Kulturquartiere in ehemaligen Residenzen: Zwischen imperialer Kulisse und urbaner Neubesetzung. Das Wiener "Hofburg-Museums-Quartier" und der internationale Kontext 9783205793588, 9783205796053


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Kulturquartiere in ehemaligen Residenzen: Zwischen imperialer Kulisse und urbaner Neubesetzung. Das Wiener "Hofburg-Museums-Quartier" und der internationale Kontext
 9783205793588, 9783205796053

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Kulturquartiere in ehemaligen Residenzen Zwischen imperialer Kulisse und urbaner Neubesetzung Das Wiener »Hofburg-Museums-Quartier« und internationale Entwicklungen

Maria Welzig | Anna Stuhlpfarrer (Hg.)

2014

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

Mit freundlicher Unterstützung durch das Bundeskanzleramt Österreich die Burghauptmannschaft Österreich die Kulturabteilung der Stadt Wien - MA 7 (Wissenschafts- und Forschungsförderung)

Die Publikation entstand im Rahmen der FWF-Projekte Nr. 20023-G08 und 25025-G21. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar. Für den Fall, dass trotz intensiver Recherchen nicht alle Inhaber von Urheberrechten ausfindig gemacht werden konnten und namentlich nicht erwähnte Fotografen Rechtsansprüche haben, ersuchen wir um Korrespondenz mit den Herausgeberinnen. Umschlagabbildung: VALIE EXPORT, Theseustempel (Stufen), 1982, Körperkonfiguration, S/W Fotografie analog, © VALIE EXPORT (Foto: Hermann Hendrich) © 2014 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Lektorat (deutsch): Brigitte Ott Lektorat (englisch): Ada St. Laurent Lektorat und Korrektorat (Diskussion): Martin Fritz; Ulrike Ritter, textstern* Transkription Diskussion: Alexandra Vasak Einbandgestaltung: Michael Haderer, Wien Layout: Bettina Waringer, Wien Reproduktionen: Pixelstorm, Wien Druck und Bindung: Theiss, St. Stefan im Lavanttal Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-205-79605-3

Inhalt

Vorwort Werner Telesko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Einleitung Maria Welzig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .11

Der Wiener Hofburgbezirk – Bedeutungswandel im 20. Jahrhundert . . . . . . . . 15 Residenz im Wandel. Die Hofburg nach 1918 – Projekte und Planungen Anna Stuhlpfarrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Museum im Palast. Das Corps de logis der Neuen Burg um 1900 Andreas Nierhaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .39 Die Gärten der Wiener Hofburg im Spiegel historischer Ansichtskarten Jochen Martz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .53 Kunst(re)aktionen: Günter Brus – VALIE EXPORT – Julius Deutschbauer Johanna Schwanberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Die Hofburg als Schauplatz im österreichischen Film – ein Streifzug Melanie Letschnig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .85 Hofburg Heterogen. Kritische Räumliche Praxis als Widersprüchliches Wissen Elke Krasny . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .93 Was aus der Idee des Kaiserforums wurde. Zur Geschichte des Museumsquartiers seit den 1980er-Jahren Thomas Trenkler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

Inhalt

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Vom Werden und vom Zustand österreichischer Kulturpolitik anhand des MuseumsQuartiers Wien Michael Wimmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

Transformationen historischer Museums- und Residenzbezirke . . . . . . . . . . . 121 traktat über die prager burg jan tabor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Von der Parteifestung zur Burg der Kultur. Umbaugeschichte der Budaer Burg nach dem Zweiten Weltkrieg Péter Rostás . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Der Moskauer Kreml: Sakraler Ort, Herrschersitz und Museum Olga Postnikova . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Communist Party Palaces and Houses of Culture: ­ Romanian »Civic Centers« under Ceauşescu Augustin Ioan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 The Recoletos-Prado Axis in Madrid: Perspectives on Cultural and Social Renewal Carmen Bernárdez . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .197 Fassade vor Funktion. Das Berliner Schloss und das Humboldt-Forum: Ein geplantes Desaster Nikolaus Bernau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .217 Ehemalige Residenzbezirke als Museumsquartiere – Transformationen seit den 1980er-Jahren Maria Welzig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

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Inhalt

Weiterbauen. Hofburg und MuseumsQuartier als unvollendete Projekte . . . . 265 Wo ist das Museum? Zum Umbau des Österreichischen Filmmuseums 2008 Gabu Heindl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Hofmöblierung im MQ Wien PPAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Toronto Barbecue feld72 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 public space. Die neue Hofburg – eine Rekonstruktion Gerhard Steixner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 AnrainerInnen und ExpertInnen im Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Nachwort Die Burghauptmannschaft Österreich Reinhold Sahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .317 Biografien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .319 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328

Inhalt

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Vorwort Werner Telesko

Die Wiener Hofburg kann mit Fug und Recht als einer der größten Residenzkomplexe der europäischen Architektur bezeichnet werden. Die Österreichische Akademie der Wissenschaften hat es sich seit einigen Jahren zur Aufgabe gemacht, die komplexe Bauund Funktionsgeschichte dieses Bauensembles nachzuzeichnen und im europäischen Kontext zu verorten. Bis 2015 wird die fünfbändige Reihe, die im Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erscheint, abgeschlossen sein. Es war ein wesentliches Anliegen der Projektverantwortlichen des Gesamtunternehmens, auf der Basis von Workshops, Tagungen und anderen wissenschaftlichen Veranstaltungen den Fokus zu erweitern, die gewählte Methodik sowie die Themenstellungen zu problematisieren und auf historische und funktionelle Bruchstellen der Entwicklung aufmerksam zu machen. In dieser Hinsicht war die von Maria Welzig mit Barbara Feller und Anna Stuhlpfarrer ­organisierte Tagung des Jahres 2010 unter dem Titel »Kulturquartiere in ehemaligen Residenzen. Zwischen imperialer Kulisse und urbaner Neubesetzung« ein wesentlicher Baustein im Gesamtunternehmen zur Erforschung der Hofburg. Die Tagung setzte sich mit einem der interessantesten Aspekte der Wiener Hofburg in der jüngeren Vergangenheit im internationalen Kontext auseinander: Das Wiener »MuseumsQuartier« kann als eines der frühesten Beispiele einer zeitgenössischen Weiterentwicklung des ehemaligen imperialen Machtzentrums beschrieben werden, wobei immer zu bedenken ist, dass hier vitale Entwicklungen des 19. Jahrhunderts weiterlaufen: Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang das Faktum einer zunehmenden »Musealisierung« der Wiener Hofburg, die bereits im Verlauf des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts markant zutage trat. Diese ist mit der musealen Nutzung des »Corps de logis«, der öffentlichen Zugänglichkeit der Burg im Rahmen von Audienzen und Führungen sowie einer entsprechenden Vermittlung und Verbreitung durch gedruckte Hofburgführer gut zu belegen. Die Beiträge im vorliegenden Band beleuchten unterschiedliche Facetten der architektur- und kulturgeschichtlichen Entwicklung des Wiener Hofburg-Areals im Wechsel der politischen Systeme seit dem »Wendejahr« 1918. Ein besonderer Schwerpunkt der Publikation besteht darin, die Entwicklungen der ehemaligen Residenzbezirke Bukarest, Werner Telesko

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Budapest, Madrid, Moskau und Prag im Vergleich mit den Wiener Entwicklungen zu sehen. Als Kontinuität kann dabei das Faktum ausgemacht werden, dass in der Wiener Hofburg auch nach 1918 und gerade im 20. Jahrhundert Kultur und Politik in besonderer Weise ineinandergreifen; neuartig im Vergleich zu früheren Epochen sind die Eroberung des öffentlichen Raumes im Gefolge epochaler historischer Ereignisse sowie das Faktum, dass die Residenz stärker als jemals zuvor in den Fokus zeitgenössischer Kultur-, Architektur- und Stadtentwicklung tritt. Es ist das Verdienst der Herausgeberinnen, auf der Basis der genannten Tagung mit der vorliegenden Publikation Fakten und Diskussionsanstöße zusammengefasst zu haben, die für die Residenzforschung, aber auch für alle Institutionen, die im heutigen Hofburg-Areal angesiedelt sind, von hohem Reflexionswert sein werden. Werner Telesko, Direktor des Instituts für kunst- und musikhistorische Forschungen an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

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Vorwort

Einleitung

Maria Welzig

Als interdisziplinäres und internationales Forschungsunterfangen untersucht die Residenzforschung das Sozial-, Kultur- und Wirtschaftsleben der ähnlich wie kleine Städte organisierten europäischen Residenzen. Ein weitgehend weißer Fleck in der Forschungslandschaft ist dagegen die Frage, wie die demokratischen und nicht-demokratischen Gesellschaftssysteme seit 1918 funktionell, architektonisch und urbanistisch mit den ehemaligen höfischen Machtzentren umgegangen sind. »Die Wiener Hofburg seit 1918. Von der Residenz zum Museumsquartier«, ein FWF-Projekt im Rahmen der Gesamtuntersuchung der Wiener Hofburg an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, nähert sich dem Thema durch historische (Quellen-)Forschung zur Architektur- und Funktionsgeschichte der ehemaligen Residenz, durch kulturwissenschaftliche Herangehensweisen, die sich mit der Aneignungsgeschichte dieses Bau- und Platzkomplexes beschäftigen sowie mit architekturwissenschaftlichen und urbanistischen Fragestellungen der Gegenwart. Bei einer Tagung im Rahmen des Forschungsprojekts an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und im Architekturzentrum Wien im Juni 2010 stellten Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter erstmals Forschungsergebnisse des Projekts vor und Vortragende aus Berlin, Budapest, Bukarest, Istanbul, Madrid, Moskau und Prag gaben eine Darstellung der entsprechenden dortigen Entwicklungen seit 1918. Die weiterbearbeiteten und zum Teil neu verfassten Beiträge sind nun (bis auf den Istanbuler Beitrag) in der vorliegenden Publikation versammelt. Tagung und Buch haben den Anspruch, das Areal, das im Zentrum vieler Begehrlichkeiten steht – von Tourismus und politischer Repräsentation, von Museumspolitik und kommerziellen Nutzungen bis zu Bürgerprotesten und Bespielung des öffentlichen Raums durch Jugendliche – in seiner Gesamtheit wieder in den Fokus der Diskussion zu rücken. Die entscheidenden Weichen für die Entwicklung im 20. Jahrhundert hatte Gottfried Sempers Projekt für ein Kaiserform als kulturelles Zentrum der Stadt gestellt – gerade weil es unvollendet blieb. Heute ist das Areal vom MuseumsQuartier bis zur Albertina der zentrale Museums- und Kulturbezirk Österreichs. Die Wiener Hofburg blieb als einer der historisch bedeutendsten derartigen Komplexe Europas auch im 20. Jahrhundert im Wechsel der unterschiedlichen politischen Maria Welzig

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Systeme stets im Interesse von Architekten, Stadtplanern und politischen Machtträgern. Anna Stuhlpfarrer schreibt auf der Basis von bisher zum Teil unbekanntem Plan- und Quellenmaterial erstmals einen Abriss der Bau- und Funktionsgeschichte der Wiener Hofburg von 1918 bis in die 1950er-Jahre. Andreas Nierhaus geht noch einen Schritt zurück, wenn er mit seinem Beitrag über die Nutzungspläne für das Corps de logis der Neuen Burg um 1900 die beginnende Musealisierung der Hofburg in der späten Phase der Habsburgermonarchie thematisiert. In der Geschichte des Hofburgbezirks im 20. Jahrhundert lassen sich drei große Zäsuren feststellen: Eine einschneidende Phase stellte der Übergang der Residenz und ihrer Sammlungen in das Eigentum der Republik dar. (Unrealisierte) Planungen für neue demokratische Nutzungen reichten von einem Freibad im Burggarten über die Umwidmung der Winterreitschule zur Volkshalle bis zur Einrichtung eines Kunstzentrums der Gegenwart in den ehemaligen Hofstallungen. Durch die Weichenstellungen der Ersten Republik ist der Hofburgkomplex heute kein durchwegs musealisierter, sondern ein heterogen genutzter, in das Alltagsleben der Stadt integrierter Ort. Eine bis heute weitgehend unaufgearbeitete prominente Rolle spielte das Areal der Hofburg während der Zeit des Nationalsozialismus. Dies betrifft die Nutzung des Baukomplexes inklusive Messepalast für NS-(Propaganda-)Zwecke, die Vereinnahmung der Residenz-Geschichte durch Ausstellungen und Veröffentlichungen – die bisher einzige große Publikation über die Hofburg stammt aus der NS-Zeit –, die zahlreichen Planungen für ein neues monumentales Forum, den »Weiterbau« des unvollendeten Forums durch die Situierung des Flakturms in der Forumsachse sowie die Rolle der einzelnen Anrainer-­ Institutionen während des nationalsozialistischen Regimes. Auf diese bis heute nachwirkenden Verstrickungen bezieht sich Elke Krasny u. a. in ihrer kulturwissenschaftlichen Sicht auf die »Hofburg Heterogen. Kritische Räumliche Praxis als Widersprüchliches Wissen«. Die dritte große Zäsur ereignete sich vor dem Hintergrund des Paradigmenwechsels Ende der 1980er-Jahre: Mit der Einrichtung eines Kunstzentrums der Gegenwart in den ehemaligen Hofstallungen wurde Wien zu einem frühen Beispiel der zeitgenössischen Weiterentwicklung eines ehemaligen Residenzbezirks. Dieser zusammenhängende Stadtraum zwischen Michaelertor und MuseumsQuartier wird aber heute, u. a. aufgrund der Verkehrsentwicklung seit den 1950er-Jahren, kaum mehr als Einheit wahrgenommen. Ein singulärer urbaner Raum ist als solcher nicht mehr erfahrbar. Ein Spezifikum des Wiener Hofburg-Museums-Quartiers ist seine Funktion als intensiv genutzter urbaner Raum. Ja, seine Plätze und Parks spielen seit den 1960er-Jahren eine Schlüsselrolle in der Sub- und Jugendkultur der Stadt. Thomas Trenkler legt unter dem Titel »Was aus der Idee des Kaiserforums wurde. Zur Geschichte des Museumsquartiers seit den 1980er-Jahren« diese einem Kulturkampf gleichkommende Geschichte des größten Kulturbaus der Zweiten Republik dar und 12

Einleitung

gibt damit gleichzeitig ein anschauliches Bild gesellschaftspolitischer Verhältnisse des Landes wieder. Michael Wimmer nimmt die Nutzungsgeschichte des MQ als Anlass für eine kritische Auseinandersetzung mit der österreichischen Kulturpolitik. Die Medienwissenschaftlerin Melanie Letschnig unternimmt einen Streifzug durch eine ganz andere Hofburg – nämlich »Die Hofburg als Schauplatz im österreichischen Film«. Der Gartenhistoriker Jochen Martz zeigt anhand seiner Sammlung von Postkarten aus dem frühen 20. Jahrhundert bislang weitgehend unbekannte Bilder des ehemaligen Residenzbezirks und seiner Gärten. Eine neue Perspektive eröffnet Johanna Schwanberg mit ihrem Beitrag über die Hofburg als Schauplatz performativer künstlerischer Auseinandersetzungen – von Günter Brus’ »Wiener Spaziergang« über die »Körperkonfigurationen« von VALIE EXPORT bis zu Julius Deutschbauers witzreich-provokativer Performance »... aber er kommt nicht voran« in den Amtsräumen des Bundespräsidenten. Das Coverfoto des Buches – VALIE EXPORTs Inszenierung ihres eigenen Körpers auf, an und mit der imperialen Architektur (»Theseustempel (Stufen), 1982«) – veranschaulicht in einem Bild die Komplexität der Auseinandersetzung des 20./21. Jahrhunderts mit dem Baukomplex und seiner Bedeutung. Das Buch versammelt erstmals Beiträge über spezifische Entwicklungen unterschiedlicher ehemaliger, europäischer Residenzbezirke im 20./21. Jahrhundert. In der heterogenen Herangehensweise und Schwerpunktsetzung der Autorinnen und Autoren spiegeln sich die ausgeprägten nationalen Unterschiede, die bis in die 1980er-Jahre vorherrschten. Im Zuge des weltpolitischen Umbruchs Ende der 1980er-Jahre internationalisiert sich das Geschehen wieder. Residenzen standen länderübergreifend immer im Austausch und in vergleichender Konkurrenz, was sich in gewisser Weise auf die heutige Situation des Städtewettbewerbs übertragen lässt. Damals wie heute sind diese Quartiere Orte, an denen Kultur und Politik aufs Engste ineinandergreifen. In ihrer Funktion als zentrale Erinnerungsorte spielen sie auch für alle Fragen von Öffentlichkeit eine Schlüsselrolle. Ehemalige Residenzareale mit ihren historischen Sammlungen, ihren Museums- und Bibliotheksbauten und mit ihrer spezifischen urbanen Figur treten seit den 1980er-Jahren wieder in den Fokus von Kultur-, Architektur- und Stadtentwicklung. Péter Rostás’ Analyse zu Wiederaufbau- und Umnutzungsplanungen der Budaer Burg in den für Ungarn kritischen Jahren von 1945–1957 liest sich wie ein Tagebuch der sich damals immer wieder überstürzenden politischen Ereignisse. Jan Tabor entwickelt in seinem geradezu literarischen Traktat ein Panorama der Prager Burg und ihrer verästelten Beziehungen zu »wien sowie berlin, budapest und moskau (fragment)«. Mit dem Fallbeispiel Bukarest / Rumänien fügt Augustin Ioan dem Thema der (Um-)Nutzung imperialer Zentren im 20. Jahrhundert einen weiteren Aspekt hinzu, wenn er es auf Ceaușescus Palast des Volkes in Bukarest und auf die in der Ceaușescu-Ära erbauten kommunalen Zentren der neuen politischen Verwaltungskreise bezieht. Olga Postnikova Maria Welzig

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legt die Geschichte des Moskauer Kremls als »sakralen Ort, Herrschersitz und Museum« bis zu seiner gegenwärtigen Funktion als Sitz des russischen Präsidenten dar. Carmen Bernárdez zeigt die Entstehung des Paseo del Prado in Madrid im 18. Jahrhundert als zentralen Ort des öffentlichen Lebens, von Kunst und Wissenschaft und sie stellt die eindrucksvolle funktionale, urbanistische und architektonische Weiterentwicklung dieser Achse nach dem Ende des Franco-Regimes seit den 1980er-Jahren bis in die Gegenwart vor. Wie sehr politische Interessen und Absichten auch hinter den heutigen Entscheidungen rund um die historischen Machtzentren stehen, unter Umständen entgegen jedem funktionalen Argument, wird in Nikolaus Bernaus Beitrag offenbar: »Fassade vor Funktion. Das Berliner Schloss und das Humboldt-Forum: Ein geplantes Desaster«. Auf der Basis des Inputs der Forschungsergebnisse zur Hofburg und des internationalen Vergleichs wollen wir schließlich mit dem Buch einen Anstoß geben, die zahlreichen offenen Planungen und Projekte im Wiener Hofburg-Museums-Quartier gesamtheitlich zu diskutieren. Die Projekte reichen von anstehenden Museumserweiterungen und Neuerschließungen über Denkmalplanungen bis zur Idee eines Hauses der Geschichte auf dem Heldenplatz. Denn angesichts der starken Partikularinteressen, die im HofburgMuseums-Quartier gegeben sind, und angesichts der bereits historisch für den Hofburgbezirk verfolgbaren Konkurrenz zwischen Stadt und Staat droht eine zusammenhängende Sicht der Dinge verloren zu gehen. Impulse für eine grundsätzliche planerische Auseinandersetzung mit dem Areal geben innovative Beiträge von vier Architekturteams. Die Auswahl soll auch die Bandbreite der Aufgaben und Möglichkeiten zeigen: Gerhard Steixner bringt mit seinen Projekten seit den 1990er-Jahren – sei es für eine »demokratische Neukonzeptionierung« des Maria-Theresien-Platzes mit gemeinsamer Erschließung der Museen, sei es mit einem Entwurfsseminar an der TU Wien für eine Umwidmung des »Heldendenkmals« in ein Ausstellungszentrum für die Hofburg-Geschichte – das Areal in seiner Gesamtheit und in seinem urbanistischen Potenzial in den Blickpunkt. feld72 Architekten werfen mit ihrer performativen Installation »Toronto Barbecue« auf dem Vorplatz des MQ grundsätzliche Fragen zur Funktion und zum Bau dieses Kulturzentrums der Gegenwart auf und erweitern dabei die Zugänge über bauliche Maßnahmen hinaus. PPAGs multifunktionale Stadtmöbel spielen in der Erfolgsgeschichte des MuseumsQuartiers als urbaner Raum eine wichtige Rolle. Die »Enzis« sind geradezu zu einem Synonym für das MQ geworden. Gabu Heindls Umbau des Österreichischen Filmmuseums – 1964 gegründet, war das Filmmuseum die erste zeitgenössische experimentelle Kulturinstitution im ehemals imperialen Komplex – ist ein kleiner Eingriff, der gleichwohl in den Stadtraum ausstrahlt und in seiner Symbolik für den gesamten Museumsbezirk bedeutsam ist. Eine Diskussion unter dem Titel »Weiterbauen. Hofburg und MuseumsQuartier als unvollendete Projekte« gibt einen Ausblick in die mögliche Zukunft dieses Gebäude- und Platzkomplexes, an dem seit Jahrhunderten stets weitergebaut wurde. 14

Einleitung

Der Wiener Hofburgbezirk – Bedeutungswandel im 20. Jahrhundert

1:  Luftbild der Hofburg, um 1930 (ÖNB, Bildarchiv)

Residenz im Wandel. Die Hofburg nach 1918 – Projekte und Planungen

Anna Stuhlpfarrer

Mit dem Ende der Monarchie und der Ausrufung der Ersten Republik am 12. November 1918 verlor die Wiener Hofburg ihre ursprüngliche, über Jahrhunderte währende Funktion und Bestimmung als Kaiserresidenz (Abb. 1). Sprechen wir heute von der Hofburg im Jahr 1918, ist uns zwar der Umstand bewusst, dass es sich hier um einen städtebaulichen Torso handelt, kaum bekannt ist jedoch die Tatsache, dass sich wesentliche Bereiche der Residenz am Ende der Monarchie im Inneren noch weitgehend im Rohbau befanden. Der riesige Baukomplex, der mit der Neuen Burg erst in den Jahrzehnten davor eine wesentliche Erweiterung erfuhr, war von seiner Vollendung weit entfernt. Bekannt ist dies vor allem vom großen Festsaal gegen den Heldenplatz, der seine Fertigstellung erst im Jahr 1923 erfuhr. Ein Auszug aus einem Bericht der Burgbaukommission über die Neue Burg 1918 macht jedoch den gesamten Umfang des baustellenartigen Zustandes­ der Residenz zu Beginn der Ersten Republik deutlich: »Der ganze Mittelbau ist in seinem Äusseren bis auf einige figurale Plastiken vollständig fertig, während dessen der Wohntrakt im Parterre, Mezzanin und 1. Stock im Inneren der Räume baulich nur so weit fortgeschritten ist, dass die Hauptwände, Decken und Fußböden nur konstruktiv fertig 2:  Neue Burg, Oberlichtsaal

Anna Stuhlpfarrer

17

sind, dagegen die Scheidewände, Stuckdecken, Türen und sonstiges Interieur wegen definitiver Bestimmung der Raum-Widmung noch nicht durchgeführt sind.«1 (Abb. 2) Das Zitat stammt aus einem Bericht des Burgbauarchitekten Ludwig Baumann an das Deutsch-­Österreichische Staatsamt für öffentliche Arbeiten, welches bereits Ende November 1918 – also nur kurze Zeit nach Ausrufung der Republik Deutschösterreich am 12. November des Jahres – eine Darstellung über den Stand des Baufortschritts der Neuen Burg unter Angabe des für die nächste Zeit aufgestellten Bauprogramms gefordert hatte. Sollten die Arbeiten am neuen Burgbau entsprechend der 1869–1871 konzipierten Planung des Kaiserforums von Gottfried Semper und Carl Hasenauer (Abb. 3) ursprünglich bis Ende des 19. Jahrhunderts fertiggestellt sein, so war das alte Bauprogramm bereits bei Antritt des Vorgängers von Ludwig Baumann als Burgbauarchitekt, Friedrich Ohmann, im Großen und Ganzen aufgegeben. Im Jahr 1906, als Thronfolger Franz Ferdinand die Aufsicht über den Burgbau von Kaiser Franz Joseph übernommen hatte, forderte er ein Überdenken der Pläne Sempers und Hasenauers und schließlich wurde 1913 das erste Mal auch von der Unmöglichkeit der Vollendung des Forums gesprochen.

3:  Franz Alt, »Der neue Burgpalast in Wien mit dem Projekt des Kaiserforums« aus dem Album »Wien – Einst und Jetzt«, 1873 (Albertina, Wien)

1

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Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA), Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA), Ministerium des Inneren, Stadterweiterungsfonds, Burgbaukommission (BBK), Bericht Ludwig Baumanns vom 30. Dezember 1918, Z.2329 ex 1918.

Residenz im Wandel. Die Hofburg nach 1918 – Projekte und Planungen

4:  Ludwig Baumann, Vorschlag zur Vollendung des Kaiserforums, 1907

Die Burg nach 1918 – die ersten Nachkriegsjahre Ludwig Baumann schlug in seinem Bericht an das Staatsamt Ende des Jahres 1918 eine Fertigstellung der Hofburg in drei Bauperioden vor, wobei die erste Bauperiode jene Teile des Neubaus der Burg umfassen sollte, die laut Baumann »gegenwärtig in Arbeit sind oder bereits ihrer Vollendung entgegengehen und deren Fertigstellung mit Rücksicht auf die bereits investierten hohen Summen selbstverständlich erscheint und die in Anbetracht der bei eventueller Nichtvollendung der betreffenden Räume durch den natürlichen Verwitterungsprozess dem Verfalle entgegengehen müssten«.2 Man wollte sich also vor allem auf jene Räume der ehemaligen Kaiserresidenz konzentrieren, die für eine neue Nutzung von Interesse waren und in absehbarer Zeit zur Verfügung stehen konnten: Im besonderen Falle handelte es sich hier um den 1910 begonnenen Festsaaltrakt mit dem über 1.000 m² großen Festsaal sowie weiteren Sälen, deren Fertigstellung Baumann »nach Eintritt geordneter Verhältnisse« in einem Zeitrahmen von eineinhalb bis zwei Jahren für möglich hielt. Der bisher zu Festzwecken in Verwendung gestandene Redoutensaal wurde in Anbetracht seiner schlechten Zugänge vom Burgbauarchitekten für solche Zwecke nicht mehr als geeignet angesehen und war in Zukunft – entsprechend adaptiert – als Erweiterung der Hofbibliothek gedacht. Die zweite Bauperiode sollte nach erfolgter Zweckbestimmung die Fertigstellung jener Räume umfassen, die für Wohnzwecke, Amtsräume für Staatsämter oder Bibliotheks- und Sammlungszwecke in allen Etagen des Garten- und Anschlusstraktes geplant waren. Als letzten Schritt (dritte Bauperiode) hatte Baumann die Vollendung des Forums geplant (Abb. 4). Zu den

2 Ebenda. Anna Stuhlpfarrer

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finanziellen Erfordernissen, die für ein derartiges Bauunterfangen notwendig wären, meinte Baumann im Bericht abschließend, »dass in Anbetracht der gegenwärtigen Materialpreise und Lohnverhältnisse aussergewöhnlich hohe Summen resultieren würden, die sich bei geregelten Arbeitsverhältnissen gewiss bedeutend ermässigen werden«.3 Bereits am Ende des Krieges hatte es extreme Beschaffungsschwierigkeiten für Baumaterial gegeben und die Preise waren enorm gestiegen. Ein Brief Baumanns an die »Löbliche Burgbaukommission« vom April 1919 gibt darüber Auskunft, dass die Bautätigkeit an der Neuen Burg schon seit längerer Zeit auf jene Arbeiten beschränkt sei, die zur Weiterführung und Vollendung der schon vor dem Ersten Weltkrieg vergebenen Herstellungen erforderlich seien. Zudem konzentrierte man sich auf die notwendigsten Regiearbeiten sowie auf unaufschiebbare Herstellungen und Ergänzungsarbeiten. In diesem Zusammenhang darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich bei der Hofburg um einen riesigen, über Jahrhunderte entstandenen Baukomplex handelt, an dem – wie bei jedem anderen Bauwerk auch – laufend Restaurierungen notwendig wurden. Soweit heute festgestellt werden kann, dürften die Arbeiten an der Neuen Burg Ende 1919 zwischenzeitlich vollständig eingestellt worden sein. Zudem wurde zunehmend Baumaterial aus den Vorräten am Bauplatz der Neuen Hofburg abgegeben und unter anderem auch für die Renovierung der Staatsoper im Jahr 1920 verwendet. Im Zuge diverser Anfragen bezüglich des Baumaterials erfährt man auch, dass die Burgbauleitung 1921 »noch über einen Vorrat von ca. 45.000 Stück alter (von Demolierungsarbeiten übrig gebliebener) Mauerziegeln verfügt, die in ihrer Gänze kaum mehr vollständig am Burgbau Verwendung finden dürften«.4 Diese Situation beim Burgbau – der Stillstand oder zumindest beinahe vollkommene Stillstand der Arbeiten – muss im Zusammenhang und vor dem Hintergrund der politischen und wirtschaftlichen Lage im Land gesehen werden. Die direkte Nachkriegszeit war durch eine katastrophale Ernährungslage, enorme Inflation, hohe Arbeitslosigkeit und extreme Wohnungsnot bestimmt. Der Burgbauarchitekt sah sich aufgrund der geringen Bautätigkeit gezwungen, den Großteil seines Atelierpersonals zu entlassen. Doch gleichzeitig wurden die gesetzmäßigen Kündigungstermine von staatlicher Seite immer wieder hinausgeschoben, um die Zahl der Arbeitslosen nicht noch weiter zu erhöhen. Und auch der Baufonds war aufgrund der Geldentwertung empfindlich geschrumpft, bei gleichzeitig horrenden Löhnen. Vor diesem Hintergrund verwundert die Einstellung der Bauarbeiten an der Burg keinesfalls.

3 Ebenda. 4 ÖStA, BBK, Z. 2367/2168 ex 1919. 20

Residenz im Wandel. Die Hofburg nach 1918 – Projekte und Planungen

Die republikanische Hofburg – Mieter und Nutzungen der Ersten Republik Die wirtschaftliche Lage sowie die langhin offene Frage über eine weitere definitive Nutzungsbestimmung der Hofburg veranlassten den jungen Staat, einzelne Räumlichkeiten der ehemaligen Kaiserresidenz vorübergehend zu vermieten. Zahlreiche der unausgebaut gebliebenen großen Räume in der Neuen Burg sind in den Jahren nach 1918 verschiedenen ausländischen Wohltätigkeitsaktionen als Niederlassung und Lager für ihre Lebensmittelvorräte überlassen worden. Neben der »Amerikanischen Kinderhilfs­ aktion« und der »Schwedischen Mittelstandsaktion« kann hier auch die »Englische Aktion ›Kinder aufs Land‹« genannt werden. In der Alten Burg und den bereits fertiggestellten Räumen der Neuen Burg hatten zahlreiche Kanzleien und Büros – teils von staatlicher, teils von privater Seite – ihren Sitz, gleichwie auch weiterhin die Räume, vor allem des obersten Geschosses, sämtlicher Trakte als Wohnungen dienten. Mit Anfang Oktober 1919 kam es auch wieder zur Öffnung der kaiserlichen Hofburgappartements für ein breites Publikum: Die Räume wurden der Öffentlichkeit an drei Tagen der Woche zur Besichtigung freigegeben, wobei der Rundgang durch diese sogenannten »Schauräume« entlang des inneren Burghofs führte. Die zentrale Frage war jedoch die weitere Zweckbestimmung der Neuen Burg sowie die dauerhafte Verwertung der riesigen Räumlichkeiten. Die neue Regierung besichtigte im Jahr 1921 (!) wiederholt die Neue Burg und es wurde in zahlreichen Sitzungen über die Widmung des Burggartenflügels und den Festsaalbau beraten. Wirtschaftliche Fragen standen im Vordergrund, da in erster Linie an die Lukrierung von Einnahmen gedacht werden musste, um wenigstens einen Teil der enormen Erhaltungskosten der Wiener Hofburg erstmals durch Vermietungen tragen zu können. Daher stand an erster Stelle die – wenn auch über Jahre hinweg nur provisorische – Fertigstellung des neuen Festsaaltraktes mit dem zentralen großen Festsaal, der sich für diverse Veranstaltungen wie Bälle, Konzerte und Vorträge bestens anbot. Die Festräume der Alten Hofburg – Zeremoniensaal, Marmorsaal, Ritterstube und Trabantenstube – waren bereits gegen Ende 1921 für diverse Veranstaltungen anzumieten (Abb. 5). Wesentlich schwieriger gestaltete sich indessen die Suche nach der definitiven Nutzung für den Flügel gegen den Burggarten. Die endgültige Widmung der Neuen Burg war fast bis in die Mitte der 1920er-Jahre völlig ungewiss, erst 1924 wurde auf dem Wege eines Regierungsbeschlusses endlich eine grundsätzliche Widmung zu Musealzwecken festgelegt. Trotzdem sollte es noch viele Jahre dauern, bis abschließende Entscheidungen getroffen wurden und die verschiedenen Sammlungen hier Schritt für Schritt ihren Einzug hielten. In der Zwischenzeit wurden die leer stehenden Räumlichkeiten beinahe ausschließlich für kurze temporäre Nutzungen wie Ausstellungen vermietet. Einziger wirklicher Anna Stuhlpfarrer

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5:  Festräume der Wiener Hofburg

Dauermieter war die Wiener Messe, die sich bereits ab 1921 in den Hofstallungen unter dem Namen Messepalast für viele Jahrzehnte etablieren konnte und lange Jahre auch den Mitteltrakt der Neuen Burg für ihre Veranstaltungen reserviert hatte (Abb. 6). Dass diese neuen Nutzungen nicht jedermanns Geschmack entsprachen, zeigt nicht zuletzt ein Auszug aus der Hofburg-Publikation von Eduard Irmisch aus dem Jahr 1932: »Die für die Majestäten zu Wohnzwecken bestimmt gewesenen Räume, sowie das ganze herrliche Stiegenhaus sind bei dieser Gelegenheit von Schuh-, Kleider- und Pelzfirmen okkupiert, die größtenteils vor Ausbruch des Weltkrieges noch gar nicht bestanden. Schreiende, hässliche Reklametafeln verdecken die so schönen Marmorwände und ein ganz anderes Publikum bevölkert jetzt diese Räume, als dasjenige, für welches sie bestimmt waren. Nichts könnte den Umschwung der Zeiten besser charakterisieren.«5 Besonders umfangreiche Projekte zur Neunutzung6 der Burg liegen von Ludwig Baumann aus den Jahren 1919–1924 vor, der noch bis weit in die 1920er-Jahre künstlerischer Berater der Burghauptmannschaft blieb und den Titel »Burgbauarchitekt« beibehielt.7 Auffallend ist dabei, dass sich in beinahe sämtlichen Entwürfen zur Hofburg

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Irmisch, Eduard, Beitrag zur Baugeschichte der neuen Hofburg in Wien, Wien 1932, 25. Ludwig Baumanns Planungen zu einem Hotelprojekt in der Hofburg aus dem Jahr 1921 werden im Bd. V der Publikationsreihe »Die Wiener Hofburg« (Erscheinungsdatum 2015) näher vorgestellt. Ludwig Baumann arbeitete über die Auflösung der »Bauleitung Sr. Majestät Hofburg« des Stadterweiterungsfonds im Jahr 1922 hinaus weiter an Planungen für die Wiener Hofburg.

Residenz im Wandel. Die Hofburg nach 1918 – Projekte und Planungen

6:  Wiener Messe in der Neuen Burg, Segmentstiege, Frühjahr 1929 (ÖNB, Bildarchiv)

Anna Stuhlpfarrer

7:  Ludwig Baumann, Plan der Alten und der Neuen Burg, des Burggartens und des Heldenplatzes, 1919

in der Ersten Republik – nicht nur bei Baumann – immer wiederkehrende Ideen und Lösungsvorschläge finden, die einerseits auf die museale Ausrichtung der Burg und andererseits auf die Etablierung von Restaurants und Cafés in der ehemaligen Kaiser­ residenz hinzielen. Besondere Beachtung verdient hierbei ein Entwurf Baumanns für ein Nutzungskonzept der gesamten Hofburg, das der Architekt bereits im Juli 1919 dem Staatsamt des Inneren vorlegte und das auch unter dem Titel »Von der Kaiserresidenz zum Volkspalast« stehen könnte (Abb. 7). Es werden hier sehr früh teils erst Jahrzehnte später definitiv gewordene Nutzungen vorweggenommen und der Weg der Hofburg in Richtung Museumskomplex / Musealisierung wird vorgezeichnet. Baumann schlug vor, die gesamte Hofburg – Alte Burg und Neue Burg einschließlich des Burggartens und des Glashauses – »zu einer im großen Stile durchgeführten Stätte der Kunstpflege – der Volksbildung – der Erholung und zur Schaffung von Repräsentationsräumen der Republik« auszugestalten. Der Komplex sollte neben zahlreichen Museums- und Ausstellungsräumen, Vortragsund Lesesälen auch ein Kino sowie Restaurationsstätten und eine Kaffeehausanlage beinhalten. Baumann sah vor, die große Gobelinsammlung, die in einem Depotraum des 24

Residenz im Wandel. Die Hofburg nach 1918 – Projekte und Planungen

Schlosses Schönbrunn aufbewahrt wurde, hier ebenso unterzubringen wie auch Räume für die Musik und die dringend notwendige Erweiterung der Hofbibliothek zu schaffen. Da die Spanische Hofreitschule laut Baumann aufgrund einer fehlenden Hofhaltung »überflüssig« geworden war, schlägt er vor, dass die Winterreitschule »als ein dem Volke gewidmeter Fest- und Versammlungssaal für Konzertaufführungen, Bälle, gesellschaftliche Veranstaltungen und Volksversammlungen etc. unter voller Wahrung des architektonischen und historischen Charakters des Saales Verwendung finden« sollte.8 Die Einnahmen aus diesem Volkspalast, wie Baumann die Anlage nun nennt, sollten die Verwaltungs- und Erhaltungskosten decken und auch noch zusätzlich Gewinn abwerfen. Wie schnell sich Personen dem Verlauf der Geschichte anpassen, zeigt der Abschlusssatz des Berichts, wenn hier der ehemalige »Burgbauarchitekt der Bauleitung seiner k. k. Majestät« als glühender Vertreter der neuen Republik auftritt und seinen Bericht wie folgend schließt: »Im wahren Sinne des Wortes wird dieser Volkspalast nach seiner Vollendung als ein bleibendes Denkmal der aufblühenden Republik erstehen.«9 Ein weiteres Nutzungskonzept aus der Zeit der Ersten Republik stammt vom Architekten Marcel Kammerer, der einen Restaurant- und Cafébetrieb im Parterre der Neuen Burg in Verbindung mit einem großen Kinosaal vorsah (Abb. 8). Das über lange Zeit diskutierte Projekt fand auch in der Presse großen Widerhall und wurde unter anderem unter dem

8:  Marcel Kammerer, Situationsplan zur Verpachtung von Souterrain- und Parterreräumen im Gartentrakt der Neuen Burg, 1927

8 ÖStA, AVA, Stadterweiterung, VIII. Beilagen und Varia, Mappe – Bau der neuen Hofburg, Zl.2405 ex 1919. 9 Ebenda. Anna Stuhlpfarrer

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schreierischen Titel »Vergnügungsetablissement in der Burg« diskutiert. Einwände gegen das Papier gebliebene Projekt kamen auch vonseiten des Bundesdenkmalamtes, dem »eine derartige Verwendung der Baulichkeiten in der Hofburg mit der historischen Bedeutung dieses Denkmales unvereinbar« erschien. »Wenn auch der Flügel der neuen Hofburg bisher nicht zur praktischen Verwendung kam, bildet er doch einen integrierenden Bestandteil der Hofburg und vor allem jenes großzügigen Projektes von Gottfried Semper, in Verbindung der alten Hofburg mit den Museen und den Hofstallungen ein gewaltiges Kaiserforum zu schaffen, ein städtebaulicher Gedanke, der wohl zu den bedeutendsten künstlerischen Projekten des 19. Jahrhunderts zu rechnen ist.«10 Diese unterschiedlichen Interessenlagen, die aufgrund der zahlreichen Entscheidungsträger bei der Hofburg aufeinandertrafen und hier – etwa durch die Aussage des Bundesdenkmalamtes – gezeigt werden sollen, waren dafür mitverantwortlich, dass sich die endgültige Frage der Widmung über Jahre, und teils Jahrzehnte, erstreckte. Erst 1928 begann sich endlich die seit 1919 immer wiederkehrende Idee der Neuen Burg als Museumsbau langsam durchzusetzen. Am 26. Mai 1928 wurde im Corps de logis das Museum für Völkerkunde eröffnet und 1935 zog die Waffensammlung (Hofjagd- und Rüstkammer des Kunsthistorischen Museums) in den 2. Stock des Corps de logis und in Teile des rechten Segment­flügels der Neuen Burg ein.

Die Hofburg 1934–1938 Im Gegensatz zur Zeit der Ersten Republik, als die Hofburg nach dem Ende der Monarchie ihre ursprüngliche Funktion verloren hatte und beinahe sämtliche Projekte auf die Fertigstellung und weitere Nutzung der ehemaligen Kaiserresidenz ausgerichtet waren, verlagerte sich das Interesse in den Jahren 1934–1938 weg von den Nutzungsüberlegungen vor allem in Richtung des Außenraumes. Schauplatz der Planungen war nun einerseits der angrenzende Ballhausplatz mit der Errichtung des »Hauses der Vaterländischen Front«, andererseits nahmen Denkmalprojekte in der Zeit des autoritären »Ständestaates« eine wichtige Rolle zur Legitimierung der austrofaschistischen Politik ein. Es wurde versucht, eine Art »austrofaschistische Identität« zu schaffen und sich damit gegen das nationalsozialistische Dritte Reich abzugrenzen. »Zurück in die Vergangenheit und vorwärts in die Zukunft war die Devise, die Bundespräsident Miklas formulierte und die bezeichnend für die Bestrebungen ist, ein neues Österreichbewusstein an ›altösterreichische‹ Traditionen zu binden. Das Entstehen des ›Habsburgermythos‹ im autoritären Ständestaat hat hier seine Wurzeln 10 ÖStA, Archiv der Republik (AdR), 05/1, Umschlag 52/67.219, Zl.472/D ex 1927. Brief des Vorstands des Bundesdenkmalamtes, Fortunat Schubert von Soldern, an das Bundesministerium für Unterricht vom 1. Februar 1927. 26

Residenz im Wandel. Die Hofburg nach 1918 – Projekte und Planungen

9:  Clemens Holzmeister, Entwurf für ein Dollfuß-Denkmal, 1936

und drückt sich in der Errichtung zahlreicher Denkmäler aus.«11 Bereits im Jahr 1933 hatte Bundeskanzler Engelbert Dollfuß das Parlament ausgeschaltet, parallel dazu folgte der Abbau demokratischer Errungenschaften. Im Mai desselben Jahres fand die Gründung der »Vaterländischen Front« als »überparteiliche« politische Organisation des »christlichen, deutschen Bundesstaates auf ständischer Grundlage«12 statt. Mit den Wettbewerben für ein Kaiser-Franz-Joseph-Denkmal13 und die Umgestaltung des Äußeren Burgtores in ein Heldendenkmal wird diese »Rückbesinnung auf die Vergangenheit« des Landes deutlich. Gerade in Bezug auf die Wiederbelebung des Habsburgermythos boten sich die Hofburg sowie der Heldenplatz als Standort für die neu zu errichtenden Denkmäler schier an. Ein weiteres Denkmal jener Jahre, das am Rande des Hofburgareals – Ecke Volksgarten Ballhausplatz – seinen Aufstellungsort finden sollte, war jenes für den im Jahr 1934 durch die Nationalsozialisten ermordeten österreichischen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß (Abb. 9). Den von der Vaterländischen Front 11

Grassegger, Friedrich, Denkmäler des autoritären Ständestaates, in: Riesenfellner, Stefan (Hg.), Steinernes Bewusstsein I., Wien 1998, 533. 12 Aus: Verfassung des Bundesstaates Österreich vom 24. April/1. Mai 1934. 13 1935 wurde der erste Ideen-Wettbewerb von RAVAG und Unterrichtsministerium ausgeschrieben; der zweite Wettbewerb 1936 von der Stadt Wien (140 Entwürfe, davon zwei von Clemens Holzmeister mit Bildhauer Hans Andre); 1937 folgte dann der dritte Wettbewerb; politische Veränderungen führten jedoch zu einem Ende der Geschichte. Anna Stuhlpfarrer

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10:  Rudolf Perco, »Reuniongedächtnis­domanlage – Zelte Davids«, Ansicht, 1934

ausgeschriebenen Wettbewerb konnte Clemens Holzmeister für sich entscheiden, jener Architekt, der auch für den Entwurf des »Hauses der Vaterländischen Front« am Ballhausplatz verantwortlich zeichnete. Neben diversen Denkmalentwürfen beziehen sich in den Jahren 1934–1938 auch einige städtebaulich interessante Projekte auf das Areal des Hofburgkomplexes, die sämtlich auf die unvollendet gebliebene Planung des Kaiserforums von Semper und ­Hasenauer rekurrierten. Genannt werden soll hier einzig der vom Wagner-Schüler ­Rudolf Perco14 im Jahr 1934 konzipierte ökumenische Kirchenbau15 zur »Wiedervereinigung sämtlicher christlicher Bekenntnisse der Welt«, der den Abschluss des Forums gegen den 7. Bezirk bilden sollte und weit über das Areal der Hofstallungen hinaus bis zur Kirchengasse gereicht hätte (Abb. 10 und 11). Das Projekt, das Perco selbst »Reuniongedächtnisdomanlage – Zelte Davids« nannte, war bereits die zweite Planung des Architekten für das Areal der Hofstallungen.16 Mit diesem umfassenden Eingriff in die historische Stadtstruktur führte Perco in den 1930er-Jahren nicht nur Sempers Forumsgedanken weiter, sondern setzt mit dem megalomanen Sakralbau auch einen starken Gegenpol zur Wiener Hofburg. Bei dem Entwurf wurde »eine neu aktualisierte Christlichkeit zum prägenden Bezugspunkt«17 – mit der Widmung als ökumenischen Kirchenbau war er jedoch nicht auf katholischem Staatskurs. Rudolf Perco hatte neben diesen 14 Perco trat 1941 in das Baureferat von Hanns Dustmann ein. 15 Die Wagner-Schüler Hans Mayr und Josef Hannich hatten bereits 1902 bzw. 1911/12 Forumspläne mit einem Sakralbau als Abschluss auf der Seite der Hofstallungen entworfen. 16 Aus dem Jahr 1918 datiert Rudolf Percos »Sühnedenkmal für den ersten Weltkrieg«. 17 Prokop, Ursula, Rudolf Perco 1884–1942. Von der Architektur des Roten Wien zur NS-Megalomanie, Wien 2001, 287. 28

Residenz im Wandel. Die Hofburg nach 1918 – Projekte und Planungen

11:  Rudolf Perco, »Reuniongedächtnis­domanlage – Zelte Davids«, Lageplan, 1934 Anna Stuhlpfarrer

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eigenständigen Projekten auch an den Konkurrenzen zum Heldendenkmal sowie dem Kaiser-Franz-Joseph-Denkmal teilgenommen.

Die Hofburg zur Zeit des Nationalsozialismus Wie schon in den Jahren 1934–1938 fungierte auch in der Zeit des Nationalsozialismus der Heldenplatz als Bühne der politischen Machtdemonstration. Noch stärker als im Austrofaschismus diente das Areal zur politischen Legitimation, um sich in der Tradition des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zu verstehen. Adolf Hitler verkündete am 15. März 1938 vom Balkon der Neuen Burg den »Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich« und auch in den folgenden Jahren blieb der Heldenplatz Ort politischer Inszenierungen und zentrale Aufmarschfläche (Abb. 12). Zudem wurde die nähere Umgebung der ehemaligen Residenz zum Zentrum der politischen Machtausübung – unter anderem diente das Parlament Gauleiter Josef Bürckel bis 1940 als Gauhaus und das ehemalige Bundeskanzleramt wurde Sitz der Reichsstatthalterei. Auch wenn bezüglich der inneren Ausgestaltung der Neuen Burg während dieser Jahre keine bleibenden Entscheidungen getroffen wurden, hatte die Hofburg als Gesamtheit für die Nationalsozialisten große Bedeutung. Im Bereich der Alten Burg stellte Reichsstatthalter Baldur von Schirach

12:  Großapell der NSDAP am Heldenplatz, 1939 (ÖNB, Bildarchiv) 30

Residenz im Wandel. Die Hofburg nach 1918 – Projekte und Planungen

13:  Hanns Dustmann, Gestaltungs- und Bebauungsvorschlag für den Heldenplatz, 1941/42, Modellfoto (WStLA)

12 Räume für das »Zentralinstitut für Theaterwissenschaft« zur Verfügung, für dessen Gründung im Jahr 1943 er sich maßgeblich eingesetzt hatte. Der Nachfolger von Josef Bürckel als Gauleiter in Wien, der in den letzten Kriegstagen im Schutzraum der Hofburg Zuflucht nehmen sollte, veranstaltete während seiner Amtszeit zudem riesige Empfänge in den Festsälen der Wiener Burg, die durch ihre Größe und ihren Glanz an die imperialen Festveranstaltungen aus der Zeit vor 1918 erinnern sollten. Auch als Ausstellungsort nahmen der Heldenplatz, die Neue Burg und die ehemaligen Hofstallungen, seit 1921 Messepalast, während der Zeit des Nationalsozialismus eine zentrale Rolle ein. Hier wurden die großen Propagandaausstellungen »Der Sieg im Westen«, »Unser Heer« und der »Kampf um Wien« gezeigt und im Jahr 1940 eröffnete in der Neuen Burg zudem die Ausstellung »Das Wiener Forum in Plänen und Modellen«, die sich in bislang nicht da gewesener Art mit der Geschichte der Hofburg und dem (unvollendet gebliebenen) Forum auseinandersetzte. Auch die grundlegende Forschung und Publikation zur Wiener Hofburg von Adolph Lhotsky18 erschien in der NS-Zeit. Waren für das Areal der Hofburg zur Zeit des Austrofaschismus vor allem Entwürfe für Denkmäler entwickelt worden, so standen zur Zeit des Nationalsozialismus wieder vermehrt architektonische und vor allem städtebauliche Projekte im Vordergrund. Aus den Jahren nach 1938 liegen zahlreiche Entwürfe vor, die jedoch allesamt nicht über das Entwurfsstadium hinausgingen. So gab es eine Vielzahl an Planungen zur Umgestaltung des Heldenplatzes in einen Aufmarsch- und Versammlungsplatz, von denen wahrscheinlich Hanns Dustmanns Vorschläge zur Umgestaltung des Theseustempels in eine Art

18 Lhotsky, Alphons, Die Baugeschichte der Museen und der Neuen Burg (Festschrift des Kunsthistorischen Museums zur Feier des fünfzigjährigen Bestandes), Wien 1941. Anna Stuhlpfarrer

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Walhalla19 am bekanntesten sind, wobei der Theseustempel als Abschluss des Forumsplatzes gegen den Volksgarten gedient hätte (Abb. 13). Eine Reihe von Entwürfen entstand auch im Rahmen des geladenen Wettbewerbs zur »Einfriedung des Volks- und Burggartens und der Neugestaltung des Heldenplatzes«, der von der Stadt Wien im Jahr 1940 ausgeschrieben worden war. Auch hier stand wieder die Vollendung des ­imperialen Forums im Zentrum der Auseinandersetzung. Eine weitere Planung von »offizieller Seite«, die im Gegensatz zu den zuvor genannten auch ausgeführt wurde, betraf die Errichtung der Wiener Flaktürme durch Friedrich Tamms ab dem Jahr 1942. Ein Modell, das heute nur noch als Fotografie überliefert ist, zeigt das gesamte Hofburgareal mit dem Gefechtsturm im Hof der Stiftskaserne als Abschluss der imperialen Achse. Die Auswahl der Bauplätze für die Errichtung der Flaktürme wurde laut einem Brief von Friedrich Tamms an Hermann Czech 1965 in Übereinstimmung zwischen der Bauverwaltung der Stadt und der Luftabwehr getroffen.20 Wesentlich bei der mittels Stadtkarten genau geplanten Aufstellung war neben der bewusst gesetzten städtebaulichen Anordnung auch die Überlagerung des Schussbereichs der »Schieß-Dome«21. Überlieferte Schnittstudien zeigen, dass neben dem heutigen Standort im Innenhof der Stiftskaserne alternativ auch eine Aufstellung im Bereich der ehemaligen Hofstallungen angedacht war.22 Mit der zentralen Positionierung anstelle der Reithalle im heutigen MuseumsQuartier wäre der Flakturm tatsächlich Bestandteil des bis heute unvollendeten Forums geworden,23 wobei die von Friedrich Tamms geplante Umgestaltung desselben nach Ende des Krieges noch zur Nobilitierung beigetragen hätte. Neben diesen »offiziellen« Planungen entstanden parallel auch viele Privatentwürfe für dieses Areal, das aufgrund seiner politischen Brisanz auch für Architekten und Städteplaner von immensem Interesse war. Zudem hatte – nicht zuletzt wegen der schlechten Auftragslage der vergangenen Jahre – die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten bei den österreichischen Architekten, ebenso wie bei vielen Künstlern, die Hoffnung geweckt, dass sich nun das Blatt wieder wenden und die Auftragslage verbessern würde (repräsentative Bauaufträge). Da es den Rahmen des Aufsatzes sprengen würde, soll hier nur auf eine dieser aus Eigeninitiative entstandenen Planungen näher eingegangen werden, die bislang weniger bekannt ist und die in ihrer Radikalität jedoch

19 In Anlehnung an das Friedrichsdenkmal von Friedrich Gilly Ende des 18. Jahrhunderts. 20 Briefwechsel Tamms, Friedrich / Czech, Hermann, zitiert aus: Bauer, Ute, Die Wiener Flaktürme im Spiegel österreichischer Erinnerungskultur, Wien 2003. 21 Die Bezeichnung »Schieß-Dom« verwendet Friedrich Tamms im Briefwechsel mit Hermann Czech (siehe FN 20). 22 Vgl. Wille, Valentin, Die Flaktürme in Wien, Berlin und Hamburg und Neunutzung des Leitturmes im Wiener Arenbergpark als »(H)aus der Geschichte«, Wien 2006, 31–32. 23 Militärische Gründe (Schusswinkelanalysen) führten letztendlich zur Errichtung des Flakturms am höher liegenden Bauplatz in der Stiftskaserne. 32

Residenz im Wandel. Die Hofburg nach 1918 – Projekte und Planungen

14:  Wilhelm Paul Wohlmeyer, Neuanlage des Heldenplatzes, 1938

all die anderen Planungen für das Burgareal aus dieser Zeit weit übertroffen hätte.24 Es handelt sich hierbei um einen Entwurf des Architekten Wilhelm Paul Wohlmeyer25 aus den Jahren 1938–1940 (Abb. 14). Die Planungen, die sich unter anderem auf die seit dem Barock immer wieder betonte 700 Meter lange Achse zwischen Michaelertor und Hofstallungen konzentrieren, sind im Zusammenhang mit den Projekten »Wien an die Donau« zu sehen, wobei Wohlmeyer über die aktuellen Stadtplanungen sehr gut informiert gewesen zu sein scheint. 24 Eine detaillierte Übersicht und nähere Beschreibung der Planungen für das Hofburgareal zur Zeit des Nationalsozialismus wird 2015 im Bd. V der Publikationsreihe »Die Wiener Hofburg« erscheinen. 25 ÖStA, AdR, Reichsstatthalter, Karton 299, 1940, Bau und Landschaftspflege XI/e, Planungen der Stadt Wien. Anna Stuhlpfarrer

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Unter dem Titel »Neuanlage des Heldenplatzes« plante Wohlmeyer in Anlehnung an das Kaiserforum des 19. Jahrhunderts nun eine Art Gauforum, das als Abschluss gegenüber der Hofburg auf dem Areal der ehemaligen Hofstallungen eine Versammlungshalle mit Raum für 70.000 Personen vorsah (Abb. 15). Anstelle des symmetrischen Baus zum Corps de logis sollte an der Ringstraße ein sogenanntes »Ehrenmal« entstehen. Den Abschluss gegen den Volksgarten bildet ein dreiteiliges Ensemble, bestehend aus dem Gebäude der »Gauleitung oder Gästehaus« gegen den Ballhausplatz, dem »Führerhaus« sowie dem »Monument der Bewegung«. Die Planung entspricht der »typischen Erscheinungsform der im Nationalsozialismus zunächst sehr unterschiedlich benannten Bauten­

15:  Wilhelm Paul Wohlmeyer, Neuanlage des Heldenplatzes – Festhalle, 1938

ensembles mit Aufmarschplatz, Gauhalle, Glockenturm und Parteigebäuden«.26 Gemäß den typischen Achsenplanungen der Zeit des Nationalsozialismus sah Wohlmeyer auch die Anlage eines 50 Meter breiten Straßenkreuzes im Stadtkern von Wien vor, was die ausschließlich mittels Abbruchs von Häusern ermöglichte Verbreiterung der Mariahilfer Straße bedeutet hätte. Der neue Straßenzug sollte quer durch den Burggarten und unter der Hofburg durch zum Stephansplatz und weiter über die Rotenturmstraße zum Donaukanal führen.

26 Wolf, Christiane, Gauforen – Zentren der Macht: zur nationalsozialistischen Architektur und Stadtplanung, Berlin 1999, 11. 34

Residenz im Wandel. Die Hofburg nach 1918 – Projekte und Planungen

Sämtliche Planungen der Zeit des Nationalsozialismus, die ausschließlich propagandistische Funktion hatten und nur der Machtdemonstration dienten, wurden nicht zuletzt auch aufgrund des Kriegsausbruchs verhindert, »sodass sich die symbolische Annexion des Heldenplatzes durch die Nationalsozialisten mit kurzlebigeren Aktionen wie der nach dem Frankreichfeldzug 1940 auf dem Platz errichteten Ausstellung von Beutewaffen ›Der Sieg im Westen‹ begnügen musste«.27

Die Zweite Republik Nach 1945, mit dem Beginn der Zweiten Republik, machte sich in der Hofburg wieder – ver-

16:  Wachablöse am Heldenplatz vor dem Sowjetischen Offizierskasino in der Hofburg, 1954 (ÖNB, Bildarchiv)

gleichbar mit dem Beginn der Ersten Republik – ein reger Zuwachs an Mietern bemerkbar. Wie bereits erwähnt wurden während der Jahre 1938–1945, mit Ausnahme der Gründung des Instituts für Theaterwissenschaft, keine bleibenden Entscheidungen bezüglich der weiteren inneren Ausgestaltung und Bespielung der Neuen Burg getroffen. Eine beinahe stichwortartige Aufzählung soll nur einige der zahlreichen Neu­ nutzer – teils temporär, teils bis heute fixe Mieter der Hofburg – in den ersten beiden Jahrzehnten nach 1945 herausgreifen: So war die Wiener Hofburg von 1945–1955 auch Sitz der sowjetischen Kommandatur (bis zum Staatsvertrag 1955), in den Räumen des heutigen Kongresszentrums befand sich das russische Offizierskasino (Abb. 16). 1945 zog das orthopädische Spital in die Räumlichkeiten der Neuen Burg ein (heute Bereich der ­Österreichischen Nationalbibliothek), nachdem das Spital an seinem Standort im 5. Bezirk durch Bombentreffer schwer beschädigt worden war (bis 1956). 1946 wurde der Sitz der Präsidentschaftskanzlei in die Hofburg verlegt, im Juni 1951 eröffnete im 2. Stock des Leopoldinischen Traktes (über der Präsidentschaftskanzlei) das von Karl Renner initiierte »Museum der Ersten und Zweiten Republik«. Im Jahr 1958 nahm das Kongresszentrum in den Räumlichkeiten der Hofburg seinen Betrieb auf (Abb. 17) und Anfang der 1960er-Jahre wurden nun endlich die Räumlichkeiten der Neuen Burg soweit adaptiert, dass mit dem Jahr 1966 die Österreichische Nationalbibliothek in den Flügel gegen den ehemaligen Kaisergarten einziehen konnte. Bereits dieser auszugsweise

27 Stachel, Peter, Mythos Heldenplatz, Wien 2002, 34. Anna Stuhlpfarrer

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17:  Modeschau der Chemia im Festsaal der Wiener Hofburg, 1960 (Foto: Scherb)

Überblick über die Vielfalt an unterschiedlichsten Nutzern der Wiener Hofburg zeigt, dass sich die ehemalige Residenz einer gänzlichen Musealisierung entziehen konnte und sich heute vielmehr als multifunktionaler heterogener Gebäudekomplex präsentiert.

Schlussbetrachtung Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass nach dem Ende der Monarchie und mit dem damit einhergehenden Funktionsverlust der Hofburg als Kaiserresidenz zu Beginn der Ersten Republik die Suche nach den neuen Nutzungsmöglichkeiten für das Areal – und hier vor allem für die Neue Burg – im Zentrum des Interesses stand. Genannt wurden die Ideen zur Umgestaltung der ehemaligen Residenz zu einem Volkspalast sowie einem Vergnügungsetablissement mit Restaurants, Cafés und Kinosälen. All diese Projekte für die »repu36

Residenz im Wandel. Die Hofburg nach 1918 – Projekte und Planungen

blikanische Hofburg« blieben unausgeführt, vielmehr stand vorerst einmal – nicht zuletzt aus finanziellen Gründen – die Fertigstellung der Festsäle im Vordergrund. Nach jahrelangen Provisorien – ein vielleicht typisches österreichisches Phänomen – wie Vermietungen an verschiedene Organisationen, für Veranstaltungen, Messen und Ausstellungen kam es ab Ende der 1920er-Jahre zunehmend zu einer Musealisierung der Neuen Burg. In der Zeit des Austrofaschismus richtete sich die Aufmerksamkeit dann vor allem auf Fragen der Denkmalerrichtung – unverwirklicht blieben so etwa das Dollfuß-Denkmal und das Denkmal für Kaiser Franz Joseph, zur Ausführung hingegen gelangte die Umgestaltung des Äußeren Burgtores zu einem Heldendenkmal (sog. Heldentor). Das Interesse verlagerte sich auf den angrenzenden Ballhausplatz, nur wenige Planungen hatten städtebaulichen Charakter und / oder bezogen sich wieder auf eine Vollendung des alten Kaiserforums. Mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich (Hitlerdeutschland) traten nach 1938 vor allem städtebauliche Projekte in den Vordergrund, die der Machtdemonstration der Nationalsozialisten dienten. Beide politischen Regime – Austrofaschismus und Nationalsozialismus – bedienten sich der Hofburg als Mittel zur Legitimation und sahen die ehemalige Kaiserresidenz als Anschluss an die Geschichte. Nach dem Zweiten Weltkrieg, mit Ausrufung der Zweiten Republik, galt das Areal für Architekten und Städteplaner lange Zeit als tabu, war negativ konnotiert. Mit nur wenigen Ausnahmen (Rudolf Oertel oder Friedrich Kurrent)28 widmete man sich nun vor allem wieder der Neubespielung des Komplexes und der weiteren Musealisierung einzelner Bereiche. Die Übersiedlung der Präsidentschaftskanzlei vom gegenüberliegenden heutigen Bundeskanzleramt in den Leopoldinischen Trakt 1946 setzte die Versuche der Politik zu einer symbolischen Legitimation auch in der Zweiten Republik fort, wie sie seit dem Ende der Habsburgermonarchie immer wieder stattgefunden hatte. Sämtliche architektonische Umsetzungen der Hofburg nach 1918 blieben auf den Innenraum beschränkt, der einzig sichtbare Zubau / Weiterbau – bis zur Errichtung des MuseumsQuartiers kurz vor der Jahrtausendwende – war der Ende der 1940er-Jahre bzw. Ende der 1950er-Jahre damals am Puls der Moderne stehende Neubau des sogenannten Milchpavillons (Volksgarten-Pavillon) sowie der Ausbau des Cafe-Restaurants Volksgarten vom Wiener Architekten Oswald Haerdtl. Bezeichnenderweise befindet sich dieser einzige moderne Baukomplex auf dem Areal der ehemaligen Kaiserresidenz etwas versteckt im heutigen »Volksgarten«!29 28 Zu den Projekten und Planungen von Oertel und Kurrent mehr in: Die Wiener Hofburg, Bd. V, Wien (erscheint 2015). 29 Der Artikel basiert auf einem Vortrag vom 10.6.2010 im Rahmen des internationalen Symposiums »Kulturquartiere in ehemaligen Residenzen. Zwischen imperialer Kulisse und urbaner Neubesetzung«. Für die einzelnen Zeitphasen konnten jeweils nur ein bis zwei exemplarische Projekte angesprochen werden, eine ausführliche Untersuchung wird im Bd. V der Reihe »Die Wiener Hofburg« im Verlag der Akademie der Wissenschaften (Erscheinungsdatum 2015) publiziert. Anna Stuhlpfarrer

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Museum im Palast. Das Corps de logis der Neuen Burg um 19001

Andreas Nierhaus

Mit dem Untergang der Monarchie und der Ausrufung der Ersten Republik am 12. November 1918 begann für die Wiener Hofburg – wie für zahlreiche andere auf ähnlichem Wege funktionslos gewordene europäische Residenzen auch – das Zeit­ alter ihrer Konservierung als historisches Baudenkmal.2 Die Musealisierung der Wiener Hofburg – und das ist bezeichnend für den problematischen und prekären Status vieler europäischer Dynastien im »bürgerlichen« 19. Jahrhundert – setzte jedoch schon viele Jahre vor dem Ende der Monarchie ein: als wesentliches Element offensiver Historisierung und monumentaler Legitimierung dynastischer Herrschaft. Nicht zufällig spielen Museen eine zentrale Rolle im Entwurf zum »Kaiserforum«, den Gottfried Semper und Carl Hasenauer ab 1869 entwickelten: Die beiden Hofmuseen stehen in einem formalen und inhaltlichen Spannungsverhältnis, das sie einerseits als autonome Palastbauten, andererseits als Erweiterung der kaiserlichen Hofburg ausweist. Die auch im Vergleich mit internationalen Residenzplanungen auffällig weiträumige, durch die Integration­ der Museen ermöglichte und legitimierte Ausdehnung des Residenzareals, wird umgekehrt mit einem förmlichen und äußerst selbstbewussten Eindringen der Museen in den Bereich der Residenz erkauft. Der Bau des Kaiserforums beginnt nicht mit den Palastflügeln, sondern mit den Museen, und während letztere bereits vergleichsweise früh fertiggestellt werden können, bleibt die neue Residenz Fragment.3 Wie eng diese 1

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Der vorliegende Beitrag beruht auf Forschungen, die im Rahmen des von Werner Telesko geleiteten Forschungsprojekts Nr. P17815 (»Die Wiener Hofburg von Kaiser Ferdinand I. bis 1918«) des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung in den Jahren 2005 bis 2008 durchgeführt wurden. Vgl. Nierhaus, Andreas, Zwischen Pragmatismus und Programmatik. Zur Musealisierung der Wiener Hofburg zwischen 1918 und 1948, in: Die Wiener Hofburg, Bd. V, Wien (erscheint 2015). Vgl. Nierhaus, Andreas, Die Neue Burg in Wien. Krise und Scheitern monumentaler Architektur am Ende des Historismus, Univ. Diss., Wien 2007, 323. Andreas Nierhaus

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Museen noch an den traditionellen Repräsentationscharakter fürstlicher Sammlungen gekoppelt waren, lehrt das 1876 vorgelegte »General-Programm für die systematische Organisation der kunsthistorischen Privat-Fideicommiss-Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses«, in dem festgeschrieben wurde, dass die im Kunsthistorischen Museum zur Schau gestellten Schätze primär nicht öffentlich zugängliches Bildungsgut im Sinne einer »aufgeklärten« Museumskonzeption waren, sondern dem Publikum vor allem die historische Größe des Hauses Habsburg-Lothringen vor Augen führen sollten: »Der Zweck der kunsthistorischen Privatsammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses ist in erster Linie der, Zeugnis von dem Kunstsinn und der Munificenz abzulegen, mit welchen die Herrscher Oesterreichs von jeher bestrebt waren, Kunst und Wissenschaft zu ­pflegen und zu unterstützen.«4 Während so in Wien das seit 1871 in Bau befindliche Kunsthistorische Museum zum Denkmal habsburgischen Mäzenatentums erklärt wurde, kam es 1877 in Berlin auf Initiative des Bibliothekars der Königlichen Hausbibliothek, Robert Dohme (1817–1896), und nach dem Vorbild des 1852 im Pariser Louvre etablierten Musée des Souverains und der königlich dänischen Sammlungen von Schloss Rosenborg, zur Gründung des Hohen­ zollern-Museums in Schloss Monbijou.5 In dem im Zweiten Weltkrieg zerstörten Schloss wurden Kunstwerke, Kunsthandwerk, Erinnerungsstücke und persönliche Gebrauchs­ gegenstände zu einer fiktiven Residenz des Hauses Hohenzollern zusammengestellt.6 Während man in Berlin die Musealisierung der Dynastie räumlich aus dem unmittelbaren Residenzbereich auslagerte, lässt sich in der Wiener Hofburg in den Jahren um 1900 – nicht zuletzt aufgrund des im Lauf der Jahre zunehmend infrage gestellten Groß­ projekts des Kaiserforums und der Notwendigkeit, die entstandenen riesigen Kubaturen mit Funktionen zu füllen – ein schleichender Wandel von der Residenz zum Museum feststellen, der die museale Karriere der Hofburg im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts vorbereitete. Die im Ganzen weitaus komplexere Geschichte der Musealisierung der Hofburg um 1900 wird hier exemplarisch an einem Trakt der Hofburg dargestellt, der bis heute als Museum genutzt wird: dem Corps de logis der Neuen Burg, in dem gegenwärtig neben dem Weltmuseum Wien auch Teile der Hofjagd- und Rüstkammer des Kunsthistorischen Museums sowie das Bildarchiv mit der Fideikommissbibliothek der Österreichischen Nationalbibliothek untergebracht sind. Das Corps de logis der Wiener Hofburg entstand als Teil eines monumentalen, nur fragmentarisch realisierten Palast- und Museumskomplexes, der unter dem Namen 4

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Leitner, Quirin von, General-Programm für die systematische Organisation der kunsthistorischen Privat-Fideicommiss-Sammlungen des Ah. Kaiserhauses, Wien, 3. Mai 1876, zit. nach Haupt, Herbert, Das Kunsthistorische Museum. Die Geschichte des Hauses am Ring, Wien 1991, 22. Kemper, Thomas, Schloss Monbijou. Von der königlichen Residenz zum Hohenzollern-Museum, Berlin 2005, 86–87. Ebenda, 144–293.

Museum im Palast. Das Corps de logis der Neuen Burg um 1900

1: Das Corps de logis im Bau, um 1900

»Kaiserforum« bekannt ist und als architektonischer und symbolischer Mittelpunkt der Ringstraße konzipiert wurde. Der eigentliche Palastbereich war als weiträumiger Ehrenhof gedacht, mit dem Thron- und Festsaaltrakt im Zentrum, flankiert von zwei im Grundriss konkav kurvierten Flügelbauten; der südöstliche, gegen den Burggarten gelegene Trakt war als Wohnpalast der kaiserlichen Familie vorgesehen, der gegenüberliegende, zum Volksgarten orientierte Trakt sollte Gästeappartements enthalten. 1881 wurde mit dem Bau der künftigen kaiserlichen Residenz – der später sogenannten »Neuen Burg« – begonnen, der Thronsaaltrakt wurde nur in stark reduziertem Umfang realisiert, der Volksgartenflügel blieb überhaupt Papier. Der an der Ringstraße gelegene Teil der Neuen Burg wurde als eigenständiger, palastartiger Baukörper ausgebildet, der im Kontrast zum weit gespannten Bogen des »Segmenttraktes« in seiner blockhaften Gestalt als »Corps de logis« zum Museumsgebäude jenseits der Ringstraße vermitteln sollte (Abb. 1). Seit wann genau der Trakt seinen französischen Namen trägt, ist nicht bekannt – in den amtlichen Quellen wird er seit den Neunzigerjahren des 19. Jahrhunderts regelmäßig verwendet. Dabei stiftet die Bezeichnung mehr Verwirrung, als sie Klarheit über die Bestimmung des Traktes bringen würde: Corps de logis meint Andreas Nierhaus

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­üblicherweise den zentralen, meist auch architektonisch hervorgehobenen Wohnbereich eines Palastes oder Schlosses, während der so bezeichnete Teil der Wiener Hofburg zwar architektonisch durchaus hervorgehoben ist, keineswegs aber als kaiserlicher Wohntrakt konzipiert war, sondern neben Räumen für den Hofstaat der Kaiserin in der Beletage vor allem Räume für kleinere Feste der kaiserlichen Familie enthalten sollte. Die eigentlichen kaiserlichen Wohnräume waren im »Gartentrakt« hinter dem »Segmenttrakt« vorgesehen.7 Doch dazu kam es nicht. Im Jahr 1897 – die Neue Burg befand sich damals bereits seit 16 Jahren in Bau – wurden die ursprünglichen Pläne durch den neu eingesetzten Leiter der Bauarbeiten, Emil von Förster, einer »gründlichen Revision« unterzogen.8 Die damals angefertigten Grundrisse des neuen Hofburgflügels zeigen erste Ansätze zu einer musealen Nutzung des Corps de logis,9 das aber weiterhin »für kleinere Festlichkeiten«10 dienen sollte. Spätestens nach der Ermordung von Kaiserin Elisabeth im Jahr 1898 in Genf war die Verwendung des neuen Hofburgflügels als Wohnung des Kaiserpaares zur Disposition gestellt; der mittlerweile 68-jährige Kaiser Franz Joseph dürfte kaum mehr erwogen haben, noch selbst in den erst im Rohbau fertiggestellten Neubau einzuziehen. Damit aber geriet der Bau der neuen Hofburg in eine Krise, aus der er bis zum Ende der Monarchie nicht mehr herausfinden sollte, und in dieser Situation erschien eine zumindest teilweise museale Nutzung des Flügels wohl als das probate Mittel, um den zwecklos gewordenen, schier unendlichen Saalfluchten der mehr als 200 Meter langen Neuen Burg einen Sinn zu geben. Seine endgültige bauliche Gestalt und Widmung erhielt das Corps de logis dann zwischen 1899 und 1915, unter der Leitung der Architekten Friedrich Ohmann (1858–1927) und Ludwig Baumann (1853–1936). Zum Museum umgewidmet, sollte es der einzige Teil der Neuen Burg bleiben, der noch während der Monarchie vollendet und seiner Bestimmung übergeben werden konnte.

Fideikommissbibliothek und Habsburger-Museum Die von Kaiser Franz II./I. gegründete Fideikommissbibliothek war ursprünglich im Augustinergang untergebracht, einem Trakt vor der Fassade der Hofbibliothek, der in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts dem Neubau des Glashauses im Burggarten weichen musste.11 Mit dem Umzug in das Parterre des durch den Tod der Kaiserin frei geworde7

Vgl. die detaillierten Angaben in den 1881 genehmigten Plänen Carl Hasenauers im Haus-, Hof- und Staatsarchiv (HHStA), Planarchiv Burghauptmannschaft (PAB), O-16 bis O-19. 8 Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA), Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA), Ministerium des Innern, Stadterweiterungsfonds, Hofbaucomité (HBC), Protokoll der 274. Sitzung des Hofbaucomités am 11. Dezember 1896, 24809. 9 Nierhaus, 2007, 378. 10 Protokoll der 275. Sitzung des HBC am 8. März 1897, HBC 24848. 11 Vgl. Bericht (»Konzept«) Friedrich Ohmanns im Nachlass des Architekten im Archiv der TU Wien.

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nen Corps de logis, so hoffte man seitens der Hofverwaltung, sollte sich die Privatbibliothek der kaiserlichen Familie einem breiteren Publikum öffnen und in einem eigenen Museum »hervorragende Stücke der Sammlung und solche Gegenstände, welche für die Geschichte des Allerhöchsten Kaiserhauses und seiner Mitglieder von Wert sind, in entsprechender Aufstellung eventuell einer weiteren Öffentlichkeit und allgemeinen Nutzbarmachung« zugänglich machen.12 Die Initiative zur Gründung eines solchen »Habsburger Museum[s]« ging offenbar von der Generaldirektion der Allerhöchsten Privat- und Familienfonde aus, die das kaiserliche Privatvermögen und damit auch die Fideikommissbibliothek verwaltete.13 Die vom Kaiser genehmigten Pläne Ohmanns vom 29. November 1901 zeigen im Parterre gegen die Ringstraße ein »Museum«, gegen den Garten eine »Bibliothek Habsburg«, die »Kunst und Portraitsammlung« und Arbeitsräume.14 Doch das Habsburger-Museum kam offenbar nie über diese ersten Planungsschritte hinaus; noch 1917 verfolgte auch der Architekt Otto Wagner – wiederum unter explizitem Hinweis auf das Hohenzollern-Museum in Berlin – den nur schriftlich überlieferten Plan zur Errichtung eines »Habsburg-Museum[s]« in Verbindung mit einem Neubau der Kapuzinergruft.15 Anstelle eines Habsburg-Museums hatte sich Ohmann in erster Linie um die Aufstellung der Fideikommissbibliothek zu kümmern.16 Nicht verwirklichte undatierte Entwürfe des Architekten für einen Lesesaal der Bibliothek haben sich erhalten (Abb. 2).17 Besser dokumentiert ist der 1901 ohne Rücksprache mit dem die Bauarbeiten überwachenden Hofbaucomité durchgeführte Ankauf von Rokoko-Bibliotheksschränken aus dem Karmeliterkloster auf der Taborstraße, der in der Folge wieder rückgängig gemacht wurde.18 Im Februar 1903 wurden die Räume der Fideikommissbibliothek fertiggestellt.19 In der neuen Unterkunft, die in weiten Teilen einem Rohbau glich, nahmen die kostbaren, zum Großteil im Keller gelagerten Bestände der Bibliothek in den nächsten Jahren infolge mangelnder Heizung und Lüftung durch Feuchtigkeit und Schimmelbefall schweren Schaden.20 Wie Entwürfe zeigen, plante Ohmann, von den Bibliotheksräumen abgesehen, damals noch eine den ursprünglichen Bestimmungen entsprechende Nutzung des Corps de logis für Feste der kaiserlichen Familie.21 Von einer um sich greifenden Musealisierung 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21

HHStA, Obersthofmeisteramt (OMeA) 21/D/3, 2615 ex 1902. HHStA, Note des OMeA an das Oberstkämmereramt (OKäA), 18. April 1899, OMeA 21/B/3, 65 ex 1900. PAB, E-III-2. Vgl. auch OMeA 21/D73, 2615 ex 1902. Wagner, Otto, Wien nach dem Kriege, in: Neue Freie Presse, 7. April 1917, 1–3, zit. nach Graf, Otto ­Antonia, Otto Wagner. Das Werk des Architekten, Bd. 2, Wien 1985, 775. Vgl. HBC 28898. PAB, E-III-21/1836–1838. HBC 27647. Archiv TU Wien, Nachlass Friedrich Ohmann, Entwürfe zur Aufstellung der Schränke im Corps de logis, 803/215, 803/216. Protokoll der 327. Sitzung des HBC am 30. September 1902, HBC 28507. Vgl. OMeA 21/B/46, 8831 ex 1904; OMeA 21/B/45, 8822 ex 1905. Nierhaus, 2007, 117. Andreas Nierhaus

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2: Friedrich Ohmann, Entwurf zur Ausstattung der Fideikommissbibliothek im Parterre des Corps de logis, um 1902

des Neubaus der Hofburg konnte damals also noch keine Rede sein; nach wie vor überwog beim Corps de logis der Charakter der Residenz. Die entscheidende Wende sollte das Engagement des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand (1863–1914) bringen, der sich spätestens seit 1905 immer intensiver für den Burgbau interessierte.

Das Corps de logis als Museum Erzherzog Franz Ferdinands Franz Ferdinand von Österreich-Este galt nach dem Freitod Kronprinz Rudolfs im Jahr 1889 und dem Tod seines Vaters Erzherzog Karl Ludwig 1896 offiziell als Thronfolger. Eine schwere Lungenkrankheit hatte ihn in den Jahren 1892/93 zu einer als wissenschaftliche Expedition getarnten Weltreise gezwungen, von der er mit mehr als 14.000 ethnografischen Objekten zurückkehrte.22 Diese »Weltreisesammlung« wurde zunächst 1894 im Oberen Belvedere, dem späteren Wohnsitz Franz Ferdinands, der Öffentlichkeit präsentiert;23 ab 1904 war die Weltreisesammlung, gemeinsam mit der durch Erbschaft in den Besitz des Thronfolgers gelangten Estensischen Sammlung, im Palais Modena auf der Landstraße untergebracht.24 Zu dieser Zeit muss der Entschluss gefasst worden sein, 22 Erzherzog Franz Ferdinand, Tagebuch meiner Reise um die Erde, 2 Bde., Wien 1895–1896. 23 Führer durch die Sammlungen von der Weltreise seiner Kaiserlichen Hoheit Erzherzog Franz Ferdinand 1892–93, Wien 1894. 24 Führer durch die Sammlungen Seiner k. u. k. Hoheit Erzherzog Ferdinand. Aufgestellt: Wien, III. Bezirk, Beatrixgasse 25, Wien 1904; Überblick über die Sammlungsgeschichte, in: Leo Planiscig, Die Estensische Kunstsammlung, Bd. 1, Skulpturen und Plastiken des Mittelalters und der Renaissance, Wien 1919, V-VIII. 44

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die Sammlungen auf Dauer an einem zentralen, der hohen Stellung des Besitzers angemessenen Ort unterzubringen, zumal wohl schon damals absehbar war, dass das Palais in der Beatrixgasse mit seinem weitläufigen Park bald Neubauten würde weichen müssen – es wurde in weiterer Folge an die Autotaxigesellschaft veräußert und 1917/18, als die Übersiedlung der Sammlungen in die Neue Burg längst abgeschlossen war, demoliert.25 Friedrich Ohmanns Planungen für den Innenausbau des Corps de logis als Ort intimer Feste sollten mit dem Auftritt des Thronfolgers auf der Baustelle der Neuen Burg obsolet werden. Im Februar 1904 wurde – wohl schon auf Anregung Franz Ferdinands – beschlossen, den gesamten zweiten Stock der Neuen Burg von der Mitte des Segmenttrakts bis zur Ringstraße zur Erweiterung der Hofmuseen zu verwenden; im Parterre und Mezzanin des Corps de logis sollten nun – ein Jahr, nachdem die Aufstellung der Fideikommissbibliothek im Parterre fertiggestellt worden war – die Weltreisesammlung untergebracht werden.26 Im Frühjahr 1905 beschloss man die Anschaffung eiserner Kästen »für die zu Musealzwecken projektierten Räume im Parterre und Mezzanin des Corps de logis«,27 doch erst im November legte Ohmann ein vom Thronfolger genehmigtes Projekt zur Unterbringung der Weltreisesammlung im Corps de logis vor.28 Ohmanns Projekt ist in mehreren Plänen überliefert (Abb. 3 und 4).29 Demnach sollte der Rundgang im rechts an das erste Vestibül anschließenden Parterresaal beginnen. In der Raumfolge entlang der Ringstraße war in vier Räumen die Zoologische Abteilung untergebracht, der nach einem Saal für Schmetterlinge und Korallen an der Gartenseite fünf Räume mit ethnografischen Objekten aus Japan folgten, an die sich wieder zwei Säle mit Muscheln und Krebsen sowie den Mineralien der Estensischen Sammlung anschlossen. Über die Hauptstiege gelangte man im Mezzanin über einen Entreesaal mit drehbaren Vorrichtungen zur Präsentation von Fotografien in sechs weitere, zur Gänze mit ethnografischen Objekten gefüllte Säle, ehe der Besucher die Sammlung durch ­einen Raum mit Erinnerungsgegenständen an die Reise des Thronfolgers wieder verlassen sollte. Die zurückhaltend ausgestatteten Räume sollten von großen eisernen Vitrinen dominiert werden, für deren Gestaltung und Aufstellung ebenfalls Entwürfe erhalten sind (Abb. 5).30 Es scheint, dass die Arbeiten zur Ausstattung der Sammlungsräume zwar begonnen wurden, in der Folge aber nicht besonders weit gediehen sind. Diese Planungen fielen in die Zeit, als Franz Ferdinand kurz davor stand, die Leitung des Hofburgbaus zu übernehmen. Am 27. Februar 1906 übertrug ihm sein Onkel Franz 25 Haider, Edgard, Verlorenes Wien. Adelspaläste vergangener Tage, Wien 1984, 98. 26 Vgl. die entsprechenden Angaben in einem Bericht (»Konzept«) im Nachlass Friedrich Ohmanns, Archiv der TU Wien. 27 Protokoll der 335. Sitzung des HBC am 17.2.1905, HBC 29869, 28 Bauleitung an das HBC, 24. November 1905, HBC 30273. 29 PAB, E-IV-f-22/5696. 30 PAB, E-IV-f-22/5720-5721. Andreas Nierhaus

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3: Friedrich Ohmann, Grundriss Parterre des Corps de logis mit Projekt zur Unterbringung der Weltreisesammlung, 1905 4: Friedrich Ohmann, Schnitt durch Parterre und Mezzanin des Corps de logis mit Projekt zur Unterbringung der Weltreisesammlung, 1905

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5: Friedrich Ohmann, Entwurf der Vitrinen für die Weltreisesammlung, 1905

Joseph mit kaiser­lichem Handschreiben »die Fürsorge für die Fortsetzung und die Vollendung des Neubaues Meiner Hofburg in Wien«.31 Das von einem beamteten Präsidenten zuletzt glücklos geleitete Hofbaucomité wurde aufgelöst und in der Folge die Burgbaukommission eingerichtet, deren Struktur ganz auf den autokratisch-autoritären Führungsstil des Thronfolgers abgestimmt war. Franz Ferdinand ließ die definitive Widmung des Corps de logis für »Museumszwecke« zunächst noch offen;32 nach dem nicht ganz freiwilligen Rückzug Friedrich Ohmanns von der Leitung der Bauarbeiten und dem Antritt seines Nachfolgers Ludwig Baumann im Frühling 1907 wurden jedoch definitive Beschlüsse gefasst: Im März 1907 wurde verfügt, dass das Corps de logis »in allen Etagen Museumszwecken zuzuführen und sonach vollständig von dem übrigen Hofburgflügel abzuschliessen«33 sei; das neue Museum sollte nun die Weltreisesammlung, einen Teil der Estensischen Sammlung sowie die Fideikommissbibliothek enthalten, die aus dem Souterrain entfernt werden sollte. »Mit Beziehung auf die finanzökonomische Seite und die materielle Durchführung der baulichen Arbeiten« erwartete der Thronfolger, dass der Trakt »in der einfachsten Weise fertig zu stellen sein wird.« Wenige Wochen später, am Ende des Monats, wurden wieder neue Überlegungen zur musealen Nutzung des Corps de logis zu Protokoll gebracht: Nun sollten »nach Maßgabe des noch 31 Handschreiben Franz Josephs an Erzherzog Franz Ferdinand, 27. Februar 1906, HHStA, Nachlass Erzherzog Franz Ferdinand, Karton 1; das Zitat nach: Handschreiben Kaiser Franz Josephs an Alfred Fürst Montenuovo, 27. Februar 1906, OMeA 89/1, 2088 ex 1906. 32 ÖStA, AVA, Ministerium des Innern, Stadterweiterungsfonds, Burgbaukommission (BBK), Protokoll der 1. Sitzung am 14.5.1906, Wien, 1. 33 Protokoll der Besprechung im Belvedere am 9. März 1907, BBK 2, danach auch die folgenden Zitate. Andreas Nierhaus

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verfügbaren Raumes einige Teile der Sammlungen des Kunsthistorischen Museums« hier untergebracht werden.34 Die Weltreisesammlung sollte das Hochparterre einnehmen, die Fideikommissbibliothek einen Teil des Mezzanins und in einem an den Garten anschließenden Teil die übrigen Etagen füllen. Die Aquarelle und Handzeichnungen des Kunst­historischen Museums sollten im zweiten Stock Platz finden, wo Räume mit Oberlicht eingerichtet werden könnten. Die Unterbringung »der gesamten modernen Gemälde aus der kaiserlichen Galerie«, die offenbar im Raum gestanden war, wurde »mit Rücksicht auf die Lage des II. Stockes und die eventuelle schlechte Belichtung« fallen gelassen. Für die Vitrinen waren hölzerne Sockel und Aufsätze aus Eisen und Glas vorgesehen, Anordnung und Unterbringung der Weltreisesammlung sollten mit dem Maler Carl Costenoble und dem Präparator Eduard Hodek besprochen werden. Franz Ferdinand war offensichtlich an einer raschen Entscheidung über die genaue Nutzung des Corps de logis gelegen, denn schon Ende April kam es in Abwesenheit des Thronfolgers zu einer weiteren Besprechung über die Verwendung des Traktes.35 Die Estensische Sammlung, deren Reichhaltigkeit – darunter die Bibliothek mit 40.000 Bänden – hervorgehoben wurde, sollte nun im ersten Stock präsentiert werden. Baumann schlug vor, die Antiken im Hof des Corps de logis aufzustellen, die Bibliothek dagegen räumlich an die Fideikommissbibliothek anzugliedern, die im Mezzanin untergebracht werden sollte. Eine Woche später lagen die Direktiven des Thronfolgers vor.36 Parterre und Mezzanin wurden nun für die Weltreisesammlung reserviert, der erste Stock zum Großteil der Estensischen Sammlung zugesprochen, die Fideikommissbibliothek musste in den zweiten Stock ausweichen – wo sie schließlich dauerhaft untergebracht werden sollte. Der Arkadenhof und seine Galerien waren für die Skulpturen der Estensischen Sammlung reserviert. Der naturhistorische Teil der Weltreisesammlung wurde im Parterre aufgestellt, im Mezzanin der ethnografische. Der eigenartige – und für die zeitgenössische Einschätzung der Ethnografie aussagekräftige – Vorschlag von Kustos Karl Frank, naturhistorische und ethnografische Bestände der Weltreisesammlung nach Ländern geordnet aufzustellen, wurde nicht etwa aus inhaltlichen Gründen, sondern nur hinsichtlich der Verschiedenheit der Vitrinen und der chemischen Wirkung der bei den Präparaten verwendeten Flüssigkeiten abgelehnt. Ende Juni 1907 legte Baumann seine Planungen für das Corps de logis dem Thronfolger vor.37 Demnach sollten im Arkadenhof und den angrenzenden Räumen die schweren Skulpturen der Estensischen Sammlung aufgestellt werden. Im ersten Stock wurden nun die Räume gegen die Ringstraße, den Heldenplatz und den Segmenttrakt 34 35 36 37 48

Protokoll der Sitzung im Belvedere am 28. März 1907, BBK 3, danach auch die folgenden Zitate. Protokoll der Besprechung vom 22. April 1907, BBK 118, danach auch die folgenden Angaben. Protokoll der Besprechung vom 29. April 1907, BBK 5a, danach auch die folgenden Angaben. Frank Protokoll vom 27. Juni 1907, BBK, Faszikel 103 (ohne Zahl), danach auch die folgenden Angaben.

