelmäßiger Praktiken der Mitglieder einer Gesellschaft bilde den zentralen Bezugspunkt von Kulturanalyse: „Ganz gleich, ob der Umgang mit dem Computer im Betrieb oder dem Auto im Alltag, die Rezeption von Fernsehsendungen oder wissenschaftlichen Texten, der Prozess der Identifikation oder Repräsentation von Personen, oder auch nur die Art und Weise, wie üblicherweise Fahrstuhl gefahren, Geschlecht praktiziert oder Wissen gewusst wird – es handelt sich um das Praktizieren von Kultur.“ (Hörnig/Reuter 2004, S. 10f.)
Gesellschaftliche Wirklichkeit stelle somit keine „objektive Tatsache“ dar, sondern sei eine „interaktive Sache des Tuns“ (ebd.). Aus diesem Grund sprechen Hörnig und Reuter von „Kultur in Aktion“ bzw. „doing culture“. Aus der Perspektive des
2
Anders als Reckwitz betont Bohnsack, dass die Praxistheorie eine Vermittlung oder Synthese von Objektivismus und Subjektivismus ermögliche bzw. jenseits dieser Differenzierung operiere – sowohl im Sinne Bourdieus als auch der Dokumentarischen Methode (vgl. Bohnsack 2011, S. 41).
3
Die Gegenüberstellung von „knowing that“ und „knowing how“ im Sinne des bloßen „Hören“, was jemand sagt, gegenüber dem unmittelbaren „Begreifen“ findet sich bei Ryle (2000 [1949]).
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doing (doing gender, doing familiy, doing difference etc.)4 mache die Unterscheidung von sozialer und kultureller Praxis ebenso wenig Sinn, wie die dualistische Gegenüberstellung von sozialer Ungleichheit und kulturellen Unterschieden. Denn soziale Praxis sei immer schon mit Bewertungen, mit Interpretationen, mit Selbstund Fremddeutungen verknüpft, auch wenn diese in der Regel unbemerkt bzw. unreflektiert abliefen (ebd.). Somit stellt sich bei einem praxeologischen Ansatz auch nicht mehr das Problem der kulturalistischen Verengung und Reproduktion von Wir-Ihr-Gegensätzen durch die Forschenden, weil sich deren Blick jetzt nicht mehr auf Differenzen richtet, sondern auf die Herstellungsprozesse von Unterschieden. Bei diesem empirisch-analytischen Ansatz ist ein kultur- oder differenzsensibler „Blick“, wie er etwa bei Foitzik (2008) gefordert wird, nicht mehr gefragt. Denn ein solcher „Blick“ beruht auf der unhinterfragten Prämisse5, dass bestimmte Unterschiede – nämlich genau jene, welche „sensibel“ betrachtet werden – bedeutungsvoller seien als andere. Dagegen wird im praxeologisch-rekonstruktiven Paradigma der kultur- oder differenzsensible „Blick“ selbst in den Blick genommen und hiermit die Praxis des Herstellens sozialer Verschiedenheit. Es würde gefragt werden, welche handlungsleitenden Prinzipien der Praxis des habituellen Herstellens sozialer Differenzen zugrunde liegen6. Vor diesem Hintergrund erscheint auch ein Paradoxon in einem anderen Licht, welches Foitzik (2008) als das „doppelte Gesicht der Diskriminierung“ problematisiert (vgl. ebd., S. 24). Diesem zufolge wäre es im Hinblick auf die Wahl der Forschungsperspektive ebenso diskriminierend, ein Gegenüber auf bestimmte Unterschiede zu reduzieren, als auch diese zu übersehen. Aus einer praxeologischen Forschungshaltung heraus würde der Fokus wiederum nicht auf den Differenzen selbst liegen, weshalb diese weder ignoriert noch unfreiwillig reproduziert werden müssten. Dagegen wird der Prozess der Herstellung jener Differenzen fokussiert, welche sich empirisch als bedeutsam erweisen, im Hinblick auf das in die Routinen der Alltagspraxis eingelebte, kollektiv geteilte „knowing how“, welches das jeweilige Anderssein erst hervorbringt. Denn soziale Differenzen – welche auch immer es sein mögen – liegen aus praxeologischer Sicht 4
Da der Begriff „doing“ auch Intentionalität nahelegt, sei an dieser Stelle ausdrücklich darauf verwiesen, dass im Rahmen dieser Arbeit das „doing culture“ ausschließlich als eine habituelle Praxis im Sinne Bourdieus aufgefasst wird.
5
Die normative Prämisse, der zufolge Foitzik der „Differenzlinie Kultur/Ethnie/Migration“ eine besondere Bedeutung zugeschreibt, dokumentiert sich auch darin, dass dieser ihre Fokussierung nicht zugunsten einer generellen „Differenzsensibilität“ aufgeben möchte, weil hierdurch „vermutlich jegliche kritische Perspektive verloren gehen“ würde. (Foitzik 2008, S. 25, Anmerkung 25).
6
Vgl. hierzu die Arbeiten von Kubisch (2008) zur habituellen Konstruktion sozialer Differenzen und von Hahn (2011) zur Bedeutung von Ethnizität in Beratungsgesprächen der Altenhilfe.
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nicht mehr im „Innen“ oder „Außen“ einer Person bzw. einer Gruppe. Vielmehr sind diese, ebenso wie beispielsweise Autofahren, das, was Kultur als Praxis zu einer bestimmten Zeit, in einem spezifischen Kontext zu erzeugen vermag. Aus einer praxeologischen Perspektive erscheint auch das Problem der Vagheit und Interpretationsbedürftigkeit des Kulturbegriffs in einem neuen Licht. So ist der Begriff „Kultur“ zwar bedeutungsüberfrachtet und vage7, was ihn im „Bannkreis der Sprache“ (Habermas 2004, S. 314f.) problematisch erscheinen lässt. Jedoch stellt sich das Problem begrifflicher Vagheit, wie die Ethnomethodologie in den 1960er und 1970er Jahren umfassend nachgewiesen hat, als ein „konstitutives Moment der Kommunikation“ dar (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010, S. 29). Die Ethnomethodologie hat hierfür den Begriff „Indexikalität“ geprägt. Dieser besagt, dass die menschliche Sprache aus Zeichen besteht, welche grundsätzlich nur einen Verweisungscharakter haben. Das Verstehen solcher Zeichen ist daher immer an Kontextwissen gebunden. Dieses Wissen bleibt in der Regel implizit. Es macht einen Teil unseres „knowing how“ aus, unseres praktischen Könnens, welches wir uns vor allem mimetisch8 aneignen. So wissen wir beispielsweise, ohne dies explizieren zu müssen, dass ein Gruß einen Gegengruß erfordert und dass eine Missachtung dieser unausgesprochenen Regel9 als eine Beleidigung aufgefasst werden kann (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010, S. 33). Wie oben bereits dargelegt wurde, geht die praxistheoretische Wende mit einer rekonstruktiven Beobachterhaltung einher, welche „Kultur“ weder im „Innen“ noch im „Außen“ des Menschen verortet. Beide Optionen führen gleichermaßen zur Perspektivverengungen, weil das Eine das jeweils Andere ausblendet. Dagegen nimmt das praxeologische Paradigma hier eine vermittelnde Position ein. „Innen“ und „Außen“ finden quasi einen gemeinsamen Fluchtpunkt, indem sich die Beobachterperspektive auf kollektive Herstellungsprozesse von Kultur, auf Kultur in Aktion, ausrichtet sowie auf das hiermit zum Ausdruck gebrachte praktische Können, das „knowing-how“. Um den Paradigmenwechsel in Richtung einer praxeologischrekonstruktiven Perspektive vollziehen zu können, ist es notwendig, zunächst einmal jede Vorstellung von „Kultur“ jenseits dieses Paradigmas zu verabschieden und damit jedes Wissen, was „Kultur“ in normativer Hinsicht sein soll. Gleiches gilt für jeden anderen zu rekonstruierenden Gegenstand. Hierdurch wird die Beobachterperspektive frei von normativen Prämissen und kann mittels empirisch-analytischer Verfahren10 7
Vgl. z. B. Gürses (2003) ausführliche Kritik des Kulturbegriffs.
8
Vgl. Wulf 2006, S. 117f.; Gebauer/Wulf 1998.
9
„Wer die Regeln der Interaktion verletzt, begeht sein Verbrechen als Gefangener im Gefängnis der Interaktion“ (Goffman 1986, S. 126).
10 Hiermit ist insbesondere die Dokumentarische Methode gemeint, welche – fundiert durch die Wissenssoziologie Karl Mannheims – den methodisch-methodologischen Rahmen dieser Arbeit darstellt.
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auf die Rekonstruktion der Praxis und des in diese Praxis eingelassenen praktischen Könnens – auf Kultur als Praxis – eingestellt werden. Erst hierdurch wird es möglich, tatsächlich „etwas Neues“ zu entdecken bzw. Bekanntes anders zu sehen.
4.2 D AS V ERHÄLTNIS
VON
D ISKURS
UND
H ABITUS
In der vorliegenden Arbeit wurde zum einen der Fachdiskurs über die Versorgung alter Migranten aus einer diskurstheoretischen Forschungsperspektive heraus rekonstruiert und zum anderen wird ein praxistheoretischer Zugang zur Handlungspraxis der Akteure gewählt. Reckwitz (2003) zufolge, ist diesen beiden theoretischen Ansätzen – den Diskurs- und den Praxistheorien – gemeinsam, dass diese in Opposition zu den mentalistischen Kulturtheorien stehen, welche entweder dem objektivistischen oder dem subjektivistischen Forschungsparadigma angehören. Jedoch unterscheiden sich Diskurs- und Praxistheorien auch kategorial voneinander. So bietet der eine Ansatz einen Zugang zum Sozialen über den modus operandi der Handlungspraxis bzw. den „Habitus“ und der andere über „Texte“. Da die (Re-) Produktion von „Texten“ bzw. „Diskursen“ prinzipiell auch als eine „Praxis“ im Sinne der Theorien sozialer Praktiken aufgefasst werden kann, ist eine Verbindung beider Theorierichtungen aus praxistheoretischer Perspektive nur auf die folgende Weise denkbar: „Für die Praxistheorie kann ein Diskus nichts anderes denn eine spezifische soziale Praktik sein, d. h. der Diskurs wirkt aus praxeologischer Sicht allein in einem bestimmten sozialen Gebrauch, als ein Aussagesystem, das in bestimmten Kontexten rezipiert und produziert wird. Erst die Rekonstruktion des kontextuellen Gebrauchs von diskursiven Aussagesystemen kann für die Praxistheorie klären, welche Bedeutung dem Diskurs im Wissen der Teilnehmer zukommt.“ (Reckwitz 2003, S. 298)
Entscheidend für eine Verknüpfung der beiden Ansätze ist die genaue Bestimmung des Verhältnisses der metatheoretischen Kategorien „Diskurs“ und „Habitus“ zueinander. Aufgrund der Paradigmenabhängigkeit von Forschungsperspektiven ist hier nur eine „Kopplung“ (Bohnsack 2014a) möglich. Hierbei kann entweder die Dokumentarische Methode oder die Diskursanalyse den primären Rahmen bilden, während aus dem jeweils anderen Paradigma nur bestimmte Komponenten integriert werden können. Prinzipiell ist auch eine Zusammenführung beider Forschungsperspektiven auf der Grundlage der Rekonstruktion der Forschungspraxis möglich11. Jedoch ist es für die Validität und Aussagekraft rekonstruktiver For11 Vgl. hierzu z. B.: Saukko (2000). Paula Saukko versucht in ihrer Arbeit über AnorexiePatientinnen eine Verknüpfung verschiedener Forschungsparadigmen, indem sie Befunde
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schungsergebnisse eher von Interesse, diese im Rahmen von Metatheorien und metatheoretischen Konzepten zu fundieren, deren Verhältnis in Bezug auf gegenseitige Anschlüsse und Abgrenzungen geklärt ist (vgl. Bohnsack 2014, S. 33). Einen Vorstoß in je eine dieser beiden Richtungen unternehmen Bublitz (2003b)12 und Bohnsack (2014, 2014a). Das Verhältnis von Diskurs und Habitus in einem post-strukturalistischen Rahmen Bublitz (2003b) geht es darum, Bourdieus Habituskonzept für den poststrukturalistischen Ansatz fruchtbar zu machen. Für sie stellen „Diskurs (Foucault)“ und „Habitus (Bourdieu)“ zwei einander wechselseitig bedingende Kategorien dar, welche sie an der „Schnittstelle“ (ebd.) der Konstitution sozialer Wirklichkeit miteinander verknüpfen möchte. Dies soll ihr dazu dienen, die Herstellung, relative Stabilität sowie den Wandel „gesellschaftlicher Normalität“ (ebd.) zu erklären. Diskurse bilden, ihrem Modell zufolge, die „Konstitutionsregeln sozialer Wirklichkeit“, welche als „soziale Tatsachen“ im Sinne Durkheims von außen auf das Individuum einwirken, während sie „Habitus“ als „Subjekteffekte von Diskursen“ konzeptionalisiert (ebd.). Als Folge von „Normalisierungspraktiken“ im Sinne performativer „diskursiver Praxen“ komme es zur „Einverleibung der Gesellschaft (Bourdieu)“ bzw. „Einkörperung von Gewohnheiten (Foucault)“, wie Bublitz schreibt (ebd.). Der Habitus stelle dabei ein reproduzierendes Prinzip dar, welches seine Formung durch Diskurse erhalte und so zur materialen Gestalt, zum „Körper von Diskursen“ werde (ebd.). Als solche wirkten die einverleibten Diskurse nun über „habituelle Praxen“ wieder „auf die diskursive Ebene zurück“ (ebd.). Bei Bublitz wird der Habitus zur „‚diskursiven Polizei (Foucault)“, welcher als sozialer Sinn das jeweils angemessene Verhalten im Rahmen der inkorporierten Norm sicherstellt (vgl. ebd.). Dagegen könnten Diskurse als „umkämpfte Praktiken“ Normalitätsgrenzen „entweder starr fixieren oder flexibel verschieben“ (ebd.). Dabei hätten „habitualisierte aus Statistiken (Objektivismus), Diskursanalysen (Poststrukturalismus) und biografischen Interviews (Subjektivismus) in einer Art „Montage“ nebeneinander stellt, wobei sie einen ethnografischen Schreibstil benutzt. Saukko bezeichnet ihr Konzept als „Quilting“ in Abgrenzung zur „Triangulation“ (Denzin 1970; vgl. auch: Flick 2008) und spielt hiermit auf den Patchwork-Charakter ihrer Arbeit an. 12 http://kw.uni-paderborn.de/institute-einrichtungen/institut-fuer-humanwissenschaften/ soziologie/personal/bublitz/publikationen/ (02.10.2013) Manuskript der Autorin ohne Seitenangaben, auch erschienen als Buchbeitrag: „‚Diskurs und Habitus‘. Zentrale Kategorien zur Herstellung gesellschaftlicher Normalität“. In: Jürgen Link/Thomas Loer/ Hartmut Neuendorff (Hrg.). ‚Normalität‘ im Diskursnetz soziologischer Begriffe. Heidelberg 2003, S. 151-162.
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Praktiken“ ebenso wie diskursive das Potenzial, zum Gegenstand symbolischer Auseinandersetzungen zu werden und könnten dann, „je nach strukturellem Kontext [einen] homöostatisch–bewahrenden oder dynamisch–flexiblen Charakter annehmen“ (ebd.). Bublitz‘ Vorhaben, die Stabilität „gesellschaftlicher Normalität“ diskurstheoretisch zu erklären, indem sie das Habituskonzept Bourdieus in die poststrukturalistische Theorie integriert, erweist sich aus poststrukturalistischer Perspektive als eine Bereicherung. Denn nun werde, wie beispielsweise bei Butler (1991), die Performativität von Diskursen nicht mehr nur behauptet, sondern auch durch ein reproduzierendes Prinzip erklärt (vgl. Bublitz 2003b). Dagegen tritt hierbei aus praxeologischer Perspektive eine zentrale Schwäche des poststrukturalistischen Ansatzes umso deutlicher hervor: ein unscharfer Diskursbegriff. Diskurstheoretisch wird nicht systematisch unterschieden zwischen Regeln und Normen einerseits und den Prinzipien ihrer Hervorbringung und Anwendung andererseits. Dies fällt alles unter die Kategorie „Diskurs“ und wird auch durch das Hinzufügen des Habituskonzeptes in diese Analysekategorie nicht klarer. Bublitz führt Bourdieus Habituskonzept als reproduzierendes Prinzip ein, um die relative Stabilität der wandelbaren, normativen Ordnung zu erklären. Der Habitus stellt hierbei den Effekt der „Einverleibung“ dieser Ordnung in das Individuum dar und wird damit selbst zur „diskursiven Polizei“, wie Bublitz mit Foucault ausführt. Mit dieser „Implantierung“ des Habituskonzeptes in die Analysekategorie „Diskurs“ sind theoretische Folgen bzw. Implikationen verbunden, die Bublitz nicht systematisch expliziert. Dies wirft logische und erkenntnistheoretische Fragen auf. So unterscheidet Bublitz zwischen „diskursiven“ Praktiken welche performativ als „Normalisierungspraktiken“ auf das Individuum einwirken und den Habitus ausformen, von „habituellen“ Praktiken, welche Effekte dieser Formung darstellen sollen. Jedoch sind diskursive Praktiken in diesem theoretischen Entwurf immer bereits habituell, da diese performativ wirken und der Habitus als ein reproduzierendes Prinzip angenommen wird, welches diese Performativität als „diskursive Polizei“ – wie Bublitz mit Foucault erklärt – sicherstelle. Zudem bleibt unklar, wie es möglich ist, dass Individuen empirisch Widerstand gegenüber Normen und Regeln zeigen können oder einen kreativen Umgang mit diesen finden (vgl. hierzu auch: Bohnsack 2014). Diese Frage ist vor allem vor dem Hintergrund brisant, dass Diskurse ja als eine „umkämpfte“ Ordnung gelten. Wie ist dieser Kampf möglich, wenn mit der Theorie nicht erklärt werden kann, woher der Widerstand stammt? Insofern erweist sich die Erweiterung der Diskurstheorie um das Habituskonzept in empirisch-analytischer Hinsicht als wenig nützlich. Der Ansatz verliert eher noch an Trennschärfe, weil sich Diskursives und Habituelles weder theoretischkonzeptionell noch empirisch-analytisch zuverlässig voneinander unterscheiden lassen.
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Das Verhältnis von Diskurs und Habitus im Rahmen der praxeologischen Wissenssoziologie Ganz anders stellt sich das Verhältnis der Analysekategorien „Diskurs“ und „Habitus“ in einem von Bohnsack (2014) vorgelegten theoretischen Entwurf zur Klärung der Beziehung zentraler sozialwissenschaftlicher Kategorien untereinander dar. Hierbei gewinnt die metatheoretische Kategorie „Diskurs“ an Kontur, indem diese eine Begrenzung durch das Habituskonzept erfährt. Bei Bohnsack werden zentrale Komponenten des Diskurskonzeptes in die praxeologische Wissenssoziologie Karl Mannheims integriert. Als eigenständiger Analysekategorie wird dem Diskurskonzept dann allerdings nur noch „ein relativierter Stellenwert zugemessen“ (Bohnsack 2014, S. 45) und zwar als „adäquate“ Rekonstruktion „jener Ebene des Handelns und alltäglicher Verständigung, die wir als kommunikative bezeichnen und die wir von der Ebene der konjunktiven Verständigung und des Habitus unterscheiden“ (Bohnsack 2014, S. 36, Hervorhebung im Original). Erst durch die analytische Trennung dieser beiden Arten von Verständigung und den hiermit einhergehenden Wissensformen gewinnt die Kategorie „Diskurs“ wieder eine zwar begrenzte, jedoch eigenständige Erklärungskraft. Die hierbei wirksame Leitdifferenz entspricht Bourdieus Unterscheidung von „Habitus“ einerseits und „diskursivem Denken“ andererseits (Bourdieu 1982, S. 730). Die Ausbildung des Habitus vollzieht sich hier weniger über kommunikative Prozesse als vielmehr vor dem Hintergrund gemeinsamen geteilter existenzieller Erfahrungen und einer gemeinsamen Handlungspraxis, also vor allem in Form von „mimetischer“ Aneignung (vgl. Wulf 2006). In empirisch-analytischer Hinsicht lässt sich nun auch das Verhältnis der beiden Kategorien, „Diskurs“ und „Habitus“, zueinander genauer herausarbeiten. Wie Bohnsack (2014) anhand einer Reihe empirischer Beispiele aus der Jugendforschung aufzeigen kann, vollzieht sich die Auseinandersetzung mit Normen und Regeln, die auf der Ebene des Diskurses im Sinne sozialer Tatsachen (Durkheim) von außen an die jungen Menschen herangetragenen werden, stets auf eine charakteristische Art und Weise: „Die Auseinandersetzung mit der Norm, die Art und Weise, wie die normativen Anforderungen bewältigt werden, erfolgt im Medium der performativen Struktur des Habitus. Der Habitus dokumentiert sich in konturierter Weise u. a. im Wie dieser Auseinandersetzung mit der Norm, durch welche er aber auch transformiert wird.“ (Bohnsack 2014, S. 43, Hervorhebung im Original)
Indem nun die Struktur des Habitus durch komparative Analyse bei verschiedenen Gruppen von Jugendlichen rekonstruiert werde, würden zugleich auch deren Orientierungsschemata, wie Normen, Regeln sowie Fremd- und Selbstzuschreibungen
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(z. B. „Ausländer“, „Inländer“, guter oder schlechter Schüler, männlich oder weiblich etc.) mit welchen die Jugendlichen sich auf eine jeweils milieuspezifische Art und Weise auseinandersetzen, „empirisch in valider Weise rekonstruierbar“ (Bohnsack 2014, S. 43). Die Validität des empirischen Zugangs zu diesen Schemata sei also davon abhängig, inwieweit es gelinge, über die Darstellungen der Alltagspraxis der Akteure, insbesondere ihrer Erzählungen und Beschreibungen, aber auch durch Bilder und Videos, Bezüge zur Struktur ihres Habitus herstellen zu können (vgl. ebd.). Denn, wie Bohnsack anhand eigener und weiterer Forschungsergebnisse aufzeigen kann, zeigt sich der Habitus immer auch in der Selektivität, mit der bestimmte Aspekte der symbolischen Ordnung der Diskurse für die Akteure eines Milieus überhaupt bedeutsam werden (vgl. ebd.). Das, was zum Thema einer Auseinandersetzung gemacht wird, unterliegt ebenso einer habituellen Präferenz, wie die Art und Weise, wie mit einem Thema umgegangen wird. Die Kategorien „Diskurs“ und „Habitus“ stehen also einerseits in einem wechselseitigen Spannungsverhältnis zueinander. Da diese Spannung jedoch, wie sich empirisch zeigt, stets auch in milieuspezifischer Weise ausagiert wird, ist das Verhältnis dieser beiden Kategorien zueinander andererseits auch in einem übergeordneten Rahmen zu beobachten, einem übergreifenden „Orientierungsrahmen“, wie Bohnsack es ausdrückt (vgl. Bohnsack 2013, S. 182). Der Begriff „Orientierungsrahmen“ wird demnach in zweifacher Weise von Bohnsack verwendet: „Somit bezeichnet der Begriff des Orientierungsrahmens im engeren Sinne – wie auch derjenige des Habitus – die Struktur der Handlungspraxis selbst und ist damit der Gegenbegriff zu demjenigen der Orientierungsschemata. Andererseits ist der Orientierungsrahmen im weiteren Sinne aber auch als übergeordneter Begriff zu demjenigen der Orientierungsschemata zu verstehen.“ (Bohnsack 2013, S. 181; Hervorhebungen im Original)
Der Begriff „Orientierungsrahmen“ wurde von Ralf Bohnsack (1989) geprägt. Dieser Begriff stellt ein Ergebnis der forschungspraktischen Ausarbeitung der theoretisch und methodologisch durch Karl Mannheim inspirierten Dokumentarischen Methode als ein Verfahren der empirischen Sozialforschung dar. Wie später, insbesondere in den 1990er Jahren, im Zuge einer Auseinandersetzung mit der Kultursoziologie Pierre Bourdieus von Bohnsack herausgearbeitet wurde, ist der Begriff „Orientierungsrahmen“ – im engeren Wortgebrauch – weitgehend synonym mit Bourdieus Konzept des „Habitus“ zu verwenden (vgl. Bohnsack 2013, S. 181). Beide Begriffe sind, wie Bohnsack betont, kongruent zu den fundamentalen Kategorien der Wissenssoziologie Mannheims, wie demjenigen des konjunktiven Erfahrungsraumes und des atheoretischen, handlungsleitenden Wissens (vgl. ebd.). Durch die Kongruenz zum Begriff „Orientierungsrahmen“ erfahre das Habituskonzept Bourdieus eine Erweiterung:
86 | K ULTURSENSIBLE A LTENHILFE ? „Der Begriff des Orientierungsrahmens als zentraler Begriff der praxeologischen Wissenssoziologie und Dokumentarischen Methode erweitert somit den Habitusbegriff um den Aspekt, dass und wie der individuelle und kollektive Habitus sich in der Auseinandersetzung mit den normativen resp. institutionellen Anforderungen, dem gesellschaftlichen Identifiziert-Werden, d. h. den (individuellen oder kollektiven) Fremd-Identifizierungen, die im Sinne der Diskursanalyse […] auch als „Subjektcode“ und „Subjektpositionen“ verstanden werden können, immer wieder reproduziert und konturiert.“ (Bohnsack 2014, S. 36)
Indem der Begriff „Habitus“ in seinen zentralen Aspekten synonym mit dem Begriff „Orientierungsrahmen“ zu gebrauchen ist, welcher wiederum einen Gegenbegriff zu einer Reihe von Konzepten bildet, die Bohnsack unter dem Oberbegriff „Orientierungsschemata“ subsumiert (vgl. auch: Bohnsack 2012), ergeben sich theoretische Anschlussmöglichkeiten sowohl für die Dokumentarische Methode als auch für das Habituskonzept Bourdieus. Mit dem Begriff „Orientierungsschemata“ werden zum einen Konzepte gefasst, wie institutionalisierte Verhaltenserwartungen, Rollen, Um-zu-Motive, welche Forschungstraditionen entstammen, die unter den Sammelbegriff „Interpretatives Paradigma“ fallen (vgl. Bohnsack 2013, S. 181). Zu diesen Traditionen zählten beispielsweise die Sozialphänomenologie, die Ethnomethodologie und partiell auch die Chicagoer Schule (vgl. ebd.). Ebenso werden mit der Kategorie „Orientierungsschemata“ auch diskurstheoretische Ansätze anschlussfähig an die Dokumentarische Methode und das Habituskonzept Bourdieus, indem diese Kategorie als „kommunikatives Wissen“ die Dimension des Diskursiven umfassen und dem Bereich des Habituellen gegenübergestellt werden kann (vgl. Bohnsack 2014). Ihre eigentliche Bedeutung erhielten Orientierungsschemata aus praxeologischer Perspektive jedoch immer erst durch ihre „Rahmung“, also durch ihr Eingebundensein in die spezifische Struktur der Handlungspraxis, welche sich im modus operandi des Habitus bzw. des Orientierungsrahmens vollziehe (vgl. Bohnsack 2013, S. 181). Hieraus ergebe sich eine zweite, weiter gefasste Bedeutung des Begriffs „Orientierungsrahmen“ (vgl. Abbildung 1 auf der folgenden Seite). Die hier nach Bohnsack (2013) angefertigte Abbildung stellt sowohl das Spannungsverhältnis zwischen „Habitus“ bzw. „Orientierungsrahmen“ und „Orientierungsschemata“ als auch die Einbettung dieser Schemata in einem übergreifenden existenziellen Hintergrund dar, welcher als soziales Milieu innerhalb eines sozialen Feldes gefasst werden kann (vgl. ebd., S. 182). Eine Unterscheidung der Begriffe „Orientierungsrahmen“ und „Habitus“ ist, Bohnsack zufolge, dort angebracht, wo ein vollständig inkorporiertes Wissen vorliegt, z. B. in Form milieutypischer Gesten, Bewegungen oder Körperhaltungen. Hier sei der Begriff „Habitus“, entsprechend der Definition Bourdieus, dem des „Orientierungsrahmens“ vorzuziehen (vgl. ebd.).
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Abbildung 1: Orientierungsrahmen im engeren und im weiteren Sinne
Quelle: Bohnsack 2013, S. 182
4.3 D IE D OKUMENTARISCHE M ETHODE UND IHRE F ORSCHUNGSPRAXIS Die Dokumentarische Methode ist ein erkenntnistheoretisch fundiertes und in vielfältigen Anwendungsfeldern bewährtes Verfahren empirischer, genauer formuliert: rekonstruktiver Sozialforschung (vgl. Bohnsack 2010a, S. 31f.)13. Das Auswertungsverfahren eröffnet einen methodisch-methodologisch kontrollierten Zugang insbesondere zum handlungsleitenden Orientierungs- und Regelwissen der Akteure. Dieses ist ihnen normalerweise nicht begrifflich gegeben, sondern als habitualisiertes und auch inkorporiertes Wissen in die Struktur ihrer Handlungspraxis eingelassen (vgl. Bohnsack 2001, S. 329f.).
13 Eine umfangreiche Liste mit Publikationen (national und international) zur dokumentarischen Methode findet sich auch unter www.dokumentarische-methode.de (23.01.2015).
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Ziel der Dokumentarischen Methode ist es, dieses ‚stillschweigende‘ Handlungswissen einzelner oder kollektiver Akteure zur Explikation zu bringen. Folglich fokussiert die mit der Dokumentarischen Methode einhergehende Analyseeinstellung weniger das, was gesagt oder gemeint wird. Vielmehr richtet sich der Blick darauf, wie die Handlungs- und Wahrnehmungspraxis strukturiert ist und aus welchen konjunktiven Erfahrungsräumen diese – im Sinne sozialer Genese – hervorgeht. Erst hierdurch werden ein verstehender Nachvollzug der „Logik der Praxis“ (Bourdieu) und ggf. eine Einflussnahme auf diese möglich (vgl. Bohnsack 2007b, S. 321). Obwohl oder vielleicht gerade weil die Dokumentarische Methode aus der Reflexion der Forschungspraxis heraus entstanden ist und in dieser weiterentwickelt wurde (vgl. Bohnsack 1983, 1989, 2003a, 2003b), handelt es sich hierbei um ein theoretisch voraussetzungsvolles Verfahren. Deshalb sollen seine grundlegenden Prinzipien und ihre methodische Umsetzung im Folgenden näher erläutert werden. Entstehungshintergrund des Verfahrens Die Dokumentarische Methode geht auf den Kultursoziologen, Philosophen und Begründer der Wissenssoziologie Karl Mannheim (*1893 bis 1947) zurück. Dieser setzt sich in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts auch mit Fragen der Logik wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung auseinander. Hierbei vertritt er eine kritische Position gegenüber der Idee, eine aus der naturwissenschaftlichen Forschung stammende Beobachterhaltung einfach auf humanwissenschaftliche Fächer zu übertragen. Mannheim zufolge stellt dieser Weg nur eine Möglichkeit wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung dar, „während die übrigen Erkenntnisfähigkeiten undifferenziert ineinander verwoben im Mutterschoße aller Erkenntnis, in der ‚alltäglichen Lebenserfahrung‘, für die Wissenschaft unausgewertet brachliegen“ (Mannheim 1980, S. 83). Indem Mannheim die historisch und soziokulturell stets an einen spezifischen Kontext gebundene „Lebenserfahrung“ (ebd.) als Ausgangspunkt seiner erkenntnistheoretischen Überlegungen nimmt, zeigt er eine Alternative zur naturwissenschaftlichen Logik der Erkenntnisgewinnung auf und begründet damit zugleich die „Wissenssoziologie“ als die „Lehre von der Seinsverbundenheit des Wissens“ (Mannheim 1952, S. 227). Vor diesem geistigen Hintergrund und in Auseinandersetzung mit der Praxis empirischer Sozialforschung erarbeitet Mannheim die Grundzüge der Dokumentarischen Methode der Interpretation (vgl. auch: Bohnsack 2013, S. 175f.). In den 1950er und 1960er Jahren verschafft Harold Garfinkel, der Begründer der „Ethnomethodologie“, der Dokumentarischen Methode nach einer Phase des Vergessens wieder eine gewisse Geltung innerhalb der Sozialwissenschaften (vgl. Bohnsack 2013, S. 176). Ähnlich wie bei Mannheim hat die Dokumentarische Methode für Garfinkel allerdings ausschließlich eine Bedeutung als methodologi-
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sches Konzept im Rahmen der epistemologischen Fundierung der Sozialwissenschaften (vgl. ebd.). Eine Ausarbeitung der Dokumentarischen Methode als ein konkretes Verfahren der empirischen Sozialforschung erfolgt erst in den 1980er Jahren (vgl. Bohnsack 1983, 1989). Ihre heutige Geltung erlangte die Dokumentarische Methode durch Ralf Bohnsack, und zwar sowohl als ein methodologischerkenntnistheoretisches Konzept als auch im Sinne einer forschungspraktischen Methodik (vgl. Bohnsack 2013, S. 176). In Abgrenzung von der Sozialphänomenologie Alfred Schützes und in Anlehnung an die Terminologie der Kultursoziologie Pierre Bourdieus bezeichnet Bohnsack die der Tradition Mannheims folgende Grundlagentheorie der Dokumentarischen Methode auch als „Praxeologische Wissenssoziologie“ (vgl. ebd.). Wie an anderer Stelle bereits ausgeführt wurde, nimmt diese eine vermittelnde Position ein zwischen objektivistischen Forschungsparadigmen, die einen privilegierten Zugang zum Forschungsgegenstand beanspruchen und subjektivistischen, welche das Problem des Fremdverstehens bisher nicht in einer methodisch kontrollierten Weise lösen konnten und daher auf MotivUnterstellungen angewiesen sind (vgl. Bohnsack 2014, S. 45). Theoretisch-reflexives Welterkennen versus atheoretisch-konjunktives Wissen Konstitutiv für die Anwendung der Dokumentarischen Methode ist die Unterscheidung zweier Wissensformen. Ausgehend von der Frage, wie Wissen grundsätzlich hervorgebracht wird, unterscheidet Mannheim das „theoretisch-reflexive“ vom „atheoretisch-konjunktiven“ Wissen (vgl. z. B. Bohnsack 2013, S. 184). Der Typus des theoretisch-reflexiven Wissens liegt sprachtheoretisch auf der Ebene kommunikativ-generalisierender Äußerungen und kann deshalb auch als „kommunikatives“ (Mannheim 1980, S. 294) oder „diskursives“ (Bourdieu (1982, S. 730) Wissen bezeichnet werden. Für einen wissenschaftlichen Beobachter bzw. eine wissenschaftliche Beobachterin sind solche Äußerungen problemlos zu erkennen, da diese stets in expliziter Form vorliegen. Hierzu gehören zum Beispiel Definitionen, Theorien, Meinungen und Bewertungen14 (vgl. hierzu auch im Anhang die Übersichtstabelle 7.1). Hiervon analytisch getrennt zu betrachten ist das kollektiv geteilte, nicht begrifflich vorliegende atheoretische oder auch konjunktive Wissen. Dieser Wissenstypus entspricht dem wahrnehmungs- und handlungsleitenden Orientierungswissen, welches nach Bourdieu als habitualisiert bzw. inkorporiert und in Übereinstimmung mit Michael Polanyi als „tacit knowledge“ (1985) bzw. als „stillschweigendes“ oder implizites Wissen bezeichnet werden kann. Die Aneignung dieses 14 Bewertungen spielen insbesondere in der Evaluationsforschung eine Rolle. Zur Unterscheidung von expliziten Bewertungen und impliziten Werthaltungen als erkenntnisleitender Differenz dokumentarischer Evaluationsforschung vgl. Bohnsack 2006b, 2010c.
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impliziten Wissens erfolgt vor allem „mimetisch“ (Gebauer/Wulf 1998) durch Nachvollzug im Rahmen gemeinsamen Erlebens und Handelns. Da es an kollektives Erleben gebunden ist bzw. aus diesem hervorgeht, handelt es sich immer um ein milieuspezifisches Wissen. Dieses ist einer milieufremden Person nicht unmittelbar zugänglich, was für einen wissenschaftlichen Beobachter bzw. eine wissenschaftliche Beobachterin Probleme aufwirft. Die systematische Rekonstruktion dieser Wissensform kann erst durch die bewusste Einnahme einer spezifischen Beobachterhaltung erfolgen. Hiermit verbunden ist ein Wechsel der Analyseeinstellung vom immanenten zum dokumentarischen Sinngehalt des Untersuchungsgegenstandes. Immanenter und dokumentarischer Sinngehalt Ein jedes Kulturprodukt, sei es geistiger, gegenständlicher oder bildhafter Art (z. B. ein Text, ein Gebäude, ein Bild oder ein Film) weist gemäß der Dokumentarischen Methode stets eine „Doppelstruktur“ auf (Bohnsack 2001, S. 329). So ein Produkt könne also immer sowohl „an sich“ verstanden werden als auch im Hinblick auf den Erlebniszusammenhang, aus dem es hervorgegangen sei (vgl. Mannheim 1980, S. 78). Vor diesem Hintergrund unterscheidet die Dokumentarische Methode den immanenten Sinngehalt, welcher über das theoretisch-reflexive bzw. kommunikative Wissen verstandesmäßig begriffen werden kann und den dokumentarischen Sinngehalt, welcher nur über einen validen Zugang zum atheoretisch-konjunktiven bzw. impliziten Wissen zu erfassen ist. Zur Illustration dieser beiden Sinnebenen führt Przyborski folgendes Beispiel an: Ein philosophisches System könne zum einen auf der Grundlage des hierüber zur Verfügung stehenden theoretischreflexiven Wissens betrachtet werden. Dies geschehe dann im Hinblick auf seinen immanenten Sinngehalt, d. h., es werde versucht, dieses System aus sich selbst heraus zu verstehen und seine innere Widersprüchlichkeit oder Widerspruchsfreiheit herauszuarbeiten. Werde dagegen dasselbe System in Bezug auf die Frage fokussiert, wie es aus seiner Zeit heraus entstanden sei, also welche an einen historischen und sozialen Kontext gebundenen Orientierungen ihm zugrunde lägen, so stellte diese Frage auf den Dokumentsinn ab (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010, S. 277). Nach dem Dokumentsinn werde auch dann gefragt, wenn beispielsweise ein als sonderbar geltendes Verhalten, wie unerklärliche Gesten oder Worte einer Person, nicht mehr aus den gesellschaftlichen Normalvorstellungen des Beobachters bzw. der Beobachterin heraus erklärt würden und auch nicht mit Hilfe von Kategorien eines professionellen Systems, wie der Psychiatrie. Vielmehr müsse, um den Dokumentsinn verstehen zu können, begonnen werden, das Verhalten „in seiner aus der Situation resultierenden Sinnhaftigkeit zu begreifen“ (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010, S. 278). Diese sich dokumentierende Sinnhaftigkeit könne nur dann vollständig erfasst werden, wenn man das theoretisch-reflexive Wissen bzw. die hiermit zu beantwortende Frage nach der faktischen Wahrheit und norma-
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tiven Richtigkeit beispielsweise eines philosophischen Systems oder des Verhaltens einer Person in ihrem Geltungsgehalt „einklammere“ (vgl. Mannheim 1980, S. 88, S. 95). Denn erst dieser Akt – die methodisch bedingte Vernachlässigung des immanenten Sinngehaltes und damit all dessen, was auf der kommunikativgeneralisierten Ebene geäußert wird – eröffnet den Blick für den dokumentarischen Sinn eines Untersuchungsgegenstandes. Dieser erschließt sich erst vollständig durch die Rekonstruktion des auf der konjunktiven Ebene angesiedelten atheoretisch-konjunktiven Wissens. Wechsel der Analyseeinstellung: vom ‚Was‘ zum ‚Wie‘ Der Wechsel der Analyseeinstellung vom immanenten zum dokumentarischen Sinngehalt eines Gegenstandes kann mit Luhmann (1990) als ein Wechsel der Beobachterposition bezeichnet werden, bei dem sich die „Was-Fragen“ in „WieFragen“ verwandeln (ebd. S. 95). Methodisch befördert dieser Akt den Wechsel der Analyseeinstellung von den alltagstheoretisch typisierenden Beobachtungen erster Ordnung zu den wissenschaftlich-rekonstruierenden Beobachtungen zweiter Ordnung. Diese Beobachterhaltung bezeichnet Karl Mannheim als „genetische“ oder „soziogenetische Einstellung“ (Mannheim 1980, S. 85). Mit dieser Analyseeinstellung hat Mannheim, wie Bohnsack (2013) schreibt, bereits in den 1920er Jahren das vorweggenommen und zum Teil auch mit beeinflusst, was heute zum Kern der konstruktivistischen Analyse gehöre: „Die ‚Welt selbst‘ oder ‚die Realität‘, also das ‚Was‘, bleiben unbeobachtet. Beobachtbar sind lediglich die Prozesse der Herstellung von Welt und Realität, also das ‚Wie‘“ (vgl. Bohnsack 2013, S. 177). So bleibt die Dokumentarische Methode nicht dabei stehen, Konstruktionen von Wirklichkeit im Sinne „subjektiver“ Theorien zu rekonstruieren, um sie dann „objektiven“ Strukturen gegenüber zu stellen. Vielmehr erlaubt die mit ihr verbundene Beobachterhaltung, zwischen Objektivismus und Subjektivismus zu vermitteln, indem sie jene „Prozessstrukturen“ zur Explikation bringt, welche den Wirklichkeitskonstruktionen zugrunde liegen (vgl. Bohnsack 2006a, S. 41). Das Konzept des konjunktiven Erfahrungsraumes Der Begriff des „konjunktiven Erfahrungsraumes“ ist eine zentrale grundlagentheoretische Kategorie der Dokumentarischen Methode. Mannheim (1980) bezeichnet damit den jeweiligen sozial und historisch verankerten Erlebniszusammenhang, aus dem heraus atheoretisch-konjunktives Wissen entspringt. Diesen Zusammenhang erläutert Bohnsack u. a. am Beispiel der Zugehörigkeit zu einer Generation (vgl. z. B. Bohnsack/Schäffer 2002). Bohnsack und Mannheim zufolge stellen sich einer jeden Generation alters- und entwicklungstypische, vom jeweiligen Zeitgeist gefärbte schicksalhafte Herausforderungen, die zu generationstypischen, strukturell äquivalenten Erfah-
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rungen führen können (vgl. Bohnsack 2010a, S. 63). Im Sinne der Weiterentwicklung der Dokumentarischen Methode (u. a. Bohnsack 2010b) hat ein Individuum – sei dies nun eine konkrete Gruppe oder eine Person – immer Anteil an mehreren, meist sogar einer Vielzahl, einander überlappender konjunktiver Erfahrungsräume. Diese können zum Beispiel alters-, geschlechts-, bildungs- und migrationstypisch sein (vgl. z. B. Bohnsack et al. 2007, S. 15). Aus der Überlappung mehrerer konjunktiver Erfahrungsräume konstituieren sich soziale Milieus (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010, S. 283). Mitglieder eines Milieus verfügen über einen gemeinsamen Habitus im Sinne Bourdieus. Dieser orientiert das Handeln und Wahrnehmen relativ unabhängig vom subjektiv gemeinten Sinn einer Person, ohne ihr jedoch „exterior“ zu sein (vgl. Bohnsack/Schäffer 2002, S. 253). Das heißt, die Sinnstruktur des Handelns selbst ist bei den Akteuren wissensmäßig repräsentiert, ohne dass diese zum Gegenstand ihrer begrifflich-theoretischen Reflexion wird (vgl. Bohnsack 2013, S. 186). Przyborski erläutert diesen Zusammenhang, indem sie erklärt, dass von den Angehörigen eines Milieus stillschweigend und unhinterfragt gewusst werde, was es bedürfe, um „mitmachen“ bzw. „dazugehören“ zu können (vgl. Przyborsky/Wohlrab-Sahr, 2010, S. 280). So würden Angehörige eines bestimmten Milieus (z. B. Facharbeiter-, Angestellten-, Schülermilieus) oder einer spezifischen subkulturellen15 Gruppierung einander auch dann erkennen, wenn diese einander zuvor noch nie begegnet seien. Empirisch werde dies unter anderem daran deutlich, dass bei kollektiv geteilten Orientierungen in gleicher oder strukturell ähnlicher Weise auf Begriffe Bezug genommen werde, deren Bedeutung sich Außenstehenden nicht unmittelbar erschlösse (vgl. ebd., S. 282f.). Eine solche habituelle Übereinstimmung verweist auf das Vorhandensein eines gemeinsamen, konjunktiven Erfahrungsraumes, welcher sich entweder auf der Grundlage gemeinsam vollzogenen Handelns oder strukturidentischer Erfahrungen konstituieren kann. Dokumentarische Interpretation Das Ziel der dokumentarischen Interpretation ist die begrifflich-theoretische Explikation jener Bedeutungsgehalte, die bei der konjunktiven Verständigung, also einer Verständigung auf der Grundlage gemeinsam geteilter konjunktiver bzw. milieuspezifischer Erfahrungen, von den Angehörigen eines Milieus unmittelbar erfasst werden (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010, S. 284). Anders gesagt geht es um die Explikation von Orientierungen, die die Handlungspraxis eines jeweiligen konjunktiven Erfahrungsraumes strukturieren. Rekonstruiert werden solche Orientierungen im Zuge der Interpretation des dokumentarischen Sinngehaltes der Handlungspraxis selbst (Erhebungsmethode: z. B. teilnehmende Beobachtung, Videografie), Erzeugnissen dieser Praxis (z. B. Bilder, Architektur) oder Erzählungen und szenischen 15 Z. B. „Fankultur“, vgl. hierzu: Fritsche 2003.
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Beschreibungen über diese Handlungspraxis (Erhebungsmethode: z. B. Interview, Gruppendiskussion). Der Weg zum dokumentarischen Sinngehalt führt immer über die Kenntnis des immanenten Sinngehaltes der zu interpretierenden Daten, da nur dieser in expliziter Form vorliegt. Bourdieu (1976) spricht in diesem Zusammenhang vom „modus operandi“, welcher sich im „opus operandum“ der Praxis enthüllt (Bourdieu 1976, S. 209). Aus diesem Grund gilt es, zunächst den immanenten Sinngehalt eines Forschungsgegenstandes systematisch zu erfassen. Hierbei geht es um ein umfassendes Verständnis darüber, was, beispielsweise in einer Erzählung oder innerhalb einer Gruppendiskussion, auf der kommunikativ-generalisierten Ebene ausgetauscht wird, und somit, was der immanente Sinngehalt einer Äußerung ist. Ist der immanente Sinn erfasst, so gilt es, die anfangs eingenommene Beobachtungshaltung – das Fragen nach dem „Was“ – völlig hinter sich zu lassen. Die Analyseeinstellung richtet sich nun auf das „Wie“ der Herstellung von Artefakten, Erzählungen oder Beschreibungen (vgl. Bohnsack 2010, S. 66). Bei der Arbeit am empirischen Material kann es mitunter schwierig sein, die Ebene des immanenten Sinngehaltes zu verlassen, weil sich den Interpretierenden immer wieder auch textimmanente Verständnisfragen aufdrängen können. Eine Hilfestellung zur besseren Orientierung beim Wechsel der Analyseeinstellung findet sich bei Przyborski/ Wohlrab-Sahr (2010). So sei ein Erkennungszeichen dafür, dass man immer noch auf der Ebene des immanenten Sinngehaltes verblieben sei, dass sich der fokussierte Sinngehalt unabhängig von seinem Entstehungszusammenhang auf seine normative Richtigkeit bzw. Gültigkeit hin überprüfen lasse. Beispielsweise ließe sich aus dem immanenten Analysefokus heraus eine Selbstbeschreibung dahingehend betrachten, ob die gemachten Angaben den Sprecher bzw. die Sprecherin adäquat beschreiben, sei es anhand von textimmanenten oder sei es anhand von außen an den Text herangetragenen Maßstäben. Oder es würde – irrtümlicherweise – überprüft werden, ob Beschreibungen in sachlicher Hinsicht richtig seien. Auch komme es häufig vor, dass von den Interpretierenden Vermutungen über Intensionen und Motivlagen angestellt würden (vgl. ebd., S. 277f.). All dies verbleibe jedoch auf der Ebene des immanenten Sinngehaltes und damit, wie Bohnsack es ausdrückt, auf der Ebene von Interpretationen des „Common Sense“ (vgl. Bohnsack 2011, S. 40). Das erkenntnistheoretische Problem solcher Interpretationen bestehe, wie Bohnsack betont, darin, dass diese eher Aufschluss über die Relevanzsysteme der Interpretierenden lieferten als über die der Erforschten (vgl. ebd.). Bourdieu bezieht sich auf den gleichen Sachverhalt, wenn er von der Gefahr des „Ethnozentrismus“ spricht als Resultat einer methodisch nicht kontrollierten, intentionalen „Einfühlung in den Anderen“ (Bourdieu 1976, S. 153). Bohnsack führt das erkenntnistheoretische Problem genauer aus, wenn er schreibt: „Auf diese Weise erfahren wir sehr viel über die Theorien, Vorstellungen und subjektiven Intentionen der Akteure. Allerdings kann die Perspektive des sozialwissenschaftlichen Beob-
94 | K ULTURSENSIBLE A LTENHILFE ? achters von der Perspektive der Akteure auf deren eigenes Handeln, können also Theorie und Handlungspraxis der Akteure methodologisch nicht hinreichend unterschieden werden.“ (Bohnsack 2011, S. 40f.)
Es ist hier aus erkenntnistheoretischen Gründen also von Interesse, den immanenten Sinngehalt nur insofern zu erfassen, wie dies dazu beiträgt, zum dokumentarischen Sinngehalt vordringen zu können. Dies geschieht im Rahmen der Dokumentarischen Methode mittels eines eigenständigen Arbeitsschrittes, den Bohnsack als „formulierende Interpretation“ bezeichnet (vgl. z. B. Bohnsack 2010a, S. 134). Formulierende Interpretation Das Ziel dieses Arbeitsschrittes ist es zum einen, den Wechsel der Analyseeinstellung vom immanenten zum dokumentarischen Sinngehalt klar identifizieren und kontrollieren zu können, zum anderen geht es darum, eine Arbeitsgrundlage für die weitergehende Interpretation zu erstellen (vgl. z. B. Bohnsack 2010a, S. 134f.). Die formulierende Interpretation verbleibt noch vollständig im Bereich des immanenten Sinngehaltes, ohne hierbei jedoch zu dessen Geltungsansprüchen Stellung zu nehmen. Vielmehr gilt es, wie bereits in dem Abschnitt über die beiden Sinngehalte (immanent und dokumentarisch) angesprochen wurde, solche Ansprüche „einzuklammern“ (vgl. Bohnsack 2001, S. 326; vgl. auch: Mannheim 1980, S. 88, S. 93). Bohnsack spricht in diesem Zusammenhang auch von der „Suspendierung von Geltungsansprüchen“ im Hinblick auf faktische „Wahrheit“ und normative „Richtigkeit“ (Bohnsack 2011, S. 42). Von Interesse ist hier vielmehr die Rekonstruktion der thematischen Struktur beispielsweise eines Interviewtextes oder einer Gruppendiskussion. Diese Struktur gilt es anhand von Oberbegriffen, Überschriften und Zusammenfassungen so aufzuschließen, dass diese innerhalb des Orientierungsrahmens des Ursprungstextes verbleibt. Bohnsack bezeichnet diesen Arbeitsschritt als „Interpretation“, weil die thematische Struktur des Textes in der Regel von den Sprechenden nicht thematisiert wird. Diese liegt implizit vor und ist nun zur Explikation zu bringen (vgl. Bohnsack 2010a, S. 134). Das Ergebnis dieses Arbeitsschrittes kann bei den Interpretierenden immer wieder zu Überraschungen führen, denn selbst dann, wenn die Äußerungen im Interview zunächst wenig geordnet, diffus oder auch stark verschachtelt erscheinen, erweist sich die Rekonstruktion der thematischen Gliederungen häufig als äußerst stringent und in dramaturgischer Hinsicht zuweilen sehr geschickt zugespitzt16. Die formulierende Interpretation lässt sich forschungspraktisch gesehen noch einmal in zwei Arbeitsschritte untergliedern. 16 Hier dokumentiert sich ein implizites Können der Interviewten. Bei jüngeren Kindern sowie bei bestimmten psychiatrischen Erkrankungen kann dieses Können weniger stark ausgeprägt sein, entweder, weil es noch nicht voll entwickelt oder krankheitsbedingt be-
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Zu unterscheiden ist erstens, eine Phase der Aufbereitung des Datenmaterials durch Erstellen eines thematischen Verlaufsprotokolls für jeden Einzelfall (Interview oder Gruppendiskussion). Auf dieser Grundlage erfolgt dann zweitens die gezielte Auswahl und sequenzanalytische Rekonstruktion der thematischen Feinstruktur relevanter Passagen (vgl. Bohnsack 2010a, S. 134). In der vorliegenden Arbeit fertigte ich für alle Einzelinterviews zunächst vollständige Transkripte an und erstellte dann für jedes Interview ein thematisches Verlaufsprotokoll als Arbeitsgrundlage für die komparative Analyse. Anhand eines solchen Protokolls (vgl. hierzu auch: Nohl 2009, S. 67f.) ließen sich auch Sequenzen mit dem gleichen Thema in verschiedenen Interviews rasch auffinden, um diese einer vergleichenden Feinanalyse zu unterziehen. Ähnlich verfuhr ich mit den Gruppendiskussionen. Allerdings verzichtete ich hier auf die vollständige Transkription vorab, weil dies einen zu hohen Arbeitsaufwand dargestellt hätte. Stattdessen hörte ich zunächst den digitalen Tonträger ab und notierte mir Ober- und Unterthemen sowie die zugehörigen Minutenangaben in einer Tabelle. Bei diesem Arbeitsschritt vermerkte ich auch Auffälligkeiten, wie das Auftreten von Gesprächsphasen mit einer besonders hohen interaktiven Dichte, weil dies ein Hinweis auf das Vorliegen einer so genannten „Fokussierungsmetapher“ (vgl. Bohnsack 2010a, S. 136f.) sein konnte. Ähnlich wie in Erzählpassagen mit einem hohen metaphorischen Gehalt wird in interaktiv dichten Passagen einer Gruppendiskussion der dokumentarische Sinngehalt in der Regel sehr prägnant zum Ausdruck gebracht (vgl. ebd.). Bei der formulierenden Interpretation ging es jedoch noch nicht um die Deutung des dokumentarischen Sinns von Äußerungen, sondern allein darum, zentrale Passagen thematisch und inhaltlich zu identifizieren. Hierfür ergänzte ich einzelne Themenüberschriften teilweise auch durch kurze Inhaltsangaben der thematischen Passage. Auf diese Weise entstand ein Gesamtüberblick über alle Ober- und teilweise auch Unterthemen in meinem Datenmaterial sowie über Hinweise zu Fokussierungsmetaphern. Dieser Überblick diente mir, wie bereits gesagt, während der Auswertungsphase dazu, systematisch relevante Textpassagen und Sequenzen im Datenmaterial auffinden und für die komparative Analyse auswählen zu können. Die Auswahlkriterien richteten sich zum einen nach meiner Ausgangsfragestellung. So waren insbesondere solche Passagen von Interesse, in denen die Beforschten ihre Handlungspraxis im Umgang mit alten Migrantinnen und Migranten erzählen oder detailliert beschreiben. Zum anderen wählte ich Passagen oder Sequenzen mit solchen Themen, die besonders häufig von den Interviewten selbstläufig genannt worden waren sowie alle Eingangspassagen und Fokussierungsmetaphern für die Feinanalyse aus. Die Eingangspassagen sind insofern bedeutsam, als dass darin meist auch Hinweise darüber einträchtigt ist. Dieser Umstand kann in der Forschung mit solchen Personengruppen berücksichtigt werden (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010, S. 115f; Nentwig-Gesemann 2006).
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enthalten sind, in welchem übergreifenden Erzählrahmen die nachfolgenden Themen von den Beforschten abgehandelt werden. Dies ist wichtig, um entscheiden zu können, ob die nachfolgenden Themen von den Interviewten selbst gesetzt werden und damit ihrem jeweils eigenen Relevanzsystem entsprechen oder ob die Interviewten mit ihren Äußerungen lediglich Aufforderungen nachkommen, welche ich als Interviewerin explizit oder implizit selbst gesetzt habe. Alle ausgewählten Textpassagen wurden, sofern nicht schon geschehen, transkribiert, um sie anschließend einer detaillierten formulierenden Interpretation unterziehen zu können. Hierbei rekonstruierte ich den thematischen Feinaufbau der ausgewählten Passagen. Solche Formulierungen, deren Bedeutung sich nicht gleich aus dem textimmanenten Zusammenhang heraus erklärt, übernahm ich dabei als Originalzitate (z. B. einen „Gaststatus“ in der Wohnung von Pflegebedürftigen haben). Den Übergang zur „reflektierenden Interpretation“ (Bohnsack 2010a, S. 135) markiert ein Wechsel der Analyseeinstellung, mit der das Datenmaterial betrachtet wird. In Bezug auf die Unterscheidung dieser beiden Arbeitsschritte heißt es bei Bohnsack: „Während die formulierende Interpretation als Rekonstruktion […] der thematischen Gliederung zu verstehen ist, zielt die reflektierende Interpretation auf die Rekonstruktion und Explikation des Rahmens, innerhalb dessen das Thema abgehandelt wird, auf die Art
und Wei-
se, wie, d. h. mit Bezug auf welches Orientierungsmuster, welchen Orientierungsrahmen das 17
Thema behandelt wird.“ (Bohnsack 2010a, S. 135, Hervorhebungen im Original)
Reflektierende Interpretation Mit der Reflexion über die Frage, wie etwas thematisiert wird und in welcher Weise Themen aneinandergefügt werden bzw. wie innerhalb von Gruppendiskussionen untereinander auf Themen Bezug genommen wird, beginnt die „reflektierende Interpretation“. Das in seinem Geltungsgehalt eingeklammerte, kommunikativ Ausgetauschte kann nun auch als ein selbst-referentielles System im Sinne Luhmanns (2005) aufgefasst werden (vgl. Bohnsack 2013, S.187). Die Frage lautet dann, wie, also anhand welcher Prinzipien sich dieses System reproduziert (vgl. ebd.). Jede Äußerung stellt aus dieser Perspektive nur noch ein „opus operandum“ (Bourdieu) dar, welches den gesuchten „modus operandi“ (Bourdieu) zu enthüllen vermag bzw. ein „Dokument“ (Mannheim), welches auf das Vorhandensein eines umfassenderen, generierenden und reproduzierenden Prinzips verweist, das jenseits des reflexiven Denkens liegt.
17 Der Begriff „Orientierungsmuster“ dient Bohnsack als Oberbegriff zu den Kategorien „Orientierungsrahmen“ und „Orientierungsschemata“ (vgl. Bohnsack 2012).
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Zu erfassen ist dieses Prinzip, indem recht bald nach dem Beginn der reflektierenden Interpretation auch eine systematische komparative Analyse einsetzt. Hierbei werden zunächst thematisch ähnliche Textabschnitte entweder innerhalb eines Interviews oder fallübergreifend als „empirische Vergleichshorizonte“ (Bohnsack 2010a, S. 137) eingesetzt. Durch diese konsequente empirische Fundierung erhöht sich auch die Validität der Interpretation (vgl. ebd.). Im Rahmen der komparativen Analyse geht es darum, einerseits Kontraste zu einem Textabschnitt oder einem Fall herauszuarbeiten und andererseits strukturelle Äquivalente bzw. Homologien aufzufinden. Bohnsack weist mit Bourdieu und Mannheim darauf hin, dass „Homologien“ zugleich den Zugang zur Besonderheit eines Falles eröffnen als auch zu dessen Generalisierung (vgl. ebd.). Man ist dem Dokumentsinn „auf der Spur“, wie Przyborski schreibt, wenn dieser sich in „strukturidentischer“ bzw. in „homologer Weise“ wiederholt, und zwar sowohl in unterschiedlichen Sequenzen eines Textes als auch auf unterschiedlichen „Ebenen der Gestaltung“ (vgl. Przyborski/WohlrabSahr 2010, S. 285). Zu den Gestaltungsebenen gehören neben dem bildhaften Ausdruck auch körperliche Gesten und Bewegungen sowie die Art, wie der immanente Sinn ausgedrückt, wie gesprochen (z. B. ironisch) und wie im Rahmen einer Gruppendiskussion aufeinander Bezug genommen wird (z. B. überlappend, sich gegenseitig unterbrechend). Zuerst gilt es jedoch, einzelne Orientierungen herauszuarbeiten, zu denen dann Homologien im Material gesucht werden können. Die Frage, wie ein Thema abgehandelt wird, führt zunächst zur Identifizierung explizit oder implizit vorliegender „Gegenhorizonte“, zu denen die Thematik entweder positiv oder negativ ins Verhältnis gesetzt wird (vgl. Bohnsack 2010a, S. 135f.). In dem Datenmaterial, das für die vorliegende Studie interpretiert wurde, stellte für einige der Interviewten das Untersuchungsthema selbst – die Versorgung alter Migranten – bereits einen positiven Gegenhorizont dar, für andere dagegen einen negativen. Im Rahmen der komparativen Analyse wurde deutlich, dass explizite und implizite Positionierung zu dem Untersuchungsthema immer dann in homologer Weise erfolgen, wenn „alte Migranten“ im Rahmen berufsbezogener Aspekte thematisiert werden. Die Art der Positionierung zum Thema „Versorgung alter Migranten“ geschieht hier also aus einem professions- bzw. berufsbezogenen Orientierungsrahmen heraus. Ein solcher Rahmen kann auch als professioneller Habitus bezeichnet werden. Dieser kommt als eine professionelle „Haltung“ zum Ausdruck. Aus dieser Haltung heraus begegnen die Beforschten beruflichen Anforderungen „normalerweise“, d. h. immer dann, wenn sie routinemäßig handeln bzw. so, wie sie es aufgrund ihrer Sozialisationsgeschichte heraus als „richtig“ empfinden, ohne hierüber nachdenken zu müssen. Um einen validen Zugang zum professionellen Habitus und damit zum konjunktiven Erfahrungsraum der Akteure zu erhalten, ist es im Rahmen der Dokumentarischen Methode auch von Bedeutung, die Formalstruktur von Äußerungseinheiten zu rekonstruieren (vgl. Bohnsack 2010a, S. 138). Im Fall von Gruppendiskussionen
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kann hierfür die Art der interaktiven Bezugnahme im Hinblick auf die „Diskursorganisation“ (Bohnsack 2010a, S. 124f.) beobachtet bzw. mittels des Instrumentariums der von Bohnsack forschungspraktisch erarbeiteten gesprächsanalytischen Begriffe rekonstruiert werden18. Dagegen steht bei Rekonstruktionen der Formalstruktur von Einzelinterviews19 die an Fritz Schütze (1983) angelehnte Unterscheidung von „Textsorten“ (Erzählungen, Beschreibungen, Argumentationen) im Vordergrund (vgl. Bohnsack 2010a, S. 66; vgl. auch: Franz/Griese 2010, Nohl 2009). Das Ziel der reflektierenden Interpretation ist die Explikation fallinterner und fallübergreifender Orientierungsrahmen. Die Überführung dieser Rahmen in abgrenzbare, generalisierungsfähige Typen ist das Ziel der sich an diese Arbeitsphase anschließenden Etappe: der Typenbildung. Generalisierung und Typenbildung Wie bereits erwähnt, kommt der komparativen Analyse im Verfahren der Dokumentarischen Methode ein zentraler Stellenwert zu. Durch den gezielten, in ständiger Variation durchzuführenden fallinternen und fallexternen Vergleich wird die Standortgebundenheit der Forschenden nach und nach durch empirische Vergleichshorizonte ersetzt und somit methodisch kontrolliert. Dies erhöht die Validität der Forschungsergebnisse (vgl. Bohnsack 2010a, S. 17f., 182f.). Im Zuge der fallvergleichenden Analyse wird sukzessive eine mehrdimensionale Typologie20 entwickelt. Gemäß den Traditionen der praxeologischen Wissenssoziologie und der
18 Für eine systematische Übersicht von Modi der Diskursorganisation vgl. zuerst: Bohnsack 1989; Przyborski 2004; Bohnsack/Przyborski 2006 u. a. Im Rahmen der Gesprächsanalyse der Dokumentarischen Methode ist streng genommen immer ein Dreischritt der Diskursorganisation zugrundezulegen. Dieser Dreischritt beginnt mit einer „Proposition“, welche immer dort auftritt, wo ein neues Thema beginnt bzw. wo Orientierungsmuster zum Ausdruck gebracht werden. Dies kann durchaus auch arbeitsteilig durch mehrere Sprecherinnen und Sprecher geschehen. Darauf folgt eine Reaktion in Form einer „Anschlussproposition“, einer „Opposition“ oder einer „Antithese“ und hierauf schließlich wieder die Gegenbewegung in Form einer „Synthese“, bei der es zur tatsächlichen oder rituellen „Konklusion“ kommt. Hierauf kann dann wieder die nächste „Diskurseinheit“ beginnen (vgl. Bohnsack 2010a, S. 124f.). 19 Immer wieder werden nicht nur Gruppendiskussionen, sondern auch Einzelinterviews anhand der Dokumentarischen Methode ausgewertet, vgl. z. B.: Bohnsack et al. 1995; Fritzsche 2003; Nohl 2006; Storr 2006; Schondelmayer 2010; Radvan 2010; Franz 2013. 20 Ausführlicher hierzu: Bohnsack 2010b, Anwendungsbeispiele mehrdimensionaler Typenbildung finden sich z. B. in Bohnsack 1989; Nenntwig-Gesemann 1999; Fritzsche 2003; Nohl 2001, 2006; Lamprecht 2012.
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Chicagoer Schule der Soziologie stellt der Prozess der Typenbildung bzw. Typengenerierung eine Leistung der „Abduktion“ dar (vgl. Bohnsack 2011, S. 41f.). Bei diesem auf Charles Sanders Peirce (1839-1914) zurückgehenden Schlussverfahren handelt es sich, streng genommen, um ein informiertes Raten (vgl. Reicherts 2006, S. 11f.). Hierbei wird durch kreatives Schlussfolgern von einer bekannten auf zwei unbekannte Größen geschlossen. Im Gegensatz zu den logischen Schlussverfahren der „Deduktion“ und der „Induktion“, bei denen „Wahrheiten“ oder „Wahrscheinlichkeiten“ lediglich übertragen werden (vom Allgemeinen zum Besonderen und vice versa), ist bei der „Abduktion“ die Möglichkeit gegeben, tatsächlich etwas „Neues“ herauszufinden21. Insofern kann die Abduktion auch als der erste Teil einer umfassenden Logik der Forschung angesehen werden (vgl. ebd.). Ein fundamentales Prinzip der Generierung einzelner Typiken im Rahmen der Dokumentarischen Methode und „zugleich die Klammer, die eine ganze Typologie zusammenhält“ ist die Suche nach der Gemeinsamkeit im Kontrast und dem Kontrast in der Gemeinsamkeit (vgl. Bohnsack 2010a, S. 143). Dieses Prinzip kommt in den beiden im Folgenden beschriebenen Stufen der Typenbildung zur Anwendung: a) der sinngenetischen und b) der soziogenetischen Typenbildung. a) Sinngenetische Typenbildung Das den (Fall-)Vergleich strukturierende gemeinsame Dritte, das tertium comparationis, ist zunächst in der Regel ein gemeinsames oder vergleichbares Thema (vgl. Bohnsack 2013, S. 194). In der vorliegenden Arbeit stellt zum Beispiel der Umgang mit „schwierigen“ Fällen ein solches, wiederkehrendes Thema dar (vgl. 4.2.2, 4.3.2 und 4.4.2). In allen Fällen, die in die sinngenetische Typenbildung einbezogenen wurden, kommt dieses Thema selbstläufig zur Sprache. Die Orientierungsfigur, welche in die Behandlung dieses Themas eingelassen ist, wurde im Zuge der fallübergreifenden Betrachtung sukzessive abstrahiert. Die erste Stufe der Generierung von Typen, also die sinngenetische Typenbildung, ist dann erreicht, wenn fallübergreifend, über alle Kontraste hinweg, ein gemeinsamer Habitus bzw. Orientierungsrahmen oder ein allen gemeinsames Orientierungsproblem erkennbar wird. Im Fall der vorliegenden Studie kristallisierte sich im Zuge des Fallvergleiches ein fallübergreifendes berufsbezogenes Orientierungsproblem heraus. Dieses besteht in der Notwendigkeit, in der Versorgungspraxis fortwährend zwei kategorial unterschiedliche Handlungslogiken miteinander vereinbaren zu müssen, nämlich verstehendes Handeln und instrumentelles. Die sinngenetische Typenbildung mündet in der Unterscheidung drei verschiedener Modi des Umgangs mit diesem Orientierungs21 Im Sinne der Dokumentarischen Methode wird hier eine den Interpretierenden bisher unbekannte (den Erforschten jedoch implizit verfügbare) Regel zur Explikation gebracht und in diesem Sinne generiert.
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problem. Diese Modi entsprechen verinnerlichten professionellen Grundhaltungen. Man kann auch sagen, es liegen drei verschiedene habituelle Versorgungsstile vor. Mit den sinngenetischen Typen werden nun zwar Unterschiede im professionellen Handeln empirisch gehaltvoll beschrieben. Jedoch können diese Unterschiede auf dieser Stufe der Typenbildung noch nicht bezüglich ihrer soziostrukturellen Entstehungszusammenhänge erklärt und damit auch noch nicht über die untersuchten Fälle hinausgehend generalisiert werden. Denn, wie Bohnsack schreibt, ist das „Niveau der Validität wie auch der Generalisierung einer Typik“ davon abhängig, „wie vielfältig, d. h., mehrdimensional, diese Typik innerhalb einer ganzen Typologie verortet werden kann“ (Bohnsack 2010b, S. 61). b) Soziogenetische Typenbildung Im Zuge der soziogenetischen Typenbildung geht es darum, den existenziellen Erfahrungs- bzw. Entstehungshintergrund der sinngenetischen Typen herauszuarbeiten. In der vorliegenden Arbeit ist hierbei die Frage zu beantworten, wie sich die Unterschiede im professionellen Habitus der Beforschten erklären lassen. Die Einheit, welche einer komparativen Analyse unterzogen wird, ist auf dieser Stufe der Typenbildung nicht mehr der jeweilige Fall. Vielmehr werden die Fälle nur noch als Träger von Orientierungen betrachtet, welche für bestimmte Erfahrungsräume typisch sind. Somit vollzieht sich im Laufe des Forschungsprozesses schrittweise eine Abstraktion von den Einzelfällen. Jetzt werden nur noch diejenigen Dimensionen des Falles fokussiert, die sich im Zuge der komparativen Analyse als konstitutive Merkmale der konjunktiven Erfahrungsräume herausgestellt haben. Die soziogenetische Typenbildung kann dann als abgeschlossen gelten, wenn nicht nur unterschiedliche Orientierungsrahmen in Bezug auf einen gemeinsam geteilten konjunktiven Erfahrungsraum voneinander abgegrenzt werden können (dies entspricht der sinngenetischen Typenbildung), sondern wenn diese Unterschiede darüber hinaus auch plausibel erklärt werden können bzw. wenn nachgewiesen werden kann, unter welchen Bedingungen ein Orientierungsrahmen bzw. professioneller Habitus systematisch nicht auftritt (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010, S. 299).
5 Annäherung an das Forschungsfeld soziale Altenhilfe
Nachdem nun die methodischen Grundlagen der Dokumentarischen Methode für den praxeologisch-rekonstruktiven Teil der vorliegenden Studie dargelegt wurden und bevor im folgenden Kapitel der Feldzugang, die Methoden der Datenerhebung sowie die Auswahl der Interviewpersonen erläutert werden, soll zunächst noch eine Annäherung an das Forschungsfeld in Form einer Beschreibung der Rahmenbedingungen und Strukturen der sozialen Altenhilfe erfolgen.
5.1 R ECHTLICHE R AHMENBEDINGUNGEN Die Wurzeln der sozialen Altenhilfe liegen in der Armenfürsorge. Juristisch gesehen war und ist sie Teil der selbstverwalteten kommunalen Daseinsvorsorge1. Diese stellt subsidiär sowohl im Einzelfall als auch für Gruppen von Bedürftigen notwendige Ressourcen zur Exklusionsvermeidung und Inklusionsvermittlung bereit (vgl. Aner 2010, S. 33). Im Gegensatz zur „Kinder- und Jugendhilfe“, welche auf der Grundlage des Achten Sozialgesetzbuches (SGB VIII) geregelt wird, ist „der Sachbereich soziale Altenhilfe“ rechtlich durch eine „schwache Regulierung“ gekenn1
Der Begriff der „Daseinsvorsorge“ geht auf Forsthoff (1938) zurück. Die kommunale Daseinsvorsorge umfasst die Sicherstellung der Grundversorgung aller Bürgerinnen und Bürger. Hierunter fallen die Gewährleistung von gemeinwohlorientierten Einrichtungen im Sozial-, Gesundheits-, Bildungs- und Kulturwesen sowie die Sorge für größtmögliche Zugangsgerechtigkeit zu diesen Diensten (vgl. Olk 2007). Als ein Aspekt des Sozialstaatsprinzips (Grundgesetz: Artikel 20, Abs. 1) wird die kommunale Daseinsvorsorge durch das grundgesetzlich verankerte Gestaltungsrecht der Kommunen in „allen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ geschützt (GG: Artikel 28, Abs. 2). Allerdings verfügen die Kommunen über eine subsidiäre Gewährleistungsverantwortung, d. h., sie sind nicht verpflichtet, öffentliche Aufgaben primär in eigener Zuständigkeit zu verwirklichen (vgl. Olk 2007).
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zeichnet (Aner 2010, S. 33). So war seit 1962 das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zuständig (§ 75) und seit 2005 das Zwölfte Sozialgesetzbuch (SGB XII, § 71). Im SGB XII heißt es hierzu, die Altenhilfe habe das Ziel, „Schwierigkeiten, die durch das Alter entstehen, zu verhüten, zu überwinden oder zu mildern und alten Menschen die Möglichkeit zu erhalten, am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen“ 2 (SGB XII, § 71, Abs.1) . Ausdrücklich gefordert wird in § 71 (SGB XII) darüber hinaus, dass Hilfe einkommensunabhängig und auch vorbereitend gewährt werden soll. Die Anwendungspraxis dieser gesetzlichen Grundlage orientiert sich seit Mitte der 1970er Jahre insbesondere auf präventive und offene3 Angebote, ohne dabei vorzuschreiben, von welchen Berufsgruppen diese zu erbringen sind (vgl. Aner 2010, S. 33). Der gesetzliche Rahmen bietet aber grundsätzlich ein breites Betätigungsfeld für Fachkräfte der Sozialen Arbeit/Sozialpädagogik (vgl. ebd.). Einen eigenen Aufgabenbereich im Feld der Altenhilfe finden pflegerische Berufe (Altenpflege, Gesundheits- und Krankenpflege). Dieser wird – in Abgrenzung zur sozialpädagogisch dominierten „Altenarbeit“ – als „Altenpflege“ bezeichnet. Bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts existierte für diesen pflegerischen Tätigkeitsbereich der Altenhilfe keine bundeseinheitliche Berufsausbildung. Dies änderte sich erst in Folge der Einführung der Pflegeversicherung (SGB XI) im Jahr 1995. Von nun an setzte im Feld der Altenhilfe eine deutliche Verschiebung vom Sozial- zum Gesundheitswesen ein. Hierdurch, so fürchten viele Fachleute, droht der Aspekt der traditionell sozial-pflegerisch und sozialpädagogisch ausgerichteten Unterstützung alter Menschen zugunsten einer medizinisch-somatisch orientierten „Altenpflege“ verdrängt zu werden4. Zwar zeigt sich allmählich eine dahingehende Entwicklung an, dass der im Pflegeversicherungsgesetz verankerte Pflegebegriff (SGB XI, § 14) „ganzheitlicher“ und „lebensweltorientierter“ gefasst werden soll. Jedoch sind die Finanzierungs- und Umsetzungspraxis immer noch einem somatisch-medizinischen Paradigma verhaftet (vgl. Hahn 2010, S. 83; Dibelius/Uzarewicz 2006, S. 25ff.). So umfasst der Leistungskatalog der Pflegeversicherungsleistungen vor allem instrumen2
Quelle: http://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbxii/71.html (05.02.2015).
3
Zur „offenen Altenhilfe“ vgl. in diesem Kapitel: 5.3 Angebotsstrukturen der Altenhilfe.
4
Manifest wird diese Entwicklung auch an der Neuordnung der Altenpflegeausbildung. Das im Jahr 2003 eingeführte, bundesweite Gesetz über die Berufe in der Altenpflege (AltPflG) und die neue Ausbildungs- und Prüfungsverordnung (AltPflAPrV) wurde politisch als eine Aufwertung und Modernisierung des Berufsprofils der Altenpflege gehandelt. Die Neuerungen gehen jedoch zu Lasten der traditionell in diesem Bereich verwurzelten sozialpflegerischen Tätigkeitsanteile. Dagegen wurde der Anteil medizinischpflegerischer Lerninhalte deutlich ausgeweitet und stark am Tätigkeitsfeld der Krankenpflege orientiert. So ist jetzt z. B. auch die Befähigung zur Durchführung ärztlicher Assistenzaufgaben im Rahmen von Therapie und Diagnostik gesetzlich festgeschrieben. http:// www.altenpflegeausbildung.net/startseite/altenpflegegesetz-des-bundes.html (05.02.2015).
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telle, körperbezogene Hilfen (z. B. Hilfe bei der Körperpflege). Die Erbringung dieser Versicherungsleistungen ist ärztlich zu verordnen und wird durch den medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) kontrolliert. Die demografische Entwicklung und der soziale Wandel in der bundesdeutschen Gesellschaft haben dazu geführt, dass Altenpolitik als kommunales Politikfeld vielerorts einen erheblichen Zuwachs an Aufmerksamkeit erfährt. Der wachsende Anteil der Altenbevölkerung, die stärkere Wahrnehmung unterschiedlicher Lebenslagen und Lebensstile sowie die weitere Differenzierung von Zielgruppen sozialer Altenhilfe fordern neue Antworten der kommunalen Daseinsvorsorge. Altenplanung ist dabei jedoch an gesetzliche Vorgaben und politisch-normative Zielsetzungen gebunden und daher nur in der methodischen Anlage der Planung wirklich „frei“ (vgl. Reichert/Schmitz 2002, S. 5).
5.2 P ARADIGMEN UND L EITBILDER : ALTENPOLITIK UND ALTENHILFE Ein grundlegendes Leitbild der bundesdeutschen Altenpolitik ist der Grundsatz „ambulant vor stationär“. Diesem zufolge hat das oberste Ziel aller Hilfen darin zu bestehen, stationäre Versorgung zu vermeiden oder ihr Eintreten hinauszuzögern, um den Betroffenen ein weitgehend selbstständiges und selbstbestimmtes Leben im Alter im eigenen Wohnraum zu ermöglichen (vgl. Schweppe 2005, S. 336; BMFSFJ 2001, S. 267f.). Zwar liegen diesem Leitbild auch finanzielle Erwägungen zugrunde. Jedoch wird vielfach davon ausgegangen, dass dieser Grundsatz auch dem Wunsch der Mehrheit der alten Menschen entspricht. Eine primär medizinische Auslegung dieses altenpolitischen Leitbildes würde daher zu kurz greifen. Vielmehr stellt der Aspekt der Selbstbestimmung einen zentralen Wert der Altenpolitik dar. Dieser wird sowohl in den Leitbildern sozialer Altenarbeit betont (vgl. BMFSFJ 2001, S. 238) als auch im Pflegeversicherungsgesetz (vgl. SGB XI § 2 Ab 1). So lautet die entsprechende Zielvorgabe im Gesetzestext: „Die Leistungen der Pflegeversicherung sollen den Pflegebedürftigen helfen, trotz ihres Hilfebedarfs ein möglichst selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht“ (SGB XI, § 2 Ab. 1). Ähnlich orientiert heißt es im dritten Altenbericht der Bundesregierung: „Eine moderne soziale Altenarbeit muss sich am Anspruch und an den Rechten älterer Menschen auf Selbstbestimmung orientieren und sie offensiv vertreten (Autonomieorientierung). Sie knüpft an das an, was für alte Menschen sinnvoll sowie handlungsrelevant ist (Lebensweltorientierung).“ (BMFSFJ 2001, S. 238)
Die Auslegung und Umsetzung der Forderung nach Autonomie im Alter wird insbesondere in den medizinisch-pflegerisch konnotierten Handlungsfeldern der Al-
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tenhilfe oft auf körperbezogene Aspekte verkürzt im Sinne der Erhaltung von Bewegungsfähigkeit oder der Fähigkeit zur selbständigen Lebensführung (vgl. Falk et al. 2011). Die Aspekte der Autonomie und der Lebensweltorientierung gewichten auch jene Leitbilder vom Alter(n) bzw. „Altersbilder“ (vgl. Göckenjan 2000, Niederfranke et al. 1999 u. a.)5 unterschiedlich, welche die Entwicklung von Angebotsstrukturen der „Altenarbeit“ in der Vergangenheit prägten und teilweise bis heute noch wirksam sind (vgl. Schweppe 2005, Zeman 1996, BMSFJ 2001). Einige Aspekte dieser Altersleitbilder laufen der Forderung nach Autonomie und Lebensweltorientierung sogar zuwider (vgl. Hahn 2011, S. 84). Insbesondere das Leitbild des „betreuten Alters“ der 1960/70er Jahre ist in die Kritik von Fachleuten geraten. Dieses Altersbild geht vom Alter als einer Lebensphase des körperlichen, geistigen und seelischen Verfalls aus. Altenarbeit wird entsprechend als ein Angebot konzipiert, welches den alten Menschen umsorgt und unterhält. Hahn (2011) weist darauf hin, dass dieses Leitbild bis heute in traditionellen Altenbegegnungsstätten und Altenclubs präsent ist, in denen sich die angebotenen Aktivitäten beispielsweise auf „geselliges Kaffeetrinken und Diavorträge“ beschränken (Hahn 2011, S. 84). Ebenso komme dieses Altersleitbild in einigen Beratungsverständnissen zum Ausdruck, welche thematisch auf Betreuung, Hilfe und Versorgung verengt seien (vgl. Hahn ebd.). Abgelöst wird das Leitbild des betreuten Alters in den 1980er Jahren zunehmend von dem des „aktiven Senioren“. Dieses Altersleitbild stellt insofern einen Gegenentwurf zum betreuenden Ansatz dar, als dass Rückzugstendenzen und drohendem Verfall nun mittels kontinuierlicher Aktivität begegnet werden soll. Ab jetzt gilt es, den alten Menschen zu „aktivieren“ und dementsprechend stärker zur Mitwirkung an Sport- und Freizeitbetätigungen zu motivieren. Kritisiert wird von Fachleuten hierbei weniger die Idee der „Aktivierung“ als vielmehr eine Tendenz zur inhaltlichen Standardisierung entsprechender Angebote. So würde alten Menschen durch den Zuschnitt der Seniorenangebote eine altershomogene Nische zugewiesen. Dies werde der Pluralität von Lebensstilen im Alter nicht gerecht (vgl. Schweppe 2005, S. 333; Zeman 1996, S. 42f.). Die Forderung, die Vielfalt von Lebensformen und Lebensstilen in den Angeboten der Altenhilfe aufzugreifen und zu berücksichtigen, gewinnt insbesondere seit den 1990er Jahren zunehmend an Bedeutung. Beratungsangebote sollen nun so konzipiert sein, dass typische Lebensentwürfe bei den Ratsuchenden nicht mehr vorweg erwartet werden können. Vielmehr soll vonseiten der Beratenden flexibel auf heterogene Beratungsanforderungen reagieren werden können (vgl. Hahn 2011, 5
Die Begriffe „Altersbild“, „Altersleitbild“ und „Leitbild“ werden hier als Synonyme verwendet. Nach Göckenjan (2000) handelt es sich bei „Altersbildern“ um „Kommunikationskonzepte“ (vgl. ebd., S. 14). Diese liegen auf der Ebene von Programmatiken und Diskursen. Schäffer (2009) bezieht sich ebenfalls auf diese Ebene, wenn er von „Denkbildern“ spricht.
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S. 86; Karl 2007, S. 282). Schweppe (2005) spricht in diesem Zusammenhang vom „gestaltenden Alter“, das Beratung im Sinne einer selbstreflexiven Gestaltung dieser Lebensphase ins Zentrum rücken solle (vgl. ebd., S. 334). In eine ähnliche Richtung weisend, wenn auch mit jeweils leicht abweichender Konnotation, wird ab den 1990er Jahren auch zunehmend vom „produktiven“ oder vom „neuen Alter“ gesprochen (vgl. Zeman 1996, S. 43f.) bzw. von den „jungen Alten“ und vom „healthy aging“ (vgl. kritisch: van Dyk 2009). Gemeinsam ist allen diesen Altersleitbildern, dass hiermit stets Modernisierungsanforderungen an die Ausrichtung und Gestaltung von Angeboten der Altenhilfe zum Ausdruck gebracht werden. Diese normativen Anforderungen bewegen sich insgesamt in einem Spannungsfeld zwischen Fürsorge, Autonomie und Selbstverpflichtung.
5.3 ANGEBOTSSTRUKTUREN DER ALTENHILFE Die vielfältigen Angebote im Feld der Altenhilfe werden häufig anhand der folgenden Einteilung, hier nach Schweppe (2005), strukturiert: • • • •
offene Altenarbeit, ambulante Altenarbeit, teilstationäre Angebote, stationäre Angebote.
Die „offene Altenhilfe“ weist im Gegensatz zu den anderen Bereichen keine klaren Konturen auf. Sie schließt sowohl die Bildungs- und Kulturarbeit mit alten Menschen wie auch pflegeflankierende Maßnahmen mit ein. Die Angebote reichen von der traditionellen Altenclubarbeit (Seniorentanz, Erzählcafés, Freizeitangebote) über Bildungsangebote, Wissensbörsen und Expertendienste bis hin zum bürgerschaftlichen Engagement in Seniorenbüros und Mehrgenerationenhäusern (vgl. Schweppe 2005, S. 332f.). Die „ambulante Altenhilfe“ hat sich insbesondere in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts sprunghaft entwickelt. Richtungsweisend für diese Entwicklung war die Einführung von „Sozialstationen“ – auch als „ambulante Pflegedienste“ bezeichnet – in denen erstmals die häusliche Krankenpflege, die ambulante Altenpflege sowie die Haus- und Familienpflege gebündelt wurden. Ergänzt wird dieses Angebot durch Soziale Arbeit und häufig weitere Hilfsdienste, die von Essen auf Rädern bis zu Hilfsleistungen im Haushalt eine breite Palette von Unterstützungsleistungen umfassen (vgl. Belardi/Fisch 1999, S. 120f.). Nach der Definition der Gesundheitsberichterstattung des Bundes (GEB) sind ambulante Pflegedienste
106 | K ULTURSENSIBLE A LTENHILFE ? „selbständig wirtschaftende Einrichtungen, die unter ständiger Verantwortung einer ausgebildeten Pflegefachkraft Pflegebedürftige in ihrer Wohnung pflegen und hauswirtschaftlich versorgen. Zusätzlich gehört üblicherweise die medizinische Behandlungspflege zum Leistungsspektrum der Einrichtungen.“ (GEB 2013)6
Gemäß der Pflegestatistik des Statistischen Bundesamtes wurden im Jahr 2011 in ganz Deutschland etwa 12.300 Sozialstationen bzw. ambulante Pflegedienste betrieben. Die Tendenz ist steigend. Im Vergleich zum Jahr 2009 ist die Anzahl der ambulanten Dienste beispielsweise um 300 Einrichtungen (2,7 %) angestiegen. Die Anzahl der durch diese Versorgungsform Betreuten stieg im selben Zeitraum um 21.000 Personen bzw. 3,2 % (vgl. Statistisches Bundesamt: Pfaff 2013, S. 7)7. Der „teilstationäre Bereich“ ist der jüngste und bisher am wenigsten entwickelte Sektor der Altenhilfe. Er umfasst Angebote für alte Menschen, die temporär außerhalb ihrer eigenen Wohnung versorgt werden. Hierunter fallen die Kurzzeitpflege, d. h. eine stationäre aber zeitlich begrenzte Unterbringung in einer Pflegeeinrichtung, wie auch Angebote der Tages- und Nachtpflege in speziellen Einrichtungen. Alle Angebote dienen primär der Entlastung der pflegenden Angehörigen oder sollen helfen, eine Übersiedlung in ein Pflegeheim zu verhindern oder zu verzögern (vgl. Schweppe 2005, S. 339). Zudem erhalten Pflegebedürftige hierdurch eine Möglichkeit, soziale Kontakte außerhalb der eigenen Wohnung aufzubauen und Geselligkeit in einem unterstützenden Umfeld zu pflegen. Die „stationäre Altenhilfe“ bietet den Seniorinnen und Senioren Unterstützung bei der Bewältigung des alltäglichen Lebens. Laut der Pflegestatistik des Statistischen Bundesamtes wurden in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2011 rund 12.400 stationäre Pflegeeinrichtungen im Sinne der Pflegeversicherung (SGB XI) betrieben (Statistisches Bundesamt: Pfaff 2013, S. 10). Nach Hirt (2004) umfassen die Aufgabenbereiche in der stationären Altenhilfe im Kern folgende Leistungen: • • • • • •
Ständige Präsenz von Fachpersonal, Umfassende Pflege, Versorgung und Betreuung zur Erhaltung von physischen und psychischen Fähigkeiten, Therapie (z. B. von Demenzkranken, Wundversorgung), Sterbebegleitung, Beziehungsarbeit, Unterstützung im Haushalt (speziell in Altenwohnheimen).
6
www.gbe-bund.de Rubrik „Pflege“ (21.10.2013).
7
Quelle: Pfaff, H. (2013): Pflegestatistik 2011 – Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung. Deutschlandergebnisse. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt www.destatis.de (21.10.2013).
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Zu den Einrichtungen der stationären Altenhilfe gehören „Altenwohnheime“, „Altenheime“, „Altenpflegeheime“ und „Altenwohnstifte“. Diese unterscheiden sich in der Hauptsache in der angebotenen Intensität der Betreuung und Pflege. Hierbei bietet das „Altenpflegeheim“ die intensivste Form der Betreuung an (vgl. Hirt 2004, S. 229). Das „Altenwohnheim“ ist mit dem Konzept des betreuten Wohnens zu vergleichen. Meist handelt es sich hierbei um einen Gebäudekomplex mit Wohnungen, die speziell für Seniorinnen und Senioren bestimmt sind und von diesen regulär angemietet werden können. Solche Wohnungen sind barrierefrei, mit einem Notrufsystem versehen und meist auf Ein- bis Zweipersonenhaushalte zugeschnittenen. Es besteht die Möglichkeit, zusätzlich ambulante Dienstleistungen, wie „Essen auf Rädern“, Hilfe im Haushalt und medizinisch-pflegerische Versorgung in Anspruch zu nehmen. Im „Altenheim“ leben ältere Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, selbständig einen Haushalt zu führen. Das Altenheim bietet Unterkunft, Verpflegung und Betreuung. Die Bewohnerinnen und Bewohner weisen in der Regel noch keinen anerkannten Pflegebedarf im Sinne der Pflegeversicherung auf. Das „Altenpflegeheim“ betreut Seniorinnen und Senioren, die darüber hinaus einen definierten Pflegebedarf haben. Das Fachpersonal gewährleistet eine bedarfsgerechte medizinische Pflege nach SGB V (Krankenversicherung) und SGB XI (Pflegeversicherung). Das „Altenwohnstift“ kann gehobeneren Ansprüchen der Bewohnerinnen und Bewohner durch deren finanzielle Eigenbeteiligung gerecht werden. Die Pflegestatistik der Gesundheitsberichterstattung des Bundes (GEB) unterscheidet in Bezug auf die Angebotsstrukturen pflegerischer Versorgung zwischen „ein- und mehrgliedrigen“ Pflegeeinrichtungen8. Während eingliedrige Pflegeeinrichtungen ausschließlich ambulante oder ausschließlich stationäre Pflege nach dem Elften Sozialgesetzbuch (Pflegeversicherung) anbieten, halten mehrgliedrige Einrichtungen sowohl ambulante als auch teil- und/oder vollstationäre Pflegeleistungen bereit. Laut der Pflegestatistik bezogen auf das Jahr 2011 ist bei jedem fünften Heim neben dem Pflegebereich auch ein Altenheim oder betreutes Wohnen organisatorisch angeschlossen. Dort werden ältere Menschen betreut, die in der Regel noch keine Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalten (vgl. Statistisches Bundesamt: Pfaff 2013, S. 16).
5.4 T RÄGERSTRUKTUREN Die Angebote der Altenhilfe, seien diese nun offen, ambulant, teilstationär oder stationär, sind bei unterschiedlichen Trägern der Altenhilfe angesiedelt. Vereinfacht
8
www.gbe-bund.de Rubrik „Pflege“ (21.10.2013).
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gesehen lassen sich drei Trägerformen unterscheiden: „öffentliche“, „freigemeinnützige“ und „privat-gewerbliche“ Träger (vgl. Merchel 2008, S. 12). Zu den „öffentlichen Trägern“ zählen der Bund sowie die Länder und Kommunen. Bei den Kommunen lassen sich wiederum Kreise, Städte und Gemeinden als Träger unterscheiden. So können beispielsweise eine Altenwohnanlage oder ein Seniorenclub in städtischer Verwaltung liegen oder von einer Gemeinde getragen werden. Zu den öffentlichen Trägern zählen auch alle Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechtes. Zu den „freien“ bzw. „freigemeinnützigen Trägern“ zählen die sechs Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege und eingetragene Vereine. Die Spitzenverbände sind auf der Bundesebene durch die Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) vertreten. Gemessen an allen Bereichen der sozialen Daseinsvorsorge – hierzu gehören z. B. auch die Kinder- und Jugendhilfe, die Behindertenhilfe und Krankenhäuser – wird der Anteil der freien Wohlfahrtspflege an den sozialen Diensten in der Bundesrepublik Deutschland auf etwa 42 % geschätzt (vgl. Merchel 2011, S. 245)9. Bezogen auf das Jahr 2002 lag der Anteil von Trägern der freien Wohlfahrtspflege an den sozialen Diensten im Feld der Altenhilfe bei rund 65 % (vgl. Schilling 2005, S. 419). Zu den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege gehören: die Arbeiterwohlfahrt (AWO), der Deutsche Caritasverband (DCV) für die katholische Wohlfahrtspflege, der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (Der PARITÄTISCHE), das Deutsche Rote Kreuz (DRK), die Diakonie Deutschland im Evangelischen Werk für Entwicklung (Diakonie) für die evangelische Wohlfahrtspflege und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) für die jüdische Wohlfahrtspflege. Sie alle haben den steuerlichen Status der Gemeinnützigkeit, d. h., sie erfüllen ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke im Sinne des § 51 der Abgabenverordnung. Die Anstellung bei einem weltanschaulich oder kirchlich gebundenen Träger setzt oft auch eine formale Mitgliedschaft in Institutionen der jeweiligen Werte- oder Religionsgemeinschaft voraus, welcher der Träger selbst verpflichtet ist (z. B. evangelische, jüdische, katholische Religionszugehörigkeit), zumindest jedoch ein Bekenntnis zu bzw. eine Orientierung an den entsprechenden Werten. Die „privatgewerblichen“ Trägerstrukturen tragen weder den Status der Gemeinnützigkeit noch sind sie Bestandteil der kommunalen Selbstverwaltung. Hierbei handelt es sich um Einzelpersonen oder privatwirtschaftliche Vereinigungen, die beispielsweise eine Sozialstation bzw. einen ambulanten Pflegedienst betreiben oder eine Seniorenwohnanlage, um hierdurch auch Gewinne zu erwirtschaften. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (bpa) ist mit rund 8.000 Mitgliedern ihre 9
Merchel bezieht sich hier auf eine Quelle aus dem Jahr 2000. In ausgewählten Bereichen der sozialen Daseinsvorsorge liegt der „Marktanteil“ der freien Träger sehr viel höher. So beträgt er in der Behindertenhilfe beispielsweise etwa 84 % (vgl. Schilling 2005, S. 491).
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größte Interessenvertretung10. Unter den Angeboten der Altenhilfe sind privatgewerbliche Träger insbesondere im Bereich der ambulanten Pflegedienste vertreten. Gemäß der Pflegestatistik bezogen auf das Jahr 2011 befanden sich zum Stichtag etwa 63 % der ambulanten Einrichtungen in privater Trägerschaft (Statistisches Bundesamt: Pfaff 2013, S. 10). Von den derzeit knapp 12.300 zugelassenen ambulanten Diensten insgesamt entfallen also rund 7.800 auf privatgewerbliche Träger. Dagegen sind rund 4.400 Sozialstationen in der Hand freigemeinnütziger Träger. Zwar stellen freigemeinnützige Träger somit nur 36 % der Angebote in diesem Segment (vgl. ebd.). Jedoch haben die Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege auch hier noch den höchsten „Marktanteil“ gegenüber den anderen beiden Trägerformen. Denn von derzeit rund 576.000 Nutzerinnen und Nutzern ambulanter Pflegeleistungen werden etwa 280.000 von privat betriebenen Diensten versorgt und rund 287.000 durch Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege. Private Anbieter sind also durchgängig kleiner. Während bei einem privaten Anbieter im Durchschnitt 36 Personen versorgt werden, sind es bei wohlfahrtsverbandlich organisierten fast doppelt so viele, nämlich 65 Personen (vgl. ebd.). Gemäß den Vorgaben der Pflegeversicherung (SGB XI) kommt den freigemeinnützigen und den privatgewerblichen ein Vorrang vor den öffentlichen Trägern zu. Entsprechend gering ist der Anteil öffentlicher Träger mit knapp 170 ambulanten Pflegediensten in ganz Deutschland. Dies entspricht einem Anteil von nur einem Prozentpunkt (1 %) am Angebot der ambulanten Pflege (vgl. ebd.). Der im Folgenden aufgeführten Tabelle (Tabelle 2)11 sind die genauen Zahlenverteilungen getrennt nach Trägerstrukturen zu entnehmen. Tabelle 2: Marktanteile Pflegedienste und betreute Pflegebedürftige: ambulante Pflegedienste
betreute Pflegebedürftige
Pflegebedürftige je Pflegedienst
Insgesamt
12.349
576.264
46,7
private Träger
7.772
279.964
36,0
freigemeinnützige Träger
4.406
287.244
65,2
öffentliche Träger
171
9.056
53,0
10 http://www.bpa.de/ (27.10.2013). 11 Diese Tabelle wurde am 21.10.2013 unter www.gbe-bund.de erstellt. Sie bezieht sich auf das Jahr: 2011, Region: Deutschland.
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Bei den teil- oder vollstationären Pflegeeinrichtungen ist die führende Position der freigemeinnützigen Träger noch etwas deutlicher: von derzeit knapp 12.400 zugelassenen Pflegeeinrichtungen befanden sich gemäß der Pflegestatistik für das Jahr 2011 etwa 53 % in freigemeinnütziger Trägerschaft (vgl. Statistisches Bundesamt: Pfaff 2013, S. 16). Dagegen betrug der Anteil privater Träger hier rund 40 %. Dieser liegt somit deutlich niedriger als im ambulanten Bereich. Den geringsten Marktanteil haben auch im stationären Segment die öffentlichen Träger mit rund 5 %. Ähnlich wie auf dem ambulanten sind auch auf dem stationären Sektor die Einrichtungen privater Anbieter etwas kleiner. Dort werden im Durchschnitt 55 Pflegebedürftige betreut. In Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege sind es dagegen durchschnittlich 64 Personen. Aus der folgenden Tabelle (Tabelle 3)12 sind die genauen Zahlenverhältnisse zwischen den verschiedenen Trägerformen zu entnehmen. Dort wird anhand von Jahresangaben (2001, 2009, 2011) auch ersichtlich, dass sich ein Wachstumstrend bei der stationären Versorgung abzeichnet. So ist die Anzahl der Pflegeeinrichtungen im Jahr 2011 beispielsweise gegenüber dem Jahr 2009 um rund 700 angestiegen. Dies entspricht einem Wachstum von rund 6,2 % (vgl. Statistisches Bundesamt: Pfaff 2013, S. 17). Tabelle 3: Entwicklung der Marktanteile in der stationären Versorgung Anzahl Einrichtungen pro Jahr: 2001
2009
2011
stationäre Pflegeeinrichtungen insgesamt
9.165
11.634
12.354
private Träger
3.286
4.637
4.998
freigemeinnützige Träger
5.130
6.373
6.721
749
624
635
öffentliche Träger
Ein Anstieg der Versorgungszahlen, wenn auch etwas geringer, zeichnet sich ebenso auf dem ambulanten Sektor ab. Hier stieg die Anzahl der durch die Pflegeversicherung zugelassenen Pflegedienste im Vergleich zum Jahr 2009 um 2,7 % bzw. um 300 Einrichtungen (vgl. Statistisches Bundesamt: Pfaff 2013, S. 11). Die Anzahl der ambulant versorgten Personen stieg im gleichen Zeitraum, also in den Jahren 2009 bis 2011, um 3,8 % bzw. um 21.000 Personen (vgl. ebd.).
12 Diese Tabelle wurde am 22.10.2013 unter www.gbe-bund.de erstellt. Sie bezieht sich auf das Jahr: 2011, Region: Deutschland. Es werden stationäre Pflegeeinrichtungen aller Kategorien (ein- und mehrgliedrige) im Sinne der Pflegeversicherung (SGB XI) berücksichtigt.
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5.5 P ROFESSIONELLE ALTENHILFE ALS SOZIALE D IENSTLEISTUNG Aus arbeits- und wirtschaftstheoretischer Perspektive lassen sich die beruflichen Tätigkeiten, welche typischerweise im Rahmen der Angebote und Einrichtungen der sozialen Altenhilfe von professionellen Akteuren erbracht werden, als „personenbezogene soziale Dienstleistungen“ beschreiben (vgl. Heinze 2011, S. 169; Dunkel 2011, S. 188; Merchel 2009 u. a.). Was ist hierunter zu verstehen? Zunächst lassen sich „Dienstleistungen“ von handwerklich oder industriell gefertigten „Sachgütern“ unterscheiden. Bei Sachgütern handelt es sich um materielle Güter mit Warencharakter. Diese sind sichtbar, können gelagert und transportiert werden. Bei dieser Art von Gütern können Mechanisierungs- und Rationalisierungsmöglichkeiten voll zum Einsatz kommen. Dagegen handelt es sich bei Dienstleistungen um Wirtschaftsgüter, die immateriell und damit weder transportierbar noch lagerfähig sind. Mechanisierungs- und Rationalisierungsbestrebungen sind daher enge Grenzen gesetzt (vgl. Merchel 2009, S. 45; Finis-Siegler, 1997, S. 24; Herder-Dorneich 1992). Bei den Dienstleistungen lässt sich wiederum zwischen einem Sach- und einem Personenbezug unterscheiden. Während materielle Gegenstände bei den „sachbezogenen Dienstleistungen“ im Zentrum der Leistungserstellung stehen (z. B. Reinigung von Textilien, Wartung von Geräten), richten sich „personenbezogene Dienstleistungen“ auf unmittelbare Leistungen am Menschen – hierzu zählen so unterschiedliche Leistungen, wie ein Haarschnitt, eine ärztliche Behandlung, eine Beratung in einer Rechtsanwaltskanzlei oder einer sozialen Beratungsstelle (vgl. Hinze 2011, S. 169f.; Merchel 2009, S. 45f.). Die Angebote und Einrichtungen der Altenhilfe stellen demnach „personenbezogene“ Dienstleistungen bereit. Weil in diese Kategorie jedoch sehr unterschiedliche Bereiche fallen, so auch Dienstleistungen aus dem Sport-, Freizeit- und Kulturbereich, wird durch die Wendung „personenbezogene soziale Dienstleitungen“ eine Fokussierung auf den Gesundheits-, Sozialund Bildungssektor vorgenommen. Hierbei fällt in der Regel das Adjektiv „personenbezogen“ weg, weil es bereits im Adjektiv „sozial“ enthalten ist (vgl. Dunkel 2011, S. 188; Merchel 2009, S. 45). Als zentrales Abgrenzungskriterium gegenüber den „sachbezogenen Dienstleistungen“ gilt für die „personenbezogenen Dienstleistungen“ das „uno-actu-Prinzip“ (vgl. Dunkel 2011, S. 188; Herder-Dorneich 1992; Gross 1983 u. a.). Dieses besagt, dass die Produktion und Konsumtion personenbezogener Dienstleistungen in einen Handlungsakt zusammenfallen. Hieraus ergeben sich weitere Charakteristika dieses Dienstleistungstyps. So ist die Kundenpräsenz erforderlich für die Erbringung der Leistung und ebenso ein Mindestmaß an Kundenbeteiligung (Willigkeit, Fähigkeit). Da eine Dienstleistung gemeinsam von dienstleistender und hilfeempfangender
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Person „hergestellt“ wird (Ko-Produktion), sind die Herstellungsprozesse immer auch Aushandlungsprozesse. Deren Verläufe und Ergebnisse (z. B. Zufriedenheit) sind schwer standardisier- und vorhersehbar: „was mit dem einen Kunden gut klappt, kann mit dem nächsten wieder schief gehen“ (Dunkel 2011, S. 188). Daher sind Dienstleistungen, die uno actu erbracht werden, „inhomogen“ (ebd.; vgl. auch: Herder-Dorneich 1992). Auch können diese nicht „auf Halde produziert werden“ (Dunkel 2011, S. 188). Vielmehr müssen für ihre Bereitstellung „Leistungspotentiale auch dann vorgehalten werden, wenn sie aktuell nicht nachgefragt werden“ (ebd.). Soziale Dienstleistungen weisen somit „prinzipielle Grenzen der Rationalisierbarkeit auf“ (ebd.). Dies stellt die anbietenden Dienstleistungsunternehmen vor arbeitsorganisatorische Probleme. Typisch für „soziale Dienstleistungen“, gegenüber anderen personenbezogenen Dienstleistungen, ist die „eingeschränkte Kundensouveränität“13 (Heinze 2011, S. 170). So können sich hilfeabhängige Personen nicht völlig frei entscheiden, von wem und ob sie überhaupt Hilfe in Anspruch nehmen wollen oder nicht (vgl. ebd.). Da die Hilfeabhängigkeit oft auch mit einer eingeschränkten Alltagskompetenz einhergeht oder so spezifisch ist, dass zu deren Behandlung ein Expertenwissen vonseiten der Anbieter erforderlich ist, sind auch „Informationsasymmetrien zwischen Adressaten und Anbietern sozialer Dienste“ (Heinze 2011, S. 170) ein typisches Merkmal dieses Dienstleistungstyps. Ein weiteres Spezifikum sozialer Dienste ist der komplexe institutionelle Rahmen ihrer Erbringung (vgl. Dunkel 2011, S. 192). Während für personenbezogene Dienstleitungen im Allgemeinen eine Dyade auch dienstleitungsgebender und -nehmender Personen charakteristisch ist, sind die sozialen Dienstleistungen durch das „sozialleistungsrechtliche Dreiecksverhältnis“ (ebd.) geprägt. Dieses besteht aus öffentlichem Kostenträger (Sozialversicherungen, Landesbehörden), Einrichtungsträger (öffentlich, freigemeinnützig, privatgewerblich) und hilfeempfangender Person. Diese Dreiecks-Konstellation führt dazu, dass bei den sozialen Diensten nicht nur die unmittelbar an der Dienstleistungserbringung beteiligten Personen Einfluss auf die Qualität der Leistungen haben, sondern auch der jeweilige Kostenträger. Im Feld der Altenhilfe werden soziale Dienstleistungen, wie Beratung, soziale Betreuung und Pflege insbesondere von zwei Berufsgruppen erbracht: den Pflegeberufen und der Sozialen Arbeit/Sozialpädagogik14. Rein quantitativ dominieren die 13 Da die „Kundensouveränität“ im Bereich sozialer Dienste prinzipiell eingeschränkt ist, argumentieren Schulte/Sengling (2003), dass der Kundenbegriff der Wirklichkeit Sozialer Arbeit nicht gerecht wird (ebd., S. 286f.). 14 Zwar erbringen auch andere Berufsgruppen soziale Dienstleitungen im Feld der Altenhilfe, wie z. B. Medizin und Physiotherapie. Jedoch spricht für eine Fokussierung auf die ausgewählten Berufsgruppen, dass a) die Pflege das Feld zahlenmäßig dominiert und b) der Sozialen Arbeit in qualitativer Hinsicht insofern Bedeutsamkeit zukommt, als dass
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Pflegeberufe das Feld. Von insgesamt knapp 661.000 Personen, die im Jahr 2011 in Pflegeheimen beschäftigt waren, verfügte fast jede zweite (45 %) über einen Berufsabschluss in Alten- oder Gesundheits- und Krankenpflege (vgl. Statistisches Bundesamt: Pfaff 2013, S. 17)15. Hinzu kamen in den Pflegeheimen weitere 29 % der Mitarbeiterschaft aus den Bereichen Pflege- und Betreuungsassistenz sowie 17 % aus dem Segment Hauswirtschaft. Dagegen machten die sozialarbeiterischen bzw. sozialpädagogischen Fachkräfte in den Pflegeeinrichtungen nur rund 4 % der Beschäftigten aus (vgl. ebd.). Hinzu kommen noch Stellen für Auszubildende sowie für Angestellte in den Bereichen Haustechnik und Verwaltung (vgl. ebd.). Laut der Gesundheitsberichterstattung des Bundes werden soziale Dienstleitungen im Feld der Altenhilfe im Wesentlichen von Frauen erbracht. So waren im Jahr 2011 rund 85 % der in den Pflegeheimen beschäftigten Personen weiblich (vgl. ebd., S. 16). Noch höher liegt der Frauenanteil im ambulanten Segment der Altenhilfe. Hier machte der Frauenanteil von den insgesamt 291.000 gezählten Personen, die im Rahmen des SGB XI Beschäftigungsverhältnisse eingegangen sind, rund 88 % aus (vgl. ebd., S. 10). Über einen anerkannten Berufsabschluss in Altenpflege oder Gesundheits- und Krankenpflege verfügten rund 62 %16. Ein breiteres Betätigungsfeld für Sozialarbeiter- und Sozialarbeiterinnen findet sich insbesondere auch im Bereich der Beratung (vgl. Hahn 2001). Ebenso wie die Pflege, so ist auch die Soziale Arbeit/Sozialpädagogik ein von Frauen dominiertes Beschäftigungsfeld. Ihr Anteil liegt bei rund 80 % (vgl. Klein/Wulf-Schnabel 2007, S. 141).
5.6 N EUE S TEUERUNG
UND
S OZIALMANAGEMENT
Traditionell wurden in Deutschland soziale Dienstleistungen der Daseinsvorsorge in korporatistischer Zusammenarbeit erbracht. Korporatismus bezeichnet hier das planvolle und aufeinander abgestimmte Ineinandergreifen von Staat und freier Wohlfahrtspflege bzw. von öffentlichen und freigemeinnützigen Trägern (vgl. von Boetticher/Münder 2011, S. 221). Der Korporatismus geht dabei von einem gemeinsamen Grundverständnis fürsorgebezogener Ziele aus (vgl. ebd.). Bis in die 1990er Jahre funktionierte das Verhältnis von Staat und freien Verbänden nach diesem Denkmodell. Die Finanzierung sozialer Dienste erfolgte unter diesen Bediese in allen Bereichen und Segmenten der Altenhilfe vertreten ist und dort immer auch eine weitervermittelnde und vernetzende Funktion inne hat. 15 Die Statistik weist eine berufsgruppeninterne Differenzierung wie folgt auf: Altenpflege (33 %), Gesundheits- und Krankenpflege (12 %), Gesundheits- und Kinderkrankenpflege (1 %) (vgl. ebd., S. 17). 16 Gesundheits- und Krankenpflege (31 %), Altenpflege (25 %), Gesundheits- und Kinderkrankenpflege (3 %), Pflegemanagement (3 %) (vgl. ebd., S. 10).
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dingungen anhand des Selbstkostendeckungsprinzips. Hierbei wurden die Aktivitäten der freien Träger durch öffentliche Zuwendungen vorfinanziert und Haushaltsdefizite am Jahresende ausgeglichen (vgl. ebd.). Mit zunehmender Verknappung der öffentlichen Haushalte – auch infolge der deutsch-deutschen Wiedervereinigung17 – kam es in den 1990er Jahren zur Einfügung wettbewerblicher Elemente in die einschlägigen Gesetzeswerke mit dem Ziel, der Steigerung von Effizienz und Effektivität bei gleichzeitiger Kostendeckelung. Hiervon betroffen sind insbesondere das im Jahr 1994 verabschiedete Pflegeversicherungsgesetz (SGB XI), das seit dem Jahr 1996 mehrfach novellierte Bundessozialhilfegesetz (BSHG, jetzt: SGB XII) sowie seit dem Jahr 1999 auch das Kindund Jugendhilfegesetz (SGB VIII). Im Zuge dieser Veränderungen wurde der traditionelle Korporatismus schrittweise zugunsten einer Öffnung des Anbietermarktes aufgegeben und die Finanzierung sozialer Dienste auf das Kostendeckelungsprinzip umgestellt. Hierbei werden leistungs- und fallbezogene Entgelte ausgezahlt, mit denen ein Einrichtungsträger haushalten muss. Im Pflegeversicherungsgesetz heißt es hierzu beispielsweise: „Überschüsse verbleiben dem Pflegeheim; Verluste sind von ihm zu tragen“ (SGB XI § 84). Während sich die öffentlichen Träger wie z. B. die Kommunen infolge der Gesetzesänderungen zunehmend als Einrichtungsträger zurücknehmen und eher Planungs- und Finanzierungsverantwortung tragen, um öffentliche Gelder im Zuge der Privatisierungen einzusparen zu können, werden die Leistungserbringer, also freigemeinnützige Wohlfahrtsverbände und privatgewerbliche Anbieter, bei der Mittelvergabe prinzipiell gleichgestellt18, um hierdurch einen marktförmigen Wettbewerb der Träger untereinander anzustoßen. Im Zentrum soll nun das „Produkt“ stehen, für dessen Erbringung und Finanzierung die Träger in Bezug auf Kosten und Qualität konkurrieren (vgl. Merchel 2009, S. 58). Der politisch-administrative Umgang mit den Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege ändert sich somit in den 1990er Jahren durch einen Wechsel der Legitimationsbasis, wie Merchel (2009, S. 58) feststellt. Hatte „Vertrauen“ als Legitimationsmodus traditionell das Verhältnis zwischen öffentlichen und freigemeinnützi17 Überlegungen zu weiteren möglichen Auslösern der wettbewerblichen Neuordnungsbestrebungen seit den 1990er Jahren finden sich z. B. in: Grohs/Bogumil 2011, S. 300. 18 Zwar wurde das „Marktmonopol“ der freien Träger aufgehoben, jedoch haben diese Träger immer noch Vorteile gegenüber privaten Anbietern. So genießen sie aufgrund ihres Status der Gemeinnützigkeit Steuererleichterungen. Zudem fließen ihnen zusätzliche Gelder zur Vereinsförderung zu, z. B. aus Lotteriegewinnen. Auch sind sie als Anbieter sozialer Dienstleistungen bereits seit langem im gesamten Bundesgebiet etabliert und gut vernetzt. Aus diesem wie auch aus religiös-weltanschaulichen Gründen engagieren sich bei den freigemeinnützigen Trägern in weitaus größerem Umfang freiwillige Helferinnen und Helfer als bei privatgewerblichen Anbietern.
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gen Trägern bestimmt, setzt sich nun – zumindest in formaler Hinsicht – der Modus der „Rechenschaftslegung“ durch (ebd.). Die „Rechenschaftslegung“ bezieht sich nicht nur auf den finanziellen Aspekt, z. B. durch die Prüfung einer „angemessenen“ und „kostengünstigen“ Mittelverwendung, sondern zunehmend auch auf fachliche Inhalte. So sieht beispielsweise das Pflegeversicherungsgesetz (SGB XI) nicht nur die regelmäßige „Wirtschaftlichkeitsprüfung“ (SGB XI, § 79) vor, sondern verpflichtet die zugelassenen Leistungsanbieter auch, „Maßnahmen zur Qualitätssicherung sowie ein Qualitätsmanagement“ einzurichten (SGB XI, § 112 Abs. 2) und schreibt neben internen Qualitätskontrollen auch regelmäßige externe Prüfungen vor (SGB XI § 113 Abs. 4). Flankiert wurde der Übergang zu einer an Effizienz- und Effektivitätskriterien ausgerichteten Argumentationslogik im Zusammenspiel von öffentlichen und freien Trägern durch die „Verwaltungsmodernisierung“. Diese Reform wurde in den 1990er Jahren nach dem Vorbild internationaler Vorbildkommunen („New Public Management“) in Deutschland unter dem Etikett „neue Steuerung“ vorangetrieben (vgl. Grohs/Bogumil 2011, S. 302f.). Bei der Einführung des neuen Steuerungsmodells (NSM) wurden die Zieldimensionen des Reformvorhabens „bewusst vage gehalten“, um Resultate in den Vordergrund zu stellen anstelle von Verfahrensregeln, wobei die Prinzipien „Effizienz, Effektivität und ‚Kundenorientierung‘“ als „wesentliche Leitlinien“ dienten (Grohs/Bogumil 2011, S. 302). Im Rahmen der Logik des neuen Steuerungsmodells werden Fragen der Wirtschaftlichkeit und Orientierung an Qualitätsstandards in den Mittelpunkt gestellt. Einrichtungsträger sind im Rahmen eines als „Kontraktmanagement“ definierten Steuerungsmoduls nun primär in ihrer Funktion als Versorgungsbetriebe für soziale Dienstleistungen zu betrachten (Merchel 2009, S. 58). Für das „contracting out“, die Verlagerung sozialer Dienstleitungen von öffentlichen auf freie oder privatgewerbliche Träger (Mittelvergabe), sollen allein betriebswirtschaftliche Kriterien entscheidend sein (Dahme et al. 2005). Analog zu der kommunalen Verwaltungsmodernisierung vollzieht sich, insbesondere bei den freien Trägern, die Beschäftigung mit und Einführung von ergebnisorientierten Führungs- und Steuerungsformen sowie privatwirtschaftlichen Managementpraktiken. Diese Elemente fassen Grohs und Bogumil (2011) unter den – von ihnen selbst als „vage“ bezeichneten – Sammelbegriff „Sozialmanagement“ zusammen (vgl. Grohs/Bogumil 2011, S. 304). Mit der Einführung betriebswirtschaftlicher Elemente in die Trägerorganisationen und Einrichtungen der sozialen Altenhilfe setzt nun auch auf der Einrichtungsebene die Auseinandersetzung mit und Implementierung von wettbewerbsorientierten Steuerungsinstrumenten, wie verbands- und einrichtungsinternen Leitbildern, Qualitätsstandards, Leistungskontrollen (z. B. „Pflegevisiten“, „Qualitätsaudits“, „Evaluationen“), Angebots- und Leistungsdokumentation sowie der Beschäftigung mit Fragen der Profilierung und Zielgruppenorientierung.
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Inwiefern die Re-Organisation der Träger und Einrichtungen der Altenhilfe anhand von Effizienz- und Effektivitätskriterien auch auf der Ebene der Versorgungspraxis handlungsorientierende Wirkungen zeigt, ist bisher noch kaum erforscht. Grohs und Bogumil (2011) stellen auf der Grundlage von Befunden, die sich auf das Feld der Kinder- und Jugendhilfe beziehen, fest, dass sich dort das „managerielle Leitbild“ weder bei den öffentlichen noch den Einrichtungsträgern als „geschlossenes Konzept“ hätte durchsetzen können. Von daher wäre es verfehlt, von einem „Paradigmenwechsel“ zu sprechen (Grohs/Bogumil 2011, S. 311). Zwar seien bereits zahlreiche Elemente der Managementkonzepte in den Einrichtungen und Verwaltungen etabliert und würden von den Beschäftigten dort „akzeptiert“ (ebd. u. Bogumil et al. 2007). Jedoch ist „die Implementation häufig nur formal, die Organisationen ‚leben‘ häufig weiter nach den alten Organisationskulturen, die sich an eher bürokratischen und weniger an wirtschaftlichen Kriterien orientieren“ (Grohs/ Bogumil 2011, S. 311).
6 Datenerhebung und Sampling
6.1 Z UGANG
ZUM
F ORSCHUNGSFELD
Die Datenerhebung für die vorliegende Studie erfolgte bis auf zwei Ausnahmen in den Innenstadtbezirken einer bundesdeutschen Großstadt. Entscheidend für die Gebietswahl war, dass diese einen Bevölkerungsanteil an Menschen mit Migrationshintergrund aufweisen sollten, der mindestens dem Bundesdurchschnitt entspricht oder höher ist1. Für den Feldzugang erwiesen sich zwei Umstände als besonders hilfereich. Zum einen konnte ich meine Datenerhebung eingebunden in ein größeres Forschungsprojekt durchführen2. Dies erleichterte mir insbesondere den Einstieg in das Forschungsfeld. Zum anderen verfüge ich aufgrund meines beruflichen Hintergrundes über eine Reihe von Kontakten zu Schlüsselpersonen im Gesundheits- und Sozialwesen. Auch über diese „Schiene“ konnte ich an einige Interviewpartnerinnen und einen Interviewpartner herantreten. Die Möglichkeit der Kontaktaufnahme über Schlüsselpersonen erweiterte ich im Rahmen der Datenerhebung, indem ich mit interessierten Personen, die mir im Forschungsfeld begegneten, den Kontakt aufrechterhielt und über diese Verbindung an weitere Interviewpartnerinnen und -partner gelangte. Zudem erwiesen sich auch Fachkongresse zu Themen wie, „interkulturelle Öffnung der Altenhilfe“ oder „Gesundheit und Migration im Alter“, als eine Möglichkeit, passende und interessierte Interview- oder Kontaktpersonen zu finden. Als schwierig erwies es sich, unter Pflegekräften einer Einrichtung gemeinsame Termine für Gruppendiskussionen zu finden. Da diese Berufsgruppe in der Regel
1
Dieser Anteil lag im Jahr 2012 bei 16,3 % (Statistisches Bundesamt: Mikrozensus; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF): Migrationsbericht 2012).
2
Im Rahmen des Berliner Forschungsverbundes AMA (Autonomie trotz Multimorbidität) wirkte ich im Teilprojekt NEIGHBOURHOOD mit, welches am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin (WZB) angesiedelt war. Hierbei ging es um die Identifikation hemmender und fördernder Faktoren im Wohnquartier für die Förderung und den Erhalt einer selbstbestimmten Lebensführung älterer, sturzgefährdeter Menschen mit chronischen und mehrfachen Erkrankungen. http://www.ama-consortium.de/ama_i/ (28.10.2010).
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im Schichtdienst tätig ist, gelang es insbesondere bei kleineren Anbietern im Bereich der ambulanten Pflege kaum, mit interessierten Personen gemeinsame Termine zu vereinbaren. Zwei Gruppendiskussionstermine, die zunächst mühsam und lange im Voraus vereinbart worden waren, mussten aufgrund von spontanen Einsatzplanänderungen abgesagt werden. In einem Fall konnten dann zeitversetzt immerhin noch zwei Einzelinterviews und ein Paarinterview durchgeführt werden. Problemlos war es dagegen, eine Gruppe aus Pflegekräften zusammenzustellen, die in verschiedenen ambulanten Pflegeeinrichtungen beschäftigt sind und in Teilzeit arbeiten. Hierbei handelte es sich um Studierende aus einem Pflegestudiengang (Pflegemanagement). Die Kontaktaufnahme mit potenziellen Interviewpartnerinnen und -partnern erfolgte zum Teil persönlich, meistens jedoch telefonisch oder per Mail. Sofern Interesse an der Teilnahme bekundet wurde, versandte ich an die betreffenden Personen ein formell gestaltetes Anschreiben mit Informationen über Art, Inhalt und Ziele meines Forschungsprojektes sowie Angaben zu ungefährer Dauer und Verlauf des beabsichtigten Interviews. Zusätzlich erhielten die Beforschten eine schriftliche Erklärung zum Thema Datenschutz und eine Information über die Einverständniserklärung zur Weiterverwendung erhobener Daten zu Forschungszwecken. Die meisten Gespräche fanden in den Räumlichkeiten der jeweiligen Einrichtung statt, in der die Interviewpersonen arbeiteten. In einigen Fällen fanden Interviews auch in privater Umgebung statt.
6.2 D URCHFÜHRUNG DER I NTERVIEWS UND G RUPPENDISKUSSIONEN Für die vorliegende Studie diente mir hauptsächlich eine Variante des offenen, leitfadengestützten Interviews als Datenerhebungsverfahren, und zwar das von Uwe Flick entwickelte „episodische Interview“ (vgl. Flick 2002, S. 158-167). Dieses Verfahren führte ich mit Fachkräften aus dem Pflegebereich und der Sozialen Arbeit/ Sozialpädagogik durch. Ergänzt wurden diese Interviews durch einige Gruppendiskussionen (vgl. Bohnsack/Schäffer 2001; Bohnsack 2003b), welche ich ebenfalls mit professionellen Kräften aus den beiden genannten Arbeitsbereichen durchführte. Diese Form der „Triangulation“ (vgl. Flick 2008) von Datenerhebungsverfahren wählte ich, um die Validität und die Generalisierbarkeit der Untersuchung zu erhöhen. Episodische Interviews Der Ausgangspunkt des episodischen Interviews ist die Annahme, dass menschliche Erfahrung in Bezug auf einen bestimmten Gegenstandsbereich in zwei unterschied-
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lichen Formen abgespeichert und organisiert wird. Hierdurch entstehen zwei Wissenstypen: das „semantische“ und das „episodische Wissen“ (vgl. Flick 2002, S. 158f.). Während das „semantische Wissen“ als begrifflich-regelorientiert gilt und damit dem nahekommt, was Mannheim unter „kommunikative[m]“ bzw. „theoretisch-reflexive[m] Wissen“ versteht, bietet das „episodische Wissen“, welches durch situative Narrationen zum Ausdruck gebracht wird (vgl. ebd.), in besonderer Weise einen Zugang zu dem, was Mannheim unter dem „konjunktive[n] Wissen“ versteht. Das episodische Interview zielt als Datenerhebungsverfahren darauf ab, die beiden Bestandteile des Wissens – das narrativ-episodische wie auch das semantische – über einen bestimmten Gegenstandsbereich in möglichst vergleichbarer Form in Erfahrung zu bringen. Hierzu wird mit einer Kombination aus erzählgenerierenden und konkret-zielgerichteten Fragen gearbeitet. Das episodische Interview setzt sich somit aus zwei Komponenten zusammen, erstens den situativ-episodischen Erzählungen, welche durch erzählgenerierende und immanente Nachfragen initiiert werden und dem begrifflich-regelorientierten Wissen, welches durch konkret-zielgerichtetes, immanentes oder exmanentes Fragen erhoben wird (vgl. ebd.). Bei der Durchführung der Interviews verwendete ich drei „Instrumente“, wie sie von Witzel (2000) vorgeschlagen werden, und ein digitales Aufnahmegerät. Bei einem dieser Instrumente handelt es sich um einen Fragebogen zu sozio-demografischen Angaben, wie Alter, Geschlecht, Berufs- und Bildungsabschlüsse, Berufsjahre sowie zu Einrichtungsmerkmalen, wie Angebotsform, Träger, Mitarbeiterstruktur. Des Weiteren verwendete ich ein „Postskriptum“ (vgl. ebd.). Hierauf vermerkte ich Angaben zur Interviewsituation (Gesprächsbereitschaft, Unterbrechungen u. a.), und hielt spontane Eindrücke und Ideen fest. Als drittes Instrument diente mir ein Interviewleitfaden. Dieser beginnt mit einer erzählgenerierenden Einstiegsfrage, die ich allen Interviewten auf eine vergleichbare Weise stellte. Diese Frage lautete: In meiner Untersuchung geht es um die gesundheitlich-pflegerische Versorgung älterer Migrantinnen und Migranten. Erzählen Sie doch bitte einmal, welche Erfahrungen Sie in ihrem Berufsalltag bezüglich dieser Thematik gemacht haben. Mich interessiert hierbei besonders ihre konkrete, alltagspraktische Erfahrung, so wie Sie diese erleben. Darüber hinaus enthält der Leitfaden weitere erzählgenerierende Fragen zu den Themenkomplexen Alter, Migration und Versorgung. Diese Fragen handhabte ich flexibel, sie dienten mir eher als Gedächtnisstütze, um einlenken zu können, falls das Gespräch thematisch zu weit abschweifen sollte sowie als Anregung für die Formulierung immanenter Nachfragen. Für den zweiten Teil des Interviews waren konkret-zielgerichtete Fragen vorgesehen. Diese richteten sich auf das „Betriebs-
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oder Deutungswissen“ (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010, S. 135) der Befragten in Bezug auf Spezifika der Einrichtungen, in denen diese beschäftigt sind oder waren, den Angeboten dieser Einrichtungen für alte Menschen sowie auf das Spektrum der Nutzerinnen und Nutzer. Gegen Ende des Interviews stellte ich immer noch eine prospektive Frage, diese lautete: Stellen Sie sich bitte vor, Sie erhielten einen Geldbetrag in Höhe von 25.000 Euro mit der Auflage, dieses Geld für die Verbesserung der Versorgungsqualität alter Migrantinnen und Migranten zu nutzen. Was würden Sie mit diesem Geld machen? Diese Frage stammte noch aus dem Interviewleitfaden eines älteren Forschungsvorhabens. Dieses basierte auf einem leitbildtheoretischen Ansatz (vgl. KhanZvorničanin 2009). Hierbei galt es „explizite“ und „implizite Leitbilder“ kategoriengeleitet zu rekonstruieren, anhand von „Leitbildkomponenten“ (vgl. de Haan 2001; Giesel 2007). Eine zentrale Komponente dieser „impliziten Leitbilder“ stellen „Wunsch- und Machbarkeitsprojektionen“ dar (Giesel 2007, S. 122; vgl. auch: Dierkes/Maarz 1992 u. a.). Um im Interview solche „Projektionen“ anzuregen, hatte ich die oben genannte Fragestellung entwickelt und in einigen Vorläuferinterviews erprobt. Die Antworten erwiesen sich durchgängig als ausgesprochen interessant; zum einen, weil hierbei zum Teil recht kreative und stets praxisrelevante Ideen von den Befragten entwickelt wurden. Oft entstand in dieser Interviewphase auch eine angeregte, zum Teil geradezu euphorische Stimmung. Offenbar war es für die Interviewten inspirierend, in Bezug auf ihre berufliche Alltagspraxis einmal freie und dennoch machbarkeitsbezogene Ideen entwickeln zu können, die auf eine interessierte, außenstehende Zuhörerin stießen. Zum anderen waren die Antworten für mich von besonderem Interesse, weil darin das jeweilige Relevanzsystem der Befragten deutlich hervortritt. Die Antworten zeigen an, in welche Richtung die Orientierungen der Befragten streben. Aus diesem Grund erwies sich diese Interviewfrage methodisch auch für eine Auswertung nach der Dokumentarischen Methode als hilfreich. Denn im Sinne der Dokumentarischen Methode kann man sagen, die Frage motiviert zur Äußerung von „Enaktierungspotenzialen“ (Bohnsack 2010a, S. 136; 1989, S. 28) in Bezug auf selbst gewählte Schwerpunkte der Interviewten im Rahmen eines bestimmten Themas. Diese Einschätzungen von Realisierungsmöglichkeiten eröffnen neben „positiven Horizonten“ und „negativen Gegenhorizonten“, quasi als drittem Bezugspunkt, einen Zugang zum impliziten Orientierungswissen der Interviewten (vgl. ebd.). Zum Abschluss des Gesprächs fragte ich stets, ob es etwas gebe, was aus der Sicht des bzw. der Interviewten noch nicht oder unzureichend zur Sprache gekommen sei, um auf diese Weise die Möglichkeit für Nachträge offenzuhalten und gleichzeitig zu signalisieren, dass ich in Bezug auf meine Interviewfragen zu einem Ende gekommen war.
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Gruppendiskussionen Entwickelt und erstmals als ein Erhebungsinstrument eingesetzt wurde das Gruppendiskussionsverfahren in den 1940er Jahren in den USA und Großbritannien (vgl. Schäffer 2006, S. 75). Im angelsächsischen Sprachraum etablierte sich dieses Verfahren unter der Bezeichnung „focus groups“ (Merton 1987) zunächst vor allem als exploratives Erhebungsinstrument im Rahmen der Umfrage- und Meinungsforschung (vgl. Schäffer 2006, S. 75). Ab den 1950er wurde das Gruppendiskussionsverfahren auch in Deutschland eingesetzt und insbesondere durch die Arbeit Werner Mangolds (1960) weiterentwickelt. Das von ihm eingeführte Konzept der „informellen Gruppenmeinung“, welche sich in „sozialen Großgruppen“ herausbildet, ebnete den Weg für einen Paradigmenwechsel (vgl. Schäffer 2006, S. 75). Während Gruppendiskussionen bis dahin vor allem unter dem Aspekt der effizienteren Ermittlung von Einzelmeinungen und singulären Einstellungen im Rahmen einer Gruppe betrachtet wurden, bereitete Mangold den Weg für die Erforschung kollektiv verankerter Orientierungen, welche er als „Gruppenmeinungen“ bezeichnete, ohne seinen Zugang jedoch grundlagentheoretisch zu begründen (vgl. Schäffer 2006, S. 76). Ende der 1980er Jahre erfolgte dann eine grundlagentheoretische Fundierung der Rekonstruktion kollektiver Orientierungen durch Ralf Bohnsack (vgl. 1989). Zentral ist hierbei die Abkehr von soziologischen Traditionen wie dem Symbolischen Interaktionismus und der Ethnomethodologie in Bezug auf die Vorstellung, dass Einstellungen, Meinungen und Orientierungen im Gruppendiskussionskontext oft erst interaktiv hervorgebracht werden und somit in der Regel situativ entstehen. Auf diesem Verständnis des Gruppendiskussionsverfahrens beruht auch die Kritik an der mangelnden Reliabilität, die üblicherweise gegen dieses Verfahren vorgebracht wird (vgl. Lamnek 1998 u. a.). Ganz anders fundiert Bohnsack (1989) die Gruppendiskussion als Erhebungsinstrument. In seiner Arbeit stellt er Bezüge zur Mannheim’schen Kultur- und Wissenssoziologie her. Dabei fundiert er das Gruppendiskussionsverfahren insbesondere auf Mannheims Konzept des „konjunktiven Erfahrungsraums“ (vgl. ebd. u. Schäffer 2006, S. 76). Als methodischen Zugang zu diesen überindividuellen Erfahrungsräumen entwickelt Bohnsack die von Mannheim erkenntnistheoretisch begründete Dokumentarische Methode der Interpretation in der eigenen Forschungspraxis weiter (vgl. ebd.). Gruppendiskussionen lassen sich nun als „repräsentative Prozessstrukturen“ (Loos/Schäffer 2001) begreifen, die „in ihrem regelhaften Ablauf“ auf einen oder mehrere gemeinsam geteilte konjunktive Erfahrungsräume (z. B. Geschlecht, Generation, Bildungsmilieu) verweisen (vgl. Schäffer 2006, S. 76). Anders ausgedrückt reaktualisieren sich gemeinsam geteilte und strukturidentische Erfahrungen in Gruppendiskussionen, und zwar insbesondere dann, wenn die Gruppe die Möglichkeit hat, ihr eigenes Relevanzsystem frei zu artikulieren. Vor diesem Hintergrund sind in Bezug auf die methodische
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Durchführung von Gruppendiskussionen zunächst alle Anstrengungen darauf zu richten, dass sich in der Erhebungssituation eine „selbstläufige“ Diskussion entwickelt (vgl. Schäffer 2006, S. 76). Wie eingangs erwähnt, führte ich im Rahmen der vorliegenden Studie einige Gruppendiskussionen durch, um festzustellen, ob darin dieselben Orientierungen zum Ausdruck gebracht werden, wie sie sich auch in meinen Interviews dokumentieren. Zudem bestand die Möglichkeit, auf weitere Orientierungsrahmen zu stoßen oder auf weitere Komponenten von bereits bekannten Rahmen. In vielerlei Hinsicht ging ich bei den Gruppendiskussionen ähnlich vor wie bei den Interviews. Auch hier kamen meine Instrumente zum Einsatz, wobei ich von meinem Leitfaden allein die offene Einstiegs- und die Abschlussfrage nutzte. Dagegen legte ich mehr Gewicht auf eine gesprächsanregende Atmosphäre und darauf, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vorab darüber zu informieren, was ich von ihnen erwartete, um mich in der eigentlichen Situation völlig zurücknehmen zu können. Insgesamt orientierte ich mich bei Durchführung der Gruppendiskussionen an den von Bohnsack herausgearbeiteten „reflexiven Prinzipien der Initiierung und Leitung von Gruppendiskussionen“ (Bohnsack 2010a, S. 207; vgl. hierzu auch: Przyborsky/Wohlrab-Sahr 2010, S. 109f.). Diesen Prinzipien folgend adressierte ich verbal wie auch über den Blickkontakt stets die ganze Gruppe. Hiermit vermied ich bewusst, als Diskussionsleiterin Einzelnen ein besonderes Rederecht einzuräumen und damit das Ziel der Selbstläufigkeit zu unterlaufen. Zudem hielt ich mich an das Prinzip des Verzichts auf eine Teilnehmerrolle, indem ich weder in die Diskussionen noch in Gesprächspausen eingriff. Ich machte die Erfahrung, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich hierdurch beim Stocken des Gespräches verpflichtet fühlten, selbst für eine Fortsetzung zu sorgen, indem sie sich beispielsweise gegenseitig zu Gesprächsbeiträgen aufforderten. Insgesamt gelang es ausgesprochen gut, Selbstläufigkeit bei den Gruppendiskussionen zu erzielen. Dies hing sicherlich auch damit zusammen, das alle Diskutierenden in beruflicher Hinsicht gemeinsame Erfahrungen miteinander teilen und aus einem professionellen Feld stammen, in dem Kommunikation eine zentrale Rolle spielt.
6.3 ANLAGE
DES
S AMPLES
Um dem Prinzip der Offenheit qualitativ-rekonstruktiver Verfahren gerecht zu werden und mich der Heterogenität des Forschungsfeldes auf eine systematische Weise anzunähern, entschied ich mich für ein zweischrittiges Samplingverfahren (vgl. Fritzsche 2003, S. 81; Kelle/Kluge 1999, S. 50). Hierbei wird zunächst anhand vorab festgelegter Kriterien eine Fallauswahl vorgenommen und mit der Datenana-
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lyse begonnen, um dann auf der Grundlage des sich sukzessive einstellenden tieferen Verständnisses über den Forschungsgegenstand ein „Theoretical Sampling“ (Glaser/Strauss 1967) im Sinne der Grounded Theory Methodologie durchzuführen (vgl. auch: Kelle/Kluge 1999, S. 44f.). Strauss (1991) beschreibt das Theoretical Sampling als ein Verfahren, bei dem auf einer analytischen Basis entschieden wird, welche Daten als nächstes erhoben werden sollen und wo diese zu finden sind (vgl. ebd., S. 70). „,Die grundlegende Frage beim Theoretical Sampling lautet: Welchen Gruppen oder Untergruppen von Populationen, Ereignissen, Handlungen (um voneinander abweichende Dimensionen, Strategien usw. zu finden)‘ wendet man sich bei der Datenerhebung als nächstes zu. Und welche theoretische Absicht steckt dahinter? ‚Demzufolge wird dieser Prozess der Datenerhebung durch die sich entwickelnde Theorie kontrolliert‘.“ (Strauss 1991, S. 70, Hervorhebungen und Zitate im Original)
Analog zur gegenstandsbezogenen bzw. „grounded“ Theorie, bei der schrittweise relevante Konzepte aus dem Datenmaterial herausgearbeitet und in Bezug auf ihre Beziehungen untereinander betrachtet werden, mündet die Datenanalyse nach der Dokumentarischen Methode in eine Typenbildung. Bei diesen „Typen“ handelt es sich insofern um empirisch fundierte, gegenstandsbezogene Theorien als diese Aspekte eines kollektiven Habitus (z. B. professioneller Habitus, Schüler-, Studentenhabitus) in Bezug auf dessen Orientierungsgehalt (Sinngenese) und Sozialisationshintergründe (Soziogenese) erklären. Beim ersten Verfahrensschritt der Fallauswahl orientierte ich mich an soziodemografischen Merkmalen der zu Interviewenden sowie an Unterschieden in Bezug auf Angebotsformen und Einrichtungsmerkmale im Feld der Altenhilfe. Hierbei ging ich nach dem Prinzip des Kontrasts in der Gemeinsamkeit vor (vgl. Bohnsack 1989, S. 374), indem ich bestimmte Merkmale der Fälle möglichst konstant hielt, wie die Berufsgruppe und die Untergrenze der Berufserfahrung in Jahren, andere dagegen deutlich variierte, wie die Angebotsform (offen, ambulant, stationär), den Trägertyp (freigemeinnützig oder privatgewerblich) und die berufliche Funktion (Leitungs- oder Durchführungsebene). Zudem nahm ich eine weitere Einschränkung der Fallauswahl vor, indem ich mich auf Angebote konzentrierte, die sich auch oder vor allem an chronisch und mehrfach erkrankte, pflegebedürftige alte Menschen richten3. Des Weiteren achtete ich darauf, in meinem Sample Perso-
3
Diese Fokussierung auf die Versorgung der pflegebedürftigen, mehrfach erkrankten alten Migrantinnen und Migranten hängt auch mit der Förderung dieser Studie durch ein Promotionsstipendium der Robert-Bosch-Stiftung im Rahmen des Graduiertenkollegs „Multimorbidität im Alter“ zusammen.
124 | K ULTURSENSIBLE A LTENHILFE ?
nen beiderlei Geschlechts zu berücksichtigen sowie Personen mit und ohne Migrationshintergrund. Bei den Berufsgruppen beschränkte ich mich nach einem Pretest, indem ich noch weitere Berufsgruppen einbezogen hatte, schließlich auf die professionelle (Alten-)Pflege4 und die Soziale Arbeit bzw. Sozialpädagogik. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, traf ich diese Auswahl aufgrund der hohen Präsenz von Angehörigen dieser Berufsgruppen im Untersuchungsfeld und ihrem personennahen Tätigkeitsspektrum – sei es beratend, betreuend oder pflegend. Bei der Auswahl der Fachkräfte setzte ich ein Mindestmaß von 10 Jahren Berufserfahrung im Feld der Altenhilfe voraus. Es ging hierbei weniger darum, Berufsanfängerinnen und -anfänger auszuschließen. Vielmehr war es mir wichtig, dass die Fachkräfte die jüngsten Wandlungsprozesse im Feld der Altenhilfe ein Stück weit miterlebt hatten. In Bezug auf die Angebote und Einrichtungen bezog ich offene Beratungsangebote mit dem Schwerpunkt Pflegebedürftigkeit im Alter sowie ambulante und stationäre Pflege- und Betreuungseinrichtungen ein. Hierbei unterschied ich, ob alte Migranten von der Einrichtung konzeptionell als Zielgruppe adressiert wurden und ob diese den Angaben der Einrichtung zufolge a) gelegentlich, b) regelmäßig, aber nicht hauptsächlich oder c) hauptsächlich versorgt werden. Das Theoretical Sampling vollzog sich erst mit dem Einsetzen der komparativen Analyse des empirischen Materials. Bei diesem Arbeitsschritt traten alle vorab festgelegten Kriterien vorübergehend wieder in den Hintergrund. Vielmehr ging es nun darum, im Material gemeinsame Themen zu finden und die Bearbeitungsmodi dieser Themen in unterschiedlichen Fällen miteinander zu vergleichen. Im Sinne eines hermeneutischen Zirkulierens behielt ich hierbei auch immer einzelne Fälle im Blick und suchte darin nach themenübergreifenden Orientierungsrahmen, deren Reproduktionsgesetzlichkeit ich dann fallübergreifend überprüfte. Hierbei spielten die formalen Kriterien wieder eine Rolle. So galt es beispielsweise systematisch zu überprüfen, ob sich eine bestimmte Orientierung oder ein Bearbeitungsmodus eines Themas nur bei Fachkräften in der ambulanten Versorgung finden oder diese auch angebotsformübergreifend vorliegen. Auf diese Weise wurde die weitere Auswahl der Fälle durch das sich sukzessive entwickelnde theoretische Verständnis über den Forschungsgegenstand empirisch „kontrolliert“ – um es mit Straus (1991) auszudrücken5. Zum Teil waren diese weiteren Fälle schon erhoben und wurden nun in Bezug auf einen bestimmten Aspekt gezielter untersucht, zum Teil galt es aber auch weitere Interviews bzw. Gruppendiskussionen zu führen, um empirisch fundierte 4
Die Berufe Altenpflege, Gesundheits- und Krankenpflege sowie der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege sind im Feld der Altenhilfe formal und faktisch gleichgestellt.
5
Bohnsack spricht in diesem Zusammenhang auch von der methodischen Kontrolle der „eigenen Standortgebundenheit“ der Forschenden durch „empirische Vergleichshorizonte“ (vgl. Bohnsack 2010a, S. 137, 195).
6 D ATENERHEBUNG
UND
S AMPLING
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Kriterien berücksichtigen zu können. Im Verlauf der Untersuchung war so ein Datenpool aus 36 Fällen entstanden, die ich in 12 verschiedenen Einrichtungen erhoben hatte, wobei als einzelner „Fall“ entweder ein Einzelinterview gilt oder eine Gruppendiskussion mit drei bis sechs Personen. Aus dieser Grundgesamtheit wählte ich mittels Kriterien des Theoretical Samplings 18 Fälle für eine intensivere Auswertung aus. Eine Übersicht über charakteristische Merkmale dieser Auswahl ist der Tabelle (A.2) im Anhang zu entnehmen. Für den anonymisierten Umgang mit den Interviews im Forschungsprozess hatte ich zunächst lediglich aus Buchstaben und Zahlen bestehende Codes verwendet. Diese setzten sich aus dem Erhebungsdatum sowie einer Buchstabenkombination aus Einrichtungsnamen, beruflicher Funktion, Initialen und Geschlecht der interviewten Person zusammen. Zum Zweck der Veröffentlichung habe ich den Fällen schließlich die in der Tabelle (A.2) aufgeführten Pseudonyme zugewiesen. Hierbei handelt es sich um Fantasienamen aus dem Pflanzenreich, wobei diese sprachlich auf die jeweilige Herkunft der Originalnamen bzw. ihrer Trägerinnen und Träger verweisen (arabisch, türkisch, deutsch). Auch wurde das jeweilige Geschlecht der Interviewpersonen durch den Zusatz „Frau“ oder „Herr“ kenntlich gemacht. Des Weiteren beginnen die Namen stets entweder mit den Buchstaben A, B oder C. Diese Buchstaben entsprechen den rekonstruierten Typen, die die Pseudonyme jeweils repräsentieren (Typus A, Typus B, Typus C). Insbesondere der im Namen enthaltene Hinweis auf die repräsentierten Typen erschien mir angesichts der Fülle von Interviewpersonen sinnvoll, um das Lesen des folgenden Kapitels zu erleichtern.
Rekonstruktion der Versorgungspraxis
7 Komparative Analyse und mehrdimensionale Typenbildung
In diesem Kapitel möchte ich zunächst die sinn-, dann die soziogenetische Typenbildung anhand ausgewählter komparativer Sequenzanalysen vorstellen. Hierbei berücksichtige ich systematisch verschiedene Vergleichshorizonte bzw. -ebenen, so dass eine mehrdimensionale Typologie entsteht (vgl. Bohnsack 2007a, S. 232; Bohnsack 2010b; Nohl 2009). Im Zentrum der Rekonstruktion professioneller Praxis im Feld der Altenhilfe stehen Versorgungspraktiken im Migrationskontext und habituelle Orientierungen, die diesen Praktiken wahrnehmungs-, denk- und handlungsstrukturierend zugrunde liegen. Rekonstruiert werden diese stets als kollektiv geteilte Sinnstrukturen, indem ich bezüglich eines gemeinsam geteilten Oberthemas bzw. innerhalb einer gemeinsamen Dimension professionellen Handelns komparative Analysen mit Interviewsequenzen durchführe, die aus mindestens zwei, meistens mehr, Fällen stammen 1. Hierbei zeige ich auf, wie, also aus welchen Orientierungsrahmen heraus, auf ein gemeinsames Thema innerhalb einer Typik professionellen Handelns Bezug genommen wird. Die „Reproduktionsgesetzlichkeit“ der herausgearbeiteten Orientierungen weise ich nach, indem ich aufzeige, dass diese sich in strukturidentischer Weise in weiteren Fällen und in weiteren Dimensionen bzw. Typiken professionellen Handelns dokumentieren (vgl. Przyborski/ Wohlrab-Sahr 2010, S. 39, 286). Die Vergleichsdimensionen ergeben sich zum einen aus Unterschieden in Bezug auf Angebotsformen und professionellen Gruppen. Quer zu diesen vorab angelegten, kategorialen Differenzen werden zum anderen Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich, die sich erst im Zuge des Rekonstruktionsprozesses aus dem Datenmaterial als empirische Vergleichshorizonte herausarbeiten ließen. 1
Ein einzelner Fall interessiert hier nicht mehr als Ganzes, da im Zuge der komparativen Analyse nachgewiesen wird, dass herausgearbeitete Orientierungen stets fallübergreifend vorkommen. In dieser Analysephase lassen sich die Orientierungen einzelner Fälle zu gemeinsam geteilten Orientierungsrahmen von Versorgungsmilieus abstrahieren.
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Der erste Schritt in Richtung Typenbildung bestand in der Rekonstruktion einer „Basistypik“. Hierbei handelt es sich um ein alle Fälle übergreifendes Orientierungsproblem, das die Interviewten selbstläufig thematisieren. An der selbstläufigen, metaphorisch dichten Art, wie entsprechende Redebeiträge eingebracht, elaboriert und beendet werden, wird deutlich, dass es sich hierbei – aus dem Relevanzsystem der professionellen Fachkräfte heraus betrachtet – um ein zentrales Handlungsproblem handelt. Im Verlauf der Analyse konnte ich die Basistypik wie auch die Orientierungsrahmen, aus denen heraus sich die Beforschten auf die gemeinsam geteilte Orientierungsproblematik beziehen, schrittweise weiter abstrahieren. Liegt ein gemeinsam geteilter Rahmen vor, was auf die Existenz eines Versorgungsmilieus hinweist, so weisen die Modi des Bezugnehmens auch bei unterschiedlichen Themen Homologien auf. Werden dagegen die Orientierungsrahmen nicht miteinander geteilt, finden sich hier Kontraste. Die Basistypik fungiert somit als ein empirisch gewonnenes tertium comparationis, ein gemeinsames Drittes, an dem sich die unterschiedlichen Modi des Bezugnehmens – homolog oder kontrastierend – systematisch herausarbeiten lassen. In diesen Modi dokumentiert sich der jeweilige Orientierungsrahmen bzw. der professionelle Habitus.
7.1 D IE B ASISTYPIK :
SOZIALES VERSUS INSTRUMENTELLES
V ERSTEHEN H ANDELN
Anhand der rekonstruierten Basistypik, dem Spannungsverhältnis zwischen verstehenden und instrumentellen Handlungslogiken, zeichnet sich bereits ab, dass es für die Beforschten keine eigene Typik professioneller Versorgung im Migrationskontext gibt. Vielmehr beziehen sich die Fachkräfte auf das Thema der Untersuchung – die Versorgung alter Migranten – stets aus ihrer habitualisierten professionellen Grundhaltung heraus. Man kann auch sagen, es sind habitualisierte Versorgungsstile der Interviewten, die hier am Beispiel des Untersuchungsthemas zum Ausdruck gebracht werden und die Zugehörigkeit zu jeweils spezifischen Versorgungsmilieus im Feld der Altenhilfe dokumentieren. Die Reproduktionsgesetzlichkeit dieser milieuspezifischen Habitus oder Orientierungsrahmen – ihre gegenstandsbezogene Generalisierbarkeit – weise ich, wie bereits gesagt, im Folgenden nach, indem ich aufzeige, dass die Modi der jeweils typischen Bearbeitung eines Themas auch in anderen Zusammenhängen und über verschiedene Dimensionen hinweg stabil bleiben. Als Basistypik fungiert eine Orientierungsproblematik, die aus der Eigenart personenbezogener sozialer Dienstleistungen im Feld der Altenhilfe resultiert. Da in ihrem beruflichen Handlungsfeld die Arbeit mit und am Menschen zentral ist, müssen die Fachkräfte regelmäßig mit sehr unterschiedlichen hilfebedürftigen alten
7 K OMPARATIVE A NALYSE UND
MEHRDIMENSIONALE
TYPENBILDUNG
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Menschen immer wieder soweit übereinkommen, dass eine soziale Beziehung im professionellen Rahmen möglich ist. Hierbei sehen sich die Beforschten im Versorgungsalltag gezwungen, zwei unterschiedliche Handlungslogiken immer wieder auf ein Neues miteinander zu vereinbaren: verstehendes, soziales Handeln versus instrumentelles Handeln. Pointiert kommen hiermit verbundene Schwierigkeiten zwar auch dort zum Ausdruck, wo sprachliche Verständigungsprobleme bestehen, wie dies im Migrationskontext der Fall sein kann. Jedoch erweist sich die Bearbeitung sprachlicher Barrieren nicht als das zentrale Orientierungsproblem. Grundsätzlich problematisch ist für die professionellen Fachkräfte vielmehr die Bearbeitung des Spannungsverhältnisses, welches sich aus der Differenz zwischen der Logik des verstehenden und des instrumentellen Handelns in der Versorgungspraxis ergibt. Diese Relation gilt es, unter Zeit- und Handlungsdruck, immer wieder in wechselnden Situationen zu bearbeiten. Der Begriff „instrumentelles Handeln“ ist hierbei weit gefasst, er betrifft die verrichtend-instrumentelle Seite des Versorgungshandelns in ihrer ganzen Bandbreite. Diese reicht von der Einhaltung hygienetechnischer Prinzipien z. B. bei der Körperpflege, der Ernährung und der Wundversorgung über die Anwendung von Bestimmungen, Standards und Einschätzungsinstrumenten (z. B. Erfassungsbögen, Assessment- und Screening-Instrumenten, Risikoskalen) bis hin zur Durchführung strukturierter Beratungs- und Interventionsformen beim „Case-Management“. Der verrichtend-instrumentelle Aspekt des Beratens, Betreuens und Pflegens folgt einer grundsätzlich anderen Handlungslogik als der verstehende, beziehungsbildende und -gestaltende. Problematisch für die Betroffenen ist, dass beide Aspekte im Rahmen konkreter Versorgungssituationen zeitgleich angefordert werden. Jede einzelne Versorgungssituation ist somit immer auch durch die Notwendigkeit gekennzeichnet, zwei kategorial verschiedene Handlungslogiken miteinander zu vereinbaren. Während dem verrichtend-instrumentellen Versorgungshandeln eine Logik der Kategorisierung, Objektivierung und (Stereo-)Typisierung des Gegenübers inhärent ist, erfordert das verstehende, soziale Handeln ein persönliches Sich-Einlassen auf und Zulassen von individueller Betroffenheit. Hieraus ergibt sich ein Spannungsverhältnis, an dem sich die Fachkräfte in den Erzählungen und Beschreibungen ihrer Alltagspraxis immer wieder abarbeiten. Im Zuge der komparativen Analyse lassen sich anhand dieser Basistypik drei voneinander abgrenzbare Modi des Umgangs mit diesem Orientierungsproblem rekonstruieren, die im Folgenden exemplarisch herausgearbeitet werden sollen. Um die Orientierung im Fließtext zu erleichtern, stelle ich die folgende Tabelle mit der Bezeichnung der Typen voran.
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Tabelle 4: Typen habitueller Versorgungsstile im Feld der Altenhilfe Typenbezeichnung:
Orientierungsrahmen:
Typus A Typus B
Das Primat der instrumentellen Expertise. Die Balance zwischen der Anerkennung der individuellen Autonomie einer hilfebedürftigen Person und dem Prinzip der Versorgung. Der professionelle Zugang zum konjunktiven Erfahrungsraum.
Typus C
8 Ambulante Versorgung
8.1 M IGRATION UND V ERSORGUNG : R AHMUNGEN DES T HEMAS Typus B: Herr Baumgärtner: „wir müssen’s ganz einfach und wir wollen das auch“ Herr Baumgärtner ist Pflegedienstleiter einer großen Sozialstation. Diese ist in einem Innenstadtbezirk lokalisiert, der einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund aufweist. Die Einrichtung liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem dicht besiedelten Neubaugebiet, dass vorwiegend von einkommensschwachen Familien und Personen im Rentenalter bewohnt wird. Hier lebt das Hauptklientel der Einrichtung. Der freigemeinnützige Träger des ambulanten Pflegedienstes ist konfessionell gebunden. Das Angebot ist aus konzeptionellen Gründen nicht zielgruppenspezifisch, sondern „interkulturell offen“, wie es im Leitbild der Einrichtung heißt: „[das steht] im Leitbild richtig drin, dass wir alle pflegen, egal welche Herkunft und welche Nationalität, welches Geschlecht. wir sind für alle da. das ist für uns auch sehr wichtig, weil wir sind eine kirchliche Einrichtung vom Träger“ Z. 323-325, Transkript Herr Baumgärtner). Gemäß den Angaben des Pflegedienstleiters beträgt der Anteil von zu pflegenden Personen mit Migrationsbiografien etwa 30 % aller Pflegebedürftigen, die das Angebot der Einrichtung nutzen. Unter der Mitarbeiterschaft, die mit der direkten Pflege und häuslichen Versorgung befasst ist, haben mehr als die Hälfte aller Beschäftigten einen Migrationshintergrund. Die Differenzierung zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund im Versorgungskontext, welche die Interviewerin mit der Einstiegsfrage1 gesetzt hat, weist Herr Baumgärtner zwar nicht explizit zurück, jedoch reproduziert er diese Differenzlinie in seiner Antwort auch nicht. Vielmehr
1
Gefragt wurde nach Erfahrungen mit der pflegerischen Versorgung alter Migrantinnen und Migranten. Hiermit wird implizit eine Differenz aufgemacht in Bezug auf die Versorgung von Personen mit und ohne Migrationshintergrund.