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der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums zugesprochen, die Räume gegen den Kaisergarten und die drei Vorsäle gegen den Arkadenhof waren für Gemälde und Skulpturen der Estensischen Sammlung reserviert, die nun offensichtlich nicht mehr so viel Platz für sich beanspruchten. Im zweiten Stock waren Fideikommissbibliothek und Estensische Bibliothek vorgesehen, am Dachboden plante Baumann geräumige Depots. Die Ausstattung der Räume wurde betont schlicht gehalten, nur im ersten Stock waren reicher dekorierte Decken und Parkettböden vorgesehen – letztere wurden von Franz Ferdinand wohl aus Kostengründen abgelehnt. Die Arbeiten zum definitiven Ausbau des Corps de logis, die Baumann mit 1,9 Millionen Kronen bezifferte, wurden in der Folge von der Burgbaukommission eingeleitet38 und fanden erst mitten im Ersten Weltkrieg ihren Abschluss. Mit der Übersiedelung und »künstlerischen Neuaufstellung« der Sammlungen Franz Ferdinands wurde der Bildhauer Othmar Schimkowitz beauftragt, an der Aufstellung der ethnografischen Objekte sollte Regierungsrat Direktor Franz Heger, Leiter der anthropologisch-ethnografischen Abteilung des Naturhistorischen Hofmuseums mitwirken.39 Die Akten der Burgbaukommission geben detailliert Auskunft über die verschiedenen Anschaffungen, darunter Schränke für die Fideikommissbibliothek im Jahr 190840 oder Schaukästen41 und Statuensockel42 1909 – jenem Jahr, in dem auch die probeweise Aufstellung der Sammlungen mit Ausnahme der steinernen Skulpturen vollendet war.43 Obwohl Franz Ferdinand 1907 den Großteil des ersten Stocks der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums zugesprochen hatte, erarbeitete Baumann zwischen November 1907 und April 1908 Hängepläne für die Handzeichnungen und Aquarelle aus den kaiserlichen Sammlungen und die Estensischen Bilder (Abb. 6).44 Bemerkenswert ist nicht nur die Kombination meist kleinformatiger Aquarelle und Zeichnungen mit großen Kartons für die malerische Ausstattung der Hofoper im darüberliegenden Register, sondern auch die Integration von Skulpturen, Tafelaufsätzen, Möbeln und Erinnerungs­ stücken. Der Charakter einer Privatsammlung, der hier wirksam wird, ist wohl den persönlichen Vorstellungen Franz Ferdinands geschuldet, wurden doch im Corps de logis die erst jüngst und aus einem einzigen Anlass zusammengetragene Weltreisesammlung, die Privatsammlung des Hauses Este und Teile der Sammlungen des Kaiserhauses nebeneinander präsentiert – eine Kombination, die, wäre sie in dieser Form je der Öffentlichkeit präsentiert worden, bei den Besucherinnen und Besuchern wohl Anlass 38 39 40 41 42 43 44

Protokoll der Besprechung vom 5. Juli 1907, BBK 234. BBK 501, dort auch der Vertrag mit Schimkowitz vom 12. Dezember 1908. BBK 342 und 367. BBK 743, 755, 757,769, 781, 783, 812, 834, 838, 879. BBK 777, 780, BBK 856. »Installationsplan«: E-IV-f-1, Hängepläne: E-IV-f-21. Andreas Nierhaus

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6: Ludwig Baumann, Hängeplan für Aquarelle und Handzeichnungen des Kunsthistorischen Museums im 1. Stock des Corps de logis, 1908

zu einiger Verwirrung geboten hätte. Zu der von Baumann geplanten Aufstellung der Grafiken und Gemälde ist es offenbar nie gekommen. Eine Ursache für die ungewöhnlich lange Dauer der Aufstellungsarbeiten mag im sprunghaften Wesen des Bauherrn zu suchen sein, der immer wieder Änderungswünsche anbrachte und nicht selten für die Bauleitung überraschende Entscheidungen traf. So beschloss Franz Ferdinand im Jahr 1912, als die Fertigstellung der Museumsräume endlich in greifbare Nähe rückte,45 plötzlich, die im zweiten Stock aufgestellte Sammlung von Aquarellen und Handzeichnungen ins Kunsthistorische Museum zurückbringen zu lassen und dafür die bisherige Sekundärgalerie in der Neuen Burg aufzustellen.46 Zumindest die Aufstellung der Korallensammlung konnte im März vollendet werden47 und Anfang Juli zeigte Schimkowitz auch die Vollendung der Aufstellung der Estensi-

45 Vgl. Protokoll der Sitzung am 22. Jänner 1912, BBK 1215. 46 OKäA an BBK, 18. März 1912, BBK 1249. 47 Bericht Prof. Dr. Emil von Marenzellers über die Einrichtung der Korallensammlung Franz Ferdinands, 21. März 1912, BBK 1259. 50

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schen Sammlung an (Abb. 7).48 Kaiser Franz Joseph genehmigte am 25. November 1912 die Übernahme der Sammlungen seines Neffen in die Verwaltung des Oberstkämmerer-­ Amtes, woraufhin auch die Räume des Corps de logis in die Verwaltung des Hofes übergeben werden sollten.49 Nach der Ermordung Franz Ferdinands am 28. Juni 1914 in Sarajevo und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs ging das Corps de logis – als einziger Teil der Neuen Burg – am 4. Jänner 1915 ordnungsgemäß in die Verwaltung des Hofärars über.50 Die Sammlungen des Thronfolgers wurden am 1. Jänner 1916 Eigentum des Hofärars,51 für ihre Inventarisierung wurden in den folgenden Jahren jeweils 9.000 Kronen seitens der Burgbaukommission zur Verfügung gestellt.52 Seit 1913 hatte Leo ­Planiscig (1887–1952) an der wissenschaftlichen Erschließung der Estensischen Sammlung gearbeitet und wurde ab 1916 als Kustos angestellt.53 Der erste – und einzige – Band des Kataloges der Estensischen Sammlungen erschien im Jahr 1919.54 Die Aufstellung der privaten Sammlungen des Thronfolgers im Neubau des kaiser­ lichen Palastes – in unmittelbarer Nähe zu den geplanten, aber nie realisierten Wohnräumen des künftigen Kaisers im Gartentrakt der Neuen Burg – zu Lebzeiten Kaiser Franz Josephs war ein unübersehbares Signal der Präsenz des künftigen Kaisers in seinem

7: Der Hof im Corps de logis mit Statuen aus der Estensischen Sammlung, nach 1912

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Schimkowitz an BBK, 5. Juli 1912, BBK 1308. OKäA an OMeA, 7. Jänner 1913, OMeA 21/13, 275 ex 1913. Protokoll der Sitzung am 28. Jänner 1915, BBK 1733. OKäA an BBK, 27. November 1915, BBK 1840. Erzherzog Karl, der Erbe des Estensischen Vermögens und Titels, hatte verfügt, dass die Estensische Bibliothek der Hofbibliothek angegliedert und dort mitsamt ihren Schränken aufgestellt werde. Protokoll der Sitzung am 14. Oktober 1915, BBK 1830. Das Schreiben der Fideikommissbibliothek vom 28. August: BBK 1820. 52 OKäA an BBK, 12. Februar 1916, BBK 1864 und BBK 1950. 53 Vgl. OKäA an BBK, 27. November 1915, BBK 1840. 54 Planiscig, 1919. Andreas Nierhaus

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künftigen Palast. Die besonderen familiären Umstände Franz Ferdinands mögen dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben: Durch die morganatische Heirat mit Sophie Gräfin Chotek im Jahr 1900 war Franz Ferdinand von Kaiser Franz Joseph in seiner Eigenschaft als Familienoberhaupt gezwungen worden, für seine Frau und die aus der Ehe entstammenden Nachkommen auf die Thronrechte zu verzichten. Eine Mitgliedschaft im Haus Habsburg-Lothringen wurde der Frau und den Kindern Franz Ferdinands ebenso verwehrt, wie die Erbschaft des Estensischen Titels und Vermögens. Diese Situation spiegelt sich auch in der Übertragung der Estensischen Sammlung in die Wiener Hofburg und ihrer Übergabe an das Oberstkämmereramt noch zu Lebzeiten des Thronfolgers. Zugleich wollte sich Franz Ferdinand mit der Integration seiner Sammlungen in jene des Kaiserhauses wohl auch in eine Linie mit den großen Sammlern seiner Familie stellen, die seit dem Mittelalter den habsburgischen Kunstbesitz immer wieder gemehrt hatten und – nach dem Willen des Thronfolgers – in einer fiktiven allegorischen Zusammenkunft die Deckengemälde des seit 1910 im Bau befindlichen Festsaals der Hofburg bevölkern sollten.55 Als architektonisch weitgehend eigenständiger Bauteil konnte das Corps de logis gleichsam als Privatmuseum und damit als vom Rest der Hofburg unabhängig gemachtes und doch mit ihr verbundenes Denkmal des Mäzenatentums Franz Ferdinands verstanden werden – die 1907 erstmals angestellten Planungen für ein dem Corps de logis gegenüberliegendes Museumsgebäude unterstreichen diese Lesart.56 Die Etablierung der Sammlungen im Corps de logis legte den Grundstein für die nach dem Tod des Thronfolgers weitergeführte und intensivierte Musealisierung der Neuen Burg: Noch 1916 richtete Julius von Schlosser im Corps de logis aus den Beständen der Estensischen Sammlung und dem habsburgischen Besitz die Sammlung alter Musik­ instrumente ein, die sich bis heute in der Neuen Burg befindet; die im Hof des Corps de logis aufgestellten Antiken aus estensischem Besitz wurden in der Zwischenkriegszeit um ausgewählte Reliefs des Partherdenkmals aus Ephesos bereichert, das 1978 im anschließenden Treppenhaus der Neuen Burg dauernde Aufstellung fand; die ethnografischen Objekte der Weltreisesammlung fanden nach 1918 Eingang in das neu gegründete Museum für Völkerkunde, das 1928 im Corps de logis eröffnet wurde. Die Entscheidung Erzherzog Franz Ferdinands, mit dem Corps de logis einen zentralen Teil der Neuen Hofburg als Museum zu nutzen, war über die persönlichen Interessen und Beweggründe des Bauherrn hinaus nicht zuletzt auch Ausdruck allgemeiner Ver­ unsicherung über den eigentlichen Zweck einer sichtlich überdimensionierten kaiserlichen Residenz und damit Symptom für den realen Bedeutungsverlust traditioneller monarchischer und höfischer Repräsentationsformen zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

55 Vgl. Nierhaus, 2007, 274–275. 56 Zum Museumsgebäude am Heldenplatz vgl. Nierhaus, 2007, 126–127. 52

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Die Gärten der Wiener Hofburg im Spiegel historischer Ansichtskarten

Jochen Martz

Das Gebiet der Philokartie, das Sammeln und Erforschen von Postkarten, ist eng mit der Entstehung der Ansichtskarte, d. h. der Postkarte, die auf der Rückseite eine gedruckte Ansicht zeigt, ab dem dritten Viertel des 19. Jahrhunderts verknüpft.1 Handelte es sich bei den frühen Ansichtskarten um ursprünglich gezeichnete bzw. gemalte Ansichten, die schwarz-weiß bzw. zunehmend farbig in Form von Chromolithografien hergestellt wurden, kamen Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend Ansichtskarten mit fotografischer Vorlage, die teils nachretuschiert und oftmals auch nachkoloriert wurden, in Mode.2 In Österreich-Ungarn waren 1869 Postkarten – sogenannte Correspondenz-Karten –, noch ohne Abbildung und auf der Rückseite beschreibbar, offiziell eingeführt worden. Die älteste bekannte österreichisch-ungarische Ansichtskarte (mit einer Chromolithografie) stammt aus dem Jahr 1871.3 Offiziell wurden Ansichtskarten in Österreich-Ungarn 1

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Bei einer Bildpostkarte handelt es sich dagegen um eine Ganzsache, auf der auf der Adressseite seitlich eine Ansicht eingedruckt ist; zur Geschichte der Ansichtskarte: Frech, Hanspeter, Entwicklungsgeschichte bebilderter Postkarten, in: Michel-Rundschau Nr. 10 (1994), 764–776; Lebeck, Robert / Kaufmann, Gerhard, Viele Grüße … Eine Kulturgeschichte der Postkarte (Die bibliophilen Taschenbücher Nr. 458), Dortmund 1985; Weidmann, Dieter, Postkarten – von der Ansichtskarte bis zur Künstlerkarte, München 1996; Leclerc, Herbert, Ansichten über Ansichtskarten, in: Archiv für deutsche Postgeschichte, Heft 2 (1986), 5–65; Wicki, Otto, Geschichte der Post- und Ansichtskarten, Bern 1996. Hoerner, Ludwig, Zur Geschichte der fotografischen Ansichtspostkarte, in: Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie, 7 (1987), Heft 16, 29–44, hier 29; Starl, Timm / Tropper, Eva (Hg.), Zeigen, grüßen, senden. Aspekte der fotografisch illustrierten Postkarte, in: Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie, Marburg 2010. Das einzige bekannte erhaltene Exemplar galt seit 1936 als verschollen, wurde jedoch bei einer Auktion 2009 zum Preis von 11.000 Euro versteigert; Wurth, Rüdiger, 1885 – Ein Jahrhundert illustrierter Postkarten – 1985, in: Österreichisches Jahrbuch für Postgeschichte und Philatelie, 1986, 128–131; Linke, Arnold, Ansichten und Karten gleich Ansichtskarten. Ergänzendes zur Frühgeschichte der Ansichtspostkarte, in: Post- und Telekommunikationsgeschichte, 65 (1997), Heft 1, 60–70; Wolf, Herbert, Seit wann gibt es Jochen Martz

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jedoch erst ab dem 1. Jänner 1885 zugelassen.4 Vereinfachte technische Verfahren und Massenproduktion machten die Ansichtskarte bald zum billigen und allgemein jederzeit verfügbaren Bildmedium – auch für Sammler. Allgemein gilt die Zeit zwischen 1897 und 1918 als »Goldenes Zeitalter der Ansichtskarte«, so hatte etwa der Operettenkomponist Paul Lincke in der Blütezeit des Sammelns im Jahr 1898 einen Marsch der Ansichtskartensammler komponiert. Bis 1900 entstanden zahlreiche Postkartenverlage, die beliebte Motive teils in einer Auflage von 10.000 Stück druckten.5 Die meisten Postkarten wurden im Fototypie- (Lichtdruck-) oder Autotypieverfahren hergestellt, die ständig verbessert wurden. Technisch und künstlerisch galten österreichische und deutsche Postkarten­ verlage vor dem Ersten Weltkrieg als europaweit führend. Die Sammlungen jener Zeit beschränkten sich jedoch meist auf persönliche bzw. familiäre Erinnerungen und wurden in entsprechenden Alben aufbewahrt. Erst etwa ab Mitte der 1970er-Jahre entwickelte sich, verknüpft mit einem deutlichen Wertanstieg im Zuge der damaligen Nostalgiewelle, ein nennenswerter Markt für historische Ansichtskarten, der die Entstehung eines Einzelhandels und damit das gezielte Suchen und Erwerben bestimmter Motive ermöglichte. Dadurch waren die Voraussetzungen für den gezielten Aufbau öffentlicher oder privater retrospektiver Sammlungen, die meist topografischer Art sind, d. h. sich auf Motive eines bestimmten Ortes und / oder Sujets beschränken, gegeben.6 Spätestens seit den 1990er-Jahren erkannte man auch den dokumentarischen Wert von Ansichtskarten für Kultur-, Stadtgeschichte und Denkmalpflege.7 Erst in jüngster Zeit wurde die Zeitzeugenfunktion von Ansichtskarten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Gegenstand übergeordneter zeitgeschichtlicher wissenschaftlicher Untersuchungen.8 Das Auswerten historischer Ansichtskarten – unter Berücksichtigung quellenkritischer Aspekte – gehört heute auch zum Standardrepertoire der Gartendenkmalpflege, insbesondere wenn anderweitige bildliche Quellen zum späten 19. und vor allem 20. Jahrhundert fehlen.9 Gartenhistoriker sind daher heute nicht selten im Besitz größe-

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Ansichtskarten? (2. Forts.), in: Gruss aus (deutsche Zeitung für Ansichtskarten- und Heimatsammler), 1 (7/1983), Nr. 3, 1. Wurth, 1986, 119f. Willoughby, Martin, Die Geschichte der Postkarte. Ein illustrierter Bericht von der Jahrhundertwende bis in die Gegenwart, Erlangen 1992, 67; Hoerner, 1987, 34; Schulze, Diana, Der Photograph in Garten und Park. Aspekte historischer Photographien öffentlicher Gärten in Deutschland von 1880 bis 1930, Würzburg 2004, 85. Zum Sammeln von Ansichtskarten vgl.: Hille, Horst, Sammelobjekt Ansichtskarte, Berlin 1989; Formery, Günter / Fürst, Thomas, Die Welt des Ansichtskartensammelns, Schwalmtal 2011. Jaworski, Rudolf, Alte Postkarten als kulturhistorische Quellen, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 51 (2000), Heft 2, 88–102, hier 88. U. a.: May, Otto, Vom Wachsen lassen zum Führen. Die Ansichtskarte als Zeuge einer versäumten Erziehung zur Demokratie in der Weimarer Republik, Hildesheim 2003; Ders., Inszenierung der Verführung. Die Ansichtskarte als Zeuge einer autoritären Erziehung im III. Reich, Hildesheim 2003. Staat Brandenburg, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum (Hg.) / Volk-

Die Gärten der Wiener Hofburg im Spiegel historischer Ansichtskarten

1: Der 1919 eröffnete Burggarten, Ansichtskarte 1920

2: Blick in den Burggarten vom Treppenabgang der Neuen Hofburg, Künstleransichtskarte, um 1920

mann, Torsten (Bearb. u. Red.), Anforderungen an eine Dokumentation in der Gartendenkmalpflege (Arbeitsmaterialien zur Denkmalpflege in Brandenburg 2), Petersberg 2005, 5; Schulze, 2004, 84. Jochen Martz

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3: Blick auf die Neue Hofburg und den Burggarten, Luftaufnahme (Schrägaufnahme), Privatansichtskarte, um 1915/20, 4: Burggarten Wien, Blick auf die Treppenanlage mit den versteinerten Baumstämmen, Ansichtskarte, um 1950

rer Sammlungen von Ansichtskarten zu historischen Gärten.10 Eine der derzeit umfassendsten Sammlungen historischer Ansichtskarten, speziell zu den Gärten der Wiener Hofburg sowie der weiteren Gärten der Wiener Ringstraße, dürfte sich im Besitz des Verfassers befinden.11 Eine kleine Auswahl besonderer Exemplare soll im Rahmen dieses Beitrags behandelt und abgebildet werden. 10 Eine sehr umfangreiche Sammlung von historischen Ansichtskarten zu ungarischen Gärten befindet sich im Besitz von Gábor Alföldy, Budapest. 11 Im Privatarchiv des Verfassers befinden sich rund 900 Stück verschiedene historische Ansichtskarten zu den Gärten der Wiener Ringstraße. 56

Die Gärten der Wiener Hofburg im Spiegel historischer Ansichtskarten

5: Burggarten, Blick in den westlichen Flügel des Palmenhauses während einer Blumenausstellung, Ansichtskarte, um 1960

Vom Kaiser- bzw. Hofburggarten, der bekanntlich der private, dem Kaiserhaus vorbehaltene Teil des Gartenkomplexes an der Wiener Hofburg war, existieren naturgemäß nur sehr wenige historische Ansichtskarten. Erst 1919 wurde dieser, kurzzeitig nach dem neuen Eigentümer Garten der Republik genannt, unter der Bezeichnung Burggarten der Öffentlichkeit regulär zugänglich gemacht. Einer der frühesten bildlichen Dokumente jener Zeit ist eine sehr seltene und wohl nur in geringer Stückzahl entstandene Privat-Ansichtskarte, die eine Fotografie des Gartens aus dem Jahr der Eröffnung zeigt (Abb. 1).12 Dargestellt ist der Blick über den Teich in Richtung des Mittelrisalits des Palmenhauses, noch ohne die erst nach dem Zweiten Weltkrieg hier aufgestellte Skulptur des Herkules mit dem Löwen. Eine Künstleransichtskarte (Abb. 2) zeigt den Bereich vor der Balustrade an der Freitreppe von der Terrasse der Neuen Hofburg in den Garten. Im Vordergrund zu sehen sind Rhododendrenpflanzungen, welche in der Zeit der Leitung des Hofburgbaus durch Erzherzog Franz Ferdinand zur Pflanzung gekommen waren, da es sich um Lieblingssträucher des Thronfolgers handelte. In etwa aus der gleichen Zeit 12 Privatarchiv Jochen Martz, Aufnahme von J. Hamberger, Roter Datumsstempel auf der Vorderseite vom 18. Jan. 1920. Da es sich um eine Sommeraufnahme handelt, muss die Fotografie im Jahre 1919 entstanden sein. Jochen Martz

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stammt eine sehr seltene Ansichtskarte, welche eine Luftaufnahme der Neuen Hofburg und des Burggartens zeigt (Abb. 3). Vor der Neuen Hofburg, die sich damals noch im Bau befand, sind zahlreiche Baubaracken zu sehen. Der Mittelrisalit der Neuen Hofburg ist noch ohne Dach und der Bibliothekshof auch noch vollkommen durch den Baubetrieb in Beschlag genommen, wobei dieser vom Burggarten durch den später wieder auf Wunsch Erzherzog Franz Ferdinands abgebrochenen Kommunikationsgang zwischen der Neuen Hofburg und dem Palmenhaus abgetrennt war. Der Burggarten selbst war durch seinen dichten Baumbestand an zum großen Teil exotischen Gehölzen geprägt. An jener Stelle, an der sich seit 1953 das Mozart-Denkmal befindet, war damals noch ein rund 30 Meter langes, elliptisches Schmuckbeet angelegt. Einen ganz ungewöhn­ lichen Blick präsentiert eine aus der frühen Nachkriegszeit stammende Ansichtskarte mit einem Aquarell (Abb. 4), welche eine Frühlingsszene im Burggarten zeigt. Zu sehen ist der Aufgang am östlichen Ende der Futtermauer am Palmenhaus hinauf zum Albrechtstor. Gesäumt ist er von versteinerten Baumstämmen, die sich zumindest zum Teil heute noch dort befinden. Das Palmenhaus selbst war in der Nachkriegszeit beliebter Veranstaltungsort für die jährlich mit wechselnden Themen stattfindenden Frühjahrsschauen der Bundesgärten, die auch oft von Schulklassen besucht wurden. Eine Ansichtskarte eines Wiener Fotostudios (Abb. 5) zeigt die Aufnahme eines Blickes in eine solche Schau unter dem Titel »Frühling im Burggarten«. Der am 1. Mai 1823 eröffnete Volksgarten auf der westlichen Seite des Äußeren Burgplatzes (heute Heldenplatz) war seit jeher ein beliebtes Postkartenmotiv jeglicher Art. Interessant ist, dass die Serie »Alt-Wien« des Wiener Postkartenverlages Philipp & Kramer mit einer Karte auch die Frühgeschichte dieses Gartens thematisierte – das Paradeisgartel auf der Löwelbastei. Die Künstler-Postkarte zeigt eine biedermeier­liche Promenadenszene auf der Kurtine mit dem Hofgebäude des Paradeisgartels im Hintergrund (Abb. 6). Die im Jahr 1904 edierte Karte zeigt damit eine Situation, die mit der Beseitigung der Löwelbastei im Zusammenhang mit dem Bau der Ringstraße in den Jahren 1863–1865 und der Abtragung der Paradeisgartel-Kurtine im Jahr 1872 so nicht mehr vorhanden war. Nur drei Jahre nach der Entstehungszeit der Postkarte sollte ziemlich genau an der gleichen Stelle eine völlig neue Gartenpartie entstehen, allerdings nun einige Meter tiefer, niveaugleich mit dem Volksgarten und der benachbarten Löwelgasse: der Garten am Kaiserin-Elisabeth-Denkmal (Abb. 7). Den ursprünglichen Zustand des gartenkünst­lerisch gestalteten Gartens am Denkmal zeigt eine »Offizielle Karte des Kaiserin ElisabethDenkmal-Komitees« aus dem Entstehungsjahr 1907, die mit »Lechners Werner Kamera« aufgenommen wurde, wie die Beschriftung auf der Rückseite nicht ohne Stolz verkündet. Zu sehen sind der Senkgarten mit flankierenden niedrigen Formgehölzen und die originale Bepflanzung des Schmuckbeetes am Hang zum inneren Denkmalareal. Die originale Bepflanzung des Nahbereiches am Denkmal zeigt eine Kunstpostkarte, die der 58

Die Gärten der Wiener Hofburg im Spiegel historischer Ansichtskarten

6: Das Paradeisgartel auf der Löwelbastei, Künstleransichtskarte, Serie Alt-Wien, 1904

7: Volksgarten, Blick auf den Garten am Elisabeth-Denkmal, »Offizielle Karte des Kaiserin Elisabeth-DenkmalKomitees«, Ansichtskarte mit Fotografie mit »Lechners Werner Kamera«, 1907

Jochen Martz

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8: Volksgarten, Bereich am ElisabethDenkmal, Künstleransichtskarte, verlegt vom Deutschen Schulverein, 1907

9: Blick vom Dach des Burgtheaters über den Volksgarten zum Heldenplatz, Ansichtskarte, 1907. Im Mittelgrund ist die ursprüngliche Gestaltung des sogenannten Fürstenparterres im Bereich des Gartens am Kaiserin-ElisabethDenkmal erkennbar.

Deutsche Schulverein um diese Zeit verlegt hat (Abb. 8). Neben zwei kugelförmig geschnittenen Buchsbäumen in weiß gestrichenen Holzkübeln ist die Darstellung vor allem durch die Bepflanzung mit mittelhohen blauviolett blühenden Schwertlilien geprägt. An der Parapetmauer hinter dem Denkmal ist Efeu gepflanzt, dessen Triebe ungewöhnlicherweise von hinten durch waagrecht angeordnete Mauerschlitze geführt sind, sodass 60

Die Gärten der Wiener Hofburg im Spiegel historischer Ansichtskarten

10: Volksgarten, Schmuckbeet im Parterre an der Ringstraße, Ansichtskarte, 1901

ein kaskadenartiges Erscheinungsbild hervorgerufen wird. Die weitere Gestaltung des Gartens am Kaiserin-Elisabeth-Denkmal ist durch eine wenig bekannte fotografische Ansichtskarte dokumentiert, die ebenfalls um 1907 entstanden sein muss und wohl vom Dach des Burgtheaters aus entstanden ist (Abb. 9). Sie ist das einzige Bilddokument, auf dem das ursprüngliche Aussehen des sogenannten Fürstenparterres festgehalten ist, das erst vor wenigen Jahren im originalen Erscheinungsbild wiederhergestellt werden konnte. Das Parterre an der Ringstraße im Volksgarten, welches im Zuge der Umgestaltung des Volksgartens im Zusammenhang mit der Anlage der Ringstraße in den Jahren 1863– 1865 nach Plänen von Franz Antoine d. J. entstand, war ursprünglich kein Rosengarten. Wie auf einer Ansichtskarte aus dem Jahr 1901 zu sehen ist (Abb. 10), war dieser Gartenteil mit mittelhohen Sträuchern bepflanzt, bei denen es sich um Flieder handelte. Kurz nach der Jahrhundertwende waren hier zusätzlich ornamentale Ziergräser gepflanzt, die sich als Pampasgras (Cortaderia selloana) identifizieren lassen (Abb. 11). Wie auf einer Künstlerpostkarte, die ebenfalls vom Deutschen Schulverein herausgegeben wurde, zu erkennen ist, war der Bereich vor dem Grillparzer-Denkmal zu jener Zeit mittels Schmuckbeeten mit Wechselflor sowie Formschnittgehölzen gestaltet (Abb. 12). Die Entstehungszeit des heute so bekannten und beliebten Rosengartens war lange Zeit unbekannt. Mithilfe mehrerer Ansichtskarten konnte sie erst vor wenigen Jahren im Rahmen eines gartendenkmalpflegerischen Gutachtens eingegrenzt werden. Eine Ansichtskarte aus dem Jahr 1932 ist das früheste sicher datierbare Bilddokument des damals neu entstandenen Rosengartens. Jochen Martz

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11: Volksgarten, Grillparzer-Denkmal mit gärtnerischem Umfeld, Künstleransichtskarte, um 1905

12: Volksgarten, Parterre an der Ringstraße und Grillparzer-Denkmal, Künstleransichtskarte, um 1910

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Die Gärten der Wiener Hofburg im Spiegel historischer Ansichtskarten

13: Volksgarten und Heldenplatz, Ansichtskarte, 1963

Die den Garten flankierenden Rosskastanienbäume waren ursprünglich nicht bzw. in der Art geschnitten, wie es die heutigen Besucherinnen und Besucher kennen. Der Kastenschnitt in der Art einer Hochhecke, der auf einer Ansichtskarte aus dem Jahr 1963 besonders gut erkennbar ist (Abb. 13), scheint erst seit den 1930er-Jahren vorgenommen worden zu sein. Die genannte Postkarte zeigt eine Fotografie des Heldenplatzes, die wohl vom Rathausturm aufgenommen wurde. In der Nachkriegszeit wurde die Bepflanzung des Parterres an der Ringstraße an den Zeitgeschmack angepasst und aktuelle Rosensorten gepflanzt. Der Randbereich um das dort befindliche vierpassförmige Brunnenbecken wurde mit wechselnder Bepflanzung versehen. So war hier Mitte der 1960er-Jahre Indisches Rohr (Canna indica) gepflanzt, das mit seinen kräftig orangefarbenen Blüten der damaligen Mode entsprach (Abb. 14). Das Erscheinungsbild des Raptus-Brunnens am Eingang vom Heldenplatz zeigt eine Künstlerpostkarte aus der Zeit um 1910 – im Hintergrund mit blühenden Fliedersträuchern. Mitte der 1960er-Jahre war hier um den Brunnen auch Indisches Rohr gepflanzt, wie auf einer Color-Ansichtskarte zu erkennen ist, welche mit einem braunen Rahmen grafisch zeittypisch gestaltet ist (Abb. 15). Ein interessantes Zeitdokument aus der Zeit Ende der 1920er-Jahre ist eine Ansichtskarte, welche den »Pavillon der Milchindustrie« zeigt (Abb. 16). Der Gastgarten, welcher diesen umgibt, ist dicht mit Gästen besetzt, die in charakteristischer zeittypischer Mode gekleidet sind. Aus dem Jahr 1927 stammt eine Ansichtskarte, die eine Fotografie zeigt, Jochen Martz

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14: Volksgarten, Bassin im Parterre an der Ringstraße, Ansichtskarte, um 1965 15: Volksgarten, Raptus-Brunnen mit Bepflanzung, Ansichtskarte, um 1965

welche über den Volksgarten hinweg in Richtung Parlament und Ringstraße aufgenommen wurde. Sie dokumentiert den brennenden Justizpalast (Abb. 17). Das Umfeld des Theseustempels im Volksgarten hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts auch wiederholt verändert. Auch hier lassen sich die Gestaltveränderungen gut anhand von Ansichtskarten nachvollziehen. Um 1914 waren hier eine Rhododendrenpflanzung und zwei große kegelförmig geschnittene Nadelgehölze angeordnet (Abb. 18). Auf einer Ansichtskarte aus dem Jahr 1932 (Abb. 19) ist dagegen ein Rosengarten mit buchsgefassten Rabatten und Hochstammrosen zu sehen, der wohl gleichzeitig mit dem Rosengarten im Parterre an der Ringstraße entstanden ist. Eine farbige Künstlerpost­ karte mit einem Aquarell von Rudolf Blum, welche in der frühen Nachkriegszeit gedruckt wurde, zeigt allerdings noch den Zustand mit der Rhododendrenpflanzung aus dem frühen 20. Jahrhundert.13 Der Gastgarten am Kaffeehaus im Volksgarten wurde immer wieder an die Bedürfnisse angepasst und modernisiert. Den Zustand um 1910 mit einer bemerkenswerten Markisen-Konstruktion zeigt eine Ansichtskarte (Abb. 20), bei der es sich um eine Werbekarte des »Etablissement[s] k. k. Volksgarten [...] Joh. Seidl Wien« handelt. Den heute völlig veränderten Bereich des Gartens vor den ehemaligen Hof­ stallungen, dem heutigen MuseumsQuartier, zeigt eine Ansichtskarte aus dem Jahre 1923 (Abb.  21), die in der Serie »Wiener Aquarellkunst« erschien: Hier befand sich eine regelmäßige Schmuckpflanzung farbenfroher Blütensträucher. Drei der vier Gärten der Wiener Hofburg sind auf einer Panorama-Ansichtskarte aus der Zeit um 1910 abgebildet (Abb. 22). Der 1884–1888 nach Plänen von Carl Hasenauer und Adolf Vetter angelegte 13 Das Aquarell ist merkwürdigerweise mit 1945 datiert, obwohl zahlreiche fotografische Ansichtskarten dokumentieren, dass damals die Rhododendrenpflanzung nicht mehr existierte. 64

Die Gärten der Wiener Hofburg im Spiegel historischer Ansichtskarten

16: Volksgarten, Pavillon der Milchindustrie, Ansichtskarte, Ende der 1920er-Jahre

17: Blick über den Volksgarten mit dem brennenden Justizpalast am 15. Juli 1927, Ansichtskarte, 1927

Jochen Martz

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18: Volksgarten, Blick auf den Theseustempel mit Bepflanzung, Ansichtskarte, 1914

19: Volksgarten, Partie am Theseustempel, Ansichtskarte, 1932

Maria-Theresien-Platz besaß ebenso wie der Heldenplatz zu diesem Zeitpunkt noch seine ursprüngliche Wegebefestigung in Form einer wassergebundenen Decke: Die gestalterisch so wenig befriedigende, heute dominierende Asphaltdecke wurde erst in den 1950er-Jahren eingebracht. Besondere Festbeleuchtungen, die in den 1930erJahren zunehmend durchgeführt wurden, sind durch einige wenige Ansichtskarten dokumentiert, so zum Beispiel anhand einer Privatansichtskarte, welche die Fest­ wochenbeleuchtung des Maria-Theresien-Platzes im Juni 1930 zeigt (Abb. 23). Auch die nächtliche Beleuchtung der Feier zum 250-jährigen Jubiläum des Entsatzes von Wien bei der zweiten Türkenbelagerung, die am 11. September 1933 stattfand, ist mittels einer seltenen Privatansichtskarte festgehalten (Abb. 24). Sie zeigt im Übrigen das beleuchtete Zelt Kara Mustafas vor der Kulisse des Äußeren Burgtores. Zur Adaption des Burgtores zum Heldendenkmal im Jahr 1934 erschien eine offizielle Ansichtskarte (Abb. 25), die mit folgenden, etwas holprigen, poetischen Worten um Spenden wirbt:

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Die Gärten der Wiener Hofburg im Spiegel historischer Ansichtskarten

20: Volksgarten, Außenbereich des Restaurants, Ansichtskarte, 1910

21: Maria-Theresien-Platz, Partie vor den ehemaligen Hofstallungen, Künstleransichtskarte, 1923

Jochen Martz

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22: Heldenplatz, kolorierte Panorama-Ansichtskarte, um 1910

23: Maria-Theresien-Platz, nächtliche Beleuchtung des Maria-Theresien-Denkmals anlässlich der Wiener Festwochen, Ansichtskarte, Juni 1930

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24: Heldenplatz, nächtliche Beleuchtung des Zeltes von Kara Mustafa anlässlich der 250-Jahr-Feier der Türkenbelagerung am 11. September 1933, Ansichtskarte

Die Gärten der Wiener Hofburg im Spiegel historischer Ansichtskarten

25: Heldenplatz, Ansichtskarte mit Werbeaufdruck zur Spende für das Helden­denkmal im Burgtor, um 1934

»Der Österreicher hat ein Vaterland Und liebt’s Und hat auch Ursach’ es zu lieben. Österreicher – Kameraden! Werbet und spendet für Euer Heldendenkmal.«

Ein weiteres Beispiel für eine nächtliche Szenerie, wenngleich auch völlig anderer Art als die bereits erwähnten fotografischen Ansichtskarten, stellt eine Künstlerpostkarte aus der Zeit um 1905 dar (Abb. 26). Die in secessionistischer Manier gestaltete, sehr Jochen Martz

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26: Heldenplatz, Blick auf das Erzherzog-Karl-Denkmal in abendlicher Stimmung, Künstleransichtskarte, um 1905

ausgefallene Karte in gold-silber-orangefarbener Kombination zeigt die bekannte Wiener Gartensilhouette vom Heldenplatz über die Baumkulissen des Volksgartens und des Rathausparks in abendlichem Licht. Unter dem orangeroten, von silbernen Wolken durchzogenen Himmel ist der gärtnerisch gestaltete Heldenplatz bereits in dunkle Schatten getaucht. Auf durchaus symbolträchtige Weise sticht aus diesem lediglich das golden schillernde Postament des Erzherzog-Karl-Denkmals hervor – als wolle es gegen alle Schatten ankämpfen.

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Die Gärten der Wiener Hofburg im Spiegel historischer Ansichtskarten

Kunst(re)aktionen: Günter Brus – VALIE EXPORT – Julius Deutschbauer

Johanna Schwanberg

Der Heldenplatz und die Hofburg sind in der bildenden Kunst nach 1945 mehrfach thematisiert worden, vor allem auch in performativen Arbeiten: Unter anderem beginnt Günter Brus’ »Wiener Spaziergang« hier, VALIE EXPORT hat sich im Dialog mit dem Gebäudekomplex fotografiert, und Julius Deutschbauer inszenierte eine Aktion in den Räumlichkeiten der Präsidentschaftskanzlei. Als Einzelpersonen haben Künstlerinnen und Künstler an diesem Ort eine Gegenüberstellung oder Konfrontation subjektiver, künstlerischer Wahrnehmung mit der Symbolik des Sieges von Monarchie und Staatsmacht inszeniert und die Mittel zeitgenössischer, performativer Medien mit einer Architektur kontrastiert, deren dominierend barocke und klassizistische Zeichenwelt unter anderem die »gottgewollte« katholische Ordnung des Heiligen Römischen Reiches artikulierte. Ihre spezifische Komplexität entfalten diese Arbeiten dadurch, dass sie sozusagen vor einer verlassenen Kulisse spielen, einer, die nach dem Untergang des Habsburgerreiches auch dem Dritten Reich als Bühne diente. Immer noch steht dieses Ensemble von Prachtbauten für eine Macht, die bis in die Zellen des individuellen Körpers herrscht. Sie ist weniger greifbar geworden und wird von den Künstlern und der Künstlerin mittels dieser Kulisse ins Bewusstsein gerufen. Nach seinen vielfältigen Inkarnationen erlebt der Heldenplatz so seine düsterste, nämlich die des Mahnmals. Die drei Arbeiten von Günter Brus, VALIE EXPORT und Julius Deutschbauer, die im Mittelpunkt dieser Betrachtungen stehen, sind im Rahmen und nach der sogenannten »performativen Wende« der 1960er-Jahre (wie Erika Fischer-Lichte es genannt hat) entstanden.1 Sie stammen aus unterschiedlichen Jahrzehnten: den 1960er-Jahren (1965),

1

Vgl. Fischer-Lichte, Erika, Ästhetik des Performativen, Frankfurt a. M. 2004. Johanna Schwanberg

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den 1980er-Jahren (1982) und die letzte von 2009. Es sind performative, in ihrer ästhetischen Komplexität und der Konzentration auf die Individualität auch äußerst politische Arbeiten, die vieles gemeinsam haben und sich dennoch in wesentlichen Punkten unterscheiden. In allen drei Arbeiten stellt sich der Künstler bzw. die Künstlerin selbst ins Zentrum des Geschehens. Er bzw. sie schreibt sich während des ephemeren, künstlerischen Vorgangs in den historischen und öffentlichen Raum, in die gebaute Substanz des Hofburgareals ein und bewirkt durch die Konfrontation zwischen dem verletzlichen, weichen Künstlerkörper, der Bewegung oder Stillstand markiert, eine Neusichtung des historischen, politisch konnotierten Areals. Dem realen, gebauten geometrischen Raum des Hofburgareals wird ein performativer Raum gegenübergestellt, der eine Verschiebung des Blicks auf den historischen Ort bewirkt. Gemeinsam ist den drei Arbeiten auch, dass das kurzfristige performative Kunstwerk sich in zwei Formen realisiert – das trifft insbesondere für Brus und Deutschbauer zu. Erstens: die Aktion selbst, die Befremdung und Irritation bei Betrachterinnen und Betrachtern, Passantinnen und Passanten und (im Fall von Brus) der Exekutive auslöst oder (im Falle Deutschbauers) Verstörung und Ärger bei den Veranstalterinnen. Bei beiden Arbeiten ging es im Nachhinein um Geld­ strafen bzw. Schadenszahlungen. Die zweite Form ist die der medialen Repräsentation des Werks in Fotografie und Film, die die Aktion eigentlich erst bekannt macht, zur nachhaltigen Wirkung und zur Einschreibung in die Kunstgeschichte beiträgt. Etwas anders liegen die Dinge bei der »Heldenplatz«-Arbeit von VALIE EXPORT, hier ist die Aktion von vornherein für das Medium Fotografie konzipiert. Die Werke unterscheiden sich aber auch, was ihre Anliegen und Strategien betrifft, wie auch in Bezug auf den Umgang mit der gebauten Substanz und der metaphorischen Bedeutung des Hofburgareals. Die drei Werke lassen sich drei Aspekten zuordnen, die sich durch das körperliche Bewegungsmoment und dessen Bezug zur historischen Substanz ergeben: 1. Brus: Gehen auf dem Hofburgareal als Zeichen des Bruchs mit der künstlerischen Tradition und der Vergangenheit Österreichs. 2. EXPORT: Liegen auf der gebauten Substanz des Hofburgareals als feministische ­Einschreibung in den traditionell männlich besetzten Stadtraum. 3. Deutschbauer: Kriechen im Inneren der Hofburg als Strategie des »Anhaltens« ­ und »Verhinderns«.

Günter Brus Günter Brus’ »Wiener Spaziergang« war die erste größere und eine der folgenreichsten Kunst-im-öffentlichen-Raum-Aktionen der Nachkriegszeit, und sie nahm ihren Anfang nicht zufällig auf dem Heldenplatz, wie Günter Brus in einem eigens für diese Untersuchung geschriebenen Text bestätigte: »Ausgangspunkt und Ziel waren bewusst gewählt, 72

Kunst(re)aktionen: Günter Brus – VALIE EXPORT – Julius Deutschbauer

1: Günter Brus, »Wiener Spaziergang », 1965 (Foto: Ludwig Hoffenreich)

an zwei symbolisch belegten Plätzen.«2 Weiß bemalt und durch einen schwarzen Strich wie in zwei Hälften geteilt, begab sich der 27-jährige Künstler bei seiner »8. Aktion« im Juli 1965 in die Wiener Innenstadt und erregte als wanderndes »lebendes Bild« Aufsehen, bis die Polizei einschritt und eine Geldstrafe verhängte (Abb. 1). Der »Wiener Spaziergang« war aber nicht in erster Linie als politische Aktion gedacht. Zunächst standen künstlerische Anliegen im Zentrum, die sich aber mit einer kritischen Sicht der Tradition wie der kulturpolitischen Gegenwart verbanden. Die Aktion entstand unter anderem als Reaktion auf die Organisation der ersten größeren Einzel-

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Brus, Günter, Manuskript, Mai 2010, im Besitz der Autorin. Johanna Schwanberg

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ausstellung in der »Jungen Galerie«, deren Leiter Otto Staininger – gegen den expliziten Wunsch des Künstlers – nicht nur Aktionsfotos und eine Aktion zeigen wollte. Brus stellte daher auch großformatige Bilder aus, versuchte aber, mit dem »Wiener Spaziergang« auf die Priorität des Mediums Körper in seiner Arbeit hinzuweisen. »Wiener Spaziergang« war die erste Aktion, die Brus außerhalb des privaten Bereichs durchführte. Hatte er bisher nur vor Foto- und Filmkameras agiert, begab er sich nun nicht vor ein kunstinteressiertes Publikum, sondern direkt in den öffentlichen Raum. Durch die Bemalung zum verletzlich wirkenden Kunstobjekt geworden, spazierte er an historisch bedeutsamen Bauwerken vorbei in Richtung Stephansplatz. Film und Fotos dokumentieren die – in ihrem formalen und gesellschaftspolitischen Interpretationspotenzial durchaus unterschiedlichen – einzelnen »Stationen« des Spaziergangs und dessen Besonderheiten (Abb. 2): das Aussteigen der weißen Figur aus dem Citroën 2CV bzw. der »Ente«, das dem Entladen einer überdimensionalen Puppe am Heldenplatz mit dem Reiterdenkmal im Hintergrund ähnelt; den Kontrast zwischen der weißen, lebendigen Gestalt und den mächtigen Steinskulpturen an der Hofburg; das Nebeneinander von schmächtigem Künstler und hochgewachsenem Polizisten, der in seinem überdimensionalen Regenmantel durchaus auch »verkleidet«, dem Menschsein entfremdet erscheinen mag; und nicht zuletzt das »Abschieben« des »Fremdkörpers« (wieder per Auto) nach dem Besuch im Polizeikommissariat und damit die Möglichkeit der Rückkehr zum »Normalzustand« der geschichtsträchtigen Straßenzüge. Im Kommissariat kommt es, so Brus, zu folgendem Dialog: »Dortselbst wurde ich nach meinem Beruf und nach meinen Beweggründen, so skandalös gekleidet durch Wien zu spazieren, gefragt. Ich antwortete: ›Dies ist eine Kunstaktion‹ und wollte nähere Erklärungen dazu abgeben, aber der diensthabende Inspektor unterbrach mich etwas wirsch: ›Was soll das für eine Kunst sein, die die öffentliche Ordnung stört?‹«3 Hier wird auch das für unsere Zeit kaum mehr vorstellbare Risiko sichtbar, das Brus mit dieser Aktion einging: Ihn plagte im Vorfeld weniger die mögliche Konsequenz, im Gefängnis zu landen, sondern die Angst, für geistig umnachtet erklärt zu werden und in einer Nervenklinik »zu verschwinden«. Wie sehr diese ursprünglich künstlerisch motivierte Aktion auch eine Auseinandersetzung mit der österreichischen Tradition, ihrer Kunst und der damals aktuellen politischen Situation war, wird deutlicher, wenn man dem »Wiener Spaziergang« eine spätere Aktion gegenüberstellt: die 1968 entstandene »Der Staatsbürger Günter Brus betrachtet seinen Körper« im Kellerlokal Hip Hop am Wiener Judenplatz, wo Brus bereits am Plakat durch das Abbilden der österreichischen Fahne gezielt künstlerische mit politischen Anliegen verschränkt (Abb. 3). Hier definiert Brus die eigene Arbeit am

3 Ebenda. 74

Kunst(re)aktionen: Günter Brus – VALIE EXPORT – Julius Deutschbauer

2: Günter Brus, »Wiener Spaziergang », 1965 (Fotos: Ludwig Hoffenreich)

Körper in Form seiner Körperanalyse als Angriff auf die österreichische Vergangenheit und die gegenwärtige Kulturpolitik. Explizit benannt wird dies in der Einladung zu der Aktion. Hier wendet sich der Künstler gegen »Kunst mit exakt formulierter Zielsetzung«. Manifeste liegen ihm nicht. Allerdings weiß er ziemlich genau zu beschreiben, was ihm, so Brus, »auf die Eier geht«: »der Österreicher mit seinem Metternich in der Hose«,

Johanna Schwanberg

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»der Österreicher als Religionsheini« und »der Österreicher, der Geisteskranke durch Staatspreise füttert und die vernünftige Perversion ausrottet«.4 Am eigenen Körper führt der »Staatsbürger Brus« den Kampf gegen die erstarrten Strukturen im Wien der 1960er-Jahre durch, in dem es, in seinen Worten, unmöglich schien, »auch nur kleinste Veränderungen vorzunehmen, ohne Ärgernis zu erregen oder einen Skandal zu verursachen«.5 Brus rüttelt am Kunstbegriff – und er provoziert zugleich den Staat und seine konservative Kulturpolitik, die die Avantgarde nicht duldet, geschweige denn fördert. Dabei war eine Veränderung des Staates im Sinne einer neuen Regierungsform nie Brus’ primäres 3: Günter Brus, Plakat zu »Der Staatsbürger ­Günter Brus betrachtet seinen Körper«, Siebdruck, 1968

Anliegen. Sein Aktionismus war immer individualistisch angelegt. Die Befreiung von allen gesellschaftlichen Zwängen und Tabus vollzieht er an sich selbst. Und provoziert damit umso mehr.

VALIE EXPORT Verwandt und doch anders motiviert ist VALIE EXPORTs Auseinandersetzung mit dem Areal der Hofburg. Auch für sie geht es um eine Neusichtung der Geschichte und das Kreieren einer performativen Kunstform, in dessen Zentrum der weibliche Körper steht. Für EXPORT war das Hinausgehen in den traditionell männlich besetzten Stadtraum eines der zentralen Anliegen ihres feministischen Aktionismus, wie etwa »TAPP und TASTKINO« (1968) oder »Aus der Mappe der Hundigkeit« (1968) deutlich machen. Rückblickend erklärt EXPORT: »Es war wichtig für mich, meine Arbeiten der Öffentlichkeit, in der Öffentlichkeit, in einem öffentlichen Raum zu präsentieren […]. Ich machte keine herkömmliche Kunst, ich brauchte eine andere Rezeption, die sich nur außerhalb 4 5

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Brus, Günter, Einladung zur Aktion »Der Staatsbürger Günter Brus betrachtet seinen Körper«, Wien 1968. Schwanberg, Johanna, »Ich war Spezialist im Erröten«, Gespräch mit Günter Brus, in: Die Presse, 26. April 1997, Spectrum, III.

Kunst(re)aktionen: Günter Brus – VALIE EXPORT – Julius Deutschbauer

des Museums finden ließ. Es war also eine ganz natürliche Entscheidung, die Straße zu wählen, den öffentlichen Raum.«6 In ihrer mehrteiligen Serie »Körperkonfigurationen«, die sich von den frühen 1970ern bis in die 1980er-Jahre erstreckt, befasst sich EXPORT »zeichnerisch, fotografisch und aktionistisch mit der Darstellung von Körperhaltungen als Ausdruck innerer Zustände, dargestellt in der Natur wie in der Architektur, als Einpassung, Einfügung, Zufügung etc. ans Environment«.7 In einem 1982 entstandenen Teil dieser Serie befasst sie sich explizit mit historischen Bauten, die Macht, Tradition und männlich geprägte Kulturgeschichte symbolisieren. Darunter auch mit dem Heldenplatz, der Nationalbibliothek und dem nahegelegenen Theseustempel im Volksgarten (Abb. 4 und 5). Es geht ihr jetzt nicht mehr so wie in den Live-Aktionen der 1960er-Jahre um die direkte Konfrontation mit dem Publikum im öffentlichen Raum, sondern um ausschließlich fotografisch vermittelte Miniperformances im Stadtraum.

4: VALIE EXPORT, Heldenplatz 1, 1982, © VALIE EXPORT (Foto: Hermann Hendrich) 5: VALIE EXPORT, Theseustempel (Stufen), 1982, © VALIE EXPORT (Foto: Hermann Hendrich)

Die Fotos sind Teil ihrer umfassenden Auseinandersetzung mit der Geschichte weiblicher Kreativität im Kontext der männlichen Kultur: »Der männliche Blick hat über Jahrhunderte Kulturen und Zivilisationen geprägt und daher ist die Geschichte der Frau auch die Geschichte des Mannes. Der männliche Blick ist immer noch der ›gestaltende Blick‹; ob in Politik oder Kultur, es herrscht immer noch die Dominanz des Männlichen vor, auch wenn heute Frauen mehr mitgestalten als früher. Ich wollte auch zeigen, dass nicht eine Sichtweise der Geschichte genügt; es gibt genauso viele Darstellungen wie Identitäten. Gesetzliche oder soziale Regeln sind immer eindimensional, da geht es um ja oder 6 7

Lebovici, Élisabeth, Interview mit VALIE EXPORT, in: VALIE EXPORT, Klosterneuburg-Wien 2005, o. O. EXPORT, VALIE, Körperkonfiguration 1972–76, in: VALIE EXPORT, Linz 1992, 68. Johanna Schwanberg

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nein – um gut oder böse, sie sind immer binär. Kunst bietet sich hingegen dafür an, ein vielfältiges, vielschichtiges Bild zu geben.«8 Gezielt schreibt sie sich mit ihrem weiblichen Körper in Form von plastischen Posen und als lebende Skulptur in die gebaute Umgebung ein – visualisiert Anpassung und Zufügung, aber auch ein selbstbewusstes feministisches Markieren der historischen Umgebung, die durch die Körperkonfigurationen EXPORTs ein neues Gesicht bekommen. Im Unterschied zu Brus geht es, wie auf dem Foto »Heldenplatz 1« zu sehen ist, nicht um Bewegung, sondern um eingefrorene, liegende Posen – oder, wie bei der Arbeit »Bibliothek 1«, auch um Sitzen oder Kauern (Abb. 6).

6: VALIE EXPORT, Bibliothek 1, 1982, © VALIE EXPORT (Foto: Hermann Hendrich)

EXPORT liegt mit Hose und Pullover bekleidet auf den Stiegen des Heldendenkmals. Sie ist nur von hinten zu sehen. Besonders charakteristisch ist die ungewöhnliche Körperhaltung, die den Eindruck erweckt, als würde sie kopfüber hinunterfallen. Es ist die gegenteilige Bewegung von heroischen Siegesdenkmälern, wo das Hinaufstreben dominiert. Der weibliche Körper teilt den fotografierten Stiegenausschnitt in zwei Hälften, sodass sich quasi ein Auf- und ein Abgang ergibt. Auffallend sind auch die Grasbüschel, die aus dem Stein herauswachsen. Hier wirkt das organische Leben wie ein Fremdkörper 8

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Schwanberg, Johanna, VALIE EXPORT, Länderpavillons als offenes System, in: Parnass, Heft 2 (2009), 102–105.

Kunst(re)aktionen: Günter Brus – VALIE EXPORT – Julius Deutschbauer

innerhalb der geometrischen Formensprache der Architektur. Zugleich legen sie Zeugnis davon ab, dass dieses Stück des Platzes wenig benutzt ist, verwildert wirkt. Durch die Schwarz-Weiß-Ästhetik kommt es zu einer grafischen Angleichung zwischen dem Körper der Performerin und der Umgebung. Charakteristisch ist der enge Bildausschnitt, und nur durch den Hinweis im Titel wissen wir, an welchem historischen Ort EXPORT ihre Körperkonfiguration setzt. Aber selbst wenn man die beiden Fernkorn-Skulpturen nicht sieht: Es ist wohl als Ergänzung des räumlichen Kontexts kein größerer Kontrast denkbar, als der zwischen der weib­ lichen Performerin EXPORT als lebendige, ephemere Skulptur an der gebauten Substanz des Heldenplatzes und den Sieg symbolisierenden, stehend-aufgebäumten Reiterdenkmälern. Wie explizit die Körperbewegung eine Reflexion über die spezifische Geschichte des Ortes darstellt, bringt EXPORT in ihrem Text »Corpus More Geometrico« zum Ausdruck: »Ich verwende die fotografische Fixierung in einem physikalischen Kontext (Haus, Stadt, Land), weil nicht die Bewegung des Körpers Bedeutung artikulieren soll, sondern ich will den Körpercode aus der gefrorenen Geschichte der Kultur, die eine Geschichte des Schweigens über den Körper ist, erzwingen.«9

Julius Deutschbauer Stillstand, Vermeidung von Bewegung, aber auch das Bild der Kopf voran liegenden EXPORT verbindet ihre Arbeit mit der Aktion Julius Deutschbauers, auch wenn letztere 2009 entstand und sich schon von ihrer Genese her von den beiden anderen unterscheidet. Hatte Brus noch bewusst aus dem Kontrast zwischen dem restriktiv gehandhabten öffentlichen Raum und der avantgardistischen Kunstform gearbeitet und sich über das Verbot hinweggesetzt, diesen bedeutsamen Ort durch eine künstlerische Aktion zu stören, so entstand Julius Deutschbauers Performance im Zuge einer offiziellen Einladung, die die Präsidentschaftskanzlei unter dem Motto »Hofburg bewegt« ausgesprochen hatte. In Heinz Fischers Grußwort in der Begleitbroschüre heißt es: »Mit dem Projekt […] beschreitet die Hofburg neue Wege: Erstmals wurden Künstlerinnen und Künstler eingeladen, Tanz- und Performance-Konzepte für diesen Teil der Hofburg eigens zu entwickeln.«10 Die Kuratoren Sigrid Gareis und Meinhard Rüdenauer hatten 27 Projekte von Künstlerinnen und Künstlern wie Oliver Hangl, Miriam Bajtala, Daniel Aschwanden u. a. ausgewählt, und diese wurden in den Räumlichkeiten der Hofburg, in der Präsidentengalerie, im Botschafterzimmer, der Adlerstiege etc. verwirklicht. Julius Deutschbauer 9 EXPORT, VALIE, Corpus More Geometrico, in: VALIE EXPORT, 1992, 86. 10 Fischer, Heinz, in: Hofburg bewegt, 2009, http://bit.ly/1lBtgtR, 3. Johanna Schwanberg

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7: Julius Deutschbauer, Still aus »… aber er kommt nicht voran«, 2009 (Foto: David Jagerhofer)

war unter den eingeladenen Künstlerinnen und Künstlern. Seine Performance, die im Zusammenhang mit Brus und EXPORT sowie dem Thema dieses Symposiums besonders vielschichtig erscheint, hieß »… aber er kommt nicht voran«. Der Titel nimmt Bezug auf das Thema »Hofburg bewegt« und setzt einen Kontrapunkt zu dem von einem Ausspruch des belgischen Diplomaten de Ligne aus der Zeit des Wiener Kongresses abgeleiteten Satz. Das positiv gezeichnete Bild der Veranstaltung (»bewegt« als körperliche Bewegung aber auch als emotionales Berühren) wird ironisch gebrochen, wie Deutschbauer in seinem Konzeptpapier zur Aktion zu verstehen gibt: »Um die Hofburg am Vorankommen zu hindern, schlüpfe ich in die Rolle des Hof(burg) narren, mitunter in der Maske des Präsidenten selbst, um mir bei meiner Tätigkeit des Hinderns, Verhinderns, Anhaltens mehr Autorität zu verleihen.« Und weiter: »Nach der ›Schule des abgewandten Blicks‹ an der HDK Zürich und meinem Lehrgang ›Schreiben austreiben‹ für die Schule für Dichtung, wollte ich die aus dieser Beschäftigung gewonnenen Methoden und Techniken auf eine Art Training für PolitikerInnen anwenden, um daraus eine Art performatives Abwenden, eine Performance der abgewandten Politik abzuzwirnen bzw. -zwingen.«11 Der Umstand, dass es hier um eine offizielle Einladung vonseiten des höchsten Würdenträgers Österreichs geht, wirft die Frage auf, inwieweit hier Kunst überhaupt als subversives Mittel bzw. Widerstand gegen die hegemoniale Macht genutzt werden kann. Im Unterschied zu den vorher besprochenen Werken findet die Performance im Inneren des Gebäudes statt. Wie bei den anderen beiden Aktionen steht auch hier der Künstler mit seinem Körper als Medium, Ereignis und Ergebnis im Zentrum. Allerdings ist 11

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Deutschbauer, Julius, Typoskript, Konzept für die Performance im Rahmen der Veranstaltung »Hofburg bewegt«, 2009.

Kunst(re)aktionen: Günter Brus – VALIE EXPORT – Julius Deutschbauer

Deutschbauers Performance als partizipatorisches Kunstwerk angelegt. Anders als bei Brus’ »Wiener Spaziergang« geht es nicht nur um eine Irritation der Passantinnen und Passanten, sondern um den Einbezug der etwa 300 geladenen Gäste aus dem Kunstestablishment, die zum Empfang des Bundespräsidenten anlässlich des Projekts »Hofburg bewegt« am 8. Juni 2009 gekommen waren. Deutschbauer gelingt es auch im Rahmen dieser staatlichen, wohlwollenden Ein­ verleibung der Künstlerinnen und Künstler, ein performatives, provokantes Ereignis zu setzen, das Verschiebungen in der Wahrnehmung der Hofburg bewirkt. In Deutschbauers Worten: »Wenn Künstler so einen Ort betreten dürfen wie die Hofburg, dann herrscht der Gestus vor, dass ihnen bewusst zu sein hat, dass sie an einem besonderen Ort sind, der viel Respekt braucht. Es gab dann auch einen Vertrag und der hat mich motiviert, genau all das zu tun, was ich unterschrieben habe, nicht zu tun.«12

8: Julius Deutschbauer, Still aus »… aber er kommt nicht voran », 2009 (Foto: David Jagerhofer)

9: Julius Deutschbauer, Still aus »… aber er kommt nicht voran », 2009 (Foto: David Jagerhofer)

Deutschbauer konfrontiert das monarchistische Erbe, die staatstragenden Räumlich­ keiten, die historischen Exponate mit Objekten und Handlungsweisen, die mit der Würde der Hofburg und der Präsidentschaftskanzlei unvereinbar sind. Dies führt dazu, dass zunächst eine Schadensersatzforderung von 100.000 Euro im Raum stand, vor allem wegen des roten Teppichs, auf dem die Aktion ihre Spuren hinterlassen hatte. Schließlich belief sich der Schaden »nur« auf 5.000 Euro.

12 Deutschbauer, Julius im Gespräch mit der Autorin, geführt in Wien, Mai 2009. Johanna Schwanberg

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Wie Brus sich davor fürchten musste, in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert zu werden, sah sich Deutschbauer vor dem Gnadenerlass mit einer Situation konfrontiert, in dem praktisch die Auslöschung seiner Existenz verlangt wurde – im 21. Jahrhundert ist die wirtschaftliche Drohung an die Stelle von Gefängnis und Nervenanstalt getreten, der Hofnarr ist sich seines Lebens aber immer noch nicht völlig sicher, wenn er den Konsens infrage stellt, den die Staatsmacht als den allgemein anerkannten festlegt. Die Aktion setzt sich in der filmischen Dokumentation aus drei Teilen zusammen. Im ersten Teil »Bodenarbeit« kriecht Deutschbauer mit der Präsidentenmaske am Kopf und einem Koffer, auf dem ein Monitor die Romanze »Der Kongress tanzt« aus dem Jahr 1931 zeigt, auf den Stiegen herum – er selbst bezeichnet dies als den Tanzstil des »Kröchers« und ironisiert so durch die Bewegung des Kriechens die Obrigkeitshörigkeit (Abb. 7). Im zweiten Teil »Gastfreundschaft« teilt Deutschbauer an die Gäste Bierdosen aus, etwas, was bei Empfängen des Präsidenten tabu ist, und erzeugt durch den subkulturellen Gestus eine Konfrontation von High-and-Low (Abb. 8). Im dritten Teil schließlich wird der Stiegenaufgang zur Spielweise, auf der Deutschbauer Fahrten mit einem Bob, auf dem Heinz Fischers Konterfei abgebildet ist, für 5 Euro anbietet (Abb. 9).

Körpersprache versus Baukörper Brus, EXPORT und Deutschbauer haben dem gebauten Areal der Hofburg als Symbol der historischen österreichischen Vergangenheit wie der gegenwärtigen Machthaber durch unterschiedliche Bewegungsmomente – gehen, liegen, kriechen – kurzfristig einen neuen performativen Raum gegenübergestellt. Durch den Wiener Spaziergang des weiß bemalten Künstlers, die Zufügung des weiblichen Körpers an die männlich konnotierte Architektur sowie durch das slapstickartige, jede Hierarchie ignorierende Kriechen des »Hofnarren« Deutschbauer wird das Hofburg-Areal zu einem Ort, der durch die künstlerischen Interventionen entweder im Moment der Aktion oder in der Rezeption danach ästhetisch wie gesellschaftspolitisch differenziert erfahrbar wird. Dabei gehen alle drei Positionen nicht von dem Imperativ aus, politisch oder gesellschaftlich unmittelbar verändernd wirken zu wollen. Vielmehr setzen sie dem Jahrhunderte alten Areal und dem Machtapparat Hofburg Vergängliches, Verletzliches, Körperhaftes, Individuelles und Humoristisches entgegen. Als Störenfriede im öffentlichen Raum arbeiten sie mit dem Moment der Überraschung durch den Einsatz von artfremden Elementen, die an diesen Orten zum jeweiligen Zeitpunkt nicht erwartet werden. Sei es ein bemalter Mensch im historischen Ensemble der 1960er-Jahre wie bei Brus, ein liegender weiblicher Körper auf dem Heldenplatz in den 1980ern wie bei EXPORT oder der Verkauf von Bobfahrten mit dem Porträt des Staatsoberhauptes bzw. das Einschleusen von banalen Bierdosen in die präsidialen Räumlichkeiten wie bei Deutschbauer. 82

Kunst(re)aktionen: Günter Brus – VALIE EXPORT – Julius Deutschbauer

Den medialen als auch den politischen Impetus betreffend lässt sich aber eine Veränderung von den 1960er-Jahren und Brus’ »Wiener Spaziergang« bis zu Deutschbauers Aktion im Jahr 2009 konstatieren. Ging Brus noch davon aus, den historischen Stadtraum des Hofburgareals durch seinen Auftritt als »Sculpture in Action« für Neues öffnen zu müssen und Provokation im Moment seines Stadtspaziergangs bewirken zu können, so ist VALIE EXPORT in den 1980er-Jahren bewusst, dass sie sich nur medial und vermittelt durch feministische Minimalverschiebungen in den männlich besetzten Raum einschreiben und ihn somit in Form eines Kunst- oder Gedankenraums neu konstituieren kann. Deutschbauer hingegen sieht sich als in die Hofburg eingeladener Künstler einer Situation gegenüber, in der die Möglichkeiten, durch Kunst Störungen und Verstörungen zu erzeugen, auf den ersten Blick gering erscheinen. Dennoch gelingt ihm mit seinem hofnärrischen Agieren, dem spielerischen, bewusst subkulturellen Gestus und dem Kriechen als verkörpertem Bewegungszustand der österreichischen Obrigkeitshörigkeit ein Aufbrechen der als selbstverständlich erachteten Strukturen innerhalb der Institution Hofburg. Zugleich ironisiert seine Aktion auf lapidare und zugleich präzise Weise die mediale, romantisierte Darstellung historischer Ereignisse in der österreichischen Nachkriegszeit durch das Abspielen des 1930er-Jahre-Hofburg-Films »Der Kongress tanzt« auf dem Koffer. Wie die Assoziationen mit der Hofburg von den Babenbergern über den Dreißigjährigen Krieg und Maria Theresia bis zu Ernst Jandl und Thomas Bernhard reichen, so stehen die Körper-Aktionen von Brus, EXPORT und Deutschbauer ihrerseits in einer langen Tradition künstlerischer Auseinandersetzung mit dem Thema der Wechselwirkungen zwischen Macht, Masse und Individuum. Unschwer lässt sich darin das Echo philosophischer, psychologischer, soziologischer und politischer Auseinandersetzung mit diesen Problematiken erkennen, wie auch das Erbe europäischer Konzepte von Freiheit und Verantwortung. Die Assoziationen sind also auch hier nahezu unendlich und können von Odyssee bis Kafka und Bibel bis Foucault reichen. Das Aufeinandertreffen dieses Ortes mit Künstlerinnen und Künstlern in historisch brisanten Momenten führt zu Kunstwerken, die fast unendliche Möglichkeiten der Interpretation zulassen. Brus, EXPORT und Deutschbauer erzeugen durch die Konzentration auf das ­Ephemere und Körpersprachliche ein Distanzverhältnis zu dem gebauten Machtapparat. Gerade deshalb sind sie ausgesprochen politisch, wie die Rezeption und die Reaktion auf die Performances verdeutlicht haben. Denn, so Christian Höller in seinen Ausführungen, die an die Überlegungen des französischen Philosophen Jacques Rancière zur Relation von Kunst und Politik anschließen: »Eine zeitgenössische Idee des Politischen in der Kunst liegt in der Art der Distanznahme begründet; jener Distanz, die sie zwischen Privatem und Öffentlichen, zwischen gesellschaftlich Akzeptablem und Inakzeptablem herzustellen imstande ist: jener verqueren Zeit- und Raumverhältnisse, die sie gegenJohanna Schwanberg

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über einem ordnungsgemäß strukturierten Stadtraum geltend macht. Solche Distanzierungen oder besser: Verschiebungen sind es, die ein politisches Moment aus der Art der künstlerischen Praxis heraus wirksam werden lässt.«13

13 Höller, Christian, Ästhetischer Dissens, Überlegungen zum Politisch-Werden der Kunst, in: Kunst+Politik 2008, 284–292, hier 185. 84

Kunst(re)aktionen: Günter Brus – VALIE EXPORT – Julius Deutschbauer

Die Hofburg als Schauplatz im österreichischen Film – ein Streifzug

Melanie Letschnig

In den Blättern der Wiener Rathauskorrespondenz vom 7. September 1951 ist unter der Schlagzeile »Maria Theresia in der Modeschule« Folgendes zu lesen: »Die Modeschule der Stadt Wien im Schloss Hetzendorf bietet die Kulisse zu einem Film über Maria Theresia. Maria Theresia, das ist natürlich Paula Wessely, die gegenwärtig mit einer Reihe prominenter Wiener Schauspieler ihren großen Film dreht. Die stilvolle natürliche Kulisse des Schlosses bot den idealen Hintergrund für einige Szenen des Films, den Regisseur E. Reinert nach dem Drehbuch [von] Paul H. Rameau gestaltet. Für historische Treue in diesem bisher größten historischen Wiener Film sorgt Fred Hennings.«1 Dass in dieser kurzen Pressemeldung über die Dreharbeiten zu Emile Reinerts Maria Theresia – Eine Frau trägt die Krone zweimal das Wort »natürlich« fällt – nämlich in Bezug auf die Hauptdarstellerin (»natürlich« verkörpert die Wessely die Kaiserin) und in Zusammenhang mit dem Ambiente, in dem gedreht wird – umreißt sprachlich eine Haltung, die bezeichnend ist für die filmische Darstellung österreichischer Vergangenheit in der Zeit des Wiederaufbaus. Die Repräsentation von Realität muss in eine neue Ordnung gebracht werden, welche ihre Parameter in einer zeitlich deutlich zurückliegenden Vergangenheit ansetzt, im Fall von Reinerts Maria Theresia lange vor dem Ersten Weltkrieg 1

Wien 1951: Berichte vom September 1951, www.wien.gv.at/rk/historisch/1951/september.html (23. Oktober 2011). – Der Historiker Oliver Rathkolb nennt den Burgschauspieler Fred Hennings als eine jener Gallionsfiguren innerhalb der Wiener Theaterensembles, die in der Zeit des Nationalsozialismus »den kommissarischen Leitern [der Theaterhäuser] bereits in den ersten Stunden der Machtübernahme den Weg bereitet« haben. Rathkolb, Oliver, Führertreu und gottbegnadet. Künstlereliten im Dritten Reich, Wien 1991, 56. Melanie Letschnig

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1 & 2: Still aus: Maria Theresia – Eine Frau trägt die Krone

in einer Zeit, als die Monarchie als Staatsform noch nicht Gefahr lief, ein Auslaufmodell zu sein. Die Tatsache, dass sich einer der Drehorte für die bis dato teuerste österreichische Filmproduktion seit 1945 in der Modeschule Hetzendorf befindet, ist nicht unfrei von Ironie. In Walter Benjamins Passagen-Werk findet sich im Abschnitt B unter dem Titel »Mode« folgende Eintragung: »Tonangebend […] ist zwar immer das Neueste, aber doch nur wo es im Medium des Ältesten, Gewesensten, Gewohntesten auftaucht. Dieses Schauspiel, wie das jeweils Allerneueste in diesem Medium des Gewesenen sich bildet, macht das eigentliche dialektische Schauspiel der Mode.«2 Diese von Benjamin beschriebene Dialektik lässt sich an Maria Theresia – Eine Frau trägt die Krone überzeugend ablesen. Habsburger-Filme sind in den 1950er-Jahren als Versicherung einer auf der Vergangenheit fußenden, optimistisch in die Zukunft gerichteten Gegenwart absolut in Mode, die Drehbuchautoren wühlen sich durch die Stoffe der Vergangenheit, um mit ihnen die stolze Zukunft eines beschädigten Landes mitzuschreiben. Dass sich die Handlung des Filmes von Reinert in erster Linie darauf konzentriert, die Kaiserin im Konflikt mit sich selbst als Frau, Ehefrau, alternde Frau und Regentin zu zeigen, sagt dabei auch mehr über die Widersprüche der 1950er als über jene des 18. Jahrhunderts aus, wie es sinngemäß in einem zum Film verfassten Begleittext3 des Filmarchiv Austria heißt. Welche Rolle spielt nun die Inszenierung von Architektur und Interieur der Hofburg in den Bildern dieses Films? Wie bauen verklärende Vorstellungen von der Vergangenheit 2 3

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Benjamin, Walter, Abschnitt B: Mode, in: Benjamin, Walter, Das Passagen-Werk, Frankfurt am Main 1983, 112. Filmarchiv Austria, http://bit.ly/x6B4l2 (23.10.2011). In einem Beispiel zeitgenössischer Rezeption von ­Maria Theresia – Eine Frau trägt die Krone wird zwar auch die Ehekrise als ein Thema des Films bemerkt, aber in erster Linie äußert man sich euphorisch über die harmonische Gesamtgestaltung: »Dieser Ausschnitt aus dem Leben der Kaiserin umreißt durch die Gestaltungskraft der Wessely über die Dramatisierung einer Ehekrise hinaus ihr Charakterbild, ermangelt der Umfassendheit einer Biographie, hat durch Originalaufnahmen, Aufmachung und die Echtheit der Dialoge Zeitatmosphäre und beachtliches Niveau, das auch Untermalungsmusik, Bild und Ton wahren.« In: Paimann’s Filmlisten: Wochenschrift für Lichtbild-Kritik (Das Nachschlagewerk des österreichischen Films), 2. Jänner 1952, 37, Nr. 1898, 3–4.

Die Hofburg als Schauplatz im österreichischen Film – ein Streifzug

und die potemkinschen Dörfer der Filmstudios am Wunschbild eines zu einem anderen Selbstbewusstsein gelangen wollenden Landes mit? Es verhält sich mit den Kulissen wie mit den Erzählungen: Die Interpolation dessen, wie es wirklich gewesen sein könnte, fällt natürlich ins Gewicht, und so baut eine Mischung aus Fakten und modernem Wunschdenken auch an Reinerts Film mit. Drehorte und Ausstattung für den von der Hauptdarstellerin Paula Wessely produzierten Film bilden denn auch ein Pastiche aus originalen Artefakten4, Fließband-Prunk5 im Filmstudio6 und adaptierten Innen- und Außenorten. Original, Adaption und Umwidmung bauen mit am Mythos (der Habsburger), über den Claudio Magris schreibt: »Es ist notwendig, sich die beiden Bedeutungen des Wortes ›Mythos‹ vor Augen zu halten: in ihm vermengen sich [...] fortwährend die echte Verherrlichung realer Werte mit einer Entstellung und märchenartigen Idealisierung der Welt.«7 Maria Theresia sucht 1951 in Gestalt von Paula Wessely schweren Schrittes die – wie es im Film heißt – »ehemaligen großherzoglichen Gemächer« auf, um uns als Zuschauerinnen und Zuschauer während des Abschreitens dieses einstmals glücklichen Ortes in einem inneren Monolog – einem mythischen Monolog – mit einer Mischung aus persönlichen Erinnerungen und Staatskunde zu konfrontieren (Abb. 1 und 2). Eine kurze Rekapitulation der Begehung: Einen mit einem Strauß vertrockneter Rosen ausgestatteten Tisch passierend, steuert die Kaiserin zunächst den Sekretär an, auf dem ein verstaubtes Porträt von Franz Stephan steht. Sie hebt es hoch und blickt auf das Antlitz ihres Gatten herab, während sie es mit einem Finger vom Staub befreit. In Gedanken werden Selbstzweifel betreffs Distanzierung, Schuld und Abhängigkeit in Beziehung zu ihrem Mann formuliert. Die Kamera, der Blick der Kaiserin, schwenkt weiter auf ein imposantes Gemälde des Vaters Karl VI. Maria Theresia blickt zum Abbild ihres Vaters hoch und schweift in der Erinnerung nun ab in die Zeit, als ihr die Bürde auferlegt wurde, ein Reich regieren zu müssen, um danach weiterzuschreiten zur gewaltigen Betnische, die Wohnzimmer und Schlafgemach voneinander trennt. Der Blick der Kaiserin wandert nun nach ganz oben zur göttlichen Krone, welche mächtig über dem Geschehen thront. Abschließend wendet sich Maria Theresia wieder dem Irdischen zu, indem sie an die ­Wiege ihrer Kinder und das mächtige Ehebett des Kaiserpaares herantritt, welches Wilhelm Hausenstein in seinen Reflexionen über Wien wie folgt beschreibt: 4

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»Die Künstlerin [Paula Wessely] trägt das echte Diadem der Kaiserin, deren Perlen, Kolliers und Ohr­ gehänge einen unschätzbaren Wert besitzen.« In: Österreichische Film- und Kino-Zeitung, 15. Dezember 1951; zitiert nach Loacker, Armin, »›Viel zu gut für die Bagage, die ins Kino geht‹. Paula Wesselys Filmkarriere im Spiegel ihrer Zeit«, in: Ders. (Hg.), Im Wechselspiel. Paula Wessely und der Film, Wien 2007, 190. »Mehr als 1000 neu angefertigte Kostüme erforderten Zehntausende von Metern an kostbarem Brokat, Atlas, Samt, echten Spitzen und Pelzen. [...] Ein Vermögen allein kostete das mit echten Goldspitzen durchwirkte Prunkgewand Maria Theresias [...].« In: ebenda. Im Vorspann des Films werden die Ateliers der Wien-Film in Sievering und Schönbrunn als Drehorte angeführt. Magris, Claudio, Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur, Salzburg 1988, 9. Melanie Letschnig

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»[...] eigentlich ist alles maßvoll – mit Ausnahme des schweren und üppigen Prachtbettes der Kaiserin, des Ehebettes einer majestätischen Wolllust, des Ehebettes mit sattem blauem Samt und goldsilbernen Stickereien. Mit einem Schlag empfindet man: dies hier ist das Ungewöhnlichste, das Besonderste der Wiener Hofburg; dies Bett, zwar erst in einem vorgerückten Jahrhundert aufgeschlagen, ist die Wurzel des Wesens dieses ganzen Schlosses.«8 Der sich am Interieur der ehemaligen großherzoglichen Gemächer entlang hangelnde Erinnerungsstreifzug der Kaiserin endet vorerst mit dem bedeutungsvollen Aufschlagen eines Fächers, um mit dieser Geste sowohl narrativ als auch auf filmtechnischer Ebene eine Rückblende einzuleiten. In dieser weit ausladenden Geste haben einerseits auf Fakten fußende Erinnerungsbilder Platz, viel geräumiger richten es sich darin aber jene Verklärungen ein, die sich einerseits auf die reale Person Maria Theresia beziehen, gleichzeitig – und das ist wohl das Entscheidende – aber die Charakterisierung dieser Persona mittels ideologischer Ausschmückungen vorantreiben. Wunschbilder über­ lagern einander, dies manifestiert sich auch in der Ausgestaltung des Drehortes. Es stellt sich demnach auch nicht so sehr die Frage, ob wir es in der Abbildung der ehemaligen großherzöglichen Gemächer mit einer exakten Replik des Originals zu tun haben, viel bemerkenswerter ist die Romantisierung und Funktionalisierung des Schauplatzes, um zwischen barocken Möbeln und symbolisch aufgeladenen Artefakten einen Parcours der Erinnerung einzubauen. Einem Parcours, oder vielmehr einer Tour de Force, gleicht auch das Sightseeing Programm, welches König Alexander I. von Alanien (gespielt von Hans Holt) mit seiner Tochter Prinzessin Sandra (gespielt von Erika Remberg) im Spielfilm Wien, du Stadt meiner Träume9 absolvieren muss (Abb. 3). Im einen Moment noch mit der heurigenseligen 3: Still aus: Wien, du Stadt meiner Träume

Erinnerung an das Wien von einst die Tochter im Dreivierteltakt durch das

Hotelzimmer wirbelnd, müssen der König und die Prinzessin im nächsten Moment unter der Führung des Sektionschefs Katzelseder (gespielt von Richard Romanowsky) die wichtigsten Sehenswürdigkeiten des Hofburgareals bestaunen gehen. Die Sightseeing8 9 88

Hausenstein, Wilhelm, in: Ders., Europäische Hauptstädte, Erlenbach-Zürich-Leipzig 1932, 28. Ich danke Andreas Nierhaus für den Hinweis auf den Text. Österreich 1957, Regie: Willi Forst.

Die Hofburg als Schauplatz im österreichischen Film – ein Streifzug

tour umfasst den Prunksaal der Nationalbibliothek, die Kaiserappartements, das Kunsthistorische und das Naturhistorische Museum, den Heldenplatz, das Burgtor, den MariaTheresien-Platz und führt schließlich weiter nach Schönbrunn, das aus unterschiedlichen Perspektiven im Eilverfahren von außen besehen wird. »Und Schönbrunn von innen?« Diese Frage der Königstochter zielt sehr treffend auf die filmische Umsetzung der touristischen Raserei. Zwar betreten die alanischen Gäste und ihr Begleiter die genannten Gebäude tatsächlich durch die real existierenden Eingänge, was aber im Inneren der einzelnen Abschnitte des Hofburg-Komplexes zu bestaunen wäre, erschließt sich uns als Publikum ausschließlich über zweidimensionale, statische Abbildungen, die von der Kamera eingefangen werden. Das entnervende und stimmungsvoll von klassischer Populärmusik untermalte Hasten von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten und der damit zum Ausdruck gebrachte Überdruss an touristischen Pflichtbildern manifestiert sich in den schon verblassten Fotografien, auf denen unter anderem kaiserliche Empfangszimmer, Prunksäle, Minerale, Menschenaffen und ein von Albrecht Dürer geschaffenes Porträt von Maximilian I. zu sehen sind. Das alles und noch viel mehr bergen die Räumlichkeiten des Hofburg-Komplexes in sich. Das alles ist Wien oder genauer: die in Fleisch und Blut und in die Postkartenindustrie übergegangenen ­Klischee-Bilder Wiens, wie sie in den Räumen der Alten Burg und der Hofmuseen generiert wurden. Die Protagonistinnen und Protagonisten in Wien, du Stadt meiner Träume streifen nicht wie Maria Theresia Wessely leibhaftig durch einen physisch existenten Raum, der die Hofburg darstellen soll, sondern sie treten von außen kurz über die Schwelle in ein Inneres, welches bereits aus den vergilbten, Langeweile ausstrahlenden zweidimensionalen Bildern besteht, die vor die Kamera geschoben und zum Takt der Musik geschnitten werden. »Die Atmosphäre ist zum Zeichen geronnen«,10 schreiben Elisabeth Büttner und Christian Dewald. Dieses Zeichen gerinnt in Wien, du Stadt meiner Träume nicht nur in der Erzählung, sondern auch in der verflachten Inszenierung jenes Gedächtnisortes, der ein paar Jahre zuvor in Reinerts Maria Theresia durch seine physische Präsenz noch so geschichtstrunken als Schauplatz in den Mittelpunkt gerückt wurde. Vollkommen entkleidet von jeglicher historischer Referenz wird die Hofburg in einer Reihe von Filmen, die in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre von der Sascha-Film G.m.b.H. produziert wurden. Als Drehorte dieser Produktionen werden das Kongresszentrum und die Albertina genutzt. So zum Beispiel in der Verfilmung der Lustigen Witwe11 unter der Regie von Werner Jacobs. Korrespondenzen zwischen der Sascha-Film und der Verwaltung der Albertina geben Aufschluss über das Ansuchen auf die Durchführung sanfter Umbauarbeiten, um die dem Burggarten zugewandten Gemäuer des Gebäudes in die 10 Büttner, Elisabeth / Dewald, Christian, Anschluß an Morgen. Eine Geschichte des österreichischen Films von 1945 bis zur Gegenwart, Salzburg-Wien 1997, 185. 11 Der Film wurde 1962 uraufgeführt. Melanie Letschnig

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Front eines Pariser Hotels zu verwandeln. So listet die Sascha-Film in einem Schreiben an die Albertina folgende Adaptionsmaßnahmen auf: »1. weißer Anstrich auf unsere Kosten sämtlicher z. Zt. mit einem schon ziemlich verwitterten braunen Anstrich versehenen Tore und Verschallungen [...], 2. Anbringung einer Hotelaufschrift über der Vorfahrt mit dem französischen Namen ›Palace Hotêl‹ [sic!], 3. Anbringung verschiedener Flaggen von der Galerie über der Auffahrt, 4. Auslegung von roten Teppichen hinter dem Haupteingang [...].«12 Dem Film ist zu entnehmen, dass die Adaptionsarbeiten genehmigt wurden. Die Möglichkeit, Abschnitte der Hofburg frei von jahrhundertelang gepflegter staatstragender Konnotation nun als Nutzbau in den Dienst seichter Komödien zu stellen, wird von der Sascha-Film reichlich ausgekostet. So wird – wie im Fall von Jacobs Lustiger Witwe – der Bibliothekshof zur autobefahrenen Zone, die am Sitzgarten eines Cafés in Paris vorbeiführt (Abb. 4), in Charley’s Tante von Géza von Cziffra aus dem Jahr 1963 betritt der Protagonist Dr. Otto Wilder das brasilianische Konsulat durch den Eingang des Kongresszentrums, dessen Entree in Paul Martins Film Hochzeitsnacht im Paradies von 1962 wiederum in die 4: Still aus: Die lustige Witwe

Rolle des mondänen Hotels Ritz Carlton schlüpft. Diesem und den

zuvor genannten Filmen der Sascha-Filmproduktions G.m.b.H. ist nicht nur der Hauptdarsteller Peter Alexander gemein, sondern auch der äußerst pragmatische Umgang mit dem Schauplatz Hofburg, die – zwar immer noch präsent als physischer Ort – doch nicht mehr sie selbst ist. Freigemacht von historischen Bezügen wird kurzzeitig ein Zustand von Gegenwart hergestellt, der so tut, als hätte nicht jahrhundertelang die Monarchie regiert, als wäre nicht zweieinhalb Jahrzehnte zuvor einer auf dem Balkon und vor ihm die Massen gestanden, als hätte Geschichte in Paris, im brasilianischen Konsulat, im Ritz Carlton nie stattgefunden. Die im Kongresszentrum gedrehten österreichischen Filme der 1960er-Jahre sind einem nicht zuletzt räumlichen Eskapismus verfallen, der die Hofburg von ihrer Funktion als Zeitzeugin entbindet.

12 Filmarchiv Austria, 13. September 1962 90

Die Hofburg als Schauplatz im österreichischen Film – ein Streifzug

In den 1970er-Jahren wird diese in den Sascha-Filmen zurechtgebügelte Ober­ fläche der Hofburg in tiefe Falten geworfen, welche die von beschwingter Unterhaltung überlagerten Unbequemlichkeiten wieder einlagern. In Ernst Schmidt Juniors Wienfilm 1896–1976 von 1976 wird die historisch gewachsene Tragweite des Ortes Hofburg in der Montage von Archivbildern und selbst gedrehtem Material evident. Zu sehen sind beispielsweise historische Aufnahmen einer Nazi-Parade am Heldenplatz, gefolgt von Bildern einer »Ausspeisung von Bedürftigen durch die deutsche Polizei«, wie es im Zwischentitel heißt, darüber gelegt die Rezitation von Ernst Jandls Gedicht wien: heldenplatz. Auf diese Sequenz folgen Aufnahmen von Peter Weibel, der ein auf der Parkbank sitzendes älteres Paar interviewt. Folgender Dialog entspinnt sich: Weibel: Guten Tag, ich hätte eine Frage. Wem gehört Wien? Mann: Wem gehört Wien? Jo … Frau: Jo, den Wienern! … Wahrscheinlich … Najo, klor! Wien gehört den Wienern. Weibel: Wenn Wien den Wienern gehört, welches Stück von Wien gehört Ihnen glauben Sie? Frau: Welches Stück? Jo, mei Wohnung. Mehr ghört net mir. Weibel: Wenn Wien den Wienern gehört, können die Wiener mit ihrer Stadt machen, was woin. Mann: Jo, das ist nicht so gemeint, dass ma sagen können, wir können machen was … Frau: Die Wiener können net machen, was woin. Wir miassn machen, was uns vorschreiben. Weibel: Aber dann stimmt auch nicht der Spruch, dass Wien den Wienern gehört. Mann: Jo weil wir da ansässig sind, Bewohner sind ... Frau: Jo irgendwer muss anschaffen, irgendwer, jo, weil wir brauchen a Führung. In jeder Stadt braucht ma a Führung. Der Schnitt zwischen den Aufnahmen vom Heldenplatz und dem eigens für den Film geführten Interview mit dem Ehepaar wird zur Verbindungsnaht, die Vergangenheit und Gegenwart, Residenz und Einfamilienwohnung im Geiste aneinanderschweißt. Als würden sowohl die vom Hofburgareal eingefassten Menschen in den Archivbildern als auch das Ehepaar auf der Parkbank an jenem Aufsatz mitschreiben, den in Robert Musils Mann ohne Eigenschaften im 86. Kapitel mit dem Titel »Der Königskaufmann und die Interessenfusion Seele-Geschäft. Auch: Alle Wege zum Geist gehen von der Seele aus, aber keiner führt zurück« der Unternehmer Paul Arnheim seinem Sekretär diktiert. Thema des Aufsatzes ist »die Übereinstimmung von Staatsbauten und Staatsauffassung«13.