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misst er dieser Unterscheidung einfach keine Bedeutung zu. Relevant ist für ihn zunächst etwas ganz anderes, nämlich die Relation zwischen Selbst- und Fremdbestimmung im Versorgungsgeschehen. Wesentlicher als eine Unterscheidung zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund im Versorgungskontext ist für Herrn Baumgärtner die Thematisierung des von ihm wahrgenommenen Kontrastes zwischen ambulanter und stationärer Versorgung. Hierbei kommt dem Thema „Selbstbestimmung“ eine wesentliche Bedeutung zu. Das Spannungsverhältnis zwischen Selbst- und Fremdbestimmung im Kontext ambulanter und stationärer pflegerischer Versorgung nimmt im Erfahrungshorizont von Herrn Baumgärtners Arbeitsalltag eine so zentrale Stellung ein, dass er das Gespräch hierauf immer wieder selbstläufig lenkt und bereits in der Eingangssequenz des Interviews damit beginnt: Bm: Das Besondere an der ambulanten Pflege ist, dass die Selbstbestimmung schon-(.) damit haben wir tagtäglich zu tun (.) also Selbstbestimmung ist für uns erst mal ganz wichtig, es steht groß im Leitbild drin. wir wollen die Leute in ihrer Häuslichkeit pflegen, wir wollen, dass das so lange wie möglich auch in der Häuslichkeit geht, solange die das auch wollen, und dass die ein selbstbestimmendes Leben führen. der Unterschied zum Krankenhaus und zum Heim ist also wirklich ganz krass (.) allein auch das Machtverhältnis (.) also wir sind bei den Patienten Gast und werden als Serviceeinrichtung gesehen, und wir sehen uns selber auch so, und wir haben einen Gaststatus. in vielen Krankenhäusern ist es immer noch so, dass die Patienten, wenn die ins Krankenhaus kommen, dass die dann Gast sind und sich anpassen müssen. oder auch im Heim ist es leider oft auch noch so (.) bei uns ist es wirklich eher genau anders rum (.) da sind unsere Pflegekräfte Gast. und das sehen die Patienten-(.) also, die Wohnung ist unantastbar, die haben ein Hausrecht, ganz klar, die Patienten, unsere Kunden. (Z. 3-14, Transkript Herr Baumgärtner)
Die Aufforderung, über seine Erfahrungen mit der Versorgung alter Migrantinnen und Migranten zu erzählen, deutet Herr Baumgärtner als eine Frage nach Besonderheiten in seinem Tätigkeitsfeld. Das „Besondere“ ist für ihn allerdings nicht darin zu sehen, dass er es auch mit Migrantinnen und Migranten in der Pflege zu tun hat. Vielmehr steht für ihn das Thema „Selbstbestimmung“ im Vordergrund. Denn hiermit hat er es „tagtäglich zu tun“. Hierbei sieht er einen Unterschied zum Krankenhaus und zum Pflegeheim, der „wirklich ganz krass“ ist. Prägnant ist für ihn insbesondere das „Machtverhältnis“. Dieses kommt für Herrn Baumgärtner in beiden Versorgungsformen – ambulant und stationär – „wirklich eher genau anders rum“ zum Tragen. Deutlich erkennbar („und das sehen die Patienten“) wird für ihn diese Umkehrung am Wechsel des „Gaststatus“. Herrn Baumgärtners Deutung zufolge müssen sich die Nutzerinnen und Nutzer stationärer Versorgungsleistungen deshalb „anpassen“, weil sie sich dort als „Gast“ aufhalten. Dagegen kommt für ihn der „Gaststatus“ in der
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ambulanten Versorgung den Pflegekräften zu. Denn innerhalb ihres eigenen Wohnraums besitzen Pflegebedürftige das „Hausrecht“, welches durch einen Pflegedienst nicht verletzt werden darf („die Wohnung ist unantastbar“). Interessant ist für die Interpretation Herr Baumgärtners Konzept des „Gaststatus“. Auf den ersten Blick erscheint die Anwendung der Begriffe „Gast“ und „Gaststatus“ im Kontext pflegerischer Versorgung deplatziert. Zwar passen diese im Hinblick auf die zeitliche Befristung des Aufenthaltes von Pflegekräften in der Wohnung ihrer Patientinnen und Patienten bzw. von Pflegebedürftigen in der stationären Versorgung. Auch ist es nachvollziehbar, dass der vorübergehende Aufenthalt in einer fremden Sphäre mit Machteinbußen („sich anpassen müssen“) einhergeht. Jedoch zeigt die Fähigkeit zur Grenzüberschreitung auch eine gewisse Mächtigkeit an. Dieser Aspekt wird von Herrn Baumgärtner in der oben vorgestellten Sequenz allerdings nicht weiter diskutiert. Wichtiger ist ihm hier vielmehr die Möglichkeit der Umkehr von Machtkonstellationen. So kann der „Gaststatus“ prinzipiell sowohl professionellen Pflegekräften inne sein als auch den zu Pflegenden. Inhaber dieses Status ist stets diejenige Partei, die sich territorial gesehen, in einem fremden ‚Hoheitsgebiet‘ aufhält. Der „Gaststatus“ resultiert somit aus einer ‚Grenzüberschreitung‘ und geht, für Herrn Baumgärtner, mit Einbußen der Eigenmächtigkeit bzw. der Selbstbestimmung einher. Der Aufenthalt jenseits der eigenen Grenze ist als ein vorübergehender Zustand gedacht und kann nur unter der Voraussetzung geschehen, dass der jeweilige „Gast“ die Verpflichtung eingeht, sich an die Regeln des fremden Hoheitsgebietes anzupassen. Ungewöhnlich ist in diesem Zusammenhang auch die Verwendung des Begriffs „Serviceeinrichtung“. Denn ein Gast erbringt in der Regel keine Serviceleistung während seines Besuchs. Vielmehr kann er aufgrund des Konzepts der ‚Gastfreundschaft‘ selbst erwarten, dass man ihm einen Dienst erweist. Diese außergewöhnliche Begriffsverwendung ebenso wie der Umstand, dass Herr Baumgärtner den Begriff „Gast“ in der kurzen Sequenz drei Mal verwendet, deuten darauf hin, dass es sich hierbei um eine „Fokussierungsmetapher“ (vgl. Bohnsack 2010a, S. 136f.) handelt. Zentrale Orientierungen werden damit in besonders verdichteter Form ausgedrückt. Die Bedeutung einer solchen Metapher erschließt sich nur vor dem Hintergrund des impliziten, erfahrungsbasierten Wissens, welches Herr Baumgärtner im Verlauf seiner beruflichen Tätigkeit habitualisiert hat. Mit der Metapher des Gastes drückt der Pflegedienstleiter zentrale Orientierungen in verdichteter und pointierter Form aus, ohne dies reflektieren zu müssen. Vielmehr ‚fühlt‘ sich das Bild des Gastes für Herrn Baumgärtner vor dem Hintergrund seiner Praxiserfahrung einfach ‚richtig‘ an. Ähnlich wie bei einem materiellen Bild erlaubt die Metapher das Darstellen und Betrachten von Gleichzeitigkeit. Diese drückt sich insbesondere in Form gegensätzlicher bzw. übergegensätzlicher Bildelemente aus. So ist der Gast beispielsweise zugleich Fremder und Freund. Der Aspekt des Fremden kommt durch die vollzogene Grenzüberschreitung zum Aus-
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druck. Charakteristisch für den Gast ist, dass dieser sich auf einem fremden Territorium befindet. Zugleich erlaubt das Konzept der ‚Gastfreundschaft‘ eine freundschaftliche Nähe zum Gast. Ambivalent ist auch der Machtaspekt in der Gastmetapher. So muss sich der Gast zwar „anpassen“, weil er sich auf fremdem Territorium befindet, jedoch zeigt sein Vermögen, eine Grenzüberschreitung zu begehen und in eine fremde Sphäre einzudringen, auch eine gewisse Mächtigkeit an. Diese steht in einem Spannungsverhältnis zu seiner relativen Schutzlosigkeit im fremden Raum und dem Gebot der Anpassung an die Regeln der fremden Sphäre. Ein Spannungsverhältnis entsteht auch dadurch, dass der Gast als Fremder und nur vorübergehend Anwesender zwar außerhalb des regulären Ordnungs- und Machtgefüges des besuchten Gebietes steht. Jedoch muss er sich den Regeln seines Gastgebers auch anpassen, wodurch er selbst zu einem Teil dieses Gefüges wird. Moralisch gesehen ist der Gastgeber dem Gast gegenüber verpflichtet, da dieser sich als Fremder in einem Zustand der relativen Schutzlosigkeit auf fremdem Territorium befindet. Zugleich darf der Gast die Gastfreundschaft des Gastgebers nicht missbrauchen. Herr Baumgärtner drückt seine Alltagserfahrungen im Bereich professioneller Versorgung im Spannungsfeld von Selbst- und Fremdbestimmung bzw. Macht- und Ohnmacht sowie Distanz und Nähe mit der Gastmetapher aus. Sowohl Pflegende als auch Gepflegte bewegen sich gleichermaßen in diesem subtilen Spannungsfeld, das es ständig auszubalancieren gilt. Das situativ auftretende Spannungsverhältnis zwischen instrumentellen und verstehenden Handlungslogiken im Feld professioneller Versorgung dokumentiert sich im Fall von Herrn Baumgärtner stärker auf einer organisationsbezogenen Ebene. Auch diese findet in der Gastmetapher ihren Ausdruck. In der Bildung und dem Gebrauch dieser Metapher dokumentieren sich Komponenten von Herrn Baumgärtners Orientierungsrahmen. So verweist die Gastmetapher auf das Prinzip der Versorgung wie es sich für Herrn Baumgärtner auf der Ebene des Erlebens bzw. der durchgemachten Erfahrung darstellt. Dieses Prinzip basiert auf einem gegenseitigen Verpflichtet-Sein, wodurch ein Spannungsfeld entsteht zwischen Macht- und Ohnmacht bzw. Selbst- und Fremdbestimmung sowie Distanz und Nähe. Zum anderen verweist Herrn Baumgärtners thematische Fokussierung auf den Aspekt der Selbstbestimmung auf eine Verinnerlichung des Prinzips der Anerkennung der individuellen Autonomie einer hilfebedürftigen Person im Versorgungskontext. Dieser Aspekt ist für ihn so zentral, dass eine Unterscheidung von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund vor diesem Hintergrund völlig an Bedeutung verliert, obwohl diese einen wesentlichen Punkt in der Fragestellung der Interviewerin aufgemacht hatte. Im Vordergrund steht für Herrn Baumgärtner aber keine soziale Gruppe sondern das Individuum. Die Zuschreibung von Zugehörigkeit würde das Recht des Individuums auf individuelle Autonomie einschränken. Mit dem Gebrauch der Gastmetapher gelingt es Herrn Baumgärtner auch auszudrücken, wie er dem theoretisch-konzeptionellen Widerspruch zwischen den Begriffen „Patient“ und „Kunde“ („die Patienten, unsere Kunden“) auf der
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Handlungsebene begegnet. Durch die Darstellung der Gleichzeitigkeit von Abhängigkeit und Souveränität, Selbst- und Fremdbestimmung, Dauerhaftigkeit und zeitlicher Begrenzung sowie Distanz und Nähe lassen sich mit Herrn Baumgärtners Gastbegriff die wesentlichen Spannungslinien zwischen den Konzepten „Patient“ und „Kunde“ zum Ausdruck bringen und handlungspraktisch bearbeiten. In Herrn Baumgärtners Gebrauch der Gastmetapher dokumentiert sich, dass er auf der Ebene des impliziten, erfahrungsgebundenen Wissens um die vielfältigen, wechselseitigen Spannungslinien zwischen Pflegenden und Gepflegten im Versorgungskontext weiß. Aufgrund seiner habituellen Orientierungen strebt er eine Balance zwischen den widerstreitenden Prinzipien an. Wie anhand der Gastmetapher deutlich wird, sind für Herrn Baumgärtner prinzipiell alle direkt am Versorgungsgeschehen Beteiligten einander in gewisser Weise fremd. Vor diesem Hintergrund kommt dem Aufenthalts- bzw. Migrationsstatus einer Person keine primäre Bedeutung zu. Dennoch stellt der Pflegedienstleiter auch Unterschiede zwischen Einheimischen und Zugewanderten in der Versorgung fest. So gelangen, Herrn Baumgärtners Beobachtung zufolge, alte Migrantinnen und Migranten meistens erst als Schwer- und Schwerstpflegefälle zu ihm in die Versorgung, also erst dann, wenn es für eine ambulante Pflege schon fast zu spät ist. Bm: Oftmals kommen die erst, wenn=s nicht mehr geht, die Klienten. grad Migranten werden meist erst überwiesen, vom Arzt, vom Krankenhaus. in ander=n Ländern gibt es zugehende Sozialarbeit zum Beispiel, wo dann Sozialarbeiter die Wohnungen aufsuchen und gucken, ob da Bedarf ist und was anliegt. das existiert hier nicht. (Z. 575-579, Transkript Herr Baumgärtner)
Ein Problem sieht Herr Baumgärtner darin, dass der Übergang in die ambulante Versorgung gerade im Fall von schwer pflegebedürftigen Migrantinnen und Migranten häufig erst im Rahmen einer Krisensituation erfolgt („wenn=s nicht mehr geht“). Die Möglichkeiten der Betroffenen in solch einer Situation noch selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen, sind dann oft erheblich einschränkt („werden meist erst überwiesen vom Arzt, vom Krankenhaus“). In dieser Hinsicht stellt die Versorgung alter Migrantinnen und Migranten für Herrn Baumgärtner auch eine Herausforderung dar. Diese ist für ihn jedoch nicht in den Menschen selbst oder ihrer Herkunft begründet. Vielmehr zeigt sich für ihn hier ein Schwachpunkt des Versorgungssystems („zugehende Sozialarbeit … existiert hier nicht“). Kritisch bewertet Herr Baumgärtner in diesem Zusammenhang auch versorgungspolitische Entwicklungen, wie aus der folgenden Sequenz hervorgeht. Diese Entwicklungen haben, seiner Ansicht nach, in den vergangenen zwanzig Jahren dazu geführt, dass insbesondere Migranten mit schlechten Deutschkenntnissen aus arbeitsorganisatorischen und betriebswirtschaftlichen Gründen, selbst bei besten Absichten, fast zwangsläufig zu einer benachteiligten Klientel werden, weil man da „wenig investieren“ kann.
138 | K ULTURSENSIBLE A LTENHILFE ? Bm: Wir haben seit den neunziger Jahren eine extrem hohe Arbeitsverdichtung und die Finanzierung wird nicht angepasst. wir müssen wirklich, seit den neunziger Jahren, müssen wir extrem mehr machen, also extrem auch mehr Pflege leisten und im QM2
Bereich [ ] mehr investieren, ohne dass wir irgendeine Finanzierung bekommen dafür. wir müssen das alles irgendwoher nebenher erwirtschaften und das geht natürlich auch zu Lasten der Selbstbestimmung in einer guten Pflege, weil die Zeit einfach fehlt. wenn die Krankenschwestern pro Patient noch so viel schreiben müssen, dass sie weniger Zeit haben da tätig zu sein und dann auch noch jetzt eine Beratung anbieten müssen, mit einer defizitären Ausbildung, die das gar nicht leistet. also, nach dem neuen Pflegegesetz sind die ja verpflichtet, für alle Expertenstandards eine Beratung anzubieten und darüber hinaus auch noch und wir müssen das nachweisen. also, wenn Kontrollen sind, 3
(.) vom MDK [ ] oder sonst wo, müssen wir einen Beratungseinsatz nachweisen für jedes Problem, das eventuell auftaucht, und das vielleicht auch noch in verschiedenen Sprachen nachweisen, dann kriegen wir wirklich richtig Schwierigkeiten (.) wir machen das gerne, wir würden gerne noch mehr machen, aber A, die Ausbildung der Krankenschwestern gewährleistet das nicht. gerade eine Inkontinenzberatung oder eine Schmerzberatung, die kann verweisen, die kann empfehlen oder einsetzen, aber eine Beratung machen. aber selbst der Beratungseinsatz, also eine Beratung, wenn man überlegt, wie lange soll das dauern und wer finanziert die Beratung. wir haben vielleicht einen Patient, wo eine Insulingabe ist, eine Insulingabe wird mit acht=Euro=noch=was von manchen Kostenträgern finanziert. der Einsatz ist in der Regel zehn Minuten, und da soll eine Beratung stattfinden (.) //Y: hm // Beratung auch nicht nur zu einem Thema, sondern zu sämtlichen Themen normalerweise. wenn man in den Beratungsbereich reingeht, so neunzig Minuten eigentlich, ist so das Klassische, oder wenigstens fünfundvierzig Minuten (.) //Y: mhm, ja // der Stundensatz für eine Krankenschwester ist vom Betriebswirtschaftlichen für ein Unternehmen vierzig Euro brutto mit allem drum und dran, also Overhead und so (.) //Y: ah, mhm // also das ist nicht dass ich jetzt gegen Beratung bin, um Gottes Willen, ich finde gut, dass das darein gekommen ist. aber wie will man das finanzieren? und da wird man also auch schon ziemlich allein gelassen. und das geht natürlich zu Lasten der Patienten und erst recht der Migranten, weil da kann man wenig investieren. (Z. 640-671, Transkript Herr Baumgärtner)
Herr Baumgärtner stellt fest, dass „seit den neunziger Jahren“ eine „extrem hohe Arbeitsverdichtung“ aufgrund von gesetzlichen Änderungen im Pflegebereich stattgefunden hat. Mittlerweile muss nicht nur „extrem“ mehr an „Pflege“ geleistet, sondern zugleich ein zusätzlicher Arbeits- und Zeitaufwand „im QM-Bereich“ betrieben werden, welcher nicht extra vergütet wird. Dieser Mehraufwand an Büro2
QM = Qualitätsmanagement.
3
MDK = Medizinischer Dienst der Krankenkassen.
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kratie muss „nebenher“ erwirtschaftet werden. Dies geht „natürlich“ zulasten der „Selbstbestimmung“ in der Pflegeversorgung, weil hierfür nun „die Zeit einfach fehlt“. Neben dem bereits erhöhten bürokratischen Aufwand wurde im „neuen Pflegegesetz“ auch noch die Durchführung von „Beratung“ verbindlich festgeschrieben („sind wir ja verpflichtet“), und zwar für „jedes Problem, das eventuell auftaucht“. Obwohl die Pflegekräfte dies weder mit ihrer „defizitären Ausbildung“ noch zeitlich leisten können, „müssen“ bei den gesetzlich vorgesehenen „Kontrollen“ entsprechende Nachweise hierüber erbracht werden. Es ist aber nicht so, dass Herr Baumgärtner „gegen Beratung“ wäre. Er findet es sogar „gut“, dass „das da reingekommen ist“ und würde auch sonst gerne „noch mehr machen“. Jedoch fühlt er sich „ziemlich alleingelassen“, weil überhaupt nicht klar ist, wie man das finanzieren kann. So geht diese Situation letztlich „zu Lasten der Patienten“. Besonders Migranten sind hier im Nachteil, weil man in diesem Marktsegment „wenig investieren kann“. Sollte zudem Beratung „in verschieden Sprachen“ nachzuweisen sein, bekommt man bei der Versorgung von Migranten „wirklich richtig Schwierigkeiten“. Herr Baumgärtner schildert in dieser Sequenz eine paradoxe Situation. So führen, ihm zufolge, gerade jene gesetzlichen Änderungen und Auflagen, die im Rahmen der an marktwirtschaftlichen Prinzipien orientierten Reorganisation sozialer Dienste eigentlich der Sicherung und Verbesserung der Pflegequalität dienen sollten, zu einer Situation, die letztendlich „zu Lasten der Patienten und erst recht der Migranten“ geht. Doch trotz seiner Kritik auch daran, dass man als Pflegedienst mit den aufkommenden Problemen infolge der gesetzlichen Änderungen „ziemlich allein gelassen wird“, nimmt Herr Baumgärtner keine grundsätzlich ablehnende Haltung ein gegenüber der generellen Entwicklung. Vielmehr kann er der Situation auch Positives abgewinnen („ich finde gut, dass das da reingekommen ist“, „wir machen das gerne“). Was Herr Baumgärtner prinzipiell „gut“ findet, sind gesetzliche Regelungen, die, wie hier durch Beratung, die Selbstbestimmungschancen von zu Pflegenden erhöhen. Denn dies entspricht seiner habituellen Orientierung am Prinzip der Anerkennung der individuellen Autonomie einer hilfebedürftigen Person. Problematisch ist für ihn, dass die gesetzlichen Forderungen in der Praxis nicht umsetzbar sind. So reichen, seiner Ansicht nach, weder die Kompetenzen („defizitäre Ausbildung“) noch die finanzierbaren Einsatzzeiten der Pflegekräfte („der Einsatz ist in der Regel zehn Minuten, da soll eine Beratung stattfinden“). Vor diesem Hintergrund muss er bei dem, was er prinzipiell begrüßt, nämlich „Selbstbestimmung in einer guten Pflege“, Abstriche machen („das geht natürlich zu Lasten der Patienten“). Dieser Modus mit der gegebenen Situation umzugehen, entspricht dem Prinzip der Balance zwischen der prinzipiellen Anerkennung der Autonomie einer hilfebedürftigen Person und dem Prinzip der Versorgung. Denn Versorgung kann sich nur nach dem richten, was an Mitteln und Kompetenzen zur Verfügung steht. Aus dieser Haltung heraus bewertet er auch die Situation der Versorgung von
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„Migranten“. So ist es prinzipiell zwar zu begrüßen, wenn man ihnen eine Beratung „auch noch in verschiedenen Sprachen“ anbieten müsste, weil dies ihre Selbstbestimmungschancen erhöhen würde. Jedoch würde ein Pflegebetrieb unter der gegenwärtigen Finanzierungs- und Personalsituation „wirklich richtig Schwierigkeiten“ bekommen, wenn er dies grundsätzlich zu leisten hätte. Aus diesem Grund sieht Herrn Baumgärtner es so, dass Migrantinnen und Migranten unter den gegenwärtigen Versorgungsbedingungen größere Versorgungsmängel als einheimische Patientinnen und Patienten hinnehmen müssen, obwohl sie prinzipiell ebenso wie Einheimische als autonome Individuen anerkannt werden. Typus A: Gruppe Alpenveilchen: „da hab ich echt’n Problem mit, Migration und Pflege“ Einen deutlichen Kontrast zu den sich in dem Interview mit Herrn Baumgärtner dokumentierenden habituellen Orientierungen bildet die Gruppendiskussion der Gruppe Alpenveilchen. Ebenso wie Herr Baumgärtner sind die Gruppenmitglieder in der ambulanten Versorgung tätig. Es handelt sich um eine Frau (Af) und zwei Männer (Am, Sm). Sie alle sind im mittleren Lebensalter, verfügen über langjährige Berufserfahrung als examinierte Pflegekräfte und waren bereits in verschiedenen Einrichtungen und Versorgungsformen tätig. Als die Gruppendiskussion stattfindet, absolvieren die drei gerade ein Hochschulstudium im Fachbereich Pflegemanagement. Ihr Studium finanzieren sie sich durch Teilzeitarbeit in ambulanten Pflegediensten. Die Frau (Af) und einer der beiden Männer (Am) arbeiten in derselben Einrichtung. Der privatgewerblich geführte Pflegedienst bietet intensivmedizinische und –pflegerische Betreuung im Rahmen häuslicher Versorgung an. Das Versorgungsangebot richtet sich insbesondere an Patientinnen und Patienten, die langfristig von intensivmedizinischer Technik abhängig sind und dennoch in der eigenen Wohnung leben möchten (z. B. Heimbeatmung, Heimdialyse). Sm arbeitet als „Springer“ in verschiedenen Sozialstationen. Diese sind in unterschiedlichen Stadtbezirken lokalisiert und gehören alle einem großen, freigemeinnützigen Träger an. Auf den Eingangsimpuls durch die Diskussionsleiterin (Y) entwickelt sich spontan eine selbstläufige Diskussion von knapp 90 Minuten Dauer. Auf der Ebene der formalen Diskursorganisation weist die Gruppe während der gesamten Gruppendiskussion Sequenzen mit paralleler oder antithetischer Diskursorganisation auf. Dies deutet darauf hin, dass die Gruppenmitglieder über gemeinsame bzw. strukturidentische Erfahrungen und Orientierungen verfügen (vgl. Przyborski 2004, S. 96ff.; zuerst: Bohnsack 1989). Diese entstammen einem konjunktiv geteilten Erfahrungsraum, der sich während der Gruppendiskussion reaktualisiert. Auf immanenter Ebene kreist das Gespräch hauptsächlich darum, dass und inwiefern Patientinnen und Patienten mit Migrationshintergrund „nervig“ (Z. 514, 585; Transkript Alpenveilchen) sind. In Phasen mit paralleler Diskursorganisation schildern
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die Gruppenmitglieder der Reihe nach ihre jeweils strukturidentischen Erfahrungen mit solchen Fällen. Antithetisch wird zwischendurch immer wieder diskutiert, ob und inwiefern sich Einheimische und Zugewanderte in diesem Punkt unterscheiden. Hierbei kommt es zur Übereinkunft, dass es zwar prinzipiell keine Unterschiede gibt („wäre mit nem=Deutschen sicher auch so passiert“ Z. 205, Transkript Alpenveilchen), jedoch sind die Erfahrungen mit der Versorgung alter Migrantinnen und Migranten, nach Ansicht der Gruppe, häufiger so „krass“ (Z. 525; Transkript Alpenveilchen), dass Pflegearbeit in solchen Fällen als unzumutbar abzulehnen ist („da habe ich den abgelehnt“ Z. 647; „da geht=s uns gegen=n Strich“ Z. 317; „des geht nich“ Z. 356; Transkript Alpenveilchen). Bereits in der Eingangspassage wird dieser immanente Gesprächsrahmen durch die Gruppenmitglieder entfaltet. Y:
Also, es geht mir ja um das Thema der gesundheitlich-pflegerischen Versorgung von alten Menschen mit Einwanderungsbiografien. bitte erzählen sie doch mal darüber, was für Erfahrungen sie persönlich so mit der Versorgung alter Migrantinnen und Migranten gemacht haben.
Am: (1) Ladies first. Af: ich würde sagen, das Am heute anfängt, weil wir reden ja heute unter anderem über einen türkischen Beatmungspatienten, den wir beide ambulant betreut haben (.) unabhängig voneinander (.) und du warst zuerst da. was ist dir denn da (1) haften geblieben? Am: was mir haften geblieben ist? @ dass ich da nicht mehr hingegangen bin @.@ Sm: @.@ Af: @ o.k., warum? (Z. 1-12, Transkript Gruppe Alpenveilchen)
Auf den Eingangsimpuls der Forscherin (Y) über eigene Erfahrungen zur gesundheitlich-pflegerischen Versorgung alter Migrantinnen und Migranten zu sprechen, signalisiert Am, dass er hierzu etwas zu sagen hat, indem er als Erster das Wort ergreift. Seine Äußerung „Ladies first“ signalisiert jedoch auch vorsichtige Zurückhaltung. Offenbar möchte er die von ihm angestrebte Diskussionsrichtung nicht ohne Rückhalt aus der Gruppe einschlagen. So erteilt er Af das Wort. Diese bietet Am den gesuchten Rückhalt auf dreifache Weise. Erstens expliziert sie Gesprächsinhalte, auf die Am vermutlich hinaus möchte („wir reden ja heute unter anderem über einen türkischen Beatmungspatienten, den wir beide ambulant betreut haben“), zweitens erteilt sie Am formal das Rederecht („ich würde sagen, dass Am heute anfängt“). Dies begründet Af damit, dass Am „zuerst“ bei dem Patienten war, über den es offenbar etwas zu erzählen gibt. Drittens wird die Erzählaufforderung der Forscherin („erzählen sie doch mal darüber, was für Erfahrungen sie … gemacht haben“) durch Af reformuliert („was ist dir denn da (1) haften geblieben?“). Deutlich wird der Akt der Reformulierung bereits an der starken Betonung des Begriffs „haften“. Auch weist die kurze Pause (etwa eine Sekunde Dauer) darauf hin, dass
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Af hier erst noch nach einem stimmigen Begriff suchen muss, der sich für sie auch richtig ‚anfühlt‘. Durch den Begriff „haften“ erhält die angebahnte Diskussion schließlich eine neue Rahmung. Af hat damit deutlich gemacht, dass Am sich nicht daran orientieren muss, was die Forscherin womöglich erwartet. Vielmehr soll es um das gehen, was ihnen an gemeinsamen Erlebnissen immer noch ‚anhaftet‘. Der Begriff „haften“ zielt vor allem auf die konjunktive Ebene der Gruppenmitglieder ab. Dies wird auch daran deutlich, dass Am diesen Begriff aufnimmt, ihn mit einer ähnlichen Betonung wie Af ausspricht und dann kurz auflachen muss. Amüsant ist für Am weniger die ungewöhnliche Formulierung „haften“ als vielmehr die Tatsache, dass er sich mit Af auch auf der konjunktiven Ebene verstanden hat. Aus diesem Grund kann Am nun seinerseits mit dem Ausspruch kontern, „dass ich da nicht mehr hingegangen bin“, was für Außenstehende zunächst wenig informativ ist. Bei den Beteiligten sorgt dieser Ausspruch jedoch für Heiterkeit. Denn Am spielt hiermit auf eine Erfahrungsgrundlage an, die allen dreien gemeinsam ist. In Bezug auf das Thema Versorgung alter Migrantinnen und Migranten sollen – wie Af ihm durch die Reformulierung des Themas rückversichert hat – vor allem solche Fälle diskutiert werden, zu denen man als Pflegekraft gar nicht mehr hingehen möchte. Amüsant ist für die drei, dass sie sich schon über bloße Anspielungen verstehen. Dies liegt daran, dass alle drei in Bezug auf den konjunktiven Erfahrungsraum, auf den sich die Anspielungen beziehen, über strukturidentische Erfahrungen verfügen. Alle drei wissen bereits, dass es jetzt um Erlebnisse mit einen bestimmten ‚Patiententypus‘ gehen wird, nämlich mit solchen „Patienten, die keiner mehr haben möchte“ (Z. 303, Transkript Alpenveilchen). Die Form, in der Af ihre Erzählaufforderung an Am richtet – das Bestehen auf eine chronologisch geordnete Erzählweise („du warst zuerst da“) und die verhörartige Übernahme der Gesprächsleitung („o.k., warum?“) – erinnert an formale Verfahren, wie eine Gerichtsverhandlung oder eine sachliche Prüfungssituation. Das, was der Gruppe in Bezug auf die Versorgung alter Migrantinnen und Migranten immer noch ‚anhaftet‘, soll möglichst systematisch, sachlich und ‚objektiv‘ erörtert werden. In dem Streben nach Sachlichkeit und Objektivität dokumentieren sich bereits Grundzüge des Orientierungsrahmens, den die Gruppe miteinander teilt. Alternativ oder ergänzend könnte hier auch interpretiert werden, dass es die „Zugzwänge des Erzählens“ nach Schütze (Kallmeyer/Schütze 1977) sind, die Af an dieser Stelle auf eine chronologische Reihenfolge bestehen lassen. Dann wäre die Narration über den türkischen Patienten aus Afs Sicht eine gemeinsam mit Am zu entfaltende Erzählung. Tatsächlich setzt Af mit ihrem Teil der Geschichte dort an, wo Am, zeitlich gesehen, geendet hat. So entstehen zwei inhaltlich zusammenhängende Narrationen von jeweils über fünf Minuten Dauer. Sm nimmt den ‚Erzählfaden‘ dann aber auch auf, indem er im Anschluss an Am und Af mit einer Erzählung über einen ‚Fall‘ aus seiner Firma einsetzt, in dem sich strukturidentische Erfahrungen dokumentieren. Diese parallele Diskusorganisation der Gruppendis-
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kussion an dieser Stelle deutet darauf hin, dass Afs moderierende Intervention nicht allein auf „Zugzwänge“ des Erzählens zurückzuführen ist, welche nur sie persönlich betreffen würden. Vielmehr ist diese Intervention auch auf den gemeinsamen Orientierungsrahmen der Gruppe zurückzuführen, welcher hierüber reaktualisiert wird. Ebenso wie im Fall von Herrn Baumgärtner finden sich auch bei der Gruppe Alpenveilchen Homologien in Bezug auf die Art und Weise, wie die Gruppe das Thema Versorgung alter Migrantinnen und Migranten rahmt und deren professionsbezogenen Habitus, welcher sich auch in einem spezifischen Modus des Umgangs mit dem Spannungsverhältnis zwischen verstehenden und instrumentellen Handlungslogiken dokumentiert. Diesem grundlegenden Orientierungsproblem begegnet die Gruppe Alpenveilchen nicht wie Herr Baumgärtner mit dem Prinzip der Balance, sondern im Modus der Priorisierung bzw. Hierarchisierung der beiden Handlungstypiken. Dies dokumentiert sich auch in der folgenden Sequenz. Prinzipiell steht für die Gruppe die Aufgabe im Vordergrund, pflegebedürftigen Menschen zu „helfen“ („wir wollen denen ja helfen“, Z. 136, Transkript Alpenveilchen). Anders als bei Herrn Baumgärtner ist hierbei nicht das Thema „Selbstbestimmung“ von zentraler Bedeutung, sondern die Notwendigkeit, sich als hilfebedürftige Person dem Helfenden gegenüber angemessen zu verhalten: „wenn ich Hilfe brauche, (.) dann muss ich auch dem Helfenden n=Stück entgegen kommen.“ (Z. 416-417, Transkript Alpenveilchen). „Helfen“ bedeutet für die Gruppe Alpenveilchen in erster Linie instrumentelles Handeln. Es gilt, eine Aufgabe am Patienten zu erledigen, ähnlich wie bei einem Reparatur- oder Werksauftrag. Hierbei ist die Beziehung zu bzw. die Verständigung mit dem jeweiligen Gegenüber nur insofern von Bedeutung, wie diese der Durchführung des instrumentellen Handelns dient. Wie sich ebenfalls in der folgenden Sequenz zeigt, ist der Aspekt der Verständigung allerdings nur auf der kommunikativen Ebene von nachrangiger Bedeutung. Denn ein stillschweigendes, unmittelbares Verstehen zwischen Pflegenden und Gepflegten wird – ebenso stillschweigend – als eine Art Mindeststandard vorausgesetzt. Das Vermögen hierzu sollte ein Patient bzw. eine Patientin einfach „drauf haben“, andernfalls ist das Arbeiten mit ihm „schwierig“, wie in der folgenden Sequenz betont wird. Sm: Ob ick mit dem klar komme oder nich interessiert ja nich. ich hab' praktisch erst mal=n Auftrag. wenn ich dann mit ihm noch äh, äh, ins Gespräch dann noch komme und mich super mit ihm verstehe, denn äh, is es nicht nur der, äh, die körperliche Heilung, sondern auch noch n=bisschen die psychiatrische Seite. weil, sind wir ja alle, als Krankenpfleger nich nu:r der reine Arbeiter, sondern auch n=bisschen Seelsorger. ((räuspern)) aber was ich, ähm ja, was ich sehr schwierig finde-(.) oder (.) ich leb=immer so-(.) ich pflege so, wie ich gepflegt werden möchte. jetzt stelle ich mir vor, ich bin in einem anderen Land, ähm, vierzig Jahre. dann sollte ich mich zu min-
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Mit einer pflegebedürftigen Person auf zwischenmenschlicher Ebene „klar“ zu „kommen“ ist vor dem Hintergrund von nachrangiger Bedeutung („interessiert ja nich“), dass es „erst mal=n Auftrag“ zu erledigen gilt. In der szenischen Beschreibung des grundsätzlichen Verhältnisses zwischen Pflegenden und Gepflegten dokumentiert sich der professionsbezogene Habitus der Gruppe Alpenveilchen als Primat der instrumentellen Expertise. Im Vordergrund steht hierbei der „Auftrag“. Dieser wird als ein Akt instrumentellen Handelns begriffen, der sich im Rahmen eines mechanistischen Gesund- und Krankheitsverständnisses allein auf „die körperliche“ Seite der „Heilung“ bezieht. Hiervon getrennt betrachtet wird die „psychiatrische Seite“. Dieser kommt zwar auch eine gewisse Bedeutung zu, weil man als professionelle Pflegekraft „nicht nu:r (.) der reine (.) Arbeiter“ ist. Jedoch steht die Beschäftigung mit dem seelischen Bereich eindeutig in einem nachgeordneten Verhältnis („n=bisschen Seelsorger“) zum eigentlichen „Auftrag“. Vor diesem Hintergrund ist für eine Begegnung ‚auf Augenhöhe‘ zwischen Pflegenden und Gepflegten kein Raum. Selbst wenn die professionelle Pflegekraft mit ihrem Gegenüber „ins Gespräch“ kommt und sich mit ihm „super“ versteht, so geschieht auch dies im Rahmen der instrumentellen, primär auf „Heilung“ von Krankheit ausgerichteten Handlungslogik, nur dass es diesmal nicht die „körperliche“, sondern „die psychiatrische Seite“ ist, die eine ‚Behandlung‘ erfährt. In der oben zitierten Sequenz folgen nun Ausführungen, die Sm durch ein akustisches Signal (Räuspern) von den vorangegangenen Äußerungen abtrennt und mit einer Proposition einleitet („aber was ich, ähm ja, was ich sehr schwierig finde-“). Thematisch geht es nun nicht mehr um das Verhältnis zwischen Pflegenden und zu Pflegenden im Allgemeinen, sondern um die Situation von Pflege im Migrationskontext. Das, was Sm hieran „schwierig“ findet, ist für ihn offenbar nicht so einfach zu explizieren. Denn er setzt mehrmals neu an: „finde-(.) oder (.) ich leb=immer so(.) ich pflege so, wie ich gepflegt werden möchte. … (.) ähm“, um schließlich eigentheoretisch hergeleitete Mindeststandards („sollte ich … zu mindestens … wenigstens“) und „Grundbegriffe“ zu formulieren, die er als Migrant „drauf haben“ würde, sollte er „vierzig Jahre“ in einem fremden Land leben und dann pflegerische Hilfe benötigen. Worum es Sm hier eigentlich geht, ist eine unreflektiert vorliegen-
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de Erwartungshaltung an die zu Pflegenden, welche von diesen offenbar nicht immer erfüllt wird. Da diese Erwartungshaltung für Sm an dieser Stelle nicht auf eine theoretisch-reflexive Weise abrufbar ist, sondern allein auf der Ebene des Erlebten in Form impliziten Wissens vorliegt, fällt es ihm schwer, sein Unbehagen in Worte zu fassen. Als er versucht über das, was für ihn „schwierig“ ist, auf der kommunikativen Ebene zu theoretisieren, verwickelt er sich in Widersprüche: Einerseits ist die Verständigung mit zu Pflegenden, wie Sm eingangs deutlich macht, eine nachrangige Angelegenheit („interessiert ja nich“). Auf der anderen Seite muss man sich aber „in einem anderen Land“ als pflegebedürftige Person „verständigen“ können und „@sagen@“ können, „wo et weh tut“. Sm’s Lachen drückt hier Verunsicherung aus. Offenbar wird ihm die Ungereimtheit seiner Argumentation selbst klar und er versucht, sich zu korrigieren: „un=selbst wenn ich das nicht kann, dann muss ich das äh, äh benennen (.)“, was jedoch zu keiner schlüssigen Aussage auf der kommunikativen Ebene führt. Auf der Ebene des impliziten Erfahrungswissens ist die Sache für Sm und die anderen Gruppenmitglieder allerdings klar. Ihre Kritik basiert auf einer stillschweigend vorausgesetzten Erwartungshaltung und richtet sich gegen jene Pflegebedürftigen, die diese nicht erfüllen. Pflegerische Versorgung im Sinne der Gruppe Alpenveilchen ist nur dann möglich, wenn die zu Versorgenden sich entsprechend zu verhalten wissen. Welche konkreten Erwartungen sich an die zu Pflegenden richten, wird hier jedoch nur andeutungsweise deutlich. So sollte ein Patient bzw. eine Patientin zumindest „erst mal“ dafür „dankbar“ sein, dass eine Pflegekraft „kommt“ und „hilft“. Wie sich diese Dankbarkeit konkret äußeren sollte, wird nicht näher erläutert. Insgesamt wird jedoch deutlich, dass sich die implizite Erwartungshaltung der Gruppe Alpenveilchen auf ein implizites Wissen bzw. praktisches Können aufseiten der Pflegebedürftigen richtet. Überspitzt formuliert könnte man formulieren, dass diese die Praktik des ‚doing patient‘ im Sinne der Erwartungshaltung der Gruppe beherrschen müssen. Schwierig bis unmöglich ist die Erfüllung des Pflegeauftrages für die Fachkräfte, wenn das „doing patient“ vonseiten der Pflegebedürftigen nicht bzw. nicht in der erwarteten Weise vollzogen wird („da habe ich den abgelehnt“ Z. 647; „da geht=s uns gegen=n Strich“ Z. 317; „des geht nich“ Z. 356; Transkript Alpenveilchen). Die Konzentration der Gruppe auf das Thema schwierige bzw. nervige Patienten im Migrationskontext erlaubt ihr, ein für sie grundsätzlich bestehendes Handlungsproblem im Versorgungsalltag am Beispiel einer zugespitzten Problematik zu diskutieren. So funktioniert der habituelle Versorgungsstil der Gruppe, das Primat instrumenteller Expertise, nur dann, wenn die zu Pflegenden hierbei ‚mitspielen‘ im Sinne einer stillschweigenden Übereinkunft bzw. eines an den Versorgungsstil angepassten ‚doing patient‘. Wollen oder können Patienten dies jedoch nicht, entsteht ein hohes Konfliktpotenzial. Aufgetretene Probleme sind umso schwieriger zu lösen, je geringer die Chancen sind, wenigstens auf der kommunikativen Ebene eine Verständigung zu erzielen. Da diese Ebene für den Versorgungshabitus der Gruppe jedoch von nachrangiger
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Bedeutung ist, spitzt sich eine Alltagssituation im Versorgungsgeschehen besonders dann schnell zu, wenn die betroffenen Patientinnen oder Patienten ihrerseits auch nur über eingeschränkte Möglichkeiten kommunikativer Verständigung verfügen. Gerade im Migrationskontext kann dies eher der Fall sein. Typus C: Frau Christrose, Herr Cimen und Frau Cicek Ebenso wie Herr Baumgärtner und die Gruppe Alpenveilchen arbeiten Frau Christrose, Herr Cimen sowie Frau Cicek in der ambulanten Pflegeversorgung. Bei ihren Einrichtungen handelt es sich um kleinere, privatgewerblich geführte Firmen und Wohnprojekte, in denen jeweils eine größere Anzahl von Pflegebedürftigen mit Migrationshintergrund versorgt wird. Dasselbe gilt für weitere Fälle, in denen sich Orientierungen des Typus C dokumentieren (vgl. Tabelle 3.3). Der Anteil zu versorgender Migrantinnen und Migranten macht hier zwischen 40 % bis 100 % der Gesamtklientel aus. Bis auf eine Ausnahme4 handelt es sich insgesamt um relativ neue Pflegedienste. Diese existieren zum Zeitpunkt der Interviews erst seit zwei bis fünf Jahren. Die interviewten Fachkräfte verfügen alle über langjährige Berufserfahrung, die sie in verschiedenen Versorgungseinrichtungen im Feld gesundheitlich-pflegerischer Versorgung erworben haben. Eine Gemeinsamkeit der Interviews, in denen sich Orientierungen des Typus C dokumentieren, besteht darin, dass das Thema Versorgung im Migrationskontext stets vor einem positiven Horizont entfaltet wird. Die Fachkräfte beziehen sich hierbei auf eigene Erfahrungen, die sie positiv bewerten („macht das auch viel Spaß mit den Migranten zu arbeiten“ Z. 20, Transkript Cimen; „das war superinteressant und […] auch wunderschön, muss ich sagen“ Z. 9, Transkript Christrose; „für meine Leute […] da weiter machen, das finde ich auch ganz toll“ Z. 436, Transkript Cicek). Zwar werden auch Problembereiche angesprochen („gibt es auch natürlich viele Problematiken für die Pflege“ Z. 18, Transkript Cimen), jedoch spielen diese eine untergeordnete Rolle vor dem Hintergrund der positiven Erfahrungen. Auffallend ist ein ausgeprägtes Vertrauen der Fachkräfte in die eigene Handlungs- und Problemlösefähigkeit. Sie fühlen sich „sicher“ in Bezug auf die Bewältigung von Versorgungsaufgaben im Migrationskontext (Z. 97, 98, 375, Transkript Cimen, Z. 322, Transkript Christro4
Eine wichtige Ausnahme stellt das Interview mit Frau Christrose dar. Sie erzählt im Rahmen ihrer zwanzigjährigen Berufsbiografie von drei verschiedenen Einrichtungen (ambulant und stationär). Ihre Erfahrungen mit der ambulanten Versorgung im Migrationskontext beziehen sich auf die 1990er Jahre, also einen Zeitraum kurz vor und nach Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995. Alle anderen Einrichtungen, über die in den übrigen Interviews gesprochen wird, sind erst nach dem Jahr 2000 entstanden. Diese unterliegen aufgrund veränderter Rahmenbedingungen nun einem deutlich höheren Wettbewerbsdruck.
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se). Denn sie verfügen über einen habituellen Versorgungsstil, mit dem sie sich hier besonders gut „einbringen“ (Z. 30, Transkript Christrose) können. So etwa im Fall von Frau Christrose. Typus C: Frau Christrose: „das war super interessant und auch wunderschön, muss ich sagen“ Die examinierte Pflegekraft Frau Christrose stammt aus der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR), wo sie auch ihr Pflegeexamen absolviert hat. Kurz nach der ‚Maueröffnung‘ nimmt sie eine Stelle an als stellvertretende Pflegedienstleitung in einer privatgewerblich geführten Sozialstation einer westdeutschen Großstadt. Frau Christrose entfaltet das Thema Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund im Kontext der positiven Erfahrung, endlich eine „Arbeitsweise“ praktizieren zu können, die sie als „sehr frei“ und persönlich zu ihr passend beschreibt. Chf: Ja, also was mir ganz gut gefallen hat in dieser Sozialstation, im Osten war man ja immer sehr strukturiert und so weiter, es war alles sehr starr, und da war sehr viel Freiheit mit einem Mal, also meine Arbeitsweise-(.) ich konnt=mich ganz super ein bringen mit dem, was ich also mitgebracht hab. wir hatten ja eine super Ausbildung auch im Osten (.) aber so die Arbeitsweise an sich war sehr offen, sehr frei, da konnt=ich also mich super einbringen. und dann bin ich sozusagen als Stellvertretende angestellt worden, war aber sehr viel bei Klienten und da hatten wir zum Beispiel-(.) bin ich das erste Mal in Kontakt mit türkischen Patienten gekommen und war erst mal ganz überrascht, wie familiär und wie-(.) also ich kannte das wirklich nicht. ich wusste überhaupt nichts. und bin sozusagen ganz unbeleckt und unbedarft-(.) ich hatte auch keine negativen oder positiven Erfahrungen, sondern null. und bin sozusagen da rein gekommen in die Familie und wurde sehr herzlich aufgenommen und war ganz überrascht von dem, was ich da eigentlich so erlebt habe. diese ganze familiäre Struktur, diese Herzlichkeit. das ist mir eigentlich immer wieder begegnet dann bei diesen türkischen Familien, dass sie Großfamilien oft waren, dass teilweise ja, (.) also dass entweder ganz, ganz große Wohnungen gemietet wurden, oder halt die Familien auch dicht beieinander gewohnt haben. und das fand ich eigentlich sehr schön. also so kannte ich=s eigentlich vom Lande her. so nicht wirklich anders als ich=s kannte. aber so von der Stadt her nicht. also dass, was ich so in X-Stadt und so-(.) und das fand ich schön. (Z. 28-44, Transkript Frau Christrose)
Frau Christrose stellt fest, dass „mit einem Mal“ ein ganz anderes Arbeiten für sie möglich ist. Es ist nun „sehr viel Freiheit“ da. Zwar gab es „auch im Osten“ eine „super Ausbildung“. Jedoch war dort alles „immer sehr strukturiert“ und „sehr starr“. An ihrem neuen Arbeitsplatz kann sich Frau Christrose mit dem, was sie persönlich „mitgebracht“ hat, „ganz super einbringen“ und zwar deshalb, weil „die
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Arbeitsweise an sich“ nun „sehr offen, sehr frei“ ist. Als ambulante Pflegekraft in einer westdeutschen Großstadt kommt sich nun auch „das erste Mal in Kontakt mit türkischen Patienten“. Über das Leben türkischer Familien in Deutschland wusste sie bisher „überhaupt nichts“. So geht sie die Situation völlig „unbeleckt und unbedarft“ an. Von dem, was sie nun erlebt, ist sie „ganz überrascht“. Sie wird „sehr herzlich aufgenommen“. Dies begegnet ihr später „immer wieder“. Diese „familiäre Struktur“ und diese „Herzlichkeit“, die Frau Christrose bei den türkischen Familien vorfindet, sind ihr „eigentlich“ nicht fremd. Vielmehr ist es eher „so“, wie sie es auch „vom Lande her“ kennt und „schön“ findet. Die plötzliche „Freiheit“ in Bezug auf ihre „Arbeitsweise“ stellt für Frau Christrose keine Überforderung dar. Vielmehr erlebt sie die neuen Möglichkeiten als etwas ausgesprochen Positives. Hierbei kann sie das, was sie aufgrund ihrer „super Ausbildung“ aus „dem Osten“ bereits „mitgebracht“ hat, nun „sehr frei“ zum Einsatz bringen. Dies erlaubt ihr auch, „frei“ mit dem Spannungsverhältnis zwischen instrumentellen und verstehenden Handlungslogiken umzugehen: Frau Christrose findet einen professionellen Zugang zum konjunktiven Erfahrungsraum ihres Gegenübers, indem sie strukturelle Ähnlichkeiten auf der Ebene des Erlebten erkennt („diese ganze familiäre Struktur, diese Herzlichkeit … ist mir eigentlich immer wieder begegnet … nicht wirklich anders als ich=s kannte“) und zugleich hochflexibel im Spannungsfeld zwischen instrumentellen und verstehenden Handlungslogiken hin und her pendelt, wie sich in der folgenden Sequenz dokumentiert. Chf: Also manche konnten gar nicht Deutsch. das war dann ein Problem. (.) wo ich einen Insulinpatienten zum Beispiel mal hatte, das weiß ich noch, der sich mit Händen und Füßen sozusagen-(.) und die Frau auch, (.) wir haben uns mit Händen und Füßen verständigt, dass wir irgendwo-(.) also, das Meiste hab ich dann über die Hausärztin erfahren können erst mal (.) was das rein Medizinische anbetraf (.), weil das war natürlich wichtig, //Y: hm, ja. // wie sind die Einheiten und so. das ist klar. das muss exakt sein. da kann ich nicht so Pi mal Daumen, ungefähr. (.) ansonsten ist man natürlich mit Mimik und Gestik und Menschlichkeit hat man sich so zusammengerauft, (.) sag ich mal (.), bis man sich verstanden hat. ja, weil man manchmal war das Deutsch halt einfach-(.) also Türkisch kann ich nicht (.), war das halt manchmal ein bisschen schwierig. (Z. 176-188, Transkript Frau Christrose)
Problematisch war es, wenn kommunikative Verständigung, wie im Fall eines „Insulinpatienten“, nicht möglich war. Da der Patient „gar nicht Deutsch“ und Frau Christrose kein „Türkisch“ kann, musste die Kommunikation „mit Händen und Füßen“ erfolgen. Eine Verständigung durch zwischenmenschliche Nähe („zusammengerauft“) wurde mittels „Mimik und Gestik und Menschlichkeit“ hergestellt. Zugleich informiert sich Frau Christrose bei der „Hausärztin“ über das „rein“ Me-
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dizinische, wie die Höhe der zu verabreichenden Insulineinheiten. Denn „klar“ ist, dass man in Bezug auf diese Fragen „exakt“ sein muss. Beim Erzählen über den Fall des Insulinpatienten verbindet Frau Christrose die Ebenen instrumenteller („exakt sein“) und verstehender („Mimik und Gestik und Menschlichkeit“) Handlungslogik miteinander, ohne diese jedoch zu vermischen („da kann ich nicht so Pi mal Daumen“). Es dokumentiert sich hier eine zentrale Komponente ihres berufsbezogenen Habitus, nämlich das Prinzip, im Spannungsfeld zwischen instrumentellem und verstehendem Handeln situativ und flexibel hin und her zu pendeln, um sowohl einen professionellen Zugang zum konjunktiven Erfahrungsraum des Gegenübers zu finden als auch den Prinzipien des instrumentellen Handelns („exakt“ sein) gerecht werden zu können. Ein Orientierungsrahmen mit homologen Komponenten findet sich auch bei Herrn Cimen. Die habitualisierte Grundhaltung zeichnet sich bereits ansatzweise in seiner Bezugnahme auf das Thema Versorgung im Migrationskontext ab, wie im folgenden Abschnitt herausgearbeitet werden soll. Typus C: Herr Cimen: „andererseits macht das auch Spaß mit den Migranten zu arbeiten“ Herr Cimen stammt aus der Türkei, wo er eine allgemeinbildende Schulausbildung abgeschlossen hat. Kurz darauf kommt er nach Deutschland. Hier absolviert er eine Pflegeausbildung und arbeitet mehrere Jahre in verschiedenen Versorgungseinrichtungen, zuletzt auf einer akut-psychiatrischen Station im Krankenhaus. Seit einem halben Jahr hat Herr Cimen eine leitende Position in einem ambulanten Pflegedienst inne. Dieser Dienst ist konzeptioneller Bestandteil eines Wohnprojektes für ältere Menschen. Das Angebot umfasst hauswirtschaftliche und pflegerische Versorgung und Betreuung sowie offene Beschäftigungsangebote. Angesiedelt ist das Büro des Pflegedienstes in einer zentralen Begegnungsstätte des Wohnprojektes, einer Art Nachbarschaftstreff. Das Projekt richtet sich vornehmlich an alte Menschen mit Migrationshintergrund. Bisher hatte Herr Cimen pflegerisch „überwiegend mit den Deutschen zu tun gehabt“ (Z. 20, Transkript Herr Cimen). Das Versorgungsprojekt ist „quasi“ seine „erste Erfahrung“ wo er „hauptberuflich“ mit Migranten arbeitet (Z. 24-25, Transkript Herr Cimen). Ähnlich wie bei Frau Christrose eröffnen sich für Herrn Cimen mit dem Einstieg in das neue Projekt plötzlich neue Gestaltungsspielräume. Zugleich resultiert aus dieser Situation jedoch ein gewisser Erwartungs- und Erfolgsdruck. Denn der Pflegedienst befindet sich gerade in der Aufbauphase. Noch steht die Auslastung der Einrichtung weit hinter den Erwartungen der Investoren zurück. Wie Herr Cimen vor diesem Hintergrund auf das Thema Versorgung im Migrationskontext Bezug nimmt, wird in der folgenden, aus der Eingangspassage des Interviews stammenden Sequenz deutlich. In der überwiegend theoretisierenden Beschreibung zeichnen sich auch zentrale Aspekte seines Orientierungsrahmens ab.
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Okay. ähm, was mich speziell interessiert, was hast du denn so für Erfahrungen gemacht, mit der Pflege älterer Migranten?
Cm: ja, sehr viele Erfahrungen. Y:
okay?
Cm: da ich auch zwei Jahre Psychiatrieerfahrung habe, Pflege für die Migranten ist sehr wichtig. ähm natürlich gibt es auch, äh größere Problematiken, wegen Sprachen, wegen Mentalität, wegen Glaubensrichtung, gibt es auch natürlich viele Problematiken für die Pflege und auch Pflege der Personen und auch für die Angehörigen, für die Ärzte, aber natürlich von andererseits macht das auch viel Spaß mit den Migranten zu arbeiten, weil um so mehr man mit den Migranten arbeitet, umso mehr Menschenkenntnisse hat man, Mentalitäts-, Glaubensrichtungen, Lebenserwartungen, Ziele, Maßnahmen. (Z. 4-14, Transkript Herr Cimen)
Herr Cimen hat „sehr viele Erfahrungen“ mit der Pflege älterer Migranten gemacht. Auch vor dem Hintergrund seiner „zwei Jahre Psychiatrieerfahrung“ vertritt er die Ansicht, dass pflegerische Versorgungsangebote, die an Migranten adressiert sind („Pflege für die Migranten“), „sehr wichtig“ sind. Denn es gibt „viele Problematiken“ in der Versorgung von Migranten. Diese betreffen verschiedene Ebenen pflegerischen Handelns („die Pflege“ und „die Pflege der Personen“) wie auch die „Angehörigen“ und „Ärzte“. Jedoch macht es auch „viel Spaß“ mit Migranten zu arbeiten, weil diese Arbeit eine Möglichkeit ist, seine „Menschenkenntnisse“ zu erweitern. In diesem Zusammenhang hat Herr Cimen mit Folgendem zu tun: „Mentalitäts-, Glaubensrichtungen, Lebenserfahrungen, Ziele, Maßnahmen“. In der oben angeführten Sequenz dokumentiert sich, dass das Thema Versorgung im Migrationskontext für Herrn Cimen auf zwei verschiedenen Wissensebenen „wichtig“ ist. Zum einen nimmt er vor dem Hintergrund einer spezifischen Berufserfahrung („Psychiatrieerfahrung“) hierauf Bezug. Zum anderen argumentiert er auf der Ebene des kommunikativ-generalisierten Wissens, indem er Argumentations- und Deutungsschemata des Fachdiskurses über die Versorgung alter Migranten verwendet. Diesen zufolge ist es „sehr wichtig“, pflegerische Versorgungsangebote für Migranten anzubieten, weil es sich hierbei um eine Zielgruppe handelt, bei der typische „Problematiken“ vorherrschen („Sprache“, „Mentalität“, „Glaubensrichtung“), was auf diskursimmanenter Ebene mit vielfältigen Problemen in der pflegerischen Versorgung einhergeht sowie mit „Angehörigen“ und „Ärzten“. Für die Art und Weise wie Herr Cimen sich auf das Thema Versorgung im Migrationskontext bezieht, sind hier also zwei unterschiedliche Bezugssysteme bedeutsam. Zum einen stellt die Interviewsituation eine Art Öffentlichkeit dar. Denn das, was hier erzählt wird, ist für die ‚Außenwelt‘ bestimmt. Der Pflegedienstleiter wird hierdurch auch zu einem Repräsentanten des Wohnprojektes, sodass er nicht umhin kommt, dessen Nutzen auf eine kommunikativ-generalisierte Weise hervorzuheben („ist sehr wichtig“). Hierbei bedient er sich der Deutungs-
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und Argumentationsschemata des Versorgungsdiskurses, wonach die Versorgung alter Migranten aufgrund kultureller Differenzen („Sprache“, „Mentalität“, „Glaubensrichtung“) besonders problematisch ist („größere“ und „viele Problematiken“). Zum anderen reaktualisiert sich in der Sequenz auch die Ebene des persönlichen Erlebens von Herrn Cimen. Hier steht das Thema Versorgung alter Migranten in einem ganz anderen Kontext. Es macht ihm „viel Spaß mit den Migranten zu arbeiten“, weil diese Tätigkeit für Herrn Cimen eine Möglichkeit der Erweiterung seiner „Menschenkenntnisse“ ist, was für ihn auch einen Wert an sich darstellt. Diese Erweiterungserfahrung liegt jenseits der Orientierungsschemata des Versorgungsdiskurses und stellt für ihn das eigentlich wichtige dar, wie auch die starke Betonung des Wortes „Menschenkenntnisse“ anzeigt. Herrn Cimens anfängliche Erwähnung seiner „Psychiatrieerfahrung“ wird erst im Kontext dieses impliziten Erfahrungswissens nachvollziehbar. Auf der Ebene des versorgungspraktischen Handlungs- und Erfahrungswissens ist die Erweiterung der „Menschenkenntnisse“ durch Arbeit im Migrationskontext anschlussfähig an das, was Herr Cimen an implizitem Handlungswissen aus seiner „Psychiatrieerfahrung“ bereits mitbringt. Diese Anschlussfähigkeit ist auf der Ebene des kommunikativen Wissens nicht gegeben. Denn in der Akut-Psychiatrie hatte Herr Cimen es, seinen zuvor gemachten Angaben zufolge, ja gerade nicht mit alten Migranten und Migrantinnen zu tun, sondern „überwiegend mit den Deutschen“ (Z. 20, Transkript Herr Cimen). Aus diesem Grund ist seine Äußerung „da ich auch zwei Jahre Psychiatrieerfahrung habe“ an dieser Stelle nicht aus einem immanenten Sinnzusammenhang heraus verständlich, sondern nur vor dem Hintergrund seines impliziten Erfahrungswissens. Ebenso ist die Platzierung der Begriffe „Ziele, Maßnahmen“ im Anschluss an die Reihenfolge „Mentalitäts-, Glaubensrichtungen, Lebenserwartungen“ nur vor dem Hintergrund von Herrn Cimens implizitem, habitualisiertem Erfahrungswissen nachvollziehbar. Ungewöhnlich an dieser begrifflichen Aneinanderreihung ist, dass hier kategorial unterschiedliche Begriffe gleichberechtigt nebeneinanderstehen. So scheinen „Mentalitäts-, Glaubensrichtungen, Lebenserwartungen“ begriffslogisch einer Kategorie anzugehören, „Ziele“ und „Maßnahmen“ dagegen einer anderen. Dennoch werden alle Begriffe in eine Reihenfolge nebeneinandergestellt. In der Verwendung zweier Kategorien dokumentiert sich Herrn Cimens fraglos vorausgesetztes, implizites Praxiswissen in Bezug auf die Notwendigkeit, in der Pflegepraxis zwei kategorial unterschiedlichen Handlungslogiken gerecht werden zu müssen. Während das Formulieren pflegerischer „Ziele“ und die Durchführung pflegerischer „Maßnahmen“ Aspekte des instrumentellen Pflegehandelns betreffen, verweisen die Begriffe „Mentalitäts-, Glaubensrichtungen, Lebenserwartungen“ auf die Ebene des sozial verstehenden Handelns. Herr Cimen weiß implizit um diese beiden Seiten pflegerischen Handelns und stellt hierauf verweisende Begriffe deshalb nebeneinander. Dabei ist die Reihenfolge seiner Begriffswahl keineswegs willkürlich. Denn das verstehende Handeln liegt handlungslogisch vor der Formulierung von Pflege-
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zielen und der Durchführung von Pflegemaßnahmen. So findet sich das implizite, berufsbezogene Erfahrungswissen von Herrn Cimen auch in der Logik seiner Begriffswahl und Anordnung wieder. Ebenso dokumentiert sich, wie Herr Cimen das Spannungsverhältnis zwischen instrumentellen und verstehenden Handlungslogiken gewichtet. Ähnlich wie bei Frau Christrose stehen bei ihm beide Aspekte gleichberechtigt nebeneinander. Hierin unterscheiden sich die beiden Fälle von der Gruppe Alpenveilchen, bei der das Primat der instrumentellen Expertise den primären Rahmen darstellt. Ebenso unterscheiden sich Herr Cimen und Frau Christrose im Hinblick auf diesen Aspekt von Herrn Baumgärtner. Während bei diesem beide Handlungsprinzipien in einem sich gegenseitig ausschließenden Entweder-oderVerhältnis zueinander stehen, das es auszubalancieren gilt, handelt es sich beim Habitus von Herrn Cimen und Frau Christrose, um eine Sowohl-als-auch-Relation. Beide Prinzipien haben eine eigenständige Relevanz. Sie stehen daher nicht in einem hierarischen Verhältnis zueinander, sondern in einem handlungslogischen. So muss dem Formulieren pflegerischer „Ziele“ und dem Durchführen von „Maßnahmen“ zwar das Verstehen des Gegenübers vorausgegangen sein. Jedoch hat das instrumentelle Handeln seine eigene Berechtigung. Dass Herr Cimen auf der Ebene des impliziten Wissens um die Existenz verschiedener Handlungslogiken im Pflegekontext erfahrungsmäßig weiß und sich dieses implizite Wissen anhand seiner Wortwahl ausdrückt, dokumentiert sich in der Sequenz auch noch an einer anderen Stelle. Hier argumentiert er auf der Ebene des kommunikativ-generalisierten Wissens, dass es „viele Problematiken“ bei der Versorgung von Migranten gibt und zwar, „für die Pflege“ wie auch die „Pflege der Personen“ sowie die „Angehörigen“ und die „Ärzte“. Während „Angehörige“ und „Ärzte“ nicht weiter differenziert werden, unterscheidet Herr Cimen „die Pflege“ von einer „Pflege der Personen“, wobei der erste Begriff („die Pflege“) auf die Ebene des instrumentellen und der zweite („Pflege der Personen“) auf die des verstehenden Handelns verweist. Interessant ist auch hier wieder die begriffliche Reihenfolge. Denn im Rahmen des Pflegeprozesses liegen Verständigungs- und Verständnisprobleme handlungslogisch zwar vor dem instrumentellen Handeln. Jedoch werden Verständigungsprobleme in der Regel erst auf der Ebene des instrumentellen Handelns manifest, wo sie als „größere Problematiken“ in Form von Störungen der instrumentellen Abläufe auffallen können. Vor diesem Hintergrund ist es folgerichtig, wenn Herr Cimen in dem Moment, wo die Benennung von „Problematiken“ thematisch im Vordergrund steht, zunächst auf „die Pflege“ verweist, womit er den instrumentellen Aspekt pflegerischen Handelns anspricht und die „Pflege der Personen“ nachstellt. Gemeinsam ist Herrn Cimen mit Frau Christrose eine habituelle Orientierung, bei der verstehendes und instrumentelles Handeln in einem Sowohl-als-auchVerhältnis zueinander stehen. Handlungspraktisch führt dies zu einem situativ flexiblen Pendeln zwischen beiden Handlungsprinzipien, wobei das Verstehen des Gegenübers den Ausgangspunkt dieses Prozesses bildet und dem instrumentellen
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Handeln somit grundsätzlich zunächst einmal vorausgeht. Dass auch eine umgekehrte Prozesslogik in der Pflegepraxis vorkommen kann, bei der das instrumentelle Handlungsprinzip dem Verstehen der Person vorausgeht, wird im Unterkapitel über stationäre Versorgung am Beispiel von Frau Ayçiçeği besonders deutlich. Hier stellt die Pflegekraft erst im Anschluss an eine ganze Batterie instrumenteller Handlungsvollzüge fest, dass eine neu aufgenommene alte Dame nicht, wie zunächst angenommen, Türkisch spricht, sondern ausschließlich Kurdisch, was Frau Ayçiçeği wiederum gar nicht beherrscht. Kontraste zwischen den Interviews mit Frau Christrose und Herrn Cimen bestehen dagegen weniger in Bezug auf ihre habituellen Orientierungen als vielmehr im Hinblick auf das auch darin zum Ausdruck kommende Verhältnis zwischen Orientierungsrahmen und Orientierungsschemata. Bei beiden Pflegekräften finden sich trotz eines gemeinsam geteilten Orientierungsrahmens nämlich auch Differenzen auf der Ebene kognitiver Schemata. Dies hängt vor allem mit ungleichen Ausgangs- und Rahmenbedingungen, situativen Faktoren und Neigungen aufgrund des persönlichen Habitus zusammen5. Deutlicher herausarbeiten lassen sich die Unterschiede im Verhältnis von Orientierungsschemata und Orientierungsrahmen bei Frau Christrose und Herrn Cimen durch einen Vergleich der beiden mit Frau Cicek. Typus C: Frau Christrose, Frau Cicek und Herr Cimen im Vergleich Anders als bei Frau Cicek und Herrn Cimen zeigen sich im Interview mit Frau Christrose durchgängig Übereinstimmungen zwischen Orientierungsrahmen und Orientierungsschemata im Hinblick auf das Thema Versorgung im Migrationskontext. Dies bedeutet, dass ihre Äußerungen zu diesem Thema stets in ihrer Praxiserfahrung fundiert sind. Auszugsweise soll dies im Folgenden anhand einer Sequenz aufgezeigt werden, in der Frau Christrose sich theoretisierend über das Thema Versorgung im Migrationskontext äußert. Y:
Was würde denn ältere Menschen ansprechen, Ihrer Meinung nach. wie könnte man das-?
Chf: wenn man ehrlich ist (.) wenn man ehrlich ist, dass man sagt, was kann man leisten und was kann man nicht leisten. das find ich, ist erst mal die Basis. und dann denk ich, dass man eigentlich jedes Klientel bedienen kann, weil man ein Grundbedürfnis beachtet. und ich glaube nicht, dass es irgendwie dann letztendlich mit der Nationalität was zu tun hat, ja? das ist-(.) und auch nicht mit Alter und, und, und. natürlich gibt=s dann,
5
An der Art, wie mit einer Diskrepanz zwischen Orientierungsschemata und Orientierungsrahmen umgegangen wird, dokumentiert sich wiederum ein übergreifender Orientierungsrahmen. (vgl. Bohnsack 2013, S. 181f.).
154 | K ULTURSENSIBLE A LTENHILFE ? dass man sich da mehr einlassen muss und ein bisschen sensibler rangehen muss, ist klar, aber im Großen und Ganzen- ((Unterbrechung)). (Z 409-416, Transkript Frau Christrose)
Frau Christrose argumentiert, dass man „eigentlich jedes Klientel bedienen“ kann, wenn man sich an eine Grundregel hält. Diese besteht darin, „ehrlich“ zu sein und Transparenz in Bezug auf gegenseitige Erwartungen zu schaffen über mögliche Leistungen und Grenzen professioneller Pflegeversorgung. Hierdurch sieht sie ein „Grundbedürfnis“ des Menschen erfüllt, weil man Sicherheit und Orientierung als Vertrauensgrundlage schafft. Wenn diese „Basis“ vorhanden ist, sind Unterschiede aufgrund sozialer Kategorien wie „Alter“ und „Nationalität“ irrelevant „im Großen und Ganzen“, weil diese „letztendlich“ nichts damit zu tun haben, was aufgrund des stillschweigenden Erfahrungswissens von Frau Christrose für das Gelingen einer Pflegebeziehung von Bedeutung ist. Unterschiede zwischen zu Pflegenden sind vor diesem Hintergrund nicht prinzipieller Natur, sondern existieren nur relational, etwa in der Hinsicht, dass man sich manchmal „mehr einlassen“ und „ein bisschen sensibler rangehen muss“. Frau Christrose argumentiert hier auf der Grundlage ihrer pflegeberuflichen Erfahrungen und somit in Übereinstimmung mit ihrem berufsbezogenen Orientierungsrahmen. Hierbei bildet das Prinzip der Verständigung den Ausgangspunkt des Pflegeprozesses bzw. seine „Basis“. Der Modus dieser Verständigung wurde in dem Abschnitt über Frau Christrose bereits in Ansätzen herausgearbeitet. Im übernächsten Unterkapitel wird dieser auch noch einmal genauer in Abgrenzung zu anderen Verständigungsmodi betrachtet werden. An dieser Stelle soll der Hinweis genügen, dass es sich hierbei immer auch um eine Suche nach Verständigung auf der konjunktiven Ebene handelt und somit um ein stillschweigendes und unmittelbares Verstehen aufgrund eines gemeinsam geteilten konjunktiven Erfahrungsraumes. Das gezielte Aufspüren von gemeinsamen Ebenen konjunktiver Verständigung im Versorgungskontext ist eine zentrale Komponente des Orientierungsrahmens von Frau Christrose. Bei ihren Versorgungsaufträgen im Migrationskontext hat sie die Erfahrung gemacht, dass sich allen sozialen und kulturellen Differenzen zum Trotz und selbst bei sprachlichen Verständigungsproblemen auf der kommunikativen Ebene immer auch gemeinsame Orientierungen auf der konjunktiven Ebene auffinden lassen, welche als Vertrauensbasis für die Pflegebeziehung dienen können. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung ist es plausibel, wenn Frau Christrose erklärt, dass man im Prinzip „jedes Klientel bedienen“ kann. Solch eine kategorienübergreifende Perspektive fühlt sich für Frau Christrose „am natürlichsten“ an (Z. 393, Transkript Frau Christrose). In ihren Aussagen dokumentiert sich auch eine oppositionelle Haltung zu der im Versorgungsfachdiskurs propagierten Programmatik, welche kulturelle und soziale Differenzen zu einer Problematik erhebt, die den Einsatz spezifischer Maßnahmen und Mittel erfordert. Ein ganz anderes Verhältnis zu diesen programmatischen Orientierungsschemata zeigt
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sich bei Herrn Cimen und Frau Cicek, obwohl die beiden im Rahmen ihrer Berufspraxis habituelle Übereinstimmungen mit Frau Christrose aufweisen, so dass alle drei Pflegekräfte einen Orientierungsrahmen miteinander teilen. Ähnlich wie Herr Cimen arbeitet Frau Cicek in einem kleinen, privat-gewerblich geführten Pflegedienst, der sich noch in der Aufbauphase befindet. Während Herr Cimen als angestellter Pflegedienstleiter eher für innerbetriebliche Angelegenheiten zuständig ist, trägt Frau Cicek als Inhaberin und Geschäftsführerin ihres eigenen, kleinen Pflegebetriebes eine größere Verantwortung und steht auch stärker im Fokus der Öffentlichkeit. Das Angebot ihres Pflegedienstes ist vornehmlich an türkischsprachige Pflegebedürftige und deren Angehörige adressiert, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf der Berücksichtigung religiöser Bedürfnisse liegt. Geboren und aufgewachsen ist Frau Cicek ebenso wie Herr Cimen in der Türkei. Im Alter von siebzehn Jahren kommt sie durch ihre Heirat nach Deutschland. Die Wohnung der Eltern des Ehemannes wird ihr neues zu Hause, und sie erfüllt zunächst alle Erwartungen an ein Leben als „Schwiegertochter“ (Z. 452, 455, 491, Transkript Cicek). Frau Cicek besorgt den Haushalt und bekommt zwei Kinder. Wann immer sie Zeit findet, besucht sie eine in unmittelbarer Nachbarschaft gelegene soziale Einrichtung für türkischsprachige Frauen und Mädchen. Das offene Angebot des gemeinnützigen Trägervereins umfasst verschiedene Kurse, soziale Beratung und fungiert auch als Treffpunkt mit Gelegenheiten zur Geselligkeit. Irgendwann wird Frau Cimen bewusst, dass sie auch noch „so ein bisschen was anderes haben will“ (Z. 484, Transkript Cicek) als ihr traditionelles Hausfrauendasein. In dieser Phase geht ihre Ehe auseinander. Mit Unterstützung der sozialen Einrichtung, die sie „jahrelang“ besucht („da bin ich dann auch ich geworden“, Z. 448, Transkript Cicek) erlernt Frau Cicek die deutsche Sprache, macht den erweiterten Hauptschulabschluss und absolviert einen Kurs als Pflegehelferin. In den folgenden Jahren beginnt sie eine Pflegeausbildung und legt schließlich das dreijährige Pflegeexamen ab. Anschließend qualifiziert sie sich durch eine Weiterbildung für die Übernahme von Leitungsaufgaben im Pflegebereich. Zunächst arbeitet Frau Cicek bei verschiedenen freigemeinnützigen Trägern in der ambulanten Pflege. Hier erlebt sie wie sich „die deutschen Sozialstationen“ wenig erfolgreich bemühen, „eine kultursensible Pflegestation für türkische Migranten aufzubauen“ (Z. 107108, Transkript Cicek). Zwar entwickeln und diskutieren ihre Vorgesetzten entsprechende Konzepte, die in der Fachöffentlichkeit auf großes Interesse stoßen („die Stellvertreterin hat sogar darüber ganz tolle Arbeiten geschrieben. in den Zeitungen-, Pflegezeitungen, geschrieben wie wir eröffnen sollen“ Z. 771-773, ebd.). Jedoch funktioniert die Umsetzung des Vorhabens nicht und die Bemühungen werden schließlich wieder eingestellt („hat nicht geklappt“, Z. 793, ebd.). Die Ursachen für dieses Scheitern sieht Frau Cicek erstens in einer mangelnden Investitionsbereitschaft aufseiten der Geschäftsleitung („es gibt diesen Markt, aber es fordert natürlich viel Zeit und Zeit kostet bei den Pflegediensten auch Geld.“ Z. 774-775,
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ebd.) und zweitens in der überwiegenden Beschäftigung von gering qualifiziertem deutschen Personal, das „gar kein Interesse“ an der Versorgung „der türkischen Patientengruppe“ hat („es sind ja hauptsächlich […] Hilfskräfte […] für die war nicht so wichtig, was sind die Bedürfnisse von einem türkischen Patienten. das war egal. jetzt weiß ich meine Minuten, da geh ich mal eben für die kurze Zeit und dann, das war=s.“ Z. 116-123, ebd.). Als sich eine günstige Gelegenheit bietet, beschließt Frau Cicek sich selbstständig zu machen und ein ähnliches Projekt „aber eben mit türkischen Mitarbeitern“ (Z. 54, ebd.) aufzubauen. Herrn Cimen und Frau Cicek ist neben der Migrationserfahrung gemeinsam, dass beide in beruflicher Hinsicht unter einem ähnlich gelagerten Erwartungs- und Legitimationsdruck stehen, was die Etablierung eines speziellen Pflegeangebots für alte Migrantinnen und Migranten betrifft. Hierbei kommt den beiden aufgrund ihrer Migrationsbiografien gleichermaßen eine Rolle als Repräsentanten von und Experten für Versorgung im Migrationskontext zu. Propagiert wird diese Doppelfunktion, wodurch zugewanderte Menschen zugleich zu Adressaten und zu Akteuren sozialpolitischer Inklusionsmaßnahmen gemacht werden, auch im Versorgungsfachdiskurs, wie im ersten Teil dieser Arbeit rekonstruiert wurde. Dabei wird diese Konstellation als Win-win-Situation propagiert. Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass Frau Cicek und Herr Cimen auf Argumentations- und Deutungsschemata dieses Diskurses zugreifen, wenn es darum geht, ihre Arbeit nach außen zu präsentieren. Zentral sind hierbei Orientierungsschemata, denen zufolge die Versorgung alter Migranten besonders problematisch ist aufgrund soziokultureller Differenzen (Alter, Nation/Ethnie), was den Einsatz besonderer Mittel und Wege legitimiert. Unterschiede zwischen Herrn Cimen und Frau Cicek bestehen insofern, als der Pflegedienstleiter diese Orientierungsschemata eher situativ im Gespräch aufgreift, im Sinne von „Erwartungserwartungen“ (Luhmann 2001), und diesen seine persönlichen Erfahrungen gegenüberstellt („natürlich von andererseits macht das auch viel Spaß mit den Migranten zu arbeiten“ Z. 12, Transkript Herr Cimen). Dagegen betont Frau Cicek vor allem Problematiken und Schwierigkeiten von Versorgung im Migrationskontext („eigentlich ist es für uns schwieriger als deutsche Patienten, türkische Patienten zu pflegen […] und es ist wirklich schwer […] das ist immer wieder dasselbe Problem“, Z. 547–554). Dabei folgt sie nicht nur der Argumentationsstruktur des Versorgungsdiskurses, wonach soziale und kulturelle Differenzen Versorgungsprobleme darstellen, sondern erweitert die Differenzkategorien, welche auf alte Migranten Anwendung finden, sogar noch um den Aspekt der psychischen „Störungen“ („über die Hälfte psychische Störungen haben die Leute“), wie in der folgenden Sequenz zu beobachten ist. Cif: Und es ist großer Bedarf da, weil mit den deutschen Pflegestationen klappt das nicht. für diese Generation wird es auch nicht klappen (.) //Y: mhm // für die nächste oder übernächste, (.) wenn ich alt werde, (.) dann werde ich mir schon aussuchen eine Quali-
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fikation, danach gucken. //Y: hm // nicht nach dem eben, welche Landsleute, ob sie meine Landsleute sind oder nicht. aber im Moment, die können das nicht. also die jetzige ältere Generation. die können ja kein Deutsch, erstens. //Y: mhm // wenn ein paar Wörter sind auch (.) dann für den ist es sehr wichtig, dass man reden kann, dass man wirklich da sind (1) //Y: mhm, ja. // über die Hälfte psychische Störungen haben die Leute. und die können das auch erklären. die erwarten, finde ich, zu viel von den Pflegediensten (.) oder (.) wir kennen diese Waschgeschichte nicht. wir haben einen ganz anderen Rhythmus, ganz andere Sachen, die nur wir im Moment kennen und-(1) //Y: mhm // also bei meiner Arbeit versuche ich eigentlich auch diese Kleinigkeiten rauszubringen. was ist der Unterschied von deutschem Pflegedienst und von türkischen? oder die Erwartungen, die Bedürfnisse von Patienten. und es ist eh ein bisschen anders schon. (Z. 72-92, Transkript Frau Cicek)
Frau Cicek argumentiert, dass in Bezug auf die Versorgung alter Migranten ein „großer Bedarf“ existiert, der von „den deutschen Pflegestationen“ nicht abgedeckt werden kann. Dies begründet sie damit, dass die „Erwartungen“ und „Bedürfnisse“ der alten Migranten so „anders“ sind, dass die in Deutschland übliche pflegerische Versorgung „für diese Generation“ nicht „klappt“. Dagegen existiert in dem „türkischen“ Pflegedienst von Frau Cicek, gemäß ihrer Argumentation, ein Sonderwissen in Bezug auf gewisse „Kleinigkeiten“ im Umgang mit der Zielgruppe. Probleme benennt Frau Cicek vor allem in Form von Anpassungsschwierigkeiten und Defiziten der älteren Generation selbst. So kann „die jetzige ältere Generation“ bis auf wenige Worte „kein Deutsch“. Auch hat „über die Hälfte psychische Störungen“ und erwartet „zu viel“ von den Pflegediensten, wobei man auch „diese Waschgeschichte nicht“ kennt. Zudem hat diese Generation „einen ganz anderen Rhythmus“ und noch „weitere Sachen“, die den deutschen Pflegestationen nicht bekannt sind („die nur wir im Moment kennen“). Unterschiede bestehen für Frau Cicek zum einen zwischen deutschen und türkischen Pflegediensten und zum anderen zwischen der älteren und der jüngeren Migrantengeneration. So kann ihre Generation im Fall des Auftretens von Pflegebedürftigkeit auch „danach gucken“, inwiefern eine Pflegekraft qualifiziert ist und hat somit entsprechende Wahlmöglichkeiten („aussuchen“). Für „die jetzige ältere Generation“ gilt dies nicht. Diese ist aufgrund ihrer Defizite darauf angewiesen, durch „Landsleute“ gepflegt zu werden. Frau Ciceks Argumentationsstruktur entspricht weitgehend den Orientierungsschemata des im ersten Teil dieser Arbeit rekonstruierten Fachdiskurses und der darin propagierten Programmatik zur Versorgung alter Migranten. Hieraus leitet sie jedoch nicht die Notwendigkeit einer „interkulturellen Öffnung“ der sozialen Dienste ab. Vielmehr spricht sie „den deutschen Pflegestationen“ insgesamt die Fähigkeit ab, eine adäquate Versorgung für alte Migranten zu erbringen („klappt das nicht“, Z. 72; „hat aber nicht so geklappt“ Z. 108; „weil die Deutschen schaffen
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das nicht, die können das nicht“ Z. 801). Hierbei stimmt ihr Legitimationsmuster mit der Deutungslogik der Differenzschemata überein, die auch im Versorgungsdiskurs propagiert werden. Insofern reproduziert Frau Cicek den Diskurs nicht einfach, sondern bemächtigt sich der darin propagierten Argumentationsmuster im Sinne einer eigenen Legitimationspraxis. Die Logik der zugrunde liegenden Orientierungsschemata impliziert einen Vergleich und gibt damit zugleich ein typisches Problem-/Lösungsmuster vor, bei dem Differenz als etwas Problematisches erscheint. Die Gesetzmäßigkeit dieses Orientierungsschemas lautet: wenn a und b nicht gleich sind, sind sie auch nicht gleich zu behandeln und zu bewerten. In der dargestellten Sequenz deutet Frau Cicek „die jetzige ältere Generation“ der Arbeitsmigrantinnen und -migranten als eine homogene Gruppe, die sich in mehrfacher Hinsicht so grundlegend von anderen Teilen der Aufnahmegesellschaft unterscheidet („ganz andere Sachen, die nur wir im Moment kennen“, „psychische Störungen“), dass ihre pflegerische Versorgung als eine Aufgabe erscheint, die von „deutschen Pflegestationen“ nicht geleistet werden kann („für diese Generation wird es auch nicht klappen“). In der Totalität ihrer Aussagen unterscheidet sich Frau Cicek deutlich von Herrn Cimen. Dieser greift zwar auch Orientierungsschemata des öffentlichen Versorgungsdiskurses auf („natürlich gibt es auch äh größere Problematiken, wegen Sprachen, wegen Mentalität, wegen Glaubensrichtung. gibt es auch natürlich viele Problematiken für die Pflege.“ Z. 9-11, Transkript Herr Cimen). Jedoch weicht der Pflegedienstleiter die Gültigkeit der hier zugrunde liegenden Orientierungsschemata durch die Betonung seiner eigenen Erfahrungen wieder auf („aber natürlich von andererseits macht das auch viel Spaß mit den Migranten zu arbeiten [… und …] desto mehr Menschenkenntnisse hat man“ Z. 1113, ebd.). Frau Cicek konstruiert dagegen totale Gruppenidentitäten. Hierdurch scheinen „die jetzige ältere Generation“ und die „deutschen Pflegestationen“ zwei jeweils in sich homogene Gebilde zu sein, die keinen Zugang zueinander finden können. Sich selbst ordnet Frau Cicek einer dritten, ebenfalls homogenen Gruppe zu („wir“). Diese unterscheidet sich sowohl von den deutschen Pflegediensten als auch von der älteren Migrantengeneration in der Hinsicht, dass sie die jeweiligen Verstehens- und Verständigungsdefizite nicht aufweist. Dies lässt diese dritte Gruppe prädestiniert dazu erscheinen, zwischen den beiden ‚Blöcken‘ zu vermitteln. Eine Vermittlung erscheint bei Frau Cicek nicht nur aufgrund sprachlicher Verständigungsprobleme notwendig, sondern auch aufgrund von psychischen „Störungen“. Diese werden wiederum als eine Besonderheit von Versorgung im Migrationskontext präsentiert („über die Hälfte psychische Störungen haben die Leute“), wobei ein Zusammenhang zu den Erwartungshaltungen alter Migranten an pflegerische Versorgung hergestellt wird („und die können das auch erklären. die erwarten, finde ich, zu viel von den Pflegediensten“). Mit dem Differenzschema „psychische Störungen“ geht nicht nur das Anderssein der Betroffenen einher, sondern auch ihre symbolische Entmündigung. Denn dieses Differenzschema impliziert eine Unter-
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scheidung zwischen Personen, die gesund und damit ernst zu nehmen sind und solchen, die gestört sind und damit nicht mehr ernst genommen werden müssen. Ebenso wie Kinder benötigen Menschen mit psychischen „Störungen“ daher einen Vormund, der diese nach außen bzw. in der Gesellschaft vertritt. Frau Ciceks Argumentationsmuster macht ältere Migranten zu einer Personengruppe, die nicht für sich selbst sprechen kann, sei es aufgrund fehlender Sprachkenntnisse, psychischer Störungen oder einer Kombination aus beidem. Sich selbst schreibt Frau Cicek die Rolle einer Fürsprecherin zu, die für die Belange ihrer „Leute“ eintritt und ihnen eine Stimme verleiht. Die Legitimation hierfür liefert zum einen der Versorgungsfachdiskurs und zum anderen eine dritte Instanz („die“), welche die Ursachen der krankheitsbedingten Unmündigkeit alter Migranten auch „erklären“ kann. Unklar bleibt an diesem nachgestellten Satz, wer diejenigen („die“) sind, die dieses Phänomen erklären können. Offenbar beruft sich Frau Cicek hier auf die Expertise von Fachleuten, ohne dies genauer auszuführen. Stattdessen schließt sie nahtlos mit einer Eigentheorie an über die Erwartungen alter Migranten im Versorgungskontext („die erwarten, finde ich, zu viel von den Pflegediensten.“). Hierdurch stehen die Erwartungen der Patientinnen und Patienten nicht mehr allein in einem alters- und nationalitätsbezogenen Differenzkontext, sondern auch im Zusammenhang mit psychischer Erkrankung. Letztere können von Fachleuten erklärt und somit ‚objektiv‘ festgestellt werden. Das recht unvermittelte Umschwenken auf „psychische Störungen“ als ein neues Unterthema, wie auch der unangekündigte Wechsel von der generalisierten Expertise („die“) zur Ich-Form („finde ich“) und schließlich zum „wir“ („wir kennen … nicht“) ist ebenso erklärungsbedürftig wie das dem Unterthema vorausgegangene kurze Stocken im Gesprächsfluss („dass man wirklich da sind (1) // mhm // über die Hälfte psychische Störungen haben die Leute. und die können das auch erklären“). Innerlich ist Frau Cicek, so scheint es hier, mit einem Abgleich befasst zwischen diskursiven Orientierungsschemata einerseits und ihrem erfahrungsgebundenen Wissen andererseits. Während sich auf der Ebene des kommunikativen Wissens das Anderssein alter Migranten begründen und auch fachlich „erklären“ lässt, woraus Frau Cicek ein Alleinstellungsmerkmal ihres Projektes begründen kann, weist ihr erfahrungsgebundenes Wissen in eine andere Richtung. Das Letztere reaktualisiert sich im Zuge ihres Sprechens und wird dann beispielsweise in Form einer Irritation gespürt, kann aber kaum in Worte gefasst werden. Vielmehr macht sich dieses als ein Innehalten und plötzliches Umschwenken auf der thematischen Ebene bemerkbar. Vor dem Hintergrund dieser inneren Vorgänge fällt es Frau Cicek gar nicht auf, dass sie der Interviewerin Erklärungen darüber schuldig bleibt, wer „die“ denn sind und was sie zum scheinbar willkürlichen Springen veranlasst zwischen verschiedenen Personalpronomina („die“, „ich“, „wir“). Insgesamt zeichnet sich in dieser Sequenz bei Frau Cicek eine Diskrepanz zwischen Orientierungsschemata und Praxiserfahrung ab. Diese Diskrepanz kündigt sich auf der Darstellungsebene
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(Performanz) dadurch an, dass die Flüssigkeit und die Prägnanz, in der Frau Cicek ihre Erklärungs- und Deutungsschemata zum Ausdruck bringt, an einer bestimmten Stelle plötzlich abebben. Thematisch geht es in diesem Moment darum, Besonderheiten der Versorgung der älteren türkischen Generation herauszustellen. Zweisprachigkeit steht hierbei an erster Stelle („die können ja kein Deutsch, erstens“). Darauf folgt inhaltlich eine genauere Ausführung des ersten Punktes. Diese behandelt Frau Cicek jedoch wie einen eigenen Punkt („dann … ist es sehr wichtig“). Durch stärkere Betonung wird das Folgende auch akustisch noch einmal besonders hervorgehoben. Frau Cicek äußert nun, worauf es, ihrer Erfahrung nach, bei diesem Punkt eigentlich bzw. viel eher ankommt, nämlich „reden“ können als ein Zeichen menschlicher Zuwendung, was ein wirkliches „da“ sein voraussetzt („dass man reden kann, dass man wirklich da sind (1)“). An dieser Stelle fällt neben der grammatikalischen Ungeordnetheit auch ein Stocken oder Innehalten auf, das etwa eine Sekunde andauert. Dieses Phänomen kann dahingehend interpretiert werden, dass sich hier im Zuge des Argumentierens und Theoretisierens über Versorgungsaspekte nun auch Erlebensaspekte reaktualisieren. Die jetzt im Bewusstsein aufscheinenden Aspekte des impliziten, an das Erleben gebundenen Wissens müssen mit theoretisierenden Erklärungs- und Deutungsschemata abgeglichen werden. Hierbei wird eine Diskrepanz erlebt, was sich auf der Ebene der Performanz als Unterbrechung des Redeflusses zeigt. Die von Frau Cicek wahrgenommene Diskrepanz liegt darin, dass das im Versorgungsdiskurs propagierte, und auch von ihr angewandte, Differenzschema in dem Moment, wo sich ihr Erfahrungswissen reaktualisiert, nicht mehr passt. Denn genau wie Frau Christrose weiß auch Frau Cicek, zumindest auf der Ebene des impliziten Wissens, dass es sich bei dem, worüber sie spricht, im Kern gerade nicht um Besonderheiten von Versorgung im Migrationskontext handelt. Somit wird auch an dieser Stelle deutlich, dass Frau Cicek auf der Ebene habitueller Orientierungen Übereinstimmungen mit Frau Christrose aufweist, obwohl sie auf kommunikativer Ebene konträre Argumentationslinien verfolgen. Beide Frauen haben im Zuge ihrer langjährigen Praxiserfahrung das Spenden menschlicher Zuwendung als einen Kernpunkt ihres pflegerischen Handelns verinnerlicht. Da es sich hierbei um ein universelles Phänomen handelt, vertritt Frau Christrose die Ansicht, dass man pflegerisch im Prinzip „jedes Klientel bedienen“ kann, sofern ein weiteres „Grundbedürfnis“, nämlich das nach Sicherheit und Orientierung, berücksichtigt wird. Auch wissen beide zumindest implizit darum, dass Zuwendung sich zwar der gesprochenen Sprache als Medium bedienen kann, jedoch bedarf sie dieser eigentlich nicht. Auch deshalb ist das Wissen darum, wie menschliche Zuwendung gegeben und wie diese erlebt wird, ein atheoretisches und kann von den Pflegekräften nur angedeutet werden. Anhand ihrer Umschreibungen wird jedoch deutlich, dass der Akt des Gebens und Empfangens von Zuwendung nichts mit Semantik im Besonderen und mit theoretisch-reflexivem Wissen im Allgemeinen zu tun hat, sondern mit „da“ sein im Sinne von präsent sein und mit Authentizität
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(„wenn man ehrlich ist“, Z. 411, Transkript Christrose; „wirklich da“ sein, Z. 83, Transkript Frau Cicek). Auch bei Herrn Cimen, der habituelle Orientierungen mit Frau Christrose und Frau Cicek teilt, ist der Prozess der Gabe von Zuwendung ein Kernelement seines pflegerischen Tuns. So weiß auch er genau, dass es auf kommunikative Verständigung bei diesem Prozess gerade nicht ankommt. Vielmehr vermittelt er Zuwendung eher über Gesten und Berührungen, „zum Beispiel mit dem Händen n=Mensch zu berühren“ (Z. 91 Transkript Herr Cimen). Solche „taktilen“ Reize (Z. 91, 97, Transkript Herr Cimen) werden von ihm gerade bei der Versorgung im Migrationskontext als hilfreich und angemessen erlebt („bei den Türken kommt das immer gut an“ Z. 93, ebd.). Zu berücksichtigen ist hierbei jedoch, dass es auch Menschen gibt, die körperlich nicht berührt werden wollen („manche, äh, Leute mögen das nicht“, Z. 92, ebd.). Diese Erfahrung hat Herr Cimen bei seiner jetzigen Klientel aber noch nicht gemacht. Vielmehr beruft er sich hierbei auf dass, was er durch seine frühere Arbeit bereits über „manche Deutschen“ (ebd.) schon weiß. Auch dienen keinesfalls („natürlich=nich“) „alle Handbewegungen“ (Z. 97, ebd.) im Pflegekontext der Gabe von Zuwendung. Wie sich der Prozess dieser Gabe vollzieht, beschreibt Herr Cimen auf die folgende Weise: Cm: Das ist eine Wärme, der ein Mensch zu der anderen Person, äh, äh, fühlt und weitergibt, das ist einfach die Wärme, das ist einfach die ähm Persönlichkeit, das ist einfach die Liebe, das ist einfach die Respekt, das man gibt. natürlich=nich alle Handbewegungen, aber mit den taktilen Reizen kommt man gut weiter. (Z. 93-97, Transkript Herr Cimen)
Bei der Gabe von Zuwendung „fühlt“ die gebende Person „eine Wärme“, „Persönlichkeit“, „Liebe“, „Respekt“, die sie an ihr Gegenüber „weitergibt“. Die Frage, was hier genau vorgeht, fällt auch Herrn Cimen schwer zu explizieren, da sich der Vorgang unreflektiert („einfach“) vollzieht. Ebenso ist es „einfach“ und zugleich kompliziert, in Worte zu fassen, was da eigentlich genau gegeben wird. Herr Cimen behilft sich damit, dass er eine ganze Reihe von Begriffen anführt, die für ihn alle etwas damit zu tun haben („Wärme“, „Persönlichkeit“, „Liebe“, „Respekt“). Es dokumentiert sich hier, dass Herr Cimen auf der Ebene des impliziten Wissens um ein Spannungsfeld weiß, dass sowohl eine gewisse Distanz („Respekt“, „Persönlichkeit“) umfasst im Sinne einer Anerkennung des Gegenübers als Individuum als auch eine tiefe Verbundenheit und Nähe („Liebe“, „Wärme“). Innerhalb dieses Spannungsfeldes vollzieht sich im pflegeberuflichen Kontext die Praxis der menschlichen Zuwendung. Gemeinsam ist den drei Pflegekräften, dass die Arbeit im Migrationskontext einen ausgesprochen positiven Erfahrungshorizont für sie darstellt, weil sich hiermit verbunden jeweils bestimmte Gestaltungsfreiräume im Versorgungsalltag für sie eröffnen. So bietet sich ihnen die Möglichkeit, ihre berufliche Tätigkeit auf eine Weise
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auszuführen oder in eine bestimmte Richtung zu lenken, die auch ihren persönlichen habituellen Neigungen entspricht. In diesem Zusammenhang nennt Herr Cimen beispielsweise „Spaß“ an der Arbeit im Migrationskontext durch die damit verbundene Erweiterung seiner „Menschenkenntnisse“ (Z. 12-13, Transkript Herr Cimen). Frau Christrose, die im Hinblick auf prinzipielle Gestaltungsmerkmale der Pflegebeziehung zwar „nie einen Unterschied“ zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund „gesehen“ hat, findet es „spannender“, wenn „man mal in einen anderen Kulturkreis reinguckt“ (Z. 147-153, Transkript Frau Christrose). In beiden Fällen stellt das Knüpfen und Pflegen zwischenmenschlicher Beziehungen einen Wert an sich dar. Dies spielt auch für Frau Cicek eine Rolle („weil das emotionale Gefühl ist da.“ Z. 584). Jedoch hat sie darüber hinaus noch „was Großes vor“ (Z. 421-422, Transkript Cicek). Mit dem Aufbau ihres eigenen Pflegedienstes verbindet Frau Cicek zugleich eine innere „Mission“, die ihr „sehr, sehr wichtig“ ist (Z. 479, ebd.). Hierbei geht es einerseits darum, etwas von dem weitergeben zu können, was ihr selbst durch die Sozialarbeiterinnen der Nachbarschaftseinrichtung für türkische Frauen zuteilwurde, die sie jahrelang als junge Frau aufgesucht hatte („die haben mir jahrelang geholfen. jetzt will ich dann eben das weitermachen“, Z. 475-476, ebd.). Zum anderen geht es ihr auch um gesellschaftspolitische Teilhabe. Diese möchte sie erlangen, indem sie sich für ihre „Landsleute“ in der Migrationsgesellschaft einsetzt durch ihr Projekt („teilhaben und arbeiten für meine Landsleute“, Z. 408, ebd.) und auch durch politisches Engagement („einfach mal in die Politik reinzugehen, erklären, erzählen können“ Z. 409, ebd.). Vor diesem Hintergrund ist es zu erklären, dass Frau Cicek sich auf der Ebene der Orientierungsschemata ganz anders als Frau Christrose positioniert, obwohl beide Frauen zentrale Komponenten desselben, berufsbezogenen Orientierungsrahmens miteinander teilen. Mit Herrn Cimen, der ebenfalls diesen berufsbezogenen Habitus teilt, ist Frau Cicek darüber hinaus die Erfahrung gemeinsam, eine Repräsentanten- und Expertenfunktion für Versorgung im Migrationskontext diskursiv zugeschrieben zu bekommen über Orientierungsschemata des Versorgungsdiskurses. Mit dieser Zuschreibung gehen beide auf unterschiedliche Weise um. So übernimmt Herr Cimen zwar situativ im Interview Orientierungsschemata dieses Diskurses. Jedoch relativiert er deren Allgemeingültigkeit, indem er auch auf seine pflegefachliche Expertise („Psychiatrieerfahrung“) und persönliche Erfahrungen („Menschenkenntnisse“) hinweist. Dagegen bemächtigt sich Frau Cicek dieses Diskurses auf eine spezifische Weise. Sie macht die Argumentationsstruktur des Fachdiskurses in Bezug auf ihren Pflegedienst zu einem Instrument ihrer eigenen Legitimationspraxis. Diese ist nicht in ihrer pflegeberuflichen Handlungspraxis und Erfahrung fundiert, sondern in einem sich überlagernden Orientierungsrahmen. Dieser umfasst auch persönliche habituelle Orientierungen. Zum Ausdruck kommt dieser zweite Orientierungsrahmen durch ein ausgeprägtes Streben nach Aufstieg und Verwirklichung. Dieses Streben kommt bei Frau Cicek sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich zum Ausdruck. Privat geht es ihr beispielsweise darum, über ein
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angepasstes Leben als Hausfrau und „Schwiegertochter“ hinaus noch „so ein bisschen was anderes haben“ (Z. 484, ebd.) zu können. Hierfür nimmt sie sogar die Trennung von ihrem Ehemann in Kauf. Beruflich strebt sie gleichermaßen nach sozialem Aufstieg und Selbstverwirklichung, indem sie einen eigenen kleinen Pflegebetrieb eröffnet, mit dem sie nicht nur Geld verdienen, sondern auch eine „Mission“ erfüllen möchte („ich hab was Großes vor“ Z. 421-422; „Geld verdienen will ich natürlich auch. aber danach dann eben für meine Bezirke, meine Leute auch da weiter machen, das finde ich auch ganz toll“ Z. 434-436). In diesem Kapitel wurde vergleichend analysiert, wie professionelle Fachkräfte im ambulanten Pflegebereich auf das Thema Versorgung alter Migrantinnen und Migranten Bezug nehmen. Hierbei wurden nicht nur verschiedene Orientierungsschemata vergleichend rekonstruiert, sondern insbesondere auch habituelle Orientierungen, die der Anwendung dieser Schemata handlungsleitend zugrunde liegen. Als generierende Prinzipien bringen diese habitualisierten Orientierungen jeweils typische Wahrnehmungs- und Umgangsstile im Feld professioneller Versorgung hervor. Wie diese Versorgungsstile handlungspraktisch in der Versorgung zum Ausdruck kommen, soll im Folgenden exemplarisch rekonstruiert werden. Zunächst soll aufgezeigt werden, wie jeweils mit ‚schwierigen Fällen‘ umgegangen wird.