13 Musil, Robert, Der Mann ohne Eigenschaften, Reinbek bei Hamburg 1987, 392. Melanie Letschnig

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Hofburg Heterogen. Kritische Räumliche Praxis als Widersprüchliches Wissen

Elke Krasny

Heterogen In den Jahren 1984 bis 1989 führte mich mein Weg Woche für Woche fast jeden Tag in die Hofburg. Nicht zur Hofburg, nicht durch die Hofburg, sondern in die Hofburg. Als eben an der Universität Wien neu inskribierte Studierende der Theaterwissenschaft, die von einem Austauschjahr aus der von Armut, Arbeitslosigkeit, Brachen und Schrumpfung gezeichneten postindustriellen Stadt Cleveland nach Wien zurückgekehrt war, nahm ich mich jedoch nicht als jemanden wahr, der ins Zentrum der Stadt, in die Hofburg ging. Vielmehr verstand ich mich als auf dem Weg zu meinem Institut. Wiewohl mir die räumliche Lage des Instituts in der Hofburg selbstverständlich bewusst war, überlagerte die Bedeutung, in das Institut zu gehen, die Bedeutung, in die Hofburg zu gehen. Nie hätte ich gesagt, dass ich in die Hofburg gehen müsse. Oft sagte ich, dass ich nun endlich los müsse, um nicht zu spät auf das Institut zu kommen. Den Weg dorthin legte ich meist in Gedanken versunken zurück, die umgebende Stadt wurde en passant, nur im Vorbeigehen registriert. Entweder von der Universität am Dr.-Karl-Lueger-Ring (heute Universitätsring), dann am Burgtheater vorbei und den Volksgarten mit dem Theseustempel querend oder vom Stephansplatz über den Graben und den Kohlmarkt kommend, ging ich aufs Institut. Die barocke Imposanz der dem ­Michaelerplatz zugewandten Nordfassade, nach den Plänen von Joseph Emanuel Fischer von Erlach, wurde von mir nie innehaltend in ihrer Gesamtheit betrachtet, die kühne Konstruktion der Michaelerkuppel als Durchgang gespürt, jedoch kaum eines hinaufschauenden Blickes gewürdigt, hingegen die seltsam niedrigen und breiter als gewöhnElke Krasny

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lichen Stufen in den Stiegenhäusern der Batthyanystiege, die in die Institutsräumlichkeiten führten, die schwer zu öffnenden, oval geformten Fenster mit ihren Holzrahmen und die Verwinkeltheit der Gänge, in die sich die zeitgenössischen Einbauten, wie eine Anschlagtafel mit Informationen oder Kübel für den Abfall, nur sperrig einfügten, sehr wohl intensiv wahrgenommen.1 Erst allmählich wurde mir die geschichtspolitische Dimension der Verortung der Institutsräumlichkeiten in der Wiener Hofburg in ihrer Brisanz und ihrer Unheimlichkeit bewusst.2 Der Begriff des Unheimlichen folgt Sigmund Freuds Verbindung des Vertrauten mit dem Unvertrauten im Unheimlichen.3 Während des Faschismus war das Institut für Theaterwissenschaft im Rahmen der nationalsozialistischen Kulturpolitik von Reichsstatthalter Baldur von Schirach gegründet worden. 1943 wurde Heinz Kindermann, der seit 1933 Mitglied der NSDAP gewesen war,4 als ordentlicher Professor an das Institut berufen. Zur Zeit meines Studiums war von diesen geschichtspolitischen Verstrickungen der Theaterwissenschaft in den Räumlichkeiten der Hofburg in Gesprächen mit anderen Studierenden die Rede, jedoch nicht offiziell in Vorlesungen oder Seminaren. Es fanden sich keinerlei Hinweise in den Räumen, wie die Gründungsgeschichte im Jahr 1943 vonstattengegangen war, warum das Institut in der Hofburg situiert war oder wie die gegenwärtige Positionierung zur NS-Vergangenheit räumlich, ideologisch, wissenschaftskritisch, geschichtspolitisch zu bearbeiten sei. 2014 findet sich auf der Website des Instituts für Theater-, Film- und Medienwissenschaft, kurz tfm, ein von Birgit Peter verfasster Text zur »NS-Geschichte des Instituts«: »Diese Theaterwissenschaft wollte den Führungsanspruch deutscher Kultur als europäische Leitkultur legitimieren und praktizieren. Im Mai 1945 wurde er [Kindermann, Anmerkung der Autorin] zwar seiner Professur enthoben und als Direktor abgesetzt, 1

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Auf der Website des Instituts für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien befindet sich oberhalb einer planlichen Darstellung der Räumlichkeiten in der Hofburg auch folgende Wegbeschreibung für Studierende: »In die Hofburg-Räumlichkeiten des Instituts für Theater-, Film- und Medienwissenschaft gelangen Sie am besten über den Michaelerplatz. Sie nehmen denselben Eingang wie zum Sisi-Museum – unter der Michaelerkuppel – (derzeit wegen Bauarbeiten verlegt) gehen dort allerdings rechter Hand in das Stiegenhaus der Batthyanystiege. Das Sekretariat befindet sich im Mezzanin, die Seminarräume (Jura Soyfer- und Schreyvogelsaal) und die meisten Dienstzimmer befinden sich im ersten Stock.« Meier, Monika / Roessler, Peter / Scheit, Gerhard / Antifaschistische Arbeitsgruppe (Hg.), Theater – Wissenschaft und Faschismus, Wien-Berlin 1981; Peter, Birgit, Theaterwissenschaft als Lebenswissenschaft. Die Begründung der Wiener Theaterwissenschaft im Dienst nationalsozialistischer Ideologieproduktion, in: Hulfeld, Stefan / Peter, Birgit (Hg.), Theater / Wissenschaft im 20. Jahrhundert. Beiträge zur Fachgeschichte (Maske und Kothurn. Internationale Beiträge zur Theater-, Film- und Medienwissenschaft 55, 1/2), Wien-Köln-Weimar 2009, 193–212. Vgl. Freud, Sigmund, Das Unheimliche [1919], in: Sigmund Freud. Psychologische Schriften, Studienausgabe Band IV, Frankfurt am Main 1982, 241–274. Klee, Ernst, Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Frankfurt am Main 2007, 306.

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doch 1954 wieder eingesetzt. Er wurde mehrheitlich als ›einer der profundesten Kenner der europäischen Theaterwissenschaft‹ gewürdigt, seine NS-ideologischen Grundlagen ausgeklammert. Margret Dietrich, Schülerin Kindermanns, 1952 mit einer dem NS-anthropologischen Menschenbild geschuldeten Arbeit habilitiert, folgte ihm 1966 als Ordinaria und Institutsleiterin. Distanzierung zur Tätigkeit für den NS-Wissenschaftsbetrieb und selbstkritische Reflexion der entwickelten Kategorien und Deutungsmuster erfolgte weder in Forschung und Lehre von Kindermann und Dietrich. Ihre Geschichte im Nationalsozialismus lebte als Tabu fort und prägte so maßgeblich mehrere Generationen an Studierenden. Bereits bei der Wiedereinsetzung Kindermanns 1954 artikulierte sich studentischer Widerstand, der jedoch immer als Meinung einer verschwindenden Minderheit von sich gewiesen wurde. Auch die offene Konfrontation und nachhaltige Empörung, als 1981 die drei Studierenden Peter Roessler, Monika Meier und Gerhard Scheit den Band Theaterwissenschaft und Faschismus veröffentlichten, verdeutlicht eine gesellschaftliche Situation, die mit dem Begriff ›postnazistisch‹ am besten beschrieben werden kann.«5 Die Komplexitäten der geschichtspolitischen Verstrickungen waren in der Hofburg während meiner Studienjahre zwischen 1984 und 1989 gleichzeitig anwesend (inoffiziell, informell) und abwesend (offiziell, formell). Die jüngere und jüngste Zeitgeschichte wurde im Stehen auf den Gängen des Instituts diskutiert oder zwischen den Bänken vor einer Vorlesung oder auf den Stühlen, noch sitzen bleibend, nachdem ein Seminar bereits zu Ende war. Informell, inoffiziell, in Zwischenzeiten, in Zwischenräumen wurde das Wissen um die Heterogenität des Ortes, an dem ich mich als Studierende gemeinsam mit anderen Studierenden befand, in Gesprächen vermutet, weitergegeben, erörtert. Die Widersprüche, die sich nicht auflösen ließen / nicht auflösen lassen, wurden außerhalb der offiziellen Vorlesungs- oder Seminarzeit, oft auch außerhalb der offiziell für das Studium vorgesehenen Räume erfasst. Retrospektiv. Michel Foucault spricht von den Diskontinuitäten des Wissens, davon, dass Epistemologie eine retrospektive Geschichte (histoire récurrente) ist.6 Mehr intuitiv denn methodologisch, mehr vermutend denn wissend, mehr praktizierend denn theoretisch, wurde von den Studierenden auf den Gängen des Instituts die Retrospektion zur Erkenntnis von (Dis-)Kontinuität. Sie diskutierten Widerspruch, Heterogenität und Unheimliches in der Geschichte der Institutsräumlichkeiten, in denen sie studierten. Faschismus und Terrorismus waren die Begriffe, die von vielen in den Gesprächen verwendet wurden, wenig Fakten, viele Vermutungen, wenig Klarheit, viele Ungewissheiten. Faschismus, das wurde mit den Namen Kindermann und Dietrich in Verbindung 5 6

Peter, Birgit, Zur NS-Geschichte des Instituts, http://tfm.univie.ac.at/institut/institutsgeschichte/ (8.3.2014). Vgl. Foucault, Michel, Die Ordnung der Dinge, Frankfurt am Main 1974 [frz. Original: Les mots et les choses, Paris 1966]. Elke Krasny

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gebracht. Terrorismus, das war die Palmers-Entführung und die Investigationen, die in das Institut führten und dieses nach den Verstrickungen in die NS-Zeit und den ideologischen Wissensproduktions-Kontinuitäten nach 1945 in den 1970er-Jahren nun plötzlich zu einem dem Verdacht und der Überwachung ausgesetzten Ort der radikalen Linken und des revolutionären Diskurses gemacht hatten. »Am 9. November 1977 gegen halb neun Uhr abends wird der 74-jährige Walter Michael Palmers vor seiner Villa in Wien-Währing entführt. Am 13. November gegen zehn Uhr abends wird er nach Zahlung eines Lösegelds in der Höhe von umgerechnet rund zweieinviertel Millionen Euro in der Nähe eines Hotels in Wien-Hietzing auf freien Fuß gesetzt. Am 23. November werden Thomas Gratt und Othmar Keplinger in Chiasso an der schweizerisch-italienischen Grenze festgenommen. Am 29. November folgt die Festnahme von Reinhard Pitsch in Wien.« [Gratt war Student am Institut für Theaterwissenschaft, Anmerkung der Autorin.]7 Die verdrängte, nur zögerlich wissenschaftlich recherchierte NS-Verstricktheit der in den Institutsräumlichkeiten lehrenden Professorinnen und Professoren, des dort bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg verbreiteten, von der faschistischen Ideologie kontaminierten Wissens, wurde von den Studierenden meiner Generation ebenso besprochen wie die polizeiliche Überwachung des Telefons von Wolfgang Greisenegger,8 der zum Zeitpunkt der Palmers-Entführung Assistent am theaterwissenschaftlichen Institut war. Die Brüchigkeit des Wissens, die Produktion von Wissen als Territorium der Geschichtspolitik, als unheimliches, unsicheres Terrain der Vermessungen zwischen Machtverhältnissen und Ideologie, zwischen Kontinuitäten und Diskontinuitäten, habe ich am Ort meines Studiums in der Wiener Hofburg erfahren. Diese Erfahrung nahm ich mit in zukünftige Forschungsfragen zwischen Theorie und Praxis, zwischen Empirie und Epistemologie. Die Räumlichkeiten des Instituts für Theaterwissenschaft speichern für mich noch andere Wissenserinnerungen, an Seminare und Vorlesungen, an Wissen, das von hier aus verbreitet wurde. Ich hörte von Antonin Artaud, Ariane Mnouchkine, Pier Paolo Pasolini, Allan Kaprow. Ich hörte von Luce Irigaray, Julia Kristeva, Eva Meyer, Gerburg Treusch-Dieter, Christina von Braun. In ihren Seminaren verdeutlichte die am Theaterwissenschaftsinstitut lehrende Monika Meister die Unterschiede zwischen Theorie und Geschichte, erweiterte den Horizont in Richtung epistemologischer Probleme, psychoanalytisch motivierter Lesarten und feministischer Forschung. Heterogenität bestimmt den Ort. Ein Ort ist nicht ein Ort. Ein Ort ist viele Orte in seinen politischen und ideologischen Widersprüchen. Aus dieser Studienerfahrung, im 7

Freitag, Wolfgang, Thomas Gratt. Nicht einmal Pfadfinder, in: Die Presse, Spectrum, 15.9.2005, online: Wolfgang Freitag, http://bit.ly/1lIXESy (31.1.2014). 8 Ebenda.

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doppelten Sinne als Erfahrung während meines Theaterwissenschaftsstudiums und als Erfahrung, die durch das intensive Studium des Ortes meines Studiums entstand, drängten sich Fragen auf, die ich heute als Theoretikerin immer noch für entscheidende und unauflösbare erachte. Wie kann Heterogenität, Widerspruch, das Nichteinssein eines Ortes, sowohl beschreibend wie theoretisierend erarbeitet werden, ohne Heterogenität und Widerspruch durch Analysen und Darstellung zum Verschwinden zu bringen? Klärungen bergen die Gefahr der Eindeutigkeit. Widersprüche halten das Unheimliche innerhalb der Epistemologie aufrecht. Allein auf der Ebene der Repräsentation und ihrer Kritik, wie sie die postmoderne Theoriebildung der 1990er-Jahre konsequent entwickelte, lässt sich dies nicht auflösen. Das Verhältnis zwischen Empirie und Epistemologie lässt sich nicht auf der Ebene der Repräsentation dessen, was Raum ist, verhandeln oder lösen. Vielmehr gilt es, das Antagonistische, von dem Chantal Mouffe spricht, praktisch und theoretisch in das Verhältnis selbst einzubringen.9 Die Unaufgelöstheit der Heterogenität und der Widerspruch, der sich zwischen Empirie als Erhebung der Lage der Fakten und Epistemologie als Wissensproduktion über die Erhebung der Lage der Fakten auftut, bilden gemeinsam die Spannung, die kritische Theorie verstanden als kritische Praxis in und zu den untersuchten Orten aufrechterhält, wenn sich der historiografische Anspruch mit dem Denken von der Gegenwart aus verbindet.

Kritische Räumliche Praxis Die Architekturhistorikerin und Architekturtheoretikerin Jane Rendell führte den Begriff critical spatial practice 2006 in ihrem Buch Art and Architecture: A Place Between ein.10 Sie bezieht sich auf die kritische Theorie der Frankfurter Schule, erweitert diese um feministische Positionen und hebt Selbst-Reflexivität als Verfahren, gesellschaftliche, politische, räumliche Verhältnisse zu verändern, hervor. Die Eigenschaft, Zwischenräume zu bilden (interstitial), charakterisiert Rendells methodische Vorgangsweise. In einem Text aus dem Jahr 2012 mit dem Titel »Critical Spatial Practices: A Feminist Sketch of some Modes and what Matters« zitiert Rendell folgendes Gespräch zwischen Gilles Deleuze und Michel Foucault aus dem Jahr 1972: »In a fascinating conversation between philosophers Gilles Deleuze and Michel Foucault that took place in 1972, Deleuze reveals quite directly, though certainly abstractly, how he comprehends a ›new relation between theory and practice‹. Rather than understanding practice as an application of theory or 9 Vgl. Mouffe, Chantal, Agonistics. Thinking the World Politically, London 2013. 10 Vgl. Rendell, Jane, Art and Architecture. A Place Between, London-New York 2006. Elke Krasny

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as the inspiration for theory, Deleuze suggests that these ›new relationships appear more fragmentary and partial‹ and discusses their relationships in terms of what he calls ›relays‹. ›Practice is a set of relays from one theoretical point to another, and theory is a relay from one practice to another. No theory can develop without eventually encountering a wall, and practice is necessary for piercing this wall‹.«11 Die Wände, die, wie Deleuze sagt, durch die Praxis durchstoßen werden müssen, sehe ich in den Wänden des Instituts für Theaterwissenschaft, physisch gebaut, aber auch, im übertragenen Sinne, errichtet aus Ideologie und Geschichtspolitik. Diese Institutswände sind Teil der Wände der Hofburg. Sie werden zu Einwänden, so die kritische räumliche Praxis sich auf die Spuren einlässt, die in den Zwischenräumen und Zwischenzeiten eines Ortes in der Erinnerung an Ephemeres, an flüchtige Gespräche, Diskussionen oder Debatten, an vorübergegangene Seminare oder Vorlesungen verfolgbar werden. Ihre kritische räumliche Praxis, die, wie Rendell mit Deleuze gezeigt hat, immer Theorie UND Praxis ist, erweiterte sie zu einem Verfahren des Site-Writing12, des kritischen und analytischen Erschreibens von Orten, wie diese vor allem durch künstlerische Arbeiten in ihren Differenzen zur Erscheinung gebracht werden. Für meine eigene Arbeit des Schreibens von und mit Orten interessiert mich ortsspezifische UND zeitspezifische Theoretisierung mit und durch künstlerische Arbeiten ebenso wie Arbeiten an vergegenwärtigter Erinnerung mit und durch Geschichtspolitiken, die zwischen Empirie und Epistemologie Ortsmächtigkeit / Ortsohnmächtigkeit reflektierbar machen. 2010 war ich eingeladen, bei dem Symposium »Die Wiener Hofburg – ›Der eigentliche Mittelpunkt der Stadt‹? (Rudolf von Eitelberger) Stadtleben und Residenz im Wien des 19. Jahrhunderts«, das von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften veranstaltet wurde, zu sprechen. Ich wählte für meinen Vortrag den Titel »Hofburg: Zitate, Transfers und poröse Durchlässigkeiten« und setzte in meiner kritischen räumlichen Praxis auf Heterogenität und Widersprüchlichkeit durch die methodische Verschränkung von Zwischenzeitlichkeit und Zwischenräumlichkeit. Nach diesem Symposium las ich Jane Rendells Analyse »Trafalgar Square: Détournements«. Mit diesem Text führt Rendell vor, wie sie Leserinnen und Leser durch Umwege leitet, die situationistische Praxis des Détournements im Schreiben einsetzt und dadurch eine Dezentrierung des Zentrums betreibt.

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Rendell, Jane, Critical Spatial Practices: A Feminist Sketch of some Modes and what Matters, in: Brown, Lori A. (Hg.), Feminist Practices. Interdisciplinary Approaches to Women in Architecture, London 2011, 21. 12 Vgl. Rendell, Jane, Site-Writing. The Architecture of Art Criticism, London-New York 2011. 98

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»These detours interrupt and subvert the dominant operations of power in this urban place, working through site-writing to decentre the sculptures from their position in a square which aims to maintain itself at the centre of empire.«13 Dezentrierung ist ein probates Verfahren, Heterogenität und Widerspruch zwischen Empirie und Epistemologie zu erzeugen. Der von den Veranstaltern für das Symposium des Jahres 2010 gewählte Titel »Die Wiener Hofburg – ›Der eigentliche Mittelpunkt der Stadt‹?« ließ mich hellhörig werden für das Zentrum. Hier galt es, mit Jane Rendells Dezentrierung gegenzuwirken. Für dieses Dezentrieren konzentriere ich den vorliegenden Text »Hofburg Heterogen« auf die Erfahrbarkeit der Widersprüche an einem Ort in der Wiener Hofburg, in den Räumlichkeiten des Theaterwissenschaftsinstituts. Meine biografische Ortserfahrung der Institutsräumlichkeiten der Theaterwissenschaft in der Hofburg bildete den Ausgangspunkt für die reflexive Orts-Erschreibung als kritische räumliche Praxis.

Widersprüchliches Wissen Meine vorbereitenden Recherchen für den Vortrag »Hofburg: Zitate, Transfers und poröse Durchlässigkeiten« führten mich 2010 auf den Heldenplatz. Ich fotodokumentierte die dort vorhandenen, informell angebrachten Nachrichten des öffentlichen Raums. Mit diesen lässt sich argumentativ sichtbar machen, dass das Antagonistische, von dem Chantal Mouffe spricht, präsente Artikulationen im öffentlichen Raum annimmt. Zwei dieser widerständigen, politisch motivierten Nachrichten des Jahres 2010 veröffentliche ich als visuelle Zitate aus dem öffentlichen Raum in diesem Text. Unweit des Eingangs zur Österreichischen Nationalbibliothek findet sich per Sticker der Hinweis auf die Anarchistische Bibliothek, die sich in der Lerchenfelder Straße befindet. Vis-à-vis zum Eingang der Präsidentschaftskanzlei findet sich auf einem mobilen Verkehrsschild der Aufkleber »für die Anarchie – kein Gott – kein Staat – kein Patriarchat«. Zufall ist ausgeschlossen. Beide Aufkleber sind in ihrer Verweislogik mit Bedacht strategisch platziert. In Vorbereitung auf diesen Beitrag unternahm ich eine erneute Dokumentation. Viele der Sticker gegen Rassismus, für Feminismus, gegen Patriarchat, für Migration sind bereits wieder verschwunden. Man sieht, dass physische Arbeit investiert wurde, um die Gegen-Botschaften zum Verschwinden zu bringen, abzukratzen, abzuschaben, abzureißen. Auf einem der rot-weißen Pfosten, der sich in der Nähe des Ausgangs vom Heldenplatz Richtung Ringstraße auf der Höhe der Volksgarten-Diskothek befindet, lässt sich noch ein Aufkleber ausmachen, der den Widerstand gegen die Schwarz13 Rendell, Jane, Trafalgar Square: Détournements, in: Site-Writing. The Architecture of Art Criticism, London-New York 2010, 225. Elke Krasny

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1: Heldenplatz, Anarchistische Bibliothek Wien, 2010 (Foto: Elke Krasny)

2: Heldenplatz, für die Anarchie – kein Gott – kein Staat – kein Patriarchat, 2010 (Foto: Elke Krasny)

3: Heldenplatz, Widerstand gegen Blau-Schwarz, 2014 (Foto: Elke Krasny)

4: Heldenplatz, Free Pussy Riot, 2014 (Foto: Elke Krasny)

Blaue Koalition, die in Österreich auf Bundesebene im Februar 2000 von den Regierungsparteien ÖVP und FPÖ gebildet wurde, zum Ausdruck bringt. Im Februar 2014 gibt es im Vergleich zu 2010 nicht eben viele, aber doch einige neue Aufkleber. »Free Pussy Riot!« steht auf einem der neuen Sticker. Pussy Riot ist eine feministische, regierungskritische, kirchenkritische Punkrock-Band aus Moskau. 2012 wurden drei der Mitglieder von Pussy Riot verhaftet, Jekaterina Samuzewitschs Haftstrafe wurde in eine Bewährungsstrafe 100

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umgewandelt, Marija Aljochina und Nadeschda Tolokonnikowa wurden im Dezember 2013 freigelassen. Dieser Sticker befindet sich in nächster Nähe zur Präsidentschaftskanzlei im Leopoldinischen Trakt der Hofburg, nicht weit von dem Standort, wo zwei Jahre früher noch »für die Anarchie – kein Gott – kein Staat – kein Patriarchat« zu lesen gewesen war. Die kritischen und geschichtspolitischen Zusammenhänge in den Widerständen gegen Kirche, Staat, Patriarchat zwischen diesen beiden informell veröffentlichten Artikulationen in der Distanz der historischen Abfolge in unmittelbarer räumlicher Nähe angebracht, werden in den engen Verbindungslinien, die sich zwischen ihnen auftun, erst durch mein Begehen, Recherchieren, Fotografieren, Lesen und Beschreiben hergestellt. »Hofburg Heterogen« bedarf der kritischen räumlichen Praxis, immer in Fortsetzung gedacht, nie mit dem Ende eines Schlussstrichs. Würde ein Schlussstrich gezogen, widerspräche dies den Anforderungen, die aus der hier vorgeführten kritischen räumlichen Praxis an die, die sie praktizieren, erwachsen.

Elke Krasny

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Was aus der Idee des Kaiserforums wurde. Zur Geschichte des Museumsquartiers seit den 1980er-Jahren

Thomas Trenkler

An der Hofburg, spätestens 1275 von Ottokar II. Přemysl, dem Böhmenkönig, gegründet, wurde unablässig weitergebaut. Das Ende der Monarchie bedeutete bloß eine Zäsur: Bis heute hinterließ jede Epoche Spuren – und auch jedes politische System. In der Zeit des Ständestaats (Austrofaschismus) zum Beispiel gestaltete Rudolf Wondraček das Äußere Burgtor zum Heldendenkmal für die Opfer des Ersten Weltkrieges um, links und rechts vom Burgtor entstanden die Pylonenportale mit Adlerskulpturen von Wilhelm Frass. In der Zweiten Republik wurde im Festsaaltrakt ein Kongresszentrum eingerichtet (1958), in der Neuen Burg die Moderne Bibliothek der ÖNB (1966). Nach dem Brand der beiden Redoutensäle im November 1992 wurde der eine bis 1998 originalgetreu restauriert, der andere renoviert. Den Dachstuhl baute Architekt Manfred Wehdorn zu einem 3.500 Quadratmeter großen Foyer aus. Die größte Baumaßnahme der Republik Österreich stellt aber die Errichtung des MuseumsQuartiers dar, das mit einer Gesamtfläche von 60.000 Quadratmetern zu den weltweit zehn größten Kulturarealen gezählt wird: Inmitten einer barocken Anlage, der ehemaligen Hofstallungen des österreichischen Baumeisters Johann Bernhard Fischer von Erlach mit ihrer streng symmetrischen, 355 Meter langen Fassade, entstand um die Wende zum 21. Jahrhundert ein Ensemble aus alter und neuer Architektur. Es wird bestimmt von einem ausladenden Innenhof, dem größten geschlossenen Platz von Wien, und drei Solitärbauten: dem Leopold Museum, dem Museum moderner Kunst sowie der Veranstaltungs- samt KUNSTHALLE. Das Areal beherbergt aber noch zahlreiche weitere kulturelle Einrichtungen – darunter das Architekturzentrum Wien, das ZOOM Kindermuseum, das Tanzquartier, den DSCHUNGEL WIEN, das designforum, das Thomas Trenkler

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quartier21 – sowie die nötige Infrastruktur (Restaurants, Cafés, Museumsshops und eine Buchhandlung). Heute ist das MuseumsQuartier eine Selbstverständlichkeit. Es zu realisieren aber war kein leichtes Unterfangen: Denkmalschützer kämpften um den Erhalt der alten Substanz – ungeachtet dessen, dass auch die Hofstallungen immer wieder erweitert und verändert worden waren. Die Geschichte im Zeitraffer:1 1977 zieht man das erste Mal in Betracht, die Hof­ stallungen für eine Kapazitätserweiterung der benachbarten Bundesmuseen zu verwenden, 1983 wird die Nutzung als Kulturforum festgelegt, 1986 ein zweistufiger Architekturwettbewerb ausgeschrieben. 1989 prägt Wissenschaftsminister Erhard Busek (ÖVP) den Begriff »Museumsquartier«, der inhaltliche Schwerpunkt liegt nun auf der zeitgenössischen Kunst und Kultur. Im April 1990 empfiehlt die Jury den Entwurf von Laurids und Manfred Ortner einstimmig zur Ausführung. Dieser sieht unter anderem zwei Türme (einen schlanken mit elliptischem Grundriss für die Bibliothek und einen zylindrischen für Büros) vor (Abb. 1). Doch bereits wenige Wochen später, noch im Sommer 1990, formiert sich eine Bürgerinitiative. Im Herbst jenes Jahres wird das Projekt erstmals redimensioniert: Der Büroturm fällt.

1: Ortner & Ortner, Museumsquartier, Wettbewerbsentwurf (2. Stufe), Modell, 1990 (Foto: F. Schachinger)

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Ausführlich in: Trenkler, Thomas, Das MuseumsQuartier Wien, Wien 2009, 19–24.

Was aus der Idee des Kaiserforums wurde. Zur Geschichte des Museumsquartiers seit den 1980er-Jahren

Im Jänner 1991 erwägt die Bürgerinitiative, unterstützt von der FPÖ, mit 6.000 Unterschriften Klage wegen Verstoßes gegen das Denkmalschutzgesetz einzureichen. Im September 1992 startet die Kronen Zeitung ihre Kampagne gegen das Museumsquartier.2 Bernd Lötsch, Motor der Bürgerinitiative, bezeichnet das Projekt als »Tumor«.3 »Ein hochwertiges Ensemble soll durch Industrie-Architektur entstellt werden.« Man lässt keine Gelegenheit aus, gegen den »Kulturreaktor samt Schlot« Stimmung zu machen. Im Jänner 1993 erfolgt die zweite Redimensionierung: Der Leseturm wird von 67 auf 56 Meter gekürzt, die Kubatur des Museums moderner Kunst um 20 Prozent verringert. Aber die Kampagne der Kronen Zeitung gegen das »Museumsmonster« wird noch ­massiver. Im Frühjahr 1993 werden die Planungsarbeiten eingestellt. Bürgermeister Helmut Zilk und sein designierter Nachfolger Michael Häupl (beide SPÖ) kritisieren den Ortner-Entwurf samt Leseturm – und propagieren ein GuggenheimMuseum jenseits der Donau, entworfen von Hans Hollein: »Das nenne ich Architektur!«, so Zilk im Oktober 1994 gegenüber der Zeitschrift News. Und Häupl meint: »Das Projekt von Ortner, der Leseturm, ist nicht Ausdruck sozialistischer Kulturpolitik, sondern Schrott.«4 Im März 1995 wird eine neue Baumassenstudie (dritte Redimensionierung) vor­ gestellt: Die Kubatur ist gegenüber dem Wettbewerbsprojekt um die Hälfte verkleinert, der Turm gekappt, die maximale Höhe beträgt 24 Meter. Das Museum moderner Kunst verliert ein Stockwerk, die Grundfläche ist um 25 Prozent kleiner. Die Brüder Ortner gehen eine Arbeitsgemeinschaft mit Manfred Wehdorn, einem Experten für Denkmalschutz, ein. Die Neuplanung beginnt. Die Winterreithalle wird zur Veranstaltungshalle, für die Kunsthalle ist ein eigenes Gebäude vorgesehen. Im Juli 1995 werden die Vor­entwürfe beim Bundesdenkmalamt eingereicht. Im März 1996 empfiehlt der Beirat des Denkmalamtes unter dem Vorsitz des Architekten Gustav Peichl mit 3:2 Stimmen die Umsetzung. Im Juni 1997 reicht die Errichtungsgesellschaft die endgültigen Pläne ein. Der positive Bescheid wird im Oktober 1997 ausgestellt. Im April 1998 erfolgt der Baubeginn. ­Laurids Ortner plädiert im Februar 1999 für die Realisierung einer 60 Meter hohen, von Licht umfluteten Säule als Ersatz für den Leseturm. Bürgermeister Häupl ist dagegen: Er will vom beschlossenen Projekt keinen Meter abweichen – und schon gar nicht nach oben. Im Jänner 2001 werden die Neubauten den künftigen Nutzern übergeben. Die ­offizielle Eröffnung des Areals findet Ende Juni statt. Im September 2002 wird die Renovierung der alten Substanz abgeschlossen und das quartier21 eröffnet. In den darauffolgenden Jahren kommen noch kleinere Institutionen hinzu, darunter der DSCHUNGEL Wien.

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Vgl. Thurnher, Armin, Freunde, Muthgassen-Römer, Landsleute: Wir leben in großen Zeiten, in: Zur Sache. Zeitschrift für Kunst- und Kulturpolitik, 1 (1995), Heft 0, 47–50. Kronen Zeitung, 8. September 1992. Diese »Geschmacksurteile« und andere Vorkommnisse veranlassen Dietmar Steiner zu einem Kommentar mit dem Titel »Gezielte Fehlinformation«, in: Profil, 7.11.1994, Heft 45/94. Thomas Trenkler

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Das Projekt von Ortner & Ortner wurde also jahrelang bekämpft. Man warf den Architekten unter anderem unsensiblen Umgang mit der historischen Bausubstanz vor. Und man kritisierte, dass die beiden Monolithe, das Museum moderner Kunst und das Leopold Museum, keine Rücksicht auf die gewachsenen Strukturen nähmen. Doch die Brüder Ortner hatten ihre Gründe, warum sie die beiden großen Gebäude nicht parallel zur Winterreithalle platzierten. Um diese zu verstehen, müssen wir Mitte des 19. Jahrhunderts ansetzen. Unter Kaiser Franz Joseph änderte sich das Erscheinungsbild der Hofburg ein letztes Mal entscheidend. Ende 1857 ordnete er die Schleifung der militärisch längst überflüssigen Stadtmauer an und gab das Glacis zur Bebauung frei: Es entstand die vier Kilometer lange, 57 Meter breite Ringstraße mit ihren Palais und Prachtbauten. 1862 schlug der Architekt Ludwig Förster vor, auf der Fläche zwischen der Hofburg und den Hofstallungen nicht Nutzbauten zu errichten, sondern die Hofmuseen, also das Kunstund das Naturhistorische Museum. 1864 stimmte Franz Joseph zu. 1869 konnte Gottfried Semper gewonnen werden, ein Konzept für ein »Kaiser­forum« zu entwickeln, allerdings musste er auf Wunsch des Kaisers ein bereits vorhandenes Projekt als Ausgangsbasis heranziehen. Dadurch kam es zur unfreiwilligen und nicht friktionsfreien Zusammenarbeit mit Carl von Hasenauer. Der neue Plan, noch im gleichen Jahr vorgelegt (und 1871 abgeändert), sah einen dem Leopoldinischen Trakt vorgelegten Thronsaalbau vor, von dem im rechten Winkel zwei mächtige geschwungene Flügel ausgehen (Abb. 2). Sie sollten mit den beiden Museen durch zwei triumphbogenartige Bauten über den Ring verbunden sein. 1871 wurde mit den Erdaushebungen für die Museen begonnen, 1881 genehmigte Franz Joseph den Bau des »Kaisergartenflügels«, der sich als arbeitsintensiv und kostspielig herausstellte, da 25 Meter in die Tiefe gegraben werden musste. 1889 wurde das Naturhistorische Museum eröffnet, zwei Jahre später das Kunsthistorische. Zum 50-Jahre-Regierungsjubiläum von Franz Joseph im Jahr 1898 war der Kaisergartenflügel noch immer in Bau. Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Este, der Thronfolger, nahm das Projekt 1906 in die Hand und sprach sich wenig später gegen die Errichtung des Thronsaalbaus aus. Ab 1910 wurde stattdessen ein weit kleinerer Festsaaltrakt errichtet, der den Zeremoniensaal mit der Neuen Burg verbindet. Zudem gab man den zweiten Flügel auf; auch der Plan, ihn durch eine Säulenkolonnade zu ersetzen, wurde schließlich fallen gelassen. Damit sollte das Kaiserforum von Semper und Hasenauer für immer unvollendet bleiben. Die Mittelachse des streng symmetrisch angelegten Kaiserforums führt vom Michaelertor nicht nur zum Haupteingang des MuseumsQuartiers, sondern über die ehemaligen Hofstallungen hinaus auf den dahinter liegenden Spittelberg: Im Hof der Stiftskaserne befindet sich ein zylindrischer Flakturm aus Stahlbeton, der während des Zweiten Weltkriegs (als einer von sechs in Wien) von Hitlers Baumeister Friedrich Tamms 106

Was aus der Idee des Kaiserforums wurde. Zur Geschichte des Museumsquartiers seit den 1980er-Jahren

2: Gottfried Semper und Carl Hasenauer, Vogelschau des Kaiserforums, 1869

errichtet wurde. Er sollte nach dem Endsieg eine »Totenburg«, ein riesiges Mausoleum für die gefallenen Soldaten, werden – als Schlusspunkt des Kaiserforums. Tamms plante, den Turm entlang der äußersten Kante, also der weit ausgreifenden Bastionen, mit schwarzem Marmor, der bereits ausgesucht worden war, zu verkleiden. Die Hofstallungen fügen sich aber nur zum Schein in das rund 150 Jahre später geplante Kaiserforum ein: Sie liegen nicht ganz im rechten Winkel zu den beiden Museen (und der Neuen Burg). Denn Johann Bernhard Fischer von Erlach hatte als Bezugspunkt für sein Gebäude die Alte Burg genommen – und nicht, wie die Architekten der Gründerzeit, den Michaelerplatz. Da die klassizistische Winterreithalle parallel zum Fischer-vonErlach-Trakt errichtet wurde, liegt sein Mittelrisalit natürlich nicht mehr auf der Achse Michaelerplatz – Maria-Theresien-Platz. Das Leopold Museum hingegen (links von der Winterreithalle) nimmt die orthogonale Ordnung der beiden Hofmuseen auf und dockt damit an die Achse des Kaiserforums an (Abb. 3).5 Auch der Kubus für das Museum moderner Kunst ist der Platzmitte zugewandt – sogar etwas stärker als das Leopold Museum. Aber selbst diese Drehung ist kein ­Willkürakt: Das Gebäude übernimmt die Bebauungsstruktur des Spittelbergs. Im Gegensatz zum Leopold Museum, das sich an der kaiserlichen Pracht orientiert, verweist es auf die bürgerliche Kultur, in der schließlich die Moderne ihre Wurzeln hat. Das MuseumsQuartier ist daher eine Art Transformator. 5

Friedrich Achleitner publizierte mehrere Beiträge über die Architektur des MuseumsQuartiers, darunter: Achleitner, Friedrich, Gegensätze und Ambivalenzen, in: Architektur aktuell 6 (2001), 105f. Thomas Trenkler

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3: Luftbild des MuseumsQuartiers

Das Museum moderner Kunst mit seiner gekrümmten Dachfläche, der dunkelgrauen ­Basaltlava und den schmalen Fensterschlitzen steht geradezu in Opposition zum Leopold Museum. Es wirkt wie eine schwer einnehmbare Burg. Zusätzlich klafft zwischen der Fassade und dem Platz eine schmale Fuge: Sie gibt den Blick in die Tiefe frei. Denn das Museum musste »in den Boden gedrückt«6 werden, so der Architekturtheoretiker Friedrich Achleitner, um die Silhouette nicht zu stören: Beide Museumsbauten waren ja nach den Protesten der Denkmalschützer mehrfach redimensioniert worden. Darin liegt auch begründet, warum die Museen von außen kaum wahrzunehmen sind: Die Höhe durfte jene des Fischer-von-Erlach-Trakts nicht überschreiten. Bedauerlich ist, dass bis heute kein sichtbares Zeichen – ein Turm, eine Säule – als Bekenntnis zur zeitgenössischen Architektur und zum MuseumsQuartier gesetzt werden durfte. Im Frühjahr 2014 fiel zumindest die Entscheidung, auf dem Dach des Leopold Museums einen weitgehend transparenten, 600 Quadratmeter großen Veranstaltungsraum namens »MQ Libelle« samt Terrasse zu errichten. Das sechs Millionen Euro teure Projekt soll ohne öffentliche Mittel finanziert und im Herbst 2016 eröffnet werden.

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Achleitner, Friedrich, Vom Donaukalk zur Basaltlava, 2001.

Was aus der Idee des Kaiserforums wurde. Zur Geschichte des Museumsquartiers seit den 1980er-Jahren

Vom Werden und vom Zustand österreichischer Kulturpolitik anhand des MuseumsQuartiers Wien

Michael Wimmer

Wollte man nach einem Sinnbild für den institutionellen Rahmen suchen, in dem kulturpolitisches Handeln in Österreich stattfindet, dann ließe sich kein besseres als das des Amtssitzes des Bundespräsidenten finden. Seit 1946 führt der Präsident der demokratisch verfassten Republik Österreich seine Amtsgeschäfte im Arbeitszimmer von Josef II.; Angelobungen hoher Staatsfunktionäre erfolgen im Schlafzimmer Kaiserin Maria Theresias im Leopoldinischen Trakt der Wiener Hofburg. Durch denkmalpflegerische Auflagen bis hin zu den Einrichtungsdetails geschützt, erzwingt das historische Ambiente den Fortbestand einer imperialen Fassung für den obersten Repräsentanten eines demokratischen Staatswesens. Der unmittelbare Eindruck für die Betrachterinnen und Betrachter: Die Staatsform mag sich geändert haben, aber die imperiale Architektur wirkt fort und erweist sich in ihrer Symbolkraft unmittelbarer wirksam als die in ihr verhandelten demokratischen Errungenschaften. Die Überwältigung demokratischer Funktionen durch historische Formen der Machtrepräsentation stellt keinen Einzelfall dar. Auch die staatliche Kulturpolitik führt ihre Amtsgeschäfte in einem Palais, das ursprünglich für das Fürstengeschlecht der Starhemberg errichtet wurde, das für seine demokratische Gesinnung nicht eben berühmt geworden ist.1 Bis heute werden kulturpolitisch relevante Verhandlungen und Konferenzen im sogenannten »Audienzsaal« des Palais abgehalten.2 1

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Mitglieder dieses Fürstenhauses waren sowohl an der Türkenabwehr vor Wien 1683 als auch als Heimwehrführer und Mitglieder der austrofaschistischen Regierung an der Niederschlagung der österreichischen Demokratie beteiligt. Claudia Schmied (2007–2013 Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur) hat in einer Art Selbstbefreiungsschlag versucht, ihren Arbeitsraum von überkommener »Herrschaftssymbolik« zu befreien und ihm mit der Beauftragung des Direktors des Museums für angewandte Kunst Peter Noever zu einer

Michael Wimmer

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Diese Beispiele führen mich zur These, dass die architektonischen Repräsentationsformen vordemokratischer Epochen bis heute ihre Wirksamkeit entfalten und wesentlich zur Erklärung der Besonderheiten der österreichischen Kulturpolitik beitragen. Konkret ist zu vermuten, dass die wesentlichen kulturpolitischen Inhalte aktueller Kulturpolitik ihre Referenz in einer kulturellen Norm finden, die sich als Ausdruck imperialer Herrschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts herausgebildet hat. Als solche wirkt sie bis heute nicht nur auf das Selbstverständnis des österreichischen Kulturbetriebs, sondern darüber hinaus auf die Gesamtverfassung der österreichischen Gesellschaft zurück. Dies gilt umso mehr, als nicht nur die beschriebenen Regierungssitze, sondern überdies alle wesentlichen Gebäude der kulturellen Infrastruktur Wiens aus der Zeit der ausgehenden Monarchie stammen. Als solche entsprachen sie den symbolischen Repräsentationsbedürfnissen einer monarchisch verfassten europäischen Zentralmacht mit 50 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern. Der Historiker Ernst Hanisch beschreibt die Errichtungszeit als autoritaristische Endphase der Monarchie, in der das Herrscherhaus den Kulturbetrieb dazu nutzte, seine Position als sakrosankte Entscheidungsinstanz zu stützen. Daneben versuchte ein weitgehend einflussloses Bürgertum erst gar nicht, eine politische Alternative zur herrschenden Kulturpolitik zu entwickeln. Es konzentrierte sich stattdessen darauf, sich zumindest in kulturellen Belangen als ebenbürtig zu erweisen. Im Bemühen, die politisch-demokratischen Defizite einer »verspäteten Nation«3 zu kaschieren, setzte es auf ein Kulturverständnis, das den Vergleich mit dem imperialen Glanz nicht scheuen wollte und in seiner institutionellen Ausgestaltung in den Tempeln der Hochkultur bis heute die zentrale kulturpolitische Leitvorstellung geblieben ist. Diese geht einher mit der Idee von Kultur als symbolischer Ausdrucksform eines feudalen, gottgegebenen Machtanspruchs, die in einer kulturellen Infrastruktur mit stark historisierenden Bezügen ihre adäquate Repräsentation finden sollte. Der weitere historische Verlauf zeigt, dass der mit solch weitgehenden Ansprüchen versehene Kulturbetrieb mit großen Beharrungskräften ausgestattet wurde. Immerhin haben es seine Repräsentanten geschafft, die wesentlichen Strukturen über eine Reihe von tief greifenden Änderungen der politischen Macht- und Entscheidungsverhältnisse von der Monarchie, Kulturkampf, Bürgerkrieg, Diktaturen und Demokratie weitgehend folgenlos hinüberzuretten.

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künstlerischen Innenraum­gestaltung ein zeitgenössisches Ambiente zu geben, was zu heftigen Reaktionen sowohl in den Medien als auch im Parlament geführt hat. Vgl. Binder, Dieter A. / Bruckmüller, Ernst, Essay über Österreich. Grundfragen von Identität und Geschichte 1918–2000. Wien 2005.

Vom Werden und vom Zustand österreichischer Kulturpolitik anhand des MuseumsQuartiers Wien

Der Vertrag von St. Germain dekretierte mit der Kontinuität des Personals und der Gebäude des Kulturbetriebs die Identität der Rechtspersönlichkeit der deutschösterreichischen Republik mit dem ehemaligen habsburgischen Gesamtstaat. Zum Ausdruck kam dies in der Aufrechterhaltung einer spezifisch österreichischen Kulturmission: Diese richtet sich gleichermaßen nach innen wie auch nach außen, etwa an die Neugründungen der habsburgischen Nachfolgestaaten des östlichen Europa. Dabei suggerierten die Wortführer einer kulturell aufgeladenen Österreich-Ideologie aus der Verlassenschaft der Habsburger-Monarchie »ein geistiges Etwas aus der alten Kultur, die Stolz und Last war, bieten zu müssen, um daraus neues Kapital«4 zu bilden. An der kulturellen Infrastruktur selbst sollte dabei im Übergang zu demokratischen Verhältnissen möglichst wenig gerüttelt werden. So scheiterte bereits in den ersten Nachkriegsjahren die herausragende Figur im Bereich der Museumspolitik, Hans Tietze, der mit einer Neuordnung der Museen beauftragt wurde, an der mangelnden Veränderungsbereitschaft der bestehenden Strukturen: Als beispielsweise das Kollegium der wissenschaftlichen Beamten des Kunsthistorischen Museums 1921 vom Unterrichtsamt aufgefordert wurde, eine neue Dienstordnung zu unterbreiten, sprach sich dieses Führungsgremium einstimmig für die Beibehaltung der bestehenden Geschäftsordnung aus. Tietze und mit ihm die staatliche Kulturverwaltung war insgesamt mit einer heftigen Obstruktionspolitik einer »konservativen Bürokratie« (Eva Frodl-Kraft) in den einzelnen Kultureinrichtungen konfrontiert, vor der er 1925 resignierte.5 Ähnliches lässt sich über die staatlichen Bühnen sagen, die bei weitgehender Beibehaltung ihrer bisherigen Organisationsformen seit 1923 als Provisorium in Form von nachgeordneten Dienststellen des Unterrichtsministeriums mithilfe von Dienstinstruktionen geführt wurden. Eine erstmalige gesetzliche Regelung der Bundestheater sollte erst 70 Jahre später gelingen. Gerade im Epochenbruch zu Anfang der jungen Republik »Deutsch-Österreich«, der wenig Überlebenschancen zugesprochen wurden,6 zeigten sich die Spannungen zwischen Massenelend, Revolutionshoffnungen und Aufrechterhaltung eines imperialen Repräsentationszusammenhanges besonders deutlich. Aus diesen Spannungen speiste sich auch die wachsende Kulturkampfatmosphäre, die die konservativen Kräfte eine spezifisch österreichische Kulturvergangenheit konstruieren ließ, während die Sozialdemokraten zunehmend an Einfluss bei der kulturpolitischen Entscheidungsfindung 4

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Tietze, Hans, zitiert aus Krapf-Weiler, Almut, Zur Neuorganisation der Wiener Museen 1919–1925 unter der Leitung von Hans Tietze, in: Kräutler, Hadwig / Frodl, Gerbert, Das Museum. Spiegel und Motor kulturpolitischer Visionen, Wien 2004, 160. Tietze, Hans, Alter und neuer Kurs in der Österreichischen Museumsverwaltung, in: Kunstchronik und Kunstmarkt (1926), Heft 42/43. »Et ce qui reste, c’ est l’ Autriche«, soll der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau 1919 auf der Friedenskonferenz von St. Germain gesagt haben. Michael Wimmer

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verloren.7 Dabei realisierte sich der habsburgische Mythos nicht nur in den traditionellen Kultureinrichtungen. Auch das zeitgenössische Film- und Literaturschaffen neigte in den späten 1920er-Jahren immer mehr dazu, die Attraktivität der Monarchie zu einem Idyll, zu einer »Verkörperung einer konfliktfreien Utopie« zu verklären. Diese kulturelle Grundstimmung wurde vom Austrofaschismus geschickt aufgegriffen. Seine ideologische Grundlegung setzte auf eine offensive Reaktivierung alter Traditionsstränge zur Legitimation des autoritären Regimes, in der Hoffnung, damit eine Gegencodierung sozialdemokratisch-republikanischer kultureller Repräsentationsformen bewirken zu können; eine Strategie, die sich auch in Äußerlichkeiten wie der Neufassung staatlicher Embleme mit dem Doppeladler oder bei Gestaltung von Heeresuniformen zeigte. Als Beispiel mag die Einweihung des Heldendenkmals an der Wiener Ringstraße dienen. Sie enthielt alle Ingredienzien einer verherrlichenden Großmachtgeschichte der Monarchie zur mythischen Historisierung der Gesellschaft. Mit Manifestationen wie diesen sollte Geschichte in möglichst unmittelbar eingängige Bilder transformiert werden. Ziel war es, in den Köpfen der Menschen die Monarchie als einen mythischen Ort in einer aus der Vergangenheit hinübergeretteten Welt zu etablieren, die sich über das Elend des Parteienstreits erhebt. Als ein (kultur-)politisches Grundmuster weist diese Grundlegung österreichischer Kulturpolitik auf dem Geist eines demokratiefeindlichen Autoritarismus weit über den 1933 installierten autoritären Ständestaat hinaus. Zur nahezu nahtlosen Übernahme austrofaschistischer Kulturpolitikvorstellungen nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft ist viel geschrieben worden.8 Gerne wird in diesem Zusammenhang auf die Äußerung des P.E.N.-Club-Präsidenten von 1969–1972, Alexander Lernet-Holenia, hingewiesen, der im Oktober 1945 formuliert hatte: »In der Tat brauchen wir nur dort fortzusetzen, wo uns die Träume eines Irren unterbrochen haben, in der Tat brauchen wir nicht voraus-, sondern nur zurückzublicken.«9 Diese abermalige, durch den überdimensionalen Bestand der Kulturinstitutionen befestigte Kontinuität gelingt nach 1945 umso leichter, als das Land den Verlust weiter Teile seiner künstlerischen Intelligenz zu beklagen hatte, deren Vertreterinnen und Vertreter ermordet oder exiliert (und nach dem Krieg nicht wieder zurückgebeten) 7

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Ihre kulturpolitische Domäne beschränkte sich vor allem auf den städtischen Bereich, zumal auf das »Rote Wien«, wo sie Versuche unternahmen, den Anspruch einer kulturellen Alternative von und für alle bisher vom elitären Kulturbetrieb Ausgeschlossenen durchzusetzen. Besonders unmittelbar beeindruckend dazu die Zeitungslektüre von Sigrid Löffler: Löffler, Sigrid, Zum Beispiel Burg und Oper – zwei kulturimperialistische Großmythen, in: Kos, Wolfgang (Hg.), Inventur 45/55. Österreich im ersten Jahrzehnt der Zweiten Republik, Wien 1996. Lernet-Holenia, Alexander, Gruß des Dichters. Brief an den Turm, in: Nachbaur, Petra / Scheichl, Sigurd Paul / Schmidt-Dengler, Wendelin, Literatur über Literatur. Eine österreichische Anthologie, Graz 1995.

Vom Werden und vom Zustand österreichischer Kulturpolitik anhand des MuseumsQuartiers Wien

wurden. Dazu kam einmal mehr ein großer Bedarf der politischen Instrumentalisierung zur Konstruktion einer positiv konnotierten nationalstaatlichen Identität. Die kulturpolitischen Restaurationsbemühungen sollten mithelfen, die aktive Beteiligung vieler Österreicherinnen und Österreicher in die Nazi-Gräuel vergessen zu machen und ein die rundum harmonisch inszenierte frühere Vergangenheit verherrlichendes Außenbild zu inszenieren. Diese Strategie wurde im aufkommenden Kalten Krieg auch von den Alliierten zunehmend unterstützt, die Kulturpolitik als probates Mittel zur Stärkung des nur sehr schwach ausgeprägten österreichischen Staatsgedankens in der kriegsgeschädigten Bevölkerung ansahen. Und wieder tauchen die Bilder einer besseren Monarchie auf, sei es als tägliches Programm des traditionellen Kulturbetriebs, sei es als höfische Form des Heimatfilms, als »cineastischer Urlaub von der realen Geschichte«10, wie das Béla Rásky genannt hat; als ein Zusammengehen von habsburgischem Mythos und sozialpartnerschaftlicher Ästhetik. Und so wurde die alt-österreichische, barocke Tradition mit ihrem Sinn für Theatralisierung und Visualisierung, der wienerischen Lust am Spektakel, die Bevorzugung der visuellen vor der intellektuellen Auseinandersetzung von den auch nach 1945 dominierenden konservativen Kräften in ihre Rechte gesetzt. Infrage gestellt wurde diese kulturelle Hegemonie in erster Linie von kleinen, zum Teil politisch heftig diskriminierten Gruppen, deren künstlerisch-kulturelle Manifestationen im kurzen Frühjahr des Jahres 1968 öffentlichkeitswirksam in dem einen oder anderen Eklat kulminierten. Aber auch wenn sich einzelne Künstler, wie der Komponist Pierre Boulez, damals mit dem Ruf »Schlachtet die heiligen Kühe!« zur drastischen Verdeutlichung des Wunsches nach einem Ende der Hegemonie feudaler Hochkulturvorstellungen weit aus dem Fenster lehnten, vermochten sie dennoch nicht, das System nachhaltig zu erschüttern. Selbst Bruno Kreisky, der Mediengespräche gerne vor dem Hintergrund eines Bildnisses Josef II. führte, wusste um die konservative Gesamtverfassung der österreichischen Gesellschaft und beschränkte sich trotz seiner Forderung nach einer »durchaus radikalen Kulturpolitik« darauf, die traditionelle kulturelle Infrastruktur zu erhalten und um einige Zusätze des Zeitgenössischen zu ergänzen. Insgesamt machten die ab 1970 erstmals auch für staatliche Kulturpolitik zuständigen Sozialdemokraten Hoffnung auf ein Ende der langen Phase konservativer Kulturpolitik und versprachen das Heraufkommen einer neuen, utopischen Phase der Kulturpolitik. Sie reagierte auf die neuen gesellschaftspolitischen Herausforderungen mit dem Schlagwort »Kultur für alle«, mit dem das überreiche kulturelle Erbe des Landes demokratisiert und die Tore der Hochkultur für breite Bevölkerungsschichten geöffnet werden sollten. Die Förderung von Kultur sollte künftig unmittelbar dazu beitragen, 10 Rásky, Béla, Die Fest‐ und Feiernkultur der SDAPÖ von 1918 bis 1933, in: Dewald, Christian (Hg.), Arbeiterkino. Linke Filmkultur der Ersten Republik, Wien 2007, 49. Michael Wimmer

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die Gesellschaft gerechter zu gestalten. Eine »Neue Kulturpolitik« war darauf gerichtet, zumindest formal alle Bürgerinnen und Bürger am Kulturgeschehen zu beteiligen und damit die traditionellen Verhältnisse auf den Kopf zu stellen. Mithilfe eines kulturpolitischen Maßnahmenkataloges sollten die propagierten demokratischen Ansprüche auch in diesem Sektor durchgesetzt werden. Heute wissen wir, dass sich diese Ansprüche, jedenfalls mit den bislang angewandten kulturpolitischen Mitteln, nicht haben realisieren lassen. Wenig deutet darauf hin, dass die getroffenen Maßnahmen die weiterhin im Schatten der Traditionspflege stehende zeitgenössische Kunst beliebter bzw. einem weiteren Interessentenkreis zugänglich gemacht hätte. Stattdessen steht zu befürchten, dass diese beim experimentellen, autoreferenziellen Kunst- und Kulturschaffen noch einmal das Bedürfnis nach Rückbezug auf einen staatlich aufrechtzuerhaltenden Elfenbeinturm vehement gefördert haben. Das Ergebnis zeigt sich in einer verschärften Trennung zwischen Kunst und Unterhaltung, zwischen Geist und Erlebniskultur, der Utopie vom freien Zugang zum World Wide Web und den, neue Zugangsbarrieren schaffenden, kommerziellen Verwertungsstrategien. So wurde die Dominanz der traditionellen Kulturinstitutionen in keiner Weise gebrochen. Ganz im Gegenteil sprechen die schieren Budgetzahlen dafür, dass diese Einrichtungen einen immer noch größeren Anteil der staatlichen Ressourcen, die sich unter Kulturpolitik verbuchen lassen, beanspruchen. Gleichzeitig kommt es zu einer Wiederentdeckung der Monarchie als Massen-, Pop- und Eventkultur, die monarchische Versatzstücke zu einem beliebig zitierbaren Panoptikum zwischen Sisi Museum, Elisabeth-Musical und der ORF-Sendung »Wir sind Kaiser« ergeben. Während sich aber staatliche Kulturpolitik weiterhin mit dem Widerspruch zwischen Aufrechterhaltung des traditionellen Kulturbetriebs und seiner gesellschaftlichen Akzeptanz in breiteren Bevölkerungskreisen herumschlug, sind in den letzten Jahren neue kulturpolitische Akteure in Gestalt rechtsradikaler bzw. rechtspopulistischer Kräfte aufgetaucht. Diese versuchen, die wachsenden sozialen Widersprüche, die sich aus der Verschärfung des transnationalen Wettbewerbs, der Öffnung der Grenzen samt damit verbundenen demografischen Veränderungen und der damit zusammenhängenden Schwächung der politischen Gestaltungskräfte ergeben haben, kulturell aufzuladen. Geschaffen wurde damit eine neue Kulturkampfatmosphäre zwischen Krisengewinnern und Krisenverlierern, wobei insbesondere letztere staatlicher Kulturpolitik mit ihrem bewährten Instrumentarium der Selbstbeschränkung bislang weitgehend defensiv gegenüberstehen. Weil Kunst- und Kultureinrichtungen zunehmend um ihre Publika fürchten, unternehmen sie zurzeit verstärkt den Versuch, auf bisher vernachlässigte Zielgruppen zuzugehen, um diesen den Zugang zu ihrem Angebot zu erleichtern. Dieser Trend wird staatlicherseits gefördert und führt ungewollt doch dazu, die Verschleierung wachsender sozialer Differenzen weiter voranzutreiben. 114

Vom Werden und vom Zustand österreichischer Kulturpolitik anhand des MuseumsQuartiers Wien

Statt eines Resümees: Der Autor führte jüngst eine Befragung zum Image der Kulturmetropole Wien unter US-amerikanischen Kulturwissenschaftlern durch. Die Mehrheit der Befragten sah Wien zuallererst als »representation of a former civilisation«, in die sich vor allem Krisengewinnler wohlig eingerichtet haben.

Das Wiener MuseumsQuartier als exemplarische Erscheinungsform österreichischer Kulturpolitik Dieser kurze historische Aufriss dient als Vorspann für die Interpretation der Auseinandersetzungen rund um die Errichtung des Wiener MuseumsQuartiers auf dem Areal der ehemaligen k. u. k. Hofstallungen. Diese erklären sich erst aus einer spezifischen kulturpolitischen Tradition, deren restaurative Gesamtverfassung jegliche dynamische Entwicklungs- und Veränderungsprozesse erschweren oder gar verunmöglichen. Und so wurde die letztendlich gewählte Realisierungsform ungewollt zu einer nachgerade idealtypischen Repräsentation zur Charakterisierung österreichischer Kulturpolitik. Errichtet wurde der Bau im Auftrag von Karl VI. – dem Vater von Kaiserin Maria Theresia – als eine der letzten Arbeiten des Barockmeisters Johann Bernhard Fischer von Erlach außerhalb der Stadtbefestigungen, jenseits des Glacis und am Rande der Wiener Vorstadt. Der imperiale Marstall für 800 Rösser und 200 Kutschen erwies sich von beeindruckender Größe. Die Vorderfront der gewaltigen Stallburg erstreckt sich bis heute über 355 Meter entlang der viel befahrenen 2er-Linie. Nach dem Schleifen der Mauern vor der kaiserlichen Hofburg klaffte plötzlich eine urbane Lücke, die man mithilfe eines imposanten »Kaiserforums« zu schließen hoffte. Dessen westlichen Abschluss sollten die Hofstallungen bilden. Nach vieljährigen Überlegungen wurde schließlich die Hofburg um einen neuen Trakt und eine Triumphpforte ergänzt. Dazu wurde der weitläufige Heldenplatz angelegt, Denkmäler wurden errichtet und zwei palastähnliche Museumsbauten für die naturkundlichen und kunsthistorischen Sammlungen der Habsburger gebaut. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Marstall bereits weitgehend seine Bestimmung verloren. Zahllose Fantasieprojekte wurden entwickelt. Otto Wagner zum Beispiel entwarf einen babylonischen Kulturbezirk, den er »Artibus« taufte. Seine Schüler entwarfen monumentale Kathedralen inklusive einer neuen Kaisergruft oder auch ein gewaltiges »Sühnedenkmal« für den Ersten Weltkrieg. Auch den Nazis schwebte eine städtebauliche Großtat auf dem Areal des barocken Nutzbaus vor, in den zwischenzeitlich die ­Wiener Messe eingezogen war: eine »Wiener Walhalla«, in deren Zentrum zwei wehr­ hafte Museumsburgen den deutschen Kulturgedanken bewahren sollten. Unbeeindruckt von den grandiosen Vorstellungen rotteten die alten Mauern langsam vor sich hin und wurden nur notdürftig für den gelegentlichen Messebetrieb Michael Wimmer

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adaptiert. Als 1977 erstmals in einer Parlamentsdebatte die Idee auftauchte, an seiner Stelle ein Zentrum für moderne Kunst zu errichten, war die Bausubstanz bereits ziemlich in Mitleidenschaft gezogen. 1979 sprach sich auch die für die Bundesmuseen zuständige Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg für die Errichtung eines der zeitgenössischen Kunst gewidmeten Areals aus. Und 1982 prägte Kulturstadtrat Helmut Zilk in einer Phase der intensiven Diskussion über eine angemessene Nutzung des Areals den Begriff eines »österreichisches Centre Pompidou«, das er statt der ehemaligen Hofstallungen verwirklicht sehen wollte. Dieser Vergleich mit dem zentralen Neubau im Herzen von Paris suggerierte notgedrungen Vorstellungen einer völlig neuen Architektur in einem ansonsten streng geregelten urbanen Kontext. Und so verdichteten sich Pläne zu einem beispielhaften Repräsentationsort vor ­allem der Neuen Medien, gefasst in einer ebenbürtigen zeitgenössischen Architektur. Den Kern des Bestandes sollten Einrichtungen für Neue Medien, Film, Video- und Computerkunst und eine multimediale Bibliothek bilden. Dann aber entschied der damalige Wiener Bürgermeister Helmut Zilk 1994 gegen die Errichtung des Leseturms. Diese Entscheidung kann als eine Reaktion der kulturpolitischen Entscheidungs­ träger auf den massiven Aufmarsch der kulturkonservativen Kräfte gedeutet werden, die mit dem Anspruch auf unbedingten Erhalt der heruntergekommenen Architektur einen, aus ihrer Sicht naturgegebenen, Schönheitsbegriff des Barock durchzusetzen versuchten. Die Folge waren gegenseitige Überreichungen von »Goldenen Spitzhacken« und »Goldenen Scheuklappen« zwischen Befürwortern und Gegnern eines Neubaues. Unterstützt wurden die Gegner vor allem durch das publizistische Sperrfeuer der Kronen Zeitung: »Museumsquartier ist Tumor«, rebellierte das Boulevardblatt und betitelte die Neubaupläne mit »brutaler Klotz«, »Skandalbau«, »Monster«. Unter dem Pseudonym Aurelius warf sich der Herausgeber und Miteigentümer Hans Dichand selbst in die Schlacht. Neben der Durchsetzung ganz persönlicher wirtschaftlicher Interessen (Dichand war mit einem lukrativen Konsulentenvertrag unmittelbar in die Vorbereitungsarbeiten involviert) konnte der Zeitungsherausgeber auf eine lang tradierte konservative Grundstimmung nicht nur in der breiten Bevölkerung, sondern auch in den entscheidenden Teilen der Kulturelite bauen und damit den ehemaligen Krone-Ombudsmann Helmut Zilk, der zuvor das Hollein-Haus am Wiener Stephansplatz durchgesetzt hatte, in die Knie zwingen. Das 1996 aufgrund der anhaltenden Querelen in den Medien bereits mehrfach totgesagte Projekt wurde in der Folge redimensioniert. Nach Beiziehung des Denkmalschutzspezialisten Manfred Wehdorn wurden die Museumsneubauten, statt mit den zunächst vorgesehenen transparenten Glasfassaden, mit Natursteinfassaden und in geringerer Höhe geplant. Mit der Zusicherung Wehdorns, die Neubauten würden in der

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Stadtsilhouette nicht sichtbar sein,11 erhielt diese reduzierte Variante schließlich 1997 den positiven Bescheid des Bundesdenkmalamtes. Und so konnte schließlich zwanzig Jahre nach dem Beginn der öffentlichen Diskussion mit dem Bau begonnen werden. Zu negativem Medienecho während der Bauzeit kam es, als bekannt wurde, dass der kostspielige öffentliche Bau (die Gesamtkosten des Umbaus betrugen rund 150 Millionen Euro) grobe Mängel hinsichtlich der Barrierefreiheit aufwies, die aber daraufhin großteils behoben wurden. Die Fertigstellung zum achtgrößten Kulturareal der Welt erfolgte 2001. Heute gehört der größte Kulturbau der Zweiten Republik zu einem fixen Bestandteil der kulturellen Infrastruktur Wiens und weist vor allem bei einem jungen, überwiegend studentischem Publikum, schon aufgrund des umfassenden Gastronomieangebotes, einen hohen Freizeitwert auf. Das Areal wird neben dem Museum moderner Kunst und dem Leopold Museum von einer Reihe weiterer mittlerer und auch kleiner Kultureinrichtungen bespielt. Diese erfreuen sich vor allem des Interesses internationaler Touristinnen und Touristen. Zum Abschluss des Beitrages sollen anhand der aktuellen Situation des MuseumsQuartiers einige Grundzüge der österreichischen Kulturpolitik herausgegriffen werden, die im MuseumsQuartier in besonderer Weise ihre gestalterische, aber auch betriebliche Entsprechung finden. Alt dominiert über Neu Nach den bisherigen Bemerkungen zum hohen Maß an Vergangenheitsverliebtheit ­österreichischer Kulturpolitik erstaunt es nicht mehr wirklich, dass dieses, ursprünglich auf Repräsentation neuer Kunstformen angelegte Kulturzentrum, in ein traditionelles Erscheinungsbild gefasst wurde. Der barocke Zweckbau wurde in seiner architektonischen Außenform nicht angetastet; das nur sehr maßvoll Neue wurde in ihn hinein verpackt. Dazu das Urteil des Architekturkritikers Jan Tabor: »Statt einer Akropolis ist hier eine Nekropolis entstanden.«12

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Der 1995 erstmals veröffentlichte Projektvorschlag, zu dem Architekt Manfred Wehdorn federführend beigezogen wurde und der die Grundlage für die letztendliche Realisierung bilden sollte, umfasste vor allem folgende Punkte: Der Turm fällt endgültig. Das Museum moderner Kunst wird nun nicht links, wie im ersten Plan, sondern rechts vom Haupteingang untergebracht, wo zuerst die städtische Kunsthalle­ ­situiert gewesen wäre. Die Stadt Wien adaptiert die ehemalige Winterreithalle durch den Einbau ständiger Tribünen für etwa 1.000 Besucherinnen und Besucher als Theaterraum für die Festwochen und ähnliche Veranstaltungen. Dahinter wird nun die Kunsthalle gebaut. Beide Hallen bekommen ein gemeinsames Foyer. Die beiden großen Bundes-Neubauten werden nicht höher als 24 Meter aufragen, so hoch ist der Mittelrisalit des Erlach-Baus, wo die gemeinsamen Kassen untergebracht werden. Dieser Projektvorschlag erhielt 1997 einen positiven Bescheid des Bundesdenkmalamtes. Siehe dazu: http://bit. ly/MiCqog (8.11.2011). 12 Tabor, Jan, Nekropolis statt Akropolis, in: Der Falter, Stadtzeitung, 20.6.2001, zitiert aus: nextroom, http://bit.ly/MZApmV (8.11.2011). Michael Wimmer

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Auch wenn die Pläne eine Bezugnahme der beiden Zentralbauten auf die gegenwärtigen und vergangenen politischen Verhältnisse vorgeben, wonach das Leopold Museum in der Achse der Bundesmuseen und das Museum moderner Kunst in seiner Stellung auf den bürgerlich-republikanischen 7. Bezirk verweisen soll, überwiegt im äußeren Erscheinungsbild ganz eindeutig die Dominanz der Traditionspflege. Dazu gehört auch, dass die Präsentation zeitgenössischer Kunst nach dem Motto »Je gegenwartsbezogener, desto eher im Keller« möglichst versteckt erfolgt. Das hat nicht nur mit der restaurativen Grundstimmung in Österreich, sondern auch mit einem internationalen Museumstrend der 1980er-Jahre zu tun, der eine »Reelitisierung« mit sich brachte, um durch künstliche Zugangsbarrieren den Zugang nicht nur nicht zu erleichtern, sondern zu erschweren. Fehlen einer konzeptiven Kulturpolitik Die österreichische Kulturpolitik zeichnet sich durch eine weitgehende Beziehungslosigkeit zwischen kulturpolitisch formulierten Absichten und einer selbstreferenziellen Praxis andererseits aus. Das hat mit einer spezifischen Planungsfeindlichkeit zu tun, die die Analyse von kulturpolitischen Ansprüchen im Kontext ihrer konkreten Praxis immer wieder erschwert, wenn nicht gar verunmöglicht. Auch dafür gibt das MuseumsQuartier beredtes Zeugnis ab, wenn die vielfältigen Angebote weitgehend unbezogen nebeneinander erfolgen und keinerlei nachhaltig wirksame kulturpolitische Entwicklungsplanung folgt, die mangels Existenz auch nicht auf ihre Wirksamkeit überprüft werden kann. Immanente Schwerpunktsetzung Das Resultat dieser konzeptiven Schwäche ist eine immanente Schwerpunktsetzung, auch wenn diese allfällig anders gelagerten Absichten staatlicher Kulturpolitik widerspricht. Etwa wenn es um den Beitrag des MuseumsQuartiers geht, den Fokus von der Bewahrung des kulturellen Erbes zugunsten einer stärkeren Berücksichtigung des zeitgenössischen Kunstschaffens zu verschieben. Auch wenn die architektonische Hülle neue Durchmischungen in Grenzen erlaubt und sich in diversen Nischen zeitgenössisches Kunst- und Kulturschaffen einzunisten vermochte, macht der Gesamteindruck die fortdauernde Dominanz der konservativen kulturellen Hegemonie (in Bezug auf staat­ liches Handeln) unmittelbar deutlich. Kulturindustrie bleibt marginal Das zeigt sich auch im Versuch, staatliches und privates, gemeinwesenorientiertes und auf ökonomischen Nutzen orientiertes Engagement stärker aufeinander zu beziehen. So sind die Initiativen des quartier21, die sich dem neuen Wirtschaftssektor der Cultural bzw. Creative Industries zurechnen lassen, auf eine sehr spezifische Klientel verwiesen. Als solche erreichen sie das Gros der Besucherinnen und Besucher des Areals nicht. 118

Vom Werden und vom Zustand österreichischer Kulturpolitik anhand des MuseumsQuartiers Wien

Stattdessen nutzen zuletzt verstärkt Wirtschaftsunternehmen ohne jeden Bezug auf das kulturelle Angebot des Areals die prestigeträchtige Infrastruktur, um ihren Marktwert zu erhöhen. Widersprüchlichkeit der Vermittlungsbemühungen Mit dem Slogan »Kultur für alle!« für eine breit angelegte Werbekampagne weckte die Errichtungs- und Betriebsgesellschaft anlässlich des fünfjährigen Bestehens des Areals Assoziationen zu kulturpolitischen Konzepten der 1970er-Jahre. Und in der Tat besuchen mittlerweile rund drei Millionen Besucherinnen und Besucher jährlich das MuseumsQuartier, um dort ihre Freizeit zu verbringen. Die meisten Besucher aber fühlen sich vom Kulturangebot in keiner Weise angesprochen; repräsentieren stattdessen ein kulturelles Selbstverständnis, das in dem barocken Ensemble nur sehr beschränkt adäquate Realisierungsformen findet. Sehr wohl aber findet sich eine Reihe von zielgruppenspezifischen Angeboten, wie das »DSCHUNGEL WIEN – Theaterhaus für junges Publikum« oder das »ZOOM Kindermuseum«, die sich großer Nachfrage erfreuen. Die Abwesenheit von Interkultur Wenn es den rechtspopulistischen und rechtsradikalen Kräften zuletzt gelungen ist, im Rahmen der beträchtlichen demografischen Veränderungen eine neue Kulturkampf­ atmosphäre zu schüren, dann findet sich dazu im MuseumsQuartier kein kulturpolitisches Alternativprogramm. Während das kulturelle Angebot im engeren Sinn im Wesentlichen auf ein internationales Touristenpublikum zugeschnitten ist, bleiben die kulturellen Bedürfnisse von Zuwanderern weitgehend unberücksichtigt. Das sind nur einige Beispiele dafür, dass das MuseumsQuartier in beispielhafter Weise die Stärken und Schwächen österreichischer Kulturpolitik repräsentiert. Als eine in Stein gehauene Manifestation kulturpolitischer Auseinandersetzungen zeugt es in paradigmatischer Weise von den Siegen und den Niederlagen der daran beteiligten Akteurinnen und Akteure. Und als solche macht das Areal deutlich, wo die österreichische Kulturpolitik heute steht bzw. dass noch ein langer Weg zu gehen sein wird, um österreichische Kulturpolitik in die demokratische Verfasstheit des Landes ankommen zu lassen.

Michael Wimmer

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traktat über die prager burg auf tschechisch pražský hrad, meist nur hrad genannt, und über die wiener hofburg sowie darüber, wie sie miteinander und gegeneinander, gegebenenfalls ohne einander, als objekte in der geschichte und vor allem als instrumente der geschichte­fungierten und darüber, wie die beiden einprägsamen topoi gut beziehungsweise schlecht funktionierend weiterhin in der gegenwartsgeschichte wirksam sind sowie über die historisch bedeutenden geopolitischen distanzen zwischen prag und wien sowie berlin, budapest und moskau. (fragment) jan tabor

grundthese der pražský hrad ist überragend, er ist eine lokalität und eine institution. seine beiden charakteristika sind derart miteinander zu einem machtzentrum verschmolzen, dass der hrad von einer unergründbaren einzigartigkeit ist.

anmerkung in tschechien versteht man unter hrad (burg), wenn das h großgeschrieben wird, die macht, das machtzentrum, den sitz des staatspräsidenten und das komplizierte geflecht von den mit der präsidentschaft verbundenen politischen und wirtschaftlichen seilschaften. in österreich versteht man unter burg (hrad) das burgtheater. die hofburg bedeutet nur die wiener hofburg.

einführende wahrnehmung 1 am 2. märz 2013 tauchte im internet ein bild von prag mit dem bekannten moldau-karlsbrücke-panorama auf, in dem der hradschin samt des hrads fehlt. die digitale bildmanipulation war so überzeugend merkwürdig, dass das leere panorama von mehreren tschechischen tageszeitungen abgedruckt wurde. merkwürdigerweise sieht prag ohne jan tabor

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die prager burg viel hübscher aus als mit dieser alles böhmische und alles in böhmen seit je dominierenden determinante: üblicher, echter, nicht so penetrant schön wie in der prager panoramawirklichkeit. dieses panorama ist dermaßen einprägsam, beständig, verständlich und als grafisches symbol vielfältig anwendbar, dass es längst das offizielle staatswappen ersetzt hat. dieser banale fotoshop-spaß erschien fast gleichzeitig mit den überlegungen einiger publizisten und politologen, mit dem hrad als machtzentrum, mit seiner einzigartigen bedeutung in der böhmischen, vor allem aber in der tschechischen beziehungsweise tschechoslowakischen geschichte, und neuerdings wieder tschechischen politik nach dem umsturz im november 1989, schluss zu machen. die rolle des hrads als bühne der politischen rituale und symbol des tschechentums und tschechiens wurde zum ersten mal ernsthaft hinterfragt und sein einfluss auf die tschechische politische kultur als eindeutig negativ eingeschätzt, als würde die hübsche lokalität eine normative kraft besitzen, einen geheimnisvollen einfluss auf den tschechischen geist ausüben. eine verhängnisvolle kraft, die, so die schlussfolgerungen der kritischen denker, dadurch aufgehoben werden müsste, indem man für den präsidenten eine neue, zeitgemäße residenz – einen neubau, etwa wie in berlin – errichtet und so dem hrad und den zunehmend fragwürdigen und lächerlich gewordenen pseudomonarchistischen allüren der neuen tschechischen präsidenten diese normative antriebskraft dazu zu entziehen.

einführende wahrnehmung 2 am 2. märz 2013 veröffentlichte die tschechische zeitung právo ein interview mit dem staatspräsidenten václav klaus. es wurde ihm die frage gestellt, was er dazu meint, dass sein soeben gewählter nachfolger miloš zeman vorhabe, alsbald die flagge der europäischen union auf dem hrad anbringen zu lassen, was klaus beharrlich verweigert hatte. der seit zwei wahlperioden amtierende staatspräsident antwortete offensichtlich wirklich verärgert: »ich bin sicher, dass die prager burg das symbol der tschechischen staatlichkeit ist und dass nur die tschechische fahne hierher gehört.« im zusammenhang mit dem abgang des am ende sehr unbeliebten präsidenten zitierten die tschechischen zeitungen das deutsche internet-magazin der spiegel, das ebenfalls in einem kommentar abschied von václav klaus nahm. unter dem titel »der schlechte könig« wird darin vor allem seine beharrliche und theatralische distanzierung zur europäischen vereinigung kritisiert.

vermutung die manifeste ablehnung der europäischen union durch den ehemaligen tschechischen staatspräsidenten dürfte in der langen tradition der urtschechischen furcht vor dem 124

traktat über die prager burg

unstillbaren hegemoniedurst der großdeutschen nach einem pangermanischen staat begründet sein. bei klaus evoziert die europafahne auf dem hrad die erinnerung an die hakenkreuzfahne in der zeit der deutschen besatzung. die deutsche fahne auf dem dach und die figur des führers im fenster der prager burg am 15. märz 1939 sind ein sinnbild und der beleg des tschechischen kollektivtraumas, das noch immer, bereits die dritte oder vierte generation später, ungemein wirksam ist. petr hájek, der pressesprecher von klaus, ein etwas einfältiger, aber mächtiger mann, kommentierte die eventualität, zemans gegenkandidat schwarzenberg würde zum präsidenten gewählt, so: »mit karel schwarzenberg würde sich auf den höchsten verfassungsposten der tschechischen republik ein kleiner havel setzen und mit ihm das deutschland, dessen interessen jetzt eu genannt werden.« das erscheinen der deutschen auf dem hrad, personifiziert durch das berühmte foto und die briefmarke mit dem führer im fenster über dem haupttor der burg, mit der kuppel der mikulaš-kirche im hintergrund, hat eine ähnliche historische bedeutung wie die erscheinung des führers auf dem balkon der neuen hofburg in wien oder auf der trocadero-terrasse gegenüber dem eiffelturm in paris. trotzdem wurden die bilder der eingenommenen prager burg in der kommunistischen nachkriegszeit auffallend wenig publiziert. bemerkenswert ist auch, dass der trakt mit dem hitlerfenster auf den panoramabildern des hrads oft abgeschnitten oder überdeckt wird – diese usance, die auf die nachkriegszeit zurückgeht, dürfte keine bewusste bildmanipulation bedeuten, vielmehr ist es die unbewusste abwehr eines unheils. dieses volkstrauma oszilliert sozusagen am hrad. mit seiner aktualität und in seiner topografischen zuordnung weist es starke ähnlichkeit mit dem amselfeld der serben auf und ist die kausale entsprechung der sudetendeutschen. es kann angenommen werden, dass hinter der zurückhaltung bei der veröffentlichung bestimmter historischer bilder weniger ein politisches kalkül stand und steht, vielmehr eine instinktive psychohygienische rücksicht. diese bilder wecken noch immer entsetzen und zorn ohne traurigkeit hervor.

hypothese 1 distanzen sind das wichtigste im leben der menschen und der staaten.

faktum 1 prag liegt fast genau auf der hälfte des weges zwischen wien und berlin: nach beiden richtungen jeweils etwas weniger als 350 kilometer entfernt.

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hypothese 2 betrachtet man die beiden entgegengesetzten distanzen geopsychopolitisch, dann war prag damals, als es das deutsche reich und die österreichisch-ungarische monarchie noch gab, bis november 1918, bereits viel zu nahe an berlin gerückt und viel zu weit von wien entfernt, dem prag von 1526 bis 1918 ununterbrochen unterstellt war. nominell gehörte prag deutschland nur in der zeit der deutschen okkupation vom 15. märz 1939 bis 8. mai 1945 an. geopsychopolitisch betrachtet verkleinert sich die distanz zwischen berlin und prag weiterhin zunehmend.

faktum 2 sowie hypothese 3 und hypothese 4 die prager burg war zwischen 1526 und 1918 eine wichtige machtfiliale der wiener hofburg. so bedeutend, dass hier der dreißigjährige krieg begonnen wurde – mit dem prager fenstersturz. unter kaiser rudolf II. wenige jahre davor war prag – wegen der bedrohung wiens durch die osmanen – die residenzstadt des habsburger reiches. danach begannen prags geltung und nützlichkeit für die österreichischen monarchen zu sinken. ganz nach einem verdrehten prinzip der korrespondierenden gefäße: mit wachsender bedeutung und größe der wiener hofburg sank die relevanz der prager burg. hinzu kam, dass auch buda, von der osmanischen herrschaft befreit, von maria theresia wieder zur hauptstadt ungarns bestimmt, sich allmählich zur zweitbedeutendsten stadt der monarchie zu entwickeln begann. nach 1867 schließlich, nach dem österreichisch-ungarischen ausgleich, war die prager burg eine politisch lästige und daher ostentativ vernachlässigte k. u. k.immobilie geworden. am ende des 19. jahrhunderts war die prager burg, inzwischen zu einer kaserne herabgesetzt, eine ruine. der bau der ringstraße mit den hofmuseen und dem hoftheater, die erweiterung der neuen hofburg, dem hauptstück des monumental konzipierten kaiserforums, sowie und vor allem der ausbau, der faktisch ein neubau war, des neuen kaiserschlosses in budapest als konsequenz des österreichisch-ungarischen ausgleichs bewirkten, dass für das königsschloss von prag, wie der hrad damals offiziell genannt wurde, keine finanziellen mittel zur verfügung gestellt wurden und auch keine halbwegs würdige neue bestimmung gefunden werden konnte – nicht zuletzt weil keine gesucht wurde.

faktum 3 die wiener hofburg und die prager burg weisen einige gleiche beziehungsweise ähnliche merkmale auf. 1. beide sogenannten burgen sind historisch gewachsene und kompakte bauareale, 126

traktat über die prager burg

die als baudenkmäler bezüglich ihrer kulturhistorischen bedeutung etwa gleichwertig einzuschätzen sind. trotz der geläufigen bezeichnung burg entsprechen sie dem typus schloss beziehungsweise schlossanlage.  2. beide burgen sind etwa gleich groß und gleich komplex, gleichsam konglomerate oder collagen, und dadurch ähnlich – dies vor allem im vergleich mit anderen historischen machtzentren, wie etwa jenen in paris, amsterdam oder london. es handelt sich um dominierende, stadtprägende urbane komplexe, deren bereiche zwar verwaltungstechnisch genau festgelegt sind, faktisch jedoch, das heißt stadtmorphologisch und funktionell, schwer von ihren jeweiligen umgebungen abzugrenzen sind. historisch und auch stadtmorphologisch müssen zur hofburg auch die ehemaligen, zum museumsquartier umgebauten hofstallungen gezählt werden, weiters die beiden hofmuseen, was allerdings faktisch nicht zutrifft, obwohl sie ein teil des unvollendeten kaiserforums sind, sowie die albertina und die augustinerkirche dazwischen. 3. beide lokalitäten dienen als aufbewahrungsorte der historisch wertvollen kaiser­ lichen beziehungsweise königlichen insignien. 4. beide lokalitäten dienen als amtssitze der jeweiligen oberhäupter, des österreichischen bundespräsidenten und des tschechischen staatspräsidenten, darin ist die staatstragende verwendungskontinuität beider stätten als machtzentren begründet. die präsidenten auf dem hrad pflegen dort zu wohnen, allerdings in einer der ärar-villen, die sich auf dem burgareal befinden. zu der monarchistischen lebensausstattung der tschechoslowakischen beziehungsweise tschechischen präsidenten gehören auch einige schlösser. das wichtigste ist das schloss lány, das für den ersten tschechoslowakischen präsidenten tomáš g. masaryk von jože plečnik vortrefflich umgebaut und eingerichtet wurde. 5. beide lokalitäten wurden und werden politisch instrumentalisiert, mitunter verkitscht oder sonstwie missbraucht. allerdings bestehen wesentliche unterschiede zwischen wien und prag in bezug auf den umgang damit, die intentionen und prioritäten, sodass das charakteristikum der instrumentalisierung zu den unterschieden gereiht werden muss. einer der wesentlichen ist, dass der hrad keine so symbolgeladene und für manifestationen und demonstrationen so gut geeignete versammlungsfläche wie den heldenplatz in der hofburg besitzt. 6. beide burgen als geschichtlich bedeutende symbole der macht wurden von adolf hitler 1938 beziehungsweise 1939 gleichsam erobert und manifest missbraucht. dies bedeutet, dass beide lokalitäten mit nachhaltigen soziopsychischen und politischen folgen für die beiden staaten belastet sind, was folglich den umgang mit beiden lokalitäten bis heute prägt. die einstige kurze anwesenheit des diktators adolf hitler ist weiterhin wirksam und damit bleibend aktuell. die hitlersche neuprägung der hofburg und des hrads ist beiden machtzentren gemeinsam und ist einzigartig im vergleich mit anderen jan tabor

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von der deutschen wehrmacht besetzten ländern mit ihren baulichen machtsymbolen. allerdings bestehen erhebliche unterschiede in der reaktion auf das gleiche historische faktum der symbolischen, bereits massenmediengerecht inszenierten eroberung der beiden machtzentren durch adolf hitler. der einzug des diktators wurde in wien von der mehrheit der bevölkerung begrüßt, in prag hingegen, von der deutschen bevölkerung abgesehen, verursachte das ankommen des führers eine kollektive verzweiflung und kränkung sondergleichen. die besetzung von böhmen und mähren und die errichtung des protektorats waren bereits der zweite gemeinschaftsschock der tschechen, nachdem im herbst 1938 die von deutschen bewohnten grenzgebiete, die sogenannten sudeten, an das deutsche reich abgetreten werden mussten. aus dem unterschied zwischen dem empfinden eines kollektiven glücks auf der einen seite und des kollektiven unglücks auf der anderen seite resultieren auch die völlig unterschiedlichen, zum größten teil gegensätzlichen umgangsweisen mit der machtmanifestation des nationalsozialismus in der neuen hofburg und auf dem hrad. dennoch fielen sie völlig anders aus.

hypothese 5 die erwähnten übereinstimmungen sind von einer lediglich relativen, beinahe hypothetischen gültigkeit. die beiden führerauftritte als auch die außenpolitisch eindrucksvollen machtdemonstrationen des siegreichen nationalsozialismus können sowohl als eine gemeinsamkeit – in den besetzten ländern wurden nur die wiener hofburg und die prager burg von hitlers besuch heimgesucht – oder als eine gegensätzlichkeit bewertet werden. das trifft mehr oder weniger für alle der vorher aufgezählten übereinstimmungen zu. die österreichischen kronjuwelen etwa spielen in den gegenwärtigen staatspolitischen ritualen und bei der kollektiven identifikation der österreichischen republik gar keine rolle. sie sind ausschließlich bestandteil der touristischen verwertung der wiener hofburg. die tschechischen kronjuwelen hingegen werden ausschließlich politisch verwertet. in den staatspolitischen ritualen der tschechoslowakischen und neulich vor allem der tschechischen republik wird ihnen eine geradezu staatstragende bedeutung zugeteilt: sie werden mystifiziert und daher äußerst selten gezeigt, neuerdings hauptsächlich beim amtsantritt des neu gewählten präsidenten. von václav klaus zu seiner wiederwahl 2008 eingeführt, wurden die kronjuwelen nun anlässlich der inauguration von miloš zeman 2013 für eine kurze zeit ausgestellt. das komplizierte und pathetische ritual des knappen herzeigens, begleitet mit lächerlichen zeremonien der operettenhaften prager burggarde, täuscht eine königliche krönung vor. es lindert ein wenig die kränkung der abgelehnten krönungen der letzten habsburger zum könig von böhmen und mähren und stellt die als-ob-inthronisierung des präsidenten der tschechischen republik als zeitgeistigen nachfolger des tschechischen königs karl VI. dar, es gleicht einer wiederherstellung der 128

traktat über die prager burg

alten herrlichkeiten. der zeitgeist in tschechien ist autokratisch und daher monarchistisch.

faktum 4 die unterschiede zwischen der hofburg und dem hrad sind viel zahlreicher und viel eindeutiger als die – verglichen mit den anderen machtzentren in europa recht vielen – übereinstimmungen. es sind unterschiede, die meist gegensätzlich, gravierend und eindeutig sind. wobei die gegenwärtig lang geltenden oder neu gepflegten gegensätzlichkeiten meist auf den machtpolitisch motivierten gegensätzlichen umständen in der gemeinsamen österreichisch-tschechischen geschichte basieren und als ersatz für den unterbliebenen österreichisch-böhmischen ausgleich fungieren. darüber hinaus wird der hrad von einer fülle von weltweit einzigartigen besonderheiten, raritäten und skurrilitäten geprägt. allein der in einem winzigen alchemistenhäuschen im goldenen gässchen an der weltliteratur schreibende franz kafka ist unübertrefflich und ein devotionaliengeschäft sondergleichen. kein vergleich mit dem schreibenden staatsuntermieter alexander­lernet-holenia in der wiener hofburg, kein lernet-holenia-nippes weit und breit, nur eine gedenktafel. wohl zu recht wird die prager burg zu den merkwürdigsten machtzentren auf der welt gezählt, was auch zunehmend von vielen tschechen als fragwürdig empfunden und kritisiert wird. die bedeutendsten unterschiede zwischen der hofburg und dem hrad sind: 1. die hofburg ist eine flachburg, der hrad ist eine hochburg, also eine höhenburg. die topografie ist von entscheidender bedeutung für die unmittelbaren und mittelbaren wirkungen beider baukomplexe. der hrad steht auf einem lang gezogenen felsen, der fast zum moldauufer reicht. der hügel ist 70 meter hoch und auf beiden längsseiten steil abfallend – auf der einen seite, der sogenannten »kleinseite«, befindet sich das gedrängte, verbaute historische stadtviertel. von dieser pittoresken historischen stadtbebauung wird der hrad durch das geflecht von den am steilen berghang angelegten gärten der adelsplaläste unterhalb der burg (suburbum, tschechisch podhradí) und von den burggärten selbst getrennt. auf der anderen burgseite befindet sich eine tiefe und dicht bewaldete schlucht, durch die ein bach fließt, der hirschgraben. obzwar diese seite des hrads ungemein romantisch ist, kommen nur wenige besucher hierher. der hirschgraben war jahrzehntelang für die öffentlichkeit gesperrt, zugänglich gemacht wurde er unter dem ersten postkommunistischen präsidenten václav havel. dadurch kommt es, dass der hirschgraben, und auch die anderen erst nach 1989 zugänglichen burgbereiche, nicht zu den traditionellen pilgerstätten der bevölkerung auf dem hrad zählen. außerdem ist die attraktivität der vielfältigen gärten schon wegen ihrer ausblicke auf die stadt im moldautal außer jeder konkurrenz. sieht man vom haupteingang auf dem hradschinplatz jan tabor

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ab, ist der hrad von grünflächen umschlossen, wobei auch zahlreiche nutzgärten mit glashäusern und blumenbeeten dazu gehören sowie weinberge oder obstgärten, die der unmittelbaren hrad-umgebung stellenweise dörfliche idylle verleihen. als wäre ein landstück aus dem weinviertel nach prag versetzt. zu den vielen besonderheiten zählt zum beispiel das bienenhaus, das beinahe so groß ist wie ein einfamilienhaus und vom burghauptarchitekten, jože plečnik, für den ersten tschechoslowakischen präsidenten tomaš g. masaryk errichtet wurde – wahrscheinlich ist es das einzige bienenhaus, das von einem bedeutenden architekten entworfen wurde. derartige vielfalt an ländlichen nutzungen wie weinberge, obstgärten und wiesen inmitten einer großstadt und die oft schroffen übergänge und gegensätze zwischen dem ruralen und dem urbanen sind tatsächlich ungewöhnlich. den hrad kann man eigentlich nur zu fuß erreichen, auf direkten wegen erklimmen, über die alte und die neue schlossstiege. vor allem die steile nerudagasse und die burgstraße, die den letzten und bedeutendsten abschnitt des alten, längst touristisch völlig devastierten königs- und krönungswegs bilden, durch den hirschgraben oder über die hirschgrabenbrücke auf der anderen seite des hrads. der hrad ist in jeder hinsicht das ziel und der endpunkt aller wege (wie auch aller blicke) aus der stadt unterhalb und auch von außerhalb. der hrad ist in jeder hinsicht der gipfel, auch der ideelle gipfel von böhmen und mähren, der gipfel des tschechischen nationalstolzes. die wiener hofburg hingegen befindet sich irgendwie am weg unterwegs durch die stadt, auf dem weg aus der altstadt zur ringstraße, sie ist offen und doch steht sie irgendwie im weg. die passanten gehen durch die dunklen, wenig zum verweilen einladenden passagen oder auf einer schlecht asphaltierten straße, die nach pferden stinkt – das einzige rurale an der hofburg – gleichsam durch einen tunnel zum heldenplatz, der in der touristenperiode vollgefüllt ist mit droschken und autos, mit denen der wichtige teil, der vorplatz vor der neuen hofburg, verparkt ist. der hrad ist – sieht man von den dienstlimousinen der staatlichen burgherren ab – autofrei. 2. die gesamtgestalt und der gesamtumfang der hofburg sind unklar (die angegebene größe von 36 hektar dürfe ebenso wenig stimmen wie jene vom hrad mit 7,5 hektar), leicht uneinheitlich und unfertig (was allerdings als qualität zu werten ist), es gibt keinen mittelpunkt und auch keinen höhepunkt, keinen haupteingang und keinen hauptplatz, keine stelle, wo man gern verweilen würde, kaum sitzbänke, aber eine wiese zum ausstrecken. des eindrucks einer mittelmäßig interessanten touristendestination kann man sich schwer erwehren. der eingang zur kaiserlichen schatzkammer ist für die lieblosigkeit, mit der man in wien mit der hofburg umgeht, symptomatisch. der blick auf das angebot in den auslagen der souvenirläden bezeugt, dass die hofburg keine nennenswerte position als symbolbau von wien und von österreich innehat. man merkt auch, die hofburg ist kein baustein des österreichischen volksbewusstseins, kein gipfel aller gefühle. auch in der absichtsvoll eingesetzten österreichischen staatsräson erhält 130

traktat über die prager burg

sie keine besondere aufgabe – nicht zuletzt wegen der weltweit bekannten negativen konnotation durch hitlers auftritt und den folgen. nur ein kleiner teil der hofburg wird als sitz des bundespräsidenten beansprucht, der eingang zum präsidententrakt befindet sich abseits auf dem wenig attraktiven und wenig frequentierten ballhausplatz, fast als handelte es sich um einen bediensteteneingang und der bundespräsident wäre hier bloß ein untermieter. die hofburg ist wie absichtslos da und das ist gut so. 3. all das unaufgeregte an der jetzigen verwendung der wiener hofburg sowie die tatsache, dass hier keine seltsam uniformierten burgwachen aufgestellt werden, macht die wiener hofburg viel sympathischer als die mittlerweile steril hergerichtete prager burg. die tradition der burgwachen auf dem hrad reicht zu den ersten stunden der deklarierung der tschechoslowakischen republik 1918 zurück, als die eingänge von den tschechoslowakischen legionären mit der absicht besetzt wurden, der beanspruchung der prager burg durch die prager deutschen zuvorzukommen – der tschechische könig karel VI. war und ist für die deutschen vor allem einer der bedeutendsten deutschen kaiser. die einführung der burlesken uniformen der prager burgwachen war eine der ersten sichtbaren amtshandlungen des intellektuellen václav havel, dem ersten präsidenten der postkommunistischen ära. sie wurden von einem opernausstatter und freund havels, theodor pištěk, entworfen und hatten die aufgabe, die neu angebrochenen zeiten und die abkehr vom kommunismus sichtbar zu machen. die prager burgwachen sind also ein längst nicht gegenwärtig bewusstes residuum des sieges der tschechischen böhmen über die deutschen böhmen im kampf um die prager burg als das symbol der neuen, tschechisch bestimmten staatlichkeit. die prager burg ist der einzige historische ort staatlicher macht in europa, um den zwei nationalitäten gehadert haben. 4. die wiener hofburg erfuhr nach 1918, nach dem ende der monarchie, ein ähnliches schicksal wie der prager hrad nach 1848, nachdem kaiser fedinand I., der gütige, zurücktrat und franz joseph I. sein nachfolger wurde. von anfang an zeigte dieser ostentativ sein desinteresse an böhmen und mähren, an der königsstadt prag und dem prager königsschloss. das gemeinsame, allerdings zeitverschoben, ist: die einst mächtigen und machtpolitisch bedeutsamen bauwerke verloren rasch an bedeutung, nachdem die macht, die sie repräsentieren und stützen sollten, verschwand. sie wurden zu einer last, weil es kaum möglich war, sie mit entsprechenden ersatzfunktionen effektiv neu zu nutzen. sie wurden lästige und seltsamerweise auch beim volk unbeliebte baulichkeiten. die prager burg, der hrad, war als habsburgerbesitz bis zur verstaatlichung nach 1918 exterritorial. bis zum ende der monarchie 1918 war die prager burg verwaltungsmäßig, und damit auch fiskal, der burghauptmanschaft in wien unterstellt und wurde systematisch vernachlässigt. der hrad, der ganze hradschin, war eine beinahe verrufene gegend, für die niemand richtig zuständig zu sein schien. im mittelpunkt der tschechischen nationalgefühle stand das neue prachtvolle tschechische nationaltheater, errichtet im jan tabor

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sinn des patriotischen städtebaues als architektonisches gegengewicht zum verlassenen hrad. heute ist es kaum vorstellbar: der hrad war in der mittlerweile national aufgeweckten und zunehmend auch aufgeregten stadt prag ein fremdkörper. für einen teil der tschechen war er symbol einer kaputten fremden macht, für die prager deutschen ein symbol der möglichkeit, sich gegen die aufstrebenden tschechen durchzusetzen. später dann, als man mit den deutsch-böhmischen patrioten begonnen hatte, die höchstens zur hälfte fertiggestellte burgkathedrale st. veit weiterzubauen, war er für die (prager) deutschen ein symbol des aufstrebenden deutschtums. in einem waren sich die böhmenpatriotischen tschechen und die böhmenpatriotischen deutschen in böhmen einig: die prager burg, der pražský hrad, war das symbol des geringen interesses des österreichischen herrschers an böhmen und mähren. das verhalten des kaisers in wien beleidigte die böhmischen tschechen gleichermaßen wie die böhmischen deutschen. vor allem der deutsch-böhmische klerus war es, der auf die krönung des kaisers zum böhmischen könig drängte wie auch auf die fertigstellung der veitskathedrale als ein landespatriotisches gegengewicht zum stephansdom in wien. die situation veränderte sich für die deutschen in böhmen und mähren nach dem sieg der preußen bei königgrätz, dem österreichisch-ungarischen ausgleich 1867 und besonders nach der gründung des deutschen reiches 1871 grundlegend. das dynamische und erfolgreiche großdeutschland der gründerzeit war für sie die bessere alternative zu der trägen und erschöpften monarchie. die emotionale distanz zu berlin verringerte sich und jene zu wien verlängerte sich erheblich und in immer komplizierteren kausalitäten zunehmend verhängnisvoll für alle beteiligten völker: zerfall der vielvölkermonarchie österreich-ungarn – ethnisch fast homogenes restösterreich – vielvölkerstaat tschechoslowakei – anschluss – ostmark – münchner abkommen / diktat – okkupation – protektorat böhmen und mähren – befreiungen – kommunistischer putsch – staatsvertrag – fall des kommunismus … und dann der ruf »havel na hrad!«. sobald václav havel auf die burg gekommen war, ließ er den hirschgraben und den königsgarten für die öffentlichkeit zugänglich machen und die burggardisten in die pittoreske trachtenuniformen »à la verkaufte braut« kleiden. václav klaus führte dann eine burgeigene polizei ein, gekleidet nach dem outfit der amerikanischen fernseh-polizeieinheiten. strebte havel eine volkstümlich-patriotische öffnung an, so war der hrad in prag unter václav klaus zu einem staat im staat geworden. nicht dem kreml in moskau und noch weniger der wiener hofburg samt ballhausplatz in wien und schon gar nicht dem neu errichteten regierungsviertel in berlin ähnlich, sondern dem vatikan in rom nach dem konkordat von 1929. die postkommunistischen präsidenten václav havel, václav klaus und nun miloš zeman wirken keineswegs als mehr oder weniger aufgeklärte monarchen-beamte wie franz joseph I. einer war und wie es ein teil des volkes gern hätte, jener teil, der karel schwarzenberg wählte. eher wirkten und wirken sie als dogmatische und eitle päpste, so, wie es dem anderen teil des tschechi132

traktat über die prager burg

schen volkes behagt. alle sind ausgewiesene besserwisser und moralisten. das waren die österreichischen kaiser nicht. der wiener hofburg ist nach der gründung der beiden republiken 1918 die einzigartige politische prager-burg-theatralik weitgehend erspart geblieben. die wiener-hofburg-theatralik wurde erst nach 1945 und abseits der hofburg in den marischka-filmen ausgelebt. die wiener hofburg befindet sich in der mitte der stadt und dennoch – sieht man von dem dem sonderfall heldenplatz ab – abseits jeglicher patriotischer aufmerksamkeit. mit der prager burg ist es genau umgekehrt. ihre bedeutung als ort fragwürdiger politischer alchemie wächst beständig von präsident zu präsident. 5. es gibt drei wesentliche umstände, welche die weltweit einzigartige pragerburg-theatralik begünstigen und durch die sich der hrad von der hofburg gründlich unterscheidet. den mittelpunkt des hrads bildet die (größtenteils) neugotische st.-veitkathedrale. der anfänglich gemeinsam begonnene deutsch-tschechische patriotische wiederaufbau wurde 1936, von den tschechen im alleingang und von den deutschen mit unbehagen hingenommen, beendet. auf den deutschen fotos der tschechisch vollendeten kirche werden in den zeitgenössischen deutschen publikationen auffallend häufig die aufnahmen mit der apsis so abgebildet, dass man die portalseite nicht sieht. die st.-veit-kathedrale war und ist die hauptkirche von böhmen und mähren. sie ist die krönungskirche. in der gruft wurden viele böhmische herrscher samt gattinen und viele habsburger und hausburgerinnen begraben. kein vergleich mit johann von nepomuk. das prachtvolle grabmal des in der barockzeit erfundenen österreichischen hauptheiligen wurde von joseph emanuel fischer von erlach entworfen. das grabmal von karl VI. wurde in den 1930er-jahren von dem tschechischen funktionalistischen architekten kamil roškot neu konzipiert und so mit der idee des modernen tschechoslowakischen staates verknüpft. in der gotischen ladislaus-halle finden wichtige staatspolitische akte statt, die amtseinführung des staatspräsidenten etwa, der ort ist sakrosant. die hauptkirche von österreich, der stephansdom, liegt außerhalb der hofburg. die hofburgkirche selbst haben nur wenige österreicher und österreicherinnen gesehen. die österreichischen herrscher und ihre nachkommen wurden und werden in der kaisergruft in der kapuzinerkirche außerhalb der hofburg begraben. die redoutensäle dienen als veranstaltungsort für alle arten von veranstaltungen. 6. die böhmischen kronjuwelen werden ebenfalls in der kathedrale aufbewahrt, einem besonderen ort, der nur zu besonderen gelegenheiten geöffnet wird – wie in einem märchen hinter einer tür mit sieben schlössern. ein für das tschechische ohr gut klingendes märchen ist die geschichte des stellvertretenden reichsprotektors von böhmen und mähren, reinhard heydrich, der sich bei seinem besuch der kronjuwelenkammer die krone des hl. wenzels aufgesetzt hatte und bald wegen dieser deutschen anmaßung sterben musste – nach dem attentat tschechoslowakischer fallschirmjäger 1942. die sieben schlüssel werden von sieben der wichtigsten machtträger in der tschechischen jan tabor

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republik aufbewahrt. unter anderem vom staatspräsidenten, dem erzbischof, dem senatsvorsitzenden oder dem ministerpräsidenten. noch bevor petr nečas seinen rücktritt als regierungschef auf einer pressekonferenz im juli 2013 bekannt gab, ­berichteten die tschechischen zeitungen, dass er seinen schlüssel vom kronjuwelentresor in st. veit abgegeben hatte. 7. der erste tschechoslowakische präsident tomáš g. masaryk wünschte sich von jože plečnik, dem von masaryk autokratisch eingesetzten architekten, er möge die prager burgruine zur slawischen akropolis verwandeln. dem staatsgründer und erfinder der spezifischen monarchistisch-demokratischen hrad-komplexsymbolik schwebte ein modifizierter panslawismus vor, eine art pantschechoslowakischer vielvölkerstaat, der vom russischorientierten panslawismus unberührt, die südslawen miteinbeziehen sollte. dem slowenischen prager burgarchitekten plečnik mit seiner neigung zur patriotischbühnenhaften architektur behagte die aufgabe sehr. seine zahlreichen architektonischen eingriffe sind mittlerweile eine der größten sehenswürdigkeiten am hrad. trotz aller lieblichkeit handelt es sich um politische architektur. als adolf hitler am 16. märz 1938 die prager burg, nachdem er dort effektvoll übernachtet hatte (in wien stieg er im hotel imperial ab), besichtigte, ordnete er die beseitigung einiger architektonischer schöpfungen plečniks an. warum sein befehl nicht erfüllt wurde, bleibt ein historisches rätsel. der statthalter heydrich ließ nach einem konsultationsbesuch von albert speer, dem hauptarchitekten des großdeutschen reiches, umgestaltungs- und erweiterungspläne für den ganzen hradschin zu einem gauforum ausarbeiten. wie bei den ns-glücksmanifestationen anlässlich der erscheinung des führers offensichtlich wurde, fehlte dort eine ausreichende fläche für die aufmarschierenden massen. erst im zuge mit dem hradschin-umbau sollte die prager burg in angriff genommen und dabei vermutlich die plečnikschen entartungen beseitigt werden. wäre es den nationalsozialistischen eroberern gelungen, die geopolitische distanz zwischen berlin, nach dem erfolgten umbau germania genannt, und prag auf null zu reduzieren und die umbaupläne für den hradschin zu verwirklichen, dann würden die wiener hofburg und die prager burg ganz ähnlich ausschauen, ähnlich schauerlich. die meisterleistungen plečniks, der auf der suche nach einer »architectura perennis« für die slawen war, werden in prag gepflegt und vermehrt, durch nachahmungen, wie jene von václav havel bei seinem freund bořek šípek, und nachbestellungen, wie jene von livia klaus, der frau von václav klaus, als sie noch die erste burgfrau war. sie ließ das eindrucksvolle – aber mindestens so unvollendet gebliebene wie jenes der neuen hofburg – ensemble der plečnikschen burgarchitektur um ein bedeutendes stück erweitern. nach einem der zahlreichen unverwirklichten ideenskizzen ließ sie eine patriotische stele mit einer vergoldeten skulptur des böhmischen wappenlöwen oben anfertigen und beim eingang über der hirschgrabenbrücke anbringen.

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traktat über die prager burg

abschließende wahrnehmung endlich bricht auch in prag die habsburgernostalgie auf. am 1. august 2013 erschien die prager wochenzeitschrift reflex mit der covergeschichte »tschechen fehlt der könig«. In dem umfangreichen aufsatz über die vorteile einer monarchie nach dem britischen vorbild für die von korrupten politikern ausweglos miserabel regierten tschechischen republik wird vom historiker jiří rak ein uraltes tschechisches staatsgeheimnis verraten. frantisek josef I. mochte die tschechen und sprach ein tadelloses tschechisch. das fazit der recherche nach einem geeigneten könig für böhmen und mähren: »sollte es zur wahl des tschechischen königs kommen und jemand aus den reihen des tschechischen adels ausgewählt werden, dann wäre zweifelsohne der erste und natürlichste kandidat der ex-außenminister und präsidentenkandidat karel schwarzenberg. der orlík-zweig des reichen und einflussreichen geschlechtes bekannte sich seit einiger generationen zur tschechischen nationalidee, verteidigte die tschechischen historischen rechte und war bekannt dadurch, dass (bereits im frühen 19. jahrhundert) sie, die angehörigen des orlíkzweigs, in öffentlichen reden ein tadelloses tschechisch verwendeten. der vater von karel schwarzenberg verfasste im september 1938 eine erklärung, in der vertreter von zwölf traditionsreichen adelsgeschlechtern ihre treue zum präsidenten beneš und zu der tschechoslowakischen republik beteuerten.« rak sieht da allerdings ein problem. die tschechische hocharistokratie stand stets loyal hinter ihren monarchen, daher würde sie eine derartige nominierung mit dem hinweis ablehnen, dass der thron der habsburger dynastie vorbehalten sei. und es seien noch karel habsburský und dessen sohn ferdinand zvonimir und unzählige weitere habsburger, die nach der thronfolgerordnung bevorzugt werden müssten. dem tschechischen senat stehe das recht, den tschechischen könig zu wählen, nur dann zu, wenn das habsburger geschlecht gänzlich ausgestorben wäre, ließ der historiker rak alle hoffnungen auf die krönung des prachtvollen tschechen karel schwarzenberg zum könig von böhmen und mähren fahren.

jan tabor

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1: Die Budaer Burg von Westen, 1920er-Jahre

2: Die Budaer Burg von Westen, 1945

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Von der Parteifestung zur Burg der Kultur. Umbaugeschichte der Budaer Burg nach dem Zweiten Weltkrieg

Péter Rostás

Die Schlacht um Budapest zwischen Dezember 1944 und Februar 1945 war eine der längsten und blutigsten des Zweiten Weltkriegs. Die deutschen Truppen waren Ende Jänner 1945 im Stadtteil Buda eingeschlossen, dabei wurden der Burgpalast und seine Umgebung stark beschädigt.1 Der größte Teil der Möbel war noch vor der Belagerung ausgelagert worden, mit wenigen Ausnahmen blieben diese später verschollen.2 Im Februar 1945, als die II. Ukrainische Front bereits die Kontrolle über die Stadt übernommen hatte, war der Burgpalast – wie von Zeitzeugen berichtet wurde – aufgrund des wochenlang anhaltenden Brandes noch immer nicht zugänglich (Abb. 1 und 2). Der genaue Umfang des Schadens ist bis heute nicht bekannt. Man verfügt zwar über eine Serie von Fotos, das genaue Datum der Aufnahmen ist jedoch nicht zu bestimmen.3 Die Bilder zeigen, in welchem Ausmaß die Kuppel zerstört worden war (Abb. 3), fast das gesamte Dachwerk und damit auch das dritte Stockwerk des Palais waren vernichtet worden, die Geschossdecke des zweiten Stocks wies starke Beschädigungen auf. Auf einem Schadensplan4 aus dem Jahr 1949 sind die eingestürzten Decken mit gelber Farbe gekennzeichnet (Abb. 4). 1 2

3 4

Ungváry, Krisztián, Budapest ostroma [Die Belagerung von Budapest], Budapest 2000, 144–162. Kókay, György, Dokumentumok a Budai Vár 1945. évi ostromáról [Dokumente über die Belagerung der Burg von Buda im Jahr 1945], Tanulmányok Budapest Múltjából [Studien über die Geschichte von Budapest] XXVI, 1997, 221–249; Ders., Dokumentumok a volt királyi palota háborús veszteségeiről és újjáépítésének előzményeiről [Dokumente über die Kriegsverluste der ehemaligen königlichen Burg und die Vorbereitungen zu deren Wiederaufbau], Tanulmányok Budapest Múltjából [Studien über die Geschichte von Budapest] XXIX, 2001, 293–342. Das Museum Kiscell bewahrt eine Serie von Fotos auf, die die demolierte Burg zeigen, aber das Datum der Aufnahmen ist unbekannt. Magyar Országos Levéltár, XIX-A-16-b, Országos Tervhivatal iratai, 128. doboz, I. mappa [Ungarisches Landesarchiv, XIX-A-16-b, Akten des Landesplaninstituts, Karton 128, Mappe I]. Péter Rostás

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Die Sicherungsarbeiten der Bausubstanz begannen im August 1945 und wurden in Etappen bis zum Sommer 1946 durchgeführt. Während dieses langen Arbeitszeitraumes entstanden zahlreiche Wasserschäden im Palast, die durch die eingestürzten Decken verursacht wurden. Die Wandvertäfelungen der Räumlichkeiten im Christinenstädter Flügel wurden bereits während des Krieges mit Pilz infiziert,5 sodass es für den Großteil des Interieurs keine reale Chance nach dem Krieg gab, gerettet zu werden. Unmittelbar nach dem Krieg gab es keinerlei Intention zur Restau3: Die Kuppel der Budaer Burg vom Löwenhof aufgenommen, 1945

rierung der entstandenen Schäden.

4: Schadensaufmessungsgrundriss 2. Stock, 8.7.1949 (gelb = fehlende/eingestürzte Mauer oder Decke; rot = abzubauende Mauer oder Decke)

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Rostás, Péter, Egy helyiség helye. A Budavári Palota Hunyadi Mátyás-termének története [Die Situation eines Raumes. Die Geschichte des Mathias Hunyadi-Saals des Budaer Burgpalastes], Tanulmányok Budapest Múltjából [Studien über die Geschichte von Budapest] XXIX, 2001, 509.

Von der Parteifestung zur Burg der Kultur. Umbaugeschichte der Budaer Burg nach dem Zweiten Weltkrieg

5: Iván Kotsis, Vorschlag zum Wiederaufbau der Budaer Burg, 1945

Erst jetzt sind Stimmen laut geworden, die über das Ausbleiben der Wiederherstellung Rechenschaft verlangen. Nach der Belagerung beschäftigte sich zunächst der »Hauptstädtische Rat für Öffentliche Arbeiten« mit der möglichen Verwendung des Gebäudekomplexes. In Bezug auf das künftige Erscheinungsbild des Palastes legte sich der Rat auf die Entwürfe seines einflussreichsten Mitgliedes, Professor Iván Kotsis von der Technischen Universität, fest. Kotsis hatte seine Entwurfszeichnungen bereits im August 1945 publiziert (Abb. 5).6 Er war von 1907 bis 1911 Student von Alois Hauszmann an der Budapester Universität und trotzdem oder eben deshalb wurde er ein überzeugter Feind des Späthistorismus.7 Kotsis hatte nach dem Zweiten Weltkrieg seine akademisch modernistische Auffassung konsequent umgesetzt und die beschädigten öffentlichen Gebäude Budapests unbarmherzig geschliffen. In seiner architektonischen Welt durfte eine Kuppel auf einem säkularisierten Gebäude keinen Platz haben. Auch im Falle des Budaer Königspalastes hatte er die Entfernung der Kuppel und stattdessen den Ausbau eines eckigen, turmartigen Mittelbaus vorgeschlagen.8 Als Vorbild haben ihm möglicherweise der Aufsatz auf dem 6 7 8

Kotsis, Iván, Épületek és tervek [Gebäude und Pläne], Budapest 1945. Kotsis, Iván, Életrajzom (szerk. Prakfalvi Endre) [Prakfalvi, Endre (Hg.), Meine Laufbahn], Budapest 2010, 20–24. Kotsis hat seine Auffassung von der Wiederherstellung der Burg in den folgenden Vorschlägen zusammengefasst: [deutsch im Original!] »1. Dächer nicht wiederaufbauen, denn – abgesehen von den Kosten – die zergliederten Mansartdächer Péter Rostás

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6: J. E. Mansfeld, F. Pichler, Der Budaer Königspalast mit der Sternwarte der Universität, Kupferstich, 1779

Schloss Esterházy bei Ödenburg, der Sternwarte-Turm des Lyzeums in Erlau (nordöstlich von Budapest) sowie der Sternwarte-Turm des Budaer Burgpalastes selbst, der unter Kaiserin Maria Theresia nach Plänen Franz Anton Hillebrandts durch den Pressburger Baumeister Georg Karl Zillack 1778–1779 ausgeführt wurde, gedient (Abb. 6). Für Kotsis, der später als rigoroser und prinzipientreuer Dozent der Technischen Universität galt, war der wesentliche Orientierungspunkt in der ungarischen Architekturgeschichte die spätbarocke und frühklassizistische Periode. Seiner Meinung nach hat die ungarische Architektur in dieser Epoche einen eigenständigen und von Wien unabhängigen, nüchternen und gemäßigten Charakter entfaltet und landesweit verbreitet.9 Eben deshalb hätte Kotsis vom Hauszmann’schen Palastbau nur die von ihm geschätzte Massenanordnung erhalten. Für den jungen Architekturstudenten Iván





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und vielerlei Kuppeln stören und fügen sich auch nicht in die Massenwirkung des Barockbaues. Ein durchgängig horizontaler Abschluss mit einer Attika ist ernster, stilmässiger, und die auf diese Weise entstandenen Umrisse geben einen besseren Abschluss des Landschaftbildes. 2. An Stelle der Mittelkuppel, die ebenfalls nicht stilgerecht ist, und besonders mit ihren Einzelheiten, in der Silhouette zu spielerisch wirkt, und eine typische dekorative Zutat vom Anfang des XX. Jahrhunderts war ohne entsprechenden Innenraum, sollte ein ruhiger Aufbau mit horizontalem Abschluss errichtet werden so, wie derselbe im XVIII. Jahrhundert öfters vorzufinden ist. 3. Mit der Umgestaltung der Kuppel sollte auch die Architektur des darunter liegenden Mittelrisalits zu der Stilwirkung der Burg passend umgestaltet werden, da der Mittelteil, ebenso wie die zerstörte Kuppel zu seiner Zeit mit sezessionistischen Einzelformen ausgebildet wurden.« In: Kotsis, 1945, 22. Kotsis, 2010, 170.

Von der Parteifestung zur Burg der Kultur. Umbaugeschichte der Budaer Burg nach dem Zweiten Weltkrieg

Kotsis war die Aufnahme der lokalen spätbarocken Denkmäler in Erlau – darunter auch das Lyzeum – mit Professor Virgil Nagy im Jahr 1909 eine prägende Erfahrung.10 Man spürt den klaren Einfluss von Kotsis auf die Verordnung des Hauptstädtischen Rates für Öffentliche Arbeiten im Oktober 1945, in der es heißt: »Das Gebäude soll nach dem Vorkriegszustand wiederhergestellt werden.«11 Zur gleichen Zeit hielt es der Rat »im Interesse einer einheitlicheren ästhetischen Erscheinung für akzeptabel«,12 dass einige Bauteile, wie zum Beispiel die Kuppel, modifiziert werden. Der Rat hatte den Palast zur Residenz des jeweiligen Staatsoberhauptes und der Regierung bestimmt, jedoch den Einzug einer Kultur­institution oder eines Amtes nicht dezidiert ausgeschlossen. Von 1945 bis zum Ende des Jahres 1948, zur Zeit der Koalitionsregierung, wurde die Frage des Wiederaufbaus des Palastes nicht weiter konkretisiert. Allerdings wurden die archäologischen Ausgrabungen an der südlichen und östlichen Seite des Burggartens bereits 1946 aufgenommen13 und mit Hochdruck vorangeführt, was später umfangreiche Konsequenzen für die Erscheinung der Burg haben sollte. Die Archäologie übte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen großen Einfluss auf die Stadtplanung aus. Ein Blick auf den Michaelerplatz in Wien reicht, um nur ein naheliegendes Beispiel zu nennen. In Budapest waren diese Auswirkungen wesentlich stärker als in Wien. In der Nachkriegszeit erfuhren weder die Architektur noch die urbanistischen Qualitäten der Schwesternhauptstadt der ehemaligen österreichischungarischen Monarchie eine Form der Wertschätzung, demzufolge ließen die Stadtregierung und das Denkmalamt den Archäologen bei der Freilegung und Präsentation von mittelalterlichen und römischen Mauerresten freie Hand. Auf dem Burgareal war man noch vor der Belagerung im Zuge der Errichtung einer Luftschutzzisterne auf Steinfragmente aus der Renaissance gestoßen.14 Diese Grabungsarbeiten wurden von zwei Fachleuten geleitet: László Gerő, Architekt der Magistratsabteilung für Luftschutz,15 der später für die archäologische Rekonstruktion verantwortlich 10 Kotsis, 2010, 24. 11 Budapest Főváros Levéltára, II.1.b. FKT elnöki iratok, 17. doboz, XIV. tétel [Archiv der Hauptstadt Budapest, II.1.b. Hauptstädtischer Rat der Öffentlichen Arbeiten, Karton 17, Satz XIV]. 12 Kókay, 2001, 323. 13 Gerevich, László, A budai vár feltárása [Ausgrabungen der Budaer Burg], Budapest 1966, 9; Lestyán, Sándor, Napfényre kerülnek a »Friss Palota« maradványai. A főváros megkezdte Zsigmond király lakának feltárását a Várhegyen [Die Überreste des »Frischpalastes« sind ans Licht gekommen. Die Hauptstadt hat mit dem Freilegen der Ruinen auf dem Burgberg angefangen], Demokrácia [Demokratie], 12.05.1946, 8. 14 Rostás, Péter, »Corvin Mátyásnál pattant el a lánc …«. Mátyás kultusza és a budai királyi palota a két világháború között. [»Nach Matthias Corvin wurde die Kette … gesprengt«. Der Kult um Matthias und der Budaer Königspalast in der Zwischenkriegszeit], Ars Hungarica, 2007/2, 433–434. 15 László Gerő publizierte die Arbeiten der Magistratsabteilung für Luftschutz vor dem Krieg: Budapest Székesfőváros polgármesteri légoltalmi ügyosztálya építkezései [Die Bauherstellungen der Magistratsabteilung für Luftschutz der Residenzstadt Budapest], Légoltalmi Közlemények [Luftschutzanzeiger] Februar 1939, 3–15. Péter Rostás

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zeichnete, und Kálmán Lux, technischer Leiter der Landeskommission für Denkmäler. Basierend auf dessen Rekonstruktionszeichnung von 1917 und seinem Aufsatz über den Palast von König Matthias Corvinus16 hatte man 1937 ein Modell der Burg angefertigt und im königlichen Palais aufgestellt.17 Der Kult um Matthias Corvinus, der in der antihabsburgischen Tradition als der größte Nationalkönig gegolten hatte, blieb auch nach dem Weltkrieg mit Bezug auf den Budaer Königspalast bestehen, weshalb auch die Ausgrabungen der Überreste des Matthiaspalastes ohne Hindernisse aufgenommen werden konnten. Die Arbeiten begannen im Mai 1946 unter der Leitung von László Gerevich. Die Umsetzung der großzügig geplanten archäologischen Rekonstruktionsarbeiten, die den südlichen Abschnitt der franziskojosephinischen Palastanlage vollkommen umwandelten, erfolgte 1948/49, aber bis 1950 wurden praktisch keine wichtigen Gartenbauten des neuzeitlichen Palais zugunsten der Ausgrabungen demoliert.18 Die Leitung der Rekonstruktionsarbeiten lag in den Händen von László Gerő, im Baubüro arbeitete auch der bereits erwähnte Kálmán Lux.19 Letzterer war federführend bei der in der ungarischen Denkmalpflege epochemachenden Rekonstruktion der Burg von Gran zwischen 1934 und 1938 (Abb. 7).20 Dieses Projekt war für Gerő deklarierterweise das wichtigste Vorbild für die Rekonstruktion der Budaer Ritterburg.21 Die Pläne der Budaer Rekonstruktion wurden sogar vom Vorstand der Landeskommission für Denkmalpflege, Tibor Gerevich, dem Onkel des Chefarchäologen László Gerevich, bewilligt. Tibor Gerevich hatte bereits zehn Jahre zuvor die Graner Rekonstruktions- und konservatorischen Arbeiten beaufsichtigt und in dem von ihm verfassten Standardwerk über die romanische Kunst in Ungarn die wichtigsten Ergebnisse der Ausgrabungen von Gran zusammengefasst.22 László Gerő hatte im Zuge seiner umfangreichen publizistischen Tätigkeit die theoretischen und praktischen Grundlagen für die Rekonstruktion der Burg wiederholt in Fachzeitschriften veröffentlicht, die sich in vier Gruppen zusammenfassen lassen:

16 Lux, Kálmán, A budai királyi vár képe I. Mátyás korában [Das Bild der Budaer königlichen Burg zur Zeit des König Matthias I.], A Magyar Mérnök- és Építész Egylet Közlönye [Anzeiger der Ungarischen Ingenieur- und Architektengesellschaft], 1917, 30. sz., 1917, július 22. [Jg. 1917, Nr. 30, 22.7.1917], 273–281. 17 Lux, Colomanno, Il Palazzo Reale di Buda, Corvina, 1937, 103–126. 18 Gerő, László, A budai vár helyreállítása [Die Wiederherstelllung der Budaer Burg], Budapest 1951, 172. 19 Lux scheint auf den Plänen, die das von Gerő geleitete Baubüro zur archäologischen Rekonstruktion hergestellt hat, als Ateliermitglied auf. 20 Zolnay, László, Az esztergomi vár [Die Burg von Gran], Budapest 1960, 7. 21 Gerő, László, Építészeti felfogásunk alakulása tíz év műemléki gyakorlatában [Der Werdegang unserer Auffasssung von der Architektur in zehnjähriger denkmalpflegerischer Praxis] 1949–1959, Műemlékvédelem III. évf. [Denkmalpflege, III. Jg.], 1959, 1–10. 22 Gerevich, Tibor, Magyarország románkori emlékei [Romanische Denkmäler Ungarns], Budapest 1938, 75–98. 142

Von der Parteifestung zur Burg der Kultur. Umbaugeschichte der Budaer Burg nach dem Zweiten Weltkrieg

7: Der Burgberg in Esztergom [Gran]

Erstens ist es mit dem politischen und ideologischen Widerstand gegen die jüngste Vergangenheit zu erklären, warum in Budapest ein Wiederaufbau, wie er zum Beispiel in Warschau durchgeführt wurde, nicht passiert ist. Der »Reichsverweser« von Ungarn in der Zwischenkriegszeit, Miklós Horthy, der ehemalige Adjutant von Franz Joseph, setzte das Erbe der im Dualismus in Ungarn hegemonischen Freisinnigkeitspartei fort, was nach dem Zweiten Weltkrieg dazu führte, dass man auf die Tradition der Unabhängigkeitspartei, also der ehemaligen antihabsburgischen Opposition, zurückgriff.23 »Wir haben auf das Erwachen eines seit 300 Jahren verschwundenen und uns unbekannten ästhetischen Bildes, das Erwachen der bis jetzt schlafenden mittelalterlichen Burg gewartet.«24 Mit diesem fast messianischen Satz kann man die antihabsburgische Geschichtsauffassung gut charakterisieren, im Zeichen derer die neue Festung geboren wurde. Laut Gerő waren die Habsburger bestrebt gewesen, die hiesige mittelalter­ liche Festung nach Möglichkeit verschwinden zu lassen, umzugestalten, zu verdecken, totzudekorieren, quasi zu Gartenpavillons umzuwandeln, zu friedlichen Aussichtsterrassen umzuformen. Alle Festungsteile weisen auf solche Bestrebungen hin, woraus zu schließen ist, dass sie sich zu dieser Zeit für die mittelalterliche Burg geschämt haben. Im 23 Rostás, Péter, Der Kult um Matthias und der Budaer Burgpalast in der Zwischenkriegszeit, in: Telesko, Werner / Nierhaus, Andreas / Kurdiowsky, Richard (Hg.), Zwischen Ideal und Wirklichkeit. Die Wiener Hofburg und die europäischen Residenzen im 19. Jahrhundert, Wien u. a. 2010, 251–274. 24 Gerő, 1951, 182. Péter Rostás

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8: Der Südgarten der Budaer Burg mit dem sogenannten Bauernhaus, Postkarte aus den 1910er-Jahren

Geiste der kapitalistischen Jahrhundertwende schien diese mittelalterliche Burg in der Mitte der sich rasch entwickelnden Hauptstadt ein Schandfleck gewesen zu sein, den man nicht gerne hergezeigt hat.25 Der zweite Grund ist ein künstlerischer: Die Generation Gerős lehnte den – unter anderem mit dem Namen des Entwerfers des Burgpalastes, Alois Hauszmann, eng verbundenen – Späthistorismus, die »Verputzarchitektur« der 1890er-Jahre, und auch die Jugendstilarchitektur der Jahrhundertwende kategorisch ab. Wir hören die Stimmen des Modernismus aus dem Plädoyer der Tageszeitung Népszava [Volksstimme]: »Die Belagerung hat die Lüge von der Burg abgeschält. Sie hat den täuschenden Neobarock, den Neoklassizismus, sogar den Biedermeierstil abgenommen. Und das Skelett zeigt die Gotik des Mittelalters.«26 Die antisecessionistische Einstellung von Gerő gewann nach dem Zweiten Weltkrieg auch aus einer antideutschen Einstellung Nährstoff. Er bezichtigte die Kuppel von Hauszmann und das im südlichen Burggarten stehende, halb demolierte, sogenannte Bauernhaus, aus deutschem Geschmack heraus entstanden zu sein (Abb. 8).27 Gerő verurteilte auf der Grundlage der Kunsttheorie von Alois Riegl (die sich gegen eine wertende Kunstgeschichtsschreibung wandte) den Umbau von Hauszmann, da dieser versucht hätte, aus der Geschichte der Burg einige Perioden »auszuradieren« bzw. zu verhüllen. Zur gleichen Zeit brachte Gerő aber entgegen dem Riegl’schen Prinzip 25 Gerő, 1951, 162. 26 Vészi, Endre, Vár, 1948 [Burg, 1948], Népszava [Volksstimme], 1948, szeptember 12. 27 Gerő, 1951, 144. 144

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die kommunistische kritische Theorie »fortschrittlicher Traditionen« in der Praxis zur Geltung. Der marxistischen Auffassung folgend sah er in der Baukunst eines Zeitalters den Ausdruck der jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse. Und aufgrund der Kritik eben dieser Verhältnisse und der Auswahl von »sozial fortschrittlichen Traditionen der Baukunst«, solle die denkmalpflegerische Arbeit betrieben werden. Infolge dieser theoretischen Konstruktion meinte man nach dem Krieg, dass die Schöpfungen des imperialistischen Zeitalters – im Gegensatz zum Mittelalter – nicht erhalten werden sollten. Der Barock hatte eine Zwischenstellung: Er sei zwar ein Reaktionsstil der feudalistischen Herrscherklasse dem aufstrebenden Bürgertum gegenüber gewesen, man hielt ihn aber als »klaren«, »originalen« Stil immerhin für erhaltenswerter als den Historismus des 19. Jahrhunderts. Der dritte Grund für die archäologische Rekonstruktion war ein praktischer: Das Burgpalais wurde 1949 zum Sitz der kommunistischen Partei- und Staatsregierung bestimmt und man wollte diesen Komplex durch eine mittelalterliche Festungsanlage mit hohen Mauern, Strebepfeilern, Rondellen, Türmen und Gräben von der Stadt isolieren. Das größte Hindernis bei der Durchführung dieses Konzeptes waren die auf dem Gebiet der Ausgrabungen noch bestehenden Gartenbauten, die den Palast mit dem unteren Stadtviertel verbanden (Abb. 9). Vom ehemaligen Appartement der Königin Elisabeth führte eine lange Prunkstiege bis zum bürgerlichen Stadtteil. Durch

9: Die südliche Partie der Budaer Burg, um 1953 Péter Rostás

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10: Luftaufnahme der Budaer Burg, 1968

diese Treppenanlage waren die verschiedenen Gartenbauten, wie die Orangerie und das auf Trümmern und Pseudotrümmern erbaute sogenannte ungarische Bauernhaus, zu erreichen. Mit der archäologischen Rekonstruktion wurde nicht nur diese Schwachstelle in der Verteidigungslinie der Burg beseitigt, Gerő konnte sogar hinter den neuen Mauern einen Anfahrtsweg verbergen, mit dem die störungsfreie Auffahrt zur und eine schnelle Flucht von der Burg möglich wurden (Abb. 10). Mithilfe dieses neuen Weges wurde der Tunnel unter dem Burgberg, wo sich auch ein Atombunker befindet, leicht erreichbar. Im Gedächtnis der Parteiregierung waren wohl noch die Geschehnisse der Belagerung von 1945 lebendig, als sich das Hauptquartier der deutschen Kommandatur im Tunnel befand. Der Luftschutzexperte Gerő hatte offensichtlich mit diesem praktischen Vorteil gerechnet. Auf gleiche Weise ließ sich der neu errichtete Torturm anstelle des ungarischen Bauernhauses in das Verteidigungssystem der Burg integrieren; in diesem Bau konnten die Wachtposten beherbergt werden.28 Die Grundlage für die Rekonstruktion war ein Kupferstich der Burg aus dem 17. Jahrhundert bzw. die oben erwähnte Rekon-

28 Gerő, László, A budai középkori királyi palota és vár maradványainak helyreállítása [Die Rekonstruktion des königlichen Palastes und der Reste der Burg], Magyar Műemlékvédelem [Ungarische Denkmalpflege] 1967–1968, 165. 146

Von der Parteifestung zur Burg der Kultur. Umbaugeschichte der Budaer Burg nach dem Zweiten Weltkrieg

struktion von Kálmán Lux (Abb. 11).29 Aufgrund dieser Quelle baute man den Turm über den gleichen Ruinen und Überresten auf, die bereits das malerische Umfeld für das Bauernhaus gebildet hatten. Der neue Weg zur Burg führte durch den neuen Wachturm und wendete im südlichen Rondell, um schließlich im Garten unter der Kuppel zu enden. Der vierte Beweggrund für Gerős Rekonstruktion lag in der Erweiterung des Denkmalbestandes der ungarischen Hauptstadt. Gerő und seine Generation fanden das zur Zeit des Späthistorismus und der Jahrhundertwende ausgebaute Budapest nicht reich genug an Denkmälern und so sah man die archäologische Rekonstruktion als Möglichkeit, neue Denkmäler zu schaffen und dadurch das Stadtbild zu verschönern.30 Mit der Planung des wohlbehüteten, von der Bevölkerung isolierten Palasts wurden im Herbst 1949 der Architekt István Janáky, der bereits in der Zwischenkriegszeit ein

11: L. N. von Hallart, M. Wenig, Die Budaer Burg von Süden, 1686

29 Nach Wening d’Hallart, Belagerung der Budaer Burg, 1686, Kupferstich und Radierung gemischt. (Vgl. Rózsa, György, Alte Ansichten von Budapest, Budapest 1999, No. 169). 30 Gerő, 1951, 168. Péter Rostás

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12: Imre Perényi, István Janáky, Planvariante zum Umbau der Budaer Burg, Donauseite, 1949 (nach Kollányi, 1990)

eigenes Atelier hatte,31 und Imre Perényi beauftragt (Abb. 12). In ihrem ersten Entwurf verzichteten sie auf eine Kuppel und statt eines Mansarddaches sahen sie einen mit einer Balustrade versehenen geradlinigen Abschluss der dreistöckigen Gebäudeteile vor. Im Jänner 1950 wurde Iván Kotsis, der gerade die Technische Universität verlassen hatte und der bereits im Jahr 1945 einen Umbauvorschlag für den Burgpalast ausgearbeitet hatte, anstelle des zum Minister avancierten Imre Perényi ins Burgbauatelier berufen.32 Im staatlichen Baubüro entstanden von seiner Hand in den Jahren 1950–1951 insgesamt vier Planvarianten zur Donaufassade der Burg.33 Diesen Entwürfen war gemeinsam, dass sie anstelle der Kuppel – wie bereits in den Plänen von 1945 – einen gerade abgeschlossenen Mittelaufsatz vorsahen, der an den Turm der Sternwarte aus der Ära Maria Theresias erinnerte (Abb. 13, 14 und 15). Die verschiedenen Varianten zeigen ein Satteldach, ein Mansarddach und einen geradlinigen Abschluss mit Balustrade sowie verkürzte und unverkürzte Lösungen für die südlichen und nördlichen Gebäude (Abb. 16). Bei der verkürzten Variante kann man an der Nordseite einen breiten Graben erkennen, der dazu gedient hätte, den Palastkomplex zu isolieren. Um diesen Graben herausbilden zu können, hätten Teile des Palasts jedoch abgerissen werden müssen. An der Westseite des Nordportals des Palastkomplexes wurde von István Páz­mándi­ ein Wachgebäude geplant, das mit seinem rigorosen Aussehen an ein Gefängnis erinnerte (Abb. 17), welches von der Jury im Juni 1950 allerdings abgelehnt 31 Janáky, István / Janáky, György, Id. Janáky István könyve [Das Buch von István Janáky sen.], Budapest 2007. 32 Kotsis, 2010, 256–261. 33 Magyar Országos Levéltár, XIX-A-16-b, Országos Tervhivatal iratai, 128. doboz, V. mappa [Ungarisches Landesarchiv, XIX-A-16-b, Akten des Landesplaninstituts, Karton 128, Mappe V]. Kollányi publizierte aus unbekannten Quellen zwei weitere Pläne: Kollányi, István, Az újjáépült Budavári Palota [Die wiederaufgebaute Budaer Burg], Budapest 1990, 160–163. 148

Von der Parteifestung zur Burg der Kultur. Umbaugeschichte der Budaer Burg nach dem Zweiten Weltkrieg

13: Iván Kotsis, Planvariante zum Umbau der Budaer Burg, Donauseite, 1950 14: Iván Kotsis, Planvariante zum Umbau der Budaer Burg, Westseite, 1950 15: Iván Kotsis, Planvariante zum Ausbau des Mittelturmes der Budaer Burg, 1950

Péter Rostás

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16: Iván Kotsis, verkürzte Grundrissvariante der Budaer Burg, Erdgeschoss, 1950

17: István Pázmándi, Plan eines Wachgebäudes anstelle des ehemaligen Stallgebäudes der Budaer Burg, 1950

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Von der Parteifestung zur Burg der Kultur. Umbaugeschichte der Budaer Burg nach dem Zweiten Weltkrieg

18: Iván Kotsis, Planvariante zum Umbau des Prunktreppenhauses des Westflügels der Budaer Burg, 1950

wurde.34 Im Rahmen dieser Sitzung wurde von derselben Jury entschieden, dass die Hillebrandt’sche Architektur und die für barock gehaltenen Teile des Palais – wie die ­Diplomatenstiege im Gebäude C (siehe Legende bei Abb. 21), der Thronsaal im Gebäude D oder das sogenannte Ybl’sche glasbedeckte Treppenhaus im Christinenstädter ­Flügel, das in Wirklichkeit von Hauszmann entworfen worden war – möglichst zu erhalten seien. Für Letzteres plante Kotsis 1950 eine vereinfachte historisierende Variante (Abb. 18). Die Burgbaupläne von Anfang 1950 wurden bis Dezember des Jahres durch Kotsis in der Variante mit den in seinen Grundflächen beibehaltenen nördlichen und südlichen Gebäuden und mit den Mansarddächern wieder umgestaltet und diese Lösung wurde im April 1951 vom Ministerium für Bauwesen schlussendlich genehmigt.35 In der Zwischenzeit hatte sich in der ungarischen Architektur jedoch eine bedeutende Wende ereignet. Im April 1951 wurde der sozialistisch-realistische Stil durch den Kultusminister József Révai in Ungarn eingeführt. Die in Bezug auf den Planungsvorgang des Burgpalastes wichtigsten Punkte dieser stalinistischen Richtung waren: ⁻⁻ der Rückgriff auf Formen und Zierrat des Klassizismus sowie die Bevorzugung des sowjetischen dekorativen und monumentalen Klassizismus, ⁻⁻ der Rückgriff auf die »fortschrittliche Tradition« des ungarischen Klassizismus anstelle der funktionalistischen Moderne, die für einen kosmopolitischen und imperialistischen Stil gehalten wurde.

34 Magyar Országos Levéltár, XIX-A-16-b, Országos Tervhivatal iratai, 128. doboz [Ungarisches Landesarchiv, XIX-A-16-b, Akten des Landesplaninstituts, Karton 128]. 35 Kollányi, 1990, 64. Péter Rostás

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19: Die Budaer Burg von Nordwesten, 1957

Das einzige verwirklichte sozialistisch-realistische Detail am Burgpalast ist der im Jahr 1952 mit einer Lünettenreihe ausgebildete Dachaufsatz auf dem renovierten Christinenstädter Flügel (Abb. 19).36 Die Burgbaupläne von Kotsis wurden im Sommer 1951 erneut durch eine Jury beurteilt. In der Stellungnahme wurde festgehalten, dass »eine weichere Kontur des Gebäudes wünschenswert wäre, was vor allem die Frage des Mittelbaus sowie dessen Abschluss und darüber hinaus im allgemeinen des Dachwerks aufwirft. Die fachmännische Körperschaft hält die eckige und flache Ausbildung des Daches nicht für richtig und befürwortet stattdessen eine Kuppel oder einen allenfalls weich konturierten architektonischen Abschluss«.37 Im Rahmen des Architekturkongresses im Oktober 1951 wurden die Burgbaupläne ausgestellt. Die Presse berichtete, dass die Wiederherstellung der Kuppel ein einheitlicher Wunsch des Publikums sei, da sie den Budapestern ans Herz 36 Dieser Aufbau wurde Anfang der 1960er-Jahre abgetragen. 37 Magyar Országos Levéltár, XIX-A-16-b, Országos Tervhivatal iratai, 128. doboz [Ungarisches Landesarchiv, XIX-A-16-b, Akten des Landesplaninstituts, Karton 128]. 152

Von der Parteifestung zur Burg der Kultur. Umbaugeschichte der Budaer Burg nach dem Zweiten Weltkrieg

gewachsen sei.38 Dementsprechend wurde im Frühling 1952 durch den Baubüroleiter István Janáky eine Kuppel im Sinne des sozialistischen Realismus entworfen (Abb. 20).39 Als Vorbild diente die Kuppel des von József Hild erbauten Graner Doms. Janákys Kuppelentwurf wäre kein direkter Ersatz des Hauszmann’schen Vorgängers gewesen, da sie nicht über dem sogenannten Habsburgersaal, sondern über dem Innenhof des Gebäudes C errichtet worden wäre. Der Ministerpräsident und kommunistische Parteichef Mátyás Rákosi zeigte seit Anfang des Jahres 1952 ein reges Interesse an den Bauarbeiten des Burgpalastes. Dies mag einerseits mit seinem 60. Geburtstag und andererseits auch mit der oben erwähnten öffentlichen Ausstellung der Burgbaupläne im Zusammenhang gestanden sein. Aber die wichtigste Ursache war, dass das Piano nobile im Gebäude D auf der Donaufront für seine Residenz bestimmt war und die diesbezüglichen Pläne bereits in Arbeit waren.40 In den jüngsten Forschungen über die Parteielite wurde nachgewiesen, dass die Leiter des Parteistaates ihre Wohnungen in der bürgerlichen Art der Zwischenkriegszeit haben ausstatten lassen, also als Privatleute viel mehr mit dem kleinbürgerlichen Geschmack der vergangenen Zeit verbunden waren als mit der linken Tradition der Moderne.41 Die Haltung Rákosis in Bezug auf den Burgpalast zeigt dasselbe: Er berief am 8. April 1952 eine Sitzung ein, bei der außer den Architekten noch Prominente der kommunistischen Partei anwesend waren. Rákosi äußerte sich folgendermaßen über den Außenbau des Palastes: »Für mich ist der Hauszmann’sche Plan der schönste, aber die nutzlosen Zierrate sollen entfernt werden.«42 Der Barock sollte erhalten werden – »man muss sich damit abfinden«. Die Wiederherstellung der Kuppel war ein zentraler Punkt, Rákosi hielt den Abschluss des Palasts mit dem flachen Esterházy-Turm nicht für adäquat. Die Argumentation, dass sich unter der Hauszmann’schen Kuppel kein echter Kuppelsaal befand, interessierte ihn nicht, da ein derartiger Saal seiner Meinung nach ohnehin nicht auszulasten sei. Zudem betonte er, dass die Volksdemokratie »die schon vorhandenen und sonst noch benutzbaren Gebäudeteile bewahrt«. Der Parteichef teilte Janáky außerdem mit, dass die Interieurs des Hauszmann-Palais nicht erhalten werden sollten, da er sie nicht als praktisch empfinde.43 Gleichzeitig ließ er die archäologischen Arbeiten im südlichen und östlichen Burggarten einstellen und äußerte den Wunsch, die Forschungsgruben zuzuschütten.

38 Dániel, Péter, Az Építőművészeti Kiállítás emlékkönyve [Das Gedenkbuch der Baukünstlerischen Ausstellung], Magyar Építőművészet [Ungarische Baukunst], 1952, 36–37. 39 Das Gipsmodell dieser Variante ist bei Kollányi, 1990, 65–69, abgebildet. 40 Prakfalvy, Endre, Adatok a budavári palotaegyüttes 1945 utáni építéstörténetéhez [Beiträge zur Geschichte des Budaer Burgpalastes nach 1945], Tanulmányok Budapest Múltjából [Studien über die Geschichte von Budapest] XXIX, 2001, 348. 41 Majtényi, György, K-vonal, Budapest 2009. 42 Kókay, 2001, 329. 43 Ebenda. Péter Rostás

153

Laut Gerő wollte Rákosi wegen der archäologischen Rekonstruktion die Rundgangsterrasse nicht aufgeben.44 Bei der Sitzung einigte man sich auch darauf, für die Planung der Donaufassade einen geladenen Wettbewerb auszuschreiben. Das zwischen Mai und August 1952 abgewickelte Verfahren brachte aber keine endgültige Lösung. Die Konkurrenten versuchten – mit zwei Ausnahmen – die Hauszmann’sche Komposition zu verbessern, aber die Jury konnte durch keinen der Entwürfe überzeugt werden.45 Im September 1952 traf eine polnische Architektendelegation unter der Führung von Jan Zachwatowicz und Zdzislav Maczenski in Budapest ein, um Vorschläge hinsichtlich der Wiederherstellung der Burg zu unterbreiten,46 die in zwei wesentlichen Punkten die bisherigen Pläne von Janáky und Gerő unterstützten. Erstens empfahlen sie die Präsentation der mittelalterlichen Burg, zweitens schlugen sie eine über einem Tambur erhöhte Kuppel vor, an der die »Jugendstilform veredelt werden sollte«. Die weiteren Pläne von Janáky folgten im Wesentlichen den Vorschlägen der polnischen Kollegen. Er kehrte zu seiner sozialistisch-realistischen Variante zurück, wobei er einen Portikus mit Tympanon und Kolonnade statt einer durchgehenden Kolonnade vor die Mittelfassade stellte.47 Dieser Plan wurde am 11. Juni 1953 durch die Jury des Ministeriums für Bau­ wesen angenommen. Eine politische Wende hinderte Janáky aber erneut daran, seinen schon angenommenen Plan nun zu verwirklichen. Am 5. März 1953 starb Stalin. Am 13. Juni dieses Jahres, also zwei Tage nach der Annahme der Pläne von Janáky, wurde Rákosi nach Moskau beordert und aufgefordert, als Ministerpräsident abzudanken, bald darauf wurde er auch 44 45 46 47 154

Gerő, László, A helyreállitott budai var [Die wiederhergestellte Budaer Burg], Budapest 1980, 230. Kollányi, 1990, 65. Gerő, 1980, 230; Ders., 1967–1968, 168. Ein großer, kolorierter Ansichstplan ist beim Budapester Planinstitut KÖZTI erhalten geblieben.

Von der Parteifestung zur Burg der Kultur. Umbaugeschichte der Budaer Burg nach dem Zweiten Weltkrieg

20: István Janáky, Planvariante zum Umbau der Budaer Burg, 1953

seines Postens als Parteichef enthoben. Das und die katastrophale wirtschaftliche Lage waren der Grund für die Einstellung der Bauarbeiten an der Burg. Die Planung der Gebäude wurde aber dennoch weitergeführt: So wurden für den Christinenstädter Flügel, der als Rohbau praktisch fertig war und der bald für die zentrale Leitung, bald für die politische Kommission der Partei bestimmt war, sozialistisch-realistische Möbel entworfen.48 Ein detailliertes Nutzungsprogramm wurde aber nie verfasst. Nach fast zwei Jahren, als der sozialistische Realismus in Ungarn nicht mehr allein gültig war, wurden die Burgbaupläne von einer dem Ministerrat unterstellten Jury erneut überprüft. Unter den Jurymitgliedern befand sich auch der Architekt Máté Major, der zur Zeit der Einführung des sozialistischen Realismus nicht nur keinen Einfluss mehr gehabt hatte, sondern in der berühmten, oben erwähnten Architektendebatte auch bewusst gedemütigt worden war.49 Es überrascht also nicht, dass diese Jury das Gesamtbild der sozialistisch-realistischen Pläne Janákys als zu schwerfällig befand und feststellte, dass das Werk Janákys in Bezug auf die Frage, ob man vom Hauszmann’schen Gebäude abweichen könne oder nicht, ein wichtiger und unentbehrlicher Versuch gewesen sei, die Schlussfolgerung aber war, dass eine Abweichung nicht möglich ist. In der Zwischenzeit hatte sich Rákosi aber gegenüber Nagy wiederum durchgesetzt und im Sommer 1955 begannen in Ungarn wieder restalinisierende Vorgänge. Am 29. September 1955 wurde die oben erwähnte Planjury aufgelöst und der Minister für Bauwesen legte am 12. Dezember 1955 wieder Janákys sozialistisch-realistischen Plan mit der Peripteralkuppel der Regierung zur Bewilligung vor.50 Der Minister für Bauwesen 48 Rostás, 2001, 514–518. 49 Major, Máté / Osskó, Judit, Új építészet, új társadalom [Neue Architektur, neue Gesellschaft] 1945–1978, Budapest 1981, 91. 50 Kollányi, 1990, 69. Péter Rostás

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erklärte die Einstellung der Burgbauarbeiten auf einer Architekturkonferenz im Mai 1956 mit der »rechten Ablenkung« der vorherigen Regierung und mit dem von dieser verursachten wirtschaftlichen Zusammenbruch.51 Am 19. Mai 1956 wandte sich der Minister zwecks Bewilligung der Burgbaupläne an die politische Kommission der Kommunistischen Partei.52 Diese traf jedoch keine Entscheidung, was vor allem mit der plötzlichen Unsicherheit in Hinsicht auf die gewünschte Funktion des Palastes zu erklären ist. Den Restalinisierungstendenzen von 1955 folgten nämlich 1956 nach dem XX. Kongress der SKP Destalinisierungstendenzen. Die rasche Ausstattung des Palastes für die Staatsregierung wurde wieder von der Tagesordnung abgesetzt. Diese Verunsicherung spiegelt sich in der Entscheidung der politischen Kommission vom 14. Juni 1956 wider, die für die Burg eine wissenschaftliche und kulturelle Funktion vorsah, jedoch mit der Einschränkung, dass sie im Notfall für die Partei- und Staatsregierung umgestaltbar bleiben sollte.53 Die Unsicherheit der Regierung bezüglich der weiteren Verwendung der Burg ist auch daran festzumachen, dass im August 1956 über das Schicksal des Burgpalasts ein öffentliches Forum im Ministerium für Hütten- und Maschinenindustrie stattfand.54 Der stellvertretende Minister für Bauwesen vertrat sowohl im Einvernehmen mit dem Architekten Janáky als auch mit dem Publikum den Standpunkt, dass der Burgpalast für ­Zwecke der Staatsregierung ausgestattet werden sollte. Die Revolution vom Oktober 1956 hatte diese Situation nicht wesentlich verändert. In dieser Phase der Rat- bzw. Planlosigkeit erhielt die aus dem Kreis der sogenannten Patriotischen Volksfront stammende Initiative neuen Aufschwung, welche die Burg als Kulturzentrum vorsah. Die Kádár-­Regierung reorganisierte die Patriotische Volksfront nach der Revolution mit den führenden Persönlichkeiten der Koalitionsära, die der sogenannten Ungarischen Revolutionären Arbeiter- und Bauernregierung, also der Regierung von Kádár, nach der Revolution gehuldigt hatten. Kádár bemühte sich, mit dieser Organisation – die übrigens 1953 durch den von Kádár 1958 hingerichteten Imre Nagy ins Leben gerufen worden war – und mit seiner berühmten Volksfront-Nationalpolitik seinen politischen Einfluss zu vergrößern und einen Teil der Intelligenz für sich zu gewinnen. Ernő Mihályfi, der stellvertretende Minister für Kultur, publizierte im November 1957 in der Ungarischen Nation, der neu organisierten Tageszeitung der Patriotischen Volksfront, einen Artikel mit dem Titel »Die Burg soll die Burg der Kultur werden«, in dem er darlegte, dass der Einzug der Staatsmacht in die Residenz eine für den Personenkult charakteristische Vorgehensweise gewesen sei, aber mit dem Einzug von Kulturinstitutio-

51 Prakfalvy, Endre / Hajdú, Virág, Építészet és tervezés Magyarországon [Architektur und Planung in Ungarn] 1945–1959, Budapest 1996, 152. 52 Ebenda, 353–355. 53 Ebenda, 351 (Anm. 16) 54 Ebenda, 349–350 (Anm. 16) 156

Von der Parteifestung zur Burg der Kultur. Umbaugeschichte der Budaer Burg nach dem Zweiten Weltkrieg

A F C

B

D E

21: Luftaufnahme der Budaer Burg, 1995

nen würde die Burg »das Zentrum des ungarischen Kulturlebens« werden »und vielleicht bald einen solchen Ruf wie zur Zeit von König Matthias haben«.55 Die Entscheidung der Wirtschaftskommission des Ministerrats im September 1958 beinhaltete diese Vorstellung nur noch teilweise. Man liest in diesem Text, dass im Burgpalast neben der Partei- und Staatsregierung auch bedeutende Kulturinstitutionen beherbergt werden sollen.56 Der Bauplan des Palais wurde von Janáky nach der Revolution leicht modifiziert: Er stellte die Peripteralkuppel oberhalb des Habsburgersaals zurück und plante über den Eckrisaliten Mansarddächer. In der Beschreibung von Janáky wurde das Gebäude E als Burgmuseum und das Gebäude F als die Ferenc Széchényi Nationalbibliothek bezeichnet.57 Im Sommer 1959 fiel die Entscheidung, den gesamten Burgpalast in ein nationales Kulturzentrum umzuwandeln.58 Aus dem ruhmreichen Palast des Matthias Corvinus und 55 Mihályfi, Ernő, Legyen a Vár a kultúra vára [Die Burg soll die Burg der Kultur werden], Magyar Nemzet [Ungarische Nation], 1957, november 27., 7. 56 Kollányi, 1990, 71. 57 Prakfalvy, 2001, 350. 58 MOL [Ungarisches Landesarchiv], XIX-D-3-j, Építésügyi Minisztérium, Szabó János miniszterhelyettes iratai, 2. doboz, 18. tétel [Ministerium für Bauwesen, Akten des stellvertretenden Ministers János Szabó, Karton 2, Satz 18]. Péter Rostás

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dem in der franziskojosephinischen Ära Nationalpalast genannten Gebäudekomplex konnte durch die erneuerte Nationalpolitik des János Kádár ein Kulturforum werden. Gleichzeitig wurde der Architekt István Janáky abgelöst und die Leitung des Bauateliers von Lajos Hidasi übernommen.59 In seiner endgültigen – und auch verwirklichten Planvariante – ist die wichtigste Abweichung von der Janáky’schen Version die Längung der Kuppel und die Ablösung des noch sozialistisch-realistische Reminiszenzen bewahrenden Peripteros durch Säulenpaare und vorspringende Gesimsteile. Damit wurde die barockisierende Kuppelform der nach Bauplänen des 18. Jahrhunderts rekonstruierten Fassade besser angepasst. Die Bestimmung des Burgpalastes zu Kulturzwecken anstatt zur Staatsrepräsentation diente in dieser Zeit als Demonstration der Abgrenzung des Kádár-Regimes von der Rákosi-Ära. Die Entscheidung gegen den Einzug der Staatsregierung stimmte sehr gut mit der ohnehin eher zurückhaltenden, von übermäßiger Repräsentation sich distanzierenden Auffassung Kádárs überein und erschien als passende Distanzierung vom »Personenkult« des Rákosi-Zeitalters. Heute ist bekannt, dass die damaligen Geschehnisse wohl viel zufälliger und weniger bewusst gesetzt waren, als ursprünglich angenommen. Dies ist auch den eigenen Aussagen Kádárs in einer geschlossenen Sitzung der politischen Kommission im Jahr 1968 zu entnehmen: »Die Frage der Nutzung der Burg wurde zu einer Zeit auf die Tagesordnung gesetzt, als sich die Regierung damit nicht ernsthaft auseinandersetzen konnte. Das Nutzungsprofil, das jetzt vorliegt, ist eigentlich nach den Vorstellungen der Presse und der Künstlerkreise, als aufgrund durchdachter Maßnahmen entstanden. Dies möchte ich darum sagen, weil es meiner Meinung nach einer Korrektur bedarf. Das Endergebnis der vielen Debatten war, dass es ein Kulturzentrum wird. Aber diese Burg ist für ein Kulturzentrum ein bisschen zu teuer. Ich glaube kaum, dass in Europa noch ein solches Heimatmuseum zu finden ist wie hier. Ich sage es ehrlich, dass, wenn dies in Kunst- und Kulturkreisen vorherrschend geworden ist, so müssen wir es ein bisschen einschränken.«60 Aus dieser gezwungenen »wir wollen es aber auch nicht«-Einstellung und der daraus resultierenden schwachen und nicht kontinuierlichen finanziellen Förderung ist es zu erklären, dass sich die Wiederherstellung der Burg bis zum Jahr 1985 hingezogen hat. Zunächst ist das Historische Museum Budapest 1967 ins Gebäude E, dann 1975 die Ungarische Nationalgalerie an die Donauseite, das Museum der Arbeiterbewegung ins nördliche Gebäude A und schließlich 1985 die Ferenc Széchényi Nationalbibliothek in den Christinenstädter Flügel eingezogen (Abb. 21).

59 MOL [Ungarisches Landesarchiv], XIX-D-3-j, Építésügyi Minisztérium, Szabó János miniszterhelyettes iratai, 2. doboz, 18. tétel [Ministerium für Bauwesen, Akten des stellvertretenden Ministers János Szabó, Karton 2, Satz 18]. 60 MOL [Ungarisches Landesarchiv], MSzMP iratai, 288. f. 5/445. 1968, február, 13. ülés [Akten der Ungarischen Szozialistischen Arbeiterpartei, Protokoll der 13. Sitzung, Februar 1968]. 158

Von der Parteifestung zur Burg der Kultur. Umbaugeschichte der Budaer Burg nach dem Zweiten Weltkrieg

Der Moskauer Kreml: Sakraler Ort, Herrschersitz und Museum

Olga Postnikova

Der Moskauer Kreml als sakraler Ort und Symbol der Zarenmacht Die Tatsache, dass der Moskauer Kreml, letztendlich ein riesiges, ummauertes, geschlossenes Festungsareal, trotz aller Zerstörungen, Brände und Umgestaltungen der Stadt im Laufe der Jahrhunderte immer das Zentrum Moskaus blieb, ist eher erstaunlich als selbstverständlich. Sogar in den radikalsten Projekten der sowjetischen Architekten für die »Rekonstruktion Moskaus« in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts war der Kreml sakrosankt. Selbst Le Corbusier, der 1930 vorschlug, Moskau abzureißen und durch eine gänzlich neue Stadt zu ersetzen, wollte den Kreml mit seinen Altertümern erhalten. Gegründet im 12. Jahrhundert war der Kreml schon ganz Moskau. Bis ins 14. Jahrhundert entwickelte sich daraus ein bedeutendes Fürstentum mit dem Sitz des Großfürsten im Kreml. Nachdem der Großfürst Iwan III. fast alle russischen Fürstentümer in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zum Russischen Reich mit der Hauptstadt Moskau vereinigt hatte, wurde der Kreml zur Residenz des Herrschers von ganz Russland. Aus der Regierungszeit Iwans III. stammen die meisten bis heute erhalten gebliebenen Bauten: die Mauern aus rotem Ziegel, der Facettenpalast als einziger des Palastkomplexes, der sogenannte Glockenturm Iwan des Großen, die Kathedralen und Kirchen auf dem Kathedralenplatz. Die Mariä-Entschlafens-Kathedrale wird über vier Jahrhunderte lang die Hauptkathedrale von ganz Russland bleiben. Alle russischen Herrscher wurden hier gekrönt, die Metropoliten und Patriarchen von Moskau und ganz Russland geweiht und beigesetzt. In der Erzengel-Michail-Kathedrale fanden die Moskauer Fürsten und später die russischen Zaren – vor Peter dem Großen – ihre letzte Ruhestätte und wurden da verehrt.1 Von den zwei kleineren Kirchen diente eine als Palastkirche und die andere als

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Der einzige nach Peter I. in dieser Kathedrale beigesetzte Herrscher war sein Enkel Peter II. (gest. 1730). Olga Postnikova

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1: Fjodor Alekseew, Kathedralenplatz (links Facettenpalast mit Roter Treppe), um 1800

Hauskirche der Moskauer Metropoliten. Weitere Kirchen ließ Iwan III. in schon bestehenden Klöstern des Kremls errichten. Die große Anzahl der von Iwan III. im Kreml initiierten sakralen Neubauten weist darauf hin, dass man dem Kreml eine wichtigere Bedeutung beigemessen hat, als nur jene, der mit Mauern geschützte Wohnsitz des Herrschers zu sein. Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts, nach dem Fall von Konstantinopel, dem »Zweiten Rom«, erhob Moskau den Anspruch, die Hauptstadt der Weltkirche der Orthodoxie, das »Dritte Rom«, zu sein. Man nannte Iwan III. den »Zweiten ­Konstantin«, der byzantinische Doppeladler wurde 1497 zum Staatswappen.2 Der Anspruch darauf war aber zu der Zeit absolut nicht legitim, denn die russische Kirche hatte kein eigenes Patriarchat. Um diesen zu rechtfertigen, betrieb man eine spezifische kirchliche Politik, vermehrte die Anzahl der Reliquien, der russischen Heiligen3 und die Anzahl der Kirchenbauten. Die von Iwan IV., dem ersten russischen Zaren, in unmittelbarer Nähe des Haupttores des Kremls, am Roten Platz 1555–1561 errichtete Basilius-Kathedrale trug nicht unwesentlich zur Herstellung des

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I. E. Sabelin, Istorija goroda Moskwy, Moskau 1996 (Reprint 2. Aufl. 1905), 72f; A. W. Ikonnikow, Moskowskij Kreml – formirowanie metafor i simwolitscheskich snatschenij architektury, in: Materialy i issledowanija, Wypusk XV, Kremli Rossii, Moskwa 2003, digitale Ressourcen, 5. I. P. Kulakowa, K istorii Moskowskogo Kremlja kak religiosnogo zentra konza XVI-natschala XVII weka, in: Materialy i issledowanija, Wypusk XV, op. cit., digitale Ressourcen, 2.

Der Moskauer Kreml: Sakraler Ort, Herrschersitz und Museum

Patriarchats in Russland im Jahr 1589 bei.4 Der Kreml ist damit zum Sitz des Patriarchen von Russland und zum absoluten Zentrum der russischen Orthodoxie geworden. Die Eigenständigkeit der russischen Kirche stärkte in Wirklichkeit die außenpolitische Bedeutung des Zarenreiches enorm und gab dem Zaren die unbeschränkte despotische Macht im eigenen Lande. Die Kirche blieb – wie die Geschichte zeigt – weiterhin der Willkür der weltlichen Herrscher unterworfen. In letzter Konsequenz löste Peter I., der in gelehrten und literarischen Schriften als Christus bezeichnet wurde,5 1721 das Patriarchat auf und ersetzte es durch die dem Herrscher vollkommen unterstellte heilige Synode. Ab nun war der Kreml wiederum – so wie früher – »nur« der Sitz des Metropoliten von Moskau. Schon 1712 hatte Peter I. die Hauptstadt nach dem von ihm neu gegründeten St. Petersburg verlegt. Dennoch blieb der Kreml Ort der Krönung und die Residenz der Herrscher bei ihren Besuchen in Moskau. Für die Allgemeinheit war der Kreml nach wie vor ein heiliger Ort, ein Sinnbild Russlands und das mit Leben erfüllte Zentrum der Stadt (Abb. 1). Nach dem Krieg gegen Napoleon, in dem ganz Moskau abbrannte und der Kreml beschädigt wurde, entstand die Vorstellung vom Moskauer Kreml als »mächtigem, unerschütterlichem russischem Riesen«. Man redete von seinen »heiligen Steinen«6 und postulierte 1818: »Moskau wird immer die echte Hauptstadt Russlands sein.«7 Zu dieser Zeit dominierten die Sakralbauten absolut über die existierenden altertümlichen Zarenund Adelspaläste und machten den Kreml schon fast einem Kloster ähnlich. Es fehlte ein repräsentativer Herrscherpalast. Erst der von dem Architekten K. Ton für Kaiser Nikolaj I. 1838–1849 bewusst in dem zu der Zeit gänzlich neuen neo-russischen Stil erbaute Große Kreml-Palast entsprach diesem Anspruchsniveau. K. Ton integrierte in den neuen Palast die aus der Zeit zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert erhaltenen Paläste und bezog so die Geschichte des Kremls insgesamt und gleichzeitig die Geschichte des Hauses ­Romanows in seine Architektur mit ein.

Die Musealisierung des Kremls im 19. Jahrhundert 1806 genehmigte Kaiser Alexander I. das »monarchische Museum« für Schätze der Krone, Zaren- und Kaiserregalien, Waffen etc. Für dieses erste öffentliche Museum

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I. L. Bussewa-Dawydowa, Ob idejnom samysle »Nowogo Ierusalima« patriarcha Nikona, in: Ierusalim w russkoj kulture, Moskwa 1994, 174. E. Kiritschenko, O dwuch Konzepzijach imperatorskoj residenzii: Simnij dworez w Peterburge posle poshara 1837 g. i Bolschoj Kremljowskij dworez w Moskwe, in: Zarskie i imperatorskie dworzy. Staraja Moskwa, Moskwa 1997, 42. M. Dmitriew, Kreml (1845); N. Stankewitsch, Kreml (1831); M. Lermontow, »Moskwa, Moskwa« (1835/36), in: Sawetnoje predanje pokolenij. Moskwa w russkoj poesii, Moskwa 1997, 134–135, 79. N. M. Karamsin, Sapiska o dostopamjatnostjach Moskwy (1818), zit. nach: Moskwa w opisanijach XVIII weka, Moskwa 1997, 296. Olga Postnikova

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2: Rüstkammer und Großer Kreml-Palast (rechts), Chromolithografie, 1867

Russlands errichtete man im Kreml ein eigenständiges, 1814 eröffnetes Museumsgebäude. Ein neues zusätzliches Gebäude für dieses Museum erbaute wiederum der Architekt K. Ton 1844–1851. Einen romantischen Lieblingsort, wo die Spaziergänger die Plätze und Kathedralen besichtigten und das Stadtpanorama von den Mauern und den Türmen aus genossen haben,8 bekam der Kreml mit der Erbauung des Großen Kreml-Palastes und der Schatz- und Rüstkammer und erhielt damit einen neuen Charakter. Die Architektur- und Kunstinteressierten hatten die Möglichkeit, die zeitgenössische Architektur und die Museumsschätze bei freiem Eintritt zu bewundern (Abb. 2). Der Kreml wurde im 19. Jahrhundert wiederholt auch für temporäre Ausstellungen benützt. Die größte, die sogenannte »Polytechnische Ausstellung«, fand 1872 anlässlich des 200. Geburtstages von Peter I. statt. Sowohl im Kreml innen als auch entlang der Kremlmauern außen errichtete man Pavillons, in denen Hunderte Exponate aus verschiedenen Palästen und Museen von Moskau und St. Petersburg gezeigt wurden.9 1913 öffnete man das Tschudow-Kloster und den Kleinen Nikolaj-Palast im Kreml für die Jubiläumsausstellung »300 Jahre des Hauses Romanow« mit selten gezeigten, wertvollen Exponaten. Diese

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M. P. Fabrizius, Kreml w Moskwe, otscherki i kartiny proschlogo i nastojatschschego, Moskwa 1997 (Reprint Ausgabe 1883), 213f. T. W. Martynowa, Musejnye wystawki. Proschloe i nastojaschtschee, in: Materialy i issledowanija, Wypusk XIV, Sokrowischtscha Rossii: Stranizy istoritscheskoj biografii Museew Moskowskogo Kremlja, Moskwa 2002, 339–340.

Der Moskauer Kreml: Sakraler Ort, Herrschersitz und Museum

Ausstellung, die ein besonderes Interesse in der Öffentlichkeit hervorgerufen hatte, trug nicht unwesentlich zur Bewusstwerdung der künstlerischen Bedeutung des Kremls bei. Der russische Kunsthistoriker Paveł Muratow schrieb 1914: »Moskau besitzt mit dem Kreml einen einzigartigen Aufbewahrungsort für Kunst. Die Ikonen der Kremlkirchen sind ausgezeichnete Werke der alten Kunst mit vorrangiger Bedeutung.«10 Der »Führer durch Moskau« von 1915 ergänzt die Meinung des Kunsthistorikers: »Der ganze Moskauer Kreml ist ein riesiges Museum.«11 Das intensive kulturelle Leben, das Interesse an der eigenen Geschichte und Kunst sowie auch in letzter Zeit veranstaltete Kunst- und Kulturausstellungen erweckten in den kulturinteressierten Kreisen der Moskauer Öffentlichkeit den Wunsch, ein Allrussisches Nationalmuseum in Moskau zu gründen.

Zentrum der Weltrevolution versus Projekt einer Museumsstadt Nach der Februarrevolution 1917 und der Abdankung des letzten Zaren entwickelte eine Kommission, bestehend aus den renommiertesten Kunsthistorikern, Künstlern, Architekten, Historikern und Mitarbeitern der Museen, das »Projekt zur Adaptierung der Kremlbauten zu einem Museums-Städtchen«.12 Aber die historischen Ereignisse entwickelten sich rapid in eine ganz andere, von vielen unvorhersehbare Richtung. Am 25. Oktober (7. November) 1917 siegte in Petrograd (St. Petersburg) die Oktoberrevolution, die Bolschewiken bildeten mit Lenin an der Spitze die neue Regierung. Im Lande begann der Bürgerkrieg. In Moskau endeten die Straßenkämpfe mit dem Artilleriebeschuss des Kremls, in dem sich die Truppen der Militärakademie verschanzt hatten. Manche historische Bauten erlitten dabei Schäden. Diese wurden bis in die jüngste Zeit den Gegnern der Revolution angelastet. Die Kämpfe für Moskau und um den Kreml nützte die bolschewistische Regierung für eine beispiellose politische Inszenierung. Das Moskauer Revolutionäre Militärkomitee fasste den Beschluss, »eine grandiose Demonstration und das Begräbnis« der gefallenen Revolutionäre »am Roten Platz zu organisieren«.13 Keinen besseren Ort in der ganzen Stadt als den Roten Platz konnte die bolschewistische Regierung für ihre eigenen neuen ideologischen Zwecke dienstbar machen. Der Rote Platz, der zentrale Platz des öffentlichen Lebens der Stadt, »der Platz für das Volk«, war seit eh und je zwar ein untrennbarer Teil des Kreml-Ganzen, aber vom Inneren des Kremls, vom Zentrum der Orthodoxie und des Zarismus, durch die rote hohe Mauer getrennt. Entlang der 10 T. W. Tolstaja, Musei »Uspenskij sobor« Moskowskogo Kremlja. Stranizy istorii, in: Materialy i issledowanija, Wypusk XIV, op. cit., 201. 11 I. Ja. Katschalowa, Istorija otdela pamjatnikow Kremlja, in: Materialy i issledowanija, Wypusk XIV, op. cit., 178. 12 T. Tutowa, Bolschoj Kremljowskij Dworez w Moskwe: k istorii organisazii museja w perwye gody sowetskoj wlasti (1917–1924), in: Zarskie i imperatorskie Dworzy, Moskwa 1997, 71. 13 A. Abramow, U kremljowskoj steny, Moskwa 1979, 38. Olga Postnikova

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Mauer wurden zwei riesige Gruben ausgehoben. Über die Kremlmauer drapierte man rote Stoffbahnen mit revolutionären Parolen, so etwa »Den Opfern – den Verkündern der Sozialen Weltrevolution«.14 Am Tag des Begräbnisses, dem 10. (23.) November 1917, strömten Menschenmassen mit insgesamt 238 Särgen auf den Platz. Der amerikanische Journalist und Schriftsteller John Reed, als Gast der Regierung am Roten Platz anwesend, überliefert die Aussage eines jungen Studenten: »Hier, an diesem heiligen Ort, dem heiligsten in ganz Russland, werden wir unsere Heiligen zur ewigen Ruhe betten. Hier, wo sich die Gräber der Zaren befinden, wird unser Zar – das Volk schlafen.«15 Mit diesem Begräbnis schuf sich die Sowjetregierung ihre eigenen Märtyrer, mit deren Blut die Revolution geschrieben und legitimiert werden sollte, ihre eigenen Heiligen. Ab diesem Moment wird das Areal vor der Kremlmauer am Roten Platz zum »Pantheon der Bolschewiken«, zur »Roten Nekropole«. Führende Kommunisten der ganzen Welt wurden bis zum Ende der Sowjetunion an diesem »heiligen Platz« beigesetzt. Die Bolschewiken strebten eine Zurückdrängung des orthodoxen Glaubens an. Die russische Kirche ihrerseits wollte nach der Abdankung des Zaren wieder das Patriarchat einführen. Die Inthronisation des gewählten Patriarchen Tichon konnte noch mit Erlaubnis der bolschewistischen Regierung in der Mariä-Entschlafens-Kathedrale im Kreml stattfinden. Damit aber wurde das 200 Jahre vorher abgeschaffte Patriarchat in Russland wiederhergestellt.16 Auf Basis des Erlasses der bolschewistischen Regierung vom Jänner / Februar 1918 über die »Trennung der Kirche vom Staat« erklärte man auch alle im Kreml befindlichen sakralen Bauten und Gegenstände zum Eigentum des »Volkes«.17 Obwohl dieser Erlass die Religionsausübung an sich nicht verboten hatte, bedeutete er für die Kirchen des Kremls das Ende des kirchlichen Lebens. Alle bis dahin im Kreml wohnenden Mönche und Geistlichen wurden ausgewiesen. Der Patriarch Tichon wurde wegen seiner fortdauernden Kritik an der bolschewistischen Regierung 1922 verhaftet und in einem Kloster unter Hausarrest gestellt. Im Februar 1918 verlegte die Sowjetregierung die Hauptstadt wieder nach Moskau. Ab 12. März 1918 wurde der Kreml zum Sitz der Sowjetregierung.18 Die Anhänger der Musealisierung des ganzen Kremls, zu denen auch der Volkskommissar für das Bildungswesen und Aufklärung Anatoli Lunatscharski gehörte, protestierten gegen die Verwandlung des Kremls in den Sitz der Regierung, da »die Besetzung des Kremls durch die Regierung eine ungeheuere Bedrohung für die Unversehrtheit der Denkmäler und aller im Kreml 14 Ebenda, 35. 15 J. Reed, Ten Days that Shook the World (1919), zit. nach: Abramow, ebenda, 39. 16 I. S. Wasiltschikow, To, tschto mne wspomnilos. Mojo utschastie w Pomestnom Sobore Rossijskoi prawoslawnoi Zerkwi 1917–1918 godow, in: Moskowskij albom. Sbornik wospominanij o Moskwe i moskwitschach XIX-XX wekow, Moskwa 1997, 324–325. 17 Perwye dekrety Sowetskoj wlasti. Sbornik faksimilno wosproiswedjonnych dokumentow, Moskwa 1987, 193f. 18 Moskwa. Illjustrirowannaja istorija w dwuch tomach. Tom 2: S 1917 g. do naschich dnej, Moskwa 1986, 36. 164

Der Moskauer Kreml: Sakraler Ort, Herrschersitz und Museum

gesammelten Schätze darstellt«. Es wurde gefordert, »den Moskauer Kreml unverzüglich von allen dort schon untergebrachten Ämtern zu räumen«.19 Diese Bitte ließ die Regierung unbeeindruckt. Der Kreml war ab jetzt für die Bevölkerung geschlossen, hinein durften nur Personen mit speziellen Passierscheinen. Der Schock der Menschen war gewaltig, niemand konnte am Beginn daran glauben. Die beste emotionale Reaktion findet sich in einem Gedicht von Marina Zwetaewa: »Oh, mickrige Bemühungen der Usurpatoren! / Die Heiligtümer – sie gehören allen – wie der Traum, Schnee und Tod. / Verbot für Kreml? Es gibt doch kein Verbot für Flügel! / Deswegen – gibt es für den Kreml kein Verbot!«20 Von Beginn an sollte das Gebäude des ehemaligen Senats aus dem 18. Jahrhundert als Regierungsgebäude dienen. Wie die anderen Bauten des Kremls, vor allem die Kathedralen und der Große Kreml-Palast, genützt werden sollten, war zu dieser Zeit nicht klar. Noch im Frühling 1918 begannen die höchsten Beamten des Regierungsapparates, Räume des Großen Kreml-Palastes für Wohnzwecke zu requirieren. Nach Trotzki wollte Stalin schon damals für sich eine Wohnung in den Prunkräumen bekommen.21 1920 waren über 2.000 Mitarbeiter der Sowjetregierung, darunter fast die gesamte Politprominenz, im Kreml offiziell als Bewohner gemeldet. Die entstandene Situation schuf eine Bedrohung für die Sicherheit der im Kreml konzentrierten unermesslichen Schätze Russlands. Außer dem eigenen Bestand beherbergte der Kreml auch noch die am Beginn des Ersten Weltkrieges aus verschiedenen Städten und Museen evakuierten Kunstwerke und Schätze. Diese standen noch immer in Kisten verpackt in den Sälen der Rüstkammer und in den Räumen des Großen Kreml-Palastes. Aktive Proteste der Kulturinstitutionen und nicht zuletzt die persönliche Meinung von Lenin selbst halfen, die Besetzung des Palastes zu stoppen. Am 12. Dezember 1918 fasste die Regierung den Beschluss, »in zwei Wochen den Großen Kreml-Palast für das Publikum zu öffnen, unverzüglich alle Maßnahmen für die museale Nutzung des Palastes, insbesondere für die historische Präsentation des alltäglichen Lebens des Zarenhofes zu treffen«. Festgelegt wurde auch, dass »das Erdgeschoß des Großen Palastes nur für Museums- nicht aber für Wohnzwecke benützt werden darf«.22 Die Mitarbeiter der Rüstkammer begannen an der Exposition in den Palästen zu arbeiten. Am 26. Januar 1919 öffnete man den Großen Kreml-Palast für die ersten organisierten Gruppen. Insgesamt 5.000 Besucher hatten die Möglichkeit, im Jänner und Februar 1919 mit einer Führung einen großen Teil der Wohnräume der alten Paläste und die Prunkräume des Großen Kreml-Palastes zu besichtigen. Als nächste Etappe der Musealisierung betrachtete man die Eröffnung der Rüstkammer, in deren Räume sich immer noch die evakuierten Exponate befanden.23 19 Tutowa, Bolschoj Kremljowskij Dworez, op. cit., 72. 20 M. Zwetaewa (1918), in: Sawetnoje predanje pokolenij, op. cit., 267 [aus dem Russ. – O. P.]. 21 Tutowa, Bolschoj Kremljowskij Dworez, op. cit., 72. 22 Ebenda, 76. 23 Ebenda. Olga Postnikova

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3: VIII. Parteitagung im Georgiewskij-Saal des Großen Kreml-Palastes, 1919

Im Widerspruch zu den Bestrebungen der Musealisierung stand aber die neue politische Rolle des Kremls, nicht nur der Sitz der Sowjetregierung und der Kommunistischen Partei Russlands, sondern auch das Zentrum der Weltrevolution mit Lenin an der Spitze zu sein. Im März 1919 wurde im Kreml die III. Kommunistische Internationale gegründet. Die jährlichen Sitzungen fanden dann im Andreewskij-Saal, dem Thronsaal der russischen Zaren, oder im Georgiewskij-Saal des Großen Kreml-Palastes statt. Die zaristische »Vergangenheit« der Prunksäle verhüllte man so weit wie möglich. Im Georgiewskij-Saal wurden die weißen Säulen mit rotem Stoff umwickelt, die Böden mit roten Teppichen belegt (Abb. 3). Überall hingen Parolen, etwa »Proletarier aller Länder, vereinigt euch!«24 Anstelle des Thrones stellte man eine Tribüne mit Sitzplätzen für das Präsidium auf. »Das rote Licht, das in alle Richtungen aus dem Andreewskij-Saal strahlt, erhellt das ganze Universum; die Reden der Vertreter der Werktätigen aller Länder lassen die Weltkugel erbeben – das ist die Kommunistische Internationale … Heute ist der Kreml zum wahren Symbol der Vereinigung der ganzen Menschheit geworden« – so ein Kongressteilnehmer, der spätere Generalsekretär der KP Chinas.25 In der Poesie der sogenannten »proletarischen Kultur« wird der Kreml zum »Roten Kreml«, zur »Arche«, zum »Mekka«, zum »Schiff« des revolutionären Proletariats der ganzen Welt.26 Genauso zielstrebig, wie im 15. Jahrhundert der Kreml-Herrscher Moskau zum »Dritten Rom« deklarierte, benützten die Kommunisten nun die III. Internationale für ihren Anspruch, den Kreml zum Zentrum der Weltrevolution des Proletariats zu machen (Abb. 4).