8.2 „S CHWIERIGE F ÄLLE “ In den Interviews thematisieren die Fachkräfte regelmäßig problembelastete Pflegesituationen, die sie deshalb als „schwierige Fälle“ präsentieren, weil hier instrumentelles Handeln aufgrund von sozialer Komplexität nur noch erschwert oder gar nicht mehr möglich ist. Wie die Pflegekräfte dieser Problematik routinemäßig begegnen, soll in diesem Unterkapitel vergleichend analysiert werden. In den folgenden Interviewausschnitten geht es thematisch stets um die Ablehnung von Personen im Rahmen einer Pflegebeziehung und/oder um Widerstand gegen durchzuführende Maßnahmen. Als ein zusätzlicher bzw. verstärkender Belastungsfaktor wird hierbei häufig auch die Rolle von Angehörigen hervorgehoben. In einigen Fällen sind es die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen, von denen die Ablehnung ausgeht, in anderen die Pflegekräfte selbst. Insgesamt handelt es sich immer wieder um Situationen von hoher sozialer Komplexität, die von den Fachkräften im Pflegealltag bewältigt werden müssen, um den Anforderungen der instrumentellen Ebene gerecht werden zu können. In ihren Beschreibungen und Erzählungen dokumentiert sich dabei als übergreifende Typik das Spannungsverhältnis zwischen instrumentellen und verstehenden Handlungslogiken. Anhand der Modi, wie dieses Verhältnis reguliert wird, zeigen sich Homologien zu den Orientierungsrahmen, deren zentrale Komponenten im vorangegangenen Unterkapitel bereits herausgearbeitet wurden.
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Typus B: Herr Baumgärtner: „Kundenorientierung ist hier Bedingung … ansonsten gibt es uns nicht“ Für Herrn Baumgärtner, der als Pflegedienstleiter einer großen Sozialstation – der Kundenstamm umfasst 150 bis 180 Personen – nicht mehr mit patientennahen, körperbezogenen Pflegeaufgaben befasst ist, stellt sich das Spannungsverhältnis zwischen verstehenden und instrumentellen Handlungslogiken auf der Ebene der einrichtungsbezogenen Prozessorganisation und -steuerung. Hierbei müssen die Bedürfnisse und Wünsche von zu Pflegenden wie auch deren Angehörigen so weit adäquat erfasst werden, dass diese bei der Einsatzplanung, Arbeitsorganisation und Mitarbeiterführung Berücksichtigung finden können. Diese Organisations- und Steuerungsaufgaben unterliegen immer auch ökonomisch-administrativen Handlungslogiken und Restriktionen. Im direkten oder telefonischen Kontakt mit den Klientinnen und Klienten kommt es daher regelmäßig zu Situationen von hoher sozialer Komplexität, welche er im Rahmen seiner Alltagsroutinen bewältigt. Dies zeigt sich auch in der folgenden Sequenz. Bm: Klar, die wollen eine Dienstleistung haben, aber manche wollen das auch gar nicht unbedingt. also Krankheitseinsicht oder überhaupt Bereitschaft, Hilfe zu empfangen, ist auch gar nicht unbedingt da, sondern das hat das Krankenhaus gesagt oder der Hausarzt. sie sind jetzt Diabetiker. sie müssen jetzt Insulin bekommen (.) zum Beispiel (.) das ist ja nichts, was die selber wollen oder was wir denen jetzt einfach oktroyieren wollen, sondern wenn die das nicht möchten, schmeißen die auch unsere Mitarbeiter raus, (.) jetzt salopp gesagt (.) das passiert. Y:
Können Sie einen konkreten Fall mal erzählen?
Bm: das geht bis dahin, dass Mitarbeiter abgelehnt werden (.) eben das war auch ein Patient, der rief an und will einen Mitarbeiter nicht haben. Y:
ach ja? der rief jetzt an, um zu sagen, der└der passt mir nicht, ja. oder er war unfreund-
Bm:
lich oder der hat das und das gemacht. das geht sofort. die rufen sofort an und beschweren sich. und wir sind auch dafür da. wir haben auch ein Beschwerdemanagement da, wo wir das auch auswerten. und wir wollen auch, dass die das so nutzen. aber das wird auch sehr rege-(.) und allein in der Straße sind 5 Pflegedienste. hier in der Stadt gibt=s glaub ich um die 500 Pflegedienste. das heißt, die rufen auch ganz schnell einen anderen Pflegedienst an. (Z. 18-38, Transkript Herr Baumgärtner)
Zwar wollen die zu Pflegenden eine „Dienstleistung“ haben, jedoch handelt es sich hierbei nicht um ein Dienstleistungsangebot im herkömmlichen Sinne. Vielmehr sind die Betroffenen durch Krankheit gezwungen, Versorgungsleistungen in Anspruch zu nehmen („das hat das Krankenhaus gesagt oder der Hausarzt. sie sind
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jetzt Diabetiker. sie müssen jetzt Insulin bekommen“). Pflegebedürftig zu sein ist also „nichts“, was die Betroffenen „selber wollen“. Ebenso wenig ist die ambulante pflegerische Versorgung etwas, „was wir denen jetzt einfach oktroyieren wollen“. Aus diesem Grund ist es möglich, dass zu Pflegende Maßnahmen oder Mitarbeiter ablehnen („schmeißen die auch unsere Mitarbeiter raus (.) jetzt salopp gesagt“). Dies kommt regelmäßig vor („die rufen sofort an und beschweren sich“) und so ist es auch gewollt („wir wollen auch, dass die das so nutzen“). Es muss aber auch so sein bzw. es geht gar nicht anders, weil die zu Pflegenden andernfalls „auch ganz schnell einen anderen Pflegedienst“ anrufen. Herr Baumgärtner betont auch in dieser Sequenz wieder das Besondere der ambulanten Pflegeversorgung gegenüber der stationären Versorgung („Krankenhaus“) und auch gegenüber ambulanten Einrichtungen, welche ausschließlich dem medizinalen Bereich angehören („Hausarzt“). Solche Versorgungseinrichtungen verbindet er mit äußerem Zwang („sie müssen jetzt Insulin bekommen“). Hiervon will sich die ambulante Pflege, seinem Verständnis zufolge, abgrenzen („das ist ja nichts … was wir denen jetzt einfach oktroyieren wollen“). Dies hat zur Folge, dass der Wille der zu Pflegenden auch auf der organisatorischen Ebene laufend ermittelt und berücksichtigt werden muss. Hierfür gibt es ein „Beschwerdemanagement“, welches die Betroffenen „sehr rege-„ nutzen. An dieser Stelle dokumentiert sich das Spannungsverhältnis zwischen verstehenden Handlungslogiken, wonach gewollt ist, „dass die das so nutzen“, und instrumentellen. Hierbei kann das, prinzipiell so gewollte, Nutzungsverhalten auch zu einer Belastung werden („die rufen sofort an und beschweren sich“). Die Belastungssituation entsteht insbesondere dadurch, dass auf die Wünsche und Beschwerden der zu Pflegenden unter Zeitdruck und ökonomischadministrativen Zwängen reagiert werden muss („die rufen auch ganz schnell einen anderen Pflegedienst an“). Wie Herr Baumgärtner mit dieser komplexen Problematik umgeht, wird anhand einer erzählen Episode deutlich, die der Pflegedienstleiter als ‚schwierigen Fall‘ einordnet („die Pflege ist schwierig, beziehungsweise der Angehörige ist schwierig“, Z. 205-206, Transkript Herr Baumgärtner). Bm: Wir hatten zum Beispiel einen jungen Mann türkischer Herkunft, der richtig berufstätig ist, gar nicht hier in dem Bezirk wohnt und seine Mutter wohnt aber hier in dem Bezirk. und da waren viele Pflegedienste drin. der war immer nicht zufrieden, (.) auch türkische Pflegedienste (.) und irgendwann kam die Mutter dann ins Krankenhaus und der Zustand hat sich noch mehr verschlechtert und dann wurde sie im Heim untergebracht. ob sie das wollte, weiß ich nicht. aber der Sohn wollte das nicht, fand das ganz schlimm und hat sie dann gegen den Willen der Pflegedienste, die da vorher drin waren, und gegen den Willen der Ärzte rausgeholt. stand dann ohne Pflege da. er selber ist berufstätig (.) multimorbide, bettlägerige Patientin mit künstlicher Ernährung und Diabetes. stand dann ohne Versorgung da. und ja, er hat dann bei uns angerufen und wir hatten da schon arg Bedenken. es hat sich dann auch rausgestellt, der hatte davor schon neun
166 | K ULTURSENSIBLE A LTENHILFE ? andere Pflegedienste gehabt (.) //Y: mhm // wir teilen uns dort die Pflege mit einem türkischen Pflegedienst. der türkische Pflegedienst macht die Körperpflege und wir machen die reine Behandlungspflege und wir kooperieren da ganz gut. //Y: mhm, ja // wir haben den kompletten Auftrag von dem Sohn bekommen. das war aber im Sommer und wir hatten Personalengpass und wir konnten die Körperpflege nicht leisten. das war uns personell zu viel. und dann haben wir versucht da jemanden zu kriegen und der Sohn hat auch geguckt. und dann hat er diesen türkischen Pflegedienstbeauftragt und der hat dann uns gefragt, ob wir die Behandlungspflege machen. (Z. 143-156, Transkript Herr Baumgärtner)
Herr Baumgärtners Pflegedienst erhält eine Anfrage von einem „jungen Mann türkischer Herkunft“. Dieser sucht nach einer umfassenden pflegerischen Versorgung für seine allein lebende alte Mutter, eine „multimorbide, bettlägerige Patientin mit künstlicher Ernährung und Diabetes“. Zuvor waren bereits „neun“ andere Pflegedienste, darunter „auch türkische“, mit der Versorgung dieser Frau beauftragt worden. Aber der Sohn „war immer nicht zufrieden“. Als sich der Zustand der Mutter akut verschlechtert, wird sie in ein Krankenhaus eingeliefert, dort versorgt und anschließend in einem Pflegeheim untergebracht. Ob die alte Frau dies so wollte, ist unklar. Ihr Sohn allerdings „fand das ganz schlimm“. Er holt seine Mutter „gegen den Willen“ der verantwortlichen ärztlichen und pflegerischen Fachkräfte wieder nach Hause und „stand dann ohne Versorgung da“. Als Herrn Baumgärtners Einrichtung den Pflegeauftrag angeboten bekommt, hat man zunächst „schon arg Bedenken“ wegen der ganzen Vorgeschichte. Auch gibt es gerade einen „Personalengpass“. Schließlich kommt es jedoch zu einer „gut“ funktionierenden Kooperation mit einem türkischen Pflegedienst. Dieser führt nun die „Körperpflege“ durch, während Herr Baumgärtners Einrichtung die „Behandlungspflege“ übernimmt. Herr Baumgärtner schildert in dieser Sequenz einen ‚schwierigen Fall‘. Dieser zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass der Sohn der Patientin „immer nicht zufrieden ist“ mit den Pflegediensten. In der Gruppe Alpenveilchen wird über strukturähnliche Beispiele gesprochen. In dieser Gruppe werden die entsprechenden Episoden als Fälle gerahmt, die „keiner mehr haben will“. Auch Herrn Baumgärtners Einrichtung hat zunächst „arg Bedenken“ den Fall zu übernehmen. Es findet sich jedoch eine Versorgungslösung, die offenbar „gut“ funktioniert. Anders als die Mitglieder der Gruppe Alpenveilchen, die ihre Beispiele voller Empörung und mit einem gewissen Sarkasmus hervorbringen, spricht Herr Baumgärtner eher gelassen über den Fall. Er ist es offensichtlich gewohnt und auch gewillt, mit ‚schwierigen Fällen‘ zurechtzukommen. Diese innere Bereitschaft hierzu entspringt einer habitualisierten Orientierung. Ohne diese innere Haltung ist die Arbeit unter den strukturell vorgegebenen Umständen, seiner Ansicht nach, gar nicht möglich, wie er an anderer Stelle deutlich macht: „Na, das ist halt-, wir sind eine Serviceeinrichtung. diese starke Kundenorientierung ist hier Bedingung, um auf dem Pflegemarkt tätig
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zu sein, ansonsten gibt es uns nicht.“ (Z. 53-55, Transkript Herr Baumgärtner). Herrn Baumgärtners „Kundenorientierung“ liegt das Prinzip der Anerkennung der individuellen Autonomie einer hilfebedürftigen Person zugrunde. Aus diesem Prinzip heraus unterscheidet er beispielsweise auch zwischen dem Willen der alten Dame („ob sie das wollte, weiß ich nicht“) und dem des Angehörigen („der Sohn wollte das nicht“). Diesem Prinzip entgegen steht das Prinzip der Versorgung, welches sich für Herrn Baumgärtner in Form von Zwängen darstellt, die sich den Selbstbestimmungsmöglichkeiten im Versorgungskontext entgegenstellen. So ist es beispielsweise zwar prinzipiell für Herrn Baumgärtner von Interesse, wie die alte Frau versorgt werden möchte. Jedoch muss er hierüber mit ihrem Sohn verhandeln, weil Herr Baumgärtner selbst den Willen der Patientin in Bezug auf diesen Punkt nicht feststellen kann, „die Mutter ist stark pflegebedürftig, dement, spricht gar kein Deutsch, nur Türkisch“ (Z. 206-207, Transkript Herr Baumgärtner). Er handelt auch hier wieder nach dem Prinzip der Balance zwischen der prinzipiellen Anerkennung der individuellen Autonomie einer hilfebedürftigen Person und dem Prinzip der Versorgung. Erst hierdurch wird in dem beschriebenen Fall ein Arrangement möglich, das für den ‚schwierigen‘ Sohn der Patientin ebenso akzeptabel ist wie für die beteiligten Pflegedienste. So begegnet Herr Baumgärtner der Anfrage durch den Sohn damit, dass er diesen über den „Personalengpass“ informiert und versucht, eine passende Pflegekraft einzustellen. Der Sohn sucht nun auch selbst weiter und beauftragt schließlich einen kleinen türkischen Pflegedienst. Dieser Dienst hat, wie an anderer Stelle aus dem Interview hervorgeht, nur eine Pflege- jedoch keine Krankenkassenzulassung. So kann dieser Pflegedienst nur eine pflegerische Versorgung anbieten, die auf der Basis des Elften und Zwölften Sozialgesetzbuches (SGB XI, XII) finanzierbar ist, nicht aber die medizinische „Behandlungspflege“ nach dem Fünften Sozialgesetzbuch (SGB V)6. Zu den Leistungen nach dem SGB V gehören beispielsweise die Gabe von Insulininjektionen, Verbandswechsel und Blutzuckerkontrollen. Der kleine „türkische“ Pflegedienst fragt in Herrn Baumgärtners Einrichtung nach, ob diese die „Behandlungspflege“ der alten Dame übernehmen kann. Es kommt zu einer Kooperation, die „gut“ funktioniert. Es dokumentiert sich hier, wie handlungspraktisch mit dem Spannungsverhältnis zwischen verstehenden und instrumentellen Handlungslogiken umgegangen wird. So nutzt Herr Baumgärtner Möglichkeiten der Kooperation und Vernetzung mit anderen Einrich6
„man muss einen Personalschlüssel erfüllen an Pflegefachkräften und um so viel Pflegefachkräfte finanzieren zu können, braucht man einen große Kundenstamm. dann können sie nicht so viele einstellen, nicht so viel bezahlen, und davon ist das abhängig (.) aber es gibt auch Pflegedienste, die wollen das auch gar nicht (.) SGB fünf=er Bereich, (.) weil das auch noch mehr Auflagen bedeutet, noch mehr Kontrolle, Überwachung. und die wollen nur im SGB elf=er und zwölf=er Bereich arbeiten. das gibt's auch. das ist denen auch einfach zu stressig.“ (Z. 176f, Transkript Herr Baumgärtner).
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tungen. Diese Handlungspraxis findet sich homolog auch bei weiteren Repräsentanten des Typus B. Typus A: Gruppe Alpenveilchen: „da habe ich den abgelehnt“ Das Thema „schwierige Fälle“ ist in der Gruppe Alpenveilchen der zentrale Gesprächsgegenstand. Hierum kreist die gesamte Gruppendiskussion. Es werden sowohl solche Fälle diskutiert, in denen verschiedene Formen der Verweigerung vonseiten der zu Pflegenden und ihren Angehörigen stattfinden als auch solche, in denen es um die Ablehnung des Pflegeauftrages vonseiten der Fachkräfte geht. Zu Beginn der Gruppendiskussion werden zunächst, im Modus einer parallelen Diskursorganisation, der Reihe nach verschiedene Variationen dieses Oberthemas abgearbeitet. Dann folgen in einem antithetischen Diskursverlauf weitere Beispiele. Hierbei wird immer wieder die Frage aufgeworfen, ob der überwiegende Teil der Migranten zu den „nervigen“ Patienten gehört oder ob es sich lediglich um Einzelfälle handelt, die jedoch „so gravierend“ sind, dass man als Pflegekraft automatisch alle, die „normal sind“ auch „in eine, ähm, gewisse Ecke reindrückt“ (Z. 234f., Transkript Gruppe Alpenveilchen). Die Positionen sind trotz des antithetischen Verlaufs nicht wirklich konträr. Vielmehr kommt es durch das diskursive Gegeneinanderhalten verschiedener, scheinbar auch konträrer Aspekte, welche jedoch stets aus derselben habitualisierten Grundhaltung heraus thematisiert werden, zu einer Verstärkung der Ausgangsposition. Dieser zufolge sind Migranten im Versorgungskontext grundsätzlich problematisch, wie exemplarisch auch aus der folgenden Sequenz hervorgeht. Af: Entweder sind die mir alle entfallen, aber ich kann mich an ganz, ganz wenig Migranten erinnern, die ich gut fand Sm: Am: Af:
└also wobei, hm └in=na Pflege └in=na Pflege, ja, ja, natürlich. (Z. 598-606, Transkript Gruppe Alpenveilchen)
Af kann sich kaum an Migranten erinnern, die sie „gut fand“. Gegenüber dieser Äußerung wird ein Einspruch geltend gemacht („also wobei, hm“). Dieser bezieht sich jedoch nur darauf, dass Migranten allein in der Pflege (“in=na Pflege“) eine Zumutung darstellen. Diese Präzisierung des Gebietes, auf dem Migranten abzulehnen sind, trifft dann wieder auf volle Zustimmung („Pflege, ja, ja natürlich“). Es ist nun klar, das Migranten im Versorgungskontext problematisch sind, wobei man „natürlich“ zugesteht, dass dies nicht für alle Lebensbereiche gelten muss. Eine ähnliche Konklusion findet sich auch in der folgenden Sequenz. Hier kommt man wiederum darin überein, dass alle, also auch jüngere Migranten, eine Zumutung in
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der Pflege darstellen. Aufgrund der hohen interaktiven Dichte an einigen Stellen dieser Sequenz stellt diese eine Fokussierungsmetapher und zugleich den Höhepunkt der gesamten Gruppendiskussion dar. Das heißt, hier kommen zentrale, gemeinsam geteilte konjunktive Orientierungen der Gruppe besonders deutlich zum Ausdruck. Am: Mir is gerade was eingefallen, das hatte ich schon ganz vergessen. in meiner Ausbildung, da war ((räuspern)) Ausbildung im Krankenhaus. da war ich auf=ner chirurgischen Station. damals war ich ja noch n=bisschen jünger, └och
Af:
└@.@
Sm:
Am: und der junge Mann dort war in meinem Alter. vielleicht war der (.) naja, (.) zwei, drei Jahre jünger, so (.) schätze ich mal (.) der konnte nich pinkeln. └hm
Af:
Am: der sollte n=Katheter bekommen. da bin ich halt hin (.) da war ich ja schon im Dritten (.) wollte Katheter legen (.) ähm, macht man ja dann gerne, (.) Mensch, (.) dann gerade Ausbildung. drittes Ausbilungs└@macht man ja gerne@
Af:
Am: fängst an-, fängst an selbstständig└@wech damit@
Sm:
Am: selbständig zu arbeiten, ne? is ja so denn (.) nich mehr immer irgendwo n=Pflästerchen kleben und Pillen geben, └genau, mal wat anderes
Sm: Am:
sondern da kann man mal, na, so richtig schön so die Sau raus lassen, oder reindrücken @.@ └@2@
Sm: Af: wat Richtiges arbeiten └ja, genau
Am:
└hm
Af:
Am: und dann bin ich da halt hin und der hatte wirklich (.) der musste Wasser lassen wie 7
bekloppt, (.) aber es ging nicht (.) und da sollte er halt den DK[ ] kriegen und (.) man arbeitet immer so schonend wie möglich, dass es den Patienten nich schmerzt, das es nicht weh tut (.) und man kriegt das dann ja auch irgendwann hin, ne? dass man das Gefühl dafür hat, (.) Mensch so klack-klack-klack, das Ding ist drinne (.) dann lag der vor mir im Bett und sagte, tut das weh? (.) ich sage, nein. da is Gleitmittel drin └@.@
Sm: Am:
zur Betäubung, und das flutscht. und des tut auch nicht weh (.) sagt- (.) mir, wenn das weh tut,
7
DK = Dauerkatheter.
170 | K ULTURSENSIBLE A LTENHILFE ? dann rufe ich meine Cousins und meine ganzen Brüder dann kümmern die sich um dich. dann hab ich=s Zimmer verlassen (.) dann hab ich den abgelehnt └ºohº
Af:
└hm
Sm:
└ja.
Af: Am: das hab ich ganz verdrängt gehabt. └aha, sieh=ste? (2)
Af:
└°stimmt°
Am:
└ja
Sm:
└das war n=Arsch.
Am: Sm:
└och
Af:
└@tjaa@
Sm: a::ach, hätt=ste mal noch ne=halbe Stunde jewartet. da wär=n die Schmerzen so dolle gewesen, da tut dann so n=kleiner Schlauch auch nich mehr weh @.@ (2) na so wat (.) na furchtbar. (Z. 659-734, Transkript Gruppe Alpenveilchen)
Gegen Ende des dritten Ausbildungsjahres kann Am bereits viele medizinischpflegerische Verrichtungen alleine durchführen („Pflästerchen kleben“, „Pillen geben“, „Katheter legen“). So hat er auch ein sicheres „Gefühl“ für das Einbringen eines Harnblasenkatheters entwickelt und weiß bereits, wie er hierbei manuell („klack, klack, klack“) vorgehen muss, damit „das Ding“ rasch „drinne“ ist, ohne das es den Patienten „schmerzt“. Dann erhält Am „endlich“ den Auftrag, dass er bei einem jungen Mann einen Blasenkatheter „selbstständig“ einlegen soll. Dies ist wirklich „mal wat anderes“, eine Gelegenheit, wo man „so richtig schön die Sau raus lassen“ bzw. „reindrücken“ kann, und so etwas „macht man“ am Ende des dritten Lehrjahres „ja gerne“. Als der Patient fragt, ob der bevorstehende körperliche Eingriff schmerzhaft ist, wird diesem erklärt, dass „da“ zur Betäubung ein „Gleitmittel drin“ ist. Hierdurch „flutscht“ es und „tut auch nicht weh“. Der Patient spricht für den Fall, dass es doch schmerzhaft sein sollte, eine Drohung aus, worauf Am das Krankenzimmer verlässt und den Auftrag ablehnt. Diese Episode hatte Am eigentlich „schon ganz verdrängt gehabt“. Man ist sich einig, dass der junge Patient „n=Arsch“ war, genauso wie andere Migranten auch („sieh=ste? (2) ºstimmtº“). Besser wäre es gewesen, wenn Am vorher „noch ne=halbe Stunde“ gewartet hätte. Dann wären die Schmerzen nämlich „so dolle gewesen“, dass „so n=kleiner Schlauch“ auch nicht mehr gestört hätte. Man ist sich einig, dass das Verhalten des Patienten „furchtbar“ und somit abzulehnen war. Die Episode über die erlebte Freude, „selbstständig“ einen Harnblasenkatheter legen zu dürfen und somit „endlich“ einmal „wat richtiges arbeiten“ zu können, stellt sowohl den erlebnismäßigen Höhepunkt der ganzen Gruppendiskussion dar als auch der vorliegenden Sequenz, gefolgt von der inhaltlichen Pointe der Ge-
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schichte – die Ablehnung des Patienten aufgrund seines unzumutbaren Verhaltens. Formal wird die Fokussierungsmetapher an der hohen interaktiven Dichte des Ausschnitts deutlich. Gekennzeichnet ist dieser durch eine Häufung spontaner Einwürfe und Lachen („@wech damit@“; „genau, mal wat anderes“; „@2@“; „wat richtiges arbeiten“) verbunden mit Bekundungen von Zustimmung („ja, genau“, „hm“) und echoartigem Nachsprechen („@macht man ja gerne@“). Es dokumentieren sich hier pointiert Komponenten des professionellen Habitus vom Typus A. Innerhalb dieses Orientierungsrahmens wird etwas „Richtiges arbeiten“ im Bereich der gesundheitlich-pflegerischen Versorgung vorrangig als ein instrumentelles Handeln begriffen. Für die Fachkräfte ist es eine positiv konnotierte und hochspannende Aufgabe, medizinisch-technische Eingriffe am menschlichen Körper durchzuführen. Denn dann können sie ihre fachlich-instrumentelle Expertise im Sinne eines Alleinstellungsmerkmals unter Beweis stellen. Schließlich verfügt nicht jede Person über die hierfür notwendige Kombination aus berufsbezogenem Fachwissen, einschlägiger Erfahrung und manuellem Geschick. Demonstrationen ihres Könnens stellen die Betroffenen gerne unter Beweis. Daher haben die Gruppenmitglieder gefühlsmäßig auch einen regen Anteil an der Mischung aus Stolz und Freude („macht man ja dann gerne“), die Am in seiner Erzählung erfüllt, als ihm die Aufgabe übertragen wird, bei einem Patienten „selbstständig“ einen Harnblasenkatheter einzubringen („@macht man ja gerne@“, „wat richtiges arbeiten“, „@wech damit@“). Im Anschluss hieran herrscht ein nahezu andächtiges Schweigen der übrigen Gruppenmitglieder. Denn Am beginnt nun mit einer symbolischen Darstellung seines professionellen Könnens. Eingeleitet wird diese Darbietung damit, dass Am die Dringlichkeit seines Auftrages betont („der musste wasserlassen wie bekloppt, (.) aber es ging nicht (.) und da sollte er halt den DK kriegen“). Nun erfolgt eine symbolische Demonstration seiner fachlich-instrumentellen Expertise. Hierbei verwendet Am das unpersönliche „man“ („man arbeitet immer so schonend wie möglich“). Hierin kommt zum Ausdruck, dass Am bereits über die notwendige Routine für den Eingriff verfügt („und man kriegt das dann ja auch irgendwann hin, ne? dass man das Gefühl dafür hat“). Darauf vollzieht Am sinnbildlich nach, wie „man“ es macht. Die Spitze des Blasenkatheters bewegt sich durch die Harnröhre und es geht, „klack, klack, klack“. Es ist kein Zufall, dass Am den Ausdruck „klack“ hier drei Mal wiederholt. Denn beim Einlegen eines Blasenkatheters über die Harnröhre des Mannes gilt es, drei anatomisch bedingte Engen8 zu überwinden. Nur wenn die Spitze des Blasenkatheters im Körperinneren diese drei ‚Problemzonen‘ widerstandsfrei passieren und in Richtung Harnblase weiterbewegt werden kann, wird das empfindliche Gewebe nicht verletzt und nur dann ist der Eingriff für den Patienten tatsächlich schmerzfrei. Das korrekte Vorrücken des Blasenkatheters wird von Am durch die Äußerung „klack, klack, klack“ symbolisch und auch ge8
Vgl. Bommas-Ebert/Teubert/Voß (2006): Kurz Lehrbuch der Anatomie, S. 360.
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fühlsmäßig nachvollzogen. Es folgt die erzählend reaktualisierte Erleichterung über den geglückten Eingriff: „das Ding ist drinne“. Nachdem Am sein Können auf symbolische Weise vorgeführt hat, gelangt er in seiner Erzählung an den Punkt, wo er dem Patienten gegenübersteht und dieser ihn fragt, ob der bevorstehende Eingriff wehtun wird. Von diesem Moment an schlägt die Stimmungslage in der Gruppe um. Wurde Ams anfängliche Schilderung geradezu euphorisch kommentiert und der sinnbildlichen Demonstration seiner instrumentellen Expertise fast andächtig gefolgt, so herrscht jetzt, wo Am eine gescheiterte Interaktion mit dem Patienten präsentiert, ein betretenes Schweigen. Zwar ruft der Begriff „Gleitmittel“ noch ein kurzes Auflachen hervor. Die Wiedergabe des Wortwechsels zwischen Am und dem jungen Patienten („und des tut auch nicht weh … wenn das weh tut, dann …“) sowie die inhaltliche Pointe des Erlebnisses („da hab ich den abgelehnt“) locken jedoch keine weiteren Äußerungen hervor. Erst der Abschluss der Erzählung führt zu einem leisen, beinahe überrascht wirkenden Ausdruck von Betroffenheit („oh“). Offenbar war die Gruppe zunächst derart mit dem Durchleben geteilter konjunktiver Erfahrungen beschäftigt, dass sich nach dem abrupten Ende dieses gemeinsamen Erlebens eine Phase der Ernüchterung breitmacht. Hiermit verbunden ist eine vorübergehende Orientierungslosigkeit in Bezug auf die weitere Richtung der Diskussion, was auch durch die Partikel „hm“ und “ja“ zum Ausdruck kommt. Erst als Am verkündet, dass er diese Begebenheit schon „ganz verdrängt gehabt“ hatte, findet Af wieder zum ursprünglichen Diskussionsthema zurück („aha, sieh=ste?“). Zuvor war man zu der Feststellung gelangt, dass Migranten nicht im Allgemeinen, sondern nur „in=na Pflege“ (Z. 606, ebd.) eine Zumutung darstellen. In diesem Zusammenhang war es auch, im Modus von These und Antithese, um die Frage gegangen, ob Menschen mit Migrationshintergrund grundsätzlich oder nur ausnahmsweise eine Zumutung in der Pflege darstellen. Anders als Af hatten Am und Sm hierbei Partei für die Auffassung ergriffen, dass nicht alle Migranten „so“ sind („weil das Problem is nich, dass wir unbedingt n=Problem jetzt mit dieser einen Erfahrung haben, sondern das Problem is, dass wir das auf die Masse umsetzen.“ Z. 222-224, ebd.). Hierbei vertritt Am die Ansicht, dass nur solche Migranten problematisch sind, die „tief“ religiös und „in ihrem Glauben verwurzelt“ sind (Z. 93, ebd.). Dagegen stellt Sm die Eigentheorie auf, dass der Grad der Zumutbarkeit dieser Bevölkerungsgruppe von ihrem Wohnort abhängt bzw. den sozialen Verhältnissen, in denen diese leben. Vor dem Hintergrund des nun geschilderten Erlebnisses, welches Am zunächst „ganz verdrängt gehabt“ hatte, kommt die Gruppe jedoch zu einer gemeinsamen Konklusion. Alle stimmen nun darin überein, dass der junge Mann „n=Arsch“ und damit als Patient abzulehnen war, so wie andere Migranten „in=na Pflege“ auch. Nachdem dies nun für die Gruppenmitglieder geklärt ist, geht es um die Frage möglicher Handlungsalternativen. So hätte Am den jungen Mann auch „ne=halbe Stunde“ warten lassen können. Danach wären dessen Schmerzen „so dolle gewe-
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sen“, dass „so n=kleiner Schlauch“ ihn auch nicht mehr gestört hätte. Diese Handlungsempfehlung stellt eine Form der Disziplinierung des jungen Mannes dar durch eine Expertenmacht. Auch wenn diese Empfehlung möglicherweise nicht ganz ernst gemeint ist, so dokumentiert sich darin doch der gemeinsame Habitus der Gruppe Alpenveilchen, das Primat der instrumentellen Expertise. Denn das, was an potenziellen Handlungsmöglichkeiten gesehen werden kann, erfährt seine Begrenzung durch den primären Rahmen der Gruppe. Hierbei kommt der Logik des Verstehens von zu Pflegenden eine nachrangige Bedeutung zu. Eine Perspektivübernahme der betroffenen Person erfolgt somit kaum. So entgeht Am auch systematisch, also aufgrund seines Habitus, dass sich die Befürchtungen des jungen Patienten nicht durch technische Erklärungen („das flutscht und des tut auch nicht weh“) ausräumen lassen, solange kein Vertrauensverhältnis zwischen den beiden Personen existiert. Offenbar fühlt sich der junge Mann in seiner Situation der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins nicht von Am verstanden. In dieser Not verweist er auf seine Familie als eine ihn beschützende Instanz. Hierdurch entsteht eine ‚virtuelle‘ soziale Komplexität verbunden mit einem Erfolgsdruck, dem Am wiederum nicht gewachsen ist. Ihm bleibt allein der Rückzug. Denn der Aufbau von personenbezogenem Vertrauen ist etwas, was nicht dem habituellen Handeln von Am entspricht. Vielmehr setzt er implizit das Patientenvertrauen bereits voraus, und zwar auf der Grundlage von Vertrauen in die Expertise der Einrichtung bzw. der darin tätigen Fachkräfte. Hierbei wird die Tatsache, dass der Patient sich in professionelle Behandlung begeben hat, pauschal als Zeichen seines Vertrauens gewertet. Es entspricht nun der Patientenrolle bzw. dem habitualisierten Bild vom Patienten, dass dieser sich für die Dauer der Behandlung entsprechend verhält. Hierbei handelt es sich auch um eine implizit vorausgesetzte Art von ‚Bringschuld‘. Bringt ein Patient das für die Behandlung notwendige Vertrauen nicht auf, so ist dies als ein Verschulden des Patienten zu werten, und zwar in der Hinsicht, dass dieser sich nicht rollenkonform und damit unnormal verhält („na so wat (.) na furchtbar“). Vor diesem Hintergrund sind Probleme und Belastungen im Versorgungskontext geradezu vorprogrammiert. Denn wenn eine hilfebedürftige Person sich nicht erwartungsgemäß verhält, weil es ihr an dem notwendigen Vertrauen fehlt, ist der Handlungsspielraum der Fachkraft sehr eingeschränkt. Sie kann die pflegerische Versorgung entweder als unzumutbar ablehnen, oder sie muss auf eine ‚Anpassung‘ der zu pflegenden Person in Richtung eines rollenadäquaten Verhaltens hinarbeiten. Ein Beispiel für eine mögliche Disziplinierungsmaßnahme findet sich am Ende der Sequenz („hätt=ste mal noch ne=halbe Stunde jewartet“). Bei dieser Praktik lässt man die hilfebedürftige Person ihre Abhängigkeit deutlich spüren, in der Erwartung, dass diese dann „kooperativ“ (Z. 855, ebd.) bzw. rollenkonform wird. Diese Methode funktioniert in der stationären Versorgung offenbar deutlich besser als ambulant. Denn „ambulant hat dummerweise der Patient immer recht“ (Z. 836, ebd.).
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Wie eingeschränkt die Handlungsmöglichkeiten der Gruppe Alpenveilchen aufgrund ihrer habituellen Orientierungen sind, wenn sich ein Patient nicht erwartungsgemäß bzw. rollenkonform verhält, wird auch an der folgenden Sequenz deutlich. Inhaltlich geht es um einen heimbeatmeten Patienten, dessen Familienmitglieder sich, der Gruppe zufolge, selbst als Kurden bezeichnen. Der schwer pflegebedürftige alte Mann lebt mit seiner Frau und einem Teil seiner erwachsenen Kinder in einer engen Etagenwohnung. Die Familie wird von einem Pflegedienst betreut, der eine intensivpflegerische 24-Stundenbetreuung ermöglicht. Am hat einen, Af zwei Nachtdienste im Wohnzimmer der Familie verbracht, wo sich das Krankenbett mit der Beatmungsmaschine befindet. Nach ihren Erlebnissen dort wollen beide auf keinen Fall noch einmal in dieser Familie eingesetzt werden („ich sach um Gottes Willen, mach n=rotes Ausrufezeichen und bei Af ein nein, weil ich möchte auch darauf hin nicht mehr angesprochen werden, und auch im Notfall nicht“, Z. 439f., ebd.). Für die Mitglieder der Gruppe Alpenveilchen ist klar, dass es sich auch hier wieder um einen völlig unzumutbaren Fall handelt. Die Gründe hierfür wurden zu Beginn der Gruppendiskussion bereits ausdiskutiert („ich muss mich nich jemanden anbieten, der nicht das anerkennt, was ich mache (.) sondern nur sieht, was ich nicht mache oder was ich nicht bin oder was wees ick wie was, des- nö.“, Z. 445f., ebd.). In der zweiten Hälfte der Gruppendiskussion wird dieser Fall noch einmal thematisiert. Nun entspinnt sich eine hypothetische Erörterung über die Frage, wie eine langfristige Versorgungslösung für diesen ‚schwierigen Fall‘ aussehen könnte. Auch hierbei wird deutlich, wie eingeschränkt der Möglichkeitsraum ist, innerhalb dem die Gruppenmitglieder Probleme und Lösungen erkennen können. Am: Aber wenn der nich ins Heim will, weil er ist noch geistig beisammen der Mann, wat dann? Sm: Pech Am: wenn da keiner mehr hingeht, wenn alle Pflegekräfte erschöpft sind? Af: na dann wird das so=n Fall wie der Türke, den wir in C-Stadt gekricht haben. offenes Dings und irgendwann muss der ins Krankenhaus und dann sagen die, den können wir nicht mehr nach Hause lassen, den müssen wir- (1) oder die schicken den zurück in der Türkei, ich hab keine Ahnung. (Z. 817-828, Transkript Gruppe Alpenveilchen)
Es ist denkbar, dass zu der kurdischen Familie irgendwann einmal „keiner mehr hingeht“ von den in Frage kommenden Pflegekräften. Dabei ist es völlig unklar („keine Ahnung“), wie der Patient dann noch versorgt werden könnte. Zwar bliebe das „Heim“ als eine letzte Möglichkeit. Jedoch ist eine stationäre Unterbringung gegen den Willen des Patienten nicht möglich, solange dieser „noch geistig beisammen“ ist. Es sei denn, er käme einmal zur Wundversorgung „ins Krankenhaus“. Von dort würde man ihn sicher „nicht mehr nach Hause lassen“, wobei auch hier
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unklar ist, wie es weiter gehen würde. Eine Lösung des Versorgungsproblems wäre es auch, wenn man den Patienten „zurück in die Türkei“ schickt. Eine auf Vermittlung und kommunikativer Verständigung beruhende Problemlösung steht völlig außerhalb des Möglichkeitsrahmens der Pflegekräfte. Vielmehr hält die Gruppe es für denkbar, dass jede Pflegekraft, genau wie man selbst, nur noch mit der Ablehnung des Pflegeauftrages reagieren kann, sodass da irgendwann „keiner mehr hingeht“. Brisant ist die Frage, was dann wäre, weil der beatmungspflichtige Patient zum Überleben auf professionelle Hilfe angewiesen ist. Doch auch in diesem Fall gibt es für die Gruppenmitglieder grundsätzlich nur zwei Handlungsoptionen, entweder wird der Patient weiter abgelehnt, sodass man ihn nur „zurück“ in die Türkei schicken könnte, oder es wird Zwang auf ihn ausgeübt mittels einer Expertenmacht („muss der ins Krankenhaus, dann sagen die, den können wir nicht mehr nach Hause lassen“). Eine Variante der Disziplinierung durch Expertenmacht, die auch thematisiert wird, besteht in der Entmündigung des Patienten, was jedoch kaum möglich ist, solange dieser „noch geistig beisammen“ ist. Typus C: Frau Christrose, Herr Cimen und Frau Cicek – “da muss man eben Zeit lassen“ Der Versorgungsstil des Typus C stellt einen deutlichen Kontrast zum Habitus der Gruppe Alpenveilchen dar. Denn hier stellt die habitualisierte Suche nach Verständigung stets den Ausgangspunkt einer Pflegebeziehung dar. Den Fachkräften mit dieser Orientierung ist es zur Routine geworden, zunächst einmal nach einem verstehenden Zugang zum Gegenüber in der Pflegebeziehung zu suchen. Diese Grundorientierung drückt sich auch darin aus, wie eine Pflegesituation wahrgenommen und wo Probleme gesehen werden. Anhand der folgenden Sequenz soll dies exemplarisch dargestellt werden. Frau Christrose schildert darin, wie sie einen Pflegeauftrag in einem Asylbewerberheim erlebt hat. Ähnlich wie in den Beispielen der Gruppe Alpenveilchen wird die Pflegesituation als ‚unzumutbar‘ bewertet. Dies erfolgt jedoch aus einem völlig anderen Orientierungsrahmen heraus. Hierdurch ist nicht das Verhalten des Patienten die Ursache der Unzumutbarkeit, sondern es sind die unhaltbaren Umstände, unter denen gepflegt werden soll. Y:
Was gab=s denn da so für Fälle, können sie mal einen-? 9
Chf: ja, schwer suchtkrank (.) schwerst suchtkrank eigentlich. glaube, mit einem Apoplex[ ] (.) in so einem Zimmer, (.) keine Pflegemittel da, in diesem Asylbewerberheim (.) der 10
SPD [ ], eigentlich sehr engagiert, hat alles, was irgendwo an Leistungen erforderlich
9
Apoplex = ‚Schlaganfall‘ bzw. ‚Gehirnschlag‘.
10 SPD = Sozialpsychiatrischer Dienst.
176 | K ULTURSENSIBLE A LTENHILFE ? war, genehmigt, (.) aber pflegen sie mal, wenn die ganzen Umstände nicht so stimmig sind (.) das war sehr schwer. da waren ja Gemeinschaftsduschen, und, und, und. Y:
mhm
Chf: das muss kurz nach der Wende gewesen sein (.) das war chaotisch (.) also da waren aus aller Herren Länder fast so zusammengewürfelt, und da hatten wir alle ein bisschen Angst auch hinzufahren, weil da waren riesen Spannungen. irgendeiner war immer mit irgendeinem im Clinch. die Frauen hatten nicht wirklich Möglichkeiten sich zurückzuziehen, (.) war sehr problematisch (.) und der war (.) ich möchte sagen, Anfang sechzig, (.) erinner ich mich noch (.) ja, noch einen Apoplex gehabt, (.) also war auch, ja- (.) und dann hatte der halt, was weiß ich, schwerst inkontinent und ja, nun kommen sie da hin so, müssen dann erst mal irgendwas zaubern und wissen gar nicht wie. Y:
mhm. und wie haben sie sich da so beholfen?
Chf: na ja, wie gesagt, also durch den sozialpsychiatrischen Dienst, die haben dann- (.) der ist dann auch verlegt worden, (.) also das ging nicht (.) das war einfach zu schwer da. der ist da nicht geblieben. (Z. 518-543, Transkript Frau Christrose)
Die Situation in dem Asylbewerberheim ist „chaotisch“ und auch beängstigend, weil irgendeiner immer „mit irgendeinem im Clinch“ liegt. Es gibt keine „Rückzugsmöglichkeiten“, nur „Gemeinschaftsduschen“ und auch „keine Pflegemittel“ in dem Übergangswohnheim. Allen ist klar, dass der schwerstpflegebedürftige Mann hier nicht bleiben kann. Schließlich kann der sozialpsychiatrische Dienst eine Verlegung erwirken. Auch jetzt noch, knapp zwanzig Jahre nach dem Ereignis, fällt es Frau Christrose nicht leicht, distanziert und geordnet über die von ihr als unzumutbar erlebte Situation zu sprechen. Sie äußert Empathie für die Betroffenen („die Frauen hatten nicht wirklich Möglichkeiten sich zurückzuziehen“, „war sehr problematisch“) und drückt auch ihre eigenen Gefühle aus („ein bisschen Angst auch hinzufahren“, „das war einfach zu schwer da“). Frau Christrose schildert vor allem die Umstände und auch die Stimmungslage so, wie sie diese Aspekte in dem Asylbewerberheim erlebt hat („das war chaotisch“). Dagegen äußert sie kaum nähere Einzelheiten über den Patienten („schwerst suchtkrank eigentlich, (.) glaube mit einem Apoplex“). Auch deutet sie nur vage an, wie sie unter den gegebenen Umständen die technischinstrumentelle Seite der pflegerischen Versorgung bewerkstelligt hat („erst mal was zaubern und wissen gar nicht wie“). Vor dem Hintergrund der unakzeptablen Situation erscheinen ihr all diese fehlenden Gesichtspunkte offenbar nicht bedeutsam genug zu sein, um sie zu erzählen. Es ist auch möglich, dass sie Einiges nicht näher erläutert, weil sie sich nicht gerne daran erinnert, da die Situation nicht mit ihrem verinnerlichten, pflegerischen Ideal zu vereinbaren ist. So klingt es schon fast wie eine Entschuldigung, wenn sie auf die schwierigen Umstände verweist, die eine ‚richtige‘ Pflege nicht zulassen („aber pflegen sie mal, wenn die ganzen Umstände
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nicht so stimmig sind“). Anders als in den erzählten Fällen der Gruppe Alpenveilchen lehnt Frau Christrose den Auftrag jedoch nicht ab. Sie macht auch keine Person oder Personengruppe für die Situation verantwortlich, sondern die Zustände in einer allgemein durch Umbrüche und Unsicherheit geprägten Zeit („das muss kurz nach der Wende gewesen sein“). Die Unzumutbarkeit der Situation wird auch von dem Sozialpsychiatrischen Dienst erkannt, weshalb es bald zur Verlegung des Patienten kommt. Wie Herr Baumgärtner so hat es auch Frau Christrose schon erlebt, dass ein Patient Pflegemaßnahmen ablehnt. Wie sie hiermit umgeht, schildert sie in der folgenden Sequenz. Chf: Und es gibt auch Momente, wo er nicht will und dann müssen wir wieder gehen. das haben wir auch schon gehabt. //Y: ja? // ja. ja, das geht dann einfach nicht. und dann- (.) er hat eine Struktur-, also wir haben eine Struktur abgesprochen, dass wir sagen, früh und abends kommen wir zur Grundpflege. das kann sein, dass er mal so verwirrt ist, dass er sagt, also ich komm grad aus Amerika, ich brauch jetzt keine Dusche. und dann müssen wir nach einer Stunde wiederkommen, ja. (.) ich sag jetzt mal (.) und dann müssen wir nach einer Stunde wieder kommen und es kann sein, dass er immer noch nicht- (.) das gibt es (.) aber an sich haben wir auch mit ihm zusammen und natürlich mit der Frau eine Struktur abgesprochen, wo wir sagen, also zwei Mal am Tag, (.) durch den Anus praeter (.) da ist einfach der Bedarf da. schon alleine Beutel gucken und so // mhm // ja, aber klar, auch da wird keiner gezwungen. das geht ja gar nicht. geht ja gar nicht, also mit nichts, mit keiner Tablette, mit gar nichts, nee. (Z. 1100-1112, Transkript Frau Christrose)
Aufgrund eines künstlichen Darmausgangs („Anus praeter“) ist bei dem Patienten „einfach“ der „Bedarf da“, mehrmals am Tag Kontrollen, Beutelwechsel und Hygienemaßnahmen durchzuführen. Hierzu ist der Patient jedoch nicht immer bereit. Es kommt vor, dass die Pflegekräfte „wieder gehen“ und „nach einer Stunde wiederkommen“ müssen. Es gibt auch eine gemeinsam abgesprochene „Struktur“, wonach zwei Mal am Tag Maßnahmen durchgeführt werden sollen. Jedoch ist es nicht möglich, den Patienten zu etwas zu zwingen („das geht ja gar nicht.“). Es zeigt sich auch hier wieder, dass die Suche nach und das Herstellen von gegenseitiger Verständigung den Ausgangspunkt der Pflegebeziehung beim Versorgungsstil des Typus C bildet („haben wir auch mit ihm zusammen und natürlich mit der Frau eine Struktur abgesprochen“). Ausgehend von dieser Beziehungsbasis wird situativ bzw. flexibel zwischen verstehenden und instrumentellen Handlungslogiken gependelt. Anders als bei der Gruppe Alpenveilchen eröffnen sich hierdurch nicht nur mehr, sondern auch immer wieder andere Handlungsoptionen. Voraussetzung hierfür ist es, zunächst zu verstehen, ‚wo‘ sich der Patient bewusstseinsmäßig gerade befindet („dass er sagt, also ich komm gerad aus Amerika, ich
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brauch jetzt keine Dusche“). Hiervon ist es abhängig, ob und in welchem Umfang instrumentelle oder verstehende Handlungsaspekte in der gegebenen Situation im Vordergrund stehen („und dann müssen wir in einer Stunde wiederkommen“). Beim Versorgungsstil des Typus C stellt der Aufbau von persönlichem Vertrauen durch das Prinzip der Suche nach Verständigung eine zentrale Komponente des Orientierungsrahmens. Diese Suche selbst ist habitualisiert und kommt in der Versorgungspraxis auch dadurch zum Ausdruck, dass hierfür – insbesondere zu Beginn einer Pflegebeziehung – ein Mehr an Zeit aufgewendet wird. Dieser Mehraufwand überschreitet in der ambulanten Versorgung immer wieder auch strukturell vergebene Zeitkontingente, sodass es zu unbezahlter Mehrarbeit kommt. Für die Pflegekräfte ist dies bereits zu einem Stück Normalität geworden: Cif: wir versuchen da irgendwie die Zeit für uns zu finden natürlich. Y:
und ist das aber- (.) gibt es dann aber sozusagen auch unbezahlte Mehrarbeit?
Cif: natürlich. es gibt eben auch bei den deutschen Pflegediensten, (.) gibt es nebenbei, (.) dass man auch schnell das erledigt. Y:
weil man das einfach nicht anders kann?
Cif: immer. ja, anders geht=s ja nicht. (Z. 581-586, Transkript Frau Cicek)
Auch während ihrer Zeit bei „den deutschen Pflegediensten“ hat Frau Cicek es immer wieder erlebt, dass im Rahmen der zeitlich knapp bemessenen und inhaltlich stark reglementierten Einsätze „irgendwie die Zeit“ für menschliche Zuwendung und Begegnungen gefunden werden muss. Hierbei kommt es meistens auch zu unbezahlten Nebentätigkeiten und zusätzlichen Hilfeleistungen („dass man auch schnell das erledigt“). Typisch für den Versorgungsstil des Typus C ist, dass diese Art der persönlichen Zuwendung nicht die Folge einer schon länger bestehenden Pflegebeziehung ist, sondern gerade auch zu Beginn des Pflegeprozesses eine Rolle spielt. Man geht quasi in ‚Vorleistung‘, wie sich auch im folgenden Interviewausschnitt mit Herrn Cimen zeigt. In dieser Sequenz geht es insofern um einen ‚schwierigen Fall‘, als die Tochter sich lange Zeit nicht entschließen kann, ihre Mutter von einem Pflegedienst versorgen zu lassen, obwohl sie sich selbst aufgrund ihrer Berufstätigkeit oft nicht mehr ausreichend um die Mutter kümmern kann. Cm: Zum Beispiel, es gibt eine ältere Frau, die früher, ähm, paar hundert Meter von uns weit entfernt gewohnt hat, wo die Tochter sich ständig drum gekümmert hat. dann konnte die Tochter irgendwann mal nicht mehr und, äh, hat uns dann angesprochen. wir haben dem entsprechend die Frau natürlich weitergeholfen in ihrer Häuslichkeit und, (.) äh, (.) wo wir noch nicht eingestiegen waren. (.) also, die war noch nicht unser Kunden, (.) wir wollten, weil äh (1) wir haben das- (.) wir haben die Leistungen, was wir bei ihr gemacht haben, nicht abgezeichnet oder nicht bezahlt bekommen. wir sind einfach von
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uns aus dahin gegangen, haben viele Sachen für sie erledigt und so (.) dann sagte die Tochter irgendwann mal, ich find das so gut, ich find das so nett von euch, äh, ich möchte meine Mutter von euch gepfl-, weiterversorgt bekommen. ich möchte mein Mutter zu sicheren Händen (.) noch sichereren Händen (.) ich bin zwar die Tochter, aber ich merke, ich schaff=s manchmal selber nicht mehr. Ärztebegleitung, Medikamenten bestellen oder stellen oder verabreichen oder die jegliche Spaziergänge am Tag oder die Beschäftigung mit der Mutter, weil die Tochter selber am Arbeiten ist. und dann, (.) natürlich haben wir darüber gesprochen, (.) haben wir unsere Pflege hier erzählt, was wir machen, natürlich komplette Pflege machen wir hier, Grundpflege, Behandlungspflege- //Y: äh, sie ist immer noch bei sich zu Hause? // ne, dann is sie dann zu uns gekommen. //Y: aha // dann, äh, die Tochter wollte unbedingt, dass sie hier hin kommt, weil sie ähm sagte, ich bin zwar die Tochter, aber ich seh, wie ihr euch bemüht. ich hab=n so leichtes Herz, n=äh (1) //Y:gutes Gewissen? // genau. n=gutes Gewissen, ich kann meine Tochter ohne wenn, äh, mein Mutter, ohne Wenn und Aber an euch geb-, (.) was heißt geben? (.) dass ihr mein Mutter weiterversorgt. und seit drei Monate sind wir, äh, also is sie denn bei uns Kundin und seit drei Monate versorgen wir sie. (Z. 181-222, Transkript Herr Cimen)
Eine Frau aus der Nachbarschaft, die sich „ständig“ um ihre pflegebedürftige Mutter gekümmert hat, plagte ihr „Gewissen“. Einerseits schafft sie die immer umfassender werdende Versorgung der Mutter aufgrund der eigenen Berufstätigkeit oft nicht mehr. Sie sucht deshalb kurzfristig auch Hilfe bei einem ambulanten Pflegedienst. Sie kann sich aber andererseits nicht dazu entschließen, die Mutter dauerhaft aus ihren „Händen“ zu geben. Obwohl sich das Angebot des Pflegedienstes eigentlich nur auf solche Personen bezieht, die auch eine Pflegewohnung im Rahmen eines Wohnprojektes für alleinstehende alte Migranten angemietet haben und auch formal kein Auftragsverhältnis zustande gekommen ist, werden nun weiterhin „viele Sachen für sie erledigt“. Hierdurch entsteht allmählich ein solches Vertrauen in die Mitarbeiterschaft („ich seh, wie ihr euch bemüht, ich hab so=n leichtes Herz“), dass die Einrichtung schließlich die „komplette Pflege“ im Rahmen eines formalen Pflegeauftrages übertragen bekommt. Herr Cimen schildert eine Episode, in der sich eine Frau aufgrund ihres schlechten Gewissens gegenüber der Mutter nicht dazu entschließen kann, dauerhaft professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, obwohl sie die pflegerische Versorgung der Mutter kaum noch leisten kann. Nachdem der Pflegedienst einmal dort ausgeholfen und hierbei den umfangreichen Pflegebedarf erkannt hat, werden bestimmte Hilfeleistungen unentgeltlich übernommen. Es fällt Herrn Cimen sichtlich schwer mit zweckrationalen Argumenten zu erklären, warum man hier einfach „weitergeholfen“ hat („wir wollten, weil äh (1) wir haben das- (.)“, „wir sind einfach von uns aus dahin gegangen“). So steckt offenbar kein ökonomisches Kalkül dahinter, obwohl es hierdurch letztendlich doch zur Vergabe des kompletten Pflegeauftrages
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gekommen ist. Dies geschieht jedoch erst „irgendwann einmal“. Die Voraussetzung hierfür war ein besonderes Vertrauen in den Pflegedienst, ein Vertrauen „ohne Wenn und Aber“, das sich erst entwickeln musste. Die Schwierigkeiten von Herrn Cimen, seine Motivationsgrundlage in Worte zu fassen, verweisen somit auf ein habitualisiertes Handeln. Hierbei steht die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen im Vordergrund. Dass diese beim Versorgungsstil des Typus C auch einen Wert an sich darstellt und somit jenseits rein ökonomischer Erwägungen steht, wurde auch schon an anderer Stelle herausgearbeitet. Hier finden sich ebenso Homologien zu Frau Cicek, die zwar „auch“ Geldverdienen möchte („Geldverdienen will ich natürlich auch“ Z. 434f., Transkript Frau Cicek). Jedoch möchte sie vor allem auch „da sein“ für „meine Leute“ (ebd.). Zeit geben, insbesondere in der Anfangsphase einer Pflegebeziehung und bei ‚schwierigen Fällen‘, ist beim Versorgungsstil des Typus C eine wiederkehrende Handlungspraxis. Dieser liegt das Handlungsprinzip der professionellen Suche nach Verständigung zugrunde. Als habitualisierter Versorgungsstil wird dieses Vorgehen selbst nicht unbedingt als ein eigenes Handlungsmuster erkannt und somit nicht explizit thematisiert. Vielmehr findet sich das Zeitgeben implizit in der Darstellung von Pflegeprozessverläufen wieder. Hierbei kommt es stets zu einem Wandel im positiven Sinne bei anfangs ‚schwierig“ erscheinenden Fällen. Während beim Versorgungsstil des Typus A das Ablehnen oder Disziplinieren ‚schwieriger Fälle’ wesentliche Praktiken und daher in der Gruppe Alpenveilchen auch zentrale Gesprächsthemen sind, erzählt Herr Cimen immer wieder von einem sich zum Positiven wandelnden Verlauf. So auch im Fallbeispiel des Herrn A. Dieser wollte zunächst nicht in eine Pflegewohnung des Wohnprojektes einziehen und wurde „richtig depressiv“, nachdem seine Familie den Umzug mit Unterstützung der Hausärztin durchgesetzt hatte. Cm: Natürlich er hat sich am Anfang nach Außenwelt erst mal nicht mehr präsentiert. also er war richtig (.) depressiv, (.) sag ich mal (.) nach und nach, Tag zu Tag, hat er das erfahren, dass wir kein Altenheim sind, dass er immer noch bei sich zu Hause wohnt, dass es seine Wohnung is und er die Freiheit hat. er kann machen was er will. wie er früher gemacht hat. Spaziergänge, Ärztebesuche, Verwandten besuchen, Kolleginnen und sein alltägliches Leben einfach durchzuführen. hat er auch gesehen, dass er die auch hier machen kann, sogar mit mehr Unterstützung. es gibt ja manche Sachen, wo man nicht alleine kann. zum Beispiel mit seinem E-Rolli konnte er sich zu Hause, (.) in auch alter Wohnung, (.) nich so gut bewegen, weil er da dran gekommen ist, da dran, da hängen geblieben und er alleine konnte er nicht, weil er ein Bein, (.) also n=Prothese-Bein (.) hat und dass er sich nicht so gut bewegen kann. aber daran hat er gemerkt, dass wir hier sind, um ihn zu helfen können. er hat das gemerkt, wenn ich Hilfe brauche, ist jemand da. natürlich nach und nach hat sich das natürlich gebessert und hat bei ihm natürlich im positiven Sinne weiterentwickelt, (.) sag ich mal, (.) seine Gefühle auch, und jetzt ist er
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super zufrieden. //Y: hm // jetzt, (.) also mittlerweile (.) er sprichst mit jedem der auf der Straße geht, (.) der Älteren, (.) wo wohnt ihr? (.) kommt doch zu uns (.) bei uns is doch so schön und die Leute helfen, (.) und so, was weiß ich nicht, ne? (.) also, manchmal kriege ich das selber mit, wenn ich im Garten bin oder hier auf=er Straße. wenn die Fenster offen is hör ich das und das ist natürlich super gute Gefühl. (Z. 274-297, Transkript Herr Cimen)
Herrn Cimens Beobachtung zufolge, war Herr A nach seinem Umzug zunächst „depressiv“. Dies hat sich allmählich verändert („nach und nach“, von „Tag zu Tag“). Jetzt ist Herr A „super zufrieden“, was Herrn Cimen „natürlich“ freut („super gute Gefühl“). Im Rahmen des Wohnprojektes hat Herr A seine „Freiheit“, weil er „bei sich zu Hause wohnt“ und erhält „Unterstützung“, wenn er diese benötigt. Seitdem Herr A diese Vorteile erkannt hat, geht die Entwicklung mit ihm im „positiven Sinne“ weiter. Jetzt macht er sogar Werbung für das Projekt, was Herr Cimen manchmal mitbekommt. In Herrn Cimens Beschreibung des positiven Pflegeprozessverlaufs von Herrn A spielt Zeitgeben eine zentrale Rolle. So entwickelt sich alles „nach und nach“ und von „Tag zu Tag“. Herr Cimen hat „Zeit“ auch dafür aufgewendet, um die Problemlage von Herrn A quasi ‚von innen heraus‘ zu verstehen. Dies zeigt sich daran, wie präzise der Pflegedienstleiter die Relevanzen des alten Mannes beschreiben kann („und er die Freiheit hat“, „machen was er will“, „sein alltägliches Leben einfach durchzuführen“). Dass es sich hierbei nicht um eine bloße Eigentheorie handelt, bei der Herr Cimen seine eigenen Relevanzsetzungen auf andere überträgt, zeigt ein Vergleich mit anderen Fallbeschreibungen. So spielen die Themen „Freiheit“ und Selbstbestimmung im Fall der berufstätigen Tochter überhaupt keine Rolle. Hier steht das schlechte „Gewissen“ der Tochter als zentrales Problem im Vordergrund. Aber auch über die Mutter erfolgt in dem Interview eine positive Verlaufsschilderung („sie hat sich dann natürlich nach Außenwelt mehr präsentiert, mehr veröffentlicht“, Z. 231f., Transkript Herr Cimen). Herrn Cimen zufolge, fehlte es ihr früher vor allem an Sozialkontakten („war früher alleine mit der Tochter“ Z. 230, ebd.) und der hiermit verbundenen Möglichkeit, mit anderen Menschen zu kommunizieren und sich so auch gefühlsmäßig zu erleichtern („das ist jetzt ganz andere Welt für sie“, „weil umso mehr man mit Menschen kommuniziert, um so mehr man, äh, die Gefühle Austausch hat, ist man erleichtert“ Z. 233f., ebd.). So ist die Mutter nun „total glücklich“, weil sie rund um die Uhr Ansprechpartner hat („vierundzwanzig Stunden hat sie Kontakt, wenn es ihr langweilig ist, kommt sie einfach runter zu unser Wohn-Café, äh, kommuniziert mit uns“, ebd.). Die habituellen Versorgungsstile des Typus A, B und C unterscheiden sich nicht nur systematisch anhand der milieutypischen Regulation des Spannungsverhältnisses zwischen instrumentellen und verstehenden Handlungslogiken, sondern auch im Hinblick auf die im Versorgungsalltag routinisierten Zugänge zum Fremdverstehen.
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Dies soll im folgenden Unterkapitel aufgezeigt werden. Rekonstruiert wird hierbei wie bzw. aus welcher professionellen ‚Haltung‘ heraus die Pflegekräfte Bedürfnisse und Probleme von zu Pflegenden wahrnehmen, welches implizite Bild vom Patienten hierbei zugrunde liegt und wie Fremdverstehen im Pflegekontext praktiziert bzw. wie ein verstehender Zugang zum Gegenüber gefunden wird.