24 Undzo Taguchi, Tscheres Krasnuju Ploschtschad, in: Wospominanija pisatelej o W. I. Lenine, Moskwa 1990, 428. 25 Qu Qiubai, Lenin, in: Wospominanija pisatelej, op. cit., 424. 26 W. Kirillow, Krasnyj Kreml (1920), zit. nach: Sawetnoje predanje pokolenij, op. cit., 278–279. 166

Der Moskauer Kreml: Sakraler Ort, Herrschersitz und Museum

Die Vertreter der Musealisierung dagegen arbeiteten gleichzeitig weiter daran, aus dem ganzen Kreml »die Akropolis und das Pantheon« der nationalen russischen Kunst zu machen. Der Kunsthistoriker und Maler Igor Grabar begründete 1920 in der Zeitschrift »Kunstleben« detailliert, warum gerade der Kreml »das wahre Nationalmuseum« sei. Moskau hat mit dem Kreml schon »ein fertiges Museums-Städtchen …, um das uns ganz Europa beneiden würde«. Die Kremlbauten »in verschiedenen Stilen aus unterschiedlichen Zeiten, die alle echt und die Geschichte selbst sind«, würden die ideale Museumsarchitektur für die Kunstschätze der entsprechenden Perioden bilden.27 In der Realität verlief der Versuch der Musealisierung äußerst mühsam. Eine Verordnung setzte oft andere außer Kraft. Die Idee eines Museums der nationalen russischen Kunst ließ man bald fallen. An dessen Stelle verordnete man 1922/23 das »Staatliche Museum für angewandte Kunst. Rüstkammer«. Außer der eigentlichen Rüstkammer sollte das Museum den Großen Kreml-Palast, alle Kathedralen und Kirchen – auch jene in den Klöstern und Türmen – innerhalb des Kremls und die BasiliusKathedrale am Roten Platz umfassen.28 Eine planmäßige und geregelte Arbeit der Mitarbeiter war fast unmöglich. Es mangelte an Personal, an den notwendigsten Mitteln aller Art, die oft nicht geordneten und nicht inventarisierten Kunstwerke sowie auch die Gebäude selbst befanden sich teilweise in kritischem Zustand, Heizung und Beleuchtung fehlten. Obwohl all das schon an sich gereicht hätte, begann eine staatliche Sonderkommission, unter der Leitung von Trotzki, 1922 im Kreml Gegenstände aus Edelmetallen und Juwelen – offiziell für die Hungerhilfe – zu 4: Dmitrij Moor, »Es lebe die III. Internationale«, Plakat, 1921

requirieren. In größter Gefahr waren die wertvollsten Werke,

27 E. G. Garanina, »Musejnaja shisn« architekturnych pamjatnikow moskowskogo Kremlja w XIX-natschale XX weka, in: Materialy i issledowanija, Wypusk XV, op. cit., digitale Ressourcen, 5. 28 Katschalowa, Istorija otdela pamjatnikow Kremlja, op. cit., 179. Olga Postnikova

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vor allem die Kronjuwelen. Nur unter Einsatz ihres persönlichen Schicksals konnten Museumsmitarbeiter die nationalen Schätze des Landes retten. Immense Schätze gingen dennoch verloren.29 Trotz allem organisierte man weiter Führungen für Gruppen im Kreml, wobei restriktive Instruktionen regelten, wer daran teilnehmen durfte.30 Das ganze übrige »nicht privilegierte Volk« blieb aus dem Kreml ausgeschlossen. Eine Tatsache, die der Stadtführer »Altes Moskau« von 1924 so verbrämt: »Ein Spaziergang durch den Kreml war früher ein fast obligatorischer Teil jedes Moskau-Führers. Jetzt, da der Kreml nach einer zweihundertjährigen Pause wieder zur Residenz der Regierung wurde, ist er natürlich kein Ort der freien Spaziergänge mehr. Den Spaziergang im Kreml ersetzt man nun durch einen ›Spaziergang‹ um den Kreml herum«.31

Der Rote Platz als Ersatz für den Kreml unter Stalin Am 21. Jänner 1924 starb Lenin. Die Regierung fasste den Beschluss, der aber in keiner Weise dem Willen des Verstorbenen entsprach, am Roten Platz zwischen den beiden Massengräbern ein Mausoleum zu errichten, den Leichnam einzubalsamieren und im Mausoleum unter einem gläsernen Sarkophag für ewige Zeiten aufzubahren. Flankiert von den beiden Massengräbern der »Roten Nekropole« sollte das mit rotem und schwarzem Stein verkleidete Lenin-Mausoleum den Mittelpunkt bilden und die Nekropole »krönen« (Abb. 5 und 6). Mit der komplexen Gesamtkonzeption des Mausoleums schuf 1929/30 der Architekt Alexej Schtschussew die einmalige Inszenierung einer permanenten Trauerprozession. Im Inneren steigt man zuerst mehrere Treppenläufe hinunter, erreicht den dunklen Aufbahrungssaal mit dem Sarg, geht um ihn herum und kommt dann wieder über Treppen ans Tageslicht. Das Lenin-Mausoleum diente auch der Regierung als Tribüne zur Abnahme von Aufmärschen und Paraden. Der ganze Bau ist damit mit ­einem genealogischen Stammbaum vergleichbar: Der Gründer des Staates – »die Wurzel«, seine »Sprösslinge« »wachsen« aus ihm heraus. Heutzutage benützt die russische Regierung das Lenin-Mausoleum bei staatstragenden Ereignissen auf dem Roten Platz nicht mehr als Tribüne und lässt es hinter tarnenden Stellwänden verschwinden. Nach Lenins Tod begann in der Regierung der Machtkampf, den letztendlich Stalin gewann. Die grundlegenden Änderungen in der Regierung beeinflussten sofort die Kultur- und Museumspolitik. Im Kreml nahmen die Gegner der Musealisierung überhand. 1924 wurde der Große Kreml-Palast dem Exekutiv-Komitee untergeordnet. Im

29 D. D. Iwanow, Ottschjot o rabote Museja »Orushejnaja palata« sa 1918–1923 gg., sostawlennyj ego sawedujuschtschim D. D. Iwanowym«, in: Materialy i issledowanija, Wypusk XIV, op. cit., 378f. 30 L. I. Donezkaja u. L. I. Kondraschowa, Is istorii proswetitelskoj dejatelnosti w Moskowskom Kremle, in: Materialy i issledowanija, Wypusk XIV, op. cit., 301–302. 31 Garanina, »Musejnaja shisn«, op. cit., digitale Ressourcen, 5. 168

Der Moskauer Kreml: Sakraler Ort, Herrschersitz und Museum

5: Alexej Schtschussew, Lenin-Mausoleum, Entwurf, 1929

6: Lenin-Mausoleum, Kremlmauer, SpasskajaTurm, um 1930

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größten Prunksaal des Palastes, dem Georgiewskij-Saal, plante man eine Kantine für die Delegierten der Parteitagungen und Regierungssitzungen, schon dem Museum übergebene Palasträume benützte man als Waschküche oder Abstellraum.32 Die zu der Zeit schon eingerichteten Säle des geplanten Museums im Großen Kreml-Palast mussten geräumt werden. Ab 1925 war das Betreten des Großen Kreml-Palastes den Museumsmitarbeitern verboten.33 Ihre Tätigkeit sollte sich ab jetzt nur auf die Rüstkammer und die Kirchen beschränken.34 In den frühen Dreißigerjahren wurden fast alle führenden Mitarbeiter der Museen des Kremls entlassen, teilweise Repressalien ausgesetzt und durch Personen ohne entsprechende Ausbildung und Erfahrung ersetzt.35 Die Museen des Kremls unterstanden der Verwaltung des Kreml-Kommandanten. Sie verwandelten sich in Kunstdepots, die man nur für Delegierte, Deputierte und ausgewählte Gäste der Regierung öffnete. 1929 entwickelten die Parteiideologen und Stalin selbst die Theorie, dass »das Fortschreiten der Sowjetunion auf dem Wege des Sozialismus von der Verschärfung des Klassenkampfes im Lande und der Verstärkung des innenparteilichen Kampfes unvermeidlich begleitet« sein wird.36 Ideologisch legitimiert wurde damit der Terror gegen das eigene Volk und die sogenannten Säuberungen. Es begann auch der Kampf gegen alle Religionen, man entweihte und zerstörte viele Klöster, Kirchen, Synagogen und Moscheen. Im Kreml erfolgte 1929 die Sprengung der beiden ältesten Klöster Moskaus aus dem 14. Jahrhundert, des Tschudow7: Iwan Rerberg, WZIK-Schule, 1932–1934

und des Wosnesenskij-Klosters.

32 W. Korowajnikow, Istotschniki ob ispolsowanii imperatorskich dworzow posle 1917 g. (po materialam ZMAM), in: Zarskie i imperatorskie dworzy, op. cit., 267–268. 33 S. L. Malafeewa, Dworzy Moskowskogo Kremlja w dokumentach Moskowskogo gorodskogo objedinenija archiwow, in: Materialy i issledowanija, Wypusk XV, op. cit., digitale Ressourcen, 5. 34 T. W. Tolstaja, Musej »Uspenskij sobor« Moskowskogo Kremlja. Stranizy istorii, in: Materialy i issledowanija, Wypusk XIV, op. zit., 208. 35 A. W. Petuchowa, Musej w Kremle kak gosudarstwennoje utschreshdenije, in: Materialy i issledowanija, Wypusk XIV, op. cit., 23f. 36 Istorija Kommunistitscheskoj partii Sowetskogo Sojusa, Moskwa 1963, 432. 170

Der Moskauer Kreml: Sakraler Ort, Herrschersitz und Museum

8: Blick vom Aleksandrowskij- in den Andreewskij-(Thron-)Saal im Großen Kreml-Palast, Chromolithografie

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9: Sitzungssaal im Großen Kreml-Palast, 1932–1934

Die beginnenden Dreißigerjahre markierten den voll entwickelten Personenkult von Stalin und als dessen Folge tief greifende, ideologisch motivierte Umgestaltungen im Kreml. Anstelle der beiden gesprengten Klöster errichtete der Architekt Iwan ­Rerberg 1932–1934 die Militärschule namens »WZIK« (Zentrales Unions-Exekutivkomitee) (Abb. 7). Diese Schule ist eines der frühesten Beispiele des offiziellen stalinistisch-neoklassizistischen Stils, der den vorhergehenden Konstruktivismus ab 1932 ersetzen musste. 1938 zog dort das Sekretariat des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR ein. 1958 gestalteten die Architekten K. Ptschelnikow und L. Segal die Innenräume des Gebäudes zum Kremljowskij Theater mit 1.200 Sitzplätzen um.37 Der nächste Umbau erfolgte 1969–1970. Der Architekt M. Possochin verwandelte das Theater in den Sitzungssaal des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR. Heute dient der Bau dem Apparat des Präsidenten von Russland als Administrationsgebäude. Gleichzeitig mit der WZIK-Schule baute der Regierungsarchitekt I. Iwanow-Schitz – in demselben Stil – die Festsäle des

37 J. F. Polynina / I. A. Rodimzewa, Der Moskauer Kreml, Moskau 2000, 48–49. 172

Der Moskauer Kreml: Sakraler Ort, Herrschersitz und Museum

Großen Kreml-Palastes für den XVII. Parteitag um. Durch Zusammenlegung der beiden hintereinanderliegenden Säle, des Thron-(Andreewskij-)Saales und des AleksandrowskijSaales, entstand ein lang gestreckter, riesiger Saal für Parteisitzungen, Tagungen und Politversammlungen (Abb. 8 und 9). Ein mehrreihiges erhöhtes Podium für das Präsidium mit einer überdimensionierten Leninstatue in der Nische in der Mitte der Frontwand ersetzte den Zarenthron. Der größte von allen Prunksälen, der ­Georgiewskij-Saal, blieb unangetastet, war er doch – schon in der Zarenzeit – »der Tempel des Ruhmes der russi10: Boris Joganson u. a., Stalin empfängt Delegierte der Sowjetrepubliken im Georgiewskij-Saal des Großen Kreml-Palastes, 1952

schen Waffen«.38 Er diente nun unter der Sowjetregierung als Großer Festsaal (Abb. 10). Die aus dem Ende des 15., Anfang des 16. Jahrhunderts stammende Freitreppe des Facettenpalastes, die sogenannte »Rote Freitreppe«, wurde zu derselben Zeit abgerissen und an ihrer Stelle ein Wirtschaftsgebäude errichtet. Die semantische Funktion dieser Prunktreppe ist mit jener des Zarenthrones vergleichbar: Sie benützte man nur für die Zeremonie der Krönung der Monarchen und für ihre Hochzeiten. Sonst war das Betreten der Treppe streng verboten (Abb. 11). Die Regierung überlegte sich offensichtlich auch weitere Schritte in Richtung der möglichen Umgestaltung des Kremls. Eine 1934 gebildete Kommission zur späteren Restaurierung der Kremlbauten sollte entscheiden, welche Objekte des Kremls eine historische und künstlerische Bedeutung haben. Zu vermuten ist, dass man die Kathedralen abreißen wollte. Aber: Die Kommission stellte fest, dass die drei Kathedralen auf dem Kathedralenplatz unter allen Umständen, inklusive der darin befindlichen Kunstwerke, wegen ihres besonderen Wertes erhalten bleiben müssen.39 Die Kathedralen blieben, 38 G. A. Markowa, Bolschoj Kremljowskij dworez Architektora K. Tona, Moskwa 1994, 36. 39 Tolstaja, Musei »Uspenskij sobor«, op. cit., 209. Olga Postnikova

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11: Adolf Charlemagne, Rote Treppe, Zar Nikolaj II. und Zarin Alexandra nach der Krönung 1896, Chromolithografie

von der Restaurierung war aber dann keine Rede mehr. Es wurden überall im Kreml die Herrschaftsembleme und -symbole ausgetauscht: Das Wappen der Sowjetunion mit Hammer und Sichel und die Buchstaben »CCCP« ersetzten die zaristischen Doppeladler. Auf den Spitzen der Durchfahrtstürme montierte man 1937 anstelle der Doppeladler Sterne aus von innen beleuchtetem Rubin-Glas. In der Zwischenzeit war in Russland schon eine Generation herangewachsen, die den Kreml nur mehr von außen kannte. Das Panorama des Kremls mit den Palästen und den goldenen Kirchenkuppeln, wie man es auch heute von der Brücke über den Moskwa-Fluss sieht, erschien wie eine Mirage (Abb. 12). Der Rote Platz dagegen, das Lenin-Mausoleum, die rote Mauer, die Rubinsterne, die Türme, insbesondere der Spasskaja-Turm mit seiner Spieluhr, waren die Realität. Da wurden die Sowjetunion und die Sowjetregierung gefeiert, da wurde am 1. Mai und am 7. November das Volk zur Marschkolonne der Werktätigen, die vor der Regierung auf der Tribüne und vor dem toten Lenin im Mausoleum zu defilieren hatten. Da war dann das ganze Volk, das ganze Land beisammen (Abb. 13). Dieser Teil des Kremls, die Trias aus Kremlmauer, Spasskaja-Turm und Lenin-Mausoleum ist zum neuen Symbol der Hauptstadt und zum Symbol der ganzen Sowjetunion geworden. Diese Symbolik sollte vor allem während des Zweiten Weltkrieges identitätsstiftend wirken. Nach dem 174

Der Moskauer Kreml: Sakraler Ort, Herrschersitz und Museum

12: Kreml-Panorama, Ansicht vom Fluss Moskwa, um 1930

13: Sportparade auf dem Roten Platz, Postkarte nach einem Foto von Alexander Rodtschenko, 1935

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Zweiten Weltkrieg fand am 24. Juni 1945 auf dem Roten Platz die Siegesparade mit der historischen Szene statt: Soldaten warfen 200 deutsche Standarten als Trophäen vor dem Mausoleum zu Boden. Ende des Jahres 1945 kehrten die während des Krieges evakuierten Kunstwerke des Kremls und die Lenin-Mumie in den Kreml zurück. In kürzester Zeit stellte man in der Rüstkammer eine neue Exposition zusammen. Ende der Vierziger-, Anfang der Fünfzigerjahre konnten noch immer nur spezielle Gruppen die Rüstkammer, die Kathedralen und den Großen Kreml-Palast besichtigen.40

Wiedereröffnung des Kremls Unter allen Gerüchten, die nach Stalins Tod 1953 in der Bevölkerung kursierten, galt jenes, dass »der Kreml für alle geöffnet wird«, als eines der unglaubwürdigsten und unvorstellbarsten.41 Am 20. Juli 1955 wurde der Kreml für die ganze Bevölkerung geöffnet. Am historischen XX. Parteitag im Februar 1956 enthüllte und verurteilte Nikita S. Chruschtschow den Personenkult Stalins. Mit seiner Regierung begann das so­ genannte »Tauwetter«. Auf dem Kathedralenplatz tanzte anlässlich der Internationalen Jugendfestspiele 1957 die Jugend. Die Kirchen, die Rüstkammer sind wieder als Museen zugänglich. Laut der Verordnung der KPdSU und der Sowjetregierung musste 1960 die Kommandantur des Kremls die Rüstkammer und die Kathedralen dem Kulturminis­ terium übergeben.42 1959–1961 erbaute der damalige Hauptarchitekt Moskaus, Michail Possochin, im Kreml für den XXII. Parteitag der KPdSU das letzte bedeutende Gebäude, den Staatlichen Kongresspalast, für Parteitage, internationale Veranstaltungen und Festsitzungen. Der Stil des neuen Gebäudes entsprach vollkommen der neuen »Linie der Partei und Regierung«: Das Zentralkomitee der KPdSU und der Ministerrat der UdSSR verurteilten und verboten 1955 in einer speziellen Verordnung das »überflüssige und verschwenderische Dekorum der stalinistischen Architektur«. Diese Verordnung machte sich natürlich die II. Allsowjetische Architektentagung zu eigen.43 Für den neuen Kongresspalast riss man den aus dem frühen 19. Jahrhundert stammenden Vorgängerbau der Rüstkammer und mehrere Verwaltungsbauten ab. Im Laufe der Bauarbeiten stellte man fest, dass die Baugrube die benachbarten historischen Bauten, vor allem den Patriarchenpalast aus dem 16./17. Jahrhundert gefährdete, da sich an mehreren Stellen immer größer werdende Risse zeigten.44 Für die Regierung aber war viel wichtiger, mit der Errichtung dieses 40 41 42 43 44

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Donezkaja / Kondraschowa, Is istorii proswetitelskoj dejatelnosti, op. cit., 303. K. Tschukowskij, Dnewnik 1930–1969, Moskwa 1995, 198. Petuchowa, Musej w Kremle, op. cit., 24f. D. Chmelnizkij, Architektura Stalina. Psichologija i stil, Moskwa 2007, 10. A. Romanenko, Patriarschie palaty i zerkow Dwenadzati Apostolow. Istorija musejnych eksposizij, in: Materialy i issledowanija, Wypusk XIV, op. cit., 259.

Der Moskauer Kreml: Sakraler Ort, Herrschersitz und Museum

Gebäudes den öffentlichen Charakter des Kremls zu betonen und dem zaristischen Großen KremlPalast aus dem 19. Jahrhundert den modernen »Palast für das Volk« gegenüberzustellen. Heutzutage wird der Staatliche Kongresspalast hauptsächlich für Konzerte sowie für Opern- und Ballettvorstellungen genutzt (Abb. 14).

14: Michail Possochin, Kongresspalast, 1959–1961

Die »monarchische« Rekonstruktion des Kremls Seit der Perestrojka verläuft das Museumsleben im Kreml viel aktiver. Die Rüstkammer und die Kathedralen blieben der Kern der Kreml-Museen. In weiteren historischen für Museumszwecke adaptierten Räumlichkeiten, so etwa im Glockenturm, Patriarchenpalast etc., werden ständige und temporäre Ausstellungen gezeigt. Man organisiert wissenschaftliche Symposien und Konferenzen, publiziert Kataloge der eigenen Sammlungen und forscht an der Geschichte des Kremls. Jahrzehntelang gesperrte Kreml-Archive sind für Forscherinnen und Forscher wieder zugänglich geworden. Zwischen dem Moskauer Patriarchat, dem Kulturministerium der Russischen Föderation und den Museen des Kremls wurde um 1990 ein Übereinkommen über die gemeinsame Nutzung der Sakralbauten des Kremls getroffen. Die Kathedralen und Kirchen erfüllen ihre Doppelfunktion, sie sind Museen und Kirchen, erhielten Museumsstatus und stehen unter Denkmalschutz. Im August 1991 wurde in der Mariä-Entschlafens-Kathedrale seit über 70 Jahren erstmals wieder ein feierlicher Gottesdienst zelebriert. Bestimmte Räumlichkeiten wurden dem Moskauer Patriarchat übergeben. Heute befindet sich hier die Kremlresidenz des Patriarchen von Moskau und ganz Russland.45 Von 1994/95 bis 1998/99 führte man im Kreml, vor allem im Großen Kreml-Palast und im Senatsgebäude, großzügige Rekonstruktionen und Restaurierungen durch. Die in den Dreißigerjahren zusammengelegten beiden Säle, der Aleksandrowskij- und der

45 Polynina / Rodimzewa, op. cit., 54–55. Olga Postnikova

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Andreewskij-Saal wurden wieder getrennt und der Originalzustand rekonstruiert.46 Die Symbole und das Staatswappen der Sowjetzeit entfernte man überall und ersetzte sie durch das Staatswappen mit Doppeladler. Den zaristischen Doppeladler bestimmte ein Erlass des russischen Präsidenten 1993 zum neuen Staatswappen der Russischen Föderation. Die roten Rubinsterne aus der Stalin-Zeit auf den Türmen sind aber geblieben. Die Geschichte der schon erwähnten »Roten Freitreppe« steht exemplarisch für die Gesamtentwicklung einzelner Kremlbauten im Verlauf des 20. Jahrhunderts. In den Dreißigerjahren abgerissen, wurde sie nun wiederhergestellt (Abb. 15). Die Präsidenten Russlands nützen die rekonstruierte Prunktreppe der Zaren als Requisit des aufwendigen Zeremoniells bei ihrer feierlichen Inauguration.

15: Rote Treppe, Rekonstruktion

Zu Sowjetzeiten war der Kreml Sitz der gesamten Regierung, heute ist er ausschließlich Residenz des Präsidenten von Russland. Nur einen Bruchteil des Gesamtareals dürfen Besucherinnen und Besucher betreten. Die kostenpflichtige Besichtigung der Museen, Ausstellungen und Sehenswürdigkeiten ist möglich. »Spazierengehen« kann man »um den Kreml herum«.

46 Ebenda, 74f. 178

Der Moskauer Kreml: Sakraler Ort, Herrschersitz und Museum

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Augustin Ioan

The urban and architectural programs that surfaced during the Communist regime in Romania (1948–1989) resulted mainly from dramatic change at the very top of the party leadership. Thus, when Ceauşescu succeeded his late mentor, Gheorghiu-Dej, in 1965, as chairman of the Romanian Communist Party, he triggered major revisions in doctrine. The country’s new »civic centers« are the built result of the campaigns that followed. The latter must therefore be presented here in order to fully grasp the particular traits of communist architecture after 1965, as it was shaped by political change, especially the hardening of the system. This background lends a certain amount of logical consistency to the process that led to the »apotheosis-like« finale of the wholesale razing of Bucharest’s center (450 hectares) to make way for the civic center (150 hectare total, with the 4.5 km-long Victorious Socialism Boulevard and the Republic House).

How should the history of communist architecture be investigated? In terms of research methods, presenting only the edifices without the aura of political decisions, speeches, and laws attaching to them, or reference to similar phenomena prior to the communist era, would yield a distorted view. What we are dealing here with are multiple-form phenomena, not (merely) constructions, regardless of size or appearance. Moreover, it is difficult to probe into the plethora of official references, as actual data is lacking and everything is thoroughly drenched in the propaganda of the time. »Kremlinology« might have been a useful method with which to tackle the communists’ »wooden« parlance, but official architecture merits more circumspect consideration. Practically speaking, none of the important players of the time left convincing testimony that could offset the lop-sidedness of the information. With the exception Augustin Ioan

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perhaps of the person directly involved in the demolition of the Vacaresti Monastery in the southern end of the capital city (an incommensurable and irretrievable loss for the medieval heritage of the Balkans), none of the architects who worked at the People’s House managed to come up with anything more than pathetic »defenses«. (Anca Petrescu, the chief architect of the People’s House ran for mayor of Bucharest in 2004 on a ticket that glorified exactly the said appalling foundation.) The refusal to grant interviews, the way these characters dodged the issues – the very authors or »only« witnesses to Bucharest’s tremendous demolition, including the great edifices destroyed as the historic center was razed – make all investigative work very difficult; in this case, it becomes sheer detective work.1

Nationalism: Excavated and Rebuilt As part of the new rhetoric of Romanian communists, an increasingly obsessive search for a new identity within the Soviet sphere of influence produced effects that would have been downright flabbergasting only a decade earlier. The escape – if only skin deep – from the sway of Big Brother in the east presupposed a debate at home regarding national identity that took place at various levels of political, and consequently, cultural decision-making. The assertion of national identity (through multiple operations of reconstructing pre- and post-war identity myths) was, in itself, a rebellious move for the period. The rehabilitation of the leading personages of Romanian culture (who, for political reasons had fallen into disgrace and had even been imprisoned) before and after the enthronement of communism represented a first step along this trajectory. The process of restoring the official status of older (re)sources of »Romanianism«, or »national identity« (i.e., recycling and adapting them to contemporary ideological dictates) moved at an increasingly brisk pace. But reconstructing a national identity after two decades of systematic communist sabotage was no easy feat. Apart from the fundamentally »socialist realist« tone, the primary rhetoric, mirrored by the reliance on selected past references, retained the Soviet thesis on the relationship between form and content. Art, and especially architecture, had to be national in form and socialist in content. As to the form, in this limited context, the »Romanian« comprised the architecture of the oppressed classes (with an emphasis on peasant architecture), or some medi-

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Until 2005, for instance, almost everybody ignored that the Republic House (so-called of »The People«, and officially the Parliament Palace) also featured a center of physical-therapeutic recovery with a swimming pool that was completed after 1989 without the knowledge of Parliament. It was not until 2004 that the press had the opportunity to see the intricate underground corridors, resembling the collective subconscious of the Romanians, where a brisk activity of removing debris and garbage was underway.

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eval architecture, since at that time Slavonian was used in the Orthodox Church of the Romanian provinces (for instance, the restoration of the monasteries in northern Moldavia). Such references, limited to the level of ornamental vocabulary, can be found on the Scanteia House, erected in Bucharest in the early 1950s – a relatively high building, of the same mettle as Moscow’s towers and the Culture Palace of Warsaw. It was only at the close of the 1950s that modernist architecture, recuperated from the architects who had been at work in the inter-war period, ventured a comeback that suggested an intention to rival the classical and monumental styles. With it a longing for a Latin spirit (linguistic and architectural) also returned. The Palace Hall (an auditorium added to the former Royal Palace of Bucharest, finished in 1960) recalls Roman arches in a way similar to the approach taken twenty-five years later by C. Lazarescu in remaking the National Theater. The hall also has a (pseudo) dome, an architectural form previously banished by the realist-socialist idiom due to its religious connotations. The most important political and administrative decisions to leave the most distinctive marks on Romanian cities had to do with the countrywide reorganization of land and administration. This happened in several successive stages. After the establishment of communism, one of the emblematic gestures of juridical takeover of territorial ownership was the introduction of the Soviet-style administrative organization of the country into regions and districts. For a time, an Autonomous Magyar Region of Mures in Transylvania even existed, made up of the older counties with a mainly Hungarian population. Its dismantlement was the first sign that political discourse was becoming more national. Thus, Ceauşescu’s decision to restore the pre-war division of Romania into counties (with modifications, some of them significant, in name and / or original boundaries), could be said to represent an expression of Romanian dissent with the USSR. Reference to the Romanians’ »ancestral« Romanic ethnic descent and Latin linguistic origins (which according to official propaganda was the outcome of the ethnogenesis following the occupation of ancient Dacia by the Roman emperor Trajan after the wars of 101–102 and 105–106 A.D.) was a topic of Romanian state politics in the seventh and eighth decades.2 How should the Roman-Latin reference be brought back into discussion? How to resume this topic, wielded also by the official politics of the 1930s and 1940s when there was talk about Latin ethnics (and variants: blood, race, language) and Byzantine faith (i.e. Orthodox)? Obviously, the nationalist, right-wing inter-war idiom could be married only with difficulty to the communist political slogans, supposedly left-wing. Consequently, the first steps in this direction were very judicious. The major 2

The 1980s meant a further push of nationalism into the ancient past. The Dacians were also celebrated (for instance, in 1980, 2050 years were marked since the creation of the first centralized Dacian state by King Burebista). Augustin Ioan

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undertaking was to change toponyms (place names): the capitals of the new counties became municipia, and the center of each such town municipium was redesigned by successive demolition and reconstruction sprees. They were aimed to integrate what would be subsequently known as »civic centers« or forums of the new counties.3 »Toponymy« also meant resuscitating ancient Latin names of the larger cities: Napoca for Cluj (which, to this day has been called Cluj-Napoca), and Drobeta for Turnu Severin (which is still called officially Drobeta-Turnu Severin). In anticipation of historic anniversaries, when the symbiosis between the ancient and the modern name could have been made, other names were unofficially used (for instance Aegyssus for Tulcea, one of the country’s new municipia, newly established in the Danube Delta.) Another way to revive the »Latin« origin of the Romanian people was to step up archaeological digs in areas known to have once sheltered Roman camps. Sarmisegetusa Regia / Ulpia Traiana, the capital of the Dacian state and then of the Roman province of Dacia, was dug up and restored. In 1976, an anniversary of the year 106 brought about the full reconstruction, from ground up (not just a restoration) of the Adamclisi mausoleum, known as Tropaeum Traiani, designed by Apollodorus of Damascus. The story is telling, not just for the »Latin«-style nationalist policy pursued by Ceauşescu, but also because Tropaeum Traiani happened to be the object of reconstruction proposals envisaging a mausoleum for WW1 heroes.4 The official connection between the inter-war period and the direct reference to the Roman source, also celebrated by the political and cultural ideologists before WW2, is omnipresent. It is obvious that the »civic centers« drew greatly from the precedent of Mussolini’s Italy, where fora were implanted in medieval towns in the 1920s and 1930s. (Piacentini did it in Brescia, to mention just one example.) Back then, Mussolini launched a violent process of demolition that brought 3

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Only later on the term in itself became a fixture of the official and specialized jargon. Curisnschi-Vorona (1980, 362) still called them »new common centers« or »pedestrian agoras« (368) a few years before the start of the big urban works of Bucharest, which his volume also anticipated (368 and the fol.). Spiridon Ceganeanu in »Tropaeum Traiani and the Mausoleum of the Heroes« in Arhitectura – Revista Societatii Arhitectilor Romani, 1943–1944, pp. 52–3 is against the reconstruction of this mausoleum in Bucharest, in Carol Park, as a monument of the heroes. He also makes the commonsensical remark that neither the full reconstruction on the original location is a serious choice since many of the decorative pieces of the original got lost during the two thousand years elapsed. He believes though that the mausoleum could be a source of inspiration for a mausoleum of the heroes fallen in war. The reasons for this choice are interesting in themselves, bespeaking the mentality of the time’s architects. »The Mausoleum was erected only after the triumphant conclusion of the Dacian wars, therefore the final subjugation of the Dacians, and not during the flares-up. Emperor Trajan wanted this monument to represent a commemoration and at the same time a constant reminder of the Roman strength against the barbarians’ invasions.« In other words, the analogy between the Roman conquests with the stop put to the barbarians and the situation in the early communist era, when Romania was battling the USSR for »similar« purposes made the monument very topical. More, to quote the Roman mausoleum meant »to give us back a mausoleum of the Romanian soldiers, as Apollodorus of Damascus gave a Tropaeum for the glory of the Romans«.

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to light the Mausoleum of Rome built by Augustus, stripping it of the accretion of urban fabric that had grown over it organically. 1977 saw the remaking of the monument marking the union of the province of Dobruja to the motherland, and again the Roman name of the Danubian citadel Tulcea, Aegyssus, resounded in speeches and original documents; its archaeological vestiges were gathered in a museum situated right on the building site, on the Hora hill of the present city.

Civic Plazas Between 1968 and 1987, the opening of the last and most flamboyant of the civic centers outside Bucharest in Satu Mare), designed by the most important architect of that building program, Nicolae Porumbescu, the most diverse architectural expressions had been produced. They all shared a few characteristics, however. 1) The most dominant building housed political and administrative power, i.e. the County Committee of the Romanian Communist Party and the municipium city hall. From an architectural standpoint, and as an urban structure, the most representative (monumental) building among all the civic centers was the RCP headquarters. It inevitably became the yardstick of monumentality and scale in the city, as well as the flagship for future developments of the communist government throughout the land. As office buildings, the national headquarters of the communist authorities were never content with a »simple« architecture: they ranged from a late Corbusian style,5 »lyrical functionalism«, and »the national specific architecture«, pushed to outlandish shapes6 by N. Porumbescu, including his last design at Satu Mare. Among them, only the first projects hesitated to turn to architecture parlante: again at Focsani, the architectural discourse recalls Hermann Henselmann and his Stalinalee rather than the Schinkel School-influenced modernism it promotes. Always eclectic, the sources of this »identity« architecture, borrowed either directly (in a pastiche shifting to a different material and / or scale) or allegorically from prestigious vernacular precedents (porches, ridged roofs, decorative motifs suited to wooden architecture, or even the trappings of daily peasant life.) The culture house of Satu Mare is a collection of structural combinations of the type of small wooden peasant cottage, blown up to monumental scale, and built in reinforced concrete. The upper stories of the Ramnicu Valcea building clearly refer 5 6

References to Chandigarh are often obvious in town halls and the near-by culture houses, such as that of Ploiesti. Oral anecdotes recounted by his collaborators explain the elevated campanile tower (and inadequate) shape of the RCP headquarters by two of Porumbescu’s theories: the reason why Romanian architecture does not feature campaniles is because the Romanian people had to defend Christianity from the Turks, and therefore had not time to build monumental structures. Second, a lofty tower could be seen from neighboring Hungary. Augustin Ioan

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to Dionisie’s Belfry at Horezu Monastery nearby. References to monumental Orthodox religious architecture can be seen in other works as well (especially in Moldavia, again as a preference of N. Porumbescu), since the only existing forms of monumental architecture in the »Romanian« past that could be invoked as prestigious models were churches and monasteries.7 As the regime was turning chronic, and »working visits« institutionalized more and more, an official rostrum was added to the new official buildings, from where Ceauşescu and local central committee members could address the throngs forced to gather and listen below. This brought about a type of »piano nobile« containing the office of the first secretary, his private council hall and, further down on the plaza, the rostrum of the leader, the only user of the respective space. Its ultimate expression is at Satu Mare, where the rostrum, plunging out into the plaza, is thickly decorated with »folk« motifs, including »the underside facade« - the one actually visible to the population in the plaza. Its daring profile introduces it as a deliberately oversized element of composition in relation to the tower from which it springs, reminiscent of the competition entries for Mussolini’s rostrum on the Fascia Palace on the Via dell’Impero in Rome. This false gesture of »opening« the building onto the plaza actually emulates the »popular« character of the regime, which purported to dialogue with the masses from above, but barred actual entry into the spaces of local power. In other words, only the initiated – those who ministered and administrated power – had access to the building’s interior, while the public space, »the civic plaza«, was exclusively exterior, subordinate to the building, and devised not as a space of interaction between equal parties, but for controlled and manipulated aggregation of audience members. This is the root of the panoptic nature of the dipole civic plaza design. And in this sense, it is no accident in the Brasov unrest of 1987 and especially during the 1989 revolution, rebelling meant first of all »taking« this particular building and, using the balcony / rostrum, cleansing it of all party insignia, slogans, and texts representing the hated regime. In the surrounding counties as well as in Bucharest, the very creation of the new local power structure presupposed a significant number of »balcony scenes«, the only occasions for was two-way communication with the people, now spontaneously gathered in otherwise empty plazas. All of the buildings housing the RCP county headquarters exude nostalgia for an ancient / Roman or medieval / regional or local past. None fails to flatter at least one prestigious precedent from among those that could cast an aura of authority of the past over the socialist present. In this regard, none of these buildings is at all contemporary 7

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From this point of view things reached a perverse high in Bucharest where Anca Petrescu claims that she used decorative motifs from the Vacaresti Monastery to adorn the Republic House, putting the biggest Christian Orthodox church in the Balkans, demolished in the 1980s under the umbrella of the same mega-project of Ceauşescu’s.

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with its time, nor does it foreshadow the communist future embedded in the period’s speeches. As an emblem of power in and over the territory, the RCP headquarters dominated the city, the county, and society. The evocation of specific local, regional, or »Romanian« (i.e., national) traits led to troubling forms at times. At Tulcea, the downtown buildings and their covered galleries (arcades) were torn down and replaced with a new civic plaza, lined by blocks of apartments with covered galleries – on the ground floor. To disappear an authentically historical original in order to make room for a modern-day copy is surely a process that merits a more comprehensive discussion than this essay can provide. Such an act is redolent of the artificial, elaborated nature of »the national specific traits«, which removed the real past in order to replace it with a caricature of an imaginary past infested with ideology. Reconfigured by propaganda and erected in concrete, all evidence of their concrete physical presence removed, these »specific national traits« invoked every identity-giving local and regional element that could possibly engender attachment and resistance to change. The alteration of toponyms, of the known streets and urban centers, and of historical edifices, was a deliberate, time-consuming reprogramming process that resulted in an almost completely different built environment. The architecture and urbanism of these new civic centers comprised the regime’s most repressive tools for brainwashing. 2) The civic plaza in itself was a huge space, exclusively pedestrian, and subordinated in orientation and size to the political-administrative building. The plaza was a device for assembling crowds and compelling them to celebrate Ceauşescu’s »working visits in the respective county«. Because they were official in nature, the plazas had to remain empty for the rest of the year. The citizens of each city never came together spontaneously in these civic plazas until the revolution of 1989. After the violent demolition of the old architecture and its reconstruction, the full remaking of the city was meant to radiate outward from this point: the civic center. That today many such structures and major monuments (including the meridian Bucharest case) seem to have remained outside of, or without obvious connections to the city preceding them, is because the old was doomed to vanish completely. In other words, the ancient settlement was »fallacious« and had to be put in order, a new kind of order. The civic center and the yardstick structure would have generated the communist city’s new rationale of urban articulation. This can be observed in the towns that succumbed to the »contamination« coming from the new center to the suburbs (Slobozia, Alexandria, Galati). Just as we can notice that in towns with a rich architectural heritage, and / or in cities with a powerful geographic identity, the new civic centers clashed violently with prestigious public spaces and even with the geography of the place (Satu Mare, Tulcea). Before 1989, some medieval cities, like Sibiu or

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Brasov, and especially Sighisoara8, had managed to preserve their old centers relatively unchanged. And paradoxically, Cluj managed to avoid restructuring altogether.9 3) Other construction, alternatively present in the plaza, also appeared to be ceremonial: the House of Culture of the trade unions, for instance (another building type to emerge after the communist takeover in Romania), supermarkets, theaters, dwellings for the local elite of the regime, and occasionally a hotel reserved for official delegations. In other cases, part of these buildings (particularly the trade union House of Culture, a building type that predates the civic center program) can be found in squares that may or may not be articulated as a central civic plaza, trumpeting further in the town the message of a completely reconfigured urban fabric (Tulcea, Botosani, Suceava). The principle of design was almost invariably the same: the office buildings housing state administrative functions dominated the ensemble in height, and the House of Culture of the general store introduced built-up massing. There were few exceptions to the rule, and they occurred over time: for example, at Focsani, the hotel looms over the governmental center in the plaza; elsewhere, the representative public building takes the form of a horizontal blade with just a vertical accent on the campanile type (Vaslui, Galati). In the absence of complete documentation of Romania’s civic centers, only partial conclusions can be drawn in any discussion on the subject. With the exception of the hagiographic references found in a few encomiastic books of the 1980s, there are no historical studies of these projects, and, naturally, no critical notes on the abundant urban interventions related to them. Notwithstanding that they represent the showcase of Ceauşescu’s architectural nationalism, the studies made after 1989 did not address the matter either. The fact that many of the masterminds of these projects are with us, some even still working, might suggest that there is still time to investigate all their ramifications, starting from the political directives through to conception, stages of approval and construction, up to the present phase. The last fifteen years changed their purpose and their architecture, often distinctively. Embarrassing monuments vanished, and others just as awkward cropped up in their place. Bucharest’s new civic center drew

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The case of Sighisoara, a medieval Transylvanian Saxon citadel, still inhabited, is extremely relevant to the project of a new political-administrative »agora« masterminded by Anca Petrescu, project architect of the House of the Republic in Bucharest. Arguments for and against this project, fully completed in 1989, continued long after that date, since it enjoyed the support – paradoxically, we would say now – of the local post-communist authorities, who wanted to destroy their heritage in order to create their own version of a Grand House and parade square. Worth noting here is the fact that although massive dormitory districts were built in Bulgaria as well, the medieval centers of the towns stayed relatively intact so that today Bulgaria has a head start in the cultural tourism competition compared to their Romanian counterparts.

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considerable attention as the subject of an international architecture competition. And yet, the House of the Republic itself has been under constant construction and repair, while the surrounding area is utterly derelict in appearance.

The ultimate civic center in Bucharest The process of reconstructing the urban fabric and architecture of Romanian towns reached its zenith with the »new civic center« in the nation’s capital. Bucharest is a city where competing development projects replace each other violently. After more than one hundred and fifty years of growth, the city emerges as a palimpsest (A. Beldiman), or »an unfinished project« (A. Ioan). In other words, the goal of transforming it into monumental space according to the pretensions of one regime or another predated Ceauşescu’s time. In the 1930s, King Carol II decided to make »his« capital monumental by cutting straight and imposing axes in the still medieval urban fabric in a manner similar to urban reconstruction fever seen elsewhere (Moscow, Berlin, Rome). Ever since then, the Spirii Hill was targeted for a new administrative palace due to its centrality in city’s topography, and its resilient soil. Thus, when, after the devastating 1977 earthquake that revealed to Ceauşescu the transitory nature of architecture and whetted his appetite for grandiose foundations, it was decided to build a House of the Republic, the world - at least the professional architectural world – showed little surprise. This project required large-scale demolition of heritage architecture covering over 450 ha in order to build a new governmental compound of representative administrative and political spaces. In 1984, when the site was completely razed and part of the foundations had been poured for the new megastructure of communist power, resplendent ceremonies took place in which Nicolae Ceauşescu and his wife signed decrees on parchments and placed them in genuine »time capsules« embedded in the footings. In 1993, I traced this entire process with the help of contemporary footage as part of the documentary film titled Architecture and Power.10 It is still unclear how the selection of a novice architect, Anca Petrescu, came about. A communique of May 2005 from one of the participants in the Collage of Bucharest colloquium, also a member of a team participating in those »domestic competitions« of the early 1980s, presented a few of the entries for a design exhibition to Ceauşescu and his henchmen. Quotable firsthand accounts from those involved are still lacking, while Anca Petrescu continues to claim that, having no advocates to support her, she was chosen only on the basis the quality of her project. Anyway, regardless of the actual facts, the design her team submitted underwent significant modifications during construction. 10 Architecture and Power, Agerfilm SRL, Bucharest, 1993, director Nicolae Margineanu, script and commentary Augustin Ioan. The film received the Grand Prix at the Festival of Architecture Films FIFAL, 1994. Augustin Ioan

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The fact that the building site was rigorously protected by state security explains why we do not yet have access to the drawings, provided final complete sets of the drawings actually exist. Those involved in the affair surely have no interest in reopening this nebulous episode from their past. There were internal »domestic« competitions within certain state design institutions in which teams and the Ion Mincu Architecture Institute (at the time the only school in the field) participated. As a source of inspiration, some of the individuals I interviewed after 1990 mentioned the pompous, historically inclined postmodernism of Ricardo Bofill (especially the Antigone ensemble of Montpellier and those near Paris). At the time, and for some time afterwards, the process began by Ceauşescu was expected to ultimately produce the largest post-modern urban project in Europe. A parallel has been drawn between Grand Projets in Mitterand’s Paris and Ceauşescu’s enormous structures. But can we actually speak of a postmodern endeavor in his case? Or it is something that, by resisting any one interpretation, opens itself only to postmodern / fragmented readings? The types of composition and ornamentation;11 the assemblages of classical / eclectic elements taking on evocative / aesthetic functions;12 the deployment of identities in praise of the urban façade13 are undoubtedly comparable to those celebrated by postmodern architecture. However, several essential ingredients are missing, e.g. irony, double encoding, code requirements supposed to indicate the concessions meant to flatter kitsch mass culture, etc. The complex is a stark set of buildings designed to be taken quite seriously, although in truth they are hilariously kitsch, just like the former Securitate secret agents dressed in black suits with dandruff-specked collars, white cotton socks, and black lacquer shoes. This is an instance of unintentional humor, and the laughs come from the critics, not the authors; from interpretation, not creation. Robert Venturi once analyzed the fallacy of modern monumental buildings whose architecture »speaks« using an inadequate vocabulary. He called such buildings »dead ducks«. The »new civic center« in Bucharest is such a dead duck; sadly, after the jocose example of the Soviet dwarf, it is the biggest dead duck in the world ... After the 1989 revolution, the name of the palace, which, together with the mutilated area surrounding it, was the subject of the »Bucharest 2000« an architectural 11

The first apartment blocks built on the Boulevard of Victorious Socialism, opposite those placed on the front side of Unirea Square, are inspired (or so it seems) by the flamboyant building designed by Petre Antonescu in the Senate/United Nations Plaza, at the behest of Ceauşescu himself. Why they did not take after the adjoining building designed by Nicolae Cucu, a both severe and majestic structure, we shall never know. 12 Anca Petrescu, Ceauşescu’s favorite architect, used to say she was quite proud to have »saved« the friezes of Vacaresti Monastery by reproducing them in the decoration of the Republic House. 13 The interior planimetry of the dwellings on the boulevard is relatively independent from the successive rhythm of voids on the façade. There are interior walls that »fall« into the field of windows; other disharmonies between inside and outside are also obvious.

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competition (1995-6), was changed to the Palace of the Parliament, and it became the hangout of both the new and old political elites. With the Parliament already installed (in 1995 the Chamber of Deputies moved to the precincts; in the fall of 2005 the Senate relocated and also joined the Palace), if the presidential headquarters were to move here as well, Ceauşescu’s urban last will and testament would be fulfilled. The House of the Republic / Palace of Parliament, the second largest building in the world, was destined to be, and finally became, the ultimate political edifice in Romania. The Ultimate Edifice (or better said, the anti-urban phenomenon officially called »the new civic center«) and the Boulevard of Victorious Socialism springing from it have been recently interpreted in connection with their various spheres of influence: from their conception and construction to their use in the communist period, before 1989, and now. Any attempt to arrange them in order should start with two premises: 1) The edifice in question resists any unique, »holistic« interpretation that could exhaust meanings in matters of production and destination. 2) There are important distinctions among the modalities of explaining the building from the vantage of the three spaces it inhabits: the surrounding context (the city), its own exterior space (»its close vicinity«, to use the ankylosed language of post-Soviet eastern politics, or the huge halo of influence exercised by the monstrous structure), and naturally, outer space. In the absence of verifiable data, the only accounts of the nearly »occult« nature of the biggest urban undertaking in the history of Romania are exclusively oral histories (unfinished and unpublished as yet, such as those of Gérard Althabe from EHESS Paris), and the accounts of eyewitnesses or former »initiated persons« (like the former director of IAIM Bucharest, Prof. Cornel Dumitrescu) of the imaginary, mythical dimension of the tidal wave of petites histoires appended to this colossal project. The most valuable interpretations, albeit incomplete, are found not within the discourse of architecture and urbanism, but rather in the human sciences, political science, the history of mentalities, the anthropology of peripheral urban spaces (slums), and not lastly, in psychoanalysis. The various projects of significance after 1989 executed in connection with the House of the Republic appear to oscillate between two extremes: at one end is a discussion of »recuperating« the building conducted in the strictly professional jargon of architectural »expertise«. This has been used not only by architects but also by various writers interpreting the building, as well as tour guides who show it to mesmerized foreigners. We are dealing here at the bottom line of bottom line commentary on the House of the Republic (as the poet Nichita Stanescu would have put it), with quantities, sizes, forms of design, special structures, and so on and so forth. On the upper line of the bottom line we can approach »the postmodernism« of the House and of the Boulevard of Victorious Socialism, or its »Bigness« (Rem Koolhaas), as well as other concepts that might prove useful at a particular moment. The »higher« aspect (in Augustin Ioan

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the strict sense of ab/use, or excessive investment with meaning) is taken by discussions about the House as an epiphany of the Jerusalemite heavenly temple that happened to be erected here, in Bucharest, in anticipation of a second coming that would also take place on that very spot. Between these two extreme impulses – one that renders occult the countless social, economic, political folds of the edifice (often deliberately because guilty) and the other that falls into an interpretative frenzy of adulation, hovers a practically infinite concatenation of »greys«. For instance, the apparently neutral data on construction technologies, and materials boosted the rhetoric of nationalism by virtue of the fact that they would have been all exclusively Romanian and, of course, superior. (At times, the Peles Castle comes to mind as a contrast; there, even the wood was brought from abroad). Towards the other extreme lie the much more respectable, professionally speaking, but no less phantasmagoric ideas around a pre-existing plan of Bucharest that take the utopian, ideal cities of the Sforzinda typo (Dana Harhoiu) as a point of departure. The ordering principle would be a sacred geometry made up of a monastic Triangle of the Bermudas, laid out with parish churches concentric to St. George The Old Church, regarded as the navel of the city.14

14 Bibliography: Curinschi-Vorona, Gheorghe, Istoria arhitecturii în România, Bucharest, Publishing House for Technical Literature, 1981; Ionescu, Grigore, Arhitectura pe teritoriul României de-a lungul veacurilor, Bucharest, Publishing House of the Romanian Academy 1980; Arhitectura 1943–1944; Arhitectura RPR/RSR 1965–1989. 190

Communist Party Palaces and Houses of Culture: R ­ omanian »Civic Centers« under Ceauşescu

1 und 2: Civic Centre, Tulcea, Tulcea county

Augustin Ioan

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3: Communist Party Headquarters, Râmnicu Vâlcea, Vâlcea county

4: Party headquarter, Baia Mare, Maramureş county, 1971 (now Prefectura)

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Communist Party Palaces and Houses of Culture: R ­ omanian »Civic Centers« under Ceauşescu

5 und 6: Nicolae Porumbescu, Culture House, Suceava, Suceava County

Augustin Ioan

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7: Civic Centre, Târgu Jiu, Gorj county

8: Civic Centre, Târgu Jiu, Gorj county

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Communist Party Palaces and Houses of Culture: R ­ omanian »Civic Centers« under Ceauşescu

9: Unions Culture House, Slatina, Olt county

10: Union Column, Civic Center Focşani, Vrancea county

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11: Museum of the Romanian Comunist Party, Bucharest (now Dâmboviţa Mall)

12: House of Republic, Bucharest (now Parliament)

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Communist Party Palaces and Houses of Culture: R ­ omanian »Civic Centers« under Ceauşescu

The Recoletos-Prado Axis in Madrid: Perspectives on Cultural and Social Renewal

Carmen Bernárdez

Abstract The Recoletos-Prado Axis in Madrid follows a wide avenue running north to south. It contains an amazing number of cultural centers and museums—the National Library, the Prado Museum, the Astronomical Observatory, Thyssen Museum, The Mapfre Foundation, Caixa Forum, Intermediae, Reina Sofía Museum, Casa Encendida, the Centro Nacional de Artes Visuales, and Matadero Madrid. These institutions occupy buildings of quite varied architectural styles, from 18th-century neoclassicism to very recent creations, some even still under construction. This great variety of cultural institutions and their concentration along a single axis make it a spectacular scenario for social and cultural life, recouping the area’s main use in the 17th and 18th centuries. And yet, traditional uses are merged, here, with new demands, making the Recoletos-Prado Axis a striking example of response to both artistic and urban needs in our current urban surroundings. This text offers a brief overview of the plans for this area, including the current rehabilitation project designed by architect Alvaro Siza.

*** In recent years, the City of Madrid has been – and still is – immersed in an urban renewal project called the Recoletos-Prado Axis. (Abb. 1a und 1b) This project signifies the recognition of the importance of the area’s historical buildings, art institutions, and learning centers, of the way the city is configured, and of how this relates to Madrid’s social fabric and identity. This may seem an obvious connection, Carmen Bernárdez

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1a und 1b: Álvaro Siza and Juan Miguel Hernández de León, General Plans of the Recoletos-Prado Axis

since historical urban centers and the conservation thereof have been the subject of significant international debate since the 1960s and 70s. In Spain, however, this debate did not begin until the very end of the Franco dictatorship (Franco died in November, 1975) and the beginning of the transition to a democracy (the Democratic Constitution was approved in 1978). Prior to that, the conservation of historical urban centers and of cultural heritage in the larger sense was far from adequate in Spain. During the fortyyear Franco regime, there were only two urban development plans for Madrid—one from 1941-1946, and the other from 1963–1964—and all they »achieved« was uncon-

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The Recoletos-Prado Axis in Madrid: Perspectives on Cultural and Social Renewal

trolled growth on the outskirts of the city. Little heed was given to the historical center. Democracy brought new urban development plans in 1985 and 1997, and 2002 marked the beginning of the Special Plan, which still affects the Recoletos-Prado Axis today. The project was awarded to architects Álvaro Siza and Juan Miguel Hernández de León, and is currently being completed.1 Nevertheless, at the time of this writing, there are ongoing problems impeding the continuation and completion of the plan. In fact, work has now been stopped, not only due to the economic crisis affecting the country as a whole, but also due to irreconcilable differences between the respective policies of the city and the autonomous community of Madrid, despite both currently being governed by the same political party, the Partido Popular.2 Today, the buildings and monuments worthy of mention for their architectural and historical value make up a surprising conglomeration of over 27 significant structures situated along this axis and its surroundings. Far too many, in fact, for us to discuss each one here in detail.3 From the Plaza de Colón, at the northern end, to Atocha, the Axis has three wide sections. From Atocha southward, it splits, with one fork running to the southeast (the old Hill of Science, now called Cerrillo de San Blas, or Saint Blas’ Heights) and the Glorieta de Embajadores to the southwest. As such, we must understand that the Axis is not really a »museum district«, since its length makes it part of several different neighborhoods of Madrid. The cultural use of the historical buildings concentrated along and around this axis makes this a highly relevant and expansive heritage area on the eastern edge of Madrid’s historical center. The area is crisscrossed by several broad avenues, contributing to the difficulty of making the heavy but unavoidable vehicular traffic compatible with the area’s social use as a meeting and leisure area, as well as with its artistic and architectural importance. Urban renewal along this axis plays a fundamental role in the social and economic reactivation of a sweeping section of Madrid’s historical neighborhoods.4

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3

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Álvaro Siza y Hernández de León, J. M., El eje Recoletos-Prado : memoria, realidad y proyectos. Recuperación del espacio público de Madrid, Madrid, Ayuntamiento, 2003. The disagreements between the two are common knowledge. See, for example, a newspaper article that appeared as I was writing this text: »Aguirre paraliza la reforma del eje Prado-Recoletos mediante el silencio administrativo« El País 06/07/2011, visible at: http://bit.ly/1rgr8LB (9.3.2014). National Library, Archeological Museum, Mapfre Foundation, The House of the Americas, Cervantes Institute, Circle of Fine Arts, Bank of Spain, Palacio de Comunicaciones, Navy Museum, Museum of Applied Arts, Stock Exchange Building, Prado Museum, Thyssen-Bornemisza Museum, Church of los Jerónimos, »Casón del Buen Retiro« and »Salón de Reinos«, Parliament, Botanical Gardens, Caixaforum, Medialab Prado, Ministry of Agriculture, Anthropological Museum, Astronomical Observatory, Reina Sofía Museum, Atocha Railway Station, Palace and Ritz Hotels, as well as different fountains and monuments. Fernández Quesada, B. y Lorente, J. P. (eds.), Arte en el espacio público: barrios artísticos y revitalización urbana, Zaragoza, Prensas Universitarias de Zaragoza, 2009. Carmen Bernárdez

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Madrid has been the nation’s capital since the reign of Phillip II, but its origins go back to the 9th-century Arab fort on an elevation where the Royal Palace now stands, at the western end of the city. It grew from there towards the east, north, and south. The ravine and the Manzanares River constitute natural barriers to westward expansion. In 1656, the eastern edge of the city bordered a wooded area just outside the city walls called Prado Viejo, or »old pasture«. There were farmlands and the Monastery of Saint Jerome, around which noblemen built their country homes. The monarchs appreciated this cool and breezy area as well, and it became a retiro, a retreat, where they could rest. The Buen Retiro Palace and royal gardens were eventually built here.

2: Pedro Texeira, Map of Madrid, 1656, El Prado Viejo

El Prado Viejo (The Old Pasture) A stream ran along the base of a broad watershed and a poplar grove (Abb. 2). This land had been a commons since the Middle Ages and, while consecutive Kings chose it as the ideal place for ceremonial entries into Madrid, the Prado never lost the character of a place where commoners could stroll and enjoy their leisure time. Royal entourages 200

The Recoletos-Prado Axis in Madrid: Perspectives on Cultural and Social Renewal

passed through it on their way into the city proper, and from there to the Alcázar Palace to the west, which was the royal family’s customary abode. This practice began in 1570, when Phillip II’s fourth wife, Anne of Austria, made her entry into Madrid. Throughout the 17th century and the first half of the 18th, the Prado retained this function, but when Charles III arrived from Naples in 1759, he found that the Prado had become a muddy, foul-smelling wasteland. His reforms helped the area recover its recreational state, but also made it a noble, monumental, and emblematic part of the city.5

The «Salón del Prado« and King Charles III King Charles III began the process of urban renewal in 1767 (Abb. 3 und 4). The stream was covered and the Prado’s layout redefined. Improvements were made to its drainage system and paving. And most of all, it was lined with buildings chosen by Charles to distinguish the area with the presence of the arts and sciences. He wanted the »Salón del Prado« to symbolize the Enlightenment, a home of knowledge on which the Bourbon monarchy left his beneficent and modernizing mark. He commissioned architect Juan de Villanueva (1739–1811) to design neoclassical buildings as science centers. During the last two decades of the 18th century,6 Villanueva built the Cabinet of Natural History (later the Prado Museum), the Botanical Gardens, and the Astronomical Observatory on what

3: Villanueva, Botanical Gardens, Side Door, facing the Paseo del Prado, 1781 (Foto: Carmen Bernárdez)

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4: Salón del Prado, between Cybele and Neptune

Lopezosa Aparicio, C., El Paseo del Prado de Madrid: arquitectura y desarrollo urbano en los siglos XVII y XVIII, Madrid, Fundación de Apoyo a la Historia del Arte Hispánico, 2005. For an overall view of Spanish architecture from this period, see Sambricio, C., La arquitectura española de la Ilustración, Madrid, Consejo Superior de los Colegios de Arquitectos de España y del Instituto de Estudios de Administración Local, 1986; and for Madrid, see López González, B., El Madrid de la Ilustración, Madrid, Akal, 1995. Carmen Bernárdez

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came to be called the »Hill of Sciences.« The Prado was decorated with fountains designed in the 18th century. Placed at the nodes that articulate its different sections, their sculptures of the goddess Cybele, and the gods Apollo and Neptune, bear an iconography whose allegorical significance glorifies Spain and the Bourbon dynasty.

The Recoletos-Prado Axis: The Special Plan Álvaro Siza (1933) and Juan Miguel Hernández de León’s Special Plan for the RecoletosPrado Axis won the City Government of Madrid’s contest in 2002. It has undergone many transformations since then, due in part to disagreements among the different administrations involved (the City, the Autonomous Community, and the National Government), and in part to the contentions presented by Madrid’s own citizens after the project was publicly presented. The Plan’s fundamental intention appeals to the axis’s history, seeking to recover its character as a recreational strolling area and strengthen the experience of cultural immersion for citizens and visitors alike. The Special Plan sets out to reduce the intensity of vehicular traffic, and widens sidewalks to favor pedestrian traffic along the axis, which is studded with the city’s main museums (Abb. 5). This focus on pedestrian traffic, and an increase in green areas, aims to bring about a decline in air pollution and new visibility for the area’s emblematic buildings, which are now barely visible through row upon row of vehicular traffic. Indeed, automobiles were a determining factor in this area during the 20th century, when it became a fundamental artery for city traffic at the expense of pedestrian access and movement.7 The recovery of the area will thus affect ve-

5: Paseo de Recoletos, a completed section of the renovated and widened sidewalks (Foto: Jan Matthews)

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We should, however, add that the project’s general lines follow those defined by the General Urban Plan for Madrid from 1997, which already foresaw the recovery of this heavily trafficked area for traditional use.

The Recoletos-Prado Axis in Madrid: Perspectives on Cultural and Social Renewal

hicular traffic throughout the city, which is one of many reasons why the project must be completed. This is a means of recovering the zone both socially and culturally, and despite all obstacles, both of these aspects have remained alive and well along the Prado axis. In addition to its old-fashioned outdoor cafés, this axis often hosts popular events such as marathons, parades, and sporting celebrations. It is an ideal location for demonstrations and street art. There are also curiously archaic events, such as the seasonal migration of livestock each autumn along the ancient cattle paths that run directly through the city.8 Following the Recoletos-Prado axis from north to south, we find two clearly differentiated parts. The first runs from Plaza de Colón to the Atocha Railway Station; the second continues on to the southern section of Madrid near the Manzanares River. The first part is, so to speak, the »aristocratic« sector, the museum district. The second has numerous industrial and service buildings that have been renovated for cultural uses, recalling the industrial development of Madrid’s southern expansion in the late 19th and early 20th centuries. This was an area of transportation, warehouses, factories and workers’ housing.9 The first section is home to the Thyssen, Prado, and Reina Sofía museums. It is called the »Golden Mile«: an expression that refers to the value of its museums, but also to its growing commercialism. The idea of a cultural boulevard can clearly be seen in this meaningful nucleus that not only contains valuable architectural edifices and their respective recent expansions, but also their contents. In fact, the collections are complementary, allowing us to experience a chronological sequence of the history of art starting with Antiquity, in the Archeological Museum, to contemporary art exhibitions. The City of Madrid coined the phrase »Paseo del Arte« (Art Walk) specifically for this path, which encompasses the city’s largest museums, all within a few minutes’ walk of each other.10 The Prado Museum has been at the same location since it was founded, as has the more recently established Thyssen Museum. The Spanish Museum of Contemporary Art occupied various spaces before finally becoming the Reina Sofía Museum.11

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The Community of Madrid provides further information on this tradition at Via Pecvarias de Madrid, http://bit.ly/1rgrEZT (9.3.2013) and at Madrid Guide Spain, http://bit.ly/1p2dmth (9.3.2013). 9 See: Sobrino Simal, J., Arquitectura industrial en España, 1830-1990, Madrid, Cátedra, 1996. There is a fine graphic dossier in «La Memoria de la Industria en el Sur de Madrid«, available at: http://bit.ly/1psIGRz (9.3.2013). 10 Vacas Guerrero, T., «Origen, evolución y futuro de un espacio turístico-cultural madrileño: el «Paseo del Arte«, Actas del X Coloquio de Geografía del Turismo, Ocio y Recreación. Destinos turísticos: viejos problemas ¿nuevas soluciones?, Asociación de Geógrafos Españoles, Universidad de Castilla la Mancha, 2006, also available at: http://bit.ly/1psVg3m (9.3.2013). 11 For a brief historical description of the museum, see the MNCARS webpage: http://bit.ly/1vXzVE6 (9.3.2013). Carmen Bernárdez

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6: Plaza de Colon (Foto: Jan Matthews) 7: Fundación Mapfre (Foto: Jan Matthews)

The buildings on the remodeled Plaza de Colón (Abb. 6) are from the 19th and early 20th centuries, including the monumental, state-owned Palace of Libraries and Museums, which occupies an entire city block with its homogeneous single building. The façade and stairway of the National Library on the Paseo de Recoletos is much more in keeping with this classicist grandiosity than the more modest Archeological Museum on the building’s opposite side. Not far from the National Library, a cultural center has recently been installed by the Mapfre Foundation, owned by an insurance company of the same name (Abb. 7). In 2009, they renovated an urban palace from 1884 to create a home for their collection of modern art. The mansion, the Palace of the Duke of Medina de las Torres, was built by architect Agustín Ortiz de Villajos from 1881 to 1884. This Mapfre Foundation also offers a fine program of courses and temporary exhibitions.12 The Fountain of Cybele lends its name to the circular plaza defined by a series of buildings including City Hall, which was formerly the Central Post Office. This example of the eclectic style of architect Antonio Palacios (1874–1945) dates from 1917. At this

12 http://bit.ly/1jawtyL (9.3.2013). 204

The Recoletos-Prado Axis in Madrid: Perspectives on Cultural and Social Renewal

time, its cathedral-like appearance led Madrid’s residents to call it »Our Lady of Communications«. Cultural activity and up-to-the-minute exhibitions on Latin America take place in the regal halls of the Palace of the Marquis of Linares (1877), transformed into the America House. This plaza is a well-known tourist enclave, but is also used for creative activities such as those of Madrid artist Bárbara Allende (1957, known as Ouka Lele), who performed there in 1987 and again in 2006.

The Thyssen-Bornemisza Museum

8a und 8b: Thyssen-Bornemisza Museum, old and new buildings (Foto: Carmen Bernárdez)

As we continue down the Salón del Prado between the Cybele and Neptune Plazas, we notice that it is wider than other parts and more densely wooded. A substantial part of the Special Plan focuses on this area, calling for the reduction of the number of lanes of traffic and the widening of the currently narrow sidewalk in front of the Thyssen Museum to a total width of over seven meters (Abb. 8a und 8b). The 19th-century Palace of Villahermosa13 was acquired by the State to house a part of Baron Thyssen-Bornemisza’s art collection, on loan before the Spanish state acquired the collection definitively in 1993.14 Rafael Moneo designed the renovation of the palace. In 2004, a team of Spanish architects15 expanded the structure to house the personal collection of Baroness Carmen Thyssen. In this expansion, they opted for a coexistence of different languages and materials surrounding a shared garden space.

13 While the original project dates from the 17th century, the building was altered by different architects on various occasions during the 18th century. 14 Alarcó, P., Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid, Museo Thyssen, 2009, 2 Vols.; Alvarez Lopera, J., Maestros Modernos. Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid, 1992, 2 Vols.; Arnaldo, J. (ed.), Colección Carmen Thyssen-Bornemisza, vol. 2, Madrid, Museo Thyssen-Bornemisza, 2004, 2 Vols.  15 Manuel Baquero, Robert Brufau y el estudio BOPBAA (Josep Bohigas, Francesc Pla e Iñaki Baquero). Carmen Bernárdez

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9a und 9b: Prado Museum, Puerta de Velázquez, and Moneo’s Cube (Foto: Carmen Bernárdez)

The Prado Museum The Prado Museum (Abb. 9a und 9b) is one of the greatest museums of painting in the world. Most of its extraordinary collections are of royal origin, although they have been expanded to include works from convents secularized in the 19th century, as well as other acquisitions and bequests. The museum’s core is a building designed by Juan de Villanueva (1739–1811) in 1786 for Charles III as a Cabinet of Natural History. It has a longitudinal central section and two lateral pavilions with square floor plans, all made of granite, visible brick, and white limestone. Ferdinand VII’s second wife, Elizabeth of Braganza, actively participated in the creation of the Prado Museum. Seriously damaged during the War for Independence, Elizabeth had Villanueva’s building renovated to house the museum, which opened to the public just a year after her premature death in 1818.16 The expansion of the Prado Museum, directed by Rafael Moneo (1937) and completed in 2007, respects the original neoclassical building, instead acting on the space behind it. This intervention sought to extend the museum towards the city. Of the two buildings behind Villanueva’s, one, the Church of Los Jerónimos (16th–19th centuries) was restored without transforming its use. The other, which was the church’s cloister, has been fully integrated into the museum space. Moneo’s project focused on the cloister, creating a new building around it, and on underground construction. The difference in elevation between the original building and the cloister was resolved by making the street between the two into a pedestrian area and landscaping the slope with beds of 16 Chueca Goitia, F., El edificio del Museo del Prado, Madrid, Fundación Universitaria Española, 2003; Moleón Gavilanes, P., Proyectos y obras para el Museo del Prado : fuentes documentales para su historia, Madrid, Museo del Prado, 1996: Portús, J., Museo del Prado: memoria escrita: 1819–1994, Madrid, Museo del Prado, 1994. 206

The Recoletos-Prado Axis in Madrid: Perspectives on Cultural and Social Renewal

dwarf box. The new entrance to the museum opens onto the esplanade between the old building and the new construction above.17 The new spaces include service areas such as the entry hall, bookstore and, auditorium, which were formerly in the main building, thus freeing the latter for exhibition spaces. The new spaces also include new exhibition areas on two underground levels. The cloister connects various spaces and also serves as a sculpture gallery. At the center, Moneo placed a light well running down to the exhibition areas below, thus favoring natural lighting and visually penetrating the new building. Called »Moneo’s Cube«, this building uses Madrid’s traditional building materials—brick, granite and limestone—but with a language of clean, geometric lines. The plant-inspired bronze doors are by sculptress Cristina Iglesias (1956).

The South of Madrid The second section of the Axis covered by Siza and his team’s renovation of the Recoletos-Prado Axis extends southwest as far as the Plaza de Embajadores and southeast along the right side of the Atocha Railroad Station. Part of the Special Plan involves recovering the Heights of Saint Blas, where the Astronomical Observatory now stands. Beginning at the traffic circle of Emperor Charles V, which is usually referred to as Atocha Circle, we move downhill through the spaces defined by three roads that make up the »trident« designed during the reign of Charles III as large avenues lined with Acacia and Poplar trees.18 The installation of three railway stations, Atocha, Delicias, and Peñuelas, made this area of Madrid a secondary and tertiary sector and, with the arrival of the 20th century, it became a »railway station neighborhood« with workers’ housing, warehouses, and trade. As industry began to disappear in the 1970s,19 rampant urban growth and real estate speculation caused its decaying buildings to be threatened with demolition. At that time, the institution now known as the Reina Sofía Museum occupied a building outside the district, in the University City and far from the city center. Its »return« has not only been good for the concentration of museums here, but also for the regeneration of a part of Madrid that had suffered from decades of neglect. The Reina Sofía Museum’s surroundings are now filled with art galleries, specialty shops, alternative cultural centers, and a young, active, and engaged population. The renovation of these southern areas (Embajadores and Arganzuela) has not yet led to a massive 17 Moneo, R., El proyecto de ampliación del Museo del Prado, Santander, Universidad de Cantabria y Ayuntamiento de Reinosa, 2001. See also at: plataforma arquitectura, http://bit.ly/1t7zmnN (9.3.2013) and http://bit.ly/1oSrS1y (9.3.2013). 18 Paseo de las Delicias, Paseo de las Acacias (hoy Rondas de Atocha y de Valencia), and Paseo de Santa María de la Cabeza. 19 The page «La Memoria de la Industria en el Sur de Madrid« offers various historical itineraries of this part of the city. See: http://bit.ly/1rguyxT (9.3.2013). Carmen Bernárdez

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displacement of its varied and low-income population of elder resident, immigrants, and youth, but the gentrification process is certainly underway, and unstoppable.

Caixaforum The former Mediodía Electric Power Plant (1899) was purchased by La Caixa, a banking foundation with a long history of art promotion in Barcelona and Madrid. The name along with the new project, and today Caixaforum (Abb. 10a und 10b) is one of the centers of attraction along the Paseo del Prado, a stone’s throw from the Reina Sofía Museum.20 Its renovation by architects Herzog & De Meuron (2003–2008) has resulted in a building that is set back from the street, leaving room for an esplanade sloping gently down to the Paseo del Prado. The approach allows visitors to appreciate the singular building and the vertical garden that Patrick Blanc has installed on a lateral wall. The old factory’s raw brick architecture is humble, but it is protected as part of an industrial typology that must be conserved. The architects incised the bottom floor, opening new

10a und 10b: Caixaforum (Foto: Carmen Bernárdez)

20 Herzog & de Meuron, «Caixa forum«, Restauración & Rehabilitación. Revista Internacional del Patrimonio Histórico, Mayo de 2009, pp. 16-29. Good summaries and photographs can be found on the Caixaforum webpage, http://obrasocial.lacaixa.es/ and at: arcspace.com, http://bit.ly/1uIK9XC (9.3.2013). 208

The Recoletos-Prado Axis in Madrid: Perspectives on Cultural and Social Renewal

access areas and creating the impression that the building is hovering in mid-air, much like the floating appearance of the Elba Philharmonic Hall in Hamburg. The original wall is clad in a slab of Corten steel pierced with vents, creating an intensely chromatic impression. The Foundation’s permanent collection and exhibition policies reinforce this section of the axis’s preference for contemporary art.

Medialab-Prado Just behind the Caixaforum, on a small plaza created after an old building burned down several years ago, stands the Medialab-Prado (Abb. 11a).21 Its current facilities will soon be expanded to include an adjoining building being rehabilitated for that use. The Medialab project arose in 2002 under the patronage of the City of Madrid for the production, research, and expansion of digital culture and its sonic and visual arts. 11a und 11b: Medialab-Prado, at the Plaza de las Letras, and the old Belgian Sawmill undergoing renovation (Foto: Carmen Bernárdez)

Although the lab functions as an exhibition and performance space, it is primarily a creative laboratory and a forum for debate in the context of New Media. MedialabPrado organizes workshops and seminars, bringing together interdisciplinary creators and researchers to foster creative and critical activity. One of its projects is the Open-Up Workshop intended to generate visual content for the screen covering one wall of the building that will be its future headquarters. The Medialab-Prado has become the Intermediae Prado. Architects María Langarita and Víctor Navarro have

renovated the adjoining building, the former Serrerías Belgas (Belgian Sawmill) (Abb. 11 b).22 The project was approved in 2007 and completed in 2012 (Abb. S. 255). This fine specimen of industrial construction, in use until the 1970s, provides two sizable areas for 21 Medialab-Prado, http://bit.ly/1gtiqm7 (9.3.2013). 22 Arte en Madrid, wordpress.com, http://bit.ly/1e1itzz (9.3.2013) and langarita navarro, http://bit.ly/YkKDFN (9.3.2013). Carmen Bernárdez

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the development of the larger Intermediae project, which also encompasses El Matadero, another municipal initiative and property.

Atocha

12a und 12b: Atocha Railroad Station, with Moneo’s Rotonda (Foto: Carmen Bernárdez)

The Atocha Railroad Station (1889–1892) has played a fundamental role in the development of the southern zone (Abb. 12a und 12b). A major transportation hub, it boosted the industrial and commercial development of the surrounding neighborhoods. The original iron-and-glass structure, built between 1851 and 1892 by Alberto de Palacio y Elissague (1856–1939) and engineer Henry Saint-James, now houses a tropical conservatory where steam locomotives once ran.23 The trains moved to the station’s new building, an expansion designed and built by Rafael Moneo, in the early 1990s. Several other buildings of considerable architectural interest are located nearby, including Ricardo Velázquez Bosco’s Ministry of Agriculture (1893–1897) and the harmonious neoclassical temple that is the façade of the National Museum of Anthropology (Marquis of Cubas, 1873–1875). Rafael Moneo’s expansion of Atocha Station not only adds greater functionality to the railway spaces by adapting them to the needs of high speed trains, but also brings new personality to the group of buildings that coexist with the old station, all of which are situated a level lower than the current esplanade.24

23 Guía de Madrid. Arquitectura y Urbanismo. Tomo II. Ensanche y crecimiento, Madrid, Colegio Oficial de Arquitectos de Madrid, 1983, p. 125. 24 López García, Mercedes, Puerta de Atocha, Barcelona, Lunwerg y Renfe, 1992. 210

The Recoletos-Prado Axis in Madrid: Perspectives on Cultural and Social Renewal

13a und 13b: Reina Sofía Museum, façade of the Sabatini building facing the plaza de Sánchez Bustillo, and entrance to the new area pertaining to Jean Nouvel’s intervention (Foto: Carmen Bernárdez)

Reina Sofía Museum The Reina Sofía Museum project took shape gradually (Abb. 13a und 13b).25 In 1986, it occupied the enormous space of Sabatini’s 18th-century General Hospital, first as an art center or Kunsthalle, and four years later, as a museum for the national collection of contemporary art. The building has undergone numerous changes since it became Madrid’s General Hospital in 1788. It was nearly demolished after the hospital closed in 1960, but was declared a historic and artistic monument in 1977. The plan to transform it into a modern museum, something sorely needed by the nation, began in the early 1980s but was plagued with difficulties due to political interests, changes of direction and goals, administrative impasses, and so on. The eventual outcome was what we know as the Reina Sofía Museum: a large national museum in an ongoing state of self-definition.26 The renovation of the building and its exhibition spaces and the addition of external glass elevator shafts (by British architect Ian Ritchie) was followed by the overhaul of the adjoining plaza, formerly occupied by urban buses and crowds of waiting passengers. The plaza became a paved pedestrian area that reinforces the impact of the museum’s austere façade, while providing a space for local residents to commingle with visitors, tourists, and music students from the conservatory on the western side of the plaza. Jean Nouvel won the 1999 international contest for the expansion of the Reina Sofía Museum. His project consists of a large triangular marquee extending the Sabatini 25 Ait Moreno, I., Aportaciones a la historia del Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía 1979–1994, Tesis Doctoral, Madrid, Universidad Complutense, 2010 26 Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid, Ministerio de Cultura, 1992 Carmen Bernárdez

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building to the west and serving as a roof for three new modules with a large patio in between. The first building has two new exhibition halls while the second has offices, administrative, and study areas on the upper floors, and a library and bookstore at ground level. The third building houses the auditoriums, a cafeteria, and a restaurant. This expansion is richly nuanced with a dominant red color. Square perforations on the marquee allow sunlight into the patio, putting highlights on the glass surfaces. The compact appearance of Sabatini’s building contrasts perfectly with the light, crystalline feeling of Nouvel’s technical structures, and the plaza-patio of his expansion emphasizes the idea of a museum as a large receptacle open to the city.27

La Casa Encendida The Casa Encendida is an art center owned by Madrid’s main savings bank. A typical example of 19th-century Madrid’s Neomudéjar architecture, the building is ornamented with combinations of different colored bricks. The building has belonged to the savings bank since its construction by Fernando Arbós in 1909–10, and in 2001 it was opened to the public as a center for plastic arts, new media, concerts, exhibitions, and film.28

Tabacalera Somewhat further south, the enormous former Playing Cards and Alcohol Factory, which later became a Tobacco Factory, constitutes another fine example of industrial architecture, this time from the 18th century (Abb. 14).29 Built by Manuel de la Ballina from 1780 to 1792, it bears a certain resemblance to Sabatini’s General Hospital. The Spanish government plans to turn it into the future National Center for the Visual Arts, with photography and film museums as well as spaces for temporary exhibitions. The project is currently suspended due to well-founded suspicions about contracting such an extensive renovation project without a previous contest that have led to legal challenges and litigation. The economic crisis has also influenced work on this polemical center. With the project paralyzed, neighborhood collectives have proposed various initiatives for renovating some of the spaces for a variety of cultural activities through self-management. While awaiting the outcome of litigation and the subsequent, though currently improbable, possibility of obtaining financing, the Ministry of Culture 27 Nouvel, J., Jean Nouvel: Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid, Madrid, MNCARS 2002; De hospital a museo: ampliación del Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Las Rozas, Sociedad Europea de Estudios y Asistencia para la Construcción, 2003; see also: El Cultural, http://bit.ly/1p2mwGi (9.3.2013) and El Pais 25/01/2002, http://bit.ly/1pUsgAC (9.3.2013). 28 La Casa Encendida, http://bit.ly/1oSvHE9 (9.3.2013). 29 La Tatabacalera, http://bit.ly/1sNjxUL (9.3.2013). 212

The Recoletos-Prado Axis in Madrid: Perspectives on Cultural and Social Renewal

14: Tabacalera (Foto: Carmen Bernárdez)

is allowing these collectives to carry out their proposals, including efforts by citizens to clean up and repair the patios and gardens, and the organization of video and new media festivals, lectures, and other projects involving architecture, communications, neighborhood action, theater, dance, urban culture, flamenco, and so on. This is an unprecedented experience in Madrid, making it one of the most interesting alternative spaces in the city.30

Museo del Ferrocarril and «Complejo El Águila« During the late 19th century, Atocha was not the only railroad station in the southern part of Madrid. Delicias Station has also survived the ravages of time and now houses the Railway Museum. Nearby, the former El Águila Brewery has been transformed into a large cultural center called the El Águila Complex, planned by one of the Autonomous Government of Madrid’s former administrations in the mid-1990s. Respectful of the original raw brick buildings, the architects charged with its renovation in 1995—Emilio Tuñón and Luís Mansilla—successfully combined an entire city block of new glass buildings with the austere appearance of the original industrial architecture characteristic of Madrid.31 Unfortunately, this large center has never been permitted to fulfill its potential, although it hosts some interesting activities, including film cycles, exhibitions like 30 For general information about its activities and proposals, see the web page: http://bit.ly/1sNkvjO (9.3.2013). 31 Mansilla y Tuñón, Biblioteca Regional de Madrid Joaquín Leguina, Madrid, Comunidad de Madrid, 2002. Carmen Bernárdez

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15: The El Águila Complex (Foto: Carmen Bernárdez)

those of the Down’s Syndrome artists, and so on. The complex also houses an archive and library important for that region of Madrid (Abb. 15).

Matadero Madrid: Centro de Creación Contemporánea Finally, let us briefly consider the city’s southern edge, on the banks of the Manzanares River. Historically, the City of Madrid generally considered its river, the Manzanares, too small to be worthy of attention. Since the 1980s, however, urban development plans have included a remodeling of the riverbed and banks to integrate it into urban life. The most recent of such projects was launched in 2005 with the name »Madrid Rio.« The most ambitious to date, it is transforming the river and its surroundings according to development plans drawn up by West 8 Studios and MRIO.32 Quite close to the river,

16a und 16b: Matadero Madrid (Foto: Carmen Bernárdez)

32 MRIO architects includes three architectural firms from Madrid: Burgos & Garrido, Porras La Casa, y Rubio y Álvarez-Sala. http://bit.ly/YkSNhn (9.3.2013). 214

The Recoletos-Prado Axis in Madrid: Perspectives on Cultural and Social Renewal

though rather distant from the art centers and museums we have seen so far, Matadero Madrid, with its easy subway access, is taking shape as the major center of attraction in the south (Abb. 16a und 16b). City property, its large brick, stone, and ceramic Neomudéjar-style warehouses were designed between 1910 and 1925 by Luís Bellido (1869–1955) to be used as a slaughterhouse and cattle market. Its numerous original multi-use pavilions and warehouses have been gradually renovated since the 1980s and, after several partially successful attempts, the Matadero emerged in 2005 as a multidisciplinary cultural center and institution for creativity in the visual arts, design, theater, music, film, and literature.33 Since 2007, it has been the main headquarters of the Intermediae Madrid project mentioned above. This cultural complex brings new opportunities to the sector of the city bordering the Manzanares River and, as such, it is also part of another of the city’s key urban development plans: the Special Madrid River Plan, also currently underway. Despite the number of centers with growing budget cuts, despite interminable construction work, and despite dissension among the various administrative bodies that prefer to compete rather than pool their resources, even the most skeptical of Madrid’s residents are looking forward to a future in a socially and ecologically enriched city, filled with trees and open to culture.

33 Matadero Madrid, http://bit.ly/1oSxA3A (9.3.2013). Carmen Bernárdez

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Fassade vor Funktion. Das Berliner Schloss und das Humboldt-Forum: Ein geplantes Desaster

Nikolaus Bernau

Eines der teuersten, größten und mit den weitest gespannten kulturellen und kultur­ politischen Erwartungen versehenen Bauprojekte Europas wächst derzeit mit erstaunlichem Tempo aus dem schlammigen Boden der Berliner Spreeinsel: Das mit den nachgebauten barocken Fassaden des 1950 gesprengten Berliner Schlosses umhüllte »Humboldt-Forum«. Unterkommen sollen hier das einzigartige Berliner Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst, deren Sammlungen seit den 1950erJahren im Vorort Dahlem gezeigt werden, deren Fachbibliotheken, Teile der öffentlichen Berliner Zentral- und Landesbibliothek, Räume für die wissenschaftshistorischen Sammlungen der Humboldt-Universität, die teilweise bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen, sowie ein als »Agora« bezeichnetes Veranstaltungs-, Kongress- und Ausstellungszentrum. Errichtet wird der Neubau im Auftrag des Deutschen Bundestags, finanziert aus 2009 auf 490 Millionen Euro fixierten Steuermitteln und, so hoffen wenigstens die Initiatoren, 80 Millionen Euro Spenden. Aktuell (Herbst 2013) sind die kalkulierten Baukosten bereits bei 621 Millionen Euro angelangt, die Spendenquote liegt bei etwa 23 Millionen Euro. Wie kam es im so streng kulturföderalistischen Deutschland zu einem solchen zentralstaatlichen Projekt, das, im Gegensatz etwa zum Umbau des Reichstags durch Norman Foster, den Neubauten für die Bundestagsabgeordneten von Stephan ­Braunfels und anderen »modernen« Architekten, dem Bundeskanzleramt von Axel Schultes, eindeutig historisierend ist und an das gerade in Süd- und Westdeutschland auch heute nur sehr bedingt geliebte Preußen erinnert? Beschlossen wurde der Fassaden-Nachbau seit 2002 mehrfach mit großen Mehrheiten vom Deutschen Bundestag. Dabei gab es in Deutschland nicht einmal in der Krisenzeit der späten 1920er-Jahre eine schlagkräftige Nikolaus Bernau

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­monarchistische Bewegung. Tatsächlich ist das zentrale Argument der Befürworter dieses Projektes auch kein politisches, sondern ein städtebaulich-ästhetisches: Die barocken Fassaden des Schlosses, wird behauptet, seien unentbehrlich, um den Raum am östlichen Ende der Straße Unter den Linden, gegenüber der Museumsinsel, dem Lustgarten und am Kupfergraben wieder zu schließen. Dass sich der städtebauliche Raum des barocken Schlosses schon lange vor seiner Vernichtung durch die SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) und seitdem nochmals fundamental verändert hatte, wird in der Debatte bis heute ausgeblendet. Es wird wohl erst dann wieder deutlich werden, wenn der nach Plänen Carl Julius und Otto Raschdorffs entstandene, 1905 eingeweihte Berliner Dom mit seinen gewaltigen Proportionen wieder – wie bis 1950 – in unangenehmster Weise mit dem feinen (Neu-)Barock der Lustgartenfront des Schlosses kontrastiert. Dennoch lässt sich konstatieren, dass mit der Rekonstruktion der Schlossfassaden auch ein politisches Projekt verbunden ist. Sein Ziel ist die Umformung des PreußenBildes. Statt als Machtstaat, der die süddeutschen Staaten in den Kriegen 1865, 1866 und 1870 in das neue Reich hineinzwang, soll Preußen als Kulturstaat erinnert werden, geeignet, ein Fundament der neuen bundesdeutschen Staatlichkeit zu sein. Diese Neuformation des Preußen-Bildes begann schon in den 1980er-Jahren fast parallel in der alten Bundesrepublik und in der alten DDR. Die Inszenierung des Schlosses als Kulturbau wird ihre Vollendung sein. Charakteristisch dafür ist, dass in dem geplanten Projekt alle die Teile, die an den Militär- und Machtstaat Preußen erinnern – also vor allem die »Paradesuite« und die Umbauten, die unter Kaiser Wilhelm II. stattfanden – nicht nachgebaut werden. Im Sommer 1989, noch war nicht zu ahnen, dass wenige Monate später die DDR und die sozialistischen Regime Geschichte sein würden, forderte die Kunsthistorikerin Liselotte Wiesinger vehement die Aufarbeitung der Geschichte des Berliner Schlosses, »damit dieses Schloß nicht in Vergessenheit gerät«.1 Aus ihrer Sicht offenbar eine reale Gefahr für den einst so berühmten Bau, dessen Bild etwa die Aufschlagseite des bis heute die Barockforschung mit prägenden und zwischen 1912 und 1965 in vierzehn Auflagen erschienenen Buches von Wilhelm Pinder, »Deutscher Barock«, schmückte.2 Im Zweiten Weltkrieg war das Schloss schwer beschädigt worden, teilweise ausgebrannt. Doch seit 1946 fanden im fast unbeschädigten Nordwestflügel rund um den Weißen Saal wieder Ausstellungen statt, in den Sockel- und Erdgeschossen bezogen die Museen erste Notunterkünfte. 1950 aber beschloss die SED, wohl letztlich auf Anweisung Walter Ulbrichts, die Schlossruine zu sprengen.3 Alle Proteste aus der DDR, der Akademie der 1 2 3

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Wiesinger, Liselotte, Das Berliner Schloß. Von der kurfürstlichen Residenz zum Königsschloß, Darmstadt 1989, VII. Pinder, Wilhelm, Deutscher Barock. Die großen Baumeister des 18. Jahrhunderts (Blaue Bücher), Königstein am Taunus 1912. Zur Zerstörungsgeschichte des Berliner Schlosses vgl. Maether, Bernd, Die Vernichtung des Berliner Stadtschlosses. Eine Dokumentation, Berlin 2000.