8.3 Z USCHREIBEN , DEUTEN , VERSTEHEN : HABITUELLE Z UGÄNGE ZUM F REMDVERSTEHEN Das Gegenüber als ein Individuum wahrnehmen und dessen Verhaltensäußerungen empathisch deuten sind Aspekte des verstehenden sozialen Handelns. Die zentrale hierbei zu leistende Anforderung ist das Fremdverstehen. Dieses vollzieht sich in der Regel automatisiert. Im Pflegekontext stellt diese Anforderung eine eigene Typik des habituellen pflegerischen Handelns dar. Fremdverstehen ist im Pflegealltag immer wieder, oft unter Zeitdruck, zu leisten. Wie bereits ausgeführt wurde, ist dies – handlungspraktisch gesehen – stets im Zusammenhang mit Anforderungen des instrumentellen Handelns zu leisten und steht in einem Spannungsverhältnis zu diesem. So bedarf es bei jeder Begegnung mit einem Patienten immer eines sozial verstehenden und eines instrumentell geprägten professionellen ‚Blicks‘. Wurde zunächst die Relation zwischen den Dimensionen des verstehenden und des instrumentellen Handelns betrachtet, so soll nun, wie bereits gesagt, der Fokus auf der Rekonstruktion verschiedener Zugänge zum Fremdverstehen liegen. Hierbei zeigt sich nicht nur die Reproduktionsgesetzlichkeit der zuvor bereits rekonstruierten Orientierungsrahmen, sondern es werden auch weitere Komponenten dieser primären Rahmen sichtbar. So zeichnet sich jeder Versorgungsstil durch einen eigenen, routinisierten ‚Blick‘ auf den Patienten aus und somit durch jeweils abgrenzbare Modi des Fremdverstehens. Typus A: Gruppe Alpenveilchen: „das ist, glaub ich, alles nur Show“ Wie im vorangegangenen Unterkapitel herausgearbeitet wurde, setzen die Mitglieder der Gruppe Alpenveilchen stillschweigend voraus, dass zu Pflegende im Versorgungskontext eine Patientenrolle einnehmen und sich so auch an den impliziten Normalitätserwartungen der professionellen Pflegekräfte ausrichten. Nur wenn diese implizite Erwartung erfüllt ist, werden die Pflegebedürftigen als „kooperativ“ wahrgenommen. Geradezu zwangsläufig kommt es zu Problemen, wenn diese Rollenerwartung nicht erfüllt wird. Derartige Problematiken werden in der Gruppendiskussion der Gruppe Alpenveilchen in verschiedenen Variationen immer
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wieder thematisiert. Dabei verweisen die Erzählungen und Beschreibungen stets auch auf ein implizites Bild vom Patienten. An diesem werden alle erlebten Begegnungen gemessen, bewertet und entsprechend eingeordnet. Was für ein verinnerlichtes Patientenideal die Gruppenmitglieder gemeinsam teilen, kommt vor allem in Erzählungen und Beschreibungen zum Ausdruck, die als Positiv- oder als Negativbeispiele präsentiert werden. Denn darin wird der Erwartungshorizont der Gruppe deutlich. In der folgenden Sequenz präsentiert Sm ein Positivbeispiel im Anschluss an eine Schilderung von Am und Af über einen „krass“ verlaufenen Fall, der den negativen Gegenhorizont der Gruppe markiert. Sm: Also bei mir is das nicht so krass verlaufen wie bei euch. natürlich is man, wenn man in X-Stadt umherzieht, nach äh, innerhalb von so vielen Jahren ambulant, stationär auch in Kontakt gekommen, öfters, und das klappte wunderbar, aus ner=Mischung von vielen Ländern, ich sach mal, Polen, Russen, ähm, auch Rumänen. da war egal, die war=n ja integriert in Deutschland und es herrschten keine Probleme. also man konnte, wie jeder normale andere Patient, mit denen super umher-(.) äh, springen,
umhergehen
und
alles
(.)
ja,
Pflegerische
machen.
aber
auch mal
n=menschliches Wort äh, verlieren. also so die ganzen Small-talk Gesten die man auch aus Deutschland kennt, über Wetter und e=cetera oder wie, wie geht=s der Familie oder so was, eigentlich waren keine Probleme. (Z. 251-261, Transkript Gruppe Alpenveilchen)
In all den Jahren seiner Berufstätigkeit ist Sm in verschiedenen ambulanten und stationären Versorgungseinrichtungen „natürlich“ auch „öfters“ mit Migranten „in Kontakt“ gekommen. Dies hatte auch immer „wunderbar“ geklappt („es herrschten keine Probleme“), solange es sich hierbei um eine „Mischung“ aus „Polen, Russen“ und „auch Rumänen“ handelte. Denn diese „war=n ja integriert in Deutschland“ und daher „wie jeder normale andere Patient“ auch. Das heißt, man konnte mit ihnen „super umher- (.) äh springen“ und „alles“ machen, sei es pflegerischer Art oder seien es in Deutschland übliche „Small-talk Gesten“, wie miteinander über das „Wetter“ sprechen oder nach dem Befinden der „Familie“ fragen. Sm unterscheidet in dieser Sequenz zwei verschiedene Patienten- und Migrantengruppen. Bei den Migranten stellt deren Herkunft das Unterscheidungskriterium dar. So macht er es von der Herkunft abhängig, ob Migranten in Deutschland als „integriert“ und somit auch als unproblematisch („es herrschten keine Probleme“) zu bewerten sind. Für Sm gehören „Polen, Russen“ und „auch Rumänen“ zu den integrierten, unproblematischen Migranten. Hiermit ist impliziert, dass das Gegenteil für alle anderen in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund gilt. Bei den Patienten unterscheidet Sm zwischen den normalen und allen anderen Patienten, womit Letztere folglich die Nicht-Normalen sind. Gemäß Sms Eigentheorie fallen die Aspekte des Integriertseins und des Normalseins zusammen. Es
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dokumentiert sich hier eine Haltung, wonach die eigenen Normalitätsvorstellungen zum absoluten Maßstab genommen werden. Hierdurch existieren prinzipiell nur noch zwei Kategorien von Menschen: diejenigen, die so sind, wie man selbst – also ‚normal‘ und gesellschaftlich integriert – und die anderen, die all dies nicht sind. Aus dieser Haltung heraus ist Fremdverstehen nicht möglich. Denn dies setzt zumindest die Anerkennung von Normalitätsvorstellungen jenseits der eigenen voraus. Genau dies ist hier jedoch nicht gegeben. Vielmehr vollzieht sich Sms ‚Verstehen‘ (genauer: sein Nicht-Verstehen) von Migranten und Patienten im Modus der generalisierenden Zuschreibung bzw. der Stereotypisierung und Unterstellung. Hierbei wird „Polen, Russen“ und „auch Rumänen“ generalisierend unterstellt, dass diese die eigenen Normalitätsvorstellungen teilen, weil diese sich auch als Patienten ‚normal‘ verhalten („so wie jeder normale andere Patient“), was wiederum eine generalisierende Zuschreibung darstellt. In der oben aufgeführten Sequenz äußert sich ‚normal‘ sein von zu Pflegenden darin, dass man mit diesen „super umher- (.) äh springen, umhergehen“ kann, bezogen auf „alles Pflegerische“. Es dokumentiert sich hier ein objektivistisches Bild vom Patienten, welches ein asymmetrisches Experten/Laien-Verhältnis vorstrukturiert. Hierbei wird der Patient zum Objekt der (Be-)Handlung einer Fachkraft gemacht, welche eine Form von Expertenmacht innehat. Dieser Macht muss sich der Patient, zumindest für die Dauer der stattfindenden (Be-)Handlung, unterordnen. Die sich hier dokumentierenden Rollenerwartungen stellen Komponenten des zuvor bereits rekonstruierten Orientierungsrahmens der Gruppe dar (das Primat der instrumentellen Expertise). Beim Versorgungsstil des Typus A ist eine kommunikative Verständigung in der Pflegebeziehung dadurch erschwert, dass der Patient und seine Angehörigen durch stereotypisierende Wahrnehmungsraster erfasst werden. Jenseits hiervon ist jedoch auch ein unmittelbares bzw. konjunktives Verstehen möglich, sofern ein gemeinsam geteilter konjunktiver Erfahrungsraum vorliegt. Die Erfahrung des stillschweigenden Verstehens in der Pflegebeziehung wird als ein Idealzustand verinnerlicht. Patienten und/oder Angehörige, die die eigenen Normalitätsvorstellungen tatsächlich teilen, stellen einen positiven Gegenhorizont dar gegenüber solchen, die dies nicht tun. Jedoch kann auch hier wiederum eine bloße Unterstellung von stiller Übereinstimmung vorliegen, die einseitig vorgenommen wird. In der folgenden Sequenz sind beide Varianten denkbar. In dem Gesprächsausschnitt stellt Am einen Vergleich her zwischen zwei erlebten Pflegefällen. Einer davon wird einem kurdisch-muslimischen ‚Milieu‘ zugeordnet und für unzumutbar erklärt („also, unterste Schublade. das war übelst. das, nä, tue ich mir nicht an“, Z. 81, Transkript Gruppe Alpenveilchen). Dagegen dient der folgende Fall als ein positives Gegenbeispiel. Am: Ich hab aber im Gegensatz noch n=heimbeatmeten Menschen zu Hause, da wo ich herkomme. die sind aus Rumänien in den Siebzigern gekommen. sie ist auch Kranken-
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schwester, arbeitet im Seniorenheim und ihr Mann hatte n=Schlaganfall. eins, zwei, drei, keine Ahnung wie viele Bypässe und äh, is auch n=Wachkomapatient, der beatmet wird und das ist- (.) is was ganz anderes. das ist-(.) da kommt man hin, da wird man herzlich aufgenommen, und kriegt auch n=Kaffee, und kriegt auch noch was zu essen, da macht man seine Arbeit, se hilft auch mit, äh (.) da is man Mitglied einer Familie (.) die sind jetzt zwar keine Moslems, aber sind halt auch vor einigen Jahren migriert, nach Deutschland. (Z. 81-89, Transkript Gruppe Alpenveilchen)
Am kennt noch einen „heimbeatmeten Menschen“ mit Migrationshintergrund. Im „Gegensatz“ zu dem ersten Fall fühlt Am sich hier „herzlich aufgenommen“. Denn die häusliche Situation ist ganz anders („is was ganz anderes“). So gibt es eine gastliche Bewirtung („Kaffee“, „was zu essen“) und auch Unterstützung bei der Pflegearbeit („se hilft auch mit“). Hierdurch fühlt sich Am als „Mitglied einer Familie“. Die oben aufgeführte Sequenz stellt den Abschluss eines Monologes von fast sieben Minuten Dauer dar. In diesem schildert Am seine Erlebnisse mit einer kurdisch-muslimischen Familie und erklärt, warum er nach nur einem Nachtdienst dort „nicht mehr hingegangen“ ist (Z. 9, Transkript Gruppe Alpenveilchen). Eingelagert in überwiegend szenische Beschreibungen entwickelt er eine Eigentheorie, wonach der „Knackpunkt“ bei der kurdischen Familie „die religiösen Wurzeln“ sind (Z. 90f., ebd.). Als abschließender Beleg dient ihm die oben dargestellte Sequenz (Z. 81-89, ebd.). Hier führt er seine Erfahrungen mit der Versorgung eines Patienten rumänischer Herkunft als ein positives Gegenbeispiel an. Gemeinsam ist beiden Fällen, dass es darin um die pflegerische Versorgung beatmungspflichtiger Patienten in Migrantenhaushalten geht. Im Zentrum der beiden Schilderungen steht jeweils die Gefühlslage von Am. Während es für ihn bei der kurdischen Familie „einfach fürchterlich“ war und er sich dort „wie der allerletzte Mensch“ (Z. 80, ebd.) vorgekommen ist, fühlt er sich in dem rumänischen Haushalt „herzlich aufgenommen“ und als „Mitglied einer Familie“. Beim Vergleich seiner Äußerungen mit äquivalenten Sequenzen aus anderen Interviews fällt auf, dass hier eine empathische Perspektivübernahme der Sicht des Patienten und seiner Angehörigen ebenso fehlt wie eine kommunikative Verständigung. Dagegen finden sich im Eingangsmonolog wie auch in allen anderen Negativ-Beispielen Motivunterstellungen. So glaubt Am – obgleich ein kommunikativer Austausch mit den Familienmitgliedern misslingt, weil die erwachsenen Kinder „mit der Pflege ihres Vaters überhaupt nichts zu tun haben wollen“ und die Ehefrau des Patienten „kein Deutsch gesprochen“ hat (Z. 29, ebd.) – zu wissen, dass die Frau ihn sogleich beschimpft, nachdem er die Wohnung betreten hat („war am rumschackern und hat gemotzt und geschimpft“, Z. 35, ebd.). Den Grund für die mutmaßlichen Beschimpfungen sieht er vor allem darin, dass er „männlichen Ge-
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schlechts“ ist (Z. 34, ebd.). Auch glaubt sich Am während seines Nachtdienstes misstrauisch von allen Familienangehörigen gemeinsam überwacht, insbesondere von dem Schwiegersohn der Familie, „damit ich nicht an die Tochter rangehe“ (Z. 44, ebd.). Hierfür seien dieser und dessen Ehefrau, die ältere Tochter, eigens angereist („die dann dort noch übernachtet und auf mich aufgepasst haben“, Z. 42f.). Am ist sich auch sicher, dass jemand aus der Familie seine Schuhe, die er „sachgemäß“ im Hausflur vor der Wohnungstür abgestellt hatte, absichtlich „in die Ecke getreten“ hat („das hat man gesehen, da hat einer gegen gekickt“ Z. 63f.). Insgesamt wurde er von der Familie, seiner Ansicht nach, „behandelt wie der letzte Abschaum“ (Z. 48) und für Am ist auch klar warum: „das sind halt Kurden, die halt sehr stark in ihrem Glauben verwurzelt sind und ähm, mich das dort auch haben spüren lassen“ (Z. 92, ebd.). Am schildert den Fall der kurdischen Familie vor dem Hintergrund einer ethnisch-kulturell konnotierten ‚Deutungsfolie‘. Eine empathische, personenbezogene Perspektivübernahme findet hierbei nicht statt. Eine solche fehlt auch im zweiten Fall, der ebenfalls als Beispiel für Pflege im Migrationskontext präsentiert wird. Anders als im ersten Fall kommt es in der Sequenz mit dem rumänischen Patienten jedoch nicht zu ethnisch-kulturell konnotierten Zuschreibungen oder Motivunterstellungen. Es werden im zweiten Fall gar keine expliziten Unterstellungen vorgenommen. Vielmehr beschreibt Am hier pflegefachlich relevante Aspekte („hatte n=Schlaganfall. eins, zwei, drei, keine Ahnung wie viele Bypässe und äh, is auch n=Wachkomapatient, der beatmet wird“), gefolgt von einer szenischen Beschreibung. Darin schildert Am, wie es aus seiner Perspektive bei einem Einsatz so zugeht: „da kommt man hin. da wird man herzlich aufgenommen und kriegt auch n=Kaffee und kriegt auch noch was zu essen. da macht man seine Arbeit. se hilft auch mit“. In dieser kurzen Beschreibung taucht das unpersönliche „man“ drei Mal auf. Es verweist hier auf Ams habitualisierten Normalitätshorizont. Was er dort erlebt, beschreibt er als eine regelmäßig wiederkehrende Routine. Darin vollzieht sich für Am das ‚Normale‘. Es ist das, was „man“ üblicherweise dort erwarten kann. Das Normale bedarf keiner Deutung mehr, weil es unhinterfragt vorausgesetzt werden kann. Insofern ist es folgerichtig, dass Am hier keine expliziten Motivunterstellungen vornimmt. Seine Äußerungen verweisen darauf, dass er sich mit der Ehefrau des Patienten in konjunktiver Übereinstimmung erlebt. Ob diese Übereinstimmung tatsächlich gegeben ist oder eine Zuschreibung darstellt, kann anhand des vorliegenden Materials nicht abschließend geklärt werden. Einiges spricht jedoch dafür, dass hier tatsächlich habituelle Übereinstimmungen vorliegen. Hierauf verweist zum Beispiel der Hinweis, dass die Angehörige auch eine „Krankenschwester“ ist und die zu erledigende „Arbeit“ an dem „Wachkomapatienten“ gemeinsam mit Am durchführt („se hilft auch mit“). Auch seine Äußerung, „da is man Mitglied einer Familie“, kann in diese Richtung interpretiert werden. Denn abgesehen von der Ehefrau kommt in der Schilderung eine „Familie“ gar nicht vor. So
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könnte dieser Begriff auch im übertragenden Sinne aufgefasst werden, als ein Dokument erfahrener Milieuzugehörigkeit. Auch die Art, wie Am im zweiten Fall Informationen über den Patienten präsentiert, verweist darauf, dass sich seine Zugehörigkeit zu einem pflegeberuflichen Milieu während des Sprechens über diesen Fall reaktualisiert. So gibt er hier Aspekte der Krankengeschichte des Patienten in einer Weise wieder, als würde er gerade eine knappe Patientenübergabe an eine Fachkollegin oder einen Fachkollegen tätigen („hatte n=Schlaganfall. eins, zwei, drei, keine Ahnung wie viele Bypässe und äh, is auch n=Wachkomapatient, der beatmet wird“). Dagegen wird im Fall des kurdischen Patienten ganz anders über pflegerische Aspekte gesprochen („die Pflege völlig außen vor … für n=heimbeatmeten Menschen war das in Ordnung“ Z. 65f., Transkript Gruppe Alpenveilchen). Denn in der Phase der Gruppendiskussion, in der es um den kurdischen Patienten geht, steht die ethnisierende Deutung der Familie für Am im Vordergrund. Anders als seine Familie wird der kurdische Patient von der Anwendung dieses Deutungsschemas allerdings ausgeklammert. In seiner Rolle als Kranker bleibt er „völlig außen vor“ (Z. 65, ebd.). Vielmehr kommt ihm eine eigene soziale Kategorie zu. Eine Etikettierung als ‚krank‘ bzw. als ‚Patient‘ bewirkt, dass dieser in Bezug auf jegliche Bewertung insofern „völlig außen vor“ bleiben kann, da sein Verhalten krankheitsbedingt zu entschuldigen ist und sich so einer moralischen Bewertung entzieht. Diese Eingruppierung bewirkt auch, dass sich die Patientenbeschreibungen in beiden Fallbeispielen in der Hinsicht ähneln, dass der Patient darin weder als eine Person mit individuellen Merkmalen vorkommt noch als Träger verschiedener sozialer Rollen. Wie bereits in der zuvor dargestellten Sequenz mit Sm dokumentiert sich auch hier wieder ein eindimensionales, objektivistisches Patientenbild. Der Patient steht zwar im Zentrum allen Tuns, jedoch ist er hierbei immer nur das Objekt des Handelns. Empathische, personenbezogene Perspektivübernahmen finden hierbei nicht statt. Das symbolische Herauslösen des Patienten aus seinem sozialen Kontext durch dessen Klassifizierung als ‚krank‘ bzw. als ‚Patient‘ ist ein Akt der Objektivierung. Erst hierdurch wird das Verhältnis zum Patienten beim Versorgungsstil des Typus A als stimmig erlebt. Angehörige können bei derartigen Objektivierungsakten im Pflegekontext entweder eine unterstützende Funktion einnehmen, wie im Fall der Ehefrau des rumänischen Patienten, wo gemeinsam ‚am Patienten‘ gearbeitet wird. Sie können diesen Prozess aber auch behindern und werden dann als Zumutung bzw. Störfaktor erlebt. Diese Problemkonstellation wurde auch im Unterkapitel über instrumentelles Handeln im Kontext sozialer Komplexität bereits angeschnitten. So erscheint der junge Patient, den Am katheterisieren möchte, der Gruppe Alpenveilchen auch deshalb als verachtenswert („das war n=Arsch“), weil dieser sich gegen einen objektivierenden Umgang mit seinem Körper („so richtig schön so die Sau raus lassen, oder reindrücken“, „das flutscht und des tut auch nicht weh“) widersetzt, indem er auf seine soziale Eingebundenheit in einen wehrhaften Fami-
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lienverband hinweist. Dieser fungiert hier als eine ‚virtuelle‘ Verteidigung gegen schmerzhafte Übergriffe und eine entpersonalisierende Behandlung. Auch im Fall des kurdischen Beatmungspatienten wird die Familie von den Pflegekräften als Zumutung wahrgenommen, obwohl auch hier wieder kein direkter Eingriff vonseiten der Familie gegen eine objektivierende Behandlung des Patienten erfolgt. (Ver-) störend wirkt in diesem Fall auf die Pflegekräfte das Streben der Familienmitglieder, insbesondere der Kinder, nach einer Lebensführung anhand der eigenen Normalitätskriterien. Diese weisen keinerlei Berührungspunkte mit dem Relevanzsystem der Pflegekräfte auf. Die Familie wird daher von den Pflegekräften als ein belastender Umgebungsfaktor bei der Durchsetzung pflegeberuflicher Normen am Krankenbett wahrgenommen, wie sich auch in der folgenden Sequenz dokumentiert. Af: ich glaube mal, wenn der alleine wäre, würde er viel besser zu führen sein,
als in dem
Pulk seiner Familie, in dieser Wohnung, also └hmm
Sm:
Af: alleine würde der bestimmt dankbar sein und nett und freundlich, vielleicht. Sm: des wird ja nicht erwartet. kooperativ wäre ja scho=ma, schon mal ne sinnvolle Erweiterung (2) Af: innerhalb der Familie haben die sich ja auch nicht sehr herzlich (.) die Kinder kamen und gingen. ich hab immer gedacht, da hinten is=n Loch, (.) hab gedacht, (.) so viele Leute können doch da gar nicht reinpassen. die sind alle da reingegangen, aber keiner kam mehr raus, und=s kam niemand vorbei und hat gesagt, hallo Mama, hallo Papa (.) völlig abgetrennt. Am: jo. das stand ja in der Mappe drin, dass die Kinder mit der Pflege des Mannes nichts zu tun haben wollen (.) Af: die woll=n auch niemals angesprochen werden. genau. wollen auch nicht drauf angesprochen werden. Sm: wobei das wieder auch n=bisschen damit zu tun hat, Behinderte und Kranke und Alte werden ausgestoßen von der Familie. Af: genau, hm. (Z. 846-872, Transkript Gruppe Alpenveilchen)
Es wird angenommen, dass das Verhältnis der Pflegekräfte zu dem Patienten besser wäre, wenn dieser nicht in der Wohnung im „Pulk seiner Familie“ gepflegt werden müsste. Ohne seine sozialen Bezüge wäre dieser Patient „bestimmt dankbar“ und „vielleicht“ auch „nett“ und „freundlich“, wobei dies mehr wäre, als man von einem Patienten normalerweise „erwartet“. So sollte man als Patient zumindest „kooperativ“ sein. Auch das Verhalten der Angehörigen ist nicht, wie es sein sollte („nicht sehr herzlich“). Die Kinder wollen „niemals“ angesprochen werden und nichts mit der Pflege des Vaters zu tun haben. Dies steht auch in der „Mappe“ drin. Die Eltern
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leben in der Wohnung „völlig abgetrennt“ von den Kindern, weil „Behinderte“, „Kranke“ und „Alte“ bekanntlich „ausgestoßen“ werden von der „Familie“. Auf der inhaltlichen Ebene geht Af hier der Frage nach, warum der kurdische Patient nicht „gut zu führen“ ist. In dieser Art der Fragestellung dokumentiert sich wieder das objektivistische Patientenbild der Gruppe. Mit dem Patienten ist im Rahmen eines asymmetrischen Experten/Laien-Verhältnisses etwas zu tun, er ist „zu führen“. Dies ist Bestandteil des Normalitätshorizontes der Gruppe, welcher nun gemeinsam von Af und Sm elaboriert wird. So wäre ein Patient normalerweise „dankbar“ für seine Behandlung und „vielleicht“ auch „nett und freundlich“, zumindest jedoch kooperativ. Warum dies nicht auf den kurdischen Patienten zutrifft, wird damit erklärt, dass dieser sich „im Pulk seiner Familie“ befindet, in „dieser Wohnung“. Nachdem Af und Sm den Normalitäts- und Erwartungshorizont der Gruppe reaktualisiert haben, kommt es auf der Ebene der Diskursorganisation zu einem kurzen Bruch. Es entsteht eine Gesprächspause von zwei Sekunden Dauer. Hierauf folgen eine Anschlussproposition („innerhalb der Familie“) mit einer moralischen Bewertung des Umgangs der Familienmitglieder untereinander („haben die sich ja auch nicht sehr herzlich“) und eine kurze Belegerzählung („die Kinder kamen und gingen …“). Af schildert darin lebendig und detailliert, wie sie die Atmosphäre in der Familie empfunden hat („völlig abgetrennt“). Ihre Schilderung wird durch Am bestätigt („jo. das stand ja in der Mappe drin“). Es dokumentiert sich hier ein Widerspruch zwischen der stereotypisierenden Zuschreibung der Familie als ein „Pulk“, die den Patienten, bildlich gesehen, umlagert, einerseits und dem Erlebnisgehalt der Erzählung andererseits. Darin schildert Af den Kontakt zwischen dem Patienten und der jüngeren Generation als „völlig abgetrennt“. Dieser Widerspruch kündigt sich auf der Ebene der Performanz durch die kurze Gesprächspause von zwei Sekunden Dauer an. Es entsteht ein Bruch, an den inhaltlich nicht mehr in konsistenter Weise angeschlossen werden kann, weil Af nun nicht mehr auf der Grundlage ihres Normalitätshorizontes theoretisiert, sondern sich erzählerisch auf die Ebene des tatsächlich Erlebten begibt. So erweist sich die anfängliche Behauptung, dass der Patient „im Pulk seiner Familie“ versorgt werden muss, vor dem Hintergrund der Erlebensschilderung als nicht haltbar. Denn darin beschreibt Af das Verhältnis zwischen dem Patienten, der sich gemeinsam mit der Ehefrau im Wohnzimmer aufhält, und dem Rest der Familie, der einen anderen Teil der Wohnung benutzt als „völlig abgeschnitten“. Im Sinne der dokumentarischen Methode geht es weniger darum, die faktische Richtigkeit der Äußerungen festzustellen. Vielmehr stellt sich die Frage, was sich hier über die Wahrnehmung von Af dokumentiert. So erlebt Af offenbar keine soziale Komplexität in der Weise, dass die Familienmitglieder sich in pflegerische Belange einmischen oder durch ihre physische Anwesenheit ‚stören‘ würden. Denn mit Ausnahme der Ehefrau will die Familie ja mit der Pflege „nichts zu tun haben“. Was Af mit dem Begriff „Pulk“ ausdrückt, bezieht sich somit nicht auf ihre Erfahrungen mit den Familienmitgliedern selbst.
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Vielmehr ist es das Erleben von Unübersichtlichkeit und Kontrollverlust im häuslichen Bereich gegenüber der stationären Versorgungsform, woran sie Anstoß nimmt. Denn implizit orientiert sich die Gruppe auch in der häuslichen Versorgung immer noch an den Alltagsnormen einer klassischen stationären bzw. institutionalisierten pflegerischen Versorgung. Dieser Stationsalltag ist geprägt von asymmetrischen Beziehungen in den eingeschliffenen Routinen. Dem Stationsrhythmus haben sich die Patienten wie auch die Pflegekräfte gleichermaßen zu unterwerfen, wobei den Pflegenden strukturell mehr Kontroll- und Einflussmöglichkeiten bleiben als den zu Pflegenden. Aus diesem institutionell geprägten, hierarchisch orientierten Professionsverständnis heraus erlebt Af die Situation in der Wohnung des Patienten als unübersichtlich und ungeordnet wie ein „Pulk“. Während für Herrn Baumgärtner die Wohnungen von zu Pflegenden als „unantastbar" gelten (Z. 62, Transkript Herr Baumgärtner), weil diese dort das „Hausrecht“ haben (ebd.), betrachtet die Gruppe Alpenveilchen den Wohnraum der Patienten als ihren „Arbeitsplatz“ (Z. 52, Transkript Gruppe Alpenveilchen). Im Fall der kurdischen Familie wird dieser „Arbeitsplatz“ aufgrund von engen räumlichen Begrenzungen, die den Pflegekräften vonseiten der Familie auferlegt werden („man darf dann zwar ins Bad gehen, wenn man Wasser holt, aber ansonsten, die Küche durfte man nicht betreten, alles andere durfte man auch nicht betreten“, Z. 58f., ebd.) als eine Zumutung erlebt. Auch auf diese Begrenzungen und den hiermit einhergehenden Kontroll- und Einflussverlust spielt Af an, wenn sie die Situation als „völlig abgetrennt“ schildert. Das, was sich in der Wohnung jenseits des ‚Arbeitsplatzes‘ abspielt, entzieht sich ihren Blicken und bietet Anlass für Spekulationen („ich hab immer gedacht, da hinten is=n Loch, (.) hab gedacht, (.) so viele Leute können doch da gar nicht reinpassen. die sind alle da reingegangen, aber keiner kam mehr raus“). Auch Am empört sich über die räumliche Begrenzung seines Arbeitsplatzes: „da stand n=mini Schreibtisch, n=mini Schrank und alles, was die Pflege, zur Pflege, benötigt wurde und dort hat man sich aufzuhalten“ (Z. 56-60, Transkript Gruppe Alpenveilchen). Es dokumentiert sich auch hier wieder eine Orientierung an dem Modell der institutionalisierten Pflege, in der das ‚Hausrecht‘ den Pflegenden zukommt, und – kontrastierend zu den Versorgungsmilieus des Typus B und C – die Abwesenheit eines Zugangs zum Fremdverstehen. So schildern Am und Af zwar ausgiebig, inwiefern die Versorgung des kurdischen Patienten in dessen Wohnraum für sie selbst eine Zumutung darstellt („dass das unter aller Sau is, was äh, hier mir zugemutet wird“, Z. 28, „dat is schon recht heftig gewesen für mich“, Z. 50f., „das is hier nicht (.) das geht nicht. wir können hier nicht pflegen“, Z. 153, ebd.). Jedoch findet sich keinerlei Perspektivübernahme in Bezug auf die Frage, wie denn der Patient und die einzelnen Familienmitglieder die 24-stündige Anwesenheit wechselnder Pflegekräfte in der eigenen Wohnung erleben. Bei den Pflegekräften fehlt es somit an grundlegenden Voraussetzungen für das Gelingen kommunikativer Verständigung in der Pflegebeziehung. Dies doku-
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mentiert sich durchgängig in der Gruppendiskussion, so auch wieder im letzten Abschnitt der oben aufgeführten Sequenz. Hier wird in Ermangelung eines verstehenden Zugangs der Widerspruch zwischen der Wahrnehmung der Familie als „Pulk“ und dem Erleben der Situation als „völlig abgetrennt“ durch eine stereotypisierende Erklärungstheorie aufgelöst („Behinderte und Kranke und Alte werden ausgestoßen von der Familie“). In homologer Weise findet sich der Modus der Stereotypisierung und der Motivunterstellung als habitueller Zugang zum Gegenüber in der Pflegebeziehung auch in der folgenden Sequenz. Diese endet mit einer Zwischenkonklusion („das ist alles nur Show“) in Bezug auf eine eingangs von Af aufgeworfene und dann in der ganzen Gruppendiskussion immer weiter elaborierte Proposition. Dieser zufolge ist die Versorgung von Migranten für Pflegekräfte oft eine Zumutung bzw. gar nicht möglich („das geht nicht. wir können hier nicht pflegen“, Z. 153) und muss dann „abgelehnt“ (Z. 709, 836, ebd.) werden, weil diese nicht „kooperativ“ (Z. 855, ebd.) sind. Das unkooperative Verhalten rührt für die Gruppenmitglieder insbesondere daher, dass Migranten bestimmte Werte hochhalten, die nicht mit dem „deutschen Denken“ vereinbar sind, obgleich sie selbst, wie in der folgenden Sequenz festgestellt wird, diese auch nicht wirklich zu leben scheinen. Af: ich bin dann das zweite Mal wieder hingegangen, und dann schon beim Reingehen hat sie die gelbe Decke ganz bewusst von der Couch genommen, mich angeguckt und hat die gelbe Decke in n=Schrank getan (.) also diese Frau (.) und sie hat auch viel über ihren Mann drüber hinweg bestimmt. das heißt, der hatte gar nichts mehr zu sagen gehabt, wo man immer denkt, dass die Männer das Sagen haben und die Frauen dann kuschen, ne? so, is ja so im allgemein (.) deutschen (.) Denken. der Mann rennt vor, die Frau hinterher mit den Einkaufstüten, das sieht man ja auf der Straße. Am: is ja normalerweise auch so, bloß er hat keine Möglichkeiten mehr, was soll er denn machen? Af: obwohl, ich muss ehrlich sagen, ich war ja mal in X-Stadt und da habe ich ja mit ganz viel türkischen Frauen, ehrenamtlichen und so weiter, zusammen je=arbeitet. die haben Haare auf den Zähnen. die lassen sich nix sagen, wehe wenn die los je=lassen, also ich möchte die nich zu Hause erleben, da hat der Mann nix zu sagen. das is, glaube ich, alles nur Sm: Af: Am:
└@mhm jaa@ Show └@.@ (Z. 158-179, Transkript Gruppe Alpenveilchen)
Für Af ist klar, dass die Ehefrau des Patienten ihr gegenüber von vorneherein feindselig eingestellt ist („die gelbe Decke ganz bewusst von der Couch genommen“). Das Bild, das „man“ sich im „deutschen Denken“ über die „türkischen“ Familien
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macht – weil es so ja auch „auf der Straße“ präsentiert wird – stimmt oft nicht mit den wirklichen Verhältnissen überein. So ist „diese Frau“ nicht nur unfreundlich gegenüber Af, sondern sie dominiert auch ihren Mann. Tatsächlich haben oft gar nicht „die Männer das Sagen“ in den „türkischen“ Familien. Vielmehr haben dort die Frauen „Haare auf den Zähnen“ und „lassen sich nix sagen“. Somit ist das, was diese Familien nach außen präsentieren wohl alles nur „Show“. Mit der vorliegenden Sequenz schließt die gesamte Eingangspassage ab, in welcher Am und Af unmittelbar hintereinander jeweils einen Monolog11 vorbringen. In dieser Sequenz geht es nun um die wahrgenommene Diskrepanz zwischen einem Stereotyp, der „im deutschen Denken“ über das Geschlechterverhältnis in türkischen Migrantenfamilien verbreitet ist und dem Bild von Migrantenfamilien, das sich der Gruppe auf der Grundlage ihrer habituell geprägten Wahrnehmung im Pflegekontext darstellt. So wird die Rede von der männlichen Dominanz in türkischen Familien nicht als ein Stereotyp wahrgenommen („is ja normalerweise auch so“), sondern als „Show“ ‚entlarvt‘, was selbst wiederum eine generalisierende und Motiv unterstellende Zuschreibung darstellt („also ich möchte die nich zu Hause erleben. da hat der Mann nix zu sagen“). Dieses Muster des Verkehrens einer generalisierenden Zuschreibung in ihr Gegenteil, wodurch wiederum eine Stereotypisierung erfolgt, zieht sich in homologer Weise durch die ganze Gruppendiskussion. So unterscheidet auch Sm, wie zu Beginn dieses Unterkapitels herausgearbeitet wurde, zwischen ‚normalen‘ und ‚nicht-normalen‘ Patienten, wobei die Ersten, sofern es sich um Migranten handelt, ‚integriert‘ sind und die Letzteren ‚nicht-integriert‘. In dieser Form des Erzählens dokumentiert sich ein habituelles Muster des stereotypisierenden Wahrnehmens im Pflegekontext. Diese milieuspezifische Form des Wahrnehmens bewirkt, dass die Gruppe in Bezug auf das Problem des Fremdverstehens immer wieder scheitert. Dieses Scheitern wird, aufgrund des zugrunde liegenden habituellen Musters, nicht als eigenes Scheitern oder als eigenes Problem wahrgenommen. Vielmehr erfolgt eine neue Zuschreibung in Bezug auf das unverstandene Gegenüber. Dessen Verhalten erscheint hierdurch inkonsistent oder auch absichtsvoll irreführend („Show“). Dass es sich hier in erster Linie um einen habitualisierten, milieuspezifischen Wahrnehmungs- und Interpretationsstil der Pflegekräfte handelt, dokumentiert sich noch einmal eindrucksvoll am Ende der vorliegenden Sequenz. Als Af ihren abschließenden Satz äußert („das ist glaube ich alles nur Show“), klinkt sich Sm bereits beim Wort „nur“ lachend und zustimmend ein („@mhm ja@“). Er weiß auf der Ebene des atheoretischen, konjunktiven Erfahrungswissens bereits genau, in welche Richtung Af argumentieren wird und kann 11 Beide Monologe erfolgen in Form einer parallelen Diskursorganisation hintereinander weg. Interessant ist, dass diese bis auf die Minute genau von gleicher Dauer sind. Auch dies spricht dafür, dass die Gruppe in hohem Maße auf einen gemeinsam geteilten konjunktiven Erfahrungsraum „eingeschwungen“ ist.
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daher schon im Voraus zustimmen und lachen. So ist es nicht nur amüsant, dass Af den Begriff „Show“ wählt – obgleich diese Unterstellung selbst etwas Komisches hat –, sondern innerhalb der Gruppe auch deshalb, weil in der Wahrnehmung, die zu dieser Äußerung veranlasst, eine erlebte Gemeinsamkeit liegt. Auch Sm erscheint das Verhalten von einigen Migranten, denen er im Pflegekontext begegnet ist, als eine Art „Show“. So erzählt er im weiteren Verlauf der Gruppendiskussion von zwei Fällen, in denen sich die Familien zunächst „streng gläubig“ (Z. 317, ebd.) und völlig verschlossen präsentiert hätten („moslemisches Gesamtbild“, „die Frau total vermummt“, Z. 317f., „eisiges Schweigen“ Z. 236, ebd.). Sms Wahrnehmung zufolge sind diese Familien irgendwann „wie ausgetauscht“ („jetzt ohne Kopftuch“, Z. 317, „da war die Familie wie ausgewechselt“, Z. 316; „ja aber so wars, keine Ahnung, warum die dann plötzlich so ausgetauscht waren“, Z. 323). Was nun das ‚wahre‘ Gesicht dieser Familien war, hat Sm „nie verstanden“ (Z. 316). In homologer Weise erweisen sich in der Wahrnehmung von Af die türkischen Migrantinnen, entgegen dem „deutschen“ Stereotyp, nicht als von ihren Männern dominierte Wesen („und die Frauen dann kuschen“). Vielmehr haben sie „Haare auf den Zähnen“ und lassen sich „nix sagen“. Es dokumentiert sich auch hier wieder der fehlende Zugang zum Fremdverstehen, durch den habitualisierten Modus der Stereotypisierung und der Motivunterstellung in Bezug auf die Wahrnehmung und Interpretation eines Gegenübers im beruflichen Kontext. Anstelle einer Perspektivübernahme, welche nicht nur zur Infragestellung des „allgemein“ verbreiteten Stereotyps von der türkischen Frau, sondern auch der eigenen Rahmung veranlassen würde, verbleibt die Gruppe weiterhin im Modus der Stereotypisierung. So wird ein generalisiertes Bild, beispielsweise von der unterdrückten Türkin oder der muslimischen Familie, nicht als Zuschreibung erkannt, sondern wiederum im Modus einer generalisierenden Unterstellung als „Show“ entlarvt‘. Typus B: Herr Baumgärtner: „wir haben auch ein Beschwerdemanagement … und wir wollen auch, dass die das so nutzen“ Wie im ersten Unterkapitel anhand von Herrn Baumgärtners Gastmetapher bereits herausgearbeitet wurde, zeichnet sich das verinnerlichte Bild vom Patienten bei ihm durch Gleichzeitigkeit im Spannungsfeld von Selbst- und Fremdbestimmung sowie Nähe und Distanz aus. So ist der Patient beispielsweise souveräner Kunde und hilfeabhängige Person zugleich. Dieser Wahrnehmung liegt das Prinzip der Balance zugrunde zwischen der grundsätzlichen Anerkennung der individuellen Autonomie einer hilfebedürftigen Person einerseits und dem Prinzip der Versorgung andererseits. Das Fremdverstehen vollzieht sich in diesem Orientierungsrahmen auf der Grundlage der Akzeptanz von Unsicherheit durch fremde Normen. Anders als beim Versorgungsstil des Typus A, der implizit den eigenen Normalitätshorizont zum allgemeingültigen Maßstab erhebt, besteht hier die grundsätzliche Bereitschaft, den
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Normalitätshorizont eines Gegenübers anzuerkennen. Aus diesem Grund wird auch – anders als beim Typus A – nicht vorausgesetzt, dass beim Patienten bereits Vertrauen in die eigene Einrichtung und ihre Fachkräfte besteht. Vielmehr wird es als Aufgabe der Einrichtung angesehen, dieses Vertrauen herzustellen („und wir müssen Vertrauen gewinnen, um überhaupt was machen zu dürfen“, Z. 15, Transkript Herr Baumgärtner). Exemplarisch dokumentiert sich dies auch in der Sequenz, die bereits im vorangegangen Kapitel vorgestellt wurde, um daran das Spannungsverhältnis zwischen verstehenden und instrumentellen Handlungslogiken aufzuzeigen sowie den Umgang mit instrumentell vorgegebenen Handlungszwängen im Kontext sozialer Komplexität. Bm: Klar, die wollen eine Dienstleistung haben, aber manche wollen das auch gar nicht unbedingt. also Krankheitseinsicht oder überhaupt Bereitschaft, Hilfe zu empfangen, ist auch gar nicht unbedingt da, sondern das hat das Krankenhaus gesagt oder der Hausarzt. sie sind jetzt Diabetiker, sie müssen jetzt Insulin bekommen, zum Beispiel. das ist ja nichts, was die selber wollen oder was wir denen jetzt einfach oktroyieren wollen, sondern wenn die das nicht möchten, schmeißen die auch unsere Mitarbeiter raus, jetzt salopp gesagt, das passiert. Y:
können sie einen konkreten Fall mal erzählen?
Bm: das geht bis dahin, dass Mitarbeiter abgelehnt werden (.) eben das war auch ein Patient, der rief an und will einen Mitarbeiter nicht haben. Y:
ach ja? der rief jetzt an, um zu sagen, der└der passt mir nicht, ja. oder er war unfreund-
Bm:
lich. oder der hat das und das gemacht. das geht sofort. die rufen sofort an und beschweren sich. und wir sind auch dafür da. wir haben auch ein Beschwerdemanagement da, wo wir das auch auswerten. und wir wollen auch, dass die das so nutzen. aber das wird auch sehr rege-(.) und allein in der Straße sind 5 Pflegedienste. hier in der Stadt gibt=s glaub ich um die 500 Pflegedienste. das heißt, die rufen auch ganz schnell einen anderen Pflegedienst an. (Z. 18-38, Transkript Herr Baumgärtner)
Es wird anerkannt, dass „Krankheitseinsicht“ oder „überhaupt Bereitschaft, Hilfe zu empfangen“ bei den zu Pflegenden nicht unbedingt vorhanden sind. Auch möchte man als Einrichtung den Kundinnen und Kunden nichts „oktroyieren“. Aus diesem Grund kann es passieren, dass Mitarbeiter „abgelehnt“ werden („schmeißen die auch unsere Mitarbeiter raus (.) jetzt salopp gesagt“). Wenn einem Patienten etwas nicht „passt“, wird Herr Baumgärtner „sofort“ angerufen und erhält eine Beschwerde. Genau „so“ soll es auch sein („wir wollen auch, dass die das so nutzen“). Aus diesem Grund gibt es auch ein „Beschwerdemanagement“. Dieses wird nicht nur „sehr rege“ genutzt, sondern von der Einrichtung auch ausgewertet. Denn die Kun-
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dinnen und Kunden sollen der Einrichtung erhalten bleiben, anstatt „einen anderen Pflegedienst“ anzurufen. Herr Baumgärtner präsentiert seinen Zugang zum Fremdverstehen im Modus der Distinktion. Auf der kommunikativ generalisierten Ebene argumentiert er mit einem Wettbewerbsargument: „die rufen auch ganz schnell einen anderen Pflegedienst an“. Auf der Ebene des atheoretischen Wissens dokumentiert sich darüber hinaus noch etwas anderes. Es ist die Abgrenzung vom Versorgungsstil des Typus A. Dieser Versorgungsstil stellt den impliziten negativen Gegenhorizont dar, von dem sich Herrn Baumgärtners habitueller Stil abgrenzt. Anders als beim Typus A wird hier gerade nicht vorausgesetzt, dass „Krankheitseinsicht“ und „Bereitschaft, Hilfe zu empfangen“ bei den zu Pflegenden vorhanden sind. Auch will man in der Pflegebeziehung nichts „oktroyieren“. Aus diesem Grund wird Wert darauf gelegt, den Willen der Patientinnen und Patienten zu erkunden. Hierfür wurde auch ein „Beschwerdemanagement“ eingerichtet, von dem, wie Herr Baumgärtner betont, tatsächlich gewollt wird, „dass die das so nutzen“. Es dokumentiert sich hier, dass der Zugang zum Fremdverstehen auf Prinzipien der kommunikativen Verständigung beruht, und zwar in homologer Entsprechung zum professionsbezogenen Orientierungsrahmen von Herrn Baumgärtner. Dieser beruht auf dem Prinzip der Balance zwischen verstehenden und instrumentellen Logiken. So werden die Möglichkeiten und Grenzen, einen kommunikativen Zugang zum Gegenüber zu finden, unter den gegebenen Bedingungen und Zwängen im Versorgungsfeld ausgelotet. Hierbei gilt es, den Willen des Patienten mit den situativ zur Verfügung stehenden Mitteln kommunikativ zu erkunden (z. B. durch ernst gemeintes „Beschwerdemanagement“). Aufgrund der kontextuellen und situativen Beschränkungen von Kommunikation verbleibt immer auch ein Rest von Unsicherheit durch NichtWissen. Anders als beim Versorgungsstil des Typus A wird diese ‚Lücke‘ nicht durch Motivunterstellungen und generalisierende Zuschreibungen überbrückt. Somit ist für Herrn Baumgärtner keineswegs immer „klar“, was zu Pflegende tatsächlich wollen. Wie er mit diesem Nicht-Wissen umgeht, zeigt sich in den beiden folgenden Sequenzen. Bm: Viele gehen auch gerne zu einer deutschen Einrichtung, sagen sie zumindest, weil die glauben, dass wir mit den Behörden besser zurechtkommen. und uns gibt es schon seit sechsundzwanzig Jahren inzwischen. wir haben da wirklich auch Erfahrung, unsere Sozialarbeiterin die macht das schon sehr, sehr lange. wir haben einfach viel Berufserfahrung und die anderen Pflegedienste sind sehr neu überall, die sind erst in den letzten drei Jahren entstanden. und bei uns weiß man auch, wie man Widersprüche schreiben muss, wenn was abgelehnt wird, und worauf es ankommt. (Z. 65-71, Transkript Herr Baumgärtner)
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Von den Migrantinnen und Migranten, die seine Einrichtung nutzen, weiß Herr Baumgärtner, dass diese auch deshalb „gerne zu einer deutschen Einrichtung“ kommen, weil sie glauben, dass solche Einrichtungen „mit den Behörden besser zurechtkommen“. Herr Baumgärtner stützt sein Wissen hier auf explizite Äußerungen der Betroffenen („sagen sie zumindest“). Obgleich dieses Gesagte mit Herrn Baumgärtners Perspektive übereinstimmt, da die Einrichtung, seiner Ansicht nach, „wirklich auch Erfahrung“ hat und genau weiß, „worauf es ankommt“ im Umgang mit Behörden, verbleibt für ihn ein Rest von Unsicherheit durch Nicht-Wissen in Bezug auf die Orientierungen der Sprecherinnen und Sprecher. Dies drückt sich darin aus, dass er das Verb „sagen“ einerseits betont und andererseits durch den Begriff „zumindest“ dessen Geltungsbereich einschränkt, womit impliziert ist, dass für Herrn Baumgärtner jenseits des Gesagten bzw. jenseits des kommunikativ Vermittelbaren noch mehr gewusst werden kann. Auf der Ebene des atheoretischen, impliziten Wissens ist ihm offenbar klar, dass das Gesagte keine erschöpfende Information ist. Da er jedoch nur einen Zugang zu dem hat, was von den Betroffenen auf der kommunikativen Ebene geäußert wird und er ihnen auch nichts „oktroyieren“ möchte, verbleibt er ihnen gegenüber auf der Ebene des immanenten Sinngehaltes. Die sich hierin auch dokumentierende Akzeptanz einer durch NichtWissen hervorgerufen Unsicherheit zeigt sich in homologer Weise in der folgenden Sequenz. Darin kommentiert Herr Baumgärtner ein selbst erzähltes Fallbeispiel, welches im vorangegangenen Unterkapitel bereits vorgestellt wurde. Hierbei geht es um den Fall einer alten, demenziell erkrankten Frau türkischer Herkunft, deren Sohn als „schwierig“ präsentiert wird, weil er „immer nicht zufrieden ist“ mit der Pflege seiner Mutter (Z. 143f., Transkript Herr Baumgärtner). Als diese einmal ins Krankenhaus muss und von dort in ein Heim eingewiesen wird, sorgt der Sohn dafür, dass seine Mutter wieder in ihre eigene Wohnung kommt. Diese Begebenheit wird von Herrn Baumgärtner auf die folgende Weise kommentiert. Bm: Ob sie das wollte, weiß ich nicht, aber der Sohn wollte das nicht, fand das ganz schlimm und hat sie dann gegen den Willen der Pflegedienste, die da vorher drin waren, gegen den Willen der Ärzte, rausgeholt, stand dann ohne Pflege da. (Z. 148-150, Transkript Herr Baumgärtner)
Herr Baumgärtner „weiß“ nicht, was die alte Dame „wollte“. Ihr Sohn jedenfalls „fand das ganz schlimm“. Auch hier dokumentiert sich wieder, dass der Pflegedienstleiter auf der Ebene des immanenten Sinngehaltes verbleibt, wenn es darum geht, den Willen der Patienten und ihrer Angehörigen zu erkunden. Da für ihn eine verbale Kommunikation mit der alten Frau nicht möglich ist, kann er nicht wissen, was diese tatsächlich „wollte“. In Bezug auf dieses Thema findet allein eine kommunikative Verständigung mit dem „Sohn“ statt. Da dieser gegen einen Verbleib seiner Mutter im Heim ist, wird auf der Grundlage seiner Willensäußerungen eine
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Lösung gesucht. Hierbei kommt es, wie im vorangegangenen Kapitel bereits ausgeführt wurde, zur Kooperation von Herrn Baumgärtners Pflegedienst mit einem kleinen Pflegeanbieter, der über türkischsprachiges Personal verfügt und nun dort die „Grundpflege“ übernimmt („und wir kooperieren da ganz gut“ Z. 154-155, ebd.). Im pflegeberuflichen Kontext erkundet Herr Baumgärtner den Willen von Patienten und deren Angehörigen über das Mittel der kommunikativen Verständigung. Sein Zugang zum Fremdverstehen ist somit als „immanent interpretierend“ zu bezeichnen (vgl. Bohnsack 2010a, S. 60). Die Zeichen eines Gegenübers werden auf ihren immanenten Sinngehalt gedeutet bzw. im Hinblick auf das Was erfasst. Dieser Zugang ist nicht auf die Interpretation von Worten und Sätzen beschränkt, sondern bezieht sich auf jegliche Ausdrucksform. So dokumentiert sich in der folgenden Sequenz der Zugang zum immanenten Sinngehalt über die Interpretation der Gestik und Mimik von zu Pflegenden. Auf die Nachfrage der Interviewerin, worüber die demenziell erkrankte türkische Dame, deren Sohn als „schwierig“ bezeichnet wurde, noch selbst bestimmen kann, erläutert Herr Baumgärtner diesen Zugang zum Fremdverstehen. Y:
mhm, und worüber genau könnte diese Dame denn bestimmen?
Bm: in dem Fall ist es schwierig, weil sie eben so hoch pflegebedürftig ist, aber natürlich kann sie (.) sie kann Mitarbeiter ablehnen, wenn sie das nicht möchte, dann kriegen wir das-(.) dann ist ja Pflege nicht möglich, wenn sie einen nicht ranlässt. das wär dann so, wenn sie das nicht zulässt (.) sie kann Pflege ablehnen (.) das passiert regelmäßig auch bei anderen Patienten, die auch dement und bettlägerig sind, dass die einfach Pflege nicht zulassen und da sind wir schon ((unverständlich)). und wir sind eine große Station, da haben wir auch das Personal, das geht ja, wir können einen anderen hin schicken. (Z. 267-280, Transkript Herr Baumgärtner)
Die Tatsache, dass die alte Dame „so hoch pflegebedürftig“ ist, erschwert zwar die kommunikative Verständigung mit ihr, aber dennoch kann sie ihren Willen im Pflegekontext kundtun. Denn wenn sie etwas „nicht möchte“ bzw. wenn „sie einen nicht ranlässt“, dann „ist ja Pflege nicht möglich“. Abwehr als eine Form der Willensäußerung „passiert regelmäßig“ auch in vergleichbaren Fällen. Da Herrn Baumgärtners Station über ausreichend Personal verfügt, kann er dem Patientenwillen entsprechen und „einen anderen hinschicken“. Es dokumentiert sich hier, dass die Interpretation non-verbaler Kommunikation bei Herrn Baumgärtner ebenso auf der Ebene des immanenten Sinngehaltes verbleibt, wie bei der verbalen Kommunikation. Im vorliegenden Fall werden beobachtete Reaktionen der dementen, bettlägerigen Patientin als physische Abwehr von Pflegehandlungen und damit als eine negative Willensäußerung interpretiert. Hierbei wird der mutmaßliche Wille der Patientin gedeutet. Wichtiger als das Ergründen von Motiven und Ursachen für die beobachtete Handlung ist es für Herrn Baum-
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gärtner anzuerkennen und zu respektieren, dass Pflege nicht zugelassen bzw. abgewehrt wird. In Bezug auf diesen allgemeinen, der Willensäußerung immanenten Sinn kann und will seine Einrichtung mit einem entsprechenden Lösungsangebot reagieren („das geht ja, wir können einen anderen hinschicken“). Aus der Perspektive von Herrn Baumgärtner ist dies bereits mehr, als viele andere Pflegestationen zu leisten im Stande sind („und wir sind eine große Station, da haben wir auch das Personal“). Typus C: Herr Cimen: „deswegen fühle ich mich auch da sicher durch meine Erfahrung“ Wie für Herrn Baumgärtner spielt auch im Versorgungsmilieu des Typus C die Erkundung und Berücksichtigung des persönlichen Willens von zu Pflegenden eine wichtige Rolle. Die ambulante Versorgungsform wird gegenüber der stationären aus diesem Grund hier bevorzugt. Dies geht beispielsweise aus der folgenden Sequenz hervor, welche aus dem Interview mit Frau Christrose stammt. Chf: Klar, auch im stationären Bereich gucken wir, wer möchte gern länger schlafen, aber (.) machen wir uns nichts vor, letztendlich rattert die Mühle da auch. und das können sie sich im ambulanten Bereich wirklich nicht erlauben. da hat jeder die abgesprochenen Zeiten und das ist dann auch stimmig und dann gibt=s richtige Tourenpläne, und wenn man mal quer fährt, als anders, dann wird sich telefonisch angemeldet, abgemeldet, wie auch immer, also das ist doch sehr viel persönlicher und ja individueller einfach. (Z. 998-1002, Transkript Frau Christrose)
Anders als in der stationären Versorgung, wo „letztendlich“ doch „die Mühle“ einfach „rattert“, ist im „ambulanten Bereich“ die Beziehung zum Patienten „sehr viel persönlicher“ und „individueller“. Hier muss „man“ Absprachen mit den Patienten treffen und kann es sich „wirklich nicht erlauben“, individuelle Wünsche zu übergehen. Ähnlich wie Herr Baumgärtner äußert Frau Christrose die Überzeugung, dass die Selbstbestimmungsmöglichkeiten von Patienten in der ambulanten Versorgung sehr viel größer sind als im stationären Bereich. Im Gegensatz zu dem Pflegedienstleiter, der sein Interview damit eröffnet, dass er diesen Unterschied herausstreicht, kommt Frau Christrose jedoch erst auf Nachfragen vonseiten der Interviewerin am Ende des Interviews auf dieses Thema zu sprechen. Hierin dokumentieren sich unterschiedliche Relevanzsysteme. Während Herr Baumgärtner den Aspekt der Selbstbestimmung von Patienten selbstläufig und im Modus der Distinktion präsentiert, wobei er sich implizit insbesondere von Orientierungen des Versorgungsmilieus Typus A abgrenzt, handelt es sich für Frau Christrose hierbei um etwas, dass ihr selbst zunächst „gar nicht so bewusst“ ist (Z. 982, Transkript Frau Christrose).
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Erst aufgrund einer, durch die Nachfrage im Interview angeregten, Reflexion wird ihr deutlich, dass der Erhalt von Selbstbestimmung in der Pflegebeziehung in der ambulanten Versorgung „eigentlich besser“ gelingt (Z. 984, ebd.). Denn im ambulanten Bereich ist der Umgang mit dem Patienten, ihrer Beobachtung zufolge, „sehr viel differenzierter und sehr viel persönlicher“ (Z. 983-984, ebd.). Ebenso wie bei Herrn Baumgärtner wird Versorgung auf der Ebene des instrumentellen Handelns mit äußerem Zwang („rattert die Mühle“) in Verbindung gebracht. Dieser wirkt auf das Individuum ein und beschneidet dessen persönliche Freiheit beispielsweise in Bezug auf den persönlichen Schlaf-wach-Rhythmus („wer möchte gern länger schlafen“). Während Herrn Baumgärtner primär bestrebt ist, eine Balance herzustellen zwischen der Anerkennung der persönlichen Freiheit von zu Pflegenden und den Zwängen des Versorgungssystems, findet beim Versorgungsmilieu des Typus C eine habitualisierte Suchbewegung statt, die primär der Überwindung von Fremdheit im professionellen Rahmen gilt. Das zugrunde liegende Bild vom Patienten ist hier von der verinnerlichten Erfahrung geprägt, dass sich Pflegekraft und zu Pflegende einander trotz bekannter Rollenmuster im Versorgungskontext prinzipiell erst einmal fremd sind. Denn implizit wird das Gegenüber, anders als beim Versorgungsmilieu des Typus A, nicht als ‚Patient‘ stereotypisiert und damit vermeintlich ‚gekannt‘, sondern als individuelle Persönlichkeit anerkannt und dementsprechend „differenzierter“ wahrgenommen. Diese prinzipielle Fremdheit wird auch von Herrn Baumgärtner wahrgenommen, jedoch geht dieser anders hiermit um. Während er letztendliches Nicht-Verstehen des Gegenübers akzeptiert als einen Ausdruck der Anerkennung der individuellen Autonomie des Patienten und sich daher lediglich auf immanente Sinngehalte in der Kommunikation konzentriert, gilt es beim Versorgungsstil des Typus C die anfängliche Fremdheit in der Pflegebeziehung zu überwinden. Hier werden regelmäßig Momente der Vertrautheit ermöglicht, in denen auch konjunktives bzw. unmittelbares Verstehen möglich ist. Bei diesem Versorgungsstil spielt die Selbstbestimmung von zu Pflegenden zwar auch eine Rolle, sie ist jedoch – anders als bei Herrn Baumgärtner – kein Wert an sich, sondern von relationaler Bedeutung. Das Relevanzsystem dieses Versorgungsmilieus zeichnet sich in Abgrenzung von Herrn Baumgärtner durch eine Beziehungsorientierung und, hiermit einhergehend, das habitualisierte Prinzip einer professionellen Suche nach Verständigung aus. Wie sich diese Suche vollzieht, soll im Folgenden anhand einer Sequenz aus dem Interview mit Frau Christrose herausgearbeitet werden. Im ersten Unterkapitel wurde am Beispiel dieses Auszuges bereits das Spannungsverhältnis zwischen instrumentellen und verstehenden Handlungslogiken aufgezeigt. Zugleich dokumentiert sich hierin aber auch der habitualisierte Zugang zum Fremdverstehen. Chf: Also manche konnten gar nicht Deutsch. das war dann ein Problem. wo ich einen Insulinpatienten zum Beispiel mal hatte, das weiß ich noch, der sich mit Händen
200 | K ULTURSENSIBLE A LTENHILFE ? und Füßen sozusagen-(.) und die Frau auch, wir haben uns mit Händen und Füßen verständigt, dass wir irgendwo-(.) also, das meiste hab ich dann über die Hausärztin erfahren können erst mal, was das rein Medizinische anbetraf, weil das war natürlich wichtig //Y: hm, ja. // wie sind die Einheiten und so. das ist klar. das muss exakt sein. da kann ich nicht so Pi mal Daumen, ungefähr. ansonsten ist man natürlich mit Mimik und Gestik und Menschlichkeit hat man sich so zusammengerauft, sag ich mal, bis man sich verstanden hat. ja, weil man manchmal war das Deutsch halt einfach-(.) also Türkisch kann ich nicht, war das halt manchmal ein bisschen schwierig. (Z. 176-188, Transkript Christrose)
Für Frau Christrose ist es „ein bisschen schwierig“, wenn Patienten „gar nicht Deutsch“ können, da sie selbst auch nicht „Türkisch“ spricht. Was das „rein Medizinische“ betrifft, welches „natürlich wichtig“ ist und „exakt“ sein muss, holt sie sich Informationen „über die Hausärztin“ ein. Die Verständigung mit den Patienten und Angehörigen funktioniert dagegen „mit Händen und Füßen“. Hierbei hat „man“ sich über „Mimik und Gestik und Menschlichkeit“ miteinander „so zusammengerauft“. Auf diese Weise dauert es etwas länger, „bis man sich verstanden hat“. Wie zuvor bereits herausgearbeitet wurde, stellt für Frau Christrose, wie auch für Herrn Cimen und Frau Cieck, die verstehende, zwischenmenschliche Begegnung im Pflegekontext einen Kernbereich pflegerischen Tuns dar. Hierfür wird nötigenfalls auch extra Zeit aufgewendet. Dies dokumentiert sich auch in der vorliegenden Sequenz. So reicht es Frau Christrose nicht aus, sich „über die Hausärztin“ Informationen über das „rein Medizinische“ einzuholen, obwohl dies „natürlich wichtig“ für ihre Arbeit ist. Sie sucht darüber hinausgehend auch einen verstehenden Zugang zu dem Patienten und seiner Ehefrau. Als Frau Christrose diesen Vorgang beschreibt, wechselt sie von der zuvor gebrauchten Ich-Form zum unpersönlichen „man“. Hierin dokumentiert sich die verinnerlichte Routine des beschriebenen Tuns. Denn das immer wieder angewandte Können vollzieht sich – ähnlich wie beim Lesen, Schreiben, Autofahren etc. – in automatisierter Form und wird auf eine ebenso distanziertautomatisierte Weise beschrieben. Insofern dokumentiert sich in der vorliegenden Sequenz ein Bruch. Während es zunächst um den besonderen Fall des Insulinpatienten geht, den Frau Christrose noch in der Ich-Form präsentiert, reaktualisieren sich Aspekte ihrer Alltagsroutine, wenn sie ihren Umgang mit diesem Fall beschreibt, wodurch sie nun in das diese Routine signalisierende „man“ verfällt. Das, was Frau Christrose aufgrund ihrer habituellen Prägung vollzieht, ist die Suche nach konjunktiver Verständigung. Im vorliegenden Fall drückt sich diese Suche auf eine bildhafte Weise aus: „hat man sich so zusammengerauft“. Dieses Bild verweist darauf, dass die habitualisierte Suche nach konjunktiver Verständigung, welche in dem besonderen Fall aufgrund der Sprachbarriere erschwert ist („also Türkisch kann ich nicht“), nun durch einen besonderen Weg des Miteinander-vertraut-Werdens erfolgt. Das Bild des
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‚Zusammenraufens‘ verweist auf einen Prozess, in dem sich zwei Parteien anfangs als Fremde gegenüberstehen. Da sie nur eingeschränkte Möglichkeiten kommunikativer Verständigung haben, ‚ringen‘ sie förmlich miteinander um Verständigung. Hierbei erfahren sie einander auch auf der non-verbalen Ebene und kommen sich dabei buchstäblich näher („mit Händen und Füßen“, „mit Gestik und Mimik“). Am Ende der ‚Rauferei‘ – diese ist eigentlich ein Ringen um Verständigung –, sind sie einander nicht mehr fremd. Sie bestreiten insofern ihren weiteren Weg als Vertraute, indem sie nun auf eine gemeinsame Erfahrungsbasis zugreifen können, die auch ein unmittelbares Verstehen jenseits kommunikativer Verständigung ermöglicht. Der Vergleich mit anderen Sequenzen aus dem Interview mit Frau Christrose macht deutlich, dass der Weg des ‚Zusammenraufens‘ eine Variante bei der Suche nach konjunktiver Verständigung darstellt, während „Menschlichkeit“ als Interpretationsfolie dem Suchprozess stets zugrunde liegt. Vor dieser Hintergrundfolie wird im vorliegenden Fall beispielsweise die „Gestik“ und „Mimik“ des Gegenübers gedeutet („ist man natürlich mit Gestik und Mimik und Menschlichkeit hat man sich so zusammengerauft“). Mit „Menschlichkeit“ ist zugleich eine Haltung gemeint, bei der implizit davon ausgegangen wird, dass jenseits aller Verschiedenheit immer auch prinzipielle Gemeinsamkeiten aufgrund strukturidentischer Erfahrungen – beispielsweise in Bezug auf Elternschaft, Krisen, Spiritualität u. v. m. – zwischen Menschen zu finden sind. Auf diese erfahrenen Gemeinsamkeiten richtet sich die habitualisierte Suche nach konjunktiver Verständigung. Dies wird bereits in der Eingangssequenz des Interviews mit Frau Christrose deutlich. Hier spricht sie über Erfahrungen, die sie als ehemalige DDRBürgerin auf ihrer ersten Arbeitsstelle in einem ambulanten Pflegedienst einer westdeutschen Großstadt gemacht hat, wobei sie erstmals auch auf Familien mit türkischem Migrationshintergrund trifft: Chf: bin ich das erste Mal in Kontakt mit türkischen Patienten gekommen und war erst mal ganz überrascht, wie familiär und wie-(.) also ich kannte das wirklich nicht. ich wusste überhaupt nichts. und bin sozusagen ganz unbeleckt und unbedarft-(.) ich hatte auch keine negativen oder positiven Erfahrungen, sondern null. und bin sozusagen da rein gekommen in die Familie und wurde sehr herzlich aufgenommen und war ganz überrascht von dem, was ich da eigentlich so erlebt habe. diese ganze familiäre Struktur, diese Herzlichkeit. das ist mir eigentlich immer wieder begegnet dann bei diesen türkischen Familien, dass sie Großfamilien oft waren, dass teilweise ja, (.) also dass entweder ganz, ganz große Wohnungen gemietet wurden, oder halt die Familien auch dicht beieinander gewohnt haben. und das fand ich eigentlich sehr schön. also so kannte ich=s eigentlich vom Lande her. so nicht wirklich anders als ich=s kannte. aber so von der Stadt her nicht. also dass, was ich so in X-Stadt und so-(.) und das fand ich schön. (Z. 34-44, Transkript Frau Christrose)
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Frau Christrose ist „ganz überrascht“, als sie erstmals „in Kontakt mit türkischen Patienten“ kommt. Bis dahin wusste sie „überhaupt nichts“ über türkische Migranten. Sie hatte „keine positiven oder negativen Erfahrungen“ und war somit völlig „unbeleckt und unbedarft“. Was ihr dann jedoch „immer wieder begegnet“, ist eine von „Herzlichkeit“ geprägte „familiäre Struktur“. Man lebt als „Großfamilie“ gemeinsam in großen Wohnungen oder zumindest „dicht beieinander“. Genau „so“ kennt Frau Christrose es zwar nicht aus der Stadt, aber „eigentlich vom Lande her“. Es ist „nicht wirklich anders“ als wie sie es bereits aus eigener Erfahrung „kannte“. Eine anfängliche Fremdheit zwischen Frau Christrose und türkischen Patienten wie auch deren Familien beruht darauf, dass sie über diese Bevölkerungsgruppe „überhaupt nichts“ weiß. In dieser Herangehensweise an die neue Patientengruppe dokumentiert sich, dass Frau Christrose keine Vorurteile und Stereotype an diese heranträgt. Was ihr dann begegnet, „überrascht“ sie insofern, als sie recht schnell vertraute Strukturen wiedererkennt („diese ganze familiäre Struktur“). Das, was ihr hier begegnet, ist ihr bereits aus eigener Erfahrung vertraut („also so kannte ich=s eigentlich vom Lande her. so nicht wirklich anders als ich=s kannte.“). Aufgrund ihrer Fähigkeit strukturelle Äquivalente im vermeintlich Fremden wiederzuerkennen gelingt es Frau Christrose „relativ schnell eigentlich“ (Z. 112, Transkript Frau Christrose) einen verstehenden Zugang zum Gegenüber in der Pflegebeziehung zu finden („also wir haben uns super verstanden. das war ein richtig freundschaftliches Verhältnis“, Z. 118, ebd.), und zwar unabhängig davon, aus welchem „Kulturkreis“ (Z. 153, ebd.) ihr Gegenüber entstammt. Denn im Hinblick auf ihren Zugang zum Fremdverstehen hat Frau Christrose „nie einen Unterschied gesehen“ zwischen Patienten, egal ob diese nun Einheimische und Zugewanderte sind („für mich waren gewisse Sachen neu, aber als Patient, da hab ich nie einen Unterschied gesehen“ Z. 147f., ebd.). Frau Christroses Zugang zum konjunktiven Erfahrungsraum ist deshalb ein professionelles, im beruflichen Umfeld habitualisiertes, Können, weil dieses ihr erlaubt, sich im Rahmen einer Pflegesituation auf beziehungs- und personenorientierte Ebenen einzulassen („Gestik und Mimik und Menschlichkeit“, „richtig freundschaftliches Verhältnis“), ohne hierbei fachspezifisch-instrumentelle Aspekte aus den Augen zu verlieren („das rein Medizinische … das muss exakt sein“). In homologer Weise orientiert auch Herr Cimen innerhalb einer Pflegebeziehung sein berufliches Handeln am Prinzip des professionellen Zugangs zum konjunktiven Erfahrungsraum. Dies dokumentiert sich beispielsweise anhand einer Erzählung des Pflegedienstleiters über den 83-jährigen Herrn A., einen türkischen Patienten. Ähnlich wie Frau Christrose besteht auch Herrn Cimens professionelles Können insbesondere in einer freischwebenden bzw. flexibel pendelnden Aufmerksamkeit gegenüber sozial-verstehenden und fachlich-instrumentellen Aspekten. So lässt sich der Pflegedienstleiter in seinem Verhältnis zu Herrn A. nicht ausschließlich durch Beziehungsaspekte und „Menschenkenntnisse“ (Z. 13, Transkript Herr
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Cimen) leiten, sondern er nutzt zugleich sein fachspezifisches Erfahrungswissen („Psychiatrieerfahrung“, Z. 8, ebd.). Erst hierdurch fühlt er sich wirklich „sicher“ im Umgang mit dem alten Mann. Denn dessen sexuell anzügliches Verhalten gegenüber weiblichen Pflegekräften, welches zu massiven Beschwerden führt, ist dem Pflegedienstleiter auf der Ebene des persönlichen Erlebens fremd. Vor dem Hintergrund seiner fachspezifischen Berufserfahrung sind ihm strukturell äquivalente Phänomene jedoch bereits vertraut („mit diesen Krankheiten oder mit diesen Bedürfnissen oder mit solchen Leuten, habe ich öfters Kontakt gehabt“). Cm: Es gibt-(1), ich bin selber ein Mann, also so=n großes Bedürfnis wie er, nie (.) aber ich meine, jeder Mensch, jeder Mann, erlebt das anders (.) // Y: mhm // verschiedene Formen. und er hat wirklich großes, ähm, hm, Bed-(.) ºihnº habe ich natürlich paar Mal angesprochen, ob ich (1) so ein Besuch organisieren soll, äh (.) // Y: mhm // Prostituierte oder irgendwie zu einem Bar oder so. er hat sich nicht beleidigt gefühlt, aber da kommt natürlich direkt n=Schamgefühl hoch inzwischen, (.) is mit im Spiel, (.) äh, ((imitierend)) warum sagt der mir jetzt so? is das so ausf-, auffällig? er merkt es natürlich selber, // Y: mhm // aber er möchte das natürlich nicht zugeben (.) meine Erfahrung is, (.) ich bin ja seit halbes Jahr hier leitende Kraft (.) seit vier Monate, sage ich mal, die erste zwei Monate so. und ich habe mich mit Herrn A richtig intensiv beschäftigt. und ich bin auch auf einer Seite fast der einzige Kraft, der mit ihm über alles sprechen kann, (.) der zu mit Tod vertrauen kann (.), also wir haben super=gute Verhältnis zusammen. und seit vier Monate, (.) drei, vier Monate, (.) hat sich das scho::n reduziert. deutlich nicht, aber schon reduziert. mit mehrere Gespräche (.) wie ich gesagt habe, habe auch zwei Jahre äh, äh Akutpsychiatrieerfahrung mit diesen Krankheiten oder mit diesen Bedürfnissen oder mit solche Leuten, habe ich öfters Kontakt gehabt, Gespräche durchgeführt, deswegen fühle ich mich auch da sicher. durch meine Erfahrung und weiß auch, äh, wie ich so eine ältere türkische Herr, auf welche Ebene erreichen kann. und äh (.) das schaffe ich schon zu ihm. also, hat sich schon reduziert. (Z. 334-359, Trankskript Cimen)
Nachdem Herr Cimen sich über einen längeren Zeitraum „richtig intensiv“ mit Herrn A „beschäftigt“ und ein „super=gute[s] Verhältnis“ zu diesem aufgebaut hat, stellt der Pflegedienstleiter eine gewisse Veränderung in Richtung Abnahme des anstößigen Verhaltens fest („deutlich nicht, aber schon reduziert“). Obwohl Herr Cimen „selber ein Mann“ ist, hat er persönlich „nie“ ein derart „großes Bedürfnis“ wie Herr A empfunden. Dennoch fühlt sich Herr Cimen „sicher“ im Umgang mit „solchen Leuten“ aufgrund seiner Erfahrung als Psychiatriepfleger. Auch weiß er „wie“ und auf welcher „Ebene“ er „so“ einen älteren, türkischen Herrn „erreichen“ kann. So hat Herr Cimen bei Herrn A. „ein paar Mal“ nachgefragt, ob er „so“ einen „Besuch organisieren soll“ („Prostituierte oder irgendwie zu einem Bar oder so“).
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Zwar hat Herr A hierauf „nicht beleidigt“ reagiert. Jedoch ist diesem „natürlich“ deutlich geworden, dass sein sexuell konnotiertes Benehmen gegenüber den Pflegerinnen offenbar recht „auffällig“ sein muss. Hierdurch kommt „inzwischen“ bei ihm „direkt n=Schamgefühl“ hoch, wenn Herrn Cimen derart freizügige Angebote unterbreitet, auch wenn der alte Herr dies „natürlich nicht zugeben“ möchte. Herrn Cimens professioneller Zugang zum Fremdverstehen umfasst verschiedene Etappen der Annäherung an sein Gegenüber beim Aufbau einer Pflegebeziehung, wobei er unterschiedliche Ebenen der Verständigung und des Wissens nutzt. So weiß der Pflegedienstleiter vor dem Hintergrund seiner Berufserfahrung („Akutpsychiatrieerfahrung … Gespräche durchgeführt“) um die Vielfalt von „Formen“, wie sexuelle Bedürfnisse erlebt („jeder Mensch, jeder Mann erlebt das anders“) und wie mit diesem Erleben jeweils umgegangen wird („mit diesen Krankheiten oder mit diesen Bedürfnissen oder mit solchen Leuten habe ich öfters Kontakt gehabt“). Vor diesem professionellen Erfahrungshintergrund rahmt Herr Cimen das sexuell anzügliche Verhalten des alten Mannes als ein Krankheitszeichen, welches sich durch Interventionen („Gespräche“) reduzierten lässt. In diesem Rahmen unternimmt Herr Cimen keine moralische Bewertung des problematisierten, grenzüberschreitenden Verhaltens. Trotz dieses ‚professionellen Blicks‘ auf Herrn A. bzw. auf dessen Verhalten wird dieser in der Erzählung des Pflegedienstleiters nicht als eine psychisch kranke Person im Sinne einer „totalen Identität“ (Garfinkel 1967) präsentiert, welche nicht mehr selbstverantwortlich wäre. Vielmehr adressiert der Pflegedienstleiter, auf der Grundlage seiner „Menschenkenntnisse“ (Z. 13, ebd.), Herrn A. als einen ernstzunehmenden „Mann“. Im Zuge dessen reagiert Herr Cimen auf den immanenten Sinngehalt des von Herrn A. gezeigten Verhaltens, wonach dieser gegenüber dem Pflegepersonal ein „Bedürfnis“ nach sexueller Aktivität mitteilt. Indem Herr Cimen sich explizit auf der Ebene des immanenten Sinns bewegt, nähert er sich Herrn A. zugleich auf einer Ebene stillschweigender Verständigung an. Denn diesem wird auf eine implizite Weise mitgeteilt, wie sein Verhalten gegenüber den Pflegerinnen interpretiert wird. Da dies zugleich in einem Rahmen erfolgt, der frei von moralischer Verurteilung bleibt, reagiert Herr A. „nicht beleidigt“. Er „reduziert“ jedoch sein anstößiges Verhalten etwas, wodurch für Herrn Cimen klar ist, dass die stillschweigende Verständigung zwischen den beiden tatsächlich funktioniert („und weiß auch, äh, wie ich so eine ältere türkische Herr, auf welche Ebene erreichen kann.“). Der gemeinsam geteilte, konjunktive Erfahrungsraum, zu dem sich Herr Cimen hier einen professionellen Zugang verschafft hat, verweist auf ein soziales Milieu, indem ein freizügiger Umgang mit Sexualität in der Öffentlichkeit etwas Schambesetztes ist. Aus diesem Grund „weiß“ Herr Cimen, dass bei Herrn A. „natürlich direkt n=Schamgefühl“ hochkommt, wenn er auf den immanenten Sinn seines Verhaltens angesprochen wird und dass der alte Herr dies „natürlich nicht zugeben“ möchte.
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Analog zum Vorgehen von Herrn Cimen und Frau Christrose erweist sich auch bei Frau Cicek der Modus des Fremdverstehens als ein professionelles Können, bei dem unter der Einbeziehung von theoretisch-reflexivem Wissen, Berufserfahrung und zwischenmenschlichem Gespür – Frau Cicek gebraucht für Letzteres den Begriff „Empathie“, Herr Cimen „Menschenkenntnisse“, Frau Christrose „Menschlichkeit“ – nach einem Zugang zum konjunktiven Erfahrungsraum des Gegenübers gesucht wird. Exemplarisch lässt sich dies anhand der folgenden kurzen Sequenz bereits aufzeigen. Cif: Wenn ich den Erstbesuch mache, habe ich auch heute so gemacht, erst mal habe ich gefragt, ja, was denken sie, was ist für ihre Mutter wichtig? wie ist sie denn? die-, (.) obwohl, die hat ja Demenz, da muss man mit ihr selbst erleben, selbst erleben, individuell, was will sie jetzt. ja, diese Empathie müssen wir, können wir nur mit ihr dann eben reingehen und weiter machen. (Z. 686-690, Transkript Frau Cicek)
Beim „Erstbesuch“ werden auch Informationen zu der Frage eingeholt, was den zu Pflegenden selbst „wichtig“ ist, wobei „man“ bei einer „Demenz“ den Zugang zum Gegenüber „nur“ über eine situativ („was will sie jetzt“) einzubringende „Empathie“ finden kann. Hierbei ist es erforderlich, sich ausgehend vom eigenen Erlebens- und Erfahrungshintergrund („selbst erleben“) auf eine konjunktive Ebene mit dem Gegenüber einzulassen („können wir nur mit ihr dann eben reingehen“), um von diesem gemeinsamen Standort aus „weitermachen“ zu können. Die vorliegende Sequenz setzt mit einer kurzen Belegerzählung ein. Diese ist eingebettet in das Oberthema der Passage. Hierbei geht es um die Frage, wie mit der Umsetzung des Anspruchs auf Selbstbestimmung in der gesundheitlichpflegerischen Versorgung umgegangen wird. Frau Cicek positioniert sich in diesem Zusammenhang als Geschäftsführerin einer Einrichtung, in der der persönliche Wille von zu Pflegenden von Beginn an erfasst und berücksichtigt wird („wir versuchen wirklich mit allem so zu gehen, wie es möglich ist“ Z. 683, ebd.) und fügt als Belegerzählung eine Schilderung darüber an, wie der „Erstbesuch“ üblicherweise („auch heute so gemacht“) abläuft. Während sie zunächst in der Ich-Form schildert, wie sie Wünsche und Bedürfnisse einer neuen Patientin auf der Ebene des theoretisch-reflexiven Wissens erfragt („was ist für ihre Mutter wichtig, wie ist sie denn so?“), verfällt sie in das Alltagsroutine signalisierende „man“ („da muss man mit ihr selbst erleben“), als sie sich im Zuge des Erzählens strukturäquivalente Fälle vor Augen führt („obwohl, die hat ja Demenz. da muss man …“). Angezeigt wird dieser Ebenen-Wechsel vom Theoretisieren („was denken sie“) zum Erfahrungswissen („selbst erleben“) auch durch einen Bruch im Erzählfluss („die-, (.) obwohl“). Es dokumentiert sich, analog zum Vorgehen von Herrn Cimen und Frau Christrose, auch hier ein professioneller Zugang zum Fremdverstehen. Denn der
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Zugang zum konjunktiven Erfahrungsraum erfolgt nicht zufällig. Vielmehr wird zusätzlich zum reinen Gespür für das Gegenüber („Empathie“) systematisch das Erfahrungswissen der Angehörigen („wie ist sie denn so“) ebenso einbezogen wie eine Kombination aus eigenem Fachwissen („Demenz“) und persönlicher Berufserfahrung („selbst erleben“). Es dokumentiert sich hier ein Modus des Fremdverstehens, dessen Logik sich von den anderen beiden Versorgungsmilieus deutlich abhebt. Während Fremdverstehen beim Versorgungsmilieu Typus A häufig scheitert aufgrund eines habitualisierten professionellen ‚Blicks‘ auf Patienten, der durch das Prinzip der Stereotypisierung und Motivunterstellung geprägt ist, und Typus B auf der Ebene des immanenten Sinngehaltes verbleibt, zeichnet sich der Typus C durch eine flexiblere Nutzung verschiedener Wissensquellen und -formen als Zugang zum Fremdverstehen aus. Neben der Möglichkeit des interpretierenden Erfassens von immanenten Sinngehalten wird hier immer auch aktiv nach Anknüpfungspunkten für konjunktive Verständigung gesucht. Das zugrunde liegende Orientierungsprinzip dieser habitualisierten Suche nach konjunktiver Übereinstimmung kann deshalb als professioneller Zugang zum konjunktiven Erfahrungsraum typisiert werden. Dieser Zugang zum Fremdverstehen stellt ein Abgrenzungs- bzw. Alleinstellungsmerkmal des Versorgungsmilieus Typus C dar. Charakteristisch bei diesem Versorgungsmilieu ist auch – in Abgrenzung zu den beiden anderen Milieus – ein Verhältnis zu den zu Pflegenden und deren Angehörigen, das von beiden Seiten regelmäßig als positiv und als eine persönliche Bereicherung wahrgenommen wird.
8.4 Z WISCHENRESÜMEE
UND WEITERES
V ORGEHEN
Im Zuge der komparativen Analyse wurden drei voneinander abgrenzbare Orientierungsrahmen (Typus A, B und C) rekonstruiert. Hierbei habe ich die Reproduktionsgesetzlichkeit der rekonstruierten Orientierungsrahmen durch den Nachweis erbracht, dass sich diese regelmäßig und in homologer Weise nicht nur in Bezug auf ein Thema dokumentieren, sondern auch in Bezug auf weitere Themen und Handlungsdimensionen (vgl. Unterkapitel 8.1, 8.2, 8.3) professioneller Praxis. Während in Bezug auf den Orientierungstypus C auch fallübergreifend (Frau Christrose, Frau Cicek, Herr Cimen) Homologien aufgezeigt werden konnten und damit die sinngenetische Typenbildung vollzogen wurde, steht dies in Bezug auf die Orientierungsrahmen der Fälle Alpenveilchen und Baumgärtner noch aus. Im Folgenden soll dies nun durch Hinzuziehen von weiteren Fällen (Frau Ayçiçeği, Frau Begonie, Frau Blume) durchgeführt und somit die sinngenetische Typenbildung abgeschlossen werden. Hierbei bewegt sich die empirisch-analytische Rekonstruktion insofern auch bereits in Richtung einer Soziogenese, als durch die neu hinzukommenden
8 A MBULANTE V ERSORGUNG
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Fälle weitere Vergleichsebenen hinzutreten. So werden nun Homologien und Kontraste auch in Bezug auf weitere Versorgungsformen (stationäre Versorgung und offene Altenhilfe) und eine weitere Berufsgruppe (Soziale Arbeit) sichtbar. Hierdurch wird unter anderem deutlich, dass sich allein der Orientierungstypus B in allen drei Versorgungsformen (ambulant, stationär, offene Altenhilfe) und in beiden Berufsgruppen (Pflege, Soziale Arbeit) rekonstruieren lässt, während die Typen A und C sich anhand des vorliegenden Materials nur in Bezug auf den Pflegebereich, hier jedoch in verschiedenen Versorgungsformen (ambulant und stationär) valide nachweisen lassen. Durch das Hinzuziehen weiterer Fälle wird also zum einen die sinngenetische Typenbildung abgeschlossen. Zum anderen werden weitere Vergleichsebenen eingeführt. Diese dienen der Durchführung einer, im Anschluss zu erfolgenden, soziogenetischen Typenbildung. Zugleich erweitern diese neu hinzutretenden Vergleichsebenen die Reichweite der im Rekonstruktionsprozess zu generierenden, empirisch gesättigten Theorie über die zugrunde liegende Logik von Versorgungspraxis im Feld der Altenhilfe. Berücksichtigt werden somit drei Versorgungsformen im Feld der Altenhilfe (ambulante, stationäre und offene Altenhilfe) sowie zwei zentrale Berufsgruppen (Pflege und Soziale Arbeit), wobei der Fokus vor allem auf dem Pflegebereich liegt.