Fassade vor Funktion. Das Berliner Schloss und das Humboldt-Forum: Ein geplantes Desaster

Wissenschaften, aus den Universitäten und führenden Kreisen der SED, alle Alternativvorschläge etwa von Hans Scharoun, wenigstens den Kleinen Schlosshof, berühmter geworden als Schlüterhof, als Kern eines neuen Kulturzentrums zu retten, halfen nichts. Auch der Verweis auf das miserable Image, dass die DDR durch einen solchen Vandalismus erhalten würde, oder der auf die Schonung kaiserlich-russischer Monumente in Moskau und St. Petersburg unter Lenin und Stalin sowie den aufwendig begonnenen Wiederaufbau der von der Wehrmacht zerstörten Schlösser in Puschkin verfing nicht. All dies zeigt, dass es sich bei diesem Abriss genauso wie bei den mehr als 60 zwischen 1949 und 1989 auf dem Gebiet der DDR zerstörten, teilweise völlig intakten Kirchen zwischen Wismar, Rostock, Berlin, Potsdam, Leipzig oder Chemnitz,4 aber auch der Abtragung des Schwedter oder des Potsdamer Stadtschlosses, um eine Machtdemonstration des gesellschaftlich und kulturell noch wenig stabilen stalinistischen Regimes handelte. Zuerst entstand an der Stelle des Schlosses ein Aufmarschplatz mit Tribüne. Pläne der SED für ein Partei- oder Regierungshochhaus an der Stelle des Schlosses nach dem Vorbild des Warschauer Kulturpalasts zerschlugen sich. Schließlich wurde auf der östlichen Hälfte des einstigen Schlossgeländes zwischen 1972 und 1976 nach Plänen Heinz Graffunders der Palast der Republik als Haus der Volkskammer, des Schein-Parlaments der DDR, als Ausstellungs-, Vergnügungs-, Theater- und Veranstaltungszentrum errichtet. Es war der modernste Kultur- und Veranstaltungsbau der damaligen DDR, bis hinein in die Stahlkonstruktion – Grundlage auch jener Asbestbelastung, die nach 1990 den Abriss des Palastes bautechnisch legitimierte. Das Berliner Schloss aber verschwand seit den späten 1960er-Jahren tatsächlich zunehmend aus dem kollektiven Gedächtnis. Das lag sicherlich an der überaus populären Nachfolgenutzung des Grundstücks seit 1976. Doch kamen weitere Faktoren hinzu: Eine jüngere Kunsthistorikergeneration wollte auch in diesem Fall nicht an Tabus rühren, die im Kalten Krieg politisch hätten wirksam werden können; vergleichbar wurden die vielen Zerstörungen von Kunstdenkmälern durch die sozialistischen Regime in der DDR oder in Rumänien auch von der westeuropäischen Forschung lange kaum thematisiert, die Kunsttopografie der einst deutschen Gebiete des heutigen Polen oder des einstigen »Sudetenlands« geriet über Jahrzehnte aus ihrem Blickfeld. Wie sehr auch das Berliner Schloss vergessen war, zeigte indirekt 1982 der Überraschungserfolg, den die von Goerd Peschken und Hans-Werner Klünner kommentierten historischen Fotografien der Architektur und der Innenräume hatten.5 Doch kaum drei Jahre nach Liselotte Wiesingers Warnung, der Barockbau könne in Vergessenheit geraten, kannte ganz Deutschland wieder dieses Berliner »Stadtschloss«, wie der ahistorische, aber nun propagandistisch – ein Schloss der Stadt! – viel 4 5

Angaben nach www.kirchensprengung.de/cms/ (10.9.2013). Vgl. Peschken, Goerd / Klünner, Hans-Werner, Das Berliner Schloß. Das klassische Berlin, Frankfurt am Main 1982. Nikolaus Bernau

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1: Kaiser Wilhelm-Brücke – Königliches Schloss, Apothekerflügel, Postkarte, nach 1855

gebrauchte­neue Name lautete. Besser: Man kannte ein stark idealisiertes Außenbild des zu königlich-preußischen Zeiten errichteten Monumentalbaus. Der Schloss-Begeisterte Hamburger Kaufmann Wilhelm von Boddien und der von ihm mit initiierte Förderverein Berliner Schloss hatten nämlich eine gewaltige Kulisse der barocken Fassaden aus Stahlgerüst und schlossgelb bemalten Planen im Zentrum Berlins errichten lassen. Die Ausstellung hinter der Kulisse stand unter dem Titel: »Das Schloß?«6 Die Kulissenarchitektur löste eine heftige Debatte in den Medien und der breiteren Öffentlichkeit aus, die letztlich bis heute fortdauert.7 Denn auch wenn der Bau des Palastes der Republik, seit 1990 vor sich hin rottend wegen der Asbestbelastung, zunächst wenig Freunde hatte, war nur eine kleine Minderheit in Berlin und eine geradezu verschwindende im Bundesgebiet der Meinung des Publizisten Wolf Jobst Siedler: »Das Schloss lag nicht in Berlin, Berlin war das Schloss«,8 weswegen der Nachbau der Fassaden unumgänglich sei. 6 7

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Vgl. Förderverein Berliner Schloss / Feireiss, Kristin (Hg.), Das Schloß? Eine Ausstellung über die Mitte Berlins, Berlin 1993. Vgl. Boddien, Wilhelm von / Engel, Helmut (Hg.), Die Berliner Schlossdebatte – Pro und Contra, Berlin 2000; Hennet, Anna-Inés, Die Berliner Schlossplatzdebatte im Spiegel der Presse, Berlin 2005; Flierl, Thomas / Parzinger, Hermann (Hg.), Humboldt-Forum Berlin. Das Projekt, Berlin 2009; Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Hg.), Das Humboldt-Forum im Berliner Schloss. Planungen, Prozesse, Perspektiven, München 2013; Rettig, Manfred, Das Berliner Schloss wird zum Humboldtforum. Rekonstruktion und Transformation der Berliner Mitte, Berlin 2011; Nikolaus Bernau, Eine (fast) verpasste Chance, in: Museumsjournal 28, Heft 1 (2014). Siedler, Wolf Jobst, Das Schloß lag nicht in Berlin – Berlin war das Schloß, in: Ders., Abschied von Preußen, Berlin 1991, 122.

Fassade vor Funktion. Das Berliner Schloss und das Humboldt-Forum: Ein geplantes Desaster

2: Franco Stella, Berliner Schloss – Humboldtforum, Ostseite

3: Stephan Braunfels, Berliner Schloss – Humboldtforum, Entwurf für einen Spreeflügel, 2013

Siedlers These, »In Berlin gab es das Schloß, und dann erst kam die Stadt«, ist aus der Sicht des Historikers blanker Unsinn. Berlin war Führerin des der Hanse angeschlossenen Märkischen Städtebundes und verteidigte auch später, nach dem Bau erst der Burg und dann des Schlosses, sein bürgerliches Eigenleben. Nicht zuletzt die Gestalt des Schlosses zeigte den Antagonismus zwischen Stadt und Residenz bis 1950 deutlich:9 Seine repräsen9

Zur Baugeschichte des Berliner Schlosses grundl. bis heute vgl. Geyer, Albert, Geschichte des Schlosses zu Berlin, Bd. I, Die kurfürstliche Zeit bis zum Jahre 1698, Berlin 1936; Geyer, Albert, Geschichte des Schlosses zu Berlin, Bd. II, Vom Königsschloß zum Schloß des Kaisers 1698–1918, Berlin 1992. Darüber hinaus (Auswahl): Konter, Erich, Das Berliner Schloß im Zeitalter des Absolutismus. Architektursoziologie eiNikolaus Bernau

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tativen Ansichten waren hin zum Schlossplatz, zum Lustgarten und zur königlichen Dorotheen- wie Friedrichstadt ausgerichtet (Abb. 1). Die nach Berlin hin weisende Spreeseite hingegen wurde nie monumentalisiert. Zwar wurden unter Kaiser Wilhelm II. so gut wie alle repräsentativen Innenräume des Schlosses überarbeitet, gänzlich neu gestaltet und der Westflügel in wesentlichen Teilen sogar neu gebaut.10 Doch der von Julius Raschdorff 1888 vorgelegte Plan für eine Erweiterung des Schlosses mit einem Ostflügel im Stil deutscher Renaissance kam zu den Akten. Auch in den Debatten seit 1990, um vorzugreifen, war von vorneherein fast unumstritten, dass die vielgestaltigen Ostfassaden des Schlosses nicht nachgebaut werden sollten. Eine methodologische Debatte, warum der Nachbau hier nicht gestattet werden könne, unterblieb ohne weitere Begründung, obwohl der Entwurf eines »Belvederes« von Franco Stella bis heute allgemein als missglückt betrachtet wird (Abb. 2). Erst als der Münchner Architekt Stephan Braunfels im Herbst 2013 einen schnell ungemein populär gewordenen, nachbaumethodisch allerdings indiskutablen Alternativentwurf vorlegte, der einen Schlossbau ohne Ostflügel vorsieht, ehrenhofartig weit nach Osten hin, zur Altstadt und zum Alexanderplatz geöffnet und ausdrücklich damit begründet, Stadt und einstige Residenz aneinander heranzuführen, kam sie auf (Abb. 3). Nach der Erklärung einer »sozialistischen Republik Deutschland« durch Karl Liebknecht vom Schlossportal IV am 9. November 1918 sowie den Marine-Soldaten-Unruhen im Dezember 1918 wurde das Berliner Schloss von der Republik neu genutzt. Es wurde zu einem Kulturzentrum.11 1921 brachten die nunmehrigen Staatlichen Museen Preußens hier das Kunstgewerbemuseum als »Schlossmuseum« unter. Später zogen etwa das Leibeskundemuseum ein, Forschungseinrichtungen und staatliche Kulturverwaltungen. 1926 eröffnete schließlich die neue Preußische Schlösserverwaltung die »Historischen Wohnräume« in den einstigen kaiserlichen Appartements. Sowohl institutionell wie funktional wurde das Schloss nach 1918 also zu einem Teil der Berliner Museumsinsel mit ihren Sammlungen westlicher Kunst und Kultur seit der Antike. Eine Entwicklung erlebte damit ihren vorläufigen Abschluss, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts eben vom Schloss ausgegangen war.12 nes Herrschaftsortes, Berlin 1991; Peschken, Goerd / Junecke, Hans / Konter, Erich, Das Königliche Schloß zu Berlin, Bd. I, Die Baugeschichte von 1688–1701, München 1992; Peschken, Goerd / Junecke, Hans, Das Königliche Schloß zu Berlin, Bd. II, Die Baugeschichte von 1701 bis 1706, München 1998; Hinterkeuser, Guido, Das Berliner Schloß. Der Umbau durch Andreas Schlüter, Berlin 2003. Zu den Ausstattungen des Inneren vgl. Peschken, Goerd / Wiesinger, Lieselotte, Deckengemälde im Berliner Schloß, Berlin 1992; Peschken, Goerd, Das königliche Schloß zu Berlin, Bd III, Die barocken Innenräume, München 2001. 10 Eine Architekturgeschichte des Berliner Schlosses im 19. Jahrhundert bis zum Ende der Monarchie ist jenseits von Geyer 1992 ein dringendes Desiderat. Bis dahin Peschken / Klünner 1982; Engel, Helmut, Baugeschichte Berlin, Bd. II, Umbruch, Suche, Reformen: 1861–1918. Städtebau und Architektur in Berlin zur Zeit des deutschen Kaiserreiches, Berlin 2004, 216–222. 11 Eine Nutzungs- und Architekturgeschichte des Schlosses zwischen 1918 und 1945 ist ein weiteres dringendes Desiderat. Bis dahin Petras, Renate, Das Schloß in Berlin. Von der Revolution 1918 bis zur Vernichtung 1950, Berlin 1992. 12 Zur Geschichte der Berliner Museen vgl. Petras, Renate, Die Bauten der Berliner Museumsinsel, Berlin 222

Fassade vor Funktion. Das Berliner Schloss und das Humboldt-Forum: Ein geplantes Desaster

Im Schloss waren im 17. und 18. Jahrhundert die Kunstkammer sowie die um 1710 als Teil der fürstlichen Paradekammern eingerichtete Gemäldegalerie untergebracht.13 Auch nach der Begründung der heutigen Staatlichen Museen verblieben wesentliche Bestände der Kunstkammer im Schloss: Im 1830 eröffneten, von Karl Friedrich Schinkel geplanten Alten Museum kamen nur die chronologisch und nach Schulen geordnete Gemäldesammlung und der hohenzollerische Antikenbesitz unter, im Schloss Monbijou die ägyptischen Altertümer sowie die Prähistorica der Kunstkammer.14 Das von Friedrich August Stüler geplante Neue Museum wurde 1855 eröffnet. Es war Teil eines weit umfangreicheren Ausbauprogramms für die Museen, die Akademie der Wissenschaften und die der Künste, mit dem die nördliche Spreeinsel-Spitze zu einer, wie es Friedrich Wilhelm IV. 1841 dekretierte, »Freistätte der Kunst und Wissenschaften« werden sollte.15 Aus dem Schloss wurden jene Teile der Kunstkammer in das Neue Museum verlagert, die dem Architekturunterricht in der Akademie und der vaterländischen (Geschichts-)Bildung dienten.16 Darüber hinaus wurden die Ethnografica mit den aus Schloss Monbijou ins Neue Museum verbrachten Prähistorica vereinigt und im Erdgeschoss aufgestellt.17 Dort befand sich nun auch die Ägyptische Abteilung rund um den reich dekorierten »Tempelhof«.18 Das für die »Freistätte« ursprünglich gedachte Aulen-Gebäude wurde 1861 umgewidmet und als von August Stüler und Friedrich Strack geplante, heutige Alte Nationalgalerie 1876 eröffnet.19 Die für Preußen ungewöhnlich prachtvolle Architektur und das

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[Ost] 1987; Gaethgens, Thomas W., Die Berliner Museumsinsel im deutschen Kaiserreich, München 1992; J­ oachimides, Alexis / Kuhrau, Sven / Vahrson, Viola / Bernau, Nikolaus, Museumsinszenierungen. Zur Geschichte der Institution des Kunstmuseums. Die Berliner Museumslandschaft 1830–1990, Dresden-Basel 1995. Vgl. Hildebrand, Josephine / Theuerkauff, Christian (Red.), Die Brandenburgisch-preußische Kunstkammer. Eine Auswahl aus den alten Beständen, Berlin [West] 1981. Vgl. Vogtherr, Christoph Martin, Das Königliche Museum zu Berlin. Planungen und Konzeption des ersten Berliner Kunstmuseums, in: Jahrbuch der Berliner Museen 39 (1997), Beiheft; Wezel, Elsa van, Die Konzeptionen des Alten und Neuen Museums zu Berlin und das sich wandelnde historische Bewußtsein, in: Jahrbuch der Berliner Museen 43 (2003), Beiheft. Zum Neuen Museum vgl. Wezel 2003; Bergvelt, Ellinoor / Meijers, Deborah J. / Tibbe, Lieske / Wezel, Elsa van (Hg.), Museale Spezialisierung und Nationalisierung ab 1830. Das Neue Museum in Berlin im internationalen Kontext (Berliner Schriften zur Museumsforschung 29), Berlin 2011. Zur Kunstkammer im Neuen Museum vgl. Dietze, Peter, Die Kunstkammer als Abteilung des Neuen Museums – Vorstudien zu einer Rekonstruktion der Sammlungsräume und -bestände, Humboldt-Univ., unveröff. Mag. Arb., Berlin 1998; Segelken, Barbara, Die Kunstkammer im Neuen Museum. Zwischen historischer Betrachtung und Enzyklopädie, in: Bergvelt / Meijers / Tibbe / Wezel 2011, 165–176. Zum Vaterländischen Saal und zur Ethnologischen Sammlung vgl. Wezel, Elsa van, Ein Paar Kinderschuhe der Menschheit: Die vaterländische und ethnographische Abteilung im Neuen Museum, in: Bergvelt / Meijers / Tibbe / Wezel 2011, 137–152; Bertram, Marion, Der Vaterländische Saal, in: Blauert, Elke / Staatliche Museen zu Berlin, Neues Museum. Architektur, Sammlung, Geschichte, Berlin 2009, 106–113. Zur Ägyptischen Abteilung vgl. Messling, Guido, Die ägyptische Abteilung im Neuen Museum. Vorgeschichte, Konzeption und Umsetzung, in: Jahrbuch der Berliner Museen 39 (1997), 71–98. Zur Baugeschichte der Nationalgalerie vgl. Dorgerloh, Hartmut, Die Nationalgalerie in Berlin. Zur Nikolaus Bernau

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Datum 1871 in der Inschrift »Der deutschen Kunst« markieren einen neuen Anspruch: Die Berliner Museen sollten nun den neuen Nationalstaat repräsentieren. Die materielle Grundlage dazu legten der Erwerb des Pergamonaltars 1880, die Ergebnisse der Ausgrabungen in Olympia seit 1876 in Pergamon, Priene, Milet, Didyma, im heutigen Irak und in Ägypten, der gewaltige Aufschwung der Gemälde- und der Skulpturengalerie unter der Leitung Wilhelm Bodes und der exorbitante Ausbau des Völkerkundemuseums unter Adolf Bastian. 1883 schrieb das Kultusministerium einen internationalen Wettbewerb für die Bebauung der Museumsinsel aus, der in vielem vorwegnahm, was bis heute dort gebaut wurde und geplant wird.20 Schon 1881 war am damaligen Stadtrand an der heutigen Stresemannstraße das neue Kunstgewerbemuseum nach den Plänen von Martin Gropius eröffnet worden, 1886 folgte das Völkerkundemuseum.21 1898 bis 1901 entstand auf der Museumsinsel das von Fritz Wolff in strengen Formen des späten Schinkel-Klassizismus entworfene erste Pergamonmuseum,22 1904 eröffnete Wilhelm II. den prachtvoll-neubarocken Neubau des Kaiser-Friedrich-Museums nach Plänen Ernst von Ihnes für die Gemälde- und Skulpturensammlung und das Münzkabinett,23 in das allerdings provisorisch auch die neu begründete Islamische Kunst-Abteilung einziehen musste. 1906 forderte schließlich Wilhelm von Bode neben einem großen Ausbau des Völkerkundemuseums in Dahlem auch für die Museumsinsel einen »Museumsneubau«, das heute Pergamonmuseum genannte Gebäude, in dem schließlich die Bestände nord- und mitteleuropäischer Gemälde und Skulpturen, der Pergamonaltar und die Architektursäle der Antikensammlung, die altorientalische Vorderasiatische Abteilung und die Islamische Kunst-Abteilung unterkamen.24 1907 legte der von Bode, Wilhelm II. und dem Kultusministerium ausgewählte Architekt Alfred Messel den Erstentwurf mit seiner gewaltigen, dorisierenden

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­Geschichte des Gebäudes auf der Museumsinsel 1841–1970 (Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Beiheft 13), Berlin 1999. Vgl. Waezoldt, Stephan, Pläne und Wettbewerbe für Bauten auf der Berliner Museumsinsel 1873–1896, in: Jahrbuch der Berliner Museen 35 (1993), Beiheft. Zu dem hoch bedeutenden Wettbewerb wird 2014/2015 ein Forschungsprojekt unter der Leitung von Benedicte Savoy und Nikolaus Bernau an der Technischen Universität Berlin in Zusammenarbeit mit Topoi stattfinden. Zum Kunstgewerbemuseum, dem heutigen Martin-Gropius-Bau, vgl. Körte, Arnold, Martin Gropius. Leben und Werk eines Berliner Architekten 1824–1880, Berlin 2013, 460–485; Rückert, Claudia / Segelken, Barbara, Im Kampf gegen den »Ungeschmack«. Das Kunstgewerbemuseum im Zeitalter der Industrialisierung, in: Joachimides / Kuhrau / Vahrson / Bernau, 1995, 108–121. Vgl. Kästner, Volker, Das alte Pergamonmuseum. Berliner Museumspläne gegen Ende des 19. Jahrhunderts, in: Forschungen und Berichte 26, Berlin [Ost] 1987, 29–56. Zur Architekturgeschichte des heutigen Bode-Museums vgl. Sander, Oliver, Die Rekonstruktion des Architekten-Nachlasses Ernst von Ihne (1848–1917), Humboldt-Univ., Diss. Berlin 2001. Zur Inszenierung Wilhelm von Bodes vgl. Joachimides, Alexis, Die Museumsreformbewegung in Deutschland und die Entstehung des Modernen Museums 1880–1940, Basel 2001. Vgl. Bode, Wilhelm von, Denkschrift betreffend Erweiterungs- und Neubauten bei den Königlichen Museen in Berlin, Berlin 1907. Zur Architektur- und Inszenierungsgeschichte des Pergamonmuseums und der seit 1930 darin befindlichen Museen verfasst der Autor derzeit seine Dissertation.

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Fassadenordnung vor, der nach dessen Tod im Jahr 1909 von seinem Nachfolger Ludwig Hoffmann erheblich überarbeitet wurde. Es sollte das eigentliche deutsche Nationalmuseum für Kunst werden, analog zum British Museum oder zum Musée Français im Louvre. 1930 konnte der Bau dem Publikum übergeben werden.25 Parallel zu diesen Museumszentren entwickelte sich eine weitere, vornehmlich den Natur- und Technikwissenschaften gewidmete »Museumsinsel« an der heutigen Invalidenstraße. Hier wurden seit den 1870er-Jahren das Museum für Naturkunde, die Museen der Geologischen Landesanstalt und der Landwirtschaftsfakultät der Berliner Universität, das Museum für Meereskunst, das Kolonial-Museum und schließlich 1906 das Museum für Bau- und Verkehrswesen im einstigen Hamburger Bahnhof errichtet. Von Beginn an hatte die Berliner Museumslandschaft also städtebautypologisch einen Archipel-Charakter. Ihre Institutionen waren und sind nicht auf wenige oder gar einen Standort konzentriert. Sie glich damit auf den ersten Blick besonders der Londoner Museumsstruktur. Im Unterschied gerade zu dieser oder den bis 1918 fürstlichen Museen in Dresden, München und Wien waren und sind die Berliner Museen aber administrativ erheblich zentralisiert. Hier prägte offenkundig die mit der Begründung des Louvre 1793 etablierte Idee eines Staatsmuseums die Verwaltungsstruktur. Schon mit der Begründung der Museums-Verwaltung 1824 wurden das Eigentum des Königlichen Hauses und das der breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung gestellte Material sauber getrennt, nachdem die vom König eingesetzte Kommission ihre Auswahl der Gemälde und Antiken aus den königlichen Schlössern getroffen hatte. Heute vereinigt die 1957 begründete Stiftung Preußischer Kulturbesitz sogar, als informelle Nachfahrin des preußischen Kultusministeriums, die Staatsbibliothek, die Staatlichen Museen, das Geheime Staatsarchiv sowie diverse wissenschaftliche Institute unter ihrem Dach. Diese inhaltliche Spreizung und damit Ballung an kulturpolitischer Macht in einer einzigen Institution ist weltweit einzigartig. Keinerlei Anzeichen gab es hingegen in Berlin – und gibt es bis heute! – jemals für die Einbindung der Museumsverwaltungen in eine direkte parlamentarische Verantwortung, wie sie etwa das Londoner British Museum oder die Washingtoner Smithsonian Institution prägen, oder die Einbeziehung bürgerschaftlicher Mitverantwortung durch »Trustees« oder Beiräte, wie sie für die gesamte anglo-amerikanische Museumslandschaft oder für von Kunstvereinen getragenen Museen typisch ist. Stattdessen wurden und werden die Berliner Staatlichen Museen als Behörde geführt. Dank des Beamtenrechts war und ist einerseits damit eine erhebliche Autonomie und Sicherheit gegen inhaltliche Eingriffe von

25 Vgl. Crüsemann, Nicola, Vom Zweistromland zum Kupfergraben. Vorgeschichte und Entstehungsjahre (1899–1918) der Vorderasiatischen Abteilung der Berliner Museen vor fach- und kulturpolitischen Hintergründen, in: Jahrbuch der Berliner Museen 42 (2000), Beiheft; Weber, Stefan / Troelenburg, Eva-Maria, Mschatta im Museum. Zur Geschichte eines bedeutenden Monuments, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 46 (2010), 104–132. Nikolaus Bernau

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oben verbunden, andererseits führte und führt dieser Behördenstatus auch dazu, dass die Museen meist in der Lage sind, öffentliche Debatten zu ignorieren, solange sie keine Wirkung auf die politischen Entscheidungs­träger haben. Das zeigt sich auch im aktuellen Stand der Planungen zum Humboldt-Forum. Dass es überhaupt realisiert wird, ist mit Folge des bereits zitierten Satzes von Wolf Jobst Siedler über die Bedeutung des barocken Schlosses. Er erst gab dem zunächst eher sentimentalen, auf die Rückgewinnung des »historischen« Stadtbilds ausgerichteten Kulissenprojekt jene ideelle Unterfütterung, die schließlich zum politischen Beschluss für den Nachbau der Schlossfassaden führte. Siedler überhöhte das Schloss-Projekt zu einem notwendigen Teil der neuerlichen Hauptstadtwerdung Berlins und eines neuen Blicks auf Preußen und Deutschland. Ohne ihn hätte aber auch die völlig ahistorische Behauptung, es handle sich um den »wichtigsten Platz Deutschlands«, seine »Mitte«, wohl keine politische Resonanz gefunden.26 Zwischen 1991 und 2000 fanden diverse Wettbewerbe für einen Bau an der Stelle des Schlosses und des Palastes der Republik statt.27 Keiner der Entwürfe erreichte Durchschlagskraft, da ihnen durchwegs ein adäquater und überzeugender Inhalt fehlte. Alle vorgeschlagenen Nutzungen, von einer neuen Gemäldegalerie über ein Kongresszentrum, die Bundespräsidentenresidenz, das Bundeskanzleramt, eine gemeinsame Residenz der Bundesvertretungen der deutschen Länder, das Außen- und das Innenministerium, ein Hotel und eine Shoppingmall, scheiterten daran, dass es bereits entsprechende Bauten gab, sie im Bau waren oder das Interesse der möglichen Nutzer fehlte. Auch private Investoren zeigten sich trotz zweimaliger Suche des Senats nach ihnen wenig bereitwillig. Die Lücke zwischen Form und Inhalt füllten erst der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, und der Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, Peter-Klaus Schuster. Sie schlugen 1999 vor, wie geschildert, die Dahlemer Sammlungen »außereuropäischer Kunst und Kulturen«, die hoch bedeutende Berliner Zentral- und Landesbibliothek (ZLB), die Sammlungen der Humboldt-Universität und ein als »Agora« bezeichnetes Veranstaltungszentrum mit den nachgebauten barocken Außenfronten des Berliner Schlosses zu verbinden.28 Das inhaltliche Vorbild des Pariser Centre Pompidou ist offensichtlich: Die öffentliche Bibliothek sollte für urbane Betriebsamkeit, die Museen für intellektuellen, kunst- und kulturhistorischen Tiefgang, die Agora für ein andauernd spannendes Programm sorgen. Zudem haben alle diese Nutzungen Notwendigkeit: Die fernab des Stadtzentrums gelegenen Dahle-

26 Vgl. Stiftung Berliner Schloss – Humboldt-Forum (Hg.), Stimmen zum Berliner Schloss – HumboldtForum. Das Erbe bewahren, um die Zukunft zu gewinnen, Berlin 2011. 27 Vgl. Kaulfuß, Christoph / Wolf, Eckard, Historische Mitte Berlin – Schlossplatz: Ideen und Entwürfe 1991–2001, Ausstellungskatalog, Berlin 2001. 28 Vgl. Stiftung Preußischer Kulturbesitz 2013. 226

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mer Museen leiden trotz Neueinrichtungen um 2000 unter Publikumsauszehrung, die Häuser der ZLB in Kreuzberg und in Mitte sind viel zu klein für heutige Anforderungen, die auf viele Standorte verteilten Sammlungen der Humboldt-Universität waren durch Sonderausstellungen ins öffentliche Bewusstsein gerückt worden.29 2001 beschloss der Bundestag erstmals mit großer Mehrheit einen Neubau auf der Grundlage des Konzepts von Lehmann und Schuster. Schnell stellte sich aber heraus, dass dieses nur dann hinter den Schlossfassaden Platz haben würde, wenn auf die Nachbildung der beiden großen Schlosshöfe verzichtet würde und nicht die Stockwerksgliederung des Schlosses übernommen würde. Forderten doch alleine die Museen und die ZLB jeweils für ihre Zwecke schon ungefähr jene 50.000 Quadratmeter Nutzfläche, die das Schloss mit seinen sechs viergeschossigen Hauptflügeln besessen hatte. In der Folge wurden die Platzforderungen deswegen radikal zusammengestrichen. Die Museen mussten, trotz energischer Proteste, letztlich auf die traditionelle, auch in Dahlem vorhandene und international übliche, enge Verbindung zwischen Ausstellungs- und Verwaltungs- sowie Depoträumen verzichten. Die Depots sollten in einem nunmehr zum Zentraldepot erweiterten Neubau am Stadtrand Berlins untergebracht werden, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Museen intern heftig kritisieren: Es läge zu fern der Universitäten, der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, der Ausstellungen und des Publikums. Aber auch das damit auf 36.000 Quadratmeter reduzierte Raumprogramm wurde immer wieder überarbeitet. Letztlich bewilligten der Bund und das Land Berlin als Finanziers nur noch etwa 10.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche für das Ethnologische Museum, 5.000 für das Museum für Asiatische Kunst sowie 7.000 für deren Fachbibliotheken, Werkstätten und Büros.30 Die ZLB hatte einen noch härteren Sparkurs zu absolvieren. Als die vollständige Unterbringung im »Schloss« nicht realisierbar erschien, reduzierte die damalige Direktorin Claudia Lux ihre Forderungen zunächst auf als unabdingbar angesehene 12.000 Quadratmeter. Sie hätten mit den seit den 1920er-Jahren im angrenzenden Marstall an der Breiten Straße genutzten Bibliotheksräumen die nötigen 50.000 Quadratmeter ergeben. Doch letztlich schrumpfte das Angebot im »Schloss« auf 4.000 Quadratmeter. Das überschuldete Land Berlin hat nämlich nur Geld für einen Anteil von etwa 34 Millionen Euro. Dafür aber kann Berlin nur den Anspruch auf etwa 5.000 Quadratmeter Nutzfläche erheben. 1.000 davon sind für die Zwecke der Humboldt-Universität reserviert. Auf der Grundlage dieser politisch bereits auf die Möglichkeiten der Schlossfassaden reduzierten Raumverteilung gewann 2008 der bis dahin trotz langer Tätigkeit gänzlich unbekannte norditalienische Architekt Franco Stella aus Vicenza den Wettbewerb 29 Vgl. Bredekamp, Horst (Hg.), Theater der Natur und Kunst: Wunderkammern des Wissens, Ausstellungskatalog, Berlin 2000. 30 Angaben zum 2007 bewilligten Raum für die Museen und Bibliotheken: Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, Bauprojekte, http://bit.ly/1kG23pf (12.9.2013). Nikolaus Bernau

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für das Projekt.31 Nur 84 Büros hatten teilgenommen. Angesichts der Bedeutung des Projekts war das eine Blamage, Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee hatte mit mehr als 1.000 Teilnehmern gerechnet. Aber interessiert hatten sich vornehmlich Berliner, kaum eines der international für Museums- oder Ausstellungsbauten bekannten Büros beteiligte sich. Die Vorgabe des Bundestags, dass die barocken Fassaden nachgebaut werden sollten, wirkte offenbar ebenso abschreckend wie die Erfahrungen mit der regionalen Baupolitik, die seit den frühen 1990er-Jahren von der Suche nach einer neuen, als »Berlinisch« bezeichneten Klassizität geprägt war. Franco Stellas Beitrag wurde vor allem deswegen von der Jury unter der Leitung von David Chipperfield mit dem ersten Preis ausgezeichnet, weil er dem Fassadennachbau mit streng gerasterten Grundrissen und an den Höhen der historischen Geschosse orientierten Schnitten eine architektonische Begründung verlieh. Nebensächlich bei der Jurydebatte waren offenbar die Arbeits- und Ausstellungsbedingungen. Schnell wurde von den künftigen Nutzern deswegen moniert, dass Stella die Funktionen nach Geschossen sortiert hat: Das Erdgeschoss soll der Agora (Abb. 4), Sonderausstellungen, einem Schlossmuseum, Restaurants und Verteilerflächen dienen, das erste Obergeschoss den Bibliotheken und die beiden obersten Geschosse den Museen. Die Direktion der ZLB monierte sofort, dass erstens der Zugang für die öffentliche Bibliothek im Obergeschoss läge, was aktuellen Anforderungen an Bildungsarchitektur widerspreche, und zweitens der um den Schlüterhof gelegte Grundriss unpraktisch und unkalkulierbar in den Betriebskosten sei. Viel besser sei eine kompakte Unterbringung in einem der Flügel durch alle Geschosse hindurch. Auch wurde eingewandt, dass die hohen Räume des ersten Geschosses an die Bibliotheken vergeben werden, obwohl die Museen sie für ihre Ausstellungen besser nutzen können. Trotz solcher Einwände schien aber die Übersichtlichkeit von Stellas Plänen den Nutzern, die der Entscheidung der Jury letztlich zustimmten, Flexibilität in der Überarbeitung zu garantieren. Wie sich inzwischen gezeigt hat, war das eine fatale Fehleinschätzung. Allerdings haben sich auch die anderen ausgezeichneten Arbeiten nur sehr bedingt mit dem Zweck des Projekts beschäftigt, ein Bibliotheks-, Museums- und Veranstaltungszentrum zu sein. Deswegen zeigen die Innenraumanimationen etwa durchweg Objekte, die gar nicht in den für das Humboldt-Forum vorgesehenen Sammlungen enthalten sind. Im Kern ging es bei diesem Wettbewerb darum, die Idee des Fassadennachbaus architektonisch zu legitimieren. Methodische Originalität scheiterte also ebenso wie museums- und bibliotheksfunktionale. So schlugen Kuehn Malvezzi aus Berlin vor, den Riesenbau zunächst mit einer Ziegelhülle zu versehen und dann die rekonstruierten Bauteile je nach Spendeneingang und materieller Realisierung einzufügen. Das Projekt hätte damit einen Aspekt des »Mitmachens« erhalten. Erst nach heftigen Debatten mit den­ 31 Zum Wettbewerb vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hg.), Schloss Berlin / Humboldt-Forum. Realisierungswettbewerb 2009, Berlin 2009. 228

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4: Franco Stella, Berliner Schloss – Humboldtforum, Haupthalle der Agora

jenigen in der Jury, die – ohne dass dies als Forderung in der Ausschreibung stand! – nun darauf bestanden, dass jeder Entwurf auch eine Lösung für die Stüler-Kuppel vorzeigen müsse, erhielten sie immerhin einen Anerkennungspreis. Und der Entwurf des ebenfalls aus Berlin stammenden Architekten Jan Kleihues zehrte vor allem von den Erfahrungen französischer und spanischer Museumsgroßbauten der 1990er- und 2000er-Jahre mit seinen großen Höfen, Wandelhallen und der Durchdringung der Geschosse. Eine Chance aber hatte er nicht, weil seine Arbeit den Konflikt zwischen dem Fassadennachbau und den Nutzungen dahinter zu deutlich artikulierte. Je weiter die Planungen voranschreiten, desto deutlicher werden die erheblichen strukturellen Probleme, die der Entwurf Stellas hat.32 Zwar wurden für die beiden Museen und ihre Bibliotheken, Werkstätten, Zwischendepots und Büros etwa 22.000 Quadratmeter bewilligt, etwa ein Viertel mehr als in Dahlem vorhanden sind.33 Allerdings: 32 Vgl. grundl. hierzu König, Viola / Scholz, Andrea (Hg.), Humboldt-Forum. Der lange Weg 1999–2012 (Baessler-Archiv – Beiträge zur Völkerkunde 59), Berlin 2013. 33 Die Platzangaben wurden freundlicherweise von Viola König, Direktorin des Ethnologischen Museums, und Klaas Ruitenbeek, Direktor des Museums für Asiatische Kunst, bestätigt. Nikolaus Bernau

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5: Berliner Schloss – Humboldtforum, Entwurf für einen neuen Mexiko-Saal, Appelbaum Architects, New York City, 2013 6: Berlin Dahlem, Ethnologisches Museum, Bootshalle der Südsee-Abteilung in der Inszenierung von Fritz Bornemann von 1970 (Foto: Nikolaus Bernau, 2013)

­Ursprünglich hatte das Ethnologische Museum schon für sich alleine 24.000 Quadratmeter gefordert. Zudem sind die mit Rücksicht auf die Schlossfassaden entworfenen Geschosshöhen für museale Zwecke oft fast unbrauchbar. Aber alle Vorschläge des Ethnologischen Museums, das bis zu sechs Meter hohe, für Bibliotheken gedachte erste Obergeschoss und das darüber liegende Fünfmetergeschoss den Museen zu widmen und mit Deckendurchbrüchen die notwendigen hohen Säle zu erreichen, lehnte die Stiftung Berliner Schloss ab: Die Umplanung wäre angeblich zu teuer geworden. Jetzt werden die Museen damit leben müssen, dass mehr als die Hälfte ihrer Ausstellungsräume kaum fünf Meter Höhe hat, fast ein Drittel sogar noch niedriger ist. Wie beengt diese oft sehr breiten und niedrigen Säle wirken werden, zeigen sogar die publizierten 230

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7: New York City, Metropolitan Museum, Astor Court – Nachbau eines chinesischen Gartenhofs (Foto: Nikolaus Bernau, 2012)

8: Kopenhagen Nationalmuseum, Schaudepot arktische Kulturen (Inuit, Grönländer, Aleuten) (Foto: Nikolaus Bernau, 2010)

ersten Entwürfe für Ausstellungsgestaltungen (Abb. 5). Keine Rede kann in Berlin von derart flexiblen Ausstellungsbedingungen sein, wie sie in Dahlem seit 1970 vorbildlich existieren. Selbst das nach langen Debatten erreichte Zugeständnis, dass die Museen im einstigen Großen Schlosshof doch ganze zwei Säle, die 10 Meter hoch sind, erhalten, ist zwiespältig: Sie sind so beengt, dass etwa von der weltberühmten Schiffssammlung weniger als derzeit in Dahlem gezeigt werden kann (Abb. 6) – nicht etwa mehr, wie es eigentlich notwendig wäre. Die geplante Ausstellung von Schiffsmodellen wird kaum Nikolaus Bernau

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9: Berliner Schloss – Humboldtforum, Entwurf Schaudepot Turfan, Appelbaum Architects, New York City

ein Ersatz sein. Auch dem Saal für die einzigartige Häusersammlung des Ethnologischen Museums fehlt jeder organische Zusammenhang mit den Sammlungen. Nicht nur der Lage des Zugangs im ersten Obergeschoss wegen, das sonst den Bibliotheken reserviert bleibt, sondern auch, weil die Lage der Außenwände des barocken Eosanderhofs in den

10: Edinburgh, National Museum of Scotland, Eingangshalle (Foto: Nikolaus Bernau, 2013)

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11: Edinburgh, National Museum of Scotland, Eingangshalle, Inszenierung einer Wand der Welt, Appelbaum Architects, New York City, 2007 (Foto: Nikolaus Bernau, 2013)

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Grundrissen rund um die hohen Hallen erhalten blieb. Ein Sieg der blanken Plangrafik über die Funktionalität. Ebenfalls keine Lösung ist bisher für die Großobjekte aus den Sammlungen Amerikas, Afrikas, Asiens oder der Arktis sichtbar. Und schon gar fehlen Vorschläge, die Inszenierungen nach amerikanischem Vorbild mit chinesischen Hofgärten oder wie im Stuttgarter Linden-Museum mit Rauminstallationen japanischer Häuser oder arabischer Basarstädte aufzulockern (Abb. 7). Weder ist der Platz dafür vorhanden, noch sind die Säle hoch genug. Ähnlich dramatisch ist das Schicksal der eigentlich so sinnvollen Schaudepots, die ursprünglich einmal im Zentrum der Inszenierungen stehen sollten. So wie im New Yorker Metropolitan Museum oder im Kopenhagener Nationalmuseum als organische Erweiterung der Dauerausstellungen – dort kann man etwa durch die Vielzahl der Objekte lernen, dass »Kajak« nur ein Oberbegriff für eine ganze Gattung von Booten ist (Abb. 8). In den Berliner Zeichnungen hingegen sieht man derzeit Objekte weit oberhalb der Kopfhöhe – womit der didaktische Sinn eines Schaudepots ähnlich wie im Pariser Musée du quai Branly architektonisch ad absurdum geführt wird (Abb. 9). Die Auditorien sind als reine Kastenräume ohne Bühnen geplant, obwohl das Ethnologische Museum solche gefordert hatte; die Sonderausstellungsräume liegen am Rand des Grundrisses und werden zu klein sein, um internationale Großprojekte, etwa 12: Musée du quai Branly, Paris (Foto: Nikolaus Bernau, 2010)

13: Musée du quai Branly, Paris, Ausstellung »Autres maîtres de l’Inde« (Foto: Nikolaus Bernau, 2010)

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14: Musée du quai Branly, Paris, Innenansicht der Südamerika-Ausstellung (Foto: Nikolaus Bernau, 2014)

aus dem Musée du quai Branly oder dem British Museum ins Haus holen zu können; Stellas Haupthalle an der Stelle des einstigen Großen Schlosshofes passt mit ihren strengen Pfeilerumgängen eher für staatstragende Zeremonien, Talkshows und Reden als etwa für einen Karneval der Kulturen. Kein Vergleich zum nutzungsoffenen Foyer des Centre Pompidou oder zur luftigen Halle des Edinburgher National Museums mit seinem »Fenster zur Welt« (Abb. 10 und 111). Und während dort sinnvoll das Café in den ersten Stock verlegt wurde, um die Menschen lustvoll ins Museum zu ziehen, sollen solche Nutzungen in Berlin fast ausschließlich im Erdgeschoss stattfinden. Ein deutlicher Hinweis auf die finanzielle Not, in der das Humboldt-Forum entsteht: Seine Betriebskosten sind bisher in keiner Form gesichert. Ebenso wenig sind die vielen Sonderausstellungen finanziert, die stattfinden müssten, damit das Humboldt-Forum gleich dem von vielen 234

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15: Washington D.C., National Museum of the American Indian, Ritual- und Tanzplatz im Foyer (Foto: Nikolaus Bernau, 2009)

Berliner Museumsmachern geradezu verachteten, aber ungemein erfolgreichen Pariser Musée du quai Branly die Besucherinnen und Besucher immer neu anziehen kann (Abb. 12, 13 und 14). Die Probleme des Humboldt-Forums sind aber nicht nur Folge der Architekturplanungen, sondern auch grundsätzlicher inhaltlicher Fehlplanungen. So wird die von der Berliner Zentral- und Landesbibliothek geplante Ausstellung zu Sprach- und Schriftkulturen selbst innerhalb des Hauses als überflüssig betrachtet, als politisches Zugeständnis, damit das Land Berlin an dem »Schloss«-Projekt beteiligt bleibt. Wie in Washington D.C., Toronto, Montreal, Vancouver oder London sollen die indigenen Urheber der Sammlungsobjekte in die Museumskonzeption einbezogen werden. Das Geld dafür ist Berlin derzeit nicht einmal ansatzweise gesichert. Weltweit haben Museen gezeigt, wie wichtig es ist, europäische und andere Weltkulturen zusammen zu sehen. In Berlin hingegen ist derzeit noch geplant, das Museum für europäische Kulturen zunächst in Dahlem zu belassen und irgendwann einmal in einem Neubau am Kulturforum unterzubringen. Nur leicht überspitzt gesagt: Die Darstellung der indigenen Kulturen Amerikas wird deswegen mit dem Untergang der Großreiche der Azteken und Inkas und der Zerstörung der Prärieindianerkulturen um 1500 enden. Im Washingtoner National Museum of the AmeNikolaus Bernau

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rican Indian zeigen indigene Kulturen sich als selbstbewusste, auch durch die Mischung mit europäischen Kulturen lebendig gebliebene (Abb. 15). In Berlin hingegen wird nach aktuellem Stand, weil Europa ausgeschlossen bleibt von den Weltkulturen, das Bild alter Völkerkundemuseen fortgeführt, nach dem indigene Kulturen durch Vermischung untergehen. Bis heute ist das Humboldt-Forum also kaum mehr als die Verlagerung der bisher in Dahlem befindlichen Sammlungen auf den Schlossplatz. Moniert wurde das auch 2011 von jenem internationalen »Advisory Board«, von dem inzwischen nichts mehr zu hören ist. Wohl, weil es zu Recht fragte, warum es im Abstand von 300 Metern zwei Ausstellungen zu islamisch geprägten Kulturen geben soll, mit dem Museum für Islamische Kunst im Pergamonmuseum und mit der Abteilung im Ethnologischen Museum im Humboldt-Forum. Viel sinnvoller wäre es doch tatsächlich, sie dort zusammenzuführen, so wie die kunst- und kulturhistorischen Sammlungen Asiens im Humboldt-Forum zusammengeführt werden – nicht zuletzt, um der einzigartigen Mschatta-Fassade einen angemessenen Auftritt zu geben, die nach aktuellem Stand der Planungen in einen neuen, schmalen und nur mit Kunstlicht zu erhellenden, zudem nur unter extremen, denkmalpflegerisch eigentlich indiskutablen Eingriffen zu errichtenden Saal im Nordflügel des Pergamonmuseums verbannt wird.34 Doch halten die Staatlichen Museen eisern an diesem Plan aus den frühen 1990er-Jahren fest, der lange vor der Konzeption des Humboldt-Forums entwickelt wurde. Stella, der bis dahin keine Großprojekte alleine realisiert hatte, erhielt den Auftrag erst, nachdem er sich mit den erfahrenen Büros von Heinz Hilmer, Christoph Sattler und Thomas Albrecht (HSA) aus München sowie Meinhard von Gerkan, Volkwin Marg und Partner (GMP) aus Hamburg zusammengetan hatte. 2012 begannen die Bauarbeiten, 2015 sollen die Rohbauten fertiggestellt sein, die Einweihung des Projekts ist für 2019 terminiert. Die Nöte, die viele Bibliotheken und Museen haben, weil sie in tatsächlich historische Räume gezogen sind, werden in Berlin künstlich durch die übertriebene Rücksicht auf die neuen barocken Außenfassaden hergestellt. Nicht einmal das Kostenargument scheint dabei zu schrecken: In Marseille wurde im Sommer 2013 das bis hin zur extrem aufwendigen Fassade in jeder Hinsicht mit dem Humboldt-Forum vergleichbare Musée des civilisations de l’Europe et de la Méditerranée (MuCEM) eröffnet. Nach Angaben der Architekten kostete es 4.140 Euro pro Quadratmeter Bruttogeschossfläche. Ähnlich hoch waren die Baukosten des Musée du quai Branly. In Berlin sind nur die Gesamt­ kosten des Projekts zu erfahren, nicht die der für die Museen reservierten Etagen. Doch auch so sind die Kosten gewaltig: derzeit etwa 12.000 Euro pro Quadratmeter des

34 Vgl. Tillmann, Christina, Mschatta ins Schloss, in: Der Tagesspiegel, 4.4.2011. 236

Fassade vor Funktion. Das Berliner Schloss und das Humboldt-Forum: Ein geplantes Desaster

Gesamtbaus. Denn in Berlin werden große Flächen als Luftraum verbraucht, für die Rekonstruktion des Schlüterhofs, die neue Schlosspassage, die gewaltige Eingangshalle, als Freiraum einstiger barocker Treppenhäuser. Die Debatte über das Projekt Berliner Schloss – Humboldt-Forum wird bis heute dominiert von der leidigen Frage, wie die Schlossfassaden nachgestaltet werden sollen. Vergeben wird bisher die Chance, sich zu den folgenden Fragen neu zu positionieren: Welche Rolle spielen Museen mit ihrer konstitutiven Orientierung auf das originale Objekt und öffentliche Bibliotheken als Vermittler von Wissen in einer Welt, die noch lange nicht weiß, wie sie kulturell, ökonomisch und sozial der digitalen Herausforderung begegnen kann? Wie weit öffnen sie sich (selbst-)kritischen Debatten, wie sehr können sie im postkolonialen Zeitalter als Vermittler zwischen den Kulturen dienen? Die große Chance des Humboldt-Forums ist es, ein lebendiger, kritischer, debattenreicher Alltagsort zu sein, wie es amerikanische, britische, skandinavische, sogar schweizerische Museen längst sind. Derzeit aber wird dies »Schloss« vor allem als Touristenmagnet geplant, ohne Bezug zur umgebenden Stadt, unbeweglich wie ein Tanker wegen der Fassade, Finanzmangels, falscher Raumzuschnitte, der Orientierung an seit dem 19. Jahrhundert etablierten Abteilungsgrenzen innerhalb der Staatlichen Museen, wegen des fehlenden Abgleichs mit der Museumsinsel und der in jeder Hinsicht unglücklichen Fixierung auf eine »außereuropäische« Ausrichtung des Projekts.

Nikolaus Bernau

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1: Blick vom Burgtor über den Maria-Theresien-Platz zum Museumsquartier (Foto: Margherita Spiluttini)

Ehemalige Residenzbezirke als Museumsquartiere – Transformationen seit den 1980er-Jahren

Maria Welzig

Die großen Residenzen bildeten seit dem späten 18. und dem 19. Jahrhundert nicht nur Zentren der politischen Macht, sondern entwickelten sich auch zu Orten einer bürgerlichen Kultur: mit öffentlichen Bibliotheken, den ersten öffentlichen Museumsbauten und als Versammlungsorte. Mit ihren Plätzen und Parkanlagen stellen diese Areale meist herausragende urbane Figuren dar. Durch ihre geschichtliche Aufladung und als Auf­ stellungsorte für Denkmäler haben sie bis heute eine zentrale Erinnerungsfunktion. Seit den 1980er-Jahren rücken diese historischen Bezirke wieder in den Fokus der Stadt- und Kulturentwicklung. Entsprechend dem grundlegenden Wandel, der sich in jener Zeit vollzog, werden sie, um neuen Anforderungen zu genügen, funktionell, urbanistisch und architektonisch weiterentwickelt. Dies ist in Paris, in Madrid und in Wien ebenso der Fall wie in Berlin. Auch in Ländern mit gänzlich anderer gesellschaftspolitischer Verfasstheit lassen sich entsprechende Bestrebungen feststellen – in St. Petersburg mit dem Projekt »Große Eremitage«, in Istanbul mit Planungen für das Topkapi Areal und in Peking mit Plänen für die Verbotene Stadt. Als kulturelle und geschichtliche Schaufenster des jeweiligen Landes stellen diese (Museums-)Quartiere wesentliche ökonomische und touristische Faktoren dar. Eine Schlüsselfrage der Weiterentwicklung ist jedoch die der Nachhaltigkeit und der Akzeptanz und Nutzung durch die Bewohnerinnen und Bewohner.

Maria Welzig

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Die Wiener Entwicklung seit dem Paradigmenwechsel der 1980er-Jahre Durch seine große Bedeutung während der NS-Zeit war das Hofburg-Areal in der Konsolidierungsphase der Zweiten Republik gewissermaßen tabu geblieben.1 Der Staatsvertrag wurde 1955 vom Balkon des vergleichsweise dezentral gelegenen Schlosses Belvedere verkündet. Der repräsentativste Teil der Hofburg, die den Heldenplatz flankierende Exedra der Neuen Burg, für die seit ihrer Errichtung noch keine endgültige Nutzung gefunden worden war, blieb in der Zweiten Republik außerhalb der Diskussionen über eine entsprechende öffentlichkeitswirksame Nutzung.2 Auch die Idee des Forums als kulturelles Zentrum, wie Gottfried Semper es geplant hatte (Abb. S. 107), wurde, wohl auch aufgrund ihrer geschichtlichen Belastung in der NS-Zeit, nicht weiter verfolgt. Seit den 1950er-Jahren ging vielmehr die Wahrnehmung eines zusammenhängenden urbanen Raums verloren. Zwei innerstädtische Hauptverkehrsachsen, Ringstraße und »2er-Linie«, durchschneiden heute das Areal. Ein singulärer urbaner Raum ist 2: Blick über die »2er-Linie« zum Museumsquartier (Foto: Margherita Spiluttini)

als solcher nicht mehr wahrnehmbar (Abb. 1 und 2).

Errichtung des Museumsquartiers3 und Gesamterneuerung im Hofburgbezirk Vor dem Hintergrund des allgemeinen Paradigmenwechsels der 1980er- und 1990er-Jahre kam es zur entscheidenden Weiterentwicklung des Areals: der Errichtung des größten

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Vgl. den Beitrag in dieser Publikation von Stuhlpfarrer, Anna, Residenz im Wandel. Die Hofburg nach 1918 – Projekte und Planungen, 17–37. Martin Fritz untersucht im Rahmen des laufenden FWF-Forschungsprojekts über »Die Wiener Hofburg seit 1918« die Nutzungsgeschichte der Neuen Burg seit Beginn der 1. Republik. Vgl. Fritz, Martin, Übermächtige Nachbarn: Museumsumbauten in New York und Wien, 13.01.14, www.artmagazine.cc/ content75256.html (30.1.2014). Die MQ-Errichtungs- und Betriebsgesellschaft führte 2001 als Markenzeichen die Großschreibung des »Q« ein. In diesem Beitrag, der auch die Planungsphase der 1980er- und 1990er-Jahre behandelt, wird durchgehend die neutrale Kleinschreibung »Museumsquartier« verwendet.

Ehemalige Residenzbezirke als Museumsquartiere – Transformationen seit den 1980er-Jahren

3: Museumsquartier Haupthof (Foto: Margherita Spiluttini)

Kulturbaus der Zweiten Republik – des Museumsquartiers in den ehemaligen Hofstallungen.4 Damit wurde Wien international zu einem der frühen Beispiele der Weiterentwicklung eines historischen Residenzbezirks. Politischer Wille und beträchtlicher Mut standen hinter der Entscheidung von 1989, die Entwicklungskonzepte des vorangegangenen Jahrzehnts (welche den »Messepalast« primär als Erweiterungsfläche der angrenzenden ehemaligen Hofmuseen vorgesehen hatten) zu revidieren und stattdessen ein heterogenes Kulturzentrum der Gegenwart einzurichten; eine wegweisende politische Entscheidung für das an zeitgenössischen Kunst(produktions)orten bis dahin arme Wien. Der Gebäudekomplex mit seinen Höfen – vormals ein toter Raum in der Stadt – hat sich zu einem intensiv genutzten Quartier entwickelt (Abb. 3). Das Museumsquartier als urbaner Raum ist heute aus der Stadt nicht mehr wegzudenken. Eine der großen Qualitäten des MQ ist die, neben dem Museums-Angebot auch Produktions- und Präsentationsort zeitgenössischer Kultur zu sein: für Tanz (Tanzquartier), Architektur (Architekturzentrum Wien), zeitgenössisches Theater; das MQ bietet Kulturangebote 4

Vgl. folgende Beiträge in dieser Publikation: Thomas Trenkler, Was aus der Idee des Kaiserforums wurde. Zur Geschichte des Museumsquartiers seit den 1980er-Jahren, 103–108; Michael Wimmer, Vom Werden und vom Zustand österreichischer Kulturpolitik anhand des MuseumsQuartiers Wien, 109–119. Maria Welzig

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4: Ortner & Ortner, Museumsquartier, Planungsstand 1993, Foto: Gerald Zugmann, mit nachträglicher Einzeichnung der tatsächlichen Realisierung (rot), ausgestellt im Museumsquartier

für Kinder und Jugendliche (ZOOM Kindermuseum und DSCHUNGEL), Arbeitsstätten für Kulturschaffende, Wohnungen für Artists in Residence. In seiner Funktionsmischung und in seiner Rolle für das Stadtleben gilt das MQ international im Zusammenhang mit Museumskonzepten als Best-Practice-Beispiel. Die Chance, sich mit den neuen Kulturbauten des MQ im Städtewettbewerb architektonisch entsprechend zu positionieren, hat Wien jedoch vergeben. Schuld daran sind weniger die Architekten (Ortner & Ortner, Wettbewerbssieger 1990)5 als der folgende medial betriebene, zehnjährige Reduktionsprozess, der das ursprüngliche, weit offenere und großzügigere Konzept zu einem »Denkmal der Kleinheit und Kompromisse«6 schrumpfen ließ (Abb. 4). »Das neue Museumsquartier in Wien ist ein einzigartiges Projekt – und ein erschütterndes Beispiel für den Mangel an architektonischer Zivilcourage«, schrieb zur Eröffnung Hans-Peter von Däniken im schweizerischen Tages-Anzeiger.7 »Manifest der Farblosigkeit« zitierte Gabriele Reiterer in der Berliner Zeitung8 und Ulrich Weinzierl konstatierte in Die Welt: »... ein Hauch von Freudlosigkeit« lasse nur »die Hoffnung, dass eines Tages der Inhalt das Gehäuse zu übersehen hilft«.9 5 6 7 8 9 242

1995 wurde dem Planungsteam der Architekt und Denkmalschutzexperte Manfred Wehdorn als Partner zur Seite gestellt. Vgl. Reiterer, Gabriele, Das Schweigen der Musen, in: Berliner Zeitung, 30.6.2001, http://bit.ly/1n0ZYmR (26.1.2014). Däniken, Hans-Peter von, Die Demokratie ist der schlechteste Architekt, in: Tages-Anzeiger, 4.7.2001, http://bit.ly/19VH5OX (26.1.2014). Vgl. Anm. 6. Weinzierl, Ulrich, Selbstmord unnötig, in: Die Welt, 5.7.2001, http://bit.ly/1dZQMgi (26.1.2014).

Ehemalige Residenzbezirke als Museumsquartiere – Transformationen seit den 1980er-Jahren

Die geschlossen-blockhafte Architektur schließt sich und die Kunst hermetisch gegenüber dem belebten Hof des MQ ab. Das Erscheinungsbild der Neubauten im Museums­quartier weckt Assoziationen zu den Basteibauten und zum nahen Flakturm und so schreiben diese Kulturbauten der Moderne den Topos des »Wehrhaften Wien« ins 21. Jahrhundert fort. (Abb. 5, Abb. 8) Parallel zur Errichtung des Museumsquartiers ereignete sich im gesamten Hofburgbezirk eine Runderneuerung mit teilweiser Erweiterung der Kulturinstitutionen, welche sich gänzlich gewandelten (Besucher-)Anforderungen und der Notwendigkeit ent­sprechender räumlich-architektonischer Transformationen gegenübersahen. Dies gilt für das Kunsthistorische Museum ebenso wie für die Albertina, die Österreichische Nationalbibliothek, die Spanische Hofreitschule und das Österreichische Filmmuseum10. Die Kaiserappartements in der Hofburg und die »Silberkammer« werden seit 1994 von der »Schloss Schönbrunn Kultur- und Betriebsges.m.b.H.« betrieben. 2004 richteten die

5: Museumsquartier, Blick zum Museum moderner Kunst (Foto: Margherita Spiluttini)

10 Vgl. den Beitrag in dieser Publikation von Gabu Heindl, Wo ist das Museum? Zum Umbau des Österreichischen Filmmuseums 2008, 266–271. Maria Welzig

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Betreiber innerhalb der Kaiserappartements ein theatralisch inszeniertes »Sisi Museum« ein, das zu den meistbesuchten Orten der Hofburg zählt. Die Ansatzpunkte für Erweiterungen und Erneuerungen der seit 1998 ausgegliederten Bundesmuseen waren und sind: Raumbedarf für Wechselausstellungen, für Didaktik, Depots, neue Lesesäle im Fall der ÖNB, für eine allgemein zugängliche Gastronomie und Shops als neue Zusatzfunktionen. Zudem ändert(e) sich das Verhältnis der Museen zu ihrem Umraum: Es gibt Bedarf an niedrigschwelligen Eingangssituationen und an Präsenz im öffentlichen Raum. Das Areal vom Museumsquartier bis zur Albertina ist der zentrale Museums- und Kulturbezirk Österreichs. Der Großteil der österreichischen Bundesmuseen, zu denen auch die Österreichische Nationalbibliothek zählt, ist hier konzentriert (Abb. 6). Von einem zusammenhängenden »Museumsforum«, das von den ehemaligen Hofstallungen bis zum ­Michaelerplatz bzw. bis zur Albertina reicht sowie eine kulturelle Nutzung des Messepalastes vorsah, waren sämtliche mit Ende der 1970er-Jahre einsetzenden Konzepte ausgegangen. Jedoch verlief die Entwicklung – bisher – anders: Im Zuge der Etablierung der »Marke MQ« seit der Eröffnung 2001 kam es eher zu einer Separierung. Es gibt keine funktional oder physisch wahrnehmbare Verbindung zwischen dem MQ und dem übrigen Areal. Das Zeitgenössische ist quasi gut versteckt hinter den barocken Mauern der ehemaligen Stallungen. Dabei gibt es mit dem 1964 gegründeten Filmmuseum im Gebäude der Albertina und mit dem Theseustempel im Volksgarten als Ausstellungsort bereits zeitgenössische Anknüpfungsorte auf dem Hofburg-Areal. Diese Separierung ist auch insofern obsolet, als zeitgenössische Kunstausstellungen heute auch gängiger Teil des Programms historischer Sammlungen sind.

Entwicklungsfragen im »Hofburg-Museums-Quartier« Im Unterschied zu vielen anderen ehemaligen Residenzen war die Wiener Hofburg nach 1918 nicht gänzlich musealisiert worden. So ist die Hofburg heute ein heterogen genutzter, in das Stadtleben integrierter Gebäudekomplex mit Alltagsgebrauch. In der Heterogenität der Nutzer, zu denen neben den diversen Museen und der Nationalbibliothek auch Universitätsinstitute, Verwaltungsbehörden und das Büro des Bundespräsidenten zählen, liegt gerade eine große Qualität des Areals. Jedoch ist für sämtliche Planungsprojekte ein stärker gesamtheitlicher Blick zu fordern. Es gibt kaum Kooperationen zwischen den einzelnen Institutionen auf dem Areal. Auf Initiative der Tourismus-Sektion des Bundes kam es 2007 zur Gründung einer »Arge Hofburg« mit den Leiterinnen und Leitern der Anrainerinstitutionen.11 Ein Leitsystem für das Areal 11

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Basis für die Initiative »Arge Hofburg« war eine Studie zu einem »Kulturbezirk Hofburg« im Auftrag der Sektion Tourismus des Bundesministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend, erstellt von Eva Häfele

Ehemalige Residenzbezirke als Museumsquartiere – Transformationen seit den 1980er-Jahren

war ein nachhaltiges Resultat der Kooperation (Abb. 6). Das Projekt eines gemeinsamen Informationszentrums scheiterte jedoch bisher an den Partikularinteressen der einzelnen Institutionen bzw. auch an den unterschiedlichen Ressort-Zuständigkeiten der Institutionen des Hofburg-Areals (Wirtschaftsministerium, Kulturministerium, Landwirtschaftsministerium, Verteidigungsministerium, Stadt Wien).12 Eine großräumigere Sicht und ein urbanistischer Blick sollten für sämtliche Einzelprojekte gelten, die diskutiert werden: die unterirdische Neuerschließung und Erweiterung der beiden Museen auf dem Maria-TheresienPlatz inklusive Anschließung an das MQ; der Tiefspeicher der ÖNB auf dem Heldenplatz inklusive Verkehrslösung für den »Parkplatz« auf dem Heldenplatz; die Adaptierung des Weltmuseums; eine Öffnung der Neuen Burg zur Burggartenterrasse hin; die Neubespielung des Burgtors; eine architektonische Äußerung auf dem Areal als Gegengewicht zur Dominanz des NS-Flakturms in der Forumsachse (Abb. 4, 7); die »Wiedererfahrbarmachung« des in der Stadt einzigartigen Gesamtraums. Letzteres erfordert auch eine verstärkte Kooperation zwischen Stadt Wien und 6: Leitsystem Hofburgbezirk

Bund. Denn der Hofburgbezirk – seit jeher ein Schauplatz von Konkurrenzen zwischen Stadt und Staat – ist innerhalb der Stadt Wien

quasi »exterritorialer« Raum. Die Zuständigkeiten gehören durchwegs zum Bund – die Gebäude selbst, die Sammlungen, die Gärten, das Burgtor. Die beiden innerstädtischen Hauptverkehrsachsen, welche das Areal queren, liegen dagegen im Verwaltungsbereich und Helmut Zolles. Vgl. Häfele, Eva, Kulturbezirk Hofburg, Wien. Verstärkte Kooperation im Kulturtourismus, in: ISG-Magazin, Nr. 2 (2007), 12–13. 12 Einem Besucherzentrum im Hofburg-Bezirk widmete sich auch ein Entwurfsseminar am Architekturinstitut der TU Wien (Prof. Gerhard Steixner) im Studienjahr 2011/12. Als Ort dafür war das »Heldendenkmal« vorgesehen, das in die Zuständigkeit des Verteidigungsministeriums fällt. Mit seiner zentralen Lage und seiner historischen Bedeutung könnte die Ortswahl nicht brisanter und wirkungsvoller sein. Maria Welzig

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7: Blick vom Äußeren Burgtor zum Maria-Theresien-Denkmal, dahinter das Museumsquartier und der Flakturm in der Stiftskaserne (Foto: Manfred Werner CC-BY-SA-3.0 / Wikimedia Commons)

8: Museumsquartier, Übergang zum 7. Bezirk (Foto: Margherita Spiluttini)

der Stadt.13 Sempers Idee eines Forums als Kulturzentrum einer modernen Hauptstadt hat das Potenzial eines singulären Stadtraums geschaffen, das heute brachliegt.14 Vor allem sind auch die für das MQ anstehenden Weiterentwicklungen im Gesamtzusammenhang des Areals zu denken. Zu den offenen Projekten zählt eine bessere Anbindung des ehemals imperialen Quartiers an den »bürgerlichen«, heute durch die Mode-, Architektur- und Filmszene geprägten angrenzenden 7. Bezirk. Eine Öffnung der Barriere, welche die ehemaligen Stallungen darstellen, war eine wesentliche Forderung an die Architekturwettbewerbe 1987 und 1990 gewesen. Dass dies nicht im angestrebten Ausmaß geschehen ist, zählt bis heute zu den Kritikpunkten (Abb. 8).

13 Die Stadt Wien hat quasi ihren eigenen Kunstplatz – den »Kunstplatz Karlsplatz«. 14 Vgl. folgende Beiträge in dieser Publikation: Gerhard Steixner, public space. Die neue Hofburg – eine Rekonstruktion, 285–292; AnrainerInnen und ExpertInnen im Gespräch, 293–315. 246

Ehemalige Residenzbezirke als Museumsquartiere – Transformationen seit den 1980er-Jahren

Eine Gesamtsicht des Stadtraums ist auch ein Gebot für die viel diskutierte Gestaltungsfrage des MQ-Vorplatzes,15 der in seiner jetzigen Form »an den Ehrenhain des Zentralfriedhofs« erinnere16 (Abb. 9a und 9b). Unter dem Markennamen »quartier21« fasst die MQ-Gesellschaft an die 60 künstlerische Initiativen aus den 9a und 9b: Museumsquartier, Vorplatz (Fotos: Margherita Spiluttini)

Bereichen Design, Mode und Neue Medien zusammen und präsentiert sie als vereinheitlichtes Label nach außen.

15 Vgl. zum MQ-Vorplatz den Beitrag in dieser Publikation von feld72, Toronto Barbeque, 282–284. 16 Weinzierl, Ulrich, Selbstmord unnötig, in: Die Welt, 5.7.2001, http://bit.ly/1dZQMgi (26.1.2014). Maria Welzig

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10: Karte mit Museumsquartier und Stiftskaserne, Open Street Map

Das quartier21 ist direkt dem MQ-Management unterstellt.17 Die unterschiedlichen DesignerInnen und KünstlerInnen teilen sich mit Shops, Infobereich und Gastronomie die beengten, dunklen »Raumreste« im denkmalgeschützten Straßentrakt der ehemaligen Hofstallungen. Die Streichung von Bauten und Räumen für Neue Medien, Diskurs, Film und Fotografie, die im Konzept von 1990 vorgesehen waren, stellt heute ein nachdrückliches Raumproblem dar. Für die spezifischen Kulturäußerungen des 21. Jahrhunderts adäquate Räume und autonomere Organisationsformen zur Verfügung zu stellen, wird eine Schlüsselfrage für die Zukunft des MQ sein. Eine naheliegende Erweiterungsoption stellt die Stiftskaserne dar. Das ausgedehnte Areal der Stiftskaserne hinter dem MQ (Abb. 10), welches aufgrund seiner Nutzung als Bundesheerkaserne quasi einen weißen Fleck in der Stadt darstellt, war in der Konzeptphase für das Museumsquartier durchaus Teil der Überlegungen gewesen. »Ich stelle mir immer vor, dass die Stiftskaserne eines Tages ein Eintrittspunkt sein wird. Denn eine Polizeikaserne gehört sowieso nicht in die Innere Stadt«, sagte 1983 nicht etwa ein visionärer Planer, sondern der damalige Sektionschef im Wissenschaftsministerium, Wilhelm Schlag, als solcher Mitglied in der Konzeptentwicklungsgruppe für die kulturelle Nutzung des Messepalasts.18 Zukunftsvisionen für das MQ werden über die Mauern der ehemaligen Stallungen hinausgehen müssen.

17 Zu den wichtigen Aufgaben des quartier21 zählt auch ein Artists-in-Residence-Programm und die Vermietung von Büroräumen im MQ an Verlage und kleine Unternehmen aus dem Kulturbereich. 18 Verbatimprotokoll, MQ Archiv, A 2.1.1., 2.9.1983. Die Option der Einbeziehung der Stiftskaserne nahmen manche Projekte der ersten Architekturwettbewerbsphase für das MQ auch wahr. 248

Ehemalige Residenzbezirke als Museumsquartiere – Transformationen seit den 1980er-Jahren

11: Burggarten (Foto: Margherita Spiluttini) 12: »Skater-Platz« neben dem Burgtor, Videostill

Die öffentlichen Räume des Areals und ihre Funktion für das Stadtleben Die Plätze und Parks des ehemaligen Residenzareals bilden mit die wichtigsten öffentlichen Räume der Stadt. Der Heldenplatz mit dem anschließenden Ballhausplatz ist der zentrale Versammlungsort der Stadt und Hauptschauplatz der österreichischen Geschichte im 20. Jahrhundert; alle großen politischen Manifestationen fanden und fin-

Maria Welzig

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13: Still aus dem Film »Burggarten«, 1979–1980, Medienwerkstatt Wien

den hier statt.19 Aber auch für das informelle urbane Leben spielt das Areal eine zentrale Rolle: Burggarten, Volksgarten, Heldenplatz und Museumsquartier bilden wichtige Freizeitorte der Stadt ohne Konsumzwang (Abb. 11). Die (in den Parks offiziell nicht gestattete) Nutzung der Wiesenflächen geht quer durch die Altersschichten (jedoch weniger durch die sozialen Schichten). Einheimische mischen sich mit Touristinnen und Touristen. Vor allem sind es jedoch Jugendliche, die sich hier treffen und ihre Szene-spezifischen Sportarten ausüben, und so kommt diesen Orten eine wichtige soziale Funktion für die Stadt zu. Ja, der Hofburgbezirk, Ort der zeremoniellen Staats- und Militär-Repräsentanz, ist gleichzeitig ein wichtiger Ort der Jugend- und Subkultur. Der Theseustempel im Volksgarten und das Äußere Burgtor waren in den 1960er- und 1970er-Jahren Anziehungsorte für »Hippies«. Die sogenannte Burggarten-Bewegung, bei der um 1980 für die freie Nutzung der Burggarten-Wiese demonstriert wurde, war für Wien ein Beginn der Inbesitznahme des öffentlichen Raums durch eine erstmals breiter auftretende Jugendszene (Abb. 13). Was in Berlin und Zürich die Hausbesetzer-Bewegung war, war für Wien die 19 Zur Rolle des Heldenplatzes im öffentlichen Leben vgl. Douer, Alisa, Wien Heldenplatz. Mythen und Massen 1848–1998, Wien 2000; Stachel, Peter, Mythos Heldenplatz, Wien 2002. 250

Ehemalige Residenzbezirke als Museumsquartiere – Transformationen seit den 1980er-Jahren

14a und 14b: Skero ft. Kemp, Still aus dem Musikvideo »Fuß vom Gas«, 2009

Burggarten-Bewegung.20 Heute bespielen Skater und BMX-Fahrer die österreichischen Hauptgedenkorte für Kriege und gefallene Soldaten – das Heldendenkmal und die Reiterstandbilder auf dem Heldenplatz – und deuten sie damit um.21 Bezeichnend, dass der bekannte Rapper und Künstler Skero Burgtor, Heldenplatz und Volksgarten als Schauplatz für sein Musikvideo »Fuß vom Gas« wählte (Abb. 14a und 14b). Es waren vor allem auch Jugendliche, die sich die geschützten Hofräume des MQ aneigneten. Die multifunktionalen Stadtmöbel der Architekten PPAG waren dabei ein

15a und 15b: »Bierprotest« im MuseumsQuartier, Juni 2009 (Fotos: Bernadette Bayrhammer)

20 Vgl. Suttner, Andreas, Beton brennt. Hausbesetzer und Selbstverwaltung im Berlin, Wien und Zürich der 80er (Kulturwissenschaft 31), Wien 2011. 21 Zum Skateboarding als urbane Praxis vgl. Borden, Iain, Skateboarding, Space and the City. Architecture and the Body, Oxford 2001. Maria Welzig

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wichtiger Anziehungsfaktor.22 Die Hofräume des MQ sind jedoch Privatraum mit öffentlichem Nutzungsrecht. Die intensive Nutzung durch Jugendliche mit allen Folgen veranlasste die Geschäftsführung des MQ 2009, einen Sicherheitsdienst einzurichten und das Mitbringen eigener alkoholischer Getränke zu verbieten. Daraufhin kam es zu Protesten und Flashmobs und das Verbot musste wieder zurückgenommen werden (Abb. 15a, 15b). Das intensive Leben im MQ strahlt auch auf das weitere Areal aus. Die Rasenflächen des bislang eher ungenützten Maria-Theresien-Platzes werden nun in der warmen Jahreszeit ebenfalls frequentiert. Man trifft sich unter Schülerinnen und Schülern »ZwideMu« (Zwischen den Museen). Stark zugenommen hat im vergangenen Jahrzehnt die Vermietung der prominenten Platzflächen für diverse Events. Mit den Bällen in der Hofburg, der »Volksgarten-Diskothek«, der »Passage« und dem »Palmenhaus« ist, zusammen mit der dichten Lokal-Szene im MQ, das Areal einer der ersten Orte des Wiener Nachtlebens.23

Paris, Grand Louvre Paris war mit dem Projekt »Grand Louvre« (1981–1989) der europäische Vorreiter im Weiterbau des ehemaligen Residenz- und Museumsquartiers. Präsident François Mitterrand ließ den bis dahin auch noch von Ministerien genutzten Gebäudekomplex gänzlich musealisieren. Der Architekt Ieoh Ming Pei schuf mit der gläsernen Pyramide mitten im zentralen Hof des Louvre eine bis dahin undenkbare sichtbare zeitgenössische Ergänzung zum historischen Bau. Pei hatte zuvor mit seinem Erweiterungsbau für die National Gallery an der Mall in Washington bereits ein neues Kapitel in der Museumsgeschichte des 20. Jahrhunderts geschrieben. Die Glaspyramide des Louvre für den neuen Museumszugang ist dabei nur die »Spitze des Eisbergs«. Im Untergrund führt die neue Verteilerhalle über zum 1993 eröffneten »Carrousel du Louvre«, einer Shoppingmall und Fast-Food-Meile mit U-Bahn-Anschluss (vgl. Abb. 16). Die Eröffnung der ersten McDonalds-Filiale im Carrousel löste 2009 internationale Medienreaktionen aus. Das Projekt des Grand Louvre ist primär auf die logistische Bewältigung des Massentourismus ausgerichtet (Abb. 17). Ein umfassenderes Konzept eines großen Kunstforums – auch für die Gegenwart –, das sich über die Tuilerien bis zum Grand Palais erstreckt, wurde bisher nicht realisiert.24

22 Vgl. den Beitrag in dieser Publikation von PPAG Architekten, Hofmöblierung im MQ, 273–281. 23 Zur Bedeutung des Nachtlebens für eine Stadt heute vgl. u. a. Urban Nightscapes – Die Eroberung der Nacht, dérive Nr. 44 (2011). 24 Seit einigen Jahren findet allerdings die zeitgenössische Kunstmesse FIAC (Foire internationale d’art contemporain), die das Grand Palais ausrichtet, auch in den Höfen des Louvre statt. 252

Ehemalige Residenzbezirke als Museumsquartiere – Transformationen seit den 1980er-Jahren

16: Paris, Musée du Louvre mit Metro- und Busanschlüssen (Karte: Benh Lieu Song CC-BY–SA–3.0 / Wikimedia Commons) 17: Paris, Musée du Louvre, Besucherinnen und Besucher vor dem Bild der Mona Lisa (Foto: Pueri Jason Scott CC–BY–SA–3.0 / Wikimedia Commons)

2003 beschloss das Musée du Louvre, eine eigene Abteilung für islamische Kunst zu gründen und dafür einen weiteren signifikanten Neubau innerhalb des Louvre-Komplexes zu errichten.25 2012 eröffnete im Cour Visconti der teilweise unterirdische Bau für die Kulturen der islamischen Welt mit segelartiger, schwebender, goldfarbener Überdachung (Architekten Mario Bellini und Rudy Ricciotti). Finanziert wurde dieser letzte große Entwicklungsschritt des Museums zu 50 Prozent aus islamischen Ländern. Das kuratorische Konzept will den Reichtum und vor allem die Heterogenität der verschiedenen islamischen Kulturen und deren Fähigkeit zur Integration anderer kultureller Einflüsse zeigen. 25 Die Exponate kommen zum Großteil aus dem Musée des Arts décoratifs, das als unabhängige Institution im Louvre untergebracht ist. Aus Platzmangel konnte ein großer Teil der Exponate bisher nicht gezeigt werden. Maria Welzig

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Exkurs: Museumsinsel Abu Dhabi Umgekehrt entsteht seit 2006 in Abu Dhabi eine »westliche« Museumsinsel: Auf der vormals unbebauten »Insel des Glücks« im Arabischen Meer entwickelt das Emirat Abu Dhabi ein Luxusressort mit Hotels, Golfplatz, Marina etc. Zugpferd für die Insel »Saadiyat« ist ein Kulturbezirk mit westlicher Starpräsenz. Als zentrale Institutionen wird es hier einen Louvre Abu Dhabi geben (Eröffnung 2015), ein Guggenheim Abu Dhabi (Eröffnung 2017), ein Nationalmuseum (Eröffnung 2016) und ein Konzert- und Opernhaus. Für die Planungen zog man durchwegs Träger des Pritzkerpreises, des »Oscars der Architektur«, heran: Frank Gehry, Zaha Hadid, Jean Nouvel, Norman Foster und Tadao Ando. Der Kulturbezirk soll auch Schauplatz für die regionale Kunstentwicklung und für zeitgenössische Kunst sein; in der bereits bestehenden Informationshalle findet die »Abu Dhabi Art« statt. Das Luxusprojekt hat jedoch bereits an Glanz verloren: Die Realisierung der Konzerthalle (Zaha Hadid) und eines Meeresmuseums (Tadao Ando) sind mittlerweile ungewiss. Gegen die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen auf den Baustellen von Saadiyat formierte sich Protest: Künstlerinnen und Künstler rufen seit 2011 zum Boykott des im Bau befindlichen Guggenheim Abu Dhabi auf.26

Madrid, Paseo del Arte Ganz anders als in Paris stellt sich die Situation in Madrid dar. Der breite gesellschaftliche Aufbruch nach dem Ende des Franco-Regimes führte hier seit den 1980er-Jahren zu einer ungeahnten funktionalen, architektonischen und urbanistischen Weiterentwicklung des historischen Paseo del Prado. Diese Entwicklung seit den 1980er-Jahren mit der Gründung neuer Ausstellungs- und Veranstaltungshäuser und Museen, mit zeitgenössischer Architektur und einem stadtgestalterischen Erneuerungsprojekt für die historische Achse beschreibt Carmen Bernárdez anschaulich in ihrem Beitrag.27 Ergänzend sei der neueste Bau an der Achse erwähnt: Das Medialab-Prado schräg gegenüber dem PradoMuseum, ein experimenteller Produktionsort für Neue Medien, eröffnete trotz der Krise 2013 seinen hervorragenden Erweiterungsbau nach der Planung der jungen Madrider Architekten María Langarita – Victor Navarro (Abb. 18a und 18b).

26 Nicolai Ouroussoff, Abu Dhabi Guggenheim Faces Protest, in: The New York Times, 17. März 2011, http://nyti.ms/1r5duss (20.2.2014); Zekri, Sonja, Sklavenarbeit in Golfstaaten. Fast alles Fassade, in: Süddeutsche Zeitung, 24.12.2013, http:// bit.ly/1i0Md4L (7.1.2014). 27 Vgl. den Beitrag in dieser Publikation von Bernárdez, Carmen, The Recoletos-Prado Axis in Madrid: Perspectives on Cultural and Social Renewal, 197–215. 254

Ehemalige Residenzbezirke als Museumsquartiere – Transformationen seit den 1980er-Jahren

18a: Langarita-Navarro Arquitectos, MedialabPrado, Madrid (Foto: Miguel de Guzmán)

18b: Langarita-Navarro Arquitectos, MedialabPrado, Madrid, Axonometrie

Maria Welzig

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Die Achse Paseo del Prado – Paseo de Recoletos wird vom Stadtmarketing heute als »Paseo del Arte« präsentiert. 2007 verlegte die Stadt Madrid ihr Rathaus an diese Achse, in das ehemalige Telegrafenamt an der Plaza de Cibeles. Eine Dauerausstellung im neuen Rathaus informiert über die Entwicklung von den Anfängen des historischen Prado bis zum heutigen Paseo del Arte. Wesentlich an der Madrider Situation ist das Weiterdenken der historischen Achse über das Zentrum hinaus in periphere Stadtgebiete. An der verlängerten Prado-Achse etablierten sich u. a. die Tabacalera, ein autonomes Kulturzentrum (Abb. S. 213), und die Casa Encendida als Ausstellungs- und Veranstaltungshaus. Schließlich entstand am Endpunkt der Achse mit dem beispielhaft adaptierten ehemaligen Schlachthof, Matadero, ein Quartier, das Stadt und Staat zur Gänze experimenteller urbaner Kultur widmeten (Abb. S. 214). Die Entwicklung in Madrid sucht in ihrer Großzügigkeit, in ihrer Offenheit und in ihrem experimentellen und partizipativen Geist ihresgleichen. Die Finanzkrise entzog ihr weitgehend die finanzielle Basis.

Berlin, Museumsinsel und Humboldt-Forum Die Entwicklung in Berlin ist an die Zäsur 1989 geknüpft. Der Umgang mit der historischen und heutigen Stadtmitte im ehemaligen Ostteil der Stadt war und ist nach der Wiedervereinigung stets symbolträchtige Staatssache. Die Institutionen der Museumsinsel wurden nach dem Ende der DDR Teil der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Man begann mit der Instandsetzung der teilweise noch immer kriegsbeschädigten Bauten. Erst danach kam es zu einem 1993 ausgelobten und 1999 beschlossenen »Masterplan Museumsinsel«.28 Die Museumsinsel soll »wiederhergestellt und zu einem zukunftsfähigen Museumskomplex weiterentwickelt« werden.29 David Chipperfield, der auch den preisgekrönten Wiederaufbau des Neuen Museums durchführte,30 obliegt die Masterplanung. In einem »Masterplan II« wurde 1999 der Bau eines neuen Eingangsgebäudes beschlossen. Die James-Simon-Galerie, benannt nach dem Berliner Kunstmäzen, wird die gemeinsame Infrastruktur der fünf Museen aufnehmen und als Verteilerbau dienen, von dem aus eine unterirdische Erschließung, die »Archäologische Promenade«, die Museen zu einem Komplex zusammenbindet (geplante Eröffnung 2017). Bautechnisch problematisch ist dabei der sandige Untergrund der Insel. Seit dem Wettbewerb 1999, den ebenfalls David Chipperfield mit einem schlich28 Den 1993 ausgelobten Wettbewerb gewann Giorgio Grassi. Von den Museumsdirektoren war Frank Gehry favorisiert worden. Grassi zog sich 1996 aus der Planung zurück, an seiner Stelle wurde David Chipperfield beauftragt. 29 www.museumsinsel-berlin.de (15.12.2013). 30 Für den 2012 fertiggestellten Wiederaufbau des Neuen Museums erhielt Chipperfield den Mies-van-derRohe-Preis 2013. 256

Ehemalige Residenzbezirke als Museumsquartiere – Transformationen seit den 1980er-Jahren

ten Projekt aus Stahl und Glas gewann, musste die James-Simon-Galerie aufgrund von Protesten bereits zweimal in historisierendem Sinn umgeplant werden. 2013 erfolgte die Grundsteinlegung. Wie der Grand Louvre ist auch das Konzept der neuen Museumsinsel primär auf die logistische Bewältigung des Massentourismus ausgerichtet. 2001 entschied der Deutsche Bundestag, den 1973–1976 von der DDR-Regierung an der Stelle des ehemaligen Hohenzollern-Schlosses errichteten Palast der Republik abzureißen und das Schloss in seinem Volumen und seiner Gliederung wiederaufzubauen (»Masterplan III«). Der Entscheid für die äußere Form war gefallen, unabhängig vom Inhalt. Den auf größere Büros beschränkten Schloss-Wettbewerb 2008 gewann der Architekt Franco Stella (Abb. S. 221). Das Gebäude wird die 1945 nach Dahlem verbrachten Sammlungen außereuropäischer Kulturen aufnehmen. Die erneute Trennung von außereuropäischer und europäischer Kultur, die heute in der Fachwelt infrage gestellt wird, ist einer von vielen inhaltlichen Kritikpunkten. Einen vergleichsweise kleinen Teil des neuen Schlosses werden die Zentral- und Landesbibliothek und die HumboldtUniversität nutzen. Die Idee eines zusätzlichen Forums mit einem zeitgenössischen diskursiven Veranstaltungsprogramm31 – seit 2010 wird es von einem hochkarätigen Leitungs- und Beratungsteam unter dem Namen »Agora« erarbeitet – scheint eher eine Feigenblatt-Funktion zu haben. In der Realisierung gibt es für die Agora jedenfalls räumlich und budgetär kaum Spielraum. Im Juni 2013 erfolgte die Grundsteinlegung 19: Museumsinsel und Schlossplatz Berlin (CC–BY–SA–2.5 / Wikimedia Commons)

31 Zur inhaltlichen Bedeutung und Nutzung des Humboldt-Forums vgl. Flierl, Thomas / Parzinger, Hermann (Hg.), Humboldt-Forum Berlin – Das Projekt / The Project, Berlin 2009. Maria Welzig

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20: Demonstration gegen den Abriss des Palastes der Republik in Berlin, 14. Januar 2006 (Foto: Mazbln CC-BYSA–3.0 migrated / Wikimedia Commons)

für das Schloss. Wie kompatibel die formale Entscheidung für den Wiederaufbau eines barocken Schlosses mit den unterzubringenden Inhalten eines modernen Museums der Weltkulturen und gar einer Agora ist, analysiert in dieser Publikation Nikolaus Bernau in seinem Beitrag »Fassade vor Funktion. Das Berliner Schloss und das Humboldt-Forum: Ein geplantes Desaster« (vgl. S. 217–237). Die Frage nach der Zukunft des Areals, die Frage des Umgangs mit dem Palast der Republik als Baudenkmal der DDR und die Frage einer Schloss-Rekonstruktion stellt die größte Kulturdebatte seit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten dar. »Kein Ort in Deutschland hat in den letzten Jahren ein größeres Interesse und stärkere Emotionen geweckt, erfuhr so viel mediale und politische Aufmerksamkeit, wie das Schlossareal in Berlin. Die Auseinandersetzung gleicht einem Glaubenskrieg im Geiste des Kalten Krieges: Schloss-Befürworter gegen Palast-Erhalter. Andere Optionen scheint es nicht zu geben. Eigentlich interessieren nur die Fassaden und die äußere Form. Das Dilemma der Finanzierung, ein innovatives Nutzungskonzept, die Rolle des Ortes für den öffentlichen Raum der Stadt – das alles spielt kaum eine Rolle.«32

32 Misselwitz, Philipp / Obrist, Hans Ulrich / Oswalt, Philipp (Hg.), Fun Palace 200X – der Berliner Schlossplatz. Abriss, Neubau oder grüne Wiese? Berlin 2005, 32. 258

Ehemalige Residenzbezirke als Museumsquartiere – Transformationen seit den 1980er-Jahren

Das historische Zentrum trat wieder in den Fokus von Architekten, Künstlern und Intellektuellen, wurde zum Ort kritischer Auseinandersetzung und künstlerischer Interventionen. Für die beispielhafte »Zwischenpalast-Nutzung« fanden sich 2004/2005 unterschiedlichste Gruppen zusammen, die den entkernten Kulturpalast der DDR mit Ausstellungen, Konzerten und Performances bespielten und damit auf großes Publikumsinteresse stießen. Die interdisziplinären Veranstalter traten für einen Erhalt der – eben mit hohem Geldaufwand von Asbest befreiten – Gebäudestruktur und für eine zeitgenössische urbane Nutzung ein.33 Bei den Entscheidungen, die schließlich gefällt wurden, blieben diese für Berlin als Stadt so prägenden Stimmen und Szenen jedoch völlig außen vor (Abb. 20). Die architektonischen und inhaltlichen Weichenstellungen werden von einem großen Teil der intellektuellen und kulturellen Szene Berlins abgelehnt.34 Eine weitere Verstärkung der staatspolitischen Bedeutungsschwere erhält der Ort durch das 2007 beschlossene Denkmal für die Wiedervereinigung auf dem Schlossplatz. Den Wettbewerb für das monumentale Denkmal gewann 2011 das Projekt des Designers Johannes Milla zusammen mit der Choreografin Sasha Waltz. Waltz zog sich jedoch 2012 aus dem Projekt zurück.