9 Stationäre Versorgung
9.1 M IGRATION UND V ERSORGUNG : R AHMUNGEN DES T HEMAS Typus B: Frau Begonie: „was ist den Menschen wichtig … und was können wir da leisten?“ Frau Begonie ist examinierte Krankenschwester mit Weiterbildungen zur gerontopsychiatrischen Fachkraft und zur Wohnbereichsleitung. Die Pflegefachkraft ist in einer stationären Altenpflegeeinrichtung beschäftigt, wo sie einen geschützten Wohnbereich für schwer an Demenz erkrankte Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner leitet. Diese Abteilung besteht zum Zeitpunkt des Interviews seit knapp drei Jahren und stellt eine Neuerung innerhalb der Einrichtung dar. Das Haus möchte hiermit einen Schwerpunkt zum Krankheitsbild „Demenz“ aufbauen. Betrieben wird die Einrichtung von einer Unternehmensgruppe, die einer freikirchlichevangelikalen Glaubens- und Wertegemeinschaft verpflichtet ist. Obwohl die Einrichtung in einem Stadtbezirk situiert ist, in dem ein überdurchschnittlich hoher Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund lebt, und sich dies auch in der Zusammensetzung der Mitarbeiterschaft widerspiegelt, werden dort nur sehr selten Bewohnerinnen oder Bewohner mit Migrationsbiografien aufgenommen. Die folgende Sequenz stammt aus der Eingangspassage des Interviews, in der sich auch bereits Rahmungen des Themas Versorgung alter Migranten dokumentieren. Bgf: Also wir haben nicht so viel, ehrlich gesagt, also ähm, jetzt auf meinem Bereich, weil, das ist ja ein Bereich für Demenz erkrankte Menschen, nicht so sehr viel damit zu tun. aber ähm, weil ich ja schon länger in der Einrichtung bin, habe ich ja dort auch, (.) naja bestimmt zwei Mal, (.) also die Erfahrung gemacht mit Bewohnern, die eben ähm, also nicht deutscher Herkunft und also auch mit Migrationshintergrund waren, dass die ähm, dass das da sehr wichtig war, also einmal, was ist dem Menschen wichtig, was können wir in seiner letzten Lebensphase für denjenigen tun, dass er also auch sich, äh, hier geborgen fühlt und von seiner Kultur, ähm, (.) naja, äh, (.) respektiert fühlt, also ange-
210 | K ULTURSENSIBLE A LTENHILFE ? nommen fühlt, und dass er auch nicht das Gefühl hat, er ist hier irgendwie fremd und kann sich gar nicht mehr dagegen wehren, ist also so, so einfach nur noch abhängig. und dass man ihm da halt noch so ein paar so (.) so Sachen bietet, (.) die ihm vertraut sind und die, wo er sich so, ähm also zumindest äh, geborgen, (.) im weitesten Sinne geborgen, (.) fühlen kann, neh? und da waren wir immer drum bemüht (.) //Y: hmm // also, sei es, das man Kontakt aufgenommen hat zu, zu äh, entsprechenden Gemeinden, Kirchengemeinden, wenn die so orientiert waren, oder eben so, (.) weiß nicht, (.) damals hatten wir auch über, über ne, ähm, Moschee, irgendeinen, (.) weiß=ich, (.) Imam @.@, der da kam oder so, (.) also damals, (.) kann ich mich erinnern (.) und dann eben auch versuchen mit den Kindern, mit den Angehörigen, da äm, also auch noch mal raus zu bekommen, was ist, äh, wichtig bei euch und was, was, können wir da leisten. (Z. 25-45, Transkript Frau Begonie)
Obwohl Frau Begonie in ihrer jetzigen Abteilung „nicht so sehr viel damit zu tun“ hat, weil diese auf das Krankheitsbild „Demenz“ spezialisiert ist, kann sie sich an zwei Fälle erinnern, in denen Bewohner „nicht deutscher Herkunft“ früher einmal in der Einrichtung gelebt haben. Damals war die Mitarbeiterschaft „immer darum bemüht“, dass sich die in ihrer „letzten Lebensphase“ befindenden Menschen „geborgen“ sowie in Bezug auf ihre Kultur „respektiert“ und „angenommen“ fühlen. Damit Migranten sich nicht ausgeliefert, „fremd“, und „abhängig“ vorkommen, ist es „sehr wichtig“, dass man ihnen „so Sachen“ anbietet, die ihnen „vertraut“ sind. So hatte „man“, je nach religiöser Orientierung, auch Geistliche kontaktiert. Einmal wurde auch mit einer Moschee Kontakt aufgenommen, worauf „irgendein“ muslimischer „Imam“ in die Einrichtung kam, was jedoch schon lange her ist. Auch galt es, über die Angehörigen „raus zu bekommen“, was bei den Betroffenen „wichtig“ ist, um auszuloten, was die Einrichtung in diesem Zusammenhang „leisten“ kann. Frau Begonie behandelt das Thema Versorgung alter Migranten zu Beginn der Sequenz wie eine Art Krankheitsbild, wenn sie erklärt, dass sie deshalb kaum Erfahrung mit dieser Patientengruppe hat, weil ihre Abteilung auf „Demenz“ spezialisiert ist und somit eben nicht auf Migranten. Ihre umständliche Wortwahl („mit Bewohnern, die eben ähm, also nicht deutscher Herkunft und also auch mit Migrationshintergrund waren“) verweist auf ein implizites Wissen darüber, dass im Einrichtungskontext nicht völlig unbefangen über dieses Thema gesprochen werden kann. Diese Schwierigkeit dokumentiert sich auch wieder in ihrer unsicheren, sich distanzierenden Art, in der sie den islamischen Geistlichen erwähnt, der einmal in die Einrichtung gerufen worden war („irgendein, (.) weiß=ich (.) Imam @.@, der da kam oder so“). Dagegen dokumentiert sich in ihrer allgemeinen Beschreibung, wonach „man“ Kontakt zu „entsprechenden Gemeinden“ aufgenommen habe, eine deutliche Handlungssicherheit aufgrund von Alltagsroutine. Dies verweist darauf, dass Frau Begonies Beschreibung in Bezug auf Aspekte, wie tatsächlich in der Einrichtung mit Migranten umgegangen wird, ihre routinierte Alltagspraxis wieder-
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gibt, während die Rede über konfessionelle und kulturelle Differenzen im Einrichtungskontext etwas Heikles zu sein scheint. Die Rahmung des Themas Versorgung alter Migranten erfolgt hier also vor dem Hintergrund zwei verschiedener, einander überlappender konjunktiver Erfahrungsräume. Der eine betrifft die Ebene der Organisation der konfessionell gebundenen Einrichtung. Hierzu verhält sich Frau Begonie, wenn sie umständlich, verlegen und in einem beinahe abwertenden Stil („irgendeinen, (.) weiß=ich, (.) Imam @.@“) über die spirituelle Betreuung eines muslimischen Bewohners spricht. Auch ihr Hinweis, dass sie deshalb kaum Erfahrungen mit der Versorgung alter Migranten habe, weil sie in einer Spezialabteilung für Demenzkranke arbeitet, verweist auf eine organisationsspezifische Orientierung. Inhaltlich steht diese in einem Widerspruch dazu, dass in der gesamten Einrichtung nur sehr selten Bewohnerinnen und Bewohner mit Migrationsbiografien aufgenommen wurden bzw. werden („zwei Mal … die Erfahrung gemacht“). Die geringe Anzahl von Bewohnerinnen und Bewohnern mit Migrationshintergrund hat also eher etwas mit der Organisation als solcher und insbesondere mit ihrer Außenwirkung zu tun. Tatsächlich zielt diese implizit darauf ab, Pflegebedürftige muslimischen Glaubens gerade nicht anzusprechen, wie aus den Äußerungen der Heimleitung Frau Bartnelke hervorgeht. Bnf: Die Auslese passiert auf natürliche Weise. so, wie wir uns mal bei einem türkischen Hausarzt hier gleich um die Ecke vorgestellt haben, der unseren Flyer nahm und sagte ((imitierend)) geborgen sein in christlichen Händen? sie glauben doch nicht, dass ein Türke oder ein islamisch gläubiger Mensch zu ihnen kommt. kann natürlich sein. (Z. 17-21, Transkript Frau Bartnelke)
Die Einrichtung verteilt Flyer mit einem markanten Hinweis auf ihre christliche Orientierung. Ein türkischer Hausarzt, bei dem solche Flyer ausgelegt werden, erklärt, dass „ein Türke“ oder ein „islamisch gläubiger Mensch“ sich hiervon nicht angesprochen fühlen wird. Dies kann „natürlich“ stimmen und ist wohl auch der Grund, weshalb sich „die Auslese“ auf eine „natürliche Weise“ vollzieht. In dieser Sequenz kommt noch deutlicher als bei Frau Begonie eine distanzierte, beinahe herablassende Haltung gegenüber Personen muslimischen Glaubens zum Ausdruck. Diese Orientierung ist organisationsspezifisch, denn sie dokumentiert sich sogar in der Art, wie die Werbeflyer der Einrichtung aufgemacht sind, was von dem türkischen Hausarzt bemerkt und angesprochen wird. Diese implizite, organisationstypische Haltung steht im Widerspruch zu Aussagen der expliziten Einrichtungsprogrammatik, wonach jede Person ungeachtet ihrer Herkunft und weltanschaulichen Orientierung willkommen sein soll („und von daher haben wir auch keine spezielle Zielgruppe“ Z. 16, Transkript Frau Bartnelke). Überlagert wird die Organisationstypik durch die professionelle Haltung von Frau Begonie bzw. ihren
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habituellen Versorgungsstil. Dieser professionelle Habitus ist frei von Vorbehalten gegenüber Andersgläubigen. Zum Tragen kommt dieser Habitus dort, wo sich die Basistypik professionellen Handelns im Versorgungskontext, also das Spannungsverhältnis zwischen instrumentellen und verstehenden Handlungslogiken, dokumentiert. Impliziert ist dieses Spannungsverhältnis in Frau Begonies Beschreibung dessen, was aus ihrer Wahrnehmung heraus „sehr wichtig“ in Bezug auf die Versorgung von „Menschen“ in der „letzten Lebensphase“ ist. So stellt sie einen verstehenden Zugang („was ist den Menschen wichtig“) einer Situation gegenüber, wo ‚am Patienten‘ etwas getan wird, wogegen diese sich nicht mehr „wehren“ können und „einfach nur noch abhängig“ sind. Dass Frau Begonie hier eher aus ihrer professionellen Haltung heraus spricht und weniger bezogen auf die Organisationstypik, wird auch daran deutlich, dass sie nun von zu pflegenden „Menschen“ spricht, ohne deren Herkunft, Religion oder Krankheitsbild zu problematisieren. Es dokumentiert sich die für das Versorgungsmilieu des Typus B typische Haltung der Anerkennung der individuellen Autonomie einer hilfebedürftigen Person. Denn wichtig ist aus dieser Perspektive vor allem, dass die zu versorgenden „Menschen“ sich nicht als „ausgeliefert“ und „abhängig“ erleben. Vielmehr sollen sie sich „angenommen“, „respektiert“ und in diesem Sinne auch verstanden fühlen. Die zentrale Frage für Frau Begonie ist an dieser Stelle, was die Einrichtung hierfür „leisten“ kann. Homolog zum Habitus von Herrn Baumgärtner dokumentiert sich in dieser Fragestellung eine dienstleistungsorientierte Haltung, basierend auf dem Prinzip der Balance zwischen der Anerkennung der individuellen Autonomie einer hilfebedürftigen Person und dem Prinzip der Versorgung. Zugleich zeichnet sich, quasi überlappend zum Habitus des Versorgungsmilieus auch die organisationsspezifische Typik in Bezug auf das Thema Versorgung im Migrationskontext ab. Darin dokumentiert sich ein Spannungsverhältnis zwischen der Ebene der Programmatik der Organisation (Organisationskultur) der konfessionell gebundenen Einrichtung und den gelebten Alltagsroutinen (Organisationsmilieus). Eine vollständige Rekonstruktion dieses zweiten konjunktiven Erfahrungsraumes auf der Ebene der Organisation kann in der vorliegenden Arbeit nicht geleistet werden, weil dies zu umfangreich werden würde. Im Folgenden werden jedoch, wie auch in diesem Abschnitt bereits geschehen, Überlappungen zwischen organisationsmilieu- und versorgungsmilieuspezifischen Bezügen herausgearbeitet. Hierdurch wird deutlich, dass sich die Beforschten gleichzeitig in mehreren konjunktiven Erfahrungsräumen bewegen, weshalb ihre Argumentations- und Handlungspraxis zum Teil erst aus der Überschneidung solcher Erfahrungsräume heraus verständlich ist.
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Typus A: Frau Ayçiçeği: „und das akzeptiert die Mitarbeiterin nicht, wenn die ständig kommen“ Frau Ayçiçeği arbeitet in derselben Einrichtung wie Frau Begonie. Sie ist jedoch auf einer anderen Wohnetage beschäftigt. Die examinierte Pflegefachkraft stammt aus der Türkei, wo sie eine höhere Schulausbildung im Bereich „Wirtschaftstechnik“ abgeschlossen hat. In Deutschland hat sie zusätzlich eine Krankenpflegeausbildung absolviert. Im Anschluss an diese Ausbildung bewirbt Frau Ayçiçeği sich bei ihrem jetzigen Arbeitgeber und erhält eine feste Anstellung. Als das Interview mit ihr durchgeführt wird, arbeitet Frau Ayçiçeği bereits seit 13 Jahren dort. Eine Zeit lang hatte sie eine Leitungsfunktion inne (Wohnbereichsleitung). Diese Funktion übt sie zum Zeitpunkt des Interviews nicht mehr aus. Inwiefern hier ein selbst initiierter Funktionswechsel stattgefunden hat oder eine Umbesetzung vonseiten der Einrichtungsleitung, konnte nicht eindeutig geklärt werden. Frau Ayçiçeği zufolge ist es im Verlauf der 13 Jahre, in denen sie in der Einrichtung beschäftig ist, fünf Mal vorgekommen, dass dort auch pflegebedürftige Menschen mit Einwanderungsbiografien aufgenommen wurden. Inzwischen sind diese alle in der Einrichtung verstorben. Frau Ayçiçeği erinnert sich, dass vier von diesen Personen einen türkischen Migrationshintergrund hatten, während die Fünfte eine Argentinierin gewesen sei. In der Eingangssequenz erzählt die Fachkraft über den ersten dieser Fälle, eine schwer pflegebedürftige Frau türkischer Herkunft ohne Angehörige. Af: Die war hier ganz allein, eine Frau (.) die kenn ich nicht so gut, weil ich war nur als Dolmetscher oben gewesen. sie hat mir wirklich leidgetan, neh? das war meine erste Schwerpunkt im Haus, diesem Haus, gewesen (1) Y:
mhm, und wie war das denn? wie ist das so gelaufen?
Af: man hat mir gesagt, sie war auf der vierten Etage gewesen, ich war damals als Leiterin auf der zweiten, (.) man hat mir gesagt, sie brauchen einen Dolmetscher, weil Bewohner alle medizinische und Behandlungspunkte abgesagt hat (.) kann sein, dass sie mich versteht (.) und dann bin ich nach oben gegangen und sie hatte Sauerstoff (.) und dann sie war, (.) na ja, so richtig (.) lebenslos, neh? sie wollte nicht weiter leben, neh? ich hab mit ihr gesprochen und dann sagte sie, sie hatte keine Familie hier und sie fühlt sich ganz alleine, wozu soll sie leben (.) sie war schwer krank, sie war bettlägerig, neh? und sie will gar nix essen, weil diese (.) Schwein=fleisch (.) Probleme gewesen. und die haben dann in der Küche viele türkische, äh (.) Kocher, neh? und dann deswegen ich hab geklärt, (.) ich bin extra für sie ohne Schwein=fleisch Essen bestellt (.) wenn sie möchten das, kann ich ihnen die selber geben, verabreichen, neh? und da hat sie trotzdem verweigert, weil sie nicht leben möchte, neh? sie hat gesagt, ich möchte mein Familie sehen. und dann sie wollte nicht in Deutschland sterben, sie wollte in Heimat sterben, neh? das haben wir leider nicht geschafft, neh? weil der Kontakt mit
214 | K ULTURSENSIBLE A LTENHILFE ? der Familie nicht geklappt. aber das Haus hat beste Mühe gegeben. ich hab dann in der Türkei angerufen, mit dem Sohn, mit der Tochter gesprochen, mit Ehemann gesprochen. äh sie haben gesagt (.) na ich weiß jetzt nicht welche, (.) warum, dass sie geschieden sind, warum dass sie Kinder die Mutter akzeptiert ((unverständlich)), (.) das weiß ich nicht, (.) weil die Frau hat mir nicht so viel erzählt, sie konnte nicht so viel erzählen. und deswegen sie musste hier- (.) und ein paar Tage später ist sie gestorben hier. (Z. 14-35, Transkript Frau Ayçiçeği)
Der erste „Schwerpunkt im Haus“ für Frau Ayçiçeği ist eine alte türkische Frau, die „alle medizinischen und Behandlungspunkte abgesagt“ und das Essen „verweigert“ hat. Diese alte Frau hat Frau Ayçiçeği „wirklich leidgetan“. Obwohl das Haus sich die „beste Mühe“ gegeben hat, können die letzten Wünsche dieser Frau, die „Familie sehen“ und in der „Heimat sterben“, nicht erfüllt werden („haben wir leider nicht geschafft“). Zwar hat Frau Ayçiçeği, nachdem man sie als Sprachmittlerin hinzugezogen hatte, die „Probleme“ der Frau mit dem Essen „geklärt“, indem sie in der Küche bei den türkischen „Kocher[n]“ – also Köche bzw. Köchinnen türkischer Herkunft – extra „ohne Schwein=fleisch Essen bestellt“ und der Frau angeboten hat, ihr dieses Essen persönlich zu „verabreichen“. Jedoch hat die Frau „trotzdem verweigert“, Nahrung zu sich zu nehmen. Die Pflegekraft sieht, dass die alte Frau lebensmüde ist. Über die Bewohnerin und ihre in der Türkei lebende Familie ist kaum etwas bekannt. Die telefonische Kontaktaufnahme mit dem Ehemann und den Kindern hat nicht zur Klärung der Situation beigetragen und die Frau selbst „konnte nicht so viel erzählen“. Aus diesem Grund „musste“ die Frau „hier“ sterben. Das Thema Versorgung alter Migranten wird in dieser Sequenz – ähnlich wie in dem Interview mit Frau Begonie – aus zwei sich überlappenden Orientierungsrahmen heraus thematisiert. So verweist die Formulierung, das Haus habe sich die „beste Mühe“ gegeben ebenso auf ein organisationsspezifisches Orientierungswissen, wie die Bezeichnung des Falls, in dem es um die sterbende türkische Bewohnerin geht, als einen ersten „Schwerpunkt im Haus“. Beide Formulierungen sind nur dann eindeutig zu verstehen, wenn ein Zugang zu dem organisationsbezogenen konjunktiven Erfahrungswissen existiert, auf das diese verweisen. Zugleich dokumentieren sich in der vorliegenden Sequenz aber auch Aspekte eines versorgungsmilieuspezifischen Orientierungsrahmens (Handlungstypik). So wird das Thema Versorgung alter Migranten insgesamt in einem Modus präsentiert, der das Scheitern von Hilfeleistungen allein bei der Bewohnerin und ihren Angehörigen verortet. Obwohl man sich die „beste Mühe“ mit ihr gibt, „verweigert“ die alte Frau die Nahrungsaufnahme. Auch tragen die kontaktierten Angehörigen, welche in der Türkei leben, nicht zur Klärung der Situation bei. Es dokumentiert sich hier eine Orientierung, die sich in strukturäquivalenter Weise auch bei der Gruppe Alpenveilchen findet. In beiden Fällen nehmen sich die Fachkräfte selbst als prinzipiell
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fähig wahr, adäquate Hilfeleistungen zu erbringen. Jedoch wird die Leistungsvergabe, aus ihrer Warte heraus, vonseiten der Leistungsempfänger unmöglich gemacht, und zwar durch verneinendes oder auch unzumutbares Verhalten, welches wiederum eine Form der Negation darstellt. Diese Form der Wahrnehmung und Thematisierung von Versorgung im Migrationskontext findet sich allein beim Versorgungsmilieu Typus A. Die Typen B und C heben sich hiervon in der Weise ab, dass bei ihnen Negation als ein Ausdruck von Selbstbestimmung bzw. Selbstoffenbarung gewertet und dies tendenziell eher als eine positive professionelle Herausforderung und Aufforderung zum verstehenden Handeln angenommen wird. Homologien zu Orientierungen der Gruppe Alpenveilchen bestehen auch insofern, als der instrumentellen Expertise implizit ein Vorrang gegenüber dem verstehenden Zugang eingeräumt wird. So erklärt Frau Ayçiçeği, dass sie den Fall der türkischen Bewohnerin nicht so gut kennt, weil sie dort „nur“ als Dolmetscherin fungiert hat. Hierin ist impliziert, dass die Suche nach einem verstehenden Zugang, wozu auch die Dolmetschtätigkeit zählt, nicht als ‚richtige‘ Arbeit bewertet wird. Bezogen auf das eigene Relevanzsystem ist Frau Ayçiçeği nicht mit der eigentlichen Versorgung der Frau vertraut und kennt diese folglich „nicht gut“, obwohl die Pflegekraft, ihrer Erzählung zufolge, auch über eine bloße Dolmetschtätigkeit hinausgehend mit der Betreuung der Patientin befasst ist. So versucht sie, Gespräche mit der im Sterben liegenden Patientin zu führen, hat deren Kostform in der Küche „geklärt“ und Kontakt mit der in der Türkei lebenden Familie aufgenommen. Auch bietet die Pflegekraft der alten Bewohnerin an, ihr bei der Nahrungsaufnahme behilflich zu sein. Das in diesem Zusammenhang ungebräuchliche Verb „verabreichen“ verweist ebenso wie die implizierte Haltung, dass verstehendes Handeln für sich genommen keine ‚richtige‘ Arbeit ist, auf eine Orientierung am Prinzip des Primat der instrumentellen Expertise. Denn Frau Ayçiçeği spricht den Begriff „verabreichen“ stärker betont aus und fügt diesen einer bereits vollständigen Satzaussage an, was eine noch stärkere Hervorhebung bewirkt: „wenn sie möchten das, kann ich ihnen die selber geben, verabreichen, neh?“. Diese Satzkonstruktion erweckt den Eindruck, als appelliere Frau Ayçiçeği auf der Darstellungs- und Ausdrucksebene implizit an das Vertrauen der Bewohnerin, indem die Hilfestellung bei der Nahrungsaufnahme so dargestellt wird wie die Applikation eines Medikaments. Dies stellt insofern eine Homologie zum Habitus der Gruppe Alpenveilchen dar, als dass auch hier das professionelle Handeln auf die stillschweigend vorausgesetzte Prämisse verweist, dass Patientenvertrauen allein auf der Grundlage instrumenteller Expertise zu erwarten bzw. zu erlangen ist. Auch in der folgenden, rein argumentativen Sequenz dokumentiert sich ein homologer Orientierungsrahmen, wobei sich die Argumentationsschemata von Frau Ayçiçeği zum Teil sogar konträr zu denen der Gruppe Alpenveilchen verhalten. So sind sich die Mitglieder der Gruppe Alpenveilchen einig, dass diese ein Problem mit der Versorgung alter Migranten haben („also ich muss ehrlich sagen, ich hab=n
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ganz großes Problem, Migration und Pflege“, Z. 208-209 Transkript Gruppe Alpenveilchen), während Frau Ayçiçeği erklärt, dass sie deutsche wie nichtdeutsche Bewohnerinnen und Bewohner gleichermaßen gut versorgen kann („diese Frau ist anstrengend für den deutschen Mitarbeiter, aber für mich ist nichts“, Z. 160-161, „aber ich unterstütze den deutschen Bewohner auch“, Z. 153, Transkript Frau Ayçiçeği). Die Fähigkeit zu einer Nationalitäten übergreifenden Versorgung spricht Frau Ayçiçeği ihren deutschen Kolleginnen zwar nicht völlig ab, jedoch unterstellt sie diesen ebenso wie den alten, aus der Türkei stammenden Pflegebedürftigen, keine Akzeptanz für das jeweilige Gegenüber aufzubringen. Vor dem Hintergrund dieser generalisierenden Zuschreibungen stellt sich für Frau Ayçiçeği die gesundheitlich-pflegerische Versorgung alter Migranten in der deutschen Einrichtung als eine wechselseitige Zumutung dar. Af: Das wird bestimmt schwer, weil diese alte Generation, die erste Generation die in Deutschland gelebt haben, die sind jetzt alt geworden, die leben jetzt im Heim, wenn die nicht in die Türkei zurückgekehrt sind, und die essen kein Schwein=fleisch, das ist ein großes Problem. die müssen auch beten, fünf Mal am Tag sollen sie beten und diesen Platz haben sie nicht hier. und die sollen sich immer sauber halten, jeden Tag fünf Mal beten, vorm Beten müssen sie sich waschen und so, die Möglichkeiten haben sie auch nicht hier, weil eine Schwester muss sie, weil wenn die dement sind, dann akzeptieren die das nicht, muss man immer eher gehen und dann sagen-, die Zeit haben wir nicht. und die dürfen auch nicht dreckigen Boden zu beten, weil wir haben keinen Teppich, entweder wenn sie so ein Einzelzimmer haben oder wenn sie zu zweit sind, das geht sowieso nicht. andere Seite, (.) die Türken kriegen viele Besucher und das akzeptiert die Mitarbeiterin nicht, wenn die ständig kommen, wir haben dann diese Schwierigkeiten auch erlebt auf der ersten. diejenigen hatten von hier kein Essen gegessen und die Kinder haben jeden Tag gekocht, von zu Hause hierher gebracht oder der Bekanntschaftskreis. und dann oben die Stationsschwester hatte sich, warum, warum kocht ihr auch Essen, warum kommt hier viel Besuch. weil die Besucher stören die anderen Bewohner auch, die wohnen in einem Zimmer. und dann, die Akzeptanz zwischen Schwester und zwischen anderen Bewohnern, das war das große Problem gewesen. (Z. 626-643, Transkript Frau Ayçiçeği)
Die Versorgung von aus der Türkei stammenden Bewohnerinnen und Bewohnern in einem deutschen Pflegeheim wird sicher „schwer“. Zum einen ist es aus organisatorischen und wirtschaftlichen Gründen „ein großes Problem“, dass diese Patientengruppe kein „Schwein=fleisch“ isst und „jeden Tag fünf Mal beten“ muss, wobei vor jedem Gebet eine körperliche Waschung durchgeführt und stets für einen sauberen Gebetsplatz mit entsprechendem Teppich auf dem Fußboden gesorgt werden muss. Für diese Eigenarten gibt es weder räumlich-materielle noch zeitliche
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Ressourcen. Zum anderen fehlt es an Akzeptanz auf allen Seiten. So wird es von den aus der Türkei stammenden alten Menschen, „wenn sie dement sind“, nicht akzeptiert, dass „eine Schwester“ sie dann waschen „muss“. Dagegen akzeptiert es die deutsche Mitarbeiter- und Bewohnerschaft nicht, dass „die Türken“ immer viele „Besucher“ haben und diese ständig selbstgekochtes Essen mitbringen. In der vorliegenden Sequenz wird die Versorgung alter Migranten in einem deutschen Pflegeheim argumentativ als ein unüberwindliches Problem dargestellt. Jenseits des inhaltlichen Argumentationsgehaltes dokumentiert sich ein generalisierender und stereotypisierender Darstellungsmodus, der einen Gegensatz zu dem individualisierenden Modus von Frau Begonie darstellt. Anders als bei dieser werden hier „die Türken“ homogenisierend ‚den Deutschen‘ gegenübergestellt und unüberwindliche Differenzen zwischen den beiden Gruppen konstruiert durch stereotypisierende Zuschreibungen („die müssen … beten, fünf Mal am Tag“, „die Türken kriegen viele Besucher“). Dieser Darstellungsmodus entspricht dem der Gruppe Alpenveilchen. In beiden Fällen wird das Thema Versorgung im Migrationskontext als etwas Problematisches und daher Abzulehnendes behandelt, wobei als Begründung Generalisierungen, Stereotype und Zuschreibungen präsentiert werden. Insbesondere anhand des ersten Fallbeispiels wird jedoch auch deutlich, dass es hierbei eigentlich um die Vermeidung von sozialer Komplexität geht. Diese entsteht beispielsweise dort, wo Hilfeleistungen auf der instrumentellen Ebene aufgrund von Verständigungsproblemen erschwert oder gar unmöglich werden. Wie Frau Ayçiçeği habituell mit sozialer Komplexität umgeht, wird im folgenden Kapitel herausgearbeitet.
9.2 „S CHWIERIGE F ÄLLE “ Typus A: Frau Ayçiçeği: „wir lachen nur, weil er älterer Mensch ist, neh?“ Das Spannungsverhältnis zwischen verstehenden und instrumentellen Handlungslogiken dokumentiert sich in allen Interviews immer wieder in der Schwierigkeit, den eigenen und/oder antizipierten Erwartungshaltungen bezüglich des instrumentellen, professionellen Handelns in solchen Situationen gerecht zu werden, in denen unter Zeit- und Handlungsdruck auch ein verstehender Zugang zum Gegenüber gefunden werden muss. Während die Mitglieder der Gruppe Alpenveilchen, deren habitualisierter Zugang zum Fremdverstehen im Migrationskontext regelmäßig scheitert, derartige Situationen nach Möglichkeit vermeiden, indem sie die Versorgung von Migranten als eine professionelle Zumutung ablehnen, ist Frau Ayçiçeği diese Handlungsoption im Rahmen ihrer Einrichtung verschlossen. Denn immer dann,
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wenn es aufgrund von Verständigungsproblemen im Migrationskontext zu Situationen von hoher sozialer Komplexität kommt, wird sie als Sprach- und ‚Kulturvermittlerin‘ konsultiert. Die ihr zugewiesene Rolle der Expertin für die Verständigung mit Migranten hat sie so weit verinnerlicht, dass sie diese auch im Rahmen des Interviews reproduziert. So präsentiert sie sich in ihren Beschreibungen und Erzählungen als eine Person, die keinerlei Probleme im Umgang mit verschiedenen Patientengruppen hat, wohingegen aus der Türkei stammende Pflegebedürftige generalisierend als „anstrengend“ (Z. 160, Transkript Frau Ayçiçeği) für die deutschen Pflegekräfte und diese wiederum als weniger gut geeignet für die Versorgung dieser speziellen Patientengruppe dargestellt werden. Als ‚schwierig‘ bzw. „anstrengend“ werden die zu Pflegenden von Frau Ayçiçeği in ihren Fallbeispielen eingestuft, wenn diese die Durchführung pflegerischer Maßnahmen verweigern und/oder ein unangepasstes Verhalten zeigen, wodurch die organisationelle Ordnung im Haus gestört wird und situativ soziale Komplexität entsteht. Diese Problematik stellt ein zentrales Element in allen Episoden dar, in denen Frau Ayçiçeği über ihre Erfahrungen mit professionellem Handeln im Migrationskontext erzählt. Wie die Pflegekraft mit derartigen Situationen umgeht und aus welcher habitualisierten Haltung heraus dies geschieht, soll exemplarisch anhand der folgenden Sequenz herausgearbeitet werden. Af: Ein Mann ha=ma denn, der war sehr lustig gewesen, neh? (.) der war bettlägerig. er wollte nie aufstehen, neh? (.) die älteren Leute wir nennen immer als Onkel, neh? (.) ich bin ins Zimmer gegangen und ich hab gesagt, Onkel, du musst jetzt aufstehen, neh? ich nehm=s Pflegerollstuhl, neh? und dann du musst ein bisschen sitzen bleiben. er hat gesagt, nein. er hat verweigert, neh? ich hab gesagt, komm, keine Frage, darf nicht sein, dass du jeden Tag im Bett bleibst. wir haben mit zwei ihn in Pflegerollstuhl hingesetzt und dann kam er raus. er schreit immer alle Ausdrücke, (.) auf Türkisch, neh? (.) ich versteh schon (.) ich bin dann zu ihm gegangen, neh? ich hab gesagt, das darf man nicht. du bist hier im Haus und du schreist jetzt alle Ausdrücke, darfst du nicht. hier wohnt andere Bewohner, darfst du nicht machen, Onkel. und dann hat er gesagt, wer wohnt denn hier. er fühlt sich alleine. //Y: mhm. // ich hab türkische Zeitung gebracht und dann (.) alle Möglichkeiten, neh? (.) türkische Musik und hab ich dann diese CD gebracht, dass er türkische Musik hört, aber irgendwie hilft nicht. er fühlt sich einsam. und dann hab ich gesagt, (.) er ruft ständig Hilfe, ((imitierend)) Hilf:e (.) ich hab gesagt, warum rufst du denn Hilfe? hier wohnen
viele Frauen. du kannst sagen, ich will
eine Frau haben, ich will eine- (.) dann hat er angefangen auf Deutsch, ((imitierend)) ich will eine Frau haben (.) dann gucken alle Mitarbeiterinnen mich an, ich hab gesagt, scht, keine-. das kann er ja dann rufen, aber nicht Hilfe. da haben sie so akzeptiert. (Z. 550-567, Transkript Frau Ayçiçeği)
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Der türkische Mann, der von Frau Ayçiçeği, wie alle älteren Menschen, „Onkel“ genannt wird, war „sehr lustig“. Er weigert sich, das Bett zu verlassen und wehrt sich gegen den Zwang seitens des Pflegepersonals durch „Ausdrücke“, d. h. Flüche oder obszöne bzw. unflätige Redensarten, welche Frau Ayçiçeği sprachlich verstehen kann. Diese untersagt ihm dieses Verhalten mit dem Hinweis auf andere Bewohner. Für den türkischen Mann sind diese entweder gar nicht existent oder zu unbekannt, um das Verbot von Frau Ayçiçeği akzeptieren zu können. Weil Frau Ayçiçeği aus seinen Äußerungen schließt, dass sich der alte Mann einsam fühlt, besorgt sie türkische Zeitungen, Musik und andere türkischsprachige Medien. Dies ändert jedoch nichts an der Einsamkeit des Bewohners. Dieser beginnt nun um Hilfe zu rufen. Frau Ayçiçeği versucht, dies mit dem Angebot zu unterbinden, stattdessen nach einer Frau zu rufen. Die anderen Mitarbeiterinnen erwarten eine Rechtfertigung bzw. Begründung. Die Vermeidung des Rufens nach Hilfe wird von ihnen als solche akzeptiert. Frau Ayçiçeği präsentiert den Bewohner türkischer Herkunft als eine Person ohne jegliche Selbstverantwortung. Dies impliziert, dass sie dessen Verhalten nicht in moralischen Kategorien bewertet, ähnlich wie dies auch bei kleinen Kindern in der Regel getan wird. Aus diesem Grund ist das unangepasste und aufbegehrende Verhalten des Bewohners für sie nicht „anstrengend“, sondern „sehr lustig“. An einer anderen Stelle im Interview wird deutlich, dass hierbei eine generalisierte Aberkennung von Selbstverantwortung aufgrund einer sozialen Kategorisierung als „älterer Mensch“ zugrunde liegt. So erklärt Frau Ayçiçeği dort, „egal ob der schimpft, ob der dann Ausdrücke sagt, wir lachen nur, weil er ein älterer Mensch ist, neh?“ (Z. 301, ebd.). Die Praxis der Aberkennung moralischer Verantwortlichkeit einer hilfebedürftigen Person findet sich ebenso in den Erzählungen der Gruppe Alpenveilchen über den kurdischen Beatmungspatienten. Auch hier spielt es keine Rolle, ob der Patient „nun anstrengend war oder nich“ (Z. 66, Transkript Gruppe Alpenveilchen). Als problematisch bzw. unzumutbar werden hier allein die Angehörigen betrachtet („das Problem war eigentlich eher die Ehefrau“ Z. 78, ebd.), während „die Pflege des Mannes völlig außen vor“ bleibt (Z. 65-55, ebd.). In beiden Fällen erweist sich diese Form der Stereotypisierung von zu Pflegenden als funktional, weil hierdurch die Erfüllung instrumenteller Aspekte professionellen Handelns im Kontext von sozialer Komplexität weniger „anstrengend“ ist. Denn diese können hierdurch auch gegen den erklärten Willen der zu Pflegenden durchgesetzt werden. So nimmt Frau Ayçiçeği beispielsweise das ‚Nein‘ des Bewohners überhaupt nicht ernst („keine Frage. darf nicht sein, dass du jeden Tag im Bett bleibst“) und erhält hierbei sogar die Unterstützung ihrer Kollegin („wir haben mit zwei ihn in Pflegerollstuhl hingesetzt“). Die hierbei zugrunde liegende professionelle Haltung ist eine Orientierung am Primat der instrumentellen Expertise. Dieser Habitus zielt nicht auf gegenseitige Verständigung ab. Vielmehr geht es darum, instrumentelles Handeln und instrumentelle Abläufe auch jenseits aller Verständi-
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gungsmöglichkeiten sicherzustellen. Die Abwesenheit eines verstehenden Zugangs zum Bewohner verbunden mit dem Bestreben, instrumentelle Abläufe nicht zu behindern, dokumentiert sich auch wieder in der Art, wie Frau Ayçiçeği mit dem Bedürfnis des Bewohners nach menschlicher Zuwendung umgeht. Als ihr deutlich wird, dass der alte Mann sich „einsam“ fühlt, versorgt Frau Ayçiçeği ihn mit türkischsprachigen Medien. Diese stellen lediglich einen Ersatz für echte Zuwendung dar und erweisen sich auch nicht als hilfreich. Erkennbar wird dies beispielsweise daran, dass der Bewohner nun beginnt, laut um Hilfe zu rufen. Interessant ist hier die Reaktion von Frau Ayçiçeği. Während sie das Verhalten des alten Mannes, „Ausdrücke“ in seiner Muttersprache zu rufen, als “sehr lustig“ eingestuft und gar nicht ernst genommen hatte, sieht sie jetzt offenbar einen Interventionsbedarf. Denn anders als beispielsweise Flüche und unflätige, unmoralische Redeweisen, kann ein Hilferuf auch bei einer als unzurechnungsfähig eingestuften Person nicht so einfach abgetan werden. Vielmehr stellen diese, insbesondere in einer Einrichtung für kranke Menschen, prinzipiell ein Alarmsignal und damit etwas Ernstzunehmendes dar. Frau Ayçiçeği geht der Sache jedoch auch hier wieder nicht durch einen verstehenden Zugang zum Bewohner auf den Grund. Vielmehr bemüht sie sich, die organisationelle Ordnung wieder herzustellen, welche aus ihrer Sicht durch die Hilferufe gestört wird. Auch kann der Hilferuf für die Pflegekraft zur Belastung bzw. „anstrengend“ geworden sein, da er fortgesetzt im Sinne eines falschen Alarms ertönt. Denn sie kann dem alten Mann bei seinem Problem nicht helfen, und es fehlt ihm aus ihrer Perspektive auch nicht wirklich an etwas. Dagegen ist das Rufen nach einer Frau, wie es nun infolge von Frau Ayçiçeğis Intervention geschieht, etwas Amüsantes („sehr lustig“), da dieses in den Bereich der unmoralischen Verhaltensweisen fällt und damit nicht (mehr) ernstgenommen werden muss. Die Kolleginnen von Frau Ayçiçeği erfassen dies, auf der Grundlage eines gemeinsam geteilten impliziten Wissens, offenbar genauso. Denn sie akzeptieren die für Außenstehende undurchsichtige Begründung der türkischen Pflegekraft, wonach es eine Verbesserung der Situation darstellt, wenn der alte Mann auf Deutsch nach einer „Frau“ ruft, als auf Türkisch um „Hilfe“. Zugleich dokumentiert sich in dieser Szene wieder eine Überlappung des professionellen Habitus mit Aspekten der Organisationstypik als einem weiteren konjunktiven Erfahrungsraum. So steht Frau Ayçiçeği als Frau mit türkischem Migrationshintergrund ihren nicht-türkischen Kolleginnen als eine Art Vermittlerin in Bezug auf türkische Bewohnerinnen und Bewohner gegenüber. Diese Rolle erweist sich für die türkische Pflegekraft in der Einrichtung als ambivalent. So hat sie einerseits einen eigenen „Schwerpunkt im Haus“ (Z. 16, Transkript Frau Ayçiçeği), weil anscheinend nur sie mit türkischen Bewohnerinnen und Bewohnern zurechtkommt. Dies könnte ihr zwar ein gewisses Ansehen in der Organisation einbringen. Jedoch wird ihr hiermit andererseits auch eine zusätzliche Aufgabe aufgedrängt, wobei sie nicht nur dolmetschen muss, sondern auch noch die Verantwortung für das weitere
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Verhalten der Betroffenen zu tragen hat. Deutlich wird dies beispielsweise daran, dass man von ihr eine Erklärung erwartet, als der türkische Bewohner weiterhin die organisationelle Ordnung stört („dann gucken alle Mitarbeiterinnen mich an“). Auch kollidiert der professionelle Habitus der Pflegekraft mit ihrer organisationsspezifischen Rolle als Expertin für die Verständigung mit türkischen Migranten. Denn beim Typus A spielen verstehende Handlungslogiken eine untergeordnete Rolle und eine Verständigung mit zu Pflegenden jenseits einer rollenförmigen Begegnungsebene im Versorgungskontext ist tendenziell zum Scheitern verurteilt. Auch vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Frau Ayçiçeği – wie im vorangegangenen Unterkapitel deutlich wurde – entschieden gegen die bloße Vorstellung argumentiert, dass weitere Menschen mit türkischem Migrationshintergrund in der Einrichtung versorgt werden. Typus B: Frau Begonie: „und dann, finde ich, ist es auch schön und dann nutzt es allen was“ Die Basistypik professionellen Handelns, also das Spannungsverhältnis zwischen verstehenden und instrumentellen Handlungslogiken, dokumentiert sich auch in der folgenden Sequenz wieder in der Schwierigkeit, reibungsfreie organisationelle Abläufe und eine fachgerechte Durchführung personenbezogener Aufgaben auf der Ebene des instrumentellen Handelns unter Bedingungen von hoher sozialer Komplexität zu gewährleisten. Komplexität entsteht auch hier wieder durch zeitgleich zu bewältigende sprachliche und/oder krankheitsbedingte (Demenz) Verständigungsschwierigkeiten sowie die Anwesenheit von Angehörigen. Anders als beim Typus A werden Angehörige in diesem Zusammenhang jedoch nicht per se als eine zusätzliche Belastung wahrgenommen. Vielmehr erweisen sie sich auch als eine mögliche Ressource. Dies dokumentiert sich im folgenden Interviewausschnitt. Frau Begonie erinnert sich darin an die Betreuung einer aus Argentinien stammenden Bewohnerin. Bf:
Wir hatten ja mal eine Dame, die ist ja verstorben und das war auch eine ganz liebe, und das ging auch ganz schön lange wirklich richtig gut, als diese Frau noch (.) naja (.) die war da zwar schon sehr dement (.) aber so, dass sie noch, (.) sie konnte noch selbstständig laufen und hat noch ein paar deutsche Worte sprechen können und so weiter. das ist halt immer mehr verloren gegangen (.) die war allerdings jetzt nicht türkisch, sondern die war Argentinierin, also hat spanisch gesprochen (.) aber da hatten wir engen Kontakt zu den Angehörigen und dann ging das. aber als es ihr nachher richtig doll schlecht ging war es nicht mehr ganz so einfach. da haben überwiegend die Angehörigen dann diese engere Betreuung übernommen. sie wurde von uns natürlich gewaschen und so weiter, aber dieses tagtägliche In-Kontakt-treten, das ist dann mehr auf die Angehörigen übergegangen. die hatte dann auch so ein bisschen Ängste entwickelt. also gut, (.)
222 | K ULTURSENSIBLE A LTENHILFE ? Ängste ist ja auch bei dem Krankheitsbild nichts ungewöhnliches, (.) aber das war dann so, dass sie sich immer mehr verloren fühlte und wir konnten das irgendwie nicht auffangen und das war dann gut, dass die Angehörigen da waren. ist ja auch o.k., wenn das dann so läuft. und die hatten auch überhaupt kein schlechtes Gefühl dabei, wir auch nicht. und ich denke, wenn man im Bereich der Demenz Menschen mit Migrationshintergrund betreut und die haben Angehörige, dass man da natürlich viel machen kann, wenn die mit einem zusammenarbeiten. und zwar mit Zusammenarbeiten meine ich eben nicht nur, dass die dann kommen zu den Besuchszeiten, (.) na Besuchszeiten gibt=s ja eh nicht, (.) aber einfach nur kommen, sondern, dass das so ist, als würden sie da auch zu Hause sein, (.) in Anführungszeichen, ne? (.) und dass sie sich da selbst bedienen können, sich Essen und Trinken nehmen können, wie sie es brauchen oder auch das, was sie selber brauchen auch irgendwie nutzen können. und dann, finde ich, ist es auch schön. und dann nutzt es allen was, ne? (Z. 267-290, Transkript Frau Begonie)
Früher gab es einmal eine „ganz liebe“ Bewohnerin, die jetzt „verstorben“ ist, und nicht „türkisch“, sondern „Argentinierin“ und „sehr dement“ war. Hilfreich war in diesem Fall der enge „Kontakt“ zu den „Angehörigen“, da die „Dame“ nur „ein paar deutsche Worte“ sprechen konnte, was mit der Zeit „verloren“ gegangen ist. Dann kam die Phase, wo es ihr „richtig doll schlecht ging“ und von da an haben „überwiegend“ die Angehörigen „diese engere Betreuung übernommen“. Das Waschen „und so weiter“ wurde „natürlich“ noch von den Pflegekräften durchgeführt, aber das „tagtägliche In-Kontakt-treten“ ist völlig auf die Angehörigen „übergegangen“. Dies war insofern „gut“, als dass das Personal die „Ängste“ der Frau, welche bei dem „Krankheitsbild“ nicht ungewöhnlich sind, und das Gefühl von Verlorenheit bei der Frau „irgendwie“ nicht „auffangen“ konnte. Wenn es „so läuft“, ist es „o.k.“, dass die Angehörigen „da“ sind. Auch gab es von keiner Seite ein „schlechtes Gefühl dabei“. Wenn die Angehörigen mit einem „zusammenarbeiten“, kann man im Demenzbereich auch bei Menschen mit Migrationshintergrund „natürlich viel machen“. Mit „Zusammenarbeiten“ ist hier gerade nicht gemeint, dass die Angehörigen „nur“ einfach kommen. Vielmehr sollte es möglichst wie „zu Hause“ zugehen. Dies beinhaltet, dass die Angehörigen „sich da selbst bedienen“, indem sie vom „Essen und Trinken“ so nehmen, wie es situativ gerade passend ist. Und dann „ist es auch schön“ und es „nutzt“ allen Beteiligten. Frau Begonie erklärt, dass man in ihrer Einrichtung auch bei demenziell Erkrankten mit Migrationshintergrund „natürlich viel machen kann“, sofern die Angehörigen mit den Pflegekräften in einer Weise „zusammenarbeiten“, wie Frau Begonie es „schön“ findet. Der Begriff „schön“ verweist hier auf den von Frau Begonie verinnerlichten Versorgungsstil. Hierbei geht es implizit darum, das Spannungsverhältnis zwischen instrumentellen und verstehenden Handlungslogiken auszubalancieren. Dies dokumentiert sich auf der Ebene der Handlungspraxis in der
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Kooperation mit den Angehörigen verbunden mit der Aufweichung starrer Regeln und Organisationsabläufe (Besuchszeiten gibt=s ja eh nicht“, „sich da selbst bedienen … wie sie es brauchen“). Nur wenn es infolge der Neu- und Umstrukturierung der Alltagspraxis „so läuft“, dass Situationen mit hoher sozialer Komplexität entzerrt werden oder gar nicht erst entstehen, ist es für Frau Begonie „schön“. Erreicht wird dies in dem geschilderten Beispiel dadurch, dass die Angehörigen mit dem Fortschreiten der demenziellen Erkrankung der argentinischen Bewohnerin zunehmend die „engere Betreuung“ der alten Frau übernehmen, während die Mitarbeiterinnen weiterhin das Waschen „und so weiter“ durchführen, wobei Letzteres sich auf die Ebene der instrumentellen Handlungsabläufe bezieht, während das „tagtägliche In-Kontakt-treten“ mit der alten Frau einen verstehenden Zugang zu dieser über ihre Angehörigen sichert. Faktisch kommt es zur Entzerrung des Spannungsverhältnisses zwischen instrumentellen und verstehenden Handlungslogiken durch arbeitsteiliges Vorgehen. Ein strukturell äquivalentes Vorgehen findet sich auch bei Herrn Baumgärtner, dessen Pflegedienst sich die häusliche Versorgung einer demenziell erkrankten Frau türkischer Herkunft mit einem „türkischen“ Pflegedienst teilt. Auch hier wird die Beziehungs- und Verstehensarbeit – von Frau Begonie als „engere Betreuung“ bezeichnet – auf einen Kooperationspartner übertragen. In beiden Fällen liegt eine Dienstleistungsorientierung zugrunde, bei der stets Kooperations- und Organisationslösungen angestrebt werden, die den beteiligten Seiten gleichermaßen zum Vorteil gereichen („und dann nutzt es allen was“, Z. 291-292, Transkript Frau Begonie). Homolog dokumentiert sich bei beiden zudem ein unhinterfragt vorausgesetztes Bild von zu Pflegenden, wonach diese unabhängig vom Grad der eigenen Hilfe- und Pflegeabhängigkeit im Alter aufgrund der höheren Selbstbestimmungsmöglichkeiten grundsätzlich eher zu Hause leben möchten. Das Leben in der eigenen Häuslichkeit stellt somit ein verinnerlichtes Leitbild der Pflegekräfte dar, dem es sich, aus der Sicht von Frau Begonie, auch im Bereich der stationären Versorgung so weit wie möglich anzunähern gilt („dass das so ist, als würden sie da auch zu Hause sein“). Gemeinsam liegt hier eine professionelle Haltung zugrunde, die nach einer Balance streben lässt zwischen dem Prinzip der Anerkennung der individuellen Autonomie einer hilfebedürftigen Person und dem Prinzip der Versorgung. Während Herr Baumgärtner diese Balance am besten im Rahmen der ambulanten Versorgungsform realisiert sieht, versucht Frau Begonie, diese auch im Bereich der stationären Versorgung zu erreichen. So zielt ihre Handlungspraxis darauf ab, im Zuge der Lockerung starrer Arbeits- und Organisationsstrukturen Freiräume im stationären Wohnbereich anzubieten, welche die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen „irgendwie“ – je nach individueller Bedürfnislage – „nutzen können“. Als funktional erweist sich in diesem Zusammenhang die Spezialisierung von Frau Begonies Wohnbereich auf das Krankheitsbild Demenz. Denn im fortgeschrittenen Krankheitsstadium geht die Fähigkeit der Betroffenen immer mehr „verloren“,
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organisationelle und soziale Regeln einzuhalten. Eine Spezialisierung auf Menschen mit diesem Krankheitsbild bietet somit eine fachliche Legitimation für die Flexibilisierung von Versorgungsstrukturen und -routinen zur stärkeren Ausrichtung des stationären Alltags auf individuell und situativ unterschiedliche Bedürfnisse der Betroffenen („da haben wir es natürlich einfacher, weil das wird ja ausdrücklich gewünscht und gefördert bei der Versorgung mit demenzkranken Menschen“, Z. 896f., Transkript Frau Begonie). Wie Frau Begonie im Interview jedoch auch immer wieder deutlich macht, bleiben die Möglichkeiten für selbstbestimmtes Handeln im stationären Bereich allein schon deshalb hinter denen der ambulanten Versorgung zurück, weil das Leben in einer „Institution“ immer auch ein Leben in „Gemeinschaft“ ist, wo „man auch gucken“ muss, „wie passt das oder wie können wir das entzerren, dass das jetzt nicht unangenehm ist für beide Seiten“ (Z. 577579, Transkript Frau Begonie).
9.3 Z USCHREIBEN , DEUTEN , VERSTEHEN : HABITUELLE Z UGÄNGE ZUM F REMDVERSTEHEN Typus B: Frau Begonie: „was ist, äh, wichtig bei euch und was können wir da leisten“ Die Suche nach Antworten auf die Fragen, „was“ zu Pflegende „wollen“ und „wie“ professionelle Versorgung dem gerecht werden kann, ist charakteristisch für den habitualisierten Versorgungsstil von Frau Begonie und Herrn Baumgärtner. Hierbei wurde das Prinzip der Dienstleistung am Individuum verinnerlicht bzw. das der Balance zwischen der Anerkennung der individuellen Autonomie einer hilfebedürftigen Person und dem Prinzip der Versorgung. Entsprechend dieses Orientierungsrahmens gestaltet sich auch der Zugang zum Fremdverstehen dieses Versorgungsmilieus. Wie im Abschnitt über Herrn Baumgärtner bereits herausgearbeitet wurde, zeichnet sich dieser – in Abgrenzung zum Versorgungsmilieu Typus A – durch die Akzeptanz eines fremden Normalitätshorizonts aus. Handlungspraktisch vollzieht sich das Fremdverstehen im Modus der Deutung des Gegenübers. Hierbei werden insbesondere immanente Sinngehalte adäquat erfasst, wie beispielsweise der verbale oder nonverbale Ausdruck von Ablehnung einer Pflegehandlung oder einer bestimmten Pflegekraft. Problematisch ist es bei diesem Zugang jedoch, das eigene Relevanzsystem von dem des Gegenübers zu unterscheiden. Letztendlich bleiben somit immer Zweifel darüber bestehen, ob die Deutungen des anderen tatsächlich dessen Orientierungssystem entsprechen oder ob hier Zuschreibungen auf der Grundlage des eigenen Relevanzsystems erfolgen. Diese Problematik taucht auch bei Frau Begonie auf, deren Modus des Fremdverstehens sich in homologer Weise
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zu dem von Herrn Baumgärtner dokumentiert. Exemplarisch wird dies anhand der folgenden Sequenz aufgezeigt. In diesem Interviewabschnitt beschreibt die Fachpflegekraft, wie sie im Rahmen ihrer Alltagspraxis einen verstehenden Zugang zu Menschen mit dem Krankheitsbild Demenz sucht und warum dieses Vorgehen, aus ihrer Sicht, bei Menschen mit Migrationshintergrund schwieriger ist. Bf:
Also da musst du einen engen Kontakt haben, zu Angehörigen, die dir da auch helfen, ne? weil sonst ist es ja auch ganz schwierig überhaupt zu ertasten (.) was möchte derjenige? also, das geht dann ja nur noch sowieso auf nonverbaler Ebene (.) und selbst dann kann es auch noch nicht hinhauen, weil so interpretiert man ja, also, aus unserem Wissen, immer viel da rein und kann vielleicht dadurch demjenigen helfen, wenn man Glück hat, dass man so mit dem auf einer Ebene ist. aber eben bei Menschen, die eben jetzt ein anderes Verständnis haben oder die befinden sich jetzt in ihrer Jugendzeit, (.) weiß ich was, wo sie herkommen (.) und haben da ganz andere Erlebnisse gehabt und=nen ganz anderen Familienhintergrund, den wir jetzt gar nicht so kennen. und dann kann man sich auch ganz schlecht, (.) dann kann man da ganz schlecht gucken, (.) was will der jetzt oder was ist jetzt gerade für den wichtig in dem Moment jetzt (.) also so, (.) das ist mir so aufgefallen, ne? das ist vielleicht bei unseren Bewohnern mit deutscher Herkunft, wo man irgendwie so, (.) darin wurden wir ja auch geschult, also so ein bisschen geschichtlich geschult auch, (.) also zum Beispiel, was war neunzehnhundertdreißig und so weiter (.) dass man irgendwie sich vorstellen kann, (.) na gut, (.) auf was für einer Ebene befinden sich die jetzt gerade. wie kann ich die erreichen, ne? und da fehlt uns einfach ein bisschen Wissen, ne? Kulturwissen und Geschichtswissen und so weiter und so, um das auch wirklich so zu erfühlen, ne? (Z. 249-266, Transkript Frau Begonie)
Prinzipiell ist es schwierig zu „ertasten“, was ein demenziell erkrankter Mensch „möchte“ und was für diesen „gerade wichtig“ ist, zumal die Kommunikation mit Demenzkranken irgendwann nur noch „auf nonverbaler Ebene“ funktioniert. Im Fall von Bewohnern nicht-deutscher Herkunft ist es daher notwendig, „einen engen Kontakt zu den Angehörigen“ zu haben. Allerdings kann die Verständigung auch dann „noch nicht hinhauen“, weil „man“, von „unserem Wissen“ ausgehend, „immer viel“ in die Betroffenen hinein „interpretiert“. Es ist somit Glückssache, ob es gelingt, dass „man“ mit dem Gegenüber „auf einer Ebene ist“ und diesem hierdurch „vielleicht“ auch „helfen“ kann. Bei Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft „ganz andere Erlebnisse“ und einen „ganz anderen Familienhintergrund“ gehabt haben, ist es besonders schwierig herauszufinden, was diese gerade wollen und was diesen wichtig ist. Denn hier sind die Pflegekräfte mit einem anderen „Verständnis“ konfrontiert und einem fremden Erfahrungshintergrund beispielsweise aus der „Jugendzeit“ der Betroffenen, welche die Pflegenden „gar nicht so kennen“. Zwar wurde im Rahmen der Weiterbildung auch „so ein bisschen geschichtlich geschult“,
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weshalb „man“ sich „irgendwie“ etwas darunter „vorstellen“ kann, auf was für einer „Ebene“ sich ein Bewohner „mit deutscher Herkunft“ gerade befindet. Jedoch fehlt es an Kultur- wie auch an Geschichtswissen „und so weiter“, um auch bei Pflegebedürftigen nicht-deutscher Herkunft zu „erfühlen“, was diese gerade wollen bzw. was diesen „wichtig in dem Moment“ ist. Frau Begonie beschreibt den Vorgang des Fremdverstehens als einen sich schrittweise vollziehenden Deutungsprozess, bei dem sich die Pflegekraft nicht allein auf das verlassen kann, was sie offenkundig an ihrem Gegenüber wahrnimmt. Vielmehr muss sie im übertragenen Sinne „ertasten“ und „erfühlen“, was eine demenziell erkrankte Person möchte und was dieser gerade wichtig ist. Hierbei betont Frau Begonie einerseits die Notwendigkeit, als Pflegekraft über Hintergrundwissen als Interpretationsgrundlage zu verfügen bezüglich der Biografien der Betroffenen („geschichtlich geschult auch“). Andererseits problematisiert sie, dass „man“ aber auch „viel“ in das jeweilige Gegenüber hinein „interpretiert“, selbst dann, wenn man einen engen Kontakt zu den Angehörigen pflegt und hierdurch viele Informationen aus dem Leben der Betroffenen erhält. Anders als bei den Pflegekräften des Versorgungsmilieus Typus C dokumentiert sich bei Frau Begonie kein professioneller Zugang zum konjunktiven Erfahrungsraum von zu Pflegenden. Zwar kommt es vor, dass auch sie ihrem Gegenüber „vielleicht“ einmal dadurch helfen kann, dass sie sich mit diesem auf einer gemeinsamen „Ebene“ befindet, was ein unmittelbares Verstehen aufgrund konjunktiver Übereinstimmungen ermöglicht. Jedoch vollzieht sich der Weg dorthin eher zufällig („wenn man Glück hat“). Dagegen findet die gezielte Suche nach konjunktiver Übereinstimmung wie beim Typus C hier nicht statt. Vielmehr neigt Frau Begonie habituell dazu, sich vor allem mittels ihres kommunikativ-generalisierten Wissens den Betroffenen anzunähern, indem sie dieses als Interpretationsfolie an das situativ zu deutende Verhalten ihres Gegenübers anlegt („was war neunzehnhundertdreißig“). Zwar weiß Frau Begonie aufgrund ihrer Berufserfahrung auch um die Unsicherheit dieses Verfahrens („selbst dann kann es auch noch nicht hinhauen“). Jedoch fehlt ihr der für das Versorgungsmilieu Typus C eigentümliche Aspekt der unmittelbaren Verständigung aufgrund einer gezielten Suche nach gemeinsam geteilten konjunktiven Erfahrungsräumen, welche beim Typus C gleichberechtigt neben der Anwendung des Erklärungs- und Deutungswissens Anwendung findet. Dagegen strebt Frau Begonie habituell nach Handlungssicherheit, indem sie sich zum einen auf ihr kommunikativ-generalisiertes Deutungswissen in Bezug auf die Betroffenen stützt („Kulturwissen“, „Geschichtswissen“), wobei sie aufgrund ihrer Berufserfahrung implizit weiß, dass auch gemeinsame geteilte Erfahrungen („Erlebnisse“) eine Bedeutung für die Verständigung haben. Dieses implizite Wissen kann sie jedoch nicht so gezielt und systematisch nutzten, wie dies beim Versorgungsmilieu des Typus C der Fall ist. Habituell setzt Frau Begonie dafür zum anderen stärker auf Kooperations- und Vernetzungsarbeit als dies bei den anderen Versorgungsmilieus der Fall ist. So
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versucht sie ihre Deutungen in Bezug auf die Betroffenen im professionellen Team und durch Gespräche mit Angehörigen zu validieren. Exemplarisch wird dies anhand der folgenden Sequenz deutlich. Bf:
Wir haben ja immer Bewohnerbesprechung mit dem ganzen Team, also Sozialarbeiter und Heimleiter sind meist auch dabei, um einen Einblick zu kriegen, was ist da eigentlich Sache bei uns? und der Arzt eben auch. und dass wir dann gemeinsam eben überlegen, da hat jemand ein Problem (.) hat er ein Problem oder haben wir ein Problem? das ist ja auch immer so die Frage, ne? ähm, was könne wir da tun? dass nie eine Meinung zählt (.) und wir überlegen, was ist der nächste Schritt? und der nächste Schritt ist auch nie der endgültige Schritt, sondern das ist ein Versuch. und wenn er für beide Seiten gut funktioniert, dann können wir ihn weitermachen und wenn nicht, dann müssen wir eben nochmal zusammenkommen. (Z. 691-699, Transkript Frau Begonie)
Es findet regelmäßig eine „Bewohnerbesprechung“ statt, an der auch Sozialarbeiter, Heimleiter und Arzt beteiligt sind. Hierbei wird „gemeinsam“ überlegt, wie die Äußerungen eines Bewohners zu interpretieren sind: „hat er ein Problem oder haben wir ein Problem?“. Es „zählt“ dabei „nie“ nur „eine Meinung“. Vielmehr wird gemeinsam eine Arbeitshypothese gebildet und hieraus eine vorläufige Handlungsstrategie abgeleitet („was ist der nächste Schritt“) und wenn dies „für beide Seiten“ dann „gut funktioniert“, kann es so weiterlaufen. Andernfalls muss das Team wieder zusammenkommen. Auch hier dokumentiert sich wieder die Praxis des prozesshaften Deutens und Handelns („was ist der nächste Schritt“). Anders als beispielsweise Frau Cicek, die gezielt auch über gemeinsames Erleben mit den Betroffenen einen Zugang zu deren Erfahrungsraum sucht („die Dame hat ja Demenz, da muss man mit ihr selbst erleben, Z. 688, Transkript Frau Cicek), verschafft sich Frau Begonie Handlungssicherheit im Umgang mit den Betroffenen vor allem über den kommunikativen Austausch im professionellen Team („gemeinsam dann eben überlegen“, „nie eine Meinung zählt“). Hierbei werden verschiedene ‚Lesarten‘ des Verhaltens der Betroffenen oder eines speziellen Problems gegeneinander gehalten („hat er ein Problem oder haben wir ein Problem?“) und eine vorläufige Handlungsstrategie festgelegt. Ähnlich wie bei Herrn Baumgärtner, dokumentiert sich hier die Bereitschaft, einen fremden Normalitätshorizont zu akzeptieren. Unklar bleibt jedoch auch hier wieder, inwiefern ‚das Fremde‘ nicht bloß eine Projektion des eigenen, unhinterfragten Orientierungsrahmens ist, im Sinne einer Zuschreibung. Denn es findet in der Regel kein unmittelbares Verstehen des anderen statt, sondern dessen Deutung auf der Grundlage verschiedener ‚Interpretationsfolien‘. Im Team findet ein kommunikativer Austausch darüber statt, wie der oder die Betroffene bzw. das entsprechende Problem am besten zu interpretieren ist, so dass es „für beide Seiten gut
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funktioniert“. Dabei ist sich das Team der Vagheit seiner Vorgehensweise durchaus bewusst. Aus diesem Grund besteht eine hohe Bereitschaft, die eigenen Deutungen – gemäß dem Prinzip von Versuch und Irrtum – immer wieder auch zu hinterfragen und zu revidieren, sodass verschiedene Handlungsalternativen im Umgang mit den Betroffenen ausprobiert werden können. Entscheidend ist allein, dass es am Ende „für beide Seiten gut funktioniert“. Typus A: Frau Ayçiçeği: „dann kommt zwischen uns Probleme, Sprachprobleme“ Für Frau Ayçiçeği steht eine völlig andere Leitfrage im Vordergrund als für Frau Begonie, wenn es um die gesundheitlich-pflegerische Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner geht. Während Letztere regelmäßig darum bemüht ist, herauszufinden, was zu Pflegende vor dem Hintergrund der strukturellen Zwänge im Versorgungsgeschehen selbst wollen, orientiert sich Frau Ayçiçeğis Arbeitshaltung implizit an der Frage, was in Bezug auf die Bewohnerinnen und Bewohner zu tun ist. Diese professionelle Haltung teilt Frau Ayçiçeği mit der Gruppe Alpenveilchen. Wie bereits in den vorangegangenen Unterkapiteln herausgearbeitet wurde, zielt die hierbei zugrunde liegende professionelle Haltung, das Primat der instrumentellen Expertise, nicht auf gegenseitige Verständigung ab. Vielmehr geht es darum, auch jenseits aller Verständigungsmöglichkeiten, instrumentelles Handeln und instrumentelle Abläufe sicherzustellen. Dies dokumentiert sich homolog auch in der folgenden Sequenz, obwohl Frau Ayçiçeği sich hier – auf der Ebene des immanenten Sinngehaltes – sogar einen privilegierten Zugang zum Verstehen der Bewohnerin zuschreibt. Af: Und dann bin ich zum Dolmetschen nach unten gekommen. und dann zwischen Schwester und ihr kam kein Kontakt, weil sie erzählt, dass sie dolle Schmerzen hat und die Schwester sagte, die ist aus dem Krankenhaus gekommen, sie hat keine Unterlagen, sie kann nicht Schmerzmittel geben. aber die schreit schon, aber der Fehler von der Schwester. sie hätte den Arzt anrufen können und dann fragen, und dann Zustand erzählen, dass der Arzt am Telefon irgendwie Schmerztabletten anordnen könnte (.) es gibt manche Schmerztabletten, die können von uns als Fachkraft gegeben werden. dann ich war da sauer gewesen (.) irgendwie, (.) ich weiß es nicht, (.) ich wollte diese Bewohner unterstützen (.) das ist meine Gesellschaft, aber ich unterstütze den deutschen Bewohner auch. aber, (.) wie kann ich das erzählen, (.) zwischen Kultursache, (.) bei uns ist- (.) wir müssen dann mit alten Menschen immer Distanz als jüngere Leute zeigen. alte Leute müssen wir so akzeptieren, wie die sind (.) die haben immer Recht. die sind so groß geworden (.) und deswegen weiß ich, (.) diese Frau ist anstrengend für den deutschen Mitarbeiter, (.) aber für mich ist nichts, weil ich weiß, in meiner Gesellschaft. und deswegen, meine Reaktion war ganz ruhig, von anderen Kollegen war aggressiv
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gewesen (.) ja, und da hab ich sie an die Seite genommen, ich hab gesagt, bleib ganz ruhig, ich kümmer=mich diese Bewohnerin. ich hab dann den Doktor angerufen, Schmerzmittel gegeben und dann hab ich mit ihr unterhalten (.) dann kommt zwischen uns Probleme, Sprachprobleme (.) sie versteht Türkisch nicht, ich versteh Kurdisch nicht (.) // Y: ah, mhm // aber ich hab=s geklärt. dann hab ich meine kurdische Freundin angerufen und dann hab ich mit telefonisch, (.) sie ist halt meine Freundin (.) und sie spricht mit diese Frau. und dann klappt irgendwie der Kontakt zwischen uns (.) aber davon haben wir dann immer Unterstützung vom Haus bekommen. man kann alle Ideen sagen, dann kriegt man immer Unterstützung vom Haus. das gefällt mir deswegen, dieses Haus. (Z. 129-169, Transkript Frau Ayçiçeği)
Frau Ayçiçeği wird „zum Dolmetschen“ gerufen, weil zwischen der Schwester auf der unteren Etage und einer Bewohnerin „kein Kontakt“ zustande kommt. Die Schwester sagt, dass sie keine „Unterlagen“ über die Bewohnerin hat und deshalb kein Schmerzmittel verabreichen kann, obwohl die alte Frau schon „schreit“, weil sie „dolle Schmerzen“ hat. Die Schwester hat aber einen „Fehler“ gemacht, weshalb Frau Ayçiçeği „sauer“ ist. Die Pflegekraft hätte sich telefonisch eine ärztliche Anordnung für Schmerzmedikamente einholen und diese „als Fachkraft“ der Patientin geben können. Frau Ayçiçeği „weiß“ aber auch, dass die alte Frau für die deutsche Mitarbeiterin aufgrund unterschiedlicher kultureller Hintergründe „anstrengend“ ist, und übernimmt den Fall, wobei sie ebenso deutsche Bewohner unterstützt hätte. Während die deutsche Kollegin im Umgang mit der Bewohnerin „aggressiv“ geworden ist, bleibt Frau Ayçiçeği „ganz ruhig“. Denn sie weiß, wie die „alten Menschen“ aus ihrer „Gesellschaft“ so sind. Diese haben „immer Recht“. Das ist zu „akzeptieren“. Nachdem Frau Ayçiçeği mit dem Arzt telefoniert und ein Schmerzmittel verabreicht hat, treten „Sprachprobleme“ auf. Frau Ayçiçeği kann sich nicht mit der Bewohnerin „unterhalten“. Denn diese versteht kein Türkisch und Frau Ayçiçeği kein Kurdisch. Frau Ayçiçeği findet jedoch eine Lösung für die sprachliche Verständigung, indem sie sich telefonisch Hilfe bei einer Kurdisch sprechenden Freundin holt. Für ein derartiges Vorgehen erhält „man“ in der Einrichtung „immer Unterstützung“, was Frau Ayçiçeği gut „gefällt“. In ihrer Erzählung präsentiert Frau Ayçiçeği sich selbst als eine Fachkraft, die im Umgang mit alten Menschen, unabhängig von deren Herkunft („ich unterstützte den deutschen Bewohner auch“), „ganz ruhig“ bleiben und besonnen handeln kann, während ihre deutsche Kollegin als „aggressiv“ und überfordert („diese Frau ist anstrengend für den deutschen Mitarbeiter, aber für mich ist nichts“) dargestellt wird. Die von ihr hervorgehobenen Unterschiede erklärt Frau Ayçiçeği eigentheoretisch als kulturelle Differenzen („zwischen Kultursache“). Dieser Eigentheorie zufolge „weiß“ nur Frau Ayçiçeği über die „alten Menschen“ aus ihrer „Gesellschaft“ Bescheid. So hätten diese beispielsweise verinnerlicht, selbst „immer
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Recht“ zu haben („die sind so groß geworden“), womit sich jegliche Diskussion mit ihnen erübrigt („alte Leute müssen wir so akzeptieren, wie die sind“). In dieser Haltung ist impliziert, dass alte Menschen unfähig sind, eigene Fehler einzusehen („die haben immer Recht“). Es dokumentiert sich hier eine Homologie zwischen dem habitualisierten ‚Blick‘ auf alte Menschen und dem auf Kranke, wie bereits im vorangegangen Unterkapitel am Beispiel der Episode mit dem alten türkischen Mann, den Frau Ayçiçeği als „Onkel“ und „sehr lustig“ bezeichnet, herausgearbeitet wurde. Insofern kann hier als zugrunde liegendem Altersbild auch von einer Pathologisierung des Alters bei Pflegebedürftigkeit gesprochen werden. Ähnlich wie bei psychisch Kranken ist dem alten Menschen generalisierend die Selbstverantwortung entzogen. Sein Verhalten wird nicht (mehr) in moralischen Kategorien bewertet und braucht in diesem Sinne auch nicht (mehr) ernstgenommen zu werden. Dieselbe zugrunde liegende Haltung findet sich auch in den übrigen Episoden, in denen Frau Ayçiçeği über ihren Umgang mit Bewohnerinnen und Bewohnern der Einrichtung erzählt, und zwar unabhängig davon, ob es sich hierbei um deutsche oder nicht-deutsche Personen handelt. Deutlich wird dies beispielsweise an der folgenden Sequenz: Af: Egal, ob sie mir den Waschlappen hinter meinen Rücken wirft, nehme ich den Waschlappen, und hab ich gesagt hier, bitte schön, kannst du noch mal machen. den nächsten macht sie nicht. (Z.1073-1075 Transkript Frau Ayçiçeği)
Frau Ayçiçeği schildert hier ihren Umgang mit einer deutschen Bewohnerin, die unter der Mitarbeiterschaft als besonders ‚schwierig‘ gilt. Es dokumentiert sich wieder Frau Ayçiçeğis Praxis des Nicht-ernst-Nehmens alter Menschen aufgrund einer Aberkennung von Selbstverantwortung. So zeigt sie sich von dem unflätigen Verhalten der alten Frau, welche mit einem Waschlappen nach ihr wirft, wenig beeindruckt. Als die Bewohnerin schließlich aufgibt, deutet Frau Ayçiçeği dies als Beleg dafür, dass sie besser mit der alten Frau zurechtkommt als ihre Kolleginnen („ob Türke, Deutscher, egal. sie hat nur Probleme gehabt. bis ich komme.“ Z. 1003). Die Selbstpräsentation der türkischen Pflegekraft changiert also je nach Bewohnergruppe zwischen kulturalisierenden („weil meine Kultur ist ganz anders“ Z. 242) und individualisierenden („ich bin so eine Kämpferin“, Z. 1073) Erklärungsmustern. Jenseits der eigentheoretischen Erklärungen von Frau Ayçiçeği dokumentiert sich in ihrer Handlungspraxis des Nicht-ernst-Nehmens jedoch stets ein generalisierender, stereotypisierender ‚Blick‘ auf das Gegenüber und damit das Fehlen eines Zugangs zum Fremdverstehen. Dies stellt eine Homologie zum Habitus der Gruppe Alpenveilchen dar.
9 S TATIONÄRE V ERSORGUNG
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Der gemeinsame Orientierungsrahmen des Versorgungsmilieus Typus A, das Primat der instrumentellen Expertise, dokumentiert sich auch wieder in der Art und Weise, wie Frau Ayçiçeği mit der Dolmetschsituation auf der unteren Wohnetage umgeht. So versucht die türkische Pflegefachkraft es zu Beginn der Begegnung mit der alten Frau erst gar nicht, sich mit dieser zu verständigen, obwohl sie gerade hierfür von ihrer deutschen Kollegin hinzugezogen worden war („bin ich zum Dolmetschen nach unten gekommen“). Dagegen erfasst Frau Ayçiçeği die Situation primär im Hinblick darauf, was in instrumenteller Hinsicht zu tun ist. Aus dieser Wahrnehmung heraus stellt sie einen „Fehler“ der zuständigen Pflegekraft fest. Diese hätte „den Arzt anrufen“ und sich eine Anordnung für ein „Schmerzmittel“ einholen können, welches eigenverantwortlich von einer „Fachkraft“ verabreicht werden darf, anstatt mit der Patientin um Verständigung zu ringen. Frau Ayçiçeği übernimmt den Fall mit der Begründung, die Bewohnerin „unterstützen“ zu wollen, weil sie diese zu ihrer „Gesellschaft“ zählt. Zugleich möchte sie offenbar ihre Kollegin entlasten, für die die neue Bewohnerin „anstrengend“ ist, während dies für sie selbst nicht gilt („für mich ist nichts“). Ob Frau Ayçiçeği an diesem Punkt bereits klar ist, dass sie sich sprachlich ebenso wenig mit der Bewohnerin verständigen kann, wie ihre deutsche Kollegin, geht aus ihrer Erzählung nicht hervor. Deutlich wird nur, dass dies primär gar keine Rolle für Frau Ayçiçeği spielt. Denn sie konzentriert sich – gemäß ihres Relevanzsystems, das habituell dem Primat der instrumentellen Expertise folgt – erst einmal ausschließlich auf instrumentelle Aspekte der Situation. So ruft sie den Arzt an, besorgt ein Schmerzmittel und verabreicht der Bewohnerin eine entsprechende Dosis. Erst jetzt lässt sie sich auch auf einen Verständigungsversuch mit der alten Frau ein, und erst jetzt kommen „Sprachprobleme“ zum Tragen. Zur Lösung dieser Probleme greift die Pflegekraft auf dieselbe Strategie zurück, wie ihre deutsche Kollegin. Sie zieht eine kurdisch sprechende Freundin als Dolmetscherin hinzu, um Verständigung („Kontakt“) zwischen ihr und der Bewohnerin zu ermöglichen. Insgesamt erzählt Frau Ayçiçeği in ihrem Interview drei Episoden, in denen sie von einer Kollegin zum Dolmetschen konsultiert wird. Gemeinsam ist allen drei Sequenzen, dass Frau Ayçiçeği darin kaum als Sprachmittlerin fungiert. Vielmehr übernimmt die türkische Pflegekraft jedes Mal vor allem die instrumentelle Seite der Versorgungssituation mit der Begründung, dass der Umgang mit der jeweiligen Bewohnerin „anstrengend“ für ihre deutsche Kollegin sei. Tatsächlich ist die Situation auf diese Weise aber auch weniger „anstrengend“ für sie selbst. Denn, indem die Kollegin ihr den Fall überlässt, hat Frau Ayçiçeği freie Hand, um gemäß ihres habituellen Versorgungsstils vorzugehen. Auf diese relative Freiheit bezieht sie sich, wenn sie zum Abschluss der oben aufgeführten Dolmetschsituation erklärt, dass ihr die Arbeit in der Einrichtung gut „gefällt“, weil man hier „immer Unterstützung vom Haus“ hat, wenn man eigene „Ideen“ zur Problemlösung einbringt. Es dokumentiert sich hier, dass versorgungsmilieubezogene Orientierungen auf der
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Ebene der Organisation in einer jeweils organisationsspezifischen Weise zum Ausdruck kommen. Jedoch bleibt der habitualisierte Handlungsstil eines Versorgungsmilieus innerhalb der Organisation stabil, wodurch Unterschiede in den Orientierungen von Frau Ayçiçeği und Frau Begonie einerseits und organisationsübergreifende Gemeinsamkeiten mit Vertretern des jeweils eigenen Versorgungsmilieus – hier repräsentiert durch die Gruppe Alpenveilchen und Herrn Baumgärtner – andererseits zu erklären sind.
10 Offene Altenhilfe
10.1 M IGRATION UND V ERSORGUNG : R AHMUNGEN DES T HEMAS Typus B: Frau Blume: „wir haben hier einen Arbeitsbereich, da können wir viel Neues dazu lernen“ Frau Blume ist Sozialarbeiterin. Seit über zehn Jahren arbeitet sie für einen gemeinnützigen Träger, der auch soziale Beratung anbietet. Ihre Beratungsstelle ist in ein Nachbarschaftszentrum integriert und hat sich auf die Bearbeitung von Fragen rund um Pflegebedürftigkeit im Alter spezialisiert. Das Zentrum ist in einem dicht besiedelten Innenstadtbezirk situiert, in dem ein überdurchschnittlich hoher Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund lebt. Zum Zeitpunkt des Interviews befindet sich die Beratungseinrichtung in einer Umbruchphase. In den kommenden Monaten soll diese in einen Pflegestützpunkt umgewandelt werden. In der Eingangsphase des Interviews verwendet die Sozialarbeiterin viel Zeit darauf, ausführlich die Entwicklung ihrer Einrichtung in Bezug auf das Themengebiet „interkulturelle Öffnung“ und Beratung im Migrationskontext zu schildern. Hierbei weist sie auch anhand von einrichtungsinternen Statistiken auf Erfolge in Bezug auf die Verbesserung der Zugänglichkeit der Beratungsstelle für Menschen mit Migrationshintergrund hin. Ebenso bringt sie ihre Befürchtungen und Hoffnungen bezüglich der anstehenden Umstrukturierung in einen Pflegestützpunkt zum Ausdruck. Bereits in der Eingangssequenz zeichnet sich ab, dass das Thema Versorgung alter Migranten für Frau Blume positiv besetzt ist im Sinne einer professionellen Herausforderung, an der eine Fachkraft wachsen und ihre Handlungsfähigkeit erweitern kann. Etwas pointierter äußert Frau Blume ihre Orientierungen zu diesem Thema noch einmal zu einem späteren Zeitpunkt im Interview. Aus dieser Passage stammt die folgende Sequenz. Blf: Wir haben hier einen Arbeitsbereich, da können wir viel Neues dazulernen. Dinge, die wir vielleicht vorher nicht gewusst haben oder wo vielleicht auch mal so- (.) mag auch bei der einen oder anderen auch Berührungsängste auch da gewesen sein, (.) aber dann
234 | K ULTURSENSIBLE A LTENHILFE ? zu entdecken, aha, muss ich gar nicht haben, durch mehr Lernen bekomm ich Selbstsicherheit in der Arbeit (.) und ja, ich denke Neugier ist ganz wichtig in dem Punkt (.) und eine Arbeitsfähigkeit haben zu wollen. also wenn sich vermittelt, dass andere Beratungsstellen Probleme haben, sagen zu wollen, gut, wir möchten etwas tun, um diese Probleme in unserer Arbeit nicht zu haben, sondern möchten gern eine Lösung finden, weil dann steigt auch unsere Arbeitszufriedenheit mit uns und auch die Klienten sind mit uns zufriedener. also so ein Dienstleistungsgedanke auch, wir möchten gerne zufriedene Kunden haben und Klienten und möchten mit unserer Arbeit auch zufrieden sein und auch eine Ergebnisqualität haben für uns. (Z. 400-412, Transkript Frau Blume)
Beratung im Migrationskontext ist ein „Arbeitsbereich“, in dem „viel Neues“ gelernt und vorher nicht gekannte „Dinge“ entdeckt werden können. Anfängliche „Berührungsängste“ sind „durch mehr Lernen“ zu überwinden, wodurch sich allmählich eine neue „Selbstsicherheit in der Arbeit“ entwickelt. Entscheidend für diesen Prozess sind „Neugier“ und der Wille, „Arbeitsfähigkeit“ erzielen zu wollen. Hierbei geht es um Offenheit gepaart mit der inneren Bereitschaft, alles dafür tun zu „wollen“, dass man bestimmte Probleme „nicht“ hat, die in anderen Beratungsstellen bei der Beratung von Migranten auftreten. In dieser Haltung steckt ein „Dienstleistungsgedanke“, weil hierdurch sowohl die eigene Arbeitszufriedenheit steigt als auch die Zufriedenheit der Kunden bzw. Klienten. Frau Blume bringt in dieser Sequenz ihre Dienstleistungsorientierung explizit zum Ausdruck („so ein Dienstleistungsgedanke auch“). Weitere Komponenten ihrer professionellen Haltung, die sich hier ebenfalls dokumentieren, sind, das Bestreben nach Interessensausgleich („wir möchten gerne zufriedene Kunden haben … und möchten mit unserer Arbeit auch zufrieden sein“), eine hohe Lern- und Veränderungsbereitschaft („durch mehr Lernen bekomme ich Selbstsicherheit“) sowie das Prinzip der Anerkennung eines fremden Normalitätshorizontes („Dinge, die wir vielleicht vorher nicht gewusst haben“). Dieselben Orientierungskomponenten liegen auch den Handlungspraktiken von Herrn Baumgärtner und Frau Begonie zugrunde (vgl. 3.1.2 und 3.1.3). Eine weitere Gemeinsamkeit der drei Fälle besteht in einer impliziten Abgrenzung gegenüber solchen Handlungspraktiken und Orientierungen, die in dieser Arbeit als typisch für das Versorgungsmilieu Typus A rekonstruiert wurden. Insofern stellt der Versorgungsstil des Typus A für das Versorgungsmilieu Typus B einen negativen Gegenhorizont zur eigenen professionellen Praxis dar. Deutlich wird diese implizite Form der Distinktion beispielsweise anhand der folgenden Sequenz, in der Frau Blume erzählt, wie sie einmal für einen Ratsuchenden polnischer Herkunft tätig werden musste. Blf: Und dann bekam ich einen empörten Anruf vom Krankenhaus. da rief er mich aus dem Krankenhaus an. meinte, (.) Frau Blume, die haben mir jetzt hier einfach einen polni-
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schen Pflegedienst aufgedrückt, wissen sie, (.) aber ich hab doch meinen deutschen Pflegedienst. ich will den auch weiter haben, ich weiß gar nicht, warum die das gemacht haben (.) und daraufhin war dann mein Auftrag (.) auf seinen Wunsch hin eben, (.) Kontakt mit dem Sozialdienst aufzunehmen, denen mitzuteilen, (.) nein, der Herr ist schon längst versorgt. durch irgendein Missverständnis hat sich das nicht vermittelt und er möchte auch ausdrücklich nicht einen andern Pflegedienst haben (.) also da hab ich mich dann sehr amüsiert, weil da offensichtlich diese Schublade sofort dazu geführt hat, (.) aha, Migration (.) jetzt suchen wir mal einen passenden Pflegedienst und wir sind jetzt gut kulturell arbeitend und interkulturell und wie auch immer (.) und das hat zu großer Verärgerung beigetragen (.) und die waren natürlich dann auch irritiert, insofern als die enttäuscht waren, weil sie nun dachten, sie sorgen so gut für den Patienten und bewirken eigentlich nur Verärgerung bei ihm und fühlen sich auch wieder ungerecht behandelt (.) und wir wollten doch aber nur das Beste für ihn und wir dachten doch, und er kommt doch aus Polen, und dann dachten wir, Mensch, polnische Mitarbeiter (.) und ich sagte, (.) na ja, der Herr spricht doch aber fließend Deutsch (.) (Z. 492-510, Transkript Frau Blume)
Einem aus Polen stammenden Patienten, der „fließend Deutsch“ spricht und bereits einen „deutschen Pflegedienst“ nutzt, wird durch den Sozialdienst eines Krankenhauses ein polnischer Pflegedienst „aufgedrückt“. Auf den ausdrücklichen „Wunsch“ des Patienten soll dies wieder rückgängig gemacht werden, was beim Sozialdienst des Krankenhauses „zu großer Verärgerung“ und Enttäuschung beiträgt. Denn dort hat man „nur das Beste“ gewollt und auch gedacht, seine Sache besonders „gut“ zu machen, indem man „kulturell arbeitend“ vorgeht oder „interkulturell“ oder „wie auch immer“. Es ist jedoch „offensichtlich“, dass hier beim Stichwort „Migration“ gleich „diese Schublade“ aufgeht und entsprechend gehandelt wird, was beim Patienten „nur Verärgerung“ hervorgerufen hat und was man als Außenstehende „sehr amüsiert“ beobachten kann. Frau Blume präsentiert die Episode mit dem polnischen Patienten aus einer belehrenden Position des Besserwissens heraus. Hierauf verweist die Pointe der Erzählung, wonach Frau Blume den Mitarbeitern des Krankenhaussozialdienstes „sehr amüsiert“ entgegenhält, dass der Patient doch „fließend Deutsch“ spricht, wodurch sie in ihrer Erzählung den stereotypisierenden Blick dieser Fachkräfte auf den Patienten ebenso entlarvt wie den hieraus resultierenden Akt der Bevormundung („einen polnischen Pflegedienst aufgedrückt“). Durch die Dramaturgie ihrer Erzählung grenzt Frau Begonie implizit ihre eigene professionelle Haltung von den handlungsleitenden Orientierungen der Krankenhausmitarbeiterschaft ab. Die professionsbezogene Selbstbeschreibung der Sozialarbeiterin erfolgt hier somit im Modus der Distinktion. Homologien zu den Fällen von Herrn Baumgärtner und Frau Begonie finden sich insofern, als dass diese ihre dienstleistungsorientierte professionelle Handlung ebenfalls im Modus einer impliziten Distinktion präsentie-
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ren. Gemeinsam ist allen drei Fällen hierbei eine Abgrenzung von Orientierungen, die typisch für das Versorgungsmilieu A sind. Auf der Ebene des immanenten Sinngehaltes führen die drei Fachkräfte jedoch unterschiedliche Eigentheorien in Bezug auf die Frage an, warum sie jeweils so handeln, wie sie handeln. Hierbei rekurriert allein Frau Blume auf das Migrationsthema und den hiermit verknüpften Fachdiskurs. So stellt die Sozialarbeiterin ihre dienstleistungsorientierte Handlungspraxis als das Resultat eines mehrjährigen Lern- und Entwicklungsprozesses dar, den sie im Zuge ihrer Mitarbeit in Arbeitsgruppen und Projekten zum Themenbereich „kultursensible Altenhilfe“ und „interkulturelle Öffnung“ der sozialen Dienste durchgemacht hat („wir haben hier einen Arbeitsbereich, da können wir viel Neues dazu lernen“). Ihrer Ansicht nach hat dieser Prozess dazu geführt, dass ihre Einrichtung sich heute in Bezug auf das Thema Beratung im Migrationskontext deutlich von vergleichbaren Beratungseinrichtungen unterscheidet („das ist eine Ausnahme, das wird auch so wahrgenommen“, Z. 299, Transkript Frau Blume). Ganz anders argumentiert Herr Baumgärtner. Er betrachtet die Rede von der „interkulturellen Öffnung der Altenhilfe“ als etwas, das der Lebensrealität in seiner Sozialstation hinterher hinkt („multikulturell war=s schon immer ausgerichtet … wir müssen=s auch einfach, weil, wie gesagt, die Mitarbeiter sind unterschiedlicher Herkunft und unsere Klienten auch“, Z. 369-371, Transkript Herr Baumgärtner). Die in der Argumentations- und Handlungspraxis von Herrn Baumgärtner zum Ausdruck kommende Dienstleistungsorientierung ist dagegen etwas, das er argumentativ in einen betriebs- und marktwirtschaftlichen Begründungszusammenhang stellt („na wir sind halt eine Serviceeinrichtung. diese Kundenorientierung ist hier Bedingung, um auf dem Pflegemarkt tätig zu sein. ansonsten gibt es uns nicht“, Z. 102-104, Transkript Herr Baumgärtner). Ebenso wenig schreibt Frau Begonie dem Thema „interkulturelle Öffnung der Altenhilfe“ Relevanz im Zusammenhang mit ihrer dienstleistungsorientierten Haltung zu. Vielmehr steht für sie die Spezialisierung ihrer Wohnetage auf das Krankheitsbild Demenz im Vordergrund, welche sie als ein Alleinstellungsmerkmal innerhalb der Einrichtung präsentiert („natürlich, es läuft bei uns jetzt ja auch etwas anders als auf den anderen beiden Etagen, und es spielt eben ganz viel ne Rolle, was der betroffene Mensch uns vorgibt, was er möchte oder was sein Bedürfnis ist“, Z. 241-244, Transkript Frau Begonie). Vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Argumentations- und Begründungszusammenhänge stellt sich die Frage, wie die Gemeinsamkeiten der drei Fälle auf der Ebene des konjunktiven Erfahrungswissens zu Stande kommen. Diese Frage zielt auf die Beleuchtung des existenziellen Erfahrungshintergrundes ab, den die drei Fachkräfte trotz differierender Argumentationsmuster und auch unterschiedlicher Organisations- und Professionszugehörigkeiten miteinander teilen, und soll im Anschluss an dieses Kapitel im Rahmen der soziogenetischen Typenbildung beantwortet werden. Zunächst gilt es jedoch, Homologien zwischen den drei Fällen in
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zwei weiteren Dimensionen professionellen Handelns aufzuzeigen, um die organisations- und professionsübergreifende Reproduktionsgesetzlichkeit des Typus B noch genauer herauszuarbeiten.
10.2 „S CHWIERIGE F ÄLLE “ Typus B: Frau Blume: „und ich brauch jetzt einfach mal eure kollegiale Fachberatung“ Obgleich in der sozialen Beratung andere Aufgaben zu erfüllen sind als im Pflegebereich, dokumentiert sich auf der Ebene des impliziten Wissens in beiden Handlungsfeldern ein gemeinsam geteiltes Leitproblem. Gemeint ist das Spannungsverhältnis zwischen sozial verstehenden und instrumentellen Handlungslogiken, welches in der vorliegenden Arbeit als gemeinsame Basistypik professionellen Handelns in den sozialen Diensten fungiert. Im Rahmen eines offenen Beratungsangebotes, wie es von Frau Blume und ihren Mitarbeiterinnen angeboten wird, dokumentiert sich dieses Spannungsverhältnis auch in der Bearbeitung komplexer Problemlagen. Hierbei sind sozial verstehende Handlungsanforderungen mit administrativen und sachorientierten Aufgabentypen in Einklang zu bringen. Die habituelle Regulation des hierin implizierten Spannungsverhältnisses erfolgt im Fall von Frau Blume im Rahmen einer Dienstleistungsorientierung, welche im vorangegangenen Unterkapitel bereits als eine Homologie bei den Orientierungen von Frau Begonie und Herrn Baumgärtner herausgearbeitet wurde. Charakteristisch für diese gemeinsam geteilte professionelle Haltung ist das Streben nach einer Balance zwischen den Prinzipien der Anerkennung der individuellen Autonomie einer hilfebedürftigen Person und dem Prinzip der Versorgung. So eröffnet Frau Blume den Ratsuchenden durch die Gabe von Informationen über geeignete Hilfsinstrumente und das Angebot der stellvertretenden Übernahme administrativer Aufgaben zwar den Zugang zu den Möglichkeiten, die das Versorgungssystem ihnen bietet, jedoch überlässt sie es dem individuellen Willen ihres jeweiligen Gegenübers, sich für oder gegen ein Angebot zu entscheiden („und es liegt immer bei der anderen Seite zu entscheiden, ja oder nein“, Z. 803, Transkript Frau Blume). Soziale Komplexität entsteht in dieser Konstellation beispielsweise dann, wenn der Wille von Ratsuchenden nicht mit der Fürsorgefunktion der Sozialarbeiterin zu vereinbaren ist und auch dadurch, dass die Ratsuchenden normalerweise in vielschichtige soziale Systeme eingebunden sind, was die Lösungssuche und der Erfüllung sachlichadministrativer Aufgaben komplexer werden lässt („dass also drei Generationen zusammenwohnten in einer Wohnung … und da haben wir diesen Prozess, Wohnungssuche, Wohnungsumzug, … also dieses Herauslösen auch“ Z. 529f., Tran-
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skript Frau Blume). Im Migrationskontext kommt erschwerend hinzu, dass Ratsuchende auch auf Sprachmittlung angewiesen sein können. Dies erhöht nicht nur die soziale Komplexität in der Beratungssituation durch zusätzliche Anwesende, sondern kann sich auch als eine strukturelle Hürde erweisen, wie Frau Blume am Beispiel einer erzählten Episode aus ihrer Alltagspraxis deutlich macht. Darin widerspricht Frau Blume einer Sachbearbeiterin, die sich weigert, Dolmetsch-leistungen für einen blinden Mann als notwendig anzuerkennen, der ein Orientierungstraining für sehbehinderte Menschen durchführen soll und nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügt („ja wieso Übersetzung, da muss der Mann jetzt eben Deutsch lernen, sag ich, na er kann ja nicht innerhalb eines Monats Deutsch lernen, um dann dieses Training machen zu können“, Z. 686-688 Transkript Frau Blume). Homologien in den Fällen Baumgärtner, Begonie und Blume finden sich auch in weiteren Erzählungen und Beschreibungen in Bezug auf die Art und Weise wie das Prinzip der Balance zwischen verstehenden und instrumentellen Handlungslogiken im Kontext sozialer Komplexität handlungspraktisch umgesetzt wird. Beispielsweise spielt in allen drei Fällen die Praxis der Kooperation und Vernetzung mit anderen Fachkolleginnen und -kollegen sowie Partnereinrichtungen eine zentrale Rolle. Dies geht auch aus der folgenden Sequenz hervor, in der Frau Blume ihre Kooperations- und Vernetzungspraxis genauer beschreibt. Blf: Das setzt natürlich voraus, dass ich dann auch, wie soll ich sagen, (.) genug Selbstbewusstsein habe, auch zu sagen, ja, ich komm hier in einem Fall an eine Grenze und ich brauch jetzt einfach mal eure kollegiale Fachberatung, ich weiß nicht genug darüber oder ich bin unsicher, wie ich mich hier verhalte oder liegt es jetzt vielleicht an dem individuellen Problem oder gibt=s hier einen kulturellen Kontext um den ich nicht weiß und jetzt brauch ich mal eure Hilfe und Beratung und dann kann ich bestärkt in die Situation gehen oder gehe auch vielleicht mit einer Kollegin gemeinsam in die Situation wieder zurück und frag eben, sind sie einverstanden, dass ich eine Kollegin von dem Träger X oder vom Sozialrat Y oder von der Migrantenorganisation Z oder wie auch immer, dass ich da jemanden mit dazu hole, weil ich glaube, das kann uns helfen für diese Beratung, die ich gerne bei Ihnen machen möchte (.) und dann hab ich diese Chance und das entlastet mich unglaublich und ich lerne ja dadurch automatisch, das ist ein fließendes Lernen wieder, durch das ich weiß, aha, das ist eine Situation wo ich unsicher war, wo ich nicht wusste, was können jetzt die geeigneten Hilfsinstrumente sein und ich befähige mich und lerne für mich persönlich dazu und erreiche eigentlich für meinen Klienten eine verbesserte Beratung. (Z. 858-872, Transkript Frau Begonie)
Die Möglichkeit, sich in schwierigen Situationen „kollegiale Fachberatung“ einholen bzw. eine Fachkraft mit Migrationshintergrund hinzuziehen zu können, „entlastet“ sehr und bietet zudem die Gelegenheit für ein „fließendes Lernen“. Dies setzt
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einerseits „Selbstbewusstsein“ voraus, um sich eigene fachliche Begrenzungen in Bezug auf bestimmte Fälle einzugestehen, bietet andererseits jedoch die „Chance“, Unsicherheiten in Bezug auf das eigene Verhalten oder die Auswahl geeigneter „Hilfsinstrumente“ zu überwinden und persönlich etwas dazuzulernen, wodurch den „Klienten“ wiederum eine „verbesserte Beratung“ angeboten werden kann. Frau Blume grenzt sich in dieser Sequenz implizit vom Versorgungsstil des Typus A ab. Für Letzteren ist charakteristisch, dass der eigene Normalitätshorizont stillschweigend als allgemeingültig vorausgesetzt wird. Dagegen erklärt Frau Blume, dass für ihre Art des professionellen Handelns „genug Selbstbewusstsein“ vorhanden sein muss, um fachliche Grenzen erkennen und „kollegiale Fachberatung“ annehmen zu können. Damit verweist ihre Form der Darstellung genau auf das gegenteilige Prinzip, nämlich auf die Anerkennung eines fremden Normalitätshorizontes („ich brauch jetzt einfach mal eure kollegiale Fachberatung (.) ich weiß nicht genug darüber“). Zugleich dokumentiert sich in ihren Äußerungen auch wieder ihre hohe Lern- und Veränderungsbereitschaft („und ich lerne ja dadurch automatisch, das ist ein fließendes Lernen“) sowie das Prinzip der Reziprozität bzw. des Interessenausgleichs („und lerne für mich persönlich dazu und erreiche eigentlich für meinen Klienten eine verbesserte Beratung“). Wie bereits herausgearbeitet wurde, stellen diese Orientierungen Komponenten einer Dienstleistungsorientierung dar, welche für das Versorgungsmilieu des Typus B charakteristisch ist. Die Regulation des Spannungsverhältnisses zwischen verstehenden und instrumentellen Handlungslogiken erfolgt dabei wieder gemäß dem Prinzip der Balance, wobei sozial verstehendes Handeln („sind sie einverstanden, dass … ich da jemanden mit dazu hole“) und instrumentelles Handeln („was könnten jetzt die geeigneten Hilfsinstrumente sein“) so miteinander in Einklang gebracht werden, dass hieraus ein gegenseitiger Gewinn erwächst („ich befähige mich und erreiche … eine verbesserte Beratung).
10.3 Z USCHREIBEN , DEUTEN , VERSTEHEN : HABITUELLE Z UGÄNGE ZUM F REMDVERSTEHEN Typus B: Frau Blume: „dass wir eben auch akzeptieren, es gibt Gründe, die dagegen sprechen“ Ebenso wie für Herrn Baumgärtner und Frau Begonie ist für Frau Blume im Umgang mit ihren Klientinnen und Klienten die Frage zentral, was diese im Rahmen der Möglichkeiten, die das Versorgungssystem bietet, jeweils wünschen bzw. ablehnen („wir klappen ja im Rahmen eines Hilfe- und Versorgungsangebotes immer alle Möglichkeiten auf. und es liegt immer bei der andern Seite zu entscheiden ja
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oder nein“, Z. 801-803, Transkript Frau Blume). Wie bereits am Beispiel der Fälle Baumgärtner und Begonie rekonstruiert wurde, liegt dieser Leitfrage der Grundsatz der Balance zugrunde, zwischen dem Prinzip der Anerkennung der individuellen Autonomie einer hilfebedürftigen Person und dem der Versorgung. Zugleich verweist diese Leitfrage auf den „kommunikativen“ (vgl. Bohnsack 2010a, S. 60) Charakter des Beziehungsmodus, welcher für das Versorgungsmilieu Typus B im Umgang mit Leistungsempfängerinnen und -empfängern typisch ist. Dieser Modus vollzieht sich auf der Grundlage „wechselseitiger Interpretation“ (vgl. ebd.). Anders als beim Versorgungsmilieus Typus C, dessen Orientierungsrahmen als professioneller Zugang zum konjunktiven Erfahrungsraum zusammengefasst wurde, weil dort regelmäßig auch ein unmittelbares Verstehen auf der Grundlage gemeinsam geteilter Erfahrungen stattfindet, zeigt sich beim Versorgungsmilieu des Typus B keine gezielte Suche nach konjunktiver Übereinstimmung. Das intuitive, unmittelbare Verstehen des Gegenübers ereignet sich hier, wenn überhaupt, nur zufällig („wenn man Glück hat“, Z. 225, Transkript Frau Begonie). Denn habituell wird allein eine „kommunikative“ Annäherung an das Gegenüber angebahnt. Hierdurch kann der immanente Sinngehalt von Äußerungen zwar adäquat erfasst werden, da dieser als kommunikativ-generalisiertes Wissen allgemein zugänglich ist. Jedoch bleibt das eigentliche Problem des Fremdverstehens bestehen, nämlich die Schwierigkeit, einen Zugang zum konjunktiven Erfahrungsraum zu finden. Dieses Problem wird vom Versorgungsmilieu Typus B weder gelöst noch ignoriert. So besteht hier durchaus ein erfahrungsbasiertes, implizites Wissen über die Aussichtslosigkeit des Versuchs, das Gegenüber jenseits des eigenen Erfahrungshorizontes deutend erfassen zu können. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass die Existenz eines fremden Normalitätshorizontes beim Gegenüber akzeptiert und anerkannt wird, obwohl dieser dem eigenen Verstehen nicht unmittelbar zugänglich und kommunikativ nicht vollständig zu vermitteln ist. Fremdverstehen erweist sich hier insofern als die Akzeptanz des Nicht-Verstehens des Anderen und einer hieraus resultierenden Bereitschaft, Deutungen des Anderen immer wieder neu zu hinterfragen. Exemplarisch dokumentiert sich diese Haltung auch in der folgenden Sequenz. Frau Blume beschreibt darin ihren Umgang mit dem von ihr beobachteten Phänomen, dass pflegende Angehörige – seien es Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund („das ist nicht unbedingt migrationsspezifisch“ Z. 809, Transkript Frau Blume) – häufig zunächst ein „Abwehrverhalten“ zeigen (Z. 810, Transkript Frau Blume), wenn ihnen in der sozialen Beratung von außen Hilfe angeboten wird. Blf: Und dann müssen wir eben gehen, obwohl wir aufgrund unserer Erfahrung einfach auch wissen, oh, das steuert in die nächste Krise oder in den nächsten Krankenhausaufenthalt hinein. dann müssen wir=s quasi abwarten und stellen uns immer wieder zur Verfügung und sagen, (.) Sie wissen, Sie haben uns schon kennengelernt und jetzt haben wir uns auch schon persönlich gesehen und wenn Sie sich anders entscheiden, dann rufen Sie
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uns einfach an und dann kümmern wir uns drum und wenn Sie=s jetzt noch nicht können oder wollen, in Ordnung, aber dann zum späteren Zeitpunkt (.) also, dass wir immer die Tür offen halten quasi und nicht sagen, (.) so, wenn Sie unsere Hilfe jetzt nicht wollen, dann eben nicht, tschüss. ja, jetzt hab ich hier schon eineinhalb Stunden beraten, Mensch, und Sie wollen immer noch nicht (.) sondern, dass wir eben auch akzeptieren, gut, es gibt Gründe, die dagegen sprechen, (.) auch wenn wir es von außen anders beurteilen würden (3) ((Telefonklingeln, wartet bis Ruhe eintritt)) ja, und wir können auch einfach, (.) wenn wir den Eindruck haben, wir kommen hier an eine Grenze oder an eine Grenze des Verstehens, (.) dann können wir unsere Kollegen auch anfragen. (Z. 843-857, Transkript Frau Blume)
In der Beratungspraxis existiert ein Erfahrungswissen in Bezug auf das Erkennen von Anzeichen für „die nächste Krise“ oder „den nächsten Krankenhausaufenthalt“, jedoch „akzeptieren“ die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle, dass es für die Betroffenen „Gründe“ geben kann, „die dagegen sprechen“, Hilfeleistungen des Versorgungssystems anzunehmen, auch wenn die Fachkräfte dies, „von außen“ betrachtet, anders beurteilen würden. In so einem Fall „müssen“ die Beraterinnen „eben gehen“ und den Eintritt der Krise „quasi abwarten“. Dabei gilt es jedoch, einen persönlichen Kontakt zu den Betroffenen aufrecht zu halten, indem sich immer wieder zur Verfügung“ gestellt und hierdurch die „Tür“ immer „offen“ gehalten wird. Geraten die Fachkräfte hierbei an eine „Grenze des Verstehens“, ist die Anfrage bei einem „Kollegen“ ein möglicher Ausweg. Frau Blume beschreibt in dieser Sequenz eine wiederkehrende Situation, in der sie und ihre Mitarbeiterinnen an eine „Grenze des Verstehens“ geraten können. Hierbei gebraucht sie den Begriff „Verstehen“ in einem doppelten Sinn. Zum einen bezieht sie sich auf ihr professionelles Erfahrungswissen im Sinne eines intuitiven Fallverstehens. Aus dieser Warte heraus ist ihr und ihren Kolleginnen schnell klar, wann in bestimmten Fallkonstellationen Beratungsbedarf besteht, weil sich dort „die nächste Krise“ anbahnt. Zum anderen bringt sie mit diesem Begriff ihren habituellen Zugang zum Fremdverstehen auf der Beziehungsebene zum Ausdruck. Dieser Zugang erweist sich insofern als ein „Verstehen“, als dass dieser auf dem Prinzip der Anerkennung der individuellen Autonomie einer hilfebedürftigen Person basiert, was die Anerkennung eines fremden Normalitätshorizontes einschließt und damit die Akzeptanz des eigenen Nicht-Verstehens der Erlebens- und Erfahrungsbasis dieser Person („sondern dass wir eben auch akzeptieren, gut, es gibt Gründe, die dagegen sprechen, auch wenn wir es von außen anders beurteilen würden“). In der Praxis des Kontakthaltens („Tür offen halten“) dokumentiert sich das Prinzip der Balance zwischen den oben genannten Prinzipien und dem der Versorgung. So wird die Ablehnung von professioneller Hilfe zwar akzeptiert, jedoch werden insofern weiterhin Versorgungsleistungen erbracht, als den als hilfebedürftig eingestuften Personen immer wieder Hilfsangebote unterbreitet werden. Fremdverstehen im
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Sinne einer habitualisierten, professionellen Praxis stellt hierbei also weniger ein tatsächliches Verstehen des Gegenübers dar, als vielmehr die Deutung des anderen als Vertreter bzw. Vertreterin einer Position, die nicht zu verstehen, sondern nur zu akzeptieren ist. Der Umgang mit den Betroffenen vollzieht sich dabei im Modus einer rein kommunikativen Beziehung. Dies dokumentiert sich beispielsweise in den Beschreibungen und eingelagerten Erzählsequenzen, in denen die Beziehung zum Gegenüber von Frau Blume thematisiert wird. Dies geschieht stets auf eine rein argumentative Weise („Sie haben uns schon kennengelernt und jetzt haben wir uns auch schon persönlich gesehen, und wenn Sie sich anders entscheiden, dann rufen Sie uns einfach an“). Ein Verweis auf erlebens- oder erfahrungsbasierte Übereinstimmungen, welche in der Regel als etwas Positives erlebt werden, erfolgt in diesem Zusammenhang nicht. Im Vergleich zu der Art, wie im Versorgungsmilieu des Typus C über Beziehungsaspekte gesprochen wird, zeigt sich dieser Aspekt umso deutlicher. Denn hier wird in Erzählungen und Beschreibungen stets auch die Qualität der Beziehung reaktualisiert, was auf ein völlig anderes Relevanzsystem verweist („also wir haben supergute Verhältnis zusammen“, Z. 368, Transkript Herr Cimen; „also wir haben uns super verstanden, das war ein richtig freundschaftliches Verhältnis“, Z. 118, Transkript Frau Christrose; „das ist nur Vertrauen und Sympathie“, Z. 333, Transkript Frau Cicek). Dagegen dokumentiert sich bei Frau Blume, homolog zu den Fällen Baumgärtner und Begonie, in der vorliegenden Sequenz wieder die Praxis der ‚Auslagerung‘ bzw. ‚Übertragung‘ von Beziehungsarbeit auf Dritte, was ein Alleinstellungsmerkmal dieses Milieus darstellt. So beschreibt auch Frau Blume, dass sie und ihre Mitarbeiterinnen sich dadurch behelfen, dass sie auf „Kollegen“ zurückgreifen, wenn sie an eine „Grenze des Verstehens“ gelangen.
11 Die sinngenetische Typenbildung: Zusammenfassung
Die Angehörigen des Versorgungsmilieus Typus A orientieren ihr berufliches Handeln innerhalb des Spannungsfeldes zwischen verstehenden und instrumentellen Handlungslogiken am Primat der instrumentellen Expertise. Sozial verstehendem Handeln kommt hierbei eine nachrangige bzw. untergeordnete Bedeutung zu. Denn allein das instrumentelle Handeln wird in diesem Milieu als „richtiges Arbeiten“ empfunden. Im beruflichen Kontext bleiben Beziehungsaspekte auf rollenförmiges Handeln und eine stereotypisierende Wahrnehmung des Gegenübers begrenzt. Konflikte in Versorgungssituationen entwickeln sich beinahe zwangsläufig, wenn das Gegenüber die Patientenrolle nicht bzw. nicht auf die in diesem Versorgungsmilieu stillschweigend vorausgesetzte Art und Weise erfüllt. Denn innerhalb dieses Milieus wird allein der eigene Normalitätshorizont anerkannt. Vor diesem Hintergrund gibt es nur zwei Kategorien von zu Pflegenden, mit denen man es prinzipiell im beruflichen Kontext zu tun haben kann. Entweder solche, die sich „normal“ bzw. erwartungsgemäß verhalten, sodass instrumentelles Handeln reibungsfrei möglich ist oder solche, die sich „nicht normal“ verhalten, indem sie nicht oder zumindest nicht auf eine von den Akteuren fraglos vorausgesetzte Weise „mitmachen“, sodass das instrumentelle Handeln erschwert oder unmöglich wird. Obwohl das Thema Versorgung im Migrationskontext in diesem Versorgungsmilieu explizit als problematisch bewertet wird, werden jene Migrantinnen und Migranten, die sich stillschweigend in die von ihnen erwartete Patientenrolle einfinden (können) und damit die Expertenmacht dieses Milieus anerkennen als unproblematisch und „gut integriert“ wahrgenommen. Jede Abweichung von der Patientenrolle wird dagegen als professionelle Zumutung erlebt und kann dazu führen, dass das berufliche Handeln im Migrationskontext vermieden oder auch offen abgelehnt wird. Ganz anders verhält es sich beim Versorgungsmilieu des Typus B. Hier dokumentiert sich die Anerkennung eines fremden Normalitätshorizontes bzw. der individuellen Autonomie des Gegenübers als ein Ausdruck sozial verstehenden Handelns. Ebenso findet das Prinzip der Versorgung Berücksichtigung, welches dem
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instrumentellen Handeln im Versorgungskontext zugrunde liegt. Die Regulation des Spannungsverhältnisses zwischen verstehenden und instrumentellen Handlungslogiken erfolgt in diesem Versorgungsmilieu gemäß dem Prinzip der Balance zwischen der Anerkennung der individuellen Autonomie einer hilfebedürftigen Person und dem Prinzip der Versorgung. Zentral ist innerhalb dieses Versorgungsmilieus deshalb die Frage, was zu Pflegende wollen und was davon im Rahmen der gegebenen Versorgungsstrukturen wie realisiert bzw. geleistet werden kann. Das Prinzip der Balance ist somit eine dienstleistungsorientierte Haltung, bei der professionelle Fachkräfte eine vermittelnde Position einnehmen zwischen dem verstehenden Dienst am Mitmenschen und den Logiken des Versorgungssystems1. Berufszufriedenheit resultiert hier vor allem aus dem Auffinden von Konfliktlösungen, die einen Interessensausgleich schaffen, indem sie Nutzerinteressen ebenso dienen wie der Systemerhaltung. Versorgung im Migrationskontext stellt sich hierbei als eine professionelle Herausforderung wie jede andere dar, denn kulturelle Differenz verliert in diesem Milieu an Bedeutung. Indem sich der Aufmerksamkeitsfokus stärker auf individuelle Wünsche und Bedürfnisse des Gegenübers richtet, wird kulturelle Differenz zu einem Aspekt individueller Verschiedenheit. Dieser auch als Dienstleitung am Individuum zu charakterisierende „Blick“ auf zu Pflegende wird von den Angehörigen dieses Versorgungsmilieus im Modus der Distinktion präsentiert. Implizit stellt hierbei der Versorgungsstil des Typus A einen negativen Gegenhorizont dar. So wird der eigene Versorgungsstil von Repräsentanten des Typus B nicht als einzig mögliche Normalität stillschweigend vorausgesetzt, wie dies beim Typus A der Fall ist, sondern als eine Besonderheit erlebt, welche aus einem berufsbezogenen Umorientierungs- und Veränderungsprozess resultiert. Fremdverstehen bedeutet innerhalb dieses Milieus vor allem die Wahrnehmung und Anerkennung von individueller Verschiedenheit. Hierbei liegt ein „kommunikativer“ Beziehungsmodus (vgl. Bohnsack 2010a, S. 59f.) zugrunde, welcher sich in wechselseitiger Interpretation auf der Ebene des immanenten Sinnverstehens vollzieht. Die Grenzen und Unzulänglichkeiten dieses „kommunikativen“ Zugangs zum Fremdverstehen werden innerhalb dieses Versorgungsmilieus zwar nicht überwunden, jedoch werden sie kritisch reflektiert und durch kompensierende Praktiken bearbeitet. Hierzu gehören der Austausch von Situationsdeutungen innerhalb des professionellen Teams und die „Auslagerung“ bzw. Delegation von Beziehungsund Verstehensarbeit an Angehörige sowie Kooperationspartner. Ein besonderes professionelles Können im Bereich der Verstehens- und Beziehungsarbeit findet sich beim Versorgungsmilieu Typus C. Zwar verweist die Handlungspraxis dieses Typus, ähnlich wie die des Typus B, auch auf einen Ausgleich der Relation zwischen verstehenden und instrumentellen Handlungslogiken im 1
Mit Evetts (2012) könnte man hier auch formulieren, es handelt sich um einen Balanceakt zwischen der Anerkennung organisationsbezogener und berufsbezogener Professionalität.
11 DIE SINNGENETISCHE T YPENBILDUNG : ZUSAMMENFASSUNG
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Versorgungsprozess, wodurch sich ein gemeinsam geteiltes Abgrenzungsmerkmal der Typen B und C gegenüber dem Versorgungsmilieu Typus A ergibt – typisch für Letzteres ist die Unterordnung von Prinzipien des sozialen Verstehens unter die des instrumentellen Handelns. Jedoch weist allein der Typus C einen habituellen Versorgungsstil auf, der sich als professioneller Zugang zum konjunktiven Erfahrungsraum dokumentiert. Unter dem Druck der Alltagspraxis, welche auch durch instrumentelle Handlungszwänge geprägt ist, wird hier unmittelbar ein verstehender bzw. „konjunktiver“ Zugang zum Gegenüber aufgespürt und zwar, auf der Grundlage gemeinsam geteilter bzw. strukturäquivalenter Erfahrung. Hieraus resultiert im professionellen Kontext eine als authentisch und kongruent erlebte Situation der Verbundenheit mit dem Gegenüber jenseits rollenförmigen Handelns und jenseits der Vagheit „kommunikativer“ Annäherung. Diese konjunktive Verbundenheit ermöglicht nicht nur stillschweigendes Verstehen in komplexen Versorgungssituationen. Vielmehr wird diese Verbundenheit von den Beteiligten auch als eine affirmative Energie aufgrund von gegenseitiger Sympathie erlebt. Dieses Erleben stellt im Versorgungsmilieu Typus C einen Wert an sich dar und fungiert somit auch als eine Quelle der eigenen Berufszufriedenheit. Zugleich wirkt dieser Beziehungs- und Verständigungsmodus ausgleichend auf das Spannungsverhältnis zwischen verstehenden und instrumentellen Handlungslogiken. So wirkt konjunktive Übereinstimmung als eine Begegnungs- und Verständigungsgrundlage, mit der die Objektivierung des Gegenübers insbesondere in Phasen des körpernahen, instrumentellen Handelns „am Patienten“ entgegengewirkt werden kann. Auch werden die für den Pflegeberuf typischen grenzüberschreitenden Tätigkeiten (z. B. Befragung über intime Details, körperliche Berührungen) auf der Grundlage einer konjunktiven Beziehung als weniger belastend erlebt, da persönliche Grenzen des Gegenübers (z. B. Schamgrenzen, unverarbeitete Themen) stillschweigend erkannt und gewahrt oder auf der Grundlage einer verstehenden Beziehung angemessen erfragt werden können. Insgesamt erweist sich der Versorgungsstil des Typus C zugleich als eine Quelle der eigenen Berufszufriedenheit und als ein Bewältigungsmodus der der sozialen Komplexität im Feld gesundheitlich-pflegerischer Versorgung in hohem Maße gerecht wird.
12 Die soziogenetische Typenbildung
Während im Zuge der sinngenetischen Typenbildung das „generative Prinzip“ der Praxisformen – also der Orientierungsrahmen oder Habitus als „strukturierende Struktur“ – rekonstruiert wird, fokussiert die soziogenetische Typenbildung auf die Genese dieses Habitus, also auf jene Struktur, „durch die der Habitus seinerseits strukturiert ist“ (vgl. Bohnsack 2010a, S. 151; vgl. auch: Bourdieu 1982, S. 279). Wie Bohnsack mit Bourdieu ausführt, geht es bei der soziogenetischen Interpretation um die Rekonstruktion jener Schichtungen aus „Zwängen und Freiheiten“, welche den Habitus formen (vgl. Bohnsack 2010a, S. 152). Anders als bei Bourdieu, dessen klassen- und kapitaltheoretischen Ansatz Bohnsack als „kausalgenetische“ Erklärung charakterisiert, werden bei der Soziogenese im Sinne der Dokumentarischen Methode nicht allein die „objektiv gegensätzlichen Lebenslagen“ ermittelt (vgl. ebd.). Vielmehr ist auch diese Ebene der Interpretation im empirischen Material und damit den Erfahrungen derjenigen fundiert, die Gegenstand der Forschung sind. Jedoch wird nun am einzelnen Fall nicht mehr nur eine Bedeutungsschicht erfasst, wie dies bei der sinngenetischen Typenbildung geschieht, sondern es werden zugleich mehrere Erfahrungsschichten in den Blick genommen, „sodass unterschiedliche Typiken in ihrer Überlagerung, Verschränkung ineinander und wechselseitigen Modifikation sichtbar werden“ (vgl. ebd., S. 152f.). Auf diese Weise zeichnet sich der existenzielle Erfahrungshintergrund der sinngenetischen Typen ab. In der vorliegenden Arbeit fungiert eine Handlungstypik als Basistypik für die sinngenetische Typenbildung. Somit stand bisher allein die Bedeutungsschicht des professionellen Handelns im Fokus der Analyse, wobei die Reproduktionsgesetzlichkeit der einzelnen Handlungstypen anhand verschiedener Dimensionen professionellen Handelns im Feld der Altenhilfe aufgezeigt wurde. Da diese Typen aus den Formen der Handlungspraxis und des darin kollektiv geteilten Erfahrungswissens herausgearbeitet wurden, entsprechen die Fälle, die einen Handlungstypus repräsentieren, immer auch schon einem sozialen Milieu. Denn ein solches Milieu zeichnet sich durch gemeinsam geteilte oder strukturidentische Erfahrungen aus,
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welche durch eine Homologie in den Praxisformen zum Ausdruck kommen. Aus diesem Grund wurde im Rahmen der sinngenetischen Typenbildung bereits von „Versorgungsmilieus“ mit entsprechenden Handlungs- bzw. Versorgungsstilen gesprochen, obwohl die gemeinsam geteilten Grundlagen des Erlebens der Milieuangehörigen – gemeint sind spezifische Zwänge und Freiheiten sowie deren Verarbeitung in verschiedenen Erfahrungsräumen im Feld professioneller Altenhilfe – bisher noch nicht systematisch herausgearbeitet wurden. Dies gilt es nun, im Zuge der soziogenetischen Typenbildung, zu tun. Ebenso wie die sinngenetische Typenbildung vollzieht sich auch die soziogenetische wieder gemäß dem Prinzip der Suche nach Kontrasten in der Gemeinsamkeit und nach Gemeinsamkeiten im Kontrast (vgl. Bohnsack 2010a, S. 143).
12.1 P ROFESSIONELLE AUTONOMIE ALS EINE ZENTRALE E RFAHRUNGSDIMENSION Wie im Zuge der sinngenetischen Typenbildung deutlich wurde, gehen die Handlungstypen A, B und C durch Typiken der Organisation, der Profession und der Angebotsform gleichsam hindurch. Man kann auch sagen, die Typik professionellen Handelns im Feld der Altenhilfe liegt quer zu den oben genannten Erfahrungsdimensionen bzw. Typiken. So teilen Herr Baumgärtner, Frau Begonie und Frau Blume beispielsweise einen auf ihr professionelles Handeln bezogenen Orientierungsrahmen, obgleich diese drei Fälle unterschiedlichen Berufsgruppen (Pflege und Soziale Arbeit), Angebotsformen (ambulant, stationär, offen) und Organisationen (Sozialstation, Pflegeheim, Beratungsstelle) angehören. Dagegen werden die Typen A und C ausschließlich durch Fälle aus der Gruppe der Pflegefachkräfte repräsentiert, wobei sich der Typus A sowohl in der ambulanten als auch der stationären Angebotsform findet, der Typus C jedoch ausschließlich in der ambulanten Pflege. Im Zuge der soziogenetischen Typenbildung gilt es nun, die Genese der Handlungstypen bzw. der dahinter stehenden Versorgungsmilieus auch unter Beachtung ihrer eigentümlichen Verteilung in den Strukturen der Altenhilfe zu erfassen. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass es sich bei dem oben genannten Verteilungsmuster eher um eine Momentaufnahme als ein starres Schema handelt. Dieses Muster kann zwar Hinweise jedoch keine ausreichende Erklärung für die Ausbildung unterschiedlicher Versorgungsmilieus und -stile liefern. So ist zum Beispiel die Tatsache, dass der Typus C ausschließlich durch Pflegekräfte repräsentiert wird, die zum Interviewzeitpunkt in der ambulanten Pflege beschäftigt sind, zwar ein Hinweis auf eine mögliche Neigung dieses Milieus zu dieser Angebotsform, jedoch erklärt sich sein spezifischer Versorgungsstil noch nicht hieraus. Denn auch die
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anderen beiden Typen sind in der ambulanten Versorgung vertreten. Es gilt also, konkretere Erfahrungsdimensionen aus dem Material herauszuarbeiten, welche das Verteilungsmuster plausibel erklären, ohne die Repräsentanten der Typen auf dieses Muster festzuschreiben. Zu diesem Zweck wurden auch berufsbiografische Episoden aus dem Material herausgesucht und systematisch in den Milieuvergleich einbezogen. Anhand der komparativen Analyse von berufsbiografischen Episoden wird beim Typus C ersichtlich, dass sich die Entscheidung für oder gegen die Aufnahme einer Beschäftigung immer auch danach richtet, inwiefern diese es den Repräsentanten dieses Typus ermöglicht, sich dort „selbst einbringen“ zu können, wie Frau Christrose es ausdrückt. Das heißt, hier wird die Orientierung, sich im professionellen Feld persönlich „einbringen“ und somit auch ein Stück weit selbst verwirklichen zu können, entweder bereits als eine Komponente des individuellen Habitus mitgebracht, wie am Beispiel von Frau Cicek deutlich wird. Es kann sich aber auch um eine neu erworbene Orientierung handeln, wie das Beispiel von Frau Christrose zeigt, die aus der ehemaligen DDR stammt. Bei ihr wurde die Verinnerlichung dieser Orientierung erst durch einen Systemwechsel und die hierdurch erzwungene Neuorientierung auf der Grundlage einer bereits vorhandenen pflegefachlichen Expertise möglich. Schließlich kann diese Orientierung auch, wie das Beispiel von Herrn Cimen zeigt, zunächst in einem Handlungsfeld („Psychiatrieerfahrung“) verinnerlicht und dann in einem anderen (ambulante Versorgung im Kontext von Migration und Alter) reproduziert werden. Des Weiteren wurde im Zuge der komparativen Analyse deutlich, dass sich das professionelle Handeln der Versorgungsmilieus insgesamt in einem Spannungsfeld bewegt zwischen Bestrebungen sich persönlich „einzubringen“ wie beim Typus C auf der einen Seite und einer persönlichen Distanzierung wie beim Typus A auf der anderen, während der Typus B hierbei eine mittlere Position einnimmt. Alle diese Bestrebungen sind in den Erzählungen und Beschreibungen eng mit der Erfahrung berufsbezogener Handlungsund Entscheidungsfreiheit verbunden, was auf professionelle Autonomie als einen übergreifenden konjunktiven Erfahrungsraum verweist. Professionelle Autonomie Die drei Versorgungsmilieus verfügen über unterschiedliche Selbstbestimmungsmöglichkeiten in Bezug auf ihr berufliches Entscheiden und Handeln, wobei der Typus A die geringsten Selbstbestimmungschancen aufweist. Denn die Repräsentanten des Typus A finden sich in weisungsabhängigen beruflichen Positionierungen, welche strukturell jeweils durch ein hohes Maß an Reglementierungs- und Kontrollmechanismen geprägt sind. Hierdurch ist es ihnen beispielsweise kaum möglich, übertragene Aufgaben zeitlich nach eigenem Ermessen einzuteilen oder diese zu delegieren. Deutlich wird dies beispielsweise am Fall von Frau Ayçiçeği,
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wenn sie ihren angestammten Arbeitskontext auf Abruf vorübergehend verlassen muss, um an anderer Stelle zu dolmetschen. Hierdurch gerät sie nicht nur in Zeitnot, was ihre eigentlichen Aufgaben betrifft. Vielmehr sieht sie sich nun auch noch einem Erwartungs- und Erfolgsdruck vonseiten ihrer Kolleginnen und Vorgesetzten ausgesetzt, welche sie nicht präventiv zum Dolmetschen hinzuziehen, sondern immer erst dann, wenn bereits erhebliche Probleme aufgetreten sind. Diese Konstellation führt dazu, dass Frau Ayçiçeği sich in der Übersetzungssituation weniger dem Verständigungsproblem widmet als vielmehr den ihr am dringlichsten erscheinenden Pflegeproblemen, wie z. B. Schmerzen oder Nahrungsverweigerung. Diese versucht sie schnell und mit möglichst sichtbaren Ergebnissen zu lösen, indem sie sich dabei auf rein instrumentelle Aspekte konzentriert, wie das Besorgen und Verabreichen eines Schmerzmittels oder die Veränderung der Essensbestellung in der Küche. Auch die Mitglieder der Gruppe Alpenveilchen nehmen in ihren Beschäftigungsverhältnissen weisungsabhängige Positionen innerhalb eines restriktiven Führungs- und Kontrollsystems ein. So umfassen ihre Arbeitsaufträge in der Regel rein instrumentelle Hilfeleistungen (z. B. Hilfe bei der Körperpflege, Wundversorgung), unterliegen knappen Zeitvorgaben und werden laufend überprüft, wobei wiederum vor allem instrumentelle Aspekte, wie z. B. die Einhaltung von Hygienerichtlinien oder die Häufigkeit erfolgter Hilfeleistungen, als Prüfkriterien vorgegeben sind. Vor diesem Hintergrund erklärt sich die Betonung instrumenteller Expertise in diesem Milieu. Auch ist unter diesen restriktiven Arbeitsbedingungen der milieutypische Modus der Reduzierung sozialer Komplexität durch die Verinnerlichung rollenförmigen Verhaltens und einer stereotypisierenden Wahrnehmung des Gegenübers funktional. Anders ist die Situation der Versorgungsmilieus Typus B und C. Zwar unterliegen auch diese Milieus dem Phänomen der Arbeitsverdichtung, Kontrolle und Zeitknappheit durch gesetzlich induzierte Auflagen zur Erhörung der Wirtschaftlichkeit sozialer Dienstleistungen bei gleichzeitigem Zwang zum Nachweis von Maßnahmen der Qualitätssicherung und -verbesserung. Jedoch befinden sich die Angehörigen dieser Milieus in beruflichen Positionen (z. B. Wohn-, Bereichs-, Heim- oder Pflegedienstleitung, Geschäftsführung), in denen ihnen eine steuernde und delegierende Funktion zukommt. Zudem sind sie aktiv an Prozessen der Organisationsund Qualitätsentwicklung beteiligt. Hierdurch entstehen größere Handlungs- und Entscheidungsspielräume als beim Typus A, welche von den Angehörigen der Milieus B und C jedoch unterschiedlich genutzt werden. Hierbei spielen unterschiedliche Erfahrungsgrundlagen der Milieus eine Rolle, und zwar zum einen im Hinblick auf die Größe und den Etablierungsgrad der Einrichtungen und zum anderen in Bezug auf das situative Erleben von körperlicher Nähe und Distanz im Versorgungskontext.
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Patientennahe und -ferne Tätigkeiten, Einrichtungsmerkmale und professionelle Autonomie Die Angehörigen der Versorgungsmilieus A und C haben zwar in Bezug auf ihre Weisungsbefugnisse unterschiedliche Positionen inne, woraus unterschiedliche Erfahrungen in Bezug auf ihre professionelle Handlungs- und Entscheidungsfreiheit resultieren. Jedoch ist ihnen in Abgrenzung zu den Angehörigen des Versorgungsmilieus Typus B gemeinsam, dass sie patientennahe, pflegeberufliche Tätigkeiten ausüben. Hiermit ist gemeint, dass sie einen Großteil ihrer Arbeitszeit direkt „am Patienten“ verbringen, wodurch es im Arbeitsalltag immer wieder auch zu grenzüberschreitenden Situationen aufgrund von körperlicher Nähe kommt. Der professionelle Umgang hiermit stellt ein gemeinsam geteiltes Orientierungsproblem der Typen A und C dar. Zwar vollzieht sich auch die Tätigkeit der Angehörigen des Typus B in einem Spannungsfeld von Distanz und Nähe, jedoch werden hierbei körperliche Grenzen in der Regel nicht überschritten. Auch haben die Repräsentanten des Typus B mehr Möglichkeiten sich aus dem direkten Patienten- bzw. Klientenkontakt zurückzuziehen, weil ihr Aufgabenschwerpunkt eher administrativorganisatorischer Natur und damit in räumlicher Hinsicht patientenferner ist. Dementsprechend bearbeiten die Angehörigen des Typus B das Spannungsverhältnis zwischen Distanz und Nähe auf dem Weg der kommunikativen Verständigung, sofern sie die Beziehungs- und Verstehensarbeit nicht gänzlich auf Dritte übertragen. Dagegen findet sich bei den Angehörigen der Versorgungsmilieus A und C immer auch ein Bestreben nach konjunktiver bzw. unmittelbarer Verständigung innerhalb der Pflegebeziehung. Denn hier kommt es aufgrund der berufsbedingten körperlichen Nähe regelmäßig zu Situationen von besonders hoher sozialer Komplexität. Diese wird im Medium der unmittelbaren Verständigung wirksamer und nachhaltig reduziert. Deutliche Kontraste zeigen die Milieus A und C allerdings in Bezug auf ihren jeweiligen habituellen Zugang zum konjunktiven Erfahrungsraum in der Pflegesituation. Beim Versorgungsmilieu Typus A resultiert dieser aus der wiederkehrenden Erfahrung, unter Zeit- und Handlungsdruck im Rahmen enger Gestaltungsspielräume adäquat funktionieren zu müssen. Handlungspraktisch erweist sich für dieses Milieu die rollenförmige Gestaltung der Pflegebeziehung im Sinne eines asymmetrischen Experten-Laien-Verhältnisses als funktional. Den Pflegekräften kommt darin die aktive Expertenrolle zu, während die Patientenrolle vorsieht, dass zu Pflegende sich in gesundheitlich-pflegerischen Angelegenheiten von den Experten „führen“ lassen, stets „mitmachten“ und „kooperativ“ sind. Unmittelbare Verständigung vollzieht sich in dieser Art von Pflegebeziehung nur dann, wenn auch auf der Seite der zu Pflegenden ein entsprechendes Rollenverständnis verinnerlicht wurde bzw. als habituelle Handlungsdisposition vorliegt. In diesem Fall verläuft die Pflegebeziehung nicht nur unproblematisch, da gegenseitige Verhaltenserwartungen jeweils
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erfüllt werden. Vielmehr wird eine solche Begegnung von den Angehörigen des Versorgungsmilieus Typus A häufig auch als eine positive Erfahrung im professionellen Feld bewertet. Problematisch wird es, wenn zu Pflegende nicht über kongruente Erfahrungshintergründe in Bezug auf die Modellierung des ProfessionellenLaien-Verhältnisses im Versorgungskontext verfügen. In diesem Fall sind tiefgreifende Verständigungsprobleme quasi vorprogrammiert. Denn diese Probleme können – da sie auf implizitem Wissen bzw. Nicht-Wissen beruhen – von den Angehörigen des Typus A in der Regel nicht ohne Weiteres artikuliert und daher auch kaum auf dem Weg der kommunikativen Verständigung gelöst werden. So muss Af beispielsweise in einer Sequenz zwar einräumen, dass die von ihr beklagten Schwierigkeiten mit einem Patienten unabhängig von dessen Migrationsstatus auftreten: „wäre mit=nem Deutschen sicher auch so passiert (.) aber wie un:dankbar“; Z. 205, Transkript Gruppe Alpenveilchen). Jedoch kann sie das eigentliche Verständigungsproblem – implizite Rollenerwartungen in der Pflegebeziehung – nicht benennten. Vielmehr fällt sie gleich wieder in ihr eigentheoretisches Argumentationsmuster zurück, wobei sie Menschen mit Migrationshintergrund nun Undankbarkeit im Versorgungskontext zuschreibt. Dagegen verfügen die Angehörigen des Versorgungsmilieu Typus C über ein implizites pflegeberufliches Erfahrungswissen, das ihnen einen professionellen Zugang zum konjunktiven Erfahrungsraum in der Pflegebeziehung eröffnet. Das Aufspüren gemeinsamer Ebenen konjunktiver Verständigung vollzieht sich hier unmittelbar und zielsicher, fast intuitiv. Dabei bewegen sich die Angehörigen dieses Milieus hochflexibel zwischen verschiedenen Verständigungsebenen und Handlungslogiken hin und her, wobei sie die grundsätzliche Rahmung der Situation als Pflegebeziehung nie überschreiten. So kommt es im professionellen Rahmen regelmäßig auch zu zwischenmenschlichen Begegnungen, die von den Betroffenen als kongruent, authentisch und bereichernd erlebt werden. Typischerweise fühlen sich die Angehörigen dieses Milieus in technisch-instrumenteller Hinsicht ebenso sicher wie in Bezug auf ihre Beziehungs- und Verständigungsfähigkeit. Eine prägende Erfahrungsgrundlage dieses Milieus ist das Erleben eines Grades an professioneller Handlungs- und Entscheidungsfreiheit, der es ihnen erlaubt, Handlungsabläufe und –zeitpunkte in der Pflegebeziehung flexibel zu gestalten, sodass individuelle Vereinbarungen mit zu Pflegenden situationsadäquat getroffen und eingehalten werden können. Hierdurch entstehen Möglichkeitsräume jenseits instrumenteller Zwänge. Diese bieten Gelegenheiten, sich durch zwanglose Gespräche oder gemeinsames Tun in der Pflegebeziehung aufeinander „einzuschwingen“. Die Angehörigen des Versorgungsmilieus Typus C finden ihrem Versorgungsstil entsprechende strukturelle Voraussetzungen vor allem in kleineren ambulanten Einrichtungen mit geringerem Etablierungsgrad vor, wie beispielsweise einer Sozialstation in der Aufbauphase oder einem Modellprojekt. Institutionelle Zwänge und Arbeitsverdichtung, wie sie den Versorgungsalltag in etablierten Einrichtungen bestimmen,
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sind hier in geringerem Maße wirksam, sodass mehr Raum verbleibt für die Suche nach bzw. Anbahnung von Situationen, in denen authentische, zwischenmenschliche Begegnungen auf der Grundlage gemeinsam geteilter Erfahrungen zugelassen werden können. Haben Angehörige des Typus C ihren milieutypischen Habitus des professionellen Zugangs zum konjunktiven Erfahrungsraum erst einmal ausgebildet, neigen sie dazu, im Fall einer Beschneidung ihrer professionellen Autonomie, aus der einschränkenden Situation auszuscheren und professionelle Nischen zu besetzten. So erlebt beispielsweise Frau Christrose in der Aufbauphase der ambulanten Pflegeversorgung in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren professionelle Handlungs- und Entscheidungsspielräume, die für sie als ehemalige DDR-Bürgerin zunächst neuartig und ungewohnt sind. Als es im Zuge des ansteigenden Kontrollund Kostendrucks im Gesundheitswesen auch auf dem ambulanten Pflegesektor zunehmend zur Beschneidung dieser Freiräume kommt, wechselt sie mehrmals aus einer ungekündigten Position heraus ihren Arbeitgeber. Hierbei spielt die Aussicht, sich die neu errungenen professionellen Entscheidungs- und Handlungsfreiheiten erhalten zu können, eine entscheidende Rolle. Auch Herr Cimen und Frau Cicek besetzen gezielt berufliche Positionen, die ihnen größere professionelle Handlungsund Entscheidungsspielräume eröffnen. Hierfür nehmen beide auch Risiken in Bezug auf ihre existenzielle Absicherung in Kauf. So gründet Frau Cicek einen eigenen Pflegedienst und Herr Cimen wechselt in ein Projekt mit einer unsicheren Finanzierungsgrundlage. Nachdem nun die sinn- und die soziogenetische Typenbildung vollzogen wurde, sollen im folgenden Kapitel eine Zusammenschau der Forschungsergebnisse aus dem ersten und zweiten Teil der Studie sowie eine abschließende Diskussion erfolgen.
Zusammenführung
13 Diskurshegemonie und professioneller Habitus
In Bezug auf das Thema Alter, Migration und Versorgung nimmt die vorliegende Studie zwei kategorial verschiedene, jedoch einander wechselseitig bedingende Kräfte sozialer Felder in den Blick: Diskurs und Habitus. Im Folgenden sollen Bezugspunkte und Wechselwirkungen dieser beiden Analysekategorien anhand von Rekonstruktionsergebnissen aus den beiden Teilen der vorliegenden Studie sowie ergänzendem empirischen Material herausgearbeitet werden. Metatheoretische Anschlüsse wurden hierzu bereits im ersten Teil aufgezeigt. So gelten Diskurse im Rahmen der vorliegenden Studie als „soziale Tatsachen“ im Sinne Durkheims und damit als äußere Zwänge, die auf das Individuum und soziale Milieus einwirken. Dabei wird mit Bourdieu davon ausgegangen, dass die Macht der Diskurse zunächst rein symbolischer Natur und damit – im Sinne der Dokumentarischen Methode – auf der Ebene von Orientierungsschemata wirksam ist. Erst durch die performative Kraft des Habitus bzw. des Orientierungsrahmens werden die Bedeutungsgehalte der Orientierungsschemata in eine bestimmte Richtung gelenkt. Um das Zusammenspiel von Diskurs und Habitus in sozialen Feldern empirisch-analytisch rekonstruieren zu können, spielt die für die dokumentarische Methode charakteristische Differenzierung zwischen kommunikativ-generalisierenden Sinngehalten (Orientierungsschemata) und konjunktiven (Orientierungsrahmen) eine zentrale Rolle. Denn ohne diese analytische Trennung erscheint das „Was“ des Diskurses, also die Rede selbst, als das einzig Machtvolle, während der sich auch darin dokumentierende Orientierungsrahmen unsichtbar bleiben muss. Auch in der Diskursanalyse, die in der vorliegenden Arbeit durchgeführt wurde, konnte dieser „blinde Fleck“ nicht mittels eines rein diskurstheoretischen Ansatzes ausgeräumt werden. Vielmehr erfolgte hier eine Annäherung an implizite Orientierungsgehalte des Versorgungsdiskurses mithilfe des Konzepts der diskursiven Hegemonie. Mittels des an Laclaus Hegemoniebegriff orientierten Zugangs wurde das Bedeutsamwerden der Rede über die Versorgung alter Menschen mit Migrationshintergrund am Beispiel verschiedener „diskursiver Knotenpunkte“, wie den Äußerun-
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gen über „interkulturelle Öffnung“ oder „Kundenorientierung“ als ein Effekt diskursiver Hegemonie interpretiert. Der Ursprung dieser hegemonial wirkenden sozialen Kräfte wurde als eine neoliberale Grundorientierung charakterisiert. Ebenso erfolgte die Betrachtung der Architektur des hegemonial überformten diskursiven Feldes, welches ich zusammenfassend auch als Fach- bzw. Versorgungsdiskurs bezeichnet habe. Hier zeigte sich eine Verschränkung mehrerer Diskursstränge bzw. Themenfelder, die inhaltlich insbesondere über das Deutungsmuster „kulturelle Differenz“ miteinander verknüpft und zugleich durch ein „inhaltsleeres Strukturanpassungsprogramm“ (Kessl 2005, S. 201) überformt werden, welches ich, insbesondere zu Beginn der Analyse, auch als „Modernisierungsdiskurs“ bezeichnet habe. Obwohl der Modernisierungsdiskurs die übrigen Diskursstränge im diskursiven Feld vereinnahmt, bleibt er selbst nahezu „unsichtbar“, weil seine Programmatik als ein neoliberales Weltdeutungsprogramm praktisch inhaltsleer ist. Jedoch bewirkt dieses Programm eine Umdeutung der Inhalte von überlagerten Themenfeldern gemäß seiner hegemonialen Ausrichtung. Dieser Vorgang kann mit Lemke (2012) auch als „Ökonomisierung“ bezeichnet werden. Hierbei kommt es zur Übertragung von Begriffen sowie Argumentations- und Begründungslogiken aus dem Wirtschaftssystem auf Bereiche, die traditionell als wirtschaftsfern gelten, wie das Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystem. So wird der soziale Sektor nun zur „Sozialwirtschaft“, Patienten und Klienten werden zu „Kunden“ und soziale Einrichtungen zu „konkurrierenden Unternehmen“. Aus praxeologisch-wissenssoziologischer Perspektive kann die Überformung von Themenfeldern bzw. Diskurssträngen durch den Modernisierungsdiskurs auch als eine „sekundäre Rahmung“ bezeichnet werden. Hierbei kommt es auf der Akteursebene zur Übernahme von Sinngehalten, die nicht dem primären Orientierungsrahmen bzw. Habitus der Akteure entsprechen, sondern als „soziale Tatsachen“ – quasi von außen – an diese herangetragen werden. Dieses Außen entspricht sozialen Zwängen, welche in Form von „objektiven bzw. als objektiv wahrgenommenen Strukturen“ sozialer Felder auf die Akteure einwirken (vgl. Bohnsack 2014, S. 51). Die Auseinandersetzung mit Orientierungen des sekundären Rahmens vollzieht sich auf der Akteursebene im modus operandi des primären Orientierungsrahmens bzw. Habitus. Von daher ist der sekundäre Rahmen für die Akteure nicht unmittelbar handlungsleitend. Dasselbe gilt für Orientierungen der Themenfelder bzw. Diskursstränge, welche dem Fachdiskurs seine inhaltliche Ausrichtung geben (Alter/demografischer Wandel, Migration/Integration, Professionalisierung). Diese Themenfelder können aus praxeologisch-wissenssoziologischer Perspektive als „tertiäre Rahmen“ bezeichnet werden. Tertiäre Rahmen liegen ebenso wie sekundäre auf der Ebene kommunikativ-generalisierter Sinngehalte und sind somit für die Akteure nicht unmittelbar handlungsleitend. Die Unterscheidung zwischen sekundären und tertiären Rahmen drückt jedoch Unterschiede in Bezug auf den Institutionalisierungsgrad der Rahmen aus. Aus diskurs- und hegemonietheoretischer
13 DISKURSHEGEMONIE UND
PROFESSIONELLER
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Perspektive entspricht der sekundäre Rahmen einem hegemonialen Diskurs, dessen Sinngehalte bereits tiefer in die als „objektiv“ wahrgenommenen Strukturen sozialer Felder eingeschrieben sind. Den Akteuren begegnen diese in Form von gesetzlichen Verordnungen, Richtlinien, implementierten Steuerungsinstrumenten, Verfahrensstandards und ähnlichen institutionalisierten Zwängen. Der Prozess der Auseinandersetzung mit sekundären oder tertiären Rahmen auf der Akteursebene entspricht einer Auseinandersetzung mit milieufremden Orientierungen und kann zur Habitustransformation führen. Prinzipiell ist hierbei eine Entwicklung in zwei Richtungen möglich: der primäre Orientierungsrahmen bzw. Habitus eines Einzelnen oder einer Gruppe kann entweder im Zuge der Auseinandersetzung mit einem sekundären Rahmen transformiert werden oder der primäre Rahmen bleibt stabil und reproduziert sich im Auseinandersetzungsprozess. Im letzteren Fall verhält sich der Habitus als performative Struktur, die „innerlich dermaßen konsequent ist, dass sie sogar Begriffe, die von woanders her übernommen sind, in die eigene Richtung einzubiegen bestrebt ist“ (vgl. Mannheim 1984, Konservatismus, S. 53). So reproduziert, konturiert oder transformiert sich der Diskurs einerseits über die performative Struktur des Habitus und andererseits reproduziert, konturiert oder transformiert sich der Habitus in der Auseinandersetzung mit den Zwängen und Freiheitschancen der Ordnung des Diskurses. Handlungspraktische Relevanz erlangt die symbolische Ordnung des Diskurses für die Akteure jedoch nur in Bezug auf solche Aspekte, die sich für sie aus einem konjunktiven Erlebniszusammenhang heraus, also innerhalb eines aus gemeinsamer bzw. strukturidentischer Praxis resultierenden Erfahrungsraumes, als funktional erweisen. Im Zuge der soziogenetischen Typenbildung wurde professionelle Autonomie als eine solche zentrale Erfahrungsdimension herausgearbeitet. Diese stellt den existenziellen Erfahrungshintergrund der Herausbildung professioneller Versorgungsmilieus im Feld der Altenhilfe dar. Unterschiedliche professionelle Gestaltungsspielräume in Bezug auf ein gemeinsam geteiltes Orientierungsproblem professioneller Praxis – das Spannungsverhältnis zwischen verstehenden und instrumentellen Handlungslogiken – lassen unterschiedliche Versorgungsmilieus entstehen. Diese zeichnen sich durch jeweils spezifische habituelle Versorgungs- und Handlungsstile aus, welche im Zuge der sinngenetischen Typenbildung rekonstruiert wurden (Typus A, B und C). Der Umgang mit den programmatischen Forderungen des Fachdiskurses in der Versorgungspraxis erklärt sich somit immer auch aus seiner jeweils funktionalen Bedeutung in Bezug auf professionelle Autonomie als einer zentralen existenziellen Erfahrungsdimension aller Versorgungsmilieus. Anders ausgedrückt erweist sich der Fachdiskurs für die professionellen Akteure in der Versorgungspraxis nur insofern als wahrnehmungs- und handlungsrelevant, als dass er ihr Erleben von professioneller Autonomie berührt. Eine Erweiterung oder Begrenzung ihrer beruflichen Handlungs- und Entscheidungsfreiheiten durch die
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symbolische Ordnung des Fachdiskurses erfahren die drei Versorgungsmilieus auf jeweils unterschiedliche Weise. So können beispielsweise die Angehörigen des Versorgungsmilieus Typus A die Professionalisierungs- und Aufstiegschancen, welche dieser Diskurs insbesondere in Bezug auf die von Evetts herausgearbeiteten Aspekte der berufs- und organisationsbezogenen Professionalität verheißt, nicht zur Erweiterung ihrer professionellen Handlungsspielräume im Arbeitsalltag nutzen. Anhand des Vergleichs der Fälle Frau Ayçiçeği und Frau Begonie, welche in derselben stationären Einrichtung beschäftigt sind, wird deutlich, dass hierbei auch die Einrichtungsprogrammatik eine Rolle spielt. So erfährt Frau Ayçiçeği als Türkisch sprechende Mitarbeiterin eine vorübergehende Aufwertung vonseiten der Einrichtungsleitung als diese angesichts des immer präsenter werdenden Fachdiskurses geneigt ist, einen Einrichtungsschwerpunkt auf die Versorgung alter Menschen mit Migrationshintergrund zu legen („das war mein erster Schwerpunkt in diesem Haus gewesen“, Z. 36, Transkript Frau Ayçiçeği). Wie aus einem Interview mit der Einrichtungsleitung, Frau Bartnelke, hervorgeht, kommt es hierbei jedoch zu Widerständen vonseiten der Geschäftsleitung. Der Geschäftsführer ist um das „christliche Profil“ der Einrichtung besorgt (vgl. Z. 4, 53-55, Transkript Frau Bartnelke). Schließlich entscheidet man sich auf der Leitungsebene „bewusst gegen diese kultursensible Pflege“ (vgl. Z. 171, ebd.) und will lieber „in Richtung Demenz gehen“ (vgl. Z. 173, ebd.). Bezogen auf die symbolische Ordnung des Diskurses handelt es sich hierbei um eine Entscheidung zwischen zwei äquivalenten Elementen innerhalb desselben – hegemonialen – Referenzsystems. Denn beide Einrichtungsschwerpunkte sind gleichermaßen als Begründungs- und Legitimationsfolie für organisationsbezogenen Wandel und strukturellen Umbau im Sinne des Strukturanpassungsprogramms geeignet, welches den Fachdiskurs überformt (sekundärer Rahmen). Auf der handlungspraktischen Ebene führt diese Entscheidung jedoch dazu, dass jetzt Frau Begonie und nicht mehr Frau Ayçiçeği Aufstiegschancen im Sinne des Fachdiskurses und damit eine faktische Erweiterung ihrer professionellen Handlungsspielräume in der Einrichtung erhält. Da Frau Begonie bereits über Psychiatrieerfahrung verfügt, finanziert der Arbeitgeber ihr eine Fachweiterbildung zur gerontopsychiatrischen Fachkraft und bietet ihr eine Position als Wohnbereichsleitung an. Frau Ayçiçeği dagegen, die informell bereits für einen Lehrgang zur Wohnbereichsleitung vorgesehen war, erhält nun doch keine Finanzierung mehr durch den Arbeitgeber. Vielmehr erlebt sie eine Zunahme an Arbeitsverdichtung, Bürokratisierung und Kontrolle infolge des ökonomisierenden Strukturanpassungsprogramms (sekundärer Rahmen), ohne die neu hinzukommenden organisationsbezogenen Zwänge abfedern oder ausgleichen zu können. In dieser Situation reproduziert und konturiert sich ihr professioneller Habitus, welcher bereits aus der Vorerfahrung geringer professioneller Handlungsspielräume resultiert. So schreibt sie die empfundene Mehrbelastung nicht der Einrichtungsleitung oder strukturellen Zwängen zu, sondern dem
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Verhalten „schwieriger“ Bewohnerinnen und Bewohner. Diese Herausforderung bewältigt sie wiederum habitusgemäß durch rollenförmiges Verhalten und eine Praxis der Aberkennung von Selbstverantwortung der zu Pflegenden, was sich bei ihr insbesondere in Formen des Nicht-ernst-Nehmens der Bewohnerinnen und Bewohnern manifestiert (vgl. 3.1.2). Insgesamt orientiert sich ihre Handlungspraxis, wie die der Gruppe Alpenveilchen, am Primat der instrumentellen Expertise. Dieser Orientierungsrahmen macht es dem Versorgungsmilieu Typus A schwerer, flexibel auf den organisationalen Wandel zu reagierten. Denn hierbei wird das sozial verstehende Handeln dem instrumentellen untergeordnet. Dagegen können Herr Baumgärtner (ambulante Pflege) und Frau Blume (offene Altenhilfe) ebenso wie Frau Begonie (stationäre Pflege) Möglichkeiten, die ihnen insbesondere die Strukturanpassungsprogrammatik des Fachdiskurses auf der Einrichtungsebene eröffnet, für ihren beruflichen Aufstieg und damit auch für eine Erweiterung ihrer professionellen Handlungsspielräume nutzen. Typischerweise übernehmen die Fachkräfte im Zuge dessen verstärkt patientenferne Aufgabenbereiche, in denen ihnen vorwiegend eine Steuerungs-, Koordinierungs- und Kontrollfunktion zukommt. Hierbei erleben sie eine Erweiterung ihrer beruflichen Handlungs- und Entscheidungsfreiheiten insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit, gesundheitlich-pflegerische Versorgungsabläufe auf eine für sie als neu und anders erlebte Art zu organisieren („es läuft bei uns jetzt ja auch etwas anders“, Z. 240, Transkript Frau Begonie; „sie erwischen uns ja gerade in dieser Phase der Umwandlung“, Z. 3, Transkript Frau Blume; „bei uns ist es wirklich eher genau anders rum“, Z. 60, Transkript Herr Baumgärtner) und zwar so, dass Versorgungshandeln stärker als bisher auch an individuellen Bedürfnissen und Wünschen der pflegebedürftigen Menschen ausgerichtet werden kann und soll („wir müssen=s einfach … und wir wollen das auch“ Z. 371, Transkript Herr Baumgärtner). Hiermit trägt das Versorgungsmilieus Typus B zur Veränderung überkommener Versorgungsstrukturen im Feld der Altenhilfe bei, welche traditionell den Nutzerinnen und Nutzern eine stärkere Anpassungsleistung abverlangten. Von diesem traditionellen Modell grenzen sich die Angehörigen des Typus B implizit ab, wenn sie ihren Versorgungsstil als „Kundenorientierung“ bezeichnen. Das zugrunde liegende Orientierungsprinzip ist hier jedoch die Anerkennung der individuellen Autonomie des Gegenübers. Daher präsentieren die Angehörigen des Typus B ihren Versorgungsstil insbesondere dann im Modus der Distinktion, wenn es um Fragen der Selbstbestimmung im Versorgungskontext geht. Zugleich erleben die Angehörigen des Versorgungsmilieus Typus B aber auch Restriktionen ihrer professionellen Handlungs- und Entscheidungsspielräume in Form eines immer stärker werdenden Kosten- und Veränderungsdrucks, welcher sich infolge des hegemonialen Strukturanpassungsprogramms bemerkbar macht („wir haben seit den 90er Jahren eine extrem hohe Arbeitsverdichtung und die Finanzierung wird nicht angepasst. wir müssen wirklich seit den 90er Jahren, müssen wir extrem mehr machen, also extrem auch
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mehr Pflege leisten und im QM-Bereich mehr investieren, ohne dass wir irgendeine Finanzierung bekommen dafür“, Z. 643-647, Transkript Herr Baumgärtner). Übereinstimmend berichten die Fachkräfte von einer „Arbeitsverdichtung“, wobei „in derselben Zeit mehr Aufgaben und Anforderungen“ zu erledigen seien und „man gucken muss, wie kommt man mit dem Zeitkontingent, was man hatte, zurecht, um die Qualität der Arbeit so aufrechtzuerhalten“ (Z. 468-471, Transkript Frau Blume). Hierdurch geraten die Angehörigen des Versorgungsmilieus Typus B in eine ambivalente Position. Aus dieser resultiert der für dieses Milieu charakteristische Habitus der Balance zwischen der Anerkennung der individuellen Autonomie einer hilfebedürftigen Person und dem Prinzip der Versorgung. Unter Einbeziehung von Evetts professionssoziologischen Befunden kann man hier auch sagen, der professionelle Habitus dieses Versorgungsmilieus strebt nach einer Balance zwischen der Realisierung professionsbezogener und organisationsbezogener Professionalität. Insofern handelt es sich beim Typus B um einen Orientierungsrahmen, der sich erst vor dem Erfahrungshintergrund der Umsetzung des Strukturanpassungsprogramms des Fachdiskurses (sekundärer Rahmen) und den hieraus resultierenden professionellen Freiheiten und Zwängen auf der Ebene der Organisation manifestieren konnte. Dabei beziehen sich erlebte Gemeinsamkeiten allein auf die Strukturanpassungsprogrammatik des sekundären Rahmens. Dagegen ist der tertiäre Rahmen des Fachdiskurses für die Herausbildung des neuen Versorgungsstils von untergeordneter Bedeutung. Dies wird insbesondere am Vergleich der Fälle Frau Blume und Frau Begonie deutlich. So erklärt sich Frau Begonie die Entwicklung ihrer neuen Handlungspraxis, welche charakteristisch für den Versorgungsstil des Typus B ist, als eine Folge ihrer intensiven Auseinandersetzung mit der Migrationsthematik und der „interkulturellen Öffnung“ ihrer Einrichtung („wir haben hier einen Arbeitsbereich, da können wir viel Neues dazu lernen“ Z. 400-401, Transkript Frau Blume). Jedoch vollzieht sich bei Frau Begonie, in deren Einrichtung vonseiten der Leitungsebene Widerstand gegen die Migrationsthematik und die „interkulturelle Öffnung“ existiert, ein strukturell äquivalenter Prozess in Bezug auf das Thema „Demenzversorgung“ („das ist eher immer sehr gewollt und wird auch gefördert und unterstützt“ Z. 588-589, Transkript Frau Begonie). Die Rede über Versorgung alter Migranten (tertiärer Rahmen) erfüllt auf der Ebene der Organisation somit auch in Bezug auf die Habitusausbildung bzw. -transformation dieselbe Funktion wie die über Demenzversorgung (tertiärer Rahmen). Diese Funktion besteht auf der Ebene der Organisation darin, Veränderungspotenziale der Akteure zu bündeln und inhaltlich an das den Fachdiskurs hegemonial überformende Strukturanpassungsprogramm (sekundärer Rahmen) zu binden. Anhand welcher Thematik (tertiärer Rahmen) die symbolische Ordnung des sekundären Rahmens letztendlich umgesetzt wird, entscheidet sich auf der Ebene der Organisation und wird nach außen als Einrichtungsschwerpunkt im Sinne einer expliziten Organisationsprogrammatik sichtbar (z. B. kultursensible Pflege, Demenzversorgung).
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Anhand des Falls der Gruppe Blumenwiese, welcher bisher noch nicht vorgestellt wurde, wird deutlich, dass die hegemoniale Strukturanpassungsprogrammatik (sekundärer Rahmen) auch dann strukturierend auf den professionellen Habitus von Fachkräften einwirken kann, wenn die Umsetzung der expliziten Organisationsprogrammatik (tertiärer Rahmen: „kultursensible Pflege“) scheitert. Bei dem erhobenen Datenmaterial handelt es sich um den autorisierten Mitschnitt einer Teamsitzung, die in einer stationären Altenpflegeeinrichtung abgehalten wurde. Der christlich-konfessionell gebundene Einrichtungsträger hatte drei Jahre zuvor entschieden, einen Einrichtungsschwerpunkt auf die Versorgung pflegebedürftiger Muslime zu legen und hierfür eigens einen neuen Wohnbereich mit einem Gebetsraum für muslimische Bewohnerinnen und Bewohner einrichten lassen. Zudem hatte er in Öffentlichkeitsarbeit sowie ein spezielles Fort- und Weiterbildungsangebot für die Mitarbeiterschaft investiert. Anlass der aufgezeichneten Teamsitzung war die Frage, wie es mit diesem Projekt, welches vonseiten des Trägers und der Mitarbeiterschaft als „interkulturelle Öffnung“ bezeichnet wird, weitergehen solle. Dem Gespräch vorausgegangen war die ernüchternde Feststellung der Einrichtungsleitung, dass das neue Einrichtungsangebot zwar von allen Seiten wohlwollend zur Kenntnis genommen, von der anvisierten Zielgruppe – pflegebedürftige Muslime – jedoch überhaupt nicht in Anspruch genommen werde. Die Diskussionsgruppe besteht aus drei Vertreterinnen der Leitungsebene (Heimleitung, Pflegedienstleitung, Qualitätsbeauftragte), einer Sozialarbeiterin und zwei Pflegefachkräften mit Weiterbildungen zur Wohnbereichsleitung. Anfangs nimmt die Diskussion einen antithetischen Verlauf. Hierbei stellt die Pflegedienstleitung die Wahl des neuen Einrichtungsschwerpunkts in Frage und plädiert angesichts der Erfolglosigkeit des Projekts dafür, sich auf eine andere Zielgruppe zu konzentrieren, während die übrigen Gruppenmitglieder dagegen argumentieren. Als die Gruppe im Diskussionsverlauf jedoch ihren bisherigen Entwicklungsprozess reaktualisiert und sich dabei immer wieder vor Augen führt, was bereits alles an organisationsbezogener Entwicklungsarbeit „geleistet“ wurde, kommt es zu einem Wendepunkt. Man ist sich plötzlich einig, dass es zwar „superpeinlich“ nach außen wirke, immer noch keine Bewohnerinnen oder Bewohner mit Migrationshintergrund bzw. islamischen Glaubens „vorweisen“ zu können. Jedoch werden die Vernetzungs- und Kooperationsarbeit im Zuge der „interkulturellen Öffnung“ der Einrichtung sowie die Erfahrungen mit dem „Öffnungsprozess“ an sich als „sehr wertvoll“ bewertet (Minute 42ff., dig. Aufzeichnung Gruppe Blumenwiese). Abschließend kommt man darin überein, dass die neue Handlungspraxis „auf jeden Fall“ weitergeführt werden solle, weil man eine „super Arbeit geleistet“ habe. Allerdings will man die Versorgung von Muslimen nun stärker als einen auf die „Zukunft“ gerichteten „Prozess“ im Zuge der „interkulturellen Öffnung“ verstanden wissen, welcher die Einrichtung insgesamt „fit“ mache für kommende Herausforderungen (Minute 72ff., dig. Aufzeichnung Gruppe Blumenwiese).