St. Petersburg, »Große Eremitage« Zeitgleich mit den Planungen für die Berliner Museumsinsel und das Humboldt-Forum geht in St. Petersburg, der historischen Hauptstadt Russlands, das Projekt der Weiterentwicklung der Eremitage vor sich. Auch hier stellt 1989 die entscheidende Zäsur dar. Die Weichenstellung für die »Große Eremitage« erfolgte Anfang der 1990er-Jahre durch 21: OMA, Studie für die »Große Eremitage«, St. Petersburg, 2003–2005, Palastplatz mit Eremitage und Generalstabsgebäude, Courtesy OMA

33 Ebenda; Deuflhard, Amelie / Krempl-Klieeisen, Sophie / Oswalt, Philipp (Hg.), Volkspalast. Zwischen Aktivismus und Kunst, Berlin 2006; www.zwischenpalastnutzung.de (3.8.2013.). 34 Nach Abriss des Palasts der Republik stand auf dem Schlossplatz zwischen 2008 und 2010 eine temporäre Kunsthalle (Architekt Adolf Krischanitz). Maria Welzig

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die Eingliederung des Generalstabsgebäudes in den Komplex der Eremitage-Museen (Abb. 21).35 Dadurch schließen die Museen nun den Palastplatz, einen Hauptschauplatz der russischen Geschichte, mit ein. Der gesamte städtebauliche Kontext hat sich gewandelt. Die Eremitage orientiert sich mit ihrem Eingang nun nicht mehr zur Newa und zur viel befahrenen Uferstraße, sondern zum Palastplatz. Der Museumskomplex hat sich zu einem urbanen Quartier erweitert. Ein ebenerdiger Durchgang durch das ehemalige Generalstabsgebäude soll außerdem eine neue Durchgängigkeit vom Palastplatz zum Mojka-Fluss und weiter zur Innenstadt ermöglichen. Der Ostflügel des Generalstabsgebäudes ist einem Museum für moderne und zeitgenössische Kunst gewidmet.36 Die Eremitage gründete somit eine eigene Abteilung für zeitgenössische Kunst. Darüberhinaus wird der neue Gebäudeflügel Veranstaltungsund Freizeitfunktionen aufnehmen. »The General Staff Building should become both a site for exhibiting works of art belonging to XIX–XXI centuries and a cultural and public forum that sets new frameworks for the existence of Palace Square.«37 Rem Koolhaas (OMA AMO) erarbeitete 2003–2005 als Berater der HermitageGuggenheim Foundation eine Studie für die Modernisierung des Museumskomplexes

2002 Tokyo: 116 m2

2003 Rio Difficulties: 42,000 m2 2003 GSB 50,000 m2 2003 NYC Abortion: 57,000 m2

2002 Soho Close: 2,324 m2 2003 Las Vegas Close: 6,370 m2

2004 28,800 m2

2001 Las Vegas: 7,136 m2 2001 Modern & Contemporary: 30,000 m2 2002 Rio: 42,000 m2 2001/2 NYC Abortion: 8,540 m2

1997 Berlin: 510 m2 1997 Bilbao: 23,783 m2 1998 LACMA West: 29,700 m2 1998 NYC: 3,212 m2 2000 Linbury Gallery: 1,700 m2 2000 Tate Modern: 34,000 m2 2000 Hermitage Guggenheim Las Vegas 766 m2 2000 PS1 1,300 m2 2000 NYC: 57,000 m2

1993 Tate St. Ives : 3,900 m2

1992 Soho: 2,324 m2

2003 Taichung: around 10,000 m2

200.000m2

1990 14,800 m2

1987 7,000 m2 1986 Anderson: 10,000 m2

1988 Tate Liverpool 1988 Japanese Pavilion: 4,500 m2

1984 6,300 m2

1985 NYC Abortion: 14,400 m2

1982 17,000 m2

1980 17,500 m2 1981 Amanson: 4,400 m2

1978 20,800 m2 1979 Venice: 300 m2

LACMA Guggenheim Tate MoMA Whitney

1975 2,500 m2

Metropolitan

1965 : 26,570 m2 1966 NYC: 8,054 m2 1968 6,300 m2

Hermitage

1897 Tate Britain : 10,000 m2 1939 5,600 m2 1954 1,780 m2 1959 NYC: 11,176 m2

Louvre

1880 106,200 m2 1880 156,000 m2 1801 Sommerset 200 m2 1852 Hermitage 127,478 m2

1989 55,000 m2

1993 27,570 m2

(Abb. 21–23b).

150.000m2

100.000m2

50.000m2

0m2

22: OMA, Vergleichende Statistik von Museumserweiterungen in Korrelation mit dem Dow-Jones-Index, Courtesy OMA

35 In den Museumskomplex eingegliedert wurde vorerst der Ostflügel des Generalstabsgebäudes. 36 Vgl. Museum International, The New Hermitage and the presentation of cultures, Vol. 55, No. 1 (2003), http://bit.ly/1f3ZNBm (26.1.2014). 37 Hermitage News, http://bit.ly/L9q5d1 (22.1.2014). 260

Ehemalige Residenzbezirke als Museumsquartiere – Transformationen seit den 1980er-Jahren

23a: OMA, Studie für die »Große Eremitage«, St. Petersburg, 2003–2005, Courtesy OMA

In der Folge entwickelte OMA für die Eremitage den »Masterplan 2014«. Die Vorgabe der Museumsleitung lautete: kein Neubau. Die Planungszugänge waren daher eher kuratorisch als architektonisch.38 Den Anspruch eines Umbaus nach den Standards westlicher Museen sah auch Koolhaas selbst angesichts der Faszination dieses spezifischen russischen »Geschichts-Hauses« kritisch. Konkrete Vorschläge des »Masterplans 2014« sind u. a. die Öffnung und Aktivierung der öffentlichen Räume, wie der Museums­höfe und des Palastplatzes, die Einrichtung einer Kunsthalle in den ehemaligen Stallungen der Kleinen Eremitage, eine Ausstellung der riesigen Sammlung an historischen Vitrinen und Schaukästen und die Gründung eines Zukunfts-Laboratoriums für kuratorische Strategien. 2008 wurde OMA mit dem Design des Ausstellungs-Displays für die Museumsräume beauftragt.

38 Vgl. Koolhaas, Rem, The Hermitage: Masterplan 2014, Vortrag o. D., www.oma.eu/lectures/the-hermitage-masterplan-2014 (22.1.2014). Maria Welzig

261

23b: OMA, Studie für die »Große Eremitage«, St. Petersburg, 2003–2005, Courtesy OMA

Den Wettbewerb für den Umbau des Generalstabsgebäudes zum Museum des 20./21. Jahrhunderts (2005) gewann das 1991 gegründete St. Petersburger Architekturbüro Studio 44. Die fünf Innenhöfe des geschwungenen Baus aus dem 19. Jahrhundert wurden mit Glas überdacht und zu einer großen Enfilade miteinander verbunden.39 Das Programm »Große Eremitage« ist aber in einem noch weiteren urbanistischen Planungskontext gedacht bzw. soll das Projekt eine solche Entwicklung mit bedingen, nämlich die Schaffung einer Kulturachse mit neuen Museums- und Theaterbauten, die sich parallel zum Ufer der Newa vom »Sommergarten« (Letnij Sad) bis »Neu-Holland« (Novaja Gollandija) erstreckt. Einen Neubau wird die Eremitage zusätzlich bekommen: 2013 gab Direktor Mikhail Piotrovsky bekannt, dass das Museum bei seinen Depots im »Alten Dorf« (Staraja Derewnja), im Norden der Stadt, einen ergänzenden Neubau errichten wird. Der MuseumsSatellit wird u. a. die Bibliothek, die Kostümsammlung, das Verlagshaus und einen öffentlichen Veranstaltungsraum aufnehmen, planender Architekt ist Rem Koolhaas. 39 »Upon its implementation, it will serve as reference of how landmarks of history and culture are tuned into our every day life.« In: Hermitage News, http://bit.ly/LYIzWZ (5.6.2013). 262

Ehemalige Residenzbezirke als Museumsquartiere – Transformationen seit den 1980er-Jahren

Zum 250-Jahr-Jubiläum 2014 wird die erweiterte und erneuerte Eremitage eröffnen. Zum Auftakt findet im historischen Museumskomplex die »Manifesta« statt; eine 1994 angesichts des wiedervereinigten Europas gegründete wandernde Biennale zeitgenössischer europäischer Kunst. Angesichts der restriktiven gesellschaftspolitischen Verhältnisse in Russland ist die Abhaltung eines Kunst-Events in intellektuellen und Künstlerkreisen jedoch umstritten. Die Weiterentwicklung der Eremitage unter Mikhail Piotrovsky mit der Schwerpunktsetzung auf zeitgenössische diskursive Kunst, auf kuratorische Strategien der Auseinandersetzung mit der spezifischen eigenen Geschichte, mit der deutlichen Hinwendung zu Europa kann jedoch ihrerseits als Statement gegenüber der Politik der russischen Regierung gelesen werden.

Exkurs: Washington Das Urbild des modernen, »demokratischen« Forums ist die National Mall in Washington, D. C. An der im 19. Jahrhundert angelegten Forumsachse befinden sich der Präsidentensitz und der Sitz des Kongresses, die meist besuchten Denkmäler der Vereinigten Staaten von Amerika sowie ein Großteil der staatlichen Museen. Die National Mall ist außerdem einer der wichtigsten öffentlichen Versammlungsräume. An der Mall, einem der traditionsreichsten Orte der USA, wird bis heute weitergebaut. Nach der Eröffnung des National Museum of the American Indian 2004, dessen Bau und vor allem dessen Landschaftsgestaltung federführend von indianischen Planern konzipiert wurde, ist derzeit das siegreiche Wettbewerbsprojekt für das erste eigenständige Museum für afroamerikanische Geschichte und Kultur in Bau (Architekt David Adjaye, Fertigstellung 2015). Als Repräsentationsort der jungen Demokratie und aufsteigenden Weltmacht wirkten die Bauten der Mall bereits im 19. Jahrhundert vorbildhaft auf den Residenzbau zurück.40 In der Museumsentwicklung des 20. Jahrhunderts, in der Erneuerung des Museums seit den 1970er-Jahren, spielten die staatlichen Museen der Mall eine Vorreiterrolle.

40 Vgl. Sonne, Wolfgang, Der lange Atem der Monarchie. Residenzbauten im Zeitalter der Moderne, in: Telesko, Werner / Kurdiovsky, Richard / Nierhaus, Andreas (Hg.), Die Wiener Hofburg und der Residenzbau in Mitteleuropa im 19. Jahrhundert. Monarchische Repräsentation zwischen Ideal und Wirklichkeit, Wien-Köln-Weimar 2010, 20f; als rezente Literatur zur Mall vgl. Field, Cynthia R. / Glazer, Nathan, The National Mall. Rethinking Washington’s Monumental Core, Baltimore 2008. Maria Welzig

263

Zusammenfassung Die Ansprüche der Weiterentwicklung der ehemaligen Residenz- und historischen ­Museumsareale seit den 1980er-Jahren sind einerseits im globalen Wettbewerb der Städte sehr ähnlich. Folgende Planungsaspekte finden sich bei fast jedem der Projekte: ⁻⁻

Schaffung von Einrichtungen für Kunst der Gegenwart,

⁻⁻

zeitgenössische Architektur als Anziehungsfaktor,

⁻⁻

Gastronomie, Geschäfte, »Leisure« als zusätzliche Angebote.

Diese Ansprüche gelten heute allgemein für Museen und Kulturbauten. Was die ehe­ maligen Residenzareale darüber hinaus auszeichnet: ⁻⁻ Die enge Verbindung von Kunst und Politik. Aufgrund ihrer Geschichte waren und sind es immer auch politische Orte. ⁻⁻ Die Funktion der Areale als Erinnerungs- und Denkmalorte. ⁻⁻ Das besondere Aufeinandertreffen von Gegenwart und Geschichte. ⁻⁻ Die urbanistische Dimension. Die ehemaligen Residenzbezirke mit ihren Platz- und Grünräumen stellen meist singuläre stadträumliche Situationen dar. Meist stellt sich auch die Herausforderung einer stärkeren Anbindung dieser von der umgebenden Stadt in irgendeiner Form abgegrenzte Areale. ⁻⁻ Die Einbeziehung des öffentlichen Raums; der Anspruch, eine »Schnittstelle des ­urbanen Lebens« zu werden. ⁻⁻ Ein Thema, dem sich die großen Sammlungen der ehemaligen Residenzen heute stellen müssen, ist die Auseinandersetzung mit ihrer kolonialen Geschichte. Sämtliche Museen mit außereuropäischen Sammlungen – sei es in Wien, Paris oder Berlin – ­sehen sich heute mit Rückgabeforderungen von Kunstwerken konfrontiert. Andererseits lassen sich, wie aufgezeigt, an den meist von heftigen öffentlichen Debatten begleiteten Entscheidungen auch große Unterschiede und spezifische nationale Weichenstellungen ablesen.41

41 Die Fragen, welche die Transformationen ehemaliger Residenzareale in unterschiedlichen Städten seit den 1980er-Jahren aufwerfen, werden in einem FWF-Forschungsprojekt näher untersucht. Vgl. ÖAW, Abteilung Kunstgeschichte, Institut für kunst- und musikhistorische Forschungen: Die Wiener Hofburg seit 1918: Von der Residenz zum Museumsquartier, http://bit.ly/1iADFEg (26.1.2014); Im Rahmen dieses Forschungsprojekts erscheint 2015 im Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften der Band »Die Wiener Hofburg seit 1918. Von der Residenz zum Museumsquartier«. 264

Ehemalige Residenzbezirke als Museumsquartiere – Transformationen seit den 1980er-Jahren

Weiterbauen. Hofburg und MuseumsQuartier als unvollendete Projekte



1 und 2: Gabu Heindl, Umbau Österreichisches Filmmuseum 2008, Fassade (Fotos: Hertha Hurnaus)



Wo ist das Museum? Zum Umbau des Österreichischen Filmmuseums 2008

Gabu Heindl

Als Architektin für die Öffnung der Fassade und den Umbau von Foyer und Filmbar des Filmmuseums im Gebäudesockel des Palais Albertina zeichnend, möchte ich hier Spannungsverhältnisse zwischen diesem Bau und Aspekten seiner Verortung zur Diskussion stellen. Dabei geht es mit dem Filmmuseum um einen Kulturort, der in mancher Hinsicht quer liegt zu seiner feudalen Umgebung der Wiener Hofburg; um einen Raum, der Fragen nach der Konzeption von Öffentlichkeit, Ausstellung und Musealität akut macht; schließlich um einen architektonischen Dialog mit dem Kino, verstanden als Wahrnehmungsweise, Übergangsort und Öffnung zu einem Außen. Im Zentrum steht die mehrdeutige Frage: »Wo ist das Museum?« Diese Frage wird immer wieder an das Filmmuseum (und auch im Filmmuseum) gestellt, wortwörtlich wie auch sprichwörtlich, als geflügeltes Wort: Es sind Touristinnen und Touristen, die vielleicht gerade aus der Albertina kommen und sich nun auf einen weiteren Rundgang durch Ausstellungsräume freuen, und die jedenfalls diese Frage stellen – an das Kassenpersonal des Filmmuseums oder gar an den Portier der Albertina oder auch an mich selbst, als ich im Sommer 2008 als Architektin bei der örtlichen Bauaufsicht des Umbaus tätig war: Wo ist denn hier das Museum? Ein Grund dafür, dass die Frage so oft gestellt wird, ist seit dem Umbau 2008 weggefallen: Bis dahin war das Filmmuseum hinter einer Blindfassade, wie einer leeren Leinwand, versteckt – und selbst von der Augustinerstraße aus nicht als öffentlicher Ort wahrnehmbar. Um die Öffnung dieser Blindfassade, um das Herausholen und HerausGabu Heindl

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stellen des Kinos hinter der Mauer und das Konzept dieses öffentlichen Baus wird es im Weiteren gehen. Was sich aber durch den Umbau nicht geändert hat, und weshalb die Frage weiterhin gestellt wird, ist Folgendes: Die Leute fragen, wo das Museum ist, weil sie sich eine Ausstellung mit physischen Exponaten erwarten, zum Beispiel alte Kameras oder gar Romy Schneiders Sissi-Kostüme – während ja im Filmmuseum ausschließlich Filme ausgestellt werden, nämlich als projizierte Wahrnehmungen nach dem Zeitschema eines Kinos (meistens zweimal pro Abend). Die Eigendefinition dieses Museums lautet: »Das Filmmuseum ist eine Cinémathèque. Die Ausstellungen finden auf der Leinwand statt.« Ein erster Aspekt der Verortung des Museums lässt sich verdichten in folgender Antwort auf die Frage »Wo ist das Museum?« – »Das Museum ist gar nicht da.« Zumindest ist es nicht wahrnehmbar, im zweifachen Sinn: Zum einen ist der Projektionssaal der Cinémathèque ein »Unsichtbares Kino« im Sinn von Peter Kubelkas radikalem Entwurf. Dieser Kino-Raum soll weder prächtig noch spürbar sein, er tritt gezielt hinter der Bildwahrnehmung zurück, verschwindet in der Schwärze. Eher unfreiwillig tritt das Filmmuseum räumlich und institutionell hinter der Albertina zurück. Im Sockelbereich dieses prächtigen Palais mit seiner Gemäldesammlung, wortwörtlich »im Keller« der Albertina liegt das Filmmuseum. Seine Sichtbarkeit ist durch die Kulturbauten in seiner Umgebung immer schon problematisiert – und insofern auch spannungsvoll als materialisierter Widerspruch. Von der Baugeschichte her markiert das Filmmuseum einen urbanen Ort, der bis nach dem Zweiten Weltkrieg räumlich gar nicht existiert hat: An der Stelle seines heutigen Eingangsbereichs – und der Freitreppe zur Albertina – fungierte bis dahin eine Rampe als repräsentative Kutschenauffahrt zum Palais. Nach einigen Jahrzehnten Nachkriegs-Sockelgeschichte mit Fenstern etablierte Hans Holleins und Mascher & Steinmayrs Umbau von 2003 einen Zustand, der bis zum weiteren Umbau 2008 existierte: ein Unsichtbares Kino samt Foyer und Bar hinter einer blinden Fassade. Ein Spannungsverhältnis herrscht hier also zwischen diesem sehr spezifischen Kino und seiner baulichen Umgebung. Unter diesem Aspekt lautet die Antwort auf die Frage »Wo ist das Museum?«: »In der Hofburg / In der Albertina«. Da wo das Kulturmarketing die Wertsubstanz dieses massiven Baubestands und seiner vormodernen Inhalte bespielt und recycelt, bis hin zum kaiserlichen Essbesteck in der Silberkammer. Zur feudalen, vormodernen Festungs- und Repräsentationsarchitektur der Hofburg tritt die nachmoderne, marktförmige Infrastruktur des Kulturquartiers in komplementäre Beziehung: Burg und Markt verstehen sich gut. Zu einer solchen Beziehung liegt das Filmmuseum quer – hält es doch am Versprechen einer anderen, modernen Öffentlichkeit fest: einer demokratischen Res publica, die allen, unabhängig von Stand oder Kaufkraft, Teilhabe gewähren soll. Eine »Republik der 268

Wo ist das Museum? Zum Umbau des Österreichischen Filmmuseums 2008

Bilder und Töne«, so eine andere Eigendefinition des Filmmuseums. Eine Öffentlichkeit, die nicht auf festen Formen basiert, und auch nicht auf zielgruppengenauen Logos – dafür kann das Wappentier des Filmmuseums und die Art, wie ich es im Umbau eingesetzt habe, als Sinnbild stehen: Der Zyphius, ein mythisches Ungeheuer, fungiert seit Jahrzehnten als Zeichen für das Filmmuseum, ein Zeichen, das auf eine schlichte Vorliebe zurückgeht und eben nicht ein Logo im Sinn eines durchdesignten, einprägsamen Markenzeichens für die Musealisierung von Film ist. Insofern ist der Zyphius eher die Parodie eines Logos; und dieses habe ich dann auch als Parodie einer Zierapplikation oder eines hausdrachenartigen Wappentiers auf Tür- und Fensterportale aufgesetzt – als Wasserspeier von der Art, wie sie auf Sakral-, Herrschafts- und Prunkbauten üblich sind. Der Zyphius als Gargoyle. Also auch hier eine Verortung zwischen dem Vormodern-Feudalen und dem Nachmodern-Stromlinienförmigen, in einem konzeptuellen Dazwischen oder auch einer Zwischen-Zeit, für die das Kino- und Raum-Verständnis, das im Filmmuseum kultiviert wird, einsteht: Zwar ist das Filmmuseum nicht exemplarischer Massenort – obwohl man auch da überrascht sein kann, was die Zugänglichkeit dieser Institution angeht –, aber es bewahrt etwas von der Modernität des Massenmediums Film: die Erfahrung des Flüchtigen und Unverwurzelten, in Bildern, die vorbeiziehen, wenn sie ausgestellt werden. Unter diesem dritten Aspekt lautet die Antwort auf die Frage, wo das Museum ist: »Im Übergang.« Zumal in Übergängen zwischen innen und außen, um die es mir in meinem Umbau gegangen ist: Der Schaukasten, den es seit 2008 gibt, dient eben dem Zweck, das Filmmuseum und sein Programm auszustellen, von innen nach außen zu stellen. (Im Schaukasten prangt der Satz mit der Eigendefinition als Cinémathèque mit Ausstellungen auf der Leinwand.) Und es gibt eine gegenläufige Geste von außen nach innen, durch die Verbreiterung des Eingangstürbereichs, der das Museum zugänglicher macht. Im Übergang sind auch die Durchbrüche der Fassade, die nun das Museum an die Straße und den Platz davor ankoppeln und es auf die Öffentlichkeit der Stadt ausrichten. Demgemäß ist das Museum nun auch mit Nachdruck »in der Stadt« – und nicht mehr versteckt in einer Stadt in der Stadt namens Hofburg. Und schließlich sind der Barbereich und das Foyer als ein Übergangsraum angelegt, der sowohl ein Außen als auch ein Innen ist: Wenn ich im Foyer oder an der Bar des Filmmuseums bin, bin ich dann schon im Kino oder noch davor? Warte ich nur kurz, auf den Film oder auf Leute, die aus dem Film kommen – oder richte ich mich in dieser Wartezone ein, um darin abzuhängen? Der Raum hinter der Fassade ist zugleich der Raum vor dem Kino – auch umgekehrt. Das Filmmuseum als Ort moderner Wahrnehmungsform. Das Foyer sollte entsprechend diesem Kino-Verständnis gestaltet werden, auch oder gerade, weil ein Teil des Raums dafür erst aus den fest gefügten Gemäuern herausgeschlagen werden musste. Und das ist nicht so leicht, denn: Die feste Fügung, die hier Veränderung blockiert, das ist eine Frage der Statik ebenso wie der Geschichte und des Umgangs mit feudaler Architektur. Gabu Heindl

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3 und 4: Gabu Heindl, Umbau Österreichisches Filmmuseum 2008, Barbereich und Foyer (Fotos: Hertha Hurnaus)

Zum letzten Mal nach dem »Wo« des Museums gefragt, könnte man für diesen Teil des Filmmuseums antworten: »In der Mauer.« In der Mauer, die davor blind war, im 2,5 Meter dicken Sockelgemäuer, das die Albertina trägt. Ein paradoxer Ort: Wuchtige Materie, die aber durch den Umbau in Blicke, in Wahrnehmungen und Beziehungen umgewandelt wird. Der Umbau verfährt dabei komplementär zum Unsichtbaren Kino: An der Außenmauer der Albertina, die bislang gleichsam leere Leinwand war, wird nun der Raum hinter der Fassade, zugleich der Raum vor dem Kino, sichtbar gemacht; neue Eingänge und Fensteröffnungen projizieren den Bar- und Foyerbereich des Filmmuseums nach außen und variieren gleichzeitig das Motiv der Schwärze des Kinosaals selbst. Mit der Öffnung der Fassade entstehen in der dicken Mauer Zwischenräume, die Sitznischen in der Bar wurden umgebaut zu kommunikativen Zonen des gemeinschaftlichen Gegenübers; dabei fungiert die Brüstung der vertikal großzügig zu öffnenden Fenster von innen gesehen als Tisch, von außen als Bartresen. Dass die Sitznischen Zugabteilen ähneln, verstärkt noch einmal die Korrespondenz zum Kino: So wie am Zugfenster und auf der Leinwand beliebige Alltagsumgebungen als Bewegtbild vorbeiziehen, so soll die Mauer auf die Wahrnehmbarkeit der vorbeiziehenden Straßenöffentlichkeit hin geöffnet werden. Die Stadt als Schauspiel, aus einer intimen Raumsituation heraus – in der ein wenig auch die Kinoboxen des New Yorker Invisible Cinemas von 1970 nachklingen. Das Zugleich von innen und außen prägt den Umbau insgesamt: Aushöhlungen im Festgefügten und Einrichtungen in der Trennung / Berührung von innen und außen, wie das Kino selbst.

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Wo ist das Museum? Zum Umbau des Österreichischen Filmmuseums 2008

5 und 6: Gabu Heindl, Umbau Österreichisches Filmmuseum 2008, Sitznischen und Zyphius (Logo des Filmmuseums) als Wasserspeier (Fotos: Hertha Hurnaus)

7: Gabu Heindl, Umbau Österreichisches Filmmuseum 2008, Interaktion mit dem Straßenraum (Foto: Hertha Hurnaus)

Gabu Heindl

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1: PPAG, Enzi Formationen

Hofmöblierung im MQ Wien

PPAG

Das Projekt hat 2002 begonnen. Die Museen waren gerade eröffnet, und es gab einen Wettbewerb mit der sehr allgemein formulierten Aufgabe, sich etwas für die leeren und unwirtlichen Höfe einfallen zu lassen. Etwas, das je nach Bedarf da ist oder weg, das im Sommer und im Winter und für sehr unterschiedliche Nutzerinnen und Nutzer funktioniert. Es war also etwas im wahrsten Sinne des Wortes Multifunktionelles gefragt. Unser Vorschlag bestand aus einem, später unter dem Namen ENZI bekannt gewordenen, 3 x 1 x 1,25 m³ großen Element aus mit Polyurethan gecoatetem Polystyrol. Als Element groß genug, um in den weiten Höfen räumlich wirksam zu sein, leicht, also auch leicht transportierbar und von Anfang an in der Mehrzahl auftretend. Im ersten Winter gab es gleich über 100 Stück davon. Eine den Elementen innewohnende Kombinatorik ermöglicht uns von Saison zu Saison, von Jahr zu Jahr, immer neue und unterschiedliche Anordnungen, Gruppierungen und Stapelungen, bis hin zu hausähnlichen Strukturen und temporären Gebäuden. Momentaufnahmen in Form von Lageplänen dokumentieren die Wanderungen der Möbelherde auf dem Areal über die Jahre. Einfach ausgedrückt sind diese Elemente als Unterstützung der Aktivitäten des Menschen im Raum gedacht. Andererseits verlief die Ideenfindung abstrakt, auf primitivmathematischer Ebene, vorfunktionell, es gibt auch keinen direkten Bezug zum Ort. Es ist unser Anliegen, diese beiden Enden des architektonischen Denkens im Resultat in Einklang zubringen. Manchmal gibt es natürlich einen, wenn auch ironischen, Bezug wie im ersten Jahr, als wir die Möbel zu weißen krapfenartigen Gebilden gestapelt und damit Kraggewölbe im barocken Ambiente gebaut haben, Passivhäuser mit einem Meter dicker Wärmedämmung und riesigen Lücken zum Punschtrinken. Von Anfang an gab es immer neue Aufstellungen, denen die Leute seither geduldig folgen. Der permanente Wechsel lässt die Leute das Areal als gewohnt und doch immer wieder neu empfinden. Die Benutzerinnen und Benutzer kommen aus allen Schichten, es sind Museumsbesucher und Schüler, Sandler, Konsumenten PPAG

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und Nichtkonsumenten, alte und junge Menschen, sicher eine Stärke des Konzepts der MQ-Verwaltung. In den zehn Jahren seit Beginn gab es beliebte und weniger beliebte Sitzlandschaften mit direkt nachvollziehbarer Auswirkung auf die Kommunikation, Theken, Laufstege für Modeschauen, Bühnen für Musiker und Performances u. v. m. Der Winter war jedes Jahr eine eigene Herausforderung, mit immer anderen Formen von immer Eispalast genannten Hallen und Labyrinthen, immer unter Verwendung aller Möbel / Bausteine. Lageraufstellungen zwischen den Saisonen dienen dem reinen Vergnügen und haben keinen anderen Zweck, als den der Lagerung. Dieses Moment des nicht Utilitaristischen, Sinnfreien ist wichtig. Im Sommer der Fußball-EM sollte man nicht auf den Möbeln sitzen können. Wir nahmen das als gute Gelegenheit, mit einer Turmskulptur eine Hommage an den Leseturm des Ortner-Projektes nachzuholen. Der jährliche Farbwechsel aus Renovierungsgründen hat sich zum Voting-Ereignis entwickelt. Im Sommer des Sigmund-Freud-Jubiläumsjahres konnte das Publikum erstmals die Farbe mitentscheiden, mit dem eindeutigen Ergebnis für »Freudliegenrot«. Eine häufige Benutzungsart ist die Liege, nicht sehr ergonomisch, aber doch mit genug Sitzkomfort, um das entspannte Herumliegen oder sogar Dösen in der Öffentlichkeit zu ermöglichen, was sicher nicht des Wieners ureigenste Lebensart ist, sondern eine vielleicht durch die Möbel angeregte neue Gewohnheit. Für uns ein interessantes Resultat von angewandtem Behaviorismus. Natürlich arbeitet man als Architekt auch mit der Wahrnehmung des Rezipienten. Die Form der Liege, auf der man zu acht Platz findet, spielt mit dem Maßstab und der Veränderung der Größe bei Annäherung. Die Möbel sehen aus wie aus Beton, weisen dann aber doch überraschend eine warme, hautartige Oberfläche auf. Über die Jahre hat sich das Areal mittlerweile zu einer Art öffentlichem Wohnzimmer entwickelt. Ich zitiere sinngemäß Jan Tabor: »Kein Wunder, wenn man mitten im öffentlichen Raum wehrlos am Rücken liegt …« Von dort war es nur ein kleiner Schritt ins private Wohnzimmer, zu kleineren und weicheren Versionen. Was uns wirklich überrascht hat, ist der Umstand, wie tief dieses Möbel in die Wiener Lebensart eingedrungen ist. Wir haben bereits eine bemerkenswerte Sammlung von Postkarten, Politiker- und Celebrities-Fotos, Kindermalbüchern, Kalendern, Werbungen, die die Möbel abbilden oder in irgendeiner Weise verwenden, es gab einen U-Bahn-Spot etc. Ein Cover der Stadtzeitung Falter zeigt anschaulich, dass auch Auseinandersetzungen über die Nutzung der Höfe über die Möbel ausgetragen werden. Eine Erklärung des Phänomens: Das Möbel scheint keine große Nutzungsvorschrift auszusenden, es wird von den Menschen sehr frei benutzt, es werden Nutzungen erfunden, und das scheint Bindung zu erzeugen. Diese eigene Interpretation von Nutzung, das spontane Weitererfinden, das über die Verwendung des Möbels für eigene Zwecke hinausgeht, nimmt bisweilen durchaus situationistische Züge an. Die Erfindung des Fußballtors an der ETH Zürich (von Hermann Czech gesandt), eine von Unbekannten über Nacht errichtete Großskulptur mitten auf dem Gelände des MQ, 274

Hofmöblierung im MQ Wien

die vielen Oberflächenverschönerungen durch Interventionen unbekannter Künstlerinnen und Künstler, hier seien nur das Weltkulturerbe-Tattoo und die Pseudosteckdosen lobend erwähnt, das alles braucht Empathie, Beschäftigung mit der Sache. Was will man mehr? Reaktionen aus dem Ausland und unzählige Fotos in digitalen Familienalben der Welt zeigen die Ausbreitung der Idee. Um den Kreis zu schließen, zu dieser Veranstaltung ein letztes Beispiel: Anlässlich des Haydn-Jahres sollten die Möbel im 1. Bezirk die Wirkungsstätten Joseph Haydns markieren, was mitunter in der Vervollständigung eines Reiterdenkmals enden kann. Es ist immer weiter-, um-, zu- und neu gebaut worden, zu manchen Zeiten ganz unsentimental, heute ist man da sehr ängstlich zurückhaltend und konservativ. Als Architekten leiden wir unter dieser Konservativität. Unsere Interventionen im MuseumsQuartier waren nur möglich, weil es »ja nur Möbel« sind, temporäre Aktionen, rückstandslos entfernbar. Wir haben damit in gewisser Weise auch gespielt, diesen Umstand genossen und überreizt. Dennoch muss klar sein: Es ist logisch, unabänderlich und notwendig, dass sich jede Gegenwart architektonisch ausdrückt und gegebenenfalls mit der Vergangenheit misst. Funktionen ändern sich meist mehrmals innerhalb des Lebenszyklus eines Gebäudes. Ein historischer Pferdestall wird nicht ohne einschneidende bauliche Maßnahmen als heutiges Museumsareal zu gebrauchen sein. Wir bauen heute die historische Substanz von morgen und wünschen uns in diesem Sinn den Einzug des 21. Jahrhunderts in jedes historische Areal. Fischer von Erlach hätte das gewollt.

2: PPAG, Enzi Aufstellung, Sommer 2009

PPAG

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3: PPAG, Eispalast, Winter 2008 4: PPAG, Enzi Aufstellung, Sommer 2009

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Hofmöblierung im MQ Wien

5: PPAG, Laufsteg, Sommer 2004

6: PPAG, MuseumsQuartier, Haupthof

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7: PPAG, Enzi Bühne, Sommer 2003

8: PPAG, Eispalast, 2005 (Foto: Roland Krauss)

9: PPAG, Freudliegenrot, Sommer 2006

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Hofmöblierung im MQ Wien

10: PPAG, Enzi Bett, Sommer 2007 (Foto: Ali Schafler)

11: PPAG, Eispalast, 2008 (Foto: Roland Krauss)

12: PPAG, Lagerkette (Foto: Roland Krauss)

PPAG

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13: MO and MEI – Enzi Postkarte

14: Bruno und Enzis (© INFOSCREEN Austria)

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Hofmöblierung im MQ Wien

15: Falter, Cover, 25/9

16: Enzi Kulturgut

17: Projekt Haydn-Jahr, 2009, Enzis am Josefsplatz

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1: feld72 & nan, Toronto Barbecue, Intervention am MuseumsQuartier-Vorplatz Wien, 2002 (Foto: Julia Lorber)

Toronto Barbecue

feld72

Wien 2002: Der Vorplatz des MuseumsQuartiers Wien (MQ) ist ein hervorragend gelegener Freibereich im Herzen von Wien, groß, unterschätzt und unbenutzt. Nur eine absurde Parzellierung erscheint als das eigentliche Gestaltungsmerkmal dieses riesigen Grünstreifens. Doch diese Gestaltung birgt ein Potenzial – man muss sie in ihrer mög­ lichen Konsequenz nur ernst nehmen: Durch das Aneignen der durch Hecken schon auf ein suburbanes Maß gegliederten Grünflächen und die Parzellierungen mutierte der Vorplatz zur heterogenen Schrebergartenstruktur. Fein geschnittene Buchshecken und englischer Rasen forderten zu einer entsprechenden Nutzung auf; feld72 »kultivierten« den bis dato ungenutzten Vorplatz vorübergehend zum privaten Schrebergarten. Ohne Ankündigung eines Events, sondern nur durch das Bereitstellen all der Werkzeuge, die ein Bewusstwerden der Möglichkeiten und eine Benutzung dieses ungenutzten Areals ermöglichten, wurden Passanten und Anrainer angeregt, zu Akteuren im Stadtraum zu werden. Die kurzzeitige aktive und sichtbare »Privatisierung« schuf das Paradox einer vorher nicht da gewesenen Öffentlichkeit. Der sich eventuell einstellende beidseitige ­Voyeurismus zwischen den Besucherinnen und Besuchern der Kulturinstitution einerseits und den Siedlerinnen und Siedlern »vor der Tür«, zwischen »Hochkultur« und »Alltag«, war durchaus mit eingeplant und entlarvte nur die einseitige Perspektive des jeweiligen Betrachters.1 »Bei vielen Projekten sehen sich die Architekten von feld72 das genauestens an, was man am besten als unsichtbare Architektur beschreiben könnte, nämlich all jene rechtlichen Normen, Bauordnungen und gesellschaftlichen Fiktionen, die unser räumliches Verhalten beeinflussen und auch zur performativen Konstituierung unserer Subjektivitäten beitragen. Toronto Barbecue ließ die Wirkungen solcher Konventionen deutlich

1

Publiziert in: Hollein, Lilli (Hg.), feld72. urbanism – for sale, Wien-New York 2008. feld72

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greifbar werden, indem private Strukturen über einen ehemals öffentlichen Raum gelegt wurden. Für die Dauer einer Woche wurde der wenig verwendete Rasenstreifen vor dem MuseumsQuartier in Wien in siebzehn kleine Parzellen aufgeteilt, einige mit einer kitschigen Brettersauna ausgestattet, andere mit kleinen, aufblasbaren Schwimmbecken, Lattenzäunen oder Gartenzwergen – alles Elemente, die aus dem reichen Reservoir des österreichischen Unbewussten bezogen wurden. Die enorme Beliebtheit dieser Intervention, die das Interesse der Öffentlichkeit an den dahinter liegenden Kunstmuseen bei Weitem überstieg, wirft ernste Fragen über Hoch- und Tiefkultur, über Geschmack als Unterscheidungsstrategie, über die Funktion von öffentlichem Raum in der Stadt der Gegenwart und über die Natur des städtischen Lebens als freiwillige Inszenierung des Individuums auf.«2 PS: »Toronto« ist die Produktbezeichnung der verwendeten Blockhütte. Gleichzeitig bezeichneten die Huronen (ein nordamerikanisches Indianervolk) damit vor mehr als 200 Jahren das Gebiet um den Ontariosee. Es bedeutet in unsere Sprache übersetzt nichts anderes als »Treffpunkt« …

2

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Jormakka, Kari, Theorie und Gestaltung im Vierten Maschinenzeitalter. Zu den experimentellen Projekten von feld72, in: Hollein, 2008.

Toronto Barbecue

public space. Die neue Hofburg – eine Rekonstruktion

Gerhard Steixner

Der Bereich zwischen Hofburg und Hofstallungen wurde von Gottfried Semper im Jahr 1869 als ein zusammenhängender, großstädtischer, ca. 150 x 500 Meter großer Platzraum konzipiert (siehe Abb. S. 107). Die Schleifung der Burgeinfriedungen sowie der Abbruch des Burgtores waren konstitutive Bestandteile dieses Konzeptes, dessen revolutionärer Inhalt wohl Ursache für sein damaliges Scheitern war. Semper zog sich 1876 – also noch vor Baubeginn – aus dem Unternehmen zurück und verließ Wien. Der Weiterbestand des Burgtores, das 1934 zum »Österreichischen Heldendenkmal« umgebaut wurde, die Einfriedungen sowie die Alleebepflanzungen im Ringbereich konterkarieren die ursprüngliche Absicht, das Burgareal zu öffnen und die Innenstadt durch die Fortsetzung der Kohlmarktachse mit dem 7. Bezirk räumlich zu verbinden. Anstatt der geplanten leicht ansteigenden, niveaufreien Führung des Platzes zu den ehemaligen Hofstallungen wurde ein Niveausprung im Bereich der Lastenstraße ausgeführt. Das 1888 errichtete Maria-Theresien-Denkmal im Schnittpunkt der imperialen Achse mit der Museumsachse sprengt den Raum und (zer)stört die Achsenwirkung. Der Raum ist heute (zer)gliedert in einzelne Bereiche: Heldenplatz, Ring, Maria-Theresien-Platz, Lastenstraße und Museumsvorplatz. Sempers revolutionäres Konzept von 1869 bietet eine Raumchance, wie sie wohl in keiner anderen europäischen Großstadt zu finden ist. Eine Rückführung zur ursprünglichen Idee würde die Hofburg und den Fischer-vonErlach-Trakt stärker in den Raum binden und Orientierung bieten. Den Spuren dieses Entwurfs folgend, muss der gesamte Bereich entlang der imperialen Achse – frei von ruhendem Verkehr – eine einheitliche Oberflächengestaltung aufweisen und niveaufrei bis zum MuseumsQuartier geführt werden. Von der Innenstadt kommend, muss eine

Gerhard Steixner

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attraktive Sequenz zum MuseumsQuartier hinauf geschaffen werden, die nicht nur das Erbe der Monarchie, sondern auch die Kunst der Republik repräsentiert.

Heldenplatz (Vormals äußerer Burgplatz, ca. 200 x 200 Meter) Glücklicherweise unterblieb die Ausführung des von Semper geplanten Nordflügels der Neuen Hofburg. Die Achse des Südflügels reicht als Querachse tief in den Raum und die Blickachse trifft, flankiert vom Parlament und Burgtheater, auf die Mitte des Rathauses. Dieser durch die Vegetation des Volksgartens und des Rathausparks bereits stark gefilterte Blick gehört zu den außerordentlichen Attraktionen dieser Stadt.

Burgtor Durch die Schleifung der Basteianlagen ab 1859 wurde das 1824 von Pietro Nobile nach Plänen von Luigi Cagnola erbaute Äußere Burgtor seiner ursprünglichen Funktion enthoben und auch in städtebaulicher Hinsicht fragwürdig. Ein Abbruch wurde von den wesentlichen Protagonisten der Architektenzunft bis ins 20. Jahrhundert erwogen und propagiert. Für einen ersatzlosen Abbruch traten Gottfried Semper und Ludwig Baumann, der spätere Generalplaner des Kaiserforums, ein. Otto Wagners Vorschlag aus dem Jahr 1917, das Tor nach Grinzing oder Sievering zu transferieren und an dessen Stelle ein Kaiser-Franz-Joseph-Denkmal zu errichten, das in einen Dialog auf Augenhöhe mit dem Maria-Theresien-Denkmal treten sollte, ist im Kontext von Sempers ForumsIdee fragwürdig. Der Umbau des Äußeren Burgtores zum Österreichischen Heldendenkmal im Jahr 1934 stellte den baulichen Ausdruck des damals herrschenden Regimes des Austrofaschismus dar. Wenige Jahre später nutzten auch die Nationalsozialisten die Standortgunst und besetzten die mittige Einfahrt mit einem weiteren Mahnmal, das nach Kriegsende entfernt wurde. Auch die Zweite Republik wollte nicht nachstehen und implementierte 1965 im rechten Seitenflügel einen Weiheraum. Bis heute werden hier bei Staatsbesuchen Kränze niedergelegt. Das 1983 anlässlich des Besuches von Papst Johannes Paul II. am rechten Seitenplateau errichtete Papstkreuz lässt sich in diesem Kontext als ein Bekenntnis zur Einheit von Staat und Kirche lesen. Unter der schwarz-blauen Regierung, mit dem damaligen Innenminister Ernst Strasser, erhielt die Exekutive im Jahr 2002 ein Mahnmal für die Opfer in Erfüllung ihrer Pflicht. Die Skulptur des Bildhauers Florian Schaumberger, am linken Seitenplateau ins Bezugsnetz gesetzt, prolongiert die Idee des ewigen Heldengedenkens. Die Wucht ihrer raumgreifenden Präsenz wirft die Frage nach Angemessenheit auf. 286

public space. Die neue Hofburg – eine Rekonstruktion

Seit 2010 versucht eine Initiative von Bürgerinnen und Bürgern, ein Gegengewicht zu dieser einseitigen Geschichtsbetrachtung mit einem Denkmal für Wehrmachtsdesserteure zu setzen. Damit wird jedoch die Bestimmung des Ortes als Ort des Gedenkens grundsätzlich anerkannt. Da wir nicht davon ausgehen können, dass die Geschichte hier endet, müssen wir weitere Begehrlichkeiten diesbezüglich erwarten, sodass das Zentrum endgültig zur Deponie unbewältigter Vergangenheit mutiert. Das Burgtor muss freigestellt und geöffnet werden für alle! Die Umnutzung zu einem Besucherzentrum für die vielen Millionen Menschen, die diesen Raum jährlich frequentieren, könnte eine Hypothek zur Chance wandeln: Ein idealer Ort, um allen Interessierten Information, Orientierung und Überblick zu bieten. Durch bauliche Maßnahmen in bescheidenem Umfang könnte dieser Bau nutzbar gemacht werden und als Zeichen für eine Gesellschaft im Aufbruch stehen. 1: Einfriedung des Heldenplatzes, Staketenzaun, Anschluss zum Burgtor (Foto: Gerhard Steixner)

Einfriedung – Staketenzaun Die Umfriedung der Kaiserlichen Burg im Bereich zwischen Burggarten und Volksgarten war spätestens mit Sempers Kaiserforum schon wieder obsolet geworden. Ihre ursprüngliche Funktion, den »Pöbel« in Krisenzeiten abzuhalten, scheint jedoch bis heute aufrecht (Abb. 1). Anstatt den Zaun abzutragen, wurde er Anfang der 1990er-Jahre unter der Verantwortung des damaligen Wirtschaftsministers Wolfgang Schüssel aufwendig restauriert und vergoldet. Ebenso wie das Tor hat auch der Zaun in diesem Bereich seine Funktion verloren, denn er trennt Bereiche, die nun zusammengehören. Der Abbruch der Einfriedung zwischen Burggarten und Volksgarten würde den Raum durchlässig machen und das Burgtor freistellen (ca. 340 lm).

Gerhard Steixner

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Ringstraßenallee Die Ringstraße war gebaut, noch vor Sempers Vision des Kaiserforums. Die Allee im Bereich zwischen den beiden Museen, damals noch kaum wirksam, zerschneidet den Raum heute massiv. Ein fundamentaler Fehler möchte man meinen, denn auch keines der vielen späteren Projekte, die seit 1869 das Areal betrafen, hatte den Alleebestand berücksichtigt. Im Jahr 1919 wurde deren Rodung in diesem Bereich selbst öffentlich gefordert. Das Entfernen des Baumbestandes würde einen immensen Raumgewinn bedeuten und die Objektbeziehungen wieder herstellen. Eine Rodung wird aber politisch kaum durchsetzbar sein. Daher ist eine Strategie zu wählen, die konsensfähig nachhaltig ist und: Es darf lediglich der natürliche Baumabgang nicht mehr ersetzt werden, sodass sich der gewünschte Zustand innerhalb einer überschaubaren Zeit sozusagen von selbst einstellt (Abb. 2). 2: Alleebepflanzung Burgring (Foto: Gerhard Steixner)

Maria-Theresien-Platz 150 x 200 Meter, Anstieg des Terrains vom Burgring gegen den Museumsplatz um mehr als 2 Meter. Natur- und Kunsthistorisches Museum: Höhe des Mittelbaus bis zur Attika 31,6 Meter, Gesamthöhe 64,32 Meter. Der Platz ist durch seine zentralsymmetrische Gestaltung und die mächtige Skulptur im Achsenschnittpunkt starr auf sich selbst bezogen. Lediglich die Blickrichtung der auf einem Thron sitzenden Maria Theresia weist auf den großräumlichen Bezug hin. Die Anlage ist weder Park noch Garten noch kann sie Platz vermitteln. Sie ist nur sehr eingeschränkt nutzbar. Der Nadelholzbewuchs vor den Fassaden der beiden Museen und entlang der Lastenstraße verunklärt die Situation zusätzlich. Im Hinblick auf die neu entstandenen Besucherströme vom und zum MuseumsQuartier 288

public space. Die neue Hofburg – eine Rekonstruktion

kommen diesem Bereich nun andere Aufgaben zu. Er soll zu einer gemeinsamen, intensiv genutzten Plattform für die angrenzenden Museen aufgewertet werden. Vom Ring leicht ansteigend bis zum Fischer-von-Erlach-Trakt gezogen, niveaufrei geführt, könnte ein multifunktionaler, städtischer Raum entstehen. Die Lastenstraße ist lediglich durch Bodenmarkierungen definiert. Anstatt der Fußgängerinnen und Fußgänger die Lastenstraße müssten Autos den Platz überqueren (Shared Space). Damit wäre die Priorität der Längsachse und somit die der Fußgänger gewährleistet. Dasselbe gilt auch für die Ringstraße in diesem Abschnitt. Eine Nutzungsverdichtung dieses Bereiches durch eine unterirdische Verbindung und Erweiterung von Kunsthistorischem und Naturhistorischem Museum würde die Attraktivität des Ortes zusätzlich steigern und in Verbindung mit den beiden Stationen der U2 und der U3-Station einen leistungsfähigen Knoten entstehen lassen.

Maria-Theresien-Denkmal Das 1888 enthüllte Denkmal war nicht Bestandteil des Semper’schen Konzeptes und konterkariert die ursprüngliche Absicht der Querspange. Die Skulptur des Bildhauers

3: Gerhard Steixner, Maria-Theresien-Denkmal auf Tiefebene abgesenkt, Entwurf 1997 (Fotomontage: Gerhard Steixner) 4: Gerhard Steixner, Entwurf für eine Museumsneuerschließung am Maria-Theresien-Platz, 1997 (Fotomontage: Gerhard Steixner)

Gerhard Steixner

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Caspar von Zumbusch hat einen Sockel mit einem Umfang von 25 x 25 Meter, ihre Höhe beträgt 19,40 Meter. Ihre Position im Achsenkreuz wirkt maßstabslos und (zer)stört den Raum. Trotz ihrer monumentalen Größe kommt die Figur der Kaiserin nicht zur Geltung. Die Erweiterungspläne der beiden Museen könnten Anlass sein, eine Neuinterpretation dieser Skulptur zu wagen: Auf die künftige Tiefebene abgesenkt und im Schnittpunkt der Achsen Winterreithalle und Museum moderner Kunst positioniert, erhalten Skulptur und Raum mehrfache Bedeutung (Abb. 3). Der Raum wird frei, die Skulptur fassbar. Der Thron steht auf Terrain (Abb. 4). Das MQ ist über das darauf bezogene Denkmal tief in den Platzraum verklammert.

Hofstallungen – Fischer-von-Erlach-Trakt Oben angelangt stellen wir fest, dass es eben nur Stallungen waren und dass deren Qualität gegenüber den anderen Gebäuden auf dem Forumsareal naturgemäß abfallen muss. Zudem ist die Gebäudefront um einige Grade aus dem imperialen Koordinatensystem verschwenkt, was zusätzlich Irritation erzeugt. Seit Semper haben sich viele mit dem Problem beschäftigt, meist mit letalem Ausgang für den Bau. Zuletzt PAUHOF Architekten mit ihrem Wettbewerbsbeitrag 1987 für das Museumsquartier, der den Bestand zwar unberührt lässt, jedoch den »Koordinatenfehler« mit einer vorgestellten, schwebenden Wandscheibe korrigieren möchte (Abb. 5). Was die Umnutzung im Erdgeschoss anbelangt, zeigt sich nach zehn Jahren Erprobung, dass vor allem die lineare 5: PAUHOF, Synthese Museum Wien, Wettbewerb Museumsquartier, 1987

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public space. Die neue Hofburg – eine Rekonstruktion

6: Entwurfsübung »public space« mit Studierenden der TU Wien, 1997, Lageplan

7: Entwurfsübung »public space« mit Studierenden der TU Wien, 1997, Space Center

8: Podium »public space«, 1997, mit (von l. n. r.) Anton Falkeis, Wilfried Seipel, Joachim Riedl, C. Angelmeier, Peter Noever, Gerhard Steixner

Gerhard Steixner

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Struktur wenig geeignet scheint für die gestellten Anforderungen. Dies alles und hohe Erhaltungskosten erheben die Frage nach dem weiteren Umgang mit diesem Bauwerk. Ein Gesamtkonzept ist zu entwickeln, um dieses von Semper einst aufgespannte Raumpotenzial zur Entfaltung zu bringen und mit den heutigen Anforderungen übereinzustimmen. Im Rahmen einer Gastprofessur des Verfassers am Institut für Raumgestaltung der TU Wien haben sich im Jahr 1997 dreißig Studierende mit diesem Thema befasst (Abb. 6). Direkt vor Ort, am linken Seitenplateau des Äußeren Burgtores, haben wir ein »Space Center« errichtet. Hier wurde gearbeitet, diskutiert, auch mit Passantinnen und Passanten wurden Feste gefeiert (Abb. 7). Befreiend radikal waren die Vorschläge der Studierenden, die allesamt das Öffentliche am Raum zum Thema hatten. So kontrovers auch die abschließende Podiumsdiskussion von Museumsdirektoren, Architektinnen und Architekten, Künstlerinnen und Künstlern geführt wurde, Einigkeit gab es darüber, dass diesem Raum mit der Eröffnung des MuseumsQuartiers eine neue Rolle zufällt, auf die es zu reagieren gilt (Abb. 8). Bis heute ist nichts dergleichen geschehen.

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public space. Die neue Hofburg – eine Rekonstruktion

AnrainerInnen und ExpertInnen im Gespräch 12. Juni 2010, Architekturzentrum Wien im MuseumsQuartier Überarbeitete Fassung (Juli 2014)

Podium: Nikolaus Bernau, Architekturhistoriker und Journalist, Berlin
 Bettina Götz, ARTEC Architekten, Wien / Berlin
 Sabine Haag, Generaldirektorin Kunsthistorisches Museum
 Eva Häfele, Expertin Kulturtourismus, Studie »Kulturbezirk Hofburg« Alexander Horwath, Direktor Österreichisches Filmmuseum
 Christian Köberl, Generaldirektor Naturhistorisches Museum Dietmar Steiner, Direktor Architekturzentrum Wien

 Moderation: Martin Fritz, Kurator und Publizist Martin Fritz: Die Berliner Bauverwaltung

dem Zufall der Geschichte zu verdanken,

kennt den Begriff der »sachberührten

sei letztlich bloß als eine Alternative zu

Bürger«. Wir sprechen heute über etwas,

jenen meist zahlreichen zum selben Ort

das uns alle als solche angeht. Es ist schön,

entwickelten Entwurfslösungen zu werten,

in dieser Zusammensetzung eine kultur-

denen es – aus welchen Gründen auch im-

politische Diskussion führen zu können

mer – nicht beschieden war, zur Realisie-

– eine Diskussion, die im Städtebau, in

rung zu gelangen. So banal diese Einsicht

der Architektur, im Rahmen der Arbeit

auch erscheinen mag« – jetzt kommt der

von Kulturinstitutionen verankert ist, die

Satz, der diesen Abend prägen sollte –

sich aber zugleich ihres Umfelds in der

»fordert sie doch dazu auf, stadträumliche

Kulturpolitik bewusst ist. Einleiten darf

Gestaltung grundsätzlich als einen offenen

ich mit einem überraschend gut passen-

Diskurs zu begreifen. Jedenfalls liegt es

den Zitat des Kunsthistorikers Richard

nahe, zumindest jene stadtbaukünstleri-

Bösel aus seinem Vorwort zur Publikation

schen Schöpfungen, die Torso geblieben

von Margaret Gottfried über das Wiener

sind, nicht als unabänderliche Gegeben-

Kaiser­forum: »Man könnte behaupten, die

heiten hinzunehmen, sondern vielmehr als

gebaute Physiognomie sei gewissermaßen

immer noch formbare Situationen anzuseAnrainerInnen und ExpertInnen im Gespräch

293

hen, die nach einer adäquaten (das heißt

Dietmar Steiner: Seit den Achtzigerjahren

natürlich auch denkmalschutzgerechten)

gab es eine Idee, im Semperdepot ein

Lösung verlangen.«

österreichisches Architekturmuseum zu

In diesen offenen Diskurs wollen

realisieren. Das war eine weit gediehene

wir uns nun begeben. Wir wollen dabei

Idee schon vor unserer Gründung. Dann

nicht direkt auf die »heiße Kartoffel« des

hat sich eine neue Aktualität ergeben –

Maria-Theresien-Platzes springen, sonst

durch Gespräche mit der Albertina, die

vergraben wir uns dort und tauchen nicht

es vor Schwarz-Blau gegeben hat und die

mehr auf. Der Vielfalt der Expertise in die-

nach Schwarz-Blau wieder aufgenommen

sem Panel entspricht es viel eher, gleich

wurden. Diese betreffen eine Zusammen-

von Anfang an das Gelände in seiner vollen

arbeit rund um die Frage der Sammlung

Breite abzuschreiten. Ich schlage vor, pri-

der Architektur der Moderne der Alberti-

mär in die Zukunft zu schauen. Zum Wei-

na. Da war die Wiederaufnahme der Idee

terbauen gehört auch, sich Gedanken über

Semperdepot aus den Achtzigerjahren

die Zukunft der eigenen Institutionen zu

eine durchaus realistische Perspektive. Der

machen. Der Weg, den ich gehen möchte,

Traum bleibt aufrecht. In einem Gespräch

beginnt hier mit den Zukunftsplanungen

mit Bundesministerin Claudia Schmied hat

des Architekturzentrums, springt dann

sie uns jedoch klar kundgetan, dass sie

auf die andere Seite der Hofburg zum Ös-

nicht an kulturelle Aktivitäten in den Berei-

terreichischen Filmmuseum und soll über

chen Film oder Architektur außerhalb der

die Pläne für die Vermarktung der Hofburg

Bundesmuseen denkt. Wir werden sehen.

und die Pläne für den Heldenplatz wieder zum Maria-Theresien-Platz zurückführen.

Fritz: Warum wollen Sie nichts bauen?

Das Ganze wird dann von einem Beobach-

Warum wollen Sie nicht hier erweitern?

terkommentar aus Berlin abgerundet.

Wo sehen Sie diese Bewegung in Bezie-

Meine erste Frage geht an Dietmar

hung zu möglichen anderen Bewegungen

Steiner. Er hat die Vergangenheit hier mit

– Stichworte: Haus der Geschichte, Wien

zu verantworten, er ist derzeitiger Nutzer

Museum – diese Dominosteine in der

und er wird auch die Zukunft beeinflussen.

Wiener Museumslandschaft, die auch das

Ich würde Sie bitten, uns konkret Einblick

bauliche Bild der Stadt bzw. des Muse-

in diese Zukunft zu geben. Ganz kurz

umsQuartiers betreffen könnten? Man

gefasst, Sie wollen hier raus – Sie wollen

könnte ja auch für die Erweiterung hier

ins Semperdepot. Wie wird dann das

lobbyieren?

Architekturzentrum Wien, wie wird hier der Staatsratshof in zehn Jahren aussehen?

Steiner: Ich kenne als Präsident von ICAM

Warum wollen Sie hier raus?

– der internationalen Konföderation der Architekturmuseen – alle Architekturmuseen der Welt. Das Semperdepot wäre das

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AnrainerInnen und ExpertInnen im Gespräch

schönste von allen und wäre auch am bes-

Zur Vorplatzgestaltung, die die

ten für diesen Zweck geeignet. Angesichts

gesamte Umgestaltung der Beziehung

der politischen Bewusstseinslage dieser

der einzelnen Hofmuseen, der Hofburg

Republik der zeitgenössischen Architektur

und des MuseumsQuartiers betrifft, nur

gegenüber sehe ich überhaupt keine Chan-

eine kurze historische Anmerkung: Die

ce für einen Neubau. Natürlich haben wir

MuseumsQuartier Errichtungsgesellschaft

auch schon Überlegungen angestellt, am

hat sich bis zum Jahre 2000 – ein Jahr vor

Standort zu vergrößern. Wie wir aus der

der Eröffnung – geweigert, zur Kenntnis

Planungsgeschichte des MuseumsQuar-

zu nehmen, dass der Vorplatz umgestaltet

tiers wissen, war ja das Leopold Museum

werden muss. Ihre Bauaufgabe endete

einmal nicht so groß, sondern stand hier

mit der Fassade. Sie hat bis zum Jahr 2000

draußen als Turm im Staatsratshof. So

nicht einmal mit dem Garagenbetreiber

eine Verkleinerung, eine Art Replika der

gesprochen. Ihr war das schlichtweg

DC Towers von Dominique Perrault in der

vollkommen egal. Erst ein Jahr vor der

Donaucity, könnte auch hier passen. Unter

Eröffnung kam die Debatte auf, was jetzt

der derzeitigen Verwaltung des Museums-

mit dem Vorplatz passiert. Ich erinnere

Quartiers braucht man darüber jedoch

mich an eine Begehung vor zehn Jahren

nicht einmal zu reden, weil schon jede

mit Herrn Klotz, damaliger Planungsdirek-

Nutzung oder Ankündigung außerhalb der

tor der Stadt Wien, dem ich sagte: »Macht

eigenen Räume praktisch untersagt ist.

eine geschlossene Verkehrsfläche von der Fassade des Museumsquartiers bis zum

Fritz: Es gibt im Moment keinen offiziellen

Maria-Theresien-Platz mit der Abholzung

internen Erweiterungsprozess für das

der Latschen, die nie geplant waren.«

MuseumsQuartier?

Warum der Vorplatz jetzt so aussieht, hat

Steiner: Mir als einem der Nutzer ist nichts

Es musste dieselbe Grünfläche angelegt

bekannt. Man hört immer wieder Gerüch-

werden, die vorher da war, da der Vorplatz

te von kleinen Vorstößen. Es gab noch in

dem Parkschutzgesetz unterliegt.

mit irgendwelchen Widmungen zu tun.

der Planungszeit die Überlegung, an der Ecke Babenbergerstraße ein Designmu-

Fritz: Wir werden auf diesen Platz noch-

seum oder Ähnliches zu bauen. Es gab

mals zurückkommen. Ich springe jetzt

die wunderbaren Wettbewerbe für die

auf die andere Seite – zum Filmmuseum.

Vorplatzgestaltung, die alle dramatisch

Alexander Horwath – Filmpublizist und

gescheitert sind. Es gibt Überlegungen für

Direktor dieser Institution – ist in zwei

ein Restaurant am Vorplatz und ähnliche

seiner Kompetenzen hier: als Direktor

Dinge. Aber offiziell erfahren wir hier

einer Nutzerorganisation innerhalb des er-

nichts von dem, was geplant sein sollte.

weiterten Hofburgareals und als Vertreter einer Kunstform. Das Architekturzentrum AnrainerInnen und ExpertInnen im Gespräch

295

will hier weg. Wird das Filmmuseum in

nommen wird. Das ist etwas durchaus

fünf, sechs, sieben Jahren stattdessen hier

Ungewöhnliches. In den letzten Jahren

sitzen?

gab es eher die Tendenz, Filmmuseen, wenn sie neu entstehen oder übersiedeln,

Alexander Horwath: Vor mehr als 20 Jahren gab es die Einladung an das Film-

an den Stadtrand zu verlegen. Dieses Spannungsfeld zwischen räum-

museum, seine Zelte im Museumsquartier

licher Begrenztheit und zentraler Lage

aufzuschlagen. Ich war damals Journalist

muss man aushalten. Das Filmmuseum hat

beim »Standard« und habe den Vorschlag

jedoch nicht nur den öffentlichkeitswirksa-

in Artikeln beschrieben. Ich habe mit dem

men Standort als autonome Institution im

damaligen Kodirektor Peter Konlechner

Gebäude der Albertina (das Filmmuseum

– meinem Vorgänger – telefoniert, der zu

ist tatsächlich autonomer Mieter bei der

diesem Vorschlag sagte: »Nur über meine

Republik Österreich, vertreten durch die

Leiche.« Insofern hat sich das Filmmuse-

Burghauptmannschaft), sondern auch

um aus heutiger Sicht nicht näher mit die-

einen Archivstandort am Rande Wiens.

sem Gedanken befasst. Das Filmmuseum

Das war vor dreißig Jahren die erste kli-

wurde damals – angesichts dieser klaren

matisierte Filmlagerung Österreichs. Dort

Aussage – tendenziell als sehr konservativ

sind die Filmsammlungen und alle anderen

angesehen. Heute sehe ich es gemischter.

Sammlungen untergebracht. Was die

Ich bin mir nicht sicher, ob das nicht eine

Raumkapazität betrifft, ist dieser Stand-

der besten Entscheidungen war, die das

ort absolut am Limit - und es ist ein nicht

Filmmuseum im Laufe seiner Geschichte

öffentlicher Ort. Es braucht eine neue Lö-

getroffen hat. In mir strebt jetzt nichts

sung für diesen gewichtigen, räumlich viel

danach, mit dem Filmmuseum – in der

größeren Aspekt des Filmmuseums – und

jetzigen Konstellation – hierherzuziehen.

zwar rasch. Wir haben dazu ein Konzept

Das schlichte Faktum, dass in der

für ein »Filmmuseum Labor« entwickelt.

Hofburg, diesem großen feudalen Komplex, eine Institution des 20. Jahrhunderts

296

Fritz: Welche Kunstselbstdarstellung

– eine Institution der Moderne – an dieser

betreibt ein Land, wenn es in der Hofburg

Stelle der Stadt einen wichtigen Platz hat,

und im MuseumsQuartier-Areal bestimm-

ist sehr viel wert – selbst wenn die Um-

te Sparten in den Vordergrund rückt und

stände lange prekär waren, es war immer

andere nicht? Wie räumlich arm sind Ihre

ein David-gegen-Goliath-Verhältnis. Das

Kollegen, wenn sie die jetzige Positionie-

Filmmuseum ist offenbar die erste Institu-

rung des Filmmuseums so toll finden? Gibt

tion seit 1918, die 1965 in diesen Komplex

es nicht den Drang, in der Selbstdarstel-

eingezogen ist. Ich merke in Gesprächen

lung der Stadt auch visuell ein stärkeres

mit internationalen Kollegen immer, wie

Zeichen zu sein? Gibt es die Begierde,

sehr dies als etwas Besonderes wahrge-

hier mitzuspielen, oder spielt sich dieser

AnrainerInnen und ExpertInnen im Gespräch

Wunsch schon jenseits der gebauten

dass nur das der Grund ist: Die Virtualität

Repräsentationsflächen ab?

des Mediums Film und die Weise, in der

Horwath: Der Vergleich mit den internati-

sichtbar wird, ist etwas völlig Anderes als

es erscheint, in der es dargeboten und onalen Kollegen betraf nicht die räum-

die sich in Objekt- und Gebäudeform nach

liche Kapazität – hier sind wir eines der

außen richtende Machtdemonstration, wie

winzigen Filmmuseen –, sondern nur die

sie dem 19. Jahrhundert und den Jahrhun-

zentrale Lage. Diese ist selten so zentral.

derten davor zu eigen ist. Es würde weder

In Berlin ist die Lage des Filmmuseums am

meiner Arbeit noch der Geschichte des

Potsdamer Platz auch zentral – aber das

Filmmuseums entsprechen, einen derarti-

ist eine komplett andere Konzeption eines

gen platzgreifenden Anspruch zu stellen.

Filmmuseums.

Aber im Hinblick auf das skizzierte Filmmu-

Die rezente Geschichte des Erhalts des

seum Labor, ein rund 5.000 Quadratmeter

Filmmuseums im Albertinagebäude Revue

großes Projekt zur Neudefinition unseres

passieren zu lassen, würde zu lange dau-

Archivs, das jeden Raum brauchen kann,

ern. Einige Veränderungen hatten nicht die

auch unterhalb der Oberfläche, gefiel mir

Dimension eines monströsen Umbaus. Den

der Gedanke der Erschließung der Räume

Umbau 2002/03 von Mascher / Steinmayr,

unterhalb dieser Plätze sehr gut.

der ganz wesentlich für den Umstand war, dass das Filmmuseum dort bleiben konnte,

Fritz: Mir liegt daran, das, worüber wir spre-

möchte ich hier erwähnen. Erwähnen

chen, als Wechselspiel zwischen Bau und In-

möchte ich auch das Faktum, dass Peter

halten zu etablieren. Eine kleine Überlegung

Kubelkas Konzept des Unsichtbaren Kinos

könnte sein – sie führt über zum Tourismus

erst 1989 realisiert werden konnte. Das soll

und zu Frau Häfele –, dass das Medium Film

nur andeuten, wie fragil und prekär das

weniger Museen braucht, weil es ja noch bis

Dasein dort immer war.

vor kurzer Zeit relativ flächendeckend in Ki-

Diese prekäre Geschichte ist die

nos zu sehen war. Die Schatzkammer wäre

Geschichte eines winzigen »Eingriffs«, der

auch nicht so wichtig, wenn es in jedem Be-

in diesem Komplex durch die Einladung

zirk und Tausende Male weltweit dieselben

des damaligen Albertinadirektors Walter

Juwelen gäbe. Möglicherweise haben wir

Koschatzky 1965 möglich wurde. Vielleicht

hier einen Zusammenhang zwischen dem

kommt mir deshalb nicht der Gedanke,

Fetisch rund um das authentisch-auratische

dass sich das Filmmuseum gegenüber der

Objekt und der multiplizierbaren Kunst.

Nationalbibliothek eigentlich auf sehr viel

Möglicherweise braucht gerade das weni-

Platz ausbreiten könnte, aufgrund eines

ger Museen, was sich durch eine gewisse

gewissen eingelernten Bescheidens mit

Lebendigkeit auszeichnet.

dem Kleinen, das den Film in Österreich überhaupt prägt. Ich glaube jedoch nicht,

Frau Häfele ist Sinologin und Japanologin und kann sich also geografisch und AnrainerInnen und ExpertInnen im Gespräch

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kulturell in einen viel weiteren Kontext

aus dem Ausland, sondern auch aus der

stellen. Sie bringt hier einen Blickwinkel

unmittelbaren Umgebung – dem Einzugs-

ein, den man sonst nicht so gerne zu sol-

gebiet von Wien. Niederösterreicher sind

chen Runden einlädt. Irgendwie wissen wir

sicherlich eine der größten Kundengrup-

alle, dass wir mit einer halben Schlagader

pen an Touristen hier im MuseumsQuartier

am Tourismus hängen, aber die damit ver-

und im Hofburgareal.

bundenen Interessen, die damit verbundene Wissenschaft und Ökonomie werden

Unsere Frage war damals: »Wie können die hier ansässigen elf Institutionen

oft etwas verschämt in die Diskussion ein-

mit über 30 Sammlungen, Shops, Gastro-

gebracht. Frau Häfele ist Expertin für Kul-

nomie und so weiter durch eine bessere

turentwicklung und Tourismuswirtschaft,

Zusammenarbeit überhaupt ein Ange-

betreibt ein Beratungs- und Konzeptun-

bot für die Gäste sichtbar machen? Wie

ternehmen und hat in dieser Funktion eine

können wir diesen Kulturbezirk Hofburg

Studie im Auftrag des Wirtschafts- und

sichtbar machen?« Da war zuerst einmal

des Kulturministeriums entwickelt, um die

die interessante Erkenntnis, dass dieses

Verbesserung der touristischen Nutzbar-

Gemeinsame weder von denen, die nach

keit der Hofburg zu untersuchen. Was uns

Wien in den Hofburgbezirk kommen, noch

im Anschluss an ­Alexander Horwath jetzt

von denjenigen, die hier residieren – also

besonders interessiert: Haben Inhalte

Institutionen, Einrichtungen –, als solches

wie ein Filmmuseum in einer touristisch

wahrgenommen wird. Da gab es ganz

intensivierten Nutzung überhaupt einen

klare Parallelen. Diese haben wir einerseits

Platz? Wären die Touristiker dann froh,

durch unmittelbare Gästebefragungen

wenn so eine Institution weggeht? Welche

hier im Areal und durch Untersuchungen

Rolle kann innerhalb der Hardcore-

von Reiseführern in den Sprachen Englisch,

Tourismusentwicklung die Frage nach der

Französisch, Chinesisch und Deutsch

zeitgenössischen Selbstrepräsentation

festgestellt, um zu sehen, wie die Hofburg

der Republik spielen? Was erwartet uns

überhaupt dargestellt wird.

diesbezüglich in der Hofburg?

Fast jeder Besucher, der nach Wien kommt, hat ein Interesse an Kultur im

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Eva Häfele: Die Touristiker sind zunächst

weitesten Sinne. Aber diese klassische

einmal glücklich über alles, was da ist.

kleine Gruppe, die aus wirklich nur kultu-

Denn das ist der Grund, weshalb Touristen

rellen Interessen hierherkommt, hat einen

kommen. Da hat ein Filmmuseum genauso

Anteil von 15 bis 20 %. Das sind wirklich

Platz wie ein Architekturzentrum oder

reine Kulturtouristen, die sich sehr intensiv

Architekturmuseum, da hat ein Labor

informieren, bevor sie an ihr Ziel kommen.

Platz, da haben klassische Museen wie

Sie lesen Reiseführer, sie recherchieren im

das Kunsthistorische und das Naturhisto-

Internet. Genau daraus ließ sich erkennen,

rische Platz. Wir haben ja nicht nur Gäste

dass die Hofburg einerseits und das Mu-

AnrainerInnen und ExpertInnen im Gespräch

seumsQuartier andererseits ganz selten

unseren Kindern hingehen?«, weil drei, vier

als ein zusammenhängender Kulturbezirk

Stunden in der Hofburg mit Kindern und

genannt wurden. Es gab diese Trennung

Jugendlichen kaum zu bewältigen sind.

auch in den Reiseführern und auf den

Die mittlere Aufenthaltsdauer im gan-

Websites. Auch die Touristen, die wir

zen Areal lag zwischen zwei und vier Stun-

befragt haben, haben auf ihrer mentalen

den. Sich wirklich zu vertiefen, kann man

Landkarte diese beiden großen Gebilde

dann nur bei Wiederholungsbesuchen ma-

nicht zusammengefügt. Das heißt aber

chen. Es gibt keinen gemeinsamen Eintritt

nicht, dass nicht beide mit gleich großem

in die Hofburg. Es gibt einen Eintritt in das

Interesse besucht wurden. Ich habe hier

Kunsthistorische, einen Eintritt in das Na-

die Zahlen aus den Jahren 2005, 2006 – als

turhistorische, in die Kaiserappartements,

wir diese Studie gemacht haben. Im Kunst-

in das Sisi Museum, in das Filmmuseum.

historischen Museum und im Naturhistori-

Das war auch einer der Punkte, die wir mo-

schen Museum waren über 55 % der Gäste

niert haben. Wir wollten versuchen, eine

aus Wien, weil diese Institutionen auch

gemeinsame Karte zu schaffen, sind aber

eine ganz starke lokale Verankerung ha-

an ganz unterschiedlichen Preispolitiken

ben – in Form von Freundesvereinen, von

gescheitert: Es gibt ein großes Spektrum

Menschen aus Wien, die in den Museen

an verschiedenen Karten – Familienkarten,

auf den unterschiedlichsten Ebenen tätig

Jahreskarten, Seniorenkarten –, mit denen

sind, von der Besucherbetreuung bis hin

man in die Hofburg kommen kann.

zu starkem Engagement im Naturhistori-

Unser Auftrag ist eigentlich geschei-

schen Museum. Den höchsten Anteil an

tert. Weil die größeren Einrichtungen wie

ausländischen Gästen hatte die Hofburg-

Albertina oder MuseumsQuartier gesagt

kapelle – hier singen die Wiener Sänger-

haben, wir wollen unsere Identität als

knaben. Es waren nicht die Lipizzaner

solche bewahren, wir wollen so bleiben,

– diese haben nicht so viele Trainingsstun-

wie wir sind, und bei den anderen ist es

den. Das Sisi Museum hat durch die Be-

letztendlich am Geld gescheitert. Der

kanntheit von Sisi eine hohe Attraktivität,

Hauptwunsch der Gäste war ein Visitor

die Kaiserappartements sind noch sehr be-

Center, in dem informiert wird, was es

liebt. Als gefragt wurde »Was fehlt Ihnen

gibt, was es kostet und wie lange ungefähr

denn eigentlich?«, wurde einerseits diese

ein Rundgang dauert. Das war eigentlich

Verbindung zwischen MuseumsQuartier

der große, sperrige finanzielle Brocken, an

und dem großen Hofburgbezirk genannt,

dem es gescheitert ist.

aber andererseits sind ganz banale Dinge vorgekommen, wie Papierkörbe, zu wenig

Fritz: Gibt es das irgendwo?

WCs, Leitsysteme und Fragen wie »Wir wissen nicht, was es gibt«, »Wie finden

Häfele: Ein Visitor Center gibt es bei-

wir uns zurecht?«, »Wo können wir mit

spielsweise im Tower in London. Das ist AnrainerInnen und ExpertInnen im Gespräch

299

inzwischen schon State of the Art. Touris-

diese oder jene Einrichtung«. Es waren

musbüros sind zu dezentral. In Wien sitzt

eher so konkrete Wünsche, wie »Wir

es ja ziemlich nah bei der Hofburg, aber es

möchten gerne öfter die Lipizzaner sehen

geht kaum jemand dorthin, um sich über

oder die Einrichtung eines Lipizzaner-

die Hofburg zu informieren.

Streichelzoos«.

Fritz: Ihr frei einbekanntes Scheitern könn-

Fritz: Bettina Götz sagte nach ihrem

te man vielleicht als Möglichkeit unter-

Plädoyer für einen Bau am Heldenplatz:

suchen, dass gar nicht zusammengefügt

»Gerade an dieser Stelle fehlt eindeutig

werden muss, was die Moderne glückli-

etwas.« Bettina Götz ist mit Richard

cherweise ausdifferenziert hat. So unge-

­Mahnal Partnerin von ARTEC Architekten,

fähr nach dem Motto: »Wir« haben uns ins

sie ist Professorin an der UdK in Berlin, war

MuseumsQuartier gerettet und »die« sind

Vorsitzende des Architekturbeirats der BIG

in der Hofburg geblieben. Und das ist jetzt

und ist Vorsitzende des Beirats für Baukul-

wenigstens einmal auch sichtbar …

tur des Bundeskanzleramts. Bettina Götz hat sich zu einer Bebauung des Helden-

Häfele: Das geht durchaus. Ich würde

platzes – einer der denkbaren Großkontro-

jetzt nicht erzwingen wollen, dass alles zu

versen in dieser Stadt – schon von Anfang

einem Haufen zusammengebunden wird.

an positiv geäußert. Nur wurde aus der

Wenn sich die Gäste zwei, drei, vier Tage

Kontroverse ohnehin nichts. Es gab das

in Wien bewegen, ist das bei der Dichte

kurz lancierte Gedankenspiel der Platzie-

der Angebote dieser Stadt unglaublich

rung des Hauses der Geschichte auf dem

wenig. Man kann schon vier Tage allein

Heldenplatz – und zwar genau dort, wo in

im Hofburgbezirk verbringen. Deswegen

der Kaiserforumsplanung ursprünglich der

ist es doch ganz gut, wenn man sich gut

zweite Flügel vorgesehen war, spiegel-

orientieren kann. Ist aber letztendlich eine

bildlich gegenüber der Nationalbibliothek,

Frage der Zeit.

dort wo jetzt ein privater Parkplatz die Grenze zum Volksgarten markiert, in etwa

Fritz: Hat in irgendeiner dieser Diskussio-

die Verlängerung des Naturhistorischen

nen eine Rolle gespielt, dass möglicher-

Museums in die Tiefe des Heldenplatzes.

weise noch etwas fehlt – nicht Infrastruk­

Was fehlt dort, warum fehlt es und was

tur, sondern im Sinne eines Inhalts?

soll dorthin?

Oder vertraut man dem Bestehenden als Attraktor?

Bettina Götz: Deswegen muss ich jetzt gleich einmal vom Tourismus weg. Ich

300

Häfele: Es gibt unglaublich viel hier. Es gab

glaube absolut, dass man am Heldenplatz

keine Nennung im Stil von »Wir hätten

etwas bauen kann. Das ist ein Areal – da

gern noch dieses oder jenes Museum oder

ist über Jahrhunderte gebaut worden. Das

AnrainerInnen und ExpertInnen im Gespräch

ist kein Ensemble, sondern ein zufälliger

Götz: Es geht nicht darum, dass man

Stand, der sich eben genauso gut verän-

etwas konterkariert oder kaputt macht.

dern kann. Ganz klar ist, wenn man dort

Deswegen finde ich den Titel dieses

etwas baut, muss das ganz stark an einen

Symposiums sehr gut – der heißt »Weiter-

Inhalt gebunden sein. Der darf in keinem

bauen«. Weiterbauen ist eigentlich etwas

Fall etwas Kommerzielles sein. Das – und

ganz Normales. Da geht es nicht darum,

deswegen hätte dieses Haus der Geschich-

dass man vorherige Sachen irgendwie

te meiner Meinung nach ganz gut gepasst

heruntermacht, sondern dass man sie im

– sollte im besten Fall einen politischen

besten Sinne ergänzt – je nachdem wie

Inhalt haben. Dann ist es richtig, an dem

der programmatische Inhalt ist. Dieser ist

Ort zu bauen, ohne jetzt darauf eingehen

mindestens gleich wichtig wie der Akt des

zu wollen, was da noch alles für Vorausset-

Bauens selbst. Je nachdem kann dieses

zungen notwendig wären. Das eine ist das

Areal dadurch natürlich auch verändert

Programm, das andere ist, dass man sehr

werden. Es geht auch um Größenordnung

genau und gut vorbereiten müsste, in was

und um die Frage von Maßstab. Wenn das

für einer Größenordnung man dort über-

Gebäude von vornherein eine gewisse

haupt baut. Vorausgesetzt, dass klar ist,

Größenordnung hat, dann wird sich

dass man dort in keiner Weise historisie-

der Charakter des bestehenden Areals

rend bauen will. Weltkulturerbe hat man

verändern. Ob man das will, das muss man

nur, wenn man Weltkulturerbe baut.

vorher definieren. Da wäre eine Vorphase,

Nur zum Vergleich: Es gibt andere Be-

in der man diese Programme erarbeitet

reiche, die die Stadtplanung zur Bebauung

und untersucht, mindestens so wichtig

freigegeben hat und die – meiner Meinung

wie das Gebäude selbst.

nach – ein riesiger Fehler sind. Ich meine den Gürtel mit der Hauptbibliothek. Der

Fritz: Ihr Ansatz ist, dass es eine Raum-

Gürtel war immer als Freiraum vorgese-

und Platzreserve gibt, die nicht wahrge-

hen. Dass dort etwas steht, was es auch

nommen wird, die aber groß genug wäre,

immer ist, ist falsch. Das ist kein Bauplatz –

um sehr viel Fantasie aufzunehmen.

ganz im Gegensatz zum Heldenplatz. Götz: Absolut. Fritz: Wie weit ginge Ihr Wunsch nach stadträumlicher und inhaltlicher Inter-

Steiner: Ich bin absolut dafür, dass man

vention? Wäre das als nahezu revolutio-

genau dieselbe Debatte führt wie in Berlin.

närer Akt zu sehen unter der Parole »Wir

Bauen wir mal den Semper fertig und

sprengen hier mit etwas Zeitgenössischem

dann schaut man, was hineinkommt …

eine imperiale Formation«? Oder handelt es sich um evolutionären Städtebau, wie

Fritz: In welcher Reihenfolge sollten hier

er Routine sein sollte?

welche Würfel ausgespielt werden? AnrainerInnen und ExpertInnen im Gespräch

301

Götz: Für mich ist das genau die umge-

der Frage, ob man wirklich auf diesem

kehrte Reihenfolge. Zuerst muss das

Platz bauen sollte. Aber erst mal zu sagen,

Programm da sein und dann kommt das

ich weiß, welche Form ich habe, und dann

Gebäude. Für mich ist Architektur ohne

zu überlegen, was packe ich denn in das

Programm überhaupt nicht denkbar. Ich

Türmchen hinein – das ist einfach Unsinn.

glaube, dass nur neue Programme auch neue Architektur hervorbringen können.

Fritz: Im Projekt »Kaiserforum« prägen zwei Museen die Darstellung und Raum-

Nikolaus Bernau: Gerade aus der Berliner

nutzung – das Kunsthistorische Museum

Erfahrung heraus kann man sagen, das

und das Naturhistorische Museum. Diese

ist das große Desaster des Humboldt-

Zwillingsbauten am Ring stehen für tou-

Forums. Eigentlich ist es eine geniale Idee,

ristische Bekanntheit und für die Bedeu-

dass man nämlich sagt, wir bringen diese

tung bestimmter Inhalte in der Stadt. Wir

Sammlungen außereuropäischer Kultur

sind sehr froh über die Teilnahme der

wieder in die Stadtmitte zurück, wo sie

Direktoren dieser beiden »Big Player«

bis 1945 übrigens waren – die waren nicht

auf dem Areal. Ich darf Frau Haag, die

irgendwo im Vorort. Diese Dezentralisie-

Generaldirektorin des Kunsthistorischen

rung würde man zurücknehmen. Man

Museums, vorstellen, und wir freuen uns

bringt sie zurück in die Stadtmitte, führt

auf Herrn Köberl, der vor einer Woche

das zusammen mit einer Bibliothek und

offiziell sein Amt als Direktor des Naturhis-

anderen Nutzungen.

torischen Museums angetreten hat. Herr

Dann gab es ein Raumprogramm,

Köberl hat sich in einem Interview schon

das war überhaupt nicht durchdebattiert,

dahingehend geäußert, dass sie beide

was das so genau sein könnte – aber man

jetzt gemeinsam an der Weiterführung der

wusste eines schon ganz genau, nämlich

möglichen Pläne für den Maria-Theresien-

wie die Fassade aussehen soll. Das Re-

Platz arbeiten. (Anm. d. Hg.: Im Oktober

sultat davon war, dass wir einen Entwurf

2012 stellten Haag und Köberl eine Studie

bekommen haben, bei dem die Architek-

für eine gemeinsame unterirdische Nut-

ten, die für den Wettbewerb der Innenaus-

zung des Maria-Theresien-Platzes inklusive

stattung der dahinter geplanten Räume

Anbindung an das MQ vor.) Zwei Fragen

eingeladen wurden, jetzt reihenweise ihre

an Sie, Frau Haag: Wo sehen Sie selbst Ihre

Planungsunterlagen zurückgeben und

räumlichen und institutionellen Weiterent-

sagen, in diesem kleinen Kistchen kann

wicklungen? Wie sehen Sie die städtebauli-

man leider kein Museum, keine Bibliothek

che Lage in diesem Areal?

und schon gar kein modernes Kulturforum

302

entwickeln. Diese Reihenfolge – erst das

Sabine Haag: Die Frage des Maria-There-

Programm und dann die Architektur – ist

sien-Platzes ist tatsächlich eine, die uns

absolut essenziell – völlig unabhängig von

gemeinsam bewegt. Beide Museen sind

AnrainerInnen und ExpertInnen im Gespräch

in der Nutzung der Räumlichkeiten mehr

kann. Auch aus dem Verständnis heraus,

oder weniger ausgereizt. Wir haben große

dass solche Visionen ja nicht von einem

Desiderate, was den Ausbau der Infra-

Tag auf den anderen umgesetzt werden

struktur anbelangt, was ein modernes Mu-

– wie ja auch die Vergangenheit bestens

seum im 21. Jahrhundert für den Besucher

zeigt –, sondern dass man das Thema erst

tatsächlich benötigt. Aber es geht uns

wieder einmal in den Diskurs bringen muss.

auch darum, dass die ständigen Samm-

Dass man auch klarmachen muss, dass es

lungen noch ausgebaut werden müssen.

hier nicht um die Definition von Pfründen

Wir haben im Kunsthistorischen Museum

geht, sondern dass im Grunde genommen

einige bedeutende Bestände, die derzeit

ein Museum nur dann relevant sein kann,

überhaupt nicht gezeigt werden können.

wenn es zukunftsgerichtet ist, wenn es im

Und es ist ganz klar, dass wir an der räum-

Diskurs bleiben will. Da sehe ich sehr, sehr

lichen Erweiterung arbeiten müssen. Die Frage der Nutzung des Maria-­

gute Chancen, dass wir als benachbarte Museen das Thema weiterentwickeln. Es

Theresien-Platzes ist ja eine, die schon

ist auch sehr wichtig, das MuseumsQuar-

mehr als 20 Jahre virulent ist. Sie ist zwi-

tier dazuzugewinnen und auf der anderen

schendurch immer wieder ad acta gelegt

Seite auch die Neue Burg in dieses große

und mit neuen Ideen, mit neuen Nutzer-

Thema mit einzubinden. Durch den Bau

vorschlägen neu aufgenommen worden.

der U-Bahn ist einiges verbaut worden. Die

Als ich zur Generaldirektorin des Kunsthis-

Dinge sind nicht leichter geworden, aber

torischen Museums bestellt wurde, habe

es ist nicht unmöglich – auch nach Studium

ich natürlich auch Gespräche mit dem da-

der vielen Projekte und Planungen, die

maligen Generaldirektor des Naturhistori-

schon vorliegen. Ich glaube, man muss

schen Museums, Bernd Lötsch, aufgenom-

einfach das Gespräch wieder aufnehmen.

men, der an einer unterirdischen Nutzung

Wir haben – glaube ich – insgesamt das

des Maria-Theresien-Platzes nicht inter-

Problem in der Städteentwicklung, dass

essiert war. Mir war damals klar, dass ich

immer nur klein, klein gedacht wird. Dort

abwarten würde, wer nach Lötsch kommt.

ein Kabäuschen dazu, dort irgendwie ein

Wir haben uns dann unmittelbar nach der

Glashüttl dazu, ein bisschen ein Leitsystem

Bestellung von Herrn Köberl getroffen. Es

verbessern etc. Aber im Grunde genom-

war uns ganz klar, dass die gemeinsame

men kann man so nie große Sprünge

Nutzung des Maria-Theresien-Platzes ein

machen. Was Berlin mit der Museumsinsel

ganz wichtiges Thema unserer Muse-

vorexerziert – das sind natürlich teilwei-

umsarbeit, unserer Museumspolitik sein

se andere Dimensionen –, aber das soll

muss. Ich glaube, es ist wichtig, dass man

uns doch auch ein Lehrbeispiel in diesem

bei solchen Großprojekten über den eige-

Zusammenhang sein.

nen Tellerrand hinausschaut und überlegt, was man mit anderen gemeinsam nutzen

Ich finde es jammerschade, dass der Maria-Theresien-Platz eigentlich kein Platz, AnrainerInnen und ExpertInnen im Gespräch

303

sondern ein Unplatz ist, der über der Erde

Architektur, Bauen am Heldenplatz oder

nicht funktioniert. Aber dafür hat er unter

Verträglichkeit von Denkmalschutz und

der Erde ein großes Potenzial. Ich glaube,

Neubauten ihre Stimme einbringen?

da ist wirklich ganz großer Handlungsbedarf gegeben. Es ist jetzt auch schon

Haag: Das ist ja schon angeklungen. Es ist

mehrfach das Stichwort gefallen, dass im

am Hofburgkomplex immer gebaut und

Hofburgkomplex immer gebaut worden

weitergebaut worden – mal besser, mal

ist. Es ist kein Ensemble, das aus einem

schlechter. Im Grunde genommen bin ich

Guss gebaut wurde und dann für immer

sehr dafür, dass auch der Heldenplatz ein

und für alle Ewigkeit funktioniert hat. Da

Platz sein kann, an dem noch gebaut wer-

stimme ich Frau Götz wirklich zu. Weiter-

den kann – mit guter Architektur, die ei-

bauen darf man – glaube ich – wirklich nur

nen starken Inhalt voraussetzt. Ich glaube,

dann, wenn es ein Programm gibt. Zuerst

die Schwäche des MuseumsQuartiers ist in

der Inhalt und dann kommt die gebaute

gewisser Weise ja die, dass ein ursprüng-

Architektur dazu. Was unser Haus anbelangt, kommt

lich starkes Konzept immer weiter verwässert worden ist. Das MuseumsQuartier

eine weitere Facette dazu. Seit 2001

weist das gleiche Manko auf, das viele der

gehört zur wissenschaftlichen Anstalt

klassischen Institutionen im Hofburgkom-

Kunsthistorisches Museum neben dem

plex haben – dass jede Institution für sich

Österreichischen Theatermuseum auch

nicht klar als solche erkennbar ist. Ich bin

das Museum für Völkerkunde. Hier gibt

ganz klar dagegen, alles unter ein Einheits-

es aktuell Gespräche über eine mögliche

mäntelchen zu stellen. Jede Institution

Fusion von Völkerkundemuseum und dem

braucht eine klare Identität und die soll

Museum für Volkskunde,1 das derzeit im

sich ruhig auch baulich äußern.

8. Bezirk sehr desolat platziert ist. Da stellt

Fritz: Die Kulturmenschen in Österreich

sich natürlich auch die Frage, ob es für ein

glauben ja immer, dass die internationale

möglicherweise neues Museum – ein Haus

Bedeutung des Landes primär durch die

der Kulturen, dessen Inhalt eigentlich

Kultur vermittelt wird. Man verknüpft die

Kultur und Gesellschaft ist – das richtige

österreichische Selbstdarstellung daher

Signal ist, in einer imperialen Architektur

weniger mit Naturwissenschaften. Umso

zu sein. Das ist die zweite Baustelle, die wir

mehr wollen wir darauf hinweisen, dass

haben.

mit Herrn Köberl ein Spitzenexponent internationaler Naturwissenschaft seit ei-

Fritz: Wollen Sie noch zu emotionsbelasteten Fragen wie zeitgenössische

ner Woche das Naturhistorische Museum leitet. Er tut dies als Impaktforscher, als Geologe – auch mit dem Plan, weiterhin

1

304

Das Konzept einer Fusionierung von Völkerkundemuseum (heute Weltmuseum) und Volkskundemuseum wurde nicht realisiert.

AnrainerInnen und ExpertInnen im Gespräch

Forscher zu sein, das Museum auch als forschende Institution weiterzuführen. Wofür

steht Ihr Haus architektonisch unter Ihrer

sollte. Ich wäre völlig dagegen, etwas im

Leitung? Wie sehr wollen Sie Diskussionen

Stil des alten Semperplans genau so fertig-

wie diese hier auf Ihr Haus beziehen –

zubauen. Das fände ich eine Katastrophe,

­architektonisch, inhaltlich, aber auch in der

das wäre wieder nur eine Fassade und

Selbstdarstellung der Republik?

nicht wirkliche Architektur. Ich möchte nun auf Ihre Frage, wie

Christian Köberl: Sie haben es ja schon an-

ich unser Haus positioniert sehe, konkreter

gesprochen, ich bin Naturwissenschaftler,

eingehen. Natürlich haben wir Probleme

kein Kulturwissenschaftler und daher viel-

mit dem Denkmalschutz. Moderne Natur-

leicht hier etwas wie ein Fremdkörper. Ich

wissenschaften zu präsentieren, erfordert

bin geborener Wiener und habe ein biss-

nicht nur alte Karyatiden und Gemälde, die

chen etwas mit Geschichte am Hut. Man

wir in den Räumen haben, sondern sollte

merkt, dass eigentlich seit dem Tod des

auch die Möglichkeit bieten, dass wir hier

Kaisers sehr wenig weitergegangen ist.

etwas Moderneres einbauen. Es wird uns

Hätte es damals, als Kaiser Franz Joseph

irgendwie gelingen, hoffe ich, gewisse

gesagt hat, reißen wir doch die Stadtmau-

Säle doch zu modernisieren. Wir haben

ern weg und bauen wir was Prächtiges hin,

aber ein Problem – und das Problem ist der

bereits das Denkmalschutzamt gegeben

Platz. Kollegin Haag hat das ja auch schon

und den Parkschutz und ähnliche Dinge,

angesprochen. Ich habe auch den Wunsch,

dann hätten wir heute keine Museen, kei-

in meinem Haus weniger zu zeigen – nicht

ne Oper, kein Burgtheater, kein Rathaus

unbedingt mehr. Momentan meine ich,

und so weiter. Dann hätten wir vielleicht

dass es eine sehr große Überlastung des

immer noch die Stadtmauern.

Besuchers durch zu viele Stücke gibt. Man

Zeitgenössische Architektur – glaube

braucht nicht unbedingt 500 Schmetter-

ich – war immer etwas, das den Wienern

linge und 100 Würmer im Glas nebenein-

zuwider war und ist. Man denke daran,

anderzulegen, um ein Konzept, ein Thema

was einem der Architekten der Oper pas-

zu vermitteln. Die Systematik der Natur-

siert ist, wie er sich aus der Affäre gezogen

wissenschaften ist ein sehr interessantes

hat. Die Leute haben ja damals gemeint,

Konzept, das vor allem den Leuten etwas

die Oper wäre ein scheußliches Gebäude.

bringt, die sich schon auskennen. Den

Meine Ansicht ist, dass das, was wir als

Leuten, die sich noch nicht auskennen, ist

Architektur bezeichnen, nicht nur alles ist,

aber mehr geholfen, wenn wir interessan-

was 100 oder 200 Jahre alt ist, sondern

te Themen vorstellen.

dass es hier durchaus auch eine Diskussion

In diesem Sinne möchte ich mich sehr

mit der modernen Kunst und der moder-

gerne mit Kollegin Haag unterirdisch treffen

nen Architektur geben sollte. Ich würde

und die Hälfte des Maria-Theresien-Platzes

meinen, dass man durchaus weiterbauen

für unsere Erweiterung nutzen. Wir haben

kann und nicht historisierend weiterbauen

über 20 Millionen Objekte in unserem Haus, AnrainerInnen und ExpertInnen im Gespräch

305

von denen nur ein Bruchteil ausgestellt ist.

Fritz: Was wäre denn Ihrer Einschätzung

Wir haben gigantische Sammlungen, die

nach eine Strategie dafür? Wohin gehen

nicht nur 4.000 Jahre, sondern viereinhalb

Sie mit dieser überraschend vorwärts-

Milliarden Jahre abdecken. Wir haben keine

gewandten Message – zum Beispiel mit

Möglichkeit, vernünftige Sonderausstellun-

dem Weiterbau über den Ring? Um jetzt

gen zu machen. Unser Tiefspeicher ist maxi-

über den Umweg über Berlin auch zur

mal belegt, er wird in den nächsten Jahren

Frage nach dem Kulturpolitischen zu

vollkommen voll sein. Wir haben einen

kommen: Wo können und sollten solche

veralteten Veranstaltungssaal. Wir haben

Entscheidungen fallen? Gehen Sie zu den

keine Möglichkeit, moderne Aktivitäten für

Verantwortlichen hin mit der Message

Kinder einzubauen. Wenn wir dieses Muse-

– die Republik braucht das, weil sie ihre

um nicht nur naturhistorisch rückblickend

Naturwissenschaften unterschätzt? Oder

sehen möchten, sondern Naturwissenschaf-

gehen Sie dort gemeinsam mit Frau Haag

ten wollen, die etwas Modernes sind, auf

hin und sagen, dass sie eigentlich schon

denen unsere Zivilisation und Gesellschaft

Museum der Kulturen sind, nur es nicht

heute basiert – wenn wir das so sehen wol-

sein können, weil Ihnen der Platz fehlt?

len, dann brauchen wir Platz. In dem Sinn

Wo siedeln Sie sich an?

bin ich für eine sehr intensive Diskussion der Nutzung des Maria-Theresien-Platzes.

Köberl: Das mit dem Weiterbauen auf

Natürlich auch mit dem MuseumsQuartier.2

der anderen Seite des Rings war vielleicht

Man sollte vielleicht aber auch die Diskus-

eher polemisch gemeint. Denn wir wissen,

sion darüber führen, ob es die Möglichkeit

in Wien leben sehr viele Prinz Charles,

gäbe, auf der anderen Seite des Rings

die gegen moderne Kunst und moderne

weiterzubauen. Zusammen hätten wir kein

Architektur argumentieren würden. Wenn

Problem, diese Räume auch zu füllen. Im

man sich unterirdisch versteckt, dann hat

Gegensatz zu meinem Vorgänger habe ich

das doch eine gewisse Chance. Ich würde

auch eine sehr unsentimentale Beziehung

zusammen mit Frau Kollegin Haag gerne

zu den Bäumen, die dort stehen, denn die

ein Nutzungskonzept erstellen, in dem wir

wachsen wieder nach. Wir hoffen, dass wir

definieren, was wir konkret an Räumen

in den nächsten paar Jahren ein Bewusst-

brauchen. Ich glaube, da haben wir kein

sein schaffen, dass wir als dynamische Mu-

Problem, diese Demonstration auch er-

seen – als Darstellung des Kulturerbes und

folgreich durchzuführen. In weiterer Folge

des naturwissenschaftlichen Erbes unserer

würden wir das dann dem Ministerium

Zivilisation – weiterwachsen müssen.

vorlegen. Von wo wir bisher kein absolutes Nein gehört haben, nur ein Aufseufzen

2

306

Im Oktober 2012 präsentierten Haag und Köberl eine Studie für eine gemeinsame unterirdische Nutzung des Maria-Theresien-Platzes inklusive Anbindung an das MQ.

AnrainerInnen und ExpertInnen im Gespräch

darüber, wo denn das Geld herkommen soll. Aber wenn man die chinesische Wassertortur irgendwie erfolgreich betreiben

möchte, dann müssen wir einmal anfan-

Damals, kann ich mich noch erinnern, war

gen und dürfen nicht lockerlassen. Das

die Weisung von Wissenschaftsminister

wird sicherlich eine Aufgabe der nächsten

Busek an die beiden Museen »Räumt’s

Jahre sein, hier eine Planung vorzulegen,

zuerst einmal in den Häusern auf!«. Das ist

die sowohl vom Nutzungskonzept her

jetzt geschehen und jetzt braucht es die

interessant ist als auch architektonisch

Erweiterung.

etwas Neues bieten soll. Es muss ja nicht eine Pyramide wie die von Pei vor dem

Fritz: Frau Haag, kann sich diesem Schlag-

Louvre sein, aber zumindest irgendet-

wort – Weiterbau über den Ring – auch die

was, was einen städtebaulichen Akzent

Kunsthistorikerin in Ihnen gut anschließen?

setzt und auch die Verbindung mit dem

Wir loten jetzt ein bisschen aus, wer mit

MuseumsQuartier herstellen kann. Von

welcher Message wohin gehen könnte.

den Inhalten her sehe ich keine Probleme. Wir brauchen Räume für die Forschung,

Haag: Weiterbau über den Ring kann sein.

wir brauchen Räume für die Sammlungen,

Als wichtiger sehe ich die Nutzung un-

wir brauchen Räume für die Ausstellungen.

terhalb des Platzes an. Die ist wesentlich

Und ich nehme an, auf der anderen Seite

unproblematischer. Da gibt es auch schon

des Maria-Theresien-Platzes sieht das

eine Reihe von konkreten Planungen. Die

genau so aus.

Forderung von Fillitz gilt heute noch. Die Tapisseriensammlung ist nach wie vor

Steiner: Ihr Argument müsste sein, dass

nicht ausgestellt, das Heroon von Gölbaşi

Sie um die Chance der Erweiterung durch

auch nicht. Jetzt kommt noch dazu, dass

das Museumsquartier3 betrogen worden

die moderne Infrastruktur auch dort

sind. Die ursprüngliche Debatte in den

untergebracht werden soll und muss. Ar-

Achtzigerjahren sah ja die Verlängerung

chitektonische Zeichen über der Erde sehe

des Naturhistorischen Museums und des

ich eigentlich auch ganz stark am Maria-

Kunsthistorischen Museums ins Museums-

Theresien-Platz als Verbindung zwischen

quartier vor. Ich erinnere mich noch an

unseren beiden Häusern, weil der Platz als

die Appelle des damaligen KHM-Direktors

solches überhaupt nicht genutzt wird. Nie-

Hermann Fillitz, dass er das Heroon von

mand hält sich dort auf. Es ist ein Windka-

Gölbaşi und die Tapisseriensammlung

nal. Viel mehr tut sich dort eigentlich nicht.

doch endlich erstmals ausstellen will und

Wie eine neue Architektur auf der anderen

dafür Raum im Museumsquartier benötigt.

Seite des Rings ausschauen sollte? Da muss zunächst einmal das Programm her,

3

Wenn von den Planungen der 1980er- und 1990er-Jahre für ein Museumsquartier die Rede ist, wird nicht der nach der Fertigstellung eingeführte Markenname mit groß geschriebenem ›Q‹ verwendet.

bevor man über die Form spricht. Fritz: Wir werden uns jetzt Rat von Herrn Bernau holen. Herr Bernau ist als Publizist AnrainerInnen und ExpertInnen im Gespräch

307

bei der »Berliner Zeitung« tätig, die ihn zur

so gut läuft. Da muss ich Frau Haag leider

Stimme in allen architektonischen Diskus-

widersprechen. Ich halte etwa den Berliner

sionen Berlins und Deutschlands macht.

Masterplan für ein ganz, ganz großes Pro-

Neben dieser Tätigkeit ist er Mitglied des

blem. Die Berliner Museumsinsel steht seit

Landesdenkmalrats. Er ist auch jemand,

1999 auf der Liste des Welterbes. Das ist

der sich in Berlin und darüber hinaus mit

auch vollkommen gerechtfertigt. Das ist

der Frage des Bestands und des Neubaus

der großartigste Komplex von Museums-

sehr beschäftigt. Jetzt hat uns aber vor ein

architektur, den es in dieser zusammen-

paar Tagen die Neuigkeit eines möglichen

hängenden Form gibt. 100 Jahre Muse-

Planungsstopps für das Humboldt-Forum

umskultur – die gesamte Entwicklung vom

eingeholt, das Sie ja in Zusammenhang mit

klassizistischen Idealismus bis hin zum

den Museumsinsel-Entwicklungen publi-

Massenmuseum des frühen beginnenden

zistisch intensiv begleitet haben.

Massentourismus – ist auf der Museums-

Sie haben in einem anderen Zusam-

insel bereits zu erleben. In Bauten, die

menhang einen Artikel veröffentlicht, der

trotz der schweren Kriegszerstörung,

sagt: Wien macht es besser. In diesem

aber dank der Armut der DDR – die hat

Artikel ist es aber nur um den Wohnbau

nämlich relativ wenig kaputt machen

gegangen, um die Wiener Förderung des

können – überraschend gut erhalten sind.

Wohnbaus als wirtschaftlich attraktive

Die Schäden, die dort drohen, vor allem

Strategie. Gibt es jetzt etwas, was Sie

jetzt im Pergamonmuseum, sind fatal. Das

aus der Diskussion mitgenommen haben,

kann man einfach nicht anders ausdrü-

wo es Wien auch in der Museums- oder

cken. Da wird ein Gebäude, das auf der

Repräsentationsarchitektur besser oder

Welterbeliste steht, praktisch zu einem

schlechter macht? Wie beziehen Sie das,

Drittel abgerissen und stehen bleibt die

was Sie in Berlin miterlebt haben, auf das,

Fassade. Und das ist genau das Problem

was Sie hier hören? Was empfehlen Sie

auch bei der Debatte, die hier angerissen

den Wiener Direktoren?

wurde, es geht schon wieder zuerst mal um die Formen – modern, nicht modern,

Bernau: Als Berliner werde ich mich erst

wir wollen über den Ring rüber. Ich finde

einmal hüten, hier Ratschläge zu geben

es sehr gut, dass Frau Haag sofort gesagt

– auch aus ganz praktischen kultur- oder

hat, halt, halt, halt, zuerst wollen wir wis-

kunsthistorischen Gründen. Wenn man

sen, was jenseits des Rings kommen sollte,

sich die Berliner Museumsplanungen der

wenn überhaupt, dann können wir über

letzten 250, 300 Jahre ansieht, da war

die Formen nachdenken.

Wien immer ein Maßstab: Wir wollen das so wie Wien machen. Ich kann zumindest darüber sprechen, was in Berlin aus meiner Perspektive nicht 308

AnrainerInnen und ExpertInnen im Gespräch

Das ist ein zentrales Problem, das man in Berlin ununterbrochen hat. Wir haben eine sehr starke Historistenfraktion, die sich mit ganz großer Leidenschaft für

Fassaden einsetzt. Deshalb ist die Fassade

müssen die Stadt wieder hübsch machen.

des Pergamonmuseums absolut unantast-

Da kam so eine Schlossfassadendebatte

bar. Da müssen wir uns überhaupt keine

zur rechten Zeit. Dann gibt es aber auch

Sorgen darum machen, da wird jeder klei-

die Notwendigkeiten der Berliner Museen,

ne Stein restauriert. Nur das Innenleben

etwa die akute Notwendigkeit, dass die

wird einmal ausgeräumt, und zwar richtig.

Sammlungen außereuropäischer Kulturen

Nun hat aber Architektur bedauerlicher-

aus Dahlem wegziehen müssen. Deswe-

weise was mit Fassade und mit Innenleben

gen ist die Stiftung Preußischer Kulturbe-

zu tun.

sitz an der ganzen Sache so interessiert.

In Berlin zumindest hat man ver-

Nach dem, was ich weiß, interessiert die

sucht, mit den historischen Gebäuden

Stiftung die Fassadenfrage überhaupt

umzugehen – zum Beispiel beim Neuen

nicht, die brauchen die Räume.

Museum, das 2009 eingeweiht wurde. Das ist eine der großen Leistungen, finde ich,

Fritz: Ich glaube, Sie haben uns eines der

des Wiederaufbaus, der Restaurierungs-

wertvollsten Stichworte für das geliefert,

technik, der Denkmalpflege. Das Neue

was wir uns jetzt noch vornehmen können

Museum zeigt, dass man mit historischen

– Notwendigkeit. Alle von Ihnen haben

Räumen leben kann. Man kann sogar sehr,

– mehr oder minder dezidiert – auch

sehr gut mit ihnen leben. Auch als ein ganz

Erweiterungs- und Weiterentwicklungs-

modernes Museum mit ganz modernen

notwendigkeiten angemeldet. Ich würde

Inszenierungen. Man muss es nur wollen.

also deswegen gern jetzt in einer freien

Man muss sich wirklich auf das Gebäude

Formation auf die Frage »Was fehlt?«

einlassen. Und das ist bei historistischer

zurückkommen.

Architektur ganz besonders schwierig. Das zumindest kann man wirklich von Berlin

Götz: Es geht mir um das Bebauen dieser

lernen – vom Neuen Museum. Ob man

Areale und darum, wie man dabei vorgeht.

sehr viel mehr aus dem Berliner Beispiel

Mir ist es ganz wichtig, dass man sich

lernen kann, lasse ich jetzt mal dahinge-

dabei von vorgefassten Architekturbil-

stellt.

dern und -formen verabschiedet. Egal ob historistische oder moderne. Wenn

Fritz: Nur kurz zum Humboldt-Forum und

man da nachdenkt, dann muss man

zur Schloss-Frage.

möglichst abstrakt und möglichst neutral darüber nachdenken. Da muss man

Bernau: Verkauft wurde das Projekt

darüber nachdenken, was ein Museum

politisch über die Schlossfassade. Das war

heutzutage überhaupt ist. Natürlich sind

ein klassisches Projekt der Stadtverschö-

die Institutionen und die, die sie leiten,

nerungsdebatten der Neunzigerjahre:

daran interessiert, möglichst viele Leute

Wir finden die Moderne scheußlich, wir

hineinzubringen. Aber wenn ich mir es als AnrainerInnen und ExpertInnen im Gespräch

309

Konsument ansehe, dann kann ich in fast

sich diese Teilung der Museumstypologie

kein Museum mehr gehen. Ich war letzte

verschärft. Wir haben jetzt wirklich die

Woche in London im British Museum. Das

großen Entertainmentmaschinen und

sind Menschenmassen, das ist nicht zum

dazu werden auch das Kunsthistorische

Aushalten. Das Museum hat heute eine

und das Naturhistorische in Zukunft gehö-

ganz andere Bedeutung. Das ist ein öffent-

ren. Diese großen Tanker werden wirklich

licher Raum. Die Museen sind geflutet mit

nur mehr mit einer völlig anderen Bespie-

Leuten, egal wo.

lung und Abwicklung organisiert werden können. Das hat mehr mit der Fußballwelt-

Bernau: In Berlin bezahlen sie 12 Euro Ein-

meisterschaft zu tun als mit der Kunstbe-

tritt. Und das Pergamonmuseum hat eine

trachtung. Ich habe jetzt genau dasselbe

Million Besucher pro Jahr.

erlebt. In das Victoria & Albert kann man nicht mehr hinein. Vergiss das Ganze! Man

Götz: Da kommt man gar nicht rein ins

kriegt nur mehr die Panik. Wenn diese

Neue Museum. Das sind vollkommen neue

großen Entertainmenttanker irgendwie

Aufgaben, wie man Kunst und solche Mas-

noch ihren Genuss und ihren Inhalt retten

sen überhaupt in einen Zusammenhang

wollen, müssen sie sich überlegen, auch

bringen kann. Das habe ich eben vorhin

fast geheime Zugänge zu bieten. Es muss

gemeint – mit dem Programm und mit den

sich etwas auf einer zweiten Ebene abspie-

neuen Strukturen. Weil ich nämlich wirk-

len – so irgendwo im Keller, eine Peep-

lich glaube, dass wenn man dort etwas

show mit einem Bild oder so irgendwas.

entwickelt und baut, dann werden Sachen

Das war im Museumsquartier mit dem

entstehen, mit denen wir heute alle nicht

nicht realisierten Leseturm angedacht. Das

rechnen. Das ist das, was interessant ist,

wäre durchaus eine Überlegung wert.

nicht die Form.

Zum Maria-Theresien-Platz fände ich es sehr gut, wenn man folgende Überein-

Fritz: An welcher Stelle muss da wer mit

stimmung erzielen könnte: einmal den

wem sprechen? Müssten jetzt schon Frau

ganzen Platz roden, und zwar wirklich

Götz und Herr Steiner von den Museen

mit einem Kettensägenmassaker, und die

nach ihrer Meinung gefragt werden?

»Enzis« über den Maria-Theresien-Platz

Müssten Frau Haag und Herr Köberl jetzt

ausströmen lassen und andere ephemere

schon Assistenz suchend vor der Archi-

Aktionen dazu. Mit der Strategie, jetzt ein-

tektenbranche, vor der Planerbranche

mal langsam das ganze Ding in Besitz zu

stehen? Ist das eine museologische Diskus-

nehmen und dann wirklich den gesamten

sion oder eine städtebauliche?

Raum Heldenplatz – Maria-Theresien-Platz – Ring neu zu denken. Wir haben in Wien

310

Steiner: Es ist eine Debatte auf mehreren

ein Problem mit der Tourismuslogistik. Aus

Ebenen. In den letzten zehn Jahren hat

der überfüllten Innenstadt zieht es die

AnrainerInnen und ExpertInnen im Gespräch

Massen über den Heldenplatz zu den zwei

zu hoch. Es gäbe eine einzige unterirdische

Museen und dann ist da die Wand des

Verbindung, am unteren Eck vom Kunst-

MuseumsQuartiers und die ganze Masse

historischen Museum zum unteren Eck

schwappt wieder in die Stadt zurück. Die

vom MuseumsQuartier. Vergessen Sie das!

Vision des MuseumsQuartiers war ja eine

Wir haben lange über eine unterirdische

Öffnung zum Spittelberg, war es, die Mas-

Verbindung vom MuseumsQuartier auf

sen aus der Innenstadt in der Gastronomie

den Maria-Theresien-Platz diskutiert. Das

am Spittelberg versickern zu lassen. Das

wäre dann eine Unterführung mit 190 cm

MQ wurde dann leider architektonisch viel

Höhe gewesen. Nach meiner Beobachtung

zu wenig durchlässig gemacht, sondern

als täglicher Nutzer funktioniert der Fuß-

man hat einfach den Querriegel der baro-

gängerübergang tadellos. Er würde besser

cken Hofstallungen durch die Neubauten

funktionieren, hätte er keine Ampel.

verdoppelt. Natürlich ist die Öffnung zum Spittelberg viel zu gering.

Häfele: Aber dann müssten die Autos wirklich langsamer fahren.

Häfele: Ich würde dem absolut zustimmen. Was man dann natürlich machen müsste,

Haag: Grundsätzlich glaube ich auch, dass

um eben diese Bewegung auch wirklich

die Verbindung zwischen MuseumsQuar-

aufrechtzuerhalten: den Ring und die Las-

tier und Maria-Theresien-Platz am besten

tenstraße untertunneln. Da muss einfach

über der Erde funktioniert. Niemand geht

freier Bewegungsraum sein.

gern durch Tunnels oder was auch immer, gerade wenn es dort wirklich eng ist.

Steiner: Das brauchen Sie nicht. Die

Wenn, muss man sich wirklich überlegen,

brauchen nur ein paar Poller zu setzen und

was man über der Erde machen kann. Ich

denselben Belag durchzuziehen.

bin ein bisschen zusammengezuckt, wie Sie das Kunsthistorische Museum oder die

Häfele: Glauben Sie, dass dann die Autos

Zukunft des Kunsthistorischen Museums

langsamer fahren?

als Entertainmentmaschine gesehen

Steiner: Ja.

leme.

Häfele: Ich würde das wirklich alles frei

Steiner: Sie werden schlicht die Massen

haben. Damit habe ich ein bisschen Prob-

machen, keine Bäume, keine Autos, gar

nicht bewältigen können. Das ist das

nichts, keine Buchsbaumhecken, eine

Problem.

riesige Flaniermeile. Haag: Derzeit können wir es noch gut Steiner: Das stimmt verkehrspsycholo-

bewältigen. Die Pläne mit den »Enzis«

gisch. Rein technisch liegt die U-Bahn dort

gefallen mir auch gut, ich glaube, man AnrainerInnen und ExpertInnen im Gespräch

311

kann damit wirklich die Plätze beleben.

ein Begriff ist, der mich persönlich eher

Aber das Problem sehe ich nach wie vor,

bedroht. Weil ich einen Begriff von Kultur

dass die Leute dann halt auf den »Enzis«

habe, der sie nicht als eine Art Zone oder

herumliegen, wie auch immer, knotzen,

als isolierten Bereich von der Gesellschaft

was immer man dort so tut. Aber die Frage

abgrenzt. Je klarer etwas als Kulturbezirk

ist doch, ob sie dann wirklich ins Museum

definiert ist und je klarer der Tourismus

gehen. Beim MuseumsQuartier ist es ja

und die Notwendigkeiten, die mit ihm ein-

auch so, dass ein extrem hoher Prozent-

hergehen – oder scheinbar einhergehen

satz der Besucher dort für Freizeit, Gastro-

– sich durchsetzen, werden solche Areale

nomie und was auch immer hineinkommt.

automatisch Entertainmentzonen. Es

In die einzelnen Museen geht nur ein ganz,

werden spezielle Gebiete geschaffen, die

ganz verschwindend geringer Prozent-

– gewissermaßen ex negativo – bei Besu-

satz. Als Museumsdirektorin habe ich

chern, aber auch bei Bewohnern der Stadt

natürlich in erster Linie das Interesse, dass

implizieren, dass dort die Kultur ist – also

die Besucher auch ins Museum gehen.

ist sie woanders eher weniger oder nicht.

Dass ein Museum oder Museumsbesuche

Jetzt sage ich das als jemand, der in einer

anstrengend sind, und man sich dann dort

Institution arbeitet, die selber in diesem

trotzdem auch entspannen und erholen

Quartier tätig ist. Aber eines der Dinge, die

soll, das ist für mich kein Widerspruch.

das Filmmuseum immer interessiert hat

Aber man darf nicht automatisch anneh-

und die dem Film auch inhärent sind, sind

men, dass die Menschen auch leichter in

unsichere Grenzgebiete.

die Museen kommen, wenn man dort ein

Das meinte ich auch, als ich sagte,

riesiges Freizeitareal möglichst attraktiv

dass mit dem Film ein modernes Medium

gestaltet.

hereingekommen ist, eine Ausdrucks-

Grundsätzlich glaube ich, dass die

form, bei der nicht von vornherein klar

Zentralisierung ein wichtiges Thema ist.

ist, ob sie High Art oder populäre Kultur

Je mehr kulturaffine Menschen auf einem

ist, ein Medium, das alles Mögliche sein

Areal zusammenkommen, desto besser ist

kann. Ein Medium, von dem Begriffe wie

es für die Kultur, ist es für die Kunst, ist es

Entertainmentmaschine überhaupt erst

für die Museen. Darum finde ich auch die-

abgeleitet sind, bei dem es aber interes-

se ganzen Dezentralisierungsgedanken gar

santerweise in den letzten 100 Jahren zu

nicht einmal so positiv. Ich glaube schon,

einer Inversion gekommen ist – zumindest

dass es gut ist, im Zentrum zu sein, aber

was die Museen dieses Mediums betrifft.

die Verbindung zwischen Freizeitmöglich-

Je mehr sich Museen wie das MoMA oder

keit und Museumsbesuch muss klappen.

andere große Kunstmuseen wie Entertainmentmaschinen verhalten, und je mehr

312

Horwath: Mir ist der Gedanke gekommen,

sie sich eigentlich nach einem Hollywood-

dass ein Kulturquartier im Allgemeinen

prinzip oder einem Themenparkprinzip

AnrainerInnen und ExpertInnen im Gespräch

organisieren, desto mehr findet man bei

können Sie gar nicht hoch genug einschät-

Institutionen, die sich dem Bewegtbild

zen. 55 % der Besucher sind aus Wien. In

widmen, einen umgekehrten Prozess. Das

Berlin sollen es auf der gesamten Muse-

ist vielleicht auch die Chance der Kleinheit.

umsinsel unter 10 % sein, im Pergamonmu-

Die Nationalbibliothek verwaltet und

seum sind es 3 %. Im Louvre sind es 6 %, die

serviciert auch eine riesige Menge von

aus Paris kommen. So was kenne ich aus

Menschen, und zwar sehr gut, aber nicht

Dresden, also aus ganz kleinen Städten,

die Touristen, sondern eine ganz wilde

die eine extrem starke Identifikation mit

Mischung wissbegieriger Communities.

ihren Sammlungen haben. Das ist ein

Wissensorte, wie sie die Nationalbibliothek

Potenzial, auf dem man immens aufbauen

darstellt, auch hinter so einer historis-

kann.

tischen Fassade, wären vielleicht ein

Ich kann Herrn Steiner nur militant

notwendiger Aspekt. Orte, die nicht damit

widersprechen. Diese großen Klötze von

werben, dass es dort »die allerwertvolls-

Kunstsammlungen, von naturhistorischen

ten Bilder« gibt oder eine Art »Marken-

Sammlungen, von ethnologischen Samm-

Kultur« und lifestyle-artigen Kunstgenuss.

lungen etc., von Sammlungen schlichtweg

Um wieder dort zu enden, wo ich anfing:

haben ein gigantisches Bildungspotenzial.

Das bedroht mich. Die mitschwingende

Dieses Bildungspotenzial können sie auch

Totalität dieser Vorstellungen, die sicher

entfalten. Um das zu sehen, muss man

nicht so gemeint ist.

einfach mal in amerikanische Museen gehen. Wir haben in Europa oft eine so

Fritz: Wäre das dann auch eine Strategie

enge Perspektive. Amerikanische Museen

gegen das Problem des Unfertigen? Das

haben überhaupt keine Probleme damit,

Unfertige wäre dann ja immer offen – kein

dass sie einerseits Millionen von Besu-

Zaun wurde geschlossen, keine Grenze

chern haben und andererseits ein hoch

definiert.

entwickeltes didaktisches Programm, eine

Horwath: Ich bin sehr wohl der Meinung,

MoMA haben Sie gerade als eine Art The-

hoch entwickelte Ausbildungspolitik. Das dass das Unvollendete heißt, immer was

menpark beschrieben. Das ist total falsch.

Neues hinzustellen, aber nicht mehr vom

Das MoMA ist zweifellos ein extremer Tou-

Gleichen – sehr simpel gesagt –, sondern

rismusmagnet. Aber 30 % der Fläche des

schräge Schnitte hineinzusetzen, gesell-

MoMA sind für »Education« gewidmet, für

schaftlich gedacht.

Kinder usw., es gibt dafür ein unglaublich breites Spektrum von Programmen.

Bernau: Was mir in Wien jetzt wirklich aufgefallen ist und diese Zahl hat mich

Ich glaube, das ist ganz, ganz wichtig. Man muss bei allen Museumsplanungen

vollkommen aus den Socken gehauen: Sie

inzwischen im Kopf behalten, dass es

haben ein Potenzial in dieser Stadt, das

erstens ein regionales Publikum gibt, das AnrainerInnen und ExpertInnen im Gespräch

313

beachtet werden muss, das zum Bei-

angenehm, weil man viel dort lernen kann.

spiel eben in der Nationalbibliothek sitzt

Das ist das, was man aus Amerika und aus

und sich deswegen überhaupt gar nicht

England lernen kann. Da kann man leider

durchsetzen kann, weil es nämlich für die

überhaupt nicht nach Berlin gucken. Dort

lokale Wirtschaft relativ uninteressant

ist genau das Gegenteil der Fall.

ist, weil es seine Steuern schon bezahlt hat. Tourismus bringt natürlich mehr Geld

Fritz: Ich bin froh um die Anmerkung, weil

in die Tasche, deswegen können sich die

sie uns an den Begriff der Teilhabe erinnert,

Tourismusverantwortlichen politisch viel

den wir zuletzt in diesen museumspoliti-

stärker artikulieren. Lokales Publikum ist

schen Diskussionen versucht haben, als

ein ganz wichtiges Fundament, um Mu-

zentraleren Begriff in Museumsplanung

seen und Kulturinstitutionen überhaupt

und Museumsentwicklung einzuführen.

am Laufen zu halten. Vielleicht macht das den Charme von Wiener Institutionen aus,

Publikum (Andreas Nierhaus): Als

das muss ich zugeben, dass dort so viele

»sachberührter Bürger« bin ich ganz

Wiener sind. Für einen Berliner ist das ein

überrascht, positiv überrascht, wie offen

ganz ungewöhnliches Erlebnis. Das ist

hier gesprochen wird. Nur zwei kleine

ein Riesenpotenzial. Das kann man aber

Dinge: Die Idee, über den Ring hinüber

eben nur halten, wenn man sich auf diese

auf den Heldenplatz zu gehen, ist absolut

Leute einrichtet. Immer wieder, wenn man

naheliegend und letztlich auch nicht neu.

mit Amerikanern oder mit Briten spricht,

Alle wesentlichen Planungen nach Semper

sagen die ganz klar: Wir machen unsere

haben das gefordert. Vor allem der Ort für

Politik nicht für Touristen. Auch der Eliza­

das geplante sogenannte Corps de Musée,

beth Court im British Museum ist nicht für

vis-à-vis vom Corps de Logis, wo seit 1928

Touristen gebaut. Der Elizabeth Court ist

das Völkerkundemuseum untergebracht

für Veranstaltungen des British Museum

ist, war so ein Angelpunkt, den man bis in

gebaut, die sich an Londoner richten. Dort

die Mitte des 20. Jahrhunderts – auch in

finden ununterbrochen Kulturveranstal-

den Planungen der Nationalsozialisten –

tungen statt. Es ist genau das Gegenteil

als wichtig erachtet hat, um städtebaulich

zur Pariser Pyramide des Louvre. In der Py-

anzudocken. Das Kastanienwaldgeviert,

ramide finden überhaupt keine Veranstal-

das sich heute dort präsentiert, deutet die

tungen statt, da werden nur Leute durch-

Grundfläche des geplanten Baus an.

geschleust. Das British Museum mit seinen

314

Was die Bepflanzung am Maria-­

sechs Millionen Besuchern hat immerhin

Theresien-Platz betrifft: Das sind alles

noch 40 % Besucher aus London. Davon

ausgewachsene, ursprünglich winzig klei-

sind wir in Paris oder Berlin ganz weit weg.

ne Parkpflanzen, die einfach gewuchert

Deswegen ist das British Museum, obwohl

sind und deshalb so hoch gewachsen sind.

es so voll ist, auch wirklich noch sehr

Die entsprechen in keiner Weise einem

AnrainerInnen und ExpertInnen im Gespräch

historischen Urzustand, der vielleicht vom

die Idee eines Otto-Wagner-Schülers, der

Denkmalamt gefordert werden könnte.

dorthin, wo jetzt der Flakturm steht, einen

Ebenso auch die Alleen an der Ringstraße.

Dom gestellt hat. Dieses Raus aus dem

Die hat man einfach – weil 1919 alle Bau-

Areal, das auch Frau Haags Vorvorgänger

arbeiten eingestellt wurden – vergessen

Fillitz gefordert hat, ist noch überhaupt

zu roden, wie das in allen Projekten bis zu

nicht angesprochen worden. Der meinte,

dem Zeitpunkt vorgesehen war.

raus aus der verdammten Hofburg, raus aus der Enge, hinaus ins Weite. Hier gäbe

Fritz: Ich erlaube mir, stellvertretend für Sie, sehr zufrieden abzuschließen. Natür-

es noch viel zu besprechen. Was mich sehr freut, ist, dass es

lich ist viel offen geblieben. Zum Beispiel

durch die Zusammenstellung des Panels

die öffentliche Raumnutzung von Kindern

gelungen ist, eine andere Formation

und Jugendlichen in dem Areal und andere

kulturpolitischen und damit auch archi-

Nutzungsgruppen, Teilhabegruppen, soge-

tektonischen, museumsplanerischen und

nannte Stakeholder, die wir hier in der

stadtplanerischen Gesprächs herzustel-

Diskussion nicht abbilden konnten. Auch

len. Der Applaus gebührt dem Panel für

die Frage der Erweiterung, der stadträum-

eine Gesprächs- und Fachkultur, die wir

lichen Grenzen. Da gab es zum Beispiel

brauchen.

AnrainerInnen und ExpertInnen im Gespräch

315

Nachwort

Die Burghauptmannschaft Österreich

Reinhold Sahl

Etwa 65 bedeutende und einzigartige historische Bauwerke, die zum kulturellen Erbe Österreichs zählen bzw. bei denen eine besondere Verbundenheit zur Republik Österreich gegeben ist (z. B. Hofburg in Wien, Hofburg zu Innsbruck, Festung Hohensalzburg, Kunsthistorisches Museum, Staatsoper, Tiergarten Schönbrunn) werden durch die Burghauptmannschaft Österreich (BHÖ) verwaltet. Die Aufgaben der BHÖ umfassen die Eigentümerfunktion, die Immobilienverwaltung und die Baubetreuung aller in den Ressortbereich des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft gehörigen bundeseigenen Liegenschaften und Gebäude in ganz Österreich. Viele dieser Objekte weisen aufgrund ihrer baulichen Beschaffenheit eine besondere Nutzbarkeit auf, unterliegen bestimmten völkerrechtlichen oder gesetzlichen Verpflichtungen (u. a. gegenüber kirchlichen Einrichtungen, internationalen Organisationen) oder werden von den Obersten Organen des Bundes für staatspolitische oder hoheitliche Zwecke genutzt (u. a. Bundespräsidentenamt, Bundeskanzleramt und Verwaltungsgerichtshof). Darüber hinaus sind die Objekte von hervorragender kultureller und touristischer Bedeutung mit hoher volkswirtschaftlicher Wertschöpfung. Um den unschätzbaren kulturellen Wert dieser Bauwerke nachhaltig zu sichern, werden diese durch fachkundige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BHÖ baulich erhalten, verwaltet und gesichert. Die BHÖ erbringt dabei neben herkömmlichen Leistungen einer Hausverwaltung auch die gesamte Baubetreuung und eine Vielzahl an Sonderleistungen wie z. B. erhöhter Brand- und Objektschutz sowie Verwaltungs- und Nachwort

317

Kulturmanagement (u. a. bei Großkundgebungen und Demonstrationen auf öffentlichen Plätzen). Die umfassende Wahrnehmung dieser Aufgaben von einer einzigen staatlichen Dienststelle erzielt hohe Synergieeffekte und gewährleistet, dass diese Kulturgüter optimal verwaltet werden. In vielen der in der Verwaltung der BHÖ stehenden Objekte sind ehemalige staatliche Dienststellen bzw. Betriebe (Bundesmuseen, Tiergarten Schönbrunn, Spanische Hofreitschule etc.) untergebracht, welche in den letzten Jahren aus der Bundesverwaltung ausgegliedert und nunmehr in Form von privatrechtlich organisierten Gesellschaften geführt werden. Durch die baulichen Maßnahmen trägt die BHÖ maßgeblich an der Erhaltung des Stadtbildes (insbesondere in Wien, Salzburg und Innsbruck) bei, wodurch der Städtetourismus positiv beeinflusst wird. Viele Restaurierungs- und Sanierungsarbeiten können nur von Baukunst- und Restaurierungsspezialistinnen und -spezialisten durchgeführt werden. Durch diese, von der BHÖ beauftragten Spezialleistungen werden Kleinunternehmen und alte Handwerke am Leben erhalten und die BHÖ trägt hiermit zur Sicherung der Beschäftigung in diesen Branchennischen bei. Durch die Wahrung der Geschichte gestalten wir die Zukunft. Reinhold Sahl, Leiter der Burghauptmannschaft Österreich

318

Die Burghauptmannschaft Österreich

Biografien

Carmen Bernárdez After extensive studies of art history at the Complutense University in Madrid, the Institute of Fine Arts of New York University and restoration at the Istituto Centrale del Restauro in Rome, Carmen Bernárdez completed her Ph.D. in art history at the Universidad Complutense of Madrid, where she is now a Tenured Professor, teaching and researching contemporary Spanish and international art. Her writings address the Spanish avant-garde, violence and its representation, cognition and the creative process, and the influence of American art in Spain during the Franco dictatorship. Bernárdez has also curated five exhibitions related to her research. Her current work focuses on museums and artistic institutions, as well as material culture and recent trends in the arts. Nikolaus Bernau Geboren 1964 in Bonn, lebt in Berlin und Rostock. Architektur- und Museumshistoriker sowie Journalist. Studium der Kunstwissenschaften, Klassische Archäologie und Ethnologie in Berlin (TU / FU), anschließend Studium der Architektur (TU / HdK); Dissertation über die Architektur- und Museumsgeschichte des Pergamonmuseums auf der Berliner Museumsinsel. Zahlreiche Publikationen, Bücher, Aufsätze und Vorträge. Freier Redakteur der Berliner Zeitung. Arbeitet u. a. für Deutschlandradio, Die Zeit, Fachzeitschriften. Lehrtätigkeit u. a. an der Brandenburgischen Technischen Universität in Cottbus und der Hochschule für Wirtschaft und Technik. Seit 2006 Mitglied des Landesdenkmalrats Berlin. Ausgezeichnet mit dem Journalistenpreis des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz 1995, der Silbernen Halbkugel des DNK 2011, dem Helmut-Sommer-Publizistenpreis des Deutschen Bibliothekenverbands DBV 2012. feld72 feld 72 (Anne Catherine Fleith, Michael Obrist, Mario Paintner, Richard Scheich, Peter Zoderer) ist ein Kollektiv im Spannungsfeld von Architektur, Urbanismus und Kunst. Umsetzung zahlreicher Projekte diverser Größenordnung und Typologien im internationalen Kontext, die von Masterplänen über Gebäude, Raum- und Ausstellungsgestaltungen bis hin zu urbanen Strategien und großflächigen Interventionen im öffentlichen Raum reichen. Die Arbeiten wurden in diversen Biennalen für Architektur gezeigt (4x Biografien

319

Biennale Venedig, Shenzhen / Hongkong, São Paulo, Rotterdam) und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. Contractworld Award, Top 10 beim Chernikhov-Award, Staatspreis für experimentelle Tendenzen in der Architektur 2002, Südtiroler Architekturpreis für Wohnbau als auch öffentliche Bauten 2011, Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit 2012 (www.feld72.at). Gabu Heindl Selbstständige Architektin in Wien, Studium der Architektur an der Akademie der bildenden Künste Wien, an der Geidai University in Tokyo und an der Princeton University, USA. Realisierungen öffentlicher Kultur- und Sozialbauten sowie Forschungen und Publikationen zu Arbeit, Urbanität und Alltag. Seit 2013 Vorstandsvorsitzende der ÖGFA und Mitglied des Architekturbeirats der BIG, seit 2007 Lehrende am Institut für Kunst und Architektur an der Akademie der bildenden Künste Wien, zuvor an der TU Graz, TU Delft und am Berlage Institute Rotterdam. Publikationen in Fachzeitschriften wie u. a. JAE, UmBau, Volume und dérive. Bücher: Arbeit Zeit Raum. Bilder und Bauten der Arbeit im Postfordismus (2008), position alltag – architecture in the context of everyday life (2009), Just Architecture, Gast-Herausgeberin von ERA21 (1/2012). Augustin Ioan Augustin Ioan teaches at the University of Architecture and Planning in Bucharest, Romania, and was Director of Studies for the Doctoral School of the same institution from 2005 to 2011. He is currently the president of the National Commission for Historical Monuments. Holding an MSArch degree (with honors) from University of Cincinnati, OH (1994), the author also has two PhD degrees, in the History of Architecture (1998) and Philosophy (2002). He was awarded a Licentiate Honoris Causa in Theology from the Center for Traditionalist Orthodox Studies in 2007. He has published extensively in Romania, Hungary and the USA, where his book Sacred Space (2002) was published after winning the Orthodox Patriarchal Cathedral Competition at home. He was a Junior (2003/2004) and Senior (2004, 2012) Fulbright Scholar at the University of Cincinnati, OH. Books in English: Sacred Space (CTOS, Etna, CA), Place and Placelessness (Collegium, Budapest, 2002), Teme ale arhitecturii româneşti în secolul XX / Themes of 20th-Century Architecture in Romania (Ed.Institutului Cultural Român / ICR Press, Bucharest 2004), and Architecture and the Totalitarian Project (ICR Press, 2008). Elke Krasny Senior Lecturer an der Akademie der bildenden Künste Wien. 2013 Gastprofessur an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg, 2014 Gastprofessur an der Technischen Universität Wien. 2011 Visiting Curator des Hongkong Community Museum Project, 320

Biografien

2011/2012 Visiting Artist der Audain Gallery Vancouver, 2012 Visiting Scholar am Canadian Center for Architecture in Montréal. Die von ihr kuratierte Ausstellung Hands-on Urbanism 1850–2012. The Right to Green wurde 2012 im Architekturzentrum Wien, 2013 in der Neuen Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig und 2012 auf der Architekturbiennale in Venedig gezeigt. Mit Irene Nierhaus hat sie 2008 Urbanografien. Stadtforschung in Kunst, Architektur und Theorie herausgegeben. Der von ihr konzipierte Band Women’s:Museum. Curatorial Politics in Feminism, Education, History, and Art ist 2013 erschienen. Melanie Letschnig Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaften mit Schwerpunkt Volkskunde an der Universität Wien. Von Juli 2007 bis Oktober 2008 Mitarbeiterin im FWF-Projekt »Die Hofburg seit 1918. Von der Residenz zum Museumsquartier« (Schwerpunkt: Die Hofburg als Schauplatz im deutschsprachigen Film und in der österreichischen Literatur). 2008–2012 Univ.-Ass. am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien. Seit 2012 Univ.-Ass. am Institut für Medien der Kunstuniversität Linz. Dissertationsprojekt: Explosionen in höfischer Festkultur, Blumenstillleben und Kino. Aktuelle Publikation: »Die Explosion auf der Leinwand – das Blumenstillleben als vertikale Vorform des Kinos«, in: Felten, Georges / Golgotiu, Corina / Plas, Guillaume (Hg.): Die Explosion vor Augen / L’explosion en point de mir, Würzburg 2013, 161–171. Jochen Martz Freier Landschaftsarchitekt, Studium der Landespflege an der TU München Weihenstephan, Promotionsstudium der Kunstgeschichte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Erster Vorsitzender des Landesverbandes Bayern Nord der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur (DGGL), kooptiertes Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für historische Gärten (öghg), Expert Member im ICOMOS-IFLA Committee on Cultural Landscapes, seit 2009 Vertretung der Professur für Geschichte der Landschaftsarchitektur an der TU Dresden, seit 2012 Lehrauftrag für Geschichte der Gartenkunst und Gartendenkmalpflege an der Universität Kassel, seit 2013 Leiter des Arbeitskreises Historische Gärten der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur. Andreas Nierhaus Geboren 1978 in Graz. Studium der Kunstgeschichte und Geschichte in Wien. 2004/2005 Assistent am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien, 2005–2008 Mitarbeiter der Kommission für Kunstgeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften; seit 2005 Lehrveranstaltungen an der Universität Wien; seit 2008 Kurator der Architektursammlung des Wien Museums. Forschungsschwerpunkte: Architektur und Biografien

321

bildende Kunst im 19. und 20. Jahrhundert; Historismus und Moderne; Medien der Architektur; Architekturzeichnungen. Olga Postnikova Geboren in Moskau. Studium der Kunstgeschichte, der klassischen Archäologie und Geschichte an der Moskauer Lomonossov-Universität. Dolmetschausbildung an der Universität für Fremdsprachen in Moskau. Bis 1991 Kustodin am Puschkin-Museum für bildende Künste in Moskau. Lebt und arbeitet seit 1992 in Wien und Moskau. Forschungsschwerpunkte: deutsche Kunst des 16. Jahrhunderts; russische und sowjetische Kunst und Architektur; künstlerische Beziehungen zwischen Österreich und Russland. Teilnahme an internationalen Konferenzen in Deutschland, Österreich und Russland. Kuratorin und Organisatorin mehrerer Ausstellungen in Russland und Österreich. Vorlesungen über die russische Kunst des 18. und 19. Jahrhunderts (Lehrauftrag am Institut für Kunstgeschichte, Universität Wien 1998–1999). Zahlreiche Publikationen und Katalogbeiträge.

Anna Popelka, Georg Poduschka, PPAG architects Wien Studium an der TU Graz, Gastprofessuren an der TU Wien und TU Graz. Projekte: Wohnbau unterschiedlicher Größenordnungen – von kleinen Experimentalbauvorhaben bis hin zu stadtraum- und sozialrelevanten Wohnbauten mit mehreren Hundert Wohnungen, u. a. Praterstraße, Wohnen am Park, Wohnhof Orasteig, Radetzkystraße, Wohnhügel Europan 6 (alle in Wien) sowie Kleinhäuser im Burgenland; 10 Jahre Stadtmöblierung und diverse Mikroarchitekturen im MuseumsQuartier; Sonderbauten wie z. B. der Klimawindkanal Wien, ein Floating Tank im MUWA Graz und eine Fassade für ein Parkhaus in Skopje. Aktuell: Um- und Zubau Restaurant Steirereck, Wien; Bildungscampus Hauptbahnhof Wien; Wohnbau Slim-City in der Seestadt Aspern. Péter Rostás Geboren 1972 in Budapest. Studium der Kunstgeschichte an der Budapester EötvösLoránd-Universität und der Georg-August-Universität in Göttingen. Forschungsschwerpunkt: Geschichte der Interieurs- und Möbelkunst des 19. und 20. Jahrhunderts. Seit 2001 Kustos der Möbelsammlung im Museum Kiscell (Budapest), ab 2008 stellvertretender Direktor und seit 2010 Direktor des Museums. Publikationen u. a. über die Möbelkunst des ungarischen Biedermeier, die Wiener Möbelfirma Friedrich Otto Schmidt und die Geschichte des Budaer königlichen Burgpalastes. Johanna Schwanberg Geboren 1966 in Wien. Kunst- und Literaturwissenschaftlerin, 2001 promoviert über die 322

Biografien

»Bild-Dichtungen von Günter Brus« (2003 veröffentlicht im Springer Verlag); seit 2013 Direktorin des Wiener Dommuseums mit der Sammlung Otto Mauer. Seit 2011 Lehrbeauftragte an der Universität für angewandte Kunst. 2005–2013 Universitätsassistentin mit besonderer Lehrbefugnis (»Docens Ordinarius«) im Fachbereich Kunstwissenschaft am Institut für Kunstwissenschaft und Philosophie der KTU Linz. Forschungsschwerpunkte: Beziehung zwischen Wort und Bild, österreichische Avantgarde, Aktionskunst, Relationen zwischen Kunst und Wissenschaft. Mitwirkung an Forschungsprojekten sowie Tätigkeit als Ausstellungskuratorin, etwa »Kreuzungspunkt Linz« im Lentos im Rahmen von Linz09. Zahlreiche Veröffentlichungen für »Parnass«, »Spectrum« (Die Presse), das Feuilleton der »Furche«, sowie für die Ö1-Serie »Gedanken für den Tag«. Gerhard Steixner Geboren 1953 in Innsbruck. Architekturstudium an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei Roland Rainer; 1981 Diplom. Seit 1984 freischaffend als Architekt, Designer und Filmemacher tätig. Seit 1994 staatlich befugter und beeideter Ziviltechniker mit Büro in Wien. Arbeitsschwerpunkte: Städtebau, ökosolares Bauen und Interieurdesign. 1997 Gastprofessur an der TU Wien, 2004 Universitätslektor, 2009 Berufung an die TU Wien als Professor für Hochbau und Vorstand der Abteilung Hochbau, Konstruktion und Entwerfen. Diverse Preise und Auszeichnungen: drei Bauherrenpreise der Zentralvereinigung der Architekten Österreichs, Staatspreis für Experimentelle Tendenzen in der Architektur, Österreichischer ÖKO-Preis für Architektur, Nominierung für den Mies van der Rohe Award (www.steixner.com). Anna Stuhlpfarrer Studium der Kunstgeschichte an der Universität Wien. 2000–2003 Forschungsprojekt zur Aufarbeitung der Kunstsammlung der VERBUND Hydro Power AG (Kunst nach 1945), ab 2003 Betreuung der Sammlung. Seit 2006 Organisation von Kunstprojekten und Kuratierung von Ausstellungen zu zeitgenössischer Fotografie. Seit 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin der FWF-Projekte »Die Wiener Hofburg seit 1918. Von der Residenz zum Museumsquartier« und »Vom Wiener Kaiserforum zum Kulturforum ›Hofburg-MuseumsQuartier‹«. Seit 2008 freie Mitarbeiterin des Referats für Kunst und Denkmalpflege, Erzdiözese Wien. Publikationen zu den Forschungsschwerpunkten Architektur und bildende Kunst des 20. Jahrhunderts; zeitgenössische österreichische Fotografie. Jan Tabor Geboren 1944 in Podebrady, Tschechien. Studium an der Technischen Universität Wien. Architekturtheoretiker, Kunstkritiker, Ausstellungsmacher, Publizist, Architekt. Ausstellungen u. a.: Kunst und Diktatur; Verbaut – Kunst am Bau; Fuß in der Tür: Manifeste des Biografien

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Wohnens; mega: manifeste der anmaßung; Enzyklopädie der wahren Werte; Hitlerzimmer im Volkstheater; Kunst und Befreiung (Wanderausstellung, laufend). Mitbegründer des »forums experimentelle architektur«. Unterrichtete Architektur an der Universität für angewandte Kunst Wien, Studio Zaha Hadid, und an der Akademie der bildenden Künste Bratislava. Außerordentliches Ehrenmitglied des Wiener Künstlerhauses. Thomas Trenkler Geboren 1960 in Salzburg, lebt in Wien. Studium der Germanistik und Kunstgeschichte in Graz, Dissertation über die Sprache der Werbung. Seit 1984 journalistisch tätig. Von 1985–1990 Mitarbeiter (ab 1988 Pressereferent) des Festivals »steirischer herbst«. Seit 1993 Kulturredakteur beim »Standard«. Seit 2011 Leiter von Workshops für Schüler und Lehrer über Journalismus für »Zeitung in der Schule«. Mehrere Buchveröffentlichungen, darunter Der Fall Rothschild (1999), Wiedersehen im Niemandsland (2000), Die Hofburg Wien (2004), 53 – Eine Behauptung (2009), Ich fiel in eine Welt (2013) und Das Zeitalter der Verluste (2013). Bank-Austria-Kunstpreis 2012 in der Kategorie Kulturjournalismus. Maria Welzig Kunsthistorikerin, Wien. Forschung, Texte und filmische Arbeiten zu Architektur und Stadt. Bücher u. a. Josef Frank. Das architektonische Werk (1998) und Die Architektur und ich (2003, mit Gerhard Steixner). FWF-Forschungsprojekte zur »Österreichischen Architektur seit 1968«. 2008/09 Gastprofessorin an der Universität für angewandte Kunst Wien, Klasse Fotografie. Projektleiterin des FWF-Forschungsprojekts »Die Wiener Hofburg seit 1918. Von der Residenz zum Museumsquartier« und seit 2013 des Folgeprojekts »Vom Wiener Kaiserforum zum Kulturforum ›Hofburg-Museums-Quartier‹«. Entwicklung eines Multimedia-Guides zur Geschichte des Hofburg-Areals im Auftrag der Burghauptmannschaft Österreich (seit 2012). Michael Wimmer Schwerpunkte: Forschung und Beratung in den Bereichen Kulturpolitik, Bildungspolitik und kulturelle Bildung. Langjähriger Leiter des Österreichischen Kulturservice (ÖKS), Musikerzieher und Politikwissenschaftler. Dozent an der Universität für angewandte Kunst Wien sowie Lehrbeauftragter zu kulturpolitischen Themen am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaften der Universität Wien und seit März 2007 Mitglied der Expertenkommission zur Neuen Mittelschule. International tätig als Berater des Europarats, der UNESCO und der Europäischen Kommission in kultur- und bildungspolitischen Fragen. Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Internationalen Konferenz für Kulturpolitikforschung (iccpr) (www.educult.at/team/michael-wimmer/).

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Biografien

Abkürzungen AdR Wien, Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik AVA Wien, Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv BBK ÖStA, Burgbaukommission HBC Hofbaucomité HHStA Wien, Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv PAB Wien, HHStA, Planarchiv der Burghauptmannschaft ÖAW Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien OKäA Oberstkämmereramt OMeA Obersthofmeisteramt ÖNB Wien, Österreichische Nationalbibliothek ÖStA Wien, Österreichisches Staatsarchiv WStLA Wiener Stadt- und Landesarchiv

Bildnachweis Bildnachweis Anna Stuhlpfarrer 1: ÖNB, Bildarchiv, 39866-C; 2: Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien, Archiv Wiener Ringstraße; ­­ 3: Albertina Wien, Inv. 28.938; 4: HHStA, PAB, D-9, Nr. 1289; 5: HHStA, PAB, B-6, Nr. 1330; 6: ÖNB, Bildarchiv, L 4.116D; 7: AVA, 1919, Stadterweiterung, Kat. 6, VIII. Beilagen und Varia; 8: AdR, 1927, H52, Kat. 301; 9: Profil, H. 10, 1936, 444; 10: Kassal-Mikula, Renata (Hg.), Das ungebaute Wien. Projekte für die Metropole 1800–2000, Ausstellungskatalog Historisches Museum der Stadt Wien, Wien 1999, 321; 11: Kassal-Mikula, 1999, 320; 12: ÖNB, Bildarchiv, Nr. E-3/888, Bildnachweis: VGA; 13: WStLA, Fotosammlung allgemein, Nr. C 3451; 14 und 15: AdR, Reichsstatthalter, 1940, Kart. 299, Bau und Landschaftspflege XI/e; 16: ÖNB, Bildarchiv, Nr. US 12.366/25; 17: Archiv der Burghauptmannschaft, Konferenzzentrum – Modeschau der Chemia 1960, Bild 6, Foto: Julius Scherb Bildnachweis Andreas Nierhaus 1: Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien, Archiv Wiener Ringstraße; 2: HHStA, PAB, E-III-21/1836; 3: HHStA, PAB, E-IV-f-22/5718; 4: HHStA, PAB, E-IV-f-22/5696; 5: HHStA, PAB, E-IV-f-22/5720; 6: HHStA, PAB, E-IV-f-21/5662; 7: Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien, Archiv Wiener Ringstraße Bildnachweis Jochen Martz 1–26: Archiv Jochen Martz Bildnachweis Johanna Schwanberg 1 und 2: Foto © museum moderner kunst stiftung ludwig wien; 3: Günter Brus; 4–6: Charim Galerie, Wien; 7–9: David Jagerhofer Bildnachweis Melanie Letschnig 1 und 2: Maria Theresia – Eine Frau trägt die Krone, Ö 1951; R: Emil(e) Edwin Reinert, P: Paula Wessely-Filmproduktion GmbH; 3: Wien, du Stadt meiner Träume, Ö 1957, R: Willi Forst, P: Sascha-Film Produktions GmbH / Lux-Filmproduktion GmbH; 4: Die lustige Witwe, Ö / F 1962; R: Werner Jacobs, P: Sascha-Film Produktions GmbH / Criterion-Film Paris

Abkürzungen, Bildnachweis

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Abkürzungen AdR Wien, Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik AVA Wien, Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv BBK ÖStA, Burgbaukommission HBC Hofbaucomité HHStA Wien, Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv PAB Wien, HHStA, Planarchiv der Burghauptmannschaft ÖAW Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien OKäA Oberstkämmereramt OMeA Obersthofmeisteramt ÖNB Wien, Österreichische Nationalbibliothek ÖStA Wien, Österreichisches Staatsarchiv WStLA Wiener Stadt- und Landesarchiv

Bildnachweis Bildnachweis Anna Stuhlpfarrer 1: ÖNB, Bildarchiv, 39866-C; 2: Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien, Archiv Wiener Ringstraße; ­­ 3: Albertina Wien, Inv. 28.938; 4: HHStA, PAB, D-9, Nr. 1289; 5: HHStA, PAB, B-6, Nr. 1330; 6: ÖNB, Bildarchiv, L 4.116D; 7: AVA, 1919, Stadterweiterung, Kat. 6, VIII. Beilagen und Varia; 8: AdR, 1927, H52, Kat. 301; 9: Profil, H. 10, 1936, 444; 10: Kassal-Mikula, Renata (Hg.), Das ungebaute Wien. Projekte für die Metropole 1800–2000, Ausstellungskatalog Historisches Museum der Stadt Wien, Wien 1999, 321; 11: Kassal-Mikula, 1999, 320; 12: ÖNB, Bildarchiv, Nr. E-3/888, Bildnachweis: VGA; 13: WStLA, Fotosammlung allgemein, Nr. C 3451; 14 und 15: AdR, Reichsstatthalter, 1940, Kart. 299, Bau und Landschaftspflege XI/e; 16: ÖNB, Bildarchiv, Nr. US 12.366/25; 17: Archiv der Burghauptmannschaft, Konferenzzentrum – Modeschau der Chemia 1960, Bild 6, Foto: Julius Scherb Bildnachweis Andreas Nierhaus 1: Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien, Archiv Wiener Ringstraße; 2: HHStA, PAB, E-III-21/1836; 3: HHStA, PAB, E-IV-f-22/5718; 4: HHStA, PAB, E-IV-f-22/5696; 5: HHStA, PAB, E-IV-f-22/5720; 6: HHStA, PAB, E-IV-f-21/5662; 7: Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien, Archiv Wiener Ringstraße Bildnachweis Jochen Martz 1–26: Archiv Jochen Martz Bildnachweis Johanna Schwanberg 1 und 2: Foto © museum moderner kunst stiftung ludwig wien; 3: Günter Brus; 4–6: Charim Galerie, Wien; 7–9: David Jagerhofer Bildnachweis Melanie Letschnig 1 und 2: Maria Theresia – Eine Frau trägt die Krone, Ö 1951; R: Emil(e) Edwin Reinert, P: Paula Wessely-Filmproduktion GmbH; 3: Wien, du Stadt meiner Träume, Ö 1957, R: Willi Forst, P: Sascha-Film Produktions GmbH / Lux-Filmproduktion GmbH; 4: Die lustige Witwe, Ö / F 1962; R: Werner Jacobs, P: Sascha-Film Produktions GmbH / Criterion-Film Paris

Abkürzungen, Bildnachweis

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Bildnachweis Elke Krasny 1–4: Elke Krasny Bildnachweis Thomas Trenkler 1: F. Schachinger; 2: HHStA, PAB, O-13/5015; 3: O&O Baukunst Bildnachweis Péter Rostás 1: Museum Kiscell, Budapest, Inv. No. F.66.1499; 2: Museum Kiscell, Budapest, Inv. No. 26660.6; 3: Museum Kiscell, Budapest, Inv. No. 29166.9; 4: Ungarisches Landesarchiv, XIX-A-16-b Akten des Landesplaninstituts, Karton 128, Mappe I; 5: Erschienen in: Kotsis, Iván, Épületek és tervek [Gebäude und Pläne], Budapest 1945; 6: BTM Fővárosi Képtár [Städtische Galerie, Budapester Historisches Museum]; 7: Erschienen in: Dercsényi, Dezső / Zolnay, László, Esztergom [Gran]. Budapest, 1956 [1957!]; 8: Museum Kiscell, Budapest, Inv. No. F.66.1498; 9: Museum Kiscell, Budapest, Inv. No. F.81.91; 10: Rudolf Járay, Museum Kiscell, Inv. No. 2013.43.1; 11: BTM Fővárosi Képtár [Städtische Galerie, Budapester Historisches Museum]; 12: Erschienen in: Kollányi, Béla, Az újjáépült Budavári Palota [Der wiederaufgebaute Budaer Burgpalast], Budapest, 1990; 13–15: Ungarisches Landesarchiv, XIX-A-16-b Akten des Landesplaninstituts, Karton 128, Mappe V; 16 und 17: Ungarisches Landesarchiv, XIX-A-16-b Akten des Landesplaninstituts, Karton 128, Mappe IV; 18: Ungarisches Landesarchiv, XIX-A-16-b Akten des Landesplaninstituts, Karton 128, Mappe V; 19: Béla Hollenzer, Museum Kiscell, Inv. No. 59.93.1; 20: Architektenbüro KÖZTI, Budapest; 21: Museum Kiscell, Budapest, Inv. No. F.99.51 Bildnachweis Olga Postnikova 1: Moskwa i moskwitschi. Kartiny is sobranija Tretjakowskoi galerie, Moskwa, 1997, 8–9; 2: Zarskije i imperatorskie dworzy. Staraja Moskwa. Moskwa, 1997, 63; 3: Moskwa. Illjustrirowannaja istorija w dwuch tomach, Tom 2, S 1917 g. do naschich dnej, Moskwa 1986, Abb. 1, 58; 4: German, Michail, Die Kunst der Oktoberrevolution. Leningrad 1985, Abb. 70; 5: Bakos, Katalin, Kunst und Revolution. Russische und Sowjetische Kunst 1910–1932, Hg.: Österreichisches Museum für angewandte Kunst Wien, Wien 1988, Abb. 163; 6: USSR im Bau 1931, H. 9, o. S.; 7: Balanenko, Jurij, Moskwa, Moskwa 1988, Abb. 29; 8: Gos. istoriko-kulturny musej-zapowednik »Moskowskij Kreml«. Kremljowskie dworzy. Bolschoj Kremljowskij dworez architektora K. Tona, Moskwa 1994, Abb. 53; 9: Moskwa. Illjustrirowannaja istorija w dwuch tomach, Tom 2, S 1917 g. do naschich dnej, Moskwa 1986, Abb. 1, 458; 10: Agitation zum Glück. Sowjetische Kunst der Stalinzeit. Hg.: Staatliches Russisches Museum St. Petersburg, Kulturdezernat der Stadt Kassel – documenta Archiv, Bremen 1994, Abb. 103; 11: Moskwa 1147–1997, in: Nasche Nasledie, Nr. 43–44, 1997, 49; 12: USSR im Bau 1930, H. 7–8, 3; 13: Archiv Olga Postnikova; 14: Balanenko, Jurij, Moskwa, Moskwa 1988, Abb. 21; 15: Archiv Olga Postnikova Bildnachweis Augustin Ioan 1–12: Archiv Augustin Ioan Bildnachweis Carmen Bernárdez 1a und 1b: Madrid 2008–09, blogspot, http://bit.ly/1oFQRWW (10.3.2014) und Madrid siglo xxi, blogspot, http://bit. ly/YkyReC (9.3.2014); 2: Municipal Museum, Madrid; 3: Carmen Bernárdez; 4: Google Earth; 5–7: Jan Matthews; 8a–16: Carmen Bernárdez Bildnachweis Nikolaus Bernau 1: Archiv Nikolaus Bernau; 2: Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum / Franco Stella Architekten; 3: Stephan Braunfels Architekten, München; 4: Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum / Franco Stella Architekten; ­ 5: Berliner Schloss – Humboldtforum / Ralph Appelbaum Associates (RAA); 6: Nikolaus Bernau, 2013; 7: Nikolaus Bernau, 2012; 8: Nikolaus Bernau, 2010; 9: Berliner Schloss – Humboldtforum / Ralph Appelbaum Associates (RAA); 10 und 11: Nikolaus Bernau, 2013; 12 und 13: Nikolaus Bernau, 2010; 14: Nikolaus Bernau, 2014; 15: Nikolaus Bernau, 2009 Bildnachweise Maria Welzig: 1–3: Margherita Spiluttini; 4: Ortner & Ortner, Foto: Gerald Zugmann, Plan ausgestellt im MuseumsQuartier; 5: Margherita Spiluttini; 6: Grafikdesign des Leitsystems: Bohatsch und Partner, Foto: Maria Welzig; 7: Wikimedia

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Bildnachweis

Commons, Foto: Manfred Werner, http://bit.ly/N3TqWp (11.3.2014), http://creativecommons.org//licenses/ by-sa/3.0; 8–9b: Margherita Spiluttini; 10: OpenStreetMap, www.openstreetmap.at (11.3.2014); 11: Margherita Spiluttini; 12: Maria Welzig; 13: Medienwerkstatt Wien; 14a und 14b: Künstler: Skero ft. Kamp, Regie: 401RUSH, Kamera und Schnitt: Andrew Zoechbauer; 15a und 15b: Bernadette Bayrhammer; 16: Wikimedia Commons, Karte erstellt von Benh Lieu Song, 28.12.2012, http://bit.ly/1gnlOuy (11.3.2014), http://creativecommons.org//licenses/by-sa/3.0; 17: Wikimedia Commons, Foto: Pueri Jason Scott, 2010, http://bit.ly/N3TTYQ (11.3.2014), http://creativecommons. org//licenses/by-sa/3.0; 18a: Langarita-Navarro Arquitectos, Foto: Miguel de Guzmán; 18b: Langarita-Navarro Arquitectos; 19: Wikimedia Commons, http://bit.ly/1cNsw1w (11.3.2014), http://creativecommons.org//licenses/ by-sa/3.0; 20: Wikimedia Commons, Foto: Mazbln, http://bit.ly/1i3pCET (11.3.2014), http://creativecommons.org// licenses/by-sa/3.0; 21–23b: Office for Metropolitan Architecture, Heer Bokelweg 149, 3032 AD Rotterdam, Netherlands, www.oma.eu Bildnachweis Gabu Heindl 1–7: Hertha Hurnaus Bildnachweis PPAG 1–7: PPAG architects; 8: Roland Krauss; 9: PPAG architects; 10: Ali Schafler; 11 und 12: Roland Krauss; 13: Mo and Mei; 14: INFOSCREEN, Austria; 15: Falter, Nr.25, 2009, Titelblatt; 16 und 17: PPAG architects Bildnachweis Feld 72 1: Julia Lorber Bildnachweis Gerhard Steixner 1–4: Gerhard Steixner; 5: PAUHOF Architekten; 6–8: Entwurfsübung »public space«, TU Wien, 1997

Bildnachweis

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Personenregister Achleitner, Friedrich  108 Adjaye, David   263 Alexander I.   88, 161 Alexander, Peter   90 Aljochina, Marija (Pussy Riot)   101 Allende, Bárbara   205 Althabe, Gérard   189 Ando, Tadao   254 Antoine d. J., Franz   61 Apollodor(os) von Damaskus   182 Arbós, Fernando   212 Artaud, Antonin   96 Aschwanden, Daniel   79 Augustus   183 Bajtala, Miriam   79 Ballina, Manuel de la   212 Bastian, Adolf   224 Baumann, Ludwig   18, 19, 20, 22, 24, 25, 42, 47, 48, 49, 50, 286 Bellido, Luís   215 Bellini, Mario   253 Beneš, Edvard   135 Benjamin, Walter   86 Bernhard, Thomas   83 Blanc, Patrick   208 Blum, Rudolf   64 Boddien, Wilhelm von   220 Bode, Wilhelm von   224 Bofill, Ricardo   188 Bonaparte, Napoleon   161 Bösel, Richard   293 Boulez, Pierre   113 Braganza, Elizabeth von   206 Braun, Christina von   96 Braunfels, Stephan   217, 221, 222, 328 Brus, Günter   5, 13, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 323, 326 Bürckel, Josef   30, 31 Busek, Erhard   104, 307 Büttner, Elisabeth   89 Cagnola, Luigi   286 328

Personenregister

Ceauşescu, Nicolae   179, 13, 179, 181, 182, 184, 185, 186, 187, 188, 189 Chipperfield, David   228, 256 Chruschtschow, Nikita S.   176 Costenoble, Carl   48 Czech, Hermann   32, 274 Cziffra, Géza von   90 Däniken, Hans-Peter von   242 Deleuze, Gilles   97, 98 Deutschbauer, Julius   5, 13, 71, 72, 79, 80, 81, 82, 83 Dewald, Christian   89 Dichand, Hans   116 Dietrich, Margret   95 Dohme, Robert   40 Dollfuß, Engelbert   27, 37 Dumitrescu, Cornel   189 Dürer, Albrecht   89 Dustmann, Hanns   28, 31 Eitelberger, Rudolf von   98 EXPORT, VALIE   5, 13, 71, 72, 76, 77, 78, 79, 80, 82, 83 feld72   7, 14, 247, 283, 319, 320 Ferdinand VII.   206 Fillitz, Hermann   307, 315 Firnberg, Hertha   116 Fischer von Erlach, Johann Bernhard   103, 107, 115, 275 Fischer von Erlach, Joseph Emanuel   93, 133 Fischer, Heinz   79, 82 Förster, Emil von   42 Förster, Ludwig   106 Foster, Norman   217, 254 Foucault, Michel   83, 95, 97 Franco, Francisco   198 Frank, Karl   48 Franz Ferdinand d’Este   18, 44, 45, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 57, 58, 106 Franz Joseph I.   18, 37, 42, 51, 52, 106, 131, 132, 143, 305 Frass, Wilhelm   103

Freud, Sigmund   94 Friedrich Wilhelm IV.   223 Gareis, Sigrid   79 Gehry, Frank   254, 256 Gerevich, László   142 Gerevich, Tibor   142 Gerő, László   141, 142, 143, 144, 146, 147, 154 Gheorghiu-Dej, Gheorghe   179 gmp (Architekten von Gerkan, Marg und Partner)   236

Holzmeister, Clemens   27, 28 Horthy, Miklós   143 HSA (Hilmer & Sattler und Albrecht)   236 Ihne, Ernst von   224 Irigaray, Luce   96 Irmisch, Eduard   22 Iwan III.   159, 160 Iwan IV.   160 Iwanow-Schitz, Illarion   172 Jacobs, Werner   89, 90

Gottfried, Margaret   293 Götz, Bettina (ARTEC Architekten)   300 Grabar, Igor   167 Graffunder, Heinz   219 Gratt, Thomas   96 Greisenegger, Wolfgang   96 Gropius, Martin   224 Habsburg-Lothringen, Ferdinand Zvonimir 135 Habsburg-Lothringen, Karl   135 Hadid, Zaha   254 Haerdtl, Oswald   37 Hájek, Petr   125 Hangl, Oliver   79 Hanisch, Ernst   110 Hannich, Josef   28 Harhoiu, Dana   190 Hasenauer, Carl von   18, 28, 39, 42, 64, 106 Häupl, Michael   105 Hauszmann, Alois   139, 144, 151 Havel, Václav   129, 131, 132, 134 Heger, Franz   49 Hennings, Fred   85 Henselmann, Hermann   183 Hernández León, Juan Miguel 199, 202 Herzog, Jacques   208 Heydrich, Reinhard   133, 134 Hidasi, Lajos   158 Hild, József   153 Hillebrandt, Franz Anton   140 Hitler, Adolf   30, 106, 127, 128, 131, 134 Hodek, Eduard   48 Hoffmann, Ludwig   225 Hollein, Hans   105, 268 Holt, Hans   88

Janáky, István   147, 153, 154, 155, 156, 157, 158 Jandl, Ernst   83, 91 Kádár, János   156, 158 Kafka, Franz   83, 129 Kammerer, Marcel   25 Kaprow, Allan   96 Karl III.   201, 206, 207 Karl V.   207 Karl VI.   87, 115, 128, 133 Keplinger, Othmar   96 Kindermann, Heinz   94, 95 Klaus, Livia   134 Klaus, Václav   124, 125, 128, 132, 134 Kleihues, Jan   229 Klotz, Arnold   295 Klünner, Hans-Werner   219 Konlechner, Peter   296 Koolhaas, Rem   189, 260, 261, 262 Koschatzky, Walter   297 Kotsis, Iván   139, 140, 141, 148, 151, 152 Kreisky, Bruno   113 Krischanitz, Adolf   259 Kristeva, Julia   96 Kubelka, Peter   268, 297 Kuehn Malvezzi   228 Kurrent, Friedrich   37 Langarita-Navarro Arquitectos (Marίa Langarita, Victor Navarro)   209, 254 Lehmann, Klaus-Dieter   226, 227 Lenin, Wladimir Iljitsch   163, 165, 166, 168, 174, 219 Lernet-Holenia, Alexander   112, 129 Lhotsky, Alphons   31 Liebknecht, Karl   222

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Ligne, Charles Joseph de   80 Lincke, Paul   54 Lötsch, Bernd   105, 303 Lunatscharski, Anatoli   164 Lux, Claudia   227 Lux, Kálmán   142, 147 Maczenski, Zdzislav   154 Magris, Claudio   87 Mahnal, Richard (ARTEC Architekten)   300 Major, Máté   155

Ottokar II. Přemysl   103 Palacio y Elissague, Alberto de   210 Palacios, Antonio   204 Palmers, Walter Michael   96 Pasolini, Pier Paolo   96 PAUHOF Architekten   290 Pázmándi, István   148 Pei, Ieoh Ming   252, 307 Peichl, Gustav   105 Perco, Rudolf   28

Mansilla, Luís   213 Maria Theresia   83, 85, 86, 87, 88, 89, 109, 115, 126, 140, 148, 288 Masaryk, Tomáš G.   127, 130, 134 Mascher, Friedrich H.   168, 297 Matthias Corvinus   142, 157 Mayr, Hans   28 Meier, Monika   95 Meister, Monika   96 Messel, Alfred   224 Meuron, Pièrre   208 Meyer, Eva   96 Mihályfi, Ernő   156 Miklas, Wilhelm   26 Milla, Johannes   259 Mitterrand, François   252 Mnouchkine, Ariane   96 Moneo, Rafael   205, 206, 207, 210 Mouffe, Chantal   97, 99 MRIO Arquitectos   214 Muratow, Paveł   163 Musil, Robert   91 Mussolini, Benito   182, 184 Nagy, Imre   155, 156 Nagy, Virgil   141 Nečas, Petr   134 Nikolaj I.    161 Nobile, Pietro   286 Noever, Peter   109, 291 Nouvel, Jean   211, 212, 254 Oertel, Rudolf   37 Ohmann, Friedrich   18, 42, 43, 45, 47 OMA AMO   260, 261 Ortner & Ortner   106, 242

Perényi, Imre   148 Perrault, Dominique   295 Peschken, Goerd   219 Peter I.   159, 161, 162 Peter II.   159 Peter, Birgit   94 Petrescu, Anca   180, 184, 186, 187, 188 Phillip II.   200, 201 Pinder, Wilhelm   218 Piotrovsky, Mikhail   262, 263 Pištěk, Theodor   131 Pitsch, Reinhard   96 Planiscig, Leo   51 Plečnik, Jože   127, 130, 134 Porumbescu, Nicolae   183, 184 Possochin, Michail   172, 176 Pussy Riot   100 Rak, Jiří   135 Rákosi, Mátyás   153, 154, 155 Rancière, Jacques   83 Raschdorff, Carl Julius   218, 222 Raschdorff, Otto   218 Rásky, Béla   113 Rathkolb, Oliver   85 Reed, John   164 Reinerts, Emile   85, 87, 89 Reiterer, Gabriele   242 Remberg, Erika   88 Rendell, Jane   97, 98, 99 Renner, Karl   35 Rerberg, Iwan   172 Révai, József   151 Ricciotti, Rudy   253 Ritchie, Ian   211

Personenregister

Roessler, Peter   95 Romanowsky, Richard   88 Roškot, Kamil   133 Rüdenauer, Meinhard   79 Rudolf II.   126 Saint-James, Henry   210 Samuzewitsch, Jekaterina (Pussy Riot)   100 Scharoun, Hans   219 Schaumberger, Florian   286 Scheit, Gerhard   95

Tietze, Hans   111 Tolokonnikowa, Nadeschda (Pussy Riot)   101 Ton, K.   161, 162 Trajan (Marcus Ulpius Traianus)   181, 182 Treusch-Dieter, Gerburg   96 Trotzki, Leo   165, 167 Tuñón, Emilio   213 Ulbricht, Walter   218 Venturi, Robert   188 Vetter, Adolf   64

Schimkowitz, Othmar   49, 50 Schinkel, Karl Friedrich   223 Schirach, Baldur von   30, 94 Schlag, Wilhelm   248 Schlosser, Julius von   52 Schmidt, Ernst   91 Schmied, Claudia   109, 294 Schneider, Romy   268 Schtschussew, Alexei   168 Schultes, Axel   217 Schüssel, Wolfgang   287 Schuster, Peter-Klaus   226, 227 Schwarzenberg, Karel   125, 132, 135 Semper, Gottfried   11, 18, 26, 28, 39, 106, 240, 246, 285, 286, 287, 288, 290, 292, 301, 314 Siedler, Wolf Jobst   220, 221, 226 Šípek, Bořek   134 Siza, Álvaro   197, 199, 202, 207 Skero   251 Speer, Albert   134 Staininger, Otto   74 Stalin, Josef   154, 165, 168, 170, 172, 173, 176, 219 Stănescu, Nichita   189 Steinmayr, Erich   268, 297 Stella, Franco   222, 227, 228, 229, 234, 236, 257 Strack, Friedrich   223 Strasser, Ernst   286 Studio 44   262 Stüler, Friedrich August   223 Tabor, Jan   13, 117, 274, 323 Tamms, Friedrich   32, 106, 107 Thyssen-Bornemisza, Carmen   205 Tichon   164 Tiefensee, Wolfgang   228

Villajos, Agustín Ortiz de   204 Villanueva y de Montes, Juan Antonio de   201, 206 Wagner, Otto   28, 43, 115, 286, 315 Waltz, Sasha   259 Wehdorn, Manfred   103, 105, 116, 117, 242 Weibel, Peter   91 Weinzierl, Ulrich   242 Wessely, Paula   85, 86, 87, 89 West 8 Studios   214 Wiesinger, Liselotte   218, 219 Wilhelm II.   218, 222, 224 Wohlmeyer, Wilhelm Paul   33, 34 Wolff, Fritz   224 Wondraček, Rudolf   103 Zachwatowicz, Jan   154 Zeman, Miloš   124, 125, 128, 132 Zilk, Helmut   105, 116 Zillack, Georg Karl   140 Zumbusch, Caspar von   290 Zwetaewa, Marina   165

Personenregister

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GUDRUN SWOBODA (HG.)

DIE KAISERLICHE GEMÄLDEGALERIE IN WIEN UND DIE ANFÄNGE DES ÖFFENTLICHEN KUNSTMUSEUMS BAND 1: DIE KAISERLICHE GALERIE IM WIENER BELVEDERE (1776–1837) BAND 2: EUROPÄISCHE MUSEUMSKULTUREN UM 1800

Der im späten 18. Jahrhundert vollzogene Übergang von einer höfischen Sammlung zum öffentlichen Kunstmuseum lässt sich am Beispiel der kaiserlichen Gemäldegalerie in Wien exemplarisch studieren. Die Publikation unternimmt es, das vom Basler Kunsthändler Christian von Mechel auf Einladung von Kaiser Joseph II. realisierte, für Europa richtungsweisende Museumskonzept im Detail zu rekonstruieren und auf seine institutions- und mediengeschichtlichen Implikationen hin zu befragen. Da dieses Konzept Bestandteil eines komplexen historischen Prozesses war, werden auch andere wichtige Schauplätze des museumsgeschichtlichen Umbruchs – darunter Düsseldorf, Paris, Florenz und Berlin – im Blick gehalten. Auf dieser Grundlage werden neue Perspektiven auf die Geschichte, Theorie und Ästhetik der Institution Kunstmuseum eröffnet und für die aktuelle Debatte um seine Funktionen und Aufgaben bereitgestellt. 2014. 567 S. 309 FARB. ABB. GB. IM SCHUBER. 230 X 280 MM. ISBN 978-3-205-79534-6

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WERNER TELESKO, RICHARD KURDIOVSKY, ANDREAS NIERHAUS (HG.)

DIE WIENER HOFBURG UND DER RESIDENZBAU IN MITTELEUROPA IM 19. JAHRHUNDERT MONARCHISCHE REPRÄSENTATION ZWISCHEN IDEAL UND WIRKLICHKEIT

Die geplanten und realisierten Erweiterungen der Wiener Hofburg unter Kaiser Franz Joseph I. ( reg. 1848–1916 ) sind europaweit das letzte Experimentierfeld höfischen Bauens und sie verdeutlichen , was im 19. Jahrhundert unter dem Begriff „Residenz“ verstanden wurde. Das zentrale Anliegen des vorliegenden Bandes ist die Diskussion der Frage , wie die internationale Dimension des umfangreichen Planungs- und Baugeschehens der Wiener Hofburg zwischen 1835 ( Regierungsantritt Kaiser Ferdinands I. ) und dem Ende der Monarchie zu sehen ist. Dazu gehören Aspekte der Funktionsgeschichte ebenso wie die formale Erscheinung der Palastkomplexe. Dem zeitweise parallel sowie unter günstigeren Voraussetzungen vonstatten gehenden Burgbau in Buda als auch den Planungen für den Prager Hradschin wird ebenso Aufmerksamkeit geschenkt wie den Vorhaben in anderen europäischen Großstädten. So wird es erstmals möglich , eine differenzierte Bau- und Ausstattungsgeschichte der Wiener Hofburg im 19. Jahrhundert in ihrer internationalen Dimension zu präsentieren. 2009. 394 S. BR. 115 S/W-ABB. 170 X 240 MM | ISBN 978-3-205-78393-0

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MARIA-LUISE JESCH

WENN MÖBEL ERZÄHLEN VOM „K. U. K. HOFMOBILIEN- UND MATERIAL-DEPÔT“ ZUM MÖBEL MUSEUM WIEN, 1899–1998 (EINE PUBLIKATIONSREIHE MMD DER MUSEEN DES MOBILIENDEPOTS, BAND 29)

Das „K. u. k. Hofmobilien- und Material-Depôt“ wurde ab 1899 in der Wiener Mariahilfer Straße – auf halbem Wege zwischen der Hof burg und Schloss Schönbrunn – erbaut und 1901 als kaiserliches Möbellager, Restaurierungswerkstatt und Wagenremise in Betrieb genommen. Nach dem Ende der Monarchie kamen das Depotgebäude und der gesamte hofärarische Möbelbestand an die Republik Österreich. Damit begann die Musealisierung des ehemals kaiserlichen Möbellagers: 1924 wurde die „Schausammlung des Bundesmobiliendepots“ eröffnet. Nach den Umbauten und einer großzügigen Erweiterung in den 1990er Jahren wurde das „Hofmobiliendepot“ 1998 zum „Möbel Museum Wien“. 2014. 209. 82 S/W- U. 24 FARB. ABB. BR. 210 X 281 MM. ISBN 978-3-205-78465-4

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BÉNÉDICTE SAVOY, PHILIPPA SISSIS (HG.)

DIE BERLINER MUSEUMSINSEL TEXTE INTERNATIONALER BESUCHER (1830–1990). EINE ANTHOLOGIE

Mit der vorliegenden Anthologie wird der Blick von außen auf die Berliner Museumsinsel nun für ein breites Publikum erschlossen. Es kommen bekannte und unbekannte Besucher aus Frankreich, England, Italien, Österreich, Skandinavien, Russland, den USA, der Türkei, Japan und Mexiko zu Wort. Zumeist handelt es sich um neu entdeckte, an entlegenen Stellen veröffentlichte Äußerungen, von denen viele erstmals in deutscher Übersetzung vorliegen. Begleitende Kommentare beleuchten den jeweiligen Entstehungskontext. Bei der Lektüre wird deutlich, wie sehr die Berliner Museumsinsel in einem Zeitalter nationaler Identitätsbildung als Gegenstand des internationalen Austauschs diente. 2012. 336. 91 S/W- UND 3 FARB. ABB. FRANZ. BR. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-412-20991-9

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