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Es dokumentiert sich, dass die Gruppenmitglieder in ihrem über dreijährigen „Öffnungsprozess“ eine neue Handlungspraxis herausgebildet haben, die sie auf der Ebene konjunktiver Erfahrung gemeinsam teilen. Die in diesem Zusammenhang gewonnenen Erfahrungen reaktualisieren sich in der Diskussion und stellen für die Fachkräfte einen positiven Horizont dar. Hierbei handelt es sich gerade nicht um Erfahrungen, die aus pflegerischen oder betreuenden Tätigkeiten mit der anvisierten Zielgruppe, pflegebedürftige Muslime, resultieren. Vielmehr wird anhand der Beschreibungen und Erzählungen deutlich, dass die Gruppe sich mit administrativorganisatorischen Praktiken vertraut gemacht hat („Öffentlichkeitsarbeit“, „Kundenorientierung“, Entwicklung und laufende Kontrolle von Verfahrensstandards u. a.), welche typisch für die Handlungspraxis des Versorgungsmilieus Typus B sind. Hierbei erfolgt eine Orientierung an den Kundenwünschen allerdings in einer fiktiven, antizipierenden Form. Insofern kann man sagen, dass sich im Zuge der so genannten „interkulturellen Öffnung“ (tertiärer Rahmen) eine Habitus(trans)formation infolge der Chancen, Verheißungen und Zwänge der Strukturanpassungsprogrammatik (sekundärer Rahmen) des Fachdiskurses vollzogen hat. Deutlich wird dies auch daran, dass die Gruppe Blumenwiese in ähnlicher Weise argumentiert, wie Frau Blume, wenn es um die Bedeutung der „interkulturellen Öffnung“ (tertiärer Rahmen) geht. Auch Frau Blume spricht davon, dass man die „interkulturelle Öffnung“ als einen „Prozess“ verstanden wissen will, der „fließend“ ist. Diesen Prozess erleben die Akteure auf der Ebene der Organisation insofern als eine Erweiterung ihrer professionellen Handlungsspielräume, als dieser ihnen die Möglichkeit bietet, traditionelle Strukturen über das Strukturanpassungsprogramm des sekundären Rahmens aufzubrechen, eigene Ideen zu entwickeln und einzubringen. Dass ihr Handeln dabei auch neuen Restriktionen unterliegt, die diese Bestrebungen wieder unterlaufen können, wird argumentativ dadurch aufgewogen, dass der Anspruch, inhaltliche Ziele (tertiärer Rahmen) zu erreichen, vor dem Prozessgedanken (sekundärer Rahmen) in den Hintergrund tritt. Indem der „Öffnungsprozess“ als ein auf die Zukunft gerichtetes kontinuierliches Bemühen um Verbesserung des aktuellen Zustandes gedeutet wird, gibt es kein endgültiges Ankommen und damit verliert die Frage einer konkreten Zielerreichung in Bezug auf den tertiären Rahmen an Bedeutung. Wichtig ist allein, in Bewegung zu bleiben, wodurch sich die über den sekundären Rahmen erworbene Handlungspraxis weiter reproduziert. Während sich dem Versorgungsmilieu Typus B erst durch den Fachdiskurs bzw. die Umsetzung des Strukturanpassungsprogramms auf der Ebene der Organisation eine Möglichkeit zur Erweiterung der professionellen Autonomie eröffnet, verfügen die Angehörigen des Versorgungsmilieus Typus C bereits über eine derartige Erfahrungsgrundlage. Anders als beim Typus B ist diese Erfahrung jedoch in einer patientennahen Handlungspraxis verankert, welche zugleich eine wesentliche Quelle der Berufszufriedenheit des Typus C darstellt. Deshalb erscheinen diesem Milieu die Handlungsspielräume, welche der Fachdiskurs auf der administrativ-
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organisatorischen Ebene eröffnet, wenig attraktiv. Habituell strebt dieses Versorgungsmilieu vielmehr danach, sich angesichts der Zunahme von Arbeitszeitverdichtung, Bürokratie und Kontrolle infolge der Ausweitung des Strukturanpassungsprogramms in den sozialen Diensten, jenes Maß an professioneller Autonomie zu sichern, welches dieses Milieu für die Umsetzung seines bisher praktizierten verstehenden und beziehungsorientierten Versorgungsstils benötigt. Hierzu besetzen die Angehörigen des Versorgungsmilieus Typus C gerne Angebotsnischen im Feld der Altenhilfe, wie ambulante Dienste oder neuartige Versorgungsprojekte mit einem „kulturspezifischen“ Schwerpunkt. Insbesondere Frau Cicek, die ihren eigenen Pflegedienst eröffnet hat, greift dabei in strategischer Weise auf Narrative des Fachdiskurses zurück. So bedient sie sich kulturalisierender Orientierungsschemata (tertiärer Rahmen) und marktförmiger Begründungslogiken (sekundärer Rahmen), wenn es ihr um die Legitimation und Profilierung ihres „kulturspezifischen“ Pflegedienstes geht. In den Erzählungen und Beschreibungen ihrer Versorgungspraxis dokumentiert sich jedoch, dass diese Orientierungsschemata keinerlei handlungspraktische Relevanz für ihren Versorgungsstil haben.
14 Abschließende Diskussion
Ein wesentliches Ziel der vorliegenden Studie bestand darin, eine Kombination aus einem diskurstheoretischen Zugang mit einem praxeologisch-wissenssoziologischen zu erproben, um neue Perspektiven auf altbekannte Problembeschreibungen zu eröffnen und damit auch metakommunikative Verständigung in Bezug auf den seit mehr als zwanzig Jahren festgefahrenen Fachdiskurs zum Themenkomplex Alter, Migration, Versorgung zu ermöglichen. Methodologisch gesehen wurde hiermit ein Beitrag zur Bearbeitung von Anschlüssen zwei einander ergänzender, jedoch kategorial verschiedener Analysekategorien geleistet: Diskus und Habitus. Ein persönlicher Anlass für die Entwicklung dieser Zielstellung bestand insbesondere in einer Irritation über den durch Vagheit und Normativität geprägten sprachlichen Duktus, der in der Fachliteratur zum Thema Versorgung im Migrationskontext vorherrscht. So wird hier regelmäßig eine Programmatik als alternativlos präsentiert, die einen “kompetenten“, „sensiblen“ und „offenen“ Umgang mit kultureller Differenz im Feld der Altenhilfe fordert, ohne über ein empirisch fundiertes Verständnis der propagierten Konzepte zu verfügen und ohne ein ebensolches Verständnis darüber, wie Versorgungspraxis im Migrationskontext jenseits kulturalisierender Zuschreibungen funktioniert. Vielmehr existiert eine eklatante Forschungslücke in Bezug auf die Frage, wie und aus welcher professionellen Haltung heraus alte Menschen mit Migrationshintergrund im Feld der Altenhilfe beraten, betreut und gepflegt werden. Es scheint daher, als hätte die normative Begründung programmatischer Forderungen zum Thema Alter, Migration und Versorgung auch auf wissenschaftlicher Ebene eine höhere Bedeutung als die Erarbeitung empirisch fundierter Grundlagen. Zumindest ist festzustellen, dass sich die Versorgungsforschung im Verlauf der über 20-jährigen Fachdebatte zum Thema Versorgung im Migrationskontext mit einer relativ kritiklosen Übernahme und Verbreitung normativer Konzepte zum Umgang mit kultureller Differenz begnügt hat, während die tatsächlich gelebte Versorgungspraxis gemäß dem aktuellen Stand der Forschung immer noch als eine Art „Black-Box“ erscheint (Bauer/Büscher 2007, S. 305; vgl. auch: Bauer/Büscher 2008 u. Kapitel 1.1 in dieser Arbeit). Mit der vorliegenden
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Studie sollte ein Betrag zur Bearbeitung der oben genannten Forschungslücke geleistet werden. Angesichts einer normativ aufgeladenen Fachdebatte einerseits und der großen Forschungslücke in Bezug auf Funktionsmechanismen und Handlungslogiken der Versorgungspraxis andererseits wurde hierbei ein für die konventionelle Versorgungsforschung eher ungewöhnlicher und neuartiger methodischer Zugang gewählt. Dieser erlaubt es nicht nur, der anhaltenden Klage über die – tatsächliche oder vermeintliche – Veränderungsresistenz der Versorgungspraxis aus einer praxeologisch-wissenssoziologischen Perspektive heraus auf den Grund zu gehen, sondern ebenso die Architektur dieser anklagenden Rede mittels eines diskurstheoretischen Ansatzes in den Blick zu nehmen und ihre soziohistorische Funktion herauszuarbeiten. Inwiefern sich hierdurch neue Perspektiven auf die Versorgungspraxis und Versorgungsqualität im Feld der Altenhilfe eröffnen, welche theoretischen Anschlüsse sich insbesondere in Bezug auf die Aus-, Fort- und Weiterbildung in diesem Bereich ergeben und wie die in der vorliegenden Studie rekonstruierte Fachdebatte vor diesem Hintergrund zu beurteilen ist, gilt es im Folgenden zu diskutieren. Dabei sollen Anschlüsse an bestehende Wissensbestände und Diskussionen ebenso aufgezeigt werden wie Begrenzungen der vorliegenden Studie und Herausforderungen, die sich hieraus für zukünftige Forschungsprojekte ergeben.
14.1 V ERSORGUNGSFORSCHUNG : ETWAS „N EUES “ ENTDECKEN Mittels der Dokumentarischen Methode als einem praxeologisch-wissenssoziologischen Verfahren eröffnet sich den Forschenden insbesondere ein Zugang zu den konjunktiven Erfahrungsräumen der Beforschten. Das dort verankerte konjunktive Wissen liegt nicht in abstrakt-begrifflicher Form vor und kann daher nicht direkt im Interview abgefragt werden. Ebenso wenig kann dieses implizite Wissen durch reines Beobachten der Handlungspraxis erschlossen werden. Denn auch bei der Deutung von Handlungsvollzügen müssen die Forschenden – sofern sie nicht über denselben oder einen strukturidentischen Erfahrungshintergrund wie die Beforschten verfügen – Motivunterstellungen (Um-zu-Motive) vornehmen (vgl. Bohnsack 2010a, S. 60). Solche Interpretationen verweisen jedoch eher auf das jeweils eigene Relevanzsystem des bzw. der Interpretierenden, als auf das der Beforschten (vgl. Bohnsack 2014, S. 46 u. 2010b, S. 50). Handelt es sich beim Untersuchungsgegenstand allerdings um rollenförmiges Handeln, lassen sich häufig dennoch aufschlussreiche Forschungsergebnisse erzielen, sofern den Forschenden die im Handeln implizierten Erwartungshaltungen geläufig sind (vgl. ebd.). So deutet Dreißig (2005, 2008) beispielsweise ihre Feldbeobachtungen von Interaktionen zwischen unterschiedlichen Patientengruppen und Beschäftigten im Krankenhaus als einen
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rollengebundenen Interessenskonflikt innerhalb eines machttheoretisch fundierten Bezugsrahmens und erzielt hiermit teilweise interessante, jedoch keinesfalls neuartige Forschungsergebnisse. Vielmehr bestätigt ihre Studie insgesamt ältere Befunde wie die von Brucks et al. (1987), denen zufolge Patienten mit Migrationshintergrund Benachteiligungen im Gesundheitssystem weniger wegen ihrer ethnischkulturellen Zugehörigkeit als vielmehr aufgrund ihres meist niedrigeren sozioökonomischen Status erführen (vgl. ebd. u. Dreißig 2008, S. 371). Hierbei liegt eine Annahme zugrunde, die in der Fachliteratur weit verbreitet ist und regelmäßig zu der gleichen Problembeschreibung führt. So wird implizit oder explizit davon ausgegangen, dass Fachkräfte im Gesundheits- und Sozialwesen eine relativ homogene soziale Gruppe darstellten, die Orientierungen einer sogenannten „Mittelschicht“ und damit der bundesdeutschen Mehrheitsgesellschaft aufwiesen (vgl. Straßburger 2009; Eichler 2008, S. 24; Walter et al. 2007, S. 350 Olbermann 2003, S. 13 u. v. a.). Beispielsweise heißt es bei Seifert und Harms (2012): „Zugangsbarrieren resultieren aus soziokulturellen Unterschieden zwischen mittelschichtorientierten Professionellen und Migranten aus sozial benachteiligten Milieus.“ (vgl. Seifert/Harms 2012, S. 75). Aus dem gleichen Grund werden „Vorbehalte gegenüber Zielgruppen“ mit Migrationshintergrund und/oder einem niedrigen sozioökonomischen Status sowie „mangelndes ethnokulturelles Verständnis“ aufseiten der Fachkräfte angenommen (Walter et al. 2007, S. 350). Dagegen kann in der vorliegenden Studie anhand der praxeologisch-wissenssoziologischen Forschungsperspektive aufgezeigt werden, dass die Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen in Bezug auf ihre Handlungspraxis keineswegs so homogene Orientierungen aufweisen, wie dies in der Fachliteratur allgemein angenommen wird. Vielmehr erwies es sich zu Beginn des praxeologisch-rekonstruktiven Forschungsprozesses als relativ schwierig, handlungs- und erlebensmäßig fundierte Gemeinsamkeiten mit Bezug zur Ausgangsfragestellung ausfindig zu machen, um einen fallübergreifend geteilten Orientierungsrahmen zu finden. Anders als es ein Großteil der Fachliteratur zum Thema Alter, Migration und Gesundheit regelmäßig nahelegt, konnte auch keine eigenständige Typik in Bezug auf das Thema Versorgung im Migrationskontext oder von Menschen mit niedrigem sozioökonomischen Status rekonstruiert werden. Vielmehr stellt sich die gefundene Basistypik, also das Spannungsverhältnis zwischen verstehenden und instrumentellen Handlungslogiken, als eine generelle Herausforderung professioneller Handlungspraxis im Feld der Altenhilfe dar. Dieses Orientierungsproblem tritt berufsgruppen-, versorgungsform- sowie zielgruppenübergreifend auf und somit auch, jedoch nicht nur, im Migrationskontext. Problematisch ist soziale Heterogenität im Versorgungsalltag aus praxeologisch-wissenssoziologischer Perspektive also nicht per se, sondern immer nur dann, wenn eine Fachkraft gefordert ist, unter Zeit- und Handlungsdruck sozial verstehende Handlungslogiken mit instrumentellen zu vereinbaren. Denn hierbei kommt die prinzipielle Schwierigkeit zum Tragen, dass soziales Verstehen die Anerkennung des Gegenübers als Indivi-
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duum voraussetzt, während das instrumentelle Handeln einen typisierenden bzw. kategorisierenden und objektivierenden Blick auf den anderen erfordert. Wie mit diesem Spannungsverhältnis handlungspraktisch umgegangen wird, ist eine Frage des professionellen Habitus bzw. des jeweils habitualisierten Versorgungsstils einer Fachkraft. Insgesamt konnten in der vorliegenden Studie drei verschiedene professionelle Habitus bzw. Versorgungsstile (Typus A, B, C) rekonstruiert und soziogenetisch aus den Strukturen der Versorgungspraxis heraus erklärt werden. Handlungspraktisch entscheidend sind demnach weniger der sozioökonomische Status oder das soziale Milieu, aus dem zu Pflegende und Fachkräfte jeweils stammen, als vielmehr die professionellen Strukturen, innerhalb denen das Grundproblem sozialer Dienstleistungen, also das oben beschriebene Spannungsverhältnis, zu bearbeiten ist. Hierbei haben sich der Grad der erlebten professionellen Handlungsfreiheiten sowie der räumlich-körperlichen Nähe bzw. Distanz zu den zu Pflegenden als gemeinsam geteilte Erfahrungsdimensionen der Fachkräfte erwiesen. Diese Forschungsbefunde stellen einen entscheidenden Beitrag zur Erweiterung des wissenschaftlichen Wissens auf dem Gebiet der gesundheits- und pflegewissenschaftlich orientierten Versorgungsforschung dar. Zeigen sie doch erstens auf, dass unabhängig von den relativ homogenen sozialen Eckdaten der professionellen Fachkräfte, wie Einkommenssituation und Bildungshintergrund, sehr unterschiedliche Versorgungsmilieus im Feld der Altenhilfe existieren und zweitens wird deutlich, welche professionellen Strukturen ausschlaggebend für die Herausbildung dieser unterschiedlichen Versorgungsmilieus sind. Veränderungen des Versorgungsstils, wie dies im wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Fachdiskurs über die Versorgung alter Migranten immer wieder gefordert wird, sind ohne die Berücksichtigung der professionellen Strukturen, aus denen die unterschiedlichen Stile erwachsen, kaum zu erreichen.
14.2 V ERSORGUNGSQUALITÄT Im Fachdiskurs über die professionelle Versorgung alter Migranten werden Konzepte und Leitbilder propagiert, die normative Aussagen darüber machen, wie Versorgungspraxis im Migrationskontext sein soll. Im Mittelpunkt steht hierbei der Umgang mit kultureller Differenz. Dieser soll möglichst „kompetent“, „sensibel“ und „offen“ sein, wobei interpretationsbedürftig bleibt, was darunter jeweils zu verstehen ist. Ebenso deutungsabhängig sind daher die Kriterien, anhand derer die Umsetzung solcher Forderungen zu prüfen ist. Ungeachtet dieser Schwierigkeiten überwiegt im bisherigen Stand der Forschung zur Versorgung pflegebedürftiger alter Menschen mit Migrationshintergrund das Bild einer ebenso veränderungsbedürftigen wie veränderungsresistenten Versorgungspraxis. So können einschlägige
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Studien „Erfolge“ bei der Umsetzung der Programmatik zur Versorgung alter Menschen mit Migrationshintergrund bisher nur „punktuell“ feststellen (vgl. RKI 2008, S. 132; vgl. hierzu auch: Kapitel 2). Eine Schwierigkeit solcher Untersuchungen besteht allerdings darin, einen validen Zugang zur Logik der Versorgungspraxis zu finden. Aus der Perspektive praxeologischer Wissenssoziologie erfolgt sowohl die jeweilige Deutung als auch die Umsetzung programmatischer Konzepte gemäß der jeweiligen Logik der Praxis in einem Handlungsfeld. Die Realisierung einer Programmatik kann daher ebenso wie die angemessene Überprüfung ihrer Umsetzung kaum gelingen, solange praxisrelevante Orientierungsprobleme und handlungsleitende Orientierungen der Akteure nicht bekannt und anschlussfähig an die Ebene der programmatischen Forderungen sind. Andernfalls besteht die Gefahr, dass implizite und explizite Orientierungen nicht übereinstimmen, sodass das eine aus einer bestimmten Handlungslogik heraus zwar getan, etwas völlig anderes jedoch, aufgrund normativer Vorgaben, erklärt oder bewertet wird. Vor diesem Hintergrund stellt sich also die grundsätzliche Frage, wie die handlungspraktische Umsetzung normativer und damit immer auch interpretationsbedürftiger Konzepte adäquat bewertet werden kann oder allgemeiner formuliert, wie „Versorgungsqualität“ angemessen zu definieren und zu überprüfen ist. Nentwig-Gesemann findet hierauf eine praxeologisch-wissenssoziologisch fundierte Antwort, wenn sie danach fragt, wie professionelle Praxis eigentlich das bewirkt bzw. das leistet, was sie leistet (vgl. Nentwig-Gesemann 2010, S. 71). Mit ihrem Fokus eröffnet sich auch ein neuer Zugang zur Thematisierung von Versorgungsqualität im Feld der Altenhilfe. Denn aus einer rekonstruktiv-praxeologischen Forschungsperspektive ist Versorgungsqualität kein von außen anzulegender Maßstab mehr, sondern ein „performatives, kontextrelatives, dynamisches und perspektivisches Konstrukt“ (vgl. Honig et al. 2004 u. Honig 2002 zit. nach Nentwig-Gesemann 2010, S. 72). Dieses kann nicht vorab gekannt, sondern muss zunächst rekonstruiert werden. Mit den Forschungsergebnissen der vorliegenden Studie kann beispielsweise die Frage beantwortet werden, wie Versorgungsqualität im Migrationskontext jenseits kulturalisierender Orientierungsschemata und Zuschreibungen im Feld der Altenhilfe erbracht wird. Zentral ist hierbei der Befund, dass diese Qualität prinzipiell nicht anders hergestellt wird als in herkunftshomogenen Versorgungssituationen, wobei im Rahmen dieser Studie erstmals drei verschiedene Versorgungsstile (Typus A, B, C) unterschieden und aus den professionellen Strukturen im Feld der Altenhilfe heraus erklärt werden konnten. Die Rekonstruktionsergebnisse dieser Studie sind auch auf die Frage anwendbar, was „kultursensible“ oder „interkulturell kompetente“ Versorgungspraxis im Feld der Altenhilfe aus empirisch-analytischer bzw. rekonstruktiv praxeologisch-wissenssoziologischer Perspektive ist. So wurde beispielsweise deutlich, dass die diesen Konzepten immanente Vorstellung kultureller Differenz keine primäre, also keine wahrnehmungs- und handlungsorientierende Bedeutung in der Versorgungsinteraktion hat. Vielmehr stellen sich vor dem Hin-
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tergrund der Forschungsergebnisse dieser Studie zwischenmenschliche Begegnungen im Versorgungskontext eher als kulturübergreifende bzw. transkulturelle Interaktionen dar. Denn das Problem des Fremdverstehens stellt sich den Betroffenen grundsätzlich und eben nicht nur im Migrationskontext. Es wäre daher angebrachter von transkultureller oder auch transpersoneller Sensibilität bzw. Kompetenz zu sprechen (theoretische Anschlüsse hierzu werden im folgenden Abschnitt aufgezeigt). Hierbei geht es stets um die Frage, wie im Versorgungskontext eine verstehende Beziehung zum jeweiligen Gegenüber hergestellt wird. Anhand der in dieser Studie rekonstruierten Versorgungsstile lassen sich drei Interaktions- und Verständigungsmodi unterscheiden. So ist die Beziehungsgestaltung und Verständigungsweise des Versorgungsmilieus Typus A als rollenförmig und stereotypisierend zu charakterisieren. Hiervon abzugrenzen sind die Interaktions- und Verständigungsmodi der Typen B und C. Diesen beiden Typen ist gemeinsam, dass hier das Gegenüber nicht stereotypisiert, sondern ein Zugang zum Individuum gesucht wird. Während beim Typus B eine fremde Perspektivübernahme angestrebt wird, indem vor allem immanente Sinn- und Bedeutungsgehalte von Äußerungen des Interaktionspartners auf der Ebene der kommunikativen Verständigung erfasst werden, gelingt beim Typus C regelmäßig auch ein Zugang zum konjunktiven Erfahrungsraum des Gegenübers, wodurch ein unmittelbares, oft auch „leibliches“ Verstehen (vgl. hierzu: Uzarewicz/Moers 2012), auf der Grundlage gemeinsam geteilter oder strukturidentischer Erfahrungen möglich ist. Mit Bohnsack (2010a, S. 59) und Mannheim (1980, S. 272) kann man sagen, dass ein echtes „Verstehen“ im Versorgungsprozess eher durch die Handlungspraxis des Typus C möglich ist. Dagegen handelt es sich bei der Praxis des Versorgungsmilieu Typus B vornehmlich um ein „immanentes Interpretieren“, welches auf den subjektiv gemeinten Sinn des anderen abzielt (vgl. Mannheim 1980, S. 278). Da hierbei eine Unterscheidung kaum möglich ist zwischen dem subjektiv Gemeinten und einer bloßen Zuschreibung im Sinne eines Hineininterpretierens auf der Grundlage des eigenen Relevanzsystems, birgt der interpretierende Zugang des Versorgungsmilieus Typus B ebenso wie die stereotypisierende Handlungspraxis des Typus A ein hohes Potenzial für misslingende Verständigung durch Fremdzuschreibungen. Dagegen kann die Praxis der unmittelbaren Verständigung, wie sie beim Typus C zu beobachten ist, als ein Merkmal gelingender Verständigung und damit auch als ein praxeologisch fundierter Hinweis auf gute Versorgungsqualität insbesondere in herkunftsheterogenen Versorgungssituationen gelten.
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14.3 V ERSORGUNGSMILIEU T YPUS C: THEORETISCHE ANSCHLÜSSE Der Orientierungsrahmen des Versorgungsmilieus Typus C weist Charakteristika auf, die in hohem Maße anschlussfähig an bestehende Theorien und (pflege-)theoretische Konzepte sind, welche die verstehende zwischenmenschliche Begegnung im Kontext sozialer Heterogenität zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen machen und dabei in der Alltags- und Lebenserfahrung als wesentlicher Erkenntnisquelle fundiert sind. Hierzu gehören insbesondere das Konzept der „Transkulturalität“ des deutschen Philosophen Wolfgang Welsch (1994, 1995), das hierauf aufbauende Konzept der „transkulturellen Kompetenz“ der schweizerischen Ethnologin und Krankenschwester Dagmar Domenig (2001, 2001a) sowie die „Theorie der transpersonalen Zuwendung“ der amerikanischen Pflegewissenschaftlerin Jean Watson (1996). Das Konzept der Transkulturalität nach Welsch nimmt die menschliche Interaktion als einen pragmatischen Ausgangspunkt der Betrachtung. Im Fokus steht das menschliche Miteinander jenseits kultureller Zuschreibungen. Kulturelle Differenz soll durch diesen Zugang nicht geleugnet, wohl aber von konstruierten kollektiven Identitäten entlang nationalstaatlicher und/oder ethnisch-kulturell konnotierter Zuschreibungen unterschieden werden. Denn diese seien in der Regel nicht nur „deskriptiv falsch“, sondern auch „normativ gefährlich“, da sie politischen Konflikten und Kriegen den Boden bereiteten (vgl. Welsch 1995)1. Zudem werde eine rein differenzialistische Beschreibung von Kultur nicht mehr den neuartigen Verflechtungen gerecht, die als eine Folge von Migrationsprozessen, weltweiten Verkehrsund Kommunikationssystemen sowie ökonomischen Interdependenzen entstanden seien (vgl. Welsch 2002)2. „Als ich vor bald 20 Jahren anfing, dieses Konzept zu entwickeln, trieb mich der Eindruck an, dass unser herkömmlicher Kulturbegriff auf seinen Gegenstand, die heutigen Kulturen, schlicht nicht mehr passt. Die zeitgenössischen Kulturen schienen mir eine andere Verfassung angenommen zu haben, als die althergebrachten Vorstellungen von Kultur noch immer behaupteten oder suggerierten.“ (Welsch 2010, S. 39)
Welsch ersetzt die traditionelle, auf das Herder’sche Weltbild homogener, getrennter Einheiten zurückgehende Kulturvorstellung, welche auch moderneren Kulturtheorien wie dem „Multikulturalismus“ oder dem Konzept der „Interkulturalität“ immer noch anhafteten, durch eine neuartige Form, die „durch die klassischen
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Kulturgrenzen wie selbstverständlich hindurchgeht“ (Welsch 1995, o. S.). Aus transkultureller Perspektive nimmt die Welt im Ganzen an Stelle des separatistischen Modells ein „Netzdesign“ an (Welsch 2002, o. S.). Diversität im transkulturellen Sinne entsteht laut Welsch dadurch, dass unterschiedliche Gruppen und Individuen transkulturellen Mustern Gestalt geben, indem sie auf unterschiedliche kulturelle Quellen zurückgreifen: “Die transkulturellen Netze sind aus unterschiedlichen Fäden und auf unterschiedliche Weise gewebt. Daher wird […] erneut ein hoher Grad an kultureller Mannigfaltigkeit entstehen.“ (ebd.). Diese neue Art, kulturelle Vielfalt zu betrachten, bringt gegenüber der alten separatistischen den Vorteil, dass nun existierende Unterschiede und Gemeinsamkeiten gleichzeitig in den Blick zu nehmen sind. Denn die transkulturellen Netze jedes Individuums enthielten im Vergleich zu anderen Individuen stets gemeinsame und verschiedene Elemente (vgl. ebd.). Der „Multikulturalismus“ verlagere dagegen die althergebrachte Vorstellung von Kulturen als abgegrenzte Inseln oder Kugeln in die Gesellschaften hinein. Nach der traditionellen Kulturvorstellung könnten sich Kulturen – ihrer begrifflichen Logik gemäß – jedoch nur „voneinander absetzen, sich gegenseitig verkennen, ignorieren, diffamieren oder bekämpfen“ (Welsch 1995, o. S.). Eine Verständigung und gegenseitiger Austausch sei im Multikulturalismus ausgeschlossen, vielmehr führe er notwendigerweise zu interkulturellen Konflikten (vgl. ebd.). Das Konzept der Interkulturalität sei nun angetreten, die normativen und praktischen Probleme, die mit der traditionellen Kulturvorstellung einhergingen, zu lösen. Jedoch könne dieses Konzept – bei aller scheinbaren Fortschrittlichkeit – seine Ziele niemals erreichen, da es genau jene Probleme produziere, welche es eigentlich lösen wolle (vgl. ebd.). Denn, indem das Konzept der Interkulturalität Schwierigkeiten der menschlichen Koexistenz und der strukturellen Kommunikationsunfähigkeit durch das Präfix „inter-„ zu überwinden versuche, bestätige und verfestige es den traditionalistischen Kulturbegriff, anstatt ihn zu überwinden: „Eben deswegen vermag man zu keiner Problemlösung zu gelangen, denn die interkulturellen Probleme entspringen der Insel- bzw. Kugelthese der Kulturen. Das klassische Kulturkonzept schafft durch den separatistischen Charakter der Kulturen das [Ausgangs]Problem.“ (Welsch 2002, o. S.)
Erfahrungen der interkulturellen Jugendarbeit und anderer Bereiche sozialer und pädagogischer Arbeit scheinen den von Welsch herausgearbeiteten Effekt zu bestätigen. So wurde in verschiedenen Fällen beobachtet, dass interkulturelle Ansätze mit ethnisch-kulturellen Zuschreibungen einhergingen, die dann zum Auslöser „interkultureller Konflikte“ wurden (vgl. Nick 2003, S. 50f.). Anders als die differenzialistischen Kulturkonzepte fordert das Konzept der Transkulturalität dazu auf, im Umgang mit dem Fremden eine neue Blickrichtung einzunehmen, und zwar weg
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„von der Konzentration auf die Polarität von Eigenem und Fremden … hin zu einer Aufmerksamkeit auf das möglicherweise Gemeinsame und Verbindende, wo immer wir Fremden begegnen.“ (Welsch 2002, o. S.). Hierdurch verschwinde kulturelle Vielfalt nicht, aber „ihr Modus“ verändere sich (ebd.). Der neue Typus von Diversität ermögliche von seiner Struktur her eher Koexistenz als Konflikt. Aus praxeologisch-wissenssoziologischer Perspektive wird ersichtlich, dass Welsch mit seinem Konzept der Transkulturalität implizit auf die Beschreibung eines rein in der Handlungspraxis fundierten Kulturbegriffs abzielt. So unterscheidet er in einem neueren Text auch zwei Bedeutungsebenen des Begriffs „Kultur“, welche es tunlichst zu trennen und nicht mehr „wie selbstverständlich zu amalgamieren“ gelte. Hierbei handelt es sich zum einen um eine „inhaltliche“ Bedeutungsdimension, „wo ‛Kultur’ als Sammelbegriff für diejenigen Praktiken steht, durch welche die Menschen ein menschentypisches Leben herstellen. Diese inhaltliche Bedeutung umfasst Alltagsroutinen, Kompetenzen, Überzeugungen, Umgangsformen, Sozialregulationen, Weltbilder und dergleichen.“ (Welsch, 2010, S. 39)
Hiervon abzugrenzen sei die Dimension der geographischen, nationalen und/oder ethnischen „Extension“ kultureller Praktiken. Diese „extensionale Bedeutsamkeitsdimension“ will Welsch mit seinem Konzept der Transkulturalität einer „begrifflichen Revision“ unterziehen (ebd.). Gemäß den Kategorien der Mannheim’schen Wissenssoziologie ist das von Welsch auch als „traditionell“ bezeichnetes Kulturverständnis auf der Ebene des kommunikativen Denkens anzusiedeln. Dagegen liegen die Inhalte dessen, was für Welsch Transkulturalität ausmacht, auf der Ebene des konjunktiven Erfahrungswissens. Hierzu passt, dass Welsch sein Konzept der Transkulturalität auch als einen „pragmatischen“ Kulturbegriff bezeichnet, den er mit Wittgenstein als das Vorliegen geteilter „Lebenspraxis“ verstanden wissen will (Welsch 1994, 1995, o. S.)3. Ein solches Kulturverständnis ist, seiner Ansicht nach, frei von „ethnischer Fundierung und Homogenitätsansprüchen“, da es die „mannigfaltigen Verflechtungen, Überschneidungen und Übergänge zwischen den Lebensformen“ berücksichtige (ebd.). Diese aus gemeinsam geteilter Lebenspraxis oder strukturäquivalenten Erfahrungen resultierenden sozialen Gebilde kann man mit (Bohnsack 2010a, S. 112-113) auch als „soziale Milieus“ auffassen im Sinne gruppenhafter (z. B. Schüler, Studenten, professionelle Fachkräfte) oder übergreifender konjunktiver Erfahrungsräume (z. B. Generations-, Geschlechter-, Migrations-, Bildungsmilieus) oder auch als „kleine Lebenswelten“ (vgl. ebd. u. Luckmann 1978 zit. n. Hitzler/Honer 1984, S. 66). Wobei die „kleinen Lebenswelten“ gegenüber den sozialen Milieus sozialgeschichtlich weniger fundiert und deshalb in ihrer 3
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prägenden Kraft für den Handelnden und seine habituellen Dispositionen geringer seien (vgl. Bohnsack 2010a, S. 112f.). Mittels der Dokumentarischen Methode kann das in diesen sozialen Gebilden – seien es soziale Milieus oder „kleine Lebenswelten“ – jeweils gemeinsam geteilte konjunktive Erfahrungswissen empirischanalytisch rekonstruiert und somit gezielt das expliziert und nachvollziehbar gemacht werden, was Welsch als Transkulturalität bezeichnet. Insofern kann die Erforschung transkultureller Phänomene durch eine Reformulierung des Konzepts der Transkulturalität anhand der Kategorien praxeologischer Wissenssoziologie zur Bereicherung und Präzisierung dieses noch jungen Konzeptes beitragen. Beispielsweise wird erst durch diese Anschlüsse ersichtlich, dass Transkulturalität stark in einer Form von Sozialität verankert ist, die sich auf einer „Meso-Ebene“ gesellschaftlicher Analyse vollzieht, also jener Ebene, auf der soziale Milieus und „kleine Lebenswelten“ angesiedelt sind (vgl. ebd., S. 113). Dagegen werden transkulturelle Phänomene bei Welsch vor allem auf der sozialen Makro- und der individuellen Mikro-Ebene beschrieben, während er zum eigentlichen Ort des Transkulturellen, nämlich die über einen existenziellen Erfahrungshintergrund miteinander verbundene Gemeinschaft, bislang nur implizit vorgedrungen ist. Mit der Rekonstruktion des Versorgungsmilieus Typus C konnte erstmals empirisch aufgezeigt werden, dass sich professionelle Pflegefachkräfte im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit auch dadurch einen verstehenden Zugang zum Gegenüber verschaffen, dass sie sich mit diesem auf gemeinsam geteilte konjunktive bzw. transkulturelle Erfahrungsräume einlassen. Diese immer wieder auf ein Neues durchzuführende Suche nach konjunktiver Übereinstimmung bzw. nach transkulturellen Überschneidungen in einem professionellen Rahmen stellt ein handlungspraktisches Können dar. Hierbei handelt es sich um ein implizites und atheoretisches bzw. konjunktives Wissen, wie unter Zeit- und Handlungsdruck erlebensmäßig verankerte Gemeinsamkeiten bzw. transkulturelle Überschneidungen aufgefunden und für ein unmittelbares Verstehen des Gegenübers fruchtbar gemacht werden können. Insofern kann an dieser Stelle auch von einer „transkulturellen Kompetenz“ gesprochen werden. Denn „transkulturell kompetente Fachpersonen“ besitzen, der schweizerischen Ethnologin und Pflegefachkraft Dagmar Domenig zufolge, die Fähigkeit, individuelle Lebenswelten situativ und in unterschiedlichen Kontexten zu erfassen, zu verstehen und entsprechende, angepasste Handlungsweisen daraus abzuleiten (vgl. Domenig 2003, S. 95). Domenig hat ihr Konzept transkultureller Kompetenz in Anlehnung an den Transkulturalitätsbegriff von Welsch und auf der Grundlage eigener Erfahrungen und Forschungsarbeiten entwickelt. Ihrer Ansicht nach handelt es sich dabei um ein generelles Kennzeichen der Professionalität von Pflegekräften, die jedoch im Migrationskontext besonders deutlich wird (vgl. Domenig 2001, S. 147). Zwar hat das Konzept der transkulturellen Kompetenz Eingang in wissenschaftliche Fachdiskurse im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich gefunden, jedoch
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wird das spezifisch Transkulturelle daran, nämlich die Suche nach konjunktiver Verständigung, häufig kaum zur Kenntnis genommen oder sogar missverstanden. Deutlich wird Letzteres beispielsweise daran, dass die Konzepte der „inter-„ und der „transkulturellen“ Kompetenz regelmäßig als einander ergänzende oder sogar synonyme Konzepte diskutiert werden (vgl. z. B. Treichel/Mayer 2011). Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die in den Fachdiskursen bisher nur ansatzweise unternommene Klärung von Konzepten, die auf „Kultur“ rekurrieren, vor allem nach einer immanenten Begriffsklärung sucht und die konjunktive Sinnebene, wenn überhaupt, dann nicht explizit berücksichtigt. Dagegen macht die Pflegewissenschaftlerin, Ethnologin und Soziologin Charlotte Uzarewicz deutlich, dass die Ausführungen über transkulturelle Kompetenz, welche Domenig auch als Trias aus „Empathie“, „Selbstreflexion“ und „Hintergrundwissen/Erfahrung“ beschreibt (Domenig 2001, S. 148f.), insbesondere auf ein „implizites Wissen“ verweisen (vgl. Uzarewicz 2003, S. 165). So sei vor allem die Mischung aus „Hintergrundwissen und Erfahrung“ als eine „Könnerschaft“ aufzufassen, „die sich aus einer gelungenen Synthese von beiden Wissensformen ergibt“ (Uzarewicz 2003, S. 165). Ebenso wie das Konzept der Transkulturalität kann das der transkulturellen Kompetenz von den hier, mittels eines praxeologisch-wissenssoziologischen Zugangs gewonnenen Forschungsbefunden profitieren, um dessen Alleinstellungsmerkmal, die Fundierung in der Handlungspraxis, und die hieraus resultierenden Potenziale für gelingende Verständigung in einer durch Heterogenität geprägten Gesellschaft begrifflich präziser herauszuarbeiten. Aus Sicht der Pflegepädagogik – will sie der Etablierung professioneller Pflege in der Einwanderungsgesellschaft den Weg ebnen – liegt der Wert eines präzisierten, vollumfänglich verstandenen Konzepts der Transkulturalität darin, dass es als erkenntnistheoretisch fundiertes Modell eine Hilfestellung bietet, die Mannigfaltigkeit „kultureller Orientierungen“ (Flechsig 2000a, o. S.) in uns selbst ebenso wie bei anderen zu ergründen, ohne dabei in Kulturalismus zu verfallen und „ohne dass die Gefahr von Missverstehen oder gar von Vereinnahmung entsteht“ (Flechsig 2000b, o. S.). Der Prozess der Befähigung – vermeintlich – „Fremdes“ im „Eigenen“ und „Eigenes“ im – vermeintlich – „Fremden“ zu erkennen ist als transkulturelles Lernen zu bezeichnen (vgl. ebd.). Dieses Konzept bietet einen Ausweg aus dem “Dilemma der Differenz“ (vgl. Khan-Zvorničanin 2007). Denn während aus Sicht der interkulturellen Pädagogik das pädagogische Leitmotiv der Anerkennung von Andersheit nicht mit dem antirassistischen Grundsatz der Gleichheit aller Menschen vereinbar ist (vgl. Auernheimer 2003, S. 22), sind dagegen beide Leitsätze kompatibel, wenn man sie aus einer transkulturellen Perspektive betrachtet, weil hier konjunktive Gemeinsamkeiten in den Blick geraten, ohne Unterschiede auf der Ebene des kommunikativen Denkens zu leugnen. Damit erschließt das Konzept der Transkulturalität der Pflegepädagogik die Möglichkeit, Pflegeunterricht in einem auf den Faktor „Kultur“ bezogenen Kontext zu gestalten, der weder differenzblinde
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noch kulturalistische Vorzeichen trägt. Im Zentrum transkulturellen Lernens steht die Auseinandersetzung der Lernenden mit ihrer jeweiligen internen Transkulturalität. Denn „die Entdeckung und Akzeptanz der transkulturellen Binnenverfassung der Individuen [ist] […] Bedingung, um mit gesellschaftlicher Transkulturalität zurecht zu kommen.“ (Welsch 1995, o. S.). Wie sich transkulturelles Lernen in verschiedenen Lernarrangements tatsächlich vollzieht, welche Faktoren hierbei förderlich und welche eher hemmend sind und wie man gelungenes transkulturelles Lernen angemessen sichtbar machen kann, sind offene Fragen, auf die ebenso noch eine Antwort gefunden werden muss, wie auf die Frage, ob und inwiefern sich interkulturelle Ansätze von den transkulturellen in der handlungspraktischen Umsetzung unterscheiden. Denn angesichts der Tatsache, dass die Forderung nach Kompetenzerwerb im Umgang mit kultureller Differenz bereits seit langem Eingang in die Curricula an allgemeinbildenden Schulen ebenso wie die der beruflichen Aus-, Fort- und Weiterbildung im Gesundheitsund Sozialbereich gefunden hat und mittlerweile schon ein Scheitern der „Interkulturellen Pädagogik“ diskutiert wird (vgl. Hamburger 2009), wäre eine gezielte Erforschung des transkulturellen Lernens und Lehrens dringend geboten. Hierbei bedarf es jedoch insbesondere solcher Verfahren wie der Dokumentarischen Methode, die einen Zugang zum konjunktiven Erfahrungsraum ermöglicht, weil sich das, worum es beim transkulturellen Lernen geht, vor allem auf der Ebene der konjunktiven Sinngehalte bewegt. Kritisch ist in diesem Zusammenhang noch anzumerken, dass bislang viele Studien hier lediglich einen deduktiven Weg versucht haben. Obwohl Sinngehalte auf der Ebene des konjunktiven Wissens nicht vorab gekannt werden können, sondern erst zu rekonstruieren sind, versuchen solche Arbeiten, transkulturelle Identitätsbildungen in einer deduktiven und damit tautologischen Weise sichtbar zu machen, indem sie das Konzept der Transkulturalität nach Welsch bereits von vorneherein an ihren Forschungsgegenstand herantragen (vgl. z. B. Datta 2005, Mae/Saal 2008). Ebenso wie das Konzept der Transkulturalität ist auch die Theorie der transpersonalen Zuwendung (Theory of Human Caring)4 der amerikanischen Pflegetheoretikerin Jean Watson aus einer Reflexion der Handlungspraxis erwachsen. Watson 4
Die Übersetzerinnen weisen im Vorwort der deutschen Ausgabe mit dem Titel: „Pflege: Wissenschaft und menschliche Zuwendung“ darauf hin, dass Watson im englischen Original den Begriff „caring“ in bewusster Abgrenzung zu „nursing“ gebraucht. Während sich das Verb „to care“ noch problemlos mit „sorgen um“ oder „sorgen für“ wiedergeben ließe, verbänden sich mit dem Substantiv „Sorge“ eher bedrückende Gefühle. Dagegen habe der Begriff „Fürsorge“ wiederum etwas Bevormundendes und Gönnerhaftes. Aus diesem Grund habe man sich für den Begriff „Zuwendung“ entschieden, weil dieser Watsons Anspruch auf Gemeinsamkeit und Gegenseitigkeit am ehesten gerecht zu werden scheine (vgl. Watson 1996, S. 9).
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zufolge ermöglicht der Prozess der transpersonalen Zuwendung in einer entsprechend gestalteten Pflegesituation „dass sich das eine Selbst im anderen erkennt“ (Watson 1996, S. 93). Solche Momente – im englischen Original spricht Watson von „caring-moments“ oder „caring-occasions“ – stellen für Watson den eigentlichen Kern der professionellen Pflege im Sinne eines moralischen Ideals dar: „Bei der zwischenmenschlichen Zuwendung im Zuge des Pflegeprozesses geht es also nicht bloß um eine Gefühlswallung, ein persönliches Anliegen, eine Geisteshaltung oder ein Streben nach Mildtätigkeit. Vielmehr handelt es sich um das moralische Ideal der Pflege, deren eigentliches Anliegen es ist, die menschliche Würde zu schützen und zu bewahren.“ (Watson 1996, S. 46)
Watsons Anliegen ist es, angesichts einer immer stärker werdenden Tendenz zur Technisierung und Objektivierung im professionellen Umgang mit dem Kranksein, die Praxis und wissenschaftliche Tätigkeit der Pflege auf eine „sinnvollere philosophische Basis zu stellen und dabei kritisch zu hinterfragen, wofür wir auf wissenschaftlichem, sozialem und moralischem Gebiet eigentlich stehen (ebd., S. 70-71). Dieser moralische Anspruch ihrer Pflegetheorie hat Watson zuweilen den Vorwurf eingebracht, eine normative Theorie zu vertreten. Hiergegen wehrt sie sich entschieden, wenn sie u. a. schreibt: “I emphasize that it is possible to read, study, learn about, even teach and research the caring theory; however, to truly “get it,” one has to personally experience it; thus the model is both an invitation and an opportunity to interact with the ideas, experiment with and grow within the philosophy, and living it out in one’s personal/professional life.” (Watson 2014)5
Obwohl ihre Pflegetheorie als ein theoretisches Modell betrachtet und allein aus dieser Betrachtung heraus gelehrt und gelernt werden könne, so bedürfe es doch stets der persönlichen Erfahrung, um den Prozess der transpersonalen Zuwendung tatsächlich verstehen zu können („to truly ‚get it‘“). An dieser Stelle wird sehr deutlich, dass es sich im Kern bei Watsons Pflegetheorie um ein in der handlungspraktischen Erfahrung fundiertes implizites Können handelt, welches die Pflegetheoretikerin im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Arbeit expliziert und auf eine humanwissenschaftlich fundierte Basis stellt. Folglich beschreibt Watson die transpersonale Zuwendung auch als eine „Kunst“ (Watson 1996, S. 90). Diese beruhe vor allem auf der Fähigkeit des Menschen, den Gefühlsausdruck eines Mitmenschen wahrzunehmen, ihn nachzuempfinden und das Er-lebte in einer angemessenen, authentischen Weise zum Ausdruck zu bringen (vgl. ebd.). Eine in dieser 5
http://watsoncaringscience.org/about-us/caring-science-definitions-processes-theory/ (6.12.2014).
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„Kunst“ erfahrene Pflegekraft sei im Rahmen dieses Prozesses in der Lage, das in ihr und im Bewusstsein des Gegenübers vorherrschende Gefühl des Getrenntseins gemeinsam mit dieser Person für einen Moment aufzuheben: „Ist die Pflegekraft in der Lage, die seelische Befindlichkeit ihres Gegenübers genau zu erfassen, spürt sie die emotionale Ebene, auf der eine Vereinigung möglich ist. Gelingt es ihr dann, den damit verbundenen Gefühlen einen möglichst präzisen Ausdruck zu verleihen, hat die andere Person die Gelegenheit, ihre nach außen drängenden Gefühle loszulassen und die menschliche Subjektivät ist wieder hergestellt. Fehlt jedoch eine Komponente dieses Vorgangs, kann es nicht zur transpersonalen Zuwendung kommen.“ (Watson 1996, S. 91)
Der eigentliche Prozess der transpersonalen Zuwendung ließe sich, wie Watson betont, weder theoretisch noch empirisch auf bestimmte Kategorien oder Arten des pflegerischen Handelns beschränken. Vielmehr handele es sich hierbei um ein Ideal, das der gesamten Beziehung zwischen Pflegekraft und Person zugrunde liege. Auch seien pflegerische Interventionen nicht mit zwischenmenschlicher Zuwendung gleichzusetzen, sondern böten nur die Gelegenheit zu einem zugewandten pflegerischen Verhalten (vgl. ebd., S. 53). Aus der Perspektive praxeologischer Wissenssoziologie kann man sagen, dass Watson hier eine habituelle Disposition beschreibt im Sinne einer professionellen Haltung bzw. eines habituellen Pflegestils6. Dieser weist interessante Übereinstimmungen mit dem professionellen Habitus des Versorgungsmilieu Typus C auf. So wird in diesem Milieu beispielsweise das „da“ Sein für eine zu pflegende Person als etwas über die rein physische Anwesenheit hinausreichendes beschrieben, was darauf verweist, dass hier ein implizites Wissen um die Bedeutsamkeit der metaphysischen Ebene in der Pflegebeziehung vorhanden ist. Begegnung und Berührung spielen in diesem Milieu daher nicht nur in einer leiblich-gegenständlichen Hinsicht, sondern auch auf geistig-seelischer Ebene eine besondere Rolle. Hierbei kommt es zu Momenten einer als authentisch erlebten, tiefen Verbundenheit und Nähe: Cm: Das ist eine Wärme, der ein Mensch zu der anderen Person, äh, äh, fühlt und weitergibt, das ist einfach die Wärme, das ist einfach die ähm Persönlichkeit, das ist einfach die Liebe, das ist einfach die Respekt, das man gibt. natürlich=nich alle Handbewegungen, aber mit den taktilen Reizen kommt man gut weiter. (Z. 93-97, Transkript Herr Cimen) 6
Tatsächlich gebraucht Watson zuweilen auch den Begriff „Pflegestil“, wenn sie z. B. schreibt: “Die transpersonale Zuwendung bildet das Kernstück und das moralische Ideal eines Pflegestils, der die Menschlichkeit und die menschliche Würde in den Mittelpunkt aller seiner Bemühungen stellt und menschenunwürdigen Erfahrungen von Gesundheit und Krankheit mit aller Kraft entgegenwirkt“ (Watson 1996, S. 94).
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Herr Cimen beschreibt in dieser Sequenz, wie er im Rahmen seiner Handlungspraxis etwas an sein Gegenüber „weitergibt“, das er zunächst in sich selbst wahrnimmt („fühlt“). Hierbei handelt es sich um ein ganzes Bündel von Eindrücken („Wärme“, „Persönlichkeit“, „Liebe“, „Respekt“). Diese resultieren aus seiner Bereitschaft und Fähigkeit zunächst einmal sich selbst in geistig-seelischer Hinsicht durch die Gegenwart seines Gegenübers berühren lassen. Den Wahrnehmungen und Gefühlen, die er in dieser Situation erlebt, verleiht Herr Cimen im Rahmen der Begegnung einen Ausdruck. Hierbei arbeitet er mit „taktilen Reizen“, weil er diese Ausdrucksform in seinem Arbeitskontext als hilfreich erlebt („kommt man gut weiter“). Watson zufolge kann sich der Ausdruck des in der Begegnung gemeinsam Erlebten auf recht unterschiedliche Weise durch die Pflegekraft vollziehen. Wichtig sei allein, dass die gewählte Ausdrucksform in dem jeweiligen Kontext stimmig sei. So könne die eine Pflegekraft sich eher durch Handlung und Gestik ausdrücken, eine andere dagegen eher durch Worte und Geräusche oder durch Stille und non-verbale Kommunikation (vgl. Watson 1996, S. 92). Im Prozess der transpersonalen Zuwendung nach Watson kommt es dazu, dass die Pflegekraft, ausgelöst durch die Gegenwart der anderen Person, in sich selbst etwas wahrnimmt, das mit dem Gegenüber in Gleichklang ist. Indem die Pflegekraft diesem Gleichklang einen adäquaten Ausdruck verleiht, treten die Beteiligten in einen Zustand ein, den Watson als „spirituelle Vereinigung“ bezeichnet (Watson 1996, S. 86). Infolge eines solchen Momentes wird „die selbstheilende menschliche Integrität gefördert und die innere Harmonie beider Personen gestärkt“ (vgl. ebd., S. 89). Aus praxeologisch-wissenssoziologischer Perspektive kann das, was nach Watson im Rahmen des Zuwendungsprozesses geschieht, auch als ein „konjunktives Erkennen“ (vgl. Mannheim 1980, S. 211) des Gegenübers bezeichnet werden. Den Ausgangspunkt dieses Erkennens stellt für Mannheim die „Kontagion“ dar (ebd., S. 209). Hierunter versteht er „eine Art der existenziellen Bezogenheit, ein spezifisches Einswerden mit dem Objekte“ (ebd.). Hierdurch sei es möglich, dass wir einen völlig fremden Menschen „in einer bestimmten Weise und mit einem Schlage in uns aufnehmen und im wahren Sinne des Wortes seine seelische Eigenart ‚schmecken‘“ (ebd.). Mannheim unterscheidet zwei verschiedene Modi der Kontagion, die „seelische“ und die „geistige“ (ebd., S. 271f.). Während es sich beim seelischen Berührtsein um ein spontanes, vollständiges Erfassen des Gegenübers handele, vollziehe sich die geistige Kontagion aus einer vorreflexiven, geistigen „Intendiertheit“ heraus (ebd., S. 269). Diese zuletzt genannte Art der Kontagion beruht, meiner Ansicht nach, auf einem impliziten Können, das auch eine Pflegekraft, welche die „Kunst“ der transpersonalen Zuwendung beherrscht, in besonderem Maße ausgebildet hat. Mit Carl Rogers, dessen Prinzipien der humanistischen Psychologie und der nicht-direktiven bzw. klientenzentrierten Therapie auch in Watsons Theorie eingeflossen sind, kann man dieses handlungspraktische Können auch als eine „soziale Feinfühligkeit“ bezeichnen, die eine „kontrollierte Identifika-
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tion“ mit dem Gegenüber ermöglicht (Rogers 2001, S. 222). Hieraus resultiere eine „Reorganisation des Wahrnehmungsfeldes“, woraus neue Arten der Wahrnehmung hervorgingen, die Rogers mit dem Begriff „Einsicht“ zusammenfasst (ebd., S. 187). Anhand der oben dargestellten Beispiele wurde deutlich, dass die Perspektive praxeologischer Wissenssoziologie und die hiermit erzielten Forschungsergebnisse insbesondere an solche wissenschaftlichen Theorien und Konzepte anschlussfähig sind, die ebenso wie die Dokumentarische Methode aus der Reflexion der Handlungspraxis entstanden sind. Das hierbei zur Explikation gebrachte konjunktive Wissen kann durch den praxeologischen Ansatz präzisiert, erweitert und in gewisser Weise auch empirisch überprüft werden, indem neu rekonstruierte und in den Theorien bereits explizierte Orientierungen miteinander verglichen werden. So konnten die hier vorgestellten Theorien und Konzepte durch den Orientierungsrahmen des Versorgungsmilieus Typus C empirisch bis zu einem gewissen Grad bestätigt werden. Die Grenzen dieses Verfahrens liegen naturgemäß darin, dass keine Angaben über Verteilungshäufigkeiten der Versorgungsmilieus gemacht werden können. Zugleich werden auch Grenzen der vorliegenden Studie sichtbar. So wurde das theoretische Wissen über transkulturelle Kompetenz und transpersonale Zuwendung durch diese Arbeit zwar um den Punkt erweitert, dass die hierfür typische Handlungspraxis ein Maß an professioneller Handlungs- und Entscheidungsfreiheit voraussetzt, das unter den derzeitigen Beschäftigungsverhältnissen möglicherweise kaum (noch) zu finden ist. Jedoch konnte hiermit die generelle Frage nach Faktoren, die für die Herausbildung des Habitus Typus C hemmend oder förderlich sind, nur angeschnitten, nicht aber erschöpfend behandelt werden. Hierfür wären weitere Studien notwendig, in denen berufsbiografische Aspekte systematischer in den Blick genommen werden.
14.4 D IE L OGIK DES D ISKURSES UND DIE „K LUGHEIT DER P RAXIS “ Ein zentrales Ergebnis der vorliegenden Arbeit besteht in der empirischen Rekonstruktion der Diskrepanz zwischen der Logik des Fachdiskurses und der Logik der professionellen Versorgungspraxis. Deutlich wird diese Diskrepanz beispielsweise anhand des Umgangs der Fachkräfte mit diskursiv erzeugten Bildern von alten Migranten. So bedienen sich fast alle Fachkräfte in argumentativen Passagen des Orientierungsschemas der Problematisierung kultureller Differenz im Versorgungskontext. Dagegen wird aus den Erzählungen und Beschreibungen der Akteure ersichtlich, dass dieser Differenz keinerlei handlungspraktische Bedeutung zukommt. Insgesamt dokumentiert sich dort, wo ein Auseinanderklaffen diskursiver und habitueller Orientierungen sichtbar wird, immer wieder eine „Klugheit der Praxis“ im
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Sinne erfahrungs- und erlebensfundierter, hoch funktioneller Handlungslogiken. Im Folgenden soll dies anhand von drei Beispielen noch etwas deutlicher herausgearbeitet werden. So klagen insbesondere die Angehörigen des Versorgungsmilieus Typus A über Verständigungsprobleme im Migrationskontext und hieraus resultierenden Störungen der Versorgungsabläufe. Dabei spielt gerade für die Handlungspraxis dieses Milieus der Aspekt der Verständigung mit zu Pflegenden eine untergeordnete Rolle. In prägnanter Weise wird dies in einer Erzählung von Frau Ayçiçeği deutlich. Darin übernimmt Frau Ayçiçeği eine vor Schmerzen schreiende Patientin von einer Kollegin, weil diese sich sprachlich nicht mit der Patientin verständigen und ihr daher auch nicht helfen könne. Nachdem Frau Ayçiçeği detailliert ihre Aktivitäten und Maßnahmen zur Schmerzbekämpfung bei der Patientin geschildert hat, wird ersichtlich, dass auch sie sich sprachlich nicht mit der Patientin verständigen kann („sie versteht Türkisch nicht, ich versteh Kurdisch nicht“). Zügig helfen kann Frau Ayçiçeği der Patientin gleichwohl („und dann klappt irgendwie“). Ebenso zeigt sich die Diskrepanz zwischen diskursiven und habituellen Orientierungen am Beispiel der Verwendung marktförmiger Argumentations- und Begründungslogiken. Insbesondere die Angehörigen des Versorgungsmilieus Typus B präsentieren und bewerten ihr Betätigungsfeld fast durchgängig auch anhand marktrationaler Orientierungsschemata. Wie besonders am Beispiel der Gruppe Blumenwiese deutlich wird, handelt es sich hierbei jedoch um einen „intendierten Ausdrucksstil“ (vgl. Bohnsack 2010a, S. 68). Diesen haben sich die Gruppenmitglieder im Zuge der seit mehr als drei Jahren laufenden „interkulturellen Öffnung“ ihrer Einrichtung angeeignet. Prägnant kommt die Aufgesetztheit der Verwendung marktförmiger Argumentationsschemata in einer Passage zum Ausdruck, in der die Einrichtungsleitung thematisiert, dass man von der anvisierten neuen Kundengruppe („pflegebedürftige Muslime“) immer noch niemanden „vorweisen“ könne. Implizit verweist diese Äußerung auf ein gespanntes Verhältnis zur Geschäftsführung. Dieser gegenüber ist die scheinbare Erfolglosigkeit der Umsetzung der interkulturellen Öffnung „superpeinlich“. Denn es geht hierbei auch um einen internen Verteilungskampf, in dem die Einrichtung der Gruppe Blumenwiese mit anderen Einrichtungen desselben Trägers um Finanz- und Sachmittel konkurrieren muss. Dieses Ringen kann nur bestehen, wer sich gegenüber der Geschäftsführung als „fit“ für die „Zukunft“ präsentiert. Jedoch ist die Aneignung zukunftsbezogener, marktförmiger Begründungslogiken für die Gruppe nur insofern funktional, als es ihr hierdurch gelingt, den eingelebten Rhythmus und die Handlungsroutinen der Einrichtung gerade nicht zu verändern, worauf unter anderem die – eben nur scheinbare – Erfolglosigkeit bei der Umsetzung der interkulturellen Öffnung verweist. Durch die folgende Gegenüberstellung der zentralen Ergebnisse der Diskursanalyse und der dokumentarischen Rekonstruktion der Handlungspraxis wird nicht nur die „Klugheit der Praxis“ noch einmal deutlich sondern auch ein Paradox des Fach-
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diskurses. Ein wesentlicher Befund der Diskursanalyse ist, dass die Rede über die Verbesserung der Versorgung alter Menschen mit Migrationshintergrund auch als Motor für sozialen Wandel und strukturellen Umbau im Feld der Altenhilfe fungiert. Dagegen zeigt die Rekonstruktion der Handlungspraxis, dass die Konzepte und Leitbilder des Fachdiskurses keinerlei handlungspraktische Relevanz für die professionellen Akteure haben, solange diese keine Lösung für das Leitproblem der Versorgungspraxis anbieten. Dieses Problem besteht darin, zwei divergierende Handlungslogiken – soziales Verstehen und instrumentelles Handeln – situativ immer wieder aufs Neue und unabhängig von der Herkunft des jeweiligen Gegenübers, miteinander vereinbaren zu müssen. Insgesamt wurden drei Versorgungsmilieus rekonstruiert, die sich durch jeweils spezifische Modi der Regulation dieses Orientierungsproblems auszeichnen und hiermit einhergehend, auch milieuspezifische Modi des Fremdverstehens herausgebildet haben. Dabei kann insofern von einer „Klugheit der Praxis“ gesprochen werden, als jenseits der propagierten Konzepte und Leitbilder des Fachdiskurses ein kontextuell jeweils funktionelles, implizites Wissen bzw. Können im Umgang mit sozialer Heterogenität in den Versorgungsmilieus geteilt wird. Dieses „Wissen wie“ hat sich vor dem Erfahrungshintergrund der jeweils vorhandenen professionellen Handlungs- und Entscheidungsspielräume herausgebildet. Je größer diese Spielräume sind, desto eher finden die Akteure auch einen verstehenden Zugang zum jeweiligen Gegenüber, was insbesondere in den Versorgungsmilieus Typus B und C gut gelingt. Hier wird nun auch das Paradox des Fachdiskurses ersichtlich. Denn dieser propagiert zwar die Verbesserung der Versorgungssituation alter Migranten. Jedoch unterminiert das an diese Programmatik gekoppelte ökonomisierende Strukturanpassungsprogramm die professionelle Autonomie der Akteure durch Arbeitsverdichtung, mehr Bürokratie sowie Kosten- und Wettbewerbsdruck. Andersrum kann die „Klugheit der Praxis“ aber auch diskursive Paradoxien und strukturelle Zwänge unterminieren, wie im Fall der Gruppe Blumenwiese.
14.5 M ETHODOLOGIE : DIE K OPPLUNG VON D OKUMENTARISCHER M ETHODE UND D ISKURSANALYSE Abschließend soll an dieser Stelle das methodische Vorgehen reflektiert werden, mittels dem die vorgestellten Forschungsergebnisse gewonnen wurden. Erkenntnistheoretisch gesehen handelt es sich dabei um eine „Kopplung“ (Bohnsack 2014a) zweier paradigmatisch unterschiedlicher Zugänge – Dokumentarische Methode und Diskursanalyse – zu Formen des überindividuellen bzw. kollektiv geteilten Wis-
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sens. Für die Rekonstruktion des eigenen Vorgehens ist es notwendig, zunächst die Darstellungs- und die Forschungslogik zu unterscheiden. Wie eingangs bereits erwähnt wurde, ist die vorliegende Studie das Ergebnis einer zirkulär bzw. spiralförmig verlaufenden Suchbewegung. Aus Gründen der Leserlichkeit kann die Darstellungslogik daher nicht der Logik des Forschungs- und Rekonstruktionsprozesses entsprechen. Vielmehr beginnt diese Arbeit mit einem Überblick über die fachwissenschaftliche Rede in Bezug auf die Versorgungspraxis alter Menschen mit Migrationshintergrund (Stand der Forschung). Es folgen die Diskursanalyse und die dokumentarische Rekonstruktion der Handlungspraxis. Chronologisch gesehen wurde die Diskursanalyse allerdings erst im Anschluss an die Praxisrekonstruktion und in Auseinandersetzung mit den Rekonstruktionsergebnissen durchgeführt. Das heißt, die Interpretation der Orientierungsschemata des Fachdiskurses vollzog sich vor dem Hintergrund der Erfahrungen und Orientierungsmuster der professionellen Akteure und somit – anders als bei einer einfachen bzw. nicht-gekoppelten Diskusanalyse – stärker in methodisch kontrollierter und valider Weise (vgl. hierzu auch: Bohnsack 2014, S. 43). Aus der Perspektive der Dokumentarischen Methode bleibt mein Vorgehen bei der Diskursanalyse allerdings insofern problematisch, als die empirische Basis der Analyse durch die hinzugezogene Sekundärliteratur verlassen wurde. Die Logik meines forschungspraktischen Vorgehens bei der Kopplung von Dokumentarischer Methode und Diskursanalyse findet auf der metatheoretischen Ebene dadurch eine Entsprechung, dass die praxeologische Wissenssoziologie den primären bzw. metatheoretischen Rahmen der Studie bildet. In der vorliegenden Arbeit stellt das Verhältnis von Diskurs und Habitus die Schnittstelle dar, an der beide Paradigmen gekoppelt werden. Eine hierauf basierende Erweiterung wissenschaftlicher Beobachtungs- und Erkenntnismöglichkeiten sehe ich darin, dass Diskurs und Habitus sowohl in ihrer jeweiligen Eigenlogik erkennbar werden als auch in Bezug auf ihre Wechselwirkungen (vgl. insbesondere Abschnitt 5.1, 6.4). Soziologisch gesehen, kann diese Relation auch als Spannungsverhältnis zwischen Habitus und sozialem Feld im Sinne Bourdieus begriffen werden. Dabei stellt der Habitus eine handlungspraktische Bewältigung jener sozialen Zwänge und Freiheiten dar, die den Akteuren im Sinne Durkheims „exterior“ sind und ihnen als soziale Felder entgegentreten (vgl. Bohnsack 2014, S. 50f.; vgl. auch: von Rosenberg 2011, S. 15). Anders als bei einer nicht-gekoppelten Diskursanalyse, konnte ich aufgrund der bereits vorliegenden empirischen Vergleichshorizonte eine theoretisch und empirisch begründende Auswahl von Schlüsseldokumenten treffen und deshalb mit einem „offenen“ Korpus gemäß dem Prinzip des Theoretical Samplings arbeiten. Hierdurch reichte ein Textkorpus mit einem eher bescheidenen Umfang aus, um die einzelnen Diskursstränge und die ‚Storyline“ des Fachdiskurses rekonstruieren zu können. Forschungsökonomisch sehe ich hier allerdings keinen Vorteil gegenüber
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der „klassischen“ Korpusbildung, weil zuvor bereits eine umfassende Literaturrecherche (Stand der Forschung) und die dokumentarische Habitusrekonstruktion stattgefunden hatten. Was die Validität und die Anschlussfähigkeit bzw. die Möglichkeit der Verwertbarkeit der Rekonstruktionsergebnisse betrifft, scheint mir die Kopplung von Dokumentarischer Methode und Diskursanalyse im primären Rahmen der praxeologischen Wissenssoziologie jedoch ein besonders fruchtbarer Ansatz zu sein. Denn nur wenn die Rekonstruktion eines sozialen Feldes an der Erfahrungsbasis der Akteure (primärer Rahmen) ansetzt und sich von dort aus in Richtung Peripherie (sekundärer, tertiärer Rahmen) bewegt, ist eine methodische Kontrolle der eigenen Standortgebundenheit zumindest ansatzweise möglich.
14.6 R ESÜMEE
UND
AUSBLICK
Mit der vorliegenden Studie wurden neue Perspektiven eröffnet in Bezug auf die Praxis der Versorgung alter Menschen mit Migrationshintergrund und der Rede über diese. Durch die Kopplung zweier paradigmatisch verschiedener, soziologisch jedoch einander ergänzender Forschungsperspektiven, wurden empirisch gehaltvolle, mehrperspektivische Forschungsergebnisse erzielt, die im Sinne einer problemorientierten Grundlagenforschung an mehrere Forschungsdisziplinen und Bereiche anschlussfähig sind, obwohl der Fokus dieser Arbeit primär auf der sozialwissenschaftlich orientierten Versorgungsforschung liegt. In methodologischer Hinsicht wurde mit der vorliegenden Studie ein Beitrag zur Bearbeitung einer Forschungslücke geleistet, bei der es darum ging, einen poststrukturalistischen mit einem praxistheoretischen Ansatz zu verknüpfen. Des Weiteren wurde mit der vorliegenden Arbeit eine Diskussionsgrundlage geschaffen, um in Bezug auf den rekonstruierten Fachdiskurs über die Versorgung alter Migranten auf wissenschaftlicher Ebene auch Metakommunikation im Sinne eines Diskurses über den Diskus zu ermöglichen. Hierbei stellt insbesondere die bis zur Amalgamierung vorangeschrittene Verflechtung der Themenfelder: Migration, Professionalisierung und Ökonomisierung der sozialen Dienste ein Querschnittsthema dar, das im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich gleichermaßen diskussionswürdig ist. Schließlich wurde auch das fachwissenschaftliche Wissen auf dem Gebiet der Versorgungsforschung erweitert, indem drei voneinander abgrenzbare Versorgungsmilieus rekonstruiert und soziogenetisch aus jenen professionellen Strukturen heraus erklärt wurden, aus denen diese hervorgegangen sind. In diesem Zusammenhang konnte ein Milieu (Typus C) identifiziert werden, dessen professioneller Habitus besonders geeignet erscheint, um den Anforderungen der Versorgungspraxis in einer durch Diversität geprägten Gesellschaft gerecht zu werden. Dieses Wissen ist insbesondere für die pflegeberufliche Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie die Weiterentwicklung von
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Versorgungsqualität von Bedeutung. Hierbei gilt es in Zukunft erstens, sowohl bei Lehrenden als auch im Bereich der wissenschaftlichen Forschung eine Sensibilisierung für die Diskrepanz zwischen der Logik der Praxis einerseits und der Logik des Diskurses über diese Praxis andererseits. Denn viel zu häufig werden Auszubildende und professionelle Akteure aus dem Gesundheitsbereich mit Handlungsempfehlungen und Verhaltenserwartungen konfrontiert, die zwar womöglich „evidenzbasiert“ anhand exteriorer Normen, aber eben nicht anschlussfähig an die Handlungslogiken der Versorgungspraxis sind. Zweitens gilt es im Bereich der Lehre und Forschung Verfahren einzusetzen und weiterzuentwickeln, die eben diese Diskrepanz zwischen exteriorer Norm und milieuspezifischer Logik der Handlungspraxis berücksichtigen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere das im Rahmen der dokumentarischen Evaluationsforschung und der Methode der „rekonstruktivresponsiven Evaluation“ (Lamprecht 2012; Bohnsack 2015) entwickelte Verfahren der Moderation zu nennen. Dieses bietet den Betroffenen die Möglichkeit, sich im Rahmen moderierter Gruppenprozesse der eigenen Standortgebundenheit gewahr zu werden und praxisrelevante Veränderungspotenziale zu entdecken.
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Textkorpus der Diskursanalyse (Primärtexte) Tagungsdokumentation (erste Fachtagung zur interkulturellen Öffnung) Barwig, K & Hinz-Rommel, W. (Hrg.) (1995). Interkulturelle Öffnung sozialer Dienste. Freiburg i. Br.: Lambertus Verlag Hinz-Rommel, W. (1995). Kompetenz und Öffnung. Die Debatte um interkulturelle Öffnung im Kontext. In K. Barwig & W. Hinz-Rommel (Hrg.), Interkulturelle Öffnung sozialer Dienste (S. 9-22). Freiburg i. Br.: Lambertus Verlag Hinz-Rommel, W. (1995). Empfehlungen zur interkulturellen Öffnung sozialer Dienste. In K. Barwig & W. Hinz-Rommel (Hrg.), Interkulturelle Öffnung sozialer Dienste (S. 129-148). Freiburg i. Br.: Lambertus Verlag Filzinger, O. (1995). Gesellschaftliche Entwicklungstendenz und interkulturelle Öffnung. In K. Barwig & W. Hinz-Rommel (Hrg.), Interkulturelle Öffnung sozialer Dienste (S. 103-121). Freiburg i. Br.: Lambertus Verlag Schmalz-Jacobsen, C. (1995). Gemeinsames Zuhause Bundesrepublik Deutschland: Einwanderung, Integration und interkulturelle Öffnung gehören zusammen. In
L ITERATUR
| 311
K. Barwig & W. Hinz-Rommel (Hrg.), Interkulturelle Öffnung sozialer Dienste (S. 23-35). Freiburg i. Br.: Lambertus Verlag Schmalz-Jacobsen, C. (1995). Einführung zu den Empfehlungen zur interkulturellen Öffnung sozialer Dienste. In K. Barwig & W. Hinz-Rommel (Hrg.), Interkulturelle Öffnung sozialer Dienste (S. 123-128 ). Freiburg i. Br.: Lambertus Verlag Fachbücher und Handreichungen Arbeitskreis „Charta für eine kultursensible Altenpflege“ und Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) (2002). Für eine kultursensible Altenpflege. Eine Handreichung. Köln: KDA. Abgerufen: 05.02.2015. http://www.bagso.de/ fileadmin/ Aktuell/Themen/Pflege/handreichung.pdf Hinz-Rommel, W. (1994). Interkulturelle Kompetenz. Ein neues Anforderungsprofil für die soziale Arbeit. Münster: Waxmann Verlag. Griese, C.; Marburger, H. (2012). Interkulturelle Öffnung. Ein Lehrbuch. München: Oldenbourg Verlag Programmatische Grundsatzdokumente Arbeitskreis „Charta für eine kultursensible Altenpflege“ und Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) (2002). Memorandum für eine kultursensible Altenhilfe. Köln: KDA. Abgerufen: 05.02.2015. http://www.bagso.de/fileadmin/Aktuell/ Themen/Pflege/memorandum2002.pdf Die Bundesregierung (2007). Der Nationale Integrationsplan. Neue Wege – neue Chancen. Abgerufen: 05.02.2015. http://www.bundesregierung.de/Content/DE/ StatischeSeiten/Breg/IB/2006-10-27-ib-nationaler-integrationsplan.html Die Bundesregierung (2012). Nationaler Aktionsplan Integration. Abgerufen: 05.02.2015. http://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Bundesregierung/ BeauftragtefuerIntegration/nap/nationaler-aktionsplan/_node.html Kühn, H. (1979). Stand und Weiterentwicklung der Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien in der Bundesrepublik Deutschland. Memorandum des Beauftragten der Bundesregierung. Bonn: September 1979. Abgerufen: 05.02.2015. http://www.migration-online.de/data/khnmemorandum _1.pdf Gesetzestexte Pflegeversicherungsgesetz (SGB XI) vom 26. Mai 1995. Bundesgesetzblatt I, S. 1014, 2797 Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (PflegeWeiterentwicklungsgesetz) vom 28. Mai 2008, Bundesgesetzblatt I, S. 874-906
Anhang A1
314 | K ULTURSENSIBLE A LTENHILFE ?
A.1 T RANSKRIPTIONSRICHTLINIEN Die Transkription erfolgte in Anlehnung an das Transkriptionssystem TiQ (Talk in Qualitative Social Research) (vgl. Bohnsack 2010a, S. 236 u.a.). Am: Bf:
interviewte Person, Anfangsbuchstabe des Pseudonyms und Hinweis auf das Geschlecht durch f für feminin und m für maskulin
Y:
Interviewer/in
(.)
Pause bis zu einer Sekunde
(2)
Anzahl der Sekunden, die eine Pause dauert
Nein
betont
laut sehr leise sinkende Intonation schwach sinkende Intonation steigende Intonation schwach steigende Intonation Abbruch eines Wortes Wortverschleifung Dehnung (: bis ::: je nach Länge) Unverständlich unsichere Transkription Kommentar bzw. Anmerkung zu parasprachlichen, nicht-verbalen oder gesprächsexternen Ereignissen. @(.)@ kurzes Auflachen @(3)@ 3 Sekunden Lachen @nein@ lachend gesprochen Beginn einer Überlappung bzw. direkter └ Anschluss beim Sprecherwechsel // mhm // Hörsignal der Interviewerin, wenn das „mhm“ nicht überlappend ist Nach Satzzeichen wird klein weitergeschrieben (außer beim Neuansetzen), um kenntlich zu machen, dass Satzzeichen die Intonation anzeigen und nicht grammatikalisch gesetzt werden. Nein ºneeº . ; ? , vieleiwar=s nei::n ( ) (ich) ((stöhnt))
L ITERATUR
A.2 Ü BERSICHT
F ACHKRÄFTE
Berufsgruppe
Berufserfahrung
Angebotsform/ (Funktion)1
Pseudonym
Geschlecht/ Alter
Pflege
17 Jahre 14 Jahre 21 Jahre 13 Jahre
ambulante Pflege (Pfl)
Gruppe Alpenveilchen
Pflegeheim (Pfl)
Frau Ayçiçeği
w (40) m (35) m (42) w (43)
Pflege
1
ÜBER DIE INTERVIEWTEN
| 315
Soziale Arbeit
30 Jahre
Beratung (SozArb)
Herr Ahorn
m (56)
Pflege/ Soziale Arbeit
alle mehr als 10 Jahre
Pflegeheim (HL, PDL, QB, Pfl, SozArb)
Gruppe Blumenwiese
Pflege
15 Jahre
Soziale Arbeit Soziale Arbeit Pflege
22 Jahre
Herr Baumgärtner Frau Busch
w (49)
Frau Blum
w (47)
12 Jahre
Frau Begonie
w (45)
Pflege Pflege
20 Jahre 11 Jahre
Frau Bartnelke Frau Cicek
w (48) w (38)
Pflege
10 Jahre
Frau Çam
w (37)
Pflege
13 Jahre
Herr Cimen
m (36)
Pflege
12 Jahre
ambulante Pflege (PDL) ambulante Pflege (SozArb) Beratung (SozArb) Pflegeheim (WBL) Pflegeheim (HL) ambulante Pflege (GS) ambulante Pflege (Pfl) ambulante Pflege /Wohnprojekt (PDL) ambulante Pflege/ Wohnprojekt (Pfl)
w (32) w (36) w (37) w (42) w (42) w (46) m (38)
Frau Çiğdem
w (40)
19 Jahre
HL = Heimleitung, PDL = Pflegedienstleitung, WBL = Wohnbereichsleitung, QB = Qualitätsbeauftragte (Stabsstelle), Pfl = Pflegekraft, SozArt = Sozialarbeiterin bzw. Sozialarbeiter, GS = Geschäftsführerin.
316 | K ULTURSENSIBLE A LTENHILFE ?
Soziale Arbeit
11 Jahre
Pflege
12 Jahre
Pflege
25 Jahre
Soziale Arbeit
10 Jahre
Pflege
15 Jahre
ambulante Pflege/ Wohnprojekt (SozArb) ambulante Pflege Wohnprojekt (GS)
Frau ChaschChaasch
w (39)
Frau Çitlembik
w (42)
ambulante und stationäre Pflege (Pfl) ambulante Pflege Wohnprojekt (SozArb) ambulante Pflege (PDL)
Frau Christrose
w (45)
Frau Chrysantheme
w (35)
Frau Christbaum
w (50)
Kultur und soziale Praxis Christian Lahusen, Karin Schittenhelm, Stephanie Schneider Europäische Asylpolitik und lokales Verwaltungshandeln Zur Behördenpraxis in Deutschland und Schweden November 2016, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3330-6
Bärbel Völkel, Tony Pacyna (Hg.) Neorassismus in der Einwanderungsgesellschaft Eine Herausforderung für die Bildung September 2016, ca. 200 Seiten, kart., ca. 24,99 €, ISBN 978-3-8376-3454-9
Christian Lahusen, Stephanie Schneider (Hg.) Asyl verwalten Zur bürokratischen Bearbeitung eines gesellschaftlichen Problems Juli 2016, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3332-0
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Kultur und soziale Praxis Donja Amirpur Migrationsbedingt behindert? Familien im Hilfesystem. Eine intersektionale Perspektive Juni 2016, 320 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3407-5
Francis Müller Mit Behinderung in Angola leben Eine ethnografische Spurensuche in einer von Tretminen verletzten Gesellschaft April 2016, 152 Seiten, kart., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-3480-8
Martina Kleinert Weltumsegler Ethnographie eines mobilen Lebensstils zwischen Abenteuer, Ausstieg und Auswanderung 2015, 364 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2882-1
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Kultur und soziale Praxis Miriam Yildiz Hybride Alltagswelten Lebensstrategien und Diskriminierungserfahrungen Jugendlicher der 2. und 3. Generation aus Migrationsfamilien
Marius Otto Zwischen lokaler Integration und regionaler Zugehörigkeit Transnationale Sozialräume oberschlesienstämmiger Aussiedler in Nordrhein-Westfalen
August 2016, ca. 260 Seiten, kart., ca. 32,99 €, ISBN 978-3-8376-3353-5
2015, 418 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3267-5
Wolfgang Stark, David Vossebrecher, Christopher Dell, Holger Schmidhuber (Hg.) Improvisation und Organisation Muster zur Innovation sozialer Systeme
Barbara Schellhammer »Dichte Beschreibung« in der Arktis Clifford Geertz und die Kulturrevolution der Inuit in Nordkanada
August 2016, ca. 370 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 35,99 €, ISBN 978-3-8376-2611-7
Dieter Haller Tanger Der Hafen, die Geister, die Lust. Eine Ethnographie April 2016, 356 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3338-2
2015, 484 Seiten, kart., 49,99 €, ISBN 978-3-8376-3234-7
Marion Schulze Hardcore & Gender Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur 2015, 412 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2732-9
Marcus Andreas Vom neuen guten Leben Ethnographie eines Ökodorfes 2015, 306 Seiten, kart., zahlr. Abb., 27,99 €,
Gerda Wurzenberger ISBN 978-3-8376-2828-9 Intermedialer Style Kulturelle Kontexte und Potenziale Gesine Drews-Sylla, im literarischen Schreiben Jugendlicher Renata Makarska (Hg.) Neue alte Rassismen? Februar 2016, 500 Seiten, kart., 54,99 €, ISBN 978-3-8376-3346-7 Differenz und Exklusion in Europa nach 1989 Anna Caroline Cöster 2015, 332 Seiten, kart., 29,99 €, Frauen in Duisburg-Marxloh ISBN 978-3-8376-2364-2 Eine ethnographische Studie über die Bewohnerinnen eines deutschen Nadja Thoma, »Problemviertels« Magdalena Knappik (Hg.) Sprache und Bildung in 2015, 446 Seiten, kart., zahlr. Abb., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3381-8 Migrationsgesellschaften Machtkritische Perspektiven auf ein prekarisiertes Verhältnis 2015, 352 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2707-7
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de